Politiker und Impresario: Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl und die Salzburger Festspiele [1 ed.] 9783205212638, 9783205212614

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Politiker und Impresario: Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl und die Salzburger Festspiele [1 ed.]
 9783205212638, 9783205212614

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Robert Kriechbaumer

Politiker und Impresario Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl und die Salzburger Festspiele

Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg Herausgegeben von Robert Kriechbaumer · Franz Schausberger · Hubert Weinberger

Band 78

Robert Kriechbaumer

Politiker und Impresario Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl und die Salzburger Festspiele

Böhlau Verlag Wien · Köln · Weimar

Festspiel reunde

Veröffentlicht mit freundlicher Unterstützung durch : Amt der Salzburger Landesregierung Freunde der Salzburger Festspiele ISA Internationale Salzburg Association

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2021 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien, Zeltgasse 1, A-1080 Wien Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung : Karikatur in der Tageszeitung »Der Morgen«, 2. August 1937. Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl, Arturo Toscanini und Max Reinhardt leitendes Dreigespann der Salzburger Festspiele. Foto : AHB Korrektorat : Gabriele Fernbach, Wien Einbandgestaltung : Michael Haderer, Wien Satz : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-205-21263-8

Präsidentin Dr. Helga Rabl-Stadler in Dankbarkeit und Verehrung

Vorwort

In seiner viel gerühmten Geschichte Athens in der Antike bemerkte Christian Meier  : »Je folgenreicher ein Ereignis, je tiefer und endgültiger sich seine Konsequenzen in die Wirklichkeit eingraben, umso schwieriger wird es, sich vorzustellen, es könnte nicht stattgefunden (oder einen anderen Ausgang gehabt) haben.«1 Professionelle Historiker wie auch historisch Interessierte unterliegen aus dem Wissen um das Nachher allzu leicht der Gefahr des hermeneutischen Zirkels. Für den Betrachter a posteriori liegt das Verführerische des historischen Prozesses in dem Umstand, dass er sich als mit dem Ablauf und dem Ergebnis eben dieses Prozesses Vertrauter auf die Fährte der Abfolge der Ereignisse begibt, auf der sich scheinbar folgerichtig eins aus dem anderen ergibt. Der so entstehende Erzählduktus bedient sich der Abfolge der Ereignisse, die für ihn den Faden der Ariadne bilden, führt Gründe und Bedingungen an, die das historische Ereignis unter teleologischen Prämissen erklären. Diese Methode ist keineswegs illegitim, bietet sie doch Positionslichter für die notwendige Orientierung im offenen historischen Gelände. Diese Matrix ermöglicht erst die historische Erzählung und die oft damit verbundenen Bedeutungszuweisungen und Sinngebungen – seien es Identitäten, in welcher Form auch immer, oder historische Orte. In diesem Sinn ist diese Form der historischen Erzählung ein Archetypus und damit – jenseits ihres auch konstruktiven Charakters – konstitutives Merkmal kollektiver kultureller und politischer Selbstvergewisserung. Sie beinhaltet jedoch auch die Gefahr des illusionären Verstehens des historischen Prozesses durch das Ausblenden der möglichen Alternativen, seien es die des Scheiterns, seien es die des Gelingens. Die historisch-kritische Analyse zielt nicht auf eine alternative Erzählung im Sinne der Umwertung aller Werte, sondern auf das Aufbrechen des linearen Erzählduktus durch die Einbeziehung der (realistischen) Alternativen sowohl in den konkreten historischen Prozess wie auch in die Entscheidung der handelnden Personen. Wenngleich sich dadurch das Ergebnis des historischen Prozesses nicht verändert, so ändern sich die Parameter der Erzählung. Unter diesen Prämissen verliert die Geschichte der Salzburger Festspiele in der Ersten Republik den Charakter der inhärenten Erfolgsgeschichte. In einer dominanten Kultur der Armut, mit der Aufführung von Hugo von Hofmannsthals »Jedermann« am 22. August 1920 erstmals realisiert, waren vor allem die ersten Jahre von existenziellen Sorgen und einem drohenden frühen Ende gekennzeichnet. Die Devise von der Stadt als Bühne beinhaltete auch die Notwendigkeit eines Festspielhauses, ohne das – dessen waren sich alle führenden Exponenten der Festspielidee 1 Christian Meier  : Athen. Ein Neubeginn der Weltgeschichte. München 1995. S. 18.

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Vorwort

bewusst – die Durchführung von Festspielen unmöglich war. Die am 19. August 1922 in Hellbrunn inszenierte Grundsteinlegung erfolgte noch unter der Dominanz der Festspielidee nach dem Vorbild Bayreuths. Es waren die erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten der jungen Republik, die eine Realisierung dieses Projekts verhinderten und die Suche nach improvisierten Zwischenlösungen erzwangen. Hinzu traten finanzielle und organisatorische Probleme, die 1923 nur zu einer Aufführung von Jean Baptiste Molières »Der eingebildete Kranke« unter der Regie Max Reinhardts im Stadttheater und 1924 zur Absage der Festspiele führten. Den Festspielen drohte ein frühes Ende, dem man im folgenden Jahr durch den in nur vier Monaten durchgeführten Umbau von Teilen der Winterreitschule in ein Festspielhaus nach den Plänen von Eduard Hütter zu begegnen suchte. Der Umbau verursachte jedoch erhebliche Kostenüberschreitungen, die die Salzburger Festspielhausgemeinde nicht zu bewältigen vermochte und in die Insolvenz zu treiben drohten. Zusätzlich wies das neue Haus zahlreiche Unzulänglichkeiten auf, die einen neuerlichen Umbau erforderlich machten. In dieser existenziellen Bedrohung der Festspielhausgemeinde und der Festspiele betrat der 1922 im Alter von 32 Jahren in das Amt des Salzburger Landeshauptmanns gewählte Dr. Franz Rehrl die Festspielbühne, auf der er bis zu seinem von den Nationalsozialisten erzwungenen Ausscheiden im Jahr 1938 eine dominierende Rolle spielen sollte. Als mit erheblicher finanzieller Begabung und Phantasie Begabter wurde er nicht nur zum Retter der Festspielhausgemeinde und damit der Festspiele, sondern durch sein Engagement von Clemens Holzmeister für den allgemein als notwendig erachteten zweiten Umbau des Festspielhauses zum engagierten Bauherrn, der auch 1937 durch seinen originellen Plan sowie das von ihm entwickelte Finanzierungskonzept den von Arturo Toscanini so vehement geforderten neuerlichen Umbau des Festspielhauses nach den Plänen von Clemens Holzmeister ermöglichte. Neben der Großglockner Hochalpenstraße galt den Festspielen sein besonderes Engagement. Durch zähe und geschickt geführte Verhandlungen gelang ihm deren finanzielle Absicherung durch eine entsprechende Bundesbeteiligung, wobei er stets auf die Wahrung Salzburger Interessen besonderen Wert legte und für sie auch auf die Barrikaden stieg. Im Salzburger politischen Biotop mit seinen – in der Stadt Salzburg – starken deutschnationalen Elementen und seinem durchaus parteiübergreifenden Antisemitismus pflegte er enge persönliche Beziehungen zu Hugo von Hofmannsthal, Max Reinhardt, Stefan Zweig und ab 1935 zu Arturo Toscanini. Jenseits der zentralen wirtschaftlichen Bedeutung der Festspiele entsprangen seine persönlichen Beziehungen zu den Festspielgründern und zahlreichen Festspielkünstlern, wie die im Landesarchiv erhaltenen Briefe zeigen, einer tiefen persönlichen Wertschätzung, die auch erwidert wurde. Rehrl war nicht nur während der Festspiele allgegenwärtig und erfüllte die Rolle des vollendeten Gastgebers, sondern wirkte darüber hinaus als permanente politi-

Vorwort

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sche und finanzielle Krisenfeuerwehr sowie Initiator ihrer strukturellen Entwicklung, war Politiker und Impresario. Die vorliegende Darstellung unternimmt den Versuch, diese Doppelfunktion vor allem auch unter Berücksichtigung der krisenhaften Entwicklungen, die die Existenz der Festspiele mehrfach infrage stellten, zu beleuchten. Die Erfolgsgeschichte der Festspiele verlief keineswegs linear, ihre Existenz war immer wieder gefährdet und ihre schließlich weit über das Bundesland und die kleine Alpenrepublik ausstrahlende Faszination und Wirkung war das Ergebnis des Engagements und der Tatkraft ihrer führenden Persönlichkeiten, unter denen Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl eine herausragende Position einnimmt. Der Verfasser war bei seinen Recherchen auf die Unterstützung hilfreicher Geister angewiesen. Mein besonderer Dank gilt dem gesamten Team des Salzburger Landesarchivs, Frau Mag. Franziska-Maria Lettowsky vom Archiv der Salzburger Festspiele und Frau Dr. Aisa Henseke für die umsichtige Durchsicht des Manuskripts. Robert Kriechbaumer Salzburg, im Frühjahr 2021

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil I POLITIKER UND IMPRESARIO Die Geschichte der Salzburger Festspiele in der Zwischenkriegszeit ist auch die Geschichte von Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl I. Präludium 1. Ein Historiker betrachtet eine Fotografie . I.1 Die Anfänge der Mozartpflege in Salzburg, MaxReinhardt und die vielen Väter der Festspielidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.2 1917/18  : Die Nornen knüpfen das Seil. Die Konkretisierung der Festspielidee in einer Zeitenwende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.3 Die ungünstigen Rahmenbedingungen. Aus der Not geboren – Der »Jedermann«. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.4 Die zerstörerische Kraft der Not. Der Höllensturz der Preise oder Mutter Courage gegen die Kraft der kulturellen Idee . . . . . . . . .

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II. Präludium 2. Die Krisenjahre 1923/24 und das drohende vorzeitige Ende der Festspielidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.1 Die Vergeblichkeit der Assimilation durch Kunst und Wissenschaft. Manifestationen des Antisemitismus in den frühen Zwanzigerjahren . . II.2 Wirtschaftliche Stabilisierungskrise und eine unverhoffte Wende  : MaxReinhardt und CamilloCastiglioni. . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3 »Wir glauben, dass aus den Spenden der Salzburger für die Festspiele nicht einmal eine Bedürfnisanstalt errichtet werden könnte.« Die desaströsen Jahre 1923/24 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.4 »In ewiger Eifersucht wachten die Salzburger darüber, dass die Wiener Herren in Salzburg nicht zu groß würden.« Die Neuorganisation der Salzburger Festspielhaus-Gemeinde am 7. Dezember 1924 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Im Wechselbad der Gefühle. Ambitionierter Neubeginn und Skandal. Die Phantasie der Politik oder Landeshauptmann Rehrl als Retter der Festspiele 1926 . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 III.1 Ein Haus fürReinhardts Gesamtkunstwerk. Das erste Festspielhaus 1925 . 123

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III.2 »Diesmal hat sich die Festspielhausgemeinde schwer die Finger verbrannt.« Die finanzielle Krise der Festspielhausgemeinde 1925/26 . . . 137 III.3 »Der Plan des Landeshauptmannes löst die Sache wie das Ei des Kolumbus.« Der SanierungsplanRehrls 1926. . . . . . . . . . . . . . . . . 145 III.4 »Gerne bin ich bereit, der Sache zu dienen.« Der zweite Bau des Festspielhauses durch ClemensHolzmeister 1926 . . . . . . . . . . . . . . 162 IV. »Vermögen wir einzig und allein in Herrn Dr.Rehrl die Persönlichkeit zu erblicken, durch deren Geschick … es möglich ist, einen Ausweg aus den finanziellen Schwierigkeiten zu finden.« Die finanzielle und organisatorische Sanierung der Festspiele durchRehrl.. . . . . 170 V.

Die Festspiele sind »eine österreichische und keine Salzburger Lokalangelegenheit«. Das vergebliche Bemühen um Bundessubventionen und die Suche nach privaten Sponsoren .. 186 V.1 Finanzierung durch private Sponsoren  ? CamilloCastiglioni ante portas. . . 192 VI. Rehrl als kulturpolitischer Akteur hinter bis 1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI.1 Der Kampf um eine gesicherte finanzielle Basis . . VI.2 Festspiele im Zeichen der Wirtschaftskrise . . . . . VI.3 DerMoissi-Skandal . . . . . . . . . . . . . . . . . .

den . . . . . . . . . . . .

Kulissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1929 . . . . . . . . . . . . . . . .

VII. »… dass Salzburg längst und besonders jetzt etwas für Österreich Repräsentatives geworden ist.« Die Salzburger Festspiele in den Wende- und Schicksalsjahren 1933/34 . . . VII.1 Wirtschaftskrise und zunehmende NS-Penetration . . . . . . . . . . . VII.2 Existenzbedrohende Herausforderungen  : Tausend-Mark-Sperre, Terrorwellen undRehrls landespolitische Gegenstrategie. . . . . . . . VII.3 Die Festspiele als (kultur-)politische Demonstration gegen den Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII.4 Der Kampf um die finanzielle Absicherung der Festspiele durch den Bund. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII.5 Eine folgenschwere künstlerische Wende. VonKrauss zuToscanini.. .

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. . 272 . . 272 . . 288 . . 303 . . 309 . . 326

VIII. Per aspera ad astra. Die Jahre 1935/36 . . . . . . . . . . . . . . . . 331 VIII.1 »Die Salzburger Festspiele haben ihre bisher schwerste Prüfung bestanden.« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

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VIII.2 »Der Landeshauptmann glaubt offenbar, die Bundesregierung tyrannisieren zu können.« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII.3 Die Gewissheit freundschaftlicher Geborgenheit.Rehrl und die SteuerschuldenReinhardts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII.4 Festspielsommer 1936. ArturoToscanini oder das Huhn, das goldene Eier legt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII.5 Die Kritik ist »geradezu grotesk«.Rehrls neuerliche Kontroverse mit dem Finanzministerium und dem Rechnungshof.. . . . . . . . . . . .

13 . 339 . 347 . 350 . 361

IX. Ein neues Festspielhaus – aber wie und welches  ? Die (scheinbare) Quadratur des Kreises. . . . . . . . . . . . . . . . . 366 X. Ein letzter Festspielsommer 1937 oder der unvollendete Triumph. Zur historischen Dekodierung einer Karikatur . . . . . 384 XI. Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Bildteil.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409

Teil II DOKUMENTE Dokument Nr. 1  : Der von Landeshauptmann Dr.FranzRehrl 1926 erarbeitete Sanierungsplan des Festspielhauses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 Dokument Nr 2  : Verpflichtungserklärung der Stadtgemeinde Salzburg vom 1. April 1926. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 Dokument Nr. 3  : Rede von Landeshauptmann Dr.Rehrl vor dem Salzburger Landtag am 7. April 1926 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 Dokument Nr. 4  : Der Plan von Landeshauptmann Dr.FranzRehrl für die Sanierung der Salzburger Festspielhausgemeinde, 26. November 1926 . . . . . 455 Dokument Nr. 5  : Brief von Landeshauptmann Dr.FranzRehrl an Prof. MaxReinhardt am 22. Dezember 1926 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 Dokument Nr. 6  : Brief Prof. MaxReinhardts aus Taormina an Landeshauptmann Dr.FranzRehrl am 4. April 1927 . . . . . . . . . . . . . . . . 468

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Dokument Nr. 7  : Plan der Salzburger Festspielhausgemeinde zur Veranstaltung von Weihnachts- und Krippenspielen unter der Regie von MaxReinhardt in der Zeit zwischen 25. Dezember und 6. Jänner.. . . . . . . . 472 Dokument Nr. 8  : Hugo vonHofmannsthal, MaxReinhardt  : Organisationsentwurf der Salzburger Festspiele. Salzburg 21. August 1928. . . 475 Dokument Nr. 9  : Niederschrift über eine am 29. August 1928 erfolgte Besprechung zwischen den Herren Landeshauptmann Dr.Rehrl einerseits, Herrn vonHofmannsthal und Herrn ProfessorReinhardt andererseits in der Angelegenheit der Fortführung der Salzburger Festspiele.. . . . . . . . . . . . 478 Dokument Nr. 10  : Entwurf für die Durchführung der Festspiele unter Zuhilfenahme einer anonymen Zweckgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 Dokument Nr. 11  : Analyse der Organisationsdefizite der Salzburger Festspiele des Jahres 1928 durch das Kuratorium und Mitglieder des Aufsichtsrates der Salzburger Festspielhausgemeinde . . . . . . . . . . . . . . . 484 Dokument Nr. 12  : Randglossen zur Salzburger Festspielfrage (Frühjahr 1929, Verfasser anonym).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 Dokument Nr. 13  : Brief Prof. MaxReinhardts an Landeshauptmann Dr.FranzRehrl am 11. Oktober 1930 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 Dokument Nr. 14  : Brief von Landeshauptmann Dr.FranzRehrl an Kammersängerin Rosette Anday vom 3. August 1933 . . . . . . . . . . . . . . . 513 Dokument Nr. 15  : Brief von Bundespräsident Dr. WilhelmMiklas an Landeshauptmann Dr.FranzRehrl vom 2. September 1933 . . . . . . . . . . . . 514 Dokument Nr. 16  : Brief von Dagny Servaes, der Buhlschaft der Jahre 1926 bis 1937, an Landeshauptmann Dr.FranzRehrl am 14. Jänner 1937 . . . . . . . 515 Dokument Nr. 17  : Brief von Dagny Servaes an Landeshauptmann Dr.FranzRehrl am 19. Februar 1937.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 Dokument Nr. 18  : Rede von Landeshauptmann Dr. FranzRehrl anlässlich des Festaktes »15 Jahre Salzburger Festspiele« in der Salzburger Alten Residenz am 11. August 1935 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517

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Dokument Nr. 19  : Rede von Bundespräsident Dr. WilhelmMiklas anlässlich der Verleihung des Österreichischen Verdienstkreuzes für Kunst und Wissenschaft I. Klasse an Landeshauptmann Dr.FranzRehrl am 11. August 1935 in der Salzburger Alten Residenz. . . . . . . . . . . . . . . . . 520 Dokument Nr. 20  : Rede von Landeshauptmann Dr.FranzRehrl beim Empfang des Landes Salzburg anlässlich der 100. Aufführung des »Jedermann« in der Alten Residenz am 16. August 1936 . . . . . . . . . . . . . 523 Dokument Nr. 21  : Schreiben von Architekt Prof. DI Dr. Clemens Holzmeister an Landeshauptmann Dr.FranzRehrl am 23. November 1936 . . . 526 Dokument Nr. 22  : Schreiben von Architekt Prof. DI Dr. Clemens Holzmeister an Landeshauptmann Dr.FranzRehrl am 12. Dezember 1936 . . . 528 Dokument Nr. 23  : Landeshauptmann Dr.FranzRehrl  : Ein neues Projekt zur Umgestaltung des Salzburger Festspielhauses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 Dokument Nr. 24  : Brief von Staatsoperndirektor Dr. ErwinKerber an Landeshauptmann Dr.FranzRehrl am 15. Februar 1937. . . . . . . . . . . . . . 533 Dokument Nr. 25  : Schreiben von Architekt Prof. DI Dr. Clemens Holzmeister an Landeshauptmann Dr.FranzRehrl am 22. Februar 1937.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 Dokument Nr. 26  : Telegramm ArturoToscaninis vom 23. Februar 1937 zum Umbauvorschlag von Landeshauptmann Dr.FranzRehrl . . . . . . . . . . . . . 536 Dokument Nr. 27  : Rede von Landeshauptmann Dr.FranzRehrl anlässlich des 70. Geburtstages ArturoToscaninis in Mailand am 25. März 1937 . . . . . . 537 Dokument Nr. 28  : Gedächtnisprotokoll von Landeshauptmann Dr.FranzRehrl von Anfang März 1937 über die Verhandlungen mit dem Bund zur Finanzierung des Umbaus des Festspielhauses . . . . . . . . . . . . . 539 Dokument Nr. 29  : Pressenotiz vom 14. April 1937 über die Finanzierung des Festspielhausumbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540

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Dokument Nr. 30  : Rede von Landeshauptmann Dr.FranzRehrl anlässlich der Enthüllung eines Ehrenmals für Hugo vonHofmannsthal in der Eingangshalle des Salzburger Festspielhauses am 8. August 1937 . . . . . . . . 541 Dokument Nr. 31  : Bericht über den Fortschritt des Umbaus des Festspielhauses für die Besprechung im Sitzungssaal der Landesregierung am 24. August 1937 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 Dokument Nr. 32  : Schreiben von Landeshauptmann Dr. FranzRehrl an die Bauleitung des Erweiterungsbaues des Salzburger Festspielhauses am 25. August 1937 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 Quellen- und Literaturverzeichnis.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 Abbildungsnachweis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557

Teil I

POLITIK ER U N D I MPR ESA R IO Die Geschichte der Salzburger Festspiele in der Zwischenkriegszeit ist auch die Geschichte von Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl

I. Präludium 1 Ein Historiker betrachtet eine Fotografie

Es ist eine unter Fachleuten bekannte Fotografie, die in Publikationen über die Geschichte der Salzburger Festspiele vielfach Verwendung findet. Sie zeigt eine illustre Schar von Prominenten, die sich am 19. August 1922 in Hellbrunn versammelten, um der feierlichen Grundsteinlegung des neuen Festspielhauses beizuwohnen. Die Zeitgenossen, sofern sie der Festspielidee und den hochfliegenden Plänen der Errichtung eines Festspielhauses auf der grünen Wiese nach Bayreuther Vorbild positiv gegenüberstanden, vertraten die Meinung, dass der 19. August 1922 den Rang eines historisches Datums nicht nur in der Salzburger, sondern auch der österreichischen und wahrscheinlich auch der europäischen (Kultur-)Geschichte einnehmen werde, da ein entscheidender Schritt zur Realisierung eines lang gehegten Wunsches getan schien. Es war eine hochrangige Gemeinde, wie die »Salzburger Chronik« bemerkte, die sich in Hellbrunn versammelte, an ihrer Spitze Bundespräsident Richard Hainisch, Fürsterzbischof Ignaz Rieder, der die Weihe des Grundsteins vornahm, Außenminister Alfred Grünberger, Landeshauptmann-Stellvertreter Robert Preußler, Bürgermeister Josef Preis, der ehemalige Präsident der Provisorischen Nationalversammlung und nunmehrige Obmann der Großdeutschen Volkspartei, Franz Dinghofer, die Repräsentanten der Festspielhausgemeinde Sigmund Stransky, Friedrich Gehmacher, Heinrich Damisch, Rudolf Holzer, Richard Strauss, Max Reinhardt, Helene Thimig, Hermann Bahr und seine Frau Anna Bahr-Mildenburg, Bernhard Paumgartner, Selma Kurz, Richard Mayr und Richard Tauber.1 Im Namen der Festspielhausgemeinde hielt der Repräsentant des Wiener Hauptvereins, Rudolf Holzer, die Festansprache, in der er bemerkte, dass nur diejenigen, die die Betreiber dieses Projekts nicht verstehen, es »vermögen, auch diesen Augenblick durch ein einziges, zu einem Beil geschliffenes Wort, zu einer Hinrichtung zu gestalten  ; die, die da sagen  : am Rande seines Grabes baut dieses Volk ein – Theater  ! Ja, ›dieses Volk  !‹ Dieses bajuwarisch-österreichische Volk hat die ungeheure Kühnheit, die g ­ otterfüllte Überzeugung in sich, jetzt keine andere Sendschaft, Aufgabe für sein und der Welt Heil zu haben, als im ungeheuren, besinnungslosen Taumel von Verwilderung des Gemütes, Gier nach materiellen Gütern, Abbröckelung der Kultur, ein Asyl, einen Tempel der Menschlichkeit, der idealen Antiquitäten und ›überlebten‹ Geistes­an­ schauungen zu errichten  !« Das Festspielhaus sei keine Gründung der Fremdenverkehrsindustrie, sondern ein nationaler Tempel der Kunst zu Ehren der Weltkultur 1 Salzburger Chronik, 22. 8. 1922. S. 2.

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Präludium 1

im Sinne der Menschlichkeit.2 Die feierliche Grundsteinlegung endete mit Mozarts »O Schutzgeist alles Schönen«, dargebracht von der Salzburger Liedertafel. Die sich im Archiv der Salzburger Festspiele befindende Fotografie gewinnt für den Historiker, jenseits ihres dokumentarischen Charakters, aufgrund ihrer, die komplexen und unterschiedlichen Entwicklungsstränge und die handelnden ­Personen wie in einem Brennglas vereinigenden Symbiose besonderes Interesse. Sie eröffnet ihm die Möglichkeit der historischen Hermeneutik, die miteinander zu einem komplexen Gewebe verwobenen Stränge in einer rückläufigen Analyse aufzulösen.

I.1 Die Anfänge der Mozartpflege in Salzburg, Max Reinhardt und die vielen Väter der Festspielidee Die Feier in Hellbrunn vereinte verschiedene historische Entwicklungslinien und Interessengruppen und erfolgte in einer Zeit extremer Wirtschafts- und Finanzkrise sowie der sie begleitenden Inflation, weshalb Österreich tatsächlich »am Rande seines Grabes« stand und die Frage durchaus berechtigt war, ob man in solcher Zeit ein Theater bauen solle. Das zu Beginn des 19. Jahrhunderts bescheidene bürgerliche Vereinswesen als Nukleus einer im Entstehen begriffenen bürgerlichen Gesellschaft präsentierte sich in einem Leseinstitut und einer musikalischen Gesellschaft, die sich 1811 zu dem 212 Mitglieder umfassenden Verein »Museum« zusammenschlossen. Auf den Ruinen der einstigen höfisch-aristokratisch-kirchlichen Gesellschaft des Fürsterzbistums entwickelte sich im Vormärz eine bescheidene bürgerliche Kultur- und Kunstszene, aus der 1842 der »Dom Musikverein und Mozarteum« entstand, der in 14 Salzburger Kirchen die Musik gestaltete, Konzerte veranstaltete, eine Musikschule gründete und ein Mozart-Archiv anlegte. 1844 folgte die Gründung des »Salzburger Kulturvereins« und 1847 jene der »Salzburger Liedertafel«. In der Phase der allmählichen Erholung von den Verwüstungen der napoleonischen Kriege und des Verlustes der staatlichen Eigenständigkeit erfolgte 1842 als Zeichen eines erwachenden bürgerlichen Selbst- und Landesbewusstseins die Errichtung des Mozart-Denkmals. Die Initiative hatten die Mitglieder des »Museums«, Julius Schilling und Sigmund von Koflern, ergriffen, die eine Spendenaktion ins Leben riefen, um die Finanzierung des vom Münchner Bildhauer Ludwig Schwanthaler geschaffenen Denkmals zu sichern. Mozart als berühmtester Sohn der Stadt diente als Identifikationsfigur und Projektionsfläche der Wünsche nach Loslösung von oberösterreichischer Bevormundung durch Wiedererlangung politischer Teilstaatlichkeit in Form eines eigenen Kronlandes und Entprovinzialisierung. Das mit der feierlichen Enthüllung 2 Salzburger Volksblatt, 21. 8. 1922. S. 3.

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des Mozart-Denkmals verbundene erste Mozart-Fest, dem 1852 und 1856 noch zwei weitere folgen sollten, unterstrich diesen Anspruch. Und Mozart behielt auch nach der Erlangung des Status eines selbständigen Kronlandes 1861 seine zentrale kultur­politische Position in der Landespolitik, wobei sich ab den 1870er-Jahren der begin­nende Sommerfrischetourismus mit dem Mozartkult verband.3 1870 erfolgte mit der Gründung der »Internationalen Mozart-Stiftung« durch einen kleinen Kreis ­liberaler Honoratioren, die 1880 zusammen mit dem vom Dom-Musikverein nunmehr getrennten Mozarteum in die »Internationale Stiftung Mozarteum« umgewandelt wurde, die Institutionalisierung des erweiterten Anspruchs einer über den lokalen Bereich ausstrahlenden internationalen Mozart-Pflege. Diesem Anspruch entsprechend, wurden nach dem Vorbild der Rheinischen Musikfeste und schließlich nach jenem von Bayreuth, jedoch ohne deren nationalpolitische Grundierung, zwischen 1877 und 1910 insgesamt acht Salzburger Musikfeste in den Sommermonaten mit prominenten Mitwirkenden wie den Wiener Philharmonikern unter Felix Mottl, Hans Richter, Gustav Mahler und Richard Strauss und bedeutenden Sängerinnen und Sängern wie Lilli Lehmann, Leo Slezak oder Richard Mayr veranstaltet. Durch die Beteiligung von Wiener Künstlern an den Mozartfesten wurde die Idee eines Festspielhauses und die Veranstaltung von Festspielen von der Wiener Kulturpublizistik sowie führenden Repräsentanten der k. u. k. Kulturszene unterstützt, wobei allerdings auch die Frage aufgeworfen wurde, ob diese Festspiele nicht aufgrund ihrer nationalen Bedeutung nicht von Wien aus organisiert werden sollten, um das Odium des Provinzialismus zu vermeiden. So zeigte sich Eduard Hanslick von dem ersten Musikfest 1877, dem er sogar drei ausführliche Besprechungen widmete, positiv beeindruckt. Im deutlichen Gegensatz zu der »dumpfen Schwüle« des ein Jahr zuvor erstmals stattgefundenen Festspiels in Bayreuth, das von der »Wagner’schen Leibgarde« beherrscht werde, zeichne sich Salzburg durch ein »brüderliches Wohlwollen zwischen Künstlern und Festgästen« aus. »In diesem Sinne, unbeabsichtigt und ohne polemische Tendenz, bildet das Musikfest in Salzburg wirklich eine Art Protest gegen das Bayreuther Ereignis.«4 Im Rahmen dieser sommerlichen Musikfeste regte der Dirigent Hans Richter die Errichtung eines Mozart-Festspielhauses nach dem Vorbild Bayreuth an, und drei Jahre später konstituierte sich unter dem Vorsitz des Architekten Carl Demel und des Fotografen Eduard Bertel ein Aktionskomitee, das aufgrund der Beziehungen 3 Robert Hoffmann  : Festspiele in Salzburg. Quellen und Materialien zur Gründungsgeschichte. Band I  : 1913–1920. – Wien/Köln/Weimar 2020. S. 19 (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 75). Die Einleitung Hoffmanns zu der von ihm edierten Quellensammlung zur Gründungsgeschichte der Salzburger Festspiele ist die gründlichste Darstellung der Vor- und Frühgeschichte der Festspiele. 4 Zit. bei Hoffmann  : Festspiele in Salzburg. S. 21.

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Demels die bekannten und viel beschäftigten Theaterarchitekten Hermann Helmer und Ferdinand Fellner mit der Planung eines Opernhauses auf dem Mönchsberg beauftragte. Wenngleich das von beiden Architekten geplante Festspielhaus auf dem Mönchsberg nicht realisiert wurde, so zeichneten sie für das 1893 eröffnete Salzburger Stadttheater verantwortlich, das den alten k. k. Theaterbau aus dem Jahr 1775 ersetzte und von der Presse wie vom Publikum als gelungener Bau, der allen Belangen eines modernen Bühnenbaus entspreche, gefeiert wurde. Der junge Max Reinhardt erhielt an der neuen Bühne nach dem Volkstheater in Rudolfsheim sein zweites festes Engagement und spielte bei der Eröffnungspremiere des neuen Hauses den Oberfeldherrn Berengar in dem damals viel gespielten Märchenstück »Der Talisman« von Ludwig Fulda. Es folgten zahlreiche weitere Rollen, die bei der Kritik auf große Zustimmung stießen. Sie bescheinigte dem jungen Schauspieler, dass er zu den größten Hoffnungen Anlass gebe. Er erhielt mehrere Lorbeerkränze, von denen einer mit der Widmung »Auf Wiedersehen in der Burg« versehen war. Es war dies keineswegs bloße Provinzschwärmerei, sondern entsprach seinem Talent, das auch die Aufmerksamkeit von Otto Brahm, dem designierten Direktor des »Deutschen Theaters« in Berlin erregt hatte und der ihn 1894 nach Berlin engagierte, was vom Salzburger Publikum und der Salzburger Kritik mit Bedauern zur Kenntnis genommen wurde. Reinhardt spielte neun Jahre am Deutschen Theater, in dem unter der Leitung von Otto Brahm ein naturalistisches Programm dominierte, Die naturalistische Monotonie förderte schließlich bei Reinhardt die Suche nach Alternativen, und er gründete zusammen mit anderen jungen Schauspielern die Gruppe »Schall und Rauch«, die neben Parodien auf Vorstellungen im Deutschen Theater auch Stücke, durchwegs Einakter, spielte. Der Erfolg war so groß, dass schließlich ein eigener Theatersaal »Unter den Linden« angemietet und 1901 eingeweiht wurde. Die Gruppe »Schall und Rauch« erhielt nunmehr den Beinamen »Kleines Theater«, und es wurden anstelle der bisherigen Einakter und Parodien mehraktige Stücke gespielt, allerdings mit mäßigem Erfolg. Reinhardt entschloss sich in dieser schwierigen Situation, die Bühne trotz der Schwierigkeiten weiterzuführen, was jedoch die Aufgabe seiner Schauspieltätigkeit am Deutschen Theater erforderte. Diesen Entschluss des »Jetzt erst recht« bezeichnete Reinhardt später als Wendepunkt seines Lebens, der die Hinwendung zur Regie und zur Theaterleitung unter der neuen Devise »Theater als Gesamtkunstwerk« bedeutete. Er holte seinen jüngeren, unter zeitweisen Depressionen leidenden Bruder Edmund als Manager nach Berlin, der ihm bis zu seinem Tod 1929 zur Seite stehen sollte. Den ersten durchschlagenden Erfolg feierte der Schauspieler und neue Impresario und mit Maxim Gorkis »Nachtasyl«, das 1903 zum gefeierten Kassenschlager wurde. Doch die Räumlichkeiten des Kleinen Theaters waren begrenzt, was auf die Wahl der Stücke und vor allem auch auf die Finanzen nachteilige Auswirkungen hatte. Reinhardt begab sich daher auf

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die Suche nach einem zweiten Theater, das er im »Neuen Theater« am Schiffbauerdamm fand und in dem er in Maurice Maeterlincks »Pelléas und Mélisande« nicht nur den König Arkel spielte, sondern auch Regie führte. Es war diese Regiearbeit, die durch ihr Zusammenwirken von Schauspiel, Musik und Dekoration einen völlig neuen, revolutionären Weg beschritt und Reinhardts Ideal eines Gesamtkunstwerks eindrucksvoll demonstrierte. Für die Dekorationen wandte er sich an die wichtigsten bildenden Künstler der deutschen Hauptstadt wie Lovis Corinth, Alfred Roller, Emil Orlik und Karl Walser mit der Bitte um Mitarbeit und begeisterte sich für die Möglichkeiten der modernen Bühnentechnik, in der er eine unverzichtbare Voraussetzung für die Faszination des Theaters sah. 1905, im Alter von 32 Jahren, feierte er mit Shakespeares »Ein Sommernachtstraum« einen sensationellen Erfolg beim Berliner Publikum, das Reinhardts Ideen – die Möglichkeiten der Drehbühne, einen Wald aus Nebelschwaden zum Vorschein zu bringen, den von Moos bedeckten Bühnenboden, Glasscheiben im Hintergrund der Bühne, die einen See vortäuschen – begeistert aufnahm. Er war über Nacht zum Publikumsmagneten und ersten Regisseur Deutschlands avanciert. Es war daher nur folgerichtig, dass ihm Adolph L’Arronge, der Besitzer des Deutschen Theaters, der besten und berühmtesten Bühne Deutschlands, deren Leitung ab Herbst 1905 anbot. L’Arronge hatte den Vertrag mit Otto Brahm nicht erneuert und die Leitung Paul Lindau übergeben, der jedoch nicht in der Lage war, das Theater auf die erhoffte Erfolgsspur zurückzuführen. L’Arronges Blick fiel auf den aufgehenden Stern des 32-jährigen Max Reinhardt, dessen neue Theaterästhetik das Publikum faszinierte und dem die alten Männer des Theaters offensichtlich nicht das Wasser reichen konnten. Es lag daher nahe, dem neuen Publikumsliebling die Leitung der bedeutendsten Bühne Deutschlands anzubieten, und der so Umworbene griff mit beiden Händen zu. Allerdings, dies war die Bedingung, musste er sich von der Leitung des Kleinen Theaters und des Neuen Theaters trennen und sich ganz der Leitung des Deutschen Theaters widmen. Reinhardt trennte sich 1905 vom Kleinen Theater und im folgenden Jahr vom Neuen Theater. Die Übernahme der Leitung des Deutschen Theaters verlief allerdings nicht in der von Reinhardt erhofften Weise, da sich L’Arronge weigerte, dem von Reinhardt geforderten Umbau des Theaters zuzustimmen. Der neue Theaterdirektor entschloss sich zu einem ungewöhnlichen Schritt – den Kauf des Theaters. Die dafür nötigen Mittel stellten ihm, unter kräftiger Mithilfe seines Bruders Edmund, mehrere theaterbegeisterte Geschäftsleute zur Verfügung, sodass die erforderlichen Umbauten, vor allem auch im Bühnenbereich, vorgenommen und die Saison im Herbst 1905 mit einem umgebauten Haus eröffnet werden konnte. Die zweite Premiere der Eröffnungssaison, Shakespeares »Der Kaufmann von Venedig« – Reinhardts zweite Shakespeare-Inszenierung –, konnte an den Erfolg seines »Sommernachtstraums« anknüpfen, wenngleich die Kritik an einer von Reinhardts Entdeckungen, Alexander Moissi, kaum

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ein gutes Haar ließ. Doch Reinhardt hielt an Moissi fest, trotz dessen italienischen Akzents, an dessen Beseitigung sie arbeiteten, und ließ ihn weiter wichtige Rollen spielen, bis er sich durchsetzte. Bereits im folgenden Jahr errichtete Reinhardt die »Kammerspiele« als zweites, intimes Theater mit lediglich 300 Sitzplätzen, in dem kleinere Stücke aufgeführt werden sollten und dessen Eröffnungspremiere, Henrik Ibsens »Gespenster« im Bühnenbild von Edvard Munch und unter Reinhardts Regie, zum Ereignis wurde. Es folgten Frank Wedekinds »Frühlingserwachen« und ein Zyklus von August-Strindberg-Stücken. Wenngleich Reinhardt nunmehr über zwei Theater unterschiedlicher Größenordnung verfügte, so blieb er auf der Suche nach der unmittelbaren Wechselwirkung von Publikum und Schauspielern, die er schließlich im antiken Theater, in dem die Bühne in den Zuschauerraum hineinragte, fand. Damit war die Frage nach dem Theaterraum und dessen szenischer Funktion aufgeworfen, die Reinhardt erstmals 1910 in seiner in der Musikfesthalle auf der Theresienhöhe in München vorgenommenen Großrauminszenierung von Sophokles’ »König Ödipus« zu beantworten suchte. Durch die Adaption ehemaliger Fabrikhallen und Zirkusarenen konnten bisher ungeahnte Spielstätten geschaffen werden, die – wie in der Antike – die Bühne in den Zuschauerraum verlegten und damit eine neue Form der Interaktion von Schauspielern und Publikum schufen. Wie in der Antike sollte damit auch ein Theater für das Volk entstehen, d. h. für ein Publikum von mehreren Tausend Zuschauern, dem die Teilnahme durch billigere Eintrittspreise geboten wurde. Es war Reinhardts Vision von der Wiedergeburt des Theaters der Antike und des mittelalterlichen Mysterienspiels. Die Münchner Inszenierung wurde in Berlin im Zirkus »Schumann« wiederholt. Aufführungen von London über Wien, Budapest, Skandinavien und Polen bis nach St. Petersburg mit ihrer suggestiven Kraft der Masseninszenierungen begründeten seinen europäischen Ruf. 1911 folgte im Berliner Zirkus Schumann die Uraufführung von Hugo von Hofmannsthals »Jedermann«, dem Stück vom Sterben des reichen Mannes, mit dem Reinhardt an das mittelalterliche Mysterienspiel anknüpfte und dessen Spiel auf dem Salzburger Domplatz bis heute eine ungebrochene Faszination ausübt. Die Fassade des Zirkus Schumann, die Uraufführungsstätte des »Jedermann«, war am 18. Juni 1918 eingestürzt, und Reinhardt entwickelte den ehrgeizigen Plan, in einer Zeit der Not und Inflation den Zirkus Schumann in ein großes Schauspielhaus umzubauen, in dem die von ihm kreierten Masseninszenierungen möglich sein sollten. Er gewann Hans Poelzig für den Umbau, der bis 1919 einen 3200 Plätze fassenden Theaterraum mit neuester Bühnentechnik und hervorragender Akustik schuf. Trotz aller Hindernisse erfolgte die Eröffnung des Theaters, gedacht als eine Auferstehung des Theaters der Antike und im Berliner Volksmund als »Zirkus Reinhardt« ironisch charakterisiert, am 29. November 1919 mit der »Orestie« des Aischylos in der Bearbeitung von Karl Gustav Vollmoeller.

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In das Jahr 1911 fiel auch seine erste Opernregie, er inszenierte Richard Strauss’ »Der Rosenkavalier« an der Semperoper in Dresden, wo diese Hommage an das barocke Wien seine Uraufführung erlebte. Er verstehe nicht viel von Musik, sei aber trotzdem oder vielleicht gerade deshalb sehr empfänglich für sie, bemerkte er im Rückblick. »Jedenfalls übt gute Musik stets eine mächtige Wirkung auf mich aus, die mich überrascht und die ich mir nicht recht erklären kann. Neue ungeahnte Stimmungen erwachen in mir. Alles erweitert sich, und ich freue und wundere mich darüber wie ein Kind mit einem farbigen Kaleidoskop.«5 Die Inszenierung des »Rosenkavaliers« gab ihm nun die Möglichkeit, sein Ideal eines Gesamtkunstwerkes erstmals im Genre der Oper zu realisieren, und er wurde durch seine Forderung an das Ensemble, gesangliche mit schauspielerische Leistungen zu verbinden, zu einem Vorreiter des modernen Musiktheaters. Im Rahmen eines sechswöchigen Wien-Gastspiels des »Kleinen« und »Neuen Theaters« am »Deutschen Volkstheater« Anfang 1903 machte ihn Hermann Bahr, der von Reinhardts Regiearbeit begeistert war, mit Hugo von Hofmannsthal, ­Richard Beer-Hofmann, Alfred Roller, Kolo Moser und Otto Wagner bekannt. Hofmannsthal gehörte zu jener Gruppe von Literaten, die von Hermann Bahr die Bezeichnung »Jung Wien« erhalten hatte und sich im Café Griensteidl traf. Von den französischen Symbolisten beeinflusst, lehnten sie den auf den Wiener Bühnen und von Otto Brahm am Deutschen Theater gepflegten Naturalismus, ebenso wie Reinhardt, ab. Vor allem die Begegnung mit Hofmannsthal sollte ungeahnte kulturpolitische Folgen haben. Hofmannsthal arbeitete an einer Bearbeitung von Sophokles’ »Elektra«, die er Reinhardt in Gegenwart der von ihm aufgrund ihrer emotionalen Fähigkeiten bewunderten Schauspielerin Gertrud Eysoldt präsentierte. Reinhardt war begeistert und sicherte sich die Uraufführung des Stückes, das Ende Oktober 1903 im Kleinen Theater unter seiner Regie, mit den Kostümen von Lovis Corinth und mit Gertrud Eysoldt in der Hauptrolle seine Uraufführung erlebte. Richard Strauss war von der Bearbeitung des Sophokles-Dramas durch Hofmannsthal derart begeistert, dass er ihn bat, das Libretto für die von ihm geplante Vertonung des Stoffes zu verfassen. Es war der Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit für fünf weitere Opern – »Der Rosenkavalier« (1911), »Ariadne auf Naxos« (1912), »Die Frau ohne Schatten« (1919), »Die ägyptische Helena« (1928) und »Arabella« (1933). Reinhardt lud auch Hermann Bahr nach Berlin ein, wo der Schriftsteller und Literaturkritiker als »Prophet der Moderne« in der Zeitschrift »Freie Bühne« sowie im »Fischer Verlag« eine publizistische Heimat gefunden hatte, ehe er nach Wien zurückkehrte und Redakteur und Mitherausgeber der »Deutschen Zeitung« wurde. Der zehn Jahre ältere Bahr war von den künstlerischen Fähigkeiten Reinhardts tief beeindruckt und 5 Gusti Adler  : … aber vergessen Sie nicht die chinesischen Nachtigallen. Erinnerungen an Max Reinhardt. – München/Wien 1980. S. 45.

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überzeugt, dass sich dieses Talent in einem Theaterverbund zwischen Berlin, Hamburg, München und Wien, in das auch das sommerliche Salzburg integriert wurde, verwirklichen sollte. Bahr hatte 1900 einen Aufsatz unter dem Titel »Die Hauptstadt von Europa  : eine Phantasie in Salzburg« veröffentlicht, in dem er erstmals in einem fiktiven Dia­log zwischen einem Erzähler und einem namenlosen Gesprächspartner die Stadt als Bühne mit den Worten »Hier Theater spielen  !« pries. Reinhardt, auf den die Stadt seit seinem Engagement am Stadttheater eine ungebrochene Faszination ausübte, stimmte in Bahrs Vision ein, dachte dabei jedoch ausschließlich an Theateraufführungen, vor allem an Shakespeare und das romantische Theater. Das Projekt scheiterte an mangelnder Finanzierung ebenso wie an Bahrs Vorschlag im folgenden Jahr, in Salzburg ein Schauspiel-Festspiel mit Eleonore Duse, die er 1911 in St. Peters­ burg kennengelernt hatte, und Isadora Duncan als Mittelpunkt zu veranstalten, obwohl er Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss für das Projekt begeistert hatte. 1907/08 unternahm er anlässlich eines Aufenthalts am von Reinhardt geleiteten Deutschen Theater einen neuerlichen Anlauf und unterbreitete Reinhardt ­einen Plan für Festspiele in Salzburg, die sowohl Theater wie Oper umfassen sollten. Reinhardts erfolgreiche Berliner Aufführungen, wie z. B. Gorkis »Nachtasyl«, sollten im Salzburger Stadttheater gezeigt werden, Bahr und dessen Frau, die gefeierte Wagner-Sängerin Bahr-Mildenburg, für die Oper verantwortlich zeichnen. Wenngleich auch dieses Projekt an den mangelnden finanziellen Mitteln scheiterte, so kam Bahr doch das Verdienst zu, »die Rolle eines intellektuellen Propagandisten für Salzburg als ›Hauptstadt von Europa‹«, d. h. als internationale Festspielstadt, übernommen zu haben.6 Bahr, der am Akademischen Gymnasium in Salzburg maturiert hatte, hatte wesentlichen Anteil an der im Fin de Siècle erfolgenden neuromantischen Überhöhung des im 19. Jahrhundert entstandenen Salzburg-Bildes der »Schönen Stadt«, das nun um eine musikalische Komponente erweitert wurde. Salzburg und seine Baudenkmäler waren nun »steingewordene Musik«, vor allem als Mozartstadt. 1914 schrieb er in seinem Essay über Salzburg als Mozartstadt  : »Ob ich es nun verdienen mag oder nicht, die Mozartstadt zu heißen, bin ich es denn nicht  ? Seht mich doch nur an  ! Was ihr an mir mit Augen seht, lässt Mozart euch in Tönen hören  !«7 Bahr übersiedelte Ende 1912 nach Salzburg in das Schloss Arenberg, konvertierte zum Katholizismus und blieb bis zu seinem Lebensende 1934 praktizierender Katholik. Am 11. Oktober 1915 notierte Josef Redlich in sein Tagebuch, er habe anlässlich seines Salzburg-Aufenthaltes mit Bahr einen ausgedehnten Spaziergang

6 Michael P. Steinberg  : Ursprung und Ideologie der Salzburger Festspiele 1890–1938. – Salzburg/München 2000. S. 53. 7 Zit. bei Robert Hoffmann  : Mythos Salzburg. Bilder einer Stadt. Salzburg/München 2002. S. 59.

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unternommen, bei dem viel philosophiert worden sei. »Merkwürdig, wie Bahr jetzt doch im ›Katholischen‹ lebt.«8 1917 kreuzten und verflochten sich zwei Ereignisse, die schließlich quasi zum Gründungsakt der Salzburger Festspiele durch die Aufführung des »Jedermann« drei Jahre später führen sollten. Am 25. April reichte Reinhardt von Berlin aus bei der Generalintendanz der k. k. Hoftheater in Wien eine »Denkschrift zur Errichtung eines Festspielhauses in Hellbrunn« ein.9 Acht Tage zuvor hatte er die Schau8 Fritz Fellner, Doris A. Corradini (Hg.)  : Schicksalsjahre Österreichs. Die Erinnerungen und Tagebücher Josef Redlichs 1869–1936. 3 Bde. – Wien/Köln/Weimar 2011. Bd. 2. S. 90 (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs, Band 105/II). Hermann Bahr und Josef Redlich pflegten über Jahrzehnte einen Briefwechsel. Vgl. Fritz Fellner (Hg.)  : Dichter und Gelehrter. Hermann Bahr und Josef Redlich in ihren Briefen 1896–1934. – Salzburg 1980 (= Quellen zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Herausgegeben von Fritz Fellner. Band 2). 9 Die Welt des Theaters, die Welt des Scheins, die man sich durch die Katastrophe der Gegenwart aus den Angeln gehoben dachte, habe ihre Widerstandskraft bewiesen und sei zum Zufluchtsort der Daheimgebliebenen und für viele in den Schützengräben geworden. Sie sei eine Heilstätte der Seele, und es habe sich gezeigt, »dass sie nicht nur ein Luxusartikel für die Reichen und Saturierten, sondern ein L e b e n s m i t t e l für die Bedürftigen ist«. Dies gelte vor allem auch für die kommende Friedenszeit, für die man der Kunst ein Festspielhaus geben sollte. »Nicht das städtische Spielhaus für die alltäglichen Feste und Zerstreuungen, die ganz gewiss ebenso notwendig sind und bleiben werden (und deren Aufgabe hier keineswegs unterschätzt werden soll), sondern das Haus für jene hohen Feste, die einmal im Jahre mit aller künstlerischen Weihe gefeiert werden sollen, abseits vom städtischen Alltagsgetriebe und an einem Ort, der durch natürliche und künstlerische Schönheit so ausgezeichnet erscheint, dass die Menschen in den sommerlichen Ruhetagen, befreit von ihren Sorgen und Mühen, gerne ­hinpilgern. Der Gedanke ist uralt. Schon die Griechen haben ihrem Theater feiertägliche Form gegeben. Später hat die Kirche des Mittelalters mit ihren Mysterien und Passionsspielen die Wiege des heutigen Theaters gebaut und zuletzt hat Wagner diesen Gedanken aufgenommen und glorreich durchgeführt. (…) Wie stark (…) das Bedürfnis der Menschen nach solchen außergewöhnlichen Veranstaltungen ist, beweisen die Festspielstätten in Bayreuth, in München, in Oberammergau und die vielen Freilichtbühnen, trotzdem ihre Leistungen zum großen Teil recht problematischer Natur sind. So liegt der Gedanke, der populärsten und in der augenblicklichen Wirkung jedenfalls mächtigsten Kunst, des Theaters, als eines der ersten Friedenswerke, ein Festspielhaus zu errichten, gewissermaßen in der Luft und ist auch in Salzburg, der Stadt, die sich vielleicht ganz besonders dafür eignet, schon mehrfach aufgetaucht.« Die Errichtung eines Festspielhauses werde nicht nur für Salzburg, sondern für den gesamten Staat sowohl erhebliche kulturelle wie auch wirtschaftliche Vorteile bringen. Und Festspiele in Salzburg würden die bereits existierenden noch übertreffen und die kulturelle Position Österreichs im deutschen und internationalen Kulturraum stärken. Es sei zu bedenken, »dass nach Friedensschluss sich auch aus anderen Ländern, vor allem auch aus Amerika, eine große Besucherzahl und zwar vorwiegend aus wohlhabenden Schichten zu den Festspielen einfinden wird, angezogen durch deren einzigartigen Charakter und durch die w e i t g r e i f e n d e i n t e r n a t i o n a l e P r o p a g a n d a , welche das Unternehmen selbstverständlich organisieren wird. Das Ergebnis dieser internationalen Propagandawirkung wird jedoch nicht allein die Stadt Salzburg, sondern mittelbar dem g a n z e n ö s t e r r e i c h i -

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spielerin Helene Thimig, deren schauspielerische Fähigkeiten ihn bei einem Besuch von Tolstois »Lebender Leichnam« im »Königlichen Schauspielhaus« in Berlin fasziniert hatten, an sein Deutsches Theater engagiert. Seine 1910 geschlossene Ehe mit der Schauspielerin Else Heims befand sich in Auflösung, wenngleich die endgültige Trennung aufgrund des hartnäckigen Widerstandes von Else Heims erst Jahre später erfolgen sollte. Zu diesem Zeitpunkt begann er sich auch allmählich von Berlin zu lösen, und Salzburg rückte wegen seiner einzigartigen Lage, seiner großen historisch-kulturellen Tradition abseits der großstädtischen Metropolen in den Mittelpunkt seiner künstlerischen Ambitionen. Diese kreisten immer mehr um die Möglichkeiten, mithilfe neuer Theaterformen, die auf mittelalterlichen und barocken Vorbildern fußten, ein breites Publikum zu erreichen, wobei seine vor dem Kriegsausbruch mit Masseninszenierungen gemachten Erfahrungen eine Rolle spielten. Abseits vom Getriebe der Großstadt sollte aus staatlichen Mitteln in der Nähe des Schlosses Hellbrunn ein Theater errichtet werden, an dem er mit Vergnügen arbeiten würde. Vor dem Hintergrund des bereits drei Jahre dauernden Weltkrieges und der immer stärker werdenden Friedenssehnsucht bei der unter den Folgen des Krieges leidenden Bevölkerung wies er in der Denkschrift neben der künstleri­ schen und ökonomischen Bedeutung von Festspielen in Salzburg vor allem auch auf den völkerverbindenden Charakter der Kunst als Friedenswerk hin. Von Mozart war allerdings in der Denkschrift nicht die Rede. Der Zeitpunkt war angesichts der sich immer kritischer gestaltenden Ernährungs- und Rohstofflage nicht gut gewählt, weshalb die Denkschrift ohne Antwort ad acta« gelegt wurde. Am 14. Juni genehmigte das k. k. Ministerium des Inneren die Satzungen des Vereins »Salzburger Festspielhausgemeinde«, dessen Proponentenkomitee sich am schen Alpengebiet sowie allen touristisch reizvollen Gebieten der Monarchie zugutekommen. (…) Was nun die zu schaffenden Anlagen betrifft, so ist beabsichtigt, in erster Reihe d a s G r o ß e F e s t s p i e l h a u s selbst zu erbauen und zwar auf einer vom Schlosse Hellbrunn und seinem französischen Stilgarten ziemlich abliegenden Waldwiese im Naturpark zu Hellbrunn. (…) Das Festspielhaus soll etwa 3000 bis 4000 Sitzplätze umfassen und in jeder Hinsicht, namentlich aber in den Bühnenanlagen, alle Errungenschaften der neuzeitlichen Theater-Technik in der denkbar vollkommensten Ausbildung aufweisen. (…) Weiterhin soll auch ein k l e i n e r e s ganz intimes Theater in Aussicht genommen werden, welches vornehmlich dem S i n g s p i e l dienen soll (…) Dazu käme als d r i t t e s Institut die (…) H o c h s c h u l e f ü r B ü h n e n k u n s t , an welcher Schauspieler, Sänger und Tanzkünstler ihre Ausbildung finden sollen. Diese Schule wird das ganze Jahr über in Tätigkeit sein – während die Festspiele nebst den erforderlichen wochenlangen Vorproben nur in den S o m m e r m o n a t e n während der allgemeinen Reisezeit stattfinden sollen.« Max Reinhardt  : Denkschrift zur Errichtung eines Festspielhauses in Hellbrunn (1917). – In  : Franz Hadamowsky (Hg.)  : Max Reinhardt. Ausgewählte Briefe, Reden, Schriften und Szenen aus Regiebüchern. – Wien 1963. S. 73–78. Vgl. dazu auch ders.: Brief an Bürgermeister Künzelmann (1918).  – In  : Ebda. S. 78–83.

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1.  August im Richard-Wagner-Saal des Musikvereins in Wien zur konstituierenden Sitzung versammelte. Der Sitz des Vereins war Wien, der Finanzausschuss und die Zentralkassastelle befanden sich in Salzburg. Der Verein bestand aus dem Hauptverein in Wien, dem Zweigverein in Salzburg sowie auswärtigen Ortsgruppen. Die Leitung der Festspielhausgemeinde befand sich in Wien. Ihr erster Präsident war Prinz Alexander von Thurn und Taxis, der Präsident der Gesellschaft der Musikfreunde. Als Vizepräsidenten fungierten Friedrich Gehmacher und Heinrich Damisch. Die überwiegende Mehrheit der mehrere Hundert Mitglieder stellten Wiener Musikfreunde und Musikschaffende. Als ordentliche Mitglieder umfasste sie Stifter mit einem einmaligen Beitrag von 50.000 Kronen, Gründer mit einem einmaligen Betrag von 10.000 Kronen und Mitglieder mit einem jährlichen Beitrag von 100 Kronen. Zweck des Vereins war die Beschaffung der notwendigen Mittel für den Bau eines Festspielhauses in der Nähe oder in der Stadt Salzburg zur Durchführung von Festspielen sowie die Etablierung und Speisung eines Instandhaltungs-Fonds des Festspielhauses. Die unermüdlichen Initiatoren dieser von Reinhardt, Bahr, Hofmannsthal und Strauss unabhängigen Entwicklung waren der Direktor der Salzburger Arbeiterunfallversicherungsanstalt, Friedrich Gehmacher, und der Wiener Musikkritiker Heinrich Damisch.10 Gehmachers Leidenschaft galt der Musik. Mit 34 Jahren wurde er im Jahr 1900 Mitglied der Salzburger Mozartgemeinden und schließlich Zentralvorsteher der Internationalen Mozart-Gemeinde, die sich, unterstützt von der aus Berlin nach Salzburg übersiedelten Lilli Lehmann, um die Aufbringung der für den geplanten Bau des Mozarteums notwendigen Mittel bemühte. Diese Bemühungen waren erfolgreich. 1910 erfolgte die Grundsteinlegung für das Siegerprojekt des Münchner Architekten Richard Berndl und 1914 dessen Eröffnung. Gehmachers Ambitionen gingen jedoch über das Mozarteum hinaus. Er sah in dem zu errichtenden Mozarteum einen unverzichtbaren Bestandteil für den Ruf Salzburgs als Mozart-Stadt, weshalb er auch die Mittel für den Erwerb von Mozarts Geburtshaus durch das Mozarteum aufbrachte. Doch sollten die Ambitionen weiter gehen in Richtung eines Festspielhauses nach dem Muster Bayreuths. Wurden die Werke Richard Wagners in Bayreuth exemplarisch zur Aufführung gebracht, so sollten jene Mozarts in einem Salzburger Festspielhaus eine ideale Aufführungsstätte erhalten. Mit der Errichtung eines Festspielhauses und der Veranstaltung von Festspielen könnte Salzburg zudem durch die Anwesenheit eines eleganten und zahlungskräftigen Publikums erheblichen wirtschaftlichen Nutzen lukrieren. Nur wenn es gelänge, in Salzburg ein 10 Zu Gehmacher und Damisch vgl. Hoffmann  : Festspiele in Salzburg. S. 48ff.; zu Damisch vgl. Hanna Domandl  : Heinrich Damisch – Ein Wegbereiter der Salzburger Festspiele. Ein Beitrag zur Vor- und Frühgeschichte der Festspiele. – In  : Salzburg Archiv 16/1993. S. 229–248.

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öster­reichisches Pendant zu Bayreuth ins Leben zu rufen, werde man den Anschluss an den internationalen Musikbetrieb finden. Gehmachers ambitioniertes Vorhaben stieß jedoch in der Mozartgemeinde und im Mozarteum auf Bedenken und Zurückhaltung, und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs gab den Bedenkenträgern Rückenwind und den willkommenen Vorwand, eine Entscheidung zu vertagen. Gehmacher fand jedoch in dem um sechs Jahre jüngeren Wiener Musikkritiker Heinrich Damisch einen begeisterten Mitkämpfer. Damisch gründete 1913 die »Wiener akademische Mozart-Gemeinde« und propagierte zusammen mit Gehmacher den Bau eines Mozart-Festspielhauses in Salzburg. Wenngleich der Ausbruch des Ersten Weltkrieges kulturpolitischen Ambitionen ungünstig war und dieses Vorhaben in der politischen Agenda nach hinten verschob, so verfolgten sowohl Gehmacher wie Damisch ihren Plan unverdrossen weiter. Im Sommer 1915 organisierte Gehmacher im Hotel »Mirabell« eine Versammlung zur Gründung einer Festspielhausgemeinde, die jedoch ihren Schwerpunkt in Wien haben und von Heinrich Damisch geleitet werden sollte. Im August 1916 verorteten Gehmacher und Damisch bei einem gemeinsamen Spaziergang in Maria Plain unterhalb der Wallfahrtskirche den idealen Ort für die Errichtung eines Festspielhauses. Um das Projekt zu realisieren – und in der Erkenntnis der begrenzten Salzburger Möglichkeiten –, erfolgte wenig später ein Treffen der Salzburger Mozartverehrer, bei dem Damisch mit der Gründung einer Wiener Mozart-Gemeinde beauftragt wurde, um für die Idee der Errichtung eines Festspielhauses in der Haupt- und Residenzstadt, ohne deren Unterstützung das Vorhaben nicht verwirklicht werden konnte, zu werben. Gehmacher seinerseits wollte zu diesem Zeitpunkt die Verbindung zur Stiftung Mozarteum nicht abreißen lassen und hoffte nach wie vor auf deren Wohlwollen  ; er musste jedoch in den folgenden Wochen zur Kenntnis nehmen, dass sich diese Hoffnung nicht erfüllte. Vor allem Lilli Lehmann begründete in einem persönlichen Gespräch ihm gegenüber ihre Ablehnung der Festspielhausidee mit dem Argument, Mozart-Opern dürften nur in kleinem Rahmen gegeben werden und eigneten sich nicht für ein Festspielhaus. Lilli Lehmann hatte zudem von Festspielplänen Reinhardts gehört, in dem sie vor allem mit Hinweis auf seine Masseninszenierungen einen Geschäftemacher sah. Würden die Pläne von Gehmacher und Damisch mit jenen Reinhardts vereint, so drohten Festspiele unter einem dominant finanziellen Aspekt, was aufgrund der erforderlichen Einnahmen eine Öffnung zum breiten Publikum erfordere. Festspiele seien aber aufgrund ihres elitären Charakters etwas Besonderes und daher für ein exquisites Publikum – Adelige, Bankiers, die Spitzen der Bürokratie, berühmte Musiker und Sänger – geeignet. Damit vertrat sie eine völlig gegenteilige, rückwärtsgewandte Position zum von Jean-Jacques Rousseau in der Enzyklopädie definierten neuzeitlichen Festspielgedanken als demokratisches republikanisches Fest und seiner nationalen Modifikation durch Richard Wagner als Theater der Nation, als kollek-

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tive Feier und kollektives Bewusstsein der Nation über Staatsgrenzen hinweg, das sich des Mittels des dramatisch-theatralischen Vorgangs und der ästhetisch-emotionalen Überwältigung bedient. Damisch vermutete – wohl zu Recht – als Motiv für den Widerstand einen provinziellen Anti-Wien-Reflex von Lokalgrößen. Hinzu würden Eifersucht, Rivalitäten sowie Standesdünkel treten. Er schrieb an Gehmacher am 26. September 1916  : »Es ist nicht nur die Festspielhaus-Idee allein, die sie bekämpfen, sondern sie mucken auch gegen die Persönlichkeiten auf, die sich der Idee annehmen, die sich als Träger eines großen Gedankens vielleicht mehr Einfluss erwerben könnten, als den anderen lieb ist. Wir sind ihnen zu minder  ; Du bist nicht Exzellenz, ich bin nicht bei der Neuen Freien Presse, die anderen Freunde unserer Sache sind Salzburger Spießer, ganz brave Leute, gute Menschen, aber entsetzlich in ihren Anschauungen etc. etc.« Diese Leute haben nach Ansicht der Honoratioren der Stiftung »endlich das Maul zu halten und sich nicht breit zu machen in schönen Zimmern mit Teppichen, wo sie nicht hingehören, in Gängen, wo geschmacklose Bilder hängen, sie haben Ruh’ zu geben mit ihren fortwährenden Plänen, die weiß Gott wie hoch hinaus wollen, sie haben als misera plebs provincialis zu gehorchen und damit punktum  !«11 Es war diese von Eifersucht, Intrigen und Ressentiments geprägte Atmosphäre, die Gehmacher und Damisch klar machte, dass sie ihre Idee nur außerhalb der Stiftung Mozarteum verwirklichen konnten, weshalb Damisch Gehmacher das Durchschlagen des Gordischen Knotens durch die Flucht nach vorne, d. h. die Gründung einer eigenen Salzburger Festspielhausgemeinde, vorschlug.

I.2 1917/18  : Die Nornen knüpfen das Seil. Die Konkretisierung der Festspielidee in einer Zeitenwende Dies bedeutete, auf die Unterstützung des Mozarteums endgültig zu verzichten und die Festspielidee von diesem losgelöst durch die Gründung eines eigenen Vereins weiter zu verfolgen, dessen vor allem von Damisch entworfene etwas komplizierte Statuten – ein Stammverein in Wien, ein Zweigverein in Salzburg und auswärtige Ortsgruppen – am 14. Juni 1917 vom k. k. Ministerium des Inneren genehmigt wurden. In einem Artikel in der prominenten Wiener Musikzeitschrift »Der Merkur« bemerkte Damisch, dem Bild der »schönen Stadt« und dem Mythos der »Mozartstadt« folgend, über Salzburg liege »wahrhaftig ein Zauber (…), gewoben aus den Herrlichkeiten der Landschaft, dem, von außen und innen besehen, entzückenden Bilde der Stadt (…) Geschaffen zu freudigem Verweilen und hochschwebender Feierstimmung, wie vielleicht kein zweiter Ort unseres deutschen Vaterlandes, hat das 11 Hoffmann  : Festspiele in Salzburg. S. 204f.

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schöne Salzburg seine rechte Herzensliebe dem größten seiner Söhne, deren Namen die Nachwelt nennt und ehrt, zugewendet – dem, in dessen Persönlichkeit und Schaffen auch die ganze Wesenheit seiner Vaterstadt gerade zur sonnigsten Verkörperung und Vergeistigung gelangte  : es ist zur Mozart-Stadt geworden …«12 Doch Damisch, dessen Deutschnationalismus sich nach seiner Erblindung Mitte der Zwanzigerjahre, der Verlegung des Hauptsitzes der Festspielhausgemeinde von Wien nach Salzburg und damit auch dem Verlust seiner Leitungsfunktion immer mehr in Richtung Nationalsozialismus radikalisierte,13 sprach von Mozart nicht in einem internationalen Kontext, auch nicht in jenem der multinationalen Habsburgermonarchie, sondern in jenem des postulierten Deutschtums. Die Mozart-Pflege, der vor allem das zu errichtende Festspielhaus dienen sollte, musste im Dienst der »deutschen Kunst« stehen und von reiner Kunstliebe getragen sein. Die Tätigkeit der Salzburger Festspielhausgemeinde müsse sich von allen geschäftlichen Erwägungen lösen und nur der Kunst verpflichtet sein. Sie müsse daher wachsam sein gegen alle drohenden Versuche einer geschäftlichen Ausbeutung der Festspielidee, womit seine Opposition gegen eine Verbindung mit Max Reinhardt bereits deutlich angesprochen wurde, gegen dessen schließlich von Gehmacher durchgesetzte Wahl in den Kunstrat der Festspielhausgemeinde er heftigen Widerstand leistete. Dennoch wäre es irreführend, Damisch aufgrund seiner späteren Hinwendung zum Nationalsozialismus bereits 1917 eine dezidiert nationalsozialistische Einstellung zu unterstellen. In der Zeit der späten Habsburgermonarchie war er vielmehr ein typischer Vertreter eines ideologischen Grenzgängers zwischen den Welten, eines antisemitisch grundierten konservativen Deutschnationalismus und Antimodernismus der späten Habsburgermonarchie, der seine Gesinnung durchaus mit einem Österreich-Patriotismus und einem gewissen Internationalismus verbinden konnte und freundschaftliche Kontakte zu jüdischen Repräsentanten des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums sowie jüdischen Künstlern pflegte.

12 Zit. bei Norbert Christian Wolf  : Eine Triumphpforte österreichischer Kunst. Hugo von Hofmannsthals Gründung der Salzburger Festspiele. – Salzburg/Wien 2014. S. 27f. 13 Damisch war zwischen 1921 und 1933 Kulturredakteur der zunächst deutschnationalen »DeutschÖster­reichischen Zeitung«, die schließlich zum publizistischen Sprachrohr des Nationalsozialismus und 1933 verboten wurde. 1932 trat er der NSDAP bei und wurde Mitarbeiter des von Alfred Rosenberg gegründeten »Der Weltruf. Monatsschrift für Weltpolitik, völkische Kultur und die Judenfrage aller Länder«. 1938 begrüßte er den Anschluss als eine Befreiung Österreichs vom jüdischen Kultureinfluss von Musikern wie Arnold Schönberg, Gustav Mahler usw. und Regisseuren wie Max Reinhardt. Die umfangreichste Analyse zu Damisch unter besonderer Berücksichtigung seiner NS-Zugehörigkeit stammt von Robert Hoffmann  : Wer war Heinrich Damisch  ? Versuch einer biografischen Annäherung. – In  : Musicologica Austriaca. Jahresschrift der österreichischen Gesellschaft für Musikwissenschaften 27/2008. – Wien 2009. S. 181–209.

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Die Gründungen des Wiener Zentralvereins am 14. Juni 1917 und des Salzburger Zweigvereins durch Gehmacher am 7. Dezember und deren ambitionierte Ziele standen jedoch unter keinem günstigen Stern. In Salzburg führte die Übernahme der Obmannschaft Gehmachers im Salzburger Zweigverein der Festspielhausgemeinde zu heftigen Reaktionen der Gegner der Festspielhausidee in der Stiftung Mozarteum und schließlich zu Gehmachers Rücktritt als Zentralvorsteher der Mozartgemeinde im Jänner 1918. Zudem befand sich Österreich-Ungarn – trotz erstaunlicher Konstanz der Produktion der Schwerindustrie – in einer sich durch den dramatischen Rückgang der Agrarproduktion, die alliierte Blockade, die Krise der Konsumgüterindustrie und die Schwäche der Infrastruktur, vor allem der Transportwirtschaft (die Eisenbahnen bildeten die zentrale Schwachstelle einer effektiven Distribution), beschleunigenden und verschärfenden Mangelsituation, die sich in der Reduktion der ohnedies bereits ungenügenden Lebensmittel und der Dominanz von Ersatzstoffen manifestierte. Die sogenannte »Heimatfront« wurde zum »›wirtschaftlichen Schützengraben‹ mit Kochkursen für Ersatzmittel, Anleitungen zum Improvisieren und Aufrufen zum Durchhalten. Es wurde überlegt, den Kriegsküchen, in denen der völlig verarmte Mittelstand eine warme Mahlzeit erhalten sollte, Zwangscharakter zu verleihen und das Kochen in kleinen Privathaushalten überhaupt zu verbieten. Die (Wiener) Wärmestuben wurden von 120.000 Personen am Tag aufgesucht«.14 Wenngleich, wie in Krisenzeiten üblich, Theater, Kinos und andere Vergnügungsstätten sich eines großen Zuspruchs erfreuten, so entsprach dies zwar der kollektiven psychischen Verfasstheit eines Großteils der Bevölkerung, die aus der Tristesse des Alltags und der Zukunft zu entfliehen versuchte, verhinderte jedoch die staatliche Förderung von Theaterneubauten. Inmitten der sich verschärfenden ökonomischen und sozialen Krise erwarb Max Reinhardt am 16. April 1918 das von häufigen Besitzerwechseln und den Kriegswirren dem Verfall preisgegebene Schloss Leopoldskron. Das 1736 von Erzbischof Leopold Anton Eleutherius Freiherr von Firmian für seinen Neffen, den Kunstliebhaber Laktanz Firmian, erbaute Schloss hatte nach dem Tode von Laktanz Firmian eine wechselvolle Geschichte,15 in der sich Ausverkäufe und Plünderungen durch die – meist kurzzeitigen – Besitzer mit Restaurationsphasen ablösten, ehe es Reinhardt von dem deutschen Regierungsrat Paul Wolf um 335.000 deutsche Reichsmark erwarb16 und in den folgenden zwanzig Jahren mit großem Aufwand zusammen mit 14 Roman Sandgruber  : Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart. – Wien 1995. S. 326. 15 Zu den Besitzverhältnissen vgl. Johannes Hofinger  : Die Akte Leopoldskron. Max Reinhardt. Das Schloss. Arisierung und Restitution. – Salzburg/München 2005. S. 15–21. 16 Bis 1921 erwarb Reinhard, begünstigt durch die galoppierende Inflation, das Meierhofgebäude, die angrenzenden Wiesenflächen, das Gasthaus am Weiher und den Weiher mit beiden künstlich angelegten Inseln. Nur die 1829 errichtete Schwimmanstalt ging nicht in den Besitz Reinhardts über.

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seiner zweiten Frau, Helene Thimig, zum bedeutendsten Salon Österreichs gestaltete.17 Die sich radikalisierende politische Lage in Berlin sowie das Aufkommen und die zunehmende Akzeptanz eines neuen politischen Theaterverständnisses, wie es Leo­ pold Jessner und Bert Brecht präsentierten, das nicht das seine war, erleichterten Reinhardt seinen allmählichen Abschied von Berlin. »Mir graut vor Berlin. Schon lang. Ich bin fertig mit dieser Stadt. Sie hat mir alles gegeben, was sie zu geben vermag, und die Erinnerung würde mir kostbar lebendig sein und mich innig dankbar finden, wenn sie mich nun frei ließe von allen Verpflichtungen, von allem Zwang, wenn ich mich ganz und gar von ihr trennen dürfte, da mein Herz nicht mehr ihr gehört« schrieb er.18 Für dieses Grauen vor Berlin gab es nach Helene Thimig zwei Gründe. »Erstens gefiel ihm das revolutionäre Gefühl hinter den Kulissen nicht. Er war verzweifelt über eine Mittagspause, die der Inspizient mit Hinweis auf die Gewerkschaften erzwang, auch wenn er Reinhardt damit mitunter einen unbezahlbaren, alles entscheidenden Moment in der künstlerischen Entwicklung einer wichtigen Szene oder einer ganzen Inszenierung wegnahm. Reinhardt verstand auch die Streiks nicht, auch nicht die jungen Schauspieler, die glaubten, bei Inszenierungen ein Mitspracherecht erstreiten zu müssen, während Reinhardt – der dieses Recht nicht politisch, sondern künstlerisch verstand – nicht einsah, was damit Neues geschaffen werden sollte  : Er hatte dieses Recht schon immer eingeräumt, aber nur denen, die künstlerisch dazu berufen waren, nicht durch Ausschüsse. Der andere Grund, weshalb er aus Berlin wegwollte  : Er war deutschlandmüde. Er war in Deutschland ›der Reinhardt‹ geworden, aber Österreicher geblieben. Ich erinnere mich, als er stets aufatmete, wenn er die österreichische Grenze überfuhr, wenn er zum ersten Mal wieder österreichischen Boden betrat, österreichisch hörte. Er war Österreicher, hundertprozentiger Österreicher, – nicht nur dem Pass nach. (…) Mit geringer Übertreibung darf ich sagen  : Reinhardt hat die Berliner nur als Zuschauer geschätzt. Sein Traum war, Festspiele zu machen.«19 Wenngleich ihm auch die Schweiz ein verlockendes Angebot unterbreitete, entschied er sich für Salzburg. 1924 begründete er diesen Entschluss mit dem Wunsch, in seiner »heimatlichen Landschaft (…) ein

17 Vgl. Robert Kriechbaumer  : Statt eines Vorwortes – »Der Geschmack der Vergänglichkeit …« – In  : Ders. (Hg.)  : Der Geschmack der Vergänglichkeit. Jüdische Sommerfrische in Salzburg. – Wien/Köln/ Weimar 2002. S. 7–40. (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für historisch-politische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Band 14). 18 Zit. bei Helene Thimig-Reinhardt  : Wie Max Reinhardt lebte. – Starnberg am See 1973. S. 91. 19 Thimig-Reinhardt  : Wie Reinhardt lebte. S. 99.

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Theater dort aufzubauen, wo das Theater seinen Ursprung hat, auf österreichischbayrischem Boden, in der Stadt, in der meine Laufbahn begonnen hatte. (…) Salzburg ist wegen seiner Lage, seiner Architektur, seiner früheren Geschichte, wegen Mozart, wegen der großen Intelligenz und der Unabhängigkeit der katholischen Kreise, die hier regierten und infolgedessen immer viel Einfluss gehabt haben, der natürliche Ort für dieses Theater. Ein echter Festspielort, wo viele Menschen zusammenkommen, um ihre Ferien zu verbringen – gleich ob sie die Berge besteigen, sich an der fast unzerstörbaren Architektur früherer Zeiten erfreuen oder Musik hören wollen. So war es ein selbstverständlicher Gedanke, dort ein Theater zu begründen, das sowohl Festspiel- als auch Ferien-Geist atmet, das auf Grundlagen aufgebaut sein würde, die anders sind als diejenigen, unter denen ein Theaterunternehmer in einer Großstadt leidet. (…) Der Grundgedanke war, das Theaterspiel sollte wieder ein Fest werden, wie es in der Antike und im Mittelalter unter Führung der Kirche gewesen war, während es in den Großstädten meistens mehr Unterhaltung und Belustigung ist«.20 20 Edda Fuhrich, Ulrike Dembski, Angela Eder (Hg.)  : Ambivalenzen. Max Reinhardt und Österreich. – Wien 2004. S. 82. In der Antike strukturierten und gliederten Feste und die mit ihnen oftmals verbundenen Spiele durch ihre zyklische Wiederkehr den Kalender, die Abfolge des Alltags, bildeten eine durch Gesetz festgelegte heilige Zeit. Feste waren daher stets den Göttern geweiht, und ihr ursprünglicher Wortsinn im Griechischen war »Liebeserweis an die Götter«, die während ihrer Dauer wohlwollend anwesend waren. Auch bei den Römern gehörten die Feste – feriae bzw. dies festus – ganz den Göttern, bei denen alle profanen und materiellen Tätigkeiten des Alltags verboten waren. Feste und die mit ihnen verbundenen Spiele und Kulte charakterisierten ihre Ausgliederung aus der profanen Zeit, einen klar definierten und institutionalisierten heiligen Raum, die Beteiligung aller Mitglieder der jeweiligen Gruppe am Geschehen sowie eine besondere Stimmung, die sich, in manchen Formen bis zum Rausch steigernd, in Tanz, Musik, Gesang, Wettkampf, Opferdarbringung, Festmahl, (Ver-)Kleidung und Schmuck manifestierte. Im emotionalen Geschehen des Festes traten in der Antike die Feiernden mit den Göttern in Verbindung, im sich etablierenden christlichen (katholischen) Festkalender mit der göttlichen Trinität, Maria oder den Heiligen  ; in der Gemeinschaft der Feiernden waren gesellschaftliche Rollenmuster und Differenzierungen aufgehoben. Im Gegensatz dazu hebt die mit dem Fest oftmals verbundene Feier als in ihrer Abfolge normierte Veranstaltung die Alltagsordnung nicht auf. (Vgl. G. Lieberg  : Fest. – In  : Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. Joachim Ritter. Band 2. – Darmstadt 1972. S. 938f.; W. Siebel  : Fest. – In  : Ebda. S. 939f.; A. Corbineau-Hoffmann  : Spiel. – In  : Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. Joachim Ritter, Karlfried Gründer. Bd. 9. – Darmstadt 1995. S. 1383–1390  ; Hans Wissmann, Heinz-Josef Fabry, Johann Maier, Arno Schilson, Erich Garhammer  : Feste und Feiertage. – In  : Lexikon für Theologie und Kirche. Hg. v. Walter Kasper mit Konrad Baumgartner, Horst Bürkle, Klaus Ganzer, Karl Kertelge, Wilhelm Korff, Peter Walter. Bd. 3. 3. Aufl. – Freiburg im Breisgau/Basel/Wien 2009. S. 1250–1258  ; Wilfried Gerhard  : Fest und Feier. – In  : Wörterbuch der Soziologie. Hg. v. Günter Endruweit, Gisela Trommsdorff. – München 1989. S.206f.) Der mit dem Schweigegebot der Eingeweihten verbundene griechische Begriff des Mysteriums beeinflusste auch das Christentum, das Gott und den verborgenen göttlichen Heilsplan als Mysterium

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Reinhardt griff auf die ursprüngliche Bedeutung des Festes zurück und entwickelte aus diesem Ansatz spezifische Vorstellungen von Festspielen, die neben klassischen Stücken vor allem um das Mysterienspiel, das Krippenspiel und die Hanswurstkomödie kreisten, nicht jedoch um die Musik. Während seines Engagements am Salzburger Landestheater hatte er mit großer Begeisterung die Aufführung von Krippenspielen in der Stadt, die Mitternachtsmette in der Franziskanerkirche, das Turmblasen und die vor allem gregorianischen Chöre in den Kirchen und Märkte mit ihren Anbietern in den malerischen bäuerlichen Trachte erlebt. All dies wollte er in einem auf die lokalen reichen kulturellen und volkstümlichen Traditionen aufbauenden Gesamtkunstwerk inszenieren und damit etwas Neues schaffen, kein Startheater der Großstadt, sondern ein Theater im antiken und mittelalterlich-barocken Sinn, das die Einheit von Publikum und Schauspielern schuf und gespielt wurde von den besten österreichischen Schauspielern, in dem das Stück Mittel zum Zweck quasi-religiöser Erfahrung vor allem für die lokale Bevölkerung war.21 Bereits im September 1916 hatten Gehmacher und Damisch Kontakt zu Reinhardt aufgenommen. Vor allem Gehmacher erkannte die Möglichkeiten, die sich durch die Übersiedlung Reinhardts nach Salzburg für eine Realisierung der Festspielidee boten. In Salzburg schlug angesichts der schwierigen Ernährungslage und der zunehmenden sozialen Spannungen die vor dem Ersten Weltkrieg positive Einstellung zum interpretierte, das durch die Verwalterin des Mysteriums, die Kirche, im Gottesdienst verehrt wurde. Gottes Wort kann nicht durch die Vernunft erfasst werden, da sie diese aufgrund seiner Unbegreiflichkeit übersteigt. Dennoch kann der Glaube nicht im Arkanum verharren. Das Mysterienspiel galt daher bereits in der Antike als theatralische Form der volksnahen Vermittlung von Glaubensinhalten, und im Spätmittelalter entwickelte sich das Mysterienspiel als in der jeweiligen Volkssprache vermittelte volkstümliche Unterweisung religiöser Themen – biblische Geschichten, die Passion Christi, Totentänze, das Jüngste Gericht usw., wobei oftmals der Kirchenkalender (Weihnachten, Ostern, Pfingsten) als Orientierung diente. (Vgl. R. Stupperich  : Mysterium. – In  : Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. Joachim Ritter, Karlfried Gründer. Bd. 6. – Darmstadt 1984. S. 263–267.) 21 Inwieweit Reinhardt bei seinen Überlegungen auch auf Heinrich Damischs 1917 verfasster Schrift »Ein Festspielhaus in Salzburg« basierte, ist nicht eindeutig zu beantworten. Damisch forderte, dass die »Festaufführungen stets zum Teil auch im vollen Sinne des Wortes als Volksspiele abgehalten werden (sollen), zu denen im Einvernehmen mit allen in Betracht kommenden Faktoren der Zutritt ausschließlich den minder bemittelten und mittellosen Schichten des Volkes aus Nah und Fern ermöglicht werden müsste. (…) In den Sommermonaten sollen erstklassige Bühnen (Hof- und Stadttheater) Österreichs und Deutschlands oder eigens zusammengestellte Ensembles unter der Leitung hervorragender künstlerischer Persönlichkeiten die weltliche Kunst pflegen, zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten sollen bedeutende und interessante Werke der geistlichen Kunst aus alter und neuer Zeit vorgeführt werden. Die Wiederbelebung alter Weihnachts- und Dreikönigsspiele, Aufführungen von Weihnachtsoratorien, die Pflege von Passionskunst in Ton und Wort, Pfingstspiele u. a. kämen in dieser Beziehung in Betracht« (zit. bei Wolf  : Eine Triumphpforte österreichischer Kunst. S. 37).

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Fremdenverkehr in ihr Gegenteil um. 1918 wurde jeder Zuzug als unwillkommener Esser empfunden und in der wachsenden Xenophobie Fremder mit Jude gleichgesetzt, weshalb auch Reinhardts Erwerb des Schlosses Hellbrunn selbst bei Teilen des liberalen und toleranten Bürgertums keineswegs auf Zustimmung stieß. Gehmacher hingegen sah in dem neuen Schlossherrn einen möglichen wichtigen Verbündeten in seinem Bemühen um eine Realisierung der vor dem Hintergrund der dramatischen politischen Ereignisse und deren ökonomischen und sozialen Folgen ins Stocken geratenen Festspielidee. Reinhardt war ein Macher, das hatte er in Berlin bewiesen, verfügte über ein ausgedehntes Beziehungsnetzwerk und einen internationalen Ruf. Wenn man seine Theaterpläne unterstützte und ihn im Gegenzug für die Aufnahme eines Musikprogramms (Oper und Konzert) gewann, konnte man die Kräfte bündeln und die Erfolgsaussichten erhöhen. Gehmacher war ursprünglich kein Freund Reinhardts, denn ihre Vorstellungen von Festspielen schienen nicht kompatibel. Während Gehmacher vor allem Mozart-Festspiele plante, plädierte Reinhardt für eine neue Form des Theaters. Und Gehmacher wollte verhindern, dass Reinhardt als Konkurrent zur Salzburger Festspielhausgemeinde seine eigenen Pläne zur Errichtung eines Festspielhauses verfolgte und damit die Erfolgsaussichten der Festspielhausgemeinde erheblich schmälerte oder gar zunichtemachte, wie Gehmachers Gegner im Mozarteum, vor allem Rudolf von Lewicki, Lilli Lehmann und Bernhard Paumgartner, zu diesem Zeitpunkt insgeheim hofften. Sollte er nämlich erfolgreich sein, würde er allein über die Festspiele herrschen, was man unbedingt verhindern müsse. Heinrich Damisch war von diesen Überlegungen weniger überzeugt, da er in Reinhardt vor allem einen an der Verwirklichung seiner Selbstinszenierung interessierten Protagonisten argwöhnte, der die Festspielidee nur als Mittel zum Zweck benutzte. Es gelang schließlich Gehmachers Überzeugungskraft, die auch in der Salzburger Festspielhausgemeinde bestehenden Vorurteile und Vorbehalte gegen Reinhardt zu beseitigen. Wenn Reinhardt die Aufnahme eines musikalischen Programms mit Mozart als Zentrum in das Festspielprogramm akzeptierte, konnte man die Kräfte bündeln und die Erfolgsaussichten deutlich erhöhen. Gehmacher wandte sich an den Journalisten und Schriftsteller Ferdinand Künzelmann, der sich 1918 in Salzburg niedergelassen hatte und Salzburger Mitglied des Direktoriums des Gesamtvereins der Festspielhausgemeinde war, mit der Bitte, mit Reinhardt, der sich im Juli 1918 in Bad Gastein zu einem Kurzurlaub aufhielt, Kontakt aufzunehmen. Die Wahl Künzelmanns war geschickt, da der Schriftsteller mehrmals in der Berliner Wochenschrift »Die Schaubühne« publiziert hatte, als Exponent eines progressiven Katholizismus galt, 1916 das Legendenspiel »Sankt Sebaldus und die Dirne« veröffentlicht hatte und damit den Ideen Reinhardts aufgeschlossen gegenüberstand. Die Gespräche liefen in die gewünschte Richtung und Reinhardt modifizierte in einem Brief am 21. Juli seine Festspielidee, indem er sie um Oper und Konzert erweiterte.

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Der heitere und fromme Genius Salzburgs sollte die beiden zentralen Bereiche der Festspiele, das Heilige und Säkulare, unter dem Zeichen Mozarts zu einer Einheit verschmelzen. Dabei müsse jedoch, so fügte er hinzu, das Festliche und Einmalige, das das Theater der Antike ausgezeichnete und auch noch in der Wiege der katholischen Kirche gelegen habe, unbedingt zu neuem Leben erweckt werden. Und er betonte, dass die Kunst in der Lage sei, die nach Erlösung von den Schrecknissen der Zeit sich sehnenden Menschen zusammenzuführen. Dies sei ihre epochale humane Aufgabe. Denn der Weltkrieg beweise, dass das Theater nicht ein letztlich entbehrlicher Luxus der Oberschicht sei, sondern ein unentbehrliches Lebensmittel der Allgemeinheit. Reinhardts Brief eröffnete zwar die Möglichkeit einer künftigen Kooperation, erwähnte Oper und Konzert sowie das Werk Mozarts als Bestandteil der Festspielidee, hielt jedoch nach wie vor an der theatralischen Dominanz im Programm künftiger Festspiele fest. Dennoch schien Gehmachers Kalkulation aufzugehen, als Künzelmann am 14. August in einer Sitzung des Direktoriums der Festspielhausgemeinde im Salzburger Hotel de l’Europe den Brief Reinhardts zur Kenntnis brachte, von der prinzipiellen Bereitschaft Reinhardts zur Mitarbeit berichtete und die Bildung eines Kunstrates vorschlug, der Empfehlungen in künstlerischen und programmatischen Fragen abgeben sollte. Als mögliche Mitglieder schlug er Max Reinhardt, Richard Strauss und Franz Schalk vor. Der mit Gehmacher akkordierte Vorschlag stieß jedoch bezüglich der Person Reinhardts auf Widerstand, der vor allem von Damisch formuliert wurde. Die kontroversielle Debatte endete schließlich mit einer Kompromissformel. Man traf keine Entscheidung, sondern beschloss lediglich, einen Kunstrat zur Behandlung künstlerischer Fragen einzusetzen. Die am folgenden Tag im Marmorsaal des Schlosses Mirabell tagende Generalversammlung billigte diesen Beschluss. Reinhardt sollte erst nach einem von Hugo von Hofmannsthal orchestrierten turbulenten Zwischenspiel, das am Tag der Generalversammlung der Salzburger Festspielhausgemeinde im Schloss Mirabell einsetzte, in den Kunstrat einziehen. An diesem 15. August fand in Bad Ischl das erste der von Hugo von Hofmannsthal initiierten Gespräche zwischen ihm, Richard Strauss, Max Reinhardt, Richard Beer-Hofmann und Leopold von Andrian, dem Generalintendanten der k. k. Hoftheater, statt, das einer Realisierung der von Hofmannsthal entworfenen »Österreichischen Idee« dienen sollte. Als Ort dieser Realisierung war Salzburg vorgesehen, für das Reinhardt seine Festspielidee entworfen hatte. Man konnte diese Idee, davon war Hofmannsthal überzeugt, nicht den Salzburger Provinzgrößen und deren ambitionierten Wiener Unterstützern überlassen. Sie bedurfte der Förderung von ganz oben, d. h. des Kaiserhauses und der Patronanz der k. k. Hoftheater, sollte sie erfolgreich sein. Hofmannsthal verfasste nach diesen Gesprächen das sogenannte »Reinhardt-Memoire«, benannt nach einem Brief Reinhardts an Andrian, in dem das Ergebnis der Gespräche in Form eines Konzepts, gedacht für Kaiser Karl I., zusammengefasst wurde. In

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diesem »Memoire« war von der Errichtung einer »Triumphpforte österreichischer Kunst« in Salzburg die Rede, wo man die Blüte der österreichischen Gesamtkultur – gedacht im Sinne der übernationalen Habsburgermonarchie – einem europäischen Publikum darbieten wolle. Dabei beabsichtige man auf die anerkennenswerten Vorarbeiten der Salzburger Festspielhausgemeinde zurückzugreifen. Die Schönheit und zentrale Lage der Stadt prädestiniere sie zu einer kulturpolitischen Aufgabe ersten Ranges. Von hier aus werde es möglich sein, »die zerrissenen Fäden der europäischen Kulturgemeinschaft wieder anzuknüpfen« vor allem »im Zeichen der Musik und des Theaters«. So sehr Hofmannsthal, Reinhardt und Strauss eine wünschenswerte Zusammenarbeit mit der Salzburger Festspielhausgemeinde betonten, so sehr dürfe die programmatische Arbeit nicht in deren Hände gelegt werden, solle sie nicht in drohenden Provinzialismus abgleiten.22 Hofmannsthal schrieb an Andrian am 8. September 1918, dass Reinhardt, der seinen Lebensmittelpunkt zunehmend von Berlin nach Salzburg verlege, wohl der geeignetste Leiter künftiger Festspiele sei. Er wolle in dieser Funktion keinen Vereinsorganen, lokalen Cliquen und Kuratorien verantwortlich sein, sondern nur einer einzigen Person, dem Generalintendanten der k. k. Hoftheater, Leopold von Andrian. »R e i n h a r d t s L e b e n s p l a n , k l a r e D a r l e g u n g s e i n e r e i g e n e n W ü n s c h e u n d s e i n e s e i g e n e n I n t e r e s s e s i n d i e s e r S a c h e . Er ist 44, hat in 20jähriger Tätigkeit in Berlin erreicht, was auf diesem Gebiet zu erreichen war und sieht deutlich die Grenzen eines solchen Betriebes (nicht die materiellen, sondern die geistigen). Er will eine neue Phase seines Lebens anfangen  ; die Berliner Tätigkeit sehr einschränken, insbesondere dort, etwa ab 1920, keine eigentliche Direktionstätigkeit ausüben. Die Theater dort einem von ihm nominierten Kollegium überlassen. Also Salzburg wird kein N e b e n b e i , sondern eine neue, österreichische Phase seines Lebens, zu der alles Frühere nur Vorarbeit war. Nicht e i n neues Unternehmen, sondern d a s Unternehmen. (…) Sein Entschluss ist nur möglich, wenn Garantien dafür da sind, dass das Salzburger Unternehmen in der glücklichsten Form zustande komme.«23 Seitens der Salzburger Festspielhausgemeinde wurde diese Entwicklung mit zwiespältigen Gefühlen registriert. Doch selbst die Reinhardt gegenüber kritisch bis ablehnend eingestellten Mitglieder wie Damisch erkannten rasch, dass die stärkeren Bataillone im Lager von Hofmannsthal und Reinhardt standen, weshalb es im Interesse der Idee zu retten galt, was noch zu retten war. Damisch erwies sich in dieser Situation als äußerst flexibel, führte umgehend Gespräche mit Andrian und Reinhardt und stellte am 11. September in der Direktoriumssitzung der Salzburger Festspielhausgemeinde in Wien den Antrag, den prinzipiell beschlossenen Kunstrat 22 Hoffmann  : Festspiele in Salzburg. S. 420ff. 23 Ebda. S. 424.

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nunmehr zu realisieren und Max Reinhardt, Richard Strauss und Franz Schalk als Mitglieder zu berufen. Wenngleich dieser Beschluss Bestand haben und für die Geschichte der Salzburger Festspiele Bedeutung gewinnen sollte, so ließen die wenig später sich überstürzenden politischen Ereignisse den Plan Hofmannsthals und Andrians, in Salzburg Festspiele unter der künstlerischen Alleinverantwortung Reinhardts zu gründen, Makulatur werden. Mit der Demission der letzten kaiserlichen Regierung und der offiziellen Erklärung Kaiser Karls, sich von den Regierungsgeschäften zurückzuziehen, traten dessen wichtigste Förderer von der politischen Bühne ab, und die Karten wurden neu gemischt. Im nunmehr einsetzenden Chaos der unmittelbaren Nachkriegszeit musste man unter geänderten Bedingungen neu beginnen, wobei die Initiative wiederum an die Salzburger Festspielhausgemeinde überging. Ein Umstand, dessen sich Reinhardt und Hofmannsthal bewusst waren. Und sie erkannten, dass man – bei allen nach wie vor vorhandenen persönlichen Vorbehalten, Animositäten und Eifersüchteleien – gezwungen war, an einem Strang zu ziehen, wollte man das ambitionierte Vorhaben doch noch realisieren. Das nun notwendige Von-vorne-Beginnen und Nach-vorne-Blicken kreiste vor allem um das Problem der Sicherung der notwendigen finanziellen Mittel  ; ein Unterfangen, das in Zeiten der allgemeinen Wirtschaftskrise und der damit einhergehenden sozialen Not sowie der sich schließlich bis zur Hyperinflation steigenden Geldentwertung einem Kampf gegen Windmühlen glich. Dennoch wurde dieser Kampf mit erheblicher Energie geführt, wobei sich die Beharrlichkeit und Energie Reinhardts als letztlich entscheidendes Element erweisen sollte. Um das angestrebte Ziel zu erreichen, war es notwendig, den Kreis der prominenten Befürworter zu erweitern. Reinhardt gewann Hugo von Hofmannsthal, der im Februar 1919 Mitglied des Kunstrates und in der Folgezeit zum führenden intellektuellen Propagandisten der Festspielidee wurde. Richard Strauss und Franz Schalk animierten den Architekten und Bühnenbildner Alfred Roller, der an der Wiener Staatsoper viele Jahre mit Gustav Mahler eng zusammengearbeitet hatte, dem Kunstrat beizutreten. Roller hatte zusammen mit Mahler jene Auffassung vertreten, die auch Reinhardt in Berlin praktizierte und die als Grundlage für Festspiele dienen sollte  : Nicht ein Starensemble, sondern nur ein in einer gemeinsamen Arbeit am Werk gewachsenes Ensemble war in der Lage, künstlerische Einmaligkeit zu schaffen. Ensemblearbeit war gefragt, um einen bestimmten unverwechselbaren Stil zu erreichen. In Salzburg, so Roller, könnte auf musikalischem Gebiet ein spezifischer »Mozartstil« durch ein »Mozart-Ensemble« und ein spezifischer Schauspielstil durch Reinhardt entstehen und damit die künstlerisch einmalige Position der Festspiele begründen. Aufgabe des Kunstrates sollte es neben programmatischen Fragen vor allem auch sein, durch seine Prominenz die für den Bau des Festspielhauses notwendigen Mittel

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aufzutreiben. Parallel bemühte sich die Festspielhausgemeinde durch Spendenaufrufe um Mittel und die Gewinnung von öffentlichen Fördermitteln, ohne die es, dessen wurde man sich zunehmend bewusst, letztlich nicht gelingen werde, das ambitionierte Projekt zu verwirklichen. Um dies zu erreichen, wurde von einer außerordentlichen Generalversammlung in Wien eine Satzungsänderung vorgenommen, die die Aufnahme von je einem Vertreter der Staatsämter (Ministerien) für Inneres, Finanzen, Verkehrswesen sowie Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten in das Direktorium des Wiener Zweigvereins vorsah. Die damit verbundenen Hoffnungen auf öffentliche Subventionen sollten sich jedoch nicht erfüllen. Reinhardt, vom Tatendrang beseelt, drängte im Herbst 1919 auf einen möglichst raschen Beginn der Festspiele mit der Inszenierung eines Weihnachtsspiels in der Franziskanerkirche, wobei ihn Erinnerungen an seine Zeit am Salzburger Landestheater leiteten. Der Dichter Max Mell hatte das »Halleiner Weihnachtsspiel« bearbeitet, Alfred Roller die Dekorationen entworfen, Bernhard Paumgartner die entsprechende Musik komponiert und der Salzburger Erzbischof Ignaz Rieder, einer der großen Förderer Reinhardts, die Erlaubnis erteilt, den symbolhaft von dunkel zu hell wechselnden gotischen Kirchenraum der Franziskanerkirche mit seinem barocken Kapellenkranz als Spielstätte für seine phantastischen Tableaus zu benutzen. In dem Salzburger Erzbischof Ignaz Rieder besaß Reinhardt einen wohlwollenden und väterlichen Förderer, der Reinhardts Nähe zum Katholizismus stärkte. Rieder war, so Helene Thimig in ihren Erinnerungen, »ein besonders feiner und guter Mensch (…) und hat Reinhardt sehr geliebt. Manchmal, wenn die beiden zusammensaßen, hat der alte Mann Reinhardt, ›seinen Sohn‹, ganz zärtlich gestreichelt. Wirklich ein herzensguter Mann, der von jedem, der ihn kannte, sehr verehrt wurde. Als wir unseren Salzburger Wohnsitz, Schloss Leopoldskron, eingerichtet hatten, kam der Erzbischof, ist durch alle Zimmer gegangen und hat unser Haus gesegnet, ganz verstohlen nur, denn er wusste natürlich, dass er unter dem Dach eines ›Ungläubigen‹, eines Juden war. Er ließ seine Hand herunterhängen und hat das Kreuzzeichen gemacht, hinter jeder neuen Tür das Kreuzzeichen, freilich nur in halber Höhe, um bei seinen Schäfchen kein Ärgernis zu erregen.«24 Den assimilierten, aber nicht konvertierten Juden Reinhardt faszinierten-Mystiker wie Angelus Silesius, dessen Schriften er immer wieder las, das Mysterienspiel des Mittelalters und der Renaissance und vor allem der barocke Katholizismus. Helene Thimig bemerkte zu seiner Religiosität  : »Er beachtete einige wenige jüdische Feiertage aus Pietät für die Religion seiner Eltern, ließ sich jedoch hauptsächlich von der Geschichte der katholischen Kirche inspirieren, die ihm, dem Theatermann, mit ihrer Prachtentfaltung und ihrem Reichtum an dramatischen Stoffen natürlich viel mehr zu geben hatte.

24 Thimig-Reinhardt  : Wie Max Reinhardt lebte. S. 102.

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Ich weiß, dass Reinhardt betete und dass er es gerne gesehen hätte, wenn ich ihm darin folgte. Ich bin überhaupt nicht kirchlich, bin es nie gewesen. Doch Reinhardt verwechselte das manchmal mit ›gottlos‹, was ganz bestimmt nicht zutrifft. (…) Dass Kunst und Religion zusammenhängen, war ihm, dem Österreicher, dem Wahl-Katholiken, dem weltläufigen Romantiker, nur allzu vertraut.«25 Obwohl die Vorarbeiten trotz der widrigen Umstände weit gediehen waren, erzwangen schließlich eben diese Umstände die Absage der geplanten Premiere. Das Gesuch der Festspielhausgemeinde an die Staatsämter für Volksernährung sowie Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten, durch die Zuweisung von Lebensmitteln und Heizmaterial die Aufführungen des Weihnachtsspiels zu unterstützen, wurden Anfang November abschlägig beantwortet. Die Versorgungslage in den Bereichen Lebensmittel und Heizmaterial, vor allem Kohle, sei äußerst angespannt lautete die Begründung, die auch den Tatsachen entsprach. Der Katastrophenwinter des Jahres 1918/19 fand im folgenden Jahr seine Fortsetzung. Die bereits während des Krieges einsetzende und sich ständig verschärfende Ernährungskrise beschleunigte sich nach Kriegsende dramatisch und führte in den Städten, vor allem in Wien, zu katastrophalen Zuständen. Die der Wiener Bevölkerung zur Verfügung stehenden Lebensmittelrationen lagen deutlich unter dem Existenzminimum mit entsprechenden gesundheitlichen Folgen wie einer besonderen Anfälligkeit für die Ruhr, die Spanische Grippe oder die Tuberkulose, die ob ihrer raschen Verbreitung bald »Wiener Krankheit« genannt wurde. Nicht minder dramatisch war der Mangel an Brennstoffen, vor allem an Kohle. Holzschlägern und Holzsammeln im Wienerwald wurde zur notgedrungenen Selbsthilfe der Wiener Bevölkerung, wollte sie nicht erfrieren. Der Kohlemangel führte zur weitgehenden Einstellung des Zugverkehrs und der drastischen Reduktion der elektrischen Beleuchtung. Die Dramatik machte im Winter 1919/20 keine Pause, wie auch Max Reinhardt in Berlin erfahren musste. Der Kohlemangel führte zu einer völligen Einstellung des Zug- und Postverkehrs zwischen Deutschland und Österreich. Nur Entente-Züge fuhren. Der österreichische Gesandte in Berlin, der Historiker Ludo Moritz Hartmann, nahm daher das von Max Mell finalisierte Manuskript in seinem Gepäck nach Berlin mit und übergab es Reinhardt zum Studium. Unter diesen Umständen konnte die österreichische Regierung, wollte sie nicht politischen Selbstmord auf offener Bühne begehen, nicht Lebensmittel- und KohleSonderrationen für die Durchführung eines Weihnachtsspiels in Salzburg bewilligen. Vor allem auch angesichts der in Salzburg aufgrund der allgemeinen Mangelsituation 1918 einsetzenden Fremdenfeindlichkeit – Anfang 1919 hatte der Salzburger Gemeinderat die Landesregierung aufgefordert, den Fremdenverkehr, dem man vor 1914 äußerst positiv gegenübergestanden war, überhaupt zu verbieten. Diese geriet aufgrund 25 Ebda. S. 100f.

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der öffentlichen Stimmung, die durch Pressemeldungen verstärkt wurde, unter massiven Druck, bat in der Folgezeit die Fremden, das Land zu verlassen und beendete die Saison vorzeitig. Hinzu trat die massive Ablehnung der sich in der Stadt Salzburg in erheblicher Zahl befindenden sogenannten »Valutareisenden«, die aufgrund des ständigen Kursverfalls der Währung ihren dubiosen Geschäften nachgingen und unter denen ein erheblicher Prozentsatz – angeblich 29 Prozent – Juden waren. Zunehmend wurde der Fremdenverkehr mit antisemitischen Konnotationen versehen, fremd und jüdisch wurden vielfach Synonyme und bestimmten in verschieden starken Konjunkturen – abgeschwächt zwischen 1925/26 und 1929/30, deutlich stärker in den Dreißigerjahren, vor allem in den Jahren 1935 bis 1937 – die negative Meinung und den Widerstand gegen die »jüdischen« oder »verjudeten« Salzburger Festspiele.26 Das Staatsamt für Volksernährung nahm in seiner abschlägigen Antwort mit deutlich ironischem Unterton auf diese Entwicklung Bezug, indem es erklärte, man bezweifle, ob die Salzburger Landesregierung aufgrund ihrer bisherigen negativen Haltung gegenüber den Fremden mit diesem Ansuchen einverstanden sei, da doch im Fall einer positiven Erledigung mit einem Zustrom von Fremden gerechnet werden müsse. Das ambitionierte Vorhaben scheiterte an den Rahmenbedingungen. Es galt, in absehbarer Zukunft mit diesen Rahmenbedingungen zu leben. Dies bedeutete, sich angesichts des allgemeinen Kohlemangels – zumindest vorläufig – von Vorstellungen im Winter zu verabschieden und in den Sommer auszuweichen. Dennoch wurde seitens der Salzburger Festspielhausgemeinde der Plan, Weihnachtsspiele vom 25. Dezember bis 6. Jänner unter Reinhardts Regie mit Schauspielern seiner Wiener und Berliner Theater durchzuführen, noch keineswegs ad acta gelegt. So propagierte die Festspielhausgemeinde Mitte der Zwanzigerjahre in einem Schreiben an Landeshauptmann Franz Rehrl neuerlich die Idee, die »Welturaufführung von Max Mells wundervoller Bearbeitung des alten Halleiner Weihnachtsspieles« unter der Leitung Reinhardts herauszubringen. Auch Max Mells »Apostelspiel« könnte zur Aufführung gelangen und zusätzlich zwei Orchesterkonzerte der Wiener Philharmoniker. Ein solches Programm wäre »nicht so umfangreich, dass man in finanzieller Beziehung ein zu großes Risiko auf sich nehmen müsste. Die Festspielhausgemeinde ist sich dessen voll bewusst, dass die zur Anregung gebrachte Veranstaltung einen Versuch darstellt und also äußerste geschäftliche Vorsicht zu walten hat. Nach menschlichem Ermessen darf man gewiss hoffen, dass dieser Versuch einen vollen Erfolg zeitigen und die jährliche Fortführung weihnachtlicher Festspiele sehr bald eine wirtschaftliche Selbstverständlichkeit sein wird.«27 26 Günter Fellner  : Antisemitismus in Salzburg 1918–1938. – Salzburg 1979  ; ders.: Judenfreundlichkeit, Judenfeindlichkeit. Spielarten in einem Fremdenverkehrsland. – In  : Kriechbaumer (Hg.)  : Der Geschmack der Vergänglichkeit. S. 59–126. 27 SLA Rehrl FS-0001 (1–21/4 Schriftverkehr ohne Jahreszahl).

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I.3 Die ungünstigen Rahmenbedingungen. Aus der Not geboren – Der »Jedermann« Die aus wirtschaftlichen Gründen getroffene Entscheidung, zunächst Festspiele nur im Sommer durchzuführen, erforderte jedoch eine entsprechende Stückwahl, bei der Reinhardt zu Jahresbeginn 1920 zunächst seine ursprüngliche Idee der Dramatisierung eines Salzburger bäuerlichen Marienspiels durch Max Mell verfolgte, jedoch durch die entstandene Terminnot – Mell wurde mit dem Manuskript nicht fertig – im Februar oder März auf eine Ersatzlösung zurückgriff, die er bereits mit großem Erfolg in Berlin realisiert hatte und die auch seinem Anspruch des Mysterienspiels gerecht wurde  : Hofmannsthals »Jedermann«, den er in der zweiten Augusthälfte zunächst in der offenen Reitschule der Hofstallkaserne aufführen wollte. Helene Thimig hat – wohl zu Recht – darauf hingewiesen, dass Reinhardt bei diesem Stück nicht nur als Regisseur, sondern durch seine zahlreichen theaterprakti­ schen und für die Schauspieler maßgeschneiderten Vorschläge auch als Co-Autor genannt werden müsse. Denn der Erfolg der Uraufführung in Berlin sei mäßig gewesen und der Durchbruch zum Kassenschlager erst durch die intensive Zusammenarbeit von Hofmannsthal mit Reinhardt auf dem Domplatz in Salzburg erfolgt.28 Die Geburt der Idee des Domplatzes als Spielstätte ist umstritten. Bernhard Paum­gartner, ursprünglich ein Mitglied der Reinhardt ablehnenden Gruppe in der Stiftung Mozarteum, jedoch in der Zwischenzeit von Reinhardts Visionen begeistert, berichtet in seinen Erinnerungen, Reinhardt zum ersten Mal in der schäbigen, noch nicht wiederhergestellten Halle eines Salzburger Hotels getroffen zu haben. Ihn habe sofort »die leidenschaftliche, natürliche Genialität dieses Mannes, die reine Kindlichkeit seiner Künstlerseele, die immer das Größte, das Rührende an seiner Erscheinung geblieben ist«, fasziniert. »In hohem Maße war ihm die Gabe zu eigen, Wesentliches in sich aufzunehmen und sofort schöpferisch neu zu gestalten, seine vollkommen posenlose Art, da zu sein. Er war ein prachtvoller Mensch ohne die Spur jener leichten Gereiztheit, die Bühnenkünstlern oft typisch zugehört. Nach wenigen Minuten schon war unser Gespräch mitten in der Sache. Reinhardt war den ganzen Tag in der Stadt herumgewandert und vom Wesen Salzburgs wieder tief ergriffen. (…) Als wir am nächsten Tag selbander über den Domplatz gingen, formulierte sich die Idee, die später, von Hofmannsthal in wunderbare Worte gefasst, ein ­Leitgedanke der Salzburger Festspiele geworden ist  : Die Stadt als Bühne, als die natürliche, lebendigste, farbigste Bühne, die barocke Stadt der herrlichen Veduten, der wohlproportionierten weiten Plätze, der unvergleichlichen Trionfi und Prozessionen von einst, der Volksspiele und Benediktinerdramen, diese Stadt, in der das unvergleichlich 28 Thimig-Reinhardt. S. 105.

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Dekorative allein schon Spiel und Bewegung war, gewordener Raum als kulturelle Tatsache und Grunderlebnis, die Stadt, in der Mozart als ein Gedanke Gottes nur als ihre letzte, menschliche Verkörperung geboren werden musste, er und das ewige Mysterium der Musik. Es spricht für die Größe Reinhardts, dass es ihm gelang, diese Idee zum ersten Mal im ›Jedermann‹, später durch die berühmte Faust-Inszenierung in der offenen Felsenreitschule restlos in lebendiges Theater umzusetzen«.29 Erwin Kerber, damals Sekretär der Salzburger Festspielhausgemeinde und Sohn des k. k. Hofbuchhändlers Hermann Kerber, in dessen Haus der junge Schauspieler Max Reinhardt während seines Engagements am Salzburger Landestheater häufig zu Gast war, berichtet, er habe diese Idee Reinhardt während eines gemeinsamen Kaffees mit Egon Bahr eröffnet. So unklar die Vaterschaft der Idee ist, Reinhardts Entschluss einer sommerlichen Aufführung auf dem Domplatz fiel erst relativ spät, Mitte Juli. Noch zu Jahresbeginn 1920 war das bei Max Mell in Auftrag gegebene Mysterienspiel auf dem Programm gestanden. Erst die Terminverzögerung der Fertigstellung des Manuskripts machte eine neue Disposition notwendig. Unter dem entstandenen Zeitdruck entschied sich Reinhardt für den Rückgriff auf bereits Bekanntes, Hofmannsthals »Jedermann«, den Reinhardt bereits 1911 im Berliner »Zirkus Schumann« zur Uraufführung gebracht hatte. Als Aufführungsort hatte man jedoch an die offene Felsenreitschule gedacht, denn noch am 10. Juli richtete die Salzburger Festspielhausgemeinde ein Ersuchen an die Salzburger Landesregierung um leihweise kostenlose Überlassung von Bauholz für die geplante Aufführung in der Felsenreitschule. Angesichts der allgemeinen Not und um befürchteten Demonstrationen vorzubeugen verzichteten Reinhardt als Regisseur, Roller als Ausstatter, Paumgartner als für die Musik Verantwortlicher und Dirigent sowie das Ensemble auf ihre Gagen, und die Einnahmen sollten Invaliden und Kriegswaisen zugutekommen. Es ging vor allem darum, die Aufführung zu ermöglichen und damit den sehnlich erwarteten Startschuss für die Festspiele zu geben. Wenige Tage später entschied sich Reinhardt allerdings für den Domplatz und schrieb am 16. Juli einen Brief an Erzbischof Rieder mit der Bitte um wohlwollende Unterstützung seines Vorhabens, das Stück vor dem Dom unter Einbeziehung des Glockengeläuts und des Orgelspiels zur Aufführung zu bringen.30 Der Erzbischof reagierte positiv und ermöglichte damit den sensationell erfolgreichen Start der Salzburger Festspiele am 22. August. Es war nicht so sehr Hofmannsthals Bearbeitung der alten englischen Moralität, sondern die geniale Regie Reinhardts, 29 Bernhard Paumgartner  : Erinnerungen. 2. Aufl. – Salzburg 2001. S. 119f. (= Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 19. Ergänzungsband. Veröffentlichungen zur Salzburger Musikgeschichte Band 7. Herausgegeben vom Forschungszentrum für Salzburger Musikgeschichte an der Universität Salzburg). 30 Hoffmann  : Festspiele in Salzburg. S. 564f.

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die dem Stück den Durchbruch ermöglichte und den Festspielen eines ihrer größten Zugpferde schenkte. Ursprünglich als Werbeaktion für die Festspiele gedacht, wurde der »Jedermann« zu deren fixem Bestandteil. Kein Stück in der hundertjährigen Geschichte der Festspiele ist so mit diesen verbunden wie der »Jedermann« durch seine einzigartige Realisierung der Idee der Stadt als Bühne. Reinhardt hatte Schauspieler gewählt, die er seit Jahren kannte und die mit seiner Arbeit vertraut waren, wie z. B. Alexander Moissi, der in den folgenden elf Jahren den Jedermann spielen sollte, Werner Krauß als Tod und Teufel oder Helene Thimig als Gute Werke. Ihnen gelang es, die von Reinhardt intendierte religiöse Erfahrung zu vermitteln und ein Publikum, in dem sich auch Erzbischof Ignaz Rieder befand, emotional zu ergreifen und zu Tränen zu rühren. Abgesehen von der Jahreszeit, die keine Heizprobleme verursachte, erfolgte der Beginn der Salzburger Festspiele in einer Phase der politischen Unsicherheit und unveränderten Kultur der Not und Armut. Am 10. Juni 1920 zerbrach die Koalition aus Sozialdemokraten und Christlichsozialen infolge völlig unterschiedlicher Auffassungen über die Bestimmungen des Wehrgesetzes, am 7. Juli wurde als Übergangslösung bis zu der für 17. Oktober ausgeschriebenen Nationalratswahl die Proporzregierung Michael Mayr gebildet, die Vorbereitungen für die Volksabstimmung in Kärnten waren im Gang und die Frage des Burgenlandes war – trotz einer Entscheidung der Alliierten zugunsten Österreichs – durch die Anwesenheit ungarischer Freischärler sowie regulärer Truppen nicht gelöst. Dementsprechend dominierten diese Ereignisse die innenpolitische Berichterstattung der österreichischen und Salzburger Tagespresse, wobei das Gerücht über einen Plan Karl Renners, den Lungau aus verkehrstechnischen und wirtschaftlichen Gründen von Salzburg zu trennen und der Steiermark anzuschließen, für besondere Erregung, vor allem in christlichsozialen Kreisen sorgte. Die »Salzburger Chronik« veröffentlichte ein Schreiben aus dem Lungau, das sich vehement gegen dieses angebliche Vorhaben wandte und die Frage stellte  : »Warum denn das trennen, was so lange glücklich beisammen war  ?«31 Die christlichsozialen Versammlungen im Lungau wandten sich in Resolutionen gegen diesen Plan und protestierten gegen die verkehrsmäßige Benachteiligung des Gaus durch die Staatsregierung, in der man einen Beweis für die beabsichtigte Trennung von Salzburg zu erblicken glaubte. »Nach dem jetzigen Fahrplane muss man bei einer Fahrt von Tamsweg nach Salzburg zweimal übernachten. Der Personenzug Selztal-Bischofshofen wurde so verlegt, dass die Reisenden, die über die Tauern kommen, Salzburg am Abend nicht mehr erreichen. Der Güterzug am Nachmittag darf keine Personen mehr befördern. Derartige Bagatellisierungen müssen erbittern.« Die christlichsozialen Mitglieder des Ernährungsausschusses stellten im Salzburger Gemeinderat den Antrag, man möge die Landesregierung auffordern, »bei den maß31 Salzburger Chronik, 3. 8. 1920. S. 3.

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gebenden Staatsämtern energisch Schritte gegen die Abtretung des Lungaues und dessen Zuteilung an Steiermark (…) zu unternehmen«.32 Die Ernährungs- und Rohstofflage Österreichs hatte sich nicht gebessert. Am 7. Juni kam es zu Hungerdemonstrationen und Plünderungen in Wien, und in Graz demonstrierten vor allem Hausfrauen gegen die hohen Obst- und Gemüsepreise. Der sogenannte »Kirschenrummel« forderte zwölf Tote und mehrere Verletzte. Auch in Salzburg dominierten, jenseits der (regional-)politischen Wogen, wirtschaftliche Alltagssorgen. Am 6. August meldete die »Salzburger Chronik«, dass ein Waggon mit frischem Gemüse eingetroffen sei, während die Einfuhr von Kartoffeln aus Italien eine unliebsame Unterbrechung erfahren habe. Am folgenden Tag wurde gemeldet, dass »aus der letzten Ausgabe von Volksbekleidungsschuhen (…) ein Posten von 350 Paar Kinderschuhen zum Preise von 100 Kronen in den Größen 20–30, 210 Kronen in den Größen 31–35 erübrigt« seien, »welche nunmehr neuerlich zur Ausgabe gelangen«.33 Gleichzeitig gab die Zeitung angesichts der in Salzburg bemerkbaren Vorbereitungen auf die Festspiele und in der Hoffnung auf ein zahlungskräftiges Publikum eine Verlautbarung des Staatsamts für Volksernährung bekannt  : »Der freie Verkauf von Mehl und die gewerbsmäßige Erzeugung, Verabreichung und Veräußerung von Weißgebäck sind nach wie vor ausnahmslos verboten. Zu einer Zeit, zu der die Versorgungsverhältnisse die Ausgabe der vollen Brotquote nicht gestatten, muss es begreiflicherweise besonderen Unwillen und berechtigte Missstimmung erregen, wenn jetzt in Geschäften Mehl zu außerordentlich hohen Preisen frei verkäuflich abgegeben wird und allenthalben das geradezu massenhafte Auftauchen weißen Gebäckes (Weißbrot, Semmeln, Wecken, Salzstangerl, Mohnkipferl u. dgl.) beobachtet werden kann. Das Staatsamt für Volksernährung ist fest entschlossen, diese aufreizenden Ordnungswidrigkeiten mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu steuern. Alle Überwachungsorgane sind angewiesen, gegen solchen Unfug energisch einzuschreiten, gegebenenfalls mit der polizeilichen Betriebssperre vorzugehen und das vorgefundene Mehl und Weißgebäck ohne Entgelt zu konfiszieren.«34 Am 17. August wies die »Salzburger Chronik« darauf hin, dass die Ausfuhr von Überkontingentfleisch aus dem Bundesland an die ausdrückliche Zustimmung der Landesregierung gebunden sei und Sendungen von Überkontingentfleisch nach Bad Gastein und Hof Gastein überhaupt nicht gestattet seien.35 Am 19. August wurde gemeldet, dass in der Stadt Salzburg Überkontingentfleisch zum Preis von 50 Kronen und vom 20. bis 22. August ein Liter Milch abgegeben wird.36 32 Salzburger Chronik, 6. 8. 1920. S. 3. 33 Salzburger Chronik, 7. 8. 1920. S. 4. 34 Salzburger Chronik, 6. 8. 1920. S. 3. 35 Salzburger Chronik, 17. 8. 1920. S. 4. 36 Salzburger Chronik, 19. 8. 1920. S. 4.

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Angesichts der anhaltenden Lebensmittelknappheit und Inflation mit ihren erheblichen Folgen vor allem für den Mittelstand verhielten sich die kommunalen und staatlichen Institutionen gegenüber Versuchen einer Wiederbelebung des Fremdenverkehrs ablehnend. So lehnte die Stadt Salzburg Anfang August ein Ansuchen der Salzburger Festspielhausgemeinde um Wiederzulassung des Fremdenverkehrs sowie die Verlängerung der erlaubten Aufenthaltsdauer in der Stadt auf sieben Tage ab, verfügte die Salzburger Landesregierung eine Einreisebeschränkung für Fremde und musste sich die Salzburger Festspielhausgemeinde verpflichten, von jeder Werbung Abstand zu nehmen. Extrazüge mit Festspielbesuchern Richtung Linz/Wien, Zell am See und Bad Ischl mussten rechtzeitig abfahren, um die Fremden so rasch wie möglich nach Hause zu befördern. Mit Rücksicht auf die Bahnverbindungen wurde der Beginn der »Jedermann«-Vorstellung von, wie ursprünglich geplant, 18 Uhr auf 17.15 Uhr vorverlegt.37 Am Vortag der Premiere wurde im großen Saal des Mozarteums die 3. Generalversammlung des Gesamtvereins Salzburger Festspielhausgemeinde abgehalten, an der vor allem die Bundespolitik durch den Präsidenten der Konstituierenden Natio­ nalversammlung (und gleichzeitigen Bundespräsidenten), Karl Seitz, den stellvertretenden Vorsitzenden im Kabinett (Vizekanzler), Eduard Heinl, und den Unterstaatssekretär für Unterricht, Otto Glöckl, prominent vertreten war, während die Staatsämter für Finanzen und das Verkehrswesen durch hochrangige Beamten vertreten waren. An landespolitischer Prominenz waren die Landeshauptleute Albert Sever (Niederösterreich), der Salzburger Landeshauptmann Oskar Meyer und dessen Stellvertreter Robert Preußler, Franz Rehrl und Max Ott anwesend. Die Stadt war durch die das Parteienspektrum repräsentierenden Politiker, Vizebürgermeister Richard Hildmann, Michael Dobler und Josef Beinkofer, vertreten. Die Anwesenheit bundespolitischer Prominenz sowie von Repräsentanten des Finanz- und Verkehrsministeriums war ein Erfolg der Bemühungen der (Wiener) Festspielhausgemeinde, für die Heinrich Damisch erklärte, dass durch die ungünstigen Umstände der ursprüngliche Plan, die Finanzierung des Festspielhauses durch private Spenden zu ermöglichen, nicht zu verwirklichen sei, weshalb die öffentliche Hand um Unterstützung gebeten werden müsse. Wenn die öffentliche Hand das ehrgeizige Unternehmen entsprechend fördere, sei auch mit namhaften Beträgen aus dem Ausland zu rechnen. Finanzreferent Emil Ronsperger ergänzte mit Blick auf die mit Spannung erwartete Präsentation des ersten Entwurfs für das geplante Festspielhaus durch Hans Poelzig, die ursprünglichen Pläne seien überholt. Was man heute anstrebe, werde ein Vielfaches der Mittel beanspruchen, die man ursprünglich kalkuliert habe. Mit Spannung wurden die Erklärungen der anwesenden Bundespolitiker erwartet, ob angesichts der sich laufend verschlechternden budgetären Eckdaten überhaupt 37 Salzburger Chronik, 21. 8. 1920. S. 4.

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eine wohlwollende Reaktion auf das Ansinnen einer entsprechenden Bundessubvention erfolgen würde. Zur allgemeinen Erleichterung erfolgte eine positive Reaktion durch Eduard Heinl, der erklärte  : »Eine Tat ist es, welche die Salzburger Festspielhausgemeinde mit dem Zustandekommen von Salzburger Festspielen vollbringt, die in der Zukunft nicht bloß für die Stadt und das Land, sondern für den ganzen Freistaat Österreich außerordentliche Bedeutung hat. Dies ist auch der Grund, warum die österreichische Staatsregierung es als ihre Pflicht erachtet, heute hier vertreten zu sein, und deshalb bin ich beauftragt, Sie im Namen des dem Kabinettsrat vorsitzenden Staatssekretärs Dr. Mayr zu begrüßen und die Versicherung zu geben, dass die Staatsregierung auch in Hinkunft in materieller und moralischer Hinsicht den Interventionen der Festspielhausgemeinde ihre Unterstützung angedeihen lassen wird. Ich gebe bei dieser Gelegenheit dem Wunsche Ausdruck, dass Ihre prächtigen Ideen einen vollen und ganzen Erfolg zeitigen und dass die diesjährigen eine bleibende Einrichtung werden.« Otto Glöckl versicherte, sich nicht nur aktenmäßig mit den Festspielen zu beschäftigen, sondern mit ganzem Herzen bei der Sache zu sein. Dass diese Idee im Krieg geboren wurde, beweise, dass mit Mut und Tatkraft an ihrer Verwirklichung gearbeitet werde. »Und wenn wir auch als abgesplittertes Volk leben müssen, so wollen wir doch gleichen Schritt halten mit den Brüdern im Reich in Bezug auf unsere kulturellen Schätze und in diesem Sinne ist der Gedanke der Festspielhausgemeinde mehr als eine lokale Angelegenheit. Deshalb wollen wir an die Grenzen des Möglichen gehen und dafür am rechten Orte sparen.«38 Auch der Vertreter des Finanzministeriums betonte, dass man sich der Tragweite und Bedeutung des Festspielgedankens bewusst sei und finanziellen Hilfen äußerst positiv gegenüberstehe. Die Bundesregierung sagte 100.000 Kronen zu, Stadt und Land Salzburg je 50.000 Kronen. Zudem stellte der Bund für den Baufonds, mit dem das von Hans Poelzig geplante Festspielhaus in Hellbrunn finanziert werden sollte, einen Betrag zwischen drei und vier Millionen Kronen in Aussicht. Bei so viel Bekenntnis erklärte der Salzburger Landeshauptmann Meyer in seiner Wortmeldung die 3. Generalversammlung als einen Markstein in der Entwicklung des Festspielgedankens und des ganzen Landes Salzburg, das die Ziele der Festspielhausgemeinde nach besten Kräften unterstützen werde. Eduard Heinl hatte am Schluss seiner Rede bemerkt  : »Lassen Sie uns – dies ist wohl auch der Zweck der Festspiele – morgen beim Genuss reiner Kunst, die sich am Salzburger Domplatz uns eröffnen wird, gemeinsam den tragischen Ernst dieser Zeit für Augenblicke vergessen.«39 Heinls Hoffnungen sollten sich erfüllen. Die Wahl des Stückes und des Ortes, Reinhardts phantasievolle Regie und die schauspielerischen Leistungen wurden zum gefeierten Ereignis, das trotz der schwierigen Verhältnisse 38 Salzburger Chronik, 24. 8. 1920. S. 4. 39 Ebda.

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ein zahlreiches Publikum aus Wien und Bayern anzog, weshalb zu den geplanten vier Aufführungsterminen ein fünfter angesetzt werden musste. Da jedoch aufgrund des unerwartet großen Andrangs des auswärtigen Publikums die Salzburger nur zu einem geringen Teil in den Genuss der Aufführungen kamen, was Reinhardts Festspielintentionen widersprach, wurde für den 29. August eine zusätzliche Aufführung nur für die Salzburger Bevölkerung angesetzt.

I.4 Die zerstörerische Kraft der Not. Der Höllensturz der Preise oder Mutter Courage gegen die Kraft der kulturellen Idee Die in den Erfolg des »Jedermann« gesetzten – vor allem auch finanziellen – Hoffnungen für die zukünftige Entwicklung der Festspiele und den Bau eines Festspielhauses in Hellbrunn sollten sich jedoch (zunächst) nicht erfüllen. In Salzburg dominierte eine allgegenwärtige Kultur der Armut und Not, wie Stefan Zweig, der sich hier ein Schlösschen auf dem Kapuzinerberg gekauft hatte, bei seiner Rückkehr aus der Schweiz feststellte. »Wir fanden unser Heim in einem fast unbewohnbaren Zustand. Der Regen tropfte munter in die Zimmer, nach jedem Schnee schwammen die Gänge, und eine richtige Reparatur des Daches war unmöglich, denn die Zimmerleute hatten kein Holz für die Sparren, die Spengler kein Blei für die Rinnen  ; mühsam wurden mit Dachpappe die schlimmsten Lücken verklebt (…) Aber das Schlimmste war die Kälte, denn Kohle gab es im weitesten Umkreis keine, das Holz aus dem Garten war zu frisch und zischte wie eine Schlange, statt zu heizen, und spuckte krachend, statt zu brennen. In der Not halfen wir uns mit Torf, der wenigstens einen Schein von Wärme gab (…) Aber selbst diese unwirtliche Behausung musste noch verteidigt werden, denn zur allgemeinen Not an Nahrungsmitteln und Heizung kam in diesem Katastrophenjahr noch die Wohnungsnot. Vier Jahre war in Österreich nicht gebaut worden, viele Häuser verfallen und nun strömte plötzlich obdachlos die unzählbare Masse der entlassenen Soldaten und Kriegsgefangenen zurück, so dass zwangsläufig in jedem verfügbaren Zimmer eine Familie untergebracht werden sollte. Viermal kamen Kommissionen, aber wir hatten freiwillig längst schon zwei Räume abgegeben (…) Jeder Gang in die Stadt hinab war damals erschütterndes Erlebnis  ; zum ersten Mal sah ich einer Hungersnot in die gelben und gefährlichen Augen. Das Brot krümelte sich schwarz und schmeckte nach Pech und Leim, Kaffee war ein Absud von gebrannter Gerste, Bier ein gelbes Wasser, Schokolade gefärbter Sand, die Kartoffeln erfroren  ; die meisten zogen sich, um den Geschmack von Fleisch nicht ganz zu vergessen, Kaninchen auf, in unserem Garten schoss ein junger Bursche Eichhörnchen als Sonntagsspeise ab, und wohlgenährte Hunde oder Katzen kamen nur

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selten von längeren Spaziergängen zurück. Was an Stoffen angeboten wurde, war in Wahrheit präpariertes Papier, Ersatz eines Ersatzes  ; die Männer schlichen fast ausschließlich in alten, sogar russischen Uniformen herum, die sie aus einem Depot oder einem Krankenhaus geholt hatten und in denen schon mehrere Menschen gestorben waren  ; Hosen, aus alten Säcken gefertigt, waren nicht selten. Jeder Schritt durch die Straßen, wo die Auslagen wie ausgeraubt standen, der Mörtel wie Grind von den verkommenen Häusern herabkrümelte und die Menschen, sichtlich unterernährt, sich nur mühsam zur Arbeit schleppten, machte einem die Seele verstört.«40 Zusätzlich zu dieser die sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen dominierenden Kultur der Not waren die folgenden Jahre von persönlichem Misstrauen und Eifersucht bis hin zu Geringschätzung, von Rivalitäten zwischen dem Wiener und Salzburger Zweigverein und von mit antisemitischen Untertönen angereicherten Ressentiments von Teilen der politischen Parteienlandschaft sowie der lokalen Presse gekennzeichnet, die den Fortbestand der kaum begonnenen Festspiele gefährdeten. Mitte März 1921 sah die »Salzburger Chronik« mit Bezugnahme auf diese einsetzende Agitation die »Salzburger Festspiele in Gefahr«. Aufgrund der sich verschärfenden wirtschaftlichen Notlage in Österreich, und damit auch in Salzburg, habe sich das öffentliche Meinungsklima »erheblich zugespitzt, die Not ist ins Ungemessene gestiegen und das hatte zur Folge, dass sich gegen den Zuzug von Fremden aus leicht begreiflichen und nicht ganz von der Hand zu weisenden sozialen Gründen eine starke Strömung geltend machte. Verschärft wurde die Stimmung durch die immer energischer einsetzende antisemitische Agitation. Bedauerlich nun muss es genannt werden, dass aus diesen beiden Tendenzen heraus gegen die Festspielhausgemeinde und ihr ganzes Wirken eine Opposition von einer Heftigkeit und Maßlosigkeit entfacht wurde, wie sie nur aus einer völligen Verkennung der kulturellen und gemeinnützigen Bestrebungen dieser Vereinigung erklärt werden kann. Josef August Lux gab gleichsam den Auftakt, indem er in einem Münchner Blatte und in unterschiedlichen österreichischen Zeitungen einen scharfen Angriff auf die Festspielhausgemeinde unternahm und ihr vorwarf, dass sie durch ihre Festspiele ein fremdes Schieberpublikum von zweifelhafter Qualität herbeilocke und dass sie obendrein sich mit Haut und Haaren Reinhardt verschrieben hätte, der hier seine Zirkuskünste zu erneuern gedenke  ; die gleichsam kulturelle Grundlage für die Ausführungen Lux’ gab seine heftige Gegnerschaft gegen das Vorhaben, die schöne und historisch offene Reitschule zu überdachen und dadurch eine provisorische Halle für die Festspiele zu gewinnen. (…) Die Festspielhausgemeinde, in der kein einziger Jude, sondern lauter arische Bürger der Stadt sitzen, wurde in einem Salzburger Wochenblättchen eine ›Juden40 Stefan Zweig  : Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. 3. Aufl. – Frankfurt am Main 1973. S. 210f.

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Festspielgemeinde‹ genannt und gleichzeitig wurde in unverfälschtem RevolverJournalismus erklärt, dass das Volk schon ›zur Abwehr rüste‹ und dass die Folgen jene trügen, die Salzburg in diese Lage gebracht hätten. Da gleichzeitig bekannt wurde, dass einzelne Mitglieder der Festspielhausgemeinde mit Drohbriefen überschwemmt würden, in denen man sie ›Verbrecher‹ nennt und ihnen die Demolierung ihrer Geschäfte androht, so war für die Festspielhausgemeinde (…) eine Situation gegeben, die zu ernsten Schritten drängt. (…) Die Salzburger Festspielhausgemeinde kam zu dem Ergebnis, dass es nutzlos wäre, weiterhin den Sündenbock für die desolaten wirtschaftlichen Verhältnisse abzugeben, und dass es nun Sache der Gemeinde und des Landes Salzburg sei, Männer, die an einem Projekt arbeiten, das den kulturellen und auch den wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt entscheidend beeinflussen wird, zu decken.«41 Es sei daher der Beschluss gefasst worden, sowohl an den Gemeinderat wie auch den Landtag mit der Aufforderung heranzutreten, eine Erklärung abzugeben, dass die Mitglieder der Festspielhausgemeinde im öffentlichen Interesse arbeiteten und damit auch eine öffentliche Funktion ausübten. Geschehe dies nicht, würden sich die Mitglieder zur Demission gezwungen sehen und das großartige Projekt der Salzburger Festspiele würde ein Ende finden. Die »Salzburger Chronik« kommentierte die bedrohliche Situation, die vor ­allem von der nationalsozialistischen Wochenzeitung »Der eiserne Besen« sowie vom deutschnationalen »Salzburger Volksblatt« publizistisch geschürt wurde, mit dem Hinweis, dass »die Leute, die unter Anwendung sehr bedenklicher Mittel eine planmäßige Hetze gegen die Festspielhausgemeinde beginnen, (…) im Dunkeln der Anonymität (arbeiten). Das ist an und für sich schon bedenklich. Immerhin möchten wir fragen, wer geneigt ist, die Verantwortung für die Dummheit zu tragen, mit der hier ein großangelegter Plan gestört werden soll. Wir haben aus der Abneigung gegen Schieber und Preistreiber aller Konfessionen nie ein Hehl gemacht, aber vor jedem Fremden ein Hakenkreuz zu schlagen, kann sich eine Fremdenstadt – und das wird Salzburg für alle Zeiten bleiben – nicht leisten«. Für die wirtschaftliche Entwicklung Salzburgs komme »nur die Fremden-Industrie in Betracht und diese unter Verwendung billiger Schlagworte zu unterbinden, ist ein Beginnen, das einem volkswirtschaftlichen Selbstmord gleichkommt«.42 Das in der Anti-Festspielpropaganda häufig verwendete Bild des protzenden, jedoch kulturlosen Schiebers und Kriegsgewinnlers stieß auch bei den Festspielmachern und -künstlern, vor allem bei Reinhardt und Hofmannsthal, die Festspiele für das regionale Publikum machen wollten, auf Ablehnung. Die Nachkriegszeit mit ihrer Umwertung aller Werte machte jedoch dieses Vorhaben zunehmend schwierig, da oft nur ebendiese Schieber und Kriegsge41 Salzburger Chronik, 15. 3. 1921. S. 3  ; vgl. auch Salzburger Volksblatt, 21. 3.1921. S. 3f. 42 Ebda. S. 4.

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winnler sich die in Zeiten der Inflation für den Mittelstand meist unerschwinglichen Eintrittspreise leisten konnten. Am 16. Jänner 1922 schrieb Helene Thimig aus Berlin an Max Reinhardt  : »Ich war heute Abend in Molnars ›Anatol‹. Mein Gott, es ist doch klar, dass nur solche Leute, wie ich sie heute gesehen habe, ins Theater gehen können – nur Leute, die zu Geld gekommen sind, und die Filmleute. (Klar ist auch), dass die sich dann auch nur ihre Sorte von Stücken aussuchen. Ich saß so mitten drin. Wenn man das so selten tut, wird man so beeindruckt davon, weil das Publikum sich von Mal zu Mal verändert und einheitlicher wird, in immer bestimmterer Richtung. Der ganze Zuschauerraum war verpestet von Parfüms und Schminken. Jedes Gesicht sieht ungefähr so aus, als ob es einen Raubmord begehen könnte. (…) So ein süßer Geruch macht mir ein Gefühl wie in dem öligen Maschinenraum eines Schiffes auf hoher See.«43 Die in eine Amerika-Reise von Richard Strauss Ende 1920 gesetzten Erwartungen auf die Gewinnung privater Sponsoren für den Festspielhausbau wurden ebenso enttäuscht wie das Vertrauen in öffentliche Subventionen für die Durchführung der ehrgeizig geplanten Festspielsaison 1921 – neben einer Aufführungsserie des »Jedermann« ein Gastspiel der Wiener Staatsoper mit je drei Aufführungen von Mozarts »Così fan tutte« unter Richard Strauss und »Don Giovanni« unter Franz Schalk. Die Gesamtkosten wurden mit vier Millionen Kronen veranschlagt und unter dem Hinweis, dass die Salzburger Festspielhausgemeinde satzungsgemäß verpflichtet sei, Eingänge dem Baufonds des Festspielhauses zu überweisen, eine Ausfallshaftung des Bundes in voller Höhe erbeten. Gleichzeitig beeilte man sich darauf hinzuweisen, dass angesichts des großen Publikumsinteresses der Staatshaftung nur theoretische Bedeutung zukomme. In der Himmelpfortgasse und am Ballhausplatz hatte man jedoch angesichts der verzweifelten Bemühungen der Regierung Mayr um die angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise als unumgänglich erachtete Finanzhilfe des Völkerbundes, die durch die Anschlussabstimmungen in Tirol am 24. April und am 29. Mai 1921 in Salzburg (mit Rücksicht auf den außenpolitischen Druck der Entente allerdings als Volksbefragung der politischen Parteien entschärft) konterkariert wurden, andere Sorgen als die Gewährung einer Ausfallsgarantie für die Salzburger Festspiele. Als sich die Christlichsozialen im steirischen Landtag einem Antrag der Großdeutschen zur Durchführung einer Anschlussabstimmung am 3. Juli anschlossen und damit unter dem Druck der öffentlichen Meinung die Schleusen der staatspolitischen Verantwortungslosigkeit öffneten, demissionierte Bundeskanzler Michael Mayr am 1. Juni und löste damit eine Staatskrise aus, die erst durch die Wahl von Johannes Schober an der Spitze eines von Christlichsozialen und Großdeutschen unterstütz43 Thimig-Reinhardt. S. 129.

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ten Beamtenkabinetts (vorläufig) gemeistert wurde.44 Es war nicht nur eine Staatskrise, sondern auch eine Krise der Christlichsozialen Partei, die in der Frage des Anschlusses gespalten war. Die östlichen Landesorganisationen sowie die Parteiführung auf Bundesebene standen mit ihrer reservierten bis ablehnenden Haltung in deutlichem Gegensatz zu den westlichen und südlichen Landesorganisationen (mit Ausnahme Kärntens), die sich vor allem mit dem Hinweis auf die ihrer Meinung nach ökonomischen Notwendigkeiten als engagierte Befürworter des Anschlusses erwiesen. Zu Recht erklärte Ignaz Seipel auf dem eine Woche nach dem Rücktritt Mayrs stattfindenden 2. Gesamtparteitag der Christlichsozialen im Sitzungssaal des Niederösterreichischen Landhauses, dass die Ländervertreter der eigenen Partei die Bemühungen des Bundeskanzlers und der christlichsozialen Abgeordneten zum Nationalrat, die Existenzkrise des Staates durch eine Finanzhilfe zu lösen, zunichte gemacht hätten. Man solle sich »klar machen, dass eine Partei eine solche Belastung ein anderes Mal nicht wieder verträgt«.45 Das Ansuchen der Salzburger Festspielhausgemeinde vom 4. Juni 1921 erfolgte somit nicht nur in einer Phase der sich massiv verschärfenden Finanzkrise, sondern auch in einer durch das Verhalten der Bundesländer Tirol, Salzburg und Steiermark ausgelösten Staatskrise. Dass unter diesen Auspizien eine positive Stellungnahme des Finanzministeriums erfolgen würde, war nicht zu erwarten. Am 16. Juni erfolgte die ablehnende Antwort, die eine völlige Umplanung des Festspielsommers 1921 erzwang. Die kostenintensiven Gastspiele der Wiener Staatsoper mussten gestrichen werden und wichen einem vom Mozarteum-Orchester – verstärkt mit Mitglie­dern des Staatsopernorchesters – gespielten und von Bernhard Paumgartner ­dirigierten Konzertprogramm. Dabei übernahm man das Programm der für die erste August­hälfte vom Mozarteum geplanten Mozartwoche. Das Salzburger Landestheater (Stadttheater) steuerte einen Ballettabend bei, während die im Mirabellgarten geplante Aufführung von Mozarts »Bastien und Bastienne« aufgrund technischer Probleme abgesagt werden musste. Die »Jedermann«-Aufführungen mussten ohne Kirchenglocken auskommen, da sich Fürsterzbischof Ignaz Rieder dem mit unüber44 Robert Kriechbaumer  : Zwischen Einmarschdrohung, Volksabstimmungen und Finanzkollaps. Politik im Schatten der Katastrophe. Die Regierung Michael Mayr 1920/21. – In  : Ders.; Wolfgang Müller, Erwin A. Schmidl (Hg.)  : Politik und Militär im 19. und 20. Jahrhundert. Österreichische und europäische Aspekte. Festschrift für Manfried Rauchensteiner. – Wien/Köln/Weimar 2017. S. 257–279 (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-HaslauerBibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 58). 45 Robert Kriechbaumer (Hg.)  : »Dieses Österreich retten.« Protokolle der Christlichsozialen Parteitage der Ersten Republik. – Wien/Köln/Weimar 2006. S. 158 (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 27).

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hörbar antisemitischen Tönen geäußerten Widerstand aus Teilen der Salzburger Be­ völkerung sowie auch aus innerkirchlichen Kreisen gebeugt hatte. Reinhardt schuf jedoch, gleichsam zum Ausgleich, eine neue faszinierende Aufführungspraxis durch die erste – technisch allerdings nicht ganz gelungene – Abendvorstellung. Diese in Salzburg vorgenommene Improvisation im Bereich des musikalischen Programms löste in der Festspielhausgemeinde ein Beben aus, als Richard Strauss in einem internen Rundschreiben die Leitung des Salzburger Zweigvereins massiv und Bernhard Paumgartner, den er nicht schätzte, indirekt angriff. In seinem Schreiben bot er als Alternative zu der in Salzburg getroffenen Entscheidung den Standpunkt »Alles oder Nichts« an. Es sei unerhört, dass ein Programm, das vom Kunstrat ge­ billigt worden sei, einfach abgesetzt und an dessen Stelle, ohne Kontaktaufnahme mit dem Kunstrat, teils minderwertige Dilettantenvorstellungen und Varietés auf­ genommen und – obwohl überhaupt nicht festspielwürdig – als Festspielprogramm verkauft wurden. Er habe keine Lust, als Protektor für den Kunstschwindel Paum­ gartners zu fungieren. In einem Schreiben an Schalk drohte er mit seinem Austritt aus dem Kunstrat, wenn nicht sofort eine klare künstlerische Kompetenzeinteilung erfolge. In einem weiteren Schreiben an Hofmannsthal bemerkte er, da die für die Festspiele benötigten Mittel nicht aufgetrieben werden konnten, hätte man auf de­ ren Durchführung generell verzichten müssen, um keinen Betrug an der Kunst zu begehen. Die heftige Reaktion von Strauss, die von Schalk geteilt wurde, illustriert die Spannungen und Rivalitäten innerhalb der beiden Zweigvereine der Festspiel­ hausgemeinde. In Salzburg fühlte man sich von Wien unverstanden, kolonisiert und weitgehend dominiert, während man in Wien Salzburg reinen Provinzialismus vor­ warf. In Salzburg konnte man sich jedoch eine Verärgerung oder gar einen drohen­ den Rückzug von Strauss nicht leisten, weshalb man bereits Mitte August auf seine Kritik reagierte und mit Zustimmung des Kunstrates das Programm des Festspiel­ sommers 1922 beschloss, in dem Strauss sowohl als Dirigent wie auch als Komponist prominent vertreten sein sollte. Um der Verärgerung des prominenten Komponisten Rechnung zu tragen, wurde in der 4. ordentlichen Generalversammlung in Salzburg am 16. August 1921 eine Änderung der Statuten beschlossen, die u. a. den Zweck des Vereins auch in der Veranstaltung von Festspielen vor Erbauung des Festspielhauses definierte.46 Dies implizierte im musikalischen Bereich den von Strauss und Schalk geforderten Anspruch höchster Qualität, dem durch die Mitwirkung der Wiener Philharmoniker und von Kräften der Wiener Staatsoper und ihrer Dirigenten ent­ sprochen werden sollte. Die Schlagzeilen der Presse wurden allerdings von der anhaltenden und sich ver­ schärfenden finanziellen und wirtschaftlichen Not dominiert. In seiner Regierungs­ erklärung vor dem Nationalrat hatte Bundeskanzler Johannes Schober am 22. Juni 46 Salzburger Volksblatt, 17. 8. 1921. S. 3.

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1921 auf die dringende Notwendigkeit der Lösung der Wirtschafts- und Finanzprobleme hingewiesen, die jedoch nur durch eine Sistierung des Generalpfandrechtes der Siegerstaaten, die als Sicherung für Kredite dienen sollten, möglich sei. Die Regierung werde in absehbarer Zeit »um die Ermächtigung bitten, die erwarteten internationalen Kredite sowie die auf deren Rechnung flüssig zu machenden Vorschüsse aus den dafür in Aussicht genommenen Einnahmequellen des Staates sicherzustellen«. Sie müsse »vor allem nur Gegenwartspolitik treiben  ; das reale Leben pocht mit Strenge an die Pforten Österreichs und unsere Bevölkerung (…) wartet ungeduldig auf eine Besserung der wirtschaftlichen Lage«.47 Am 9. Juli wies er im Auswärtigen Ausschuss des Nationalrats unter Bezugnahme auf die Anschluss-Abstimmungen in Tirol und Salzburg eindringlich darauf hin, dass »die in Angriff genommene Kreditaktion für unser Vaterland nicht durch Gesten« gestört werden solle, »die unter den tatsächlichen Verhältnissen nicht von Taten gefolgt sein können und die außerdem die Gefahr in sich bergen, es den Regierungen fremder Staaten mit Rücksicht auf die Volksstimmung in ihren eigenen Ländern unmöglich zu machen, in ihrer Absicht, uns zu helfen, fortzufahren«.48 Am 16. August meldete die »Neue Freie Presse«, dass die von der Regierung mit dem Finanzkomitee des Völkerbundes geführten Vorschussverhandlungen soweit gediehen seien, dass in Kürze die ersten Abmachungen über die Gewährung von Vorschusskrediten und die zu gewährenden Sicherheiten geschlossen werden können. London sei bereit, einen Vorschusskredit in der Höhe von fünf Millionen Pfund zu gewähren. »Diese fünf Millionen Pfund würden bedeuten, dass wir etwa achtzehn Milliarden Kronen nicht zu drucken brauchen und dass unser Defizit wegen der Einfuhr von Nahrungsmitteln in der nächsten Zeit keine katastrophale Steigerung erfahren wird. Wir haben seit Ende Juni und somit s e i t s i e b e n Wo c h e n e t w a s i e b e n M i l l i a r d e n K r o n e n g e d r u c k t , eine Milliarde in der Woche, und diese unerträglichen Verhältnisse müssten andauern, wenn wir weiterhin Lebensmittel auf dem Weltmarkte anschaffen und Kronen verkaufen müssen, um Devisen zu erhalten. Diese achtzehn Milliarden würden neuerdings unsere Währung zu Boden drücken, neuerdings würde der Antrieb zur Teuerung gegeben und zu allen anderen Verfallserscheinungen, welche die Inflation mit sich bringt.«49 47 ADÖ 4/548. 48 ADÖ 4/551. 49 Neue Freie Presse, 16. 8. 1921. S. 1. Am 9. September 1921 berichtete Finanzminister Jakob Grimm im Ministerrat über seine Verhandlungen in Paris, London und Genf und resümierte, »dass das von der österreichischen Regierung ausgearbeitete Finanz- und Sanierungsprogramm die ungeteilte Billigung gefunden habe und allgemein als Grundlage der weiteren Aktionen gutgeheißen werde. Insbesondere hätten die von der Regierung und vom Nationalrate ergriffenen energischen Maßnahmen zum Abbau der Defizite den besten Eindruck erweckt. An allen Stellen sei anerkannt worden, dass Österreich, soviel an ihm gelegen wäre,

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Unter diesen ungünstigen Rahmenbedingungen gewann der an sich ungeliebte Sommertourismus neuerlich an Attraktivität. Bereits Ende Februar 1921 berichtete die »Salzburger Chronik«, dass angesichts des bevorstehenden zweiten Festspielsommers mit einem nationalen und internationalen kunstsinnigen Publikum zu rechnen sei. »Der Fremdenverkehr ist die hauptsächliche Industrie, aus der die wirtschaftliche Erholung und Erhaltung Salzburgs erschlossen werden soll. Alle Einwendungen gegen den Fremdenverkehr werden von selbst verstummen, wenn es gelingt, die Interessen des Fremdenverkehres mit den Interessen speziell der aus dem Fremdenverkehre nicht unmittelbar Nutzen ziehenden Kreise in guten Einklang zu bringen. In dieser Hinsicht wird vor allem intensive Vorsorge in der Ernährungs- und Unterkunftsfrage zu treffen sein. Der ganze Bedarf des Fremdenverkehres an Lebensmitteln wird im Wege einer Wirtschaftsgenossenschaft ›W i r f r e i ‹, die jüngst gegründet wurde, beschafft werden, und es wird möglich sein, aus den aus dem Auslande beschafften Produkten erhebliche Zubußen zu ermäßigten Preisen dem einheimischen Konsumenten abzulassen.« Die Stadt Salzburg habe durch die Schließung zahlreicher Hotels und Gasthöfe infolge der Wirtschaftskrise rund 1.000 Fremdenbetten verloren, deren Zahl sich durch die Wiedereröffnung des Hotels de l’Europe auf 800 reduzierte. Um den nach wie vor bestehenden Fehlbedarf zu decken, sei es daher notwendig, »durch eine unterstützende Privataktion« diesen nach Möglichkeit zu beseitigen. »Der Landesverband für Fremdenverkehr in Salzburg tritt daher an die Öffentlichkeit mit dem Ersuchen heran, für kürzere oder längere Zeit für die Saison ein Zimmer der Fremdenbeherbergung zur Verfügung zu stellen. Daraus gewinnen doch so manche einen erheblichen Zuschuss zu ihrem Wohnungszins.«50 Der Salzburger Landtag fasste am 18. März 1921 über Antrag des christlichsozialen Abgeordneten Bartholomäus Hasenauer den Beschluss, den »Tourismusverkehr im Lande Salzburg (…) aufs wärmste« zu begrüßen. »Die Schulbehörden, besonders in den Städten und Industrieorten des Landes, werden angewiesen, ihn durch Aufklärungen auf jede Weise zu fördern. Das Land spricht grundsätzlich seine Bereitschaft aus, insofern es die Beschränktheit seiner Geldmittel erlaubt, an der Wiedergutmachung der im Kriege angerichteten Schäden auf dem Gebiete der Touristik bereits im Sommer 1921 das Seinige beizutragen. Das Landwirtschaftsamt wird beauftragt, schon jetzt dafür Sorge zu tragen, wie in den beiden vergangenen Jahren für Touristenherbergen und Unterkunftsstätten rechtzeitig verbilligte Lebensmittel zur Verfügung zu stellen.«51

der Verwirklichung des Sanierungsprogrammes vorgearbeitet hätte und beanspruchen könne, dass nunmehr auch die versprochene Kredithilfe des Auslandes tatsächlich einsetze« (ADÖ 4/571). 50 Salzburger Chronik, 26. 2. 1921. S. 4. 51 Salzburger Volksblatt, 21. 3. 1921. S. 5.

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Trotz aller Schwierigkeiten waren die Auspizien für den Festspielsommer 1922 günstiger als jene des Festspielsommers 1921. Das Programm war mit dem Kunstrat abgestimmt und versprach durch das Gastspiel der Wiener Staatsoper mit MozartOpern unter der Leitung von Richard Strauss und Franz Schalk, die auch die beiden Orchesterkonzerte im Mozarteum leiten sollten, hohe künstlerische Attraktivität und die damit verbundenen Einnahmen. Zudem hatte Richard Strauss aus seiner im Spätherbst 1921 durchgeführten Konzerttournee in den Vereinigten Staaten rund 4.000 Dollar für die Festspiele lukriert. Auch die Regierung Schober erwies sich im Bewusstsein der Umwegrentabilität der Festspiele großzügiger als die Vorgängerregie­ rung und sagte eine Subvention von 250.000 Kronen zu. Und die Baufälligkeit der von Fischer von Erlach im 17. Jahrhundert erbauten Kollegienkirche begünstigte das Vorhaben von Reinhardt, Hofmannsthals noch nicht finalisierte Bearbeitung von Calderón de la Barcas »Das große Welttheater«, der eigentliche dramatische Ausdruck des Salzburger Festspielgedankens,52 in der Kirche zur Uraufführung zu bringen. Bereits im Sommer 1921 hatte sich unter der Führung von Bürgermeister Josef Preis ein Komitee gebildet, das die dringend notwendige Renovierung der Kollegienkirche, die nicht aus den leeren Kassen der Stadt bestritten werden konnte, über die Veranstaltung von musikalischen Aufführungen zu finanzieren gedachte. Reinhardt registrierte dieses Vorhaben mit größtem Interesse, sah er doch in diesem einen Anknüpfungspunkt für sein Projekt der Inszenierung eines barocken Mysterienspiels in diesem einzigartigen sakral-barocken Ambiente. Er regte die Gründung eines Renovierungsfonds an, der durch die Einnahmen aus der Aufführungsserie des »Großen Welttheaters« gespeist werden sollte. Reinhardt suchte Egon Bahr im Schloss Arenberg auf, um dessen Meinung in Erfahrung zu bringen. Bahr zeigte sich begeistert von der Idee, und Hofmannsthal sandte das Manuskript an Erzbischof Rieder, der in einem Antwortschreiben Mitte Jänner 1922 dessen sprachliche Schönheit sowie Inhalt lobte. Es ging nun darum, die Einwilligung des Erzbischofs zur Idee Reinhardts, eine Aufführung des Stücks in der Kollegienkirche durchzuführen, zu erhalten, da mit dem Widerstand katholisch-konservativer Kreise gegen die Wahl des Aufführungsortes zu rechnen war. Am 6. Februar 1922 schrieb der Dichter an den Erzbischof, Reinhardt habe zu diesem Stück einen »guten, freudigen Willen. Wieder will er seine Arbeit daransetzen und keinen Heller nehmen, wie es auch ganz geziemend ist für den Schlossherrn von Leopoldskron, der soll schenken und nicht nehmen. Aber er hat mir dies gesagt  : ein Stück aufbauen im Freien wie dies Stück aufgebaut werden muss, in dreiwöchentlichen Proben, jede Gebärde, jede Betonung, und bei all diesen Proben und dann bei den Aufführungen der Nervenspannung und Angst vor dem Wetter ausgesetzt sein, immer die Regenwolke heraufziehen oder dahängen 52 Wolf  : Eine Triumphpforte österreichischer Kunst. S. 119.

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zu sehen – dem fühlt er sich und die Schauspieler nicht gewachsen. Es liegt in der Sache selbst, wie in jeder künstlerischen, viel Anspannung, ja Angst und Beklemmung – da darf nicht noch von außen etwas Ängstigendes dazu treten. Von den Räumen aber ist er, für dieses Spiel, der Reitschule ganz und gar abgeneigt und zwingen lässt er sich nicht, eben weil er Phantasiemensch ist – und vom Carabinierisaal gilt das gleiche wie von der Aula  : zu wenig Türen  ! (…) Dann kommt aber noch eines dazu, das Welttheater braucht schöne, alte, würdige Musik, Chöre, Bläser, und vor allem die Orgel, fast wie ein Oratorium muss Musik darin sein – wo könnte das so schön klingen, ja wo soll man überhaupt, außer in der Kirche und am Domplatz, dies ermöglichen  ? So wäre mein innigster Wunsch, ein paar (etwa fünf) Aufführungen, die ersten, entscheidenden, in der Kollegienkirche (und zu deren Restaurierung) dann aber, wenn das Werk steht, wie man in der Theatersprache sich ausdrückt, dann bei gutem Wetter und ein paar Male hinaus auf den Domplatz vor eine große Menge und abermals zu Gunsten der Restaurierung zu machen.«53 Als die Salzburger Festspielhausgemeinde fünf Wochen später dem Erzbischof einen Betrag von vier Millionen Kronen für die notwendigen Renovierungsarbeiten an der Kollegienkirche versprach, das Innen- und Unterrichtsministerium 4,3 Millionen Kronen an Subventionen zusicherte und Hofmannsthal von sich aus drei Millionen Kronen spendete, war die Entscheidung im Erzbischöflichen Palais zugunsten einer Aufführung des »Großen Welttheaters« gefallen. Es war wohl nicht so sehr die Begeisterung für den Stoff und dessen literarische Gestaltung durch Hofmannsthal, die Erzbischof Rieder zu einer positiven Reaktion veranlassten, sondern die Aussicht auf eine dringend notwendige Renovierung der Kollegienkirche, die die Erzdiözese zu diesem Zeitpunkt aus eigenen Mitteln nicht hätte bewältigen können. Diese Überlegungen überwanden auch die Bedenken über die zu erwartenden negativen Reaktionen aus konservativkatholischen Kreisen. Erzbischof Rieder antwortete am 27. März, die Renovierung der Bauschäden müsse finanziell gesichert sein, in unmittelbarer zeitlicher Verbindung mit der geplanten Aufführung des »Großen Welttheaters« stehen54 und die Aufführung sowie das gesamte Ensemble der Heiligkeit des Ortes entsprechen. Mit der Premiere von Hofmannsthals »Das Große Welttheater« am 13. August, dessen erster Entwurf im Jahr 1919 entstand und damit die epochale Zeitenwende miteinbezog, sie jedoch gleichzeitig in einen metaphysisch-religiösen Rahmen einschloss, erfolgte die Eröffnung des dritten Festspielsommers unter bedrückenden sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen. Diese passten durchaus zum Stück und dessen von Hofmannsthal vor dem Hintergrund des revolutionären Umbruchs 1918/19 hinzugefügter – nunmehr zentraler – Figur des Bettlers. 1923 bemerkte er, 53 Fuhrich, Dembski, Eder (Hg.)  : Ambivalenzen. S. 86. 54 Die Reparaturarbeiten begannen gleichzeitig mit dem Beginn der Proben am 20. Juli 1922.

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dieser sei »die Hauptfigur des Spieles und steht als Einzelner allen anderen gegenüber. An die Stelle des passiven resignierten Bettlers der alten Mysterien, des ›Armen‹ aus dem Evangelium, der von selbst, durch sein bloßes Schicksal zur Seligkeit auserwählt ist, in diesem Leben aber eigentlich nur ein Objekt ist, an welchem die Anderen geprüft werden, habe ich den aktiven Bettler gestellt, den Ausgeschlossenen, Enterbten, der seinen Platz unter denen begehrt, die geerbt haben, also eine Gestalt, wie sie mit solcher Deutlichkeit vielleicht nur im gegenwärtigen Augenblick gesehen werden konnte  : die Drohung des Chaos an die geordnete Welt«.55 Der Gegensatz zwischen Chaos und Ordnung wird im Stück durch die Person des Bettlers als zum Umsturz der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung bereiten Sozialrevolutionär und jener des Reichen als Repräsentanten des bürgerlichen Kapitalismus verkörpert und erhielt damit im Salzburg der Uraufführung den unmittelbaren Zeitbezug. Dass die Uraufführung in der Kollegienkirche (Universitätskirche) stattfand, deren enorme Errichtungskosten Ende des 18. Jahrhundert als unangebrachter Luxus kritisiert wurden und dessen Bausubstanz nunmehr vom Verfall bedroht war, verlieh ihr zusätzlichen symbolischen Charakter. Am 10. August 1922 bemerkte die »Salzburger Chronik«, es sei nunmehr Reisezeit in Österreich, »allerdings mehr für die Ausländer in Österreich als für Österreicher in ihrem Vaterlande. Die Fahrpreise, die für uns bald unerschwinglich sein werden, erscheinen für den valutastarken Fremden aus dem Westen als Pappen­stiel. Wo wir tausende von Kronen bezahlen, legt der Holländer nicht einmal einen halben Gulden, der Schweizer einen Franken, der Amerikaner einige Cents, der Engländer kaum einen Schilling aus«. Ähnlich verhalte es sich mit den Preisen in den Restaurants und Gaststätten.56 Die Differenzen zwischen den in das Land strömenden, mit den begehrten Devisen versehenen Fremden und den Einheimischen, vor allem den unter der galoppierenden Inflation besonders leidenden Fixbesoldeten und der – wenn auch etwas besser gestellten – Arbeiterschaft, waren besonders in der Stadt Salzburg zur Festspielzeit gravierend und führten bei vielen Einheimischen zu Protesthaltungen und Aversionen nicht nur gegen die Fremden, sondern auch gegen die Festspiele. Die »Salzburger Wacht« wies darauf hin, dass es bei den Römern den Spruch »Panem et circenses« gegeben habe. »Die Salzburger Bevölkerung verlangt gleichfalls zu den Festspielen, die jetzt abgehalten werden, das tägliche Brot. Die Festspiele verteuern der einheimischen Bevölkerung das tägliche Leben in unerhörter Weise. Wenn das tägliche Auskommen nicht gesichert ist, braucht die Bevölkerung auch keine Festspiele.«57 Die Teuerung habe in Salzburg vor allem aufgrund der Festspiele und des mit diesen verbundenen Ansturms von Fremden 55 Zit. bei Wolf  : Eine Triumphpforte österreichischer Kunst. S. 199f. 56 Salzburger Chronik, 10. 8. 1922. S. 1. 57 Ebda.

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ein bundesweites Rekordhoch erreicht und verunmögliche dadurch zunehmend dem Großteil der einheimischen Bevölkerung den Lebensunterhalt. Während man z. B. in Salzburg für ein Viertelkilo Kirschen 700 bis 800 Kronen bezahle, kaufe man diese im ebenfalls vom Fremdenverkehr stark frequentierten Hallstadt um 300 Kronen und in Wien um 150 bis 200 Kronen. Und die Preise am Wiener Grünmarkt lese jede Salzburger Hausfrau mit Neid. »Die Festspiele brachten in allem ein schreckliches Preistreiben.«58 Um den sich immer deutlicher und radikaler artikulierenden Unmut vor allem der Arbeiter- und Beamtenschaft zu kanalisieren, organisierten die im Salzburger Landtag vertretenen Parteien am 9. August eine Vorsprache ihrer Vertrauensmänner bei der Landesregierung, der sie ein Forderungspaket zur Linderung der ärgsten Not übergaben, wobei die Sozialdemokraten hinzufügten, dass im Falle seiner Nichterfüllung eine Absage der Festspiele erfolgen müsse. In einer Versammlung sozialdemokratischer Vertrauensmänner im Arbeiterheim erklärte der Nationalratsabgeordnete Josef Witternigg, dass es aufgrund der verzweifelten wirtschaftlichen und sozialen Lage in allen Betrieben gäre. »In jeder Familie gibt es einen Kampf zwischen Mann und Frau, da der Verdienst des Mannes nicht ausreicht zur Bestreitung der Kosten des Haushaltes. Ein ähnlicher Zustand herrscht überall, von Wien bis Vorarlberg. Bei uns in Salzburg ist es noch schlimmer als anderswo, da die Festspiele Zuzug aus allen Ländern der Welt gebracht haben, da ferner gerade hier seitens der Unternehmer den berechtigten Forderungen kein Verständnis entgegengebracht wird, daher macht sich die böse Folge des Freihandels mit seiner Preisanarchie und der Valutahausse hier doppelt fühlbar. (…). Das Brot, die Kartoffel, die Milch steigen von Woche zu Woche, Obst ist überhaupt nicht mehr zu kaufen.«59 Landeshauptmann-Stellvertreter Robert Preußler forderte eine »genaue Überwachung des Grünmarktes, die Differenzierung der Preise für Einheimische und Fremde in Gast- und Kaffeehäusern, die Überwachung der Viehmärkte durch die Arbeiterräte. Die Einschränkung der Ausfuhr von Butter und Käse, die Sicherung von Kartoffellieferungen aus Deutschland, das Verbot der Einfuhr von Luxusgütern, strenge Berücksichtigung der Konsumenten-Interessen in der Preisprüfungsstelle«. Abschließend wies Nationalrat Witternigg noch auf den (beabsichtigten) politisch kalmierenden Charakter der Vorsprache bei der Landesregierung sowie der abendlichen Vertrauensmännerversammlung hin, indem er vor unbedachten Handlungen warnte, »welche die demokratischen Freiheiten negieren und gar manche Errungenschaft unserer Zeit in Gefahr bringen könnten. Ein Aufmarsch könnte vielleicht die Gesetzgebung beeinflussen – eine Änderung der ökonomischen Verhältnisse bringt er nicht zuwege. Wir werden mit allem Nachdruck unsere Forderungen vertreten  ; aber der Partei ist es nicht würdig, Abruzzenpolitik zu betreiben. Ein unbesonne58 Ebda. 59 Ebda.

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nes Vorgehen gegen die Fremden könnte für unseren Staat die schwersten Folgen haben«.60 Angesichts der erregten Stimmung sah sich die Salzburger Festspielhausgemeinde zu einem kalmierenden Aufruf »An die Fremden« veranlasst, in dem sie darauf hinwies, dass »die ungeheure, unverschuldete Not unserer Ärmsten unserer Bevölkerung, die allen Schichten der Bevölkerung angehören«, sie zwinge, »an die Besucher unseres Festspiels eine herzliche und dringende Bitte zu richten  : Gedenket jener, die sich heute tatsächlich das tägliche Brot nicht mehr kaufen können. Gedenket ihrer bei Euren Mahlzeiten, bei jedem Einkaufe. Jede Gabe, die Euch Ehre macht, ist uns willkommen. Die Kanzlei der Festspielhausgemeinde, jeder Gasthof, alle Kaffee- und Gasthäuser sind bereit und berechtigt, auf unseren Listen Eure Gaben entgegenzunehmen. L o h n t d e n H u n g e r n d e n , was Euch Natur und Kunst in diesen Tagen aus vollen Händen bieten«.61 Am Vorabend der Festspieleröffnung erschien in der »Salzburger Chronik« ein Artikel unter dem Titel »Festspiele und Volksnot«, in dem einleitend die Feststellung getroffen wurde, es könne »beim besten Willen nicht behauptet« werden, »dass die heurigen Festspiele unter einem glücklichen Stern stehen. So sehr wir die grundsätzliche Idee, sagen wir den Festspielgedanken, an sich werten und hochschätzen, ebenso wenig können wir uns verhehlen, dass der Wirklichkeit, wie sie sich vor unseren Augen entfaltet, eine gewisse Unerträglichkeit anhaftet, die wenigstens zu mildern ernsteste Pflicht aller jener Stellen sein muss, denen irgendwelche Einflussnahme zukommt. Der Tatbestand ist, auf klare, nüchterne Formel gebracht, wie jedermann weiß und sieht, kurz folgender  : Auf der einen Seite eine ungeheure Prunkentfaltung, auf der anderen stündlich emporschnellende Verteuerung der lebenswichtigsten Dinge und damit immer furchtbarer fühlbare Verarmung der breiten Schichten«. Salzburg bilde als Festspielstadt in Österreich einen Sonderfall, der besonders darunter leide, dass die »völlige valutarische Schwächung, um nicht zu sagen, fast völlige wirtschaftliche Entnervung unseres Landes (…) einen mächtigen Zustrom von Fremden aus den Ländern mit aufgeblähter Valuta mit sich« bringe. Wenngleich man dies nicht völlig verhindern könne, so müsse aufgrund der verheerenden Folgen für die heimische Bevölkerung nach einer Lösung gesucht werden, wobei man sich allerdings dessen bewusst sein müsse, dass Salzburg Fremdenverkehrsstadt war und ist. Wenngleich man auf das Auftreten der in die Stadt vor allem zur Festspielzeit strömenden Gäste keinen Einfluss habe, so könne man doch verlangen, dass sie »jenen Takt, der nun einmal von Mensch zu Mensch bestehen muss, nicht außer Acht lassen, so60 Ebda., S. 2. 61 Salzburger Chronik, 11. 8. 1922. S. 5.

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dass uns wenigstens das Gefühl einer bewussten oder gewollten Provokation erspart bleibt. Und leider ist es uns verwehrt zu behaupten, dass dies nicht in vielen Fällen doch geschieht. Die soziale Umschichtung auch in den Ländern der Entente, der spindeldürre Kronenkurs ermöglicht es heute auch den gewissen anderen Elementen, in Österreich den Parvenü zu spielen, oft genug in einer Art, die empörend zu finden man wahrlich kein verbissener Marxist zu sein braucht. (…) Wir lassen nun die Frage offen, ob es taktisch klug ist, unter diesen Umständen, insolange die fast unvermeidbar erscheinenden Reibungen, die ein künstlich vermehrter Fremdenverkehr mit sich bringt, nicht auf ein Mindestmaß reduziert sind, Festspiele von so unerhörter Pracht und Glanz zu arrangieren. Wir tasten nicht im Geringsten die Idee als solche an. Wir geben nur der Überzeugung breitester Volksteile Raum, die den Widerspruch zwischen diesem festlichen Arrangement und der, man muss es sagen, dadurch mitbedingten Not, nicht zu fassen vermögen. (…) Denn es muss mit allem Nachdrucke ausgesprochen werden, dass nun einmal die wirtschaftliche Lage der ärmeren Volksschichten unerträglich gewachsen ist und mit jedem Tag unerträglicher wird. (…) Daraus lässt sich (…) die nicht anders als feindselig zu nennende Stimmung begreifen, die sich namentlich der wirtschaftlich gedrücktesten Schichten, des Proletariates, des Mittelstandes, der Festbesoldeten bemächtigt hat«.62 Am 21. September 1922 notierte Josef Redlich in sein Tagebuch  : »Die Preise sind ungeheuerlich. Mir ist es ein Rätsel, wie der Mittelstand noch leben kann.«63 Diese Stimmung kam in einem Leserbrief eines Lehrers an die »Salzburger Wacht« zum Ausdruck, in dem sich der Schreiber mit dem im Aufruf der Festspiel­ hausgemeinde verwendeten Begriff der »Ärmsten« beschäftigte, der die einheimische Bevölkerung zu ehrlosen Almosenempfängern degradiere. »Wer gehört zu diesen Ärmsten  ? Wohl jeder, der nicht Schiebergeschäfte treibt, sondern auf fixen Lohn angewiesen ist. Das Einkommen, das für zehn Tage reichen soll, reicht nicht für die Hälfte der Zeit, und dann –   ? Salzburg ist aber Festspielstadt  ! Eine Stadt, die den von allen Weltgegenden hergereisten Fremden Köstliches bietet, während der Bevölkerung, dass sie gerade nicht verhungern muss, ein paar Brocken hingeworfen werden. Seit wann leben wir von Almosen  ? Seit wann dürfen sich ›Auserwählte‹ das Recht des Genusses damit erkaufen, dass sie Notleidende, deren Not sie selbst verursachen, mit einem Pappenstiel zu besänftigen haben  ? – Kann die Not durch solche Spenden behoben werden  ? Nein, nie und nimmer. Die Verhältnisse werden nur immer unerträglicher werden, dass wissen sowohl die Fremden als auch jene, die dem Aufrufe zustimmen. (…) Wir müssen Selbstgefühl genug besitzen, um zu stolz zur Entgegennahme von Almosen dieser Art zu sein. Wir wollen für unsere A r b e i t 62 Salzburger Chronik, 12. 8. 1922. S. 1. 63 Fellner, Corradini (Hg.)  : Schicksalsjahre Österreichs. Bd. 2. S. 608.

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entsprechend entlohnt werden, so entlohnt, dass nicht Tag für Tag das Gespenst der Sorge um das tägliche Brot, im wahrsten Sinne des Wortes, einem über die Schulter blickt. Wenn es nicht anders möglich ist, ein Festspiel abzuhalten, dann mögen Veranstalter und Zuhörerschaft anderen Ortes die Einwohnerschaft beglücken. Es gibt ja valutastarke Länder – unter diesen Umständen kann bei uns hierfür kein Platz sein und unter diesen Umständen fehlt uns auch der Sinn dafür, dass Salzburg für die Abhaltung ›geschaffen‹ sei. Wer der Nutznießer von Festspielen ist, wissen wir. Sollen wir tatsächlich so großmütig sein, diese ihre Millionen einstreifen zu sehen, und uns freundlichst damit trösten zu lassen  ? Die Zeit wird wohl vorübergehen, ganz wird’s wohl nicht zum Verhungern werden. Sollen wir es uns wirklich bieten lassen, dass eine in der Gesamtheit verschwindende Gruppe, über Zehntausende hinweglächelnd, ›ihre‹ Festspiele genießt  ?«64 Das Unbehagen erfasste auch Befürworter und Propagandisten der Festspielidee wie Hermann Bahr, der im Frühjahr 1922 von Salzburg nach München übersiedelte. Am 8. April 1922 schrieb er an Josef Redlich  : »In ersten Jahr meiner Salzburger Periode war ich fünfzig Jahre, im ersten Jahr des Münchner Epilogs werde ich sechzig. Die Salzburger Zeit war wunderschön, dennoch wird mir der Abschied leicht  ; ich hoffte, Salzburg würde mir sterben zusehen, aber dass ich zusehen soll, wie Salzburg stirbt, darauf war ich nicht gefasst. Und von meinem Salzburg ist wirklich nichts übrig  : es ist dran, ein noch wüsteres Graz zu werden. Die Kreuzung Großdeutschsozialistischschieberisch ist zu arg.«65 Die Landesregierung reagierte auf das parteienübergreifende Forderungsprogramm bereits am 12. August und veröffentlichte nach Rücksprache mit der Bundes­ regierung eine Reihe von Maßnahmen, die einer weitgehenden Erfüllung der Forderungen entsprachen. Die Bundesregierung hatte der Forderung zugestimmt, dass alle in Salzburg getätigten Devisenzahlungen im Bundesland verblieben und zur Bezahlung von wichtigen Lebensmittelimporten durch das Land verwendet werden konnten. Butter, Eier und Käse erhielten keine Transportscheine mehr, eine schärfere Preisüberwachung auf dem Grün- und Viehmarkt wurde zugesichert, und Verhandlungen für die Abgabe von verbilligtem Fleisch sowie verbilligte Brotmehlzuteilung für die einheimische Bevölkerung wurden angekündigt.66 Die Situation beruhigte sich, und die Festspiele konnten stattfinden. Der Vorwurf, dass diese vor allem eine Veranstaltung für ein zahlungskräftiges Publikum seien, entsprach weder den Intentionen von Reinhardt und Hofmannsthal, noch entsprach er der Realität. So wurde »Das Große Welttheater« zwischen 13. und 24. August täglich gespielt, am 25. und 26. August wurden zwei zusätzliche Vorstellungen nur für das Salzburger Publikum gegeben und die beiden Generalproben ebenfalls für das einheimische 64 Salzburger Wacht, 11. 8. 1922. S. 4. 65 Fellner (Hg.)  : Dichter und Gelehrter. S. 473. 66 Salzburger Chronik, 13. 8. 1922. S. 6.

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Publikum geöffnet. Ebenso wurden alle Generalproben für Opern und Konzerte nur für das Salzburger Publikum geöffnet. Karl Kraus ging in seiner Kritik allerdings noch weiter und gab seiner Aversion gegen »die heilige Dreieinigkeit« Reinhardt, Hofmannsthal und Moissi, »zu deren Ehren auch wieder die Kirchenglocken läuten, die so lange nur als Mörser zu uns gesprochen haben«, freien Lauf. Seine beißende und über weite Strecken verletzende Kritik vereinte persönliche Antipathie gegenüber den Hauptakteuren, die sozialen Argumente der Salzburger Gegner der Festspiele, die innerkirchliche, vor allem von Katholisch-Konservativen getragene Ablehnung von Theateraufführungen im sakralen Raum sowie die Argumente der Gegner von Reinhardts Regiestil. »Wenn (…) an dieser Kirche, aus der Gott schon ausgetreten sein dürfte, bevor sie den Welttheateragenten ihre Kulissen und den Komödianten ihren Weihrauch zur Verfügung stellte, wenn an dieser Kirche noch etwas zu schänden war, so dürfte es doch jener Altar sein, der den Herren Reinhardt, Moissi und Hofmannsthal, diesen tribus parvis impostoribus als Versatzstück gedient hat, damit sie an ihm etwas verrichten, was ein blasphemischer Hohn ist auf alle Notdurft dieser Menschen. (…) Aber eine Kirche, deren guter Magen diesen Salzburger Sommer überstanden hat, wo an der Kirchenpforte, mit der kein Bühnentürl mehr konkurrieren könnte, sich statt der Bettler die Schmöcke gedrängt haben, eine Kirche, die derartige Gräuel mit sich geschehen ließ und schlimmere, als sie je getan, je geduldet und gesegnet hat, sie hat es verwirkt, dass man ihre Angelegenheiten, die sich in der Regel mit solchen des Herzens und des Gewissens gedeckt haben, noch mit Ehrfurcht unerörtert lasse oder mit Delikatesse erörtere.« Hofmannsthals »Das Große Welttheater« in der Regie von Reinhardt sei nichts anderes als die Verschmelzung von »Hochamt und Großmarkt« zu einer »Messe«, die »die Gelegenheit für Händler und Heiratsschwindler bedeutet«. Er, der vom Judentum zur katholischen Kirche übergetreten sei, trete nunmehr aus dieser aus, da sie zum Schaden der Vergangenheit und Gegenwart noch den Spott hinzugefügt habe, »indem sie sich herbeiließ, das große Welttheater der zum Himmel stinkenden Kontraste (…) in eigener Regie zu übernehmen und jenen Hofmannsthal aufs Repertoire zu setzen, der sich auf das Leid der Kreatur einen gottgefälligen Vers machen kann (…) Angesichts aller dieser Umstände und weil ein Hauch von Calderon in gleicher Weise dem Salzburger Hotelgeschäft wie der Wiener Literatur zugutekommt und weil es der Fürsterzbischof gewollt hat, dass Ehre sei Gott in der Höhe der Preise, sehe ich mich genötigt, aus der katholischen Kirche auszutreten.« Die katholische Kirche sei in Salzburg so weit herabgesunken, einen »elenden Theaterhandel mit Resteln von Gnade« zu effektuieren.« Und Max Reinhardt sei »der Zeremonienmeister einer freihändig offerierten Kultur (…), die um eine Renaissance des Barock sich die Valuta aus dem Leib schindet. Sein Expansionsdrang umfasst nun vom Zirkus bis zur Kirche alle Örtlichkeiten, in denen im Zusammenfließen von Publikum und Komparserie sich immer ein voller Saal imagi-

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nieren lässt und wo vor dem Rollenwechsel von Zuschauer und Akteur, Hanswurst und Priester allem Weltbetrug ein hohes Entree abzugewinnen ist«.67 Trotz aller Vorbehalte und teilweise schroffen Ablehnung durch die Salzburger Bevölkerung erwiesen sich die Festspiele, obwohl sie ein Defizit erwirtschafteten, als wirtschaftlicher und kultureller Erfolg für das Land. Inklusive der Ausgaben und Abgaben der viel gescholtenen Festspielbesucher aus dem Ausland flossen rund 560 Millionen Kronen der heimischen Wirtschaft zu. Die Aufführungen des »Großen Welttheaters« bilanzierten mit einem deutlichen Gewinn, während die Opernaufführungen im Landestheater aufgrund der beschränkten Platzzahl ein Defizit verursachten. Die damit offenkundige Bedeutung der Relation Aufführungen/Plätze für eine positive Bilanzierung oder zumindest eine hohe Eigendeckungsquote der Festspiele unterstrich die Wichtigkeit der Errichtung eines Festspielhauses mit einer entsprechenden Platzkapazität. Hans Poelzig, der sein ursprüngliches Projekt modifiziert hatte, wurde daher in der der offiziellen Grundsteinlegung am 19. August vorangehenden Direktoriumssitzung der Festspielhausgemeinde am 17. August offiziell mit der Durchführung des Projekts beauftragt. So großartig und faszinierend der Entwurf Poelzigs war, so sehr sich die Festspielhausgemeinde der Wichtigkeit eines Festspielhauses bewusst war und so sehr man sich auch um die dafür notwendigen finanziellen Mittel bemühte, so sehr kollidierten diese Pläne mit der Wirklichkeit. Kriege bewirken, vor allem wenn sie länger dauern, eine Überbeanspruchung des Bruttonationalprodukts mit inflationären Folgen, da der Staat durch seine hohe Nachfrage die Preiseentwicklung forciert und zudem seine Einkäufe durch die Inanspruchnahme der Notenpresse finanziert. Die dadurch entstehende und sich stets 67 Karl Kraus  : Vom großen Welttheater. – In  : Die Fackel, November 1922. S. 1–7. In derselben Nummer der »Fackel« publizierte Kraus den Artikel »Pressburgtheater«, in dem er ironisch und bissig auf die in der österreichischen und internationalen Kritik sowie im Feuilleton äußerst positiven Rezensionen über Reinhardts Regie des »Großen Welttheaters«, die ihm nicht nur die Fähigkeit zur Erweckung religiöser Gefühle attestierten, sondern in seiner Regiearbeit auch den Ausdruck tiefer persönlicher Religiosität sahen, reagierte. Reinhardt werde als »Entrückter« verherrlicht, »der seine Sendung erfüllt (…) In dem Drang, das Theater zur Andacht zu steigern, ward ihm der Auftrag, die Kirche zur Sensation herabzudrücken, und das geschah nicht etwa, weil die Seele dieser Menschheit um die Valuta ringt und aus deren tiefster Erniedrigung sich nach einer Hebung des Fremdenverkehrs verzehrt, und nicht, weil die Salzburger unersättlich sind, in immer neuen Menschen zu schwelgen«, sondern aus einer – gemutmaßten – unbewussten religiös motivierten theatralischen Überzeugung. Es sei daher höchste Zeit die Welt und die »Schar geweihter Schmöcke, die in diesem Sommer hinter ihm her waren«, aufzuklären, dass sie sich dessen bewusst werde, dass Reinhardt »Kunsterlösung« bedeute. Dies sei in diesem Festspielsommer in Salzburg geschehen. »Wie wäre es sonst auch möglich, dass der Theatermann, dem die Kirche die Ausstattung und die Presse den Weihrauch bestellt, in eine Glorie gerückt wird, die ihn geradezu als Erwecker und Erlöser wirksam zeigt. Denn kaum hatte Reinhardt seinen neuen Schauplatz betreten, so tat er auch schon Wunder« (ebda. S. 8–12. S. 11f.).

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verschärfende krisenhafte Entwicklung im Bereich der Ökonomie und des Finanzwesens nähert sich dem Szenario des drohenden völligen Zusammenbruchs, wenn die Kosten des Krieges nicht durch Reparationen auf den oder die Besiegten abgewälzt werden können, sondern man sich selber im Lager der Verlierer befindet. Im Fall Österreichs kam noch erschwerend hinzu, dass durch den Zerfall der Habsburgermonarchie auch die Einheitlichkeit und Interdependenz des Wirtschaftsgebietes verloren gingen, die Nachfolgestaaten die Krone abstempelten und Schutzzölle errichteten, die die von nunmehr (Auslands-)Importen abhängige österreichische Wirtschaft sowie die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung vor beinahe unlösbare Aufgaben stellten. Der kaum zu bewältigende Problemhaushalt wurde durch die weitere Inanspruchnahme der Notenpresse sowie eine permanente Ausweitung des Budgetdefizits gehandhabt. So betrug in der zweiten Jahreshälfte 1921 die Deckungsquote des Budgets, d. h. die Relation von Einnahmen zu Ausgaben, nur mehr 36 Prozent. Die Folge der permanenten Inanspruchnahme der Notenpresse und des chronischen Handelsbilanzdefizits war neben einem permanenten Verfall des Kronenwertes das Einsetzen von Spekulationen gegen die österreichische Währung, die sich ab Herbst 1921 im freien Fall und damit in einer sich abzeichnenden Phase der Hyperinflation befand. Betrug die Inflationsrate 1919 110 Prozent und 1920 80 Prozent, so schnellte sie bis September 1922 auf 9300 Prozent. War die Krone während des Krieges bis Oktober 1918 auf 1/16 ihres Vorkriegswertes gesunken, so waren es im Herbst 1922 nur mehr 1/14.400.68 Die Folgen für die Bewältigung des Alltags waren erheblich. Der Lebensmittelpreisindex stieg allein zwischen Mai und September 1922 von 1364 auf 14.153. Hatte man für einen Laib Brot im Dezember 1921 160 Kronen bezahlt, so kostete dieser im September 1922 5670 Kronen, der Preis für 1 kg Zucker stieg im selben Zeitraum von 800 auf 21.000 Kronen, jener für 1 kg Mehl von 334 auf 11.000 Kronen. Bei solchen Preissteigerungen konnte die Indexanpassung der Löhne nicht Schritt halten, sodass sowohl die Arbeiter wie die Festbesoldeten regelmäßig erhebliche Einkommenseinbußen hinnehmen mussten. So sehr die heftig diskutierten Gegenstrategien von Regierung und Sozialdemokratie differierten, in einem Punkt waren sich Regierung und Opposition einig  : 68 Zur Nachkriegsinflation vgl. Karl Bachinger  : Eine stabile Währung in einer instabilen Zeit – Der Schilling in der Ersten Republik. – In  : Ders., Dieter Stiefel, Herbert Matis, Felix Butschek  : Abschied vom Schilling. Eine österreichische Wirtschaftsgeschichte. – Graz/Wien/Köln 2001. S. 11–134. S. 39– 46  ; Fritz Weber  : Wirtschaft und Wirtschaftspolitik in der Ersten und Zweiten Republik. – In  : Erich Zöllner (Hg.)  : Österreichs Erste und Zweite Republik. Kontinuität und Wandel ihrer Strukturen und Probleme. – Wien 1985. S. 121–154. S. 133ff.; ders.: Zusammenbruch, Inflation und Hyperinflation. Zur politischen Ökonomie der Geldentwertung in Österreich 1918 bis 1922. – In  : Helmut Konrad, Wolfgang Maderthaner (Hg.)  : … der Rest ist Österreich. Das Werden der Ersten Republik. 2 Bde. – Wien 2008. Bd. 2. S. 7–32  ; Christian Suppanz  : Die österreichische Inflation 1918–1922. – IHS Studien Nr. 111. – Wien 1975.

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Ohne ausländische Anleihe konnte eine wirkungsvolle Sanierung nicht in Angriff genommen werden. Die Bemühungen um die Erlangung der so notwendigen ausländischen Kredite waren jedoch nicht von Erfolg gekrönt, lediglich Finanzhilfen, die zum kurzfristigen Leben von der Hand in den Mund reichten, wurden bewilligt. Die Frage der Lebensfähigkeit des Landes wurde nicht nur im Inland gestellt und von einem Großteil der Bevölkerung wie auch der politischen Eliten zunehmend bezweifelt, sondern auch von den Alliierten, die aber diesen Staat als »Rest« der Monarchie, wie Clemenceau sich ausdrückte, geschaffen hatten. Licht am Ende des Tunnels schien im April 1922 wahrnehmbar, als Bundeskanzler Johannes Schober auf der Konferenz zu Genua, die sich mit Fragen des europäischen Wiederaufbaus beschäftigte, erste Zugeständnisse im Bereich der ungelösten Pfandrechte sowie Zusagen über neuerliche Kredite erhielt. Schober, der an der Spitze eines Beamtenkabinetts stand, das von den Christlichsozialen und Großdeutschen im Nationalrat gestützt wurde, hatte jedoch in der Zwischenzeit die Unterstützung der Großdeutschen verloren und verfügte über keine parlamentarische Mehrheit mehr, weshalb er ein Kaiser ohne Land war und mangels der notwendigen parlamentarischen Unterstützung demissionierte. Ihm folgte am 31. Mai Ignaz Seipel, dem es gelungen war, die Großdeutschen zum Eintritt in eine von ihm geführte Koalitionsregierung zu bewegen. Die Bemühungen des neuen Bundeskanzlers um neuerliche Kredite und die beabsichtigte Gründung einer Notenbank als Hüterin einer (stabilen) Währung scheiterten jedoch im Sommer 1922 am Misstrauen der vorgesehenen Geberländer Frankreich, Italien und der Tschechoslowakei gegenüber der österreichischen Finanzpolitik. Die Folge war der völlige Vertrauensverlust in die Krone, der zu einem »Hexensabbat der Valutakurse« führte.69 Am 18. August stellte die »Arbeiter-Zeitung« besorgt die Frage »Wird das so weitergehen  ? Kann das so weitergehen  ?« Man habe erfahren, »dass vom 14. Juli bis 14. August die Teuerung um 124 Prozent zugenommen hat  ; wenn es so fortgeht, wie es sich seit dem 15. August anlässt, wird der nächste Index die Zahl, die uns so furchtbar erschreckt hat, noch beträchtlich übersteigen. Eine jede Woche muss der Brotpreis erhöht werden, und der Brotpreis ist allimmer der Ausdruck des Standes der gesamten Ernährung. (…) Überschaut man diese einfach ununterbrochene Teuerung, so hat man das Gefühl, es sei das letzte Zucken vor dem Ende  ; (…) So kann es also nicht weitergehen, wenn der Augenblick nicht kommen soll, da es überhaupt nicht geht.«70 Am folgenden Tag, dem Tag der Grundsteinlegung für das Salzburger Festspielhaus, fiel die Krone auf ein Fünfzehntausendstel ihres Vorkriegswertes. Dies veranlasste die »Arbeiter-Zeitung« zu der Feststellung, dass die österreichischen Einkommen innerhalb von zwei Tagen auf die Hälfte gesunken 69 Bachinger  : Eine stabile Währung in einer stabilen Zeit – Der Schilling in der Ersten Republik. S. 39. 70 AZ, 18. 8. 1922. S. 1.

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seien. »Was nützen da alle Anstrengungen, alle Berechnungen, wenn sich das Geld in der Hand der Menschen Tag um Tag verflüchtigt  ! (…) Das können die Menschen auf die Dauer nicht aushalten und so fragt jeder bekümmerten Herzens, wohin das führen soll. Denn das Furchtbare ist das r a s e n d e Te m p o , in dem sich nun die Geldentwertung vollzieht – so wie die Schnelligkeit des fallenden Körpers mit dem Ende immer mehr zunimmt. Nehmen wir die Kurse vom 1. Juni zum Vergleich (…) An dem Tag nun, da die Regierung Seipel gewählt wurde, stand der Dollar auf 11.000 Kronen, heute mussten für den Dollar 74.000 Kronen gezahlt werden. Das englische Pfund ist in diesen zweieinhalb Monaten von 49.525 auf 335.000 gestiegen (…) Niemand kann den Ernst dieser Situation missverstehen  ; wir nähern uns mit furchtbarer Schnelligkeit dem Augenblick, wo das papierene Kartenhaus zusammenfällt und die bedruckten Scheine das, was man Wert nennt, überhaupt verlieren.«71 Am 25. August 1922, vier Tage vor dem Ende der Festspiele, bei denen man an diesem Abend im Landestheater Mozarts »Die Entführung aus dem Serail« unter der Leitung von Franz Schalk gab, berichtete die »Salzburger Wacht« von einem sich beschleunigenden »Hexensabbat der Teuerung«. Aus dem vom Bundesamt für Statistik errechneten Index ergebe sich, dass zwischen dem 15. Juli und dem 15. August »gerade die wichtigsten Lebensmittel von Tag zu Tag weiter gestiegen« sind. »Das Rindfleisch wurde von dem statistischen Amte noch mit 11.500 Kronen bewertet, heute kostet es ca. 14.000, 15.000, 20.000, ja sogar bis 34.000 Kronen, Schweineschmalz von 23.000 Kronen auf 32.000 Kronen (…) Denselben Höllentanz der Preise wie bei den Lebensmitteln finden wir auf allen anderen Gebieten. Es steigen die Preise für Bekleidungsartikel fast von Tag zu Tag. Da auf der Schuhbörse bessere Schuhe nun bis zu 250.000 Kronen kosten, sind Schuhe von mittlerer Güte in den Geschäften kaum unter 150.000 bis 200.000 Kronen erhältlich. (…) Eine leichte Flanelldecke, die noch im Juli 1921 für 1200 bis 2000 Kronen in Wien verkauft wurde, ist nun mit mehr als 100.000 Kronen angeschrieben. (…) Wie hoch heute der Hausbesitz eingewertet wird, darüber gibt uns ein Inserat im christlichsozialen ›Linzer Volksblatt‹ Aufschluss  : ›Schönes, zweistöckiges Haus in Linz, im besten Bauzustand (gebaut 1906/07), ist Umstände wegen sofort um 120.000 tschechische Kronen zu verkaufen. (…)‹ 120.000 tschechische Kronen, das sind etwa 266 Millionen österreichische Kro­ nen.«72 Angesichts der sich ständig verschlechternden Ernährungslage sowie der Ungewissheit über die Bereitschaft der Siegermächte, die benötigten Kredite für eine 71 AZ, 19. 8.1 922. S. 1. 72 Salzburger Wacht, 25. 8. 1922. S. 1.

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Stabilisierung der Währung und der damit verbundenen wirtschaftlichen Erholung zu gewähren, stand vor allem die Sozialdemokratie vor einer schwierigen Situation. Einerseits musste sie – im Bund in Opposition und die Politik von Bundeskanzler Ignaz Seipel ablehnend, im Land Salzburg in der Regierung – auf die zunehmende Erregung der Parteibasis durch politische Symbolakte mit Ventilfunktion reagieren, andererseits jedoch auch vor dem Ausbruch von Gewalt warnen, da dies die Lage nicht verbessern, sondern nur verschlechtern würde.73 Am 28. August überreichte eine Delegation sozialdemokratischer Vertrauensmänner der Salzburger Landes­ regierung einen Forderungskatalog, wobei sie kalmierend darauf hinwiesen, dass sie sich durchaus der Grenze der Macht der Landesregierung und der Ohnmacht der Bundesregierung in der Frage einer ausländischen Kredithilfe bewusst seien. Zweck der Aktion sei daher, der Bevölkerung darüber Auskunft und die Gewissheit zu geben, dass ihre Interessen mit allem Nachdruck von der Landesregierung vertreten werden. In dem insgesamt sieben Punkte umfassenden Forderungskatalog wurde darauf hingewiesen, dass die von den Vertretern der Arbeiterschaft im Vorfeld der Festspiele geforderte Preisdifferenzierung in Gaststätten und Geschäften zwischen Einheimischen und Fremden von den Vertretern des Handels, der Hoteliers und der Handelskammer mit dem Argument der Unmöglichkeit und Schädlichkeit für die Gesamtsaison abgelehnt wurde. Nunmehr werden »der Fremdenverkehr im Allgemeinen wie die Festspiele im Besonderen (…) auch von der bürgerlichen Presse als nicht nützlich für unsere Volkswirtschaft und als äußerst schädlich für die Konsumenten des Inlandes bezeichnet. Auch wir behaupten dies und waren daher stets für eine Differenzierung der Preise. (…) Ist der Fremdenverkehr nicht nützlich für Volk und Volkswirtschaft, dann verlangen wir baldigste Aufhebung der Fremdensaison. Es kann dies bis 3. September ohne Panik geschehen. Die während des so verkürzten Fremdenverkehrs notwendigen schärfsten Maß­ regeln der Preiskontrolle am Viehmarkte, in Gasthäusern, Kaufläden usw., soweit dies Einheimische betrifft, wird für sofort einsetzend gefordert. Der Zwang zur Preisdifferenzierung gegenüber Einheimischen müsste sofort in Kraft treten«.74 Da die Festspiele und damit die Hauptattraktion der Sommersaison am 29. August endeten, konnte die Landesregierung, die um eine Kalmierung der auch publizistisch mitverursachten hochgehenden Wogen aufgrund existenzieller Not bemüht war, der Forderung nach einer vorzeitigen Beendigung der Fremdenverkehrssaison zum 3. September relativ leicht entsprechen.

73 Vgl. Genossen und Genossinnen  ! – In  : Salzburger Wacht, 28. 8. 1922. S. 1f. 74 Salzburger Wacht, 28. 8. 1922. S. 3f.; vgl. dazu auch Salzburger Wacht, 29. 8. 1922. S. 3.

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In dieser äußerst angespannten und krisenhaften Situation, in der die staatliche und individuelle Existenz der Bewohner auf dem Spiel stand, fanden in Salzburg nicht nur Festspiele statt, sondern erfolgte auch die Grundsteinlegung für ein Festspielhaus. Die »Arbeiter-Zeitung« bemerkte am Vorabend der Grundsteinlegung, diese werde wohl »nur aus ein paar Reden bestehen (…)  ; aber auch so ist die Sache ein Spiegel der Auffassungen, die in so vielen Kreisen in Österreich herrschen und nicht auszurotten sind. Ein solches Festspielhaus würde heute natürlich Milliar­ den verschlingen  ; woher sollen die kommen  ? Die Stadt Salzburg ist nicht einmal imstande gewesen, das alte und ausgezeichnete Mozarteum zu erhalten  ; es musste verstaatlicht werden. (…) die Stadt ist natürlich nicht imstande, das Festspielhaus zu bauen  ; aber auch wenn sie es könnte, dürfte sie es nicht, da man jetzt weiß Gott andere und dringendere Sorgen hat. Mittelst Spenden, in der weiten Welt gesammelt, es zu bauen  ? Aber die Vorstellung, dass den Leuten in der Welt ein Festspielhaus in Salzburg am Herzen liegt, ist doch einfach kindisch. Dann erwäge man aber auch, was es bedeuten würde, für Milliarden ein Festspielhaus aufzurichten, das bestenfalls vierzehn Tage im Jahre – und das unter Begleitumständen, wie sie schon heuer sichtbar wurden – in Benützung stünde, denn für ihre eigenen künstlerischen Bedürfnisse hat die Stadt Lokale und Gelegenheit genug. Würde man das alles erwägen, was doch die dringende Not zu erwägen gebietet, so hätte man natürlich den Plan, der gefasst wurde, als er, vielleicht, noch möglich war, längst aufgegeben und sich von dem Umstand, dass ein ausgezeichneter reichsdeutscher Architekt schon den zweiten Entwurf ausgearbeitet hat, natürlich nicht beirren lassen. Aber die Vorstellung, dass sich Österreich irgend ein Ding, wenn man ihm nur die Etikette Kunst aufdrückt, nicht versagen müsse, steckt so tief in den Köpfen der Leute, dass sie es wahrscheinlich als Banausentum zurückweisen werden, wenn man ihnen beweist, dass man sich auch das Schöne versagen muss, wenn man dafür kein Geld hat«.75 Dementsprechend berichtete die »Salzburger Wacht« nicht von der Grundsteinlegung in Hellbrunn, sondern übernahm lediglich die Meldung der »Arbeiter-Zeitung«. Stattdessen dominierte die Schlagzeilen und die Berichterstattung das vom 19. bis 21. August in Salzburg stattfindende »Internationale Treffen der proletarischen Arbeiterjugend«, bei dem es »auf dem Salzburger Residenzplatz zu einem R ü t l i s c h w u r zur Wiederaufrichtung der Sozialistischen Internationale« kommen werde.76 Anlässlich die75 AZ, 18. 8. 1922. S. 3. 76 Die Kurzbezeichnung »Internationale« stammt von der 1864 gegründeten »Internationalen Arbeiter­ assoziation« (IAA), die auch als Erste Internationale bezeichnet wird. Sie wurde von englischen Gewerkschaftern und französischen Revolutionären in London gegründet. Sie zerbrach 1871 am Streit zwischen Karl Marx und den Anhängern Proudhons sowie den Anarchisten Michael Bakunins und wurde 1876 endgültig aufgelöst. Ihr folgte die 1889 in Paris gegründete Zweite Internationale als Vereinigung sozialdemokratischer Parteien. Die überwiegend patriotische Haltung der einzelnen Parteien zu Beginn des Ersten Welt-

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ses Treffens werde es zudem zu einer anderen Art von Gundsteinlegung in Form einer Gedenktafel kommen. Da August Bebel77 in seiner Jugend als Handwerksbursche nach Salzburg kam und hier als Drechsler arbeitete, werde zur Erinnerung daran, wo damals Bebel arbeitete, eine Gedenktafel angebracht werden. »Die Tafel wird am ersten Schwibbogen des Schatzdurchhauses in der Getreidegasse, dessen Besitzer Drechslermeister Schatz die Einwilligung hierzu gegeben hat, angebracht werden.«78 Mit Ausnahme des Bundespräsidenten wusste keiner der am 19. August 1922 in Hellbrunn Versammelten, dass sich in Wien ein Mann, der neun Jahre in Salzburg gewirkt und hier sein vielleicht wichtigstes Werk geschrieben hatte, in dem er auch

krieges, die sich der Kriegspropaganda und der allgemeinen Stimmung in ihren jeweiligen Ländern nicht widersetzten, sondern einen Burgfrieden mit den Regierungen schlossen, führten zu ihrer Auflösung 1914. Eine nach dem Ersten Weltkrieg geplante Neugründung scheiterte und führte schließlich zu einer Ersatzlösung in Form der 1923 in Hamburg gegründeten Sozialistischen Arbeiterinternationale als Vereinigung europäischer sozialdemokratischer Parteien. Sie ging während des Zweiten Weltkrieges unter und wurde durch die 1951 in Frankfurt am Main gegründete Sozialistische Internationale (SI) ersetzt. Die Dritte Internationale oder Kommunistische Internationale (Komintern) wurde auf Initiative von Lenin 1919 in Moskau gegründet, der der Zweiten Internationalen ihr völliges Versagen bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges vorwarf. Sie wurde in den 1920er-Jahren zunehmend bolschewisiert und geriet unter Stalin völlig unter den Einfluss Moskaus, als dessen internationale Exekutivorganisation und Einflussinstrument sie fungierte. 1943 löste sie Stalin als Zugeständnis an seine westlichen Verbündeten auf. Die Vierte Internationale (Trotzkistische Internationale) wurde 1938 als Reaktion auf den Stalinismus und die Moskauer Schauprozesse von Leo Trotzki gegründet und hatte einen kurzfristigen Einfluss auf die linke Opposition innerhalb der kommunistischen Parteien, verlor jedoch bereits zu Beginn der 1940er-Jahre durch innere Streitigkeiten an Bedeutung und versank wenig später in der Bedeutungslosigkeit. Vor allem im Austromarxismus bestand in der Zwischenkriegszeit die Sehnsucht nach einer Vereinigung der Zweiten Internationale/Sozialistischen Arbeiterinternationale mit der Dritten Internationale, die Otto Bauer in der Emigration mit seiner Theorie vom Integralen Sozialismus entwickelte. 77 Ferdinand August Bebel (1840–1913) war einer der profiliertesten Begründer der deutschen Sozialdemokratie, für die er sowohl als Parlamentarier wie auch als Autor wirkte. Er arbeitete eng mit Karl Liebknecht zusammen, mit dem er 1869 die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) gründete, die sich 1875 mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) vereinigte. Ab 1892 war er bis zu seinem Tod einer der beiden Vorsitzenden der Partei (neben Paul Singer bzw. Hugo Haase). In ärmlichen Verhältnissen als Sohn eines Unteroffiziers geboren, musste er, obwohl begabt, nach dem baldigen Tod seiner Eltern seine Hoffnung auf ein Bergbaustudium aufgeben und lernte von 1854 bis 1857 in Wetzlar das Drechselhandwerk, bildete sich jedoch nebenbei ständig weiter. Nach der Beendigung der Lehre trat er 1858 seine Gesellenwanderung an, die ihn nach Freiburg im Breisgau, Regensburg, München und Salzburg führte. 78 Salzburger Wacht, 19. 8. 1922. S. 1.

