Gemeinwohlauftrag und föderatives Zustimmungserfordernis - eine Antinomie der Verfassung?: Dogmatische Untersuchung zum Scheitern eines Gesetzesbeschlusses im Bundesrat nach Artikel 78 des Grundgesetzes [1 ed.] 9783428514625, 9783428114627

Die Zustimmungsverweigerung des Bundesrates beläßt den Staat untätig. Diese Untätigkeit erweist das Zustimmungserfordern

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Gemeinwohlauftrag und föderatives Zustimmungserfordernis - eine Antinomie der Verfassung?: Dogmatische Untersuchung zum Scheitern eines Gesetzesbeschlusses im Bundesrat nach Artikel 78 des Grundgesetzes [1 ed.]
 9783428514625, 9783428114627

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 962

Gemeinwohlauftrag und föderatives Zustimmungserfordernis – eine Antinomie der Verfassung? Dogmatische Untersuchung zum Scheitern eines Gesetzesbeschlusses im Bundesrat nach Artikel 78 des Grundgesetzes

Von

Stephan Meyer

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

STEPHAN MEYER

Gemeinwohlauftrag und föderatives Zustimmungserfordernis – eine Antinomie der Verfassung?

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 962

Gemeinwohlauftrag und föderatives Zustimmungserfordernis – eine Antinomie der Verfassung? Dogmatische Untersuchung zum Scheitern eines Gesetzesbeschlusses im Bundesrat nach Artikel 78 des Grundgesetzes

Von

Stephan Meyer

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Diese Arbeit wurde am Lehrstuhl für Öffentliches Recht der Fakultät für Sozialwissenschaften an der Universität der Bundeswehr München erstellt und im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-11462-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde betreut von meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Rupert Stettner, Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität der Bundeswehr München. Ihm gilt zuvörderst mein herzlicher Dank für die stete Begleitung und Unterstützung des Promotionsvorhabens. Seine beständige Bereitschaft, sich der Zwischenergebnisse kritisch anzunehmen, haben das Gelingen maßgeblich gefördert. Ich danke meinem Zweiten Berichterstatter, Herrn Richter am Bundesverwaltungsgericht Professor Dr. Ulrich Widmaier für die zügige Erstellung seines Gutachtens und für die mit einem vom Gerichtssitz weit entfernt stattfindenden Rigorosum verbundene zusätzliche Mühe. Mein weiterer Dank gilt der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer für die freundlich erteilte Genehmigung zur Nutzung ihrer umfassenden Bibliothek. Diese Nutzungsmöglichkeit hat die Arbeit während der Aufenthalte in meiner Heimatstadt Speyer stets wesentlich vorangebracht. Ich danke dem Deutschen Bundesrat für die freundliche Förderung der Arbeit mittels der Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Selbstverständlich danke ich besonders meinen Eltern und meiner Großmutter für die unerschöpfliche Unterstützung und Rücksichtnahme während der Anfertigung der Dissertation. Speyer, im Dezember 2003

Stephan Meyer

Inhaltsverzeichnis Fragestellung und Untersuchungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Kapitel Gemeinwohl und Staatshandeln I. Gemeinwohl – Begriff der Staatstheorie und des Staatsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Irrelevanz der Staatszwecklehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungsimmanente Staatszwecke? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Extrapositive Staatszwecke? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gemeinwohl als Verfassungsrechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bestimmung eines grundgesetzlichen Gemeinwohlbegriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gewinnung eines Vorverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gemeinwohlrelevante Verfassungsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Subjektiv-abwehrrechtliche Komponente der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Gemeinwohlbezug der objektiv-rechtlichen Komponente . . . . . . . . . . . (3) Schutzpflichten als objektiv-rechtlicher Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Textexegese der Grundrechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Staatliche Gewährleistungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Verfassungstext und Begriff der „objektiven Wertordnung“ . . . . . . . . . (d) Dogmatische Fundierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Konsequenz für die Grundrechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (f) Ablehnung der abwehrrechtlichen Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Staatszielbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Formale Dimension von Staatszielbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Materiale Dimension von Staatszielbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Normative Kraft von Staatszielbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Die wesentlichen Staatszielbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht (Art. 109 Abs. 2 GG) . . . . . (c) Das vereinte Europa (Art. 23 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Wahrung des Friedens (Art. 24 Abs. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Umweltschutz (Art. 20 a GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Staatsfundamentalnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Volkssouveränität und demokratisches Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16 16 16 17 18 19 20 20 20 22 24 24 24 25 29 31 35 37 38 42 43 47 47 47 48 49 51 51 52 52 53 54 54 55 56

