Partei oder Verein?: Eine historisch-systematische Untersuchung zum Parteibegriff des Grundgesetzes [1 ed.] 9783428559275, 9783428159277

Jörn Grotjahn befasst sich mit der Frage, welche Kriterien eine politische Vereinigung erfüllen muss, um als Partei im S

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Partei oder Verein?: Eine historisch-systematische Untersuchung zum Parteibegriff des Grundgesetzes [1 ed.]
 9783428559275, 9783428159277

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Schriften zur Verfassungsgeschichte Band 90

Partei oder Verein? Eine historisch-systematische Untersuchung zum Parteibegriff des Grundgesetzes

Von

Jörn Grotjahn

Duncker & Humblot · Berlin

JÖRN GROTJAHN

Partei oder Verein?

Schriften zur Verfassungsgeschichte Band 90

Partei oder Verein? Eine historisch-systematische Untersuchung zum Parteibegriff des Grundgesetzes

Von

Jörn Grotjahn

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2019 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0553 ISBN 978-3-428-15927-7 (Print) ISBN 978-3-428-55927-5 (E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2017 als Dissertation am Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin eingereicht. Sie ist der Abschluss einer universitären Ausbildung, die mich von Göttingen über Oxford bis hin an die Freie Universität geführt hat. Für die Übernahme der Betreuung darf ich mich herzlich bei Herrn Prof. Dr. iur. Dr. h.c. Dr. h.c. Philip Kunig bedanken, der mir mit seinem Rat und seiner Geduld eine große Unterstützung war. Herrn Prof. Dr. Ignacio Czeguhn danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Ein weiterer Dank gebührt Herrn Mario Schönwälder vom Promotionsbüro des Fachbereiches für die stets prompte Hilfe bei verschiedenen Anliegen. Zahlreiche Freunde und Wegbegleiter haben mir durch ihren Zuspruch und ihre konstruktive Kritik dabei geholfen, diese Arbeit fertigzustellen. Sie alle namentlich zu nennen, würde den Umfang dieses Vorwortes sprengen. Ich bin mir aber sicher, dass sich jeder der Gemeinten persönlich angesprochen und meines besonderen Dankes versichert fühlt. Ohne die Hilfe und Unterstützung meiner Familie wäre diese Arbeit schlichtweg nicht möglich gewesen. Ihr gilt daher mein außerordentlicher Dank. Es waren meine Eltern, die mir eine nicht ganz selbstverständliche Ausbildung ermöglicht und mich auf diesem langen Weg stets unterstützt haben. Nicht allein deshalb ist ihnen diese Arbeit zugedacht. Berlin, im Juli 2021

Jörn Grotjahn

Inhaltsverzeichnis I.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1. Verhältnis in rechtlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2. Verhältnis in begrifflicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

II. Grundgedanke der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. Ansatz und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Parteiengeschichte und verwandte Bereiche der Parteienforschung . . . . . . . . . . . . 34 3. Schwerpunkte der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 4. „Partei“ als ein Begriff des Verfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Ursprung und Anfänge des Vereinswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 a) Korporation und Assoziation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 b) Politische Strömungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 c) Vereinsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 d) Organisationsformen und Vereinszwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Restauration und Vormärz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 a) Frühkonstitutionalismus und parlamentarische Repräsentation . . . . . . . . . . . . . 54 b) Vereinsfreiheit im Zeitalter der Restauration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 c) Politische Vereinigungen und frühes Parteiverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 d) Politische Meinungsströmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3. Die Revolution von 1848/49 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 a) Die Frankfurter Nationalversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 b) Verfassung und Vereinsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 c) Fraktions- und Vereinswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 d) Frühe Programmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 4. Von der Paulskirche zur Reichsgründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Vereinsrecht des Bundes und der Einzelstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

10

Inhaltsverzeichnis b) Fraktionen und politische Vereine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 c) Parteibildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 5. Das Deutsche Kaiserreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 a) Vereinsfreiheit und Rechtsstellung der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 b) Parlament und Fraktionswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 c) Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 6. Die Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a) Parteienstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Rechtliche Stellung der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 c) Organisation der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

IV. Systematischer Abgleich: Partei und Verein im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1. Die Lehren der Geschichte: Das tradierte Verständnis von Partei und Verein . . . . 143 a) Entwicklungslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 b) Hauptmerkmale der historischen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 2. Auf dem Weg zum Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 a) Politische Organisation nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 c) Der Parlamentarische Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 3. Der Parteibegriff in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 a) Parteibegriff und Parteiengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 b) Elemente des Parteibegriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 c) Abgrenzungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 4. Versuch einer näheren Bestimmung des Parteibegriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Kontinuität und Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 b) Vom historischen zum modernen Parteibegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 c) Bedeutung des Wahlrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 V. Rückblick und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

Abkürzungsverzeichnis a. a. O. Abs. ADAV a. E. Anl. Anm. AJPH ALR AöR Art. Aufl. Bd. Bearb. bearb. BGB BK BRV BT-Drucksache BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE BWahlG bzw. CDU DDP ders. DFP d. h. dies. Diss. DJZ DNVP Dok. DÖV DVBl. DVFP DVP et al. FAP FDP

am angegebenen Ort Absatz Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein am Ende Anlage Anmerkung The Australian Journal of Politics and History Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Auflage Band Bearbeiter/in bearbeitet (von) Bürgerliches Gesetzbuch Bonner Kommentar Bismarcksche Reichsverfassung Drucksache des Deutschen Bundestages Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (Verfassungsgerichtsgesetz) Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesveraltungsgerichts Bundeswahlgesetz beziehungsweise Christlich-Demokratische Union Deutschlands Deutsche Demokratische Partei Derselbe Deutsche Fortschrittspartei das heißt Dieselbe Dissertation Deutsche Juristen-Zeitung Deutschnationale Volkspartei Dokument Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Deutschvölkische Freiheitspartei Deutsche Volkspartei et alii/et aliae Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei Freie Demokratische Partei

12 Fn. FRV GBl. gem. GG GG [Jahr] GS. HChE HdbDStR Hg. HGR hrsg. Hs. HStR JbzLF Jg. JöR (N. F.) Jura Kap. KPD Lfg. lit. Ls. MIP m. w. N. NJW NL NPD Nr. NSDAP o. O. o. V. PartG PVV RGBl. RgBl. RGZ Rn. RVG RWG S. SDAP SPD SRP u. a. USPD

Abkürzungsverzeichnis Fußnote Frankfurter Reichsverfassung Gesetzblatt gemäß Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft [Erscheinungsjahr] Gesetz- (und Verordnungs-)Sammlung Verfassungsentwurf des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee Handbuch des Deutschen Staatsrechts Herausgeber/in Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa herausgegeben (von) Halbsatz Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung Jahrgang Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart (Neue Folge) Juristische Ausbildung Kapitel Kommunistische Partei Deutschlands Lieferung Buchstabe Leitsatz Mitteilungen des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Nationale Liste Nationaldemokratische Partei Deutschlands Nummer Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei ohne Ortsangabe ohne Verfasserangabe Gesetz über die politischen Parteien (Parteiengesetz) Preußischer Volksverein Reichsgesetzblatt Regierungsblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Randnummer Reichsvereinsgesetz Reichswahlgesetz/Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes Satz; Seite Sozialdemokratische Arbeiterpartei Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sozialistische Reichspartei und andere Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands

Abkürzungsverzeichnis VDAV VereinsG vgl. VVDStRL WRV Ziff. ZRP

Vereinstag der Deutschen Arbeitervereine Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz) vergleiche Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Weimarer Reichsverfassung Ziffer Zeitschrift für Rechtspolitik

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I. Einleitung Ist es ein lebendig Wesen, Das sich in sich selbst getrennt? Sind es zwei, die sich erlesen, Daß man sie als Eines kennt? (Goethe, West-östlicher Diwan)

Die vergleichende Betrachtung zweier oder mehrerer artverwandter Gegenstände ist eine an sich nicht seltene Form wissenschaftlicher Beschäftigung. Das Motiv zu solcher Betätigung und die Auswahl der in Bezug genommenen Vergleichsobjekte entspringen indes recht unterschiedlichen Beweggründen. Regelmäßig wird ein konkreter Anlass den Ausschlag gegeben haben, häufig ein vorgefertigtes Interesse der Auswahl zugrunde liegen und schließlich mag es sich ab und an wohl lediglich um eine zufällige Entdeckung oder Erkenntnis handeln, die einer näheren Untersuchung vorangeht. Wie dem auch sei, erweist sich die so gewählte Betrachtung meist in die eine oder andere Richtung als gewinnbringend. Schließlich gibt es aber auch den umgekehrten Fall, in dem die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zweier Dinge derart auf der Hand zu liegen scheinen, dass deren gegenseitigem Verhältnis nur punktuell eine tiefergehende Erwägung zuteil wird. Beschäftigt man sich etwa mit Parteien einer- und Vereinen andererseits, so fällt bei einem Blick in die gängige Fachliteratur bald auf, dass sich die Beziehung dieser Organisationsformen zueinander in die letztgenannte Fallgruppe einreiht. Im ersten Moment mag diese an sich recht unbedeutende Erkenntnis wenig überraschen, denn schon im alltäglichen Sprachgebrauch werden wir selten Problemen begegnen, welche Erscheinung wir als Partei und welche als Verein bezeichnen sollen. So würde es uns wohl zunächst etwas erstaunen, spräche man uns auf deren Verhältnis an. Sicherlich, eine Partei ist in ihrer Grundanlage auch ganz und gar Verein, werden wir uns denken. Aber sie nimmt in erster Linie doch am politischen Leben teil, hat Kandidaten, die sich zur Wahl stellen, ja, bei Erfolg sogar Abgeordnete in den Parlamenten. Eine Partei, so dürfte die regelmäßige Schlussfolgerung ausfallen, ist somit zwar durchaus ein Verein, aber vor allen Dingen doch einer, der sich mit politischen Themen beschäftigt, einer, den man wählen kann. Ein Grundproblem bei der begrifflichen Zuordnung offenbart sich auf den ersten Blick kaum. Parteien und Vereinigungen nehmen im Alltag wie im gesellschaftlichen, politischen und staatlichen Leben der Bundesrepublik einen ganz besonderen Stellenwert ein. Es gehört zum Kern einer jeden modernen Demokratie, dass sich die politische Willensbildung der Gesellschaft dem Staat zuwendet, der demokratische Staat selbst in seiner Existenz unabdingbar auf einen solchen gesellschaftlichen

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I. Einleitung

Prozess angewiesen ist. Der Kanon der Grundrechte dient somit nicht allein dem Schutz der individuellen wie kollektiven Freiheiten vor dem Staate. Als Voraussetzung für einen gesellschaftlichen Willensbildungsprozess ist er gleichsam existenzielle Grundlage für den Fortbestand demokratischer Staatlichkeit. Zu den hierfür bedeutsamen Grundrechten zählen die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG), die Kommunikationsgrundrechte (Art. 5 Abs. 1) und die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG).1 Vereinigungen und Parteien kommt in diesem Zusammenhang eine ganz außerordentliche Bedeutung zu. Ohne die Möglichkeit zum Zusammenschluss in einer Vereinigung erscheint eine gemeinschaftliche Willensfindung ausgeschlossen. Allein in der Form einer organisierten Gemeinschaft sind die Bündelung und der Ausgleich individueller Meinungen vorstellbar. Nur die kollektive und dauerhafte Artikulation wiederum verschafft der Durchsetzung gemeinsamer politischer Überzeugungen Aussicht auf Erfolg.2 Den Parteien obliegt zudem eine besondere Mittlerrolle, da sie einerseits der gesellschaftlichen Sphäre angehören, aber andererseits dazu berufen sind, „in den Bereich der institutionalisierten Staatlichkeit hineinzuwirken“3. Neben die gesellschaftliche tritt folglich auch eine staatliche Wirkungsebene der Parteien, die in deren Beteiligung an Parlament und Regierung ihren Ausdruck findet.4

1. Verhältnis in rechtlicher Hinsicht Soweit aus Rechtsprechung und juristischer Literatur etwas über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Parteien und Vereinen erfahren werden kann, ist ihr Verhältnis zueinander in rechtlicher Hinsicht betroffen. Nicht allein aufgrund der zuvor beschriebenen Bedeutung für Staat und Gesellschaft finden sich Parteien wie Vereine im Grundgesetz an prominenter Stelle verortet. Als Grundrecht ausgestaltet, regelt Art. 9 Abs. 1 GG die Freiheit der Vereinigung; außerhalb des Grundrechtskataloges, aber von manchem Autor mit Grundrechtsqualität angesprochen5, findet sich in Art. 21 Abs. 1 GG die Freiheit der Parteien. 1 Vgl. insgesamt hierzu Schmitt Glaeser, Die grundrechtliche Freiheit, in: HStR III, 32005, § 38, Rn. 1 ff., 11 ff. Deutlicher formuliert im gleichnamigen Beitrag der Vorauflage, in: HStR II, 21998, § 31, Rn. 1 ff. 2 Vgl. ders., in: HStR III, 32005, § 38, Rn. 21. 3 Zitat nach ebd., Rn. 25 m. w. N. 4 Ebd., Rn. 25 ff. Es ist insofern auch zwischen „öffentlicher Willensbildung“, die auch von anderen Vereinigungen wahrgenommen werden kann, und „staatlicher Willensbildung“, die allein den Parteien obliegt, unterschieden worden; Schmidt, Politische Parteien, in: NJW 1984, 762 (763). Vgl. hierzu auch BVerfGE 121, 30 (54, 57). 5 Insgesamt ist die Debatte um den Grundrechtscharakter von Art. 21 Abs. 1 GG recht komplex. Bejaht wird ein Individualgrundrecht der Gründungsfreiheit sowie ein der Partei zustehendes Grundrecht der Betätigungsfreiheit von Ipsen, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 21, Rn. 29 ff.; zumindest in Verbindung mit Art. 9 GG für ein dem einzelnen wie der Partei zustehendes Grundrecht der Parteifreiheit Henke, in: BK zum GG, Art. 21, Rn. 216 f. (beachte

1. Verhältnis in rechtlicher Hinsicht

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Ist der demokratische Staat also ohne die verfassungsmäßig garantierte Freiheit der politischen Vereinigungen und Parteien nicht denkbar, so liegt darin zugleich eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Denn gerade die schranken- oder grenzenlos gewährte Freiheit mag dazu führen, die Freiheit selbst zu beschränken – ein Phänomen, das Karl Popper zutreffend als „Paradox der Freiheit“ beschrieben hat.6 Das Grundgesetz basiert daher auf der Entscheidung für eine „streitbare Demokratie“, zu der das Bundesverfassungsgericht mit besonderem Bezug auf die Vereinigungs- und Parteifreiheit ausgeführt hat: „Sie nimmt einen Mißbrauch der Grundrechte zum Kampf gegen die freiheitliche Ordnung nicht hin. Verfassungsfeinde sollen nicht unter Berufung auf Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt und unter ihrem Schutz die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder zerstören dürfen (vgl. Art. 9 Abs. 2, Art. 18, Art. 21 GG).“7

Als notwendiges Korrektiv für den besonderen grundgesetzlichen Schutz, den Parteien wie Vereine genießen und dessen Missbrauch ihrer Bedeutung für Staat und Gesellschaft wegen eine außerordentliche Gefahr für unseren Rechtsstaat darstellt, ist beiden Freiheitsgarantien eine Verbotsmöglichkeit beigefügt. Dass Art. 9 Abs. 2 GG diesbezüglich den Schutz der „verfassungsmäßigen Ordnung“ benennt, während Art. 21 Abs. 2 GG die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ anspricht, ist von geringerer Bedeutung, denn beide Regelungen zielen darauf ab, den Kernbestand der Verfassung zu schützen.8 Vielfach ist sogar eine Identität der beiden Begriffe im Rahmen dieser Verbotsnormen angenommen worden.9 Der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden einander verwandten rechtstaatlichen Instrumenten besteht in allererster Linie in den unterschiedlichen Zuständigkeitsregelungen.10 Über die Frage, ob eine Partei verfassungswidrig ist, also ein Tatbestand im Sinne des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG vorliegt, entscheidet nach Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG ausschließlich das Bundesverfassungsgericht. Zwar ist mit Hinblick auf den schon in Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG selbst zum Ausdruck gebrachten Erklärungsgehalt („sind verfassungswidrig“) die Feststellung der Verfassungswidrigkeit lediglich deklaratorischer Natur: Zielt eine Partei auf eine Beeinträchtigung oder Beeinträchtigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder eine Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland ab, so ist diese bereits nach dem Gesetz verfassungswidrig. Da die diesbezügliche Feststellung aber alleine dem Bundesverfassungsgericht zusteht, ergeht dessen Entscheidung dennoch mit dort Fn. 3); keine eigene Grundrechtsqualität des Art. 21 Abs. 1 GG, sondern lediglich modifizierende Wirkung auf die jeweils einschlägigen Grundrechte nach Morlok, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar II, Art. 21, Rn. 48 f. Zum Meinungsstreit auch Mauersberger, Die Freiheit der Parteien, 1994, S. 12 ff., 19 ff. 6 Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde II, 1958, S. 153; vgl. auch I, 1957, S. 173, S. 156 ff. 7 BVerfGE 30, 1 (19 f.). 8 Kunig, in: Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar I, Art. 21, Rn. 81. 9 Löwer, in: Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar I, Art. 9, Rn. 50. 10 Vgl. Kunig, Vereinsverbot, Parteiverbot, in: Jura 1995, 384 (384, 386).

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I. Einleitung

konstitutiver Wirkung.11 Die damit einhergehende Anordnung der Auflösung der Partei und des fortan bestehenden Verbotes ergibt sich demgegenüber nicht aus Art. 21 Abs. 2 GG selbst, sondern ist § 46 Abs. 3 BVerfGG zu entnehmen.12 In materieller Hinsicht ist das Parteiverbot folglich die Rechtsfolge, die bei festgestellter Verfassungswidrigkeit auszusprechen ist.13 Demgegenüber ruht die Entscheidung über ein Vereinsverbot in den Händen der Exekutive. Zwar statuiert Art. 9 Abs. 2 GG seinem Wortlaut nach ein unmittelbares gesetzliches Verbot („sind verboten“), jedoch tritt die Verbotswirkung wohl inzwischen nahezu unbezweifelt nicht ipso iure ein. Es bedarf vielmehr einer konstitutiv wirkenden Feststellungsverfügung, die auf Grundlage des § 3 VereinsG ergeht.14 Erst dann darf der betroffene Verein als verboten im Sinne des Art. 9 Abs. 2 GG behandelt werden. Zuständige Verbotsbehörden sind nach § 3 Abs. 2 VereinsG das Bundesministerium des Innern oder die oberste Landesbehörde (bzw. die nach Landesrecht zuständige Behörde) in Abhängigkeit davon, ob sich die Organisation und Tätigkeit des zu verbietenden Vereins auf das Gebiet eines Bundeslandes beschränkt oder darüber hinausgeht. Hinsichtlich des besonderen Regelungsgehaltes des Art. 21 Abs. 2 GG ist vielfach von einem „Parteienprivileg“ die Rede, wobei nicht immer Einigkeit über den genauen Inhalt dieses Privilegs besteht. Teilweise wird darauf abgestellt, dass sich ohne die konstitutive Feststellung durch das Bundesverfassungsgericht kein staatliches Handeln gegen eine Partei auf deren vorgebliche Verfassungswidrigkeit berufen darf („Sperrwirkung“).15 Andererseits wird allein in der exklusiven Kompetenzzuweisung an das Bundesverfassungsgericht eine Privilegierung der Partei gegenüber dem (durch die Exekutive auflösbaren) Verein erkannt („Entscheidungsmonopol“).16 Letztlich wurden auch beide Aspekte als dem Parteienprivileg zugehörige Elemente angesprochen.17 Auch das Bundesverfassungsgericht hat die besondere Bestandsund Schutzgarantie für Parteien, die sich eben aus der Verbindung des verfassungsgerichtlichen Entscheidungsmonopols mit der damit einhergehenden Sperrwirkung ergibt, als Parteienprivileg bezeichnet.18

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Kunig, Parteien, in: HStR III, 32005, § 40, Rn. 59; ders., in: Münch/Kunig, GrundgesetzKommentar I, Art. 21, Rn. 83. 12 Kritisch bezüglich dieser zwingenden Rechtsfolge Maurer, Das Verbot politischer Parteien, in: AöR 96, 1971, 203 (222 ff.). 13 Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum GG II, Art. 21, Rn. 239; Ipsen, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 21, Rn. 170. 14 Vgl. Löwer, a. a. O., Rn. 58. 15 Kunig, in: Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar I, Art. 21, Rn. 83. Der inzwischen verbreitete Begriff der „Sperrwirkung“ scheint zurückzugehen auf Maurer, in: AöR 96 1971, 203 (230). 16 Morlok, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar II, Art. 21, Rn. 154. 17 So wohl Wietschel, Der Parteibegriff, 1996, S. 111. 18 BVerfGE 40, 287 (291).

1. Verhältnis in rechtlicher Hinsicht

19

Indes ist der Begriff nicht frei von Kritik geblieben: In der besonderen Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichtes könne demnach schon deshalb keine Privilegierung von Parteien gegenüber Vereinen gesehen werden, weil Parteien aufgrund verfassungsmäßiger Bestimmung durch Art. 21 GG gar keine Vereine im Sinne des Art. 9 GG darstellten und eine Vergleichbarkeit der Verbotsverfahren somit gar nicht gegeben sei.19 Auch der Sperrwirkung wurde ihr privilegierender Charakter abgesprochen, da für Vereine gem. § 3 Abs. 1 VereinsG eine ähnliche Schutzwirkung dem Erlass einer Verbotsverfügung vorausgeht.20 Im Allgemeinen ist also durchaus strittig, ob sich das Verhältnis der Partei zum Verein als ein rechtlich privilegiertes darstellt. Im Besonderen besteht aber auch hinsichtlich des Verhältnisses der sie betreffenden Grundgesetznormen zueinander ein gewisses Maß an Uneinigkeit. Dies soll im Folgenden erläutert werden: Zu der Frage, wie das Verhältnis der Artikel 9 und 21 GG zueinander rechtlich zu bewerten ist, hat sich das Bundesverfassungsgericht ebenfalls vor allem hinsichtlich der Verbotstatbestände geäußert und explizit zum Ausdruck gebracht, dass in Art. 21 Abs. 2 GG eine lex specialis zu Art. 9 Abs. 2 GG liegt.21 Daneben hat das Gericht auch allgemeiner von einer verfassungsrechtlichen Sonderstellung der Parteien gegenüber den sonstigen politischen Vereinigungen gesprochen.22 In der Kommentarliteratur hat diese Rechtsprechung eine unterschiedliche Interpretation erfahren: Zum Teil wird hervorgehoben, dass die Spezialgesetzlichkeit auf die Verbotsnormen beschränkt bleibt.23 Andererseits wird die Spezialität bisweilen aber auch für das Verhältnis von Art. 21 GG zu Art. 9 GG insgesamt, also auch deren Absätze 1 einschließend, unterstellt.24 Ob sich das Bundesverfassungsgericht selbst einer derart differenzierenden Betrachtung gewidmet hat, dürfte indes eher fraglich sein. So führt es wörtlich aus: „Die Parteien gehören zu den Einrichtungen des Verfassungslebens. Ihr Status ist durch Art. 21 GG gesichert. Dieser ist eine lex specialis gegenüber Art. 9 GG.“25

Zwar beschäftigt sich das Urteil im Weiteren ebenfalls mit den Auswirkungen dieses Befundes auf die Verbotstatbestände. Dennoch muss die von Rudolf Streinz getroffene Feststellung, es sei unstreitig, dass das Bundesverfassungsgericht „ausdrücklich allein Art. 21 Abs. 2 zur lex specialis gegenüber Art. 9 Abs. 2 erklärt“

19 Ipsen, a. a. O., Rn 149. Ähnlich und unter Betonung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 VereinsG, nach dem politische Parteien nicht unter das öffentliche Vereinsrecht fallen, auch Streinz, a. a. O., Rn. 215. 20 Vgl. Morlok, a. a. O., Rn. 154. 21 BVerfGE 2, 1 (13); 13, 174 (177); 17, 155 (166). 22 BVerfGE 91, 262 (267). 23 Morlok, a. a. O., Rn. 163; Klein, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Art. 21, Rn. 257. 24 Ipsen, a. a. O., Rn. 29; Streinz, a. a. O., Rn. 32, 99. 25 BVerfGE 12, 296 (304).

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I. Einleitung

habe26, angesichts des klaren Wortlautes der hier zitierten Entscheidung relativiert werden. Vielmehr kann mit einiger Berechtigung behauptet werden, dass das Bundesverfassungsgericht von einer grundsätzlichen Spezialität des gesamten Art. 21 GG zu Art. 9 GG ausgeht, diese aber vor allem im Zusammenhang mit deren Verbotsnormen zum Ausdruck gebracht hat. Die unbestrittene Spezialität im rechtlichen Verhältnis der Absätze 2 gilt uneingeschränkt und schließt es somit nach ausdrücklicher Ansicht des Bundesverfassungsgerichts aus, dass Art. 9 Abs. 2 GG für politische Parteien subsidiär zur Anwendung kommt.27 Ob demgegenüber Art. 9 Abs. 1 GG subsidiär neben Art. 21 Abs. 1 GG Geltung für Parteien erlangen kann, ist weniger eindeutig beantwortet. Diese Frage stellt sich regelmäßig im Zusammenhang mit der strittigen Grundrechtsqualität des Art. 21 Abs. 1 GG. Von einem solchen – in Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG angelegten und umfassenden – Grundrecht ausgehend, tritt nach Ipsen der Art. 9 Abs. 1 GG daneben wohl vollständig zurück.28 Streinz sieht die lex generalis des Art. 9 Abs. 1 GG indes nur soweit von Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG als lex specialis verdrängt, als die letztgenannte Regelung eine besondere Prägung für Parteien beinhaltet.29 Andererseits ist aber auch ein Grundrechtscharakter des Art. 21 Abs. 1 GG gänzlich abgelehnt worden, womit Art. 9 Abs. 1 GG für Parteien zur umfassenden Anwendung käme.30

2. Verhältnis in begrifflicher Hinsicht Über das rechtliche Verhältnis der Parteien zu Vereinen (im Allgemeinen) und der sie schützenden Grundgesetznormen zueinander (im Besonderen) sowie über ihre unterschiedliche, bisweilen auch gleichartige Behandlung nach Maßgabe der Artikel 21 und 9 GG ist somit einiges bekannt. Damit ist aber noch nicht geklärt, wann denn nun eine Organisation als Partei im Sinne des Grundgesetzes angesehen werden darf und wann von ihr verfassungsrechtlich „lediglich“ als Verein zu sprechen ist. Diese Frage der Zuordnung in den Anwendungsbereich des Art. 21 GG 26 Streinz, a. a. O., Rn. 99. Vor diesem Hintergrund dürfte die Behauptung von Hesse, bei Art. 21 GG handele es sich um ein aliud zu Art. 9 GG, hinfällig geworden sein; ders., Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Partei, in: VVDStRL 17, 1959, 11 (45, 52). 27 BVerfGE 17, 155 (166). 28 Ipsen, a. a. O., Rn. 29 ff. Für eine vollständige Verdrängung des Art. 9 Abs. 1 GG auch Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum GG I, Art. 9, Rn. 35 ff. 29 Streinz, a. a. O., Rn. 99, wobei zwischen der Gründungs- und der Betätigungsfreiheit zu differenzieren sei; ebd., Rn. 32. Ähnlich auch Löwer, in: Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar I, Art. 9, Rn. 42. 30 Klein, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Art. 21, Rn. 256; Kunig, in: Münch/ Kunig, Grundgesetz-Kommentar I, Art. 21, Rn. 46, allerdings sollen Parteien selbst nicht Träger des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 1 GG sein können; ders., Parteien, in: HStR III, 32005, § 40, Rn. 90.

2. Verhältnis in begrifflicher Hinsicht

21

oder Art. 9 GG entscheidet sich aber nach den Maßstäben der verfassungsrechtlichen Terminologie, betrifft also das Verhältnis von Parteien zu Vereinen in begrifflicher Hinsicht.31 Dass diese Einordnung von großer Bedeutung ist, lässt sich vor allem der „privilegierenden“ Kompetenzzuweisung des Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG entnehmen. Die Bedeutung zeigt sich aber zudem in prozessualer Hinsicht darin, dass Parteien auch die Parteifähigkeit im Organstreitverfahren zugesprochen wird.32 Die besondere Schutz- und Bestandsgarantie, die im Entscheidungsmonopol des Bundesverfassungsgerichtes ihren Ausdruck findet, verleiht dem grundgesetzlichen Status, Partei zu sein, eine außerordentliche Attraktivität insbesondere für solche politische Organisationen, die sich außerhalb der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder zumindest in einer Grauzone zwischen Verfassungskonformität und Verfassungswidrigkeit bewegen. Noch deutlicher als in der rechtlichen Dogmatik kommt der außerordentliche Schutz, den politische Parteien durch das Entscheidungsmonopol erfahren, in der Praxis des bundesrepublikanischen Verfassungsschutzes zum Ausdruck. Während das Vereinsverbotsverfahren als bewährtes Instrument des Staatsschutzes regelmäßig zur Anwendung kommt, wurden unter der Geltung des Grundgesetzes lediglich zwei Parteien auf Grundlage des Art. 21 Abs. 2 GG verboten. Die beiden Parteiverbote betrafen im Jahre 1952 die Sozialistische Reichspartei (SRP), im Jahre 1956 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) und liegen somit nun schon weit über ein halbes Jahrhundert zurück.33 Jüngere Versuche zum Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) blieben bislang ohne Erfolg.34 Über die Hintergründe dieser Tatsache mag man verschiedene Überlegungen anstellen können. Auf der Hand liegt wohl die Annahme, dass die politisch-inhaltliche Auseinandersetzung mit verfassungsfeindlichen Parteien vielfach der Anwendung des staatsschutzrechtlichen Mittels eines Parteiverbotes vorzugswürdig zu sein scheint. In rechtlicher Hinsicht verknüpft sich damit die Frage, inwiefern den zum Verbotsantrag nach § 43 BVerfGG berechtigten Organen – also Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung bzw. Landesregierungen35 – ein Ermessen bei der

31

Zur Trennung von begrifflicher und materiell-rechtlicher Unterscheidung auch Kemper, a. a. O., Rn. 35. 32 Ipsen, a. a. O., Rn 15; vgl. BVerfGE 4, 27 (27); 121, 30 (56 f.). 33 BVerfGE 2, 1 (SRP); 5, 85 (KPD). 34 BVerfGE 107, 339. Zum Verlauf des im Jahre 2003 gescheiterten NPD-Verbotsverfahrens Kunig, in: HStR III, 32005, § 40, Rn. 64 ff. In einem zweiten Verfahren wurde ein Verbot der NPD durch Urteil des Bundesverfassungsgerichtes abgelehnt, weil es an hinreichenden Anhaltspunkten mangelt, die eine erfolgreiche Durchsetzung verfassungsfeindlicher Ziele überhaupt möglich erscheinen lassen (Urteil des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13). 35 Letztere aber nur, wenn sich die Organisation der Partei auf das Gebiet des jeweiligen Bundeslandes beschränkt, § 43 Abs. 2 BVerfGG.

22

I. Einleitung

Antragsstellung zukommt36, während bei der Einleitung von Vereinsverbotsverfahren die zuständigen Behörden vom Legalitätsprinzip geleitet sein mögen.37 Unabhängig von diesen Erwägungen bleibt jedoch der Befund, dass sich politische Parteien in der Verfassungswirklichkeit nur in außerordentlichen Fällen einem Verbotsverfahren gegenübergestellt sehen. Dies führt zum einen dazu, dass politisch tätige Vereinigungen sich auf ihren vermeintlichen Parteistatus zu berufen suchen, um ein gegen sie gerichtetes Verbotsverfahren zu verhindern oder ein ergangenes Vereinsverbot anzufechten.38 Während ein solches Berufen auf den Schutz des Art. 21 GG aus der Sicht des Adressaten einer Verbotsverfügung verständlich ist, erscheint der umgekehrte Fall überraschender, in dem staatliche Organe einer politischen Vereinigung den Status einer Partei zusprechen, obgleich dieser gar nicht einschlägig ist.39 Über zwei so gelagerte Fälle hatte das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1994 zu entscheiden. Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hatte bezüglich der „Nationalen Liste“ (NL), die Bundesregierung und der Bundesrat bezüglich der „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit gestellt. In beiden Verfahren kam das Bundesverfassungsgericht zu dem Schluss, dass es sich bei der jeweiligen Organisation gar nicht um eine Partei im Sinne des Art. 21 GG handele, und wies die Anträge daher als unzulässig zurück.40 Daraufhin erfolgten Verbote gegen beide Gruppierungen auf Grundlage des Vereinsgesetzes. Im Februar 1995 erließ das Bundesministerium des Innern eine Verbotsverfügung gegen die FAP, im selben Monat der Hamburger Innensenator gegen die NL.41 Die Auswahl eines gar nicht einschlägigen Verfassungsschutzinstrumentes, also die initiale Antragsstellung beim Bundesverfassungsgericht anstelle der Einleitung eines behördlichen Vereinsverbotsverfahrens, kann den staatlichen Organen allerdings kaum als Kritik entgegengebracht werden. Es gehört wohl zu den bemerkenswerten Befunden des modernen deutschen Verfassungsrechts, dass das 36

Zu dieser Frage etwa Schmidt, Das Parteienprivileg zwischen Legalität und Opportunität, in: DÖV 1978, 468; Heckelmann, Das Ermessen staatlicher Organe, 1976; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum GG II, Art. 21, Rn. 242 ff. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang auch von einem „politischen Ermessen“ gesprochen; BVerfGE 5, 85 (129). 37 Für eine Geltung des Legalitätsprinzips bei Vereinsverboten unter anderem Schmidt, Die Freiheit verfassungswidriger Parteien und Vereinigungen, 1983, S. 128 ff. Streitstand und Diskussion dieser Frage bei Heinrich, Vereinigungsfreiheit und Vereinigungsverbot, 2005, S. 189 ff.; Grundmann, Das fast vergessene öffentliche Vereinsrecht, 1999, S. 119 ff. 38 So BVerfGE 79 („Nationale Sammlung“), 379; BVerwG, NJW 1993, 3213 („Nationalistische Front“). 39 Zum Verbot vermeintlicher Vereinigungen und vermeintlicher Parteien Wietschel, Der Parteibegriff, 1996, S. 136 ff.; zu Letzteren auch dies., Unzulässige Parteiverbotsanträge, in: ZRP 1996, 208. 40 BVerfGE 91, 262 (NL); 91, 276 (FAP). 41 Kunig, Vereinsverbot, Parteiverbot, in: Jura 1995, 384 (384).

2. Verhältnis in begrifflicher Hinsicht

23

Grundgesetz den Status der politischen Partei mit einem besonderen Schutz versieht, aber kaum greifbare Merkmale liefert, die eine Zuordnung in den Anwendungsbereich des Art. 21 GG hinreichend praktikabel gestalten lassen. Das Grundgesetz setzt den Parteibegriff voraus, definiert ihn aber selbst nicht.42 Eine einfachgesetzliche Legaldefinition findet sich demgegenüber in § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG. Dort heißt es: „Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten.“

Nun stellt sich die einfachgesetzliche Bestimmung eines Verfassungsbegriffes grundsätzlich als problematisch dar, jedoch geht das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der (einfache) Gesetzgeber durch die in § 2 Abs. 1 PartG getroffene Legaldefinition „den Parteienbegriff des Art. 21 Abs. 1 GG […] in verfassungsmäßiger Weise konkretisiert hat“.43 Somit sind zwar durch das Bundesverfassungsgericht – unter Berufung auf das Parteiengesetz – die wesentlichen Elemente einer Partei festgestellt, jedoch zeigen bereits die zuvor angesprochen Verfahren gegen die FAP und die NL, dass sich auch nach diesen Merkmalen eine exakte Zuordnung problematisch gestaltet. Kaum überraschend ist der so formulierte Parteibegriff daher in der Literatur mehrfach kritisiert worden. Schon in den 1970er Jahren und somit vor den Ereignissen um FAP und NL hat Seifert ausgeführt, dass die parteiengesetzliche Definition nicht der „Wesenserfassung politischer Parteien, sondern ihrer Abgrenzung von verwandten Organisationen mit politischen Zielen“ diene. Dabei gebe die Bestimmung zwar ein Mehr an Rechtsklarheit, lasse indes „in der Praxis noch manche Zweifel offen.“44 An dieser insgesamt bestehenden Rechtsunsicherheit hat sich in den letzten Jahren kaum etwas verändert. So benennt Kunig in der jüngeren Literatur die Notwendigkeit, „gerichtliche Kontrolle zur Überprüfung der vagen Kriterien des § 2 Abs. 1 S. 1 vorzuhalten.“45 Eine ausführliche Analyse des Parteibegriffes ist Wiebke Wietschel zu verdanken, die zu dem Ergebnis kommt, dass zwar ein gewisses Maß an Offenheit und Abstraktheit notwendig sei, um die Konformität von Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit zu ermöglichen, der so formulierte Parteibegriff aber gerade in Grenzfällen nicht die notwendige Kriterien für eine Abgrenzung zu anderen politischen Vereinigungen bereithalte. Die zur Verfügung stehenden Merkmale seien entweder auch für sonstige Vereinigungen einschlägig („Vereinigungen von Bür42 43 44 45

Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum GG II, Art. 21, Rn. 45. BVErfGE 91, 276 (284). Seifert, Die politischen Parteien, 1975, S. 160. Kunig, Parteien, in: HStR III, 32005, § 40, Rn. 9.

24

I. Einleitung

gern“) oder stellten zu sehr auf das kaum überprüfbare subjektive Moment ab („Einfluss nehmen und […] mitwirken wollen“). Auch das Erfordernis der „Ernsthaftigkeit der Zielsetzung“, das sich aus dem „Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse“ ergibt, versage angesichts des hohen Interpretationsspielraumes.46 Vor diesem Hintergrund sieht Wietschel insgesamt gesetzgeberischen Handlungsbedarf hinsichtlich des Parteibegriffes, um bestehende Unsicherheit bei seiner Auslegung wie Anwendung zu überwinden.47 Diesem Problem will sich die vorliegende Arbeit stellen. Sie sieht ihre wesentliche Aufgabe darin, eine Interpretation des Parteibegriffes zu unternehmen, aus der sich mögliche Rückschlüsse für eine nähere Bestimmung der politischen Partei im Sinne des Grundgesetzes ergeben mögen, um so eine Zuordnung in den Anwendungsbereich des Art. 21 GG zu erleichtern. Zwei Aspekte werden dabei eine herausgehobene Rolle spielen: Die Herausarbeitung des Parteibegriffes soll zum einen in steter Gegenüberstellung zu den sonstigen Vereinigungen erfolgen. Dieser Ansatz ergibt sich bereits denklogisch aus dem besonderen rechtlichen Verhältnis von Parteien zu Vereinen, das weiter oben dargestellt wurde. Er beruht aber zum anderen ganz grundlegend darauf, dass Parteien begrifflich auch Vereinigungen im Sinne des Art. 9 GG darstellen48, sich von diesen aber durch eine besondere Qualität unterscheiden.49 Wenn nun aber gerade diese Unterscheidung mit den uns zur Verfügung stehenden Elementen des Parteibegriffes problematisch ist, muss die Interpretation desselben genau an diesem begrifflichen Verhältnis der Partei zum Verein ansetzen. Damit ist die systematische Komponente des hier verfolgten Ansatzes benannt.50 Erweitert wird diese systematische Herangehensweise durch die ebenfalls grundlegende Überlegung, dass das Parteienverständnis des Grundgesetzes keine Kreation der Nachkriegszeit ist, sondern an ein tradiertes Bild der politischen Partei anknüpft. Hätte der Verfassungsgesetzgeber den Begriff der Partei von Grund auf reformieren und ihn somit gleichsam von historischen Vorbildern loslösen wollen, so wäre er nicht umhingekommen, dem Verfassungstext selbst die Definition eines solchen neuartigen Parteibegriffes beizufügen. Ein derartiges Ansinnen geht aber aus dem Grundgesetz selbst nicht hervor, und auch die Umstände der Verfassungsgebung bieten uns keine Anhaltspunkte dafür, dass mit dem Art. 21 GG etwas anderes bezweckt war, als das traditionelle (demokratische) Parteienverständnis verfassungsrechtlich zu inkorporieren.51 Noch rund zehn Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes wurde in den Erläuterungen zum ersten Entwurf eines Parteiengesetzes (1959) klargestellt:

46 47 48 49 50 51

Wietschel, a. a. O., S. 180; ausführlich S. 143 ff. Ebd., S. 209; ausführlich S. 181 ff. BVerfGE 2, 1 (13). Klein, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Art. 21, Rn. 216. Näheres hierzu in Kapitel II. 1. Insgesamt hierzu Seifert, a. a. O., S. 68 f.

2. Verhältnis in begrifflicher Hinsicht

25

„[…] Artikel 21 GG geht offensichtlich von dem herkömmlichen politisch-soziologischen Erscheinungsbild der Parteien aus und gestattet es nicht, dieses in einer bisher völlig unbekannten Weise umzuformen.“52

Auch das Bundesverfassungsgericht hat diesen historischen Bezug hervorgehoben und betont, dass für den Verfassungsgeber „das Bild des freien, in jeder Hinsicht vom Staat unabhängigen Parteiwesens maßgebend [war], wie es sich unter der Weimarer Verfassung entwickelt hatte. Die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes bietet keine Anhaltspunkte dafür, daß die Verfassung vom überkommenen Bild der frei aus eigener Kraft wirkenden Partei abgehen […] wollte.“53

Dem Grundgesetz liegt somit ein „konservatives“ Parteienbild zugrunde, das auf das Vorbild einer modernen Parteiendemokratie Rekurs nimmt, wie sie sich in der Weimarer Republik bereits verwirklicht hatte.54 Es soll daher vor allem auch Aufgabe dieser Arbeit sein, den Werdegang politischer Organisation in Deutschland nachzuzeichnen, um eben dieses Parteienbild des Verfassungsgebers zu ergründen. Mit den zuvor gemachten Ausführungen zum begrifflichen Verhältnis von Partei und Verein verbindet sich die Erkenntnis eines tradierten Parteienverständnisses des Grundgesetzes zu einem insgesamt historisch-systematischen Ansatz, auf den im Folgenden noch näher eingegangen wird.55

52 53 54 55

BT-Drucksache 3/1509, S. 11. BVerfGE 20, 56 (109). Seifert, a. a. O., S. 69. Kapitel II.

II. Grundgedanke der Untersuchung Eine „Stunde Null“, einen „völligen Neuanfang“ gibt es in der Geschichte nicht […]. Äußere Ereignisse können – wie das Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 – dramatisch sein, tief in die Kontinuität einschneiden. Dennoch wirken soziale und wirtschaftliche Strukturen fort, bleiben Traditionen lebendig, erhalten sich Einstellungen, Verhaltensweisen und Mentalitäten.1 (Peter Lösche)

Wenngleich Peter Lösche in seiner Abhandlung von der kleinen Geschichte der deutschen Parteien umgehend hinzufügt, dass soziale und politische Umbrüche, wie sie durch die Jahrhundertkatastrophe des Dritten Reiches ausgelöst wurden, den Zeitgenossen durchaus vorkamen, als sei für sie der „Faden historischer Abfolge gerissen“2, beschränkt dies nicht im geringsten den Aussagegehalt des einleitenden Zitats: Was in den Nachkriegsjahren an Anstrengungen, Vorüberlegungen und Weichenstellungen für ein neues, demokratisches Deutschland unternommen wurde, beruht auf vorangegangen Entwicklungen und gesammelten Erfahrungen. Diesen Befund teilt auch Theodor Schieder und konkretisiert ihn für den Bereich des Parteiwesens: Das Kontinuitätsproblem in der staatlichen Geschichte Deutschlands, zumal in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sei gleichsam das Kontinuitätsproblem der deutschen Parteiengeschichte. Schließlich waren die Parteien von den Umbrüchen des Verfassungslebens, die vor allem mit den Jahren 1918, 1933 und 1949 in Verbindung zu bringen sind, unmittelbar betroffen. Dieser Umformungsprozess mag es auch so erscheinen lassen, als ob die Parteien „in ihrer heutigen Gestalt kaum noch Reste früherer geschichtlicher Formen“ erhalten hätten.3 Einer solchen Wahrnehmung widerspricht Schieder aber mit Nachdruck: „Und doch steht das deutsche Parteiwesen der Gegenwart noch ganz auf geschichtlichem Boden und ist trotz seiner Verflechtung mit der heutigen Gesellschaft und Staatsordnung nur aus seinen historischen Wurzeln ganz verständlich.“4

Damit ist zugleich der wesentliche Grundgedanke der vorliegenden Arbeit beschrieben. 1

Lösche, Kleine Geschichte der deutschen Parteien, 21994, S. 104. Ebd., S. 104. 3 Schieder, Grundlagen und Epochen des deutschen Parteiwesens, in: ders., Staat und Gesellschaft im Wandel unserer Zeit, 21970, 133 (133). 4 Ebd., (133 f.). 2

1. Ansatz und Zielsetzung

27

Daraus ergeben sich Konsequenzen für die Rechtsetzung der Nachkriegszeit. Das Vorstellungsbild des Verfassungsgesetzgebers vom bestehenden und künftigen Parteiwesen kann keineswegs losgelöst von Vergangenem betrachtet werden. So bemerkt auch Bernd Rüthers treffend, dass es für eine korrekte Rechtsanwendung unerlässlich sei, „dass der Anwender die Frage oder Problemlage verstanden hat, die das Gesetz bei seiner Entstehung regeln sollte.“5 Bereits 1927 stellte der Berliner Staatsrechtslehrer Heinrich Triepel seinen Ausführungen zum Verhältnis von staatlicher Verfassung und politischer Partei einen historischen Rückblick voran. Dabei machte Triepel – im Rückblick eines Jahrhunderts, das er den politischen Parteien eines modernen Verständnisses an Alter zusprach – eine „vierfache Stufenfolge“ in diesem Verhältnis aus, beginnend mit einem „Stadium der Bekämpfung“, dem sich ein „Stadium der Ignorierung“ anschloss. Für seine Zeit machte er eine „Periode der Anerkennung und Legalisierung“ aus, der letztlich eine „Ära der verfassungsmäßigen Inkorporation“ folgen müsse, „die uns freilich zunächst noch in Existenz und Eigenart problematisch ist“.6 Angesicht dieser von Triepel so beschriebenen Genese ist es nicht weiter überraschend, dass verfassungsrechtliche Darstellungen zum Wesen und Wirken politischer Parteien oder Vereinigungen nicht selten von der historischen Entwicklung her Zugang zur heutigen Normordnung zu finden suchen.7 Nur beispielhaft seien an dieser Stelle die Arbeit von Thomas Schmidt und zahlreiche Kommentierungen zu Art. 21 GG genannt.8

1. Ansatz und Zielsetzung Auch die vorliegende Arbeit stellt die Entwicklungsgeschichte an ihren Anfang. Sie geht dabei von einer Grundannahme aus, nach der die Parteienhistorie nicht auf eine Heranführung an aktuelle verfassungsrechtliche Fragen reduziert wird, sondern die die historische Entwicklung als das grundlegende Wesensmerkmal eines modernen Parteienverständnisses begreift.9 In diesem Ansatz unterscheidet sich die Arbeit von anderen Abhandlungen zu dieser Thematik: Die Genese des Parteienstaates im 19. und 20. Jahrhundert wird hier als das konstitutive Element behandelt, das den Schlüssel zum Verfassungsbegriff „Partei“ wie auch zur Abgrenzung desselben zum Begriff der „politischen Vereinigung“ bereithält. Zur Begründung für 5

Rüthers et al., Rechtstheorie, 72013, Rn. 159. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, 1928, S. 12. 7 Kunig, Parteien, in: HStR III, 32005, § 40, Rn. 5. 8 Schmidt, Die Freiheit verfassungswidriger Parteien und Vereinigungen, 1983; auch Zirn, Das Parteiverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG, 1988; bei den Kommentaren zu Art. 21 GG ist insbesondere zu verweisen auf Klein, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Art. 21. 9 Vgl. hierzu Kapitel I. 2. 6

28

II. Grundgedanke der Untersuchung

diese Herangehensweise ist eine nähere Betrachtung der klassischen juristischen Auslegungsformen angebracht: Obwohl Parteien oder politische Vereinigungen bereits im 19. Jahrhundert eine wesentliche Rolle im politischen Spektrum spielten, fanden sie in Gesetzes- oder gar Verfassungstexten nur wenig Aufmerksamkeit. Soweit Regelungen bestanden, waren diese häufig eine Abwehrreaktion des Staates gegen politische Organisationen.10 So spricht das Maßregeln-Gesetz des Deutschen Bundes vom 5. Juli 1832 in Art. 2 vom Verbot solcher „Vereine, welche politische Zwecke haben, oder unter anderm Namen zu politischen Zwecken benutzt werden“.11 Gleichsam verbietet das Sozialistengesetz vom 21. Oktober 1878 in § 1 Abs. 1 „Vereine, welche durch sozialdemokratische, sozialistische und kommunistische Bestrebungen den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung bezwecken“.12 Beide Gesetzestexte sprechen also von „Vereinen“, der Ausdruck „Partei“ findet nicht ein einziges Mal Erwähnung. Das Gleiche gilt für die umfassende Neuregelung des Reichsvereinsgesetzes vom 19. April 1908, das in § 3 explizit auch „politische Vereine“ erfasst.13 Die Gesetzestexte des 19. und des beginnenden 20. Jahrhundert differenzieren also keineswegs zwischen „Partei“ und „Verein“, sondern allenfalls zwischen „Verein“ und „politischem Verein“. Noch deutlicher ließe sich formulieren, um ein erneutes Mal Heinrich Triepel zu bemühen, dass für den Gesetzgeber in dieser Periode „der Begriff der Partei nicht vorhanden gewesen“ ist. Weder in Verfassungstexten, noch in einfachgesetzlichen Regeln, nicht einmal in den Geschäftsordnungen der Parlamente war von Parteien oder Fraktionen die Rede.14 Es lässt sich also feststellen, dass eine wirkliche Normierungsgeschichte politischer Parteien nicht existiert. Soweit für sie gesetzliche Regelungen bestanden, handelte es sich um solche des Vereinsrechts. Daraus lässt sich schließen, dass die Normierungsgeschichte von Parteien und (politischen) Vereinen über einen langen Zeitraum hinweg eine gemeinsame war. An diesem Befund ändert sich auch nichts, wenn die neuere verfassungsrechtliche Literatur die vereinsrechtlichen Regelungen des 19. Jahrhunderts rückblickend mit parteirechtlichen Begrifflichkeiten belegt: So bezeichnet etwa Martin Morlok den zuvor erwähnten § 2 des Maßregeln-Gesetzes von 1832 schlichtweg als „Parteiverbot des Deutschen Bundes“.15 Gegen eine solche Begriffsverwendung bestehen 10

Morlok, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar II, Art. 21, Rn. 5. Zweiter Bundesbeschluss „über Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ruhe und Ordnung im Deutschen Bunde“ vom 5. Juli 1832, in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte I, 31978, Nr. 45. 12 „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“, RGBl. 1878, S. 351. 13 Vereinsgesetz, RGBl. 1908, S. 151. 14 Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, 1928, S. 19. 15 Morlok, a. a. O., Rn. 5. 11

1. Ansatz und Zielsetzung

29

prinzipiell keine Einwände. Das vorgebrachte Beispiel dient aber dazu, den historiographischen Ansatzpunkt der vorliegenden Arbeit zu unterstreichen. Die historischen Organisationsformen und Normierungen sollen hier zuallererst daraufhin untersucht werden, was genau Parteien oder politische Vereine zum entsprechenden Zeitpunkt der Geschichte in politisch-gesellschaftlicher, organisatorischer und rechtlicher Hinsicht tatsächlich dargestellt haben. Diese Feststellungen machen es aber auch erforderlich, den vorgebrachten Ansatz um systematische Gesichtspunkte zu ergänzen. Wenn Partei und Verein auf eine gemeinsame Normengeschichte zurückblicken und ihre verfassungsrechtliche Unterscheidung, wie sie in den Artikeln 9 und 21 des Grundgesetzes zu finden ist, somit jüngerer Natur ist, können sie bei der historischen Auslegung nicht voneinander isoliert betrachtet werden. Systematische Aspekte spielen demnach bereits bei der Entwicklungsgeschichte eine bedeutende Rolle, wie auch umgekehrt eine systematische Abgrenzung ohne Untersuchung der Entwicklungsgeschichte wenig gewinnbringend sein wird. Der Hintergrund einer rechtlichen Ausdifferenzierung zwischen Partei und Verein nach einer langen Epoche der gemeinsamen Normierung kann aber nur verständlich werden, wenn sie im Kontext der historisch-gesellschaftlichen Entwicklung betrachtet wird. Ähnlich verhält es sich mit der teleologischen Auslegung. Es ist das typische Charakteristikum von Rechtsnormen, durch Akte der Rechtssetzung erzeugt zu werden; ein Befund, den Gerhart Husserl in das schöne wie treffende Bild gefasst hat, dass ein „Rechtssatz in einem konkreten Schöpfungsakt seine Daseinswurzel“ habe. Der Akt der Gesetzgebung sei dabei das „Schlußstück“ einer „Vorgeschichte“, die der so geschaffenen Rechtsnorm zuzurechnen sei. Nur aus dem historischen Kontext heraus, der Anlass für das gesetzgeberische Handeln gewesen sei, könne dieses begriffen werden. Die zeitgenössische Problemsicht des Gesetzgebers und seine daran geknüpfte Stellungnahme beschreibt Husserl folgerichtig als „die konstitutiven Elemente dessen, was wir den ,Willen des Gesetzgebers‘ nennen“.16 Sucht man den Normzweck des Art. 21 GG zu ergründen, so tritt methodisch neben die Frage nach dem Gestaltungsziel die Frage nach dem typischen Lebenssachverhalt, den der Normsetzer hier in einer bestimmten Richtung zu regeln gedachte.17 Zwangsläufiger Ausgangspunkt des Kodifizierungsprozesses ist folglich eine Bestandsaufnahme des Parteiwesens, wie es sich zum Zeitpunkt der Verfassungslegung darstellte. Hinzu treten dann zum einen das zeitgenössische Vorstellungsbild, das der Parlamentarische Rat von den politischen Parteien hatte, und zum anderen das Gestaltungsziel, das ihn die Parteien konstitutionell verorten ließ. Beides ist aber ohne eine ausführliche historische Betrachtung schwerlich zu fassen. Begreift man zudem das Grundgesetz als ein besonderes Bemühen, „die ,Konstruktionsfehler‘ der Weimarer Reichsverfassung zu vermeiden“, wie es sich bereits im 16 17

Husserl, Recht und Zeit, 1955, S. 25. Rüthers et al., Rechtstheorie, 72013, Rn. 720.

30

II. Grundgedanke der Untersuchung

Verständnis des Herrenchiemseer Konvents widerspiegelt18, so ist man allein schon vor diesem Hintergrund an die Historie verwiesen. All dies wirkt schließlich auf den Wortlaut als Ausgangspunkt jedweder juristischen Auslegung. Der Sprachgebrauch wie auch der Begriffsinhalt von Wörtern sind nicht konstant, sondern entwickeln sich im Verhältnis zu gesellschaftlichen und politischen Prozessen. Im Rahmen der Wortlautauslegung ist dies zum einen von besonderer Wichtigkeit bei der Frage, ob die Bedeutung zum Zeitpunkt der gesetzlichen Niederlegung oder der möglicherweise seitdem gewandelte Begriffsinhalt für die Rechtsanwendung verbindlich ist.19 Andererseits wäre man damit aber vor die Aufgabe gestellt, zunächst einen Anhaltspunkt zu finden, von dem aus sich die Bedeutung und semantische Verschiebungen herleiten lassen. Wie die zuvor gemachten Ausführungen jedoch gezeigt haben, verfügt der Verfassungsbegriff „Partei“, wie er uns in Art. 21 GG begegnet, über keinen direkten Vorläufer. Seine Entwicklungsgeschichte als verfassungsrechtlich niedergelegter Ausdruck des positiven Rechts beginnt gewissermaßen erst mit dem Jahre 1949. Somit kann zwar für die Zeit seit Inkrafttreten des Grundgesetzes eine mögliche Wandlung des Verfassungsbegriffes untersucht werden. Für die Erforschung des Begriffsinhalts von „Partei“, wie er sich zum Zeitpunkt der Kodifizierung dargestellt hat, steht hingegen keine vorhergehende oder unmittelbar verwandte Regelung zur Verfügung, aus deren Anwendungsgeschichte sich direkte semantische Rückschlüsse ziehen ließen. Nun ist es aber die vornehmliche Aufgabe der Wortlautauslegung, den Gesetzesbegriff hinsichtlich seiner fachsprachlichen Bedeutung im Entstehungszeitpunkt zu ergründen.20 Auch vor dem Hintergrund des traditionellen Streites zwischen subjektiver und objektiver Auslegungstheorie kann diese Feststellung nicht an Richtigkeit verlieren. Der mit der objektiven Theorie verwobene Grundgedanke, dass das Gesetz klüger zu sein vermag als diejenigen, die es schufen, stellte uns andernfalls vor rechtsquellentheoretische und verfassungsrechtliche Probleme.21 Soll das Gesetz mehr hergeben, als sein Urheber tatsächlich hineingedacht hat, so müsste der Interpret erklären, woher er diese weitergehende Bedeutung entnommen hat, gewissermaßen also seine Rechtsquelle offenlegen. Er käme dabei nicht umhin, sich einzugestehen, dass auch seine Interpretation subjektiven Vorstellungen entsprungen ist. Dies mögen etwa rechtspolitische Zielvorstellungen oder mehrheitliche Gerechtigkeitsauffassungen sein. Doch sind solche Vorstellungen und Auffassungen überhaupt greifbar? Auf wessen Vorstellungsinhalte soll dabei abgestellt werden? Und welcher Zeitpunkt – der des Gesetzeserlasses oder der der Gesetzesanwendung – ist der entscheidende?22 Letztlich muss auch hinterfragt werden, ob 18 19 20 21 22

Mußgnug, Zustandekommen des Grundgesetzes, in: HStR I, 32003, § 8, Rn. 42, Rüthers et al., a. a. O., Rn. 739. Ebd., Rn. 743. Säcker, in: Münchener Kommentar BGB, Einleitung, Rn. 79. Zippelius, Juristische Methodenlehre, 112012, S. 17 f.

1. Ansatz und Zielsetzung

31

die einzelnen Vorstellungsinhalte zu den verschiedenen Zeitpunkte überhaupt eindeutig differenziert werden können und ob nicht letztlich beide in die Interpretation einfließen. Zugleich eröffnet sich damit ein zweites, nämlich verfassungsrechtliches Problem. Wertvorstellungen, die sich innerhalb einer Gesellschaft finden und die nicht allzu selten miteinander konkurrieren, in positives Recht zu übertragen, obliegt in einer parlamentarischen Demokratie zuallererst dem Parlament. Der Rechtsanwender selbst ist nach Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden, nicht an Werturteile außerhalb des positiven Rechts.23 Ist er als Richter aufgrund von Gesetzeslücken zur Rechtsfortbildung berufen, so kann er sich dieser Verantwortung gleichsam nicht dadurch entledigen, dass er sie auf das Gesetz abwälzt – dem Gesetz selbst also im Wege der „Normanreicherung“ einen eigenen (normativen) Sinn unterstellt, den der Gesetzgeber diesem gar nicht beigemessen hat.24 So muss auch die objektive Auslegungstheorie die Kompetenz des Gesetzgebers anerkennen, mit dem von ihm geschaffenen Gesetz einen bestimmten Zweck zu verfolgen.25 Wie Franz Jürgen Säcker betont, deckt sich dies auch mit den Erkenntnissen der Sprachwissenschaft. Demnach können Texte „semantisch nicht mehr hergeben, als vom Autor hineingedacht ist“. Die Gesetzesinterpretation müsse nach der Intention des Autors suchen, nicht nach der des Interpreten. Nur so könne die Auslegung der Gefahr begegnen, dass der Interpret glaube, mittels geschickter Begründung jeden beliebigen Weg einschlagen zu dürfen.26 Wer aber den ursprünglichen, vom Gesetzgeber gedachten Normzweck ignoriert und eine eigene Wertung impliziert, verlässt den Bereich der Gesetzesauslegung und fühlt sich selbst zur Normsetzung berufen. Damit verschwimmt jedoch zugleich die Grenze zwischen Gesetzesauslegung und richterlicher Rechtsfortbildung.27 So hält auch Karl Larenz fest: „Der [heute] rechtlich als maßgeblich zu erachtende Sinn des Gesetzes ist aber nur unter Berücksichtigung auch der Regelungsabsichten und der konkreten Normvorstellungen des historischen Gesetzgebers, keinesfalls unabhängig davon festzustellen.“28

Das bestätigt auch in jüngerer Rechtsprechung das Bundesverfassungsgericht, obgleich es sich stets zur objektiven Methode bekannt hatte.29 Das verfassungsrechtliche Prinzip der Gewaltenteilung schließe es aus, „dass die Gerichte Befugnisse beanspruchen, die von Verfassung dem Gesetzgeber übertragen worden sind, indem sie sich aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben und damit der Bindung an Recht und Gesetz entziehen. Rich23 24 25 26 27 28 29

Säcker, a. a. O., Rn. 103. Ebd., Rn. 79 f. Zippelius, a. a. O., S. 41. Säcker, in: a. a. O., Rn. 106, 110. Rüthers et al., a. a. O., Rn. 820. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 61991, S. 318. Rüthers et al., a. a. O., Rn. 799.

32

II. Grundgedanke der Untersuchung terliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass der Richter seine eigene materielle Gerichtsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt.“30

Damit verneint das Gericht nicht die Befugnis des Richters zur Rechtsfortbildung, betont aber deren Grenzen: „Der Richter darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Er muss die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren und den Willen des Gesetzgebers unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen. Er hat hierbei den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung zu folgen. Eine Interpretation, die als Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder – bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke – stillschweigend gebilligt wird, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein.“31

Vor diesem Hintergrund darf es auch nicht erstaunen, dass das Bundesverfassungsgericht – entgegen seinem steten Bekenntnis zur objektiven Auslegungsmethode – das historische Argument dennoch am meisten verwendet, ihm gar häufig das entscheidende Gewicht beigemessen hat.32 Die Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Auslegungstheorie soll für die vorliegende Arbeit dahingehend aufgelöst werden, dass keine der Methoden für sich in Anspruch zu nehmen vermag, den historischen Kontext des gesetzgeberischen Aktes ernstlich ausblenden zu können.33 Die Annahme, dass sich der Wortlaut des Gesetzes mit dem Schöpfungsakt von seinem Urheber ablöse und fortan „ein Monopol des Wortlautes“ bestehe, dürfte wohl selbst orthodoxe Vertreter der objektiven Methode nicht verkennen lassen, dass legislative Gesichtspunkte wenn eben nicht als subjektive, so zumindest als objektive Umstände Eingang auch in eine objektive Auslegung finden müssen.34 Insgesamt verliert die Frage nach der richtigen Auslegungsmethode vor dem Hintergrund an Bedeutung, dass sich ein Wandel in der Wortbedeutung allenfalls schrittweise und keinesfalls abrupt vollzieht.35 Lehrbuchartig ließe sich der Theorienstreit somit auf die Kernformel herunterbrechen, dass der Subjektivist den Willen des Gesetzgebers für verbindlich, der Objektivist denselben für unverbindlich hält, ihn aber dennoch zu ergründen sucht.36 Der mögliche Bedeutungswandel und das divergierende Verständnis ein und desselben Ausdruckes sind daher vor allem auch unter dem Gesichtspunkt der „dienenden Funktion der Sprache“ zu betrachten. Der Verfasser eines Textes entscheidet, in welcher aktuellen Bedeutung er einen Ausdruck verwendet. Dessen 30 31 32 33 34 35 36

BVerfGE 128, 193 (209 f.). BVerfGE 128, 193 (210). So der Befund von Rüthers et al., a. a. O., Rn. 800. Säcker, a. a. O., Rn. 124. Keller, Die Kritik, Korrektur und Interpretation des Gesetzeswortlautes, 1960, S. 156. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 52011, S. 47. Ebd., S. 65.

1. Ansatz und Zielsetzung

33

Bedeutungsinhalt ergibt sich dabei aus dem Kontext seiner Verwendung.37 Ein Norminhalt lässt sich somit in aller Regel nicht zutreffend ermitteln, wenn man das Vorstellungsbild des Normurhebers außer Betracht lässt. Gesetzesbindung kann nur das auslösen, was der Gesetzgeber angeordnet hat. Was er angeordnet hat, ergibt sich wiederum aus dem von ihm tatsächlich Gemeinten. Dazu müssen wir uns seinem Sprachgebrauch zuwenden.38 Erst wenn wir das Gesetz aus seinem Entstehungszusammenhang heraus verstanden haben, sind wir auch in der Lage, seine Wirkung und mögliche Wandlung im Heute zu verstehen.39 Denn selbst unter gewandelten Verhältnissen darf sich der Rechtsanwender dem Sinn und Zweck, den der Gesetzgeber einer Norm mit auf den Weg gegeben hat, nicht entziehen.40 Der historische Kontext, dem der Zweck eines Gesetzes entnommen werden kann, umfasst nicht allein dessen Entstehungsprozess, sondern auch die Tradition, in die sich eine Regelung einreiht und aus der heraus sich regelmäßig das Leitbild des Normsetzers ableiten lässt.41 Zur Ergründung des Sprachgebrauches des Gesetzgebers sind wir methodisch dabei auf – aus Sicht des Grundgesetzes – vorkonstitutionelle Verwendungen des sprachlichen Ausdruckes „Partei“ verwiesen, wie sie sich in entsprechenden Rechtstexten finden mögen. Von besonderem Nutzen sind in dieser Hinsicht auch lexikalische Definitionen.42 Im vorliegenden Fall wird sich aber zeigen, dass die semantische Entwicklung in besonderer Parallelität zur historischen steht. An entsprechender Stelle wird daher Bezug zum zeitgenössischen Wortlaut genommen. Insgesamt lässt sich festhalten, dass jede der klassischen juristischen Herangehensweisen beim vorliegenden Untersuchungsgegenstand in vielerlei Hinsicht besonders stark auf deren Entstehungsgeschichte zurückverweist. Da die dogmengeschichtliche Auslegung zum Rechtsbegriff „Partei“ mangels vorhergehender Normierungen beschränkt ist und historisch in engem Zusammenhang zum Vereinsbegriff steht, sind beide einer gemeinsamen Untersuchung zu unterwerfen. Dabei ist zu beachten, dass dogmengeschichtliche und historisch-soziologische Auslegung miteinander eng verwandt sind.43 Deshalb muss eine solche Untersuchung in den historisch-politischen wie gesellschaftlichen Kontext eingebettet werden. Daraus ergibt sich eine historisch-systematische Herangehensweise an das moderne verfassungsrechtliche Verständnis von „Partei“ und „politischer Vereinigung“, der sich diese Arbeit in besonderer Weise verpflichtet fühlt.

37 38 39 40 41 42 43

Säcker, a. a. O., Rn. 130 f. Ebd., Rn. 137. Vgl. Husserl, Recht und Zeit, 1955, S. 26. Vgl. BVerfGE 96, 375 (394). Zippelius, Juristische Methodenlehre, 112012, S. 41. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 32008, S. 613. Ebd., S. 619.

34

II. Grundgedanke der Untersuchung

2. Parteiengeschichte und verwandte Bereiche der Parteienforschung Nähert man sich der Parteiengeschichte als Forschungsgegenstand, so stößt man auf eine eher überschaubare Anzahl an Gesamtdarstellungen und Übersichten zum deutschen Parteiwesen. Die meisten dieser Arbeiten stammen aus einer Zeit, zu der der Parteienstaat bereits Verfassungsrealität in Deutschland geworden war. Eine Ausnahme stellt die Abhandlung von Ludwig Bergsträsser dar, die 1921 zum ersten Mal veröffentlicht wurde und somit als Klassiker der Parteiengeschichte gelten darf.44 Im Jahr 1932 erschien zudem eine erste Epochenstudie von Siegmund Neumann über die Parteien der Weimarer Republik.45 Weitere ausführliche Werke aus der Geschichts- und Politikwissenschaft folgten erst einige Jahrzehnte später. Zu den Parteien im Kaiserreich veröffentlichte Thomas Nipperdey im Jahre 1961 eine umfassende Studie mit besonderem Fokus auf deren Organisationsentwicklung, die wohl mit Recht bis heute als Standardwerk Geltung beanspruchen kann.46 1966 erschien Walter Tormins Geschichte der deutschen Parteien seit 1848, die bereits in den beiden Folgejahren jeweils eine neue Auflage erfuhr. Wenige Jahre zuvor hatten auch Helga Grebing und Wolfgang Treue eine Parteiengeschichte vorgelegt.47 Damit war ein historischer Gesamtabriss zu den politischen Parteien geschaffen, in dessen Nachgang zwar weitere Arbeiten von Werner Boldt (1971) und Dieter Langewiesche (1978) erschienen, die sich jedoch beide gleichsam auf die Revolutionsjahre von 1848/49 beschränken.48 Zwischen diesen Arbeiten und den jüngeren Abhandlungen von Peter Lösche, Robert Hofmann (beide 1993), und Hans Fenske (1994), die aufs Neue eine historische Gesamtschau boten, liegt schließlich noch die Monographie von Gerhard A. Ritter aus dem Jahre 1985 für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.49 Soweit es das zuvor beschriebene Ziel der historischen Untersuchung ist, das Parteiverständnis für den Zeitpunkt der Konstitutionalisierung zu ergründen, gestalten sich die zahlreichen Arbeiten zur jüngeren, bundesrepublikanischen Partei44

Bergsträsser, Geschichte der politischen Parteien, 111965. Neumann, Die Parteien der Weimarer Republik, 51986 [Entgegen der fehlerhaften Angabe in der hier zitierten Auflage erschien die Originalausgabe 1932 nicht unter dem Titel ,Die politischen Parteien in Deutschland‘, sondern als ,Die deutschen Parteien. Wesen und Wandel nach dem Kriege‘]. 46 Nipperdey, Die Organisation der deutschen Parteien, 1961. 47 Tormin, Geschichte der deutschen Parteien seit 1848, 31968; Grebing, Geschichte der deutschen Parteien, 1962; Treue, Die deutschen Parteien, 1975 [erste Veröffentlichung unter diesem Titel, aber mit deutlich geringerem Umfang bereits 1961]. 48 Boldt, Die Anfänge des deutschen Parteiwesens, 1971; Langewiesche, Die Anfänge der deutschen Parteien, in: GG 1978, 324. 49 Lösche, Kleine Geschichte der deutschen Parteien, 21994; Hofmann, Geschichte der deutschen Parteien, 1993; Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994; Ritter, Die deutschen Parteien 1830 – 1914, 1985. 45

2. Parteiengeschichte und verwandte Bereiche der Parteienforschung

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engeschichte allenfalls für den Zeitraum im unmittelbaren Anschluss an das Ende des Zweiten Weltkrieges aufschlussreich. Deshalb ist auf sie an dieser Stelle nicht weiter einzugehen. Anders verhält es sich mit der größeren Zahl an Einzeluntersuchungen, die sich auf bestimmte Aspekte oder einzelne Parteien konzentriert haben. Wo sie einschlägig sind, werden sie punktuell in dieser Arbeit berücksichtigt werden. Als roter Faden bleiben jedoch die Gesamtübersichten, in denen die gesellschaftlichen, politischen und organisatorischen Zusammenhänge in ihrer Entwicklung abgebildet sind. Um den Umfang der Parteienforschung insgesamt deutlich zu machen, sollen aber die zahlreichen Blickwinkel nicht unerwähnt bleiben, unter denen versucht wurde, sich den Parteien wissenschaftlich anzunähern. Zum einen ist hier die Untersuchung der sozialen Zusammensetzung einer Partei zu nennen, also ihrer Mitglieder und Wähler, Funktionäre, Mandatsträger und Führer. Hinzu kommen Fragen der Parteienfinanzierung, was die staatliche Alimentierung wie auch die Eigenfinanzierung umfasst, die wiederum Rückschlüsse bezüglich eventueller Abhängigkeiten oder gewisser Einflüsse auf Struktur und Politik ziehen lassen. Das politische Umfeld und das jeweilige Parteiensystem sind ebenso Gegenstand der Parteienforschung wie das Verhältnis zu bestimmten Interessensgruppen. Nicht zuletzt ist auch das Wahlrecht zu nennen, dass das Parteiwesen ganz nachhaltig prägt.50 Die Bedeutung der genannten Forschungsgegenstände für die folgende Untersuchung ist recht unterschiedlich. Allesamt werden sie aber an entsprechender Stelle Einfluss auf diese Arbeit nehmen. Ebenfalls in Betracht zu ziehen ist die in den Sozialwissenschaften weit verbreitete Methode der Typenbildung. Dieses von der Parteiensoziologie angewendete Verfahren wird indes von Walter Tormin als für die Parteiengeschichte abträglich betrachtet, indem er zu Recht auf die vielfältigen Überschneidungen zwischen den einzelnen Parteitypen verweist. Nicht die Systematisierung, sondern „die Beschreibung des Einmaligen“ sei aber das Anliegen einer historischen Untersuchung, weshalb eine Typenbildung keinesfalls die Voraussetzung, sondern höchstens das Ergebnis einer historischen Untersuchung sein könne.51 Es kann offenbleiben, ob die vorgebrachte Kritik Tormins für die klassische Geschichtsschreibung ihre Berechtigung hat oder nicht. Für die vorliegende Arbeit wäre es jedenfalls ein Malus, wenn sie auf die Verwendung von Typenbezeichnungen gänzlich verzichten wollte. Sie wird sich allerdings auf die wesentlichen Typisierungen beschränken, womit vornehmlich die Entwicklung von der Honoratiorenpartei zur Massenintegrationspartei gemeint ist.52

50 Lösche, a. a. O., S. 16 ff. Ausführlich zu den Auswirkungen des Wahlrechts Fenske, Wahlrecht und Parteiensystem, 1972. 51 Tormin, Geschichte der deutschen Parteien seit 1848, 31968, S. 13 f. 52 Lösche, a. a. O., S. 20.