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Gedanken formulierte, die in die Ideologie der Salzburger Festspiele Eingang finden sollten, entschlossen hatte, unter hohem persönlichen Einsatz den Gordischen Knoten zu durchschlagen. Nachdem alle Bemühungen um eine Kredithilfe gescheitert waren und damit der endgültige finanzpolitische Kollaps drohte, vollzog Bundeskanzler Ignaz Seipel eine entscheidende Wende in der österreichischen Politik gegenüber den infrage kommenden europäischen Kreditgebern. Man müsse, so der Kanzler im Ministerrat am 17. August, aus der passiven in eine aktive Rolle wechseln und das Problem Österreich nicht mehr als rein finanzielle, sondern als politische Frage, d. h. als Frage der Stabilität der mitteleuropäischen Nachkriegsordnung, vermitteln.79 Am 19. August empfing der Bundeskanzler die Vertreter der Entente, um sie über die Lage Österreichs sowie seine bevorstehenden Schritte zu informieren.80 Nach letzten Besprechungen mit Mitgliedern des Kabinetts, seinem Amtsvorgänger Johannes Schober und sozialdemokratischen Spitzenpolitikern im Bundeskanzleramt am 20. August brach Seipel in Begleitung von Finanzminister August Segur zu seiner letztlich so erfolgreichen Reise nach Prag, Berlin und Verona auf, auf der er vor allem politische Argumente für die Notwendigkeit einer koordinierten Kreditaktion zur Stabilisierung Österreichs als wichtigen Bestandteil der mitteleuropäischen Ordnungwarb81 und den Grundstein für die schließlich erfolgte Kredithilfe in Form der Genfer Protokolle vom 4. Oktober und damit zur Stabilisierung der Währung legte.82 Ignaz Seipel, die in dieser Krisenzeit dominierende politische Persönlichkeit, war zwischen 1908 und 1917 Professor an der Theologischen Fakultät in Salzburg. Die 1622 gegründete Alma Mater Paridiana war 1810 im Zuge der Angliederung Salzburgs an Bayern geschlossen worden. Die Bemühungen um die Wiedererrichtung der Universität waren im 19. Jahrhundert nur insofern erfolgreich, als 1850 die Theologische Fakultät wiedererrichtet wurde, die im Jahr 1908 über zehn Professoren verfügte und an der Seipel Vorlesungen über Moraltheologie, christliche Ge-

79 Friedrich Rennhofer  : Ignaz Seipel. Mensch und Staatsmann. Eine biographische Dokumentation. – Wien/Köln/Graz 1978. S. 302 (= Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek, Band 2.)  ; ADÖ 4/689. 80 Salzburger Volksblatt, 21. 8. 1922. S. 1  ; Salzburger Chronik 22. 8. 1922. S. 1. 81 In einem Interview mit der »Neuen Freien Presse« erklärte Seipel  : »Der Zweck der Reise sind Besprechungen mit den führenden Staatsmännern jener Nachbarländer Österreichs, die für das z e n t r a l ­ e u r o p ä i s c h e P r o b l e m von besonderer Bedeutung sind. Es handelt sich erstens darum, ob diese Staatsmänner der Meinung sind, es sei jetzt der Zeitpunkt für die Aufrollung der mitteleuropäischen Frage gekommen, sei es, dass die Mächte selbst sie aufrollen wollen, oder dass etwa d i e Ve r h ä l t n i s s e e s g e b i e t e r i s c h v e r l a n g e n « (Neue Freie Presse, 21. 8. 1922. S. 1). 82 Gottlieb Ladner  : Seipel als Überwinder der Staatskrise vom Sommer 1922. Zur Geschichte der Entstehung der Genfer Protokolle vom 4. Oktober 1922. – Wien/Graz 1964  ; Klemens von Klemperer  : Ignaz Seipel. Staatsmann einer Krisenzeit. – Graz/Wien/Köln 1976. S. 155ff.; ADÖ 4/693, 4/702, 4/704, 4/705, 4/706, 4/707.

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sellschaftslehre und Grundzüge der Wirtschaftslehre hielt. Der 1876 in Wien geborene Theologe war noch vor seinem Wechsel nach Salzburg in Wien zum Direktor der Leo-Gesellschaft ernannt worden und gründete während seiner Salzburger Zeit 1912 auch einen Zweigverein in Salzburg, der 14-tägige Zusammenkünfte im Hotel »Wolf Dietrich« abhielt, an denen ein keineswegs provinzieller F ­ reundes- und Bekanntenkreis Seipels teilnahm, wie z. B. Richard von Kralik, Hermann Bahr, der Seipel bewunderte, Friedrich Wilhelm Foerster und Heinrich Lammasch. Lammasch, international angesehener Experte auf dem Gebiet des Straf- und Völkerrechts, Mitglied des Internationalen Schiedsgerichts in Den Haag und Ratgeber Franz Ferdinands, hatte sich 1914 aus Gesundheitsgründen in die Nähe Salzburgs zurückgezogen und widmete sich hier religiösen und politischen Fragen. Vor allem in seiner Auseinandersetzung mit politischen Fragen lehnte er die zunehmende Tendenz zum Nationalismus und Fanatismus ab und verstand sich als Repräsentant der übernationalen österreichischen Idee. In diesem Punkt traf er sich mit Seipel, der sich vor allem während des Ersten Weltkrieges gegen den sich immer deutlicher artikulierenden irredentistischen Natio­nalismus der nicht-deutschen Nationalitäten innerhalb der Habsburgermonarchie ebenso wandte wie gegen den übertriebenen Deutschnationalismus, die dem Katholizismus wiedersprachen. 1915 erschien sein Werk »Nation und Staat«, in dem er den Wert der übernationalen Tradition Österreichs betonte und darauf hinwies, dass sie sich in diesem Bereich mit der Sendung der katholischen Kirche decke. Und vor allem wandte er sich gegen die Gleichsetzung von Nation und Staat, lehnte diese mit dem Hinweis auf die ethnischen Verhältnisse in der Habsburgermonarchie sowie auf das Christentum, das sich der »Rassenmischung« erfreue und daher eo ipso ein Friedenswerk sei, ab. Die Vielzahl von Nationen in einem Staat müsse sich keineswegs als Belastung für den Staat erweisen, sondern könne sich für diesen sogar als Vorteil herausstellen und ihn zu ungeahnten Höhen emporheben. Bei seinem Plädoyer für die übernationale Habsburgermonarchie verwendete er Argumente, derer sich wenig später die geistigen Gründungsväter der Salzburger Festspiele, vor allem Hugo von Hofmannsthal, bedienen sollten. Übernationale Reiche wie Österreich-Ungarn hätten vor allem »den hohen Wert, Kulturbrücke (…) zu sein. Die Kultur der Menschheit verlangt nach Ausgleich. Keine Nation hat rein aus sich eine Kultur geschaffen  ; jede bedurfte der vielfältigen Anregungen durch andere. (…) Tatsächlich sind auch wir Deutsche nicht auf einer Kulturhöhe, dass wir die vielen Anregungen vonseiten anderer Nationen nicht mehr brauchten. (…) Wahr ist, dass heutzutage weniger als je eine Nation ohne die Kulturhilfe der fremden nationalen Traditionen und wohl auch dessen, was in diesen Nationen erst noch die Zukunft zum Leben erwecken wird, ihre Sendung erfüllen kann. Abschließen hieße also Stillstand, Stillstand ist aber Tod. Gott hat es in seiner Vorsehung weise eingerichtet, dass neben den Nationalstaaten auch übernationale

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wurden …«83 Und  : »Wahrlich, es muss, soll die Menschheitskultur nicht in eine rückläufige Bewegung geraten, auch solche Staaten geben, die die Brücke bilden von einer Nation zur anderen, die in ihrem Schoß viele Nationen versammeln, auf dass sie, einander verstehen und lieben lernend, sich gegenseitig zu höheren Idealen erziehen als dem bloß nationalen  ! Und ein solcher Staat ist Österreich. Auf dieser Erkenntnis vor allem beruht unserer besonderer ö s t e r r e i c h i s c h e r P a t r i o t i s m u s .«84 Dieser gründe in der Überzeugung, dass es im Zeitalter eines sich verengenden Nationalismus auch Repräsentanten einer älteren und höheren Staatsidee geben müsse, die in der völkerverbindenden Tradition des Römischen Imperiums und des mittelalterlichen Kaisertums stehen.

83 Ignaz Seipel  : Nation und Staat. – Wien/Leipzig 1915. S. 94f. 84 Seipel  : Nation und Staat. S. 17.

II. Präludium 2 Die Krisenjahre 1923/24 und das drohende vorzeitige Ende der Festspielidee

Helene Thimig berichtet, Reinhardt habe beim Verlassen der Feierlichkeiten zur Grundsteinlegung für das Festspielhaus in Hellbrunn zu Hofmannsthal und ihr bemerkt  : »So, das kommt niemals zustande.«1 Angesichts der Zeitumstände müsse man einen anderen Weg, jenen des Improvisierens und der kleinen Schritte, gehen. Nicht das Ideal eines großen Festspielhauses auf der grünen Wiese dürfe den Mittelpunkt aller Bestrebungen bilden, sondern das Mögliche. Und dieses sei mit der Winterreitschule in der Hofstallgasse machbar, mitten in der Stadt. Diese Alternative hatte zudem den Vorteil, dass sie dem Ideal der Stadt als Bühne viel eher entsprach als ein Festspielhaus außerhalb der Stadt. Der Umbau der Winterreitschule sollte die Möglichkeit bieten, den »Jedermann« und andere Stücke auch bei Regen aufzuführen. In der Direktoriumssitzung der Festspielhausgemeinde am 24. November 1922 rückte angesichts der Hyperinflation die Realisierung des Festspielhausbaus in Hellbrunn in weite Ferne. Man musste den Realitäten Rechnung tragen und sah in der Winterreitschule, die nach den Vorstellungen von Max Reinhardt für Vorstellungen umgebaut werden sollte, eine machbare Zwischenlösung. Das Areal in der Hofstallgasse befand sich zu diesem Zeitpunkt allerdings im Besitz des Bundesheeres. Ein erster Schritt in Richtung Festspielbezirk erfolgte zu Jahresbeginn 1923 durch einen Tausch der im Besitz des Bundesheeres sich befindenden Hofstallkaserne gegen die Riedenburgkaserne, die sich im Besitz der Stadt Salzburg befand. Dabei musste sich allerdings die Stadtgemeinde zu denkmalschützerischen Maßnahmen im Komplex der Hofstallkaserne, vor allem der Erhaltung des 1690 vom Michael Rottmayr und Christoph Lederwasch gestalteten Deckengemäldes in der Winterreitschule, der Marmorbrüstungen und des Marmorbrunnens, verpflichten. Umbauarbeiten in dem Gebäudekomplex konnten nur im Einvernehmen mit dem Bundes- bzw. Landesdenkmalamt erfolgen.2 Während über dem Grundstein für das Festspielhaus in Hellbrunn allmählich das Unkraut wucherte, waren auch die Bemühungen um die Zwischenlösung in der Hofstallgasse nicht von Erfolg gekrönt, sondern schliefen – ein Opfer der vereinsinternen Probleme, persönlichen Rivalitäten und Animositäten sowie der reservierten bis ablehnenden Haltung der 1 Adler  : … aber vergessen Sie nicht die chinesischen Nachtigallen. S. 105. 2 Edda Fuhrich, Gisela Prossnitz  : Die Salzburger Festspiele. Ihre Geschichte in Daten, Zeitzeugnissen und Bildern. Band 1 1920–1945. – Salzburg/Wien 1990. S. 44.

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Salzburger Bevölkerung – ein, ehe sie 1925 unter kräftiger Mithilfe des (noch) im Hintergrund agierenden Salzburger Landeshauptmanns Franz Rehrl zu neuem Leben erweckt wurden.

II.1 Die Vergeblichkeit der Assimilation durch Kunst und Wissenschaft. Manifestationen des Antisemitismus in den frühen Zwanzigerjahren Am 24. November 1922, dem Tag der Direktoriumssitzung des F ­ estspielhausfonds, gingen die innenpolitischen Wogen hoch. Die Auseinandersetzung zwischen der Regierung und der Sozialdemokratie um die Annahme der Genfer Protokolle (Wiederaufbaugesetz) erreichte anlässlich der zweiten Lesung im Nationalrat einen neuen emotionalen Höhepunkt, als Karl Renner im Namen seiner Partei der Regierungsvorlage eine Absage erteilte und sie einen gefährlichen Anschlag auf die Unabhängigkeit des Landes und den Anschlussgedanken bezeichnete.3 Die Heftigkeit der innenpolitischen Kontroverse und deren Auswirkungen auf die Zukunft des Landes dominierten die innenpolitische Berichterstattung der Tagespresse, die die Direktoriumssitzung des Festspielhausfonds mit keinem Wort erwähnte. Dabei schien auch hier nach längeren heftigen vereinsinternen Kontroversen eine Entscheidung von historischer Tragweite zu fallen, als Richard Strauss einstimmig zum Präsidenten und damit zum Nachfolger von Alexander Prinz Thurn und Taxis gewählt wurde. Der scheidende Präsident hatte angesichts der heftigen Streitereien, denen er letztlich ohnmächtig gegenüberstand, resigniert, weshalb man eine starke Führungspersönlichkeit suchte, die über eine entsprechende Reputation bei allen Konfliktparteien verfügte und zudem ein entsprechendes künstlerisches Renommee bei den bevorstehenden Verhandlungen über die Gestaltung der Festspiele sowie den angestrebten Umbau des Gebäudekomplexes in der Hofstallgasse in die Waagschale werfen konnte. Strauss sträubte sich zunächst gegen die ihm angebotene Präsidentschaft mit zwei Argumenten, einem inoffiziellen und einem offiziellen. Das inoffizielle Argument betraf seine künstlerischen und finanziellen Ambitionen. Als international gefragter Komponist und Dirigent war er vor allem gewillt, die mit Devisen honorierten lukrativen Auslandsengagements wahrzunehmen, die ihn von einer notwendigen regelmäßigen Anwesenheit in Österreich und Salzburg abhielten. Ebenso argwöhnte er eine zu starke Inanspruchnahme durch administrative und vereinsinterne Aufgaben, vor allem zwischen den verschiedenen Interessengruppen ständig kalmierend vermitteln zu müssen. Offiziell ließ er verlauten, er habe gehört, Reinhardt sei tief gekränkt, dass man ihm diese Funktion nicht angeboten habe. Er 3 Neue Freie Presse, 25. 11. 1922. S. 6.

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wolle sich daher nicht vordrängen. Am 4. September schrieb Hugo von Hofmannsthal an Richard Strauss jenen bekannten und viel zitierten Brief, in dem er, nicht zuletzt aufgrund seiner in den letzten Jahren gemachten Erfahrungen, darauf hinwies, dass vor allem die Mitglieder des Salzburger Vereins aufgrund ihrer mentalen, von Ressentiments und Vorurteilen geprägten provinziellen Verfasstheit, Reinhardt nie in diese Funktion wählen würden. »Reinhardt zum Präsidenten nehmen diese Spießbürger nie  : sie hassen ihn, hassen ihn drei- und vierfach, als Juden, als Schlossherrn, als Künstler und einsamen Menschen, den sie nicht begreifen.«4 Stefan Zweig schrieb in seiner Autobiographie unter Bezugnahme vor allem auf das Wiener Judentum der späten Habsburgermonarchie, die »Anpassung an das Milieu des Volkes oder des Landes, inmitten dessen sie wohnen«, sei für Juden nicht nur ein Schutzmechanismus, »sondern ein tief innerliches Bedürfnis«. Es entspreche dem Grundbedürfnis nach Beheimatung, Ruhe und Sicherheit. Diese Verbindung mit der Kultur der Umwelt habe sich nirgends so glücklich und fruchtbar verwirklicht wie in der späten Habsburgermonarchie, vor allem in deren Haupt- und Residenzstadt. »Seit mehr als zweihundert Jahren eingesessen in der Kaiserstadt, begegneten die Juden hier einem leichtlebigen, zur Konzilianz geneigten Volke, dem unter dieser schönen lockeren Form derselbe Instinkt für geistige und ästhetische Werte, wie sie ihnen selbst so wichtig waren, innewohnte.«5 Nachdem die traditionellen Förderer von Kunst und Wissenschaft, der Adel und der Hof, aus der so wichtigen Funktion als Förderer weitgehend ausgeschieden waren, fanden sie in der Wahrnehmung dieser Aufgabe eine besondere Herausforderung, die zur Leidenschaft wurde. Kunst und Wissenschaft der späten Habsburgermonarchie wurden zur Leidenschaft des Judentums, das sich mit diesem multinationalen Staatsgebilde und seiner Monarchie immer mehr identifizierte, dessen zahlreiche Kulturschaffende und Wissenschafter deutsch und österreichisch dachten, k. k. Bürger wurden und den Verlust dieser neuen Beheimatung 1918 umso mehr bedauerten. Die Idee der Salzburger Festspiele, wie sie Hofmannsthal und Reinhardt entwarfen, war auch ein Versuch, auf dem Gebiet der Kultur das Verlorene wieder zu beschwören und vielleicht auch in die Gegenwart und Zukunft zu retten. Diese Identifikation mit der multinationalen Habsburgermonarchie und ihrer Kultur kollidierte jedoch seit den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zunehmend mit der sich entwickelnden politischen Kultur, vor allem in den cisleithanischen deutschsprachigen Gebieten des Vielvölkerreiches. Ernst Hanisch hat darauf hingewiesen, dass Feindstereotypien seit der späten Habsburgermonarchie die politische Kultur des Landes prägten, »die Antiklerikalen, Liberalen, Schönerianer, Sozialdemokraten und die Feinde aller Feinde, die Gottesmörder, die Juden. Jede 4 Fuhrich, Prossnitz  : Die Salzburger Festspiele. Band 1. S. 42. 5 Zweig  : Die Welt von Gestern. S. 27.

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historische Analyse muss davon ausgehen, dass die österreichische Volkskultur in ihrer Tiefenstruktur antijüdisch gezeichnet ist«.6 Jedoch nicht nur die Volkskultur war antijüdisch geprägt, sondern in zunehmendem Ausmaß auch die Reihen des Bürgertums, dem der Antisemitismus im »Talar der akademischen Respektabilität« begegnete und als akademischer Antisemitismus auf dem Weg der studentischen Verbindungen in den bereits vor der Jahrhundertwende durch eine folgenreiche Veränderung der prägenden Normen der studentischen Lebenswelten – von liberal-demokratisch zu national-antisemitisch/rassistisch – zunehmend Eingang in vor allem mittel- und kleinbürgerliche Schichten fand.7 Die Ablehnung Reinhardts durch Teile der Salzburger Festspielhausgemeinde und vor allem durch die Salzburger Bevölkerung war kein Salzburger Spezifikum.8 Reinhardt, der dem Wiener Theaterpublikum durch zahlreiche Gastspiele bekannt war, wurde auch in Wien bei seinem Bestreben um die Leitung des Burgtheaters zurückgewiesen. Es war seine Intention, in Wien mit einer Theaterintendanz Fuß zu fassen, wobei sich die Möglichkeit ergab, dieses ambitionierte Vorhaben mit dem aus öffentlichen Mitteln subventionierten Burgtheater, der neben der Staatsoper zweitwichtigsten österreichischen Kulturinstitution, zu realisieren. In Hugo von Hofmannsthal fand er dabei einen engagierten Fürsprecher. Hofmannsthal hatte, wie bereits erwähnt, im September 1918 mit Reinhardt ein Konzept entwickelt, das beiden einen entscheidenden Einfluss auf die Salzburger Festspiele ermöglichen sollte, und für diesen Plan Leopold von Andrian-Werburg gewonnen, den Kaiser Karl I. am 18. Juli 1918 zum Generalintendanten der Hoftheater auf Vorschlag Hofmannsthals ernannt hatte. Die Intervention Hofmannsthals für Andrian-Werburg hatte vor allem bei Hermann Bahr Verärgerung ausgelöst, der am 1. Mai 1918 an Josef Redlich schrieb, Hofmannsthal habe »keine andere Sorge als eine Verschwörung anzuzetteln, durch die mein lieber Freund Poldi Andrian zum Intendanten der Hoftheater gemacht werden soll.« Er bewundere und liebe Andrian-Werburg und halte ihn »zu großen Dingen in Österreich berufen«, doch sei er »für die Theaterspielerei zu gut« und »zu dieser Stellung am wenigsten geeignet«.9 Obwohl Andrian-Werburg nach seiner Ernennung zum Generalintendanten der Hoftheater ein Dreierkollegium mit der Führung des 6 Ernst Hanisch  : Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert. – Wien 1994. S. 31. 7 Peter G. J. Pulzer  : Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867–1914. – Gütersloh 1966. S. 197ff. 8 Zum Antisemitismus im Salzburg der Zwischenkriegszeit vgl. Gert Kerschbaumer  : Festspielstadt Salzburg  : weltoffen und antisemitisch. – In  : Gertrude Enderle-Burcel, Ilse Reiter-Zatloukal (Hg.)  : Antisemitismus in Österreich 1933–1938. – Wien/Köln/Weimar 2018. S. 931–941. In unmittelbarer Nähe des Festspielbezirks, Sankt Peter Stiege 5/II, befand sich der Sitz des »Antisemitenbundes« mit nationalsozialistischen, deutschnationalen und christlichsozialen Mitgliedern. 9 Fellner  : Dichter und Gelehrter. S. 333.

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Burgtheaters beauftragte, dem neben dem Schriftsteller Robert Michel als Vertreter der Generalintendanz und Max Devrient als Vertreter des Regiekollegiums auch Hermann Bahr als erster Dramaturg angehörte, blieb das Verhältnis von Bahr zu Hofmannsthal und in weiterer Folge auch zu Reinhardt distanziert bis feindlich. Bahr zeigte sich vor allem auch gegenüber Andrian-Werburg wenig kooperativ, vor allem als dieser den Plan äußerte, Max Reinhardt mit Regieaufgaben am Burgtheater zu betrauen. Der Generalintendant erkannte bald, dass die Betrauung eines Dreierkollegiums mit der Leitung des Burgtheaters ein Fehler war und beklagte sich besonders über das unkooperative Verhalten Bahrs. Am 25. Oktober 1918 notierte Josef Redlich in sein Tagebuch, er habe eine längere Unterhaltung mit Hofmannsthal über Bahr geführt, »deren betrüblicher Inhalt war  : Bahr intrigiert gegen Reinhardt und Andrian, er führt bloße Theaterpolitik, versagt als Regisseur, spricht Unwahrheiten (…) Da eröffnet sich ein trauriger Ausblick  !«10 Ende Oktober 1918 resignierte AndrianWerburg und schlug noch vor seinem Rückzug die Betrauung von Robert Michel mit der Leitung des Burgtheaters vor, scheiterte jedoch mit diesem Ansinnen am massiven Widerstand Hermann Bahrs. In dieser schwierigen Situation schlug Michel den Berliner Regisseur und Schauspieler Albert Heine als Leiter des Burgtheaters vor, der auch am 1. November bestellt wurde und diese Funktion bis 31. Jänner 1921 ausübte. Heine agierte in der Phase der wirtschaftlichen Not und angesichts der hohen Kosten des Theaters mit dem Rücken zur Wand, weshalb er während seiner Direktionszeit zweimal ein Rücktrittsgesuch einreichte. Um die Einnahmen zu erhöhen, plante er das Engagement Max Reinhardts für zwei oder drei Inszenierungen. Dieser reagierte prinzipiell positiv, wies jedoch darauf hin, dass er einen Teil seines Berliner Ensembles mitzubringen gedenke. Heine empfahl noch unmittelbar vor seiner endgültigen Demission mit Blick auf die erhofften Einnahmen der nunmehrigen Staatstheater-Verwaltung, Reinhardt mit einem Teil seines Ensembles für Aufführungen des Burgtheaters zu engagieren. Die positive Antwort erfolgte rund eine Woche später, wobei darauf hingewiesen wurde, dass man dem Projekt mit Blick auf die erhofften Mehreinnahmen und damit die Verringerung des Defizits des Burgtheaters zustimme. Ferner sollte man auch an eine Vergabe der Redoutensäle, die für Veranstaltungen mit Gewinn geeignet wären, denken. Reinhardt folgte jedoch der Einladung mit der Begründung nicht, dass die gewünschte ausschließliche Beschäftigung von Kräften des Burgtheaters ein intensives persönliches Kennenlernen voraussetze, bevor man eine entsprechende Auswahl der Stücke inklusive deren Besetzung vornehmen könne. Dafür sei jedoch angesichts der fortgeschrittenen Spielzeit nicht mehr die notwendige Zeit vorhanden, weshalb er vorschlage, seine Tätigkeit in die kommende Spielzeit zu verlagern.11 10 Fellner, Corradini (Hg.)  : Schicksalsjahre Österreichs. Bd. 2. 456. 11 Julia Danielczyk, Birgit Peter  : Zufluchtsort Theater. Theaterstadt Wien 1918 bis 1920. – In  : Konrad, Maderthaner (Hg.)  : … der Rest ist Österreich. Band 2. S. 197–216. S. 209.

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Nach dem endgültigen Ausscheiden Albert Heines war die Funktion des Burgthea­ ters vakant und Max Reinhardt ein Kandidat, unterstützt von Leopold von AndrianWerburg und Hugo von Hofmannsthal. Doch Reinhardt, der in seinen um 1940 in den USA begonnenen autobiographischen Aufzeichnungen schrieb, er sei gleichsam »auf der vierten Galerie des Burgtheaters geboren« und »dort genährt (für 40 Kronen altösterreichischer Währung pro Abend) worden mit den reichen Kunstmitteln des Kaiserlich-Königlichen Instituts«,12 stand auf verlorenem Posten. Seine Art, Theater zu machen, stieß in Wien, vor allem bei der Wiener Presse und erheblichen Teilen der Kunstszene, nicht jedoch beim Publikum, auf Ablehnung. Vor allem auch der Großteil des Ensembles des Burgtheaters sprach sich gegen Reinhardt und für seinen Konkurrenten Anton Wildgans aus, der die Nachfolge Heines antrat und bis 31. Juli 1922 das Burgtheater leitete. Bei ihm stieß das Angebot Reinhardts, in der kommenden Spielsaison zwei oder drei Inszenierungen zu übernehmen, auf taube Ohren. Wildgans lehnte die Theaterphilosophie Reinhardts als Berliner Effekttheater eines Sensationskünstlers ab, wobei er sich vor allem auf die auch in Wien kontrovers diskutierten Masseninszenierungen, das Umfunktionieren von Hallen und (Zirkus-) Arenen in Theaterräume, wie sie Wien 1911 mit der Hofmannsthal-Bearbeitung von Sophokles’ »König Ödipus«, 1912 mit Hofmannsthals »Jedermann« und Karl Vollmoellers »Das Mirakel« in der Rotunde erlebt hatte, bezog. Vor allem Vollmoellers »Das Mirakel« mit 1.500 Komparsen und 150 Orchestermitgliedern für mögliche 9.000 Besucher war von einem Großteil der Kritik als Verselbständigung der Regie am Rande der Selbstauflösung alles Theatralischen mit überwiegend negativen Zensuren bedacht worden. Ebenso auf Ablehnung war der Versuch Heines gestoßen, das Burgtheater sowohl im Spielplan wie auch in der Gestaltung des Bühnenbilds, z. B. durch Alfred Roller, in einer Auseinandersetzung mit der Moderne zu positionieren. Dies widerspreche einem Nationaltheater, das sich vor allem dem Österreichertum und seiner Tradition, so das Argument der Gegner, zu widmen habe und keineswegs der Ort einer internationalen zeitgenössischen Theaterkunst sei. Wildgans erfüllte diese Aufforderung, die auch seiner Auffassung, ebenso wie jener von Hermann Bahr, entsprach. Das Burgtheater war in diesem Verständnis der Ort des identitätsstiftenden Österreich-Mythos. In der 1926 erschienenen Festschrift über 150 Jahre Burgtheater bemerkte Bahr  : »Mythos war das Burgtheater von Anfang an, mythisch zu wirken ist sein Sinn. (…) Mythos ist sozusagen ein Zukunftsraum der Vergangenheit. (…) das Burgtheater entstand als tröstende Mahnung an die mythische Kraft, die sich in unserer Geschichte stets von neuem bewährt hat. (…) Diesen Mythos immer von neuem durch Zeichen höchster Art zu beglaubigen und zu bekräftigen, ist der alte sich immer von neuem verjüngende Sinn des Burgtheaters und je reiner, je treuer 12 Edda Fuhrich-Leisler  : Max Reinhardt und Wien. – In  : Traum und Wirklichkeit. Wien 1870–1930. 2. Aufl. – Wien 1985. S. 660–663. S. 660.

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die Direktion ihn erfüllt, desto würdiger zeigt sie sich in ihrer hohen Sendung …«13 In diesem Theaterverständnis war für eine Theaterkunst à la Reinhardt kein Platz. Reinhardt war zudem Jude, war nicht, wie Gustav Mahler, trotz seiner Nähe zum Katholizismus, zum Katholizismus konvertiert. Dass ihm die Leitung des Burgtheaters verwehrt blieb, lag nicht nur an grundsätzlich künstlerischen Differenzen, sondern auch an dem Umstand, dass er Jude war, es auch im Theater antisemitische Polemiken gegen den zersetzenden und angeblich omnipräsenten Einfluss des Judentums sowohl im Bereich der Theaterleitungen wie auch der Schauspieler gab und die Wogen des Antisemitismus zu dieser Zeit in Wien hoch gingen. Stefan Zweig warf im ersten Kapitel seiner Erinnerungen mit der Überschrift »Die Welt der Sicherheit« einen wehmütigen Blick zurück auf die Kultur Wiens in der späten Habsburgermonarchie und auf das Burgtheater. »In kaum einer Stadt Europas war (…) der Drang zum Kulturellen so leidenschaftlich wie in Wien.« In der k. k. Haupt- und Residenzstadt waren auf einzigartige Weise im Laufe der Geschichte »alle Ströme europäischer Kultur zusammengeflossen  ; am Hof, im Adel, im Volk war das Deutsche dem Slawischen, dem Ungarischen, dem Spanischen, dem Italienischen, dem Französischen, dem Flandrischen im Blut verbunden, und es war das eigentliche Genie dieser Stadt der Musik, all diese Kontraste harmonisch aufzulösen in ein Neues und Eigenartiges, in das Österreichische, in das Wienerische. Aufnahmewillig und mit einem besonderen Sinn für Empfänglichkeit begabt, zog diese Stadt die disparatesten Kräfte an sich, entspannte, lockerte, begütigte sie  ; es war lind, hier zu leben, in dieser Atmosphäre geistiger Konzilianz, und unbewusst wurde jeder Bürger dieser Stadt zum Übernationalen, zum Kosmopolitischen, zum Weltbürger erzogen«. Der Blick des Wiener Bürgers in die Zeitung galt vor allem »dem Repertoire des Theaters, das eine für andere Städte kaum begreifliche Wichtigkeit im öffentlichen Leben einnahm. Denn das kaiserliche Theater, das Burgtheater war für den Wiener, für den Öster­ reicher, mehr als eine bloße Bühne, auf der Schauspieler Theaterstücke spielten  ; es war der Mikrokosmos, der den Makrokosmos spiegelte, der bunte Widerschein, in dem sich die Gesellschaft selbst betrachtete, der einzig richtige ›cortigiano‹ des guten Geschmacks. An dem Hofschauspieler sah der Zuschauer vorbildlich, wie man sich kleidete, wie man in ein Zimmer trat, wie man konversierte (…) dieser fast religiöse Personenkult ging so weit, dass er sich sogar auf seine Umwelt übertrug  ; der Friseur Sonnenthals, der Fiaker von Josef Kainz waren Respektspersonen, die man heimlich beneidete«.14 Der jüdische Schauspieler Adolph von Sonnenthal galt nicht nur als einer der absoluten Fixsterne am Wiener Theaterhimmel und als stilbildend für die noble Wiener Gesellschaft, sondern auch als Paradebeispiel für die Integra13 Danielczyk, Peter  : Zufluchtsort Theater. S. 211f. 14 Zweig  : Die Welt von Gestern. S. 22ff.

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tion des jüdischen Bürgertums in die österreichische Gesellschaft. Sein Tod 1909 wurde im Theaterfeuilleton als Ende einer Ära wahrgenommen. Dabei war Sonnenthal bekennender und praktizierender Jude, war aktives Mitglied der Wiener jüdischen Gemeinde und interpretierte berühmte jüdische Theaterfiguren wie Nathan oder Shylock jenseits der – im Falle Shylocks – oftmals antisemitischen Klischees. Es gab jedoch auch eine andere Theaterwelt, die sich im 1898 von Adam MüllerGuttenbrunn gegründeten Kaiserjubiläums-Stadttheater, der heutigen Volksoper, manifestierte. Dieses Theater sollte »keinem jüdischen Einfluss zugänglich« sein, »keine jüdischen Schauspieler (…) engagieren und das Werk keines Juden zur Aufführung bringen«, so die programmatisch-ideologische Erklärung Müller-Guttenbrunns. Diese richtete sich gegen Regisseure wie Max Reinhardt, dessen Arbeit als oberflächlich, zirkushaft und zersetzend betrachtet wurde.15 Doch der Versuch eines »arischen« Theaters scheiterte an der fehlenden Bereitschaft von Autoren und Schauspieler/innen, sich für dieses Theater engagieren zu lassen, dem weitgehenden Desinteresse der Presse und am mangelnden Publikumsinteresse. Bereits 1903 folgte die Insolvenz und erst die folgende Direktion unter der Leitung von Rainer Simons setzte unter dem Namen »Volksoper« auf eine erfolgreiche Mischung aus Oper und Operette.16 In einer Phase der wirtschaftlichen und politischen Instabilität verfolgte Reinhardt, der sich im Oktober 1920 von der Leitung des Deutschen Theaters in Berlin zurückgezogen und die Intendanz an seinen engen Mitarbeiter Felix Hollaender übergeben hatte, den Plan der Übernahme einer Theaterdirektion in Wien, wobei seine Ambitionen zunächst dem Burgtheater als staatlich subventionierter Bühne galten. Obwohl diese Pläne am Widerstand seiner Gegner scheiterten, gab er seine Pläne, ein Theater in Wien zu leiten, nicht auf und zeigte, als ihm dafür die Möglichkeit geboten wurde, im Herbst 1922 im Redoutensaal der Wiener Hofburg mit seinem Berliner Ensemble vier Inszenierungen17 als programmatische Visitenkarte seiner beabsichtigten künftigen Wiener Theaterarbeit. Sie wurden vom Publikum und der Kritik äußerst positiv aufgenommen. Die Kritik des »Neuen Wiener Journals« bemerkte unter Anspielung auf die Ablehnung Reinhardts im Burgtheater  : »Die Leute, die selbst nichts wissen, können, jedes Gewäsch bloß nachzureden pflegen (oder es aus eigenem beisteuern) – sie haben gegen Max Reinhardt gewöhnlich das Schlagwort vom ›Ausstattungskünstler‹ zur Hand. Wie vor dem leibhaftigen Gottseibeiuns

15 Birgit Peter  : Antisemitismus und Theater. Über Stereotypisierungen und Widerstand. – In  : EnderleBurcel, Reiter-Zatloukal (Hg.)  : Antisemitismus in Österreich 1933–1938. S. 443–450. S. 445. 16 Friedrich Langer  : Vielseitige Theaterstadt. – In  : Wien 1870–1930. Traum und Wirklichkeit. – Salzburg/Wien 1984. S. 240–245. S. 245. 17 Johann Wolfgang Goethes »Clavigo« und »Stella«, Pedro Calderons »Dame Kobold« in der Bearbeitung Hugo von Hofmannsthals und Etienne Reys »Schöne Frauen«.

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schlug man extra noch drei Kreuze, so oft sein Name im Zusammenhang mit dem Burgtheater genannt wurde. Seine ganze ›Art‹, so sagte man, passe da nicht hinein, wo Tradition, alte schauspielerische Kultur einen eigenen Stil, eine eigene Atmosphäre geschaffen haben. Mir san mir. Aber wie es schon so geht bei richtigen Künstlern  : man ist bei ihnen vor richtigen Überraschungen nie sicher. Ich stelle mir vor, dass die Platzagenten der Regie, der Schauspielerei und der unentwegten Rezension jetzt ein herzlich dummes Gesicht machen müssen. Man hat drei Reinhardt-Abende vor sich gehabt, drei Abende mit Stücken, bei denen von ›Ausstattung‹ nichts zu sehen war, die nur auf sich selbst gestellt wurden, auf ihr eigenes Gesetz, auf ihre eigene innere Melodie. Und erst leise, dann immer stärker und nun ganz stark stellt sich Überraschung ein  : das ist ja bestes Burgtheater, natürlich altes Burgtheater, das ist ja fast verloren gegangen, feine, unbeschwerte sublime Kunstübung, diese letzte Politesse eines Theaterabends, der nur um seiner selbst willen da ist, da wurde jenes geheimnisvolle Etwas zum Tönen gebracht und ein entschwindender Klang wieder eingefangen  !«18 Die positive Publikumsresonanz und die durchwegs begeisterten Kritiken veranlassten Hugo von Hofmannsthal, für Reinhardt als Regisseur eine engere Bindung an das Burgtheater zu erreichen. Sein Versuch scheiterte jedoch an den nach wie vor bestehenden Ressentiments gegen ihn. Reinhardts Traum von einem eigenen Theater in Wien war jenseits einer subventionierten Bühne angesichts der bedrückenden wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen kaum realisierbar. Sein Blick war auf das desolate Josefstädter Theater gefallen, dessen Besitzer Leopold von Singer allerdings finanzielle Forderungen stellte, die er nicht erfüllen konnte. Er hatte als Abschluss seiner Wiener Visitenkarte im Dezember 1922 eine Inszenierung von Henri-René Lenormands »Namenlosen« in der Übersetzung von Berta Zuckerkandl, der Tragödie einer gestrandeten Schauspielertruppe, geplant, die ihn persönlich sehr berührte. Da eine Aufführung im Josefstädter Theater nicht möglich war, musste eine Ersatzlösung gefunden werden, und Reinhardt fand sie im Deutschen Volkstheater. Die Aufführung, bei der er erstmals mit Oskar Strnad als Bühnenbildner zusammenarbeitete, wurde von der Kritik gefeiert. Die rasche Abfolge der (Bühnen-)Bilder halte »Reinhardt in der Hand, formt sie mit einer so ungewöhnlichen, bewunderungswürdigen Kraft der Einfühlung ins Lebendige um, gibt ihnen so viel Farbe und Ton, dass dieses kleine Drama zu jenem künstlerischen Erlebnis wird, das diesem schon lange ausgehöhlten und abgenützten Begriff zu einem neuen Inhalt verhilft« berichtete das »Neue Wiener Journal«. »Hier ist eine bildnerische Bilderkraft am Werke, das Lebendig­ machen einer Idee. Dass sich Reinhardts Regiekunst nicht an der Äußerlichkeit allein genügen lässt, weiß man längst. Er bringt auch die innere Melodie des Stückes

18 Neues Wiener Journal, 1. 10. 1922. S. 16.

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zum Tönen. Vor allem aber ist er ein Meister der Nuance, der schöpferischste Inspirator des deutschen Theaters.«19 Reinhardts Präsentation von vier seiner Inszenierungen im Redoutensaal der Hofburg, seiner Inszenierung von Lenormands »Namenlosen« im Deutschen Volksthea­ ter und seine Bemühungen um ein festes Theater in Wien erfolgten in einer Atmosphäre des innenpolitisch hoch emotionellen Ringens um die Genfer Protokolle sowie der neuerlich hochgehenden Wogen des (akademischen) Antisemitismus. Bereits im Fin de Siècle und in der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zur allmählichen Erholung der Wirtschaft im Jahr 1923 bildete der Antisemitismus eine ideologische Klammer zwischen radikalen Deutschnationalen und einem Großteil der Christlichsozialen. Der Erfolg der Christlichsozialen in Wien unter Karl Lueger20 basierte zu einem erheblichen Teil auch auf einer Kombination von politischem und wirtschaftlichem (antikapitalistischem) Antisemitismus, der, wenn auch in schwankender und regional unterschiedlicher Intensität, zur »kulturellen Norm« der Partei wurde.21 Bereits vor 1880 erlebte Wien aufgrund der staatsbürgerlichen Gleichstellung im Josefinismus und schließlich im Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 einen starken Zuzug von Juden aus allen Teilen der Monarchie, der die jüdische Bevölkerung von rund 40.000 im Jahr 1869 auf 72.600 im Jahr 1880 ansteigen ließ. Eine massive Beschleunigung des Anwachsens der jüdischen Bevölkerung von 72.600 auf 175.000 erfolgte in dem Zeitraum zwischen 1880 und 1910. 1923 erreichte die jüdische Bevölkerung Wiens mit 201.513 – bei einer jüdischen Gesamtbevölkerung in Österreich von rund 220.000 – ihren Höhepunkt. Dabei spielte die infolge der russischen Offensive 1914 in Galizien einsetzende Fluchtwelle von rund 150.000 Ostjuden, die vor allem in die Haupt- und Residenzstadt auswichen und von denen schließlich rund 25.000 in Wien ansässig wurden, eine wichtige Rolle. Der überwiegende Teil der Juden der Habsburgermonarchie wählte aufgrund der gewährten staatsbürgerlichen Gleichstellung den Weg der Assimilation, sie verstanden sich als liberale Deutschösterreicher und identifizierten sich mit der deutschen Kultur sowie dem Hause Österreich. Trotz ihrer starken Identifizierung mit der deutschen Kultur und ihrer politischen Hinwendung zum Liberalismus waren sie 19 Neues Wiener Journal, 22. 12. 1922. S. 8. 20 Zu Lueger vgl. vor allem John W. Boyer  : Karl Lueger (1844–1910). Christlichsoziale Politik als Beruf. – Wien/Köln/Weimar 2010 (= Studien zu Politik und Verwaltung. Herausgegeben von Christian Brünner, Wolfgang Mantl, Manfried Welan. Band 93). Zum Aufstieg der Christlichsozialen im Wien der späten Habsburgermonarchie vgl. John W. Boyer  : Political Radicalism in Late Imperial Vienna. The Origins of the Christian Social Movement, 1848–1809. – Chicago/London 1981  ; ders.: Culture and Political Crisis in Vienna. Christian Socialism in Power 1897–1918. – Chicago/London 1995. 21 Michael John, Albert Lichtblau  : Schmelztiegel Wien – einst und jetzt. Zur Geschichte und Gegenwart von Zuwanderung und Minderheiten. Aufsätze, Quellen, Kommentare. 2. Aufl. – Wien/Köln/Weimar 1993. S. 114.

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k. u. k.-Juden, Repräsentanten und Anhänger der supranationalen Habsburgermo­ narchie. Dieser scheinbar lineare Assimilationsprozess erhielt durch das Aufkommen des Nationalismus, die Hinwendung der slawischen Nationen zum Nationsbildungsprozess und die als Reaktion auf diese Entwicklung einsetzende Hinwendung des österreichischen Liberalismus zum Deutschliberalismus und -nationalismus erste Sprünge, die bereits ab Mitte der 1870er-Jahre deutlich sichtbar wurden, als auf akademischem Boden erstmals die Forderung nach einem Numerus clausus für jüdische Studenten erhoben und wenig später jüdische Mitglieder zum Austritt aus akademischen Burschenschaften gezwungen wurden. Das deutsch-liberale Judentum wurde, sofern es sich nunmehr nicht der Sozialdemokratie zuwandte, parteipolitisch zunehmend heimatlos und identifizierte sich daher umso stärker mit der supranationalen Imago des Hauses Österreich. Eine Identifikation, die bei aller Liebe zur klassischen deutschen Kultur mit einer Ablehnung des im Zweiten Deutschen Kaiserreich und auch in der Weimarer Republik dominanten Deutschnationalismus Hand in Hand ging. So notierte Josef Redlich am 27. September 1923 in sein Tagebuch  : »Heute ist Hermann Bahr mit mir bei Berta Zuckerkandl zusammen gewesen. Wir speisten dort. Wir sprachen über Deutschland.« Ihn habe dabei »ohnmächtiger Zorn« über »diesen widerlichen Lazarus unserer Zeit, wider Deutschland« erfasst. Vor dem Hintergrund der in Österreich nach wie vor dominanten Anschlusssehnsucht und Identifikation mit einem letztlich preußisch geprägten Deutschtum begreife er nicht, »dass niemand diesen Zorn versteht, dieses seelische Leid, das ich seit 36 Jahren, in immer steigendem Maße ertrage – mein Hass und meine Wut gegen dieses entsetzliche neudeutsche Volk, wie es die Hohenzollern und leider auch das Genie Bismarcks in rund 70 Jahren geschaffen haben. Was habe ich, der deutsch geboren und erzogen wurde, wenn auch meine Eltern jüdischen Glaubens waren, darum doch Deutsche besserer Art als diese Millionen bösartigen Trottel, die sich heute ›Germanen‹ nennen – was habe ich mit diesem ameisenartigen Volk zu tun, das in Militarismus und Industrialismus – dreißig Millionen zu viel in fünfzig Jahren – dem Schoß des deutschen Weibstums entlockt haben, um Kanonenfutter und Proletarier in genügender Zahl zu haben, was habe ich mit diesem Menschenhaufen zu tun, die in diesen eklen deutschen Arbeiterstädten hausen, was auch mit dem bis ins Mark vergifteten pseudointellektuellen Deutschland zu tun, das von Universitäten, Zeitungsredaktionen und Vortragssälen seine scheußliche Stimme endlos erschallen lässt. (…) Eine Geschichte des Neudeutschtums von Treitschke bis zu Helfferich muss einmal geschrieben werden  : und dann muss das Hauptschandkapitel sein die Geschichte des neudeutschen Professorentums und der von diesem aufgezogenen intellektuellen Brut von Assessoren und Privatdozenten, Journalisten und Hofpredigern, ›gebildeten‹ Offizieren und völkischen Lehrern, Philologen, Schriftstellern …«22 22 Schicksalsjahre Österreichs. Band II. S. 622f.

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Die wirtschaftliche und soziale Krise der unmittelbaren Nachkriegszeit gab dem Antisemitismus neue Nahrung, wobei die maßlos übertriebene Zahl der noch im Land verbliebenen Ostjuden, das Bild des jüdischen Schiebers und Kriegsgewinnlers, die Dominanz von Juden im Finanzsektor, den akademischen Berufen23 sowie ihre starke Repräsentanz im Bereich der Kultur und die damit verbundene Theorie der jüdischen Herrschaft die grobe Zeichnung des Bildes dominierten, an dem neben den deutschnationalen Antisemiten auch erhebliche Teile der Christlichsozialen mitwirkten.24 Bereits in der späten Habsburgermonarchie und besonders in der unmittelbaren Nachkriegszeit spielte neben dem Antisemitismus des Mittelstandes und des Kleinbürgertums, für die er durch Lueger quasi zum »Klassenbewusstsein« geworden war, der akademische Antisemitismus eine besondere Rolle. Zu Jahresende 1922 initiierte der akademische Antisemitismus heftige Unruhen, vor allem an der Universität Wien. Ausgangspunkt war ein Streik der deutschen Studenten der Universität Prag gegen die Wahl des jüdischen Professors Samuel Steinherz zum Rektor sowie der Beschluss der ungarischen Regierung, an den ungarischen Universitäten den Numerus clausus für jüdische Studenten/innen einzuführen.25 Am 27. November beschlossen daraufhin die katholischen und deutschnational-völkischen Studenten der Universität Wien sowohl einen Sympathiestreik für ihre Prager Kollegen zu organisieren als auch ein Forderungsprogramm an den Rektor der Universität Wien zu richten, das mit dem Hinweis auf die große Zahl jüdischer Studenten/innen und akademischer Lehrer die Einführung des Numerus clausus von zehn Prozent für jüdische Studenten/innen und Lehrende auch an der Universität Wien forderte. Juden sollte die Bekleidung der Funktionen des Rektors, der Dekane oder sonstiger universitärer Spitzenfunktionen verwehrt werden.26 Der Rektor der Wiener Universität, 23 Bereits 1890 betrug der Anteil der Juden an den Freien Berufen in Wien – Ärzten, Rechtsanwälten, Journalisten – rund die Hälfte, sie stellten rund ein Drittel der Studenten an der Universität Wien und waren auch in den Bereichen Wissenschaft und Kunst überproportional vertreten. 24 Organisatorisch schlossen sich die deutschnationalen und christlichsozialen Antisemiten 1919 im »Deutschösterreichischen Schutzverein Antisemiten Bund« zusammen. 25 Zur innerstudentischen Vorgeschichte des Konflikts, einer Kontroverse zwischen einem Vertreter der deutschen und jüdischen Studentenschaft in der Sitzung des Wirtschaftsausschusses an der Hochschule für Welthandel, vgl. Neue Freie Presse, 20. 11. 1922. S. 7. 26 Salzburger Chronik, 29. 11. 1922. S. 1. Vgl. dazu auch Linda Erker, Klaus Taschwer  : »Eine wirklich befriedigende Lösung der Judenfrage  !« Antisemitische Personalpolitik an der Universität Wien vor und nach 1933. – In  : Enderle-Burcel, Reiter-Zatloukal (Hg.)  : Antisemitismus in Österreich 1933– 1938. S. 751–767  ; Linda Erker  : Studierende der Universität Wien und ihr Antisemitismus in der Zwischenkriegszeit. – In  : Ebda. S. 785–806  ; Kamila Staudigl-Ciechowicz  : Exkurs  : Akademischer Antisemitismus. – In  : Thomas Olechowski, Tamara Ehs, Kamila Staudigl-Ciechowicz  : Die Wiener Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1918–1938. – Wien 2014. S. 67–77. Zur Problematik der hohen Anzahl jüdischer, vor allem auch ostjüdischer Studenten/innen an der Universität Wien vgl. Bruce F. Pauley  : Eine Geschichte des österreichischen Antisemitismus. Von

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Karl Diener, zeigte in einem Interview mit der christlichsozialen »Reichspost« nicht nur Verständnis für diese Forderung, sondern unterstützte sie sogar und betonte, er betrachte »das Memorandum als geeignete Grundlage für weitere Verhandlungen«. Er habe das Memorandum dem Akademischen Senat am 7. Dezember vorgelegt,

der Ausgrenzung zur Auslöschung. – Wien 1993. S. 133f.: »Die Antisemiten behaupteten, der hohe Prozentsatz von Ostjuden an den Wiener Universitätsinstituten und Hochschulen während des Weltkrieges sei darauf zurückzuführen, dass die Juden sich vor dem Militärdienst drücken wollten. Die Wirklichkeit war allerdings wesentlich profaner. Die Gesamtzahl der an der Universität Wien inskribierten Studenten ging von 10.424 unmittelbar vor Ausbruch des Krieges im Sommersemester 1916 auf 3942 und ein Jahr später auf 2500 zurück. Da der Großteil der männlichen Studenten nun in der österreichisch-ungarischen Armee diente, stieg der Anteil der weiblichen Studenten dramatisch an, nämlich von 7 Prozent Anfang 1914 auf 36 Prozent in den Jahren 1916/17. Nahezu alle diese Studentinnen waren Jüdinnen  : Die meisten der assimilierten Juden waren Befürworter einer höheren Bildung für Frauen, während die Großdeutschen sie bestenfalls als unerwünscht betrachteten. Der Anstieg von jüdischen Inskribenten war auch eine Folge der russischen Invasion in die nordöstlichen Provinzen der Monarchie im Herbst 1914, die dazu führte, dass mehrere dortige Universitäten mit zahlreichen jüdischen Studenten gezwungen waren, den Lehrbetrieb einzustellen. Viele dieser Studenten, vor allem die jungen Frauen, wechselten in der Folge in Wiener Hochschulen über, wo man von den Kriegswirren noch verschont geblieben war. Schon während des Krieges versuchte man, die Zahl der galizischen Studenten zu limitieren. (…) Die Frage der galizischen Studenten wurde unmittelbar nach dem Krieg dann erneut besonders aktuell, als der tatsächliche Ausschluss der Juden von zahlreichen osteuropäischen Universitäten, insbesondere in Polen, viele jüdische Studenten veranlasste, Zugang zu den etwas weniger antisemitischen Universitäten Mitteleuropas zu suchen. Unglücklicherweise fiel diese neue Studentenwelle mit der Rückkehr der österreichischen Kriegsteilnehmer zusammen, was zu Platzmangel an den Universitäten und zu gesteigerten antisemitischen Ressentiments führte. Vor allem die Studenten, häufig Sprösslinge von Regierungsbeamten, Offizieren und kleinen Kaufleuten, waren es ja, für die die militärische Niederlage und der Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie ein Trauma darstellte. Ihre Aussichten waren in dem klein gewordenen Staatsgebiet der Republik Österreich mit seinem Überhang an Beamten und Soldaten alles andere als rosig. (…) Der (…) Arbeitsplatzmangel wurde 1922 noch schlimmer, als die britische, französische, italienische und tschechoslowakische Regierung in den sogenannten Genfer Protokollen von der österreichischen Regierung verlangte, als Gegenleistung für einen garantierten 126-Millionen-Dollar-Kredit (…) ein Sparprogramm durchzuziehen, das die Entlassung Tausender Beamter zur Folge hatte. Die Hoffnungen der Studenten, in den Freien Berufen unterzukommen (…) hatten ebenfalls wenig bis gar keine Aussicht auf Erfüllung, da diese Berufssparten in Wien bereits von den Juden dominiert waren.« Die Ostjuden wurden nach 1918 in den Kriegswirren der sich bildenden Staaten Ost- und Südosteuropas, vor allem dem Konflikt zwischen Polen und der Ukraine, zur Zielscheibe zahlreicher Gewaltakte, von denen das Pogrom in Lemberg das bekannteste Beispiel wurde. Wenngleich diesen Gewaltakten kein umfassender Plan zugrunde lag, so kann man in dieser Phase durchaus von einer systematischen Verfolgung sprechen. Vor allem diese Ereignisse standen einer Rückwanderung der 1914/15 nach dem Westen, vor allem nach Wien geflohenen Ostjuden entgegen. Vgl. Wlodzimierz Borodziej, Maciej Górny  : Der vergessene Weltkrieg. 2 Bde. – Darmstadt 2018. Bd. II – Nationen 1917–1923. S. 182ff.

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und es sei eine »Kommission zur weiteren Beratung der Angelegenheit eingesetzt« worden. »Was die einzelnen Punkte des Memorandums betrifft, so halte ich den Wunsch der Studentenschaft, dass nur ein deutscher Gelehrter arischer Abstammung zum Rektor einer österreichischen Hochschule wählbar sein soll, für gerechtfertigt. Ich glaube auch nicht, dass die Wahl eines jüdischen Rektors an unserer Universität möglich wäre.« Er finde auch die Forderung nach dem Numerus clausus von zehn Prozent für jüdische Lehrende »begreiflich«, doch schwer realisierbar, vor allem nicht an der Medizinischen Fakultät, »solange infolge der geltenden Habilitationsvorschriften ausschließlich die wissenschaftliche Qualifikation für die Habilitation eines Privatdozenten maßgebend sein darf«. Der Numerus clausus für jüdische Studierende sei nicht durchzusetzen, »soweit es sich um österreichische Staatsbürger jüdischer Konfession handelt (…) Wohl aber kann die Zahl der ausländischen jüdischen Studierenden (…) auf legale Weise eingeschränkt werden. (…) In der geradezu erschreckenden Invasion solcher rassen- und wesensfremder Elemente, deren Kultur, Bildung und Moral tief unter jener der bodenständigen deutschen Studentenschaft stehen, liegt der wahre Krebsschaden unserer akademischen Verhältnisse«.27 Die »Salzburger Chronik« berichtete zustimmend, es handle sich bei den Forderungen der deutschchristlichen Studentenschaft »um den S c h u t z der historischen und natürlichen R e c h t e d e r b o d e n s t ä n d i g e n B e v ö l k e r u n g (…), die von der Überfremdung durch das Ostjudentum geschützt werden soll. Denn für die Zukunft ergibt das Überhandnehmen dieser Elemente, die mit dem Umsturze an die Bildfläche gekommen sind, ihr rücksichtsloses Herandrängen an das akademische Studium eine brennende Gefahr in sittlich-kultureller, nationaler und wirtschaftlicher Hinsicht. Es handelt sich eben um den E x i s t e n z k a m p f d e r J u g e n d u n s e r e s Vo l k e s , die die Plätze in den Hörsälen und später im Berufsleben von ostgalizischen Zuwanderern angefüllt findet, und es geht um die Zukunft unseres Volkes und seiner christlich-deutschen Kultur. (…) Was soll denn aus unserem Volke werden, dessen geistige Führer an den Hochschulen heranwachsen, wenn die Monopolisierung der Lehrstellen und Lehrstühle durch das Judentum in dieser Ungeheuerlichkeit fortschreitet  ? Dann wird es z. B. an der Wiener medizinischen Fakultät in zehn Jahren kaum eine einzige Lehrkanzel, kaum ein einziges wissenschaftliches Institut geben, das noch in den Händen eines christlich-deutschen Volksangehörigen ist. 27 Reichspost, 10. 12. 1922. S. 1  ; vgl. dazu auch AZ, 12. 12. 1922. S. 3. Der Verband der großdeutschen Abgeordneten zum Nationalrat richtete an Rektor Karl Diener ein Schreiben, in dem die Forderungen der »deutsch-arischen Hörerschaft« begrüßt wurden. »Die großdeutschen Abgeordneten sind jederzeit bereit, alle Maßnahmen tatkräftig zu unterstützen, die geeignet sind, die d e u t s c h e b o d e n s t ä n d i g e S t u d e n t e n s c h a f t gegen den überwuchernden Einfluss f r e m d e r E l e m e n t e zu schützen und die Rechte der a n g e s t a m m t e n B e v ö l k e r u n g auf deutsche Erziehung und Bildung zu wahren« (AZ, 5. 12. 1922. S. 3).

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G ä s t e d ü r f e n n i c h t S c h ä d l i n g e w e r d e n …«28 Parallel zu den turbulenten Ereignissen in Wien erfolgte im Salzburger Landtag eine heftige Debatte über das Gemeindesanitätsgesetz, das in seiner ursprünglichen Form in § 11 den Arierparagraphen enthielt. Gegen diese Formulierung hatte die Bundesregierung wegen Verfassungswidrigkeit Einspruch erhoben. Der Landtag war daher gezwungen, diesen Passus aus dem Gesetz zu streichen, sprach jedoch gegenüber der Landesregierung den Wunsch aus, bei der Vergebung von Sprengel­ arztstellen vor allem solche Ärzte zu berücksichtigen, die deutsch-arischer Abstammung seien. Am 16. Dezember 1922 erklärte der stellvertretende Klubobmann der Christlichsozialen und Vizepräsident des Landtages, Wilhelm Schernthanner, die Landesregierung werde von der Landtagsmehrheit beauftragt, »bei Vergebung der Stellen dem Wunsche des Landtages hinsichtlich des Erfordernisses der arischen Abstammung« zu entsprechen. Der christlichsoziale Abgeordnete und Kooperator in Mittersill, Johann Hasenauer, wies in seiner Wortmeldung auf die Vorgänge an der Wiener Universität hin. Keine andere Fakultät sei vom Judentum so überlaufen wie die medizinische. Er betonte vor allem die »schweren wirtschaftlichen Sorgen, unter denen die arische akademische Jugend heute sich für ihren Beruf ausbilde, und nun solle zu diesem schweren Existenzkampf auch noch die Sorge treten, nach Vollendung der Ausbildung keine Stelle zu bekommen, weil rassenfremde Elemente ihnen die besten Posten wegstehlen. Wir brauchen Ärzte und wir können sie aus unserer M i t t e haben. (…) Er bitte daher, nicht zu vergessen, dass Salzburg ein j u d e n r e i n e s L a n d sei und wohl auch bleiben werde«.29 Die Bemühungen um ein »judenreines Salzburg« hatten bereits ein Jahr zuvor einen ersten traurigen Höhepunkt im Sommerfrische-Ort Mattsee, den vor allem Urlauber aus dem Wiener Mittelstand frequentierten, erreicht. Es war ein »arischer« Sprengelarzt, der 1912 in Mattsee sesshaft gewordene Arnold Mannlicher, Bezirksleiter des »Deutschösterreichischen Schutzvereins Antisemiten-Bund«, der im Sommer 1921 an der Kampagne für den Sommerfrischen-Antisemitismus in Mattsee unter dem Slogan »Für eine judenfreie und arische Sommerfrische« beteiligt war oder diesen sogar initiierte. Angesichts der schwierigen Ernährungslage nach dem Krieg hatte sich in zahlreichen Salzburger Ferienorten ein wachsender Antisemitismus etabliert. Bereits 1920 wurden in mehreren Ferienorten Aufenthaltsbeschränkungen für Sommergäste angeordnet, und Mattsee verfügte offiziell, dass ausschließlich Arier als Gäste Aufnahme finden würden. Der Ort bezeichnete sich als »judenfreie Sommerfrische«. 1921 vertrieb dieser Sommerfrischen-Antisemitismus Arnold Schönberg aus Mattsee. Schönbergs Wahl von Mattsee als Sommerfrischeort war über Vermittlung sei28 Salzburger Chronik, 14. 12. 1922. S. 1f. 29 Salzburger Chronik, 17. 12. 1922. S. 3.

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ner Schwägerin Berta Schönberg erfolgt. Berta war Opernsängerin, hatte den Bruder Arnold Schönbergs, Heinrich, geheiratet und war die Tochter des großdeutschen Salzburger Landeshauptmann-Stellvertreters (1918–1922) und Bürgermeisters der Stadt Salzburg (1927–1935), Max Ott, dessen Familie seit 1911 in Mattsee die sogenannte »Villa Nora« – von den Mattseern auch »Judentempel« genannt – besaß. Im Sommer nahmen nicht nur Arnold Schönberg und dessen Frau Mathilde, die Schwester seines zeitweiligen Lehrers Alexander von Zemlinsky, in Mattsee Quartier, sondern auch eine Reihe seiner Schüler – Felix Greissle, Othmar Steinbauer, Walter Seligmann, Fritz Kaltenborn und Josef Rufer. Schönberg hatte während des Ersten Weltkriegs begonnen, über den Rahmen seiner neuen Kompositionstechnik, die er erstmals 1908 gefunden hatte, nachzudenken. 1921 war er zu dem Ergebnis gekommen, das er anlässlich eines Spaziergangs voller Begeisterung seinem Schüler Josef Rufer mitteilte  : das »Zwölftongesetz«. Mit ihm werde er, der österreichische Jude, herausragend deutsche Musik schreiben und »die Vorherrschaft der deutschen Musik für die nächsten hundert Jahre« sichern.30 So sehr sich Schönberg als apolitischer Künstler verstand, so wenig vermochte er sich der Katastrophe der Zeit zu entziehen. Wenngleich keineswegs nationalistisch, so war er doch patriotisch und empfand die Niederlage 1918, vor allem die Bedingungen des Friedensvertrages und die weitgehende Missachtung der Bedürfnisse Österreichs in der schwierigen unmittelbaren Nachkriegszeit durch die Westmächte, vor allem Frankreich, als unerträglich. Peter Gay hat auf den kompositorischen Patriotismus Schönbergs hingewiesen. Dieser habe zu Beginn der Dreißigerjahre in einem Entwurf zu einem Aufsatz eine Liste seiner kompositorischen Lehrer erstellt. »Ganz oben standen Bach und Mozart, es folgten Beethoven, Brahms und Wagner, und dann, mit Abstand, Schubert, Mahler, Richard Strauss und der hoch geschätzte Max Reger. Kein Berlioz, kein Debussy, kein Ravel – das Fehlen der modernen französischen Komponisten zeigt eindeutig, dass Schönberg an seinem musikalischen Patriotismus festgehalten hatte. Seine Originalität, so fügte er mit einem Anflug von Bescheidenheit hinzu, gründe in der unmittelbaren Nachahmung der guten Dinge, die er gesehen habe. So versuchte er, sein revolutionäres System in die ehrwürdige deutsche Musikkultur zu integrieren.«31 Es entbehrt nicht einer tragischen Ironie, dass der im Lande Mozarts in der unmittelbaren Nachkriegszeit sich bemerkbar machende Sommerfrischen-Antisemitismus auch jenen Komponisten vertrieb, der sich im Jahr seiner Vertreibung als musikalischer Verteidiger der deutschen Musiktradition definierte und der Mozart neben Bach als seinen wichtigsten Lehrer bezeichnete. Der 1874 geborene Arnold Schönberg hatte 1921 bereits ein bewegtes musikalisches Leben hinter sich. Sein Frühwerk präsentiert sich keineswegs als »strapaziöse 30 Peter Gay  : Die Moderne. Eine Geschichte des Aufbruchs. – Frankfurt am Main 2008. S. 283. 31 Gay  : Die Moderne. S. 284.

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atonale Exerzitien«, sondern verströmt »einen betörend reichen Klang, der eher an Klimts vergoldete Porträts und andere Jugendstilwerke erinnert«. Nach der Jahrhundertwende wandte er sich allerdings allmählich der Zwölftonmusik zu und spaltete die musikalische Welt Wiens. Wenngleich Gustav Mahler mit Schönbergs musikalischer radikaler Wende wenig anzufangen wusste und ausrief »Wozu schreibe ich noch Symphonien, wenn das die Musik der Zukunft sein soll  !«, so unterstützte er den provokanten Kollegen ebenso wie Richard Strauss. 1908/09 vollendete er nach einer schweren persönlichen Krise sein Zweites Streichquartett und provozierte mit seiner teilweisen Hinwendung zur Atonalität mit seinen »Drei Klavierstücken« und den »Fünf Orchesterstücken« die Musikwelt. Selbst Mahler, der ihn immer verteidigt hatte, fiel es schwer, seinen Kompositionen zu folgen. So schrieb er ihm nach dem Studium der Partitur der »Fünf Orchesterstücke«, er könne »die Noten auf dem Papier nicht in Klänge im Kopf umsetzen.«. Strauss hingegen konnte Schönberg nicht mehr folgen und schrieb 1914 an Alma Mahler, es wäre besser, wenn Schönberg »Schnee schaufeln würde als Notenpapier vollzukritzeln«.32 Schönberg erfuhr von dieser abwerten Beurteilung und war tief getroffen, da er Strauss verehrte. Trotz dieser schweren atmosphärischen Störung bezeichnete Schönberg Strauss als einen seiner wichtigen Lehrer, und Strauss vertrat die Ansicht, dass das Werk Schönbergs und seiner Schüler auch im Umfeld der Salzburger Festspiele – später vielleicht sogar in ihrem Rahmen – aufgeführt und zur Diskussion gestellt werden müsste. Im Vorfeld der Festspiele 1922, zwischen dem 7. und 10. August, fanden unter dem Protektorat des prominenten Komponisten und Dirigenten Aufführungen zeitgenössischer Kammermusik u. a. mit Werken von Arnold Schönberg und dessen Schülern Anton von Webern und Egon Wellesz statt. Zu diesem Zeitpunkt hatte Schönberg sein Sommerfrische-Quartier von Mattsee in die »Villa Josef« der Baronin Anka Löwenthal in Traunstein verlegt. Vorausgegangen war dieser Übersiedlung eine antisemitische Kampagne, die am 20. Juni 1921 ihren ersten Höhepunkt durch einen Aufruf der Mattseer Gemeindevertretung erreichte, in dem die Vermieter von Ferienwohnungen aufgefordert wurden, nicht an Juden zu vermieten, und ihnen bei Nicht-Befolgung entsprechende Reaktionen der deutsch-arischen Bevölkerung angedroht wurden. Schönberg reagierte zunächst mit dem Entschluss zur sofortigen Abreise, revidierte diesen jedoch, um aufgrund der schließlich erreichten Publizität der Affäre – mehrere Tageszeitungen berichteten über die Kampagne – doch an den Traunsee zu übersiedeln.33

32 Alex Ross  : The Rest is Noise. Das 20. Jahrhundert hören. 3. Aufl. – München/Zürich 2010. S. 71f. 33 Harald Waitzbauer  : Arnold Schönberg ist in Mattsee unerwünscht. – In  : Kriechbaumer (Hg.)  : Der Geschmack der Vergänglichkeit. S. 153–174.

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II.2 Wirtschaftliche Stabilisierungskrise und eine unverhoffte Wende  : Max Reinhardt und Camillo Castiglioni Die Konjunkturen des Antisemitismus folgten auch den Kalorienmengen, d. h. der Entwicklung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse. Mit der Genfer Sanierung im Spätherbst 1922 setzte sowohl ein Ende der Inflation wie auch eine allmähliche wirtschaftliche Erholung ein, die ein Abschwellen des Antisemitismus bewirkte.34 Er blieb allerdings als Bodensatz existent und sollte durch die Weltwirtschaftskrise zu neuem Leben erweckt werden. Vor dem Hintergrund der Anfang Oktober 1922 unterzeichneten Genfer Protokolle bemerkte die »Salzburger Chronik« zur Jahreswende 1922/23 hoffnungsfroh  : »Gottesglauben im Herzen, Selbstvertrauen in der Brust, wie es dem Manne geziemt, der sich des Weges wohl bewusst ist, den er abzuschreiten hat, das Auge dorthin erhoben, wo irgendwo die Sonne sein muss, so wollen wir ins neue Jahr gehen, ohne in Mutlosigkeit zu versinken, aber auch ohne uns in leichtgläubigen Hoffnungen zu wiegen. Wenn man aus der tiefen Empfindung des österreichischen Volkes heraus spricht, so lebt eine große Hoffnung heute in uns, dass wir vielleicht trotz allem Ungemach, das hinter uns liegt und gewiss noch über uns kommen wird, in ein ö s t e r r e i c h i s c h e s J a h r eintreten werden. (…) wir fühlen eine We l l e , d i e d u r c h d i e S e e l e n g e h t , und so sonderbar es klingen mag, in den Tagen tiefster Erniedrigung des deutschen Volkes lebt in uns ein Gefühl von K r a f t u n d A u f e r s t e h u n g , das uns Ausdauer gibt in den Tagen schwersten Leidens.«35 Diese Zuversicht gründete auf der sichtlichen Erholung der Währung. Am 18. November verzichtete der Staat auf die Inanspruchnahme der Notenpresse, eine riskante Maßnahme, da zu diesem Zeitpunkt die Genfer Protokolle von den Garantiemächten noch nicht ratifiziert waren.36 Dennoch waren die Folgen bereits kurze Zeit später spürbar. Anfang Dezember 1922

34 Der akademische Antisemitismus in den ersten Jahren der Ersten Republik erreichte im November 1923 seinen Höhepunkt und verzeichnete in den folgenden Jahren einen deutlichen Rückgang. Dieser Rückgang war vor allem das Ergebnis des Rückgangs »der Inskriptionen an den österreichischen Hochschulen im Allgemeinen und insbesondere bei den Juden. Beispielsweise fiel die Gesamtzahl der Inskribierten an der Universität Wien von ungefähr 10.800 in den Jahren 1920/21, von denen mehr als 42 Prozent Juden waren, auf 8088 in den Jahren 1925/26, bei weniger als 25 Prozent Juden. An der Technischen Hochschule, die stets eine Hochburg des Antisemitismus war, gingen die Inskriptionen noch drastischer zurück, nämlich von 3460 in den Jahren 1920/21 auf nicht mehr als 2279 drei Jahre später, obwohl der Prozentsatz der jüdischen Inskriptionen mit rund 41 Prozent in den Jahren 1923/24 hoch blieb« (Pauley  : Eine Geschichte des österreichischen Antisemitismus. S. 145). 35 Salzburger Chronik, 31. 12. 1922. S. 1. 36 Bis zum Einlangen der Anleiheerlöse im Juni 1923 musste sich die Bundesregierung mit Überbrückungskrediten behelfen.

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berichtete die »Neue Freie Presse«, dass man angesichts der so lange andauernden massiven Teuerungswelle es noch gar nicht so recht zu werten vermöge, »dass die ununterbrochenen Klagen sich nicht fortsetzen und dass wir nun schon seit Wochen eine rückläufige Bewegung, ein Nachlassen der Spannung, eine Erleichterung bemerken. Die armen Frauen, die ja immer das ausbaden müssen, was die Männer in ihrer Unfähigkeit verschulden, haben täglich die Entwertung wie Faustschläge empfunden oder vielmehr wie eine stetige, bohrende Marter, und immer waren sie vor die bange Frage gestellt  : Wie kann ich Sättigung schaffen für die Kinder und für den Gatten, wie kann ich es bewirken, dass trotz unzulänglicher Mittel, trotz wucherischer Ausbeutung, trotz niederbrechender Kaufkraft der Mittagstisch nicht gänzlich veröde und das häusliche Glück nicht unter der bitteren Trübsal des Mangels schwinde«. Deshalb sei es von besonderer Bedeutung, dass die Düsternis, die noch immer auf der Bevölkerung laste, offensichtlich allmählich schwinde. »Das ungarische Mehl ist seit dem September von 10.000 Kronen auf 6400 Kronen gesunken, das wichtigste Nahrungsmittel, dessen Forderungen alle anderen Erzeugnisse beeinflussen.« Ebenso sei Fleisch um rund ein Drittel billiger geworden, und auch in den Gasthäusern sei ein deutlicher Preisrückgang zu beobachten. Und es sei keine Steigerung des Kohlepreises erfolgt.37 Trotz aller schmerzlicher Einschnitte im Sozial­ bereich, die, unabhängig von den Genfer Protokollen, aufgrund der Notwendigkeit des Abbaus des für einen Kleinstaat überdimensionierten Beamtenapparats notwendig waren, schien an der Jahreswende 1922/23 Licht am Ende des Tunnels. Die Phase der allmählichen Stabilisierung 1923/24 – das Schillingrechnungsgesetz wurde am 20. Dezember 1924 im Nationalrat mit Wirksamkeit zum 1. Jänner 1925 verabschiedet – war allerdings von einer widersprüchlichen Entwicklung gekennzeichnet. Die Rückkehr zum Goldstandard bildete die grundlegende Überzeugung aller führenden Notenbanker, angeführt von Montagu Norman, dem Gouverneur der Bank von England, und Benjamin Strong, dem Präsidenten der Federal Reserve Bank of New York. Daraus leitete sich, nicht zuletzt auch aufgrund der Inflations-Erfahrungen der unmittelbaren Nachkriegszeit, das Dogma der Währungsstabilität und des ausgeglichenen Staatshaushalts ab, wodurch konjunkturpolitische Handlungsspielräume der Regierungen erheblich eingeschränkt wurden. Die österreichische Bundesregierung folgte bei ihrem Sanierungswerk diesem Dogma äußerst ambitioniert. So betrug 1923 das präliminierte Budgetdefizit statt 185 nur 110 Millionen Goldkronen, und bereits gegen Ende 1923 wurde ein ausgeglichener Staatshaushalt erreicht, sodass der Völkerbundkredit nicht vollständig in Anspruch genommen werden musste. Mit der 1923 deutlich sichtbar werdenden Währungsstabilisierung waren jedoch auch deren Nachteile, u. a. der Verlust der inflationsbedingten Exportprämie der Industrie, verbunden. Die damit einsetzende Stabilisierungskrise betraf nicht nur die Ex37 Neue Freue Presse, 1. 12. 1922. S. 1.

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portindustrie durch Produktionseinschränkungen und Entlassungen, sondern auch den Fremdenverkehr und die Luxusindustrie, die ebenfalls zu den Nutznießern der Inflationskonjunktur gezählt hatten. Der Zustrom der Fremden versiegte, da Öster­ reich nunmehr nicht mehr zu den billigen Reiseländern Europas zählte, in dem selbst Angehörige der Unterschichten, sofern sie über Devisen verfügten, billig Urlaub machen konnten. Der Landesparteiobmann der Salzburger Christlichsozialen, Rudolf Ramek, bemerkte angesichts der Währungsstabilisierung zur Jahreswende 1922/23 zu den bevorstehenden Aufgaben der Salzburger Landespolitik im Bereich der Tourismuswirtschaft  : »Das eben verflossene Jahr hat uns einen Fremdenverkehr gebracht, wie wir ihn noch nie gesehen haben. Wir dürfen uns jedoch nicht täuschen lassen. Denn was wir von dem Auslande an Publikum bei uns gesehen haben, waren nur zum allergeringsten Teil geldkräftige Schichten. Man ist zu uns gekommen, um den Tiefstand unserer Krone auszunützen, man hat bei uns billiger leben können als überall im Auslande. Solche Reisegäste werden mit der Festigung unseres Geldes dauernd verschwinden.«38 Ramek sollte Recht behalten. Mit der Stabilisierung der Krone versiegte der Fremdenzustrom schlagartig, denn Österreich galt nicht mehr als touristisches Schnäppchen, im Gegenteil. Die Hotels, Restaurants und Geschäfte boten nunmehr ein verwaistes Bild. Die aufgrund der Inflation und schließlich folgenden Hyperinflation stimulierte Nachkriegskonjunktur fand ein jähes Ende. Die Folge war ein deutliches Ansteigen der Arbeitslosigkeit, die durch den notwendigen Stellenabbau im öffentlichen Dienst noch verstärkt wurde. Die 1923 sich immer deutlicher manifestierende Stabilisierung der Krone bewirkte ein auf breiter Basis einsetzendes Aktien-Spekulationsfieber, das angesichts der jahrelangen inflationären Entwicklung und Unsicherheit kaufmännisches Denken weitgehend missachtete. Die Aktienspekulation basierte auf dem Umstand, dass die Aktienkurse der Entwertung der Krone deutlich hinterherhinkten und daher in der Inflationsphase unterbewertet waren. So sehr ein moderater Indexanstieg der Aktienkurse berechtigt war, so sehr begann er durch das im Frühjahr 1923 einsetzende Spekulationsfieber aus dem Ruder zu laufen. Die Börse wurde – auch durch das Zurückströmen von Devisen – zum Schauplatz der übersteigerten Börsenhausse, die sich in der Steigerung des Börsenindex zwischen September 1922 und Jänner 1924 von 502 auf 2680 niederschlug39 und die erst mit der fehlgeschlagenen Spekulation gegen den Franc im April 1924 ein jähes Ende

38 Salzburger Chronik, 31. 12. 1922. S. 2. 39 Fritz Weber  : Vor dem großen Krach. Österreichs Banken in der Zwischenkriegszeit am Beispiel der Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe. – Wien/Köln/Weimar 2016. S. 123 (= Studien zur Wirtschaftsgeschichte und Wirtschaftspolitik. Herausgegeben von Herbert Matis und Roman Sandgruber. Band 9).

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finden sollte.40 Bereits während und vor allem unmittelbar nach dem Krieg hatte der steigende Geldbedarf das Kreditvolumen der Banken rasch ansteigen lassen, wobei vor allem von Inflationsrittern und Großspekulanten, die erst während des Krieges zu Geld und Einfluss gekommen waren, gegründete neue Mittel- und Kleinbanken auf den Markt drängten.41 Der durch die Aktienhausse einsetzende Kapitalbedarf führte zu hohen Kreditzinsen, die in Zeiten der Inflation mit entwerteten Kronen 40 Die finanzielle Situation Frankreichs nach dem Ersten Weltkrieg war, ebenso wie jene Großbritanniens, keineswegs rosig. Der reguläre Staatshaushalt war zwar ausgeglichen, doch existierte noch das gewaltige Milliardendefizit, das aus den außerordentlichen Aufwendungen für den Wiederaufbau des Landes und die Verhinderung der Arbeitslosigkeit durch die Demobilisierung der Armee resultierte. Die finanzielle Lage Frankreichs war äußerst prekär. Das Land musste einen 1915 bei J. P. Morgan aufgenommenen Kredit in der Höhe von 250 Millionen Dollar begleichen und sich zu diesem Zweck an der Wall Street zum demütigenden Zinssatz von acht Prozent die Mittel borgen. Im Sommer 1920 sah sich Paris außerstande, Spanien und Argentinien kleinere Kredite zurückzuzahlen, und Anfang 1921 stand es mehrere Wochen lang am Rande des Staatsbankrotts. Aufgrund seiner finanziellen Probleme, die auch zunehmend zu innenpolitischen Schwierigkeiten führten, reagierte Frankreich Anfang 1923 auf die nicht erfolgte Reparationslieferung aus Deutschland mit der Besetzung des Ruhrgebietes und löste damit die Ruhrkrise aus. Die Besetzung des Ruhrgebietes löste sowohl in den USA wie auch in Großbritannien, wo im Dezember 1923 die Labour Party unter Ramsay MacDonald, der die französische Aktion als einen »Triumph des Bösen« und eine »Politik des selbstsüchtigen Hochmuts« bezeichnete, die Regierungsgeschäfte übernommen hatte. Zudem tauchte die Frage auf, wie lange sich Frankreich noch die Besetzung des Ruhrgebietes würde leisten können. Die Folge war, dass im Verlauf der Ruhrkrise der Franc gegenüber dem Dollar ein Drittel seines Wechselkurses verlor. Der französische Ministerpräsident Raymond Poincaré fürchtete einen Börsencrash und forderte das Notverordnungsrecht. Die Folge war, dass der Franc von einem Kurs 90 zum englischen Pfund zu Jahresbeginn 1923 auf 123 Franc pro Pfund im Februar/März abrutschte. Die USA reagierten auf diese Entwicklung nicht, weshalb die Spekulation auf ein weiteres Sinken des Franc, vor allem an der Wiener Börse, einen Höhepunkt erreichte. Am 29. Februar 1924 erklärte sich Poincaré bereit, die Ruhrbesetzung zu beenden, falls Deutschland sein Wohlverhalten in der Reparationsfrage versichere. Als weitere Forderung nannte er eine USamerikanische finanzielle Unterstützung für die Stabilisierung des ins Trudeln geratenen Franc. J. P. Morgan erhielt daraufhin von Washington die Genehmigung, Paris einen Kredit in der Höhe von 100 Millionen Dollar zu gewähren. Washington übte auch Druck auf London aus, das sich nun ebenfalls zu einem kurzfristigen Kredit entschloss, wodurch der Franc nicht nur stabilisiert wurde, sondern in der Folgezeit deutlich an Wert zulegte. Die Spekulation auf ein weiteres Sinken des Franc führte damit zu schweren Verlusten der Spekulanten. Vgl. Adam Tooze  : Sintflut. Die Neuordnung der Welt 1916–1931. – München 2015. S. 454ff. und S.  567ff. Zur Wiener Franc-Spekulation 1924 vgl. »Die in Wien am Franc verbluteten«. – In  : Der Morgen, 3. 6. 1935. S. 7. 41 Die österreichische Bankenszene nach dem Ersten Weltkrieg umfasste drei Gruppen  : a) Die traditionellen Wiener Großbanken – Creditanstalt, Boden-Creditanstalt, Niederösterreichische Escompte-Gesellschaft, Bankverein – versuchten durch die Hereinnahme ausländischer Großaktionäre ihre Kapitalbasis zu erweitern und zu stabilisieren, um auch weiterhin im Raum der ehemaligen Habsburgermonarchie tätig sein zu können. Keiner der ausländischen neuen Aktionäre verfügte

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leicht bezahlt werden konnten, jedoch bei stabilem Geldwert zur Existenzbedrohung für den Kreditnehmer führen mussten. Dies führte durch die Gleichzeitigkeit von deflationistischer staatlicher Finanz- und Wirtschaftspolitik und inflationistischer Börsenhausse zu einer deutlich sichtbar werdenden sozialen Trennung der Gesellschaft  : hier die im staatlichen und privaten deflationistischen Wirtschaftsbereich Tätigen oder Arbeitslosen, die ihren Konsum aufgrund der sinkenden Einkommen einzuschränken gezwungen waren und sich die hohen Kreditzinsen nicht leisten konnten, dort die im Luxus lebenden und diesen auch meistens zur Schau stellenden Spekulanten. »Eine neue ›Geldaristokratie‹ war entstanden, sie beherrschte das gesellschaftliche Leben, und jene, die früher in der Gesellschaft den Ton angegeben hatten, die Adeligen, Offiziere und die hohen Beamten, waren zum Objekt des Mitleids dieser ›Lebenstüchtigen‹ abgesunken. Zwei dieser Neureichen erlangten legendäre Berühmtheit  : Camillo Castiglioni und Sigmund Bosel.«42 1923 sollten sich die Wege von Camillo Castiglioni43 und Max Reinhardt kreuzen. Zu diesem Zeitpunkt galt Castiglioni aufgrund seiner zahlreichen, oftmals dubiosen, jedoch über genügend Aktienbesitz oder besaß entsprechende Erfahrung im mitteleuropäischen Bankgeschäft, um die Politik dieser Banken entscheidend beeinflussen zu können. b) Die Banken, bei deren Gründung bereits ausländisches Kapital eine erhebliche Rolle gespielt hatte. Während sich die Anglo-Österreichische Bank vor 1914 noch überwiegend in österreichischen Händen befand, betrug der Anteil des französischen Kapitals bei der Länderbank bereits rund ein Drittel. Beide Banken waren vor dem Krieg im Ausland erheblich verschuldet. Gemäß dem Friedensvertrag von St. Germain haftete der österreichische Staat den ausländischen Gläubigern für die Zahlung der Schulden in valorisierten Kronen, weshalb man beide Banken im Oktober 1921 mehrheitlich in britisches bzw. französisches Eigentum überführte. Die Anglo-Österreichische Bank hieß nunmehr »Anglo-­Austrian Bank Ltd.«, an der ein englisches Konsortium unter der Führung der Bank of England 55,6 Prozent der Aktien besaß. Die »Österreichische Länderbank« wurde in »Banque des Pays de l’Europe-Centrale« umbenannt. Ihr Aktienkapital befand sich zu 70 Prozent in französischem Besitz. Die strategischen Interessen Großbritanniens und Frankreichs einerseits sowie die Erwartungen Wiens andererseits in diese neuen Konstruktionen sollten sich allerdings nicht erfüllen. c) Die Vielzahl neu gegründeter Aktienbanken, denen nach dem Platzen der Spekulationsblase 1924 meistens nur ein kurzes Leben beschieden war. Der künstlich aufgeblähte Bankbereich umfasste im Frühjahr 1923 nicht weniger als 1.500 Bankfirmen, unter ihnen Hunderte von sog. Banken oder Wechselstuben, die ihre Geschäfte in Wohnungen, Kaffeehäusern oder anderen Lokalitäten unbefugt betrieben. Sie galten als »bucket shops« (Winkelbörsen). Vgl. Eduard März  : Österreichische Bankpolitik in der Zeit der großen Wende 1913–1923. Am Beispiel der Creditanstalt für Handel und Gewerbe. – Wien 1981. S. 460ff. 42 Bachinger  : Eine stabile Währung in einer instabilen Zeit – Der Schilling in der Ersten Republik. S. 60. 43 Camillo Castiglioni war zu diesem Zeitpunkt 44 Jahre alt und am Zenit seines Ansehens und Vermögens. 1879 als zweiter von drei Söhnen eines Rabbiners in Triest geboren, absolvierte er nach dem Gymnasium eine kaufmännische Fachschule und trat anschließend in eine Wechselstube ein, in der er mit dem Bank-, Börsen- und Devisengeschäft Bekanntschaft machte und sich durch erfolgreiche Spekulationsgeschäfte in Triestiner Finanzkreisen einen Namen machte. Die steile Karriere des sprachbegabten – er beherrschte sieben Sprachen in Wort und Schrift – und ehrgeizigen jungen Mannes

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begann mit außerordentlicher Geschwindigkeit. Er wurde Prokurist einer italienischen Zündholz­ fabrik, übersiedelte mit 21 Jahren nach Wien und wurde ein Jahr später Prokurist der Kautschukfabrik »Continentale«, drei Jahre später deren Direktor und fünf Jahre später, mit 25 Jahren, gegen den Einspruch von deren Hauptaktionär, dem Wiener Bankverein, deren kaufmännischer Direktor. Als die Continentale mit den Semperit-Gummiwerken 1912 fusionierte und zum Branchenführer in der Monarchie wurde, schied er aus dem Unternehmen aus und war ab diesem Zeitpunkt selbständiger Unternehmer. In dieser Funktion widmete er sich, durchaus visionär, der Automobil- und Flugzeugindustrie, konnte jedoch zunächst nicht reüssieren. Erst der Ausbruch des Ersten Weltkrieges bewirkte eine folgenschwere Wende, seine Unternehmungen erfuhren eine ungeahnte Wertsteigerung. 1917 erwarb er die Aktienmehrheit an der Steiermärkischen Fahrrad-Fabrik AG, die allerdings in der Kriegszeit fast ausschließlich Automobile, Motoren und Geschoße für den Heeresbedarf herstellte, Anfang 1918 die Aktienmehrheit an den Österreichischen Fiat-Werken, nachdem er bereits zuvor die Aktienmehrheit an der Österreichischen Daimler Motoren GmbH, die 1911 eine Interessengemeinschaft mit den Skoda-Werken eingegangen waren, erworben hatte. Bei Daimler verfügte Castiglioni mit Ferdinand Porsche an der Spitze über ein äußerst fähiges Konstruktionsteam. Ferdinand Porsche, seit 1917 Generaldirektor des Unternehmens, plante Ende 1919 den Bau eines »Volkswagens«, und der geniale Konstrukteur war mit Castiglioni eng befreundet. Die Freundschaft zerbrach allerdings 1923 an Differenzen über die von Castiglioni geforderte Reduzierung der Betriebskosten und den Ausstieg aus den kostspieligen Wagenrennen, vor allem aber an dem von Castiglioni geforderten massiven Personalabbau bei Daimler und dem direkten Zugriff auf die Devisenerlöse des Unternehmens. Porsche verließ das österreichische Unternehmen und ging zu Daimler nach Deutschland, wo er technischer Direktor und Vorstandsmitglied wurde. Bereits während seiner Zeit als Direktor der »Continentale« hatte Castiglioni Kontakt zur k. u. k. Armee aufgenommen, die sich für den Einsatz von Kugelballons zu interessieren begann und schließlich sogenannte Ballonabteilungen aufstellte. 1897 nahm die k. u. k. Armee das erste Luftschiff in Betrieb, dessen Motoren von den Daimler-Werken stammten, und 1909 entstand auf Initiative von Castiglioni und unter Patronanz des Wiener Bankvereins die »Motor-Luftfahrzeug-Gesellschaft m.b.H.« (MLG), die zusammen mit den Lohner-Werken als Pioniere des österreichischen Flugzeugbaus fungierten, der durch die Entscheidung der k. u. k. Armee für den Aufbau der militärischen Luftfahrt erheblich gefördert wurde. Beide Firmen kooperierten in den Folgejahren eng, doch wurde die Entwicklung durch eine Reihe von Unfällen erheblich gebremst, sodass die Monarchie beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges über keine einsatzfähigen Fliegerkompanien verfügte. Castiglioni gründete noch vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Mai 1914 die österreichisch-ungarische Albatros-Werke GmbH, die 1917 in die Phönix-Flugzeugwerke umgewandelt wurde. ­Bereits wenige Tage nach Kriegsbeginn erfolgten die ersten lukrativen Aufträge der österreichischen und deutschen Flugzeugtruppe, die es Castiglioni gestatteten, die Rapp-Werke in München zu erwerben, die 1917 in den Bayerischen Motorenwerken (BMW) aufgingen. 1915 erwarb er zudem die HansaFlugzeugwerke, aus denen die Hansa-Brandenburg-Flugzeugwerke mit dem Chefkonstrukteur Ernst Heinkel entstanden. 1917 erfolgte jedoch der Bruch zwischen Ludwig Lohner und Camillo Castiglioni, der zu ihrer Trennung führte. Lohner produzierte 1917 noch 170 Flugzeuge, stellte jedoch mit Kriegsende die Flugzeugproduktion ein. Castiglioni hingegen erkannte, dass die Mittelmächte den Krieg nicht gewinnen würden, und zog rechtzeitig die Konsequenzen  : Er verkaufte seine Flugzeug­ fabriken noch vor Kriegsende und konzentrierte sich auf die Fahrzeugindustrie, vor allem auf AustroDaimler und BMW. In Erkenntnis der bevorstehenden militärischen Niederlage der Mittelmächte transferierte er seine erheblichen flüssigen Geldmittel in die Schweiz, um sie in wertbeständige Währungen umzutauschen.

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Spekulationsgeschäfte als reichster Mann Österreichs. Er besaß Mehrheitsbeteiligungen an 34 Industrieunternehmen und war an mehreren Banken beteiligt. Seine Beziehungen reichten bis in die Spitzen der Politik, der Bürokratie, der Wirtschaft und Teile der Presse  ; seinen Beziehungen und seiner 1918 erworbenen italienischen StaatsUnmittelbar nach Kriegsende reiste er nach Mailand und erreichte über Vermittlung seiner in der lombardischen Hauptstadt lebenden Familie die Erlangung der italienischen Staatsbürgerschaft, wodurch er den österreichischen Steuerverpflichtungen und Devisenbeschränkungen entkam. Zudem knüpfte er enge Beziehungen zur Banca Commerciale Italiana und deren Präsidenten Josef Toeplitz und spielte aufgrund seiner Beziehungen zu hohen italienischen Regierungskreisen in der italienischen Nachkriegspolitik im Donauraum hinter den Kulissen eine nicht unwichtige Rolle als Berater. Die 1871 mit einem Aktienkapital von fünf Millionen Gulden gegründete Allgemeine Depositenbank gehörte 1913 mit einem Aktienkapital von 33 Millionen Kronen zu den Mittelbanken der Habsburgermonarchie, die sich in ihrer Geschäftsgebarung vor allem auf die Klein- und Mittelbetriebe konzentrierte. Im Frühjahr 1917 wurde ein Strafprozess gegen den Industriellen Josef Kranz wegen Schiebertums eröffnet. Er hatte über Einschaltung der Warenabteilung der Depositenbank große Mengen an Lebensmitteln an Großhändler mit erheblichem Gewinn abgegeben, wobei die Gewinne an den Großaktionär der Bank, den Privatbankier Hans Reitzes, gingen und in der Bilanz nicht aufschienen. Der heftig angegriffene Großaktionär Reitzes wurde verurteilt, und seinen Platz nahm allmählich Camillo Castiglioni ein, der Vizepräsident und die eigentlich bestimmende Persönlichkeit der Bank wurde. Geschäftsführender Direktor wurde Paul Goldstein, Präsident Justizrat Mintz, ein höherer Beamter, der sich allerdings auf die Wahrnehmung repräsentativer Funktionen beschränkte. Ob Castiglioni aufgrund seiner Nähe zu Kaiser Karl oder auf Empfehlung von Paul Goldstein Vizepräsident wurde, ist nicht zu klären. Doch mit seiner Ernennung zum Vizepräsidenten begann für Castiglioni 1917 seine Bankkarriere, wobei er allerdings, nicht zuletzt aufgrund der Vorbehalte im Verwaltungsrat der Bank gegen seine Ernennung, bis zum Frühjahr 1919 zurückhaltend agierte. Im Hintergrund agierte er auch zunächst beim schließlich erfolgten Erwerb der 1881 aus dem Zusammenschluss mehrerer steirischer und Kärntner Eisenwerke entstandenen Alpine-Montan. Das Unternehmen stand vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs unter dem Einfluss der Prager Eisenindustriegesellschaft und der ihr nahestehenden Aktionäre. Der Betrieb wurde jedoch vor allem gegen Ende des Weltkrieges durch den Kohlemangel massiv beeinträchtigt. Da die Kohlevorkommen der Monarchie nunmehr außerhalb der österreichischen Staatsgrenzen in der Tschechoslowakei lagen und Kohleimporte mit Devisen bezahlt werden mussten, schlitterte Österreichs größtes Industrieunternehmen in eine Krise. Die Bankschulden stiegen massiv und zwangen zu einer Kapitalerhöhung, die vor allem von der Republik Österreich mit der von der Sozialdemokratie forcierten Option der Sozialisierung des Unternehmens vorgenommen wurde. In einem komplexen Spiel der Interessen sowie der Devisenbedürftigkeit der Republik gelangte die Mehrheit der Aktien in italienischen Besitz. Die durch den Kohlemangel anhaltende Krise der Alpine-Montan erwies sich jedoch für die italienische Eisenindustrie, die selber in einer Krise war, als Klotz am Bein, weshalb sie an einem Verkauf der Aktien interessiert war. Über Vermittlung von Castiglioni, der nur einen Minderheitsanteil der Aktien besaß, erwarb der deutsche Spekulant Hugo Stinnes 1921 die Aktienmehrheit von den Italienern. Castiglioni wurde Vizepräsident und nach dem Tod von Stinnes 1924 auch kurzfristig Präsident des Aufsichtsrates. Vgl. Niko Wahl  : Kaffeehäuser zu Bankfilialen. Ein kurzer Abriss der Wiener Spekulation. – In  : Konrad, Maderthaner (Hg.)  : … der Rest ist Österreich. Bd. 2. S. 49–66  ; Dieter Stiefel  : Camillo Castiglioni oder Die Metaphysik der Haifische. – Wien/Köln/Weimar 2012  ; Reinhard Schlüter  : Der Haifisch. Aufstieg und Fall des Camillo Castiglioni. – Wien 2015.

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bürgerschaft verdankte er die Stundung seiner Steuerschulden, die er schließlich in entwerteten Papierkronen in Raten beglich. Kaum eine Persönlichkeit der Ersten Republik polarisierte so wie Castiglioni. Für die einen war er der bewunderte SelfmadeMillionär und Personifikation der eigenen Wünsche und Träume, für die anderen, wie etwa Karl Kraus, der »Haifisch«, der sich am Unglück der anderen bereicherte, der Spekulant und Glücksritter, der die Politik und seine Umgebung korrumpierte. Castiglioni strebte auch nach gesellschaftlicher Akzeptanz, die ihm zwar ein Teil der arrivierten Wiener Gesellschaft verweigerte, die er sich aber mit umso größerem imitativen Ehrgeiz selber schaffen zu können meinte. Er nützte die gesellschaftliche und finanzielle Zerrüttung der Nachkriegszeit, indem er ein herrschaftliches ­Palais und die Sammlung Miller von Aichholz in der Wiener Prinz-Eugen-Straße in der Nähe des Palais Rothschild erwarb und damit eine der bedeutendsten privaten Kunstsammlungen Europas, die er in vier Katalogen mit insgesamt rund 500 Seiten dokumentieren ließ. Und er spielte auch, um die erhoffte gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen, die Rolle des großzügigen Mäzens. Wien und auch Salzburg, wo man zu Ehren von Castiglioni einen Saal des Mozarteums nach ihm benannt hatte, profitierten davon. Im Frühjahr 1935 erklärte er zu seinem Mäzenatentum  : »Ich habe zwanzig Jahre lang für Museen, Wohltätigkeitsveranstaltungen, Universitäten, Bibliotheken, Spitäler ungeheure Summen geopfert. Ich habe nach dem Krieg die Freiwillige Rettungsgesellschaft, dieses Wahrzeichen von Wien, auf die Bitte des damaligen Polizeipräsidenten Dr. Schober vor dem Zusammenbruch bewahrt, den Wiener Volksbildungsverein auf Intervention von Bürgermeister Seitz gerettet, das Mozarteum in Salzburg im letzten Augenblick durch eine Zuwendung von hunderttausend Schilling am Leben erhalten und als Krönung meines Wirkens das Theater in der Josefstadt geschaffen, ein Tempel der Kunst für Wien und für Österreich, ein Juwel, das den höchsten Ansprüchen eines Kulturvolkes entspricht  !«44 Seit seiner Verheiratung mit der Burgschauspielerin Iphigenie Buchmann fühlte er sich besonders mit dem Theater verbunden, und Max Reinhardt sollte von dieser Hinwendung profitieren. Noch Anfang 1923 hatte Reinhardt in einem Brief an Helene Thimig mit Blick auf die schwierige Lage seiner Projekte – seine Berliner Theater befanden sich unter der neuen Direktion in einer schwierigen Lage, die erhoffte Pacht des Josefstädter Theaters war noch keinen entscheidenden Schritt vorangekommen, die Salzburger Festspiele standen angesichts zahlreicher Probleme vor ihrem Ende, die erhoffte Einladung nach New York für eine Inszenierung von Karl Vollmoellers »Das Mirakel« war noch immer nicht erfolgt – eine pessimistische Bilanz gezogen  : »So dick in undurchsichtigen Wolken bin ich noch nie gewesen. Von allen Seiten drohen Gewitter. (…) Aus Amerika keine Nachricht …«45 44 Der Morgen, 27. 5. 1935. S. 7. 45 Thimig-Reinhardt. S. 150.

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Doch im April folgte die Einladung nach New York und am 22. Juni 1923 konnten die Verhandlungen mit der Unterzeichnung des Pachtvertrages für das Josefstädter Theater abgeschlossen werden. Das Haus, in dem Wiener Theater- und Musikgeschichte geschrieben worden war, befand sich allerdings in einem völlig verwahrlosten Zustand. Und es war die Frage, wie Reinhardt seinen Traum realisieren wollte, dieses altehrwürdige Theater, dessen Foyer, wie Gusti Adler schrieb, »wie ein Stall« roch und weiter beschrieb sie »die schmutzigen Wände mit den armseligen Holzverkleidungen«,46 in ein Theater nach dem Vorbild des La Fenice in Venedig zu verwandeln. Die Pläne Reinhardts waren das eine, deren Finanzierung das andere. Völlig unerwartet erhielt er in dieser Situation einen Brief Castiglionis, der ihm ein traumhaftes Angebot unterbreitete  : Der Absender erklärte sich bereit, sämtliche Kosten der Umbauarbeiten zu übernehmen und Reinhardt bei der Wahl des Architekten sowie der Beschaffung der notwendigen Materialien und Einrichtungsgegenstände völlig freie Hand zu lassen.47 Reinhardt wählte den Architekten Carl Witzmann, der seine Vorstellungen einer Bühne nach dem Vorbild von La Fenice in Venedig in die Tat umsetzte. Reinhardt unternahm in Begleitung von Helene Thimig zahlreiche Italienfahrten, um vor allem in Antiquitätengeschäften die gewünschte Ausstattung zu besorgen. Er sah in seinem neuen Theater die Möglichkeit, sein Konzept eines Ensembletheaters, das er bereits im Burgtheater – wenn auch vergeblich – zu verwirklichen getrachtet hatte, zu realisieren. In einem programmatischen Beitrag in der »Neuen Freien Presse«, der nicht nur für das Josefstädter Theater, sondern auch für sein Verständnis der Salzburger Festspiele Geltung hatte, bemerkte er, im Theater komme es »mehr auf die Leistung als auf das Programm an«. Deshalb wolle er den Versuch unternehmen, »mit guten Schauspielern in einem geeigneten Hause Theater zu spielen. (…) Das Gelingen aller Theaterprogramme hängt meiner 46 Adler  : … aber vergessen Sie nicht die chinesischen Nachtigallen. S. 140. 47 Das Gebäude des Josefstädter Theaters befand sich im Eigentum Castiglionis. Anfang Oktober 1923 meldete das »Neue Wiener Journal« die Gründung einer »Schauspielhausaktiengesellschaft« zur Übernahme des Josefstädter Theaters, der neben Camillo Castiglioni auch der Industrielle Isidor Mautner und der Generaldirektor der Italo Wiener Kreditbank, Moritz Schenker, angehörten. Die Gesellschaft habe das Theater von Leo Singer um drei Milliarden Kronen erworben (Neues Wiener Journal, 2. 10. 1923. S. 5). Die tatsächliche Gründung der »Wiener Schauspielhaus Aktien-Gesellschaft« erfolgte am 23. April 1924 mit Sitz Schwarzenbergplatz 18. Der Verwaltungsrat bestand aus Isidor Mautner als Präsident, Berthold Schweiger, Moritz Schenker, Stephan Mautner, Hans Wertheim und Heinrich Adamec als leitende Verwaltungsräte. Die Josefstadt wurde von der Gesellschaft an Max Reinhardt gegen eine Gewinnbeteiligung verpachtet. Aufgrund der in den Folgejahren auftretenden finanziellen Schwierigkeiten verschwanden jedoch die prominenten Namen aus dem Verwaltungsrat, und Castiglioni und Reinhardt übernahmen führende Positionen. 1938 wurden als Vorstandsmitglieder die Castiglioni-Vertrauten Dr. Jaro Erichleb, Dr. Ernst Königsgarten, Erich Mostny, Eduard Nelken sowie Camillo Castiglioni und Max Reinhardt angegeben.

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Ansicht nach in erster Linie von den Schauspielern ab. Darum betrachte ich als das Wesentlichste meiner Inszenierungsarbeit die Arbeit mit den Schauspielern. (…) Das Entscheidende scheint mir die Spielfreudigkeit, ohne die ich mir ein Theater nicht denken kann. (…) Als das wichtigste Ziel eines künstlerischen Theaters darf wohl die Pflege des Ensemblespieles betrachtet werden, das Bestreben, Schauspieler nicht bloß vorübergehend als Gäste in ein Ensemble zu stellen, sondern ein Ensemble zu bilden und zu erhalten«.48 Die jeweiligen Programmzettel begannen daher mit dem Satz »Theater der Schauspieler in der Josefstadt unter der Führung von Max Reinhardt«.49 Die glanzvolle Eröffnung des Hauses erfolgte am 1. April 1924 mit Goldonis Commedia dell’arte »Der Diener zweier Herren« in Anwesenheit Casti-

48 Max Reinhardt  : Mein Programm. – In  : Neue Freie Presse, 24. 3. 1924. S. 5. 49 Seine Gedanken über die Schauspieler und die Schauspielkunst hat Max Reinhardt in seiner »Rede an die Schauspieler« 1928 an der Columbia Universität geäußert. Die Rettung des Theaters könne »nur vom Schauspieler kommen, denn ihm und keinem anderen gehört das Theater. Alle großen Dramatiker waren geborene Schauspieler, gleichviel, ob sie diesen Beruf auch tatsächlich ausübten. Shakespeare ist der größte und ganz unvergleichliche Glücksfall des Theaters. Er war Dichter, Schauspieler und Direktor zugleich. Er malte Landschaften und baute Architekturen mit seinen Worten. Er hat es dem Schöpfer am nächsten getan. Er hat eine zauberhafte, vollkommene Welt geschaffen. (…) In den Kindern spiegelt sich das Wesen des Schauspielers am reinsten wider. Ihre Aufnahmefähigkeit ist beispiellos, und der Drang zu gestalten, der sich in ihren Spielen kundgibt, ist unbezähmbar und wahrhaft schöpferisch. Sie wollen die Welt noch einmal selbst entdecken, selbst erschaffen. Sie sträuben sich instinktiv dagegen, die Welt durch Belehrung in sich aufzunehmen. Sie wollen sich nicht mit den Erfahrungen anderer vollstopfen. Sie verwandeln sich blitzschnell in alles, was sie sehen, und verwandeln alles in das, was sie wünschen. Ihre Einbildungskraft ist zwingend. (…) In der frühesten Kindheit des Menschen ist die Schauspielkunst entstanden. Der Mensch, in ein kurzes Dasein gesetzt, in eine dicht gedrängte Fülle verschiedenartigster Menschen, die ihm so nahe und doch so unfassbar fern sind, hat eine unwiderstehliche Lust, sich im Spiel seiner Phantasie von einer Gestalt in die andere, von einem Schicksal ins andere, von einem Affekt in den anderen zu stürzen. Die ihm eingeborenen, aber vom Leben nicht befruchteten Möglichkeiten entfalten dabei ihre dunklen Schwingen und tragen ihn weit über sein Wissen hinaus in den Mittelpunkt wildfremder Geschehnisse. Er erlebt alle Entzückungen der Verwandlung, alle Ekstasen der Leidenschaft, das ganze unbegreifliche Leben im Traum. Wenn wir nach dem Ebenbild Gottes erschaffen sind, dann haben wir auch etwas von dem göttlichen Schöpferdrang in uns. Deshalb erschaffen wir die ganze Welt noch einmal in der Kunst, mit allen Elementen, und am letzten Schöpfungstage, als Krone der Schöpfung, erschaffen wir den Menschen nach unserem Ebenbilde. (…) Die autosuggestive Kraft des Schauspielers ist so groß, dass er nicht nur innere seelische, sondern ohne technische Hilfsmittel tatsächlich auch äußere körperliche Veränderungen hervorzubringen vermag. Und wenn man an jene vielbesprochenen Wunder denkt, die sich zu allen Zeiten und an vielen Orten ereignet haben, wo einfache Menschen die Passion mit so starker Einbildungskraft erleben, dass ihre Hände und Füße Wunden aufweisen und dass sie wirklich blutige Tränen weinten, so kann man ermessen, in welch rätselhafte Gebiete die Schauspielkunst führen kann« (Thimig-Reinhardt. S. 200ff.).

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glionis, der in seiner Loge von einer Schar prominenter Gratulanten – prominente Künstler, Diplomaten, Vertreter der Hochfinanz und der Regierung – umgeben war. Der für Reinhardt noch zu Jahresbeginn 1923 so düstere Himmel hatte sich wenig später durch das überraschende Angebot Castiglionis und die Nachricht von der bevorstehenden Einladung in die USA aufgehellt, weshalb er den in Salzburg eingetretenen Turbulenzen mit einem Schuss Optimismus begegnete. Die Wolken über den Salzburger Festspielen hatten sich in der Zwischenzeit auf beängstigende und existenzgefährdende Weise verdüstert.

II.3 »Wir glauben, dass aus den Spenden der Salzburger für die Festspiele nicht einmal eine Bedürfnisanstalt errichtet werden könnte.« Die desaströsen Jahre 1923/24 Weder Stadt noch Land Salzburg stellten die notwendigen Mittel für die notwendige Adaption der Winterreitschule zur Verfügung. Zu groß waren die finanziel­ len Probleme, die aus einem Bündel von Ursachen resultierten. Der von den Deutschliberalen/-nationalen dominierte Gemeinderat unter Bürgermeister Max Ott hatte ein finanzielles Fiasko hinterlassen, das es schließlich erforderlich machte, dass eine aus Vertretern der Landtagsparteien und der Gemeindevertretung bestehende Kommission Vorschläge zur Sanierung der völlig zerrütteten Finanzen erstellen musste.50 Nicht nur die sich ständig verschärfende Entwicklung der Inflation erschwerte die Erstellung der Budgets, sondern auch die erheblich gestiegenen Anforderungen an die Kommunalpolitik infolge der durch den verstärkten Zuzug entstandenen Wohnungsnot und die katastrophale Ernährungslage. 1921 wies die Stadt Salzburg einen Fehlbestand von 6.593 Wohnungen auf. Dies veranlasste die Landesregierung im Spätherbst 1920, ein vollständiges Zuzugsverbot in die Stadt Salzburg für alle Personen, die hier nicht heimatberechtigt waren, zu erlassen. Die nunmehr für die Finanzen der Landeshauptstadt verantwortliche Mehrheitsfraktion der Christlichsozialen unter Bürgermeister Josef Preis und seinem Finanzreferenten Richard Hildmann war zwar bemüht, trotz der Inangriffnahme eines ehrgeizigen Wohnbau- und Elektrifizierungsprojekts (Strubklammkraftwerk)51 durch eine 50 Als besonders problematisch für die Lösung der Finanzlage erwies sich der Umstand, dass die Ge­ meinde­vertreter der Sozialdemokratie im Gemeinderat regelmäßig für die vorgeschlagenen Einnahmeerhöhungen stimmten, die sozialdemokratischen Abgeordneten zum Salzburger Landtag jedoch oftmals dagegen, wodurch es zu erheblichen zeitlichen Verzögerungen bei den notwendigen Beschlüssen kam. Bei der Beschlussfassung über die Stadtbudgets stimmten die Sozialdemokraten bis 1923 stets gegen deren Annahme, ab 1924 im Sinne eines vor allem von Landeshauptmann Franz Rehrl neu gefundenen Konsenses dafür. 51 Trotz aller zwischenzeitlichen Finanzierungsprobleme wurden unter Bürgermeister Josef Preis ins-

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Reihe neuer Abgaben und Budgetkürzungen den Haushalt der Stadt halbwegs im Gleichgewicht zu halten, doch wiesen die Budgets 1921 und 1922 lediglich einen Deckungsgrad von 54,2 bzw. 53,2 Prozent auf.52 1922 war die Finanzlage der Stadtgemeinde so kritisch, dass sie vorübergehend den Gemeindearbeitern den Lohn nicht auszahlen konnte. Erst das Wirksamwerden der Genfer Anleihe beruhigte die finanziellen Turbulenzen des Stadtbudgets, dessen Erstellung für das Jahr 1923 vor dem Hintergrund der vom Bund im Sinne der Geldwertstabilisierung und der Signalwirkung an die Geberländer gewünschten weitgehenden Ausgeglichenheit der Budgets der Gebietskörperschaften eine Deckung von 81,2 Prozent vorsah. Adolf Schemel, Klubobmann der christlichsozialen Gemeinderatsfraktion, erwähnte in einem Artikel über die Aufgaben der Stadtgemeinde Anfang April die Mitfinanzierung des Umbaus der Winterreitschule in ein provisorisches Festspielhaus mit keinem Wort.53 Der politische Problemhaushalt beinhaltete andere Prioritäten wie den Wohnungsbau, die Wasserleitungen und Elektrizitätsversorgung, die notwendigen zahlreichen Sanierungsarbeiten an Brücken, Dächern und Fundamenten. Ähnlich gestaltete sich die Situation des Landes. Wenngleich der 1922 gewählte Landeshauptmann Franz Rehrl durchaus ehrgeizige landespolitische Ziele im Bereich der Modernisierung des Landes durch den Ausbau der Energiewirtschaft, vor allem der Wasserkraft,54 sowie der Verkehrsinfrastruktur verfolgte, so folgte er dem Pfad der fiskalischen Konsolidierungspolitik nach dem Abschluss der Genfer Protokolle, in der er die Voraussetzung für eine wirtschaftliche Erholung des Landes und – durch die weitgehende Zerstörung des inländischen Kapitals durch die Inflationsperiode – gesamt 683 Wohnungen mit städtischen Mitteln errichtet. Als besonders problembehaftet sollte sich der Bau des Strubklammkraftwerks erweisen. Im Sommer 1920 wurde eine 80-Millionen-Anleihe bei einem Wiener Bankenkonsortium abgeschlossen. Infolge der nunmehr sich rasch beschleunigenden Inflation schmolzen jedoch die Beträge rasch dahin, sodass der Bau bereits 1921 eingestellt werden musste. Die Stadt nahm schließlich ein Angebot der Württembergischen Elektrizitäts AG (WEAG) an. Das deutsche Unternehmen sollte das Werk fertigbauen und im Gegenzug einen Betriebsführungsvertrag erhalten. Als die Inflation in Deutschland die Mark erfasste, geriet die Fertigstellung des Kraftwerks neuerlich in Gefahr, sodass sich die Stadt Salzburg zur Aufnahme einer neuerlichen Anleihe in der Höhe von zwei Millionen Goldkronen entschloss. Der Bau konnte zu Weihnachten 1924 finalisiert werden. Die Finanzierung war jedoch noch immer nicht abgeschlossen. Erst ein von Landeshauptmann Franz Rehrl vermittelter Schweizer Kredit Ende 1925 ermöglichte nicht nur den Abbau der Schulden des Kraftwerkes, sondern auch die Erweiterung der Elektrizitätswerke, der städtischen Gas- und Wasserwerke, der Straßenbahn und die Errichtung von städtischen Wohnungen. Vgl. Franz Schausberger  : Eine Stadt lernt Demokratie. Bürgermeister Josef Preis und die Salzburger Kommunalpolitik 1919–1927. – Salzburg 1988. S. 129ff. (Veröffentlichung der Dr.-Hans-LechnerForschungsgesellschaft Salzburg Nr. 4). 52 Schausberger  : Eine Stadt lernt Demokratie. S. 95  ; Heinz Dopsch, Robert Hoffmann  : Geschichte der Stadt Salzburg. – Salzburg/München 1996. S. 532. 53 Adolf Schemel  : Die Aufgaben der Stadtgemeinde. – In  : Salzburger Chronik, 1. 4. 1923. S. 3f. 54 Franz Rehrl  : Unsere Wasserkräfte. – In  : Salzburger Chronik, 1. 4. 1923. S. 1f.

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die Gewinnung ausländischen Kapitals für die Realisierung kapitalintensiver Großprojekte sah. Mitte März 1923 berichtete die »Salzburger Chronik«, die im Landtag vertretenen Parteien seien nach wochenlangen Verhandlungen zu einer grundsätzlichen fiskalpolitischen Einigung gekommen. »Im Rahmen des Sanierungsprogrammes, das im Laufe der nächsten zwei Jahre den Bundeshaushalt in Ordnung bringen soll, wurde den Ländern der A u s b a u d e r R e a l s t e u e r n als Hauptsteuerquelle überlassen.« Bei der nun zwischen den Parteien erzielten Einigung sei »jede Ziffer des Budgets überprüft« worden, »ob noch Einsparungen möglich wären. Es wurde also der Steuererhöhung die weitestgehende Sparsamkeit in den Ausgaben vorausgesetzt«. Nun habe man sich auf eine deutliche Erhöhung der Grundsteuer, der Hauszinssteuer und der Hausklassensteuer geeinigt und werde dies in Form von Landesfinanzgesetzen festlegen. »Die neuen Steuergesetze werden sicher schwere Opfer auferlegen. Allein ohne schwere Opfer werden wir nicht über den Berg kommen.«55 Das Ende der Inflationskonjunktur und die einsetzende Stabilisierungsphase manifestierten sich in ihren unvermeidlichen sozialen Folgekosten. Die Zahl der unterstützten Arbeitslosen stieg in Salzburg zwischen 1921 und 1923 von 228 auf 2.989 und die »Salzburger Chronik« meldete Ende März 1923, dass allein zu Beginn der Stabilisierungsphase zwischen 1. Oktober 1922 und 24. März 1923 32.311 Beamte und Angestellte des Bundes abgebaut worden seien.56 Angesichts dieser Rahmenbedingungen war auch der Salzburger Landtag nicht zu dem äußerst unpopulären Schritt bereit, die notwendigen Mittel für den Umbau der Winterreitschule zur Verfügung zu stellen. Da auch der Bund aufgrund der von ihm geforderten strikten Fiskalpolitik nicht als Geldgeber infrage kam, hätten nur großzügige private Spender die Finanzierung ermöglichen können. Doch diese waren nicht vorhanden, sodass das Projekt ad acta gelegt wurde, was wiederum Reinhardt zu der Drohung veranlasste, in Salzburg überhaupt kein Theaterstück zu inszenieren. Er hatte im Februar die lang ersehnte Einladung von Morris Gest erhalten und traf am 14. April in New York zu Gesprächen über eine Inszenierung ein, wobei man sich rasch auf Vollmoellers »Das Mirakel« einigte, für dessen Realisierung Norman Bel Geddes als Ausstatter gewonnen werden konnte. Als Financier fungierte der Bankier und Kunstmäzen Otto H. Kahn. Die Vorarbeiten für die Aufführung im Century Theatre sollten während des Sommers in Salzburg, im Schloss Leopoldskron stattfinden. Reinhardt verließ nach der Vertragsunterzeichnung Mitte Mai New York Richtung Salzburg, wo in der Zwischenzeit die Zeichen auf einer Absage der Festspiele standen. Nicht nur Reinhardt hatte angesichts der Nichtrealisierung des Umbauprojekts der Winterreitschule mit seinem völligen Rückzug gedroht, sondern auch Richard 55 Salzburger Chronik, 14. 3. 1923. S. 1. 56 Salzburger Chronik, 30. 3. 1923. S. 2.

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Strauss und Franz Schalk setzten Schritte in diese Richtung, indem sie die Festspielhausgemeinde kurzfristig davon in Kenntnis setzten, dass sie einem an die Wiener Staatsoper gerichteten lukrativen Gastspielangebot aus Südamerika Folge leisten und daher im bevorstehenden Festspielsommer nicht zur Verfügung stehen werden. Strauss ließ wissen, dass er erst im Festspielsommer 1924 wieder zur Verfügung stehen und seine Oper »Ariadne auf Naxos« sowie die Suite aus »Der Bürger als Edelmann« dirigieren werde. Devisen übten eine besondere Anziehungskraft aus und waren allseits begehrt. In der unmittelbaren Nachkriegszeit schufen die Zugangsmöglichkeiten allerdings eine spezifische Klassengesellschaft. Da waren diejenigen, die nicht die Möglichkeit hatten, in den Besitz der begehrten Währungen zu kommen und entweder ergeben ihr elendes Schicksal der entwerteten Kronenbesitzer hinnehmen oder mitansehen mussten, wie sich raffgierige Besitzer von Valuten an einem Ausverkauf materiell-kultureller Güter des Landes bereicherten, und diejenigen, die durch Spekulationsgeschäfte oder geschickte finanzielle Transaktionen – zum Teil bereits während des Krieges – ein Valutavermögen erworben hatten und schließlich noch jene, die die Möglichkeit hatten, aufgrund ihrer – vor allem – künstlerischen Profession die begehrten Währungen zu erwerben. Das Hemd war einem näher als der Rock, das Interesse am eigenen Wohlergehen größer als an von schlecht bezahlten oder durch die Inflation ohnedies unrentablen Engagements für Ideale, die zudem von einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung ohnedies für in der aktuellen Situation als unangebrachter Luxus von wenigen betrachtet und daher nicht geschätzt wurden. Als Künstler musste und wollte man solides Geld verdienen. Die Festspielidee spielte in dieser Situation bei deren bekannten künstlerischen Protagonisten nur eine Nebenrolle – im Unterschied zu deren ursprünglichen Protagonisten Friedrich Gehmacher und Heinrich Damisch. Damisch, dessen Sehkraft zunehmend nachließ, war wegen der ständigen Diffe­ renzen zwischen dem Salzburger und Wiener Zweigverein, die vor allem bei der Sitzung des Direktoriums am 25. Juni 1923 erkennbar wurden und die gegenseitigen Animositäten deutlich zu Tage treten ließen, von seiner Funktion zurückgetreten. Vor allem der Salzburger Verein sah sich von den Wienern ausgenutzt und warf diesen Untätigkeit bei der Beschaffung der für den Umbau der Winterreitschule notwendigen Mittel vor, während diese im Gegenzug erklärten, das wichtigste Werbemittel für den geplanten Umbau der Winterreitschule sei die Abhaltung alljährlicher Festspiele. Auf diese müsse man sich konzentrieren, da sie die beste Werbeplattform für eine Ermöglichung der Inangriffnahme der Umbauarbeiten seien. Nur durch sie bestehe die Chance, das Vermögen der Salzburger Festspielhausgemeinde auf ein Niveau zu heben, das es gestatte, das Bauvorhaben in Angriff zu nehmen und den Festspielen zumindest ein Provisorium zur Verfügung zu stellen. Wie sehr ein geeigneter Veranstaltungsort für eine zukunftsorientierte Durchführung der Festspiele von Bedeutung war, wurde an den gescheiterten Bemühungen um die Berliner Phil-

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harmoniker als Ersatz für die Wiener Philharmoniker deutlich. Das Berliner Elite­ orchester ließ die Salzburger Festspielhausgemeinde wissen, dass die in Salzburg zur Verfügung stehenden Konzertsäle völlig ungeeignet wären.57 Das Angebot von jenen Mitgliedern der Wiener Philharmoniker, die nicht an der Südamerikatournee teilnahmen, einige Konzerte in Salzburg zu spielen, scheiterte an den Gagenforderungen, die die Veranstalter nicht erfüllen konnten. Die Konsequenz der nicht bewältigbaren Probleme war die offizielle Absage der Festspiele Mitte Juli 1923 durch den Vizepräsidenten der Salzburger Festspielhausgemeinde Friedrich Gehmacher. Es war für die Bedeutung der Festspiele in der öffentlichen Wahrnehmung charakteristisch, dass deren Absage den Salzburger Tageszeitungen keine Erwähnung wert war. Am Tag der Bekanntgabe der Absage der Festspiele berichtete die »Salzburger Wacht« lediglich, dass Zell am See Volksschauspiele angekündigt und diese um 20.30 Uhr auf dem Vorplatz des Schlosses Rosenberg mit einer »Jedermann«-Aufführung eröffnet habe.58 Dass im August 1923 schließlich doch noch so etwas wie Rumpffestspiele stattfanden, war einer Laune Max Reinhardts zu verdanken. Er arbeitete auf Schloss Leopoldskron intensiv mit seinen amerikanischen Gästen, vor allem mit Norman Bel Geddes, an der für Jahresende geplanten »Mirakel«-Inszenierung. Gleichzeitig gab er den Bitten von Freunden und der Salzburger Festspielhausgemeinde nach, doch noch ein Stück zu inszenieren und damit die Kontinuität der Festspiele zu garantieren. Er entschied sich, vom Ambiente des Schlosses Leopoldskron inspiriert, für Molières »Der eingebildete Kranke«. Er konnte das Stück mit den ihm vertrauten Schauspielern auf Schloss Leopoldskron proben, in dessen Marmorsaal auch die Generalprobe für ein exklusives Publikum stattfand, ehe die Aufführung mit großem Erfolg für vier öffentliche Vorstellungen in das Landestheater übersiedelte. Die Aufführung im Schloss Leopoldskron wurde vor allem durch den Regieeinfall Reinhardts und die Improvisationskunst des Komikers Max Pallenberg, eines Lieblingsschauspielers Reinhardts, und des Schriftstellers Egon Friedell, den Reinhardt ebenfalls sehr schätzte und den er mehrere Jahre hindurch in Komödien einsetzte, legendär.59 57 Stephen Gallup  : Die Geschichte der Salzburger Festspiele. – Wien 1989. S. 48. 58 Salzburger Wacht, 15. 7. 1923. S. 3. 59 Pallenberg spielte Argan, den eingebildeten Kranken, und Friedell Dr. Diafoirus, dessen Arzt. »Pallenberg – fertig geschminkt, vollständig kostümiert – empfing die Gäste an der Tür und führte sie in den ›Theatersaal‹, bereits ganz und gar in seiner Rolle. Er klagte über seine hundert verschiedenen Krankheiten, schimpfte auf die Ärzte und Apotheker, bat um gute Ratschläge, Adressen von Spezialisten usw. – alles Improvisationen, aber es ging ihm wunderbar leicht von der Zunge, und das Publikum war sofort in das Stück und seine Atmosphäre aufgenommen. Dieser Pallenberg war ein köstlicher Mensch. Reinhardt und ich haben ihn heiß geliebt. Ein ganz kleiner Mann, der immer Anzüge mit sehr breiten Schultern getragen hat, elegante Anzüge, die aber nie

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Einen Monat nach der letzten Vorstellung des »Eingebildeten Kranken« im Salzburger Landestheater setzte Richard Strauss einen Schritt, der seinen bevorstehenden Rückzug als Präsident der Salzburger Festspielhausgemeinde ankündigte. Er teilte dem Sekretär der Salzburger Festspielhausgemeinde, Erwin Kerber, mit, dass er in Zukunft den Festspielen nicht mehr als Dirigent zur Verfügung stehen werde, da er den Sommer als geschlossene Arbeitszeit benötige. Trotz dieser beunruhigenden Zeichen war man seitens der Geschäftsführung der Festspielhausgemeinde bemüht, ein Programm für den Festspielsommer 1924 zu erstellen, das allerdings von vielen Unsicherheiten – eventuelles Gastspiel der Wiener Staatsoper in London, Gagenforderungen der Wiener Philharmoniker, Finanzierung – gekennzeichnet war.

die wirkliche, dezente Eleganz darstellten. Sonst war eigentlich nichts Besonderes an seinem Äußeren festzustellen, außer dass er am kleinen Finger immer einen Brillantring trug und an seinen winzigen Füßen Lackschuhe. Obwohl er grundhässlich war, hatte er für mich, die ich hässliche Menschen nicht ausstehen kann, von Anfang an etwas Faszinierendes. Man muss sich vorstellen  : ein kleiner, rothaariger Kopf mit einer Stupsnase, einem ziemlich breiten Mund und einer ziemlich tenoralen Stimme. (…) Grundsätzlich trat er an, ohne etwas zu können. Er trat an, ohne sich bei den ersten Proben besonders an seine Rolle, an die Absichten des Autors zu halten. Hat sich an ein paar Punkte gehalten und ganz spielerisch eine Figur entworfen – nicht ausgedacht, gemacht  ! Da war ihm seine Intelligenz gar nicht im Wege – er hat geradezu ein animalisches Vergnügen gehabt dabei. Zum Beispiel hat er furchtbar gern – und Reinhardt, der oft brüllte vor Lachen, hat ihm das erlaubt – den Rollentext verballhornt, hat damit jongliert und gewürfelt, solange bis alles entweder witzig-geschliffen oder grotesk-absurd und ins Aberwitzige verstiegen war. (…) Er ging immer als Sieger von der Bühne, war immer wachsam und darauf bedacht, seine Konkurrenten auszuschalten, an die Wand zu spielen, oft mit den brutalsten Mitteln. Da kannte er keine Gnade. Und im Grunde hatte er nie etwas zu fürchten, ganz einfach, weil niemand gegen ihn ankam. Im Moment fällt mir nur eine Ausnahme ein, und damit sind wir wieder bei jener denkwürdigen Privatvorstellung vom ›Eingebildeten Kranken‹ in Leopoldskron. Bei dieser Vorstellung ging Pallenberg nur als zweiter Sieger von der Bühne. Daran war der Schauspieler Dr. Egon Friedell schuld, der als Verfasser einer ›Kulturgeschichte der Neuzeit‹ berühmt wurde und eigentlich nur als Gelegenheitsschauspieler eingesetzt wurde. Reinhardt schätzte ihn als witziges Original, und er setzte ihn viele Jahre hindurch vor allem in Komödien ein. An diesem Abend spielte er Dr. Diafoirus, den Arzt des ›Eingebildeten Kranken‹ Pallenberg, und trat genau in dem Moment auf, in dem Pallenbergs Partnerin weinend abging  : Der Komiker hatte sie durch hemmungsloses Extemporieren aus dem Text gebracht. Natürlich versuchte Pallenberg sofort, mit demselben Rezept auch Friedell aus dem Konzept zu bringen, zog aber den Kürzeren, weil sich auch Friedell sofort aufs Improvisieren verlegte. Pallenberg erfand neue Personen, auf die aber Friedell sofort bereitwilligst einging, und da ihm seine Schriftstellerphantasie immer neuen Stoff zuführte und er schließlich sogar Griechisch und Latein zu sprechen begann, musste Pallenberg die Waffen strecken. Das Ganze hat mindestens fünf bis zehn Minuten gedauert, was auf der Bühne sehr, sehr lange ist und das Publikum hat sich irrsinnig amüsiert. Reinhardt lachte wieder mal am allerlautesten« (ThimigReinhardt  : Wie Max Reinhardt lebte. S. 159ff.).

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Hinzu trat der schwelende Konflikt zwischen dem Salzburger und Wiener Zweigverein, der in der ersten Jahreshälfte 1924 einen Höhepunkt erreichte und eine konstruktive Planung des Festspielsommers de facto unmöglich machte. Am 23. Februar 1924 sorgte ein Artikel im »Salzburger Volksblatt« für Aufregung. Einleitend wurde festgestellt, dass bereits 1923 die Differenzen zwischen dem Wiener und Salzburger Zweigverein der Festspielhausgemeinde die Durchführung von Festspielen de facto verhindert habe und man sich nur deshalb zur Vermeidung der öffentlichen Erörterung dieser Differenzen entschlossen habe, um nicht Öl in das Feuer zu gießen. Wenn man sich jedoch nunmehr doch zu diesem Schritt entschließe, müsse man die Erklärung voranschicken, dass es dabei keineswegs »um die Zerstörung, sondern um die Erhaltung der Salzburger Festspiele« gehe, »deren erfolgreiche Durchführung« man als »eine Lebensnotwendigkeit« der Stadt betrachte. Man sei jedoch der Meinung, »dass eine gesündere Grundlage gefunden werden müsste«. Seit langem werde beobachtet, »dass die Interessengegensätze zwischen der Wiener und Salzburger Leitung der Festspielhausgemeinde immer stärker wurden und dass der Streit um das Primat der Veranstaltung auch die diesjährigen Festspiele infrage stellen musste. Tatsächlich haben sich dadurch die Vorbereitungen so sehr verzögert, dass erst am 16. Feber die Mitteilung ausgegeben werden konnte, man denke ernstlich an die Abhaltung der Festspiele. Das Programm ist freilich noch immer unbekannt und die unerlässliche Propaganda wird wohl erst dann einsetzen, wenn es nicht mehr möglich sein wird, den Fremdenstrom, ohne dessen Teilnahme ein finanzielles Gelingen der Festspiele ausgeschlossen ist, nach Salzburg zu lenken«. Wenn man einen Blick nach Bayreuth werfe, dessen Festspiele auch erst im Spätsommer stattfinden, aber bereits restlos ausverkauft sind, so könne »man ermessen, wie wenig zweckbewusst in der Festspielhausgemeinde gearbeitet worden ist«. Doch selbst wenn die Schwierigkeiten noch überwunden werden sollten, so sei damit »noch immer nicht allzu viel für Salzburg getan (…)  ; denn was wir im Sommer zu sehen bekommen werden, werden nicht Salzburger Festspiele, sondern Wiener Festspiele in Salzburg sein«. Wolle man aber Salzburger Festspiele, »dann muss jedes Festspiel aus Salzburg selbst, aus dem Geiste dieser unvergleichlichen Stadt geboren sein, mit seiner Kraft, die immer nur das Echte, im Boden Wurzelnde besitzen kann. Salzburger Festspiele müssen, wenn anders sie diesen Namen überhaupt verdienen wollen, in den Salzburger Verhältnissen begründet, ihnen angepasst, ihrer Eigenart entsprechend sein. Alles andere müsste in kurzer Zeit als Fremdkörper empfunden werden. Salzburg verträgt keine Festspiele, die ihm sozusagen als Fertigware importiert werden«. Dies aber sei die Absicht des Wiener Zweigvereins. Würde sich diese Richtung durchsetzen, wäre Salzburg nichts anderes »als eine prächtige Reklame für die Wiener Sonderinteressen« und von einer »Monopolisierung (…) durch einen Kunstindustriekonzern« bestimmt. Die Entwicklung der Festspielhausgemeinde sei in jüngster Zeit jedoch genau in diese Richtung gegangen, da der Wiener Zweigver-

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ein die Führung an sich gerissen und durch die Etablierung eines nur aus Wienern bestehenden Komitees, dessen Aufgabe in der Erarbeitung von Programmideen liege, die Salzburger zu ohnmächtigen Zaungästen degradiert habe. Besonders bedenklich sei aber der Umstand, dass der Wiener Zweigverein unter der Leitung von Karl von Wiener für den noch immer nicht gesicherten Umbau der Winterreitschule in Paul Goldstein, den Generaldirektor der Depositenbank, einen Sponsor gefunden habe, der für dieses Vorhaben einen Betrag von fünf Milliarden Kronen zur Verfügung stellte und man in Wien nunmehr die Absicht habe, eine Festspiel AG zu gründen, und von der Stadtgemeinde Salzburg für 25 Jahre die vollkommene Abgabenfreiheit verlange. Würden diese Pläne realisiert, sei die Idee von Salzburger Festspielen gestorben.60 Dies veranlasste die »Salzburger Wacht« zu einer ironisch-bissigen Verteidigung des Wiener Zweigvereins und dessen Pläne. Es mögen doch »die sagenhaften bürgerlichen Salzburger Mäzene, die immer dann zur Stelle sind, wenn es in Festspieldingen etwas zu verhindern gilt, zeigen, ob sie die versprochenen Milliarden aufbringen können. Wir glauben, dass aus den Spenden der Salzburger Bürger für die Festspiele nicht einmal eine Bedürfnisanstalt errichtet werden könnte«. Und zur Forderung nach Salzburger Festspielen  : »S a l z b u r g e r Festspiele hat es nie gegeben und kann es nie geben, weil Salzburg zu klein und zu impotent ist, künstlerisch produktiv in Erscheinung zu treten  ; es waren immer W i e n e r Festspiele in Salzburg und werden immer solche sein, wenn sie überhaupt jemals noch sein werden. Aber auch die Finanzierung ist niemals von Salzburg zu erwarten  ; ›völkische Belange‹ hören beim Geldgeben auf. Genauso wie der winterliche Salon-Antisemitismus der Salzburger Geschäftsleute nur so weit reicht, als er ihnen für die politische Agitation verwertbar erscheint, während sie ihr Geschäft mit den Juden niemals verschmähen, genauso ist das ›völkische‹ Gehabe in der Festspielfrage nur eine Burschenschafterphrase.«61 In Salzburg würden gewisse Kreise nur gegen Wien agitieren, ohne Gleichwertiges aufbieten zu können. Der ironisch-bissige Kommentar der »Salzburger Wacht« war durchaus zutreffend, auch was den winterlichen Salon-Antisemitismus der Salzburger sowie deren generelle Abneigung dem Fremdenverkehr gegenüber betraf. Das teilweise irratio­ nale Agieren gegen den Fremdenverkehr im Jahr 1922, das die frühzeitige Beendigung der Sommersaison mit 3. September durch eine Verordnung der Landesregierung zur Folge hatte, hatte international für Aufsehen und negative Schlagzeilen gesorgt. Bereits 1923 war die Situation durch die Währungsstabilisierung und die sich allgemein durchsetzende Erkenntnis der Bedeutung des Fremdenverkehrs für 60 Franz Krotsch  : Die Festspielaktiengesellschaft oder Wiener Festspiele in Salzburg. – In  : Salzburger Volksblatt, 23. 2. 1924. S. 3f. 61 Salzburger Wacht, 26. 2. 1924. S. 5.

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die Wirtschaft des Landes eine andere. Das »Salzburger Volksblatt« klärte seine Leser im Vorfeld der bevorstehenden Sommersaison auf, dass die durch den Fremdenverkehr höheren Steuereinnahmen der Stadt Salzburg 1922 erstmals eine termingerechte Auszahlung der Beamten- und Angestelltenbezüge ermöglicht hätten und dass die Vorteile die auch vorhandenen Nachteile überwiegen.62 Die Salzburger gewöhnten sich ab 1923 an, ihren Antisemitismus zu Beginn der Sommer- und Festspielsaison für zwei Monate unter den Tisch zu kehren, um ihn anschließend wieder hervorzuholen, wie die Tochter des Rabbiners der jüdischen Gemeinde in Salzburg, Nina Margulies, sich rückblickend erinnerte.63 Selbst bei Antisemiten wurden die Festspiele als wichtiger Bestandteil der Salzburger Wirtschaft – und in weiterer Folge auch der Salzburger Identität – anerkannt und daher als solche nicht infrage gestellt. Es war nur die Frage, wer sie konzipierte und durchführte. Die »Salzburger Wacht« traf auch die Mentalität des – allerdings zu einem erheblichen Teil auch verarmten – Salzburger Bürgertums. In dieser Kleinstadt mit etwas mehr als 30.000 Einwohnern gab es, jenseits der mentalen deutschnationalen Grundierung, keine finanzkräftigen Mäzene. Der aus einer bürgerlichen Salzburger Familie stammende Salzburger Sekretär der Festspielhausgemeinde, Erwin Kerber, wandte sich daher bei seiner verzweifelten Suche nach Financiers der Festspiele 1924 ebenfalls an den Präsidenten der Depositenbank, Paul Goldstein, der als großzügiger Mäzen galt und zudem über Beziehungen zu Camillo Castiglioni verfügte, der Reinhardt den Umbau des Josefstädter Theaters um den sagenhaften Betrag von 1,5 Millionen Schweizer Franken ermöglicht hatte. Doch der Versuch Kerbers, angesichts der sich türmenden Probleme in letzter Minute durch eine Finanzierungszusage die Durchführung der Festspiele zu ermöglichen, erfolgte zum falschen Zeitpunkt. Anfang Mai 1924 brach die von Goldstein geführte Depositenbank zusammen und deren Präsident versuchte sich durch eine Flucht nach Berlin seiner Verantwortung zu entziehen.64 62 Fremdenverkehr  ?  – In  : Salzburger Volksblatt, 3. 3. 1923. S. 1f. 63 Harald Waitzbauer  : »San die Juden scho’ furt  ?« Salzburg, die Festspiele und das jüdische Publikum. – In  : Kriechbaumer (Hg.)  : Der Geschmack der Vergänglichkeit. S. 249–258. S. 253. 64 Goldstein war 1917 von Camillo Castiglioni als Generaldirektor der Depositenbank installiert worden, während sich Castiglioni als neuer Großaktionär der Bank noch mit der Position des Vizepräsidenten zufrieden gab, bevor er Präsident der Bank wurde und 1920 mithilfe seiner italienischen Partner durch eine Kapitalerhöhung die absolute Aktienmehrheit erreichte. In seiner Zeit als Präsident bis 1922 erfolgte durch zahlreiche Industriebeteiligungen eine erhebliche Ausdehnung der Geschäftstätigkeit der Bank, ihr Kapital stieg zwischen 1917 und 1922 von 80 Millionen auf eine Milliarde Kronen, die Bank verfügte über 59 Filialen und Wechselstuben. Bis 1922 wies die Depositenbank unter den Wiener Mittelbanken die höchsten Zuwächse an Aktienkapital, der Bilanzsumme und den Erträgnissen auf. Ihr Aktienkapital hatte sich in diesem Jahr von 750 Millionen Kronen auf 7,5 Milliarden Kronen verzehnfacht. Im Juni 1923 erfolgte aufgrund der Aktienhausse eine Kapitalerhöhung auf zehn Milliarden Kronen. Der Bruttogewinn war 1922 um das 30-Fache höher als im Vorjahr.

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Auch die Verhandlungen des Wiener Zweigvereins mit dem Magistrat der Stadt Salzburg über eine Pacht der Winterreitschule für den Festspielsommer 1924 scheiterten an der Forderung der Stadt nach einer 20prozentigen Lustbarkeitsabgabe, die nach Berechnungen des Wiener Zweigvereins den präliminierten Gewinn der Festspielsaison völlig in Anspruch genommen hätte. In Wien ging man mit dem Hinweis auf die Bedeutung der Festspiele für den Fremdenverkehr von der Annahme eines Ein Spezifikum der Bank bestand darin, dass deren Filialleiter am Gewinn beteiligt waren, was zu zahlreichen äußerst riskanten Geschäften führte. Dies wurde auch dadurch begünstigt, dass die Filialen mit Freiheiten ausgestattet waren, die bezüglich der bei anderen Banken üblichen Beträge um das Dreifache höher waren. Die Folge war eine Ausdehnung der Geschäfte auf Kosten einer soliden Finanzierung. Und Castiglioni wusste sich als Präsident und Mehrheitsaktionär zahlreiche Vorteile zu verschaffen und benutzte die Mittel der Bank für seine Privatgeschäfte. Als er 1922 aufgrund eines Coups anderer Aktionäre gegen ihn von seiner Funktion als Präsident zurücktrat, schuldete er der Bank 819 Millionen Kronen, die er später in entwerteten Kronen zurückzahlte. Ihm folgte in der Funktion des Präsidenten der bisherige Generaldirektor Paul Goldstein. 1924 verfügte die Bank über 93 Industriebeteiligungen, wobei bei großen Beteiligungen auch andere Banken als Partner fungierten, und eine extrem hohe Zahl an Filialen. Erschwerend kamen die FrancSpekulationen führender Persönlichkeiten der Bank sowie der Aktiensturz an der Wiener Börse hinzu. Allein Präsident Paul Goldstein, und die Vizepräsidenten Adolf Drucker und Siegmund Sachsel waren durch fehlgeschlagene Franc-Spekulationen bei der Depositenbank mit 96 Milliarden Kronen verschuldet. Um einen Zusammenbruch der Bank und eine allgemeine Bankenkrise zu vermeiden, kam es Anfang Mai 1924 zu einer Intervention der Wiener Großbanken. Die erhoffte Beruhigung währte jedoch nicht lange, da sich herausstellte, dass die Darstellungen der Depositenbank nicht den Tatsachen entsprachen und ein positiver Betrieb der Bank unmöglich war. Ende Juli 1925 musste die Bank abgewickelt werden. Dieter Stiefel bemerkt zur Person von Paul Goldstein  : »In diesem Manne sind die widersprüchlichsten Eigenschaften vereinigt. Auf der einen Seite eine unglaubliche Schwäche, die zeitweilig so weit geht, dass er überhaupt zu niemandem Nein sagen kann. (…) Goldstein war (…) jedermann gegenüber so schwach, dass eine Zeit lang ein eigener Sekretär mit der Aufgabe betraut war, seine Bewilligungen zu revidieren. Im schroffsten Gegensatz zu dieser Schwäche steht seine hervorstechendste positive Eigenschaft, seine fabelhafte Überredungs- und Überzeugungsgabe. Derselbe Mann, der gegenüber der Beeinflussung durch Dritte völlig wehrlos war, vermochte selbst auf andere Personen, wenn er wollte, schrankenlosen Einfluss auszuüben. Diese Fähigkeit kam ihm natürlich im geschäftlichen Verkehr sehr zugute. Er berauschte sich selbst und seinen Gegenpart an den Gebilden seiner Phantasie. Dass er vom Bankwesen nichts verstand, gab er jederzeit unumwunden zu. Aber die Industrie  ! Ist es doch eine allgemeine Eigenschaft der Spekulanten, dass sie den Erwerb eines Aktienpakets gleichstellen mit einem industriellen Reifezeugnis. Bei Paul Goldstein war diese Einbildung so ausgebildet, dass er sich wirklich für einen Industriekapitän hielt, und zwar für einen industriellen Polyhistor, für einen universellen Fachmann auf allen Gebieten der Produktion. Wie der Erfolg beweist, verstand er von der Industrie ebenso wenig wie vom Bankfach. Wie wirklichkeitsfremd er war, geht daraus hervor, dass er als Präsident der Depositenbank so ziemlich der letzte war, der vom bevorstehenden Zusammenbruch erfuhr … Er war kein schlechter Mensch, aber ein sehr, sehr schlechter Bankpräsident« (Stiefel  : Castiglioni. S. 164).

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Erlasses der Lustbarkeitsabgabe aus, scheiterte aber an dem für Finanzen zuständigen Vizebürgermeister Richard Hildmann, der eine äußerst schwierige Situation des Stadtbudgets bewältigen musste und daher auf diese Einnahmen nicht verzichten wollte. Hinzu traten atmosphärische Störungen zwischen den Verhandlungspartnern, die vor allem im Magistrat für schwere Verstimmung sorgten und für das Scheitern der Verhandlungen mitverantwortlich waren. Es waren nicht die vielfach zitierten antisemitischen Rülpser des »Eisernen Besens«, dessen Verbreitung und Wirksamkeit wahrscheinlich überschätzt wird, sondern die Vielzahl von technischen und finanziellen Schwierigkeiten, die eine Absage der Festspiele 1924 immer wahrscheinlicher werden ließen. Mitte Juni meldete das »neue Wiener Journal«, es würden sich in den letzten Tagen die Gerüchte verdichten, dass die Salzburger Festspiele in diesem Sommer nicht stattfinden werden. Dass dies einen schweren Rückschlag für den Fremdenverkehr bedeute, bedürfe keiner besonderen Erwägung. Einen Hauptschuldigen für diese Entwicklung machte die Wiener Tageszeitung im Verhalten des Magistrats der Stadt Salzburg gegenüber der (Wiener) Salzburger Festspielhausgemeinde aus, der es gelungen sei, einen Großteil der notwendigen Mittel für ein provisorisches Festspielhaus in der überdachten Winterreitschule aufzutreiben.65 Einen Rettungsanker in letzter Minute schien, wie bereits im Vorjahr, Max Reinhardt zu bilden, der – gleichsam als Überbrückungshilfe für die Kontinuität der Festspielidee – eine Aufführungsserie seiner in den USA so erfolgreichen Inszenierung von Karl Vollmoellers Marienlegende »Das Mirakel« mit der Musik von Engelbert Humperdinck in der Kollegienkirche plante und dafür, sehr zum scheinheiligen (arischen) Ärger des »Eisernen Besens«, die Einwilligung des Erzbischofs erhalten hatte. Die Rolle der Madonna sollte Lady Diana Manners spielen. Reinhardt suchte im Sommer 1923 für das mehrere Monate lang geplante Gastspiel des »Mirakel« in den USA neben Maria Carmi, die ehemalige Gattin Vollmoellers, die die Rolle in den bisherigen europäischen Aufführungen des Stücks gespielt hatte, eine gleichwertige Alternativbesetzung. Dies war für ein fast über ein Jahr konzipiertes Gastspiel mit zahlreichen Vorstellungen unumgänglich, wollte man nicht von der körperlichen oder psychischen Konstitution einer einzigen Schauspielerin abhängig sein. Rudolf K. Kommer, der gelegentlich für Reinhardt als Agent arbeitete und ihn später in den USA exklusiv betreute, empfahl ihm die englische Schönheit Lady Diana Manners, die auch über schauspielerische Begabung verfügte. Reinhardt lud sie nach Leopoldskron ein und war von ihrer Art sowie Auffassungsfähigkeit derart begeistert, dass er sich entschloss, ihr nicht nur die Rolle, sondern auch die Premiere in New York am 15. Jänner 1924 anzuvertrauen. Maria Carmi wollte dies nicht zur Kenntnis nehmen, pochte auf ihren Auftritt in der Premierenvorstellung und drohte mit einer 100.000-Dollar-Klage. In dem in New York eskalierenden Konflikt fand Kommer eine 65 Neues Wiener Journal, 15. 6. 1924. S. 12.

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salomonische Lösung, indem er einen Losentscheid zwischen den beiden Kontrahentinnen vorschlug. Carmi akzeptierte und unterlag. Lady Diana Manners erlebte einen von der Presse und vom Publikum gefeierten Triumph und sollte diesen nunmehr auch in Salzburg wiederholen. Für das schließliche Nicht-Zustandekommen der geplanten Aufführung existieren zwei völlig unterschiedliche Erklärungen. Stephen Gallup behauptet in seiner Geschichte der Salzburger Festspiele unter Berufung auf eine Meldung des »Eisernen Besens« vom 15. August, Reinhardt habe sich bereits in Salzburg zu Proben aufgehalten, als Lady Diana Manners erkrankte und die zwischen 17. und 26. August geplante Aufführungsserie abgesagt werden musste. Nach dieser Version war es eine Ironie der Geschichte, dass die Erkrankung einer Schauspielerin, die für die Verhinderung dieses Falls ursprünglich engagiert worden war, nunmehr durch ihre Erkrankung eben diese Aufführung unmöglich machte. Die »Salzburger Chronik« berichtete in einer Notiz, dass die Wiederaufnahme der Aufführungsserie von »Mirakel« in New York in der zweiten Augusthälfte die Anwesenheit von Diana Manners erforderlich gemacht und daher zur Absage der geplanten Aufführungsserie in Salzburg geführt habe.66 Diese Version ist jedoch wenig plausibel, da Reinhardt keine Aufführungsserie des Stücks in Salzburg geplant hätte, wenn dessen Wiederaufnahme in New York bereits geplant gewesen wäre, es sei denn, man hätte sich in New York angesichts des unerwarteten Erfolgs völlig eigenmächtig und ohne vorherige Information des Regisseurs zu einem solchen Schritt entschieden. Welche der heute nicht mehr überprüfbaren Versionen auch richtig sein mag, mit dieser offensichtlich nicht geplanten Entwicklung hatte sich auch der letzte Rettungsanker der Festspiele aus seiner Verankerung gelöst, und sie mussten endgültig und offiziell abgesagt werden. Man werde, so wurde angesichts der ungewissen Zukunft optimistisch verlautet, »Das Mirakel« im kommenden Jahr zur Aufführung bringen. Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die Bedeutung der Festspiele in der veröffentlichten Meinung und der öffentlichen Wahrnehmung Salzburgs, dass diese Vorgänge in den lokalen Salzburger Medien nur unter »ferner liefen« gemeldet wurden und kaum zu allgemeiner Erregung Anlass gaben. Dies stand in offensichtlichem Gegensatz zu der – selbst von den Gegnern der »verjudeten« Festspiele bereits damals behaupteten – enormen wirtschaftlichen Bedeutung der Festspiele für die Stadt und das Land Salzburg. Im deutschnationalen »Salzburger Volksblatt« bemerkte Franz Krotsch, die Festspiele hätten seit ihrem kurzen Bestehen mehr für den Ruf Salzburgs geleistet als der berühmte Satz Humboldts über die Schönheit der Stadt. Obwohl es einzelne Personen gebe, die sich selbstlos und restlos für die Festspiele einsetzen, wolle der Festspielgedanke in den beiden letzten Jahren nicht mehr so recht gedeihen. Bei der Ursachenforschung für diese unerfreuliche Entwicklung sollte weder der Widerstand eines Teils der Bevölkerung gegen die Verwendung der 66 Salzburger Chronik, 12. 8. 1924. S. 4.

Die Neuorganisation der Salzburger Festspielhaus-Gemeinde

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Kirche als Schauspielort noch die zu starke Fixierung auf die Person Reinhardts, der aufgrund seiner zahlreichen Verpflichtungen zu wenig Zeit für Salzburg erübrigen könne, für das Misslingen der Festspiele verantwortlich gemacht werden. Der Grund liege »in dem Fehlen einer einheitlichen, zielgerichteten Organisation innerhalb der Festspielhausgemeinde selbst. Es fehlt offenbar der Kopf, der einerseits genau wüsste, was er will, anderseits aber auch imstande wäre, die besten Wege und Mittel zum Zweck zu finden und gleichzeitig auch die gegebenen Verhältnisse richtig ins Kalkül zu ziehen. Solange die Festspielhausgemeinde so desorganisiert, so kopflos und so widerstandslos allen Interessenspielen ausgeliefert ist, so lange wird alles, was sie unternimmt oder plant, von vornherein zu einem Misserfolg verdammt sein. Eine Körperschaft, die Monate verstreichen lässt, ehe sie sich zu irgendetwas entschließt, und die ihre Entschlüsse so überhastet und unüberlegt fasst, dass ihr keine Zeit zur Ausführung bleibt, die nicht imstande ist, allen Eventualitäten vorzubeugen, kann in ihrer gegenwärtigen Form nicht weiterhin mit der Führung eines so bedeutsamen Unternehmens betraut sein. (…) Die Festspielhausgemeinde bzw. deren Führung muss e i n e a n d e r e G r u n d l a g e erhalten, wenn sie wieder arbeitsfähig werden und derartige Blamagen wie die Absage der diesjährigen Festspiele vermeiden soll.«67

II.4 »In ewiger Eifersucht wachten die Salzburger darüber, dass die Wiener Herren in Salzburg nicht zu groß würden.« Die Neuorganisation der Salzburger Festspielhaus-Gemeinde am 7. Dezember 1924 Diese Meinung wurde auch vom Salzburger Zweigverein der Festspielhausgemeinde geteilt, der mit Blick auf die zermürbenden Kontroversen und Eifersüchteleien, inklusive deren Folgen für die Organisation der Festspiele, auf eine Reorganisation mit dem Ziel einer Konzentration auf Salzburg drängte. Am 1. September forderte er die Abhaltung einer außerordentlichen Generalversammlung mit dem Ziel des Beschlusses einer vollkommenen Neuorganisation der Salzburger Festspielhausgemeinde. Diesem Verlangen wurde am 17. November in einer Generalversammlung in Wien entsprochen, in der die vorgeschlagene Änderung der Statuten ohne Diskussion angenommen wurde.68 Vorausgegangen war der Generalversammlung die 67 Franz Krotsch  : Salzburger Festspiele. – In  : Salzburger Volksblatt, 12. 8. 1924. S. 3. 68 Die Zweigvereine wurden aufgelöst und die bisherige Generalversammlung übertrug ihre Befugnisse an ein Kuratorium, dem insgesamt 43 Salzburger und 33 Nicht-Salzburger, unter ihnen 13 Wiener, angehörten. Die eigentliche Geschäftsführung wurde einem höchstens aus zwölf Mitgliedern bestehenden Arbeitsausschuss übertragen, der sich nur aus Personen zusammensetzte, die ihren ordentlichen Wohnsitz in Salzburg hatten. In der konstituierenden Sitzung am 7. Dezember 1924 wurden in den Arbeitsausschuss gewählt  : Wilhelm Bauernfeind, Emil Funder, Friedrich Gehmacher, Richard

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Demission von Richard Strauss als Präsident der Festspielhausgemeinde am 1. Oktober mit der Begründung, er sei der vereinsinternen Streitereien müde, sowie die korporative Demission des Vorstandes des Wiener Zweigvereins. Strauss hatte als Präsident der Salzburger Festspielhausgemeinde die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt und war aufgrund des Primats seiner Eigeninteressen für die Position letztlich völlig ungeeignet. Die korporative Demission der Leitung des Wiener Zweigvereins war das Ergebnis einer zunehmenden Resignation angesichts der sich häufenden und offensichtlich nicht bewältigbaren Probleme, für die man vor allem die Salzburger verantwortlich machte und ihnen nunmehr die gesamte Verantwortung – inklusive des möglichen Scheiterns – übertragen wollte. Wenngleich die Generalversammlung in Wien im Schatten einer Regierungskrise erfolgte, so fielen an diesem Tag zwei für Salzburg folgenschwere Entscheidungen. Nicht nur die Salzburger Festspielhausgemeinde wurde reorganisiert und ihr Sitz nach Salzburg verlegt, sondern auch Ignaz Seipel trat aufgrund des Widerstandes vor allem der christlichsozialen Landeshauptleute gegen seine Spar- und Sanierungspolitik, die auch die Länder stärker einbinden wollte, in den Abendstunden endgültig zurück. Ihm folgte als Bundeskanzler der Obmann der Salzburger Christlichsozialen, National- und Gemeinderat Rudolf Ramek, an der Spitze eines sogenannten Länderkabinetts.69 Der organisatorische Neubeginn erfolgte in der konstituierenden Generalversammlung der neuen Salzburger Festspielhausgemeinde am 7. Dezember im Mozarteum, in der die Vereinsstatuten angenommen und eine neue, dem in Salzburg dominierenden politischen Konsensklima entsprechende, Vereinsleitung gewählt wurde. Zum Präsidenten wurde der christlichsoziale Vizebürgermeister Richard Hildmann, zum ersten Vizepräsidenten der großdeutsche Vizebürgermeister Karl Lackner, zum zweiten Vizepräsidenten der Hotelier Georg Jung, zum Schriftführer Hildmann, Karl Holter, Eduard Hütter, Emanuel Jenal, Georg Jung, Karl Lackner, Karl Stemberger, Adolf Stierle und Paul Tratz. Der Ehrenschutz wurde einem Protektorat übertragen, gebildet aus dem jeweiligen Bundespräsidenten, Bundeskanzler, Erzbischof und Landeshauptmann von Salzburg, dem Bürgermeister der Landes­ hauptstadt und Richard Strauss. Dem Kunstrat sollten Hugo von Hofmannsthal, Max Reinhardt, Al­ fred Roller und Richard Strauss angehören. 69 Die Regierung Seipel war bereits am 7. November 1924 in Reaktion auf einen Eisenbahnerstreik zurückgetreten, jedoch mit der Fortführung der Regierungsgeschäfte sowie der Bildung einer neuen Regierung von Nationalratspräsident Wilhelm Miklas beauftragt worden. In den Abendstunden des 17. November legte er schriftlich den Auftrag zur Regierungsbildung zurück. Zur Regierungskrise 1924 und zur Nominierung Rameks zum Bundeskanzler vgl. Franz Schausberger  : Rudolf Ramek 1881–1941. Konsenskanzler im Österreich der Gegensätze. – Wien/Köln/Weimar 2017. S. 136ff. (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 62).

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der Buchhändler Adolf Stierle und zum Kassier Wilhelm Bauernfeind gewählt. Hildmann hatte auch die Leitung der Generalversammlung übernommen und betonte in seiner Begrüßungsansprache, es sei kein Geheimnis, dass in der Führung der Festspielhausgemeinde in letzter Zeit kaum Übereinstimmung geherrscht habe. Man sei jedoch in der neu konstituierten Festspielhausgemeinde bestrebt, versöhnend zu wirken, zumal mit der Neugestaltung des Vereins keine Änderung der künstlerischen Ziele eintrete.70 Allerdings trete »jetzt an die Salzburger Bürgerschaft die Aufgabe heran, sich des Festspielgedankens wärmstens und tatkräftigst anzunehmen. Die vornehmste Aufgabe der allernächsten Zukunft bildet die Schaffung eines Festspielhauses«. Die Stadtgemeinde habe zu diesem Zweck der Festspielhausgemeinde den Gebäudekomplex der Hofstallkaserne zur Verfügung gestellt, der nach den Plänen des Landeskonservators und Architekten Eduard Hütter nunmehr in ein Festspielhaus umgebaut werden soll.71 Der Sekretär der Salzburger Festspielhausgemeinde, Erwin Kerber, betonte in seiner Rede programmatisch, »Mozart müsse als Mittelpunkt der künstlerischen Veranstaltungen gelten. Das P r o g r a m m d e r F e s t s p i e l h a u s g e m e i n d e s e i d e u t s c h u n d n a t i o n a l im Sinne der überragenden Deutschen des ausgehenden achtzehnten und des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts«.72 Der durchwegs positiven Berichterstattung der Salzburger Tagespresse vermochten allerdings die Wiener nicht zu folgen. So kommentierte das »Neue Wiener Journal« die personelle Besetzung der neuen Vereinsführung  : »Eine Reihe von Namen also, die dem Salzburger Lokalpatriotismus vielleicht etwas bedeuten mögen, vielleicht sogar mit goldenen Lettern in die Geschichte der Stadt Salzburg eingetragen werden, weil es diesen Herren gelungen ist, die einstige Wiener Zentrale zu stürzen. Vom Standpunkt allgemeinen Kunstempfindens muss jedoch bemerkt werden, dass hier eine für ganz Österreich bedeutsame künstlerische Frage zu einer provinzialen Angelegenheit herabzusinken droht. Bekanntlich wurde im Jahr 1917 in Wien die Salzburger Festspielhausgemeinde gegründet. (…) unter der Leitung der hervorragendsten Künstler Österreichs sollten alljährlich Festspiele veranstaltet werden, für die ein riesiges Festspielhaus hätte erbaut werden sollen. Die Tatsache, dass nur allererste Persönlichkeiten mit der Leitung dieser Festspiele betraut wurden, sollte die Gewähr für das hohe Niveau der Festspiele bieten. Namen wie Richard Strauss, Max

70 Nach § 1 der neuen Statuten führte der Verein weiterhin den Namen Salzburger Festspielhausgemeinde und hatte seinen Sitz nur mehr in Salzburg. § 2 definierte unverändert den Zweck des Vereins mit der Erbauung eines Festspielhauses und der Organisation von nicht auf Gewinn ausgerichteten Veranstaltungen von Festspielen. Die dafür erforderlichen Mittel sollten durch Subventionen, Sammlungen, künstlerische und gesellschaftliche Veranstaltungen und sonstige Einnahmen aufgebracht werden. 71 Salzburger Chronik, 10. 12. 1924. S. 4  ; vgl. dazu auch Salzburger Wacht, 9. 12. 1924. S. 7. 72 Salzburger Volksblatt, 9. 12. 1924. S. 4.

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Reinhardt und Alfred Roller genügten in der Tat schon damals, um der Salzburger Festspielhausgemeinde einen entsprechenden Rang zu sichern. Allein, was allgemeiner Einsicht einleuchtet, sollte den führenden Köpfen der Stadt Salzburg verschlossen bleiben. In ewiger Eifersucht wachten die Salzburger darüber, dass die Wiener Herren in Salzburg nicht zu groß würden, und entfachten eine heftige Propaganda, die schließlich zu dem korporativen Rücktritt der Wiener Zentrale geführt hat. Die Salzburger haben sich nunmehr für souverän und unabhängig erklärt. Ob diese Herren jemals imstande sein werden, die Idee der Salzburger Festspiele auch nur in einem annähernd würdigen Grade zur Durchführung zu bringen, bleibe dahingestellt.«73 Versöhnlicher gab sich die »Neue Freie Presse«  : »Die Festspielhausgemeinde hat nun auch ihr ruhiges Fahrwasser gefunden und die unerquickliche Polemik – hier Wien, hier Salzburg – scheint endlich zu Ende. Man hat aus lauter Liebe um das Kind es sich gegenseitig aus den Armen gerissen. Man sagt, die Zweiteilung, die von zwei Städten das Schicksal der Festspiele leitete, hätte sich nicht bewährt. Jetzt wollen es die Salzburger selbst machen. Das heißt  : Sie schwören zu Gott, es solle keine Provinzelei werden.«74 Die neue Leitung der Salzburger Festspielhausgemeinde war sich des Erfolgsdrucks durchaus bewusst. Sie hatte eine dreifache Aufgabe zu bewältigen  : 1. Den geplanten Umbau der Winterreitschule in ein provisorisches Festspielhaus, für den bereits Pläne des Landeskonservators und Architekten Eduard Hütter existierten, so rasch wie möglich zu realisieren, um mit einem provisorischen Festspielhaus Max Reinhardt an Salzburg zu binden  ; 2. die finanziellen Grundlagen durch öffentliche Subventionen zu garantieren, um damit 3. durch die Verpflichtung vor allem der Kräfte der Wiener Staatsoper und der Wiener Philharmoniker den Vorwurf des drohenden Provinzialismus zu entkräften. Bereits am 10. Dezember 1924 wandten sich Richard Hildmann und Adolf Stierle im Namen der Salzburger Festspielhausgemeinde an den Salzburger Landtag mit der Bitte, »ihre Bestrebungen durch tunlichst weitgehende moralische, insbesondere aber auch durch eine materielle Unterstützung zu fördern«. Die Festspiele 1920 bis 1922 hätten den Beweis erbracht, »dass in Salzburg wie in keiner zweiten Stadt des Kontinents alle denkbaren Voraussetzungen zur Festspielstadt gegeben sind. (…) Soweit künstlerische Erwägungen gelten, darf sich keine Stadt Europas rühmen, Salzburg an Geltung bei Künstlern und Kunstfreunden zu übertreffen«. Und man müsse bedenken, dass »Salzburgs wirtschaftliche Zukunft (…) nach wie vor zum überwiegenden Teil auf dem Gebiet des Fremdenverkehrs (liegt). (…) Die beiden letzten Jahre haben mit ihrem geringen Fremdenverkehr den deutlichen Nachweis für die volkswirtschaftliche Bedeutung dieses Erwerbszweiges gebracht. (…) Die Salzburger 73 Neues Wiener Journal, 10. 12. 1924. S. 5. 74 Neue Freie Presse, 13. 12. 1924. S. 11.

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Festspiele dürfen beanspruchen, zu den vornehmsten und wirksamsten Mitteln der Verkehrspropaganda zu zählen. Keine Werbeschrift, keine Messe oder sonstige Ausstellung, kein Kongress wird auch nur annähernd das Interesse des Auslandes so sehr auf Salzburg lenken als die Einladung zu den Festspielen«. Nach einem Hinweis auf die Neuorganisation der Salzburger Festspielhausgemeinde und deren nunmehriger Konzentration in Salzburg wurde betont, dass große und schwierige Aufgabe zu lösen seien, wie »die Veranstaltung großer Festspiele im Jahre 1925 und der Umbau des Reitschulkomplexes zu Stadt- und Festsälen«. Die neue Vereinsleitung sei »der besten Hoffnung, sich erfolgreich dieser großen Aufgaben entledigen zu können, sofern sie sich bei ihrer Arbeit vom Vertrauen der öffentlichen Faktoren von Stadt und Land Salzburg gestützt weiß«. Man sei sich durchaus dessen bewusst, dass eine Subventionierung durch das Land Salzburg nicht in einem Ausmaß erfolgen könne, mit dem alle Probleme gelöst wären. Aber sie werde einen Einfluss auf die Bereitschaft zur Unterstützung durch Private ausüben. Vor allem »aber würde eine Subvention die unverzügliche Inangriffnahme der kostspieligen Festspielvorbereitungen ermöglichen«.75 Das Subventionsschreiben war geschickt formuliert, indem es vor allem auch auf die wirtschaftliche Bedeutung der Festspiele hinwies. Bereits bei der Generalversammlung am 7. Dezember hatte man das in Salzburg sich etablierende politische Konsensklima berücksichtigt und mit dem Salzburger Vizebürgermeister Karl Lackner als erstem Vizepräsidenten einen Großdeutschen in das Vereinspräsidium gewählt, wodurch eine oppositionelle Haltung der Partei gegenüber Subventionsansuchen des Vereins sowohl im Gemeinde- wie auch im Landtag weitgehend ausgeschlossen wurde. Und obwohl die Salzburger Sozialdemokratie in den folgenden Jahren bei Debatten über die Festspiele immer wieder deren elitären Klassencharakter betonte, so verweigerte sie sich mit dem Hinweis auf deren wirtschaftliche Bedeutung nicht den notwendigen finanziellen Zuschüssen, denen jedoch aufgrund der begrenzten Finanzmittel des Landes deutliche Grenzen gesetzt waren. So erklärte der Bericht des Finanzausschusses des Salzburger Landtages am 17. Dezember, er anerkenne »voll und ganz die Wichtigkeit und die Bestrebungen der Festspielhausgemeinde (…)  ; allein die finanzielle Lage des Landes ermöglicht nur eine bescheidene Subvention zu den großen Auslagen, die dem Vereine bevorstehen« und man stelle daher den Antrag, den Betrag von 40 Millionen Kronen zu bewilligen. Dies entsprach etwas weniger als einem Viertel des Budgetpostens »Kunst und Wissenschaft« für das Jahr 1925.76 Der Salzburger Landtag entsprach am 19. Dezember dem Antrag des Budgetausschusses.

75 SLTPR, 9. Sitzung der 3. Session der 2. Wahlperiode am 19. Dezember 1924. S. 337f. 76 Ebda. S. 337.

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Hinter den Kulissen war zu dieser Zeit bereits Landeshauptmann Franz Rehrl tätig. Der 1890 im Haus St.-Peter-Bezirk Nr. 10 in Salzburg geborene Rehrl wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Seine Mutter war bereits 1908 Witwe geworden und musste für vier Kinder sorgen. Gefördert von Mitgliedern des Salzburger Klerus konnte Rehrl mithilfe eines Stipendiums das k. k. Staatsgymnasium in Salzburg besuchen, an dem ihm eine solide humanistische Bildung vermittelt wurde. 1910 bis 1915 studierte er Rechtswissenschaften an der Universität Wien und schloss das Studium 1915 mit der Promotion zum Dr. iur. ab. Bereits in seiner Gymnasialzeit wurde er Mitglied der MKV-Verbindung »Almgau«, während seines Studiums der Rechtswissenschaften der CV-Verbindung »Austria Wien«. Während seines Studiums interessierte er sich vor allem für Nationalökonomie und hörte Vorlesungen bei Eugen von Böhm-Bawerk und Ludwig Mises, zu seinen juristischen Lehrern zählten Max von Hussarek und Heinrich Lammasch. 1915 kehrte er nach Salzburg zurück und trat in den (autonomen) Landesdienst ein, wurde Schriftführer und 1917 Vorstand der Kanzlei des Landesausschusses sowie Sekretär des beinahe 80-jährigen Landeshauptmannes Alois Winkler. Rehrl galt zu dieser Zeit bereits als kommender Mann des christlichsozial-katholischen Lagers, in dessen überschaubaren Grenzen er auch Ignaz Seipel kennenlernte, der noch Professor für Moraltheologie an der Theologischen Fakultät in Salzburg war und eine Zweigstelle der Leo-Gesellschaft gegründet hatte, deren Veranstaltungen zum Treffpunkt der katholischen Intelligenz wurden. In der Übergangszeit von der Monarchie zur Republik begann die steile politische Karriere Rehrls. Anfang November 1918 wurde er Mitglied der Provisorischen Landesversammlung, im April 1919 christlichsozialer Abgeordneter zum Konstituierenden Landtag und Landeshauptmann-Stellvertreter. In der Diskussion der Verfassungsfrage vertrat er bei den Länderkonferenzen, im Landtag und in mehreren Zeitungsartikeln eine ausgeprägt föderalistische Position und plädierte für eine starke Ausdehnung der Länderkompetenzen. Er war 1922, als er in Nachfolge von Oskar Meyer zum Landeshauptmann gewählt wurde, noch nicht einmal 32 Jahre alt und galt trotzdem als eine der kraftvollsten politischen Persönlichkeiten der österreichischen Bundesländer, die zwei Jahre später durch seinen Widerstand gegen die von Seipel beabsichtigte Eindämmung des Föderalismus am Sturz des Bundeskanzlers nicht ganz unbeteiligt war. Ernst Hanisch hat in seiner typologischen Einordnung des vorliegenden biographischen Materials Rehrl mit den Stichworten Föderalist, demokratischer Konsenspolitiker und Unternehmer gekennzeichnet.77 Man müsste diese Typologie noch um den Begriff des Kulturpolitikers ergänzen. Rehrls politische Überlegungen und seine daraus resultierenden Innovationen basierten auf einer nüchternen Analyse  : Das 77 Ernst Hanisch  : Franz Rehrl – Sein Leben. – In  : Wolfgang Huber (Hg.)  : Franz Rehrl. Landeshauptmann von Salzburg 1922–1938. – Salzburg 1975. S. 5–42. S. 5.

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Land Salzburg verfügte kaum über ökonomische Ressourcen. Es besaß jedoch einen natürlichen Wasserreichtum, erhebliche Naturschönheiten und ein reiches kulturelles Erbe. Damit waren die drei Schwerpunkte seiner Landespolitik definiert  : der Ausbau der Wasserkraft durch Kraftwerke. Elektrischer Strom sollte nicht nur der Modernisierung des Landes dienen, sondern auch als Exportgut einen substanziellen Beitrag zum Landesbudget leisten. Die Naturschönheiten bildeten das weite Feld des Tourismus als Schlüsselindustrie, die es auch durch den Ausbau der (Verkehrs.) Infrastruktur zu fördern galt. Das reiche kulturelle Erbe galt es durch die Förderung der Festspiele und die Bemühungen um die Wiedererrichtung der Universität zu aktivieren. Sowohl in den Festspielen wie der Wiedererrichtung der Universität sah er das Mittel zur Entprovinzialisierung Salzburgs, zur Rückgewinnung seiner traditionellen hervorragenden Stellung im deutschen Kulturraum, deren es in den napoleonischen Kriegen und durch den schließlich 1816 erfolgten Anschluss an die Habsburgermonarchie verlustig gegangen war. So bemerkte er in einem umfangreichen Artikel in der Weihnachtsnummer der »Salzburger Chronik« 1924  : »Salzburg (…) hat eine fast tausendjährige Geschichte als politisches Einzelwesen geführt und war während dieses ganzen Jahrtausends wirtschafts- und kulturpolitischer Mittelpunkt ersten Ranges. Salzburg war schon ein mächtiges Kulturzentrum, ehe Wien irgendeine Bedeutung erlangt hat. Von Salzburg aus wurden das ganze heutige Öster­reich und Landstriche weit darüber hinaus christianisiert und zivilisiert. Im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit zählte Salzburg wirtschaftlich und kulturell zu den mächtigsten deutschen Fürstentümern. Ja, noch kurz vor seiner Einverleibung in Österreich ging von hier ein lebendiger Strom geistiger Werte aus, der es zu einem Mittelpunkt für Kunst und Intelligenz in ganz Süddeutschland machte. Erst vor hundert Jahren hat Salzburg seine Selbständigkeit eingebüßt und wurde ihm eine Katastrophe auferlegt, welche sich mit den Gewalttaten von Versailles und St. Germain durchaus vergleichen lässt.«78 Rehrl sah sein Eintreten für den Föderalismus auch als einen Kampf gegen den von ihm stets mit Misstrauen betrachteten Wiener Zentralismus und für die Wiedergewinnung einer Teilsouveränität für Salzburg, das unter allen österreichischen Bundesländern am längsten über eine staatliche und kulturelle Selbständigkeit verfügte. Die Wiener, so Rehrl 1936 in einem Brief an Otto Kunz, »halten uns als Kolonialtrottel«.79 Galt es allerdings Zugeständnisse aus Wien zu erreichen, war er nicht nur hartnäckig, sondern konnte auch diplomatisch agieren. Im Gegensatz zu der von Konflikten zwischen den fragmentierten politischen Kulturen und Lebenswelten der politischen Lager zunehmend paralysierten Bundespolitik sah er – trotz aller politischer Differenzen – in einer konsensualen politischen Kultur des Landes die Voraussetzung für das Gelingen seiner ambitionierten 78 Franz Rehrl  : Salzburg und der Bund. – In  : Salzburger Chronik, 25. 12. 1924. S. 1–3. S. 2. 79 Zit. bei Hanisch  : Franz Rehrl. S. 5.

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landespolitischen Vorhaben. Bereits in seiner Antrittsrede als neu gewählter Landeshauptmann hatte er am 4. Mai 1922 erklärt, das Land brauche »vor allem in dieser krisenhaften Zeit die Einigkeit aller Volksvertreter, ohne Unterschied der Partei, zur gemeinsamen Arbeit, (…) zum Besten des Landes Salzburg und seiner Bevölkerung. Dieses Ziel wird sich unschwer erreichen lassen durch das einmütige Bestreben nach gegenseitigem Verständnisse, und ich hoffe, dass eventuell auftauchende Kampfpunkte sich stets durch gütliches Übereinkommen aus dem Wege räumen lassen werden«.80 Die turbulenten Ereignisse in der Salzburger Festspielhausgemeinde, die nach zwei Jahren des Stillstands der Festspielidee und deren drohendem endgültigen Ende auf eine Lösung drängten, tangierten auch die Landespolitik. Die Pläne der Salzburger Proponenten, eine Klärung der Situation durch eine Neukonstituierung des Vereins und dessen Situierung in Salzburg voranzutreiben, erfolgten sicherlich in Absprache mit Rehrl, von dem wohl auch der Vorschlag einer parteipolitisch ausgewogenen Besetzung des neuen Präsidiums stammte, um damit zumindest auf den Ebenen der Stadt- und Landespolitik konsensuale Lösungen zu erreichen und die Festspiele zu retten. Und der Salzburger Landeshauptmann hatte wohl auch den Vorschlag unterbreitet, ein prominent besetztes Protektorat ins Leben zu rufen, das bei den bevorstehenden Bemühungen um die Gewinnung von Sponsoren oder ideellen Unterstützern behilflich sein konnte. Am 2. Jänner 1925 schrieb er einen äußerst diplomatisch formulierten Brief an Unterrichtsminister Emil Schneider, in dem er diesen von der Bildung des Protektorats informierte und bat, auch den Namen des Bundespräsidenten in die Liste der Protektoren aufnehmen zu dürfen. Geschickt bat er zudem darum, den für kulturelle Fragen zuständigen Sektionschef im Unterrichtsministerium in das neu gegründete und für die Programmplanung zuständige Kuratorium zu entsenden. Durch die Involvierung des Bundes in die neu geschaffenen Gremien wollte er dessen Beteiligung an der Finanzierung der Festspiele erreichen. Wenngleich er nicht direkt um die Gewährung von Bundessubventionen ersuchte, so wies er doch darauf hin, dass die Salzburger Festspiele nicht nur für Stadt und Land Salzburg von wirtschaftlicher Bedeutung seien, sondern vor allem auch für den Bund. Die Zeichen schienen zu Jahresbeginn 1925 günstig zu stehen und man begann das Projekt ambitioniert und mit großen Hoffnungen, die allerdings noch vor Jahresende 1925 in einem Finanzskandal enden sollten und die Politik, sprich Landeshauptmann Franz Rehrl, als Retter in höchster Not auf den Plan riefen.

80 Salzburger Chronik, 5. 5. 1922. S. 5.

III. Im Wechselbad der Gefühle. Ambitionierter Neubeginn und Skandal Die Phantasie der Politik oder Landeshauptmann Rehrl als Retter der Festspiele 1926 Die Voraussetzungen für das Gelingen des ambitionierten Vorhabens, im August 1925 erstmals Festspiele in einem Festspielhaus durchzuführen und neben dem Schauspiel auch mit einem hochkarätigen musikalischen Angebot zu reüssieren, schienen günstig. Am 24. März erschien im Bundesgesetzblatt eine Verordnung der Bundesregierung, die die bisherige Beschränkung des Devisen- und Zahlungsverkehrs mit dem Ausland aufhob. Künftig konnten Reisende Schillinge in unbegrenzter Höhe ins Ausland mitführen. Privatpersonen unterlagen künftig bei der Abwicklung von Geschäften mit ausländischen Zahlungsmitteln keinen Beschränkungen. Damit wurde Österreich auch als Fremdenverkehrsdestination attraktiver, sodass mit einem stärkeren Zustrom ausländischer Gäste zu rechnen war. Obwohl der Bericht der Wohnungsabteilung des Magistrats Salzburg Anfang 1925 das Ansteigen der beim Wohnungsamt registrierten wohnungssuchenden Parteien innerhalb eines Jahres von 1997 auf 3648 feststellte und damit auf die Dringlichkeit des Wohnungsbaus hinwies,1 fasste der Salzburger Gemeinderat am 23. März 1925 nach einem ausführlichen Bericht des christlichsozialen Gemeinderates und Architekten Paul Geppert den einstimmigen Beschluss zum Umbau der gedeckten Winterreitschule in ein Festspielhaus nach den Plänen von Eduard Hütter. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Geppert seit 1922 als stellvertretender Obmann des Salzburger Antisemitenbundes fungierte und nunmehr für das vor allem von dem Juden Max Reinhardt geforderte Festspielhaus plädierte.

III.1 Ein Haus für Reinhardts Gesamtkunstwerk. Das erste Festspielhaus 1925 Der mit der Planung und Durchführung des Baus beauftragte Eduard Hütter hatte an der Technischen Hochschule bei Max Freiherr von Ferstel studiert und nach Abschluss des Studiums zwei Jahre in dessen Büro gearbeitet, bevor er sich selbständig machte. 1913 war er auf Wunsch von Erzherzog Franz Ferdinand in die Funktion des technischen Landeskonservators von Salzburg gewechselt und erwarb sich als solcher Verdienste um den Ensemble-Schutz, vor allem auch der umliegenden Stadtberge. 1 Salzburger Chronik, 24. 3. 1925. S. 2.

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Im Wechselbad der Gefühle

Der von ihm nach Konsultationen Alfred Rollers und Max Reinhardts entworfene Plan sollte das Stadtbild kaum verändern, da die bestehende Fassade ihr Aussehen behielt, der Fischbrunnen auf dem Fischmarkt ebenso erhalten blieb wie die Bäume in der Hofstallgasse. Das Zentrum des Umbaus betraf die große Reitschule, d. h. jenen Gebäudekomplex, der die Rückseite des Fischmarktes bildete. Hier sollte das eigentliche Festspielhaus mit einer Kapazität von 1.300 Plätzen entstehen. Zu diesem Zweck und um den Reinhardt’schen Vorstellungen von Mysterienspielen zu entsprechen, sollte der entstehende Saal ein gotisches Aussehen erhalten und musste das Dach um 3,40 Meter angehoben werden. Der entstehende Raum umfasste ein Parkett und eine Galerie, wobei die Sitze im Parkett relativ leicht entfernt werden konnten und damit das Parkett in einen Tanzboden verwandelbar war. In Richtung offener Felsenreitschule wurde ein eingeschoßiger Vorbau errichtet, der sowohl als großer Vorraum für das Festspielhaus wie auch als Zuschauertribüne für Freilichtaufführungen in der Felsenreitschule dienen sollte. Die Adaptierungsarbeiten hatten den – politisch akkordierten – Zweck, nicht nur ein Festspielhaus für wenige Wochen zu schaffen, sondern ein multifunktionales Veranstaltungszentrum, dessen Nutzung – und damit auch Finanzierung – der Stadt neue Möglichkeiten eröffnete. Vizebürgermeister Lackner betonte in der Sitzung des Gemeinderates euphorisch, dass dieser Beschluss und dieser Tag als ein historisches Datum in die Geschichte der Stadt eingehen werden. Es handle sich wahrhaft um »einen historischen Tag«.2 Der Beschluss des Gemeinderates hatte aber auch sozial- und wirtschaftspolitische Gründe. Durch die der Genfer Völkerbundanleihe folgende Währungsstabilisierung hatte die inflationäre Nachkriegskonjunktur ihr Ende gefunden. Hinzu trat die 1923 in der Weimarer Republik einsetzende Hyperinflation. Die Folgen waren auf dem österreichischen – speziell dem westösterreichischen – Arbeitsmarkt auf eine doppelte Weise spürbar  : Der exportfördernde Inflationsgewinn verschwand, und die im Fremdenverkehr dominierenden deutschen Gäste konnten sich das nunmehr »teure« Österreich nicht mehr leisten. Die ohnedies bereits durch die wirtschaftlichen Folgen der Niederlage im Weltkrieg und die notwendige Reduzierung der öffentlich Bediensteten hohe Arbeitslosigkeit stieg neuerlich. Man suchte verzweifelt nach Abhilfe. Der Umbau des Reitschulkomplexes in ein Festspielhaus durch die Firmen »Universale Bau-Gesellschaft m. b. H.« und »Walter, Zöttl & Sperl« erfüllte daher durch die Beschäftigung von rund 1200 Arbeitern auch die Funktion einer aktiven Arbeitsmarktpolitik. Bei grundsätzlich positiver Stellungnahme zu dem Vorhaben bemerkte – durchaus zu Recht – Otto Kunz im »Salzburger Volksblatt«, dass die unmittelbare Nähe von Fischmarkt und Festspielhaus wohl zu eventuell nicht mitbedachten negativen Auswirkungen führen werde. »Allerdings, es ist fraglich, ob es nicht später zur Ver2 Salzburger Wacht, 24. 3. 1925. S. 3.

Ein Haus für Reinhardts Gesamtkunstwerk

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legung des Fischmarktes kommt, denn Schellfisch, Kabeljau und Festspiele sind im Hochsommer, wo die linden Düfte wehen, schwer vereinbare Begriffe.«3 Die im April begonnenen Arbeiten wurden, wie geplant, nach vier Monaten beendet, sodass die Festspiele 1925 erstmals über ein Festspielhaus verfügten. Ihre Planung erfolgte durch die organisatorische Neuausrichtung und Konzentration in Salzburg am 7. Dezember 1924 sowie die nunmehr verstärkt einsetzende Unterstützung des Salzburger Landeshauptmanns, der ihre enorme Bedeutung für die Entwicklung des Landes erkannte, unter relativ günstigen Voraussetzungen. Mit dem Umbau der gedeckten Winterreitschule wurde eine Forderung Max Reinhardts erfüllt, der in dem neuen Haus nunmehr die Möglichkeit sah, seine und Hofmannsthals Idee einer Wiederbelebung des Mysterienspiels zu realisieren. Dementsprechend standen drei Mysterienspiele auf dem Programm  : Hugo von Hofmannsthals »Das Salzburger große Welttheater«, Karl Vollmoellers »Das Mirakel« in der Regie Max Reinhardts und Max Mells »Das Apostelspiel« in der Regie des Autors. Von finanziellen Forderungen der Wiener Philharmoniker waren die von Erwin Kerber geführten Verhandlungen geprägt, wobei beiderseits gepokert wurde. Die Wiener Philharmoniker wussten um den Anspruch der Festspiele Bescheid, das musikalische Angebot, das sich schwerpunktmäßig auf die Werke Mozarts konzentrieren sollte, den höchsten Ansprüchen genügend zu präsentieren, um dem von Richard Strauss 1921 erhobenen Vorwurf des Provinzialismus zu entgehen. Dies erforderte, vor allem auch aus Kostengründen, eine enge Kooperation mit der Wiener Staatsoper, deren Orchester die Philharmoniker waren und sind. Im Fall einer Übereinkunft konnte das Orchester sowohl als Opern- wie auch als Konzertorchester fungieren, und zudem konnten Mitglieder des Wiener Eliteorchesters, die Kammermusik-Ensembles wie z. B. das Rosé-Quartett gebildet hatten, Kammermusikabende bestreiten. Es ging um eine Paket-Lösung, die die Wiener Staatsoper inklusive der Wiener Philharmoniker als musikalische Säule der Festspiele beinhaltete. Dessen waren sich die Wiener Philharmoniker bewusst und stellten dementsprechende Forderungen, die jedoch Kerber mit Blick auf die zur Verfügung stehenden Finanzen nicht erfüllen konnte. In seiner schwierigen Verhandlungsposition griff er zum Mittel der Drohung und ließ die Philharmoniker wissen, dass auch deutsche Orchester zu günstigeren Konditionen Interesse an einem Engagement in Salzburg hätten. Die Verhandlungen endeten schließlich mit einem Kompromiss, der einen Teil der Gage der Philharmoniker in Naturalleistungen abgolt  : Sie erhielten freies Quartier, eine Tagesverpflegungspauschale sowie einen 10- bis 15-prozentigen Rabatt auf Speisen in genau definierten Gasthöfen. Damit war die Struktur der Festspiele gefunden  : Salzburg war ein ZweiSparten-Festspiel mit dem Anspruch, sowohl im Bereich des Theaters wie auch der

3 Otto Kunz  : Der Umbau der Reitschule. – In  : Salzburger Volksblatt, 24. 3. 1925. S. 3.

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Musik, aufgegliedert in die Sparten Oper, Orchesterkonzert, Kammermusik und Liederabend, Darbietungen auf höchstem Niveau zu bieten. Der von der lokalen, nationalen und Teilen der internationalen Presse mit erheblicher Aufmerksamkeit verfolgte und kommentierte hoffnungsvolle Neubeginn erfolgte am 13. August 1925 mit einer von Landeshauptmann Rehrl im Weißen Saal der Residenz bewusst als Landes- und Staatsakt inszenierten feierlichen Eröffnungszeremonie, an der u. a. Bundeskanzler Rudolf Ramek, Landeshauptmann Franz Rehrl, Bürgermeister Josef Preis, Erzbischof Ignaz Rieder, zahlreiche Festspielkünstler wie Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal, der auch die Festrede hielt, die Mitglieder des Präsidiums der Festspielhausgemeinde sowie deren Protektoren und Kuratoriumsmitglieder teilnahmen. Es galt, die Festspielidee zu feiern, die nunmehr mit dem Umbau der gedeckten Winterreitschule auch architektonisch, einer Idee Max Reinhardts folgend, endgültig in die Stadt übersiedelt war und von ihr Besitz ergreifen sollte. Betrachtet man den feierlichen Festakt und die ihn begleitenden Kommentare, so lassen sich drei unterschiedliche Ebenen erkennen  : 1. die Bedeutung der Festspiele als identitätsstiftender, vor allem aber auch als wirtschaftlicher Faktor für Salzburg, 2. die Würdigung des von Sebastian Hütter geschaffenen neuen Festspielhauses und 3. die Betonung der speziellen Philosophie der Salzburger Festspielidee. Für die »Salzburger Chronik« hatte die große Idee der Salzburger Festspiele mit der umgebauten gedeckten Winterreitschule »zum ersten Mal eine für die endgültige Dauer berechnete Gestaltung gewonnen. (…) die Tatsache, dass etwas Großes, bis vor kurzem kaum noch Erhofftes, heute immerhin vollendet vor uns steht, ist so bedeutend, dass sie der anerkennenden Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nicht entgehen kann. Die Sache der Festspiele ist eine Angelegenheit, die zum Teile rein salzburgerisch, zum Teile aber absolut gesamtösterreichisch, ja sogar alldeutsch ist. (…) Allerdings, selbst wenn man alles Lokalpatriotische sorgfältigst beiseite zu schieben sich bemüht, es lässt sich nicht leugnen, dass der Gedanke der Festspiele und diese selbst, zuletzt doch in stärkstem Maße eine A n g e l e g e n h e i t S a l z b u r g s sein müssen. (…) Indes, alle Kunst schwelgt im Idealen und stößt sich oft geradezu an den derberen Realitäten des Lebens. Nur auf wirtschaftlich schon aufgepflügten und Früchte tragendem Boden kann auch sie gedeihen. Somit rückt eine künstlerische Frage wie die der Festspiele von selbst ihren Schwerpunkt bedenklich nahe zum Kernpunkt wirtschaftlicher Sphären. Für uns Salzburger sind die Festspiele nicht nur Kunst, sondern auch, ganz ideal gedacht und gesprochen, meinetwegen sogar leider, Wirtschaftsfaktor. Sie beleben den Fremdenverkehr, schaffen Arbeitsgelegenheit und Verdienstmöglichkeit und bringen wirtschaftlichen Sauerstoff in die etwas kargen Lungenflügel einer augenblicklichen Wirtschaftsperiode. Man wird uns nicht ver-

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denken, wenn wir auch diese Seite in Betracht ziehen, denn in dieser Hinsicht sind sie erst recht eine Angelegenheit, die die gesamte Öffentlichkeit umfasst. Selbst wenn man bemüht ist, die Schattenseiten des Festspielgedankens aufzudecken, bleibt die große wirtschaftliche Bedeutung außer aller Diskussion und bleibt die Gemeinde jenen Männern zu Dank verpflichtet, die unermüdlich am Werke geschaffen haben«.4 Thomas Mayrhofer wies darauf hin, dass die Eröffnung der Salzburger Festspiele im neuen Haus »nicht nur ein Ereignis von größter künstlerischer Bedeutung« sei, »sondern auch ein Geschehen, das von wirtschaftlichen und politischen Gesichtspunkten aus sehr hoch zu werten ist«. Die Festspiele und nunmehr auch ihr neues Haus bedeuten nicht nur »für die ganze künstlerische Welt einen hohen Gewinn«, sondern seien auch »von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Wirtschaft« des Landes. »Das Wort Fremdenindustrie hat einen üblen Klang  ; und doch ist es für uns von höchster Bedeutung, denn unsere einzige Hoffnung, in unserer Wirtschaft wenigstens einigermaßen erträgliche Ergebnisse zu erzielen, ist die, dass wir das infolge der beengten Produktionsverhältnisse unausrottbare gewaltige Defizit unserer Handelsbilanz durch eine möglichst günstige Zahlungsbilanz bis zu einem gewissen Grade wettmachen können. Einen der wichtigsten Posten in unserer Zahlungsbilanz bilden aber die Einnahmen aus dem Fremdenverkehr, den mit allen Mitteln zu fördern und zu beleben darum das Streben jedes weitblickenden Mannes sein muss, der durch seine Stellung oder durch seine Fähigkeiten dazu beitragen kann.« Allen Skeptikern sei in das Stammbuch geschrieben, dass sich Festspiele stets früher oder später amortisieren und eine belebende Wirkung, vor allem auf die regionale Wirtschaft ausüben. »Und wenn auch vielleicht für Salzburg Belastungen sich ergeben möchten – wir wollen daran nicht glauben –, so ist doch sicher, dass die Gäste aus aller Herren Länder, die zu den Festspielen kommen, nicht nur in unserer Stadt bleiben, sondern bei dieser Gelegenheit auch weiter in Österreich herumreisen und dabei viel Geld im Lande lassen werden. Die österreichische A l l g e m e i n h e i t wird den Nutzen haben, und dieser Gewinn wird auch Salzburg wieder zugutekommen, denn ein gedeihender Staat kann auch seinen Gliedern mehr Vorteile bieten, als ein mit steten Schwierigkeiten kämpfender.«5 Auch Landeshauptmann Franz Rehrl wies in seiner Rede anlässlich der Festspieleröffnung 1925 auf die enorme wirtschaftliche Bedeutung der Festspiele für Stadt und Land Salzburg hin. »Ich beglückwünsche die Festspielhausgemeinde zu dem Werk, das von größter kultureller und wirtschaftlicher Bedeutung für Stadt und Land Salzburg ist. Die belebende Kraft der Festspiele ist ja unvergleichlich und neben den Schönheiten unseres Landes das beste und idealste Mittel, den Strom der Fremden hereinzuziehen.«6 4 Salzburger Chronik, 13. 8. 1925. S. 1. 5 Thomas Mayrhofer  : Zur Festspielhaus-Eröffnung. – In  : Salzburger Volksblatt, 14. 8. 1925. S. 1. 6 Salzburger Chronik, 14. 8. 1925. S. 7.

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Das von Hütter geschaffene Festspielhaus erfreute sich sowohl in der Salzburger wie auch österreichischen Presse durchwegs zustimmender bis begeisterter Kommentare. Die »Reichspost« berichtete, dass von den drei Reitschulen – die von Erzbischof Wolf-Dietrichs Hofmarstall mit der berühmten, aus dem Fels gebrochenen Sommerreitschule und die von den Erzbischöfen Guidobald und Johann Ernst Thun erbaute und ausgestattete Winterreitschule sowie die 1841 vom Militärärar errichtete große Reitschule – die beiden letzteren die Hauptsäle des neuen Festspielhauses bilden, für dessen Gestaltung dem Architekten Eduard Hütter »restlose Bewunderung« gezollt werden müsse.7 Die »Neue Freie Presse« feierte ebenfalls den Salzburger Landeskonservator und Architekten, dem es gelungen sei, durch die Umgestaltung der alten Reitschule einen Theatersaal zu schaffen, »der, an einen Dom erinnernd, die Feierlichkeit einer Kirche mit der Festlichkeit eines Schauspielhauses in der glücklichsten Art vereinigt und an sich schon eine Sehenswürdigkeit darstellt. Der Erbauer, (…) ein echt österreichischer Mensch, still, bescheiden und abseitig, hat sich mit diesem Werke auf das überraschendste als ein Weltarchitekt von gediegenem praktischen Können und poetischer Phantasie gezeigt«.8 Wenn man die Front der Hofstallgasse abschreitet, so die »Salzburger Chronik«, »ahnt man die Flucht der Räume und die wahrhaft imponierenden Dimensionen des Festspielsaales wohl kaum. Erst wenn man eingetreten ist, das Foyer und die Garderoberäume durchschreitet, die gedeckte Winterreitschule betritt, wo ein Buffet einladet, und den Terrassenbau besichtigt, wächst das Erstaunen, das seinen Höhepunkt erreicht, wenn man den eigentlichen Saal betritt. Natürlich offenbart sich die ganze technische Raffiniertheit der Anlagen erst bei höherer Besichtigung. Jedoch ist die Wucht des gewaltig in die Höhe strebenden Raumes so groß, dass sich keiner diesem Eindruck entziehen kann. Ein durch so viele Jahre hindurch gehegter Wunsch ist somit in kaum erhoffter Form in Erfüllung gegangen. Salzburg hat einen Saal, der allen Anforderungen Genüge leisten wird«.9 Nicht weniger begeistert berichtete das »Salzburger Volksblatt«  : »Schier wäre man verlegen, einem Fremden den festlichen Charakter dieses Hauses von außen zu beweisen. Stände nicht der Fischbrunnen mit den umgebenden Bäumen als Ausschmückung auf dem schmalen Platze, zu dem sich die Hofstallgasse weitet, nichts wäre da, um das Auge zum Verweilen zu locken. Nur die breiten Ausgänge, die hier, von großen hochgezogenen Bogen gekrönt, vom Saale münden, verraten den außerordentlichen Zweck dieses Baues. Alles andere ist kaum geänderte Ruhe, Stille und Geschlossenheit, wie sie der Komplex seit jeher besaß. Das aber eben ist das Schöne daran und das Fortschrittliche der Baukunst gegenüber früher. Die Fest-

7 Reichspost, 14. 8. 1925. S. 7. 8 Neue Freie Presse, 14. 8. 1925. S. 7. 9 Salzburger Chronik, 14. 8. 1925. S. 7.

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lichkeit muss aus innen herauskommen. Aufdringliche Freudigkeit, die an der Fassade klebt, ist verdächtig. Der große Festspielsaal ist reine Sachlichkeit. Die schmalen Holzpfeiler, die nach unten zu verjüngt, die Träger der schlichten Galerien sind, das Sparrengebälke der Dachkonstruktion, die weiten Dimensionen dieses Raumes sind Zweckgebilde. Nach rückwärts bauen sich zwei Empore auf, ebenso schlicht, ebenso in Braun gebeizt. Die hohe Weite des Saales ist eine Charakteristik. Alles ist darauf gestimmt, eine Befreiung vom Schweren, eine Lösung ins Leichte, Selbstverständliche zu sein. Breit und hoch schwingen sich gotische Bogen, deren Scheitelpunkte verdeckt sind, unmessbar hoch hinauf. Die Wände des Bühnenhauses klingen in dieser Aufwärtsbewegung nach. Sie stellen einen ganz präzisen Stimmungsgehalt dar  : Reinhardtscher Festspiele. Die Bühne ist nichts als der Rahmen für unerhörte, unfassbare Kunstwerke der Regie. Ein Vorhang dieser immensen großen Nische wäre undenkbar. Es gibt keine Trennung zwischen Akteuren und Zuschauern. Beide sind desselben Geistes, gehören zusammen, leben mit- und ineinander. Die Bühne fließt in den Zuschauerraum über, die Galerien fassen auch den Bühnenraum ein. Dieser Gedanke des Festspieles ist völlig neu. Daraus ergibt sich auch die Überflüssigkeit einer ›Ausschmückung‹ des Zuschauerraumes. Nur die Dimensionsverhältnisse als solche bringen Harmonie der Proportionen«.10 Für Bundeskanzler Rudolf Ramek hatte die Festspielidee in dem neuen Haus die so lange ersehnte Heimstätte gefunden. Es möge vielleicht sonderbar und paradox erscheinen, »dass gerade in den Tagen wirtschaftlicher Not und seelischer Bedrängnis die Tat reifen konnte, die der Welt die höchsten Schöpfungen deutscher Schauspielkunst und deutscher Tonkunst im Rahmen von Festspielen in einem eigenen Festspielhaus darzubieten vermag. Aber gerade, dass sie trotz der scheinbar widrigen Zeitverhältnisse reifen konnte, ist uns ein Beweis dafür, dass die Gesundung unseres Volkes, die Wiederaufrichtung unseres Staates und unserer Volkswirtschaft der Verwirklichung und dass das Werk des Wiederaufbaues seiner Vollendung entgegengeht. Immer inniger, immer heißer tönt der Ruf nach wahrhafter Volkskunst, und die Geschichte lehrt uns, dass dieser Ruf stets von einer ungebrochenen nationalen Kraft Zeugnis abgelegt hat. Wir erinnern uns hier daran, dass speziell die Spiele der Hellenen jedes Mal zu einer ungeahnten Kraftentfaltung führten  ; die Festspiele waren das einigende Band für alle Stämme und führten zu einer Einigung, durch die sie die größten politischen, wirtschaftlichen und vor allem kulturellen Erfolge erzielen konnten und durch die sie in der ganzen Welt Anerkennung fanden. So sollen auch die Salzburger Festspiele das S i n n b i l d d e r E i n h e i t d e u t s c h e r K u l t u r und S i t t e werden, es sollen deutsche Festspiele sein, und wer wollte daran zweifeln, wenn er den einzigartigen Charakter dieser Stadt kennt  ! Hier vereint sich der Reiz 10 Salzburger Volksblatt, 14. 8. 1925. S. 6.

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einer durch Sage und Geschichte verklärten Landschaft mit der Anmut eines Stadtbildes, d a s e i n e t a u s e n d j ä h r i g e K u l t u r durchgeistigt hat, er vereint sich mit dem F r o h s i n n d e s Ö s t e r r e i c h e r s zu einer Harmonie, die diese alte Residenz an der Salzach gerade dazu vorherbestimmt, in ihrem Erscheinungsbild eine Stätte für deutsche Festspiele für alle Zeiten zu bieten. Landes- und Kirchenfürsten haben hier in ihrem edlen Kunstsinn ein Werk geschaffen, ein Werk von unvergänglicher Kultur, das nun für die Festspiele eine Szenerie von ganz eigenartiger Wirkung bietet. Dieser altgeheiligten Tradition Salzburgs verdankt die Festspielhausgemeinde ihre Entstehung. Langjährige Bemühungen haben nun endlich zum Erfolg geführt, und daher gilt unser Glückwunsch den Schöpfern und Förderern dieses Werkes, das zugleich auch die würdigste und würdevolle Huldigung für einen unserer Größten, für den größten Sohn dieser Stadt, Mozart, ist«.11 Hugo von Hofmannsthal betonte in seiner Festrede, dass sich in Salzburg der Geist sein Haus gebaut habe. »An unendlich bildfroher Stätte, wo neben der Höhle des Anachoreten aus der Zeit der Völkerwanderung die Spuren romanischen Geistes stehen, wo dicht an der alten Burg herrliche Fürstenpaläste und uralte Bürgerhäuser sich aneinanderreihen, an einer Stätte, wo so viel historisches Erlebnis zum Bilde wurde, musste der nur versunkene, aber nie abgestorbene Gedanke volkstümlicher Spiele wieder einmal lebendig werden. Wir selbst waren ja Zeugen, wie dieser Spieltrieb, die alte Spielfreude wieder allerorts aufflammte, und der Festspielgedanke knüpft nur an eine alte Tradition wieder an.«12 Es sei die künstlerische Idee des Gesamtkunstwerkes, wie es im süddeutschen Raum in der Volkskunst entstand. Sie habe noch nicht die Trennung von Schauspiel und Oper gekannt, die an der Wiege der Festspielidee stand, für deren Träger Salzburg wie keine andere Stadt prädestiniert sei.13 Hugo von Hofmannsthal verwendete, wie Bundeskanzler Ramek, den Begriff der »deutschen Kultur« in der alten Reichstradition, auf die in den Dreißigerjahren auch der Ständestaat mit seiner Österreich-Ideologie zurückgriff, die sich in ihrem nationalen Programm keineswegs als nationalistisch, sondern als europäisch verstand 11 Reichspost, 14. 8. 1925. S. 7  ; Neue Freie Presse, 14. 8. 1925. S. 7  ; Neues Wiener Journal, 14. 8. 1925. S. 4. 12 Salzburger Chronik, 14. 8. 1925. S. 7. 13 Salzburger Wacht, 14. 8. 1925. S. 1. Hofmannsthal repetierte seine Gedanken, die er bereits 1919 in seinem Aufsatz »Festspiele in Salzburg« formuliert hatte  : »Musikalisch-theatralische Festspiele in Salzburg zu veranstalten, das heißt  : uralt Lebendiges aufs neue lebendig machen  ; es heißt  : an uralter sinnfällig auserlesener Stätte aufs neue tun, was dort allezeit getan wurde  ; es heißt  : den Urtrieb des bayrisch-österreichischen Stammes gewähren lassen, und diesem Volk, in dem die Gabe des Liedes, des Menschensachenspielens, des Holzschneidens, des Malens und des Tonsetzens fast allgemein verteilt ist, den Weg zurückfinden helfen zu seinem eigentlichen geistigen Element« (Hugo von Hofmannsthal  : Festspiele in Salzburg. – In  : Ders.: Ausgewählte Werke in zwei Bänden. Erzählungen und Aufsätze. Hg. v. Rudolf Hirsch. 2 Bde. – Berlin/Darmstadt/Wien o. J. Bd. II. S. 617–621. S. 617).

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und damit nach dem Untergang der Habsburgermonarchie als intellektueller und kultureller Anker des nunmehrigen Kleinstaates fungierte. Hofmannsthals Bekenntnis zur deutschen Kultur beruhte auf ihrem Charakter als Fundament eines Weltbürgertums, das es ermöglicht, die Salzburger Festspiele auch als europäische, von nationalistischer und rassistischer Verengung befreite Idee zu definieren.14 Diese rassistische Verengung wurde zeitgleich in den turbulenten Ereignissen in Wien rund um den XIV. Zionistischen Weltkongress virulent, in denen die österreichische Regierung, vor allem Bundeskanzler Ramek, erheblichem Druck des breiten Bündnisses der Antisemiten – von der NSDAP über die Großdeutschen bis hin zu Teilen der Christlichsozialen – ausgesetzt war, der auch in Salzburg publizistische Unterstützung fand. Am 13. August 1925, dem Tag der Festspieleröffnung, erschien im »Salzburger Volksblatt« ein Leitartikel von Thomas Mayrhofer mit dem Titel »Agents provocateurs«, in dem dessen Verfasser einleitend die Behauptung aufstellte, »dass die Veranstalter des Zionistenkongresses längst zu der Erkenntnis gekommen sind, dass sie übel beraten waren, als sie sich entschlossen, ihre Beratungen bewusst in Wien abzuhalten«. Unter Bezugnahme auf die bereits im Vorfeld des Zionistenkongresses sich andeutenden gewaltsamen Aktionen der Antisemiten, unter denen sich die Nationalsozialisten besonders hervortaten, bemerkte Mayrhofer verharmlosend und entschuldigend, man müsse verstehen, »wenn die ohnehin durch den Gedanken, dass in ihrer Stadt die Hauptversammlung der nationalen Juden aus der ganzen Welt stattfinden soll, erregten Wiener Antisemiten noch durch fortwährende Angriffe in der jüdischen und sozialistischen Presse immer mehr gereizt werden. (…) Die Verfasser von Alarmmeldungen über drohende Gewalttaten (…) wissen sehr gut, dass die Nationalsozialisten, gegen die sie ihre reichlich mit Schmähungen aller Art gespickten Anklagen richten, junge Leute sind, die nicht Wasser, sondern Blut in den Adern haben, und denen schließlich die Zornesader schwillt, wenn sie fortwährend beschimpft und verleumdet werden. Wenn diese alarmierenden und aufreizenden Beschuldigungen und Beschimpfungen nicht aufhören, dann könnte es in der Tat in den Tagen des Zionistenkongresses zu schärferen Zusammenstößen kommen, die dann freilich bei den Beziehungen, die die Zionisten in allen Ländern zu den Großkapitalisten und durch diese wieder zu den Regierungen haben, für Österreich sehr üble Folgen haben könnten, weil unser Staat nun einmal nicht nur als Schuldner der Völkerbundanleihe, sondern auch als Kreditwerber so vieler anderer öffentlicher und privater Kredite vom Auslande sehr stark abhängig ist.«15 Am Abend des 13. August kam es nach einer von der Wiener NSDAP in Weigls Dreherpark veranstalteten Versammlung durch in Gruppen nach Hause strömende 14 Zu Hofmannsthals Verständnis der deutschen Kultur vgl. Steinberg  : Ursprung und Ideologie der Salzburger Festspiele. 15 Thomas Mayrhofer  : Agents provocateurs. – In  : Salzburger Volksblatt, 13. 8. 1925. S. 1.