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Inhaltsverzeichnis

d) Kompetenznormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verfassungsaufträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Gemeinwohlvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prozedurales und kompetentielles Gemeinwohlverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Normative Schließung des verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriffes . . . . . . . . a) Exkurs: Artenschutz als Gemeinwohlbelang? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verhältnis von Artenschutz und natürlichen Lebensgrundlagen . . . . . . . . . . (2) Judikatur zum Artenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Handlungsfreiheit und Gemeinwohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Normativer Gehalt von Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Würdigung der Dürigschen „Gemeinwohlklausel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Fragen der objektiven Reichweite des Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Grundrechtseingriff durch jede staatliche Betätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Anforderungen an die Qualität der staatlichen Maßnahme . . . . . . . . . . . (b) Unvermeidbarkeit der Grundrechtsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Verhältnismäßigkeit des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Bezugsgröße der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Erfordernis eines objektiven Beurteilungsmaßstabes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausschluß verfassungstranszendenter Gemeinwohlbelange . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zur normativen Schließung des Gemeinwohlbegriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zu Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeine Eingriffsabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der passive Gemeinwohlvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konsequenz für die Schrankendogmatik des Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Judikatur des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) „Relative Gemeinschaftsinteressen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Interpretation verfassungsimmanenter Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Folge für das prozedurale Gemeinwohlverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der aktive Gemeinwohlvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Staatsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkretisierungspflicht des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Veranlassungsarten staatlichen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Normativität der Veranlassungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Pflicht zur gesetzgeberischen Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Staatshandeln bei sicherer Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Staatshandeln bei unmöglicher Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Verhältnismäßigkeit des Staatshandelns bei unmöglicher Prognose . (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Staatliche Omnikompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zulässige Regelungsgegenstände staatlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bezugsgröße der Omnikompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Gültigkeit des Omnikompetenztheorems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bestätigung des umfassenden Gemeinwohlvorbehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57 58 59 59 60 61 62 62 63 64 67 67 70 71 72 72 73 75 75 76 77 77 78 78 79 83 84 85 85 86 88 89 90 91 92 93 94 94 95 100 101 102 102 103 104 104 104

Inhaltsverzeichnis

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IV. Folgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Kapitel Definition staatlicher Aufgaben im Bund I. Anmerkung zur Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Stellung der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gewinnung der relevanten Verfassungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kategorien nicht relevanter Verfassungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Überblick über die relevanten Verfassungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Normen zur parlamentarischen Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Richtlinienkompetenz, Ressortprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Gesetzgebungsnotstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Kompetenzen im Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Haushaltsrechtliche Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Außenpolitischer Gestaltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (8) Normen zur Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelanalyse der relevanten Verfassungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Richtlinienkompetenz (Art. 65 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Grundannahmen heutiger Interpretationsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Materialer Gehalt des „Politik“-Begriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Spezifizierung durch Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Exegese des Art. 65 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Exegese des Begriffes „Bundesregierung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Schluß auf den normativen Gehalt der Richtlinienkompetenz . . . . . . . (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Budgetinitiative der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Gestaltungsfunktion des Haushalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Das Einbringungsmonopol der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesetzesinitiative nach Art. 76 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Bedeutung des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Universales Einbringungsmonopol der Bundesregierung? . . . . . . . . . . . . . . . (3) Das Initiativrecht des Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Mehrheitsvorlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Minderheitsvorlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Das Initiativrecht des Bundesrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Das Initiativrecht der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Haushaltsgesetz und Sonstiges Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Bedeutung des Art. 113 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Organadäquanz und Initiativprärogative der Bundesregierung . . . . . . (6) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Außen- und europapolitische Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Außenpolitischer Vorbehaltsbereich der Bundesregierung? . . . . . . . . . . . . . . (a) Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . .

107 108 109 110 110 111 111 112 112 112 113 113 113 114 114 114 114 116 117 117 118 119 121 122 122 124 127 128 128 129 129 130 132 134 134 136 138 139 144 145 146 146 146

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Inhaltsverzeichnis

(b) Existenz „der“ Auswärtigen Gewalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Grundlage der Kompetenzverteilung bei auswärtigen Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Sonderfall des Art. 59 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Folgerungen für die Stellung der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Bereich völkerrechtlicher Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Sonstige Akte im Bereich auswärtiger Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . (3) Angelegenheiten der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zusammenfassung der Einzelanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grundverhältnis von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat . . . . . . . . . . . . . . . a) Gewaltenteilung und Grundgesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedeutung des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unabhängigkeit von Bundestag und Bundesrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Stellung der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bedeutung des Art. 65 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bedeutung des Art. 20 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Zum Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Zum außenpolitischen Vorbehaltsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Bedeutung von Vertrauen und Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Bedeutung des Gesetzgebungsnotstandes nach Art. 81 GG . . . . . . . . . . . . . . . (5) Verhältnis zum Bundesrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bedeutung weiterer grundgesetzlicher Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Parlamentarische Kontrollbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Verfassungsänderung nach Art. 79 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung des Zweiten Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

148 149 150 152 152 153 154 155 155 156 156 157 159 159 160 161 161 162 164 164 167 169 170 170 172 172 172 174 174

3. Kapitel Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates I. Der Bundesstaat des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anmerkung zur Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gehalt der föderativen Verfassungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kompetenzverteilung im Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der zwei- oder dreigliedrige Bundesstaatsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zweigliedriger Bundesstaat und kompetentielles Paradoxon . . . . . . . . . . . . . (3) Auflösung des Paradoxons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Gesamtvolk als pouvoir constituant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Omnikompetenz des pouvoir constituant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Die Abgeleitetheit der Staatsgewalt der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Staatsqualität der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Entstehung der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Bedeutung des Art. 29 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

176 177 178 179 179 180 182 183 183 188 190 192 192 192

Inhaltsverzeichnis (b) Erzeugungszusammenhang von Land und Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Länder als Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Verfassungsnormative Grundlage der Staatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Inhalt des grundgesetzlichen Staatsbegriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Verfassunggebung in den Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Ausschluß von „Landesvölkern“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die funktionale Natur des Bundesstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Neugliederungsbefugnis des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entgegnung möglicher Einwände aus Art. 29 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Handeln der Länder und Gemeinwohlverwirklichung im Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Grundeigenschaft des deutschen Bundesstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Funktion des Bundesstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hergebrachte Erklärungsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Möglichkeit des „Experiments“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Autonom-funktionaler Erklärungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der ausschließliche Gesetzgebungsbereich der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Parteien in den Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gegenständliche Unbegrenztheit der Parteien in den Ländern . . . . . . . . . . . (3) Alternativfunktion der Existenz von Ländern für den Bund . . . . . . . . . . . . . . (a) Definition der Alternativfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Irrelevanz konkreter politischer Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Das unentziehbare Hausgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abschöpfung der Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bundesrat als Aktualisierung der Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zur Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Der „gouvernementale“ Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Funktion des Bundesrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Diskussionsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einspruch und Gesetzesinitiative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Irrtumswahrscheinlichkeit der Feststellungen der Bundesregierung . . . . . . . . . . b) Korrigierbarkeit der Feststellungen der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wirkungsweise von Einspruch und Gesetzesinitiative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) „Interessenlage“ beim Einbringen von Korrekturvorschlägen . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Präponderanz des demokratischen Prinzips im Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Zustimmungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Qualität zustimmungsbedürftiger Gesetzgebungsmaterien . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweck des Zustimmungserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zustimmungsverweigerung und Gemeinwohlvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fälle der Zustimmungsbedürftigkeit im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Regelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Art. 23 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Art. 29 Abs. 7 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 193 194 195 195 196 197 198 199 199 200 201 203 204 204 205 205 208 209 212 213 213 214 215 216 216 218 218 219 220 220 221 223 224 224 225 225 226 229 229 232 233 233 234 236 238 238 238 239