36

II. Grundgedanke der Untersuchung

3. Schwerpunkte der Untersuchung Auch für den Bereich der Parteiengeschichte bieten sich bereits verschiedene Möglichkeiten der Darstellung an53 : - als eine Geschichte der politischen Ideen, - als Parlaments- bzw. Fraktionsgeschichte, - als Organisationsgeschichte, - als Geschichte führender Persönlichkeiten. Es liegt auf der Hand, dass die Vita führender Persönlichkeiten für diese Arbeit kaum bedeutsam sein kann, während der Entwicklung der Organisation – nicht zuletzt in ihrem Verhältnis zu Parlament und Fraktion – ganz wesentlich Aufmerksamkeit zu schenken ist. Ähnlich der englischen und französischen Entwicklung stellt sich auch in Deutschland die Parlamentarisierung als notwendiger Nährboden für die Entstehung von Parteien dar. Martin Morlok hat diesen grundsätzlichen Befund treffend auf den Punkt gebracht, indem er die Parteiengeschichte als „Annexentwicklung zur Geschichte des Parlaments“ beschrieben hat.54 Die Bedeutung der Organisationsgeschichte ergibt sich aber bereits aus geltendem Verfassungsrecht, wie ein Blick auf Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG offenbart. Demnach wird von den Parteien verlangt, dass ihre innere Ordnung demokratischen Grundsätzen entsprechen muss. Dem Demokratiegebot folgend, ist dabei auf die Binnenstrukturen einer Partei abzustellen. Dazu gehören ihre Untergliederungen und Organe, aber auch die Stellung der einzelnen Mitglieder.55 Weiterhin ist es für eine Partei nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Parteiengesetzes erforderlich, dass unter anderem ein gewisses Maß an „Umfang und Festigkeit ihrer Organisation“ vorliegt. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die im Parteiengesetz aufgeführten Wesensmerkmale nur deklaratorischen Charakter haben können. Eine einfachgesetzliche Definition des verfassungsrechtlichen Parteibegriffes verbietet sich.56 Da aber nicht allein das Bundesverfassungsgericht, sondern mit ihm auch Teile der Literatur von einer inhaltlichen Identität der parteiengesetzlichen Legaldefinition mit dem Parteibegriff des Art. 21 Abs. 1 GG ausgehen57, dürfen die in § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG genannten Merkmale nicht außer Betracht gelassen werden. Insgesamt lassen sich der parteienrechtlichen Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG drei Elemente entnehmen: ein Strukturelement, ein Zielelement und das

53 54 55 56 57

Tormin, a. a. O., S. 16. Morlok, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar II, Art. 21, Rn. 4. Kunig, in: Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar I, Art. 21, Rn. 53. Ipsen, in: ders., Kommentar zum Parteiengesetz, § 2, Rn. 2. Kunig, a. a. O., Rn. 12; in ständiger Rechtsprechung BVerfGE 91, 276 (284).

3. Schwerpunkte der Untersuchung

37

Erfordernis der Ernsthaftigkeit.58 Es bedarf dabei in struktureller Hinsicht einer Organisationsform, nach der die Bestimmungsmacht im Wesentlichen bei den Mitgliedern liegt.59 Diese Struktur muss dabei zielbezogen sein. Namentlich ist damit der Wille zur Einflussnahme auf die politische Willensbildung und zur Mitwirkung an der parlamentarischen Vertretung auf Bundes- oder Länderebene gemeint. Die Ernsthaftigkeit wird schließlich nicht allein für die Zielsetzung gefordert, sondern muss sich auch in den „strukturellen Voraussetzungen der Organisation“ zeigen.60 Das meint – in Übereinstimmung mit § 6 PartG – eine Satzung und ein Programm, die dem Struktur- wie dem Zielelement die erforderliche Ernsthaftigkeit verleihen.61 Das Bundesverfassungsgericht hat diesbezüglich wiederholt auf das Vorliegen äußerer Merkmale verwiesen, wie sie ebenfalls in § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG umschrieben sind. Die Elemente dieser „Ernstlichkeitsklausel“ sind dabei jedoch nicht trennscharf voneinander abgrenzbar und in ihrer Aufzählung auch nicht erschöpfend. Dennoch ist ihnen regelmäßig ein besonderes Gewicht beizumessen. Für die Parteieigenschaft einer politischen Vereinigung ist demnach auf das Gesamtbild ihrer tatsächlichen Verhältnisse abzustellen. Dafür kommen Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, wie schon zuvor erwähnt, ebenso in Betracht wie die Zahl der Mitglieder und das Hervortreten in der Öffentlichkeit.62 Man geht wohl nicht zu weit, wenn man all diese Merkmale – zumindest im weiteren Sinne – als organisatorische Aspekte beschreibt. Nicht nur deshalb gewinnt für diese Arbeit die Untersuchung der Organisationsgeschichte an Bedeutung. Dabei müssen freilich die zuvor genannten parteiengesetzlichen Aspekte als wesentliche Leitlinien besonders berücksichtigt werden. Wie zuvor erwähnt, ist in Anlehnung an § 6 PartG auch das Programm ein entscheidendes Kriterium für die (zumindest parteiengesetzlich) geforderte Ernsthaftigkeit. Nicht allein deshalb soll die Programmgeschichte in der vorliegenden Arbeit ebenfalls ihre Berücksichtigung finden. Die Bedeutung der Parteiprogramme beschränkt sich aber keineswegs auf die Prüfung im Rahmen der Ernstlichkeitsklausel. Sie spielt nämlich bereits bei der verfassungsrechtlichen Vorgabe des Art. 21 Abs. 1 GG eine Rolle, der in Satz 1 den Parteien die Aufgabe zuweist, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Diese grundgesetzliche Aufgabenzuweisung bedeutet umgekehrt aber auch, dass die Parteieigenschaft verloren geht, wenn die Beteiligung an der politischen Willensbildung ausbleibt.63 Zur Erfüllung dieser Aufgabe ist es unerlässlich, dass die Parteien ihre politischen Ziele programmatisch niederlegen. Nur so kann eine wirkliche politische Auseinander58 Vgl. Morlok, a. a. O., Rn. 34; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum GG II, Art. 21, Rn. 52. 59 Morlok, a. a. O., Rn. 35. 60 Vgl. Streinz, a. a. O., Rn. 52, 58. 61 Vgl. Morlok, a. a. O., Rn. 39, 34; Streinz, a. a. O., Rn. 68. 62 Vgl. alleine BVerfGE 91, 276 (287 f.). 63 Ipsen, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 21, Rn. 22.

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II. Grundgedanke der Untersuchung

setzung erst stattfinden. Ipsen formuliert diese Notwendigkeit dahingehend, dass Parteien „sowohl konkurrierende Gemeinwohlentwürfe anbieten und damit den Wählern Entscheidungsmöglichkeiten eröffnen als auch konkrete Problemlösungen vorschlagen“.64 Die historiographische Untersuchung der Herausbildung und Entwicklung organisierter politischer Programmatik soll hierüber weiteren Aufschluss ergeben. Für diese Arbeit kommt schließlich zumindest am Rande – neben dem Erfordernis der Ernsthaftigkeit und der Aufgabe der politischen Willensbildung – noch ein dritter Punkt in Betracht, bei dem die Programmgeschichte eine Rolle spielt. Nach Art. 21 Abs. 2 GG sind für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit neben dem Verhalten der Anhänger auch die Ziele einer Partei der verfassungsgerichtlichen Prüfung zu unterwerfen. Für die Ermittlung der Zielsetzung ist naturgemäß das Programm im weiteren Sinne der erste Anhaltspunkt.65 Dazu gehören aber nicht nur das publizierte Parteiprogramm und sonstige parteiamtliche Erklärungen, wie das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem KPD-Urteil aus dem Jahre 1956 festgestellt hat, sondern auch Schriften parteinaher Autoren oder Reden führender Funktionäre und sonstige Publikationen wie Materialien der Partei.66 Damit ist zugleich klargestellt, dass sich die Programmgeschichte nicht allein auf die großen und grundsätzlichen Parteiprogramme – ein Beispiel wäre das Godesberger Programm der SPD aus dem Jahre 1959 – bezieht, sondern ein weitaus größeres Maß parteilicher Deklarationen umfasst.67 Somit stehen thematisch also die Organisationsgeschichte, das Verhältnis zu Parlament wie Fraktion und die Programmgeschichte im Mittelpunkt der Untersuchung, wenngleich letztere aufgrund ihres massiven Umfangs nur in begrenztem Rahmen berücksichtigt werden kann. Auch die Organisationsgeschichte kann nicht allumfassend einbezogen werden. Es kann in diesem Zusammenhang zwischen einem engeren Organisationsbegriff, der nur die Partei selbst meint, und einem weiteren Organisationsbegriff, der auch die Vorfeld- und Umfeldorganisationen einbezieht, unterschieden werden.68 Daraus ergibt sich das Erfordernis, von einer möglicherweise wünschenswerten Vollständigkeit der historischen Darstellung abzusehen und eine notwendige Auswahl und Konzentration vorzunehmen. Es wird folglich weniger darum gehen, eine ausführliche Parteiengeschichte darzulegen. Vielmehr sollen die wesentlichen Entwicklungslinien und die entscheidenden Aspekte der zuvor beschriebenen Schwerpunkte aus der historischen Gesamtentwicklung herausgefiltert und in den Vordergrund gestellt werden. Ständiger Bezugspunkt sind dabei solche Eigenschaften, die für den modernen Parteibegriff von Bedeutung sind oder sein könnten. 64 65 66 67 68

Ebd., Rn. 26. Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum GG II, Art. 21, Rn. 234. Vgl. BVerfGE 5, 85 (144). Vgl. Lösche, Kleine Geschichte der deutschen Parteien, 21994, S. 16. Vgl. ebd., S. 16.

3. Schwerpunkte der Untersuchung

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Soweit damit die inhaltlichen Schwerpunkte der Untersuchung abgesteckt sind, stellt sich weiterhin die Frage nach der zeitlichen Begrenzung des Sujets. Die Forschung ist hier bezüglich des Anfangspunktes der Parteiengeschichte zu recht unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Hintergrund dieser Unterschiede bei der Datierung ist vor allem ein fehlender Konsens über die Definition von „Partei“. Die konkrete Ausprägung politischer Gruppierungen erfolgte stets entsprechend dem zeitgenössischen politischen und gesellschaftlichen System, erfuhr aber im weiteren Fortgang der historischen Entwicklung eine tiefgreifende Wandlung. Gleichsam hat sich im selben Zuge auch das Verständnis von „Partei“ – also der Parteibegriff im nicht streng juristischen Sinne – selbst verändert. Eine allgemeingültige Definition zu finden, aus der sich der korrekte Zeitpunkt für den Beginn der Parteiengeschichte verbindlich herleiten ließe, ist somit erschwert.69 Max Weber etwa bezeichnet Parteien als „auf (formal) freier Werbung beruhende Vergesellschaftungen“, die nicht zwingend auf Dauer angelegt sein müssen und die als Verbände jeder Form auftreten können. Ihnen eigen ist der Wille zur Machterlangung wie die Tatsache, dass ihrer Grundlage ganz wesentlich ein voluntaristisches Moment innewohnt. Der moderne Parteitypus tritt wiederum erst im „legalen Staat mit Repräsentativverfassung“ auf.70 Sigmund Neumann entwickelt diese Definition weiter, indem er für moderne Parteien Programm, Organisation und Kampfcharakter als wesentliche Charakteristika ausmacht. Auch wenn der Umfang der Organisation verschieden sein möge, dürften nur solche politische Gruppen als Parteien bezeichnet werden, die ein „bestimmtes Maß […] konstanter Durchorganisierung“ aufweisen.71 Der Kampfcharakter als Wille zur Machtteilhabe ist dabei insbesondere unter dem Aspekt zu betrachten, dass es den Parteien um die „Übernahme von Positionen im Herrschaftsapparat“ (Ossip K. Flechtheim) geht.72 Letztendlich unterscheidet sie nämlich genau das von anderen politischen Akteuren wie etwa Verbänden oder Bürgerinitiativen.73 Das Fehlen einer einheitlichen Definition führt schließlich dazu, dass die Autoren der Parteiengeschichte verschiedene Anfangspunkte für ihre Darstellungen gewählt haben. Bergsträsser und Fenske sehen die Anfänge bereits im Frühkonstitutionalismus. Dem folgt auch Ritter, der – etwas außergewöhnlich – mit dem Jahre 1830 beginnt. Diesen Ansatz begründet Fenske damit, dass Parteien bereits seit Beginn des 19. Jahrhunderts im Bewusstsein der Menschen existiert hätten, weshalb er das Erreichen einer gewissen Organisation als Kriterium ablehnt. Sein Blick richtet sich vielmehr auch auf die Parlamente des Vormärzes, da Verfassungsstaat und Parteiwesen untrennbar miteinander verbunden seien.74 Walter Tormin räumt dem Maß an 69 70 71 72 73 74

Langewiesche, Die Anfänge der deutschen Parteien, in: GG 1978, 324 (325). Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 51972, Kap. III, § 18. Neumann, Die Parteien der Weimarer Republik, 51986, S. 16 f. Flechtheim, Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung I, 1962, X. Lösche, a. a. O., S. 12. Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 16 f.

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II. Grundgedanke der Untersuchung

Organisationsförmigkeit demgegenüber einen größeren Stellenwert ein und lehnt eine Geschichte der deutschen Parteien für die Zeit vor 1848/49 ab. Erst mit der Revolution hätten sich Fraktionen einer gemeinsamen politischen Richtung zusammengeschlossen, in Anlehnung an welche auch außerparlamentarische politische Organisationen entstanden seien.75 Noch weiter geht Hofmann, der von einer modernen politischen Partei verlangt, dass sie ein eigenständiges Gebilde darstellt und sich nicht auf eine Fraktion beschränkt. Erforderlich ist dafür eine hierarchische Organisationsstruktur mit einem hauptamtlichen Funktionärsapparat.76 Wie auch Lösche macht er den Beginn der modernen politischen Partei daher erst im Umfeld der Reichsgründung von 1871 aus. Unabhängig davon, welcher der aufgeführten Meinungen zu folgen ist, lässt sich aus der unterschiedlichen Bewertung bereits ablesen, dass die für diese Untersuchung bedeutsamen Schwerpunkte, nämlich die Entwicklung von Organisation und Programmatik, erst mit dem Beginn des deutschen Kaiserreiches an Bedeutung gewinnen. Dies gilt jedoch nur, soweit politische Parteien des modernen Typs angesprochen sind. Da aber in der vorliegenden Arbeit ganz wesentlich auf die Abgrenzung zu sonstigen politischen Vereinigungen Wert gelegt werden soll, kann die gemeinsame Vorgeschichte nicht unerwähnt bleiben. Den Wurzeln und Anfängen von politischen Vereinen und dem Zusammenschluss Gleichgesinnter in parlamentarischen Fraktionen begegnen wir schon in den Jahrzehnten weit vor der Reichsgründung. Wenn im Folgenden also die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu ergründen sind und dabei Partei und Vereinigung einer historisch-systematischen Untersuchung unterworfen werden sollen, ist dort anzusetzen, wo die Entwicklung und Ausdifferenzierung beider ihren Anfang genommen haben. So bleibt im Übrigen allein anzumerken, dass sich diese Untersuchung auf die Entwicklung in Deutschland beschränkt. Damit soll weder der Gewinn von vergleichenden Arbeiten zu diesem Thema in Abrede gestellt, noch ein „deutscher Sonderweg“ für die Parteiengeschichte angenommen werden. Dennoch ist trotz einer weitgehenden zeitlichen Parallelität der Parteiengenese festzuhalten, dass sich die Parteien in den einzelnen Ländern bisweilen bereits in ihrem rechtlichen Status, ganz besonders aber ihrer Organisation und Programmatik nach unterscheiden.77 Der Blick über die Grenzen hinweg wäre folglich ein zweiter Schritt, um eine Abgrenzung zu anderen Erscheinungsformen und Definitionsansätzen zu erlangen. Da der Fokus aber auf die positive Herausarbeitung der verfassungsrechtlichen Begriffsmerkmale von Parteien – gerade in ihrer Abgrenzung zu Vereinen – nach dem deutschen Grundgesetz gerichtet ist, will diese Untersuchung den weiteren Schritt eines internationalen Vergleiches nicht gehen.

75 76 77

Tormin, Geschichte der deutschen Parteien seit 1848, 31968, S. 12 f. Vgl. Hofmann, Geschichte der deutschen Parteien, 1993, S. 13 f. Klein, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Art. 21, Rn. 25.

4. „Partei“ als ein Begriff des Verfassungsrechts

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4. „Partei“ als ein Begriff des Verfassungsrechts Es ist also Ziel des sich anschließenden Kapitels, die Genese politischer Gruppierungen nachzuzeichnen, um daraus die konstitutiven Merkmale solcher Vereinigungen näher zu bestimmen, die heute im modernen verfassungsrechtlichen Verständnis als Parteien zu bezeichnen sind. Was tatsächlich dem Verfassungsbegriff „Partei“ zugordnet werden darf, kann somit erst am Ende der Untersuchung feststehen. Daraus ergibt sich zwangsläufig eine begriffliche Schwierigkeit: Historiographische Werke bezeichnen „politische Gebilde“ des 19. und 20. Jahrhunderts regelmäßig als „Partei“, ungeachtet dessen, ob diese Parteien im heutigen verfassungsrechtlichen Sinne darstellen mögen oder nicht. Damit ist zuvorderst keine Kritik an gesellschaftswissenschaftlichen Texten geübt, sondern ganz allgemein ein grundlegendes Problem beschrieben, dem sich jedwede interdisziplinäre Arbeit stellen muss. Wer Untersuchungen anderer Fachrichtungen für die Bestimmung von Begrifflichkeiten der eigenen Disziplin heranzieht, darf nicht von einem identischen Begriffsverständnis ausgehen. Historische Arbeiten weisen begriffliche Akkuratesse für historische Termini auf, nicht für juristische Termini. Beide können sich aber – trotz Verwendung desselben Wortes – wesentlich voneinander unterscheiden. Kurzum: Der historische bzw. historiographische Begriff „Partei“ ist nicht identisch mit dem Verfassungsbegriff „Partei“. Gleichsam birgt diese – aus juristischer Sicht möglicherweise sorglos anmutende – Begriffsverwendung durch die Geschichtswissenschaft einen wissenschaftlichen Vorteil. Historiographische Arbeiten rekurrieren nämlich auch auf den jeweils zeitgenössischen Parteibegriff und zeigen so – bisweilen lediglich „zwischen den Zeilen“ und dennoch im Ergebnis wertvoll – die semantische Verschiebung im Laufe der Jahrzehnte auf. Die sprachliche Problematik lässt sich dennoch nur schwer auflösen: Wollte man juristische Exaktheit walten lassen, müsste man zur Umschreibung von Vorgängern unserer heutigen Parteien auf künstliche Ausdrücke zurückgreifen. Zugleich würde die semantische Entwicklung des Parteibegriffes verloren gehen. Andererseits verbietet sich aber gerade bei der vorliegenden Untersuchung ein unpräziser sprachlicher Umgang. Soweit also im historischen Teil dieser Arbeit von „Parteien“ die Rede sein wird, ist damit der jeweils zeitgenössische oder ganz allgemeine Begriff von Partei gemeint. Anderes wird entsprechend gekennzeichnet sein. Keinesfalls ist dies aber als Vorwegnahme des Ergebnisses im Sinne einer verfassungsrechtlichen Subsumtion unter den Art. 21 GG zu verstehen.

III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland Im Folgenden soll nun die historische Entwicklung von politischer Organisation ausführlich untersucht werden. In der chronologischen Abfolge wendet sich diese Arbeit dabei zunächst den Frühformen politischer Vereinigungen in Deutschland zu und verfolgt deren Entwicklung hin zu Parteien moderner Ausprägung. In Anlehnung an die Legaldefinition des § 2 Abs. 1 PartG ist dabei ein besonderes Augenmerk auf die Organisationsförmigkeit und den innerparteilichen Aufbau, die Programmatik sowie auf die Tätigkeit innerhalb und außerhalb der Parlamente zu richten. Steter Bezugspunkt bleibt dabei das Vereinsrecht auf landesstaatlicher und später nationalstaatlicher Ebene. Dieses bildet – gemeinsam mit dem Wahlrecht und den Geschäftsordnungen der Parlamente – das juristische Korsett der zu untersuchenden Entwicklung.

1. Ursprung und Anfänge des Vereinswesens Die Anfänge des modernen Vereinswesens in Deutschland liegen im 18. Jahrhundert. Das Umfeld kann nicht allein mit der Gedankenwelt der Aufklärung beschrieben werden. Unmittelbare Voraussetzung für die aufkommende Vereinsbildung, wie sie sich seit der Mitte des 18. Jahrhundert beobachten lässt, war vor allem auch die materielle Möglichkeit, sich in Vereinigungen zusammenzuschließen. Erst die ökonomische Absicherung ermöglichte ein Engagement jenseits des eigentlichen Berufes und eröffnete der bürgerlichen Gesellschaft den Freiraum, neuen Interessen und Bedürfnissen nachzugehen. Zu diesen gehörten Bildung, Kultur und Wissenschaft, sie erstreckten sich aber auch auf öffentliche, etwa ökonomische und soziale, Aspekte.1

1 Dann, Die Anfänge politischer Vereinsbildung, in: Engelhardt et al., Soziale Bewegung und politische Verfassung, 1976, 197 (198 f.).

1. Ursprung und Anfänge des Vereinswesens

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a) Korporation und Assoziation Wenn Otto Dann schreibt, dass der Verein als Rechtsform gesellschaftlicher Kooperation kein Spezifikum der Neuzeit sei, so meint er damit die genossenschaftlichen Elemente, die in der mittelalterlichen Gesellschaft anzutreffen sind. Im Unterschied zur neuzeitlichen Gesellschaft war das Verbandswesen des Mittelalters aber korporativ ausgeprägt. Das bedeutet konkret, dass sich die Verbandszugehörigkeit aus den „vorgegebenen sozialen Gliederungen und corpora“ ergibt. Faktoren wie Geburt, Beruf und sozialer Standort bestimmten, welchem Verband der Einzelne angehörte. Der Verband wiederum war durch eine „umfassende Zwecksetzung“ geprägt, auf die das einzelne Mitglied kaum Einfluss ausüben konnte.2 Beispiele für diese korporativen Verbände sind die Gilden, Innungen und Zünfte, die im Mittelalter eine dominante Rolle im Leben der Menschen einnehmen. Eine freie Entscheidung über die Zugehörigkeit zu solchen berufsständischen Organisationen war in weiten Bereichen nicht möglich, zumal sie eigene Rechtskreise darstellten, was diese nach heutigem Verständnis dem öffentlich-rechtlichen Bereich zuzuordnen ließe.3 Im Gegensatz zu solchen Korporationen ist das moderne Vereinswesen unter den Begriff der Assoziation zu fassen. Es handelt sich dabei um eine „neue Form der Organisierung“, deren wesentliches Element die Freiwilligkeit des Zusammenschlusses ist. Die Zusammensetzung ist somit nicht durch die soziale Herkunft vorbestimmt. Die Zielsetzung ist auf die Verfolgung eines bestimmten Zwecks gerichtet, so dass solche Gesellschaften auch keinen Anspruch darauf erheben, „das Leben ihrer Mitglieder umfassender zu regeln“. Es ist nun das einzelne Individuum, das im Mittelpunkt steht und das seine Mitgliedsrolle zuvor bewusst übernommen hat.4 Die Assoziation stellt sich folglich als ein Zweckverband dar, der in seiner Zielrichtung interessensbestimmt ist. Nicht nur die Tätigkeit, sondern bereits die Gründung wie auch die Auflösung steht zur Disposition der Mitglieder. Es ist die freie Entscheidung des Einzelnen, einem Verein beizutreten oder ihn zu verlassen.5 Assoziative Zusammenschlüsse bestehen somit ganz unabhängig und sind nicht durch den rechtlichen Status ihrer Mitglieder bedingt. Umgekehrt hat die Mitgliedschaft auch keine Auswirkung auf den rechtlichen Status des Einzelnen. Solche Assoziationen sind dem Rechtssinne nach also statusneutral.6

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Ebd., (198). Müller, Korporation und Assoziation, 1965, S. 18. 4 Dann, a. a. O., (198). 5 Müller, a. a. O., S. 15. 6 Nipperdey, Verein als soziale Struktur, in: Boockmann et al., Geschichtswissenschaft und Vereinswesen im 19. Jahrhundert, 1972, 1 (1). 3

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

b) Politische Strömungen Zu jeder Zeit gab es einen konservativen, einen liberalen und einen radikalen Menschentypus. Aber erst bestimmte geschichtliche Situationen verleihen derartigen Formen des Verhaltens ein selbstständiges politisches und geistiges Dasein.7 (Fritz Valjavec)8

Hans Fenske beschreibt die „Ausbildung politischer Strömungen in Deutschland“ als einen Prozess, der bereits in den 1720er Jahren begann. Mit der Mitte des 18. Jahrhunderts nimmt dieser Prozess an Fahrt auf, so dass er bereits zu Beginn der Revolution beim französischen Nachbarn als abgeschlossen betrachtet werden kann.9 Mit dem Liberalismus, dem Konservatismus und dem Radikalismus hatten sich im Rahmen der bürgerlichen Emanzipation drei Richtungen10 ausdifferenziert, wenngleich diese Bezeichnungen für die unterschiedlichen Strömungen den Zeitgenossen noch keine Begriffe waren. Sie etablierten sich erst im Laufe des Folgejahrhunderts. Dennoch betont Fenske, dass diese drei Gestaltungskonzepte am Ende des 18. Jahrhunderts bereits weiten Bevölkerungskreisen vertraut gewesen seien.11 Es darf aber nicht angenommen werden, dass damit bereits ein in sich klar abgegrenztes politisches Spektrum bereitet gewesen wäre. Insbesondere zwischen der liberalen und der radikalen (oder auch demokratischen) Strömung lässt sich keine klare Trennungslinie ziehen. Ebenso fehlerhaft wäre es, wenn man den verschiedenen Richtungen ein wirkliches politisches Gewicht beimessen würde. Dass sie aber in ihren Grundzügen bereits vor 1815 existierten, lässt sich wohl nicht in Abrede stellen.12 Nicht allein die Aufklärung, sondern damit einhergehend die gedanklichen Entwicklungen im Vorfeld der Französischen Revolution und die nordamerikanische 7

Valjavec, Die Entstehung der politischen Strömungen, 1951, S. 255. Ohne weiteres Ansehen der Person und deren Rolle im Nationalsozialismus steht das von Fritz Valjavec vorgelegte und hier zitierte Werk außerhalb jedweder inhaltlichen Kritik. Es bietet einen beeindruckenden und in dieser Form einzigartigen Einblick in die geistesgeschichtliche Entwicklung in Deutschland vor 1815. 9 Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 19. Anders aber Valjavec, der politische Strömungen erst seit den 1770er Jahren zutage treten sieht; vgl. ders., a. a. O., S. 11. Die genaue zeitliche Festlegung eines solchen Prozesses erscheint aber müßig und bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Erörterung. Bedeutsam ist, dass beide Autoren von einer Herausbildung politischer Strömungen bereits im 18. Jahrhundert ausgehen. 10 Auch Vorläufer des modernen Sozialismus werden bisweilen in der Literatur für die Zeit vor 1815 angesprochen. Solch frühe Kritik am Privateigentum, wie sie von einigen französischen Schriftstellern des 18. Jahrhunderts zum Ausdruck gebracht worden war, hatte aber nach Valjavecs Einschätzung keine bemerkenswerten Auswirkungen auf das zeitgenössische deutsche Geistesleben; vgl. ders., a. a. O., S. 207. Diese sozialistischen Ansätze werden daher an dieser Stelle nicht als weitere politische Strömung thematisiert. 11 Fenske, a. a. O., S. 19. 12 Vgl. Valjavec, a. a. O., S. 4 f. 8

1. Ursprung und Anfänge des Vereinswesens

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Unabhängigkeitsbewegung bilden die wesentlichen Wurzeln des Liberalismus. In Deutschland war es vor allem die Rezeption von Voltaire, die den Gedanken von Vernunft und Bildung als Mittel gegen den Absolutismus bekannt machte, aber auch die revolutionären Töne Rousseaus wurden im deutschen Bürgertum sehr wohl gehört.13 Die liberalen Einflüsse spiegeln sich zunächst in der Literatur wider, die so auch ein Stimmungsbild des deutschen Bürgertums zur Mitte des 18. Jahrhunderts gibt.14 Insbesondere Lessing, aber auch das Frühwerk von Goethe und Schiller prägen die Literatur der Aufklärung, die als eigene Epoche in die Literaturgeschichte eingehen sollte. Das bürgerliche Trauerspiel durchbricht als neues Theatergenre die tradierte Einteilung in Komödie als bürgerliches und Tragödie als höfisches Bühnenvergnügen und zeugt so von der Emanzipation und dem neuen Selbstbewusstsein des deutschen Bürgertums. Staat und Gesellschaft werden als jeweils unterschiedliche Sphären erkennbar, bleiben dabei aber aufeinander angewiesen und beeinflussen sich gegenseitig. Es entwickelt sich ein Prozess der „Emanzipation der Gesellschaft vom Staat bei gleichzeitiger Hinwendung der Gesellschaft zum Staat“, wie Hans H. Klein es formuliert.15 Nun, da sich beide Sphären gegenüberstehen, stellt sich die Frage, wie groß der Anteil der Gesellschaft am Staate, an seiner Entscheidungsgewalt und der Ausübung derselben, sein soll. Aus der bürgerlichen Freiheit ergibt sich gewissermaßen der Wunsch nach politischer Freiheit.16 So entwickelt auch der Frühliberalismus in Deutschland das gedankliche Konzept eines konstitutionellen Systems. Zahlreiche Autoren formen aus den liberalen Gedanken ein großes Ganzes. Dennoch beschränken sich die im Rahmen der publizistischen Diskussion nach außen getragenen Forderungen auf einzelne Freiheiten. Es sind dies die Denk-, und Gewissens-, Redeund Pressefreiheit, aber auch wirtschaftliche Forderungen nach der Freiheit von Handel und Gewerbe und der Schutz des Eigentums.17 Während sich in Frankreich jedoch die liberalen Forderungen mit der Idee eines nationalen Staates verbunden und so revolutionär Bahn gebrochen hatten18, bewirkte in Deutschland erst die napoleonische Besatzung mit den anschließenden Freiheitskriegen ein Aufblühen des Nationalgefühls.19 Man darf jedoch nicht so weit gehen, der jungen liberalen Strömung eine feste Richtung mit einer klaren Programmatik zu unterstellen. Was sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts abspielte war ein eher offener Prozess, der ganz verschieden in13

Grebing, Geschichte der deutschen Parteien, 1962, S. 1. Bergsträsser, Geschichte der politischen Parteien, 111965, S. 40; ausführlich hierzu Valjavec, a. a. O., S. 129 ff. 15 Klein, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Art. 21, Rn. 18. 16 Böckenförde, Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, 1991, 209 (217). 17 Fenske, a. a. O., S. 23. 18 Vgl. Grebing, a. a. O., S. 4. 19 Vgl. Fenske, a. a. O., S. 28; Bergsträsser, a. a. O., S. 46. 14

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

terpretiert und weiterentwickelt werden konnte.20 Die nun aufkommende (politische) Romantik kehrte sich vom Rationalismus der Aufklärung ab und schuf so die Grundlage für den Konservatismus. Daraus lässt sich aber kein scharfer Gegensatz zum Liberalismus formulieren, zumal auch die Romantik ganz auf den Einzelmenschen setzte. Jedoch suchte die Romantik die Verhältnisse aus der Historie heraus zu begründen. Die Stände galten als etwas natürlich Gewachsenes und als Ausdruck eines jeweils unterschiedlichen Verhältnisses zum Staate. Eine mechanische Gleichsetzung der verschiedenen Stände verbot sich folglich nach dieser romantischen Auffassung.21 Dabei mangelte es dem Konservatismus anfänglich nicht an Reformbereitschaft. Die absolute Monarchie sollte aber als Staatsform erhalten werden, weshalb die Idee einer Gewaltenteilung von den Konservativen abgelehnt wurde.22 Insgesamt attestiert Valjavec dem Konservatismus „bei der Formulierung seiner Überzeugung eine größere Freiheit“. Die Notwendigkeit theoretischer Begründungen erscheint dem Konservativen daher weniger bedeutsam, vielfach wird an bestehende Lehren – etwa aus Religion oder Geschichtsverständnis – angeknüpft.23 Für den weiteren Fortgang der Entwicklung ist es bedeutend anzumerken, dass die konservative Staatstheorie von Beginn an gänzlich protestantisch geprägt war.24 Den Anhängern des Radikalismus hingegen gingen die Forderungen der Liberalen nicht weit genug. Sie wollten die Entwicklung beschleunigen und scheuten daher auch nicht vor rigoroseren Mitteln zurück.25 Diese demokratische Strömung beruhte in ihren geistigen Grundlagen nahezu ausschließlich auf dem französischen Vorbild.26 Die Resonanz blieb aber in Deutschland auch nach dem Ausbruch der Französischen Revolution noch verhältnismäßig schwach. An die Jakobiner angelehnt, forderten die deutschen Radikalen den demokratischen Verfassungsstaat. Nur in der Republik sah man die Möglichkeit, die auf der Volkssouveränität beruhende Idee der politischen Gleichheit vollends zu verwirklichen. Die neue Staatsform sollte aber nicht aus Kompromissen mit den Herrschenden heraus, nicht durch Reformen wachsen. Man wollte die bestehenden Verhältnisse zerschlagen und so auf radikale Weise überwinden. Forderungen nach einer Bekämpfung der sozialen Not und des aufkommenden Pauperismus durch staatliche Mittel verbanden sich mit dem Glauben an internationale Solidarität. Damit einher ging zudem eine ausgeprägte Religionskritik.27 Mit der Ablehnung von Standesunterschieden stand man in Op-

20 21 22 23 24 25 26 27

Vgl. Everke, Zur Funktionsgeschichte der politischen Parteien, 1974, S. 104. Vgl. Bergsträsser, a. a. O., S. 60 f. Fenske, a. a. O., S. 24. Valjavec, Die Entstehung der politischen Strömungen, 1951, S. 256 f. Näheres hierzu bei Treue, Die deutschen Parteien, 1975, S. 20 f. Everke, a. a. O., S. 105. Valjavec, a. a. O., S. 180. Insgesamt Fenske, a. a. O., S. 28 f.

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position zum Adel. Eine starke Zentralgewalt wurde weitestgehend der territorialen Machtzersplitterung vorgezogen.28 Gegenüber der liberalen Richtung stellt sich die demokratische insgesamt als uneinheitlicher dar. Die Programmentwicklung im Liberalismus, die natürlich nicht im Sinne moderner Parteiprogrammatik verstanden werden darf, verläuft somit beständiger als bei den in sich vielfach gespaltenen Radikalen. Letztendlich ist aber auch noch in der Zeit des Vormärzes eine klare Unterscheidung beider Strömungen aufgrund der vielfachen Überschneidungen kaum möglich.29

c) Vereinsfreiheit Die Annäherung an die vereinsrechtliche Situation des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts muss wiederum unter der bereits vorgenommen Abgrenzung zwischen Korporation und Assoziation erfolgen. Vereinsfreiheit bedeutet die rechtliche Möglichkeit von Zusammenschlüssen, die „Ausdruck des liberalen Assoziationsprinzips“ sind. Die Regelungen bezüglich solcher Organisationen, die althergebrachte ständische Korporationen darstellen, stehen in keinem wirklichen Zusammenhang mit der Assoziationsfreiheit im modernen Sinne.30 Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind dabei wesentlich für die Entwicklung des Vereinswesens und wirken ganz grundlegend auf die Gründungstätigkeit, das Selbstverständnis, das Vereinsleben an sich und die satzungsrechtliche Ausgestaltung.31 Anfangspunkt der modernen vereinsrechtlichen Gesetzgebung war das Allgemeine Preußische Landrecht (ALR) von 1794.32 Es finden sich darin umfangreiche Regelungen über das aufkommende assoziative Vereinswesen, womit der neue Gesetzestext auch tatsächlich den gesellschaftlichen Realitäten des ausgehenden 18. Jahrhunderts Rechnung trägt.33 Die wesentlichen vereinsrechtlichen Bestimmungen sind im Sechsten Titel des Zweiyten Theils [sic!] niedergelegt. Eine gesonderte Regelung besteht allerdings für Gesellschaften, die etwa vermögens- oder gewerberechtliche Zwecke verfolgen.34 Ganz grundlegend wird in ALR II 6 definiert:

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Valjavec, a. a. O., S. 184. Ebd., S. 183. 30 Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Art. 9, Rn. 2. 31 Hardtwig, Strukturmerkmale und Entwicklungstendenzen des Vereinswesens, in: Dann, Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft, 1984, 11 (11). 32 Der Gesetzestext des ALR bei Hattenhauer, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, 31996. 33 Hardtwig, a. a. O., (11). 34 Zu solchen Gesellschaften vgl. ALR I 17, §§ 169 ff. 29

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland „Gesellschaften überhaupt § 1. Unter Gesellschaften überhaupt werden hier Verbindungen mehrerer Mitglieder des Staats zu einem gemeinschaftlichen Zweck verstanden. erlaubte; § 2. In so fern dieser Zweck mit dem gemeinen Wohl bestehen kann, sind dergleichen Gesellschaften erlaubt. unerlaubte. § 3. Gesellschaften aber, deren Zweck und Geschäfte der gemeinen Ruhe, Sicherheit und Ordnung zuwiderlaufen, sind unzuläßig [sic!], und sollen im Staate nicht geduldet werden.“

Es kann also festgehalten werden, dass das ALR ausweislich seines § 1 den „modernen Begriff grundsätzlich beliebiger erlaubter Vereinszwecke“ bereits kannte.35 Damit war die Gründungsfreiheit der Assoziationen prinzipiell gewährleistet. Gleichwohl verblieb die Entscheidung über die erlaubten Vereinszwecke und deren Einklang mit dem Gemeinwohl beim Staate. Wie Wolfgang Hardtwig meint, ziehe das Gesetz damit faktisch vor allem die Grenze gegenüber den politischen Vereinen. Vorbehaltlich der Tatsache, dass es gegen Ende des 19. Jahrhunderts insgesamt noch an politischen Vereinszwecken mangelt, lässt sich jedoch ein vereinsfreundlicher Regelungsgehalt nicht leugnen.36 Im Weiteren behält sich das ALR aber in größerem Umfang auch polizeirechtliche Beschränkungen vor: „§ 4. Auch an sich nicht unzuläßige [sic!] Gesellschaften kann der Staat verbieten, sobald sich findet, daß dieselben andern gemeinnützigen Absichten oder Anstalten hinderlich oder nachtheilig [sic!] sind.“

Eine wirkliche Betätigungsfreiheit tritt also nicht neben die Gewährleistung der freien Gründung, zumal es an einer ausreichenden Bestandsgarantie fehlt. Es ist somit nur ein Teilaspekt der Assoziationsfreiheit im Sinne moderner Verfassungen rechtlich verbürgt und dies zumal weit jenseits jeglicher grundrechtlichen Qualität.37 Damit spiegelt sich in den Regelungen die zeitgenössische Staatsrechtslehre wider, die der Gesellschaft nur zögerlich Freiräume, die mit einem effektiven Schutz vor staatlichen Eingriffen ausgestattet sind, garantiert.38 Der „strafrechtliche Teil“ des neuen Gesetzbuches (ALR II 20) unterstreicht die Grundtendenz einer nur eingeschränkt gewährten Assoziationsfreiheit. Nach § 185 werden demnach geheime Gesellschaften („heimliche Verbindungen“)39 unter Genehmigungsvorbehalt gestellt. 35

Müller, Korporation und Assoziation, 1965, S. 240. Vgl. hierzu auch Kapitel III. 4. a). Hardtwig, Politische Gesellschaft und Verein, in: Birtsch, Grund- und Freiheitsrechte, 1981, 336 (344). 37 Müller, a. a. O., S. 240. 38 Ausführlich hierzu Hardtwig, Politische Gesellschaft und Verein, in: Birtsch, Grund- und Freiheitsrechte, 1981, 336 (340 ff.). 39 Vgl. zu dieser Gesellschaftsform Kapitel III. 1. d). 36

1. Ursprung und Anfänge des Vereinswesens

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Mit dem preußischen Vereins-Edikt aus dem Jahre 179840 erfolgt eine Verschärfung der Rechtslage durch Verbot dieser Geheimgesellschaften, von dem nur wenige, namentlich erwähnte Zusammenschlüsse ausgenommen werden. Generell verboten werden Gesellschaften und Verbindungen, „deren Zweck, Haupt- oder Nebengeschäft darin besteht, über gewünschte oder zu bewirkende Veränderungen in der Verfassung oder in der Verwaltung des Staates, oder über die Mittel, wie solche Veränderungen bewirkt werden könnten, oder über die zu diesem Zweck zu ergreifenden Maaßregeln, Berathschlagungen, in welcher Absicht es sey [sic!], anzustellen […].“

Damit ist schlechthin jeglicher politische Vereinszweck gemeint. Nicht nur die geheimen Gesellschaften, sondern alle politischen Vereine sind somit in Preußen verboten. Nach den Befreiungskriegen wird das Edikt am 6. Januar 1816 erneuert.41 Die neuerliche Verordnung beschränkt sich aber nicht allein auf das Verbot der geheimen und politischen Verbindungen, sondern stellt darüber hinaus die publizistische Tätigkeit und somit den öffentlichen Diskurs über die so geregelte Angelegenheit unter Strafe.42 Es ist der restriktive Charakter der Restauration, der sich hier bereits ablesen lässt.

d) Organisationsformen und Vereinszwecke Vor diesem vereinsrechtlichen Hintergrund kommt es im 18. Jahrhundert nur sehr verhalten zur Gründung politischer Gruppierungen. Es ist aber nicht allein der Monopolwahrung des absolutistischen Staates geschuldet, dass eine Institutionalisierung der aufkommenden politischen Strömungen kaum stattfindet. Tatsächlich sieht das politisch interessierte Bürgertum selbst noch keine Notwendigkeit zur Organisation, zumal es an Parlamenten und somit an einem Adressaten politischer Vereinsarbeit mangelt. Zahlreiche Teilnehmer des politischen Diskurses verfügen zudem als Beamte über eine institutionalisierte Verbindung zur Regierung. Während der Forderung nach Pressefreiheit große Bedeutung beigemessen wird, spielt das Recht auf freie Vereinigung zunächst keine Rolle.43 Der Trend zur Vereinsbildung, wie er zu Ende des Jahrhunderts verstärkt betrachtet werden kann, beruht auf dem Wunsch nach einem privaten Freiheitsraum und ist folglich nur in geringem Maße politisch motiviert, wenngleich aus der gemeinsamen Beschäftigung mit öffentlichen Angelegenheiten durchaus ein politi40 „Edikt wegen Verhütung und Bestrafung geheimer Verbindungen, welche der allgemeinen Sicherheit nachtheilig [sic!] werden könnten“ vom 20. Oktober 1798, in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte I, 31978, Nr. 21. 41 „Verordnung wegen der angeblichen geheimen Gesellschaften“ vom 6. Januar 1816, in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte I, 31978, Nr. 20. 42 Hintergrund dieses Verbotes ist der sogenannte „Tugendbund-Streit“; vgl. hierzu Kapitel III. 1. d). 43 Zum Vorstehenden insgesamt Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 32 f.

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

sches Moment entspringt.44 Gemeinsame Interessen waren der Antrieb, aus dem ein soziales Zusammengehörigkeitsgefühl erwuchs. In der Vereinigung wurde der gegenseitige Austausch institutionalisiert. Die Zusammenschlüsse brachten Bürger aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen zusammen. Treffenderweise bezeichnete man sich zu dieser Zeit regelmäßig als „Gesellschaft“. Die Selbstbezeichnung als „Verein“ gewinnt erst im Vormärz an Bedeutung.45 Typische Gesellschaften zu Ende des 18. Jahrhunderts sind die patriotischen Gesellschaften, die Lesegesellschaften und die landwirtschaftlichen Gesellschaften, aber auch Musiziergesellschaften und erste philanthropische Wohlfahrtsvereine.46 Diese standen zwar mit ihrem gesellschaftlichen Engagement im Geiste der Aufklärung, ließen aber noch keinen ausgeprägten politischen Veränderungswillen erkennen.47 Vielmehr ist die Zwecksetzung solcher Zusammenschlüsse recht allgemein und umfassend. Eine Mehrheit von Zwecken ist Ausdruck dieser Allgemeinheit, mittels der die Gesellschaften der Einseitigkeit, die der beruflichen Spezifikation entspringt, entgegenwirken wollen. Eine Spezialisierung im Vereinswesen – also die Konzentration auf einzelne, bestimmte Zwecke – ist nicht vor der ersten Hälfte des Folgejahrhunderts auszumachen.48 Wenngleich also die soeben beschriebenen „Geselligkeitsvereine“49 nur eingeschränkt als politische Vereinigungen zu bezeichnen sind, treten in dieser Zeit dennoch auch Zusammenschlüsse auf, die sich mit einer gewissen Berechtigung als Frühformen wirklicher politischer Organisation begreifen lassen. Es sind dies vor allem die geheimen Gesellschaften, die bei der Beschreibung der vereinsrechtlichen Situation bereits Erwähnung gefunden haben.50 Der attributive Zusatz „geheim“ ist dabei auch vor dem Hintergrund zu verstehen, dass sich der absolutistische Staat des 18. Jahrhunderts gänzlich als Inhaber alles „Öffentlichen“ verstand. Aus diesem staatlichen Monopolanspruch des Staates ergibt sich umgekehrt das „Geheime“ dieser Gesellschaften, das im heutigen Sinne etwa mit dem Begriff des „Privaten“ oder „Exklusiven“ gleichzusetzen ist.51 Diese Form des Zusammenschlusses wurde 44 Insbesondere wird dadurch auch das Interpretationsmonopol des Staates und der Kirche in Frage gestellt; vgl. Nipperdey, Verein als soziale Struktur, in: Boockmann et al., Geschichtswissenschaft und Vereinswesen im 19. Jahrhundert, 1972, 1 (30). 45 Dann, Die Anfänge politischer Vereinsbildung, in: Engelhardt et al., Soziale Bewegung und politische Verfassung, 1976, 197 (200 f.). 46 Nipperdey, a. a. O., (2). 47 Vgl. Fenske, a. a. O., S. 33. 48 Ausführlich zu dieser Entwicklung Nipperdey, a. a. O., (23 ff.). 49 Everke, Zur Funktionsgeschichte der politischen Parteien, 1974, S. 110. 50 Vgl. Kapitel III. 1. c). Es bleibt anzumerken, dass auch jenseits der geheimen Gesellschaften Vorformen und Ansätze politischer Vereinsbildung zu finden sind. Die Geheimgesellschaften erscheinen jedoch für diese Epoche besonders charakteristisch; vgl. Dann, a. a. O., (210). 51 Vgl. Bieberstein, Geheime Gesellschaften als Vorläufer politischer Parteien, in: Ludz, Geheime Gesellschaften, 1979, 429 (433 f.).

1. Ursprung und Anfänge des Vereinswesens

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jedoch nicht ausschließlich von Anhängern des Liberalismus oder der radikalen Strömung genutzt. Auch konservative Geister fanden sich bisweilen in geheimen Gesellschaften zusammen.52 Bereits die angesprochene staatliche Verbotspolitik indiziert, dass es sich bei den geheimen Gesellschaften um Organisationen gehandelt haben muss, vor deren Aktivität man sich aus Gründen der Staatsräson zu schützen suchte. Es ist jedoch an dieser Stelle grundlegend zwischen zwei unterschiedlichen Formen zu unterscheiden. Einmal sind da solche Vereinigungen, deren Zielsetzung nicht über den Rahmen der gesellschaftlichen Zusammenkunft hinausgeht. Dies trifft beispielsweise mehrheitlich auf die Freimaurerlogen zu. Anders verhält es sich aber bei Zusammenschlüssen, die eine staatspolitische Zielsetzung in Verbindung mit einer straffen Organisation aufweisen. Dort besteht bereits ein frühes Selbstverständnis als Kampfverband.53 Das „organisatorische Gerüst“, das man etwa dem Vorbild der Freimaurer nachbildete, diente dabei aber gleichsam als „Deckmantel für solche politische Bestrebungen“.54 Die Organisationsförmigkeit verleiht der politisch ausgerichteten Vereinigung somit einerseits Kampfcharakter, dient aber zugleich der Verschleierung ihrer politischen Zwecke. Ein frühes Beispiel solcher politischer Organisation ist der sogenannte Illuminatenorden, der 1776 von Adam Weißhaupt, einem Ingolstädter Professor für Kirchenrecht, gegründet worden war. Dieser Geheimbund bestand für ein knappes Jahrzehnt, in dem es ihm gelang, auch über Bayern hinaus Hunderte von Mitgliedern an sich zu binden.55 Die Vereinigung war streng hierarchisch aufgebaut und verfolgte das Ziel, Mitglieder in staatliche Führungspositionen zu bringen, um so die Ideen der Aufklärung durchzusetzen. Der bayerische Staat verbot die Illuminaten schließlich im Jahr 1785.56 Als konservatives Gegenstück lassen sich an dieser Stelle die Goldund Rosenkreuzer aufführen. Weitere Beispiele für Geheimbünde sind die aufklärerische Deutsche Union, die 1787 in Halle ins Leben gerufen worden war und ihre Ideen mittels Einflussnahme auf die Publizistik verbreiten wollte, wie der 1810 in Berlin gegründete antinapoleonische Deutsche Bund, der bereits im Kontext der aufkommenden Nationalbewegung stand.57 Andererseits sind aber auch die zahlreichen jakobinischen Zusammenschlüsse zu nennen, die vor allem im Westen Deutschlands – unter dem französischen Einfluss der 1790er Jahre, aber auch abhängig vom Verlauf der Revolutionskriege – eine rege Aktivität an den Tag legten. Dazu gehörten Versammlungen, Demonstrationen wie auch publizistische Tätigkeiten, in denen die radikalen Forderungen der Französi52

Valjavec, Die Entstehung der politischen Strömungen, 1951, S. 273. Vgl. Bieberstein, a. a. O., (435). 54 Ebd., (438). 55 Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 33 f. 56 Dann, Die Anfänge politischer Vereinsbildung, in: Engelhardt et al., Soziale Bewegung und politische Verfassung, 1976, 197 (207 f.). 57 Fenske, a. a. O., S. 34; Dann, a. a. O., (209 f.). 53

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

schen Revolution weitergetragen wurden. Trotz der Herausbildung von Organisationsstrukturen mit Vorständen und Mitgliederversammlungen blieben die jakobinischen Klubs in organisatorischer Hinsicht auf die lokale Ebene begrenzt. Regionale oder überörtliche Strukturen wurden darüber hinaus nicht ausgebildet.58 Es soll an dieser Stelle noch eine weitere konkrete Erscheinungsform früher politischer Organisation besondere Erwähnung finden. Es handelt sich dabei um den sogenannten Tugendbund, der im April 1808 in Königsberg gegründet worden war und dessen Bedeutung nicht zuletzt darin deutlich wird, dass er noch rund fünf Jahre nach seiner Auflösung im Januar 1810 eine publizistische Diskussion über politische Geheimbünde zu entfachen vermochte.59 In Zielsetzung und Aktivität unterschied sich der Tugendbund kaum von den patriotischen Gesellschaften. Die Organisationsstruktur wie auch die Geheimhaltung hatte man aber von den Freimaurerlogen übernommen, wenngleich die Willensbildung beim Tugendbund durch Generalversammlungen demokratischer ausgestaltet war. So war aus der Kombination dieser Eigenarten ein neuer Vereinstypus entstanden.60 Die wesentliche Neuerung bestand aber in einer zukunftsweisenden Tendenz, die sich von einer Beschränkung auf die überschaubare Schicht der Honoratioren verabschiedete und nach einer „Verbreiterung der sozialen Basis“ strebte.61 Der Tugendbund konnte über 700 Mitglieder gewinnen, die in 25 Zweigvereinen auch räumlich weit verbreitet waren. Trotz der Staatsnähe nährte der Verein bei der Regierung bald Misstrauen, das schließlich in einem Verbot mündete.62 In der Nachfolge bildeten sich im Geiste des antinapoleonischen Engagements zahlreiche patriotisch-nationale Unterstützungsgesellschaften.63 Was aber sind nun die grundlegenden Eigenschaften der frühen (politischen) Vereinigung, wie wir ihr zum ersten Mal im auslaufenden 18. Jahrhundert begegnen? Otto Dann stellt sieben Merkmale heraus, die er für die Anfangsphase des Assoziationswesens – gerade im Vergleich zur noch zu behandelnden Vereinsbewegung des Vormärzes – für charakteristisch erachtet64 : 1. Initiative und Engagement kleinerer bürgerlicher Gesellschaftsschichten (Adlige treten nur vereinzelt auf), 58

Zum Vorstehenden Fenske, a. a. O., S. 35. Dann, Geheime Organisierung und politisches Engagement, in: Ludz, Geheime Gesellschaften, 1979, 399 (399). Danns Aufsatz behandelt im Weiteren ausführlich den „Tugenbund-Streit“, dessen Ende durch das schon weiter oben erwähnte Edikt vom 6. Januar 1816 staatlich erzwungen wird; ebd., (412). 60 Dann, Die Anfänge politischer Vereinsbildung, in: Engelhardt et al., Soziale Bewegung und politische Verfassung, 1976, 197 (217 f.). 61 Dann, Geheime Organisierung und politisches Engagement, (405 f.). 62 Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 36 f. 63 Dann, Die Anfänge politischer Vereinsbildung, (218). 64 Diese Aufzählung mit weitergehenden Ausführungen zu den genannten Merkmalen findet sich bei ebd., (220 ff.). 59

2. Restauration und Vormärz

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2. Bewusstsein der Elitebildung (also ein gemeinwohlorientierter Handlungswille bei gleichzeitiger sozialer Distanz zum Rest der Bevölkerung), 3. Kooperationsbereitschaft gegenüber dem Staat (trotz des dem Vereinswesen immanenten bürgerlichen Emanzipationsprozesses), 4. Geringes Maß an Auseinandersetzung zwischen den Vereinen (deren Mitglieder entstammen regelmäßig denselben, politisch homogenen Gesellschaftsschichten), 5. Beziehungen zu Vereinigungen im Ausland (bereits in der Frühphase der Vereinsentwicklung), 6. Große Tendenz zu Organisationsförmigkeit und institutionalisierter demokratischer Willensbildung (die Vollversammlung ist regelmäßig das oberste Entscheidungsgremium; unter den Mitgliedern besteht Wahlgleichheit)65, 7. Merkmal der Geheimhaltung (das Arkanum dient dabei auch der Überwindung sozialer Schranken zwischen den einzelnen Mitgliedern). Diese Punkte beschreiben die wesentlichen Charakteristika am Ausgangspunkt des Assoziationswesens. Man greift wohl kaum zu weit voraus, wenn man bereits an dieser Stelle anmerkt, dass nicht alle der genannten Merkmale für die weitere Entwicklung der politischen Vereinsbildung von Dauer oder gleichartiger Bedeutung sein sollten. Der weitere Fortgang der Arbeit wird dies verdeutlichen. Ohne ein Ergebnis vorwegzunehmen, sollen bereits hier folgende Elemente besonders hervorgehoben werden: die Kooperationsbereitschaft gegenüber dem Staat, die gemeinsame Elitebildung von gehobenem Bürgertum und Beamtenadel, die Tendenz zu ausgeprägter formaler Organisation und schließlich vor allem auch die frühe Institutionalisierung von Elementen der demokratischen Willensbildung.66 Diesen Merkmalen will diese Arbeit fortan bevorzugt ihre Aufmerksamkeit schenken.

2. Restauration und Vormärz Mit dem Reichsdeputationshauptschluss hatte sich das Heilige Römische Reich seiner die alte Ordnung tragenden Säulen entledigt. Nur drei Jahre später, im Sommer des Jahres 1806, legte Kaiser Franz II. die Krone nieder. Das Heilige Römische Reich war nunmehr Geschichte. Während sich das alte Reichsgefüge auflöste, entflammte alsbald in den Befreiungskriegen ein neues, aus dem Volk emporgetragenes Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit.67 Die zukünftige Ordnung Europas wurde 65

Häufig waren diese Organisationsmerkmale auch satzungsmäßig festgehalten. Neben der demokratischen Vereinsstruktur trat aber insbesondere bei den geheimen Gesellschaften auch der hierarchische Vereinstypus mit abgestuften Mitgliedsrechten auf; ebd., (227). 66 Ebd., (231 f.). 67 Grebing, Geschichte der deutschen Parteien, 1962, S. 6.

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

jedoch auf dem Wiener Kongress (1814/1815) festgelegt. Die Gründung des Deutschen Bundes und dessen verfassungsmäßige Ausgestaltung in der Bundesakte sollten die deutschen Staaten für ein halbes Jahrhundert in einem Staatenbund zusammenfügen. Als einziges Bundesorgan bestand fortan die Bundesversammlung in Frankfurt am Main, die – gemeinhin als Bundestag bezeichnet – den „Charakter eines ständigen Gesandtenkongresses“ trug.68 Obgleich vor allem in den süddeutschen Ländern Verfassungen erlassen wurden, kollidierte die politische Gedankenwelt des Vormärzes mit dem restaurativen Charakter des Obrigkeitsstaates. Frühkonstitutionalismus und Restauration prägten ganz unmittelbar diese Epoche des noch jungen Vereinswesens.

a) Frühkonstitutionalismus und parlamentarische Repräsentation Auf eine Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, Repräsentativverfassungen zu erlassen, vermochte sich der Wiener Kongress nicht zu einigen. Schließlich beschränkte man sich in Art. 13 der Bundesakte auf die Formulierung: „In allen Bundesstaaten wird eine Landständische Verfassung stattfinden.“ Anders als der Wortlaut nahe legen mag, waren damit aber nicht Landstände in althergebrachter Form, sondern eine Repräsentativversammlung modernen, wenngleich noch bei weitem nicht demokratischen Stils angedacht.69 Immerhin 14 der (anfänglich) 38 Staaten des Deutschen Bundes erließen bis zum Jahre 1821 Verfassungswerke. Letztendlich erfolgte eine Verfassungsgebung in den meisten Mitgliedsstaaten, nicht aber in Preußen und Österreich. Demgegenüber besonders hervorzuheben ist der süddeutsche Konstitutionalismus mit den Verfassungsurkunden in Bayern und Baden (beide 1818), Württemberg (1819) sowie in Hessen-Darmstadt (1820).70 Im dortigen Übergang zu Repräsentativverfassungen sieht Ernst Rudolf Huber zuvorderst ein politisches Kalkül, das dem „Gebot der dynamischen Selbstbehauptung wie der Staatsräson“ folgte. In Folge der Gebietserweiterungen während der Zeit des Rheinbundes stieß das monarchisch-bürokratische System an seine Grenzen. Um die fürstliche Souveränität aufrechtzuerhalten, war es notwendig geworden, eine partikularstaatliche Identität zu begründen, indem die Bevölkerung ihrer Untertanenstellung entrissen und der einzelne zum Staatsbürger erhoben wurde. Probates Mittel hierfür war die Schaffung einer selbstgewählten Vertretung der Bewohner aller (gleichsam der alten wie der neuen) Gebietsteile des Staates. Der so hervorgerufene „gemeinsame Staatssinn“ und „politische Gesamtwille“ sollte letztendlich der Einigung des Staatsganzen dienen, die Eigenstaatlichkeit also zum ureigenen Anliegen des Volkes werden.71 Das Angebot parlamentarischer Vertre68

Huber, Verfassungsgeschichte I, 21967, S. 588 f. Ebd., S. 640 ff.; der Volltext der Deutschen Bundesakte vom 15. Juni 1815 ist abgedruckt in: ders., Dokumente zur Verfassungsgeschichte I, 31978, Nr. 30. 70 Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 38. 71 Huber, Verfassungsgeschichte I, 21967, S. 314. 69

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tungen versteht sich somit vor dem Hintergrund einer erforderlichen Integration in den jeweiligen Partikularstaat.72 Damit boten die Parlamente aber eben gerade kein geeignetes Forum, die großen Fragen der nationalen Einheit auf die Tagesordnung zu setzen. Diese waren somit auf die außerparlamentarische Bühne verbannt.73 In den größeren Partikularstaaten, so auch in allen süddeutschen Länden, wurde der Landtag in Form zweier Kammern eingeführt, wobei die erste Kammer ganz wesentlich dem Adel, aber auch Vertretern der Kirche, Stadtbehörden und Universitäten vorbehalten war. Die zweite Kammer blieb dem Bildungs- und Besitzbürgertum, doch auch hier fanden sich Vertreter des niedrigen Adels und der Kirche sowie des Beamtentums. Dennoch darf den beiden Kammern kein Dualismus in dem Sinne unterstellt werden, dass sie jeweils einen bestimmten Stand repräsentierten. Beide galten als Vertreter des gesamten Volkes. Das Zweikammersystem war somit Ausdruck einer doppelten Repräsentation.74 Dabei wurde die zweite Kammer vom Volk gewählt, während man der ersten Kammer durch Stellung angehörte. Das Wahlsystem war jedoch zahlreichen zensitären Einschränkungen unterworfen, von einem allgemeinen oder gleichen Wahlrecht konnte keineswegs die Rede sein. Wie sehr somit der Bürger mittelbar auf die Gesetzgebung einwirken konnte, hing vor allem davon ab, inwiefern sich die zweite Kammer in eine einflussreiche Position verbringen konnte. Ein Recht zur Gesetzesinitiative stand indes keinem der süddeutschen Landtage zu.75 Nichtsdestotrotz lag in der Vertretung des Gesamtvolkes, die den Landtagen nunmehr in rechtlicher Hinsicht zugedacht war, zugleich auch eine politische Funktion.76 Dazu trug bei, dass die Öffentlichkeit zumindest zu den Sitzungen der zweiten Kammer zugelassen war.77 Ohnehin war die Bestellung und Wahl der Abgeordneten nicht ohne politischen Bezug denkbar.78 Die Konstitutionalisierung der Monarchie brachte ein neues Staatsverständnis mit sich, in dem die Regierung die öffentliche Meinung nicht mehr ignorieren konnte.79 So gelang es den Liberalen in Baden, durch den Druck der zweiten Kammer im Jahre 1833 ein liberaleres Vereinsrecht durchzusetzen.80 Auch in Württemberg vermochte die zweite Kammer im 72 Schieder, Partikularismus und Nationalbewußtsein, in: Conze, Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz, 1962, 9 (27). 73 Kaack, Geschichte und Struktur des deutschen Parteiensystems, 1971, S. 23 f. 74 Huber, a. a. O., S. 341. 75 Fenske, a. a. O., S. 39; Huber, a. a. O., S. 344 f., 347. 76 Everke, Zur Funktionsgeschichte der politischen Parteien, 1974, S. 93. 77 Vgl. in den folgenden Verfassungsurkunden: Präambel (Bayern), § 78 (Baden), § 167 (Württemberg), Art. 100 (Hessen-Darmstadt), in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte I, 31978, Nr. 53 ff. Zu den Beschränkungen der Öffentlichkeit vgl. aber auch, Kramer Fraktionsbindungen, 1968, S. 20 f. 78 Hilker, Grundrechte im deutschen Frühkonstitutionalismus, 2005, S. 308 f. 79 Müller, Korporation und Assoziation, 1965, S. 339; vgl. auch Everke, a. a. O., S. 120. 80 Im Einzelnen hierzu Hardtwig, Politische Gesellschaft und Verein, in: Birtsch, Grundund Freiheitsrechte, 1981, 336 (348 f.). Vgl. aber auch Rimscha, Die Grundrechte im süd-

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Zuge der Beratung des Strafgesetzbuches von 1839 ein rigideres Verbot politischer Assoziationen zu verhindern.81 Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass die soziale Zusammensetzung der Landtage, insbesondere mit Blick auf die zahlenmäßig stark vertretenen Angehörigen des Adels und der Beamtenschaft, dem Entstehen einer wirklichen parlamentarischen Opposition gegen die Regierung nicht gerade zuträglich war.82 Auch wenn im Folgenden gezeigt wird, dass eine Einmischung der Bevölkerung in staatliche Angelegenheiten unerwünscht war und somit zugleich ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Parlament und seinen Wählern verhindert werden sollte83, war dennoch zumindest in den süd- und mitteldeutschen Ländern erstmalig ein Nährboden bereitet, auf dem sich rudimentäre Frühformen moderner „Parteien“ entwickeln konnten. Parlamente dienen in diesem Kontext als Tätigkeitsfeld für Fraktionen und notwendiger Bezugspunkt für die Arbeit außerparlamentarischer politischer Zusammenschlüsse.84 In Form der Landtage des Frühkonstitutionalismus hatten sie erstmalig Einzug in das deutsche Staatswesen gehalten.

b) Vereinsfreiheit im Zeitalter der Restauration Wenngleich den süddeutschen Verfassungen grundrechtliche Vorstellungen nicht fremd waren, sind sie noch weit entfernt von einem modernen konstitutionellen Verständnis und eher als Leitlinien der Gesetzgebung zu verstehen. Wo Gleichheit genannt wird, meint sie vor allem formale Gleichbehandlung und somit gleiche Gesetzesanwendung, ohne dass damit die sozialen Schranken überwunden wären. Zwar wird inhaltliche Gleichheit bezüglich grundlegender Rechte und Pflichten als Staatsbürger gewährt (etwa Aufhebung der Leibeigenschaft und gleiche Wehrpflicht), eine wahrhaft politische Freiheit tritt aber nicht neben die bürgerliche Freiheit.85 Auch wenn die zeitgenössische Staatsrechtslehre versuchte, aus den Verfassungsgrundsätzen ein Recht auf freie Versammlung und Vereinigung abzuleiten, und ihre politische Bedeutung im Verfassungsstaat betonte, fand die Asso-

deutschen Konstitutionalismus, S. 151; Hilker, Grundrechte im deutschen Frühkonstitutionalismus, 2005, S. 308 f. Näheres hierzu im folgenden Kapitel III. 2. b). 81 Mohl, Staatsrecht des Königreiches Württemberg I, 21840, S. 382; vgl. auch Baron, Das deutsche Vereinswesen, 1962, S. 31. Hierzu ebenfalls Näheres im folgenden Kapitel III. 2. b). 82 Ausführlicher hierzu Conze, Das Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft, in: ders., Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz, 1962, 207 (224 ff.). 83 Hilker, a. a. O., S. 300. 84 Langewiesche, Die Anfänge der deutschen Parteien, in: GG 1978, 324 (326). 85 Scheuner, Verwirklichung der Bürgerlichen Gleichheit, in: Birtsch, Grund- und Freiheitsrechte, 1981, 376 (394 ff.); Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, S. 124 f.

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ziationsfreiheit keine ausdrückliche Erwähnung in den Verfassungsurkunden.86 Einzig das Grundgesetz des Herzogtums Sachsen-Meiningen aus dem Jahre 1829 hielt fest, dass es „den Unterthanen [sic!] nicht verwehrt [sei], zu Zwecken, welche an sich nicht gesetzeswidrig sind, Gesellschaften zu stiften […]“.87 Demgegenüber stellte die Verfassung von Hessen-Darmstadt in Art. 81 Abs. 3 die Vereinigung zum Zwecke allgemeiner politischer Petitionen gar unter Strafe.88 Vor dem Eindruck der Forderungen der Nationalbewegung, die sich nicht allein auf die Einheit Deutschlands beschränkten, sondern den Ruf nach einer weitergehenden Konstitutionalisierung, Meinungs- und Pressefreiheit zum Inhalt hatten, nahm die Repression mit den Karlsbader Beschlüssen des Jahres 1819 ihren Anfang. Deren Inhalt umfasste vier Gesetzentwürfe, die im September des Jahres durch den Frankfurter Bundestag verabschiedet wurden.89 Während sich die Bundesakte noch zur Pressefreiheit bekannte, wurde diese durch Einführung der Vorzensur nun de facto abgeschafft. Die Bundesstaaten wurden zugleich zu einem strengen Vorgehen gegen akademische Verbindungen mit der Maßgabe verpflichtet, dass die Verbotsmaßnahmen „insbesondere auf den seit einigen Jahren gestifteten, unter dem Namen der allgemeinen Burschenschaft bekannten Verein um so bestimmter ausgedehnt werden, als diesem Verein die schlechterdings unzulässige Voraussetzung einer fortdauernden Gemeinschaft und Correspondenz zwischen den Universitäten zum Grunde liegt.“90

Eine weitere Verschärfung der einschränkenden Maßnahmen folgte im Jahre 1832 in Reaktion auf die revolutionären Ereignisse in Frankreich und im unmittelbaren Anschluss an das Hambacher Fest, dessen Resonanz im liberalen Bürgertum ein ungemeines Ausmaß genommen hatte.91 Während die „Sechs Artikel“ vom 28. Juni 1832 86

Rimscha, a. a. O., S. 150; ausführlich zum Verständnis der Assoziationsfreiheit im Vormärz Hilker, a. a. O., S. 304 ff. 87 § 28 des Grundgesetzes für die vereinigte landschaftliche Verfassung des Herzogthums [sic!] Sachsen-Meiningen vom 23. August 1829, in: Zachariä, Deutsche Verfassungsgesetze, 1855, S. 536. Vgl. hierzu aber auch Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 21998, S. 402 (dort Fn. 164), der den restriktiven Charakter dieser Norm betont, weil sie im Weiteren die Satzungserrichtung unter Genehmigungsvorbehalt stellte. 88 Vgl. Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Hessen vom 17. Dezember 1820, in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte I, 31978, Nr. 56. Vgl. hierzu insgesamt auch Müller, Korporation und Assoziation, 1965, S. 252 f. 89 Grundsätzlich erfolgte die Umsetzung von Bundesbeschlüssen administrativ durch die Einzelstaaten, die insofern vor allem an ihr jeweiliges Landesrecht gebunden waren; Müller, Der Deutsche Bund, 2006, S. 71. Sollten die Bundesbeschlüsse nicht nur die Einzelstaaten als solche verpflichten, sondern in diesen unmittelbare rechtliche Geltung gegenüber den Untertanen erlangen (und insofern auch entgegenstehendes Landesrecht derogieren), so bedurfte es der Publikation dieser Bundesbeschlüsse durch die Einzelstaaten; Huber, Verfassungsgeschichte I, 21967, S. 600 ff. 90 § 3 des Bundes-Universitätsgesetzes vom 20. September 1819, in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte I, 31978, Nr. 32. Zum Inhalt der auf den Karlsbader Beschlüssen beruhenden Ausnahmegesetze insgesamt vgl. Huber, Verfassungsgeschichte I, 21967, S. 739 ff. 91 Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte II, 31996, S. 365 f.