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Versammlungsteilnehmer nicht nur zu laustarken verbalen Entgleisungen wie »Erschlagt die Juden  !«, sondern auch zu teilweise erheblichen Tätlichkeiten gegen Passanten, die einen massiven Polizeieinsatz erforderlich machten.16 Als besondere Provokation hielt die österreichische NSDAP unmittelbar vor Beginn des XIV. Zio­ nistenkongresses (18. August) am 15. und 16. August im Casino Zögernitz ihren Parteitag ab, zu dem auch Adolf Hitler als Gastredner angekündigt war. Die im Jahr 1925 manifest werdende Radikalisierung der österreichischen NSDAP basierte auf einer Änderung der Mitgliederstruktur. Der Einfluss der nationalen und völkischen Gewerkschaftsmitglieder ging zugunsten von (unteren) Mittelschichtangehörigen, vor allem Studenten und arbeitslosen Akademikern/Beamten, zurück. Es waren die jüngeren, über Mittelschulen, Universitäten, den Deutschen Turnerbund usw. in die Partei strömenden Mitglieder, die sich am Radikalismus Hitlers begeisterten und gegen den Widerstand der älteren Parteiführung zu Aktionen auf der Straße drängten.17 Bundeskanzler Rudolf Ramek hatte in einer am 8. August veröffentlichten Erklärung auf eine offizielle Anfrage der großdeutschen Bundesräte, ob nicht schwere innere Unruhen im Fall der Abhaltung des Zionistenkongresses in Wien zu erwarten seien und dadurch auch ein schwerer materieller Schaden zu befürchten sei, geantwortet, die Zustimmung der österreichischen Bundesregierung zu diesem Kongress basiere auf internationalen Gepflogenheiten und es gebe keinerlei politische Veranlassung, die Veranstaltung zu untersagen. Der Zionismus habe in Wien seinen Ursprung und beabsichtige die Schaffung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina, ein Vorhaben, das von Österreich unterstützt werde.18 Es sei bereits einmal ein Zionistischer Weltkongress in Wien abgehalten worden, und man 16 Neues Wiener Journal, 14. 8. 1925. S. 5. 17 Bruce F. Pauley  : Der Weg in den Nationalsozialismus. Ursprünge und Entwicklung in Österreich. – Wien 1988. S. 49ff. 18 Dies entsprach der Auffassung eines Großteils der Christlichsozialen, die im Zionismus eine Möglichkeit sahen, den jüdischen Bevölkerungsanteil Wiens zu reduzieren. Allerdings stand die christlichsoziale Presse dem Zionismus reserviert bis kritisch gegenüber, da sie eine mögliche Kontrolle der heiligen Stätten der Christenheit durch die Juden befürchtete. Ein jüdischer Staat wäre eine »schwere Gefahr für die heiligen Stätten«. Nicht die rechtgläubigen Juden seien dabei das Problem, sondern »dass die jüdischen Sozialisten aller Schattierungen und jene zersetzende jüdische Intelligenzschichte, die schon in allen Städten Mittel- und Osteuropas das Leben verpestet, in Jerusalem, in Nazareth, in Bethlehem tonangebend würden. Ihre Maßnahmen und Beleidigungen gegen die Christen in Palästina sind heute schon Ursache bitterster Beschwerden« (Die Zionisten und ihr Kongress in Wien. – In  : Reichspost, 15. 8. 1925. S. 1f. S. 2). Die »Reichspost« zitierte einen Artikel der führenden katholischen Zeitung Italiens, des »Corriere d’Italia«, der sich gegen die Annäherungsversuche des Präsidenten der zionistischen Vereinigung, Chaim Weizmann, an den Vatikan aussprach. Der Heilige Stuhl sei durch seine Vertreter in Palästina sehr wohl über die Bedrohung der heiligen Stätten durch die Juden unterrichtet. »Die jüdische Einwanderung nach Palästina (…) bedeutet eine wirkliche Gefahr, da binnen kurzem die

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begrüße auch aus fremdenverkehrstechnischen Gründen den zu erwartenden Kongresstourismus.19 Die zu erwartenden Unruhen beschäftigten auch den Ministerrat am 10. August, in dem Handels- und Verkehrsminister Hans Schürff sowie Polizeipräsident Johannes Schober auf die explosive Stimmung aufmerksam machten.20 Als besonders gefährlich wurde ein von verschiedenen antisemitischen Organisationen für den 17. August anberaumter »Wiener Volkstag« auf dem Freiheitsplatz vor der Votivkirche empfunden, für dessen Organisation nicht nur die Nationalsozialisten, sondern auch deutschnationale und christlichsoziale Kreise, vor allem der Wiener christlichsoziale Abgeordnete und Vorsitzende des Antisemitenbundes, Anton Jerza­bek, verantwortlich zeichneten. Die Spannungen reichten somit bis weit in die Christlichsoziale Partei und setzten damit Bundeskanzler Ramek, dessen Regierung als »Judenregierung« diffamiert wurde, erheblich unter Druck. Noch vor seiner Abreise nach Salzburg galt es, einerseits entschlossen zu handeln und andererseits kalmierend zu wirken. Entschlossenheit demonstrierte der Bundeskanzler mit der Juden die Mehrheit im Lande sein könnten. Dann werden sie sicher die Christen an den gottgeweihten Stätten Christi verfolgen« (Reichspost, 14. 8. 1925. S. 2). 19 Schausberger  : Ramek. S. 574  ; vgl. dazu auch MRP 391/1, 30. 7. 1925. »Redner (Ramek, Anm. d. Verf.) schicke voraus, er habe dem Zionistischen Landeskomitee für Österreich bereits in einem früheren Zeitpunkt nach Rücksprache mit dem Polizeipräsidenten Schober die Mitteilung zukommen lassen, dass die Bundesregierung die Abhaltung des XIV. Zionistenkongresses in jeder Hinsicht zu fördern bereit sei, und dass keinerlei Anlass zu Besorgnis bestehe. Hierbei habe er sich von der Erwägung leiten lassen, dass die erwähnte Veranstaltung, der nach Angaben des genannten Landeskomitees etwa 900 Delegierte, darunter 350 aus Amerika, ferner 6–7.000 Gäste beiwohnen sollen, vom Standpunkt des Fremdenverkehrs und seiner wirtschaftlichen Auswirkungen zweifellos erhöhte Beachtung verdiene.« 20 MRP 392/10, 10. 8. 1925. Hans Schürff, Bundesminister für Handel und Verkehr, bemerkte besorgt  : »Ich mache aufmerksam auf einige nicht sehr erfreuliche Stimmungen wegen des Zionistenkongresses, nicht nur in Wien, sondern auch außerhalb werden schwerste Proteste erhoben. Nun höre ich heute wieder von einer Abordnung, dass sich die Stimmung immer mehr zuspitzt, nicht nur in den Kreisen der Nationalsozialisten, sondern auch in den christlichsozialen Parteikreisen und bei den Großdeutschen, Vernunftgründe sind nicht mehr ausschlaggebend. Jeder Hinweis darauf, dass wir die Zionisten fördern sollten, um die Juden wegzubringen, zieht nicht mehr, auch nicht die volkswirtschaftliche Seite. (…) gefährlich ist es, wenn sich die Turner einmengen. Daher hätte ich gebeten, dass man auf die Kreise Einfluss nimmt, die sich an der Protestbewegung aktiv beteiligen, also auch die Turnerkreise, und dass man die Presse, soweit sie unter jüdischem Einfluss steht, diese Hetze gegen die Hakenkreuzler dazu führt, dass die Bewegung neue Nahrung bekommt. Wie heute die jüngere Beamtenschaft in den Ministerien spricht, wird beobachtet, dass sogar dort gewisse Sympathien sind für den Widerstand gegen das Überwuchern des jüdischen Geistes. Wenn hier nicht gebremst wird, haben wir in Wien Zusammenstöße, die uns nicht nur schaden in den Augen des Auslandes, sondern auch innenpolitische Gefahren mit sich bringen.« Polizeipräsident Johann Schober erklärte u. a.: »Die Nationalsozialisten haben die Absicht, Hitler mit 20 Leuten von München nach Wien zu bringen. Es werden Leute, mit denen man im Deutschen Reich schon längst fertig ist, in Wien auf den Schild gehoben.«

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Weisung, die von den Nationalsozialisten geplante Einreise Hitlers, der in Deutschland nach seiner Haftentlassung mit Redeverbot belegt worden war, zu untersagen. Ebenso verboten wurde nach Absprache mit Polizeipräsident Schober der geplante »Wiener Volkstag«. Gleichzeitig versuchte Ramek in mehreren Gesprächen mäßigend auf deutschnationale Vereinigungen einzuwirken und übte auch Druck auf die Wiener Christlichsozialen aus, sich aus der antisemitischen Aktionsgemeinschaft mit deutschnationalen und nationalsozialistischen Gruppierungen zu lösen. Der Bundes­ kanzler agierte bei seinem Bemühen um einen störungsfreien Ablauf des XIV. Zionistenkongresses ziemlich allein und auf dünnem Eis. Als er den Zug nach Salzburg bestieg, um die Festspiele zu eröffnen, war die politische Entwicklung der folgenden Tage in Wien inklusive ihrer internationalen Auswirkungen völlig ungewiss. Am 17. August, dem Tag des verbotenen »Wiener Volkstages«, befand er sich wieder in der Bundeshauptstadt und musste in den frühen Abendstunden den Ausbruch massiver antisemitischer Demonstrationen erleben, die auch zu blutigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Wiener Polizei und zur Verhaftung von 132 Personen führten.21 Die Demonstrationen flammten am 18. August, dem Tag des Beginns des Zionistenkongresses, nochmals, allerdings in erheblich geringerem Ausmaß, auf und führten zur Verhaftung von insgesamt 73 – vorwiegend jungen – Demonstranten, unter denen sich viele Mädchen befanden.22 Die Wogen der Erregung erreichten auch Salzburg, wenn auch nicht in Form von Demonstrationen, sondern Zeitungsberichten und -kommentaren. Dabei war die Situation selbst für Antisemiten und Deutsch-Völkische heikel, da angesichts der Festspiele und deren Bedeutung für die Fremdenverkehrswirtschaft forsche antisemitische Töne unangebracht schienen. Und Reinhardt hatte aus seiner amerikanischen »Mirakel«-Besetzung Lady Diana Manners, Mitglied der englischen Hocharistokratie, und Rosamond Pinchet, die Nichte des Gouverneurs von Pennsylvania, in die Salzburger Besetzung des Stücks, das am 16. August Premiere hatte, übernommen. Er hatte Rosamond Pinchet, die in Begleitung ihrer Mutter von Europa in die USA zurückreiste, auf seiner Überfahrt in die USA gesehen und in ihr die ideale Verkörperung der Rolle der Nonne gesehen. Reinhardt ließ sie vorsprechen und engagierte sie. Sowohl Lady Diana Manners wie Rosamond Pinchet feierten bei 21 Es ist bezeichnend für die Stimmung innerhalb der Wiener Christlichsozialen Partei, dass die »Reichspost« unter dem Titel »War das notwendig  ?« Verständnis für die Demonstranten aufbrachte und die Schuld vor allem in den polizeilichen Sicherungsmaßnahmen sah (vgl. Reichspost, 18. 8. 1925. S. 1). 22 Von den insgesamt 202 am 17. und 18. August verhafteten Demonstranten waren 62 Nationalsozialisten, 41 Mitglieder verschiedener völkischer Organisationen, 29 Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei, 2 der Christlichsozialen Partei  ; 2 der Großdeutschen Volkspartei, 41 konnten keiner (partei-) politischen Gruppierung zugeordnet werden (Pauley  : Eine Geschichte des österreichischen Antisemitismus. S. 158). Zu den Demonstrationen und der Position Rameks vgl. Schausberger  : Ramek. S. 581ff.

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der New Yorker Premiere des Stücks einen persönlichen Triumph. Ihr neuerliches Engagement für die Salzburger Inszenierung verfolgte neben der Wiederaufnahme der Aufführungsserie in vier amerikanischen Städten (Cincinnati, Boston, St. Louis, Chicago) vom September 1925 bis März 1926 auch den Zweck der Internationalisierung des Festspielpublikums, denn die beiden attraktiven Damen lockten Vertreter des englischen Hochadels und des amerikanischen Geldadels nach Salzburg, die die Kassen der Hotels klingen ließen und die man mit antisemitischen Enunziationen nicht irritieren wollte. Aus seinem – antisemitisch grundierten – Herzen konnte man allerdings keine Mördergrube machen. Dementsprechend kommentierte Thomas Mayrhofer im »Salzburger ­Volksblatt«, die Wiener Antisemiten hätten mit ihrem Protest zu spät reagiert. Hätten sie ­früher zu Massendemonstrationen aufgerufen, wäre es wahrscheinlich zu keinen Ausschreitungen gekommen, und man hätte das Ziel, die Absage des Zionistenkongresses, vielleicht erreicht. »Leute, die aus ehrlicher Überzeugung Antisemiten sind, den Kampf aber doch nicht in der Art gewisser bei uns in Salzburg nur zu wohl bekannten radau-antisemitischer Presseerzeugnisse führen wollen, hätten es auch gewünscht, dass der Zionistenkongress nicht Tausende von jüdischen Besuchern in die ohnehin schon recht östlich anmutende Hauptstadt des Bundesstaates bringe. Aber sie können es noch viel weniger billigen, dass jetzt Straßentumulte inszeniert werden, die unserem guten Rufe nur schaden können und die nur jenen, die immer wieder und wieder gegen die Hakenkreuzler wüten und sie als radaulustige und blutgierige Bestien hinstellen, Wasser auf die Mühle treiben. Wenn schon wirksam gegen die Teilnehmer am Zionistenkongress hätte vorgegangen werden sollen, dann hätte es gleich mit einem Pogrom geschehen müssen  ; aber so weit von der Kultur sind wir denn doch nicht entfernt, dass derartiges möglich wäre. Eine ernste und würdige Kundgebung, die den aus aller Herren Länder herbeigeströmten Juden gezeigt hätte, dass sie unerwünschte Gäste seien, hätte sicher einen nachhaltigeren Eindruck gemacht als die Szenen, die sich am Montag abends auf dem Ring abspielten. (…) Fraglich ist allerdings, ob der Montagabend nicht ruhiger verlaufen wäre, wenn die Polizei die Kundgebung n i c h t verboten hätte«.23 Die »Salzburger Chronik« kritisierte das vom eigenen Landesparteivorsitzenden und Bundeskanzler auch in Richtung der Agitateure gegen die Abhaltung des Zionistenkongresses vorgebrachte Argument der internationalen Kreditschädigung mit der Feststellung, dass Österreich vom Völkerbund einen Kredit erhalten habe, »der zum großen Teil von der jüdischen Hochfinanz gezeichnet wurde« und gewiss habe jener Antisemitismus mehr Wert, der trachtet, das wirtschaftliche Übergewicht der Juden durch eigene Tüchtigkeit und durch geschlossene Arbeit zu überwinden, aber deshalb braucht man noch 23 Thomas Mayrhofer  : Der Kampf um den Zionistenkongress. – In  : Salzburger Volksblatt, 19. 8. 1925. S. 1.

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nicht als gegebene Tatsache hinzunehmen, dass die Wiener Judenpresse gegen alles Bodenständige in den Ländern hetzt, dass man in Wien ungestraft jeden jüdischen Schund kolportieren darf, während man in jeder Gegenäußerung eine Störung der öffentlichen Ruhe erblickt. Das erwarten sich auch die zinsenberechnenden Geld­ geber nicht, denen wir nichts anderes schuldig sind als ihr Geld und die Zinsen, die sie uns wahrlich nicht schenken. Auf diese Art wird jener Antisemitismus großgezogen, der auch unvernünftige Wege zu gehen imstande ist und seine politische Arbeit zu leisten vermag. Diese Tatsachen müssen angesichts der Begleiterscheinungen des Zionistenkongresses festgestellt werden, denn es wäre verhängnisvoll, aus ihnen nicht die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.«24 Weder Bundeskanzler Rudolf Ramek noch Landeshauptmann Franz Rehrl waren über solche Kommentare erfreut, sondern betrachteten sie vom bundes- und landespolitischen Gesichtspunkt aus als schädlich und kontraproduktiv. Damit wurde aber das Problemfeld der Politik in einem Umfeld der politischen Kultur deutlich, das zu den Überzeugungen und Intentionen der handelnden politischen Eliten, in unserem Fall von Bundeskanzler und Landeshauptmann, in deutlichem Gegensatz stand. Vor allem der Salzburger Landeshauptmann agierte in seiner Festspiel-Politik und seiner persönlichen Beziehung zu deren führenden – teilweise jüdischen – Persönlichkeiten gegen die Grundstimmung sowohl der eigenen Parteibasis wie auch eines mehr oder minder großen Teils der eigenen Funktionäre. Seine Neigung zu oftmals als autoritär empfundenen Entscheidungen, seine Hartnäckigkeit und Zielstrebigkeit, das als richtig Erkannte nicht im Interesse einer persönlichen Denkmalpflege, sondern im Interesse des Landes durchzusetzen, haben hier eine ihrer bestimmenden Ursachen. Die Festspiele wurden noch vor Ende seiner ersten Funktionsperiode eines seiner politischen Leuchtturmprojekte, für die er bereit war, jederzeit in den (politischen) Ring zu steigen. Dass er sich dabei vielfach allein auf weiter Flur befand, wusste er. Weder seine Partei noch die Koalitionspartner waren bereit, ihm bedingungslos im Sinne der Idee zu folgen, sondern ihre Gefolgschaft war stets entweder von innerparteilichen Machtverhältnissen oder von Nützlichkeitsüberlegungen bestimmt. Rehrl, der seine unmittelbare Umgebung – mit Ausnahme der Festspielkünstler und der technischen Eliten – nur in sehr begrenztem Ausmaß durch Liebenswürdigkeit gewinnen konnte, war sich dieses landespolitischen Ambientes sehr wohl bewusst. Daher auch seine Neigung zu einsamen Entscheidungen, die er allerdings, als die politischen Regeln virtuos Beherrschender, stets konsensual zu realisieren vermochte. Während die Kanzlerschaft Rameks 1926 endete, bestimmte Rehrl bis 1938 mit seinem Programm die Landespolitik, in der, aus der Vogelperspektive des His-

24 Salzburger Chronik, 18. 8. 1925. S. 1.

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torikers, die Festspiele aufgrund ihrer letztlich dreifachen Bedeutung – künstlerisch, ökonomisch, infrastrukturell – die Zentralposition einnahmen.

III.2 »Diesmal hat sich die Festspielhausgemeinde schwer die Finger verbrannt.« Die finanzielle Krise der Festspielhausgemeinde 1925/26 Im November 1925 dominierten die Kammerrede Mussolinis und seine darin offensichtlich zum Ausdruck kommende Wende zum Antiparlamentarismus, die Diskussion über die Annahme der Locarno-Verträge durch den Reichstag, der Parteitag der österreichischen Sozialdemokratie und die Verabschiedung des Agrarprogramms, der Kampf um den Mieterschutz und der Streik der Postangestellten die Schlagzeilen der österreichischen und speziell Salzburger Tagespresse. Lediglich eine relativ kleine Meldung des »Salzburger Volksblattes« deutete an, dass sich die Salzburger Festspiele in einer massiven finanziellen Schieflage befanden. Die Salzburger Tageszeitung berichtete, dass das in nur vier Monaten geschaffene Festspielhaus »den Erbauern große Sorgen« bereite. Man habe dem Drängen Reinhardts nachgegeben und den Bau in Erwartung eines günstigen amerikanischen Kredits begonnen. Als dieser ausblieb, beantragte man bei der Salzburger Kredit- und Wechselbank einen Kredit in der Höhe von vier Milliarden Kronen, der gewährt wurde. Mit dieser Summe habe jedoch auch nicht annähernd das Auslangen gefunden werden können, weshalb eine deutliche Erhöhung des Kreditvolumens durch die Salzburger Kredit- und Wechselbank notwendig wurde. Die Bank sei damit vor der Entscheidung gestanden, entweder die beantragte Summe zu gewähren oder im Fall einer Verweigerung sich dem Vorwurf auszusetzen, den Bau des allgemein als wichtig erachteten Festspielhauses verhindert und den für die Stadt und das Land so wichtigen Fremdenverkehr schwer geschädigt zu haben. Vor diese Alternative gestellt, habe man sich für eine weitere Kreditgewährung entschieden, sodass die von der Bank gewährte Kreditsumme auf insgesamt zwölf Milliarden Kronen stieg. Weitere drei Milliarden Kronen habe der Bankenverband gewährt, und etwa dieselbe Summe sei noch bei den ausführenden Firmen ausständig, sodass die Gesamtverbindlichkeiten rund 18 Milliarden Kronen betragen würden.25 Die Meldung des »Salzburger Volksblatts« verursachte in der Salzburger Festspiel­ hausgemeinde helle Aufregung, zumal sie auf offensichtlich internen Kenntnissen beruhte und den Tatbestand der Insolvenz feststellte. Die Festspielhausgemeinde ging in die Offensive und veröffentlichte durch ihren Pressereferenten, den Chefredakteur der amtlichen »Wiener Zeitung«, Rudolf Holzer, eine Erklärung, in der darauf hingewiesen wurde, dass die Ausführungen der Salzburger Tageszeitung auf 25 Salzburger Volksblatt, 7. 11. 1925. S. 8  ; Der Morgen, 8. 11. 1925. S. 9.

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Angaben beruhen, »die teilweise nur durch Indiskretion, teilweise durch halbe und ungenaue Informationen« den Weg in die Öffentlichkeit gefunden hätten. »Richtig ist einzig und allein, dass die Salzburger Festspielhausgemeinde im vorigen Frühjahr vor der Frage stand, entweder um jeden Preis die Durchführung des Umbaues der Reitschule ins Werk zu setzen oder die Idee ›österreichische Festspiele in Salzburg‹ der Vergessenheit anheimfallen zu lassen. Es ist jedenfalls gutzuheißen, dass man sich n i c h t für Resignation entschloss, sondern zu einer Ta t schritt. (…) es wird – und dies kann gar nicht scharf genug betont werden  ! – durch derlei Hiobsposten ein eminentes österreichisches Kulturwerk aufs äußerste bedroht  ; es nimmt sich besonders wunderlich aus, dass gerade Salzburg daran geht, ein großes Werk Salzburgs am Leben zu bedrohen  ! Wenn man zwar den jahrelangen Kampf mitgemacht hat, den gerade Salzburg gegen seine Festspiele führte, so wundert man sich allerdings nicht über das Verhalten der dortigen Presse und eines Teiles der Öffentlichkeit. Die Festspielhausgemeinde wird in kurzer Zeit durch Daten und Zahlen belegen, wie eminent die allgemeinen wirtschaftlichen Auswirkungen für Salzburg waren. Die im Zuge befindlichen Unterhandlungen sowohl hinsichtlich der Finanzierung als auch hinsichtlich des Programms der nächstjährigen Festspiele bilden heute keine lokale Salzburger Angelegenheit mehr  ; Regierungs- und Verwaltungsstellen Österreichs haben heute allen Grund, an diesem Aktivum Österreichs festzuhalten.«26 Die Stellungnahme war keine Widerlegung der in der Meldung des »Salzburger Volksblattes« genannten Zahlen, sondern verschob die Argumentation – durchaus geschickt – auf die Bedeutung der Festspiele für den Fremdenverkehr und die daraus sowohl lokal wie national lukrierten Einnahmen sowie auf ihre in der Zwischenzeit ob ihres internationalen Ansehens gesamtösterreichische kulturelle Leuchtturmfunktion. Damit wurde ein Schwerpunkt der folgenden Argumentation in den Sanierungsbemühungen bereits angedeutet, den auch Landeshauptmann Franz Rehrl konsequent und vehement verfolgte, wobei er, ähnlich wie später bei der Großglockner Hochalpenstraße, zwar die gesamtösterreichische Bedeutung und damit auch die notwendige finanzielle Beteiligung des Bundes betonte, jedoch sorgfältig darauf achtete, die Kontrolle und letzte Entscheidungsfindung in Salzburg zu behalten. Als bekennender Föderalist und von der historisch-kulturellen Bedeutung Salzburgs überzeugter Politiker war er mit allen Mitteln bestrebt, alles zu vermeiden, was in Richtung einer Wiener Dominanz bei diesem so zentralen landespolitischen Projekt gehen konnte. Am 22. November folgte durch Holzer die Auflistung der wirtschaftlichen Bedeutung der Festspiele, die »eine Aktion des wirtschaftlichen Aufbaues Österreichs« darstellten. »In Salzburg, wo alle Vorbedingungen zu einem internationalen Fremdenverkehr gegeben und bereits gelöst sind, wie an wenigen anderen Stätten Österreichs, bedeutet die Veranstaltung von großen internationalen Theater- und Musik26 Wiener Zeitung, 10. 11. 1925. S. 4f.; vgl. dazu auch Salzburger Volksblatt, 10. 11. 1925. S. 5.

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festen nicht mehr und nicht weniger als eine großzügige, welterfassende Propaganda der österreichischen Fremdenverkehrsindustrie. Die Erfahrungen des abgelaufenen Festspieljahres gaben die wertvolle Bestätigung, dass Salzburg unbedingt berufen und in der Lage ist, eine Fremdenstadt allerersten Ranges zu sein.« Obwohl auch in Salzburg die Lage des Fremdenverkehrs angesichts der internationalen Krise der Branche nicht günstig gewesen sei, habe sich die Lage mit dem Beginn der Festspiele schlagartig geändert. Es sei ein Faktum und durch zahlreiche Pressemeldungen bestätigt, »dass es der Salzburger Festspielhausgemeinde gelungen ist, die schwer gefährdete Saison für Salzburg und dessen Umgebung zu retten«. Gegen schwerste Konkurrenz aus der Schweiz und Italien habe man seine Position zu behaupten gewusst. »Es kann also kein Zweifel darüber herrschen, dass die Salzburger Festspiele mit größtem Erfolg österreichische Verkehrspolitik treiben, das heißt, sie waren in der abgelaufenen Saison der wesentliche und wirksamste Faktor, den Inländer im Inland zurückzuhalten und Ausländer zum Besuch Österreichs zu veranlassen.« Die internationale Bedeutung der Salzburger Festspiele wurde auch aus dem Umstand deutlich, dass weder die Bayreuther noch die Münchner und Züricher Festspiele von der Auslandspresse in nennenswertem Umfang wahrgenommen werden, während sich in Salzburg rund 300 Vertreter der Auslandspresse aufhielten, die nicht nur über die Festspiele, sondern auch über das Land berichteten. »Diese Reklame genoss S a l z b u r g u n d Ö s t e r r e i c h , o h n e a u c h n u r e i n e n G r o s c h e n d a f ü r a u f z u w e n d e n   !« Die zentrale Funktion der Festspiele für den Fremdenverkehr und darüber hinaus für die Wirtschaft im Allgemeinen wurde durch Zahlen deutlich. Während im Juni nur 25.000 nächtigende Fremde gemeldet waren, stieg diese Zahl während der Festspielzeit auf 43.000, um im September wiederum auf 20.000 zu fallen. Besondere Bedeutung kam auch der Qualität des Festspielpublikums zu, das einen erheblichen finanziellen Beitrag zur lokalen und nationalen Wirtschaft leistete. Der Gesamtumfang der Ausgaben der Festspielbesucher betrug rund neun Millionen Schilling (90 Milliarden Kronen), wobei dieser Betrag nur jene Ausgaben umfasste, die in Salzburg und seiner Umgebung getätigt wurden. Rechnet man noch jene Ausgaben hinzu, die während der Reise nach und von Salzburg getätigt wurden, so ist ein Betrag von 15 Millionen Schilling (150 Milliarden Kronen) anzunehmen. Ferner seien die Salzburger Festspiele als Wirtschaftsunternehmen zu berücksichtigen, das einen Aufwand von rund 350.000 Schilling hatte, von denen 180.000 Schilling Salzburger Körperschaften, Künstlern, Handels- und Gewerbetreibenden zuflossen. Ein weiterer Betrag von 150.000 Schilling wurde sofort österreichischen Künstlern und Firmen ausbezahlt, während rund 20.000 Schilling in das Ausland abflossen.27 27 Rudolf Holzer  : Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Salzburger Festspiele 1925. – In  : Wiener Zeitung, 22. 11. 1925. S. 5f.

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Indirekte Unterstützung erhielt die Argumentation der Festspielhausgemeinde durch Erich Gebert, den Sekretär der Salzburger Handelskammer und Mitglied der Landeskommission für Fremdenverkehr, der in einer zu Jahresbeginn 1926 erschienenen Broschüre unter dem Titel »Wirtschaftspolitik und Fremdenverkehr« auf die Bedeutung des Fremdenverkehrs für die Salzburger Wirtschaft hinwies. Ihm komme angesichts der im internationalen Rahmen eingetretenen Handelshindernisse durch die Errichtung von Zollschranken für ein Land wie Österreich, und hier wiederum besonders wie Salzburg, eine zentrale Rolle zumindest so lange zu, bis in den internationalen Handelsverkehr durch die Senkung der Zolltarife und eine stärkere Hinwendung zum Freihandel wiederum normale Verhältnisse eintreten. In der nach wie vor andauernden Phase der Handelsbeschränkungen habe der Fremdenverkehr wesentlich dazu beigetragen, das Handelsbilanzdefizit zu decken. Für Salzburg bedeute dies, dass im Bereich des Fremdenverkehrs angesichts der wachsenden Konkurrenz verstärkt Anstrengungen unternommen werden müssen. Es genüge nicht mehr, sich auf die schöne Landschaft allein zu verlassen, sondern es müssten zusätzliche Attraktionen angeboten, die heimische touristische Infrastruktur modernisiert und die Preisgestaltung konkurrenzfähig gestaltet werden. Dabei sei zu berücksichtigen, dass nach Berechnungen der Schweizer Hotelindustrie bei halbwegs ausgewogenen Jahresgeschäften oder Zweisaisonengeschäften eine durchschnittliche Bettenauslastung von 71 Prozent und bei Einsaisongeschäften von 80 Prozent erforderlich ist, um einen Unternehmergewinn von fünf Prozent zu erzielen. Die Erhebungen 1925 in der Stadt Salzburg haben in den drei Hauptmonaten des Sommers, wobei der Festspielmonat August besonders erfolgreich war, eine durchschnittliche Auslastung von 85 Prozent ergeben, in den umliegenden Sommerfrischeorten von 65 Prozent. Für die restlichen neun Monate des Jahres wurde in der Stadt eine Durchschnittsauslastung von 30 Prozent, in den umliegenden Orten von zehn Prozent erzielt. Die im Herbst 1925 unter den größten Fremdenverkehrsbetrieben des Landes durchgeführten Erhebungen ergaben, dass unter Zugrundelegung der Schweizer Parameter nur die durch die besonderen Verhältnisse begünstigten Kurorte eine positive Bilanz aufwiesen.28 Ohne die Festspiele mit ihrer hundertprozentigen Auslastung der Hotels und vieler Beherbergungsbetriebe, so eine der Botschaften der Broschüre, wäre die Existenz zahlreicher Fremdenverkehrsbetriebe gefährdet und die Folgen für den heimischen Arbeitsmarkt kaum zu bewältigen.

28 Salzburger Volksblatt, 11. 1. 1926. S. 1. Gebert kritisierte die vom Land Salzburg eingehobene 30-prozentige Fremdenbettabgabe als für die Unternehmen viel zu hoch und deren wirtschaftliche Führung bedrohend. Wien hatte im Vergleich dazu die Fremdenabgabe auf zehn Prozent gesenkt, um den Tourismus zu fördern. Dies sollte auch in Salzburg angestrebt werden.

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Damit lagen die Karten auf dem Tisch, waren die Positionen bezogen. Bei allen Hinweisen auf die in der Zwischenzeit erlangte internationale Bedeutung der Festspiele und deren Bedeutung für die heimische Fremdenverkehrsindustrie gab es auch die nüchternen Zahlen in der Bilanz der Festspielhausgemeinde, die das »Salzburger Volksblatt« durchaus zutreffend genannt hatte. Und diese Zahlen sowie die daraus ableitbare Insolvenz der Salzburger Festspielhausgemeinde waren es, die den Salzburger Landeshauptmann zur persönlichen Intervention veranlassten. Es waren nicht so sehr die künstlerischen, sondern die wirtschaftlichen Überlegungen, die Rehrl zum Handeln motivierten und seine ganze finanzpolitische Kreativität herausforderten. Diese war nämlich angesichts der vor allem auch parteipolitisch sensiblen Materie gefragt. 1925/26 erfolgte eine Reihe von Bankenskandalen bzw. -zusammenbrüchen, die die enge Verbindung von Geschäft und Politik vor allem bei der Mehrzahl der nach 1918 gegründeten Provinzbanken offenbarten. Zwischen November 1918 und Ende 1923 waren insgesamt 20 Aktienbanken in den Bundesländern gegründet worden, wobei in der Hälfte der Neugründungen Politiker und hohe Beamte des jeweiligen Bundeslandes in den Verwaltungsgremien führend tätig waren. Eine zweite mächtige Einflussgruppe bildeten die christlichsozialen Bauernorganisationen und der Klerus. Eine Reihe dieser Banken nahmen infolge von fehlgeschlagenen Spekulationen (von Verwaltungsräten) ein baldiges unrühmliches Ende oder wurden Fälle für kostspielige Sanierungen – auch durch die (erzwungene) Übernahme durch größere Banken. Da in all diesen Fällen – Steirerbank, Niederösterreichische Bauernbank, Alpenländische Vereinsbank (Tirol), Agrarbank für die Alpenländer (Tirol) – christlich­ soziale Landespolitiker und Verbandsfunktionäre, die der Christlichsozialen Partei angehörten oder ihr nahestanden, involviert waren und die Finanzminister Viktor Kienböck, Jacob Ahrer und Josef Kollmann geheime Rettungsaktionen dieser Banken mit Steuermitteln veranlasst hatten, wurde die Bundesregierung, vor allem die Christlichsoziale Partei, zum Ziel heftiger Attacken der sozialdemokratischen Opposition.29 Unter den neu gegründeten Bundesländerbanken gab es allerdings auch seriöse Institute wie z. B. die Kärntner Bank oder die mit Beteiligung deutscher Banken gegründete Salzburger Kredit- und Wechselbank (Bayerische Hypotheken- und Wechselbank), die Tiroler Landesbank und die Tiroler Hauptbank (Deutsche Bank und Boden-Creditanstalt). Im Fall der Salzburger Festspielhausgemeinde handelte es sich zwar um keinen mit den übrigen Bankenskandalen vergleichbaren Fall, nichtsdestoweniger allerdings um einen politisch heiklen, war doch der christlichsoziale Vizebürgermeister und Finanzreferent der Stadt Salzburg, Richard Hildmann, Präsident der Fest29 Weber  : Vor dem großen Krach. S. 154ff.; Schausberger  : Ramek  : S.  703ff.; Ausch  : Als die Banken fielen. S. 205ff.

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spielhausgemeinde, die den Umbau der Winterreitschule vor allem auch aufgrund des Drucks Reinhardts und der hoffnungsvollen Hinweise Hofmannsthals auf einen 100.000-Dollar-Kredit eines Wiener Bankhauses sowie einer Verwendungszusage von Bundeskanzler Ramek für die Gewährung eines entsprechenden Kredits mit einem Eigenkapital von lediglich 50.000 Schilling begonnen hatte. Alle positiven Signale in Richtung eines günstigen Dollar-Kredits sollten sich jedoch schließlich in Luft auflösen, sodass man gezwungen war, den von der Salzburger Hypotheken- und Wechselbank gewährten Zwischenkredit schließlich erheblich auszuweiten, wodurch sich ein nicht mehr bewältigbarer Schuldenstand ergab, wie Richard Hildmann und Erwin Kerber im Namen der Salzburger Festspielhausgemeinde am 29. März 1926 in einer persönlichen Information über die Entwicklung der schließlich nicht realisierten Kredithoffnungen feststellten. In dem Schreiben wurde auch auf den – zumindest indirekten Zusammenhang der fehlgeschlagenen Kredithoffnungen mit der sehr selbständigen und gegen die Wiener Großbanken gerichteten Anleihepolitik Rehrls, wie sie sich z. B. in der heftig diskutierten Salzburger Stadtanleihe des Jahres 1925 bei der Schweizer Bank Brupbacher dokumentierte, hingewiesen.30 Diese 30 »Hochverehrter Herr Landeshauptmann  ! Über Ihren Wunsch beehren wir uns, Ihnen nachfolgend eine aktenmäßig zu belegende Darstellung der Festspielhaus-Finanzierungsverhandlungen zu unterbreiten. Unter dem 23. Jänner (1925, Anm. d. Verf.) schrieb Hugo von Hofmannsthal an die Festspielhausgemeinde, dass er das Wiener Bankhaus Auspitz und Lieben für die Finanzierung des Festspielhauses zu interessieren vermochte. Gleichzeitig traf auch ein Brief der genannten Bank ein, in dem sie erklärte, unschwer eine Anleihe für das Festspielhaus zu verschaffen, falls man daran denke, diese Anleihe aus einer anschließend abzuschließenden großen Stadtanleihe rückzuzahlen. Nach Ansicht des Bankhauses würde sogar eine Verbindung zwischen Festspielhaus und Stadtanleihe vorteilhaft für die Unterbringung der Stadtanleihe sein. Die Festspielhausgemeinde schrieb tags darauf, also am 24. Jänner, an die Wiener Bank, dass keine städtische, sondern nur eine private Anleihe in Betracht komme. Am 27. Jänner kam die Antwort, dass eine langfristige Privatanleihe bei den herrschenden Verhältnissen am Geldmarkt nur schwer zu platzieren sei, das Bankhaus aber immerhin um die Beschaffung dieser Anleihe bemüht bleiben wolle. Nun schrieb am 29. Jänner die Festspielhausgemeinde neuerdings an die Wiener Bank und ersuchte sie, selbst Vorschläge auszuarbeiten und Bedingungen zu nennen, unter denen zuverlässig mit der Beschaffung der Anleihe gerechnet werden könnte. Die Bank antwortete am 13. Feber wie folgt  : ›Es wird nach der mir von kompetenter Seite erteilten Auskunft höchstwahrscheinlich möglich sein, das Darlehen von Dollar 100.000.- in einigen Monaten auf die gewünschte Zeit hier seitens einer österreichischen Hypotheken-Anstalt zu erhalten.‹ Unter dem 16. Feber schrieb sodann Hofmannsthal sehr zuversichtlich an Dr. Kerber, die Bank werde zuverlässig die Anleihe beschaffen, aber eben nicht augenblicklich, sondern erst in ein oder zwei Monaten. Um trotzdem den Baubeginn nicht zu verzögern, müsse man trachten, in Salzburg einen Zwischenkredit zu erlangen, bei dem dann auch ein oder zwei Prozent mehr an Zinsen nicht ins Gewicht fielen. Unter dem 21. Feber schrieb Dr. Kerber über diesen Brief Hofmannsthals an die Wiener Bank und teilte ihr mit, dass man nun in Salzburg daran gehe, einen Zwischenkredit bis zur Flüssigmachung des durch die Wiener Bank in Aussicht gestellten 100.000-Dollar-Darlehens zu beschaffen. Wenige Tage

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später, am 25. Feber, hatte Dr. Kerber bei Reinhardt in Wien in Angelegenheit der Festspiele zu tun. Reinhardt erwähnte, dass er vor wenigen Tagen bei einem Tee Hofrat Schüller, den Chef des Bankhauses Auspitz und Lieben, vorgestellt worden sei und Hofrat Schüller davon gesprochen habe, dass er bereits zwei Persönlichkeiten für die Finanzierung des Festspielhauses interessiert hätte. Leider waren Reinhardt die Namen der beiden Kunstfreunde entfallen. In den folgenden Tagen verhandelte die Festspielhausgemeinde mit der ›Salzburger Kredit- und Wechselbank‹ und erlangte tatsächlich die Gewährung des Zwischenkredits. Davon unterrichtete am 4. März Dr. Kerber die Wiener Bank. Man vertraue ganz und gar darauf, dass die Wiener Bank wirklich in der Lage sei, binnen 3 Monaten die in Aussicht gestellte Dollar-Anleihe zu beschaffen. Postwendend antwortete Hofrat Schüller unter dem 5. März, dass auf seine allerdings ernst gemeinten Bemühungen hin unter keiner Bedingung ein Finanzierungsplan aufgebaut werden dürfe. Schüller kam in diesem Brief erneut darauf zurück, dass er die Verbindung mit der geplanten Stadtanleihe empfehle. Auf diese Nachricht hin fuhren Vizebürgermeister Ing. Hildmann und Dr. Kerber nach Wien und besuchten Hofrat Schüller am Sonntag, dem 7. März. In einem Vermerk, der anschließend an die Besprechung mit Schüller von Vizebürgermeister Ing. Hildmann und Dr. Kerber niedergelegt wurde, ist der Verlauf der Auseinandersetzung mit Hofrat Schüller festgehalten. ›Schüller kam erneut darauf zu sprechen, dass nun nichts anderes übrigbleibe als auf eine Verbindung zwischen Festspielhaus- und Stadtanleihe zurückzukommen. Er wäre bereit, die bezüglichen Finanzierungsverhandlungen zu übernehmen. Dr. Kerber verliest den zuversichtlichen Brief Hofmannsthals und erwähnt erneut die Mitteilung Reinhardts, dass Hofrat Schüller bereits zwei Mäzene für die Finanzierung gewonnen hätte. Hofrat Schüller erwidert, dass Reinhardt ihn offenbar falsch verstanden hätte. Er habe allerdings versucht, in Wien Kunstfreunde für die Salzburger Sache zu interessieren und habe auch tatsächlich eine Persönlichkeit gefunden, die sich vielleicht bestimmen lässt, die erforderlichen Beträge zu widmen. Allerdings sei die Rede des Landeshauptmannes Dr. Rehrl am Salzburger christlichsozialen Parteitag nicht förderlich gewesen, sondern für einen günstigen Abschluss schädlich. Doch wolle er diese Verbindung sofort wieder aufzunehmen versuchen. Schüller wolle auch mit seinem Bruder, dem Sektionschef im Außenministerium, darüber sprechen, ob nicht etwa eine Beteiligung der Nationalbank infrage käme. Jedenfalls wolle er sich nun mit aller Energie für Salzburg verwenden und werde nichts unversucht lassen. Die Frage Hildmanns, ob man also nunmehr mit dem Bau beginnen könne, beantwortet Schüller nicht. Schüller meint, nun müsse man versuchen, Zeit zu gewinnen. Für jeden Fall empfehle es sich also, einen eventuellen Zwischenkredit möglich für ein halbes Jahr aufzunehmen. Schüller wiederholt seine Versicherung, dass er alles aufbieten wolle, um die unerwartet aufgetauchten Schwierigkeiten aus der Welt zu schaffen.‹ In den nun folgenden Wochen wurde der Umbau der Reitschule in Angriff genommen. Hofrat Schüller war verreist, auch sein Bruder, Sektionschef Schüller, war damals in Genf und London. Am 6. Mai endlich erreichte Dr. Kerber die beiden Herren in Wien. Hofrat Schüller erklärte, dass seine Aktionen erfolglos geblieben seien und schickte Dr. Kerber zu seinem Bruder ins Außenministerium. Auch hier erfuhr indes Dr. Kerber nichts Günstiges. Eine Heranziehung der Nationalbank sei ganz und gar ausgeschlossen. Denkbar wäre äußerstens, dass das Dorotheum sich beteiligen könnte, besonders wenn Dr. Ramek sich hierfür verwende. Am 12. Mai ersuchte die Festspielhausgemeinde Herrn Bundeskanzler Dr. Ramek um Intervention, die dieser gütigst in Aussicht stellte. Nicht nur zu Vizebürgermeister Ing. Hildmann, sondern auch zu dem Präsidenten der Bayrischen Hypotheken- und Wechselbank, Geheimrat Remshard, äußerte sich Dr. Ramek dahin, dass er die Sorge um die Finanzierung des Festspielhauses übernehmen wolle. Der weitere Gang der Verhandlungen ist Ihnen, hochverehrter Herr Landeshauptmann, bekannt. Die

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Politik des Salzburger Landeshauptmanns rief vor allem bei den Wiener Banken Erstaunen und Ärger hervor, der noch wuchs, als Rehrl auf dem christlichsozialen Landesparteitag am 1. März 1925 zum verbalen Schlag gegen die Wiener Großbanken ausholte, denen er Wucher vorwarf, mit dessen Hilfe sie eine Kontrolle und damit auch Herrschaft über die Bundesländer ausüben wollten. Die Rede hatte bundesweites Aufsehen erregt und war in Wiener Bankkreisen auf heftige Ablehnung gestoßen. Am 12. Februar 1926 gab die »Salzburger Wacht« einen Artikel der »ArbeiterZeitung« wieder, in dem ironisch bemerkt wurde, dass es im Festspielhausgebälk krache und krächzende Raben (…) um das Haus fliegen würden. »Im Innern aber geistert die Ahnfrau vom Grabe des Hellbrunner Festspielhausprojektes allmitternächtlich und tut einen Fluch. Die gute Frau könnte sich freilich beruhigen. Der Hellbrunner Festspielhausfimmel ist toter als tot, und damals ging es noch glimpflich mit einem erstklassigen Begräbnis ab, durch das nur das Prestige der Festspielhausidee zu Schaden kam. Diesmal aber … Diesmal hat sich die Festspielhausgemeinde schwerer die Finger verbrannt, und nicht nur sie. Der im vorigen Jahre mit halsbrecherischer Hast zum Eröffnungstermin des 13. August provisorisch fertiggestellte Bau auf dem Grunde der Reitschule endete zum Schaden vieler Lieferanten und sonstiger Leidtragender mit einer enormen Kostenüberschreitung.« Die Endabrechnung der Baukosten hätte einen Betrag von rund 1,5 Millionen Schilling und die noch offenen Bauschulden an die am Bau beteiligten Firmen einen Betrag von rund 475.000 Schilling ergeben. Zu diesen Kosten kämen noch rund 570.000 Schilling, die für die Fertigstellung des Baus veranschlagt wurden. Der Fehlbetrag wurde, ohne rechtliche Sicherstellung, durch einen Kredit der Salzburger Kredit- und Wechselbank in der Höhe von 1,2 Millionen Schilling und den Bankenverband in der Höhe von 300.000 Schilling gedeckt, während 470.000 Schilling an die am Bau beteiligten Firmen offenblieben. Wer nun die notwendigen Mittel »zur Stelle schaffen soll, dieses Mysterienspiel geht nun in Salzburg in Szene und harrt des Mirakels«.31 Die enorme Kostenüberschreitung – die Baukosten betrugen das Vierzigfache des Vermögens der Festspielhausgemeinde – basierte auf einer Reihe von Ursachen  : den während des Baus erhobenen Forderungen Reinhardts und Rollers an die Planungen Hütters, den durch vom Zeitdruck verursachten notwendigen Nachtschichtarbeiten, den Nachlässigkeiten und finanziellen Unregelmäßigkeiten des Personals. beiden Gefertigten übernehmen gerne die persönliche Verantwortung für die Richtigkeit des hier angeführten Verhandlungsverlaufes. In der Versicherung aufrichtigster Hochachtung und dankbarer Verehrung zeichnen ergebenst Ing. Richard Hildmann, Dr. Erwin Kerber.« (SLA Rehrl FS 0013/2) 31 Robert Arthaber  : Was geschieht nun in der Festspielhausfrage  ? – In  : Salzburger Wacht, 12. 2. 1926. S. 6.

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Hinzu trat noch die für Festspielveranstaltungen letztlich mangelhafte Raumgestaltung durch den ausführenden Architekten Eduard Hütter. Bereits am 5. Septem­ ber hatte Josef Mühlmann im »Salzburger Volksblatt« die Raumgestaltung einer eingehenden Kritik, die später von zahlreichen Kunst- und Architekturexperten geteilt wurde, unterzogen. Bei aller Anerkennung des Zeitdrucks und der enormen Arbeitsleistung Hütters müsse man die »unglaublich kurze Bauzeit, die höchst mangelhaften, geradezu leichtsinnigen Vorbereitungen, die Planlosigkeit, mit der man während des ganzen Baus herumprobierte und änderte und das häufige Fehlen von Detailplänen« bedenken, »ferner die gegebene Baubedingung, nämlich ein alter Raum, der von vornherein für den Zweck eines modernen Theaters wenig geeignet erschien  ; eine prachtvolle romantische Umgebung von historischer Bedeutung, in deren Bann der Architekt sein Werk schaffen sollte, während im Inneren der Bauphantasie freier Lauf gelassen wurde. Und da zeigt sich die merkwürdige Erscheinung  : Das Außenbild, das im Plan genau vorbereitet und ausgearbeitet war, fällt weit ab gegenüber dem Innenraum, der sozusagen ein Werk des Augenblicks darstellt. Im Sinne des Denkmalschutzes sollte die Straßenseite den Charakter der Hofstallfassade, deren Fortsetzung sie ist, zeigen. Scheinbar für das Auge des Laien hat sich wenig geändert. In Wirklichkeit ist etwas ganz anderes daraus geworden, ein Bau voll von Widersprüchen und Disharmonie (…) Das Innere ist mehr als Raum denn als Architektur zu werten«. Er sei »mitunter von ausgezeichneter dekorativer Wirkung, aber ohne architektonischen Gehalt«. Im Sinne eines funktionsfähigen Theaterraums seien erhebliche Umbauarbeiten notwendig. »Vor allem müssen die Sitzreihen im Parterre steiler ansteigen. Die Galerie-Ungetüme, die ihren Zweck in keiner Weise erfüllen, müssen wohl in dieser Form ganz verschwinden. So lautet das allgemeine Urteil von Fachleuten und Laien. Dafür baue man die Parterresitze besser aus. Ferner wird man den Versuch machen müssen, den offenen Dachboden zu verschließen.« Für die Realisierung eines solchen gigantischen Provisoriums wäre »ein großer in allen praktischen Bühnenfragen erfahrener Künstler nötig« gewesen. Noch nie sei in Salzburg ein Bau so ambitioniert und rührig durchgeführt worden, doch wohl auch niemals so unüberlegt.32

III.3 »Der Plan des Landeshauptmannes löst die Sache wie das Ei des Kolumbus.« Der Sanierungsplan Rehrls 1926 Das Bekanntwerden der finanziellen Kalamitäten, die eine De-facto-Insolvenz der Salzburger Festspielhausgemeinde bedeuteten und damit auch den Weiterbestand 32 Josef Mühlmann  : Die Festspiele und die Salzburger Bevölkerung. – In  : Salzburger Volksblatt, 5. 9. 1925. S. 3.

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der Festspiele gefährdeten, führte zu einer – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Krise zahlreicher neu gegründeter Bundesländerbanken – mit hämischen Kommentaren versehenen Berichterstattung, vor allem der Wiener Presse. Die finanziellen Probleme der Salzburger Festspielhausgemeinde hatten eine Dimension erreicht, deren Bewältigung erhebliche finanzpolitische Phantasie erforderte. Die Politik war gefordert. Landeshauptmann Rehrl sah sich mit einer Problematik konfrontiert, bei deren Lösung er drei Bedingungen erfüllen musste  : 1. Sie durfte den Steuerzahler nicht belasten, 2. sie musste unter Hinweis auf die wirtschaftliche Bedeutung der Festspiele die beiden anderen Landtagsparteien, vor allem die Sozialdemokraten, einbeziehen und damit als konsensuale landespolitische Lösung die parteipolitische Kontroverse vermeiden und 3. die vorhandenen Mängel des unter massiven Zeitdruck erfolgten Umbaus beseitigen. Eine Aufgabe, die der Quadratur des Kreises zu gleichen schien. Um dieses Ziel zu erreichen, berief er zwei Landtags-Enqueten unter Einbeziehung der Landesregierung, der Landtagsklubs, des Gemeinderatspräsidiums der Stadt Salzburg und der Gemeinderatsfraktionen, von Vertretern des Wirtschaftsverbandes und der Festspielhausgemeinde am 9. und 23. Jänner 1926 ein. Dabei wurde die politische Taktik der Sozialdemokratie deutlich, als der Parteivorstand nach einem Bericht der sozialdemokratischen Delegation über die Ergebnisse der Enquete am 9. Jänner in einer Aussendung feststellte, der Bau des Festspielhauses sei ohne jede vorherige Information der Sozialdemokratischen Partei erfolgt, und man sei daher auch nicht bereit, eigene Sanierungsvorschläge zu unterbreiten, sondern erwarte sich diese von den bürgerlichen Parteien, die schließlich für die eingetretene Misere verantwortlich zeichnen. Allerdings signalisierten sie nach beiden Enqueten mit der Erklärung, man werden im Interesse des Fremdenverkehrs einer Fortführung der Festspiele nicht im Wege stehen, ihre prinzipielle politische Bereitschaft zu einer konsensualen Lösung. Eine damit in den Konturen sichtbar werdende parteiübergreifende Einigung basierte vor allem nicht auf kulturellen, sondern wirtschaftspolitischen Argumenten, d. h. der zentralen Position der Festspiele für die Salzburger Wirtschaft und damit auch die Beschäftigungslage des Landes. Eine Insolvenz der Salzburger Festspielhausgemeinde und damit das Ende der Festspiele war daher unbedingt zu verhindern. Die Frage war nur wie. Die in den Enqueten und auch von den Wirtschaftsverbänden unterbreiteten Vorschläge waren vielfältig, jedoch letztlich kaum zielführend. Und keiner der politischen Mitbewerber hatte eine realistische Lösung anzubieten bzw. bemühte sich auch gar nicht um eine solche. Die Großdeutschen, die Rehrl im Gemeinderat und Landtag bereits wegen des von ihm eingefädelten Dollar-Kredits für die Stadt mit Verbalinjurien belegt hatten, zeigten wenig Neigung zu einer konstruktiven Problemlösung, und die Sozialdemokraten verharrten in gewohnt antikapitalistischer Warteposition, wohl wissend, dass man einer realistischen Lösung allein schon mit Blick auf die Arbeitslosenstatistik selbst-

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verständlich zustimmen würde. Doch es ging um ideologische Positionen, die man dem eigenen Klientel kommunizieren musste. Rehrl war sich mit Blick auf die politische Situation in Salzburg dessen bewusst, dass er bei der Rettung der Festspielhausgemeinde weitgehend auf sich allein, d. h. seine finanzpolitische Kreativität, gestellt war. Er musste eine Lösung finden, die den Steuerzahler nicht belastete und der daher letztlich alle politischen Parteien zustimmen konnten oder mussten, wollten sie nicht als Totengräber der Festspiele und damit des für Salzburg so wichtigen Fremdenverkehrs in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Um dies zu erreichen, bedurfte er der Mitwirkung des Bundes. Zum Zeitpunkt der beiden Landtagsenqueten zur Rettung der Festspielhausgemeinde verdichteten sich jedoch die Gerüchte über eine bevorstehende Regierungsumbildung infolge inhaltlicher Differenzen mit den steirischen Christlichsozialen, aus deren Reihen Finanzminister Jakob Ahrer kam, über die Wirtschafts- und Finanzpolitik und eine damit verbundene Demission der Regierung Ramek. Diese sollten sich am 14. Jänner 1926 bewahrheiten. An diesem Tag erfolgte der Rücktritt der Regierung Ramek und am folgenden die Neubildung der Regierung Ramek II.33 Erst nach der Überwindung der Regierungskrise konnte Rehrl Verhandlungen mit Bundeskanzler Rudolf Ramek und dem neuen Finanzminister Josef Kollmann aufnehmen. Der Salzburger Landeshauptmann hatte die Königsidee eines finanzpolitischen Spiels über die Bande entwickelt  : die Freigabe eines Drei-Millionen-Dollar-Kredits aus den Mitteln der Völkerbundanleihe. Im Ausland veranlagte Völkerbundanleihegelder sollten der Salzburger Hypotheken- und Wechselbank zu einem Zinssatz von vier Prozent bis Mitte 1928 in sechs Quartalsraten zur Verfügung gestellt werden und so der Sanierung der Salzburger Festspielhausgemeinde dienen. Für die Sicherheit der vom Bund veranlagten Gelder übernahmen Land und Stadt Salzburg und die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank in München die Haftung. Im Gegenzug strich die Salzburger Kredit- und Wechselbank als Hauptgläubiger ihre offene Forderung in der Höhe von 1,2 Millionen Schilling und stellte einen Kredit in der Höhe von einer Million Schilling zu einem Zinssatz von sechs Prozent an die Stadtgemeinde Salzburg zur Befriedigung der offenen Forderungen der am Bau beteiligten Firmen und zur Vollendung des Umbaus zur Verfügung. Die Rückzahlung des Kredits bis 1. Juli 1928 sollte ebenfalls in sechs Quartalstranchen erfolgen, allerdings erst nach einem Jahr beginnend, sodass der Kredit nie die Maximalhöhe von zwei Millionen 33 Aus der von Christlichsozialen und Großdeutschen gebildeten Koalitionsregierung Ramek II schieden Finanzminister Jakob Ahrer, Außenminister Heinrich Mataja und Landwirtschaftsminister Rudolf Buchinger. Ihnen folgten Josef Kollmann als Finanzminister und Andreas Thaler als Landwirtschaftsminister, das Außenministerium übernahm Bundeskanzler Rudolf Ramek, unterstützt von den beiden Sektionschefs Franz Peter und Richard Schüller. (vgl. Schausberger  : Ramek. S. 611ff.).

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Dollar überschritt. Die Stadt Salzburg übernahm die bauliche Vollendung und Ausgestaltung des Festspielhauses, das in ihren Besitz überging und um einen jährlichen Betrag von 150 Schilling an die Salzburger Festspielhausgemeinde vermietet werden sollte. Zur Realisierung des Sanierungsplans bedurfte es jedoch nicht nur der Zustimmung des Salzburger Gemeinderates und Landtages, sondern auch der Nationalbank und des Ministerrates. Letztere sicherte Rehrl sich durch Geheimverhandlungen, bevor er in einer neuerlichen Enquete des Landtages – zu allgemeinen Überraschung vor allem der Sozialdemokraten – mit seinem Sanierungsplan an die Öffentlichkeit ging. Am Vormittag des 30. März 1926 erläuterte Rehrl in einer neuerlich einberufenen Enquete im Sitzungssaal des Landtages den sichtlich überraschten Abgeordneten seinen Sanierungsplan, der sowohl von der »Salzburger Chronik« wie auch von der »Salzburger Wacht« publiziert wurde.34 Der den Vorsitz führende großdeutsche Landtagsabgeordnete Max Ott bemerkte nach der Erklärung Rehrls, die Stimmung im Auditorium charakterisierend, dass niemand das Wort ergreife, weil der Vorschlag offensichtlich zu überraschend gekommen sei und die Abgeordneten daher nicht in der Lage seien, eine Antwort zu geben. Der sozialdemokratische Nationalratsabgeordnete und Mitglied des Gemeinderates, Josef Witternigg, stellte lediglich fest, dass er keine Erklärung abgeben könne, da er sich zunächst mit seinen Parteifreunden beraten müsse. Zu den Beratungen mit seinen Parteifreunden werde man auch Fachleute beiziehen, bevor man eine Entscheidung treffe, ob man »vor aller Welt die Verantwortung übernehmen« könne. Der Plan sollte von jeder Partei eingehend beraten werden, bevor man zu einer beschlussfassenden Sitzung zusammentrete. Ähnlich äußerten sich der sozialdemokratische Landeshauptmann-Stellvertreter Robert Preußler und der sozialdemokratische Landesrat Karl Emminger. Man benötige eine Frist bis zum Abend des 31. März, um eine Vertrauensmännerkonferenz einzuberufen und die entsprechenden Beschlüsse zu fassen.35 Die Sozialdemokraten waren durch den überraschenden Schachzug des Salzburger Landeshauptmanns sichtlich verunsichert und aufgrund der im Plan enthaltenen Terminsetzung für den Salzburger Gemeinderat – spätestens 2. April – sowohl in Zeitnot wie auch unter Zugzwang, wobei sich die Parteiführung dessen bewusst war, dass sie letztlich eine positive Stellungnahme, in welcher Form auch immer, abgeben musste, wollte sie sich nicht dem nur schwer zu entkräftenden Vorwurf der politischen Obstruktion um jeden Preis und der landespolitischen Verantwortungslosigkeit aussetzen. National- und Gemeinderat Josef Witternigg und Landesrat Karl Emminger reisten nach einer eilig einberufenen Vertrauensmännerkonferenz nach Wien, um die Bundespartei von den 34 Salzburger Chronik, 30. 3. 1926. S. 4  ; Salzburger Wacht, 30. 3. 1926. S. 2f. Vollständiger Text vgl. Dokument 1. 35 Salzburger Wacht, 30. 3. 1926. S. 3.

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Ereignissen zu informieren und sich für das weitere Vorgehen Rückendeckung zu holen. Eile war geboten, da Bürgermeister Josef Preis die so wichtige Sitzung des Gemeinderates für 1. April, 17 Uhr, einberufen hatte. Die Sitzung musste schließlich auf Ersuchen der sozialdemokratischen Fraktion auf 19 Uhr verschoben werden, da Emminger und Lackner noch nicht aus Wien zurückgekehrt waren. Die Sitzung wurde aufgrund ihrer erheblichen landespolitischen Bedeutung mit Spannung erwartet, auch Landeshauptmann Rehrl befand sich unter den zahlreichen Zuhörern. Im Namen des Finanzausschusses des Gemeinderates referierte Adolf Schemel den Sanierungsplan Rehrls und die sich daraus für die Stadt ergebenden Verpflichtungen, mit denen die seit Monaten anhaltende Festspielhauskrise ein Ende finden würde. »Ein ganzes Vierteljahr wurde ein Projekt nach dem anderen in ungezählten Sitzungen behandelt. Die ganze Öffentlichkeit hat sich mit der Frage befasst. Sie war dabei von dem Gedanken durchdrungen, dass die Summen, die für das Festspielhaus aufzuwenden sind, in keinem Verhältnisse stehen zu der Leistungsfähigkeit der städtischen Bevölkerung  ; andererseits war es klar, dass man die Festspielhausgemeinde nicht ohne Deckung lassen konnte, da dies ein sehr trauriges Licht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse in Salzburg, auf die Kreditfähigkeit von Land und Stadt, geworfen hätte. Zwischen diesen beiden Extremen fand keiner der Pläne die richtige Lösung. Dass Festspiele abgehalten werden sollen, ist der Wunsch aller erwerbenden Kreise in Salzburg, denn die Festspiele des Vorjahres haben nach zuverlässiger Schätzung einen Geldsegen von 75 Milliarden in das Land gebracht. Der Plan des Landeshauptmannes löst die Sache wie das Ei des Kolumbus.«36 Die Zustimmung der Großdeutschen Volkspartei galt als ebenso sicher wie jene der Nationalsozialisten, die sich mit Blick auf die wirtschaftliche Bedeutung als Verfechter der Festspielidee erklärten, deren Rettung auch finanzielle Opfer rechtfertige. Mit Spannung wurde die Haltung der Sozialdemokraten erwartet, für die Josef Witternigg den Spagat zwischen halber Opposition und Zustimmung erklärte, wobei er nach Rücksprache mit der Bundespartei-Leitung einen Punkt, den Rehrl in seinem Plan nicht erwähnt hatte, thematisierte  : Woher stammten die Dollar-Beträge für den Kredit  ? Der Plan sei aufgrund dieser offenen Frage undurchsichtig, und man könne sich daher kein abschließendes Urteil bilden. Als sozialdemokratische Salzburger Gemeinderäte stimme man aber aus rein wirtschaftlichen Gründen für die Annahme des Plans.37 36 Salzburger Volksblatt, 2. 4. 1926. S. 2. 37 Die Erklärung, die Josef Witternigg im Namen der sozialdemokratischen Fraktion abgab, hatte folgenden Wortlaut  : »Die Transaktion, die in diesem Gesetzentwurf vorgesehen ist, ist nicht ganz durchsichtig  : es ist nicht einmal gesagt, wer eigentlich den Kredit gibt, für den Gemeinde und Land eine Mithaftung übernehmen sollen. Es ist für Gemeinderäte, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind, überaus schwer, ihre Stimme über eine Verantwortung abzugeben, bei der nicht einmal mitgeteilt wird, wer eigentlich der Vertragspartner ist. Aber abgesehen davon ist die Transaktion für die Gemeinde überaus gefährlich.

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Die mit dem Plan Rehrls verbundene Verpflichtungserklärung der Stadt Salzburg38 fand daher in den späten Abendstunden des 1. April die einstimmige Annahme durch den Gemeinderat. Die »Salzburger Chronik« kommentierte den Sanierungsplan mit dem Hinweis auf die heftige, einen Festspielskandal behauptende Diskussion der letzten Monate, die aufgrund ihrer Heftigkeit und undifferenzierten Vorwürfe den Bestand der Festspiele gefährdet habe. Nunmehr könne aber festgestellt werden, »dass selbst die Gegner von gestern (…) von ihrer bloßen Kritik und Opposition abgeschwenkt sind. (…) Jedermann, auch der berufsmäßige Nörgler, gibt jetzt, da die Gefahr sichtbar im Horizont aufzustehen beginnt, unumwunden zu, dass es ein schwerer, kaum zu überwindender volkswirtschaftlicher Schlag wäre, falls die Gerüchte, dass wir heuer keine Festspiele mehr erleben sollten, zur Tat würden«. Man habe im vergangenen Jahr »mit Überstürzung gearbeitet«, doch dies sei angesichts der Umstände verständlich. Allerdings habe sich damals von den später mahnenden Stimmen keine gemeldet  : »nach Tisch spricht es sich eben leichter. Niemand gibt sich heute einer Täuschung darüber hin, dass Salzburg sich das eine nicht leisten darf, die Kette jährlicher Festspiele, die schon ein immerhin festes Gefüge aufweist, willkürlich und straflos abzureißen. Eine Unterbrechung auf mehrere Jahre wäre wohl gleichbedeutend mit der völligen Preisgabe der Idee.« Mit Blick auf diese Situation müsse man dankbar sein, dass Landeshauptmann Rehrl »mit erfreulicher Energie darangegangen ist, den drohenden Zusammenbruch aufzuhalten und sich mit seiner bekannten Tatkraft dieser für die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung Salzburgs so lebenswichtigen Angelegenheiten angenommen hat«. Von besonderer Bedeutung sei dabei der Umstand, dass keine Steuergelder zur Deckung der Schulden herangezogen werden.39 Die Gemeinde soll eine Mithaftung für einen Betrag von 2 Millionen Dollar (14 Millionen Schilling) übernehmen, während sie im Ganzen 600.000 Schilling bekommt. Andererseits verkennen wir nicht, dass wichtige wirtschaftliche Interessen der Stadt Salzburg und insbesondere auch die herrschende Arbeitslosigkeit dringend eine Lösung der Festspielhausfrage erfordern. Die Angelegenheit ist von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus zu betrachten. Der eine Gesichtspunkt ist der l o k a l e Gesichtspunkt der Stadt und des Landes Salzburg, der andere ein Gesichtspunkt der Bundespolitik. Als Gemeinderäte von Salzburg sind wir trotz ernsten Bedenken bereit, für den vorliegenden Entwurf zu stimmen, weil uns ein anderer Vorschlag zur Lösung der Festspielhausfrage nicht gemacht wird. Als Bürger der Republik sind wir nicht in der Lage, uns ein abschließendes Urteil über die Transaktion zu bilden, weil die Mitteilung über die ganze Transaktion, die im Gemeinderat gemacht wird, zu einer Urteilsbildung nicht zureicht. Wir werden daher im S a l z b u r g e r G e m e i n d e r a t f ü r d i e Vo r l a g e stimmen, wenn auch schweren Herzens, erklären aber ausdrücklich, dass wir damit der Stellungnahme unserer Partei im Bunde zu der Bundesseite der Transaktion in keiner Weise vorgreifen können« (Salzburger Wacht, 2. 4. 1926. S. 2). 38 Vgl. Dokument 2. 39 Salzburger Chronik, 30. 3. 1926. S. 1.

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Der Sanierungsplan des Salzburger Landeshauptmanns sei aufgrund seiner »Originalität« und – wie zu Recht viele behaupten – »Genialität von so großer Bedeutung, weil er tatsächlich die S a n i e r u n g d e s F e s t s p i e l h a u s e s g e w ä h r l e i s t e t «.40 Adolf Holzer bemerkte im »Salzburger Volksblatt«, mit dem Sanierungsplan des Landeshauptmanns scheine eine Fortführung der Salzburger Festspiele gesichert. Er habe »vor allem die einzig noch mögliche Lösung der überaus verworrenen finanziellen Fragen« angeboten.41 Für das »Salzburger Volksblatt« war Rehrl mit seinem Plan ein politisches Meisterstück gelungen, »das zu seinen sonstigen Vorzügen nun auch ein staunenswertes Geschick auf finanziellem Gebiete verrät. Dazu wendet er eine ganz eigenartige Methode an. Er tritt mit seinen Vorschlägen erst auf den Plan, wenn sich alle anderen Projekte als undurchführbar erwiesen haben oder zu Tode geredet worden sind. Wenn niemand mehr einen Ausweg weiß, kommt Rehrl mit seiner Wünschelrute und zeigt den verblüfften Zusehern, wo Geld zu finden ist. Sein neuestes Zauberkunststück ist funkelnagelneu, dass es auch für gut befunden ward, beweist die einhellige Zustimmung des Gemeinderates«.42 Mit der Zustimmung des Salzburger Gemeinderates am 1. April war jedoch nur der erste Schritt zur Realisierung des Sanierungsplans getan. Es bedurfte noch der Zustimmung des Salzburger Landtages und des Ministerrates. Die Sitzung des Salzburger Landtages war für 7. April anberaumt. In ihrer Stellungnahme im Salzburger Gemeinderat hatte die sozialdemokratische Fraktion darauf hingewiesen, dass sie ihre Zustimmung mangels eines Alternativvorschlages gebe, jedoch Bedenken habe, da sie über die genaueren Umstände, vor allem über den Ursprung der DollarAnleihe, im Unklaren gelassen worden sei. Rehrl hatte seine Verhandlungen mit der Bundesregierung sowie der Nationalbank über ein Vorziehen eines Teils des Völkerbundkredits unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt, die tatsächlich über dieses entscheidende Detail im Unklaren gelassen wurde. Die bürgerlichen Blätter, so die »Salzburger Wacht« in einem Kommentar zur Abstimmung im Gemeinderat, seien von dem »›Zauberkunststück‹ des christlichsozialen Sanierungsplanes« völlig verblendet. »In ihrem G o l d r a u s c h schlagen sie alle Bedenken in den Wind und rufen Hosiannah, der Herr ist erstanden, der uns mit der Wünschelrute zeigt, wo Gold zu finden ist  !«43 Nun habe die »Arbeiter-Zeitung« am Heilsbringernimbus des Salzburger Landeshauptmanns bereits heftig gekratzt. Tatsächlich widmete das Zentralorgan der Sozialdemokratie dem Sanierungsplan Rehrls eine kritische Analyse, indem sie eine Parallele zwischen den Zusammenbrüchen einer Reihe von Bundesländer- und Privatbanken und der Insolvenz der Salzburger Festspielhausgemeinde 40 Die Sanierung des Festspielhauses. – In  : Salzburger Chronik, 31. 3. 1926. S. 3. 41 Rudolf Holzer  : Der Kampf um das Festspielhaus. – In  : Salzburger Volksblatt, 1. 4. 1926. S. 4. 42 Salzburger Volksblatt, 2. 4. 1926. S. 2. 43 Die Sanierung des Festspielhauses. – In  : Salzburger Wacht, 3. 4. 1926. S. 1.

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zog und mit dem Unterton des Verdachts der politischen Korruption die Frage nach dem Ursprung des Drei-Millionen-Dollar-Kredits stellte. »Seit geraumer Zeit weiß man, dass die von christlichsozialen und großdeutschen Mandataren gegründete F e s t s p i e l h a u s g e m e i n d e i n S a l z b u r g bankrott ist. Wären es nicht Christlichsoziale und Großdeutsche, die da bankrott geworden und Kleingewerbetreibenden Beträge von 4,7 Milliarden für ihre Arbeit schuldig geblieben sind, so würde dieser Bankrott wahrscheinlich von der W i r t s c h a f t s p o l i z e i untersucht werden, und die verantwortlichen Macher wären längst v e r h a f t e t . Da aber diese Verantwortlichen die nächsten Freunde des Herrn Bundeskanzlers Dr. R a m e k sind, wird dieser Bankrott ganz anders behandelt als andere Bankrotte. Der erste Weg, der gegangen wird, so oft ein christlichsoziales Unternehmen bankrott wird, ist natürlich der Weg zu den Wiener jüdischen G r o ß b a n k e n . Und diesen Weg gehen die Christlichsozialen nie umsonst  ! Auch in diesem Fall haben die Großbanken für das christlichsoziale Unternehmen d r e i M i l l i o n e n S c h i l l i n g zur Sanierung zur Verfügung gestellt. Solche kleinen Geschäfte erhalten die Freundschaft  ; die Großbanken sanieren verkrachte christlichsoziale Unternehmungen und bekommen dafür vom Staat Steuerermäßigungen. In diesem Falle aber war der Krach zu groß, als dass die Wiener Banken allein hätten helfen können. Es hat daher auch die B a y e r i s c h e H y p o t h e k e n - u n d We c h s e l b a n k in München im Vertrauen darauf, dass Herr Dr. R a m e k seine Freunde nicht im Stich lassen wird, durch ihren Salzburger Ableger, die S a l z b u r g e r K r e d i t - u n d We c h s e l b a n k , der bankrotten Festspielhausgemeinde einen Betrag von 1,200.000 S geborgt.« Um die Sanierung der Festspielhausgemeinde durchführen zu können, bekommt nunmehr »die Salzburger Kredit- und Wechselbank, eine kleine Winkelbank, die in Wirklichkeit ein Ableger der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank in München ist, (…) von irgendjemandem erstaunlicherweise einen Kredit von nicht weniger als d r e i M i l l i o n e n D o l l a r, das sind 21 Millionen Schilling. We r d i e s e r Z w e r g b a n k d i e s e n u n g e h e u r e n B e t r a g b o r g t , w i r d s o r g f ä l t i g g e h e i m g e h a l t e n . (…) Uns dünkt, dass vor allem Herr Dr. R a m e k ein Bedürfnis haben müsste, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, was da eigentlich vorgeht. Dass die W i r t s c h a f t s p o l i z e i und die Staatsanwälte gegen leichtfertige Bankrotteure nicht vorgehen, wenn sie Christlichsoziale sind, wundert uns nicht  ; dass die Wiener G r o ß b a n k e n jeder bankrotten christlichsozialen Gründung beispringen, finden wir natürlich  ; aber das dem Salzburger Gemeinderat und Landtag vorgelegte Sanierungsprojekt erweckt den Eindruck, dass diesmal christlichsozialen Bankrotteuren i n n o c h g a n z a n d e r e r We i s e geholfen werden soll und erheischt daher dringend eine vollständige Aufklärung vor aller Öffentlichkeit«.44

44 Eine verdächtige christlichsoziale Sanierungsgeschichte. – In  : AZ, 2. 4. 1926. S. 3.

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Für die »Salzburger Chronik« war daher die Festspielhauskrise mit dem Beschluss des Gemeinderates noch nicht zu Ende, sondern begann erst recht, zumal die Geldquelle, aus der die Dollar-Millionen sprudelten, unbekannt war. Das Geheimnis der Geldquelle lieferte am 6. April eine Meldung des Wiener Tageszeitung »Der Abend«  : Die Gelder stammten aus derzeit im Ausland veranlagten Tranchen der Völkerbundanleihe, die für die Elektrifizierung der Bundesbahnen vorgesehen waren. Sie wurden nun der Salzburger Kredit- und Wechselbank für die Sanierung der Festspielhausgemeinde zur Verfügung gestellt, um bis Mitte 1928 wiederum zurückzufließen und damit dem ursprünglichen Zweck zur Verfügung zu stehen. Die Landtagsdebatte am 7. April bildete den zweiten Schritt zur Realisierung des Sanierungsplans. Bereits im Vorfeld der Debatte waren die Wogen der politischen Erregung hochgegangen, die auch vor dem christlichsozialen Landtagsklub mit seiner großen Anzahl agrarischer Vertreter nicht haltmachte, wie der christlichsoziale Klubobmann und Landeshauptmann-Stellvertreter, Dechant Michael Neureiter, in seiner die Debatte eröffnenden Wortmeldung andeutete. Die Entscheidung sei der christlichsozialen Fraktion nicht leichtgefallen, denn noch nie habe der Salzburger Landtag eine Landesgarantie für eine so hohe Summe gegeben. Und es habe im Klub auch Stimmen aus den Gauen gegeben, die auf die in der Öffentlichkeit viel diskutierten und kritisierten Vorgänge rund um den Festspielhausbau hinwiesen und die Frage aufwarfen, warum vor allem die Landbevölkerung für diese Vorgänge, die ausschließlich Kreise der Landeshauptstadt betreffen, haften solle. Man habe sich jedoch schließlich aus einer Reihe von Motiven für die Annahme des Sanierungsplans entschieden. »Das erste Motiv, das uns bewogen hat, leichter dafür zu stimmen, war das, dass kein Heller Steuergelder des Landes (…) für die Sache gegeben wird. (…) Ein zweites, was das allerwichtigste war, ist, dass nach eingehender Prüfung keine Gefahr besteht, nach unserer Überzeugung, dass die Landesgarantie je einmal in Anspruch genommen werden könnte. (…) Und was uns die Sache leichter machte, war dann die Kürze der Zeit, für welche die Garantie gegeben wird.« Man sei nach einer Konsultation von Fachleuten zu der Überzeugung gelangt, dass, wenn der Sanierungsplan durchgeführt werde, »dann sei das Festspielhaus saniert und mit der Sanierung des Festspielhauses treten dann jene Gründe ein, die unser ›Ja‹ berechtigen. Das ist die Bedeutung der Festspiele für die Hebung des Fremdenverkehrs (…) und wir wollen weder dem Bunde, noch dem Lande, noch der Stadt jene wirtschaftlichen Eingänge schmälern, welche sie aus diesen Festspielen, aus Veranlassung derselben hier einzunehmen in der Lage sind«.45 Was den Fremdenverkehr betreffe, so hoffe auch die Landbevölkerung von diesem zu profitieren. »Wir bäuerlichen Vertreter erwarten, dass die Fremden auch die Früchte des Landes essen, die im Lande erzeugt werden und dass nicht Butter und Honig aus fremden Landen kommen, sondern 45 SLTPR, 16. Sitzung der 4. Session der 2. Wahlperiode, 7. April 1926. S. 760f.

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dass die Früchte des Landes verzehrt werden, seien es nun die Viehprodukte und die Milchprodukte, sei es die Butter, nicht die Fabrikate, sondern die Butter der Produzenten und andere Früchte des Landes.« Und in Richtung der sozialdemokratischen Fraktion und des in einem Artikel der »Arbeiter-Zeitung« unter Anspielung auf die jüngsten Bankenskandale geäußerten Verdachts der politischen Korruption  : »Aus diesen Gründen, dass keine Korruption dabei sei, dass auch der Staat hier in keiner Weise Korruption treibt – wir wollen uns reine Hände bewahren auch in dieser Angelegenheit – werden wir vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus für diese Vorlage stimmen.«46 Für die Sozialdemokratie übernahm Landesrat Karl Emminger die Aufgabe, die Zustimmung der Partei mit einer Reihe von Kritikpunkten zu versehen und die Rolle Rehrls als Heilsbringer infrage zu stellen. Die Festspielhausgemeinde sei bis Ende 1925 eine völlig private Körperschaft gewesen, welche die Aufgabe übernommen hatte, durch die Veranstaltung von Festspielen der Stadt Salzburg als Fremdenverkehrsstadt eine zusätzliche Anziehungskraft zu verleihen. »Es war eine reine Privatsache, aber es haben sich im öffentlichen Leben stehende Personen mit dieser Sache befasst, und weil öffentliche Faktoren, Bürgermeister und Vizebürgermeister, sich mit den Dingen befasst haben, wird schließlich die Frage zu einer öffentlichen. Wenn wir Sozialdemokraten zur Festspielhausfrage öffentlich Stellung nehmen, so sind wir das den Arbeitern und unteren Volksschichten ganz besonders schuldig. Wenn die Festspielhausangelegenheit unter der Arbeiterschaft beraten und besprochen wird, dann stellen sich unsere Klassengenossen immer vor, die Festspiele werden immer so sein, wie sie in ihrer ersten Art aufgeführt wurden  : mystische Spiele, die in sagenhafte Zeiten zurückreichen und mit der Gegenwart nichts zu tun haben, und die aufgeführt werden, um den besitzenden Klassen aus aller Herren Länder die Möglichkeit zu geben, hier etwas zu sehen, was anderwärts nicht geboten wird. Ein Teil der Klassengenossen steht auf dem Standpunkte, dass, wenn so viele schwerreiche Fremde ins Land und in die Stadt kommen, die Gefahr entsteht, dass die Lebensmöglichkeit der unteren Volksschichten statt gehoben in manchen Belangen verschlechtert wird. Es hat eine Zeit gegeben, die Zeit der Not an Lebensmitteln, wo dies tatsächlich der Fall war. Unsere Volksschichten und Volksgenossen haben die allergrößte Freude nicht daran, wenn, wie im Vorjahre, in Doppelreihen die Autos auffahren, sie sehen den Gegensatz in der heutigen Gesellschaftsordnung, hier den Überfluss bei Menschen, die nicht wissen, wie sie ihr Einkommen loswerden können, und auf der anderen Seite die größte Not und den größten Druck dieser Wirtschaftsordnung auf die Arbeiterklasse.

46 Ebda. S. 762.

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Wenn wir Sozialdemokraten zu dieser Frage Stellung nahmen, sind wir ganz besonders verpflichtet, der Arbeiterschaft und unseren Wählern gegenüber zu sagen, wie wir uns dazu stellen und warum wir dafür stimmen werden.«47 In die Affäre der Festspielhausgemeinde seien maßgebende Persönlichkeiten der in der Stadt Salzburg dominierenden bürgerlichen Parteien verstrickt und es sei, wie aus den Akten ersichtlich werde, beim Bau des Festspielhauses zu erheblichen Missständen gekommen mit dem Ergebnis, dass die Baukosten von vier auf 20 Milliarden Kronen explodierten und eigentlich zum Gegenstand einer Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft wurden. Die Sozialdemokraten hätten, wie die anderen Parteien auch, längere Zeit über die ganze Frage beraten und seien zu dem Entschluss gekommen, dass die Festspiele notwendig seien für den Fremdenverkehr und daher ein Opfer rechtfertigen, »um hier auszugleichen. Wir sagten, wenn alle übrigen einig sind, werden wir Sozialdemokraten sicherlich alles tun, wir werden in der Frage nicht hinderlich im Wege stehen«. Wenngleich die früheren Pläne für eine Sanierung der Festspielhausgemeinde für das Land finanziell bedeutend unvorteilhafter waren als der nunmehr vom Landeshauptmann vorgelegte Vorschlag, so stünden die Sozialdemokraten dennoch auf dem Standpunkt, »es wäre besser gewesen, wenn man in dieser Frage einen Weg beschritten hätte, der von vornherein für die ganze öffentliche Meinung die Sicherheit gegeben hätte, dass ganz Österreich mit uns sympathisiert. (…) Und wenn wir uns hier die entsprechende Sympathie ganz Österreichs erworben hätten, wäre es gut gewesen  ; die Sympathie der Bayern haben wir, weil sie sicherlich zu ihrem Geld kommen. Wenn der Gegensatz nicht so groß wäre, wären wir zu den lumpigen 15 Milliarden doch auch auf ganz andere Art gekommen. (…) Wenn wir hervorheben, dass die Festspiele hier sind und unter Umständen der Fremdenverkehr viel Geld ins Land bringt, das nicht nur Salzburg befruchtet, sondern wovon ganz Österreich profitiert, so ist das ein wichtiges Moment. Das ist eine der Verteidigungsmöglichkeiten für uns, und es wäre möglich, durch die Sympathie ganz Österreichs diese Reform durchzuführen«. Man habe »drei Enqueten abgehalten und unzählige Sitzungen und in der letzten Sitzung ist der Herr Landeshauptmann gekommen und hat erklärt, jetzt habe ichs, das kostet gar nichts. Er hat eine Enquete zusammen berufen, er hat seinen Plan vorgetragen, alle Kreise der Bevölkerung haben das gehört, dass es nichts kostet. Alles war voller Freude und beinahe hieß es  : Heiliger Dr. Rehrl, wir beten Dich an, das hast Du glänzend gemacht  ! Wir Sozialdemokraten haben gleich gesagt, das ist ein sonderbares Osterei, wir werden es uns ansehen, ob die Farbe hält und haben sofort begonnen, mit der Kritik einzusetzen«. Trotz aller Kritik habe man aber stets bedacht, dass im Fall einer Ab47 Ebda. S. 762f.

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lehnung die Festspiele in ihrer Existenz gefährdet seien und »der Zuzug der Fremden nicht mehr in der großen Zahl eintritt und dass Salzburg und seine Bevölkerung in ihren Einnahmen leiden. Wir haben uns vor Augen gestellt, wenn die Beträge flüssig gemacht werden, so kann die Industrie belebt werden, es kann eine neue Arbeitsgelegenheit geschaffen werden, es kann Manches fruktifiziert werden, wovon ein Teil für die unteren Volksschichten, für die Arbeiterschaft, zur Auswirkung kommt. Eine Lebensmöglichkeit wollen wir schaffen, und diese Gelegenheit soll von uns dazu benützt werden«.48 Mit besonderer Spannung wurde die Erklärung von Landeshauptmann Franz Rehrl, von der man sich Aufklärung über eine Reihe noch offener Fragen erhoffte, erwartet. Die Struktur der Rede wich von seinen traditionellen turnusmäßigen großen Reden im Landtag insofern ab, als sie zahlreiche Passagen enthielt, in denen er sich massiv gegen die offenen oder verdeckten Angriffe und Unterstellungen der Sozialdemokraten wandte. Sie hatten, da sie auch seine persönliche Integrität infrage stellten, Wirkung gezeigt und veranlassten den Konsenspolitiker zu ungewöhnlich heftigen Erwiderungen, die teilweise auch in scharfen Angriffen mündeten.49 Zu Beginn seiner Rede verwahrte er sich gegen die vor allem in der sozialdemokratischen Presse geäußerte Vermutung, sein Engagement für die Rettung der Festspielhausgemeinde diene vor allem der Rettung seines Parteifreundes Richard Hildmann und reihe sich damit in die in der Zwischenzeit zahlreichen Beispiele po48 Ebda. S. 765f. Die sozialdemokratische Fraktion gab folgende Erklärung ab  : »Vor allem verweisen wir auf die bei der Beratung des gleichen Gegenstandes in der Gemeinderatssitzung der Landeshauptstadt Salzburg von unseren Parteigenossen abgegebene Erklärung. Seit dieser Sitzung sind weitere offizielle Erklärungen über diese Angelegenheit nicht erfolgt. Das Land Salzburg soll eine Mithaftung für einen Betrag von 2 Millionen Dollar (14 Millionen Schilling) übernehmen, während die Stadt Salzburg 600.000 Schilling bekommt. Diese Transaktion erscheint uns nach wie vor überaus gefährlich. Wir verkennen nicht, dass wichtige wirtschaftliche Interessen der Stadt Salzburg, insbesondere auch die herrschende Arbeitslosigkeit, dringend eine Lösung der Festspielhausfrage erfordern. Die Angelegenheit ist von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus zu betrachten. Der eine Gesichtspunkt ist der lokale des Landes und der Stadt Salzburg, der andere ein Gesichtspunkt der Bundespolitik. Wie unsere Parteifreunde im Salzburger Gemeinderat sind auch wir trotz aller ernsten Bedenken bereit, für den vorliegenden Entwurf zu stimmen, weil uns ein anderer Vorschlag zur Lösung der Festspielhausfrage nicht gemacht wird. Als Bürger der Republik sind wir nicht in der Lage, uns ein abschließendes Urteil über die Transaktion zu bilden, weil die offiziellen Mitteilungen über die Angelegenheit, die im Landtag gemacht werden, zu einer Urteilsbildung nicht zureichen. Wir werden im Salzburger Landtag unter Hervorhebung der schweren Bedenken gleichfalls für die Vorlage stimmen, erklären aber auch ebenfalls ausdrücklich, dass wir damit der Stellungnahme unserer Partei im Bunde zu der Bundesseite der Transaktion in keiner Weise vorgreifen« (ebda. S. 767), 49 Vgl. Dokument 3.

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litischer Interventionen zugunsten von vor allem christlichsozialer Spekulanten und mit der Punze der fahrlässigen Krida behafteten Politiker ein. Er habe erst eingegriffen, nachdem nach drei Monaten alle Versuche von Persönlichkeiten und politischen Parteien, die Festspielhausgemeinde zu sanieren, zu keinem Ergebnis geführt hätten. Alle seien sich lediglich in einem Punkt einig gewesen  : Die Festspiele sind für die Fremdenverkehrswirtschaft Salzburgs von zentraler Bedeutung und müssen daher gerettet werden. Eine schlüssige Lösung wusste allerdings niemand anzubieten. Der von den Sozialdemokraten immer wieder, und nunmehr auch in der Landtagsdebatte von Landesrat Emminger erhobene Ruf nach einem Appell an die österreichische Solidarität sei reine Illusion. Dieser Appell vermöge auch nichts mit dem Hinweis auf die Bedeutung der Salzburger Festspiele für den Gesamtstaat zu fruchten, denn in Österreich, vor allem zwischen den Bundesländern, herrsche die »Kleinlichkeit der Menschen, die Eifersucht, der Dorfgeist«, der in diesem Land sehr groß sei. Dies sei ein parteienübergreifendes Phänomen. Wenn der Bund für Salzburg Gelder zur Verfügung stelle, würde dies die Eifersucht der anderen Bundesländer hervorrufen und das Bemühen zum Scheitern verurteilen. Er habe daher einen anderen Weg gewählt und ihn auch gefunden. Um den Vorwurf der Packelei oder des Kuhhandels zu vermeiden, habe er erst nach der Finalisierung des Sanierungsplans alle Landtagsparteien gleichzeitig informiert, keine sei bevorzugt worden. Die Behauptung der am Tag der Landtagsdebatte erschienenen »Salzburger Wacht«, die unter Berufung auf eine Meldung der Wiener Tageszeitung »Der Morgen« das Geheimnis der Geldquelle enthüllte – die für die Elektrifizierung der Bundesbahnen vorgesehenen Beträge stammen aus der Völkerbundanleihe –, sei falsch. Er habe eine solche Lösung angedacht, sie jedoch nicht realisieren können. Richtig sei hingegen, dass die Mittel aus im Ausland veranlagten Völkerbundanleihegeldern stammten, die nunmehr unter erheblich günstigeren Zinsbedingungen transferiert wurden. Und sichtlich emotional in Richtung Sozialdemokraten  : »Panamist muss ich mich nennen lassen  ! Warum  ?« Der von der Sozialdemokratie vorgebrachte Einwand des erheblichen Risikos des Drei-Millionen-Dollar-Kredits sei an den Haaren herbeigezogen und letztlich, wenngleich theoretisch möglich, konstruiert.50 Es war eine ungewöhnlich kämpferische Rede Rehrls, die auch seine emotionale Verbundenheit mit dem Thema dokumentierte. So sehr das wirtschaftspolitische Motiv an der Wiege seines Engagements für die Festspiele stand und auch als Leitmotiv seines weiteren Handelns (vielleicht) dominierte, so sehr wuchs ab nun seine persönliche Verbundenheit mit den Festspielen, in denen er einen historischen Ort des Landes erkannte, eine unvergleichliche Chance, den als so schmerzlich empfundenen Verlust der kulturellen, geistigen und materiellen Position und des damit 50 Ebda. S. 768ff.; vgl. dazu auch Salzburger Chronik, 8. 4. 1926. S. 2f.; Salzburger Volksblatt, 8. 4. 1926. S. 2.

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verbundenen kollektiven und individuellen Bewusstseins (Landesbewusstsein) zu egalisieren und die verlorenen Positionen wiederzuerlangen. Max Ott als Vertreter der Großdeutschen Volkspartei wies mit seiner Wortmeldung darauf hin, dass alle Bemühungen um eine Sanierung der Festspielhausgemeinde an dem erforderlichen Betrag gescheitert seien. »Jede Partei und jeder Einzelne hat gesagt  : Ja, die Festspiele sind für Salzburg wertvoll und es müssen Mittel und Wege gefunden werden, um die Sache zu sanieren, aber zahlen wollte natürlich niemand und insbesondere nicht, wo es sich um so hohe Beträge wie 20 oder mehr Milliarden gehandelt hat. Darum glaube ich wohl, dass ein ganz besonderer Dank dem Herrn Landeshauptmann gebührt, dass er den Weg jetzt gefunden und eine Möglichkeit geschaffen hat, dass die Sanierung bewerkstelligt werden kann. Er verdient den Dank des ganzen Landes, insbesondere aber der Stadt Salzburg, weil diese die Hauptinteressentin ist, die hier in Betracht kommt. Ich glaube sagen zu können, dass wir hier weder Personenkultus noch Parteipolitik betreiben, aber Ehre wem Ehre gebührt  ! Wir haben lange genug herumgedoktert, um einen Ausweg zu finden und alle Parteien haben gesagt, sie helfen mit, nur müsse eine vollständige Einigkeit erzielt werden. Ich bin auch überzeugt, wenn das Land herangezogen worden wäre, auch einige Milliarden beizutragen, so hätten wir uns auch gefunden und hätten wahrscheinlich auch nicht nein gesagt. Es wäre uns vielleicht schwerer gekommen, aber bevor wir hätten die Sache scheitern lassen, hätten alle Vertreter der verschiedenen Parteirichtungen, davon bin ich überzeugt, nicht nein gesagt.«51 Otts Annahme einer angesichts der landespolitischen Bedeutung des Themas letztlich konsensualen Lösungsbereitschaft sollte sich in der anschließenden Abstimmung über den Sanierungsplan bestätigen, der die einhellige Zustimmung des Landtages fand.52 Die »Salzburger Wacht« vermittelte ihren Lesern die neuerliche Zustimmung der Sozialdemokraten mit der Erklärung  : »Stadt und Land Salzburg haben nun für die Mithaftung einhellig, wenn auch zum Teil, besonders was die Sozialdemokraten betrifft, mit starken Hemmungen, für eine Riesensumme, wie sie in diesem kleinen Alpenlande noch nie zuvor bewilligt wurde, gestimmt. Weder durch diese Beschlüsse aber, noch durch die Erklärung des Landeshauptmannes hat sich bezüglich der B u n d e s s e i t e der Angelegenheit auch nur das Geringste gegen vorher geändert.«53 Am 13. April erfolgte mit dem Beschluss des Ministerrates über die Elozierung (Verwendung, Veranlagung) von Mitteln der Völkerbundanleihe zur Sanierung der Salzburger Festspielhausgemeinde der dritte und letzte Schritt zur Realisierung des von Rehrl erarbeiteten Sanierungsplans. Bundeskanzler Ramek erklärte, er habe die 51 Ebda. S. 773. 52 Wiener Zeitung, 9. 4. 1926. S. 7f. 53 Die Festspielhaussanierung. – In  : Salzburger Wacht, 8. 4. 1926. S. 1f. S. 1.

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Parlamentsparteien vertraulich informiert, »damit nicht in der Presse vor dem Abschluss eine Agitation entsteht. (…) Den Sozialdemokraten ist es mit Rücksicht auf die Haltung der Sozialdemokraten in Salzburg gesagt worden. Danneberg54 sagt, man könnte einiges einwenden, man könnte es auch anders machen. Man will Salzburg ein Geschenk machen (…) Nachdem die Sozialdemokraten im Salzburger Gemeinderat und im Landtag dafür gestimmt haben, haben sie doch gesagt, sie wollen jetzt eine Interpellation darüber einbringen. Denn die Öffentlichkeit müsse darüber informiert werden, was es ist. (…) Es heißt, dass wir 3 Millionen Dollar elozieren. Weil man aber in 6 Vierteljahresraten je 500.000 Dollar gibt und die erste Rate nach einem Jahr zurückgezahlt wird, stehen nach 2 Quartalen der Ausgaben schon die Rückzahlungen gegenüber, sodass effektiv nicht mehr als 2,000.000 Dollar ausstehen. Den Kredit geben wir nur ¼-jährig unter der Bedingung, dass Genf uns die Einhaltung nicht unmöglich macht oder währungspolitische Gründe nicht dagegen sind. Wir müssen 28 Millionen Schilling als 3. Rate für die Elektrifizierung bis 1928 im Ausland eloziert halten, das Geld muss zurückgezahlt werden«.55 Die politische Bewältigung der Sanierung der Festspielhausgemeinde fand durch eine Sitzung des Kuratoriums am 4. und der Generalversammlung am 5. Mai ihren Abschluss, wobei die politischen Differenzen neuerlich zu Tage traten. Der Sekretär der Festspielhausgemeinde, Erwin Kerber, wies in seinem Bericht u. a. darauf hin, dass die beim Bau des Festspielhauses eingetretenen Kostenüberschreitungen vor allem auch darin ihre Ursache hatten, dass erst während des Baus zahlreiche Mängel auftraten, die beseitigt werden mussten, und bauliche Vorkehrungen z. B. für die spätere Errichtung von Stadtsälen getroffen wurden, die erst in Zukunft Einsparungen bedeuten sollten. Die meisten erhobenen Anschuldigungen würden über das berechtigte Maß hinausgehen, und er wolle ausdrücklich feststellen, dass ohne den unermüdlichen Einsatz von Vizebürgermeister Hildmann und Architekt Hütter Salzburg über kein Festspielhaus verfügen würde und die Zukunft der Festspiele daher ungewiss wäre. Auch Pressesprecher Holzer plädierte vehement dafür, die Auseinandersetzung endgültig für beendet zu erklären und die Festspiele als eine österreichisch-nationale, vor allem auch europäische Angelegenheit zu betrachten und auch zu behandeln. Da Vizebürgermeister Hildmann die politischen Konsequenzen aus der durch die beim Festspielhausbau eingetretene Kostenüberschreitung zog und von seiner Position des Präsidenten zurücktrat, war eine Neuwahl des Präsidiums notwendig. Zum Nachfolger Hildmanns als Präsident wurde Heinrich Puthon gewählt, zu Vize­ 54 Robert Danneberg war sozialdemokratischer Nationalratsabgeordneter und später (1932–1934) Finanzstadtrat der Gemeinde Wien. 55 MRP 431/3.Vgl. dazu auch Wiener Zeitung, 15. 4. 1926. S. 4.

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präsidenten Karl Stemberger und Adolf Stierle. Wilhelm Bauernfeind als Kassier und Otto Haustein als Schriftführer vervollständigten die neue Führung.56 Heinrich Puthon war Kavallerieoffizier im Ersten Weltkrieg gewesen und hatte nach 1918 eine Hilfsorganisation für Offiziere ins Leben gerufen, die sich äußerst erfolgreich um ihre Klientel kümmerte. Puthon war ein Mann mit Organisationstalent und in dieser Eigenschaft in Salzburg bekannt. Er berichtete später über seine Berufung an die Sitze der Salzburger Festspielhausgemeinde, dass um zehn Uhr abends drei Herren zu ihm gekommen seien, die ihm damals nicht näher bekannt waren  : »Hofrat Gehmacher und Bauernfeind nebst Direktor Kerber. Sie fragten, ob ich nicht am nächsten Tag, um neun Uhr früh, zur Wahl des Präsidenten der Festspielhausgemeinde erscheinen möchte – ich würde vorgeschlagen. Dass ich mich zu solcher Berufung für völlig ungeeignet hielte, dass ich als Leutnant nur das Stehparterre der Staatsoper mit viel Begeisterung besucht habe, das alles wandte ich vergebens ein, nichts half mir, man traute mir Organisationsgabe zu (…) und am folgenden Tag wählte mich die Versammlung zum Präsidenten. (…) Ich war als Offizier gewöhnt, auf dem Platz, an dem man mich stellte, meine Pflicht zu erfüllen. In diesem Falle ist aus der Pflicht eine Herzenssache geworden.«57 Von den anwesenden Kritikern erklärte der sozialdemokratische National- und Gemeinderat Witternigg, seine Partei sei ohne ihr Wissen in das Kuratorium der Festspielhausgemeinde nominiert, jedoch nie zu einer Sitzung eingeladen worden. Sie habe daher mit der von den beiden bürgerlichen Parteien beherrschten Institution nichts zu tun und werde auch keine Stellungnahme abgeben. Die Sozialdemokraten demonstrierten ihre Distanz zu den Festspielen, deren Existenz sie ohnedies nur durch deren in der Zwischenzeit so zentrale Bedeutung für den Fremdenverkehr und damit als Wirtschaftsfaktor akzeptierten, deren Veranstaltung sie als großbürgerlich-kapitalistische Inszenierung und deren Veranstalter sie als »bürgerliche Bankrotteure«, die sich nur durch einen Finanztrick von Landeshauptmann Rehrl vor der Strafverfolgung retten konnten, verachteten. Diese Einstellung manifestierte sich in dem Bericht der »Salzburger Wacht« über die Generalversammlung. »Generalversammlung  ? Manche Teilnehmer nannten sie gut salzburgisch ein ›Affentheater‹. Manche wieder, die mehr auf Genauigkeit halten, fanden, dass sie nur der Schlussakt einer schon ein halbes Jahr währenden Affenkomödie war. Eines ist gewiss  : Blickt man auf besagtes halbes Jahr zurück, dann muss man sagen  : Es ist schwer, k e i n e Satire darüber zu schreiben.« Der Rechenschaftsbericht Kerbers sei nichts anderes als eine Verharmlosung und Reinwaschaktion der Verantwortlichen gewesen, die gegen sie erhobenen Vorwürfe völlig ungerechtfertigt. Vielmehr müsse man ihnen zu Dank verpflichtet sein. »Seitdem die Bankrotteure der Festspielhausgemeinde 56 Die Generalversammlung der Festspielhausgemeinde. – In  : Salzburger Chronik, 6. 5. 1926. S. 3. 57 Zit. bei Franz Hadamowsky  : Richard Strauss und Salzburg. – Salzburg 1964. S. 36.

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dank Dr. Rehrls Völkerbundanleihe wieder Geld in ihren Beutel tun konnten, sind sie des trockenen Tones satt, und sie drehen den Spieß nun um. Kein Engel ist so rein wie sie …« Den von Pressesprecher Holzer unterbreiteten – und einstimmig angenommenen – Vorschlag, Landeshauptmann Rehrl für seine Verdienste im Foyer des Festspielhauses eine eherne Gedenktafel zu widmen, nannte die »Salzburger Wacht« eine »Anstrudelung des Geldschleppers Dr. Rehrl, die sich im Verlaufe der Generalversammlung zur förmlichen Mastdarmakrobatik entwickelte«. Und die Generalversammlung resümierend  : »Die Generalversammlung ist aus, der Zwischenvorhang fällt, die Komödie findet spätestens nächstes Jahr ihre Fortsetzung, wenn Architekt Holzmeister mit seinem Gerstl von sechs Milliarden, die er in den Fortbau des Festspielhauses hineinsteckt, fertig ist und ein Dutzend weitere Milliarden verlangen wird, um fertigbauen zu können. Woher aber nehmen und nicht stehlen  ? Im Völkerbundgeld ist nicht mehr dafür vorgesehen. Dann wird man wieder an die Allgemeinheit appellieren und die Affenkomödie wird ihren Fortgang nehmen.«58 Kaum war die finanzielle Sanierung der Festspielhausgemeinde und deren personelle Neukonstituierung geglückt, wurde Rehrl mit einer Meldung des US-Magazins »Musical Courier« vom 15. April 1926 konfrontiert, in der – bei offensichtlicher Unkenntnis der jüngsten Entwicklung – unter der Rubrik »Foreign News in Brief« berichtet wurde, dass bei den Salzburger Festspielen eine existenzbedrohende Krise ausgebrochen sei. Die Ursache dieser Krise, die den Fortbestand der Festspiele infrage stelle, sei im Überschreiten des Baubudgets um das 40-Fache sowie durch finanzielle Unregelmäßigkeiten zu sehen. Da der »Musical Courier« das zahlungskräftige US-amerikanische Publikum erreichte, das erstmals 1925 – vor allem aufgrund der Initiative Reinhardts – in größerer Zahl zu den Festspielen gekommen war und als begehrter Devisenbringer in dem touristisch noch unterentwickelten Salzburg eine wichtige Rolle gespielt hatte, reagierte Rehrl impulsiv und energisch. Er betrachtete die Meldung als rufschädigend, nicht nur für die Festspiele, sondern auch für den Salzburger Fremdenverkehr, weshalb er im Rahmen seiner Möglichkeiten intervenierte. Die Meldung des US-amerikanischen Musikmagazins war ihm über die österreichische Botschaft in London zur Kenntnis gebracht worden, weshalb er nunmehr alles daransetzte, durch eine direkte Intervention bei der österreichischen Botschaft in London einen Widerruf oder eine Richtigstellung dieser Meldung zu erreichen. Die Botschaft teilte schließlich mit, dass der europäische Vertreter des Magazins aufgrund der Interventionen am 15. Juli 1926 sehr versöhnlich geantwortet habe. Seit der beanstandeten Meldung vom 15. April seien mehrere Nummern erschienen, in denen äußerst freundliche Kommentare über die Salzburger Festspiele zu lesen waren, und man werde in einer der nächsten Nummern eine Richtigstellung der

58 Die Generalversammlung der Festspielhausgemeinde. – In  : Salzburger Wacht 6. 5. 1926. S. 4f.

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Meldung publizieren.59 Rehrl hatte sein Ziel erreicht und die Meldung wurde ad acta gelegt.

III.4 »Gerne bin ich bereit, der Sache zu dienen.« Der zweite Bau des Festspielhauses durch Clemens Holzmeister 1926 Am 3. April 1926 hatte der Salzburger Landeshauptmann an seinen Freund und Bundesbruder, den Architekten und Professor an der Wiener Akademie der Bildenden Künste, Clemens Holzmeister, geschrieben, ihm sei nun endlich die Sanierung der Festspielhausgemeinde gelungen, und er wolle nunmehr auf ein früher geführtes Gespräch in Salzburg im Jahr 1925 zurückkommen, in dem die schwierige Situation des Festspielhausbaus erörtert worden sei. »Ich wäre Dir sehr zu Dank verpflichtet, wenn Du in unserer schwierigen Aufgabe Deinen gewährten Rat zur Verfügung stellen würdest. Vielleicht wäre dies in der Weise möglich, dass Du an die Spitze der Kommission trittst, die mit der Erstattung der Vorschläge und der Ausarbeitung der Pläne betraut wird.« Die für den neuerlichen Umbau und dessen Finalisierung zur Verfügung stehenden Mittel seien ebenso begrenzt wie die Zeit, weshalb man sich auf das dringend Benötigte beschränken müsse, da eine neuerliche außergewöhnliche finanzielle Belastung aufgrund der Vorgeschichte und des politischen Klimas im Lande nicht verkraftbar wäre. Man könne in Salzburg seine »bewährte Kraft wohl nur in Anspruch nehmen, wenn wir auf Dein besonderes Entgegenkommen rechnen könnten«, um suggestiv hinzuzufügen  : »ein Entgegenkommen, das Du uns ja bei Deiner stets betonten und bewiesenen Vorliebe für Salzburg sicher gerne erweisen wirst.«60 Holzmeister antwortete  : »Gerne bin ich bereit, der Sache zu dienen, die Du mit genialem Griff eben aus dem Unglück zogst. Meine Ansprüche werden gewiss so sein, dass sie dem Unternehmen keine Schmerzen bereiten.«61 Rehrl hatte zwei Tage nach dem einstimmigen Votum des Salzburger Gemeinderates für seinen Sanierungsplan dessen zweiten Teil, die architektonisch-künstlerische Seite, in Angriff genommen. Mit dem Abstimmungsergebnis im Gemeinderat wusste er, dass die Sozialdemokratie auch im Salzburger Landtag nicht o ­ pponieren werde und daher der politischen Beschlussfassung nichts mehr im Wege stehe. Mit Blick auf die fortgeschrittene Zeit musste er sich daher umgehend dem zweiten ­Aspekt des Plans zuwenden, für den er seit Monaten, aufgrund eines längeren Gesprächs mit dem Architekten, Clemens Holzmeister im Auge hatte, in dem er auch 59 SLA Rehrl Briefe 1926/0286. 60 Zit. bei Albin Rohrmoser  : Der Kulturpolitiker Franz Rehrl.  – In  : Huber (Hg.)  : Franz Rehrl. S. 169– 213. S. 176. 61 SLA Rehrl FS 0016.

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eine Persönlichkeit sah, die, in deutlichem Gegensatz zu Hütter, in der Lage war, sich den Begehrlichkeiten Reinhardts zu widersetzen. Im Sanierungsplan waren auch Gelder für die allgemein als notwendig erkannten Umbauten des Festspielhauses vorgesehen, die jedoch angesichts der Baukostenüberschreitung des ersten Baus auf keinen Fall überschritten werden durften. Daher hatte die Generalversammlung der Festspielhausgemeinde auf Vorschlag Rehrls das neu zu wählende Kuratorium (Präsidium) beauftragt, einen Arbeitsausschuss zu nominieren, der dem ausführenden Architekten Holzmeister beratend zur Seite stehen und vor allem darauf achten sollte, dass die vorgesehene Bausumme auch eingehalten werde. Dem vom Kuratorium nominierten Arbeitsausschuss gehörten neben Clemens Holzmeister Emil Funder, Friedrich Gehmacher, Emanuel Jenal und Karl Holter an. Holzmeister stand angesichts der beschränkten Zeit von lediglich fünf Monaten, der beschränkten Mittel und der groben Mängel, vor allem des Innenraums des Festspielhauses, vor einer äußerst schwierigen Aufgabe. »Die Sichtverhältnisse waren schlecht, weil die Neigung des Parterres zu gering war. Die in kaltem Eisenbeton ausgeführten Galerien, besonders die beiden seitlichen, waren viel zu hoch (…) Ich änderte die Anlage des Parterres und schuf gegen den Platz regengeschützte Ausgänge. Damit in Verbindung ergab sich eine neue Fassade. Ich musste die Eisenbetongalerien abreißen lassen und habe Holzgalerien mit besseren Sichtverhältnissen an ihre Stelle gesetzt. Ich legte zwischen die Träme des offenen Dachstuhls wohlberechnete Resonanzkästen aus Holz und erreichte durch sie eine einwandfreie Akustik. Korridore und Treppen zu den Galerien mussten neu gestaltet werden. Mein weiteres Hauptaugenmerk galt der Ausbildung des Foyers. Dies war eine der schwierigsten architektonischen Aufgaben. Das Foyer bestand aus vier von einander völlig verschiedenen Wänden. Zunächst versah ich diesen Raum mit einer ordentlichen Zierlichte anstelle des unschönen Glasdaches. Danach belegte ich den ganzen Fußboden mit großen roten Marmorplatten, alle Fenster, Bogen und Türen mussten belassen werden. Und hier kam mir nun Anton Faistauer, der damals noch viel angefeindete Maler, als Retter in der Not zu Hilfe. Er versah in genialen Aufteilungen alle vier Wände mit figürlichen Darstellungen, voll Reiz und Anmut, voll Dramatik und Lyrik und voll lokalem Kolorit in der Wahl seiner Themen. Und er verwob alles zu einem einheitlichen Werk in Farbe und Maßstab, so dass niemand mehr die unschönen Öffnungen in den vier Wänden aufgefallen sind«, bemerkte er im Rückblick nach 30 Jahren.62 Im Bereich des Bühnenraums waren ihm allerdings die Hände gebunden. Auf Wunsch Reinhardts, der den Raum vor allem für die Inszenierung von Mysterienspielen verwendet sehen wollte, hatte Hütter einen mächtigen gotischen Portalbogen aus Stein errichtet, der von Orgelgalerien und gedrechselten 62 Zit. bei Wilfried Posch  : Clemens Holzmeister. Architekt zwischen Kunst und Politik. – Salzburg/Wien 2010. S. 146ff.

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Auftrittsrampen flankiert wurde. Die Intention war es gewesen, ganz im Sinne des Reinhardt’schen Konzepts der Masseninszenierung, einen Raum zu schaffen, der das Publikum in das Geschehen einbezog und es zudem in der Illusion eines Kirchenraumes wiegen sollte, weshalb der Dachstuhl offengelassen wurde und die Eingangstore Kirchentüren gleich gestaltet waren. Die so geschaffene Bühne bildete aufgrund ihrer nur sehr beschränkt gegebenen Wandlungsfähigkeit und technischen Unzulänglichkeit zweifellos eine Schwachstelle, die Holzmeister, obwohl er sie erkannt hatte, nicht beseitigen konnte. Holzmeister agierte bei seinen Umplanungen, die auf eine weitgehende Neugestaltung des Festspielhauses hinausliefen, äußerst geschickt, indem er mit der lokalen Kunstszene in Kontakt trat und sich ihren Anregungen, wie etwa jenen des Schriftstellers Joseph August Lux, eines der schärfsten Kritiker des Umbaus durch Hütter, keineswegs verschloss. Zudem hinterließ seine Auswahl einheimischer Salzburger Künstler, wie Jakob Adlhart und Anton Faistauer sowie ihrer Kollegen und Freunde Anton Kolig und Robin Christian Andersen, im Erscheinungsbild der Salzburger Festspiele prägende Spuren. Jakob Adlhardt, der zwei Jahre bei Anton Hanak in Wien studiert hatte, war einer der führenden Vertreter der alpenländischen Schnitztradition und hatte 1925 das kolossale Kruzifix in St. Peter, das aufgrund seiner rustikalen Ekstatik für Aufsehen gesorgt hatte, geschaffen. Er war Leiter der Halleiner Werkstätte für kirchliche Kunst und Kunstgewerbe und schuf 1926 den berühmten Maskenblock, der zum Symbol der Festspiele werden sollte. Anton Faistauer war 1920 in die Stadt Salzburg übersiedelt und verfocht die Ansicht, dass sich die Malerei vom Intellektualismus und dem damit verbundenen Traditionsverlust abwenden und sich wiederum monumentalen Aufgaben zuwenden müsse. 1922 dokumentierte er diesen Anspruch mit der Ausmalung der Pfarrkirche in Morzg und ging 1926 an die Ausgestaltung des Foyers des Festspielhauses mit einem weitgespannten allegorischen Programm, das bewusst Anleitung aus dem italienischen 14. und 15. Jahrhundert bezog und dem Künstler Weltruhm verschaffen sollte. Anton Kolig, der Sohn des Kirchenmalers Ferdinand Kolig, war 1911 zusammen mit Anton Faistauer, Oskar Kokoschka, Franz Wiegele u. a. bei einer Ausstellung des Hagenbundes mit eigenen Werken in die Öffentlichkeit getreten, betätigte sich während des Weltkrieges als Kriegsmaler und erhielt 1926 von Holzmeister den Auftrag, das neue Festspielhaus in Salzburg mit Gobelins und einem Mosaik in der Eingangshalle, das später von den Nationalsozialisten vernichtet wurde, auszustatten. Der spätere Mitbegründer der Wiener Gobelin-Manufaktur, Robin Christian Andersen, war Mitglied der Neukunstgruppe in Wien, der auch Egon Schiele, Oskar Kokoschka, Anton Kolig und Andersens Schwager Anton Faistauer angehörten. Andersens Beziehung zu Salzburg basierte nicht nur auf der familiären Bindung zu Faistauer, sondern auch auf seiner Mitgliedschaft bei der im Jänner 1919 im Hotel »Bristol« von Felix Albrecht Harta gegründeten Salzburger Künstlervereinigung »Wassermann«, der auch Anton

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Faistauer, Alfred Kubin, Stefan Zweig, Bernhard Paumgartner und die Künstlerinnen Emma Schlangenhausen, Luise Spannring und Hilde Exner angehörten und die Salzburg der modernen Kunst öffnen wollte.63 Rehrl unterstützte die Bemühungen Holzmeisters nach Kräften. Er war bestrebt, im Vorfeld die Salzburger Kritiker von Hütters Bau mit den Plänen Holzmeisters nicht nur vertraut zu machen, sondern diese auch als dessen Befürworter zu gewinnen. Zum anderen war er sich, wenngleich künstlerischer Laie, der Bedeutung der zur Mitarbeit gewonnenen Künstler durchaus bewusst, ergab sich doch damit die Möglichkeit, das neue Festspielhaus nicht nur funktional, sondern auch in seiner künstlerisch-architektonischen Bedeutung im Sinne von Faistauers 1919 viel beachtetem Vortrag »Ist Salzburg eine Kunststadt  ?« als neues Wahrzeichen von Stadt und Land zu positionieren und einen Schritt aus der seit dem Verlust der Selbständigkeit als bedrückend empfundenen künstlerischen Provinzialität in Richtung Internationalität zu tun. Am 25. April 1926 lud daher Rehrl einen illustren Kreis zu einer Enquete in den Bischofssaal des Chiemseehofes ein. Die in der Kunst- und Kulturszene Salzburgs führenden Persönlichkeiten wie der Schriftsteller, Mitbegründer des Deutschen Werkbundes und spätere Pressesprecher der Salzburger Festspiele für den Festspielhausbau, Joseph August Lux, der Kunsthistoriker Kajetan Mühlmann, Halbbruder des »Wassermann«-Mitgliedes und Faistauer-Freundes Josef Mühlmann,64 der Baumeister und Architekt Karl Ceconi und Stadtbaumeister Franz Wagner sollten ihre Anregungen und Wünsche mit den Plänen Holzmeisters austauschen, mit dem Ziel einer weitgehenden Akkordierung und prinzipiellen Übereinstimmung. Im Vorfeld der Aussprache hatte Joseph August Lux ein Memorandum über seine Vollendungs63 Stefanie Habsburg-Halbgebauer  : Aufbruch zu neuen Ufern. Umbruch von Tradition zur Moderne in der Kunst. – In  : Oskar Dohle, Thomas Mitterecker (Hg.)  : Salzburg 1918–1919. Vom Kronland zum Bundesland. Wien/Köln/Weimar 2018. S. 425–440 (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 68). 64 Kajetan Mühlmann war Kunsthistoriker, Pressemitarbeiter des Österreichischen Propagandabüros und Pressereferent der Salzburger Festspielhausgemeinde. In dieser Funktion führte er im Hintergrund Regie, um seiner damaligen Freundin und späteren Frau, Poldi Wojtek, den ersten Preis des Wettbewerbs für ein Plakat der Salzburger Festspiele zu sichern, obwohl diese von der Jury an zweite Stelle gereiht worden war. Der Plakatentwurf von Poldi Wojtek wurde zum offiziellen Logo der Salzburger Festspiele. Kajetan Mühlmann, der bis 1943 mit Poldi Wojtek verheiratet war, war Sympathisant und schließlich Mitglied der NSDAP, gehörte zum engsten Kreis um den späteren Kurzzeitbundeskanzler und Reichsstatthalter Arthur Seyß-Inquart. Er intervenierte zugunsten seiner Frau Poldi Wojtek bei deren Erwerb des arisierten Hauses der jüdischen Malerin Helene von Taussig in Anif, startete als »Sonderbeauftragter für die Sicherung der Kunstschätze in den besetzten Ländern« eine berüchtigte und zweifelhafte Karriere und war 1952 bis 1955 erster Kustos der wiedererrichteten »Residenzgalerie«.

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vorschläge des Festspielhauses verfasst, in dem er darauf hinwies, dass er bereits vor Jahren erfolgreich Protest gegen die damals geplante Verbauung der offenen Reitschule erhoben und auf die gedeckte große Winterreitschule, die als Lagerhaus benutzt wurde, hingewiesen habe. Die Festspielhausgemeinde habe seine Anregung aufgegriffen »und so entstand durch Umbau im vorigen Jahre nach Plänen des Architekten Hütter das nun bestehende Festspielhaus, das allerdings weder baukünstlerisch den Voraussetzungen entspricht, die man an ein solches Bauwerk an sich berechtigtermaßen stellen darf, noch auch die gebührende Rücksicht auf die architektonische Umgebung, das ist vor allem die offene Reitschule, die kleine gedeckte Reitschule und auf die Stilelemente der anstoßenden Reitschulkaserne nimmt.« Es gebe zahlreiche ästhetische Einwände gegen den von Hütter realisierten Umbau, so z. B. »die hohen dunklen Holztüren mit ihren Oberlichten und fabrikmäßigen Beleuchtungskörpern, deren Billigkeit im schreienden Gegensatz zu den Kosten des Milliardenbaues stehen« und »dem Neubau den Charakter eines Warenhauses oder einer Automobilgarage und nicht eines Festspielhauses« geben. »Die sonstige Dürftigkeit der Außenerscheinung im Zusammenhang mit den ungleichen Maßstäben der Fenstergrößen und deren architektonisch nicht immer sinnvolle Anordnung« seien »bezeichnend für den Mangel an Stilcharakter und künstlerischem Formwillen. Das Oberdach mit den Holzjalousien erinnert an ein Brauhaus oder an eine Gerberei, keineswegs an ein Festspielhaus«. Es werde sicherlich keine leichte Aufgabe für einen mit der Vollendung des Baus betrauten Architekten, die zahlreichen Mängel im Inneren und Äußeren auch nur halbwegs zu beseitigen.65 Rehrl erreichte mit der Enquete im Chiemseehof sein Ziel einer möglichst breiten Unterstützung der Pläne Holzmeisters, da dieser bei der Aussprache äußerst geschickt agierte. Bei der Präsentation seiner Pläne betonte er ausdrücklich immer wieder, dass sich diese »in fast allen Punkten« mit den geäußerten Wünschen deckten. »Vor allem müsse der erweiterte Zweck des Hauses im Sinne der Verwendung für repräsentative Feste ins Auge gefasst werden. Das Innere sei zu engherzig der Bestimmung für Reinhardt’sche Festspiele angepasst.« Damit griff er die Argumentation von Lux und Mühlmann, den beiden heftigsten und wortgewaltigsten Kritikern, auf und erreichte die volle Unterstützung des Auditoriums, das in einer Resolution betonte, die Sanierungsvorschläge des Landeshauptmanns seien unbedingt notwendig, und man habe das vollste Vertrauen in das Umbauprogramm von Clemens Holzmeister.66 Joseph August Lux erklärte Anfang Juni, er traue Holzmeister »von vornherein und ohne weiteres zu, dass er, wie nicht leicht ein anderer, mit der ihm gewordenen undankbaren Aufgabe, einen verpfuschten Bau halbwegs wieder in Ordnung zu bringen, fertig werden wird, wenn auch gewisse Dinge überhaupt irrepara65 SLA Rehrl Briefe 1926/0395. 66 Professor Dr. Clemens Holzmeister und das Festspielhaus. – In  : Salzburger Chronik, 26. 4. 1926. S. 4f.

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bel sind«. Das 1925 errichtete Gebäude erweise sich »schon von außen betrachtet, (…) eher als eine Automobilgarage denn als ein Festspielhaus. (…) Am schmerzlichsten machen sich die Mängel im Inneren des Hauses geltend, die dessen Benützbarkeit infrage stellen. Die Düsterheit des Raumes, die miserable Akustik als Folge des offenen Dachstuhls, der alle Töne verschlingt, die schlechte Sichtbarkeit der Bühne, besonders von den allzu hoch angebrachten Galerien, die Unzulänglichkeit der Garderoben usw., die konstruktiven Fehler, die Materialunechtheit und Vorspiegelung falscher Tatsachen  ; anscheinende Holzarchitektur, die nur eine Maske für die Betonkonstruktion, und ähnliche Sünden mehr gegen die Gesetze echten Architekturgeistes, dessen Hüter der Landeskonservator sein soll – so sieht in Wahrheit der Bau aus, (…) der in der neulichen Aussprache unter dem Vorsitz von Prof. Holzmeister einstimmige Verurteilung fand«. Man dürfe jedoch nicht nur Kritik am Architekten abladen, sondern müsse auch die Mitverantwortung vor allem von Max Reinhardt thematisieren. Dessen Ideen seien nämlich für den Architekten »geradezu Gesetz« gewesen. »Jedenfalls aber hat sich erwiesen, dass die bühnenarchitektonischen Pläne Reinhardts nicht haltbar sind  ; sie haben sich nicht einmal für seine Spielzwecke als probat erwiesen. (…) Mit all diesen Missständen wird nun Prof. Holzmeister gründlich aufräumen, um zu retten, was noch zu retten ist«.67 Holzmeister wurde, darin waren sich alle Kommentatoren des neuerlich umgebauten Hauses einig, den hohen Erwartungen gerecht. Wenngleich angesichts der zeitlichen und räumlichen Vorgaben sowie der begrenzten materiellen Mittel noch immer ein Provisorium, war damit dennoch ein Haus geschaffen, das die künstlerischen Ansprüche der Festspiele erfüllte und ihnen eine Heimstätte gab. Otto Kunz analysierte in einer Beurteilung der Leistung Holzmeisters, dass die zu lösenden Fragen schwer und »kaum den stärksten Schultern aufbürdbar« gewesen seien. »Denn knappe Geldmittel, die Lage innerhalb eines alten Baudenkmales, Einfügung in gegebene, unabänderliche Grundrisse komplizierten die Aufgabe fast bis zur Unlösbarkeit.« Denn ein Neubau erfolge, dem Raumbedarf entsprechend, von innen heraus. Hier sei es jedoch umgekehrt gewesen, denn die Mauern, d. h. der Umriss, sei schon festgestanden, weshalb Holzmeister gezwungen gewesen sei, eine Lösung zu suchen, die der Quadratur des Kreises glich.68 Im Hauptsaal war der Neigungswinkel des Parterres erhöht und damit die Sicht erheblich verbessert worden, die Saaleingänge hatten ihre gotische Höhe verloren, wodurch die Zuschauerbalkone abgesenkt werden konnten. Der vorher die Akustik erheblich beeinträchtigende offene Dachstuhl war mit einem einfachen rechteckigen Rahmenwerk mit hölzernen Resonanzkästen geschlossen worden, der Charakter des 67 Joseph August Lux  : Salzburgs Festspielhaus im Spiegel der Kritik. – In  : Reichspost, 6. 6. 1926. S. 18. 68 Otto Kunz  : Das Salzburger Festspielhaus. – In  : Salzburger Volksblatt, 7. 8. 1926. S. 5f.

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Saals durch Kontraste bestimmt – dunkel gebeizte Holzbalkone, deren Brüstungen mit Eichenholzplastiken versehen wurden, die weißen Wände zierten von Anton Kolig und Robin Andersen geschaffene Gobelins. Die durch die Änderungen im Parterre geschaffene Vorhalle in Richtung auf den nunmehr offenen Platz, der aufgrund einer Initiative von Landeshauptmann Rehrl durch die Beseitigung eines niedrigen hässlichen Hauses den Blick auf die Kollegienkirche Fischer von Erlachs freigab, hatte ein flaches Dach, das der Zuschauergalerie als Balkon diente, hinter dem die völlig neu gestaltete Fassade emporstieg, die sowohl die Saalrückwand wie auch jene der Felsenreitschule umfasste und eine einheitliche Gesimshöhe für den gesamten Gebäudekomplex schuf. Durch das Aufführen von Blendmauern, die die Satteldächer verbargen, gelang eine Vereinheitlichung des gesamten Gebäudekomplexes. Im Bereich des Haupteingangs wurde ein neues Portal ausgebrochen und auf einem Steinbalken das Symbol des neuen Hauses, der Marmorblock der drei Masken von Jakob Adlhart, angebracht. Durch das Hauptportal gelangte man in eine Vorhalle, in der sich das später von den Nationalsozialisten zerstörte meisterhafte Mosaik Anton Koligs befand, bevor man in das mit den Fresken Anton Faistauers ausgemalte Foyer gelangte, dessen Boden Holzmeister mit Untersberger Marmorplatten b ­ elegte.69 Selbst die dem ganzen Unternehmen kritisch bis distanziert gegenüberstehende »Salzburger Wacht« musste anerkennend feststellen, dass es Holzmeister zweifelllos gelungen sei, »den Theatersaal anheimelnder zu gestalten (…) Nun hat der Saal auch Akustik. Ferner hat er den Gebäudekomplex durch den Stadtsaal bereichert und verschönt. Faistauers Fresken im Vestibüle beleben den Raum sehr«.70 In seiner kurzen Rede anlässlich der Eröffnung des Holzmeister-Baus und der Festspiele 1926 dankte Rehrl, der von allen Kommentatoren unisono als eigentlicher Spiritus Rector des Umbaus bezeichnet wurde, allen Beteiligten, auch jenen a posteriori so viel Gescholtenen des Jahres 1925, ohne deren Initiative und Wagemut der Fortbestand der Festspiele infrage gestanden wäre, und betonte, seine Aufgabe habe nicht darin bestanden, Festspiele zu organisieren, sondern der Stadt Salzburg endlich jene Räumlichkeiten zu geben, die sie als Veranstaltungsort für die Festspiele und als Gesellschaftsräume dringend benötige. Diese nunmehr geschaffenen Räume würden der Kultur und der Volkswirtschaft nutzen und damit einen wesentlichen Beitrag zur Positionierung Salzburgs als Kultur- und Fremdenverkehrsmetropole leisten.71 Der Salzburger Landeshauptmann war von der Leistung Holzbauers sowie den Fresken Faistauers beeindruckt, deren Qualität und Symbolik ihm von Holz69 Herbert Muck, Georg Mladek, Wolfgang Greisenegger  : Clemens Holzmeister. Architekt der Zeitenwende. Sakralbau. Profanbau. Theater. – Salzburg/Stuttgart/Zürich 1978. S. 251ff.; vgl. dazu auch Rudolf Holzer  : Das neue Festspielhaus. – In  : Reichspost, 8. 8. 1926. S. 7. 70 Salzburger Wacht, 9. 8. 1926. S. 4. 71 Salzburger Chronik, 9. 8. 1926. S. 3. Vollständiger Text SLA Rehrl FS 0022.

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meister vermittelt worden war. Er setzte daher alles daran, diese Leistung, jenseits der finanziellen Honorierung, auch durch entsprechende Bundesehrungen zu würdigen. So beantragte er in Anerkennung der Fresken im Foyer des Festspielhauses die Verleihung des Professorentitels an Faistauer, die erst nach einigem Widerstand im Kollegium der Akademie der bildenden Künste Zustimmung fand. Ebenso beantragte er nach der Wiedereinführung des Titels »Baurat honoris causa« die Verleihung dieses Titels an Clemens Holzmeister mit der Begründung, dass dieser in völlig uneigennütziger Weise die schwere Aufgabe übernommen habe, den infolge praktischer und künstlerischer Mängel notwendigen Umbau des Festspielhauses verantwortlich zu übernehmen und die kaum zu lösende Aufgabe hervorragend bewältigte. Im Gegensatz zu Faistauer gab es in der Akademie der bildenden Künste einhellige Zustimmung, und Holzmeister wurde der Titel 1927 verliehen.72 Mit diesem zweiten Bau des Festspielhauses, wenn auch in seinem Charakter nach wie vor ein Provisorium, erwies sich die Wahl des Platzes und damit des Festspiel­ bezirkes, obwohl ursprünglich nicht geplant, zunehmend als glücklich. Die »Salzburger Chronik« bemerkte anlässlich der Eröffnung des neuen Hauses und der Festspiele 1926  : »Nun wird wohl auch die Zeit gekommen sein, da man sich allgemein mit der Wahl dieses Platzes und Gebäudes zum Festspielhaus auszusöhnen beginnen dürfte. Es ist in diesen vergangenen Jahren viel darüber hin- und herdiskutiert worden, offiziell und privat. Es darf dabei aber nicht vergessen werden, dass es uns schwer gewesen wäre, vielleicht ganz unmöglich, mit einem modernen Prunkbau in einen Wettbewerb mit den großen Weltstädten einzutreten, falls man sich an die Schaffung eines modernen Neubaues gewagt hätte. Jedes beliebige große Kulturzentrum irgendeines anderen Landes hätte uns in dieser Hinsicht mit einer Leichtigkeit überflügelt, die uns zu schwersten Sorgen hätte Anlass geben müssen. Eine Lage aber, wie sie unser gegenwärtiges Festspielhaus aufweist, eine Lage, die so ganz von großen historischen Umrissen bestimmt ist, die einen so herrlich tönenden Vielklang an edelster Architektur aufweist, in dem das Geflüster der Vergangenheit so eindringlich wird, dass kaum ein Lärm der Gegenwart störend einwirkt, ist Zug für Zug spezifisch salzburgisch und daher ureigenster künstlerischer Besitz, der uns durch keine Nachahmung und durch keine Übervorteilung von anderer Seite strittig gemacht werden kann. Dies alles wird man bedenken müssen, wenn man glaubt, die Wahl bemängeln zu sollen, die auf dieses Objekt gefallen ist.«73

72 Posch  : Clemens Holzmeister. S. 149f. 73 Zum Beginn der Festspielzeit. – In  : Salzburger Chronik, 7. 8. 1926. S. 1.

IV. »Vermögen wir einzig und allein in Herrn Dr. Rehrl die Persönlichkeit zu erblicken, durch deren Geschick … es möglich ist, einen Ausweg aus den finanziellen Schwierigkeiten zu finden.« Die finanzielle und organisatorische Sanierung der Festspiele durch Rehrl

Nach Abschluss der Festspiele 1926 war angesichts eines Defizits von etwas mehr als 140.000 Schilling – trotz der Mitwirkung von Stars und vor allem hervorragender Kritiken im Ausland – die finanzpolitische Phantasie Rehrls neuerlich gefordert. Die Ursachen für die neuerlichen finanziellen Kalamitäten lagen sowohl in der vom Publikum selektiv akzeptierten Programmgestaltung wie auch den hohen Ausstattungskosten einzelner Inszenierungen. Reinhardts aufwendige Inszenierung von Carlo Gozzis »Turandot« in der Bearbeitung von Karl Vollmoeller, die Puccini – wenn auch unvollendet – vor seinem Tod vertont hatte und deren Uraufführung in der Mailänder Scala von Arturo Toscanini geleitet wurde, verursachte ebenso erhebliche Mehrkosten wie die – trotz des Umbaus – nach wie vor mangelhafte Bühnentechnik und das mangelnde Publikumsinteresse für Richard Strauss’ »Ariadne auf Naxos«, die Aufführungsserie von pantomimischem Ballett und kleinen Opern von Gluck, Pergolesi und Mozart oder die nur halb verkauften Orchesterkonzerte mit Werken von Anton Bruckner, Richard Strauss und Gustav Mahler. Am 8. September 1926 schrieb Präsident Puthon an den Salzburger Regierungsrat Friedrich Hoch, die Festspiele hätten angesichts des Defizits einen Kredit in der Höhe von 60.000 Schilling erhalten, mit dem sie »den dringendsten Bedarf der allerletzten Festspieltage« zu decken vermochten. Die finanzielle Lage sei nun aber so, »dass wir dringendst eines Betrages von 20.000 Schilling bedürfen, um die Salzburger Wohnungsvermieter zu befriedigen, während wir die sonstigen Gläubiger noch auf etliche Wochen hinhalten zu können glauben (rund 40.000 Schilling)«. Die Salzburger Festspielhausgemeinde sei sich dessen bewusst, dass Landeshauptmann Rehrl keine rechtliche Verpflichtung übernommen habe, für die Schwierigkeiten der Festspiele einzutreten. »Da indes Herr Dr. Rehrl im April ds. Jahres durch seine genialen finanziellen Maßnahmen unser dem vollen finanziellen Zusammenbruch nahes Institut rettete und auch in den folgenden Monaten mit starker Hand sowohl den Ausbau des Festspielhauses lenkte wie auch der Festspielleitung wiederholt sein tätiges Interesse bekundete, vermögen wir einzig und allein in Herrn Dr. Rehrl die Persönlichkeit zu erblicken, deren diplomatischem, politischem und finanziellem

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Geschick es möglich ist, einen Ausweg aus den bestehenden finanziellen Schwierigkeiten zu finden und im Zusammenhang damit auch alle übrigen aktuellen Fragen wie Besitzrecht des Festspielhauses, Neugestaltung der Festspielorganisation usw. jener Lösung zuzuführen, die allein eine ersprießliche Fortführung der Festspiele (…) gewährleisten kann.«1 Rehrl reagierte zunächst ablehnend und bedauerte in seinem Antwortschreiben am 30. September, »im gegenwärtigen Zeitpunkte nicht in der Lage zu sein, der Festspielhausgemeinde tatkräftige Hilfe angedeihen zu lassen«, da er durch andere Obliegenheiten restlos in Anspruch genommen sei. Er hoffe aber, dass es Puthon gelingen werde, »die fördernde Unterstützung maßgebender Faktoren zu finden«.2 Rehrl war offensichtlich genervt und vertrat die Ansicht, dass er es der Festspielleitung nicht so einfach machen könne, sich im Krisenfall einfach an ihn zu wenden, ohne vorher andere Möglichkeiten ventiliert zu haben. Es war ein Schuss vor den Bug, von dem er allerdings wusste, dass er letztlich als Krisenmanager wiederum gefordert war. Er begann daher an einer großen Lösung zu arbeiten, die sowohl die finanzielle Sicherung der Festspiele wie auch deren organisatorische Neustrukturierung beinhalten musste. Am 8. November schrieb er an Max Ott, den Obmann des Kontrollausschusses, »die Entwicklung der Ereignisse« lasse es nun als angezeigt erscheinen, »dass behufs endgültiger Bereinigung der Angelegenheit neuerdings Maßnahmen ergriffen werden müssen, welche die definitive Regelung der finanziellen Verhältnisse sowohl in Ansehung des Baues als auch bei der Festspielhausgemeinde selbst ermöglichen. Über Ersuchen einer Reihe von Persönlichkeiten hätte ich nun die Absicht, mich neuerdings mit der Sache zu befassen«.3 In einer Enquete am 26. November präsentierte Rehrl seinen umfassenden zweiten Sanierungsplan, der nicht nur eine finanzielle Sicherung der Festspiele beinhaltete, sondern auch detaillierte Vorschläge über den Abschluss eines Betriebsführungsvertrages zwischen der Festspielhausgemeinde und der Stadtgemeinde Salzburg als Eignerin des Festspielhauses über dessen Nutzung, Erhaltung und Inventarbestand, über die Nutzung des Stadttheaters und deren finanzielle Abgeltung durch die Festspiele, die Festlegung der Festspielzeiten sowie die strukturelle Reorganisation der Festspielhausgemeinde enthielt. Diese sollte in das die Geschäfte führende Präsidium, den die finanzielle Gebarung kontrollierenden Aufsichtsrat, den die Programmgestaltung mitbestimmenden Kunstrat und das die künstlerische Führung kontrollierende Kuratorium gegliedert werden. Zudem sollte mit Blick auf die bessere Außenwirkung ein sich ausschließlich dieser Aufgabe widmender Manager bestellt werden, dessen Honorierung durch eine Beteiligung am Gewinn an1 SLA Rehrl FS 0017/2. 2 SLA Rehrl FS 0017/6. 3 Rehrl Briefe 1926/0286.

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zustreben war. Um eine stabile finanzielle Basis zu schaffen, sollte die Bayernbank einen weiteren Kredit in der Höhe von 300.000 Schilling zur Verfügung stellen und sich die Festspielhausgemeinde bemühen, 200 Mitglieder mit einem jährlichen Mitgliedsbeitrag von 500 Schilling zu gewinnen, sodass aus den jährlichen Mitgliedsbeiträgen mindestens 100.000 Schilling zur Verfügung standen. Darüber hinaus sollten Stadt, Land und Bund mit einem jährlichen Mitgliedsbeitrag von 1000 Schilling gewonnen werden sowie weitere Mitglieder, die einen jährlichen Mitgliedsbeitrag von unter 500 Schilling leisteten.4 Durch den Beitritt des Bundes als Mitglied der Festspielhausgemeinde sollte die bundespolitische Bedeutung der Festspiele und die sich daraus ergebende – auch finanzielle – Verpflichtung des Bundes betont werden. Um bundespolitische Rückendeckung bemüht, übersandte Rehrl am 27. November seine Vorschläge zur Neuordnung der Festspielhausgemeinde an Bundespräsident Michael Hainisch mit der Bitte, seinen Einfluss für eine positive Mitwirkung des Bundes geltend zu machen. Hainisch bemerkte in seinen Memoiren über Rehrl, dieser sei »kaufmännisch sehr begabt« und habe sich durch »den Ausbau der Wasserkräfte sehr verdient gemacht, was nach Abzahlung der zum Ausbau aufgenommenen Kapitalien dem Lande eine sehr erhebliche Rente sichern wird«. Der Salzburger Landeshauptmann »ist ein sehr gescheiter und energischer, aber auch ebenso rücksichtsloser Mann, der sich durch seinen, nebenbei bemerkt, unberechtigten Angriff auf die Zentralbürokratie viele Feinde gemacht hat«.5 Hainisch sprach damit einen Umstand an, der Rehrls Interventionen in Wien oft erschwerte, und zwar seine äußerst selbstbewusst vorgetragenen föderalistischen Ansichten, die sich z. B. in den Diskussionen über die Gestaltung der Bundes- und Landesverfassung und der Bundesverfassungsnovelle 1925 manifestierten6 und in Wien Stirnrunzeln und teilweise offene Ablehnung hervorriefen. Sein hartnäckiges und zielbewusstes Agieren, das er allerdings auch mit durchaus diplomatischem Geschick verbinden konnte, rief zuweilen sowohl in der Wiener Zentralbürokratie wie auch im Ministerrat – wie im Fall der Finalisierung der Großglockner Hochalpenstraße – reservierte bis negative Kommentare hervor. Am 2. Dezember antwortete Kabinettsdirektor Josef Freiherr von Löwenthal, Rehrl wisse, »welch lebhaftes Interesse der Herr Bundespräsident der Angelegenheit der Salzburger Festspiele entgegenbringt. Durch seine mehrfache Anwesenheit aus Anlass der Festvorstellungen hat er dieses Interesse werktätig bekundet. Er ist

4 Vollständiger Text vgl. Dokument 4. 5 Michael Hainisch  : 75 Jahre aus bewegter Zeit. Lebenserinnerungen eines österreichischen Staatsmannes. Bearbeitet von Friedrich Weissensteiner. – Wien/Köln/Graz 1978. 241 (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs Band 64). 6 Herbert Dachs  : Franz Rehrl und die Bundespolitik. – In  : Huber (Hg.)  : Franz Rehrl. S. 215–268. S. 216ff.

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auch überzeugt, dass es sich hier um eine Angelegenheit handelt, der tatsächlich weit über den Rahmen Salzburgs hinaus für ganz Österreich eine besondere Bedeutung zukommt. Der Herr Bundespräsident begrüßt es auf das lebhafteste, dass ein so gewiegter Kenner der Verhältnisse wie Sie, sehr geehrter Herr Landeshauptmann, allen Details der Festspielhausfragen seine persönliche Aufmerksamkeit zuwendet und dass Sie in jeder Weise bestrebt sind, diese Kulturerrungenschaft für das Land Salzburg und für unseren Staat auf dauernde solide Basis zu stellen. Er hat den ihm freundlichst übermittelten ›Vorschlag‹ mit Interesse gelesen und hofft, dass es den vereinigten Bemühungen aller Faktoren gelingen werde, dieses hochwichtige Problem zu einem gedeihlichen Ende zu führen. Ich habe die Ehre, Herrn Landeshauptmann zu versichern, dass der Herr Bundespräsident im Rahmen seines Wirkungskreises stets bereit sein wird, die Salzburger Festspiele zu fördern. Sie wissen ja, dass die Bundesverfassung dem österreichischen Staatsoberhaupt die Möglichkeit, in solchen Angelegenheiten initiativ einzugreifen oder unmittelbare Verfügungen zu treffen, nicht bietet. Soweit sich aber die Möglichkeit ergibt, mit den maßgebenden Personen über die Sache Fühlung zu nehmen, wird der Herr Bundespräsident es gewiss nicht verabsäumen, seinen persönlichen Einfluss im Sinne einer allen berechtigten Interessen Rechnung tragenden Lösung der Festspielhausfrage einzusetzen«.7 Bemerkenswert war die mit Blick auf eine Belebung der Fremdenverkehrssaison außerhalb der Sommermonate bereits extensive Festlegung der Festspielzeiten vom 15. Juli bis 15. September, vom 15. Dezember bis 10. Jänner und vom Sonntag vor Ostern bis zum Sonntag nach Pfingsten. Damit war nicht nur die erst Jahrzehnte später von Herbert von Karajan realisierte Möglichkeit von Oster- und Pfingstfestspielen eröffnet, sondern auch das 1950 von Tobi Reiser begründete vorweihnachtliche Adventsingen. Die Salzburger Festspielhausgemeinde hatte von Max Reinhardt die bindende Zusage erhalten, in der Zeit zwischen dem 25. Dezember und 6. Jänner mit ersten Schauspielern seiner Berliner und Wiener Theater in Salzburg volkstümliche Weihnachts- und Krippenspiele zur Aufführung zu bringen und damit im Rückgriff auf die ursprüngliche Festspielidee eine zweite Festspielsaison zu kreieren, von der vor allem der Fremdenverkehr profitieren sollte. Seitens der Festspielhausgemeinde sah man in diesem Plan eine Chance, die jedoch ohne eine positive Stellungnahme von Stadt und Land Salzburg nicht realisierbar war.8 Die Realisierungsschritte des Sanierungsprogramms bildeten ein geringfügig modifiziertes Déjà-vu des ersten  : die Beschlussfassung des Salzburger Gemeinderates

7 SLA Rehrl FS 0020/7. 8 Vollständiger Text des Plans der Salzburger Festspielhausgemeinde vgl. Dokument 7.

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und die folgende Verabschiedung eines Gesetzes durch den Salzburger Landtag, mit dem die finanzielle Basis der Festspiele gefestigt werden sollte. Am 3. Dezember beschloss der Salzburger Gemeinderat die Vorlage des Hauptausschusses vom 1. Dezember, die sich mit nur geringen Modifikationen an den Sanierungsplan Rehrls hielt  ;9 am folgenden Tag erfolgte die Ratifizierung des Betriebsführungsvertrages zwischen der Festspielhausgemeinde und der Stadtgemeinde über das Festspielhaus. Eine finanz- und wirtschaftspolitische Pioniertat gelang Rehrl am 7. Dezember mit der Vorlage des »Gesetzes über die Bildung eines Fonds zur Förderung des Fremdenverkehrs im Lande Salzburg«. Das Gesetz diente der Stimulierung des Fremdenverkehrs und der touristischen Infrastruktur im Allgemeinen, sollte jedoch »besonders zur Finanzierung der Festspiele herangezogen« werden, wie Rehrl in einem Brief an den Kabinettschef des Bundespräsidenten, Joseph Freiherr von Löwenthal, betonte.10 Unternehmen mit einem jährlichen Mindestgewinn von 10.000 Schilling wurden zu einer Beitragsleistung für den Fonds verpflichtet, der mit Zustimmung der Landesregierung auch Darlehen bei der Salzburger Hypothekenbank aufnehmen konnte.11 Seine letztlich einstimmige Annahme im Salz9 SLA Rehrl FS 0021. 10 SLA Rehrl FS 0020/4. 11 Im Bericht der Landesregierung an den Salzburger Landtag hieß es, dass jene »Erwerbsunternehmungen im Lande, denen aus den Fremdenverkehrseinrichtungen wesentliche Vorteile zugutekommen, zur Beisteuer« herangezogen werden sollen. »Gemäß der im Entwurfe vorgeschlagenen Konstruktion des Fonds mit eng umschriebenen Verwendungszwecken soll eine Art Interessengemeinschaft der in Betracht kommenden Erwerbsunternehmungen geschaffen und diesen auf die Verwendung ein Mitbestimmungs- und Kontrollrecht eingeräumt werden. Da die aus den Interessentenbeiträgen gewonnenen Mittel dem Landeshaushalte nicht zugeführt werden dürfen, ist im Gesetz auch nicht von einer Steuer oder Abgabe die Rede, sondern ausschließlich von (Interessenten-)Beiträgen. Dadurch, dass die Beitragspflicht auf bestimmte Arten von Erwerbsunternehmungen beschränkt bleibt und auch hier ein Mindestreinertrag von 10.000 Schilling die untere Grenze bleibt, soll im Zusammenhange mit der Bestimmung, dass das Budget des Fonds der Genehmigung der Landesregierung unterliegt, dafür gesorgt werden, dass keine unerträgliche Belastung der Beitragspflicht eintritt.« Vgl. Robert Kriechbaumer  : 1926. Die finanzielle Rettung der Festspiele und die Schaffung des Fonds zur Förderung des Salzburger Fremdenverkehrs. – In  : Ders., Richard Voithofer (Hg.)  : Politik im Wandel. Der Salzburger Landtag im Chiemseehof 1868–2018. 2 Bde. – Wien/Köln/Weimar 2018. Bd. 1. S. 315–321. S. 321 (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 65). § 3 des Fondsgesetzes nannte als beitragspflichtige Unternehmen  : Gast- und Schankgewerbe, Bäckereien und Mühlen, Fleischhauereien, Fleischselchereien und Wurstwarenerzeuger, Brauereien und Mälzereien, Handelsbetriebe, die ausschließlich oder doch zum vorwiegenden Teil Wein oder Lebensmittel führen, Spirituosen-Erzeugungen, Verkehrsunternehmungen und Verkehrsbetriebe mit Ausnahme der Bundesbetriebe, Banken und Bankgewerbe. § 4 bestimmte zur Aufstellung des Jahresvoranschlags eine aus sieben Mitgliedern bestehende Kom-

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burger Landtag folgte der (partei-)politischen Logik und des im Fall der Festspiele bereits traditionellen Prozederes. Während es Christlichsoziale und Großdeutsche begrüßten, sahen die Sozialdemokraten in ihm letztlich nichts anderes als einen Beweis für das wirtschaftliche Versagen des Bürgertums, von dem sie sich lautstark distanzierten, um ihm jedoch schließlich mit dem Hinweis auf die damit gesicherten Arbeitsplätze doch zuzustimmen. Die »Salzburger Chronik« sah in dem Gesetz ein geeignetes Mittel zur Stärkung des für das Land so wichtigen Fremdenverkehrs, das zudem »der sozialen Gerechtigkeit Genüge« tue, da es finanziell von jenen getragen werde, die in erster Linie vom Fremdenverkehr profitieren,12 und der großdeutsche Abgeordnete Max Ott dankte ausdrücklich Landeshauptmann Rehrl, dem es mit dieser Initiative gelungen sei, nicht nur die Festspielhausidee zu sichern, »sondern auch dem gesamten Fremdenverkehr einen großen Dienst zu leisten«.13 Während der sozialdemokratische Landeshauptmann-Stellvertreter Robert Preußler noch versöhnlich bemerkte, seine Partei stimme dem Gesetz »vom Standpunkt der Förderung des Fremdenverkehrs bei«, blies der stellvertretende Klubobmann Karl Emminger zum klassenkampfrhetorisch untermalten Angriff. Einleitend wies er darauf hin, »dass dieses Gesetz zum übergroßen Prozentsatz zur Förderung und Erhaltung des Festspielhauses mitdient«, um anschließend auf die Geschichte des Festspielhausbaus einzugehen. »Wir stellen fest, dass das Festspielhaus in seiner Schaffung eine Sache des Bürgertums war in Stadt und Land Salzburg. Das Festspielhaus wurde gebaut, vom Gedanken ausgehend, es kommt ein Onkel aus Amerika und der wird das Geld bringen, das nicht vorhanden war. Man wollte ein Werk schaffen, das später auch für den Fremdenverkehr sich auswirkt. Wir haben das in Erinnerung, was geschehen ist, wir haben ein großes Häuferl Unglück am Werk gesehen, das ohne jeden Plan und ohne weiten Blick ein Festspielhaus umgebaut hat drüben in der alten Hofstallkaserne. (…) Wir wissen alles, was vor sich gegangen ist. Der übergroße Prozentsatz der nach diesem Gesetze einzuhebenden Gelder soll zur Erhaltung dieses Hauses gehören und wir müssen hier feststellen, wenn wir Sozialdemokraten dem Gesetze zustimmen, so geschieht das, von dem Standpunkte ausgehend, es könnte vielleicht neben dem Festspielhaus auch noch anderes gemacht werden, um für den Fremdenverkehr fruchtbringend zu wirken. Am Fremdenverkehr, das wissen wir, hängen sehr viele Arbeitskräfte daran, Arbeitskräfte, die wieder aus anderen Betrieben ausgeschaltet sind. Denn die Fabriken stehen still im Lande. Nach jeder Handvoll Arbeit sind wir Sozialdemokraten bereit zu greifen, um die Familien und die Angehörigen der Arbeiterschaft vor derartigen Zuständen zu bewahren. mission, die von der Landesregierung ernannt werden und von denen zwei von der Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie nominiert werden. 12 Für den Fremdenverkehr. – In  : Salzburger Chronik, 7. 12. 1926. S. 1. 13 Ebda. S. 8.

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Wir wissen, meine Herren, dass das Festspielhaus verkracht ist durch die Bürgerlichen, welche daran beteiligt sind, und zwar aller Schattierungen, Christlichsoziale und Deutschnationale. Sie haben die öffentlichen Funktionen ausgenützt, um hier entsprechend zu manipulieren. Wir wissen, dass die Sanierung des Festspielhauses auf Kosten der gesamten Bevölkerung wieder zum Vorteil dieser Parteien ausgenützt wird.« Trotzdem stimme die Sozialdemokratie für das Gesetz, »weil uns der Gedanke leitet, von Arbeit- und Verdienstmöglichkeit für die arbeitenden Schichten unserer Bevölkerung und unseres Landes«.14 Rehrl, der eigentliche Erfinder des Gesetzes, wies darauf hin, dass es der Zweck dieses Gesetzes sei, »eine juristische Person zu schaffen, die zu Vermögenstransaktionen geeignet ist«. Es sei nicht dessen Aufgabe, der Wirtschaft zu schaden, sondern im Gegenteil. Er habe bereits in den Ausschussberatungen darauf hingewiesen, dass »dieser Fonds größere Aufgaben zu erfüllen hat, als bei der Sanierung helfend einzuspringen. Ich betone, dass dieses Gesetz nur die Aufgabe hat, die bereits zugesicherten Interessentenbeiträge, die nicht eingezahlt wurden, zur Einzahlung zu bringen und im Übrigen nur als Garant aufzutreten, als jene juristische Person, die Banktransaktionen ermöglicht. Die Herren, die zu den Beiträgen herangezogen werden, werden nicht mehr zahlen als sie seinerzeit bei der ersten Sanierung zur Zahlung freiwillig übernommen haben«.15 Für die Großdeutsche Volkspartei betonte Max Ott, dass die Belastung für die vom Gesetz betroffenen Betriebe nicht allzu groß sei und es berechtigt erscheine, »dass diejenigen Kreise, welche vom Fremdenverkehr den Hauptnutzen haben, auch entsprechende Beiträge zu leisten haben, um den Fremdenverkehr dauernd zu stützen und auf jene Höhe zu bringen, die unbedingt erforderlich ist, wenn er in aller Zukunft die Haupteinnahmequelle sein soll. Ich glaube, dass wir dem Herrn Landeshauptmann dankbar sein müssen, dass er diesen Gedanken aufgegriffen und eine Form gefunden hat, die es ermöglicht, dass nicht nur allein das Festspielhaus als solches gefördert wird, sondern dass für den gesamten Fremdenverkehr eine Grundlage geschaffen worden ist, damit derselbe in Zukunft gesichert erscheint. Es wurde uns auch im Finanzausschuss mitgeteilt, dass vorläufig allerdings das Festspielhaus das Notwendigste ist, was jetzt saniert werden muss. (…) Wir sollen alle froh sein, (…) dass die Finanzierung gesichert erscheint und dass ebenso auch in der Zukunft für die Festspiele eine Grundlage geschaffen wird durch diesen Reservefonds, welcher gebildet werden soll, und dass der Fremdenverkehr, mit ihm auch die Festspiele, gewährleistet ist«.16 Für Irritationen und eine kurze, allerdings heftige Erregung sorgte ein Punkt des Sanierungsplans, in dem Rehrl die Mitwirkung der Bundestheater-Verwaltung – 14 SLTPR, 6. Sitzung der 5.Session der 2. Wahlperiode, 7. Dezember 1926, S. 297f.; vgl. auch Salzburger Wacht, 7. 12. 1926. S. 3. 15 Ebda. S. 298f. 16 Ebda. S. 299f.

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Staatsoper und Burgtheater – an den Festspielen zu möglichst günstigen Konditionen mit der Begründung forderte, dass das Defizit der Bundestheater vom Gesamtstaat, d. h. vor allem auch den Bundesländern, getragen werde und – im speziellen Fall Salzburgs – der Gesamtstaat von der Umwegrentabilität der Festspiele erheblich profitiere. Im Gegenzug sollte die Bundestheater-Verwaltung mit Sitz und Stimme im Kuratorium der Festspielhausgemeinde vertreten sein. Rehrl bat Bundespräsident Michael Hainisch mit dem Hinweis auf unfreundliche Kommentare der Wiener Presse zu den Salzburger Festspielen um wohlwollende Unterstützung der bevorstehenden Verhandlungen mit Franz Schneiderhahn, dem Generaldirektor der BundestheaterVerwaltung, sowie weiteren Wiener Zentralstellen. Heftig reagierte Rehrl auf eine Meldung der »Neuen Freien Presse«, die Ende November 1926 zur geplanten engeren Kooperation zwischen der Salzburger Festspielhausgemeinde und der BundestheaterVerwaltung berichtete, dass man in dieser Zusammenarbeit wohl den Beginn einer Ausdehnung der Festspielidee auf ganz Österreich erblicken könne, »der das Streben nach einer Ve r s t a a t l i c h u n g d e r S a l z b u r g e r F e s t s p i e l e zugrunde liegt und ein weiteres Streben, diese österreichische Festspielidee in geeigneter F o r m i n a l l e n B u n d e s l ä n d e r n , auch in W i e n selbst, sich periodisch auswirken zu lassen. Dem Vernehmen nach soll nämlich dem Unterrichtsministerium, dem Finanzministerium und der Generaldirektion der Bundestheater seit längerer Zeit bereits ein bis in alle Details ausgearbeitetes, auf das oben angedeutete Ziel hin arbeitendes Projekt vorliegen, in dem der Antrag gestellt wird, im Rahmen der BundestheaterVerwaltung ein G e n e r a l s e k r e t a r i a t d e r ö s t e r r e i c h i s c h e n F e s t s p i e l e zu eröffnen (…) Es ist vorgeschlagen, derartige Festspiele in großen Hallenbauten aus Holz, Eisen und Leinwand aufzuführen, wie sie eine bekannte Firma in Konstanz herstellt und sogar probeweise auch für eine gewisse Zeitdauer zu sehr billigen Preisen verleihen würde, sodass die Finanzierung solcher Festspiele sehr leicht zu bewerkstelligen wäre. Wie wir hören, liegt bereits ein Offert vor, demzufolge sich die leihweise Überlassung einer solchen H a l l e m i t e i n e m F a s s u n g s r a u m f ü r 4 0 0 0 Z u h ö r e r u n d 1 0 0 0 M i t w i r k e n d e für drei Monate auf 10.000 Mark belaufen würde. (…) Das Salzburger Festspielhaus ist bekanntlich zu klein und durch seinen Stil nicht für alle Festaufführungen gleich verwendbar, ganz abgesehen davon, dass es noch gar nicht fertig ist. Bestehende lokale Vereinigungen, die noch einen besonderen Zweck verfolgen, wie etwa die Salzburger Festspielhausgemeinde, die die Erbauung eines eigenen Festspielhauses in H e l l b r u n n ins Auge fasst, würden unbeschadet jener geplanten Verstaatlichung aller österreichischen Festspiele überhaupt dennoch ihren Sonderzwecken dienen können«.17 17 Verstaatlichte Festspiele in ganz Österreich. – In  : Neue Freie Presse, 27. 11. 1926. S. 7.

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Mit ziemlicher Sicherheit war Heinrich Damisch, der Gründer der Wiener Festspielhausgemeinde, der Urheber der Meldung. Gegen Jahresende veröffentlichte er im »Salzburger Volksblatt« einen Artikel unter dem Titel »Österreichische Festspiele«, in dem er darauf hinwies, dass die Gründungsidee der 1917 in Wien ins Leben gerufenen Festspielhausgemeinde die Präsentation der kulturellen Leistungen des deutschen Österreichertums in einem österreichischen Festspielhaus in Salzburg gewesen sei. »Man wollte dort eine Gralsburg abendländischer Weltanschauung und geläuterten Kunstempfindens schaffen. Zum künstlerischen Dienste hätte ganz Österreich, besonders aber das an geistigen und materiellen Hilfsquellen reiche Wien herangezogen werden sollen. Die Entwicklung der Dinge während des letzten Dezenniums seit der Gründung der Salzburger Festspielhausgemeinde hat ganz besonders in den letzten drei Jahren einen anderen Lauf genommen, als ursprünglich erhofft wurde. Die Salzburger Festspiele haben unter allgemeinen und lokalen Krisen zu leiden gehabt und sind im Wesentlichen zu einer mehr salzburgischen Ortsangelegenheit geworden. Der junge Advokat Dr. Rehrl, der mit energischer und geschickter Hand das Land Salzburg leitet, hat die Führung der Festspielangelegenheiten übernommen und ist seit etwa eineinhalb Jahren bemüht, das materielle Gleichgewicht in dem sturmgeschaukelten, unsicher gesteuerten Betrieb herzustellen. Neuestens hört man, wie alljährlich um diese Zeit, dass alles gerettet und das nächste Festspielprogramm gesichert sei. Wir wollen gerne hoffen, dass die unerschütterlich frohen Erwartungen der Salzburger im nächsten Sommer wirklich in Erfüllung gehen werden. Aber für das übrige Österreich drängt sich der Gedanke immer mehr in den Vordergrund, dass der große österreichische Festspielgedanke mit dem Gelingen der Salzburger Veranstaltungen nicht erschöpft ist, dass Wien und das übrige Österreich darin keine Befriedigung seiner berechtigten kulturellen und volkswirtschaftlichen Ansprüche erblicken kann. Die Salzburger Festspiele kranken daran, dass eine große künstlerische Idee nicht auf Regie und Bearbeitung, nicht auf allzu begrenzte räumliche Entwicklungsmöglichkeiten, nicht auf einseitige Stilbildung begründet werden darf, dass nicht totale Geschäftsinteressen, egozentrisch veranlagte Fremdenverkehrsversuche und parteipolitische Gesichtspunkte die treibenden Hauptfaktoren werden dürfen, dass man auch privaten Sonderinteressen, von welcher Art immer, keinen maßgebenden Einfluss einräumen soll. (…) Vielleicht werden die Festspiele des kommenden Sommers in Salzburg von vielen Schlacken der beiden vergangenen Jahre gereinigt sein. Unzulänglich aber müssen sie im Sinne der großen österreichischen Festspielidee dennoch bleiben, denn die künstlerischen und räumlichen Schwierigkeiten können vorläufig in Salzburg nicht überwunden werden. Es scheint im Hinblick auf diese Lage an der Zeit, neue Perspektiven für den österreichischen Festspielgedanken zu eröffnen.« Er wolle daher in aller Kürze einen Plan skizzieren. »Danach wäre die große österreichische Festspielidee in Wien zu

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konzentrieren und von hier aus auf alle Bundesländer zur Auswirkung zu bringen. Als hervorragendste Festspielorte wären in erster Linie wohl Wien und Salzburg für zyklische, zeitlich eng aneinander geschlossene Festaufführungen ins Auge zu fassen. In den Bereich der österreichischen Festspiele wären aber auch sofort die Mariazeller Festspiele, die geplanten Festspiele in St. Florian (Bruckner-Feste sowie kirchenmusikalische Feste mit dem Programm Palestrina, Bach, Bruckner), ferner fallweise Festspiele in den anderen Ländern, z. B. steirische Theater- und Musikwochen, Kärntner Trachten- und Liederfeste, Volksfestspiele in Tirol, Vorarlberger Sommerfestkonzerte (in Bregenz und im Montafon), Nibelungenfestspiele in den Donauauen usw. einzubeziehen. Zum Zwecke der Zentralisation in Wien ist ein ›Generalsekretariat der österreichischen Festspiele’ als Departement der Bundestheaterverwaltung zu errichten  ; in dessen Wirkungsbereich fällt die konzeptive und verwaltungstechnische Durchführung der Festspiele, der juristische Dienst, der Rechnungsdienst und der Zentralkartenverkauf.« Die Schaffung der ganzen Organisation wäre nach eingehenden Beratungen relativ rasch möglich. Derzeit stehe allerdings nur der kommende Salzburger Festspielsommer zur Diskussion, für den Damisch ebenfalls ein mögliches Szenario entwarf, indem er darauf hinwies, dass sich als Festspielraum bisher praktisch nur der Domplatz bewährt habe. »Da dieser für eine Schauspielaufführung in der Art des ›Jedermann‹ neuerlich kaum in Betracht kommen dürfte, wäre das Hauptgewicht auf große Konzertaufführungen dortselbst zu legen«, für die er Orchesterwerke mit einem bis zu 250 Mitwirkenden starken Orchester, das sich aus mehreren Orchestern zusammensetzen sollte, vorschlug. Werke von Beethoven, Bruckner und Verdi, für dessen Requiem er Toscanini als Dirigenten namhaft machte, sollten so zur Aufführung gelangen. Da man aber auf dem Dom­ platz von der Witterung abhängig sei, sollte an die Errichtung einer Konzerthalle mit einem Fassungsvermögen für bis zu 1000 Mitwirkende und 4000 Besucher gedacht werden. »Diese Halle kann in verschiedener Ausführung von der Firma Strohmeier in Konstanz errichtet werden.« Als Standort für eine solche Konzerthalle kämen die Arenberggründe infrage. Durch die Aufführungen auf dem Domplatz und in der Konzerthalle könnten auch die logischen Defizite der Aufführungen im Stadttheater sowie im Festspielhaus abgedeckt werden und damit die Festspiele entweder mit Gewinn oder zumindest ausgeglichen bilanzieren.18 Rehrl intervenierte beim Leiter der Kunstsektion im Unterrichtsministerium, Hans Pernter, sowie beim Generaldirektor der Bundestheaterverwaltung, Franz Schneiderhan, um sich über den Wahrheitsgehalt der Meldung zu informieren. Am 2. Dezember antwortete Pernter, er verstehe den irritierenden Eindruck, den die Pressemeldung bei Rehrl hervorgerufen habe. Auch er habe sich über deren Inhalt sehr gewundert und könne ihn sich »nur so erklären, dass ein ›wohlwollender‹ 18 Heinrich Damisch  : Österreichische Festspiele. – In  : Salzburger Volksblatt, 27. 12. 1926. S. 4f.

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Freund die Aktion des Herrn Landeshauptmanns ad absurdum führen will, ohne dass jemand anderer von einer solchen verwässerten, über ganz Österreich verbreiteten Festspielaktion etwas für sich und seine Reklametrommel erwartet«. Er habe auch mit dem Generaldirektor der Bundestheater, Franz Schneiderhan, gesprochen, der darauf hinwies, dass der Artikel offensichtlich aus Salzburg stamme. Er habe in einer Reihe von Zeitungsmeldungen darauf hingewiesen, dass Verhandlungen über eine Mitwirkung der Bundestheater an den Salzburger Festspielen stattfinden und sich damit eine weitere Richtigstellung der Meldung erübrige. »Ich möchte vom Standpunkte der Kunstverwaltung wünschen, dass die vom Herrn Landeshauptmann so tatkräftig initiierte Aktion zur Ordnung der Festspielhausfrage baldigst von einem vollen Erfolg gekrönt sein möge, wobei ich selbstverständlich für meine Person sowie im Rahmen meines Wirkungskreises gerne alles tun würde, um diese Aktion zu fördern.«19 Am 21. Dezember berichtete Franz Schneiderhan dem Salzburger Landeshaupt­ mann über ein Gespräch mit Präsident Heinrich Puthon, das die von Rehrl gewünschte Mitwirkung der Bundestheater an den Salzburger Festspielen zum Inhalt hatte. Eine Mitwirkung der Staatsoper werde erfolgen, doch sei eine solche des Burgtheaters fraglich, da die Theateraufführungen unter der Leitung Max Reinhardts stünden und sie im Programm der Festspiele auch so angekündigt seien, »somit von einer Mitarbeit des Direktors des Burgtheaters, Franz Herterich, oder der Bundestheater überhaupt keine Erwähnung gemacht wurde«. Er habe daher Präsident Puthon gebeten, »mit Professor Reinhardt das Einvernehmen zu pflegen und sobald als zulässig (…) diesbezüglich Bescheid zu geben«. Rehrl antwortete bereits am folgenden Tag. Es wäre sein »sehnlichster Wunsch, die Zusammenarbeit der hiesigen Festspiele mit den Bundestheatern und besonders mit dem Burgtheater möglichst innig zu gestalten. Wenngleich sicherlich nicht die Tendenz bestehen kann, Professor Reinhardt irgendwie auszuschalten«. Er hoffe, »dass es gelingen wird, für die gedeihliche Zusammenarbeit eine einigende Basis zu finden«.20 Dies war allerdings leichter gesagt als getan. Denn während sich eine Koopera­ tion mit der Staatsoper weitgehend problemlos gestaltete, war dies aufgrund der speziellen Konstruktion der Festspiele im Bereich des Schauspiels, in dem Reinhardt von Anfang an die treibende und führende Kraft war, nicht der Fall. Eine enge Kooperation mit dem Burgtheater hätte ein verstärktes Mitspracherecht des jeweiligen Direktors des Theaters bei der Auswahl der Stücke und der Besetzung bedeutet, womit die Rolle Reinhardts zur Disposition gestanden wäre. Rehrl hatte dies bei seinem – vor allem auch von finanziellen Überlegungen geleiteten – Vorschlag einer engeren Kooperation der Festspiele mit der Bundestheater-Verwaltung nicht 19 SLA Rehrl FS 0020/5. 20 SLA Rehrl Briefe 1926/1027.

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bedacht und musste nunmehr, da auch Meldungen in Wiener Zeitungen von einer möglichen Übernahme des Schauspiels durch das Burgtheater berichteten, die zu Irritationen vor allem bei Reinhardt führten, eine Klarstellung vornehmen. Er musste eine drohende Verstimmung und einen eventuellen Rückzug Reinhardts verhindern und versicherte ihm in einem Brief am 22. Dezember 1926, er habe lediglich den Versuch unternommen, alle Kräfte für die Realisierung der Sanierung der Festspielhausgemeinde zu gewinnen, und dabei stets betont, dass »die Ordnung der ganzen Sache nur im Einverständnis mit Ihnen in Erwägung gezogen« werde. Bei seinen Bemühungen stand und stehe stets im Vordergrund, dass er »in erster Linie an jene Persönlichkeit denke, welche in so tatkräftiger und erfolgreicher Weise den Salzburger Festspielen zu ihrem Renommee verholfen hat«.21 Der Adressat des Briefes befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits in den USA, um in Begleitung Vollmoellers der Premiere des »Mirakel« in San Francisco beizuwohnen. Erst Ende Februar 1927 bestieg er das Schiff, um nach Europa zurückzukehren. In der Zwischenzeit waren aufgrund des Hinweises des Generaldirektors der Bundestheater, Franz Schneiderhan, in seinem Brief an Rehrl, dass einer Mitwirkung des Burgtheaters bei den Festspielen gute Gründe – vor allem die Person Max Reinhardts – entgegenstünden und der Entscheidung Rehrls, unter allen Umständen an der Person Reinhardts festzuhalten, die Würfel im Bereich der Schauspiel-Sparte gefallen. Am 14. Februar 1927 hatten Franz Schalk für die Staatsoper, Erwin Kerber für die Salzburger Festspiele und Franz Schneiderhan für die Bundestheater ein Protokoll unterzeichnet, in dem ein Verzicht auf eine Mitwirkung des Burgtheaters im Festspielsommer 1927 festgehalten wurde, während im musikalischen Bereich zwei Produktionen der Staatsoper – Mozarts »Don Giovanni« und Beethovens »Fidelio« – in das Programm der Festspiele übernommen werden sollten. Die Übernahme von Beethovens »Fidelio« machte den auch von der Festspielleitung als absolut notwendig bezeichneten Umbau der ursprünglich für Mysterienspiele konzipierten Bühne des Festspielhauses auch für Opernaufführungen notwendig, dessen Planung Clemens Holzmeister im März in Angriff nahm. Drei Paare von Türmen, die auf Schienen eingeschoben werden konnten, der Einbau eines Proszeniums inklusive Beleuchtungsbrücke sowie eine Hebung und Vergrößerung des Orchesterraums22 ermöglichten es, dass am 13. August 1927 mit »Fidelio« erstmals eine Opernaufführung im Festspielhaus stattfinden konnte. Reinhardt war angesichts der in seinen Augen entstandenen unerfreulichen Situation im Bereich des Schauspiels – Dominanz Reinhardts versus Mitwirkung des Burgtheaters – um eine Klarstellung bemüht. Im April 1927 schrieb er aus Taormina an Rehrl, er möchte mit allem Nachdruck betonen, dass er »selbstverständlich nicht 21 SLA Rehrl FS 0018/6. Vollständiger Text vgl. Dokument 5. 22 Salzburger Volksblatt, 14. 3. 1927. S. 7.

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das Geringste gegen eine etwaige Beteiligung des Burgtheaters oder dessen Leitung einzuwenden hätte«, sondern im Gegenteil, diese in früheren Jahren wiederholt anregte. Er wolle auch »kein Privilegium« für sich und besitze »nicht die leiseste Ambition, in der Gesamtleitung der Festspiele mitzuwirken« oder diese gar für sich allein zu beanspruchen. Er habe zu viele anderweitige Verpflichtungen. Seine Mitwirkung an den Festspielen beziehe sich daher einzig und allein auf seine Regiearbeit und die damit verbundenen technischen Fragen. Ihn störten daher nicht so sehr die Meldungen, dass die Verhandlungen mit dem Burgtheater darauf abzielten, dessen Leitung an seine Stelle in Salzburg zu setzen, sondern der Umstand, dass diese Meldungen unwidersprochen geblieben seien und dass man, wenn diese Besprechungen geführt wurden, nicht vorher mit ihm gesprochen habe. Nur sein Glaube an die Festspielidee, die er im nunmehrigen Stadium nicht im Stich lassen dürfe, sowie sein Vertrauen in die Person Rehrls und dessen »oft und so glänzend bewährte Tatkraft«, die die Festspiele durch die schwierigsten wirtschaftlichen Zeiten geführt habe, hindere ihn daran, zu resignieren.23 Es war ein ungewöhnlicher Brief, wie Reinhardt selbst betonte. Er war kein Briefeschreiber und schüchtern, teilte selten etwas von seinen Empfindungen mit und war äußerst sparsam mit Komplimenten gegenüber Politikern. Insofern ist er ein Dokument der persönlichen Wertschätzung des Salzburger Landeshauptmanns und seiner unermüdlichen Bemühungen um die Existenz und das Gedeihen der Festspiele. Reinhardt kehrte Salzburg nicht den Rücken, sondern arbeitete intensiv an seinen drei Inszenierungen des Festspielsommers 1927 – Hofmannsthals »Jedermann«, Shakespeares »Sommernachtstraum« und Schillers »Kabale und Liebe«. Als kontra­ produktiv und die Durchführung der Festspiele gefährdend erwiesen sich die Ereig­ nisse anlässlich des Justizpalastbrandes am 15. Juli 1927, die nach einer kurzen Phase der Stabilität und teilweise wiedergewonnenen Souveränität – Abschluss der Genfer Sanierung und Beendigung der Tätigkeit des Völkerbundkommissärs Alfred Zimmermann, relative Konsolidierung des Staatshaushalts, wirtschaftliche Erholung, deutliches Nachlassen der Anschlussbegeisterung – vor allem im Ausland das Bild einer neuerlichen Destabilisierung erzeugten. Die Salzburger Festspielhausgemeinde sah sich angesichts des von der Sozialdemokratischen Partei in Reaktion auf das Vorgehen der Sicherheitskräfte ausgerufenen Streiks, der auch in Salzburg, das von den Unruhen allerdings verschont geblieben war, Wirkung zeigte, veranlasst, am 17. Juli in einer Eingabe an die Landesregierung auf die unvorhergesehene schwierige Situation hinzuweisen und eine Entscheidung in der Frage zu erbitten, ob die Festspiele aufgrund der ungünstigen politischen Rahmenbedingungen abgesagt werden sollten. »Infolge der Ereignisse, die sich in den letzten Tagen in Wien abgespielt haben und insbesondere infolge des Verkehrsstreiks ist eine schwere Gefährdung des Besuches 23 SLA Rehrl FS 0018/1. Vollständiger Text des Briefes vgl. Dokument 6.

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der heurigen Festspiele zu befürchten, zumal schon jetzt eine ganze Anzahl von Kartenbestellungen rückgängig gemacht wurden und die Propagandatätigkeit gerade in der wichtigsten Zeit ganz unterbunden wurde. Die Festspielhausgemeinde muss daher damit rechnen, dass die heurigen Festspiele mit einem Verluste abschließen werden und steht vor der Frage, ob nicht eine Absage der Festspiele – die freilich auch einen Verlust von etwa 90.000 Schilling bedeuten würde – vorzuziehen wäre.«24 Der an die Landesregierung gerichtete Brief bedeutete letztlich nichts anderes, als dass sich die Leitung der Festspiele politische Rückendeckung holte und gleichzeitig auf ein eventuell drohendes Defizit hinwies, für das sie jedoch aufgrund der letztlich politischen Entscheidung keine Verantwortung zu übernehmen bereit war. Wenngleich der Brief offiziell an die Landesregierung gerichtet war, so war sein eigentlicher Adressat der Landeshauptmann, dem damit die Letztentscheidung und damit aber auch Letztverantwortung für den Festspielsommer aufgebürdet wurde. Rehrl hatte sich während der Ereignisse um den Wiener Justizpalast in Mauterndorf auf Urlaub befunden, war am 16. Juli nach Salzburg zurückgekehrt und um eine Beruhigung der Lage bemüht, wobei er dem Druck der Heimwehr ausgesetzt war, die mit einem selbständigen Handeln drohte und sein energisches Einschreiten forderte. Der Landeshauptmann stand zwischen den Fronten, da die Sozialdemokraten sein Vorgehen gegen die drohend auftretende Heimwehr forderten. Wenngleich Rehrl der Heimwehr distanziert gegenüberstand, so sah er in ihr vor dem Hintergrund der zunehmend fragmentierten politischen Kultur auch ein Mittel, dessen man sich gegenüber einer aggressiv auftretenden Sozialdemokratie im Zweifel bedienen konnte. Die demonstrative Mobilisierung der Exekutive und damit die Betonung der staatlichen Autorität gegenüber den Ansprüchen der paramilitärischen Verbände stärkte seine Position und gab ihm die Möglichkeit des Ausgleichs, den er in der Sitzung der Landesregierung am 18. Juli anstrebte. Er forderte von den Sozialdemokraten und dem Streikkomitee Erleichterungen im Bereich des Binnen- und Postverkehrs, um die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten und den Eindruck von Ruhe und Ordnung zu vermitteln, wobei er auf Verständnis bei seinen Verhandlungspartnern stieß. Die Krise löste sich, als in den späten Nachmittagstunden aus Wien die Meldung von der Beendigung des Verkehrsstreiks eintraf.25

24 Salzburger Volksblatt, 19. 7. 1927. S. 5. 25 Salzburger Chronik, 19. 7. 1927. S. 4. Am 20. Juli veröffentlichten der christlichsoziale Landtagsklub und die christlichsoziale Parteiexekutive eine Resolution, in der sie betonten, sie seien »nach genauen und eingehenden Informationen durch Landeshauptmann Dr. Rehrl und Landeshauptmann-Stellvertreter Neureiter zur vollen Überzeugung gelangt, dass die Haltung der Landesregierung während des Generalstreikes nur von dem Gedanken getragen war, die öffentliche Ruhe bei möglichster Vermeidung offener wirtschaftlicher Schäden und gewalttätiger Zusammenstöße mit unabsehbaren Folgen aufrecht zu erhalten« (Salzburger Chronik, 21. 7. 1927. S. 1).

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Rehrl agierte in diesen Tagen gleichzeitig an zwei Fronten. In Reaktion auf die Eingabe der Festspielhausgemeinde forderte er die Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie als Repräsentantin der Fremdenverkehrswirtschaft sowie namhafte Hoteliers zu einer Stellungnahme zur Abhaltung der Festspiele auf. Die Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie berief daraufhin für den 19. Juli eine Sitzung ein, in der der Beschluss gefasst wurde, dass die Abhaltung der Festspiele schon aus Prestigegründen wünschenswert sei.26 In der folgenden Aussprache mit Rehrl wurde angesichts des inzwischen erfolgten Endes des Verkehrsstreiks und mit Blick auf die wirtschaftliche Notwendigkeit des Fremdenverkehrs der Beschluss gefasst, die Festspiele in der vorgesehenen Form abzuhalten. Der Beschluss sollte sich als richtig erweisen, denn die Festspiele 1927 wurden ein Erfolg, sowohl künstlerisch wie auch finanziell. Die Zahl der Besucher, vor allem auch aus den USA, stieg deutlich an, Max Reinhardts Inszenierungen wurden ein Publikumsmagnet. Die Kritik reagierte allerdings nicht so enthusiastisch. Vor allem die aufwändigen und spektakulären Szenen sowie phantastischen Kostüme, vor allem im »Sommernachtstraum«, die sich zunehmend am Geschmack des amerikanischen Publikums orientierten und den Einfluss Hollywoods verrieten, stießen auf kritische Kommentare und verursachten erhebliche Kosten, die in der Endabrechnung letztlich ein Defizit verursachten. Und Reinhardt zeigte im Grunde keine Neuinszenierung, denn der »Sommernachtstraum« war in seinen Grundzügen bereits 1925 in der Josefstadt gezeigt worden, und das Stück »Kabale und Liebe« war, trotz seiner Faszination, ebenfalls die Übernahme einer Inszenierung aus der Josefstadt. Kritische und keineswegs bösartige Rezensenten bemerkten zu den musikalischen Darbietungen, vor allem den Mozart-Opern, diese zeigten nur Altbekanntes, und das in oft schäbigen Bühnenbildern. Die von den Wiener Philharmonikern gespielten Mozart-Serenaden unter Bernhard Paumgartner seien, wie bereits Richard Strauss vor Jahren festgestellt hatte, nicht festspielwürdig. Lediglich die Inszenierung von »Fidelio« im Festspielhaus verdiene den Namen »Neuinszenierung«, wenngleich sie neben dem »Sommernachtstraum« für das schließlich entstandene Defizit verantwortlich zeichnete. Die Festspiele mussten, bei allem Besucherrekord und bisher nicht erreichter Umwegrentabilität, die Frage nach ihrer Philosophie und ihrem Anspruch beantworten. Drohten sie nicht zur Sommerfiliale der Wiener Staatsoper sowie der modifizierten Zweit- oder Drittauflagen von Reinhardt-Inszenierungen zu verkommen, anstatt dem – vor allem auch von Reinhardt – formulierten Anspruch der einzigartigen Originalität, die eben das Festspiel definiert, zu entsprechen  ? Doch dieser Anspruch erforderte erhebliche Mittel, über die man nicht verfügte. Man musste sich – vor allem mit Blick auf die Finanzen, deren Bedeutung in einem armen Staat 26 Salzburger Volksblatt, 19. 7. 1927. S. 5.

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und armen Land und einer noch ärmeren Kommune von entscheidender Bedeutung war – nach der Decke strecken. Doch selbst die finanziell relativ erfolgreichen Festspiele des Jahres 1927 hatten deutlich gemacht, dass die Durchführung von qualitativ hochwertigen Festspielen ohne entsprechende öffentliche Subventionen nicht möglich war. In einem namentlich nicht gezeichneten, jedoch wahrscheinlich aus der Feder von Heinrich Damisch stammenden Artikel im »Salzburger Volksblatt« wurde darauf hingewiesen, dass bei einer jährlichen staatlichen Subventionierung der Wiener Bundestheater mit rund 4,5 Millionen Schilling und der Dresdner Semperoper mit zwei Millionen Mark die Salzburger Festspiele einen jährlichen Subventionsbedarf zwischen 120.000 und 180.000 Schilling erforderten.27 Mit der Schaffung des Fremdenverkehrsförderungsfonds hatte Rehrl zwar ein zusätzliches finanzielles Standbein der Festspiele geschaffen, doch wurde dieser Erfolg durch die anhaltende finanzielle Misere der Stadt Salzburg, die den auf sie entfallenden Subventionsanteil stets infrage stellte, wiederum weitgehend egalisiert. Die finanziellen Möglichkeiten des Landes waren ebenfalls beschränkt. Qualitativ anspruchsvolle Festspiele von internationalem Format, darin herrschte unter allen Kulturmanagern Einigkeit, waren nicht profitabel, d. h. mit Gewinn zu führen, sondern bedurften der öffentlichen Subventionen, die in der Umwegrentabilität und der Werbewirksamkeit ihre Berechtigung fanden. Wollte man die Festspiele, die in ihrer noch jungen Geschichte 1927 mit rund 58.000 Besuchern einen Besucherrekord verzeichneten, wobei sich die Zahl der zahlungskräftigen Besucher aus den USA, Großbritannien und Frankreich gegenüber dem Vorjahr verdreifacht hatte, in ihrer vor allem durch die Aktivitäten Reinhardts zwischenzeitlich erreichten internationalen Positionierung weiterentwickeln, musste man den in diesem Sommer beschrittenen Weg konsequent weiterverfolgen. Um die bereits 1927 hochgesteckten Ziele auch im kommenden Festspielsommer zu erreichen, war angesichts der Schwäche der lokalen Geldgeber eine gesicherte namhafte Beteiligung des Bundes an den erforderlichen Subventionen notwendig. Nur in diesem Fall konnte man eine vor allem auch finanziell verantwortungsvolle Planung in Angriff nehmen. Neuerlich übernahm Rehrl die Aufgabe, sich als Subventionsvermittler bei der Bundesregierung zu betätigen.

27 Ach diese Festspiele …  ! – In  : Salzburger Volksblatt, 10. 9. 1928. S. 5.

V. Die Festspiele sind »eine österreichische und keine Salzburger Lokalangelegenheit« Das vergebliche Bemühen um Bundessubventionen und die Suche nach privaten Sponsoren

Rehrl übernahm auch die ihm zugedachte Rolle des – letztlich ungeliebten – Bittstellers in Wien. 1927 hatte Bundeskanzler Ignaz Seipel sein Ansuchen um eine Subvention des Bundes in der Höhe von 30.000 Schilling abgelehnt und sich auf die kostenlose Unterstützung der Auslandswerbung der Festspiele durch die österreichischen Auslandsvertretungen zurückgezogen. Nunmehr wandte sich Rehrl an Unterrichtsminister Richard Schmitz mit dem Ersuchen, eine Ausfallshaftung in der Höhe von 100.000 Schilling zu übernehmen. Seine Argumente waren einleuchtend  : Die Festspiele hätten, vor allem dank der Tätigkeit Max Reinhardts, eine internationale Bedeutung erlangt – allein der Wert der kostenlosen Auslandswerbung wurde auf 200.000 Schilling geschätzt – und bildeten einen enormen Werbeträger für Öster­ reich, der zudem erheblichen wirtschaftlichen Nutzen, nicht nur für Salzburg, sondern für ganz Österreich bringe, weshalb auch die Gewährung einer Bundeshaftung gerechtfertigt sei. In seinem Schreiben stützte sich Rehrl auf jene Argumente, die die Festspielhausgemeinde im Dezember 1927 bei ihrem Subventionsansuchen in der Höhe von 35.000 Schilling an das Land Salzburg vorgebracht hatte und die positive Stellungnahme des Finanzausschusses des Landtages. »Die Erfahrung des künstlerisch, wirtschaftlich und finanziell erfolgreichen Festspieljahres 1927 beweist unwiderlegbar, dass festspielmäßige Darbietungen auch bei stärkstem Besuch sich nicht aus eigenen Einnahmen allein alimentieren können, so sie an künstlerischem Niveau gegen die mit verschwenderischen Mitteln dotierte internationale Konkurrenz bestehen wollen. Laut den Berichten der österreichischen Auslandsvertretungen kommt den ›Salzburger Festspielen‹ nicht nur eine überragende kulturelle Mission zu, sondern auch ein ganz außerordentlicher Propagandawert, der in allererster Linie dem Lande Salzburg zugutekommt und dessen Höhe gegenüber der nachgesuchten Unterstützung als äußerst gering angesprochen werden kann. Die ›Salzburger Festspielhausgemeinde‹ kann sich nicht länger der Erkenntnis verschließen, dass es ihrerseits unverantwortlich wäre, das naturgemäß sehr beträcht­ liche finanzielle Risiko weiterer Festspiele internationalen Niveaus auf sich zu nehmen, und sieht sich genötigt, von weiteren Festspielen abzusehen, wenn nicht eine entsprechende Stützung durch Bund, Land und Stadt dem Unternehmen endlich eine seriöse Basis gibt.«

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Der Finanzausschuss des Salzburger Landtages billigte einstimmig das Subventionsansuchen, wobei der Berichterstatter des Finanzausschusses, der großdeutsche Abgeordnete Max Ott, und dessen Obmann, der sozialdemokratische Abgeordnete und Bürgermeister von Hallein, Anton Neumayr, erklärten  : »Die Salzburger Festspiele üben auf den Salzburger Fremdenverkehr einen geradezu bestimmenden Einfluss aus. (…) Die große internationale Welt (…) kann zum Verweilen in unseren schönen Gauen nur dann angeregt werden, wenn auch künstlerisch und gesellschaftlich etwas geboten wird. Diese Aufgabe erfüllt mit anerkennenswertem Mut und Fleiß die Salzburger Festspielhausgemeinde. Sie ist, genau betrachtet, nur das Vollzugsorgan der gesamten Öffentlichkeit und könnte ihre Ziele nicht erreichen, wenn sie nicht ausreichend finanzielle Unterstützung findet. Die Erfahrung der Gegenwart lehrt, dass sämtliche künstlerische Unternehmungen (…) aus eigener Kraft allein nicht mehr bestehen können. Sie müssen subventioniert werden. (…) Der Finanzausschuss glaubt, dass die von den öffentlichen Körperschaften hierfür aufgewendeten Mittel nicht umsonst ausgegeben werden. Abgesehen von der Erfüllung einer Kulturaufgabe, sehen wir zur Festspielzeit ein wirtschaftliches Aufatmen aller erwerbenden Kreise. Arbeitsgelegenheit wird geschaffen, der Umsatz wird angeregt und wenn es richtig ist, dass für den Österreicher der Fremdenverkehr Geld bedeutet, so sind die Festspiele wohl mit einer nicht unergiebigen Goldader zu vergleichen. (…) Einen Maßstab kann die aus verlässlicher Quelle festgestellte Tatsache bieten, dass die Einlagen in der Salzburger Sparkasse während der Festspielzeit nicht weniger als 1,2 Millionen Schilling betragen. Dies sind keinesfalls Rücklagen aus großen Betrieben, sondern fast durchwegs Spargroschen kleiner Schaffender.«1 Rehrl verschwieg bei seiner Argumentation gegenüber Wien wohlweislich die tatsächliche Stimmung breiter Bevölkerungskreise und deren Meinung über die Festspiele, die in der Landtagsdebatte der sozialdemokratische Landesrat Karl Emminger thematisierte. Der Berichterstatter Max Ott würde »gut daran tun, wenn er diesen Niederschlag des Berichtes in einer Abschrift dem Bürgertum von Salzburg, und zwar jenen, die an den Festspielen verdienen, vorlesen würde  ; und wenn er vielleicht im Bräustübl mit den Bürgern sprechen würde, so würde er von jedem Bürger, sowohl von denen in der Linzergasse wie auch von denen aus dem bekannten Zentrum der Stadt das gleiche hören  : ›Uns ist es gleich, ob Festspiele sind, die Fremden kommen sowieso auch, wir haben nichts von den Festspielen, die interessieren uns nicht, ein Interesse daran haben nur die Gastwirte und Hoteliers und die Kaufleute, 1 SLTPR, 11. Sitzung der 1. Session der 3. Wahlperiode, 16. Dezember 1927. S. 579f.

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Metzger und Bäcker.‹ Alle sprechen so, wenn sie unter sich sind«. Die Arbeiterschaft habe von den durch die Festspiele in das Land strömenden Geldern sehr wenig, und viele müssten auf dem Markt während der Festspielzeit die Waren verteuert kaufen. Es gebe zahlreiche Bürger, die aus den Festspielen Profit ziehen und dennoch ständig über zu hohe Steuern und mangelnde Gewinne jammern. Im Gegensatz dazu stimme die Sozialdemokratie, deren Klientel den Strom der Einnahmen weitgehend an sich vorbeifließen sehe, für die Subvention. Auch der christlichsoziale Abgeordnete und Redakteur der »Salzburger Chronik«, Karl Engl, stimmte Emminger zu. Er müsse seine Ausführungen über das Salzburger Bürgertum »in gewissem Sinne zwei- und dreimal unterstreichen (…) Es ist in Salzburg, soweit ich zurückdenken kann, schon eine chronische Krankheit, dass gerade jene Kreise, die vom Fremdenverkehr am meisten verdienen, wenn es zum Zahlen kommt, wenn es dazu kommt, diese Interessen am Fremdenverkehr finanziell zu unterstützen, am wenigsten davon wissen wollen«. Doch müsse man anders denken und handeln als jene Salzburger Kreise, die an den Festspielen nur verdienen wollen. »Wenn ich sehe und weiß, dass im vergangenen Jahre 1150 Zeitungen im In- und Auslande über die Festspiele geschrieben haben, wenn man weiß, dass in den auswärtigen Journalen in Amerika, England und in Frankreich, Bilder von den Festspielen abgedruckt waren, und wenn man als Zeitungsmensch sieht, dass bis in die kleinsten Zeitungen hinein Reklame für den Festspielhausgedanken gemacht wird, so müssen wir sagen, dass schon aus diesem Grunde die Festspiele zu unterstützen sind, weil sie ein ungeheures Werbemittel für die Stadt Salzburg bedeuten. Das ist der Beweggrund, der mich immer veranlasste, für den Festspielhausgedanken einzutreten, und weil ich weiß, dass wir kein besseres und großzügigeres Werbemittel für den Fremdenverkehr in der Stadt Salzburg haben könnten als in dieser Form.«2 Die Lage des selbstbewussten Rehrl bei seiner Intervention in Wien war schwierig und für ihn sicherlich belastend. Er musste als überzeugter, der großen kulturellen und geistigen Tradition und Bedeutung seines Landes bewusster Föderalist in Wien als Bittsteller vorstellig werden, um einen Teil der Mittel zu lukrieren, die sein Land durch die Festspiele und den damit stimulierten Fremdenverkehr dem Bund verschaffte. Und er war sich durchaus dessen bewusst, dass Wien im Fall der Gewährung der erbetenen Mittel, auch ein entsprechendes Mitspracherecht einfordern würde, wodurch die Festspiele in Gefahr gerieten, wiederum von Wien dominiert zu werden. Das seit Jahren hinter den Kulissen erfolgende Ringen um Bundessubventionen und die Salzburger Befindlichkeit wurden auch von Generalsekretär Erwin Kerber Mitte März 1928 in einem Pressegespräch artikuliert, in dem er darauf hinwies, dass sich nunmehr seit neun Jahren die Veranstalter der Salzburger Festspiele bemühen, 2 Ebda. S. 580f.

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»eine Bundessubvention zu erlangen, weil sie der Anschauung sind, die Festspiele seien eine österreichische und keine Salzburger Lokalangelegenheit, da sie ja zahlungskräftige Fremde in viele Teile des Bundesgebietes und nicht nur des Bundeslandes Salzburg bringen. Seither war es uns nicht möglich, eine Subvention durch den Bund zu erlangen (…) Für verkaufte Karten sind während der letzten Spiele 520.000 Schilling eingegangen, davon, wie buchmäßig nachzuweisen ist, 300.000 Schilling aus dem Auslande«. Doch auch das neuerliche Subventionsansuchen sei negativ beschieden worden. Die distanzierte Haltung des Unterrichtsministeriums gegenüber den Salzburger Wünschen basiere offensichtlich auf der Verärgerung, dass noch immer kein Gesamtgastspiel des Burgtheaters bei den Festspielen stattgefunden habe, wobei dies in Wien auf den Widerstand von Max Reinhardt zurückgeführt werde. In diesem Zusammenhang müsse jedoch betont werden, »dass Max Reinhardt, der Leiter der Salzburger Schauspielaufführungen, gegen ein Gastspiel des Burgtheaters keineswegs Einspruch erheben würde. Aber das Festspielhaus ist allabendlich besetzt, und so würde nur das Stadttheater für ein modernes Lust- oder Kammerspiel zur Verfügung stehen. Hier könnte sich aber nur ein Zweig und nicht die ganze Burgtheaterkunst, der man auch ein Spiel im großen Rahmen zubilligen müsste, voll entfalten«.3 Die Interventionen sowohl Rehrls wie auch der Salzburger Festspielleitung in Wien blieben lange Zeit erfolglos. Das Unterrichtsministerium gewährte lediglich einen Zuschuss für die Auslandswerbung in der Höhe von 3000 Schilling. Unterrichtsminister Richard Schmitz sprach sich allerdings im Ministerrat für die Gewährung einer Bundessubvention aus, stieß jedoch auf die strikte Ablehnung von Finanzminister Viktor Kienböck, der sich dieser Forderung mit dem Hinweis auf einen restriktiven Budgetvollzug verweigerte. Das Ergebnis des sich über einen längeren Zeitraum hinziehenden regierungsinternen Ringens war ein Kompromiss, der sich in einer nur als symbolisch zu betrachtenden Subvention von 10.000 Schilling niederschlug. Doch selbst für diesen äußerst geringen Betrag musste man sich in Salzburg zur Aufnahme eines Vertreters des Unterrichtsministeriums in das Kuratorium der Festspiele bereit erklären. Rehrl musste eine politische Niederlage zur Kenntnis nehmen, die seine föderalistischen Neigungen und sein Misstrauen gegen die Wiener Zentralbürokratie nur bestärkte. Der Salzburger Landeshauptmann war nämlich durchaus bereit, Vertreter der Bundesbehörden – vor allem des Unterrichtsund Finanzministeriums – in das Kuratorium aufzunehmen, allerdings nur, wenn sich diese Bereitschaft einer stärkeren Identifikation mit den Salzburger Festspielen auch in entsprechenden finanziellen Zuwendungen manifestierte. Nunmehr musste er gegen einen letztlich lächerlichen Betrag von 10.000 Schilling – dies entsprach der Festspielgage eines Dirigenten – einen Vertreter des Unterrichtsministeriums im Kuratorium und damit einen stärkeren Bundeseinfluss akzeptieren. 3 Neue Freie Presse, 20. 3. 1928. S. 11.

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Die Festspiele sind »eine österreichische und keine Salzburger Lokalangelegenheit«

Die lange Zeit trotz der Zusage des Fremdenverkehrsförderungsfonds über eine Subvention in der Höhe von 90.000 Schilling unsichere finanzielle Lage erschwerte die Planung des Festspielsommers 1928, die angesichts der Kartenbestellungen aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland zwischen Fortsetzung des internationalen Kurses des Jahres 1927 und Sparsamkeit schwankte. V ­ erursacht durch das de facto Ausbleiben einer Bundessubvention und der finanziellen Zuwendungen der Stadt entschied man sich schließlich für einen Mittelweg  : einerseits Rückgriff auf die programmatische Gründungsidee durch die Wiederaufnahme von Hofmannsthals »Jedermann« und die Uraufführung von Richard Billingers »Das Perchtenspiel«, flankiert von Goethes »Iphigenie auf Tauris« in der Regie von Richard Beer-Hofmann und Schillers »Die Räuber« in der Regie von Max Reinhardt«. Aus Kostengründen wurde die teure »Fidelio«-Inszenierung des Vorjahres wiederaufgenommen und von der Wiener Staatsoper Mozarts »Così fan tutte« übernommen. Ebenfalls aus Kostengründen sollte von der Wiener Staatsoper deren Neuinszenierung der »Zauberflöte« übernommen werden. Da jedoch das Finanzministerium die Mittel für diese Neuinszenierung strich, musste Salzburg, wo man das Programm der Festspiele bereits festgelegt hatte, auf eigene Kosten eine Neuinszenierung finan­zieren. Ebenfalls mit Blick auf das beengte Budget erfolgte ein Gastspiel des Lenin­grader Opernstudios mit vier kleinen Opern von Mozart, Paumgartner, Rimsky-Korsakov und Dargomyschski. Hugo von Hofmannsthal überspielte virtuos den erheblichen Einfluss der Finanzen auf die Programmgestaltung in einem programmatischen Beitrag zum Festspielsommer 1928. Das Programm der Festspiele stehe voll in der Tradition des ursprünglichen Festspielgedankens. »Es zielt nicht darauf hin, einen bestimmten Kunstgedanken zum Ausdruck zu bringen oder dieses oder jenes künstlerische Phänomen ›wiederzubeleben‹. Dieses Programm besteht heute so, wie es von den Veranstaltern vor sieben Jahren erfasst wurde, erfasst als ein einfacher, aber unendlich inhaltsvoller Gedanke, dessen Inhalt sich von Jahr zu Jahr entfaltet. Der Gedanke ist dieser  : den Reichtum und die Lebendigkeit des höheren deutschen Theaterwesens – wobei ein Grenzstrich zwischen dem rezitierten Drama und dem gesungenen, also der Oper, nicht gezogen wird – vor uns selber und vor unseren Gästen darzulegen. Wenn in der Spielfolge dieses Jahres der Mozart der ›Zauberflöte‹ neben dem Schiller der ›Räuber‹ steht, und der Beethoven des ›Fidelio‹ neben dem Goethe der ›Iphigenie‹, so ist eine ungeheure Leistung der Nation in höchsten Hervorbringungen zusammengefasst, so vor der Nation selbst wie vor dem Ausland. (…) Mit der Aufführung des ›Jedermann‹-Spieles auf dem Domplatz vor einer Zuschauermenge ist einmal die Kluft zwischen Volk und Gebildeten wirklich ausgefüllt, und zurückgegriffen in eine frühere Zeit, hinübergegriffen zugleich auf die Schichten der Zuhörer, die Zuhörer nicht nur, sondern die Träger solcher Spiele waren dreihundert Jahre lang, bevor eine deutsche Nationalbühne von Gebildeten

Das vergebliche Bemühen um Bundessubventionen

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für Gebildete erträumt und errichtet wurde. Ein ähnlicher Gedanke muss im ›Perchtenspiel‹ Leben gewinnen. In dem Oberösterreicher Richard Billinger ist eine große Sprachkraft an den Tag getreten. Seine Gedichte enthalten sprachgewordenes Bauernleben. (…) Wie aber im ›Jedermann‹ gleichsam der Ortsgeist selber mitspielt, in das Spiel sich der Klang der Kirchenglocken, die Andeutung der landesüblichen heiligen Bräuche und sich das Rauschen des nahen Brunnens einmischt, zu unsagbarem Gewinn, so ist in dem Spiel Billingers sehr altes volkshaftes Kunstgut unmittelbar eingeflochten  : die Perchtentänze aus dem Pinzgau. (…) Er durfte, auf dem Heimatboden zumal, es wagen, das gewissermaßen Wirkliche solcher alter Bräuche in die Scheinwelt eines Bühnenspieles einzubeziehen. Zieht im Sommer dies Spiel an den Zuschauern vorüber auf den gleichen Brettern wie die ›Räuber‹ und die ›Zauberflöte‹ – so werde gefühlt, dass von allen drei Bühnenwerken sich Fäden schlingen ins Volkswesen, zu den bleibenden Lust- und Furchtmärchen der Kinderzeit, zum ewigen Aberglauben, zu einer nicht zerstörbaren Gestaltenwelt.«4 Gegen Ende der Festspiele, die diesmal erstmals fünf Wochen dauerten, sah die Welt allerdings anders aus. Ende August musste die Festspielhausgemeinde trotz des sehr guten Besuchs in den letzten beiden Wochen, der die Ziffern des Vorjahres noch übertraf, ein Defizit von 73.000 Schilling eingestehen, dem ein – allerdings rein rechnerischer – Ausgleich beim Wertzuwachs des Fundus in der Höhe von zwei Drittel gegenüberstand. Das Defizit resultierte aus einer Reihe von Ursachen  : die vom Fremdenverkehrsförderungsfonds zur Verfügung gestellten 90.000 Schilling wurden zu einem erheblichen Teil (55.000 Schilling) zur Abdeckung von Verpflichtungen aus den Jahren 1926 und 1927 verwendet, die von der Stadt Salzburg für die Ausgestaltung der Bühne des Festspielhauses in Aussicht gestellten 30.000 Schilling wurden angesichts der klammen Stadtkassen nicht überwiesen und mussten daher von den Festspielen übernommen werden. Die Kosten der unvorhergesehenen Neuinszenierung der »Zauberflöte« waren erheblich und das Gastspiel des Leningrader Opernstudios wurde vom Publikum nicht angenommen.5 Bereits am 22. August hatte Präsident Puthon in einem Schreiben Landeshauptmann Rehrl seine »ernstlichen Besorgnisse« über den Weiterbestand der Festspiele mitgeteilt, da der Fremdenverkehrsförderungsfonds seine weiteren Zahlungen auch von ähnlichen Zahlungen der Stadtgemeinde abhängig machte. Bei der »bekannten Haltung des Gemeinderates und der nicht weniger bekannten Notlage der Stadt« sei jedoch »an eine irgendwie ins Gewicht fallende städtische Subvention schlechthin nicht zu denken«, weshalb er sich neuerlich vertrauensvoll an den Landeshauptmann wende und ihn um die Suche nach neuen Mitteln und Wegen zur Stabilisierung der 4 Hugo von Hofmannsthal  : Salzburg 1928. – In  : Neue Freie Presse, 22. 7. 1928. S. 1f. 5 Salzburger Wacht, 1. 9. 1926. S. 3  ; Salzburger Volksblatt, 1. 9. 1928. S. 15  ; Neue Freie Presse, 2. 9. 1928. S. 13.

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Festspiele« bitte.6 Angesichts der finanziellen Rahmenbedingungen – eine sich stets in Finanznöten befindende Stadtgemeinde, die ihren finanziellen Verpflichtungen in der notwendigen Höhe nicht nachkam, eine weitgehende Verweigerung von Bundessubventionen in nennenswerter Höhe – musste eine alternative Finanzierungsstruktur etwa durch private Sponsoren diskutiert werden. Und auch die Frage einer stärkeren Professionalisierung der Entscheidungsgremien, die ein wahrscheinlich von Heinrich Damisch verfasster kritischer Artikel im »Salzburger Volksblatt« forderte, stand angesichts des vielfach erhobenen Vorwurfs provinzieller »Gschaftlhuberei« und des »Dilettantismus« zur Diskussion. »Ein einziger gescheiter Kopf, der z. B. in Wien oder Berlin sitzt«, würde »neben seinem Beruf in drei Monaten mehr und besser arbeiten als alle Salzburger Seelsorger der Festspielhausgemeinde in einem ganzen Jahr  !«7

V.1 Finanzierung durch private Sponsoren  ? Camillo Castiglioni ante portas Einen Tag vor Puthon hatte Hugo von Hofmannsthal einen für die Festspielleitung wenig schmeichelhaften Brief an Rehrl geschrieben und ihm die Diskussion einer neuen ökonomischen Form der Festspiele vorgeschlagen, die er und Reinhardt bereits skizziert hätten. »Dass die Dinge in dieser dilettantischen Weise nicht weitergeführt werden können, ist ja klar«, ließ er den Landeshauptmann wissen. »Ich möchte Sie in den allernächsten Tagen aufsuchen, um Ihnen ganz konkrete Vorschläge darüber zu machen, wie wir, Reinhardt und ich, uns die neue ökonomische Form des Betriebes vorstellen, ganz ohne dass diese Veränderungen in irgendwelcher auffälliger Form vor sich zu gehen brauchen.«8 In einem beigelegten Exposé legte Hofmannsthal die Grundstrukturen der von ihm und Reinhardt vorgeschlagenen Neuorganisation der Festspiele dar. Das Personal der Festspiele sollte auf eine möglichst geringe Anzahl reduziert, Präsident Puthon in seinem Amt belassen werden. 6 Zit. bei Rohrmoser  : Der Kulturpolitiker Franz Rehrl. S. 184. 7 Die Mitglieder des Kuratoriums waren  : Franz Schneiderhan (Bundestheater), der Komponist und Rechtsanwalt Dr. Albert Reiter, der Schriftsteller Franz Karl Ginzkey, Mozarteum-Direktor Dr. Bernhard Paumgartner, Hofrat Hans Hofmann-Montanus (Landes-Verkehrsamt), Realschulprofessor Wilhelm Haustein, städtischer Rechtsrat Dr. Emanuel Jenal (Leiter des magistratischen Kultur- und Thea­terreferats), der Kunsterzieher und Schriftsteller Dr. Ludwig Prähauser. Mitglieder des Aufsichtsrates waren Regierungsrat Dr. Karl Stemberger und Hofrat Oberbaurat DI Karl Holter als Vertreter der Landesregierung, Rechtsrat Dr. Neuhardt, Rechnungsrat Eduard Springer, Oberregierungsrat Dr. Rittinger, Bankdirektor Bauernfeind, der Kaufmann Sadleder, der Druckereibesitzer Funder und der Kaffeehausbesitzer Tomaselli. 8 SLA Rehrl FS 004/8.