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Inhaltsverzeichnis (c) Art. 74 a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Art. 74 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Art. 80 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (f) Art. 84 Abs. 1, 85 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (g) Art. 87 Abs. 3, 87 b Abs. 1, 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (h) Art. 87 c GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (i) Art. 87 d Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (j) Art. 87 e GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (k) Art. 91 a Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (l) Art. 96 Abs. 5 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (m) Art. 104 a – 109 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (n) Art. 143 a Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Sonderfälle unmittelbar gemeinwohlerheblicher Zustimmungsmaterien . (a) Art. 16 a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Art. 87 e Abs. 3–5, Art. 87 f Abs. 1 und Art. 143 b Abs. 2 GG . . . . . . . . . e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

239 240 240 240 241 242 242 243 243 243 244 244 244 245 246 246

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Zum Begriff des Gemeinwohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Definitionssuprematie der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Funktion der Bundesstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Funktion des Bundesrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Funktion des Zustimmungserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

248 250 253 254 255

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273

Fragestellung und Untersuchungsinteresse „Vornehmstes Interpretationsprinzip ist die Einheit der Verfassung als eines logisch-teleologischen Sinngebildes, weil das Wesen der Verfassung darin besteht, eine einheitliche Ordnung des politischen und gesellschaftlichen Lebens der staatlichen Gemeinschaft zu sein.“ Das Bundesverfassungsgericht 1 Art. 78 GG macht das Zustandekommen solcher Bundesgesetze von der Zustimmung des Bundesrates abhängig, deren Zustimmungsbedürftigkeit die Verfassung an anderer Stelle anordnet. Der Bundesrat kann also das Zustandekommen eines Gesetzes verhindern, welches der Deutsche Bundestag zuvor beschlossen hat. Mit seinem Gesetzesbeschluß behauptet der Bundestag jedoch die Erforderlichkeit des Gesetzes. Der Initiant des Gesetzes und der Bundestag sind also zu der Auffassung gelangt, ein Ausschnitt der Lebenswirklichkeit oder der Staatsorganisation bedürfe gesetzlicher Regelung. Die Zustimmungsverweigerung des Bundesrates verhindert diese Regelung, enthält jedoch nicht zwingend ein abweichendes Urteil über deren Erforderlichkeit. Der Bundesrat mag in der Beurteilung der Erforderlichkeit mit dem Bundestag sogar völlig übereinstimmen, lehnt aber die Gestalt der Regelung im vorliegenden Gesetzesbeschluß ab. Fraglich bleibt dabei allerdings, welche Bewertung die Erforderlichkeit von Verfassungs wegen erfährt. Immerhin könnte der Vorgang auch bedeuten, im Verlaufe des verfassungsmäßig vorgesehenen Gesetzgebungsverfahrens habe der Gesetzgeber als Ganzes letztendlich die Erforderlichkeit des Gesetzes nicht festgestellt. Dies könnte unabhängig vom tatsächlichen Willen der Organwalter gelten. Die Zustimmungsverweigerung als klärungsbedürftige Frage des Verfassungsrechts zu erachten, setzt also offenbar einen objektiven Maßstab für die Bemessung der Erforderlichkeit des Gesetzes voraus. Fehlte ein derartiger Maßstab, so bliebe das Scheitern eines Gesetzesbeschlusses im Bundesrat ein ausschließlich politisches Problem. Die Verfassungsrechtslage hingegen wäre nicht nur eindeutig, sondern auch frei von dogmatischen Schwierigkeiten. Das Gesetz konnte die Anforderungen an sein Zustandekommen nicht erfüllen. Diese Anforderungen entspringen dem Willen der Verfassung. Eine verfassungsrechtliche Problematisierung des Scheiterns eines Gesetzesbeschlusses im Bundesrat bedeutete danach, die Verfassung selbst in Frage zu stellen. 1

BVerfGE 19, 206 [220].