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hauptsächlich der Sicherung der Bundesverfassung gegen eine unterstellte Gefährdung durch die Landesverfassungen und der Landstände diente92, richtete sich ein zweiter Bundesbeschluss „über Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ruhe und Ordnung im Deutschen Bunde“ vom 5. Juli 1832 gegen nahezu jegliche gemeinschaftliche politische Aktivität und deren Organisation im Lande. Die Beschäftigung mit politischen Themen sollte so auf die Sphäre des Individuums beschränkt werden.93 Die zehn Artikel des Beschlusses stellten die Verbreitung kürzerer ausländischer Druckerzeugnisse politischen Inhalts wie auch das Abhalten außerordentlicher Volksversammlungen unter Genehmigungsvorbehalt. Auch bei erlaubten Versammlungen war es nunmehr unter Strafandrohung versagt, politische Agitation – sei es als Rede oder schriftliche wie mündliche Entschließung – zu betreiben. Damit einher ging ein Verbot, Symbole zu tragen oder in anderer Form öffentlich zur Schau zu stellen. In einem rigorosen Schnitt wurde das politisch orientierte assoziative Vereinswesen in die Illegalität abgedrängt: „ Art. 2. Alle Vereine, welche politische Zwecke haben, oder unter anderm Namen zu politischen Zwecken benutzt werden, sind in sämmtlichen Bundesstaaten zu verbieten und ist gegen deren Urheber und die Theilnehmer an denselben mit angemessener Strafe vorzuschreiten [sic!].“94

Auch landesrechtlich wurde politischen Zusammenschlüssen der Boden entzogen. So wurden in Württemberg bereits zu Anfang des Jahres 1832 die „Vereine zur Berathung [sic!] landständischer Angelegenheiten“ durch königliche Verordnung verboten. Da sich der Mitwirkungsakt der Staatsangehörigen an Landesangelegenheiten auf den Wahlvorgang an sich beschränken sollte und die Organe für die Ausübung politischer Rechte als in der Verfassung abschließend bestimmt angesehen wurde, unterstellte das Dekret, dass derartige Vereine die verfassungsmäßig niedergelegten Ordnung verletzten. Das Verbot enthält dabei eine Definition der politischen Vereinigung, die diese – im Kontext des noch jungen Konstitutionalismus – in ihrem besonderen Spannungsverhältnis zum Parlament zu bestimmen sucht: „Die Constituierung von Vereinen, welche die Berathung [sic!] landständischer Angelegenheiten, so wie die Belehrung der Abgeordneten oder Rücksprache mit denselben zum Zwecke habe, ist verboten.“95

Das Großherzogtum Baden hatte ebenso bereits im Juni 1832 nicht allein ein Verbot der öffentlichen Rede bei Versammlungen statuiert, sondern auch alle Ver-

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Huber, Verfassungsgeschichte II, 31988, S. 155. Vgl. Hilker, Grundrechte im deutschen Frühkonstitutionalismus, 2005, S. 299. 94 Zweiter Bundesbeschluß „über Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ruhe und Ordnung im Deutschen Bunde“ („Zehn Artikel“) vom 5. Juli 1832, in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte I, 31978, Nr. 45. 95 „Königliche Verordnung, betreffend das Verbot der Constituierung von Vereinen zur Berathung landständischer Angelegenheiten“ vom 21. Februar 1832, RgBl. Königreich Württemberg 1832, S. 39 [Hervorhebungen durch den Verfasser]. 93

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eine, politischer wie unpolitischer Natur, unter Genehmigungsvorbehalt gestellt.96 Zur Bestimmung politischer Zwecke, die von Vereinen unterhalten werden, findet sich hier ein ausführlicher Katalog. Demnach sind politische Zwecke solche, die darauf gerichtet sind: „a) entweder der gesetzgebenden oder der vollziehenden Gewalt auf irgendeine Art entgegen zu wirken. […] b) den Vollzug der Gesetze und die Erhaltung der Ordnung neben der Staatsgewalt zu sichern. […] c) darauf, um verfassungsmäßige Rechte und Institutionen, welche man von der Staatsregierung gefährdet glaubt, zu schirmen. […] d) daß ein solcher Verein glaubt, der Staatsregierung zur Hülfe kommen zu müssen.“97

Der politische Verein wird somit als eine Institution beschrieben, die sich entweder gegen den Staat an sich richtet oder sich (trotz Staatstreue) Rechte berühmt, die allein der Staatsgewalt selbst zustehen. Wie dem zuvor genannten württembergischen Dekret liegt also auch der badischen Verordnung ein Staatsverständnis zugrunde, dem ein Ineinandergreifen staatlicher und außerstaatlicher Institutionen fremd ist. Die politische Tätigkeit assoziativer Zusammenschlüsse wird als Usurpation und somit als eine Gefährdung des staatlichen Machtmonopols begriffen. Bereits im Folgejahr erklangen in Baden jedoch moderatere Töne. In der Verordnung vom 26. Oktober 1833 fanden sich keine Anklänge eines unbedingten Vereinsverbotes oder eines Genehmigungsvorbehaltes und mithin eine Abkehr von Präventivmaßregeln.98 Stattdessen wurde die Staatsregierung ermächtigt, jederzeit einen Verein aufzulösen und dessen Fortbestehen zu verbieten, der „die Sicherheit des Staates oder das allgemeine Wohl gefährdet“.99 Auch in Württemberg lässt sich dem Strafgesetzbuch des Jahres 1839 eine Aufweichung des Generalverbotes entnehmen. Dessen Art. 149 unterscheidet nunmehr zwischen der „Theilnahme [sic!] an Vereinen für gesetzeswidrige politische Zwecke“ (Abs. 1) und einer „unter bestimmten Vereinsformen oder Satzungen eingegangenen, politischen Verbindung“, bei welcher die Teilnahme nur dann unter Strafe steht, wenn diese „wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung besonders verboten worden ist“ (Abs. 2).100

96 Auch im Königreich Bayern bestand durch Entschließung vom 1. März 1832 ein grundsätzliches Verbot aller nicht polizeilich genehmigter Vereine; Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, S. 151. 97 Verordnungen vom 5. Juni 1832, Großherzoglich Badisches RgBl. 1832, S. 287, 290. 98 Müller, Korporation und Assoziation, 1965, S. 254 f. 99 Art. 1 der Verordnung vom 26. Oktober 1833, Großherzoglich Badisches RgBl. 1833, S. 209. 100 Strafgesetzbuch vom 1. März 1839 (Inkrafttreten am 15. Mai 1839), RgBl. Königreich Württemberg 1839, S. 101.

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c) Politische Vereinigungen und frühes Parteiverständnis Zu jeder Zeit hat es, wo immer miteinander im Streit liegende Kräfte um die Macht in organisierten menschlichen Gemeinschaften konkurrierten, Parteiungen – „Fraktionen“ – gegeben.101 (Hans H. Klein)

Es ist erneut auf Ernst Rudolf Huber zu verweisen, wenn wir der Frage nachgehen, wie die zuvor beschriebenen Verbotsmaßnamen einhergehen mit dem Entstehen solcher Vereinigungen, in denen diese Arbeit die Vorläufer moderner Parteien zu erkennen sucht. Das Verbot politischer Vereinigungen vermochte es zwar, deren organisatorische Ausbildung zu hemmen, aber nicht ihr Entstehen als solches zu verhindern. Überall dort, wo Vertretungskörperschaften die Möglichkeit zur Repräsentation schaffen, zieht dies geradezu zwangsläufig die Bildung von freigebildeten gesellschaftlichen Gruppen nach sich, die zueinander in Wettbewerb um Interessen und Ideen treten, um so politische Macht zu erlangen.102 Eine wirkungsvolle Durchsetzung der Verbotsmaßnahmen hätte somit nach Huber nur um den Preis geschehen können, auf die Vertretungskörperschaften zu verzichten.103 Vor diesem Hintergrund wachsen die Vereinigungen zunehmend aus dem Bereich des Staatsfreien und Privaten in den Bereich des Öffentlichen hinein. Die Beschäftigung mit Fragen des Gemeinwohls kratzt nicht nur am Monopolanspruch des Staates hierauf, sondern befördert Vereine, die nunmehr selbst nach Mitbestimmung und politischer Willensbildung streben. So entwickelt sich „aus der Tendenz zur staatsfreien Selbsthilfe die Tendenz zur Einflußnahme auf staatliches Handeln“.104 Zwar bringt die zunehmende Spezialisierung der Vereine (entgegen der vorherigen allgemeineren Zwecksetzung) und die Verbotspraxis des Vormärzes ein gewisses Maß an Entpolitisierung des Vereinswesens mit sich, zugleich resultiert daraus aber auch eine „Kryptopolitisierung von Vereinen“, indem diese „einen Ersatzraum politischer Aktivität“ bereitstellen.105 Solch ein Forum bot sich vielerorts in Vereinen mit so unverfänglichen Namen wie „Harmonie“ oder „Casino“, in Gesangs- und Turnvereinen oder in den schon stärker politisierten Griechenvereinen und Polenvereinen.106 Die Zahl der im späten 101

Klein, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Art. 21, Rn. 7. So die Begriffsbestimmung von „Partei“ nach Huber, Verfassungsgeschichte II, 31988, S. 320 ff. Als weiteres hier nicht genanntes Kennzeichen führt Huber zudem die Unabhängigkeit der Anhänger vom Geburts-, Besitz- und Berufsstand auf. 103 Insgesamt Huber, Verfassungsgeschichte II, 31988, S. 319. 104 Nipperdey, Verein als soziale Struktur, in: Boockmann et al., Geschichtswissenschaft und Vereinswesen im 19. Jahrhundert, 1972, 1 (30 f.). 105 Ebd., (36). Ausführlich zu den verschiedenen Faktoren der Politisierung der Vereine Hardtwig, Strukturmerkmale und Entwicklungstendenzen des Vereinswesens, in: Dann, Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft, 1984, 11 (26 ff.). 106 Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 41. 102

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Vormärz vereinsmäßig organisierten Personen beziffert Hans-Ulrich Wehler auf mutmaßlich rund 250.000 Männer.107 Die zuvor angesprochene Spezialisierung des Vereinswesen äußert sich in der vermehrten Entstehung von Gewerbevereinen, neben denen sich im Vormärz allmählich branchenbezogene Interessensverbände entwickeln, aber auch von gemeinnützigen Vereinigungen, die sich nunmehr einem besonderen sozialen Vereinszweck, etwa der Armenfürsorge oder der frühen Arbeiterwohlfahrt, verschrieben haben.108 Als wichtigstes Beispiel einer oppositionellen, politischen Organisation ist der im Januar 1832 gegründete „Deutsche Vaterlandsverein zur Unterstützung der freien Presse“ zu nennen, der nicht nur rasch über rund 5.000 Mitglieder, sondern zugleich über ein Netz von zahlreichen Zweigvereinen verfügte.109 Seit den frühen 1830er Jahren entwickelte sich zumindest in den Landtagen die lose Idee, einer Partei in dem Sinne anzugehören, dass es sich dabei um eine Gruppe Gleichgesinnter handelte – ein Vorgang, den Werner Conze als „Parteibildung nach Wahlverwandtschaft“ bezeichnet hat.110 Die Ausbildung solcher politischer Gruppierungen nahm am deutlichsten in Baden ihren Gang, mit Abstrichen ebenfalls in Württemberg und Bayern, aber auch in Sachsen und Kurhessen (Hessen-Kassel).111 Trotz der fortschrittlichen Entwicklung in Baden darf aber nicht davon ausgegangen werden, dass jeder Abgeordneter schon anfänglich einer festen, etwa regierungsfreundlichen oder oppositionellen, Gruppierung hätte zugerechnet werden können. Die Mehrheitsverhältnisse richteten sich nach dem Inhalt der jeweiligen Abstimmung. Jedoch lassen sich für den badischen Landtag von 1831 erstmals Besprechungen der liberalen Abgeordneten im Vorfeld bedeutender Verhandlungen nachweisen, die rund zehn Jahre später zu einer regelmäßigen Einrichtung wurden. Diese Gruppenbildung nahm im Laufe der 1840er Jahre auch nach außen hin Formen an, als die Abgeordneten der zweiten Kammer begannen, ihre Sitzplätze entsprechend gemeinsamer politischer Richtungen einzunehmen. Damit einher ging nicht nur eine einfachere Koordination und Verständigung, sondern auch die gegenseitige Kontrolle des Abstimmungsverhaltens. Allein schon in Reaktion hierauf nahmen auch auf konservativer Seite die Bemühungen zu einem stärkeren organisatorischen Zusammenhalt zu.112

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Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte II, 31996, S. 412. Vgl. Baron, Das deutsche Vereinswesen, 1962, S. 14 ff. 109 Wehler, a. a. O., S. 364. 110 Conze, Das Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft, in: ders., Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz, 1962, 207 (229); Kertesz, Political Parties and Associations, in: AJPH 1989, 61 (63): Bezeichnenderweise ging dem positiven Verständnis der liberalen Opposition, selbst Partei zu sein, der Vorwurf gegenüber dem regierungstreuen Lager vorweg, Partei zu werden. 111 Kramer, Fraktionsbindungen, 1968, S. 21. 112 Zum Vorstehenden insgesamt und ausführlich zur Entwicklung im badischen Landtag ebd., S. 40 ff. 108

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Auch als Bezugspunkt für das Assoziations- und Versammlungswesen nahmen die Landtage einen zunehmenden Stellenwert ein – sei es im Zusammenhang mit gemeinschaftlich formulierten Petitionen, der öffentlichen Meinungsbildung, insbesondere aber im Umfeld der Wahlen zu den parlamentarischen Vertretungen.113 In Württemberg bildeten sich bereits zur Wahl der zweiten Kammer im Dezember 1831 allerorten Wahlvereine zur Unterstützung liberaler Kandidaten.114 Als Ausfluss des indirekten Wahlsystems in Baden suchten dortige liberale Abgeordnete zur selben Zeit, Einfluss auf die Wahlmänner zu nehmen. Diese ersten wahlkampfähnlichen Bemühungen entwickelten sich im Folgejahrzehnt dahin, dass man aus der Kammer heraus versuchte, bereits auf die Kandidatenaufstellung selbst Einfluss zu nehmen. Grundlage für diese Entwicklung war das zwischenzeitlich angestiegene Interesse des Bürgertums an politischen Vorgängen, das ein breiteres Angebot an Mandatsbewerbern nach sich zog. Den Kammermitgliedern boten sich folglich Möglichkeiten zur Beratung und Vermittlung, gleichsam zeigte sich aber auch das Erfordernis einer verstärkten Koordination im Vorfeld der Wahlen.115 Zunehmend gewann die Urwahl an Bedeutung, indem man den Wählern Wahlmänner anempfahl, die sich ihrerseits bereits im Voraus zur Wahl liberaler Kandidaten bekannten. Da sich somit der Wahlkampf nunmehr auf die Gunst der Urwählerschaft konzentrieren musste, versuchte man, breitere Bevölkerungskreise durch Versammlungen und örtliche Wahlkomitees zu erreichen.116 Es lässt sich somit festhalten, dass im Vormärz jedenfalls im außerparlamentarischen Bereich bereits ein spezialisiertes und politisiertes Vereinswesen besteht. Der Gedanke einer Parteizugehörigkeit entwickelt sich aber zuerst in den Landtagen und dort in den Reihen der liberalen Abgeordneten. Ihrer politischen Überzeugung folgend, finden sie sich in Gruppen zusammen und suchen, ihr Vorgehen zu besprechen und zu koordinieren. Im Umfeld der Wahlen wirken diese parlamentarischen Gruppen schließlich auch nach außen, um so Einfluss auf die Wahlentscheidung zu nehmen. Diese frühen Parteiformen bleiben aber dennoch parlamentarischer Natur und ohne ausgeprägte Organisation. Ein Ausbau der Organisation durch „vereinsmäßige Verfestigung“ musste dabei bereits aufgrund der vereinsrechtlichen Situation versagt bleiben.117 So findet weder eine Eingliederung des Vereins in die Partei als organisatorischem Unterbau statt, noch werden die bestehenden politischen Vereinigungen in die parteipolitische Auseinandersetzung einbezogen. Partei als parlamentarische Gruppierung und Verein als außerparlamentarischer, organi-

113 Vgl. Hilker, Grundrechte im deutschen Frühkonstitutionalismus, 2005, S. 308. So auch das Verständnis der zeitgenössischen liberalen Vereinstheorie; vgl. hierzu Nipperdey, Verein als soziale Struktur, in: Boockmann et al., Geschichtswissenschaft und Vereinswesen im 19. Jahrhundert, 1972, 1 (41 f.). 114 Wehler, a. a. O., S. 361. 115 Kramer, a. a. O., 1968, S. 61 f. 116 Ebd., S. 64 ff. 117 Huber, Verfassungsgeschichte II, 31988, S. 319.

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sierter Zusammenschluss sind auch noch zu Ende des Vormärzes deutlich unterscheidbar.118

d) Politische Meinungsströmungen Wurde die Partei des Vormärzes folglich als vereinsmäßig nicht integrierte und somit organisatorisch kaum verfestigte Meinungsströmung erkannt, bleibt zu untersuchen, wie sehr inhaltlich differenziert eine solche Parteibildung bereits fortgeschritten war. Ludwig Bergsträsser, in vielerlei Weise Pionier der deutschen Parteienforschung, ging für die Zeit bis 1848 noch von der Herausbildung dreier Parteien aus. Demnach sollen im Vormärz die Anfänge des Liberalismus, des Konservatismus und des politischen Katholizismus gelegen haben.119 Spätere Autoren haben hingegen bereits für diese Epoche die fünf Meinungsströmungen ausgemacht, die prägend für das deutsche Parteiensystem werden sollten. Neben die drei von Bergsträsser der Genannten treten somit der demokratische Radikalismus, aber auch schon die frühen Anfänge des Sozialismus, wenngleich Letzterer lediglich als außerparlamentarisches Gedankenkonstrukt anzutreffen ist.120 Die liberale Bewegung, die neben dem Konservatismus am deutlichsten den Vormärz prägte, zeigte sich ganz besonders stark im Westen und Südwesten. Wenngleich sie im protestantischen Milieu etwas mehr Resonanz fand, war sie doch konfessionsübergreifend angelegt und fand Anhänger im Adel wie im Bürgertum, aber auch bei abhängig Beschäftigten.121 Nicht allein die Breite der Basis, sondern das Selbstverständnis, „die wahren Hüter der Verfassung“ zu sein, stand eigentlich im Widerspruch dazu, selbst Partei zu werden. Die „liberale Gesinnungsgemeinschaft“, die sich vielmehr als über den Parteien stehend verstanden sehen wollte, musste jedoch bald einsehen, dass ihr Bekenntnis zur Verfassung und zur deutschen Nation nicht als gesamtgesellschaftliches Konzept Bestand haben konnte. Sie musste daher selbst „Partei unter Parteien werden“.122 Auch innerhalb des Liberalismus wurden bereits von zeitgenössischen Beobachtern zwei Strömungen ausgemacht, die sog. „Bewegungspartei“ und die „Partei der behutsamen Reformen“. Gemeinsames liberales Programm war, allgemein gesprochen, der Ausbau der konstitutionellen 118

Vgl. insofern auch Kertesz, in: AJPH 1989, 61 (65). Vgl. Bergsträsser, Geschichte der politischen Parteien, 111965, S. 33 ff. 120 So Huber, Verfassungsgeschichte II, 31988, S. 324 ff., aber auch Lösche, Kleine Geschichte der deutschen Parteien, 21994, S. 25 f. und Conze, Das Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft, in: ders., Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz, 1962, 207 (233). Insgesamt zu dieser Frage Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 60 f. Auch in der zeitgenössischen Literatur finden sich die verschiedenen Strömungen thematisiert. Rohmer unterscheidet bereits zwischen Liberalismus, Radikalismus und Konservatismus, nennt aber auch den Absolutismus noch als vierte „Partei“; vgl. ders., Die vier Parteien, 1844. 121 Fenske, a. a. O., S. 40. 122 Conze, a. a. O., (230 ff.). 119

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Monarchie und eine umfassendere Verwirklichung der Grundrechte.123 Man darf aber nicht davon ausgehen, dass damit bereits der Wunsch nach vollkommener Volkssouveränität einherging, zumal der nationale Einheitsgedanke großen Raum im Denken der Liberalen einnahm.124 Dennoch verfügte die liberale Bewegung über einen recht breiten programmatischen Diskurs, der neben der Verfassungs- und Deutschlandpolitik auch rechts- und wirtschaftspolitische Vorschläge beförderte und trotz der eingeschränkten Pressefreiheit fleißig publiziert wurde. In führenden Beamtenpositionen und teils gar in ministerieller Verantwortung gelangten zahlreiche Liberale in verantwortliche Stellung.125 Nicht trennscharf, aber dennoch deutlich erkennbar tritt neben den Liberalismus im Vormärz mit dem Radikalismus eine weitere Bewegung, die zeitgenössisch auch als „Partei der Umwälzung“, als unechter Liberalismus oder Ultraliberalismus bezeichnet wird. Ihr Programm war wahre Gleichheit im Sinne einer Abschaffung aller Privilegien, aber kein Egalitarismus nach sozialistischer Fasson. Verfolgt wurde ein sozial geprägtes Gesellschaftsmodell, in dem sich jeder selbst entfalten sollte, organisiert in einem republikanischen Staat mit allgemeinem Wahlrecht.126 So sehr diese demokratischen Forderungen auch revolutionäre Sprengkraft besaßen und ihre Verfechter auf Aktionen statt auf Reformen setzten, war der deutsche Radikalismus ganz und gar bürgerlich.127 Seine Wurzeln hatte er in den politischen Geheimbünden, Teilen der Burschenschaft und der Turnbewegung, aus denen heraus er zum Hambacher Fest 1832 seinen ersten Höhepunkt erreichte. In Folge der Repression durch die Bundesmaßregeln fanden sich zahlreiche Exilanten im Ausland in Emigrationsvereinen zusammen, von wo aus man suchte, die radikal-demokratischen Gedanken auch in Deutschland weiter zu verbreiten. In den 1840er Jahren entwickelte der Radikalismus eine planvollere Programmatik, die klare politische Ziele verfolgte und über das Bürgertum hinaus Anhänger finden konnte.128 Das enorme Bevölkerungswachstum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und damit einhergehende soziale Spannungen führten zwar nicht dazu, dass die wirtschaftlich bedrängten Bevölkerungskreise sich als eigene soziale und politische Einheit verstanden. Handwerker, Angestellte und Kleinbauern verbreiterten aber die Basis derer, die sich hinter den bürgerlichen Anführern des demokratischen Radikalismus versammelten.129 Da sich aufgrund der in Deutschland vergleichsweise spät einsetzenden Industrialisierung eine wirkliche Arbeiterklasse erst langsam zu bilden begann, ist eine 123

Fenske, a. a. O., S. 41 m. w. N. Lösche, a. a. O., 21994, S. 28 f.; Grebing, Geschichte der deutschen Parteien, 1962, S. 8 f. 125 Fenske, a. a. O., S. 42 f. 126 Ebd., S. 44 f. Die Vorstellungen von einer Republik ähnelten aber vielfach denen einer parlamentarischen Monarchie, so zumindest Tormin, Geschichte der deutschen Parteien seit 1848, 31968, S. 18. 127 Huber, Verfassungsgeschichte II, 31988, S. 402 f. 128 Ausführlich zu den Entwicklungsphasen des Radikalismus ebd., S. 403 ff.; Fenske, a. a. O., S. 45 ff. 129 Grebing, a. a. O., S. 10; Huber, a. a. O., S. 404 f. 124

2. Restauration und Vormärz

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sozialistische Strömung erst ab den 1840er Jahren und zumal hauptsächlich als theoretisches Gedankenkonstrukt auszumachen. Dieser frühe Sozialismus war vornehmlich eine Angelegenheit emigrierter Kreise, deren Bemühungen in Deutschland selbst kaum Resonanz fand. Aus dem von radikal-demokratischen Exilanten in Paris gegründeten „Bund der Geächteten“ spaltete sich 1836 eine radikalere Gruppierung ab und nannte sich fortan „Bund der Gerechten“.130 Dieser verlagerte später sein Aktionszentrum nach London, wo er sich im Rahmen zweier Kongresse 1847 in „Bund der Kommunisten“ umbenannte und die Vorstellungen von Marx und Engel zum Programm erhob.131 Wirkliche Bedeutung konnte er aber nicht erlangen, insbesondere erreichte er kaum das Proletariat als solches, blieb also vielmehr eine theoretische Angelegenheit intellektueller Kreise.132 Auch der Konservatismus, der gleichsam etwa auch als „Widerstands- oder „Stillstandspartei“ oder schlicht als Reaktion bezeichnet wurde, war in seinen einzelnen Ausprägungen facettenreich. Seine Anhänger standen jenseits der reformerischen Kräfte des Liberalismus, wenngleich es dennoch im konservativen Spektrum Befürworter moderater Veränderungen gab.133 Der Konservatismus war, besonders in Preußen, in starkem Maße protestantisch geprägt. Wenngleich er auf den Monarchen zugeschnitten war, so stand im Zentrum seines Verständnisses doch der (christliche) Staat als unantastbare Institution, dem ein „Bündnis von Thron und Altar“ zugrunde liegen sollte. Mit der Betonung des Staates als solchen wandte sich der Konservatismus zwar gegen einen autokratischen Absolutismus, zugleich ging er aber auch von einer gottgegebenen Gesellschaftsordnung aus, die ein ständisch-patriarchalisches Selbstverständnis mit sich brachte.134 Da der Konservatismus von sich aus kaum auf Veränderung setzte, bestand keine Notwendigkeit für eigene politische Impulse. Er musste folglich erst dann tätig werden, wenn die reformerischen Kräfte an Fahrt aufgenommen hatten. So bestand auch kaum Anreiz zu Gruppenbildungen und parlamentarischen Zusammenschlüssen bei den Konservativen, die sich jedoch demgegenüber einer breiten publizistischen Tätigkeit zuwandten.135 Allein aus den Umständen mochte sich somit für Konservative die Notwendigkeit ergeben, „sich zur conservativen Parthei [sic!] zu verdichten und ihren Kampf gegen die destruktiven Mächte mit eigenen Mitteln, auf eigene Gefahr zu kämpfen“, wie es der konservative Vordenker Victor Aimé Huber 1841 formulierte, der zugleich aber der Hoffnung

130

Tormin, a. a. O., S. 20 f. Fenske, a. a. O., S. 51. 132 Treue, Die deutschen Parteien, 1975, S. 23. 133 Fenske, a. a. O., S. 52. Ernst Rudolf Huber betont etwa die sozialkonservative Gruppe und deren Hinwendung zu sozialen Fragen der entstehenden Industriegesellschaft, vgl. Huber, Verfassungsgeschichte II, 31988, S. 340. 134 Treue, a. a. O., S. 19 f.; vgl. auch Huber, a. a. O., S. 327. 135 Vgl. Bergsträsser, Geschichte der politischen Parteien, 111965, S. 69 f.; Fenske, a. a. O., S. 53 f. 131

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

Ausdruck gab, dass „die Nothwendigkeit sich als Parthei [sic!] zu gestalten, nicht eintreten möge […].“136 In seinem Anliegen, die Unabhängigkeit der Kirche zu sichern, trat der politische Katholizismus schon recht bald in den süddeutschen Landtagen in Erscheinung. Der Verlust seiner Besitztümer durch die Säkularisation in Folge des Reichsdeputationshauptschlusses hatte den deutschen Klerus stärker an Rom gebunden, zugleich aber auch die Versuche staatlicher Einflussnahme nach sich gezogen. Darüber hinaus bestand indes kaum ein einheitliches Konzept. Während die Vertreter des politischen Katholizismus im Rheinland konstitutionell gesinnt waren, fanden sich vor allem in Bayern zahlreiche Katholiken, die dem Absolutismus zugeneigt waren. Auch wirtschaftspolitisch fanden sich bei ihnen Anhänger liberaler Ideen wie Befürworter von Schutzzöllen. Einigend war somit allein die Zugehörigkeit zur katholischen Konfession.137 Insgesamt lassen sich im Vormärz eine konservative, eine etwas kleinere liberal-konstitutionelle und schließlich bereits auch eine soziale Strömung des politischen Katholizismus ausmachen.138 Bezeichnend für sein politisches Programm ist der sogenannte Mischehenstreit um die Konfession der Kinder von Eltern unterschiedlicher Religionszugehörigkeit, der in den nunmehr zu Preußen gehörigen rheinischen Provinzen mit besonderer Vehemenz ausgetragen wurde.139

3. Die Revolution von 1848/49 Seit der Mitte der 1840er Jahre hatte sich die wirtschaftliche Situation in Deutschland nachhaltig verschlechtert. Missernten führten zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise und verschärften die prekäre Notlage der pauperisierten Bevölkerungsschichten. So gesellten sich soziale Probleme zur ohnehin schon bestehenden Unzufriedenheit mit den restaurativen politisch-rechtlichen Verhältnissen und schufen ein Klima, in dem die Nachricht von der französischen Februarrevolution 1848 einen gehörigen Widerhall fand. Im Folgemonat brach sich der aufgestaute Unmut in den Märzunruhen schließlich Bahn, deren Versammlungen und Aufständen revolutionäre Töne deutlich anschlugen. In den „Märzforderungen“ kam des Volkes Wille zum Ausdruck, nun endlich ein deutsches Parlament im konstitutionellen Nationalstaat zu verwirklichen. Die meisten Staaten reagierten umgehend und beriefen Liberale in die Regierungen (sog. „Märzministerien“). Neuerlich ging die Entwicklung besonders im Südwesten rasch voran. Die Heidelberger Versammlung von 51 Liberalen forderte die Einrichtung und Wahl einer Nationalver136

Victor Aimé Huber, Ueber die Elemente, 1841, S. 74. Insgesamt zum Vorstehenden Bergsträsser, a. a. O., S. 71 ff. 138 Vgl. Fenske, a. a. O., S. 59 f.; ausführlich Huber, Verfassungsgeschichte II, 31988, S. 358 ff. 139 Zu den unterschiedlichen politischen Auswirkungen des Mischehenstreites in Preußen und Württemberg Bergsträsser, a. a. O., S. 73. 137

3. Die Revolution von 1848/49

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sammlung, zu deren Vorbereitung gleichsam zum Vorparlament nach Frankfurt geladen wurde.140 Auch der Bundestag reagierte. Durch Bundesbeschlüsse ermöglichte er den Bundesstaaten die Einführung der Pressefreiheit, berief zur Beratung einer Revision der Bundesverfassung Männer des öffentlichen Vertrauens ein („Siebzehner-Ausschuss“), hob die Ausnahmegesetze auf und ebnete letztendlich noch im März den Weg zur Wahl der ersten deutschen Nationalversammlung.141

a) Die Frankfurter Nationalversammlung Bereits Anfang Mai 1848 erfolgten die Wahlen zur Nationalversammlung. Das Vorparlament hatte in seinen Beschlüssen festgehalten, dass ein parlamentarischer Vertreter „auf 50.000 Seelen“ entfallen solle und dass das aktive wie passive Wahlrecht eines jeden volljährigen selbstständigen Staatsangehörigen frei von zensitären Beschränkungen gewährt werden müsse.142 Der Bundestag hatte in seinem zweiten Bundesbeschluss vom 7. April 1848 diese Vorgaben übernommen und die einzelnen Regierungen dazu aufgefordert, die Wahl ab dem 1. Mai zu ermöglichen.143 Wenngleich somit die Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl für die (männliche) Bevölkerung festgeschrieben war, blieben Unklarheiten, die in den einzelnen Ländern recht unterschiedliche Wahlmodalitäten nach sich zogen. Dies wurde besonders deutlich bei der Bestimmung des für die Wahlberechtigung entscheidenden Merkmales der „Selbstständigkeit“, aber auch bei den Fragen nach direkter oder indirekter sowie öffentlicher oder geheimer Wahl.144 Bei den Wahlen selbst stand in erster Linie der zu wählende Kandidat im Mittelpunkt. Dies war zum einem der Ausgestaltung der Wahl nach dem Mehrheitsprinzip geschuldet, erklärt sich aber zum anderen vor dem Hintergrund, dass es an einer festen Parteizugehörigkeit schon mangels bestehender Parteistrukturen fehlte. Durchaus traten zwar bei der Kandidatenaufstellung und der Wahlvorbereitung verschiedene Wahlkomitees oder politisch motivierte Vereinigungen auf, deren Mitglieder sich durch finanziellen, öffentlichkeitswirksamen und persönlichen 140 Erklärung der Heidelberger Versammlung vom 5. März 1848, in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte I, 31978, Nr. 73. 141 Vgl. Bundesbeschlüsse „über die Einführung der Preßfreiheit“ vom 3. März 1848, „über die Berufung von Männern des allgemeinen Vertrauens“ vom 10. März 1848 und „über die Aufhebung des Bundes-Ausnahmegesetze“ vom 2. April 1848 sowie die beiden Bundesbeschlüsse „über die Wahl der deutschen Nationalversammlung“ vom 30. März und 7. April 1848, in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte I, 31978, Nr. 75, 77 f., 82 f. Zu den oben aufgeführten Entwicklungen insgesamt vgl. Tormin, Geschichte der deutschen Parteien seit 1848, 31968, S. 25 f. und Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 62 f. 142 Die Beschlüsse des Vorparlamentes vom 31. März und 1. bis 4. April 1848, in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte I, 31978, Nr. 81. 143 Vgl. Zweiter Bundesbeschluß „über die Wahl der deutschen Nationalversammlung“ vom 7. April 1848, in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte I, 31978, Nr. 83. 144 Siemann, Die deutsche Revolution, 1985, S. 84 f.

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

Einsatz in den Wahlkampf einmischten. Ebenso ergriff die eine oder andere Zeitung bestimmte politische Positionen auf und nahm so ihren Einfluss auf die Wahlentscheidung.145 Es kann aber in keiner Weise von einer festen politischen Programmatik gesprochen werden, die die Person des einzelnen Kandidaten in den Hintergrund hätte rücken lassen. Vielmehr waren die Positionen so weit gefasst, dass sie zu einer lagerbildenden Integrationskraft nicht genügten. Gewählt wurden deshalb ganz vorwiegend örtliche Honoratioren. Wenngleich sie sich zu der einen oder anderen politischen Richtung bekannt haben mögen, traten sie ihre Reise nach Frankfurt aber ohne feste parteipolitische Bindung an. Inhaltlich zu vage und fließend waren die einzelnen Meinungsströmungen und räumlich zu begrenzt die organisatorischen Zusammenschlüsse.146 So bestand in der Frankfurter Paulskirche eine Nationalversammlung, die sich vor allem aus Persönlichkeiten höherer Bildung und herausgehobener gesellschaftlicher Stellung zusammensetzte. An die Schaffung einer einheitlichen Reichsverfassung machten sich demnach mehrheitlich Abgeordnete, die im Staatsund Justizdienst oder an Universitäten beschäftigt waren. Zu ihnen gesellten sich einige Angehörige des Klerus und eine durchaus statthafte Anzahl an Vertretern der freien Berufe. Repräsentanten des Handwerks oder der Landwirtschaft fanden sich hingegen kaum unter den Volksvertretern.147 Es handelte sich bei der Paulskirchenversammlung also um ein ganz vorwiegend bürgerliches Parlament, das seiner sozialen Gliederung nach „kein Spiegelbild der Zusammensetzung des deutschen Volkes“ aufzeigte, aber „repräsentativ für die damals in Deutschland politisch aktive Schicht“ war.148

b) Verfassung und Vereinsfreiheit Man wird dabei berücksichtigen, daß diese Berathungen eine Art Schule gemeinsamen Arbeitens für die Ausschußmitglieder gewesen sind, und daß in den „Freiheitsfragen“, um welche es sich zunächst handelte, das Maaß dessen, was erreichbar, was mit dem Bestande staatlicher Ordnung vereinbar, was dem deutschen Volke unentbehrlich sei, gar verschieden beurtheilt wurde [sic!].149 (Johann Gustav Droysen)

Obgleich die Nationalversammlung bereits am 18. Mai 1848 eröffnet worden war, machte sie sich erst ab Anfang Juli an ihre wesentliche Aufgabe und widmete sich der 145

Insgesamt Huber, Verfassungsgeschichte II, 31988, S. 602 f. Langewiesche, Die Anfänge der deutschen Parteien, in: GG 1978, 332. 147 Vgl. Mommsen, Die ungewollte Revolution, 1998, S. 177 f. 148 Tormin, Geschichte der deutschen Parteien seit 1848, 31968, S. 26. 149 Droysen, Verhandlungen des Verfassungsausschusses, 1849, S. 3. Droysen war Mitglied und Chronist des Verfassungsausschusses der deutschen Nationalversammlung 1848/49. 146

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Beratung der Reichsverfassung. An den Beginn ihrer Verhandlungen stellten die Abgeordneten der Paulskirche die Diskussion über den Grundrechtskatalog, der zuvor durch den Verfassungsausschuss vorbereitet worden war und schließlich am 27. Dezember 1848 durch Reichsgesetz verkündet wurde. Damit hatte die Versammlung die Grundlagen einer liberalen und rechtsstaatlichen Gesellschaftsordnung gelegt, die nicht allein ihres weitgehenden Inhaltes wegen einen radikalen Umbruch in der deutschen Verfassungsgeschichte darstellte.150 Erstmals waren verfassungsmäßige Rechte nicht „von oben“, also durch den Monarchen verordnet oder gewährt, sondern von der Gesellschaft an die Machthabenden herangetragen worden und durch die gewählte Nationalversammlung in sich demokratisch legitimiert.151 Mit der Gewährung der Vereinsfreiheit im Rahmen des Grundrechtskataloges trug die Paulskirchenversammlung zugleich den revolutionären gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung.152 Ohne Hinwarten auf vereinsrechtliche Legalisierung war es im Zuge der Märzunruhen zu zahlreichen Vereinsgründungen gekommen, womit das vormärzliche System der Präventivkontrolle de facto außer Kraft gesetzt zu sein schien.153 Bereits das Vorparlament hatte unter dem Punkt „Grundrechte und Forderungen des deutschen Volkes“ der Nationalversammlung empfohlen, auf ein freies Vereinigungsrecht hinzuwirken.154 Auch die Versammlung der durch den Bundestag berufenen Männer des öffentlichen Vertrauens, der sog. „Siebzehner-Ausschuss“, griff in seinem Entwurf einer Reichsverfassung die Forderung nach Grundrechten auf und schlug unter Art. IV in § 25 lit. g) ein „freies Versammlungs- und Vereinsrecht, mit Vorbehalt eines Gesetzes gegen den Mißbrauch“ auf.155 Über den genauen Wortlaut wurde in der Paulskirche zwar gerungen, letztendlich aber in zweiter Lesung die vom zuständigen Verfassungsausschuss vorgelegte Fassung angenommen.156 Unter Art. VII der Grundrechte wurde die Vereinsfreiheit somit wie folgt gefasst: 150 Vgl. Mommsen, a. a. O., S. 261 ff.; zur Genese der Grundrechte Scholler, Die Grundrechtsdiskussion in der Paulskirche, 21982. 151 Vgl. Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 21998, S. 51 ff.; Dann, Die Proklamation von Grundrechten, in: Birtsch, Grund- und Freiheitsrechte, 1981, 515 (519). 152 Vgl. insofern auch den Antrag des Abgeordneten Wesendonck, den im März des Jahres in vereinsrechtlicher Hinsicht eingetretenen Status quo bis zur Publikation eines neuen Reichsgesetzes aufrechtzuerhalten; Stenographischer Bericht III, S. 1720. 153 Kühne, a. a. O., S. 402 ff. 154 Vgl. Die Beschlüsse des Vorparlamentes vom 31. März und 1. bis 4. April 1848, in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte I, 31978, Nr. 81. 155 Der Siebzehner-Entwurf der Reichsverfassung vom 26. April 1848, in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte I, 31978, Nr. 97. 156 Der Verfassungsausschuss selbst hatte zunächst eine Fassung dergestalt diskutiert, die von einem „Recht zu Vereinen mit rechtmäßigen Zwecken und Mitteln“ sprach. Indes hielt man den Begriff „rechtmäßig“ für zu vage, zumal man das Gesetz für durchaus unvermögend hielt, um a priori zu bestimmen, was rechtmäßige Zwecke seien. Letztendlich einigte man sich auf eine Formulierung in Analogie zur belgischen Verfassung; Droysen, Verhandlungen des Verfassungsausschusses, 1849, S. 23 ff.

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland „§ 30. Die Deutschen haben das Recht, Vereine zu bilden. Dieses Recht soll durch keine vorbeugende Maßregel beschränkt werden.“157

Nicht durchsetzen konnte sich demgegenüber der im Rahmen der ersten Lesung behandelte Antrag der Abgeordneten von Raumer und Schubert, nach dem den Deutschen das Recht eingeräumt sei, „Vereine aller Art zu bilden, sofern dieselben nicht mit ausdrücklichen Gesetzen in Widerspruch stehen“.158 Das gleiche Schicksal ereilte eine vom Abgeordneten von Trützschler (und anderen) vorgeschlagene Fassung der „Schrankenregelung“, nach der das Recht zur Vereinsbildung „unter keinen Umständen und in keiner Weise beschränkt, suspendirt [sic!] oder aufgehoben werden“ dürfe.159 Mit Hinblick auf den Antrag von Raumers und Schuberts scheint es bezeichnend, dass die Nationalversammlung keine Notwendigkeit erkannte, den Schutzbereich ausdrücklich mit Vereinen „aller Art“ zu bezeichnen. Vor dem Hintergrund, dass die restriktive Vereinsgesetzgebung des Vormärzes gerade politischen Vereinen einen Riegel vorzuschieben gedachte160, erklärt sich ein umfassendes Verständnis der Vereinigungsfreiheit, das Vereine gerade ohne Ansehung ihrer Zwecksetzung zu schützen gedachte.161 Eine nähere Umschreibung des Vereinsbegriffes bietet die Frankfurter Reichsverfassung ohnehin nicht. Über den Wortlaut, der alleine vom Recht zur Vereinsbildung spricht, hinaus ist zudem der Gewährleistungsgehalt des Grundrechts weiter zu verstehen. Reichsminister von Mohl nahm hierzu dahingehend Stellung, dass

157

Gesetz „betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes“, RGBl. 1848/49, S. 49. Der hier zitierte § 30 der Grundrechte des deutschen Volkes entspricht im Wortlaut § 162 der Frankfurter Reichsverfassung (FRV), RGBl. 1848/49, S. 101. 158 Stenographischer Bericht III, S. 2311. Von den Antragsstellern wurde weiter angeführt: „Unzählige Beispiele zeigen, welche arge Folgen Anfangs wohlgemeinte Vereine durch allmälige zügellose Entwicklung über Städte und Staaten gebracht haben [sic!].“ 159 Stenographischer Bericht III, S. 2312. Der Antrag wurde neuerlich in namentlicher Abstimmung bei der zweiten Beratung abgelehnt; Stenographischer Bericht VI, S. 4174 ff. 160 Dieser Bezug wird deutlich hervorgehoben bei Droysen, Verhandlungen des Verfassungsausschusses, 1849, S. 23: „Man hatte zunächst überwiegend diejenige Art von Vereinen im Auge, welche damals sich mit außerordentlicher Raschheit für politische Zwecke zusammenfanden.“ 161 So klingt es wohl auch aus einer Einlassung des Abgeordneten Beselers zur Diskussion um die Einführung des § 59 in die Frankfurter Reichsverfassung heraus: „Wir haben unter Association, uns nicht blos Vereine oder politische Vereine gedacht [sic!], sondern den ganzen Umfang des Genossenschaftswesens darunter verstanden […]“; Stenographischer Bericht V, S. 3533. Der § 59 FRV räumte der Reichsgewalt das Recht ein, unbeschadet des Grundrechtes auf Vereinsfreiheit Reichsgesetze über das Assoziationswesen zu erlassen. Auch die entsprechenden Verhandlungen im Verfassungsausschuss deuten auf ein weites Verständnis hin; vgl. Droysen, Verhandlungen des Verfassungsausschusses, 1849, S. 185 ff.

3. Die Revolution von 1848/49

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„ihm aber seinerseits kein Zweifel sei, es habe der § 30 der Grundrechte nicht bloß die Bildung, sondern auch die gesetzesmäßige Ausübung des Vereins-Rechtes von vorbeugenden Maßregeln befreien wollen.“162

Ein allzu extensives Verständnis des grundrechtlich geschützten Verhaltens lässt sich dabei aber aus der Ablehnung des Antrages von Raumers/Schuberts nicht ablesen, obgleich dieser ja vor allem auch darauf abzielte, Vereine, die in ausdrücklichem Gesetzeswiderspruch stehen, von der Vereinsfreiheit auszunehmen. Dafür spricht spiegelbildlich bereits die Ablehnung der Fassung von Trützschlers, die sich ausdrücklich gegen jegliche staatliche Beschränkung des Grundrechts verwehrte. Von Mohl erklärte diesbetreffend, dass das Reichsministerium Veranlassung genommen habe, „[…] darauf aufmerksam zu machen, daß die grundrechtliche Freiheit des Vereins- und Associationsrechtes keineswegs ein Freibrief für unbestrafte Begehung von Vergehen und Verbrechen in den Vereinen oder von denselben in sich begreife, sondern daß vielmehr, je weiter das Recht jetzt gesteckt sei, desto unnachsichtlicher die gesetzliche Ahndung seines Mißbrauches einzutreten habe.“163

Eine umfassende Betätigungsfreiheit war also auch der Vereinsfreiheit der Frankfurter Reichsverfassung nicht beigemessen. Zumindest in den Strafgesetzen sollte sie ihre Schranken finden.164 Über den soeben beschriebenen Charakter als Abwehrrecht hinaus darf aber nicht verkannt werden, dass im liberalen Verständnis der Grundrechte, wie es sich in der Paulskirche Bahn bricht, der Vereinsfreiheit zugleich ein politischer Aspekt zugedacht wird. Sie beruht darauf, dass den Vereinen eine Vermittlungsfunktion zwischen dem Bürger und dem Staat anerkannt wird. Das Assoziationsrecht richtet sich folglich nicht allein in seinem Abwehrcharakter vom Staate ab, sondern als Mitwirkungsrecht diesem auch gleichsam zu; das Vereinswesen wird somit zum integrativen Bestandteil des Staatsgefüges. Daraus ergibt sich eine Doppelwertigkeit der Vereinsfreiheit als Abwehr- wie als Mitwirkungsrecht.165

162

Stenographischer Bericht VII, S. 5206. Zu Definition des Vereinsbegriffes und Gewährleistungsumfang der Vereinsfreiheit Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 21998, S. 399. Bemerkenswert sind auch die interessanten Ausführungen zum Umfang der Grundrechtes bei Baron, Das deutsche Vereinswesen, 1962, S. 51 ff., der in § 162 FRV nicht nur ein Individual-, sondern zugleich ein Kollektivgrundrecht erkennt. 163 Stenographischer Bericht VII, S. 5206. 164 Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 21998, S. 405. 165 Insgesamt Kühne, a. a. O., S. 400 ff.; zur Doppelwertigkeit der Grundrechte, insbesondere der Vereinsfreiheit, vgl. Müller, Korporation und Assoziation, 1965, S. 314 ff., 258, 272 f.

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

c) Fraktions- und Vereinswesen Wenngleich die Abgeordneten der Paulskirche als an sich unabhängige Honoratioren in Frankfurt zusammenkamen, suchten sie untereinander rasch Kontakt und begannen, den politischen Austausch zu pflegen. Auch wenn die Anknüpfungspunkte anfänglich auf gemeinsamer Herkunft oder gleichem Stande beruht haben mögen, erkannten sie rasch die Notwendigkeit, politische Positionen auszutauschen und gemeinsame Standpunkte zu erkennen.166 Die Bedeutung der in der Nationalversammlung zu behandelnden Frage bot genügend Anlass dafür, sich mit Gleichgesinnten zusammenzutun, um so den eigenen Forderungen mehr Nachdruck verleihen zu können. Dementsprechend bilden sich zunächst noch recht lose Klubs, bald jedoch auch festere Fraktionen heraus.167 Gleichsam änderte sich dadurch der Charakter der Nationalversammlung als einer Honoratiorenversammlung hin zu einem Parlament moderner Prägung, wenngleich die Zusammenschlüsse noch nicht von dauerhafter Festigkeit waren und eine bemerkenswerte Fluktuation zwischen den Fraktionen bestand.168 Zahlreiche Abspaltungen und Neubildungen erschweren es, eine klare Struktur für das Fraktionswesen der Paulskirche aufzuzeigen. Der Anfang lag bei den radikaldemokratisch gesinnten Abgeordneten, die sich im „Deutschen Hof“ zusammenfanden. Die Liberalen teilten sich in die „Casino“-Fraktion des gemäßigten Flügels und den „Württemberger Hof“, wo sich die eher linksliberalen Volksvertreter versammelten. Das „Café Milani“ wurde von den Konservativen als Versammlungsort ausgewählt. Schon bald kamen mit der äußerst radikalen Gruppierung „Donnersberg“ und der linksliberalen bis gemäßigt radikalen „Westendhall“ zwei demokratisch orientierte Fraktionen hinzu. Zudem traten mit den Fraktionen „Augsburger Hof“ und „Landsberg“ zwei weitere liberale Zusammenschlüsse auf den Plan, die inhaltlich nicht allzu weit vom „Casino“ entfernt waren. Es blieben jedoch rund 150 Mitglieder der Nationalversammlung, die sich keiner Fraktion anschlossen.169 Ab dem Jahreswechsel 1848/49 verlor dieses Fraktionssystem aber an Bedeutung und wurde durch eine Blockbildung verdrängt: Auf der Linken und der Rechten sammelten sich jeweils Anhänger einer großdeutschen Lösung, während die Vertreter der kleindeutschen Lösung in einer dritten Gruppe, dem „Weidenbusch“, zusammenkamen.170 166 Dass anfänglich unpolitische Aspekte wie die Gemeinsamkeit des Berufes oder der Herkunft bei der parlamentarischen Gruppenbildung nicht selten der Gemeinsamkeit der politischen Inhalte vorangehen, betont auch ganz allgemein Duverger, Die politischen Parteien, 1959, S. 2. 167 Ausführlich Kramer, Fraktionsbindungen, 1968, S. 74 ff. Die Fraktionen bezeichneten sich in ihren insgesamt sehr ähnlichen Statuten als „Partei“, „Gesellschaft“ oder „politischer Verein“; Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus, 1977, S. 429. 168 Tormin, Geschichte der deutschen Parteien seit 1848, 31968, S. 27. 169 So die übersichtliche Nachzeichnung der Fraktionsbildung bei Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 75 ff.; knapper bei Huber, Verfassungsgeschichte II, 31988, S. 613 f. 170 Im Einzelnen Kramer, Fraktionsbindungen, 1968, S. 146 ff.

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Die zahlreichen Spaltungen zeugen von einer Mobilität der Abgeordneten, die Ernst Rudolf Huber auf das (der Form wie der Sache nach) noch freie Mandat der Paulskirche zurückführt. Die Fraktionen stellen sich seiner Ansicht nach weder organisatorisch noch programmatisch als gefestigte Zusammenschlüsse dar.171 Auch Helmut Kramer sieht die Fraktionsgemeinschaft weniger auf gemeinsamer Überzeugung beruhend an, betont aber das organisatorische Band zwischen den Fraktionsmitgliedern.172 Dem ist wiederum von Dieter Langewiesche entgegengehalten worden, dass sich alle parlamentarischen Gruppen der Paulskirche bereits feste Programme gegeben hätten.173 Die zahlreichen Umgruppierungen erfolgten demnach nur zwischen „politisch eng benachbarten Fraktionen“ und somit auch allein „im Rahmen des einmal akzeptierten politischen Programms“.174 Letztendlich deutet auch die umfangreiche, auf Meinungsbildung abzielende Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen darauf hin, dass die politischen Inhalte eine konstitutive Bedeutung für das Fraktionsgefüge gehaben haben dürften. Umgekehrt wurden die Fraktionen auch zu Ansprechpartnern von Interessensorganisationen außerhalb des Parlamentes, deren Vorschläge sie entgegennahmen und in den Entscheidungsprozess einführten.175 Ungeachtet dessen, ob man aus der Unbeständigkeit der Paulskirchen-Fraktionen einen der Nationalversammlung noch anhaftenden Honoratiorencharakter ablesen mag, besteht aber kein Zweifel darüber, dass von ihnen ein gehöriger Einfluss auf die Abläufe des parlamentarischen Betriebes und auf das politische Agieren der Abgeordneten ausging. In den einzelnen parlamentarischen Gruppierungen erfolgten Vorbesprechungen und Vorbeschlüsse, während zwischen den Fraktionen das Vorgehen koordiniert und Kompromisse ausgehandelt wurden. Beschlüsse und Vereinbarungen waren für die Fraktionsmitglieder verbindlich, denen bei Missachtung Sanktionen, nämlich der Ausschluss aus der Fraktion, drohten. Es etablierte sich somit ein Prinzip des schon recht weit fortgeschrittenen Fraktionszwanges, dessen Kehrseite sich eben gerade in den zahlreichen Abspaltungen zeigte.176 So veränderte sich insgesamt auch die Kultur der Versammlung als solche. Plenardebatten, für welche die Fraktionen ihre Redner regelmäßig selbst benannten, dienten nicht mehr der Überzeugung der anderen Abgeordneten, sondern der Wiederholung und Darstellung des schon innerfraktionell ausgemachten politischen Standpunktes.177 171

Huber, a. a. O., S. 613. Kramer, a. a. O., S. 111. 173 Auch Boldt kritisiert die Geringschätzung der Fraktionsprogramme und dokumentiert diese ausführlich; vgl. ders., Die Anfänge des deutschen Parteiwesens, 1971, S. 53 ff. 174 Langewiesche, Die Anfänge der deutschen Parteien, in: GG 1978, 324 (338). 175 Vgl. hierzu Ziebura, Anfänge des deutschen Parlamentarismus, in: Ritter et al., Faktoren der politischen Entscheidung, 1963, 184 (228 f.). 176 So zumindest Langewiesche, a. a. O., (333), in dessen Interpretation die vielen Spaltungen somit gerade nicht Symptom eines Honoratiorenparlamentes waren. Ausführlich zur Praxis des Fraktionszwanges Kramer, a. a. O., S. 99 ff.; zurückhaltender Huber, a. a. O., S. 613. 177 Vgl. Kramer, a. a. O., S. 178 ff. 172

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Obgleich die Fraktionen keine formalisierte Berücksichtigung in der Geschäftsordnung der Nationalversammlung fanden, sind die parlamentarischen Abläufe der Paulskirche nur in Anerkennung ihrer Existenz und Bedeutung verständlich.178 Sie prägten die Praxis der Verhandlungen und Entscheidungen und banden die ursprünglich unabhängigen Honoratioren in ein Korsett gruppenbezogener Disziplin. Wenngleich sie aufgrund ihrer Unbeständigkeit nur eingeschränkt mit Fraktionen moderner Prägung verglichen werden können, ist kaum zu übersehen, dass der Umfang der von ihnen de facto wahrgenommen Aufgaben zumindest in Grundzügen schon alle Elemente enthielt, die ihren Nachfolgern im Parlamentarismus der Gegenwart ganz selbstverständlich zufallen: Organisation eines arbeitsfähigen Parlamentes, Wahl des Reichsverwesers (als Vorsteher der provisorischen Zentralgewalt) und Kontrolle der Regierung, Anlaufstelle für außerparlamentarische Interessensgruppen und meinungsbildende Öffentlichkeitsarbeit.179 So wie sich in der Nationalversammlung gleichgesinnte Abgeordnete zu Gruppen zusammenschlossen und sich programmatisch und organisatorisch aneinander banden, sorgten die Revolutionsereignisse auch außerhalb des Parlamentes für eine rasche Politisierung der Gesellschaft, die sich in einer ungeheuren Vielzahl von Vereinsgründungen widerspiegelte. Das vormärzliche Vereinswesen wuchs nunmehr vollkommen unverblümt in den politischen Bereich hinein und übernahm dabei zwei wesentliche Aufgaben: Zum einen dienten die Vereine in den politischen Umbrüchen der Jahre 1848/49 dazu, die Bevölkerung zu mobilisieren und so zugleich deren Meinungsbildung zu organisieren und kanalisieren. Andererseits erforderten die neu erworbenen Rechte eine politische Schulung der in dieser Beziehung noch unerfahrenen Staatsbürger.180 Die Organisationsquote der deutschen Bevölkerung schnellte in bislang ungeahnte Höhen. Wenngleich genaue Zahlen nicht vorliegen, ist davon auszugehen, dass auf dem Höhepunkt der Ereignisse weit über eine halbe Millionen Menschen in einem politischen Verein organisiert waren. Hans Fenske mutmaßt, dass etwa jeder zwölfte männliche Erwachsene Mitglied einer solchen Organisation gewesen sein mag, was einer Zahl von nahezu 800.000 Menschen entspräche.181 Eine Verfestigung der Organisationsstruktur ging mit dem raschen Ansteigen der Mitgliedszahlen allerdings nicht einher. Trotz gleicher politischer Gesinnung blieben die Vereinigungen regelmäßig lokaler Natur. Wenngleich ein Austausch zwischen den einzelnen Ortsvereinen stattfand, gelang es nur unzureichend, diese in ein organisatorisches, zentralisiertes Gesamtgefüge einzugliedern. Eine hierarchisch ausgeprägte Struktur, die sich etwa nach nationaler und regionaler Ebene gliederte und der jeweils ver178 Zu Versuchen, die Fraktionen in die Geschäftsordnung aufzunehmen: Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus, 1977, S. 437 ff.; Ziebura, a. a. O., (199 f.). 179 Langewiesche, a. a. O., 324 (338 f.). 180 Ebd., (340). 181 Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 77 f., der dieser Berechnung knapp 9,5 Millionen männliche Einwohner ab dem 22. Lebensjahr auf dem Gebiet des späteren Deutschen Reiches (ohne Elsass-Lothringen) zugrunde legt.

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antwortlichen Gremien vorstanden, besteht während der Revolutionsjahre lediglich in rudimentären Ansätzen.182 Ungeachtet der mangelnden organisatorischen Verfestigung lassen sich aber nach den politischen Inhalten unübersehbar fünf Obergruppen politischer Vereinigungen ausmachen: Die radikal gesinnten demokratischen Vereine und Volksvereine, die liberalen konstitutionellen Vereine und Vaterlandsvereine, konservativ geprägte patriotische und Preußen-Vereine, die dem katholischen Lager zugehörigen Pius-Vereine und schließlich auch Arbeitervereine.183 Zu vernachlässigen sind an dieser Stelle die beiden letztgenannten Vereinsformen, die als rein außerparlamentarische Organisationen kein konkretes Pendant unter den Fraktionen der Nationalversammlung aufweisen.184 Zwar ging aus dem Berliner Arbeiterkongress im August/September 1848 tatsächlich eine zentrale Organisation, die „Arbeiterverbrüderung“, mit Sitz in Leipzig hervor, der sich bis zum Frühjahr 1849 bereits 170 lokale Arbeitervereine mit über 15.000 darin organisierten Arbeitern angeschlossen hatten und die unter dem Namen „Die Verbrüderung“ eine eigene Zeitschrift herausgab.185 Indes blieben die einzelnen Ortsvereine organisatorisch unabhängig und programmatisch heterogen, so dass die „Arbeiterverbrüderung“ letztendlich vor allem Züge einer Gewerkschaft hatte.186 Versuche des weiter oben schon genannten Bundes der Kommunisten, die Arbeitervereine sozialrevolutionär zu beeinflussen, scheiterten an deren vielfach noch durch Handwerker und Gesellen geprägten Charakter.187 Auch die katholische Pius-Vereinsbewegung soll hier im Weiteren nicht im Mittelpunkt stehen, wenngleich sie bereits im Oktober 1848 eine stattliche Anzahl von 400 Vereinen mit 100.000 Mitgliedern vorweisen konnte und mit einer Vielzahl an Petitionen auch organisiert auf die Nationalversammlung Einfluss zu nehmen suchte.188 Sie muss allerdings aus dem politischen Vereinswesen insofern als Besonderheit herausgehoben werden, als ihr politisches Anliegen sich vornehmlich auf das Verhältnis von Staat und Kirche verengte. Or182

Langewiesche, a. a. O., (345). Mommsen, Die ungewollte Revolution, 1998, S. 150 f.; ebenso Siemann, Die deutsche Revolution, 1985, S. 93 f. Anders Langewiesche, Die Anfänge der deutschen Parteien, in: GG 1978, 324 (359 f.), der die konservativen Vereine nicht aufzählt. Dies ist umso unverständlicher, als er in einem späteren Beitrag die Organisationsform des politischen Vereins auch für konservative Kreise anerkennt; vgl. ders., Vereins- und Parteibildung 1848/49, in: Dann, Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft, 1984, 51 (52). 184 Allerdings gab es mit dem „Katholischen Klub“ eine interfraktionelle, konfessionelle Vereinigung in der Paulskirche; vgl Tormin, Geschichte der deutschen Parteien seit 1848, 31968, S. 43. 185 Siemann, a. a. O., S. 95; Mommsen, a. a. O., S. 159 f. Andere Zahlen von 12.000 bzw. 10.000 Mitgliedern nennen Fenske, a. a. O., S. 73 und Lösche, Kleine Geschichte der deutschen Parteien, 21994, S. 37. 186 Langewiesche, a. a. O., (345 f.); zum Gewerkschaftscharakter der „Arbeiterverbrüderung“ vgl. Fenske, a. a. O., S. 72 und Tormin, a. a. O., S. 42. 187 Mommsen, a. a. O., S. 159. 188 Huber, Verfassungsgeschichte II, 31988, S. 686 f., der die Pius-Bewegung als erste auf der Vereinsfreiheit beruhende politische Massenorganisation in Deutschland qualifiziert. 183

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ganisatorische Unzulänglichkeiten konnten durch den identitätsstiftenden gemeinsamen Glauben und den Rückgriff auf die kirchliche Organisation kompensiert werden.189 Nur langsam lief indes die vereinsmäßige Organisierung bei den konservativen Kreisen an, die mit den plötzlichen Umwälzungen des Frühjahrs 1848 zunächst überfordert schienen und deren Bemühungen somit vor allem als Reaktion auf die Ereignisse zu verstehen sind. Zunächst wurde mit der Neuen Preußischen Zeitung („Kreuzzeitung“) ein zentrales Presseorgan geschaffen; eine konservative Vereinsbildung folgte erst im weiteren Verlauf.190 Hatten sich zahlreiche Konservative anfangs noch in den liberal gesinnten konstitutionellen Vereinen organisiert, fanden sie schließlich mit dem „Patriotischen Verein“ eine eigene Organisationsform. Der Berliner Verein bemühte sich dabei, eine Rolle als Zentralverein einzunehmen und andere lokale Zusammenschlüsse als Zweigvereine in ein größeres Netzwerk einzubinden, um so eine breitere Wirkung erzielen zu können.191 Ähnlich verlief die Entwicklung bei einem zweiten konservativen Vereinstypus, dem „Preußischen Verein“, der ebenfalls von Berlin aus die Gründung von Filialvereinen voranzutreiben suchte.192 Als Sammlungsversuch für die so in Preußen zahlreich entstandenen konservativen Vereine wurde im Juli in Nauen der „Verein für König und Vaterland“ ins Leben gerufen. Auch wenn bald eine stärkere Koordination vereinbart wurde, konnte eine Harmonisierung der konservativen Vereinsbewegung aufgrund der inhaltlichen Diskrepanzen zu den patriotischen und preußischen Vereinen nur bedingt erfolgreich sein.193 Letztlich kam es aber mit dem weiteren Revolutionsverlauf im März 1849 zu einer echten Sammlungsbewegung des Konservatismus, dem „Treubund für König und Vaterland“, dessen Organisation jedoch stark am Vorbild der Freimaurer ausgerichtet erscheint. Auch wenn der Treubund in rascher Folge zahlreiche Filialvereine zu konstituieren vermochte und allein in Berlin rund 10.000 Mitglieder zählte, gelang es ebenfalls ihm nicht, eine organisatorische Einheit aller konservativen Vereine zu verwirklichen.194 Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass im Sommer 1849 in Preußen rund 300 Vereine mit wohl 60.000

189 Langewiesche, a. a. O., (347 f.), der zudem betont, das den Pius-Vereinen mit dem 1848 erstmals organisierten Katholikentag ein einzigartiges nationales Forum zur Verfügung stand. 190 Mommsen, a. a. O., S. 161 f. 191 Ausführlich zur Entstehung des konservativen Vereinswesens in Preußen Schwentker, Konservative Vereine, 1988, S. 72 ff.; zu den Organisationsbemühungen der „Patriotischen Vereine“ insbesondere S. 77 f. 192 Ebd., S. 81 ff. 193 Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 68 f. Ausführlich Schwentker, a. a. O., S. 87 ff. und 113 ff. Daneben bestand mit dem „Verein zu Wahrung der Rechte des Großgrundbesitzes und zur Aufrechterhaltung des Wohlstands aller Volksklassen“ eine politische Organisation, die aber eher Züge einer Interessensvertretung des adligen Großgrundbesitzes darstellte; vgl. etwa Mommsen, a. a. O., S. 164. 194 Siemann, Die deutsche Revolution, 1985, S. 111 f.; Schwentker, a. a. O., S. 280 ff.

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Mitgliedern existierten, wenngleich die Mitgliederzahl im weiteren Jahresverlauf schon bald wieder abgenommen haben dürfte.195 Auch die liberale Vereinsbildung begann vergleichsweise zögerlich und ebenfalls als geradezu widerwillige Reaktion auf die weiter unten noch näher zu betrachtenden Organisationsbemühungen auf demokratischer bzw. radikaler Seite. Die zahlenmäßig starke Repräsentanz des Liberalismus in der Paulskirche schien keine Notwendigkeit zur Ausbildung einer außerparlamentarischen politischen Organisation zu geben, zumal das liberale Grundverständnis von verfassungsmäßiger Ordnung und legitimierter Volksvertretung solchen außerparlamentarischen Organisationsformen ohnehin mit Skepsis begegnete.196 Gerade die Bewahrung der verfassungsgebenden Nationalversammlung veranlasste das liberale Bürgertum letztlich aber dazu, sich in konstitutionellen Vereinen und Vaterlandsvereinen197 zusammenzufinden, so dass die ursprüngliche Einheit liberal-demokratischer Vereine schließlich über die Auseinandersetzung um die Frage nach Republik oder konstitutioneller Monarchie zerfiel.198 Im November 1848 kamen Vertreter der mittlerweile zahlreich entstandenen konstitutionell-liberalen Vereine in Kassel zu einem Kongress zusammen, wo sie sich mit dem „Nationalen Verein“ eine zentrale Organisation gaben. Der gastgebende Kasseler Verein wurde mit den Verwaltungsaufgaben betraut.199 Eine darüber hinausgehende politisch-inhaltliche Leitungsaufgabe war der Zentralstelle nicht zugedacht. Die Mitgliedsvereine wollten in dieser Hinsicht ihre Unabhängigkeit wahren.200 Zahlreiche Vereine schlossen sich dem „Nationalen Verein“ an; zu seinem Höhepunkt dürfte er an die 160 Mitgliedsvereine gezählt haben.201 Unzweifelhaft waren es aber die Organisationsbemühungen der Radikaldemokraten, die sich als Katalysator der Ausbildung einer politischen Vereinsbewegung in den Revolutionsjahren auswirkten. Von der Offenbacher Volksversammlung im März ausgehend, spann sich schon bald ein dichtes Netz demokratischer Vereine vom Südwesten in ganz Deutschland aus. Bereits Mitte Juni kamen Vertreter gleichgesinnter Vereinigungen in Frankfurt am Main zum ersten Demokratenkongress zu195

Vgl. Fenske, a. a. O., S. 70; Schwentker, a. a. O., S. 321 f. Langewiesche, Die Anfänge der deutschen Parteien, in: GG 1978, 324 (353 f.); Tormin, Geschichte der deutschen Parteien seit 1848, 31968, S. 33. 197 Andere gängige Bezeichnungen waren konstitutionell-monarchischer Verein, nationaler oder Deutscher Verein und Bürgerverein; Siemann, a. a. O., S. 104. 198 Langewiesche, a. a. O., (341). 199 Boldt, Die Anfänge des deutschen Parteiwesens, 1971, S. 38, 95. Zum Kasseler Kongress und zur Gründung des Nationalen Vereins Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus, 1977, S. 389 ff. Ungemein ausführlich und detailreich bei Gebhardt, Revolution und liberale Bewegung, 1974, S. 71 ff. 200 Gebhardt, a. a. O., S. 101. 201 So Siemann, a. a. O., S. 105 und Fenske, a. a. O., S. 67. Etwas geringfügigere Zahlen bei Mommsen, Die ungewollte Revolution, 1998, S. 156 und Langewiesche, a. a. O., (354). Zur Ausbreitung des Nationalen Vereins insgesamt Gebhardt, a. a. O., S. 92 ff. 196

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sammen.202 Nachdem zuvor ein im April gegründetes demokratisches Zentralkomitee bereits auf die Wahlen zur Nationalversammlung Einfluss zu nehmen gesucht hatte, wurde nunmehr auf dem Frankfurter Kongress ein Zentralausschuss mit Sitz in Berlin ins Leben gerufen.203 Im Vergleich zum liberal-konstitutionellen Verständnis äußerte sich die von demokratischer Seite den politischen Vereinen zugedachte Bedeutung in der Tatsache, dass auf dem Kongress nicht nur Vereinsvertreter, sondern auch Abgeordnete der Paulskirchen-Linken auf dieser Versammlung zusammenkamen und der Kongress somit „seinem politischen Anspruch nach ein demokratisch-republikanisches Gegenparlament“ darstellte.204 Noch deutlicher sollte sich der zweite Kongress der Demokraten Ende Oktober gegen die Nationalversammlung stellen, zu deren Sturz der Zentralausschuss inzwischen aufgerufen hatte. Vertreter von 260 Vereinen fanden sich dazu in Berlin ein. Stärker als bei der ersten Zusammenkunft in Frankfurt zeigte sich nunmehr die inhaltliche Heterogenität der demokratischen Vereine, die über das Bekenntnis zur Republik und zu allgemeinen Menschenrechten hinaus kaum einen programmatischen Konsens erreichen mochten.205 Der Gegenwind der Reaktion übertönte schon bald die revolutionären Töne und lähmte die radikal-demokratischen Bewegung.206 Die Entwicklungen im Herbst 1848 brachten eine weitere Vereinsgründung mit sich, die insofern besonders heraussticht, als sie aus der Frankfurter Paulskirche heraus initiiert worden war. Zur Verteidigung der „Märzerrungenschaften“ und zur Rettung des in Gefahr geratenen Verfassungswerkes gingen die Mitglieder der Fraktionen „Donnersberg“, „Deutscher Hof“ und der linke Flügel der „Westendhall“ im November einen Zusammenschluss im „Zentralmärzverein“ ein. Es war das Bestreben dieser Demokraten, einen Schulterschluss mit den Liberalen zu erreichen und durch eine Stärkung der außerparlamentarischen Aktivität die aufstrebende Reaktion einzudämmen.207 Da somit Anhänger der Republik wie der konstitutionellen Monarchie angesprochen und integriert werden sollte, musste die Frage nach der künftigen Staatsform (die ja gerade zur Heterogenität des liberal-demokratischen Vereinswesens, aber auch zur Fraktionsbildung geführt hatte) außen vor bleiben und die Vollendung der Verfassungsbemühungen als einigendes Element in den Mittelpunkt gestellt werden. Dieser Kompromiss misslang jedoch, weil die entschiedenen Linken wie die konstitutionellen Liberalen ihre Gefolgschaft versagten.208 202

Vgl. Fenske, a. a. O., S. 64. Vgl. Siemann, a. a. O., S. 101, der den Zentralausschuss als „erste Parteizentrale Deutschlands“ bezeichnet. Zu dessen Wirkungsweise Paschen, Demokratische Vereine, 1977, S. 56 ff. 204 Huber, Verfassungsgeschichte II, 31988, S. 687. 205 Ebd., S. 705 ff. 206 Vgl. Mommsen, a. a. O., S. 155. 207 Vgl. Fenske, a. a. O., S. 65; Mommsen, a. a. O., S. 156; Siemann, a. a. O., S. 103. Zur Gründung des Zentralmärzvereines ausführlicher Kramer, Fraktionsbindungen, 1968, S. 108 ff. 208 Langewiesche, Die Anfänge der deutschen Parteien, in: GG 1978, 324 (351); Mommsen, a. a. O., S. 156 ff. 203

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Dennoch gelang es dem Zentralmärzverein, sich zu einer eindrucksvollen Massenbasis zu entwickeln, der sich rund 950 Vereine demokratischer Gesinnung mit rund 500.000 Mitgliedern anschlossen.209 So ist also in den Revolutionsjahren ein deutlich nach „Parteirichtungen“ ausdifferenziertes politisches Vereinswesen auszumachen, dem es gelungen war, einen beachtlichen Teil der Bevölkerung für sich zu mobilisieren. Das zieht die Frage nach sich, wie stark die Organisationsformen bereits ausgebildet waren und inwieweit sie sich voneinander unterschieden. Hierzu hat Werner Boldt in einer vergleichenden Studie der konstitutionellen und demokratischen Vereine wie des Zentralmärzvereines herausgearbeitet, dass die Satzungen an sich im Wesentlichen sehr ähnlich waren und an das Vorbild der vormärzlichen Assoziationen anknüpften. Konstitutiv waren für die Vereinigungen somit die Leitung durch einen Vorstand, die Finanzierung durch Beitragszahlungen und auf dem Mehrheitsprinzip beruhende Abstimmungen als Element der vereinsinternen Demokratie. Die Mitgliedschaft in den Vereinen wurde exklusiver, je deutlicher sich das politische Vereinswesen ausdifferenzierte.210 So deutet Hans Fenske die hohen Aufnahme- und Mitgliedsbeiträge bei liberalen Vereinen als Indiz dafür, dass damit eine demokratische Unterwanderung verhindert werden sollte.211 Soweit ein (stets nie voll verwirklichter) hierarchischer Aufbau angestrebt wurde, boten sich nach Boldt zwei Grundprinzipien an, die aber auch in Mischformen auftraten. Zum einen gab es die Ausrichtung am staatlichen Verwaltungsaufbau, etwa bei den republikanisch gesinnten Demokraten in Baden oder anfänglich auch bei den Vaterlandsvereinen in Württemberg, wobei die Rangordnung der lokalen Vereine dem Ort des jeweiligen Verwaltungssitzes folgte. Bei der anderen Aufbauform stand ein durch Wahl bestimmtes Zentralorgan über den an sich gleichberechtigten lokalen Vereinen, etwa der Zentralausschuss der demokratischen Vereine (die zudem als mittlere Ebene auch Kreisausschüsse wählten) oder der Nationale Verein der konstitutionellen Liberalen, bei dem die Zentralfunktion allerdings durch den Kasseler Ortsverein übernommen wurde. Dieser Aufbau war weniger hierarchisch, die zentrale Stelle übernahm hauptsächlich die Funktion eines Korrespondenzbüros.212 Aus diesem Muster heraus fällt indes der Zentralmärzverein, der sich als Dachorganisation exklusiv aus Abgeordneten der Paulskirche zusammensetzte.213 So wählten seine Zweigvereine auf Landes- bzw. Provinzialebene zwar Zentralausschüsse; eine 209

Fenske, a. a. O., S. 66. Zu den Vereinen, die sich dem Zentralmärzverein anschlossen Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus, 1977, S. 402 ff. 210 Boldt, Die Anfänge des deutschen Parteiwesens, 1971, S. 90. Auch die konservativen Vereine folgten satzungsmäßig diesen organisatorischen Grundprinzipen; vgl. Schwentker, Konservative Vereine, 1988, S. 150 ff. Ausführlich zur Organisationsform demokratischer Vereine Paschen, Demokratische Vereine, 1977, S. 40 ff. 211 Fenske, a. a. O., S. 66. 212 Boldt, a. a. O., S. 91 ff. 213 Und zwar nur aus Abgeordneten, die einem Klub angehörten; so Kramer, Fraktionsbindungen, 1968, S. 109 m. w. N.