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Der Zweck der Festspielhausgemeinde wurde auf die propagandistische und administrative Durchführung der Festspiele begrenzt, während der Kunstrat als nunmehr entscheidendes Gremium das Programm gestaltete, auch als Vertragspartner der Subventionsgeber der öffentlichen Hand auftrat und die von der Stadt Salzburg der Festspielhausgemeinde gewährten Vergünstigungen übernahm.9 Bereits am 29. August kam es zu einem Treffen von Rehrl mit Hofmannsthal und Reinhardt über eine mögliche Modifikation der Organisationsstruktur der Festspiele und der – im Exposé nicht erwähnten – Finanzierung durch private Geldgeber. In der Niederschrift der Besprechung wurde festgehalten, die wesentlichsten Punkte des Vorschlages von Hofmannsthal und Reinhardt bestünden darin, »dass sich zur finanziellen Durchführung der Festspiele einerseits eine Vereinigung kapitalkräftiger Persönlichkeiten zur Verfügung stellt, andererseits aus öffentlichen Mitteln eine jährliche Subvention im Werte von 50.000 Schilling in Anspruch genommen werden soll«. Die Festspielhausgemeinde sollte in Form eines Vereines als Träger des Unternehmens weiterhin bestehen bleiben, um die Festspiele durchzuführen und propagandistisch vorzubereiten, wobei der bisherige Präsident in seiner Funktion ebenso belassen blieb wie der Generalsekretär. Als Sitz des Vereins war weiterhin Salzburg vorgesehen, wobei der Vorschlag einer weitgehenden Kompetenzverlagerung auf den Kunstrat – Hofmannsthal, Reinhardt, Strauss, Schalk – auch die Zustimmung Rehrls erhielt.10 Die Niederschrift des Treffens wirft ein bezeichnendes Licht auf die Verhandlungsstrategie Rehrls und dessen – allerdings nicht offiziell artikulierte – Zweifel an dem Vorschlag. Er beschränkte sich in der Unterredung lediglich auf eine Wiedergabe des ihm von Hofmannsthal übermittelten Vorschlags mit wenigen Anmerkungen, vermied jedoch jede definitive Zusage  : Zu vage waren die Vorschläge und vor allem zu unsicher die in Aussicht gestellten Sponsoren und deren Absichten. Wenngleich Rehrl Hofmannsthal und Reinhardt schätzte, so misstraute er letztlich ihrem finanziellen Realitätssinn und vor allem auch ihrer finanziellen Macherqualität, auf die es letztlich ankam, wollte man sich von Bundessubventionen unabhängig machen. Wer waren die »kapitalkräftigen Persönlichkeiten«, wie seriös waren sie, welche Intentionen verbargen sich hinter ihrem kulturellen Engagement und welche Folgen hatte eine weitgehende Abhängigkeit von diesen Kreisen  ? All diese Fragen galt es zu prüfen und vor allem befriedigend zu beantworten. Eines galt es in den Augen Rehrls auf alle Fälle zu verhindern  : dass die neuen Geldgeber bei den Festspielen das Sagen hatten und die Festspielhausgemeinde zu einer reinen Propagandaagentur reduzierten. Seine Vorbehalte erhielten durch einen Brief Hofmannsthals vom 27. August 1928 neue Nahrung, in dem er von einem Gespräch mit dem Bruder Max Reinhardts,  9 SLA Rehrl FS 0004/10. Vollständiger Text des Exposés vgl. Dokument 8. 10 SLA Rehrl FS 0015/1. Vollständiger Text der Niederschrift vgl. Dokument 9.

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Eduard, berichtete, der maßgebend in die Verwaltung des Josefstädter Theaters wie auch der Berliner Theater seines Bruders involviert war. »Der Präsident der Festspielhausgemeinde wäre meines Erachtens im Genusse seiner bescheidenen Bezüge zu belassen, aber auf die Repräsentation zu beschränken und jeder Verantwortung in Bezug auf die Durchführung der Festspiele zu entheben.«11 Wenngleich die folgenden Verhandlungen Rehrls bis zu Jahresbeginn 1929 geheim stattfanden, so waren doch Puthon und Kerber über deren Verlauf stets informiert und sahen in zunehmendem Ausmaß ihre Befürchtungen bestätigt, dass es zu einer bedenklichen Verschiebung der Macht- und Entscheidungsstruktur zu kommen drohe. Insgeheim präferierten sie daher einen neuerlichen Versuch, den Bund zu einem stärkeren finanziellen Engagement zu bewegen. Die zentrale Frage der in der Besprechung am 29. August erwähnten »kapitalkräftigen Persönlichkeiten«, die als Sponsoren der Festspiele fungieren sollten, wurde in einem »Entwurf für die Durchführung der Festspiele unter Zuhilfenahme einer anonymen Zweckgesellschaft« beantwortet.12 In diesem hieß es  : »Zur finanziellen Durchführung der Festspiele stellt sich dem Kunstrat eine nicht protokollierte anonyme Vereinigung kapitalkräftiger Persönlichkeiten und Korporationen zur Verfügung, die in zwei Gruppen zerfällt  : eine Gruppe, intern bezeichnet als Josefstädter Theater, hier in Kürze genannt Gruppe A  ; eine zweite, intern bezeichnet als Rheinische Hallen-Gesellschaft, hier in Kürze Gruppe B. Die nötigen schriftlichen Vereinbarungen mit diesen beiden Gruppen unterzeichnet Professor Max Reinhardt namens des Kunstrates. Jede der beiden Gruppen stellt je 100.000 Mark zur Verfügung, wovon je 50.000 Mark als Betriebsfonds sofort nach Zustandekommen der Vereinbarung flüssig gemacht werden, die weiteren je 50.000 Mark als Reservefonds bereitliegen.«13 Rehrl holte Auskunft über die »Wiener Schauspielhaus A. G.« bei der Bundespolizeidirektion in Wien ein und erhielt am 14. Dezember 1928 die gewünschte Antwort. Hinter der 1924 gegründeten »Wiener Schauspielhaus A. G.«, die Max Reinhardt das von ihr erworbene Josefstädter Theater gegen eine Gewinnbeteiligung verpachtet hatte, stand Camillo Castiglioni. Nach § 3 ihrer Statuten verfolgte sie u. a. den Zweck der Erwerbung des Josefstädter Theaters in Wien und der Führung oder Verpachtung von dessen Betrieb sowie den Erwerb, die Beteiligung, die Pachtung und Führung ähnlicher Unternehmungen. Das Aktienkapital betrug bei der Gründung drei Milliarden Kronen und wurde 1926 bei der Umstellung der Gesellschaft im Sinne des Goldbilanzgesetzes mit 500.000 Schilling festgelegt. 1928 gehörten dem Verwaltungsrat der Gesellschaft Heinrich Adamec, Direktor bei Camillo Castiglioni, 11 SLA Rehrl FS 0004/6. 12 Vollständiger Text vgl. Dokument 10. 13 SLA Rehrl FS 0004/7.

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als Präsident und als Verwaltungsräte die Industriellen Stefan Mautner und Max Wertheimer, der Direktor der Motorluftfahrzeuge G. m. b. H. in Wien, Berthold Schweiger, der Rechtsanwalt Dr. Josef Kläger und der ehemalige Direktionssekretär und Prokurist der Depositenbank, Dr. Eduard Nelken, an. Die deutsche »Sporthallen-Betriebsgesellschaft« mit Sitz in Dortmund wurde von Generaldirektor Franz Orthmann geleitet und verfügte über ein Stammkapital von 100.000 Reichsmark, von denen die Berliner Sportpalast A. G und die Kölner-Industriewerke G. m. b. H je 30.000 Reichsmark hielten. Kontakte Rehrls mit Castiglioni bezüglich einer möglichen Finanzierung der Festspiele gab es über Vermittlung von Hofmannsthal und Reinhardt bereits 1927, wie aus dem Briefverkehr zwischen dem Salzburger Landeshauptmann und Hofmannsthal hervorgeht. So schrieb Castiglioni am 16. Oktober 1927 an Hofmannsthal, er würde Rehrl gerne sehen und zeige »für die Angelegenheit (Festspiele, Anm. d. Verf.) großes Interesse«. Er sei aber auch der Ansicht, dass »diese Frage nicht allein von privater Seite, sondern doch auch offiziell und zumindest mit Unterstützung der österreichischen Regierung in Angriff genommen werden muss«.14 Hofmannsthal schrieb am 18. Oktober an Rehrl, es könnte sein, dass Castiglionis Hinweis auf die Notwendigkeit der Unterstützung der Bundesregierung auch »eine Eitelkeitssache« sei, »dass er, wenn er sich der Sache widmet, dabei auch der Regierung einen Dienst erweisen will. Ich halte diesen Punkt aber nicht für entscheidend, dagegen sehe ich etwas Positives daran, dass er mir jetzt wieder schriftlich ausspricht, er wolle in die Sache hineingehen (…) ich werde jedenfalls mit Castiglioni in Fühlung bleiben und ihn spätestens Anfang Dezember sprechen. Sollten Sie etwa schon in der letzten Dekade des November in Wien zu tun haben, so schiene es mir wohl erwünscht und nach seiner neuerlich gegebenen Erklärung auch richtig, dass Sie sich mit ihm in Verbindung setzen«.15 Ob ein direktes Treffen Rehrls mit Castiglioni erfolgte, kann aus den Unterlagen nicht eruiert werden. Dass Castiglioni Signale in Richtung Rehrl bezüglich der Salzburger Festspiele sandte und bereit war, erhebliche Summen für künstlerische Institutionen zu spenden, wurde im Sommer 1928 deutlich, als er bei einer außerordentlichen Versammlung der »Internationalen Stiftung Mozarteum« am 26. Juli unter dem donnernden Applaus aller Anwesenden aufgrund seiner Zuwendung von 100.000 Schilling zum Ehrenmitglied ernannt wurde.16 Die Verhandlungen zwischen der Dortmunder Betriebshallen-Gesellschaft, der Wiener Schauspielhaus A. G., vertreten durch Rechtsanwalt Otto Mahler, Hofmannsthal und den Brüdern Reinhardt einerseits und Rehrl andererseits, gestalteten sich zunehmend schwierig, da Rehrls Misstrauen gegenüber der deutschen und Wie14 SLA Rehrl FS 0003/1. 15 SLA Rehrl FS 0003/3. 16 Salzburger Chronik, 27. 7. 1928. S. 3  ; Neues Wiener Journal, 27. 7. 1928. S. 5.

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ner Gruppe aufgrund der von diesen vorgelegten Vertragsentwürfe, die in den Augen Rehrls einer weitgehenden Salzburger Kolonisierung durch eine völlige Macht- und Entscheidungsübertragung gleichkamen, wuchs. Zudem vermutete er, dass seine Verhandlungspartner die Meinung vertraten, dass sie aufgrund der prekären finanziellen Lage der Festspiele auf dem längeren Ast säßen. Rehrl und die Festspielhausgemeinde seien angesichts des Ausbleibens einer nennenswerten Bundessubvention letztlich auf ihre Zuwendungen angewiesen, wollten sie nicht den Bestand der Festspiele gefährden. Rehrl war jedoch durchaus selbstbewusst und keineswegs gewillt, dieses Spiel mitzuspielen. Das Scheitern der Verhandlungen wurde gegen Jahresende immer deutlicher. Am 1. Dezember schrieb Rechtsanwalt Mahler an Rehrl, die von ihm vertretene Wiener Gruppe habe durch die negative Antwort des Salzburger Landeshauptmanns auf den unterbreiteten Vertragsentwurf zur Kenntnis genommen, dass keine Basis für eine Vereinbarung bestehe und »sehe sich daher genötigt, von weiteren Verhandlungen zurückzutreten, zumal dieselben nach der gegebenen Sachlage ohnehin leider aussichtslos erscheinen müssten«.17 Rehrl antwortete am 3. Dezember, er nehme den Abbruch der Verhandlungen zur Kenntnis, wolle jedoch bemerken, dass er die Art dieser »Verhandlungen« nicht zu verstehen vermöge, da die Forderung nach der Annahme des »Vorschlages als Voraussetzung des Abschlusses doch nicht als Verhandlungen anzusehen ist, sondern als Diktat  !«18 Dennoch kam es über Vermittlung Hofmannsthals am 7. Dezember 1928 nochmals zu einem Treffen in Wien zwischen Rehrl und den Vertretern des Kunstrates, Hofmannsthal und Rechtsanwalt Otto Mahler als Vertreter Reinhardts. Das Ergebnis der Besprechung lief auf eine weitgehende Dominanz vor allem der Wiener Gruppe über die Festspiele bei gleichzeitiger – allerdings völlig einflussloser – finan­ zieller Beteiligung der Salzburger Institutionen (Land, Stadt, Fremdenverkehrsfonds) hinaus, weshalb Rehrl nunmehr die Verhandlungen endgültig abbrach. Am 15. Dezember schrieb er an Hofmannsthal  : »Ich muss gestehen, dass die ganze Art der Verhandlungen, wie sie die Wiener Gruppe zu führen beliebt, in mir das größte Unbehagen erweckt und erinnere mich nicht, jemals mit ernsten Menschen in dieser Form verhandelt zu haben.« Er lege sich »bestimmt auch nicht ins Grab, wenn die Sache nicht zustande kommen sollte. (…) Die ganze Aktion scheint darauf abzuzielen, unter wesentlicher materieller Beihilfe und Förderung seitens der Salzburger Faktoren eine Diktatur in Salzburg zu errichten«.19 Hofmannsthal unternahm daraufhin noch einen letzten Versuch und führte ein Gespräch mit Mahler und Mitgliedern der Wiener Schauspielhaus A. G. und teilte Rehrl mit, seine Gesprächspartner hätten die 17 SLA Rehrl FS 0004/17. 18 SLA Rehrl FS 0004/18. 19 SLA Rehrl FS 0004/2.

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Meinung vertreten, dass die Standpunkte gar nicht so weit auseinanderlägen, um die Gespräche bereits definitiv abzubrechen. Man solle doch die Verhandlungen bis zum Frühjahr in der Schwebe lassen, die Festspiele 1929 in der bisherigen Form durchführen und dann weitersehen. Rehrl blieb jedoch bei seiner Meinung und brach am 23. Dezember 1928 in einem Schreiben an Mahler die Verhandlungen endgültig ab.20 Bei seinem Widerstand gegen die von der Wiener Gruppe um Camillo Castiglioni und die Brüder Max und Edmund Reinhardt geplante weitgehende Übernahme der Salzburger Festspiele wurde Rehrl von Präsident Puthon, Generalsekretär Kerber sowie Mitgliedern der Festspielhausgemeinde unterstützt. Wenngleich die Verhandlungen geheim geführt wurden, so sickerten doch manche Einzelheiten an die Presse durch. Berichtete das »Salzburger Volksblatt« noch am 30. Oktober 1928, dass gegen eine Reorganisation der Festspiele, hinter der »der Geldschrank Castiglionis steht, keine prinzipiellen Widerstände« zu erwarten seien,21 so meldete die Zeitung bereits vier Tage später, dass »die im Bereich des Möglichen liegende Übergabe der kommerziellen Leitung der Salzburger Festspiele an die Brüder Reinhardt, hinter denen Castiglioni steht, bei einigen Mitgliedern der Festspielhausgemeinde geteilte Ansichten« hervorrufe. »Es wird wohl weiterverhandelt, aber die Opposition ­gegen dieses Projekt gibt zu bedenken, dass auch in dem Falle, als die Verhandlungen zu einem Abschluss kämen, eine Garantie in der Höhe von 50.000 Schilling zu leisten, andererseits aber jede Einflussnahme in künstlerischer und kommerzieller Beziehung ausgeschaltet wäre. Die Festspiele würden zu einem S o m m e r t h e a t e r R e i n h a r d t s . So sehr sein Name Zugkraft bedeute, müsste doch auch an die Zukunft gedacht werden, denn Salzburg wird auch n a c h Reinhardt noch seine Festspiele haben wollen.«22 Die Situation der Salzburger Festspiele war gegen Jahresende 1928 keineswegs rosig, im Gegenteil. Angesichts des Gesamtschuldenstandes der Festspielhausgemeinde, des Defizits des Jahres 1928, der finanziellen Notlage der Stadt, die eine entsprechende Subvention trotz der erheblichen Gewinne aus den Festspielen verhinderte, die nach wie vor gegebene Weigerung des Bundes, sich mit einer namhaften Subvention zu beteiligen und das Scheitern des »Reorganisationsprojekts Castiglioni, Reinhardt, Hofmannsthal« ließen Gewitterwolken aufziehen, die die Zukunft der Festspiele neuerlich zu gefährden drohten. Hinzu sollte ein Phänomen treten, von dem die handelnden Personen noch keine Ahnung hatten, das aber die Parameter ihres Handelns maßgebend bestimmen sollte  : die Weltwirtschaftskrise.

20 SLA Rehrl FS 0004/30. 21 Die Reorganisation der Festspiele. – In  : Salzburger Volksblatt, 30. 10. 1928. S. 7. 22 Salzburger Festspiele. – In  : Salzburger Volksblatt, 3. 11. 1928. S. 10.

VI. Rehrl als kulturpolitischer Akteur hinter den Kulissen 1929 bis 1932 VI.1 Der Kampf um eine gesicherte finanzielle Basis Rehrl hatte in seinem Brief an Hofmannsthal am 15. Dezember 1928 bemerkt, er würde sich nicht ins Grabe legen, wenn die Sache, gemeint war das »Reorganisa­ tionsprojekt Castiglioni, Reinhardt, Hofmannsthal«, nicht zustande käme. Er war zu sehr Politiker und zu sehr Realist, um nicht in Alternativen zu denken. Dies bedeutete, dass man im Fall des Scheiterns sparsame Festspiele durchführen musste  ; es galt, jedes Risiko, wie kostspielige Neuinszenierungen und unpopuläre Programme bzw. Interpreten, zu vermeiden und auf einen hohen Publikumszuspruch, der sich auch in entsprechenden Karteneinnahmen und damit einer hohen Eigenfinanzierungsquote niederschlug, zu setzen. Dennoch waren rund 150.000 Schilling notwendig, die es vor allem in Salzburg aufzubringen galt, da der Bund wiederum nur 10.000 Schilling an Subvention beizusteuern bereit war. Hinzu traten magistratsinterne Probleme, da die notwendige kostenlose Zurverfügungstellung des Stadttheaters aufgrund der Forderung der Theaterleitung an die Stadt Salzburg auf einen Gewinnentgang in der Höhe von 25.000 Schilling keineswegs gesichert war. Die finanziellen Nebel lichteten sich, als Ende Jänner der Fremdenverkehrsförderungsfonds seine Subvention auf 100.000 Schilling erhöhte und auch das Land 12.000 Schilling unter der Bedingung zusagte, dass auch die Stadt Salzburg zusätzlich zur kostenlosen Überlassung des Stadttheaters diesen Betrag zur Verfügung stellte. Inklusive der Bundessubvention in der Höhe von 10.000 Schilling standen damit von den präliminierten 150.000 Schilling 134.000 Schilling zur Verfügung, sodass eine vorsichtige, unter der Dominanz der Sparsamkeit und Einnahmenmaximierung stehende Programmgestaltung verspätet, aber doch, in Angriff genommen werden konnte. Dabei galt es, sich nach der finanziellen Decke zu strecken. Der Devise Sparsamkeit und Einnahmenmaximierung schien ein im Jänner einlangendes Angebot der Direktion des Reinhardt-Theaters, Edmund Reinhard und Emil Geyer, zu entsprechen. In Abstimmung mit Max Reinhardt, der zu diesem Zeitpunkt in Hollywood weilte,1 unterbreitete sie den Vorschlag, im August im Rahmen der 1 Reinhardt selber nahm 1928 an den Verhandlungen der Gruppe um Castiglioni über eine finanzielle Beteiligung an den Salzburger Festspielen und die Übertragung der Programmgewalt an einen allmächtigen Kunstrat nie teil, sondern ließ sich meistens von seinem Bruder Edmund vertreten, der auch federführend die Verhandlungen über Reinhardts Plan führte, in Hollywood einen Film über Therese Neumann (Therese von Konnersreuth) mit Lillian Gish zu drehen. Lillian Gish hielt sich den

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Festspiele im Stadttheater ein Gastspiel mit Erfolgsproduktionen von populären Stücken wie Stephan Kamares »Leinen aus Irland«, William S. Maughams »Der Diener zweier Herren« oder Leo Tolstois »Der lebende Leichnam« zu geben, das anschließend aus Gründen der Kostenreduktion auch in München, wo Reinhardt bei den Festspielen im Juni 1929 vier Stücke (»Kabale und Liebe«, »Der lebende Leichnam«, »Dantons Tod«, »Victoria«) im Residenz- und Prinzregententheater inszenierte, stattfinden sollte. Das Vorhaben wurde in Salzburg äußerst freundlich kommentiert. So bemerkte das »Salzburger Volksblatt«, die von Reinhardt geleitete Bühne genieße in ganz Deutschland einen Ruf, der dem des Burgtheaters gleichkomme. »Das Theater in der Josefstadt gilt sowohl was Künstler als auch was Zusammenspiel anbelangt, als eine der feingeistigsten Bühnen der Welt.«2 Und vor allem  : Die Eintrittspreise sollten bewusst niedrig gehalten werden, um auch materiell minderbemittelten Einheimischen und Fremden den Besuch zu ermöglichen. Um jedes finanzielle Risiko auszuschließen, erklärte die Festspielleitung, dass das Gastspiel im finanziellen Bereich ausschließlich in der Verantwortung des Josefstädter Theaters liegen müsse. Das für Salzburg durchaus attraktive Angebot Edmund Reinhardts hatte allerdings einen Hintergrund, der in den gescheiterten Reorganisationsverhandlungen des Vorjahres zu finden ist. Am 12. Jänner 1929 schrieb Hofmannsthal mit einem Anflug von neuerlicher Zuversicht an Rehrl, dass Edmund Reinhardt, »der sich um die Sache jetzt mit aller Kraft annimmt und sie um seines Bruders willen nicht fallen lassen will«, über seine Vermittlung mit Erwin Kerber eine sehr angenehme Aussprache hatte und sich noch im Jänner bemühen werde, mit der deutschen Gruppe ein konstruktives Gespräch über die Salzburger Festspiele zu führen.3 Und auch Castiglioni wurde wieder aktiv, wobei anhand des vorhandenen fragmentarischen Materials nicht eindeutig festgestellt werden kann, ob er sich noch im Rahmen der ursprünglichen Festspielsommer 1928 ebenso in Leopoldskron auf wie der Produzent Joseph Schenck, und es kam nach intensiven Verhandlungen zu einem Vertragsabschluss mit United Artists. Im Dezember fuhren Reinhardt und Helene Thimig in die USA, wo jedoch zu diesem Zeitpunkt die Stummfilmära durch das Aufkommen des Tonfilms ein jähes Ende finden und damit auch die Filmpläne Reinhardts zunichtemachen sollte. Denn Joseph Schenck lehnte nunmehr die Produktion eines Stummfilms ab und forderte Reinhardt auf, in sehr kurzer Zeit das Stummfilmmanuskript für einen Tonfilm zu adaptieren. Reinhardt protestierte, gab aber schließlich nach, doch scheiterten seine Bemühungen, und er kehrte frustriert im März 1929 nach Europa zurück. Die Salzburger Festspiele hatte er bereits zuvor nach dem endgültigen Scheitern der Bemühungen um eine zentrale Einflussnahme der Gruppe um Castiglioni wissen lassen, dass er angesichts der finanziellen Probleme Salzburgs im kommenden Festspielsommer nur die Wiederaufnahme des »Jedermann« inszenieren werde, da für weitere Produktionen offensichtlich das Geld fehle. Mit Blick auf die gebotene Sparsamkeit bestünde aber die Möglichkeit der Übernahme einiger seiner fertigen Produktionen vom Theater in der Josefstadt. 2 Sommerliches Gastspiel der Wiener Reinhardt-Bühne in Salzburg  ? – In  : Salzburger Volksblatt, 16. 1. 1929. S. 8. 3 SLA Rehrl FS 0003/17.

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Kombination der Interessenten nur als Repräsentant der Wiener Gruppe oder als individueller Mäzen neuerlich ins Spiel brachte. Aufgrund der vorhandenen Quellen ist jedoch wahrscheinlich, dass Castiglioni zu diesem Zeitpunkt nur mehr als Einzelperson agierte. Am 12. März 1929 schrieb Erwin Kerber an Rehrl über ein Gespräch mit Castiglioni, dieser habe ihm gegenüber geäußert, »dass er im Herbst des Vorjahres von Anfang an den Versuch einer Verquickung seiner absolut uneigennützigen mäzenatischen Hilfe mit der doch irgendwie auf geschäftlicher Basis arbeitenden reichsdeutschen Hallen-Gesellschaft für nicht sehr glücklich und aussichtsvoll bezeichnet habe«.4 Am 21. Jänner 1929 berichtete Hofmannsthal Rehrl von einem telefonischen Gespräch mit Castiglioni, in dem ihm dieser mitteilte, er habe mit dem Generaldirektor der Bundestheater-Verwaltung, Franz Schneiderhan, über die Salzburger Festspiele gesprochen. Er habe seinen Gesprächspartner gebeten, »sich mit ihm doch aufrichtig und freundschaftlich über Salzburg auszusprechen, damit man sich nicht wechselseitig die Situation kompliziere usw.« und ihm auch die Frage gestellt, ob die Bundestheater im Falle ihrer stärkeren Berücksichtigung bereit wären, einen Teil des Defizits der Festspiele zu übernehmen. Schneiderhan habe dies negativ beschieden.5 Castiglioni suchte offensichtlich neue Verbündete für sein Engagement in Salzburg, wobei er wahrscheinlich nicht mehr an die ursprüngliche Kombination dachte, sondern bereits das Ziel des individuellen Mäzens verfolgte. Das Angebot des kostengünstigen Gastspiels des Josefstädter Theaters begleitete er am 18. Februar 1929 mit einem Schreiben an Generalsekretär Kerber, in dem er betonte, dass er, falls er brieflich gebeten werde, sich bereit erkläre, den Salzburger Festspielen 25.000 Schilling à fonds perdu zu stiften und die Tantiemen Reinhardts bis zu einer Höhe von 10.000 Schilling zu übernehmen.6 Das in Salzburg durchaus positiv angenommene Angebot der Direktion des Josefstädter Theaters scheiterte im März an der Weigerung des Bayerischen Kultusministeriums, das Residenz- und Prinzregententheater für das Gastspiel zur Verfügung zu stellen, da Reinhardt im Juni desselben Jahres im Rahmen der Münchner Festspiele ohnedies in beiden Theatern für Inszenierungen verantwortlich zeichnete. Obwohl der Bund als einer der finanziellen Hauptnutznießer der Festspiele, sehr zum Ärger Rehrls, nicht bereit war, trotz der finanziellen Probleme der Salzburger Festspiele deren Steuerschulden der beiden vergangenen Jahre zu stunden und sogar mit der Pfändung der Tageslosungen drohte, nahm die Festspielhausgemeinde das Angebot Castiglionis nicht an. Die Salzburger Geldgeber erklärten trotzig und mit durchaus berechtigtem Zorn sowie dem Vorwurf der anhaltenden Kolonisierung 4 SLA Rehrl FS 0003/12. 5 SLA Rehrl FS 0003/16. 6 SLA Rehrl FS 0005/13.

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durch die Zentralbehörden, man werde bei einem Fortbestehen der Weigerung des Bundes, sich angesichts der erheblichen finanziellen Vorteile mit einer entsprechenden Subvention an den Festspielen zu beteiligen, diese eben nicht mehr durchführen. Die (wirtschafts-)politischen Realitäten waren freilich andere – dessen war man sich in Salzburg wie in Wien bewusst. Das Drohszenario hatte letztlich aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung der Festspiele für Salzburg wenig Wirkung – dessen war man sich sowohl am Ballhausplatz wie in der Himmelpfortgasse und auch im Chiemseehof bewusst. Doch es war der Kampf der Provinz, die so lange ein kulturell bedeutendes selbständiges Fürsterzbistum war und nunmehr die Chance hatte, diesen so schmerzlich vermissten Status wiederzuerlangen, gegen die Metropole. Mit Blick auf die Geschichte des Landes, das erst 1816 zu Österreich kam und auf den Status eines V. Kreises von Oberösterreich degradiert wurde, dessen geistige und kulturelle Elite aufgrund der verordneten Bedeutungslosigkeit das Land verlassen hatte, war dies jedoch nicht nur ein simpler Kampf der Provinz und all der damit assoziierten Begriffe gegen die fortschrittliche und moderne Metropole, sondern erheblich mehr. Das Land rang um die – zumindest teilweise – Wiedererlangung seiner historischen Bedeutung, es war durch die Friedensverträge von der Peripherie in das Zentrum des neuen nunmehrigen Kleinstaates gerückt und es wurde über den Fremdenverkehr zum Devisenbringer der Republik. Man hatte aber, nicht zu Unrecht, den Eindruck, von den Wiener Zentralstellen und deren Repräsentanten als »Provinztrottel« nach dem Muster der Habsburgermonarchie behandelt zu werden und um Brotsamen, die vom Tisch, den man selber gedeckt hatte, fielen, betteln zu müssen. Der Mann, der dies alles durchaus selbstbewusst artikulierte, da sich in seiner ehemaligen Hauptund Residenzstadt in der Festspielzeit die Welt ein Stelldichein gab, war Franz Rehrl. Mit dem Instinkt des Politikers erkannte er die enorme kulturelle, wirtschaftliche und weltweit einzigartige propagandistische Bedeutung der Festspiele und hätte sie auch unter allen Umständen veranstaltet. Doch das Drohszenario ihrer NichtMehr-Durchführung hatte vor allem einen Zweck  : den Bund zu einer entsprechenden dauerhaften finanziellen Beteiligung zu veranlassen. Jenseits des Kampfes um das Geld, vor allem die Bundessubvention, tobte angesichts des neuerlichen beträchtlichen Defizits und der feststellbaren organisatorischen Mängel in der Durchführung der Festspiele hinter und vor den Kulissen eine heftige Diskussion über notwendige Modifikationen ihrer Organisationsstruktur sowie ihrer programmatischen Positionierung. Mitglieder des Kuratoriums und des Aufsichtsrates verfassten im Herbst 1928 mit Blick auf das neuerlich entstandene erhebliche Defizit eine, vor allem auch für Landeshauptmann Rehrl bestimmte, in kritischem Ton gehaltene interne Analyse der Organisationsdefizite, die auf zahlreiche Missstände in der konkreten Durchführung der Festspiele – vom Auftreten der Billeteure über den Einlass zu spät Kommender bis zu den Freikarten – hinwies, vor allem die Werbetätigkeit einer vernichtenden Kritik unterzog und die Bestellung ei-

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nes Theaterfachmanns zur Unterstützung des Generalsekretärs sowie eine gestraffte Organisationsstruktur vorschlug.7 Ende Februar 1929 publizierte der ehemalige Generalintendant des Dresdner Staatstheaters und Mitinhaber der gleichnamigen Salzburger Buchhandlung, Alois Mora, in der »Salzburger Chronik« seine Vorschläge für eine Neuorganisation der Salzburger Festspiele.8 Moras Überlegungen sorgten für Spekulationen und gezielt gestreute Gerüchte. Im Juni 1929 wusste das »Salzburger Volksblatt« unter Hinweis auf verschiedene Zeitungsmeldungen zu berichten, es gebe deutliche Hinweise, dass Präsident Puthon amtsmüde sei und Alois Mora zum Intendanten der Festspiele berufen werde. Man habe offensichtlich das Gefühl, dass die Festspiele »alles, nur kein Haupt hätten« und es an der Zeit wäre, an die Stelle eines repräsentativen Präsidenten einen fachkundigen Intendanten zu setzen. »Dass die s t a r k e Hand in den Festspielen fehlt, ist schon wiederholt erwähnt worden  : für Fehlbesetzungen, Fehlprogramme, Unregelmäßigkeiten in der Abwicklung der Festspiele, Störungen, Unkünstlerisches kann beim heutigen Stand der Dinge niemand eigentlich so recht zur Verantwortung gezogen werden  ; der Präsident ist kein Fachmann, wenngleich 7 SLA Rehrl FS 0015/16. Die umfangreiche Analyse, die in Teil II wiedergegeben wird, enthält als Datumsvermerk lediglich das Jahr 1928. Dokument 11. 8 »Der Apparat zur Ermöglichung und Durchführung der Festspiele hat sich aus folgenden vier Gruppen zusammenzusetzen  : 1. Aus den G e l d g e b e r n   : Bund, Land, Stadtgemeinde, Fremdenverkehrsförderungsfonds, Festspielhausgemeinde (eventuell weitere finanziell unterstützende Körperschaften oder Einzelpersonen) mit einer den gegebenen Verhältnissen angepassten Garantiesumme. 2. Aus dem A u f s i c h t s r a t , der sich aus den ehrenamtlich gewählten Vertrauensmännern der Geldgeber zusammensetzt. 3. Aus der k ü n s t l e r i s c h e n L e i t u n g der Festspiele, in die zu berufen wären die Herren  : Professor Reinhardt, Richard Strauss, Hugo von Hofmannsthal, Bruno Walter, Franz Schalk, Stefan Zweig, Professor Strnad, Direktor Paumgartner, Domkapellmeister Messner, ergänzt durch prominente lokale Kunstverständige. 4. Aus der D i r e k t i o n d e r F e s t s p i e l e als allein verantwortlichen Durchführungsapparat, dem beizuordnen sind a) Propagandachef, b) Pressechef, c) Kartenbüro. Das Ineinandergreifen der einzelnen Räder des Apparates wäre wie folgt gedacht. Am 15. September hat die Garantiesumme von Seite der Geldgeber sichergestellt zu sein. Die künstlerische Leitung arbeitet, unterstützt durch die Erfahrungen der jeweils letzten Festspielzeit, in Verbindung mit der Direktion der Festspiele das Programm für das kommende Jahr aus, dessen Durchrechnung spätestens am 1. Oktober dem Aufsichtsrat vorzulegen ist. Der A u f s i c h t s r a t genehmigt oder genehmigt nicht die Verwendung der sichergestellten Subventionen zur Durchführung des vorgelegten Festspielplanes. Die D i r e k t i o n der Festspiele hat bis spätestens 1. November den Entwurf des Propagandachefs vorzulegen und die Genehmigung zur Durchführung desselben dem Aufsichtsrate zu unterbreiten. Am 1. Dezember haben alle Verträge getätigt zu sein, es hat die praktische Arbeit für die Vorbereitung der kommenden Festspiele zu beginnen, deren Durchführung ausschließlich der Direktion obliegt« (Alois Mora  : Für die Neuorganisation der Salzburger Festspiele. – In  : Salzburger Chronik, 21. 2. 1929. S. 3f. S. 4).

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er in wichtigen Dingen ein wichtiges Wort zu reden hat, das Kuratorium ist ein vielköpfiger Körper, dessen einzelne Glieder wiederum nirgends verantwortlich gemacht werden können. Da wäre dann wirklich die Berufung eines Fachmannes von Weltruf die beste Lösung und eine Rettung für den Dauerbestand der Salzburger Festspiele  : ein verantwortliches Haupt, das alle Fäden der Festspielorganisation in seiner starken Hand vereint  ! Oberregisseur Alois Mora hat sich durch jahrelanges künstlerisches Wirken auf ersten deutschen Bühnen internationalen Ruf verschafft, hat mit Männern von Rang und Namen gearbeitet, wie Richard Strauss, Fritz Busch, Hugo von Hofmannsthal und anderen  ; und diese Namen dürften es auch sein, die plötzlich einen Mann in den Vordergrund drängen, der Können und Mut vereinigt und ein tatkräftiger Intendant der Salzburger Festspiele werden könnte. Er braucht kein Kuratorium mit zehn Köpfen  ; Ressortberater (Dramaturg, Literat, Musiker) stehen ihm zur Seite, sie allein entwerfen das Festspielprogramm, sie sind aber auch allein verantwortlich für das Gelingen der Festspiele. Es braucht auch keinen Aufsichtsrat mit wieder zehn Köpfen  : Nur jene Stellen sind darin vertreten, die wirklich einen namhaften Betrag für die Festspiele leisten, die Stadt und das Land Salzburg, die Wirtschaftsorganisation, der Bund, alle nur insoferne, als sie sich nicht etwa nur mit 5.000 oder 10.000 Schilling am Gelingen der Festspiele beteiligen. Eine starke Persönlichkeit wird dann auch endlich Ordnung in die Programmbildung bringen.«9 Im Frühjahr 1929 erschienen die von einem anonymen Verfasser mit guten Kenntnissen geschriebenen »Randglossen zur Salzburger Festspielfrage«, die sich in zwei großen Kapiteln mit dem »Fall Reinhardt« und der »Programmgestaltung der Salzburger Festspiele« befassten.10 Reinhardt sei mit dem Erfolg seiner Inszenierung des »Jedermann« 1920 der größte Gewinn für die Festspielbewegung. Reinhardt und Salzburg seien aber auch eine Symbiose eingegangen, denn erst seine Tätigkeit in Salzburg habe ihm letztlich seinen internationalen Ruhm, der nun bis in die USA reiche, eingebracht. Der Regisseur habe durch seine Verbindung mit dem Zauber der barocken Stadt und der barocken katholischen Frömmigkeit, seine Fähigkeit der Inszenierung in Leopoldskron, die auch seine US-amerikanischen Gäste in seinen Bann zieht, sein erfolgreiches Engagement in den USA in die Wege geleitet. Und Grund dieses Erfolges in den USA sei sowohl die Wahl der für die Festspiele bestimmten Stücke wie auch deren  9 Erneuerung der Festspielorganisation. Ein Beitrag zu sachlicher Lösung. – In  : Salzburger Volksblatt, 22. 6. 1929. S. 5. 10 Gesamter Text vgl. Anhang. Der anonyme Verfasser war wahrscheinlich Mitglied der Redaktion des »Salzburger Volksblattes«, da in der Analyse und Wortwahl einzelner Artikel der Zeitung Prallelen zu den »Randglossen« bestehen. Dokument 12.

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Inszenierung, die immer mehr auch vom US-amerikanischen Geschmack beeinflusst werde. Salzburg und Reinhardt verdanken einander viel, und Reinhardt sei auch ein kühler Rechner, der dies sehr wohl wisse. Das Programm der Festspiele leide unter der weitgehenden identifikatorischen Absenz des Kunstrates, der kaum jemals geschlossen zusammentrete, sodass sich der Präsident oder der Generalsekretär von Fall zu Fall mit Schalk oder Hofmannsthal – Strauss und Roller seien an Salzburg zwischenzeitlich völlig desinteressiert, Reinhardt durch seine Theaterdirektion in der Josefstadt, seine nach wie vor gegebene Bindung an Berlin und sein amerikanisches Engagement kaum zu erreichen – zu einem Gespräch treffen, das dann oft Ergebnisse zeige, die mehr von persönlichen Vorlieben als von einer durchdachten Salzburger Programmatik zeugten. Aufgrund der komplizierten Kontaktaufnahme mit dem Kunstrat und der dadurch auch fortgeschrittenen Zeit werde das Kuratorium sehr oft vor vollendete Tatsachen gestellt und könne das Programm nur mehr abnicken. Daher könne von einem klar konzipierten Programm der Festspiele keine Rede sein, sondern nur von einem Programm, das von persönlichen Vorlieben der Mitglieder des Kunstrates bestimmt werde. Um dies in Zukunft zu ändern, sollte die Programmgestaltung einem kleinen, mit Fachleuten besetzten Salzburger Ausschuss übertragen werden, der nach Konsultation der Mitglieder des Kunstrates nicht nur das Programm festlegt, sondern auch die notwendigen Verhandlungen mit den Künstlern führt. Zudem müsse die finanzielle Basis der jeweils kommenden Festspielsaison und ihres Programms bereits während des laufenden Festspielsommers fixiert werden, wobei anstelle der bloßen Übernahme oft abgespielter Inszenierungen der Wiener Staatsoper Neuinszenierungen mit den jeweils besten Interpreten ebenso zur Regel werden müssen wie eine stärkere Berücksichtigung der österreichischen Theatertradition im Bereich des Schauspiels. Vor allem müsse auch eine Internationalisierung der Künstler stattfinden, denn Salzburg solle sich durch die Konkurrenz der Künstler aus aller Welt auszeichnen und nicht zur Sommerfrische der Wiener Künstler verkommen. Im Bereich der Musik sollten auch Uraufführungen international bekannter Komponisten, eine Internationalisierung des Konzertprogramms erfolgen und, als Nebenprogramm, auch Meisterwerke der österreichischen Operette mit ersten Künstlern zur Aufführung gebracht und der Kontakt zu den Künstlern intensiviert werden. Im Sinne einer demokratischen Öffnung und Verankerung der Festspiele in der öffentlichen Akzeptanz der Bevölkerung sollte in Kooperation mit der Leitung der Festspielhausgemeinde auch ein volkstümliches Programm, z. B. in Form von Trachten- und Musikfesten realisiert werden. Rehrl las die »Randglossen zur Salzburger Festspielfrage« sehr genau und unterstrich eigenhändig ihm wichtig erscheinende Passagen. So die Aufforderung, »die Anziehungskraft auf das Publikum möglichst zu erhöhen«, »gute, einzigartige Vorstellungen«, »der Eigenart der Salzburger Festspiele und ihrer Weltbedeutung sorgfältigst angepasste Auswahl der Programme«, den Vorschlag einer »Neugestaltung

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eines dem ›Jedermann‹ ähnlichen Stückes durch Reinhardt auf dem Domplatz«, die »Heranziehung der jeweils besten Interpreten«, »keine abgespielten Ensemblegastspiele« oder die Wichtigkeit des »gesellschaftlichen Teils« und der sog. »Nebenveranstaltungen«. Aus diesen Unterstreichungen wird deutlich, dass sich der Salzburger Landeshauptmann nicht nur als rettender Engel in finanzieller Not verstand, sondern auch an der programmatischen Positionierung der Festspiele Anteil nahm, wobei er offensichtlich mit der Aufforderung einer stärkeren Internationalisierung im künstlerischen Bereich und damit auch einer Lösung von der starken Abhängigkeit von der Wiener Staatsoper zustimmte, eine Forderung, die erst 1935 unter Arturo Toscanini in Erfüllung gehen sollte. Im Jänner 1929 erschien im »Salzburger Volksblatt« ein viel beachteter und zu einer heftigen politischen Kontroverse Anlass gebender Artikel Karl Heinrich Waggerls, in dem der Schriftsteller mit der distanzierten Haltung und Kritik von Teilen der Bevölkerung der Landeshauptstadt, vor allem deren zurückhaltender finanzieller Unterstützung der Festspiele, streng ins Gericht ging. Es sei beschämend und entwürdigend, wie die Stadt Salzburg (mit der vor allem von der sozialdemokratischen Fraktion verwendeten Formel der »Sauwirtschaft«) durch ihre Weigerung, sich finanziell entsprechend an den Festspielen und vor allem an der Abdeckung ihres Defizits zu beteiligen, auf dem Weg sei, »das Land zu blamieren«. Wenn dem nicht Einhalt geboten werde, »wird man sich allmählich dagegen verwahren müssen, schlechtweg ein Salzburger zu sein. (…) Was (…) jene groteske und unfruchtbare Debatte in der Gemeindestube betrifft, so hat die höchstens bewiesen, dass die meisten Gemeinderäte, nicht aber, dass die Festspiele überflüssig sind. Die Existenzberechtigung der Spiele steht schon außer Diskussion, über sie entscheidet die Welt, nicht Krähwinkel. Festspiele müssen wir haben, sagte einer von den ratlosen Räten mit lapidarer Logik, denn wir haben ein Festspielhaus. Die Herren können sich ihre Diäten nur noch dadurch verdienen, dass sie sich endlich und in letzter Stunde schlüssig werden, wie die Stadt ihren Anteil an der Festspielsanierung beitragen könne, eine zwar schwierige, aber gewiss nicht unlösbare Frage, die bloß daran scheitern könnte, dass die Idee der Festspiele mit den Ideen der Stadträte im Format nicht übereinstimmt. Zweifellos sind Reformen in der ganzen Angelegenheit nötig, aber es geht nicht an, die sogenannte ›Sauwirtschaft‹ als Vorwand zum Auskneifen zu benutzen  ; wenn eine Sache schlecht verwaltet wird, so spricht das doch nicht gegen die Sache selbst (…) Die merkwürdige Haltung der Hauptstadt in der Festspielfrage ist dem Lande unverständlich. Auch die kleinen Fremdenorte sind vom wirtschaftlichen Wert der Festspiele durchaus überzeugt und wundern sich nur, dass die Hauptstadt nicht so viel Festspielverstand aufbringen kann, um einzusehen, dass allein die Werbewirkung eines solchen Unternehmens unschätzbar ist. (…) Man sollte es vielleicht wirklich darauf ankommen lassen, die Festspiele einmal nicht abzuhalten. Aber wer wollte den unschätzbaren kulturellen und wirtschaftli-

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chen Schaden verantworten, der aus diesem gewiss fruchtlosen Versuch, die Borniertheit Einzelner zu heilen, entstünde  ?«11 Der Artikel Waggerls löste heftige Reaktionen beim Magistrat der Stadt Salzburg aus, das in einer öffentlichen Stellungnahme die Vorwürfe von sich wies. »Es ist vollständig unrichtig, dass der Gemeinderat der Landeshauptstadt sich nicht seiner Pflichten bewusst wäre, die er dieser überaus wichtigen Angelegenheit der Förderung der Salzburger Festspiele entgegenzubringen hat. Bei der wohlwollendsten Stellungnahme des Gemeinderates kann sich aber die Förderung, welche die Stadt den Festspielen angedeihen lassen will und kann, nur insoweit bewegen, als dies die finanziellen Mittel der Landeshauptstadt überhaupt zulassen. Es ist nun bekannt, dass die Finanzlage der Stadt eine sehr gespannte ist und die städtische Bevölkerung eine Mehrbelastung durch neue Steuern und Abgaben nicht verträgt. Die Verluste des Krieges und die ungeheuren Kosten für den Wiederaufbau in der Nachkriegszeit, die Auslagen speziell für die Erbauung vieler neuer städtischer Wohnhäuser, welche notwendig waren, um die furchtbare Wohnungsnot einigermaßen zu steuern, haben die finanziellen Leistungen der Stadtgemeinde bis auf die Höchstgrenze angespannt. Trotz alledem hat die Stadtgemeinde finanziell für die Aufrechterhaltung der Festspiele immer beigetragen. So betragen beispielsweise allein die Ausgaben der Stadtgemeinde für die Salzburger Festspiele nach dem Budget für das Jahr 1929 113.350 Schilling, und zwar 54.000 Schilling für die Verzinsung und Amortisation der übernommenen Bauschuld per 120.000 Schilling für die Erbauung der neuen Reitschule bei der Riedenburger Kaserne anstelle der alten Reitschulen  ; 25.000 Schilling an die Theatergesellschaft als Ablöse für den Monat August l. J. zur Beistellung des Stadttheaters für die Festspiele und 4.350 Schilling für Versicherungen und diverse Auslagen zugunsten der Festspielhausgemeinde. Diese Ausgabe per 113.350 Schilling ist daher allein schon weit mehr als die Landeshauptstadt aus der Fremdenzimmerabgabe überhaupt erhält, welche für das Jahr 1929 mit 72.000 Schilling mit der Hotelerie pauschaliert wurde  ! Weitere Leistungen für die Festspielhausgemeinde zu übernehmen ist aber der Stadtgemeinde unmöglich. Es muss ja berücksichtigt werden, dass die Stadtgemeinde auch andere kulturelle Verpflichtungen zu erfüllen hat und große Leistungen für andere kulturelle Zwecke prästieren muss. (…) Es ist völlig unrichtig, nur von der Stadtgemeinde zu verlangen, dass sie Übermenschliches leistet. Die Billigkeit verlangt vielmehr, dass bei derartigen kulturellen Veranstaltungen, welche nicht nur der Landeshauptstadt allein, sondern dem ganzen Lande und dem Staate kulturell und volkswirtschaftlich zum Vorteile dienen, auch

11 Karl Heinrich Waggerl  : Festspiele und Sommerfrischen. – In  : Salzburger Volksblatt, 19. 1. 1929. S.6.

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die anderen österreichischen Faktoren, insbesondere das Land und der Bund, hierzu entsprechend beitragen. Das Land steuert ja für die Erhaltung der Salzburger Festspiele aus dem Fremdenverkehrsförderungsfonds bei  ; nur ist zu bemerken, dass weit über die Hälfte der Gesamteinnahme des Fonds, somit mehr als 100.000 Schilling, hierzu ebenfalls aus der Landeshauptstadt kommen. Eine Beitragsleistung aus Landesmitteln selbst ist für 1929 nicht vorgesehen und wäre sicherlich durchaus gerechtfertigt, da auch das Land entsprechenden Nutzen aus der Abhaltung der Festspiele zieht. Vollständig versagt hat aber bei den Festspielen bisher die Unterstützung durch den Bund. Es ist eine erwiesene Tatsache, dass in der Schweiz und im ganzen Auslande die Salzburger Festspiele nicht mehr als eine Salzburger Sache, sondern als eine österreichische Angelegenheit betrachtet werden, zumal hierbei hauptsächlich österreichische Kunst geboten wird. Trotzdem Stadt und Land Salzburg und die Festspielhausgemeinde schon wiederholt bei der Bundesregierung um eine entsprechende Subvention der Festspiele vorstellig geworden sind, waren die Einschreitungen bisher vergeblich. Ja, der Bund schreibt sogar der Salzburger Festspielhausgemeinde Steuern vor, welche diese alljährlich außerordentlich belasten – nach der letzten Vorschreibung 26.673 Schilling, 65 Groschen – und droht mit Exekution  ! Hier muss der Hebel der öffentlichen Meinung einsetzen, um Wandel zu schaffen. Es muss von der Allgemeinheit verlangt werden, dass auch der Bund die an sich gewiss nicht übermäßigen Anforderungen geldlicher Unterstützung der Festspiele im ausreichenden Maße mit unterstützt. (…) Die Adresse, an welche in letzter Zeit die Vorwürfe wegen der Sicherung der Festspiele gerichtet wurden, ist daher eine vollkommen falsche und kann die Öffentlichkeit überzeugt sein, dass die Stadtgemeinde, bzw. ihre Vertreter, sich ihrer Pflichten gegenüber der Salzburger Festspielhausgemeinde vollkommen bewusst sind, dass aber die Unterstützung der Festspiele nur im Rahmen des finanziell Möglichen erfolgen kann.«12 Anlässlich der Budgetdebatte forderte der für seine klassenkämpferischen Attacken und Temperamentsausbrüche bekannte, letztlich jedoch auch zum politischen Konsens und zu sachorientierter Politik bereite sozialdemokratische Gemeinde- und Nationalrat Josef Witternigg am 22. Jänner 1929 im Nationalrat in der Spezial­ debatte über das Kapitel »Unterricht« eine entsprechende Bundessubvention für die Salzburger Festspiele, wobei er sich der Argumente Rehrls bediente. Aus der Wortmeldung Witterniggs wird deutlich, dass trotz aller ideologischer Kontroversen und verbaler Distanzierung der Sozialdemokraten von den »bürgerlich-kapitalistischen Festspielen« sie in Wien gegenüber dem Bund sehr wohl als Patrioten agierten und für eine finanzielle Sicherstellung der Festspiele durch eine als notwendig erachtete 12 Die Stadtgemeinde Salzburg und die Festspiele. – In  : Salzburger Wacht, 23. 1. 1929. S. 5f. S. 5.

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Subvention des Bundes eintraten. Die Festspiele, so Witternigg, seien keineswegs eine lokale Angelegenheit, sondern beträfen den österreichischen Fremdenverkehr und die Volkswirtschaft insgesamt. Eine »Privatinitiative hat daran gearbeitet, den Fremdenstrom nach Stadt und Land Salzburg zu leiten und neben den Naturschönheiten etwas zu bieten, das für die Welt von großem künstlerischen Werte werden sollte  : die Festspiele. Die Arbeit war auch von Erfolg begleitet. In der ganzen Welt wurde sie gewürdigt, der Fremdenzuzug wurde immer größer und im letzten Jahre konnten über 80.000 Fremde verzeichnet werden. Aber immer wieder hat trotz uneigennütziger Bemühungen die Arbeit insoferne mit einem Misserfolg geendet, als die Veranstalter die investierten Kapitalien nicht zu decken und zu verzinsen vermochten. Der sozialdemokratische Antrag auf Gewährung einer Subvention von 150.000 Schilling für die Salzburger Festspielhausgemeinde wurde im Finanzausschusse abgelehnt. Es ist aber unmöglich, diesen Betrag im Lande selbst aufzubringen. Eine Vorsprache bei der Bundesregierung blieb erfolglos, und dem Landeshauptmann von Salzburg, der die Gelegenheit wahrnahm, mit dem Bundeskanzler in Salzburg über diese Angelegenheit zu sprechen, wurde erklärt, eine Subvention könne nicht gewährt werden. Wenn das Defizit für die Bundestheater von allen gedeckt wird, sollte die Bundesregierung auch für eine Angelegenheit eines Bundeslandes, die ein Kunstinstitut ersten Ranges betrifft, etwas übrighaben. Stadt und Land leisten, was möglich ist, bei der Regierung finden wir aber kein Verständnis.«13 Eine Woche später änderte er in der Budget-Generaldebatte des Salzburger Gemeinderates die Position, um unter direkter Bezugnahme auf den viel diskutierten Artikel Karl Heinrich Waggerls die Politik der Stadt Salzburg in der Causa Festspielfinanzierung zu verteidigen, erneuerte jedoch seine Forderung nach einer entsprechenden Bundessubvention mit einer deutlichen parteipolitischen Spitze gegen Christlichsoziale und Großdeutsche. Die Position der Sozialdemokratie war in der Festspiel-Frage schwierig, da sie zwar einerseits deren zentrale Bedeutung als Wirtschaftsfaktor anerkannte, andererseits jedoch auf die Befindlichkeit ihrer Klientel Rücksicht nehmen musste. So bemerkte Witternigg, seine Partei habe »die ärmsten Schichten der Bevölkerung zu vertreten ohne jeden Unterschied, und es wisse auch jeder Mandatar und Vertreter, dass er durch sie gewählt worden sei«.14 Diese Position wurde auch in seiner Budgetrede 1929, vor allem beim Punkt des von Bürgermeister Max Ott – er hatte 1928 Josef Preis in dieser Funktion abgelöst – unterstützten Antrags der Festspielhausgemeinde deutlich. In diesem wurde die Direktüberweisung jener 12.000 Schilling beantragt, die der Stadtgemeinde von der Vereinigung der Gastronomen zugebilligt wurden, um den aus dem Budget der Stadt zu bestreitenden Verdienstentgang des Stadttheaters während der Festspielzeit in der 13 Salzburger Wacht, 23. 1. 1929. S. 1. 14 Dopsch, Hoffmann  : Geschichte der Stadt Salzburg. S. 533.

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Höhe von 25.000 Schilling teilweise abzudecken. »Ungeheures Elend herrscht noch immer in der Stadt. Das sagen nicht nur wir Sozialdemokraten, das bestätigen auch die Stadtärzte, die Schulärzte, die Fürsorgerinnen, die Richter und die Polizei. Wir wären als Stadtväter verpflichtet einzuschreiten, aber wir können die notwendigen Mittel nicht aufbringen. Und wenn wir meinten, da oder dort ließe sich noch etwas für den Stadtsäckel holen, um das zu schaffen, dann wird gelärmt und krawallisiert. Für solche Dinge ist bei den Gegnern nichts zu haben. Anders denken sie jedoch bei den Festspielen. Wenn in der Öffentlichkeit wegen der Beiträge der Stadt zu den Festspielen verhandelt wird, dann melden sich allerorts die Weisen und lesen der Stadt Salzburg die Leviten. In Wagrain meldet sich der Herr Waggerl und schreit den Salzburgern zu, ihr seid Spießer, aus Zell am See meldet sich in ähnlicher Weise der Herr Ernst, sie alle predigen der Stadt Salzburg  : Zahlt Krowaten  ! Sie fragen keinen Pfifferling danach, dass die Stadt bereits 113.000 Schilling jährlich für Festspiele und Festspielhaus aufbringt, einen Betrag, mit dem sich viele Tränen trocknen ließen. Und nun präsentiert uns die Festspielhausgemeinde eine neue Forderung  : bis 12.000 Schilling, welche die Gastwirtegenossenschaft zuschießt und die dazu verwendet werden sollen, um der Theatergesellschaft die 25.000 Schilling zu geben, um sie zu veranlassen, das Stadttheater im Monat August den Festspielen zu überlassen, sollen der Festspielhausgemeinde überlassen werden, die Stadt soll also die 25.000 Schilling für das Theater zur Gänze aus ihrem Säckel beisteuern  !« Anschließend schilderte Witternigg äußerst temperamentvoll und bisweilen mit ironischem Unterton seine Odyssee für eine Bundessubvention der Festspiele bei den Bundesbehörden. Er habe vergeblich versucht, die Bundesregierung und den Bundespräsidenten für die Festspiele zu interessieren. Bundespräsident Wilhelm Miklas habe ihm empfohlen, sich mit Bundeskanzler Ignaz Seipel in Verbindung zu setzen. Der Bundeskanzler aber habe ihm geraten, sich an Unterrichtsminister Richard Schmitz zu wenden, der jedoch lediglich die Meinung vertreten habe, es sollten sich die Salzburger Gastronomen, die schließlich auch die größten Profiteure der Festspiele seien, zu einer entsprechenden Zuwendung aufraffen. Finanzminister Viktor Kienböck, den er auch in dieser Angelegenheit kontaktierte, meinte, es solle doch der Unterrichtsminister im Kabinett einen entsprechenden Antrag stellen, doch eigentlich brauche man in Salzburg gar keine Subvention, sondern lediglich ein publikumswirksames Programm, eben Schlager  ! »Welcher Art dieser Schlager sein müsste, das konnte freilich auch der Herr Dr. Kienböck nicht verraten.« Witternigg wandte sich nun an die sozialdemokratische Nationalratsfraktion, forderte diese auf, einen entsprechenden Antrag auf eine Bundessubvention der Salzburger Festspiele im Nationalrat einzubringen und begründete dies damit, dass die Festspiele für die gesamte Republik ein wichtiger Wirtschaftsfaktor seien. Salzburg habe keine Maschinenfabriken, keine Textilfabriken, die man fördern könne, sondern nur die

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Fremdenverkehrsindustrie. Diese sei die einzige nennenswerte Ressource, die jedoch für die ganze Republik einen Mehrwert abwerfe. Die Sozialdemokratie brachte den entsprechenden Antrag im Nationalrat ein, und Witternigg trat mit den großdeutschen Salzburger Abgeordneten Heinrich Clessin und Simon Geisler in Verbindung, um diese für eine Unterstützung des Antrags zu gewinnen. Im Nationalrat stimmten aber alle christlichsozialen Abgeordneten und der großdeutsche Abgeordnete Clessin gegen den Antrag, der damit abgelehnt wurde. »Und nun kommt der Bürgermeister der Stadt Salzburg und meint, wir sollen neuerlich etwas geben. Wir sagen darauf  : Nein  ! Wendet euch an die Regierung, denn die Regierung ist eure Regierung  ! Wenn ihr wollt, dass in Salzburg im Jahre 1929 Festspiele stattfinden, dann geht zu eurem Finanzminister und setzte das durch, was er uns verweigert. Wir haben getan, was wir tun konnten, tut nun ihr das eure  ! Wir werden die Festspiele in Salzburg nicht verhindern, aber dafür müssen andere Quellen eröffnet werden  ! Dass stets die Stadtgemeinde allein bluten soll, das geht nicht an.«15 Mit Ausnahme des politisch stets umstrittenen Kulturkapitels wurden alle Kapitel des Budgets 1929 einstimmig beschlossen. Die sensible Festspielfrage hatte man allerdings ausgeklammert, sie sollte wenige Tage später in einer eigenen Sitzung behandelt werden. Die Zeit drängte, denn die Festspiele hatten Ende Jänner 1929 noch immer kein gesichertes Budget und damit auch kein Programm  ! In dieser angespannten Situation entschloss sich die Kommission des Fremdenverkehrsförderungsfonds mit der Begründung, dass die Abhaltung der Festspiele für Stadt und Land von größter Bedeutung sei, zu einem Schritt, der ihre frühere Erklärung aufhob – Subventionen in Hinkunft nur mehr im gleichen Ausmaß wie die Stadt Salzburg zu gewähren, was die Durchführung der Festspiele unmöglich gemacht hätte, wie Präsident Puthon in einem Brief an Landeshauptmann Rehrl entsetzt feststellte. Wenngleich sich aktenmäßig keine direkte Intervention Rehrls nachweisen lässt, so ist die Annahme durchaus berechtigt, dass er auf informativem Wege massiv in Richtung einer Revision des Beschlusses intervenierte. Am 28. Jänner 1929 fasste die Kommission mit dem Hinweis, »die Festspiele 1929 in diesem vorgerückten Zeitpunkte nicht unmöglich zu machen«, einen vier Punkte umfassenden Beschluss  : »1. Der Fremdenverkehrsfonds stellt der Festspielhausgemeinde zur Abhaltung der Festspiele 1929 einen unüberschreitbaren Betrag von 100.000 Schilling zur Verfügung. 2. Sie erklärt ausdrücklich, dass sie über diesen Betrag hinaus unter gar keinen Umständen und unter keinerlei Titeln einen weiteren Betrag für das Jahr 1929 leisten könnte. 3. Voraussetzung für diese Zusage ist, dass die Festspielhausgemeinde Salzburg in ihrem Budget 1929 mindestens 40.000 Schilling als Reserve einkalkuliert, die un15 Salzburger Wacht, 29. 1. 1929. S. 2  ; vgl. dazu auch Salzburger Chronik, 29, 1. 1929. S. 3.

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bedingt nur zum Ausgleiche eines Ausfalles in den präliminierten Einnahmen verwendet werden darf. Darüber werden die Vertreter des Fonds im Aufsichtsrate der Festspielhausgemeinde zu wachen und im Falle der Nichteinhaltung aus dem Aufsichtsrate der Festspielhausgemeinde auszutreten haben, worauf alle weiteren Zuwendungen eingestellt werden würden. 4. Für das Jahr 1930 kommt jedoch die Fondskommission auf ihren Beschluss vom 19. Juni 1928 zurück, wonach eine Subvention für die Festspiele nur insoweit zugesichert werden kann, als die Stadt Salzburg oder andere Faktoren einen gleich hohen Betrag sicherstellen, da der Fonds bereits mit Verpflichtungen von rund 600.000 Schilling für Bankschulden aus der Festspielhausangelegenheit belastet ist.«16 Mit dem Subventionsbeschluss der Kommission geriet der Salzburger Gemeinderat, vor allem die sozialdemokratische Fraktion, unter Zugzwang. Am 30. Jänner trat der Gemeinderat zur entscheidenden Sitzung zusammen, zu deren Beginn Bürgermeister Ott den Amtsbericht zur Verlesung brachte, in dem festgestellt wurde, dass die Stadtgemeinde bereit sei, der Festspielhausgemeinde nicht nur das Stadttheater im Monat August unentgeltlich zu überlassen und den Entfall der Theatergesellschaft mit 25.000 Schilling abzugelten, sondern auch eine Direktsubvention in der Höhe von 12.000 Schilling, d. h. die Überweisung der Gastwirtegenossenschaft, zu gewähren unter der Bedingung, dass auch das Land Salzburg eine Subvention in gleicher Höhe gewähre. Dem Gemeinderat lag ein entsprechendes Schreiben der Landesregierung vor. Die Klubobmänner aller Landtagsfraktionen hatten am Vortag ihre Zustimmung zu einer entsprechenden Landessubvention gegeben. Es war wiederum an Josef Witternigg, die Zustimmung der Sozialdemokratie zu dieser Subvention zu begründen. »Vor wenigen Tagen haben wir hier bei der Budgetdebatte gesehen, dass unsere finanziellen Verhältnisse sehr eng und unsere Einnahmen sehr beschränkt sind und dass wir uns keine Auslagen leisten können. In der heutigen Sitzung soll nun der Gemeinderat beschließen, ob wir in der Lage sind, der Festspielhausgemeinde den Restbetrag zur Subvention im Ausmaß von 12.000 Schilling zu bewilligen und dadurch die Festspiele für 1929 zu ermöglichen. Wir haben vorerst alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Mittel anderwärts aufzutreiben. Wir haben vom Land die Erhöhung der Fremdenzimmerabgabe auf ihre ursprüngliche Höhe verlangt, es wurde uns aber geantwortet, dass dies unmöglich sei, da man in allen Ländern mit diesem Gesetz abbaue. Die Stadtgemeinde ist der Hauptinteressent an den Festspielen und muss daher selbst für die Lasten aufkommen. Dieselbe Landesregierung also, die uns Vorwürfe gemacht hat, dass wir hier eine leichtfertige Gebarung hätten, zwingt uns zu neuen Ausgaben. Nun hat auf unsere Forderung hin die Gastwirtegenossenschaft erklärt, der Stadtgemeinde einen Betrag von 12.000 Schilling zu geben. Eben diesen Betrag verlangt nun die 16 Salzburger Chronik, 29. 1. 1929. S. 4.

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Festspielhausgemeinde von uns als Refundierung. Ich habe dem Bürgermeister Ott den Rat gegeben, an die (…) Landesregierung heranzutreten und vom Lande eine Subvention in der gleichen Höhe zu verlangen. Er ist diesem Rat gefolgt und es ist ihm tatsächlich gelungen, die Subvention zu erreichen. Wir können daher nicht anders, als der Festspielhausgemeinde die restliche Subvention im Betrage von 12.000 Schilling zu bewilligen, um nicht von dem Vorwurf getroffen zu werden, dass wir Sozialdemokraten die Ursache seien, dass heuer die Festspiele nicht stattfinden können. Bei dieser Gelegenheit müssen wir aber unbedingt verlangen, dass die Festspielhausgemeinde reformiert wird. Die Herren, die jetzt in dem Kuratorium sitzen, sind durchaus ehrenwert, aber es steht niemand hinter ihnen, der die Verantwortung trägt.« Witternigg erhob die Forderung, das Mozarteum, das Stadttheater und die Festspielhausgemeinde »in ein einheitliches Unternehmen« umzugestalten, »das geeignet ist, die Tradition dieser Stadt, deren großer Sohn Mozart ist, zu pflegen«. Die Festspiele können nicht ohne entsprechende Bundeshilfe durchgeführt werden, weshalb er an die bürgerlichen Mehrheitsparteien appellierte, »bei ihren Vertretern im Nationalrat alles daranzusetzen, um eine Subvention zu erlangen«.17 Beide Forderungen Witterniggs stießen in Salzburg auf offene Türen, entsprachen sie doch auch der Auffassung von Christlichsozialen und Großdeutschen. Konsens herrschte in der Überzeugung, dass ohne öffentliche Subventionen die Festspiele nicht durchführbar waren, wobei vor allem auch der Bund als nicht unerheblicher finanzieller Nutznießer seinen Beitrag zu leisten hatte. Konsens herrschte auch darüber, dass im Interesse einer effektiveren Führung der Festspiele eine Reorganisation der Organisationsstruktur der Festspielhausgemeinde erforderlich war. Die allgemein als notwendig betrachtete finanzielle Beteiligung des Bundes war seit Jahren Gegenstand von – weitgehend ergebnislosen – Verhandlungen. Der Bund zeigte vor allem aufgrund der von ihm verfolgten Sparpolitik und Budgetdisziplin wenig Neigung, erhebliche finanzielle Zuschüsse für die Salzburger Festspiele zu leisten, zumal sich in informierten Kreisen Beunruhigung über Krisenzeichen bei der Boden-Credit-Anstalt, der zweitgrößten Bank Österreichs, breitmachte. Der Generaldirektor der Notenbank, Viktor Brauneis, registrierte ab Oktober 1928 mit zunehmender Besorgnis die drohende Überspannung des Obligos der Boden-Credit-Anstalt bei der Nationalbank. Wie weit die Angst vor einer neuerlichen Bankenkrise, die auch die Finanzlage des Bundes in erhebliche Mitleidenschaft ziehen musste, die Regierungspolitik im Frühjahr 1929 beeinflusste, lässt sich nicht mit Sicherheit nachweisen. Dass es in der bürgerlichen Öffentlichkeit Wiens hinter vorgehaltener Hand Zweifel an der Bonität der Boden-Credit-Anstalt gab, wird aus dem Umstand deutlich, dass Arthur Schnitzler seine Kassenscheine Ende Juli 1929 von der Boden-Credit-Anstalt 17 Die Salzburger Festspiele gesichert. – In  : Salzburger Wacht, 31. 1. 1929. S. 1f.

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auf die Credit-Anstalt transferierte und auch in seinem Tagebuch entsprechende Gerüchte notierte.18 Trotz dieser keineswegs günstigen Rahmenbedingungen gelang es Rehrl in direkten Verhandlungen mit Bundeskanzler Ignaz Seipel und Unterrichtsminister Richard Schmitz, die Zusage einer Bundessubvention für das Jahr 1929 in der Höhe von 10.000 Schilling und einer höheren, allerdings nicht genau definierten Summe – es waren schließlich 35.000 Schilling – für das kommende Zehn-JahresJubiläum zu erreichen. Hinter den Kulissen hatte der Salzburger Landeshauptmann damit einen Erfolg von erheblicher Folgewirkung erzielt. Wenngleich der Bund für die relativ bescheidene Subventionshöhe einen Sitz im Aufsichtsrat forderte, den Rehrl zusagte, so erfolgte mit der Zusage der Bundessubvention und deren deutlicher Erhöhung im Jahr 1930 eine Bindung des Bundes an die Salzburger Festspiele, die damit auch offiziell zu einer Kulturinstitution von gesamtstaatlichem Interesse wurden. Unter dieser Prämisse konnte sich der Bund einer dauernden finanziellen Beteiligung nicht mehr verweigern, ein Umstand, der in der Krisenzeit der TausendMark-Sperre von zentraler Bedeutung werden sollte. Die finanzielle Basis der Festspiele 1929 war mit der Zusage des Bundes endgültig gesichert und die Planungen sowie die entsprechende Werbung konnten, wenn auch reichlich spät, beginnen. Aufgrund der negativen Erfahrung des Jahres 1928 war man bemüht, durch besonders sorgfältige Kalkulation ein neuerliches Defizit zu verhindern. Dabei bedeutete die Ankündigung Reinhardts, im Festspielsommer nur für die Wiederaufnahme des »Jedermann« verantwortlich zu zeichnen, ein erhebliches Einsparungspotenzial, da die aufwändigen Großinszenierungen Reinhardts wie Vollmoellers »Mirakel« und »Turandot« oder Shakespeares »Sommernachtstraum« erhebliche Kosten verursacht hatten. Auf die Benützung des Stadttheaters wurde verzichtet, und alle drei Opern – Mozarts »Don Giovanni«, Beethovens »Fidelio« und Strauss’ »Der Rosenkavalier« – wurden im Festspielhaus gespielt, dessen Kapazität erheblich größer war und damit das Einspielergebnis deutlich verbesserte. Clemens Krauss, der designierte Nachfolger von Franz Schalk als Wiener Staatsoperndirektor und Lieblingsdirigent von Richard Strauss, dirigierte nach dem Jahr 1926 (»Ariadne auf Naxos«) mit dem »Rosenkavalier« wiederum eine Strauss-Oper, dessen Opern nunmehr neben jenen von Mozart zu einem festen Bestandteil des Programms der Festspiele wurden. Krauss wurde bis 1934 zur bestimmenden Dirigentenpersönlichkeit, die nur in Bruno Walter einen echten Antipoden hatte. Beide waren einander in aufrichtiger Abneigung zugetan, und es erforderte erhebliches Geschick der Festspielleitung, einen offenen Konflikt zu vermeiden. Die Konzentration auf die Musik hatte zudem den Vorteil, dass sie vor allem das internationale Publikum stärker anzusprechen vermochte als eine starke Präsenz des Sprechtheaters, das zudem, abge18 Roman Sandgruber  : Rothschild. Glanz und Untergang des Wiener Welthauses. – Wien/Graz/Klagenfurt 2018. S. 413.

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sehen vom »Jedermann« auf dem Domplatz, durch das in seiner Kapazität begrenzte Stadttheater Defizite verursachen musste. Unabhängig von der Ankündigung Reinhardts, im Festspielsommer nur für die Wiederaufnahme des »Jedermann« zur Verfügung zu stehen, stellt sich die Frage, ob er in diesem Sommer zu schöpferischen und phantasievollen Inszenierungen in der Lage gewesen wäre. Es war, wie er an einen Mitarbeiter schrieb, ein »todtrauriger Sommer«. Es sei dunkel um ihn, er sehe »keinen Weg« und müsse »abwarten, wie es weitergeht«.19 Im Juli dieses Sommers verlor er zwei zentrale Persönlichkeiten seines Lebens  : Hugo von Hofmannsthal, der am 15. Juli einem Schlaganfall erlag und dessen Begräbnis am 18. Juli stattfand. An diesem Tag starb Reinhardts herzkranker Bruder Edmund. »Dieser Bruder war für Reinhardt viel, viel mehr als ein Verwandter  – er war Reinhardts einziger Freund. Ich habe Reinhardt, als es mit Edmund gesundheitlich schon sehr schlecht stand, einmal schluchzend über einem Tisch gefunden – er betete für seinen Bruder.«20 Gusti Adler berichtet, dass »der Schmerz um Edmund … eine offene Wunde« geblieben sei, »bis zuletzt. Max Reinhardt fuhr am 23. Juli nach Leopoldskron. Viele Stunden verbrachte er im Garten Edmunds, dessen Asche dort unter den alten Bäumen verstreut worden war. Von diesem Zwiegespräch – denn das war es – kehrte Max Reinhardt noch schweigsamer als sonst, mit fahlem Gesicht zu den wenigen zurück, die diesen düstersten aller Festspielsommer damals in Leopoldskron mit ihm teilten«.21 Der Festspielsommer 1929 wurde am 4. August mit dem das Menuett aus Mozarts »Don Giovanni« läutenden Glockenspiel und einer Max Reinhardt und dem toten Hugo von Hofmannsthal gewidmeten Rede von Franz Karl Ginzkey über das Wesen und die Bedeutung der Festspiele eröffnet. »Die Gründung erfolgte seinerzeit aus rein idealen Motiven und es muss auch heute noch betont werden, dass die gleichen idealen Beweggründe noch immer wirksam sind und es auch bleiben müssen. Erwägungen geschäftlicher Natur, so nötig sie an sich sein mögen, können hier niemals an erste Stelle gesetzt werden. Das als zugkräftig Erprobte kann hier nur herbeigezogen werden, insofern ihm hoher Kunstwert innewohnt. Größe des Kunstwerkes und materieller Erfolg aber decken sich nur in Ausnahmefällen, das beweist die Geschichte der Kunst seit Jahrhunderten. Was daher gefordert werden muss, von den Mitbürgern sowohl als den Besuchern, ist der Glaube an ein reines und hochsinniges Wollen und was sie in die Hallen des Festspielhauses mitzubringen haben ist die Erkenntnis, dass wir Menschen von heute es nötiger haben als je, an die reinigende Kraft einer ungeschäftlichen, weil doch noch gottgeborenen Kunst zu glauben.«22 19 Thimig-Reinhardt  : Wie Max Reinhardt lebte. S. 235. 20 Ebda. 21 Adler  : … aber vergessen Sie nicht die chinesischen Nachtigallen. S. 229f. 22 Salzburger Chronik, 5. 8. 1929. S. 4.

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In den späten Nachmittagsstunden sprach Helene Thimig vor der »Jedermann«Vorstellung auf dem Domplatz die von Richard Billinger dem Gedenken an Hugo von Hofmannsthal verfassten Verse  :23 Der dies Spiel Euch hat gefunden, in des Dichters Wort gebunden, musste, um vorm Herrn zu beten in die Himmelstür eintreten, in dem Totenhemde fliegen (…) Loben wollen wir den Geist Der der Seele Flamme preist In dem Spiel vom Jedermann. Tretet in den Todes Bann  ! Der dies Spiel Euch neu ersonnen, wollt ihm, ohne eitles Klagen, Dank der Tiefbeschenkten sagen  !

War für Reinhardt der Festspielsommer 1929 von persönlicher Düsternis gekennzeichnet, so wurde er für die Leitung der Festspiele aufgrund einer vorsichtigeren Planung und des erheblichen Zustroms eines vor allem auch internationalen Publikums endlich zum ersehnten finanziellen Erfolg. Die präliminierten Ausgaben wurden nicht überschritten und die Reserve von 40.000 Schilling musste nicht in Anspruch genommen werden. Die norwegische Schriftstellerin Barbara Ring berichtete für die Osloer »Aftenposten« aus der sommerlichen Festspielstadt als von einem Treffpunkt der internationalen High Society  : »Vanderbildts, Rothschilds, Lady Astor, Prinzen und Fürsten aus aller Herren Länder – Namen, die in der Kunst und in der Politik strahlen –, glänzend lackierte Autos, Brillanten und Toiletten, dröhnende Glockenschläge von vielen Kirchen herab, leichte, zarte Mozart-Orgelklänge von der ›Hohen Salzburg‹ herunterrollend, Farben, Schönheit und Freude in allen Sprachen lautwerdend – das ist Salzburg zur Zeit der Festspiele. (…) Die Hotels, Terrassen und Gärten sind von elegantem Publikum überfüllt, Lärm, Geschrei, fortwährendes Auf- und Abfluten  ! Europa wird hier vertreten, zum größten Teil über Amerika. Jedoch auch die Besucherzahl aus dem hohen Norden erreicht heuer seine stattlichen fünfundzwanzig Prozent. Salzburg ist für die Dauer eines Monats in eine Weltstadt verwandelt. Trotzdem ist die Stadt stark genug, ihre Eigenart und ihren ureigensten Reiz unverletzt zu bewahren. (…)

23 Ebda.; Salzburger Wacht, 5. 8. 1929. S .4.

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Die ganze Welt rauscht und braust durch die sonst so stillen und vornehmen Gassen und die Dollars strömen über Stadt und Land hinaus, das ziemlich unabhängig von anderen, von seinem außerordentlich tüchtigen Landeshauptmann Dr. Rehrl regiert wird. Seit er die Leitung innehat, steht Salzburg als einziges jener Länder da, das im kleinen zerrissenen Staate eines der finanziell bestbestellten ist. Man merkt deutlich von Jahr zu Jahr, wie alles vorwärtsgeht. Und nun naht der September – der herrlichste Monat hier unten – rot und golden, die graue Festung wie eine Krone auf all den Kirchtürmen und Türmlein schwebend, mit saphirblau verdämmernden Bergen, die auf allen Seiten die zierliche, feine, alte Stadt umkrönen und mit durchsichtig glasklarer Luft. Und Salzburg tut einen tiefen Atemzug und findet nach all dem Rummel zu sich selbst zurück. Die Fremden sind fort, aber ihre Gelder bleiben und schaffen neue Bequemlichkeit, mehr Gesundheit, Schönheit und Leben – und neuen Fremdenbesuch. So geht es von Jahr zu Jahr stetig weiter.«24 In dem vom sommerlichen Festspieltourismus nunmehr wiederum weitgehend befreiten Salzburg waren sich alle handelnden Personen trotz des erfolgreichen Verlaufs der Festspiele und der positiven finanziellen Bilanz darin einig, dass eine Organisationsreform der Festspielhausgemeinde erforderlich sei und nunmehr auch umgehend durchgeführt werden musste. Angesichts der ständigen Finanzierungsprobleme bestand seitens der Festspielhausgemeinde der Wunsch nach einer gesicherten jährlichen Subvention in der Höhe von 200.000 Schilling durch Bund, Stadt und Land Salzburg sowie den Fremdenverkehrsförderungsfonds. Die so Angesprochenen erklärten sich zu entsprechenden Verhandlungen unter der Bedingung bereit, dass sie als Geldgeber künftig auch Einfluss auf die Festspiele nehmen sowie die finanzielle Kontrolle ausüben können und die bisher allgemein beklagte Schwerfälligkeit des administrativen Apparats beseitigt werde. Die Verhandlungen zwischen der Festspielhausgemeinde und den erwünschten Geldgebern kamen zu einem positiven Ergebnis, das in Form einer Statutenänderung der Festspielhausgemeinde seinen Niederschlag finden sollte. Am 8. Oktober 1929 wurde daher auf der Generalversammlung der Festspielhausgemeinde im Wiener Saal des Mozarteums der schließlich einstimmig angenommene Antrag auf eine Satzungsänderung eingebracht. Der Verein Salzburger Festspielhausgemeinde blieb nach wie vor Veranstalter der Festspiele, bediente sich jedoch zu deren Durchführung eines Kunstrates, eines Aufsichtsrates, einer Direktion und eines Büros. Der Kunstrat bestand aus höchstens 15 Personen – sofort nominiert wurden der Generalintendant der Bayerischen Staatstheater, Clemens Freiherr von Franckenstein, Friedrich Gehmacher, Franz Karl Ginzkey, Clemens Krauss, Max Mell, Joseph 24 Barbra Ring  : Salzburg und seine Festspiele. – In  : Salzburger Chronik, 13. 9. 1929. S. 2f.

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Messner, Bernhard Paumgartner und Bruno Walter. Der Kunstrat hatte die Aufgabe der künstlerischen Führung und bestimmte im Einvernehmen mit der Direktion das Programm der Festspiele. Seine Mitglieder wurden über Vorschlag des bestehenden Kunstrates von der Generalversammlung des Vereins Festspielhausgemeinde gewählt. Der vor allem für die Finanzgebarung zuständige Aufsichtsrat setzte sich aus je einem Vertreter des Bundes, des Landes, der Stadtgemeinde und der Kommission des Fremdenverkehrsförderungsfonds sowie zwei von der Generalversammlung des Vereins der Salzburger Festspielhausgemeinde gewählten Mitgliedern (Bauernfeind und Sattleder) zusammen. Er wählte den Präsidenten und einen ehrenamtlichen Finanzreferenten und bestellte den Leiter (Direktor) der Festspiele. Die Direktion bestand aus drei Mitgliedern  : dem Präsidenten (wie bisher Baron Puthon), der den Verein nach außen vertrat und die allgemeine Geschäftsführung innehatte, dem Finanzreferenten (Ludwig Sattleder) und dem Leiter/Direktor (bisher Generalsekretär) der Festspiele (Erwin Kerber). Zwei von der Generalversammlung gewählte Mitglieder (Gehmacher und Reitter) standen dem Direktorium beratend zur Seite.25 Sowohl die Statutenreform, die auch ein stärkeres Mitspracherecht des Bundes vor allem bei dem für die Finanzgebarung zuständigen Aufsichtsrat beinhaltete, wie auch die Finanzierungszusage des Bundes von jährlich 50.000 Schilling hatte ein subtiles politisches Vor- und heftiges mediales Nachspielspiel. Die Bundesbahnen waren mit Blick auf den extrem hohen Personalstand von rund 70.000 Beschäftigten und ihr Defizit seit Monaten angesichts der budgetären Probleme des Bundes und des im Herbst 1929 auslaufenden Vertrages des Präsidenten der Verwaltungskommission, Georg Günther, und des Generaldirektors Rudolf Foest-Monshoff im März 1930 Gegenstand einer Diskussion über eine notwendige Verwaltungsreform. Mit dieser verband der christlichsoziale Parteiobmann und Vize­kanzler Carl Vaugoin auch die Absicht, eine starke sozialdemokratische Machtposition schrittweise zu beseitigen. Als Daniel in der Löwengrube war auf Empfehlung des steirischen Landeshauptmanns, Anton Rintelen, der Generaldirektor der Grazer Tramwaygesellschaft, Franz Georg Strafella, ausersehen, der 1928 einen Streik der Grazer Straßenbahner durch den Einsatz von Streikbrechern des christlichsozialen Wehrbundes beendet hatte. Am 13. Mai 1930 berichtete die »ArbeiterZeitung«, dass der Parteiobmann der Christlichsozialen Partei, Carl Vaugoin, deshalb auf der Wahl des Grazer Straßenbahndirektors und Vizebürgermeisters, Franz Georg Strafella, bestehe, weil die Bundesbahnen seit der Zeit von Generaldirektor Josef Maschat (1924 bis 1928) über »einen n i c h t k o n t r o l l i e r t e n G e h e i m 25 Salzburger Volksblatt, 9. 10. 1929. S. 7  ; Salzburger Chronik, 9. 10. 1929. S. 4f.

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f o n d s , das sogenannte Conto separato« verfügten, das sich aus Schwarzgeldzahlungen von (vor allem Kohle-)Lieferanten speiste. Dieses »Conto separato« diente für außertourliche Zahlungen an Eisenbahnfunktionäre der Christlichsozialen Partei und des deutschnationalen Eisenbahnbeamtenvereins. Angesichts der herannahenden Nationalratswahl sollte es auch zur Wahlkampffinanzierung der Christlichsozialen Partei dienen. Strafella sei ein treuer Gefolgsmann der Heimwehr, der Christlichsozialen und des steirischen Landeshauptmanns Anton Rintelen und darüber hinaus noch Besitzer zahlreicher Lokalbahnaktien, weshalb im Fall seiner Bestellung zum Generaldirektor der Bundesbahnen eine berufliche Unvereinbarkeit bestehe.26 Zudem warf ihm die »Arbeiter-Zeitung« dubiose Spekulationsgeschäfte während der Inflationszeit vor. Strafella verklagte den verantwortlichen AZ-Redakteur Oscar Pollak wegen Ehrenbeleidigung. Über die Klage sollte in einem Gerichtsverfahren im September 1930 entschieden werden. Das Gericht verurteilte zwar die »Arbeiter-Zeitung« in mehreren Punkten, sah jedoch die von der Zeitung erhobenen Vorwürfe der »Unkorrektheit« und »Unsauberkeit« als erwiesen an. Strafella legte Berufung gegen das Urteil ein und Vaugoin bestand weiter auf seiner Ernennung zum Generaldirektor. Als Bundeskanzler Schober dies mit Hinweis auf das laufende Berufungsverfahren verweigerte, demissionierte Vaugoin als Vizekanzler und löste damit die Gesamtdemission der Bundesregierung aus. Bundeskanzler Miklas ernannte schweren Herzens Vaugoin zum neuen Bundeskanzler, der an die Spitze eines kurzlebigen Kabinetts trat, in dessen Amtszeit jedoch die Ernennung von Engelbert Dollfuß zum Präsidenten der Verwaltungskommission und von Strafella zum Generaldirektor der Bundesbahnen erfolgte. Als am 20. Mai 1931 ein Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil im Fall Strafella bestätigte und daraufhin eine parlamentarische Mehrheit die Abberufung Strafella als Generaldirektor der Bundesbahnen forderte, sah sich die Christlichsoziale Partei in der Defensive und stimmte dessen Abberufung zu.27 Im Zuge des Verfahrens Franz Georg Strafella gegen Oscar Pollak/Arbeiter-Zeitung stellte sich heraus, dass die Bundesbahnen nicht, wie von der »Arbeiter-Zeitung« berichtet, über einen, sondern insgesamt über vier Geheimfonds verfügten, auf die zwischen 1925 und 1930 1,15 Millionen Schilling eingingen und über deren Gestion nur die zwischenzeitlichen Generaldirektoren Josef Maschat und Rudolf Foest-Monshoff sowie der Präsident der Verwaltungskommission, Georg Günther, 26 Warum Strafella Generaldirektor der Bundesbahnen werden soll. – In  : AZ, 13. 5. 1930. S. 1  ; Herr Strafella ist unmöglich  ! – In  : AZ, 15. 5. 1930. S. 1f 27 Zum Fall Strafella vgl. Walter Goldinger  : Geschichte der Republik Österreich. – Wien 1962. S. 152ff.; Lothar Höbelt  : Die Erste Republik Österreich (1918–1938). Das Provisorium. – Wien/Köln/Weimar 2018. S. 222ff. (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 64).

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verfügten. Bei der Aufschlüsselung der Verwendung der eingelangten Gelder wurde auch bekannt, dass die Salzburger Festspiele von Generaldirektor Foest-Monshoff eine Subvention in der Höhe von 40.000 Schilling erhalten hatten. Im Zuge des von Strafella gegen die »Arbeiter-Zeitung« angeregten Ehrenbeleidigungsprozesses, des breiten Medienechos über den »Fall Strafella« und die politischen Implikationen des »Conto separato« der Bundesbahnen erfolgte im Juni 1930 eine Novelle des Rechnungshofgesetzes, nach der nunmehr der Rechnungshof auch für die Prüfung des Jahresabschlusses und der Gebarung der Bundesbahnen zuständig wurde. Eine baldige entsprechende Prüfung war daher, der politischen Logik und dem öffentlichen Druck folgend, zu erwarten, weshalb sich Unterrichtsminister Emmerich Czermak am 23. Dezember 1930 zu einem ausführlichen Brief an den Rechnungshof veranlasst sah, in dem er die Gründe für die komplexe Förderkonstruktion der Zuwendungen der Bundesbahnen für die Salzburger Festspiele über den Umweg des Unterrichtsministeriums erörterte. Aufgrund der den Fortbestand der Salzburger Festspiele gefährdenden finanziellen Unsicherheiten der Jahre 1928 und 1929 habe es das Bundesministerium für Unterricht als seine Aufgabe gesehen, zusammen mit dem Land Salzburg, der Stadt Salzburg und dem Salzburger Fremdenverkehrsfonds für eine Sicherung der Finanzierung der Festspiele zu sorgen. Die vier Institutionen hätten sich auf einen solchen Schritt geeinigt, jedoch im Gegenzug auch »eine entsprechende Einflussnahme auf die Geschäftsgebarung der Festspielhausgemeinde« gefordert. Auf der Basis dieser Einigung galt es nunmehr, den jährlichen Beitrag des Bundes in der Höhe von 50.000 Schilling zu sichern. »Nach dem damaligen Stand der Verhandlungen des Bundesministeriums für Unterricht mit dem Bundesministerium für Finanzen war zu befürchten, dass damals nicht einmal für das laufende Jahr 1929 der Bund in der Lage sein würde, einen gleich hohen Betrag wie die anderen öffentlichen Faktoren aufzubringen«. Dadurch sei der Bund Gefahr gelaufen, den Festspielen lediglich geringere Zuwendungen als die anderen drei Institutionen zukommen zu lassen und damit »keinerlei Einfluss auf eine ökonomische Geschäftsgebarung und auf Wahrung des künstlerischen Niveaus nehmen« zu können. »In dieser Situation kam die Bereitwilligkeit des Generaldirektors der Bundesbahnen, einen Betrag von 15.000 Schilling zugunsten der Salzburger Festspiele 1929 zuhanden des Bundes zur Verfügung zu stellen, sehr gelegen.« Der Spender habe das Bundesministerium gebeten, diesen Vorgang geheim zu halten, um eine zu befürchtende Vielzahl von Subventionsansuchen zu vermeiden. Das Ministerium habe sich mit diesem Vorgang einverstanden erklärt, und die Bundesbahnen hätten im Februar 1929 den Betrag von 15.000 Schilling überwiesen. Im Juni 1929 hätten sich die Bundesbahnen in einem Schreiben an das Bundesministerium für Unterricht ferner bereit erklärt, in den nächsten fünf Jahren jeweils einen Betrag von 25.000 Schilling für die Salzburger Festspiele zur Verfügung zu stellen. Dieser Betrag sollte direkt an das Bundesministerium für Unterricht gehen. Seitens des Bundesministeriums habe man sich mit

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diesem Anerbieten einverstanden erklärt, und Anfang 1930 sei die erste Tranche in der Höhe von 25.000 Schilling überwiesen worden. Das Bundesministerium für Unterricht verfüge somit über einen Betrag von 40.000 Schilling, der als Reservefonds für finanzielle Schwierigkeiten der Festspiele diene.28 Sowohl die Salzburger Festspielhausgemeinde wie auch Landeshauptmann Rehrl hatten von diesen internen Vorgängen keine Kenntnis, da die Gelder der Bundesbahnen in den Finanzkreis des Bundesministeriums für Unterricht flossen und auch von diesem gegenüber Dritten geheim gehalten wurden. In Salzburg war man daher erstaunt, aus Pressemeldungen zu erfahren, dass die Bundesbahnen über den Umweg des Bundesministeriums für Unterricht den Festspielen 40.000 Schilling zur Verfügung gestellt hätten. Am 2. März 1931 schrieb daher Rehrl an den Präsidenten des Rechnungshofes, Max Wladimir Beck, dass alle ihm vorliegenden Subventionsdaten darauf hindeuten, dass die Bundessubventionen ausschließlich durch das Bundesministerium für Unterricht erfolgten und man keine Kenntnis von Geldern aus einem besonderen Fonds der Bundesbahnen habe. Dieser Vorgang, von dem weder die Festspielhausgemeinde noch er Kenntnis gehabt hätten, habe in der Zwischenzeit zu verschiedenen Interpellationen geführt, »die mit allem Nachdruck die restlose Klärung der Sachlage« verlangten. Er könne jedoch aus der Kenntnis der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen »keine Aufklärung geben«, glaube aber, dass es dem Präsidenten des Rechnungshofes »möglich wäre, sich Einblick in die wirklichen Verhältnisse zu verschaffen«. Dies sei keineswegs als Misstrauen gegen das Bundesministerium für Unterricht zu verstehen, sondern allein als ein Bemühen »um die Feststellung der Tatsachen«.29 Am 23. März 1931 fand eine interministerielle Besprechung zu diesem Thema statt, die zu dem Ergebnis kam, dass die bereits von den Bundesbahnen bezahlten 40.000 Schilling, die seitens des Unterrichtsministeriums nur treuhänderisch für die Festspiele (allerdings ohne deren Wissen) auf einem eigens eröffneten Einlagebuch verwaltet wurden, widmungsgemäß für die Salzburger Festspiele über den Umweg des Bundesbudgets zu verwenden seien. Auf die Bundesbahnen sollte jedoch angesichts der politischen Brisanz und der breiten medialen Berichterstattung in Richtung eines Verzichts auf die für die Jahre 1931 bis 1934 zugesagten weiteren jährlichen Dotationen in der Höhe von jeweils 25.000 Schilling eingewirkt werden. Am 27. März informierte Rechnungshofpräsident Beck Landeshauptmann Rehrl, dass die Bundesbahnen dem Bundesministerium für Unterricht 40.000 Schilling zur För28 Zit. bei Hans Kollmann  : Jedermanns Prüfer. Die Salzburger Festspiele und der Rechnungshof. – Wien/Köln/Weimar 2020. S. 25ff. (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 74). 29 Zit. bei Kollmann  : Jedermanns Prüfer. S. 28f.

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derung der Salzburger Festspiele zur Verfügung gestellt hätten, jedoch sei seitens der Bundesbahnen in Anbetracht ihrer finanziellen Situation mit weiteren Beträgen nicht zu rechnen.30 Die von den Bundesbahnen dem Bundesministerium für Unterricht bereits zur Verfügung gestellten 40.000 Schilling wurden schließlich 1932 in einer ersten Tranche in der Höhe von 35.000 Schilling und 1933 in einer zweiten Tranche in der Höhe von 5.000 Schilling den Salzburger Festspielen 1932 überwiesen. Die Salzburger Festspielhausgemeinde ließ daher vor Überweisung der ersten Tranche in einer offiziellen Mitteilung verlautbaren, dass ihr »nicht der geringste Betrag aus der Widmung der Bundesbahnen zugekommen« sei. »Die Generaldirek­ tion der Bundesbahnen hat nämlich den Betrag nicht unmittelbar der Salzburger Festspielhausgemeinde zugewendet, sondern denselben dem Bundesministerium für Unterricht für Zwecke der Salzburger Festspiele zur Verfügung gestellt.«31 1929 hatte man in Salzburg von diesen Ereignissen hinter den Wiener Kulissen keine Ahnung. Nach der Reorganisation der Festspiele schienen vielmehr alle organisatorischen und finanziellen Probleme der Vergangenheit anzugehören. Dennoch meldete sich wenige Tage nach der erfolgten Statutenänderung der Pressechef der Festspielhausgemeinde, Franz Laval, in einem Artikel in der »Salzburger Chronik« lauthals zu Wort, um auf die Problematik der durch die Diskussion über die notwendige Organisationsreform nicht getroffenen Entscheidungen und damit auch die wiederum eingetretene zeitliche Verzögerung der Werbung für die Festspiele hinzuweisen. Die für organisatorische Veränderungen Verantwortlichen hätten Zeit, aber die Öffentlichkeitsarbeit nicht, zumal die internationale Konkurrenz mit ihrer mehrsprachigen Werbung bereits auf dem Markt sei.32 Tatsächlich war angesichts des bevorstehenden zehnjährigen Jubiläums der Festspiele Tempo angesagt, wollte man nicht gegenüber der internationalen Konkurrenz ins Hintertreffen geraten. Am 28. Oktober fiel daher bereits die Entscheidung über das Programm des bevorstehenden Jubiläums-Festspielsommers.

VI.2 Festspiele im Zeichen der Wirtschaftskrise Die Weichenstellung im Bereich der Salzburger Festspiele erfolgte im Schatten einer sich verschärfenden innenpolitischen Situation, die durch eine deutliche Zunahme der Opfer politisch motivierter Gewalt (sieht man vom Jahr 1927 mit den Ereignissen um den Brand des Justizpalastes ab, so schwankte zwischen 1921 und 1928 die Zahl der Opfer politischer Gewalt zwischen 2 und 22) auf 77 und kursierende 30 Ebda. S. 31. 31 Salzburger Chronik, 5. 4. 1932. S. 7  ; Salzburger Wacht, 5. 4. 1932. S. 4. 32 Franz Laval  : Wieder zu spät  ! – In  : Salzburger Chronik, 13.,10.,1929. S. 4.

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Gerüchte über einen Heimwehrputsch gekennzeichnet waren.33 Hinzu traten die bereits vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise deutlich werdenden Krisenerscheinungen des Wiener Großbankensektors, vor allem der Boden-Credit-Anstalt (BCA), die in der zweiten Septemberhälfte zu vermehrten Abhebungen und zum Abzug in- und ausländischer Kredite führten, wodurch es zu einer stark steigenden Beanspruchung der Notenbank durch Wechseleinreichungen der Wiener Großbanken kam. Durch in- und ausländische Kapitalflucht reduzierte sich zwischen 7. September und 7. Oktober 1929 der Devisenvorrat der Oesterreichischen Nationalbank um 8,5 Prozent.34 Besonders betroffen von den Abhebungen war die durch eine verfehlte Expansionsund Fusionspolitik ihres Gouverneurs Rudolf Sieghart bereits mit erheblichen Problemen kämpfende BCA. Der Bank waren bereits vor dem im Oktober 1929 mit voller Wucht einsetzenden Sturm auf ihre Schalter zwischen Anfang Juli und Ende September durch den Abzug von Einlagen und Kreditkündigungen 51 Millionen Schilling, d. h. 7 Prozent ihrer Fremdmittel entzogen worden. Sie war daher bereits zu diesem Zeitpunkt in einer verzweifelten Lage. Am 1. Oktober informierte Nationalbankpräsident Richard Reisch den sich erst seit 25. September im Amt befindenden Bundeskanzler Johann Schober über den drohenden Zusammenbruch der BCA und dessen Folgen. In den nun einsetzenden und bis zum 7. Oktober andauernden hektischen Verhandlungen zur Rettung der Bank und zur Verhinderung einer drohenden Finanz- und Vertrauenskrise erfolgte schließlich die Fusionierung der BCA mit der CA mit einem Aktien-Schlüssel von 4   : 1 und einer verdeckten Finanzierung der CA durch die Regierung in der Höhe von 15 Millionen Dollar. Am 18. Oktober wurde die Fusion, die in Wirklichkeit eine von der Regierung vermittelte Notmaßnahme war, durch den Nationalrat genehmigt, und Edouard Rothschild schrieb an seinen Wiener Verwandten Louis Rothschild, den Präsidenten und Hauptaktionär der CA, er habe durch seine Entschlossenheit und mutige Haltung Wiens Finanzen gerettet und damit Ereignisse abgewendet, die erhebliche finanzpolitische Folgen für Österreich hätten haben können.35 Eine Woche später erfolgte der New Yorker Börsenkrach, dessen finanz- und wirtschaftspolitische Folgen nicht nur Österreich, sondern die ganze Welt trafen und schließlich die Weltwirtschaftskrise auslösten. Österreich wurde aufgrund strukturel33 Gerhard Botz  : Gewalt in der Politik. Attentate, Zusammenstöße, Putschversuche, Unruhen in Österreich 1918–1938. 2. Aufl. – München 1983. S. 311ff. 34 Zwischen 15. und 30. September 1929 erhöhte sich die Summe der Wechseleinreichungen bei der Oesterreichischen Nationalbank von 232,5 auf 364 Millionen Schilling, wovon die CA mit einer Steigerung von 64,7 auf 118 Millionen Schilling noch vor der Boden-Credit-Anstalt (BCA) mit einer Steigerung von 84,7 auf 121,2 Millionen Schilling rangierte. Im September und Oktober 1929 verloren die Wiener Kreditinstitute rund 10 Prozent ihrer Depositen, bei der BCA sanken die Einlagen im Oktober auf rund 50 Prozent des Vormonats (Weber  : Vor dem großen Krach. S. 365f.). 35 Sandgruber  : Rothschild. S.  416.

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ler Probleme von der Weltwirtschaftskrise besonders hart getroffen. Nicht bewältigte Strukturprobleme infolge der ökonomischen Desintegration des Wirtschaftsraums der ehemaligen Habsburgermonarchie, die Zunahme der Erwerbsbevölkerung um rund 290.000, gestiegene Löhne und Sozialleistungen, denen kein adäquates Produktivitätsäquivalent entsprach, verstärkten die Krise. Wenngleich auch in den USA die Folgen der Krise dramatisch waren, so lag das Sozialprodukt in den USA auch am Höhepunkt der Krise 1933 noch immer um 9 Prozent über dem Niveau der Vorkriegszeit, während es in Österreich um 20 Prozent unter diesem Niveau lag. Im Vergleich zum Jahr 1913 war die Industrieproduktion in den USA 1929 um 81,8 Prozent höher, weltweit um 53,3 Prozent und in Europa um 27,8 Prozent, während sie in Österreich um 2 Prozent geringer war. Bis 1933 sank hier die Industrieproduktion sogar auf 60,9 Prozent des Jahres 1913. Noch dramatischer war der Rückgang des Outputs der für die Beschäftigungslage so wichtigen Bauindustrie, der 1929 um ein Viertel niedriger war als 1913 und 1933 nur mehr ein Drittel des Vorkriegsniveaus erreichte.36 Die Salzburger Wirtschaftsstruktur war am Vorabend der Weltwirtschaftskrise durch einen relativ geringen Industrialisierungsgrad mit einer Konzentration im Salzburger Zentralraum sowie Lend und Mühlbach/Bischofshofen, durch einen starken Anteil des Agrar- und Dienstleistungssektors, die zunehmende Dominanz der Fremdenverkehrswirtschaft, für die die Salzburger Festspiele eine zentrale Rolle als Werbeträger spielten, und eine hohe Exportorientiertheit gekennzeichnet. Bei seinem Bemühen um den Ausbau der Elektrizitätswirtschaft als finanziell äußerst lukratives wirtschaftliches Standbein scheiterte Landeshauptmann Franz Rehrl – trotz der Errichtung kleinerer Kraftwerke durch die SAFE – bei seinem Leuchtturmprojekt, der Errichtung des Tauernkraftwerkes, das aufgrund des massiven Widerstandes der betroffenen Bevölkerung am Vorabend der Weltwirtschaftskrise über das Planungsstadium nicht hinauskam. So gingen bei einer öffentlichen Verhandlung am 21. Juni 1929 in Zell am See die Wogen der Erregung hoch, da man eine massive Schädigung des Fremdenverkehrs während der Bauzeit – eine von 44 Zeller Fremdenbeherbergungsbetrieben unterzeichnete Eingabe bezeichnete das Tauernkraftwerkeprojekt als »Totengräber des Pinzgauer Fremdenverkehres – ebenso befürchtete wie einen irreparablen Eingriff in die Natur und damit eine Zerstörung des Landschaftsbildes. Hinzu trat die ablehnende Haltung gegenüber dem drohenden Zuzug von unkontrollierbaren Arbeitermassen inklusive der damit befürchteten Gefährdung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit.37 36 Roman Sandgruber  : Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart. – Wien 1995. S. 382. 37 Salzburger Volksblatt, 22. 6. 1929. S. 1  ; Salzburger Chronik, 22. 6. 1929. S. 10. Zur ausführlichen Stellungnahme von Landeshauptmann Franz Rehrl zu den Einwänden vgl. Salzburger Chronik, 10. 7. 1929. S.1f.

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Die spezifische Struktur der Salzburger Wirtschaft – hoher Anteil des Dienstleis­ tungssektors (vor allem Fremdenverkehrswirtschaft) sowie die starke Exportorien­ tiertheit – ließ bereits 1929 die Auswirkungen der Wirtschaftskrise durch einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit spürbar werden, die 1933 ihren Höhepunkt erreichte und in den folgenden fünf Jahren bis zum Anschluss, trotz aller Bemühungen um regionale Arbeitsbeschaffungsprogramme wie den Bau der Großglockner Hochalpenstraße oder den Umbau des Festspielhauses, auf einem nur geringfügig niedrigeren Niveau stabilisiert wurde. Bei den offiziellen Zahlen, d. h. den unterstützten Arbeitslosen, ist die Zahl der sogenannten »Ausgesteuerten«, die keine staatliche Unterstützung mehr erhielten, nicht enthalten. Ihre Zahl betrug zwischen 40 und 50 Prozent der unterstützten Arbeitslosen. Am Höhepunkt der Arbeitslosigkeit im Jahr 1933 betrug die Zahl der unterstützten Arbeitslosen in Österreich rund 402.000, inklusive der Ausgesteuerten jedoch rund 600.000, in Salzburg betrug diese Zahl insgesamt rund 19.000 und nicht 13.116, wie sie in der offiziellen Statistik aufscheinen. Unterstützte Arbeitslose im Bundesland Salzburg im Jänner des jeweiligen Jahres  :38 1928

4.757

1929

7.351

1930

8.930

1931

9.729

1932

12.020

1933

13.116

1934

12.639

1935

12.695

1936

11.737

1937

10.940

Dass die hohe Arbeitslosigkeit kaum saisonalen Schwankungen unterworfen war, illustriert das Ausmaß der Krise, die die ganze Wirtschaft erfasste und durch Unterkonsumtion die Abwärtsspirale in Gang setzte.39 Die Zahl der Übernachtungen sank 38 Ernst Hanisch  : Die Erste Republik. – In  : Heinz Dopsch, Hans Spatzenegger (Hg.)  : Geschichte Salzburgs. Stadt und Land. Band II/2. Neuzeit und Zeitgeschichte. – Salzburg 1988. S. 1057–1120. S. 1071. 39 Anfang August 1930 stellte die »Salzburger Chronik« in einem Artikel fest, dass die Produzenten über einen schwierigen Absatz und niedrige Preise, die die Produktion zunehmend unrentabel machten, klagten, während sich die Konsumenten über die stets wachsende Teuerung, die ihre ohnedies bereits angespannte Lebenssituation nochmals verschärfe, empörten. In Salzburg komme noch erschwerend hinzu, dass Brot und Weißgebäck im Vergleich zu Graz um rund 30 Prozent teurer seien und Salzburger Butter um 8 Schilling das Kilo verkauft werde, obwohl der Marktpreis nur 5 bis 6 Schilling betrage.

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nach 1929/30 beträchtlich. Waren in der Saison 1927/28 in der Stadt Salzburg noch 523.718 Übernachtungen zu verzeichnen, davon 217.450 aus dem Deutschen Reich (41,5 Prozent), so sank diese Zahl in der Saison 1931/32 auf 367.108, davon 119.365 aus dem Deutschen Reich (32,5 Prozent). Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen waren beträchtlich. Zahlreiche Fremdenverkehrsbetriebe hatten aufgrund der ständig steigenden Fremdenzahlen und der gestiegenen Ansprüche in den vergangenen Jahren Investitionskredite zur Modernisierung ihrer Betriebe aufgenommen, die sie nun aufgrund der rückläufigen Einnahmen nicht mehr bedienen konnten. Der massive Rückgang der Bautätigkeit – 1933 stellte diese Branche mit 3.781 das weitaus größte Kontingent der unterstützten Arbeitslosen – ergab aufgrund der zentralen Stellung dieses Sektors im Wirtschaftsleben Multiplikatoreffekte in zahlreichen anderen Branchen. Die durch die hohe Arbeitslosigkeit verursachte Unterkonsumtion führte zu einem massiven Auftragsmangel beim produzierenden Gewerbe, dessen Einkommenssituation sich dramatisch verschlechterte. Bereits in Vorfeld der Weltwirtschaftskrise löste der 1928 einsetzende Verfall der Agrar-, Vieh- und Holzpreise krisenhafte Erscheinungen in der Salzburger Landwirtschaft aus, die zu zahlreichen Zwangsversteigerungen überschuldeter bäuerlicher Anwesen führten. 1931 erschütterte der Zusammenbruch der Credit-Anstalt nicht nur die Republik, sondern auch Salzburg, wo auch die Landes-Hypothekenbank Ende 1931 in Schwierigkeiten geriet. Bei der Fusion der BCA mit der CA war die Hoffnung Pate gestanden, dass die als gesund erachtete CA die BCA sanieren könne. Durch die Fusion der beiden Banken erreichte die CA wiederum die Bilanzsumme des Jahres 1914, wobei sich allerdings das Verhältnis von Eigen- zu Fremdmitteln äußerst ungünstig verschoben hatte. Hatte dieses 1913 noch 1   : 4 betragen, so ergab sich nunmehr eine Relation 1   : 11, wobei die Fremdmittel zum Großteil aus kurzfristigen Auslandsgeldern bestanden, die im Jahr 1913 de facto keine Rolle gespielt hatten. Tatsächlich war die Situation der CA bereits bei der erzwungenen Übernahme der BCA keineswegs rosig. Bereits die 1925 erstellte Goldbilanz war »frisiert«, und 1927 betrugen die Verluste bereits die Hälfte des Grundkapitals. Die Bank hatte nach der Übernahme der BCA 370 Unternehmen in ihrem Einflussbereich, davon allein 330 im industriellen Sektor,



Die Ursache für dieses Auseinanderklaffen von sinkenden Produktionspreisen und steigenden – oder zumindest gleichbleibenden – Verbraucherpreisen liege in einem massiven Anstieg der Detail- und Zwischenhändler, deren Zahl dreimal höher sei als vor dem Krieg. Die Ursache für diesen massiven Anstieg, der sich volkswirtschaftlich als Schaden erweise, liege in dem Umstand, dass durch die Abfertigungspolitik im Zuge des Beamten- und Angestelltenabbaus zahlreiche Abgefertigte im Detailhandel eine Erwerbsmöglichkeit sahen. Nur eine deutliche Verminderung des Zwischen- und Detailhandels vor allem im Lebensmittelbereich sei daher in der Lage, die sich immer weiter öffnende Schere zwischen Produktions- und Verbraucherpreisen, die bei anhaltender oder sogar steigender Arbeitslosigkeit zu einer Unterkonsumption führen müsse, zu schließen (Unrentable Produktion, verteuerter Verbrauch. – In  : Salzburger Chronik, 2. 8. 1930.S. 2f.).

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viele davon mit erheblichem Risiko behaftet, wie sich 1930 zeigen sollte, als man gezwungen war, den Mautner Textil-Konzern in Konkurs zu schicken und eigene Industrieaktien zu kaufen. 1930 betrug die Überschuldung der Bank ohne Berücksichtigung der BCA bereits 263 Millionen Schilling. Der drohende Zusammenbruch der Bank im Mai 1931 wurde aufgrund der Höhe der vom westlichen Finanzkapital zur Verfügung gestellten Mittel – Ende 1930 machten diese 34,3 Prozent der Kreditoren aus – nicht nur als nationale Katastrophe, sondern als Krise des internationalen Finanzsystems empfunden. Diese Befürchtung fand wenige Wochen später in dem einsetzenden Drang nach Liquidität und dem damit einhergehenden massenhaften Rückzug von Auslandsguthaben auch aus Deutschland, der die deutsche Bankenkrise auslöste, ihre Bestätigung.40 Die in Österreich einsetzenden Rettungsversuche für die CA, bei denen es auch um die Sicherung des Finanzplatzes Österreich ging, verschlangen Unsummen. Sie kosteten das Haus Rothschild rund 100 Millionen und die Republik eine Milliarde Schilling oder die Hälfte eines Jahresbudgets. Die durch die Krise der CA ausgelöste deutsche Bankenkrise hatte unmittelbare Auswirkungen auf Salzburg. Der bisher dominante deutsche Tourismus erlebte durch das Wirksamwerden der Banken- und Wirtschaftskrise in der Weimarer Republik und die Notstandsmaßnahmen der deutschen Regierung – 100 Mark Ausreisesteuer – einen deutlichen Rückgang, und Landeshauptmann Rehrl, dessen Arzt eine schwere Diabetes diagnostiziert hatte, die ihn in seiner Arbeit beeinträchtigte und der er mit Insulinspritzen begegnete, musste sich im Dezember 1931 als Sanierer der in Schwierigkeiten geratenen Landes-Hypothekenanstalt betätigen. Er sah mit 40 Weber  : Vor dem großen Krach. S. 445. »Der Zusammenbruch der Creditanstalt im Mai 1931 wirkte (…) nur als das letzte Fanal, das den latenten in einen offenen Brandherd verwandelte. Die Creditanstalt war eine der angesehensten Banken Mitteleuropas, die – wie man vermutete – von erfahrenen und bewährten Bankiers geleitet wurde. Konnten ähnliche Missstände wie bei der Wiener Rothschildbank nicht auch in Berlin ans Tageslicht kommen  ? Die internationalen Gläubiger reagierten – aufgeschreckt wie sie nun einmal waren – unmittelbar und vehement auf die ersten Anzeichen von wirtschaftlichen Problemen im Deutschen Reich. Die ersten Hiobsbotschaften erreichten die Öffentlichkeit zur selben Zeit, als die Leitung der Creditanstalt mit ihrem Verlustbekenntnis an die Öffentlichkeit trat  : Der Warenhauskonzern Karstadt befand sich in Schwierigkeiten  ; Ende Mai wurden Verluste des Versicherungskonzerns Nordstern bekannt. (…) In dieser Situation zeigte sich der fatale Mechanismus der kurzfristigen Auslandsverschuldung in voller Schärfe (…)  : Die Kreditkündigungen beraubten nicht bloß die Kommerzbanken ihrer Geschäftsbasis  ; sie entblößten die betroffenen Notenbanken ihrer Währungsreserven, während gleichzeitig der Notenumlauf eine Vermehrung erfuhr. Die Deckungsmittel der Notenbanken stammten zum größten Teil aus ebendiesen Auslandskrediten der Banken. Sie schmolzen in dem Ausmaß dahin, wie das Ausland diese Kredite zurückforderte« (ebda. S. 453f.). Zur deutschen Bankenkrise vgl. Harold James  : Deutschland in der Weltwirtschaftskrise 1924–1936. – Stuttgart 1988. S. 275ff.

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wachsender Beunruhigung die zunehmende Gefährdung der Legitimationsbasis des demokratischen politischen Systems bei einer andauernden hohen Arbeitslosigkeit, die Wasser auf die Mühlen der Heimwehr, ab 1932 aber vor allem der NSDAP war. Die Salzburger Festspiele schienen – zumindest vorläufig – von diesen Turbulenzen unberührt. Der Jubiläums-Festspielsommer 1930 war der erfolgreichste in ihrer bisherigen Geschichte. Rund 60.000 Eintrittskarten wurden verkauft, das entsprach einer Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 18.000. Erstmals in ihrer Geschichte vermochten die Festspiele einen Gewinn zu erwirtschaften. Die Gästeliste verzeichnete eine zahlreiche internationale Prominenz, so Winston Churchill, Ramsay MacDonald, den Führer der britischen Labour Party, den französischen Präsidenten Gaston Doumergue und Arturo Toscanini, der von seinem für Aufsehen sorgenden Bayreuther Engagement einen Kurzbesuch in Salzburg machte. Siegfried und Winifred Wagner hatten ihn gegen heftige Widerstände der Bayreuther Kreise im Herbst 1929 für ein Engagement in Bayreuth zu gewinnen versucht. Er sollte als erster nicht-deutscher Dirigent »Tannhäuser« und »Tristan und Isolde« dirigieren. Toscanini akzeptierte und erklärte, er werde aus Verehrung für Richard Wagner ohne Gage dirigieren. Sein Festspiel-Debüt erfolgte am 22. Juli 1930 mit »Tannhäuser«, einen Tag später mit »Tristan und Isolde«, beide Werke in der Inszenierung von Siegfried Wagner. Siegfried Wagner starb am 4. August 1930 an einem Herzleiden, und Toscanini dirigierte bei einem Gedenkkonzert an den verstorbenen Leiter der Festspiele auf der Bühne des Festspielhauses das »Siegfried-Idyll«. Den ihm von Winifred Wagner, in deren Händen nunmehr die Leitung der Festspiele lag, übersandten Scheck in der Höhe von 10.000 Mark sandte er mit der Bemerkung zurück, dass er für seine Arbeit in Bayreuth kein Geld annehmen könne. In Salzburg, das Toscanini eine Woche später besuchte, inszenierte Max Reinhardt neben dem »Jedermann« Friedrich Schillers »Kabale und Liebe«, Carlo Goldonis »Der Diener zweier Herren« und William Somerset Maughams »Victoria« im Stadttheater, Clemens Krauss die Wiederaufnahme von Richard Strauss’ »Der Rosenkavalier« und eine Neuinszenierung von Mozarts »Figaros Hochzeit«, Franz Schalk Reprisen von Mozarts »Don Giovanni« und Beethovens »Fidelio« und Bruno Walter eine Reprise von Gaetano Donizettis »Don Pasquale« und eine Neuinszenierung von Christoph Willibald Glucks »Iphigenie in Aulis«. Clemens Krauss, der als designierter Direktor der Wiener Staatsoper, Lieblingsdirigent von Richard Strauss und eine der führenden Dirigentenpersönlichkeiten seiner Zeit bis inklusive 1934 neben Bruno Walter das musikalische Programm der Festspiele dominieren sollte, ehe er in dieser Funktion von Arturo Toscanini abgelöst wurde, erklärte gegenüber der »Neuen Freien Presse« zur musikalischen Zukunft der Festspiele  : »Gemeinsam mit Dr. Lothar Wallerstein ist es mir gelungen, mit den hervorragendsten Kräften der Wiener Oper in Salzburg Premieren herauszubringen, die auch beim verwöhntesten Publikum reichen Beifall einheimsen konnten. Es war seit jeher mein

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Ziel, n i c h t e i n f a c h e R e p r i s e n a u s d e r S t a a t s o p e r i m F e s t s p i e l h a u s z u r A u f f ü h r u n g z u b r i n g e n , sondern eine der Besonderheit Salzburgs angepasste Fassung zu schaffen, die die natürliche Kulisse, die die Stadt an sich bildet, benützt. Den früher geäußerten Bedenken eines weiteren Ausbaues des Opernrepertoires im Rahmen der Salzburger Festspiele stehen e r s t k l a s s i g e K a s s e n e r f o l g e gegenüber, sodass wir J a h r f ü r J a h r e i n e w e i t e r e B e r e i c h e r u n g d e s P r o g r a m m s ermöglichen können.« Und Franz Schalk ergänzte  : »Die Entwicklung, der das Programm der Festspiele unterworfen ist, wird für nächstes Jahr eine d u r c h g r e i f e n d e R e p e r t o i r e ä n d e r u n g notwendig machen. Es ist sicherlich ungemein erfreulich, dass die Salzburger Veranstaltungen, im Gegensatz zu ähnlichen in Deutschland, einen durchaus internationalen Charakter tragen, der sich auch dadurch manifestiert, dass man in aller Welt mit großem Interesse die Vorgänge in diesem sommerlichen Musikprogramm verfolgt. Die Musik hat in diesem Programm dominiert, und es besteht kein Zweifel, dass sich das Hauptinteresse der nicht Deutsch sprechenden Ausländer auf die Opern- und Konzertdarbietungen konzentriert.« Dem musste, naturgemäß, Alexander Moissi widersprechen. Auch ein internationales Publikum, so sein Plädoyer für das Schauspiel, sei durchaus in der Lage und auch interessiert daran, einer hervorragenden deutschen Aufführung eines Shakespeare-Stückes oder aber einer geplanten Aufführung von Goethes »Faust« beizuwohnen.41 Die Anfang September dem Aufsichtsrat der Festspiele vorliegenden Auslastungszahlen bestätigten – mit Ausnahme des bereits zum Kassenschlager gewordenen »Jedermann« auf dem Domplatz – die Analyse von Franz Schalk. Opern wie »Die Hochzeit des Figaro«, »Der Rosenkavalier«, »Don Giovanni« und »Fidelio« im Festspielhaus wiesen eine Auslastung zwischen 96 und 82 Prozent auf, die Konzerte im Festspielhaus und Mozarteum 92 bzw. 91 Prozent, während die Reinhardt-Inszenierungen von »Kabale und Liebe«, »Diener zweier Herren« und »Victoria« im Stadttheater nur auf eine Auslastung zwischen 68 und 53 Prozent verweisen konnten. Hinzu kam noch das beschränkte Platzangebot im Stadttheater, sodass diese Aufführungen, völlig unabhängig von ihrer künstlerischen Qualität, zu den finanziellen Verlustposten zählten. Vor dem Hintergrund der in der Vergangenheit immer wieder zu heftigen Turbulenzen führenden Defizite musste die Festspielleitung bei ihren Planungen diese Fakten berücksichtigen, wollte sie – angesichts der andauernden Wirtschaftskrise – eine Wiederholung der Turbulenzen der Vergangenheit vermeiden. Die sich durch die zunehmende Internationalisierung der Festspiele zwangsläufig ergebende Frage nach der Möglichkeit der Aufrechterhaltung der ursprünglichen Festspielidee mit ihrem großösterreichisch/habsburgisch/restaurativen Charakter 41 Neue Freie Presse, 28. 8. 1930. S. 9.

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und einer – im Gegensatz zur klar definierten deutschen Bestimmung Bayreuths – transnationalen/europäischen Ausstrahlung bei einer Dominanz des deutschsprachigen Theaters, so faszinierend dessen Inszenierungen auch sein mochten, stand damit auf der Tagesordnung. War nicht die Musik die universelle Sprache, musste man nicht Mozarts Opern in der Originalsprache und nicht auf Deutsch gesungen aufführen, um dem internationalen Anspruch gerecht zu werden  ? Der Korrespondent der »Neuen Freien Presse« berichtete aus der Festspielstadt  : »Die Kunstschätze und die landschaftliche Schönheit bilden heute wohl das größte Kapital des wirtschaftlich armen salzburgischen Landes. Seine Industrie ist ausbaufähig, aber nicht die wichtigste Ressource des Gebirgslandes. So bleibt denn Salzburgs Hauptaktivum der Fremdenverkehr. Nicht nur Humboldt und Bettina von Arnim (in ihren Briefen an Goethe) haben die Schönheiten des Salzburger Ländchens in den höchsten Tönen gerühmt. Die Bauten und Denkmäler Salzburgs, einer der ältesten Kunststätten auf christlichem Boden, der große Name Mozart und in neuester Zeit die Festspiele bilden Hauptanziehungspunkte für Fremde. (…) Ein Glück für das Land ist es, dass heute schon alle in Betracht kommenden Faktoren von der volkswirtschaftlichen Bedeutung des Fremdenverkehres durchdrungen sind, zu seiner Hebung also alles Denkbare veranlasst wird. Als werktätigster Förderer aller auf die Hebung des Fremdenverkehres abzielenden Pläne muss wohl in erster Linie der salzburgische Landeshauptmann Dr. Franz R e h r l genannt werden. (…) Es ist charakteristisch, dass heute namentlich in der Stadt Salzburg fast jeder Bewohner, vom großen Hotelier und Geschäftsmann bis zur kleinen Frau, die über die Saison ein Zimmer ihrer Wohnung vermietet, im Dienst des landeserhaltenden Fremdenverkehres steht. Es ist ein schweizerischer Zug, der durch das kleine Ländchen zu gehen scheint, dem die Natur ursprünglich nichts als Steine in den Weg gelegt hat. Diese Steine, himmelhoch in die Wolken ragend, sind zum Brot eines armen Gebirgslandes geworden …« Obwohl der Fremdenverkehr im Sommer 1930 eine letzte Blüte erlebte, wurden die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise selbst bei dem noblen Festspielpublikum bereits spürbar. Es sei festzustellen, so der Korrespondent in seinem Bericht, dass »heuer selbst Leute, die mit den schönsten Autos vorfahren, sich genau nach den Preisen erkundigen, die man von ihnen zu fordern gedenkt. (…) Erwähnt soll (…) werden, dass die Klagen über die sinkende Kaufkraft der Fremden in der Stadt Salzburg wie in den salzburgischen Sommerfrischen, selbst Bad Gastein nicht ausgenommen, heuer ziemlich gleichmäßig zu hören sind.«42 Rehrl hatte durch den Tod Hugo von Hofmannsthals eine seiner beiden zentralen Bezugspersonen der Gründergeneration der Salzburger Festspiele verloren. Die 42 M. C.: Aus den Bundesländern. Die Saison in Stadt und Land Salzburg. – In  : Neue Freie Presse, 15. 8. 1930. S. 10.

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zweite, Max Reinhardt, gewann damit für Rehrl eine noch größere Bedeutung. Angesichts des bevorstehenden Zehn-Jahres-Jubiläums der Festspiele hatte er bei Bundespräsident Wilhelm Miklas interveniert, um Reinhardt für seine Verdienste um die Festspiele mit dem Großen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik auszuzeichnen. Zudem ging auf seine Anregung der am 7. Juli 1930 gegen die Stimmen der Nationalsozialisten erfolgte Beschluss des Salzburger Gemeinderates zurück, den Platz vor dem Festspielhaus in Anerkennung seiner Verdienste um die Salzburger Festspiele in »Max-Reinhardt-Platz« umzubenennen.43 In die Wertschätzung Reinhardts durch die Stadt Salzburg mischte sich allerdings auch antisemitisch grundierte Missgunst. Im Frühjahr 1931 sah sich nämlich Bürgermeister Max Ott aufgrund von antisemitischen publizistischen Kampagnen vor allem gegen die Person Reinhardts (sein »Jedermann«-Darsteller Alexander Moissi bildete die zweite bevorzugte Zielscheibe) sowie der sich in den frühen Dreißigerjahren in der Stadt Salzburg durch das Aufkommen des Nationalsozialismus verstärkenden politischen Agitation (»Der sich an den Festspielen und auf Kosten der Allgemeinheit bereichernde jüdische Schlossherr von Leopoldskron«) veranlasst, in einem Brief an die Festspielhausgemeinde die Frage nach der Honorierung Max Reinhardts seit der Gründung der Festspiele zu stellen. Für die Festspielhausgemeinde antworteten Puthon und Kerber am 4. April 1931 mit einer Aufstellung der Honorare Reinhardts zwischen 1920 und 1930. 1920 bis 1924 habe Reinhardt umsonst inszeniert, 1925 ein Honorar von 17.340 Schilling erhalten, jedoch 1926 aufgrund der schlechten finanziellen Lage der Festspiele auf sein Honorar verzichtet. 1927 erhielt er 21.787 Schilling, 1928 22.708 Schilling, 1929 aufgrund der Reduktion des Schauspielprogramms auf den »Jedermann« 14.419 Schilling und im Jubiläumsjahr für insgesamt vier Inszenierungen 23.097 Schilling. Insgesamt erhielt Reinhardt für zehn Jahre Festspieltätigkeit 99.351 Schilling, »wobei aber zu berücksichtigen ist, dass diese Summe zur Gänze der Stadt Salzburg, d. h. Lieferanten und Professionisten derselben, zugutekam, da Prof. Reinhardt alljährlich während der Festspielzeit in Leo­poldskron zahlreiche Besucher bei sich zu Gast sah und deren Bewirtung sowie die Erhaltung des Schlosses Leopoldskron jährlich ihn mehr kostete, als er von der Festspielgemeinde erhielt«.44 Diese Richtigstellung vermochte jedoch die rabiaten Antisemiten nicht von antisemitischen Schmieraktionen gegen die Tafel »Max-Reinhardt-Platz« abzuhalten. Rehrl war sich dieser antisemitischen Stimmung, die bis weit in das eigene Parteiklientel reichte, durchaus bewusst und war entschlossen, den Kampf gegen diese mit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise und dem aufkommenden Rassenantisemitismus der Nationalsozialisten sich immer radikaler gebärdende Pest der politischen Kultur aufzunehmen. Als Zeichen seiner persönlichen Wertschätzung, aber 43 Salzburger Chronik, 8. 7. 1930. S. 4. 44 SLA Rehrl FS 0007/2.

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auch als (landes-)politisches Signal mit hohem Symbolcharakter – Salzburg und die Salzburger Festspiele als eine von nationalistischen Verengungen à la Bayreuth befreite Internationale der Kunst – sollte seinen hervorragenden Künstlern nicht nur den abendlichen Applaus spenden, sondern ihnen in Form von Denkmälern Erinnerungsorte schaffen. So wie ein liberales Salzburger Bürgertum im Jahr 1842 Mozart ein Denkmal errichtete, um sich der historischen und kulturellen Stellung Salzburgs zu erinnern und dies als Ansporn für Künftiges zu handeln, so sollten nunmehr denjenigen, die auf seinen Spuren wandelten, Denkmäler gesetzt werden. Auch sie sollten jene doppelte Funktion der Ehrung einerseits und der Reflexion sowie der Vergewisserung der transnationalen Kulturmission andererseits erfüllen. In diesem Sinn war diese Denkmalkultur losgelöst von der nationalen Verherrlichung und Selbstvergewisserung der Denkmalkultur des 19. Jahrhunderts und der auf die Katastrophe des Weltkriegs folgenden Nachkriegszeit. Es war nicht Blut und Boden, die Verherrlichung kriegerischer Helden oder die Trauer um eine verlorene Generation, sondern der Appell an die universelle und damit humanitäre Macht und Faszination der Kunst. Rehrl, obwohl juristisch und ökonomisch hoch gebildet und – durchaus zu Recht – mit dem Image des politischen Machers behaftet, entsprach nicht dem Bild des klassischen Intellektuellen. Er war weder ein glänzender Redner, noch vertiefte er sich, quasi als Ersatz, in philosophische Abhandlungen. Das von Anton Faistauer von ihm angefertigte Porträt zeigt einen eher hemdsärmeligen jungen Mann, dessen Erscheinung auf seine aus dem unteren Provinzbürgertum weisende Abstammung schließen lässt. Doch es war – der post festum berichtende Historiker kann dies aufgrund der vorliegenden Quellen, wenn auch mit einiger Evidenz, nur vermuten – diese spezifische persönliche Chemie zwischen den doch so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Hugo von Hofmannsthal, Max Reinhardt und Franz Rehrl, die eine außergewöhnliche Beziehung zwischen diesen drei Persönlichkeiten entstehen ließ. Es war keine Freundschaft, die zum Du-Wort reichte, dafür waren sowohl die Zeit wie auch die in ihr üblichen Konventionen wohl verantwortlich, aber es war eine weit über bloße Höflichkeit oder Wertschätzung deutlich hinausgehende Verbindung. Hugo von Hofmannsthal, der aus einer zum Katholizismus konvertierten jüdischen Familie stammende Part, war nicht mehr am Leben. Aber der als Max Goldmann geborene Max Reinhardt, der trotz seiner Nähe zum Katholizismus seinem jüdischen Glauben treu geblieben war, symbolisierte die Gründergeneration der Festspiele in noch viel höherem Ausmaß als Richard Strauss oder Alfred Roller. Er war es, der die durch seine internationalen Beziehungen und das internationale Flair Salzburgs erst begründeten Feste in Hellbrunn zum eigentlichen Magneten der Festspiele machte und damit auch zum Schöpfer des Rufs Salzburgs als internationale sommerliche Kunstdestination wurde. Ihm galt daher nach dem Tode Hofmannsthals die besondere Aufmerksamkeit und Wertschätzung Rehrls. Obwohl unterschiedliche Charak-

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tere, so man sich auf ihren Briefwechsel stützen kann, waren sie einander in aufrichtiger Verehrung zugetan. Im Fall Rehrls kam noch hinzu, dass er Reinhardt aufgrund der sich verschärfenden antisemitischen Angriffe umso mehr verteidigte. Nicht als Trotzreaktion, sondern aus Überzeugung, die auf einer tiefen persönlichen Wertschätzung basierte. Seine hinter den Kulissen erfolgte Anregung der Aufstellung einer von dem Bildhauer Adolf Wagner gefertigten Büste Reinhardts im Foyer des Festspielhauses erfolgte vor diesem Hintergrund. Am 4. August übergaben die Schauspieler Reinhardts, angeführt von Alexander Moissi, Präsident Puthon als dem Repräsentanten der Festspiele die Büste, wobei Moissi vor einem illustren Publikum u. a. erklärte  : »Wir danken Ihnen, wir danken der Stadt mit tiefem Ernst, dass sie uns ihre schönen Plätze, ihre Kirchen und Kunststätten aufgetan, nicht um einer flüchtigen, glänzenden Mode zu dienen, sondern um die Pforten für Max Reinhardt zu öffnen. Wir überreichen Ihnen den Mann in effigie, dem wir und Sie sehr viel zu verdanken haben, und übergeben Ihnen die Büste, die die Künstlerhand Adolf Wagners geschaffen hat.« Puthon gab in seiner Dankesrede der Hoffnung Ausdruck, dass Reinhardt den Festspielen auch in Zukunft erhalten bleibe, und der so Geehrte antwortete sichtlich gerührt. »Ich gehe durch diese hellen Tage, bewegt, mit einer schweren Dankesschuld auf meinen Schultern für all die Liebe, die man mir entgegenbringt. Diese Schuld ist so groß, dass ich sie auf einmal nicht abtragen kann und von meinen Gläubigern ein Moratorium erbitten muss. Wenn sich am Ende des Moratoriums, wie ich befürchte, die zeitgemäße Insolvenz herausstellt, bitte mir zu glauben, dass in den Büchern, die ich in meinem Herzen führe, alles in Ordnung ist. Die Festspielhausgemeinde bringt mir ein großes, fast zärtliches Wohlwollen entgegen. Da sie meine geringe Neigung zu feierlichen Reden kennt, haben mir die Herren versichert, dass ich heute von einer Verpflichtung zu sprechen entbunden bin und dass man keine Rede von mir erwartet. Ich folge diesem stillen Winke, aber allzu still wäre in diesem Falle allzu laut und deshalb, wenn ich mir als eingefleischter Regisseur die Regiebemerkungen setze, so sage ich  : Der Jubilar ist innerlich tief bewegt, aber er will seine Bewegung nicht gern zeigen  ; deshalb schlägt er einen scherzhaften Ton an, und in seiner sattsam bekannten nasalen Sprechweise stammelt er einige Dankesworte. Und so danke ich dir, lieber Moissi, für deine Worte und dass ihr euch zusammengetan habt, um mir bei Lebzeiten eine Büste zu setzen. Ich würde dies als eine unverdiente Auszeichnung betrachten, wenn ich nicht für die Zukunft hoffen dürfte, dass damit nur der Grundstein gelegt ist zu einer Galerie jener Männer, die sich mit mir um die schöne Stadt verdient gemacht haben.«45 Reinhardt wusste genau, wem er diese Ehrungen verdankte, und vertrat die Ansicht, dass in der von ihm angesprochenen Galerie der Männer, die sich um die Festspiele große Verdienste erworben hatten, vor allem der amtierende Salzburger 45 Salzburger Volksblatt, 5. 8. 1930. S. 6.

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Landeshauptmann an hervorragender Stelle aufscheinen musste. Er ließ daher seinerseits eine Büste von Franz Rehrl bei Adolf Wagner anfertigen, die ebenfalls im Foyer des Festspielhauses aufgestellt werden sollte. Dies sei eine Selbstverständlichkeit, ließ er Rehrl im Oktober in einem Brief wissen, denn er sei es schließlich gewesen, der die Sache der Festspiele im wahrsten Sinn des Wortes unter Dach gebracht habe. Er habe von seinem verstorbenen Bruder Edmund gelernt, dass es mindestens ebenso viel bedeute, künstlerische Dinge zu verwirklichen wie sie zu erfinden.46 Am 12. August 1930 hatte Rehrl die Gelegenheit, im Rahmen eines Festaktes in der Residenz nicht nur das zehnjährige Jubiläum der Festspiele zu feiern, sondern auch seiner besonderen Wertschätzung für Reinhardt durch die im Namen der Bundesregierung erfolgende Überreichung des Großen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik öffentlich Ausdruck zu verleihen. Er verstand das Fest und dessen Inszenierung nicht als bloße Repräsentanz und Unterhaltung, sondern als zentrales Moment der Identität und auch Legitimität stiftenden öffentlichen Selbstvergewisserung und Reflexion auf der Basis einer Idee. In seiner Festrede, in der er besonders auch Hugo von Hofmannsthal gedachte, erklärte er, zu Reinhardt gewandt, der auch sein 25-jähriges Direktoriumsjubiläum in Berlin feierte  : »Mit Freude ist es in Salzburg begrüßt worden, dass sich zu der festlichen Rückschau über ein volles Jahrzehnt der Salzburger Festspiele ein zweites Jubiläum fand  : das 25-jährige Direktorjubiläum Prof. Dr. Max Reinhardts. In mehr als einem Sinne ist auch dieses Jubiläum des großen Neuentdeckers der echten Theaterkunst ein salzburgisches Jubiläum. Die Volksstimme in aller Welt bestätigt es, denn sie nennt die Salzburger Festspiele auch heute noch die Reinhardt-Festspiele, obwohl sich das Schwergewicht der salzburgischen Veranstaltungen schon seit einigen Jahren auf Schauspiel und Oper verteilt hat. Die Schönheit, der Stimmungsreichtum, der geheimnisvolle Zauber Salzburgs war längst weltbekannt, aber Sie kamen und schöpften mit kundiger Hand tiefer aus dem Überfluss und zeigten uns und der Welt die Mystik, die übersinnliche Schönheit unserer Stadt. Salzburg hat in künstlerischer Hinsicht auch Ihnen, dem Repräsentanten der deutschen Theaterkunst, viel gegeben. Es entspricht der Gerechtigkeit, wenn ich es ausspreche, dass Sie unserer Stadt Salzburg die empfangenen geistigen und seelischen Werte reichlich vergolten haben. Salzburg sagt Ihnen zu dieser Stunde durch mich den herzlichsten Dank.«47 In den Dankesworten Reinhardts kam seine emotionale Bindung an Salzburg und Wertschätzung für Rehrl deutlich zum Ausdruck. Er habe tiefe Eindrücke von seinem Engagement am Salzburger Stadttheater empfangen. Jedem Künstler, der hier aufgewachsen sei, falle eine reiche Erbschaft zu, die er zu pflegen und zu hüten habe. 46 SLA Rehrl FS 0018/2. Der vollständige Text vgl. Dokument 13. 47 Zehn Jahre Salzburger Festspiele. – In  : Salzburger Chronik, 13. 8. 1930. S. 1f. S. 2  ; Das Jubiläum der Festspiele. – In  : Salzburger Volksblatt, 13. 8. 1930. S.3f.

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In einer Stadt, in der die Kirchenfürsten bereits die Kunst förderten, Hofmannsthal seinen Weg gefunden habe, freue es ihn, Landeshauptmann Rehrl öffentlich den Dank abstatten zu können mit dem Versprechen, nach Kräften mithelfen zu wollen, das hohe Werk, die Festspiele, zu fördern.48 Die Jubiläumsfestspiele 1930 wiesen mit 60.594 verkauften Karten gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung von 18.720 aus und erwirtschafteten einen Überschuss von 44.702 Schilling. Man konnte zuversichtlich an die Planung des Festspielsommers 1931 gehen, die jedoch vom deutlich werdenden Machtanspruch von Clemens Krauss überschattet wurden. Der Dirigent und Operndirektor beanspruchte immer offensiver die künstlerische Leitung im Bereich der Musik und betrieb die Ausbootung Bruno Walters. In Salzburg lehnte man dieses Ansinnen vor allem aus zwei Gründen ab  : Man widersetzte sich prinzipiell dem Intendantenprinzip und damit der dominierenden Funktion einer Persönlichkeit und wollte auf Bruno Walter aufgrund seiner großen Reputation im anglikanischen Raum, der für die Festspiele von zunehmender Bedeutung wurde, nicht verzichten. Vielmehr setzte man auf das Dreigestirn Clemens Krauss, Bruno Walter und Franz Schalk. Für den Festspielsommer wurden nach verschiedenen erwogenen und wieder verworfenen Plänen vor allem im Bereich des Schauspiels – Goethes »Faust« mit Alexander Moissi als Faust und Raoul Aslan als Mephisto, Molières »Der eingebildete Kranke« mit Emil Jannings und Shakespeares »Hamlet« mit Moissi in der Titelrolle – eine vor dem Hintergrund der Zunahme des internationalen Publikums allgemein als notwendig empfundene Internationalisierung des Programms und der Mitwirkenden beschlossen. Neben Mozart, dessen 175. Geburtstages mit fünf Opernaufführungen (»Don Giovanni«, »Die Hochzeit des Figaro«. »Die Zauberflöte«, »Die Entführung aus dem Serail«, »Così fan tutte«) gedacht wurde, erfolgten ein Gastspiel der Mailänder Scala mit drei Opern (Gioacchino Rossinis »Il Barbiere di Siviglia«, Gaetano Doni­ zettis »Don Pasquale«, Domenico Cimarosas »Il Matrimonio segreto«), Reprisen von Ludwig van Beethovens »Fidelio« und Richard Strauss’ »Der Rosenkavalier« sowie eine Neuinszenierung von Christoph Willibald Glucks »Orpheus und Eurydike«. Ferner wurde mit den Budapester Philharmonikern unter Ernst von Dohnanyi erstmals ein ausländisches Orchester für drei Konzerte verpflichtet. Im Bereich des Schauspiels war Max Reinhardt wiederum mit vier Inszenierungen vertreten  : Hugo von Hofmannsthals »Jedermann« und »Der Schwierige«, Carlo Goldonis »Der Diener zweier Herren« und Johann Wolfgang von Goethes »Stella«, alles letztlich keine Neuinszenierungen, sondern nur Reprisen (»Jedermann«, »Der Diener zweier Herren«) bzw. modifizierte Übernahmen von Meisterinszenierungen im Josefstädter Theater und in Berlin. Dennoch, es war ein ambitioniertes und umfangreiches Programm, ausgerichtet für ein internationales Publikum und auf der Basis 48 Neues Wiener Tagblatt, 14. 8. 1930. S. 8.

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eines großen Zuspruchs kalkuliert. Dieser Kalkulation sollten jedoch zwei Ereignisse einen Strich durch die Rechnung machen  : Bereits vor Beginn der Festspiele hatten schwere Unwetter vor allem das Land Salzburg in Mitleidenschaft gezogen, und auch der Rest des Sommers sollte sich als außerordentlich regnerisch erweisen. Und die anhaltende Weltwirtschaftskrise, deren Auswirkungen Berlin und Wien mit dem Abschluss eines Zollunionsprojekts zu begegnen beabsichtigten, der damit mittelbar im Zusammenhang stehende Zusammenbruch der Credit-Anstalt im Mai 1931 und die anschließende deutsche Bankenkrise, die im Juli 1931 zur Notverordnung der deutschen Reichsregierung inklusive der Ausreisesteuer von 100 Mark führten, veränderten die Parameter der Festspielplanung dramatisch. Im Jänner 1930 hatte Bundeskanzler Johann Schober in Den Haag die Löschung aller finanziellen Verpflichtungen Österreichs, die aus dem Vertrag von Saint Germain resultierten, erreicht, d. h. auch die Aufhebung des Generalpfandrechts der Alli­ ierten auf alle österreichischen Güter und Einkünfte. Im April 1930 schloss Schober in Berlin einen Handelsvertrag, der im Deutschen Auswärtigen Amt als Schritt in Richtung einer engen Anbindung Österreichs gesehen wurde. Denn über Österreich, so ein für Reichskanzler Heinrich Brüning erstelltes Memorandum, könne man in erheblich stärkerem Maße die Entwicklung Südosteuropas im Interesse Deutschlands beeinflussen. 1930 fiel in Folge der Weltwirtschaftskrise der österreichische Außenhandel gegenüber dem Vorjahr von 5,45 auf 4,55 Milliarden Schilling, wobei der Handel mit Deutschland und den Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie stärker zurückging, als mit den westeuropäischen Staaten und Italien. Angesichts der beunruhigend steigenden Arbeitslosenzahl fanden seit dem Frühjahr 1930 intensive Verhandlungen zwischen den Interessenvertretern der Industrie, des Handels, der Landwirtschaft, der Arbeiterkammer und den betroffenen Ministerien über die Ergreifung von Gegenstrategien statt. Eine Lösung wurde in einer wirtschaftspolitischen Annäherung an Deutschland, dem wichtigsten Handelspartner Österreichs, gesehen, weshalb Geheimverhandlungen zwischen dem deutschen Außenminister, Julius Curtius, und Ministerialdirektor Karl Ritter mit dem seit November 1930 als Vizekanzler und Außenminister amtierenden Johann Schober und Sektionschef Richard Schüller stattfanden. Sie führten Anfang März 1931 während eines WienBesuchs von Curtius zur Einigung auf »Richtlinien zur Angleichung der zoll- und handelspolitischen Verhältnisse Deutschlands und Österreichs«, die die Freiheit des Warenverkehrs im Inneren und die Akkordierung der Zoll- und Handelspolitik beinhalteten. Zur Beruhigung der europäischen Staaten wurde festgehalten, dass beide Staaten das Recht behielten, Handelsverträge mit Drittstaaten abzuschließen, und in ihrer Zollverwaltung autonom blieben.49 Das Bekanntwerden des Plans führte zu heftigen diplomatischen Reaktionen vor allem Frankreichs und der Tschechoslowa49 Zum Zollunionsprojekt vgl. ADÖ 7.

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kei, wobei der französische Geschäftsträger in Wien Außenminister Schober wissen ließ, der Plan einer Zollunion verstoße gegen die Bestimmungen der Genfer Protokolle des Jahres 1922, da er die Unabhängigkeit Österreichs gefährde. Dem Protest der französischen Regierung kam insofern noch besonderes Gewicht zu, da französisches Kapital aus der Credit-Anstalt abgezogen wurde und deren ohnedies bereits vorhandene Schwierigkeiten noch verschärfte. Die österreichische Bundesregierung war bei ihren Bemühungen um eine Lösung der CA-Krise auf die Hilfe Frankreichs angewiesen und verzichtete daher am 2. September 1931 mit den Worten von Bundeskanzler Karl Buresch »Wer Geld braucht, muss sich fügen« auf das Zollunionsprojekt. Die deutsche Regierung folgte am 3. September unter dem Druck der Finanzkrise im eigenen Land diesem Schritt. Im Winter 1930/31 wurde einigen deutschen Wirtschaftsexperten bewusst, dass die Wirtschaftskrise sich in ihren Dimensionen von einem üblichen Szenario der relativ kurzen Abwechslung von Konjunkturtief und Erholungs- bzw. Wachstums­ phasen unterschied. Die deutsche Wirtschaft erhielt keine Wachstumsimpulse und die Arbeitslosigkeit erreichte zu Jahresende 1931 die Fünf-Millionen-Grenze. Alarmierend war die andauernde Deflation. Noch stärker als die Preise sanken die Löhne, vor allem der Beamten, die im Laufe des Jahres 1931 23 Prozent ihres Einkommens einbüßten. Gleichzeitig suchte die Regierung Heinrich Brüning durch Steuererhöhungen den drohenden Einnahmenausfall auszugleichen. Brüning unternahm in dieser Phase ein riskantes Spiel  : Um eine Reduktion oder völlige Streichung der Reparationszahlungen zu erreichen, sollte vor seinen bevorstehenden Besuchen in London und Paris der Welt durch eine neuerliche Notverordnung zur Sicherung der Wirtschaft und Finanzen50 demonstriert werden, dass die Belastung der deutschen Bevölkerung für die Erfüllung der Reparationsleistungen bereits überschritten sei. Er könne ohne Erleichterung oder Streichung der Reparationslasten der deutschen Bevölkerung keine neuen Opfer abverlangen. Der Zusammenbruch der CA im Mai 1931 löste nicht nur eine mitteleuropäische Bankenkrise aus. Auch in Deutschland kam es nach einem bereits erfolgten Abzug amerikanischer Gelder zu einem Run auf die ohnedies aufgrund ihrer Geschäftspolitik auf schwankendem Boden stehenden deutschen Banken, deren Zusammenbruch und damit auch der Staatsbankrott sowie die massive Gefährdung des demokratischen Systems drohte. US-Präsident Herbert Hoover entschloss sich angesichts der Drama-

50 Die Notverordnung bestimmte die Kürzung der Beamten- und Angestelltengehälter, die Herabsetzung der Invaliden- und Kriegsbeschädigtenrenten, die Senkung der Arbeitslosenunterstützung um 14 Prozent, die Anhebung der Altersgrenze für die Empfänger von Arbeitslosenunterstützung von 16 auf 21 Jahre, die Streichung der Arbeitslosenunterstützung für verheiratete Frauen, die Kürzung der Kinderzuschläge sowie die Einhebung einer Krisensteuer zwischen 4 und 5 Prozent auf sämtliche Einkommen.

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tik der Situation zum Handeln. Die Vereinigten Staaten hätten ein starkes Interesse daran, erklärte er, »liberal eingestellte Kreise in Deutschland, Österreich und Osteuropa zu unterstützen, die sich bemühen, ihre demokratischen Staatsordnungen gegen die sie bedrohenden politischen Kräfte zu schützen«.51 Zur Stützung der deutschen Banken und um einen deutschen Staatsbankrott zu vermeiden, verkündete Hoover am 16. Juni 1931 ein einjähriges Moratorium bezüglich der deutschen Reparationszahlungen. Die Rettungsaktion kam jedoch zu spät. Das an sich fragile Gebilde des deutschen Bankensystems war bereits eine Woche zuvor zusammengebrochen. Am 11. Juni musste eine der größten deutschen Banken, die Danat-Bank (Darmstädterund Nationalbank) ihre Schalter schließen, und am 13. Juni mussten die Schalter aller deutschen Banken geschlossen werden, da man den Gläubigeransturm nicht mehr bewältigen konnte.52 Um einen völligen Zusammenbruch zu verhindern, musste die 51 Zit. bei Hagen Schulze  : Weimar. Deutschland 1917–1933. – Berlin 1998. S. 353f. Brünings Politik war insofern erfolgreich, als es ihm gelang, mit englischer und US-amerikanischer Unterstützung ein Sachverständigengutachten über die Finanzlage Deutschlands zu erreichen, Der im August 1931 von dem Engländer Lord Dayton nach ihm benannte Bericht kam zu dem Ergebnis, dass bei einer Fortsetzung der Reparationspolitik Deutschland in steigendem Maße Krisen ausgesetzt sein werde. Aufgrund des Dayton-Berichts setzte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich einen beratenden Ausschuss ein, der am 23. Dezember 1931 zum Ergebnis kam, dass die im Young-Plan vorgesehene Reparationsregelung undurchführbar sei. London regte nunmehr eine Konferenz in Lausanne zur abschließenden Regelung der Reparationszahlungen an. Brüning erklärte im privaten Kreis, er denke, dass nunmehr ein Ende der Reparationszahlungen unmittelbar bevorstehe. Als dies durch eine Indiskretion bekannt wurde, tobte man in Paris, und Ministerpräsident Pierre Laval ließ wissen, dass Frankreich auf keinen Fall auf seine Reparationsansprüche verzichten werde. Unter diesen Umständen wurde die für 18. Jänner 1932 geplante Tagung in Lausanne verschoben. Trotz dieses Rückschlags war jedoch ein entscheidender Schritt in Richtung Streichung der Reparationszahlungen getan. Als Frankreich und Großbritannien im Juli 1932 auf der Konferenz von Lausanne tatsächlich auf ihre Reparationszahlungen verzichteten, war Brüning allerdings nicht mehr im Amt. Zum Hoover-Moratorium vgl. Charles Kindleberger  : Die Weltwirtschaftskrise 1929–1939. – München 2019. S. 177ff.; zur Politik Brünings vgl. Herbert Hömig  : Brüning. Kanzler in der Krise der Republik. Eine Weimarer Biographie. – Paderborn/München/Wien/Zürich 2000. S. 314ff. 52 Zur deutschen Bankenkrise des Jahres 1931 vgl. Karl Erich Born  : Die deutsche Bankenkrise 1931. Finanzen und Politik. – München 1967  ; Harold James  : Deutschland in der Weltwirtschaftskrise 1924– 1936. S. 285ff. Die im Sommer 1931 massiv ausbrechende deutsche Bankenkrise basierte zu einem erheblichen Teil auf der besonderen Situation der deutschen Banken und der deutschen Wirtschaft, auf der hohen kurzfristigen Auslandsverschuldung, die Mitte 1930 rund 16 Milliarden und ein Jahr später noch 13,1 Milliarden Reichsmark betrug, von denen allein 5,9 Milliarden Reichsmark auf die Banken entfielen. Da die Inflation der frühen Zwanzigerjahre das Kapital der Banken zu einem erheblichen Teil verschlungen hatte, stand ihre in den Jahren 1924 bis 1929 folgende expansive Kreditpolitik auf einer dünnen Eigenkapitalbasis. Die finanzielle und ökonomische Stabilisierung der Weimarer Republik in den sogenannten »Goldenen Zwanzigerjahren«, die in Wirklichkeit nur fünf Jahre waren, basierte vor allem auf amerikanischem Geld,

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Reichsregierung als Krisenfeuerwehr und mit den Geld- und Devisenreserven der Reichsbank als Bürge fungieren. Im Gegenzug übernahm sie am 16. Juli bei Wiedereröffnung der Bankschalter mittels Notverordnung die Kontrolle der Banken, die nur mehr Löhne, Sozialleistungen und Steuern auszahlen durften. Dies bedeutete, dass es keine Investitionskredite mehr gab und die Guthaben der Sparer gesperrt waren. Ausländische Kredite blieben durch ein internationales Stillhalteabkommen in Deutschland eingefroren. Mehr konnte man unter den Prämissen des Festhaltens am Goldstandard der Reichsmark53 um jeden Preis, der Erfahrung der Hyperinflation des Jahres 1923 und der Verhinderung eines solchen Szenarios nicht tun. Die Alternative des Abgehens vom Goldstandard und einer aktiven Finanz- und Wirtschaftspolitik mit neu gedrucktem, ungedecktem Geld stand nicht zur Diskussion. Dennoch wurde dieser Weg teilweise beschritten. Auch wenn Berlin offiziell am Goldstandard festhielt, so ermöglichten die durch die Notverordnung vom 16. Juli angeordneten Devisenkontrollen und das internationale Stillhalteabkommen die Ausgabe zusätzlichen Geldes und damit die stillschweigende Unterschreitung der Golddeckung von 40 Prozent, denn nur so ließen sich die Mittel zur Bankenrettung beschaffen.54 das in großen Mengen nach Deutschland floss, da sich die US-amerikanischen Investoren hier eine hohe Rendite erwarteten. Als jedoch Ende der Zwanzigerjahre die Attraktivität von Investitionen in der Wall Street höher schien als jene in deutsche Anleihen geriet der amerikanische Geldfluss ins Stocken. Mit dem Wall Street Crash vom 24. Oktober 1929 versiegte der Zustrom amerikanischen Kapitals vollkommen, und US-Kredite wurden nunmehr aus Deutschland zurückgerufen. Erschwerend trat hinzu, dass nun auch andere ausländische Investoren immer größere Mengen an Krediten aus Deutschland abzogen. 53 Die Verschuldung der kriegführenden Staaten im Ersten Weltkrieg führte zu einem Abgehen vom bis 1914 dominierenden Goldstandard. Unter Goldstandard wird die Deckung einer Währung durch Goldbestände der jeweiligen National- bzw. Notenbank verstanden. Da Gold, im Gegensatz zu Papiergeld, nicht beliebig vermehrbar ist, gilt es als Rettungsanker vor der Inflation und begrenzt die Geldmenge, da gewährleistet sein muss, dass Geld jederzeit von der Nationalbank in Gold umgetauscht werden kann. Im internationalen Zahlungsverkehr bedeutet der Goldstandard den Vorteil, dass Währungen zu einem festen Wechselkurs ineinander gewechselt werden können. Der Nachteil des Goldstandards, der eine mindestens 40-prozentige Deckung der jeweiligen Landeswährung durch Gold vorsieht, besteht in der eingeschränkten Handlungsfähigkeit von Staaten, um auf konjunkturelle Entwicklungen zu reagieren, da sie die in Umlauf befindliche Geldmenge kaum verändern können. Sie können nur mithilfe der Zinspolitik reagieren. Nach dem Ersten Weltkrieg kehrten die meisten europäischen Regierungen trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten zum Goldstandard zurück, da man ihn als Inbegriff einer verantwortungsvollen Wirtschafts- und Finanzpolitik betrachtete, die Preisstabilität und Prosperität garantierte. Erst die Weltwirtschaftskrise zwang viele Staaten zum Abgehen vom Goldstandard. Den Anfang machte Großbritannien im September 1931. Insgesamt 25 Staaten sollten diesem Beispiel folgen. Deutschland und Österreich folgten nicht. 54 Florian Pressler  : Die erste Weltwirtschaftskrise. Eine kleine Geschichte der Großen Depression. – München 2013. S. 142.

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Die Folgen der Notverordnung der deutschen Regierung mit den darin enthaltenen Devisenkontrollen lösten vor allem bei den vom deutschen Tourismus abhängigen westlichen Bundesländern Österreichs Bestürzung aus. Da es 1930/31 noch völlig unkontrolliert zur Transferierung erheblicher Beträge ins Ausland gekommen war, wollte und musste man nunmehr in Berlin im Interesse der Überwindung der Bankenkrise dieser Entwicklung einen Riegel vorschieben. Am 18. Juli wurde aufgrund des Artikels 48, Absatz 2, der Reichsverfassung verordnet, dass »für jede Reise eines Reichsangehörigen, der im Inland seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, in das Ausland (…) eine Gebühr von 100 Reichsmark erhoben« wird. »Die Gebühr ist vor Antritt der Reise bei der zuständigen Passbehörde zu entrichten, die die Entrichtung im Pass vermerkt. (…) Ein Reichsangehöriger, der ohne den Vermerk aus dem Reichsgebiet ausreist, wird mit Geldstrafe nicht unter 1.000 Reichsmark oder mit Gefängnis bestraft. (…) Diese Verordnung tritt am 22. Juli 1931 in Kraft  ; sie tritt am 1. Oktober 1931 wieder außer Kraft. Die Reichsregierung ist ermächtigt, die Verordnung zu einem früheren Zeitpunkt außer Kraft zu setzen«. Angesichts der durch die Weltwirtschaftskrise ohnedies angespannten Wirtschaftsund Finanzlage – Mitte Juli 1931 wurde bekannt, dass die Einnahmen des Landes Salzburg deutlich hinter den Annahmen der Budgeterstellung zurückblieben und daher die Landesregierung zu »harter Sparsamkeit«55 gezwungen sei – reagierte man mit Blick auf den durch die 100-Mark-Ausreisegebühr drohenden Besucherrückgang bei den Festspielen äußerst beunruhigt. Diese Maßnahme, so die »Salzburger Chronik« bedeute nicht mehr als »die E r d r o s s e l u n g d e s F r e m d e n v e r k e h r e s i n Ö s t e r r e i c h (…) Die österreichischen Behörden haben mit allem Nachdruck darauf verwiesen, was dieser Erlass für unser Land bedeuten muss. Sie haben sicher auch betont, dass für die Gestaltung der deutschen Wirtschaft diese Sperre gegen Österreich keinen wesentlichen Erfolg bringen könne«. Die Notverordnung gehe vom deutschen Finanzminis­ terium aus, das ursprünglich sogar eine Ausreisesteuer von 1500 Reichsmark vorge­ sehen habe, um der Kapitalflucht Herr zu werden. Für Österreich sollte es keine Ausnahme geben, da das Land für solche Transaktionen auch als Durchzugsmöglichkeit dienen könne. Man müsse feststellen, dass diese Notverordnung »in erster Linie die M i n d e r b e m i t t e l t e n trifft. Hat schon die Gehaltskürzung die Auslandsreisen stark erschwert, so bedeutet diese Notverordnung die vollständige Drosselung des Fremdenverkehres, ja selbst des Geschäftsverkehres, da auch Geschäftsreisende unter die Notverordnung fallen«. Das deutsche Verhalten gegenüber Österreich sei auch deshalb unverständlich, weil sowohl die Oesterreichische Nationalbank wie auch die österreichischen Kurorte den deutschen Gästen das größte Entgegenkommen de55 Salzburger Chronik 20.7.1931. S. 4.

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monstriert hätten. Die Deutsche Reichsbank habe sich nämlich nur bereit erklärt, täglich 200.000 Reichsmark zu übernehmen. Da aber bei der Nationalbank täglich 1,2 Millionen Reichsmark präsentiert werden, sei dieses Entgegenkommen der Deutschen Reichsbank völlig ungenügend. Um den Sommertourismus nicht zu beeinträchtigen, übernehme nunmehr die Oesterreichische Nationalbank auf eigenes Risiko täglich noch zusätzlich zwischen 100.000 und 200.000 Reichsmark, könne aber über eine 30-prozentige Annahme der täglich anfallenden Gesamtsumme kaum hinausgehen, wenn nicht die Deutsche Reichsbank auch ihrerseits kein Entgegenkommen zeige. »Die Weigerung der Deutschen Reichsbank, die ganzen Markbeträge zu übernehmen, scheint von dem Wunsche diktiert worden zu sein, dass deutsche Auslandsreisen nach Möglichkeit eingeschränkt werden beziehungsweise die noch in der Fremde weilenden Deutschen sofort die Rückreise antreten.«56 Das »Salzburger Volksblatt« meldete, dass auch die deutsche Presse mit dieser Ausreisesteuer keineswegs einverstanden sei. »Sie erklärt mit vollem Rechte, dass das Ziel nicht werde erreicht werden. Kapitalflucht betreiben ja doch nur reiche Leute, und denen wird es, wenn sie Kapitalien ins Ausland bringen wollen und dabei die Möglichkeit zu haben glauben, einer Kontrolle an der Grenze, einer Entdeckung der mitgeführten Werte entgehen zu können, auf diese hundert Mark, die sie da bluten müssen, auch nicht mehr ankommen.«57 Ähnlich kommentierte die »Neue Freie Presse« diese Bestimmung der Notverordnung  : »Wer wissen will, wie Deutschland sich befindet, der braucht nur die gestrigen Notverordnungen der Reichsregierung aufmerksam zu lesen. Da wird jeder arme Teufel, der Deutschland verlassen will, jeder Mittelständler, der sich ein bisschen erholen möchte, mit hundert Mark Geldstrafe belegt  ; als wäre das Institut der Freizügigkeit im Reiche abgeschafft. Diese hundert Mark werden keinen Schieber zwingen, die Bestellung von Hotelzimmern in der Schweiz zu kündigen, nicht die Reichen werden dadurch getroffen, wohl aber die Masse der Bedürftigen, jene Alltagstouristen, die speziell in Österreich und in den Alpenländern so sehr willkommen sind.«58 In Salzburg war Landeshauptmann Rehrl als Krisenfeuerwehr gefordert. Er intervenierte auf dem Ballhausplatz, um auf direktem diplomatischen Weg eine Ausnahme für Österreich zu erwirken. Die Bemühungen des österreichischen Außenministeriums waren jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Berlin antwortete, dass eine Revision der Notverordnung vom Fortgang der Gespräche zwischen Frankreich, Großbritannien und Deutschland über eine Kreditgewährung und die Lösung der Reparationsfrage abhängig sei. Gegenüber dem Beirat der Fremdenverkehrskommission erklärte Bundeskanzler Karl Buresch anlässlich einer persönlichen Aussprache über die Fol56 Österreich ist Ausland. – In  : Salzburger Chronik, 20. 7. 1931.S. 1. 57 Die 100-Marl-Verordnung. – In  : Salzburger Volksblatt, 20. 7. 1931. S. 1. 58 Friedensgespräch zwischen Frankreich und Deutschland. – In  : Neue Freie Presse, 19. 7. 1931. S. 1f. S. 1.

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gen der deutschen 100-Mark-Ausreisegebühr, dass der österreichische Gesandte in Berlin bereits alle möglichen Schritte unternommen habe, um eine Zurücknahme der Notverordnung zu erreichen. Bisher leider vergeblich. Er sei sich dessen bewusst, dass, abgesehen von den Folgen für das gesamte Bundesgebiet, besonders die westlichen Bundesländer von dieser Maßnahme besonders hart getroffen werden.59 Im eigenen Wirkungsbereich berief Rehrl die Fremdenverkehrsförderungskom­ mission zu einer dringenden Sitzung ein, um Maßnahmen für eine Rettung der Frem­denverkehrssaison zu beschließen. Diese trat am 20. Juli zusammen und beschloss auf Vorschlag des Landeshauptmanns, die Durchführung der Salzburger Festspiele unbedingt zu ermöglichen. Rehrl wurde ermächtigt, alle Vorkehrungen zu deren Realisierung zu treffen. Dies betraf auch das Internationale Gaisbergrennen, dem man ebenfalls für den Fremdenverkehr besondere Bedeutung beimaß. Um dem zu erwartenden deutschen Gästeausfall begegnen zu können, wurden verstärkte Werbe­maßnahmen in London, Paris, Utrecht, Stockholm und Budapest beschlossen.60 Das »Salzburger Volksblatt« rief die Österreicher auf, ihren Urlaub verstärkt in Österreich zu planen. »Denn auch Österreich kann es sich, namentlich jetzt, nicht leisten, dass seine Bürger ihr Geld in das Ausland tragen, wir sind geradezu verpflichtet, jenen Teil der deutschen Notverordnung über den Fremdenverkehr zu übernehmen, in dem davon gesprochen wird, dass die Millionen, die für Urlaube aufgewendet werden, in der Heimat verbraucht werden sollen, weil dies die Not der Zeit so erfordere. Diese Not der Zeit ist für Österreich mindestens ebenso drückend, und es wird nicht anders gehen, als dass ihr die Verantwortlichen sofort Rechnung tragen.« Es gebe auch andere Beispiele. So habe Mussolini verfügt, dass Italiener nur im Fall des absolut notwendigen Besuchs von Kurorten im Ausland einen Pass 59 Um die deutsche Ausreisegebühr. – In  : Salzburger Chronik, 22. 7. 1931. S. 3. Der österreichische Gesandte in Berlin, Felix Frank, erklärte  : »Die Notverordnung über die Ausreise­ gebühr von hundert Mark hat für Österreich leider eine katastrophale Wirkung. Die Fremden, die im Sommer nach Österreich, insbesondere nach den Bundesländern Vorarlberg, Tirol, Salzburg, Oberösterreich und Kärnten kommen, sind zum überwiegenden Teil Reichsdeutsche, und zwar hauptsächlich Angehörige des Mittelstandes, die nicht in der Lage sind, die Ausreisegebühr zu bezahlen. Der finanzielle Entgang, den Österreich durch diese Maßnahme erleidet, dürfte mit dreißig Millionen Schilling eher zu nieder als zu hoch gegriffen sein. Aus den Verhandlungen, die ich in dieser Angelegenheit sowohl mit dem Auswärtigen Amt als auch mit dem Reichsfinanzministerium geführt habe, habe ich die bestimmte Überzeugung gewonnen, dass man diese Wirkung für Österreich auf deutscher Seite lebhaft bedauert und es freudig begrüßt hätte, wenn es möglich gewesen wäre, Reisende nach Österreich von den Bestimmungen der Notverordnung auszunehmen. Eine solche einseitige Bevorzugung Österreichs hätte aber natürlich den Protest der anderen Nachbarstaaten ausgelöst und unliebsame außenpolitische Folgen nach sich gezogen« (Neues Wiener Journal, 29. 8. 1931. S. 2). 60 Der gefährdete Fremdenverkehr. – In  : Salzburger Chronik, 21. 7. 1931. S. 4  ; Die Rettung des Fremdenverkehrs. – In  : Salzburger Volksblatt, 21. 7. 1931. S. 1.

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erhalten, und Polen habe Auslandsreisen durch hohe Passgebühren erheblich eingeschränkt. »Wir können es uns weniger als irgend ein anderes Land leisten, dass der Schilling ins Ausland getragen wird, auch Österreich bedarf jetzt einer Verordnung in seiner Not unter der Devise  : Ö s t e r r e i c h e r, r e i s t i n Ö s t e r r e i c h   !«61 Am 22. Juli publizierte die deutsche Reichsregierung nach intensiven Verhandlungen über die Folgen der 100-Mark-Ausreisegebühr die entsprechenden Durchführungsbestimmungen, in denen die Ausnahmen genannt wurden. Die Gebühr wurde nicht erhoben im kleinen Grenzverkehr, bei Auswanderung, bei Arbeitsaufnahme, bei Transportpersonal, bei Kindern unter 15 Jahren, bei Geschäfts- und Dienstreisen.62 In Salzburg wurde besonders die auch für die Festspiele wichtige Ausnahmeregelung für den bis Rosenheim erweiterten kleinen Grenzverkehr begrüßt. »Diese ›Anrainer‹ machen sich natürlich diese Wohltat des Ausnahmegesetzes gründlich zunutze. Freilich beschränkt sich ihr Aufenthalt lediglich auf e i n e n Tag, so dass sie reichlich oft hin- und herfahren müssen, falls sie sich ein wenig mehr in Salzburg aufhalten wollen. Für die S a l z b u r g e r F e s t s p i e l e ist diese Erweiterung des kleinen Grenzverkehres, ja dieser überhaupt, da er, was vor allem wichtig ist, Reichenhall einbezieht, von einschneidender Bedeutung. (…) In mancher Hinsicht fällt die Verfügung auch auf ihre Urheber, das heißt auf Deutschland selbst, zurück. So kommen zum Beispiel die F e r n z ü g e , die sich früher wahrlich nicht über schlechte Besetzung zu beklagen hatten, nahezu leer in Salzburg an. (…) Auch der A u t o v e r k e h r befindet sich unter den Leidensgenossen der von der deutschen Verordnung Betroffenen. Er hat sehr stark nachgelassen. Gestern zum Beispiel kam an der Zollstraße Wa l s e r b e r g bis 11 Uhr mittags nicht ein einziger Wagen an, erst im verlaufe des Tages kamen einige Ausflugswägen sowie einige Autos der Reichspost. Die Fernreisenden sind fast völlig ausgeblieben und stellen auch hier eine ganz rare Spezies dar.«63 Die »Salzburger Chronik« meldete am 24. Juli 1931, dass sich die deutsche 100-Mark-Ausreisegebühr bereits deutlich in den Nächtigungsziffern der Landeshauptstadt bemerkbar mache. Während im Juli des Vorjahres täglich durchschnittlich 1500 bis 1600 Fremde in den Hotels und Gaststätten genächtigt hätten, so seien es in diesem Monat lediglich zwischen 1100 und 1200.64 61 Österreicher, reist in Österreich  ! – In  : Salzburger Volksblatt, 22. 7. 1931. S. 1. 62 Salzburger Chronik, 23. 7. 1931. S.3. 63 Vom Salzburger Fremdenverkehr. – In  : Salzburger Chronik, 24. 7. 1931. S. 6. Die Einbeziehung von Bad Reichenhall in den nahen Grenzverkehr war für den Salzburger Tourismus, besonders jedoch auch für die Festspiele von Bedeutung. Der Kurverein Bad Reichenhall und das Bürgermeisteramt von Bad Reichenhall erreichten durch Verhandlungen mit München, dass Kurgäste mit Reisepässen beliebig oft und jeweils auf die Dauer von bis zu acht Tagen die Grenze nach Deutschland passieren durften, wenn sie sich an der Grenze mit einem gültigen Kurpass auswiesen (Salzburger Chronik, 25. 7. 1931. S. 7. 64 Salzburger Chronik, 24. 7. 1931. S. 7.

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Mit besonderer Anspannung wurde daher dem Beginn der Festspiele am 25. Juli entgegengesehen. Man hatte alles unternommen, um den befürchteten Besucherrückgang durch das massive Ausbleiben der deutschen Gäste auszugleichen. Landeshauptmann Rehrl hatte den Fremdenverkehrsförderungsfonds zu einer De-facto-Finanzgarantie für die Festspiele veranlasst, und der Werbeabteilung war es gelungen, die Übertragung von Festspielveranstaltungen durch 135 europäische und 83 amerikanische Radiostationen zu erreichen, wobei im Sinne der verstärkten internationalen Werbung die Ansage der Übertragungen erstmals auch in englischer und französischer Sprache erfolgte. Die »Salzburger Chronik« wies in ihrem Bericht darauf hin, dass die Voraussetzungen, unter denen in diesem Jahr die Planungen stattfanden, durch die deutsche 100-Mark-Ausreisegebühr widrig gewesen seien. »Unwillkürlich nahm alles in Österreich, vorab in Salzburg, da wir doch das Haupteingangstor für deutsche Gäste bilden, den Stift zur Hand, und man bemerkte plötzlich, der Sommergast, der Festspielgast aus Deutschland, steht mit sehr hoher Prozentzahl an sehr vorgerückter Stelle. Die Feuilletonisten schreiben zwar in den Wiener Blättern in entzückenden Sätzen, dass man zu Festspielzeiten in Salzburg überhaupt nichts mehr hört als Englisch und etwa noch Amerikanisch und nebenbei auch Französisch, Italienisch, Ungarisch, Tschechisch, Dänisch und eben auch noch das bisschen Deutsch, mit dem wir Einheimische uns nach wie vor verständigen  ; aber so entzückend sich das lesen mag, ganz wahr ist es nicht. Es wird auch noch ein anderes Deutsch in Salzburg gesprochen, besonders auch zur Festspielzeit, das Deutsch unserer Gäste aus dem Deutschen Reich. Nun hat es wohl den Anschein, als ob diese Stimme heuer etwas stark zum Verstummen gebracht werden sollte. Man weiß noch nicht, wie sich die Dinge auswirken werden, daher tut man besser, sich nicht auf Voraussagen zu versteifen.«65 Einer der von der »Salzburger Chronik« erwähnten Wiener Feuilletonisten, Max Graf, schrieb im Rückblick auf die Salzburger Festspielsaison 1931  : »Salzburg hat sich zur Festspielstadt Österreichs entwickelt und ist beim internationalen Reisepublikum in Mode gekommen. Es gehört beim amerikanischen, englischen und französischen Reisepublikum zum guten Ton, im Sommer nach Salzburg zu kommen und eine oder andere der Festvorstellungen und ein Konzert zu besuchen, vor allem aber das Spiel vom ›Jedermann‹ anzusehen, das sich zu einer Art Konkurrenz der Oberammergauer Spiele entwickelt hat und die Seele der reichen Leute in fromme Schauer versetzt, bevor sie den eigenen Smoking anziehen, um im modernsten Luxusauto zum Festspielhaus zu fahren. Die allabendliche Wagenauffahrt zu den Festveranstaltungen ist die glänzendste. Die Salzburger Festspiele sind eben in den ungeschriebenen Kodex des mondänen Lebens aufgenommen. Sie zählen zu den obligatorischen Verpflichtungen der großen Welt, wie Weihnachten in St. Moritz, 65 Der Beginn der Salzburger Festspiele. – In  : Salzburger Chronik, 27. 7. 1931. S. 5.

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Frühjahr in Monte, Sommer in Trouville. Man muss sie gesehen haben wie eine Messe in der Peterskirche in Rom, den Vesuv oder die Uffizien.«66 Und der Kritiker der »Münchener Zeitung«, Alexander Berrsche, berichtete unter Bezugnahme auf die deutsche 100-Mark-Ausreisegebühr vom Beginn der Festspiele 1931  : »Nach Salzburg zu fahren, ist für unsereinen jetzt schon ein Abenteuer. Man sitzt ganz allein in seinem Abteil, hört und sieht niemand, und ich begann mich schon in dem Hochgefühl zu wiegen, dass der Zug überhaupt nur meinetwegen laufe. Aber das war zu voreilig. Außer mir stiegen in Salzburg noch mindestens sechs Amerikaner aus. Zu siebt passierten wir das Spalier der staunenden Gepäckträger, die Sperre, die Zollabteilung und die Passkontrolle. Im Hotel war der Herr aus München eine Sensation. ›Wie, Sie sind trotzdem hergefahren  ? Haben Sie die hundert Mark bezahlt  ? Wird die Verordnung wieder aufgehoben  ?‹ So fragten der Portier, der Direktor, der Besitzer, der Ober, der Hausknecht. In ihrer Art war etwas von der Bewunderung für einen Walfischfänger und der Teilnahme für den letzten Überlebenden eines Schiffbruchs. (…) Übrigens scheinen die Festspiele unter der gegenwärtigen Situation nicht sehr zu leiden. Die Lücken im Zuschauerraum waren nicht größer als bei uns. Die Wiener Gesellschaft scheint zahlreicher erschienen zu sein als je, und das erzwungene Fernbleiben des reichsdeutschen Publikums wird wenigstens teilweise ausgeglichen durch einen gesteigerten Besuch von Ausländern. Es war vielleicht ein Zufall, aber ich habe diesmal fast ebenso viel Französisch gehört wie Englisch. Auch an Tschechen hat es nicht gefehlt.«67 Trotz des stärkeren Anteils ausländischer Besucher gaben die Besucherzahlen in den ersten Tagen der Festspiele Anlass zur Besorgnis. In der ersten Woche mit dem Gastspiel der Mailänder Scala und den Budapester Philharmonikern wurde ein Kartenverkauf von lediglich 44 Prozent erzielt. Erst im August stieg der Kartenverkauf deutlich an und entsprach halbwegs den Präliminarien. Wenngleich die internationale Werbewirkung durch die Rundfunkübertragungen sowie die Berichte von insgesamt 229 Journalisten erheblich war und die Rezensionen durchwegs freundlich bis hymnisch ausfielen, die ökonomischen Krisenerscheinungen waren unübersehbar, besonders in der Fremdenverkehrsindustrie. Der Gremialvorsteher der österreichischen Hoteliers, Felix Scheiflinger, sprach von einer dramatischen Situation, da auch »die scheinbar besten Betriebe von der Wirtschaftskrise arg mitgenommen sind. Dazu kommen die Zahlungsschwierigkeiten, mit denen unsere wichtigsten Fremden, die Deutschen und Ungarn, zu kämpfen haben und schließlich die deutsche Ausreisetaxe, zwei Faktoren, die bewirkt haben, dass der Fremdenverkehr im

66 Max Graf  : Rückblick auf Salzburg. – In  : Der Wiener Tag, 6. 9. 1931. S. 14. 67 Max Kaindl-Hönig (Hg.)  : Resonanz. 50 Jahre Kritik der Salzburger Festspiele. – Salzburg 1971. S. 67.

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Vergleich zu früheren Jahren einen Rückgang aufweist, wie man ihn von vornherein selbst bei pessimistischer Beurteilung der Lage nicht erwartet hatte. (…) Die Hotels haben in der letzten Zeit vielfach großzügige Investitionen vorgenommen. Dies geschah, weil man sich von der regen Auslandspropaganda für den österreichischen Fremdenverkehr die größten Hoffnungen machte. Man erwartete viele Fremde, und um diesen den Aufenthalt in Österreich so angenehm wie möglich zu machen, und in der Hoffnung, dass die Fremden für uns werben werden, wenn sie in ihre Heimat zurückkehrten, fühlte sich eine Reihe von österreichischen Hotelbesitzern veranlasst, sehr kostspielige Veränderungen in ihren Betrieben durchführen zu lassen. Meist wurden diese Beträge aus Krediten aufgebracht, für die sehr hohe Zinsen zu bezahlen sind. Die schlechte Saison fügt den Hoteliers also nicht nur finan­zielle Verluste zu, sondern bringt sie auch an den Rand des Ruins«.68 Um gegenzusteuern und als Urlaubsdestination konkurrenzfähiger zu werden, beschloss eine Enquete im Handelsministerium am 11. August eine Reduktion der Hotelpreise – 15 Prozent vom Zimmerpreis, 10 Prozent von den Speisen und 12 Prozent vom Pensionspreis – sowie Fahrpreisermäßigungen der ÖBB.69 In welchem Ausmaß diese Maßnahmen die Sommersaison in Salzburg, vor allem die Besucherfrequenz der Festspiele zu beeinflussen vermochten, ist nicht nachweisbar. Die Statistik zeigt im Vergleich der Saisonen 1927/28 und 1931/32 einen deutlichen Rückgang der Nächtigungen in der Stadt Salzburg, besonders der Gäste aus dem Deutschen Reich um rund 100.000.70 Da infolge der Weltwirtschaftskrise auch die Zahl der Gäste aus dem übrigen Ausland im Vergleichszeitraum um rund 40.000 fiel, waren die Krisensymptome unübersehbar. In seinem Bericht an den Landtag über das zu Ende gehende Jahr am 18. November 1931 thematisierte Rehrl diese Entwicklung, die durch außerhalb des Einflussbereichs der Landespolitik gelegene Faktoren bestimmt worden war. »Wohin sich unsere Blicke über die Grenzen unserer engeren Heimat richten, sehen wir krisenhafte Verhältnisse. Von überall dringen Schreckenskunden zu uns. Worte, deren Inhalt und Bedeutung uns fast unbekannt waren, stehen auf dem Mund eines jeden. Zusammenbrüche von Banken und Industrien, Stilllegung von Werken und Unternehmungen, Niedergang von bäuerlichen und gewerblichen Betrieben ziehen an unserem Auge vorüber, und wir müssen es erleben, wie Tausende und Abertausende von Mitmenschen und Volksgenossen kaum ihr Dasein fristen können. Unser kleines Österreich, das durch die Friedensverträge seinen Lebensraum verloren hat, kann 68 Felix Scheiflinger  : Die Krise der österreichischen Fremdenindustrie. – In  : Neue Freie Presse, 9. 8. 1931.S. 11. 69 Neue Freie Presse, 12. 8. 1931. S. 8. 70 Ardelt  : Die Ära des »Christlichen Ständestaates« (1934–1938). – In  : Dopsch, Spatzenegger (Hg.)  : Geschichte Salzburgs. Bd. II/4. S. 2412.

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sich daher am allerwenigsten der allgemeinen Weltwirtschaftslage entziehen und so hat auch vor dem Bundeslande Salzburg die allgemeine Wirtschaftsnot nicht Halt gemacht und durch die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise eine Verschärfung erfahren, die schwer erträglich erscheint. Gerade das Land Salzburg blickt auf Monate zurück, die durch mancherlei Unheil gekennzeichnet sind.«71 Im Frühjahr 1931 verursachten schwere Unwetter massive Schäden, von denen die bäuerliche Bevölkerung und Teile des Gewerbes schwer in Mitleidenschaft gezogen wurden. Wenig später habe die deutsche Ausreisegebührenverordnung »die ergiebigste Ader des für unser Land so wichtigen Fremdenverkehres« durchschnitten. »Auch die schweren Erschütterungen der Creditanstalt und der zwei D-Banken warfen ihre schwarzen Schatten nach Salzburg. Wichtige Arbeitsmöglichkeiten erschienen geschädigt. So wurde die Aufrechterhaltung und Fortführung des Mitterberger Kupferbergwerkes, das mit Rücksicht auf den ungemein niedrigen Weltmarktpreis des Kupfers mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, unmöglich und es ist heute gar nicht abzusehen, ob und wann eine neuerliche Inbetriebnahme des Werkes möglich sein kann (…) Der österreichische Zinsfuß erreichte eine drückende Höhe« und die Demonstrationen anlässlich der Pfändung bäuerlicher Betriebe illustrierten eindrücklich die Not der ländlichen Bevölkerung. Die Landesregierung sei sich der problematischen Lage durchaus bewusst und unternehme alles in ihrer Macht Stehende, um Abhilfe zu schaffen. Doch seien ihre Mittel begrenzt, weshalb zwar manches erreicht werden konnte, aber auch manches, was notwendig gewesen wäre, nicht.72 Es seien aber nicht nur die fehlenden finanziellen Mittel, die eine zunehmende Gefahr für das Land bedeuten. Mit deutlicher Wendung gegen die immer aggressiver auftretenden Nationalsozialisten erklärte er in sichtlich wachsender Sorge um die politische Kultur des Landes  : »Weit schlimmer und gefährlicher erscheint mir der Umstand, wie die Erscheinungen der Gegenwart vielfach behandelt werden. Ich denke da an die Verwilderung des politischen Kampfes. Schlagworte werden in die Menge geworfen, die Gemüter in Versammlungen, die weit entfernt jeder Sachlichkeit sich bewegen, aufs Höchste erregt. Jedes Mittel scheint dem einzelnen gerade gut genug zu sein, um dem politischen Gegner zu schaden. Was ist natürlicher, als dass so die Unzufrie­ denheit mit den gegenwärtigen Verhältnissen nur noch gesteigert wird, ohne dass aber wirklich aufbauende Arbeit Platz greift. Kritik ist heute leicht geübt, wirklich durchführbare Vorschläge für einen Wiederaufbau fehlen. (…) Wenn ich jetzt über die allgemeine Wirtschaftskrise, deren Zeuge wir sind, gesprochen habe, so ist es wohl müßig darauf hinzuweisen, dass auch das Land gegenwärtig von schweren Zukunftssorgen belastet erscheint.« Er hoffe auf das landespolitische Konsensklima der gemeinsamen Verantwortung, ohne das eine Bewältigung 71 SLTPR, 2. Sitzung der 5. Session der 3. Wahlperiode, 18. November 1931. S. 42. 72 Ebda. S. 43.

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der Krise nicht möglich sei. Denn die Landesfinanzen seien durch die letztlich unvorhersehbaren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in eine Schieflage geraten, weshalb ein Abgang von rund 560.000 Schilling gedeckt werden müsse.73 Zum Schluss seines Rechenschaftsberichts kam Rehrl auf die Entwicklung des Fremdenverkehrs und der Salzburger Festspiele zu sprechen. Der Fremdenverkehr sei durch die in Ungarn und Deutschland aufgetretenen Währungsprobleme in erhebliche Schwierigkeiten geraten. Es sei dem Landesverkehrsamt gelungen, die der Annahme von Mark- und Pengöbeträgen entgegenstehenden Hindernisse zu beseitigen und die Auswirkungen der deutschen Maßnahmen zum Teil zu egalisieren. Eine wichtige gesamtösterreichische Maßnahme zur Ankurbelung des Fremdenverkehrs sei die spätsommerliche und Herbstaktion eines verbilligten Urlaubsaufenthalts in Verbindung mit begünstigten Eisenbahnfahrten gewesen, wobei allerdings die erheblich weitergehenden Vorschläge Salzburgs, die nach dem Muster Italiens und Jugoslawiens eine kostenlose Eisenbahnrückfahrt einschlossen, nicht berücksichtigt wurden, »Wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse im Weltreiseverkehr noch weiter verschlechtern, wird man sich in Wien sehr bald bereitfinden müssen, den österreichischen Fremdenverkehr durch Begünstigungsmaßnahmen zu beleben, die sich nicht teilweise, sondern ganz mit den Salzburger Vorschlägen decken.« Im Zusammenhang mit dem Fremdenverkehr komme den Festspielen aufgrund ihrer zentralen Stellung in diesem Bereich eine besondere Rolle zu. »Gerade in diesem Sommer des Missvergnügens, der auch unter der Ungunst des Wetters zu leiden hatte, erwies es sich neuerdings, wie sehr die Salzburger Festspiele als ein mächtiger Stützpfeiler des Fremdenverkehres nicht nur in der Landeshauptstadt Salzburg und ihrer Umgebung, sondern im ganzen Lande Salzburg und den Nachbargebieten, ja in ganz Österreich, anerkannt zu werden verdienen. In diesem Zusammenhange darf es als ein erfreulicher Fortschritt bezeichnet werden, dass das Landesverkehrsamt durch die Mithilfe des Fremdenverkehrsfonds in die Lage gesetzt ist, einen Großteil der Salzburger Landesreklame künftighin mit der offiziellen Festspielreklame zusammenzulegen. (…) Da die gesunkene und noch weiter sinkende Kaufkraft des Reisepublikums die wirtschaftlichen Bedingungen der Fremdenverkehrsländer fühlbar verschlechtert, ist eine Verstärkung der Werbearbeit unerlässlich. Das Land Salzburg darf hinter der inländischen und ausländischen Konkurrenz unter keinen Umständen zurückbleiben. Das Schicksal des salzburgischen Fremdenverkehrs ist gleichzeitig das Schicksal der Gesamtbevölkerung Salzburgs.«74 Die krisenhaften ökonomischen Rahmenbedingungen hinterließen auch in der Bilanz der Festspiele ihre Spuren, wenngleich letztlich nicht in dem befürchteten 73 Ebda. S. 45f. 74 Ebda. S. 59f.

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Ausmaß. Dennoch machte der ungedeckte Abgang in der Höhe von rund 51.000 Schilling Konsequenzen für den kommenden Festspielsommer notwendig. Vor ­allem das Stadttheater verursachte erhebliche Kosten, da die Ausgaben in keinem Verhältnis zu den Einnahmen standen und daher in den folgenden Jahren auf das Haus als Aufführungsort aus wirtschaftlichen Notwendigkeiten verzichtet werden musste. Dies betraf vor allem die Sparte des Schauspiels, womit sich das Schwergewicht der Programmatik auf das Musiktheater verschob. Dadurch reduzierte sich auch der Einfluss Reinhardts, der bis 1937 neben dem »Jedermann« nur mehr für die legendäre »Faust«-Inszenierung in der Felsenreitschule verantwortlich zeichnen sollte. Die gesamte Planung des Festspielsommers 1932 erfolgte im Schatten der sich nach wie vor verschärfenden Wirtschaftskrise. Angesichts der in der Budgetpoli­tik des Bundes dominierenden Theorie der Sparsamkeit forderten Finanz- und Unterrichtsministerium eine Reduktion der Kalkulation um 25 Prozent, um damit auch eine adäquate Reduktion der Bundessubvention vornehmen zu können. Die Leitung der Festspiele geriet damit im Herbst 1931 in ein Dilemma. Einerseits anerkannte man die eingeengten finanziellen Rahmenbedingungen, andererseits wollte man auf den Anspruch höchsten künstlerischen Niveaus nicht verzichten. Zur Jahreswende 1931/32 verdüsterten sich die Aussichten neuerlich. In der Weimarer Republik erreichte die Zahl der Arbeitslosen die 6-Millionen-Grenze und in Österreich wurden 423.000 Arbeitslose registriert. Am 21. September 1931 hatte sich Großbritannien nach einem von Juli bis September andauernden Sturm auf die Bank von England, bei dem in einer bisher nicht gekannten Größenordnung die Besitzer von Pfund Sterling ihre Guthaben in Gold oder Devisen umtauschten, von der Goldbindung des Pfund, für die meisten Briten das Symbol von Seriosität und Stabilität, verabschiedet.75 Wenngleich sich die Abwertung des Pfund für die britische Exportwirtschaft letztlich als günstig erweisen, die Politik des billigen Geldes die britische Binnenwirtschaft beleben und damit die Wirtschaftskrise allmählich

75 An dem Sturm beteiligten sich nicht nur Private und Geschäftsbanken, sondern auch die Zentralbanken kleinerer europäischer Länder, die Pfund als Devisenreserven hielten. Die Bank von England musste schließlich die Auszahlung in Gold aus zwei Gründen einstellen  : Nach dem Versiegen der amerikanischen Gelder 1929 übernahmen vor allem britische Banken die Funktion eines Kreditgebers in Mittel- und Osteuropa, indem sie zu hohen Zinsen kurzfristig in Großbritannien angelegtes Geld langfristig verliehen. Der Profit dieses Geschäftsmodells beinhaltete jedoch auch ein großes Risiko im Fall eines Rückrufs der kurzfristigen Gelder. Dies trat zwischen Juli und September 1931 ein. Die Bank von England war kaum in der Lage, diese Gelder ihren Gläubigern zurückzuzahlen, da sie langfristig in Mittel- und Osteuropa gebunden waren. Wesentlich zu den Schwierigkeiten trugen vor allem die Stützungsmaßnahmen der Bank von England für die Bewältigung der CA-Krise sowie das Stillhalteabkommen zur Lösung der deutschen Bankenkrise, das ausländische Gläubiger verpflichtete, ihre Gelder in Deutschland zu belassen, bei. Die Bank von England verfügte damit kaum mehr über die notwendigen Mittel, um das Pfund entsprechend zu stützen. Sie hatte sich selber die Hände gebunden.

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beenden sollte, so herrschten zunächst in der veröffentlichten und öffentlichen Meinung über diese Maßnahme pessimistische bis negative Kommentare. Der Abschied Großbritanniens vom Goldstandard hatte auch erhebliche Auswirkungen auf Frankreich, das bisher durch die hohe Binnenorientierung seiner Wirtschaft, eine unterbewertete Währung, hohe Agrarzölle und eine geringe Abhängigkeit von ausländischen Krediten eine Sonderstellung eingenommen hatte und die Staaten des sogenannten »Goldblocks« anführte. Bereits zur Jahreswende 1930/31 machten sich jedoch erste Krisenanzeichen durch den Einbruch der Exporte und einen sich langsam steigenden Deflationsdruck bemerkbar. Der Vorteil der unterbewerteten Währung verschwand mit der Aufgabe des Goldstandards durch Großbritannien und die Commonwealth-Staaten sowie Dominions, da nunmehr der Franc als überbewertet erschien. Die Exporte verteuerten sich und brachen ein, die Abwärtsspirale der Inlandspreise beschleunigte sich, die Agrarpreise fielen um bis zu 40 Prozent. Da die französische Regierung am Goldstandard festhielt, war sie nunmehr gezwungen zu sparen, um das Vertrauen in die Goldbindung des Franc aufrechtzuerhalten. Auch Frankreich betrieb ab dem Jahreswechsel 1931/32 eine Deflationspolitik und hielt am Goldstandard auch noch fest, als sich die USA 1933 von diesem verabschiedeten. In der Festspielleitung musste man sich die Frage stellen, welche Auswirkungen diese währungs- und wirtschaftspolitischen Entwicklungen auf das Verhalten der englischen und französischen Besucher haben würden. Würde die Verteuerung ­eines Auslandsaufenthalts durch die Abwertung des Pfund britische Kunstfreunde vom Besuch der nunmehr teureren Festspiele abhalten und reduzierte die Deflation in Frankreich die Bereitschaft der Franzosen zu Auslandsaufenthalten  ? Die Situation war völlig unübersichtlich, weshalb man sich entschloss, nur unter äußerster Vorsicht die Vorbereitungen für den Sommer 1932 fortzuführen. Für diese galt der Primat der Kosten-Nutzen-Rechnung, d. h. das Erzielen möglichst hoher Einspielergebnisse, was wiederum ein möglichst großes Platzangebot sowie hohe Auslastungszahlen voraussetzte. Damit kam nur das Festspielhaus für Opernaufführungen infrage. Ein breit gestreutes Angebot von 9 Opern – 6 Wiederaufnahmen (»Der Rosenkavalier«, »Orpheus und Eurydike«, »Così fan tutte«, »Die Zauberflöte«, »Die Hochzeit des Figaro«, »Fidelio«), 2 Neueinstudierungen (»Die Entführung aus dem Serail«, »Oberon«) und eine adaptierte Wiener Produktion (»Die Frau ohne Schatten«) – bildeten das Zentrum des musikalischen Programms, das von Clemens Krauss und Bruno Walter dominiert wurde. Der Tod von Franz Schalk am 3. September 1931und damit die Vakanz der für ihn vorgesehenen Opern in der kommenden Festspielsaison setzte auch die Frage des dritten permanenten Dirigenten der Festspiele auf die Tagesordnung. Die Festspielleitung war nicht gewillt, dem Drängen von Clemens Krauss nach einer künstlerischen Leitung im musikalischen Bereich nachzugeben, damit den machtbewussten Dirigenten, der sich durch seine enge Beziehung zu Richard Strauss und seine Position als Direktor der

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Wiener Staatsoper ohnedies bereits in einer starken Position befand, zum musikalischen Dominator aufsteigen zu lassen und sich damit weitgehend selber zu entmachten. In einem Schreiben an Richard Strauss am 7. Jänner 1933 ließ Krauss seiner Enttäuschung über die Haltung der Festspielleitung gegenüber seinen Ambitionen im Jahr 1932 freien Lauf. »Wenn ich Ihnen einmal erzählen werde, wie man mir und meinen Intentionen in diesem Jahr mitgespielt hat, werden Sie erstaunt sein über die Hinterhältigkeit, mit der man vorgegangen ist. Ich habe die Absicht, die ganze Angelegenheit in einer anderen Weise in das richtige Geleise zu bringen, und zwar auf dem Wege über die Regierung. (…) Wenn ich meine Absichten durchführen kann, werden die nächstjährigen Festspiele von einem leitenden Kopfe durchgeführt werden.«76 In Salzburg dachte man an Fritz Busch, den Generalmusikdirektor der Semperoper, an der er Richard Strauss’ »Intermezzo« und »Ägyptische Helena« zur Uraufführung gebracht hatte und der durch Dirigate in New York und London im anglikanischen Raum über erhebliche Reputation verfügte, als dritten permanenten Dirigenten der Festspiele und damit auch als Gegengewicht zu dem machtbewussten Clemens Krauss. Zunächst wählte man jedoch den Weg des Kompromisses. Da Richard Strauss sich bereit erklärte, nach sechs Jahren Abwesenheit als Dirigent der bisher von Schalk geleiteten Aufführungen von »Fidelio« sowie zweier Orchesterkonzerte zurückzukehren, übertrug man Fritz Busch nur die Leitung von Mozarts »Entführung aus dem Serail« und zweier Orchesterkonzerte. Im Gegensatz zu dem umfangreichen musikalischen Angebot beschränkte sich die Sparte des Sprechthea­ ters lediglich auf den von Max Reinhardt inszenierten »Jedermann« mit einem neuen Darsteller in der Titelrolle.

VI.3 Der Moissi-Skandal Ende August 1931 berichtete Berta Zuckerkandl-Czeps von einer »Traumnacht auf Schloss Leopoldskron«, Reinhardts auf eigene Kosten für eine ausgewählte Schar von Freunden erfolgte Inszenierung von Shakespeares »Was ihr wollt« im Garten des Schlosses. Eine Aufführung mit Helene Thimig, Alexander Moissi und der sich ihre ersten Sporen verdienenden jungen Paula Wessely. Bernhard Paumgartner und Mitglieder der Wiener Philharmoniker sorgten für die musikalische Umrahmung. Reinhardt hatte ungemeine Mühe in diese phantasievolle Inszenierung, die schließlich einem Wolkenbruch zum Opfer fiel und in das Schloss verlegt werden musste, investiert. »Denn es regnete jeglichen Tag  !«, singt der Narr in Shakespeares Stück, und dieser Satz wurde durch den die Freilichtaufführung verhindernden Regen an

76 Zit. bei Hadamowsky  : Richard Strauss und Salzburg. S. 50.

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diesem Abend Realität. »Und als in allerletzter Stunde ein Schimmer durch die düstere Wetterschicht drang, da war es zu spät. (…) Dieses Treiben im Schloss Leopoldskron die ganze Woche über  ! Man probierte in der großen Eingangshalle. Denn die andere, die eigentliche Bühne, schwamm im Wasser. Frau Thimig als Viola, entzückend schlankbeinig in ihrem grünen Knabenkostüm. Die Wessely angstbesessen wie immer. Weil diese unwahre Seele jede Aufgabe als eine Prüfung hinnimmt  ; als eine zitternde Freude  ; als Entscheidung, zu bestehen oder zu vergehen. Und Moissi  ! Der Narr zählte ja stets zu seinen T ­ riumphen  ! Er ist geblieben wie in seinen Jugendtagen  : der weiseste, seelenvollste Narr  ; trauer­ umrandet. (…) Jede Viertelstunde kam ein Wettbericht. Das Thermometer steigt  ! Die Bauern schütteln trotzdem die Köpfe. Dann, zwei Tage vor dem Fest, macht sich der Himmel einen Spaß. Im Nu sind die regentriefenden Wolken verhuscht. Der blaueste Himmel, die hellste Sonne lachen. Und es lacht ganz Leopoldskron. Man probiert endlich auf der Freilichtbühne. Entzückende Ideen nehmen Gestalt an. Die ­Thimig kommt auf einem Boot angefahren. Das Wasser, aber diesmal nicht von oben, spielt mit. Und alle die Mühe, all die Kunst verschwendet  ! Um ½ 7 Uhr des Festabends hört wohl der Regen auf. Moissi lässt mir sagen, man hätte eben telefoniert, es wird doch gespielt. Wenn auch unter drohender Wolkendecke. In der Halle von Leopoldskron sammeln sich die Gäste. Seltsam amüsanter Ausblick. Dekolletierte Abendtoiletten und darüber wasserdichte Mäntel, Kapuzen. Die Herren im Frack. Und darüber Wetterkrägen, Lodenhüte. Nur Regenschirme sieht man nicht. Man dürfte sie im Park doch nicht aufspannen.« Reinhardt fungierte nicht nur als Regisseur, sondern auch als Architekt der Szene, verwandelte den Leopoldskroner Park in eine Traumlandschaft, die zur Szene wurde und den Teich mit einbezog. Er schuf ein Gesamtkunstwerk. »Von fern ertönt Gesang. Chöre die anschwellen. Hie und da leuchtet eine Fackel auf. Jetzt übernimmt das Orchester, das vor der Rampe versenkt liegt, die Melodie. Die Bühne erhellt sich. Anmutig flattern Gestalten. Eines der für ›Was ihr wollt‹ inszenierten Intermezzi huscht vorüber. Und jetzt gewinnt plötzlich Natur, Bühnenkunst, der Märchenbaum, das stille Boot tieferen Sinn, innigeres Dasein. Moissi tritt auf. Im Kostüm des Narren. Und so ganz Einfachheit, Schlichtheit, höchste Anmut kündend. Er singt die Narrenlieder. Die herrliche Akustik (Reinhardt schreibt sie der wohldurchdachten Rolle zu, die er den Baumbosketten zuwies) trägt die süße Stimme wie auf sanften Wellen. Das verhauchende Piano, das Moissi meistert, die Akzente erschütternder ironischer Tragik, sie werden eins mit der Landschaft. Und was ist höhere, größere Kunst als Vermählung von Landschaft und Seele  ? Später nach dem Souper kommt Reinhardt auf Moissi zu. Nimmt seine beiden Hände. Und mit unbeschreiblicher Rührung sagt er zu ihm Dank. ›Ich spreche nicht von Ihrer Leistung. Das erübrigt sich. Aber von Ihnen habe ich heute wieder tief

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und ganz gefühlt, was das Wort Kameradschaft bedeutet. Dass Sie ohne Zögern, ohne jedes Bedenken, im Empfinden schönster Solidarität uns diese Überraschung gewährten  ! Was mir am Herzen lag, meinen Gästen wenigstens andeuten zu können, wie ich mir solche Wirkung meines Theaters vorstelle, ist mehr als in Erfüllung gegangen.‹ (…) Heute schließen sich die Tore von Leopoldskron. Reinhardt und Frau Thimig sind nach München gefahren. Die Gäste aus aller Herren Länder rattern mit ihren Rolls-Royces und Paquards davon. Und im stillen Weiher spiegeln sich die süßen Konturen des ›Verduren-Theaters‹, die Max Reinhardt gezaubert hat.«77 Während sich die Tore Leopoldskrons schlossen, öffneten sich für Moissi jene des lokalen Antisemitismus und beendeten dessen Mitwirkung bei den Salzburger Festspielen. Alexander Moissi war nicht nur Schauspieler, sondern verfolgte auch schriftstellerische Ambitionen. Er verfasste ein Napoleon-Drama, das das Leben des nach St. Helena verbannten Kaisers der Franzosen zum Inhalt hatte. Die Premiere des Stückes war in der Regie von Reinhardt in Berlin mit Werner Krauss in der Titelrolle geplant. Durch den Wechsel von Krauss an das Berliner Staatstheater erfolgte allerdings Anfang November 1931 die Uraufführung des Dramas in Hamburg mit Ernst Loidesdorf in der Titelrolle. Die Kritik bemerkte anerkennend  : »Moissi hat für sein Stück viele geschichtliche Studien gemacht und sein Theaterblick, seine über Routine hinausgehende menschliche Gabe, Charaktere zu erfassen, sein Sinn für die große Szene, haben aus dem großen Gefangenen ein interessantes Theaterstück gemacht. (…) Vieles in dem Stück ist (…) von sehr starker Wirkung …«78 Unmittelbar nach seinem Eintreffen in Salzburg Ende Juli 1931 besuchte Moissi den mit ihm befreundeten Journalisten und Schriftsteller Andreas Latzko und erzählte ihm von seinem während einer Südamerikatournee begonnenen Vorhaben, einen Frauenroman zu schreiben. Ihn interessierten dabei die Zusammenhänge zwischen psychischen und physiologischen Erscheinungen bei schwangeren Frauen. Da er darüber viel zu wenig wisse, möchte er gerne mit einem Fachmann über dieses Thema sprechen. Latzko vermittelte ein ausführliches Gespräch mit einem Gynäkologen, der Moissi leihweise auch entsprechende Fachliteratur zum Studium des Themas überließ. Nach dem Studium der ihm überlassenen Literatur erklärte Moissi gegenüber Latzko, er wolle in seinem Roman einen Geburtsvorgang beschreiben, und fragte seinen Gesprächspartner, ob dieser entsprechende Literatur kenne. Latzko empfahl ihm Émile Zolas Roman »La joie de vivre«, in dem eine Geburt ausführlich beschrieben wird. Moissi las Zola mit großem Interesse  ; er erklärte anschließend, er könne doch nicht 77 Berta Zuckerkandl-Czeps  : Traumnacht auf Schloss Leopoldskron. – In  : Neues Wiener Journal, 29. 8. 1931. S. 5. 78 Alexander Moissis Dichterdebüt. – In  : Die Stunde, 3. 11. 1931. S. 6.

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in seinem Roman einen anderen Schriftsteller einfach abschreiben, und erhielt von Latzko als zusätzliche Informationsquelle August Forels »Die sexuelle Frage«.79 Der schriftstellernde Schauspieler vertiefte sich in die Lektüre und kam zu dem Schluss, zu Studienzwecken einer Geburt persönlich beiwohnen zu wollen, weshalb er den ärztlichen Leiter des Salzburger Landeskrankenhauses, Ernst von Karajan, den Vater Herbert von Karajans, bat, einer Entbindung im St.-Johanns-Spital beiwohnen zu dürfen. Karajan wandte sich an die Landesregierung mit der Frage, ob gegen diesen Wunsch Einwände bestünden. Da diese nicht erfolgten, gewährte die Direktion der Landeskranken-Anstalten Moissi »in Würdigung der rein künstlerischen Absichten zu Studienzwecken die Erlaubnis, einem Entbindungsakt anwohnen zu dürfen«.80 Moissi wurde entsprechend eingekleidet und durfte als »Arzt Alexander« miterleben, wie eine junge Arbeiterin ihr Kind entband. Ob diese vorher um ihre Einwilligung befragt wurde oder nicht, kann aufgrund der unterschiedlichen Aussagen und des vor allem folgenden politischen Skandals inklusive des damit verbundenen psychischen Drucks auf die junge Mutter nicht eindeutig beantwortet werden. Während am 3. September 1931 die Außenminister Curtius und Schober in Genf den Verzicht auf die deutsch-österreichische Zollunion verkündeten, Franz Schalk in einem Sanatorium in Edlach am Semmering starb und in Wien der Reichsbauernrat mit Bundeskanzler Karl Buresch und Landwirtschaftsminister Engelbert Dollfuß über die Schwierigkeiten des Viehabsatzes eine Krisensitzung abhielt, inszenierten in Salzburg die Nationalsozialisten eine Protestversammlung, in der sie in einer öffentlichen Anfrage an Landeshauptmann Rehrl den Vorwurf erhoben, dieser habe während der Festspielzeit dem Schauspieler Alexander Moissi gestattet, einer Entbindung in der Gebärklinik der Landeskranken-Anstalten beizuwohnen. Dabei positionierten sich die Nationalsozialisten als Hüter der Sittlichkeit und Ehre der (deutschen) Frau, wurde die Geburt als intimster und heiligster Moment einer Mutter bezeichnet, der sich nicht für voyeuristische Neugier – noch dazu eines »Juden« – eigne. Bei ihrer Agitation spekulierten sie nicht nur auf die wachsende eigene Klientel, sondern auch auf christlichsoziale Kernwählerschichten. In einer amtlichen Mitteilung wurde darauf hingewiesen, dass Landeshauptmann Rehrl wegen Abwesen­heit in dieser Angelegenheit nicht befasst gewesen sei. Das Amt der Landesregierung habe dem Ersuchen Moissis in Würdigung von dessen rein künstlerischem Interesse zugestimmt. »Der Künstler benahm sich dabei in jeder Beziehung taktvoll. Seine hierbei getragene weiße Kleidung war durch die Hausordnung bedingt.« Keiner der beteiligten Ärzte habe aus diesem Entgegenkommen seitens der Festspiele irgendeinen Vorteil gezogen.81 79 Vgl. Andreas Latzko  : Ein Freundeswort für Moissi. – In  : Salzburger Volksblatt, 15. 9. 1931. S. 5f. 80 Wiener Zeitung, 6. 9. 1931. S. 5. 81 Ebda. S. 6.