14

Fragestellung und Untersuchungsinteresse

Dies ist freilich nicht Absicht der vorliegenden Untersuchung. Eine erste Forschungshypothese lautet vielmehr, die Verfassung selbst hält einen objektiven Maßstab für die Erforderlichkeit gesetzlicher Regelungen bereit. Behauptet wird also die Existenz gesellschaftlicher Lagen, welche von Verfassungs wegen eine Handlungspflicht auslösen. Unter dem Begriff des Gemeinwohlvorbehalts werden solche Handlungspflichten zu Beginn entwickelt. Hierzu wird allerdings eine normative Bedeutung von Gemeinwohl zu definieren sein, denn Gemeinwohl ist zunächst kein Verfassungsrechtsbegriff. Gelingt der Nachweis eines solchen Gemeinwohlvorbehalts, so gestattet dies die Entwicklung der eigentlichen Untersuchungsfrage. Die Verfassung verpflichtet den Gesetzgeber sonach zum Erlaß gemeinwohlverwirklichender Gesetze. Art. 78 GG eröffnet jedoch die verfassungsmäßige Möglichkeit des Scheiterns von Gesetzesbeschlüssen des Bundestages. Dies gilt auch dann, wenn der verfassungsnormative Gemeinwohlvorbehalt als objektiver Erforderlichkeitsmaßstab für den Einzelfall eine gesetzliche Regelung eigentlich erzwingt. Das verfassungsmäßige Scheitern eines von Verfassungs wegen für erforderlich gehaltenen Gesetzes erscheint als Verfassungsantinomie. Die Existenz von Verfassungsantinomien wird hier jedoch ausgeschlossen. Vielmehr wird der Verfassung unterstellt, sie bedeute ein widerspruchsfreies Normensystem, welches in seiner Gesamtheit der Gemeinwohlverwirklichung dient. Jede Verfassungsnorm bildet ein Systemelement, welches einen funktionalen Beitrag zum Gesamtsystem der Verfassung leistet. Diesen funktionalen Beitrag der einzelnen Verfassungsnormen aufzuklären, ist Auftrag an die Verfassungsexegese. Damit führt das Axiom der Widerspruchsfreiheit der Verfassung zu der folgenden Untersuchungsfrage. Zu klären ist die verfassungsrechtliche Funktion des Scheiterns eines Gesetzesbeschlusses im Bundesrat nach Art. 78 GG unter Geltung eines normativen Gemeinwohlvorbehalts. Die Untersuchungsfrage unterstellt also, die Zustimmungsverweigerung selbst erfülle ebenfalls eine gemeinwohlrelevante Funktion, welche das Scheitern des gemeinwohlverwirklichenden Gesetzes von Verfassungs wegen sanktioniert. Das Scheitern eines Gesetzes an der Zustimmungsverweigerung des Bundesrates als klärungsbedürftigen Verfassungsrechtstatbestand zu erachten, setzt allerdings einen allgemeinen Vorrang anderer Verfassungsorgane bei der Feststellung einer Gesetzgebungspflicht und deren inhaltlicher Bestimmung voraus. Eine Bedeutungsgleichheit der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorgane ließe eine Problematisierung ausgerechnet des Zustimmungserfordernisses ungerechtfertigt erscheinen. Neben dem Gemeinwohlvorbehalt wird daher als weitere Prämisse der Untersuchungsfrage der Nachweis zu erbringen sein, die vorrangige Handlungspflicht treffe nach dem Grundgesetz andere Verfassungsorgane als den Bundesrat. Die Eigenschaft des Bundesrates als das föderative Verfassungsorgan begründet die Vermutung eines Zusammenhangs zwischen Bundesstaatlichkeit und Zustimmungserfordernis. Endlich setzt daher die Klärung der Funktion des Zustimmungs-