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Kontrolle der Dachorganisation durch die Zweigvereine war aber nicht vorgesehen, sondern vielmehr eine Steuerung von oben.214 Hinsichtlich der konservativen patriotischen und preußischen Vereine ist bereits das Prinzip des Berliner Zentralvereines weiter oben beschrieben worden, wobei die Anbindung der Zweigvereine an die Zentrale bei den erstgenannten Vereinen besser gelang.215 Nachdem nunmehr also die Fraktionen der Paulskirche wie die außerparlamentarische politische Vereinsbewegung der Jahre 1848/49 näher betrachtet worden sind, soll schließlich das Verhältnis der beiden zueinander untersucht werden. Es dürfte aus den vorherigen Ausführungen hervorgegangen sein, dass eine wirkliche Parallelität zwischen beiden nicht bestand. Arbeiterbewegung wie politischer Katholizismus fanden kein eigenes Pendant unter den Fraktionen der Nationalversammlung. Zudem zeigte sich das Fraktionswesen dem Vereinswesen gegenüber insgesamt organisatorisch vielfältiger. Der gemäßigten Linken wie der gemäßigten Rechten bot sich daher eine Mehrzahl an möglichen Fraktionen an. Die dazwischen stehenden Linksliberalen waren somit zwar Bindeglied zwischen demokratischen und konstitutionell-liberalen Kräften, blieben aber ohne wirkliche Entsprechung im Vereinswesen.216 Inwiefern es zu Wechselwirkungen und Verflechtungen zwischen Vereinen und Fraktionen, zu Einwirkungen in die eine oder andere Richtung kam, hing von der Disposition des jeweiligen politischen Lagers ab. Die Bereitschaft, die Rolle einer außerparlamentarischen Opposition einzunehmen, fand man hier am ehesten auf radikal-demokratischer Seite.217 Eine wirkliche institutionelle Verbindung zwischen Vereinswesen und Parlament erfolgt in den Revolutionsjahren indes nicht, zumal bereits ein politisch differenziertes Vereinswesen an sich dem liberalen gesamtgesellschaftlichen Vertretungsanspruch (und zwar durch die dazu berufene Nationalversammlung) widersprach.218 Umso mehr musste dem liberalen Bürgertum folglich eine organisatorische Verflechtung von Fraktion und Verein missfallen, für die sich letztlich allein demokratische Kreise offen zeigten. In Grundzügen realisierte sich ein solcher Verbund im Zentralmärzverein, wobei es sich aber auch bei diesem lediglich um die Verbindung demokratischer Vereine mit mehreren Fraktionen und nicht mit einer einzelnen parlamentarischen Gruppe handelte.219

214

Boldt, a. a. O., S. 97. Schwentker, a. a. O., S. 151. 216 Insgesamt hierzu Langewiesche, Die Anfänge der deutschen Parteien, in: GG 1978, 324 (355 ff.); Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 78. 217 Ausführlich hierzu Boldt, a. a. O., S. 31 ff. Die Bemühungen des konstitutionell-liberalen Lagers gingen indes ausschließlich dahin, das Parlament zu unterstützen; vgl. Gebhardt, Revolution und liberale Bewegung, 1974, S. 106 ff. 218 Vgl. Hardtwig, Politische Gesellschaft und Verein, in: Birtsch, Grund- und Freiheitsrechte, 1981, 336 (356 ff.); Mommsen, Die ungewollte Revolution, 1998, S. 149. 219 Langewiesche, a. a. O., (354 f.). Zu den Vorbehalten in konstitutionell-liberalen Kreisen Gebhardt, a. a. O., S. 116 ff. Auch im demokratischen Lager wurde eine Verbindung von Or215

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Wenn nun Theodor Schieder behauptet, dass „Parteien“ in den Revolutionsjahren alleine in der Paulskirche anzutreffen waren, so mag dieser Befund hinsichtlich der bedeutenden politischen Rolle der Fraktionen im Gefüge der verfassungsgebenden Nationalversammlung seine Richtigkeit haben. Letztlich blieb es auch dem einzelnen, insofern weitestgehend ungebundenen Abgeordneten überlassen, sich der einen oder anderen Fraktion anzuschließen.220 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass sich schon 1848/49 ein politisches Vereinswesen vorfindet, das sich außerhalb des Parlamentes und von dessen Fraktionen unabhängig entwickelte.221 Fraktion und Vereinswesen treten zu diesem Zeitpunkt der Entwicklung also nebeneinander auf und müssen folglich gleichermaßen als Wurzeln moderner Parteien in Betracht gezogen werden222 : die eine parlamentarischen, die andere außerparlamentarischen Typs.223 Es bleibt der weiteren Untersuchung vorbehalten, wie sich deren Verhältnis zueinander weiter entwickelte und ob der Schwerpunkt der werdenden Partei modernen Verständnisses eher innerhalb oder außerhalb des Parlamentes zu finden ist. Inwieweit diese Parteibildung „von der Fraktion aus[ging], die sich dabei der Vereine bediente“224, oder vielmehr eine Gleichwertigkeit beider Typen in der Grundkonstruktion unserer heutigen Parteien angelegt sein wird, lässt sich an dieser Stelle noch keineswegs beurteilen.225

d) Frühe Programmatik Ein letzter Blick in die Ära der Paulskirche gilt den programmatischen Konzeptionen. Es sollen dabei weniger die Inhalte als solche, sondern vielmehr der Grad und das Ausmaß, zu dem bereits eine inhaltliche Positionierung erfolgt war, im Mittelpunkt des Interesses stehen. Hierin liegt das richtige Kriterium, um die Ernsthaftigkeit der Zielsetzung und die Beteiligung an der politischen Willensbildung zu ergründen. Eine inhaltliche Überprüfung darf allenfalls dahingehend erfolgen, ob die programmatisch niedergelegten Ziele überhaupt noch seriöser, poli-

ganisation und Fraktion aber mit der Sorge betrachtet, von der jeweils anderen Seite zu sehr dominiert zu werden; Paschen, Demokratische Vereine, 1977, S. 79. 220 Schieder, Grundlagen und Epochen des deutschen Parteiwesens, in: ders., Staat und Gesellschaft im Wandel unserer Zeit, 21970, 133 (151). 221 Langewiesche, a. a. O., (355), der in diesem Zusammenhang die besondere Rolle der Demokraten bei der Vereins- wie der Fraktionsbildung betont. Unter Hinweis auf die fortgeschrittene demokratische Vereinsorganisation so auch Paschen, a. a. O., S. 36. 222 Anders aber Wettengel, der eine moderne politische Partei bereits im Zentralmärzverein realisiert sieht; vgl. ders., Der Centralmärzverein, in: JbzLF 1991, 34 (46). 223 Vgl. allgemein zur Parteibildung innerhalb und außerhalb der Parlamente auch Duverger, Die politischen Parteien, 1959, S. 2 ff., 8 ff. 224 Boldt, Die Anfänge des deutschen Parteiwesens, 1971, S. 47. 225 Vgl. hierzu die sehr eingängigen Ausführungen von Schwentker, Konservative Vereine, 1988, S. 27.

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tischer Natur sind.226 Den Erkenntnissen der bisherigen Untersuchung folgend, ist auch bei der Programmatik eine Unterteilung in den parlamentarischen und den außerparlamentarischen Bereich vorzunehmen. Gemeinsame programmatische Entwürfe von Fraktionen und Vereinen würden bereits denklogisch eine vertiefte Zusammenarbeit oder organisatorische Verschränkung beider voraussetzen, an der es aber gerade in den Revolutionsjahren noch mangelte. Es ist schon weiter oben zur Sprache gekommen, dass den zahlreichen Umbrüchen im Fraktionssystem der Paulskirche und der damit einhergehenden Mobilität der Abgeordneten entnommen werden kann, dass der verbindende Faktor der einzelnen Fraktionen wohl eher im organisatorischen als im programmatischen Bereich anzusiedeln ist, zumindest aber keine tiefgreifende programmatische Abgrenzung zwischen benachbarten Fraktionen bestand.227 Bei Betrachtung der Herbstprogramme der Fraktionen aus dem September und Oktober 1848 scheint die gemeinsame inhaltliche Basis der Fraktionsmitglieder tatsächlich auf äußerst knapp formulierte, grundsätzliche Leitprinzipien beschränkt. So gehen etwa die derart niedergelegten Forderungen der Fraktionen „Milano“, „Kasino“ und „Württemberger Hof“ kaum über Schlagworte zur Rolle der Nationalversammlung, zur Verfassungsfrage oder zur staatlichen Einheit Deutschlands hinaus.228 Werner Boldt hat diese programmatische Nivellierung durch politische Allgemeinplätze den Entwicklungen im Spätsommer (Vertrag von Malmö, Septemberaufstand) zugerechnet und die seiner Ansicht nach zu wenig beachteten Frühjahrsprogramme in den Vordergrund gestellt, die in der Tat schon dem Umfang nach die Herbstprogramme mehrheitlich überragen. Er attestiert diesen Programmen aber auch einen präziseren Inhalt, der für die Parteibildung in der Nationalversammlung und deren Trennung in ein parlamentarisch-demokratisches und ein konstitutionelles Lager ungemein bedeutender gewesen sei.229 Inwiefern sie auch zur politischen Willensbildung außerhalb des Parlamentes beigetragen haben, lässt sich kaum bestimmen. Immerhin wurden die Frühjahrsprogramme in der Presse veröffentlicht und müssen somit Resonanz gefunden haben.230 Auch außerhalb der Nationalversammlung und bereits in deren Vorfeld ist eine politische Programmatik anzutreffen, mit der sich das politische Vereinswesen seinerseits öffentlich zu positionieren suchte. Dies trifft auch auf die nicht mit einer eigenen Fraktion in der Paulskirche vertretenen Gruppen des politischen Katholi226

Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum GG II, Art. 21, Rn. 68 mit der treffenden Begründung, dass eine inhaltliche Kontrolle einem Lizenzierungssystem für politische Parteien entspräche. 227 Vgl. Kapitel III. 3. c). 228 Vgl. Salomon, Deutsche Parteiprogramme, 41932, S. 76 ff. 229 Insgesamt hierzu und ausführlich Boldt, a. a. O., S. 53 ff. einschließlich einer umfassenden Dokumentation, S. 163 ff. 230 So meint Boldt belegen zu können, dass der Begriff der Volkssouveränität erst nach der Veröffentlichung des Programmes der Paulskirchen-Linken Eingang in die politischen Vorstellungen der württembergischen Demokraten gefunden hat; ebd., S. 54.

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zismus und der Arbeiterbewegung zu.231 Ebenso mühten sich die konservativen Vereine um Meinungsbildung und legten inhaltliche Vorstellungen in ihren Vereinsstatuten nieder oder publizierten zu konkreten politischen Sachverhalten. Eine konsistente oder umfassende Programmatik, die in ihrer Konzeption etwa auch über die Bewahrung des Bestehenden hinausging, wurde aber nicht entwickelt. Insofern blieb sie hinter den Programmen demokratischer und liberaler Vereine zurück.232 Doch auch deren Aussagekraft ist eher schwach; insbesondere im Vergleich zu den entsprechenden Fraktionsprogrammen der Paulskirche.233 So bringt das auf wenige Sätze beschränkte Programm des „Nationalen Vereins“ im Wesentlichen nur zum Ausdruck, die Nationalversammlung unterstützen und schützen zu wollen.234 Das im Umfang ebenso überschaubare Programm des Zentralmärzvereins belässt es ebenfalls bei Allgemeinplätzen zur Einheit Deutschlands, zur Freiheit der Nation oder zur Verfassungsfrage.235

4. Von der Paulskirche zur Reichsgründung Mit dem Ende der Nationalversammlung schwinden nicht allein die Fraktionen der Paulskirche. Auch das außerparlamentarische Vereinswesen im Lande kommt nahezu vollständig zum Erliegen. Einzig in den Landtagen bleibt es bei politischen Zusammenschlüssen und das Fraktionswesen somit zunächst eines „der wenigen politischen Ergebnisse der Revolution“.236 Gleich einer Zäsur in der deutschen Parteiengeschichte legt sich die nunmehr folgende Dekade der Reaktion zwischen die politisch so agilen Revolutionsjahre und den reformfreudigeren Zeitgeist der Neuen Ära, die mit dem Jahre 1858 in Preußen einsetzt. So stehen die 1850er Jahre im Zeichen einer „zweiten Restauration“, wie es Hans-Ulrich Wehler bezeichnet hat, in der auch der Mantel eines konservativ-liberalen „Scheinkonstitutionalismus“ kaum verbergen kann, mit welcher Vehemenz die erkämpften politischen Freiheiten wieder beseitigt werden sollen.237 Erst mit der Gründung des Norddeutschen Bundes und der Einführung des Reichstages 1866/67 gibt es in Deutschland wieder ein gewähltes Parlament, in dem sich Abgeordnete mehrerer deutscher Einzelstaaten versammeln. Und so steht die Geschichte an der Schwelle zum Neubeginn politischer Organisation in Deutschland, deren weitere Entwicklung nunmehr aber von Dauer sein wird. 231 Etwa das „Programm des Wahlkomitees der Katholiken“ oder die „Forderungen der Kommunistischen Partei in Deutschland“; abgedruckt bei Salomon, Deutsche Parteiprogramme, 41932, S. 94, 97. 232 Schwentker, Konservative Vereine, 1988, S. 145, 150. 233 Boldt, a. a. O., S. 73. 234 Programm des Allgemeinen national Verein; abgedruckt bei ebd., S. 107 (Dok. 9). 235 Programm des Märzvereins; abgedruckt bei ebd., S. 114 (Dok. 17). 236 Tormin, Geschichte der deutschen Parteien seit 1848, 31968, S. 46. 237 Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte III, 1995, S. 197 ff.

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a) Vereinsrecht des Bundes und der Einzelstaaten Mit dem Ende der Revolution wird in den deutschen Einzelstaaten die Vereinsfreiheit vielfach in die Verfassungen aufgenommen oder einfachgesetzlich gewährt und weitere vereinsrechtliche Regelungen niedergelegt. Die so getroffenen Bestimmungen fallen im Einzelnen durchaus unterschiedlich aus.238 Schmidt unterscheidet prinzipiell zwischen zwei Regelungsformen: Einerseits im Sinne einer restriktiven Gewährleistung durch die Beschreibung der Bedingungen, unter denen sich ein Verein bilden durfte, andererseits im Sinne einer grundsätzlichen Anerkennung der Vereinsfreiheit unter Beschreibung ihrer Grenzen und Beschränkungen. Gewährt wird jeweils die Gründungsfreiheit; die Freiheit der Betätigung ist dem Wortlaut nach nicht umfasst.239 Wenngleich das Vereinsrecht zunehmend – in Abkehr von unbedingten Verboten und Genehmigungsvorbehalten – repressiven Charakter annahm, waren die Eingriffstatbestände für Verbotsmaßnahmen noch sehr weit gefasst.240 Dennoch mag es so scheinen, dass zumindest die Intention der Paulskirche, die Vereinsfreiheit von vorbeugenden Maßregeln zu befreien, nachgewirkt hat. Nachhaltig überwunden wurde das Präventivsystem aber noch nicht. Verfassungsmäßige Berücksichtigung241 fand die Vereinsfreiheit in Preußen, wo in Art. 30 das Recht gewährt wurde, „sich zu solchen Zwecken, welche den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, in Gesellschaften zu vereinigen.“242 Die konkrete Ausübung des so gewährleisteten Rechts konnte aber zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit durch einfaches Gesetz geregelt werden. Zudem wurde hinsichtlich politischer Vereine ausdrücklich die Ermächtigung zu Beschränkungen und vorübergehenden Verboten im Wege der Gesetzgebung vorbehalten. Von diesem Gesetzesvorbehalt machte der preußische Staat bereits rund anderthalb Monate später Gebrauch.243 Darin geregelt waren besondere Bestimmungen für Vereine, „welche eine Einwirkung auf öffentliche Angelegenheiten bezwecken“, so die Vorlage der Satzung und des Mitgliederverzeichnisses (§ 2). Für Vereine, „welche bezwecken, politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern“, waren zusätzlich noch engere Bestimmungen getroffen. Sie durften keine Frauen, Schüler 238 Anders aber hinsichtlich des einfachgesetzlichen Vereinsrechts Tillmann, Staat und Vereinigungsfreiheit, 1976, S. 37. Dies ist in der Tat zutreffend, soweit es die allgemeinen Regelungen wie Affiliationsverbot, Vorlage von Satzungen und Mitgliedsverzeichnissen oder das Teilnahmeverbot von Minderjährigen betrifft. Die aber hinsichtlich der Vereinsverbote bestehenden Unterschiede betont auch Tillmann; vgl. ebd., S. 43. 239 Schmidt, Die Freiheit verfassungswidriger Parteien und Vereinigungen, 1983, S. 28. 240 Vgl. Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 21998, S. 405. 241 Im Weiteren werden verfassungsmäßige Garantien der Vereinigungsfreiheit aus der Revolutionszeit (so Hannover im September 1848) nicht berücksichtigt. 242 Art. 30 der Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 30. Januar 1850, in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte I, 31978, Nr. 194. 243 „Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Mißbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechtes“ vom 11. März 1850, GS. Königreich Preußen 1850, S. 277.

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oder Lehrlinge als Mitglieder aufnehmen und insbesondere keine Verbindung mit Vereinen anderer Art in Form von Komitees, Ausschüssen oder Zentralorganen eingehen (§ 8). Dieses „Affiliationsverbot“ sollte dazu dienen, politische Organisationen auf die lokale Ebene zu beschränken und der Bildung einer politisch motivierten Massenorganisation entgegenzuwirken.244 Interessanterweise war im Falle eines Vergehens gegen diese Bestimmungen die Schließung eines Vereins bereits dem Richter vorbehalten, dem diesbezüglich Ermessen (bei wiederholtem Verstoß: gebundene Entscheidung) eingeräumt war (§ 8 i. V. m. § 16). Nach denselben Vorschriften war allerdings auch die örtliche Polizeibehörde dazu ermächtigt, einen Verein vorläufig zu schließen. Die Fortdauer einer so verfügten vorläufigen Schließung musste aber immerhin ebenfalls durch ein Gericht bestätigt werden. In Preußen war die Vereinsfreiheit somit dem Wortlaut der Verfassung nach bei strafrechtskonformen Zwecken zwar gewährt, jedoch auf einfachgesetzlicher Ebene durch recht weitgehende Beschränkungen konterkariert.245 Ähnlich der preußischen Verfassung gewährte auch das Staatsgrundgesetz von Sachsen-Coburg-Gotha von 1852 – ebenfalls mit einem Gesetzesvorbehalt für nähere Bestimmungen – das Recht zur Bildung von Vereinen zu Zwecken, „welche den Strafgesetzen oder der Sittlichkeit nicht zuwiderlaufen.“246 Weitergehender erscheint indes die Gewährleistung durch das revidierte Oldenburgische Staatsgrundgesetz aus dem Jahre 1852. Nach dessen Art. 51 soll die Freiheit zur Vereinsbildung „durch keine vorbeugende Maßregel beschränkt werden“ (§ 1).247 Insoweit folgte die Verfassung Oldenburgs dem Wortlaut der Frankfurter Reichsverfassung. Jedoch wird in § 2 zugleich die Befugnis der Staatsgewalt normiert, die Vereinsstatuten einzuziehen und Vereine mit staatsgefährdenden Zwecken aufzulösen. Die so bereits auf Verfassungsebene festgeschriebene Ermächtigung zum Vereinsverbot unterlag dem Vorbehalt näherer Regelung durch die Gesetzgebung. Demgegenüber zeichnete sich die Verfassung der freien Hansestadt Bremen aus dem Jahre 1854 noch durch einen deutlichen Präventivcharakter aus.248 Sie gewährte zwar in § 16 – unter Wahrung eines Gesetzesvorbehaltes für spätere Beschränkungen – grundsätzlich die Vereinsfreiheit, stellte politische Vereinigungen aber im selben Atemzug unter Genehmigungsvorbehalt.

244 Schmidt, a. a. O., S. 29. Zu den Auswirkungen des Affiliationsverbotes auf die deutsche Parteiengeschichte vgl. Kühne, a. a. O., S. 404 f. 245 Zum zeitgenössischen verfassungsrechtlichen Verständnis der Vereinigungsfreiheit in Preußen vgl. Rönne, Das Staatsrecht der preußischen Monarchie I, 1856, § 100. 246 § 46 des Staatsgrundgesetzes für die Herzogthümer Coburg und Gotha vom 3. Mai 1852, in: Zachariä, Deutsche Verfassungsgesetze, 1855, S. 652. 247 Revidiertes Staatsgrundgesetz für das Großherzogthum Oldenburg vom 22. November 1852, in: ebd., S. 900. 248 Verfassung der freien Hansestadt Bremen vom 21. Februar 1854, in: ebd., S. 1187.

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Bereits auf Verfassungsebene wird die Vereinsfreiheit also in unterschiedlicher Ausprägung gewährt: Teils frei von präventiven Restriktionen (Oldenburg)249, teils unter ausdrücklicher Begrenzung des Schutzbereiches hinsichtlich der Konformität mit den Strafgesetzen (Preußen, Sachsen-Coburg-Gotha)250, wonach strafgesetzwidrige Vereine schon dem Tatbestand nach nicht unter die Vereinsfreiheit fallen251, und letztlich auch noch mit dem uns aus dem Vormärz bekannten präventiven Genehmigungsvorbehalt für politische Vereine (Bremen). Gemeinsam ist allen Verfassungen hingegen die Ermächtigung zu polizeirechtlichen Regelungen und mithin zu beschränkenden Maßnahmen.252 Nicht verfassungsrechtlich, aber einfachgesetzlich wurde in Bayern dem Wortlaut nach ein weiter Schutzbereich der Vereinsfreiheit anerkannt.253 Art. 11 des Gesetzes räumte das Recht ein, „Vereine ohne vorgängige Erholung polizeilicher Erlaubniß [sic!] zu bilden“ und brachte so die Abkehr von präventiven Restriktionen zum Ausdruck. Unterschieden wurde auch hier zwischen nicht politischen und politischen Vereinen, die wie in Preußen weder Minderjährige noch Frauen aufnehmen durften (Art. 16) und einem Affiliationsverbot unterworfen wurden (Art. 17). Die Verbotsgründe sind in Art. 19 aufgezählt, wobei in Nr. 5 ein äußerst weiter Auffangtatbestand für Vereine, welche „die religiösen, sittlichen, gesellschaftlichen Grundlagen des Staates zu untergraben drohen“, normiert war. Zur Schließung ermächtigt waren alle Polizeistellen und Behörden. Eine richterliche Bestätigung des Verbotes war nur bei strafrechtlichen Verstößen erforderlich. Auch in Sachsen bedurfte die Vereinsgründung nach § 18 des Vereinsgesetzes zwar keiner Genehmigung; gesetzeswidrige und unsittliche Vereine waren indes bereits dem Gesetz nach verboten (§ 20).254 Die Missachtung des für politische Vereine bestehenden Affiliationsverbotes (§ 24) berechtigte in Sachsen zur Ver249 Auch das Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen gewährte in seiner Verfassung den Schutzbereich umfassend. Während im Verfassungstext vom Dezember 1849 aber ebenfalls analog der Frankfurter Reichsverfassung noch das Verbot vorbeugender Maßregeln ausdrücklich geregelt war (§ 34), entfiel dieser Zusatz durch § 8 des Änderungsgesetzes von 1852 zugunsten eines Gesetzesvorbehaltes; vgl. Verfassungsgesetz (1849) und Änderungsgesetz (1852), in: ebd., S. 983 und S. 1004. 250 Ähnlich übrigens auch in den Verfassungen des Fürstentums Waldeck (1852), § 29: „zu erlaubten Zwecken“, in: ebd., S. 1094, und des Fürstentums Reuß jüngerer Linie (1852), § 15: „für gesetzlich erlaubte Zwecke“, in: ebd., S. 1038. 251 Zum Unterschied zwischen Grundrechtstatbestand und Grundrechtsschranken vgl. Merten, Vereinsfreiheit, in: HStRVII, 32009, § 165, Rn. 73; Papier, Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte, in: HGR III, 2009, § 64, Rn. 8 ff. 252 Allerdings mit der Ausnahme der Verfassung des Herzogtums Anhalt-Bernburg (1850), die in § 10 das Recht zur Vereinsbildung zwar durch die Strafgesetze beschränkt sieht (vgl. Preußen und Sachsen-Cobug-Gotha), aber keinen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt regelt; in: Zachariä, a. a. O., S. 960. 253 „Gesetz, die Versammlungen und Vereine betreffend“ vom 26. Februar 1850, GBl. Königreich Bayern Jahr 1849/50, S. 53. 254 „Gesetz, das Vereins- und Versammlungsrecht betreffend“ vom 22. November 1850, GBl. Königreich Sachsen 1850, S. 264.

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einsauflösung durch die Polizeibehörde (§ 25). Eine richterliche Überprüfung war nicht vorgesehen. Demgegenüber wurde in Baden das Recht zur Bildung von Vereinen a priori nur für strafrechtskonforme Zwecke gewährt (§ 1).255 Verboten werden konnten alle Vereine bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder des öffentlichen Wohls. Es bedurfte hierfür aber eines Beschlusses des Ministeriums des Innern, das auch ein durch die Polizeibehörde ausgesprochenes vorläufiges Verbot bestätigen musste (§ 2).256 Für politische Vereine bestanden in Baden ebenfalls zahlreiche Sonderregelungen, darunter das Affiliationsverbot (§ 6). In § 13 war zudem für politische Vereine eine spezielle Verbotsbefugnis zugunsten der Polizeibehörden geschaffen.257 Verbote aufgrund dieser Ermächtigungsgrundlage bedurften keiner Bestätigung durch das Ministerium. Letztlich finden sich in den Vereinsgesetzen der Einzelstaaten aber auch noch Regelungen mit Präventivcharakter. So etwa verhielt es sich in MecklenburgSchwerin. Dort war existierenden politischen Vereinen zwar ein Bestandsschutz eingeräumt. Ein „nachtheiliger [sic!] Einfluß auf die Ruhe und den inneren Frieden des Landes“ ermächtigte das Innenministerium aber zum Verbot. Die Neugründung politischer Vereine stand demgegenüber fortan unter Genehmigungsvorbehalt derselben Behörde.258 Gänzlich restriktiv waren im Großherzogtum Hessen alle politischen Vereinigungen und Verbindungen unter Strafandrohung verboten. Zugleich war es den Staatsangehörigen versagt, sich an ausländischen politischen Vereinigungen zu beteiligen.259 Wie bei den oben behandelten verfassungsrechtlichen Bestimmungen ist also auch beim einfachgesetzlichen Vereinsrecht zwischen folgenden Regelungsformen zu unterscheiden: - einem zumindest dem Wortlaut nach weitreichend gewährten Schutzbereich (Bayern) mit Beschränkung desselben auf repressiver Ebene, - einem ausdrücklich nur begrenzt gewährleisteten Schutzbereich (Baden), der Vereinsgründungen zu strafgesetzwidrigen Zwecken aus dem Gewährleistungsgehalt bereits tatbestandlich ausnimmt, 255 „Gesetz, das Vereins- und Versammlungsrecht betreffend“ vom 14. Februar 1851, Großherzoglich Badisches RgBl. 1851, S. 143. 256 Auch in Braunschweig lag das Vereinsverbot in der Kompetenz der Landesregierung, welche die Vereinsauflösung durch Verordnung zu verfügen hatte (§ 5). Eine vorläufige Vereinsschließung stand den Kreisdirektionen zu; sie bedurfte aber einer richterlichen Überprüfung (§ 7); vgl. „Gesetz, polizeiliche Maßregeln gegen den Mißbrauch des Vereins- und Versammlungsrechts […] betreffend“ vom 4. Juli 1853, GS. Herzogtum Braunschweig 1853, S. 181. 257 Diese war unter anderem bei Nichtvorlage des Mitgliederverzeichnisses oder der Statuten einschlägig (vgl. § 3 des badischen Vereinsgesetzes). 258 „Verordnung, betreffend Versammlungen und Vereine zu politischen Zwecken“ vom 27. Januar 1851, RgBl. Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin 1851, S. 29. 259 „Verordnung, die politischen Vereine betreffend“ vom 2. Oktober 1850, Großherzoglich Hessisches RgBl. 1850, S. 359.

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- und einem noch präventiv ausgeprägten Vereinsrecht (Mecklenburg-Schwerin, Hessen-Darmstadt), das sich unbedingter Verbote oder Genehmigungsvorbehalte bedient.260 Einen gewissen Sonderfall bietet das sächsische Vereinsrecht, das in § 18 grundsätzlich Vereinsgründungen genehmigungsfrei zulässt, in § 20 aber sodann Vereine mit gesetzeswidrigen wie unsittlichen Zwecken verbietet und somit dem Aufbau des Art. 9 Abs. 1 und 2 GG schon sehr nahe kommt.261 Diese Besonderheit übersieht Kühne, der den § 20 des sächsischen Vereinsgesetzes als Verbotstatbestand den Regelungen des § 2 des badischen und Art. 19 des bayerischen Vereinsgesetzes gleichstellt.262 Während die beiden Letztgenannten aber als Eingriffsermächtigungen ausgestaltet sind, die einer behördlichen Verfügung bedürfen, stellt der sächsische § 20 zumindest seinem Wortlaut nach ein unmittelbares gesetzliches Verbot dar.263 Die Bedeutung dieses Unterschiedes wird deutlicher, wenn wir uns kurz der heutigen Diskussion um die Reichweite der nach dem Grundgesetz gewährten Vereinsfreiheit zuwenden. Nach einer verbreiteten Auffassung garantiert Art. 9 Abs. 1 GG die Bildung eines Vereins als Organisationsform zur Verfolgung beliebiger Zwecke. Auch Vereinsgründungen zu rechtswidrigen oder verbotenen Zwecken sind demnach tatbestandlich nicht ausgeschlossen. Das mit einem derart weiten Gewährleistungsgehalt einhergehende rechtsstaatliche Problem wird nach diesem Verständnis erst auf Schrankenebene gelöst.264 Ein anderer Teil der Lehre und wohl auch 260 Präventiv ausgeprägte Vereinsrechte zeichnen sich also dadurch aus, dass die Vereinsgründung einem unbedingten Verbot oder einer Präventivkontrolle im Genehmigungsverfahren unterliegt. Im Unterschied hierzu ist nach den anderen Vereinsgesetzen die Vereinsgründung (zumindest bei strafgesetzkonformen Zwecken) grundsätzlich zugelassen. Ein Vereinsverbot setzt hier die Erfüllung eines Verbotstatbestandes voraus und wird daher als repressive Maßnahme bezeichnet. Natürlich sind vielerorts diese Verbotstatbestände schon einschlägig, wenn eine Gefährdungslage vorliegt; die Vereinsverbote dienen hier also durchaus auch als Maßnahmen der Gefahrenabwehr (vgl. insofern die Kategorisierung der Vereinsgesetze bei Schultze, Öffentliches Vereinigungsrecht im Kaiserreich, 1973, S. 277). 261 Schmidt, Die Freiheit verfassungswidriger Parteien und Vereinigungen, 1983, S. 28 (dort Fn. 18). § 20 des sächsischen Vereinsgesetzes lautet: „Vereine, in deren Zwecke es liegt, Gesetzübertretungen oder unsittliche Handlungen zu begehen, dazu aufzufordern oder dazu geneigt zu machen, sind verboten.“ Beachte insofern die Ähnlichkeit zu Art. 9 Abs. 2 GG: „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“ 262 Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 21998, S. 405. 263 Für den Art. 9 Abs. 2 GG gilt aber jedenfalls – entgegen seinem Wortlaut – nach nahezu unbestrittener Meinung, dass die Rechtsfolge des Verbotes nicht unmittelbar eintritt. Es bedarf hierfür eines konstitutiven Hoheitsaktes in Form einer konkretisierenden Verfügung; Bauer, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar I, Art. 9, Rn. 54. 264 Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum GG I, Art. 9, Rn. 1, 24 m. w. N. Andernfalls bestünde die Gefahr einer Verengung des grundrechtlichen Schutzbereiches durch den Gesetzgeber; Bauer, a. a. O., Rn. 42. Für einen weiten Schutzbereich und eine Lösung auf Schrankenebene auch Ziekow, Vereinigungsfreiheit, in: HGR IV, 2011, § 107, Rn. 21.

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das Bundesverfassungsgericht gehen hingegen davon aus, dass Art. 9 Abs. 2 GG auf den Gewährleistungsumfang des Absatzes 1 unmittelbar wirkt und den Schutzbereich schon anfänglich begrenzt.265 Überträgt man nun dieses zuletzt genannte verfassungsrechtliche Verständnis auf die Regelungen des sächsischen Vereinsrechtes, so handelt es sich bei dessen § 20 um eine Schutzbereichsbegrenzung, die Vereinsgründungen zu gesetzeswidrigen und unsittlichen Zwecken aus dem Gewährleistungsgehalt der (in § 18 beschriebenen) Vereinsfreiheit bereits (negativ-)tatbestandlich herausnimmt. Folglich wären solche Vereinszwecke schon von Anfang an vom Schutzbereich nicht erfasst.266 Die von Kühne in Betreff genommenen Regelungen des badischen und bayerischen Rechts sind demgegenüber rein repressive Maßnahmen. Auch sie beschränken die gewährten Schutzbereiche, sind aber diesem nicht schon als anfängliche Begrenzungen beigelegt, sondern von außen angefügte Schranken267, die zu ihrer Errichtung noch der rechtskonformen Ausgestaltung bedürfen.268 Dies erfordert in Baden und Bayern die Vornahme eines hoheitlichen Aktes, nämlich den Ausspruch des Verbotes durch die zuständige Stelle.269 Die hiermit vergleichbare Regelung des sächsischen Rechts liegt folgerichtig in der Ermächtigung der Polizeibehörde zur Vereinsauflösung bei Verstoß gegen das Affiliationsverbot (§§ 24, 25). Somit ist auch die sächsische Regelung der Kategorie einer nur (a priori) begrenzt gewährleisteten Vereinsfreiheit zuzuordnen, die insofern etwa der preußischen Verfassung oder dem badischen Vereinsrecht entspricht. Eine dem Wortlaut nach extensive Freiheitsgarantie findet sich demgegenüber in den 1850er Jahren in der Oldenburgischen Verfassung oder im bayerischen Vereinsgesetz, deren Verbotsmöglichkeiten demnach nur als (den Gewährleistungsgehalt verkürzende) Beschränkungen konzipiert wären. Ob damit wirklich eine Zweckoffenheit hinsichtlich des Schutzbereiches intendiert war, scheint allerdings fraglich. Auch hier mag entgegen dem Wortlaut die Vereinsfreiheit im zeitgenössischen staatsrechtlichen Verständnis strafgesetzwidrige Zwecke schon anfänglich nicht umfasst haben.270 265

Merten, Vereinsfreiheit, in: HStR VII, 32009, § 165, Rn. 75; Papier, Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte, in: HGR III, 2009, § 64, Rn. 84; BVerfGE 80, 244 (253): „Art. 9 GG ist dahin auszulegen, daß Abs. 1 die Vereinigungsfreiheit lediglich mit der sich aus Abs. 2 ergebenden Einschränkung gewährleistet.“ 266 Vgl. insofern Merten, Immanente Grenzen und verfassungsunmittelbare Schranken, in: HGR III, 2009, § 60, Rn. 72. Zum Gedanken der verbotenen Vereinszwecke als negative Tatbestandsmerkale der Vereinigungsfreiheit vgl. ders., Vereinsfreiheit, in: HStR VII, 32009, § 165, Rn. 75. 267 Ders., in: HStR VII, 32009, § 165, Rn. 73. 268 So die Terminologie bei Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 110 f. 269 Dass die Vereinsgesetze teils ein unmittelbares Verbot, teils eine Ermächtigung der Behörden konstituieren, beschreibt schon Hänel, Deutsches Staatsrecht I, 1892, S. 148. 270 So schreibt Diess, dass strafgesetzwidrige Zwecke die selbstverständliche Grenze der Vereinigungsfreiheit darstellen, und vermag diesbezüglich keinen Unterschied zum Bayerischen Vereinsgesetz erkennen; ders., Das Reichsvereinsgesetz, 1909, S. 26. Allgemeiner formuliert Hänel, Deutsches Staatsrecht I, 1892, S. 148: „Selbstverständlich fällt unter die Be-

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Letztlich treten daneben noch die Regelungen präventiven Charakters, beispielsweise in der Verfassung Bremens oder dem Vereinsrecht von MecklenburgSchwerin. Für den Fortgang dieser Arbeit bedeutsamer ist indes der Befund, dass sich im Vereinsrecht der 1850er Jahre Elemente deutlicher ausprägen, die sich im öffentlichen Vereins- und Parteienrecht moderner Fasson wiederfinden: - In den vereinsrechtlichen Regelungen findet sich durchgängig eine Trennung von Vereinen und politischen Vereinen. Auch wenn beide Vereinsformen zum Teil gemeinsamen Bestimmungen unterworfen werden, besteht offensichtlich bereits gesetzgeberische Einigkeit darüber, dass Vereine mit politischer Zwecksetzung einer spezifischen Regelung bedürfen. - In einigen Einzelstaaten (Baden, Mecklenburg-Schwerin) kennen die Vereinsgesetze bereits eine besondere Kompetenzzuweisung für Verbotsmaßnahmen an das Ministerium des Innern.271 Die Vornahme eines derart weitgehenden Eingriffes in die Vereinsfreiheit wird somit in Teilen den Polizeibehörden entzogen und in die Zuständigkeit der obersten Behörde gestellt. - Für politische Vereine regeln die Vereinsgesetze von Preußen und Bayern jedenfalls in Ansehung bestimmter Verstöße einen Richtervorbehalt für die Verbotsentscheidung.272 Damit wird zumindest in rudimentären Zügen die Entscheidung darüber, ob ein politisch tätiger und somit sich mit staatlichen Angelegenheiten befassender Verein staatsgefährdenden Charakter angenommen hat, aus den Händen der Exekutive genommen und der Judikative anvertraut. Die bestehenden Unterschiede zwischen den vereinsrechtlichen Regelungen der Einzelstaaten suchte der Deutsche Bund letztlich durch einen entsprechenden Bundesbeschluss in ein bundesrechtliches Korsett zu zwingen.273 Dieses Vorhaben gelang nur begrenzt, da er in mehreren Staaten, darunter Preußen und Bayern, nicht in Kraft gesetzt wurde.274 Letztlich verpflichtete das Bundesvereinsgesetz vom 13. Juli 1854 die Regierungen in § 2 dazu, die Entwicklung des Vereinswesens im jeweiligen

schränkungen der Vereinsfreiheit nicht das Verbot, daß kein Verein Zwecke verfolgen darf, die den allgemeinen Verbots- und Strafgesetzen zuwiderlaufen. Denn der Verein […] kann das nicht erlaubt machen, was dem Einzelnen verboten ist.“ Wenn in dem Erfordernis der Strafrechtskonformität aber keine Beschränkung liegen soll, so muss sie schon eine anfängliche Begrenzung des Schutzbereiches darstellen. Demnach schiene das staatsrechtliche Verständnis des 19. Jahrhunderts also nicht von einer Zweckoffenheit auszugehen. Entgegen dem Wortlaut wären demnach auch in Bayern und Oldenburg strafgesetzwidrige Zwecke a priori vom Schutzbereich ausgeklammert. 271 Vgl. § 3 Abs. 2 VereinsG. 272 Vgl. Art. 21. Abs. 2 Satz 2 GG. 273 Vgl. Schmidt, Die Freiheit verfassungswidriger Parteien und Vereinigungen, 1983, S. 30. 274 Vgl. Müller, Deutscher Bund und deutsche Nation, 2005, S. 131. Ausführlich zu den Verhandlungen über den Bundesbeschluss ebd., S. 121 ff.

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Land genau zu überwachen.275 Geduldet werden durften nur Vereine, deren Zwecke mit den Bundes- und Landesgesetzen konform gingen und die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht gefährdeten (§ 1). Damit nahm der Bundesbeschluss wiederum insbesondere politische Vereine ins Visier, wobei den Einzelstaaten nach § 3 sowohl präventive Maßnahmen im Wege des generellen Verbotes oder des Genehmigungsvorbehaltes als auch repressive Verbote als Regelungsmöglichkeiten angeboten wurden. Das Teilnahmeverbot für Minderjährige und das Affiliationsverbot wurden nunmehr ebenfalls bundesrechtlich verankert (§ 4). Die Verpflichtung zu einem generellen Verbot beinhaltete § 8, der sich gegen die Arbeitervereine und -verbrüderungen und somit gegen die aufkeimende sozialistische Vereinsbewegung richten. Allen Beschränkungen zum Trotz schien die vereinsrechtliche Situation insgesamt zumindest dem Papier nach einer weiteren Blüte des politischen Vereinswesens nicht per se entgegenzustehen. Durch die extensive Anwendung der ihr zur Verfügung gestellten Befugnisse gelang es der Staatsmacht aber, die Organisation politischer Interessen nachhaltig zu behindern. Eine Wende setzt erst in den 1860er Jahren ein. Sie vollzieht sich allerdings „weniger normativ als durch eine Zügelung der Verwaltungspraxis“.276 Es bleibt abschließend noch ein letzter besonderer Aspekt der vereinsrechtlichen Regelungen vor der Reichsgründung anzusprechen, der bereits im preußischen Vereinsgesetz von 1850 angelegt war. Dort hieß es in § 21: „Auf die durch das Gesetz und die gesetzlichen Autoritäten angeordneten Versammlungen und die Versammlungen der Mitglieder beider Kammern während der Dauer der Sitzungsperiode finden die vorstehenden Bestimmungen keine Anwendung. Wahlvereine unterliegen den Beschränkungen des § 8 nicht.“

Abs. 1 ermöglichte damit jenseits der Beschränkungen für politische Vereine den Zusammenschluss von Abgeordneten und schuf somit einen rechtssicheren Raum für die Tätigkeit der Fraktionen.277 In Abs. 2 wurden zudem Wahlvereine aus der Geltung des Affiliationsverbotes herausgenommen.278 Schmidt hat diesbezüglich von einem „wahl- und parlamentsbezogenen Schutz“ gesprochen.279 Eine ähnliche Regelung fand sich auch in Art. 26 des bayerischen Vereinsgesetzes.

275 Bundesbeschluss „über die Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe im Deutschen Bunde, insbesondere das Vereinswesen betreffend“ vom 13. Juli 1854, in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte II, 31986, Nr. 4. 276 Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 21998, S. 406 f., wobei sich Württemberg 1864 und Baden 1867 des Affiliationsverbotes entledigen; vgl. ebd., S. 404. 277 Vgl. o. V., Das Vereins- und Versammlungs-Recht in Deutschland, 1892, § 21, Anm. 4. 278 Vgl. ebd., § 21, Nr. 7. 279 Schmidt, a. a. O., S. 34.

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Der Norddeutsche Bund ging mit seinem Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes (RWG) aus dem Jahre 1869 nicht ganz so weit.280 In § 17 wurden hier ausdrücklich Wahlvereine für die Reichstagswahlen zugelassen, allerdings waren damit nur lokale Wahlvereine gemeint, die insofern auch nicht vom Affiliationsverbot ausgenommen waren. Im Unterschied zu dauerhaften politischen Vereinigungen handelte es sich bei Wahlvereinen lediglich um die im Zusammenhang mit Wahlen, zur Durchführung des Wahlkampfes vorübergehend gebildeten Organisationen.281 Der Schluss des Wahlaktes kennzeichnete insofern auch die Grenze des Wahlvereines. Eine darüber hinausgehende Tätigkeit ließ ihn wieder unter die vereinsrechtlichen Regelungen zu politischen Vereinen fallen.282 Im Sinne einer Anerkennung von Parteien durch die Rechtsordnung hat Huber dieser Regelung große Bedeutung beigemessen. Die dort gefundene Privilegierung sei Ausdruck der gesetzgeberischen Intention, „den politischen Parteien, deren Werkzeuge die Wahlvereine waren, einen bestimmten öffentlich-rechtlichen Status [zu] garantieren“. Zu deren Schutz bedurfte es des § 17 RWG, um sie den landesrechtlichen Bestimmungen zu politischen Vereinigungen zu entziehen und so die Durchführung der Reichstagswahlen zu ermöglichen.283 Diese Auffassung hat Schmidt kritisiert und mit Blick auf die Regelungen des preußischen und bayerischen Vereinsrechts darauf verwiesen, dass es wohl eher eines Schutzes des einzelstaatlichen Vereinsrechts vor dem restriktiven Bundesrecht bedurft hätte.284 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Vereinsgesetze in Preußen und Bayern mit ihren schon weitgehenden Privilegierungen der Wahlvereine die Ausnahme darstellten und mit Hinblick auf die Reichstagswahlen durchaus eine einheitliche Regelung für den gesamten Bundesstaat notwendig erschien. Zutreffender ist indes Schmidts zweiter Kritikpunkt, nach dem der Schutz des § 17 RWG rein wahlrechtsbezogen war und nicht im Vereinsrecht fußte: „Der vereinsrechtliche Rumpf der Partei, ihr in der Gesellschaft liegender Körper, war uneingeschränkt den Restriktionen des Vereinsrechts ausgesetzt.“285 Den prinzipiellen Unterschied zwischen politischen Vereinen, und Wahlvereinen betont auch Huber, jedoch seien Letztere in funktioneller Hinsicht „nichts anderes als Hilfsorgane der 280 Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1869, in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte II, 31986, Nr. 209. 281 Vgl. Schmidt, a. a. O., S. 32. Zur Definition von Wahlvereinen auch Huber, Verfassungsgeschichte III, 31988, S. 867. Zum lokalen Charakter von Wahlvereinen und zur Abgrenzung derselben zu (dauerhaften) politischen Vereinigungen im Sinne der Rechtsprechung vgl. Tillmann, Staat und Vereinigungsfreiheit, 1976, S. 111 f. 282 Delius, Die Rechtsverhältnisse der geschlossenen Vereine und Gesellschaften, 1902, S. 5. Die über § 17 RWG hinausgehende Regelung des § 21 Abs. 2 des preußischen Vereinsgesetzes galt dabei nicht nur für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus, sondern auch für die Reichstagswahlen. 283 Huber, Verfassungsgeschichte III, 31988, S. 867 f. 284 Schmidt, a. a. O., S. 34. 285 Ebd., S. 34.

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politischen Parteien“. Ihre Privilegierung komme somit tatsächlich den politischen Parteien zugute, woraus deren (oben schon zitierter) besonderer öffentlich-rechtlicher Status resultiere.286 Diese Ansicht ist in der Tat zu weitgehend. Wie weiter oben erörtert, liegen den Parteien modernen Verständnisses eine parlamentarische und eine außerparlamentarische Wurzel zugrunde. Die letztgenannte wurde in den politischen Vereinen (die Huber bereits zur „Partei“ erhebt) ausgemacht, die erste in den Fraktionen.287 Der politische Verein findet in der gesamten Rechtsordnung der 1850er und 1860er Jahre (in Abgrenzung zum nicht-politischen Verein) rechtliche Würdigung, die Fraktion immerhin in § 21 des preußischen bzw. Art. 26 des bayerischen Vereinsgesetzes. Zumindest im Ansatz spiegelt sich die Trennung in eine außerparlamentarische und in eine parlamentarische politische Organisation somit auch in der Rechtsordnung wider. Einer organisatorischen Verflechtung der beiden werden wir aber erst in den folgenden Abschnitten auf dem Weg hin zur Reichsgründung begegnen. Der Wahlverein stellt in dieser Phase der Entwicklung in gewisser Weise das Bindeglied zwischen politischem Verein und Fraktion dar. Als nur temporäre und allein wahlbezogene Organisationsform kann in dessen gesetzlicher Privilegierung aber noch nicht eine rechtliche Anerkennung von politischen Parteien als solchen ausgemacht werden. Der Gesetzgeber hatte lediglich erkannt, dass die Durchführung von Wahlen zu einem nationalen Parlament ohne eine vorübergehende Organisation in Wahlvereinen nicht praktikabel war und dieses Problem, wie Schmidt zutreffend betont hat, daher auch auf wahlrechtlicher Ebene in § 17 RWG gelöst.288 Er erkennt somit nur einen Teilaspekt moderner Parteien, nämlich die Mitwirkung an der Wahlvorbereitung289, an. Das Konzept einer ganzheitlichen – auf Dauer angelegten und über den Wahlakt hinaus tätigen – politischen Organisation findet hierin aber keine Anerkennung durch die Rechtsordnung. Der politische Verein als außerparlamentarische Erscheinungsform und die Fraktion als parlamentarischer Erscheinungsform einer Partei werden (im Rahmen von § 17 RWG) eben gerade nicht in den Schutz miteinbezogen.290 Ganz im Gegenteil: Gerade die rechtliche Differenzierung zwischen politischen Vereinen und Wahlvereinen bringt noch deutlich die organisatorischen Defizite der im Werden befindlichen Parteien und den staatlichen Unwillen gegenüber einer solchen Entwicklung zum Ausdruck.291 286

Huber, Verfassungsgeschichte III, 31988, S. 867. Kapitel III. 3. c). 288 Sehr eingängig zur wahl- und damit eben gerade nicht parteirechtlichen Qualität des § 17 RWG Schmidt, a. a. O., S. 34 f. 289 Vgl. diesbezüglich Kunig, in: Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar I, Art. 21, Rn. 16. 290 Zur Fraktion als parlamentarischer Erscheinungsform moderner Parteien ders., Parteien, in: HStR III, 32005, § 40, Rn. 85. 291 Im Übrigen scheint der praktische Nutzen der Wahlvereine für den Aufbau einer außerparlamentarischen Parteiorganisation eher gering gewesen zu sein. Dies belegt zumindest am Beispiel der Berliner Sozialdemokraten o. V., Zur Reorganisation der Sozialdemokratischen Wahlvereine Berlins, 1893, S. 3 f. 287

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Wollte man der zeitgenössischen Rechtsordnung unter allen Umständen eine Privilegierung politischer Parteien im Sinne Hubers entnehmen, wäre vielmehr der § 21 des preußischen Vereinsgesetzes der richtige Ansatzpunkt. Dieser geht einerseits im Schutz der Wahlvereine bereits über § 17 RWG hinaus, indem er diese dem Affiliationsverbot entzieht. Er gewährt darüber hinaus aber auch den Fraktionen einen besonderen Schutz und privilegiert somit ebenfalls die zuvor genannte parlamentarische Erscheinungsform der Partei. Systematisch hebt sich der § 21 des preußischen Vereinsgesetzes zudem von der Regelung des § 17 RWG insofern ab, als er den Schutz der Wahlvereine und Fraktionen – gleich den politischen Vereinen – im Vereins- und Versammlungsrecht selbst regelt. Während im Norddeutschen Bund mit dem § 17 RWG die Privilegierung also in ein anderes, wenngleich verwandtes Rechtsgebiet, nämlich das Wahlrecht, verlagert wurde, sind in Preußen alle Erscheinungsformen der Partei (politischer Verein, Fraktion und Wahlverein) nicht nur demselben Rechtsgebiet, sondern auch demselben Gesetz in Gestalt des preußischen Vereinsgesetzes unterworfen. Hierbei ist allerdings anzumerken, dass im Norddeutschen Bund die Privilegierung der Wahlvereine auch deshalb über das Wahlrecht erfolgen musste, als vereinsrechtliche Regelungen allein den Ländern zugänglich waren.292 Ungeachtet dessen kann man aber auch dem preußischen Vereinsgesetz kaum unterstellen, dass es den Parteien einen besonderen öffentlich-rechtlichen Status zukommen lassen wollte. Zwar werden Fraktion und Wahlverein den Restriktionen für politische Vereine entzogen, zugleich darf aber auch hier unterstellt werden, dass dies vor allem wohl dem Interesse eines funktionierenden Parlamentes und der dazugehörigen Wahlen geschuldet war. Es ist schließlich für das preußische Vereinsrecht ebenfalls festzuhalten, dass gerade die gesetzliche Differenzierung zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen von Parteien gegen eine beabsichtigte Privilegierung spricht. Erst dort, wo die spezifische Verbindung von außerparlamentarischer und parlamentarischer Organisation einheitlich durch die Rechtsordnung anerkannt ist, wird der Partei in ihrer Eigenschaft als solcher ein öffentlich-rechtlicher Status zuteil. Von einem solchen Rechtszustand ist das vereinswie wahlrechtliche System des Nachmärzes aber noch weit entfernt.

b) Fraktionen und politische Vereine Auch in den 1850er Jahren steht der Gedanke des ungebundenen Mandats vor der Bindung an eine Fraktion. Da die Demokraten nach dem Scheitern der Revolution zunächst kaum mehr in Erscheinung treten, sind es vor allem die Konservativen und Liberalen, die die Landtage beherrschen. Die fraktionellen Zusammenschlüsse

292 Vgl. hierzu den Katalog der Gesetzgebungskompetenzen in Art. 4 der Verfassung des Norddeutschen Bundes, in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte II, 31986, Nr. 198. Die Gesetzgebungskompetenz für das Vereinsrecht geht erst mit der Reichsverfassung von 1871 auf das Reich über; vgl. hierzu Kapitel III. 5. a).

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bleiben lockerer Natur, größere programmatische Entwürfe bestehen kaum.293 Eine Vielzahl der Abgeordneten enthielt sich derartiger Anbindungen gänzlich.294 Zu den bedeutsamen parlamentarischen Verbindungen dieser Jahre gehörte in der zweiten preußischen Kammer295, dem späteren Abgeordnetenhaus, die gänzlich revisionistische Fraktion der Hochkonservativen, deren Presseorgan die „Kreuzzeitung“ war. Daneben sammelten sich aber noch mehrere konservativere Fraktionen, deren Politik gemäßigter ausgerichtet war.296 In Opposition zu den Konservativen bestand die einflussreiche liberal-konservative Fraktion unter Moritz August von Bethmann-Hollweg, die der von ihr herausgegebenen Zeitschrift wegen schon bald „Wochenblattpartei“ genannt wurde.297 Anders als in der Frankfurter Nationalversammlung, in der sich die Katholiken nur interfraktionell zusammengefunden hatten, bestand in der zweiten preußischen Kammer ab 1852 eine eigenständige katholische Fraktion.298 Nach der Sitzordnung im Plenarsaal benannte sie sich 1859 in „Fraktion des Zentrums (Katholische Fraktion)“ um; die Verwendung des Begriffes „Zentrum“ spiegelte aber zugleich die politische Position der Fraktion wider.299 Im liberalen Flügel fanden sich ausschließlich Anhänger der gemäßigten Richtung („Altliberale“) im Parlament wieder, die sich in zwei Fraktionen („Patow“ und „Vincke“) aufteilten, von denen die Fraktion „Vincke“ eher nach links tendierte.300 Ihr schließen sich mit dem Beginn der Neuen Ära 1858 die sich nun wieder politisch hervortretenden radikaleren Vertreter an.301 Neben dem Fraktionswesen sind an dieser Stelle noch zwei außerparlamentarische Organisationen zu erwähnen, deren Gründung allerdings bereits in die Zeit der Neuen Ära fällt. Der im September 1959 ins Leben gerufene „Deutsche Nationalverein“ wollte im Schulterschluss von bürgerlichen Liberalen und Demokraten den nationalen Gedanken – in Form der kleindeutschen Lösung unter Preußens Führung – vorantreiben. Der Verein verfügte über eine wöchentliche Publikation und konnte rund 25.000 Mitgliedern für sich gewinnen, die aber wohl bereits vor dem Hintergrund des Affiliationsverbotes nicht in lokalen Zweigvereinen organisiert waren. Der 293 Ein Beispiel eines solchen Fraktionsprogrammes ist das Programm der Wochenblattpartei (Fraktion Bethmann-Hollweg); abgedruckt bei Salomon, Deutsche Parteiprogramme, 4 1932, S. 103. 294 Vgl. insgesamt Tormin, Geschichte der deutschen Parteien seit 1848, 31968, S. 47; Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 82 f. 295 Der folgende Überblick bietet lediglich ein sehr vereinfachtes Schema des preußischen Fraktionswesens. Ausführlich zur wechselhaften Fraktionsentwicklung im reaktionären Preußen Grünthal, Parlamentarismus in Preußen, 1982, S. 391 ff. 296 Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte III, 31988, S. 162 f., 178. 297 Vgl. ebd., S. 178 f.; Bergsträsser, Geschichte der politischen Parteien, 111965, S. 91 f. 298 Huber, a. a. O., S. 180. 299 Tormin, a. a. O., S. 47 f. 300 Huber, a. a. O., S. 180 f. Zunächst hatten sich die Liberalen 1852 in einer Fraktion „AltHelgoland“ vereinigt, die sich aber bald spaltete; Grünthal, a. a. O., S. 403 f. 301 Tormin, a. a. O., S. 48.

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Nationalverein bestand daher als bundesweiter, einheitlicher Gesamtverein mit einem gewählten Ausschuss als Leitungsorgan, einem geschäftsführenden Vorstand und einer jährlichen Generalversammlung als oberstem Organ. Die Koordination verlief von der Zentrale aus über ein Netz von mehreren hundert Lokalagenten.302 In einzelnen Ländern kam es zu obrigkeitsstaatlichen Beschränkungen, auf Bundesmaßnahmen gegen den Nationalverein konnte man sich jedoch nicht verständigen.303 Als großdeutschem Gegenpart zum Nationalverein gründete sich im Oktober 1862 der „Deutsche Reformverein“. Er stellte sich allerdings in der politischen Herkunft seiner Anhänger und deren inhaltlichen Vorstellungen als äußerst heterogen dar und konnte daher nur begrenzt realpolitische Auswirkung entfalten. Konservative und katholisch-klerikale, liberale wie demokratische Verfechter der großdeutschen Lösung vermochten es kaum, sich darüber zu verständigen, wie eine künftige Zentralgewalt zu gestalten und welches Wahlrecht einer Nationalversammlung zugrunde zu legen sei.304 Seiner Gründung als nationaler Organisation voraus gingen allerdings zahlreiche lokale großdeutsche Vereinsgründungen, die im Württembergischen ihren Anfang nahmen. Dieses Netz an Lokalvereinen wuchs nach der Gründung des Reformvereins weiter und bestand neben dem zentralen Hauptverein fort.305 Da der Reformverein selbst nur über eine überschaubare Mitgliederzahl verfügte, war er seiner Wirkung und Finanzierung wegen auf ein solches Netz angewiesen. Die Lokalvereine blieben aber für sich autonom, so dass keine Subordination unter den Hauptverein erfolgte.306 Wie genau die beiden Vereine typologisch einzuordnen sind, ist umstritten und wird dadurch erschwert, dass die jeweiligen Autoren bereits unterschiedliche Parteibegriffe zugrundlegen. So hat Shlomo Na’aman vom Nationalverein als einer Verbindung des „nationalen Parteiprinzips und des liberaldemokratischen Vereinsprinzips“ gesprochen. Mit diesem Konzept eines „Parteivereins“ sei der Nationalverein zugleich Modell für den späteren Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) Ferdinand Lassalles geworden.307 Demgegenüber hat Andreas Biefang den Nationalverein als einen politischen Agitationsverband bezeichnet, der sich aus der 302 Zur Organisation des Nationalvereines Biefang, Der Deutsche Nationalverein, 1995, XII ff. mit umfangreicher Dokumentation; vgl. aber auch Eisfeld, Die Entstehung der liberalen Parteien, 1969, S. 39 ff. 303 Insgesamt zum Nationalverein Huber, a. a. O., S. 387 ff. und Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 86 ff., der von bis zu 30.000 Mitgliedern ausgeht. Die Bedeutung wie die Mitgliederzahl des Nationalvereins nahm ab Mitte der 1860er Jahre drastisch ab; vgl. Biefang, a. a. O., XIII (dort Fn. 8). 304 Zu den einzelnen Gruppen, Programm und Gegensätzen Huber, a. a. O., S. 393 ff. 305 Hierzu Zimmermann, Der Deutsche Reformverein, 1929, S. 19 ff., 51, 55 ff. Zu der Entwicklung in den Einzelstaaten auch Real, Der Deutsche Reformverein, 1966, S. 80 ff. 306 Real, a. a. O., S. 77 f., 118 ff. 307 Na’aman, Der Deutsche Nationalverein, 1987, S. 68 f., 79 f. Das Parteielement verwirklicht sich für Na’aman demnach in der zentralisierten Führung durch den Ausschuss, der aber dezentralistische Vereinselemente dulden musste. Insgesamt zur Frage nach Partei oder Verein beim Nationalverein ebd., S. 55 ff.

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deutschen Vereinstradition heraus entwickelt hat. Zahlreiche Elemente einer modernen Partei hätten sich bereits in ihm verwirklicht, wenngleich ihm noch ein starker (undemokratischer) Honoratiorencharakter angehaftet habe.308 Diese Interpretationsdifferenzen sind für die vorliegende Arbeit indes von geringerer Bedeutung. Wenngleich beide Vereine eine bundesweite Tätigkeit entfalteten und eine politische Ausrichtung hatten, können sie noch nicht zu den Parteien modernen Typs gezählt werden. Stattdessen ist festzuhalten, dass beide Vereine in ihrer wesentlich monothematischen Ausrichtung auf die nationale Frage und der lagerübergreifenden Zusammensetzung ihrer Mitglieder (dies insbesondere beim Reformverein) vielmehr als zweckpolitische Zusammenschlüsse zu begreifen sind. Es fehlte zudem an einem nationalen Parlament, auf das ein Mitwirkungsanspruch hätte bezogen werden können.309 Schon bald folgen ihnen aber politische Vereinigungsformen, die in ihrer Organisation, Tätigkeit und Programmatik das künftige Parteiwesen prägen werden. Dass von National- wie Reformverein wichtige Anstöße zu dieser Entwicklung ausgingen, darf wohl bereits aufgrund der zeitlichen Nähe unterstellt werden.310

c) Parteibildung Indem die Partei aufhörte, nur allgemeine Tendenz zu sein und sich erst im Parlament zusammenzuschließen, indem sie als solche bei den Wahlen aufzutreten suchte, kann man sie als die erste moderne Partei Deutschlands bezeichnen.311 (Thomas Nipperdey)

Soweit diese Arbeit in ihrem bisherigen Fortgang den politischen Verein und die Fraktion als Wurzeln der werdenden Parteien herausgearbeitet hat, konnte sie bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine dauerhafte Verknüpfung der beiden ausmachen. Organisatorisch wie programmatisch sind sie bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt weitestgehend als voneinander getrennte Formen des politischen Zusammenschlusses in Erscheinung getreten. Zudem ist ihre Organisationsförmigkeit und ihre inhaltliche Positionierung nur oberflächlich ausgebildet und bislang kaum von Dauer gewesen. Dies ändert sich nunmehr im Laufe der 1860er Jahre, in denen sich erstmals eine Parteibildung im modernen Sinne abzeichnet. Thomas Nipperdey hat für diesen Vorgang drei konstitutive Charakteristika in den Vordergrund gestellt: erstens die Verdichtung der bislang vorhandenen allgemeinen politischen Tendenz zu einer wahren Programmatik, zweitens die feste Organisation der Anhänger und 308

Biefang, Politisches Bürgertum, 1994, S. 89 f., 307 f. So auch Nipperdey, Die Organisation der deutschen Parteien, 1961, S. 13 ff. 310 Vgl. insgesamt hierzu auch Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 89. 311 Nipperdey, a. a. O., S. 17 über die Entwicklung der DFP zur ersten modernen Partei Deutschlands in den 1860er Jahren. 309

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drittens die enge Verbindung der so organisierten Anhänger mit den parlamentarischen Vertretern.312 Ein solcher Prozess vollzieht sich erstmals bei der Entstehung der Deutschen Fortschrittspartei (DFP). Innerhalb der Fraktion „Vincke“ im preußischen Abgeordnetenhaus, die inzwischen ein breites Spektrum an Liberalen und Demokraten in sich versammelte, kam es 1861 zu einer linken Abspaltung, die sich im „Parlamentarischen Verein Ancker und Genossen“ zusammenschloss, der Herkunft einiger Mitglieder wegen Fraktion „Junglithauen“ genannt. Schon angesichts der bevorstehenden Wahlen, zu denen man als eigenständige liberal-demokratische Kraft anzutreten gedachte, ging man dazu über, eine landesweite Organisation von Parlamentariern und Nichtparlamentariern aufzubauen und sich unter der Firmierung als Partei ein Programm zu geben.313 Dieses Programm, ursprünglich nur als Wahlaufruf gedacht, blieb bis weit ins Kaiserreich hinein die programmatische Grundlage der DFP. Es ist insgesamt weniger aufgrund seines (geringen) Umfanges, wohl aber wegen der langen Dauer seiner Wirksamkeit und seiner Bedeutung für die Repräsentanten und Anhänger der DFP von Interesse für diese Untersuchung.314 In dem bewussten Zusammenschluss als Partei wich man vom bisherigen Konzept loser Fraktionsgemeinschaften und allgemeiner Vereinsnamen ab und strebte einen von Dauer geprägten organisatorischen und programmatisch klar positionierten Schulterschluss zwischen Abgeordneten und Anhängern an.315 Hierfür war das Parteiprogramm wichtiger Integrationsfaktor, denn schon im Vorfeld waren die Kandidaten auf das Parteiprogramm verpflichtet worden. Ihre spätere Fraktionszugehörigkeit und inhaltliche Positionierung im Parlament waren somit zugleich vorgegeben und für den Wähler kontrollierbar.316 Anspruch und Wirklichkeit blieben allerdings in den Anfangsjahren noch weit voneinander getrennt. Andreas Biefang hat herausgearbeitet, dass die Fraktion der DFP zwar ein hohes Maß an Organisation erreichen konnte, das sich etwa in einer detaillierten Geschäftsordnung, klaren Bestimmungen der Fraktionszugehörigkeit, Faktionskorrespondenzen und einer allgemein akzeptierten Fraktionsdisziplin äußerte. Eine außerhalb der Wahlkämpfe agierende außerparlamentarische Organisation existierte aber kaum und bestand hauptsächlich in einem Zentralwahlkomitee, das aber letztendlich immer mehr ein „im wesentlichen parlamentarisches Organ“317 312

Ebd., S. 16. Seeber, Deutsche Fortschrittspartei, in: Fricke et al., Lexikon zur Parteiengeschichte I, 1983, 623 (625 ff.); Fenske, a. a. O., S. 89 f.; ausführlich zum Prozess der Abspaltung Eisfeld, Die Entstehung der liberalen Parteien, 1969, S. 75 ff. 314 Zum Parteiprogramm der DFP Eisfeld, a. a. O., S. 89 ff. Das Gründungsprogramm der Deutschen Fortschrittspartei vom Juni 1861 ist abgedruckt bei Mommsen, Deutsche Parteiprogramme, 31960, S. 132. 315 Nipperdey, a. a. O., S. 16; vgl. ebenfalls hierzu Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte III, 1995, S. 337. 316 Nipperdey, a. a. O., S. 16; Eisfeld, a. a. O., S. 89. 317 Nipperdey, a. a. O., S. 17. 313

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wurde. Daneben bestanden zwar auch regionale und lokale Organisationseinheiten (hauptsächlich in Form von Wahlkomitees, vereinzelt auch Wahlvereinen), insgesamt fehlte aber ein organisatorischer Unterbau, der indes durch eine Kooperation mit dem besser organisierten Nationalverein kompensiert wurde.318 Die Mitgliedschaft im formalen Sinne blieb so auch zunächst auf die Zugehörigkeit zum Zentralwahlkomitee beschränkt; der Versuch in der zweiten Hälfte der 1860er Jahre, die eigene Mitgliederbasis durch die Gründung eines Zentralwahlvereines zu verbreitern, scheiterte schon bald.319 Die DFP stellt sich somit nicht nur als eine Parteigründung aus dem Parlament heraus, sondern auch als eine weiterhin parlamentarisch geprägte Parteiorganisation dar. Im Zuge des preußischen Verfassungskonflikts verließen 1866 mehrere auf Ausgleich mit dem Ministerium Bismarck gesinnte Abgeordnete die Fortschrittspartei, um sich zur „Neuen Fraktion der nationalen Partei“ zusammenzufinden. Ein Jahr später, im inzwischen gewählten Reichstag des Norddeutschen Bundes, nannte sich die dort konstituierende Fraktion „Nationalliberale Partei“ und begann den Aufbau einer eigenen Organisation. Die so ins Leben gerufene Partei blieb allerdings in ihrer programmatischen Konzeption und organisatorischen Ausbildung – auch hier bestanden ein zentraler geschäftsführender Ausschuss und lokale Komitees – noch lange unzureichend und selbst hinter der DFP zurück; tatsächlich vollzog sich die Trennung von Nationalliberalen und Fortschrittspartei recht langsam.320 Von den zahlreichen Gründungen in den deutschen Einzelstaaten ist an dieser Stelle die Entwicklung in Württemberg hervorzuheben, wo die Trennung von Liberalen und Demokraten rascher vollzogen wurde. Dort wurde im Mai 1864 von Demokraten die Volkspartei gegründet, ein nennenswerter organisatorischer Aufbau gelang ihr aber erst rund zwei Jahre später mit der Gründung zahlreicher lokaler Volksvereine.321 Jährlich wurde eine Mitgliederversammlung am Dreikönigstag in Stuttgart abgehalten, wo in geheimer Wahl ein Landeskomitee gewählt wurde, das aus sich heraus einen engeren Vorstand bestimmte. Wesentliches Element der Organisation war aber der Unterbau in Form der Ortsvereine, der nach einer ersten Gründungswelle 1866 erst ab 1870 verstetigt werden konnte. Zu diesem Zeitpunkt wies die Volkspartei zwischen 3.600 und 4.000 Mitglieder auf.322 Interessanterweise 318 Insgesamt zur frühen Organisation der DFP in Preußen Biefang, National-preußisch oder deutsch-national, in: GG 1997, 360 (370 ff.). Zur außerparlamentarischen Organisation auch Eisfeld, Die Entstehung der liberalen Parteien, 1969, S. 100 ff. 319 Nipperdey, a. a. O., S. 17 f. 320 Vgl. Fenske, a. a. O., S. 91 f.; Tormin, Geschichte der deutschen Parteien seit 1848, 3 1968, S. 57 f. Das Gründungsprogramm der Nationalliberalen Partei vom Juni 1867 ist abgedruckt bei Mommsen, Deutsche Parteiprogramme, 31960, S. 147. Zu den Organisationsbemühungen Eisfeld, a. a. O., S. 191 ff. 321 Vgl. Nipperdey, a. a. O., S. 21; Fenske, a. a. O., S. 93 f. Zum vereinsrechtlichen Hintergrund: Württemberg hatte den Bundesbeschluss vom 13. Juli 1854 durch Verordnung vom 25. Januar 1855 (RgBl. Königreich Württemberg 1855, S. 46) übernommen, aber am 24. Dezember 1864 wieder außer Kraft gesetzt (RgBl. Königreich Württemberg 1864, S. 226). 322 Langewiesche, Liberalismus und Demokratie, 1974, S. 336 ff., 345, 348.