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Die NSDAP gab sich jedoch mit dieser Erklärung nicht zufrieden und betonte in einer Aussendung, dass »die Antwort der Salzburger Landesregierung vollinhaltlich die schweren Anschuldigungen, die wir gegen die Leiter der Gebärklinik der Landeskrankenanstalt und gegen die Landesregierung gerichtet haben«, bestätige. »Es ist festzustellen, dass wir eine Notwendigkeit, den Akt der Geburt, die heiligste Stunde jeder Mutter zu ›künstlerischen Inspirationen‹ zu missbrauchen, nicht einsehen, sondern dass wir diese Auffassung schärfstens verurteilen. Da die Landesregierung unseren Standpunkt nicht teilt, indem sie versucht, für diese Ungeheuerlichkeit eine Entschuldigung zu finden, fragen wir die verantwortlichen Personen, ob s i e im gegebenen Fall geneigt wären, durch Beistellung einer ihnen nahestehenden Frau für ›künstlerische Zwecke‹ wünschenswerte Studienmöglichkeiten zu bieten. Ob Landeshauptmann Dr. Rehrl das Ansuchen Moissis vorher oder nachher genehmigt oder auch nur stillschweigend geduldet hat, ist belanglos. Aus der Antwort der Behörde geht jedenfalls nicht hervor, dass der Landeshauptmann den schuldigen Herren gemaßregelt hätte. Dadurch ist aber die Mitverantwortlichkeit auf jeden Fall gegeben«. Und zum Hinweis auf das besonders taktvolle und zurückhaltende Benehmen Moissis während der Geburt  : »Wir sind nicht der Ansicht, dass es besonders taktvoll ist, wenn Moissi während der Entbindung an die Gebärende nach Aussage des Anstalts-Geistlichen wiederholt die Frage richtete, welche Gefühle sie habe. Das Erscheinen des Laien Moissi im Arztmantel erachten wir als e i n e n M i s s b r a u c h d e r H a u s o r d n u n g , die das Tragen des weißen Mantels für im Dienst befindliche Ärzte vorschreibt. Allerdings hat Moissi als D o k t o r A l e x a n d e r diese Hausordnung eingehalten, dann aber wäre es für den Staatsanwalt von Interesse zu erfahren, wann und wo Herr Moissi den Doktor med. erworben hat. Kurz, ›die Geschichte vom weißen Mantel des Doktor Alexander‹ erscheint uns als eine schamlose Komödie, deren Deckung durch die berufene Stelle nicht genug gebrandmarkt werden kann«.82 Moissi sah sich aufgrund der massiven und entstellenden Angriffe zu einer offiziel­ len Erklärung gezwungen, in der er betonte, er habe sich »niemals für einen Arzt ausgegeben« und auch die Leitung der Landeskranken-Anstalten habe aus seiner Anwesenheit bei der Geburt nie ein Geheimnis gemacht. »Was mich zu der Bitte um die Erlaubnis veranlasste, war weder Sensationslust noch pure Neugierde. Ich bin mit der Abfassung eines Romans beschäftigt, welchen ich jetzt in Rigi-Kaltbad zu beenden hoffe. Der Roman beschäftigt sich mit dem Lebensschicksal eines Mädchens, einer unehelichen Mutter, und ich wollte darin auch die Niederkunft der Hauptperson beschreiben. Da mir an einer möglichst lebensnahen Beschreibung dieses Vorganges gelegen war, erbat ich, bei einer Entbindung gegenwärtig sein zu dürfen. Es ist sicherlich kein Einzelfall, dass einem ernsten Schriftsteller dies gestattet wurde. 82 Salzburger Volksblatt, 7. 9. 1931. S. 6.

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Es ist mir ganz genau bekannt, dass in Deutschland, in der Schweiz, aber auch zum Beispiel in Wien wiederholt Schriftstellern die Erlaubnis erteilt worden war.«83 Die Nationalsozialisten hatten mit ihrer Agitation ihr Ziel erreicht. Die Wogen der antisemitisch grundierten sittlichen Erregung – Deutschnationale und Nationalsozialisten behaupteten stets wahrheitswidrig, Moissi sei Jude – gingen hoch und entfachten sowohl eine politische Kontroverse wie auch einen Pressestreit. Für die Nationalsozialisten bot die durch eine Indiskretion bekannt gewordene »Affäre Moissi« die Gelegenheit, Rehrl aus drei Gründen massiv anzugreifen. Er galt als einer der Väter und Förderer der »verjudeten« Festspiele, als politisch willfähriger Lakai des internationalen (jüdischen) Großkapitals, das er vor allem zur Festspielzeit an Salzburg binden wollte. Er hatte auf dem Parteitag der Salzburger Christlichsozialen Anfang März 1931 mit Blick auf die zunehmend problematische Entwicklung der Heimwehrbewegung, ihre Hinwendung zu autoritär-faschistischen Vorstellungen, die Notwendigkeit einer klaren Trennung der Christlichsozialen von dieser Gruppierung gefordert und vor der gleichzeitig wachsenden Gefahr des Natio­nalsozialismus, der durch die Wahlerfolge im Deutschen Reich zusätzlich Auftrieb erhielt, gewarnt. Diese Bewegung sei besonders gefährlich, da sie ihre eigentlichen Beweggründe und Ziele zu verbergen verstehe und vor allem bei der Jugend auf zunehmende Akzeptanz stoße. Man müsse daher die Zeichen der Zeit, vor allem die Gefahr des Nationalsozialismus, erkennen und die politischen Konsequenzen daraus ziehen.84 Mit Blick auf die im Frühjahr 1932 bevorstehende Landtagswahl galt daher angesichts eines deutlich beobachtbaren Vorgangs der Auflösung und des Aufgehens des deutschnationalen Lagers in Richtung NSDAP, wie er bei den Gemeindewahlen am 29. März 1931 deutlich wurde,85 Rehrl als der eigentliche Gegner. Die zum Skandal wider die guten Sitten äußerst geschickt stilisierte »Affäre Moissi« hatte vor allem auch das Ziel, unter dem Mantel der sittlich-religiösen Empörung die antisemitische Grundhaltung eines nicht unerheblichen Teils des christlichsozialen Klientels anzusprechen und damit entweder für sich zu gewinnen oder wenigstens einen Keil zwischen Parteibasis und Parteielite zu treiben. Wenngleich die christlichsozialen Parteiblätter und die zur Partei in einem Naheverhältnis stehenden Zeitungen die offiziellen Erklärungen druckten, so wurde die Wirksamkeit der nationalsozialistischen Taktik in den Kommentaren deutlich sichtbar.

83 Ebda. 84 Reichspost, 9. 3. 1931. S. 2. 85 Vgl. dazu Franz Schausberger  : Alle an den Galgen  ! Der politische »Takeoff« der »Hitlerbewegung« bei den Salzburger Gemeindewahlen 1931. – Wien/Köln/Weimar 2005 (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 26).

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Das nationalsozialistische Hetzblatt »Der Eiserne Besen« rief die Salzburger Frauen auf, sich gegen diesen Skandal zu erheben und diejenigen, die dem »Moses Moissi« die Pforten des Krankenhaussaales geöffnet hätten, aus der Stadt zu werfen. Moissis Handlung sei typisch »für seine degenerierte Rasse« und man sollte ihn daran hindern, je wieder öffentlich aufzutreten.86 Das den Christlichsozialen nahestehende »Neuigkeits-Welt-Blatt« druckte zwar den Kern der amtlichen Salzburger Mitteilung zum Fall Moissi, fügte jedoch in einem Klammer-Kommentar hinzu  : »Welche ›rein künstlerischen Absichten‹ der Jude Moissi mit dem Wunsch verfolgte, der Entbindung eines armen christlichen Mädchens – wie in den erwähnten Versammlungen mitgeteilt wurde – beizuwohnen, ist freilich zunächst nicht einzusehen, wie es auch gewiss zu erörtern sein wird, warum man diesem Wunsch des ›großen‹ Künstlers so bereitwillig nachgekommen ist.«87 Eine Woche später berichtete die Zeitung ihren Lesern, dass die »bereits besprochene Angelegenheit des jüdischen Schauspielers Moissi (…) erfreulicherweise ein gerichtliches Nachspiel haben« werde, da die Familie der Gebärenden Strafanzeige wegen der Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht erstattet habe. Es sei »jedenfalls zu hoffen, d a s s M o i s s i d a m i t s e i n e l e t z t e R o l l e g e s p i e l t h a t , denn es müsste einem Publikum, das noch auf guten Geschmack hält, sicherlich unerträglich sein, den neugierig-lüsternen Schauspieler weiter auf der Bühne zu sehen«.88 Eine Leserbrief-Schreiberin empörte sich  : »O h n e j e d e m e n s c h l i c h e S c h a m u n d e t h i s c h e S c h e u ist er eingedrungen in den intimsten Lebensbereich einer Frau und hat dem immer wieder aufs Neue geheimnisvollen Vorgang der Geburt eines Menschen, der für uns Christen seit der Menschwerdung und Geburt Christi besonders geheiligt ist, mit widerlich glotzender Schaulust, wenn nicht mit Schlimmerem, beigewohnt. Dass sich Moissi (…) eine unbekannte und völlig ahnungslose arme Christin, die notgedrungen die Allgemeine Gebärklink aufsuchen musste, aussuchte, macht die Sache aber erst recht eigentlich v e r d ä c h t i g u n d a l a r m i e r e n d . Verdächtig in sexueller Hinsicht, a l a r m i e r e n d a b e r i n e t h i s c h e r u n d k u l t u r e l l e r B e z i e h u n g   ! Wir christlichen deutschen Frauen dürfen uns diesen frechen, schaulüsternen Einbruch eines hemmungslosen Juden nicht gefallen lassen, wenn wir nicht haben wollen, dass das, was gestern Moissi in Salzburg getan hat, morgen zum a l l g e m e i n e n U s u s wird, wenn wir nicht haben wollen, dass bald keine deutsche Frau mehr davor sicher ist, in der schwersten und zugleich heiligsten Stunde ihres Lebens das neugierig beglotzte Schauobjekt eines widerlich-triebhaften Judenklüngels abzugeben. (…) 86 Gallup  : Die Geschichte der Salzburger Festspiele. S. 98. 87 Wozu Herr Moissi während der Salzburger Festspiele Zeit hat  ! – In  : Neuigkeits-Welt-Blatt, 6. 9. 1931. S. 4. 88 »Jedermann« als »Doktor Alexander«. – In  : Neuigkeits-Welt-Blatt, 12. 9. 1931. S. 4.

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Was die Protagonisten der Salzburger Fest- und Weihespiele im Besonderen angeht, so ist hier zu bemerken, dass ein ›Jedermann‹ nicht die Rolle spielen darf, die Moissi in der Salzburger Frauenklinik gespielt hat. Wir Frauen wenigstens müssen uns dagegen entschieden zur Wehr setzen, dass ›Jedermann‹, der dort nichts zu suchen hat, in die Gebärabteilung hineindarf. Sollte das ›höheren Orts‹ vielleicht nicht eingesehen werden, so müssten wir uns eben, in Verteidigung unseres Frauentums und unserer bedrohten Mutterwürde, zusammentun, um dieser Einsicht zur rechten Zeit am rechten Ort zum Durchbruch zu verhelfen.«89 Das Salzburger christlichsoziale Parteiorgan »Salzburger Chronik« befand sich im Wissen um die parteipolitische Instrumentalisierung der Angelegenheit durch die NSDAP und aus Rücksicht auf die Befindlichkeit ihrer Leserschaft in einer schwierigen Lage, in der sie sich für die Strategie des Sowohl-als-auch entschied. Grundsätzlich sei »die größte und schwerste Stunde der Frau (…) ein heiliges Mysterium und demgemäß als etwas Heiliges zu betrachten. Nur bolschewistische Kulturzerstörung kann wollen, Dinge, die von der Heiligkeit der tiefsten Geheimgründe menschlichen Wesens und Werdens umgeben sind, in zynischer Neugierde ans Licht gezerrt oder gar zum Schauobjekt zu machen«. Allerdings sei es im Interesse der Allgemeinheit, den Geburtsakt zum medizinischen Studium auszuwerten, denn dies sei ein absolut notwendiger Bestandteil der Ausbildung. Im nunmehr so heftig diskutierten Fall habe aber Moissi ohne Wissen bzw. Einverständnis der Gebärenden einem Geburtsakt beigewohnt. »Hierin liegt allein schon, abgesehen von allem anderen, ein s c h w e r e r Ve r s t o ß , der aufs Tiefste zu bedauern ist. Mag Moissi es für notwendig erachten, die Qualen eines gebärenden Weibes mit eigenen Augen zu sehen – ihm wären sicher andere Möglichkeiten offen gestanden, an denen vielleicht die Öffentlichkeit nicht den gleichen Anstoß genommen hätte. Wozu ein Mädchen, das um sein Experiment nicht wusste  ? Wohin kämen wir, wenn die Mütter, vorab der ärmeren Gesellschaftsschichten, keine Beruhigung mehr hätten  ? Ungern genug mag sich die Mutter entschließen, sich in ihrer schwersten Stunde auch nur den Anwärtern des ärztlichen Berufes zu offenbaren. Nie aber wird sie sich einfach zum Schauobjekt degradieren lassen. Das Geschehen ist nicht mehr ungeschehen zu machen. Die öffentliche Diskussion ändert daran nichts mehr. Ob für Moissi der Reklamewert der Angelegenheit überwiegt oder das Gefühl der Peinlichkeit, wissen wir nicht. Jedenfalls ist zu wünschen, dass diese Angelegenheit nicht nur ihres politischen Beigeschmackes entkleidet wird, sondern, da ein weiteres Ausspinnen der Diskussion letzten Endes doch zwecklos ist, überhaupt so bald als möglich den Fängen der Sensationssucht entwunden wird.«90

89 Darf »Jedermann« in die Gebäranstalt  ? – In  : Neuigkeits-Welt-Blatt, 11. 9. 1931. S. 3. 90 Moissi in der Gebäranstalt. – In  : Salzburger Chronik, 8. 9. 1931. S. 5.

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Die Hoffnungen der »Salzburger Chronik« sollten sich nicht erfüllen. Der öffent­ liche Disput, begleitet von einer heftigen Pressekampagne für und wider, ging weiter. Dabei wurde immer deutlicher, dass sich hinter dem vordergründigen Motiv der Erregung ein mit allen klassischen antisemitischen Vorurteilen und Topoi aufgeladener Konflikt verbarg, der über das Salzburger politische und kulturelle Mikroklima hinausreichte und auf dieses wiederum zurückstrahlte. Dabei war besonders bemerkenswert, dass von den hyperventilierenden Moralisierern die Tatsache, dass Moissi kein Jude war, ignoriert wurde. Das Regiebuch der Erregung baute auf dieser Behauptung auf, sie bildete die Basis aller weiteren Verleumdungen und Unterstellungen, also musste er es sein. Die Verteidiger Moissis vermochten sich in dem allgemeinen Schlachtenlärm nur schwer Gehör zu verschaffen. In einem Leserbrief an die »Salzburger Wacht« bemerkte dessen Verfasser ironisch, Salzburg habe nun endlich einen neuen Gesprächsstoff. »Jedermann ist nun Gelegenheit gegeben, seiner tiefsten Entrüstung sowie seinen verwegensten Vermutungen die Zügel schießen zu lassen.« Die ganze Angelegenheit werde »nunmehr in einer derart bedenklichen Weise aufgebauscht (…), dass sie für den sittlichen Wert der Debattierenden selbst ein Minderwertigkeitszeugnis ausstellen muss. Ich glaube kaum, dass Moissi als Mensch und Künstler aus derart niederen Trieben handelte, wie dies fast allgemein von Leuten behauptet wird, über deren geistige Werte man besser schweigt.«91 In der »Arbeiter-Zeitung« wurde die Frage gestellt  : »Warum darf ein Mann, der Leben darstellt, nicht sehen, wie Leben entsteht  ? Ganz abgesehen davon, dass die Medizinstudenten, denen der Geburtsakt demonstriert wird, nicht immer den Takt bewahren, den Moissi, wie von den Zeugen mitgeteilt wird, bewahrt hat – ist denn eine Geburt etwas Entwürdigendes, etwas, was geheim gehalten werden muss  ? Mit einiger Berechtigung könnte man gewiss sagen, dass es verfehlt wäre, jedem Neugierigen Zutritt zu gewähren, dass es gegen das Gefühl der meisten Frauen wäre, einen Unbeteiligten während des Geburtsaktes in der Nähe zu wissen – aber alle diese Bedenken waren in dem Falle, an dem die Hakenkreuzler und die Klerikalen willkommenen Anlass nehmen, nicht gegeben. Und vielleicht ist die Frage erlaubt, ob es nicht überhaupt recht nützlich wäre, wenn j e d e r Mann wenigstens e i n m a l in seinem Leben an das Bett einer Gebärenden berufen würde. Und vielleicht wäre es auch d e n Leuten, die für Krieg und Gewalt schwärmen, eine gute Lektion, wenn sie einmal sehen würden, wie schwer ein Mensch geboren wird. denn bisher wissen sie nur, wie leicht es ist, einen Menschen zu töten.«92 Das deutschnationale »Salzburger Volksblatt« nahm, trotz der eindeutigen Posi­ tionierung seiner Redaktion, insofern eine Mittelposition ein, als es die ­jeweiligen Erklärungen der involvierten Parteien sowie Moissis verteidigende Zuschriften 91 Salzburger Wacht, 7. 9. 1931. S. 4. 92 In der Gebärklinik. – In  : AZ, 6. 9. 1931. S. 5.

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brachte, jedoch im redaktionellen Teil die Meinung vertrat, dass eigentlich nicht Moissi anzuklagen sei, »sondern jene a m t l i c h e S t e l l e , die in totaler Verkennung der Situation und der Verhältnisse dem Wunsche des Künstlers allzu leicht Rechnung getragen hat«.93 Allerdings sei Moissis Verhalten »a u f j e d e n F a l l z u v e r u r t e i l e n «. Er habe »einen schweren Fehler« begangen und damit »mindestens seine Mitwirkung bei kommenden Festspielen unmöglich« gemacht. »Man wird es nicht wagen dürfen, in den ›Jedermann‹-Aufführungen des kommenden Jahres Moissi auftreten zu lassen, da es sonst gewiss zu Demonstrationen kommen würde  : Frauen, die sich in der Würde ihres Geschlechtes beleidigt fühlen, vergessen nicht so leicht.«94 Diese unverhüllte Aufforderung an die Festspielleitung, Moissi unter Hinweis auf die jüngsten Ereignisse 1932 nicht mehr zu verpflichten, rief Oscar A. H. Schmitz auf den Plan, der in einem Beitrag für die Zeitung entrüstet bemerkte  : »Der Grund, warum jene Lappalie so sehr aufregt, ist der, dass sie mit drei Fragen vermengt wird, mit denen sie überhaupt nichts zu tun hat  : 1. Moissis Unvorsichtigkeit würde dadurch nicht schlimmer, wenn er ein Jude wäre, und wird dadurch nicht geringer, dass er keiner ist. 2. Man hat gefragt, ob nach dem Vorgefallenen Moissi im nächsten Jahr wieder hier auftreten kann. Dafür kann doch einzig und allein seine künstlerische Leistung maßgebend sein, und diese hat ja wohl niemand angezweifelt. Sollte das tatsächlich in Verbindung gebracht werden, dann würde der Kunst und den mannigfachen außerkünstlerischen Interessen, die mit den Festspielen verknüpft sind, geschadet, aber niemandem genützt werden, am allerwenigsten der vermeintlich beleidigten Moral. Damit befinde ich mich bereits beim 3. Punkt. Ich zerbreche mir den Kopf darüber, was das Ganze überhaupt mit Moral zu tun hat und wieso eine ›sittliche Entrüstung‹ zustande kam. Herr Moissi hätte gar nicht nötig, sich auf die Arbeit an seinem Roman zu berufen. Auch ohne diese literarische Verwendung ist es ein ganz normales Interesse, wenn ein reifer Mann einmal dem so wichtigen Vorgang einer Geburt beiwohnen möchte, so wie etwa dem Vorgang des Sterbens. Das ist doch höchst menschlich. Hat nun irgendjemand ein Recht, hier unsaubere Motive zu vermuten  ?«95 Die weit über Salzburg hinaus auf breites mediales Echo stoßende Affäre, deren Auswirkungen auf die politische Kultur des Landes und das kolportierte Gerücht, Moissi werde bei den kommenden Festspielen mit Rücksicht auf die zu erwartenden Demonstrationen nicht mehr engagiert, setzten die Festspielleitung zunehmend unter den Zwang einer Stellungnahme, die am 29. September veröffentlicht wurde. »Wir befinden uns in einer überaus schweren Lage  ; die Affäre Moissis hat hier unendlich viel Staub aufgewirbelt und einen bestimmten Teil der Bevölkerung erregt 93 Salzburger Volksblatt, 17. 9. 1931. S. 7. 94 Moissi in der Gebär-Anstalt. – In  : Salzburger Volksblatt, 12. 9. 1931. S. 10f. 95 Oscar A. H. Schmitz  : Noch ein Wort für Moissi. – In  : Salzburger Volksblatt, 17. 9. 1931. S. 7.

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und empört. Es ist aber völlig falsch, dass wir einen Beschluss gesetzt hätten, dahingehend, Moissi von den nächsten Festspielen auszusperren. Von einem solchen Beschluss ist nicht im Entferntesten die Rede. Wir schweigen nur deswegen über die Angelegenheit, da augenblicklich die Erregung Einzelner zu groß ist, sodass uns der Zeitpunkt einer Intervention ungünstig erscheint. Außerdem werden jetzt im Spätherbst nur die Opernengagements erwogen und besprochen, während die Angelegenheiten des Schauspiels erst im März zur Beratung kommen. Im Frühjahr wird sich dann auch die Angelegenheit Moissi entscheiden. Wir möchten auch nicht den Präzedenzfall schaffen, in künstlerischen Fragen mit Positionen oder mit politisch eingestellten Gruppen zu verhandeln, da es sonst möglicherweise früher oder später zur Sitte werden könnte, dass uns irgendeine politische Partei in lediglich künstlerische Dinge dreinredet und uns das Engagement eines Künstlers verbietet oder uns einen anderen aufoktroyiert. Sicher ist das eine, dass die Festspielhausgemeinde und die ganze Stadt Salzburg Moissi zu ganz großem Dank verpflichtet sind, da er zu einer Zeit schon mitgetan hat, als die Festspielkonjunktur noch durchaus nicht gegeben war  ; er hat sich finanziell mit geringen Gagen beschieden und vor allem  : er war und ist einer der hervorragendsten Anziehungspunkte des Salzburger Festspielgedankens.«96 Moissis Ehefrau, die Schauspielerin Johanna Terwin-Moissi, wandte sich Anfang Oktober in einem Aufruf »An die Frauen Salzburgs  !« gegen die Diffamierungen ihres Mannes. Sie verstehe als Frau, dass Personen, die ihren Mann nicht kennen, aufgrund der diffamierenden Berichterstattung und der bösartigen Unterstellungen dessen Verhalten missbilligen. Sie zweifle aber »keinen Augenblick, dass die scharfe Verurteilung hauptsächlich die Folge der Einstellung ist, die einerseits ihrem Manne hässliche Absichten unterschiebt, andererseits gar nicht die Tat sieht, sondern den ›Juden‹ Moissi attackiert«. Eine Vielzahl von Überschriften der verschiedenen Berichte illustriere dies deutlich, so etwa »Unerhörte Sauerei  ! Moissi-Moses als Geburtshelfer  !«, »Ein jüdischer Schauspieler darf einer Entbindung beiwohnen«, »Wer hat dem Jedermann-Komödianten Moissi-Moses die Türe zum Entbindungsraum geöffnet  ?« usw. »Wie aus dieser kleinen Auslese ersichtlich, gilt der Zorn in erster Linie dem ›Juden‹ und nur nebenbei der Anwesenheit bei der Entbindung, über die man ja verschiedener Meinung sein mag. Es ist bekannt, dass Moissi als geistiger Mensch über jeder Rassen- oder Konfessionsfrage steht, und dass selbst der i r r i g e Vorwurf, ein Jude zu sein, ihn nicht berühren könnte. Nur aus rein sachlichen Gründen und um der Entstellung zu begegnen, die anzuwenden man sich nicht gescheut hat, sei hiermit festgestellt, dass sowohl Alexander Moissi als auch ich selbst, r e i n

96 Salzburger Wacht, 30. 9. 1931. S. 4.

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a r i s c h e r A b s t a m m u n g sind, was durch die entsprechenden Dokumente, vor allem durch Alexander Moissis erliegenden Taufschein (…) jederzeit erweisbar ist. Wäre sein Vorgang unrichtig, wäre das natürlich weder eine Entschuldigung noch eine Verschärfung. Wichtig ist allein, dass mein Mann, genauso wie er alle seine künstlerischen Aufgaben mit einer wahren Besessenheit anging, auch seine in den letzten Jahren begonnene schriftstellerische Tätigkeit mit der gleichen Leidenschaftlichkeit betreibt und darob auch seine eigenen wichtigen Interessen vernachlässigt. Von einer mehrmonatigen, überaus anstrengenden Südamerika-Tournee zurückgekehrt, nutzte er jede freie Minute für die Fortsetzung des begonnenen Romans, ohne im entferntesten daran zu denken, dass ein Schritt, den er mit Einwilligung der Ärzte unternimmt, ihm als ein Verbrechen ausgelegt werden könnte. Der Roman Moissis hat die ›Sehnsucht der Frau nach dem Kinde‹ zum Thema, also eine G l o r i f i z i e r u n g d e r M u t t e r s c h a f t . Es ist schon aus diesem Grunde logisch, dass dieses Kapitel der Geburtsschilderung aus den reinsten Gefühlen entspringt.«97 In der von Vorurteilen und einer immer manifester werdenden von Antisemitismus geprägten Atmosphäre verloren Argumente ihre Bedeutung, wurden aus der selektiven Wahrnehmung als störend ausgeblendet und damit weitgehend wirkungslos. Angesichts der anhaltendenden und sich sogar noch verschärfenden Wirtschaftskrise sowie des Aufstiegs der der NSDAP im Deutschen Reich zur Massenpartei erhielt auch die NSDAP in Salzburg massiven Zulauf. Sie war, wie das Ergebnis der Landtagswahl am 24. April 1932 eindrucksvoll demonstrieren sollte, mit beinahe 21 Prozent nicht nur zur drittstärksten politischen Kraft des Landes geworden, sondern auch auf dem Weg zu einer – wenngleich zunächst noch asymmetrischen – Volkspartei.98 Wie sehr sich die politische Atmosphäre nicht nur in Salzburg veränderte, wurde im Jänner 1932 deutlich, als angesichts des Bekanntwerdens eines »Jedermann«-Gastspiels Moissis im Raimundtheater eine durch die »Deutsch-Österreichische Tageszeitung« angefachte Kampagne gegen dieses Gastspiel unter dem Motto »Herausforderung aller Anständigen« einsetzte99 und am 2. Februar zu Demonstrationen junger Nationalsozialisten vor dem Theater führte, in dem auch nach der Vorstellung eine Stink97 Johanna Moissi-Terwin  : An die Frauen Salzburgs  ! – In  : Salzburger Volksblatt, 2. 10. 1931. S. 5f.; Neues Wiener Journal, 3. 10. 1931. S. 4. 98 Zur Salzburger Landtagswahl am 24. April 1932 vgl. Franz Schausberger  : Strategische Kollaborationen mit dem Nationalsozialismus  : Von der »Notgemeinschaft« zur »Unzucht wider die Natur«. Die Landtagswahlen in Salzburg in der Ersten Republik. – In  : Herbert Dachs, Michael Dippelreiter, Franz Schausberger (Hg.)  : Radikale Phrase, Wahlbündnisse und Kontinuitäten. Landtagswahlkämpfe in Öster­reichs Bundesländern 1919 bis 1932. – Wien/Köln/Weimar 2017. S. 313–384. S. 369ff. (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 57). 99 Siegfried Geyer  : Die Moissi-Hetze. – In  : Die Stunde, 16. 1. 1932. S. 6.

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bombe explodierte.100 Wenige Tage zuvor war in anonymen Flugzetteln unter Hinweis auf die Salzburger Ereignisse zu Demonstrationen gegen ein Gastspiel Moissis in George Bernard Shaws »Der Arzt am Scheidewege« im Stadttheater Reichenberg aufgerufen worden. Während der Aufführung war es vor allem vom dritten Rang aus zu lautstarken Protestrufen gekommen, begleitet vom Wurf einer Stinkbombe.101 Vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Demonstration vor und teilweise im Raimundtheater erklärte Moissi, er könne »nicht daran glauben, dass die Entrüstung, mit der man meine sogenannte Salzburger Affäre behandelt hat, ganz echt ist, zumindest habe ich heute Gründe zu der Annahme, dass die ganze Agitation von Salzburg selbst ausging, und ich habe mehr als den Verdacht, dass sie gar nicht mir allein gilt, sondern dass mit mir auch Max Reinhardt getroffen werden soll. Es gibt Salzburger Kreise, denen Reinhardts Tätigkeit seit langem, ein Dorn im Auge ist, freilich wagt man es nicht, ihn direkt anzugreifen. (…) Man hat dabei die dümmsten Argumente mit hineingelegt. So die Angriffe auf meine angeblich jüdische Rasse, wo es doch mühelos dokumentarisch nachzuweisen ist, dass meine ganze Familie seit Generationen katholisch und unzweifelhaft arischer Abstammung ist. Ich habe nur aus rein geistigen Gründen und um den für mich geradezu grauenvollen Verdacht des Antisemitismus zu vermeiden, bisher immer geschwiegen.«102 Moissis Analyse war durchaus zutreffend, und er war keineswegs bereit, dem wachsenden Druck nachzugeben. Sie berücksichtigte jedoch nicht die sich ändernden politischen Rahmenbedingungen der Festspiele, die nicht nur die Festspielleitung, sondern auch deren politischen Mentor, Landeshauptmann Franz Rehrl, zunehmend unter Druck setzten. Die anhaltende Wirtschaftskrise, die in Europa 1932 ihren Höhepunkt erreichte, bildete das Epizentrum für das sich ankündigende politische Erdbeben des beginnenden Siegeszugs des Nationalsozialismus. Die von Verzweiflung und Wut geprägte Stimmungslage großer Teile des gewerblichen Mittelstandes kam in einer vom Landesverband des Gewerbestandes einberufenen Massenversammlung im Festspielhaus am 25. Oktober 1931 zum Ausdruck. In der von rund 2500 Teilnehmern besuchten Versammlung wurde heftige Kritik an der Regierungspolitik geübt, die in Systemkritik umschlug. Das »Salzburger Volksblatt« berichtete, dass sich in dieser Versammlung des Salzburger Gewerbebundes, »die ihresgleichen (…) noch nicht hatte, (…) sich mit elementarer Kraft die Verzweiflung und Erbitterung« über den wachsenden Steuerdruck und die abnehmende Existenzmöglichkeit dieses Standes äußerte. »Wer dieser Versammlung beiwohnte, konnte sich des Eindruckes nicht erwehren, dass der Gewerbestand, der bisher eine so verlässliche Stütze des Staates 100 Kleine Volks-Zeitung, 3. 2. 1932. S. 6. 101 Salzburger Chronik, 29. 1. 1932. S. 7. 102 Salzburger Chronik, 3. 2. 1932. S. 8.

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gewesen ist, im Begriffe steht, das Vertrauen zu Recht und Ordnung in diesem Staate zu verlieren und den r a d i k a l e n E i n f l ü s s e n zugänglich zu werden«. Nicht minder problematisch war die Stimmung bei der gleichzeitig im Kurhaus stattfindenden Generalversammlung des Katholischen Bauernbundes, bei dem die gesamte christlichsoziale Parteiprominenz Salzburgs anwesend war. Dabei bemühte sich vor allem Rehrl um eine Beruhigung der aufgeheizten Stimmung, indem er den versammelten Funktionären versicherte, dass man sich mit aller Kraft bemühe, den Gefahren, die die Existenz des Bauernstandes bedrohten, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu begegnen. Bei seiner Ursachenforschung der anhaltenden Agrarkrise, die sich besonders in Salzburg in zahlreichen Pfändungen bäuerlicher Anwesen und entsprechenden spontanen Protestaktionen der betroffenen Bevölkerung manifestierte, ortete er die »kapitalistische Weltordnung und das Bankenwesen« als Ursachen des »Niederbruchs der Wirtschaft«, um in dem problematischen Satz, der aus der Rhetorik nationalsozialistischer Wahlredner stammen könnte, zu enden  : »Wenn die Sturmglocken im richtigen Sinne läuten und den Niederbruch des jetzigen Systems künden, dann will auch ich Mitläuter sein.«103 Anfang Februar 1932 berichtete die »Salzburger Chronik«, dass in den von der Winterhilfsaktion betriebenen Arbeitslosenküchen in der Stadt Salzburg und deren Umgebung wiederum großer Andrang herrsche. So seien im Dezember des Vorjahres insgesamt 12.618 Frühstücke, 33.404 Mittagessen und 30.717 Abendessen ausgegeben worden. Im Jänner 1932 habe sich jedoch der Andrang auf 25.832 Frühstücke, 53.100 Mittagessen und 48.597 Abendessen wesentlich erhöht. Der Trend sei ungebrochen. So wurde am 2. Februar 1932 mit 2.200 Mittagessen ein bisheriger Tageshöchststand erreicht.104 Anfang April 1932 wies der Forstverein für Oberösterreich und Salzburg in einem verzweifelten Appell darauf hin, dass die Forstwirtschaft »im Zusammenbrechen« sei. Ihre Produkte seien »in entlegeneren Gebieten bereits unverwertbar«, in günstigeren Lagen werde aufgrund der gesunkenen Preise »nicht mehr so viel erzielt, dass die Betriebskosten, Steuern, hohen Umlagen und die sozialen Lasten gedeckt werden können«. Um dem völligen Zusammenbruch dieses wichtigen Wirtschaftszweiges gegenzusteuern, sollte vermehrt Holz als Brennmaterial und im Bausektor, vor allem durch die Errichtung von Holzhäusern Verwendung finden.105 Es war jedoch nicht nur die Wirtschafts- und Finanzkrise, sondern die vielfach damit verbundene gesellschaftliche Krise der politischen Kultur, die – sowohl rechts wie links – die Zweifel an der demokratischen Ordnung wachsen ließen und die Attraktivität alternativer autoritär-totalitärer Modelle sowie deren jeweilige säkulare Heilsversprechen erhöhte. Darin unterschied sich die Entwicklung in Deutschland, 103 Salzburger Volksblatt, 26. 10. 1931. S. 6. 104 Salzburger Chronik, 3. 2. 1932. S. 7. 105 Salzburger Chronik, 5. 4. 1932. S. 4.

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Mittel- und Südosteuropa von jener in den USA und Großbritannien. In beiden Ländern führte die Krise ebenfalls zu einem gravierenden wirtschaftlichen Niedergang und massiven sozialen Verwerfungen, jedoch zu keiner Staatskrise. Sowohl die herrschenden politischen Eliten wie auch der überwiegende Teil der Bevölkerung bejahten die bestehenden politischen Strukturen und sahen ihre Interessen in der demokratischen Verfassungsordnung und den diesen zugrunde liegenden Werten gewahrt.106 Für die Weimarer Republik wie, wenn auch in geringerem Maße, für Österreich gilt, dass für die zunehmende Massenfaszination und -mobilisierung des Nationalsozialismus zumindest vor 1933 keineswegs ein kollektiver Vernichtungsantisemitismus noch eine wie auch immer geartete Volkstumsideologie verantwortlich zeichnete, sondern das geschickte Angebot einer Kombination von Kampf gegen das für alles Übel verantwortliche »System«, inklusive dessen Funktionseliten, (materielle) Heilserwartung und deren Erfüllung sowie das virtuos inszenierte FührerCharisma Hitlers.107 Hinzu trat in einer von Radikalismen zunehmend geprägten Gesellschaft die suggestive Kraft der Gewaltbereitschaft, die der NSDAP einen jugendlichen Charakter und ein dynamisch-aggressives Erscheinungsbild verlieh. In der zunehmend von fragmentierenden Emotionen, von Vorurteilen und Ressentiments geprägten Systemkritik und Inszenierungen charakterisierten politischen Kultur stieß die Vermittlung sachorientierter, am bisherigen Konsensmodell orientierter Politik auf immer größere Schwierigkeiten. Dies musste auch der im Vorfeld der Landtagswahl am 29. März 1932 stattfindende Parteitag der Christlichsozialen Partei, auf dem Rehrl über seine zehnjährige Tätigkeit als Landeshauptmann einen beeindruckenden Rechenschaftsbericht gab, bedauernd zur Kenntnis nehmen. Auf der Abschlusskundgebung der Partei am 21. April im Festspielhaus verteidigte er die bisher gepflogene konsensdemokratische politische Kultur der Landespolitik vor allem gegen die Angriffe der NSDAP, »die mit den Fanfaren ihrer überschwenglichen Agitation verkündet, im Dritten Reich werde der Arbeitslosigkeit spielend ein Ende bereitet werden«. Dieses Angebot sei aber letztlich trügerisch und würde in eine Katastrophe führen, weshalb die Salzburger/innen gut daran täten, bei der bisher gepflogenen Zusammenarbeit aller Parteien zu bleiben.108 Die Hoffnung Rehrls sollte nicht in Erfüllung gehen. Die Landtagswahl am 24. April 1932 brachte massive Verluste von Christlichsozialen und Sozialdemokraten und das Verschwinden des sogenannten Dritten Lagers, d. h. der Großdeutschen Volkspartei und des Landbundes, zugunsten der NSDAP, die mit sechs Mandaten nicht nur in den Landtag, sondern auch, der Proporz-Landesverfassung entsprechend, in die Landesregierung 106 Ian Kershaw  : Höllensturz. Europa 1914 bis 1949. 2. Aufl. – München 2016. S. 294. 107 Hans-Ulrich Wehler  : Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Vierter Band 1914–1949. – München 2003. S. 580. 108 Salzburger Chronik, 22. 4. 1932. S. 1f.

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und das Landtagspräsidium einzog.109 Mit dem Einzug der sechs nationalsozialistischen Abgeordneten in den Salzburger Landtag am 19. Mai 1932 in SA-Uniform und demonstrativem »Heil Hitler  !« änderte sich schlagartig die Atmosphäre im Chiemseehof, hatte doch nunmehr eine Partei Platz genommen, die das demokratisch-parlamentarische System als »Bonzenwirtschaft« und »Packelei« ablehnte und zum Kampf gegen das »System« aufrief. Dies bedeutete das Ende des seit Beginn der Ersten Republik herrschenden politischen Konsenses. Die aufgrund der destruktiven Haltung der NSDAP geänderte Atmosphäre wurde bei der sich über drei Sitzungen hinziehenden Wahl Franz Rehrls zum Landeshauptmann deutlich. Max Peisser, der Fraktionsführer der NSDAP, erklärte offen zur Haltung seiner Partei  : »Wir erklären hier, dass wir gegen die Person des Herrn Landeshauptmannes Dr. Rehrl persönlich gar nichts einzuwenden haben, dass unser Kampf sich nicht richtet gegen die Person, sondern gegen das System …«110 Die Wahl Rehrls zum Landeshauptmann sollte erst

109 Ergebnis der Salzburger Landtagswahl vom 24. April 1932 im Vergleich zum Ergebnis der Landtagswahl vom 3. April 1927  : Partei

Stimmen 1927

Stimmen 1932

Prozent 1927

Prozent 1932

Mandate Mandate 1927 1932

Reg. S.  1927

Reg. S.  1932

CSP

54.661

44.013

48,02

37,94

13

12

3

3

SDAP

36.506

29.810

32,07

25,69

 9

 8

2

2

GRVP

13.140

 2.050

11,54

 1,77

 3

 0

0

0

Landbund

8.004

 7.361

 7,03

6,34

 1

 0

0

0

Wirtschaftsständebund

1.521

 1,34

 0

0

NSDAP

24.125

20,79

 6

1

KPÖ

 3.127

2,70

 0

0

5.530

4,77

 0

0

Heimatschutz

Daten & Fakten. Bundesland Salzburg. – Salzburg 2004. S. 155 (= Schriftenreihe des Landespressebüros. Salzburg Informationen Nr. 134. Hg. v. Roland Floimair), 110 Zit. bei Robert Kriechbaumer (Hg.)  : Die Dunkelheit des politischen Horizonts. Salzburg 1933 bis 1938 in den Berichten der Sicherheitsdirektion. Band 1  : Gewitterwolken. Vom März 1933 bis Februar 1934. – Wien/Köln/Weimar 2019. S. 88 (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politischhis­ torische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 70,1). Vgl. dazu auch Franz Schausberger  : Die fast misslungene Landeshauptmannwahl des Jahres 1932. – In  : Salzburg. Geschichte & Politik 1/1991. S. 5–15  ; ders.: Ins Parlament, um es zu zerstören. Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der Nationalsozialisten in den Landtagen von Wien, Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg nach den Landtagswahlen 1932. – Wien/Köln/Weimar 1995 (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 1).

266

Rehrl als kulturpolitischer Akteur hinter den Kulissen 1929 bis 1932

in der dritten Sitzung des Landtages am 27. Mai erfolgen, nachdem sich die Sozialdemokraten entschlossen hatten, ihm ihre Stimme zu geben. Die Vorgänge um die Wahl Rehrls waren nicht nur von der veränderten politischen Kultur Salzburgs beeinflusst, sondern auch von der an konfrontativer Dramatik gewinnenden komplexen bundespolitischen Entwicklung. Angesichts der dringend benötigten Auslandskredite zur Bewältigung der CA-Krise teilte Finanzminister Emanuel Weidenhoffer Anfang 1932 im christlichsozialen Parlamentsklub mit, dass Frankreich zur Bewilligung der benötigten Mittel unter der Bedingung bereit sei, dass der für die schließlich verhinderte deutsch-österreichische Zollunion verantwortliche Außenminister Johannes Schober als Exponent eines deutschen Kurses der österreichischen Außenpolitik aus dem Amt scheide. Angesichts der für die finanzielle Rettungsaktion schier ausweglosen Lage – nach der Finanzkrise in Großbritannien blieb nur Frankreich als potenzieller Geldgeber übrig – entschloss sich Bundeskanzler Karl Buresch Ende Jänner 1932 zu einer Regierungsumbildung, bei der Schober aus dem Außenministerium schied, das interimistisch von Buresch übernommen wurde. Dieses unter dem Druck der Notwendigkeiten erfolgte Revire­ ment führte bei der Großdeutschen Volkspartei zu heller Empörung und deren demonstrativem Ausscheiden aus der Regierung. Die Regierung Buresch II stützte sich damit als nunmehrige Minderheitsregierung nur mehr auf die Christlichsozialen und den Landbund und stand angesichts der mit Blick auf die benötigten Mittel dem Völkerbund gegenüber abgegebenen Versicherung eines ausgeglichenen Budgets vor einer Reihe äußerst unpopulärer Maßnahmen. Um in der Phase der anhaltenden Wirtschaftskrise das angestrebte Ziel zu erreichen, war eine Reihe von Steuererhöhungen und Sparmaßnahmen notwendig, die man jedoch angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen in Wien, Niederösterreich und Salzburg erst nach dem 24. April publik machen wollte. Das parlamentarische Überleben der Bundesregierung verdankte sich allein dem Umstand, dass zwischen Ende Jänner und Ende April 1932 keine Sitzung des Nationalrats stattfand. Nach dem »Super-Wahlsonntag« vom 24. April mit seinen drei Landtagswahlen, bei denen neben den Parteien des Dritten Lagers vor allem die Christlichsozialen schmerzliche Verluste verzeichnen mussten, wurden die politischen Karten neu gemischt. Die Sozialdemokraten beantragten im Nationalrat unter Hinweis auf die Wahlergebnisse vom 24. April mit ihren deutlichen Gewinnen der NSDAP in ­einer völligen Verkennung der politischen Folgen Neuwahlen und zwangen Buresch am 6. Mai zum Rücktritt. Dem Kanzler gelang es jedoch noch Zeit zu gewinnen, indem er die ebenfalls von einem politischen Todestrieb gejagten Großdeutschen und den Landbund für eine Verschiebung des Neuwahltermins auf den Herbst gewann – die Sozialdemokraten hatten den 19. Juni als Wahltermin beantragt. Die nach dem Rücktritt Bureschs einsetzenden hektischen Bemühungen um die Bildung einer stabilen Regierung unter seiner Leitung scheiterten sowohl am Widerstand der

Der Moissi-Skandal

267

Großdeutschen wie auch der Sozialdemokraten gegen eine Regierungsbeteiligung. Als Buresch am 10. Mai resignierte, wurde der als Fachmann allgemein anerkannte Landwirtschaftsminister Engelbert Dollfuß von Bundespräsident Wilhelm Miklas als Verlegenheitslösung mit der Regierungsbildung beauftragt. Auch Dollfuß scheiterte bei den Sozialdemokraten und den Großdeutschen mit seinen Angeboten einer Koalitionsregierung, weshalb ihm als letzte Option für die Bildung einer mehrheitsfähigen Regierung am 20. Mai nur mehr eine Koalition mit dem Landbund und dem Heimatblock übrigblieb. Diese verfügte allerdings im Nationalrat über eine Stimme Mehrheit und galt daher allgemein als Provisorium und Übergangslösung.111 Während der Verhandlungen über die Bildung einer Bundesregierung beschloss der sozialdemokratische Parteivorstand vor allem auf Druck Otto Bauers auch die Landesparteien in Salzburg und Niederösterreich von ihrer bisher konsensualen politischen Linie abzuhalten. Von der Ideologie des bevorstehenden Zusammenbruchs des Kapitalismus geleitet, wollte sich Bauer auf Bundesebene durch einen Regierungseintritt nicht als Arzt am Krankenbett des Kapitalismus betätigen.112 Diese bundespolitische Maxime sollte auch das Handeln der Landesparteien bestimmen. In Richtung der Salzburger Genossen ließ man wissen, diese dürften auf keinen Fall gemeinsame Sache mit den Christlichsozialen machen, d. h. gemeinsam den Landes­ hauptmann wählen, sondern sollten bestrebt sein, die Christlichsozialen zu einer Zusammenarbeit mit der NSDAP zu zwingen. Die Sozialdemokraten sollten, in völliger Abkehr von ihrer bisherigen Politik, in die Rolle der regierungsinternen Opposition schlüpfen.113 Die Salzburger Sozialdemokraten folgten dieser Devise bei der konstituierenden Sitzung des Salzburger Landtages und der folgenden, indem sie mit der Nominierung von Robert Preussler als Landeshauptmann-Kandidaten die Wahl Rehrls verhinderten. Am 27. Mai revidierten sie jedoch ihre Position, sehr zum Ärger Otto Bauers. Sie hatten erkannt, dass dessen Behauptung, mit Nationalsozialisten könne man im Parlament besser fertig werden als auf der Straße, ein gefährlicher Irrtum war und an den ohnedies bereits geschwächten Grundfesten einer wehrhaften Demokratie rüttelte. Der von Rehrl nach seiner Wahl formulierte Appell an die Abgeordneten, im Interesse des bisher dominanten konsensdemokratischen Klimas und der Verantwortung für das Gemeinwohl die politische Gegnerschaft und Emotionen in den Hintergrund treten zu lassen,114 sollte an der Weigerung der NSDAP scheitern, für die Max Peisser programmatisch erklärte, seine Partei lehne den demokra111 Zur Bildung der Regierung Dollfuß vgl. Franz Schausberger  : Letzte Chance für die Demokratie. Die Bildung der Regierung Dollfuß I im Mai 1932. Bruch der österreichischen Proporzdemokratie. – Wien/Köln/Weimar 1993 (= Studien zur Geschichte der christlich-sozialen Parteien. Band I. Herausgegeben vom Karl-von-Vogelsang-Institut). 112 Ernst Hanisch  : Der große Illusionist. Otto Bauer (1881–1938). – Wien/Köln/Weimar 2011. S. 276. 113 Schausberger  : Letzte Chance für die Demokratie. S. 75. 114 SLTPR, 1. Session der 4. Wahlperiode, 19. Mai (27. Mai) 1932. S. 7.

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Rehrl als kulturpolitischer Akteur hinter den Kulissen 1929 bis 1932

tischen Parlamentarismus ab und sei daher nicht deshalb in den Landtag eingezogen, um sich seinen Spielregeln zu unterwerfen, sondern um ihn zu zerstören.115 Christlichsoziale und Sozialdemokraten, die noch zu Beginn der neuen Sitzungsperiode des Landtages der Illusion angehangen hatten, die Nationalsozialisten in das parlamentarische System integrieren zu können, verabschiedeten sich rasch von dieser Prämisse und vollzogen einen neuen Schulterschluss gegen einen offensichtlich die Axiome des demokratischen Systems negierenden Gegner. In seiner Regierungserklärung vor dem Salzburger Landtag am 27. Mai 1932 bemerkte Rehrl, dass »die Aufrechterhaltung der Festspiele als einer der stärksten Aktivposten unseres Landes (…) selbstverständliche Pflicht und Aufgabe sein« müsse.116 Die Erklärung des Salzburger Landeshauptmanns erfolgte vor dem Hintergrund der anhaltenden Weltwirtschaftskrise mit ihren nunmehr dramatischen finanzpolitischen Folgen, die auch die scheinbar so festen Felsen in der Brandung wie die Bank von England und damit den Finanzplatz London erreichten und zu unterspülen drohten, sowie der sich dramatisch verändernden politischen Mehrheitsverhältnisse und der politischen Kultur, die die Planung des Festspielsommers 1932 beeinflussten. Durch zahlreiche, letztlich nicht beeinflussbare Faktoren, waren Handlungsspielräume eingeschränkt, musste auf eine Vielzahl von Eventualitäten Rücksicht genommen werden, wobei das Ergebnis stets offenblieb. Im Jänner 1932 erklärte Präsident Puthon mit Blick auf die Aufgabe des Goldstandards durch London und die in den USA unvermindert anhaltende Wirtschaftskrise, man beobachte in beiden Ländern eine zwar optimistische, aber doch abwartende Haltung. Die Situation sei völlig unklar, doch könne die Festspielhausgemeinde nicht noch länger zuwarten, bis eine Klärung der wirtschaftlichen Situation eingetreten sei. Sie habe sich daher entschlossen, »ungeachtet der momentan gegebenen Wirtschaftslage, die sich über Nacht ändern kann, alle Voraussetzungen für die Abhaltung der Festspiele zu treffen«.117 Es waren jedoch nicht nur die finanziellen Unwägbarkeiten, die erhebliche Probleme bereiteten, sondern auch das sich im Wahlsieg der NSDAP am 24. April 1932 manifestierende geänderte politische Klima, das es zu berücksichtigen galt. Vor allem hatte man in Kenntnis verschiedener nationalsozialistischer Demonstrationen in Reichenau und Wien Angst vor ähnlichen, vielleicht noch größer inszenierten Kundgebungen gegen »Jedermann«-Aufführungen mit Moissi in der Titelrolle. Die Festspielleitung war daher bemüht, Moissi von sich aus zu einem Verzicht auf die Titelrolle zu bewegen – vergeblich. Der Schauspieler weigerte sich, seine Mitwirkung an den Festspielen 1932 abzusagen, sodass sich die Festspielleitung vor die Alternative eines drohenden und das internationale Ansehen schwer in Mitleidenschaft zie115 SLTPR, Ebda. S. 14. 116 Ebda. S. 9. 117 Festspiele und Wirtschaftslage. – In  : Salzburger Volksblatt, 20. 1. 1932. S. 1.

Der Moissi-Skandal

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henden Szenarios von Demonstrationen gegen Moissi während der »Jedermann«Aufführungen oder einer personellen Neubesetzung gestellt sah. Ende April 1932 waren die Würfel für eine Neubesetzung der Titelrolle gefallen, als Generalsekretär Erwin Kerber in einem Interview mit der »Wiener Allgemeinen Zeitung« erklärte, man werde die Titelrolle des »Jedermann« neu besetzen, wobei Paul Hartmann, Werner Krauß, Hans Albers und Conrad Veidt in der engeren Auswahl seien. Man werde eine endgültige Entscheidung in Absprache mit Reinhardt treffen.118 Reinhardt entschied sich Anfang Juni für die Neubesetzung der Titelrolle mit Paul Hartmann. Reinhardt war wegen der Affäre Moissi tief verletzt. Er spürte den in der Stadt Salzburg offensichtlich tief verwurzelten Antisemitismus, der durch die oberflächliche Freundlichkeit während der Festspielzeit lediglich temporär übertüncht wurde. Die Angriffe gegen Moissi galten vor allem auch ihm, dem »prassenden jüdischen Schlossbesitzer«, wie die verleumderische Fama lautete. Das eine waren die o ­ ffizielle Anerkennung und Ehren, die ihm vor allem auf Initiative seines politischen Protektors Rehrl zuteilwurden, das andere die auch bereits teilweise in offenen Hass umschlagenden Ressentiments, die sich in nächtlichen Schmieraktionen auf die Schilder des Max-Reinhardt-Platzes manifestierten. Er inszenierte im Festspielsommer 1932 lediglich den »Jedermann«, überließ jedoch den Großteil der Arbeit seinem Assistenten und verbrachte auch nur wenig Zeit in Leopoldskron, ohne in seinem Domizil einen seiner berühmten und begehrten Empfänge zu geben. Die Wiener Presse berichtete vor Festspielbeginn 1932, dass zwischen Salzburg und Max Reinhardt schwerwiegende Differenzen bestünden, die allerdings mit der Salzburger Festspielhausgemeinde selbst nichts zu tun hätten. »Die Missstimmung gegen Reinhardt, die begreiflicherweise eine Missstimmung Max Reinhardts auslöste, kommt aus Salzburg selbst und hängt nicht unwesentlich mit der politischen Konstellation in Salzburg zusammen. Schon anlässlich der Affäre Moissi, mit der Reinhardt natürlich nicht das Geringste zu tun hatte, wurden auch Angriffe gegen Max Reinhardt geführt, und einige Vorfälle der letzten Zeit ließen ganz deutlich merken, dass Reinhardt, der eigentliche Schöpfer der Salzburger Festspiele, in Salzburg nicht jene absolute Wertschätzung in persönlicher und künstlerischer Beziehung findet, die er unter allen Umständen beanspruchen kann. So wurden die Tafeln auf dem Max-Reinhardt-Platz vor dem Festspielhaus wiederholt demonstrativ verunreinigt, und die Stimmung eines Teiles der Salzburger Bevölkerung ist ganz offen gegen Reinhardt eingestellt.« Bezeichnend für die subtile Stimmungsmache gegen Reinhardt sei eine Veröffentlichung im Amtsblatt der Stadt Salzburg über eine unbezahlte Lichtrechnung in der Höhe von 10.000 Schilling.119 Siegfried Geyer sah im Schicksal Max Reinhardts, »zumindest was Salzburg betrifft, ein österreichisches Schicksal«. Er habe Salzburg 118 Zit. bei Salzburger Chronik, 29. 4. 1932. S. 7. 119 Differenzen zwischen Reinhardt und Salzburg. – In  : Die Stunde, 23. 7. 1932. S. 6.

270

Rehrl als kulturpolitischer Akteur hinter den Kulissen 1929 bis 1932

als Festspielstadt erwählt, »und er war es, der den Platz vor dem Dom als Theaterplatz erkämpfte, er ließ die Salzburger Glocken den Hingang Jedermanns läuten, sein streitbares Genießertum nahm die Stadt in Besitz. Nun rächt sich Salzburg an dem Rattenfänger, dem es durch Jahre hindurch Gefolgschaft geleistet hat. Max Reinhardts Hofhaltung passt zu den trüben Zeiten nicht mehr, die Politik tut ein Übriges, denn er ist und bleibt, läuten ihm auch aller Dome Glocken, ›ein Jud’, und manchmal passiert ihm auch etwas vom Irdischen eines Mäzens, er bleibt eine Lichtrechnung allzu lange Zeit schuldig, und die Kerzen, die so hundertfach auf Leopoldskron erstrahlten, kommen dem Schlossherrn teuer zu stehen. Der Salzburger Volksentscheid ist Reinhardt nicht mehr so hold wie früher, die Hofhaltung auf Leopoldskron wird kritisiert, das Barocke erhebt sich als missgünstiger Gegenwartsgeist und will Max Reinhardt die Freundschaft, die bisher auf gegenseitiger Zuneigung aufgebaut war, kündigen«.120 Doch Reinhardt befand sich im Sommer 1932 noch aus einem anderen Grund in einer Krise. Er hatte zu Jahresbeginn vor allem aus finanziellen Gründen sowie aufgrund massiver Presseangriffe gegen seine Person seine Berliner Theater-Neugründungen aufgegeben,121 sich Ende März von der Leitung des Deutschen Theaters zurückgezogen, das nunmehr von Rudolf Beer, dem bisherigen Direktor des Wiener Deutschen Volkstheaters, und Karlheinz Martin geführt wurde und behielt nur mehr die Direktion des Großen Schauspielhauses.122 An Helene Thimig schrieb er am 2. März 1932 unter Anspielung auf die in Berlin geäußerte Kritik an seinen häufigen Gastspielreisen und der damit verbundenen Abwesenheit  : »Dass ich mich totrackere und nahezu zwei Millionen Schulden habe, danach fragt kein Mensch. (…) Meine direktorale Tätigkeit hätte vor zehn Jahren enden sollen. Ich wollte es. Wahrscheinlich wäre vieles einfacher, schöner gewesen.« Helene Thimig kommentierte in ihren Erinnerungen diesen Brief mit dem Hinweis, dass Max Reinhardts Bruder Edmund mit den Einnahmen aus dem »Deutschen Theater« es immer wieder bewerkstelligt hatte, ihm »das Leben zu ermöglichen, das er gerade wünschte und das er wohl auch unbedingt brauchte, um sich seine Produktivität zu erhalten. Genaue Zahlen kannte ich nicht. Aber mir war es oft unheimlich. Meistens war ich insgeheim dankbar, nicht wissen zu müssen, nichts wissen zu dürfen.«123 Es war somit nicht nur die von ihm sehr genau registrierte, vor allem auch von materiellen Neidkomplexen genährte antisemitische Stimmung, die Reinhardts verkürzten Festspielsommer 1932 bestimmte, sondern auch seine materiellen Sorgen.

120 Siegfried Geyer  : Verstimmung in Leopoldskron. – In  : Die Stunde, 23. 7. 1932. S. 3. 121 Der Wiener Tag, 29. 1. 1932. S. 8. 122 Neues Wiener Journal, 23. 3. 1932. S. 5. 123 Thimig-Reinhardt  : Wie Max Reinhardt lebte. S. 245f.

Der Moissi-Skandal

271

Das Festspielpublikum schien von dieser Entwicklung keine Kenntnis zu nehmen. Wenngleich sich die Weltwirtschaftskrise und die Pfund- und Pengöabwertung durch eine deutliche Verringerung der österreichischen, US-amerikanischen, englischen und ungarischen Besucher bemerkbar machte, so verzeichneten jene aus dem Deutschen Reich, der Tschechoslowakei, Frankreich, Belgien und der Schweiz eine leicht steigende Tendenz. Der Kartenverkauf stieg gegenüber dem Vorjahr um vier Prozent, sodass die Festspiele nicht ohne Stolz auf 63.167 Zuschauer und ein positives Finanz­ ergebnis von rund 3.000 Schilling verweisen konnten. Sie erwiesen sich nicht nur als künstlerischer, sondern als wichtiger wirtschaftlicher Faktor sowohl für Stadt und Land Salzburg wie auch den Bund, der allein durch die direkten Steuern und Abgaben der Festspielhausgemeinde mehr Mittel lukrieren konnte, als er an Subventionen zahlte. Bereits Mitte August berichtete das »Salzburger Volksblatt« euphorisch, es »sage noch jemand, es geschähen keine Wunder mehr. Jedenfalls ist Salzburg ein Wunderland. Es gehört schon zum Wunderbaren, dass die Festspiele in der ersten Woche nur 1100 Schilling Defizit hatten  ; da geschah aber das noch größere Wunder von 12.000 Schilling Überschuss am Ende der zweiten Woche  ! Um 3 Uhr nachmit­ tags schon stehen die Leute Schlange, um eine Karte zum Sterben des reichen Mannes zu erstehen. Die sieben im Festspielplan vorgesehenen Aufführungen von ›Jedermann‹ sind wahrhaftig zu wenig. Jedermann will darankommen. (…) Alle Gasthöfe (daher natürlich auch die Hotels, wie man auf Deutsch sagt) sind voll belegt. (…) Das gleiche gilt vom Lande. Die beiden Gastein sind von einem vornehmen internationalen Publikum besetzt. Golling ist, wie man weiß, ein größerer Vorort von Berlin, Werfen eine geräumige, wunderschöne Dependance«. Das ganze Bundesland profitiere vom Fremdenverkehr, dessen größter Magnet die Festspiele seien.124 Bei diesen erwiesen sich vor allem die Opernaufführungen als besonders attraktiv. Die »Salzburger Chronik« berichtete von der ausverkauften Premiere von Webers »Oberon«, man habe 227 Autos vor dem Festspielhaus gezählt. Es sei »eine der glänzendsten Auffahrten seit Jahren« gewesen.125 Bei der zweiten Aufführung von Mozarts »Zauberflöte«, die 1.200 Besuchern aufwies, habe man 157 Autos und 15 Einspänner gezählt.126 Der Korrespondent der »Neuen Freien Presse« berichtete, der August sei immer »der Erntemonat für den Salzburger Fremdenverkehr« gewesen und sei es auch in diesem Sommer, wenngleich er gegenüber dem Vorjahr ein Defizit aufweise. »Den Löwenanteil an dem Verdienst, die Saison allen Pessimisten zum Trotz recht günstig gestaltet zu haben, dürften natürlich die Festspiele für sich in Anspruch nehmen, deren finanziellem Erfolg ein günstiges Prognostikon gestellt wird.«127 124 Der Festspiel-Segen. – In  : Salzburger Volksblatt, 18. 8. 1932. S. 6. 125 Salzburger Chronik, 13. 8. 1932. S. 8. 126 Salzburger Chronik, 17. 8. 1932. S. 6. 127 Ausverkaufte Festspiele. – In  : Neue Freie Presse, 21. 8. 1932. S. 14.

VII. »… dass Salzburg längst und besonders jetzt etwas für Österreich Repräsentatives geworden ist.« Die Salzburger Festspiele in den Wende- und Schicksalsjahren 1933/34

VII.1 Wirtschaftskrise und zunehmende NS-Penetration Es waren nicht die Festspiele, die in den Jahren 1929 bis 1932 ganz oben auf der Agenda der Landespolitik, geschweige denn der Bundespolitik, standen, sondern die Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise und deren immer dramatischere soziale Folgen. Den Festspielen kam in der Bewältigungsstrategie der Folgen der Weltwirtschaftskrise insofern eine wichtige Rolle zu, als sie, jenseits ihrer kulturellen Bedeutung, parteiübergreifend als wesentlicher Motor des Fremdenverkehrs und damit der zentralen Säule der lokalen Wirtschaftsstruktur anerkannt wurden. Ihre Beeinträchtigung oder gar ihr Entfallen musste unabsehbare wirtschaftliche und soziale Folgen nach sich ziehen, ein Umstand, dessen sich auch die NSDAP bewusst war und den sie nach ihrem Verbot im Juni 1933 durch eine Politik des Terrors zu realisieren suchte. Wenngleich die Salzburger Festspiele seit ihrem offiziellen Beginn 1920 eine äußerst bemerkenswerte Entwicklung genommen und neben Bayreuth in der internationalen Festspielszene einen absoluten Spitzenplatz inklusive internationaler Aufmerksamkeit erreicht hatten, so vermochten sie selbst in Zeiten heftiger Kontroversen und tatsächlicher oder behaupteter Skandale sogar in den lokalen Medien nie die Titelseiten der Berichterstattung zu erreichen. Diese blieben der großen Politik – international wie national – vorbehalten. So wurden z. B. im Festspielsommer 1932 sowohl die Schlagzeilen der lokalen wie auch der nationalen Presse von der Weigerung des greisen Reichspräsidenten Hindenburg, Hitler mit der Regierungsbildung zu beauftragen, vom erbitterten Ringen der Regierung Dollfuß um die parlamentarische Annahme der Lausanner Protokolle1 und von dem Tod

1 Die Lausanner Protokolle gewährten Österreich vor allem zur Bewältigung der CA-Krise eine Völker­ bundanleihe in der Höhe von 300 Millionen Schilling mit einer Laufzeit von 20 Jahren gegen eine neuerliche Verpflichtung zum Verzicht auf den Anschluss und eine Zollunion mit dem Deutschen Reich. Gegen diese Bestimmungen opponierten vor allem die Sozialdemokraten, die Großdeutschen und Nationalsozialisten. Am 17. August stimmte der Nationalrat mit einer Stimme Mehrheit (81  : 80) für den Lausanner Vertrag. Da der Bundesrat, in dem die Opposition über die Mehrheit verfügte, ein Veto gegen diesen Beschluss einlegte, fasste der Nationalrat am 23. August einen Beharrungsbeschluss mit 82 gegen 80 Stimmen.

Wirtschaftskrise und zunehmende NS-Penetration

273

der beiden ehemaligen Kanzler Ignaz Seipel am 2. August und Johannes Schober am 19. August dominiert. Der politische Problemhaushalt des Bundes und des Landes war sowohl während des Festspielsommers 1932 und vor allem im Herbst von den dramatischen Entwicklungen der materiellen und politischen Kultur bestimmt. Die von Otto Bauers ideologischer Verengung und projektiver Illusion bestimmte Obstruktionspolitik der Sozialdemokratie ließ selbst bei grundsätzlich die parlamentarische Demokratie befürwortenden Eliten und Sympathisanten der Christlichsozialen die Attraktivität alternativer (ständischer) Modelle wachsen, zumal diese angesichts der unvermindert anhaltenden Wirtschafts- und Finanzkrise und deren tief in der eigenen Klientel sichtbar werdenden sozialen Auswirkungen unter immer stärkeren Druck geriet. Die meisten Salzburger/innen kämpften Tag für Tag um das sprichwörtliche tägliche Brot, die Schlangen vor den Essenausgaben wurden täglich länger. Im Winter kam noch der Kampf gegen die Kälte hinzu, denn Heizmaterial war teuer und konnten sich nur mehr, wenn überhaupt, jene leisten, die Arbeit hatten. Die erschütternden Berichte über die materielle Not der Bevölkerung waren Legion. Unter den Prämissen des Festhaltens am Goldstandard und – auch aufgrund des Diktats des Völkerbundes – des ausgeglichenen Budgets entwickelte sich ein erbittertes regierungsinternes Ringen um die Verteilung der knappen ­Budgetmittel, in dem sich der Salzburger Landeshauptmann im Wissen um die immer dramatischere soziale Schieflage in seinem Bundesland verzweifelt vor allem um Mittel der unterstützenden Sozialpolitik und produktiven Arbeitsmarktpolitik, d. h. die Verhinde­rung des Absinkens von der Arbeitslosenunterstützung in den Status der Ausgesteuerten und Arbeitsbeschaffungsprogramme, bemühte. Rehrl wusste, dass er in diesem Bereich Erfolge erzielen musste, um einem seiner zentralen landespolitischen Leuchtturmprojekte, den Festspielen, die notwendige öffentliche Akzeptanz zu verschaffen. Er konnte die von ihm als so notwendig erkannte Kulturpolitik am Beispiel der Festspiele in keiner um sich greifenden Kultur der Armut betreiben. Es galt daher, die materielle Kultur der Salzburger Bevölkerung so weit zu verbessern oder zumindest deren Absinken auf ein politisch gefährliches Niveau zu verhindern, um Kulturpolitik im Sinne der Festspiele, ohnedies ein wahlpolitisches Minderheitenprogramm, betreiben zu können. Rehrls politische Agenda glich dem Jonglieren des Artisten mit einer Vielzahl von Bällen, wobei sich die Situation durch die dramatischen Ereignisse in Deutschland und Österreich in den Jahren 1933/34 nochmals erheblich erschweren sollte. Aber gerade durch die »Machtergreifung« Hitlers am 30. Jänner 1933 und die folgende aggressive nationalsozialistische Politik gegenüber Österreich sollte der um die Salzburger Festspiele konzentrierten Kulturpolitik nicht nur Salzburgs, sondern Österreichs, eine zentrale Funktion zukommen. Die Salzburger Festspiele wurden in der nunmehr auch in Mitteleuropa anbrechenden Ära der totalitären Transformation aufgrund ihrer geistes- und kulturpolitischen Po-

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Die Salzburger Festspiele in den Wende- und Schicksalsjahren 1933/34

sitionierung und ideologischen Aufladung zum Politikum. Die Kultur verlor nicht nur ihre (ohnedies zweifelhafte oder nie vorhandene) Unschuld, sondern wurde auch zum Kampfplatz der Ideologien. Auf diesem heftig umkämpften Schlachtfeld mit seinen durchaus unklaren Fronten (die Gegner saßen in erheblicher Stärke auch in Salzburg) nahmen die Salzburger Festspiele eine zentrale Rolle ein. Doch kehren wir zunächst noch zurück in das Jahr 1932. Im Sommer 1932 hatte Rehrl angesichts der steigenden Arbeitslosenzahl die Initiative ergriffen und für 18. August eine Länderkonferenz in das Niederösterreichische Landhaus in Wien einberufen, um Maßnahmen zugunsten der Ausgesteuerten zu beraten. An der unter der Leitung des Salzburger Landeshauptmann-Stellvertreters Robert Preussler stattfindenden Konferenz nahmen die Fürsorgereferenten der Landesregierungen und führende Beamte, die Vertreter der Landeshauptstädte, der Handels- und Arbeiterkammer und des Bundeskanzleramtes teil. Dabei wurde übereinstimmend festgestellt, dass die nach der 28. Novelle zum Arbeitslosenversicherungsgesetz für die kommende Winterhilfsaktion vorgesehenen sieben Millionen Schilling zur Unterstützung der ausgesteuerten Arbeitslosen angesichts des steigenden Bedarfs völlig ungenügend seien. Da die Versorgung der Arbeitslosen und Ausgesteuerten nach der Verfassung 1920/29 Bundesangelegenheit war, bedeutete eine zu geringe Dotierung der Bundeshilfe automatisch eine Belastung der Armenfürsorgebudgets der Länder und Gemeinden und entsprach damit einem sogenannten »grauen« Finanzausgleich. Im Namen der Länderkonferenz sprachen daher Rehrl und der niederösterreichische Landesrat Heinrich Schneidmadl bei Bundeskanzler Engelbert Dollfuß vor, um eine Erhöhung der Bundesmittel für die Durchführung der Winterhilfsaktion und die produktive Arbeitslosenfürsorge, d. h. die Schaffung von Arbeitsplätzen, zu erreichen. Der Bundeskanzler betonte bei der Aussprache, dass er den Wünschen der Länderkonferenz angesichts der angespannten Budgetlage des Bundes nicht entsprechen könne. Die Länder und Gemeinden müssten mit den vorgesehenen sieben Millionen Schilling das Auslangen finden.2 Am Rupertitag, dem 24. September 1932, fand im Sitzungssaal des Landtages im Chiemseehof eine von heftigen Emotionen gekennzeichnete Aussprache der Vertreter der Salzburger Land- und Forstwirtschaft über die Folgen der Agrarkrise statt, in der vor allem auf die unerträgliche Lage der Salzburger Bergbauern hingewiesen wurde. Die »Salzburger Chronik« berichtete, dass »insbesondere die Darlegung der vielen Debattenredner (…) ein geradezu herzzerreißendes Bild der Not und des Elends« gezeichnet habe, »sodass es keine Übertreibung ist, wenn man behauptet, dass ein Großteil der bäuerlichen Bevölkerung im Gebirge ein geradezu menschenunwürdiges Dasein zu führen gezwungen ist, das das Elend der städtischen Arbeitslosen bei weitem übertrifft«. Die gesamte Bauernschaft des Landes verlange daher 2 Salzburger Chronik, 19. 8. 1932. S. 1.

Wirtschaftskrise und zunehmende NS-Penetration

275

»mit ernstestem Nachdruck von allen verantwortlichen Stellen rascheste Hilfe (…), ehe es zu spät ist«. So sanken die Viehpreise pro Kilogramm Lebendgewicht vom Juli 1931 bis zum Herbst 1932 von 1,20 bis 1,50 Schilling auf 30 bis 50 g mit katastrophalen Folgen vor allem für die Bergbauern, deren Einnahmen aus der für sie zentralen Viehzucht auf ein Drittel sanken. Erschwerend kam noch hinzu, dass einem forcierten Viehexport die um rund die Hälfte niedrigeren Preise in den Nachbarländern Deutschland, Jugoslawien, Ungarn und Italien entgegenstanden. Gleichzeitig erlebte die Holzwirtschaft einen ähnlich dramatischen Preissturz auf rund 40 Prozent des Niveaus des Jahres 1929. Betrug der Wert der Holzausfuhr 1929 noch 150 Millionen Schilling, so sank er 1931 auf weniger als die Hälfte. Während die Erträge massiv einbrachen, blieben die Abgaben und Soziallasten gleich, sodass sich kaum noch ein Gewinn erwirtschaften ließ. Durch das Ansteigen der ausgesteuerten Arbeitslosen und der Gemeindearmen wurden die Budgets der Landgemeinden bei sinkenden Einnahmen immer stärker belastet, sodass viele Gemeinden vor dem finanziellen Zusammenbruch standen. Der Bürgermeister von Marktwerfen, Albert Hochleitner, resümierte unter Anspielung auf die NSDAP und die Sozialdemokratie, der von vielen Seiten gepriesene Radikalismus führe nicht zum Ziel. »Nicht gegen­einander, miteinander müssen wir gehen, wenn wir die gemeinsamen Feinde  : Arbeits­losigkeit, Not und Elend wirkungsvoll bekämpfen, wenn wir uns ein kleines Plätzchen an der Sonne erwerben wollen.« Und die Stimmung in breiten Kreisen der ländlichen Bevölkerung angesichts des weitgehenden parlamentarischen Stillstandes durch die Obstruktionspolitik der Sozialdemokratie formulierend  : »Wir verzichten auf ein Parlament, das uns durch seine Tätigkeit wirtschaftlich zugrunde richtet. Deshalb mögen die Nationalräte, dem Gebot der Stunde folgend, die Regierung mit Vollmachten ausstatten, die sie vom Parlament unabhängig macht, damit sie ohne Rücksicht auf parteipolitische Interessen unsere Wirtschaft wieder aufwärts und vorwärts führen möge.«3 Auch für die »Salzburger Wacht« war die Lage der Salzburger Bauernschaft bedrückend, doch würden deren Vertreter, wie die Konferenz am 24. September neuerlich dokumentiert habe, von einer falschen Analyse und daher auch falschen Lösungsvorschlägen ausgehen, denn die schwierige Lage sei das Ergebnis der »Krise des kapitalistischen Systems«, das es durch den Sozialismus zu überwinden gelte.4 Auch die Salzburger Fremdenverkehrsindustrie befand sich in einer zunehmend schwierigen Lage. Auf der Jahreshauptversammlung des Salzburger Landesverbandes der Genossenschaften der Gast- und Schankgewerbetreibenden im Sporthotel Lebzelter in Zell am See am 1. Dezember erklärte deren Vorsteher Willi Schandlbauer, die kolportierte gute Saison 1932 existiere »nur im Märchenland«. Tatsächlich 3 Notschrei der Salzburger Bauernschaft. – In  : Salzburger Chronik, 26. 9. 1932. S. 1f. 4 Zur Salzburger Nottagung. – In  : Salzburger Wacht, 29. 9. 1932. S. 1f. S. 1.

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habe die abgelaufene Saison in den meisten Fremdenorten nicht nur einen zahlenmäßigen, sondern vor allem auch einen umsatzmäßigen Rückgang gebracht. Auch in jenen Orten mit einer günstigen Besucherfrequenz müssen die Betriebsergebnisse »alles andere als günstig genannt werden«.5 Selbst in der Stadt Salzburg mit ihrer durch die Festspiele noch günstigen Auslastung klagten zahlreiche Beherbergungsund Schankbetriebe über die im Vergleich zu den Vorjahren deutlich gesunkene Zahlungsfähigkeit des ausländischen Publikums und damit über Mindereinnahmen.6 Der Fremdenverkehrsverein der Stadt Salzburg und der Fremdenverkehrsrat des Landes Salzburg, unterstützt von der Kammer für Handel, Gewerbe und ­Industrie, sämtlichen Gewerbeorganisationen und der Salzburger Festspielhausgemeinde ­sahen in der Errichtung eines Casino-Betriebs die Möglichkeit einer zusätzlichen Stimulierung des Fremdenverkehrs. Da seitens des Bundes die Errichtung einer Öster­reichischen Casino AG geplant war, galt es im Vorfeld einen der wenigen Standortplätze für Salzburg zu sichern. Da auf mehrere Eingaben der Salzburger Stellen seitens des Bundes keine Reaktion erfolgt war, wurde Rehrl in dieser Richtung bei Bundeskanzler Dollfuß aktiv und forderte unter Hinweis auf die zentrale Position Salzburgs im österreichischen Fremdenverkehr bei der geplanten gesetzlichen Regelung die Festlegung auf die Stadt Salzburg als einen der Spielbetriebe der Österreichischen Casino AG. Als auch auf die Intervention des Salzburger Landeshauptmanns noch keine positive Reaktion erfolgte, entschlossen sich die Salzburger Interessenten, um den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen, gegen Jahresende 1932 zu einem »Offenen Brief« an Bundeskanzler Dollfuß, in dem sie darauf hinwiesen, dass »die Lage der Fremdenverkehrsbetriebe und der übrigen Wirtschaft Salzburgs (…) derart katastrophal, Not und Verelendung (…) so tiefgreifend« seien, »dass k e i n e S t u n d e v e r l o r e n werden darf, wenn es gilt, sie zu mildern. Vernehmen Sie also die nachdrückliche Erklärung der für die Wirtschaft und den Bestand der führenden Fremdenstadt Salzburg allein verantwortlichen Kreise, dass sie nicht mehr warten können und wollen. Durchaus ernst zu nehmende Finanzgruppen sind bereit, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Casino-Betrieb gegeben sind, Mittel bereitzustellen, die mit einem Schlage das Wirtschaftsleben Salzburgs befruchten und damit die Steuerund Konsumkraft durchgreifend heben würden. Brot für zahlreiche Mitbürger, die verzweifelt nach Hilfe rufen, würde geschaffen. Unsere Kunstinstitute, deren Gedeihen die unerlässliche Vorbedingung für die wirtschaftliche Existenz Salzburgs ist, würden endlich eine gesicherte und ruhige Fortentwicklung nehmen können. Es darf nicht mehr dazu kommen, dass hungernde Menschen, wie dies zur Zeit der heurigen Festspiele geschah, auf die Straße ziehen müssen, um vor den Gästen Salzburgs aus 5 Lasten und Wünsche des Gastgewerbes. – In  : Salzburger Volksblatt, 2. 12. 1932. S. 5. 6 Salzburger Chronik, 1. 9. 1932. S. 8.

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der ganzen Welt nach Brot zu rufen und nach Arbeit zu verlangen«. Die Verabschiedung eines entsprechenden Bundesgesetzes sei daher eine dringende Notwendigkeit. »Die Wirtschaftsfaktoren Salzburgs sind entschlossen, es auf die K r a f t p r o b e ankommen zu lassen, ob in diesem Staate die Wirtschaft oder die Politik entscheidet. Was in anderen Kulturstaaten durch Gesetz erlaubt ist, kann in Österreich, wenn nachgewiesen wird, dass dadurch eine Linderung der Not möglich ist, nicht ohne eingehende und unvoreingenommene Prüfung abgelehnt werden. Schon deswegen nicht, weil sonst alle offiziellen Reden von der Unerlässlichkeit sofortiger Arbeitsbeschaffung und der Förderung des Fremdenverkehres eben nur als Reden gewertet werden können.«7 Am 31. Jänner 1933 übermittelte Landeshauptmann Rehrl die Antwort von Finanz­minister Emanuel Weidenhoffer. Eine grundsätzliche Entscheidung über die bundesgesetzliche Zulassung von Spielbankbetrieben sei noch nicht erfolgt, sondern Gegenstand von Parteienverhandlungen. Die Erörterung möglicher Standorte sei daher verfrüht. Es war bemerkenswert, dass sich in der anschließenden Diskussion keineswegs alle Mitglieder des Fremdenverkehrsrats als Befürworter der SpielbankIdee erwiesen. Selbst der christlichsoziale Vize-Bürgermeister der Landeshauptstadt, Josef Preis, bezeichnete das Casino als »Spielhölle«, deren Gegner er sei. Ein solider Fremdenverkehr sei einer solchen Institution vorzuziehen, die zudem ernste Befürchtungen für die Festspiele mit sich bringe. Nach dieser moralischen Positio­ nierung erfolgte allerdings die pragmatische Wende  : Wenn jedoch in Österreich die gesetzliche Voraussetzung für eine Spielbank geschaffen werde, dann müsse auch Salzburg am Gewinn partizipieren, denn es sei eine Illusion zu glauben, dass nicht auch andere Orte sich um ein Casino bewerben würden. Der Halleiner Bürgermeister Anton Neumayr stimmte Preis bezüglich dessen Bedenken im Hinblick auf die Festspiele zu und schlug daher vor, den Spielbetrieb während der Festspielzeit zu sistieren.8 Die erhoffte bundesgesetzliche Regelung erfolgte 1934 zur vollen Zufriedenheit Salzburgs. Die im Jahr 1934 gegründete Österreichische Casino AG wurde mit drei ganzjährigen Standorten – Baden, Salzburg, Kitzbühel – gegründet. 1937 folgte noch der Standort Bad Gastein. Die Eröffnung des Casinos in Salzburg erfolgte am 1. Juli 1934 im Hotel Mirabell. Bei der Eröffnung betonte der Generaldirektor der neu geschaffenen Österreichischen Casino AG, Konrad Fehringer, das neu eröffnete Casino stelle einen zusätzlichen Anziehungspunkt für Stadt und Land Salzburg dar und füge sich als belebender Faktor in bestehende Institutionen wie die Festspiele

7 Offener Brief an den Herrn Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß. – In  : Salzburger Volksblatt, 24. 12. 1932. S. 5. 8 Die Spielbankfrage. – In  : Salzburger Chronik, 1. 2. 1933. S. 4.

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ein. Man habe den Ehrgeiz, Salzburg zu einem gesellschaftlichen Zentrum auszubauen, und plane daher auch die Errichtung eines Golfplatzes in Kleßheim.9 Zur Jahreswende 1932/33 hatte man allerdings von dieser Entwicklung noch keine Kenntnis. Und man hatte auch keine Kenntnis von den kommenden dramatischen Ereignissen, die als Wende- und Schicksalsjahre in die Geschichte eingehen sollten. Die Erwartungen waren, je nach ideologischem Standort, völlig unterschiedlich. In der Silvesternummer der »Salzburger Chronik« bemerkte der Jesuit Friedrich Wackermann in einem Leitartikel  : »Zuversichtlicher als 1932 treten wir über die Schwelle des neuen Jahres. Die Konjunkturziffern der Wirtschaft laufen günstiger. Der politische R a d i k a l i s m u s bedroht nicht mehr unmittelbar unsere Existenz. Im B ü r g e r t u m scheint eine gewisse Sammlung fortzuschreiten. Die große soziale Linie des Volksstaates scheint wiedergewonnen zu sein. (…) Unser Volk hofft wieder und Stimmen des Auslandes verraten es uns, dass ruhige, sachliche, ehrliche Arbeit uns langsam zu besseren Verhältnissen führen werde.«10 Die »Salzburger Wacht« veröffentlichte die von Otto Bauer verfasste Neujahrsbotschaft der Sozialdemokratie, in der einleitend darauf hingewiesen wurde, dass das neue Jahr mit dem vierten Krisenwinter beginne. »Die Zersetzung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung schreitet fort. Immer mehr Unternehmungen werden bankrott. Immer mehr Betriebe kommen zum Stillstand. Immer furchtbarer schwellen Arbeitslosigkeit und Massenelend in allen kapitalistischen Ländern an. Mit der kapitalistischen Weltwirtschaft bricht auch das politische Herrschaftssystem des Nachkriegskapitalismus, das System von Versailles und St. Germain zusammen. (…) Am 11. März werden wir den fünfzigsten Todestag Karl Marxens feiern. ­Fünfzig Jahre nach seinem Tode erfüllt sich seine Voraussage  : der Kapitalismus kann den Reichtum an Maschinen und Apparaten, an Rohstoffen und Lebensmitteln, den er selbst hervorgebracht hat, nicht mehr ausnützen. Die kapitalistische Produktionsweise ist zur Fessel der Produktivkräfte geworden, die mit ihr aufgeblüht sind. Sie muss gesprengt werden. Die Menschheit hat nur noch die Wahl  : dauernde Stagnation und Massenverelendung oder – Sozialismus  !«11 Das deutschnationale »Salzbur­ger Volksblatt«, das aus seiner Sympathie für die erstarkende NSDAP nie ein Hehl gemacht hatte, konstatierte unter Hinweis auf die Lausanner Anleihe und das darin auf Druck Frankreichs neuerlich enthaltene Anschlussverbot, dass »ein Jahr des politischen Missvergnügens in Österreich zu Ende gegangen« sei. »Auch ohne Anschluss gestaltet sich zwar die politische Verbundenheit Deutschlands und  9 Eröffnung des Mirabell-Casinos. – In  : Salzburger Volksblatt, 2. 7. 1934. S. 6f. 10 Friedrich Muckermann  : Drei Wahrheiten für Neujahr 1933. – In  : Salzburger Chronik, 21. 12. 1932. S. 1f. 11 Neujahrsbotschaft der Partei. – In  : Salzburger Wacht, 31. 12. 1932. S. 1.

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Öster­reichs immer enger, trotzdem die seit dem 20. Mai d. J. im Amte befindliche Regierung Dollfuß einen Kurs unserer Außenpolitik eingeleitet hat, der ziemlich eindeutig nach Paris und nicht nach Berlin weist.« Und mit deutlichem Spott über die körperliche Statur des neuen Bundeskanzlers  : »Trotzdem, diese Anleihe ist das ›große‹ Ereignis der Politik dieses Jahres, die mit kleinen Mitteln und von kleinen Männern und Geistern geführt wurde.« Das Parlament habe »noch nie so versagt wie in diesem Jahre, das doch, weiß Gott, die Volksvertreter hätte bewegen sollen, alle Kräfte zur Abwehr der gemeinsamen Not einzusetzen. Am Rande des furchtbaren Abgrundes zeigt die Volksvertretung einen geradezu niederschmetternden Mangel an Ernst und Verantwortlichkeitsgefühl«. Zur Besorgnis gebe auch die Entwicklung der NSDAP Anlass, deren Schwächen angesichts ihrer jüngsten Wahlerfolge deutlich wurden. »Mit Freude verfolgten die nationalen Kreise, denen es nicht auf Parteititel und Führernamen ankommt, sondern die nur die reine nationale und fortschrittliche I d e e von tragfähigen Bewegungen vertreten sehen wollen, das Aufblühen, den gewaltigen Vorsturm der Hitler-Bewegung im Frühjahr dieses Jahres. Dieser Vorsturm kam besonders bei den Aprilwahlen in die Landtage von Wien, Niederösterreich und Salzburg zum Ausdruck, die in ihren Auswirkungen, zu denen auch der Einzug der Nationalsozialisten in den Bundesrat gehört, vielleicht zu den politisch bedeutsamsten Ereignissen des Jahres zu zählen sind. Heute aber müssen die national begeisterten Wähler, sofern sie der neuen Partei nicht ganz kritiklos gegenüberstehen, feststellen, dass die NSDAP sich in einer schweren, vielleicht sogar tödlichen Krise befindet, die leider zum größten Teile darauf zurückzuführen ist, dass eine sehr beträchtliche Anzahl von Unterführern sich als u n f ä h i g erwiesen hat, die taktischen Erfolge auch in praktische Mitarbeit zum Wohle der Allgemeinheit voll auszunutzen. Dazu kommt noch, dass die Vergangenheit einzelner Führer allzu viele Angriffsflächen bietet, dass – besonders in der Judenfrage – bei vielen auch jetzt noch ein Abgrund zwischen Theorie und Praxis klafft, dass man überhaupt in der Wahl mancher hervorragender Stellen in der Partei und auch kleine Pöstchen bekleidender Männer allzu vertrauensvoll vorgegangen ist, dass man in einer wehleidigen Empfindlichkeit gegen alle Kritik tüchtige Männer vor die Türe gestellt hat, dass die Jugend zu viel Freude am Trommeln und am Radikalismus der Faust und zu wenig Sinn für den Wert der praktischen Aufbauarbeit und des Geistes zeigt. Wir sehen sehr trübe in die Zukunft der Bewegung. Niemand wäre glücklicher als wir, wenn sich dieser Pessimismus als unberechtigt erweisen würde.«12 Der politische Tsunami des Jahres 1933 setzte am 30. Jänner mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch Reichspräsident Paul von Hindenburg ein. Das von Goebbels zur Meistererzählung der »Machtübernahme« stilisierte Ereignis, das erst im historischen Rückblick seine welthistorische Bedeutung erhält, war für 12 Thomas Mayrhofer  : Jahreswende – Zeitenwende. – In  : Salzburger Volksblatt, 31. 12. 1932. S. 1f.

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die meisten Deutschen, trotz des von den Nationalsozialisten inszenierten Fackelzugs, ein Tag wie jeder andere. Zu sehr hatte man sich im Bereich der Politik an Krisenszenarios, Regierungswechsel und Notverordnungsregierungen gewöhnt, für viele schien Hitler von seinen nationalen Koalitionspartnern ohnedies »eingerahmt« und damit weitgehend neutralisiert. Er werde sich bei einer Regierungsbeteiligung rasch entzaubern, so die dominierende parteiübergreifende Meinung. Die spätere Widerstandskämpferin Freya von Moltke berichtet, sie habe den 30. Jänner 1933 in Berlin verbracht, und ein sozialdemokratischer Freund sei zum Mittagessen eingeladen gewesen, der die Betrauung Hitlers mit der Kanzlerschaft mit den Sätzen kommentiert habe  : »Regt euch nicht auf. Hitler muss an die Macht kommen wie alle Regierungen vorher. Er wird sich auch abwirtschaften, und dann ist er erledigt.«13 Und Hitler bemühte sich bei seinen öffentlichen Auftritten, jeden Anschein eines bevorstehenden revolutionären Umsturzes zu vermeiden. Er erklärte die neue Regierung als Volksregierung, die das Christentum als Basis des Wertekanons, die Familie als Keimzelle des Staates, die Einheit des deutschen Volkes jenseits des Klassenkampfes in Form einer wahren Volksgemeinschaft und die Pflege der nationalen Traditionen als Grundlage des kollektiven Selbstbewusstseins hochhalten bzw. wiederherstellen werde. Unter diesen Prämissen erregte nicht einmal die sofort erklärte Auflösung des Reichstages und die Ankündigung baldiger Neuwahlen Beunruhigung, da sie dem gewohnten Szenario folgten. Nur die Gruppe der entschiedenen Gegner der NSDAP erkannte die Gefahr des Ereignisses. Ihre besorgten und hellsichtigen Kommentare und Eintragungen in Tagebücher gingen im Taumel einer kollektiven Illusion, wie immer diese aussehen mochte, unter. Bei einer Arbeitslosenzahl von rund sechs Millionen – jeder dritte Arbeitnehmer war arbeitslos – hatte der vielbeschworene »kleine Mann« andere Sorgen  ; der Kampf ums Überleben in einem eisigen Winter dominierte den persönlichen Problemhaushalt, in dem, wenn auch in verschwindend kleinen Ecken, die Hoffnung auf Besserung lebte. Gab man ihr Nahrung, konnte man die »Unpolitischen« politisieren oder die bisher in scheinbar festen politischen Verankerungen Wurzelnden zum Wechsel motivieren. Ein Schema, das angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise auch in Salzburg wegen seiner Grenznähe seine Wirksamkeit beweisen sollte. Für die österreichische NSDAP galt angesichts der deutschen Entwicklung die von München unterstützte Devise der »Machtergreifung« über den Umweg einer Koalitionsregierung. Völlig unabhängig von der Entwicklung in der Weimarer Republik hatte am 4. März 1933 die vor allem von sozialdemokratischer Taktik bestimmte parlamentarische Debatte um die Behandlung eines Eisenbahnerstreiks zum Rücktritt der drei Nationalratspräsidenten und damit zu einer in der Geschäftsordnung des

13 Zit. bei Monika Dreykorn  : 30. Jänner 1933. Hitler an der Macht  ! – Darmstadt 2013. S. 25.

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Parlaments nicht vorgesehenen Situation geführt.14 Dieser weder geplanten noch vorhersehbaren Situation des 4. März 1933, die von der Regierung Dollfuß unter Hinweis auf eine Geschäftsordnungslücke des Nationalrats als »Selbstausschaltung des Parlaments« etikettiert wurde und damit ein Feld von Handlungsspielräumen eröffnete, folgte das für die NSDAP erfolgreiche Ergebnis der Reichstagswahl am 5. März, das die Tür zur nunmehr rasch einsetzenden Errichtung der Diktatur öffnete. Als Türöffner hatten sich die konservativen Koalitionspartner der NSDAP erwiesen, die der irrigen Meinung waren, Hitler »einrahmen« und ihn durch die Mühen der politischen Ebene seines Charismas entkleiden zu können. Die Realitäten waren jedoch andere. Es waren Hitler und seine engste Umgebung, die die Koalitionspartner für ihre politische Agenda der »Machtergreifung«, d. h. der Errichtung der Diktatur instrumentalisierten. Dieses Schema diente auch der österreichischen NSDAP, unterstützt von der deutschen Mutterpartei, als Blaupause ihrer politischen Agitation. Bereits die Landtagswahlen vom 24. April 1932 hatten den Aufstieg der NSDAP zur Mittelpartei gebracht, die nunmehr unter dem Deckmantel der offensichtlich geänderten Mehrheitsverhältnisse und unter scheinheiliger Berufung auf die Demo­ kratie Neuwahlen forderte mit dem Kalkül, dass sie in diesem Fall als starke Mittelpartei in den Nationalrat einziehen und die Großdeutsche Volkspartei, der Landbund und der Heimatblock weitgehend marginalisiert oder sogar völlig eliminiert würden. In diesem Fall wären diese Parteien als mögliche Koalitionspartner für die Christlichsozialen nicht mehr zur Verfügung gestanden. Mit Blick auf die massiven Verluste der Christlichsozialen bei der Landtagswahl in Wien am 24. April 1932 war mit deren deutlicher Schwächung im Falle von Neuwahlen auf Bundesebene zu rechnen. Damit hätten sich nach einer Nationalratswahl nur mehr zwei Optionen einer parlamentarischen Regierungsbildung ergeben. Die Bildung einer von den Sozialdemokraten als wahrscheinlich nunmehr stärkster Fraktion geführten Koalitionsregierung mit den Christlichsozialen als Juniorpartner oder eine von den Christlichsozialen geführte Koalitionsregierung mit den Nationalsozialisten. Aufgrund des sich seit den frühen Dreißigerjahren weiter fragmentierenden Verhältnisses zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten war die Bildung einer Koalitionsregierung dieser Parteien unwahrscheinlich, weshalb nur mehr die Variante einer Koalitionsregierung von Christlichsozialen und Nationalsozialisten übrig blieb. Sie sollte als Türöffner für eine »Machtergreifung« der NSDAP in Österreich sowie einen folgenden Anschluss an ein nationalsozialistisches Deutschland fungieren. Die Parlamentskrise vom 4. März und das Ergebnis der Reichstagswahl vom 5. März 1933 mischten die Karten neu. Wiederum ergaben sich zwei Optionen  : die demokratische, d. h. die Rückkehr zur Funktionsfähigkeit des Nationalrates un14 Vgl. dazu Kriechbaumer (Hg.)  : Die Dunkelheit des politischen Horizonts. Bd. 1. S. 116ff.

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ter Mithilfe des Bundespräsidenten,15 oder die autoritäre unter Sistierung des Parlaments und der Stärkung der Position der Regierung durch die Anwendung des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes aus dem Jahr 1917. Die Entscheidung für die demokratische Option barg vor dem Hintergrund der Ereignisse im Deutschen Reich ein schwer kalkulierbares Risiko mit unabsehbaren Folgen in sich. Bei den unsicheren parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen – die Regierung Dollfuß verfügte nur über die Mehrheit von einer Stimme –, der äußerst labilen Lage der rechten Kleinparteien Großdeutsche Volkspartei, Landbund und Heimatblock und der anhaltenden Obstruktionspolitik der Sozialdemokratie sowie deren aufrechter Forderung nach Neuwahlen war eine parlamentarische Mehrheit für diese Forderung und die damit zu erwartende grundlegende Änderung der politischen Landschaft wahrscheinlich. In diesem Fall drohte die seit dem April 1932 angestellte machtpolitische Kalkulation der NSDAP Realität zu werden. Am 7. März erklärte daher Bundeskanzler Dollfuß in einem außerordentlichen Ministerrat, der Ausgang der jüngsten Reichstagswahlen im Deutschen Reich beginne »bereits deutliche Auswirkungen auf Österreich zu zeigen (…), indem sich eine verstärkte Agitations- und Propagandatätigkeit der Nationalsozialistischen Partei bemerkbar mache, die in der nächsten Zeit durch die massenhafte Veranstaltung von Versammlungen mit reichsdeutschen Rednern noch eine weitere Steigerung erfahren dürfte.«16 Angesichts der eingetretenen parlamentarischen Krise müsse die Regierung von allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln Gebrauch machen, um eine drohende Eskalation der Situation zu verhindern. Damit war bereits angedeutet, dass man sich für die autoritäre Lösung unter Anwendung des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes entschieden hatte. Diese Entscheidung kann jedoch nicht aus der Sicht des 1. Mai 1934, der Erlassung der autoritären ständestaatlichen Verfassung beurteilt werden, denn sie war weder stringent noch zielbewusst. Die weiteren Schritte waren vielmehr von einer Vielzahl von innen- und außenpolitischen Faktoren beeinflusst, die in unterschiedlicher zeitlicher Abfolge und Intensität wirksam wurden.17 Zu Beginn der Entwicklung standen vor allem zwei Motive  : 1. Die durch den 4. März unvermutet entstandene Situation bot die Möglichkeit, mithilfe des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes auf dem Verordnungs15 Zur Rolle von Bundespräsident Wilhelm Miklas vgl. Walter Goldinger  : Wilhelm Miklas 1872 bis 1956. – In  : Friedrich Weissensteiner (Hg.)  : Die österreichischen Bundespräsidenten. Leben und Werk. – Wien 1982. S. 82–120. S. 105f.; Peter Huemer  : Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich. – Wien 1975. S. 164ff. 16 MRP 851. 17 Zur Komplexität der innenpolitischen Motive und der zeitlichen Abfolge vgl. Robert Kriechbaumer  : Die großen Erzählungen der Politik. Politische Kultur und Parteien in Österreich von der Jahrhundertwende bis 1945. – Wien/Köln/Weimar 2001. S. 236ff. (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Band 12).

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weg über eine gewisse Zeit ohne Behinderung durch die Obstruktionspolitik der Sozialdemokratie zu regieren und die als wichtig erachteten – vor allem wirtschaftspolitischen – Maßnahmen zu treffen. Durch die Nichteinberufung des Nationalrates sollte die Sozialdemokratie bewogen werden, in von den Christlichsozialen schon länger gewünschte Verhandlungen über eine Verfassungsreform im Sinne der Stärkung der Stellung der Bundesregierung gegenüber dem Nationalrat, des Umbaus des Bundesrates in eine Ständekammer und eventuell einer Erweiterung der Rechte des Bundespräsidenten einzutreten. Nach Abschluss dieser Verhandlungen sollte der Nationalrat wiederum einberufen werden. In diesem Sinne bemerkte die »Salzburger Chronik«, die Regierung habe aus den Ereignissen »die richtigen Konsequenzen gezogen und verlangt, dass die Neuordnung der Verhältnisse sowie die Lösung der Parlamentskrise nur unter einer Bedingung durchgeführt werden könne  : R e f o r m d e s P a r l a m e n t a r i s m u s und der Ve r f a s s u n g «.18 2. Der Ausgang der Reichstagswahl vom 5. März, bei der die NSDAP im Vergleich zur letzten Reichstagswahl am 6. November 1932 ihren Stimmenanteil von 33,1 auf 43,9 Prozent und ihren Mandatsstand von 196 auf 288 erhöhen konnte, womit sie über mehr Mandate verfügte als die drei nächststärksten Parteien zusammen (SPD, KPD und Zentrum erreichten zusammen 274 Mandate), hatte nicht nur erhebliche Auswirkungen auf die außen- und wirtschaftspolitischen Beziehungen zwischen Berlin und Wien, sondern auch auf das Agieren der österreichischen Nationalsozialisten, die nunmehr mit deutschem Rückenwind nicht nur ihr politisches Agieren intensivierten, sondern Dollfuß das Angebot unterbreiteten, Neuwahlen auszuschreiben und – unabhängig von deren Ausgang – anschließend in eine Koalitionsregierung mit den Christlichsozialen einzutreten, um auf diese Weise eine »zweite Machtergreifung« zu vollziehen. In der Christlichsozialen Partei erkannte man durchaus diese Gefahr. So erklärte Sozialminister Richard Schmitz in der Sitzung des christlichsozialen Parlamentsklubs am 9. März 1933  : »Wenn wir nicht imstande sind, die Führung der Politik zu behaupten und unseren Stempel aufzudrücken, wird eine revolutionäre Bewegung uns hinwegfegen. (…) Es geht um die Kernfrage, ob die Nazis Österreich in die Hand bekommen. Wenn sie es bekommen, proklamieren sie den Anschluss an Deutschland. (…) es wird unter Druck gewählt, das wird die demokratische Bestätigung durch das Volk sein.«19 Es ging darum, die Parteibasis um sich zu scharen und die Reihen zu schließen. Zu diesem Zweck fanden überall im Land Versammlungen von Vertrauensmännern und Sympathisanten statt. Am 1. April hielt Landeshauptmann Rehrl vor einer Versammlung der Vertrauensleute der Christlichsozialen Partei der Stadt Salzburg und Umgebung eine Rede, in der er 18 Salzburger Chronik, 11. 3. 1933. S. 1. 19 Walter Goldinger (Hg.)  : Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei 1932–1934. – Wien 1980. S. 153.

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angesichts der großen Zustimmung für die Maßnahmen der Regierung den Spagat zwischen Bekenntnis zum Regierungskurs und der Einmahnung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien unternahm. »Wir Christlichsozialen«, erklärte Rehrl mit Blick in das Deutsche Reich, »sind auch heute Anhänger des Parlaments und dies aus guten Gründen. Man sieht es am deutschen Beispiel, wie es mit der Freiheit der Person, mit der Freiheit der Kirche und der anderen Organisationen aussieht, insbesondere auch mit der Presse, wenn jede Kontrolle und jede Hemmung fehlen.« Er müsse aber auch feststellen, dass vor allem die Obstruktionspolitik der Sozialdemokratie das Parlament seiner eigentlichen Bestimmung entfremdet habe. »Es ist so weit gekommen, dass die O p p o s i t i o n d u r c h M i s s b r a u c h i h r e r S t e l l u n g i m P a r l a m e n t r e g i e r t h a t , d i e M e h r h e i t a b e r, d i e d i e R e g i e r u n g s t e l l t e , d i e Ve r a n t w o r t u n g z u t r a g e n h a t t e , und dieses unnatürliche Verhältnis hat nun schon jahrelang angedauert.«20 Als Dollfuß das nationalsozialistische Angebot der Bildung einer Koalition ablehnte, griff die NSDAP zum Mittel der zunehmend aggressiven Agitation und des Terrors, um ein Einlenken des Bundeskanzlers zu erzwingen. Einen idealen Anlass für diese Taktik bildete der christlichsoziale Parteitag in Salzburg vom 5. bis 7. Mai 1933. Er sollte durch gezielte Provokationen und Demonstrationen, die sich auch terroristischer Methoden bedienten, zur Kraftprobe mit der Regierung werden. Die Stadt Salzburg galt als nationalsozialistische Hochburg. Bei der Landtagswahl am 24. April 1932 war die NSDAP mit 29,0 Prozent nur ganz knapp hinter den Christlichsozialen mit 29,2 Prozent zweitstärkste Partei geworden, und die anhaltende Wirtschaftskrise mit ihren erheblichen sozialen Folgen sowie die Erfolge der NSDAP im Deutschen Reich ließen die Annahme nicht unberechtigt erscheinen, dass die Landeshauptstadt bereits mehrheitlich nationalsozialistisch sei. Der Nationalsozialismus hatte bereits bei der Landtagswahl am 24. April das in der Stadt Salzburg traditionell starke bürgerliche Segment der Großdeutschen aufgesogen und deutliche Zugewinne bei der Gruppe der Angestellten, in der Arbeiterschaft und der Jugend erzielt, ein Vorgang, der sich seither sicherlich fortgesetzt hatte. In nationalsozialistischen Kreisen der Stadt Salzburg war es daher bereits üblich, von einem »nationalsozialistischen Salzburg« zu sprechen. Dass dies nicht ganz unberechtigt war, zeigte das Ergebnis der Gemeinderatswahl in Innsbruck am 23. April 1933, aus der die NSDAP mit rund 40 Prozent als stärkste Partei hervorgegangen war. Ermutigt durch die wahlpolitischen Erfolge bei den Landtagswahlen vom 24. April 1932 und bei der Innsbrucker Gemeinderatswahl ein Jahr später sowie die endgültige Machtergreifung der NSDAP im Deutschen Reich nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 agierten 20 Für den österreichischen Kurs. – In  : Salzburger Chronik, 2. 4. 1933. S. 3. Die sozialdemokratische »Salzburger Wacht« sprach nicht zu Unrecht von einer »zwiespältigen Haltung« Rehrls (Salzburger Wacht, 4. 4. 1933. S. 1).

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die österreichischen Nationalsozialisten immer offensiver und erhoben lautstark die Anschlussforderung. So rief die Salzburger NSDAP für den 6. März 1933, einen Tag nach dem Triumph der NSDAP bei der Reichstagswahl, zu einem Fackelzug von der Faberstraße zum Festspielhaus auf, in dem eine große Abschlusskundgebung unter dem Motto »Unser Wille  : Ein Volk  ! Ein Reich  !« stattfand. In dieser erklärte der Salzburger Gauleiter Karl Scharizer unter Hinweis auf das deutsche Wahlergebnis vom Vortag, mit diesem sei das deutsche Volk »vom Abgrund zurückgerissen« worden und »der Weg frei zum Aufbau des Dritten Reiches«.21 Zwei Monate später sollte anlässlich des christlichsozialen Parteitages in Salzburg eine bürgerkriegsähnliche Stimmung erzeugt und damit der Öffentlichkeit sowie der internationalen Presse demonstriert werden, dass an der Salzach eine Regierungspartei, die nur mehr eine Minderheit der Bevölkerung repräsentiere, einen Parteitag abhalte, auf dem sie sich ihre Weigerung bestätigen lassen wolle, ihrer Tätigkeit durch demokratische Wahlen die Legitimation zu verschaffen. Dieses Kalkül ging insofern auf, als der Parteitag angesichts der bestens organisierten nationalsozialis­ tischen Demonstrationen, in denen sich vor allem Jugendliche durch besonders provokantes und aggressives Auftreten wie Schmieraktionen, Raufereien sowie Rufe wie »Dollfuß verrecke« hervortaten, nur durch den massiven Einsatz von Polizei und Militär sowie die Sperrung der Salzachbrücken stattfinden konnte. Die Stimmung in der Festspielstadt war im Frühjahr 1933 ambivalent und von einer breiten offenen sowie verdeckten Sympathie für die Demonstrationen gekennzeichnet. So schrieb das auflagenstarke deutschnationale »Salzburger Volksblatt«, es sei die Frage, ob diese Kundgebungen von denjenigen, gegen die sie sich richteten, überhaupt wahrgenommen wurden. »Die hohen Herren wurden ja von der Polizei ausgiebigst vor allen Ovationen geschützt. Aber Jugend fragt eben wenig und lässt ihrem Temperament keine Zügel anlegen  ; jedenfalls wurde denen, gegen die sich die Kundgebungen richteten, auch wenn sie nur den fernen Lärm hörten, doch sehr deutlich gezeigt, wie groß ihre Beliebtheit in Salzburg ist.«22 Ohne die von der NSDAP geplanten Demonstrationen als Ursache der Ereignisse zu benennen, sah die Zeitung mit besorgten Krokodilstränen in einer Umkehrung der Fakten in den von der Exekutive ergriffenen Maßnahmen die Ursache des Imageschadens für die Fremdenverkehrsund Festspielstadt Salzburg. So hätten zahlreiche deutsche Automobile angesichts der Straßensperren kehrtgemacht und das offensichtlich ungastliche Salzburg wieder verlassen. Die Salzburger Handelskammer, deren Mitglieder zu einem erheblichen Teil bereits Mitglieder der NSDAP waren oder zumindest mit ihr sympathisierten, schloss sich dieser Umkehr der Tatsachen an und sprach in einem Protestschreiben gegen den massiven Einsatz von Polizei und Militär davon, dass durch den 21 Salzburger Volksblatt, 7. 3. 1933. S. 6. 22 Salzburger Volksblatt, 8. 3. 1933. S. 1.

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dadurch erzeugten Eindruck die bevorstehende Fremdenverkehrssaison gefährdet sei. Die nationalsozialistische Landtagsfraktion stellte im Salzburger Landtag eine ­Dringliche Anfrage über den Einsatz der Exekutive an Landeshauptmann Rehrl, der in einer für ihn eher ungewöhnlich emotionellen Rede die Gründe für den Einsatz von Polizei und Militär erläuterte. Das Militär habe vor allem deshalb für Absperrmaßnahmen eingesetzt werden müssen, weil die vorhandenen Polizeikräfte zu gering gewesen seien. »Die Herren dürften wissen, dass, wenn ein großer Brand ist, auch Militär den Platz absperrt. In manchen Schädeln hat es gebrannt  !«23 Und schließlich in deutlicher Kampfstellung gegen die NSDAP  : »Ich kann Ihnen nur das Eine sagen, wir in Österreich haben keinen Hindenburg, der Ihnen die Macht übergibt, und daher meine Herren, werden Sie die Macht dann haben, wenn Sie sie erobert haben. Sie müssen aber gestatten, dass jene, die die Macht haben, die Macht benützen, um dieses Österreich wieder in die Freiheit zurückzuführen und es davor zu bewahren, dass es in Freiheit untergeht.«24 Drei Tage nach der Rede Rehrls im Salzburger Landtag ergab sich wiederum ein erschreckendes, jedoch die tatsächliche Stimmung eines erheblichen Teils der Salzburger Bevölkerung offenbarendes Bild, zu dessen Verständnis eine kurze Skizzierung der Vorgeschichte notwendig ist. Am 12. Mai 1933 hatte Emil Fey, Bundesminister für öffentliche Sicherheit, im Ministerrat eine Entscheidung darüber erbeten, welche Haltung man zu der für den folgenden Tag geplanten Ankunft des bayerischen Justizministers und Reichsjustizkommissars Hans Frank, des Präsidenten des bayerischen Landtages Hanns Kerrl und des preußischen Staatsministers Wilhelm Kube in Wien einnehmen solle. Offi­ ziell reisten die Herren zu einer Veranstaltung des nationalsozialistischen deutschösterreichischen Juristenbundes, tatsächlich jedoch offensichtlich zu den von der NSDAP geplanten Veranstaltungen anlässlich der Türkenbefreiung am 13. und 14. Mai, um dort als Redner aufzutreten. Die Polizeidirektion Wien habe mit Rücksicht auf die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung die für beide Tage geplanten nationalsozialistischen Veranstaltungen – bis auf eine in den Abendstunden des 13. Mai – in der Engelmann-Arena untersagt. Aus außenpolitischen Gründen und dem Umstand, dass es sich bei den genannten Personen um deutsche Regierungsmitglieder handle, könne man zwar gegen deren Einreise kaum etwas unternehmen. Man könne jedoch von deren Ankunft keinerlei offizielle Notiz nehmen und sie wissen lassen, dass sie sich bei ihren Auftritten jeder politischen Äußerung zu enthalten hätten.25 Hans Frank wurde daher bei seiner Ankunft in Wien mitgeteilt, dass man ihn als unerwünschte Person betrachte und auffordere, keine politischen Äußerungen 23 SLTPR. 15. Sitzung, 1. Session der 4. Wahlperiode, 12. Mai 1933. S. 238. 24 Ebda. S. 246  ; Von der Straße in den Landtag. – In  : Salzburger Chronik, 13. 5. 1933. S. 3f. 25 MRP 874/3.

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von sich zu geben. Frank ignorierte jedoch diese Aufforderung und hielt an diesem Abend vor Wiener Nationalsozialisten in der Engelmann-Arena eine Hetzrede gegen Dollfuß, die in ihrer Aggressivität am folgenden Tag in Graz bei einem neuerlichen Auftritt noch übertroffen wurde. Daraufhin bat das österreichische Außenministerium den deutschen Außenminister Konstantin von Neurath am 15. Mai, Frank sofort zurückzuberufen. Als dieser nicht auf diese Aufforderung reagierte, wurde Frank von der österreichischen Bundesregierung offiziell zur unerwünschten Person erklärt und nach Bayern abgeschoben. Frank reiste daraufhin von Graz über Aussee, Bad Ischl und St. Gilgen nach Salzburg, um von hier aus Österreich Richtung Bayern zu verlassen. Provokant legte er jedoch in Salzburg eine Pause ein, um, wie er erklärte, im Café Pitter nach der anstrengenden Reise noch eine Jause einzunehmen. Die Ankunft Franks hatte sich durch den nationalsozialistischen Kurierdienst herumgesprochen, sodass sich vor dem Café Pitter bereits bei seiner Ankunft rund 600 Nationalsozialisten eingefunden hatten, die die Abriegelung der Polizei durchbrachen und dem offiziell unerwünschten Gast Ovationen darbrachten. Dieser setzte, geschickt inszeniert, zu einer Ansprache an, um jedoch sofort zu stocken und zu erklären, er wolle zwar sprechen, dürfe aber nicht. Daraufhin erscholl aus der fanatisierten Menge immer wieder der Ruf »Dollfuß verrecke  !«26 Zwei Wochen später bemerkte die »Salzburger Chronik« besorgt zum um sich greifenden Terror der Nationalsozialisten, der nicht nur auf die Landeshauptstadt beschränkt war und deutliche Hinweise auf die erhebliche Durchdringung der Gesellschaft mit Parteigängern oder Sympathisanten der NSDAP gab  : »Eine unerhörte Terrormaßnahme haben sich die Nationalsozialisten in R a d s t a d t zurechtgelegt. Sie verhängen den B o y k o t t über Geschäftsleute, die sich nicht gleichschalten lassen. Sie fordern ihre Anhänger sogar auf, diesen Kaufleuten den G r u ß z u v e r w e i g e r n . Es wird notwendig sein, gegen die Urheber dieser jämmerlichen Terrorakte energisch vorzugehen. Die Bevölkerung wird guttun, wie in St. J o h a n n derartigen Maßnahmen mit wirksamer Gegenwehr entgegenzutreten. Das Groteske an der ganzen Sache aber ist, wenn man erfahren muss, die Drahtzieher dieser Methoden des Terrors seien in den K a n z l e i e n von s t a a t l i c h e n Ä m t e r n zu suchen. Liefern diese Herren nicht den unumstößlichen Beweis für die Notwendigkeit des Einschreitens der Regierung gegen Beamte des Staates, die einerseits von diesem Staate leben, andererseits aber die Freiheit seiner Bürger knebeln und den eigenen Brotgeber um die notwendigen Einkünfte bringen wollen  ? Grotesk ist überdies die Tatsache, dass gerade jene Ämter, in denen die Bringer der Freiheit neuesten Systems sitzen, im eigenen Wirkungskreise Gelegenheit genug hätten, den wirklichen Erfolg ihrer Tätigkeit zu erweisen.

26 Salzburger Chronik, 16. 5. 1933. S. 1.

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Salzburg hat bisher als g a s t l i c h e s L a n d gegolten. Man hat es neben der Schönheit seiner Berge und Täler auch deshalb geschätzt, weil kultivierte Menschen den Gästen einen schönen und gemütlichen Aufenthalt garantierten. Was soll man aber sagen, wenn man im Fremdenverkehrsorte G o l l i n g die Häuser und Straßen mit Ausrufen wie ›Verrecke‹ beschmiert, wenn man damit die Führer des eigenen Staates meint, von denen einer seine Familie zum ständigen Sommeraufenthalt in diesen Ort geschickt hatte. Mit der Präsentierung eines derartigen K u l t u r n i v e a u s wirbt man nicht um die Sympathie der Gäste. Man mag sich zur eigenen Regierung stellen, wie man will, derartige Methoden beweisen ein bedenkliches Abgleiten von den Formen des einfachsten Kulturgefühles. Auf den ›Ve r r e c k e - S t a n d p u n k t ‹ darf denn unser schönes Land Salzburg noch nicht herabsinken.«27

VII.2 Existenzbedrohende Herausforderungen  : Tausend-Mark-Sperre, Terrorwellen und Rehrls landespolitische Gegenstrategie Das von der Bundesregierung aufgrund der zunehmenden und oftmals von Gewaltausbrüchen begleiteten nationalsozialistischen Demonstrationen am 4. Mai erlassene Uniformverbot sowie die Abschiebung Franks am 15. Mai gaben Hitler den offiziellen Vorwand, den Druck auf Österreich zu erhöhen. Die auf den Anschluss Österreichs abzielende Außenpolitik Berlins gegenüber Österreich bediente sich, je nach außenpolitischen Rahmenbedingungen und Opportunität, zur Erreichung ihres Ziels verschiedener Methoden. Dabei griff man auf ein breites Repertoire von Maßnahmen zurück, das von wirtschaftlichem Druck, begleitet von Terrormaßnahmen, über einen propagierten evolutionären Weg inklusive der Penetration der staatlichen Institutionen bis hin zur direkten militärischen Drohung reichte. Die Wahl der Mittel war variabel und hing von jeweils verschiedenen Faktoren ab, wie der militärischen Stärke des Dritten Reiches, der Reaktion der europäischen Mächte und der österreichischen Bundesregierung sowie dem Erfolg oder Misserfolg der österreichischen Nationalsozialisten. Für die österreichische NSDAP hatte sich durch die Parlamentskrise des 4. März 1933 insofern eine neue Situation ergeben, als die Regierung Dollfuß den Weg einer doppelten Konfrontation mit der Sozialdemokratie und der NSDAP gewählt hatte und damit die Möglichkeit einer legalen Machtergreifung über den Weg einer Koalitionsregierung nach deutschem Muster versperrt blieb. Angesichts der 1933 ihren Höhepunkt erreichenden Folgen der Wirtschaftskrise in Österreich bot sich für die deutsche Außenpolitik gegenüber Österreich die Erhöhung des wirtschaftli27 Es gibt Grenzen  ! – In  : Salzburger Chronik, 27. 5. 1933. S. 1.

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chen Drucks als besonders wirkungsvolles Mittel an. Durch die enge wirtschaftliche Verflechtung beider Staaten und den außerordentlich hohen Anteil deutscher Gäste am vor allem in Westösterreich als Wirtschaftsfaktor wichtigen Fremdenverkehr ergab sich damit die Möglichkeit des Aufbaus eines starken innenpolitischen Drucks durch die von diesen Maßnahmen besonders betroffenen Bevölkerungsteile, der die Regierung Dollfuß doch noch zum Nachgeben, d. h. zur Bildung einer Koalitionsregierung mit den Nationalsozialisten, in welcher Form auch immer, zwingen würde. Hans Frank hatte bereits in seinen Reden in Wien und Graz die Möglichkeit eines Österreich-Boykotts durch deutsche Touristen erwähnt, um die von den Folgen der Weltwirtschaftskrise schwer gezeichnete Alpenrepublik an einer ihrer empfindlichsten Stellen zu treffen und für neue politische Arrangements im Sinne des Nationalsozialismus gefügig zu machen. Am 26. Mai erklärte Hitler in einer Kabinettsbesprechung der deutschen Regierung, die österreichische Regierung habe in letzter Zeit »Handhaben genug gegeben, um den Kampf aufzunehmen«. Die bisherigen österreichischen Regierungen seien »reichsfeindlich« eingestellt gewesen, und eine Haltungsänderung Wiens sei so lange nicht zu erwarten, solange »Österreich in den Händen der bisherigen Machthaber bleibt«. Das Ziel der Regierung Dollfuß sei es, »den deutschen Nationalgedanken aus Österreich auszutreiben und an seine Stelle den österreichischen Gedanken zu setzen«. Als eine wirksame Maßnahme gegen die Regierung Dollfuß werde man daher die Tausend-Mark-Sperre erlassen, die das vom deutschen Tourismus vor allem in den westlichen Bundesländern abhängige Land in die Knie zwingen werde. »Diese Maßnahme wird voraussichtlich zum Zusammenbruch der Regierung Dollfuß und zu Neuwahlen führen. Diese Neuwahlen werden die innere Gleichschaltung Österreichs ergeben, auch ohne dass ein äußerer Anschluss nötig ist.«28 Am folgenden Tag erklärte Hitler unter Hinweis auf das von der Regierung Dollfuß verhängte Uniformverbot für die NSDAP und die Abschiebung des bayerischen Justizministers Hans Frank die Tausend-Mark-Sperre, die mit 1. Juni Gesetzeskraft erlangte. Das offiziöse Wiener Wolffbüro verlautete am 28. Mai die offizielle Mitteilung inklusive der Begründung. »Die gegen die nationalsozialistische Bewegung in Österreich auf dem Notverordnungswege erlassenen Maßnahmen der österreichischen Regierung, die in dem absoluten Verbot aller Uniformen, Fahnen, Abzeichen und sonstigen Embleme der nationalsozialistischen Bewegung gipfeln, haben die Gefahr heraufbeschworen, dass die als Gäste in Österreich weilenden reichsdeutschen Nationalsozialisten in U n k e n n t n i s über Bestimmungen in Konflikt mit den österreichischen Behörden geraten, was zwangsläufig zu einer S t ö r u n g d e r

28 Zit. bei Gottfried-Karl Kindermann  : Österreich gegen Hitler. Europas erste Abwehrfront 1933– 1938. – München 2003. S. 48.

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f r e u n d s c h a f t l i c h e n B e z i e h u n g e n zwischen Österreich und dem Reich führen müsste. In dem Bestreben, solche Reisende vor unliebsamen Zwischenfällen zu bewahren und alles zu vermeiden, was zu einer Störung des Verhältnisses der Reichsregierung zur österreichischen Bundesregierung führen könnte, wird der Reichsminister eine den Reiseverkehr nach Ö s t e r r e i c h betreffende Ordnung erlassen, wonach ab 1. J u n i 1933 die Ausreise von Reichsdeutschen nach Österreich von der Erteilung eines A u s r e i s e v e r m e r k e s abhängig gemacht wird, der gegen Zahlung einer G e b ü h r v o n 1 . 0 0 0 M a r k erteilt wird. A u s n a h m e n hiervon werden nur gewährt für den ordnungsgemäßen G e s c h ä f t s v e r k e h r zwischen beiden Ländern und für den sogenannten k l e i n e n G r e n z v e r k e h r im Sinne der Zollgesetzgebung, n i c h t dagegen für den Ausflugsverkehr.«29 Die beabsichtigten Auswirkungen auf die für die westlichen Bundesländer so wichtige Tourismuswirtschaft waren aufgrund der Dominanz deutscher Urlauber massiv und schienen zunächst die beabsichtigte Wirkung, das Entstehen einer »Inneren Front« der durch diese Maßnahmen direkt Geschädigten, die auf einen Ausgleich mit Berlin und damit auch direkt oder indirekt mit der österreichischen NSDAP drängen würden, zu erreichen. Die Dramatik der Ereignisse steigerte sich noch in den folgenden Tagen durch verstärkt einsetzende nationalsozialistische Terroraktionen, um in Österreich ein bürgerkriegsähnliches Klima zu erzeugen und ausländische Touristen von einem Besuch des Landes abzuhalten. Die nunmehr einsetzende Terrorwelle hatte das Ziel, den durch die Tausend-Mark-Sperre ohnedies bereits bestehenden Druck auf die Regierung noch zu erhöhen und sie gegenüber den nationalsozialistischen Avancen gefügig zu machen. Am 17. Juni veröffentlichte die »Salzburger Chronik« einen Reservatbefehl der österreichischen NSDAP, in dem für den Monat Juni die Devise ausgegeben wurde  : »Es gibt k e i n e u n g e s t ö r t e c h r i s t l i c h s o z i a l e Ve r s a m m l u n g , es gibt keine friedlichen christlichsozialen Plakate, es gibt keine ungestörten F l u g z e t t e l v e r t e i l e r regierungstreuer Verbände  ! Kurz, es gibt keine ungestörte P r o p a g a n d a t ä t i g k e i t der regierungstreuen Verbände  !«30 Den vorläufigen Höhepunkt erreichte diese erste Terrorwelle am 19. Juni mit einem Handgranatenanschlag auf eine Gruppe christlich-deutscher Turner in Krems, der einen Toten und 29 Verletzte forderte. Die Reaktion der Regierung Dollfuß entsprach jedoch nicht den Erwartungen der österreichischen NSDAP. Noch in den Abendstunden trat die Bundesregierung zu einem Sonderministerrat zusammen und hob den Fehdehandschuh auf, indem sie die NSDAP und den mit ihr verbündeten Steirischen Heimatschutz verbot und ihren Mandatsträgern die Mandate aberkannte. 29 Zit. bei Salzburger Chronik, 29. 5. 1933. S. 1. 30 Braune Mal- und Klebekolonnen. – In  : Salzburger Chronik, 17. 6. 1933. S. 1.

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Die sich nach dem Verbot der Partei in München etablierende Landesleitung der österreichischen NSDAP verkündete in einer am 5. Juli über den Bayerischen Rundfunk verbreiteten Sendereihe, der Kampf werde weitergehen. Landesleiter Theo Habicht erklärte in einer nach Österreich ausgestrahlten Rundfunkrede, das Verbot der NSDAP sei ein »Dolchstoß in den Rücken der deutschen Erhebung«.31 Und der Wiener Gauleiter Alfred Eduard Frauenfeld bemerkte gegenüber einer ungarischen Zeitung, er wisse nicht, »welche Nerven Dollfuß hat. Meine Nerven sind stark wie Telefondrähte. Diese Telefondrähte reichen bis Berlin und werden dort verstärkt«.32 Die nunmehr illegale Partei intensivierte mit massiver Unterstützung aus München bzw. Berlin ihre Propaganda- und Anschlagstätigkeit in ganz Österreich mit dem Ziel einer Destabilisierung der wirtschaftlichen und sozialen Lage, um die Regierung Dollfuß entweder zu stürzen und durch einen koalitionswilligen neuen Bundeskanzler zu ersetzen oder den amtierenden Bundeskanzler angesichts der momentanen außenpolitisch schwierigen Lage des Landes – Österreich verfügte gegenüber dem Dritten Reich über keine Rückendeckung einer europäischen Macht – doch noch zu einer Revision seiner Politik gegenüber der NSDAP zu zwingen. Die dramatische Entwicklung und Veränderung der politischen Rahmenbedingungen hatte erhebliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche und politische Lage Salzburgs und der Salzburger Festspiele. Beide standen vor existenzbedrohenden Herausforderungen, sowohl die Landespolitik wie auch die Leitung der Festspiele waren mit einem erheblichen und nur schwer zu behebenden Problemhaushalt konfrontiert, bei dessen Bewältigung Landeshauptmann Franz Rehrl eine führende Rolle spielen sollte. Die Verkündung der Tausend-Mark-Sperre entfaltete in Salzburg die ­beabsichtigte Wirkung. Vor allem die Vertreter des Hotel- und Gastgewerbes, der Tourismuswirtschaft, von Gewerbe und Handel befürchteten den drohenden völligen wirtschaftlichen Zusammenbruch und drängten in zahlreichen Resolutionen auf einen Ausgleich mit dem Deutschen Reich und damit auch indirekt mit der österreichischen NSDAP. Direktor Lackner vom Fremdenverkehrsförderungsverein sah in der Tausend-MarkSperre eine »Katastrophe für die Salzburger Wirtschaft und Fremdenverkehrsindustrie. Monatelange mühevolle Vorarbeiten, Vereinbarungen und Unterhandlungen mit einer Unzahl von reichsdeutschen Gesellschaften, die Salzburg im Laufe des Sommers besuchen wollten, sind mit einem Schlage völlig wertlos geworden. Es ist ganz unmöglich, den Ausfall aus Deutschland durch die von der Bundesregierung in Aussicht gestellte Propaganda in anderen Ländern auszugleichen«. Dies vor allem deshalb, weil einer solchen Hoffnung die Maßnahmen der Nachbarländer entgegenstünden. Die Italiener bekämen nur sehr schwer eine Ausreisebewilligung und 31 Salzburger Chronik, 6. 7. 1933. S. 1. 32 Zit. bei Botz  : Gewalt in der Politik. S. 218.

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zudem sei ihre Zahl gering, die Jugoslawen hätten im Falle ihrer Ausreise mit erheblichen Devisenschwierigkeiten zu kämpfen, in Ungarn sei aufgrund der Finanzprobleme die Ausstellung eines Auslandspasses noch immer an den Vorweis eines ärztlichen Zeugnisses gebunden, und in Polen müsse für ein Ausreisevisum der sehr hohe Betrag von 400 Zloty erlegt werden. Der von der Bundesregierung verkündeten zusätzlichen Auslandswerbung könne daher »bei dieser Sachlage keine günstige Prognose gestellt werden. Schon gelegentlich der bevorstehenden Pfingstfeiertage, die immer einen mächtigen Auftakt für die Salzburger Fremdensaison bedeuteten, wird sich heuer die deutsche Sperre in verhängnisvoller Weise bemerkbar machen. (…) Es gibt nur einen e i n z i g e n Ausweg  : Die Wirtschaft muss mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dahin wirken, dass die Bundesregierung so rasch wie nur irgend möglich mit der Reichsregierung sich g ü t l i c h a u s e i n a n d e r s e t z t , damit wieder die bisherigen freundschaftlichen Beziehungen hergestellt werden«.33 Am 30. Mai nahm der großdeutsche Salzburger Bürgermeister Max Ott in einer Rede vor dem Salzburger Gemeinderat in ähnlich alarmierter und pessimistischer Stimmung zur Tausend-Mark-Sperre Stellung, indem er einleitend darauf hinwies, dass man sich in Österreich seit dem Ende des Weltkrieges »in einem dauernden Krisenzustand« befinde und nunmehr durch die von Berlin getroffene Maßnahme feststellen müsse, dass man Gefahr laufe, »zugrunde zu gehen«. Durch die TausendMark-Sperre sei für Deutsche der Besuch Österreichs praktisch unmöglich gemacht und die von der Bundesregierung angekündigte zusätzliche Auslandswerbung, vor allem in den Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie, werde für diesen Entfall kein Äquivalent schaffen. Die westlichen Bundesländer, vor allem Salzburg, sei »unbedingt auf das reichsdeutsche Publikum angewiesen«. Wenngleich, bedingt durch die Folgen der Weltwirtschaftskrise, die Zahl der deutschen Besucher der Stadt Salzburg, d. h. derjenigen, die auch in der Stadt nächtigten, zwischen 1929 und 1932 von 105.143 auf 58.900 zurückgegangen sei, so bildeten die 90.000 bis 100.000 deutschen Besucher in normalen Zeiten weitaus mehr als die Hälfte aller Besucher der Stadt. Deutsche Besucher dominierten zudem auch den Tagestourismus der Landeshauptstadt, und Destinationen wie Zell am See Bad Gastein, Hofgastein, Golling usw. werden hauptsächlich von deutschen Gästen aufgesucht. »Aus diesen Ziffern ist zu ersehen, dass mit dem Ausbleiben der Reichsdeutschen in der heurigen Saison der wirtschaftliche Zusammenbruch unserer durch die zurückgehende Entwicklung ohnehin schon überschuldeten Fremdenverkehrsindustrie eintreten wird und damit auch die Länder und Gemeinden der Alpenländer nicht mehr in der Lage sein werden, ihren Aufgaben, Verpflichtungen und Zahlungen nachzukommen.

33 Die Grenzsperre der Salzburger Wirtschaft. – In  : Salzburger Volksblatt, 29. 5. 1933. S. 10.

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Es ist nach meiner Auffassung die Pflicht der Gemeinde und aller öffentlicher Faktoren, gegen diese letzte f u r c h t b a r e Entwicklung mit a l l e r S c h ä r f e und mit a l l e m N a c h d r u c k e aufzutreten und von der Regierung zu verlangen, dass das Missverhältnis mit Deutschland umgehend beseitigt wird. Wir Salzburger haben zu befürchten, dass viele Handels- und Gewerbebetriebe der Stadt und besonders die Fremdenbeherberger und die davon abhängigen Gewerbe am Schlusse der Saison Zahlungsunfähigkeit und Krida ansagen müssen. Es besteht die Gefahr, dass die Salzburger F e s t s p i e l e entweder nicht abgehalten werden können oder mit einem großen Defizit abschließen werden, welches dann wieder Stadt und Land zahlen sollen. Vielleicht können dann die Festspiele, die sich in glänzender Weise für Salzburg und ganz Österreich entwickelt haben, auf die Dauer von einigen Jahren hinaus nicht mehr abgehalten werden.« In dem von ihm eingebrachten Dringlichkeitsantrag wurde neben einer möglichst baldigen Normalisierung der Beziehungen zum Deutschen Reich der Aufsichtsrat der Festspielhausgemeinde aufgefordert, »von der Bundesregierung sofort zu verlangen, dass ein allfälliges D e f i z i t der Salzburger F e s t s p i e l e 1933 vom B u n d e g e t r a g e n wird«.34 Noch eindringlicher wurde die Forderung nach einem Ausgleich mit dem Deutschen Reich von einer Delegiertenkonferenz der österreichischen Hotellerie in Bad Gastein am 31. Mai erhoben. In der an die Bundesregierung adressierten Entschließung hieß es, dass von Tag zu Tag in steigendem Ausmaß die Verzweiflung »die Reihen des Hotelgewerbes« und darüber hinaus die Wirtschaft erfasse. Die von der Bundesregierung als Gegenmaßnahme zur Tausend-Mark-Sperre geplante zusätzliche Auslandswerbung im Ausmaß von einer Million Schilling werde dem österreichischen Fremdenverkehrsproblem nicht gerecht. »Die einzige wirksame Verwendung der Propaganda-Million würde darin bestehen, dass nach sofortigem Friedensschluss mit Deutschland – durch Zurücknahme aller einseitigen Maßnahmen gegen einzelne politische Parteien und gegen das Hoheitsabzeichen des Deutschen Reiches – der Gesamtbetrag für die Werbung in Deutschland Verwendung findet. Die Hotellerie hat die Gefahr der Fortführung der politischen Spannungszustände mit Deutschland seit Wochen aufgezeigt und an die Regierungskreise die dringende Bitte gerichtet, im Hinblick auf die Existenzgefährdung von Hunderttausenden bemüht zu sein, die bisher gewohnten und den Fremdenverkehr sichernden freundschaftlichen Beziehungen mit dem Deutschen Reich wiederum anzubahnen.«35 Ähnliches forderten die Vertreter aller österreichischen Handelskammern unter Führung des ehemaligen Bundeskanzlers Ernst Streer von Streeruwitz bei einer Aussprache mit Bundeskanzler Dollfuß am 1. Juni, indem sie die Bundesregierung aufforderten, 34 Die Tausend-Mark-Verfügung im deutschen Reiseverkehr. – In  : Salzburger Volksblatt, 30. 5. 1933. S. 5. 35 Notschrei der Hotelindustrie. – In  : Salzburger Volksblatt, 31. 5. 1933. S. 1.

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für eine Deeskalation der angespannten bilateralen Beziehungen und eine zurückhaltende Berichterstattung der Presse zu sorgen.36 Es ist bemerkenswert, dass in allen Reaktionen der Fremdenverkehrsindustrie, des Handels und Gewerbes das Krisenszenario und eine Untergangsstimmung dominierten, die entweder eine kritische politische Analyse vollkommen in den Hintergrund drängten oder diese aufgrund einer ohnedies bereits vorhandenen Mitgliedschaft oder Nähe zum Nationalsozialismus ignorierten. Ob Anregungen zur Verhängung der Tausend-Mark-Sperre auch aus den Reihen der österreichischen NSDAP kamen und wenn ja, welchen Einfluss sie tatsächlich auf die schließlich getroffene Entscheidung hatten, lässt sich nicht schlüssig beweisen. Allerdings sorgte eine Szene im Salzburger Landtag am 30. Juni 1933 anlässlich der Debatte über die Aberkennung (in Salzburg lediglich Sistierung) der Mandate der NSDAP für Aufsehen, als es über die Frage der direkten oder indirekten Mitwirkung der österreichischen NSDAP an der Tausend-Mark-Sperre aufgrund der heftigen Reaktionen und Dementis der nationalsozialistischen Abgeordneten zu einer erregten Debatte kam. Im Zuge der Debatte brachte Landeshauptmann Rehrl ein anonymes Schreiben zur Kenntnis, in dem erklärt wurde, man werde sich an den »Volkskanzler Adolf Hitler« wenden mit der Aufforderung, »verschärfte Maßnahmen gegen die Minderheitsregierung« zu veranlassen wie eine Grenz- und Transitsperre und die Ausweisung der rund 247.000 Österreicher, die sich im Deutschen Reich befänden.37 Das anonyme Schreiben trug jedoch am Umschlag den Namen des NS-Führers des Lungaus, des Tamsweger Arztes Dr. Otto Menz.38 Rehrl stand vor einer dreifachen Herausforderung  : 1. dem Kampf gegen die nunmehr illegale NSDAP, die sich verstärkt terroristischer Methoden bediente, um vor allem internationale Gäste von einem Besuch Salzburgs und der Salzburger Festspiele abzuhalten und die logistisch aus dem benachbarten Bayern unterstützt wurde  ; 2. einer verstärkten aktiven Beschäftigungspolitik, um die sozialen Folgen der Wirtschaftskrise, die durch die Tausend-Mark-Sperre nochmals verstärkt wurden, zu verringern und damit auch der einsetzenden Attraktivität der NSDAP als »Arbeitsbeschaffungspartei« zu begegnen  ; 3. der Sicherung der durch die Tausend-Mark-Sperre massiv gefährdeten Salzburger Festspiele durch das Erreichen von finanziellen Bundesgarantien. Gleichzeitig 36 Fremdenverkehr in Not. – In  : Salzburger Volksblatt, 2. 6. 1933. S. 2. 37 SLTPR, 2. Sitzung der 2. Session der 4. Wahlperiode, 30. Juni 1933. S. 8. Vgl. dazu auch  : Hochverrat der Nazi erwiesen. – In  : Der Wiener Tag, 1. 7. 1933. S. 1. 38 Dr. Otto Menz (1890–1980) war Mitglied der Großdeutschen Volkspartei und wurde 1921 deren Gauobmann im Lungau. Gleichzeitig war er auch Obmann des örtlichen Turnvereins. Spätestens 1933, wahrscheinlich bereits 1932, wechselte er zur NSDAP und übernahm die Führung der Partei im Lungau. 1938 wurde er NS-Kreisleiter des Lungaus, im Mai 1945 von US-Truppen verhaftet.

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unterstützte er – mit Rückendeckung der Regierung Dollfuß – die nunmehr beginnende politische Positionierung der Festspiele als bewusst österreichischen Gegenentwurf zur sich durch die im Deutschen Reich deutlich bemerkbar machende antisemitische und rassistische Verengung und Perversion des Kulturbegriffs. Damit wurden Salzburg und seine Festspiele zum Kampfboden der Ideologien. Rehrl agierte dabei in völliger Übereinstimmung mit dem Bundeskanzler, der sich angesichts der wachsenden nationalsozialistischen Gefahr der zunehmenden Unterstützung der Jüdischen Kultusgemeinde Wiens erfreute. So fand, in Ausnahme zum Versammlungsund Aufmarschverbot, am 18. Juni ein Aufmarsch der jüdischen Frontkämpfer auf der Ringstraße als Unterstützung der von Dollfuß propagierten Österreich-Ideologie statt, und in den Räumen der Wiener Kultusgemeinde hatten Beratungen zahlreicher prominenter Vertreter der Gemeinde stattgefunden, die sich mit der Frage beschäftigten, wie die Juden die Regierung Dollfuß unterstützen könnten. Dabei wurde u. a. beschlossen, die Regierung nicht nur finanziell zu unterstützen, sondern auch politisch durch den Beitritt zur Vaterländischen Front.39 Rehrl war sich dessen bewusst, dass ein Eintreten für die Sicherung der Festspiele, die nur durch eine Ausfallshaftung des Bundes zu gewährleisten war, von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen begleitet sein musste. Die Zahl der unterstützten Arbeitslosen hatte im Jänner 1933 mit 13.116 ihren Höchststand erreicht. Anfang April 1933 waren 41,2 Prozent der Arbeiter und 12,3 Prozent der Angestellten arbeitslos, im Jahresdurchschnitt insgesamt 31,9 Prozent der Erwerbstätigen. Hinzu kam die statistisch nicht erfasste Zahl der Ausgesteuerten. In der Sitzung des Salzburger Gemeinderates am 3. April 1933 wurde unter dem Kapitel »Die Leistungen der Stadtgemeinde Salzburg für die Arbeits- und Obdachlosen« einleitend festgestellt, dass die vorliegenden Zahlen für das Jahr 1932 nur den Zeitraum vom 1. Jänner bis 6. November 1932 umfassen, »weil bis dahin die normale Jahresfrequenz bereits um ein Beträchtliches überschritten war und die Mittel für die Zeit vom 7. November bis 31. Dezember bei der Winterhilfe in Rechnung gestellt wurden«. Die Stadtgemeinde musste für den Betrieb der Gemeinschaftsküche für Obdachlose, das Obdachlosenheim und die Wärmestube in der Glockengasse 8 einen Betrag von 16.057 Schilling bereitstellen, »der mit Rücksicht auf die im letzten Jahre geradezu katastrophal zu nennende Zunahme an Arbeitslosen im Stadtgebiete als angemessen zu erachten« sei. Die Ausgabensteigerung in diesem Bereich der Fürsorge betrage gegenüber dem Vorjahr 81 Prozent. »Entlaust wurden im Jahre 1932 insgesamt 628 Personen. Im Jahre 1932 wurden in den Arbeitslosenküchen insgesamt 802.296 Verpflegsportionen ausgegeben.«40 39 AZ, 29. 5. 1929. S. 2. 40 Salzburger Gemeinderat. – In  : Salzburger Wacht, 4. 4. 1933. S. 4f. Die anhaltende Wirtschaftskrise und deren soziale Folgen waren für die Salzburger Sozialdemokratie, wie sie in einer Resolution auf ihrem

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Nur wenn es Rehrl gelang, entsprechende Bundesmittel für Beschäftigungsprogramme zu lukrieren und damit die Arbeitslosigkeit zu reduzieren, konnte er auch Kulturpolitik, d. h. die Sicherung der Durchführung der Festspiele mithilfe von Bundesmitteln, politisch glaubhaft vertreten. Im Fall der Festspiele kam ihm dabei das Argument ihrer zentralen wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Bedeu­ tung zu Hilfe. Hinzu trat als Folge der Tausend-Mark-Sperre ihre nunmehr erfolgende ideologische Aufladung als künstlerische und geistige Bastion der von Dollfuß als Gegenentwurf zum nationalsozialistischen Großdeutschtum propagierten Österreich-­Ideologie. Die Protokolle des Ministerrates bestätigen die Bedeutung des ideologischen Moments für die finanzielle Absicherung der Festspiele 1933/34 sowie der mit erheblichen Mitteln garantierten Finalisierung der Großglockner Hochalpenstraße als nationales Identifikationsobjekt. Am 29. Mai fand eine Konferenz der Landeshauptleute der westlichen Bundesländer mit Vertretern der Bundesregierung statt, um über Maßnahmen zu beraten, die angesichts des bevorstehenden Wirksamwerdens der Tausend-Mark-Sperre notwendig wurden. Es waren vor allem die drei westlichen Bundesländer Vorarlberg, Tirol und Salzburg, deren Fremdenverkehrsindustrie mit rund 70 Prozent einen dominanten deutschen Anteil aufwies und für die die Tausend-Mark-Sperre einen massiven finanziellen Verlust zur Folge haben musste. Anteil ausländischer und deutscher Touristen an den Gesamtübernachtungen in den österreichischen Bundesländern 1932  :41 Gesamt­­übernachtungszahl

davon Ausland

Wien

Bundesland

4,061.000

3,736.000

588.000

Niederösterreich

4,815.000

462.000

77.000

197.000

26.000

2.400

1,947.000

393.000

187.000

243.000

Burgenland Oberösterreich Steiermark

davon Deutsche

463.000

Kärnten

1,657.000

483.000

Salzburg

1,897.000

952.000

689.000

Tirol

2,676.000

1,884.000

1,605.000

735.000

529.000

451.000

Vorarlberg

Landesparteitag am 2. April 1933 feststellte, »eine Krise des kapitalistischen Systems, (…) die nur gänzlich behoben werden kann und nie mehr wiederkehren wird, wenn das heutige Wirtschaftssystem geändert wird und anstatt des auf Profit und Mehrheit (muss wohl heißen »Mehrwert«, Anm. d. Verf.) aufgebauten kapitalistischen Systems die Planwirtschaft eingeführt wird« (Salzburger Wacht, 3. 4. 1933. S. 2). 41 Salzburger Chronik, 30. 5. 1933. S. 4.

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Es war daher die Fremdenverkehrsindustrie sowie die Wirtschaft, die mit dem Hinweis auf die zu erwartenden katastrophalen Folgen in einer durch die Weltwirtschaftskrise ohnedies angespannten gesamtwirtschaftlichen Situation auf einen Ausgleich mit dem Deutschen Reich drängten. Trotz dieses massiven Drucks betonte Bundeskanzler Dollfuß, dass man der deutschen Pression nicht weichen werde, sondern entschlossen sei, ihr mit einer Reihe von Maßnahmen zu begegnen. Diese Maßnahmen hatten eine, von der nunmehr durch die Tausend-Mark-Sperre eingetretenen kritischen Situation unabhängige, wenige Wochen zurückliegende Vorgeschichte. Bei der von Dollfuß am 10. Mai 1933 vorgenommenen Regierungsumbildung folgte Karl Buresch Emanuel Weidenhoffer als Finanzminister. Buresch, ein Vertreter einer restriktiven Sparpolitik, geriet jedoch bereits unmittelbar nach seiner Berufung unter den Druck der Heimwehr, die mit dem Hinweis auf die schwierige sozialpolitische Lage – das Land verzeichnete rund 600.000 Arbeitslose – staatliche Beschäftigungsmaßnahmen forderte. Sowohl die zunehmende außenpolitische Bedrohung durch Berlin wie auch der Druck der Heimwehr als Regierungspartner veranlassten Buresch zu einer Kursänderung. Am 24. Mai präsentierte er im Ministerrat ein außerordentliches, über eine innere Anleihe zu finanzierendes Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Jahre 1933 und 1934 im Ausmaß von 60 Millionen Schilling, die für die »Modernisierung der österreichischen Straßen« verwendet werden sollten. Dollfuß begrüßte die Initiative des Finanzministers, wobei er bemerkte, dass in das Programm neben einem Weiterbau der Großglockner Hochalpenstraße auch die Gesäusestraße und die Wiener Höhenstraße (Kahlenbergstraße) aufzunehmen wären.42 Am 9. Juni, nunmehr bereits unter dem Eindruck der Tausend-Mark-Sperre, genehmigte der Ministerrat den Antrag des Finanzministers, den Anteil des Bundes am Aktienkapital der GROHAG um einen Betrag von sechs Millionen Schilling zu erhöhen und die dafür notwendigen Mittel aus dem Arbeitsbeschaffungsprogramm zur Verfügung zu stellen.43 Rehrl kam damit der Finalisierung eines seiner landespolitischen Leuchtturmprojekte nicht nur einen großen Schritt näher, sondern realisierte auch eine Forderung des Fremdenverkehrsrates, der in seiner Vollversammlung Ende Jänner 1933 seinem »besonderen Wunsche Ausdruck« gegeben hatte, »dass es dem Schöpfer der Straße, Landeshauptmann Dr. Rehrl, gelingen möge, auch die Finanzierung der Scheitelstrecke durchzusetzen«.44 Die massiven Interventionen Rehrls für eine überproportionale Beteiligung Salzburgs aus den Mitteln des Arbeitsbeschaffungsprogramms sollten sich, trotz zwischenzeitlicher Bedenken, vor allem der Regierungsmitglieder des Landbundes wegen der Privile42 MRP 876/5  ; MRP 883/10  ; 43 MRP/880/18. Von diesen sechs Millionen Schilling sollte eine Million Schilling zur Begleichung offener Rechnungen der Baufirmen und fünf Millionen der Baufortsetzung dienen. 44 Salzburger Fremdenverkehrsfragen. – In  : Salzburger Chronik, 1. 2. 1933. S. 3.

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gierung des Glocknerstraßen-Projekts, das rund die Hälfte aller für den Straßenbau vorgesehe­nen Gelder aus dem Arbeitsbeschaffungsprogramm beanspruchte, als erfolgreich erweisen. Rehrl agierte und argumentierte gegenüber der Bundesregierung äußerst geschickt, wobei er auch auf die emotionale Komponente setzte. Am 5. Juni 1932 hatte er mit Dollfuß alle Baustellen des Projekts besucht, eine Fahrt, die bei dem Bundeskanzler einen tiefen Eindruck hinterließ und ihn zum Verfechter der Fertigstellung der Hochalpenstraße machte. Der Kanzler war auch bereit, dem aus dem Landbund kommenden Vizekanzler Franz Winkler bei dessen Bedenken gegen die bevorzugte Behandlung des Großglockner-Projekts entgegenzukommen, indem er zwei Millionen Schilling aus dem Straßenbauprogramm für den von ihm geforderten Bau von Güterwegen und Wasserbauprogrammen zusagte, um dessen Zustimmung zur Fertigstellung der Großglockner Hochalpenstraße zu erhalten.45 Hinzu trat ein Jahr später noch ein weiteres starkes Motiv für das Engagement des Bundeskanzlers  : die nunmehr, jenseits der beschäftigungspolitischen ­Argumente, politisch immer mehr aufgeladene politische Symbolik des Bauwerkes als Zeichen der österreichischen Ingenieurskunst und des österreichischen Selbstbehauptungswillens. Dies spielte jedoch in den Diskussionen des Ministerrats im Juni 1933 noch keine Rolle. Es war letztlich entscheidend, dass Rehrl in der Sitzung des Ministerrates am 21. Juni persönlich anwesend war und äußerst geschickt gegen die ­Einwände, vor allem der Regierungsmitglieder des Landbundes die Realisierung des Projekts erreichte.46 Um die Finanzierung des letzten Bauabschnitts der Groß45 Vgl. dazu Georg Rigele  : Die Großglockner-Hochalpenstraße. Zur Geschichte eines österreichischen Monuments. – Wien 1998. S. 172. 46 In der Sitzung am 21. Juni kam es zu einem retardierenden Moment, als der aus Kärnten stammende und dem Landbund angehörende Bundesminister Vinzenz Schumy zwar die außerordentliche Bedeutung der Großglockner Hochalpenstraße als Anziehungspunkt für den internationalen Fremdenverkehr betonte, jedoch einschränkend darauf hinwies, dass sich im Jahr 1930 der Bund bei seiner Finanzierungszusage des Baus in einer finanziell wesentlich günstigeren Situation befunden habe. »Zudem habe damals mit einer starken Belebung des Reiseverkehrs aus Deutschland gerechnet werden können. Seither haben sich die Verhältnisse in beiden Richtungen wesentlich verschoben. Die Mittel des Bundes seien so knapp geworden, dass die erforderlichen Beträge nicht mehr aus den Reserven geschöpft, sondern erst im Wege der Begebung von Schatzscheinen beschafft werden müssen. Auch vom Standpunkt der Schaffung einer Verbindung von Deutschland nach dem Süden sei der Bau der Großglocknerstraße nach den augenblicklichen Verhältnissen nicht zeitgemäß, und es bestehe kein Anlass, die Vollendung des Straßenbaues in einer besonderen Weise zu beschleunigen.« Rehrl erwiderte, »dass sich bis zur Vollendung der Großglocknerstraße die Verhältnisse zwischen Österreich und Deutschland bereits wieder geändert haben werden. (…) Würde die heurige Bausaison versäumt, so kämen die Generalkosten so hoch, dass es wirtschaftlich nicht verantwortet werden könnte. Drei Baujahre bilden die Grenze, innerhalb der die Installationen noch rationell gemacht werden können.« Zudem argumentierte er bereits in Richtung der Theorie des Selbstbehauptungswillens Österreichs gegen das nunmehr nationalsozialistische Deutschland. Der Schaden, der dem Fremdenverkehr durch die Tausend-Mark-Sperre entstanden sei, sei in Salzburg besonders hoch, weshalb man den Bau unbe-

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glockner Hochalpenstraße zusätzlich abzusichern, organisierte Rehrl im August 1933 einen Glocknerflug mit Bundeskanzler Dollfuß, Finanzminister Buresch und Handelsminis­ter Stockinger und befuhr persönlich am 14. August zusammen mit Finanzminister Buresch die noch im Bau befindliche Glocknerstraße.47 Zudem gelang Rehrl im Ministerrat die Lukrierung zusätzlicher Mittel für den Ausbau der Landesstraßen48 sowie die Elektrifizierung der Tauernbahn,49 die Glanregulierung und die Melioration landwirtschaftlicher Flächen, sodass insgesamt 20 Millionen Schilling des Arbeitsbeschaffungsprogramms, d. h. ein überproportional hoher Anteil, nach Salzburg flossen.50 Zentraler Punkt seiner erfolgreichen Argumentation für die zentralen Verkehrs.- und Fremdenverkehrsprojekte Großglockner Hochalpenstraße und Elektrifizierung der Tauernbahn sowie die Kultur- und Fremdenverkehrsinstitution Salzburger Festspiele war stets der Hinweis auf deren überregionale nationale und internationale Bedeutung. Sie wurden damit aus dem Bereich der regionalen Politik herausgehoben und als nationale Projekte charakterisiert, deren Förderung nicht nur die wirtschaftliche Vernunft gebiete, sondern angesichts der nationalsozialistischen Bedrohung auch patriotische Pflicht sei, dingt fortsetzen müsse, um in dem schwer geschädigten Land den Widerstandswillen zu stärken (MRP 885/4). 47 Salzburger Chronik, 14. 8. 1933. S. 1. 48 So im Pinzgau von Jenbach über Zell am Ziller, Gerlos, Krimml, Zell am See, ferner im Pongau über Radstadt nach Liezen, in der Umgebung Salzburgs den Ausbau der Bundesstraße von Salzburg nach Anif (Salzburger Chronik, 1. 6. 1933. S. 1). 49 Die Eröffnung der elektrifizierten Tauernbahn erfolgte am 15. Dezember 1933 unter der geschickten Regie Rehrls, der zu dem Festakt neben Bundespräsident Wilhelm Miklas Handelsminister Fritz Stockinger, Staatssekretär Odo Neustädter-Stürmer, Bundesbahngeneraldirektor Carl Vaugoin, Völkerbundkommissär Meinoud Marinus Rost van Tonningen und den Kärntner Landeshauptmann Ferdinand Kernmaier geladen hatte. Bei seiner Eröffnungsansprache wies er in Bildern, die später auch Bundespräsident Karl Renner bei der Eröffnung von Kaprun verwenden sollte, auf die gesamtösterreichische Bedeutung des Projekts hin. Die Festgäste befänden sich auf historischem Boden, der durch »unvergessliche Ereignisse der Kultur- und Verkehrsgeschichte Österreichs« gekennzeichnet sei. »Hier türmten sich einst vor den Arbeitern der Tauernbahn die größten Schwierigkeiten im ganzen Bereich der Nordrampe auf, hier erlitt eine opfermutige Schar von Arbeitern des Bahnbaues den Lawinentod, und in der Finsternis des 8.550 Meter langen Tauerntunnels geschah vor nunmehr bald 30 Jahren manche unvergessene und manche vergessene Tat eines Heroismus, der dem Heroismus des Schützengrabens nicht nachsteht. Die Bedeutung der Elektrifizierung unserer Bahnen für sämtliche Zweige der Wirtschaft kann wohl kaum an einer anderen Stelle so klar und einleuchtend zutage treten als hier an dem Scheitelpunkt einer Bahn, die als eine der kühnsten Bahnbauten der Welt und als einer der wichtigsten Verkehrswege Europas bekannt ist. Dieser Bahn alle erdenkliche Sorgfalt und Betreuung angedeihen zu lassen, ist eine patriotische Pflicht Österreichs« (Die Tauernbahn fährt elektrisch  ! – In  : Salzburger Chronik, 15. 12. 1933. S. 7). 50 Arbeitsbeschaffung in Salzburg. – In  : Salzburger Chronik, 2. 6. 1933. S. 1  ; Arbeitsbeschaffung in Salzburg. – In  : Salzburger Volksblatt, 2. 6. 1933. S. 1.

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Wenngleich die Arbeitsbeschaffungsprogramme nicht den erhofften spektakulären Erfolg brachten und daher mit den – allerdings unter völlig anderen Voraussetzungen erfolgenden – spektakulären und propagandistisch entsprechend ausgewerteten Erfolgen der nationalsozialistischen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich nicht Schritt zu halten vermochten, so gelang es doch, die Zahl der Arbeitslosen auf unter 11.000 zu reduzieren. Die von Rehrl anlässlich der Eröffnung der Großglockner Hochalpenstraße erwähnte Zahl von 3.200 Arbeitern, die durch den Bau eine Beschäftigung gefunden hatten, entsprach sicherlich einer (vielleicht auch beabsichtigten) propagandistischen Euphorie. Georg Rigele kommt in seiner Geschichte der Hochalpenstraße nach Auswertung der Bauberichte auf eine Zahl von knapp über 2000.51 Bezieht man die übrigen Baumaßnahmen mit ein, so dürfte der Beschäftigungseffekt von Frühjahr bis Herbst jeweils deutlich gewesen sein, jedoch mit dem Beginn der Wintermonate wiederum ebenso deutlich zurückgegangen sein, sodass sich die jeweils hohen Jänner-Werte der Folgejahre erklären. Die unter Berücksichtigung aller saisonal bedingten positiven Effekte trotzdem anhaltende relativ hohe Sockelarbeitslosigkeit bildete aufgrund ihrer geschickten propagandistischen Ausnutzung durch die Nationalsozialisten, die auf das deutsche Wirtschafts- und Beschäftigungswunder hinwiesen, eine Gefahr für die Stabilität des politischen Systems. Am 28. April 1933 hatte das »Salzburger Volksblatt« gemeldet, eine Schweizer Zeitung habe vor wenigen Tagen berichtet, die Spannungen zwischen Österreich und dem Deutschen Reich würden seitens der NSDAP zu einem Vorstoß Berlins »gegen die Salzburger Festspiele« führen, da »die Nationalsozialisten den Fremdenverkehr aus Deutschland nach Österreich, insbesondere nach Salzburg, in der kommenden Sommersaison absperren würden, wodurch die heurigen Festspiele infrage gestellt seien, da die Reichsdeutschen den überwiegenden Teil der Besucher ausmachten«. Die österreichische NSDAP habe zu dieser Meldung eine offizielle Stellungnahme abgegeben. »Diese Behauptungen, die entschieden den Zweck verfolgen, die durch die österreichischen innenpolitischen Verhältnisse befremdeten reichsdeutschen Gäste von Salzburg abzulenken, entsprechen n i c h t d e n Ta t s a c h e n . Die Nationalsozialisten Salzburgs sind sich der überragenden Bedeutung der Salzburger Festspiele für das gesamte Wirtschaftsleben und hiermit für alle schaffenden Stände der Bevölkerung voll bewusst und erkennen deren u n b e d i n g t e N o t w e n d i g k e i t . Es besteht in führenden nationalsozialistischen Kreisen nicht die Absicht, die für Salzburg lebenswichtigen Veranstaltungen wie die Festspiele zu behindern. Die Nationalsozialisten geben vielmehr der Erwartung Ausdruck, dass das Programm der Festspiele in der kommenden Saison dem Wunsche der Bevölkerung und der

51 Rigele  : Die Großglockner-Hochalpenstraße. S. 256.

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Mehrzahl der Besucher, die zweifellos aus Deutschland nach Österreich kommen, entsprechen wird.«52 Einen Monat später strafte die Politik Berlins diese Erklärung Lügen und löste in Salzburg nicht nur Bestürzung, sondern Katastrophenstimmung aus. Im Salzburger Gemeinderat erklärte Bürgermeister Max Ott, die Tausend-Mark-Sperre bedeute für die Salzburger Fremdenverkehrswirtschaft und das von ihr abhängige Gewerbe die drohende Zahlungsunfähigkeit, und es bestehe die Gefahr, »dass unsere Hotels im Versteigerungswege billig an das Ausland abgegeben werden«. Doch auch die Zahlungsunfähigkeit der Stadt Salzburg selbst sei zu befürchten, und es bestehe »die eminente Gefahr, dass die Salzburger Festspiele entweder nicht abgehalten werden können oder mit einem großen Defizit abschließen«, weshalb ein drohendes allfälliges Defizit vom Bund getragen werden müsse«.53 Im Hinblick auf die schwierige Finanzsituation des Bundes erforderte die finanzielle Absicherung der Festspiele nach Verkündung der Tausend-Mark-Sperre vor allem die finanzpolitische Phantasie Rehrls, der angesichts seiner massiven und erfolgreichen Intervention für die Bereitstellung von Mitteln aus dem Arbeitsbeschaffungsprogramm der Bundesregierung nicht auch noch in der Frage der Festspiele im Vordergrund agieren wollte, da dies bei der föderalen Staatsstruktur, die sich auch in der Zusammensetzung der Bundesregierung manifestierte, zu Abwehrreaktionen der anderen Bundesländer mit dem Argument einer Bevorzugung der Person Rehrls und damit Salzburgs führen musste. Es war daher klüger, im Hintergrund zu agieren und die Festspielhausgemeinde mit entsprechenden Vorschlägen an die Bundesregierung herantreten zu lassen. Am 4. Juni wandte sich daher Erwin Kerber an das Unterrichtsministerium mit der Bitte – hier kam die sprichwörtliche finanzpolitische Phantasie Rehrls zum Vorschein –, die Bundesregierung möge den Festspielen aus jenen acht Millionen Schilling, die für die Unterstützung jener Betriebe vorgesehen seien, die durch den Ausfall des Fremdenverkehrs aus dem Deutschen Reich Einbußen erlitten, einen Betrag zwischen 250.000 und 300.000 Schilling in Form einer Ausfallshaftung zusichern. Dies sei der Betrag, der durch den zu erwartenden Ausfall der deutschen Besucher erwartet werde. Staatssekretär Odo Neustädter-Stürmer berichtete von diesem Verlangen im Ministerrat am 23. Juni. Das Ministerkomitee habe sich bereits für eine Erhöhung der Bundessubvention auf 100.000 Schilling ausgesprochen, wobei man sich dessen bewusst sei, dass dieser Betrag den tatsächlich zu erwartenden Ausfall nicht werde egalisieren können. Es seien daher zusätzliche Mittel notwendig. Er habe daher vorgeschlagen, »dass das Land Salzburg von den ihm unter dem Titel der Hotelsanierung zukommenden Betrag eine Summe von 200.000 Schilling als Ausfallshaftung für die Salzburger Festspiele binde. Landeshauptmann Rehrl wäre hierzu 52 Festspiele und Nationalsozialisten. – In. Salzburger Volksblatt, 28. 4. 1933. S. 6. 53 Salzburger Gemeinderat. – In  : Salzburger Chronik, 30. 5. 1933. S. 4.

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zwar im Prinzip bereit, wolle aber die Bindung nicht gern von sich aus vornehmen und habe daher gebeten, der Ministerrat selbst möge den auf das Land Salzburg entfallenden Teilbetrag für die Hotelsanierungsaktion schon mit der Auflage belasten, dass daraus bis zur Höhe von 200.000 Schilling eine Ausfallshaftung für die Salzburger Festspiele zu leisten sei. (…) Der Bund müsse sich seiner Ansicht nach jetzt, wo die Festspiele durch die Ausreisesperre aus Deutschland infrage gestellt seien, zu einem entsprechenden wirksameren Eingreifen entschließen, um diese zu einem Kulturgut Österreichs gewordene Veranstaltung auch heuer zu ermöglichen«.54 Rehrl agierte äußerst geschickt, indem er einerseits die Festspielhausgemeinde als Initiator der finanziellen Rettungsaktion nominierte und andererseits die politisch heikle Umwidmung von Geldern der Hotelsanierungsaktion an die Bundesregierung mit dem Argument der nationalen Bedeutung der Festspiele zu delegieren beabsichtigte. Er war mit dieser Taktik insofern erfolgreich, als der Ministerrat unter der Voraussetzung der Zustimmung des Bundesministers für Finanzen die Erhöhung der Bundessubvention auf 100.000 Schilling und die Bindung eines Betrages in derselben Höhe aus den dem Land Salzburg zukommenden Mitteln der Hotelsanierungsaktion beschloss.55 Wenngleich mit diesem Beschluss die Wünsche der Festspielhausgemeinde nicht vollständig erfüllt waren, so war die Durchführung der Festspiele gesichert. Offen blieb allerdings die Frage, ob die von der Bundesregierung eingeleiteten verstärkten Werbemaßnahmen vor allem in den Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie den gewünschten Effekt einer zumindest teilweisen Kompensation des befürchteten massiven Rückgangs deutscher Besucher erreichen würde. Die Ergeb­ nisse der Pfingstfeiertage waren – trotz des schönen Wetters – wenig ermutigend. Das »Salzburger Volksblatt« vermisste schmerzlich das sonst übliche »erhöhte Drängen und Treiben, das in früheren Jahren an diesen beiden Tagen beobachtet werden konnte. Insbesondere der Autoverkehr in der inneren Stadt war verhältnismäßig schwach, die Parkplätze standen vielfach leer und auch die Taxistandplätze waren leicht in der Lage, den Bedarf an Mietwagen zu decken«. Laut Statistik habe es gegenüber dem Vorjahr einen Rückgang von Besuchern um 1432 gegeben, davon waren 1411 Deutsche Auch aus den Gauen werde von weitgehend stillen Pfingsten berichtet. Man habe »bei vielen Gaststätten, wo früher Tische und Zimmer belegt waren, (…) die sorgenvollen Wirtsleute vor der Tür nach den wieder erwarteten Pfingstgästen Ausschau halten« gesehen, »die aber diesmal nicht kamen«.56 Der von Berlin angeordnete Boykott des österreichischen Fremdenverkehrs und vor allem auch der Salzburger Festspiele erstreckte sich jedoch nicht nur auf die Verhinderung des traditionell starken deutschen Besucherkontingents, sondern auch auf die mit54 MRP 886/8. 55 Ebda. 56 Pfingsten ohne Fremde. – In  : Salzburger Volksblatt, 6. 6. 1933. S. 1.

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wirkenden deutschen Künstler/innen, denen nahegelegt wurde, ihre Mitwirkung bei den Festspielen zu stornieren. Während Richard Strauss dies ablehnte, langten von Hans Pfitzner, der ein Orchesterkonzert der Wiener Philharmoniker hätte dirigieren sollen, Sigrid Onegin, die für die Rolle des Orpheus in Glucks »Orpheus und Eurydike« engagiert war, und dem Heldenbariton Wilhelm Rode, der am 1. April 1933 der NASDAP beigetreten war und den Don Pizarro in Beethovens »Fidelio« singen sollte, kurz vor Beginn der Festspiele verdächtig ähnlich lautende Absagen ein. Pfitzner, der aufgrund seines antisemitischen Antimodernismus eine deutliche ideologische Nähe zum Nationalsozialismus aufwies, begründete seine Absage mit dem empörenden Vorgehen der österreichischen Regierung gegen das erwachende Deutschtum, zu dem er sich voll und ganz bekenne.57

VII.3 Die Festspiele als (kultur-)politische Demonstration gegen den Nationalsozialismus Das Festspielprogramm 1933 trotzte in seiner Breite und Opulenz den politischen und ökonomischen Widrigkeiten. Und es wurde bereits zu einer politischen Demonstration gegen den Nationalsozialismus und dessen antisemitisch-rassistisch geprägtes Kulturverständnis. Zur künstlerischen Dimension gesellte sich nunmehr – in den folgenden Jahren in steigendem Ausmaß und von den ständestaatlichen Regierungen im Sinne der Österreich-Ideologie gefördert – die ideologische, wobei 1933/34 noch eine Ambivalenz sichtbar wurde. Die dem Deutschnationalismus nahestehenden und dem Nationalsozialismus gegenüber zumindest ambivalenten Künstler Richard Strauss und dessen bevorzugter Dirigent Clemens Krauss dirigierten Beethovens »Fidelio« (Strauss), Strauss’ »Der Rosenkavalier« und »Die Frau ohne Schatten«, die Uraufführung der neuen Wiener Fassung der »Ägyptischen Helena«, Mozarts »Die Hochzeit des Figaro« und »Così fan tutte« (Krauss) sowie drei Orchesterkonzerte  ; der Jude Bruno Walter dirigierte Carl Maria von Webers »Oberon«, Mozarts »Zauberflöte« und – als Kampfansage gegen das von den Nationalsozialisten vereinnahmte Bayreuth – Richard Wagners »Tristan und Isolde« sowie drei Orchesterkonzerte  ; der aus dem Deutschen Reich vertriebene Jude Otto Klemperer dirigierte ein Orchesterkonzert und der italienische Dirigent Vittorio Gui übernahm das Orchesterkonzert Hans Pfitzners.

57 Andreas Novak  : »Salzburg hört Hitler atmen«. Die Salzburger Festspiele 1933–1944. – München 2005. S. 29. Maria Müller, die in Glucks »Orpheus und Eurydike« 1931 und 1932 die Eurydike gesungen hatte, sagte zugunsten von Bayreuth ab, wo sie als Eva in den »Meistersingern von Nürnberg« und als Sieglinde in der »Walküre« engagiert war. Sie kehrte 1934 für eine Vorstellung von Webers »Oberon« kurz nach Salzburg zurück. Die Rolle der Eurydike übernahm Maria Cebotari, die 1931 und 1932 den Eros gesungen hatte.

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Von besonderem Interesse ist das erstmalige Engagement des »Mozartorchesters Salzburg«, das ab nun neben den Wiener Philharmonikern für die von Bernhard Paumgartner geleiteten Serenaden verantwortlich zeichnen sollte. Dieses Engagement hatte ein politisches Vorspiel. Im August 1932 stellte der nationalsozialistische Salzburger Gemeinderat Franz Wintersteiner den Antrag, dass bei der Erstellung des nächstjährigen Festspielprogramms auch die Orchestervereinigung der Salzburger Berufsmusiker, die in ihrer künstlerischen Leistung jener der Wiener Philharmoniker nicht nachstehen, aus künstlerischen und sozialen Gründen berücksichtigt werden solle. Für die »Salzburger Chronik« konnte ein solcher Antrag nur einem »nationalsozialistischen Gehirn« entspringen. Da dem mit einem solchen Gehirn ausgestatteten Gemeinderat eben »kein gescheiterer Antrag einfiel, lieferte er die ganz unschuldigen Salzburger Musiker dem Gespött der Öffentlichkeit aus«.58 Anstatt den Antrag auf sich beruhen zu lassen, leitete ihn das Präsidium des Salzburger Gemeinderates an Präsident Puthon weiter. Wiener Zeitungen berichteten sogar, dass eine Delegation der Salzburger NSDAP beim Festspielpräsidenten in dieser Angelegenheit vorgesprochen und eine entsprechende Forderung gestellt habe. Die »Salzburger Wacht« berichtete über diese Version und kommentierte  : »Die Forderungen der Salzburger Nazioten scheinen eine Ausgeburt der Hundshitze zu sein. Oder wollen sie am Ende gar ernst genommen werden  ?«59 Die Salzburger NSDAP sah sich angesichts des erheblichen Presseechos zu einer Richtigstellung veranlasst und betonte, dass weder eine Delegation bei Festspielpräsident Puthon vorgesprochen noch diesem gegenüber die kolportierte Forderung erhoben habe.60 Die Nationalsozialisten hätten lediglich verlangt, dass die Orchestervereinigung der Berufsmusiker bei der Programmgestaltung der Salzburger Festspiele nicht nur aus künstlerischen, sondern auch aus sozialen Gründen berücksichtigt werde. Es sei die Pflicht der NSDAP, »für arbeitslose Volksgenossen zu sorgen«.61 In dieser Argumentation lag angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise und der hohen Arbeitslosigkeit die politische Brisanz der Forderung, die man vor dem Hintergrund der zunehmenden Attraktivität der NSDAP nicht so einfach ignorieren konnte. Die Lösung bestand in einer Berücksichtigung dieser Forderung durch das Engagement des »Mozartorchesters Salzburg« 1933 für zwei und in den folgenden Jahren für vier Serenaden. 1933 war Reinhardt wiederum in Salzburg präsent. Es sollte der Sommer einer seiner größten Theatertriumphe werden, obwohl er seine Berliner Theater verloren hatte,

58 Die Philharmoniker dürfen bleiben. – In  : Salzburger Chronik, 18. 8. 1932. S. 4f. 59 Eine Ausgeburt der Hundshitze. – In  : Salzburger Wacht, 18. 8. 1932. S. 4. 60 Die Stunde, 24. 8. 1932. S. 9. 61 Salzburger Volksblatt, 26. 8. 1932. S. 7.

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aus Deutschland vertrieben worden war62 und die finanziellen Probleme zunehmend bedrückend wurden. Die in Salzburger Medien berichtete Nicht-Begleichung einer Stromrechnung in der Höhe von 10.000 Schilling war nur die Spitze des Eisberges. Seit 1929 hatte sich seine finanzielle Situation zunehmend verschlechtert. Der Tod seines Bruders Edmund, der jahrelange kostspielige Scheidungskrieg mit seiner ersten Ehefrau Else Heims, der sich bis 1935 hinziehen sollte, die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland und der aufwändige Lebensstil63 waren für diese Entwicklung verantwortlich. 1933 stand Leopoldskron aufgrund der hypothekarischen Belastung – der hypothekarische Verschuldungsgrad überstieg bereits den Schätzwert der Immobilie – kurz vor der Zwangsversteigerung.64 Abgesehen von den deutschen Steuerschulden hatte Reinhardt rund 300.000 Schilling an Steuerrückständen beim österreichischen Fiskus angehäuft. Im Sommer 1933 rettete ihn ein Darlehen in der Höhe von 100.000 Schilling seiner Freunde und Verehrer, des in Schloss Kammer wohnenden Emmerich von Jescensczky und dessen Gattin Eleonora von Mendelssohn.65 Als Gegenleistung musste Reinhardt die gesammelten Antiquitäten und Bücher des Schlosses verpfänden. Es wohnte in einem Schloss, das gar 62 Im Februar 1932 hatte Reinhardt die Komödie und das Theater am Kurfürstendamm abgegeben, im April die Direktion des Deutschen Theaters und sein Berliner Theaterimperium auf fünf Jahre mit der Begründung einer zunehmenden Abneigung gegen das Unternehmertum verpachtet. Dies war jedoch lediglich eine Seite der Wahrheit, die andere war die hohe Verschuldung seines Berliner Theaterimperiums, die zu Jahresbeginn 1932 bereits 2,5 Millionen Reichsmark betrug. – Im März 1933 verließ er Berlin für immer, unter Zurücklassung der Villa Bellevue mit ihrer wertvollen Einrichtung. 63 Anfang April 1933 beliefen sich die monatlichen Verpflichtungen Reinhardts auf rund 13.270 Reichsmark, davon betrugen das Wirtschaftsgeld, die Erhaltung und die Spesen für Leopoldskron rund 2.000 Mark. (Hofinger  : Die Akte Leopoldskron. S. 50). 64 Zur Belastung von Leopoldskron vgl. Hofinger  : Die Akte Leopoldskron. S. 49ff. 65 Eleonora von Mendelssohn (1900–1951) war die Tochter des Privatbankiers Robert von Mendelssohn und der italienischen Konzertpianistin und Sängerin Giulietta, geborene Gordigiani, die zu Hysterie und Tobsuchtsanfällen neigte. Nach dem Tod von Robert von Mendelssohn 1917 verschrieb sie sich zunehmend einem ruhelosen Wanderleben und wurde Gründungsmitglied der faschistischen Partei Italiens. Eleonora, die Reinhardt 1915 im Haus ihrer Eltern kennenlernte, wurde von ihrer Mutter vernachlässigt und hatte in ihrer Tante Marie eine Ersatzmutter gefunden. Sie trug stets eine Perlenkette, die sie von ihrer Taufpatin, Eleonora Duse, geschenkt bekommen hatte, war künstlerisch sehr begabt und hoch gebildet. Allerdings liebte sie stets Männer, die für sie entweder unerreichbar oder für eine Lebensgemeinschaft völlig ungeeignet waren. So verliebte sie sich auch in Reinhardt, der damals 42 Jahre alt und verheiratet war. Sie wurde aus Liebe zu Reinhardt Schauspielerin, heiratete 1919 den sensiblen Schweizer Pianisten Edwin Fischer und in zweiter Ehe den ungarischen Rittmeister Imre von Jeszenszky. Wenngleich sie noch zweimal heiratete, blieb sie eine Verehrerin Reinhardts und erregte die Eifersucht von dessen zweiter Frau Helene Thimig. Sie gehörte bereits vor dem großen Darlehen von 100.000 Schilling zu den finanziellen Unterstützern Max Reinhardts, der seit 1926 immer wieder Freunde/innen, vor allem auch seine spätere Frau Helene Thimig, um private Zuwendungen bat.

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nicht mehr ihm gehörte. Im Mai 1933 hatte er an Gusti Adler aus Neapel geschrieben, seine Zeit sei mit einer zermürbenden Korrespondenz mit Berlin ausgefüllt. Dort stehe »es gar nicht gut (…) Die Wirtschaft ist ja seit Jahren immer schlechter geworden, und nun ist auch noch die Arbeit dort unmöglich geworden und statt Wohlwollen (nach lebenslanger Arbeit) nur offener oder versteckter Hass am Werk. (…) Ach, es ist ein Jammer. (…) Alles (auch Leopoldskron) ist im Augenblick in Gefahr«. An seinen Bruder Siegfried schrieb er Anfang Juli 1933 aus London, auch die Josefstadt ringe um ihre finanzielle Existenz, »auch Leopoldskron gehört nicht mehr mir«.66 Mit Blick auf die politische Entwicklung zweifelte er noch wenige Wochen vor Beginn der Festspiele daran, ob diese überhaupt stattfinden würden. Reinhardts Zweifel waren nicht ganz unbegründet. Die nunmehr in München etablierte Landes­ leitung der österreichischen NSDAP verkündete am 5. Juli über den bayerischen Rundfunk, der Kampf würde weitergehen. Am 14. Juli überflog ein deutsches Sportflugzeug Salzburg und warf nationalsozialistische Propagandazettel ab, auf denen die Aufforderung der Salzburger Gauleitung gedruckt war, die Fäuste zu ballen. Am 21. Juli, dem Tag der Ankunft Reinhardts in Salzburg, erschien neuerlich ein deutsches Flugzeug und warf drei unterschiedliche Propagandaflugzettel ab, von denen einer auch massive Schmähungen der österreichischen Bundesregierung enthielt. Am 29. Juli, dem Tag der Festspieleröffnung, erschienen abermals vier deutsche Flieger und warfen über der Stadt nationalsozialistische Flugzettel ab. Die fortgesetzten Verletzungen des österreichischen Luftraums lösten eine Intervention ­Italiens, Frankreichs und Großbritanniens in Berlin aus, worauf Berlin sofort reagierte und eine Unterbindung der Aktionen zusagte. Ungeachtet dessen wurden jedoch die nationalsozialistischen Propagandasendungen des Bayerischen Rundfunks gegen Öster­reich ebenso fortgesetzt wie unterschiedliche Terrorakte. Trotz Reinhardts Zweifel, die nach seiner Ankunft allerdings verflogen, fanden die Festspiele statt. Und es war Reinhardt, der in diesem Jahr mit seiner »Faust«Inszenierung in der Felsenreitschule die eigentliche Attraktion der Festspiele schuf. Er hatte bereits 1926 eine »Faust«-Inszenierung geplant, jedoch keine geeignete Spielstätte gefunden und daher den Plan immer wieder verschoben. Ob tatsächlich Clemens Holzmeister 1932 die Idee hatte, den »Faust« in der Felsenreitschule zu inszenieren, lässt sich nicht eindeutig belegen. Auch ob Oskar Strnad, mit dem Reinhardt jahrelang zusammenarbeitete, von diesem als Bühnenbildner ursprünglich gewünscht wurde, er sich schließlich jedoch auf mehr oder weniger sanften Druck von oben, bei dem auch Rehrl seine Hand im Spiel hatte, für Holzmeister entschied, ist nicht nachweisbar. Nachweisbar ist hingegen aus zeitgenössischen Quellen, dass die Idee Reinhardts, den »Faust« in der Felsenreitschule zu inszenieren, besonders von Landeshauptmann Rehrl gefördert wurde. Die Wahl Holzmeisters, ob von Rehrl 66 Zit. bei Sibylle Zehle  : Max Reinhardt. Ein Leben als Festspiel. – Wien 2020. S. 165f.

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intervenierend gewünscht oder nicht, sollte sich als überaus glücklich erweisen, denn dieser schuf mit seiner Fauststadt in der Felsenreitschule ein bleibendes Dokument der Festspielgeschichte, das als solches auch von den Zeitgenossen bereits erkannt wurde. Und Reinhardt schuf mit dieser Inszenierung eines seiner größten Meister­ werke. Er griff auf die Mysterienspiele zurück und verringerte die Distanz von Zuschauern und Schauspielern, bezog sie durch die Betonung der Aspekte menschlichen Handelns emotional in das Spiel ein. Gusti Adler bemerkt in ihren Erinnerungen, dass die Arbeit an »Faust« zu Reinhardts glücklichsten Stunden zählte. »Sie fiel in eine Epoche des Untergangs der früheren Welt, ihm aber eignete die Gabe, wenigstens zeitweise in seiner eigenen Welt aufgehen zu können. Er hatte an seinem Regiebuch, an jeder Einzelheit der Faust-Stadt seit vielen Monaten gearbeitet. Er ist ihr eigentlicher Schöpfer, hat sie in enger Zusammenarbeit mit dem Architekten gebaut, und im Laufe der Jahre, von 1933 bis 1937, wurde sie nach seinen Angaben immer wieder verbessert. In Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl hatte er den verständnisvollen Bauherrn, dessen Hinhabe an das schöne Werk Reinhardt bis zuletzt immer wieder hervorgehoben hat.«67 Reinhardt inspirierte das von ihm mit Bedacht ausgewählte Ensemble – Ewald Balser, Paula Wessely und Max Pallenberg in den Hauptrollen – zu beeindruckenden Leistungen, und er schuf damit ein Gesamtkunstwerk, das die internationale und nationale Presse sowie die zahlreich anwesende Künstlerprominenz, wie Marlene Dietrich, Emil Jannings, Stefan Zweig, Otto Klemperer, Fjodor Schaljapin, zu Lobeshymnen hinriss. Das Geheimnis der Regiearbeit Reinhardts hat der Berliner Theaterkritiker Artur Kahane, der dreißig Jahre lang Reinhardts Berater und Dramaturg war, in einem unveröffentlichten Text beschrieben, der zu Reinhardts 60. Geburtstag von der Witwe Kahanes zur Veröffentlichung freigegeben wurde. »Es wird furchtbar viel über Reinhardt geschwätzt. Erstens, weil überhaupt furchtbar viel in der Welt geschwätzt wird, und zweitens, weil die meisten Leute noch immer nur eine vage, nebulose Vorstellung davon haben, worin eigentlich die Arbeit des Regisseurs besteht. Schauspieler schimpfen viel. Es liegt offenbar im Beruf. Warum reißen sich die ärgsten Schimpfer darum, unter Reinhardt zu spielen  ? Warum hören sie sofort zu schimpfen auf, wenn sie bei ihm auf der Probe sind  ? Warum sind alle während des ganzen Verlaufs der Probenarbeit restlos glücklich  ? Und schimpfen erst wieder, wenn die Proben zu Ende sind  ? Reinhardt spricht nicht viel, aber was er sagt, ist klar, wesentlich und entscheidend. Es sagt nicht unter vielem das Beste, sondern das einzig Mögliche. Wenn er einem etwas zu sagen hat, zieht er ihn unauffällig in eine Ecke und sagt es ihm leise. Er macht nur selten vor  ; allerdings weiß er den Tonfall, den er wünscht, so suggestiv in den Tonfall seiner erklärenden Worte hineinzuschmuggeln, dass der andere ihn übernehmen muss und glaubt, er habe ihn aus sich selbst. Er behandelt 67 Adler  : … aber vergessen Sie nicht die chinesischen Nachtigallen. S. 306.

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jeden anders und spricht mit jedem in dessen Sprache und nach dessen Verständnismöglichkeiten. Alle haben das blindeste Vertrauen zu ihm und glauben an jedes seiner Worte wie an eine Bibel. Sie spüren seinen Glauben an den Schauspieler, seine Freude, seine Besessenheit. Schauspieler sind so dankbar. Sie sind dankbar, an der Fülle von Einfällen und Überraschungen tätig teilzunehmen, und gespannt, wie aus der klaren Vision des Ganzen, mit der Reinhardt auf die erste Probe kommt, eine in allen Teilen lebendige Wirklichkeit wird. (…) Jetzt (…) beginnen die Proben, und es handelt sich darum, aus dem Bilde der Phantasie Wirklichkeit zu gestalten, aber auch aus der Wirklichkeit heraus das Bild der Phantasie zu korrigieren. Denn daran liegt Reinhardt nichts, das einmal geformte Bild in allen Details eigensinnig festzuhalten, sondern es in wirkliches, organisches Leben umzusetzen. Darum schafft er aus den Erfahrungen der täglichen Probe ­heraus täglich weiter. Darum behandelt er jeden Schauspieler anders  : und wenn einer absolut nicht auf den Weg Reinhardts kommen kann, sondern einen eigenen Weg geht, der gut ist, so lässt er ihn gewähren und begnügt sich damit, ihn dem Ganzen einzuordnen. Manchmal auch das Ganze ihm. Und manchmal übernimmt er den Weg des Schauspielers und treibt ihn darauf zu Möglichkeiten, von denen jener selbst nichts geahnt hat. Denn oft ist das Wesentliche seiner Regieführung, dass er jeden zwingt, sein Bestes und Tiefstes herzugeben, und alle Kräfte aufs Äußerste steigert.«68 Obwohl er am 13. Juli an Gusti Adler geschrieben hatte, Helene Thimig und er würden angesichts der politischen Entwicklung natürlich keine Feste geben, brach er, wohl auch überwältigt von dem Triumph der »Faust«-Inszenierung, diese Ankündigung. Die Prominenz wurde zu einem feierlichen Empfang nach Leopoldskron geladen. Doch der Lichterglanz von Leopoldskron lag bereits im Schatten des Berghofes, für die einen – zunehmend auch viele Salzburger/innen – quasireligiös aufgeladener politischer Wallfahrtsort, für die anderen das Tor zur Unterwelt, zum Reich der niederen Dämonen, die sich anschickten, die europäische Kultur zu zerstören. In diesem Sinn war auch die »Faust«-Inszenierung ein Lebenszeichen und eine Kampfansage der europäischen, vor allem der deutschen Kultur gegen ihre einerseits um sich greifende ideologische Vereinnahmung und andererseits gegen ihre bereits erfolgende Zerstörung. Wie lange konnte Österreich – und konnten die Salzburger Festspiele – ihre Funktion als Fluchtpunkt und kulturelles Bollwerk gegen den Nationalsozialismus wahrnehmen  ? Eine Frage, die, sieht man von der naturbedingt kämpferischen und siegessicheren Regierungspropaganda ab, wohl niemand zu beantworten wusste. Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, im autoritären Ständestaat zum Mythos und christlichen Kreuzritter wider den heidnischen Nationalsozialismus stilisiert,69 war 68 Artur Kahane  : Max Reinhardt auf der Probe. – In  : Neues Wiener Journal, 5. 9. 1933. S. 7. 69 Vgl. dazu Lucile Dreidemy  : Der Dollfuß-Mythos. Eine Biographie des Posthumen. – Wien/Köln/ Weimar 2014.

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sich über die besondere ideologische und kulturpolitische Position der Salzburger Festspiele als Grundlage eines zu schaffenden kollektiven Staats- und Nationsbewusstseins im Klaren. In diesem Sinne erkannte er die enorme auch ideologische Kampfansage der »Faust«-Inszenierung an das rassistisch pervertierte nationalsozia­ listische pangermanische Kulturverständnis. Er befand sich daher unter den Besuchern der verregneten Aufführung am 22. August, die wegen des einsetzenden Regens in das Festspielhaus übersiedeln musste, wobei allerdings die Walpurgisnacht nicht gezeigt werden konnte. Margherita Wallmann, die für die Einstudierung der Tanzszenen in der Walpurgisnacht verantwortlich zeichnete, saß nach dem Abbruch der Freilichtaufführung traurig allein in der Felsenreitschule, als sie aus dem Zuschauerraum eine Stimme hörte  : »Sehen Sie nicht so traurig drein  ; ich komme zur zweiten Vorstellung wieder, um Ihre Walpurgisnacht zu sehen.« Die tröstende Stimme gehörte Bundeskanzler Dollfuß, der auch die zweite, vom Regen nicht gestörte Aufführung besuchte.70 Elf Monate später, zu Beginn der Festspiele 1934, sollte er dem Putschversuch der Nationalsozialisten zum Opfer fallen. Reinhardt war sich der Fragilität der Situation durchaus bewusst, als er gegenüber Carl Zuckmayer vom Geschmack der Vergänglichkeit sprach, der diesen Festspiel­ sommern anhafte. Anfang Oktober 1933 schrieb er an seinen Sohn Gottfried in Kalifornien  : »Wohin ich gehe, wenn diese Arbeit beendet ist, weiß ich noch nicht. Vielleicht nach Wien, wenn es bis dahin nicht ans Hakenkreuz geschlagen ist. Es sieht nicht sehr hoffnungsvoll aus. (…) Nach Leopoldskron kann ich auch kaum. Denn abgesehen davon, dass es bis zum Dach mit Schulden und Pfändungen beladen ist, liegt das Hauptquartier des Dritten Reiches zu nahe (in Berchtesgaden), als dass man sich dort wohl und sicher fühlen könnte.« Mit Hitler könne man über zwei Fragen nicht reden  : »Über Österreich und über die Juden. Österreich will er unbedingt haben und die Juden will er unbedingt nicht haben.«71

VII.4 Der Kampf um die finanzielle Absicherung der Festspiele durch den Bund Am Ende der Festspiele des Jahres 1933 musste, jenseits der viel gelobten künstlerischen Leistungen, Bilanz gezogen werden. Ende Mai hatte Präsident Puthon gegenüber dem »Salzburger Volksblatt« über die befürchteten Auswirkungen der TausendMark-Sperre erklärt  : »Wie aus der Besucherstatistik der vorangegangenen Jahre zu sehen ist, werden die Salzburger Festspielveranstaltungen alljährlich im Ausmaß von 70 Gallup  : Die Geschichte der Salzburger Festspiele. S. 107  ; Wiener Allgemeine Zeitung, 23. 8. 1933. S. 5. 71 Zit. bei Zehle  : Max Reinhardt. S. 170.

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etwa f ü n f z i g P r o z e n t von Reichsdeutschen besucht. Es konnte daher angenommen werden, dass auch heuer wieder mit einem Zustrom der Reichsdeutschen in diesem Ausmaße zu rechnen war. Durch die nunmehr bevorstehende Grenzsperre werden natürlich auch die Festspiele besonders in ihrem wirtschaftlichen Ergebnis sehr hart in Mitleidenschaft gezogen, wenn es nicht gelingen sollte, diese Verfügung noch rechtzeitig rückgängig zu machen. Ich bin aber Optimist, habe mit meinem Optimismus auch schon in früheren Situationen recht behalten und nehme an, dass man die unhaltbare Situation, die durch die Verfügung der deutschen Grenzsperre geschaffen wurde, sobald als möglich wieder aus der Welt schaffen wird. Es muss insbesondere angenommen werden, dass es gelingen wird, den in Reichenhall und Berchtesgaden weilenden r e i c h s d e u t s c h e n S o m m e r g ä s t e n den Besuch der Salzburger Festspiele zu ermöglichen.«72 Der Optimismus Puthons sollte sich als irrig erweisen. Hitler war keineswegs gewillt, in der Frage der Tausend-Mark-Sperre Flexibilität zu zeigen, da dies sein politisches Ziel, den Sturz der Regierung Dollfuß und die Bildung einer Koalitionsregierung unter Einschluss der Nationalsozialisten, konterkariert hätte. Dollfuß wiederum war bereit, den Fehdehandschuh aufzuheben, wobei er sich gleichzeitig um außen- und sicherheitspolitische Rückendeckung bei Frankreich und Großbritannien bemühte. Erst deren offensichtliche Unwilligkeit eines stärkeren Engagements in Mitteleuropa ließ ihn auf den italienischen Kurs einschwenken. Mussolini signalisierte gegenüber Dollfuß, wenn auch um den Preis eines zunehmenden Drucks in Richtung einer autoritären innenpolitischen Wende, seine Bereitschaft, Österreich auch mit dem Hinweis einer militärischen Intervention gegenüber einem immer aggressiver auftretenden Deutschen Reich den Rücken zu stärken. Die dramatisch geänderte politische Großwetterlage fand in der massiv verschlechterten Fremdenverkehrsstatistik ihren Niederschlag. Die Dynamik der Entwicklung wurde bei einem Blick auf die Saisonen 1928/29, den Höhepunkt der Entwicklung des Fremdenverkehrs vor dem Einsetzen der Weltwirtschaftskrise, und 1932/33, der ersten Krise mit Wirksamwerden der Tausend-Mark-Sperre, deutlich. Übernachtungen im Bundesland Salzburg in den Saisonen 1928/29 und 1932/33  :73 Übernachtungen

Inland

Ausland

Deutschland

Saison 1928/29

2.037,800

879.300

1,158,500

840,000

Saison 1932/33

1.260,800

819,700

 441,100

128,500

72 Die Grenzsperre und Salzburgs Wirtschaft. – In  : Salzburger Volksblatt, 29. 5. 1933. S. 10. 73 Eva Maria Mayrhuber  : »Wirtschaftsfaktor Fremdenverkehr. Die Geschichte des österreichischen Tourismus zwischen Weltwirtschaftskrise und 1.000-Mark-Sperre.« Diplomarbeit. – Universität Wien 2010. S. 112.

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Für die Salzburger Festspiele bedeutete dies den Rückgang der Besucher von rund 72.000 im Jahr 1932 auf 56.000, der deutschen Besucher von 15.700 auf rund 900. In der Stadt Salzburg gingen im August 1933 die Übernachtungen gegenüber dem Vergleichsmonat des Vorjahres um rund 10.000 zurück. Der Kartenerlös der Festspiele fiel gegenüber 1932 von 706.000 auf 565.000 Schilling.74 Am 26. Oktober erklärte Kammerrat Alois Rainer aus Hofgastein in der Sitzung der Salzburger Handelskam­ mer, es gehöre »nicht zu den erfreulichsten Aufgaben, einen Bericht über den Fremdenverkehr des Sommers 1933 zu erstatten«, da dieser unter den allgemeinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, den von manchen Ländern praktizierten Reiseerschwernissen75 und vor allem der Tausend-Mark-Sperre sehr gelitten habe. Bei einem Blick auf den Fremdenverkehr müsse man auch kritisch feststellen, dass dieser sehr stark von den deutschen Touristen dominiert und gar nicht so international sei, »wie wir uns dies selbst immer gerne eingeredet haben. Wir mussten erfahren, dass wir in unserer Werbung eigentlich nur die uns engst benachbarten Gebiete erfasst hatten und dass der ganze valutarisch noch gut gestellte Westen Europas nur in sehr geringem Umfange für Österreich als Reisepublikum gewonnen worden war. Es wird notwendig sein, dass wir aus dieser Erkenntnis entsprechende Folgerungen ziehen. Die Leitung der Salzburger Festspiele befand sich Anfang des Sommers in großer Sorge, ob die Abhaltung dieser bedeutendsten österreichischen Veranstaltung gewagt werden könne. Hier kann das Eingreifen unserer Bundesregierung nicht hoch genug anerkannt werden, denn ohne diesen starken Rückhalt hätten wir uns doch nicht zur Fassung derart tief einschneidender Beschlüsse bereitfinden können, wie dies die Sachlage erforderte«.76 Eine der Gegenmaßnahmen der Regierung Dollfuß gegen die Tausend-MarkSperre war die sofortige Freigabe von einer Million Schilling für eine intensivere Auslandswerbung, vor allem in den westeuropäischen Staaten und den USA, eine Maßnahme, die erst mit der Berufung Arturo Toscaninis als führende musikalische Persönlichkeit der Salzburger Festspiele im beabsichtigten Ausmaß durch eine nunmehr einsetzende starke Internationalisierung des Festspielpublikums wirksam werden sollte. Dennoch waren die in letzter Minute einsetzenden Bemühungen der 74 Robert Kriechbaumer  : Zwischen Österreich und Großdeutschland. Eine politische Geschichte der Salzburger Festspiele 1933–1944. Wien/Köln/Weimar 2013. S. 25 (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 46). 75 Polen erhob eine Ausreisegebühr von 400 Zloty, in Ungarn und Jugoslawien bestanden erhebliche Schwierigkeiten bei der Zuweisung von Devisen, und Italien stellte Auslandspässe nur für die Gültigkeitsdauer von sechs Monaten aus und erhob jedes Mal eine Ausfertigungsgebühr von 100 Lire. 76 Alois Rainer  : Fremdenverkehr und Festspiele im Jahre 1933. – In  : Salzburger Chronik, 27. 10. 1933. S. 2.

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Auslandswerbung im Festspielsommer 1933 nicht folgenlos. Von manchen ausländischen Beobachtern wurde eine Änderung der Zusammensetzung des Festspielpublikums festgestellt. So berichtete der Korrespondent der holländischen Tageszeitung »De Maasbode«, in den vergangenen Jahren hätten die Deutschen das weitaus größte Kontingent der Festspielbesucher gestellt, doch habe die Tausend-MarkSperre für diese den Besuch der Festspiele fast unmöglich gemacht. Es sei daher auch »nicht verwunderlich, dass man im heurigen Jahre mit großer Besorgnis den Festspielen entgegensah. Desto angenehmer war die Überraschung für die Organisatoren, als aus anderen Ländern so viel mehr Besucher kamen. (…) Natürlich kann der Besuch nicht die hohen Ziffern aufweisen wie in den letzten Jahren (…) Doch, da 50 Prozent der treuen Besucher der Salzburger Festspiele, oder noch mehr, verhindert worden sind, darf man gewiss nicht unzufrieden sein. (…) Es ist besonders den Engländern, Franzosen und Tschechen zu danken, dass der Besuch bisher so zufriedenstellend ausgefallen ist. Aber auch Holländer, Italiener und Schweizer werden jetzt in viel größerer Anzahl angetroffen als früher«.77 Unter Bezugnahme auf die Tausend-Mark-Sperre und die Festspielsaison erklärte Landeshauptmann Rehrl in seiner Rede zur Eröffnungssitzung des Salzburger Landtages am 28. November 1933 kämpferisch  : »Die Feinde Österreichs wussten, dass in den mittleren und westlichen Bundesländern Österreichs der Anteil der reichsdeutschen Gäste an der Gesamtfrequenz durchschnittlich 70 Prozent beträgt. Durch die gewaltsame Fernhaltung dieser 70 Prozent sollten wir vernichtet werden, da mit den restlichen 30 Prozent des Fremdenverkehres die wirtschaftliche Existenz der österreichischen Alpenländer nicht aufrechtzuerhalten sei. Die Feinde haben sich getäuscht, sie nahmen uns die üblichen 70 Prozent und suchten uns durch Störungen aller Art auch die restlichen 30 Prozent zu entziehen, aber die Sympathien der Nationen und die von uns seit jeher gepflegte Werbung auch in nichtdeutschen Ländern haben das Salzburger Land rund 70 Prozent der Fremdenverkehrsfrequenz des Jahres 1932 erreichen lassen. Das bedeutet, dass wir die hergebrachten und traditionellen 30 Prozent an außerdeutscher Frequenz auf 70 Prozent erhöhen konnten. Das war der Strich durch die feindliche Rechnung.«78 Trotz des künstlerischen Erfolgs, der stärkeren Präsenz eines internationalen Publikums und der deutlich erhöhten Bundessubvention betrug das Defizit der Festspiele 23.383 Schilling, für deren Bedeckung wiederum Finanzminister Karl ­Buresch sorgen sollte. Dieser antwortete jedoch der Festspielleitung am 15. September, der Bund habe trotz seiner finanziellen Notlage den Festspielen 195.000 Schilling an Zuschüssen gewährt. Dies sei das Äußerste seiner Leistungsfähigkeit, weshalb er dem Ansinnen der Festspielleitung nicht entsprechen könne. Außerdem sei das 77 Zit. bei Kriechbaumer  : Zwischen Österreich und Großdeutschland. S. 42. 78 Salzburger Volksblatt, 28. 11. 1933. S. 1.

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entstandene Defizit vor allem auch darauf zurückzuführen, dass man bei den veranschlagten Einnahmen von zu optimistischen Erwartungen ausgegangen sei und den engagierten Künstlern, die zum Großteil Angestellte der Bundestheater seien, zu hohe Gagen bezahlt habe. Die Direktion der Festspielhausgemeinde, unterstützt von Rehrl, antwortete, der Vorwurf der zu optimistischen Einnahmenerwartung sei nicht gerechtfertigt, da man bei der Budgeterstellung, die vor der Verkündung der Tausend-Mark-Sperre erfolgte, von den Zahlen des Jahres 1932 ausgegangen sei. Eine Kürzung der Künstlergagen aus Einsparungsgründen während der Festspiele wäre äußerst gefährlich gewesen und hätte zudem die Durchführung der Festspiele infrage gestellt. Der vor allem auch von Rehrl geführte Briefwechsel mit dem Finanzministerium bekam gegen Jahresende 1933 eine unerwartet dramatische politische Note durch einen Prüfbericht des Rechnungshofes zur Bundessubvention der abgelaufenen Festspielsaison. In einem Schreiben an das Unterrichtsministerium stellte der Rechnungshof die Frage, ob nicht der angesichts der anhaltenden schlechten Wirtschaftslage und des Fortbestehens der Tausend-Mark-Sperre zu erwartende weitere Rückgang des Fremdenverkehrs eine Absage der nächstjährigen Salzburger Festspiele rechtfertigen würde. Wenn man diese Option nicht in Betracht ziehe, sollte man mit Rücksicht auf die Belastbarkeit der Finanzen der öffentlichen Gebietskörperschaften die Frage prüfen, ob nicht eine deutliche Reduktion des Festspielprogramms und damit der entstehenden Kosten in Erwägung gezogen werden sollten.79 Eine Reduktion des Festspielprogramms oder gar deren Absage kam jedoch weder für Rehrl noch die Bundesregierung infrage. Die Festspiele waren spätestens mit der Tausend-Mark-Sperre zum Politikum geworden. Sie wurden, neben der Vollendung der Großglockner Hochalpenstraße, zum nationalen Prestigeobjekt, das, jenseits seiner wirtschaftlichen Bedeutung, zum Symbol des Selbstbehauptungswillens Österreichs und kulturelle Kampfansage gegen den Nationalsozialismus geworden war. Dies hatte man auch in Berlin erkannt, weshalb man deren Durchführung 1933 nicht nur durch wirtschaftlichen Druck, sondern auch durch das Erzeugen einer bürgerkriegsähnlichen Stimmung durch Terroranschläge zu verhindern versuchte. Am 10. Juni 1934 berichtete der Präsident des Österreichischen Verkehrsbüros, Franz Georg Strafella, im Ministerrat von einem Besuch in London, bei dem ihm der österreichische Gesandte Georg Franckenstein die Gelegenheit zu einem Treffen mit den führenden Repräsentanten der englischen Reisebüros bot, um die Möglichkeiten einer Intensivierung des britischen Tourismus nach Österreich zu erörtern. Eine zentrale Frage sei gewesen, wie man die Engländer davon überzeugen könne, dass in Österreich keine bürgerkriegsähnlichen Unruhen herrschen. In Großbritannien sei man nämlich über die Sicherheitslage sehr beunruhigt. So sei ihm am 17. Mai 79 Kollmann  : Jedermanns Prüfer. S. 36f.

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von den größten englischen Reisebüros mitgeteilt worden, »dass diesen anonyme Zeitungsausschnitte über Bombenanschläge in Österreich zugesendet worden seien. Es habe sich dabei um vorjährige Ausschnitte gehandelt, bei denen die Datumangabe weggeschnitten worden sei«. Seitens der englischen Reisebüros habe man ihm zu verstehen gegeben, dass man »den Reiseverkehr nach Österreich nur dann forcieren könne, wenn die Gewähr bestehe, dass in Österreich volle Ruhe herrsche. Bereits die ersten Mitteilungen über die vorgekommenen Attentate hätten eine wesentliche Abnahme des Interesses für Österreich hervorgerufen. (…) Es sei völlig klar, dass die Terroraktion den Zweck verfolge, den Fremdenverkehr in Österreich zu unterbinden, wenn nicht zu zertrümmern«.80 Zu Beginn der Festspiele 1934 berichtete der Korrespondent der Zeitung »Die Stunde« aus der Festspielstadt im Rückblick auf den nationalsozialistischen Terror und die ihn begleitende Propaganda des vergangenen Jahres  : »Was ist in diesem Jahr alles gegen Salzburg geschehen  ! Der Berichterstatter hat den brutalen Meuchelkampf des Sprengterrors miterlebt, aber aus den Erzählungen seiner Reisefreunde, die trotz allem wiederum nach Salzburg gekommen sind, erfährt er, dass auch nach anderen Methoden gearbeitet wurde. Nach Methoden, die das Dritte Reich aus den berüchtigten ›Protokollen der Weisen von Zion‹ gelernt haben könnte, von denen der ›Stürmer‹ so gerne fabelt. Die ganze gewaltige Organisation der deutschen Reiseindustrie, vom Schifffahrtsbüro in New York bis zum Speisewagenkellner in Bayern, steht im Kampf gegen Österreichs Fremdenverkehr, vor allem aber gegen die Salzburger Festspiele. Nicht etwa, dass Boykottparolen ausgegeben würden, das wäre plump und internationalem Publikum gegenüber ganz unwirksam, nein, unter der Maske sachlich besorgter Auskünfte wird immer wieder vor der Reise nach Österreich gewarnt, werden Schauermärchen über die mazedonischen Zustände bei uns verbreitet. Daneben geht eine Kampagne mit Drohbriefen brutalster Art, die jeden Prominenten erfasst, bei dem man die Absicht vermutet, nach Salzburg zu kommen.«81 Die Bedeutung des Fremdenverkehrs und der Festspiele für die Wirtschaft Salzburgs, dessen geographische Lage, seine Grenze zu Bayern und zu dessen politischer Kultur bereiteten dieser Taktik einen günstigen Boden. In der Stadt Salzburg hatte die NSDAP das deutschnational/-liberale Lager weitgehend aufgesogen, und die anhaltende Wirtschafts- und Agrarkrise bot der NSDAP die Möglichkeit des Einbruchs in das sozialdemokratische und christlichsoziale Milieu. Wenngleich die Partei im Juni 1933 verboten wurde, erhielt sie in der Illegalität Zulauf von vor allem jüngeren Alterskohorten, in den wenigen industriellen Inseln von jüngeren Arbeitern und in den ländlichen Gebieten vor allem von jüngeren agrarischen Unterschichten. Das am Land, nicht jedoch in der Landeshauptstadt, dominante christlichsoziale Mi80 MRP 947. 81 Salzburger Gespräche. – In  : Die Stunde, 26. 8. 1934. S. 3.