Fragestellung und Untersuchungsinteresse

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erfordernisses die Kenntnis der Bedeutung der Bundesstaatlichkeit nach dem Grundgesetz voraus. Diese drei Prämissen – Gemeinwohlvorbehalt, vorrangige Handlungspflicht anderer Verfassungsorgane und die Bedeutung der Bundesstaatlichkeit – skizzieren den Gang der Untersuchung. Der Nachweis aller Prämissen ermöglichte dann eine deduktive Gewinnung der Funktion des Zustimmungserfordernisses. Die Stellung des Bundesrates im Verfassungsgefüge und vor allem die Auswirkungen des Zustimmungserfordernisses haben in der Bundesrepublik Deutschland einen steten Anlaß verfassungsrechtswissenschaftlicher Befassung geboten. Im Blickpunkt des Interesses stehen dabei aber vor allen Dingen Wirkungen des Zustimmungserfordernisses. Das Scheitern von Gesetzgebungsvorhaben veranlaßt zu Fragen nach Fehlentwicklungen, 2 nach Gesetzgebungsstillstand, 3 nach Reformbedarf, 4 nach einer Gewaltenverschiebung, 5 schließlich nach der Glaubwürdigkeit des politischen Systems. 6 So berechtigt diese Fragen auch sein mögen, sie sind allenfalls verfassungspolitischer Natur und können daher von der Verfassungsexegese nicht beantwortet werden. Die vorliegende Untersuchung enträt daher eines (verfassungs-)kritischen Standpunktes und widmet sich ausschließlich der Bestimmung der verfassungsgewollten Funktion des Zustimmungserfordernisses. Im Gegensatz zu den Wirkungen des Zustimmungserfordernisses ist diese in Frage stehende gemeinwohlrelevante Funktion selten Gegenstand spezifischer Betrachtungen. Der Verweis auf den Schutz vor Systemverschiebungen, welchen das Zustimmungserfordernis bewirke, bedeutet noch keine Klärung der Vereinbarkeit von Zustimmungserfordernis und staatlichem Gemeinwohlauftrag.

2 So der Titel einer Veranstaltung der Vereinigung für Parlamentsfragen, in: ZParl 1976, 291 (291 ff.). 3 Vgl. Wassermann, NJW 2003, 331 (331 f.). 4 Vgl. Gusy, DVBl 1998, 917 (917 ff.); Dolzer, VVDStRL 58 (1999), 27 ff. 5 Vgl. Dolzer, VVDStRL 58 (1999), 23; Gramm, AöR 124 (1999), 212 (212 ff.); Klein, AöR 108 (1983), 329 (351) („Gleichgewichtsstörung“). 6 Vgl. Lange, Legitimationskrise, 244 f.

1. Kapitel

Gemeinwohl und Staatshandeln Alles staatliche Handeln unterliegt dem Gemeinwohlvorbehalt. 1 Dieser verfassungsstaatliche Fundamentalsatz entbehrt einer Vervollständigung: alles staatliche Nichthandeln unterliegt dem Gemeinwohlvorbehalt. Nichthandeln des Staates bedarf der Vereinbarkeit mit dem Gemeinwohl. Verfassungsnormative Konsequenzen zeitigen beide, zunächst verfassungsethischen Sätze allerdings nur nach positivrechtlicher Substantiierung. 2