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vollzog sich die Trennung des demokratisch-liberalen Lagers im Landtag aber erst später. Die Fraktionsgemeinschaft von Liberalen und Demokraten wurde noch bis 1868 aufrechterhalten, während sich die beiden Richtungen außerparlamentarisch bereits in unterschiedlichen Organisationen – inzwischen war es 1866 auch zur Gründung einer liberal-konservativen „Deutschen Partei“ gekommen – zusammengefunden hatten. Die Volkspartei verfügte nun im Landtag über eine eigene demokratische Fraktion, deren Abgeordnete sie im Sinne eines imperativen Mandats an den Partei- und Wählerwillen fest binden wollte.323 Das Parteiverständnis der Volkspartei, so hat Dieter Langewiesche herausgestellt, war dergestalt, dass „die Partei den Kern einer Selbstverwaltung des Volkes bildete und der Abgeordnete nur als ,verantwortlicher Mandatar seiner Wähler‘ galt, der sich dem Votum der Wähler und der Partei zu beugen hatte.“324

Seit 1866 ging aus der Volkspartei sukzessive die Deutsche Volkspartei hervor, die ihren Wirkungskreis vornehmlich auf Süddeutschland, neben Württemberg noch Baden und Bayern, erstreckte.325 Noch vereinsförmig ausgestaltet verlief die Organisation bei den Konservativen, wenngleich der 1861 auf einer Versammlung in Berlin gegründete Preußische Volksverein (PVV) einer Partei schon recht nahekam. Er war vor allem von Landtagsmitgliedern initiiert worden, konnte aber mit bis zu 40.000 Mitgliedern (August 1866)326 eine wahre Massenbasis aufbauen, in der sich neben den parlamentarischen Vertretern auch die sonstigen Anhänger des Konservatismus als Vereinsmitglieder versammelten. Der PVV war somit nicht die Gründung aus einer Fraktion heraus, sondern versuchte als außerparlamentarische Organisation die verschiedenen konservativen Fraktionen in sich zu vereinen.327 Zwischen dem die Politik des Vereins zentral lenkendem Vorstand erfolgte die Koordination zu den Ortsvereinen über Kreisabteilungen.328 Das Grundsatzprogramm war von nur geringem Umfang und durchgehend schlagwortartig ausgestaltet.329 Als im Umfeld der Gründung des Norddeutschen Bundes die Einheit der konservativen Kräfte erschüttert und zugleich der Niedergang des PVV eingeläutet wurde, fanden sich unter den konservativen Landtagsabgeordneten die Unterstützer der Politik Bismarcks zusammen. Unter dem Namen Freikonservative Partei schlossen sie sich im Abgeordnetenhaus und im 323

Vgl. ebd., S. 352 ff. Ebd., S. 355 f. Mit der Wendung „verantwortlicher Mandatar seiner Wähler“ zitiert Langewiesche den Mitbegründer der Volkspartei Julius Haußmann. 325 Vgl. ebd., S. 358 ff.; Elm, Süd-Deutsche Volkspartei, in Fricke et al., Lexikon zur Parteiengeschichte IV, 1986, 171 (171). 326 Die Zahl ist entnommen bei Herz, Preußischer Volks-Verein, in: Fricke et al., Lexikon zur Parteiengeschichte III, 1985, 599 (599). 327 Insgesamt Nipperdey, Die Organisation der deutschen Parteien, 1961, S. 18 f. 328 Herz, a. a. O., (601). 329 Vgl. Programm des Preußischen Volksvereins, 1861, in: Mommsen, Deutsche Parteiprogramme, 31960, S. 44. 324

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Norddeutschen Reichstag zur Fraktion zusammen, verzichteten aber auf einen organisatorischen Unterbau.330 Die Verdichtung der Arbeiterbewegung zu einer Partei wird zwar erst im Jahrzehnt der Reichsgründung abgeschlossen, sie beginnt jedoch ebenfalls in den 1860er Jahren mit der Herausbildung zweier außerparlamentarischer Organisationen. Zunächst wurde 1863 in Leipzig der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) ins Leben gerufen. Es handelte sich dabei um einen einheitlichen, zentral geführten Verein, an dessen Spitze zunächst quasi-diktatorisch Ferdinand Lassalle, später Johann Baptist von Schweitzer, stand. Ortsvereine bestanden nicht, stattdessen gab es ein System lokaler Bevollmächtigter. Die Hoffnung, eine wahre Massenorganisation generieren zu können, erfüllte sich trotz der großen Aktivität des Vereins nicht.331 Erfolgreicher gestaltete sich demgegenüber der als föderative Vereinigung initiierte Vereinstag der Arbeitervereine (VDAV), ein seit 1863 jährlich zusammentretender Kongress von Arbeitervereinen. Im VDAV sollte sich in den folgenden Jahren der Bruch zwischen dem reformfreudigen Bürgertum und sozialistischer Arbeiterbewegung vollziehen, indem er sich auf seinem Vereinstag 1868 dem Programm der Internationalen Arbeiter-Association (IAA) anschloss.332 Die Koordination erfolgte anfänglich durch einen ständigen Ausschuss, ab 1867 wurde mit August Bebel der Präsident direkt vom Vereinstag gewählt. Aus diesem Dachverband geht 1869 die in Eisenach gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) hervor.333 Die Organisation erfolgte nach dem Vertrauensmännersystem. Ein fünfköpfiger Vorstand, dem eine Kontrollkommission zur Seite gestellt wurde, leitete die Parteigeschäfte. Dieser wurde von den am jeweiligen Vorort wohnenden Mitgliedern gewählt; der Vorort selbst wurde wiederum durch den jährlichen Parteikongress bestimmt.334 Hinsichtlich seiner Organisation fällt der politische Katholizismus bereits aufgrund seiner engen Anbindung an die katholische Kirche aus dem Rahmen der anderen politischen Parteien heraus. Außerhalb der Parlamentsfraktionen wurde auf den Ausbau einer Organisation verzichtet; die Katholikentage übernahmen die Funktion nationaler Parteitage. Allerdings gab man sich 1870 mit dem von führenden

330

Vgl. Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 96; Fricke, Reichs- und freikonservative Partei, in: ders. et al., Lexikon zur Parteiengeschichte III, 1985, 745 (746 f.). 331 Zur Organisation des ADAV Nipperdey, a. a. O., S. 294 ff. Im Sommer/Herbst 1864 hat der Verein rund 4.600 eingeschriebene Mitglieder; vgl. Osterroth/Schuster, Chronik der deutschen Sozialdemokratie I, 2005, S. 24. 332 Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte III, 1995, S. 157; Fenske, a. a. O., S. 100. Zur Trennung von bürgerlicher und proletarischer Demokratie auch Ritter, Die deutschen Parteien 1830 – 1914, 1985, S. 14 ff. 333 Vgl. Osterroth/Schuster, a. a. O., S. 29 f. 334 Ebd., S. 34 f. Anfänglich sollte die Organisation vor Ort in Lokalvereinen erfolgen, aufgrund der vereinsrechtlichen Praxis blieb es häufig bei örtlichen Zusammenschlüssen in temporären Wahlvereinen; vgl. Nipperdey, a. a. O., S. 302.

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

westfälischen Katholiken ausgearbeiteten Soester Programm eine programmatische Grundlage.335 In der Dekade vor der Reichsgründung setzt somit in allen politischen Lagern ein Prozess hin zu einer stärker ausgeprägten Organisationsförmigkeit ein. Damit einher geht eine Ausdifferenzierung der allgemeine Tendenzen und Weltanschauungen zur Vertretung deutlicher formulierter Interessen. Diese Entwicklung ist aber noch längst nicht abgeschlossen; Shlomo Na’amam hat diese Jahre sehr treffend mit „Die unfertigen Parteien im unfertigen Staat“ überschrieben.336 Dennoch ist nicht zu verkennen, dass eine neue Entwicklungsstufe erreicht wurde, die Theodor Schieder nur unzureichend darstellt, indem er das Parteiwesen der 1860er Jahre in einem Atemzug mit den politischen Zusammenschlüssen der Revolutionszeit würdigt. Parteien und werdende Parteien, das hat die vorhergehende Untersuchung gezeigt, lassen sich keinesfalls auf die Parlamentsfraktionen und auf die von diesen ausgehenden Organisationsversuche beschränken.337 Stattdessen zeigen sich verschiedene Ansätze zur Herausbildung von Parteien, die sich kaum in ein einheitliches Muster fassen lassen. Eine Organisationsbildung aus dem Parlament heraus wurde im liberalen Lager bei der Fortschrittspartei und den Nationalliberalen ausgemacht. Dieser voraus geht die inhaltlich-programmatische Scheidung der liberalen Strömung im Fraktionswesen. Der Aufbau einer außerparlamentarischen Organisation gelingt hier kaum; sie bleibt komiteeartig und parlamentarisch geprägt. Das Vereinselement wird nur unzureichend integriert, eine Zugehörigkeit in Form der Mitgliedschaft gleichsam nicht realisiert. Ganz anders verhält es sich demgegenüber bei der Arbeiterbewegung, die sich gänzlich außerparlamentarisch und vereinsmäßig verfestigt, sich dabei aber bereits inhaltlich positioniert. Ihre Genese geht den umgekehrten Weg: Die Vereinsorganisation bezeichnet sich ab Ende der 1860er Jahre zum Teil (der VDAV wird zur SDAP) als Partei, muss aber zunächst noch in die Parlamente hineinwachsen. Zwischen diese beiden Gegenpole fällt die Entwicklung bei der Volkspartei. Die inhaltliche Trennung zum liberal-konservativen Lager vollzieht sich außerhalb der Parlamente, obgleich sich der organisatorische Unterbau in Form der Volksvereine eher schleppend vollzieht. Die Aufspaltung der liberalen Gesinnungsgemeinschaft wird im Parlament aber nicht zeitgleich nachvollzogen, sondern von außen herangetragen und erst sukzessive verwirklicht. Die Fraktionsteilung erfolgt somit erst im Fahrwasser der außerparlamentarischen Organisation, die zugleich bereits deutliche Ansprüche auf eine Unterordnung ihrer parlamentarischen Vertreter erhebt. Insofern geht die Volkspartei in ihrer Organisation und Tätigkeit 335 Vgl. Gottwald/Wirth, Zentrum, in Fricke et al., Lexikon zur Parteiengeschichte IV, 1986, 552 (554 ff.); Fenske, a. a. O., S. 97. 336 Na’aman, Der Deutsche Nationalverein, 1987, S. 279. 337 So aber Schieder für die gesamte Epoche von 1848 bis 1878; vgl. ders., Grundlagen und Epochen des deutschen Parteiwesens, in: ders., Staat und Gesellschaft im Wandel unserer Zeit, 2 1970, 133 (149 ff.).

5. Das Deutsche Kaiserreich

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über den bloßen Wahlakt weit hinaus.338 Weit dahinter zurück bleibt die Organisation des Konservatismus, die sich vielmehr noch als reinen Unterstützungsverein aller konservativen Kräfte versteht. Es ist also festzuhalten, dass die beginnende Parteibildung sowohl auf außerparlamentarischer als auch auf parlamentarischer Initiative beruht. In Abhängigkeit davon ist sie noch stärker vereins- oder fraktionsmäßig geprägt. Fraktion und Verein wachsen aber stärker aufeinander zu und beginnen sich miteinander zu verflechten. Ob die Partei modernen Verständnisses im Augenblick ihrer Entstehung eine Fraktion war, die sich im Verein gesellschaftlich zu verankern suchte, oder sich als politischer Verein darstellte, der im Parlament als Fraktion sich fortzusetzen gedachte, bedarf keiner abschließenden Entscheidung und ist einer solchen auch nicht zugänglich. Beide Entwicklungslinien sind grundlegende Charakteristika am Ausgangspunkt heutiger Parteien.

5. Das Deutsche Kaiserreich Mit dem Norddeutschen Bund war die Einheit Deutschlands zunächst für die nördlich des Mains gelegenen Einzelstaaten realisiert worden. Die Einbindung der süddeutschen Länder in das Staatsganze gelang indes erst nach einem weiteren Waffengang. Mit dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 und der damit einhergehenden Reichsgründung wurde die Bildung eines deutschen Nationalstaates Wirklichkeit. Die Reichsverfassung überträgt dem als Einkammerparlament konstruierten Reichstag die Vertretung des ganzen Volkes. Unter den damit betrauten Abgeordneten finden sich zunehmend Parlamentarier modernen Charakters, die die Politik zum Beruf erhoben haben. Sie gliedern sich ein in ein System von Parteien und Fraktionen, die im Wege der Gesetzgebung am Staatswesen partizipieren. Wirkliche staatliche Verantwortung wird ihnen aber erst in die Hände gelegt, nachdem sich die konstitutionelle Monarchie in der Jahrhundertkatastrophe des Ersten Weltkrieges ihrer letzten Legitimität beraubt hat. Bis dahin vollzieht sich in den vier Jahrzehnten des Kaiserreiches die Adoleszenz eines Parteiensystems, das die politischen Geschicke des 20. Jahrhunderts fortan selbst verwalten wird.

338 Vgl. zur Typisierung der Volkspartei auch Langewiesche, Liberalismus und Demokratie, 1974, S. 369 ff.

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

a) Vereinsfreiheit und Rechtsstellung der Parteien Die Reichsverfassung vom 16. April 1871 (BRV) kannte weder ein Grundrecht der Vereinsfreiheit339, noch nahm sie ausdrücklich von politischen Parteien Kenntnis. Obgleich die tatsächliche Existenz der Letzteren nicht geleugnet werden konnte, befanden sie sich in einer rechtlichen Grauzone zwischen „faktischer Freiheit und rechtlicher Duldung, aber ohne versicherter Rechte.“340 Dennoch, so hat Ernst Rudolf Huber ausgeführt, ließen sich die Parteien im Kaiserreich nicht auf eine bloße Erscheinung der Verfassungswirklichkeit reduzieren. Sie seien zwar (auch ohne Betrachtung formaler rechtlicher Garantien) bereits ihrer reinen politischen Faktizität nach von besonderer Bedeutung im konstitutionellen System gewesen, indem sie den bisherigen Führungsschichten sukzessive die Machtposition streitig machten und diese letztlich mit dem Ende des Kaiserreiches aus ihrer Führungsposition verdrängten und somit den Wandel zum Parteienstaat einläuteten. Über diese rein tatsächliche Erscheinung hinaus seien die Parteien – trotz fehlender formal-verfassungsrechtlicher Berücksichtigung – aber Bestandteil des materiellen Verfassungsrechts gewesen. Das im Reichstag seinen Ausdruck findende Repräsentativsystem sei ohne politische Parteien nicht denkbar, die Parteien mithin „eine staatsrechtlich-institutionelle Bedingung des Konstitutionalismus“ gewesen.341 Diesem Befund ist grundsätzlich zuzustimmen. Der Parlamentarismus des Kaiserreiches ist in seiner Praxis ohne die Existenz und Tätigkeit von Parteien nicht funktionsfähig und insofern auch gedanklich dem Reichstag als Verfassungsorgan zugrunde gelegt. Indes verwirklicht sich das Parteiwesen im Rahmen der für ihn geltenden Gesetze. In Ermangelung parteirechtlicher Regelungen waren somit die Parteien im Kaiserreich weiterhin formal-rechtlich dem Vereinsrecht (wie auch dem Wahlrecht; auf § 17 RWG wurde bereits weiter oben eingegangen) unterworfen. Die Beaufsichtigung und die Gesetzgebung über das Vereinswesen stand allerdings nunmehr nach Art. 4 Nr. 16 BRV dem neugegründeten Reich zu.342 Dennoch blieb in vereinsrechtlicher Hinsicht das Regime des Nachmärzes – trotz zahlreicher Initiativen im Reichstag, ein einheitliches Reichsgesetz zu schaffen – größtenteils maßgebend343, wenngleich der Bundesbeschluss zum Vereinswesen (1854) seit dem Jahr 1867 erloschen war.344 Er wirkte jedoch weiterhin in den 339

Zur Diskussion um die Aufnahme des Grundrechtes der Vereinsfreiheit in die Verfassung und Bewertung der fehlenden verfassungsrechtlichen Verankerung Tillmann, Staat und Vereinigungsfreiheit, 1976, S. 48 ff. 340 Schmidt, Die Freiheit verfassungswidriger Parteien und Vereinigungen, 1983, S. 36. 341 Hierzu insgesamt Huber, Die Bismarcksche Reichsverfassung, in: Schieder et al., Reichsgründung, 1970, 164 (185 ff.) [Zitat dort: 185]; ders., Verfassungsgeschichte IV, 21982, S. 3 ff. 342 Gesetz betreffend die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871, in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte II, 31986, Nr. 261. 343 Vgl. Schnorr, Öffentliches Vereinsrecht, 1965, S. 22 f. 344 Vgl. Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte II, 31986, S. 556.

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Ländern fort, in denen er sich durch Publikation und entsprechende Ausführungsgesetze noch in Anwendung befand. Insgesamt blieb es also in den ersten Jahrzehnten des Kaiserreiches bei der Geltung der einzelstaatlichen Vereinsgesetze.345 Aus diesem vereinsrechtlichen Rahmen fiel jedoch das sogenannte „Sozialistengesetz“, das vom Reichstag im Oktober 1878 verabschiedet wurde.346 Das Gesetz war in unmittelbarer Folge zweier Attentatsversuche auf den Kaiser ergangen, die Reichskanzler Bismarck zum Anlass genommen hatte, den Reichstag aufzulösen und mit den Stimmen der durch die Neuwahlen gestärkten Rechten zum Schlag gegen die Sozialdemokratie auszuholen. Ursprünglich war es ausweislich seines § 30 in zeitlicher Hinsicht bis zum 31. März 1881 begrenzt, es wurde aber mehrmals verlängert und blieb so letztendlich bis zum 30. September 1890 in Kraft.347 Bereits der Auffassung seiner Initiatoren nach diente das Sozialistengesetz der „zeit- und situationsbedingten Abwehr einer konkreten Gefahrenlage“; es war folglich als „eine in Gesetzesform gekleidete Maßnahme des Verfassungsschutzes“ konzipiert.348 Somit kann es auch nicht ohne weiteres in das allgemeine vereinsrechtliche Regime eingeordnet werden, da das Gesetz in seinem situationsgebundenen Maßnahmencharakter349 vor allem einem temporären Zweck diente, auf den die angeordnete Rechtsfolge ausgerichtet war.350 Insofern war ihm auch kein Rechtswert beigemessen, der sich in einer dauerhaften Regelungsanordnung verwirklichen sollte.351 Im Gegensatz zu den als Repressivmaßnahmen ausgestalteten Verbotstatbeständen des allgemeinen Vereinsrechts stellte das Sozialistengesetz also eine Maßnahme des präventiven Verfassungsschutzes dar.352 Ungeachtet der Frage, ob das Gesetzgebungsrecht für ein solches Ausnahmegesetz auf Art. 4 Nr. 16 BRV gestützt werden konnte oder aus anderweitigen verfassungsrechtlichen und staatsrechtlich aner-

345 Delius, Die Rechtsverhältnisse der geschlossenen Vereine und Gesellschaften, 1902, S. 3. Einen Überblick zu den einzelstaatlichen vereinsrechtlichen Regelung gegen Ende des 19. Jahrhundert gibt o. V., Das Vereins- und Versammlungs-Recht in Deutschland, 1892, S. 62 ff.; ebenso Schultze, Öffentliches Vereinigungsrecht im Kaiserreich, 1973, S. 277 ff. 346 „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ vom 21. Oktober 1878, in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte II, 31986, Nr. 287 (RGBl. 1878, S. 351). 347 Zu den Vorbedingungen und Umständen des Sozialistengesetzes Tönnies, Der Kampf um das Sozialistengesetz, 1929. Insgesamt zur Entstehung und Entwicklung des Gesetzes Pack, Das parlamentarische Ringen, 1961. 348 Huber, Verfassungsgeschichte IV, 21982, S. 1157 f., zur Vorgeschichte des Sozialistengesetzes, S. 1153 ff., zur zeitlichen Dauer, S. 1164 ff. 349 Vgl. K. Huber, Maßnahmegesetz und Rechtsgesetz, 1963, S. 117. 350 Vgl. Menger/Wehrhahn, Das Gesetz als Norm und Maßnahme, in: VVDStRL 15, 1957, 3 (7, 33) und 35 (35, 64). 351 Huber, Verfassungsgeschichte III, 31988, S. 919 f. 352 Ebd., S. 1020 ff.; Maaß, Die Generalklausel des Sozialistengesetzes, 1990, S. 24 f.

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kannten Kompetenzen abgeleitet werden musste353, bedarf die antisozialistische Gesetzgebung somit einer vom sonstigen Vereinsrecht gesonderten Betrachtung. Der Ausnahmecharakter des Sozialistengesetzes wurde bereits in der zeitgenössischen juristischen Literatur hervorgehoben.354 Der Rechtsnatur nach handelte es sich ausweislich des Reichstagsabgeordneten und Juristen Rudolf von Gneist um ein Verwaltungsgesetz, das allerdings in seiner Ausführung wie ein Justizgesetz zu behandeln sei. Ein dauerhaftes repressives Justizgesetz gegen die Sozialdemokratie wäre nach Gneists Ansicht mit den Grundsätzen des Vereinsrechts nicht vereinbar.355 Das Verwaltungsgesetz sei im Sinne einer Reichspolizeiordnung mit vorbeugenden Maßregeln zur zeitweisen Beschränkung des Vereinsrechts zu verstehen, das seinen Grund in der „Abwendung eines schweren Uebels [sic!]“ habe.356 Die vor diesem Hintergrund angeordnete Rechtsfolge bestand im Wesentlichen darin, dass alle Vereine zu verbieten seien, die „durch sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische Bestrebungen den Umsturz der bestehenden Staatsoder Gesellschaftsordnung bezwecken“. Das Gleiche galt für Vereine, in denen solche Bestrebungen „in einer den öffentlichen Frieden, insbesondere die Eintracht der Bevölkerungsklassen gefährdenden Weise zu Tage treten“ (§ 1). Auf die einzelnen Regelungen des Sozialistengesetzes ist hier nicht weiter einzugehen. Hervorgehoben werden soll alleine, dass § 7 die Landespolizeibehörde als Verbotsbehörde bestimmte und eine gerichtliche Kontrolle der Verbotsmaßnahme ausgeschlossen war. Als Rechtsbehelf gegen ein Verbot stand dem Vereinsvorstand alleine eine Beschwerde zu, die indes keinen Suspensiveffekt auszulösen vermochte (§ 8). Die Entscheidung über diese Beschwerde war endgültig und oblag einer hierfür durch den Bundesrat gesondert gebildeten Kommission, von deren fünfköpfigem Spruchkörper mindestens drei Mitglieder einem der höchsten Gerichte des Reiches oder der Bundesstaaten angehören mussten. Dabei stand der Kommission freies Ermessen zu (§§ 26, 27). Trotz der Rechtswegbeschränkung spricht Huber dem gewährten außerordentlichen Rechtsschutz nicht den judikativen Charakter ab. Das Verfahren sei insgesamt gerichtsförmig ausgestaltet gewesen357; die Freiheit des Ermessens habe vor allem Freiheit von den staatlichen Behörden gemeint.358 Tatsächlich scheint die Einrichtung einer richterlich besetzten Kommission als Kontrollorgan vor allem einem staatsrechtlichen Kompromiss gefolgt zu sein, der vor dem Hintergrund der nach heutigem Verständnis noch unzureichenden Verwaltungsgerichtsbarkeit des frühen Kaiserreiches zu verstehen ist. Es sollte so eine 353 Hierzu mit leider nur begrenzter Aussagekraft Maaß, a. a. O., S. 20 ff.; kaum zur Kompetenzfrage Huber, Verfassungsgeschichte III, 31988, S. 1021 f. 354 Vgl. hierzu auch Maaß, a. a. O., S. 26 ff. 355 Gneist, Das Reichsgesetz, 1878, S. 1, 6. 356 Ebd., S. 11 f. 357 Vgl. hierzu neben § 27 des Sozialistengesetzes auch das Geschäftsregulativ für die Reichskommission, in: Rohleder, Sozialisten-Gesetz mit Geschäftsregulativ, 1884, S. 11. 358 Huber, Verfassungsgeschichte IV, 21982, S. 1164.

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Überprüfungsinstanz geschaffen werden, ohne die Trennung von Justiz und Verwaltung im damaligen Rechtsdenken aufzuheben, welches die Kontrolle der Ausführung von Verwaltungsgesetzen bei den Verwaltungsbehörden (durch Regierungskollegien) angesiedelt sah.359 Die Gesetzesgenese zeigt, dass offensichtlich ein Dissens darüber bestand, in die Hände welches Verfassungsorgans der Rechtsschutz bezüglich der Gesetzesausführung zu legen und wie stark richterlich die Überprüfung auszugestalten sei. Der dem Bundesrat am 13. August 1878 vorgelegte Entwurf sah als Rechtsbehelf die Beschwerde zu einem (nach dem Entwurf noch zu bildenden) Reichsamt für Vereinswesen und Presse vor, das in einer mehrheitlich mit Richtern besetzten Kommission entscheiden sollte.360 Demgegenüber sah der von den verbündeten Regierungen am 9. September des Jahres vorgelegte Entwurf eine Beschwerde an den Bundesrat zu, der zur Entscheidung hierüber einen siebenköpfigen, nicht an Instruktionen gebundenen Ausschuss zu bilden hatte.361 Letztlich wurden also verschiedene Elemente der Entwürfe im Gesetz zusammengeführt: Das Kontrollorgan wurde beim Bundesrat angesiedelt, war aber größtenteils mit Richtern zu besetzen.362 Eine Überweisung dieser Aufgabe an die Judikative im Sinne einer wirklichen gerichtlichen Kontrolle fand indes zu keinem Zeitpunkt Eingang in die Gesetzesentwürfe.363 In seiner Wirkung bedeutete das Sozialistengesetz in erster Linie einen Schlag gegen die außerparlamentarische Vereinsorganisation der Sozialdemokratie, deren parlamentarisches Wirken blieb davon aber weitestgehend unberührt. Das aktive wie das passive Wahlrecht war den Sozialdemokraten unbenommen; ihre Abgeordneten waren durch die in Art. 31 BRV verankerte Immunität geschützt.364 Auch die Reichstagsfraktion blieb in ihrem Bestehen und in ihrer Tätigkeit von staatlichen Eingriffen unberührt.365 Obgleich der besondere Schutz für Fraktionen nach § 21 Abs. 1 des preußischen Vereinsgesetzes seinem Wortlaut nach lediglich die „Versammlungen der Mitglieder beider [preußischer] Kammern“ umfasste, scheint dieser zumindest mittelbar auch auf die Reichstagsfraktionen abgestrahlt zu haben.366 Es 359

Vgl. hierzu Gneist, a. a. O., S. 16 ff. und 19 ff., der in entsprechender Argumentation die Einrichtung einer gerichtsmäßigen Kommission ablehnt. 360 §§ 4 bis 8 des Gesetzentwurfes vom 13. August 1878, in: Pack, Das parlamentarische Ringen, 1961, S. 243 (Anl. III). 361 §§ 4, 10 des Gesetzentwurfes vom 9. September 1878, in: ebd., S. 247 (Anl. IV). 362 Die Anwendung des geltenden Prozessrechtes, wie sie in § 27 des Gesetzes angeordnet ist, wurde übrigens erst im Nachgang der zweiten Lesung in den Gesetzentwurf aufgenommen; vgl. § 19a des Gesetzentwurfes vom 16. Oktober 1878, in: ebd., S. 255 (Anl. VI). 363 Um eine Zuweisung an die Verwaltungsgerichte mühte sich aber jedenfalls der nationalliberale Abgeordnete Eduard Lasker; ebd., S. 96. 364 Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte IV, 21982, S. 1159 f. Ausführlich zum Schutz der Abgeordneten durch die Reichsverfassung Rönne, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches I, 2 1876, § 38. 365 Vgl. etwa Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 145. 366 Zumindest nach der sozialdemokratischen Kommentierung des preußischen Vereinsgesetzes (Verlag der Expedition des „Vorwärts“) soll sich der Schutz des § 21 Abs. 1 mit der

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zeigt sich also auch in der Ausnahmegesetzgebung des Sozialistengesetzes die rechtlich unterschiedliche Behandlung des Vereins als außerparlamentarischer Organisation, die in die Illegalität gedrängt wurde, und dem parlamentarischen Tätigkeitsbereich, der ungehindert fortgeführt werden konnte.367 Jenseits des Sozialistengesetzes brauchte es nahezu drei Jahrzehnte, bis das Kaiserreich von dem ihm zustehenden vereinsrechtlichen Gesetzgebungsrecht Gebrauch machte; jedenfalls soweit es das allgemeine Vereinsrecht hinsichtlich politischer Vereinigungen betraf.368 Dies änderte sich erst im Jahre 1899, als bestehende landesrechtliche Bestimmungen zum Affiliationsverbot durch Reichsgesetz aufgehoben wurden und inländische Vereine nunmehr miteinander in Verbindung treten konnten.369 Die sogenannte „Lex Hohenlohe“ zog somit einen Schlussstrich unter die seit den 1850er Jahre gegenüber politischen Vereinigungen bestehende Beschränkungspolitik, deren Hauptinstrument im Verbindungsverbot angelegt gewesen war. Darin äußerte sich zugleich die Abkehr vom überkommenen Reaktionsdenken hin zu einem Staatsverständnis, das nunmehr politische Vereinigungen als notwendiges Konstitutiv des Verfassungsstaates anerkannte und ihnen daher neue Organisationsmöglichkeiten auch formal-rechtlich einräumte. Anstelle eines Zentralkomitees oder der Ausgestaltung als einheitlichen Gesamtvereins mit direkter Mitgliedschaft ermöglichte die Rechtsordnung nun eine wirkliche Verbandsverfassung: also eine Organisation mit zentralem Dachverband und angeschlossenen Ortsvereinen.370 Eine vollständige reichsweite Rechtsvereinheitlichung371 erfolgte aber erst 1908 mit dem Erlass des Reichsvereinsgesetzes (RVG).372 In § 1 war nunmehr das Recht

Reichsgründung auch auf den Reichstag erstrecken; o. V., Das Vereins- und VersammlungsRecht in Deutschland, 1892, § 21, Anm. 4. 367 Ähnlich auch Schmidt, Die Freiheit verfassungswidriger Parteien und Vereinigungen, 1983, S. 33 f. Vgl. im Übrigen Kapitel III. 4. a). 368 Andere reichsrechtliche Regelungen des Vereinsrechts, etwa das Teilnahmeverbot an politischen Vereinigungen für Militärpersonen des aktiven Heeres (1874), sind für diese Arbeit nicht von Bedeutung; vgl. zu dieser Gesetzgebung Rönne, a. a. O., § 20. 369 „Gesetz, betreffend das Vereinswesen“ vom 11. Dezember 1899, RGBl. 1899, S. 699. Das Affiliationsverbot untersagte je nach einzelner landesrechtlicher Ausprägung die Verbindung von politischen Vereinen (jedenfalls die Unterordnung unter ein gemeinsames Organ). Ausgeschlossen war auch eine Umgehung dahingehend, dass zwar formal ein überörtlicher Gesamtverein gegründet wurde, zugleich sich aber in den einzelnen Orten eine selbstständige Vereinstätigkeit entfaltete. Die Abgrenzung zwischen einem Gesamtverein und in Verbindung getretenen einzelnen Vereinen erfolgte nicht nach den Statuten, sondern nach den tatsächlichen Verhältnissen; o. V., Das Vereins- und Versammlungs-Recht in Deutschland, 1892, § 8, Anm. 8 ff. 370 Insgesamt hierzu Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte II, 31986, S. 557 ff.; ders., Verfassungsgeschichte IV, 21982, S. 7 f. 371 Bis zum Erlass des Reichsvereinsgesetzes bestanden in Deutschland nicht weniger als 55 Landesgesetze und Verordnungen, die das Vereins- und Versammlungsrecht betrafen; Adolph, Vereinsgesetz, 1908, III.

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aller Reichsangehörigen, also auch Frauen und Minderjährigen373, gewährt, Vereine zu Zwecken zu bilden, „die den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen“374; polizeiliche Beschränkungen sollten nur bestehen, soweit sie sich aus diesem oder anderen Reichsgesetzen ergaben. Als Verbotstatbestand war nunmehr in § 2 einzig das Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze festgelegt, wobei diese Entscheidung in das Ermessen der Verbotsbehörde gestellt und somit kein unmittelbares materielles Verbot konstituiert wurde.375 Obgleich nicht ausdrücklich im RVG erwähnt, trat die untere Polizeibehörde als Verbotsbehörde auf.376 Soweit in den einzelnen Bundesstaaten verwaltungsgerichtlicher Schutz bestand, konnte dieser durch jedes Vorstandsmitglied gegen die Vereinsauflösung in Anspruch genommen werden. Daneben bestand aber auch die Möglichkeit einer Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde.377 Auch im RVG bestanden Sondervorschriften für politische Vereine. Diese beschränkten sich allerdings auf die Pflicht, einen Vorstand und eine Satzung zu haben und die staatlichen Autoritäten über diese in Kenntnis zu setzen (§ 3), sowie ein Verbot der Mitgliedschaft für Personen unter 18 Jahren (§ 17). Die Pflichten des § 3 dienten in erster Linie der Überprüfung dieser Vereine aus Staatsschutzzwecken.378 Als politische Angelegenheiten galten solche mit Bezug zu Verfassung, Verwaltung und Gesetzgebung, aber auch zu den staatlichen Rechten der Bürger und zu internationalen Beziehungen, wobei auch Fragen der Volkswirtschaft und der Sozialpolitik als politische Gegenstände gelten konnten.379 Wahlvereine waren insofern privilegiert, als sie nach § 4 nicht als politische Vereine galten und somit von den vorgenannten Pflichten ausgenommen waren.

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Reichsvereinsgesetz vom 19. April 1908, in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte III, 31990, Nr. 10 (RGBl. 1908, S. 151). Zur Entstehungsgeschichte des RVG Tillmann, Staat und Vereinigungsfreiheit, 1976, S. 183 ff. 373 Adolph, Vereinsgesetz, 1908, § 1, Anm. 1; mit der Ausnahme der Beteiligungen von Personen unter 18 Jahren an politischen Vereinen (§ 17 RVG). 374 Zu den wesentlichen „Beschränkungen“ Delius, Deutsches Vereinsrecht, 41908, S. 220 ff. Der Begriff der „Beschränkung“ ist indes missverständlich. Richtigerweise sind strafgesetzwidrige Zwecke von Anfang an dem Schutzbereich der Vereinsfreiheit entzogen und stellen somit eine Begrenzung des Schutzbereiches dar. Nach moderner verfassungsrechtlicher Terminologie treffender ist somit die Formulierung bei Diess, Das Reichsvereinsgesetz, 1909, S. 26, wonach das Recht, Vereine zu bilden, seine „Grenze“ in den Strafgesetzen findet. 375 Schnorr, Öffentliches Vereinsrecht, 1965, S. 24. 376 Adolph, a. a. O., § 2, Anm. 5. 377 Delius, Deutsches Vereinsrecht, 41908, § 2 RVG, Anm. 4 f. Wo kein Verwaltungsrechtsschutz bestand, räumte § 2 Abs. 2 RVG den Rechtsschutz im Wege des Rekurses nach §§ 20, 21 der Gewerbeordnung ein. 378 Schnorr, a. a. O., S. 24. 379 Adolph, a. a. O., § 3, Anm. 3; in der Folgeauflage mit ausführlichen Beispielen aus der Rechtsprechung (2. Aufl. 1914). Eine gleichartige Definition hinsichtlich politischer Vereine bestand bereits vor dem RVG unter Geltung des preußischen Vereinsgesetzes; vgl. o. V., Das Vereins- und Versammlungs-Recht in Deutschland, 1892, § 8, Anm. 2.

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

Insgesamt brachte also das RVG nicht nur eine Vereinheitlichung des vereinsrechtlichen Regimes im gesamten Reichsgebiet, sondern zugleich eine Erleichterung für die Bildung und den Bestand politischer Vereine.380 Schon im Gesetzgebungsverfahren bemerkte Paul Laband, dass der Entwurf in seiner Gesamtheit, nicht jedoch in jedem einzelnen Punkt, viel freiheitlicher sei als die bisher geltenden Gesetze, aber auch als die meisten Regelungen im Ausland.381 Politische Vereinigungen sind nunmehr den sonstigen Vereinen weitestgehend gleichgestellt. Die Differenzierung von politischen Vereinen zu Wahlvereinen kennt auch das RVG. Aufgrund der wenigen verbliebenen Zusatzpflichten für politische Vereine fällt die Privilegierung der Wahlvereine nunmehr kaum noch ins Gewicht. Die Aufhebung des Teilnahmeverbots für Frauen ermöglicht eine über den Kreis der Wahlberechtigten hinausgehende Verankerung in der Gesellschaft. Insgesamt schuf das RVG die notwendige Rechtsgrundlage für die weitere Entwicklung politischer Parteien, ohne diese in ihrer Parteieigenschaft zu nennen oder ihnen eine besondere Regelung zukommen zu lassen. In ihrer rechtlichen Behandlung bleiben sie Vereine, die aufgrund ihrer politischen Ausrichtung zusätzlichen Auflagen unterworfen sind.

b) Parlament und Fraktionswesen Wer als Parlamentarier zu Einfluß und Geltung kommen wollte, bedurfte des Rückhalts an einer Partei; wer sich von einer Partei löste, mußte, um Einfluß und Geltung zu behaupten oder neu zu gewinnen, in eine andere Partei übertreten oder eine neue Partei ins Leben rufen.382 (Ernst Rudolf Huber)

Wenngleich eine vollkommene parlamentarische Ausgestaltung des Kaiserreiches nie Realität wurde, konnte der Reichstag in dessen politischem System eine bedeutende Stellung einnehmen. Dies lag allerdings weniger darin begründet, dass sich die Abgeordneten eine solche Position ihres Parlamentes sukzessive erkämpft hätten. Schon der Verfassung nach war der Reichstag mit einer neuartigen relativen Machtfülle ausgestattet.383 Dabei schuf das allgemeine Männerwahlrecht eine Möglichkeit der Teilhabe am staatlichen Geschehen, die eine nachhaltig steigende politische Mobilisierung der Gesellschaft nach sich zog. Machte im Jahr der 380

Zur Bedeutung des Reichsvereinsgesetzes Tillmann, Staat und Vereinigungsfreiheit, 1976, S. 230 ff. 381 Laband, Zum Entwurf des Vereinsgesetzes, in: DJZ 1908, 2 (2), obgleich der Entwurf noch die besonderen Pflichten des späteren § 3 RVG auf alle Vereine, die eine Einwirkung auf öffentliche (nicht nur politische) Angelegenheiten bezwecken, erstreckte. Laband selbst schlägt die Beschränkung dieser Pflichten auf politische Vereine vor, ebd., (4). 382 Huber, Verfassungsgeschichte III, 31988, S. 890. 383 Vgl. hierzu Shirvani, Die politischen Parteien im Staatsrecht des Deutschen Kaiserreiches, in: MIP 2006, 77 (81 f.).

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Reichsgründung nur ungefähr jeder zweite Wahlberechtigte von seinem Stimmrecht Gebrauch, lag die Wahlbeteiligung rund anderthalb Jahrzehnte später (1887) schon bei nahezu 78 Prozent und kletterte in den letzten Vorkriegswahlen auf rund 85 Prozent. Als Adressat und Fürsprecher gesellschaftlicher Interessen nahm der Reichstag somit bereits eine bedeutende Position ein, die noch dadurch bestärkt wurde, dass die Herausforderungen der Industriegesellschaft ein ungeheures Maß gesetzgeberischer Betätigung erforderlich machten.384 Hinsichtlich der wirtschaftlichen Stellung der Abgeordneten regelte Art. 32 BRV, dass diese keine Besoldung oder Entschädigung erhalten sollten. Damit waren grundsätzlich wohlhabendere Schichten begünstigt, eine parlamentarische Tätigkeit auszuüben. Zugleich konterkarierte diese Bestimmung das allgemeine (passive) Wahlrecht, weshalb gerade im sozialdemokratischen Lager diese Situation durch parteiseitige Zuwendungen kompensiert wurde. Nicht selten waren Abgeordnete zugleich Mitglied in einem Landesparlament und konnten ihren Unterhalt aus den dort gezahlten Diäten bestreiten.385 Die mit dem Diätenverbot verfolgte Intention, einen Berufsparlamentarismus zu verhindern, ging somit ebenfalls fehl. Auf Nebenverdienste angewiesen, wurden die Finanzierung der Abgeordnetentätigkeit von dritter Seite – unter der damit einhergehenden Gefährdung des unabhängigen Mandats – gang und gäbe. Unter den Mitgliedern des Reichstages fanden sich Funktionäre von Verbänden, Parteien und Gewerkschaften oder Redakteure von Partei- oder sonstigen politischen Zeitschriften, die sich durch diese Tätigkeit ihre Parlamentszugehörigkeit finanzierten.386 Das Diätenverbot förderte folglich nicht einen unabhängigen Honoratiorencharakter, sondern ließ vielmehr die Bindung an die eigene Partei zumindest im politisch linken Spektrum anwachsen.387 Vielfach war also bereits aus wirtschaftlichem Hintergrund eine Bindung an die außerparlamentarische Organisation gegeben. Ohnehin war die Konzeption eines (lupenreinen) freien Mandats in der Verfassungsrealität des Reichstages kaum mehr zutreffend. Parteiunabhängige Reichstagsmitglieder gab es zwar, ihr Einfluss war aber gering. Umgekehrt nahm der äußere Einfluss auf die Parteigänger unter den Abgeordneten deutlich zunehmende Formen an.388 Doch auch innerparlamentarisch 384 Insgesamt Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte III, 1995, S. 864 ff. Zur Wahlbeteiligung Hofmann, Geschichte der deutschen Parteien, 1993, 23. Zur Bedeutung des Bundestages im Gesetzgebungsprozess Ullrich, Gesetzgebungsverfahren und Reichstag, 1996, S. 108. Zur Bedeutung des Reichstages und der Parteien auch Pikart, Die Rolle der Parteien, in: Böckenförde, Moderne deutsche Verfassungsgeschichte, 21981, 295. 385 Ullrich, a. a. O., S. 36 f. Das Diätenverbot wurde erst 1906 aufgehoben; vgl. Huber, a. a. O., S. 894 f. 386 Huber, a. a. O., S. 893 f. Laband spricht von einer „lex imperfecta“. Den Zuwendungen Dritter an Abgeordnete standen keine rechtlichen Hindernisse im Weg. Dass der zivilrechtliche Vertrag, der dieser Schenkung oder Besoldung zugrunde lag, wegen Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz nach § 134 BGB eigentlich nichtig war, wirkte sich de facto schon wegen § 817 BGB nicht weiter aus; ders., Staatsrecht I, 41901, § 38. 387 Ritter, Die deutschen Parteien 1830 – 1914, 1985, S. 44. 388 Huber, a. a. O., S. 890.

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

hatte die Zugehörigkeit zu einer Fraktion eine besondere Bedeutung für die Wirkungsmöglichkeit der Abgeordneten: Ohne fraktionelle Anbindung war der Zugang zu einem parlamentarischen Ehrenamt wie zu den für die Detailfragen zuständigen Kommissionen praktisch versperrt.389 Eine Fraktion bedurfte im Reichstag mindestens 15 Mitglieder; daneben bestanden zahlenmäßig kleinere Zusammenschlüsse als Gruppen. In den einzelnen Fraktionen gingen aus Wahlen Vorstände hervor, die jedoch nur formal eine Führungsposition innehatten.390 Welches Maß an Fraktionsdisziplin erreicht werden konnte, hing von der Homogenität der jeweiligen Fraktion und der Durchsetzungskraft ihres Führungspersonals ab. Die Anwendung eines mit Ausschluss bewehrten Fraktionszwanges als formell beschlossenen Mittels war – zumindest noch während der ersten Jahre des Reichstages – nicht die Regel, zumal auch jenseits dessen genügend formlose Einwirkungsmöglichkeiten auf die einzelnen Fraktionsmitglieder bestanden.391 Insbesondere bei den Sozialdemokaten spielte die Einhaltung der Parteidisziplin schon anfänglich eine große Rolle. Die zunehmenden Herausforderungen der parlamentarischen Arbeit und der damit einhergehende Wandel zum Berufspolitikerwesen ließen die Bedeutung von Parteiund Fraktionsdisziplin jedoch insgesamt zunehmen.392

c) Parteien Der in den Jahren vor der Reichsgründung in Gang gesetzte Prozess der Herausbildung politischer Parteien setzt sich im Kaiserreich ungebrochen fort und erfasst nach und nach alle politischen Lager. So bedeutsam das Jahr 1871 auch für die staatliche Geschichte Deutschlands gewesen ist, bedeutet es in keiner Weise eine Zäsur für die deutsche Parteiengeschichte. Deren Entwicklungslinie setzt sich vielmehr seit den weiter oben beschriebenen Parteibildungen der 1860er Jahre konstant fort; die Parteien verfügen aber nunmehr durch die Einrichtung des Reichstages über einen gesamtdeutschen Bezugspunkt ihrer politischen Tätigkeit. In dessen Umfeld vollziehen sie – ganz im Allgemeinen gesprochen – einen Wandel von Weltanschauungsparteien, die vielfach noch durch einen Honoratiorencharakter gekennzeichnet sind, zu interessensgeleiteten Massen- oder Mitgliederparteien.393 Trotz ihrer unbestreitbaren Existenz und fortgeschrittenen Organisation darf aber nicht vergessen werden, dass sie jenseits der Gesetzgebung und der Artikulation 389

Ullrich, a. a. O., S. 49 ff. Zur Bedeutung und Funktion der Fraktionen im parlamentarischen Betrieb auch Hauenschild, Wesen und Rechtsnatur der Fraktionen, 1968, S. 30 ff. 390 Ullrich, a. a. O., S. 53 f., 66 ff. 391 Ebd., S. 73 ff. 392 Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte III, 31988, S. 889 f. 393 Hierzu ausführlich Schieder, Grundlagen und Epochen des deutschen Parteiwesens, in: ders., Staat und Gesellschaft im Wandel unserer Zeit, 21970, 133 (152 ff.). Kritisch hinsichtlich Unterscheidbarkeit von Weltanschauungs- und Interessenpartei, aber ebenfalls die Herausbildung von Massenparteien hervorhebend Huber, Verfassungsgeschichte IV, 21982, S. 18 ff., 22 ff.

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gesellschaftlicher Interessen an der Regierung selbst keinen Anteil nehmen. Das Streben nach wirklicher politischer Macht ist somit schon der Verfassung nach nur ein begrenzt konstitutives Element der Parteien des auslaufenden 19. Jahrhunderts. Nicht zuletzt deshalb führt Lösche die Wendung von der „,Verantwortungslosigkeit‘ der Parteien in der Bismarckschen Verfassungswirklichkeit“ an.394 „Im Entscheidenden blieben sie“, um mit Siegmud Neumann zu sprechen, „immer Gesellschaft und wurden nie Staat“.395 Unter dem Eindruck des im Vereinsrecht noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts verankerten Affiliationsprinzips396 bleibt das Gefüge zwischen den zentralen Parteiorganen und der lokalen Basis insgesamt noch recht lose. Allerdings vollzieht sich nun auch auf der örtlichen Ebene eine stärkere Ausdifferenzierung entsprechend der Fraktionsstrukturen. Dieser „,Fraktionierung‘ der Organisationen“ folgte – unter dem Eindruck der zunehmenden politischen Mobilisierung der Bevölkerung, die Wahlkämpfe zu einer immer komplexeren Angelegenheit werden ließen – die Notwendigkeit, den Ausbau der Organisation voranzutreiben und die eigene Anhängerschaft stärker zu integrieren. In Ermangelung eines integrierenden gesellschaftlichen oder konfessionellen Bandes galt dies für die Liberalen in besonders großem Maße. Das Netz lokaler Vereine wuchs beständig, regionale und allgemeine Parteitage dienten der Integration in die Gesamtorganisation. Die Wahlkreisorganisationen blieben jedoch weiterhin weitgehend autonom. Insgesamt entstanden nach und nach dauerhafte Parteiapparate, die zunehmend auch hauptamtliche Mitglieder beschäftigten.397 Wie schon angesprochen, ist der Liberalismus des Kaiserreiches also durch eine inhaltliche Heterogenität geprägt, mit der auch zahlreiche Umbrüche der politischen Organisation einhergehen. Die Anhänger des Liberalismus entstammen dem breit gefächerten, von unterschiedlichen Interessen bewegten, gesellschaftlichen Spektrum des Mittelstandes; im Gegensatz zu anderen politischen Richtungen sind sie somit nicht in einem festen „sozialmoralischen Milieu“ verankert oder einander durch eine gemeinsame Konfession (Zentrum) verbunden.398 Davon war weniger der Rechtsliberalismus betroffen, der in der Nationalliberalen Partei eine organisatorische Konstante fand. Die Umbrüche zeigen sich demgegenüber in der Organisationsgeschichte des Linksliberalismus, die hier nur kurz nachgezeichnet werden kann: Die Deutsche Fortschrittspartei (DFP) bestand zunächst auch im Kaiserreich als solche fort, fusionierte aber schließlich 1884 mit der „Sezession“, einer Abspaltung der Nationalliberalen, zur Deutschen Freisinnigen Partei. Innere Auseinanderset394

Lösche, Kleine Geschichte der deutschen Parteien, 21994, S. 41. Neumann, Die Parteien der Weimarer Republik, 51986, S. 25. Folglich wirkte auch der Reichstag „weniger als ein Organ des Staats denn als Vertretung der Gesellschaft gegenüber der Staatsgewalt“; Klein, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Art. 21, Rn. 60. 396 Vgl. hierzu Kapitel III. 5. a). 397 Insgesamt Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866 – 1918 II, 1992, S. 514 ff. [Zitat dort S. 516]. 398 Lösche, a. a. O., S. 48 f.; Ritter, Die deutschen Parteien 1830 – 1914, 1985, S. 65. 395

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zungen führten jedoch 1893 zu einer neuerlichen Spaltung, so dass nunmehr zwei linksliberale, „freisinnige“ Organisationen (Freisinnige Vereinigung und Freisinnige Volkspartei) nebeneinander bestanden. Erst 1910 kam es dann letztlich zu einem endgültigen Zusammenschluss, aus dem als linksliberale Gesamtorganisation die Fortschrittliche Volkspartei entstand.399 Der DFP gelang es, in den anderthalb Jahrzehnten nach der Reichsgründung die Zahl ihrer lokalen Vereine nachhaltig zu erhöhen. In Folge der Fusion 1884 kamen die Vereine der Sezession hinzu, die sich bisweilen auch mit den Vereinen der Fortschrittspartei selbst vereinigten. Nunmehr als Deutsche Freisinnige Partei konnten die Linksliberalen den Ausbau ihrer lokalen Parteiorganisation noch weiter vorantreiben. Im Jahr ihres Auseinanderfallens 1893 verfügte diese Partei über 418 Ortsvereine.400 Der Organisationsgrad im linksliberalen Lager entwickelte sich beständig weiter. Für das Jahr 1912, also zwei Jahre nach der neuerlichen Fusion zur Fortschrittlichen Volkspartei, kann wohl von rund 1.500 Parteivereinen ausgegangen werden. Zusehends hatte sich auch eine mittlere Parteiebene herausgebildet, die sich in 19 Landes- und Provinzialverbände mit 14 Bezirksverbänden gliederte. Rund 120.000 bis 130.000 Mitglieder dürfte die Partei zu diesem Zeitpunkt gezählt haben.401 Der zunehmende Ausbau der lokalen Strukturen darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die eigentliche Partei weiterhin eine stark parlamentarisch geprägte war. Die Bindung der außerparlamentarischen Organisation, also der zahlreichen Ortsvereine, an die (parlamentarische) Parteizentrale der DFP sollte einerseits auf der Grundlage eines gemeinsamen Programms, zweitens durch gleichförmige Organisationsstrukturen bei den einzelnen Vereinen und letztlich durch ein auf die zentrale Parteiführung zugeschnittenes Organisationsstatut erreicht werden; Landes- und Provinzialparteitag sollten als Nahtstelle fungieren.402 Weniger bedeutsam war indes, dass die Vereine sich durchgängig gleich bezeichneten, solange sie auf das gemeinsame Programm Bezug nahmen. So firmierten fortschrittliche Vereine im Lande unter verschiedenen Namen.403 Die eigentliche Parteiführung lag 399 Vgl. die übersichtliche Darstellung bei Hofmann, Geschichte der deutschen Parteien, 1993, S. 30 ff. Die uns aus Kapitel III. 4. c) bekannte Deutsche Volkspartei schloss sich ebenfalls der Fortschrittlichen Volkspartei an. 400 Nipperdey, Die Organisation der deutschen Parteien, 1961, S. 176 ff. 401 Ebd., S. 187, 195, der von 120.000 Mitgliedern Anfang 1912 ausgeht; nach späterer Angabe 1.600 Vereine mit rund 150.000 Mitgliedern laut ders., Deutsche Geschichte 1866 – 1918 II, 1992, S. 520 f. Vgl. auch Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 126, der von rund 130.000 in linksliberalen Vereinen organisierten Mitgliedern spricht. Diese Mitgliederzahl und eine Aufschlüsselung der angeschlossenen Vereine findet sich bei Elm, Fortschrittliche Volkspartei, in: Fricke et al., Lexikon zur Parteiengeschichte II, 1984, 599 (599 ff.). 402 Steinbrecher, Liberale Parteiorganisation, 1960, S. 50, 127. 403 Nipperdey, Die Organisation der deutschen Parteien, 1961, S. 176. Auch bei der Freisinnigen Volkspartei wurden neue Vereine lediglich ersucht, eine dem Parteinamen entsprechende Bezeichnung anzunehmen. Entscheidend blieb nach dem Statut die Bezugnahme auf

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in den Händen der Fraktion; das zentrale Komitee, das auch den geschäftsführenden Ausschuss bestimmte, setzte sich seit 1873 aus den Berliner Abgeordneten zusammen und blieb somit ein parlamentarisches Organ, obgleich das Statut wie das Programm der DFP immerhin 1878 durch einen allgemeinen Parteitag verabschiedet wurde.404 Dieses Grundprinzip einer aus dem Parlament geführten Partei blieb auch noch nach der Fusion zur Deutsch-Freisinnigen Partei erhalten und setzte sich dort fort.405 Von den beiden zwischen 1893 und 1910 bestehenden Nachfolgeorganisationen verdient in organisatorischer Hinsicht die Freisinnige Vereinigung Erwähnung, die zunächst als Wahlverein mit Einzelmitgliedern, ab 1905 mit zugehörigen Vereinen organisiert war. Der Vorstand wurde hier von einem Parteitag gewählt. Dieser war bis 1905 als General-, sodann als Delegiertenversammlung ausgestaltet, wobei sich die Zahl der Delegierten nach der Mitgliederzahl der Einzelvereine und nach den Wählerzahlen richtete. Dem vom Vorstand bestimmten geschäftsführenden Ausschuss gehörten auch Nichtparlamentarier an, wenngleich die Führung der Partei auch hier von der Fraktion geprägt war.406 Nach der neuerlichen Fusion 1910 sah das Statut der Fortschrittlichen Volkspartei nunmehr vor, dass der Zentralausschuss (als neues Führungsorgan) zwar aus allen Mitgliedern der Reichstagsfraktion bestehen sollte, diesem daneben aber auch von den Landesverbänden bestimmte Vertreter sowie die Mitglieder des geschäftsführenden Ausschusses angehören sollten. Der Parteitag als formal höchstes Parteiorgan sollte im zweijährigen Turnus stattfinden; über die Aussprache selbst kam ihm aber wohl keine besondere Bedeutung zu. Er wurde neben den Abgeordneten des Reichstages und der Landtage durch eine Höchstzahl von drei Delegierten je Wahlkreis beschickt. Somit stand er in der Tradition der Freisinnigen Volkspartei; ein Delegiertenschlüssel nach Zahl der Mitglieder und Wähler (entsprechend dem zuvor aufgeführten Beispiel der Freisinnigen Vereinigung) wurde nicht übernommen.407 Der Zentralausschuss selbst trat halbjährlich zusammen und wählte den 18-köpfigen geschäftsführenden Ausschuss, der die Partei auch nach außen vertrat und die eigentliche Leitungsfunktion innehatte. Die parlamentarische Politik wurde indes nicht von der Parteileitung an sich gezogen, sondern blieb der Fraktion vorbehalten, obgleich gemeinsame themenbezogene Fachausschüsse durchaus eingerichtet das Programm; Elm, Freisinnige Volkspartei, in: Fricke et al., Lexikon zur Parteiengeschichte II, 1984, 694 (696). 404 Nipperdey, Die Organisation der deutschen Parteien, 1961, S. 196 ff.; zu Organen und Tätigkeit der parlamentarischen Partei auch Steinbrecher, Liberale Parteiorganisation, 1960, S. 65 ff. 405 Vgl. Nipperdey, a. a. O., S. 206 ff.; vgl. auch das Organisationsstatut der Deutschen Freisinnigen Partei bei Seeber, Deutsche Freisinnige Partei, in: Fricke et al., Lexikon zur Parteiengeschichte I, 1983, 656 (658 f.). 406 Nipperdey, a. a. O., S. 224 ff. 407 Zur Zusammensetzung der Parteitage und zum Organisationsaufbau Elm, Fortschrittliche Volkspartei, in: Fricke et al., Lexikon zur Parteiengeschichte II, 1984, 599 (601). Vgl. hierzu die Zusammensetzung des Parteitages bei der Freisinnigen Volkspartei bei ders., Freisinnige Volkspartei, in: ebd., 694 (695).

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

wurden. Die „eigentliche politische Führung der Partei“ blieb somit die Fraktion, der gegenüber der Ausschuss trotz seiner Beschlüsse zu Wahlbündnissen keine unabhängige Stellung einnahm.408 Bei den Nationalliberalen verlief die Organisationsentwicklung gegenüber dem Linksliberalismus deutlich linearer. Als weitaus erfolgreichste politische Kraft der 1870er Jahre verfügten sie über die mit Abstand stärkste Reichstagsfraktion, die außerparlamentarische Organisation blieb indes von Komitees und Honoratioren geprägt. Dies änderte sich erst nach der schweren Wahlniederlage im Jahre 1890.409 Das neue Organisationsstatut ersetzte nunmehr die bislang rein fraktionsbasierte Zentrale durch einen von der Fraktion formal getrennten Zentralvorstand. Diesem gehörten zwar weiterhin Fraktionsmitglieder an, hinzu kamen aber Vertreter aus den Führungsgremien der Länder und Provinzen, in denen sich nach Ende des Affiliationsverbotes der Zusammenschluss der Lokalvereine durch Ausbildung übergeordneter Landes- und Provinzialverbände noch weiter verdichtete.410 Das neue Führungsorgan war somit schon früh föderal ausgerichtet, ohne die Bindung an die parlamentarische Vertretung aufzulösen. Eine weitere Formalisierung der Parteiorgane, ihrer Zusammensetzung und Funktionen wurde durch die Liberalisierung des Vereinsrechts möglich und erfolgte durch das Statut von 1905. Die Anzahl der Landesvertreter im Zentralvorstand richtete sich nun nach den Wahlergebnissen. Zudem wurde dem Reichsverband der Jungliberalen eine den Landesverbänden entsprechende Stellung innerhalb der Partei zugestanden, die ihm aber aufgrund seiner linken Positionen 1912 wieder aberkannt wurde. Die eigentliche Parteiführung oblag auch bei Nationalliberalen einem vom Zentralvorstand bestimmten geschäftsführenden Ausschuss.411 Dem Zentralvorstand gegenüber blieb die Fraktion institutionell unabhängig, so dass eine formale Einflussnahme nicht bestand. Allerdings nutzte der Vorstand informelle Kanäle, etwa öffentliche Stellungnahmen oder parteiinterne Aussprachen, und konnte so einen nicht unbedeutende Rolle spielen.412 Auch der Parteitag, der zwar über programmatische Entwürfe und die Statuten mitentschied, hatte im Wesentlichen nur einen indirekten Einfluss. Er bestand aus den Abgeordneten und Vorstandsmitgliedern sowie anfänglich je drei Teilnehmern der Wahlkreise, wobei sich ab 1905 die Zahl der Wahlkreisdelegierten unter Berücksichtigung der dort erzielten Wahlergebnisse (nur in Ausnahmefällen nach der Mitgliederzahl) richtete. Das Vereinsrecht ermöglichte nunmehr eine wirkliche Delegation der Wahlkreise, während zuvor offiziell nur Einzelpersonen teilnehmen konnten.413 Die Zahl der

408 409 410 411 412 413

Zum Vorstehenden insgesamt Nipperdey, a. a. O., S. 232 ff. [Zitat dort: S. 236]. Vgl. Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 112 ff. Zur Entwicklung dieser mittleren Parteiebene Nipperdey, a. a. O., S. 109 ff. Insgesamt hierzu ebd., S. 126 ff., 130 ff. Ebd., S. 136 f., 172 f. Ebd., S. 126 ff., 141 ff.

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Vereine wuchs beständig und lag bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges bei über 2.200 Vereinen mit nahezu 284.000 Mitgliedern.414 Bei der Sozialdemokratie sind die Organisationsbemühungen durch das Sozialistengesetz zunächst deutlich erschwert. Zuvor hatten sich aber die beiden bestehenden Organisationen, ADAV und SDAP, im Mai 1875 in Gotha zu einer gemeinsamen Sozialisten Arbeiterpartei zusammengeschlossen. Bereits 1878 zwang die antisozialistische Gesetzgebung415 die Partei zur Aufgabe ihrer bisherigen Organisation. Vor Ort wurden als Ersatzorganisationen gesellige Vereine gegründet; daneben bestand ein im Geheimen agierendes, informelles System von Vertrauensmännern, die sogenannte Corpora, das sich mit allen partei- und wahlbezogenen Fragen beschäftigte. Nicht vom Sozialistengesetz berührt war indes das aktive und passive Wahlrecht. Somit bestand mit der Reichstagsfraktion auch ein legales Führungsgremium. Parteikongresse wurden von ihr im Ausland einberufen.416 Mit dem Ende des Sozialistengesetzes 1890 gab sich die Partei einen neuen Namen: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD). Die Organisationsstruktur blieb aufgrund des Affiliationsverbotes noch lose. Einerseits bestanden vor Ort zwar wieder Parteivereine, daneben gab es aber ganz entscheidend ein System von Vertrauensmännern, die in öffentlichen Versammlungen gewählt wurden. Hier lebten der Gedanke und das Wesen der Corpora noch weiter fort. Erst ab 1905 und endgültig 1909 wurde das Vertrauensmännersystem zugunsten der Organisation nach Ortsvereinen oder -gruppen und darüberstehenden Wahlkreisvereinen aufgegeben. Es entstand eine Massenorganisation, die im Jahr 1913 nahezu 5.000 Ortsvereine umfasste. Bei Kriegsbeginn hatte die SPD über eine Million Mitglieder.417 Seit 1905 bestanden auch nach dem Statut Bezirksverbände, in denen die Wahlkreisverbände zusammengefasst waren, dazu vor allem in Süddeutschland auch Landesverbände.418 Diese verfügten über einen Vorstand und hielten Parteikongresse ab. Zentrale reichsweite Organe waren der insgesamt recht einflussreiche Parteitag und die Parteileitung, unterteilt in den eigentlichen Vorstand und eine Kontrollkommission. Beide Organe wurden vom Parteitag gewählt. Die Anzahl der Delegierten pro Wahlkreis war zunächst mitgliederunabhängig, wurde aber nach und nach zugunsten der mitgliederstarken Kreise verändert. Der Reichstagsfraktion kam nach dem Statut keine formale Führungsfunktion zu; sie wirkte jedoch – bereits durch die nicht seltene Personalunion – eng mit dem Vorstand zusammen. Bedeutsamer als in den anderen Parteien wurde die politische Linie auch vom Parteitag und vom Vorstand mitgeprägt; die Parteitagsbeschlüsse konnte weder die Parteiführung noch die 414

Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866 – 1918 II, 1992, S. 528. Vgl. Kapitel III. 5. a). 416 Vgl. Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 144 f. Ausführlich Nipperdey, Die Organisation der deutschen Parteien, 1961, S. 306 ff. 417 Insgesamt zur Lokalorganisation ausführlich Nipperdey, Die Organisation der deutschen Parteien, 1961, S. 315 ff. 418 Insofern erfolgte die Organisation also in Anlehnung an den Staatsaufbau; vgl. ebd., S. 386. 415

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

Fraktion einfach ausblenden.419 Die weit fortgeschrittene Organisationsförmigkeit der SPD zeigte sich an Berichtspflichten der Bezirks- und Wahlkreisorganisationen, an einheitlichen Mitgliedsbüchern und einer allgemeinen Parteistatistik.420 Von solchen Organisationsfortschritten weit entfernt ist das konservative Lager, bei dem zum einen die Deutsche Reichspartei zu nennen ist. Unter dieser Bezeichnung schlossen sich die freikonservativ gesinnten Abgeordneten nunmehr im Reichstag zusammen, womit sich die Bezeichnung „Freikonservative“ vor allem auf Preußen bezog.421 Sie blieb allerdings lange eine rein parlamentarisch geführte Partei und mühte sich erst ab 1907 um den Aufbau einer Organisation, indem sie einen in Bezirksverbände422 gegliederten Wahlverein mit Ortsgruppen gründete. Diesem standen ein Gesamtvorstand und ein geschäftsführender Ausschuss vor. Der Gesamtvorstand setzte sich aus den Reichs- und Landtagsabgeordneten, Abgesandte der Bezirksverbände und durch den Ausschuss gewählte Mitglieder zusammen. Auch Parteitage wurden seit 1906 abgehalten.423 Im „eigentlichen“ Konservatismus – die Reichspartei (bzw. Freikonservativen) stand vielfach dem Nationalliberalismus näher424 – hatte sich 1873 in Preußen die „Neue konservative Fraktion“ von den Bismarck-kritischen Altkonservativen abgespalten. Dieses Ereignis zog eine komplette Neuorganisation des Konservatismus nach sich, die 1876 in der Gründung der Deutschkonservativen Partei mündete. Wesentliche Organisation war zunächst ein Wahlverein, dem nur Einzelmitglieder angehörten. Orts-, Provinzial- und Landesvereine wurden erst ab 1902 in die nun als „Hauptverein der Deutschkonservativen“ firmierende Zentralorganisation eingegliedert.425 Jedoch setzte sich der 1892 eingerichtete Gesamtvorstand („50er-Ausschuss“) bereits aus Vertretern der Reichs- und Landtagsfraktionen sowie Provinzialund Landesvertretern zusammen. Dieser wählte den geschäftsführenden „11er-“, später „12er-Ausschuss“, der zum eigentlichen Führungsorgan wurde, zumal er ab 1912 im Prinzip auch über die Zusammensetzung des Gesamtvorstandes verfügte. Parteitage waren ebenfalls seit 1912 in der Satzung vorgesehen.426 Insbesondere in ländlichen Gebieten wurden die vielfach bestehenden organisatorischen Defizite 419 Insgesamt hierzu ausführlich Nipperdey, a. a. O., S. 340 ff.: zu Bezirks- und Landesorganisationen S. 340 ff., zum Parteitag S. 351 ff., zur Parteileitung S. 367 ff., zur Fraktion S. 381 ff. 420 Nipperdey, a. a. O., S. 372 f. 421 Fricke, Reichs- und freikonservative Partei, in: ders. et al., Lexikon zur Parteiengeschichte III, 1985, 745 (745). 422 Diese sich im Entstehen befindenden Bezirksverbände entsprachen Landes- und Provinzialverbänden. 423 Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 116 f.; Fricke, a. a. O., (759 ff.). Ausführlich zu Umständen und Ablauf des Organisationsaufbaus Alexander, Freikonservative Partei, 2000, S. 94 ff. 424 Hierzu Fenske, a. a. O., S. 117 ff. 425 Huber, Verfassungsgeschichte IV, 21982, S. 26 f., 28 ff. 426 Nipperdey, a. a. O., S. 252 ff.

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durch den 1893 gegründeten Bund der Landwirte kompensiert, der sich zu einer wahren Massenorganisation mit über 300.000 Mitgliedern entwickelte.427 Trotz des Honoratiorencharakters der Deutschkonservativen Partei verfügte sie somit über eine zwar externe, aber eindrucksvolle Massenorganisation.428 Der Organisation des Zentrums soll an dieser Stelle nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet werden. Der politische Katholizismus ruhte während des Kaiserreiches weiterhin in seinem breiten Vereinswesen. Eine besondere Bedeutung als Massenorganisation der Anhängerschaft nahm in diesem Zusammenhang der 1890 gegründete „Volksverein für das katholische Deutschland“ ein. Eine formale Mitgliedschaft zur „Zentrumspartei“ als solcher gab es nicht; Parteitage wurden nicht abgehalten, fanden aber ein Surrogat in den Katholikentagen. Auf die Einrichtung zentraler Organisationen wurde verzichtet; auf der Ebene des Reiches blieb somit einzig die Reichstagsfraktion als Führungsgremium. Erst 1914 wurde ein Reichsausschuss gebildet, der sich aus Vertretern der Parlamente, der katholischen Parlamente sowie Abgesandten von größeren Verbänden und der Landesausschüsse zusammensetzte. Solche Ausschüsse waren die Leitungsorgane in den Landes- und Provinzialverbänden, die weitestgehend den organisatorischen Schwerpunkt des Zentrums bildeten. Zur Wahlvorbereitung bestanden auf lokaler Ebene Honoratiorenkomitees.429 Rückblickend begegnen wir also im Kaiserreich einem insgesamt zum Ersten Weltkrieg hin immer weiter zunehmenden Ausbau der Parteiorganisation, mit dem im Übrigen auch ein Trend zur stärkeren und detaillierteren programmatischen Ausrichtung einhergeht.430 Die zunächst noch parlamentarisch geprägten Führungsgremien erkennen zunehmend die Notwendigkeit einer breiten Parteibasis. Deren Organisation erfolgt vor Ort in Form der Parteivereine, die nach und nach die Honoratiorenkomitees ablösen. Wo das parteieigene Vereinsweisen (wie bei den Deutschkonservativen) nicht weit ausgebildet ist, erfolgt die Massenorganisation in parteiexternen Vereinen. Die Eingliederung in die Gesamtorganisation wird durch das liberalere Vereinsrecht seit der Jahrhundertwende erleichtert. Als Bindeglied fungieren dabei Provinzial- und Landesorganisationen. Auch in den Leitungsorganen findet eine Öffnung gegenüber der Gesamtorganisation statt, indem ihnen nicht mehr alleine Vertreter der Fraktionen, sondern auch der mittleren Instanzen angehören. Die Anzahl der Vertreter richtet sich – dies gilt auch hinsichtlich der Delegiertenschlüssel zu Parteitagen – zwar durchaus nach der Mitgliederzahl, nicht selten aber unter Berücksichtigung der Wahlergebnisse. Über den innerparteilichen Ein427

Fenske, a. a. O., S. 137 f. Vgl. Nipperdey, a. a. O., S. 249 f. 429 Vgl. zum Vorstehenden Gottwald/Wirth, Zentrum, in Fricke et al., Lexikon zur Parteiengeschichte IV, 1986, 552 (558); Hofmann, Geschichte der deutschen Parteien, 1993, S. 107 f. 430 Vgl. hierzu bei Mommsen, Deutsche Parteiprogramme, 31960: Parteiprogramme der Nationalliberalen Partei (1907), S. 168, der Fortschrittlichen Volkspartei (1910), S. 173 und das Erfurter Programm der SPD (1891), S. 349. 428

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

fluss entscheidet somit nicht allein der Organisationsgrad, sondern auch der Wahlerfolg. Insgesamt ist das Gesamtgefüge noch nicht besonders stark verdichtet, insbesondere die lokalen Organisationen verfügen über eine recht weitgehende Selbstständigkeit. Allein bei den Sozialdemokraten sind der Organisationsausbau und die Zentralisation bereits weit fortgeschritten. Die SPD existierte nicht als (bloßer) Zusammenschluss lokaler Vereine, sondern als eine vollständig integrierte Gesamtpartei, deren Basisorganisationen „weniger ihre Elemente als ihre Organe“431 waren und der Parteidisziplin folgten. Dennoch konnten diese über die Parteitage am Prozess der zentralisierten Willensbildung partizipieren und erhielten etwa bei der Kandidatenaufstellung ein gewisses Maß an Unabhängigkeit. So zeigt sich die Sozialdemokratie als disziplinierte Massenorganisation mit zentraler Führung, die durch ihren ausgebildeten mehrstufigen Aufbau dennoch die Macht auf mehrere Instanzen verteilt.432 Während in den anderen Parteien der Verein an der Basis noch als eigenständiges Konstitutiv in der Gesamtorganisation hervortritt, ist er in der SPD mit dieser schon weitgehend zu einer wirklichen Gesamtpartei verschmolzen. Was bedeutet dies für die Kernthese, nach der der modernen Partei eine parlamentarische und eine außerparlamentarische Wurzel zugrunde lagen? Die fortgeschrittene Integration des Vereins in die Gesamtpartei bei der Sozialdemokratie darf schon vor dem Hintergrund nicht überraschen, dass sich die Arbeiterbewegung stets hauptsächlich außerhalb der Parlamente entwickelt hat; die vereinsmäßige Wurzel bei ihr somit von Anfang an viel stärker ausgeprägt war. Der Fraktion kommt somit keine formale Führungsrolle zu. Selbst unter dem Sozialistengesetz, während dessen Dauer sie als einzig legales Gremium besteht, wirkt das außerparlamentarische Element in Form der Corpora weiter fort. Demgegenüber findet bei den bürgerlichliberalen Parteien erst eine nachträgliche Ausbildung und Eingliederung des Vereinswesens in die Parteiorganisation statt. Es handelt sich dabei um einen langwierigen Prozess, an dessen Beginn noch eine rein parlamentarische Führung steht. Mit zunehmender Integration der Vereine schwindet deren Identifzierbarkeit als eigenständiger Verein an der Basis der Gesamtorganisation. Zugleich aber nimmt die Partei immer stärker vereinsförmige Charakterzüge an. Die Führung beruht nicht mehr (alleine) auf dem parlamentarischen Führungsanspruch, sondern gliedert Vertreter des Vereinswesens in die Parteileitung ein. Versammlungen der Mitglieder bzw. deren Vertreter werden bei der Besetzung der Führungsgremien oder programmatischen Entscheidungen beteiligt. Die Anzahl der Vertreter zu Parteitagen bestimmt sich dabei zunehmend nach der Anzahl der Mitglieder und nicht nach Wahlergebnissen (wobei Letzteres ruhig als Relikt des parlamentsbezogenen Elements angesehen werden darf). All dies findet sich bei der SPD schon vollständig ausgebildet. Die Bestimmung des Vorstandes durch die Vereinsmitglieder, Abstimmungen und Wahlen nach dem Mehrheitsprinzip, das Festhalten derartiger 431 432

Nipperdey, Die Organisation der deutschen Parteien, 1961, S. 386. Zum Vorstehenden ebd., S. 386 ff.