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lieu führte einen Abwehrkampf gegen diese Entwicklung, wobei man sich, wie die Sicherheitsberichte zeigen, der zunehmenden Problematik der Situation durchaus bewusst war. Vor allem in der Stadt Salzburg und deren Umfeld erfreute sich der Nationalsozialismus offener oder verdeckter Sympathien, fiel die nationalsozialistische Wirtschafts- und Anschlusspropaganda zunehmend auf fruchtbaren Boden. Das katholisch/konservativ/christlichsoziale Lager, in dem der Antisemitismus einen Bestandteil der Ideologie bildete und das daher durchaus Affinitäten zu der antisemitischen Propaganda der Nationalsozialisten aufwies, die sich vor allem auch gegen Festspielkünstler und das internationale Festspielpublikum richtete, befand sich in der Stadt Salzburg in der Minderheit. Wenngleich Landeshauptmann Franz Rehrl nicht Landesparteiobmann der Christlichsozialen Partei war – diese Funktion übte Rudolf Ramek aus –, so galt er im Land als die dominierende politische Persönlichkeit und als der eigentliche Repräsentant der Partei. Realpolitisch bestätigt wurde diese dominierende politische Position durch die nach dem 4. März 1933 einsetzende Entwicklung, der schließlich auch die Christlichsoziale Partei zum Opfer fiel und die in der autoritär-ständestaatlichen Verfassung vom 1. Mai 1934 endete. Rehrl saß in dieser Übergangsphase nicht nur zwischen zwei (politischen) Stühlen, sondern war sich auch des Umstandes bewusst, dass sein Kampf für die Salzburger Festspiele in ihrer bestehenden Form auch in Teilen seiner eigenen Partei keineswegs unumstritten war. In der Sitzung des Salzburger Landtages am 28. November 1933 dokumentierte sich seine innere Opposition zur sich immer deutlicher abzeichnenden autoritären Wende Dollfuß’. Dass deren tiefere Ursachen in der Obstruktionspolitik der Sozialdemokratie lagen, die sich weitgehend, auch zum Leidwesen mancher Sozialdemokraten, einer staatspolitisch geforderten konstruktiven Zusammenarbeit verweigerte, dessen war sich Rehrl bewusst. Er konnte sehr genau zwischen dem Agieren der Sozialdemokraten im Salzburger Landtag und jenen im Nationalrat unterscheiden, weshalb er auf eine Rede des sozialdemokratischen Landeshauptmann-Stellvertreters Robert Preussler, in der dieser auf die seit dem 4. März erfolgten demokratischen Einschränkungen hingewiesen hatte, antwortete, er könne nur für Salzburg sprechen und betonen, auch in Zukunft bemüht zu sein, »dass in Österreich (…) das Recht der Persönlichkeit, das Recht der Meinungsäußerung, das Recht der Koalition und die Freiheit des Eigentums (…) ihre Verankerung finden sollen«. Wenn es eine neue Verfassung geben sollte, müsste diese »ihre Sanktion durch das Volk bekommen«.82 In seinem Kampf um den Fortbestand der Festspiele 1933/34 setzte er aufgrund der sehr begrenzten finanziellen Möglichkeiten des Landes, die auch seine vorhandene ökonomische Phantasie nicht zu ignorieren vermochte, sowie der sich ändernden politischen Kultur verstärkt auf seine bundespolitischen Verbindungen. So sehr 82 SLTPR. 3. Sitzung, 2. Session der 4. Wahlperiode, 28. November 1933. S. 28f.

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er in Wien als oft polternder Föderalist galt, der seine politischen Interessen mit allen Mitteln zu realisieren trachtete, so sehr gewann seine innenpolitische Position nunmehr durch die sich verschärfenden Beziehungen zwischen Wien und Berlin an Bedeutung. Die Salzburger Festspiele wurden zu einem zentralen Bestandteil der von der Regierung Dollfuß propagierten Österreich-Ideologie und damit zur vorgeschobenen kulturellen Frontlinie gegen den Nationalsozialismus, wobei die geogra­ phische Nähe zum Obersalzberg eine zusätzliche politische Symbolik schuf. Und angesichts der auch in Österreich, vor allem in den an Deutschland angrenzenden Bundesländern, mit wachsendem Interesse und Zustimmung wahrgenommenen Beschäftigungspolitik als Symbol der deutschen Wiedergeburt erfüllte die Finalisierung der Großglockner Hochalpenstraße die Rolle des österreichischen Pendants. Erst diese Stilisierung und Wahrnehmung als österreichisches Monument, als nationales Identifikationsobjekt und damit als historischer Ort ermöglichte Rehrl die Realisierung seiner zentralen landespolitischen Vorhaben  : die Finalisierung der Großglockner Hochalpenstraße und die finanzielle Absicherung der Festspiele. Beides war nur durch die Zuwendung erheblicher Bundesmittel möglich. Dabei verstand es Rehrl, durch geschickte Inszenierung und die Rolle des perfekten Gastgebers, emotionale Identifikation zu erzeugen. Trotz eines Bundeszuschusses von rund 200.000 Schilling hatten die Festspiele 1933 ein Defizit von rund 23.000 Schilling erwirtschaftet, weshalb die Planung des kommenden Festspielsommers, wie die Salzburger Festspielhausgemeinde in einem Brief an Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg feststellte, nur unter der Voraussetzung eines anhaltend hohen Bundeszuschusses sowie einer Ausfallsgarantie in Angriff genommen werden konnte. Die Ausfallsgarantie sollte durch den Bund (51 Prozent) und das Land Salzburg (49 Prozent) erfolgen und – mit Blick auf eventuelle Bombenund Terroranschläge – nur in dem Fall des Eintritts unvorhergesehener Ereignisse, die zu einer Absage oder einem vorzeitigen Abbruch führen, wirksam werden. Sollten diese Voraussetzungen nicht gegeben sein, wäre eine Planung der Festspiele unverantwortlich, und es müsste daher deren Absage erfolgen. Das Schrei­ben der Festspielhausgemeinde war mit Rehrl akkordiert, von dem wahrscheinlich im Wissen um die bundespolitische Bedeutung der Festspiele auch die Formulierung stammte, dass man nur bei Zusicherung einer entsprechenden Finanzierung durch den Bund an eine Planung für 1934 gehen könne. Er hatte im Dezember 1933 die Aufgabe übernommen, in Wien in der Causa Festspielfinanzierung zu intervenieren, und von ihm stammte auch die Idee einer gemeinsamen Vorsprache mit Präsident Puthon bei Bundeskanzler Dollfuß, Unterrichtsminister Schuschnigg und Finanzminister Buresch vor dem für 26. Jänner 1934 terminisierten Ministerrat, in dem eine Entscheidung über die Bundessubvention fallen sollte. Es ging bei diesen Gesprächen neben der Wohlmeinung der Gesprächspartner für das finanzielle Anliegen vor allem um die Betonung der bundespolitischen Bedeutung der Festspiele. Im Wissen um die

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Stimmung in der Bundesregierung wusste Rehrl, dass letztlich in diesem Hinweis der Schlüssel zum Erfolg lag. In der Sitzung des Ministerrates am 26. Jänner 1934 brachte Schuschnigg das Schreiben zur Kenntnis. Die Abhaltung der Salzburger Festspiele 1934 sei »insofern fraglich geworden, als die Salzburger Festspielhausgemeinde erklärt habe, sie könne die Durchführung des Unternehmens insolange nicht riskieren, als sie nicht wisse, ob die Finanzierung gesichert sei. Die Leitung der Festspielhausgemeinde rechne mit einem Ausgabenetat von 968.000 Schilling und Einnahmen von 720.000 Schilling, woraus ein Defizit von 248.000 Schilling resultieren würde. Da das Land und die Stadt Salzburg bereit seien, zusammen einen Betrag von 150.000 Schilling zu widmen, ergebe sich ein ungedeckter Rest von 98.000 Schilling. Hiervon wolle das Bundesministerium für Finanzen nach einer erteilten Zusage den Betrag von 50.000 Schilling übernehmen«. Nach Rücksprache mit dem Bundesministerium für Finanzen sei Schuschnigg erklärt worden, dass dieses damit rechne, über den offenen Restbetrag mit der Festspielhausgemeinde noch einig zu werden. Es sei nun die Frage zu klären, ob die Bundesregierung im Fall einer Nichtbedeckung der noch offenen Summe bereit wäre, eine drohende Absage der Festspiele zu verantworten. Daraufhin erklärte Finanzminister Buresch, sein Ministerium werde den noch benötigten Betrag zur Verfügung stellen, und Bundeskanzler Dollfuß bemerkte, »ob es nicht möglich wäre, als Bundesbeihilfe den Betrag von rund 100.000 Schilling zuzusagen, da es doch zweifellos sei, dass es sich um eine allgemein österreichische Angelegenheit handle. Doch solle dieses Versprechen nur dann abgegeben werden, wenn seitens des Landes Salzburg die Garantie für die tatsächliche Durchführung der Festspiele übernommen würde«. Wenngleich im Kabinett grundsätzlich Einigkeit über die kulturelle Bedeutung der Salzburger Festspiele herrschte, so erhob Staatssekretär Odo Neustädter-Stürmer mit dem Hinweis auf die Entwicklung der Finanzierung der Großglockner Hochalpenstraße einen Einwand, der deutlich werden ließ, dass er hinter dem Ersuchen der Festspielhausgemeinde eine von Rehrl initiierte T ­ aktik vermutete. Es gehe ihm nicht um die Deckung des noch ausstehenden Betrags durch das Finanzministerium, sondern er wolle die Sorge zum Ausdruck bringen, »die Finan­ zierung der Salzburger Festspiele konnte unter Umständen sich ähnlich entwickeln, wie dies bei der Großglockner Hochalpenstraße der Fall gewesen sei. Wenn man sich dies vor Augen halte, könne man nicht von der Hand weisen, dass das Erfordernis von 50.000 Schilling allmählich auf 100.000 Schilling oder gar 200.000 Schilling erhöht würde«. Neustädter-Stürmer spielte mit seiner Wortmeldung auf die äußerst geschickte Verhandlungstaktik Rehrls zur Finanzierung der Finalisierung der Großglockner Hochalpenstraße im Sommer 1933 an. Am 27. Juni war ihm die Erhöhung des Aktienkapitals durch Bundesmittel von zehn auf 16 Millionen Schilling gelungen und am 30. August erreichte er sogar durch den Zuschuss weiterer Bundesmittel und die Umwandlung des Bundesdarlehens von 1932 in eine Beteiligung eine Erhöhung

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auf 26 Millionen Schilling. Nachdem Neustädter-Stürmer auf eine drohende mögliche Parallele hingewiesen hatte, beeilte er sich jedoch zu betonen, dass »den Salzburger Festspielen eine weit über das lokale Interesse hinausgehende Bedeutung für Österreich zukäme« und man daher »gewisse Opfer« bringen müsse.«83 Der Ministerrat beschloss auf Antrag des Bundeskanzlers, den Salzburger Festspielen 100.000 Schilling »unter der Voraussetzung zur Verfügung zu stellen, dass die Salzburger Landesregierung sich schriftlich verpflichte, die Abhaltung der Festspiele ohne weitere Inanspruchnahme von Bundesmitteln zu verbürgen«.84 Es war die durch das Anhalten der nationalsozialistischen Terroranschläge unsichere innenpolitische Lage, die wie ein Damoklesschwert über der Festspielplanung schwebte. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Festspiele aufgrund ihrer internationalen Reputation und hohen symbolischen Bedeutung für das ständestaatliche Regime und dessen Österreich-Ideologie zum bevorzugten Ziel von Bomben- und Terroranschlägen werden könnten, veranlassten den Aufsichtsrat der Festspielhausgemeinde auch nach der erhaltenen Zusage einer Bundessubvention in der Höhe von 100.000 Schilling Ende Jänner 1934 zusätzlich eine Ausfallsgarantie der Subventionsgeber zu beantragen. Damit stand die Frage der Ausfallsgarantie auf der Tagesordnung. Ob Rehrl in informellen Gesprächen mit der Festspielhausgemeinde die Idee der Ausfallsgarantie ins Spiel gebracht hatte, lässt sich quellenmäßig nicht feststellen. Es ist jedoch aufgrund seiner finanzpolitischen Phantasie wahrscheinlich, wobei eine alleinige Garantie durch das Land Salzburg aufgrund dessen finanzieller Lage nicht möglich war, weshalb eine entsprechende Bundesbeteiligung angestrebt werden sollte. Er schlug daher eine anteilsmäßige Aufteilung von 51  :49 Prozent Bund  :Salzburg vor, wobei die auf Salzburg entfallenden 49 Prozent zwischen den drei Institutionen Land, Stadt, Fremdenverkehrsförderungsfonds erfolgen sollte. Er fand in Unterrichtsminister Schuschnigg mit diesem Vorschlag einen Verbündeten, der das Finanzministerium um Zustimmung mit der Begründung der staatspolitischen Notwendigkeit angesichts des sich intensivierenden nationalsozialistischen Bombenterrors in Salzburg ersuchte. Am 15. Juni 1934 stellte er im Ministertrat einen zwei Punkte umfassenden Antrag  : »1. Die Salzburger Festspiele 1934 sind unbedingt abzuhalten. 2. Im Falle einer finanziellen Gefährdung der Festspielhausgemeinde infolge eines unvorhergesehenen Einnahmenausfalles durch Absage oder vorzeitiges Abbrechen oder katastrophalen Besucherrückganges aufgrund von ernsten Störungen erklärt sich die Bundesregierung bereit, soweit dieser Ausfall nicht durch anderweitige Maßnahmen gedeckt werden kann, eine Ausfallsgarantie von 51 Prozent des erforderlichen Betrages unter der Voraussetzung zu übernehmen, dass das Land Salzburg 83 MRP 918/4. 84 Ebda.

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die restlichen 49 Prozent zu decken sich verpflichtet. Über das Eintreten der Voraussetzung entscheidet der Bundesfinanzminister für Finanzen.«85 Die anschließende Diskussion erörterte lediglich die Frage der Beurteilung der Voraussetzungen für das Inkrafttreten der Ausfallsgarantie, wobei deutlich wurde, dass man vor allem auch aufgrund der Erfahrungen mit der Finanzierung der Großglockner Hochalpenstraße gegenüber Rehrls finanzpolitischem Verhandlungsgeschick zulasten des Bundes Vorsicht walten lassen wollte. In diesem Zusammenhang bemerkte Schuschnigg, »das Richtige wäre, die Salzburger Festspiele in den Bundesbetrieb zu übernehmen. Dann wäre wenigstens die Sicherheit geboten, dass man nicht draufzahlen werde«. Worauf Dollfuß in Anspielung auf Rehrl bemerkte, »Salzburg würde auf einen derartigen Vorschlag sofort eingehen«, da es damit alle finanziellen Risken auf den Bund abwälzen könnte. Man solle sich daher »zurückhaltend« zeigen, dann werde man sehen, »wie leistungsfähig das Land sei«, Rehrl war der unsichtbare Teilnehmer der Diskussion, die in einem, allerdings entscheidenden Punkt seine Intentionen verkannte. Der Salzburger Landeshauptmann war an einer stabil hohen finanziellen Beteiligung des Bundes interessiert und bereit, für diese auch das Mitspracherecht des Bundes zu vergrößern. Eine Überführung der Festspiele in einen Bundesbetrieb lehnte er jedoch strikt ab, da sich in diesem Fall die Entscheidungskompetenz von Salzburg nach Wien verlagert hätte und die Salzburger Festspielhausgemeinde zur Filiale des Unterrichts- und Finanzministeriums degradiert worden wäre. Er hatte daher auch die Idee der zwischen Bund und den Salzburger Institutionen geteilten Ausfallshaftung im Verhältnis 51  : 49 Prozent entwickelt, um die Bereitschaft Salzburgs zur Risiko-Übernahme zu signalisieren. Eine vollständige Ausfallshaftung durch die Salzburger Institutionen, wie vom Bund in die Diskussion geworfen, lehnte er mit dem Argument ab, dass dies deren finanzielle Möglichkeiten übersteigen würde. Ein Argument, das im Ministerrat akzeptiert wurde, der schließlich den von Schuschnigg im Sinne Rehrls gestellten Antrag zustimmte. Mit dem Beschluss des Ministerrates am 15. Juni war die finanzielle Absicherung der Durchführung der Salzburger Festspiele endgültig erfolgt. Die P ­ rogrammplanung musste jedoch aufgrund des massiven Drucks des Reichspropagandaministeriums in Berlin auf Wilhelm Furtwängler und Richard Strauss, ihre geplante Mitwirkung bei den Salzburger Festspielen abzusagen, geändert werden. Furtwängler sagte seine Mitwirkung Anfang Juni 1934 ab, Richard Strauss Ende Juli, wobei er ­Präsident Puthon in einem vertraulichen Brief Anfang August wissen ließ, dass seine Absage nicht seinem freien Willen entspreche, sondern höherer Gewalt geschuldet sei.86 Berlin ermöglichte dem Komponisten schließlich doch noch den Besuch zweiter 85 MRP 949/12. 86 Fuhrich, Prossnitz  : Die Salzburger Festspiele. Band I 1920–1945. S. 152.

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Vorstellungen (»Elektra« und »Rosenkavalier«) des seinem 70. Geburtstag gewidmeten und von Clemens Krauss dirigierten Opern-Zyklus. Clemens Krauss übernahm von Richard Strauss auch die Leitung der beiden Vorstellungen von »Fidelio« und dirigierte die Wiederaufnahme von Mozarts »Hochzeit des Figaro« und »Così fan tutte«, womit er insgesamt für sechs Opern musikalisch verantwortlich zeichnete und damit die von ihm stets angestrebte dominierende Position im musikalischen Bereich erreicht hatte. Bruno Walter als zweiter Hauptdirigent im Bereich der Oper dirigierte mit der Wiederaufnahme von Wagners »Tristan und Isolde« und Webers »Oberon« sowie der Neueinstudierung von Mozarts »Don Giovanni« in italienischer Sprache lediglich drei Opern. Die Festspiel-Debüts der für Richard Strauss eingesprungenen Wilhelm Mengelberg und Felix von Weingartner wurden von der Verpflichtung Arturo Toscaninis für drei umjubelte Orchesterkonzerte, von denen eines als politisches Symbol einem reinen Wagner-Programm gewidmet war, überstrahlt. Toscanini, der auf Einladung Siegfried und Winifred Wagners 1930 und 1931 in Bayreuth »Tannhäuser«, »Parsifal« und »Tristan und Isolde« dirigiert hatte und auf Einladung von Winifred Wagner, die nach dem Tod ihres Gatten 1930 die Leitung der Bayreuther Festspiele übernommen hatte, 1933 »Die Meistersinger von Nürnberg« dirigieren sollte, kehrte nach der Machtergreifung Hitlers Bayreuth den Rücken. Am 1. April 1933 hatte er in New York ein Protesttelegramm gegen den Boykott jüdischer Musiker und die immer offensichtlichere Rassenpolitik im natio­ nalsozialistischen Deutschland unterzeichnet, worauf drei Tage später im Dritten Reich seine Plattenaufnahmen und deren Wiedergabe im Rundfunk verboten wurden. Toscanini reagierte mit einem Telegramm an Winifred Wagner, dass er sich an den Bayreuther Festspielen nicht mehr beteiligen werde. Im Herbst 1933 dirigierte er auf Einladung des Orchestervorstandes, Hugo Burghauser, und über Anregung des polnischen jüdischen Geigers Bronislaw Huberman, der ein Feriendomizil in der Nähe Toscaninis am Lago Maggiore besaß, erstmals die Wiener Philharmoniker, eine Beziehung, die bis 1938 andauern sollte. Es lag daher nahe, ihn für die Festspielsaison 1934 als – zunächst – Konzertdirigenten für Salzburg zu gewinnen, und Toscanini sagte zu. Das Jahr 1934 begann mit dem Trauma der in politische Lager gespaltenen und daher zur konsensualen Konfliktregelung weitgehend unfähigen Ersten Republik, dem partiellen Schutzbundaufstand und dem sich auf die Industriezentren beschränkenden Bürgerkrieg vom 12. bis 15. Februar, der zur politischen Eliminierung einer in sich gespaltenen Sozialdemokratie führte und den Weg in den autoritären Ständestaat ebnete. Die Tragödie des Februar 1934 warf ihre Schatten nur schemenhaft auf Salzburg. Das Land Salzburg war, von wenigen Ausnahmen abgesehen, weitgehend ruhig geblieben und die, im Gegensatz zur Bundesebene, von Konsens geprägte politische Kultur entfaltete auch weiterhin ihre Wirkung. Landeshauptmann Franz Rehrl und Erzbischof Ignaz Rieder intervenierten für verhaftete Sozialdemokraten.

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Rehrl agierte, sehr zum Ärger der Heimwehr, weiterhin als Konsenspolitiker und widersetzte sich deren offensiv vorgetragenen faschistischen Forderungen. Dies führte zu einem heftigen politischen Tauziehen hinter den Kulissen, in dem sich Rehrl, massiv unterstützt von den Christlichsozialen, für die allerdings auch bald die politischen Totenglocken läuten sollten, schließlich zu behaupten wusste, freilich um den Preis politischer Kompromisse in Richtung des nunmehr offen auf eine ständestaatliche Ordnung abzielenden Regierungskurses.87 Dem Bürgerkrieg des Februar folgte der zweite mit dem Putsch der Nationalsozialisten im Juli, der mit der Ermordung von Bundeskanzler Dollfuß am 25. Juli seinen Höhepunkt erreichte. Am 10. Mai hatte Dollfuß Salzburg besucht und in Gegenwart einer zahlreich erschienenen politischen Prominenz – u. a. Vizekanzler Ernst Rüdiger Starhemberg und Landeshauptmann Franz Rehrl – als Hauptredner an einer vaterländischen Großveranstaltung teilgenommen. In seiner Rede auf dem Residenzplatz erklärte er, die Regierung werde alles in ihrer Macht Stehende tun, damit die kommenden Salzburger Festspiele trotz des nationalsozialistischen Terrors »in schöner Harmonie stattfinden«. In Anspielung auf den nationalsozialistischen Terror betonte er, wenn Starhemberg und er allen nationalsozialistischen »Drohungen Folge leisten und ihnen folgen würden, wir müssten uns überhaupt nur mehr daheim einsperren. Aber wir wissen aus eigener Erfahrung  : Unser Leben und Schicksal sind in Gottes Hand«. Sie hätten eine Aufgabe und Mission zu erfüllen, die ihnen anvertraut sei und würden dies »so lange tun, als uns der Herrgott Kraft und Gesundheit gibt«.88 Am 25. Juli wurde er das erste Opfer des nationalsozialistischen Putschversuches, der vor allem in der Steiermark, in Kärnten und Oberösterreich bis zum 28. Juli zu heftigen Kämpfen führte. Im Gegensatz zum Februar wurde das Land Salzburg vom Juliputsch erheblich stärker betroffen. Es kam zu heftigen Kämpfen in Liefering, Seekirchen und Lamprechtshausen, die bis zum 28. Juli andauerten, ca. 20 Tote (die Angaben schwanken) forderten und zur Verhaftung von 689 Nationalsozialisten führten. Die Atmosphäre der Salzburger Festspiele des Jahres 1934 war vom nunmehr noch stärker drohenden Schatten des Nationalsozialismus geprägt. In seinen Erinnerungen bemerkte Bruno Walter, durch die geographische Lage Salzburgs drohte »von einem Gipfel der Berchtesgadener Berggruppe abends ein leuchtendes Hakenkreuz zu uns herüber. Man war sich beständig des bösen Nachbarn bewusst, und er sorgte dafür, dass wir ihn auch fühlten. (…) Die Salzburger Festspiele waren den Nazis besonders verhasst  : Flugzeuge warfen Propagandazettel über Salzburg ab, man legte Bomben in Telefonzellen, und ich gedenke einer Probe von ›Don Giovanni‹, zu der 87 Zum politischen Balanceakt Rehrls vgl. Kriechbaumer (Hg.)  : Die Dunkelheit des politischen Horizonts. Band 2. S. 51–73. 88 Der Wiener Tag, 11. 10. 1934. S. 2.

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die sonst so pünktlichen Italiener Pinza, Lazzari und Borgioli um eine halbe Stunde zu spät kamen, weil eine Bombe einen Teil des Hotels Bristol zerstört hatte, wie sie mir schreckensbleich berichteten«.89 Die Ermordung von Bundeskanzler Dollfuß am Vorabend der Festspieleröffnung sowie die in Liefering und im Flachgau ausbrechenden heftigen Kämpfe, die erst am Tag der geplanten, aber schließlich um einen Tag verschobenen Festspieleröffnung endeten, schufen für die Festspiele zusätzlich zu den ohnedies bereits vorhandenen Problemen ungeahnte neue Rahmenbedingungen. Bereits am 28. Juli schrieb die Direktion der Festspiele an das Bundesministerium für Unterricht, dass sich »infolge der erschütternden Ereignisse der letzten Tage« eine erhebliche Aufregung des Publikums bemächtigt habe, die entweder durch Abreise oder Zurücksendung bereits bestellter Karten zum Ausdruck komme. Dies habe zur Folge, dass bis zum 5. August der weitere Kartenverkauf wohl vollkommen ausfalle.90 Im Gegensatz dazu erklärte der Staatssekretär für das Sicherheitswesen, Hans Hammerstein-Equord, in der Ministerratssitzung am 30. Juli, das internationale Publikum habe sich durch die Ereignisse des 25. Juli »nicht beeinflussen lassen«. Und Karl Karwinsky, Staatssekretär für Justiz, ergänzte bestätigend, »dass die Salzburger Festspiele bei deren Beginn sehr gut besucht gewesen seien«.91 Die Fakten schienen jedoch den besorgten Berichten des Direktoriums Recht zu geben, denn in den ersten beiden Festspielwochen lagen die Einnahmen rund 50 Prozent unter jenen des ohnedies nicht berauschenden Jahres 1933. Die Situation änderte sich allerdings Mitte August signifikant durch die deutliche Zunahme von westeuropäischen Besuchern vor allem aus Frankreich, wo eine Pressekampagne zum Besuch der Salzburger Festspiele auch als Demonstration gegen den Nationalsozialismus auf fruchtbaren Boden fiel. Vor allem die Konzerte Toscaninis, Bruno Walters »Don Giovanni« in italienischer Originalsprache und die »Faust«-Aufführungen erwiesen sich als finanzielle Aktivposten, sodass das nach den ersten beiden Wochen drohende Horror-Defizit verhindert und der Abgang auf rund 15.000 Schilling reduziert werden konnte. Rehrl war sich nicht nur der künstlerischen, sondern auch der finanziellen Bedeutung Toscaninis bewusst und tat alles, um ihn an Salzburg zu binden. Zudem wusste er über die Sicherheitsdirektion und das Bundeskanzleramt über die Kontakte von Clemens Krauss und seiner Frau, der Sopranistin Viorica Ursuleac, zu führenden Persönlichkeiten des Dritten Reiches, vor allem Hermann Göring und Joseph Goebbels, und die daraus resultierenden Vorbehalte vor allem seitens des Bundeskanzleramtes gegen eine Vertragsverlängerung von Krauss als Wiener Staatsoperndirektor auf fünf Jahre Bescheid. Und er war über die Rivalität des (noch) amtierenden Staatsoperndirektors gegenüber Toscanini 89 Walter  : Thema und Variationen. S. 406. 90 Kriechbaumer  : Zwischen Österreich und Großdeutschland. S. 23. 91 MRP 959/5.

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informiert.92 Er zeigte seine Sympathie und Parteinahme für Toscanini nach dessen drittem Festspielkonzert, indem er ihm in demonstrativer Würdigung seiner Mitwirkung bei den Festspielen und als Andenken an seinen Salzburger Aufenthalt ein Exemplar der alten Mozart’schen Violinschule in einer mit dem Salzburger Landeswappen geschmückten Kassette als Ehrengabe überreichte.93 Salzburg und dessen Festspiele, so die Wahrnehmung des nicht-nationalsozialistischen Auslandes, waren politische und kulturelle Frontstadt geworden, dem ermordeten Bundeskanzler, von den Nationalsozialisten mit Karikaturen, Witzen und geschmacklosen Attributen vielfach geschmäht, galten die internationalen Sympathien. Toscanini sah in Dollfuß ein Symbol des Widerstandes gegen Hitler und war bereit, dies durch eine Aufführung von Verdis »Requiem« für den ermordeten Bundeskanz­ ler zu demonstrieren. Trotz aller demokratischen Einschränkungen im ständestaatlichen Österreich anerkannte er die schwierige Frontposition des Landes gegen einen immer aggressiver auftretenden Nationalsozialismus in einem von weitgehend autoritären und faschistischen Staatsformen geprägten europäischen Staatensystem. Und er erkannte sehr wohl, unterstützt von zahlreichen, vor allem auch jüdischen Musikern, die vor diesem Hintergrund zunehmende kunstpolitische Bedeutung der Salzburger Festspiele. Bruno Walter beschrieb in seinen Erinnerungen diese Haltung am Beispiel der Dollfuß folgenden Regierung Schuschnigg  : »Was man auch gegen die Regierung Schuschnigg sagen mag, die das lastende Erbe Dollfuß’ übernommen, an der autoritären Verfassung überzeugt festhielt (…), sie erwies sich freundlich dem Geiste, stellte sich in den Dienst der kulturellen Mission Österreichs, und der leuchtende Glanz der Salzburger Festspiele fällt auf sie. Denn sie war nicht nur allfälliger Nutznießer dieser bedeutenden Institution, die Österreich neuerlich die Herzen aller ernsten Kunstfreunde gewann, sondern die Festspiele verdanken ihr eifrige Förderung im Aufstieg zum Weltruhm.«94 92 Noch während seiner Festspielkonzerte erfolgte seitens des Festspieldirektoriums eine Einladung Toscaninis, im kommenden Festspielsommer eine Oper zu dirigieren. Toscanini sagte zu und nannte Verdis »Falstaff«. Daraufhin ließ Krauss wissen, dass er ebenfalls eine Falstaff-Produktion an der Wiener Staatsoper in deutscher Sprache plane, die anschließend nach Salzburg übersiedeln sollte. Damit spielte er seine Position als Direktor der Wiener Staatsoper aus, der traditionell die führende musikalische Position in Salzburg innehatte. Das Direktorium der Festspiele versuchte daraufhin, Toscanini zur Leitung einer anderen Oper zu überreden, doch verweigerte dies der Maestro, womit die von Krauss intendierte Krisensituation eingetreten war. Krauss spekulierte auf das Temperament Toscaninis und dessen Absage an Salzburg. Rehrl stand in diesem Konflikt auf der Seite Toscaninis, konnte dies jedoch nur indirekt zeigen. Es war schließlich Bundeskanzler Schuschnigg, der mit dem Wissen um Verhandlungen von Krauss mit Berlin um die Übernahme der Berliner Staatsoper als Nachfolger Furtwänglers die Entscheidung zugunsten Toscaninis herbeiführte. 93 Salzburger Chronik, 31. 8. 1934. S. 5. 94 Walter  : Thema und Variationen. S. 396.

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Dem Berichterstatter der Wiener Tageszeitung »Die Stunde« gab Rehrl gegen Ende der Festspiele in seinem Amtssitz im Chiemseehof ein Interview, in dem er seine politischen und kulturpolitischen Grundsätze erläuterte. »Was Dr. Rehrl über Salzburg sagt, das klingt in seinem Munde so einfach, dass seine Erfolge fast selbstverständlich erscheinen – solange man mit ihm spricht. Über den Burgfrieden im Landtag (mit der Sozialdemokratie bis zum Februar 1934, Anm. d. Verf.) etwa, der bekanntlich durch Jahre fast alle wichtigen Beschlüsse einstimmig fasste. ›Wir hatten uns ein für allemal dahin geeinigt, nur über Dinge zu sprechen, die wir in Salzburg wirklich erledigen können‹, sagt der Landeshauptmann. ›Außer bei der Budgetberatung‹, fügt er lächelnd hinzu, ›da sprach man einmal im Jahr ein wenig über die Zeitung, aber bei der nächsten Sitzung waren wir wieder an der sachlichen Arbeit.‹ (…) Es gilt dem Landeshauptmann als Grundprinzip, dass der Fremdenverkehr für Salzburgs Volkswirtschaft unentbehrlich ist. Aber er ist weit davon entfernt, aus Salzburg einen Naturpark mit pittoresker Bevölkerung machen zu wollen. ›Salzburg soll ein Bauernland bleiben, dem Fremdenverkehr den Absatz der Bodenprodukte im eigenen Land sichert.‹« Zu dem über Pressemeldungen95 den Weg in die Öffentlichkeit gefundenen und für erhebliche Erregung sorgenden Vorschlag von Unterrichtsminister Schuschnigg in der Ministerratssitzung vom 15. Juli, die Salzburger Festspiele in ein Bundesunternehmen umzuwandeln, bemerkte Rehrl kämpferisch  : »Die Salzburger Festspiele müssen salzburgisch bleiben. Sie müssen Gesamtkunstwerke bleiben, die man nur in Salzburg erleben kann. Deshalb dürfen wir auch ein wenig eifersüchtig auf unser geistiges Eigentum sein, das wir in den Anfängen der Festspiele gegen sehr viel Skeptizismus erkämpft haben, und deshalb kann auch die schönste Wiener Inszenierung nicht das Richtige für uns sein. Und unseren Kampfgenossen bleiben wir treu  !‹ Wie zur Bekräftigung seiner Worte verabschiedet der Landeshauptmann den Reporter, um dem Schlossherrn von Leopoldskron, der am nächsten Tag nach Hollywood abreist, einen Abschiedsbesuch zu machen.«96 Der Schlossherr von Leopoldskron hatte vor dem Hintergrund seiner leidvollen Erfahrungen mit den ersten beiden Faust-Aufführungen des Festspielsommers 1933 in einem Brief an Rehrl auf die Notwendigkeit einer Überdachung der Felsenreit95 So bemerkte Max Graf in der Tageszeitung »Der Wiener Tag«  : »Die Grundlage aller Salzburger Musikfestlichkeiten bilden die Wiener Kunstkräfte. Ohne das Philharmonische Orchester, den unvergleichlichen, von Clemens Krauss systematisch verjüngten und neu geschulten Opernchor, ohne das Ballett und vor allem ohne die technischen Kräfte der Wiener Oper wären die Salzburger Festspiele unmöglich. Die Salzburger Festspiele sind eigentlich Wiener Festspiele. Die Musikstadt Wien geht im Sommer nach Salzburg auf Urlaub, und die systematische Opern- und Musikarbeit des Jahres kommt Salzburg zugute. Es wäre eigentlich Sache des österreichischen Staates, die Salzburger Musikfeste nicht nur zu subventionieren, sondern unter seiner Verantwortung als die künstlerische Vertretung Österreichs zu führen …« (Max Graf  : Salzburger Festspiele. – In  : Der Wiener Tag, 19. 8. 1934. S. 9). 96 Salzburger Gespräche. – In  : Die Stunde, 26. 8. 1934. S. 3.

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schule hingewiesen, um Vorstellungen auch bei Schlechtwetter zu ermöglichen. Dies sei umso wichtiger, so die Wiener Tageszeitung »Die Stunde«, »als diese ReinhardtInszenierung eine besondere Anziehungskraft auf die ausländischen Besucher der Salzburger Festspiele ausübt und darum die Absage eines Abends oder die Übertragung der Aufführung in den geschlossenen Raum des Festspielhauses immer eine empfindliche finanzielle Einbuße bedeutet. Es ist also begreiflich, dass die verantwortlichen Stellen, besonders die Festspielhausgemeinde, alles darangesetzt haben, aus diesen Schwierigkeiten einen Ausweg zu finden«.97 Clemens Holzmeister hatte bereits 1933 einen Entwurf erarbeitet, der nunmehr von einer Salzburger Baumeisterin in einem Plan konkretisiert und von Reinhardt befürwortet wurde.98 Am 1. April 1934 berichtete »Die Wiener Stunde«, dass man in Salzburg aufgrund der unbeständigen Witterungsverhältnisse und der verärgerten Publikumsreaktionen auf die verregneten Faust-Aufführungen des Vorjahres an eine Überdachung der Felsenreitschule denke. Erkundungen bei gut informierten Kreisen würden dieses Vorhaben bestätigen. »Die Pläne für die Bedachung sind fix und fertig. Der rückwärtige, an das Festspielhaus anschließende Teil der offenen Reitschule wird durch ein hochgewölbtes freies Dach, das auch allen architektonischen Anforderungen entsprechen soll, und das vom Festspielhaus bis zu den ersten in den Mönchsbergfelsen gehauenen Arkaden heranreichen wird, gegen den Regen geschützt sein. Daran wird sich bei schlechtem Wetter ein riesigen Plachendach anschließen, das automatisch geschlossen und geöffnet werden kann und das auch die ganze ›Faust‹Stadt am Fuße des Mönchsberges, die übrigens vorzüglich überwintert hat, überdecken wird.«99 Clemens Holzmeister bemerkte zu seinem Plan  : »Die Perspektiven, die sich durch eine Überdachung der Salzburger Felsenreitschule eröffnen, sind gar nicht abzusehen. Man denke nur einmal daran, dass man auf diese Weise auch noch mehrere Werke auf diesem unvergleichlichen Platz aufführen kann, nicht nur die herrliche ›Faust‹-Aufführung. (…) Das Wichtigste an dieser Neuerung war natürlich, dass der künstlerische Eindruck des Ortes nicht beeinträchtigt wird. Es musste eine Möglichkeit gefunden werden, die vor Witterungswechsel schützte, ohne störend zu wirken. Nein, der Gesamteindruck wird keinesfalls geschädigt, denn die Überdachung liegt so hoch, dass man sogar den Berg im Hintergrund sehen wird, wenn selbst das Dach den Zuschauerraum

97 Die Salzburger »Faust«-Stadt in 3 Minuten regensicher. – In  : Die Stunde, 26. 6. 1934. S. 4. Die finanziellen Einbußen bei einer notwendigen Übersiedlung der »Faust«-Produktion in das Festspielhaus waren beträchtlich. Brachte eine Aufführung in der Felsenreitschule einen Ertrag von 20.000 Schilling, so reduzierte sich dieser bei einer Übersiedlung in das Festspielhaus auf die Hälfte. 98 Der Wiener Tag, 31. 3. 1934. S. 8. 99 Der regensichere Salzburger »Faust«. – In  : Die Wiener Stunde, 1. 4. 1934. S. 4.

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deckt. Völlig lautlos und ohne dass die Vorstellung unterbrochen werden muss, ist es technisch gelungen, ein Dach über den Köpfen der Zuschauer entstehen zu lassen. Man stelle sich nur vor, wenn die andächtigen Zuhörer ungestört der Vorstellung beiwohnen können, während im Falle eines plötzlichen Wetterumschlages das neue Dach über ihren Häuptern sich wölbt. Den klaren Nachthimmel über sich, erleben sie den Anfang des Dramas – vor Regen behütet genießen sie den Schluss  !«100 Die Budgetnöte des Landes verhinderten jedoch eine Finanzierung aus öffentlichen Mitteln, weshalb Rehrl eine Mischfinanzierung aus Spenden und Krediten vorschlug. Am 19. Juni meldete die »Salzburger Chronik«, dass der Plan einer Überdachung der Felsenreitschule nunmehr in die Tat umgesetzt und bereits bei den bevorstehenden Festspielen realisiert werde. Die Spenden des Fremdenverkehrsförderungsfonds, der Stadt Salzburg, des Österreichischen Verkehrsbüros, der Versicherungsgesellschaft »Phönix« sowie verschiedener Wiener Industrieller hätten den Baubeginn gesichert. Dieser werde »die vielen Gerüchte- und Miesmacher zum Verstummen bringen, die die Abhaltung der heurigen Festspiele in Zweifel ziehen wollen«.101 War die Überdachung der Felsenreitschule auch eine Demonstration des Willens zur Durchführung der Festspiele in einer Atmosphäre des zunehmenden politischen Drucks und Terrors, so dominierte bei ihrer Realisierung doch vor allem das Motiv der Witterungsunabhängigkeit und damit der Vermeidung eines Einnahmenentfalls. Dies sollte sich bei der ersten »Faust«-Aufführung des Festspielsommers 1934 am 7. August erweisen, bei der heftiger Regen einsetzte. »Damit sich die Überdachung der Fauststadt bezahlt machte, goss es ›wie mit Scheffeln‹ vom Himmel. (…) Dach und Plane haben sich glänzend bewährt«, berichtete das »Salzburger Volksblatt«.102

VII.5 Eine folgenschwere künstlerische Wende. Von Krauss zu Toscanini Die Salzburger Festspiele hatten den turbulenten Festspielsommer des Jahres 1934 vor allem auch dank der massiven finanziellen Unterstützung des Bundes überstanden. Die Bundesregierung, vor allem Bundeskanzler Dollfuß und Unterrichtsminister Schuschnigg, hatten die politische Bedeutung der Festspiele, ihre zentrale 100 Clemens Holzmeister  : Offensive gegen den Salzburger Schnürlregen. – In  : Neues Wiener Journal, 27. 6. 1934. S. 7. 101 Die Fauststadt erhält eine Überdachung. – In  : Salzburger Chronik, 19. 6. 1934. S. 3. Die geschätzten Errichtungskosten von 50.000 Schilling betrugen schließlich 83.000 Schilling, von denen 63.000 Schilling durch Spenden und Kredite gedeckt waren. Der offene Betrag von 19.000 Schilling wurde durch einen weiteren Kredit der Festspielhausgemeinde gedeckt. 102 Salzburger Volksblatt, 8. 8. 1934. S. 6.

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Position im Kampf gegen den Nationalsozialismus, erkannt und die Konsequenzen gezogen. Die Durchführung der Festspiele war zur nationalen Angelegenheit mit hohem Symbolcharakter geworden. Die von restaurativen Sehnsüchten nicht freie großösterreichische Festspielidee mit ihren völkerverbindenden Implikationen erhielt durch die von Dollfuß und seinem Nachfolger Schuschnigg forcierte Österreich-Ideologie staatspolitische Bedeutung, wurde zur vor allem von den Besuchern aus den USA, Großbritannien und Frankreich und den Beneluxstaaten als solcher auch erkannten Demonstration nationaler Selbstbesinnung und -behauptung gegenüber dem Dritten Reich und seinen auf einen Anschluss drängenden Sympathisanten in Österreich. Ende August 1934 stellte die Tageszeitung »Die Stunde« die Frage, was denn in Salzburg 1935 geschehen solle und antwortete  : »Vo r a u s s e t z u n g der Salzburger Festspiele ist, darüber müssen sich Freunde und heimliche Feinde im Klaren sein, ein politisch und geistig u n a b h ä n g i g e s Ö s t e r r e i c h . Ginge uns das verloren, so wäre es mit den Salzburger Festspielen in ihrer heutigen Weltbedeutung aus – übrig bliebe das, was seit zwei Spielzeiten aus Bayreuth geworden ist, eine provinzielle Angelegenheit. Mögen das alle, die das angeht oder angehen sollte, vorweg zur Kenntnis nehmen. Dann ist aber gleich zu sagen, dass Salzburg längst und besonders jetzt etwas für Österreich Repräsentatives geworden ist. Im Ausland bemisst man Österreichs künstlerische Leistung vielleicht mehr auch nach Salzburg als nach Wien. Darum ist es nötig, dass auch das offizielle Österreich, seine verantwortliche Leitung und besonders seine Kulturbehörden allen Salzburger Angelegenheiten (…) größte Aufmerksamkeit widmen.« Auf den eingeweihten Beobachtern nicht verborgen bleibenden Gegensatz zwischen Clemens Krauss und Bruno Walter – und im Festspielsommer 1934 auch Arturo Toscanini – anspielend, wurde der Behauptung der Sonderstellung von Clemens Krauss als Staatsoperndirektor, der in seiner Funktion auch über ein entsprechendes Ensemble verfüge, entgegengehalten, dass man im Ausland Max Reinhardt und Bruno Walter als Repräsentanten der österreichischen Kunstszene betrachte. Beide seien in der Lage, unabhängig von den Besetzungen des Burgtheaters und der Staatsoper hoch qualitative Ensembles zusammenzustellen. Man möge nur einen Blick auf die Erfolgsbilanz des Festspielsommers werfen, in dem keineswegs Clemens Krauss für die finanziellen Erfolge verantwortlich zeichnete, sondern Max Reinhardt mit seinen Inszenierungen von »Jedermann« und »Faust«, Bruno Walter für seinen in italienischer Sprache von einem internationalen Ensemble gesungenen »Don Giovanni« und Arturo Toscanini mit seinen drei Orchesterkonzerten.103 Damit war die bevorstehende grundsätzliche Entscheidung sowohl bei den Salzburger Festspielen wie auch in der Leitung der Wiener Staatsoper angesprochen. Selbst gut informierte Kulturjournalisten wussten nicht Bescheid über von den 103 Was soll in Salzburg 1935 geschehen  ? – In  : Die Stunde, 30. 8. 1934. S. 4.

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Sicherheitsbehörden abgehörte Telefongespräche von Viorica Ursuleac, der Frau von Clemens Krauss, die diese vom Hotel Bristol aus mit NS-Größen während des Festspielsommers geführt hatte und die eine Hausdurchsuchung bei der Sängerin in deren Wiener Wohnung zur Folge hatten. Schuschnigg, der am Tag der Festspieleröffnung als Nachfolger von Dollfuß als Bundeskanzler angelobt worden war, wurde von diesen Telefongesprächen informiert und teilte diese Information bei seinem Festspielbesuch Mitte August mit großer Wahrscheinlichkeit auch Landeshauptmann Rehrl mit. Folgt man der politischen Logik, dürfte bereits im August 1934 in Salzburg in einem informellen Gespräch zwischen Schuschnigg und Rehrl die Entscheidung über die zukünftige Entwicklung der Salzburger Festspiele gefallen sein. Beide misstrauten Krauss und setzten auf Toscanini, dessen Erfolg offensichtlich war und der sich, in deutlichem Gegensatz zu Krauss, als internationales Zugpferd für die Salzburger Festspiele – und indirekt damit auch für die von Schuschnigg ebenfalls forcierte Österreich-Ideologie – erweisen würde. Besondere Verärgerung rief der kolportierte – und tatsächlich verfolgte – Plan von Krauss hervor, mit der Wiener Staatsoper 1935 eine Südamerikatournee zu veranstalten und daher die Salzburger Festspiele später zu terminisieren.104 Das Trio Reinhardt/Toscanini/Walter sollte die Festspiele in die internationale Zukunft führen. Das Problem war Clemens Krauss, dessen Vertrag als Direktor der Wiener Staatsoper mit Jahresende 1934 auslief. Aufgrund der abgehörten Telefongespräche seiner Frau mit NS-Größen im Dritten Reich wurde daher im Entwurf für eine mögliche Vertragsverlängerung der Passus einer Kündigungsklausel nach einem Jahr aufgenommen, ein Affront, den sich der äußerst selbstbewusste Krauss nicht bieten lassen wollte. Als am 5. Dezember die gleichzeitige Demission Wilhelm Furtwänglers von seiner Position als Direktor der Berliner Staatsoper wegen künstlerischer Differenzen mit dem NS-Regime (Eintreten für Paul Hindemith und sechs jüdische Mitglieder der Berliner Philharmoniker) und jene von Generalmusikdirektor Erich Kleiber bekannt wurden, verbreitete sich in Wien das Gerücht, dass Clemens Krauss, der sich zu diesem Zeitpunkt in Berlin befand, bereits zu Jahres­ beginn 1935 die Nachfolge Furtwänglers als Direktor der Berliner Staatsoper antreten werde. Von einem Mitarbeiter der Tageszeitung »Der Wiener Tag« daraufhin angesprochen, dementierte Krauss das Gerücht mit der Bemerkung, er habe »keinen Antrag nach Berlin bekommen und während seines jüngsten Berlinaufenthalts keineswegs wegen einer Übernahme der Leitung der Berliner Staatsoper verhandelt«. Die Zeitung beurteilte die Erklärung des Dirigenten als glaubhaft. »Wilhelm Furtwängler, die überragendste Persönlichkeit unter den deutschen Dirigenten, hat seine Demission verlangt, weil er seine künstlerische Überzeugung und die Freizügigkeit seines künstlerischen Wollens nicht weiter unter dem politischen Druck 104 Staatsoperndirektor Krauss muss sich entscheiden  ! – In  : Die Stunde, 12. 9. 1934. S. 1.

Eine folgenschwere künstlerische Wende

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nationalsozialistischer Parteiinstanzen stellen lassen konnte. Er hat das Beispiel eines aufrechten Mannes und echten Künstlers gegeben  ; die Tatsache allein, dass Generalmusikdirektor Erich Kleiber die Annahme der Demission seines Chefs und Kollegen mit seiner eigenen Demission quittierte, beweist die restlose Übereinstimmung mit diesem mutigen Schritt. Wer immer nun die Nachfolgeschaft Furtwänglers in Berlin antreten würde, hätte damit freiwillig darauf v e r z i c h t e t , w e i t e r h i n a l s K ü n s t l e r v o n R a n g u n d F o r m a t z u g e l t e n . Er mag vielleicht ein guter Nationalsozialist sein, der seine Befähigung als Berliner Staatsoperndirektor durch langjährige Mitgliedschaft zur S.A. und sonstige Teilnahme an feldmäßigen Wehrturnübungen bewiesen hat, die internationale Welt aber würde ihn höchstens noch als politisierenden Nothelfer, aber nicht als jene Persönlichkeit werten, die sie, den nationalsozialistischen Quertreibereien zum Trotz, jetzt erste recht in Wilhelm Furtwängler und Erich Kleiber sieht. Clemens Krauss ist heute ein Dirigent von europäischem Namen, dem gerade seine Stellung an der Wiener Staatsoper und die damit verbundene Tätigkeit bei den Salzburger Festspielen an die Schwelle der Weltgeltung geführt hat. Von Wien aus steht ihm jede Karriere offen …«105 Doch die Gerüchte über einen Wechsel von Krauss nach Berlin verstummten nicht. Als der Dirigent am 11. Dezember von Berlin nach Wien zurückkehrte und eine »Falstaff«-Aufführung in der Staatsoper leitete, mischten sich bei seinem Betreten des Orchestergrabens in den Applaus deutliches Zischen und Pfeifen. Der Beginn des dritten Aktes wurde beim Erscheinen von Krauss durch deutliche Pfui-Rufe eingeleitet. Diese Vorgänge zeigten, so »Der Wiener Tag«, »dass eine längere Dauer der gegenwärtigen Situation weder für Clemens Krauss, noch für die Wiener Staatsoper haltbar ist«.106 Krauss, der zu diesem Zeitpunkt nach Gesprächen mit Hermann Göring und Richard Strauss bereits zum Wechsel nach Berlin entschlossen war, hatte unmittelbar vor dieser Vorstellung der Bundestheaterverwaltung sein Gesuch um Entlassung aus der Position des Direktors der Wiener Staatsoper mit Ende des Monats übermittelt, um zu Jahresbeginn 1935 seine neue Position in Berlin antreten zu können.107 Die Wiener Presse kommentierte das Bekanntwerden dieses Schrittes als logische Konsequenz einer seit längerem stattfindenden Entfremdung. »Clemens Krauss geht nach Berlin und jeder, der seine Einstellung Wien gegenüber und sein Geltungsbewusstsein, wie die Versprechungen, die ihm Berlin machte, kannte, musste davon überzeugt sein, dass Clemens Krauss nur auf den Augenblick gewartet hat, Wien, das ihm nie den Enthusiasmus entgegenbrachte, den er brauchte, gegen Berlin einzutauschen, wo ihn offene Arme empfangen.« Nicht nur in Wien, sondern 105 Der Wiener Tag, 6. 12. 1934. S. 3. 106 Die letzten Tage der Ära Krauss. – In  : Der Wiener Tag, 12. 12. 1934. S. 3. 107 Neue Freie Presse, 12. 12. 1934. S. 7.

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Die Salzburger Festspiele in den Wende- und Schicksalsjahren 1933/34

auch bei den Salzburger Festspielen habe es deutliche Irritationen über das Verhalten des Dirigenten gegeben, als dieser für die Absage von Richard Strauss Verständnis zeigte und massiv zu seinen Gunsten intervenierte. Es sei ihm dabei vor allem um seine persönlich enge Beziehung zu dem Komponisten gegangen und nicht um die Festspiele, die sich dadurch in einer äußerst schwierigen Situation befanden. Und schließlich wurde auf Hausdurchsuchungen der Sicherheitsbehörden bei Viorica Ursuleac sowie einigen Mitgliedern der Wiener Staatsoper, die mit Krauss besonders sympathisierten, hingewiesen.108 Für die »Salzburger Chronik« lag auf der Hand, dass der Wechsel von Krauss nach Berlin »letzten Endes nicht aus künstlerischen, sondern a u s p o l i t i s c h e n G r ü n d e n erfolgt«.109 Dem Wiener Korrespondenten des »Berliner Tagblattes« erklärte Krauss, sein Berliner Vertrag erstrecke sich auf zehn Jahre, während die österreichischen Regierungsstellen nicht geneigt gewesen seien, ihn länger als für die übliche Dauer von je einem Jahr an die Wiener Staatsoper zu binden. »Dieser Umstand war, wie ich ausdrücklich vermerke, ein Hauptgrund meines aus durchaus freien Stücken erfolgten Abschieds von der Wiener Oper.« Der Abschied von der Wiener Oper bedeute auch einen Abschied von den Salzburger Festspielen, bei denen eine Mitwirkung »außer jeder Diskussion« stehe.110 In den Abendstunden des 13. Dezember wurden im Beisein von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg die Verhandlungen mit Felix von Weingartner als Nachfolger von Clemens Krauss erfolgreich abgeschlossen. Weingartner leitete damit bereits zum zweiten Mal die Wiener Staatsoper. Erstmals hatte er das Haus als Nachfolger von Gustav Mahler 1908 bis 1911 geleitet.111 Die administrative Leitung des Hauses wurde dem bisherigen Direktionsrat Erwin Kerber übertragen, sodass in seiner Person die organisatorische Leitung sowohl der Wiener Staatsoper wie auch der Salzburger Festspiele vereint waren. Für die Salzburger Festspiele hatte der Wechsel in der Direktion der Wiener Staatsoper zur Folge, dass Felix von Weingartner zwei bisher von Krauss geleitete Opernproduktionen – Mozarts »Così fan tutte« und »Die Hochzeit des Figaro« – sowie zwei Orchesterkonzerte übernahm. Der neue Direktor der Wiener Staatsoper war jedoch nicht mehr die dominierende Dirigentenpersönlichkeit. Diese Funktion übernahmen 1935 Arturo Toscanini und Bruno Walter. Die Salzburger Festspiele traten damit vor Sonnenuntergang in ihre bisher glanzvollste internationale Phase. 108 Der Direktionswechsel an der Wiener Staatsoper. – In  : Die Stunde, 12. 12. 1934. S. 4  ; vgl. dazu auch Clemens Krauss – Direktor der Berliner Staatsoper. – In  : Reichspost, 11. 12. 1934. S. 6. 109 Clemens Krauss scheidet von der Staatsoper. – In  : Salzburger Chronik, 13. 12. 1934. S. 3. 110 Zit. bei Neue Freie Presse, 16. 12. 1934. S. 13. 111 Der für seine Schlagtechnik berühmte Dirigent und Komponist hatte enge Beziehungen zu den Wiener Philharmonikern, deren Konzerte er zwischen 1908 und 1927 leitete. 1919 bis 1924 war er Direktor der Wiener Volksoper und 1927 bis 1935 Chefdirigent in Basel und Leiter des dortigen Konservatoriums.

VIII. Per aspera ad astra Die Jahre 1935/36

VIII.1 »Die Salzburger Festspiele haben ihre bisher schwerste Prüfung bestanden.« In der Generalversammlung der Salzburger Festspielhausgemeinde am 18. Dezember 1934 hielt Präsident Heinrich Puthon Rückschau auf das abgelaufene turbulente Jahr. Einleitend erinnerte er an die Erklärung des ermordeten Bundeskanzlers Dollfuß während der Aussprache der Festspielleitung mit den Spitzen der Bundesregierung über die Frage, ob angesichts der massiven Zunahme des nationalsozialistischen Terrors die Festspiele 1934 überhaupt abgehalten werden sollten. »Ein Nichtabhalten der Salzburger Festspiele wäre gleichbedeutend mit dem Nieder­ holen der österreichischen Fahne. Halten Sie diese Fahne hoch  !«1 Die für das Jahr 1933 gehegten Befürchtungen hätten sich 1934 noch als »Kinderspiel« erwiesen, da neben der allgemeinen wirtschaftlichen Depression und der Tausend-Mark-Sperre die sich zuspitzenden politischen Verhältnisse und der deutlich zunehmende nationalsozialistische Terror aufgekommen seien. Den Höhepunkt bildete die Ermordung von Bundeskanzler Dollfuß am 25. Juli. Man habe sofort Verhandlungen darüber geführt, ob die Festspiele veranstaltet werden sollten und sei bei Bundeskanzler Schuschnigg und Landeshauptmann Rehrl auf Zustimmung und Unterstützung gestoßen. Die Leitung der Festspiele sei vor besonderen Herausforderungen gestanden. Denn während am 27. Juli die Generalprobe für »Jedermann« stattfand, wurde in den Flachgauer Gemeinden noch gekämpft. Dennoch seien die Festspiele am 28. Juli in relativ ruhiger Atmosphäre eröffnet worden. Allerdings sei in einem Haus in der Dreifaltigkeitsgasse eine Bombe explodiert, was die sofortige Abreise zahlreicher Besucher zur Folge gehabt habe. Erst Mitte August habe sich die Situation durch den vermehrten Zustrom ausländischer Festspielgäste deutlich gebessert, sodass die Festspiele die »Fremdensaison Salzburgs vor einer Katastrophe bewahrten«. Man könne daher zu Recht behaupten, dass die Salzburger Festspiele ihre bisher schwerste Prüfung bestanden hätten.2 Man hatte das Krisenjahr 1934 dank der massiven finanziellen Hilfe des Bundes überstanden und hoffte auf eine Besserung der Lage im folgenden Jahr. Allerdings, so die Schlussfolgerung, sei die Durchführung der Festspiele 1935 nur dann gesichert, 1 Generalversammlung der Salzburger Festspielhausgemeinde. – In  : Salzburger Volksblatt, 19. 12. 1934. S. 5. 2 Ebda.

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wenn der Bund wie 1934 seine Basissubvention erhöhe und zudem eine Ausfallshaftung garantiere. Rehrl intervenierte beim Finanzministerium mit dem Hinweis, dass die drei Salzburger Institutionen zu ihren Finanzierungszusagen in der Höhe von insgesamt 150.000 Schilling stünden, jedoch nicht in der Lage seien, weitere Beträge für eine eventuelle Ausfallsdeckung aufzubringen, da vor allem der Fremdenverkehrsfonds unter den rückläufigen Einnahmen infolge des stagnierenden Tourismus leide. Die Abhaltung der Festspiele sei daher in erster Linie von der Haltung des Bundes abhängig. Man sei dankbar, dass dieser seinen Beitrag auch für 1935 von 50.000 auf 100.000 Schilling erhöhe und werde sich bemühen, den Wünschen des Bundes bezüglich der Modifikation der Organisation zu entsprechen. Angesichts der angespannten Finanzlage der Salzburger Institutionen müsse er jedoch »mit allem Nachdruck darauf hinweisen, dass der Bund auch über die Normalfunktion hinaus die Haftung für einen allfälligen Abgang« nicht von sich weisen könne.3 Dies sei aufgrund der gesamtstaatlichen Bedeutung der Festspiele gerechtfertigt, wurde der Salzburger Landeshauptmann im Wissen um die Zugkraft dieses Arguments vor allem bei Bundeskanzler Schuschnigg und Staatssekretär Hans Pernter bei seinen Interventionen in Wien nicht müde zu betonen. Der Salzburger Landeshauptmann inszenierte seine landespolitischen Anliegen äußerst geschickt, indem er deren identitätsstiftende Funktion als Transmissionsriemen der intendierten Nationsbildung eindrucksvoll in Szene zu setzen wusste. Es ging darum, die Sonderstellung Salzburgs in diesem Prozess zu betonen und durch bewusste Einbindung der führenden Persönlichkeiten der Bundespolitik ein Klima zu schaffen, das die Lukrierung der notwendigen Bundesmittel erleichterte. So nahmen Bundespräsident Miklas, Bundeskanzler Schuschnigg und Verkehrsminister Stockinger am 23. September 1934 als Ehrengäste bei der Eröffnung des vorletzten Bauabschnitts der Großglockner Hochalpenstraße auf dem Fuscher Törl teil. In seiner Rede betonte Schuschnigg, man müsse beim Anblick der beeindruckenden Bergstraße feststellen, dass »der Herr Landeshauptmann von Salzburg mit seinem Streben recht behalten hat. Wir freuen uns heute mit ihm über diesen Erfolg und wünschen dem Unternehmen weiterhin das Beste und danken ihm für seine unermüdliche Ausdauer, Zähigkeit und Tatkraft. Und es sei gleich heute das Versprechen abgegeben, dass wir den Weg mit ihm weitergehen werden«. Mit dem nunmehr vor der Vollendung stehenden Bau sei ein technisches Werk von nationaler Bedeutung gelungen, das einen »neuen wundersamen, sonnennahen Akkord von Kunst und Natur« repräsentiere. »Viele von uns aus dem Salzburger Lande und auch aus Wien haben noch das Wort in Erinnerung, das in diesem Festspielsommer von Salzburg aus unser Land und mit dem Radio die ganze äußere Welt durchklungen hat  : ›Es sucht der Bruder seine Brüder, und wo er helfen kann, da hilft er gern‹.«4 3 Kriechbaumer  : Zwischen Österreich und Großdeutschland. S. 26. 4 Der Morgen, 24. 9. 1934. S. 2  ; Die Stunde, 25. 9. 2934. S. 2. Das Zitat stammt aus Beethovens »Fidelio«.

»Die Salzburger Festspiele haben ihre bisher schwerste Prüfung bestanden.«

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Rehrl war bemüht, den identitätsstiftenden Konnex zwischen der Großglockner Hochalpenstraße und den Salzburger Festspielen herzustellen, die 1935, in dem Jahr der geplanten offiziellen Eröffnung der Hochalpenstraße, ihr 15-jähriges Jubiläum feierten, das jedoch angesichts der Sparpläne des Finanzministeriums und des Rechnungshofes gefährdet schien. Sie wurden daher in ihrem Vorfeld hinter den Kulissen zum Kampfplatz eines erbitterten Ringens um ihre finanzielle Absicherung zwischen Finanzminister Ludwig Draxler und Rechnungshofpräsident Otto Ender auf der einen, Landeshauptmann Franz Rehrl und der Festspielleitung um Präsident Heinrich Puthon und Erwin Kerber auf der anderen Seite, in dem Rehrl als engagierter Bannerträger der Salzburger Allianz fungierte. Sowohl das Finanzministerium wie der Rechnungshof hatten unter der Maxime der notwendigen Sparsamkeit und Rückführung der erhöhten Bundessubventionen auf das Niveau des Jahres 1932 vorgeschlagen, angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise, des durch die Tausend-Mark-Sperre bewirkten drastischen Rückgangs der deutschen Touristen und Festspielbesucher und des damit verbundenen Einnahmenrückgangs sowie der finanzpolitischen Maxime des ausgeglichenen Budgets die Festspiele entweder nur mehr in deutlich reduzierter Form durchzuführen oder sogar temporär auszusetzen. Am 17. Dezember 1934 schrieb Rehrl an Finanzminister Draxler, dass der Budgetplan der Festspielhausgemeinde für das Jahr 1935 Ausgaben in der Höhe von 880.000 Schilling und Einnahmen in der Höhe von 750.000 Schilling vorsehe. Diese Schätzung der Einnahmen erscheine ihm jedoch angesichts des Ergebnisses des Kartenverkaufs des Jahres 1934 in der Höhe von 482.061 Schilling als zu hoch gegriffen, sodass sich der zu erwartende Abgang bedeutend höher gestalten werde, als im Voranschlag angegeben. Da Land und Stadt Salzburg sowie der Fremdenverkehrsförderungsfonds ihre Beiträge in der Höhe von 150.000 Schilling nicht erhöhen können, müsse der Bund für ein allfällig höheres Defizit haften. Wäre dies nicht der Fall, sei die Durchführung der Festspiele vom Standpunkt des sorgfältigen Kaufmanns gefährdet.5 Sichtlich verärgert schrieb Rehrl am 3. Jänner 1935 an Rechnungshofpräsident Otto Ender, er habe »mit Erstaunen und Befremden« dem Bericht des Rechnungshofes entnommen, dass dieser dem Unterrichtsministerium die Anregung unterbreitet habe, die Salzburger Festspiele wesentlich einzuschränken und die Bundeszuschüsse entsprechend zu reduzieren. Der Rechnungshof sei sich offensichtlich über die Konsequenzen seiner Anregung nicht im Klaren. Eine Reduktion der Festspieldauer sei unmöglich und eine Mittelkürzung hätte unweigerlich einen Qualitätsverlust zur Folge. »Ein Herabsinken von dieser Höhe der Leistungen wäre daher unbedingt gleichbedeutend mit ihrem (der Festspiele, Anm. d. Verf.) gänzlichen Aufhören. Die Bedeutung, Lebensnotwendigkeit und Wichtigkeit der Salzbur5 SLA Rehrl-Briefe 1935/1150.

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ger Festspiele, nicht nur für das Land Salzburg, sondern für das ganze Bundesgebiet, glaube ich heute nach ihrem vierzehnjährigen Bestand auch dem Rechnungshof nicht auseinandersetzen zu müssen. Gerade in der jetzigen Zeit, in der durch die deutsche Einreisesperre der Fremdenverkehr in Salzburg und in ganz Österreich besonderen Schutzes und nachdrücklicher Förderung bedarf, wäre eine Einstellung der Salzburger Festspiele geradezu eine Katastrophe. Es war unzweifelhaft einer der größten Erfolge in dieser Hinsicht, dass die Salzburger Festspiele im heurigen Jahr ermöglicht werden konnten.« Darüber hinaus müsse er nochmals darauf hinweisen, dass der Betrag der eingesetzten Mittel sich durch die Umwegrentabilität mehrfach bezahlt mache. Diese ohnedies verhältnismäßig geringen Mittel seien jedenfalls in Salzburg erheblich produktiver angelegt als die erheblich höheren Beträge bei der Subvention der Bundestheater.6 Rehrl sandte Abschriften seines Briefes an Bundeskanzler Schuschnigg, Vizekanzler Starhemberg, Staatssekretär Pernter und Präsident Puthon. Dieser Schritt war äußerst geschickt, da er damit den Briefwechsel mit dem Rechnungshof aus dem Arkanum des verwaltungsinternen Vorgangs auf die politische Ebene hob in dem Wissen, dass sein Anliegen nur dann realistische Chancen auf Erfolg hatte, wenn die Forderung nach höheren Bundesbeiträgen sowie einer neuerlichen Bundeshaftung politisch argumentiert wurde. Unterstützend kam hinzu, dass man in diesem Jubiläums-Festspielsommer 1935 zudem mit Toscanini über einen internationalen Star der Sonderklasse verfügte, dessen künstlerische und politische Reputation den deutlich verstärkten Zustrom eines internationalen Publikums erwarten ließ. Toscaninis Bereitschaft, sich in Salzburg stärker zu engagieren, bot mit dem Blick auf die Einnahmen seiner drei Konzerte während des Festspielsommers 1934 neben dem künstlerischen Gewinn auch die berechtigte Hoffnung auf ein Licht am Ende des finanziellen Tunnels der beiden vergangenen Jahre. Der italienische Maestro sollte – als politische Demonstration gegen den Nationalsozialismus – Beethovens Freiheitsoper »Fidelio«, Verdis »Fal­ staff« und zwei Orchesterkonzerte dirigieren. Dass Toscanini »Fidelio« dirigierte, hatte noch eine zusätzliche politische Bedeutung, da die Oper 1932 und 1933 Richard Strauss dirigiert hatte, der im November 1933 zum Präsidenten der Reichsmusikkammer ernannt und 1934 seine Mitwirkung bei den Festspielen auf Druck Berlins abgesagt hatte. Aufgrund des internationalen Aufsehens, das die Ermordung von Bundeskanzler Dollfuß am 25. Juli 1934 verursachte, wurde ihm schließlich, um kalmierend zu wirken, der Besuch zweier Aufführungen des von Clemens Krauss anlässlich seines 70. Geburtstags dirigierten Opern-Zyklus gestattet. Clemens Krauss, sein in der Zwischenzeit nach Berlin gewechselter Lieblingsdirigent, hatte die Oper 1931 und 1934 dirigiert. Die Person von Clemens Krauss galt ab 1934 in Österreich als persona non grata und Richard Strauss wurde wegen seiner Absage an die 6 Rohrmoser  : Der Kulturpolitiker Franz Rehrl. S. 189.

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Salzburger Festspiele äußerst distanziert bis kritisch betrachtet. Für die Salzburger Festspiele ergab sich daher infolge der Ereignisse des Jahres 1934 eine deutliche Distanzierung von dem durch Clemens Krauss durchgesetzten programmatischen Strauss-Schwerpunkt, weshalb man für 1935 nur mehr »Der Rosenkavalier« und »Elektra« plante. Auch hier intervenierte Bundeskanzler Schuschnigg und forderte die Absetzung von »Elektra«. Die Oper wurde daraufhin aus dem Programm genommen und der für ihre Leitung vorgesehene Dirigent Erich Kleiber als Ersatz mit einem zweiten Orchesterkonzert bedacht. Die Aufnahme von Verdis »Falstaff« in das Programm war erst nach heftigen internen Diskussionen und ebenfalls einer Entscheidung Schuschniggs gefallen. Da zum Zeitpunkt der Programmplanung die Zukunft von Staatsoperndirektor Clemens Krauss, der in Konkurrenz zu Toscanini ebenfalls eine »Falstaff«-Produktion, allerdings in deutscher Sprache, plante, noch ungewiss war, versuchte die Festspielleitung Toscanini von seinem Vorhaben abzubringen und schlug ihm daher vor, eine andere Oper seiner Wahl zu leiten. Die Antwort des temperamentvollen Dirigenten lautete  : »Kein Falstaff – kein Toscanini.« Die Entscheidung wurde dem Direktorium der Festspiele durch eine Erklärung aus dem Bundeskanzleramt, in dem man über die Entwicklung der Causa Krauss bestens informiert war und sich im Sinne der kulturpolitischen Positionierung Österreichs bereits für Toscanini entschieden hatte, abgenommen. Bundeskanzler Schuschnigg ließ wissen  : »Falstaff und Toscanini.« Die massiven Interventionen Rehrls, vor allem seine Strategie der politischen Argumentation, sollten sich in dem erbitterten Ringen hinter den Kulissen vor allem mit Finanzminister Draxler als erfolgreich erweisen, da Bundeskanzler Schuschnigg Rehrl unterstützte und direkte Verhandlungen mit dem Finanzminister vermittelte, die schließlich mit einem eindeutigen Punktesieg des Salzburger Landeshauptmanns endeten. Er war jedoch geschickt genug, dem Finanzminister gegenüber als Kompensation eine stärkere Repräsentanz des Bundes in der Salzburger Festspielhausgemeinde in Aussicht zu stellen. Dieses Angebot war a priori Bestandteil seiner Verhandlungsstrategie, die auf eine stärkere finanzielle Absicherung der Festspiele zielte. Dies war jedoch nur durch eine stärkere Beteiligung des Bundes zu erreichen, der – bei Wahrung der Salzburger Dominanz – durch eine umfangreichere Vertretung in den Entscheidungsgremien an die Festspiele gebunden werden sollte. Damit sollte auch in den Organen der Salzburger Festspiele deren gesamtstaatlicher Charakter sichtbar zum Ausdruck gebracht werden. Ein äußerst sensibles Thema, da damit die in Salzburg stets beschworene Gefahr einer Dominanz Wiens und eine Kolonisierung Salzburgs gegeben war. Der Staatssekretär im Unterrichtsministerium, Hans Pernter, legte nunmehr einen Entwurf für eine Statutenänderung der Salzburger Festspielhausgemeinde vor, die diesen Befürchtungen neue Nahrung gab. Hatten die bisherigen Satzungen der Festspiel­ hausgemeinde in Paragraph 2 den Zweck des Vereins als »Ausgestaltung und Erhal-

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tung des Festspielhauses« definiert, so beinhaltete die von Pernter vorgelegte Statutenänderung eine Passage, die die Durchführung der Festspiele unter der obersten Leitung des Unterrichtsministers und des Landeshauptmanns von Salzburg vorsah. Die laufenden Geschäfte sollten durch die Festspielhausgemeinde, quasi als nachgeordnete Bundesstelle, durchgeführt werden. Rehrl kündigte massiven Widerstand gegen diese Änderung an, und auch das Finanzministerium hegte Bedenken, da eine De–facto-Übernahme durch den Bund erhebliche finanzielle Belastungen auf Dauer bedeuteten, die man unbedingt vermeiden wollte. Rehrl befand sich in einer schwierigen Situation, da er sich der Notwendigkeit einer finanziellen Absicherung der Festspiele durch eine stärkere Beteiligung des Bundes, der im Gegenzug auf stärkeren Einfluss pochte, bewusst war. Es galt, dem Wunsch des Bundes entgegen­ zukommen, jedoch gleichzeitig die Salzburger Dominanz zu wahren. Und darin hatte Rehrl bereits Erfahrung, wie sein erfolgreiches Agieren bei der Großglockner Hochalpenstraße zeigte. In intensiven Verhandlungen mit Hans Pernter setzte er schließlich einen im Interesse Salzburgs modifizierten Text durch. In diesem hieß es  : »Das Unternehmen Salzburger Festspiele (Festspielhausgemeinde) steht unter dem Protektorat des Herrn Bundeskanzlers, des Herrn Bundesministers für Unterricht (jetzt Staatssekretär für Unterricht) und des Herrn Landeshauptmannes. Das Präsidium der ›Salzburger Festspielhausgemeinde‹ bleibt in Salzburg, Präsident ist der Herr Landeshauptmann. Diesem steht der geschäftsführende Vizepräsident oder Direktor der Salzburger Festspiele zur Seite. Für diese Funktion ist der jetzige Präsident Baron Puthon in Aussicht genommen. Der Aufsichtsrat besteht aus den Vertretern der Bundesministerien für Finanzen und Unterricht, des Landes Salzburg, des Fremdenverkehrsförderungsfonds sowie der Stadtgemeinde Salzburg. Im Allgemeinen wäre nur je ein Vertreter der genannten Stellen vorzusehen. Den Vorsitz im Aufsichtsrat führt dauernd Puthon, ein turnusmäßiger Wechsel im Vorsitz soll daher nicht mehr stattfinden.«7 Die Jubiläumsfestspiele 1935 wurden zum künstlerischen Triumph Toscaninis. Am 28. Juli erfolgte die mit Spannung erwartete Eröffnung mit »Jedermann«. Im Frühjahr hatte Paul Hartmann, der die Titelrolle seit dem Ausscheiden Moissis gespielt hatte, die Rolle aufgrund eines von der deutschen Reichstheaterkammer verfügten Auftrittsverbots zurückgelegt, weshalb Reinhardt gezwungen war, die Titelrolle neu zu besetzen. Er entschied sich für Attila Hörbiger, der von der Kritik als Glücksgriff bezeichnet wurde. Am folgenden Tag debütierte Toscanini mit Verdis »Falstaff« als Operndirigent und erhielt vom Publikum und der Kritik Ovationen. Die internationale Kritik feierte die Aufführung nicht nur als Glanzpunkt der Salzburger Festspiele, sondern als musikalisches Ereignis des Jahres.8 Der 72-jährige 7 Ebda. 8 Kaindl-Hönig  : Resonanz. S.  123.

»Die Salzburger Festspiele haben ihre bisher schwerste Prüfung bestanden.«

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Wiener Operndirektor Felix von Weingartner sprang nach dem ersten Akt in den Orchestergraben und rief den Philharmonikern zu  : »Kinder, eine solche Perfektion habe ich noch nie gehört, nicht einmal im Traum  !«9 Toscanini hatte den Großteil der Sänger aus seinem alten Scala-Ensemble nach Salzburg mitgebracht und wurde zum unumstrittenen Star des Festspielsommers, dessen »Fidelio« ebenso enthusiastisch gefeiert wurde wie seine drei Orchesterkonzerte. Anlässlich der »Falstaff«Aufführung am 17. August kam es zwischen Opernenthusiasten zu Faustkämpfen um zurückgegebene Karten an den Kassen, sodass sogar Polizei angefordert werden musste. Musikbegeisterte Briten und Holländer boten am Schwarzmarkt bis zu 150 Schilling für eine Stehplatzkarte, und eine Ansichtskartenserie, die Toscanini in 20 verschiedenen Dirigierposen zeigte, erlebte aufgrund des reißenden Absatzes innerhalb weniger Tage ihre dritte Auflage. Im sommerlichen Salzburg des Jahres 1935 waren neben Toscanini zahlreiche Spitzendirigenten vertreten, so Bruno Walter, Erich Kleiber, Josef Krips, Felix von Weingartner und Adrian Boult, waren internationale Spitzensänger/innen wie Lotte Lehmann, Jamila Novotna, Maria Caniglia, Dusolina Giannini, Charles Kullmann, Mariano Stabile, Ezio Pinza u. a. zu hören. Der verstärkte Zustrom westeuropäischer und US-amerikanischer Besucher glich die durch die Tausend-Mark-Sperre eingetretenen Verluste bereits weitgehend aus. Der Kartenverkauf erreichte erstmals in der Geschichte der Festspiele 85 Prozent und übertraf damit das bisher beste Jahr 1930 mit 72 Prozent deutlich  ; die Stadt vermittelte ein Flair, in dem sich die internationale Prominenz, sehr zur Zufriedenheit der heimischen Gastronomie und Geschäftswelt, ein Stelldichein gab. Die »Volks-Zeitung« berichtete Ende August aus der Festspielstadt, man könne über Salzburg »nicht genug staunen. Rechnen kann man am besten, wenn man sich in einer Wechselstube ansieht, wie buchstäblich ein Strom von Valuten, teils von den letzten Besitzern, teils von den Hotels zur Einwechslung kommt. Wir haben von einer solchen Wechselstube die Auskunft erhalten, dass sie innerhalb einer Woche zwei Millionen Schilling gegen fremde Valuten ausbezahlt hat«.10 Das »Salzburger Volksblatt« berichtete Anfang September von einer hervorragen­ den Fremdenverkehrssaison vor allem im August, wofür vor allem die Festspiele ver­antwortlich zeichneten. Insgesamt seien im Festspielmonat August in Salzburger Hotels und Privatquartieren 43.987 Personen gemeldet gewesen. Damit seien nicht nur die Zahlen der Jahre 1934 und 1933 mit 29.233 bzw. 35.047 Personen deutlich übertroffen, sondern die Zahl des Jahres 1932 mit 45.012 Personen beinahe erreicht worden. Es sei »hocherfreulich, dass die intensive Werbung im Auslande bereits so glänzende Früchte gezeitigt hat, dass die Schädigung des Fremdenverkehres durch die 1000-Mark-Sperre schon beinahe ausgeglichen ist. Einen derartigen Erfolg hätte  9 Harvey Sachs  : Toscanini. Eine Biographie. – München/Zürich 1980. S. 331. 10 Kaindl-Hönig  : Resonanz. S.  125.

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man kaum zu erhoffen gewagt«. Massive Steigerungszahlen zwischen knapp unter und deutlich über 50 Prozent wiesen die Besucher aus der Tschechoslowakei, Großbritannien, Frankreich, den USA, Italien, der Schweiz, Holland und Belgien, Dänemark, Spanien und Polen auf.11 Nicht ohne Stolz konnte Rehrl am 19. November in seiner großen Rede im Landtag über die Wirtschaftspolitik des Landes erklären, er dürfe zum Kapitel »Fremdenverkehr« mit »herzlicher Freude vorausschicken«, dass er »n u r G u t e s u n d B e s t e s zu berichten habe. Die Ziffern der Fremdenverkehrsstatistik liegen zwar noch nicht abgeschlossen vor, (…) aber schon die Zählung in den wichtigsten Fremdenverkehrsorten zeigt, dass unser Salzburger Land das s t ä r k s t b e s u c h t e Bundesland im sommerlichen Fremdenverkehr 1935 war. Der Juli-Verkehr 1935 übertraf den des Vorjahres um 42,7 Prozent, der August-Verkehr 1935 überstieg den des Vorjahres sogar um 54,5 Prozent. Der von Salzburg in alle übrigen Bundesländer ausstrahlende Fremdenverkehr ist in erster Linie durch die S a l z b u r g e r F e s t s p i e l e hervorgerufen worden (…) Zu den Festspielen gesellte sich als Kristallisationszentrum nicht geringeren Ranges die Großglockner Hochalpenstraße«.12 Die Festspiele erwiesen sich, dank der Persönlichkeit Toscaninis, der intensiven Auslandswerbung und ihres nunmehr deutlich politischen Charakters als Anti-Bayreuth, als Fremdenverkehrsmagnet für ein internationales, vor allem auch jüdisches Publikum, das nicht nur die musikalischen Darbietungen stürmte, sondern auch Reinhardts Inszenierungen des »Jedermann« und des »Faust« – sehr zum Ärger der nationalsozialistischen Kommentatoren. So schrieb der »Stuttgarter N.S.-Kurier«, die Salzburger Festspiele seien ein »von der österreichischen Regierung mit beachtlichen Mitteln gefördertes Unternehmen«, ganz »auf ein internationales Publikum eingestellt« und hätten »in erster Linie dem Fremdenverkehr (zu) dienen. Die Kunst hat hinter den Werbeabsichten der Wiener Regierung zurückzustehen. Wieder gibt Reinhardt-Goldmann seinen jüdischen Faust, ein Spiel betonter Theatertechnik, und wieder schaut ein Publikum internationaler, mondäner Eleganz zu, für das Salzburg eine nun schon feststehende saisonmäßige Modeangelegenheit ist. Dass dieses Fremdenpublikum mit der herrlichen Dichtung Goethes nichts anzufangen weiß, tun mancherlei Klagen aus den kleinen Kreisen kund, die in Salzburg noch ein künstlerisches Erlebnis suchen. Atmosphäre lustig – das ist die Grundstimmung der Salzburger Festspiele. (…) Es ist eben doch ein Unterschied, wenn eine volksfremde Regierung ein ganz bestimmtes Publikum zu internationalen Festspielen zusammentrommelt oder wenn Leute aus aller Welt nach Deutschland kommen, um auf den Thingplätzen und in den Freilichtspielen das Werden einer neuen völkischen Bühnenkunst zu erleben«.13 11 Fremdenverkehr im August. – In  : Salzburger Volksblatt, 2. 9. 1935. S. 9. 12 Die Wirtschaftspolitik des Landes Salzburg. – In  : Salzburger Volksblatt, 19. 11. 1935. S. 2f. 13 Kaindl-Hönig  : Resonanz. S.  121.

»Der Landeshauptmann glaubt offenbar, die Bundesregierung tyrannisieren zu können.«

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Es war eine Ironie der Geschichte, dass der überraschende finanzielle Erfolg der Salzburger Festspiele 1935 erhebliche politische Turbulenzen auslösen sollte. Die Auslastung der Festspiele hatte 1935 mit 85 Prozent einen absoluten Rekordwert erreicht – das bisher beste Ergebnis des Jahres 1930 hatte nur knapp die 70-ProzentMarke überschritten –, der Erlös des Kartenverkaufs war auf 978.190 Schilling und damit auf ein bisher noch nie dagewesenes Niveau gestiegen. Vor allem die von Toscanini geleiteten Opernaufführungen und Konzerte erwiesen sich als Kassenschlager und übertrafen jene der anderen Dirigenten um 6.000 bis 15.000 Schilling pro Vorstellung. Die Festspiele bilanzierten mit einem Überschuss.

VIII.2 »Der Landeshauptmann glaubt offenbar, die Bundesregierung tyrannisieren zu können.« Die allgemeine Freude wurde getrübt, als am 16. November Rechnungshofpräsident Otto Ender in einem Schreiben an Landeshauptmann Rehrl eine Prüfung der Gebarung der Salzburger Festspiele durch den Rechnungshof ankündigte. Sowohl die Ständestaatliche Verfassung vom 1. Mai 1934 wie auch das neue Rechnungshofgesetz vom August 1934 hatten die Prüfungsmöglichkeiten des Rechnungshofes auch auf jene Unternehmen ausgeweitet, denen der Bund zur Durchführung ihrer Aufgaben entsprechende Zuwendungen gewährte. Im Fall der Salzburger Festspiele waren dies in den beiden vorangegangenen Geschäftsjahren 59,1 bzw. 40 Prozent der Gesamtsubventionen, womit die Subventionen einer Beteiligung des Bundes gleichkamen und die rechtlichen Voraussetzungen einer Prüfung gegeben waren. Ender teilte Rehrl mit, es sei ihm wohl nicht unbekannt, dass seitens des Rechnungshofes »schon seit längerer Zeit die Absicht« bestehe, »die Gebarung der Salzburger Festspiele einer Einschau zu unterziehen«. Man werde diese Ende November, Anfang Dezember unter Beiziehung eines Vertreters des Finanzministeriums vornehmen. »Indem ich Dich hiervon in Kenntnis setze, bitte ich Dich, überzeugt zu sein, dass der Rechnungshof sich der Bedeutung der Salzburger Festspiele für Stadt und Land Salzburg und darüber hinausgehend für den ganzen Staat wohl bewusst ist und dass ihm eine engherzige, bürokratische Durchführung seiner Aufgabe vollkommen ferne liegt.14 Rehrl antwortete am 19. November, er bedanke sich für die Mitteilung und schätze besonders die »Versicherung, dass (sich) der Rechnungshof der Bedeutung der Salzburger Festspiele für Stadt und Land Salzburg und darüber hinausgehend für den ganzen Staat wohl bewusst ist und mit Verständnis

14 Eine Kopie des Schreibens wurde dem Verfasser von Mag. Hans Kollmann freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

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für ein weiteres Gedeihen der Spiele an die Durchführung seiner Aufgabe herantreten wird …«15 Damit war jedoch das Repertoire der Höflichkeiten zwischen Wien und Salzburg erschöpft, denn der bereits am 17. Dezember vorliegende 56 Seiten umfassende Prüfbericht des Rechnungshofes sorgte für erhebliche Differenzen und auch politische Spannungen zwischen Salzburg und Wien. In seinem Bericht16 über die Prüfung der Geschäftsgebarung der letzten sechs Jahre bemerkte der Rechnungshof, dass lediglich zwei Geschäftsjahre, 1929/30 und 1934/35, mit einem positiven Ergebnis abgeschlossen hätten. Im Jahr 1934/35 sei ein Überschuss von rund 127.000 Schilling erzielt worden. Bei der Prüfung der verschiedenen Positionen und der in ihnen enthaltenen Einsparungspotenziale, vor allem auch im Bereich der mitwirkenden Künstler sowie der Freikarten, wurde ein Betrag von 165.000 Schilling errechnet, wobei man auch in umfangreichen Vergleichstabellen die Honorare und Einspielergebnisse der Konzerte und ihrer Dirigenten analysierte und betonte, dass man dabei die Opernaufführungen, bei denen die Zugkraft des Dirigenten noch stärker sei, nicht berücksichtigt habe. Dabei erwies sich Toscanini als Publikumsmagnet mit – im Vergleich zu den anderen Dirigenten – singulären Einspielergebnissen. Bemerkenswert an diesem Vergleich war, dass Erich Kleiber, zweifellos einer der bedeutendsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts, zusammen mit Adrian Boult am Ende der Skala rangierte. Auch die Gagen der Wiener Philharmoniker wurden als eindeutig überhöht sowie deren auch praktiziertes Erpressungspotenzial gegenüber der Festspielleitung kritisiert. Am 17. Dezember schrieb Otto Ender, der Präsident des Rechnungshofes, an den Staatssekretär für Unterricht, Hans Pernter, die von seiner Behörde vorgenommene Prüfung der Salzburger Festspielhausgemeinde habe dieser die Gelegenheit gegeben, »die Entwicklung der finanziellen Lage und der Gebarung der Salzburger Festspiele während der letzten Jahre näher kennenzulernen, um hierdurch die Grundlage für die Weiterführung der Festspiele zu ermitteln«.17 Die kritische Betrachtung der Bilanzen der letzten sechs Jahre zeige, »dass die von der Salzburger Festspielhausgemeinde aufgestellten Rechnungsabschlüsse kein vollständig klares Bild über die jeweilige Finanzlage und den Gebarungserfolg der einzelnen Betriebsarten bieten«.18 Generell müsse festgestellt werden, »dass ungeachtet der Subventionen und Ausfallshaftungen während der letzten sechs Jahre bloß in zwei Gebarungsjahren (1929/30 und 1934/35) ein 15 Eine Kopie des Schreibens wurde dem Verfasser ebenfalls von Mag. Hans Kollmann freundlicherweise zur Verfügung gestellt. 16 Zur Darstellung des Berichts vgl. Kollmann  : Jedermanns Prüfer. S. 47ff. 17 SLA Präs. Akten 1936 9/5253. Der Präsident des Rechnungshofes, Zl. 4534, Salzburger Festspiele  ; Ergebnisse der Einschau des Rechnungshofes. S. 1. Das Schreiben des Rechnungshofpräsidenten beinhaltete einen Großteil des Prüfungsberichtes. 18 Ebda. S. 4.

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Gebarungsüberschuss (von 55.559 S 11 g bzw. 127.276 S 97 g) erzielt werden konnte. Lässt man die Subventionen und Ausfallshaftungen außer Betracht, so hätten sich in dieser Zeit nachfolgende Abgänge ergeben  : 1929/30

129.440 S 89 g

1930/31

240.255 S 55 g

1931/32

199.637 S 54 g

1932/33

437.259 S 98 g

1933/34

410.942 S 86

1934/35

  97.720 S 03 g

Der günstige Erfolg des letzten Gebarungsjahres sowie das große Interesse, das den nächstjährigen Festspielen bereits entgegengebracht wird, lassen jedoch die Hoffnung berechtigt erscheinen, dass nunmehr die Salzburger Festspiele festen Fuß gefasst haben. Gelingt es, die Salzburger Festspiele auf ihrer gegenwärtigen Höhe zu erhalten und treten nicht außerordentliche Umstände ein, so dürfte es bei Durchführung entsprechender Sparmaßnahmen (…) schon im nächsten Jahre gelingen, die Salzburger Festspiele auf Selbsterhaltung zu bringen«.19 Dies werde jedoch nur gelingen, wenn auch seitens der Bundesinstitutionen auf die vom Rechnungshof vorgeschlagenen Einsparungsmöglichkeiten bestanden werde. So möge vor allem das Unterrichtsministerium auf eine Anpassung der Honorare vor allem österreichischer Künstler/innen an die gegebenen Verhältnisse, d. h. deren Reduktion, drängen. »Die Salzburger Festspiele sind unter großen Opfern, an denen der Bund einen besonderen Anteil hatte, nicht nur aufrechterhalten, sondern auch zur weiteren Entfaltung gebracht worden. Das große Interesse, das weit über die Grenzen Österreichs hinaus diesen Festspielen entgegengebracht wird, darf als ein hocherfreuliches Aktivum für Österreich gebucht werden. Es sollten sonach in erster Linie alle in Österreich beheimateten Persönlichkeiten, die berufen sind, in irgendeiner Weise an der Weiterentwicklung dieser Festspiele mitzuwirken, ihre besten Kräfte in den Dienst der guten Sache stellen. Umso bedauerlicher und geradezu unverständlich ist es aber, dass gerade österreichische Künstler und österreichische Angestellte die Durchführung dieses österreichischen Werkes durch übertriebene Ansprüche erschweren, ja geradezu gefährden. Nach Ansicht des Rechnungshofes ist dies ein Moment, dem seitens der zuständigen Faktoren des Bundes nicht genügend Beachtung geschenkt wird. Viel mehr noch als durch eine geldliche Subvention könnte dem Unternehmen dadurch geholfen werden, dass seitens der berufenen Faktoren des Bundes ein entsprechender Einfluss in vorgedachtem Sinne auf die engagierten Kräfte, seien es nun ausübende Künstler oder anderweitiges technisches oder sonstiges Personal, ausgeübt wird. 19 Ebda. S. 8f.

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Noch ein zweites Moment, das hinsichtlich Künstler aller Art gilt, sei hervorgehoben  : In wenigen Jahren ist Salzburg durch die Festspiele aus der Stille seines Daseins als österreichische Provinzstadt ein Sammelplatz des internationalen Publikums geworden. Durch Zeitungen aller Sprachen ist der Ruf der Salzburger Festspiele in die fernsten Erdteile gedrungen. Bei den Salzburger Festspielen mitgewirkt zu haben, bedeutet für jeden Künstler eine ganz besondere Empfehlung und verschafft ihm einen internationalen Ruf, der dem der Bayreuther Künstler beinahe nicht nachsteht. Es ist daher absolut nicht am Platze, wenn wiederholt nur von Opfern seitens der Solisten die Rede ist, nie aber die ihnen zuteil gewordene Auszeichnung, in Salzburg mitwirken zu dürfen, entsprechend gewürdigt wird. Auch dies wäre bei Engagementverhandlungen mit den betreffenden Künstlern zu beachten.«20 Politische Brisanz erlangte der Rechnungshofbericht durch die Stellungnahme des Bundesministeriums für Finanzen an das Bundesministerium für Unterricht vom 17. Dezember 1935, in dem die Auszahlung der noch nicht überwiesenen Restsumme von 25.000 Schilling der Bundessubvention in der Höhe von 100.000 Schilling abgelehnt wurde. Das Bundesministerium für Finanzen kam bereits »aufgrund dieses überaus instruktiven Berichtes und der vom Rechnungshof festgestellten konkreten Tatsachen« einleitend zu der Feststellung, dass man sich des Eindrucks nicht erwehren könne, »dass die Festspiele von einzelnen Mitwirkenden als unversiegbarer Born angesehen werden, aus dem so viel als nur möglich geschöpft werden kann«.21 Der Rechnungshof habe glaubhaft Einsparungen in der Höhe von 165.000 Schilling vorgeschlagen.22 Daraus wurde die politisch brisante Schlussfolgerung gezogen  : »Durch die vom Rechnungshof vorgeschlagenen Ersparungsmaßnahmen wird die Gewährung einer Bundessubvention in Hinkunft bei annähernd gleichbleibender Frequenz entbehrlich. Das Bundesministerium für Finanzen ersucht daher, die Festspiele zu verhalten, diese Ersparungsvorschläge strengstens zu beobachten und dem Bundes20 Ebda. S. 22f. Die Kritik an den österreichischen Mitwirkenden bezog sich vor allem auf die Gagenforderungen der Wiener Philharmoniker, die hohen Lohnkosten der Wiener Bühnentechniker und -arbeiter sowie die 1934 von Clemens Krauss erhobene Forderung nach einer Erhöhung seiner Dirigentengage für die Leitung von Beethovens »Fidelio« anstelle von Richard Strauss. 21 SLA Präs. Akten 1936 9/5253. Bundesministerium für Finanzen, Zl. 104.336-11/35. Salzburger Festspiele  ; Einschau des Rechnungshofes  ; Bundessubvention. 22 Diese Summe resultierte in den Vorschlägen  : Herabsetzung des Personalaufwandes Einstellung der zweiprozentigen Übergebühr beim Kartenbüro Einschränkung der Freikarten Abstellung der Beteiligten des mitwirkenden Personals an den Ravag-Zahlungen Summe jährlich

Bundesministerium für Finanzen, Zl. 104.336-11/35. S. 2.

60.000 Schilling 5.000 Schilling 70.000 Schilling 30.000 Schilling 165.000 Schilling

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ministerium für Finanzen sowohl bei der Durchführung dieser Aktion als auch hinsichtlich der Gebarung der Festspielhausgemeinde überhaupt eine erhöhte Einflussnahme, insbesondere auch eine Vertretung im Aufsichtsrate sichern zu wollen. Die Anweisung von Subventionsraten im Rahmen des bezüglichen Kredites 1936 erscheint somit einstweilen entbehrlich und wolle daher unterlassen werden. Das Bundesministerium für Finanzen macht ferner ausdrücklich darauf aufmerksam, dass künftighin etwaiger Gewährung einer Bundessubvention nur im Falle einer Verschlechterung der Frequenzverhältnisse und nur dann in Erwägung gezogen werden könne, wenn alle vom Rechnungshof angeregten Ersparungsmaßnahmen bzw. Einnahmenverbesserungen durchgeführt werden und dem Bunde die oberwähnte erhöhte Einflussnahme auf die Gebarung der Festspiele eingeräumt wird. (…) Mit Rücksicht auf das günstige Bilanzergebnis und den im Jahre 1934/35 erzielten Überschuss von 127.277 Schilling sowie in Anbetracht der der Festspielhausgemeinde derzeit zur Verfügung stehenden flüssigen Mittel von rund 50.000 Schilling kann ein Anspruch auf Gewährung einer weiteren Bundessubvention überhaupt nicht anerkannt werden.«23 In Salzburg reagierte man unter der Regie von Landeshauptmann Rehrl auf die Stellungnahme des Finanzministeriums und die darin enthaltene Aufkündigung der Bundessubvention mit einer Doppelstrategie  : Präsident Puthon blieb es vorbehalten, die sachlichen Stellungnahmen sowohl zum Bericht des Rechnungshofes wie auch zur Stellungnahme des Finanzministeriums zu formulieren.24 Rehrl hingegen über23 Ebda. S. 2f. 24 Die Stellungnahme der Salzburger Festspielhausgemeinde zum Erlass des Finanzministeriums erfolgte am 13. Jänner 1936. Bezüglich der sich auf die Empfehlungen des Rechnungshofes stützenden Einsparungsvorschläge wurde angemerkt, dass eine Reduktion der Künstlerhonorare um 90.000 Schilling zwar von der Direktion der Festspiele immer wieder versucht werde, jedoch mit relativ geringem Erfolg. Adressat dieses Vorschlages sei jedoch der Bund, vor allem das Unterrichtsministerium, da es sich dabei überwiegend um der Staatsoper angehörende Mitwirkende – Sänger, Wiener Philharmoniker, Staatsopernchor, Regiepersonal, Bühnenarbeiter und Beleuchter – handle, d. h. um Angestellte der Bundestheater. Es liege in der Kompetenz des Bundes, diese Einsparungen durchzusetzen. Bezüglich der Freikarten unterliegen der Rechnungshof und damit auch das Finanzministerium einem Irrtum, wenn behauptet werde, dass ein Großteil der Veranstaltungen ausverkauft war. – Von 59 Vorstellungen waren nur 18 ausverkauft. Generell »dürfte wohl klar sein, dass bei Vorstellungen, die nicht ausverkauft sind, es zweckentsprechender ist, Freikarten mit einem Steuerzuschlag an darum ansuchende Personen auszugeben und damit das Theater zu füllen, als Karten unbenützt in der Kasse liegen zu lassen«. Hinzu kämen noch jene Gruppen, die Anspruch auf Freikarten haben, wie Pressevertreter, Mitwirkende, prominente repräsentative Persönlichkeiten und solche, denen die Festspiele verpflichtet sind. (SLA Präs. Akten 1936 9/5253. Stellungnahme vom 13. 1. 1936 zum Einschaubericht des Rechnungshofes und zum Erlass des Finanzministeriums Zl. 104.356-10/35.) Zusätzlich erfolgten noch am 11. 1. 1936 schriftliche Bemerkungen zum Bericht des Rechnungshofes vom 17. Dezember 1935 die Buchführung betreffend (ebda.).

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nahm den heiklen, weil politisch konfrontativen Part. Er kündigte – auch in einem Schreiben an Finanzminister Ludwig Draxler – an, dass die Salzburger Institutionen nach dem Muster des Bundes verfahren werden, d. h. den Restbetrag der für 1935 zugesagten Subventionen nicht überweisen und bereits überwiesene Subventionen in der Höhe von 37.000 Schilling zurückfordern, um so auf einen der Bundessubvention adäquaten Prozentsatz von 60 Prozent zu kommen. Dies hätte, wie Präsident Puthon in einem Schreiben an den Leiter der Rechnungshofprüfung, Guido Wagner, am 7. Jänner 1936 schrieb, katastrophale Folgen, da den Festspielen nur mehr 3.000 Schilling an liquiden Mitteln verblieben. Eine Summe, mit der man weder die Planung des Festspielsommers 1936 noch die für diesen notwendige Werbung in Angriff nehmen könne, weshalb man als ordentlicher Kaufmann von ihrer Durchführung wohl Abstand nehmen müsse. Gerade dieses Szenario hatte Rehrl in seiner Strategie vorgesehen. In seinem Wissen um die Bruchlinien in der Bundesregierung setzte er auf zwei Faktoren  : 1. Die Argumentation musste von der finanziellen auf die politische Ebene transferiert werden und 2. vertraute er vor allem auf Bundeskanzler Kurt Schuschnigg und Staatssekretär Hans Pernter, die schon aus politischen Gründen an der Durchführung der Festspiele größtes Interesse zeigten und auch bereit waren, dieses gegen den Widerstand von Finanzminister Ludwig Draxler durchzusetzen. Der erste Schlagabtausch der regierungsinternen Kontrahenten fand in der Ministerratssitzung am 10. Jänner 1936 statt, in der Staatssekretär Pernter über die dramatische Entwicklung in der Causa Salzburger Festspiele – den Bericht des Rechnungshofes und die auf diesem aufbauende Note des Finanzministeriums, in der eine weitere Subventionierung der Festspiele abgelehnt wurde – referierte. »Seitens der Festspielhausgemeinde sei hingegen geltend gemacht worden, dass für die Durchführung der Propaganda im Jahre 1936 die nötigen Geldmittel nicht mehr zur Verfügung stünden, da vonseiten der anderen subventionierenden Faktoren, und zwar des Landes Salzburg, der Gemeinde Salzburg und der Fremdenverkehrskommission, erklärt worden sei, sie müssen eine weitere Subventionierung der Salzburger Festspiele ablehnen, wenn der Bund die Beiträge einstelle, beziehungsweise eine Subventionskürzung vornehmen, falls dies seitens des Bundes geschehe. Außerdem würden die für das Jahr 1935 bereits bezahlten Subventionsbeiträge zurückverlangt, beziehungsweise beim Reservefonds gesperrt werden. Dies würde bedeuten, dass die Festspiele im Jahre 1936 nicht durchgeführt werden könnten. Der Präsident der Festspielhausgemeinde, Puthon, habe denn auch erklärt, dass er die Verantwortung für die Durchführung der Festspiele im Jahre 1936 nicht übernehmen und daher auch mit der Propaganda nicht einsetzen könne, wenn er nicht eine bestimmte Zusage bekäme, dass sich der Bund in gleicher Weise wie die anderen Faktoren an einer Subventionierung der Salzburger Festspiele beteiligen werde.« Die vom Finanzministerium aufgestellte Behauptung, die Festspielhausgemeinde würde über genügend Geldmittel verfügen, »sei nicht richtig«. Berücksichtige man nämlich die

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Subventionen des Jahres 1935 nicht, so hätten die Salzburger Festspiele 1935 mit einem Defizit von 98.000 Schilling abgeschlossen. Erst die Subventionen in der Gesamthöhe von 225.000 Schilling ergeben einen Überschuss von 127.000 Schilling. Ziehe man von diesem jedoch die Abdeckung der Schuldenlast aus früheren Jahren von 102.000 Schilling und die Kosten für das »Faust«-Dach ab, so bleibe nur mehr ein Überschuss von 24.000 Schilling. »Dazu komme noch der Reservefonds, der nie angegriffen worden sei und 45.000 Schilling betrage, sodass im September 1935 ungefähr 70.000 Schilling zur Verfügung gestanden seien. Seither hätten jedoch verschiedene Auslagen bestritten werden müssen, wie der Betrieb des Sekretariats usw., sodass mit 1. Jänner 1936 nur mehr 40.000 Schilling vorhanden gewesen seien. Wenn die von den lokalen Faktoren durchgeführte Sperre des Reservefonds aufrechterhalten bliebe, würde gar nur ein Betrag von 3.000 Schilling verbleiben. Dagegen erfordere die Propaganda, die für die Festspiele 1936 geleistet werden müsse, einen Betrag von 40.000 Schilling. Die laufenden Betriebskosten dazu gerechnet, würde bis 1. August l. J. ein Betrag von 129.000 Schilling erforderlich sein.« Rechne man die bis 1. August zu erwartenden Einnahmen von rund 65.000 Schilling von diesem Betrag ab, so bliebe noch immer ein Abgang von 65.000 Schilling bestehen. »Redner sei der Meinung, dass die Bundessubvention in dem erforderlichen Ausmaß zugesagt werden müsse, damit auch die anderen Faktoren ihre Subventionen zur Verfügung stellten.«25 Finanzminister Draxler erwiderte, dass die Salzburger Festspiele unter Einbeziehung der Subventionen einen Überschuss von 70.000 Schilling erzielt hätten, woraus sich der Standpunkt seines Ministeriums erkläre. »Wenn jedoch der Landeshauptmann von Salzburg die bereits gezahlte Subvention wieder zurückverlange, sei dies ein geradezu lächerlicher Standpunkt, weil hierzu jedweder Rechtstitel fehle. Der Landeshauptmann habe an den Bundesminister für Finanzen einen Brief in dieser Sache geschrieben, der das Unglaublichste darstellt, was Redner jemals gesehen habe. Der Landeshauptmann glaubt offenbar, die Bundesregierung tyrannisieren zu können. Redner müsse schon aus diesem Grund auf dem in der erwähnten Note des Bundesministeriums für Finanzen zum Ausdruck gekommenen Standpunkt beharren.« Der von Präsident Puthon bis 1. August 1936 angegebene Fehlbetrag von 65.000 Schilling wäre durch die Subventionen der drei Salzburger Institutionen in der Höhe von 150.000 Schilling gedeckt, sodass seitens des Bundes keinerlei Anlass bestehe, eine Subvention zu erteilen.« Schuschnigg unterstützte in der anschließenden, heftig geführten Debatte den Standpunkt Pernters, der darauf hinwies, dass sich der Bund vertraglich verpflichtet habe, die Festspiele zu gleichen Teilen wie die Salzburger Institutionen zu subventionieren, und daher stelle eine Streichung der Subvention eine Vertragsverletzung 25 MRP 1020/7.

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dar. »Wenn der Bund diesen Vertrag einseitig kündige, falle auch die Verpflichtung für die übrigen weg, sich an einer Subventionierung zu beteiligen. Der Bund habe jedoch ein Interesse daran, dass die Salzburger Festspiele keine Angelegenheit der Salzburger allein werden, sondern dass er dabei auch etwas mitzureden habe, weil sonst die Wiener Kunstinstitute ausgeschaltet und die Festspiele nur mit ausländischen Künstlern durchgeführt würden. Es sei notwendig, alles zu tun, damit durch die Salzburger Festspiele nicht für Salzburg allein Reklame gemacht werde, sondern dass dies eine österreichische Angelegenheit bleibe.«26 Draxler beharrte jedoch auf seinem Standpunkt und bezeichnete es sogar »als unerhört, dass sich der Ministerrat mit der gegenständlichen Sache befassen müsse«, da doch keine Notwendigkeit einer Subventionierung bestehe. Die Drohung des Salzburger Landeshauptmanns, »keine Festspiele abzuhalten, erscheine geradezu grotesk«. In der an Schärfe zunehmenden Diskussion bemerkte schließlich Schuschnigg, es bestehe sehr wohl ein Anlass zur Diskussion der Angelegenheit im Ministerrat, »als man nicht riskieren könne, dass die Salzburger Festspiele heuer entfielen«.27 Der Ministerrat endete mit der Bereitschaft von Finanzminister Draxler, mit Rehrl persönlich in dieser Angelegenheit zu verhandeln und das Verhandlungsergebnis dem Ministerrat zu berichten. In persönlichen Verhandlungen mit Finanzminister Draxler erreichte Rehrl sein Ziel, die Zustimmung des Finanzministeriums, den Salzburger Festspielen 1936 unter Zugrundelegung des finanziell äußerst erfolgreichen Festspielsommers 1935 eine Subvention in der Höhe von 40.000 Schilling zu gewähren. Zudem verzichtete der Bund auf die Steuerrückstände aus den Jahren 1934 und 1935 und pauschalierte die Warenumsatzsteuer für die Festspiele 1936 mit 30.000 Schilling. Mit Blick auf die sicherheitspolitische Lage, die Möglichkeit einer neuerlichen Zunahme des nationalsozialistischen Terrors und in dessen Folge eines Ausbleibens der ausländischen Festspielbesucher erreichte der Salzburger Landeshauptmann die Zusicherung, dass in diesem Fall nach Ablauf des Gebarungsjahres am 30. September 1936 neuerliche Verhandlungen bezüglich der Gewährung einer zusätzlichen Bundessubvention geführt werden. Im Gegenzug verpflichteten sich die drei Salzburger Institutionen, die Festspiele mit jeweils 20.000 Schilling zu subventionieren, die Beschlagnahme des Reservefonds aufzuheben und die Lustbarkeits- und Fürsorgeabgabe für 1936 mit 36.000 Schilling zu pauschalieren. Konnte somit bereits im Februar eine Einigung über die Subventionierung der Festspiele 1936 erreicht werden, so bestanden weiterhin erhebliche Auffassungsunterschiede zwischen der Direktion der Salzburger Festspiele und dem Rechnungshof über dessen Einsparungsvorschläge. Diese Differenzen waren politisch deshalb von besonderer Brisanz, als das Finanzminis26 Ebda. 27 Ebda.

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terium den Rechnungshofbericht vom 17. Dezember 1935 als Grundlage für seine restriktive Haltung gegenüber den Festspielen in der Subventionsfrage verwendete. Am 13. Mai berief Rechnungshofpräsident Otto Ender, sichtlich um einen Ausgleich bemüht, eine Konferenz der beteiligten Parteien über die vom Rechnungshof vorgeschlagenen Einsparungsmöglichkeiten ein, die jedoch aufgrund der dem Festspielbetrieb fremden Forderungen des Rechnungshofes, vor allem im Bereich der Freikarten und der Künstlerhonorare, letztlich ergebnislos endete. Erst Anfang Juli wurde über Intervention von Eduard Ludwig, dem Chef des Bundespressedienstes, ein Kompromiss im Bereich der Freikarten erzielt. Kaum hatte Rehrl die Finanzierungskrise des Festspielsommers 1936 gemeistert, stand er vor der Aufgabe, die Finanzprobleme Max Reinhardts zu lösen, dessen Lebensstil und Steuerschulden existenzbedrohende Ausmaße angenommen hatten und damit auch die Salzburger Festspiele tangierten.

VIII.3 Die Gewissheit freundschaftlicher Geborgenheit. Rehrl und die Steuerschulden Reinhardts Bereits im Frühjahr 1935, als sich Max Reinhardt in Hollywood zu Dreharbeiten für den »Sommernachtstraum« aufhielt, meldeten Salzburger Medien, dass sich die deutschen Finanzbehörden im Wege des zwischenstaatlichen Rechtshilfeabkommens an das österreichische Bundesministerium für Finanzen mit dem Ersuchen gewandt hatten, die Sicherstellung der deutschen Steuerschulden in der Höhe von rund 270.000 Reichsmark, die seit dem 11. Oktober 1930 beim Finanzamt Hansa in Berlin angefallen waren, zu betreiben.28 Die deutsche Steuerforderung wurde 1935 in der Höhe von 210.139 Reichsmark als hypothekarische Belastung Leopoldskrons im Grundbuch eingetragen. Ein Blick in das Grundbuch zeigt, dass Leopoldskron zwischen 1933 und 1935 mit einer Summe von rund 172.000 Schilling Steuerschulden an den österreichischen Fiskus, die vor allem aus Reinhardts persönlicher Haftung für das Josefstädter Theater in Wien resultierten, belastet wurde, sodass die Verschuldensquote ein kritisches Maß erreichte. Reinhardt, der 1924 gegen eine Gewinnbeteiligung das Josefstädter Theater von der von Camillo Castiglioni gegründeten Wiener Schauspielhaus A. G. pachtete, konnte sich durch seine zahlreichen Verpflichtungen dem Josefstädter Theater nicht mit der nötigen Energie und Zeit widmen, weshalb er es seit 1926 durch Subdirek28 Johannes Hofinger hat in seiner Darstellung der Geschichte des Schlosses Leopoldskron darauf hingewiesen, dass die oft aufgestellte Behauptung, diese Steuerforderung sei ungerechtfertigt oder fingiert gewesen, nicht stimmt. Diese sei sehr wohl begründet gewesen (Hofinger  : Die Akte Leopoldskron. S. 54).

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toren leiten ließ – 1926 bis 1933 durch Emil Geyer, 1933 bis 1935 durch Otto Preminger. Bereits beim Wechsel von Geyer zu Preminger kursierten in Wien Gerüchte über finanzielle Probleme des Josefstädter Theaters,29 die durch die persönliche Haftung Reinhardts für diesen immer bedrohlicher wurden. Im September 1935 schrieb er an Generaldirektor Heinz Adamec, ihn hätten in Venedig während seiner Einstudierung des »Kaufmanns von Venedig« Camillo Castiglioni und Otto Preminger aufgesucht und ihm bei dieser Gelegenheit »rückhaltlos die katastrophale Lage dargelegt, in der sich die Josefstadt trotz der verhältnismäßig guten letzten Saison befindet. Ich muss sagen, dass mir schon die nackten Zahlen (über einhundertvierzigtausend Schilling Privatschulden und dazu fast eine halbe Million Steuerschulden) ein großes Entsetzen eingejagt haben, umso mehr, als ich leider, wie in Berlin, für die ganzen Schulden persönlich haftbar war«.30 Kurze Zeit nach dem Gespräch in Venedig hätten Castiglioni und Preminger ihn in Leopoldskron besucht, wobei man sich auf seinen völligen Rückzug und die Verpachtung des Josefstädter Theaters an Ernst Lothar geeinigt habe, so Reinhardt in seinem Brief. Lothar sei aufgrund seiner beruflichen Ausbildung und bisherigen Leistungen als Schriftsteller, Jurist und Regisseur eine hervorragende Wahl, da er zudem über die unbedingt notwendigen Geldmittel verfüge, »um innerhalb einer gewissen Frist die laufenden Schulden abzudecken«.31 Lothar bewohnte zusammen mit seiner Frau Adrienne Gessner während der Festspiele ein Haus in Morzg und war oftmals Gast in Leopoldskron. Reinhardt ließ ihn nun über Helene Thimig ausrichten, er würde es sehr begrüßen, wenn er die Leitung des Theaters in der Josefstadt übernähme. »Nach wenigen Tagen unterschrieb ich, der Überredungskunst des großen Überredners bedurfte es nicht mehr  ; ein Kleinod wie die Josefstadt suchte ihresgleichen …« Wenngleich Reinhardt in den letzten Jahren immer seltener nach Wien gekommen war und das Theater durch Stellvertreter leiten ließ, waren immer noch »genug große Schauspieler erhalten, die Reinhardt liebten und, wenn sie ihn schon nicht selbst haben konnten, jemanden vorzogen, der zu ihm stand wie sie. Und Reinhardt selbst wünschte keinen Stellvertreter mehr, sondern die völlige Liquidierung seiner Rechte und Pflichten, zu deren Übernahme er mich ausersah«.32 Mit der Übergabe des Josefstädter Theaters an Ernst Lothar war zwar Reinhardts Privathaftung für das Josefstädter Theater vom Tisch, nicht jedoch seine erheblichen Steuerschulden, weshalb nach wie vor die Gefahr einer Exekution von Schloss Leopoldskron bestand. Schloss Leopoldskron war jedoch in der Zwischenzeit ein 29 Wiener Allgemeine Zeitung, 30. 7. 1933. S. 5. 30 Zit. bei Fuhrich, Dembski, Eder (Hg.)  : Ambivalenzen. S. 156. 31 Ebda. 32 Ernst Lothar  : Das Wunder des Überlebens. Erinnerungen und Ergebnisse. – Hamburg/Wien 1960. S. 88f.

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Aushängeschild der Festspiele, ein begehrter Treffpunkt der internationalen und nationalen Prominenz geworden. Reinhardts Empfänge genossen einen legendären Ruf und waren für die Reputation der Festspiele und des Landes von erheblicher Wirkung. Es galt daher, eine Exekution dieses von Reinhardt und seiner Frau Helene Thimig liebevoll eingerichteten und adaptierten Juwels vor dem Schicksal einer Exekution zu bewahren, weshalb sich Rehrl der Sache annahm und unentwegt für den Festspielgründer sowohl beim Bundeskanzler wie beim Finanzminister intervenierte. Bei den Motiven Rehrls für seine hartnäckig verfolgten Problemlösungen dominierte sicherlich nicht die Bedeutung Reinhardts als Devisenbringer für Salzburg, wie Hofinger angibt – so sehr diese Überlegung sicherlich auch eine Rolle gespielt haben dürfte –, sondern eine tief empfundene Sympathie und Zuneigung zu dem Theatermagier. Rehrl, der aus einfachen Verhältnissen stammte, wusste um die finanzielle Asymmetrie der Haushaltsführung und des Lebensstils Reinhardts Bescheid, doch er bewunderte und schätzte ihn und war sich seiner Strahlkraft weit über Salzburg hinaus bewusst. Er war bereit, vor allem auch für diese persönliche Beziehung in den Ring zu steigen und mit all seiner finanziellen Phantasie und Beharrlichkeit für Reinhardt zu kämpfen. Anfang 1936 schrieb ihm Reinhardt, er erfahre »mit tiefer Rührung und mit Stolz …, mit welcher Hingabe Sie sich neuerdings in der leidigen Hypothekenfrage für mich einsetzen. Lassen Sie mich Ihnen unabhängig von Erfolg oder Misserfolg von Herzen danken für die Auszeichnung, die Sie mir durch Ihren Freundschaftsdienst erweisen«.33 Rehrl unterstützte das Ansuchen Reinhardts, ihn aus seiner persönlichen Schuldhaftung für seine Abgabenrückstände beim österreichischen Fiskus zu entlassen, auf das Pfandrecht auf Schloss Leopoldskron zu verzichten und dafür diese Rückstände auf die Realitäten der Wiener Schauspielhaus A. G. sicherzustellen. Gegenüber dem Finanzministerium musste er in seiner Argumentation das staats- und landespolitische Interesse als Leitmotiv seiner Intervention betonen. So schrieb er am 14. Februar 1936 an Finanzminister Ludwig Draxler  : »Dass ich die Angelegenheit Reinhardt, die die Lastenfreistellung des Schlosses Leopoldskron gegen Unterstellung des Besitzes der Schauspielhaus A. G. in der Josefstadt zu Wien betrifft, als Landeshauptmann betreibe, hat seinen Grund ausschließlich im öffentlichen Interesse des Landes Salzburg und seiner Festspiele bzw. im Interesse ganz Österreichs. Prof. Max Reinhardt hat seit dem Tode seines Bruders und seit dem Umsturze im Deutschen Reiche wirtschaftlich außerordentlich schwer zu kämpfen. Das ganze Inventar von Schloss Leopoldskron gehört schon längst nicht mehr Max Reinhardt. Das leere Schloss hat effektiv keinen Kommerzwert. So würden exekutive Schritte ganz bestimmt ergebnislos verlaufen und nur eine Verärgerung Max Reinhardts herbeiführen, die vielleicht dazu führen könnten, dass seine Schaffensfreude für die Salzburger 33 Zit. bei Zehle  : Max Reinhardt. S. 164.

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Festspiele wesentlich Schaden litte.«34 Zwei Tage später dankte ihm Auguste Adler, die offensichtlich eine Abschrift des Schreibens erhalten hatte, für seine Bemühungen im Namen Reinhardts und betonte, dass »in diesen Zeiten, die für ihn so unsagbar schwer sind, es ihn ganz besonders beglückt, die Gewissheit so viel freundschaftlich verdienstvoller Geborgenheit zu fühlen. Bei der großen Verehrung, die er für die Tatkraft Ihres Wirkens hegt, ist ihm dieses Bewusstsein die größte Beruhigung«.35 In Finanzminister Ludwig Draxler, der mit dem Salzburger Landeshauptmann in der Causa Festspiele ohnedies heftige Kontroversen austrug, hatte Rehrl allerdings keinen verständnisvollen Ansprechpartner. Am 13. Juli 1936 schrieb er Rehrl, Reinhardt müsse sich »nunmehr endgültig mit der unvermeidlichen Tatsache abfinden, dass auch er, so wie alle anderen Steuerträger, die vom Gesetze auferlegten, wenn auch empfindlichen Abgabenverpflichtungen erfüllen muss«.36 Doch Rehrl ließ nicht locker, und die Zeit arbeitete für ihn. Am 3. November 1936 schied Ludwig Draxler im Rahmen einer Regierungsumbildung aus seiner Funktion. Sein Nachfolger Rudolf Neumayer zeigte sich den Argumenten Rehrls gegenüber erheblich aufgeschlossener, zumal dieser die Unterstützung von Bundeskanzler Schuschnigg erhielt. Anfang 1938 wurde die Angelegenheit der Steuerschuld Reinhardts beim österreichischen Fiskus im Sinne des von Rehrl unterstützten Angebots des Regisseurs positiv erledigt. Reinhardt zahlte im Februar aus seinem Privatvermögen 40.000 Schilling an den österreichischen Fiskus, und es erfolgte eine Teilübertragung seiner Verbindlichkeiten an das von Ernst Lothar geleitete Theater in der Josefstadt. Damit galten seine Steuerschulden als getilgt. Reinhardt, der sich zu diesem Zeitpunkt in den USA aufhielt, dürfte von diesem Vorgang allerdings keine Kenntnis mehr erhalten haben.

VIII.4 Festspielsommer 1936. Arturo Toscanini oder das Huhn, das goldene Eier legt Am 9. Juli 1936 wurde Rehrl von Bundeskanzler Schuschnigg über den Inhalt des bevorstehenden Abschlusses des Juli-Abkommens mit dem Deutschen Reich informiert.37 Der Bundeskanzler war sich der Schwächen des Abkommens, das sich als Trojanisches Pferd des Nationalsozialismus erweisen sollte, durchaus bewusst. Er sah 34 SLA Rehrl-Briefe 1937/1420. 35 Ebda. 36 Ebda. 37 Zum Juli-Abkommen vgl. Das Juli-Abkommen von 1936. Vorgeschichte, Hintergründe und Folgen. Protokoll des Symposiums in Wien am 10. und 11. Juni 1976. – Wien 1977 (= Wissenschaftliche Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938. Veröffentlichungen Band 4. Herausgegeben von

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sich jedoch vor dem Hintergrund des Verlustes der italienischen Rückendeckung gegenüber dem Deutschen Reich infolge des Abessinienkrieges 1935 und der außenpolitischen Isolation Österreichs durch die passive Politik der Westmächte zu einem außenpolitischen Ausgleich mit Berlin gezwungen und stand zudem unter dem massiven Druck von Wirtschaft und Landwirtschaft, die sich angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise und des einsetzenden deutschen »Wirtschaftswunders« von einer Normalisierung der bilateralen Beziehungen positive Impulse erwarteten. Eine Forderung, die vor allem auch in Salzburg immer wieder erhoben wurde.38 Schuschnigg setzte bei seinem Entschluss vor allem auf zwei Entwicklungen  : Durch die schrittweise Legalisierung der sogenannten »Nationalen Opposition« bezweckte er eine Verbreiterung der Regierungsbasis durch den gemäßigten Flügel des nationalen Lagers und damit eine Spaltung der Nationalsozialisten, bewirkt durch einen Mentalitätswandel der betont Nationalen hin zu einem vom Ständestaat propagierten Österreich-Bewusstsein. Und er setzte auf Zeitgewinn mit dem Kalkül einer Änderung der außenpolitischen Konstellation, die dem Ballhausplatz gegenüber Berlin größere Bewegungsfreiheit verschaffen würde. Die am 1. Juli 1936 nach einer Besprechung mit dem deutschen Botschafter in Wien, Franz von Papen, vom Außenministerium verfasste vertrauliche Aufzeichnung wurde zur Grundlage der Informationspolitik des Ballhausplatzes an alle österreichischen Auslandsvertretungen und bildete auch die Grundlage der Information der Landeshauptleute durch den Bundeskanzler am 9. Juli. Darin wurde Gerüchten entgegengetreten, dass das Abkommen als Trojanisches Pferd einer nationalsozialistischen Machtergreifung dienen könnte. Es könne lediglich davon die Rede sein, »dass die Regierungsbasis in Österreich dadurch verstärkt werden könnte, dass die sogenannten ›nationalen Kreise‹ zur Mitverantwortung herangezogen werden, insoweit sie sich nicht nationalsozialistisch kompromittiert haben und sich eindeutig zu den Grundsätzen bekennen, die das Gesetz über die Vaterländische Front hinsichtlich der österreichischen Staatlichkeit aufstellt. (…) In außenpolitischer Beziehung glaubt der Bundeskanzler sich der Hoffnung hingeben zu können, dass die Entgiftung des nunmehr seit dreieinhalb Jahren bestehenden gespannten Verhältnisses zwischen Österreich und dem Deutschen Reiche wesentlich dazu beitragen kann, dass die allgemeine Unruhe und nervöse Gereiztheit auf dem europäischen Kontinent, unter denen Österreich als kleiner Staat ganz beLudwig Jedlicka und Rudolf Neck)  ; Gabriele Volsansky  : Pakt auf Zeit. Das Deutsch-Österreichische Juli-Abkommen 1936. – Wien/Köln/Weimar 2001 (= Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek Band 37). 38 Zu Salzburg und dem Juli-Abkommen vgl. Robert Kriechbaumer (Hg.)  : Die Dunkelheit des politischen Horizonts. Salzburg 1933 bis 1938 in den Berichten der Sicherheitsdirektion. Band 2  : Donnergrollen. Vom Februar 1934 bis Juli 1936. – Wien/Köln/Weimar 2020. S. 224ff. (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 70,2).

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sonders zu leiden hat, eine wesentliche und anhaltende Linderung erfahren wird. Es muss hierbei mit allem Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass sich dieses für Österreich wie für den großen Teil des europäischen Kontinents hoffentlich günstig auswirkende Ergebnis der Entspannungsaktion ohne Aufopferung auch nur eines der fundamentalen Grundsätze des heutigen Österreich erzielen lassen wird. Es wäre daher durchaus abwegig und den Tatsachen widersprechend, wollte man hierin – wie dies voraussichtlich Österreichs missgünstige Stimmen zu behaupten versuchen werden – ein Aufgeben der eigenstaatlichen Grundsätze Österreichs oder ein Abweichen von der die gesamte Politik Österreichs bestimmenden ›Dollfuß-Linie‹ erblicken«.39 Die Hoffnungen Schuschniggs sollten sich als Trugschluss erweisen und die in der vertraulichen Aufzeichnung des Außenministeriums als »missgünstige S ­ timmen« Bezeichneten Recht behalten. Das in Salzburger Wirtschaftskreisen vor allem auch aufgrund der darin enthaltenen Aufhebung der Tausend-Mark-Sperre lebhaft akklamierte Juli-Abkommen sollte aufgrund der massiven deutschen Devisenbeschränkung nicht die erhofften Auswirkungen auf den Fremdenverkehr zeigen, und auch die bilateralen Handelsbeziehungen erhielten durch die selektive deutsche Außenhandelspolitik keineswegs die erhofften Impulse. Der vielfach erhoffte Ansturm deutscher Gäste zur Festspielzeit blieb daher aus. Die Festspiele wurden, noch stärker als 1935, von einem nicht-deutschen ausländischen Publikum dominiert. Salzburg wurde, in deutlichem Gegensatz zu Bayreuth, zum Treffpunkt eines internationalen mondänen Publikums, das im Besuch der Festspielstadt an der Salzach auch ein demonstratives politisches Zeichen gegenüber dem nur wenige Kilometer entfernt herrschenden Nationalsozialismus sah. Und Toscanini, der Antifaschist, setzte in enger Zusammenarbeit mit Bruno Walter auch seinen Ehrgeiz daran, Salzburg als Anti-Bayreuth, als Stätte der internationalen, völkerverbindenden Kunst, in der auch das Werk Richard Wagners von seiner nationalsozialistischen Vereinnahmung befreit wurde, zu positionieren. Er dirigierte – durchaus als politisches Programm gedacht – neben Beethovens Freiheitsoper »Fidelio« und Verdis »Falstaff« als Neuproduktion Wagners »Die Meistersinger von Nürnberg«, Hitlers Lieblingsoper, die zu Beginn jedes Reichsparteitages in Nürnberg gespielt wurde. Bruno Walter dirigierte, neben Mozarts »Don Giovanni«, Glucks »Orpheus und Eurydike« und Hugo Wolfs »Der Corregidor«, als Betonung der Anti-Bayreuth-Position Salzburgs die Wiederaufnahme von Wagners »Tristan und Isolde«, während Staatsoperndirektor Felix von Weingartner Mozarts »Die Hochzeit des Figaro« und »Così fan tutte« leitete. Neben diesen drei Dirigenten, die auch den Großteil der Orchesterkonzerte bestritten, unterstrichen der von Toscanini geförderte Artur Rodzinski und Pierre Monteux als Dirigenten von Orchesterkonzerten den sich verstärkenden internationalen Akzent der Festspiele. Das »Salzburger 39 ADÖ 10/1633.

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Volksblatt« bemerkte zum Beginn der Festspiele, Salzburg sei am 24. Juli, 19 Uhr, »eine internationale Stadt geworden. Die zauberhafte Wirkung, die vom Ruf der Festspiele ausgeht, hat sich heuer wieder eingestellt. Die Salzburger Festspiele als Prachtbilderbuch vornehmster Kunst führen wieder die große Welt zusammen. Die Festspielstadt für sich allein ist wieder ein großes gesellschaftliches Theater, dessen Akteure die Besucher selbst sind. Es ist ein ungeschriebenes, aber streng beobachtetes gesellschaftliches Gesetz geworden, in Salzburg bei den Festspielen mit seiner Person zu paradieren. (…) Das Gesellschaftsbild im Festspielhaus ist festlich. Damen in Abendkleidern, Décolletés vorne und hinten in allen sehenswerten Größen und Weiten, schöne Frauenkörper, teils in Naturfarbe, teils in aufgelegtem südlichen Braun, Fracks und Smokings älterer und neuerer Herkunft, und es ist schon offenbar, dass die Schneiderinnen von Paris. London und New York täglich abends eine Konkurrenz im Festspielhaus abhalten. England, Frankreich, Italien, Tschechoslowakei, Polen, Amerika haben sich ein Stelldichein gegeben. (…) Im Festspielhaus macht der Hausherr, Landeshauptmann Dr. Rehrl, die ­Honneurs und mustert sachkundig die Herbeigeströmten«.40 Die prominentesten »Herbeigeströmten« waren in diesem Festspielsommer König Eduard VIII., der sich auf seiner Durchreise nach Dalmatien zwei Stunden inkognito in der Festspielstadt aufhielt, und der italienische Kronprinz Umberto von Piemont und dessen Gattin, die zu einem dreitägigen offiziellen Besuch in Salzburg weilten. Sie wurden von den Spitzen der Bundesregierung und Landeshauptmann Rehrl empfangen, der in diesem Besuch einen wichtigen Schritt in Richtung der Positionierung Salzburgs auch als Stadt der diplomatischen Spitzentreffen und der Staatsbesuche und damit auch der bundespolitischen Aufwertung sah. Dieses Ziel verfolgte er mit Ausdauer und Geschick, wobei ihm die Festspiele als wichtigstes Instrument dienten.41 So bot ihm die 100. Aufführung des »Jedermann« am 15. August 1936 die Möglichkeit, am folgenden Tag den von ihm seit Jahren veranstalteten Festspielempfang in der Salzburger Alten Residenz in Form eines Staatsakts unter Teilnahme des Bundespräsidenten, Mitgliedern der Bundesregierung und des in Öster­reich akkreditierten diplomatischen Korps, des Bürgermeisters der Stadt Salzburg, Spitzenrepräsentanten der Landespolitik und -verwaltung, des Klerus sowie zahlreicher Künstler zu inszenieren.42 Dabei unterstrich und bestätigte Bundespräsident Wilhelm Miklas in seiner Ansprache den von Rehrl intendierten bundespolitischen Stellenwert der Festspiele, indem er betonte, er sei dem Salzburger Landes40 Glanzvoller Beginn der Festspiele. – In  : Salzburger Volksblatt, 26. 7. 1936. S. 5. 41 Neues Wiener Journal, 9. 8. 1936. S. 1 und 3  ; Neue Freie Presse, 10. 8. 1936. S. 2  ; Neue Freie Presse, 11. 8. 1936. S. 4. 42 Vgl. Dokument 20.

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hauptmann besonders verbunden, weil dieser mit diesem Empfang nicht nur »eine gesellschaftliche repräsentative Pflicht« erfülle, sondern »auch einer gesamtösterreichischen Repräsentationspflicht genügt, die unser Vaterland der internationalen Kulturwelt schuldet, die alljährlich in den sommerlichen Festspielwochen Österreich besucht. Diese Feststellung gibt mir wohl auch das Recht, hier im schönen Salzburg auch namens Österreichs alle verehrlichen Festgäste von nah und fern, von diesseits und jenseits des Ozeans herzlichst zu begrüßen und nicht zuletzt auch die weltberühmten Meister der Musik und die prominenten Bühnenkünstler, die sich den Salzburger Festspielen zur Verfügung gestellt haben«. Miklas beglückwünschte Rehrl zu seinen Bemühungen und Erfolgen um die Festspiele, die »zu einer Art Olympiade des Geistes und der Kunst« geworden seien, nicht nur in seinem Namen, sondern im Namen des ganzen Landes.43 Die »Neue Freie Presse« berichtete, gleichsam ergänzend zur Ansprache des Bundespräsidenten, aus dem sommerlichen Salzburg, dieses nenne man nicht zu Unrecht das deutsche Rom und es repräsentiere »gleichsam den Urkern der vermittelnden österreichischen Kulturmission, und, abseits von allem Politischen, der österreichischen Mission schlechthin«. Dies sei vor allem auch das Verdienst von Landeshauptmann Rehrl, der sich als »ständiger und unermüdlicher Initiator und Förderer« dieser Mission erwiesen habe und durch dessen Engagement »die Stadt an der Salzach – die letzten Besuche bezeugen es von neuem – zu einem einzig- und eigenartigen Begriff in der Welt der Kunst geworden« ist.44 Dies waren keineswegs propagandistische Phantasiegebilde, die nur wenig mit der Realität zu tun hatten. Tatsächlich traf sich im Festspielsommer 1936 in Salzburg alles, was Rang und Namen hatte, sowohl gesellschaftlich wie auch künstlerisch, wobei im Bereich des Künstlerischen Arturo Toscanini eine Sonderstellung zukam, dessen Ruhm und Anziehungskraft offensichtlich, wie Max Graf bewundernd feststellte, »bis in die kleinsten Städte Amerikas« wirkte.45 Salzburg sei, so »Der Wiener Tag«, im Jahre 1936 total entdeckt worden, vor allem von der mondänen US-amerikanischen und westeuropäischen Gesellschaft, die im Foyer des Festspielhauses dominiere, wobei die Amerikanerinnen die jedes Mal stattfindende Modenschau beherrschen.46 Der sich stark steigernde Zustrom der mondänen Welt und ihrer Statussymbole, vor allem die vom einheimischen Publikum entsprechend bestaunten Luxuslimousinen, warf die Frage nach der zeitgemäßen Verkehrsinfrastruk43 Neue Freie Presse, 17. 8. 1936. S. 8. Im Rahmen des Festaktes erfolgte durch Bundespräsident Miklas auch eine Ordensverleihung an verdienstvolle Mitwirkende des »Jedermann«. Dagny Servaes, Helene Thimig-Reinhardt und Frieda Richard sowie Richard Metzl erhielten das Ritterkreuz des Österreichischen Verdienstordens, Poldi Czernitz-Renn das Goldene Verdienstzeichen. Außerdem wurde Oberregisseur Dr. Lothar Wallerstein der Titel »Regierungsrat« verliehen. 44 Höhepunkt der Salzburger Festspiele. – In  : Neue Freie Presse, 12. 8. 1936. S. 4. 45 Max Graf  : Salzburger Festspiele. – In  : Der Wiener Tag, 4. 8. 1936. S. 8. 46 Zwischen »Platzl« und »Max-Reinhardt-Platz«. – In  : Der Wiener Tag, 4. 8. 1936. S. 3.

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tur der Stadt Salzburg auf. Anfang August veröffentlichte die »Salzburger Chronik« die Zuschrift eines besorgten Salzburgers, der darauf hinwies, dass man angesichts des sommerlichen Verkehrschaos vor allem in der Innenstadt »einem weiteren Anwachsen des Verkehrs nicht sorglos gegenüberstehen« dürfe, sondern eine Verkehrsplanung und die entsprechenden baulichen Maßnahmen in Angriff nehmen müsse. »Eine besondere Erwähnung verdienen aber auch die Zufahrtsstraßen unserer Stadt. Gerade in den neu eingemeindeten Gebieten herrschen noch Straßenzustände, die beim besten Willen nicht mehr akzeptiert werden können. Zugegeben, dass ein Teil dieser Straßenstücke  : Maxglaner Hauptstraße, Schallmooser Hauptstraße, Müllner Hauptstraße wegen späterer Verbauungsabsichten nicht voll instand gesetzt werden, Asphaltierungen später wieder aufgerissen werden müssten, so ist es nicht zu ersehen, wieso man überhaupt gar nichts unternimmt, um wenigstens eine halbwegs anständige Fahrdecke dieser Straßen herzustellen. Was müssen sich die Fremden denken, wenn sie von den guten Überlandstraßen her Salzburg zusteuern.«47 Nicht die schlechten Zufahrtsstraßen, sondern der Schlosspark von Kleßheim bildete den Rahmen für den vom Salzburger Automobil-Club unter der Patronanz von Landeshauptmann Rehrl, der selber ein begeisterter Automobilist war, veranstalteten »Concours d’Elegance« am 16. August. Die Teilnehmer mussten sich in Trachtenmode mit ihren Luxuslimousinen der Marken Austro-Daimler, Steyr, MercedesBenz, Delage, Tatra, Skoda, Aero, Lancia, Gloria-Triumph, Alvis, Talbot, Packard, Nash, Chevrolet, Hispano und Oldsmobile unter dem Ansturm der anwesenden Bildberichterstatter der Jury präsentieren. Als Rahmenprogramm führte das Modehaus Lanz eine von Teilnehmern und Publikum heftig akklamierte Trachtenmodenschau mit etwa 50 Modellen durch. Eine gemeinsame Einfahrt der teilnehmenden Limousinen in die Stadt bildete den Abschluss der Veranstaltung.48 Im Festspielsommer 1936 dominierte in erheblich stärkerem Ausmaß als im Vorjahr die Tracht das Erscheinungsbild der internationalen Festspielbesucher. Die »Neue Freie Presse« berichtete aus der Festspielstadt, dass man noch vor zwei, drei Jahren, wenn man in Salzburg ankam, erstaunt feststellen musste, dass man »in eine Art Bauernballleben geraten« sei. »Man war damals noch gar nicht daran gewöhnt, an einem einzigen Ort so viele Städter als Dirndl und Buam verkleidet vorzufinden. Salzburg selbst dürfte sich darüber am meisten gewundert haben. In jenen Jahren war hier nur ein einziges Geschäft bekannt, das die kostümlichen Ansprüche zu befriedigen verstand. Die wenigen Artikel der touristischen Ausrüstung, für die Nachfrage bestand – Eispickel, Nagelschuhe, Seile, die Loden und die ›Ledernen‹ – mussten plötzlich Dirndlkleidern und Henndorfer Jacken Platz machen. Das war der Anfang.

47 Staatsbrücke und Verkehrsmisere. – In  : Salzburger Chronik, 5. 8. 1936. S. 4. 48 Der Concours d’Elegance. – In  : Salzburger Chronik, 17. 8. 1936. S. 7.

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Nicht lange nachher stellte sich der Erfolg ein, der nach einiger Zeit so gewaltig anschwoll, dass es sogar zu Niederlassungen in New York kam. Die seither ständig zunehmende Entwicklung der ›Juchhu-Mode‹ veränderte das Straßenbild Salzburgs vollkommen. Beschränkte sich seinerzeit die Kostümierung auf das Publikum, so spiegelt es sich jetzt natürlich auch schon in den Schaukästen wider. Überall sieht man ›Dirndln‹ und wieder ›Dirndln‹, Jacken in allen Farben, in allen Schnitten und mit verschiedenstem schmückenden Beiwerk. Selbstverständlich fehlen auch nicht die dazu passenden Schuhe (…) Von den Hüten unserer Bäuerinnen hat die Weltmode in den letzten Jahren sehr viele verwendbare Anregungen erfahren.« Die Tracht wurde, vor allem dank der Salzburger Festspiele. in den letzten Jahren zu einer internationalen Mode und damit zu einem beachtlichen heimischen Wirtschaftsfaktor. »Man muss sich vergegenwärtigen, dass es sich hier um ein in der ganzen Welt einzig dastehendes Phänomen handelt  : Der Fremde kommt in unser Land und nimmt, überraschender Weise, ohne viel Hemmungen zu zeigen, Formen unserer Kleidung auf. Diese ganz allgemein zu beobachtende Tatsache zeigt nicht nur einen Zug der gegenwärtigen Mode, sondern auch die besonderen Sympathien, die Österreich in der Welt genießt.«49 Wenngleich Max Reinhardt zweifellos eine Vorliebe für das Ländliche und das typisch Salzburgische hatte und dies auch in seine frühen Festspielkonzeptionen einfloss, so zeigte er sich selber kaum jemals in Tracht und verbot sie ausdrücklich bei seinen privaten Empfängen auf Schloss Leopoldskron. Allerdings ließ er Clemens Holzmeister seine »Faust«-Stadt in der Felsenreitschule im Salzburger Ambiente inklusive Trachten entwerfen. Als Propagandist der Trachtenmode agierte sein Freund Rudolf K. Kommer, der Reinhardts internationale Gäste zu einem entsprechenden Dresscode animierte und als einer der Initiatoren des Aufschwungs der Salzburger Trachtenmode bezeichnet werden kann. Der große internationale Durchbruch, der sich vor allem in der Ära Toscanini manifestierte, folgte hingegen wohl stärker einem Modetrend des elitären Festspieltourismus, er bildete gleichsam die Ergänzung zum elitären Kunstgenuss.50 Max Graf berichtete vom Beginn der Festspiele, es sei bekannt, dass diese »in den letzten Jahren einen großen Aufschwung genommen haben, ja die große Mode der anglo-amerikanischen und französischen Gesellschaft geworden sind, und dass der Zustrom des internationalen Publikums nach der Mozart-Stadt im vergangenen

49 Salzburger Schaufenster. – In  : Neue Freie Presse (Abendausgabe), 8. 8. 1936. S. 5. 50 Alma Scope  : Bühnen der »Volkstümlichkeit«. Die Bedeutung Salzburgs und der Festspiele für die Trachtenmode. – In  : Trachten nicht für jedermann  ? Heimatideologie und Festspieltourismus, dargestellt am Kleidungsverhalten in Salzburg zwischen 1920 und 1938. – Salzburg 1993. S. 241–260 (= Salzburger Beiträge zur Volkskultur, Band 6. Herausgegeben vom Salzburger Landesinstitut für Volkskunde. Ulrike Kammerhofer-Aggermann, Alma Scope, Walburga Haas).

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Jahr überraschend groß gewesen ist. Der Besuch der Salzburger Festspiele ist in den Kodex des internationalen Reiselebens aufgenommen worden, wobei der Name Toscaninis sich als der eines Wundermannes bewährt hat, der das sensationelle Interesse der ganzen Welt auf sich zieht. Der Mitwirkung Toscaninis bei den Salzburger Festspielen ist es in erster Linie zu danken, dass in diesem Jahr der Besuch der Salzburger Festspiele sich weiter gesteigert hat und der volle Erfolg dieses österreichischen Unternehmens schon jetzt gesichert ist«.51 Toscaninis Mitwirkung war jedoch lange ungewiss, da der für seine Temperamentsausbrüche berühmt-berüchtigte Dirigent im Frühjahr feststellen musste, dass sein von ihm geschätztes Quartier, eine Villa in Aigen, von deren Besitzerin aufgrund von Preisdifferenzen nicht an ihn, sondern an zwei Schweizer Musiker vermietet worden war. Toscanini reagierte empört und drohte mit seiner Absage, sollte er nicht wieder die von ihm gewünschte Villa während der Festspielzeit beziehen können. Die Leitung der Festspiele war durch diese unvermutete Situation erheblichen Stressfaktoren ausgesetzt, galt es doch, eine Absage Toscaninis unbedingt zu vermeiden. Man bat Bruno Walter, auf seinen Kollegen beruhigend einzuwirken, und Walter schrieb am 1. Juni einen entsprechenden Brief. Gleichzeitig bemühte man sich in der Hofstallgasse um ein entsprechendes Ersatzquartier für die beiden Schweizer Musiker und musste der Villenbesitzerin zudem noch eine Aufzahlung von 1.500 Schilling zubilligen, die diese mit dem Argument gefordert hatte, dass Toscanini als Mieter besonders anspruchsvoll sei. Die Wogen der Erregung glätteten sich schließlich am Vorabend der Festspiele, und der italienische Maestro erschien in Salzburg zu den Proben der »Meistersinger von Nürnberg«, bei denen die schließlich notwendig werdende Umbesetzung der Rolle des Hans Sachs – anstelle des von Toscanini gewünschten Friedrich Schorr übernahm Hans Hermann Nissen die Partie – sowie die gewünschte Verstärkung von Opernchor, Ballett und Statisterie, neben den zwischenzeitlichen Temperamentsausbrüchen des Dirigenten, für neuerliche Stressfaktoren und zusätzliche Kosten sorgten. Doch die Faszination Toscaninis für Musiker, Sänger/innen und Musikbegeisterte aus aller Welt war ein Faktum. So erklärte Charles Kullmann, der Stolzing der Salzburger »Meistersinger«, seine große Begeisterung für den italienischen Maestro datiere aus ihrer Zusammenarbeit in New York, wo er in Verdis »Requiem« und Beethovens »Missa solemnis« sang. »Immer wieder bedeutet es ein Erlebnis für mich, unter seiner Leitung wirken zu dürfen, jedes Mal gleichsam eine Uraufführung des Erlebens. Denn Toscanini erreicht durch seine Liebe und das Verständnis seinen Sängern gegenüber, dass man sich in eine Welt glückhaften Seins einlebt. Manchmal möchte man aufhören zu singen, damit man die begleitende Musik stärker genießen könnte. Derart überwältigt den Sänger die Kraft dieses Musizierens. Das Wunder51 Max Graf  : Beginn der Salzburger Festspiele. – In  : Der Wiener Tag, 25. 7. 1936. S. 3.

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bare an Toscanini aber ist seine Menschlichkeit, sein tiefes Verstehen aller Dinge. Wirklich – welch Charakter, welch Mensch  !« Kerstin Thorberg, die Magdalena der Aufführung, empfing ihren ersten überwältigenden Eindruck von Toscanini, als dieser »Fidelio« dirigierte. »Seitdem ich seine Suggestivkraft selbst verspüre, weiß ich, warum man unter seiner Leitung stets sein Letztes geben muss. Ein unerbittlicher Wille, gegen den es keine Auflehnung gibt, verlangt es dem Künstler ab. Es ist ganz wunderbar, wie klar und einfach alles wird. Es gibt bei ihm keine Komplikationen, daher auch keine Schwierigkeiten.«52 Der Zuspruch des internationalen Publikums war enorm, und Toscanini erwies sich, bei aller Attraktivität von Bruno Walter und Max Reinhardt, als der Publikumsmagnet. Die Premiere von Wagners »Die Meistersinger von Nürnberg« am 8. August bildete den mit Spannung erwarteten Höhepunkt des Festspielsommers. Das »Neue Wiener Journal« berichtete, dass die Festspielstadt bereits zu Mittag ganz im Zeichen der um 17 Uhr beginnenden Premiere stand. Bereits um 16 Uhr »waren die Straßen rund um das Festspielhaus von Tausenden von Menschen flankiert, die die Auffahrt sehen wollten. (…) Im Foyer des Festspielhauses herrschte ganz außergewöhnliches Leben und Treiben. (…) Unzählige Fotografen blockierten das Foyer und knipsten jeden der ankommenden prominenten Besucher, von denen besonders die Woolworth-Erbin Barbara Hutton Aufsehen erregte. Unentwegte waren ohne Karten gekommen, in der Hoffnung, noch einen Sitz zu erhalten. Fünf Minuten nach Beginn bot ein bekannter Verleger vergebens 200 Schilling für ein Billett. Das Gros der Herren trug Frack und Smoking, nur einige Amerikaner kreierten eine neuartige Kleidung  : schwarze Smokinghose und weißen Seidenrock.«53 Der erwartete künstlerische Erfolg stellte sich ein, die Kritiken waren hymnisch. Für Fritz Deutsch steigerte Toscanini die Aufführung »zu einem Wunder (…) Für den Musiker liegt das Außerordentliche, Einmalige, vielleicht nie Wiederkehrende dieses ›Meistersinger‹-Erlebnisses in einer Realisierung der Wagner-Partitur, die das zuvor Gehörte Lügen straft und in klassischer Schönheit des Gestaltens zu den tiefsten Tiefen tondichterischer Erkenntnis führt«.54 Der erste Fagottist und Vorstand der Wiener Philharmoniker, Hugo Burghauser, bemerkte über die Aufführung  : »Damals hatte ich die ›Meistersinger‹ schon fünfundzwanzig Jahre gehört  ; aber dieser zweite Akt war für mich eine völlig neue Erfahrung. In Tongebung und Dynamik, in Klarheit und Expressivität – das war das Höchste. Als wir uns später in

52 Neues Wiener Journal, 8. 8. 1936. S. 11. 53 Rund um die große Premiere. – In  : Neues Wiener Journal, 9. 8. 1936. S. 24f. S. 24. 54 Fritz Deutsch  : Das »Meistersinger«-Wunder der Festspiele. – In  : Neues Wiener Journal, 9. 8. 1936. S. 24.

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Toscaninis Garderobe zusammenfanden, sah ich ihn, wie ich ihn nie wieder gesehen habe. Er sagte  : ›Com’un sogno.‹ – Wie ein Traum.«55 Das »Salzburger Volksblatt« berichtete, dass bei seinem Konzert am 12. August mit Brahms’ »Deutschem Requiem« die Rekordauffahrt von 340 Autos gezählt wurde. Beim Liederabend von Lotte Lehmann mit Bruno Walter am Klavier am selben Tag im Mozarteum wurde die Auffahrt von 300 Autos registriert und Reinhardts Inszenierung des »Faust«, auch sie zunehmend als politisches Signal gegen die Vereinnahmung der deutschen Klassiker durch die Nationalsozialisten verstanden, verzeichnete ebenfalls am 12. August sogar die Auffahrt von 342 Autos.56 Toscanini setzte während seines Aufenthalts bei den Salzburger Festspielen jedoch auch bewusst politische Zeichen seiner Unterstützung des ständestaatlichen Regimes in seinem Ringen mit der nationalsozialistischen Bedrohung. So nahm er zusammen mit seiner Frau und Lotte Lehmann demonstrativ als Ehrengast am 10. August am sogenannten »St. Gilgner Hochzeitsfest« teil. Bei diesem wurde ein von der Herma-von-Schuschnigg-Fürsorgeaktion ausgewähltes und mit Mitteln zur Hausstandsgründung ausgestattetes bedürftiges Brautpaar unter der Patronanz von Bundeskanzler Schuschnigg und Unterrichtsminister Pernter, die auch als Trauzeugen fungierten, unter großer Anteilnahme der Bevölkerung getraut. Lotte Lehmann sang während der Brautmesse, bei der Erzbischof Waitz die Predigt hielt, ein Solo.57 Und Toscanini und Lotte Lehmann in der Titelrolle beendeten mit einer umjubelten Aufführung von Beethovens »Fidelio« auch den Festspielsommer 1936. Das »Salzburger Volksblatt« kommentierte rückblickend  : »Die Koffer mit den s­ chönen Abendtoiletten der Amerikanerinnen schwimmen schon über dem Ozean, die ›Queen Mary‹ und die anderen Schiffe, die nach New York abgehen, sind voll belegt, an Bord der Dampfer zerflattern die letzten Gespräche über die Festspiele. Der August war nebst der künstlerischen eine glänzend organisierte Verkehrsangelegenheit. Es war einfach alles da, was man erhoffen konnte. Wallfahrer zu Mozart und Snobisten. Da war eine junge reiche Amerikanerin da. Wer sie einmal heiratet, schwimmt im Geld, falls er es in der Ehe aushält. Sie kam eigens zu den Festspielen, zu Toscanini herüber. (…) Alle Achtung, wie man die Traveller-Schecks solcher Leute nach Salzburg herbrachte  ! Aber die Sache hat auch einen kleinen Beigeschmack  : Die Festspiele sind für gewisse Kreise Mode geworden. Das besagt, sie unterliegen der Moderichtung. Das darf nicht ausarten. Es ging heuer gut, es ging wahrscheinlich so gut, dass es künftig in dieser Art nicht besser gehen kann. Denn in der vornehmen Welt ist jetzt offen55 Zit. bei Sachs  : Toscanini. S. 340. 56 Salzburger Festspiele 1936. – In  : Salzburger Volksblatt, 13. 8. 1936. S. 7. 57 Der Morgen, 10. 8. 1936. S. 2  ; Neues Wiener Journal, 10. 8. 1936. S. 3  ; Neue Freie Presse, 10. 8. 1936. S. 3.

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sichtlich Hochkonjunktur für Salzburg. Aber auf den nach wie vor so ehrenwerten eleganten Snob, wie er jetzt als ein nicht unbeträchtlicher Teil des Publikums aufgetaucht ist, ist kein Verlass. In ein paar Jahren rennt er statt einem Dirigenten vielleicht einem internationalen Löwenbändiger nach. Die verlässlichsten Salzburger Festspielbesucher sind die, die aus Überzeugung herkommen, weil hier die Kunst in höchster Vollendung zelebriert wird. Dieser Gottesdienst am Werke muss der Kern aller Festspiele sein, denn der ist beständig, überlebt die Mode, ist echtes, wahres Gold.«58 Es ist bemerkenswert, dass ein Bericht des Presseattachés der österreichischen Botschaft in London an das Bundeskanzleramt vom 14. September ähnliche Beobachtungen und Gedanken enthielt. »Es gehört jetzt hier gewissermaßen zum guten Ton, in der Gesellschaft erzählen zu können, dass man diese oder jene Salzburger Aufführungen gesehen hat. Freilich hat dadurch der Besuch der Salzburger Festspiele eine snobistische Note bekommen, die nicht ungefährlich ist, da Moden bekanntlich nicht allzu lange anzuhalten pflegen. Sie verschwinden oft ebenso rasch, wie sie gekommen sind.« Als besonders bedenklich halte er »den oft wiederholten Satz, dass Salzburg in diesem Jahr ›Ein-Mann-Festspiele‹ geboten hat  : Arturo Toscanini«. Nach Meinung des Kritikers der angesehenen Wochenzeitschrift »The Spectator« seien »für die Mehrheit der Zuhörer Toscanini-Festspiele abgehalten worden … Der betreffende ernst zu nehmende Kritiker meint, dass die Zukunftsaussichten für Salzburg schlecht seien, sofern Toscanini, wie behauptet wird, im Jahr 1936 das letzte Mal dort dirigiert haben sollte. Er glaubt, dass Salzburg seine Programmpolitik ändern müsste und sich nicht auf die Aufführung von bekannten Opern allein zu beschränken hätte. Man müsste nicht nur dem ›smarten‹ Publikum, sondern auch den Musikfreunden etwas bieten (…) Ohne Toscaninis große Anziehungskraft werde wahrscheinlich die Henne, die die goldenen Eier gelegt habe, verscheucht werden. Es gäbe aber immer noch silberne Eier genug, wenn die Programme interessant gestaltet würden«.59 Der Erfolg der Festspiele des Jahres 1936, die aufgrund der Anziehungskraft Toscaninis goldene Eier legende Henne, manifestierte sich in den Zahlen. Der Erlös aus dem Kartenverkauf erreichte mit1.159.980 Schilling einen Rekordwert und übertraf damit das beste Ergebnis aus dem Jahr 1932 mit 798.512 Schilling deutlich. Die Stadt Salzburg verzeichnete in der Saison 1935/36 (1. November 1935 bis 31. Oktober 1936) 192.937 gemeldete Fremde. Dies bedeutete gegenüber der vorangegangenen Saison eine Zunahme von 25.783 Personen oder 15 Prozent, die Zahl der Übernachtungen stieg im selben Zeitraum von 331.445 auf 357.902, wobei für die Steigerungen vor allem die Zunahme der nicht-deutschsprachigen ausländischen Besucher verantwortlich zeichnete.60 Auch die Besucherfrequenz der Stadt Salzburg meldete 58 Festspiel-Ende. – In  : Salzburger Volksblatt, 31. 8. 1936. S. 8. 59 Fuhrich, Prossnitz  : Die Salzburger Festspiele. Band I. S. 195. 60 Vom Salzburger Fremdenverkehr. – In  : Salzburger Volksblatt, 27. 11. 1936. S. 8.

Rehrls neuerliche Kontroverse mit dem Finanzministerium und dem Rechnungshof

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im Festspielmonat August mit 46.006 Personen einen Rekordwert, der jenen des Jahres 1932 um rund 1.000 übertraf. Ebenso verzeichneten die Salzburger Kurorte und Sommerfrischen trotz des zunächst verregneten Sommers positive Bilanzen.61 Rehrl, so schien es, konnte mit dem Erreichten zufrieden sein. Der Festspielsommer hatte einen Übernachtungs- und Einnahmenrekord zu verzeichnen, Salzburg war in aller Munde und hatte – zumindest im Sommer – Weltgeltung erlangt. Die Festspiele hatten sich, vor allem dank Toscanini, als wichtigster Wirtschaftsfaktor im Bereich der Fremdenverkehrswirtschaft erwiesen und als kulturelle Manifestation gegen den Nationalsozialismus eine überragende nationale und internationale Stellung errungen, die die öffentlichen Subventionen sowohl im wirtschaftlichen Bereich im Wege der Umwegrentabilität, die vor allem auch dem Bund zugutekam, als auch im kulturell-ideologischen Bereich als international viel beachtete Manifestation der propagierten »österreichischen Mission« rechtfertigten. Diese positive Bilanz sollte sich jedoch nur als kurze Pause vor neuerlichen, im Herbst 1936 einsetzenden Herausforderungen erweisen, die wieder den vollen Einsatz und vor allem die finanzielle Phantasie des Salzburger Landeshauptmanns erforderten.

VIII.5 Die Kritik ist »geradezu grotesk«. Rehrls neuerliche Kontroverse mit dem Finanzministerium und dem Rechnungshof Der für heftige Kontroversen sorgende Rechnungshofbericht des Jahres 1935 war vor allem im Finanzministerium noch nicht ad acta gelegt worden. In der Himmelpfortgasse beharrte man mit dem Hinweis auf die angespannte Finanzlage des Bundes nach wie vor auf der Realisierung der vom Rechnungshof angeführten Einsparungsvorschläge. Die positive Bilanz der Festspiele 1936 war Wasser auf die Mühlen des Finanzministeriums, das mit Hinweis auf das positive Ergebnis der Festspiele die Gewährung von Bundessubventionen infrage stellte. Dabei wurde eine regierungsinterne Front deutlich  : Während das Bundesministerium für Unterricht, vor allem Unterrichtsminister Pernter, die Notwendigkeit von Bundessubventionen anerkannte, wurde dies vom Finanzministerium, gestützt auf den Bericht des Rechnungshofes, nach wie vor abgelehnt. Am 23. Oktober 1936 schrieb das Finanzministerium dem Unterrichtsministerium, dass man, solange Salzburger Festspielen Bundessubventionen gewährt würden, auch eine wirksame Einflussnahme auf die Gebarung der Festspiele ausüben müsse. Daher möge das Unterrichtsministerium vor der Genehmigung des jeweiligen Jahresvoranschlages, des Jahresabschlusses der Festspiele sowie von Maßnahmen, die das Bundesbudget belasten könnten, das Einvernehmen 61 Der Sommer 1936 in Salzburger Kurorten und Sommerfrischen. – In  : Salzburger Volksblatt, 20. 10. 1936. S. 9.

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mit dem Finanzministerium pflegen. Das Schreiben des Finanzministeriums stieß vor allem bei Unterrichtsminister Hans Pernter auf Widerstand und Ablehnung, da er darin eine durch die Statuten der Salzburger Festspielhausgemeinde nicht gedeckte Einmischung in die Kompetenzen seines Ministeriums sah und zudem zahlreiche Argumente des Finanzministeriums bzw. des Rechnungshofes nicht nachvollziehen konnte, die er als realitätsfremd empfand. Dies führte folgerichtig zu persönlichen Kontroversen zwischen ihm und Finanzminister Ludwig Draxler im Ministerrat. Das Schreiben des Finanzministeriums und seine eventuell weitreichenden politischen Implikationen führten eine Woche später bei einer Programm-Aufsichtsratssitzung der Festspiele zum Eklat. Den von Rehrl koordinierten Salzburger Vertretern im Aufsichtsrat war bewusst, dass ein Eingehen auf die Forderung des Finanzministeriums die Salzburger Festspielhausgemeinde zu einer bloßen Filiale des Bundes degradiert hätte. Sie wiesen daher darauf hin, dass der Bund im Aufsichtsrat nur durch den Vertreter des Unterrichtsministeriums vertreten sei und die Position des Bundes nur durch diesen Vertreter zur Kenntnis gebracht werde. Ob dieser vor seiner Stellungnahme das Einverständnis mit anderen Bundesstellen, wie z. B. dem Finanzministerium, herstellen müsse, sei eine interministerielle Angelegenheit. Um ihre Meinung und ihren Protest gegen die Haltung des Finanzministeriums zu unterstreichen, verließen die Salzburger Vertreter die Sitzung des Aufsichtsrates, wodurch eine Besprechung des Festspielprogramms 1937 unmöglich wurde. Damit aktivierte man eine bereits früher praktizierte Methode der Drohung eines eventuellen Ausfalls der Festspiele in dem Wissen, dass dies gegenüber den Wiener Zentralstellen das wirksamste Mittel des Widerstandes war, da die Bundesregierung ein Nichtstattfinden der Festspiele aufgrund ihrer staats- und kulturpolitischen Bedeutung und des drohenden Steuerausfalls mit allen Mitteln verhindern würde. Eine Lösung der gespannten Situation ergab sich in einem subtilen politischen Spiel hinter den Kulissen. Zwischen 10. Oktober und 3. November 1936 erfolgte durch Bundeskanzler Schuschnigg eine Regierungsumbildung, in der der bisherige Vertreter der Heimwehr im Kabinett Schuschnigg II, Ludwig Draxler, am 3. Novem­ber endgültig aus seiner Funktion als Finanzminister schied. Zwischen dem 10. Oktober und 3. November war er nur mehr mit der Führung des Ministeriums betraut, womit sein politisches Gewicht deutlich abnahm. Ihm folgte im Kabinett Schuschnigg III der kompromissbereitere Rudolf Neumayer. In dieser Phase des Übergangs erfolgten Kontakte zwischen Präsident Puthon und Unterrichtsminister Pernter bezüglich der für die Programmplanung 1937 notwendigen Zusicherung der Bundessubvention. Pernter, der nunmehr über mehr politischen Bewegungsspielraum verfügte, instruierte am 25. November den Vertreter des Unterrichtsministeriums im Aufsichtsrat der Salzburger Festspiele, Karl Wisoko-Meytsky, vom positiven Ergebnis der Gespräche. Das Bundesministerium werde den Festspielen 1937 eine Bundessubvention in der Höhe von 40.000 Schilling gewähren, doch wünsche der

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Bundesminister nicht, »dass in dieser Angelegenheit vorher noch mit dem Finanzministerium Fühlung aufgenommen wird«.62 Damit war der Weg frei für die dringend notwendigen Entscheidungen für den Festspielsommer 1937  : die Erstellung des Voranschlags und des Programms. Beide Entscheidungen fielen in der Sitzung des Aufsichtsrats am 16. Dezember, in der die Salzburger Vertreter allerdings ihre Zustimmung an die Bedingung knüpften, dass es mit der Finanzierungszusage des Bundesministeriums für Unterricht sein Bewenden habe und der Bund, d. h. das Finanzministerium, gegen den beschlossenen Voranschlag keinerlei Einwände mehr erheben werde. Drei Tage später erfolgte eine versöhnliche Stellungnahme des Finanzministeriums, das auf eine unmittelbare Einflussnahme auf die Gebarung der Festspiele ebenso verzichtete wie auf die ursprünglich geforderte Satzungsänderung in Richtung einer Vertretung im Aufsichtsrat. Allerdings sollte in Zukunft vor wichtigen finanziellen Entscheidungen das Einvernehmen mit dem Finanzministerium gepflogen werden, eine Aufforderung, die sich an das Unterrichtsministerium richtete und mit der man in Salzburg leben konnte. Rehrl, der die Salzburger Allianz gegen das Finanzministerium koordiniert und im Hintergrund orchestriert hatte, nahm diese Entwicklung befriedigt zur Kenntnis, konnte jedoch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, da sich die Argumente des Finanzministeriums vor allem auf den Rechnungshofbericht des Jahres 1935 stützten. Es galt daher, auch den Rechnungshof davon zu überzeugen, dass die Vorschläge seiner Prüfer zu einem erheblichen Teil realitätsfremd seien und deren gewohntes buchhalterisches Instrumentarium nicht einfach auf eine unter spezifischen Bedingungen arbeitende Kulturinstitution wie die Salzburger Festspiele angewandt werden kann. Und schließlich fand man in Salzburg die Behauptung, dass sich die Festspiele selber erhalten könnten und daher gar keiner Bundessubventionen bedürfen, als die Fakten ignorierend und von einer Überheblichkeit der Metropole gegenüber der Provinz geprägt. Über Aufforderung von Rehrl gab Bürgermeister Richard Hildmann am 4. Februar 1937 in einem Schreiben an den Landeshauptmann die Leistungen der Stadt Salzburg im Jahr 1936 für die Festspiele in der Gesamthöhe von 69.000 Schilling bekannt und wies darauf hin, dass die Stadtgemeinde bisher weder aus dem Festspielhaus noch aus den Festspielen »einen Groschen Einnahmen« erhalten habe, da sie auf diese im Interesse des österreichischen Fremdenverkehrs verzichte. Doch »der Weltruf der Salzburger Festspiele verpflichtet nicht nur die lokalen Faktoren, er verpflichtet ganz besonders Österreich, denn die Festspiele sind durch ihr Niveau und ihre wirtschaftliche Bedeutung eine österreichische Angelegenheit geworden. Aufgabe des Bundes ist es daher auch zu sorgen, dass die Festspiele auch weiterhin ihren Glanz und ihre Anziehungskraft behalten können. Die lokalen Faktoren allein sind hierzu nicht im Stande«. Der Landeshauptmann möge 62 Kriechbaumer  : Zwischen Österreich und Großdeutschland. S. 40.

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sich daher mit aller Kraft für eine weitere entsprechende Subventionierung des Bundes einsetzen.63 Am 10. Februar 1937 schrieb Rehrl erbost an Rechnungshofpräsident Otto Ender  : »Du wirst Dich an die Kritik erinnern, welche seitens des Rechnungshofes seinerzeit an den Salzburger Festspielen geübt wurde und die man, um einen eher milden Ausdruck zu wählen, als geradezu grotesk bezeichnen musste. Während die ganze Welt diese Werke bewundert, welche überall im Ausland uneingeschränkt bewundert werden, sucht man sie in Österreich herunterzusetzen und in den Kot zu zerren. Das ist eben der Geist, welcher sich immer und immer wieder dem Aufstieg Öster­ reichs bewusst entgegensetzt, dessen Träger vielfach in den oberen Ämtern sitzen und es sich zur Aufgabe gestellt haben, alles zu verneinen und zu sabotieren, was geeignet ist, die wirtschaftliche und kulturelle Entfaltung Österreichs zu fördern.«64 Zwei Wochen später machte er seinem Ärger in einem neuerlichen Schreiben an den Rechnungshofpräsidenten, der in einem Antwortschreiben auf die Qualität der Prüfer und die argumentativ begründeten Vorschläge hingewiesen hatte, Luft. Er wolle die Qualität des Prüfers, Ministerialrat Dr. Guido Wagner, in keiner Weise in Zweifel ziehen. »Dessen ungeachtet muss ich daran festhalten, dass die von ihm in organisatorischer Hinsicht geübte Kritik zu praktisch unbrauchbaren Vorschlägen geführt hat, und ich kann Dir versichern, dass, wenn wir alle Ratschläge durchgeführt und den Forderungen entsprochen hätten, wir im vergangenen Sommer bei den Festspielen wenn schon kein Debakel erlebt, so doch nicht jenen durchschlagenden Erfolg erzielt hätten, der den Festspielen 1936 zuteil geworden ist. Wenn der Bericht des Herrn Ministerialrates Dr. Wagner damit schließt, dass er der Bundesregierung den Dank für ihre Bemühungen um die Salzburger Festspiele zum Ausdruck bringt, so vermag ich in einer solchen Äußerung keine den gegebenen Tatsachen vollauf Rechnung tragende Einstellung zu erblicken. Denn Tatsache ist, dass die Festspiele im schwersten Kampf gegen Wien, insbesondere gegen das Finanzministerium, und unter größten Opfern der lokalen Faktoren durchgesetzt und mühsam aufgebaut wurden, eine Tatsache, welche bei der Überprüfung leider nicht aufgefallen zu sein scheint.«65 Hatte Rehrl die Auseinandersetzung mit der Allianz von Finanzministerium und Rechnungshof letztlich für sich entschieden, so stand er seit dem Herbst 1936 vor einer kaum zu bewältigenden Aufgabe, deren Lösung angesichts der Rahmenbedingungen der Quadratur des Kreises glich. Toscanini war der Star und das internationale Zugpferd der Festspiele, für die er ehrgeizige Pläne entwickelte  : Mozarts »Zauberflöte«, Wagners »Tannhäuser«, Mussorgskis »Boris Godunow«, Rossinis 63 SLA Rehrl-Briefe 1937/0566. 64 SLA Rehrl-Briefe 1937/0455. 65 Ebda.

Rehrls neuerliche Kontroverse mit dem Finanzministerium und dem Rechnungshof

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»Il Barbiere di Siviglia« und Glucks »Iphigénie en Aulide«. Doch das von Holzmeister 1926 umgebaute Festspielhaus entsprach nicht den geforderten modernen Ansprüchen, dessen war man sich auch in Salzburg bewusst. Bau und Umbau in der Hofstallgasse waren unter erheblich einschränkenden Bedingungen erfolgt, und so sehr Holzmeisters Umbau die Situation verbessert hatte, die nach wie vor bestehenden Probleme und Nachteile waren offensichtlich. Wahrscheinlich bereits während der Festspiele 1936 (ein zweites folgte im Herbst 1936) hatte daher Toscanini mit dem Wiener Philharmoniker-Vorstand Hugo Burghauser als Dolmetsch in einem mit Bundeskanzler Schuschnigg und Landeshauptmann Rehrl geführten ersten Gespräch den Bau eines neuen Festspielhauses gefordert, wobei er als Standort den Rosenhügel neben dem Mirabellgarten vorschlug. Das bestehende Haus könnte als Probebühne, für kleinere Opernaufführungen und für Schlechtwetter-Aufführungen des »Jedermann« genutzt werden. Er erklärte sich bereit, zur Finanzierung des Neubau-Projekts seine Gewinnanteile an den US-amerikanischen Rundfunksendungen seiner Festspielaufführungen zur Verfügung zu stellen und Konzerte zur Unterstützung des Projekts zu leiten. Und er ließ bei diesem Gespräch durchblicken, dass seine weitere Mitwirkung bei den Festspielen von einer Lösung der FestspielhausFrage abhängig sei. Damit läuteten bei Rehrl im Wissen um den äußerst engen finanziellen Spielraum von Bund und Land die Alarmglocken. Die Finanzierung eines Neubaus, dessen war er sich bewusst, war unmöglich. Bereits ein den modernen Ansprüchen genügender Umbau des bestehenden Festspielhauses würde erhebliche finanzielle Mittel erfordern, deren Aufbringung zum Zeitpunkt des Gesprächs völlig ungewiss war. Ohne eine entsprechende Beteiligung des Bundes konnte selbst die billigere Variante eines großen Umbaus des bestehenden Festspielhauses nicht in Angriff genommen werden. Andererseits galt es, Toscanini in Salzburg unbedingt zu halten. Der Gordische Knoten konnte nur durch einen Kompromiss durchschlagen werden  : Man musste eine kostengünstigere Variante des Umbaus wählen und Toscanini, der sich vehement für einen Neubau ausgesprochen hatte, für diese Variante gewinnen. Der Ball lag im Herbst 1936 bei Rehrl.

IX. Ein neues Festspielhaus – aber wie und welches  ? Die (scheinbare) Quadratur des Kreises

Die Herausforderung war angesichts der Rahmenbedingungen erheblich. Zu deren Meisterung hatte Rehrl im Vorfeld bereits drei Entscheidungen getroffen  : 1. Nicht der von Toscanini gewünschte Neubau, sondern nur die kostengünstigere Variante eines großzügigen Umbaus des bestehenden Festspielhauses und damit auch die Erhaltung des Festspielbezirks war eine realistische Lösung. 2. Selbst diese Variante bedurfte einer erheblichen finanziellen Beteiligung des Bundes. 3. Als ausführender Architekt kam nur Clemens Holzmeister infrage, aus vier Gründen  : a) Er hatte sich bereits beim ersten Umbau des Festspielhauses 1926 bewährt. b) Er war einer der international anerkanntesten Architekten Österreichs, der zu diesem Zeitpunkt unter einem Auftragsmangel litt.1 c) Er war Staatsrat und hatte beste Beziehungen zur Staatsspitze und zur Vaterländischen Front, wodurch die unbedingt erforderliche finanzielle Beteiligung des Bundes gefördert wurde. d) Rehrl war mit ihm persönlich befreundet, schätzte ihn und sah in ihm den Garanten einer architektonisch dem Stadtbild entsprechenden und dennoch die moderne Architektur berücksichtigenden Lösung. Es galt nun, die Problemanalyse mit den im Vorfeld unter Berücksichtigung der realpolitischen Gegebenheiten getroffenen Entscheidungen in Einklang zu bringen und das Ergebnis Toscanini so zu vermitteln, dass dieser von seiner ursprünglichen Idee des Neubaus auf den Plan des Umbaus einschwenkte. Diese Aufgabe glich jener des Jongleurs mit mehreren Bällen bei aufkommendem Wind. Denn es waren bei einem Umbau im sensiblen Bereich der Hofstallgasse neben der noch ungelösten Frage der Finanzierung auch die Bedenken und der Widerstand der örtlichen Organisationen einzukalkulieren. Holzmeister arbeitete im Auftrag Rehrls seit dem Frühherbst 1936 an den ­Plänen für einen Umbau des bestehenden Festspielhauses und präsentierte Toscanini seine ersten Entwürfe bereits im November in Wien. Wenngleich der Dirigent die Umbau­ pläne positiv beurteilte, so bestand er nach wie vor auf seinem Vorschlag eines Neubaus auf dem Rosenhügel, für den sich seiner Meinung nach die erforderliche Summe 1 Posch  : Clemens Holzmeister. S. 256.

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durch eine weltweite Aktion in Form einer Lotterie aufbringen ließ.2 Am 11. Dezember präsentierte er Bundeskanzler Schuschnigg seine Umbaupläne. Für Rehrls Strategie erwies sich ein Brief Holzmeisters vom folgenden Tag von entscheidender Bedeutung, in dem er den Landeshauptmann von dem Gespräch informierte und ihm die prinzipielle Bereitschaft des Bundeskanzlers mitteilte, sich seitens des Bundes an der Variante eines großzügigen Umbaus mit dem Betrag von einer Million Schilling zu beteiligen.3 Voraussetzung für die Gewährung der Bundesbeteiligung war jedoch eine Einigung in Salzburg auf den Umbauplan und die Zustimmung Toscaninis zu dieser Lösungsvariante. Eine keineswegs leichte Aufgabe, da sich in Salzburg massiver Widerstand gegen Teile des Umbauplans Holzmeisters, vor allem gegen dessen geplanten Bühnenturm regte und die Erlangung der Zustimmung Toscaninis bei dessen Temperament und nach wie vor Insistieren auf einem Neubau großes diplomatisches Geschick erforderte. Rehrl war gefordert, nur der Landeshauptmann war in der Lage, diesen erheblichen Problemhaushalt zu bewältigen. Die Festspiele bzw. deren Leitung waren kein Spieler auf diesem Feld voller Tretminen, wie Präsident Puthon Anfang Jänner 1937 in einem Schreiben an den Sektionschef im Unterrichtsministerium, Leodegar Petrin, feststellte. Die Angelegenheit sei eine politische und müsse daher auch auf der politischen Ebene einer Lösung zugeführt werden.4 In einem ersten Schritt galt es, den Widerstand in Salzburg zu beseitigen und eine einheitliche Wohlmeinung zu erzielen. Zu diesem Zweck hielt Holzmeister am 13. Jänner 1937 im Rahmen des VF-Werkes »Neues Leben« im Salzburger Gewerbe­ förderungsinstitut einen Vortrag, in dem er sein Projekt vorstellte und auch für die Beibehaltung des Standortes des Festspielhauses warb. Das bestehende Haus habe den Vorteil des Platzes und der Geschichte, der vor allem auch auf fremde ­Besucher wirke. Es sollte daher nicht am Vorteil dieses Platzes gerüttelt werden, sondern den beengten und unbefriedigenden Raumverhältnissen durch eine Erweiterung des Bühnenraums durch einen Bühnenturm begegnet werden. Durch eine Bogenüberbrückung sollten auf der gegenüberliegenden Straßenseite Garderobenräume geschaffen werden. Generell würde durch dieses Konzept, dessen Vorläufigkeit er betonte, die Geschlossenheit der Fassade erhalten bleiben und der Festspielbezirk durch den Turmbau ein Wahrzeichen gewinnen. Um die verschiedenen Einwände gegen den Plan Holzmeisters zu koordinieren und damit eine Diskussionsgrundlage für den weiteren Planungsvorgang zu schaffen, lud der Stadtverein Salzburg (Stadt-Verschönerungsverein) mit Billigung Rehrls und wahrscheinlich auf dessen Anregung hin für 18. Jänner alle kunsthistorisch, künstlerisch und architektonisch relevanten Vereine der Landeshauptstadt – Ingenieur- und Architektenverein, Son2 Vgl. Dokument 21. 3 Vgl. Dokument 22. 4 Kriechbaumer  : Zwischen Österreich und Großdeutschland. S. 168.

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Ein neues Festspielhaus – aber wie und welches  ?

derbund österreichischer Künstler, Verein für Heimatpflege, Wirtschaftsverband der bildenden Künstler, Zentralvereinigung der Architekten, Stadtverein Salzburg – zu einer Besprechung ein. Seitens der anwesenden Architekten, unter ihnen Otto Prossinger und Otto Strohmayr, wurden vor allem gegen den von Holzmeister vorgesehenen Bühnenturm massive Einwände erhoben – er sei zu klotzig, ein Faustschlag für das Stadtbild, störe den Blick und sei auch verkehrstechnisch abzulehnen. Friedrich Gehmacher versuchte ausgleichend zu wirken und betonte, dass eine Änderung des derzeitigen Hauses unbedingt nötig sei, da bei einem unveränderten Fortbestand der Bestand der Festspiele gefährdet sei. Zudem dürfe man das Engagement Toscaninis nicht verspielen. Der vorliegende Entwurf Holzmeisters für einen Umbau lasse sich sicher noch verbessern. Der Kunsthistoriker Josef Mühlmann plädierte dafür, die Gegensätze nicht publik werden zu lassen und jede Debatte in der Öffentlichkeit zu vermeiden. Die beste Lösung wäre das von Toscanini gewünschte neue Haus auf dem Rosenhügel, das bestehende könnte für Mysterienspiele sowie andere Theaterproduktionen Verwendung finden. Um die Diskussion in die gewünschte Richtung zu lenken, betonte Rehrl, dass die vorgebrachten Einwände Holzmeister durchaus bekannt seien. Es sei jedoch Tatsache, dass zahlreiche – vor allem internationale – Zeitungsartikel immer wieder auf die Mängel des derzeitigen Festspielhauses hinweisen und damit dem Festspielgedanken schaden. Ein den modernen Erfordernissen gerecht werdender Umbau sei daher erforderlich. Die Planungen Holzmeisters befänden sich derzeit in der Studienphase, und es sei keineswegs zu befürchten, dass bereits morgen mit dem Bau begonnen werde, da es derzeit vor allem noch an den benötigten finanziellen Mitteln mangle. Die teilnehmenden Organisationen kamen zu dem Schluss, in gleichlautenden Schreiben an den Landeshauptmann, den Bürgermeister, an Holzmeister und die Festspielhausgemeinde auf die Gefahren bzw. Probleme des vorliegenden Projektentwurfs hinzuweisen. Der Presse werde man lediglich mitteilen, dass die Sitzung stattgefunden habe und man die Einwände den entsprechenden Institutionen mitgeteilt habe. Rehrl, der die wichtigsten Einwände gegen den Umbauplan Holzmeister noch in einem Schreiben am 18. Jänner mitteilte, bemerkte  : »Diese Form war das Mildeste, was erreicht werden konnte und habe mich dieser auch grundsätzlich (vorbehaltlich meiner Genehmigung des vorzulegenden Textes durch das Redaktionskomitee) angeschlossen. Am Schlusse sagte ich noch in Übereinstimmung mit Hofrat Gehmacher, dass man die Idee eines neuen Festspielhauses nicht brüsk zurückweisen soll, jedoch danach trachten soll, auch dem Umbaugedanken durch gründliches Studium weiter zu helfen.«5 Rehrl taktierte äußerst geschickt, indem er rechtzeitig alle Bedenkenträger in einen Diskussionsprozess einband, den er jedoch stets kontrollierte.6 Am 6. Februar 5 SLA Rehrl FS-0028 6 In dem vom Stadtverein Salzburg am 15. Februar 1937 Rehrl übermittelten Memorandum hieß es  :

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1937 wurde er zur allgemeinen Überraschung auch als planender Bauherr aktiv und veröffentlichte in den Salzburger Medien den nach ihm benannten Plan zum Umbau des Festspielhauses, in dem er die am 18. Jänner vorgebrachten Einwände gegen den Plan Holzmeisters berücksichtigte und eine neue originelle Variante vorschlug.7 Es gebe fünf Voraussetzungen für eine befriedigende Lösung des Umbaus  : 1. die Gebundenheit an den Ort, an dem auch die Festspiele ihren Weltruhm erwarben  ; 2. die vollkommene Einfügung in den spezifischen Rahmen der Altstadt  ; 3. die unverletzliche Erhaltung sämtlicher einzigartiger Bilder, welche die Umgebung des Festspielhauses zu einer einzigartigen Erscheinung machen  ; »Die Besprechung erfolgte in restloser Übereinstimmung und fasste in dreifacher Hinsicht ihre einmütigen Bedenken gegen das derzeit vorliegende Projekt zusammen. 1. Der hohe künstlerische Rang von Alt-Salzburg ist nicht nur begründet in seinen monumentalen Einzelbauten, sondern in gleicher Weise in der Art und Weise, wie diese durch Gassen und Plätze miteinander verbunden sind. Es sind die Baukomplexe, die architektonischen Zusammenhänge im Gesamtbild der Stadt, die ihr jene künstlerische Einheit geben, durch die sie ihre einzigartige Stellung in der Geschichte des Städtebaues einnimmt. Einer der wertvollsten Bezirke in diesem Sinne reicht von der Blasiuskirche und dem Sigmundsplatz zum Dom, durch die Hofstallgasse zu großzügiger Einheit verbunden. Vom Sigmundsplatz aus, wo Natur, Architektur, Plastik und Malerei köstlich zusammenspielen, wirkt die Hofstallgasse in ihrem geraden, ganz ruhigen Verlauf, wie eine Vorbereitung auf die ehrwürdige feierliche Gestaltung des Zieles, gibt aber dem Auge schon den Blick auf die ragenden Türme, in mächtigem Abschlusse gekrönt von der Festung. So eignet der Hofstallgasse in ihrer großzügigen Schlichtheit ein ganz besonderer Charakter, der auch bei umgekehrter Wegrichtung noch wirkt. Und es gereicht Prof. Holzmeister zu besonderem Lobe, dass er beim seinerzeitigen Umbau des Festspielhauses den Charakter der Hofstallgasse so glücklich zu wahren wusste. Dies kann von dem gegenwärtigen Projekte des Neubaues zum Festspielhaus nicht gesagt werden. Durch den in die Gasse vorspringenden Turm und den Verbindungsbau wird der ruhige Verlauf der Gasse verkürzt und der Blick auf Türme und Festung zerstört. In das charakteristisch-barocke Bild dieses Stadtteiles tritt ein fremdes unorganisches Element, durch welches die Zukunft jeder Möglichkeit benommen bleibt, die bekannten Bauabsichten Solari-Wolf Dietrichs doch noch in einer der barocken Linie harmonisch sich einordnenden Form zu vollenden. 2. Aus den Erfahrungen der letzten Jahre ergaben sich bei den gegenwärtigen Platzverhältnissen in der Hofstallgasse ganz besondere Verkehrsschwierigkeiten anlässlich der Festspielaufführungen. Durch die geplante teilweise Abriegelung der Hofstallgasse würden sich die Übelstände zweifellos in nicht absehbarer Weise vermehren. Ebenso würde die unumgänglich notwendig gewordene Lösung des Gesamt-Verkehrsproblems in der Altstadt durch die obgenannte Abriegelung nur eine neuerliche Erschwerung erfahren. 3. Die Notwendigkeit eines Bühnenumbaues des Festspielhauses in modernem Sinne steht außer Zweifel. Beim vorliegenden Projekt scheint jedoch nach den Äußerungen von Bühnenfachleuten durch den Umbau ein neuerliches Provisorium mit durchaus nicht idealen technischen Behelfen gegeben. Aus diesem Grunde muss wohl die Ansicht aufs deutlichste ausgesprochen werden, dass – abgesehen von dem verhältnismäßig großen Kostenaufwand – der bühnentechnische Vorteil in keiner Weise ausreichend die tiefgreifende Veränderung im Stadtbild Salzburgs rechtfertigt. Es gaben sich jedoch alle versammelten Vertreter der Hoffnung hin, dass der bewährte Baukünstler eine Lösung finden wird, die die dringenden Forderungen des Bühnenumbaues ebenso wie die geäußerten Bedenken in befriedigender Weise berücksichtigt« (SLA Rehrl FS-0034). 7 Vollständiger Text vgl. Dokument 23.

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4. die Erhaltung des in den alten Bau investierten Kapitals  ; 5. die unbedingte Weiterführung der Festspiele während der Bauperiode. Um diesen Voraussetzungen Rechnung zu tragen, müsse das Haus St. Peter Nr. 10 abgetragen und die Mönchsbergstiege um 180 Grad gedreht werden, wodurch an der Rückseite des jetzigen Festspielhauses Platz für einen Neubau des Bühnenhauses inklusive zweier, etwa 15 Meter langer Seitenflügel geschaffen werde. Der ­zwischen dem Stift St. Peter und dem Neubau des Festspielhauses entstehende Platz sollte den Namen Toscaninis erhalten.8 Rehrl verfügte durch seine Zusammenarbeit mit Holzmeister bereits beim ersten Umbau des Festspielhauses und bei den nunmehrigen Vorarbeiten zum zweiten Umbau über gewisse Kenntnisse, die ihn in die Lage versetzten, den Plan alleine zu erarbeiten. Für ihn gab es zu diesem Zeitpunkt vor allem noch einen Grund, mit seinem Plan an die Öffentlichkeit zu treten  : die gleichzeitig von der Bundesregierung verkündete Österreichische Investitionsanleihe in der Höhe von 180 Millionen Schilling, die vor allem auch der Finanzierung öffentlicher Arbeiten dienen sollte. Es galt, durch die möglichst rasche Inangriffnahme des Festspielhausumbaus entsprechende Mittel für Salzburg zu sichern. Der Kommentar der »Salzburger Chronik« wies deshalb auf diesen Zusammenhang hin. Wenn das in der Investitionsanleihe enthaltene »österreichische Arbeitsbeschaffungsprogramm Werte von langer Sicht schaffen will, dann ist die Verwirklichung dieses Salzburger Projektes wohl in erster Linie mit allen Mitteln zu fördern. Was wäre der österreichische Fremdenverkehr ohne die Salzburger Festspiele  ? Man muss sich daher auch darüber klar werden, dass die endgültige Lösung der Frage der Erbauung eines Festspielhauses, einzigartig in seiner Eingliederung in die Architektur Salzburgs, eine österreichische Notwendigkeit darstellt. Es wird also Sache aller Faktoren in Salzburg und in Wien sein, im Zuge der Schaffung dauernder Werte diesen Plan des Landeshauptmannes als wesentlichen Bestandteil der Arbeitsbeschaffung im Jahre 1937 zu betrachten.«9 Mit seiner Initiative verfolgte Rehrl gleichzeitig drei Ziele  : 1. Ein drohendes Stocken der Planungen durch neue Impulse zu verhindern, die neben einem völlig neuen Lösungsansatz die in Salzburg erhobenen Einwände berücksichtigten und damit eine einheitliche Salzburger Position schufen. 2. Die 50-prozentige Finanzierung des Baus durch Bundesmittel aufgrund der gesamtstaatlichen Bedeutung der Festspiele zu erreichen und zudem noch Mittel aus dem Arbeitsbeschaffungsprogramm des Bundes mit dem Hinweis auf den be8 Franz Rehrl  : Ein neues Projekt zur Umgestaltung des Salzburger Festspielhauses. – In  : Salzburger Chronik, 6. 2. 1937. S. 1  : Salzburger Volksblatt, 6. 2. 1937. S.1f.; Reichspost, 7. 2. 1937. S. 8  ; Der Wiener Tag, 7. 2. 1937. S. 7. 9 Arbeitsbeschaffung. – In  : Salzburger Chronik, 8. 2. 1937. S. 1.

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schäftigungspolitischen Effekt zu lukrieren. Rehrl betrachtete die Bauarbeiten am Festspielhaus als Arbeitsbeschaffungsprogramm und erreichte schließlich unter Hinweis auf die bundespolitische und propagandistische Bedeutung des Umbaus eine Zusatzfinanzierung durch das Bundesministerium für soziale Verwaltung in der Höhe von 200.000 Schilling. 3. Durch die ständige Information Toscaninis über den Stand der Planungen und die diesem gewidmete Namensgebung des Hofes zwischen dem Festspielhaus und St. Peter sollten die Bedenken des Dirigenten gegen einen Umbau beseitigt werden. Um dies zu erreichen, bat er Staatsoperndirektor Kerber, mit den Bühnenfachleuten seines Hauses den Plan zu begutachten und vor allem bezüglich der vorgesehenen Bühne ein entsprechendes Gutachten abzugeben. Kerber übermittelte das Gutachten am 15. Februar.10 Gleichzeitig wurde Holzmeister gebeten, eine entsprechende erste Umbauskizze zu erarbeiten, die er Toscanini zur Begutachtung und erhofften positiven Stellungnahme übersenden wollte.11 Am 26. Februar telegraphierte Kerber an Rehrl, Toscanini habe ihm soeben mitgeteilt, dass ihm das nunmehrige Projekt »ausgezeichnet gefalle«.12 Gleichzeitig intensivierte Rehrl seine Bemühungen um eine Sicherung der Finanzierung des Bauvorhabens. Dabei konnte er auf die positive Haltung von Bundeskanzler Schuschnigg und Unterrichtsminister Pernter setzen. Von Holzmeister hatte er bereits wenige Tage nach der Vorstellung seines Umbauplans die Information erhalten, dass ihm Schuschnigg in einem persönlichen Gespräch seine Bereitschaft mitgeteilt habe, einen Bundesbeitrag bis zur Höhe von zwei Millionen Schilling zu leisten. Diese Mittel könnten durch einen Zwischenkredit relativ rasch zur Verfügung gestellt werden. Ebenso lag die grundsätzliche Bereitschaft des Finanzministeriums vor, einen Teil des im ärarischen Besitz befindlichen Franziskanergartens im Ausmaß von rund 200 m2, der für den Umbau des Festspielhauses benötigt wurde, zur Verfügung zu stellen.13 Am 30. April schrieb Rehrl an Erzabt Petrus Klotz  : »Du wirst staunen, wenn Du die Veränderungen rings um St. Peter sehen wirst  ! (…) Ich baue den Neubau eines Bühnenhauses, der das ganze Gebiet vollkommen umgestaltet.«14 Bei allem bundespolitischen Erfolg war er sich jedoch dessen bewusst, dass eine entsprechende Bundesfinanzierung nur bei einer adäquaten Beteiligung von Stadt und Land Salzburg realisierbar war. Die Höhe des Finanzbedarfs war jedoch erst nach dem Vorliegen detaillierterer Pläne zu eruieren, weshalb die Planungen durch 10 Vgl. Dokument 24. 11 Vgl. Dokument 25. 12 SLA Rehrl FS-0035.Vgl. dazu auch Dokument 26. 13 SLA Rehrl FS-0154. 14 SLA Rehrl Briefe 1937/1379.

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Holzmeister rasch vorangetrieben werden mussten. Holzmeister war gefordert, da er so rasch wie möglich eine das Stadtbild nicht beeinträchtigende architektonische Lösung des Bühnenturms sowie des Gesamtprojekts erarbeiten musste, um auch eine Kalkulation der Baukosten und die entsprechenden notwendigen politischen Schritte zu ermöglichen. Am 2. März informierte Holzmeister handschriftlich Rehrl über die Proportionen des Umbaus. Die Bühne werde die Form eines Würfels von 26 Metern Seitenlänge haben und damit nahezu das Maß der Bühne der Wiener Staatsoper erreichen. Eine Seitenbühne im Ausmaß von 10 x 15 Meter werde rasche Verwandlungen ermöglichen, und eine Unterbühne von 8 Meter Tiefe gestatte »Versenkungen im weitesten Ausmaße.« Der Orchesterraum habe Ausmaße von 18,5 Meter Länge und 6 Meter Breite, »das Orchester nimmt die gesamte Breite des Hauses ein, die beiden seitlichen Logen, die als Regieloge einerseits und als Rundfunkloge andererseits ausgebildet werden, überragen den Orchesterraum. Die Probensäle werden in unmittelbarer Nähe der Künstlergarderoben situiert, die Sitze im Parterre werden eine völlig neue Ausstattung erhalten, und die zweite Galerie werde »anstelle der heutigen Bänke vermehrte Sitzreihen mit Bestuhlung erhalten«.15 Die aufgrund des Planungsfortschritts Anfang März erfolgte Baukostenschätzung ergab einen Betrag von drei Millionen Schilling, sodass Unterrichtsminister Pernter am 11. März im Ministerrat den Antrag einer Bundesfinanzierung in der Höhe von 1,5 Millionen Schilling in Form einer Firmenfinanzierung auf die Dauer von fünf Jahren in Jahresraten zu je 300.000 Schilling stellte. Die Salzburger Institutionen – Stadt und Land Salzburg (Fremdenverkehrsfonds) – würden sich mit je 750.000 Schilling an den Baukosten beteiligen.16 Während der Ministerrat ohne jede weitere Diskussion den entsprechenden Beschluss fasste, erfolgte im Salzburger Landtag eine – wenn auch gebremste – Diskussion. Am 9. März hatte der Gemeinderat der Stadt den Beschluss gefasst, zur Finanzierung des Festspielhausumbaus einen Kredit von 750.000 Schilling aufzunehmen. Für diese Darlehensaufnahme war jedoch ein Landesgesetz, dessen Text in der Sitzung des Gemeinderates einhellig gebilligt wurde, notwendig, da der Betrag 100.000 Schilling überstieg. In der Sitzung des Landtages am 10. März beschäftigte sich der Finanzausschuss mit dem Gesetzestext und empfahl schließlich dessen unveränderte Annahme. In der anschließenden Diskussion bemerkte der Abgeordnete Adolf Hochleitner als Vertreter der Land- und Forstwirtschaft kritisch, dass aus den Erläuterungen zu dem Gesetz auch eine Förderung durch den Fremdenverkehrsfonds in der Höhe von 750.000 Schilling als Beitrag des Landes hervorgehe. »Soweit aus den Erfahrungen der Vergangenheit bekannt ist, sind die Mittel des Fremdenverkehrsfonds infolge der wirtschaftlichen Krise sehr gering, und die Frem15 SLA Rehrl FS-0050. 16 Kriechbaumer  : Zwischen Österreich und Großdeutschland. S. 174.

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denverkehrsorte, die vielfach an diesen Fonds herangetreten sind, sind abgewiesen worden, weil es geheißen hat, es ist kein Geld da. Und nun sehen wir auf einmal, dass der Fremdenverkehrsfonds 750.000 Schilling zum Umbau des Festspielhauses beitragen soll. Ich bin kein Gegner dieses Projektes, und ich bitte, mich nicht misszuverstehen, aber als Vertreter der Außengemeinden muss ich hier schon die Frage stellen, wie man sich das vorstellt, wie vonseiten des Fremdenverkehrsfonds diese 750.000 Schilling aufgebracht werden sollen  ; man wird draußen kein Verständnis dafür haben, wenn die Beiträge zu diesem Fonds vielleicht eine Erhöhung erfahren sollen, und dass vielleicht Orte wie Zell am See usw., die auch zu dem Fremdenverkehrsfonds beitragen müssen, so lange ausgeschaltet werden und keine Beiträge aus diesem Fonds bekommen, solange das Projekt nicht finanziert ist. Wir dürfen dabei nicht außer Acht lassen, dass zum Fremdenverkehrsfonds nicht nur Mittel aus der Stadtgemeinde, sondern auch aus den Gemeinden vom ganzen Lande zusammenfließen, und daher muss auch für diese Gemeinden der entsprechende Teil verwendet werden.« Der Berichterstatter des Finanzausschusses und Vizepräsident des ständischen Landtages, Stadtbaumeister Rupert Kastner, erwiderte, er müsse den Vorredner darauf aufmerksam machen, »dass das Festspielhaus selbst, obwohl es in der Stadtgemeinde Salzburg liegt, nicht eine reine Angelegenheit der Stadt Salzburg ist, sondern das Festspielhaus ist zumindest eine Angelegenheit des ganzen Landes Salzburg, ja sogar hinausgreifend über die Grenzen des Landes. Es ist daher nicht richtig, wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass alle Gebiete gleichmäßig aus dem Fremdenverkehrsfonds beteilt werden müssen, oder, wenn man einen größeren Betrag zur Verfügung stellt, dass der deshalb nicht dem ganzen Lande zugutekäme«. Hochleitner gab sich mit dieser Erklärung jedoch nicht zufrieden und bezeichnete sie als »nicht so stichhaltig, dass wir in der Öffentlichkeit dafür eintreten und sagen könnten, ihr Gemeinden draußen, Zell am See usw. werdet durch das Gesetz nicht geschmälert werden«. Josef Knosp, der Präsident des ständischen Landtages, sah sich gezwungen, die Sitzung zu unterbrechen und eine neuerliche Sitzung des Finanzausschusses einzuberufen, um die Streitfrage einer Lösung zuzuführen. Nach der Sitzung des Finanzausschusses und dem neuerlichen Zusammentreten des Landtages erklärte der Vorsitzende des Finanzausschusses, dass in dessen Sitzung von den Mitgliedern der Landesregierung eine entsprechende Aufklärung erteilt wurde, weshalb eine neuerliche Erörterung der Angelegenheit im Plenum nicht mehr notwendig sei und eine unveränderte Annahme des Gesetzes empfohlen werde. Der Antrag wurde daraufhin einstimmig angenommen.17 Die Beschlussfassung war die formale Voraussetzung für den Antrag von Unterrichtsminister Pernter am folgenden Tag im Ministerrat für die Genehmigung der anteiligen Bundesfinanzierung in Form einer Firmenfinanzierung auf die Dauer von fünf Jahren, sodass die »Salzburger Chronik« 17 SLTPR, 3. Tagungsabschnitt, 10. März 1937, S. 67f.

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auf ihrer Titelseite am 15. März die finanzielle Sicherung des Festspielhausumbaus melden konnte.18 Die Diskussion im an sich nicht besonders diskussionsfreudigen ständischen Salzburger Landtag war insofern bemerkenswert, als sie an einer wunden Stelle des von Rehrl 1926 kreierten Fremdenverkehrsfonds ansetzte. Rehrl war es gelungen, aufgrund der verfassungsmäßig festgeschriebenen äußerst restriktiven Abgabenteilung zwischen Bund und Ländern, die es den Ländern unmöglich machte, auf Wirtschaftserträgnisse direkt zuzugreifen, einen Ausweg durch die Konstruktion des Fremdenverkehrsfonds als eigener juristischer Person zu finden. Dadurch erhielten nämlich seine Einnahmen nicht den Charakter von Landessteuern, und dessen Verwaltung konnte einer autonomen Kommission unterstellt werden. Wenngleich die Gründung des Fonds vor allem der Finanzierung der Festspiele dienen und damit das Landesbudget entlasten sollte, so wurde aus politischer Notwendigkeit zu dessen Begründung die notwendige allgemeine Förderung des Fremdenverkehrs angegeben. Die tatsächliche Vergabepraxis des Fonds dokumentierte jedoch dessen überwiegende Inanspruchnahme durch die Salzburger Festspiele, sodass sich in den übrigen Fremdenverkehrsorten Salzburgs zunehmend eine kritische bis ablehnende Haltung breitmachte, da man dem Fonds eine einseitige Bevorzugung des Zentral­ raums, vor allem der Landeshauptstadt, vorwarf. Nicht ganz zu Unrecht. In den zehn Jahren seit seinem Bestehen hatte der Fonds über Beiträge in der Höhe von insgesamt 2,6 Millionen Schilling verfügt, von denen 2.120.000 Schilling für den Bau des Festspielhauses, die Fortführung der Salzburger Festspiele, die Gaisbergstraße und die Schmittenhöhebahn ausgegeben wurden.19 Der Historiker befindet sich in der angenehmen Situation des Betrachters aus der Vogelperspektive, welche die Analyse eines komplexen Vorgangs erleichtert. Diese zeigt, dass Rehrl virtuos auf mehreren finanz- und sozialpolitischen Klavieren spielte, um die Realisierung seines Ziels, den Umbau des Festspielhauses, zu erreichen. Zur Sicherung der Finanzierung nutzte er den Fremdenverkehrsfonds, der am 8. März 1937 die Aufnahme eines langfristigen Darlehens in der Höhe von 750.000 Schilling mit einer Laufzeit von 25 Jahren und einer Annuität für Tilgung und Verzinsung von nicht mehr als 7,5 Prozent beschloss, sicherte via Landesgesetz einen Kredit der Stadt Salzburg in derselben Höhe und begründete sein Vorhaben gegenüber dem Bund mit politisch-ideologischen und arbeitsmarktpolitischen Argumenten, wobei er nicht nur seine persönliche Affinität zum Bundespräsidenten, zum Bundeskanzler und Unterrichtsminister einsetzte, sondern diplomatisch geschickt auch an seiner bekannt extrem föderalistischen Position gewisse Modifikationen vornahm.

18 Das Festspielhaus wird gebaut. – In  : Salzburger Chronik, 15. 3. 1937. S. 1. 19 Zehn Jahre Fremdenverkehrsfonds. – In  : Salzburger Chronik, 27. 2. 1937. S. 4.

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Rehrl und die Bundesregierung wussten, dass sie angesichts der zunehmenden Faszination und Sogwirkung des deutschen »Wirtschaftswunders« in der Konfrontation mit dem Nationalsozialismus wirtschafts- und vor allem beschäftigungspolitische Erfolge verzeichnen mussten. Hatte Rehrl den Bau der Großglockner Hochalpenstraße vor allem auch mit arbeitsmarktpolitischen und propagandistischen Gründen als weit über die Grenze des Landes bedeutsames Monument österreichischer Ingenieurskunst und Leistungsfähigkeit argumentiert, so galt dies auch für den Umbau des Festspielhauses. Am 15. März 1937 gratulierte der Landesführer der Vaterländischen Front, Bernhard Aicher, dem Landeshauptmann im Namen seiner Organisation zur Realisierung des Festspielhausumbaus, der zeige, dass der Landeshauptmann in den so wichtigen Wirtschafts- und Arbeitsfragen an vorderster Front marschiere.20 Wenige Tage später schrieb Rehrl an die SAG (Soziale Arbeitsgemeinschaft) Salzburg und die Landesführung der Vaterländischen Front, es bereite ihm die »größte Genugtuung«, dass »der Bau, der einer künstlerischen Notwendigkeit entspricht, auch dazu beitragen wird, die Arbeitslosigkeit in der Stadt Salzburg zu mildern«.21 Weihbischof Johannes Filzer beglückwünschte am 22. März Rehrl zur nunmehr erfolgten Realisierung des Bauprojekts. Besonders dankte er ihm, dass für den Umbau des Festspielhauses vor allem auch ausgesteuerte Arbeitslose herangezogen werden sollten. »Das ist wohl etwas von allergrößter Bedeutung, dass diese Allerärmsten wieder Hoffnung und Arbeit bekommen. Durch diesen Bau des neuen Festspielhauses werden sich Herr Landeshauptmann ein bleibendes Monument schaffen – nicht bloß in künstlerischer, sondern auch in sozialer Hinsicht«.22 Das aufgrund der politischen Rahmenbedingungen sowie der persönlichen Diplo­ matie entspanntere Verhältnis des Salzburger Landeshauptmanns, dessen bundes­ politische Bedeutung aufgrund seines innovativen und zielgerichteten Agierens zunehmend von den Wiener Medien anerkannt wurde, zum Bund manifestierte sich in seinen modifizierten Erklärungen zum nach wie vor bestehenden Spannungsverhältnis Wien/Länder bzw. Bund/Bundesländer. Rehrl, dessen politische Karriere vor allem in den Anfangsjahren der Ersten Republik durch besonders föderalistische Positionen charakterisiert war, begann 1936/37 angesichts des bundespolitischen Wohlwollens vor allem von Bundeskanzler Schuschnigg und Unterrichtsminister Pernter Wasser in seinen föderalistischen Wein zu schütten. Er wusste nur zu genau um die gegenseitige Abhängigkeit und die Sonderstellung Salzburgs, die es ihm, dem Landeshauptmann eines kleinen Bundeslandes, ermöglichte, eine über die politische Bedeutung des Landes deutlich hinausgehende Rolle zu spielen. Und er verstand es, diese Rolle – jeweils situationsbedingt – virtuos zu spielen. 20 SLA Rehrl FS-0046. 21 SLA Rehrl FS-0045. 22 SLA Rehrl FS-0043.

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Anfang September 1937 veröffentlichte die Tageszeitung »Der Wiener Tag« e­ inen Artikel, in dem vor allem Klage über den in den Bundesländern sich immer stärker bemerkbar machenden Widerstand gegen die Finanzierung der Bundestheater – Staatsoper und Burgtheater – geführt wurde. Die Kritiker, so die Argumentation, würden übersehen, dass die Bundestheater aus historischen Gründen in Wien beheimatet seien und im Sinne der österreichischen Kultur eben gesamtösterreichische Aufgaben erfüllten. Im Sinne eines österreichischen Staats- und Kulturbewusstseins sollte man daher von diesen partikularistischen und der österreichischen Idee abträglichen Positionen Abstand nehmen. Zwei Wochen später fand sich Rehrl zu einem längeren Interview mit der Zeitung zu diesem heiklen Thema bereit. Einleitend betonte er geschickt, er begrüße alles, was zu einem besseren Verständnis zwischen Bund und Ländern beitrage. Er halte jede Agitation »gegen die finanzielle Sicherung der Bundestheater vom Staate wegen durchaus für verfehlt. Die Bundestheater haben eine große Tradition aufrechtzuerhalten und müssen diese Tradition über den Wiener Rahmen hinaus auch im gesamtösterreichischen Interesse pflegen«. Wenn in den Bundesländern ein gewisses Desinteresse an den Bundestheatern Platz greife, so beruhe dies auf einem Prinzip der Gegenseitigkeit. »Wien glaubt manchmal – und unterstreicht diesen Irrglauben oft allzu stark –, dass es a l l e i n berufen ist, das Ansehen Österreichs als Kulturstaat ersten Ranges zu wahren. Ich erinnere mich noch sehr genau, mit welchen Schwierigkeiten die S a l z b u r g e r F e s t s p i e l e in ihren Anfängen zu kämpfen hatten und wie viel Aufwand, Beredsamkeit und Geduld notwendig war, um für sie endlich jene Subvention von 40.000 Schilling pro Jahr vom Bund zu bekommen, deren sie sich heute erfreuen. Obwohl die Steuerleistung der Salzburger Festspiele die genannte Subvention bei weitem übersteigt, sodass – abgesehen von dem allgemeinen wirtschaftlichen Nutzen für Österreich – der Bund auch bei dieser primitiven Rechnung noch einen Ü b e r s c h u s s erzielt. Die Bundestheater hingegen decken die ihnen gewährte Subvention auch nicht zu einem geringen Teil mit Steuerbeiträgen ab, da sie ja bekanntlich von der Steuerleistung befreit sind.« Die Festspiele seien nun sehr erfolgreich, und er stehe angesichts der Unterstützung des Bundes für den bevorstehenden Umbau des Festspielhauses nicht an zu betonen, dass »ihnen sowohl der Herr Bundeskanzler als auch die Unterrichtsverwaltung größtes Verständnis entgegenbringen«. Er sei überzeugter Föderalist, wolle jedoch ausdrücklich betonen, dass »das bessere Verständnis zwischen den Bundesländern und Wien (…) gefördert werden« muss. »Jeder Schritt in diese Richtung verdient alle Förderung, und der Weg dazu wird sich bei einigem guten Willen auf beiden Seiten ganz gewiss finden.«23 Nachdem Rehrl vor allem auch mithilfe des Bundes die Finanzierung des Festspielhausumbaus gesichert hatte, reiste er sichtlich erleichtert zum 70. Geburtstag 23 Der Wiener Tag, 14. 9. 1937. S. 1f.