I. Gemeinwohl – Begriff der Staatstheorie und des Staatsrechts Existierte ein Gemeinwohlvorbehalt, so wäre gemeinwohlerhebliches Handeln eine staatliche Leistung, und die Bereitstellung von Leistungen für die verstaatlichte Gemeinschaft ist Existenzzweck jedweden Staates. Die Bürde einer wissenschaftlichen Bestimmung dieser Leistungen trüge somit eine Staatszwecklehre. 3 Deren Eignung zur Erhellung des Gemeinwohlvorbehalts ist eingangs zu prüfen. 1. Irrelevanz der Staatszwecklehre Die Befassung mit Staatszwecken beschwört augenblicklich die Begriffsmultiplizität und Sinnvarianz im Begriffsfeld von Staatszweck, Verfassungszweck, Staatszielen und Staatsaufgaben herauf. Dies erfordert zu Beginn eine methodische Festlegung. Während eine universale Staatszwecklehre ihrer staatstheoretischen Virulenz schon lange verlustig gegangen ist, finden sich hingegen zeitgenössische Unternehmungen, den (Staats-)zweckbegriff auf konkrete (Verfassungs-)staaten und im speziellen auf das Grundgesetz anzuwenden. 4 Dies begegnet zwei grundsätzlichen 1 Vgl. BVerfGE 49, 89 [131 f.]; 44, 125 [141 f.]; 42, 312 [332]; Bull, NVwZ 1989, 801 (805); Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 199; Jestaedt, Demokratieprinzip, 244 ff.; Uerpmann, Öffentliches Interesse, 21; Link, VVDStRL 48 (1990), 19. 2 Inwieweit ein staatsphilosophischer Gemeinwohlvorbehalt nicht nur für den Verfassungsstaat, sondern für den Staat „an sich“ zutrifft, ist hier irrelevant. 3 Kurzüberblicke in: Bull, NVwZ 1989, 801; Isensee, JZ 1999, 265. 4 Vgl. Link, VVDStRL 48 (1990), 47 f.; Bethge, DVBl 1989, 841 (842 f.).

I. Gemeinwohl – Begriff der Staatstheorie und des Staatsrechts

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Schwierigkeiten. Zum einen erweist sich der Zweckbegriff selbst höchst flüchtig, 5 und andererseits stellt sich, durchaus interdependent, die Frage nach dem Subjekt der Zwecksetzung. Der Begriff des Zweckes suggeriert ein Kausalverhältnis zum hinzuzudenkenden Mittel. 6 Die Konstanz dieser Zuordnung trügt jedoch. Eben noch Zweck, kann eine bestimmte Qualität im nächsten Augenblick schon Mittel sein. Dies wird sich anhand der Begriffsfolge von Staatszweck, Staatsziel und Staatsaufgabe noch deutlich erweisen. a) Verfassungsimmanente Staatszwecke? Doch auch die kontrafaktische Annahme eines konstanten Zweckes läßt, bezogen auf die Erscheinung Verfassungsstaat, unklar, wer denn eigentlich diese Zwecksetzung zu leisten hat. 7 Wenn nämlich der Staat als Ganzes Mittel zu einem bestimmten Zweck sein soll, dann steht auch dessen Verfassung im Dienste dieses Zweckes. Genauer gesagt, ist die Verfassung wiederum nur Mittel zur Konstituierung des, ebenfalls als Mittel gedachten, Staates. Diese Prämisse unterbindet jedoch eine konstitutive Aussage der Verfassung über den Staatszweck. Dies hieße nämlich, das Mittel (also der Staat, genauer dessen Verfassung) konstituiere den Zweck. Es bliebe allenfalls die Annahme, die Verfassung enthalte den Staatszweck lediglich deklaratorisch. Hieraus wären dann aber keine Folgerungen zu ziehen. Von den „Staatszwecken des Grundgesetzes“ 8 zu sprechen, erscheint somit als unauflösbarer Widerspruch. Demgemäß ist auch der Formulierung des Bundesverfassungsgerichts nicht zuzustimmen, wenn es feststellt, „das Grundgesetz hat [..] den Zweck des Staates materialiter auf die Wahrung des Gemeinwohls beschränkt [..]“ 9. Der damit angesprochene Gemeinwohlvorbehalt ist Gegenstand dieses Kapitels und liegt jenseits jeden Zweifels. Jedoch beschränkt das Grundgesetz nicht den „Zweck“ des Staates, hierzu ist es außerstande. Betrachtet man vom staatsphilosophischen Standpunkt die Staatsgründung hypothetisch als zweckrationalen Akt des Volkes, 10 so ist es das (zunächst nicht notwen5 Vgl. Luhmann, Zweckbegriff, 10, 114, 123 f. Luhmann stellt fest, durch Zwecksetzung werde der Verzicht auf Wirkungen, welche aufgrund der eingesetzten Mittel nicht erzielt werden können, sowie Nebenwirkungen der eingesetzten Mittel in der Bedeutung neutralisiert. Wesentliche Funktion der Zwecksetzung ist somit Komplexitätsreduktion. Diese Komplexitätsreduktion leistet die Zwecksetzung allerdings nur im Falle einer klaren und relativ engen Zweckdefinition. Gemeinwohl sei daher kein denkbarer Zweck (S. 124). 6 Vgl. Luhmann, Zweckbegriff, 10. 7 Hierzu ebenfalls kritisch: Bull, NVwZ 1989, 801 (802). 8 So Bethge, DVBl 1989, 841 (841 ff.). 9 BVerfGE 42, 312 [332]. 10 Vgl. Link, VVDStRL 48 (1990), 15 f.