6. Die Weimarer Republik

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Regelungen in Statuten, ja, selbst Mitgliedsbeiträge – all das sind typische vereinsmäßige Charakteristika, die bereits im Vormärz oder in den Revolutionstagen anzutreffen waren.433 Die Parteibildung des Kaiserreiches – so soll hier festgehalten werden – findet also durch die Inkorporation des Vereinswesens in eine Gesamtorganisation statt. Bei den bürgerlich-liberalen Parteien erfolgt dieser Vorgang durch eine Integration des Vereinswesens unter Zurückdrängung der parlamentarischen Führungsschicht, bei der Sozialdemokratie durch eine Integration der Vereine in eine straff gegliederte, einheitliche Parteiorganisation. Die Partei macht sich das Vereinswesen dabei nicht allein als Instrument zur Massenorganisation von Mitgliedern zu eigen, sondern übernimmt zugleich klassische Charakteristika des assoziativen Vereinswesens.

6. Die Weimarer Republik Im November des Jahres 1918 endet mit dem Ersten Weltkrieg die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Zugleich markieren die revolutionären Unruhen das Ende des monarchischen Regierungssystems in Deutschland und seiner den Staat lenkenden Autoritäten. Wie selbstverständlich treten an ihre Stelle nunmehr die politischen Parteien, deren erste Hauptaufgabe darin besteht, Form und Wesen des künftigen Staates zu bestimmen. In vielerlei Hinsicht von Beginn an belastet, entsteht als parlamentarisch-demokratisches Staatswesen die Weimarer Republik, die in nahezu der gesamten Phase ihres kurzen Bestehens es nicht vermag, den ihr immanenten Charakter allgegenwärtiger Fragilität nachhaltig zu überwinden. Die Verwirklichung der Demokratie in Deutschland erfolgt von Anfang an mit den Parteien und durch die Parteien. Ihre Staatsnähe entwickelt sich fort zur staatstragenden Bedeutung, aus dem öffentlichen Bereich wachsen sie weiter in den Bereich des Öffentlich-Rechtlichen hinein, so dass sie letztlich zum unverzichtbaren Konstitutiv für das Bestehen der parlamentarisch-demokratischen Republik werden.

433 Vgl. zu diesen Charakteristika bereits für die Anfänge des Vereinswesens Dann, Die Anfänge politischer Vereinsbildung, in: Engelhardt et al., Soziale Bewegung und politische Verfassung, 1976, 197 (226 f.). Vgl. weiterhin Hardtwig, Strukturmerkmale und Entwicklungstendenzen des Vereinswesens, in: Dann, Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft, 1984, 11 (39); Langewiesche, Die Anfänge der deutschen Parteien, in: GG 1978, 324 (343); Boldt, Die Anfänge des deutschen Parteiwesens, 1971, S. 90. Vgl. ebenso Kapitel III. 1. d) a. E. und III. 3. c) a. E.

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

a) Parteienstaat Mit der Weimarer Reichsverfassung (WRV) hatte sich im Deutschen Reich der Wandel zur parlamentarischen Demokratie vollzogen.434 Zugleich hatte die Verfassung aber mit der starken Stellung des Reichspräsidenten, der in direkter Wahl durch das Volk zu bestimmen war, ein zweites Machtzentrum geschaffen, das insbesondere zum Ende der Republik an Bedeutung gewinnen sollte. Wehler hat diese Konstruktion als „Doppelung der Reichsgewalt“ bezeichnet: An der Spitze der exekutiven Gewalt standen demnach der Reichspräsident und die Reichsregierung. Die Legitimationsbasis des Präsidenten war durch die Direktwahl gewissermaßen plebiszitär (Art. 41 WRV), die Legitimationsbasis der Regierung demgegenüber repräsentativ in Form des Reichstages ausgestaltet (Art. 54 WRV).435 Insbesondere im zweiten Bereich dieser gedoppelten Reichsgewalt partizipieren die Parteien und übernehmen so die Machtzentren der Republik. Von der Kandidatenaufstellung über den Wahlkampf bis zur Besetzung der Parlamente und der exekutiven Führungspositionen spielen sie die entscheidende Rolle. In der „Massendemokratie“, als welche sich die Weimarer Republik durch die im hohen Maße am politischen Leben Anteil nehmende Bevölkerung auszeichnet, kommt den Parteien auch gegenüber der Gesellschaft eine herausragende Bedeutung zu. Ihnen obliegt es, die politische Aktivbürgerschaft an sich zu binden oder besser noch in ihre Massenorganisation einzubinden und zugleich die öffentliche Meinung im eigenen Sinne zu beeinflussen wie auch diese umgekehrt bei der parteipolitischen Positionierung zu berücksichtigen.436 Beide Entwicklungslinien – die unmittelbar Trägerschaft der staatlichen Macht durch die Parteien und deren Weiterentwicklung zu Massenparteien in der Massendemokratie – führten zu einer Prägung der Weimarer Republik als Parteienstaat. Den Vorgaben der Verfassung nach sollte sich dabei kein absoluter, sondern lediglich ein partieller Parteienstaat etablieren: Das freie Mandat wurde in Art. 21 WRV verankert, nach Art. 130 WRV waren die Beamten Diener der Gesamtheit und nicht einer Partei. Verwaltung und Justiz (Art. 102 WRV) sollten von den Parteien unabhängige Bereiche bleiben. Neben die Gesetzgebung des Reichstages trat das plebiszitäre Element des Volksentscheids (Art. 73 WRV).437 Diese Verfassungsbestimmungen zur plebiszitären Demokratie und die schon weiter oben benannte herausgehobene Stellung des Reichspräsidenten zeugen somit auch von einem Unbehagen gegenüber der Macht der Parteien im parlamentarischdemokratisch verfassten Regierungssystem. Der parteibezogenen Vertretung von Partikularinteressen werden demnach andere Machtfaktoren gegenübergestellt, die das Gesamtwohl und die staatliche Einheit im Blick behalten sollen. Darin kamen auch Ressentiments gegenüber den Parteien als solchen zum Ausdruck, die ein 434 Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte IV, 31991, Nr. 157 (RGBl. 1919, S. 1383). 435 Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte IV, 2003, S. 350. 436 Huber, Verfassungsgeschichte VI, 1981, S. 130 f. 437 Ebd., S. 135 ff.

6. Die Weimarer Republik

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positives Bekenntnis zur Parteiendemokratie und die Hinnahme einer interessensgeleiteten Politik erschwerten. Der Pluralismus der Gesellschaft, sein Hervortreten in den politischen Parteien und deren Beteiligung am parlamentarischen Regierungssystem wurden konterkariert durch den Reichspräsidenten als Wahrer der staatlichen Einheit.438 Auch in der durch die Parteien geprägten Demokratie sollte der Staat selbst neutral und somit überparteilich, Staat und Gesellschaft weiterhin getrennt bleiben.439 In der konkreten verfassungsmäßigen Ausgestaltung dieser Intention wurde dabei jedoch die „Illusion von der Möglichkeit einer nicht von gesellschaftlichen Interessen geleiteten Politik“ aufrechterhalten und die Parteien zugleich zu einem guten Stück aus der Verantwortung entlassen, mehrheitsfähige Kompromisse zu finden.440 Indem sich die Parteien immer weiter radikalisierten, gewann die Stellung des Reichspräsidenten als Verkörperung der „Einheit des Volks- und Staatsganzen“ im gleichen Maße an Bedeutung. Das System musste letztlich in dem Moment scheitern, in dem angesichts der zunehmenden Radikalisierung die staatliche Neutralität nicht mehr zu bewahren war.441 Um die Frage, inwieweit die Weimarer Republik nun als Parteienstaat zu qualifizieren sei, setzte bereits in der ersten Hälfte der 1920er Jahre ein staatsrechtlicher Diskurs ein. Einigkeit herrschte dabei allgemein dahingehend, dass den Parteien im neuen Staat jedenfalls faktisch eine deutlich größere Bedeutung zukam als im Konstitutionalismus. Die Meinungsverschiedenheiten rankten sich demgegenüber vielmehr darum, wie dieser Befund staatsrechtlich zu bewerten sei.442 Einerseits erfolgte dies in einer positiven Zuordnung der Parteien zum Staat: In der neuen republikanischen Staatsform tritt demnach die Trennung von Staat und Gesellschaft zugunsten einer beiderseitigen Zuwendung zurück. Die Einheit des Staates konnte somit nicht mehr als Willenseinheit, sondern lediglich als juristische Einheit verstanden werden. Der staatliche Wille ging aus der Willensbildung innerhalb des gesellschaftlichen Pluralismus hervor, indem das heterogene Meinungsspektrum der Gesellschaft durch die Parteien in die Staatsorgane transferiert und dort gebündelt wurde, um letztlich einen Mehrheitswillen hervorzubringen. Damit rückten die Parteien aus der Gesellschaft weiter in den Bereich des Öffentlich-Rechtlichen hinein. Sie erlangten mithin eine Doppelstellung, nach der sie sowohl dem gesellschaftlichen wie dem staatlichen Bereich zuzuordnen waren.443 Andererseits wurde demgegenüber die Überparteilichkeit und Neutralität des Staates unabhängig von seiner konkreten Staatsform betont, dessen Einheit ansonsten durch die widerstre-

438

Klein, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Art. 21, Rn. 66 ff. Huber, Verfassungsgeschichte VI, 1981, S. 137. 440 Klein, a. a. O., Rn. 68. 441 Vgl. Huber, a. a. O., S. 308, 138 a. E. [Zitat: S. 310]. 442 Gusy, Die Lehre vom Parteienstaat, 1993, S. 57 f. Ausführlich zur Rolle der Parteien in der Weimarer Staatsrechtslehre Song, Politische Parteien und Verbände, 1996, S. 134 ff. 443 Gusy, a. a. O., S. 58 ff. 439

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

benden Interessen der Bevölkerung gefährdet wäre. Nach dieser Ansicht standen die Parteien außerhalb der (geistigen wie rechtlichen) Verfassung dieses Staates.444

b) Rechtliche Stellung der Parteien Die Partei ist bis auf den heutigen Tag die partie honteuse unseres Staatsrechts geblieben, und der Wahlspruch aller Prüderie: „Man darf es nicht vor teutschen Ohren nennen, was teutsche [sic!] Herzen nicht entbehren können“ – gilt auch für sie.445 (Gustav Radbruch)

Trotz ihrer für die parlamentarische Demokratie tragenden Bedeutung findet eine konstitutionelle Inkorporation der Parteien in der Weimarer Republik nicht statt. Die Reichsverfassung nimmt von ihnen Kenntnis, regelt sie aber nur im zuvor erwähnten Art. 130 WRV als Ausdruck der Begrenzung einer zu starken Parteienmacht. Auch die Weimarer Verfassung bestimmt den Begriff der Partei also nicht im positiven Sinne, sondern erwähnt ihn, geradezu beiläufig, nur ein einziges Mal und zugleich an einer Stelle, „wo man ihn gar nicht suchen würde […].“446 Für die Parteien blieb es demnach weiterhin bei den Regelungen des Vereinsrechts. Die Vereinigungsfreiheit war in Art. 124 Abs. 1 WRV nunmehr auch verfassungsrechtlich derart positiviert worden, dass allen Deutschen das Recht zukam, Vereine und Gesellschaften zu solchen Zwecken zu gründen, die den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen. Das so gewährte Grundrecht knüpft also an die Regelung des weiterhin gültigen Reichsvereinsgesetzes von 1908 an, fügt in Satz 2 aber ausdrücklich ein Verbot vorbeugender Maßregeln hinzu. Dieser Zusatz musste natürlich umgekehrt auf das Reichsvereinsgesetz selbst wirken, das sich fortan im Rahmen des verfassungsrechtlich verankerten Grundrechts bewegen musste.447 Bereits vor Inkrafttreten der Verfassung hatte der Aufruf des Rats der Volksbeauftragten vom 12. November 1918 unter Ziff. 2 bestimmt448: „Das Vereins- und Versammlungsrecht unterliegt keiner Beschränkung, auch nicht für Beamte und Staatsarbeiter.“

Die Tragweite und Auswirkungen dieses Aufrufes führten zu einem nicht geringen Maß an Unsicherheit hinsichtlich der Fortgeltung der Bestimmungen des RVG, denn letztlich war es dem Aufruf zugedacht, alle direkten wie indirekten 444

Hierzu ebd., S. 73 ff. Radbruch, Die politischen Parteien, in: HdbDStR I, 1930, § 25, S. 288. 446 So Wittmayer, Die Weimarer Reichsverfassung, 1922, S. 30 f. 447 Schmidt, Die Freiheit verfassungswidriger Parteien und Vereinigungen, 1983, S. 36. 448 Aufruf des Rats der Volksbeauftragten vom 12. November 1918, in: Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte IV, 31991, Nr. 7 (RGBl. 1918, S. 1303). 445

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Beschränkungen des Vereins- und Versammlungsrechts zu beseitigen. Er verstand sich daher auch nicht als bloße Proklamation eines politischen Programms, sondern als ein Akt der Rechtssetzung gegen jegliche Beschränkung des Vereinigungsrechts. Es muss dabei ohne Zweifel den revolutionären Umständen geschuldet sein, dass die so verrechtlichte Freiheitsforderung die unmittelbaren juristischen und rechtsstaatlichen Folgen nicht abschätzte und sich kaum in das bisherige Vereinsrecht einzufügen vermochte.449 So blieb es nun eine Frage der Auslegung, wie sich der Aufruf des Rats der Volksbeauftragten zum Reichsvereinsgesetz zu verhalten habe, um dennoch den Anforderungen des Verfassungsschutzes und der inneren Sicherheit gerecht werden zu können. Bisweilen sollte das erreicht werden, indem man dem Aufruf schlichtweg die Rechtsqualität abzusprechen suchte. Demgegenüber bemühte sich eine einengende Auslegung – unter Anerkennung des Normcharakters des Aufrufes – darum, den Missbrauch des Vereins- und Versammlungsrechts, das Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze, aus dem Gewährleistungsgehalt des Aufrufes auszuklammern. Letztlich kam die Rechtsprechung zu dem Ergebnis, dass das Reichsvereinsgesetz grundsätzlich weiter Geltung beanspruche und durch den Aufruf nur in einzelnen Bestimmungen berührt sei. Dies führte in der Folge zu Unstimmigkeiten darüber, welche Bestimmungen dadurch nun im Einzelnen als aufgehoben zu betrachten seien.450 Jedenfalls lässt sich mit einiger Berechtigung festhalten, dass der Aufruf vom 12. November 1918 auf das Reichsvereinsgesetz weitaus stärker gewirkt hat, als dies durch Art. 124 Abs. 1 WRV der Fall gewesen ist. Insbesondere vom nun verfassungsrechtlich niedergelegten Verbot vorbeugender Maßregeln – als des Erfordernisses einer vorherigen staatlichen Erlaubnis für die Ausübung eines Rechts – konnte nach Gehard Anschütz keine vereinsrechtliche Neuerung ausgehen, da das RVG solche Vorschriften bereits nicht mehr gekannt habe. Denn selbst § 3 RVG, der für politische Vereine vorschrieb, Satzung und Mitgliederverzeichnis der Polizeibehörde vorzulegen, sei keine vorbeugende Maßregel in diesem Sinne gewesen. Art. 124 Abs. 1 WRV vermochte es demnach nicht, diese Regelung zu derogieren, wohl aber der Aufruf des Rats der Volksbeauftragten, der alle Beschränkungen des Vereinsrechts – und somit nicht nur die präventiven – aufzuheben bestimmt war.451 Gleichsam aufgehoben war somit die Bestimmung des § 17 RVG, nach der Jugendliche nicht Mitglieder politischer Vereine sein durften.452 449

Vgl. hierzu Waldecker, Vereins- und Versammlungsfreiheit, in: HdbDStR II, 1932, § 104, S. 641. 450 Ausführlich zum Vorstehenden ebd., S. 641 f. Die unterschiedlichen Auffassungen, welche Bestimmungen des Reichsvereinsgesetzes aufgehoben seien, zeigte sich bereits in den verschiedenen Textausgaben des RVG; vgl. ebd., S. 642 (dort Fn. 1). 451 So die Ausführungen bei Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 141933, S. 575. Anders aber Waldecker, a. a. O., S. 649, der § 3 RVG auch mit Art. 124 Abs. 1 WRV für unvereinbar hält. 452 Anschütz, a. a. O., S. 576.

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

Eine Einschränkung sollte indes nach wohl herrschender Meinung bezüglich besonderer Unterwerfungsverhältnisse gelten. Neben Soldaten und Angehörigen öffentlicher Anstalten betraf dies auch Beamte, für die – entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut von Ziffer 2 des Aufrufes – die auf ihrem Dienstverhältnis beruhenden Freiheitsbeschränkungen bestehen bleiben sollten. Zugleich ergab sich aber aus Art. 130 Abs. 2 WRV, dass die bloße Zughörigkeit zu einem (politischen) Verein nicht als disziplinarischen Fehlverhalten gewertet werden konnte.453 Die intensive Freiheitsforderung des Aufrufes gerade auch für Beamte sah sich insofern durch die moderatere Formulierung der Vereinsfreiheit in Art. 124 Abs. 1 WRV wiederum eingeengt.454 Umstritten war die Fortgeltung des § 2 RVG, also der Verbotsermächtigung bei Zuwiderlaufen gegen die Strafgesetze. Einerseits wurde dessen Regelungsgehalt als durch den Aufruf nicht berührt angesehen, da dieser im vollkommenen Einklang mit Art. 124 Abs. 1 WRV stand, wonach die Vereinsfreiheit ausdrücklich nur für Zwecke gewährt war, die den Strafgesetzen nicht zuwiderliefen. Insofern wäre die Fortgeltung des § 2 RVG durch Art. 178 Abs. 2 WRV verfassungsrechtlich angeordnet gewesen.455 Demgegenüber wurde aber geäußert, dass durch eben diese Begrenzung des Grundrechts der Vereinsfreiheit auf strafrechtskonforme Zwecke für eine Anwendung des § 2 RVG gar kein Raum mehr bleibe. Der schon in Art. 124 Abs. 1 WRV beschriebene „Effekt der Auflösung“ mache eine „Reaktivierung des § 2 RVG“ nicht notwendig.456 Im Kern handelt es sich bei diesem Meinungsstreit also um die Frage, ob das Vereinsverbot bereits durch gesetzlichen Automatismus erfolgt oder aber einer konkretisierenden Verfügung bedarf. Die Frage nach dem Verhältnis der verfassungsrechtlichen Begrenzung der Vereinsfreiheit zur einfachgesetzlichen Verbotsermächtigung ist bezüglich Art. 9 Abs. 2 GG aufgrund dessen Wortlaut („sind verboten“) neuerlich aufgeworfen worden. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Jahr 1956 diese Frage im letztgenannten Verständnis gelöst und das Erfordernis einer besonderen Auflösungsverfügung betont. Da zu diesem Zeitpunkt ein (bundesrepublikanisches) Vereinsgesetz noch nicht erlassen war, erfolgte dieses Urteil unter Bezugnahme auf § 2 RVG, dessen Fortgeltung sich aus Art. 123 Abs. 1 GG ergab, und die dort geregelte förmliche Auflösungsverfügung.457 Dem Schweigen der Weimarer Reichsverfassung über die Parteien hat Gustav Radbruch – angesichts der „soziologischen Wirklichkeit des Parteienstaates“ – 453 Ebd., S. 576 (siehe auch S. 571); kritisch, aber letztlich hinsichtlich der indirekten Beschränkung der Vereinsfreiheit durch das Beamtenverhältnis zustimmend Waldecker, a. a. O., S. 642, 646. 454 So Waldecker, a. a. O., S. 646. 455 Anschütz, a. a. O., S. 575 f. 456 Waldecker, a. a. O., S. 646. 457 BVerwGE 4, 88; hierzu auch Schmidt, Die Freiheit verfassungswidriger Parteien und Vereinigungen, 1983, S. 36 (dort Fn. 54).

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entgegengehalten, dass man deren Erwähnung doch an zumindest drei Stellen hätte erwarten dürfen: zum einen dort, wo der Ursprung der Staatsgewalt verortet ist, hätten die Parteien uns „als letzte Kreationsorgane aller anderen Organe des Parteienstaates“ begegnen müssen; zum zweiten im Zusammenhang mit der Stellung der Abgeordneten und deren Einordnung in eine Fraktion. Letztlich hätte auch die Regierung als „Koalition der Fraktionen“ angesprochen werden müssen.458 Indes blieben diese von Radbruch angesprochenen Aspekte der Regelung durch das nachgeordnete Recht vorbehalten. Hinsichtlich der Wahl kam dies sukzessive immer stärker in den Wahlgesetzen zum Ausdruck. Durfte die Angabe einer Partei auf dem Stimmzettel zu Beginn der Republik noch keine Beachtung finden, so mussten schon wenige Jahre später die Stimmzettel die Parteizugehörigkeit des Kandidaten ausweisen.459 Jedenfalls in dieser Hinsicht waren die „Parteien zu einem gesetzlich anerkannten Status gelangt“, wie Heinrich Triepel 1927 es formulierte.460 Damit einher ging naturgemäß eine engere Bindung des an sich freien Mandats an die Parteizugehörigkeit. So sah das Landtagswahlgesetz in Württemberg einen Mandatsverlust bei Austritt des Abgeordneten aus der Partei vor. Für den Fall eines Ausschlusses aus der Partei sollte das Mandat aber nicht verloren gehen; ansonsten wäre der Parteiführung ein zu strenges Instrument zur Aufrechterhaltung der Parteidisziplin an die Hand gegeben. Das Mandat wäre dann – auch rechtlich – zu einem imperativen Mandat verkürzt.461 Was die Zugehörigkeit der Abgeordneten zu Fraktionen anging, sprach die Geschäftsordnung des Reichstages – anders als ihre Vorgängerin im Kaiserreich – ganz offen mehrfach die Fraktionen an und widmete diesen sogar einen ganzen Abschnitt.462 Ihre Bedeutung für die parlamentarische Praxis war somit derart prominent, dass der Parlamentsbetrieb ohne Fraktionen nicht vorstellbar war und der einzelne Abgeordnete „nur im Rahmen seiner Fraktion als handlungsfähig“ gelten konnte.463 Unbedeutend blieben demgegenüber die Regelungen, die über die Bedeutung der Parteien oder Fraktionen für die Regierung Aufschluss gaben. Die „parteipolitische Grundlagen und Aufgabe der parlamentarischen Regierung“ fanden im Staatsrecht keine ausdrückliche Anerkennung.464 Um dem rechtlichen Gesamtbild der Parteien in der Weimarer Republik gerecht zu werden, gilt es schließlich noch, einen Blick auf die Einschränkungen des Parteilebens zu werfen, die sich im Zusammenhang mit den Republikschutzgesetzen 458

Radbruch, Die politischen Parteien, in: HdbDStR I, 1930, § 25, S. 288. Hierzu Song, Politische Parteien und Verbände, 1996, S. 117 m. w. N. 460 Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, 1928, S. 25. 461 Vgl. Radbruch, a. a. O., S. 291. 462 Vgl. Abschnitt 2, §§ 7 bis 9 der „Geschäftsordnung für den Reichstag“, RGBl. 1923 II, S. 101. 463 Radbruch, a. a. O., S. 291 f. Zu den wesentlichen Regelungen der Geschäftsordnung Song, a. a. O., S. 118. 464 Vgl. hierzu Radbruch, a. a. O., S. 293 f. 459

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

und Notverordnungen zeigen. Bereits dem ersten Republikschutzgesetz des Jahres 1922 gingen vier Notverordnungen vorweg, die in Folge der Ermordungen Matthias Erzbergers und Walther Rathenaus zu verstehen sind. Nach dem ausdrücklichen Regelungsgehalt des Art. 48 Abs. 2 WRV konnte mit solchen Maßnahmen vorübergehend auch das Grundrecht der Vereinsfreiheit ganz oder teilweise außer Kraft gesetzt werden. Diese Notverordnungen ermöglichten unter bestimmten Voraussetzungen – und zwar mit präventiver Stoßrichtung – ein Verbot465 und die Auflösung466 von Vereinigungen.467 Waren die Notverordnungen noch einzelfallbezogen reaktiv erlassen worden, erging bereits am 21. Juli 1922 mit dem (ersten) Republikschutzgesetz eine dauerhaftere Regelung.468 Neben strafrechtlichen Bestimmungen (§§ 1 ff.) und der Anordnung der Errichtung eines Staatsgerichtshofes zum Schutze der Republik als besonderer Rechtsschutzinstanz (§§ 12 f.) war im dritten Teil des Gesetzes eine Verbots- und Auflösungsbefugnis gegenüber Vereinen niedergelegt. Tatbestandlich war hierfür erforderlich, dass dort strafrechtlich (nach § 1 ff.) relevante Erörterungen stattfanden oder solche Bestrebungen verfolgt wurden oder die Erhebung einer bestimmten Person auf den Thron betrieben wurde (§ 14). Da man dem Gesetz einen verfassungsdurchbrechenden Charakter eigen sah, wurde es mit Zwei-DrittelMehrheit verabschiedet.469 Die nunmehr bestehende Möglichkeit des Vereinsverbotes nach dem Republikschutzgesetz fand rasch umfangreich Anwendung. Bereits im ersten halben Jahr ergingen in den einzelnen Ländern – deren Landeszentralbehörden waren nach § 17 des Gesetzes für solche Maßnahmen zuständig – über 120 Vereinsverbote, die zunächst ausschließlich die politische Rechte betrafen. Insbesondere richteten sich die Verbote gegen völkische, antisemitische Organisationen. Betroffen waren aber auch Soldatenbünde, die Nachfolgeorganisationen der Freikorps und monarchistische Gruppierungen.470 Am prominentesten waren sicherlich die Verbote der NSDAP und der Deutschvölkischen Freiheitspartei (DVFP), wobei letzterer die Besonderheit zukam, mit eigenen Abgeordneten im Reichstag vertreten zu sein. Es war unklar, wie mit dem Verbot solcher politischer Vereinigungen oder Parteien umzugehen ist, deren Ver465 § 4 der „Verordnung des Reichspräsidenten auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung“ vom 29. August 1921, RGBl. 1921, S. 1239. 466 § 1 der „Verordnung zum Schutze der Republik“ vom 26. Juni 1922, RGBl. 1922 I, S. 521. 467 Einen Überblick gibt Schmidt, Die Freiheit verfassungswidriger Parteien und Vereinigungen, 1983, S. 38 ff.; ausführlich Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 128 ff. 468 „Gesetz zum Schutze der Republik“, RGBl. 1922 I, S. 585. 469 Vgl. Schmidt, a. a. O., S. 40. 470 Ausführlich Jasper, Der Schutz der Republik, 1963, S. 106 ff. Beachte auch die umfassende Übersicht über alle Vereinsverbote während der Geltungsdauer des Republikschutzgesetzes bei ebd., S. 316 ff. Insgesamt zu den Republikschutzgesetzen auch Huber, Verfassungsgeschichte VI, 1981, S. 659 ff.

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treter in das Parlament gewählt worden waren. Im Kern ging es hierbei um die Frage, wie politische Parteien – deren tragende Rolle in der parlamentarischen Demokratie ja weitgehend anerkannt war471 – von (bloßen) politischen Vereinigungen abzugrenzen oder ob sie wie diese zu behandeln seien. Nur letztere durften nach dem Wortlaut des Republikschutzgesetzes verboten und aufgelöst werden.472 Der preußische Innenminister, der das Verbot veranlasst hatte, versuchte diesen Konflikt argumentativ dahingehend aufzulösen, dass es sich bei der DVFP gar nicht um eine echte Partei handele. Sie sei vielmehr allein zur Umgehung früherer Verbote gegründet worden.473 Ganz so einfach ließ sich der Konflikt aber nicht auflösen. Der nach dem Republikschutzgesetz neu eingerichtete Staatsgerichtshof, der letztlich hierüber zu befinden hatte, entschied, dass eine politische Partei zwar nach dem Republikschutzgesetz verboten werden könnte, aber deren Abgeordnete dadurch nicht ihr Mandat verlören. Vielmehr seien diese auch weiterhin berechtigt, im Parlament eine eigene Fraktion zu bilden.474 In einer hitzigen Reichstagsdebatte verteidigte der Reichsminister des Innern diese Entscheidung: Es handele sich bei der DVFP sicherlich um eine politische Partei; das Republikschutzgesetz selbst räume den Parteien aber keine Sonderstellung ein. Das hinsichtlich der DVFP ausgesprochene Vereinsverbot betreffe nun aber keinesfalls auch die Fraktion, die – trotz des inneren Zusammenhanges mit der Partei – rein rechtlich ein Gebilde für sich sei und der insofern eine Sonderbeurteilung zukomme. Auch eine im Parlament vertretene Partei könne verboten werden. Das Verbot und die Auflösung träfen aber nur die Organisation selbst. 475 Es zeigt sich deutlich im Zusammenhang mit dem Republikschutz der Weimarer Republik, dass die Verbindung von außerparlamentarischer, vereinsmäßiger Organisation und der parlamentarischen Partei auch in der staatsrechtlichen Wahrnehmung vorangeschritten war. Das Verbot der DVFP wurde gerade deshalb Gegenstand der politischen wie rechtlichen Auseinandersetzung, weil sie – anders als die NSDAP – über Abgeordnete im Reichstag verfügte. Die Bedeutung einer parlamentarischen Repräsentanz für die Qualifizierung als politische Partei spiegelt sich auch in der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes für das Deutsche Reich476 wider. So wurde ein Antrag der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei in Sachsen im Rahmen einer Wahlrechtsstreitigkeit mit der folgenden Begründung zurückgewiesen: 471

Hierzu oben Kapitel III. 6. a). Vgl. Schmidt, a. a. O., S. 42. 473 Jasper, a. a. O., S. 142. 474 Huber, a. a. O., S. 153. 475 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 360, S. 1098 f. 476 Der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich wurde aufgrund von Art. 108 WRV errichtet und ist gedanklich wie rechtlich vom Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik, der aufgrund des Republikschutzgesetzes ins Leben gerufen wurde, zu unterscheiden. 472

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

„Für das Verfahren vor dem Staatsgerichtshof können als politische Parteien nur solche Personenvereinigungen gelten, bei denen die Möglichkeit besteht, daß ihre Betätigung für das Wahlergebnis von Belang ist. Gruppen, die unzweifelhaft nicht in der Lage sind, sich Zutritt zu der Volksvertretung zu verschaffen, bei denen also die Möglichkeit, sich politisch zu betätigen, durch die Gestaltung des Wahlrechts gar nicht berührt wird, sind keine politischen Parteien im parlamentarischen Sinne.“477

Das Recht politischer Parteien, den Staatsgerichtshof in Verfassungsstreitigkeiten anzurufen, ergebe sich gerade daraus, dass die Volksvertretungen das Vorhandensein politischer Parteien voraussetze und zumal die Verhältniswahl ohne die Mitwirkung organisierter Parteien unmöglich sei.478 Als vollkommen unproblematisch hat der Staatsgerichtshof demgegenüber die Beteiligtenfähigkeit parlamentarischer Fraktionen anerkannt.479 Diese Rechtsstellung der Fraktion strahlt aber trotz der organisatorischen Verbundenheit nicht auf die Partei als Ganze aus: „Nach der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs können parlamentarische Fraktionen als Streitteile in einem Verfahren vor ihm auftreten. Die Erwägungen, die zur ihrer Zulassung geführt haben, treffen allerdings auf die politischen Parteien nicht ohne weiteres zu. Denn wenn auch die Fraktionen Teile dieser Parteien sind, und zwar diejenigen Teile, die die größte Wirksamkeit zur Förderung der Parteiziele entfalten, so sind sie doch nicht wegen ihrer Zugehörigkeit zu den politischen Parteien zur Betreibung von Verfassungsstreitigkeiten befugt. Ihre Parteifähigkeit in derartigen Streitigkeiten beruht vielmehr darauf, daß sie der Volksvertretung angehören und in ihr zur Teilnahme an der staatlichen Willensbildung berufen sind.“480

Die für die prozessrechtliche Beteiligtenfähigkeit bedeutende Qualifizierung als politische Partei wurde also zum einen in Bezug auf Parteien als Wahlvorbereitungsorganisationen, zum anderen als parlamentarische Fraktionen zugesprochen; bei ersteren jedoch verhaltener als bei letzteren.481 Christoph Gusy hat in diesem Zusammenhang betont, dass die Rechtsstellung von Fraktion einerseits und Parteiorganisation andererseits nicht miteinander verwoben war, sondern beide in rechtlicher Hinsicht vielmehr ohne nähere Verbindung nebeneinander standen. Dies hänge bereits mit der unterschiedlichen dogmatischen Herleitung zusammen, äußere sich aber auch hinsichtlich der Reichweite: Während die Fraktionen in Prozessstandschaft für die Parlamente handelten und sich ihre geltend gemachten Rechte auf den politisch-parlamentarischen Willensbildungsprozess bezogen, verfolgte die Parteiorganisation die Teilhabe hieran in Prozessstandschaft für die Wähler.482

477 478 479 480 481 482

RGZ 121, Anhang 2, 8 (10 f.). Ebd., (10). Vgl. etwa Lammers/Simons, Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs I, 1929, 267. Ebd., 398 (402). Vgl. Song, Politische Parteien und Verbände, 1996, S. 120 f. Gusy, Die Lehre vom Parteienstaat, 1993, S. 54.

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Diese – im Verfassungsrecht so nicht ausdrücklich niedergelegte – Sonderstellung ergab sich für Fraktionen also unmittelbar aus ihrer Mitwirkung in den Parlamenten. Für die Parteiorganisation hingegen beruhte sie auf ihrer signifikanten Bedeutung für den Wahlakt und letztlich insbesondere auf ihrer Aussicht auf tatsächliche Teilhabe am parlamentarischen Leben. War diese aber nicht (mehr) gegeben, so handelte es sich auch nicht mehr um eine Partei in diesem verfassungsrechtlichen Sinne. Es kam bei der außerparlamentarischen Parteiorganisation somit auf ihre „wahlvorbereitende, parlamentsbildende Funktion“ und nicht auf ihre „allgemeine Bedeutung in der politischen Meinungsbildung“ an.483 Neben der Aussicht auf Wahlerfolg benannte der Staatsgerichtshof aber noch weitere Kriterien, die zu erfüllen seien: „Eine Partei setzt den festen Zusammenschluß einer größeren Zahl von Staatsbürgern voraus. Die Vereinigung muß sich zur Verwirklichung ihres Programms politisch betätigen, etwa in Versammlungen, bei Wahlen, durch die Presse. Eine gewisse Dauer des Verbandes, eine gewisse Stetigkeit seines Hervortretens in der Öffentlichkeit sind außerdem notwendig.“484

Es lässt sich unschwer erkennen, dass diese Kriterien in vielerlei Hinsicht bereits die heutige Definition des § 2 Abs. 1 PartG vorwegnehmen. Waren die Verbote nach dem Republikschutzgesetz noch durch die Landesbehörden ergangen, erfolgten im November 1923 reichsweite Verbote der NSDAP, der DVFP und der KPD. Diese beruhten indes nicht auf dem Republikschutzgesetz, sondern wurden durch den Chef der Heeresleitung ausgesprochen, der durch eine Verordnung nach Art. 48 WRV hierfür ermächtigt war. Sie wurden im Folgejahr aufgehoben wie auch einige Monate später die in den Ländern ausgesprochenen Verbote nicht mehr zur Anwendung kamen.485 Der relativen Ruhe der zweiten Hälfte der 1920er Jahre folgte eine zweite Welle des Republikschutzes zum Ende der Weimarer Republik. Im März 1930 trat ein zweites Republikschutzgesetz in Kraft, dem in den Jahren 1931 und 1932 weitere Notverordnungen zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen und zum Schutze wie zur Erhaltung des inneren Friedens folgten.486 Wenngleich die Verbote politischer Parteien regelmäßig nicht nach dem Vereinsgesetz ergingen, sondern sich auf das Republikschutzgesetz oder Notverordnungen stützten, änderte dies insgesamt nichts daran, dass diesen Verboten „eine strikt vereinsrechtliche Sicht des Parteienrechts“ zugrunde lag. Eine staatsrechtliche Sonderstellung ging allein im Zusammenhang mit der parlamentarischen Arbeit und

483

Song, a. a. O., S. 121. Lammers/Simons, a. a. O., 411 (414). Eine genauere Bestimmung dieser Kriterien durch den Staatsgerichtshof findet sich bei Gusy, Die Lehre vom Parteienstaat, 1993, S. 52 f. 485 Hierzu Huber, Verfassungsgeschichte VI, 1981, S. 153 f. 486 Ausführlich bei Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 171 ff. 484

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

der Wahlvorbereitung einher, die insofern von der vereinsrechtlichen Sphäre der Partei zu trennen war.487

c) Organisation der Parteien Die Geschichte der Parteien in der Weimarer Republik ist vor allem in Betrachtung ihres tatsächlichen politischen und gesellschaftlichen Wirkens, ihrer inneren Zusammen- sowie Auseinandersetzung geschrieben worden. Allzu genaue Einzeldarstellungen der Organisation an sich standen dabei weniger im Blickpunkt. Durchaus mag dies an der neuen Rolle und herausragenden staatlichen und gesellschaftlichen Bedeutung liegen, die den Parteien für den Fortbestand und das Scheitern der ersten parlamentarischen Demokratie zukam. Indes lässt sich aber wohl auch festhalten, dass sich die wesentlichen Grundlagen moderner Parteiorganisation bereits im Kaiserreich herausgebildet hatten und nunmehr weiter ausgebaut oder – wo dies bislang noch nicht erfolgt war – übernommen wurden. Der Umbau und Ausbau der Parteien zu modernen Massen- oder Mitgliederparteien ist nun in allen politischen Lagern vorzufinden und versteht sich in unmittelbarer Konsequenz aus der parlamentarisch-demokratischen Staatsform. Auch bei den bürgerlichen Parteien geht der noch verbliebene Honoratiorencharakter zusehends verloren.488 Das Anwachsen der Mitgliederzahlen, das Werben um die Anhängerschaft erfordert von der modernen Partei ein weitaus größeres Maß an Integrationskraft und wandelt sie von einer Repräsentations- zu einer „demokratischen Integrationspartei“.489 Gleichsam schritt der Ausbau des Parteiapparats voran. Die moderne Massenintegrationspartei war somit zugleich auch ApparatPartei.490 Der Aufbau des Parteiwesens selbst erfuhr hingegen keine wirklichen Veränderungen. Bereits im Jahr 1932 unternahm Siegmund Neumann eine Strukturanalyse der deutschen Parteien, in der er die Kontinuität der deutschen Parteientwicklung hervorhob. Dem äußeren Bild nach habe sich bei den Parteien trotz des vorangegangen Krieges und der neuen Staatsform nicht viel verändert, wenngleich die innere Struktur einen entscheidenden Wandel durchlaufen habe. Auch Neugründungen hätten sich de facto nur als Namensänderungen erwiesen oder – wie im Falle der 487

Insgesamt ders., Die Lehre vom Parteienstaat, 1993, S. 40 f. Das Verbot ließ nicht nur die Mandate im Parlament unberührt, sondern ermöglichte auch eine Kandidatur bei anstehenden Wahlen; vgl. Huber, a. a. O., S. 155 f. 488 Vgl. Huber, a. a. O., S. 130 f. 489 Neumann, Die Parteien der Weimarer Republik, 51986, S. 105. 490 Schieder, Grundlagen und Epochen des deutschen Parteiwesens, in: ders., Staat und Gesellschaft im Wandel unserer Zeit, 21970, 133 (160). Eine Gegenüberstellung der Charakteristika von Massenintegrationspartei und Honoratiorenpartei findet sich bei Lösche, Kleine Geschichte der deutschen Parteien, 21994, S. 20 ff.

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Sozialdemokratie – als neue Organisation eines schon länger bestehenden Zwiespalts. Allen diesen Veränderungen zum Trotz „[…] brach doch überall der Grundcharakter der Vorkriegsparteien wieder durch, deren Erbe und Grundposition die neuen Parteien übernommen haben.“491

Die politischen Strömungen fanden so zwar in neuen oder unbenannten Parteien ihre Heimat, bestanden aber kontinuierlich fort.492 Es blieb somit in der Grundstruktur bei den fünf politischen Richtungen, deren Herausbildung sich bereits im Vormärz beobachten ließen: dem nationalen Konservatismus, dem katholischen Zentrum, dem Nationalliberalismus, dem linken Liberalismus und der Sozialdemokratie. Eine Sonderrolle nahmen insofern die nunmehr in einer eigenen Partei organisierten Kommunisten ein, denen sich auf der extremen Rechten die Nationalsozialisten gegenüberstellten und so zumindest zu Ende der Weimarer Republik ein System von sieben Parteien entstehen ließen.493 So führte auch der weitere Ausbau der Organisation nicht dazu, dass sich die Parteien von traditionellen Mustern gelöst haben. Thomas Nipperdey hat in diesem Zusammenhang auf ein doppeltes Erbe des Kaiserreiches hingewiesen. In positiver Hinsicht seien dies etwa eine Vergrößerung der Mitgliedschaft, eine formale Demokratisierung, aber auch ein Prozess der Zentralisierung gewesen. Die Integration in die Gesamtpartei schritt ebenso voran wie der Ausbau des Parteiapparates. Negativ jedoch machte sich das fehlende Macht- und Verantwortungsbewusstsein bemerkbar, mit dem eine mangelnde Kompromissbereitschaft einherging und so die eigentliche Führung erschwerte. Auch bei der Führungsauslese und in der nur begrenzt politisierten Anhängerschaft machte sich die Vorkriegstradition bemerkbar.494 Die vorbenannten Veränderungen bei der Sozialdemokratie während des Krieges und im Zuge wie im Nachgang der Revolution seien hier nur kurz dargestellt. Bereits 1916 hatte sich die äußerste Linke um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg im Spartakusbund zusammengefunden. Zur gleichen Zeit wandten sich Gegner der Kriegskredite und der Burgfriedenpolitik ab und gründeten 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD).495 Der Spartakusbund schloss sich der USPD an, ohne jedoch vollständig in ihr aufzugehen, und konstituierte sich letztlich zum Jahreswechsel 1918/19 als Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Obgleich die USPD zunächst einen starken Rückhalt bei den Wählern – rund 18 Prozent bei den Reichstagswahlen 1920 – fand, blieb sie eine in sich zerrissene Partei. Ein großer

491

Zum Vorstehenden insgesamt Neumann, a. a. O., S. 27. Song, Politische Parteien und Verbände, 1996, S. 73. 493 Vgl. hierzu Huber, Verfassungsgeschichte V, 1978, S. 955 f. und Verfassungsgeschichte VI, 1981, S. 141 ff. 494 So insgesamt Nipperdey, Die Organisation der deutschen Parteien, 1961, S. 405. 495 Vgl. Fenske, Deutsche Parteiengeschichte, 1994, S. 149 f. Ausführlich zur Spaltung der Sozialdemokratie während des Krieges Huber, Verfassungsgeschichte V, 1978, S. 179 ff. 492

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

Teil ihrer Mitglieder stieß schon bald darauf zur KPD, der verbleibende Teil der USPD kehrte 1922 zur SPD zurück.496 Erst durch den Zusammenschluss mit dem linken Flügel der USPD war aus der KPD eine wirkliche Massenpartei geworden, die Mitgliederzahl schwankte in den folgenden Jahren nicht unerheblich. Ihre Organisations- und Programmgeschichte bedarf hier keiner näheren Betrachtung, denn in ihrer starken Ausrichtung an Moskau und der Kommunistischen Internationale („Komintern“) nahm die KPD eine gewisse Sonderrolle in der Weimarer Parteienlandschaft ein. Auf Druck der Komintern folgte ab Mitte der 1920er Jahre die Bolschewisierung der Partei, die nun zusehends in Abhängigkeit von Moskau geriet.497 Die auf Betriebszellen beruhende, anfänglich noch demokratische und föderalistische Struktur war schon im Zuge der Vereinigung mit der USPD zugunsten eines stärkeren zentralistischen Elements zurückgedrängt worden. Der „demokratische Zentralismus“ wurde schließlich seit Juli 1925 implementiert. Die Macht lag nominell beim Zentralkomitee, verschob sich aber tatsächlich immer mehr in Richtung des Politischen Büro („Polbüro“) und insbesondere des Sekretariats („Politsekretariat“), von wo aus der zentrale Apparat und letztlich die ganze Partei gesteuert wurde.498 Zur Finanzierung der KPD trugen ganz wesentlich Mitgliedsbeiträge, aber auch Sammlungen bei. Die Beitragszahlungen blieben aber aufgrund der schwachen Einkommensstruktur der Mitglieder eher überschaubar. Hinzu traten Zahlungen der Mandatsträger, die einen recht gehörigen Teil ihrer Diäten an die Partei weiterzuleiten hatten. Wirtschaftlich betätigte sich die KPD vor allem im publizistischen Bereich, indem sie zahlreiche Parteizeitungen herausgab. Als wesentliche, aber eigenständige Massenorganisationen bestanden der „Rote Frontkämpferbund“, die „Internationale Arbeiterhilfe“ und die „Internationale Rote Hilfe“.499 Die Organisation der SPD war bereits im Kaiserreich weit fortgeschritten500, zog aber nach dem Kriege noch weiter an. 1.387 Parteisekretäre kümmerten sich 1928 hauptamtlich um die Partei; von Kritikern wurde der Sozialdemokratie daher der Vorwurf der „Verbonzung“ gemacht.501 Nach einem Mitgliederabfall zur Mitte der 1920er Jahre waren gegen Ende der Weimarer Republik über eine Million Sozialdemokraten in rund 10.000 Ortsvereinen organisiert. Das entsprach mehr als einem Zehntel ihrer Wählerschaft.502 Peter Lösche hat die Sozialdemokratie der Weimarer 496

Vgl. Fenske, a. a. O., S. 158, 171 ff. Hierzu Huber, Verfassungsgeschichte VI, 1981, S. 265 ff. 498 Lösche, Kleine Geschichte der deutschen Parteien, 21994, S. 103. Ausführlich zur Parteiorganisation der KPD Weber, Die Wandlung des deutschen Kommunismus I, 1969, S. 251 ff. 499 Zum Vorstehenden Flechtheim, Die KPD in der Weimarer Republik, 21971, S. 242 ff. 500 Vgl. Kapitel III. 5. c). 501 Tormin, Geschichte der deutschen Parteien seit 1848, 31968, S. 169; ausführlicher Lösche, a. a. O., S. 75 f. 502 Fenske, a. a. O., S. 158, 175. 497

6. Die Weimarer Republik

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Zeit als eine Solidargemeinschaft von Facharbeitern bezeichnet, die über das Sozialistengesetz und den Weltkrieg hinweg historisch gewachsen war und sich vom Arbeitsplatz bis in den Freizeit- und Bildungsbereich erstreckte. Das Arbeitermilieu wurde auch jenseits der eigentlichen Partei in zahlreichen Verbänden und Organisationen erfasst.503 Programmatisch schritt die Partei mit dem Görlitzer Programm von 1921 und dem Heidelberger Programm von 1925 voran.504 Während das erste Programm zumindest im Ton gemäßigter war und eine Öffnung der Sozialdemokratie weg von der revolutionären Partei des Klassenkampfes auszudrücken schien, versteht sich das vom Heidelberger Parteitag beschlossene Programm im Sinne einer Integration der zurückgekehrten Teile der USPD. Der „programmatische Rückfall“ in eine marxistische Dogmatik mag innerparteilich notwendig gewesen sein, ließ sich in der konkreten Politik aber wohl nur aufgrund der damaligen Oppositionsrolle vertreten.505 Die wesentliche Einnahmequelle der SPD blieben Mitgliedsbeiträge, zumal nennenswerte Spenden ausblieben. Weitere finanzielle Mittel erhielten Sozialdemokraten anteilig von parteieigenen Unternehmen, die insbesondere im publizistischen Bereich – also Zeitungen, Verlage und Druckereien – tätig und in einer zentralen Gesellschaft zusammengeführt waren. Gegen Ende der 1920er Jahre erschienen nahezu 200 sozialdemokratische Tageszeitungen.506 Der Konservatismus war durch den staatlichen Wandel naturgemäß vor seine größten Herausforderungen gestellt. Mit dem Ende der Monarchie war ihm seine bisherige Machtgrundlage entzogen worden. Seine Anhänger sammelten sich nach dem Krieg organisatorisch in der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), die im Gegensatz zu ihren Vorgängern nunmehr einen wirklichen Parteiapparat errichtete.507 Hatten die Konservativen im Kaiserreich die Organisation ihrer Anhänger noch größtenteils mit dem Bund der Landwirte einem agrarischen Interessensverband überlassen, so stieß die DNVP nun mit dem Aufbau einer eigenen Parteiorganisation auch in andere Milieus, zumal in die städtisch-industrielle Gesellschaft vor.508 Das 1920 als Grundsätze vorgelegte Parteiprogramm war ganz und gar monarchisch und national ausgerichtet und trug insofern dem neuen Staat keinerlei Rechnung.509 Besondere Bedeutung im Zusammenhang mit der Pressetätigkeit der DNVP kam dem Medienmogul Alfred Hugenberg zu, in dessen weitreichenden Konzern zahlreiche Zeitungen erschienen, die einen nicht zu geringen Einfluss auf das öffentliche 503

Lösche, a. a. O., S. 69 f. Abgedruckt bei Mommsen, Deutsche Parteiprogramme, 31960, S. 453 und S. 461. 505 Hierzu Huber, Verfassungsgeschichte VI, 1981, S. 232, 241; Lösche, a. a. O., S. 74. 506 Insgesamt Lösche, a. a. O., S. 76 f. 507 Schieder, Grundlagen und Epochen des deutschen Parteiwesens, in: ders., Staat und Gesellschaft im Wandel unserer Zeit, 21970, 133 (161). Zu späteren Abspaltungen in „Parteien des neuen Konservatismus“ Huber, a. a. O., S. 169 ff. 508 Nipperdey, Die Organisation der deutschen Parteien, 1961, S. 397. 509 Die Grundsätze der DNVP bei Mommsen, Deutsche Parteiprogramme, 31960, S. 533. 504

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

Meinungsbild auszuüben vermochten. Dessen Meinungsführerschaft innerhalb der Deutschnationalen formalisierte sich schließlich 1928, als Hugenberg selbst zum Parteivorsitzenden gewählt wurde.510 Die eigene Mitgliederbasis wuchs zu Beginn der Republik rasch auf nahezu eine Million, fiel aber zur Mitte der 1920er Jahr wieder ab. Die Mitglieder waren zu Höchstzeiten in 600 bis 700 Kreisverbände und wiederum in 10.000 bis 12.000 Ortsgruppen eingegliedert.511 Diese Zahlen, aber auch der Apparat hauptamtlicher Mitarbeiter – es sollen bis zu 500 gewesen sein – zeigen also auch bei den Konservativen in organisatorischer Hinsicht den Wandel zur Mitgliederpartei. In ihrer Führungsstrukturen blieb die DNVP aber dem Honoratiorencharakter, nicht zuletzt auch in ihrer Anleitung durch die Fraktion, verhaftet.512 Auch beim Zentrum ging man dazu über, die Anhängerschaft an die Partei selbst zu binden. War die Massenbasis bislang noch extern, insbesondere im „Volksverein für das katholische Deutschland“ organisiert, so bildete sich nunmehr eine formalisierte, feste Mitgliedschaft zum Zentrum. Aus den lokalen Honoratiorenkomitees entwickelten sich nunmehr Ort- und Kreisverbände. Das Zentrum wurde nun ebenfalls zu einer Mitgliederpartei, wenngleich sich dieser Vorgang nur schleppend vollzog. Die neue Parteiorganisation darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Zentrum noch in alten Organisationsprinzipien verhaftet blieb und somit der tatsächliche Einfluss der Parteibasis – etwa auch durch komplizierte mehrstufige Delegiertenwahlen – sich trotz demokratischer Verfahren nur eingeschränkt entfalten konnte.513 Zum neuen Parteiaufbau des Zentrums gehörten nicht nur Veränderungen in der Organisation der Parteibasis, sondern auch eine Reorganisation der Parteileitung. Das Zentrum sollte nunmehr nicht allein aus der Reichstagsfraktion heraus geführt werden. Hatten bislang die Katholikentage als Surrogat für Parteitage gewirkt – solche wurden nur auf Ebene der Landes- und der Provinzialorganisationen abgehalten – fanden ab 1920 regelmäßig reichsweite Parteitage statt.514 Auf dem ersten dieser Parteitage wurde sodann auch ein Parteivorstand geschaffen. Zumindest formal bestand somit ein parteieigenes zentrales Führungsgremium, so dass die Parteiorganisation nicht mehr nur ein „bloßer Unterbau der Fraktion“ blieb.515 Tat-

510

Vgl. hierzu Tormin, Geschichte der deutschen Parteien seit 1848, 31968, S. 174 ff. Zahlen bei Ruge, Deutschnationale Volkspartei, in: Fricke et al., Lexikon zur Parteiengeschichte II, 1984, 476 (477). 512 Lösche, a. a. O., S. 92. 513 Zum Vorstehenden insgesamt Nipperdey, a. a. O., S. 397 f., der das Zentrum daher in einer „Zwischenstellung zwischen Mitglieder- und Rahmenpartei“ sieht. Demgegenüber ist aber auch vom Zentrum in der Weimarer Republik als demokratischer Massenintegrationspartei gesprochen worden; Lösche, a. a. O., S. 78. 514 Vgl. Gottwald/Wirth, Zentrum, in Fricke et al., Lexikon zur Parteiengeschichte IV, 1986, 552 (553). 515 Nipperdey, a. a. O., S. 398. 511

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sächlich hielten sich aber die alten Führungspersonen noch bis weit in die zweite Hälfte der 1920er Jahre hinein an der Spitze der Partei.516 Auch programmatisch schritt das Zentrum voran und beschloss auf seinem zweiten Parteitag im Jahre 1922 die „Richtlinien der deutschen Zentrumspartei“, die sich insofern an die sogenannten Leitsätze anschlossen, wie sie bereits im Dezember 1918 erlassen worden waren.517 Zahlreiche Organisationen waren dem Zentrum angeschlossen oder standen zumindest der Partei nahe, so etwa der (weiterhin fortbestehende) Volksverein, der Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften oder die katholischen Arbeitervereine. Zudem werden dem Zentrum rund 280 Zeitungen zugerechnet.518 Wie bereits eingangs erwähnt, setzte sich die Spaltung des Liberalismus in eine links- und eine nationalliberale Ausrichtung auch in der Weimarer Republik fort. Bemühungen um eine gemeinsame liberale Volkspartei konnten sich nicht durchsetzen.519 Auf linksliberaler Seite gründete sich während der revolutionären Wirren des Jahres 1918 die Deutsche Demokratische Partei (DDP, ab 1930: Deutsche Staatspartei). Den Urhebern der Parteigründung schwebte dabei keineswegs eine bürgerlich-liberale Partei vor; vielmehr kamen im Gründungsaufruf recht radikale Forderungen – etwa die Sozialisierung von Wirtschaftsmonopolen – zum Ausdruck.520 Wenngleich damit zunächst eine programmatische Abkehr zur Fortschrittlichen Volkspartei der Kaiserzeit vollzogen zu sein schien, schloss sich diese der neuen Partei an. Auch Teile der Nationalliberalen traten zur DDP über.521 Ein vollständiger Zusammengang wurde aber verhindert, indem schon kurz darauf die Deutsche Volkspartei (DVP) ins Leben gerufen wurde, unter deren Namen die Organisation der alten Nationalliberalen Partei nunmehr fortgeführt wurde.522 Beide Parteien gaben sich gegen Ende des Jahres 1919 ein eigenes Parteiprogramm, das von den jeweiligen Parteitagen beschlossen wurde. In deutlicher Abkehr von ihrem Gründungsaufruf lehnte das Programm der DDP die Vergesellschaftung von Produktionsmitteln ab und bekannte sich zur Privatwirtschaft.523

516

Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte VI, 1981, S. 196 f. Abgedruckt bei Mommsen, Deutsche Parteiprogramme, 31960, S. 481 (Leitsätze) und S. 486 (Richtlinien). 518 Gottwald/Wirth, a. a. O., 552 (553 f.). 519 Ausführlich zu den Einigungsversuchen Albertin, Liberalismus und Demokratie, 1972, S. 45 ff.; vgl. auch Huber, Verfassungsgeschichte V, 1978, S. 974 ff. 520 Vgl. hierzu Fritsch, Deutsche Demokratische Partei, in: Fricke et al., Lexikon zur Parteiengeschichte I, 1983, 574 (577 f.). 521 Ausführlich zur Gründung der DDP ebd., (576 ff.). 522 Hierzu Huber, Verfassungsgeschichte V, 1978, S. 980 ff.; Ruge, Deutsche Volkspartei, in: Fricke et al., Lexikon zur Parteiengeschichte II, 1984, 413 (422 ff.). Ausführlich bei Richter, Deutsche Volkspartei, 2002, S. 31 ff. 523 Parteiprogramme abgedruckt bei Mommsen, Deutsche Parteiprogramme, 31960, S. 508 (DDP) und S. 519 (DVP). 517

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

Beide Parteien, DDP wie DVP, mussten den Aufbau ihrer Organisation vor dem Hintergrund der anstehenden Wahlen recht provisorisch vorantreiben. Zwangsläufig wurde deshalb zunächst auf die alten Organisationsstrukturen der Vorgängerparteien zurückgegriffen.524 Bei der DDP wirkte sich dies für die gesamte Zeit ihres Bestehens in einer Organisationsschwäche aus, die zu Beginn der Weimarer Republik indes noch durch die enorme Zahl von 900.000 Mitgliedern kaschiert wurde und den äußeren Anschein einer modernen Massenpartei erweckte. Tatsächlich ließ die Mitgliederzahl in den folgenden Jahren aber drastisch nach: schon zu Ende des Jahres 1920 war sie auf die Hälfte geschrumpft. Rund fünf Jahre später verzeichnete die DDP nur noch etwas über 130.000 Mitglieder, ohne dass der Abwärtstrend schon überwunden gewesen wäre. Die Organisation der Partei blieb locker und konnte den liberalen Honoratiorencharakter nie wirklich überwinden.525 Die wesentlichen Organe der DDP waren der Parteitag, der Parteiausschuss und der Vorstand. Hinzu kamen ein Revisionsausschuss und eine Reihe von partikularinteressenbezogenen Reichsausschüssen, etwa für Handel, Industrie und Gewerbe, der Arbeitnehmer und des Mittelstandes. Die Rolle des Parteiausschusses – ein Gremium von zunächst (satzungsmäßig) 155, später deutlich mehr Mitgliedern – war die Auseinandersetzung über wichtige politische Fragen. Seine Bedeutung blieb gering, wobei jedoch hervorzuheben ist, dass die Anzahl der Mitglieder der Reichstagsfraktion im Parteiausschuss auf zehn begrenzt bleiben sollte, um zumindest formal eine inhaltliche Unabhängigkeit der Partei von der parlamentarischen Vertretung zu erreichen.526 Letztlich verblieb die Meinungsführerschaft aber bei der eigentlichen Parteileitung und der Fraktion. Dem Vorstand, dessen Mitgliederzahl bis auf 50 anwuchs, oblag nach der Satzung die Führung der laufenden Geschäfte wie die politische Führung der Partei. Der Parteitag bestimmte zumindest den Vorsitzenden des Parteiausschusses (den eigentlichen Parteiführer) und seine Stellvertreter sowie die Vorstandsvorsitzenden.527 Unterhalb der zentralen Gremien und der Reichsgeschäftsstelle erfolgte die Organisation auf Ebene der 35 Wahlkreise, wie sie nach dem Reichswahlgesetz vorgesehen waren. Dort bestand üblicherweise eine Geschäftsstelle mit einem hauptamtlichen Parteisekretär. Darunter gab es Bezirks- und Kreisverbände. Die rückläufige Zahl der Ortsgruppen wurde durch ein Netz von Vertrauensmännern zu kompensieren versucht.528 Der Mitgliederrückgang wie die organisatorischen Schwächen gingen einher mit Problemen bei der Parteifinanzierung, soweit diese aus Mitgliedsbeiträgen bestritten werden sollte. Die DDP blieb in großem Maße auf 524

Vgl. Albertin, Liberalismus und Demokratie, 1972, S. 90. Vgl. insgesamt Schneider, Deutsche Demokratische Partei, 1978, S. 67 ff., 222 ff. 526 So Albertin, Liberalismus und Demokratie, 1972, S. 93. 527 Zu den vorstehend genannten Gremien insgesamt Schneider, a. a. O., S. 213 ff.; Albertin, Deutsche Demokratische Partei, in: Wegner, Linksliberalismus, 1980, IX (XX ff.). 528 Vgl. Schneider, a. a. O., S. 222 ff.; Albertin, in: Wegner, Linksliberalismus, 1980, IX (XXXI ff.). 525

6. Die Weimarer Republik

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Zuwendungen von Seiten der Wirtschaft angewiesen, was den politischen Einfluss der Industrie auf die Partei nicht unerheblich erhöhte.529 Der Organisationsaufbau der DVP gestaltete sich unter dem Eindruck der zahlreichen nationalliberalen Organisationsteile, die sich der DDP angeschlossen hatten. Von dieser Ausgangposition kommend, gelang auch der DVP der Umbau zur Massen- und Mitgliederpartei nur unzureichend. Der Aufbau der Partei blieb locker; die Parteitätigkeit auf Ebene der recht unabhängigen Wahlkreisverbände blieb im Schwerpunkt auf die Wahlvorbereitung fokussiert. Letztlich richtete sich deren Vertretung in den zentralen Gremien wie auch beim Parteitag nicht nach der Mitglieder-, sondern nach der Wählerzahl.530 Anders als bei der DDP kam dem Parteitag eine Wahlfunktion aber ohnehin nicht zu. Seine Beteiligung am Parteileben blieb schon nach dem Statut auf die Beschlussfassung über das Programm und die Richtlinien der Politik beschränkt. Neben den Vertretern der Wahlkreisverbände und den leitenden Beamten der Reichsgeschäftsstelle waren alle Reichs- und Landtagsfraktionen sowie die Mitglieder des Zentralvorstandes, des höchsten Organs der Partei, teilnahmeberechtigt. Der Parteitag war somit nicht ein Gremium der parteiinternen Willensbildung und Demokratie, sondern ein „Resonanzboden der Spitzengremien und damit letztlich der Parteiführung“.531 Der Einfluss der Abgeordneten war aber nicht auf den Parteitag begrenzt. Auch im Zentralvorstand waren alle Mitglieder der Reichstagsfraktion und einzelne Vertreter der Landtagsfraktionen vertreten. Mit den Abgesandten der Wahlkreisverbände, den Vertretern der Parteipresse und den sonstigen Parteivertretern schwoll das Führungsgremium, das selbst den Parteivorsitzenden bestimmte, zeitweise auf bis zu 400 Personen an.532 Angesichts dieser enormen Größe war zunächst der deutlich kleinere Geschäftsführende Ausschuss das eigentliche Leitungsgremium. Zu Ende des Jahres 1921 wurde durch eine Satzungsänderung mit dem Parteivorstand aber ein weiteres, kleineres Gremium als Exekutivorgan geschaffen, das sich letztlich nur noch aus Parlamentariern zusammensetzte. Insbesondere nach dem Tod des charismatischen Parteiführers und zeitweiligen Reichskanzlers Gustav Stresemann wurde die Reichstagsfraktion letztlich zum Nukleus politischer Entscheidungen.533 Grundpfeiler der Parteiorganisation der DVP waren die Wahlkreisverbände. An der Basis bestanden Ortsgruppen wie auch ein System von Vertrauensleuten, darüber Kreis- und Bezirksverbände. Neben der Reichsgeschäftsstelle suchte man auch in 529 Vgl. Schneider, a. a. O., S. 230 ff.; Albertin, in: Wegner, Linksliberalismus, 1980, IX (XXXVI ff.). 530 Es wurde deshalb von der DVP auch als einer „Föderation von Wahlkreisverbänden“ gesprochen; insgesamt zum Vorstehenden Ruge, Deutsche Volkspartei, in: Fricke et al., Lexikon zur Parteiengeschichte II, 1984, 413 (427). 531 Insgesamt Richter, Deutsche Volkspartei, 2002, S. 127 ff. [Zitat dort: S. 128]; ebenso Albertin, Liberalismus und Demokratie, 1972, S. 92 f. 532 Richter, a. a. O., S. 129 f. 533 Hierzu ebd., S. 136 ff.

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III. Die Entwicklung politischer Organisation in Deutschland

den regionalen Gliederungen, also den Wahlkreisverbänden, die Parteiarbeit auf hauptamtliche Parteibeamte zu übertragen.534 Zuverlässige Mitgliederzahlen sind von der DVP kaum überliefert. Nach einem anfänglich raschen Anstieg – Ende 1921 soll ein Höchststand von 478.000 Mitgliedern erreicht worden sein – setzte aber eine Erosion der Mitgliederzahl ein, die wohl zum Ende der Republik bei unter 100.000 gelegen haben dürfte.535 Mitgliedsbeiträge konnten aufgrund der geringen Zahlungsmoral und des einsetzenden Mitgliederschwunds nur begrenzt zur Finanzierung der DVP beitragen. Wirtschaft und Industrie wurden zur wesentlichen Finanzquelle.536 Es soll vor alledem nicht in Vergessenheit geraten, dass das Parteiensystem der Weimarer Zeit sicherlich nicht unwesentlich durch eine Reihe von Splitterparteien geprägt war; ein Befund, auf den der bundesrepublikanische Gesetzgeber mit der Einführung einer Sperrklausel reagiert hat und der das deutsche Wahlrecht bis heute prägt.537 Es wäre aber wohl falsch, der insbesondere gegen Ende der Weimarer Republik zunehmenden Parteienzersplitterung allzu große Bedeutung bei der Erarbeitung des historisch tradierten Parteienbildes zuzumessen. Tatsächlich blieb die Anzahl der in den Weimarer Reichstagen vertretenen Splitterparteien jeweils sogar hinter der Zahl der im letzten Reichstag der Monarchie vertretenen Kleinparteien zurück. Ernst Rudolf Huber hat „neun eigentliche Splitterparteien“ ausgemacht, die jedoch niemals zugleich über Mandate im Reichstag verfügten.538 Ihre Existenz im Weimarer Parteiensystem ist ein historischer Fakt; ihr Einfluss auf das Parteienbild des Verfassungsgesetzgebers des Grundgesetzes darf aber bezweifelt werden.539 Insgesamt lässt sich in der Weimarer Republik also der Versuch beobachten, die alten Honoratiorenstrukturen zu überkommen und die Parteien zu Massen- oder Mitgliederparteien auszubauen. Dies gelingt in den einzelnen Lagern in unterschiedlichem Maße. Der Aufbau bleibt föderal, zentrale Führungsgremien stehen an der Spitze der Parteien, der Parteiapparat mit hauptamtlichen Mitarbeitern wächst und die Parteitätigkeit beschränkt sich nicht auf den Wahlakt, sondern strebt vielmehr eine ganzheitliche Integration der Mitglieder in das Parteileben an, deren jeweilige Interessen in Sonderorganisationen oder Fachausschüssen berücksichtigt werden sollen. Im Zuge des Organisationsausbaus, mit der stärkeren Integration der lokalen Vereine in das Gesamtgefüge, nicht zuletzt aber durch das veränderte Wahlrecht – 534

Zum Organisationsaufbau ebd., S. 153 ff. Ebd., S. 177 ff. Andere Zahlen indes bei Albertin, Liberalismus und Demokratie, 1972, S. 104 und Ruge, a. a. O., (414). 536 Richter, a. a. O., S. 194 ff.; vgl. auch Ruge, a. a. O., (418 ff.). 537 § 6 Abs. 3 BWahlG. Auch das Bundesverfassungsgericht hat die Rechtfertigung einer Sperrklausel aufgrund der Gefahr einer übermäßigen Parteienzersplitterung unter expliziter Bezugnahme auf die Weimarer Republik begründet; BVerfGE 34, 81 (99). Siehe hierzu auch Kapitel IV. 4. c). 538 Huber, Verfassungsgeschichte VI, 1981, S. 143 ff. 539 Zur Übereinstimmung des historischen Parteienbildes mit dem Parteienbild des Grundgesetzes siehe Kapitel I. 2. 535

6. Die Weimarer Republik

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namentlich der Verhältniswahl in 35 Wahlkreisen – verlieren die Ortsvereine an Entscheidungsbefugnis. Die Machtzentren der Partei bilden sich nunmehr bei den mittleren und zentralen Instanzen, womit zugleich der Einfluss der Mitglieder zurückging.540 Damit gewinnt die Parteiorganisation auch an Bedeutung gegenüber den Fraktionen in Reichs- und Landtagen; das Verhältnis von außerparlamentarischer und parlamentarischer Partei nimmt an Spannung zu, ohne dass – trotz der zunehmenden Spannung – die personellen (und bisweilen institutionellen) Verschränkungen zwischen beiden außer Acht gelassen werden dürfen.541

540 541

Nipperdey, Die Organisation der deutschen Parteien, 1961, S. 400. Zum Verhältnis von Parteiorganisation und Fraktion vgl. ebd., S. 400 ff.

IV. Systematischer Abgleich: Partei und Verein im Grundgesetz Das Ziel des vorgehenden Kapitels war es, die Entwicklungsgeschichte der politischen Organisationen in Deutschland nachzuzeichnen. Dabei war nicht allein die voranschreitende vereinsmäßige Organisation politischer Interessen Gegenstand der Untersuchung, sondern zugleich auch deren parlamentarische Vertretung und die Herausbildung von Fraktionen. Es wurde herausgearbeitet, dass den Parteien moderner Prägung zwei Wurzeln – eine parlamentarische und eine außerparlamentarische – zugrunde liegen, die sich einerseits im politischen Vereinswesen, andererseits in den Fraktionen manifestieren. Deren Entwicklung und Verhältnis zueinander wurden dabei unter Darstellung der jeweiligen verfassungs- und staatsrechtlichen Gegebenheiten erörtert. Das Vereinsrecht der Einzelstaaten, des Deutschen Bundes und später des Deutschen Reiches, vor allem die diesbezüglichen Regelungen zu politischen Vereinen, aber auch das Wahlrecht und die Geschäftsordnungen der Parlamente, haben in diesem Zusammenhang das juristische Korsett dieser Entwicklungsgeschichte aufgezeigt. Bewusst wurde in der vorangegangenen Untersuchung auf die Zeit des Nationalsozialismus nicht eingegangen. Schon durch die Auflösung der Parteien zu Beginn des Dritten Reiches und die Abwesenheit (freier) Wahlen stellen diese Jahre in der Entwicklungsgeschichte politischer Organisation eine derart große Zäsur dar, die sich freilich nicht ohne weiteres in die Parteiengenese einreihen lässt. Vielmehr stellt das Dritte Reich einen vollständigen Bruch in der bisherigen – mehr oder weniger kontinuierlichen – Entwicklung dar. Davon betroffen sind sowohl die Parteienvielfalt mit ihren verschiedenen politischen Strömungen, der Aufbau und die Organisation der Partei, die innerparteiliche Demokratie und das Verhältnis der Partei zum Staat.1 All diese Aspekte fanden in der NSDAP einen Ausdruck, der in vollständiger Abkehr zu dem steht, was dem Grundgesetz zugrunde liegt. So knüpft auch das moderne deutsche Verfassungsrecht daran an, was sich vor dem Jahr 1933 in Deutschland in parteiendemokratischer Hinsicht entwickelt hatte. Diesem Prozess der Transformation historischer Entwicklungen und Erfahrungen in einen modernen demokratischen Verfassungsstaat, wie er durch das Grundgesetz vollzogen worden ist, stellt sich diese Arbeit im Folgenden. Die verfassungsrechtliche Positivierung der Parteien im Grundgesetz fand gerade nicht im „luftleeren“ Raum statt, sondern beruhte auf einer seit dem frühen 19. Jahrhundert fortge1 Zur Rolle der Partei im Nationalsozialismus und deren Verhältnis zum Staat Fraenkel, Der Doppelstaat, 1974, und Neumann, Behemoth, 1977.

1. Die Lehren der Geschichte: Das tradierte Verständnis von Partei und Verein

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schrittenen Entwicklung. Das vorangegangene Kapitel versteht sich somit nicht etwa als eine bloße historische Rückschau, sondern als das Fundament all dessen, was im Art. 21 GG seinen verfassungsrechtlichen Ausdruck gefunden hat. Die bislang in dieser Arbeit gewonnen Erkenntnisse wirken also unmittelbar in dem fort, was im Folgenden näher untersucht werden soll. So wendet sich diese Arbeit nunmehr dem Grundgesetz zu und will versuchen, die gewonnenen Erkenntnisse über das historisch tradierte Parteienbild für das moderne Verfassungsrecht und den dort niedergelegten Parteibegriff fruchtbar zu machen. Dabei sollen zunächst die wesentlichen Charakteristika des historischen Parteienbildes zusammengefasst, sodann die Überlegungen des Verfassungsgesetzgebers von 1948/1949 in den Blick genommen und das Parteiverständnis von Rechtsprechung und Literatur dargestellt werden. Letztlich soll untersucht werden, inwieweit uns das historische Parteienbild dabei helfen mag, dem Parteibegriff des Grundgesetzes näherzukommen.