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des Maestros am 25. März nach Mailand, um ihm seitens des Landes Salzburg die besten Glückwünsche zu übermitteln.24 In einem am Geburtstag des Dirigenten erschienenen Leitartikel hatte die »Salzburger Chronik« in hymnischen Worten auf dessen überragende Bedeutung für die Salzburger Festspiele hingewiesen. »Es ist eine Ehrensache eines jeden, der bestrebt ist, sich selbst gegenüber aufrichtig zu sein, alles Große, das Gott in anderen Menschen wirkt, dankbar anzuerkennen. Daher müssten wir Toscanini auch dann feiern, wenn wir nur selten oder auch nie den Zauber seines persönlichen Auftretens und Wirkens genossen hätten. Als Salzburger aber erwächst uns eine neue, zweite Pflicht, die die allgemeine selbstverständliche Verehrung vor einem einzigartigen künstlerischen Genius in besonderer Weise spezialisiert. Denn die Verbindung zwischen To s c a n i n i u n d u n s e r e n F e s t s p i e l e n ist weit über den Rahmen jener üblichen Beziehungen hinausgewachsen, die zwischen Künstlern und den Örtlichkeiten ihrer Leistungen und Triumphe zuweilen entstehen mögen. Das eine steht schon längst fest, dass auf die Salzburger Festspiele der Schimmer eines neuen und alle Welt durchleuchtenden Glanzes gefallen ist, seit Maestro Toscanini in jenem einfachen, so einzigartigen Raum, wie ihn der Festsaal unseres Hauses darstellt, an das Dirigentenpult trat und ein schon durch so viele Erfolge berühmtes musikalisches Ensemble wie die Wiener Philharmoniker zu neuen Taten befeuerte.«25 Auch Unterrichtsminister Pernter betonte in seiner auch im Radio gesendeten Gratulationsadresse, Toscanini habe, seit er 1934 erstmals bei den Salzburger Festspielen dirigierte, diesen »durch seine überragende Persönlichkeit ein besonders glanzvolles Gepräge« gegeben.26 Am 25. März gratulierte Rehrl nicht nur, sondern präsentierte dem Dirigenten auch die inzwischen von Holzmeister bereits detaillierter erarbeiteten Pläne sowie die gesicherte Finanzierung des Umbaus.27 Die Einwände gegen den Bühnenturm waren sicherlich berechtigt gewesen, und Holzmeister hatte in den folgenden Wochen unter Berücksichtigung der Vorschläge Rehrls seinen Plan überarbeitet, vor allem das Bühnenhaus betreffend, mit Fachleuten der Wiener Staatsoper, wie ihm Direktor Kerber vorgeschlagen hatte. Er konnte sich, wie er am 22. Februar Rehrl mitteilte, »von der Berechtigung überzeugen«, im Interesse einer international konkurrenzfähigen Bühne keine Abstriche von den erforderlichen Maßen zu machen. Allerdings sei es dadurch »außerordentlich schwierig (…), diesen Riesenklotz, der ganz aus dem Verhältnis der Nachbarhäuser dieser Gegend und vielleicht von ganz Salzburg steht, in das Stadtbild einzupassen. Ich habe schließlich zu dem einzigen Mittel gegriffen, das hier nach meiner Meinung eine befriedigende Lösung bringen 24 Vgl. Dokument 27. 25 Arturo Toscanini. – In  : Salzburger Chronik, 25. 3. 1937. S. 1. 26 Salzburger Volkblatt, 26. 3. 1937. S. 7. 27 Vgl. Dokument 28.

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könnte  ; der Anschluss des Bühnenhauses an das Massiv des Mönchsbergfelsens. (…) Das Bühnenhaus müsste eine bastionartige Form erhalten, was durch Anbringung von Eckpfeilern, von Wappen und Marken, alles in grobem Beton bzw. Stein, ohne weiteres möglich wäre«.28 In der Via Durini 20, der Mailänder Wohnung Toscaninis, teilte Rehrl dem Dirigenten am Schluss seiner Gratulation mit, dass der zwischen dem Festspielhaus und St. Peter entstehende Hof in Anerkennung seiner Verdienste um die Salzburger Festspiele seinen Namen tragen werde.29 Toscanini reagierte gerührt und übermittelte seine volle Zustimmung zu dem Projekt.30 Zudem werde er im Herbst 1937 eine Konzerttournee in den USA unternehmen, deren Einnahmen er für den Umbau des Festspielhauses zur Verfügung stellen wolle.31 Am 14. April konnte ein sichtlich zufriedener Rehrl in einer Pressekonferenz erklären, der Zweck des bevorstehenden Umbaues des Festspielhauses nach seiner Idee und den Plänen Holzmeisters sei eine – vor allem von Toscanini gewünschte – befriedigende Lösung der derzeit völlig unbefriedigenden bühnentechnischen Seite, indem die Bühne des neuen Hauses in ihren Dimensionen an jene der Wiener Staatsoper angeglichen werde. Das Festspielhaus werde zum Zweck einer besseren Akustik verkürzt, und es werde eine neue Holzgalerie eingezogen. Es werde zudem zwischen 250 und 300 Plätze mehr als das bestehende aufweisen.32 Nachdem die Finanzierung des Festspielhausumbaus gesichert und die Zustimmung Toscaninis zu den Plänen Holzmeisters erfolgt war, verständigte Rehrl auch den in Hollywood weilenden Max Reinhardt über den Stand der Dinge und übersandte ihm die Pläne Holzmeisters mit der Bitte, von dem Vorhaben »freundlichst Kenntnis zu nehmen und diesem Werke (sein) wertvolles Interesse und seine verständnisvolle Förderung nicht versagen zu wollen«.33 Während die Hauptprotagonisten der Festspiele das Vorhaben begrüßten und unterstützten, sahen die Nationalsozialisten in diesem nichts weiteres als einen neuerlichen Beweis einer völlig verfehlten, die Nöte der Salzburger Bevölkerung nicht berücksichtigenden Politik des Landeshauptmanns, der außerdem ein »Knecht des internationalen Judentums« sei. Für den »Österreichischen Beobachter« zeitigte der geplante Umbau des Festspielhauses »bereits verheerende Wirkungen auf die Finanzen der Stadt Salzburg.34 Es zeigt sich dabei immer deutlicher, in welchem Ausmaße auch das Land dafür 28 SLA Rehrl FS-0036. 29 Landeshauptmann Dr. Rehrl bei Arturo Toscanini. – In  : Salzburger Chronik, 26. 3. 1937. S. 1.; Toscaninis 70. Geburtstag. – In  : Salzburger Volksblatt, 26. 3. 1937. S. 6. Vgl. dazu auch Dokument 29. 30 Vgl. Anhang. 31 Neues Wiener Journal, 26. 3. 1937. S.4  : Neue Freie Presse, 26. 3. 1937. S. 8  ; Reichspost, 26. 3. 1937. S. 5. 32 Neues Wiener Tagblatt, 15. 4. 1937. S. 5  ; Neue Freie Presse, 15. 4. 1937. S. 6. 33 SLA Rehrl Briefe 1937/1420. 34 Diese Behauptung entsprach in keiner Weise den Tatsachen. Die Verschuldung der Stadt betrug nicht mehr als die zulässige Gesamthöhe von einer Million Schilling.

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zum Handkusse kommt, dass Herr Rehrl keinen anderen Ehrgeiz besitzt, als aus einem ehemaligen Pferdestall ein prunkvolles Festspielgebäude zu machen. Das Salzburger Festspielhaus hat schon eine lange Lebensgeschichte. Als es das erste Mal umgebaut wurde, hieß es, das sei nur ein Provisorium, bis der Neubau in Hellbrunn, zu dem schon vor Jahren feierlich der Grundstein gelegt wurde, fertiggestellt sei. Es blieb bei diesem Provisorium auch nach dem zweiten Umbau, der den ersten nicht besser machte«. Es folgte die abenteuerliche Behauptung, dass bisher 50 Millionen Schilling im Festspielbezirk verbaut worden seien, »eine Summe, mit der man ein Weltfestspielhaus von grandiosem Ausmaß hätte errichten können. Jetzt wird zum dritten Mal umgebaut, Gebäude und Mauern umgerissen, der bota­ nische Garten verstümmelt, um dem neuen Bühnenhaus Platz zu schaffen. Denkmalschutz, Wahrung des alten Stadtbildes, Verkehrsfragen  ? Solche Hindernisse bestehen für Rehrl nicht. Holzmeister plant und baut um. Rehrl sorgt fürs Geld, d. h. er macht ohne Bedenken neue Schulden. Er bestimmt (…). Die Hauptleidtragenden des Rehrl’schen Größenwahns sind Stadt und Land Salzburg«, denn diesen stünden nun durch die Schuldenpolitik des Landeshauptmanns nicht mehr die für Infrastrukturund Fürsorgemaßnahmen notwendigen Mittel zur Verfügung. »Die Salzburger Bevölkerung kann sich ein Bild von dem machen, was ihr bevorsteht, wenn sie sich den Zustand der Karolinenbrücke betrachtet. Jeder Mensch, der nach Salzburg kommt, lacht über dieses Verkehrsunikum  : Eine Brücke, vor der die Straßenbahnfahrgäste aussteigen und zu Fuß hinübergehen müssen, um, drüben angekommen, die nachhinkende Zugsgarnitur wieder zu besteigen – eine solche Brücke sieht den Festspielhausprojekten Rehrls ähnlich wie ein Ei dem anderen. Sie spiegelt dabei nur den Verkehrszustand im übrigen Land wider  ; man braucht sich bloß die Werfener Brücke vorzustellen, die nach Ansicht von Technikern das nächste Hochwasser kaum überstehen wird. Wirtschaftliche Verlotterung und immense Schulden – das ist das ›System Rehrl‹. Mag auch das ganze Land unter dieser Wirtschaft leiden, die Hauptsache ist, der Herr Landeshauptmann kann seinen mauschelnden Festspieljuden etwas Neues zeigen. Das Geld, das diese schnorrige Bande nach Salzburg bringt, trägt sie in zehnfacher Höhe wieder davon. Trotz aller Geheimtuerei sickert bereits durch, dass die neuen Anleihegeber einige große Wiener Judenbanken sein sollen, denen die Salzburger Bevölkerung ihre Wucherzinsen zahlen muss. Es wird nicht lange ­dauern, und ein plattfüßiger Finanzbaron wird sich als Schlossherr von Hellbrunn präsentieren. Die Fremdenverkehrspropaganda des Herrn Rehrl ist ohnehin schon auf dem besten Wege, die Salzburger Festspiele in einen jährlichen Judenkongress zu verwandeln. Herr Rehrl täte besser, sein wohlgenährtes Bildnis in einer kommenden Synagoge anbringen zu lassen, statt in der Haupthalle eines Musentempels.«35 Rehrls Festspiel-Politik sei nur ein neuerlicher Beweis dafür, dass das ständestaat­ 35 Rund um das Festspielhaus. – In  : Österreichischer Beobachter Folge 22, Juni 1937. S. 6f.

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liche Österreich in diesem Land ein »Juden-Paradies« geschaffen habe, in dem das Judentum das gesamte Wirtschaftsleben beherrsche und die »bodenständigen deutschen Menschen zum Sklaven des jüdischen Kapitals erniedrigt« seien.36 Rehrl war sich der großen politischen und ideologischen Bedeutung des Festspielhausumbaus und der zunehmend starken Internationalität der Festspiele angesichts der zunehmenden nationalsozialistischen Gefahr bewusst. Das Juli-Abkommen 1936 erwies sich als das von besorgten Kommentatoren bereits zum Zeitpunkt seines Abschlusses befürchtete Trojanische Pferd des Nationalsozialismus. Die Festspiele, davon war er überzeugt, bildeten einen kulturellen, ideologischen und ökonomischen Damm gegen die drohende nationalsozialistische Flut. Er widmete daher einen Teil seiner Rede anlässlich der Drei-Jahres-Freier der Ständischen Verfassung am 1. Mai 1937 diesem Thema. »Fürwahr, eine große und hohe Aufgabe liegt vor dem österreichischen Volke  : zu beweisen, dass die Ideale der Freiheit und Gerechtigkeit, dass die abendländisch-christliche Kultur noch lange nicht zu kapitulieren braucht vor der despotischen Totalität, der Geistlosigkeit und vor Schlagwort und Phrase  ! Wir sind berufen, der Welt vor Augen zu stellen, dass auch heute noch der verantwortungsbewusste, freie Bürger das beste Bollwerk gegen Unkultur und Korruption ist und dass die Abendröte des Unterganges noch lange nicht über dem Abendlande und seiner christlichen Kultur zu scheinen begonnen hat  !« In diesem Kontext seien die Salzburger Festspiele »nicht allein für die Stadt Salzburg, sondern für das ganze Land von größter Bedeutung (…) Es mag ja nun wohl vielleicht da und dort Leute geben, denen der ungeheure wirtschaftliche Aufschwung, welchen Salzburg den Festspielen verdankt, aus leicht durchsichtigen Gründen nicht passt. Es wird immer verbrecherische Naturen geben, denen es behagen würde, wenn das Volk in Elend und Trübsal versinkt, die daher eine ebenso gemeine wie geist- und gewissenlose Propaganda widerlichster Sorte betreiben, um jeden wirtschaftlichen Aufbau zu verhindern, um ihre dunklen Ziele aus der Verzweiflung der Menge heraus zu erreichen. Mit diesen rechte ich nicht, da ich es ablehne, mich auf ein derartiges geistiges Niveau zu begeben. Jeder vernünftig und rechtlich Denkende ist sich heute klar darüber, dass die Festspiele mit dem Gedeihen des Fremdenverkehres und damit der Wirtschaft im ganzen Lande untrennbar verbunden sind. Der Aufschwung derselben in den letzten Jahren kann uns mit größter Zuversicht erfüllen. Wir haben nicht vergebens gearbeitet. Die zielbewusste Propaganda, welche betrieben wurde und sich vor allem in Europa, Nord- und Südamerika, Ost- und Südafrika, Marokko, Ägypten, Japan, Britisch- und Niederländisch Indien und Australien erstreckte und unter anderem in der Versendung von Prospekten in allen Weltsprachen und von Fotos in die Metropolen der ganzen Welt sowie der Plakatierung auf den großen Eisenbahnlinien und auf den wichtigen Schifffahrtslinien deutscher, englischer und amerikanischer Natio­ 36 Juden-Paradies in Österreich. – In  : Österreichischer Beobachter Folge 10, 2. 10. 1936. S. 7f.

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nalität erfolgte, trägt eben ihre Früchte. Wir können errechnen, dass die Besucher der Festspiele im Vorjahre weit mehr als ein Dutzend Millionen Schillinge hier im Lande gelassen haben, wobei die Verdienstmöglichkeiten, die die Festspiele der Geschäftswelt, den mitwirkenden Künstlern und dem sonstigen Personale unmittelbar bieten, noch gar nicht eingerechnet sind. Die Entwicklung hat gezeigt, dass das bisherige Festspielhaus, welches seinerzeit rasch und mit geringen Mitteln errichtet werden musste, den heutigen höchstgesteigerten Anforderungen nicht mehr genügte. Diese Überzeugung hatte sich besonders bei den führenden Künstlern durchgesetzt, sodass wir uns zu energischem Handeln entschließen mussten, wollten wir nicht den Verlust dieser Künstler von internationaler Bedeutung riskieren und dadurch die Festspiele selbst auf das Schwerste gefährden«.37 Von den Angriffen der Nationalsozialisten unbeeindruckt, forcierte Rehrl den Umbau, wobei er bemüht war, im Sinne der Betonung des Salzburger Anteils sowie der Letztentscheidung die Festspielhausgemeinde als Bauherrn zu installieren, ein Vorgang, den Präsident Puthon bisher mit dem Hinweis auf die nicht vorhandenen Mittel abgelehnt hatte. Der geplante Umbau sei eine politische Entscheidung und müsse daher auch von der Politik nicht nur beschlossen, sondern auch finanziert werden, so das Argument Puthons. Da diese Bedingungen im März 1937 erfüllt waren, stand der Übernahme dieser Funktion nichts mehr im Wege, sodass der Aufsichtsrat der Festspielhausgemeinde am 14. April in einer außerordentlichen Sitzung den entsprechenden Beschluss fällte und gleichzeitig Clemens Holzmeister mit der Durchführung des Umbaus beauftragte. Die offizielle Lesart der Baupläne lautete nun  : »Festspielhauserweiterung Salzburg nach einer Bauidee von Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl, ausgeführt von Architekt Prof. Dr. Clemens Holzmeister«. Noch im April wurde der erste Bauabschnitt in Angriff genommen, dem das sogenannte Grenadierstöckl inklusive anschließender Mauer zum Opfer fiel, womit der Blick auf die Kollegienkirche frei wurde. Rehrls Geburtshaus, St. Peter Nr. 10, wurde abgerissen und der Fischbrunnen versetzt, um dem geplanten Garderobentrakt Platz zu machen. Noch im Juli wurden die für die neue Unterbühne notwendigen Sprengungen durchgeführt und der neue Festspielhauseingang fertiggestellt. Wenngleich die Bauarbeiten während der Festspiele ruhten, so herrschte ein reges architektonisches und bühnentechnisches Treiben hinter den Kulissen, das am 24. August in einer Aussprache zwischen Toscanini, Walter, Reinhardt und Rehrl über die Bühne des neuen Hauses seinen Höhepunkt fand.38 Hoffnungsfroh schrieb Clemens Holzmeister 1937, die Baudurchführung werde »so erfolgen, dass die Abhaltung der Festspiele in der heurigen Saison in keiner Weise gestört werden wird und dass in der nächsten Spielsaison, August 1938, das neue Haus seiner Benützung übergeben 37 SLA Präs. Akten 1937/9/1549. 38 Vgl. Anhang.

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werden kann  ; würdig, wie wir hoffen dürfen, der hohen Kunst, die darin geboten wird, würdig dem internationalen Rufe, den das Haus als europäische Kulturstätte sich erworben hat, würdig dem Salzburger Stadtbild als harmonische Vollendung an dieser bisher ungelösten Stelle eingegliedert zu werden, und schließlich würdig, den Großtaten sich anzuschließen, die Landeshauptmann Dr. Rehrl bisher für sein Land, wie etwa die Schaffung der Großglocknerstraße und der Gaisbergstraße, vollbracht hat«.39 Holzmeister begann unmittelbar nach Ende der Festspiele mit der letzten Vorstellung von Mozarts »Zauberflöte« unter der Leitung Toscaninis mit der Fortführung der Bauarbeiten am Festspielhaus. Es galt, die Termine einzuhalten und das ehrgeizige Projekt, dessen Finanzierung Toscanini in Absprache mit der National Broadcasting Corporation New York die Einnahmen eines restlos ausverkauftes Sonderkonzerts am 24. August gewidmet hatte, fristgerecht fertigzustellen. Am 29. November erfolgte durch Rehrl das Gleichenfest, bei dem der Landeshauptmann allen am Bau Beteiligten für ihr Engagement dankte. In Absprache mit Rehrl beauftragte Holzmeister wiederum Jakob Adlhart mit dem figuralen Schmuck der Mönchsbergstiege sowie der Ausarbeitung der das eiserne Bühnentor flankierenden sechs maskentragenden Genien und mit jener des Löwen den Salzburger Bildhauer Rudolf Reinhardt. Die Gestaltung dieses festungsartigen Teils des Bühnenhauses, das sich »gleichsam an das übrige Gebäude und unter die Terrasse schmiegt, wie die nahen Häuser an die Felswände« bildete unter Berücksichtigung des Bühneneingangs eine besondere architektonische Herausforderung. »Die Gestaltung dieser monumentalen Wand, ihre geglückte Verklammerung mit der nahen Felswand, die Gestaltung des dreieckigen Hofes, der nach Toscanini benannt wurde, ist unzweifelhaft eine Meisterleistung. Die Rückwand des Bühnenhauses, öffnungslos bis auf das mächtige, wie aus Stein gehauene Tor, ragt wie ein erratischer Block in die Höhe. Über dem Tor das lyraförmige Symbol des neuen Hauses, die weithin sichtbare Toscanini-Orgel. Flankiert war das Tor von zweimal drei breitgelagerten Genienreliefs Jakob Adlharts, auf deren archaische Wucht und Ausdruckskraft die Nationalsozialisten mit Vorschlaghämmern reagierten.«40 Im Gegensatz zu der von Holzmeister in Absprache mit Rehrl vergebenen Gestaltung der künstlerischen Außenarbeiten sollte die Gestaltung des aus feuerpolizeilichen Gründen notwendigen Eisernen Vorhangs aufgrund einer Ausschreibung erfolgen, zu der fünf Künstler eingeladen wurden. Von den eingereichten Entwürfen kamen jene von Georg Jung und Anton Kolig in die engere Wahl, wobei sich der Salzburger Galerist Friedrich Welz besonders für Kolig bei Rehrl verwendete. Im Dezember 1937 schrieb er an den Landeshauptmann, dass »für die künstlerische Ausgestaltung des Eisernen Vorhanges im neuen Festspielhaus von den in engerer 39 Clemens Holzmeister  : Salzburger Festspielhaus. Erweiterung und Umbau. – In  : Die Pause. Monatsschrift für Kultur, Kunst, Bildung, Leben. Heft 7/1937. S. 22–25. S. 24. 40 Muck, Mladek, Greisenegger  : Clemens Holzmeister. Sakralbau, Profanbau, Theater. S. 257f.

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Konkurrenz Stehenden nur die geistig wie künstlerisch und technisch gleichermaßen überragende Persönlichkeit von Anton Kolig geeignet ist«. Der von Kolig eingereichte Entwurf sei »von einer seelischen und geistigen Beschwingtheit, einer so überzeugenden Hingabe für das Werk, dass es meiner Meinung nach gar keinen Zweifel darüber gibt, dass seine Lösung eine elementare, einmalige wird«.41 Rehrl und Holzmeister sollten ihr ambitioniertes Vorhaben nicht mehr vollenden können, sie wurden Opfer der sich überstürzenden politischen Ereignisse. Wenngleich der Bau vor Festspielbeginn 1938 fertiggestellt war, so war Rehrl ab März 1938 nicht mehr Bauherr, und Holzmeister war durch die neuen Machthaber die Bauaufsicht entzogen worden. Im von Holzmeister noch im Juli 1937 mit so viel Zuversicht und freudiger Erwartung erwähnten Festspielsommer 1938 war Salzburg ein Teil des Dritten Reiches, und er hielt sich, da er den Auftrag für das Parlamentsgebäude in Ankara erhalten hatte und so durch einen »guten Engel« den Nationalsozialisten entkommen war, in der Türkei auf. Rehrl verfügte hingegen nicht über den »guten Engel«. Die neuen Machthaber verhängten in Mai über ihn die Polizeihaft, aus der er in das Landesgericht überstellt wurde. Sein schlechter Gesundheitszustand erforderte jedoch schließlich seine Verlegung in das Inquisitenspital. Im Juni wurde er seines ganzen Vermögens beraubt, formell in den dauernden Ruhestand versetzt (auch die Nationalsozialisten hielten sich an bürokratische Formen), während man in der Buchhandlung Höllrigl demonstrativ sein Bild ausstellte, um es von einem wie auch immer begründeten Volkszorn bespucken zu lassen. Rehrl befand sich während des Festspielsommers 1938 in Haft, aus der er erst im Dezember entlassen und »gauverwiesen« wurde. Es waren neue Zeiten, von deren dominierenden Schattenseiten ein erheblicher Teil der im März 1938 jubelnden Salzburger/innen nach 1945 durch eine kollektive Flucht in die Amnesie nichts mehr wissen wollte. In diesen, mit den Iden des März 1938 anbrechenden neuen Zeiten mussten »Baumeister und Bauherr zusehen, wie andere zuerst noch nach ihren Plänen das Haus vollendeten, es dann aber, seine Eigenart nicht begreifend, verschandelten, aber nicht zu Schanden machen konnten. Nur das Detail konnte durch den mit dem neuerlichen Umbau beauftragten Benno von Arent zerstört werden, »die Außenmauern, das Gesamtkonzept blieben intakt, boten die Gewähr für einen neuen Anfang«.42 Es gab in diesen dunklen neuen Zeiten aber auch Zeichen der Anerkennung und Zuneigung, wenngleich diese aus dem Ausland kamen. Am 1. Dezember1938 schrieb Sarah Roosevelt, die Mutter des US-Präsidenten und begeisterte Festspielbesucherin des Jahres 1937, an Rehrl und lud ihn in der vergeblichen Hoffnung, ihn der nationalsozialistischen Verfolgung entziehen zu können, in die USA ein.43 41 SLA Rehrl Briefe 1937/5168. 42 Muck, Mladek, Greisenegger  : Clemens Holzmeister. Sakralbau, Profanbau, Theater. S. 260. 43 Hanisch  : Franz Rehrl – Sein Leben. S. 33.

X. Ein letzter Festspielsommer 1937 oder der unvollendete Triumph Zur historischen Dekodierung einer Karikatur

Am 2. August 1937 erschien in der Wiener Tageszeitung »Der Morgen« eine wiederholt reproduzierte Karikatur, die das Trio Rehrl, Toscanini und Reinhardt auf einem Schaustellerwagen der Festspiele am Fuße der Festung zeigt, mit dem Text  : »Es lärmen mit Waffen heute viele, du glückliches Österreich spiele  !« Rehrl schlägt, auf dem Zugpferd sitzend, die (Werbe-)Trommel, Toscanini, auf dem Wagen sitzend, dirigiert, während neben ihm Reinhardt eine Tafel mit der Aufschrift »Für Jedermann etwas  !« hält und die Zügel des Zugpferdes führt. Vor dem Hintergrund eines sich zunehmend verdunkelnden politischen Horizonts war der Festspielsommer 1937 der letzte und bisher erfolgreichste, der von diesem Trio geprägt wurde. Toscanini, der international umschwärmte und gefeierte Publikumsmagnet, dirigierte vier Opern (Beethovens »Fidelio«, Verdis »Falstaff«, Wagners »Die Meistersinger von Nürnberg«, Mozarts »Die Zauberflöte«) und drei Orchesterkonzerte, Reinhardt zeichnete für das Schauspiel (Hofmannsthals »Jedermann«, Goethes »Faust«) verantwortlich, wobei die Neubesetzung des Mephisto mit Werner Krauß auf besonderes Interesse stieß. Rehrl hatte mit seiner unkonventionellen Idee und seiner finanzpolitischen Phantasie den allgemein, vor allem aber von Toscanini als notwendig bezeichneten Umbau des Festspielhauses ermöglicht und gab, nicht nur von der lokalen Presse mit anerkennenden Kommentaren versehen, den umsichtigen und liebenswerten Gastgeber. Hinzu traten noch Bruno Walter mit vier Opern (Glucks »Orpheus und Eurydike«, Webers »Euryanthe«, Mozarts »Die Hochzeit des Figaro« und »Don Giovanni«) und zwei Orchesterkonzerten als zweiter Hauptdirigent und Hans Knappertsbusch als neuer dritter Dirigent (in Nachfolge von Felix von Weingartner) mit zwei Opern (Strauss’ »Der Rosenkavalier« und » Elektra«) und zwei Orchesterkonzerten. Ein politisch heikles und im Vorfeld der Festspiele zu erheblichen Turbulenzen führendes Ereignis bildete das erstmalige Engagement Wilhelm Furtwänglers für ein Orchesterkonzert, das auf die entschiedene Ablehnung Toscaninis stieß, der der Festspielleitung, vor allem Kerber, vorwarf, ihn nicht kontaktiert zu haben und sogar mit seiner Nichtteilnahme drohte. In Salzburg herrschte Alarmstimmung, die sich erst löste, als der nach Mailand entsandte Regisseur der geplanten »Zauberflöte«, Herbert Graf, den temperamentvollen Dirigenten doch noch zum Kommen überredete. Das gespannte Verhältnis Toscanini/Furtwängler sollte noch während der Festspiele zu einer persönlichen Aussprache der beiden Pult-Giganten führen, in der Toscanini seinen deutschen Kollegen vor die Alternative Salzburg oder Deutschland

Zur historischen Dekodierung einer Karikatur

385

stellte und damit auch ein politisches Bekenntnis einforderte. Toscanini stand auf dem Standpunkt, dass Kunst angesichts der politischen Entwicklungen nicht unpolitisch sein könne. Nur wenn sich Furtwängler von seiner Position des unpolitischen Künstlers verabschiede und gegen Deutschland und damit auch gegen den Nationalsozialismus entscheide, so Toscanini in dem Gespräch, könne er in Zukunft in Salzburg eine Rolle spielen. Damit hatte Toscanini den entscheidenden Punkt angesprochen, in dem sich ihre Welten trennten. Furtwängler verstand sich vor allem als Deutscher, der als Musiker, trotz einer inneren Distanz zum Nationalsozialismus, sein Volk, sein Publikum und seine Musiker nicht im Stich lassen konnte und wollte, wie er nach dem Krieg betonte.1 Für einen Musiker, so erklärte er gegenüber Toscanini, dürfe es keine freien und geknechteten Länder geben, denn die Menschen seien überall frei, wo Wagner oder Beethoven gespielt wird, und wenn sie es nicht seien, so würden sie diese Freiheit beim Hören der Musik erlangen. Nur weil er im nationalsozialistischen Deutschland dirigiere, sei er noch kein Nazi oder gar ein Repräsentant des Systems.2 Diese Position des unpolitischen Künstlers, des Rückzugs in die reinen Gefilde der Kunst, lehnte Toscanini ab. Dies sei nicht seine Meinung, entgegnete er Furtwängler und beendete das Gespräch. Dabei hatte Toscanini Furtwängler nach dessen spektakulärem – allerdings nur vorübergehendem – Bruch mit dem NS-Regime in der Causa Hindemith 1934 und seinem Rücktritt von allen musikalischen Leitungsfunktionen in Berlin als seinen Nachfolgeran der Spitze der New Yorker Philharmoniker vorgeschlagen unter der Voraussetzung, dass er in Deutschland keine feste Position mehr bekleide. Toscaninis Funktion als Chefdirigent endete im Sommer 1936, und Furtwängler sollte sich die kommende Saison 1936/37 mit dem von Toscanini ebenfalls sehr geschätzten Artur Rodzinski, der auch 1936 und 1937 auf Vorschlag Toscaninis je ein Orchesterkonzert in Salzburg dirigierte, teilen, um in der Saison 1937/38 die alleinige Leitung des Orchesters zu übernehmen. Furtwängler willigte am 19. Februar 1936 ein, wurde jedoch wenig später das Opfer einer von Göring geschickt eingeleiteten Intrige. Das Dritte Reich wollte den prominentesten deutschen Dirigenten nicht an die USA verlieren, weshalb ihn Göring am 24. Februar für die Spielzeit 1936/37 als Gast­dirigent von mindestens zehn Aufführungen an die Berliner Staatsoper verpflichtete. Vier Tage später wurde diese Vereinbarung offiziell publik gemacht und von Associated Press entstellt wiedergegeben – Furtwängler sei wieder Direktor der Berliner Staatsoper geworden. In New York kam es zu heftigen Reaktionen vor allem der jüdischen Abonnenten der Konzerte der New Yorker Philharmoniker. Furtwängler reagierte mit einem Telegramm, in dem er erklärte, er sei »nicht Politiker, sondern Vertreter der deutschen Musik, die der ganzen Menschheit« gehöre. Der »politischen Auseinandersetzungen 1 Herbert Haffner  : Furtwängler. – Berlin 2003. S. 207. 2 Haffner  : Furtwängler. S. 243.

386

Ein letzter Festspielsommer 1937 oder der unvollendete Triumph

müde« löse er daher den Vertrag.3 Das New Yorker Orchester entschied sich nach der Absage Furtwänglers nicht für den von Toscanini favorisierten Artur Rodzinski, sondern für den Engländer John Barbirolli als neuen Chefdirigenten. Nach dem Gespräch Toscaninis mit Furtwängler im Anschluss an das von Furtwängler geleitete Orchesterkonzert mit Beethovens 9. Symphonie am 27. August 1937 schienen die Weichen für die musikalische Zukunft der Salzburger Festspiele gestellt. Toscanini hatte sich gegen Furtwängler entschieden, aus politischen Gründen. Es ist allerdings die Frage, ob die politischen Gründe nicht auch als willkommenes Motiv dafür dienten, einen unliebsamen jüngeren Konkurrenten fernzuhalten. Die Brisanz der Frage von Kunst und Politik, die die sommerliche Kontroverse Toscaninis mit Furtwängler in Salzburg bestimmte, wurde wenige Wochen zuvor auch bei den Verhandlungen über die Realisierung der im Juli-Abkommen 1936 enthaltenen Vertragspunkte deutlich. In einem Bericht an Hitler hatte Franz von Papen den Zweck des Juli-Abkommens vor allem auch in »der geistigen Beeinflussung Öster­reichs durch das Deutsche Reich« gesehen, um so »die Schaffung eines kulturellen Eigengewächses zu verhindern«.4 In den Verhandlungen über die Realisierung der einzelnen Vertragspunkte kam daher den kulturellen Fragen eine zentrale Rolle zu. Im Mittelpunkt der im Sommer geführten Gespräche über den Theaterbereich standen aufgrund ihrer hohen ideologischen Bedeutung die Salzburger Festspiele. Bundeskanzler Schuschnigg hatte die österreichische Delegation angewiesen, als Zeichen der deutschen Verständigungsbereitschaft eine Aufhebung des Auftrittsverbots deutscher Künstler bei den Salzburger Festspielen zu erwirken. Berlin lehnte dies mit der Begründung ab, dass bei den Salzburger Festspielen ein besonderes »Hervortreten des jüdischen Elements« bemerkbar sei. Franz von Papen erklärte während der Verhandlungen, im Falle eines doch noch gestatteten Auftretens deutscher Künstler bei den Festspielen müsse zur »Vermeidung unerwünschten Echos in der reichsdeutschen Publizistik und öffentlichen Meinung« garantiert sein, dass diese nicht unter der Leitung des Juden Bruno Walter auftreten müssen. Außerdem wurde deutscherseits moniert, dass sich Künstler wie Arturo Toscanini weigerten, mit nationalsozialistisch gesinnten Künstlern zu arbeiten.5 Die Standpunkte der beiden Verhandlungsdelegationen waren so unterschiedlich, dass ein positives Gesprächsergebnis nicht erzielt werden konnte. Berlin willigte lediglich als Zeichen seines guten Willens in das Auftreten von Hans Knappertsbusch und Wilhelm Furtwängler bei den Festspielen ein. Das noch nie in der Geschichte der Festspiele so zahlreich anwesende internatio­ nale Publikum hatte von diesen Ereignissen hinter den Kulissen allerdings keine 3 Ebda. S. 224. 4 Kurt Schuschnigg  : Im Kampf gegen Hitler. Die Überwindung der Anschlussidee. 2. Aufl. – Wien/ München/Zürich 1969. S. 192. 5 Volsansky  : Pakt auf Zeit. S. 170.

387

Zur historischen Dekodierung einer Karikatur

Kenntnis. Der bereits im Juli einsetzende Festspielrummel übertraf alles bisher Dagewesene. Ende Juli meldete die »Salzburger Chronik«, dass zwischen 1. und 28. Juli 33.557 Gäste in der Stadt Salzburg beherbergt wurden. Im Vergleichszeitraum des bereits sehr erfolgreichen Vorjahres seien es 28.393 gewesen. Dies bedeute eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 18 Prozent, wobei man bedenken müsse, dass der August aufgrund der Festspiele den Höhepunkt der Fremdenverkehrssaison bilde. Nehme man das Jahr 1935 zum Vergleich, so betrage die Steigerung sogar 9674 Personen oder 40 Prozent.6 Die Statistik7 des Monats Juli dokumentierte eine bisher noch nie erreichte Internationalität des Publikums, die seit 1935 deutlich einsetzende antifaschistische Solidarität vor allem auch eines jüdischen westeuropäischen und US-amerikanischen Publikums sowie die internationale Strahlkraft Toscaninis. So schrieb der österreichische Generalkonsul in Jerusalem, Ivo Jorda, am 11. Juni 1937 an Rehrl  : »Der Besuch Salzburgs durch Palästina wird heuer ganz besonders stark sein, teils natürlich dank Toscanini, teils ein wenig auch wegen meiner Propaganda.«8 Hatte in den zwanziger Jahren Reinhardt als Attraktion für das internationale, vor allem auch US-amerikanische Publikum gewirkt, so war es ab 1935 Toscanini. Bemerkenswert war auch der anhaltend dominante Anteil von Besuchern aus der Tschechoslowakei sowie die starke Repräsentanz von Gästen aus Ungarn. Nationen – Gästestatistik (ohne Deutschland) im Monat Juli 1928 bis 1937 in der Stadt Salzburg  :9 HR

CSR

GB

F

NL

USA

Polen

I

1928

1803

3014

408

167

299

1519

158

107

DM 187

1929

2049

3292

377

176

334

1202

227

166

323

1930

2399

3726

559

211

275

1755

174

195

468

1931

1844

3380

708

296

258

1319

184

205

321

1932

855

3103

414

275

220

1078

111

216

132 150

1933

644

4012

538

337

378

757

73

302

1934

834

2131

662

423

253

576

82

185

157

1935

1097

4144

1197

915

516

826

104

292

349

1936

1456

5912

1765

1053

869

1493

222

464

368

1937

1702

6101

1947

1423

1035

2278

312

543

504

6 Salzburger Fremdenverkehr auch weiterhin sehr zufriedenstellend. – In  : Salzburger Chronik, 29. 7. 1937. S. 6. 7 Die Statistik bezog sich nur auf jene Gäste, die in Hotels und Gasthöfen, nicht jedoch jene, die in Privatquartieren wohnten. 8 SLA Rehrl Briefe 1937/2058. 9 Salzburger Chronik, 7. 8. 1937. S. 6.

388

Ein letzter Festspielsommer 1937 oder der unvollendete Triumph

Nicht minder beeindruckend gestaltete sich der Kartenvorverkauf, der bereits Mitte Juni eine Steigerung von etwas mehr als 200.000 Schilling gegenüber dem Vorjahr aufwies. Kartenvorverkauf Stand 17. Juni 1937 im Vergleich zum Vorjahr in Schilling (abgerundete Ziffern)  :10 1936

1937

USA

133.900

227.000

Großbritannien

145.000

161.000

Frankreich

58.000

48.000

Italien

46.000

70.500

Schweiz

58.000

46.000

Tschechoslowakei

41.000

28.100

Belgien

11.100

27.000

Niederlande

11.000

24.000

8.000

19.500

Nordische Staaten Ungarn Deutschland Südafrika

11.000

7.000

2.000

37.000

---

Sowjetunion

5.600

---

1.300

Inland und übrige Staaten

162.000

195.000

Summe

688.000

897.000

Hatte der Juli 1937 bereits alle Rekorde gebrochen, so wurde er vom Festspielmonat August deutlich in den Schatten gestellt. Die Festspielstadt feierte eine Abfolge von Superlativen. Besucherfrequenz der Stadt Salzburg im August 1932 bis 1937  :11 Jahr

Besucherzahl

1932

45.012

1933

35.074

1934

29.233

1935

43.987

1936

46.006

1937

51.764

10 Kartenbüro der Salzburger Festspiele. Rehrl FS-0011/19. 11 Ein Rückblick auf die Festspielsaison. – In  : Salzburger Chronik, 1. 9. 1937. S. 1.

Zur historischen Dekodierung einer Karikatur

389

Das »Salzburger Volksblatt« meldete am 17. August unter der Rubrik »In Salzburg sind angekommen«  : »Hotel d e l ’ E u r o p e   : Fürst Michael Radziwill, Herzog von Olyka, (…) Ivor Churchill Viscount of Wimborne, Mrs. M. X. Bootle Countess of Lathom (London), Viola Alice Wilburn (Malta), Alexander Bodrero (Rom), Jean Walter, Mme. Paul Guillaume (Paris), (…) Hoheit Tukajirao Maharaja Holkar of Indore, Hoheit Maharani Holkar of Indore (Indien), … Mrs. A. Falk (Chicago), Lilly Marx, P. Ritterburg (Johannesburg), (…) Hotel Ö s t e r r e i c h i s c h e r H o f   : Prinz Konstantin und Prinzessin Pilar von Bayern, Prinzessinnen Carmen und Edda Wrede (Berlin), Italienischer Gesandter Francesco Salata, Graf Ugaiccione della Gherardesca (Florenz), Manfred Fürst Collalto (Susegana), (…) Hotel H a b s b u r g   : Hans Graf Wilczek, Graf Czernin, Hans Steinsberg (Wien), Mr. Bonne (Rom), Paul Graf Palffy (Budmerice), (…) Mary Schieflin (New York), (…) Cybill Cirleston, Siegfried Poser (London), (…) Dr. Robert Charlon (Johannesburg), (…) Hotel S t e i n   : (…) Fabrikant A. Ferwardo (Den Haag), (…) Dr. Friedrich Huttenbach, Prof. Alex Jakob (London), Prof. R. A. Morris (New York), (…) Fabrikant Marcel Diaz (Sofia), (…) Diplomat Marcel Gautier (Paris), Heinrich Reiser (Prag), Lucian Reh (Lyon), (…) Hotel Tr a u b e   : (…) Komponist Dr. Wilhelm Kienzl, Hofrat Dr. E. Bettelheim (Wien), (…) Felix Traissac (Algier), Yvonne Tertois (Versailles), (…) Hotel P i t t e r   : Hilary Bird (Wakefield), Anna Braak-Schraagen (Utrecht), Richard D. Boyson (Worthing), Rodney H. Brandon (Bataria, Illinois), Helen Elisabeth Brooke (Berkeley, California), (…) Hotel Z u m H i r s c h e n   : (…) Graf Andreas Esterházy, Generaldirektor Franz Molnar (Budapest), Martin S. Erlanger, Charles J. Hartl (New York), (…) Pierre Demagy (Paris) Lady Mary Goldwell (London), (…)«12 Angesichts des in einem bisher nicht gekannten Ausmaß boomenden internationalen Fremdenverkehrs und der Publizität der Festspiele bemerkte die »Salzburger Chronik« zu Festspielbeginn  : »Seien wir einmal ganz aufrichtig. Wir haben selbst nie geglaubt, dass unsere Festspiele einmal zu dem werden, was sie geworden sind. Weitschauende Männer haben zwar schon vor langen Jahren in kühnen Hoffnungen geschwelgt, haben ihre Ideen durchgefochten, haben, nicht immer unter dem Beifall der Menge und der ihr gefälligen Kritik, geschaffen, was geschaffen werden musste. Aber wohl keiner von ihnen hätte zu versprechen gewagt, dass die Entwicklung einmal in solch kühnen Schritten voranstürmen würde.«13 12 Salzburger Volksblatt, 17. 8. 1937. S. 6f. 13 Salzburg und der Festspielbeginn. – In  : Salzburger Chronik, 24. 7. 1937. S. 6.

390

Ein letzter Festspielsommer 1937 oder der unvollendete Triumph

Die Festspiele 1937 erfreuten sich einer noch nie erreichten internationalen Publizität durch die Anwesenheit von 280 Journalisten aus aller Welt, die für rund 840 Zeitungen mit einer Gesamtauflage von 42 Millionen berichteten.14 Verstärkt wurde die Publizität und damit auch Werbung durch die immer mehr an Bedeutung gewinnenden Rundfunkübertragungen durch die Ravag in insgesamt 16 Länder. Zusätzlich wurden die Festspiele von einer 60-köpfigen Delegation, die 13 Rundfunkanstalten repräsentierte, im Rahmen einer von der Ravag veranstalteten Österreich-Reise besucht.15 Entsprechend gestaltete sich das internationale Flair der Festspielauffahrten sowie der gesellschaftlichen Veranstaltungen.

14 Die ausländische Presse und die Festspiele. – In  : Salzburger Chronik, 1. 10. 1937. S. 5. Länder und von ihnen entsandte Journalisten  : Land Belgien

Anzahl der Journalisten 6

Tschechoslowakei

27

Deutschland

18

Österreich

42

Finnland

1

Großbritannien

21

Frankreich

40

Italien

12

Vatikan USA Griechenland

1 29 2

Ungarn

14

Polen

10

Schweiz

11

Bulgarien

3

Rumänien

9

Jugoslawien

8

Spanien

1

Südafrika

1

Palästina

2

Türkei

5

Argentinien

2

Schweden

5

Portugal

2

Holland

8

15 Rundfunkleute in Salzburg. – In  : Salzburger Chronik, 7. 8. 1937. S. 7  ; Besuch im Salzburg-Studio der Ravag. – In  : Salzburger Chronik, 14. 8. 1937. S. 3f.

Zur historischen Dekodierung einer Karikatur

391

Bei der Auffahrt zur letzten »Meistersinger«-Aufführung am 20. August wurden 466 Kraftwagen gezählt, davon 19 aus Frankreich, 38 aus Großbritannien, 23 aus Italien und 15 aus den USA. Hinzu kamen noch 144 Taxis und 16 Einspänner. Die letzte »Fidelio«-Aufführung verzeichnete 444 Kraftwagen aus 19 Nationen. Dementsprechend wurde auch die Internationalität der Automarken registriert  : Lancia, Tatra, Pierce, Talbot, Lincoln, Gräf und Stift, Rolls Royce, Horch, Standard Jaguar, Daimler, Chrysler, Hispano Suiza, Packard, Mercedes, Buick, President, Renault, Chevrolet, Skoda sowie verschiedene Steyr-Modelle. »Interessant war es immer«, so der Bericht der »Salzburger Chronik«, »die Zuschauermenge zu beobachten. Die täglichen Zaungäste, wenn man so sagen darf, die wussten schon an jedem Kennzeichen der Autos deren Herkunftsland festzustellen, und wenn der erbetene Bescheid auch manchmal danebenging, es machte nichts, denn es war gut gemeint. Freilich, wenn die mächtigen Kraftwagen aus den fernen Ländern, aus Brasilien etwa, aus Argentinien oder Südafrika, Uruguay – denn auch solche waren zu sehen – daherrollten, da gab’s schon des Öfteren ein Rätselraten.«16 Bei so viel Prominenz und gesellschaftlicher Eleganz entbrannte ein Kampf um das Bild. Die Salzburger Fotografen sahen sich unlauterer Konkurrenz ausgesetzt und fürchteten angesichts der nach wie vor anhaltenden schwierigen wirtschaftlichen Lage um eine ihrer Haupteinnahmequellen. Am 7. August richtete daher die Salzburger Fotografen-Zunft an Rehrl die Bitte, seinen Einfluss dahingehend geltend zu machen, »dass in Hinkunft bei den Festspielen in erster Linie Salzburger Fotografenunternehmungen Berücksichtigung finden, um deren heutige Situation wenigstens einigermaßen bessern zu helfen«. Auswärtige Fotofirmen und Amateure hätten in den letzten Jahren »einen Großteil der Festspielaufnahmen an sich gerissen, während die eigentlichen Salzburger Fotografen nur zum Teile in Berücksichtigung gezogen wurden«. Rehrl leitete den Brief an Präsident Puthon weiter, der am 19. Juli antwortete, die Festspielhausgemeinde habe nur Einfluss auf Fotografien, die innerhalb des Festspielhauses entstehen, nicht aber auf solche außerhalb des Hauses. Für Aufnahmen innerhalb des Festspielhauses sei es allerdings unmöglich, einen Ausschluss ausländischer Fotografen zu veranlassen, »da dieselben von führenden ausländischen Zeitungen eigens her gesandt, meistens von unseren Auslandsvertretungen empfohlen sind und ihre Bild-Reportage ein nicht zu entbehrendes Propagandamittel darstellt«. Außerdem hätten die Salzburger Fotografen das Privileg, Aufnahmen in den Künstlergarderoben und bei den »Jedermann«-Aufführungen von der ersten Reihe aus zu machen.17 Die Sorgen der Salzburger Fotografen fanden im März 1938 ein jähes Ende. Der Anschluss Österreichs bedeutete zwar nicht das Ende der Festspiele, aber das Ende von deren Internationalität und damit Attraktivität. 16 Die Festspielauffahrten. – In  : Salzburger Chronik, 1. 9. 1937. S. 2. 17 SLA Rehrl Briefe 1937/2534.

392

Ein letzter Festspielsommer 1937 oder der unvollendete Triumph

Es entbrannte jedoch nicht nur ein Kampf um das Bild, sondern auch um das Autogramm der Festspielkünstler, die von einer noch nie dagewesenen Begeisterung des Publikums gleichsam auf Schritt und Tritt verfolgt wurden. Dies veranlasste das »Salzburger Volksblatt« im Rückblick auf die Festspielsaison zu der Feststellung, dass das Benehmen des Publikums nicht immer gut gewesen sei und im nächsten Festspielsommer dringend modifiziert werden müsse. »Nicht gut war die Form, wie Künstler vom Publikum, Festspielgästen und Einheimischen wiederholt belästigt wurden. Wo Lieblinge des Publikums standen und gingen, wurden sie beknipst und beaugapfelt. Man folgte ihnen auf Schritt und Tritt, sah ihnen förmlich beim Mund hinein bis in den Bauch und schnorrte sie um Autogramme an. Jawohl, schnorrte  ! Im Kaffeehaus, im Bierkeller, auf der Straße. Toscanini wurde sogar um Unterschriften angegangen, als er die Treppe im Mozarteum herunterstieg. Mit solchen Belästigungen hat man Künstlern direkt den Aufenthalt verleidet und ihnen einen Unwillen verursacht, der wiederholt zu Verärgerungen führte. Es gab Künstler, die sich aus diesem Grunde überhaupt nicht auf der Straße, geschweige in einem öffentlichen Lokal sehen lassen wollten.«18 Die internationale Attraktivität der Salzburger Festspiele weckte die Begehrlichkeiten, deren bevorzugter Ansprechpartner Rehrl wurde. Der Landeshauptmann stand allen Versuchen, die Salzburger Festspiele als Reklamefolie für eigene Interessen zu instrumentalisieren, ablehnend gegenüber. So hatte er bereits heftig gegen Versuche in Oberösterreich agitiert, den Namen der Salzburger Festspiele für geplante Bruckner-Festspiele zu gebrauchen. Rehrl verstand sich als Hüter des Markenartikels »Salzburger Festspiele« und lehnte alle Avancen, so hochrangig sie auch firmierten, ab. Die Einzigartigkeit der Festspiele, so sein Credo, dürfe nicht durch noch so gut gemeinte Anliegen – seien es programmatische oder künstlerische – verwässert werden. In seinen, vor allem 1937 zunehmend in Anspruch genommenen Abwehrstrategien war er durchaus flexibel. Und er fand in seiner Abwehrhaltung einen Verbündeten in Präsident Puthon, mit dem er in einer subtilen Abwehrkoalition alle Begehrlichkeiten zurückwies. Am 24. Februar 1937 schrieb Bundesminister a. D. Eduard Heinl an Rehrl, dass man anlässlich des 70-jährigen Jubiläums des Walzers »An der schönen blauen Donau« in Wien große Johann-Strauß-Feierlichkeiten veranstaltet habe, deren Hauptkonzert von der Ravag in die ganze Welt übertragen wurde. Es wäre »nun außerordentlich vorteilhaft, wenn bei den heurigen Salzburger Festspielen doch irgendeine Veranstaltung mit Johann Strauß’schen Kompositionen durchgeführt werden würde«. Dies wäre »ohne weiteres (…) mit Hilfe der Ravag« möglich. Der Salzburger Landeshauptmann möge doch seinen »überragenden Einfluss bei der Festspielhausgemeinde für eine derartige Idee geltend machen«. In Hinblick auf die wenige Monate 18 Festspiel-Epilog. – In  : Salzburger Volksblatt, 1. 9. 1937. S. 6f.

Zur historischen Dekodierung einer Karikatur

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später erfolgende Entwicklung erscheint dieser Vorschlag durchaus sinnvoll  ; Reinhardt plante für den Festspielsommer 1938 eine Inszenierung der »Fledermaus«, die von Bruno Walter musikalisch betreut werden sollte. Da Walter als zweiter Dirigent neben Toscanini ausgebucht war, wurde von Kerber der als vielversprechendes Talent gehandelte Herbert von Karajan als Dirigent vorgeschlagen. Das Problem war allerdings die Spielstätte. Da das Festspielhaus durch die geplanten Opernproduktionen ausgelastet war, kam nur das nicht kostendeckende Stadttheater infrage, für das Reinhardt einen kostenintensiven Umbau forderte. Wenn er schon in das Stadttheater ausweichen müsse, so Reinhardt, sollte man ihm diesen Wunsch erfüllen, da er in den vergangenen fünf Jahren keine Neuinszenierung vorgenommen habe. Er setzte seine Hoffnungen in Rehrl, den er als den einzigen »Hauptmann im Lande« bezeichnete, »der das ganz erkennen« könne. »Denn er baut die Häuser und die Wege dazu.«19 Reinhardts Hoffnungen sollten sich nicht erfüllen. Die Festspielleitung, unter dem Zwang der finanziellen Möglichkeiten stehend, bot ihm eine Inszenierung von Hofmannsthals »Großem Welttheater« in der Felsenreitschule an, wofür Holzmeister mit relativ geringen Mitteln eine Modifikation der Faust-Stadt und einen neuen Schauplatz schaffen könne. Die Verhandlungen verliefen im Sand und wurden von den politischen Ereignissen überrollt. Doch zum Zeitpunkt des Briefes hatten alle Akteure von dieser Entwicklung noch keine Ahnung, weshalb Rehrl den Brief an Heinrich Puthon weiterleitete mit der (unausgesprochenen) Bitte um eine entsprechende – nicht verletzende und vor allem künstlerische Argumente ins Treffen führende – negative Antwort. Der Festspielpräsident antwortete am 14. April höflich ablehnend  : Wie sehr man auch in Salzburg diese Idee begrüße, so könne diese »heuer nicht durchgeführt werden, da zur Leitung eines solchen Konzertes mit nur solchen Werken kein dafür geeigneter Dirigent vorhanden« sei.20 1937 gehörte der stets in Tracht auftretende Salzburger Chor der Familie Trapp zu den allseits geschätzten Propagandisten des Ständestaates und erfreute sich durch zahlreiche nationale und internationale Tourneen großer Beliebtheit. Das Repertoire des Chors reichte von alpenländischen Volksliedern bis zu Madrigalen. Die exilierte Berliner Musik-Managerin Nelly Walter, die den Chor im Herbst 1936 in Wien hörte und von ihm tief beeindruckt war, unternahm den Versuch, dem Chor auch eine US-Tournee zu vermitteln. Ihr gelang es schließlich 1937, ihren Freund, den Musik-Manager Charles Ludwig Wagner, zu einem Besuch Salzburgs und der Villa Trapp in Aigen zu bewegen, in der ihm der Chor eine Probe seines Könnens gab. Wagner war von der Darbietung begeistert und engagierte den Chor für eine US-Konzerttournee von Herbst 1938 bis März 1939. Für 21. August 1937, mitten in der Festspielzeit, wurde im Wiener Saal des Mozarteums ein Konzert des Chors 19 Adler  : … aber vergessen Sie nicht die chinesischen Nachtigallen. S. 261. 20 SLA Rehrl Briefe 1937/0779.

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anberaumt. Es handelte sich bei diesem Konzert jedoch um keine Veranstaltung der Festspiele, sondern um ein Privatkonzert, auch wenn so prominente Festspielkünstler wie Lotte Lehmann in der ersten Reihe saßen und die Karten offiziell auch über das Kartenbüro der Festspiele erhältlich waren. Das Konzert wurde ein großer Erfolg und der Diplomat und Finanzfachmann Octave Homberg, Gründer der Pariser Mozart-Gesellschaft, lud den Chor für ein Konzert in Paris im Herbst ein, dem weitere Auftritte in Belgien, Holland, Dänemark und Schweden folgten.21 Für den Chor war es vor allem mit Blick auf die bevorstehende US-Tournee sowie die zunehmenden internationalen Auftritte von besonderem Interesse, sein Konzert im Mozarteum am 21. August auch als Veranstaltung der Salzburger Festspiele angeben zu können.22 Lotte Lehmann, eine der engagierten Förderinnen der Familie Trapp, ersuchte daher Rehrl, dass die Familie in ihren Programmen auch die Salzburger Festspiele als Veranstaltungsort anführen dürfe. Rehrl antwortete am 9. August 1937, dass der Familie Trapp »die weitgehende Bewilligung erteilt wurde, in ihrem Programm auch ausdrücklich das Mozarteum als Ort der Veranstaltung zu erwähnen. Eine Bewilligung darüber hinaus, nämlich das Konzert als eine Veranstaltung der Salzburger Festspiele bezeichnen zu lassen, ist im Interesse der Salzburger Festspiele, wie Sie, hochverehrte Frau Kammersängerin sicherlich begreifen werden, leider nicht möglich«.23 Die Frage, ob die Jahre 1935/36 oder das Jahr 1937 den Höhepunkt der politischen Karriere Rehrls bilden, ist nicht eindeutig zu beantworten. Für beide Entscheidungen gibt es gute Gründe. Für die Jahre 1935/36 spricht die Vollendung der Großglockner Hochalpenstraße, für das Jahr 1937 der Umbau des Festspielhauses und die in der nationalen Presse deutlich werdende Wertschätzung des Provinz­ politikers als einer weit über die Bedeutung seines Landes hinaus wirkenden Persönlichkeit, von deren äußerem Erscheinungsbild man sich nicht täuschen lassen sollte. Der Autor dieser Zeilen entscheidet sich für das Jahr 1937. Rehrl herrschte über das Land, nicht als Diktator, wenngleich ihm Widerspruch zuwider war, sondern als fürsorgender Landesvater, als der er sich auch verstand. Auch bei Fortbestehen der demokratischen Staatsordnung, von der er sich ohnedies innerlich nie gelöst hatte, hätte er diese Rolle erfüllt, von manchen kritischen Zwischenrufen der Sozialdemokraten, die ihm jedoch in letztlich großkoalitionärer Mentalität verbunden waren, abgesehen. Er hatte zwei seiner landespolitischen Leuchtturmprojekte rea21 Gerhard Jelinek, Birgit Mosser-Schuöcker  : Die Trapp-Familie. Die wahre Geschichte hinter dem Welterfolg. – Wien/Graz/Klagenfurt 2018. S. 140ff. 22 Die Familie Trapp suchte aus PR-Gründen die Nähe zu den Festspielen, die jedoch nicht gegeben war. Auch den von Maria von Trapp in ihren Erinnerungen beschriebenen und im Film »Sound of Music« enthaltenen Chorwettbewerb der Salzburger Festspiele, an dem der Familienchor teilnahm, hat es nie gegeben. 23 SLA Rehrl Briefe 1937/2954.

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lisiert – die Großglockner Hochalpenstraße und den Umbau des Festspielhauses –, das dritte, die Wiedererrichtung der Universität und damit die Befreiung aus den Fesseln des geistigen Provinzialismus, stand bevor. Es galt nun, das Erreichte zu sichern und zu pflegen und dabei die neuen Ziele – den Ausbau der Wasserkraft und die Instrumentalisierung der Festspiele als Begegnungsort auch der internationalen Politik – diplomatisch und umsichtig in Angriff zu nehmen. Kunst, Wissenschaft und eine den natürlichen Ressourcen entsprechende wirtschaftliche Entwicklung des Landes bildeten die Trias seines landespolitischen Credos. In einem Interview mit dem »Neuen Wiener Journal« bemerkte er in Anspielung auf den vom Dritten Reich aus gesteuerten nationalsozialistischen Druck und die Friedensmission der Festspiele im August 1937, seine Politik sei es, »v o n S a l z b u r g j e d e P o l i t i k f e r n z u h a l t e n und im Lande auszuschalten. Wer sich darin mir entgegenstellt, dem komme ich ungemütlich. Österreich will unbedingten Frieden. Wenn möglich, wollen wir die Freundschaft der ganzen Welt  ! Österreich hat zu Furchtbares erduldet, erlitten, um nur mehr vergessen zu wollen, um nur mehr allein für sein Volk Frieden, Arbeit, Wohlstand und Eintracht zu suchen. Mein Ehrgeiz ist, aus Salzburg eine Insel der Seligen zu machen. Für alle Völker dieser Erde  ! Wer zu uns kommt, soll das Glück einer reichen, vielfältigen Landschaft, den Zauber einer alten, ehrwürdigen Kulturstätte und die Imagination höchster, vollendeter Kunst finden. Eine andere ›Politik‹ kenne ich nicht.« Der Interviewer Ludwig Holzer bemerkte, Rehrl vermittle den Eindruck eines »patriarchalischen Chefs eines Welthandelshauses in österreichischen Werten«. Er sei auch »in ihrem jetzigen Ausmaße und ihrer heutigen Geltung der ›wahre Schöpfer‹« der Salzburger Fest­spiele.24 Max Graf widmete Ende August der Persönlichkeit des Salzburger Landeshauptmanns einen Artikel, in dem er ihn als »eine der fesselndsten Persönlichkeiten des neuen Österreich« charakterisierte, die vor allem während der Festspiele omnipräsent sei. »Auf einem der Ecksitze in der achten Reihe des Salzburger Festspielhauses findet man bei den Vorstellungen einen Mann aufmerksam mit der Bühne beschäftigt, der sich meist schon durch seine Tracht von den übrigen Besuchern unterscheidet. Ist er doch in der Regel der einzige Besucher in dieser Gegend des Zuschauerraumes, der inmitten aller Besucher mit dem eleganten schwarzen oder weißen Smoking die Salzburger Landestracht trägt, den grauen Loden mit den grünen Aufschlägen, das Kleid des Bauern, dessen Feld vom grünen Wald umgeben ist und der das Grün seiner Landschaft auch auf dem bequem geschnittenen grauen Rock, der grünen Weste und als Streifen auf der grauen Hose trägt. Dieser Mann ist klein und breitschultrig. Das glatt rasierte Gesicht ist rundlich und die Augen hinter den Gläsern scheinen trotz aller Aufmerksamkeit mehr in sich hinein, als durch die Gläser hindurchzusehen. Das ist der Dr. Franz Rehrl. Seit 1922 Landeshauptmann von Salzburg und als solcher 24 Österreich will die Freundschaft der ganzen Welt  ! – In  : Neues Wiener Journal, 14. 8. 1937. S. 2f.

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eine der interessantesten österreichischen Figuren, denn wo anders könnte man eine ähnliche, trotz ihres hohen Amtes volkstümliche Gestalt finden als bei uns (…) Dr. Rehrl ist kein Mann der Reden, ein nachdenklicher stiller Mann, dem das Sprechen meist schwerfällt. Freilich, wenn es sich darum handelt, in entscheidender Stunde etwas Entscheidendes zu sagen, dann fehlt dem Dr. Rehrl nicht das treffende Wort, dem man anhört, dass es wirklich aus der Werkstatt der Gedanken herauskommt und erdacht, nicht nur gesprochen ist.« Seine Stärke liege vor allem in der Realisierung von Ideen, wie sich nunmehr am Beispiel des Umbaus des Festspielhauses eindrucksvoll dokumentiere.25 Sieht man von der zeitgebundenen Vaterlandslyrik des Ständestaates ab, so entsprach diese Charakterisierung weitgehend Rehrls Persönlichkeit. Sie vergaß nur Rehrls diplomatisches Geschick, das dieser, seiner zielbewussten Politik entsprechend, durchaus wirkungsvoll einzusetzen und zu inszenieren vermochte. Von besonderer Bedeutung wurden die von ihm kreierten jährlichen Festspielempfänge der Landesregierung, die er zu repräsentativen gesamtstaatlichen Aktionen unter Teilnahme des Bundespräsidenten, großer Teile der Bundesregierung und des diplomatischen Korps, zahlreicher Prominenter und Festspielkünstler ausgestaltete. Von besonderem Glanz waren die Festspielempfänge der Jahre 1935 bis 1937, die jeweils unter einem bestimmten Motto standen. 1935 »Fünfzehn Jahre Salzburger Festspiele«, 1936 »Die hundertste Aufführung des Jedermann« und 1937 »Der 70. Geburtstag Arturo Toscaninis«. Rehrl verfolgte mit dem Festspielempfang des Jahres 1937 zwei Ziele  : die Positionierung Salzburgs als kulturelles Zentrum von Weltformat und Begegnungsort der Politik sowie die starke – auch emotionale – Bindung Toscaninis an Salzburg. Rehrl hatte sich für Toscanini entschieden, der Umbau des Festspielhauses entsprach, neben der allgemeinen künstlerischen Notwendigkeit, vor allem seinen Wünschen, und mit ihm war die internationale Positionierung der Festspiele garantiert. Der festliche Empfang in der Salzburger Residenz am 15. August versammelte die Spitzen des Staates und der Salzburger Kirche, zahlreiche Vertreter des diplomatischen Korps und eine Vielzahl von Festspielkünstlern. In seiner Begrüßungsansprache wies Rehrl darauf hin, dass die Salzburger Festspiele »zur größten internationalen künstlerischen Veranstaltung Österreichs geworden« seien. Habe man 1935 den 15-jährigen Bestand der Festspiele gefeiert und 1936 die 100. Aufführung des »Jedermann«, so sei 1937 »der Inhalt des Festes eine Kundgebung des Dankes für unsere Salzburger Festspielkünstler«. Es sei Zeit, danke zu sagen »für das heiße künstlerische Streben und die edle geistige Freiheit, die Ihnen Salzburg und Österreich wert erscheinen lassen«. Die Salzburger Festspiele seien »die bewusste Verbindung Österreichs mit der internationalen Welt«. Zu dem Entschluss, die Danksagung an die Künstler »in den Mittelpunkt unseres heutigen Festes zu stellen, hat in besonde25 Max Graf  : Der Landeshauptmann von Salzburg. – In  : Der Wiener Tag, 28. 8. 1937. S. 3.

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rem Maße die Feier des 70. Geburtstages des hochverehrten Maestro Toscanini Anlass gegeben. Wir sind stolz darauf, dass der Name des Meisters, den alle Völker mit Bewunderung nennen, in einer so innigen Verknüpfung mit dem Namen Salzburgs steht«. Nach einem Gedenken an die seit der Gründung der Festspiele verstorbenen Dichter, Bühnenbildner, Regisseure, Dirigenten, Schauspieler und Sänger – wie z. B. Hofmannsthal, für den er eine Woche zuvor in der Eingangshalle des Festspielhauses ein Ehrenmal enthüllt hatte,26 Roller, Strnad, Schalk, Moissi, Pallenberg, Kurz und Mayr – dankte er besonders Max Reinhardt, Bruno Walter. Lothar Wallerstein, Herbert Graf und den anwesenden Festspielkünstlern sowie den Kollektiven und der Technik für ihre Mitwirkung. Diese werde im folgenden Jahr unter erleichterten Bedingungen stattfinden, denn der Umbau des Festspielhauses, der 1938 abgeschlossen sein werde, werde den Festspielen und allen Mitwirkenden die so sehr ersehnte moderne Spielstätte zur Verfügung stellen. Er schloss mit den Worten, die leider nicht in Erfüllung gehen sollten  : »Möge das Jahr, das uns von den Opernaufführungen im neuen Haus trennt – es ist nicht mehr ein volles Jahr –, ein Jahr des Friedens und des Segens für alle Völker sein, die eines guten Willens sind  !«27 Rehrls letzter Festspielempfang wurde von einem Zwischenfall überschattet, der seine Intention, Toscanini auch emotionell stärker an Salzburg zu binden, zu konterkarieren drohte. In seinen Erinnerungen berichtet Bruno Walter, dass er sich vor Beginn des offiziellen Empfanges zusammen mit seiner Frau auf die Suche nach einem ruhigeren Raum begeben hatte, um dem Stimmengewirr der festlichen Menge für einige Zeit zu entfliehen. Er kam dabei in den leeren Bankettsaal der Residenz, wo bereits die gedeckten Tafeln auf die Gäste warteten. »Meine Frau suchte nach ihrem Platz und entdeckte zu ihrem Entsetzen, dass zu ihrem Tischnachbarn Herr von Papen, der deutsche Gesandte in Österreich, erkoren war. Sie kehrte sofort in die Gesellschaft zurück und ersuchte Präsident Puthon (…), ihr einen anderen Platz zu verschaffen, was er mit einiger Verlegenheit tat. Herr von Papen hatte daher, als einziger, keine Tischdame beim Bankett, war aber einsichtig genug, dem Landeshauptmann zu sagen  : ›Ich kann ganz gut verstehen, dass Frau Walter nicht neben mir sitzen will.‹«28 Papen wurde, aus Gedankenlosigkeit oder der gebotenen Eile Tribut zollend, in die Nähe Toscaninis gesetzt. Als dieser das Erscheinen des deutschen Gesandten in seiner unmittelbaren Nähe bemerkte, sprang er wütend von der Tafel auf und verließ mit den Worten »Mai piu  !« den Empfang.29

26 Der Morgen. 9. 8. 1937. S. 2  ; Salzburger Chronik, 9. 8. 1937. S. 3  ; vgl. Dokument 30. 27 SLA Rehrl Briefe 1937/2803. Vgl. dazu auch Neue Freie Presse, 16. 8. 1937. S. 3  ; Salzburger Chronik, 16. 8. 1937. S. 6  ; Neues Wiener Journal, 16. 8. 1937. S. 2  ; Der Morgen, 16. 8. 1937. S. 3. 28 Walter  : Thema und Variationen. S. 405. 29 Bertha Zuckerkandl  : Österreich intim. Erinnerungen 1892–1942. – Frankfurt am Main/Berlin 1970. S. 208f.

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Am 26. Juli 1937 berichtete die Wiener Tageszeitung »Der Morgen« von einem glanzvollen Festspielbeginn unter der Überschrift »Toscanini voran – Triumph Rein­hardts«.30 Reinhardts »Jedermann« bildete nach wie vor einen Kassenschlager und erzeugte bei vielen Besuchern Betroffenheit, auch wenn die Aufführung, wie jene am 25. Juli, wegen Schlechtwetters in das Festspielhaus übersiedeln musste. »Das große Spiel zeigt noch keinerlei Ermüdungserscheinungen«, konstatierte die »Salzburger Chronik« nach der ersten Aufführung des Festspielsommers 1937.31 Auch der »Faust« erfreute sich ungebrochener Zustimmung beim Publikum und der Presse. Man müsse feststellen, so die »Salzburger Chronik«, dass Reinhardt mit dem »Faust« »seine anderen Salzburger Inszenierungen in den Schatten gestellt« habe.32 Reinhardt, der über die Planungen des Festspielhausumbaus von Rehrl stets auf dem Laufenden gehalten wurde und auch während des Festspielsommers an Besprechungen über die Gestaltung des neuen Bühnenhauses teilnahm,33 entwickelte neue Pläne für Salzburg. Im Sommer 1937 hatte er eine Entscheidung über seine künftige Arbeit getroffen. Er sah sich zunehmend nicht nur als Theater-, sondern vor allem auch als Filmregisseur, weshalb seine Arbeit sich in Zukunft auf Hollywood und Salzburg konzentrieren sollte, wobei er an Synergieeffekte für seine Filmleidenschaft dachte  : Salzburger Inszenierungen nach dem Vorbild des »Sommernachtstraums« sollten in Hollywood auch filmisch realisiert werden. So erklärte er vor Festspielbeginn 1937 in einem Interview, er werde sich nach Ende der Festspiele nach Hollywood begeben und seinem Produzenten, Jack Warner, vorschlagen, Dostojewskis »Der Spieler« und anschließend seine Salzburger »Faust«-Inszenierung zu verfilmen. »Mein Aufenthalt in Hollywood hat es mir ermöglicht, mich mit dem Film völlig vertraut zu machen und ich beabsichtige, ohne das Theater aufzugeben, ihm einen immer wachsenden Teil meiner Tätigkeit zu widmen.«34 Trotz seiner Zäune und Mauern wurde das von Reinhard und seiner Frau Helene Thimig so geliebte und gepflegte Rückzugsgebiet und Oase legendärer Empfänge im Festspielsommer 1937 von den immer länger werdenden Schatten des National­ sozialismus bedroht. Helene Thimig berichtet in ihren Erinnerungen, Reinhardt und sie seien »in seinem Arbeitszimmer im ersten Stock gerade gesessen« und hätten »Zeitung gelesen. Und da – plötzlich dieser namenlose Krach, diese Explosion. Die hat, wie wir später gesehen haben, das Eingangstor quer durch den Riesensaal durch die gegenüberliegende Tür auf die Terrasse geschleudert. Im ersten Moment habe ich das Gefühl gehabt, dass die Hälfte des Schlosses zusammengebrochen ist. 30 Toscanini voran – Triumph Reinhardts. – In  : Der Morgen, 26. 7. 1937. S. 1. 31 Die ersten Festspielaufführungen. – In  : Salzburger Chronik, 26. 7. 1937. S. 5f. S. 6. 32 Der »Faust« in der Salzburger Inszenierung. – In  : Salzburger Chronik, 18. 8. 1937. S. 5. 33 Vgl. Dokumente 31 und 32. 34 Der Wiener Tag, 21. 7. 1937. S. 8.

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Das Erstaunlichste und Aufregendste bei diesem Zwischenfall aber war ganz zweifellos Reinhardts Reaktion  : Er hob den Kopf von der Zeitung, hörte sich das an, bis der Nachhall der Detonation verklungen war und die aufgeregten Stimmen der Angestellten aus allen Richtungen näherkamen, und dann, dann senkte er ganz langsam den Kopf und las weiter. Ohne ein Wort zu sagen. (…) Damals (…) wurde ich sicherheitshalber von Soldaten zu den Salzburger ­Proben begleitet. Dennoch pflegte Reinhardt seinen fast unverwüstlichen Optimismus, denn er hatte sich bei einem befreundeten Politiker, dem Landeshauptmann Rehrl, in einem langen ernsten Gespräch erkundigt, ob die braune Gefahr auch Österreich bedrohe. Rehrl beruhigte ihn  : Das österreichische Volk stehe fest hinter seiner Regierung, die Grenze sei durch Freiwillige gesichert. Im Gegensatz zu Reinhardt nahm ich diese Beschwichtigungsreden mit einiger Skepsis auf, denn ich erinnerte mich noch zu gut an den Tag in Berlin, als der Schauspieler Kayßler, der in jungen Jahren mit Reinhardt am Salzburger Theater gespielt hatte, zu mir in die Garderobe kam und sagte  : ›Haben Sie keine Angst, seien Sie ganz unbesorgt. Ich war heute Nachmittag bei Hitler zum Kaffee geladen. Ein ganz demütiger Mensch …‹.«35 Doch waren die Wahrnehmungen tatsächlich so verschieden, waren die einen realitätsferne Optimisten und die anderen die die Realitäten wahrnehmende Skeptiker  ? Sicherlich, der große Magier plante, scheinbar unbeirrt von den sich verdüsternden politischen Gewitterwolken, für den kommenden Festspielsommer, wie Pressmeldungen Ende August berichteten, eine Inszenierung der »Fledermaus« und gab auch in diesem Festspielsommer seine berühmten und begehrten Empfänge auf Schloss Leopoldskron. Für Rudolf Holzer war »Reinhardt der Weltname, der alles, was er gibt, was er schafft, als Österreicher und aus österreichischer Natur gibt und schöpft. Nirgends und niemals wird man sich dessen bewusster als zu Leopoldskron, wenn uns Reinhardt unter diesem alten Dach des Hauses, wie dem Dach der alten masthochragenden Tannen, Buchen, Ulmen des Parkes entgegentritt. Von der ersten Begrüßung an, den paar flüchtigen Sätzen, die man in dieser geistig unerhört bewegten und lebendigen Vereinigung von Menschen mit ihm wechselt, entdeckt man Reinhardt, ganz intim. Da und jetzt ist er ein anderer als auf den Theaterbrettern während einer Vorstellung  : dort die nervliche Gestrafftheit selber, hier ein gelöster, stiller, timider Herr  ; ein geselliger, auf die zwangslose Art heiterer Mensch, der gern und aus Gewohnheit ein ›Ensemble‹ um sich sieht. (…) Ein Blick durch die Fenster in den tief-nächtlichen Park  : zu Füßen eine mit Marmorfliesen bedeckte Terrasse, eine barocke, wundervoll einfallsreiche Balustrade, dahinter der Spiegel des Leopoldskroner Teiches, alles umrahmt von den Schatten windbewegter mächtiger Bäume, und jetzt zieht der Mond darüber hin, plötzlich 35 Thimig-Reinhardt  : Wie Reinhardt lebte. S. 292f.

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gleißt silbern der Wassergrund, gleich darauf tiefes Schwarz …  : Reinhardts ›Sommernachtstraum‹   ! Theater   ? Nein, wunderbares Erlebnis einer österreichischen Seele, eines unverloren gegangenen Enthusiasten der vierten Galerie der großen Burgtheaterzeit, aus dem der bahnbrechende, wegweisende Regisseur des Impressionismus der deutschen Bühne wurde«.36 Doch wusste Reinhardt in diesem Festspielsommer 1937 nicht um die Bedrohung seiner Welt, als er gegenüber Carl Zuckmayer beim Abschied von einer der legendären Nächte in Leopoldskron auf dessen dankbare Begeisterung antwortete, dass über allem der Geschmack der Vergänglichkeit schwebe  ? Als sensibler Künstler hatte er sehr wohl den zunehmenden Donner Thors wahrgenommen, der seinen Hammer immer mächtiger am Obersalzberg schwang und den Mozart’schen Zauberton übertönte, den Toscanini in diesem Festspielsommer musikalisch in Szene setzte. Doch er war noch nicht bereit zu weichen und spielte seine Rolle des souveränen, gelassenen und entgegenkommenden Gastgebers. Ein personifizierter Gegenentwurf zu dem bereits die Kriegstrommeln rührenden Emporkömmling wenige Kilometer entfernt. Reinhardt ließ sich nichts anmerken, spielte seine Rolle, die er aber wohl zunehmend als Rolle sah, die man auch als eine Form des Widerstandes gegen die drohenden Schatten spielen musste, und nicht als Ausdruck seiner inneren Überzeugung. Und auch Rehrl war in seinem Innersten keineswegs von der Regimetreue der Bevölkerung so überzeugt, wie er nach außen betonte, denn er kannte die vertraulichen Berichte sowohl der Landesleitung der Vaterländischen Front an das General­ sekretariat in Wien wie auch die Berichte der Sicherheitsdirektion. Er wusste nur zu gut um die – trotz aller selbstbewusster Kampfrhetorik – letztlich fragile Stellung des Regimes Bescheid. Die Landesleitung der Vaterländischen Front Salzburg sah aufgrund zahlreicher Berichte aus dem ganzen Land nur rund 40 Prozent der Bevölkerung als absolut regimetreu oder dem Regime mit Sympathie gegenüberstehend an. Auch war man sich durchaus der Illusion der großen Zahl bewusst. Wenngleich die Vaterländische Front im Bundesland Salzburg über rund 100.000 Mitglieder verfügte, so trugen selbst Funktionäre und öffentlich Bedienstete nur sehr mangelhaft deren Abzeichen als sichtbares Bekenntnis. Der Beitritt zur politischen Monopolorganisation erfolgte vielfach aus Gründen der beruflichen Absicherung oder des Erhalts eines Arbeitsplatzes oder öffentlichen Auftrages.37 36 Rudolf Holzer  : Besuch auf Leopoldskron. – In  : Neues Wiener Journal, 24. 8. 1937. S. 7. 37 Vgl. Robert Kriechbaumer (Hg.)  : Österreich  ! und Front Heil  ! Aus den Akten des Generalsekretariats der Vaterländischen Front. Innenansichten eines Regimes. – Wien/Köln/Weimar 2005 (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 23)  ; ders. (Hg.)  : Die Dunkelheit des politischen Horizonts. Salzburg 1933 bis 1938 in den Berichten der Sicherheitsdirektion. Band 3  : Der Sturm bricht los. Vom Juli 1936 bis März 1938. – Wien/Köln/ Weimar 2020 (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wil-

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Ende August 1937 wurden die Koffer gepackt und das internationale Publikum zerstreute sich in alle Winde. Die Künstler kehrten an ihre Häuser zurück, und Reinhardt und Toscanini fuhren in die USA. Sie sollten aus der sicheren Entfernung die wenige Monate später über Österreich und Salzburg hereinbrechende Tragödie, die das Ende ihres Traums bedeutete, erleben. Im Spätherbst hatte dieser Festspielsommer noch einen Nachklang, als auf Einladung von Eleonora von Mendelssohn auf Schloss Kammer eine Abendgesellschaft einer Darbietung des Rosé-Quartetts lauschte, an deren Schluss, gleichsam in Ahnung des unheilvoll Kommenden und des drohenden unwiederbringlichen Verlustes, jener Satz aus Haydns »Kaiser-Quartett« gespielt wurde, der nicht nur die Melodie der Kaiserhymne, sondern auch des Deutschlandliedes wurde. Die sich nach dem Berchtesgadener Abkommen überstürzenden politischen Ereignisse38 ließen alle Planungen für den Festspielsommer 1938 zur Makulatur werden. Rehrl erwies sich lange als Fels in der Brandung und versuchte zu retten, was zu retten war. Er wusste nur zu genau um die Dramatik des Geschehens. Noch in den frühen Abendstunden des 12. Februar 1938 hatte ihn Schuschnigg auf seiner Rückreise aus Berchtesgaden von den Ereignissen auf dem Obersalzberg völlig erschüttert unterrichtet, und der Salzburger Landeshauptmann hatte die Schilderung mit den Worten  : »Eine Katastrophe  !« beantwortet. Rehrls Aktionen in den folgenden Tagen waren vom Zwiespalt zwischen realpolitischer Analyse und Hoffnung geprägt. Er war nicht gewillt, die Sache Österreich und jene der Festspiele preiszugeben und fand Unterstützung bei Bruno Walter und Lotte Lehmann, die Toscanini von ­einer Revision seines Entschlusses, Salzburg angesichts der politischen Entwicklung den Rücken zu kehren, zu überzeugen suchten. Noch unternahm er alles, um die drohende Katastrophe abzuwenden, noch hoffte er auch auf eine internationale Unterstützung Österreichs. Man musste daher alles unternehmen, um dem drohenden Dammbruch zu begegnen. Am 25. Februar 1938 – Rehrl hatte als neuer Landeschef der Vaterländischen Front gegen die nationalsozialistische Massendemonstration am 21. Februar rund 30.000 Salzburger zu einer mächtigen Gegendemonstration gegen den von den Nationalsozialisten immer offensiver geforderten Anschluss organisiert – erfolgte eine Besprechung mit Unterrichtsminister Pernter und Finanzminister Neumayr in Wien, bei der angesichts der sich immer dramatischer entwickelnden innenpolitischen Lage Übereinstimmung erzielt wurde, dass die Salzburger Festspiele 1938 »unter allen Umständen (abzuhalten) sind«. Auch ein drohender Abgang,

fried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 70/3). 38 Zum Ablauf der Ereignisse vgl. Kriechbaumer  : Zwischen Österreich und Großdeutschland. S. 255ff.; ders. (Hg.)  : Die Dunkelheit des politischen Horizonts. Bd. 3. S. 84ff.

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wie 1933/34, in der Höhe von 100.000 Schilling sollte im Verhältnis 4  :6 (Salzburger Institutionen  :Bund) gedeckt werden.39 In den Abendstunden des 11. März 1938 waren die Würfel gefallen. Schuschniggs zögernde Politik hatte die innere Machtergreifung der Nationalsozialisten ermutigt und letztlich erst ermöglicht. Rehrl war die einzige Persönlichkeit der Karikatur, die sich nicht in Sicherheit, d. h. den Vereinigten Staaten, befand. Er wurde von seiner Position des Trommlers für die Salzburger Festspiele durch einen anderen Trommler gestoßen und von den Begeisterten des neuen Trommlers gedemütigt und gauverwiesen. Als indirekt Involvierter in den Putschversuch des 20. Juli 1944, bei dem ihm die von ihm abgelehnte Funktion des Leiters der Zivilverwaltung der westlichen und südlichen Bundesländer unter einem deutschen General angeboten worden war, war er in das KZ Ravensbrück und schließlich in das Gefängnis Moabit in Berlin gebracht worden. Immer wieder von der Gestapo verhört, bekannte er sich, trotz seines schlechten Gesundheitszustandes, als überzeugter Österreicher und Anhänger des demokratischen Gedankens.40

39 SLA Rehrl FS-0130/2. 40 Hanisch  : Franz Rehrl – Ein Leben. S. 34.

XI. Epilog

Rehrl erlebte das Kriegsende in einem Berliner Krankenhaus. Als am 6. Juli in Salzburg sein Aufenthaltsort bekannt wurde, versuchte man ihn nach Hause zu bringen. Er kam jedoch ohne die vorgesehene Begleitung als schwerkranker Mann zurück, um am 15. August in einer großen Feier im Festspielhaus offiziell willkommen geheißen zu werden. Drei Tage zuvor waren die Salzburger Festspiele im Stadtsaal des Festspielhauses vor allem auch auf Betreiben der US-amerikanischen Besatzungsmacht, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits in einer kulturpolitischen Konfrontation mit der Sowjet­ union befand, wiederum eröffnet worden. Verantwortlich für deren weitgehend improvisierte Durchführung zeichnete der 1937 in die USA emigrierte Österreicher Otto von Pasetti-Friedenburg.1 Er unternahm zunächst den Versuch, an die große Ära der Festspiele 1935 bis 1937 anzuknüpfen und Arturo Toscanini und Bruno Walter für ein neuerliches Engagement zu gewinnen. Vergeblich. Seine Planungen mussten sich angesichts der politischen Belastung zahlreicher namhafter einheimischer Künstler nach der Decke strecken und waren daher von Improvisationen geprägt. Wenngleich die Aufführungen der Festspiele vorwiegend von Angehörigen der US-Armee besucht wurden, so stand deren so rasch wie mögliche Durchführung als Zeichen von hoher Symbolkraft für die junge Zweite Republik und das Land Salzburg auch auf der Agenda der Landespolitik, die jedoch mit ihren bescheidenen Mitteln nicht in der Lage war, dieses Anliegen zu realisieren. Nur der auch bereits von den Schatten des beginnenden Kalten Krieges geprägte Entschluss der US-Besatzungsmacht und deren Engagement ermöglichten einen bescheidenen Wiederbeginn. Erst 1946 sollten die bewusst inszenierten historischen Kontinuitäten der

1 Der 1903 auf Schloss Pakein in Kärnten geborene nunmehrige Geheimdienstoffizier und Leiter der Theater- und Musikabteilung des US-Nachrichtendienstes hatte 1925 an der Universität Innsbruck ein Studium der Staatswissenschaften mit der Promotion zum Dr. rer. pol. abgeschlossen und zudem eine Ausbildung als Operntenor erhalten. Nach einer von Turbulenzen geprägten Karriere als Operntenor spielte er 1932 an der Seite von Lotte Lenya, der Frau von Kurt Weill, den Jimmy in der Wiener Erstaufführung von Brecht/Weills »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny«. Lotte Lenya verliebte sich während der Proben in Pasetti, der ebenfalls verheiratet war. Beide wurden ein Paar und im März 1933 floh Lotte Lenya aus dem nunmehr von den Nationalsozialisten regierten Deutschland nach Wien, wo sie mit Pasetti zusammenlebte. Die Beziehung hielt bis 1935. In diesem Jahr wurde Pasetti an das Stadttheater Basel engagiert, um 1937 in die USA zu emigrieren. Während des Zweiten Weltkrieges fand er vor allem wegen seiner Sprachkenntnisse sowie seiner Erfahrungen im Musik- und Theaterbereich Verwendung in der US-Armee, die ihn auch im Rahmen der Entnazifizierungsaktionen belasteter Künstler/innen einsetzte.

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Epilog

Ära Max Reinhardts mit der Aufführung des »Jedermann« nach neunjähriger Pause sowie seiner Inszenierung von Goldonis »Diener zweier Herren« sichtbar werden. Es ist bemerkenswert, dass Rehrl in dem Haus, das – trotz aller inzwischen erfolgten nationalsozialistischen Ästhetisierung – nach wie vor auch seine Handschrift trug, weder die Geschichte des Hauses noch die Festspiele, vor allem deren vor drei Tagen erfolgte Eröffnung erwähnte. Lediglich indirekt kam er zu Beginn seiner Rede auf den Festspielsommer 1937 zu sprechen, als er seine Grüße an die Amerikaner richtete, »wie so oft in früheren Jahren, wo ich die Ehre hatte, unter ihnen auch die Mutter des Präsidenten Roosevelt in diesem Hause zu begrüßen und mit ihr das schöne Salzburg zu bereisen, worüber sie sehr glücklich war und ihre Freude auch in einem persönlichen Schreiben ihres Sohnes, des Herrn Präsidenten Roosevelt, das mir durch die amerikanische Gesandtschaft im Wege unseres Außenministeriums zugegangen ist, Ausdruck verliehen hat«. Welche Gedanken mögen ihm während des Fackelzugs durch die Stadt, vorbei an jener Buchhandlung, in der sein Konterfei im März 1938 ausgestellt war, um von eifrigen Nationalsozialisten bespuckt zu werden, und der anschließenden Willkommensfeier im Festspielhaus durch den Kopf gegangen sein  ? Und welche Bilder und Emotionen tauchten auf in der Erinnerung an die turbulenten Märztage des Jahres 1938, in denen sich »politische Begeisterung« in einen Hexensabbat verwandelte und die innere Machtergreifung demonstrierte  ? Sicherlich, wenn er in die Menge blickte, die die Straßen säumte und sich nunmehr im Festspielhaus versammelte, so befanden sich unter ihnen viele ehemalige »Vaterländische«, die unter dem NS-Regime die ganze Palette der Möglichkeiten geund erlitten, vielfach auch durch Schweigen einfach überlebt hatten. Allerdings auch so manche politischen Konjunkturritter, die neben der festen Masse das Schwemmmaterial der braunen Flut bildeten und die sich nun mit dem Argument des bloßen Mitläufertums oder des Zwangs der Umstände, vor allem der amerikanischen Besatzungsmacht, als bewusste Österreicher präsentierten. Doch Rehrl war zu sehr Öster­ reicher, um der von der Regierung Renner offensiv propagierten Opfertheorie – zumindest offiziell – zu widersprechen. Es könne nicht geleugnet werden, erklärte er in seiner Rede im Festspielhaus, »dass ein Teil unseres Volkes an dem Unglück, das über unser Land und unser Volk gekommen, mitschuldig ist«, doch müsse auch gesagt werden, dass dieser Teil »nur ein verhältnismäßig geringer Teil der Österreicher war« und zudem meistens in jenen Gebieten der Habsburgermo­narchie geboren worden waren, die außerhalb der Grenzen der Republik lagen. Rehrl konstruierte, in Anknüpfung an die Österreich-Ideologie des Ständestaates, die nunmehr auch einen wesentlichen Bestandteil des überparteilichen Elitenkonsenses der jungen Zweiten Republik bildete, das Bild eines österreichischen Nationalcharakters, dem der Fanatismus und die daraus resultierende Bereitschaft zur Gewalt fremd sei. Damit charakterisierte er in einer kollektiven nationalen Exkulpierung den National­

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sozialismus als externes Phänomen, das es unter dem Prinzip »Nicht Rache, sondern Gerechtigkeit« zu behandeln gelte. Dabei müsse jedoch bereits auch festgestellt werden, »dass diese Menschen, gewandt in der Tarnung, es selbst wagen, sich an die Befreier heranzumachen, um auch weiterhin ihre Positionen behalten und die dunklen Geschäfte wiederum neuerlich besorgen zu können. Diese Menschen sind die gefährlichsten, und es muss unser innigster Wunsch und unsere Bitte sein, dass die Besatzungsmacht gerade dieser Angelegenheit erhöhte Aufmerksamkeit zuwendet«. Zentrale Passagen seiner Rede widmete er dem Wiederaufbau einer demokratischen Republik, in der es galt, die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Die Tragödie des 12. Februar 1934 dürfe sich nie mehr wiederholen. Im Rückblick auf sein durch Verfolgung geprägtes Schicksal der vergangenen Jahre gedachte er seiner »Brüder von der Linken, deren Haltung in den Gefängnissen und beim Gang zum Tode« er nie vergessen werde, »der Männer des 20. Juli«, auch wenn er deren großdeutsche Tendenzen nicht teilte, der »aufrechten Katholiken und Protestanten« die um ihrer religiösen Überzeugung willen Haft und Todesdrohung auf sich genommen hatten und »der gemarterten Juden und … der Bibelforscher«. Die Rede endete mit dem von ihm auch bereits bei früheren Anlässen gerne zitierten Zeilen aus Mozarts Bundeslied  : »Brüder, reicht die Hand zum Bunde, diese schöne Feierstunde, hebt uns empor zu lichten Höhen  !«2 Wenngleich weiterhin an das Krankenbett gefesselt, blieb Rehrl seinem Metier und seinem Temperament treu. In einer politischen Denkschrift an die US-Besatzungsmacht forderte er eine Wiederherstellung der historischen Grenzen des Landes, wie sie zum Zeitpunkt des Endes des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1803/06 bestanden hatten. Der Münchner Vertrag 1816, mit dem Salzburg der Habsburgermonarchie einverleibt wurde, hatte das historisch gewachsene Land durch die Abtretung der am linken Ufer der Salzach und Saalach liegenden Gebiete der Landgerichte Teisendorf, Waging, Tittmoning und Laufen an Bayern geteilt und wirtschaftlich durch den Verlust des für die Landwirtschaft so wichtigen Rupertiwinkels erheblich geschwächt. Rehrl hatte bereits als junger Beamter der Landesregierung und als junger Landeshauptmann im Verlust dieser Gebiete eine der Ursachen für die wirtschaftliche Misere, vor allem der Lebensmittelknappheit des Landes in der Nachkriegszeit gesehen. Die Festspiele waren in diesem Kontext für ihn auch der Versuch einer wirtschaftlichen Kompensation dieses Verlustes. Nunmehr sah er die Möglichkeit einer Grenzrevision und damit der Wiederherstellung der historischen Einheit des Landes durch einen Anschluss von Berchtesgaden, Reichenhall und dem Rupertiwinkel, ein Gebiet von beinahe 1.200 km2. Sein Bruder Josef Rehrl sollte als Landeshauptmann 1947 dieses Ansinnen als landespolitisches Ziel formulieren und

2 Salzburg. Geschichte & Politik. Nr. 1/2 März 2017. S. 76–82.

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damit einen Sturm der Entrüstung in den betroffenen Gebieten entfachen. Die Zeiten und Mentalitäten hatten sich gewandelt. Trotz seiner angegriffenen Gesundheit wälzte Franz Rehrl ehrgeizige Pläne für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und sah in Ferdinand Porsche sowie dessen Erfindungsgeist eine Möglichkeit der Etablierung einer Sparte der Maschinenindustrie. Er empfing Porsche Mitte November in seiner Wohnung, um mit ihm die Möglichkeit der Produktion von Kleintraktoren, vor allem für Gebirgsbauern zu erörtern. Porsche versicherte ihm, dass die von ihm entwickelte Konstruktion eines für die Arbeitsbedingungen der Gebirgsbauern tauglichen Traktors weit fortgeschritten sei und auch preislich äußerst günstig sein werde. Rehrl war zuversichtlich, Porsche für Salzburg gewinnen zu können, und erklärte ihm gegenüber, dass seine »Heimkehr (…) für unser Elend eine große Hilfe sein« werde.3 Seine sich immer stärker bemerkbar machende Erkrankung hinderte ihn jedoch an der für sein früheres politisches Wirken so charakteristischen energischen und zielgerichteten Verfolgung seiner Pläne. Er starb nach längerem, geduldig ertragenem Leiden in den Abendstunden des 23. Jänner 1947 in seiner Villa in der Bürgelsteinstraße Nr. 4. Die »Salzburger Volkszeitung« schrieb am folgenden Tag in einem Nachruf  : »Dr. Franz Rehrl war seinem ganzen Charakter nach der geborene Praktiker, e i n M a n n v o n z ä h e s t e r E n e r g i e u n d n i e e r l a h m e n d e r S c h a f f e n s k r a f t . Sein Verstand war von logischer Schärfe, gepaart mit einem politischen und wirtschaftlichen Weitblick, der seinen Plänen und Bestrebungen immer wieder recht gab, Eigenschaften, die ihn zum überlegenen Verhandlungspartner und bewährten Unterhändler machten. Und ein nach harten Auseinandersetzungen errungener Erfolg bedeutete für ihn immer einen Höhepunkt in seinem Leben. (…) Wenn wir an der Bahre dieses echten Salzburger Sohnes Leben und Schaffen überblicken, dann zeichnet sich als tiefster Charakterzug seines bewegten und tatenfrohen Lebens wohl sein i n n i g e s Ve r h ä l t n i s z u m L a n d S a l z b u r g ab. Für dieses einzustehen und mit allen Kräften für dieses s e i n Salzburg zu leben und zu streiten, war ihm Lebensaufgabe und höchster Auftrag.«4 Nochmals, ein letztes Mal, wurde er am 27. Jänner 1947 über die Plätze und durch die Straßen Salzburgs geführt. Von der Margaretenkapelle in St. Peter, in dessen Hof vom Fenster seiner einstigen Notwohnung vier Kerzen leuchteten, über den Kapitelplatz und Domplatz zur Hofstallgasse zurück zur Stiftskirche St. Peter bewegte sich der mit der Landesfahne bedeckte Sarg mit dem Toten in der für ihn typischen Landestracht. Zuvor hatten drei Tage lang tausende Salzburger/innen von Rehrl in der Margaretenkapelle Abschied genommen. Er hatte seine Aufbahrung an diesem Ort gewünscht, denn im Bezirk St. Peter hatte er seine Kindheit und Jugend ver3 Salzburger Nachrichten, 17. 11. 1945. S. 4. 4 Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl gestorben. – In  : Salzburger Volkszeitung, 24. 1. 1947. S. 1.

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bracht. Hier war er lange zu Hause gewesen, im Bereich des St.-Peter-Bezirks war sein Elternhaus gestanden, das er dem Umbau des Festspielhauses geopfert hatte. Die Stiftskirche St. Peter, in der zu Mozarts Requiem die Totenmesse gelesen wurde, trug Trauerschmuck, nur ein weißes Kreuz leuchtete aus den schwarzen Tüchern. Als der Sarg mit dem Leichnam des ehemaligen Landeshauptmanns aus der Kirche getragen wurde, um anschließend auf dem Friedhof in Morzg an der Seite seiner Mutter begraben zu werden, läutete die große St.-Peter-Glocke über die schneebedeckten Dächer der Stadt, deren Bewohner wohl wussten, dass einer ihrer Großen seine letzte Fahrt antrat. Dessen waren sich nicht nur Stadt und Land Salzburg bewusst, sondern auch die Spitzen des Staates. Bundespräsident Karl Renner und Bundeskanzler Leopold Figl würdigten den Verstorbenen als herausragenden österreichischen Politiker. Rehrl trat seine letzte Fahrt im franziskanischen Geist an. Er hatte stets eine besonders enge Beziehung zu den Franziskanern und deren Ordensgründer, und es war daher der Franziskanermönch Pater Bartl Viertler, der, nur mit Rochett und Stola bekleidet, die Aussegnung vorgenommen hatte, und es war der Sonnengesang des heiligen Franziskus, den der vom Tode Gezeichnete sich immer wieder vorlesen ließ., bevor er bei vollem Bewusstsein erklärte  : »Heute kommt das Ende.«5

5 Salzburger Volkszeitung, 28. 1. 1947. S. 3  ; Salzburger Nachrichten, 26. 1. 1947. S. 3  ; Salzburger Nachrichten, 27. 1. 1947. S. 1f.

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Abb.1  : 19. August 1922. Grundsteinlegung für das Festspielhaus in Hellbrunn. V. l. n. r. u. a. Friedrich Gehmacher, Helene Thimig, Max Reinhardt, Erzbischof Ignatius Rieder, Bundespräsident Michael Hainisch, Anna Bahr-Mildenburg, Richard Strauss und Richard Tauber.

Abb. 2  : 19. August 1922. Michael Gehmacher bei der Grundsteinlegung.

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Abb. 3 u. 4  : Zeichnung und Modell des Entwurfs von Hans Poelzig für das Festspielhaus in Hellbrunn.

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Abb. 5  : Hofmannsthals »Das große Welttheater« in der Kollegienkirche 1922.

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Abb. 6  : Hofmannsthals »Das Große Welttheater« im Festspielhaus 1925.

Abb. 7  : Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt bei der Probe zum »Großen Welttheater« 1925.

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Abb. 8  : Die große gedeckte Winterreitschule, Ausweichquartier für den »Jedermann« bei Schlechtwetter.

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Abb. 9  : Arbeiten am ersten Festspielhausbau nach den Plänen von Eduard Hütter 1925.

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Abb. 10 u. 11  : Zeichnung und Realisierung  : Zuschauerraum des Festspielhauses 1926.

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Abb. 12  : Anton Faistauer im Faistauer Foyer 1926.

Abb. 13  : Die Faistauer-Halle im Festspielhaus 1937.

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Abb. 14  : Faistauer-Foyer mit Reinhardt-Büste.

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Abb. 15  : Die Hofstallgasse 1926.

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Abb. 16  : »Jedermann« 1928. Alexander Moissi und Dagny Servaes.

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Abb. 17  : Alexander Moissi als Jedermann 1928.

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Abb. 18  : Porträt (Ölbild) Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl, sign., unlesbar.

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Abb. 19  : Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl mit dem 50-Semester-Band der K.Ö.H.V. Austria Wien.

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Abb. 20  : Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl und Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß auf dem ­ Großglockner anlässlich des Besuches des Bundeskanzlers bei den Bauarbeiten an der Großglockner-Hochalpenstraße am 15. Juli 1934.

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Abb. 21  : Blick auf Leopoldskron, Reinhardts Arkadien, in den 1930er Jahren.

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Abb. 22  : Die Faust-Stadt von Clemens Holzmeister und Max Reinhardt 1933.

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Abb. 23  : Max Reinhardt probt mit Paula Wessely und Helene Thimig in der Faust-Stadt 1933.

Abb. 24  : Margarete Wallmann bei der Probe in der Faust-Stadt 1933.

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Abb. 25  : Carla de Martini-Toscanini, Arturo Toscanini und Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl.

Abb. 26  : Lotte Lehmann, Bruno Walter, Heinrich Puthon, Dusolina Giannini im Café Tomaselli 1935.

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Abb. 27  : Dusolina Giannini, William Somerset Maugham und seine Übersetzerin Baronin Seiller auf dem Mönchsberg 1936.

Abb. 28  : Bundeskanzler Dr. Kurt Schuschnigg im Café Bazar 1936.

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Abb. 29  : Kronprinz Umberto von Italien, Staatssekretär Dr. Guido Schmidt und Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl am 9. August 1936.

Abb. 30  : Festspielauffahrt 1936.

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Abb. 31  : Karikatur in der Tageszeitung »Der Morgen«, 2. August 1937. Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl, Arturo Toscanini und Max Reinhardt leitendes Dreigespann der Salzburger Festspiele.

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Abb. 32 u. 33  : Das Innere des Festspielhauses vor dem Umbau 1936/37.

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Abb. 34  : Rehrls Geburtshaus, das dem Umbauplan des Landeshauptmanns zum Opfer fiel.

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Abb. 35  : Auch die Mönchsbergstiege musste neu konzipiert werden.

Bildteil Abb. 36  : Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl und Prof. DI Dr. Clemens Holzmeister auf der Baustelle des Umbaus des Festspielhauses. Abb. 37  : Baustellenbesichtigung durch Präsident Heinrich Puthon, Arturo Toscanini und Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl.

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Abb. 38  : Umbau des Festspielhauses. Niederlegen der Franziskanermauer und des Grenadierstöckls im Mai 1937.

Bildteil Abb. 39  : Umbau des Festspielhauses. Arbeiter bei der Umlegung des Almkanalgerinnes im Mai 1937.

Abb. 40  : Umbau des Festspielhauses. Arbeiter beim Niederlegen des Brunnens vor dem Festspielhaus im Mai 1937.

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Abb. 41  : Der Festspielbezirk im Wandel  : Bauarbeiten für das Festspielhaus 1925.

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Abb. 42  : Festspielhaus mit Fauststadt vom Pfarrkirchenturm 1933.

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Abb. 43  : Umbau des Festspielhauses. Blick vom Franziskanerturm 18. Juni 1938.

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Abb. 44 u. 45  : Das Innere des Salzburger Festspielhauses im November 1938. Das Hakenkreuz als Symbol der neuen Machthaber ist bereits angebracht, die später erfolgten Umbauten jedoch noch nicht durchgeführt.

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Abb. 46  : Absagetelegramm Arturo Toscaninis an Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl vom Februar 1938.

Teil I I

Dokumente

Dokument Nr. 1  : Der von Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl 1926 erarbeitete Sanierungsplan des Festspielhauses1 Der derzeitige Schuldenstand beträgt  : 12 Milliarden Kronen an die Salzburger Kredit- und Wechselbank (Bayernbank), 3 Milliarden Kronen an den Bankenverband und 4,7 Milliarden Kronen an Gewerbetreibende. Das Erfordernis für die bauliche Vollendung des Festspielhauses beläuft sich auf 5 Milliarden Kronen. Für die Sanierung der Festspielhausgemeinde wird folgender Plan aufgestellt  : I. Abschnitt D i e S t a d t S a l z b u r g w i r d E i g e n t ü m e r i n des Festspielhauses. Sie übernimmt es, im Einverständnis und unter Oberaufsicht des Landes die bauliche Vollendung des Festspielhauses so durchzuführen, dass die Verwendung sämtlicher Räumlichkeiten des Festspielhauses auch für andere Zwecke als Festspielzwecke ermöglicht wird. Die hierzu erforderlichen Arbeiten sind die Verlegung der Böden und der Einbau der Heizung, die Schaffung eines möglichst einheitlichen Bildes des Gebäudes nach außen, zumindest eine einheitliche Färbelung der gesamten Kasernenfront in der Hofstallgasse, die möglichste Beseitigung behaupteter Architekturfehler. Diese Arbeiten sind unter besonderer Mitwirkung von maßgebenden Architekten sowohl für das innere als auch für das äußere Gebäude auszuführen. D i e S t a d t S a l z b u r g w i d m e t einen Betrag von 6 M i l l i a r d e n Kronen, der zur Deckung der 4 Milliarden Kronen etwa übersteigenden Forderungen der Gewerbetreibenden und dann zur Deckung des Erfordernisses für die erwähnte bauliche Vollendung des Festspielhauses dient. Die Stadt Salzburg verpflichtet sich, auf Gemeindekosten ohne Inanspruchnahme des von ihr gewidmeten Betrages von 6 Milliarden Kronen und ohne Aufrechnung auf diesen Betrag den vor dem Festspielhaus befindlichen Fischbrunnen und die daselbst befindlichen Hütten bis längstens 1. Juli 1926 an einen entsprechenden Ort zu verlegen und den freigewordenen Platz nach den Ratschlägen der zuständigen Architekten herzurichten. D i e I n t e r e s s e n t e n , vertreten durch die Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie, stellen 4 M i l l i a r d e n Kronen zur Deckung von Forderungen der Gewerbetreibenden bei. Hiervon werden 2 Milliarden Kronen à fond perdu gestellt. In dem Ausmaße, in dem der von der Stadt S a l z b u r g gewidmete Betrag von 6 Milliarden Kronen nicht zur Deckung von Forderungen der Gewerbetreibenden und des Erfordernisses für die bauliche Vollendung des Festspielhauses aufgebraucht wird, 1 Salzburger Chronik 30. März 1926. S. 4.

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dient er dazu, den von den Interessenten nicht à fond perdu gestellten Betrag von 2 Milliarden Kronen abzustatten. S t a d t u n d L a n d S a l z b u r g verpflichten sich, allfällige Subventionen des Bundes, Reinerträgnisse der Festspiele, Spenden, den Ertrag von Lotterien, allfällige Erlöse aus der Saalmiete, das Erträgnis der Kartensteuer zur A m o r t i s a t i o n zu verwenden  : a) der 2 Milliarden Kronen, die von den Interessenten nicht à fond perdu gestellt werden, b) des von der Stadtgemeinde gewidmeten Betrages von 6 Milliarden Kronen. Bis zum Zeitpunkte der unter a) und b) genannten Beträge verzichtet die Stadtgemeinde auf die Entrichtung einer Miete seitens der Festspielhausgemeinde für die Benützung des Festspielhauses. Vom Zeitpunkte der durchgeführten Amortisation dieser Beträge an werden die zur Amortisation verwendeten Eingänge mit Ausnahme des Erlöses aus der Saalmiete zur Amortisation des vom Bankenverbande zur Verfügung gestellten Betrages von 3 Milliarden Kronen verwendet, falls die mit 28. Februar 1926 befristet gewesene Rückstellungserklärung des Bankenverbandes dementsprechend erstreckt wird. Nach Möglichkeit wäre eine Schenkung dieses Betrages anzustreben. II. Abschnitt D i e S a l z b u r g e r K r e d i t - u n d We c h s e l b a n k ist verpflichtet, der Stadtgemeinde Salzburg ein D a r l e h e n von 600.000 S gegen entsprechende Haftung und den durch die Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie vertretenen Interessenten ein Darlehen von 400.000 S gegen entsprechende Sicherstellung zu einer Ve r z i n s u n g v o n 6 P r o z e n t ab 1. April 1926 auf 2 1/4 Jahre zu geben. Eventuell kann der Stadtgemeinde der ganze Betrag von 1.000.000 S gegeben werden. Die Salzburger Kredit- und Wechselbank wird nach folgendem Muster einen D o l l a r - K r e d i t aufnehmen, der höchstens mit 8 Prozent verzinslich sein darf. Kreditabschreibung

Kreditrückzahlung

Kreditsaldo

1926 1. April

500.000

1. Juli

500.000

1,000.000

1. Oktober

500.000

1,500.000

1927 1. Jänner

500.000

1. April

500.000

500.000

2,000.000

1 Juli

500.000

500.000

2,000.000

500.000

1,500.000

1. Jänner

500.000

1,000.000

1. April

500.000

500.000

1. Juli

500.000

1. Oktober

2,000.000

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Dokument Nr. 1

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Die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank in München, das Land Salzburg und die Stadt Salzburg übernehmen die selbstschuldnerische s o l i d a r i s c h e B ü r g s c h a f t für obige Beträge und Termine. D i e S a l z b u r g e r K r e d i t - u n d We c h s e l b a n k s t r e i c h t bei Übernahme dieser Haftung das S c h u l d k o n t o v o n 1 2 M i l l i a r d e n Kronen. III. Abschnitt Alle obenstehenden Bedingungen bilden ein e i n h e i t l i c h e s G a n z e s . Die Stadt Salzburg stellt an das Land Salzburg sämtliche Verpflichtungsurkunden bis inklusive Freitag den 2. April zuhanden des Landeshauptmannes, bedingt durch die nachträgliche gesetzliche Regelung, aus. Der Kunstausschuss bzw. die Festspielhausgemeinde verpflichten sich ihrerseits, alles zu unternehmen, um die Abhaltung der Festspiele laufend zu ermöglichen. IV. Abschnitt 1. Ein ständiger K o n t r o l l a u s s c h u s s , bestehend aus je einem Vertreter des Landes Salzburg, der Stadt Salzburg, der Salzburger Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie und der Festspielhausgemeinde, führt die ständige Überwachung des Sanierungsplanes. 2. Das Kuratorium entsendet zu allen Tagungen der Vereinsorgane der Festspielhausgemeinde mindestens einen Vertreter, gegen dessen Widerspruch Beschlüsse nur dann wirksam werden, wenn ein Appell der Vereinsorgane an das Gesamtkuratorium von Erfolg begleitet ist. Verpflichtungen der Festspielhausgemeinde irgendwelcher Art bedürfen, soferne sie nicht durch Beschlüsse in Tagungen der Vereinsorgane gedeckt sind, der Zustimmung des Kuratoriums. 3. Den Vereinsorganen gegenüber wird das Kuratorium von seinem Vorsitzenden oder dessen Stellvertreter vertreten. Die sich aus der Erfüllung des Vereinszweckes und der Ausnützung der Festspielräume ergebende G e s c h ä f t s g e b a r u n g der Festspielhausgemeinde unterliegt – ungeachtet der gesetzlichen Vorschriften und der übrigen Bestimmungen dieser Vereinbarung – folgenden besonderen Bestimmungen  : 1. Für j e d e e i n z e l n e U n t e r n e h m u n g der Festspielhausgemeinde ist ein Vo r a n s c h l a g zu erstellen. Die Durchführung der Unternehmung ist davon abhängig, dass der Voranschlag die Sicherung der Finanzgebarung für jedes Stadium der Durchführung gewährleistet. 2. Die Aufnahme von B e t r i e b s v o r s c h ü s s e n irgendwelcher Art und der dazugehörige Tilgungsplan bedarf der Genehmigung des Kuratoriums. 3. Die Überschüsse der Betriebsgebarung dürfen bis zu einem vom Kuratorium zu genehmigenden Ausmaße zur weiteren Betriebsführung verwendet werden. Darüber hinaus müssen sie zur Tilgung der Verbindlichkeiten der Bank verwendet werden. 4. Der Festspielhausgemeinde aus Kreisen der Kunstfreunde zukommende Spenden dürfen zur Betriebsgebarung verwendet werden.

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V. Abschnitt Einstweilen streckt die Salzburger Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie 300 M i l l i o n e n Kronen als e i n s t w e i l i g e n B e t r i e b s v o r s c h u s s gegen nachträgliche Refundierung vor.

Dokument Nr 2  : Verpflichtungserklärung der Stadtgemeinde Salzburg vom 1. April 19261 Die Stadtgemeinde Salzburg verpflichtet sich, alles zu unternehmen, um das Eigentum am Reitschultrakte des im Grundbuch als Eigentum des Bundesärars eingetragenen, nach dem Stande der schwebenden Vertragsverhandlungen in das Eigentum der Stadt gelangenden und von dieser treuhandweise verwalteten Kasernengebäude an der Hofstallgasse in Salzburg zu erwerben und aufgrund des Beschlusses des Gemeinderates vom 1. April 1926  : 1. aus dem von der Salzburger Kredit- und Wechselbank ihr gewährten Darlehen von 600.000 Schillingen nach Deckung der über den Betrag von 400.000 Schillingen etwa hinausgehenden Forderungen der Salzburger Gewerbetreibenden den Rest für die bauliche Vollendung des Festspielhauses gemäß den Bestimmungen der Landesregierung und unter der von dieser aufgestellten Kontrolle zu verwenden. Sie wird die bauliche Vollendung des Festspielhauses so durchführen, dass die Verwendung sämtlicher Räumlichkeiten des Festspielhauses auch für andere Zwecke als Festspielzwecke ermöglicht wird. Die hierzu erforderlichen Arbeiten sind insbesondere die Verlegung der Böden und der Einbau der Heizung, die Schaffung eines möglichst einheitlichen Bildes des Gebäudes nach außen, zumindest eine einheitliche Färbelung der gesamten Kasernenfront in der Hofstallgasse, die möglichste Beseitigung behaupteter Architekturfehler. Diese Arbeiten sind unter beratender Mitwirkung von maßgebenden Architekten sowohl für das Innere als auch für das äußere Gebäude auszuführen  ; 2. auf Gemeindekosten ohne Inanspruchnahme des Darlehenserlöses und ohne Aufrechnung auf denselben den vor dem Festspielhause befindlichen Fischmarkt, die dort befindlichen Hütten und, wenn dies aufgrund des Gutachtens der zuständigen Fachkreise notwendig sein sollte, auch den Fischbrunnen bis längstens 1. Juli 1926 an einen anderen Ort zu versetzen und den frei gewordenen Platz nach den Vorschlägen der zuständigen Architekten herzurichten  ; 3. für den Fall der Aufnahme eines Darlehens von einer Million Schillingen den Teilbetrag von 400.000 Schillingen aus dem Darlehenserlös den durch die Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie vertretenen Interessentenkreisen zu denselben Bedingungen, wie ihr das Gesamtdarlehen gewährt wird, zur Verfügung zu stellen, damit daraus die ausständigen Forderungen der Gewerbetreibenden bis zu dem Betrag von 400.000 Schilling bezahlt werden können. Hiervon nehmen die Interessenten 200.000 Schilling zur Rückzahlung aus ihren eigenen Mitteln. Aus dem 1 Salzburger Wacht, 2. 4. 1926. S. 1f.

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Restbetrag des Darlehenserlöses hat die Stadtgemeinde dann, wenn die Forderungen der Gewerbetreibenden an die Festspielhausgemeinde 400.000 Schilling übersteigen sollten, den vollständigen Betrag zu widmen und die bauliche Vollendung des Festspielhauses gemäß Punkt 1 durchzuführen  ; 4. einen etwa noch verbleibenden Rest des Darlehenserlöses zur Rückzahlung der von den Interessenten nicht zur Zahlung aus eigenen Mitteln übernommenen Betrages von 200.000 Schilling zu verwenden  ; 5. Subventionen des Bundes, Reinerträgnisse der Festspiele, Spenden, den Ertrag von Lotterien, Erlös aus der Saalmiete, ein Erträgnis aus der Kartensteuer zur Amortisation der gesamten Darlehensschuld mit Ausnahme des von den Interessenten zur Zahlung aus ihren eigenen Mitteln übernommenen Betrages von 200.000 Schilling zu verwenden und bis zum Zeitpunkte der durchgeführten Amortisation auf die Entrichtung einer Miete seitens der Festspielhausgemeinde zu verzichten. Im Festspielhause sind die im Projekte für die Festspielhausgemeinde vorgeschriebenen Kanzleiräume unentgeltlich zur Verfügung zu stellen  ; 6. vom Zeitpunkte der durchgeführten Amortisation des Darlehens an die vordem zur Amortisation verwendeten Eingänge mit Ausnahme des Erlöses aus der Saalmiete zur Amortisation des vom Bankenverbande zur Verfügung gestellten Betrages von 300.000 Schilling zu verwenden, falls nicht der wünschenswerte und erhoffte gänzliche Verzicht des Bankenverbandes auf die Rückstellung der erwähnten Summe, sondern nur eine entsprechende Erstreckung der mit 28. Februar 1926 befristet gewesenen Rückstellungserklärung erzielt werden kann  ; 7. für die Aufnahme einer Dollar-Anleihe der Salzburger Kredit- und Wechselbank, für welche das Land aufgrund des einzubringenden Gesetzes die Haftung als Bürge und Zahler übernimmt im Verein mit der Bayerischen Hypothekenbank in München die Solidarhaftung als Bürge und Zahler einzugehen.

Dokument Nr. 3  : Rede von Landeshauptmann Dr. Rehrl vor dem Salzburger Landtag am 7. April 19261 Hohes Haus  ! Man hat heute sehr viel geredet, warum und aus welchen Beweggründen ich diese Sanierung gemacht habe  ; man hat mir gesagt, um einige Parteigenossen, oder um einen Parteigenossen, und um andere prominente Persönlichkeiten aus der Schlamastik zu ziehen. Das ist nicht richtig  ! Lesen Sie die Protokolle der verschiedenen Enqueten nach, die wir bei der Landesregierung abgeführt haben. Ich habe mich deshalb um die Sanierung des Festspielhauses angenommen, weil, nachdem ich allen Persönlichkeiten durch drei Monate hindurch Zeit gelassen habe, die Festspielhausgemeinde zu sanieren, sie niemand saniert hat und außerdem alle Parteien ohne Unterschied in der Enquete erklärt haben, die Festspielhausgemeinde ist so wichtig für Salzburg, ganz gleichgültig von welchem Parteistandpunkt aus man sie ansieht, dass die Sache gerettet werden muss. Ich bitte, meine sehr verehrten Herren, billigen Sie mir die in den Protokollen niedergelegten Gründe zu, die mich hierzu veranlasst haben. Im Gegenteil, ich habe ausdrücklich erklärt in der letzten Enquete, dass ich durch meine Tätigkeit in der Schuldfrage absolut nicht vorgreifen will  ! Meine Herren, rufen Sie nach dem Staatsanwalt, der Staatsanwalt soll sich der Sache annehmen, er soll prüfen, ob etwas vorgekommen ist, was mit unseren Gesetzen in Widerspruch steht  ; ich falle ihm nicht in den Arm, aber verurteilen Sie niemanden, bevor die Sache untersucht ist. Im Gegenteil, ich wünsche, dass volle Klarheit in die Sache kommt, damit wieder Beruhigung in die Bevölkerung einzieht. Mit der Freunderlwirtschaft, mit einem Panama ist nichts zu holen  ; es gibt kein Geschäft  ! Man hat mir gesagt, einen anderen Weg hätte ich gehen sollen  ; ich habe aber keinen anderen Weg gesehen. Es wurde auch gesagt, wir hätten Österreich dazu bringen sollen, mit Salzburg, der Perle Österreichs, zu sympathisieren und begeistert einzutreten dafür, dass man in diesem schönen Salzburg Festspiele schafft. Wer, meine sehr verehrten Herren, kennt nicht die Kleinlichkeit der Menschen, die Eifersucht, den Dorfgeist, der bei uns so groß ist  ? Ich habe auch einen anderen Weg gegangen und auch andere Herren  ! Ich verweise auf die Protokolle der Enquete, wo ich mitgeteilt habe, dass der Bund eine Milliarde zur Verfügung stellt  ; man hat verlangt, dass ich erkläre, dass der Bund das auf mehrere Jahre macht  ; ich habe daraufhin erklärt, dass ich nicht die Macht habe, das zu erreichen  ; vielleicht haben sie die Nationalräte, und wenn die Nationalräte aller Parteien zusammenstehen, muss 1 SLTPR, 16. Sitzung der 4. Session der 2. Wahlperiode am 7. April 1926. S. 768ff.

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es eine Leichtigkeit sein, die Sache zu machen. Da haben die Nationalräte der verschiedenen Parteien erklärt  : »Ausgeschlossen  !«, das bringen wir nicht zusammen, da sind die Steirer dagegen und die Tiroler und die Wiener, das können wir nicht durchsetzen. Also mit der Sympathie war nicht viel zu holen. Es ist auch in diesem Falle so wie überhaupt immer  : Es lässt sich schwer etwas machen, wenn man die Sache in Österreich auf regulärem Wege angeht. Bei uns in Österreich kann nicht ein Akt auf regulärem Wege erledigt werden, jetzt erst eine solche Sache  ! Die ganze Erfahrung hat das gezeigt, und ich bin der Letzte, der sich scheut, die Wahrheit zu sagen, und zwar öffentlich  ! Meine sehr verehrten Herren  ! Man hat mir vorgeworfen, dass ich nicht mit den einzelnen Parteien Fühlung genommen, sondern allen auf einmal meinen Plan vorgetragen habe. Meine Herren, wäre ich zu den einzelnen Parteien gegangen, dann hätte man gesagt, er treibt einen Kuhhandel, er hat es schon ausgemacht  ; jetzt habe ich es allen gleichzeitig gesagt, und das ist auch nicht recht. Einen anderen Weg habe ich nicht gefunden. Diesen Plan musste ich schnell mitteilen, denn ich hatte nur mehr 24 Stunden Zeit, denn nach 24 Stunden wären die Vertreter der Gläubiger mit der Klage gekommen. Nicht der Staatsanwalt, sondern die Gläubiger, und wenn so eine Sache läuft, dann läuft sie gut, wie wir gesehen haben. Nun habe ich meinen Plan allen Parteien auf einmal mitgeteilt, und sie konnten sich die Sache schön überlegen. Das möchte ich bezüglich der Beweggründe und der Art meines Vorgehens gesagt haben. Wenn ich dazu sprechen soll, warum ich erwähnt habe, dass man dieses Festspielhaus noch weiter ausbauen muss und das Wort »Festspielhaus« ausgelassen habe, so habe ich das schon bei der ersten Enquete gemacht, weil ich mir sagte, man muss diesem Gebäude eine andere Verwendungsmöglichkeit geben. Es mag sein, dass ich das Wort »Stadtsäle« gebraucht habe  ; ich berufe mich auf meine schriftliche Vorlage, wo ich davon gesprochen habe, dass diese Baulichkeit auch für andere Zwecke brauchbar gemacht werden soll. Wenn ich schon das Wort »Stadtsäle« gebraucht habe, möchte ich erwähnen, dass ich nicht ein modernes Kurhaus mit Bädern und dergleichen darin sehe, das die Stadt auch gut brauchen könnte  ; aber für andere Zwecke, für Kongresse und dergleichen soll es Verwendung finden. Wir können Kongresse in Salzburg nicht machen, weil wir nicht einmal die nötigen Stühle haben, wo sich die Leute draufsetzen könnten. Auch für andere Zwecke, für kleinere Veranstaltungen, bei unserem regenreichen Sommer, soll es Verwendung finden. Es ist ganz angenehm, wenn man ein Dach über sich hat  ; im Übrigen überlasse ich das den Festveranstaltern. Aber auch im Winter wird es uns gute Dienste leisten. Es können größere Vereinsbälle geradezu nicht abgehalten werden ohne lebensgefährliches Gedränge. Hierfür stehen dann entsprechende Säle zur Verfügung und werden einen schönen Rahmen bieten für angenehme Unterhaltung.

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Meine sehr verehrten Herren, man hat auch davon gesprochen, dass der Kreditgeber nicht genannt wurde  ; es hat sehr viel Neugierde hervorgerufen, wer der Kreditgeber ist, man hat gesagt, die Sache ist nicht durchsichtig usw. Ich möchte hier auf Folgendes verweisen  : Schon manchmal hat dieser Landtag, aber auch andere gesetzgebende Körperschaften, beschlossen, es kann eine Anleihe aufgenommen werden, wenn die Bedingungen nicht schlechter sind als die Laufzeit, Zinsfuß, Konvertierbarkeit, Zuzählung (…)  ; Selbstverständlich, solange ich das Geld nicht habe, interessiert mich der Kreditgeber, wenn ich aber einmal das Geld besitze und garantieren soll für den, der das Geld bekommt, dann interessiert mich nur mehr der, der das Geld bekommen hat, denn der muss es zurückgeben  ; ob der Erstere eventuell in Konkurs kommt, das interessiert mich nicht mehr. Denjenigen, der das Geld bekommen soll, habe ich genannt  ; es ist die Salzburger Kredit- und Wechselbank, und denjenigen, der mit uns zu garantieren hat, habe ich auch genannt, nämlich die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank in München. Wir haben auch Bedingungen festgelegt, über die hinaus eine Haftung nicht eintritt  ; wir haben 27 Monate als Termin festgesetzt  ; in den einzelnen Terminen darf die Schuldforderung nicht höher sein, sonst gibt es keine Haftung  ; nicht länger als 9 Monate dürfen 14 Millio­ nen Schilling in Anspruch genommen werden, und trotzdem war eine sehr große Aufregung in der Presse, und heute schreibt die »Salzburger Wacht«, dass man die Geldquelle für die Sanierung des Festspielhauses nun enthüllt habe. Es ist mit sehr angenehm, dass die »Salzburger Wacht« diese Enthüllung gemacht hat, wenigstens ermöglicht mir diese Mitteilung in der Zeitung, auch einiges über die Geldquelle zu sagen  ; ansonsten hätte ich nicht davon gesprochen, weil ich ein Reinlichkeitsgefühl habe und es nicht gerne habe, mich mit einem Organ herumzuschlagen, welches selbst die Bekanntschaft mit dem Staatsanwalt gemacht hat. (Emminger  : Da meinen Sie den »Abend« und nicht die »Salzburger Wacht«  !) Bitte, ich habe ausdrücklich erwähnt  : die »Salzburger Wacht«  ! Es ist mir ganz angenehm, dass die »Wacht« das bringt, weil mir die Möglichkeit geboten wird, auch über die Geldquelle zu sprechen. Ich versichere Sie, dass die Geldquelle, die Sie meinen, nicht die Geldquelle ist, aber ich erkläre Ihnen, dass ich diese Geldquelle wollte, sie aber nicht bekommen habe. Ich habe geglaubt, dass, wenn ich diese Geldquelle verlange, es in ganz Österreich keinen Österreicher geben kann, der dagegen nur im leisesten Einspruch erheben könnte  ; denn, meine sehr verehrten Herren, es ist richtig, dass für die Elektrifizierung unserer Bundesbahnen Völkerbundkredite reserviert sind  ; es ist in Genf ausdrücklich beschlossen worden, wie groß die Quote ist, die in jedem einzelnen Jahre für die Elektrifizierung zur Verfügung stehen muss, und so ist für das Jahr 1928 ein ganz bestimmter Betrag an Dollars reserviert, um in jenem Zeitpunkte jene Elektrifizierungsetappe durchzuführen, die in dem Plane vorgesehen ist  ; und da habe ich eine ganz einfache Überlegung gemacht  : Im Jahre 1928 braucht man Geld, für das der österreichische Staat an das Weltkapital 8 Prozent

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Zinsen zahlt und 2,5 Prozent bekommt, und ich habe gemeint, wenn ich den Verlust, den die österreichische Volkswirtschaft dadurch erleidet, dass sie 8 Prozent zahlt und nur 2,5 Prozent bekommt, der österreichischen Wirtschaft nutzbar machen kann, indem ich das Ansehen des österreichischen Staates rette, indem wir ausländische Bankschulden zurückzahlen und unserer Zahlungsbilanz neue Möglichkeiten geboten werden, dass das eine Handlung ist, die ohne Unterschied der Partei gebilligt werden muss. Panamist muss ich mich nennen lassen  ! Warum  ? Weil andere auch gerne das Geschäft gemacht hätten  ; aber niemand hat diese Mittel hereingebracht. Meine sehr verehrten Herren  ! Sie wissen, in Genf ist immer der Kampf, und nachdem ich der Meinung war, dass Deutschland für uns auch Ausland ist und uns näher steht als Amerika und wir es mit einer guten deutschen Bank zu tun haben, meinte ich, es sei ein gerader, ehrlicher und schöner Weg, ohne dass wir unsere Steuerzahler belasten – und doch diese Aufregung  ! Aber es ist dieses Geld ohnehin nicht erreichbar  ; es gehört nicht zu den Gepflogenheiten, dass man Vorgänge bespricht, die, sagen wir, irgendeinen außenpolitischen Charakter bekommen könnten, und ich habe daher die Aufgabe, Weiteres zu verschweigen. Ich konstatiere nur, dass es nicht das Geld ist, das für die Elektrifizierung reserviert ist, obwohl, wenn ich es bekommen hätte, die Elektrifizierung nicht gehemmt gewesen wäre. Was die Verzinsung betrifft, meine sehr verehrten Herren, so hat man aus der Erfahrung heraus die Verzinsungszahl genommen, die ansonsten der Bund für dieses Geld bekommt. Die Vereinbarung hat man nicht gesehen, und so hat man einen Versuchsballon in die Höhe steigen lassen  ; dass die Stadt das Geld um 13 Prozent bekommt, ist offenkundig nicht richtig, weil wir wissen, dass sie das Geld um 6 Prozent bekommt, also 1,5 Prozent unter der Bankrate. Ich weiß nicht, ob es sonst irgendwie ein so billiges Geld gegeben hätte, auch für die Interessenten. Meine sehr verehrten Herren, es ist also nichts zu holen, und wenn Sie meinem Gedankengange folgen, werden Sie, ohne dass ich weiter spreche und Erklärungen abgebe, die ich nicht abzugeben in der Lage bin, wissen, wie es steht und ich versichere Sie, es ist ein vollständig korrekter, reinlicher Weg  ; zu einem anderen hätte ich mich nicht hergegeben. Es ist, Gott sei Dank, in unseren Gegenden noch nicht Sitte, dass man bei jeder Ordnung der Dinge unbedingt in den Schmutz greifen muss, wie es scheint, dass andere das unbedingt annehmen müssen. Man hat mir auch den guten Rat gegeben, die österreichische Industrie könnte auch das Geld brauchen  ! Meine sehr verehrten Herren, das ist ausdrücklich bedungen, dass die Bayernbank, insoweit die österreichische Industrie Kredite anfordert und Konditionen stellt, sie dieses Geld bekommen muss  ; das ist bedungen. Ich weiß aber nicht, worin der kolossale Schaden begründet sein soll, der aus unserer Transaktion hervorgeht. Ich kann auch nicht begreifen, worin die Korruption gelegen ist und wodurch die Steuerträger zu einer schweren Leistung herangezogen werden

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sollen. Es war eben Zweck der ganzen Aktion, die Steuerträger zu schonen. Wenn man die Forderung aufstellt, das Festspielhaus zu sanieren, ohne die Steuerträger zu belasten – und das ist das Geheimnis, geehrter Herr Landesrat Emminger, warum der Wirtschaftsverband seine Zustimmung gegeben hat  ; es ist eben leider gelungen, diese unmögliche Forderung zu erfüllen. Also, ich glaube, meine sehr verehrten Herren, bei objektiver Beurteilung kann jedermann die Sache vertreten. (Emminger  : der 25. März war vor dem Tag der Enquete  !) Ich meine, man hat die politischen Parteien aufgefordert, die Sanierung zu machen, selbstverständlich mit der Forderung, die man erhoben hat. Die Forderung habe ich schriftlich, man hat aber nachher die Zustimmung gegeben. Meine sehr verehrten Herren, ich möchte noch auf eine Sache hinweisen  ; bei der letzten Enquete hat man hier auch die Äußerung getan, ja, diese Garantie-Geschichte ist nicht so gefährlich, es wird niemals der bayerische oder deutsche Staat zugeben, dass die Bayernbank niederkracht und eine österreichische Stadt oder ein österreichisches Land hineinzieht. Zur Klärung der Öffentlichkeit möchte ich gebeten haben, dass man in der Zeitung feststellt  : Das habe ich nie gesagt und würde es auch nie sagen. Es ist doch eine lächerliche Annahme zu behaupten, dass, wenn die Bayerische Bank zusammenkracht, was nach aller menschlichen Voraussicht ausgeschlossen ist, dann der bayerische oder deutsche Staat für uns Salzburger einspringen würde. Um eine irrige Auffassung im Ausland zu vermeiden, möchte ich feststellen, dass ich das nicht gesagt habe und auch nicht dieser Meinung bin. Weil ich gerade bei der Beurteilung der Münchner Bank bin, will ich betonen, dass das Urteil über diese Bank nicht ich mir gemacht habe, sondern dass ich mich an die zuständige Stelle gewendet habe, und ich glaube, eine bessere Stelle gibt es nicht als den Präsidenten der Oesterreichischen Nationalbank, dem die Prüfung des internationalen Geldverkehres obliegt und der als Direktor der Nationalbank wissen muss, wer gut ist und wer nicht gut ist  ; der Präsident Reisch hat dieser Bank das beste Zeugnis ausgestellt, das man einer Bank ausstellen kann. Darauf begründete ich meinen Plan, sonst hätte ich ihn nie entwickeln können. Nun, meine sehr verehrten Herren, obliegt mir noch ein klein wenig die Frage zu erörtern  : Ist mit der Sache ein Risiko verbunden oder nicht  ? Sie haben schon aus den Reden der anderen Herren gehört, dass nur durch neun Monate hindurch zwei Millionen Dollar ausstehen und dass sich dann der Betrag wieder senkt  ; es ist eine Pyramide. Dieses Geld wird nun von der Bank nach bankmäßigen Grundsätzen mit den entsprechenden Sicherheiten angelegt  ; es müsste denn doch geradezu ein unmöglicher Fall sein, dass ausgerechnet alle 140 Milliarden in jenen neun Monaten so angelegt sind, dass alle Sicherungen, welche die Bank bei der Anlage der Gelder nimmt, hinfällig werden und die Bank Null-Forderungen hätte  ; zugegeben, die Bank kann e i n Falliment erleiden, oder sie kann bei anderen Geschäften mehrere

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Milliar­den Schaden erleiden, dass aber die ganzen 140 Milliarden so angelegt werden, dass ausgesucht alle Forderungen zusammen null sind, kann doch für ein normales Wirtschaftsleben nicht angenommen werden  ; aber zugegeben, es könnte der Fall eintreten, dass einzelne Geschäfte fallieren  ; nun, für diesen Fall haften wir alle drei  ; aber angenommen, alle 140 Milliarden sind verloren, so verfügt die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank über ein Aktienkapital plus Reserven von über 600 Milliarden, gleich 36 Millionen Goldmark, also zirka das Vierfache der Anleihe. Nun aber, wenn zeitweise Ausfälle sind  ? Wir haften solidarisch als Mitschuldner. Sehen Sie, meine Herren, für diese Fälle habe ich mich auch versichert und habe mir von der Bank die rechtgültige Erklärung verschafft  : (liest) »Wir sind damit einverstanden, dass hinsichtlich der von uns zusammen mit der Stadt und dem Land Salzburg zu leistenden solidarischen Bürgschaft im internen Verhältnis zwischen uns und diesen beiden Körperschaften w i r a l l e i n die Verpflichteten sind, dass uns bei Inanspruchnahme der Solidarbürgschaft ein Regress für das Land oder die Stadt nicht zusteht.« Meine Herren, diese Urkunde befindet sich in meinen Händen, und ich glaube, Sie können daraus entnehmen, dass das Risiko, das Stadt und Land übernommen haben, aller menschlichen Voraussicht nach äußerst gering veranschlagt werden kann. Damit komme ich zum Schluss meiner Ausführungen, und da will ich die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen und jener Herren gedenken, die mir bei Durchsetzung des Planes zur Seite gestanden sind. Ich will feststellen, dass der Herr Bundeskanzler den verschiedenen Plänen, die während der Zeit in Erwägung gezogen worden sind, immer sympathisch gegenübergestanden ist und auch denselben seine Unterstützung geliehen hat, desgleichen der Herr Finanzminister. Ich will hier auch den Dank aussprechen an die Herren, die an den Enqueten teilgenommen haben und will insbesondere des Herrn Präsidenten Gessele gedenken, der äußerst eifrig war im Heranschaffen der Mittel seitens der Interessenten. Zum Schluss aber, meine Herren, richte ich an Sie die eine Bitte  : Überlegen Sie sich die Sache gut, und nur derjenige, der die Überzeugung hat, dass er allein für sich die Verantwortung übernehmen kann, der stimme dafür, und der trägt auch die Verantwortung. Wer glaubt, diese Überzeugung nicht zu haben, der stimme dagegen.

Dokument Nr. 4  : Der Plan von Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl für die Sanierung der Salzburger Festspielhausgemeinde, 26. November 19261 I. Gebarungsbericht Im April 1926 habe ich die Finanzierung der Salzburger Festspielhausgemeinde in die Wege geleitet. Diese meine Tätigkeit war damit beendet, dass ich die finanziellen Mittel für die Fertigstellung des Baues und die Einrichtung des Festspielhauses sichergestellt und Professor Doktor Holzmeister für die technische Durchführung der erforderlichen Arbeiten gewonnen habe. Die Landesregierung hat einen Kontrollausschuss eingesetzt, dem die Überwachung der Durchführung der Arbeiten und der bestimmungsgemäßen Verwendung der Geldmittel oblag. Der Kontrollausschuss bestand aus den Herren Hofrat Landtagsabgeordneter Max Ott  ; Präsident der Handelskammer Hermann Gessele  ; Vizebürgermeister Michael Dobler (in seiner Vertretung Nationalrat Josef Witternigg), Hofrat Ing. Karl Holter  ; Oberregierungsrat Doktor Hans Rittinger und Rechnungsdirektor Albert Kainz. Die Arbeiten sind längst fertiggestellt, und auch über die finanzielle Gebarung lässt sich ein abschließendes Bild gewinnen. Es ist daher zeitgemäß, sich mit den Ergebnissen der Sanierungsaktion näher zu befassen. Es steht fest, dass die Salzburger Kredit- und Wechselbank ihren Vertragsverpflichtungen genau nachgekommen ist. Weiter steht fest, dass der Bau des Festspielhauses zufriedenstellend vollendet und seine Ausstattung in manchen Belangen in vollendeterer und repräsentativerer Weise erfolgt ist, als ursprünglich gedacht war. Die weiteren Arbeiten, die sich für die nächste Zeit noch ergeben werden, bezwecken vorwiegend, nur mehr die Umgebung des Festspielhauses mit diesem in harmonischen Einklang zu bringen. Finanziell ergibt sich nach Abschluss der Abrechnung folgendes Bild  : a) B a u k o n t o Zur Abdeckung der von früher her bestandenen Bauschuld und zur Erstellung des Umbaues stand aufgrund des Sanierungsplanes eine Million Schilling zur Verfügung. Infolge von Nachprüfungen der Rechnungen und Verhandlungen des Herrn Hofrates Ott als Vorsitzenden des Kontrollausschusses gelang es, die Summe der unbe1 Salzburger Chronik, 27. 11. 1926. S. 1ff.; Salzburger Wacht, 27. 11. 1926. S. 4f.

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glichenen Außenstände herabzudrücken und für die Erstellung des Umbaues einen Betrag von 700.000 Schilling freizumachen. Mit der Erklärung vom 29. Juli 1926, Zl. 293 XV a 54, ist auch die Stadtgemeinde Salzburg der Auffassung beigetreten, dass der durch die Restringierung der alten Baurechnungen ersparte Betrag von rund 100.000 Schilling zur entsprechend weiteren Ausgestaltung des Festspielhauses Verwendung zu finden habe. Außerdem sind im Landesbudget 1927 als Widmung des Landes 35.000 Schilling für die Ausstattung der Vorhalle, d. i. die Maske, das Gitter und das Mosaik, das erst zu erstellen und mit zirka 20.000 Schilling zu veranschlagen ist, aufgenommen. Die endgültige Abrechnung des Baukontos ergibt – ohne Berücksichtigung des für die Mosaikerstellung reservierten Betrages von 20.000 Schilling – ein Erfordernis von 788.485 Schilling 66 Groschen, sodass sich gegenüber dem verfügbaren Betrag von 715.000 Schilling (darunter 15.000 Schilling als Teil der Landessubvention) eine Überschreitung von 73.485 Schilling 66 Groschen ergibt, jedoch, wie auch ausgeführt werden wird, eine Verminderung auf 56.485 Schilling 66 Groschen, sodass sie abschließend nicht ganz 8 Prozent des tatsächlich verfügbaren Baukredites betragen wird. Diese Überschreitung rechtfertigt sich von selbst durch das ganz besonders ungünstige Wetter während der Bauzeit, dazu durch verschiedene, beim Umbau eingetretene Schwierigkeiten, die nicht vorhergesehen werden konnten, und kleinere Abweichungen vom Programme, die sich erst während der Bauführung als notwendig herausstellten. b) I n v e n t a r k o n t o Um die Säle in Betrieb nehmen zu können, war es erforderlich, ein gewisses Inventar zu beschaffen, das der architektonischen Beschaffenheit der Räume entsprach. Das Inventar bestand aus folgenden Einrichtungen  : Pulten, Karniesen, Postamenten, Foyerbänken, Vertäfelung, Lustern, Gittern, Holzfiguren, Deckenlampen, Messingtafeln, Kleiderständern, Gobelins, Vorlegern, diversen Ausschmückung der Logen, Türen und Fenster. Die Kosten des Inventars betragen rund 72.139 Schilling, deren Beschaffung dem Übernehmer des Betriebes zukommt. c) I n t e r e s s e n t e n k o n t o Entsprechend dem Sanierungsplane war von einer unter der Führung des Präsidenten der Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie zu bildenden Interessentengruppe ein Betrag von 200.000 Schilling à fond perdu aufzubringen. Dieses Konto weist heute noch ein Debetsaldo von 87.000 Schilling auf, das laut der Erklärung des Präsidenten der Handelskammer auf dem gedachten Wege nicht hereinzubringen ist, weshalb für eine anderweitige Deckung des Ausfalles vorzusorgen sein wird.

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d) A m o r t i s a t i o n s k o n t o Schließlich besteht ein als Amortisationskonto bezeichnetes Konto von 200.000 Schilling, das im Verein mit dem Interessentenkonto mit zur Abdeckung früherer Bauschulden aus den Erträgnissen von Steuern, Abgaben, Subventionen usw. gedeckt werden sollte. Dieses Konto steht mit einem Debetsaldo von 200.000 Schilling noch aufrecht, weshalb auch für die Tilgung dieses Kontos vorzusorgen sein wird. e) B e t r i e b s k o n t o Die Festspielhausgemeinde hatte bei ihren heurigen Festspielen ein Erfordernis von 596.000 Schilling, worin für pauschalierte Kartensteuer ein Betrag von 10.000 Schilling figuriert, die dem Amortisationskonto hätten zugeführt werden sollen. Diesem Erfordernisse stehen Einnahmen von 459.885 Schilling gegenüber, sodass ein ungedeckter Abgang von 136.115 Schilling und, wenn man hiervon die pauschalierte Kartensteuer von 10.000 Schilling abzieht, die infolge anderweitiger Vorsorge im Rahmen des Amortisationskontos diesem nicht zugeführt werden mussten, von 126.115 Schilling besteht. Die Handelskammer hat einen Betriebsvorschuss von 30.000 Schilling gegeben, von denen bei Beginn der Festspiele 20.000 Schilling für die Vorbereitung aufgebraucht wurden und daher dem Erfordernisse zuzuschlagen sind, während der Rest von 10.000 Schilling zur teilweisen Deckung des Defizits verwendet wurde, das sich daher auf 116.115 Schilling verringert. Der Gesamtabgang beträgt daher 116.115 Schilling + 30.000 Schilling = 146.115 Schilling, wobei für die Vorbereitung für die nächste Spielzeit keine Mittel mehr vorhanden sind. Der Grund der Abgänge ist wohl hauptsächlich in der überstürzten Erstellung des Programmes, in einer nicht entsprechenden Propaganda und vielleicht auch in den Darbietungen, die keine sogenannten Schlager aufwiesen, dann darin, dass die Veranstaltungen an manchen Tagen sich anhäuften und hierfür nicht die notwendige Besucherzahl bei der immerhin beschränkten Möglichkeit einer Unterbringung der Fremden aufgebracht werden konnte, und schließlich in unliebsamen Presseerörterungen zu suchen, die bis zur Sanierung der Festspielhausgemeinde erfolgten und woran Salzburger Kreise bedauerlicherweise nicht unbeteiligt waren. Es muss auch erwähnt werden, dass Reinhardt von der ursprünglichen Zusage, die Turandot-Aufführung zu geben abging und für dieses Stück eine kostspielige Ausstattung forderte, dann, dass die Organisation des Kartenbüros nicht auf der Höhe stand, endlich, dass insbesondere im Stadttheater der Prozentsatz der Freikarten eine rationelle Ausnützung der gegebenen zugkräftigen Stücke beeinträchtigte.

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II. Voraussetzung der Sanierung A) R e o r g a n i s a t i o n d e r F e s t s p i e l h a u s g e m e i n d e 1. Z u s a m m e n s e t z u n g der Festspielhausgemeinde aus möglichst interessierten Persönlichkeiten (bei allem Interesse an der Erhaltung der Festspielhausgemeinde als eines heimischen Institutes muss sich die Mitgliederwerbung über das Land hinaus erstrecken). 2. Höhe der M i t g l i e d e r z a h l und des M i t g l i e d s b e i t r a g e s . Das anzustrebende Ziel ist, dass die Festspielhausgemeinde etwa 200 Mitglieder zählt, von denen jedes einen jährlichen Mitgliedsbeitrag von 500 Schilling leistet, sodass 100.000 Schilling Einnahmen gesichert sind. Land und Stadt hätten sich mit mindestens 1.000 Schilling als jährlichem Mitgliedsbeitrag zu beteiligen. Solange und soweit dieses Ziel nicht erreicht ist, muss es der Festspielhausgemeinde unbenommen bleiben, eine größere Anzahl von Mitgliedern mit solchen Beträgen zu werben, dass dadurch ein Minimum der Einnahmen von 25.000 Schilling sichergestellt ist. 3. G e o r d n e t e B u c h f ü h r u n g u n d g e n a u e E r s t e l l u n g d e s I n v e n t a r s . Die genaue Aufstellung des Inventars ist auch aus dem Grunde notwendig, um die Rechte am Inventar zwischen Stadtgemeinde und Festspielhausgemeinde abzugrenzen, insbesondere die Eigentumsverhältnisse am Inventar zwischen der Stadtgemeinde und der Festspielhausgemeinde festzuhalten. Nach dem Sanierungsplane hat hierbei als Richtschnur zu dienen, dass alle seit April 1925, d. i. seit Beginn des ersten Umbaues erworbenen Inventarstücke in das Eigentum der Stadt übergegangen sind, während das gesamte frühere Inventar als Eigentum der Festspielhausgemeinde zu betrachten ist. 4. A b s c h l u s s e i n e s B e t r i e b s f ü h r u n g s v e r t r a g e s d e r F e s t s p i e l h a u s ­ gemeinde und der Stadtgemeinde. 5 . H e r a b s e t z u n g d e r R e g i e . Sie wird zunächst bewirkt durch eine möglichst innige Verbindung von Festspielhaus und Mozarteum. Dadurch soll die Schaffung eines Stadtorchesters ermöglicht und für die Festspielaufführungen ein Stock von Musikern geschaffen werden, der allenfalls nur mehr durch die Einstellung von Solisten einer Ergänzung bedarf. Auch das räumliche Zusammenwirken beider Organisationen kann nur in beiderseitigem Interesse liegen. Ferner ist der Abschluss eines Vertrages mit der Bundes-Theaterverwaltung zum Zwecke der Mitwirkung der Kräfte der Bundestheater an den Festspielen anzustreben, wobei auch durch die Heranziehung des fundus instructus der Bundestheater wesentliche Ersparungen in der Festspielregie zu erzielen sein werden. Für die Frage der Entschädigung der Bundestheater hat der Gesichtspunkt im Vordergrund zu stehen, dass die Bundestheater Aufgaben nicht nur für Wien, son-

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dern auch für ganz Österreich zu übernehmen und zu erfüllen haben, wird ja der Abgang der Bundestheater auch vom Gesamtstaat bestritten und hat der Gesamtstaat aus der Förderung wesentlichen volkswirtschaftlichen Nutzen. Die BundesTheaterverwaltung wird die Verwendung ihrer Künstler bei den Festspielen in den Verträgen und dabei namentlich auch in der Gagenzuerkennung mitberücksichtigen können, wodurch für die Festspiele eine Erleichterung ihrer Regien erzielt werden wird. Andererseits wird die Stadtgemeinde Salzburg bei Abschluss der Verpachtung des Stadttheaters von vornherein die Festspielzeit auszunehmen haben, damit die übermäßige Belastung der Vorstellungen im Stadttheater, wie derzeit, vermieden werde. Im Vertrage der Stadtgemeinde mit dem jeweiligen Theaterdirektor wird auch die Frage der Verwendung des fundus instructus und der Theaterkräfte für die Festspielzeit zu regeln sein, welche Regelung auch der Regie des Theaters zugutekäme. 6. B e s t e l l u n g e i n e s M a n a g e r s . Die Festspielhausgemeinde hat dafür zu sorgen, dass ein Manager der Festspiele bestellt werde, der in seinem Fache Gediegenes leistet und eine entsprechend großzügige Propaganda besorgt. Dieser Manager ist an der internen Verwaltung nicht zu beteiligen, sondern hat sich nur mit der Außenpropaganda zu befassen und ist möglichst durch Beteiligung am Gewinne zu verpflichten, im Übrigen aber bleiben Kosten für seine Tätigkeit ausgeschlossen. 7. Ve r w a l t u n g s o r g a n i s a t i o n d e r F e s t s p i e l e    : a) D i e G e n e r a l v e r s a m m l u n g ist das oberste Vereinsorgan mit den vereinsgesetzlichen Befugnissen. b) D a s P r ä s i d i u m besorgt die ordentliche Geschäftsgebarung. Es besteht aus dem Präsidenten (von der Generalversammlung gewählt), aus dem ersten Vizepräsidenten (vom Aufsichtsrat gewählt), aus dem zweiten Vizepräsidenten (vom Kuratorium gewählt) und dem beamteten Generalsekretär. c) D e r A u f s i c h t s r a t überwacht die gesamte finanzielle Vereinsgebarung, insbesondere den Schuldendienst, die Dotierung der Fonds und die Festspielkostenvoranschläge. Er besteht aus dem Präsidenten als Vorsitzendem, zwei Vertretern des Landes und der Stadt Salzburg, einem Vertreter der für das aufgestellte Budget Garantie leistenden juristischen Person und vier von der Generalversammlung gewählten Vereinsmitgliedern. Der Aufsichtsrat hat dann, wenn das vom Präsidium vorgelegte Spielprogramm die finanziellen Kräfte des Vereines übersteigt, ein Vetorecht. Ihm obliegt auch der Abschluss der Verträge mit der Bundes-Theaterverwaltung über die Verwendung der Künstler und des fundus instructus der Bundestheater, die endgültige Genehmigung der Spielverträge und die Festsetzung des zu leistenden Honorares. d) D a s K u r a t o r i u m überwacht die künstlerische Führung des Vereines, insbesondere auch die jährliche Programmbildung. Es besteht aus dem Präsidenten als Vorsitzendem, je einem Vertreter der Bundes-Theaterverwaltung und der Stiftung

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Mozarteum, drei von der Salzburger Künstlerschaft erwählten Personen und vier um die Salzburger Festspielhausgemeinde verdienten Persönlichkeiten. e) D e r K u n s t r a t entwirft und genehmigt das Programm der Festspiele und besteht aus einem Vertreter der Bundes-Theaterverwaltung, dann aus Hofmannsthal, Reinhardt, Schalk und Richard Strauss. f) D i e K a n z l e i besorgt den geschäftlichen und administrativen Dienst der Festspiele und zerfällt in den Vorstand, die Vereins-, Wohnungs- und Kartenverwaltung, Kassa, Buchhaltung und die Reklame- und Presseabteilung. g) D i e H a u s v e r w a l t u n g befasst sich mit der Verwaltung des Hauses und führt die Verwaltung im Sinne des mit der Stadtgemeinde abzuschließenden Betriebsvertrages unter Aufsicht der Stadtgemeinde. B) S c h u l d ü b e r n a h m e d u r c h d i e F e s t s p i e l h a u s g e m e i n d e . Die Festspielhausgemeinde verpflichtet sich, die aus den nachstehenden Kontis  : Inventarkonto, Amortisationskonto und Betriebskonto sich ergebenden finanziellen Verpflichtungen, d. h. die Verzinsung und Amortisierung von 420.000 Schilling unter der Voraussetzung des Abschlusses des in Abschnitt C) angeführten Betriebsführungsvertrages und der Einhaltung der von der Stadtgemeinde und dem Lande einzugehenden Verpflichtungen zu übernehmen. Sie verpflichtet sich, Erträgnisse, welche die Deckung der Betriebsspesen für das laufende Jahr übersteigen, nur zur Verzinsung und Amortisierung der Schuld von 420.000 Schilling zu verwenden. C) B e t r i e b s f ü h r u n g s v e r t r a g Zwischen der Festspielhausgemeinde (im Folgenden Betriebsführerin genannt) und der Stadtgemeinde Salzburg (im Folgenden Stadtgemeinde genannt) wird der nachstehende Betriebsführungsvertrag geschlossen  : 1. Die Stadtgemeinde übergibt und die Betriebsführerin übernimmt den im beiliegenden Plane A) bezeichneten Teil der Hofstallkaserne (Festspielhaus genannt) samt niet- und nagelfestem Zubehör und das im Anhange B) verzeichnete Inventar. 2. Das in der Folgezeit eingebrachte niet- und nagelfeste Zubehör geht sofort nach dessen Einbringung kostenlos und unentgeltlich in das Eigentum der Stadtgemeinde über. 3. Das im Anhange B) verzeichnete Inventar ist unveräußerlich und erforderlichenfalls von der Betriebsführerin auf ihre Kosten und ohne Anspruch auf Ersatz zu erneuern. 4. Das anderweitige bewegliche Inventar bleibt Eigentum der Betriebsführerin. Der Stadtgemeinde steht aber das Recht zu, nach Beendigung des Vertragsverhältnisses das der Betriebsführerin gehörige Inventar oder Teile desselben um den An-

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schaffungswert, vermindert um so viel Zehntel, als Jahre seit der Anschaffung verstrichen sind, zu erwerben. 5. Der Vertrag läuft vom 1. Jänner 1927 durch 25 Jahre und gilt nach Ablauf dieser Zeit für je ein weiteres Jahr verlängert, wenn nicht bis 1. Juli des Vorjahres die Auflösung des Vertrages von einem der Vertragsteile gefordert und dem anderen Vertragsteile bekanntgegeben wird. 6. Während der Vertragsdauer kann der Betriebsführungsvertrag unbeschadet der Bestimmungen des Punktes 4 dieses Vertrages A) im zweiten Kalenderhalbjahre des der Kündigung vorangehenden Jahres mit Einhaltung einer einjährigen Kündigungsfrist gekündigt werden, a) wenn der § 2 der Satzungen der Salzburger Festspielhausgemeinde, welcher lautet  : »Zweck des Vereines  : Der Verein bezweckt die Erbauung eines Salzburger Festspielhauses und die nicht auf Gewinn berechnete Veranstaltung von Festspielen« ohne Zustimmung der Stadtgemeinde geändert wird  ; b) wenn die Betriebsführerin die Basis ihrer heutigen gemeinnützigen und rein künstlerischen satzungsgemäßen Bestrebungen in wesentlichen Punkten ohne Zustimmung der Stadtgemeinde verlässt  ; c) wenn die gegenwärtige Rechtsform der Betriebsführerin ohne Zustimmung der Stadtgemeinde geändert wird  ; d) wenn die Leitung der Betriebsführerin ohne Zustimmung der Stadtgemeinde von Salzburg weg verlegt wird  ; e) wenn vom Festspielhause und vom Inventar ein erheblich nachteiliger Gebrauch gemacht wird  ; f) bei Nichterfüllung oder Verletzung wesentlicher in diesem Vertrage auferlegten Verbindlichkeiten. B) mit sofortiger Wirkung aufgelöst werden, a) wenn über das Vermögen der Betriebsführerin der Konkurs eröffnet wird  ; b) wenn auf das Vermögen der Betriebsführerin die Exekution mittels Zwangsverwaltung oder Zwangsversteigerung eingeleitet wird  ; c) wenn die Betriebsführerin ihre Zahlungen einstellt  ; d) bei Erlöschen der juristischen Person der Betriebsführerin. 7. Im Falle einer Kündigung oder Auflösung des Betriebsführungsvertrages aufgrund des Abschnittes 6 ist die juristische Person, welche für das Budget der Festspiele die Garantie übernommen hat, zum Eintritt in den Betriebsführungsvertrag unter den gleichen Rechten und Verpflichtungen wie diese berechtigt. 8. Als Festspielzeiten haben folgende Zeitabschnitte im Jahre zu gelten. Die Zeit vom 15. Juli bis 15. September, vom 15. Dezember bis 10. Jänner, vom Passionssonntag bis Dreifaltigkeitssonntag. In dieser Zeit hat die Betriebsführerin durch entsprechende Veranstaltungen zu trachten, den Fremdenzustrom nach Salzburg zu beleben.

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9. Die Stadtgemeinde pauschaliert die Kartenabgabe für die Festspielzeit und alle, wo immer in der Stadt stattfindenden Veranstaltungen der Betriebsführerin mit jährlich 20.000 Schilling. 10. Während der übrigen Zeit des Jahres sind die Festspielhausräumlichkeiten als Stadtsäle zu verwenden, über diese Verwendung entscheidet ausschließlich die Stadtgemeinde, die hierbei, solange die Amortisation der Schuldkapitalien nicht vollzogen ist, sich von kaufmännischen Grundsätzen zu leiten haben wird. Sie bestimmt auch die jeweilige Höhe der für die Benützung zu entrichtenden Gebühren (Miete, Kartenabgabe usw.)  ; die Durchführung hat durch die Hausverwaltung der Betriebsführerin zu geschehen. Diese hat zwei Verrechnungen zu führen und zwar für die Festspielzeit und für die übrige Zeit. Die Betriebsführerin ist berechtigt, als Pauschalvergeltung aus den Eingängen einer Verwendung des Festspielhauses außerhalb der Festspielzeit für sich einen Jahresbetrag von 12.000 Schilling in Monatsquoten zu buchen und den diesen Betrag übersteigenden Rest der Eingänge im Sinne des festgesetzten Amortisationsplanes zu verwenden. 11. Die Stadtgemeinde kann jederzeit durch die von ihr beauftragten Organe in die Bücher und Belege der Betriebsführerin Einsicht nehmen, das Festspielhaus betreten, dieses und das Inventar besichtigen und die Abstellung von Missständen verlangen. 12. Die Betriebsführerin hat sämtliche auf das Festspielhaus entfallenden Bundesund Landessteuern und sonstigen öffentlichen Abgaben und Lasten, soweit nicht nach den Bestimmungen dieses Vertrages eine Befreiung vorgesehen ist, und zwar die Jahressteuern, Jahresabgaben und Lasten nach Verhältnis der Zeit der Benützung des Festspielhauses und die fallweisen (Abgaben) nur für die eigenen Veranstaltungen zu tragen. Sie hat die Versicherung des Festspielhauses und des Inventars gegen Einbruch, Brandschäden, Ausfallsschaden und gegen die Folgen der gesetzlichen Haftpflicht zu übernehmen und die Kontis im Sinne des Punktes 10 nach Verhältnis der Benützungszeit zu belasten. 13. Sämtliche Versicherungen haben im Einvernehmen mit der Stadtgemeinde zu erfolgen. Im Falle eines die Betriebsgegenstände (Festspielhaus und Inventar) treffenden Brandschadens darf die Schadenersatzsumme nur mit Einwilligung der Stadtgemeinde an die Betriebsführerin ausbezahlt und nur zur Wiederherstellung der zerstörten Betriebsgegenstände verwendet werden. Die Betriebsführerin ist verpflichtet, der Stadtgemeinde über jedesmaliges Verlangen die erforderliche Bezahlung der Steuern und sonstigen öffentlichen Abgaben und Lasten sowie der Versicherungsprämien durch Vorlage der Quittungen oder sonstigen Belege nachzuweisen. Der Stadtgemeinde steht es frei, die Zahlung der Brandschadenversicherungsprämie auf Rechnung der Betriebsführerin zu leisten.

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Die Betriebsführerin hat das im Absatz 1 dieses Abschnittes bestimmte vinculum bei der Versicherungsanstalt anmerken zu lassen. 14. Die Betriebsführerin verpflichtet sich, die Betriebsgegenstände, soweit sie den Festspielzwecken dienen, samt allem niet- und nagelfesten Inventar und den im Anhange B zu diesem Vertrage verzeichneten Inventar während der Vertragsdauer auf eigene Kosten ohne Anspruch auf Ersatz für Aufwendungen in gutem Zustand zu erhalten und nach Beendigung des Vertragsverhältnisses der Stadtgemeinde in gutem Zustande, soweit es im Eigentume der Stadtgemeinde steht, kostenlos, taxfrei und unentgeltlich rückzuüberstellen. Für Gegenstände, die nur bei Verwendung des Festspielhauses als Stadtsäle Verwendung finden, gilt für die Erhaltungsauslagen der Zeitschlüssel nach Abschnitt 10 des Vertrages. Inventaränderungen erfordern das Einverständnis der Stadtgemeinde und die Anmerkung im Inventar. Die Betriebsführerin haftet insbesondere auch für alle Schäden, die durch den Betrieb in den Betriebsgegenständen entstehen. Sämtliche Veränderungen dürfen ohne Zustimmung der Stadtgemeinde nicht vorgenommen werden. 15. Die Betriebsführerin verpflichtet sich, das Erträgnis der mit 20.000 Schilling pauschalierten Kartenabgabe, das ihr die Stadtgemeinde zur Verfügung zu stellen hat, dann sämtliche Nettoeingänge aus der Verwendung des Festspielhauses in den Zeiträumen außerhalb der Festspielzeit zunächst zur Deckung des Amortisierungskontos von 200.000 Schilling zu verwenden. Die Mitgliedsbeiträge der Betriebsführerin, die Nettoeinnahmen und Überschüsse, die aus der Verwendung des Festspielhauses während der Festspielzeit sich ergeben, sind in erster Linie zur Deckung des Betriebskontos, sodann zur Deckung des Amortisationskontos von 200.000 Schilling zu verwenden  ; nach ihrer Abzahlung dienen die Mitgliedsbeiträge, die bezeichneten Nettoeinnahmen und Überschüsse sowie die pauschalierte Kartenabgabe zur Abdeckung des Inventarkontos. 16. Die Betriebsführerin verpflichtet sich, der Führung der Fremden in den Festspielräumlichkeiten ihr besonderes Augenmerk zuzuwenden und sie namentlich auch durch Vorführung auf der Orgel auszugestalten. Die Einnahmen aus der Fremdenführung fließen der Betriebsführerin zu. 17. Die Betriebsführerin ist berechtigt, aufgrund der ihr zustehenden Gast- und Schankgewerbekonzession im zeitlichen Rahmen des Betriebsführungsvertrages mit der Verpflichtung einen Pachtvertrag abzuschließen, dass der Pächter den Restaurantbetrieb durch den entsprechenden Einbau ermögliche und der Umbau des Küchentraktes in der Weise erfolgt, dass hierbei hinter der Garderobe weitere Garderobemöglichkeiten geschaffen werden. Dieser Pachtvertrag bedarf, insoweit eine bauliche Veränderung infrage kommt, der Zustimmung der Stadtgemeinde.

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18. Die Stadtgemeinde verpflichtet sich, die Eingangstür vor der Hofstallgasse in die Stadthalle in einer sich architektonisch in die Umgebung anpassenden Ausstattung herzustellen. 19. Die Stadtgemeinde verpflichtet sich, spätestens im Frühjahr 1927 den Vorplatz des Festspielhauses auf ihre Kosten entsprechend herzurichten, insbesondere die Hofstallgasse solid zu pflastern, die Versetzung des Fischbrunnens durchzuführen, eventuell die Niederlegung des Grenadierstöckls zu ermöglichen, wenn dies aus architektonischen Gründen sich als notwendig erweisen sollte. 20. Die Stadtgemeinde verpflichtet sich, die zur Ausschmückung der Räume des Festspielhauses ehemals verwendeten Leihgaben aus dem städtischen Museum wieder im Festspielhause anzubringen und dort dauernd zu belassen. 21. Die Stadtgemeinde wird sich mithilfe der Landesregierung bemühen, bei der Bundestheaterverwaltung eine Leihgabe aus deren Gobelinsammlung zur Ausstattung des Inventars des Festspielhauses zu erwirken. 22. Die Betriebsführung ist verpflichtet, das Einfahrtstor für den Passantenverkehr nach den Weisungen der Stadtgemeinde offen zu halten. 23. Die Vertragsteile nehmen zur Kenntnis, dass das Land Salzburg auf eine Aufwands(Lustbarkeits)abgabe von allen Veranstaltungen im Festspielhause bis zur Tilgung der in Abschnitt 16 bezeichneten Kontis verzichtet. 24. Die Stadtgemeinde verpflichtet sich, Schritte der Betriebsführung nach gesetzlichem Schutze der Bezeichnung »Salzburger Festspiele« nach Kräften zu unterstützen. 25. Die Stadtgemeinde verpflichtet sich, der Festspielhausgemeinde als Mitglied mit einem jährlichen Mitgliedsbeitrag von 1.000 Schilling beizutreten. 26. Eine Abtretung der aus diesem Vertrag der Betriebsführerin entstehenden Rechte ist, den Fall des Abschnittes 7 ausgenommen, nur mit vorheriger Zustimmung der Stadtgemeinde zulässig. 27. Beide Vertragsteile verzichten auf das Rechtsmittel, diesen Vertrag wegen Verletzung über die Hälfte des wahren Rechtes anzufechten. 28. Für alle aus diesem Vertrag etwa entspringenden Rechtsstreitigkeiten ist im bezirksgerichtlichen Verfahren das Bezirksgericht in Salzburg und im Verfahren vor Gerichtshöfen und dessen Einzelrichtern das Landesgericht in Salzburg ausschließlich zuständig. 29. Die Kosten und Gebühren dieses Vertrages werden von beiden Teilen je zur Hälfte getragen.

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III. Verhältnis zur Bayernbank Die Bank verpflichtet sich, außer dem bisher gewährten Kredit einen weiteren Betrag von 300.000 Schilling, und zwar bis zum 1. Juli 1928 um 6 Prozent pro anno, zur Verfügung zu stellen. Nach dem 1. Juli 1928 wird eine Zinsvereinbarung getroffen. Bezüglich des Amortisationskontos von 200.000 Schilling bleibt der vereinbarte Zinsfuß von 6 Prozent pro anno bis zur gänzlichen Abtilgung aufrecht. Die für die Kreditgewährung zu leistenden Sicherheiten bleiben der besonderen Vereinbarung vorbehalten. Die Bank verpflichtet sich, die im Betriebsführungsvertrage geregelte Verwendung der Eingänge der Festspielhausgemeinde anzuerkennen. IV. Organisation der Durchführung dieser Vorschläge Das Land Salzburg übernimmt die Verpflichtung, die Durchführung dieses Vorschlages in die Wege zu leiten, bei der Abwicklung der Durchführung als Treuhänder einzutreten und stellt hierfür seinen Apparat zur Verfügung. Bei Meinungsverschiedenheiten über die Durchführung des Vertrages entscheidet bis zu seinem definitiven Abschluss die Landesregierung endgültig. Die Abwicklung des Planes hat in der Form zu erfolgen, dass 1. die Umorganisation der Festspielhausgemeinde im Sinne des Punktes 7 des Abschnittes II. A sofort eingeleitet wird  ; 2. der Betriebsführungsvertrag seitens der Stadtgemeinde Salzburg bindend beschlossen und von ihr in verbindlicher Form unterfertigt der Landesregierung übergeben wird  ; 3. die Festspielhausgemeinde den Betriebsführungsvertrag bindend beschließt und statutenmäßig unterfertigt an die Landesregierung übergibt  ; 4. die Bank aufgrund dieses Vertrages die rechtliche Verpflichtung zur Kreditgewährung bis zum Höchstbetrage von weiteren 300.000 Schilling zu obigen Bedingungen übernimmt und hierüber der Landesregierung eine verbindliche Erklärung übergibt  ; 5. das Land Salzburg die Widmung von 35.000 Schilling vollzieht. V. Schluss Ich habe mir bereits die Zusicherung verschafft, dass die Bundestheaterverwaltung einer Kooperation mit den Salzburger Festspielen in der dargestellten Weise grund-

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sätzlich zustimmt und in die Verwaltung der Festspielhausgemeinde ihre Vertreter entsendet. Weiter habe ich von der Bundesregierung die Leihgabe von drei Gobelins im Gesamtausmaße von 15 Meter Länge und 4 Meter Höhe zur Ausschmückung der Stadtsäle gegen Übernahme der entsprechenden Verpflichtung und einer sachgemäßen Konservierung erwirkt. Ferner habe ich die Ermäßigung der Baukosten um 17.000 Schilling durchgesetzt, sodass die Überschreitung des Bauaufwandes, wie schon erwähnt, nicht einmal 8 Prozent der verfügbaren Bausumme beträgt. Dann ist im Landesbudget die Summe von 35.000 Schilling als Landeswidmung an die Festspielhausgemeinde eingesetzt und wird sich die Landesregierung für ihre Bewilligung durch den Landtag einsetzen. Auch wird die Landesregierung die zur Erlassung der Landesaufwandsteuer für die Veranstaltungen der Festspielhausgemeinde erforderlichen Verfügungen treffen. Endlich wird die Landesregierung der Festspielhausgemeinde als Mitglied mit einem jährlichen Mitgliedsbeitrag von 1000 Schilling beitreten. Unter der Voraussetzung der Durchführung der in den vorstehenden Abschnitten gemachten Vorschläge behalte ich mir schließlich vor, die Ordnung des Interessenten- und Baukontos einer Lösung zuzuführen, dass hieraus weder der Stadtgemeinde noch der Festspielhausgemeinde Belastungen erwachsen und der Bank für die Gewährung eines Kredites bis zu 300.000 Schilling jene banktechnischen Voraussetzungen geschaffen werden, welche ihr die Kreditgewährung ermöglichen.

Dokument Nr. 5  : Brief von Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl an Prof. Max Reinhardt am 22. Dezember 19261 An seine Hochwohlgeboren Herrn Professor Max Reinhardt in Salzburg z. Hd. Frl. Augusta Adler Sehr geehrter Herr Professor  ! Wie mir der Herr Präsident der Festspielhausgemeinde Baron Puthon mitgeteilt hat, haben Sie, sehr verehrter Herr Professor, der Anschauung Ausdruck gegeben, als wenn durch die neu eingeleitete Sanierungsaktion der Salzburger Festspiele in irgendeiner Weise die Tendenz verfolgt würde, auf die Mitwirkung Eurer Hochwohlgeboren bei diesen Veranstaltungen in Hinkunft zu verzichten, als wenn diese Aktion in irgendeiner Weise eine Abkehr von Ihnen beinhalten würde. Da diese Auffassung in keiner Weise den Tatsachen entspricht, möchte ich nur darauf hinweisen, dass ich erst vor kurzem Gelegenheit hatte, dem Vertreter einer amerikanischen Zeitung gegenüber zu betonen, dass die Salzburger Festspiele nach wie vor mit Ihrer Mitwirkung rechnen und dass sich durch die nun zum Abschluss gebrachte Sanierung der Salzburger Festspiele in dieser Tendenz nicht das Geringste geändert hat. Wie Eure Hochwohlgeboren aus der angeschlossenen Abschrift eines Schriftstückes, welches sich auf die Ordnung der finanziellen Angelegenheit der Festspiele bezieht, entnehmen wollen, wurde von vornherein die Ordnung der ganzen Sache nur im Einverständnisse mit Ihnen in Erwägung gezogen. Ich möchte dies zur Beseitigung des eingangs erwähnten Missverständnisses hiermit feststellen und neuerdings hervorheben, dass ich, wenngleich gänzlich außerhalb der Aktion stehend und dieselbe lediglich in kritischen Situationen durch meinen Rat fördernd, dabei natürlich stets dem Bestreben Ausdruck verliehen habe, alle Kräfte zur Realisierung der für Salzburg so ungemein wichtigen Festspielidee zu sammeln und keineswegs zu zerstreuen oder abzustoßen, und dass ich dabei naturgemäß in erster Linie an jene Persönlichkeit denke, welche in so tatkräftiger und erfolgreicher Weise den Salzburger Festspielen zu ihrem Renommee verholfen hat. Mit dem Ausdruck meiner ausgezeichnetsten Hochachtung zeichne ich mich als Eurer Hochwohlgeboren sehr ergebener Franz Rehrl 1 SLA Rehrl FS 0018/6.

Dokument Nr. 6  : Brief Prof. Max Reinhardts aus Taormina an Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl am 4. April 19271 Sehr verehrter Herr Landeshauptmann  ! Von einer viermonatigen und ziemlich anstrengenden Reise zurückgekehrt, nehme ich gerne den ersten ruhigen Augenblick wahr, um Ihnen für Ihren geschätzten Brief verbindlichst zu danken und Ihnen zu sagen, dass er mir die erwünschte und wohl auch notwendige Beruhigung durchaus gegeben hat. Überdies versicherte inzwischen auch der Bundestheater-Präsident, Herr Schneiderhan, in einer gleichzeitig übermittelten Erklärung ausdrücklich und ganz unaufgefordert, dass er seinerseits keinerlei Absichten in Bezug auf die Salzburger Festspiele hege und jedenfalls in dieser Angelegenheit nie etwas unternehmen würde, ohne sich loyalerweise mit mir verständigt zu haben. Bei dieser Gelegenheit möchte ich nicht unterlassen, mit allem Nachdruck zu betonen, dass ich selbstverständlich nicht das Geringste gegen eine etwaige Beteiligung des Burgtheaters oder dessen Leitung einzuwenden hätte, sie im Gegenteil den Herren der Festspielhausgemeinde gegenüber schon in früheren Jahren selbst angeregt habe. Ich will kein Privilegium für mich und wüsste auch nicht, welchen Wert ein solches haben sollte, wenn es nicht gerade durch einen Vergleich entstünde. Für meine Person besitze ich auch nicht die leiseste Ambition, in der Gesamtleitung der Festspiele mitzuwirken, geschweige denn sie etwa gar für mich allein zu beanspruchen. Das würde meinen anderweitigen Verpflichtungen, vor allem aber meinen persönlichen Wünschen, ausgesprochen zuwiderlaufen. Ich bin mit der Führung meiner Berliner und Wiener Bühnen, der ausländischen Gastspiele und der damit zusammenhängenden Verantwortung so umfangreich belastet, dass ich begreiflicherweise bestrebt sein müsste, die ohnehin knapp bemessene Ferienzeit ausschließlich für meine Erholung zu verwenden, keinesfalls aber noch die Übernahme irgendwelcher direktorialer Funktionen anzustreben. Infrage kommen kann, wie bisher, einzig und allein meine Regiearbeit, der allerdings die notwendige Verständigung über die von mir zu inszenierenden Werke, die Darsteller, Mitarbeiter und die technischen Bedingungen, namentlich aber die gemeinsame Festlegung der Termine vorausgehen muss, wie das eben überall und bei jedem Regisseur erforderlich ist. Gerade die viel zu kurzen Termine waren es immer, ganz besonders aber in den letzten beiden Jahren (durch die Umbauschwierigkeiten), unter denen ich und auch die Sache selbst zu leiden hatten. In diesem Jahre konnten 1 SLA Rehrl FS 0018/1.

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nicht einmal diese selbstverständlichen Bedingungen erfüllt werden. Es wurden leider Stücke und Termine festgelegt und angekündigt, ohne dass meine Zustimmung vorher eingeholt worden wäre. Ich will damit nicht etwa die Herren der Festspielhausgemeinde anklagen, deren guter Wille gewiss außer Zweifel steht. Sie hielten eine Verständigung der großen räumlichen Entfernung wegen für zu schwierig, wollten mit ihren Ankündigungen nicht zurückbleiben und haben eben auf gut Glück, im Vertrauen auf meine Nachgiebigkeit, disponiert, was wieder, wie es sich nun herausstellt, gerade in Bezug auf die Termine nicht unbedenklich ist. Ich erwähne das nur, um die lächerliche Absurdität einzelner immer wieder auftauchender Gerüchte darzutun, nach denen ich der Festspielhausgemeinde mit usurpatorischer Willkür meinen Willen aufzwinge. Ich stehe lange genug in der Öffentlichkeit, um das, was so um einen herum geschrieben wird, weder positiv noch negativ allzu schwer zu bewerten. Wohl aber lege ich Gewicht darauf, Ihnen als dem Schutzherrn der Festspiele meine persönliche und sachliche Einstellung unzweideutig klarzulegen. Wir hatten leider keine Gelegenheit uns auszusprechen und ich möchte gerade von Ihnen nicht missverstanden werden. Ich hänge an der Sache der Salzburger Festspiele, weil ich ihre große Bedeutung erkenne, sowohl für die Institution des Theaters im Allgemeinen als auch für Österreich und insbesondere für Salzburg. Ihre Entwicklungsmöglichkeiten scheinen mir unübersehbar weit. Schon im zweiten Kriegsjahr (ich war damals in Salzburg noch gar nicht ansässig) habe ich mit dem alten Kaiser Franz Josef durch seinen Vertrauensmann, Baron Wetschl, Verhandlungen eingeleitet, die eine Überlassung des Hellbrunner Parks für den Bau eines Festspielhauses zum Ziel hatten. Die ausgesprochene und weitgehende Bereitschaft des Kaisers konnte sich in den bald darauf hereinbrechenden politischen Ereignissen nicht mehr auswirken. Aber ich habe von da an alles, was in meinen Kräften stand, für die Idee der Festspiele eingesetzt und unter nicht unbeträchtlichen Opfern meine künstlerische Tätigkeit immer wieder in den Dienst der Sache gestellt. Ich hatte die Genugtuung zu sehen, dass der Gedanke der Festspiele an sich und die verschiedenen Aufführungen auf dem Domplatz, in der Kirche und auch im Festspielhaus in der ganzen Welt eine Resonanz fanden, die von Jahr zu Jahr sichtlich wächst und nirgends ihresgleichen hat, trotzdem die Idee später an vielen Orten aufgegriffen und vielleicht mit reicheren Geldmitteln umgesetzt wurde. Ich bin jetzt in allen großen Städten Europas und Amerikas gewesen, ich weiß, wie man von diesen Festspielen spricht, welche Erwartungen man an ihre weitere Entwicklung knüpft, und ich bin davon durchdrungen, dass eine überwiegend große Pilgerschaft im Wachsen begriffen ist und dass Salzburg schon heute im Begriff ist, ein Wallfahrtsort der Kunst zu werden.

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Es bleibt freilich die Frage, ob Salzburg die Festspiele auf künstlerischer Höhe halten kann, ob die notwendigen Mittel, vor allem ausreichende Zeit für die Vorbereitungen vorhanden sein werden und ob zuletzt die Stadt in der Lage sein wird, die Fremden auch angemessen unterzubringen. Doch die Erörterung dieser lebenswichtigen Probleme würde über den Rahmen dieses Briefes weit hinausgehen. Um wieder zu meinen persönlichen Angelegenheiten und damit zum Schluss zu kommen, will ich noch Folgendes sagen  : Im Spätherbst berichteten die Zeitungen über Verhandlungen mit dem Burgtheater, die darauf abzielen sollten, die Leitung des Burgtheaters in meine Stelle zu setzen und ihr die Veranstaltung der dramatischen Festspiele zu übergeben. Nicht so sehr der Umstand, dass solche oder ähnliche Verhandlungen geführt wurden und dass man es nicht für angebracht hielt, sich mit mir vorher auseinanderzusetzen, vielmehr die Tatsache, dass diese Berichte in der Öffentlichkeit unwidersprochen blieben, musste mich begreiflicherweise verstimmen und namentlich meine Freunde in hohem Maße aufbringen. Nur die eindringlichen, wenn auch verspäteten Darlegungen der Festspielleitung und zuvörderst meine eigene Überzeugung, ich dürfe die Sache in ihrem augenblicklichen, noch kritischen Stadium nicht im Stich lassen, haben mich bewogen, wenigstens vorläufig auszuharren. Noch ehe Ihr Brief eintraf, habe ich für die Salzburger Festspiele überall in Amerika, in London und Paris gesprochen, geworben und ich glaube, dass dabei gewisse Möglichkeiten erschlossen wurden, die für ihre weitere Entwicklung vielleicht von entscheidender Bedeutung sein können. Ich habe es in der zuversichtlichen Hoffnung getan, dass die der Sache noch anhaftenden Kinderkrankheiten, unter denen natürlich alle Beteiligten zu leiden haben, bald zu überwinden sein werden. Diese Hoffnung gründet sich in erster Linie auf Ihre so oft und so glänzend bewährte Tatkraft, auf Ihr leidenschaftliches Interesse für die Festspiele und nicht zuletzt auf Ihr Wissen um ihre Bedeutung für die Zukunft. (Es ist leider offenkundig, dass dieses Wissen manchen Salzburgern fehlt und dass diese in den meisten einschlägigen Fragen, auch in jenen der Kunst, anders denken und urteilen als die übrige Welt, womit man sich abzufinden hat.) Wenn die Festspiele in Salzburg allen Widerwärtigkeiten zum Trotz heute überhaupt noch bestehen und nicht an ihren Erfolgen zugrunde gegangen sind, so ist das letztlich Ihnen zu danken, der die Sache mit Überlegenheit, Unerschrockenheit und ruhigem Zielbewusstsein durch die schwersten wirtschaftlichen Krisen geführt und sie zum ersten Mal auf eine gesunde Basis gestellt hat. Ich sehe das mit absoluter Klarheit und wünsche deshalb im Interesse der Sache nichts lebhafter, als gerade mit Ihnen in allen Dingen Hand in Hand zu gehen. Die Intensität dieses Wunsches kann ich für meinen Teil nicht deutlicher dokumentieren als durch die Ausführlichkeit dieses Briefes. Alle, die mich kennen, wissen, dass Briefeschreiben sonst nicht meine Sache ist.

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Aber fürchten Sie nichts. Dieser Wunsch soll Ihnen für die Zukunft in keinem Fall die Hände binden, ebenso wenig wie mir. Was mich Ihnen dagegen in jedem Fall verbindet, ist meine außerordentliche Hochschätzung und Verehrung und ich begrüße mit Freude diese Gelegenheit, Ihnen meine Gesinnung unverhohlen zum Ausdruck bringen zu können. Ganz ergeben Max Reinhardt

Dokument Nr. 7  : Plan der Salzburger Festspielhausgemeinde zur Veranstaltung von Weihnachtsund Krippenspielen unter der Regie von Max Reinhardt in der Zeit zwischen 25. Dezember und 6. Jänner Die ergebenst gefertigte »Salzburger Festspielhausgemeinde« beehrt sich, nachfolgende Frage einer wohlwollenden Beurteilung zu unterbreiten und um ehestmögliche Stellungnahme zu ersuchen. Seit vielen Jahren wurde in der heimischen, an einer Hebung des Fremdenverkehrs interessierten Geschäftswelt immer wieder der Wunsch laut, die Festspielhausgemeinde möge einmal den Versuch unternehmen, festliche Veranstaltungen an einem nicht in der Hauptreisezeit fallenden Termin zu unternehmen. Die Festspielhausgemeinde konnte diesen von den verdienstvollsten Seiten geltend gemachten Wünschen zu ihrem Bedauern bisher nicht entsprechen, da es ungemein schwer fällt, zu einer Zeit, zu der die großstädtischen Theater ihren normalen Theaterbetrieb führen, qualitativ entsprechende Künstler freizubekommen. Die Festspielhausgemeinde hat nach längeren Verhandlungen, unterstützt durch die persönliche Intervention maßgebender Salzburger Persönlichkeiten, von Professor M a x R e i n h a r d t die bindende Zusage erreicht, sich für die kommende Weihnachtszeit – etwa vom 25. Dezember bis 6. Jänner – mit ersten Schauspielern seiner Wiener und Berliner Theater der Stadt Salzburg zur Verfügung zu stellen und in Salzburg die Welturaufführung von Max Mells wundervoller Bearbeitung des alten Halleiner We i h n a c h t s s p i e l e s unter seiner persönlichen Leitung herauszubringen. Es läge im Bereich der Möglichkeit, außer der genannten Dichtung, wenn es gewünscht wird, auch Max Mells außerordentlich in die Weihnachtsstimmung passendes A p o s t e l s p i e l aufzuführen und eventuell, um die musikalische Note in der Mozartstadt nicht zu vernachlässigen, zwei Orchesterkonzerte der Wiener Philharmoniker zu veranstalten. Dieses dargelegte Programm eventueller Weihnachtsspiele schiene nach Dafürhalten der Festspielhausgemeinde interessant genug, auswärtige Besucher nach Salzburg zu ziehen. Die Tatsache allein, dass Reinhardt ein noch nie aufgeführtes Werk inszeniert, wird viele Theaterfreunde veranlassen, Weihnachten in Salzburg zu verbringen. Andererseits ist dieses Programm aber doch nicht so umfangreich, dass man in finanzieller Beziehung ein zu großes Risiko auf sich nehmen müsste. Die Festspielhausgemeinde ist sich dessen voll bewusst, dass die zur Anregung gebrachte Veran-

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staltung einen Ve r s u c h darstellt und also äußerste geschäftliche Vorsicht zu walten hat. Nach menschlichem Ermessen darf man gewiss hoffen, dass dieser Versuch einen vollen Erfolg zeitigen und die jährliche Fortführung weihnachtlicher Festspiele sehr bald eine wirtschaftliche Selbstverständlichkeit sein wird  ; es bleibt aber immerhin abzuwarten, inwieweit die gedachte Veranstaltung Kraft genug hat, Fremde zur Winterzeit ins Land zu ziehen. Die von Jahr zu Jahr deutlicher in Erscheinung tretende Gepflogenheit des Großstädters, Weihnachten und Neujahr auswärts zu verbringen, ist gewiss ermutigend. Auch ist es gewiss nicht phantastisch zu hoffen, dass der aufblühende Wintersportbetrieb und diese Weihnachtsspiele sich gegenseitig unterstützen würden, derart, dass einerseits die Gäste unserer Wintersportorte ein gewisses Reservoir für die Weihnachtsspiele bedeuten, andererseits aber Freunde des Wintersportes, die bisher die in Rede stehende Zeit in der Schweiz oder in Tirol verbrachten, sich aufgrund dieser Weihnachtsspiele entschließen, Winterorte des Salzburgischen aufzusuchen. Was die finanzielle Gebarung dieser erstmaligen Weihnachtsveranstaltung betrifft, müsste, wie gesagt, mit tunlicher Vorsicht kalkuliert werden. Es kann naturgemäß für das erste Jahr keine Rede davon sein, die bei den Sommerspielen üblichen hohen Eintrittspreise anzusetzen. Man würde trachten müssen, mit der Hälfte dieser Preise das Auslangen zu finden und außerdem nur einen Verkauf von etwa 70 Prozent der verfügbaren Plätze anzunehmen. Bei dieser vorsichtigen Kalkulation könnte selbst dann keine erhebliche finanzielle Katastrophe eintreten, wenn wider Erwarten die im Ausland wirkende Anziehungskraft dieser Veranstaltung sich als zu gering herausstellte. Eine gewisse Erschwerung bringt leider die Notwendigkeit, für die geplante Uraufführung eine neue Ausstattung anzuschaffen, die naturgemäß keinesfalls (außer bei ganz besonders glänzendem Verlauf) in einer einzigen Saison getilgt werden kann, da sie mit etwa 30.000 Schilling zu beziffern ist. Es würde also die Frage zur Beantwortung stehen, ob sich die heimischen Fremdenverkehrsinteressenten mit der Anregung so befreunden könnten, dass sie einen Weg finden, der Festspielhausgemeinde ein unverzinsliches Darlehen im Betrage von 30.000 Schilling für die Dauer von etwa 6 Jahren zur Anschaffung der Neuausstattung zu vermitteln. Die Festspielhausgemeinde würde in den Budgets der Weihnachtsspiele jährlich eine Abzahlungssumme von 5.000 Schilling einstellen. Einnahmen und Ausgaben dieser Weihnachtsspiele würden sich dieserart aller Voraussicht nach mit je 100.000 Schilling die Waage halten. Die gefertigte Salzburger Festspielhausgemeinde hält es für ihre selbstverständliche Pflicht, dieses Projekt den maßgebenden Kreisen zu unterbreiten. Fände es Anklang, erklärt sie sich bereit, die Durchführung zu übernehmen. Fände es hingegen keinen Widerhall, wird man ihr trotzdem ob dieser Anregung keinen Vorwurf machen können, da sie ja nichts anderes beweist, als dass die Festspielhausgemeinde

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besten Wissens und Gewissens bestrebt ist, im Dienste für den heimischen Fremdenverkehr nicht in hergebrachten Formen stecken zu bleiben, sondern durch neue Ideen ihren wirtschaftlich zu wertenden Wirkungskreis zu erweitern. Da ein wirklicher Erfolg dieser in Vorschlag gebrachten Weihnachtsspiele nur dann gewärtigt werden darf, wenn die bezügliche Propaganda teilweise (zur Kostenersparung und Erweiterung der Reklamewirksamkeit) mit der der Sommerfestspiele verbunden würde und somit die Ankündigung in den etwa ab Mai noch erscheinenden für den Sommer werbenden Druckschriften und insbesondere auf allen Abendprogrammen der sommerlichen Festspiele erfolgte, wird die höfliche Bitte gestellt, der gefertigten Festspielhausgemeinde bis spätestens Mitte April die nachgesuchte Stellungnahme freundlich zu übermitteln.

Dokument Nr. 8  : Hugo von Hofmannsthal, Max Reinhardt  : Organisationsentwurf der Salzburger Festspiele. Salzburg 21. August 19281

A. Festspielhausgemeinde  : Trägerin des Unternehmens der Salzburger Festspiele ist die Festspielhausgemeinde. Diese Körperschaft ist als Verein tunlichst einfacher Organisation und mit dem Sitze in Salzburg zu konstituieren  ; die Leitung derselben hat ein Obmann zu führen, welchem ein Vereinsausschuss zur Seite steht. Zur finanziellen Durchführung der Festspiele erhält der Verein Festspielhausgemeinde aus öffentlichen Mitteln alljährlich eine Subvention im Werte von 50.000 Schilling. Zweck des Vereines ist es in erster Linie, jeweils den Boden zur Durchführung der Festspiele entsprechend vorzubereiten, was insbesondere durch Entfaltung einer angemessenen Propaganda erreicht werden soll. Bei der Durchführung dieser Propaganda hat der Verein auf die Wünsche des »Kunstrates«, dessen Wirkungskreis unter »B« näher umschrieben werden wird, entsprechend Rücksicht zu nehmen. In der Funktion des Vereinsobmannes soll der jetzige Präsident der Festspielhausgemeinde, Oberst d. R. Baron Puthon, weiter belassen werden und verbleibt derselbe im Genusse seiner gegenwärtigen Bezüge. Was das übrige Personal des Vereines anbelangt, so ist dasselbe auf eine möglichst geringe Anzahl zu reduzieren, insoweit für die Bezahlung desselben die erwähnte Subvention von 50.000 Schilling bzw. die Eingänge der Festspiele in Betracht kommen. Der Sekretär der Festspielhausgemeinde, Dr. Kerber, welcher vom Kunstrate als Sekretär angestellt und entlohnt werden wird, soll gleichzeitig dem Präsidenten der Festspielhausgemeinde als ausführendes Organ zur Verfügung stehen. Bei allen Verfügungen und Beschlüssen der Festspielhausgemeinde, welche sich auf die Verwendung von Geldern aus den öffentlichen Subventionen oder aus den Eingängen der Festspiele beziehen, soll die Zustimmung des genannten Funktionärs notwendig sein, welche derselbe namens des Kunstrates abzugeben hat  ; diese Zustimmung wird insbesondere auch bei derartigen, die erwähnten Mittel in Anspruch nehmenden Beschlüssen des Vereines Platz zu greifen haben, welche sich auf die Durchführung der Propaganda beziehen. Die Pflege der Verbindung der Festspielhausgemeinde mit der Presse wird einem für diesen Spezialzweck zu bestellenden Funktionär des Vereines obliegen.

1 SLA Rehrl FS 0004/10.

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Der Verein Festspielhausgemeinde wird alle Rechte, welche demselben aufgrund des im Jahre 1926 mit der Stadtgemeinde Salzburg abgeschlossenen Übereinkommens gegen die Stadtgemeinde zustehen, dem Kunstrate einräumen, insoweit der Verein nicht selbst von diesen Rechten Gebrauch macht. Hier handelt es sich insbesondere um den Verzicht der Stadtgemeinde auf die Einhebung einer Lustbarkeitsabgabe, ferner um die Verpflichtung, vom 15. Juli jeden Jahres angefangen, Festspielhaus und Stadttheater für Zwecke der Festspiele zur Verfügung zu stellen und während dieser Zeit in keinem der beiden Häuser irgendwelche Vorstellungen und Veranstaltungen außerhalb des Programmes der Festspiele aufführen zu lassen. B) Kunstrat  : Die künstlerische Leitung der Festspiele, insbesondere der Feststellung des Programmes sowie die Deckung eines etwaigen Abganges, obliegt einem für diesen Zweck zu errichtenden Kunstrate, welcher sich vertraglich für die Dauer von fünf Jahren zur Durchführung der Festspiele jedoch mit der Maßgabe zu verpflichten hat, dass demselben nach Ablauf des dritten Jahres ein Rücktrittsrecht von dem Vertrage zusteht. Bei der Erstellung des Programmes der Salzburger Festspiele ist der Kunstrat an die Zustimmung jener Faktoren gebunden, von welchen die öffentlichen Subventionen herstammen  ; diese Zustimmung kommt allerdings lediglich als Genehmigung oder Ablehnung des Programmes en bloc in Betracht, sodass im Falle der Nichtgenehmigung des Programmes die Durchführung der Festspiele selbst in dem betreffenden Jahre ausfallen würde. Bei der Bildung des Programmes wird der Kunstrat des ferneren auch die großen kulturellen Institute, welche in Österreich bestehen, insbesondere die Staatsoper, entsprechend heranzuziehen und auch zu erwägen haben, inwiefern diesbezüglich bei den lokalen Faktoren bestehende Wünsche nach Möglichkeit berücksichtigt werden könnten. Zur rechtsverbindlichen Zeichnung von Verträgen und Vereinbarungen des Kunstrates mit den Körperschaften, welche die Festspiele subventionieren, bzw. mit der Festspielhausgemeinde ist jedes Mitglied des Kunstrates berechtigt, wobei für Rechtsverbindlichkeit der Zeichnung auch noch das Giro einer größeren Aktienbank erforderlich ist. Als Organ für die Durchführung aller künstlerischen Anordnungen bestellt der Kunstrat den bisherigen Sekretär der Festspielhausgemeinde Dr. Kerber. C) Geschäftsgebarung  : Über den Geschäftsgang der Festspiele ist alljährlich eine Abrechnung zu erstellen. Wenngleich betont wird, dass es sich bei den Festspielen um ein auf Gewinn berechnetes Unternehmen handelt, ist ein allenfalls erzielter Gewinn alljährlich bis zum Ende der Vertragsdauer auf ein Sperrkonto zinsbringend anzulegen. Der auf

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diese Weise fruchtbringend angelegte Betrag hat zunächst zur Deckung allfälliger, während der Vertragsdauer entstehender Verluste zu dienen. Ergibt sich nach Ende der Vertragsdauer aufgrund der endgültigen Abrechnung ein Restbetrag, so ist derselbe an den Kunstrat und an die, die jährlich Subventionen gewährenden Faktoren in gleichen Quoten zur Verteilung zu bringen.

Dokument Nr. 9  : Niederschrift über eine am 29. August 1928 erfolgte Besprechung zwischen den Herren Landeshauptmann Dr. Rehrl einerseits, Herrn von Hofmannsthal und Herrn Professor Reinhardt andererseits in der Angelegenheit der Fortführung der Salzburger Festspiele1 Die genannten Herren haben dem Herrn Landeshauptmann einen Entwurf über die weitere Durchführung der Salzburger Festspiele übermittelt, zu dessen Ausführungen Nachstehendes bemerkt wird  : Die wesentlichsten Punkte des Vorschlages bestehen darin, dass sich zur finanziellen Durchführung der Festspiele einerseits eine Vereinigung kapitalkräftiger Persönlichkeiten zur Verfügung stellt, andererseits aus öffentlichen Mitteln eine jährliche Subvention im Werte von 50.000 Schilling in Anspruch genommen werden soll. Der Landeshauptmann ist nun der Ansicht, dass die Festspielhausgemeinde in Form eines Vereines als Träger des Unternehmens nach außen weiter bestehen bleiben soll, praktisch zu dem Zwecke, um jeweils den Boden für die Durchführung der Festspiele entsprechend vorzubereiten, was insbesondere durch Entfaltung einer angemessenen Propaganda erreicht werden soll. Der Aufbau dieses Vereines soll möglichst einfach sein, die Leitung desselben in der Hand eines Obmannes und Vereinsausschusses liegen. In der Funktion dieses Vereinsobmannes bzw. Präsidenten soll der jetzige Präsident, Oberst d. R. Baron Puthon, weiter belassen werden und im Genusse derselben Bezüge verbleiben, welche er gegenwärtig bezieht. Was das übrige Personale des Vereines anbelangt, so soll dasselbe auf eine möglichst geringe Zahl reduziert werden, insoferne die Entlohnung desselben aus der Subvention von 50.000 Schilling bzw. aus den Eingängen der Festspiele zu erfolgen hat. Hinsichtlich der Funktion des Sekretärs der Festspielhausgemeinde, Dr. Kerber, wird vorgeschlagen, dass derselbe von dem zu bildenden Kunstrate als Sekretär angestellt und entlohnt wird, gleichzeitig jedoch dem Präsidenten der Festspielhausgemeinde als ausführendes Organ zur Verfügung stehe  ; zu Verfügungen und Beschlüssen der Festspielhausgemeinde, welche sich auf die Verwendung von Geldern aus den öffentlichen Subventionen oder aus den Eingängen der Festspiele beziehen, soll die Zustimmung des genannten Funktionärs erforderlich sein, welche derselbe namens des Kunstrates anzugeben haben wird. Hierdurch wird sich insbesondere 1 SLA Rehrl FS 0015/1.

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auch eine Überwachungsmöglichkeit seitens des Kunstrates in der Richtung ergeben, dass durch ihn die Verwendung der aus öffentlichen Mitteln in Anspruch genommenen Subvention, welche selbstverständlich formell und nach außen hin nur der Festspielhausgemeinde als solcher gewährt werden kann, im Sinne der Intentionen des Kunstrates, namentlich was die Durchführung der Propaganda anbelangt, kontrolliert wird. Dass der Sitz des Unternehmens der Salzburger Festspiele in Salzburg bleiben soll, ist wohl selbstverständlich. Hinsichtlich der Frage, welche gegenwärtige Angestellte der Festspielhausgemeinde in ihrer gegenwärtigen Verwendung erhalten bleiben sollen, wird vereinbart, dass über diese Fragen lediglich der Kunstrat zu entscheiden haben wird  ; dabei wird dem Wunsche Ausdruck verliehen, dass diesbezüglich an den gegenwärtigen Verhältnissen möglichst wenig geändert werden soll. Eine besondere Aufmerksamkeit wird der Frage zuzuwenden sein, durch welche Persönlichkeiten die Verbindung mit der Presse gepflegt werden soll. Es unterliegt keinem Zweifel, dass für diese Funktion unbedingt vorgesorgt werden muss  ; was die Personalfrage anbelangt, so wäre die Heranziehung des Direktors Laval für diese Frage in Erwägung zu ziehen. Da aber hierfür andererseits eine Person vollkommen genügt, müsste angestrebt werden, den gegenwärtig ebenfalls im Pressedienste beschäftigten Dr. Mühlmann einer anderweitigen Anstellung teilhaftig zu machen. Als weitere Aufgabe wird der Festspielhausgemeinde die Erhaltung und Verwaltung des zur Gänze für die Forderungen des Fremdenverkehrsfonds verpfändeten Fundus der Festspiele zufallen, welcher einen nicht unbedeutenden Wert repräsentiert und dessen Erhaltung eine besondere Sorgfalt zuzuwenden sein wird. Was die Stellung der Stadtgemeinde anbelangt, so sollen die Rechte, welche der Festspielhausgemeinde gegenwärtig aufgrund des im Jahre 1926 abgeschlossenen Übereinkommens gegenüber der Stadtgemeinde zustehen, von der Festspielhausgemeinde an den Kunstrat übertragen (werden), soferne die Festspielhausgemeinde nicht selbst von diesem Rechte Gebrauch macht. Dabei kommt insbesondere der Verzicht auf die Einhebung einer Lustbarkeitsabgabe in Betracht, ferner die Verpflichtung, vom 15. Juli jeden Jahres angefangen, Festspielhaus und Stadttheater für Zwecke der Festspiele zur Verfügung zu stellen und während dieser Zeit keine Vorstellungen und Veranstaltungen außerhalb des Festspielprogrammes in diesen Häusern zuzulassen. Außer dem Verein Festspielhausgemeinde soll nach außen nur der sogenannte Kunstrat in Erscheinung treten. Demselben obliegt die künstlerische Leitung der Festspiele, insbesondere die Feststellung des Programmes sowie die Deckung eines etwaigen Abganges. Dieser Kunstrat soll sich vertraglich für die Dauer von fünf Jahren zur Durchführung der Festspiele verpflichten, jedoch mit einem Rücktrittsrechte nach Ablauf von drei Jahren. Bei der Feststellung des Programmes muss

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der Kunstrat an die Zustimmung jener Faktoren zu binden sein, von welchen die Subventionen herstammen  ; eine Beeinträchtigung seiner künstlerischen Betätigung wird sich jedoch aus dieser Bindung umso weniger ergeben, als einerseits als Geldgeber praktisch wohl nur der Fremdenverkehrsfonds in Betracht kommt und die Zusammensetzung der betreffenden Kommission wohl die Ausschaltung irgendwelcher Schwierigkeiten bei der Beurteilung des Programmes verbürgt, andererseits diese Zustimmung nur als Genehmigung oder Ablehnung des Programmes en bloc gedacht wäre, sodass im Falle der Nichtgenehmigung des Programmes die Durchführung der Festspiele selbst in dem betreffenden Jahre nicht mehr in Betracht käme. Selbstverständlich wird damit gerechnet, dass der Kunstrat bei der Erstellung des Programmes bestehende Wünsche nach Möglichkeit berücksichtigen wird. Es wäre zweckmäßig, in Form eines kurzen programmatischen Satzes auf die Staatstheater hinzuweisen, etwa in der Form, dass bei der Aufstellung des Programmes besonders auch die großen kulturellen Institute, welche wir in Österreich besitzen, insbesondere die Staatsoper, entsprechend herauszustreichen sind. Was die Frage anbelangt, welche Persönlichkeiten die mit den Körperschaften, welche die Festspiele subventionieren, abzuschließenden Vereinbarungen etc. rechtsverbindlich zeichnen werden, so soll hierzu jedes Mitglied des Kunstrates berechtigt sein, wobei für die Rechtsverbindlichkeit derselben auch noch das Giro einer Bank zu fordern sein wird. Als gerierende Bank könnte natürlich nur ein erstklassiges Geldinstitut in Betracht kommen. Was die Geschäftsgebarung anbelangt, so ist alljährlich über den Geschäftsgang der Festspiele eine Abrechnung zu erstellen. Wenngleich ausdrücklich zu betonen wäre, dass es sich bei den Festspielen nicht um ein auf Gewinn berechnetes Unternehmen handelt, muss dennoch festgelegt werden, dass für den Fall, als sich ein Gewinn ergeben sollte, dieser alljährlich bis zu Ende der Vertragsdauer auf ein Sperrkonto zinsenbringend anzulegen ist. Der auf diese Weise fruchtbringend angelegte Betrag hat zunächst zur Deckung allfälliger, während der Vertragsdauer entstehender Verluste zu dienen. Ergibt sich nach Ende der Vertragsdauer aufgrund der endgültigen Abrechnung ein Restbetrag, so ist derselbe an den Kunstrat und an die die jährliche Subvention gebenden Faktoren in gleichen Quoten zur Verteilung zu bringen.

Dokument Nr. 10  : Entwurf für die Durchführung der Festspiele unter Zuhilfenahme einer anonymen Zweckgesellschaft1

Voraussetzungen  : Stadt und Land Salzburg sowie der Fremdenverkehrsfonds gewähren zur Durchführung der Festspiele eine jährliche Subvention im Werte von 50.000 Schilling. Diese Subvention wird überwiegend der Propaganda zugeführt. Die Stadt Salzburg stellt ab 15. Juli die beiden Häuser (Festspielhaus und Stadttheater) unbedingt zur Verfügung, d. h. es finden in keinem der beiden Häuser irgendwelche Vorstellungen oder Veranstaltungen statt außer denen, die das Programm der Festspiele ausmachen. Keiner der für das Programm der Festspiele engagierten Künstler darf in irgendeiner außerhalb des Programmes liegenden Veranstaltung auftreten. Die Stadt verzichtet auf die Einhebung einer Lustbarkeitssteuer. Treffen diese Voraussetzungen zu, so ergibt sich für die Durchführung der Festspiele folgender Geschäftsgang  : Die künstlerische Leitung der Festspiele (die Feststellung des Programmes, die Bestimmung aller für dessen Durchführung nötigen Künstler und technischen Hilfsorgane) obliegt dem Kunstrat. Der Kunstrat besteht aus folgenden Herren  : Dr. Hugo von Hofmannsthal, Professor Max Reinhardt, Franz Schalk, Dr. Richard Strauss. Als Organ für die Durchführung seiner künstlerischen Anordnungen bestellt der Kunstrat den bisherigen Generalsekretär Dr. Erwin Kerber. Zur finanziellen Durchführung der Festspiele stellt sich dem Kunstrat eine nicht protokollierte anonyme Vereinigung kapitalkräftiger Persönlichkeiten und Korporationen zur Verfügung, die in zwei Gruppen zerfällt  : Eine Gruppe, intern bezeichnet als Josefstädter Theater, hier in Kürze genannt Gruppe A, eine zweite, intern bezeichnet als Rheinische Hallen-Gesellschaft, hier in Kürze Gruppe B. Die nötigen schriftlichen Vereinbarungen mit diesen beiden Gruppen unterzeichnet Professor Max Reinhardt namens des Kunstrates.