1. Die Lehren der Geschichte: Das tradierte Verständnis von Partei und Verein Um das Parteienbild im Zeitpunkt der Ausarbeitung des Grundgesetzes – gerade auch in Abgrenzung zu (bloßen) politischen Vereinen – herauszuarbeiten, sollen die wesentlichen Ergebnisse des vorangegangenen Kapitels zunächst kurz nachgezeichnet und sodann die Hauptmerkmale identifiziert werden.

a) Entwicklungslinien Bereits im Vormärz besteht ein assoziatives Vereinswesen, das sich zunehmend spezialisiert und politisiert.2 Wenngleich sich die wesentlichen politischen Meinungsströmungen, die bis in die Gegenwart hinein zur geistigen Grundlage der Gliederung des Parteiwesens werden sollen, bereits herausgebildet haben, findet eine derartige inhaltliche Abgrenzung in und zwischen den Vereinen noch nicht statt. Ein solches Zugehörigkeitsgefühl entwickelt sich zunächst in den Landtagen und führt zu ersten parlamentarischen Gruppenbildungen aufgrund politischer Überzeugung, deren Ziel ein gemeinsames und koordiniertes Vorgehen ist. Das außerparlamentarische Vereinswesen wird von dieser Entwicklung nur soweit erfasst, als ein unmittelbarer Bezug zu Wahlen besteht. Eine Verstetigung dieser Zusammenarbeit oder gar ein Aufbau und eine Verfestigung gemeinsamer Strukturen zwischen parlamentarischen und außerparlamentarischen Gruppierungen finden nicht statt. Der Verein des Vormärzes ist weder organisatorischer Unterbau noch Bestandteil der 2

Ausführlich hierzu Kapitel III. 2.

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IV. Systematischer Abgleich: Partei und Verein im Grundgesetz

politischen Willensbildung des parlamentarischen Zusammenschlusses. Der Ausgangspunkt der Parteibildung ist zunächst also parlamentarischer Natur. Im Brockhaus des Jahres 1835 begegnet uns die Partei somit noch als „die Gesamtheit Derer [sic!], welche sich zu irgend einer gemeinschaftlichen Ansicht, Meinung und Lehre in Wissenschaft, Kirche und Staat bekennen, oder auch, ohne solche innere Übereinstimmung, nur durch ein äußeres Band, als Anhänger eines Mannes, oder durch einen gemeinschaftlichen Zweck vereinigt werden.“3

Eine nachhaltige Veränderung erfährt die Politisierung des Vereinswesens in den Revolutionsjahren von 1848/49.4 Auch außerparlamentarische Gruppierungen organisieren sich nun entsprechend der vorherrschenden politischen Richtungen, das Vereinswesen erfährt eine inhaltliche Differenzierung. Die Organisation dieser Vereine beruht auf Wahlen wie Leitung durch Vorstände und der Finanzierung durch Mitgliedsbeiträge; die Integration in eine übergreifende Gesamtorganisation und der Aufbau entsprechender hierarchischer Strukturen gelingt indes noch unzureichend. In der Paulskirche organisieren sich gleichsam die Fraktionen als parlamentarische Zusammenschlüsse, deren Gewebe aber noch recht locker gefügt ist. In programmatischer Hinsicht bemühen sich sowohl die parlamentarischen als auch die außerparlamentarischen Gruppierungen um die Erarbeitung und Darstellung ihrer politischen Forderungen; eine gemeinsame Programmatik besteht jedoch nicht. Auch organisatorisch bleiben die Fraktion und der politische Verein des Vormärzes getrennte Gebilde, wenngleich sich zumindest im Zentralmärzverein erste Ansätze einer gemeinsamen Institutionalisierung finden. Eine genaue Zuordnung einzelner Vereine zu bestimmten Fraktionen oder umgekehrt scheitert bereits an der organisatorischen Vielfalt und ist auch nach inhaltlich-programmatischen Gesichtspunkten nicht exakt zu bestimmen. Trotz aller Wechselwirkungen findet somit eine organisatorische Integration von Fraktions- und Vereinswesen nicht statt. Deutlich tritt nun aber neben der parlamentarischen Parteibildung in den Fraktionen eine außerparlamentarische Organisation politisch-weltanschaulich differenzierter Interessen im Vereinswesen in Erscheinung. Am Ende der Revolution lassen sich somit programmatisch wie organisatorisch zwei Wurzeln der fortschreitenden Parteibildung ausmachen, deren Verhältnis zueinander und jeweilige Bedeutung für die weitere Entwicklung aber noch nicht zu erkennen sind. In rechtlicher Hinsicht spiegelt sich das Erbe der Revolution von 1848/49 im restriktiven Vereinsrecht des Deutschen Bundes und der Einzelstaaten wider.5 Das öffentliche Vereinsrecht erkennt den Unterschied zwischen Vereinen im Allgemeinen und politischen Vereinen im Besonderen. Für letztere bestehen daher Sonderregelungen, die die (noch negativ empfundene) Bedeutung politischer Vereine für den Staat und seine rechtliche Verfassung anerkennen und bereits Ansätze einer 3 Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie, Band 8, 81835, S. 317; wenig weiter entwickelt auch die Ausführungen in der Folgeauflage (dort Band 10, 91846). 4 Kapitel III. 3. 5 Kapitel III. 4.

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Kompetenzzuweisung an das Innenministerium oder an ein Gericht für Verbotsmaßnahmen und deren Überprüfung kennen. Das Affiliationsverbot verhindert die Verbindung einzelner politischer Vereine und hemmt somit die Bildung größerer Organisationen. Zugleich findet sich aber bereits im repressiven Vereinsrecht der 1850er Jahre, so in Preußen und in Bayern, eine Privilegierung der Fraktionen als der parlamentarisch agierenden Partei. Die zuvor getroffene Unterscheidung in eine parlamentarische und eine außerparlamentarische politische Organisation taucht hier also in rechtlich positivierter Form wieder auf. Dazwischen treten durch eine weitere rechtliche Privilegierung sogenannte Wahlvereine, die jedoch keine dauerhaften, sondern nur temporäre Organisationen darstellen, die im Zusammenhang mit Wahlen, also zur Durchführungen des Wahlkampfes, auftreten. Der Charakter der Wahlvereine ist somit ein mittelbar parlaments-, vor allem aber wahlbezogener. Diese Vereine stellen folglich in gewisser Weise das gedankliche Bindeglied zwischen parlamentarischer und außerparlamentarischer Organisation dar. Gerade die rechtliche Differenzierung zwischen parlamentarischer und außerparlamentarischer Erscheinungsform deutet jedoch daraufhin, dass von einer rechtlichen Anerkennung der politischen Partei in ihrer Gesamtheit keinesfalls die Rede sein kann. Ein wirklicher Ansatzpunkt und das Fortschreiten der Parteibildung lassen sich ab den 1860er Jahren ausmachen. Dieser Prozess bestimmt sich nicht nur durch eine programmatische Ausdifferenzierung und den Ausbau der außerparlamentarischen Organisation. Zugleich wird der parlamentarische Vertreter allmählich stärker an seine Anhängerschaft gebunden. Das Programm wirkt identitätsstiftend und nimmt den Abgeordneten in die Pflicht; Fraktionszugehörigkeit und inhaltliche Positionierung der Gewählten werden für den Wähler somit voraussehbar wie überprüfbar. Ein einheitliches Muster für die hier einsetzende Entwicklung ist jedoch nicht zu erkennen. Die Initiative zur Parteibildung ging sowohl von außerparlamentarischen als auch von parlamentarischen Gruppierungen aus, weshalb die (noch recht lose) Partei dementsprechend jeweils stärker vereins- oder fraktionsmäßig geprägt ist. Unverkennbar ist jedoch, dass Fraktion und Verein sich einander zuwenden und zu verflechten beginnen. Dabei stehen zwei Entwicklungslinien am Ausgangspunkt des modernen Parteiwesens gleichberechtigt nebeneinander: Zum einen die Tendenz politischer Vereine, in die Parlamente hineinzuwachsen, zum anderen die Tendenz von Fraktionen, sich aus dem Parlament heraus außerparlamentarische Vereinsorganisationen zu schaffen. Auch das gedankliche Konzept der Partei wie seine gesellschaftliche Anerkennung hat sich weiterentwickelt, wie dem Brockhaus von 1867 zu entnehmen ist: „Anfänglich pflegen die P.[arteien] selbst da, wo die Staatsgewalt ihrer freien Entwicklung keine Hindernisse entgegenstellt, unorganisiert zu sein; bald aber treten die Gleichgesinnten und Gleichstrebenden miteinander in Verbindung, weil sie durch diese Verbindung ihre Kräfte vervielfachen, ihren Einfluß erhöhen, ihre Ausdehnung auf weitere Kreise fördern.“6 6

Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie, Band 11, 111867, S. 424.

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Explizit wird zumal die Bedeutung der „politischen Parteien“ nunmehr hervorgehoben, „die im freien Staate so wenig entbehrt werden können, daß man mit Recht von jedem Staatsbürger den Anschluß an eine der bestehenden P. fordern kann.“7

Mit der Reichsgründung rücken die Parteien zusehends weiter in den öffentlichrechtlichen Bereich.8 Der Bismarckschen Reichsverfassung liegen sie zwar nicht formal, wohl aber bereits materiell zugrunde. Die Existenz von Parteien, ihre Rolle bei der Gesetzgebung und der Artikulation gesellschaftlicher Interessen, ist bereits gedankliche Voraussetzung für den Reichstag als Verfassungsorgan. Während der Geltung des Sozialistengesetzes zeigt sich ein besonderer Schutz der parlamentarischen Parteifunktion: Während die sozialdemokratische Vereinsorganisation aufgelöst wird, bleibt die Reichstagsfraktion in ihrer Tätigkeit ohne direkte Einschränkung. Die Fraktion selbst findet in der Geschäftsordnung keine Anerkennung, wird aber in der staatsrechtlichen Literatur als „Gestaltung des parlamentarischen Parteilebens“ mit dem Charakter eines „die Theilnehmer [sic!] durch die Mehrheitsbeschlüsse bindenden Vereins“ angesprochen.9 Rechtliche Anerkennung finden die Parteien als solche indes nicht; sie verbleiben formal-rechtlich im Regelungsbereich des Vereinsrechts. Die endgültige Aufhebung des Affiliationsverbotes (1899) und die Schaffung eines neuen, reichsweiten Vereinsrechts (1908) bringen aber ein fortentwickeltes Staatsverständnis zum Ausdruck, das den Parteien den notwendigen organisationsrechtlichen Rahmen ermöglicht. Diese bauen ihre Organisation weiter aus und versuchen so, eine Massenbasis zu entwickeln. Die Ausbildung eines parteieigenen Vereinswesens und dessen Eingliederung in die Gesamtorganisation gestalten sich jedoch bei den bürgerlich-liberalen Parteien als ein langwieriger Prozess. Die lokalen Vereine bleiben noch in einer weitgehenden Selbstständigkeit, während die zentralen Führungsgremien noch parlamentarisch-fraktionell geprägt sind und sich erst nach und nach gegenüber der Gesamtorganisation öffnen. Der Parlamentsbezug der Partei kommt dabei auch bei der Zusammensetzung der Parteitage zum Ausdruck. Hier richtet sich die Delegiertenzahl der unteren Instanzen zwar bereits nach der Mitgliederzahl und mithin dem Organisationsgrad, wobei aber häufig noch das jeweilige Wahlergebnis als entscheidendes Kriterium Berücksichtigung findet. Über Landes- und Provinzialverbände als Bindeglied findet eine Integration in die Gesamtpartei statt. Die Eigenständigkeit der Vereine schwindet; zugleich wird die Partei aber zunehmend vereinsförmiger und beteiligt die Mitglieder an der inhaltlich-programmatischen Willensbildung und den Leitungsgremien. Die Parteien des Kaiserreiches sind so – in unterschiedlicher Ausprägung – bereits Massenpartei, aber auch noch durch den Charakter einer Honoratiorenpartei geprägt. 7 8 9

Ebd., S. 425. Kapitel III. 5. Mohl, Encyklopädie der Staatswissenschaften“, 21872, S. 654.

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So verschmelzen während des Kaiserreiches allmählich die außerparlamentarische-vereinsmäßige und die parlamentarisch-fraktionelle Wurzel der Partei zu einem einheitlichen Ganzen, ohne dass dieser Prozess (mit Ausnahme der Sozialdemokratie) bereits gänzlich vollzogen wird. Die Partei moderner Prägung entsteht durch eine Inkorporation des Vereins in die Gesamtorganisation unter Zurückdrängung des (fortbestehenden) parlamentarischen Führungsanspruches; im Falle der Sozialdemokratie indes durch die Eingliederung der Vereine in eine straffe, einheitliche Parteiorganisation. Wesentliche Charakteristika des assoziativen Vereinswesens in Form von Vorstandswahlen, Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip und Mitgliedsbeiträgen werden dabei von der Partei übernommen. Sie ist mithin ein politischer Verein, der durch seine Verbindung mit der parlamentarisch-fraktionellen Vertretung von der Gesellschaft in den Staat hineinrückt. Zugleich ist damit zum Ausdruck gebracht, dass nicht jeder Verein alleine durch Beschäftigung mit politischen Angelegenheiten als Partei qualifiziert werden kann und somit zugleich Teil der staatlichen Ordnung wäre.10 Diese Rolle kommt der Partei erst durch das Zusammenwachsen des außerparlamentarischen Vereins mit der parlamentarischen Fraktion, durch deren organisatorische Verschmelzung und Ausbildung einer gemeinsamen Programmatik zu. Dieser Prozess setzt sich mit dem Übergang vom Konstitutionalismus des Kaiserreiches zur parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik weiter fort.11 So bemerkt Hansfritz Röder rückblickend im Jahre 1930 in seiner Ausarbeitung über das Wesen der politischen Partei: „Der Zusammenhang der außerparlamentarischen, Distrikt und Land umfassenden Parteien mit ihren parlamentarischen Exponenten, den Fraktionen, wird immer enger.“12

Die tragende Rolle der politischen Parteien tritt im demokratischen Staat noch weitaus stärker hervor. Organisatorisch schreiten deren Versuche voran, sich zu wahren Massen- und Mitgliederparteien zu entwickeln, wenngleich althergebrachte Honoratiorenstrukturen noch nicht gänzlich überkommen werden. Mit der zunehmenden Integration in die Gesamtpartei entwickeln sich die Parteiapparate; die Bedeutung der lokalen Vereinsorganisation und der Einfluss der Basis nehmen ab. Zu einer modernen Parteiorganisation gehören Sonder- und Fachorganisationen, die der Integration der Mitgliedschaft dienen, wie auch ein Presse- und Propagandaapparat. Die Parteiorganisation, jedenfalls ihre Leitungsgremien, und die Fraktionen sind personell, bisweilen institutionell miteinander verschränkt und stehen in einem 10 Diese eigenartige Grenzstellung der Parteien findet sich auch im heutigen durch Art. 21 GG geprägten Verfassungsrecht wieder. Das Bundesverfassungsgericht hebt etwa ihre vermittelnde Funktion zwischen gesellschaftlicher und staatlicher Willensbildung hervor; vgl. etwa BVerfGE 121, 30 (57). Kunig hat diesbezüglich den Begriff einer „Zwitterstellung“ politischer Parteien verwendet; ders., in: Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar I, Art. 21, Rn. 29. 11 Kapitel III. 6. 12 Röder, Parteien und Parteienstaat, 1930, S. 18.

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spannungsgeladenen Verhältnis. „Die Parteiorganisation“, so stellt Heinrich Triepel fest, „greift den Parlamentarismus von außen und von innen an.“13 In rechtlicher Hinsicht bleibt es für die Parteien beim Vereinsrecht; eine verfassungsmäßige Inkorporation findet nicht statt. Ihre Bedeutung für das Staats- und Verfassungsleben ist damit zwar nicht verrechtlicht, verwirklicht sich aber in der Verfassungsrealität der Weimarer Republik, die vielfach bereits von zeitgenössischen Staatsrechtslehrern in ihrer Eigenschaft als Parteienstaat diskutiert wird.14 Dieser ist geprägt durch Parteien, die in staatlicher Hinsicht Macht und Verantwortung tragen und sich in gesellschaftlicher zu Massenorganisationen weiterzuentwickeln suchen. Dieser Bedeutung wird jedenfalls im sonstigen Staatsrecht, namentlich im Wahlrecht, Rechnung getragen. Auch die Geschäftsordnung des Reichstages erkennt mit Nennung der Fraktion zumindest die parlamentarische Partei an. Die unzureichende rechtliche Berücksichtigung politischer Parteien in ihrer Eigenschaft als außerparlamentarische und parlamentsbezogene Organisationen tritt im Zusammenhang mit dem (ersten) Republikschutzgesetz deutlich hervor. Waren demnach das Verbot und die Auflösung eines Vereins möglich, so stellte sich im Falle des DVFP-Verbots die Frage, wie nun mit einer solchen Partei zu verfahren sei, die über Abgeordnete im Reichstag verfügte. Der Staatsgerichtshof löste diesen Konflikt im Wege eines Kompromisses, der einer vereinsrechtlichen Logik folgte: Nur die außerparlamentarische Organisation der Partei galt als verboten, die parlamentarische Fraktion sollte – trotz des inneren Zusammenhanges – davon aber nicht betroffen sein.15 Wenngleich sich damit rein juristisch eine einheitliche Behandlung der Partei in ihrer Gesamtheit noch nicht verwirklicht hat, zeigt die rechtliche und politische Auseinandersetzung zu dieser Thematik, wie weit das Verständnis von Partei als einer parlamentarischen wie außerparlamentarischen Gesamtorganisation bereits im staatsrechtlichen Verständnis der 1920er Jahre vorangeschritten ist. Dieses Problembewusstsein zeigt sich auch andernorts in der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes16, die zudem Aufschluss über ein wesentliches Kriterium des Parteiverständnisses gibt. Die Beteiligtenfähigkeit einer Partei in Verfassungsstreitigkeiten wurde der Fraktion als parlamentarisch agierender Partei vollkommen unproblematisch zugesprochen, sollte indes aber nicht schon dadurch auf die Par13

Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, 1928, S. 18. So schreibt Richard Thoma bereits im Jahr 1923: „Die moderne Demokratie mit ihrem Massenwahlrecht könnte gar nicht leben ohne Parteien.“; ders., Der Begriff der modernen Demokratie in seinem Verhältnis zum Staatsbegriff, in: Palyi, Erinnerungsgabe für Max Weber II, 1923, 37 (63). Eine ausführliche Abhandlung findet sich bei Gusy, Die Lehre vom Parteienstaat, 1993, insbesondere S. 57 ff. Vgl. auch Kapitel III. 6. a). 15 Im Unterschied hierzu zieht nach bundesdeutschem Recht das Verbot einer Partei den Mandatsverlust ihrer Mitglieder nach sich. Die regelt zwar nicht das Parteiengesetz selbst, wohl aber § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BWahlG. 16 Nur zur Klarstellung sei an dieser Stelle nochmals auf die Unterscheidung zwischen dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich und dem hinsichtlich des DVFP-Verbotes angerufenen Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik hingewiesen. 14

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teiorganisation als Ganzes ausstrahlen. Die außerparlamentarische Partei war demnach nur zur Anrufung des Staatsgerichtshofes befugt, soweit sie in ihrer parlamentsbezogenen, nicht jedoch in ihrer gesellschaftlich-politischen Funktion auftrat. Dies setzte aber nach Auffassung der Rechtsprechung voraus, dass eine tatsächliche Aussicht auf parlamentarische Vertretung bestand. Mit anderen Worten wurde hier also der mögliche Wahlerfolg, die tatsächliche Chance auf den Einzug in das Parlament, zum entscheidenden Kriterium für die rechtliche Anerkennung als politische Partei. Die parlamentarische Betätigung, zumindest das (aussichtsreiche) Streben danach, ist mithin unabdingbares Kriterium des Parteibegriffes: „Der Begriff der politischen Partei muß im parlamentarischen Staat auf das Merkmal parlamentarischer Wirksamkeit beschränkt werden, um eine Abgrenzung gegen ,Bewegungen‘, ,Verbände‘ u. a. m. vornehmen zu können.“17

Damit sind die wesentlichen Entwicklungslinien nachgezogen, und es kann nunmehr der Versuch unternommen werden, die Hauptmerkmale des Parteienbildes im Zeitpunkt der Verfassungslegung herauszuarbeiten und als Ergebnis der historisch-systematischen Untersuchung zu formulieren.

b) Hauptmerkmale der historischen Entwicklung Demnach sind die wesentlichen Entwicklungen in organisatorischer und in rechtlicher Hinsicht folgendermaßen zusammenzufassen: - Organisatorisch liegen die Anfänge der Partei einerseits im politischen Vereinswesen, andererseits in parlamentarischen Gruppen, die sich jeweils nach politischen Meinungsströmungen ausbilden. Ihr Verhältnis zueinander ist noch unbestimmt und erste Ansätze zu einer Verbindung sind teils parlamentarischen, teils außerparlamentarischen Ursprungs. Mit der zunehmenden Bedeutung des Parlaments – als Bezugspunkt und Katalysator politischer Betätigung – entsteht die Notwendigkeit einer organisatorischen Verfestigung des außerparlamentarischen Vereinswesens mit der parlamentarischen Fraktion. Die Integration in eine Gesamtpartei schreitet voran. Die Partei nimmt hierdurch nach und nach vereinsmäßige Züge an, das Spannungsfeld zwischen Parteiorganisation und der (noch vielfach) parlamentarischen Führungsebene bleibt indes erhalten. - Rechtlich entwickelt sich die Partei im Rahmen des Vereinsrechts und wird zugleich durch das Wahlrecht mitgeprägt. Die Entwicklung hin zu einer rechtlichen Sonderstellung erfolgt durch eine (restriktive) Berücksichtigung von politischen Vereinen. Rechtliche Privilegien werden aber zunächst allein der parlamentarischen Partei, der Fraktion, gewährt; der außerparlamentarische Verein erfährt einen solchen Schutz ebenfalls nur parlaments- oder genauer wahlbezogen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden staatsrechtlichen Bedeutung der Parteien 17

Röder, Parteien und Parteienstaat, 1930, S. 10.

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erfolgt die Integration von Fraktion und Verein in eine Gesamtpartei. Hierdurch rückt auch die außerparlamentarische Organisation zusehends in den Bereich des Öffentlich-Rechtlichen. Während die rechtliche Privilegierung der Fraktion unstreitig ist, strahlt dieser Schutz nicht undifferenziert auf die Gesamtpartei aus. Die außerparlamentarische Organisation erfährt eine solche rechtliche Behandlung nur, insoweit sie Wahl- und somit (mittelbar) parlamentarischen Bezug hat. Damit lassen sich zwei Hauptmerkmale der historischen Entwicklung festhalten. Wir begegnen der modernen Partei als: - Zusammenschluss von außerparlamentarischer und parlamentarischer Organisation mit starker vereinsmäßiger Ausprägung, - deren rechtliche Sonderstellung indes rein parlamentsbezogener Prägung ist. Überwiegt in organisatorischer Hinsicht folglich das außerparlamentarische (vereinsmäßige) Element, so speist sich die privilegierte rechtliche Stellung allein aus der parlamentarischen Wurzel der Partei.

2. Auf dem Weg zum Grundgesetz Die vorstehenden Ausführungen zeigen die wesentlichen Elemente der Entwicklung politischer Organisation in Deutschland und heben somit zugleich die Charakteristika hervor, die das Parteienbild am Ausgangspunkt der Bundesrepublik geprägt haben. Vor dem Hintergrund dieses parteigeschichtlichen Erbes und mit den damit verbundenen Begrifflichkeiten von Partei und Parteiwesen begann der politische und staatliche Wiederaufbau. Die Zeitspanne zwischen der Wiedererstehung des deutschen Parteilebens ab 1945 und der verfassungsrechtlichen Positivierung durch den Parlamentarischen Rat in den Jahren 1948 und 1949 ist auf wenige Jahre begrenzt und kann somit nicht zu einer nachhaltigen Wandlung des Parteiverständnisses beitragen. Die Geschichte der politischen Organisation nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges soll daher nur kurz dargestellt werden. Sodann will sich diese Arbeit dem Schöpfungsakt des Grundgesetzes mit der Frage zuwenden, welches Maß an Kontinuität und Veränderung dem verfassungsrechtlichen Parteibegriff wohl zugedacht worden sein mag.

a) Politische Organisation nach 1945 Zweifelsohne stellte die Auflösung der Parteien nach der nationalsozialistischen Machtergreifung im Jahre 1933, die darauf anschließende Nichtexistenz eines deutschen Parteiwesen für über eine Dekade und der vollkommene Zusammenbruch mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine tiefe Zäsur dar. Der Neubeginn ab 1945 erfolgte auf lokaler Ebene und unter Kontrolle der jeweiligen Besatzungsmächte,

2. Auf dem Weg zum Grundgesetz

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wodurch sich nicht zuletzt „eine Konzentration auf wenige Parteien“18 ergab. Manche Neu- oder Wiedergründung stand dabei – wie bei der SPD oder der KPD – in expliziter Tradition zu den Vorgängern, im liberalen und konservativen Bereich hingegen wurde ein Wandel vollzogen: Während die Unionsparteien die konfessionelle Trennung der alten Zentrumspartei aufgaben, fand die Spaltung der liberalen Parteien in der FDP ein Ende.19 Auch wenn damit zwei konstante Charakteristika des deutschen Parteiwesens überkommen waren, ist allen Parteien die Anknüpfung an das traditionelle deutsche Vorkriegsparteiensystem gemein. Wie Heino Kaack ausgeführt hat, begründet sich dies nicht zuletzt im Lizenzierungssystem der Alliierten, das darauf bedacht gewesen sei, „keine Gruppen zuzulassen, deren Standort sich nicht auf Grund historischer Erfahrungen festlegen ließ.“20 Trotz der vorgenannten Neuerungen sei somit „das traditionelle deutsche Parteiensystem im Kern unverändert wiedererstanden.“21 Der Wirkungskreis der Parteien blieb zunächst auf die lokale Ebene und die Länder beschränkt. Schon bald erlangten sie dort politische Verantwortung und partizipierten wieder an Kommunal- wie Landtagswahlen.22 Sukzessive, am schnellsten aber bei den Sozialdemokraten, vollzog sich der Ausbau übergeordneter und zentraler Instanzen und die Integration in eine zonenübegreifende Gesamtpartei. Der Aufbau einer Mitgliederbasis stand unter dem Eindruck der Lizenzierungspolitik und war zudem durch die Hypothek der jüngeren Vergangenheit belastet. Darunter litten die Anziehungskraft der Parteien einerseits und die Bereitschaft der Bevölkerung anderseits, sich an eine Partei zu binden und in ihr zu betätigen. Bei der SPD zeigte sich dieses Manko am wenigsten – schon 1948 kam sie in den Westzonen und Berlin auf nahezu 900.000 Mitglieder –, umso deutlicher indes bei der FDP, bei der aber ebenso im Rückgang der Wählerzahlen der Bedeutungsverlust des Liberalismus zum Ausdruck kam.23 Soweit hier also ein Rückgang der Mitgliederzahlen zu verzeichnen ist, lässt sich fragen, ob damit eine Abkehr von Massen- und Mitgliederpartei einherging. Es wäre sodann von einer Entwicklung hin zu Kader- oder Rahmenparteien zu sprechen, also Parteien mit einer kleineren Mitgliederbasis, deren Tätigkeit sich auf die Wahlkämpfe konzentriert.24 Für die unmittelbare Nachkriegszeit bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes ist die Zeitspanne aber sicherlich zu kurz, um entsprechende Tendenzen zu berücksichtigen, zumal sich die zonenübegreifenden oder später bundesweiten Institutionen erst recht spät herausbildeten; im Falle der CDU sogar erst 18

Lösche, Kleine Geschichte der deutschen Parteien, 21994, S. 106. Insgesamt ebd., S. 105 f. 20 Kaack, Geschichte und Struktur des deutschen Parteiensystems, 1971, S. 157. 21 Ebd., S. 159. 22 Die Ergebnisse der Landtagswahlen 1946/46 bei ebd., S. 182 ff. 23 Schieder, Grundlagen und Epochen des deutschen Parteiwesens, in: ders., Staat und Gesellschaft im Wandel unserer Zeit, 21970, 133 (165 f.). 24 Ebd., (165). 19

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nach Gründung der Bundesrepublik.25 Mögen sich die Parteien also im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus ihren Traditionsmustern gelöst haben, so sind doch in der (unmittelbaren) Nachkriegszeit die historischen Modelle zweifelsohne noch zu erkennen.26 Auch die Parteienrechtskommission, die vom Bundesminister des Innern im Dezember 1955 zur Vorbereitung eines Parteiengesetzes eingesetzt worden ist, erkennt in ihrem Bericht Unterschiede in den Organisationsformen der Parteien der noch jungen Bundesrepublik. Sie spricht aber sowohl der CDU wie auch der SPD den Charakter einer Massenpartei zu, wobei sich aber Unterschiede in der Bedeutung der Mitgliedschaft ergäben. In der FDP erkennt die Kommission starke Elemente einer Honoratioren- und Komitee-Partei; den in den 1950er Jahren bedeutsamen Gesamtdeutschen Block der Heimatvertriebenen charakterisierte man als einen „zur Partei verwandelten Interessenverband“.27 Letztlich sind damit aber wiederum Organisationsformen genannt, die uns aus der deutschen Parteiengeschichte bereits vertraut sind.

b) Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee Mit der Übergabe der Frankfurter Dokumente am 1. Juli 1948 begannen die konkreten Vorarbeiten zur Schöpfung des Grundgesetzes. Die Vorgaben der Alliierten blieben recht allgemein; sie bestimmten, dass die Verfassung demokratischen und föderativen Charakters sein solle, eine Neugliederung der Länder zu prüfen sei, und definierten die Beziehungen zwischen der künftigen Regierung und den Alliierten unter einem Besatzungsstatut.28 Zur näheren Erörterung setzte die Ministerpräsidenten-Konferenz der Westzonen einen Ausschuss von Sachverständigen ein, der vom 10. bis zum 23. August 1948 auf der Herreninsel im Chiemsee als Verfassungskonvent zusammenkam. An Vorüberlegungen fehlte es freilich zu diesem Zeitpunkt nicht: Schon im vorangegangen Jahr hatten die Parteien, Landesregierungen und Institutionen der Besatzungszonen sich der Frage einer künftigen deutschen Verfassung gewidmet und diese in recht unterschiedlichen Entwürfen zu Papier gebracht.29 Die politischen Parteien fanden allerdings in derartigen Verfassungsentwürfen kaum Berücksichtigung.30 Jedoch legte der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Carl Spiecker31 25

Lösche, a. a. O., S. 105. Schieder, a. a. O., (167). 27 Bericht der Parteienrechtskommission, 21958, S. 38 f. 28 „Dokumente zur künftigen politischen Entwicklung Deutschlands“ vom 1. Juli 1948, in: Parlamentarischer Rat I, Nr. 3. 29 Parlamentarischer Rat I, XXVIII ff.; ausführlich: II, XXXV ff. Vgl. etwa die Vorarbeiten im Zonenbeirat der britischen Besatzungszone mit einer systematischen Übersicht, die verschiedene Vorlagen berücksichtigt, in: Der Zonenbeirat zur Verfassungspolitik, 1948, S. 19 ff. 30 Hierzu wie zum Nachstehenden insgesamt Otto, Das Staatsverständnis des Parlamentarischen Rates, 1971, S. 150 ff. 26

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„Richtlinien für eine künftige deutsche Verfassung“ vor, deren Ausführungen zu den Parteien schon in vielen Aspekten dem Inhalt des späteren Art. 21 GG sehr nahe kommen: „Politische Parteien sind staatspolitische Gebilde und dem Allgemeinwohl verpflichtet. Sie müssen nach demokratischen Prinzipien organisiert sein, insbesondere muß die Wahl der Parteivorstände und die Auswahl der Kandidaten für die öffentlichen Körperschaften nach demokratischen Grundsätzen erfolgen. Die Sauberkeit des politischen Kampfes muß auch strafrechtlich gesichert werden.“32

In den Entwürfen der Sozialdemokraten fanden sich die Parteien zumindest erwähnt, wenngleich zunächst ohne nähere Bestimmung oder Regelung.33 Die Grundsätze des Ellwanger Freundeskreises der CDU/CSU, die später auch dem Parlamentarischen Rat vorlagen, nannten die Parteien demgegenüber nur im Zusammenhang mit der Besorgnis einer zu großen Parteienmacht.34 Die bayerische Delegation brachte in Herrenchiemsee einen eigenen Verfassungsentwurf ein, der in Art. 13 bereits die Möglichkeit einer Verbotsmöglichkeit bei verfassungswidrigen Bestrebungen vorsah und die Entscheidung hierüber in die Kompetenz eines Bundesverfassungsgerichts stellte: „(1) Wählergruppen, deren Mitglieder oder Förderer darauf ausgehen, die staatsbürgerlichen Freiheiten zu unterdrücken oder gegen Volk, Staat oder Verfassung Gewalt anzuwenden, dürfen sich an Wahlen und Abstimmungen nicht beteiligen. (2) Die Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzungen vorliegen, trifft auf Antrag einer im Bundestag vertretenen politischen Partei, des Bundesrates oder der Bundesregierung der Bundesverfassungsgerichtshof.“35

Bemerkenswerterweise wird hier also zwischen Wählergruppen und Parteien unterschieden. Nur ersteren kann die Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen untersagt werden; den Parteien steht demgegenüber das entsprechende Recht eines solchen Verbotsantrages zu, soweit sie im Bundestag vertreten sind. Dieser Passus

31 Spiecker war Abgeordneter der Zentrumspartei. Diese hatte sich ebenfalls nach dem Krieg wiedergeründet, ohne sich jedoch gegenüber der CDU dauerhaft behaupten zu können. 32 Zitiert nach: Otto, a. a. O., S. 150. 33 Vgl. § 10 Abs. 2 und § 18 Abs. 2 des Entwurfes für eine „Westdeutschen Satzung“ des nordrhein-westfälischen Innenministers Walter Menzel (SPD) vom 16. August 1948 („Erster Menzel-Entwurf“); abgedruckt bei Sörgel, Konsensus und Interessen, S. 267. Der „Zweite Menzel-Entwurf“ vom 2. September 1948 (abgedruckt bei ebd., S. 279) würdigt die politische Partei letztlich in § 11 mit einer eigenen Regelung, die aber nahezu wörtlich dem entsprechenden Passus des Herrenchiemseer Entwurfes entnommen ist. 34 Vgl. Begründung zu 12 der „Grundsätze für eine deutsche Bundesverfassung. Vorschläge für die CDU/CSU-Arbeitsgemeinschaft“, besprochen auf der Tagung des Ellwanger Freundeskreises am 13. April 1948; abgedruckt bei ebd., S. 297. 35 „Bayerischer Entwurf eines Grundgesetzes für den Verfassungskonvent“, in: Parlamentarische Rat II, Nr. 1.

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entlehnte sich einer entsprechenden Regelung in der Verfassung des Freistaates Bayern, die sich dort bis heute in deren Art. 15 findet.36 Insgesamt ist von den Landesverfassungen der Nachkriegsjahre, deren Einfluss auf die Gestaltung des Grundgesetzes kaum bewertet werden kann, die Badische Verfassung hervorzuheben. Sie widmet den politischen Parteien einen eigenen Abschnitt und geht in ihren konkreten Regelungen damit weit über das Maß hinaus, das in Art. 21 GG seinen Ausdruck gefunden hat.37 Verbürgt ist dort zum einen die Gründungsfreiheit nach Art. 118 Abs. 1: „Politische Parteien dürfen sich frei bilden, sofern sie sich in ihrem Programm und durch ihr Verhalten zu den Grundsätzen des demokratischen Staates bekennen. Das Verbot einer politischen Partei ist nicht zulässig, solange die Partei nicht gegen diese Pflicht verstößt. Zweifelsfälle entscheidet auf Antrag der Landesregierung oder der Partei der Staatsgerichtshof.“

Sie kennt weiterhin in Art. 118 Abs. 3 die Möglichkeit eines Verbotes, die der zuvor genannten Regelung der bayerischen Verfassung ähnelt, jedoch nicht nur auf Wahlgruppen, sondern ausdrücklich auch auf Parteien und sonstige Vereinigungen Anwendung findet. Auch hier findet sich eine besondere Kompetenzzuweisung, nämlich an den Staatsgerichtshof: „Die Bildung von politischen Parteien, Wahlgruppen oder sonstigen Vereinigungen jeder Art, die das Ziel verfolgen, die staatsbürgerlichen Freiheiten zu vernichten oder gegen das Volk, Staat oder Verfassung Gewalt anzuwenden, ist verboten. […]. Die Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzungen vorliegen, trifft auf Antrag der Landesregierung der Staatsgerichtshof.“

Insbesondere findet sich aber in Art. 120 der badischen Verfassung eine ausführliche Beschreibung der Partei, jedenfalls die Nennung ihrer (staatsbezogenen) Aufgaben: „Parteien müssen sich mitverantwortlich für die Gestaltung des politischen Lebens und für die Lenkung des Staates fühlen, gleichgültig, ob sie an der Bildung der Landesregierung mitbeteiligt sind oder zu ihr in Opposition stehen. Haben sie sich an der Bildung der Regierung beteiligt, so ist es ihre Pflicht, das Interesse des Landes über das Interesse der Partei zu stellen. Sie müssen bereit sein, die Verantwortung abzugeben, sobald sich eine neue Mehrheit bildet. Stehen sie in Opposition zur Regierung, so obliegt es ihnen, die Tätigkeit der Regierung und der an der Regierung beteiligten Parteien zu verfolgen und nötigenfalls Kritik zu üben. Ihre Kritik muß sachlich, fördernd und aufbauend sein. Sie müssen bereit sein, gegebenenfalls die Mitverantwortung in der Regierung zu übernehmen.“38 36 Vgl. hierzu ebd. (dort Fn. 23). Das Antragsrecht steht dort natürlich den im Landtag vertretenen Parteien zu; die Verbotskompetenz liegt beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof. 37 Abschnitt IX, Art. 118 bis 121 der Verfassung des Landes Baden vom 22. Mai 1947; abgedruckt bei Flechtheim, Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung I, 1962, Nr. 28. 38 Diese Regelung zur Rolle der politischen Parteien war bereits als Art. 62 im Regierungsentwurf vorgesehen und hat in den nachfolgenden Beratungen keine Veränderungen

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Es ist durchaus bemerkenswert, in welcher Ausführlichkeit hier die Rolle und mithin das Bild der politischen Partei Eingang in die Landesverfassung gefunden hat. Als ein Novum der deutschen Verfassungsgeschichte ist die Partei positiv bestimmt, ihre Aufgaben im Staat klar umrissen und diese somit zugleich institutionell im staatlichen Bereich verortet. Die so beschriebenen Merkmale einer politischen Partei zeichnen sich durch Staatsnähe aus; sie begegnet uns an dieser Stelle nicht als eine (rein) gesellschaftliche Erscheinung, sondert hat ihren festen Platz im Regierungssystem gefunden.39 Unter diesen Vorzeichen trat nunmehr der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee zusammen, der sich in drei Unterausschüssen seiner Aufgabe widmete. Das Verhältnis des Konvents gegenüber den politischen Parteien stellt sich durchaus als von einer gewissen Skepsis getragen dar. Vereinzelt sind uns die Vorstellungen einzelner Teilnehmer darüber mitgeteilt, welche Merkmale eine Partei aufzuweisen habe oder in welche Richtung man das Parteiwesen zu lenken gedenke. So unterstrich Carlo Schmid im Plenum die Bedeutung der Parteien für eine organisierte Willensbildung, wofür diese aber „große Körperschaften“ sein müssten und „eine starke innere Struktur, also eine Parteibürokratie“ bräuchten.40 Diese Bedeutung der Parteien als „Organe der politischen Willensbildung“ fand ebenfalls Anerkennung im abschließenden Bericht des Konvents.41 Demgegenüber wurde aber auch die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, das Splitterparteiensystem durch die Gestaltung des Wahlrechts gar in einem solchen Sinne überkommen zu können, dass sich ein System von zwei großen Parteien entwickelt.42 Überlegungen zur verfassungsrechtlichen Inkorporation der Parteien wurden gleich von zwei Unterausschüssen vorgestellt. Der für Grundsatzfragen zuständige Unterausschuss I legte ein Parteienprivileg vor, das deren Ausschluss von Wahlen erst nach einer richterlichen Feststellung ihrer verfassungswidrigen Bestrebungen ermöglichen sollte. Einen eigenen Formulierungsvorschlag unterbreitete man – angesichts der parallelen Arbeit im Unterausschuss III – nicht, hob aber hervor, dass Parteien, wenngleich sie auch nicht als „Organe im rechtlichen Sinne des Wortes“ angesprochen werden könnten, das „entscheidende Element allen staatlichen Lebens“ seien.43 Daher wurde dem künftigen Parlament ein Parteiengesetz angetragen und sogleich dessen wesentliche Inhalte vorgegeben, in dem interessanterweise ein Abschnitt enthalten war, nach dem Splitterparteien durch die Bestimmung einer gefunden. Vgl. „Verfassungsentwurf des Staatssekretariats“ vom Februar 1947, in: Feuchte, Quellen zur Entstehung der Verfassung des Landes Baden I, 1999, Nr. 29. 39 Eine Nähe dieser Bestimmungen in der badischen Verfassung zum späteren Art. 21 GG unterstellt Leibholz, Volk und Partei im neuen deutschen Verfassungsrecht, in: DVBl. 1950, 194 (195). 40 Dritter Sitzungstag, 12. August 1948, in: Parlamentarischer Rat II, Nr. 4 (S. 152). 41 „Bericht über den Verfassungskonvent“, in: ebd., Nr. 14 (S. 537). 42 So der schleswig-holsteinische Bevollmächtigte Fritz Baase, in: ebd., Nr. 4 (S. 146). 43 „Bericht des Unterausschusses I“, in: ebd., Nr. 6 (S. 210 ff.) [Zitat dort: S. 212].

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Mindestwählerzahl von der Volksvertretung auszuschließen seien und sodann aufgelöst werden könnten.44 Es ist insgesamt nicht zu verkennen, dass sich der Verfassungskonvent der Rolle und Bedeutung politischer Parteien zuvorderst im Zusammenhang mit dem Parlament und dem Wahlrecht gewidmet hat. Es lässt sich damit durchaus die Frage aufwerfen, inwieweit das Parteienbild des Grundgesetzes unmittelbar durch das Wahlrecht geprägt werden sollte.45 Jedenfalls legte der Unterausschuss III, der sich mit Organisationsfragen – also mit Aufbau, Gestaltung und Funktion der Bundesorgane – beschäftigte, folgenden Regelungsentwurf im Abschnitt „Der Bundestag“ vor46 : „(1) Die Wahlvorschläge können nur von politischen Parteien eingereicht werden. (2) Die Bildung politischer Parteien ist frei. (3) Durch Bundesgesetz können die Rechtsverhältnisse der Parteien und ihre Mitwirkung bei der politischen Willensbildung näher geregelt werden. Das Gesetz kann insbesondere bestimmen, daß Wahlvorschläge einer Partei von den Mitgliedern im Wege der Vorwahl beschlossen sein müssen. (4) Das Bundesverfassungsgericht kann Parteien, die sich nach der Art ihrer Tätigkeit die Beseitigung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zum Ziel gesetzt haben, auf Antrag der Bundesregierung für verfassungswidrig erklären. Das Gericht kann einstweilige Anordnungen gegen solche Parteien treffen. Ohne verfassungsgerichtliche Entscheidung kann keine Behörde gegen eine Partei wegen verfassungswidriger Betätigung einschreiten. (5) Sieht das Bundeswahlgesetz die Verhältniswahl vor, so kann es bestimmen, daß Parteien, die nicht wenigstens 5 v. H. aller gültigen Stimmen auf sich vereinigen, keinen Sitz erhalten und daß auf zusammengerechnete Reststimmen einer Partei nicht mehr Sitze entfallen, als die Partei in den Wahlkreisen unmittelbar erlangt hat.“

Gleichsam stellte der Unterausschuss in der Kommentierung klar, dass man mit der gewählten Formulierung lediglich Gewerkschaften, Kulturbünde und dergleichen von Wahlvorschlägen auszuschließen gedachte. Wahlvorschläge sollten nur Gruppen vorbehalten sein, die sich dem späteren Parteiengesetz unterstellten. Es wurde daher die Möglichkeit angezeigt, den Ausdruck „Parteien“ nötigenfalls zu vermeiden.47 So fand die Formulierung des Unterausschusses auch letztlich als Art. 47 Eingang in den endgültigen Verfassungsentwurf des Herrenchiemseer Konvents (HChE), allerdings mit der Veränderung, dass in Absatz 1 der Begriff der „Partei“ tatsächlich durch den der „Wählergruppen“ ersetzt worden war.48 Dort hieß es nun: 44

Ebd., (S. 213). Hierzu weiter unten Kapitel IV. 4. c). 46 Art. 33 im Entwurf des Unterausschusses III, in: Parlamentarischer Rat II, Nr. 10 (S. 311 f.). 47 Ebd., (S. 312). 48 „Bericht über den Verfassungskonvent“, in: ebd., Nr. 14 (S. 589). 45

2. Auf dem Weg zum Grundgesetz

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„(1) Wahlvorschläge können nur von Wählergruppen eingereicht werden, die sich den Vorschriften über die politischen Parteien unterstellen.“

Demgegenüber blieb die Gründungsfreiheit der Parteien in Abs. 2 und das Parteienprivileg in Abs. 4 im Kern unverändert.49 Insgesamt begegnen uns im Regelungsvorschlag, wie er auf Herrenchiemsee erarbeitet wurde, somit die folgenden Elemente: - Recht zur Einreichung von Wahlvorschlägen durch Wählergruppen - Gründungsfreiheit politischer Parteien - Regelungsvorbehalt durch Parteiengesetz - Parteienprivileg - Regelungsvorbehalt einer Sperrklausel durch Bundeswahlgesetz. Während das zweite, dritte und vierte Element später Eingang in den Art. 21 GG gefunden haben, sind die (wahlbezogenen) Elemente zu den Wahlvorschlägen und einer möglichen Sperrklausel in diesem Kontext besonders hervorzuheben. Sie zeugen einerseits von Überlegungen, die Anzahl der parlamentarisch agierenden Parteien zu begrenzen, und dies im unmittelbaren Zusammenhang mit dem rechtlichen Status der Partei als solcher in einem Artikel zu regeln. Darüber gibt der Art. 47 des HChE Auskunft darüber, dass offensichtlich ein Unterschied bestehen sollte zwischen „Parteien“, die der verfassungsrechtlich garantierten Gründungsfreiheit und dem Parteienprivileg unterfielen, und solchen Vereinigungen, die sich lediglich als „Wählergruppen“ den Regelungen des Parteiengesetzes unterwarfen und die sodann auch nur „im Sinne des Parteiengesetzes eine Partei darstellen und entsprechenden Kontrollen unterstehen“50 und somit wohl gerade nicht Partei im verfassungsrechtlichen Sinne sein sollten. Es ist letztlich augenscheinlich, dass der Verfassungskonvent die Rolle der Parteien im staatlichen Zusammenhang verstand und zu regeln gedachte. Dass die Regelung im Kontext wahlrechtlicher Bestimmungen erfolgte, steht in einer gewissen staatsrechtlichen Tradition, wie sie bereits im Reichswahlgesetz von 1869 ihren Ausdruck gefunden hatte.51 Bemerkenswert ist dabei die Unterscheidung zwischen Wählergruppen und Parteien innerhalb des Art. 47 HChE, die allein letzteren eine verfassungsrechtliche Sonderstellung zudachte. Die Partei ist also nicht nur bloße Wahlvereinigung, sondern steht in der staatlichen Sphäre; die Wählergruppe scheint demgegenüber eine Stellung zwischen Partei und (bloßem) 49 Der Gründungsfreiheit des Abs. 2 wurde noch ein Verbot solcher Abreden beigefügt, die die Parteienvielfalt im Parlament entfallen lassen. Betont werden die Gründungsfreiheit und die ausschließliche Verbotskompetenz des Verfassungsgerichts bereits im darstellenden Teil des Berichts; ebd., (S. 537). 50 So die Kommentierung des Unterausschusses III, die auch in den Bericht des Verfassungskonvents aufgenommen wurde; ebd., Nr. 10 (S. 312), Nr. 14 (S. 616). 51 Gemeint sind die Bestimmungen zu den Wahlvereinen nach § 17 RWG (1869); vgl. Kapitel III. 4. a).

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IV. Systematischer Abgleich: Partei und Verein im Grundgesetz

politischen Verein einzunehmen, die ihre besondere staatsrechtliche Stellung allein situativ wahlbezogen einnimmt.52

c) Der Parlamentarische Rat Die Genese des Art. 21 GG im Parlamentarischen Rat soll hier nur kurz nachgezeichnet werden, denn insgesamt erweist sich die Behandlung dieser Thematik in der verfassungsgebenden Versammlung als nur wenig aufschlussreich.53 Die Formulierung des Herrenchiemseer Konvents fand sich zunächst nach der Diskussion in den Fachausschüssen noch in leicht abgewandelter Form weiterhin in Art. 47 wieder54, wurde aber auf Vorschlag des Allgemeinen Redaktionsausschusses an anderer Stelle (nämlich bei der Ausübung der Staatsgewalt) und mit deutlich verändertem Wortlaut zunächst als Art. 21a verortet. Der Aufbau des Artikels war nun folgendermaßen gestaltet55 : - Abs. 1: Mitwirkung der Parteien bei der politischen Willensbildung, innere Ordnung der Parteien und Regelungsvorbehalt durch Parteiengesetz - Abs. 2: Gründungsfreiheit - Abs. 3: Verfassungswidrigkeit und Parteienprivileg - Abs. 4: Anwendung des Parteiengesetzes auf „andere Vereinigungen […], soweit sie Wahlvorschläge zum Bundestag oder zu Volksvertretungen in den Ländern einreichen oder ein Volksbegehren betreiben.“ Die Möglichkeit einer Sperrklausel war nun nicht mehr im Zusammenhang mit den Parteien angedacht, sondern verblieb im Abschnitt „Der Bundestag“.56 Als solcher durchlief Art. 21a die erste Lesung des Hauptausschusses. In einer weiteren Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses fanden sich sodann die bisherigen Absätze 1 (Mitwirkung bei der politischen Willensbildung und innere Ordnung) und 2 (Gründungsfreiheit) zu einem einheitlichen Absatz 1 zusammengefasst, der mit einer Ausnahme – nämlich der Rechenschaftspflicht über die Par52 Dies erinnert an die Unterscheidung zwischen parlamentarischer Partei, Wahlverein und politischem Verein, der wir bereits im Vereins- und Wahlrecht des 19. Jahrhunderts begegnet sind; vgl. Kapitel III. 4. a) und IV. 1. 53 Ein Überblick zur Entwicklungsgeschichte des Verbotstatbestandes in Art. 21 Abs. 2 GG findet sich bei Meier, Parteiverbote und demokratische Repbublik, 1993, S. 139 ff. Ebenso zur Entstehungsgeschichte des Art. 21 GG insgesamt bei Doemming et al., Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR N. F. 1 (1951), S. 202 ff. 54 Art. 47 in den „Vorläufigen Formulierungen der Fachausschüsse“ (Stand: 18. Oktober 1948), in: Parlamentarischer Rat VII, Nr. 1. 55 Vgl. Art. 21a und 46 in der „Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses“ (Stand: 10. November bis 5. Dezember 1948), in: ebd., Nr. 2. 56 Eine solche Regelung fand letztlich keine Aufnahme im Grundgesetz (siehe die folgenden Ausführungen).

2. Auf dem Weg zum Grundgesetz

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teifinanzen – dem heutigen Art. 21 Abs. 1 GG entspricht. Das Parteienprivileg, das sich nunmehr in Abs. 2 befand, nimmt ebenfalls bereits weitestgehend die Formulierung des Art. 21 Abs. 2 GG vorweg. Der Regelungsvorbehalt durch ein Parteiengesetz wurde – entsprechend dem heutigen Art. 21 Abs. 3 GG – in einem eigenen Abs. 4 niedergelegt. Im wesentlichen Unterschied befand sich in Abs. 3 aber noch weiterhin eine Bestimmung, die die Anwendung der Parteienvorschriften auf andere Vereinigungen, die Wahlvorschläge einreichen, vorsah.57 Diese Vorschrift entfiel erst in der zweiten Lesung des Hauptausschusses.58 In den folgenden Lesungen war somit die endgültige Form des Parteienartikels schon nahezu erreicht.59 Die Rechenschaftspflicht über die Parteifinanzen komplettierte schließlich als letztes Element den so verkündeten Art. 21 GG.60 Die Verhandlungen im Parlamentarischen Rat, im Plenum und in den Ausschüssen geben uns leider nur sehr begrenzt Auskunft darüber, welcher Parteibegriff nun dem Grundgesetz zugrunde gelegt sein sollte.61 Die Vorberatungen im zuständigen Fachausschuss62 drehten sich zunächst insbesondere um die Frage, ob der Vorbehalt einer Sperrklausel im Parteienartikel zu regeln sei. Die Meinungen im Ausschuss hierüber gingen durchaus auseinander und so stand die Diskussion in einem Spannungsfeld, in dem einerseits eine neuerliche Parteienzersplitterung verhindert werden sollte, andererseits aber die Sorge bestand, dass durch eine Sperrklausel die Bildung neuer Parteien allzu sehr behindert würde. Diskutiert wurde dabei nicht eine in Prozentzahlen festgeschriebene Grenze oder Hürde, sondern lediglich ein entsprechender Vorbehalt im Grundgesetz, um eine gegebenenfalls später durch das Bundeswahlgesetz zu treffende Bestimmung nicht verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen zu lassen.63 In den folgenden Beratungen im Hauptausschuss wurde der verfassungsrechtliche Vorbehalt einer Sperrklausel be-

57 Art. 21a der „vom Allgemeinen Redaktionsausschuss redigierten Fassung“ (Stand: 13. bis 18. Dezember 1948), in: ebd., Nr. 4. 58 Art. 21a der „vom Hauptausschuss in zweiter Lesung beschlossenen Fassung“ (Stand: 20. Januar 1949), in: ebd., Nr. 5. 59 Art. 21a der „vom Hauptausschuss in dritter Lesung angenommenen Fassung“ (Stand: 10. Februar 1949), in: ebd., Nr. 8. 60 Art. 21 in der „Fassung der zweiten Lesung des Parlamentarischen Rates“ (Stand: 6. Mai 1949), in: ebd., Nr. 14. Eine (redaktionelle) Änderung erfuhr der Art. 21 Abs. 1 dann noch in der dritten Lesung des Parlamentarischen Rates, in der Satz 2 (innere Ordnung der Parteien) und Satz 3 (Rechenschaftspflicht) getrennt wurden; vgl. „Zehnte Sitzung des Plenums“, 8. Mai 1949, in: Parlamentarischer Rat IX, Nr. 10 (S. 587). 61 Vgl. hierzu auch Galka, Parlamentarismuskritik und Grundgesetz, 2014, S. 89 f.: eine inhaltliche Debatte zum Parteibegriff fand im Parlamentarischen Rat nicht statt. 62 Der Parteienartikel war Beratungsgegenstand im Ausschuss für Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege (auch „Kombinierter Ausschuss“). 63 Vgl. hierzu die sechste und die elfte Sitzung des Kombinierten Ausschusses, 24. September und 7. Oktober 1948, in: Parlamentarischer Rat XIII.1, Nr. 6 (S. 177 ff.) und Nr. 14 (S. 420 ff.).

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IV. Systematischer Abgleich: Partei und Verein im Grundgesetz

reits nicht mehr im Zusammenhang mit dem Parteienartikel, sondern im Kontext des Bundestages verhandelt und letztlich gänzlich abgelehnt.64 Auch im Hauptausschuss wurde der Parteibegriff als solcher kaum thematisiert. Dessen Mitglieder behandelten diese Frage vor allem in den Diskussionen um den zuvor erwähnten Abs. 4 des Entwurfes, der noch eine Anwendung des Parteiengesetzes auf andere Vereinigungen vorsah, soweit diese Wahlvorschläge einreichen. Dabei war bisweilen unklar, um welche Vereinigungen es sich dabei handeln solle. Diese Unklarheit wurde vom Vorsitzenden des Hauptausschusses, Carlo Schmid, dahingehend aufgelöst, dass unter Partei „eine stabile, auf die Dauer berechnete politische Organisation“ zu verstehen sei im Gegensatz zu losen Vereinigungen oder Zweckvereinigungen, die sich „für einzelne Wahlhandlungen bilden können“.65 In zweiter Lesung entschloss man sich im Hauptausschuss jedoch für die Streichung des Absatzes, da man die Frage der Verfassungswidrigkeit derartiger „anderer Vereinigungen“ im Anwendungsbereich der Regelungen zur Vereinigungsfreiheit sah.66 Aufgrund der geringen Aussagekraft der Dokumente lässt sich freilich darüber streiten, wie die fehlende Auseinandersetzung über den Parteibegriff denn nun zu interpretieren sei. Sie wurde zum einen als Ausdruck dafür genommen, dass der Parteibegriff im Parlamentarischen Rat unstrittig war67, aber auch unterstellt, dass ein Konsens über den Parteibegriff erst gar nicht angestrebt wurde68. Indes lässt sich aber zunächst alleine festhalten, dass eine nähere verfassungsrechtliche Bestimmung des Parteibegriffes nicht vorgenommen und somit auch nicht für notwendig befunden wurde. Weitgehende Einigkeit scheint angesichts der Verhandlungsprotokolle zudem darüber bestanden zu haben, dass eine Partei eine auf Dauer angelegte und fest ausgebildete Organisation darstelle und gerade deshalb von losen, etwa nur wahlbezogenen Zusammenschlüssen abzugrenzen sei. Weiterhin deutet die Genese des Art. 21 GG während der Beratungsabläufe darauf hin, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Parteibegriff und dem Wahlrecht nicht hergestellt werden sollte; dieses also gerade nicht das künftige Parteiverständnis gestalten sollte. Dazu hätte jedenfalls die Sperrklausel oder deren Vorbehalt systematisch im Parteienartikel verankert werden müssen, wie es im Herrenchiemseer Entwurf ja noch vorgesehen war. Lassen sich darüber hinaus mithin keine positiven Feststellungen dazu treffen, wie sich das Parteienbild des Parlamentarischen Rates darstellte, so kommt damit aber zugleich zum Ausdruck, dass eine Abkehr vom zeitgenössischen, historisch 64 Vgl. „Achtundvierzigste Sitzung des Hauptausschusses“, 9. Februar 1949, in: Parlamentarischer Rat XIV.2, Nr. 48 (S. 1525 ff.). 65 „Vierte Sitzung des Hauptausschusses“, 17. November 1948, in: Parlamentarischer Rat XIV.1, Nr. 4 (S. 121). 66 „Siebenundzwanzigste Sitzung des Hauptausschusses“, 15. Dezember 1948, in: ebd., Nr. 27 (S. 801). 67 Otto, Das Staatsverständnis des Parlamentarischen Rates, 1971, S. 154. 68 Galka, Parlamentarismuskritik und Grundgesetz, 2014, S. 89.

3. Der Parteibegriff in Rechtsprechung und Literatur

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überlieferten Bild der Partei gerade nicht Gegenstand ihrer verfassungsmäßigen Inkorporation war.69

3. Der Parteibegriff in Rechtsprechung und Literatur Mit der Verkündung des Grundgesetzes war die verfassungsrechtliche Positivierung der politischen Parteien in Deutschland Wirklichkeit geworden. Die bisherige Untersuchung hat die Entwicklungslinien der deutschen Parteiengeschichte dargestellt, wesentliche Charakteristika hervorgehoben und die Genese der rechtlichen Bestimmungen zu politischen Vereinen und Parteien nachgezeichnet. Die unmittelbare Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes hat weiteren Aufschluss über die dem Art. 21 GG beigemessene Bedeutung gegeben, zugleich aber aufgezeigt, dass das historische Parteienbild durch den Verfassungsgeber nicht verdrängt wurde, sondern – schon mangels einer anderslauten verfassungsmäßigen Bestimmung – auch dem Grundgesetz zugrunde gelegt ist. Bevor eine abschließende Betrachtung sich diese gesammelten Erkenntnisse für den Versuch einer näheren Bestimmung des Parteibegriffes zu eigen macht, gilt es aber noch, in einem letzten Schritt die Elemente desselben aufzuzeigen, wie sie in der Rechtsprechung und Literatur seit der Verfassungslegung entwickelt oder beschrieben worden sind. Dabei sollen die Aspekte des Parteibegriffes im Vordergrund stehen, die einen unmittelbaren Bezug zu den bisherigen Ergebnissen dieser Untersuchung aufweisen.70

a) Parteibegriff und Parteiengesetz Es ist bereits mehrfach in dieser Arbeit zur Sprache gekommen, dass das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung – wie auch Teile der Literatur – eine inhaltliche Übereinstimmung des Parteibegriffes von Art. 21 Abs. 1 GG mit den Merkmalen unterstellt, wie sie in § 2 Abs. 1 PartG ihren einfachgesetzlichen Niederschlag gefunden haben.71 Wenngleich das Parteiengesetz auch erst 1967 erlassen wurde, bedeutet dies aber nicht, dass dadurch eine Zäsur markiert wäre, die den Diskurs über den Parteibegriff durch seine parteiengesetzliche Legaldefinition un69

Vgl. auch Shirvani, Parteienrecht und Strukturwandel, 2010, S. 169. Entsprechend der Untersuchung in Kapitel III. stehen somit organisations-, parlamentsund wahlbezogene Elemente im Fokus. 71 BVerfGE 91, 276 (284); Kunig, in: Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar I, Art. 21, Rn. 12. Es wird in der Literatur aber hervorgehoben, dass § 2 Abs. 1 PartG keine authentische Interpretation des verfassungsrechtlichen Parteibegriffes liefere und der Legaldefinition somit auch nur eine Hilfsfunktion zukomme; so Morlok, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar II, Art. 21 Rn. 33. Kritik regt sich hier hinsichtlich des Ausschlusses von Rathausparteien und Europaparteien; vgl. alleine Ipsen, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 21, Rn. 19. Ausführlich zu diesen Problemfeldern Prommer, Novellierungsbedarf im Parteienrecht, 2014, S. 106 ff. 70

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IV. Systematischer Abgleich: Partei und Verein im Grundgesetz

terbrochen hätte. Neben einem Gutachten der Parteienkommission, das bereits 1957 vorgelegt worden war und bereits selbst die bis dahin ergangenen Verfassungsgerichtsentscheidungen zugrunde legte72, berücksichtigte der Gesetzgeber natürlich die Erkenntnisse der Wissenschaft und der Rechtsprechung.73 Bereits zu diesem Zeitpunkt waren zahlreiche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 21 GG, auch die Merkmale einer Partei betreffend74, ergangen. In ihrem Gutachten stellte die Parteienrechtskommission die folgenden Elemente des Parteibegriffes heraus75: - die Teilnahme an Wahlen, - das Streben nach unmittelbarer Beteiligung an der politischen Willensbildung im Parlament, - ein politisches Programm, - ein gewisses Maß an Dauer und Festigkeit. Das letztgenannte Element könne dabei unter anderem auch dadurch zum Ausdruck kommen, dass die Partei bereits mit Abgeordneten im Parlament vertreten ist; allerdings sei dies keine Voraussetzung für die Qualifizierung als Partei. Stattdessen hob die Kommission unter Berufung auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Februar 1957 hervor76, dass dieses Merkmal für die Bildung des Parteibegriffes abzulehnen und eine Differenzierung zwischen Gruppen mit und solchen ohne parlamentarische Vertreter abzulehnen sei.77 Voraussetzung einer Partei sei es aber, dass der Einfluss auf die politische Willensbildung durch die Beteiligung an Parlamentswahlen erreicht werden solle und die Bereitschaft zur parlamentarischen Tätigkeit auch grundsätzlich vorhanden sei. Zulässig und verfassungsrechtlich unbedenklich sei daher auch eine Abgrenzung zu bloßen Wählervereinigungen, da es diesen sowohl an Dauer und Festigkeit als auch am unmittelbaren Bezug zur Willensbildung im Parlament fehle.78 Die Tatsache, dass eine politische Organisation über eigene Abgeordnete verfügt, so das Bundesverfassungsgericht im Jahre 195679, schütze aber jedenfalls davor, dass die Parteieigenschaft ernsthaft angezweifelt werden könne. Das Erringen parlamentarischer Mandate bestätigt also gewissermaßen die „Partei im inneren Raum des Verfassungslebens“.80 72

Bericht der Parteienrechtskommission, 21958, S. 123 ff. BT-Drucksache 5/1918, S. 2; vgl. auch Klein, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Art. 21, Rn. 222. 74 Vgl. insbesondere BVerfGE 3, 383 (403). 75 Bericht der Parteienrechtskommission, 21958, S. 133. 76 BVerfGE 6, 277 (279 ff.). 77 Parteienrechtskommission, a. a. O., S. 129 f. 78 Ebd., S. 130, 137. 79 BVerfGE 4, 375 (383). 80 BVerfGE 3, 19 (23). 73

3. Der Parteibegriff in Rechtsprechung und Literatur

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Die parlamentarischen Materialien zum Parteiengesetz geben Aufschluss darüber, dass der Gesetzgeber in § 2 Abs. 1 PartG einen modernen und weit gefassten Parteibegriff vor Augen hatte. Dabei darf dies aber nicht mit einem extensiven Verständnis der Partei als jeder Form von politischer Organisation verwechselt werden. Denn aus derselben Drucksache geht hervor, dass mit diesem modernen und weiten Parteibegriff lediglich keine „Übernahme des im 19. Jahrhundert herrschend gewesenen Verständnisses der Parteien als bloße Wahlvereine oder gar Honoratiorenclubs“ erfolgen sollte. Die öffentlichen Aufgaben der Parteien im Sinne des Art. 21 GG erschöpfen sich demnach nämlich nicht allein im Wahlakt, sondern haben „gerade in der pluralistischen Gesellschaft neue Schwerpunkte erhalten“, wozu auch „die Einwirkung auf die staatliche Willensbildung und der ständige Einsatz für eine enge Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen“ gehören.81 Bereits in der Parteienrechtskommission war eine weite Auslegung des Parteibegriffes auf Vereinigungen, die sich zwar politisch betätigen, ohne jedoch an Wahlen teilzunehmen, nur von einer Minderheit vertreten worden. Dagegen war von der Mehrheit der Kommission hervorgehoben worden, dass gerade „die Beteiligung an parlamentarischen Wahlen und an der parlamentarischen Arbeit“ typisches Wesensmerkmal einer Partei und zumal der eigentliche Sinn ihrer verfassungsrechtlichen Privilegierung sei.82

b) Elemente des Parteibegriffes Ist somit der Hintergrund der parteiengesetzlichen und für Art. 21 Abs. 1 GG ebenfalls als zutreffend angenommenen Legaldefinition des Parteibegriffes erörtert, sollen nun seine rechtliche Bewertung und Erläuterung in den Vordergrund rücken. Seine Elemente sind in verschiedener Weise kategorisiert und geordnet worden: In der Kommentarliteratur findet sich die Unterscheidung in ein Strukturelement, ein Zielelement und das Erfordernis der Ernsthaftigkeit.83 Im Strukturelement kommt dabei das Erfordernis einer hinreichenden Organisationsstruktur, wohl aber bereits auch einer nicht näher bestimmten Mitgliederzahl zum Ausdruck („Vereinigung von Bürgern“), die eine eigenständige Willensbildung und Verfolgung der Zielsetzung ermöglichen.84 Sodann müsse es – entsprechend § 2 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 PartG – Ziel dieser Organisation sein, dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss zu nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken zu wollen.85 Mit der geforderten Ernsthaftigkeit soll die Parteieigenschaft anhand ob81

BT-Drucksache 5/1918, S. 2. Bericht der Parteienrechtskommission, 21958, S. 135. 83 Morlok, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar II, Art. 21 Rn. 34; Streinz, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Kommentar zum GG II, Art. 21, Rn. 52. Vgl. auch Kapitel II. 3. 84 So insbesondere Streinz, a. a. O., Rn. 53. 85 Ebd., Rn. 58. 82

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IV. Systematischer Abgleich: Partei und Verein im Grundgesetz

jektiver Kriterien, etwa dem Vorliegen eines Programms und einer Satzung, überprüft werden.86 Das Bundesverfassungsgericht hat die in diesem Zusammenhang in § 2 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 PartG aufgezählten objektiven Merkmale – also das Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, Umfang und Festigkeit der Organisation, die Mitgliederzahl und das Hervortreten in der Öffentlichkeit – als nicht erschöpfend, aber von großem Gewicht bezeichnet.87 Demgegenüber beschreibt Foroud Shirvani den Parteibegriff auf Grundlage der funktionalen Methode in der Parteienlehre.88 Dabei habe der Gesetzgeber des Parteiengesetzes nicht alle Parteifunktionen in den § 2 Abs. 1 PartG einfließen lassen. So spiegeln sich in der parteienrechtlichen Legaldefinition die Aggregationsfunktion in der Organisation einer politischen Vereinigung von Bürgern, die verfassungsrechtliche Kernfunktion in der Mitwirkung an der politischen Willensbildung und die Repräsentationsfunktion im Willen zur parlamentarischen Vertretung wider. Nicht berücksichtigt seien hingegen die Regierungsfunktion und die Elitenrekrutierungsfunktion, womit diese – nach Shirvanis Auffassung – nicht konstitutiv für den Parteibegriff seien, dieser mithin auch reine Oppositionsparteien umfasse.89 Wiebke Wietschel hat in ihrer Untersuchung des Parteibegriffes zwischen deskriptiven, voluntativen und solchen Begriffsmerkmalen unterschieden, die einen hohen Interpretationsspielraum ließen. Deskriptive und somit objektiv messbare Kriterien seien das Vereinigungserfordernis („Vereinigung von Bürgern“), das Erfordernis der Wahlteilnahme nach § 2 Abs. 2 PartG und die Inlandsorientierung nach § 2 Abs. 3 PartG.90 Nicht auf äußere Umstände, sondern rein auf die Ambitionen einer Partei abstellende und folglich rein voluntative Elemente seien demgegenüber die Dauer der Tätigkeit, die Zuordnung zum räumlichen Bereich der Bundes- oder Landesebene, die Einflussnahme auf die politische Willensbildung und die Mitwirkung im Parlament.91 Einen hohen Interpretationsspielraum ließen letztlich die Gewähr für die Ernsthaftigkeit der Zielsetzung und das Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse sowie die damit verknüpften in § 2 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 PartG Beurteilungsmaßstäbe.92

86

Morlok, a. a. O., Rn. 39. BVerfGE 91, 276 (288). 88 Hierzu Shirvani, Parteienrecht und Strukturwandel, 2010, S. 47 ff. 89 Insgesamt ebd., S. 169. 90 Wietschel, Der Parteibegriff, 1996, S. 146 ff. Dieselbe Unterscheidung der Begriffsmerkmale auch bei Blasche, Der Parteibegriff, in: Verwaltungsrundschau 2001, 407. 91 Ebd., S. 156 ff. Ähnlich auch Ipsen, in: ders., Kommentar zum Parteiengesetz, § 2, Rn. 3 f., der zwischen (zwei) subjektiven sowie objektiven Elementen unterscheidet. 92 Wietschel, a. a. O., S. 172 ff. 87

3. Der Parteibegriff in Rechtsprechung und Literatur

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c) Abgrenzungsprobleme Schon früh – bereits vor Verkündung des Parteiengesetzes – hat das Bundesverfassungsgericht die Abgrenzung zwischen einer politischen Partei, insbesondere einer neuen und noch im Entstehen begriffenen, zu anderen politischen Vereinigungen, namentlich nicht im Parlament vertretenen Wählergruppen, als „unsicher und flüssig“ bezeichnet.93 Der Parteibegriff des Grundgesetzes selbst, so Karl-Heinz Seifert, erscheint in seiner konkreten Formulierung insgesamt „nicht in einem für die praktische Rechtsanwendung geeignetem Maße konkretisiert“.94 Doch auch die Beschreibung eines einfachgesetzlichen Parteibegriffes hat kaum dazu beitragen können, die Grenze zwischen den verschiedenen Formen politischer Organisation klarer auszugestalten, denn die dort niedergelegten Elemente treffen entweder auf Parteien und sonstige Vereinigungen gleichermaßen zu oder sind – etwa wegen des Abstellens auf ein subjektives Moment – kaum greifbar.95 Vergegenwärtigen wir uns die bestehen Abgrenzungsschwierigkeiten im Folgenden an einzelnen Merkmalen etwas deutlicher und unterscheiden dabei entsprechend dem Gang der vorherigen historisch-systematischen Untersuchung zwischen organisationsbezogenen Elementen einerseits und wahl- oder parlamentsbezogenen Elementen andererseits: Steht in organisatorischer Hinsicht zunächst das Erfordernis einer „Vereinigung von Bürgern“, ist damit zu Ausdruck gebracht, dass sich eine Partei im Gegensatz zur Vereinigung im Sinne des Art. 9 GG (Art. 9 Abs. 1 GG spricht von „Vereinen und Gesellschaften“) nur aus natürlichen, nicht also aus juristischen Personen zusammensetzen darf.96 Mit dieser Einschränkung ist sie aber wiederum begrifflich selbst Vereinigung im Sinne des Art. 9 GG, die durch ihren Parteistatus aber eine Sonderstellung einnimmt97 und zudem durch § 2 Abs. 2 VereinsG aus dem Anwendungsbereich des öffentlichen Vereinsrechts ausgenommen ist.98 Ihre Rechtsform spielt keine Rolle, üblicherweise erfolgt der Zusammenschluss aber in der Form des rechtsfähigen oder des nicht rechtsfähigen Vereins entsprechend dem Bürgerlichen Recht.99 Über die organisatorischen Voraussetzungen ist damit an dieser Stelle nicht viel weiter gesagt; erforderlich ist aber eine körperschaftliche Organisation, die sich unabhängig vom Mitgliederwechsel zeigt, weshalb auch die BGB-Gesellschaft als Rechtsform ausscheidet.100 Die so geforderte körperschaftliche Organisation lässt sich durch das Bestehen einer Satzung und eines Vorstandes nachweisen. Da dies jedoch auf sonstige Vereine ebenso zutrifft, hilft dies bei der Abgrenzung nicht 93