1 SLA Rehrl FS 0004/7.

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Jede der beiden Gruppen stellt je 100.000 Mark zur Verfügung, wovon je 50.000 Mark als Betriebsfonds sofort nach Zustandekommen der Vereinbarung flüssig gemacht werden, die weiteren je 50.000 als Reservefonds bereitliegen. Die Vereinbarung mit dem Kunstrat wird auf fünf Jahre abgeschlossen. Nach Ablauf des dritten Jahres können jedoch die beiden Finanzgruppen von der Vereinbarung zurücktreten. Etwaige Gewinne werden zunächst auf den Reservefonds zurückgelegt, so lange, bis diese Rücklagen die Höhe des ursprünglich eingezahlten Betriebskapitales erreicht haben. Ist dies erreicht, so wird ein etwaiger weiterer Gewinn folgendermaßen verteilt werden  : Ein Drittel dem Reservefond. Ein Drittel den Faktoren, welche die Subvention gewähren. Ein Drittel den Gruppen A und B, von nun ab zusammen bezeichnet als   : Die Betriebsgesellschaft. Die Betriebsgesellschaft bestellt den bisherigen Sekretär Dr. Erwin Kerber unter Neuregelung seiner Bezüge als Generalsekretär. Die Gesellschaft bestellt einen Geschäftsführer als finanzielles Kontrollorgan. Der Generalsekretär ist bei jeder finanziellen Maßnahme an die Gegenzeichnung des Geschäftsführers gebunden. Dem Geschäftsführer wird in der Person von Herrn Richard Metzl ein fachlicher Berater beigegeben. Die Positionen des Geschäftsführers bestehen in Folgendem  : 1. Statutengemäße Verwaltung. 2. Er überwacht im Einvernehmen mit dem Generalsekretär die Etataufstellung und sorgt für die finanzielle Durchführung der künstlerischen Anordnungen des Kunstrates. 3. Der Geschäftsführer unterbreitet den von ihm im Einvernehmen mit dem Generalsekretär aufgestellten Etat dem Verwaltungsrat, der unter Berücksichtigung der materiellen Belange den endgültigen Beschluss über die Durchführung der künstlerischen Vorschläge zu fällen hat. Der Verwaltungsrat setzt sich zusammen aus je einem Vertreter des Landes und der Stadt, je einem Vertreter der Gruppen A und B der Betriebsgesellschaft und einer neutralen Persönlichkeit, die von den vorgenannten vier Herren gewählt wird. Die Festsetzung des Spielplanes durch den Kunstrat erfolgt alljährlich bis spätestens 15. Oktober.

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Der Kunstrat wird der Betriebsgesellschaft nahelegen, eine Anzahl der Angestellten der Festspielhausgemeinde, welche sich bisher in ihrer Verwendung bewährt haben, abermals anzustellen. Sollte bei einer eventuellen Auflösung der zum Betrieb der Festspiele geschaffenen Zweckgesellschaft ein Gewinn vorhanden sein, so wird die Hälfte dieses Betrages dem Lande Salzburg, zuhanden des Landeshauptmannes, zufallen, und der Restbetrag unter die Gruppen A und B verteilt werden.

Dokument Nr. 11  : Analyse der Organisationsdefizite der Salzburger Festspiele des Jahres 1928 durch das Kuratorium und Mitglieder des Aufsichtsrates der Salzburger Festspielhausgemeinde1 Zweimal bereits standen die Festspiele vor der Frage des »Sein oder Nichtsein«. Alle Versuche zur Sanierung waren auf dem toten Punkt angelangt. Erst durch die Sanierungsaktion des Herrn Landeshauptmannes Dr. Rehrl und die Schaffung des Fremdenverkehrsförderungsfonds gelang es, die Fortführung der Festspiele zu ermöglichen. Der Gedanke an die kulturellen und wirtschaftlichen Auswirkungen allein reicht für die Existenz der Festspiele nicht aus, wenn nicht eine tragfähige Basis in finanzieller Beziehung geschaffen worden wäre, die der Fremdenverkehrsförderungsfonds darstellt. Da bisher alle Versuche, auf andere Weise die Fortführung der Festspiele zu sichern, sich praktisch als aussichtslos erwiesen haben, andererseits wohl kaum jemand die Verantwortung für die Auflassung derselben vor aller Öffentlichkeit zu übernehmen bereit sein wird, kommt diesem Fonds die Bedeutung des Erhalters der Festspiele mit Recht zu – wenigstens insolange, als niemand anderer jene finanziellen Voraussetzungen schafft, auf denen allein ihre Weiterführung, die ein Lebensinteresse von Stadt und Land Salzburg ist, möglich wird. Die jeweiligen Festspiele müssen, soll nicht der Fehler der Vergangenheit wiederholt werden, zeitgerecht vorbereitet werden. Diese unerlässliche Vorarbeit ist aber nur denkbar, wenn eine Art Garantiefonds besteht. Dieser ist bei der gegenwärtigen Sachlage nur im Wege des erwähnten Fonds gegeben. Die Verwaltung des Fonds wäre ehetunlichst in geeigneter Form zu ersuchen, uns den Beginn der unerlässlichen Vorarbeiten durch eine entsprechende Erklärung zu ermöglichen. Bei der Bearbeitung aller Fragen, die auf eine Änderung der bisherigen Führung der Festspiele abzielen, soll kurz daran erinnert sein, dass rein aus dem Nichts heraus nach dem Kriege eine Anzahl Interessenten die ersten Festspiele durchgeführt hat. Dies geschah in Anlehnung an die bereits vor dem Krieg veranstalteten Mozart-Festspiele. Dank der vollkommenen Uneigennützigkeit der Führer und Mitarbeiter, der geschickten Aufmachung als internationale Veranstaltung künstlerisch-gesellschaftlicher Art errangen die Festspiele in Kürze in der Welt eine Einschätzung, welche diejenige in der Heimat um vieles überragte. Dazu trug auch die wohlwollende Förderung der Presse des In- und Auslandes entscheidend bei, und nur durch diese feste 1 SLA Rehrl FS 0015/16.

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Verankerung war es möglich, dass die Festspiele all die vielen Stürze überdauern konnten. Sie sind heute Gemeingut der ganzen Welt geworden. Viele Mängel und Fehler wurden in den ersten Jahren hingenommen, weil Publikum und Berufskritik darin »Kinderkrankheiten« sahen, die sich bei einer Veranstaltung mit einer derart breiten Auswirkung nicht vermeiden lassen. Bald ein Jahrzehnt finden die Festspiele statt  ; trotzdem muss festgestellt werden, dass manche Fehler sich Jahr für Jahr wiederholen, andere dadurch entstehen, weil die guten Erfahrungen der Vergangenheit nicht genützt werden oder weil immer wieder Experimente angegangen werden, die fehlschlagen müssen, weil notwendige Voraussetzungen für ihr Gelingen einfach fehlen. Diese Fehler zu untersuchen und ihre Ursachen zwecks künftiger Vermeidung festzustellen, ist der eine, Vorschläge zur Verbesserung zu machen, ist der andere Zweck dieser Arbeit. Hierbei ist nicht so sehr die Personenals die Systemfrage das Entscheidende. Wir beginnen mit dem P r o g r a m m   : Die zeitgerechte Erstellung des Programmes wird Jahr für Jahr insbesondere mit dem Hinweis auf die Propaganda in Amerika betont. Die Hauptursache der Verspätung liegt meistens an der nicht zeitgerechten Finanzierung. Wir schlagen daher vor, die Verhandlungen wegen endgültiger Finanzierung der Festspiele 1929 mit allem Nachdruck in Angriff zu nehmen, um für heuer den Fehler der Vorjahre zu vermeiden. Mehr und mehr häufen sich in der letzten Zeit die Klagen über eine gewisse Verknöcherung des Programmes, und namhafte Kritiker weisen darauf hin, dass die Aufgabe der Salzburger Festspiele nicht allein in der Reproduktion klassischer Kunstwerke, sondern auch in der Darstellung von Kunstwerken der Gegenwart besteht. Hierbei wird häufig betont, dass die Zeitungs-Verlagsanstalten in Hinkunft außerstande seien, für die Berichterstattung besondere Kosten aufzuwenden, wenn die Berichte zum Großteil allgemein Bekanntes bringen müssen. Eine Bedachtnahme auf diese Stellungnahme der Presse wie auf die Presseauswirkung überhaupt erscheint uns dringend geboten. Wie immer man die Kritik einschätzt – die hochmütige Außerachtlassung zutreffender und gut gemeinter Vorschläge ist schädlich. Die Einschiebung von Veranstaltungen in das bereits verlautbarte Festspielprogramm hat bisher in den meisten Fällen zum Schaden geführt. Hauptsächlich wohl deswegen, weil keine Zeit für eine durchgreifende Propaganda blieb. Nur in ganz besonderen Fällen, wo es sich um künstlerisch absolut fundierte Veranstaltungen handelt, soll nach reiflichster Erwägung eine derartige Programmerweiterung durchgeführt werden.

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Ebenso erscheint uns die Ausschaltung oder zumindest Zurückdämmung lokaler Einflüsse notwendig, besonders dann, wenn finanzielle Interessen einzelner Künstler, die der Leitung angehören, infrage kommen. An das nächstjährige Strauss-Jubiläum sei bei diesem Anlasse erinnert. Die präzise Abwicklung des Programmes ist notwendig. Wir verweisen auf die Vorfälle gelegentlich der heurigen Serenaden, die berechtigte Kritik herausfordern. Die Festspiele sollen internationale Kunst unter besonderer Betonung der österreichischen Note und selbstverständlich Mozarts bringen  ; wir stellen zur Erwägung anheim, ob die Programmdurchführung auch weiterhin mit Ensembles oder durch Zusammenstellung erster Kräfte aus der ganzen Welt, wie dies bei den Mozart-Festspielen der Friedensjahre war, geschehen soll. Allen Veranstaltungen, die sich aus künstlerischer Schnorrerei oder Gelegenheitsmacherei an die Festspiele herandrängen (siehe heuer die Tanzveranstaltungen Tamyris), ist sofort unter Benützung der ganzen verfügbaren Presse eine entschiedene Ablehnung entgegenzusetzen. Die Zusammendrängung vieler Veranstaltungen an einem Tag ist nach Möglichkeit zu vermeiden. Auch hier liegen Beschwerden der Presse vor, die mit der Ablehnung der Berichterstattung drohte. Die Voraussetzung für das Gelingen der Festspiele ist in erster Linie die P r o p a g a n d a    : Hier muss festgestellt werden, dass sie heuer nur zum allergeringsten Teil entsprochen hat. Vielfach unterblieb sie dort, wo sie zuerst eingesetzt hatte, vielfach kam sie zu spät, und viel zu stark trat das persönliche statt des sachlichen Moments in den Vordergrund. Wer die Meinung der Öffentlichkeit kennt, kann von einer fast einmütigen Ablehnung solcher Propagandamethoden sprechen. Die ausschlaggebende Bedeutung der Propaganda für das Ergebnis der Festspiele veranlasst uns, eine gründliche Untersuchung aller damit zusammenhängender Fragen zu beantragen und zu verlangen. Durch diese Untersuchung soll jedoch keinesfalls die Zeit für die Vorbereitungen auf die nächsten Festspiele irgendwie verkürzt werden. Um volle Klarheit zu gewinnen, muss verlangt werden  : Vorlage des Vertrages mit dem Propagandaleiter Dr. Mühlmann, damit der Umfang der gegenseitigen Verpflichtungen dem Ausschuss zur Gänze erinnerlich wird. Vorlage des Vertrages über die Inseratenwerbung. Vorlage des Vertrages mit der Styria A. G. und Shell A. G. Einwandfreie Feststellung der Kosten des Propagandaautos und der Eigentumsverhältnisse hinsichtlich dieses Wagens sowie deren schriftliche Festlegung. In welcher Weise wird mit Steyr und Shell verrechnet  ? Vorlage der Verrechnung mit allen Belegen und Aufklärung über die Richtlinien, nach denen die Gegenrechnungsinserate

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berechnet werden. Inwieweit sind die Verträge mit den beiden Firmen bereits konsumiert, in welchen Punkten überschreiten sie den Termin der heurigen Festspiele  ? Auf welche Rechnung gehen die Fahrten nach Abschluss der Festspiele  ? Wird dadurch das Guthaben der Festspielhausgemeinde bei den Firmen verringert und in welchem Ausmaße  ? Ferner  : Durchsicht der Reisespesen Dr. Mühlmanns, Aufklärung über die Verrechnung der Reparaturen und über die Frage, wer die Versicherung des Wagens bezahlt. Auf welche Rechnung wurde die »Sternfahrt« nach Steyr unternommen  ? Wurde sie als eine Propagandafahrt der Festspielhausgemeinde oder als ein Privatunternehmen des Propagandaleiters »genannt«  ? Die Beschwerden über die Unzulänglichkeit der Propaganda sind zahllos. Wir greifen nur einige wenige von jenen Beschwerden heraus, die immer wieder auftreten. Zunächst der »Festspielführer«. Den Inserenten wurde versprochen, dass diese Broschüre im Februar, spätestens aber zeitig im Frühjahr, erscheinen und namentlich im Auslande weit verbreitet werde. Tatsächlich erschienen ist der Festspielführer mit einer Verspätung von fünf Monaten. Da das Erscheinen bereits in die Festspiele hineinfiel, konnte von irgendeiner wirksamen Verbreitung nicht die Rede sein. Der Festspielführer wurde überhaupt nicht verbreitet, sondern zu einem Stückpreis von S 1,60 verkauft, er blieb jedoch zum Großteil unverkauft liegen, weil er in inhaltlicher Beziehung weder Festspielführer noch überhaupt eine des Kaufes würdige Druckschrift, sondern ein Inseratenheft war. Dazu kommt, dass die Mehrzahl unter den Inseraten von ausländischen resp. auswärtigen Kurorten und Fremdenverkehrsplätzen eingeschaltet wurde, die mit Stadt und Land Salzburg in zumeist ziemlich scharfem Wettbewerb stehen. Der Festspielführer begünstigte also die Abwanderung der Fremden von Salzburg nach anderen Fremdenverkehrsländern. Als die Propagandaleitung sah, dass der Festspielführer unverkauft liegen blieb, schickte sie einerseits Agenten in die kleinen salzburgischen Sommerfrischen, um den dortigen Fremdenverkehrsvereinen und Gemeindevorstehungen den Festspielführer zu einem Ramschpreis anzubieten, andererseits belegte man ganze Sitzreihen des Festspielhauses mit Festspielführern, die auf diese Weise den Besuchern als Geschenk angeboten wurden, nach Schluss der Vorstellung aber in Massen auf dem Boden unter den Sitzplätzen gefunden wurden, oder man wendete bares Geld dafür auf, um den Festspielführer post festum als ziemlich teure Drucksache nach dem In- und Ausland zu verschicken. Wir verlangen die Feststellung, was der Kommissionsvertrieb des Festspielführers getragen hat. Wie viel wurde für den Führer ausgegeben, wie viel tatsächlich dafür eingenommen  ? Was soll mit den 2000 Exemplaren dieses »Festspielführers 1928« geschehen, die noch unverwendet bei der Festspielhausgemeinde liegen  ? Wann ist überhaupt der Beschluss gefasst worden, jedes Jahr einen Festspielführer herauszugeben  ? Wer hat beschlossen, an welchen Künstler die graphische Gestaltung des Festspielführers zu vergeben ist  ?

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Des Weiteren erinnern wir an die vielen Ärgernisse mit dem Programm. Es enthielt in einigen Fällen nicht einmal die notwendigsten Daten, so fehlte beispielsweise auf den Fidelio-Programmen die Inszenierung durch Prof. Holzmeister2 und die Nennung der Wiener Philharmoniker und der Chorvereinigung der Wiener Staatsoper. Auf manchen Konzertprogrammen fehlten die Liedertexte. Was als »Festspielprogramm« bezeichnet und zum Stückpreis von S 1.- verkauft wurde, war nichts als ein Heft mit Inseraten. Über diesen hervorstechenden Übelstand wiederholten sich die Beschwerden aus dem Publikum und aus Pressekreisen Tag für Tag. Etwas völlig Sinnwidriges und Zweitklassiges waren die sogenannten »Sonderprospekte«. Solche wurden gemacht  : 2 für Stadt Salzburg, 1 für Salzkammergut, 1 für Gastein, 1 für Pinzgau, 1 für Kärnten und 1 für das bayerische Nachbargebiet. Auf den ersten Blick sollte man meinen, dass mit einem solchen »Sonderprospekt« eine Festspiel-Drucksache gemeint ist, mit der man für bestimmte Orte oder Gebiete eine Sonderreklame unter den Festspiel-Interessenten, die sich für einen Besuch des Landes Salzburg gewinnen lassen wollen, zu bewirken sucht. Wozu dient denn nun so ein Sonderprospekt  ? Er wurde in die Orte und Gebiete geschickt, denen er Gäste von auswärts hätte zuführen sollen. Beispielsweise waren die Gasteiner Hoteliers sehr erstaunt, dass man ihnen Massen von solchen Sonderprospekten, in denen ihre eigenen Inserate zu lesen waren, ins Haus schickte. Für die Herstellungskosten dieser ganz zwecklosen Sonderprospekte mussten die Inserenten aufkommen. Das Unerfreulichste dabei ist, dass kleine salzburgische Orte wie Uttendorf oder Niedernsill drangsaliert wurden, in diesen Sonderprospekten um teures Geld zu inserieren. Selbstverständlich kam fast kein einziger von diesen Orten in die Lage, einen Salzburger Festspielgast bei sich zu begrüßen. Die hohen Insertionskosten waren also vollkommen vergeudet. Es ist auch würdelos und lächerlich, wenn man einen derartigen Sonderprospekt für die Stadt Salzburg macht und an die Spitze dieses Prospektes den Fahrplan der Autobuslinie Salzburg-Kommunalfriedhof setzt. Nicht weniger würdelos war auch die Herausgabe zahlloser Reklame-Flugzettel. Zettelausträger von ziemlich primitiver Erscheinung gingen in der Stadt Salzburg von Wirtshaus zu Wirtshaus, Bierstüberl zu Bierstüberl, Caféhaus zu Caféhaus und legten den Gästen solche Reklame-Flugzettel auf den Tisch. Es war zweifellos erhebend, wenn auf solche Weise dem Publikum bekannt gegeben wurde, dass nächsten Tages die Premiere der »Zauberflöte« oder der »Iphigenie« stattfinden würde. Diese Art Reklame wurde von den Einheimischen und Fremden allgemein als die »Milchstüberl-Reklame« der Salzburger Festspiele bezeichnet. Würdelos war es auch, wenn in den Programmen neben der Ausstellung »Heim und Technik« wissenschaftliche Verjüngungskuren angekündigt wurden oder wenn sich in Sonder2 Irrtum, muss heißen  : Bühnenbild. Die Inszenierung stammte von Lothar Wallerstein.

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prospekten Inserate einer Milchtrinkstube neben Einschaltungen der »Ersten hygienisch-chemischen Reinigungsanstalt« befanden. Wir erinnern auch an die skandalöse Art der Propaganda am Salzburger Stadttheater für die Aufführung der »Iphigenie«. Mit Rotstift geschriebene Zettel wurden in den Anschlagkasten gepickt, und auf diesen Zetteln konnte das ausländische Festspielpublikum lesen, dass an diesem oder jenem Tage diese oder jene Festspielaufführung stattfinden werde. Auf den meisten großen Bahnhöfen Wiens und der Länder war mittels großer Leinwandplakate auf die Salzburger Festspiele hingewiesen. Alle diese Leinwandplakate, mit einziger Ausnahme der im Salzburger Bundesbahnhofe angebrachten, enthielten eine falsche Angabe des Festspiel-Termines. Auf diese Weise wurde den Millionen von Reisenden, die die Wiener Bahnhöfe, dann die Bahnhöfe in Wels, Attnang-Puchheim, Villach, Badgastein usw. frequentierten, in fälschlicher Weise mitgeteilt, dass die Salzburger Festspiele 1928 vom 30. Juli bis zum 28. August dauern, während sie in Wirklichkeit vom 26. Juli bis zum 30. August dauerten. Der Propagandaleiter der Salzburger Festspiele unterschlug also bei einem so wichtigen Teile der Festspielreklame, wie es die Bahnhofreklame ist, ohne Bedenken sechs volle Tage des Spielplanes. Zu den zahlreichen Versäumnissen der heurigen Propaganda zählt besonders auch die verspätete Aufmachung des »Perchtenspieles«, die so weit ging, dass der »Jedermann« in Salzburg früher plakatiert wurde als das »Perchtenspiel«. In Bad Reichenhall musste erst ein Beamter des Kartenbüros wegen der endlichen Plakatierung einschreiten. Eine wirklich durchgreifende Nahpropaganda wurde erst auf Weisung des Finanzreferenten in der letzten Sekunde gemacht, nachdem die verschiedenen Prospekte und Sonderprospekte bereits tagelang in den Kanzleien der Festspielhausgemeinde herumgelegen waren. Wer trägt Schuld daran, dass das Kartenbüro bis unmittelbar vor Beginn der Festspiele die Interessenten mit vorjährigen Sitzplätzen bedienen musste, was sicherlich nicht dazu beitrug, die Dispositionsfähigkeit der Festspielleitung in günstigem Licht erscheinen zu lassen. Zur Mitarbeit bei der Inseratenakquisition wurden kleine Annoncenbüros herangezogen. Wer hat eines dieser Büros bevollmächtigt, sich als die »offizielle Werbestelle der Festspiele« zu bezeichnen  ? Der Inhaber eines anderen kleinen Annoncenbüros durfte sich Visitenkarten drucken lassen, auf denen er sich »Reklamedisponent der Salzburger Festspiele« nannte. Wo sind die Originalaufträge der Inserenten  ? Wer hat die Inserate fakturiert  ? Sind die Fakturen durch die Buchhaltung gegangen oder nicht  ?

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Wir verlangen die Überprüfung der gesamten Korrespondenz und der Fakturen über das Inseratengeschäft. Weiters verlangen wir die Vorlage der gesamten Korrespondenz über die zahlreichen Differenzen mit den Inserenten. Wer ist dafür verantwortlich, dass verschiedenen Inserenten Inseratrechnungen geschickt wurden, die auf höhere Beträge lauteten als vereinbart und bestellt war  ? Wurde diese Korrespondenz, namentlich soweit sie die Differenzen mit den Inserenten betrifft, zur Gänze dem Präsidium vorgelegt oder nicht  ? Wie stellt sich die Festspielleitung zu den Reklamationen, die unserem Ansehen sehr schaden und weniger dem Propagandaleiter als der Festspielhausgemeinde im Allgemeinen angelastet werden  ? Wir halten es mit den Tendenzen einer geordneten Geschäftsführung für unvereinbar, dass ein wesentlicher Teil der geschäftlichen Korrespondenz einem Angestellten in Form von Privatkorrespondenz zugeht, wie es gegenwärtig hinsichtlich der Festspielpropaganda der Fall ist. Es sind sofort Maßnahmen zu treffen – eventuell durch ein Rundschreiben an alle in Betracht kommenden Stellen –, dass dieser Vorgang abgestellt wird. Ebenso ist Vorsorge dafür zu treffen, dass die Korrespondenz der Propagandaabteilung erst nach erfolgter Gegenzeichnung hinausgeht. Wir verlangen Vorlage der ganzen Korrespondenz mit dem Bundesministerium für Äußeres und den auswärtigen diplomatischen und Bundesbahnvertretern. Wir erinnern daran, dass dicht vor Beginn der heurigen Festspiele wieder einmal ein »Festspiel-Skandal« auszubrechen drohte. Das Präsidium der Salzburger Handelskammer richtete damals an die Festspielhausgemeinde ein Schreiben des Inhaltes, dass die Festspielhausgemeinde unter keinen Umständen auf die Hilfe der von der Kammer vertretenen Kreise rechnen dürfe, falls die Gebarung der heurigen Festspiele das Präliminare überschreiten sollte. Dieses Schreiben der Handelskammer, das begreiflicherweise große Aufregung hervorrief, ging auf eine leichtfertige Äußerung des Propagandaleiters zurück, der gegenüber einem Funktionär der Kammer die Bemerkung gemacht hatte, der Voranschlag werde um mehr als eine Milliarde überschritten werden. Als diese Sache in einer Auseinandersetzung zur Sprache kam, sicherte das Präsidium zu, dass der schuldtragende Angestellte streng zur Verantwortung gezogen werde, Wir fragen an, ob dies im zugesicherten Ausmaße geschehen ist  ? Wurden nicht versehentlich Kosten, die das Konto des Propagandaleiters belasten, in die allgemeinen Unkosten der Festspiele aufgenommen  ? Zwecks genauer Übersicht über die Eigenkosten der Propaganda wären die Grundsätze der Vergebung der sehr umfangreichen Druckaufträge klarzulegen. Ebenso sind die Kostenvoranschläge für dieselben sowie diejenigen für die Plakatierung vorzulegen. Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass ein Propagandadienst dieser Art unseren Zielen nicht entspricht und weder den Nutzen noch das Ansehen des Lan-

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des fördern kann. Es trat zu sehr das Bestreben nach »Geschäft« einer Einzelperson in den Vordergrund. Das Inseratenwesen darf nicht Selbstzweck sein und darf nur insoweit als zulässig anerkannt werden, als es ohne Verletzung der Bestimmung, Bedeutung und Würde der Festspiele möglich ist. Die im Vorstehenden kurz zusammengestellte Auswahl von Einwänden könnte, sowohl was die Eigenart als auch die Fülle der Beschwerdefälle betrifft, noch in sehr ausgiebiger Weise erweitert werden. Wir glauben, dies der bevorstehenden Aussprache überlassen zu sollen. Hier scheint uns der Hinweis am Platze, dass ein Provisionssatz von 50 Prozent vom Wert der akquirierten Annonce sicher dazu beigetragen hat, das Geschäftsgefühl des Propagandaleiters stärker anzuregen als das Verantwortungsgefühl. Zu aller schweren Einbuße an Ansehen, die für die Festspielhausgemeinde durch die vorstehenden Propagandamethoden in Erscheinung trat, kommt noch, dass die Überprüfung der materiellen Gebarung ein geradezu klägliches Bild ergibt. Rund 70.000 Schilling, davon ein sehr bedeutender Teil aus Salzburg, wurde an Inseraten akquiriert, und trotzdem sind noch 30.000 Schilling budgetmäßige Propagandakosten dazugekommen  ; so ergibt sich ein Defizit von 13.800 Schilling. Jeder Einzelne von uns hat ein besonderes Interesse daran, dass hier vollste Aufklärung erfolge. Dass der Propagandadienst in vollkommen fachkundige und vertrauenswürdige Hände gelegt werden muss, dass er reorganisiert und mit Rücksicht auf den internationalen Namen der bis jetzt überall als Kunstinstitut angesehenen Salzburger Festspielhausgemeinde gehoben werden muss, ist unser nachdrückliches Verlangen. Im Zusammenhang mit dieser Selbstverständlichkeit fragen wir, ob der bei den abgelaufenen Festspielen tätig gewesene Propagandaleiter gegenwärtig noch irgendwelche Vollmachten hat und ob er etwa derzeit mit Propagandavorarbeiten für das nächste Jahr befasst ist  ? Die Reorganisation des Propagandadienstes und die Bereinigung der Mängel kann natürlich nicht auf irgendeinen späteren Zeitpunkt verschoben, sondern muss unverzüglich durchgeführt werden. Zu Beginn des Winters müssen die Vorbereitungen für die Propaganda 1929 in vollem Gange sein, daher ist es unerlässlich, die Liquidation des Vergangenen innerhalb der allernächsten Zeit in Angriff zu nehmen. Theaterfachmann Die Erfahrungen der vergangenen Jahre veranlassen uns zu nachstehendem Vorschlag  : Dem Generalsekretär ist eine Kraft beizugeben (Intendant), die ein Theaterfachmann von Beruf und Rang ist. Ob der Intendant ständig in unsere Dienste zu nehmen ist oder nur von Fall zu Fall herangezogen werden soll, wäre noch zu erwägen.

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Die Mitwirkung eines praktischen Theaterfachmannes bei Erstellung des Festspielprogrammes wäre jedenfalls von Vorteil. Die absolute Vertrautheit des derzeitigen Generalsekretärs mit der Materie, die er zu bearbeiten hat, ist bekannt. Die Überschreitungen des Voranschlages geschehen in fast allen Fällen nicht dadurch, dass der Generalsekretär unsachgemäß kalkulierte, sondern dadurch, dass der während der Festspielzeit bis zum Äußersten überlastete Generalsekretär seitens der Regie mit Forderungen überrumpelt wird, zu deren eingehender Überprüfung ihm nicht die nötige Zeit bleibt. Hier hätte der Intendant einzugreifen. Der uns vielfach gemachte Vorwurf, dass wir uns an die Theaterleute glatt ausliefern, würde durch diese Bestellung zum Verstummen gebracht. Die Entlastung des Generalsekretärs liegt in unserem besonderen Interesse. Die Ausübung gewisser unerlässlicher Repräsentationsverpflichtungen wird ihm dann ermöglicht. Schließlich glauben wir auch, dass ein in unsere Dienste genommener Intendant imstande ist, uns bei der Herausbringung künstlerischer Veranstaltungen außerhalb der Festspielwochen mit Erfolg zu beraten und damit beizutragen, dass die durch die materielle Lage entstehende Profanierung des Hauses durch die Veranstaltung nicht hineingehöriger Darbietungen eingeschränkt wird. Wenn wir auch die Schwierigkeiten, die dem Intendanten gegenüber den Prominenten der Regie begegnen, durchaus einsehen, so scheint es uns doch möglich, bei Durchführung der vorstehenden Maßnahme allzu weit gehende Kostenüberschreitungen zu vermeiden. Bei den seinerzeitigen Mozart-Festspielen hat sich die Beiziehung eines derartigen Fachmannes bestens bewährt. Kanzlei 1. Das Kartenbüro. Nach der Mitteilung aller maßgebenden Stellen hat das Kartenbüro seine Aufgabe bei den heurigen Festspielen zur allseitigen Zufriedenheit gelöst. Das Kartenbüro ist jeweils nicht fix angestellten Beamten, sondern von Jahr zu Jahr im Vertragswege herangezogenen Personen übergeben. Vielfach wurden Klagen darüber laut, dass die Aktivierung des Kartenbüros reichlich spät erfolgt. Wir schließen uns dieser Ansicht an. Je früher das Kartenbüro seine Wirksamkeit beginnt, desto besser kann es in die allgemeine Administrative der Festspiele jeweils eingefügt werden. Auch die Auslandsvertretungen, die sich mit dem Kartenverkauf für die Festspiele befassen, legen auf zeitgerechtes Funktionieren desselben besonderen Wert. Schließlich ist auch eine frühzeitige, möglichst enge Fühlungnahme zwischen Propagandabüro und Kartenbüro mehrfach von Vorteil. Wir machen den Vorschlag, mit den bisherigen Beamten des Kartenbüros schon jetzt bindende Vereinbarungen für die nächstjährigen Festspiele zu treffen. Hierbei braucht über die vereinbarten Verdienstsätze der heurigen Festspiele nicht hinausgegangen zu werden.

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Eine bessere und zweckentsprechendere Unterbringung der Kanzlei, welche so bedeutende Werte manipuliert, erscheint uns ebenfalls unerlässlich. Da das Kartenbüro mit Umsatzprovision arbeitet, ist anzunehmen, dass die Vertragspartner schon in ihrem eigenen Interesse so früh wie möglich sich an allen Vorbereitungsarbeiten tatkräftig und ohne weitere Kosten beteiligen. Zu vermeiden ist, dass durch Funktionäre, die außerhalb des Kartenbüros stehen, direkt oder indirekt Umsatzprovisionen an Verkaufsstellen zugesichert werden. Wir verweisen darauf, dass beispielsweise heuer die Propagandaabteilung im Zusammenhang mit der Akquisition eines Inserates einem Unternehmen eine zehnprozentige Verkaufsprovision zusicherte, die in dem betreffenden Fall nicht tragbar war, sodass die Leitung des Kartenbüros nachher im Wege von Verhandlungen die zu hohe Provision herabmindern musste. Die Telefonverhältnisse im Kartenbüro sind aufreizend primitiv und müssen unbedingt verbessert werden. Oft war das Kartenbüro durch sehr lange Zeit für Salzburger Rufe nicht erreichbar. Diesbezüglich gab es mannigfach Beschwerden. 2. Personale. Um endlich genauen Einblick zu erhalten, wären die mit dem Personal bestehenden Verträge vorzulegen. Es erscheinen uns nämlich die Bürokosten zu hoch und ohne Beeinträchtigung des Betriebes reduzierbar. Das Fehlen einer Kanzleiordnung ermöglicht mancherlei Eigenmächtigkeiten. Eine Aufstellung der im Zusammenhange mit den vorjährigen Festspielen entstandenen Reisekosten würde uns interessieren. Die Buchhaltung wäre zu beauftragen, eine Detailrechnung aufzustellen, welche Telefonkosten auf die einzelnen Abteilungen (Generalsekretär, Propagandaabteilung, Kartenbüro, Pressebüro) entfallen. Wir nehmen an, dass bei dem bedeutenden Umfange des interurbanen Verkehres ein Telefonbuch entsprechenden Aufschluss gibt. Nach welchen Grundsätzen werden die Urlaube eingeteilt  ? Vielfach hört man Klagen, dass die bei der Vermietung unserer Lokale angerechneten Sätze zu hoch seien. Auch hier ist eine eingehende Aufklärung notwendig. Wir behalten uns vor, nach Kenntnis der Einzelheiten einen Vorschlag auf Reduktion des Personals und damit der Kosten des Büros zu machen. Auch der Personalstand der Hausverwaltung erscheint uns zu groß. Er gefährdet nach unserer Meinung mit Rücksicht auf seine Kosten die Veranstaltungen des Winters. Wenn wir auch eine gewisse Stabilität des Personals im Interesse der glatten Geschäftsabwicklung für geboten erachten, so glauben wir doch, dass sich diese auch mit einem geringeren Kostenaufwand bewerkstelligen ließen. Nach unserem Wissen lässt auch die Fühlungnahme zwischen den einzelnen Ressorts der Kanzlei zu wünschen übrig und oft weiß, um es kurz zu sagen, die Linke nicht, was die Rechte tut. Dadurch entsteht eine Beeinträchtigung der gesamten Geschäftsführung.

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3. Haus. Trotz vieler nachträglicher Investitionen weist das Haus sehr bedeutende Mängel auf. Auch die Presse spricht häufig in abfälliger Weise über die Beschaffenheit des Festspielhauses (Festspielscheune  !). Dieser Umstand macht es uns zur besonderen Pflicht, dass alle Angelegenheiten, die mit der Betreuung des Objektes und der Frequentierung desselben zusammenhängen, mit besonderer Sorgfalt behandelt werden müssen. Hier klafft manche Lücke. Durch eine entsprechend scharf fungierende Hausverwaltung ließe sich manche Unzukömmlichkeit vermeiden und auch ohne Kosten verbessern. Zahlreiche Klagen werden darüber laut, dass oft durch das Knarren des Bodenbelags und der Stühle jede Stimmung gewaltsam gestört wird. Mit aller Strenge ist darauf zu dringen, dass der Einlass des Publikums zu den Vorstellungen geordnet werde. Einmal heißt es, dass nach Beginn der Ouvertüre niemand eintreten darf, dann wieder behaupten die Billeteure, beauftragt zu sein, alle bei einer rückwärtigen Türe nach Beginn der Vorstellung einlassen zu dürfen. Wird dann, wie dies vorkam, nach Schluss der Ouvertüre das Haus nicht beleuchtet, so ist es möglich, die angesammelten Zuspätgekommenen im Finsteren auf ihre Plätze tasten zu lassen. Häufig wird der Beginn der Vorstellung viel zu bald angeläutet, worüber sich der Büffetinhaber zu Recht beschwert. Unmöglich ist auch der Zustand, dass das Festspielpublikum im Foyer eine Art Spießrutenlaufen durchzumachen hat, weil dasselbe durch Neugierige besetzt ist. Das Publikum, welches die Festspielpreise bezahlt, hat ein Anrecht auf entsprechende Verkehrsformen im Hause. Die Heranziehung vifer, beweglicher Billeteure erweist sich als notwendig. Es macht einen schlechten Eindruck, wenn die diensttuenden Billeteure während der Pause rauchend im Publikum promenieren. Ebenso muss den Billeteuren bei Strafe der Entlassung verboten werden, Angehörige und Freunde ohne Karten zur Vorstellung zu lassen. Es ergab sich heuer in mehreren Fällen, dass nach Beginn der Vorstellung Angehörige und Freunde der Billeteure von diesen auf freie Plätze gewiesen wurden, sodass neben dem Gast, der 50 Schilling für seinen Platz bezahlte, die Frau des Billeteurs X breitspurig Platz nahm. Auch die Reinigung der Fenster im Stadtsaal ist durchaus kein Luxus, ebenso wenig wie blanke Türklinken. Auf die Übertretung des Rauchverbotes sei ebenfalls hingewiesen. Mehr Disziplin müsste auch bei der Statisterie durchzusetzen sein. Um an einen Vorfall zu erinnern  : Die »Räuber« benahmen sich beim Warten auf ihren Auftritt im Gange hinter der Bühne wirklich naturgetreu. Wir schlagen vor, dass nach dem Muster des Mozarteums zwei bis drei Herren mit der Hausverwaltung ehrenamtlich betraut werden. Was die Ausnützung des Hauses betrifft, so sehen wir ohne Weiteres ein, dass die gegenwärtige finanzielle Lage dazu zwingt, einen Ball ebenso wie eine Volksversammlung hereinzunehmen.

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Trotzdem sei darauf hingewiesen, dass unter der fortgesetzten Profanierung des Hauses dessen Einschätzung zum Nachteil der Festspiele leidet. Hinsichtlich einer würdigen Ausnützung des Hauses wäre auch mit dem Stadttheater Fühlung aufzunehmen. Mit allem Nachdruck wollen wir darauf verweisen, dass wir zu einer gewissen »Kleiderdisziplin« kommen müssen. In diesem Belang mussten heuer Vorfälle festgestellt werden, die zur schärfsten Kritik herausfordern. Waren es doch in vielen Fällen Freikartenbesitzer, die in den vordersten Parkettreihen mit Knie- oder Lederhosen, offenem Hemd und grünem Janker saßen. Wir haben es nicht notwendig, das mühsam erworbene Ansehen der Festspiele durch derartige Rücksichtslosigkeiten untergraben zu lassen. Hier darf vor niemandem Halt gemacht werden, auf die Gefahr, dass es da oder dort Auseinandersetzungen gibt. Auch das diensttuende Personal hat, soweit es sich im Zuschauerraum bewegen muss, in entsprechender Kleidung zu erscheinen. Den Firmen, welche Programm und Textbücher verkaufen, wäre aufzutragen, dass die Verkäufer in würdiger Kleidung zu erscheinen haben. In keinem Wanderzirkus läuft der letzte Manegenreiniger so herum wie heuer die Textbuchverkäufer im Foyer und im Stadtsaal. Auch die auswärtigen Festspielbesucher müssen durch geeignete Verlautbarungen ersucht werden, die Würde der Festspiele durch entsprechende Kleidung zu wahren. Die Presse hat bereits diese unmöglichen Zustände in wiederholten Fällen aufgegriffen. Eine Münchner Zeitung schreibt  : »Ein paar Worte über das Publikum der Festspiele. Es war das einzig völlig Ungenießbare. Damen und Herren kommen in den unmöglichsten Anzügen. Es war das größte Konglomerat an Garderoben, das man sich vorstellen kann, wie bei einer Nachmittagsvorstellung in einem Volkstheater, aber nicht wie bei Festspielen.« Ähnlich äußern sich auch Wiener und deutsche Blätter der Tschechoslowakei. Wir schlagen daher vor, schon jetzt Beschlüsse über die Regelung der »Kleiderdisziplin« zu fassen und, soweit wie möglich, auch mit der Erziehungsarbeit in dieser Hinsicht zu beginnen. Im Zusammenhange damit wollen wir daran erinnern, dass die Vermietungsangelegenheit Hofstätter einer Revision zu unterziehen ist. Wenn nicht sehr gewichtige Gründe dafür sprechen, dieses Büro im Hause zu belassen, wäre das Mietverhältnis abzubrechen und die Räume dieses Büros, die schon zufolge ihrer Lage im ersten Stockwerk einen besonderen Wert für uns haben, in eigene Benützung zu nehmen. Schließlich sei auf unsere, bei dem gegebenen Zustand des Hauses, erhöhte Verantwortung wegen der Panikgefahr (auch Feuergefahr) entsprechend hingewiesen. Vorfälle, wie sich heuer bei der Transferierung des »Jedermann« vom Domplatz in das Haus ergaben, dürfen keineswegs vorkommen. Es war nur dem Entgegenkommen einer Salzburger Redaktion zu danken, dass eine Zeitungspolemik unterblieb, die an Schärfe und Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließ. Die Leitung des Pressebüros musste in zwei Fällen mit allem Nachdruck bitten (ein deutsches und ein

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ungarisches Blatt), uns nicht durch Veröffentlichung dieses Vorfalles schwerstens zu schädigen. Wegen ein paar tausend Schillingen dürfen die Festspiele nicht derart in Gefahr gebracht werden. Geeignete Maßnahmen sind bereits jetzt zu beschließen. Freikarten Wenn auch in den letzten Jahren die Klagen über die Führung der Freikartenausgabe geringer geworden sind, so ließe sich auf diesem Gebiete sicherlich noch manches zum Besseren ändern. Es allen recht zu machen, wird natürlich nie und niemandem gelingen. Um einen möglichst genauen Überblick über alle Fragen auf diesem Gebiete zu erhalten, wäre schon jetzt mit der Leitung der namhaftesten europäischen Festspiele eine informative Korrespondenz aufzunehmen. Das Pressebüro, welches heuer sich die notwendigsten Informationen beschaffte, konnte manchen Anspruch auf ein erträglicheres Maß herabmindern, ohne dass berechtigte Beschwerden über geringes Entgegenkommen erhoben werden konnten. Nach Erhalt der oben erwähnten Informationen wären sofort die Beratungen über eine Verbesserung der Freikarten-Manipulation aufzunehmen. Schließlich empfehlen wir auch, im Wege eingehender Information festzustellen, welcher Usus bei der Freikartenausgabe gegenüber einem einzelnen Künstler an den verschiedenen Theatern gehandhabt wird. Im Engagementvertrag könnte dann dieser Anspruch zur Vermeidung späterer Differenzen festgelegt werden. Leitung Wir legen Wert darauf, dass die Leitung in den Händen des Ausschusses bleibt und nicht beim Präsidium allein. Dem Ausschuss muss jederzeit ohne passive Resistenz die Möglichkeit geboten sein, in alle wesentlichen Geschäftsfälle ohne jeweiliges Drängen Einblick nehmen zu können. Die Beschlüsse des Ausschusses müssen unbedingt richtunggebend für die Geschäftsführung sein. Die Zweiteilung der Leitung in ein Kuratorium und den Aufsichtsrat hat sich eigentlich nicht bewährt. Vorteilhafter und beweglicher erscheint uns ein gemeinsamer Ausschuss, welcher sich in kleine Unterausschüsse teilt (Finanzen, Repräsentation, technische Angelegenheiten der Festspiele, Festspielleitung, Hausverwaltung, Propaganda). Der Kunstrat wäre in der bisherigen Form zu belassen. Persönliche und Geschäftsinteressen sind mit dem Mandat eines Ausschussmitgliedes unvereinbar. Wir schlagen weiters eine Heranziehung prominenter Persönlichkeiten des Auslandes für das Kuratorium vor. Geeignete Beschlüsse wären in Kürze zu fassen.

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Aufgrund der bisherigen Erfahrungen wäre eine jedes Detail erfassende Geschäftsordnung auszuarbeiten, die Arbeit entsprechend zu verteilen und die administrative Führung mit aller Offenheit in die Wege zu leiten. Den für die einzelnen Sparten gewählten Referenten wäre der Postein- und auslauf zur Gegenzeichnung vorzulegen. Dies lässt sich bei gutem Willen sicherlich ohne Zeitverlust oder Behinderungen notwendiger Verfügungen durchführen. Der Ausschuss hätte eine Exekutive mit der Geschäftsführung zu betrauen, die aus dem Präsidenten, zwei Vizepräsidenten, dem Finanzreferenten und einem Schriftführer besteht. Der Finanzreferent hat die Kassagebarung unausgesetzt vom Gesichtspunkt größter Sparsamkeit zu überwachen. Gegen sein Veto darf keinerlei Auszahlung erfolgen. Überschreitungen des Voranschlages sind so rasch als tunlich dem Ausschuss zur Kenntnis zu bringen. Anträge von Ausschlussmitgliedern, die der geschäftsmäßigen Behandlung zugeführt werden sollen, müssen vom Referenten und vom Präsidium, eventuell unter Beiziehung des Antragstellers, geprüft werden. Von dem Ergebnis dieser Prüfung ist der Antragsteller, falls er der Durchberatung nicht zugezogen wurde, ehestens zu verständigen. Mit allem Nachdruck halten wir daran fest, dass die Salzburger Festspiele künstlerisch-gesellschaftliche Veranstaltungen sind. Gerade dadurch unterscheiden wir uns von den Festspielen an anderen Orten. Wir sehen in der Pflege der gesellschaftlichen Beziehungen zu prominenten Besuchern der Festspiele eine Voraussetzung für deren günstige Weiterentwicklung. Diese gesellschaftliche Betreuung hat selbstverständlich – und dies ist möglich – ohne Aufdringlichkeit zu geschehen. Nach den Erfahrungen vergangener Jahre sind zur Erfüllung dieser gesellschaftlichen Verpflichtungen alle Mitglieder der Leitung heranzuziehen. Der Kreis der Mitwirkenden für die gesellschaftlichen Verpflichtungen ist erforderlichenfalls durch Heranziehung von Persönlichkeiten, die außerhalb der Festspielleitung stehen, zu erweitern. Hierdurch würde auch die Vertiefung des Festspielgedankens in der Bevölkerung Salzburgs gefördert. Wir verweisen darauf, dass gerade die gesellschaftlichen Veranstaltungen vielfach dazu beigetragen haben, die Schaffung des Mozarteums zu fördern. Wir empfehlen auf das Angelegentlichste eine engere Anlehnung an das Mozarteum und auch engste Fühlungnahme mit allen maßgebenden Faktoren des Fremdenverkehres. Die rigorose Behandlung aller aufgeworfener Fragen erscheint uns umso wichtiger, als, wie uns bekannt ist, bereits gegenwärtig außenstehende Kräfte in mehr oder minder erkenntlicher Form Aktionen vorbereiten, die darauf abzielen, eine Erörterung derselben in der nächsten Generalversammlung vorzunehmen.

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Im Interesse der Sache erscheint es uns geboten, durch rasches Handeln die Ursachen der bestehenden Missstimmung abzubauen. Es ist zweifellos, dass durch eine zweckmäßigere und straffere geschäftliche Organisation das chronische Defizit vermindert werden kann. Ebenso sicher aber ist, dass künstlerisch Erstklassiges der Unterstützung der öffentlichen Faktoren bedarf. Diese Unterstützung wird umso nachdrücklicher verlangt werden können, je mehr die administrative Durchführung der Festspiele einwandfrei arbeitet. Gute Verwaltung in Verbindung mit künstlerisch erstklassigen Darbietungen ist die Voraussetzung des sich außerhalb der Festspiele auswirkenden wirtschaftlichen Erfolges. Dieser wird uns dann auch die in Salzburg notwendigen Sympathien wieder zurückgewinnen. Bauernfeind,3 Gehmacher, Ginzkey,4 Dr. Haustein, Hofmann-Montanus, Holter, Dr. Jenal, Tomaselli, Messner, Dr. Neuhardt, Paumgartner,5 Dr. Reiter, Dr. Stemberger, Dr. Springer.

3 Mit dem Vermerk  : Mit den vorstehenden Ausführungen bin ich im überwiegenden Maße einverstanden. Ich muss aber dagegen protestieren, dass zu diesen Besprechungen nur zwei Herren des Aufsichtsrates beigezogen worden sind, und ich bin der Anschauung, dass auch die anderen Mitglieder des Aufsichtsrates beigetragen hätten, verschiedene andere Missstände vorzubringen. Deshalb lässt sich der üble Eindruck, dass man absichtlich nur Herren zu diesen Sitzungen geladen hat, die genehm sind, nicht verwischen. 4 Mit dem Vermerk  : Zur Kenntnis genommen. 5 Mit dem Vermerk  : Mit dem Ersuchen um Aufklärung wegen des Punktes betreffend heimische Künstler.

Dokument Nr. 12  : Randglossen zur Salzburger Festspielfrage (Frühjahr 1929, Verfasser anonym)1 Streng vertraulich  ! I. D e r F a l l R e i n h a r d t In der letzten Sitzung der Leitung der Festspielhausgemeinde am 19. Jänner 1929 verkündete der Generalsekretär Dr. Kerber den Mitgliedern des Aufsichtsrates und des Kuratoriums folgenden Entschluss Prof. Max Reinhardts  : Prof. Reinhardt sei für die heurigen Festspiele nur entschlossen, seinen Namen für die Inszenierung des »Jedermann« zu leihen. Von einer weiteren Mitwirkung seiner Person für die heurigen Festspiele müsse abgesehen werden. Er lehne es ab, ohne Bereitstellung höherer Mittel nochmals eine Neuinszenierung zu leiten. Auch seine Mitwirkung beim »Jedermann« würde er für den Fall zurückziehen, dass ein anderes Schauspielensemble im Festspielhaus oder auf dem Domplatz gastieren würde. Mit einem Gastspiel des Josefstädter Theaters (als seiner Bühne) im Stadttheater sei er natürlich einverstanden. Es erscheint uns notwendig, diesen Entschluss Prof. Reinhardts ohne jede persönliche Voreingenommenheit, jedoch im höchsten Interesse des Weiterbestandes der Festspiele in seinen Beweggründen und Folgen zu untersuchen, was im Folgenden kurz unternommen werden soll. Der Zweck von Reinhardts Entschließung hat entweder seinen Grund in einer gewissen Festspielmüdigkeit des Künstlers oder in der Tatsache, den heuer abgebrochenen Verhandlungen bezüglich der Übernahme der Festspiele durch ein Konsortium, an dessen Spitze er stünde – wenigstens als künstlerischer Leiter –, für die Zukunft größeren Nachdruck zu verleihen. Von der zweiten Möglichkeit, die weniger plausibel erscheint, wäre vorläufig abzusehen. Die Frage, ob es für die Zukunft opportun wäre, die Festspiele einem auswärtigen, finanziell orientierten Konsortium anzuvertrauen, muss davon getrennt behandelt werden. Wichtiger erscheint eine Untersuchung der ersten Möglichkeit. Zweifellos bedeutet der Rückzug Prof. Reinhardts von den Salzburger Festspielen für deren Zukunft eine überaus empfindliche Schädigung, die nicht früh und energisch genug abgewehrt werden kann. Wir versuchen, die möglichen Gründe darzustellen. Vor Beginn der Festspiele, etwa um das Jahr 1920, stand der Ruf Max Reinhardts als europäischer fest. Der Gewinn seiner Person für Salzburg, gekrönt durch den grandiosen Erfolg der Uraufführung des »Jedermann« vor dem Dom, bildet die größte Aktivpost der Festspielbewegung bis zum heutigen Tage. Salzburg hat gewiss allen Grund, Prof. Reinhardt für diese Tat, für den »Jedermann«, der auch heute 1 SLA Rehrl FS 0005/20. Der anonyme Verfasser stammt wahrscheinlich aus dem Kuratorium.

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den aktiven Grundpfeiler des Festspielprogrammes bildet, dankbar zu sein. Andererseits steht aber auch der Salzburger »Jedermann« am Anfange des Weltruhmes Max Reinhardts. Ja, man darf sogar behaupten, dass die eigentümliche Verbindung mit Salzburg Reinhardts Stellung in Amerika geradezu begründet hat. Dem Leiter des Deutschen Theaters in Berlin allein wäre, bei aller europäischen Berühmtheit, drüben doch nicht geglückt, was dem schauspielerischen Großmeister der Salzburger Festspiele in erstaunlichem Aufstiege möglich geworden ist. Der Amerikaner braucht zur vollsten Anerkennung überseeischer Berühmtheit eine Art europäischer Romantik, die er drüben nicht erstellen kann. Diese romantische Repräsentation bot sich Prof. Reinhardt in Salzburg mit unglaublicher, für den amerikanischen Snobismus noch farbiger als für den Europäer wirksamen Eindringlichkeit  : Die geheimnisvolle Verbindung mit dem uralten Zauber und den Wundern der katholischen Kirche, das Spiel vor dem historischen Dome, die freundliche Geneigtheit des Salzburger ehrwürdigen Kirchenfürsten, die Glocken, der ganze Zauber der Salzburger Architektur und Landschaft, die Möglichkeit, als Schlossherr des erzbischöflichen Schlosses Leopoldskron zu repräsentieren und dort die Spitzen der neuen Welt in einer Umgebung voll historischer Weihe zu empfangen, die auch den Reichsten drüben unerreichbar bleiben muss, diese und noch viele andere Möglichkeiten glanzvoller Einrahmung seiner bezwingenden künstlerischen Persönlichkeit hatten sich Prof. Reinhardt durch seine Verbindung mit Salzburg erschlossen. Ein Teil der im Laufe der Jahre zur Aufführung gebrachten Stücke neben dem »Jedermann« (Welttheater, Turandot, Sommernachtstraum, Mirakel) mag sich zudem noch als Generalproben größten Stils für Amerika darstellen. Die amerikanischen Manager (M. Guest, Kahn etc.) waren anwesend, nahmen an, lehnten ab  ; ein Teil der genannten Stücke ist tatsächlich nach Amerika gegangen. Der Misserfolg der »Turandot«, die nicht einmal im Berliner Deutschen Theater weiterlief, brachte eine merkliche Abkühlung, für die Salzburger Festspiele durch Nicht-Übernahme der Dekorationen und Kostüme seitens des Deutschen Theaters – wie ursprünglich gedacht – auch eine finanzielle Einbuße. An die Inszenierung der »Räuber«, die für »drüben« keine Aussicht hatte, ist Prof. Reinhardt erst nach langem Weigern und mit ersichtlicher Unlust geschritten. Denn inzwischen hatte sich drüben sein Ruhm fest begründet, glänzende Verträge waren abgeschlossen worden, Salzburg und Reinhardt waren in Amerika ein festverschmolzener Begriff geworden, man drängte sich in den Kreisen der oberen Zehntausend New Yorks, im Sommer zu Leo­poldskron empfangen zu werden  ; auch Salzburgs Ruf hatte sich durch Reinhardts Kunst wie ein Schlagwort in Amerika festgesetzt. Fazit  : ein glänzendes Geschäft für beide Teilnehmer, Reinhardt und Salzburg, jeder dem anderen zu Dank verpflichtet, aber buchmäßig sozusagen null zu null aufgehend. Reinhardt ist bei all seiner tiefen Künstlerschaft als guter Rechner und mit einem untrüglichen instinktiven Spürsinn begnadet, zudem besitzt er in seinem Bru-

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der und geschäftlichen Kompagnon einen Geschäftsmann allerersten Ranges. Ein Schauspieler, der Max Reinhardt nicht mehr interessiert, wird ohne Sentiment, aber unfehlbar und kühl abgebaut. Ebenso dürfte es jetzt mit den Salzburger Festspielen in der Psyche Prof. Reinhardts beschaffen sein. Die »besonderen Mittel zur Inszenierung«, die Prof. Reinhardt als letzte Bedingung forderte, mit anderen Worten, die genügenden Mittel für eine jener glänzenden Generalproben – da intime Stücke mit weniger Ausstattungskosten für drüben nicht in Betracht kommen – kann Salzburg nicht mehr beistellen. Wir wissen, dass Reinhardt für Amerika eine ganz neue Pantomime von Hofmannsthal vorbereitet. Aber es fällt ihm nicht mehr ein, dieses für drüben sichere Stück zur Uraufführung in Salzburg anzubieten. Nicht einen Augenblick wird diese Möglichkeit erwogen. Man braucht Salzburg nicht mehr dazu, es kann also billig fallen gelassen werden. Als letzter Trost bleibt Reinhardts Name auf dem Theaterzettel der »Jedermann«-Aufführung, aber daneben ist strenge Bedingung, dass kein anderes Ensemble es wagen dürfe, im Festspielhaus oder auf dem Domplatz mit dem »Jedermann« in Konkurrenz zu treten, also geschickte Sicherung des Rückzuges einer großen und erfolgreichen Armee. Die vielen steinreichen Unternehmer und Mäzene, die im Sommer Reinhardts Salzburger Heim bevölkerten, haben für die Festspiele nicht einen Dollar zurückgelassen, aber dafür sehr günstige Amerika-Verträge mit dem Hausherren abgeschlossen. Nebenbei sei noch erwähnt, dass Prof. Reinhardt in vielen Gesprächen durchblicken lässt, er fühle sich sozusagen von Salzburg schlecht behandelt, und dies sei der Grund, warum er das Interesse an Salzburg verlöre. Es muss zugegeben werden, dass sowohl die Salzburger wie auch die Salzburger Presse, namentlich die nationalsozialistische Hetzfuchtel, mit Reinhardt nicht immer glimpflich umgegangen sind. Jedoch war Reinhardt in früheren Tagen, als Salzburg ihm noch mit Glück diente, niemals so unklug, daraus eine sentimentale Ursache zum Rückzug zu machen. Es bleibt also die Untersuchung, welche Schritte vonseiten Salzburgs zu unternehmen wären, die Erstarrung auf dem schauspielerischen Gebiete der Festspiele abzuwehren, die diesen durch das Desinteressement Max Reinhardts sehr bedenklich droht. Den Künstler mit schönen Bitten und Reden zu gewinnen, muss jedem aussichtslos erscheinen, der Max Reinhardts Bewusstheit und Geradlinigkeit in allem, was seinen künstlerischen Aufstieg betrifft, genügsam kennt. Man dürfte hier weder mit Romantik, noch mit Sentiment auch nur einen Schritt weiterkommen. Die Mittel, die Reinhardt für eine neue Inszenierung verlangt, sind angesichts der augenblicklichen finanziellen Lage nicht beizustellen. Es muss also daran gedacht werden, Reinhardt mit den Mitteln einer eindrucksvollen Konkurrenz an Salzburg zu fesseln oder für den Fall, dass er beabsichtigt, sich unweigerlich von Salzburg zurückzuziehen, zwar mit Tränen im Auge, aber doch ohne falsche Rührseligkeit für einen entsprechenden Nachwuchs zu sorgen. Jedenfalls muss bedacht werden, dass eine Verschleppung des blutarmen Zustandes, wie er im Augenblicke mit dem

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traurigen »Jedermann«-Solo besteht, über diese Saison hinaus unbedingt vermieden werde. Die Leitung der Festspiele hat den Programmentwurf für die heurige Spielzeit erst vor wenigen Tagen dem Kuratorium und Aufsichtsrat zur Schlussfassung vorgelegt, obwohl seit Monaten darüber Zeit zu Beratungen gewesen wäre. Allein eine Einberufung von solchen Sitzungen ist nie erfolgt. Wie bisher immer sind die beiden nach außen verantwortlichen Körperschaften dadurch in die Zwangslage versetzt worden, zu einer, im mildesten Falle, erbarmungswürdigen Halbheit Ja und Amen zu sagen. Das in Vereinbarung mit Mitgliedern des Kunstrates in Wien zusammengestellte Programm ist wohl das Letzte, in der internationalen Welt für die Salzburger Sache Animo zu machen, ein Bequemlichkeitsprodukt ersten Ranges, zum größten Teile uninteressant und in geradem Widerspruche zu dem, was uns die große ausländische Presse mit berechtigten Vorwürfen als verbesserungswürdig hinstellte. Eine radikale Abänderung ist im Augenblicke nicht mehr möglich, man wird eben die alten Schuhe notdürftig ausflicken müssen, um einigermaßen Hoffnungen auf die heurige Spielzeit fassen zu können. Eine Fortsetzung der flauen Richtlinien des Kunstrates in das Jahr 1930 hinein müsste die Salzburger Festspiele unweigerlich zugrunde richten. Daher wäre eine Beratung der Richtlinien für die übernächste Spielzeit schon vor Beendigung der heurigen aus dem Grunde einer Fühlungnahme mit den sommerüber in Salzburg weilenden Künstlern dringend geboten. Eine Neuorganisation des schauspielerischen Teiles der Festspiele bedarf mit Rücksicht auf die Haltung Reinhardts besonderer Sorgfalt. Als österreichisches Stück hoher Qualität, geeignet, vor dem Dom gespielt zu werden, ist das »Nachfolge-Christi-Spiel« von Max Mell, im Spielplan des Wiener Burgtheaters stehend. Jessner, der Leiter des Berliner Staatstheaters (Schauspiel), stellt andererseits die größte Konkurrenz Max Reinhardts, auch als Regisseur durch seine berühmten Inszenierungen dar, und besitzt die ungeheure Ambition eines mit Gewalt auftretenden Künstlers. Diese zwei Punkte wären bei der Neugestaltung des Festspielprogrammes ernstlich zu beachten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass gerade durch Verhandlungen mit dem Wiener Burgtheater einerseits – das zwar nicht als Ensemble, jedoch durch das erwähnte Stück eine starke Konkurrenz darstellt –, auch wenn an einen ernstlichen Vertragsabschluss vorläufig nicht gedacht wird, Prof. Reinhardt allein bewogen werden könnte, Salzburg wieder ein erhöhtes Interesse zuzuwenden. Denn es muss besonders festgestellt werden, dass Reinhardt in allen Fällen immer noch der weitaus stärkste Magnet für die Zukunft der Salzburger Festspiele bilden würde und dass auch aus Gründen der Dankbarkeit, Tradition und Zugehörigkeit ein Bruch mit diesem großen Künstler das letzte Mittel sein dürfte, die Salzburger Festspiele vor einer drohenden Verödung zu retten.

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II. Die Programmgestaltung der Salzburger Festspiele Von verschiedener, auch maßgebender Seite, namentlich aus Kreisen, die zwar dem Wirtschaftsleben, nicht aber den praktischen Erfordernissen des Theaterbetriebes nahestehen, sind der Leitung der Salzburger Festspielhausgemeinde wiederholt Vorwürfe gemacht worden, deren Tenor sich mit einer mangelhaften Wirtschafts- und Propagandaführung des Betriebes befasst und hauptsächlich darin die Ursache des jährlich steigenden Defizites zu erblicken glaubt. Wenn diese Vorwürfe in manchen Dingen auch den Nagel auf den Kopf treffen, so irren sie doch in der Schlussfolgerung  : Die wesentlichen Gründe des Defizites sind woanders zu suchen, wie im Folgenden ausgeführt wird. Auf die Vorwürfe wirtschaftlich-administrativer Natur kann an dieser Stelle nur im Zusammenhang mit dem eigentlichen Thema eingegangen werden. Zu diesem aber muss zu Anfang Folgendes prinzipiell festgestellt werden  : Ein regelmäßiger Weiterbetrieb der Festspiele in dem einmal zur Norm gewordenen Umfang ohne nennenswertes Defizit muss jedem derzeit ausgeschlossen erscheinen, der mit den Einzelheiten des praktischen Theaters halbwegs vertraut ist. Es muss jedoch erwogen werden, wie ein solches Defizit auf das zulässige Maß herabgesetzt werden kann, sodass ein für die Wirtschaft des Landes wohltuender Ausgleich zwischen deren Leistungen für die Festspiele und dem wirtschaftlichen Nutzen derselben für Salzburg gewährleistet bleibt. Wie stark ein auf künstlerischer Ebene gestellter Theaterbetrieb auf Unterstützung von auswärtiger Seite angewiesen ist, beweisen die namhaften Subventionen, die alljährlich von den größeren und auch kleineren Städten des Deutschen Reiches ihren Theaters gewährt werden. (Gegenbeispiel  : die Wiener Volksoper, die trotz Interesses des Publikums mangels einer Unterstützung seitens der Gemeinde Wien zugrunde geht.) Dabei haben jene Bühnen keineswegs unter mangelhaftem Besuch zu leiden. Durch zweckmäßige Publikumsorganisation ist dort überall Vorsorge getroffen, dass jedes neu inszenierte Stück mindestens 5- oder 6-mal bei ausverkauftem Hause gespielt werden kann. (Reklame, zweckmäßige Anlage der Abonnements, Theatergemeinden, Vorstellungen der Arbeiter- und Vereinsbühnen etc.) Durch solche Einrichtungen erscheint wenigstens ein Teil der Kosten für Neuanschaffungen bei Premieren a priori gedeckt. Gegenüber den Salzburger Festspielen belaufen sich diese Kosten auch dadurch geringer, dass jedes ständige Theater bereits über einen reichlichen Fundus (Dekorationen, Kostüme etc.) verfügt, der bei Neuinszenierungen mitverwendet werden kann. Die Salzburger Festspiele müssen fast für jedes neue Stück den ganzen Fundus auswärts mit bedeutenden Kosten neu herstellen lassen. (Selbst wenn das eine oder andere Stück der älteren Dekorationen noch zu verwerten wäre, erscheint es durch die höchst mangelhafte Aufbewahrung bei genauerem Nachsehen unbrauchbar und muss mit größerem Aufwand wiederhergestellt werden.). Die ursprünglich – mit wenig Weitblick – nur für das Mysterienspiel herge-

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richtete Bühne des Festspielhauses offenbart angesichts der begreiflichen Ansprüche des Regiestabes jedes Mal wieder solche Mängel, dass sich die Adaptierungsauslagen für jedes neue Stück unverhältnismäßig hoch stellen. Einrichtungen, die jedes kleinere Theater als selbstverständlich bereits besitzt, müssen bei uns von Fall zu Fall neu geschaffen und in den mangelhaften Bühnenapparat mühsam eingebaut werden. Dazu kommen noch die Mehrkosten, die allen hier mitwirkenden Künstlern (Solisten, Chor, Orchester) als Gästen präsentiert werden müssen, sodass selbst die erhöhten Eintrittspreise keine entsprechende Deckung gegenüber den außerordentlichen Auslagen gewähren können. Das von der Welt geforderte besondere künstlerische Niveau der Salzburger Festspiele muss zudem preiserhöhend auf die Gesamtkosten der Herstellung (Sorgfalt, Material der Ausstattung, Kosten der künstlerischen Vorbereitung etc.) einwirken. Demgegenüber steht die Anziehungskraft der Salzburger Festspiele auf ein im Allgemeinen noch halbwegs vermögendes Weltpublikum und die relativ kurze Spieldauer, durch welche wiederum ständige Lasten der Repertoiretheater (Feriengehalte, soziale Lasten etc.) verschoben werden. Eine einfache Erwägung dieser Plus- und Minuskomponenten im Wirtschaftsbetrieb der Salzburger Festspiele führt zu folgendem Resultat  : Unter möglichster Herabsetzung der Erstehungskosten – bei entsprechender Wahrung der künstlerischen Höhe – muss vor allem getrachtet werden, die wesentlichste Aktivpost, die Anziehungskraft der Festspiele auf das Publikum, möglichst zu erhöhen, um endlich zu einem halbwegs rentablen Resultat zu gelangen. Die Anziehungskraft auf ein internationales Publikum wird geschaffen  : durch gute, einzigartige Vorstellungen in hervorragender Darbietung unter Mitwirkung allererster Kräfte sowie durch eine der Eigenart der Salzburger Festspiele und ihrer Weltbedeutung sorgfältigst angepasste Auswahl der Programme. Was die ersten zwei Punkte anbelangt, muss bei objektiver Beurteilung zugestanden werden, dass die Salzburger Festaufführungen die Erwartungen eines hochgespannten internationalen Publikums nicht immer voll erfüllt haben – was namentlich auch in der ausländischen Presse des vorigen Herbstes oft und unzweideutig zum Ausdruck gekommen ist  : Nur der »Jedermann«, der alle obigen Forderungen (Darstellung, Einzigartigkeit, Gesamtleistung etc.) im vollsten Maße erfüllte, hat, wie aus den Kassaberichten ersichtlich, seine alte, unverbrauchte Anziehungskraft sich voll erhalten. Alle anderen dramatischen und einige konzertante Aufführungen boten irgendwo schwache Punkte, die zu bemängeln eine uns nicht übermäßig wohlgesinnte Presse natürlich mit Freuden aufgriff. Namentlich die »Zauberflöte« hat in breiten Kreisen des Publikums enttäuscht. (Falsch wäre auch eine Taktik, wie sie bei uns leider gepflegt wird, durch Schönfärberei der Wahrheit aus dem Wege zu gehen und Erfolge dort zu suchen, wo sie nicht gewesen sind. Der Zukunft der Festspiele wird dadurch nicht genützt.)

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Wir müssen uns auch über Folgendes im Klaren sein  : Hätte nicht das gute Sommerwetter eine so hohe Zahl von einträglichen Aufführungen des zugkräftigen »Jedermann« auf dem Domplatz gestattet, das Defizit der heurigen Festspiele wäre erschreckend geworden. So sind wir, sozusagen mit Gottes Hilfe, noch mit einem blauen Auge davongekommen. Die Fehler dieses Jahres wirken sich im nächsten aus. Werden sich also die oben gestreiften Mängel der Aufführungen schon heuer irgendwie fühlbar machen, dürfte sich die von Jahr zu Jahr flauere Gestaltung des Programmes im Besuche der kommenden Festspiele noch stärker auswirken. Was in dieser Beziehung bereits im Vorjahre, noch mehr aber heuer versäumt wurde, muss dem Fachmann so bedenklich erscheinen, dass er nur mit angstvollen Blicken der kommenden Spielzeit entgegensehen kann. Die Öffentlichkeit wird dem Kuratorium der Festspielhausgemeinde den Vorwurf einer gewissen Pflichtversäumnis nicht vorenthalten. Die Gründe aller Fehler scheinen mir jedoch nicht in einer Lässigkeit dieser Körperschaften zu liegen, die lediglich aus Pflichtgefühl nicht demissioniert, sondern im Zwange der Ereignisse eine Verantwortung zu übernehmen, für die sie nicht gutstehen kann. Wo der wahre Grund der durchaus mangelhaften Programmgestaltung liegt, soll im Folgenden kurz erläutert werden. Nach dem Statut der Festspielhausgemeinde hat der sogenannte Kunstrat (Reinhardt, Strauss, Schalk, Hofmannsthal, Roller) die Programme zu entwerfen, das Kuratorium lediglich seine Zustimmung dazu zu geben. Kaum einmal seit Bestand der Festspiele ist der Kunstrat wirklich zusammengetreten. Ein Programmbeschluss desselben im Sinne der Statuten ist nie zustande gekommen. Die Tätigkeit des Kunstrates besteht in Wirklichkeit darin, dass der Präsident oder der Generalsekretär der Festspielhausgemeinde sich fallweise bei einem der genannten Herren – meist ist es Schalk oder Hofmannsthal – einen Rat oder Vorschlag holt, der subjektiv, ohne Zusammenhang mit den lebendigen Forderungen Salzburgs, oft mit Persönlichem vermengt, abgegeben wird. Strauss und Roller sind an Salzburg fast völlig desinteressiert, Reinhardt ist den größten Teil des Jahres nicht, und wenn, dann nur unter größten Mühen und meist ohne konkretes Resultat zu erreichen. Während nun der Präsident oder Generalsekretär ständig auf Reisen sind, um sich »Rat zu holen«, tritt das Kuratorium nie zusammen, um in Ruhe über die Zukunft sprechen zu können  ; alle Versuche, vom Präsidium eine regere Tätigkeit des Kuratoriums zu erzielen, blieben erfolglos  ; im letzten Augenblick wird dasselbe vor ein fait accompli gestellt  ; die Zeit ist so vorgerückt, dass eine Umgestaltung des Programmvorschlages nicht mehr möglich ist  ; kleine Verbesserungen bleiben schließlich nur eine wohlwollende Augenauswischerei. Was bleibt dem Kuratorium übrig, als in dieser Zwangslage Ja und Amen zu sagen, wenn es nicht durch Ablehnung des Programmvorschlages einen unheilbaren und verderblichen Zwist in die Festspielhausgemeinde hineintragen will  ?

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Das Nicht-Funktionieren des Kunstrates ist zum Teil schuld, dass wir im März (!) noch kein Programm in die Welt gesendet haben  ; die einseitige Einstellung der wenigen Mitglieder des Kunstrates, die dem fachmännisch nicht orientierten Präsidium den heurigen matten Programmvorschlag erstellten, kann für die Zukunft der Festspiele nicht ohne Folgen bleiben. Eine Betrachtung der Programme der abgelaufenen Jahre zeigt eine immer mehr zunehmende Verflachung und Einseitigkeit, die einerseits in der zu starken Verbindung mit Wien und dessen Sonderinteressen, andererseits in der besonderen Einstellung der aktiven Mitglieder des Kunstrates zu suchen ist. Bei aller Verehrung der Bedeutung der Persönlichkeit aller Mitglieder des Kunstrates muss doch festgestellt werden, dass alle diese in der Spätreife ihrer Jahre und Leistungen stehen und in dem Kunsttreiben unserer Zeit rückgewandt erscheinen, während gerade für Salzburg der Zustrom jüngeren Blutes und die Wahrung der spezifischen Forderungen der Eigenart der hiesigen Festspiele unerlässlich sein dürfte. Besonders der in Wien ausgearbeitete Programmvorschlag für die kommende Spielzeit stellt sich – trotz der deutlichen Warnungen der internationalen Presse – wohl als die schwächste Auflage der bisherigen Dekadenz dar  : a) Jedermann  : bekannt und noch immer zugkräftig, bestimmt nicht aus dem Repertoire zu streichen. Doch erschiene die Neugestaltung eines ähnlichen Stückes (auf dem Domplatz) – etwa das »Nachfolge Christi Spiel« von Max Mell – durch Reinhardt unerlässlich, um im Bezug auf diese Sonderart der Salzburger Festspiele (Mysterienspiel, Domplatz) wieder etwas völlig Neues zu leisten. Der Vorschlag Hofmannsthals, sein »Welttheater«, das hier keinen wesentlichen Erfolg hatte, im Reitschulhof neu gestaltet zu bringen, wurde in bedrohlicher Weise diskutiert. Der Misserfolg Hofmannsthals, die Verfilmung von Konnersreuth mit Reinhardt unter Mitwirkung von Lillian Gish durchzusetzen, zeigt den praktischen Blick, aber auch die Unbedenklichkeit der Amerikaner vor großen Namen.2 Denn auch diese können in einem oder dem anderen Versuche irren. Nur muss der Unternehmer – in unserem Falle die Salzburger Festspiele – die objektive Freiheit behalten, ohne Furcht vor Verstimmungen u. a. Missglücktes abzulehnen, auch wenn es sich um ein prominentes und überaus verdientes Mitglied des eigenen Kunstrates handelt. Es will in diesem Zusammenhang nur auf die Gefahr hingewiesen sein, in die der wirtschaftliche Erfolg der Festspiele aus obigen Gründen ständig verstrickt ist. Der Österreicher

2 Reinhardt hatte Lillian Gish in Hollywood gesehen und war entschlossen, ihr die Rolle der Therese Neumann, des Bauernmädchens aus Konnersreuth, das jeden Freitag in Ekstase fiel und die Wundmale Christi zeigte, aus denen sie blutete, in dem von ihm geplanten (Stumm-)Film anzubieten. Für die männliche Hauptrolle wünschte er Michael Tschechow. Lillian Gish verbrachte auf Einladung Reinhardts den Festspielsommer 1928 in Leopoldskron, um das Filmmanuskript kennenzulernen. Auch der Filmproduzent Joseph Schenck hielt sich auf Einladung Reinhardts in Leopoldskron auf.

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neigt aus Liebenswürdigkeit und Angst vor Konflikten allzu leicht zu unbrauchbaren Kompromissen. b) Fidelio  : Leider eine schon etwas abgebrauchte Wiederholung. Schalk als Beethoven-Dirigent allerdings ausgezeichnet und vorbildlich, allein er führte den »Fidelio« sowohl beim Gastspiel der Wiener Staatsoper in Paris wie kürzlich in Stockholm auf, sodass Schweden und Frankreich als Interessenten für eine Salzburger Aufführung dieser Oper nicht in Betracht kommen. Die Inszenierung durch Dr. Wallerstein hat hier keineswegs voll befriedigt. Einige Umgestaltungen, namentlich des letzten Bildes, wären unumgänglich erforderlich. c) Don Juan  : Neuinszenierung, daher sehr begrüßenswert. Allerdings ist Schalk als Mozart-Interpret lange nicht das, was er als Beethoven-Dirigent leistet. Außerdem ist »Don Juan« wie »Fidelio« in Paris und Schweden unter Schalk gespielt worden. Bruno Walter, der heuer leider nicht zu gewinnen war, wäre der berufene Kapellmeister für den »Don Juan« gewesen. Und für ein Salzburger Mozart-Festspiel darf prinzipiell nur das Beste ausgewählt werden. Auch steht in Frage, ob, namentlich bezüglich der kleineren Partien, eine durchaus gleichmäßige, erstklassige Besetzung der Oper möglich wird. Die vorjährige »Zauberflöte« hat wenigstens in dieser Beziehung manches zu wünschen übrig gelassen. d) Rosenkavalier  : Eine Zugoper, allerdings schon heute auf den kleinen deutschen Opernbühnen zur Aufführung gebracht, daher nicht als »Novität« oder Ereignis in Betracht kommend, was etwa eine Uraufführung eines Strauss’schen Werkes gewesen wäre. Irgendwie ein Verlegenheitseinschub mit verbindlicher Geste für Textdichter3 und Komponist. Wenn nicht Wien seine schon etwas abgebrauchte Inszenierung herleiht, teures Ausstattungsstück. Die Glanzrolle Richard Mayrs als Ochs von Lerchenau, die allerdings in Amerika ebenso wie in England und Frankreich durch Gastspiele des Künstlers sehr bekannt ist, kann vieles retten. e) Konzerte  : Bezüglich Programm und Dirigenten schweben derzeit noch Verhandlungen. Es ist der Versuch gemacht, das Programm ein wenig international zu gestalten, doch fraglich, ob die diesbezüglichen Anregungen in Erfüllung gehen werden. Auch ist nicht sicher, ob die Zugnummern unter den Dirigenten, mit denen Verhandlungen versprochen sind (Furtwängler, Richard Strauss, Mengelberg), wirklich zusagen. Wenn nicht, bleiben nach der Absage Bruno Walters nur Schalk und Clemens Krauss, was ein wenig dürftig und nicht zugkräftig genug für ein internatio­ nales Publikum, selbst für Deutschland nicht, genannt werden muss. Zusammenfassend muss demnach gesagt werden  : Dem heurigen Programme fehlt sowohl auf dem Gebiete der Oper wie auf dem des Schauspieles das richtige neue Zugstück. Was geboten wird, ist entweder in Salzburg oder andernorts schon abgespielt. Reinhardts Name erscheint nur in der Wiederholung des »Jedermann«, also 3 Hugo von Hofmannsthal.

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in untergeordneter Bedeutung, die Sensation einer Reinhardt-Premiere, wie sie noch im Vorjahre zur Diskussion stand, kommt für heuer nicht mehr in Betracht. Selbst wenn Reinhardt sich noch zu einer Neuinszenierung entschließen sollte, würde dieser Entschluss reklamemäßig wegen vorgeschrittener Zeit nicht mehr zur Auswirkung kommen. Schalk und Krauss als Operndirigenten bedeuten keine genügende Attraktion, auch der prominente Opernregisseur, dessen Kunst Publikum herbeiziehen würde, ist nicht da. Die mitwirkenden Künstler gehören zwar dem Verbande der Wiener Staatsoper an, allein nur einem kleinen Teil derselben kommt internationaler Ruf zu. Die für Salzburg dringende, in Bayreuth längst erfüllte Forderung, die besten Künstler der Welt für die Festspiele zu gewinnen, bleibt in Salzburg seit den Mozart-Festaufführungen vor dem Kriege unerfüllt. Das Wiener Publikum, dessen Prozentsatz gerne unterschätzt wird – gehören doch dazu auch die Sommerfrischler des Salzkammergutes –, hat an Gastspielen der Wiener Oper, wie sie jetzt tatsächlich gehalten werden, kein Interesse. Auch die internationale Welt würde, schon aus Chauvinismus, die Mitwirkung internationaler Künstler einem nicht neu studierten Gastspiel mit seiner nicht zu verbannenden Flauheit (da ja »Repertoireaufführung«  !) entschieden vorziehen. Eine Gewähr für ein wirklich festspielwürdiges Vorstudium ist nicht gegeben. Die Tatsache, dass sämtliche Wiener Künstler Salzburg als eine angenehme Sommerstation betrachten, kann nicht von wohltätigem Einfluss für den Elan der Festspiele sein. Erst eine gesunde Konkurrenz der Künstler untereinander, eine Konkurrenz der Künstler verschiedener Bühnen aus verschiedenen Ländern vermag die tief eingewurzelte Lauheit unserer sommerlichen Aufführungen zu bannen. Es fehlt die fieberhafte Aufregung vor großen Premieren, alles geht seinen längst gewohnten Gang, wie in der friedlichen Wintersaison. Eine durchgreifende Reform der Programmgestaltung würde daher zu den dringendsten Fragen innerhalb der Reorganisation der Salzburger Festspiele gehören. Dieselbe könnte nach folgenden Richtungen hin angebahnt werden  : 1) Die finanzielle Sicherung der Festspiele müsste schon im Sommer des vorhergehenden Jahres durchgeführt sein, dass mit der Beratung der Programme für die kommende Spielzeit schon während der Festspiele selbst begonnen werden kann. Die Möglichkeit einer anregenden Aussprache der Salzburger maßgebenden Faktoren und der während der Festspiele tätigen Künstler über die Zukunftsgestaltung der Programme etc. dürfte nicht versäumt werden. Aufgrund der Anregungen müsste bereits am Ende jeder Spielzeit das Programm festgelegt werden. 2) Die Festlegung des Programmes durch zwei voneinander unabhängige Faktoren (Kunstrat, Kuratorium) führt einerseits zu flauen Kompromissen, andererseits zu Verschleppungen. Weder Kuratorium noch Kunstrat sind in Wirklichkeit bereit, eine Verantwortung im eigentlichen Sinne des Wortes zu übernehmen. Beiderseits werden Wünsche ausgesprochen, von denen der eine oder andere wie zufällig in Erfüllung geht. Ohne Zusammenarbeit wird, gewöhnlich im allerletzten Augenblicke,

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zu einem »Notprogramm« gegriffen, mit dem in Wahrheit keiner der Beteiligten wirklich einverstanden ist. Bei aller Wahrung der persönlichen Bedeutung der Mitglieder des Kunstrates würde es sich empfehlen, um auch die spezifischen Interessen der Salzburger Festspiele zu wahren, die Sorge für die Zusammenstellung des Programmes einem möglichst kleinen, aus wirklichen Fachleuten zusammengesetzten Salzburger Kollegium zu übertragen, das vorher die Meinung des Kunstrates (oder einzelner seiner Mitglieder) einzuholen und sein Budget im Rahmen der von den administrativen Faktoren gezogenen Grenzen zu halten hätte. Dabei könnte gleichfalls die Meinung hervorragender Theater- und Musikfachleute des In- und Auslandes eingeholt werden, auch wenn diese nicht Mitglieder des Kunstrates sind, um die nötige Auswahl aus einer Fülle von, nicht allein nach Wien orientierter Ideen zur Hand zu haben. Ein nicht fachmännisch gebildetes Präsidium wäre wohl zur Mitarbeit, nicht aber zur (mitunter) alleinigen Entscheidung in künstlerischen Fragen heranzuziehen. Der Präsident, der durch repräsentative und administrative Pflichten ohnehin sehr in Anspruch genommen ist, kann eine alleinige künstlerische Verantwortung mangels entsprechender Fachkenntnisse de facto auch gar nicht übernehmen. Den Mitgliedern des Kunstrates dagegen fehlt die unmittelbare Gebundenheit an Salzburg und seine Sonderinteressen. 3) Nach gemeinsamer Festlegung der budgetären Grenzen des Programmes – was ungefähr Mitte September jeden Jahres zu geschehen hätte – wäre die Durchführung des Programmes in seinen Einzelbestimmungen, das Engagement der Künstler etc. aus Gründen der Zeitersparnis, Ökonomie und aus fachlichen Gründen von dem hierzu ernannten kleinen Ausschuss allein weiterzuführen und jeweils dem Propaganda-Ausschuss zwecks Veröffentlichung mitzuteilen. Noch vor Weihnachten müssten jedenfalls die Prospekte versandbereit aufliegen und durch die Zeitungen bereits die nötigen Vornotizen in das breite Publikum gegangen sein. 4) Die Auswahl des Programmes müsste gegenüber der Gepflogenheit der abgelaufenen Jahre weit sorgfältiger, abwechslungsreicher, neuartiger und nach folgenden Gesichtspunkten durchgeführt werden  : a) Schauspielerischer Teil  : Keine Wiederholung anderswo gespielter Stücke aus Bequemlichkeit oder Zeitmangel (Ausnahme  : »Jedermann«), epochemachende Neuinszenierungen eines Mysterienspiels auf dem Domplatz und eines großen Dramas im Festspielhaus. Berücksichtigung der österreichischen Note (Raimund, Nestroy  !), eventuell unter Heranziehung des akustischen Stadttheaters für kleinere Spiele. Berücksichtigung der internationalen Note durch gelegentliche Heranziehung ausländischer Künstler oder Aufführung epochemachender Stücke des Auslandes. b) Musikalischer Teil  : Strengere und sorgfältigere Bedachtnahme auf den Lokalgenius Mozart, wirkliche Neuinszenierungen seiner Werke, auch der weniger gangbaren, unter Heranziehung der jeweils besten Interpreten für jede einzelne Rolle,

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keine abgespielten Ensemblegastspiele. Wirkliche, der ganzen Welt vorbildliche Musteraufführungen Mozart’scher Werke, sowohl auf der Bühne wie im Konzertsaal. Keine veralteten, sondern dem Geiste der Zeit entsprechende, zukunftsweisende Inszenierungen. Jüngere Kräfte mit weniger »Tradition«, dafür aber mit neuen Impulsen und neuen Wegen. Der Ruin Salzburgs ist die Verkalkung  ! Gründliches Vorstudium am Orte selbst. Keine Schlamperei aus sogenannter Routine  ! Soweit nicht Mozart, stärkere, sichtbarere Betonung der produktiv österreichischen sowie der internationalen Note. Letzteres durch Heranziehung ausländischer Künstler, namentlich Dirigenten, und Aufführung prominenter Musikwerke des Auslandes. Festlichere und propagandistisch gestaltete Aufmachung dieser Aufführungen, sozusagen eine Art Wettbewerb der Nationen in Salzburg. Konzertprogramme nach eigener Auswahl der prominenten Dirigenten, wie bisher, die dann natürlich ihre überall gespielten Paradestücke produzieren, wären unzulässig. Wachrufen des allgemeinen und insbesondere des journalistischen Interesses durch interessante musikalische Uraufführungen erster Tondichter. Jedenfalls muss die Internationalität der Salzburger Festspiele stärker betont werden als bisher, gerade um gegenüber dem nationalen Bayreuth und dem auf Mozart und Wagner beschränkten München nicht in eine unfruchtbare Konkurrenz zu kommen. Neben klassischen Werken der österreichischen Tonkunst (auch der geistlichen Werke, insbesondere Bruckner) ist die österreichische Operette, auch die moderne, als Nebenprogramm, aber in wirklich festspielmäßiger Aufmachung keineswegs zu vergessen. Lehar z. B., der ein genialer Musiker ist, trotz Naserümpfens sogenannter »ernster« Komponisten, übt die allerstärkste Zugkraft auf ein Weltpublikum aus. Festspiele österreichischer Operetten hat es bisher nicht gegeben, obwohl die österreichische Operette im wahrsten Sinne die Welt erobert hat. 5) Auf den gesellschaftlichen Teil und die sogenannten Nebenveranstaltungen ist weit größeres Gewicht zu legen als bisher. Der Ball hat sich nicht sehr bewährt. Dagegen würden Volksfeste (Musik- und Trachtenfeste), mit Umzügen verbunden, die Stadt und Land in Bewegung setzen – nicht die netten, aber etwas armseligen Aufführungen der »Alpinia« –, von größerer Zugkraft auf ein internationales Publikum sein. Solche Feste wären durch eigene Komitees in Verbindung mit der Leitung der Festspielhausgemeinde herzustellen. Die gesellschaftlichen Beziehungen zwischen der Leitung der Festspielhausgemeinde und den mitwirkenden Künstlern, eine der vornehmsten Aufgaben des Präsidiums, wären weit lebhafter als bisher zu gestalten, schon um den Fremden den Aufenthalt noch begehrenswerter zu machen. (Einfluss auf die Honorargestaltung  !) Überhaupt müsste der größte Vorteil Salzburgs gegenüber Festspielen in Großstädten die Intimität der Stadt, die Schönheit der Landschaft, der engere Kontakt zwischen Publikum und Künstlern etc. planmäßig erfasst und – wenn auch nicht offiziell auf den Prospekten aufscheinend – doch zu einem der Hauptpunkte des Programmes gemacht werden. Leitgedanke  : Salzburg muss

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die Fremden nicht wie ein Hotel, sondern wie ein liebenswürdiger Hausherr empfangen und diese persönliche Note zu seiner Spezialität machen. Der Österreicher genießt den Ruf besonderer Liebenswürdigkeit. Das ist eine gute Grundlage. Aber der Ausbau will organisiert sein. Nur so, nicht etwa durch bessere Hotels (da wir ja kein Geld haben), werden wir der Schweiz erfolgreiche Konkurrenz in der Fremdenindustrie machen können.

Dokument Nr. 13  : Brief Prof. Max Reinhardts an Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl am 11. Oktober 1930 Sehr geehrter Herr Landeshauptmann, die Aufstellung Ihrer Büste (nebenbei bemerkt, ein besonders gelungenes Werk des Bildhauers) im Festspielhausfoyer ist nach meiner Überzeugung eine einfache Selbstverständlichkeit, müsste es jedenfalls für alle sein, die in irgendeiner Form mit der Sache der Festspiele verbunden sind oder um sie wissen. Denn Sie waren es, der sie buchstäblich und auch im weitesten Sinn unter Dach gebracht hat. Ich denke dabei keineswegs gering von den grundlegenden künstlerischen Verdiensten um die Festspiele – aber in meinem ganzen Leben habe ich gelernt – und mein Lehrmeister war der mir am nächsten stehende eigene Bruder –, dass es zum Mindesten ebenso viel bedeutet, künstlerische Dinge zu verwirklichen, wie sie zu ersinnen. Das gilt im höchsten Maße vom Theater, in dem sich Traum und Realität wie in keiner anderen Kunst stoßen und wo nur aus der glücklichen Vereinigung beider Faktoren das Kunstwerk entstehen kann. Allerdings habe ich auch gelernt, dass auf dem Schaltbrett, an dem die Dinge dieser Zeit reguliert werden, die Dankbarkeit der schwächste Hebel ist. Gleichwohl fällt es mir nicht leicht, eine Mentalität zu begreifen, die sich angesichts so klarer und unumstößlicher Tatsachen durch irgendwelche Befindlichkeiten trüben lässt. Wahrscheinlich aber ist das überlegene Verstehen derartiger Schwächen ein Teil Ihrer bewundernswerten Kraft. Für mich war es jedenfalls ein Bedürfnis und eine ungemeine Freude, den entscheidenden Schritt tun zu können und den Anstoß zur Erfüllung dieser unbedingten Pflicht zu geben. In herzlicher Verehrung und Zuneigung Ihr Max Reinhardt

Dokument Nr. 14  : Brief von Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl an Kammersängerin Rosette Anday vom 3. August 19331 Sehr geehrte Frau Kammersängerin  ! Sie haben sich, sehr verehrte Frau Kammersängerin, der an Sie gerichteten Bitte der Salzburger Festspielhausgemeinde folgend, den heurigen Festspielen zur Verfügung gestellt, wodurch eine Reihe von Opernaufführungen, welche durch eine in letzter Stunde erfolgte Absage infrage gestellt waren, ermöglicht worden sind. Ihr Entschluss, dem Ruf der Salzburger Festspielhausgemeinde zu folgen, erscheint umso a u f o p f e r u n g s v o l l e r u n d a n e r k e n n e n s w e r t e r, als Sie kaum von einer schweren Erkrankung genesen sind, unter deren Folgen Sie leider, wie mir berichtet wurde, bei der Erstaufführung der Oper »Orpheus« schwer zu leiden hatten. Es drängt mich, Ihnen, sehr verehrte Frau Kammersängerin, für die durch Ihren Entschluss den Salzburger Festspielen, dem Lande S a l z b u r g und der ö s t e r r e i chischen Kunst geleisteten Dienste auch im Namen des Landes S a l z b u r g a u f d a s H e r z l i c h s t e z u d a n k e n . Sie haben uns wirklich ein allseits anerkanntes Entgegenkommen bewiesen, z u m U n t e r s c h i e d v o n m a n chen Künstlern, welche es anscheinend für vorteilhafter hielten, heuer den Festspielen fernzubleiben. Ich habe mich auch besonders darüber gefreut, dass nicht nur Ihre Kunst an und für sich, sondern besonders auch Ihr Entschluss, zu uns zu kommen, in der g e s a m t e n a u s l ä n d i s c h e n P r e s s e in Worten wärmster Anerkennung geschildert wurde. Ich werde auch nicht ermangeln, bei nächster Gelegenheit in Wien auf Ihr unseren Festspielen erwiesenes Entgegenkommen besonders hinzuweisen. Meinen aufrichtigen Dank wiederholend, bitte ich Sie, meine besten Wünsche für eine Wiederherstellung Ihrer Gesundheit entgegenzunehmen, und zeichne mit dem Ausdrucke meiner ausgezeichnetsten Hochachtung als Frau Kammersängerin sehr ergebener Dr. Franz Rehrl 1 Die deutsche Mezzosopranistin Sigrid Onegin, die bereits 1931 und 1932 den Orpheus in Christoph Willibald Glucks »Orpheus und Eurydike« unter Bruno Walter bei den Salzburger Festspielen gesungen hatte und für diese Rolle auch 1933 vorgesehen war, sagte, ebenso wie der Bariton Wilhelm Rode und der Komponist und Dirigent Hans Pfitzner, aufgrund des Drucks der deutschen Regierung ihre Mitwirkung bei den Festspielen ab. Ihre Rolle übernahm kurzfristig Rosette Anday, die sich noch in der Nachbehandlung einer schweren Rippenfellentzündung befand. Obwohl sie noch rekonvaleszent war, nahm sie die anstrengende Probenarbeit und die beiden geplanten Aufführungen auf sich. Der Brief wurde abgedruckt in der Wiener Allgemeinen Zeitung, 8. 8. 1933. S. 5.

Dokument Nr. 15  : Brief von Bundespräsident Dr. Wilhelm Miklas an Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl vom 2. September 19331

Noch ganz erfüllt von dem unvergesslichen Erlebnis, das für mich die gestrige Aufführung des neu inszenierten »Faust« im Hofe der Salzburger Felsenreitschule bedeutete, drängt es mich, Ihnen und allen jenen, die sich um die Salzburger Festspiele verdient gemacht und ihren internationalen Ruf begründet haben, auch auf diesem Wege meine Anerkennung auszusprechen. Die Salzburger Festspiele haben ihr in der ganzen Welt bekanntes hohes Niveau auch heuer behauptet. Sie haben neuerdings dazu beigetragen, Österreich neuen Ruhm und Ehre zu gewinnen, und haben die Bedeutung deutscher Kunst im internationalen Kunstleben wieder vor aller Welt dargetan. Mit ganz besonderer Befriedigung hat es mich erfüllt, feststellen zu können, dass die Festspiele in diesem Jahre nicht nur einen hohen künstlerischen Erfolg hatten, sondern auch einen ausgezeichneten Besuch aufweisen konnten. Dass es trotz der besonderen Ungunst der Verhältnisse, die im heurigen Sommer vorwalteten, gelungen ist, doch einen durchschlagenden Erfolg und geradezu einen Rekordbesuch der Salzburger Festspiele zu erreichen, verdient die höchste Bewunderung und Anerkennung.

1 Salzburger Volksblatt, 4. 9. 1933. S. 5.

Dokument Nr. 16  : Brief von Dagny Servaes,1 der Buhlschaft der Jahre 1926 bis 1937, an Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl am 14. Jänner 19372

Sehr geehrter Herr Landeshauptmann  ! Als Förderer und Beschützer der Salzburger Festspiele liegt es mir am Herzen, Sie über Folgendes zu informieren. Nach reiflicher Überlegung, wenn auch schweren Herzens, habe ich mich entschlossen, die Rolle der Buhlschaft in die Hände der Festspielhausgemeinde und Professor Max Reinhardts zurückzulegen. Ich habe das absolute Bedürfnis, Ihnen, geehrter Herr Landeshauptmann, zu versichern, dass es immer für mich eine Ehre und Freude war, dem Ruf von Salzburg zu folgen, da ich dadurch persönlich einen kleinen Anteil hatte, an der großartigen Entwicklung der Salzburger Festspiele. Nicht zuletzt möchte ich Ihnen, verehrter Herr Landeshauptmann, für alle Freundlichkeiten, die Sie mir im Laufe der Jahre erwiesen haben, herzlichst danken und Ihnen versichern, dass ich Sie sowohl als Mensch sowie als wahrhaft großen Österreicher schätzen und lieben gelernt habe. Von ganzem Herzen hoffe ich nun, dass bald eine andere schöne Gelegenheit kommt, wieder in Salzburg mitwirken zu dürfen. (…) Nehmen Sie unterdessen die Versicherung meiner größten Hochachtung entgegen. Ihre ergebene Dagny Servaes

1 Dagny Servaes (1894–1961) war Bühnen- und Filmschauspielerin, wirkte ab 1913 an den großen Bühnen Berlins wie dem Lessingtheater, dem Deutschen Theater und dem Staatstheater, wurde ein Star der Stummfilmära, absolvierte zwischen 1926 und 1928 mit Reinhardt US-Gastspiele, spielte in Salzburg 1926 bis 1937 die Buhlschaft, war 1938 bis 1948 Mitglied des Ensembles des Josefstädter Theaters und ab 1952 des Burgtheaters. 2 SLA Rehrl Briefe 1937/0256.

Dokument Nr. 17  : Brief von Dagny Servaes an Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl am 19. Februar 19371 (…) Ihre warmherzigen Worte betreffs meiner Mitwirkung in Salzburg haben mich aufrichtig und herzlich gefreut. Ich halte es nun für meine Pflicht, Ihnen als Landeshauptmann von Salzburg mitzuteilen, dass ich nach einer längeren und eingehenden Aussprache mit Direktor Dr. Kerber, der mich abermals herzlich einlud und bat, dieses Jahr doch wieder in Salzburg mitzuwirken, in meinem Entschluss, die Rolle endgültig abzugeben, wankend wurde und für dieses Jahr abermals meine Zusage zu den Festspielen gegeben habe. Und ich muss bekennen, dass ich mich nun, wie jedes Jahr, von Herzen freue, bald wieder in dem schönen Salzburg mitwirken zu dürfen. In der Hoffnung, Sie dann dort begrüßen zu können, sage ich Ihnen nochmals meinen verbindlichen Dank für Ihre Mühe und verbleibe in aufrichtiger Verehrung Ihre Dagny Servaes

1 Ebda.

Dokument Nr. 18  : Rede von Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl anlässlich des Festaktes »15 Jahre Salzburger Festspiele« in der Salzburger Alten Residenz am 11. August 19351 Wir standen nach der Tragödie des Weltkrieges gleichsam auf den Ruinen einer glorreichen Vergangenheit  : alle historischen Ordnungen und Bindungen waren zerschlagen, wir befanden uns in einem Auflösungsprozess, der beherrscht war von der Furcht, Österreich könnte nicht aus eigener Kraft bestehen. An uns lag es damals, einen neuen Lebenswillen zu bekunden, die Entschlossenheit, uns aus eigener Kraft zu behaupten und Taten zu setzen, die unter anderem wie diese Salzburger Festspiele die Aufmerksamkeit, das Interesse, ja die Sympathien der ganzen Kulturwelt wieder auf uns lenken, auf das arme, geschlagene Österreich. Wir mussten uns gegenwärtig halten, dass ein großes Erbe in unsere Hand gelegt war, eine Hochburg des Glaubens, eine geistliche Fürstenresidenz, die seit jeher Brennpunkt hoher künstlerischer Kultur war und in mehr als einer Beziehung die Bezeichnung eines deutschen Roms rechtfertigte. Umso größer war aber auch die Verpflichtung und Verantwortung, die für uns daraus entstand. Aus der Not der Zeit war das Werk geboren, das wir heute überblicken, und es mag eine gewisse symbolische Bedeutung haben, dass die »Jedermann«-Bühne am Domplatz, die heute noch in Verwendung ist, aus dem Holze der Kriegsbaracken von Grödig hergestellt wurde. Die Bestimmung Salzburgs als Festspielstadt war schon in der Vorkriegszeit erkannt und zuerst von der großen, verewigten Kammersängerin Lilly Lehmann ins Auge gefasst worden, die den ersten Anstoß zur Verwirklichung von Mozart-Festspielen gegeben hatte, bei denen der Genius Mozart ausschließlich Inhalt und Mittelpunkt sein sollte. So hoch wir auch den unvergleichlichen und unvergänglichen, universellen Genius Mozart stellen, der gleichsam der adäquate musikalische Ausdruck des barocken Salzburg ist, so konnten sich dennoch die Salzburger Festspiele nicht allein auf die Pflege dieses himmelgeborenen Genius beschränken. So viel wir uns auch den Meistern aller Welt verbunden fühlen, so viel wir auch der Künstlerschaft Wiens, insbesondere den weltberühmten Wiener Philharmonikern und ihrem unvergesslichen Franz Schalk verpflichtet sind, so kann doch nie der Eindruck entstehen, dass es sich in Salzburg um eine Filialkunst handelt, vielmehr handelt es sich hier um 1 SLA Rehrl-Briefe 1935/1633  ; Salzburger Chronik, 12. 8. 1935. S. 1f.; Salzburger Volksblatt, 12. 8. 1935. S. 1f.

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ein Einzigartiges, Unnachahmliches, völlig Eigenständiges, das an das Milieu, an die universelle Tradition und an die Weltgeltung dieser Stadt gebunden ist und alle großen schöpferischen Kräfte der Zeit am Werke sieht. Erlassen Sie mir, die Entwicklung des Festspielhausgedankens im Einzelnen zu verfolgen. Wohl war im Wege großer Ideenkonkurrenzen Monumentales gedacht, ich erinnere an die Pläne Pölzigs für Hellbrunn, wieder aber war die Not der Zeit die rechte Lehrmeisterin. Die alte Winterreitschule, in Kriegszeit ein Kartoffel­lager, wurde als Provisorium eingerichtet, die derzeitige Vollendung erhielt der Bau durch Clemens Holzmeister. Binnen sechs Wochen musste der gesamte künstlerische Schmuck des Hauses vollendet sein  : die Fresken Faistauers und seiner Helfer, die gemalten Teppiche, die Holzplastiken, die dekorativen Arbeiten, die das Salzburger Kunsthandwerk auf seiner ansehnlichen Höhe zeigen. In dem Zusammenwirken der verschiedenen Künste zu einem Gesamtkunstwerk enthüllte sich etwas, was im Prinzip vergleichbar ist mit dem Quattrocento, mit dem Mediceergeist alter Fürstenstädte, mit dem, was der tiefste künstlerische Sinn Salzburgs ist und in seinen Festspielen zum neuen zeitgemäßen Ausdruck kommt. Bereits vor Jahren waren die Festspielaufführungen auch verbunden mit den ersten Versuchen einer internationalen Radioübertragung, die seither eine ständige Einrichtung wurde und sich zeitweilig über 600 Stationen erstreckte. Wenn ich es mir auch versagen muss, allen Künstlern und Persönlichkeiten im Einzelnen zu danken, den großen Dirigenten, den prominenten Sängern und Musikern, den darstellenden Künstlern und so vielen Kräften, die wir hier begrüßen und bewundern konnten, so sei es mir doch gestattet, zweier Namen zu gedenken, die von grundlegender Bedeutung waren für den glücklichen Anfang der Salzburger Festspiele  : Es war der repräsentative Dichter Österreichs Hugo von Hofmannsthal, der das alte Spiel vom »Jedermann« wieder im Bewusstsein unserer Zeit erneuerte, und der geniale Max Reinhardt, der das Spiel auf dem Domplatz in unvergleichlicher Weise inszenierte als den Salzburger »Jedermann« und als jüngstes künstlerisches Ereignis uns Goethes »Faust« vermittelte, wie er überhaupt durch seinen internationalen Ruf von Anfang an für Salzburg geworben hat. Es wäre zum Schlusse noch mit einem Wort der wirtschaftlichen und sozialen Funktion zu gedenken, die der Kunst innewohnt, und in besonderer Weise den Salzburger Festspielen. Sie wissen, dass der Fremdenverkehr eine Quelle des Wohlstandes ist, besonders für ein Land wie Salzburg mit seinem Reichtum an landschaftlichen Schönheiten, kulturellen und künstlerischen Werken. Es liegt im Wesen unserer Bestimmung, uns nicht mit dem Überlieferten allein zu begnügen, sondern fort und fort an der Mehrung der Kulturgüter als Menschheitsgüter zu arbeiten. Qualität und Wert, das sind die beiden Grundprinzipien, denen wir unseren Aufstieg und unsere Weltgeltung verdanken. Das ist auch das Leitmotiv unserer Festspiele. Ihm ist es zu verdanken, dass auch die Trübung eines freundnachbarlichen Verhält-

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nisses und die gegen uns verfügte Grenzsperre keine Erschütterung zu bewirken vermochte, wir sind vielmehr reichlich entschädigt worden durch die Freundschaft und den Zustrom aus allen Ländern der Erde, wie es kaum in den besten Zeiten der Fall war. Das ist mit die soziale und völkerverbindende Funktion unserer Arbeit. Erst vor wenigen Tagen haben wir ein Hochfest anderer Kulturarbeit und unseres Tatwillens gefeiert, die Eröffnung der Glocknerstraße. Bei dem Salzburger Scheitelpunkt dieser höchsten Alpenstraße der Welt flatterten die Fahnen aller Nationen. Als die Worte vom ewigen Österreich gesprochen wurden, kreisten zwei Steinadler über dem Festplatze, wo der Altar stand inmitten der Gletscherwelt. Man mag es als eine gute Vorbedeutung nehmen, als ein Symbol des Doppeladlers, der wieder in unserem Wappen2 seine Flügel breitet, und man mag es in dem Sinne nehmen, dass wir die Zeit des Pessimismus, des Niederganges, der Selbstentfremdung überwunden haben durch den Tatwillen »a u s e i g e n e r K r a f t «, dass wir durch Leistung den Beweis unseres Willens und unserer Existenz als freies, unabhängiges Österreich erbracht haben. Diesen Beweis haben aber auch in überwältigender Weise die Salzburger Festspiele erbracht. Das Bild des heutigen Festtages zeigt, dass Salzburg im Z e i c h e n d e r We l t f r e u n d s c h a f t steht, wie es seit Ruperts Tagen seine Bestimmung ist. Vergessen wir nicht, dass alle Kunst und alles Streben nach den hohen Gütern der Menschheit im tiefsten Sinne Verherrlichung Gottes ist. Daher haben wir den Musen hier eine Stätte bereitet. Und darum ist uns die große Weltfreundschaft geworden, die überall darangeht, Freundeskreise der Salzburger Festspiele zu schaffen. Lassen Sie mich darum mit der Bitte schließen  : B e w a h r e n S i e u n s d i e s e F r e u n d s c h a f t für Salzburg und damit für Öster­reich, und helfen Sie durch Ihre Anteilnahme und Liebe mit an dem v ö l k e r v e r b i n d e n d e n We r k e der Kultur und der Kunst, die den Ausblick auf das Ewige offen hält und ein Unterpfand ist für den Frieden und das Glück Europas und der Menschheit.

2 Die Symbole des Ständestaates bildeten der Doppeladler und das Kruckenkreuz. Im Staatswappen wurde wiederum der Doppeladler als bereits aus der Habsburgermonarchie bekanntes Symbol eingeführt, wobei allerdings die Fänge vom Reichsapfel und dem Szepter befreit waren. Die Brust des Doppeladlers wurde in Anlehnung an den Bindenschild der Babenberger mit einem roten, von einem silbernen Querbalken durchzogenen Schild belegt.

Dokument Nr. 19  : Rede von Bundespräsident Dr. Wilhelm Miklas anlässlich der Verleihung des Österreichischen Verdienstkreuzes für Kunst und Wissenschaft I. Klasse an Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl am 11. August 1935 in der Salzburger Alten Residenz1

Erst wenige Tage sind vergangen, seitdem ich Ihnen, Herr Landeshauptmann, auf der Kammhöhe der Tauern stehend, meine aufrichtige Freude über die Vollendung der G l o c k n e r s t r a ß e ausdrücken und Sie hierzu beglückwünschen konnte. Heute stehe ich nun, Herr Landeshauptmann, hier vor Ihnen in dieser reizvollen Stadt Salzburg, von der die stärkste Initiative zur Schaffung der Glocknerstraße d u r c h S i e ausgegangen ist, in diesem herrlichen Salzburg, in dem auch eine andere, ä l t e r e I d e e geboren und ganz wesentlich durch Sie verwirklicht worden ist. Auch die S a l z b u r g e r F e s t s p i e l e , die ich meine, sind ja nicht minder mit I h r e m N a m e n für alle Zeiten verknüpft. In wenigen Tagen, am 22. August, jährt sich zum fünfzehnten Mal der Festtag, an dem auf dem Salzburger Domplatz das uralte Spiel vom » J e d e r m a n n « aufgeführt wurde. Ein gottbegnadeter österreichischer Dichter hatte es dichterisch neugestaltet. Und späterhin hat es M a x R e i n h a r d t s B ü h n e n k u n s t unter Mitwirkung prominentester Repräsentanten deutscher Schauspielkunst auf dem stimmungsvollen Domplatz in Szene gesetzt. Auch weiterhin ist das Spiel vom »Jedermann« das H e r z - u n d K e r n s t ü c k d e r S a l z b u r g e r F e s t s p i e l e geblieben, auch, als die Schaffung des Festspielhauses und einer wundervollen Freilichtbühne in der Felsenreitschule auch die Aufführung anderer Meisterwerke musikalischer und theatralischer Kunst ermöglichte und die ganze zivilisierte Welt, auf die Kunststadt Salzburg aufmerksam geworden, sich alljährlich hier in den Sommerwochen des August ein Stelldichein gab, um in dieser bezaubernden Stadt und in diesem schönen Lande aus dem Born alter Kunst und Kultur zu schöpfen und zu trinken. Freilich, in dieser Entwicklung gab es auch mancherlei Fährnisse, Schwierigkeiten, ja kritische Augenblicke, und manchmal schien es, als ob diese Mächte diese Feste stören, ja vereiteln und den Quell der Freude und des Segens, der von ihnen ausgeht, verschütten möchte.

1 Salzburger Chronik, 12. 8. 1935. S. 2.

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Aber w e d e r m a t e r i e l l e n o c h p o l i t i s c h e S c h w i e r i g k e i t e n vermochten der Aufwärtsentwicklung der Salzburger Festspiele Einhalt zu tun. An dieser hocherfreulichen Entwicklung bis zum heutigen Stand der Dinge haben Sie, Herr Landeshauptmann, nach Plan und Organisation wohl den allergrößten Teil des Verdienstes. Wie Sie mit berechtigtem Stolz auf das grandiose Werk der Glocknerstraße blicken können, so dürfen Sie sich auch mit Recht rühmen, dass o h n e I h r e kraftvolle Initiative und stete Fürsorge Salzburgs Festspiele vielleicht überhaupt nicht bestünden oder doch nicht d a s geworden wären, was sie heute für diese Stadt, für Österreich und für die Kulturwelt sind und bedeuten. Besonders wenn es galt, oft große Schwierigkeiten hinwegzuräumen und schwere Verantwortung zu tragen, haben Sie stets, von echt österreichischem Optimismus erfüllt, eine Tatkraft und einen Weitblick bewiesen, der auch die Zagenden über manch gefährliche Situation hinüberführte. D e r E r f o l g hat Ihnen recht gegeben. Die prominentesten Künstler Österreichs, aber auch manche Koryphäe des Auslandes haben sich in den Dienst der Salzburger Festspiele gestellt. Zwei von ihnen, die schon in der Ewigkeit ruhen und die an der Wiege dieser Festspiele standen, will ich besonders nennen  : Hugo von H o f m a n n s t h a l und Franz S c h a l k . Ehre ihrem Andenken  ! Von den lebenden Künstlern aber, den Dichtern und Komponisten, Sängern und Schauspielern, Dirigenten, Musikern und Regisseuren, die in den letzten eineinhalb Jahrzehnten hier an den Sommerfestspielen mitgewirkt haben, Namen zu nennen, wäre aussichtslos. Es gilt in gleicher Weise von all den Braven, die auf administrativ-organisatorischem Gebiete still und bescheiden ihre Aufgabe erfüllten und jene technischen, wirtschaftlichen und finanziellen Voraussetzungen schufen, die erst den Salzburger Festspielen ihr vollstes künstlerisches Gelingen gesichert haben. Ihnen allen, Künstlern und Mitarbeitern, sei dafür der Dank des Vaterlandes  ! So wie in dem Bau der Glocknerstraße sehe ich auch in den Salzburger Festspielen, die heute auf einen fünfzehnjährigen ruhmvollen Bestand zurückblicken können, e i n e n H ö h e p u n k t k u l t u r e l l e n L e b e n s unserer Zeit. Zu diesem, ich darf wohl sagen, Welterfolg, beglückwünsche ich heute, in dieser Feierstunde das schöne Salzburg im Namen des Vaterlandes. Aber ich beglückwünsche es auch zu seinem o b e r s t e n L a n d e s c h e f , dessen Weitblick, Initiative, Tatkraft, in allererster Linie ebensowohl das große Werk der Glocknerstraße als auch die Salzburger Festspiele zu danken sind. Wo alle Welt sich aufrichtig freut, darf auch das Vaterland, darf Österreich nicht zurückstehen. Es war daher ein durchaus richtiger und glücklicher Gedanke des Herrn B u n d e s k a n z l e r s , dass er in seiner Eigenschaft als Leiter des Bundesministeriums für Unterricht den Entschluss fasste, für den hervorragenden Mann, der an

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verantwortlicher Stelle so viel für die Salzburger Festspiele getan hat, anlässlich der 15-Jahr-Bestandsfeier die Verleihung eines äußeren Zeichens des Dankes und der Anerkennung des Vaterlandes zu beantragen. Gerne und mit Freude habe ich diesem Antrag der Bundesregierung meine Zustimmung gegeben und Ihnen, Herr Landeshauptmann, das Ö s t e r r e i c h i s c h e Ve r d i e n s t k r e u z f ü r K u n s t u n d W i s s e n s c h a f t I . K l a s s e verliehen. Bekanntlich wird dasselbe statutengemäß nur an solche Persönlichkeiten verliehen, die sich durch anerkennenswerte Leistungen auf dem Gebiete der Künste und der Wissenschaften besonders ausgezeichnet oder als große Förderer derselben hohe Verdienste erworben haben. Unter den Letztgenannten wird Ihr Name, Herr Landeshauptmann, für immer ehrenvoll genannt werden.

Dokument Nr. 20  : Rede von Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl beim Empfang des Landes Salzburg anlässlich der 100. Aufführung des »Jedermann« in der Alten Residenz am 16. August 19361 Es gereicht mir zur hohen Auszeichnung, heute unser verehrtes Staatsoberhaupt, den Herrn Bundespräsidenten, auf das Ehrerbietigste hier begrüßen zu dürfen. Ich danke dem Herrn Bundespräsidenten auf das Herzlichste für sein Erscheinen, ebenso unserem hochverehrten Herrn Bundeskanzler und Führer Dr. Schuschnigg, welchen ich ebenfalls hier auf das Freundlichste willkommen heißen darf. Auch den Mitgliedern der Bundesregierung, welche heute hier erschienen sind, gilt mein aufrichtigster Gruß, ferner allen anwesenden Exzellenzen, darunter ganz besonders den Vertretern der Gesandtschaften, welche heute bei uns erschienen sind  ; auch alle übrigen hier versammelten Festgäste, welche zwanzig Nationen aus allen Erdteilen vertreten, begrüße ich auf das Herzlichste. Haben wir am 11. August 1935 in diesen Räumen den 15-jährigen Bestand der Salzburger Festspiele gefeiert, so bot zu der gegenwärtigen glanzvollen Festversammlung die 100. Aufführung des »Jedermann« in Salzburg den erhebenden Anlass. Gestern, am 15. August, ist Hugo von Hofmannsthals »Spiel vom Sterben des reichen Mannes« zum 100. Male auf dem Boden der Festspielstadt Salzburg vor sich gegangen. Nichts von dem, was im Erleben Jedermanns geschieht, ist uns fremd. Jedem Beschauer des »Spieles vom Sterben des reichen Mannes« wird sein eigenes Ich vor Augen geführt, alles Überirdische und Ewige am Schicksal Jedermanns ist unser Überirdisches und Ewiges. Gewiss ist es kein gewagtes Wort, wenn gesagt wird, dass kein Beschauer des Salzburger Jedermann-Spieles, besonders aber des Domplatz-Jedermann ungeläutert fortgeht. Und viele von den Tausenden von Weltleuten haben vor der Bretterbühne des Salzburger Jedermann-Spieles eine seelische Prägung für ihr ganzes inneres Leben empfangen. Das ist bloß eine von den unzählbaren, unübersehbaren Auswirkungen des christlichen Geistes, der in dieser Stadt aus Bauwerken, Bildern, Landschaften, Klängen und Persönlichkeiten aufsteigt und der vielleicht das Entscheidende am Wesen Salzburgs ist. Als man nach dem großen Kriege daranging, den seit der Mitte des 19. Jahrhunderts immer deutlicher sich ankündigenden Salzburger Festspielgedanken in die Tat 1 Salzburger Chronik, 17. 8. 1936. S. 8  ; Salzburger Volksblatt, 17. 8. 1936. S. 7.

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umzusetzen, entschied sich Professor Max Reinhardt für den Hofmannsthal’schen »Jedermann« am Domplatz. Der 22. August des Jahres 1920 wurde zum Tag der »Jedermann«-Premiere in Salzburg. (…) In allen 100 Vorstellungen vom 22. August 1920 bis 15. August 1936 hat Frau Frieda Richard die Mutter Jedermanns gespielt. Innerhalb dieses Zeitraumes gehörte der »Jedermann« 13 Salzburger FestspielProgrammen an  ; nur in den Jahren 1922 bis 1925 wurde pausiert. Wer die Besetzung des »Jedermann« durchblättert, wird zu interessanten festspielgeschichtlichen Wahrnehmungen gelangen. Die Jedermann-Rolle hatte Alexander Moissi acht Jahre inne, Paul Hartmann betreute sie drei Jahre, Attila Hörbiger ist sie seit zwei Jahren anvertraut. Hartmann und Hörbiger spielten, bevor ihnen die Titelrolle übertragen wurde, den Guten Gesellen, kamen also auf dem Wege über den Guten Gesellen zum Jedermann. Unter den Namen, die sich mit der Doppelrolle des Todes und des Teufels verbunden haben, klingen bedeutsam Krauss, Pallenberg, Sokoloff und Rainer. Die Rolle der Buhlschaft ist seit 1926 ohne Unterbrechung in den Händen der Frau Dagny Servaes. Frau Helene Thimig-Reinhardt war an 78 von den 100 Aufführungen beteiligt, darunter neunmal in der Rolle der »Guten Werke« und 69mal als »Glaube«, des Schuldknechts Weib spielt seit 1921 ohne Unterbrechung die Salzburger Schauspielerin Poldi Czernitz-Renn. Auch der wirkliche Tod hat mitgetan in den 16 Jahren seit der Premiere. Hugo von Hofmannsthal, Alexander Moissi, Wilhelm Diegelmann, Fritz Richard, Max Pallenberg und Alfred Roller nahm er mit sich. Sie bleiben in unserem treuen Gedenken. Für immer ist der Salzburger »Jedermann« mit dem Ruhme Max Reinhardts, des Erneuerers des deutschen Theaters verknüpft. An der Seite Max Reinhardts wirkt Richard Metzl seit Beginn der Salzburger »Jedermann«-Aufführungen in der Spielleitung mit. Wenn Verdienste um die Salzburger Festspiele gewürdigt werden, muss auch des ausgezeichneten künstlerischen Leiters Dr. Erwin Kerber dankbar gedacht werden. Dr. Bernhard Paumgartner hat die erste Musik zum »Jedermann« geschrieben und ist in all den Jahren der musikalische Betreuer des Jedermann-Spieles geblieben, verdienstvoll unterstützt durch Herrn Professor Sauer. Mit dem Spiele wurde Einar Nilsons Jedermann-Musik weltberühmt. Welche Wandlung Salzburgs vollzog sich in der kurzen Zeitspanne seit der Jedermann-Premiere  ! Damals, im Sommer 1920, wurden die schrecklichen Zerstörungen, die der Krieg angerichtet hatte, erst recht fühlbar. Und heute, 16 Jahre nach jenem Elendssommer der Nachkriegszeit, ist Salzburg, die Festspielstadt, von der Freundschaft der kunstliebenden Nationen verklärt und das Salzburger Land, das Land der Glocknerstraße, der Gasteiner Kurorte und der Salzkammergutseen, ist zum führenden internationalen Reiseland geworden. Dies sind die köstlichen Gaben Salzburgs, der Festspielstadt  : Läuterung vom »Jedermann«, Steigerung des Lebensgefühles durch die dramatischen und symphoni-

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schen Musikwerke, Vertiefung von »Faust«. Und in dem unübersehbaren Kreise von Menschen, die sich Jahr um Jahr an die übervollen Quellen salzburgischer Kultur und Kunst drängen, sind alle Nationen einander brüderlich genähert. In der Welt diesseits und jenseits des Atlantischen Ozeans spielt der Kulturbegriff Salzburgs eine führende Rolle. Hier in Salzburg ist das Ewig-Schöne, das Trostvoll-Erhabene in der Erscheinung und im Wirken, all das Erhabene, das die Völker zu versöhnen und zu einigen vermag. Versöhnung der Menschen war ja auch das Leitmotiv des Salzburgers Wolfgang Amadeus Mozart, welcher er in seiner weltberühmten Kantate »Brüder, reicht die Hand zum Bunde« in unvergleichlich ergreifender Weise musikalischen Ausdruck verliehen hat. In diesem Geiste Mozarts, dessen Genius von Salzburg seinen Ausgang genommen hat, heiße ich nochmals alle erschienenen Festgäste auf das Freundlichste und Herzlichste willkommen.

Dokument Nr. 21  : Schreiben von Architekt Prof. DI Dr. Clemens Holzmeister an Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl am 23. November 19361

Hochverehrter Herr Landeshauptmann  ! Lieber und verehrter Freund  ! Hiermit darf ich Dir von meiner am Samstag erfolgten Vorsprache bei Toscanini, welcher auch Direktor Kerber und Professor Burghauser beiwohnten, berichten. Zunächst konnte ich mein Projekt der Erweiterung des Festspielhauses, das Dir in großen Umrissen bekannt ist, vorlegen, erweitert durch einige Bilder und eine Studie über die akustische Verbesserung des Hauses. Toscanini hat meinen Umbauplan an sich als sehr befriedigend bezeichnet, hat aber daran sofort die Bemerkung geknüpft, dass er glaube, dass man das Geld für ein neues Haus und mag es auch sechs Millionen kosten, viel leichter zustande bringen würde als für einen Umbau. Er denke hierbei an eine Weltlotterie, die einzuleiten er gerne bereit wäre. Er glaube fest, dass durch eine solche internationale Sammlung, an der sich bestimmt alle wesentlichen Staaten mit Ausnahme von Deutschland beteiligen würden, Salzburg zu einem neuen Haus käme, das allen Ansprüchen eines Festspielhauses entspräche. Er denke hierbei an den Park neben dem Mirabellgarten. Ein neues Haus in den Park gestellt mit allen Bequemlichkeiten für das Publikum und seine Erholung ausgestattet, sei der Stadt und dem Namen Mozart würdig. Toscanini teilt uns weiterhin mit, dass er diesen Plan dem Herrn Bundeskanzler in den nächsten Tagen vorlegen werde. Ich konnte, unterstützt von Direktor Kerber, betonen, dass vom Bund aus eine Unterstützung dieses Planes und auch seines Umbauplanes nicht zu erwarten sei. Ich musste weiterhin ins Treffen führen, dass mein Umbauplan mit August 1937 vollendet sein könnte, sonach kein Intervall eintreten würde, dass aber ein neues Haus zwei Jahre Bauzeit erfordere, und nachdem der Beschluss zur Errichtung eines solchen Hauses doch frühestens im nächsten Sommer gefasst werden könnte, nachdem ja der Erfolg der geplanten Lotterie abgewartet werden müsste, dadurch ein Intervall von drei Jahren entstehen müsste, das in Anbetracht der heutigen Zeitverhältnisse zu bedenken gibt. Toscanini hielt insbesondere, unterstützt durch die Klagen seiner anwesenden Gattin über die schlechten Sicht- und Akustikverhältnisse des alten Hauses, an sei1 SLA Rehrl FS-0027.

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nem großen Plane fest. Er meinte zum Schlusse, er sei überzeugt, dass ich auch ein neues Haus sehr schön bauen würde. Damit waren wir entlassen. Ich darf hoffen, dass ich in nächster Zeit Gelegenheit haben werde, Dir hier die inzwischen vervollständigten Pläne vorzulegen, und darf mich um Deine Anwesenheit nächster Tage erkundigen. Ich bemerke nur noch, dass ich jede Nachricht in den Blättern, soweit es bei mir steht, unterbinde und in allem und jedem mich an Deine Entscheidung und Deine Wohlmeinung halten werde. In alter Dankbarkeit und Verehrung Dein sehr ergebener Clemens Holzmeister

Dokument Nr. 22  : Schreiben von Architekt Prof. DI Dr. Clemens Holzmeister an Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl am 12. Dezember 19361

Hochverehrter Herr Landeshauptmann  ! Lieber Freund  ! Eine gestern erfolgte Vorsprache bei dem Herrn Bundeskanzler veranlasst mich, Dir kurz zu berichten  : Mein dem Herrn Bundeskanzler vorgelegtes Projekt zur Erweiterung und Verbesserung des Festspielhauses hat die volle Zustimmung gefunden, und der Herr Bundeskanzler meinte, wenn der technischen Durchführung meines Vorschlages keine Hindernisse entgegenstehen und eine gewisse Gewähr geboten sei, dass Toscanini nicht gegen das Projekt sich stelle, so werde er bemüht sein, einen wesentlichen Teil (es wurde die Ziffer von einer Million Schillinge genannt) seitens des Bundes für diesen Zweck beizustellen bzw. dem Herrn Finanzminister, sobald er aus Genf zurück ist, dies als persönlichen Wunsche vortragen. Ich beeile mich, Dir dies mitzuteilen. Ich habe erfahren, dass Du Dienstag oder Mittwoch nach Wien kommst und darf bei dieser Gelegenheit mir erlauben, bei Dir vorzusprechen. Ich möchte dann gerne Freitag oder Samstag kommender Woche nach Salzburg fahren, um an Ort und Stelle, sollte es nötig sein, die auftauchenden Schwierigkeiten technischer Art – allerdings nur mit Deiner gütigen Unterstützung, denn nur dann vermag ich gegen Hütter und Genossen aufzutreten – zu beraten. Mit den besten Grüßen verbleibe ich in aufrichtiger und herzlicher Verehrung Dein sehr ergebener Clemens Holzmeister

1 SLA Rehrl FS-0027.

Dokument Nr. 23  : Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl  : Ein neues Projekt zur Umgestaltung des Salzburger Festspielhauses1

Der von vielen Seiten schon oftmals geäußerte Wunsch nach einem Umbau des alten Festspielhauses beziehungsweise die Erstellung eines vollkommenen Neubaues hat durch Maestro Toscanini einen mächtigen Impuls erfahren. Maestro Toscanini, der die Salzburger Festspiele in den letzten Jahren zu weiterem triumphalem Aufstieg führte, sicherte vor aller Welt seine tatkräftige Mitwirkung bei der Herbeischaffung eines Teiles der Mittel zu. Damit ist die Frage der Umgestaltung des Salzburger Festspielhauses in ein neues Stadium getreten. Die von verschiedenen Kreisen hierzu erbrachten Pläne lassen sich in drei Gruppen einteilen  : ein v o l l k o m m e n e r N e u b a u , für den der Platz des Rosenhügels in Aussicht genommen würde. Gewiss würde ein Opernhaus hier mit dem vorgelagerten Mirabellgarten und dem prächtigen Blick auf die Hohensalzburg von großer Wirkung sein. Dazu ließe sich bei einem Neubau jeder technischen Forderung voll Rechnung tragen. Abgesehen von den gewaltigen Kosten, die sich auf acht bis zehn Millionen Schilling belaufen, würde es keine Eigenheit aufweisen können, die der Fremde in Salzburg sucht. Es wäre ein Opernhaus, das in aller Welt stehen könnte, ohne jede traditionsreiche Gebundenheit an Salzburg. Nicht nur Festspiele allein will der Fremde, er will die S a l z b u r g e r F e s t s p i e l e mit ihrem ganzen Reiz, ihrem vollen Zauber, der aus den Plätzen und Winkeln der alten Stadt lugt. Ein weiterer großer Plan kommt von dem Salzburger Zimmermeister Gstür. Er setzt sein Projekt in die alte Umgebung und rührt an dem heutigen Bestande der Festspielhausanlage nicht. Seine Idee ist eine g e w a l t i g e E r w e i t e r u n g , indem er das heutige Naturkundemuseum, die Kulissenlagerräume und den derzeit als Parkplatz dienenden, an der Mönchsbergwand gelegenen Hof so umzubauen gedenkt, dass für Standardaufführungen ein vollkommen neues Spielhaus entsteht, während die meisten Aufführungen an ihrer bisherigen Stätte erfolgen sollen. Die Kostenfrage wäre bei diesem Projekte nicht geringer als bei einem vollkommenen Neubau. Wie aber wäre für nur einige Aufführungen ein solcher Geldaufwand zu rechtfertigen, ganz abgesehen von der Frage, ob eine solche Summe in absehbarer Zeit überhaupt zu beschaffen wäre. Der Bau eines solchen Hauses könnte nur für 1 Salzburger Chronik, 6. 2. 1937. S. 1  ; Salzburger Volksblatt, 6. 2. 1937. S. 1f.

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einen späteren Zeitpunkt in Aussicht genommen werden. Für heute bestünde lediglich die Möglichkeit, mit der Sammlung der Mittel zu beginnen. Dass diese für ein derartiges Zukunftsprojekt nicht reichlich fließen würden, ist wohl nicht anders zu erwarten. Damit ist aber das gewollte Ziel viel zu weit hinausgeschoben. In Erwägung der finanziellen Durchführbarkeit hat Professor Dr. Holzmeister ein E r w e i t e r u n g s p r o j e k t f ü r d a s B ü h n e n h a u s ausgearbeitet. Ein angebauter Turm soll in der Spielebene die Bühne seitwärts vergrößern und in den Obergeschoßen notwendige Manipulationsräume schaffen. Weiters sieht sein Projekt einen an den Turm anschließenden, von einem Tor durchbrochenen Querbau über die Hofstallgasse vor, der gleichzeitig verschiedene Lager- und Arbeitsräume umfassen soll. Dr. Holzmeisters Plan ist die einzige Erweiterungsmöglichkeit der Bühne auf dem bestehenden Platz und muss wegen seiner geringen Kosten ganz ernstlich in Erwägung gezogen werden. Abgesehen davon, dass es bühnentechnisch nicht jene Lösung bringen kann, die bei einem Umbau erwartet werden muss, birgt das Projekt auch die Gefahr von zumindest einer Einengung des einzigartigen Blickes von der Auffahrtsseite her gegen das alte Stift St. Peter und die krönende Festung in sich. Diese Bedenken lassen das Projekt Holzmeisters bei all seinen Vorteilen kaum zur Durchführung geeignet erscheinen. Die Voraussetzungen für eine befriedigende Lösung des Umbaues sind  : 1. Die Gebundenheit an den Ort, an welchem sich die Festspiele ihren Weltruhm erwarben. 2. Die vollkommene Einfügung in den ehrwürdigen Rahmen unserer Altstadt. 3. Die unversehrte Erhaltung sämtlicher einzigartiger Bilder, welche die Umgebung des Festspielhauses zu einer einmaligen Erscheinung machen. 4. Die Erhaltung der in den alten Bau investierten Kapitalien. 5. Die unbedingte Weiterführungsmöglichkeit der Festspiele während der Bauperiode. Diesen Voraussetzungen kann auf folgende Weise Rechnung getragen werden  : D a s H a u s S t . P e t e r N r. 1 0 m u s s a b g e t r a g e n werden. Die Mönchsbergstiege wird um 90 Grad derart gedreht, dass ihr erster Arm gleichfalls an die Mönchsbergwand zu liegen kommt. Dabei bleibt vom Stiegenabsatz der hübsche Einblick in die Faust-Stadt gewahrt. Durch die Niederlegung des Fotoateliers Hintner wird auch gegen Norden hin ein großes Bauareal frei. A n s c h l i e ß e n d a n d i e jetzige Rückseite des Festspielhauses sollen nun der Neubau für d i e B ü h n e und die notwendigen Nebenräume errichtet werden. Es würde die Bühne also an das andere Ende des Zuschauerraumes verlegt werden. Bei dem zur Verfügung stehenden Platz ist es für die Fachleute der Architektur und für die Bühnentechniker ein Leichtes, der Bühne die notwendige Tiefe zu geben und für die seitlich notwendigen Räume vorzusehen. An das Bühnenhaus schließen sich links und rechts etwa 15 Meter lange S e i t e n f l ü g e l an. Der nördlich gelegene Flügel dient zur Unterbringung sämtlicher Büros der Festspielhausgemeinde, Künstlergarderoben, Probezimmer usw., während der etwas düstere bergwärts gele-

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gene Flügel die notwendigen Depoträume beherbergen soll. Dieser Flügel verbirgt auch das Holzgerüst der Überdachung in der Faust-Stadt. Das B ü h n e n h a u s mit den beiden Flügeln bildet dem Behrenshaus des Stiftes St. Peter gegenüber eine e i n h e i t l i c h e S c h a u f l ä c h e , welche die gleiche Gliederung aufweist. Wie ich seinerzeit beim alten Festspielhaus angeregt habe, soll auch hier wieder eine Attika aufgesetzt werden, um die Einheitlichkeit zu wahren. Der zwischen dem Stifte St. Peter und dem Festspielhausneubau entstehende Platz oder die Hofstallgasse soll nach dem Maestro To s c a n i n i benannt werden. Der beschriebene Baublock, der genügend Raum für alle technisch gerechtfertigten Bühnennotwendigkeiten bietet, lässt sich leicht so organisch in das Stadtbild einfügen, dass der Blick auf den Turm von St. Peter und die Hohensalzburg ungeschmälert bleibt. Der Reinhardtplatz erfährt durch den Nordflügel des Neubaues einen entsprechenden Abschluss, der die Einheitlichkeit des ganzen neuen Baublocks inklusive des Behrensbaues von St. Peter wohltuend ergänzt. Auch in der Hofstallgasse muss insoweit eine Änderung durchgeführt werden, dass ein dem heutigen Vorbau des Spielsaales entsprechendes Gegenstück vom jetzigen Bühneneingang bis zur Autoeinfahrt geschaffen wird, damit bei Schlechtwetter die trockene Vorfahrt sowohl vor dem großen Foyer als auch vor dem jetzigen Bühneneingang möglich ist. Das Innere des Festspielhauses erfährt durch die Verlegung der Bühne auf die gegenüberliegende Seite eine grundlegende Umänderung. Der vor die neue Bühne eingebaute, auf das Doppelte vergrößerte O r c h e s t e r r a u m wird nur mehr vom Bühnenhaus aus betretbar sein. Der Verlust von Sitzplätzen an der jetzigen Rückwand wird um ein Mehrfaches durch die Einbeziehung der alten Bühne in den Zuschauerraum ausgeglichen. Im Erdgeschoß sind neue, nach rückwärts ansteigende Sitzreihen aufzustellen, die vom Garderobenraum aus zugänglich sind. Oberhalb dieser Sitzreihen sind durch zwei Stockwerke in der Höhe der schon bestehenden Etagen L o g e n e i n z u b a u e n . Oberhalb derselben ist genügend Raum für Galeriesitze. Für die Logen ergeben sich zwei große Vorteile, indem sie einerseits durch die heutige Künstlerstiege eigens betreten werden können, während andererseits die Besucher die Möglichkeit haben, in den Zwischenpausen die Estrade des Stadtsaales zu benützen. Dem oft empfundenen Mangel von G e s e l l s c h a f t s - u n d R e p r ä s e n t a t i o n s r ä u m e n wird durch die Umgestaltung der bisherigen Garderoben auf leichteste Weise abgeholfen. Der Gesamtausbau der jetzigen Bühne hat derart zu erfolgen, dass jede Eckenbildung vermieden wird, um von vornherein a k u s t i s c h e n S c h w i e r i g k e i t e n a u s z u w e i c h e n . Eine wohlüberlegte Durchrundung der Ecken lässt dieses Ziel erreichen. Eine Selbstverständlichkeit ist, dass der knarrende F u ß b o d e n a u s g e w e c h s e l t wird. Ebenso soll der erste Sitzblock vor der Bühne eine bessere Aus-

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gestaltung erhalten. Die S e i t e n g a l e r i e n können durch Schiefstellung der Sitze gegen die Bühne hin eine wesentlich bessere Sichtmöglichkeit bekommen. Mit Ausnahme der Veränderungen im jetzigen Spielhaus kann das ganze Bauvorhaben ohne jede Störung des Festspielbetriebes durchgeführt werden. Die Festspielbesucher aber sehen, dass Salzburg auf den weiteren Aufstieg seiner Festspiele vertraut und bemüht ist, den Fremden das Beste zu bieten, was die Kunstwelt geben kann. Würde es ermöglicht, bereits i m h e u r i g e n J a h r e d e n N e u b a u f e r t i g z u s t e l l e n , so könnte nach Schluss der Festspielzeit die Uminstallation ohne Hast und in aller Ruhe durchgeführt werden. Zur Verbindung des neuen Baues mit dem alten Haus wäre dann lediglich die Herausnahme der heutigen Rückwand erforderlich, um auch im Inneren des Festspielhauses zu einem einheitlichen Ganzen zu kommen. Das hier besprochene Projekt bietet auch den Vorteil, dass die B a u k o s t e n a u f z w e i J a h r e v e r t e i l t werden können. Was die Kosten anlangt, so sind diese vielleicht zwar höher als beim Projekt Holzmeister, sicher aber nur ein kleiner Bruchteil von den bei allen anderen irgend durchdachten Varianten. Dazu ist die E i n h e i t l i c h k e i t d e r F e s t s p i e l s t a d t g e w a h r t , das alte Festspielviertel bleibt beisammen, der Ruf des »Jedermann« tönt durch die gesamte Festspielstadt. Domkonzerte, der »Jedermann«, Aufführungen in der Stiftskirche zu St. Peter, die Faust-Stadt, das Spielhaus, alles ist eine Einheit, etwas Ganzes, künstlerisch und organisch Verbundenes. Nicht vergessen soll auch derer werden, die nach diesem Projekte von der jetzigen Heimstätte weichen müssen. Die U n t e r b r i n g u n g der Parteien aus dem Hause St. Peter Nr. 10 wird der Stadtgemeinde bei den vielen leer stehenden Wohnungen keine Schwierigkeit machen. Das Fotoatelier Hintner lässt sich entweder am Toscaniniplatz leicht stilgerecht unterbringen. Aber es wäre zum Beispiel auch an der Einfahrtsstraße in den Stiftshof von St. Peter ein Geschäftsplatz, der dem heutigen in seinem Werte zumindest in keiner Weise nachsteht. Das Wohl der einheimischen Bevölkerung hängt vom Gedeihen der Festspiele ab. Ich darf darum gewiss das größte Interesse für dieses Projekt erwarten. Und Maestro To s c a n i n i , der in der nächsten Zeit sein 70. Geburtstagsfest feiert, soll dieses realisierbare Projekt eine G e b u r t s t a g s f r e u d e sein.

Dokument Nr. 24  : Brief von Staatsoperndirektor Dr. Erwin Kerber an Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl am 15. Februar 19371

Hochverehrter Herr Landeshauptmann  ! In der Anlage überreiche ich Dir wunschgemäß die Gutachten unserer Bühnenleute. Sie halten eine geringfügige Erweiterung Deines Projektes bühnentechnisch für erforderlich. Erklären aber, dass sie bei Bewilligung ihrer Vorschläge für ewige Zeiten auskommen. Wenn ich versuche, mich in Deine Auffassung hineinzudenken, so fällt eigentlich nur der kleine Gartenstreifen ins Gewicht, den die Franziskaner mehr abtreten müssen. Dagegen scheint mir die Schwierigkeit mit der Mönchsbergstiege weniger gewichtig, da diese Stiege unschwer über das Dach des neuen Dekorationsdepots geleitet werden könnte. In aufrichtiger Verehrung und in Dankbarkeit wie immer Dein Dir sehr ergebener Kerber

1 SLA Rehrl FS-0033.

Dokument Nr. 25  : Schreiben von Architekt Prof. DI Dr. Clemens Holzmeister an Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl am 22. Februar 19371

Hochverehrter Herr Landeshauptmann  ! Lieber Freund  ! Bestens dankend bestätige ich Deine Zusendung vom 19. Februar d. J. Ich habe den Grundriss in den Lageplan eingezeichnet und die Flächen berechnet. Beides sende ich beiliegend. Um zu einem halbwegs endgültigen Ergebnis zu kommen, habe ich in der vergangenen Woche intensivst und in Verbindung mit den Bühnenfachleuten der Oper an dem neuen Bühnenhaus gearbeitet. Es ist vor allem hervorzuheben, dass die Bühnenfachleute, und ich konnte mich von der Berechtigung überzeugen, von den angegebenen Maßen nicht zurückstehen wollen, wenn man darauf hinzielt, die kommende Salzburger Bühne den Verhältnissen der Opernbühne anzupassen. Außerordentlich schwierig ist es nun, diesen Riesenklotz, der ganz aus dem Verhältnis der Nachbarhäuser dieser Gegend und vielleicht von ganz Salzburg steht, in das Stadtbild einzupassen. Ich habe schließlich zu dem einzigen Mittel gegriffen, das hier nach meiner Meinung eine befriedigende Lösung bringen könnte  ; der Anschluss des Bühnenhauses an das Massiv des Mönchsbergfelsens und zwar in der Art, dass die heutige Höhe des Mönchsbergfelsens an den beiden in Betracht kommenden Stellen ungefähr gehalten und um das Massiv des Bühnenhauses herum gezogen wird. Das Bühnenhaus müsste eine bastionartige Form erhalten, was durch Anbringung von Eckpfeilern, von Wappen und Masken, alles in grobem Beton bzw. Stein, ohne weiteres möglich wäre. Es müsste also der Übergang vom Bühnenhaus zum Felsen sozusagen etwas verwischt werden. Nun reicht aber die vorhandene Höhe des Mönchsbergfelsens von 22 Metern für das Bühnenhaus selber nicht aus, und ich bin genötigt, ein 8 Meter hohes Bauwerk aufzusetzen, was ja wiederum eine Angleichung an nachbarliche Verhältnisse, etwa Edmundsburg, darstellt. Der Rücksprung dieses aufgesetzten Baues gegenüber den Mauern des Bühnenhauses ist ohne weiteres möglich. Die so entstehende umlaufende Terrasse könnte dem Publikum zugänglich gemacht werden. Die notwendigen Probensäle, Depots, Malersäle usw. fügen sich ganz gut in das Stück zwischen Bühnenhaus und dem Mönchsbergfelsen ein, Planskizzen hierüber werde ich baldigst folgen lassen können. 1 SLA Rehrl FS-0036.

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Die Mönchsbergstiege verläuft nun so, dass sie im Toscaninihof als leicht sichtbare Freitreppe beginnt, in dem großen Bogen verschwindet und an der Seite gegen die Fauststadt wieder in eine offene Terrasse mündet, von welcher wenige Stufen bis zur Mönchsbergterrasse führen. Durch den eben bezeichneten großen Bogen führt weiterhin ein 4 Meter breiter Tunnel bis zur Fauststadt. Allerlei nutzbringende Verbindungen mit den Felsarkaden, mit dem Beleuchtergang usw. des Faustdaches, sind dann leicht möglich. Der an die Platzseite des Bühnenhauses sich anschmiegende Bau beinhaltet ausschließlich Garderoben, sowohl für Orchester als auch für die Spieler. Ich habe diesen Trakt bei niedrigen Geschoßhöhen viergeschoßig angelegt, bei gleichbleibender Gesimshöhe mit dem alten Haus  ; er bricht aber frühzeitig ab, um den Blick gegen Hohensalzburg freizulassen. Im Anschluss an mein heutiges Schreiben übersende ich Dir auch eine Skizze aus der Vogelschau, welche das eben Gesagte veranschaulichen soll. Es ist naheliegenderweise nicht das Endgültige  ; hierzu sind nun in nächster Zeit Aufnahmen an Ort und Stelle notwendig. Ich denke Ende der Woche, wahrscheinlich samstagmittags, nach Salzburg zu kommen, und hoffe, Dich dort antreffen zu können. Ich glaube, dass es von Nutzen ist, wenn vorderhand dieser nach Deinen Ideen von mir weiter gebildete Plan geheim bleibt. Ich habe mir durch Veröffentlichung des letzten Vorschlages bei dem Turm ja nur Feinde zugezogen und kann deshalb eine Veröffentlichung leicht erwarten. Das Wichtigste ist mir Dein Einverständnis und dann die Zustimmung Toscaninis. Ich arbeite inzwischen an den Plänen intensivst weiter, insbesondere an der inneren Umgestaltung und hoffe, Dir dann bis Ende der Woche über alle wesentlichen Punkte bereits Vorschläge erstatten zu können. Die erste Hälfte März würde dann wohl beansprucht werden, um aufgrund genauer Pläne bindende Kostenvoranschläge einzuholen, sodass bis zum Geburtstage Toscaninis am 25. März alles zur Entscheidung bereit wäre. Mit herzlichem Gruße verbleibe ich in aufrichtiger Verehrung stets Dein ergebener Clemens Holzmeister

Dokument Nr. 26  : Telegramm Arturo Toscaninis vom 23. Februar 1937 zum Umbauvorschlag von Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl1

Der letzte Zwischenentwurf des Herrn Landeshauptmanns Dr. Rehrl, wie er sich aus dem Schreiben vom 15. Februar 1937 in Verbindung mit der Beilage Nr. 2 ergibt, scheint auch mir weitaus vorzuziehen zu sein  ; er scheint praktisch und ergibt ein Theater, das Salzburgs würdiger ist als das jetzt bestehende, aber ohne Übertreibungen. Schließlich scheint mir aus einer ganzen Reihe von Gründen – auch von finanziellen Gründen abgesehen – für Salzburg ein Massentheater nicht in Betracht zu kommen. Dies würde dem Charakter der Festspiele widersprechen. Für den mir vorgelegten Plan, wie er sich aufgrund der Einzelbemerkungen der Techniker der Wiener Staatsoper (Beilage 2) zu dem sehr dankenswerten letzten (dritten) Projekt von Herrn Landeshauptmann ergibt, erhält man ein schönes künstlerisches Ergebnis  : Die Bühne wird vergrößert, dasselbe findet mit dem Raum des Orchesters statt, und eine angemessene Vergrößerung erfährt auch der Zuschauerraum. Ich kann daher diesem letzteren Projekt mit den Modalitäten, wie sie sich aus der Beilage 2 ergeben, nur gerne meine Zustimmung geben. Arturo Toscanini

1 SLA Rehrl FS-0033. Zur Erklärung  : Beilage 2 bezieht sich auf die von den Technikern der Wiener Staatsoper zum Plan bzw. Grundriss vorgeschlagenen Änderungen.

Dokument Nr. 27  : Rede von Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl anlässlich des 70. Geburtstages Arturo Toscaninis in Mailand am 25. März 19371 Hochverehrter Meister  ! Gestatten Sie mir, dass ich Ihnen aus Anlass Ihres 70. Geburtstages im Namen des Landes Salzburg sowie im eigenen Namen die aufrichtigsten und herzlichsten Glückund Segenswünsche darbringe  ! Es war mir ein aufrichtiges Herzensbedürfnis, Sie heute hier in Mailand aufzusuchen, um Ihnen persönlich unsere Glückwünsche darzubringen. Denn wir Salzburger sind tief durchdrungen von dem Bewusstsein, dass wir in Ihrer Person einen überaus wohlwollenden Freund verehren dürfen  ; Sie haben dies dadurch bewiesen, dass Sie sich in den Dienst unserer Festspiele stellen und wesentlich dazu beitragen, dass diese alljährlichen Veranstaltungen zu einem gewaltigen Anziehungspunkte für die ganze kunstverständige Welt geworden sind und dass im Sommer Tausende aus allen Teilen der Welt nach Salzburg pilgern, um bei den Festspielen Ihrer unerreichten Kunst zu lauschen. Die Festspiele haben unser Land und unsere Stadt, welche auf eine stolze vielhundertjährige künstlerische Tradition zurückzublicken vermag und aus welcher einer der größten Meister der Musik hervorgegangen ist, vornehmlich dank Ihrer Mitwirkung und Förderung in den Brennpunkt der Kulturwelt gerückt. Ich erfülle daher eine angenehme Pflicht, wenn ich Ihnen, hochverehrter Meister, heute unseren tief gefühlten Dank zum Ausdruck bringe, an welchen ich die herzliche Bitte knüpfe, dass Sie uns auch in Zukunft Ihre so überaus wertvolle Freundschaft bewahren mögen  ! Eine große Befriedigung ist es für mich, Ihnen, hochverehrter Meister, heute mitteilen zu können, dass meine Bemühungen, welche ich aufgrund Ihrer wertvollen Anregungen und eines von Ihnen wiederholt ausgesprochenen Wunsches auf die Ausgestaltung unseres Festspielhauses aufgewendet habe, von Erfolg begleitet waren und ich heute sagen kann, dass wir in allernächster Zeit mit dem Erweiterungsbau beginnen werden. Sie haben mit Recht auf die Unzulänglichkeit des Bühnen- und Orchesterraumes in ihrer gegenwärtigen Gestalt aufmerksam gemacht und überzeugend darauf hingewiesen, dass dieses Haus gegenwärtig nicht mehr als ein der Salzburger Festspiele würdiges Heim angesehen und gewertet werden kann. Aufgrund eingehender Überlegung, auf welche Weise dem Verlangen nach einer Neugestaltung unter Beibehaltung des traditionellen Platzes am besten Rechnung getra1 SLA Rehrl FS-0011/3.

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gen werden könnte, habe ich einen Plan entworfen, welcher Ihnen, hochverehrter Meister, zur Kenntnis gebracht wurde und, wie ich zu meiner größten Befriedigung erfahren habe, auch Ihre vorbehaltlose Billigung gefunden hat. Aufgrund dieses Entwurfes arbeitet Professor Holzmeister, der Erbauer des Festspielhauses und der Fauststadt, in engster Fühlungnahme mit allen maßgebenden Faktoren das Projekt für den Bau aus, dessen Pläne ich mir hiermit zu überreichen gestatte. Die Aufbringung der erforderlichen, nicht geringen Mittel gründen sich einerseits auf namhafte Beitragsleistungen der Stadtgemeinde und des Landes Salzburg (Fonds zur Förderung des Fremdenverkehres), andererseits auf die Finanzierung durch die für den Bau heranzuziehenden Firmen. Zu unserem verantwortungsvollen Entschluss, den Bau auf der angedeuteten finanziellen Grundlage in Angriff zu nehmen und durchzuführen, hat ganz wesentlich Ihr Anerbieten beigetragen, durch eine von Ihnen selbst durchgeführte weitgreifende Aktion Mittel zur Ausgestaltung des Festspielhauses beizustellen, welche Aktion in Anbetracht Ihrer hohen Weltgeltung einen durchschlagenden Erfolg erhoffen lässt  ; und ich glaube, auf Ihr vollstes Verständnis, hochverehrter Meister, rechnen zu können, wenn ich in diesem Zusammenhange an Sie die Bitte richte, uns in der erwähnten Weise hilfreich zur Seite stehen zu wollen  ! Als Andenken an den heutigen Festtag bitte ich Sie, dieses kleine Buch freundlichst entgegennehmen zu wollen, welches in seinen Bildern von der Schönheit des Landes und der Stadt Salzburg in seiner Natur und seinen Kunstwerken spricht und in Ihnen immerdar die Erinnerung an die Stätte einer erfolg- und ruhmgekrönten Tätigkeit wachrufen und erhalten möge. Auch freut es mich, Ihnen bei diesem Anlasse die Mitteilung überbringen zu können, dass der Gemeinderat der Stadt Salzburg beschlossen hat, den durch den Erweiterungsbau an der Stirnseite des Hauses, zwischen dem neuen Bühnenhaus, dem Reinhardt-Platze und der Erzabtei St. Peter entstehenden Raum zum Zeichen immerwährenden dankbaren Gedenkens »Toscanini-Hof« zu nennen.

Dokument Nr. 28  : Gedächtnisprotokoll von Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl von Anfang März 1937 über die Verhandlungen mit dem Bund zur Finanzierung des Umbaus des Festspielhauses1 Es wird vereinbart, dass zur entsprechenden Ausgestaltung des Salzburger Festspielhauses, insbesondere zur Erbauung eines neuen Bühnenhauses, Kreditmittel in der Höhe von maximal 3 Millionen Schilling aufzubringen sind. In dieser Summe ist die Restschuld vom letzten Bau des Festspielhauses per 285.000 Schilling, die das Land Salzburg (Fonds zur Förderung des Fremdenverkehres) zur Zahlung übernommen hat, insoweit inbegriffen, als die Kreditmittel nicht zur Vollendung des Baues voll verbraucht werden. Die Gesamtmittel werden in der Weise aufgebracht, dass 750.000 Schilling durch die Stadt Salzburg, die Eigentümerin auch des neuen Hauses wird, und 750.000 Schilling durch das Land Salzburg (Fonds zur Förderung des Fremdenverkehres) beigestellt werden, welch letztere Summe sich eventuell um die nicht zur Tilgung gelangte Summe aus der Restschuld vom alten Festspielhaus, mithin maximal auf 1.035.000 Schilling erhöht. Die restliche Hälfte ist durch Firmenfinanzierung auf die Dauer von 5 Jahren aufzubringen. Der Bund wird der Festspielhausgemeinde, die den Bau zu vergeben hat, durch das Bundesministerium für Unterricht, unabhängig von der für den laufenden Betrieb zu gewährenden Subvention, eine weitere Subvention durch 5 Jahre von je 300.000 Schilling zuzüglich der anfallenden Zinsen gewähren. Der Bund stellt weiter den zum Bau erforderlichen Teil des im ärarischen Eigentum stehenden Franziskanergartens bei. Der Bau hat unter Bauaufsicht des Landesbauamtes bei der Landeshauptmannschaft Salzburg zu stehen. Einlaufende Spenden und das Ergebnis der Toscanini-Konzerte werden quotenmäßig auf die beitragsleistenden Faktoren aufgeteilt.

1 SLA Rehrl FS-0049.

Dokument Nr. 29  : Pressenotiz vom 14. April 1937 über die Finanzierung des Festspielhausumbaus1 Aufgrund der von der Stadtgemeinde Salzburg, der Kommission des Fonds zur Förderung des Fremdenverkehres in Salzburg und des Salzburger Landtages gefassten Beschlüsse hat Landeshauptmann Dr. Rehrl in Wien Schritte zur vollen Finanzierung des Festspielhaus-Umbaues eingeleitet, die dank der wohlwollenden Förderung durch die Bundesregierung, insbesondere durch Bundeskanzler Dr. Schuschnigg und Bundesminister für Unterricht Dr. Pernter, dazu führten, dass der nach den Beschlüssen der obgenannten Körperschaften noch ungedeckte Hälfterest der veranschlagten Baukosten von höchstens drei Millionen Schilling durch Firmenfinanzierung aufgebracht werden kann. Zu diesem Entschlusse hat wesentlich das großherzige Anerbieten Maestros Toscanini beigetragen, durch eine von ihm selbst durchgeführte weitgreifende Aktion Mittel zur Ausgestaltung des Festspielhauses beizustellen, welche Aktion in Anbetracht der uneingeschränkten hohen Weltgeltung des Maestros einen durchschlagenden Erfolg erhoffen lässt. Der Erweiterungsbau ist genau in dem Sinne geplant, wie er vor einiger Zeit veröffentlicht wurde und eine großzügige Bauidee des Landeshauptmannes Dr. Rehrl darstellt. Professor Clemens Holzmeister, der Erbauer des Festspielhauses und der Fauststadt, arbeitet gegenwärtig in enger Fühlung mit allen maßgebenden Faktoren die Baupläne so weit aus, dass aufgrund derselben genaue Kostenberechnungen aufgestellt werden können. Nach den roh aufgestellten Baukosten steht fest, dass die präliminierte Summe nicht überschritten wird.

1 SLA Rehrl FS-0139.

Dokument Nr. 30  : Rede von Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl anlässlich der Enthüllung eines Ehrenmals für Hugo von Hofmannsthal in der Eingangshalle des Salzburger Festspielhauses am 8. August 19371 Dem Dichter Hugo von Hofmannsthal gilt heute unser ehrfurchtsvolles dankbares Gedenken  ! Am Dienstag, dem 16. Juli 1929, brachten die österreichischen Tageszeitungen die erschütternde Mitteilung vom plötzlichen Heimgange Hugo von Hofmannsthals, welche umso schmerzlichere Trauer und Anteilnahme allüberall hervorgerufen hat, als der tragische Anlass zu seinem Tode das Sterben seines Kindes war, welches das treue, durch diesen Schlag selbst zu Tode verwundete Vaterherz nicht zu überleben vermochte. Erst 55 Jahre alt, ist Hofmannsthal mitten im künstlerischen Schaffen vom Tode ereilt worden. Seinem rastlosen Arbeiten und Streben war ein hohes Ziel gesetzt  : sich zur Führung der jungen österreichischen Dichtergeneration durchzuringen  ! Er hat dieses Ziel erreicht und gilt heute als einer der bedeutendsten österreichischen Dichter der neuesten Zeit  ! Es erübrigt sich ein besonderer Hinweis darauf, dass der Name Hugo von Hofmannsthal für immer in der Geschichte der Salzburger Festspiele verewigt sein wird. Denn er selbst war ein großer und begeisterter Anreger und Verkünder des Festspielgedankens. Ich erinnere hier an einige seiner Werke wie »Jedermann«, »Das Salzburger Große Welttheater« und an den Text des »Rosenkavaliers«. Und diese Werke schufen auch die engen Beziehungen des Dichters zu Salzburg. Es ist daher nur die Einlösung einer Ehrenschuld, wenn heute dem Dichter und großen Freunde unserer Festspiele ein Denkmal ersteht. Wir danken daher heute auch all jenen, welche sich in pietätvoller Anhänglichkeit zu dem Verewigten und in richtiger Würdigung seiner großen, für die Salzburger Festspiele überragenden Bedeutung um das Entstehen und die Schaffung des Ehrenmales verdient gemacht haben. Hier gedenke ich vor allem des Herrn Bundesministers für Unterricht Dr. Pernter, sodann der Salzburger Festspielhausgemeinde sowie des Vereines der Museumsfreunde in Wien, welch Letzterer insbesondere durch seine wertvollen Anregungen das Entstehen des Werkes tatkräftigst gefördert hat. Und kein anderer Platz als das Festspielhaus kann würdiger sein, dieses Denkmal zu beherbergen. War doch Hofmannsthal auf das Innigste mit dieser Kunststätte verbunden. Leider war es dem Dichter nicht mehr gegönnt, den von Jahr zu Jahr sich steigernden Aufschwung unserer Festspiele mitzuerleben. Aber so oft wir uns seiner 1 Salzburger Chronik, 9. 8. 1937. S. 3.

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Schöpfungen bei den Salzburger Festspielen erfreuen können, huldigen wir in Dankbarkeit dem verewigten großen Dichter und Freund unserer Festspiele. Hugo von Hofmannsthal wird immer fortleben in unserer dankbaren Erinnerung, denn in seinen Werken hat er sich selbst ein immerwährendes Denkmal gesetzt.

Dokument Nr. 31  : Bericht über den Fortschritt des Umbaus des Festspielhauses für die Besprechung im Sitzungssaal der Landesregierung am 24. August 19371

Meister Toscanini hat im Herbst vorigen Jahres die Anregung für eine bedeutende Erweiterung des Festspielhauses gegeben. Die Fachleute haben sich lange Zeit mit dem Problem beschäftigt, ohne ein allseits befriedigendes Ergebnis zu erreichen. Das Hindernis lag in der Beschränkung des Platzes für eine Erweiterung, die insbesondere für das Orchester und für die Bühne als das Dringlichste erschien. Da griff Landeshauptmann Dr. Rehrl die Frage neu auf und fasste einen kühnen Entschluss, der mit einem Male die Platzfrage für eine großzügige Erweiterung löste  : An der Rückfront des heutigen Festspielhauses wurde ein großes Areal gewonnen dadurch, dass mit den Besitzern der dort bestehenden Realitäten Abkommen in der Art getroffen werden konnten, dass mit größter Energie heute der genügende Raum für die Erweiterung an dieser Stelle geschaffen ist. Bis zu den Festspielen dieses Jahres konnte das Haus Nr. 10 an der Mönchsbergstiege verschwinden, der Fotograf Hintner auf den Reinhardt-Platz mit einem neuen Objekt verlegt werden, die Franziskanermauer um ein Bedeutendes zurückgeschoben werden, wobei die Mönchsbergstiege eine provisorische Verlegung erfahren musste. Auch die Bauarbeiten für den neuen Bühnenbau konnten in ihren Fundierungsarbeiten auch noch während der Festspiele so weit vorangetrieben werden, dass mit 1. September bereits mit dem Aufbau des Bühnenhauses über dem Erdboden unverzüglich begonnen werden kann. Hand in Hand mit dieser vorbereitenden Umgestaltung lief auch die Umgestaltung und Herrichtung des Reinhardt-Platzes. Der Fischbrunnen wurde verlegt und an jene Stelle gesetzt, welche die Vermittlung zwischen der Richtung der Hofstallgasse und der Franziskanergasse darstellt. Der Fischbrunnen steht aber wieder, wie auch früher, unter Bäumen und verbindet sich mit dem dahinter liegenden botanischen Garten zu einem neuen, außerordentlich belebenden Bild der gesamten Platzwirkung. Die Stirnfront des Studiengebäudes, die durch die Freilegung in das Platzbild gerückt war, erhielt eine Bereicherung durch ein Sgraffito-Bild von Maler Georg Jung, die vier Fakultäten um eine Sonnenuhr mit dem Bilde der Mutter Gottes von Maria Plain darstellend. Einem lange gehegten Wunsch Rechnung tragend, wurde heuer bereits eine gedeckte Vorhalle als Vorfahrt für das Festspielhaus geschaffen, die in Hinkunft in die neu zu gestaltende Fassade des Hauses eingebunden wird. 1 SLA Rehrl FS-0102.

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Der Erweiterungsbau nach der Bauidee von Landeshauptmann Dr. Rehrl beinhaltet kurz Folgendes  : Schaffung einer neuen Bühne in der Größe der Bühne der Wiener Oper, bergseits im Anschlusse an diese Bühne Nebenbühne und Depots, platzseits Errichtung eines Garderobenhauses. Diese drei Bauteile auf dem freigewordenen Platze im Anschlusse an das bestehende Haus, so zwar, dass die rückseitige Mauer abgebrochen wird, der gesamte Zuschauerraum um 180 Grad gedreht, das heutige Bühnenhaus zum Teile als Erweiterung für den Zuschauerraum und zum anderen Teile als Foyer und Treppenhaus benützt wird. Dieser Bauidee ist durch die Pläne, die auszuführen Prof. Clemens Holzmeister beauftragt wurde, die architektonische Form verliehen worden  ; im Besonderen sehen diese Pläne, die mit allen einschlägigen Fachleuten in monatelanger Arbeit beraten und festgelegt wurden, Folgendes vor  : Die Bühne hat ein Ausmaß von 26 m Breite, 24 m Tiefe und 27 m Höhe. Dieses Ausmaß ermöglicht alle Einrichtungen, wie sie von den Bühnenfachleuten als notwendig erachtet wurden. Bei einem Bühnenausschnitt von 13 auf 9 m kann jedes noch so komplizierte Bühnenbild durch die bestehenden Einrichtungen gebracht werden und den Ansprüchen, sowohl was technische Einrichtung als auch hinsichtlich der Beleuchtung betrifft, voll genügen. Für die Verwandlung ist eine große Nebenbühne vorgesehen, welche in einfachster und raschester Weise die Verwandlungen durchführen kann. Das mächtige Bühnenhaus steht in seiner gesamten Höhenausdehnung frei gegen den zu bildenden Toscanini-Hof. Gegen diesen ist das mächtige Bühnenportal, geziert durch maskentragende Genien sichtbar, darüber ein Orgelwerk, das das Fernwerk der Orgel des Festspielhauses darstellt. Die heute im Bühnenhaus angebrachte Orgel wird zu beiden Seiten des Proszeniums neu aufgestellt werden und erfährt eine bedeutende Erweiterung an Registern, insbesondere auch mit Rücksicht darauf, dass das Fernwerk der Orgel, an der Rückseite des Bühnenhauses angebracht, auch gegen den Toscanini-Hof wirksam ertönen soll. An der Seite des Toscanini-Hofes führt auch die neue Mönchsbergstiege zum Mönchsberg, so zwar, dass sie ungefähr in 2/3 Höhe in die alte Mönchsbergstiege mündet. Durch die Art der Führung dieser Treppe wird ein neues malerisches Motiv, an Salzburger Vorbilder erinnernd, in den Hof getragen. Unter dieser Treppenanlage führt einerseits ein Tunnel zur Fauststadt, andererseits öffnet sich eine Türe für einen geräumigen Aufzug, der sowohl die Dekorationen in die oberen Geschoße bringen kann, als auch dafür geeignet ist, als Personenaufzug zu dienen und die Besucher des Hauses etwa in den Pausen auf die durch das neue Bühnenhaus geschaffene, weit umführende Terrasse zu führen. Diese Terrasse verbindet sich vollkommen mit dem Mönchsbergfelsen und wird ein neuer Anziehungspunkt für Fremde und Einheimische darstellen.

Dokument Nr. 31

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Der neue, auf der Seite des Reinhardt-Platzes errichtete Garderobentrakt sieht im Untergeschoß Garderoben für das Orchester samt geräumigen Waschanlagen vor. Der Zugang zum Orchester befindet sich in unmittelbarer Nähe  ; es ist auch dafür gesorgt, dass das Orchester einen Notausgang auf der anderen, der Bergseite, hat. Das Orchester selber hat ein Ausmaß von 7,20 m × 18,80 m, was einem Quadratmeterausmaß von ca 140 m2 gleichkommt. Der Fußboden des Orchesters ist variabel und kann in der Höhe ganz nach dem Wunsche des Dirigenten gestellt werden. Sitze und Beleuchtungsanlagen im Orchester werden genau nach den Wünschen der Musiker ausgeführt. Das Garderobenhaus weist eine Reihe von Künstlergarderoben auf, die ihrerseits wieder, mit allen sanitären Einrichtungen ausgestattet, im angenehmen Gegensatz zu den heutigen Anlagen stehen werden. Zu beiden Seiten des Proszeniums ist über den beiden Proszeniumslogen des Parterres, von denen die eine für die Radioübertragung bestimmt ist, wie schon betont, die Orgel aufgestellt. Der um 180 Grad in seiner Richtung gedrehte Zuschauerraum wird in Hinkunft im Parterre 1.068 Sitze aufweisen, die zum größten Teile, wie schon heuer teilweise durchgeführt, gediegen gearbeitete Polsterfauteuils darstellen. Der neu hinzugekommene hintere Sitzblock wird gegenüber den beiden vorderen etwas erhöht angebracht sein und dadurch bessere Sichtverhältnisse schaffen. Dieser Block ist durch das neu geschaffene Foyer von der Rückseite zugänglich, welches in direkter Verbindung mit dem Garderobengang und der Faistauer-Halle steht. Die bestehende erste Galerie erhielt bereits für diese Saison eine Verbesserung dadurch, dass die Sitze gestaffelt und in einem Winkel von 45 Grad gegen die Bühne aufgestellt wurden. Dadurch haben sich erwiesenermaßen die Sichtverhältnisse gebessert. Diese Seitengalerien werden durch den Erweiterungsbau, der in den Raum der alten Bühne eingreift, miteinander verbunden und durch eine Logenanlage abgeschlossen. Die Gesamtzahl der Sitze in der ersten Galerie beträgt 354, einschließlich der Sitze in den Logen. Diese erste Galerie erhält ihren neuen Zugang durch eine neu angelegte Treppe auf der Seite der Garderobenhalle und als Ergänzung auch die bestehende Stiegenanlage zu den heutigen Direktionsräumen. Der an der Mönchsbergseite angeschlossene Wandelgang verbleibt, desgleichen die jetzige Stiegenanlage an dieser Seite. Der ersten Galerie ist des Weiteren ein geräumiges Foyer vorgelagert, das als Ehrensaal durchgebildet werden soll und gewissermaßen als Entlastung für den Festsaal in den Pausen dienen soll. Neu ist die Einführung einer zweiten Galerie. Der bestehende Wehrgang muss entfernt werden, die zweite Galerie wird in einer Höhe geführt, welche die Sichtverhältnisse vorteilhaft gestaltet und ebenfalls über den Logen eine Verbindung der beiden Seitengalerien aufweist. Die Gesamtzahl der Sitze der zweiten Galerie beträgt 335. Es ergibt sich somit folgende Sitzaufstellung …

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Parterre

1.068

Erste Galerie

  354

Zweite Galerie

  335

zusammen

1.757 Sitze

gegenüber 1440 im alten Hause. Die Ausführung des Zuschauerraumes wird, den heutigen Charakter ergänzend, geschehen, die zweite Galerie wird an ihrer Brüstung entsprechend dekoriert werden, die bestehende Decke des Zuschauerraumes verbleibt, wird aber durch die Beleuchterbrücke in der Nähe der Bühne unterbrochen und über den rückwärtigen Galerien um ca. 2 m gehoben. Diese neue Beleuchterbrücke bringt für die Beleuchtung des Bühnenbildes besondere Vorteile und ist selbstverständlich mit dem ganzen übrigen Beleuchterapparat in enger Verbindung. Der vorgesehene Eiserne Vorhang der Bühne wird ein großes Monumentalgemälde aufweisen  ; zu diesem Zwecke dürfte ein Wettbewerb unter prominenten Künstlern veranstaltet werden. Das Thema wird die Geschichte des Festspielhauses in Verbindung mit der Verherrlichung der Musik und der Dichtkunst sein. Zu bemerken wäre noch, dass die Heizungs- und Lüftungsanlagen soweit als möglich verbessert werden, insbesondere die Lüftungsanlagen werden eine vorteilhafte Umgestaltung erfahren. Die Front des alten Hauses wird entsprechend der durchzuführenden inneren Umgestaltung eine Vereinheitlichung erfahren, sodass das zukünftige Bild ein geschlossenes gegenüber dem heutigen Zustande darstellen wird. Mit den Bauarbeiten wurde, wie oben ausgeführt, schon vor langem begonnen, so zwar, dass mit 1. September mit aller Intensität die Arbeiten für das ganze Bauvorhaben einsetzen können. Es sind alle Garantien dafür gegeben worden, dass der Bau mit 15. Juni 1938 der Festspielhausgemeinde übergeben werden kann. Salzburg, am 24. August 1937

Dokument Nr. 32  : Schreiben von Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl an die Bauleitung des Erweiterungsbaues des Salzburger Festspielhauses am 25. August 19371

Am 24. August 1937 fand um 18 Uhr im Sitzungssaale der Landesregierung eine Besprechung in Angelegenheit des Festspielhausumbaues statt, an der u. a. Maestro Toscanini, Prof. Bruno Walter und Prof. Max Reinhardt teilnahmen.2 Es wurden anhand des angeschlossenen Berichtes alle Fragen erörtert und insbesondere festgestellt, dass die Vorschläge nach eingehenden Beratungen mit den Fachleuten der Wiener Oper erstattet wurden. Der Bericht wurde im Allgemeinen zustimmend zur Kenntnis genommen, nur wurde von Prof. Reinhardt darauf verwiesen und gefordert, dass nochmals überprüft werde, ob der Schnürboden mit so viel Zügen, wie sie jetzt vorgesehen sind, überhaupt notwendig ist. Prof. Reinhardt meinte, dass bei Ausstattung der Festspielbühne vor allem auf die Zukunft Bedacht genommen werden soll und nicht nur die Vergangenheit berücksichtigt wird. Nach seiner Meinung gebührt in Zukunft ein Bühnenbild nicht den Suffitten, Kulissen und Malern, sondern den Körpern. Vor allem müsse die Nebenbühne so ausgestattet sein, dass auf derselben die Szene zur Gänze ausgestellt werden würde, wodurch die Pausen durch den Aufbau der Bühne auf Rollen entsprechend verkürzt werden können. Auch wäre zu prüfen, ob nicht bei Verminderung der Züge dafür Sorge getragen werden könnte, dass die vorhandenen Züge hochgezogen werden. Maestro Toscanini legt besonderen Wert auf die größtmögliche Ausstattung der Bühnen- und Effektbeleuchtung. Der Landeshauptmann verweist darauf, dass es schwer möglich sei, bei den Ausstattungen über das Ausmaß der Staatsoper hinauszugehen, da hierfür weder Verständnis noch die Mittel gefunden werden können. Er schlage jedoch vor, dass die Anschlüsse für 96 Horizontal- und 16 Quecksilberdampflampen geschaffen werden, dass aber maximal 60 Horizontal- und 8 Quecksilberdampflampen gekauft werden, während bei Notwendigkeit die restlichen Lampen von der Staatsoper entliehen werden. Es muss sofort festgestellt werden, was bei diesem Vorschlage, wenn nur die Anschlussdosen angeschafft werden, erspart werden kann. Besonderen Wert legen Maestro Toscanini und Prof. Reinhardt darauf, dass der Bühnenboden möglichst in allen Teilen beseitigt werden kann, weil dies bei Schaffung verschiedener Bühnenbilder notwendig ist, um entsprechende Bauten in die 1 SLA Rehrl FS-0103. 2 Unter den Teilnehmern befand sich auch Prof. DI Dr. Clemens Holzmeister.

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Tiefe zu führen und ihre Versenkung durchzuführen. Diesbezüglich sind entsprechende Vorschläge zu erstatten. Maestro Toscanini verlangt, dass der Orchesterboden in jeder beliebigen Höhe fixiert werden kann und dass er auch für Konzertzwecke auf die Höhe der Orchesterrampe gebracht werden kann. Prof. Walter schlug vor, den Bühnenspieltisch in eine der Logen zu geben, damit der Dirigent gesehen werden kann. Toscanini ist nicht dafür und schlägt vor, dass der Bühnenspieltisch in die Ecke versetzt wird, welche sich, von der Bühne aus gesehen, auf der rechten Seite des Hauses befindet. Ich ersuche, sich sofort mit den zuständigen Faktoren in Verbindung zu setzen, um die entsprechenden Aufklärungen für die nächste Bausitzung erstatten zu können.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Archivbestände Salzburger Landesarchiv (SLA) Archiv der Salzburger Festspiele (ASF) Archiv des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-HaslauerBibliothek, Salzburg (AHB)

Gedruckte Quellen Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938. 12 Bde. – Wien/München 1993/2016 (ADÖ). Enderle-Burcel, Gertrude (Hg.)   : Berta Zuckerkandl – Gottfried Kunwald. Briefwechsel 1918–1938. – Wien/Köln/Weimar 2018. Fellner, Fritz (Hg.)  : Dichter und Gelehrter. Hermann Bahr und Josef Redlich in ihren Briefen 1896–1934. – Salzburg 1980 (= Quellen zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Herausgegeben von Fritz Fellner. Band 2). Ders.; Corradini, Doris A. (Hg.)  : Schicksalsjahre Österreichs. Die Erinnerungen und Tagebücher Josef Redlichs 1896–1936. 3 Bde. – Wien/Köln/Weimar 2011 (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs Band 105/I-III). Goldinger, Walter (Hg.)  : Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei 1932– 1934. – Wien 1980. Hadamowsky, Franz (Hg.)  : Max Reinhardt. Ausgewählte Briefe, Reden, Schriften, Szenen aus Regiebüchern. – Wien 1963. Hoffmann, Robert (Hg.)  : Festspiele in Salzburg. Quellen und Materialien zur Gründungsgeschichte. Band 1  : 1913–1920. – Wien/Köln/Weimar 2020 (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 75). Kaindl-Hönig, Max (Hg.)  : Resonanz. 50 Jahre Kritik der Salzburger Festspiele. – Salzburg 1971. Kende, Götz Klaus  ; Schuh, Willi (Hg.)  : Richard Strauss und Clemens Krauss. Briefwechsel. – Zürich/Freiburg i. Breisgau 1970. Kriechbaumer, Robert (Hg.)  : Österreich  ! und Front Heil  ! Aus den Akten des Generalsekretariats der Vaterländischen Front. Innenansichten eines Regimes. – Wien/Köln/Weimar 2005 (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 23). Ders. (Hg.)  : »Dieses Österreich retten.« Protokolle der Christlichsozialen Parteitage der Ers-

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Quellen- und Literaturverzeichnis

ten Republik. – Wien/Köln/Weimar 2006 (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 27). Ders.: Die Dunkelheit des politischen Horizonts. Salzburg 1933 bis 1938 in den Berichten der Sicherheitsdirektion. 3 Bde. 2019/20 (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 70/1–3). Ministerratsprotokolle der Ersten Republik (MRP). Stenografische Protokolle des Salzburger Landtages (SLTPR).

Tageszeitungen Arbeiter-Zeitung (AZ) Der Morgen Der Wiener Tag Die Stunde Die Wiener Stunde Kleine Volks-Zeitung Neue Freie Presse Neues Wiener Journal Neues Wiener Tagblatt Neuigkeits-Welt-Blatt Reichspost Salzburger Chronik Salzburger Nachrichten Salzburger Volksblatt Salzburger Volkszeitung Salzburger Wacht Wiener Allgemeine Zeitung Wiener Zeitung

Zeitschriften, Periodika Die Fackel Die Pause. Monatsschrift für Kultur, Kunst, Bildung, Leben IHS Studien Musicologica Austriaca. Jahresschrift der österreichischen Gesellschaft für Musikwissenschaft Österreichischer Beobachter Salzburg Archiv Salzburg. Geschichte & Politik

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Abbildungsnachweis Abb. 1 – 3 Foto ohne Angabe/ASF Abb. 4 – 7 Foto Ellinger/ASF Abb. 8 Foto Hellmann/ASF Abb. 9 Foto Willinger/ASF Abb. 10 Foto Ingrid/ASF Abb. 11 Foto ohne Angabe/ASF Abb. 12 Foto Ellinger/ASF Abb. 13 Foto 25076 Jureschek/SLA Abb. 14 Foto Karnitschnigg/ASF Abb. 15 – 17 Foto Ellinger/ASF Abb. 18 Foto C 005854/SLA Abb. 19 Foto A 030302/SLA Abb. 20 Foto C 030910/SLA Abb. 21 Foto Scherb/ASF Abb. 22 – 30 Foto Ellinger/ASF Abb. 31 Foto AHB Abb. 32 – 35 Foto ohne Angabe/ASF Abb. 36, 37 Foto Ellinger/ASF Abb. 38 Foto A 031076/SLA Abb. 39 Foto A 031077/SLA Abb. 40 Foto A 031078/SLA Abb. 41 Foto ohne Angabe/ASF Abb. 42 Foto 1949 Jureschek/SLA Abb. 43 Foto 25910 Jureschek/SLA Abb. 44 Foto 26478 Jureschek/SLA Abb. 45 Foto Arent/ASF Abb. 46 Foto SLA.

Personenregister

Adamec, Heinrich 101, 194 Adler, Gusti (Augusta) 101, 214, 306 – 308, 350, 467 Adlhart, Jakob 164, 168, 382 Ahrer, Jakob (Jacob) 141, 147 Aicher, Bernhard 375 Aischylos 24 Albers, Hans 269 Anday, Rosette 513 Andersen, Robin Christian 164, 168 Andrian, Leopold von 38 – 40, 79 – 81 Arent, Benno von 383 Arnim, Bettina von 229 Aslan, Raoul 234 Astor, Lady Nancy. 215 Bach, Johann Sebastian 91, 179 Bahr, Hermann 19, 25 – 27, 29, 45, 58, 64, 74, 79 – 81, 86, 409 Bahr-Mildenburg, Anna 19, 26, 409 Bakunin, Michael 71 Balser, Ewald 307 Barbirolli, John 386 Barca, Calderón de la 58 Bauernfeind, Wilhelm 115, 117, 160, 192, 217, 498 Bauer, Otto 72, 267, 273, 278 Bayern, Pilar von 389 Bebel, August 72 Beck, Max Wladimir 220 Beer, Rudolf 270 Beer-Hofmann, Richard 25, 38, 190 Beethoven, Ludwig van 91, 179, 181, 213, 227, 234, 303, 332, 334, 342, 352, 357, 359, 384, 386, 507 Beinkofer, Josef 48 Bel Geddes, Norman 105, 107 Berlioz, Hector 91 Berndl, Richard 29 Berrsche, Alexander 244 Bertel, Eduard 21 Bettelheim, E. 389

Billinger, Richard 190, 191 Bird, Hilary 389 Bismarck, Otto von 86 Bodrero, Alexander 389 Böhm-Bawerk, Eugen von 120 Bonne, N.N 389 Bootle, M. X. 389 Borgioli, N.N. 322 Boult, Adrian 337, 340 Boyson, Richard D. 389 Braak-Schraagen, Anna 389 Brahm, Otto 22, 25 Brahms, Johannes 91, 359 Brandon, Rodney H. 389 Brauneis, Viktor 212 Brecht, Bertolt 34, 403 Brooke, Helen Elisabeth 389 Bruckner, Anton 170, 179, 392, 510 Brüning, Heinrich 235 – 237 Buchinger, Rudolf 147 Buchmann, Iphigenie 100 Buresch, Karl 236, 240, 253, 266, 267, 297, 299, 312, 316, 317 Burghauser, Hugo 320, 358, 365, 526 Busch, Fritz 203, 250 Caniglia, Maria 337 Carmi, Maria 113, 114 Castiglioni, Camillo 93, 97 – 103, 111, 112, 192, 194, 195, 197 – 200, 347, 348 Cebotari, Maria 303 Ceconi, Karl 165 Charlon, Robert 389 Churchill, Ivor 389 Churchill, Winston 227 Cimarosa, Domenico 234 Cirleston, Cybill 389 Clemenceau, Georges 68 Clessin, Heinrich 210 Collalto, Manfred Fürst 389 Corinth, Lovis 23, 25 Curtius, Julius 235, 253

558 Czermak, Emmerich 219 Czernin, Graf 389 Czernitz-Renn, Poldi 354

Personenregister Falk, A. 389 Fehringer, Konrad 277 Fellner, Ferdinand 22 Ferstel, Max Freiherr von 123 Ferwardo, A. 389 Fey, Emil 286 Figl, Leopold 407 Filzer, Johannes 375 Firmian, Erzbischof Leopold Anton Eleutherius Freiherr von 33 Firmian, Laktanz 33 Fischer, Edwin 305 Fischer von Erlach, Bernhard 168 Foerster, Friedrich Wilhelm 74 Foest-Monshoff, Rudolf 217 – 219 Forel, August 253 Franckenstein, Clemens Freiherr von 216 Franckenstein, Georg 313 Frank, Felix 241 Frank, Hans 286, 287, 289 Franz Ferdinand, Erzherzog 74, 123 Franz Joseph I., Kaiser 469 Frauenfeld, Alfred Eduard 291 Friedell, Egon 107, 108 Fulda, Ludwig 22 Funder, Emil 115, 163, 192 Furtwängler, Wilhelm 319, 323, 328, 329, 384 – 386, 507

Damisch, Heinrich 19, 29 – 32, 36 – 39, 48, 106, 178, 179, 185, 192 Danneberg, Robert 159 Dargomyschski, Alexander Sergejewitsch 190 Dayton, Lord 237 Debussy, Claude 91 Demagy, Pierre 389 Demel, Karl 21, 22 Deutsch, Fritz 358 Devrient, Max 80 Diaz, Marcel 389 Diegelmann, Wilhelm 524 Diener, Karl 88, 89 Dietrich, Marlene 307 Dinghofer, Franz 19 Dobler, Michael 48, 455 Dohnanyi, Ernst von 234 Dollfuß, Engelbert 218, 253, 267, 272, 274, 276, 277, 279, 281 – 285, 287 – 291, 293, 295 – 299, 308 – 311, 315 – 317, 319, 321 – 323, 326 – 328, 331, 334, 352, 423 Donizetti, Gaetano 227, 234 Dostojewski, Fjodor 398 Doumergue, Gaston 227 Draxler, Ludwig 333, 335, 344 – 346, 349, 350, 362 Drucker, Adolf 112 Gallup, Stephen 114 Duncan, Isadora 26 Gautier, Marcel 389 Duse, Eleonora 26, 305 Gay, Peter 91 Gebert, Erich 140 Eduard VIII., König 353 Gehmacher, Friedrich 19, 29 – 33, 36 – 38, 106, Emminger, Karl 148, 149, 154, 157, 175, 187, 188, 107, 115, 160, 163, 216, 217, 368, 409, 498 451, 453 Geisler, Simon 210 Ender, Otto 333, 339, 340, 347, 364 Geppert, Paul 123 Engl, Karl 188 Gessele, Hermann 455 Erichleb, Jaro 101 Gessner, Adrienne 348 Erlanger, Martin S. 389 Gest, Morris 105 Ernst, Josef 209 Geyer, Emil 198, 261, 269, 270, 348 Esterházy, Andreas 389 Geyer, Siegfried 269 Exner, Hilde 165 Gherardesca, Ugaiccione della 389 Eysoldt, Gertrud 25 Giannini, Dusolina 337, 427, 428 Ginzkey, Franz Karl 192, 214, 216, 498 Faistauer, Anton 163 – 165, 168, 169, 231, 416, Gish, Lillian 198, 506 417, 518, 545 Glöckl, Otto 48

Personenregister Gluck, Christoph Willibald 170, 227, 234, 303, 352, 365, 384, 513 Goebbels, Josef 279, 322 Goethe, Johann Wolfgang von 190, 228, 234, 384, 518 Goldoni, Carlo 102, 227, 234, 404 Goldstein, Paul 99, 110 – 112 Goldwell, Mary 389 Göring, Hermann 322, 329, 385 Gorki, Maxim 22, 26 Gozzi, Carlo 170 Graf, Herbert 384 Graf, Max 243, 244, 324, 354, 356, 357, 395, 396 Greissle, Felix 91 Grimm, Jakob 56 Grünberger, Alfred 19 Gstür, Michael 529 Guest, M. 500 Guillaume, Mme. Paul 389 Gui, Vittorio 303 Günther, Georg 217, 218 Haase, Hugo 72 Habicht, Theo 291 Hainisch, Richard 19, 172, 177, 409 Hammerstein-Equord, Hans 322 Hanak, Anton 164 Hanisch, Ernst 78, 120 Hanslick, Eduard 21 Harta, Felix Albrecht 164 Hartl, Charles J. 389 Hartmann, Ludo Moritz 42 Hartmann, Paul 269, 336, 524 Hasenauer, Bartholomäus 57 Hasenauer, Johann 90 Haustein, Otto 160, 192, 498 Haydn, Josef 401 Heims, Else 28, 305 Heine, Albert 80, 81 Heinkel, Ernst 98 Heinl, Eduard 48, 49, 392 Helfferich, Karl 86 Helmer, Hermann 22 Herterich, Franz 180 Hildmann, Richard 48, 103, 113, 116 – 118, 141 – 144, 156, 159, 363 Hindemith, Paul 328

559

Hindenburg, Paul von 272, 279, 286, 559 Hintner, N.N. 543 Hitler, Adolf 132 – 134, 264, 265, 272, 273, 279 – 281, 288, 289, 294, 303, 309, 310, 320, 323, 352, 386, 399 Hoch, Friedrich 170 Hochleitner, Albert 275 Hofinger, Johannes 33, 305, 347, 349 Hofmann-Montanus, Hans 192, 498 Hofmannsthal, Hugo von 7, 8, 24 – 26, 29, 32, 38 – 40, 44, 45, 52, 55, 58, 59, 64, 65, 74, 76, 78 – 81, 83, 84, 116, 125, 126, 130, 131, 142, 143, 182, 190 – 193, 195 – 200, 202 – 204, 214, 215, 229, 231, 233, 234, 384, 393, 397, 411, 412, 460, 475, 478, 481, 501, 505 – 507, 518, 521, 523, 524, 541, 542 Holkar of Indore, Maharadscha Tukajirao 389 Holkar of Indore, Maharani 389 Hollaender, Felix 83 Holter, Karl 116, 163, 192, 455, 498 Holzer, Rudolf 19, 137 – 139, 151, 159, 161, 168, 395, 399, 400 Holzmeister, Clemens 8, 161 – 169, 181, 306, 325, 326, 356, 365 – 372, 377 – 379, 381 – 383, 393, 425, 433, 455, 488, 518, 526 – 528, 530, 532, 534, 535, 538, 540, 544, 547 Homberg, Octave 394 Hoover, Herbert 236, 237 Hörbiger, Attila 336, 524 Huberman, Bronislaw 320 Humboldt, Alexander von 229 Humperdinck, Engelbert 113 Hussarek, Max von 120 Huttenbach, Friedrich 389 Hütter, Eduard 8, 116 – 118, 123, 126, 128, 144, 145, 159, 163 – 166, 414, 528 Hutton, Barbara 358 Ibsen, Henrik 24 Jakob, Alex 389 Jannings, Emil 234, 307 Jenal, Emanuel 116, 163, 192, 498 Jerzabek, Anton 133 Jessner, Leopold 34 Jeszenszky (Jescensczky), Imre von 305 Jorda, Ivo 387

560

Personenregister

Jung, Georg 116, 382, 543 Kahane, Artur 307 Kahn, Otto H. 105, 500 Kainz, Albert 455 Kainz, Josef 82 Kaltenborn, Fritz 91 Kamare, Stephan 199 Karajan, Ernst von 253 Karajan, Herbert von 173, 253, 393 Karl I., Kaiser 38, 40, 79, 99 Karwinsky, Karl 322 Kastner, Rupert 373 Kayßler, Friedrich 399 Kerber, Erwin 45, 108, 111, 117, 125, 142 – 144, 159, 160, 181, 188, 194, 197, 199, 200, 217, 230, 269, 301, 330, 333, 371, 377, 384, 393, 475, 476, 478, 481, 482, 499, 516, 524, 526, 533, 534 Kerber, Hermann 45 Kernmaier, Ferdinand 299 Kerrl, Hanns 286 Kienböck, Viktor 141, 189, 209 Kienzl, Wilhelm 389 Kläger, Josef 195 Kleiber, Erich 328, 329, 335, 337, 340 Klemperer, Otto 303, 307 Klotz, Petrus 371 Knappertsbusch, Hans 384, 386 Knosp, Josef 373 Koflern, Sigmund von 20 Kokoschka, Oskar 164 Kolig, Anton 164, 168, 382, 383 Kolig, Ferdinand 164 Kollmann, Josef 141, 147, 220, 313, 339, 340 Kommer, Rudolf K. 113, 356 Königsgarten, Ernst 101 Kralik, Richard von 74 Kranz, Josef 99 Kraus, Karl 65, 66, 100 Krauss, Clemens 213, 216, 227, 234, 249, 250, 252, 303, 320, 322 – 324, 326 – 330, 334, 335, 342, 507, 508, 524 Krauß, Werner 46, 269, 384 Krips, Josef 337 Krotsch, Franz 114 Kube, Wilhelm 286 Kubin, Alfred 165

Kullmann, Charles 337, 357 Künzelmann, Ferdinand 37 Kunz, Otto 121, 124, 167 Kurz, Selma 19, 397 Lackner, Karl 116, 119, 124, 149, 291 Lammasch, Heinrich 74, 120 L’Arronge, Adolph 23 Latzko, Andreas 252, 253 Laval, Pierre 237 Lazzari, Virgilio 322 Lederwasch, Christoph 76 Lehmann, Lilli 21, 29, 30, 37, 517 Lehmann, Lotte 337, 359, 394, 401, 427 Lenin, Wladimir 72 Lenormand, Henri-René 84 Lenya, Lotte 403 Lewicki, Rudolf von 37 Liebknecht, Karl 72 Lindau, Paul 23 Lohner, Ludwig 98 Loidesdorf, Ernst 252 Lothar, Ernst 348, 350 Löwenthal, Anka 92 Löwenthal, Josef Freiherr von 172, 174 Ludwig, Eduard 347 Lueger, Karl 85 Lux, Josef August 51, 164 – 167 MacDonald, Ramsay 96, 227 Maeterlinck, Maurice 23 Mahler, Alma 92 Mahler, Gustav 21, 32, 40, 82, 91, 92, 330 Mahler, Otto 195 – 197 Manners, Diana 113, 114, 134 Mannlicher, Arnold 90 Margulies, Nina 111 Martin, Karlheinz 270 Martini-Toscanini, Carla de 427 Marx, Karl 71, 278 Marx, Lilly 389 Maschat, Josef 217, 218 Mataj, Heinrich 147 Mautner, Isidor 101 Mautner, Stephan 101, 195 Mayr, Michael 46, 49, 53, 54 Mayr, Richard 19, 21, 397, 507

Personenregister Mayrhofer, Thomas 127, 131, 135 Meier, Christian 7 Mell, Max 41 – 45, 125, 216, 472, 502, 506 Mendelssohn, Eleonora von 305, 401 Mendelssohn, Giulietta von 305 Mendelssohn, Robert von 305 Mengelberg, Wilhelm 320, 507 Menz, Otto 294 Messner, Joseph 216, 498 Metzl, Richard 354 Meyer, Oskar 48, 49, 120 Michel, Robert 80 Miklas, Wilhelm 116, 209, 218, 230, 267, 282, 299, 332, 353, 354, 514, 520 Mintz, Justizrat 99 Mises, Ludwig 120 Moissi, Alexander 23, 24, 46, 65, 228, 230, 232, 234, 250 – 262, 268, 269, 336, 397, 419, 420, 524 Molière, Jean Baptiste 8, 107, 234 Molnár, Franz 53, 389 Moltke, Freya von 280 Monteu, Pierre 352 Mora, Alois 202, 203 Morris, R. A. 389 Moser, Kolo 25 Mostny, Erich 101 Mottl, Felix 21 Mozart, Wolfgang Amadeus 20, 21, 26, 28 – 30, 32, 35, 37, 38, 40, 45, 53, 54, 58, 69, 91, 117, 125, 130, 170, 181, 184, 190, 212 – 215, 227, 229, 231, 234, 250, 271, 303, 320, 323, 330, 352, 356, 359, 364, 382, 384, 394, 400, 405, 407, 484, 486, 492, 507 – 510, 517, 525, 526 Mühlmann, Josef 145, 165, 368, 486, 487 Mühlmann, Kajetan 165, 166 Müller, Maria 303 Müller-Guttenbrunn, Adam 83 Munch, Edvard 24 Mussolini, Benito 137, 241, 310 Mussorgski, Modest 364 Nelken, Eduard 101, 195 Nestroy, Johann 509 Neuhardt, Dr. 192, 498 Neumann (Konnersreuth), Therese 198 Neumayer, Rudolf 350, 362 Neumayr, Anton 187, 277, 401

561

Neurath, Konstantin von 287 Neureiter, Michael 153, 183 Neustädter-Stürmer, Odo 299, 301, 317, 318 Nilson, Einar 524 Nissen, Hans Hermann 357 Norman, Montagu 94 Novotny, Jamila 337 Onegin, Sigrid 303, 513 Orlik, Emil 23 Orthmann, Franz 195 Ott, Max 48, 91, 103, 148, 158, 171, 175, 176, 187, 208, 230, 292, 301, 455 Palestrina, Giovanni 179 Pálffy, Paul Graf 389 Pallenberg, Max 107, 108, 307, 397, 524 Papen, Franz von 351, 386, 397 Pasetti-Friedenburg, Otto von 403 Paumgartner, Bernhard 19, 37, 41, 44, 45, 54, 55, 165, 184, 190, 192, 202, 217, 250, 304, 498, 524 Peisser, Max 265, 267 Pergolesi, Giovanni 170 Pernter, Hans 179, 332, 334 – 336, 340, 344, 345, 359, 361, 362, 371 – 373, 375, 377, 401, 540, 541 Peter, Franz 147 Petrin, Leodegar 367 Pfitzner, Hans 303, 513 Piemont, Umberto von 353, 429 Pinchet, Rosamond 134 Pinza, Ezio 322, 337 Poelzig, Hans 24, 48, 49, 66, 410 Poincaré, Raymond 96 Pollak, Oscar 218 Porsche, Ferdinand 98, 406 Poser, Siegfried 389 Prähauser, Ludwig 192 Preis, Josef 19, 58, 103, 104, 126, 149, 208, 277 Preminger, Otto 348 Preußler (Preussler), Robert 19, 48, 61, 148, 175, 267, 274 Prossinger, Otto 368 Proudhon, Pierre-Joseph 71 Puccini, Giacomo 170 Puthon, Heinrich 159, 160, 170, 171, 180, 191, 192, 194, 197, 202, 210, 217, 230, 232, 268, 304, 309, 310, 316, 319, 331, 333, 334, 336, 343 – 345,

562

Personenregister

362, 367, 381, 391 – 393, 397, 427, 433, 467, 475, Reitter, Albert 217 478 Reitzes, Hans 99 Renner, Karl 46, 77, 299, 404, 407, 562 Raimund, Ferdinand 509 Richard, Frieda 354, 524 Rainer, Alois 311, 524 Richard, Fritz 524 Ramek, Rudolf 95, 116, 126, 129 – 134, 136, Richter, Hans 21 141 – 143, 147, 152, 158, 315 Rieder, Ignaz 19, 41, 45, 46, 54, 58, 59, 126, 320, Ravel, Maurice 91 409 Redlich, Josef 26, 27, 63, 64, 79, 80, 86 Rigele, Georg 300 Reger, Max 91 Rimsky-Korsakov, Nikolai 190 Reh, Lucian 389 Rintelen, Anton 217, 218 Rehrl, Franz 8, 9, 17, 43, 48, 77, 103, 104, Ritter, Karl 235 120 – 123, 126, 127, 136, 138, 141 – 151, Ritterburg, P. 389 154 – 158, 160 – 163, 165, 166, 168, 170 – 189, Rittinger, Hans 192, 455 191 – 202, 204, 207, 210, 213, 216, 220, 223, 226, Rode, Wilhelm 303, 513 229 – 234, 240, 241, 243, 245, 247, 253 – 255, Rodzinski, Artur 352, 385, 386 262 – 269, 273, 274, 276, 277, 283, 284, 286, 288, Roller, Alfred 23, 25, 40, 41, 45, 81, 116, 118, 124, 291, 294 – 302, 306, 307, 312, 313, 315 – 324, 144, 204, 231, 397, 505, 524 326, 328, 331 – 336, 338, 339, 343, 344, 346, 347, Ronsperger, Emil 48 349, 350, 353 – 355, 361 – 372, 374 – 384, 387, Roosevelt, Franklin D. 404 388, 391 – 407, 421 – 423, 427, 429, 430, 432, Roosevelt, Sarah 383 433, 435, 440, 443, 449, 455, 467, 468, 475, 478, Rosenberg, Alfred 32 481, 484, 499, 512 – 517, 520, 523, 526, 528, 529, Rossini, Gioacchino 234, 364 533, 534, 536, 537, 539 – 541, 543, 544, 547 Rost van Tonningen, Meinoud Marinus 299 Rehrl, Josef 405 Rothschild, Edouard 222 Reinhardt, Edmund 22, 23, 197 – 199, 214, 233, Rottmayr, Michael 76 305 Rousseau, Jean-Jacques 30 Reinhardt, Eduard 194 Rufer, Josef 91 Reinhardt, Gottfried 309 Reinhardt, Max 8, 19, 20, 22 – 30, 32 – 46, 49 – 53, Sachsel, Siegmund 112 55, 58, 64 – 66, 76 – 85, 93, 97, 100 – 103, 105, Sadleder, N.N. 192 107, 108, 111, 113 – 116, 118, 123 – 126, 134, Salata, Francesco 389 137, 142 – 144, 161, 163, 164, 166, 167, 170, Sattleder, Ludwig 217 173, 180 – 182, 184 – 186, 189, 190, 192 – 200, Sauer, Professor 524 202 – 205, 213 – 215, 227, 228, 230 – 234, 248, Schaljapin, Fjodor 307 250 – 252, 262, 269, 270, 304 – 309, 325, 327, Schalk, Franz 38, 40, 53, 55, 58, 69, 106, 181, 193, 328, 336, 338, 347 – 350, 354, 356, 358, 359, 378, 202, 204, 213, 227, 228, 234, 249, 250, 253, 397, 381, 382, 384, 387, 393, 397 – 401, 404, 409, 412, 460, 481, 505, 507, 508, 517, 521 417, 424 – 426, 430, 457, 460, 467, 468, 472, 475, Schandlbauer, Willi 275 478, 481, 482, 499 – 502, 505 – 508, 512, 513, Scharizer, Karl 285 515, 518, 520, 524, 538, 543, 545, 547 Schatz, Josef 72 Reinhardt, Rudolf 382 Scheiflinger, Felix 244 Reinhardt, Siegfried 306 Schemel, Adolf 104, 149 Reisch, Richard 222, 453 Schenck, Joseph 199, 506 Reiser, Heinrich 389 Schenker, Moritz 101 Reiser, Tobi 173 Schernthanner, Wilhelm 90 Reiter, Albert 192, 498 Schieflin, Mary 389

Personenregister Schiele, Egon 164 Schiller, Friedrich 190 Schilling, Julius 20 Schlangenhausen, Emma 165 Schmidt, Guido 429 Schmitz, Oscar A. H. 259 Schmitz, Richard 186, 189, 209, 213, 283 Schneider, Emil 122 Schneiderhan, Franz 179 – 181, 192, 200, 468 Schnitzler, Arthur 212 Schober, Johannes 53, 55, 58, 68, 73, 100, 133, 134, 218, 222, 235, 236, 253, 266, 273 Schönberg, Arnold 32, 90 – 92 Schönberg, Berta 91 Schönberg, Heinrich 91 Schönberg, Mathilde 91 Schorr, Friedrich 357 Schubert, Franz 91 Schüller, Richard 143, 147, 235 Schumy, Vinzenz 298 Schürff, Hans 133 Schuschnigg, Kurt von 316 – 319, 323, 324, 326 – 328, 330 – 332, 334, 335, 344 – 346, 350 – 352, 359, 362, 365, 367, 371, 375, 386, 401, 402, 428, 523, 540 Schwanthaler, Ludwig 20 Schweiger, Berthold 101, 195 Segur, August 73 Seiller, Baronin 428 Seipel, Ignaz 54, 68 – 70, 73 – 75, 116, 120, 186, 209, 213, 273 Seitz, Karl 48 Seligmann, Walter 91 Servaes, Dagny 354, 419, 515, 516, 524 Sever, Albert 48 Seyß-Inquart, Arthur 165 Shakespeare, William 23, 102, 213, 234, 250 Shaw, George Bernard 262 Sieghart, Rudolf 222 Silesius, Angelus 41 Simons, Rainer 83 Singer, Leopold von 84, 101 Singer, Paul 72 Slezak, Leo 21 Sokoloff, Wladimir 524 Somerset Maugham, William 199, 227, 428 Sonnenthal, Adolph von 82, 83

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Sophokles 24, 25, 81 Spannring, Luise 165 Springer, Eduard 192, 498 Stabile, Mariano 337 Stalin, Josef 72 Starhemberg, Ernst Rüdiger 321, 334 Steinbauer, Othmar 91 Steinherz, Samuel 87 Steinsberg, Hans 389 Stemberger, Karl 116, 160, 192, 498 Stiefel, Dieter 112 Stierle, Adolf 116 – 118, 160 Stinnes, Hugo 99 Stockinger, Fritz 299, 332 Strafella, Franz Georg 217 – 219, 313 Stransky, Sigmund 19 Strauß, Johann 392 Strauss, Richard 19, 21, 25, 26, 29, 38 – 40, 53, 55, 58, 77, 78, 91, 92, 106, 108, 116, 117, 125, 160, 170, 184, 193, 202 – 204, 213, 227, 231, 234, 249, 250, 303, 319, 320, 329, 330, 334, 335, 342, 384, 409, 460, 481, 486, 505, 507 Streer von Streeruwitz, Ernst 293 Strindberg, August 24 Strnad, Oskar 84, 306, 397 Strohmayr, Otto 368 Strong, Benjamin 94 Tauber, Richard 19, 409 Taussig, Helene von 165 Tertois, Yvonne 389 Terwin-Moissi, Johanna 260 Thaler, Andreas 147 Thimig, Helene 19, 28, 34, 41, 44, 46, 53, 76, 100 – 102, 108, 199, 214, 215, 250 – 252, 270, 305, 308, 348, 349, 354, 398, 399, 409, 426, 524 Thorberg, Kerstin 358 Thun, Johann Ernst 128 Thun-Hohenstein, Guidobald von 128 Thurn und Taxis, Prinz Alexander von 29, 77 Toeplitz, Josef 99 Tolstoi, Leo 28, 199 Tomaselli, Richard 192, 498 Toscanini, Arturo 8, 170, 179, 205, 227, 311, 320, 322, 323, 326 – 328, 330, 334 – 340, 350, 352, 354, 356 – 361, 364 – 368, 370, 371, 377, 378, 381, 382, 384 – 387, 392, 393, 396 – 398, 400,

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Personenregister

401, 403, 427, 430, 433, 440, 526, 528, 529, 531, 532, 535 – 540, 543, 544, 547, 548 Traissac, Félix 389 Trapp, Familie 393, 394 Trapp, Maria von 394 Tratz, Paul 116 Treitschke, Heinrich von 86 Trotzki, Leo 72 Tschechow, Michael 506 Ursuleac, Viorica 322, 328, 330 Vaugoin, Carl 217, 218, 299 Veidt, Conrad 269 Verdi, Giuseppe 179, 323, 334 – 336, 352, 357, 384 Viertler, Bartl 407 Vollmoeller, Karl Gustav 24, 81, 100, 125, 170, 213 Wackermann, Friedrich 278 Waggerl, Karl Heinrich 205, 206 Wagner, Adolf 232, 233 Wagner, Charles Ludwig 393 Wagner, Franz 165 Wagner, Guido 344, 364 Wagner, Otto 25 Wagner, Richard 27, 29, 30, 91, 227, 232, 303, 320, 352, 358, 364, 384 Wagner, Siegfried 227, 320 Wagner, Winifred 227, 320 Waitz, Sigismund 359 Wallerstein, Lothar 227, 354, 397, 488 Wallmann, Margherita 309 Wallmann, Margarete 426 Walser, Karl 23 Walter, Bruno 202, 213, 217, 227, 234, 249, 303, 320 – 323, 327, 328, 330, 337, 352, 357 – 359, 381, 384, 386, 393, 397, 401, 403, 427, 507, 513, 547, 548

Walter, Jean 389 Walter, Nelly 393, 397 Warner, Jack 398 Weber, Carl Maria von 303, 384 Webern, Anton von 92 Wedekind, Frank 24 Weidenhoffer, Emanuel 266, 277, 297 Weill, Kurt 403 Weingartner, Felix von 320, 330, 337, 352, 384 Weizmann, Chaim 132 Wellesz, Egon 92 Welz, Friedrich 382 Wertheimer, Max 195 Wessely, Paula 250, 251, 307, 426 Wetschl, Baron Franz Freiherr von 469 Wiegele, Franz 164 Wiener, Karl von 110 Wilburn, Viola Alice 389 Wilczek, Hans Graf 389 Wildgans, Anton 81 Winkler, Alois 120 Winkler, Franz 298 Wintersteiner, Franz 304 Wisoko-Meytsky, Karl 362 Witternigg, Josef 61, 148, 149, 160, 207 – 212, 455 Witzmann, Carl 101 Wojtek, Poldi 165 Wolf-Dietrich, Erzbischof 128 Wolf, Hugo 352 Wolf, Paul 33 Wrede, Edda 389 Zemlinsky, Alexander von 91 Zimmermann, Alfred 182 Zola, Émile 252 Zuckerkandl, Berta 84, 86 Zuckerkandl-Czeps, Berta 250 Zuckmayer, Carl 309, 400 Zweig, Stefan 8, 50, 51, 78, 82, 165, 202, 307