BVerfGE 4, 375 (383). Seifert, Die politischen Parteien, 1975, S. 159. 95 Wietschel, a. a. O., S. 180. 96 Vgl. demgegenüber § 2 Abs. 1 VereinsG; zum Zusammenschluss von Parteien Kunig, in: Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar I, Art. 21, Rn. 14. 97 BVerfGE 2, 1 (13). 98 Vgl. hierzu auch Schnorr, Öffentliches Vereinsrecht, 1965, S. 83. 99 Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum GG II, Art. 21, Rn. 53. 100 Seifert, Die politischen Parteien, 1975, S. 160. 94

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IV. Systematischer Abgleich: Partei und Verein im Grundgesetz

weiter.101 Letztlich muss die Vereinigung aber in einem solchen Maße eigenständig sein, dass sie selbst „Zentrum politischer Willensbildung“ sein kann und somit eigene politische Ziele entwickeln und bewerben kann, also mithin eine demokratische Binnenstruktur aufweisen.102 Weitere organisatorische Anforderungen ergeben sich aus dem Merkmal des „Gesamtbildes der tatsächlichen Verhältnisse“, da hierbei ja auch „Umfang und Festigkeit der Organisation“ sowie die „Zahl der Mitglieder“ Berücksichtigung finden sollen. Wie schon erwähnt, ist diese Aufzählung nicht abschließend und zudem müssen auch nicht alle Elemente im gleichen Maße vorliegen, sondern können durch ein Mehr in anderen Bereichen wieder ausgeglichen werden. Sie sollen zudem unter Berücksichtigung der Dauer des Bestehens der Organisation gewürdigt werden.103 Eine erforderliche Mindestzahl an Mitgliedern soll laut Kunig über die vom bürgerlichen Vereinsrecht gesetzten Vorgaben hinaus nicht bestehen, solange jedenfalls ein Wille dahingehend erkennbar ist, die Mitgliederzahl zu vergrößern.104 Ist die Partei noch im Aufbau, so kann auch eine kleine Zahl – das Bundesverfassungsgericht hat hier 400 Mitglieder genügen lassen105 – ausreichend sein. Auch der räumliche Wirkungskreis muss bei der Bestimmung dieses Kriteriums miteinfließen.106 Ist somit schon das Kriterium der Mitgliederzahl an sich umstritten und jedenfalls einer näheren Bestimmung nicht zugänglich, so sind auch die Anforderungen an Organisationsfestigkeit und -umfang sehr im Vagen geblieben. Nach Seifert darf dabei das traditionelle Parteienbild, das er im Übrigen aber auch für das Grundgesetz für maßgebend hält107, nicht allzu streng in die Bewertung einfließen, da die deutschen Parteien im internationalen Vergleich einen relativ hohen Organisationsgrad aufgewiesen hätten. Indizien für eine genügende Festigkeit seien aber Satzung und Programm, zudem könne ein „Mindestmaß an Unterordnungen der Gliederungen unter die Gesamtpartei“ verlangt werden.108 Das Fehlen solcher Eigenschaften kann zur Verneinung des Parteistatus führen, umgekehrt genügen aber weder Programm, noch Satzung, noch Vorstand an sich, um diesen zu begründen.109 Das Bundesver101

Wietschel, a. a. O., S. 147. BVerwGE 74, 176 (180). 103 BVerfGE 91, 276 (288 f.). 104 Kunig, in: HStR III, 32005, § 40, Rn. 79, der das Kriterium der Mitgliederzahl an sich für illegitim hält. 105 BVerfGE 24, 300 (320, 332). 106 Seifert, Die politischen Parteien, 1975, S. 166 (dort auch Fn. 30). 107 Vgl. ebd., S. 68 f. 108 Ebd., S. 166. 109 Wietschel, a. a. O., S. 176 mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in: NJW 1993, 3213. Beachte aber auch eine Entscheidung des Gerichts vom 20. Dezember 1957 und mithin vor Verkündung des Parteiengesetzes, die Programm und Satzung neben Dauer, Art und Umfang der Organisation als wesentliches Kriterium hervorhebt; BVerwGE 6, 96 (2. Ls.). 102

3. Der Parteibegriff in Rechtsprechung und Literatur

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fassungsgericht hat betont, dass eine beständig schwache Organisation oder ein fortschreitender Zerfall derselben die Parteieigenschaft ebenso in Frage stellen kann wie eine konstant geringe Mitgliederbasis oder ein existenzgefährdender Mitgliederschwund.110 Neben die organisationsbezogenen Elemente des Parteibegriffes treten solche, die einen Bezug zu Wahlen und zur parlamentarischen Tätigkeit aufweisen. Erforderlich sind hierbei der Wille zur Einflussnahme auf die politische Willensbildung und zur Mitwirkung an der Vertretung in einem Landes- oder Bundesparlament. Damit verknüpft sich das „Bestreben, das Staatshandeln in den Staatsorganen mitzubestimmen“. Die für dieses Bestreben erforderliche Wahlteilnahme hat Dieter Grimm als das entscheidende Kriterium benannt, neben dem andere Elemente des Parteibegriffes nur eine Hilfsfunktion einnehmen.111 Auch das Bundesverfassungsgericht hat die Wahlbeteiligung als „wesentliches und unverzichtbares Element des Parteibegriffes“ und damit zugleich als Kernstück der Parteientätigkeit benannt.112 Fehlt ein solches Bestreben, ist also kein Wille erkennbar, den Bereich des Außerparlamentarischen zu verlassen, so ist trotz der möglichen politischen Zweckbestimmung einer Vereinigung die Parteieigenschaft nicht gegeben. Demgegenüber ist aber vorgebracht worden, dass es für den Parteistatus genügen soll, wenn die Organisation ihren Schwerpunkt im außerparlamentarischen Bereich ansiedelt und dem parlamentarischen Wirken nur eine nachrangige Rolle beimisst.113 Damit verknüpft ist jedoch die Problematik, dass sich die Teilnahme an der politischen Willensbildung nicht in der Wahlteilnahme erschöpft, die Parteien also nicht nur reine Wahlvorbereitungsorganisationen sind.114 Zugleich kommt ihnen indes eine wesentliche Mittlerrolle im Verhältnis zwischen gesellschaftlicher und staatlicher Willensbildung zu. Dazu wiederum müssen die Parteien jedoch zueinander in den Wettbewerb treten, womit ein unmittelbarer Wahlbezug aufgezeigt ist.115 Liegt der Schwerpunkt aber nun rein auf der gesellschaftlich-außerparlamentarischen Ebene, wie es vor allem bei kleineren Organisationen der Fall sein mag, so ist einerseits diese Mittlerrolle kaum mehr vorhanden. Zum anderen ist damit aber eine Abgrenzung zu sonstigen politischen Vereinigungen ebenso wenig möglich.116

110

BVerfGE 89, 266 (271); BVerfGE 91, 276 (289). Grimm, Parteien im Rechtsstaat, in DÖV 1983, 538 (540). Allerdings soll laut Wietschel die Wahlteilnahme kein konstitutives Element des Parteibegriffes sein, sondern nur als Indiz dienen; a. a. O., S. 168. 112 BVerfGE 24, 260 (264); BVErfGE 91, 276 (285). 113 So Seifert, Die politischen Parteien, 1975, S. 162. 114 Allerdings ging das Bundesverfassungsgericht zunächst noch davon aus, dass die Parteien vornehmlich Wahlvorbereitungsorganisation seien, und ist erst später von dieser strikten Kategorisierung abgekommen; vgl. etwa BVErfGE 20, 56 (113). 115 BVerfGE 85, 264 (284 f.). 116 Wietschel, a. a. O., S. 165. 111

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IV. Systematischer Abgleich: Partei und Verein im Grundgesetz

Umgekehrt kann die bloße Wahlbeteiligung an sich aber auch nicht genügen, um als politische Partei qualifiziert zu werden. Dies gilt etwa für Bürgerinitiativen wie für rein außerparlamentarische Oppositionsgruppierungen und ergibt sich aus dem Erfordernis, dass – über die Teilnahme am Wahlakt hinaus – eine Mitwirkung an der parlamentarischen Vertretung angestrebt werden muss.117 Anders ist es aber, wenn bei einer Oppositionsbewegung ein entsprechender Wille zur Tätigkeit in einem Parlament vorhanden ist, obgleich die Übernahme einer Regierungsfunktion für den Fall des Wahlerfolges kategorisch ausgeschlossen wird. Die Bereitschaft zur Regierungsverantwortung ist also gerade nicht erforderlich.118 Umstritten ist, ob mit Blick auf die Rolle der Parteien bei der staatlichen Willensbildung zumindest eine Ausrichtung auf das Gemeinwohl von Parteien verlangt werden kann.119 Dieses Ansinnen hat allerdings inzwischen weitgehende Ablehnung erfahren.120 Ist die Wahlbeteiligung also weithin als wesentliches Kriterium für das Vorliegen einer Partei anerkannt, so soll der Wahlerfolg selbst nicht von Bedeutung sein. Ob eine Partei an der staatlichen Willensbildung tatsächlich partizipieren kann, ist der Wahlentscheidung des Bürgers anvertraut. Diese Entscheidung des Grundgesetzes, so das Bundesverfassungsgericht, „steht einer Auslegung des Parteibegriffes entgegen, die Parteieigenschaft auf ,erfolgreiche‘ und vom Wähler ,bestätigte‘ politische Vereinigungen beschränkt.“121

Nicht so eindeutig erscheint es demgegenüber, wie sich eine dauerhaft anhaltende Erfolgslosigkeit bei Wahlen auf den Parteistatus auswirken soll. Es ist jedenfalls in Zweifel gezogen worden, ob eine Vereinigung unter diesen Umständen Partei bleiben kann. Genüge einerseits die Absicht, in das Parlament einzuziehen und dort mitzuwirken, so sei andererseits in Frage zu stellen, ob diese Absicht bei offenbarer Aussichtlosigkeit ausreichen könne.122 Dem ist entgegengehalten worden, dass sich die hier in Frage stehende Ernsthaftigkeit der gesetzten Ziele „nicht in einen Parameter des Erfolges verwandeln“ dürfe.123 Das Bundesverfassungsgericht hat sich indes nicht derart ablehnend zu dieser Frage positioniert: Billigte es der dauerhaften Erfolglosigkeit zunächst allenfalls eine mittelbare Bedeutung zu, soweit diese Rückwirkung auf „Umfang und die Festigkeit der Organisation“ oder auf das „Hervortreten in der Öffentlichkeit“ 117 Kunig, Parteien, in: HStR III, 32005, § 40, Rn. 8; ders., in: Münch/Kunig, GrundgesetzKommentar I, Art. 21, Rn. 15. Auch die reine Wählerinitiative, die lediglich eine andere Partei bei der Wahl unterstützen will, ist keine Partei; BVerfGE 79, 379 (384). 118 Klein, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Art. 21, Rn. 231. 119 So Henke, Das Recht der politischen Parteien, 21972, S. 40; Grewe, Zum Begriff der politischen Partei (1950), in: Ziebura: Beiträge zur allgemeinen Parteienlehre, 1969, 68 (85). 120 Vgl. Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum GG II, Art. 21, Rn. 65 m. w. N. 121 BVerfGE 91, 276 (287). 122 Henke, a. a. O., S. 42. 123 Streinz, a. a. O., Rn. 68.

3. Der Parteibegriff in Rechtsprechung und Literatur

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habe124, so hat das Gericht in seiner jüngeren Rechtsprechung angeführt, dass es nicht ausgeschlossen sei, „einen anhaltend fehlenden Wahlerfolg im Rahmen der Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse als ein Moment zu berücksichtigen; das gilt jedenfalls dann, wenn sich die Abstimmungserfolge prozentual im Bagatellbereich bewegen und der Mißerfolg in Wahlen nur ein Spiegelbild der allgemein desolaten Situation der politischen Vereinigung darstellt.“125

Die Wahlteilnahme darf somit nicht dafür missbraucht werden, um sich auf das Vorliegen der Parteieigenschaft berufen zu können.126 Freilich ist ein solches Kriterium, das auf die Aussichtslosigkeit des Wahlerfolges abstellt, aufgrund der „recht unsichere[n] Maßstäbe“ nicht ohne Kritik geblieben.127 Ipsen geht sogar so weit zu behaupten, dass dadurch die Erfolgsaussichten einer Partei an die Stelle der Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung getreten seien, was zu „schwer erträglicher Unsicherheit hinsichtlich des Parteibegriffs“ geführt habe. Die harsche Kritik Ipsens äußert sich dabei im Zusammenhang mit der Wahlteilnahme als (wesentlichem) Kriterium der Parteieigenschaft. Um an der Wahl teilzunehmen, müsse zunächst die Parteieigenschaft durch die Wahlorgane bejaht werden128, stehe aber nach der neueren Rechtsprechung damit trotzdem noch nicht fest.129 Dieser Kritik ist entgegenzuhalten, dass nicht ersichtlich ist, warum das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf Art. 21 Abs. 1 GG nicht von einem engeren Parteibegriff ausgehen darf, als dieser im Parteien- oder Wahlgesetz seinen Ausdruck finden mag. Dies gilt umso mehr, als Ipsen selbst – etwa mit Blick auf den Ausschluss von Rathausparteien – nicht von einer vollständigen Kongruenz des verfassungsrechtlichen Parteibegriffes mit dem des § 2 Abs. 1 PartG ausgeht.130 Allerdings hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch Zustimmung erfahren: Die Parlamentswahlen dürften nicht „zum Tummelplatz unausgereifter Schaumschlägereien“ missraten.131 Zuletzt ist noch das Verhältnis der Partei zur Fraktion anzusprechen. Die Fraktion ist einerseits die „Partei im Parlament“132, andererseits ist sie aber Teil des Parlaments und mithin eines Staatsorgans und somit von der Partei „verfassungsrechtlich ab124

BVerfGE 89, 266 (272). BVerfGE 91, 276 (289 f.). 126 Vgl. ebd., (289). 127 Kunig., in: Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar I, Art. 21, Rn. 23. Kritik auch bei Streinz, a. a. O., Rn. 68. 128 Vgl. § 18 Abs. 2 i. V. m. Abs. 4 BWahlG. 129 Ipsen, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 21, Rn. 21. 130 Vgl. ebd., Rn. 19. Der Kritik Ipsens ist jedoch zuzugestehen, dass das Bundesverfassungsgericht auch in der hier in Rede stehenden Entscheidung die Parteieigenschaft anhand der in § 2 Abs. 1 PartG niedergelegten Kriterien überprüft hat. 131 Klein, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Art. 21, Rn. 229. 132 Henke, Das Recht der politischen Parteien, 21972, S. 145. 125

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IV. Systematischer Abgleich: Partei und Verein im Grundgesetz

gekoppelt“.133 Als solche unterfällt die Fraktion für sich genommen nicht dem Parteibegriff, wohl aber vollzieht sich das Handeln der Parteien im Parlament durch die Fraktionen.134 Daher ist es auch weniger bedeutend, dass das Bundesverfassungsgericht die Bildung der Fraktion als auf Art. 38 GG beruhend ansieht, da jedenfalls ihre Anerkennung „als einer notwendigen Einrichtung des Verfassungslebens aus der Anerkennung der Parteien in Art. 21 GG folgt“.135 Findet die Partei somit in der Fraktion ihre parlamentarische Erscheinungsform, so kommt dieser eine bedeutende Scharnierfunktion dort zu, wo die Parteien im Wählerauftrag den parlamentarischen Prozess beeinflussen.136 Da die Parteien zur Mitwirkung an der parlamentarischen Vertretung berufen sind, kann die Parteieigenschaft dort streitig werden, wo die „Partei“ keinen Einfluss mehr auf ihre Abgeordneten zu nehmen sucht oder diese sich erst gar nicht zu einer Fraktion zusammenfinden.137 Die vorbeschriebenen Schwierigkeiten zeigen auf, dass auch die Legaldefinition des § 2 Abs. 1 PartG nur bedingt dazu beigetragen hat, die Wesensmerkmale einer politischen Partei zuverlässig erfassen zu können. Ist durch ihn schon keine positive Wesenserfassung derselben möglich, so versagt er in vielerlei Hinsicht bereits bei der notwendigen Abgrenzung von Partei zu sonstigen Vereinigungen.138 Zahllose Meinungsstreitigkeiten über die einzelnen Elemente, über ihre Legitimität, ihren Stellenwert und ihre konkrete Bedeutung haben nicht dazu beigetragen, die notwendige Klarheit herzustellen. Soweit durch die einfachgesetzliche Niederlegung des Parteibegriffes – und seiner Heranziehung für die Interpretation des Art. 21 GG – mehr Rechtssicherheit geschaffen werden sollte, so ist uns für die konkrete Rechtsanwendung davon letztlich nicht mehr geblieben als eine Aufzählung rechtspolitischer Allgemeinplätze.

4. Versuch einer näheren Bestimmung des Parteibegriffes Es ist nunmehr an der Zeit, die Erkenntnisse, die sich im Laufe dieser Untersuchung angesammelt haben, aufeinander zu beziehen. Das bedeutet konkret, dass die Ergebnisse der historisch-systematischen Untersuchung herangezogen werden, um den bestehenden Unklarheiten hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Parteibegriffes möglicherweise Abhilfe leisten zu können. Dies beruht weiterhin auf der diese Arbeit durchziehenden Überlegung, dass das Parteienbild des Grundgesetzes ein traditionelles und mithin historisch überliefertes ist.139 Unter dieser Annahme nähert 133 134 135 136 137 138 139

Streinz, a. a. O., Rn. 85. Kunig, Parteien, in: HStR III, 32005, § 40, Rn. 78, 85. BVerfGE 84, 304 (324). Insgesamt Klein, a. a. O., Rn. 197; Streinz, a. a. O., Rn. 85. Seifert, Die politischen Parteien, 1975, S. 164. Diese Abgrenzungsfunktion betont ebd., S. 162. Hierzu insbesondere Kapitel II.

4. Versuch einer näheren Bestimmung des Parteibegriffes

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man sich aber den Elementen des Parteibegriffes, wie sie in der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 PartG positiviert sind, nicht mit rechtspolitischen Überlegungen oder dem Ansinnen, diesem Parteibegriff neue Elemente hinzuzufügen, ihn zu verändern oder weiterzuentwickeln.140 Indem die Entwicklungslinien und Charakteristika betont werden, die der Entstehung des Art. 21 GG zugrunde lagen, und man diesen damit zugleich auf das ihm eigene Parteienbild zurückführt, wird also nichts anderes als eine verfassungskonforme Auslegung des Parteibegriffes in seiner einfachgesetzlichen Ausprägung vorgenommen.

a) Kontinuität und Wandel Wird der Parteibegriff des Grundgesetzes im Lichte des historisch tradierten Parteienbildes beleuchtet, wird zugleich deutlich, an welche Grenzen dieses Vorgehen stößt. Diese Grenzen sind zum einen durch den Ansatz selbst vorgezeichnet, denn auch die Entwicklungsgeschichte des deutschen Parteiensystems ist in sich vielschichtig und heterogen. Ein vollkommen einheitliches, klar strukturiertes Parteienbild kann es vor dem Hintergrund der komplexen Prozesse, unter denen sich die Parteien in Deutschland ausgeformt haben, freilich nicht geben. Wenn aber das Bundesverfassungsgericht vom Fortwirken des historischen Parteienbildes im Grundgesetz ausgeht141 und der Gesetzgeber darin zugleich die vorgegebenen Grenzen des Parteibegriffes erkennt142, so muss ein solches Parteienbild dennoch zumindest in Umrissen bestanden haben.143 Diese Umrisse hat die vorliegende Arbeit als wesentliche Charakteristika herauszuarbeiten versucht.144 Als Ergebnis wurde dabei festgehalten, dass sich die Partei moderner Prägung aus einem Zusammenschluss von vereinsmäßiger und fraktionsmäßiger Organisation entwickelt hat, sie also über eine parlamentarische wie eine außerparlamentarische Wurzel verfügt. Die Integration in die Gesamtpartei wurde durch eine Verfestigung der Parteistrukturen vorangetrieben, in deren Zuge die Parteiorganisation zunehmend vereinsmäßigen Charakter angenommen hat. Dieser Prozess vollzog sich in einem rechtlichen Rahmen, der zunächst der Fraktion eine besondere Rechtsposition einräumt, welche der außerparlamentarischen Organisation nur im Zusammenhang mit Wahlen – also in einer ebenfalls parlamentsbezo140

1996.

So Prommer, Novellierungsbedarf im Parteienrecht, 2014; Wietschel, Der Parteibegriff,

141 BVerfGE 20, 56 (109): „Die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes bietet keine Anhaltspunkte dafür, daß die Verfassung vom überkommenen Bild der frei aus eigener Kraft wirkenden Partei abgehen […] wollte.“ 142 BT-Drucksache 3/1509, S. 11: „Artikel 21 GG geht offensichtlich von dem herkömmlichen politisch-soziologischen Erscheinungsbild der Parteien aus und gestattet es nicht, dieses in einer bisher völlig unbekannten Weise umzuformen.“ 143 Seifert, Die politischen Parteien, 1975, S. 69. 144 Kapitel IV. 1. a) und IV. 1. b).

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IV. Systematischer Abgleich: Partei und Verein im Grundgesetz

genen Funktion – zukam. Durch die organisatorische Verflechtung mit der Fraktion rückt aber auch die außerparlamentarische Organisation zusehends in den Bereich des Öffentlich-Rechtlichen. Die politische Partei ist mithin: - ein Zusammenschluss von außerparlamentarischer und parlamentarischer Organisation mit starker vereinsmäßiger Ausprägung, - deren rechtliche Sonderstellung indes rein parlamentsbezogener Prägung ist. Dies sind die wesentlichen, zugleich aber auch überschaubaren Attribute des historisch überkommenen Parteienbildes, die für die Konturierung des Parteibegriffes, für die Gewichtung und Interpretation seiner Elemente, herangezogen werden können. Die zweite Grenze, an die eine nähere Bestimmung des Parteibegriffes stößt, ist die notwendige Offenheit, die der Verfassungsbegriff Partei schon aus demokratischen Gesichtspunkten bereithalten muss. Aufgrund der weitreichenden Bedeutung, die mit dem Parteistatus verbunden ist145, darf er nicht in einem Maße eingeengt werden, das dazu geeignet wäre, die eigentliche Schutzfunktion des Art. 21 GG auszuhöhlen.146 Schließlich ist es so, dass auch einem Parteiensystem und dem Wesen der ihm angehörigen Parteien kein starres, unveränderliches Muster zugrunde liegt. Die historische Untersuchung hat den wechselvollen Werdegang des deutschen Parteiwesens aufgezeigt. Keinesfalls kann unterstellt werden, dass dieser Prozess mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland seinen Abschluss gefunden hätte. Trotz aller Kontinuität ist auch das bundesrepublikanische Parteiensystem einem Wandel unterworfen.147 Verbietet sich einerseits eine Definition des Parteibegriffes anhand politischer Inhalte und ist die Begriffsbestimmung schon deshalb auf rein formale Kriterien beschränkt, so dürfen auch bei der Bewertung organisatorischer Aspekte jüngere Erscheinungsformen nicht a priori ausgeschlossen werden.148 Foroud Shirvani hat in diesem Zusammenhang betont, dass „zwischen dem Begriff der Partei und dem Pluralismus des politischen Lebens eine Konnexität besteht“ und daher einer „Erstarrung des Parteiwesens“ vorgebeugt werden muss.149 Umgekehrt ist es aber so, dass der Parteibegriff – dies ergibt sich wiederum aus grundlegenden rechtsstaatlichen Überlegungen – trotz aller notwendigen Offenheit nicht vollkommen im Unklaren verbleiben darf. Gerade weil an den Parteienstatus besondere Privilegien geknüpft sind, muss es möglich sein, eine politische Partei möglichst eindeutig auch als eine solche benennen zu können. Es bedarf somit auch 145 Shirvani, Parteienrecht und Strukturwandel, 2010, S. 168: „Die Parteieigenschaft einer politischen Vereinigung fungiert zudem auch als Schlüsselcode für den Zugang zum Rechtsregime des Parteiwesens.“ 146 Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum GG II, Art. 21, Rn. 47; Ipsen, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 21, Rn. 16. 147 Hierzu Shirvani, a. a. O., S. 68 ff.; Kaack, Geschichte und Struktur des deutschen Parteiensystems, 1971, S. 247 ff. 148 Vgl. Morlok, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar II, Art. 21 Rn. 31. 149 Shirvani, a. a. O., S. 172.

4. Versuch einer näheren Bestimmung des Parteibegriffes

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eines gewissen Grades an Normenklarheit, um die Zuerkennung des Parteistatus nicht zu einem willkürlichen Akt verkommen und der Rechtsunsicherheit freien Raum zu lassen.150 Allein in diesem Spektrum – zwischen (demokratisch erforderlicher) Offenheit und (rechtsstaatlich gebotener) Normenklarheit – kann eine Interpretation des Parteibegriffes stattfinden. Nur so kann dem Spannungsverhältnis zwischen Kontinuität, die dem historischen Parteienbild entspringt, und Wandel, wie sie ein offener demokratischer Prozess erfordert, genüge getan werden.

b) Vom historischen zum modernen Parteibegriff Unterlegt man den verfassungsrechtlichen Parteibegriff des Grundgesetzes nunmehr mit dem historischen Parteienbild, so ist als erstes festzuhalten, dass die privilegierende Normierungsgeschichte politischer Organisation ihren Ausgang im parlamentarischen Bereich genommen hat. Mit der zunehmenden Bedeutung der Parlamente bereits zu Zeiten des Konstitutionalismus erfuhren zunächst die fraktionellen Zusammenkünfte einen besonderen Schutz. Damit im engen Zusammenhang steht die Rolle der parlamentarischen Partei, die sich zusehends im öffentlichrechtlichen Raum befindet. In ihrer parlamentsvorbereitenden Funktion findet die außerparlamentarische Organisation eine solche Privilegierung, soweit sie im Umfeld von Wahlen – also an der Schnittstelle von gesellschaftlicher und staatlicher Willensbildung151 oder, allgemeiner formuliert, von gesellschaftlichem und staatlichem Wirkungsbereich – tätig ist. Daneben tritt als drittes Element und ohne besonderen Schutz die rein außerparlamentarisch agierende Organisation. Die rechtliche Privilegierung entwickelt sich folglich aus dem parlamentarischen Wirkungsbereich heraus in den außerparlamentarischen und erfährt damit zugleich eine Abstufung. Das jeweilige Schutzniveau lässt sich den drei Organisationselementen – Fraktion, Wahlverein, politischer Verein – zuordnen. Dem Art. 21 GG voraus ging somit nicht ein einheitliches, die Gesamtpartei umfassendes Privilegierungs- oder Schutzkonzept, sondern ein heterogenes, in sich abgestuftes. Durch die organisatorische Integration und Verfestigung dieser Parteielemente in eine Gesamtpartei einerseits und die uniforme Formulierung der Parteienprivilegierung in Art. 21 GG andererseits tritt dieses heterogene Schutzniveau indes nicht mehr deutlich zu Tage. Weder zeigt das Rechtssubjekt „Partei“ die organisatorische Differenziertheit auf, noch kommt eine in sich differenzierte Privilegierung in der Verfassungsnorm zum Ausdruck. Jedoch spiegelt sich diese Unterteilung zumindest in den Elementen des Parteibegriffes wider und zwar zum einen, soweit die Einflussnahme auf die politische Willensbildung betroffen ist, zum anderen, als dort die Mitwirkung an der parlamentarischen Vertretung genannt ist. 150

Vgl. Wietschel, Der Parteibegriff, 1996, S. 181. Vgl. Horn, Parteienstaat und Parteiendemokratie, in: Albertin et al., Politische Parteien, 1981, 345 (358). 151

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IV. Systematischer Abgleich: Partei und Verein im Grundgesetz

Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter überraschend, dass die Zuordnung der Partei im Sinne des Art. 21 GG zu Schwierigkeiten geführt hat. Gerhard Leibholz, der bereits in der Weimarer Republik als Staatsrechtslehrer tätig war und nach dem Zweiten Weltkrieg als Bundesverfassungsrichter auch ganz unmittelbaren Einfluss auf die Rechtsprechung nehmen konnte, hat sie mit Staatsorganen auf eine Stufe gestellt.152 Bereits 1950 führte er aus: „Sie [die Parteien] sind damit zugleich zu Elementen des staatlichen Bereiches und der staatlichen Willensbildung gemacht worden. […] Die Parteien sind als legitime politische Organisationen in das Staatsgefüge eingebaut worden.“153

Die Parteienstaatslehre Leibholz’ nimmt ihre Anfänge bereits zu Ende der 1920er Jahre und findet – angesichts der Verfassungsrealität der Bundesrepublik – ihren endgültigen Ausdruck im (unterstellten) Funktionswandel der parlamentarischen Vertretung. Leibholz erkennt hier eine Abkehr vom parlamentarischen Repräsentativsystem hin zu einem System, das eben nicht auf Repräsentation, sondern auf Identität setzt. Die Bindung des Abgeordneten an seine Partei, die wiederum als Sprachrohr ihrer Wählerschaft fungiert, führt nach Leibholz’ Verständnis dazu, „dass Volk und Parteien sowie Parteien und Staat identifiziert werden“154. In dieser parteienstaatlichen Demokratie entwickelt sich somit eine „rationalisierte Erscheinungsform der plebiszitären Demokratie“ oder ein „Surrogat der direkten Demokratie im modernen Flächenstaat“155, in der das Volk die Staatsgewalt mittels der Parteien ausübt.156 Das Bundesverfassungsgericht hat daran wohl zunächst Anleihe genommen und den Parteien zumindest die „Funktionen eines Verfassungsorgans“ zugestanden157, ist später aber davon abgewichen, hat ihre Mittlerrolle zwischen Staat und Gesellschaft hervorgehoben158 und auch in jüngster Rechtsprechung betont, dass es sich bei Parteien um „frei gebildete, im gesellschaftlich-politischen Bereich wurzelnde Gruppen“ handelt, die „in die staatlichen Institutionen hineinwirken“, dies aber „vor allem durch Einflussnahme auf die Beschlüsse und Maßnahmen von Parlament und Regierung“ verwirklichen.159 In Anlehnung an Konrad Hesse, der einer „staatlichinstitutionellen Verfestigung der Parteien“ und einer „Einfügung der Parteien in die 152 153

(195). 154

So Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum GG II, Art. 21, Rn. 8. Leibholz, Volk und Partei im neuen deutschen Verfassungsrecht, in DVBl. 1950, 194

Streinz, a. a. O., Rn. 8. Leibholz, Der Strukturwandel der modernen Demokratie, in: ders., Strukturprobleme der modernen Demokratie, 31967, 78 (93 f.). 156 Insgesamt Streinz, a. a. O., Rn. 8; Hecker, Die Parteienstaatslehre von Gerhard Leibholz, in: Der Staat 34, 1995, 287 (288 ff.). 157 BVerfGE 4, 27 (30). 158 BVerfGE 20, 56 (101). Zur Rezeption Leibholz’ durch das Bundesverfassungsgericht Hecker, a. a. O., (306 ff.). 159 BVerfGE 121, 30 (54). 155

4. Versuch einer näheren Bestimmung des Parteibegriffes

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organisierte Staatlichkeit“ widersprach160, bleibt den Parteien in ihrer verfassungsrechtlichen Stellung aber ein „singulärer öffentlich-rechtlicher Status“161 und mithin der „Rang einer verfassungsrechtlichen Institution“.162 Die Verwurzelung der Parteien im gesellschaftlichen Bereich kann dabei, das hat die historische Untersuchung gezeigt, insbesondere auf organisationsbezogene Wesensmerkmale der Partei gestützt werden. Die zunehmende Verfestigung zu einer Gesamtpartei hat einen vereinsmäßigen Charakter der Parteiorganisation zur Folge gehabt, der historisch auf dem assoziativen Vereinswesen fußt. Die außerparlamentarisch-gesellschaftliche Prägung der Partei entstammt also dem Organisationselement, das die vom Grundgesetz geforderte Mitwirkung an der (gesellschaftlichen) Willensbildung erst ermöglicht. Darüber hinaus kann aber die Zuordnung der Partei in den gesellschaftlichen oder in den staatlichen Bereich dahinstehen, denn unzweifelhaft rührt ihre rechtliche Privilegierung und somit ihr – wie auch immer gearteter – öffentlich-rechtlicher Status historisch aus ihrer parlamentarischen Wurzel. Wenn auch die Partei selbst kein Staatsorgan sein mag, so ist ihr grundgesetzlicher Schutz ein parlamentsbezogener, mithin in der parlamentarischen Demokratie ein staatsbezogener, der sich auf ihre Kreationsfunktion für die staatlichen Organe oder jedenfalls ihre Einwirkung auf dieselben bezieht. Die Frage nach der exakten Verortung der Partei zwischen Staat und Gesellschaft geht somit fehl, sobald eine Zuordnung unter den Parteibegriff das Ziel ist. Wenn sich die damit verbundene Privilegierung nämlich in historischer Hinsicht aus dem Parlamentsbezug und, in abgestufter Form, aus dem Wahlmoment ergibt, sich in Art. 21 GG aber in dieser Differenzierung nicht mehr wiederfindet, so muss die Frage – bei Zugrundelegung des historischen Parteienbildes – richtigerweise lauten: Was soll von der einheitlichen, nicht weiter differenzierten Privilegierung des Art. 21 GG alles erfasst sein und wie weit soll diese Privilegierung reichen? Der erste Teil der Frage beinhaltet einen „quantitativen“ Aspekt dahingehend, welche Organisationselemente in den Schutz miteinbezogen sind. Es geht also darum, ob die einst nach organisatorischen Elementen einer Partei abgestufte, nunmehr in Art. 21 GG aber einheitlich gestaltete Privilegierung die Gesamtorganisation als solche ebenfalls undifferenziert und somit insgesamt erfassen soll. Der zweite Teil der Frage beruht demgegenüber auf einer „qualitativen“ Überlegung und zielt darauf ab, welches Maß an Parlaments- oder Wahlbezug erforderlich ist, um in den nunmehr einheitlichen – aber zuvor nach Parlaments-, Wahl- oder gesellschaftlichem Bezug differenzierten – Schutz überhaupt einbezogen zu werden.

160 Hesse, Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Partei, in: VVDStRL 17, 1959, 11 (33). So auch zitiert von BVerfGE 20, 56 (102). 161 Hesse, a. a. O., (52). 162 BVerfGE 121, 30 (54). Zum Vorstehenden insgesamt Streinz, a. a. O., Rn. 8; Kunig, Parteien, in: HStR III, 32005, § 40, Rn. 124 f.; vgl. auch Horn, Parteienstaat und Parteiendemokratie, in: Albertin et al.: Politische Parteien, 1981, 345 (345 ff.).

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Die Beantwortung dieser Frage in ihrer quantitativen Ausprägung wurde dabei im Prinzip schon weiter oben – im Zusammenhang mit der Fortentwicklung der rechtlichen Privilegierung aus dem parlamentarischen in den außerparlamentarischen Wirkungsbereich – vorgegeben und gestaltet sich eingängig: Der Schutz des Art. 21 GG bezieht sich auf alle Organisationselemente, also auf die Partei in ihrer parlamentarischen163, wahlbezogenen und außerparlamentarisch-gesellschaftlichen Ausprägung. Eine weitere Differenzierung verbietet sich einerseits vor dem Hintergrund der organisatorischen Integration und Verfestigung zu einer (Gesamt-) Partei, die zum anderen von Art. 21 GG auch einheitlich als Partei angesprochen wird. Eine Beschränkung auf einzelne Organisationselemente geht somit weder aus dem Verfassungstext hervor, noch entspräche sie dem Parteibild, das diesem zugrunde liegt. Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass eine Vereinigung, die Partei im Sinne des Art. 21 GG sein will, über alle Organisationselemente verfügen muss; jedoch wiederum mit der Einschränkung, dass das parlamentarische Element, konkret die Parlamentsfraktion, nicht bestehen, aber zumindest angestrebt werden muss. Eine Beschränkung auf das rein außerparlamentarische Organisationselement kann schon deshalb nicht genügen, weil dieses historisch keinem besonderen Schutz unterfiel. Ebenso kann das rein wahlbezogene Element für sich aber ebenso wenig ausreichend sein, da insofern schon der Verfassungsgesetzgeber den Unterschied zwischen einer reinen Wählergruppe und einer Partei erkannt hat.164 Daher bedarf es aller Organisationselemente, um Partei zu sein. In unmittelbarer Konsequenz lautet die Antwort auf den zweiten Teil der Frage aber ebenso eindeutig: ja, ein bestimmtes Niveau an Wahl- und Parlamentsbezug ist erforderlich. Da die Privilegierung des Art. 21 GG genau dort ihren historischen Ursprung hat, kann sie nicht davon losgelöst ihren Schutz entfalten. Zu Recht nennt § 2 Abs. 1 daher auch den Willen zur Mitwirkung an der Vertretung des Volkes im Bundes- oder Landesparlament als Element des Parteibegriffes, zu Recht hat das Bundesverfassungsgericht somit die Wahlteilnahme als das entscheidende Kriterium einer Partei hervorgehoben.165 Letztlich kann auch das zuvor erwähnte parlamentarische Organisationselement, das nicht vorhanden, wohl aber erstrebt 163

Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die Fraktionsbildung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf Art. 38 GG fußt, denn die Anerkennung der Parlamentsfraktion folgt auch aus der Anerkennung der Partei in Art. 21 GG; BVerfGE 84, 304 (324). Vgl. auch oben Kapitel IV. 3. c). Mit dem Parteiverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG verliert der Abgeordnete der Partei sein Mandat (§ 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BWahlG), womit sein Schicksal mit dem der Partei verknüpft ist und er folglich am Schutzgedanken des Art. 21 GG partizipiert. Zudem nennt § 2 Abs. 1 PartG mit der parlamentarischen Vertretung des Volkes die Repräsentativfunktion sogar ausdrücklich. 164 Vgl. Kapitel IV. 2. b), insbesondere die zwischen Wählergruppe und Partei differenzierende Formulierung des Art. 47 Abs. 1 und 2 HChE; auch Kapitel IV. 3. c), insbesondere die entsprechende Diskussion in der vierten Sitzung des Hauptausschusses. Vgl. weiterhin Bericht der Parteienrechtskommission, 21958, S. 136 f., wo der Unterschied zwischen Wählervereinigungen und Parteien betont wird; ebenso BVerfGE 4, 375 (383). 165 Vgl. Kapitel IV. 3. c); BVerfGE 91, 276 (285): Die Beteiligung an Wahlen ist „von Verfassungs wegen wesentliches und unverzichtbares Element des Parteibegriffs“.

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werden muss, sich nur durch ein ausreichendes Niveau an Wahl- und Parlamentsbezug nach außen manifestieren. Daraus folgt zugleich die Frage, woran sich dieses geforderte Niveau hinsichtlich des Wahl- und Parlamentsbezuges messen lassen soll, was also das hierfür entscheidende Kriterium sein mag. Ein unmittelbarer Parlamentsbezug in dem Sinne, dass eine Partei über Abgeordnete in den Parlamenten verfügt, kann schon vor dem Hintergrund des bundesrepublikanischen Wahlrechts – insbesondere der Sperrklausel – nicht gefordert werden.166 Die bloße, rein formale Wahlteilnahme als Minimalanforderung scheint aber gleichfalls unzureichend, um der historischen Wurzel der Parteienprivilegierung gerecht zu werden. Diese entspringt zwar auch dem Wahlmoment, kann aber ebenso auf einen parlamentarischen Ursprung zurückgeführt werden. Lässt sich der erforderliche Wahlbezug demnach mit der Wahlteilnahme nachweisen, ist damit dem Parlamentsbezug, der sich typischerweise im Wahlerfolg äußert, aber aufgrund des geltenden Wahlrechts so nicht gefordert werden kann, noch nicht genüge getan. Da indes beide Bezugspunkte berücksichtigt werden müssen, ist das zu wählende Kriterium richtigerweise zwischen Wahlteilnahme und Wahlerfolg anzusiedeln. Damit ist man bei der Aussicht auf Wahlerfolg als dem legitimen und wesentlichen Kriterium angelangt. Einer allzu genauen Bestimmung ist letztlich auch dieses Kriterium nicht zugänglich. Zu erwarten sind aber – so in jüngerer Rechtsprechung das Bundesverfassungsgericht – Ergebnisse, die sich nicht dauerhaft „prozentual im Bagatellbereich“ bewegen.167 Das parlamentarische Mitwirkungsbestreben einer politischen Vereinigung, die Partei sein will, muss jedenfalls dazu geeignet sein, einen bestimmbaren Widerhall in der Bevölkerung zu finden. Dazu müssen ihre Ergebnisse – zumindest auf lange Sicht – einen messbaren Wahlerfolg aufweisen.168 Da der Parlamentsbezug im Willen zur Mitwirkung an der parlamentarischen Vertretung Eingang in den Parteibegriff gefunden hat, die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung sich zugleich aber auch im Umfang und in der Festigkeit der Organisation äußern muss, wirkt das Kriterium der Aussicht auf Wahlerfolg zurück auf das oben angesprochene Erfordernis, über alle Organisationselemente einer Partei zu verfügen. Dies bedeutet zum einen, dass die Partei eine genügende vereinsmäßige Struktur besitzt, um im außerparlamentarisch-gesellschaftlichen Bereich agieren zu können. Sie muss weiterhin in der Lage sein, ihre wahlbezogene Rolle – also die Vorbereitung und Durchführung des Wahlkampfes – wahrnehmen zu können. Um beiden Aufgaben gerecht zu werden, ist ein gewisser Bestand an Mitgliedern unentbehrlich. Da das parlamentarische Element nicht bestehen, aber angestrebt werden muss, ist letztlich zu fordern, dass die Partei im Falle des Wahlerfolges zur Mitwirkung in den Parlamenten befähigt ist, sich ihre Abgeordneten dort als parlamentarische 166 167 168

Hierzu Kapitel IV. 4. c). BVerfGE 91, 276 (290). Hierzu mehr in Kapitel IV. 4. c).

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IV. Systematischer Abgleich: Partei und Verein im Grundgesetz

Erscheinungsform der Partei in einer Fraktion zusammenfinden und diese über den Wahlakt hinaus in die Gesamtpartei integriert sind.169 Ein gewisser Vorfeldschutz für neue, sich noch im Werden befindliche Parteien, die noch nicht alle Organisationselemente ausgebaut haben, geht insofern aus Art. 21 GG nicht hervor, kann aber unter Rückgriff auf Art. 20 GG angenommen werden, um die „Offenheit des demokratischen Prozesses“ zu sichern.170 Wären auch solche, (noch) nicht vollständig zu Parteien ausgebildete politische Vereinigungen bereits dem weitreichenden Schutz des Art. 21 GG unterworfen, müsste die besondere verfassungsrechtliche Stellung politischer Parteien arbiträr anmuten: Letztlich wären nämlich dann Organisationsformen aufgrund ihrer vermeintlichen Bedeutung für den Staat und das Gemeinwesen geschützt, ohne dass diese strukturell in der Lage wären, dieser Bedeutung nachzukommen. Richtigerweise vollzieht sich daher der Schutz der werdenden Partei – neben dem vereinsrechtlichen Schutz – im Rahmen der durch das Grundgesetz garantierten Offenheit des demokratischen Prozesses. Das Parteienbild des Grundgesetzes, das in seiner historisch tradierten Ausprägung die Verflechtung von parlamentarischer und außerparlamentarischer Parteiorganisation zu einem einheitlichen Ganzen beinhaltet, wodurch sich zugleich die parlamentsbezogene Privilegierung auf die Gesamtpartei erstreckt, wäre vollständig verwaschen, wenn der Parlamentsbezug gänzlich abhanden käme.171 Um diesem Parteienbild gerecht zu werden, ist die Aussicht auf Wahlerfolg das nächstliegende und zugleich nicht allzu hohe Anforderungen stellende Kriterium. Die erforderliche Offenheit des demokratischen Prozesses kann demgegenüber nicht erfordern, die Privilegierung des Art. 21 GG auf jede politisch tätige Vereinigung zu erstrecken, selbst wenn sie sich an Wahlen beteiligt. Die moderne politische Partei hat zwei gleichberechtigte historische Wurzeln, eine außerparlamentarische und eine parlamentarische. Dort, wo die letztgenannte aber nicht mehr genügend Berücksichtigung findet, ist das überkommene Parteiverständnis verlassen und der eigentliche Schutzzweck ad absurdum geführt, die Privilegierung der Parteien letztendlich in ihrem verfassungsrechtlichen Anspruch selbst ausgehöhlt.

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Im Grundsatz wohl ähnlich Seifert, Die politischen Parteien, 1975, S. 164. So jedenfalls BVerfGE 91, 276 (286). 171 So schon Röder, Parteien und Parteienstaat, 1930, S. 10: „Der Begriff der politischen Partei muß im parlamentarischen Staat auf das Merkmal parlamentarischer Wirksamkeit beschränkt werden […].“ Dabei soll aber ebenfalls ein Vorfeldschutz bestehen: „Erst am Anfang ihrer Entwicklung stehende Personengruppen, die infolge ihrer geringen Anhängerzahl noch nicht in das Parlament gelangen können, sind begrifflich hier einer bereits parlamentarisch wirksamen Partei gleichzusetzen.“ 170

4. Versuch einer näheren Bestimmung des Parteibegriffes

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c) Bedeutung des Wahlrechts Es ist weiter oben bereits zur Sprache gekommen, dass auch das Parteiensystem der Bundesrepublik einem Wandel unterzogen ist.172 Einer der wesentlichen Faktoren, die auf die Entwicklung eines Parteiensystems und das Wesen der in ihm agierenden Parteien einwirken, ist das Wahlrecht, insbesondere die Ausgestaltung nach Mehrheits- oder Verhältniswahl.173 Wenn nun die Aussicht auf Wahlerfolg als legitimes und zugleich wesentliches Kriterium für die Bestimmung des Parteibegriffes in dieser Arbeit hervorgehoben worden ist, kommt sie nicht umhin, auf das Wahlrecht in seiner bundesrepublikanischen Ausprägung einen abschließenden Blick zu werfen. Im Fokus steht dabei die Sperrklausel („5-Prozent-Hürde“) des deutschen Wahlrechts, die in § 6 Abs. 3 BWahlG niedergelegt ist. Für die Bestimmung des Wahlerfolges einer Partei in dem Sinne, mit Abgeordneten in ein Parlament einzuziehen, hat diese Vorschrift außerordentliche Bedeutung. Nur wem es gelingt, diese „Hürde“ zu nehmen, hat die Möglichkeit, als Partei auch in parlamentarischer Erscheinungsform aufzutreten und ein parlamentarisches Organisationselement auszubilden. Die Zahl dieser Parteien in Deutschland ist begrenzt: nur wenige Parteien verfügen tatsächlich über eine parlamentarische Organisation, während eine weitaus größere Anzahl lediglich ein außerparlamentarisch-gesellschaftliches und ein wahlbezogenes Organisationselement aufweisen. Das Vorhandensein eines parlamentarischen Organisationselements wurde zuvor als Kriterium für den Parteibegriff abgelehnt174 ; es soll für den notwendigen Parlamentsbezug einer Partei genügen, wenn dieser in ihrer Aussicht auf Wahlerfolg zum Ausdruck kommt. Der Grund für die Ablehnung dieses Kriteriums beruht wiederum auf der Sperrklausel als wesentlichem Element des bundesdeutschen Wahlrechts, das jedoch keineswegs dazu geeignet ist, für die Zuordnung einer politischen Organisation unter den Parteibegriff angewendet zu werden. Der Parteibegriff des Grundgesetzes gibt einer so weitgehenden Einschränkung nirgendwo Ausdruck; sie kann auch nicht aus dem historischen Parteienbild abgeleitet werden, weil die Sperrklausel selbst ein Novum in der deutschen Parteiengeschichte darstellt. Hätte der grundgesetzliche Parteibegriff unter Beachtung der Sperrklausel bestimmt werden sollen, so hätte dies unmittelbar im Verfassungstext seinen Ausdruck finden müssen. Die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes hat gezeigt, dass tatsächlich ein verfassungsrechtlicher Vorbehalt einer Sperrklausel im Parteienartikel selbst angedacht war.175 Im Parlamentarischen Rat war man aber davon schnell abge172

Kapitel IV. 4. a). Zur historischen Bedeutung des Wahlrechts für das Parteiwesen Fenske, Wahlrecht und Parteiensystem, 1972. 174 Kapitel IV. 4. b). 175 Vgl. alleine Art. 47 Abs. 5 HChE. Die ursprüngliche Aufnahme in den Verfassungsentwurf rührt wohl daher, dass in Weimarer Zeit ähnliche Regelungen in Wahlgesetzen für 173

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IV. Systematischer Abgleich: Partei und Verein im Grundgesetz

kommen und hat letztlich eine Sperrklausel im Verfassungstext überhaupt nicht erwähnt. Selbst das Wahlgesetz, wie es durch den Parlamentarischen Rat verabschiedet wurde, sah eine Sperrklausel nicht vor. Diese fand erst wieder in das von den Ministerpräsidenten am 15. Juni 1949 verkündete Wahlgesetz Eingang.176 Freilich prägt die Sperrklausel in ihrer einfachgesetzlichen Ausprägung das bundesdeutsche Parteiensystem und insbesondere dessen Widerhall in den Parlamenten. Da sie aber in Art. 21 GG weder ausdrücklich enthaltenen ist, noch diesem – aus der Entstehungsgeschichte – als prägendes Element beigemessen werden kann, ist die Sperrklausel nicht als Maßstab für den verfassungsrechtlichen Parteibegriff heranzuziehen. Eine andere Bewertung kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt erfolgen, dass die Sperrklausel selbst Ausdruck historischer Erfahrungen ist, dass sie auch – wie das Bundesverfassungsgericht selbst ausgeführt hat – in Reaktion auf die Parteienzersplitterung in der Weimarer Republik zu verstehen ist.177 Dieser „Gefahr einer übermäßigen Parteienzersplitterung“ wird aber nicht auf der Ebene des Verfassungsrechts begegnet, auch die „Splitterpartei“ kann und soll Partei im Sinne des Grundgesetzes sein, soweit sie die erforderlichen Parteimerkmale aufweist.178 Begegnet wird alleine einer Parteienzersplitterung im Parlament, um so die Arbeitsfähigkeit desselben und zugleich eine funktionsfähige Regierung zu sichern.179 Erst hier – auf der einfachgesetzlichen Ebene des Wahlrechts – setzt diese Sicherungsfunktion ein, nicht schon auf der Ebene des Verfassungsrechts bei der Frage, wer Partei im Sinne des Art. 21 GG ist.180 Die Sperrklausel hat somit zwar durchaus einen mittelbaren Bezug zum Parteibegriff insofern, als sie darüber entscheidet, welche Partei in der Lage ist, auch eine parlamentarische Organisation aufzubauen. Für das hier hervorgehobene ungültig erklärt wurden; vgl. Sechster Sitzungstag, 22. August 1948, in: Parlamentarischer Rat II, Nr. 12 (S. 387 f.). 176 Feldkamp, Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949, 1998, S. 89 und 93. Siehe hierzu die Synopse zwischen dem Wahlgesetzentwurf des Wahlrechtsausschusses (5. Mai 1949) und dem Wahlgesetz zum ersten Bundestag (15. Juni 1949), dort § 10 Abs. 4 des Wahlgesetzes, in: Parlamentarischer Rat VI, Nr. 29 (S. 812). Vgl. insgesamt auch die Diskussion in der „Achtundvierzigsten Sitzung des Hauptausschusses“, 9. Februar 1949, in: Parlamentarischer Rat XIV.2, Nr. 48 (S. 1525 ff.). 177 BVerfGE 34, 81 (99). 178 Es soll aber an dieser Stelle noch einmal erwähnt sein, dass sich die Diskussionen im Parlamentarischen Rat auch um eine Verhinderung der Parteienzersplitterung drehten; vgl. Kapitel IV. 2. c). So auch BT-Drucksache 3/1509, S. 11: „Aus der Entstehungsgeschichte des Artikels 21 ist zu entnehmen, daß es dem Gesetzgeber vor allem auch um die Entwicklung eines gesunden, vor Zersplitterung bewahrten Parteiwesens ging, das die Grundlage für ein arbeitsfähiges Parlament abgeben kann.“ 179 BVerfGE 24, 289 (341). 180 So auch Bericht der Parteienrechtskommission, 21958, S. 138. Ebenso Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum GG II, Art. 21, Rn. 57: „[…] es genügt, Aspekte der Sicherung einer stabilen Regierung nicht im Vorfeld, sondern im Wahlrecht selbst zu verfolgen.“

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Kriterium des Parteibegriffes „Aussicht auf Wahlerfolg“ kann sie als einfachgesetzliche und nachkonstitutionelle Erscheinung nicht als Bewertungsmaßstab in Frage kommen. Dieser Maßstab muss ohne Berücksichtigung der Sperrklausel – gewissermaßen unter gedanklicher Streichung des § 6 Abs. 3 BWahlG – gebildet werden.

V. Rückblick und Ausblick Diese Arbeit hat den Versuch unternommen, sich dem Parteibegriff des Art. 21 GG in historischer Betrachtungsweise anzunähern. Zugrunde lag ihr dabei der Gedanke, dass das Parteienbild des Grundgesetzes selbst ein traditionelles, also ein historisch tradiertes ist. Die Untersuchung nahm ihren Anfang im frühen 19. Jahrhundert und zeichnete sodann die Entwicklung über die einzelnen Epochen der deutschen Geschichte nach. Im Vordergrund stand dabei zum einen die Geschichte der politischen Organisation in Deutschland, zum anderen deren rechtliche Behandlung im einzelund nationalstaatlichen Kontext. Da die Normierungsgeschichte der Parteien über eine lange Zeit im öffentlichen Vereinsrecht lag und sich die Parteien zumindest auch aus dem assoziativen Vereinswesen heraus entwickelten, bedurfte die historische Betrachtung einer steten Gegenüberstellung von Verein und Partei. So erfolgte die Annäherung an den Parteibegriff des Grundgesetzes letztlich mit einer historischsystematischen Perspektive. Die Partei moderner Prägung – so hat diese Arbeit festgestellt – verfügt über eine parlamentarische wie eine außerparlamentarische Wurzel, die sich einerseits im politischen Vereinswesen, anderseits in den fraktionellen Zusammenkünften der Parlamente findet. Sie entstand schließlich durch eine Inkorporation des politischen Vereinswesens in die Gesamtpartei, deren Charakter sich folglich zunehmend vereinsmäßiger ausgestaltete. In rechtlicher Hinsicht rührt die Privilegierung der Partei aus ihrem Bezug zum Parlament. Einen besonderen Schutz fand sie nur dort, wo sie im Parlament selbst oder als außerparlamentarische Organisation im Zusammenhang mit Wahlen zumindest mittelbar parlamentsbezogen auftrat. Ihre gesellschaftlichpolitische Wirkungsebene war von solchen Privilegierungen nicht erfasst. Mit der verfassungsrechtlichen Positivierung der Parteien in Art. 21 GG ist dieses in sich differenzierte, nach einzelnen Organisationselementen abgestufte Schutzniveau nicht mehr deutlich zu erkennen. Weder geht es aus dem Verfassungstext selbst hervor, noch tritt es in der nunmehr zur Gesamtpartei zusammengewachsenen Organisation deutlich zu Tage. Dennoch liegt es dem Art. 21 GG im überkommenen Parteienbild zugrunde. Da das Grundgesetz die Partei als solche anspricht, kann sich sein Schutz indes nicht auf nur einzelne Organisationselemente, also die parlamentsbezogenen, begrenzen, sondern erfasst die Partei als Gesamtorganisation und somit auch ihr außerparlamentarisch-gesellschaftliches Element. Da sich jedoch die Privilegierung des Art. 21 GG in historischer Hinsicht parlamentsbezogen erklärt, muss von einer politischen Vereinigung, die Partei sein will, erwartet werden, dass sie diesem Bezug gerecht wird. Die bloße, formale Teilnahme an Wahlen kann hierfür nicht genügen. Ihr Wille zur parlamentarischen Mitwirkung muss in der Aussicht auf

V. Rückblick und Ausblick

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Wahlerfolg zum Ausdruck kommen, wofür sie aber wiederum auch über die notwendigen organisatorischen Voraussetzungen verfügen muss. Wo dies nicht gegeben ist, handelt es sich nicht um eine Partei, sondern um eine politische Vereinigung. Das Hervorheben des Parlamentsbezuges im Zusammenhang mit der Parteienprivilegierung mag darüber hinaus Anlass geben, verschiedene Aspekte im rechtlichen Verhältnis von Partei und Verein, die eingangs bereits angesprochen wurden, in dieser Hinsicht zu würdigen. Da ist zum einen die Frage nach dem Grundrechtscharakter des Parteienartikels. Wenn die Schutzfunktion des Art. 21 GG eine parlamentsbezogene, im parlamentarische Staat mithin eine staatsbezogene ist, bleibt zu hinterfragen, ob ein solcher Schutz die klassische Funktion eines Grundrechtes als Abwehrrecht der bürgerlichen Freiheit gegenüber dem Staat überhaupt einzunehmen vermag. Ginge man von dieser Annahme aus, so wäre man dazu angehalten, das Verhältnis der Partei- zur Vereinsfreiheit dementsprechend zu bewerten. Die durch das Bundesverfassungsgericht angenommene Spezialität oder Sonderstellung dürfte sich über die Verbotstatbestände hinaus dann auf die Gründungs- und Betätigungsfreiheit allenfalls erstrecken, soweit diese auf der parlamentsbezogenen Wirkungsebene stattfindet. Die außerparlamentarisch-gesellschaftliche Tätigkeit der Partei, wohl auch ihre Gründung, würde sich somit jedenfalls im Rahmen der Vereinigungsfreiheit verwirklichen. In Abhängigkeit davon, welche Antwort man auf diese Fragen findet, ließe sich schließlich überlegen, welche rechtsstaatlichen Möglichkeiten jenseits des Verbots zur Bekämpfung verfassungsfeindlicher Parteien zur Verfügung stehen und ob sich der Verfassungsschutz vielleicht nicht schon jetzt tatsächlich mittels solcher Maßnahmen realisiert.1 Für die heutige Rechtsanwendung stellt sich insgesamt die Frage nach der Bedeutung des Art. 21 GG. Dies gilt insbesondere, als die einfachgesetzliche Ausprägung der „Parteien“ bzw. die auf diese Ebene eingeräumten Befugnisse gerade nicht zwangsläufig eine Kongruenz mit dem Parteibegriff des Grundgesetzes aufweisen (müssen). Die Ansprüche auf die Finanzierung aus staatlichen Mitteln nach § 18 ff. PartG oder auf Sendezeit (Wahlwerbung) nach dem Rundfunkstaatsvertrag setzen ebenso wenig eine positive Zuordnung unter den Parteibegriff des Art. 21 GG voraus wie die (jedenfalls mittelbare) Beteiligung in Rundfunkräten2. Dennoch sind diese Rechtspositionen zweifelsohne Ausdruck einer wahl- oder parlamentsbezogenen Funktion politischer Organisationen. Somit spiegelt sich auch im einfachgesetzlichen Regelungsbereich wider, dass die „Partei“ gerade nicht auf eine außerparlamentarische Organisation reduziert wird. Auch das zweite NPD-Verfahren zeigt auf, dass die Anforderungen an eine „verfassungsfeindliche Partei“ im Sinne des Grundgesetzes eher hoch anzusiedeln

1

Hierzu schon Maurer, Das Verbot politischer Parteien, in: AöR 96, 1971, 203 (222 ff.); ausführlich und grundlegend Redmann, Möglichkeit und Grenzen der Beschränkung der Parteifreiheit, 2012. 2 Vgl. Art. 6 Abs. 3 Nr. 1 Bayerisches Rundfunkgesetz.

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V. Rückblick und Ausblick

sind.3 Zwar stand in dieser Entscheidung weniger die Parteieigenschaft der NPD als solche noch die Verfassungswidrigkeit ihrer Ziele und ihres Handelns in Frage. Kernpunkt der Entscheidung war vielmehr die Feststellung des Gerichtes, dass es bei der NPD an Anhaltspunkten von Gewicht fehle, „die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt“.4 Das Urteil betrifft folglich nicht die Frage der Zuordnung zum Schutzbereich des Art. 21 Abs. 1 GG, sondern das Vorliegen der Verbotsvoraussetzungen nach Art. 21 Abs. 2 GG. Bemerkenswert ist dabei, dass nach Auffassung des Gerichtes die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Zielsetzung und des Verhaltens an sich nicht für ein Verbot genügen, sondern es eben auch auf die Anzahl und Qualität der verfassungsfeindlichen Sachverhalte ankommt.5 Wenn nun aber der Verbotstatbestand des Abs. 2 recht hohe quantitative wie qualitative Voraussetzungen an die Tätigkeit einer Partei stellt, lassen sich hieraus auch Rückschlüsse auf des Verständnis des Parteibegriffes des Abs. 1 ziehen. Die quantitativen und qualitativen Anforderungen daran, Partei im Sinne des Grundgesetzes zu sein, sind auch hier nicht zu niedrig anzusetzen. Wie weit eine genaue Bestimmung des grundgesetzlichen Parteibegriffes zukünftig für solche Fragen (wieder) an Bedeutung gewinnen wird, lässt sich derzeit kaum absehen. Zweifelsohne ist das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland in jüngerer Zeit einem stärkeren Wandel oder jedenfalls eine höheren Fluktuation unterworfen. So ist es in den vergangenen Jahren gleich mehreren neuen Parteien gelungen, Einzug in die Landesparlamente zu halten. Zu nennen sind hier die Alternative für Deutschland (AfD), die Piratenpartei oder die Partei Rechtsstaatlicher Offensive. Zwar konnte sich bislang keine dieser neuen Parteien dauerhaft in den Parlamenten etablieren, dennoch zeigt sich, dass die Sperrklausel keinesfalls dazu führt, dass neuen Parteien der Zugang zu den Parlamenten versagt bliebe. Trotz einer sich verändernden Parteienlandschaft bleibt das Schicksal des rechtsstaatlichen Instrumentes des Parteienverbotes im Unklaren. Das Bundesverfassungsgericht selbst hat es als die „schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Rechtsstaats“ bezeichnet.6 Darin mag sich wohl auch ein gewisses Unbehagen des etablierten demokratischen Verfassungsstaates im Umgang mit seinen potenziellen Feinden äußern. Dies spricht wiederum für ein hohes verfassungsrechtliches Schutzniveau, das aber zugleich nicht dazu führen darf, solch besonderen Schutz jeder Form politischer Organisation zukommen zu lassen. So bleibt die Kernaussage dieser Untersuchung, dass die Aussicht auf Wahlerfolg ein legitimes und zugleich das wesentliche Kriterium für die Bestimmung einer Partei im Sinne des Grundgesetzes ist. Damit will sich diese Arbeit bescheiden.

3 4 5 6

Urteil des Zweiten Senats Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13. Ebd., Ls. 9 c). Ebd., Rn. 1007. Ebd., Ls. 1.

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Sachwortverzeichnis Abgeordnete(r) 15, 55, 61 f., 68, 69 f., 72 ff., 78 ff., 81, 82, 91, 95, 98 ff., 103, 107, 110 ff., 115 f., 118, 127 ff., 139, 145, 148, 162, 170, 174, 177, 179 Affiliationsverbot (Verbindungsverbot) 85 ff., 89, 91 f., 94, 108, 145 Allgemeines Preußisches Landrecht 47 f. Arbeiterbewegung 80, 83, 101 f., 120 Assoziation 43, 47 f., 52 f., 56, 62, 79 Bestandsgarantie 21, 48 Betätigungsfreiheit 48, 71, 183 Bezirksverband 114. 117 f., 139 Bismarcksche Reichsverfassung 103 ff., 107, 111. 146 Bundesverfassungsgericht 17 ff., 22 f., 25, 31 f., 36 ff., 89, 153, 156, 161 f., 164 ff., 171, 174, 176 f., 180, 183 f. Corpora

42, 117, 120

Deutscher Bund 28, 54, 58, 90, 144 Diäten 111, 134 Entscheidungsmonopol 18, 21 Ernsthaftigkeit (der Zielsetzung)/Ernstlichkeitsklausel 23 f., 37 f., 81, 163 f., 168 f., 177 Fraktion(en) 28, 36, 38, 40, 56, 72 ff., 78 ff., 82 f., 91, 93 ff., 97 ff., 107, 110, 112 f., 115 ff., 127, 129 ff., 136, 138 f., 141, 142, 144 ff., 148 ff., 169 ff., 176 f. Fraktionszwang/Fraktionsdisziplin 73, 98, 112 Frankfurter Reichsverfassung 70 f., 85 Freiheitlich-demokratische Grundordnung 17, 21, 156

Geheimgesellschaften 48 ff., 64 Genehmigungsvorbehalt 48, 57 ff., 84 ff., 91 Gesamtbild (der tatsächlichen Verhältnisse) 23 f., 37, 164, 166 Geschäftsordnung 28, 42, 74, 98, 127, 142, 146, 148 Gesetzesvorbehalt 84 ff. Grundrechte 16 f., 20, 48, 64, 69 ff., 104, 124, 126, 128, 183 Gründungsfreiheit 48, 84, 154, 157 f. Honoratiorenpartei 35, 52, 68, 72 ff., 97, 111 f., 116, 119, 132, 136, 138, 140, 146 f., 152, 163 Kampfcharakter/Kampfverband 39, 51 Karlsbader Beschlüsse 57 Katholizismus (politischer) 63, 66, 75 f., 80, 82 f., 95, 101 f., 119, 133, 136 f. Konservatismus 44, 46, 61, 63, 65 f., 72, 75 ff., 80, 83, 94 ff., 100 f., 103, 118 f., 133, 135 f., 151 Konstitutionalismus 39, 45, 54 ff., 58, 66, 75, ff., 82 f., 103 f., 123, 147, 173 Konvent von Herrenchiemsee 30, 152 ff., 160 Korporation 43, 47 Kreisverband 136, 138 f. Landesverband 115 ff. Legaldefinition 23, 36, 42, 161, 163 f., 170 f. Legalitätsprinzip 22 lex specialis/Spezialgesetzlichkeit 19 f., 183 Liberalismus 44 ff., 51, 55, 57, 61 ff., 72, 75 ff., 83, 94 ff., 98 ff., 102, 113 ff., 120 f., 133, 137 ff., 146, 151

198

Sachwortverzeichnis

Mandat (freies bzw. unabhängiges) 73, 94, 111, 122, 127 Mandat (imperatives) 100, 127 Massenintegrationspartei 35, 132 Massenorganisation 85, 101, 117, 119 ff., 122, 132, 148 Massenpartei/Mitgliederpartei 112, 122, 132, 134, 136, 138 f., 140, 146 f., 151 f. Maßregeln-Gesetz (Deutscher Bund) 28, 58 Meinungsströmung 63, 68. 143, 149 Mitgliederzahl 23, 37, 51 f., 61, 72, 75 ff., 79, 95 f., 99 f., 114 f., 117, 119, 132, 134, 136, 138 ff., 146, 151, 163 f., 166 f. Mitgliedsbeiträge 79, 121, 134 f., 138, 140, 144, 147 Mittlerrolle der Parteien 16, 167, 174 Mitwirkungfunktion 37, 93, 130 f., 156, 158, 164, 167 f., 170, 173, 175 ff., 182 Nationalverein 95 ff., 99 Nationalversammlung 67 ff., 72 ff., 77 f., 80 ff., 95 f. Norddeutscher Bund 83, 92, 94, 99, 100 f., 103 Opposition 56, 61, 80, 95, 135, 154, 164, 168 Organisationsbegriff (eng/weit) 38 Organisationsformen 15, 29, 37, 49, 76 f., 79, 88, 93, 152, 178 Organisationsförmigkeit 40, 42, 51, 53, 97, 102, 118 Organisationsgrad 114, 120, 146, 166 Organisationsstruktur 36 f., 40, 52, 74, 113 f., 117, 134, 136 f., 140, 143 f., 147, 155, 163, 166, 171, 177 Orstgruppe/Ortsverein 74 f., 79, 99 ff., 108, 114, 117 f., 134, 136, 138 f., 140 Parlamentarischer Rat 29, 150, 153, 158 ff., 179 Parteiapparat/Funktionärsapparat 40, 113, 132 ff., 140, 147 Parteibegriff 23 f., 36, 38 f., 41, 96, 143, 149 f., 159 f., 161 ff., 170 ff., 182 ff. Parteienbild 25, 140, 143, 149 f., 156, 160 f., 166, 170 ff., 175 f., 178 f. Parteiendemokratie 25, 123

Parteienfinanzierung 35, 79, 96, 111, 134, 138, 140, 144, 183 Parteienforschung 34 f., 63 Parteienprivileg 18 f., 21, 92 ff., 109 f., 145, 149 f., 155, 157 ff., 163, 172 f., 175 ff., 182 f. Parteienstaat 27, 34, 104, 122 ff., 126 f., 148, 174 Parteitag 101, 113 ff., 135 ff., 146 Parteivorstand 52, 75, 79, 96, 99 ff., 106, 109, 112, 115 ff., 120, 136, 138 f., 144, 153, 165 f. Präventivmaßnahme/Präventivkontrolle/Präventivsystem 59, 69, 84 ff., 90 f., 105, 125, 128 Pressefreiheit 45, 49, 57, 64, 67 Programm(atik) 37 ff., 63 ff., 83, 98, 100 ff., 114 f., 135, 137, 139, 145, 154, 162, 166 Provinzialverband 79, 114, 116, 118 f., 136, 146 Radikalismus 44, 46 f., 51, 63 ff., 69, 72, 75, 77 f., 80, 95 Rechtsfortbildung 31 f. Reformverein 96 f. Regierung 16, 21 f., 49, 52, 55 f., 59, 66 f., 74, 90, 107, 113, 122, 127, 152 ff., 164, 168, 174, 180 Reichsvereinsgesetz 28, 108 ff., 124 ff. Satzung 37, 47, 59, 79, 84, 109, 118, 125, 138 f., 164 ff. Schutzbereich 70, 86 ff., 184 Sozialistengesetz 28, 105 f., 107 f., 117, 120, 146 Sperrklausel 140, 157 ff., 160, 179 ff., 184 Sperrwirkung 18 f. Sprachgebrauch 15, 30, 33 Statut 83, 85, 114 ff., 121, 139 Strukturelement 36 f., 163 Verbotsantrag 21 f., 153 f., 156 Verbotsbehörde 18, 22, 85 ff., 89 f., 106 f., 109, 128, 131 Verbotstatbestand 19, 88, 105, 109, 183 f. Verbotsverfahren 19, 21 f. Verbotsverfügung 19, 22

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Vereinsgesetz 22, 28, 70, 86 ff., 101, 107 f., 124 ff., 131 Verfassungsbegriff 23, 27, 30, 41, 172 Verfassungsschutz/Staatsschutz 17, 21 f., 105, 109, 125, 183 Verfassungswidrigkeit 17 f., 21 f., 38, 153, 155 f., 158, 160, 184 Vertrauensmänner 101, 117, 138 Volkssouveränität 46, 64

Weimarer Reichsverfassung 29, 122, 124 ff., 128, 131 Willensbildung/Willensbildungsprozess 15 f., 23, 37 f., 52 f., 60, 81 f., 120, 123, 130, 139, 144, 146, 155 f., 158, 162 ff., 166 ff., 173 ff. Wortlaut 18, 20, 30, 32 f. 54, 69 f., 84 ff., 107, 126, 129, 158

Wahlkomitee 62, 67, 83, 98 f. Wahlkreisverband 117, 139 Wahlrecht 35, 42, 55, 64, 67, 92 ff., 96, 104, 107, 110 f., 117, 129 f., 140, 142, 148 f., 155 ff., 160, 177, 178 ff. Wahlverein 62, 91 ff., 99, 109 f., 115, 118, 145, 157 f., 163, 173

Zentralausschuss 78 f., 115 Zentralverein 76, 80 Zielelement 36 f., 163 Zweck/Zweckoffenheit 28, 43, 47 ff., 50 ff., 57 ff., 60 f., 70, 84 ff., 105 f., 109, 124, 126, 144, 160, 167 Zweigverein 52, 61, 76, 79 f., 95