2 Meyer

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

dig organisierte 11) Volk, welches die Zwecksetzung leistet und vermöge der Verfassungsstiftung den Staat als Mittel zur Zielerreichung konstituiert. Der Gehalt dieser Verfassung ist somit Reflex, nicht genuine Quelle der gewollten Zwecke. Die Verfassung gestaltet ausschließlich das Mittel. Billigte man der Verfassung die Fähigkeit bzw. Absicht zu, sowohl den Staat als Mittel als auch dessen Zweck zu konstituieren, so gelangte man schnell zurück zum überwundenen Hegelianischen Staat als „absoluter und unbewegter Selbstzweck“. 12 Die Zwecksetzung liegt also jenseits jeder Positivierung, und damit außerhalb der Reichweite der Verfassung und deren Exegese. b) Extrapositive Staatszwecke? Die Einordnung der Staatszwecke am obersten Ende einer Skala von Konkretisierungsstufen, 13 welche das Staatshandeln determinieren, 14 vermeidet eine derartige Überforderung der Verfassung. In welcher Weise diese extrapositiv gedachten Staatszwecke in der Lage sein sollen, das (konkrete) Staatshandeln mit zu determinieren, bleibt jedoch dogmatisch offen. Der Hinweis erleichtert die Antwort nicht, dies gelte nur im Maße ihrer verfassungsrechtlichen Positivierung. 15 Einmal abgesehen von der eben erfolgten Feststellung, Staatszwecke lägen prinzipiell außerhalb jeder Positivierung, macht dies eine trennscharfe Abgrenzung von Staatszwecken und Staatszielen unmöglich. Von den drei 16 zentralen und konstanten Staatszwecken Sicherheit, Freiheit und Wohlfahrt 17 läßt sich nur Wohlfahrt hinreichend klar einer Verfassungsnorm zuordnen, welche aber unbestritten eine Staatszielbestimmung darstellt, das Sozialstaatsprinzip. Die beiden anderen Zwecke ließen sich allerdings durch eine Zusammenschau zahlreicher Verfassungsnormen ex-post erschließen. 11 Wenn Isensee, HStR I, § 13 Rn. 6 feststellt, in der Sicht der Präambel des Grundgesetzes existiert der Staat vor der Verfassung, da nur ein staatlich geeintes Volk handlungsfähig und damit fähig sei, sich eine Verfassung zu geben, so verweist dies auf empirisch-historische Bedingtheiten, auch wenn Isensee selbst dies ausdrücklich offenläßt. Den obenstehend geschilderten hypothetischen konsensualen Akt der Verfassungsstiftung und damit die Begründung der Staatlichkeit (vgl. Link, VVDStRL 48 (1990), 15) läßt dies unberührt. 12 Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 208. Näher zur Unmöglichkeit einer Selbstzweckhaftigkeit des Staates Arnim, Staatslehre, 128 f., 175. 13 Von den Staatszwecken bis hinunter zu den Staatsaufgaben. 14 Vgl. Link, VVDStRL 48 (1990), 18, 51; Isensee, HStR III, § 57 Rn. 112 f. 15 Vgl. Link, VVDStRL 48 (1990), 48, 51. 16 Der in Link, VVDStRL 48 (1990), 18 f. formulierten Quadriga von Gemeinwohl, Friedenssicherung, Wohlfahrt und Freiheit wird hier nicht gefolgt, da diese Qualitäten auf unterschiedlicher Ebene liegen. Die drei letztgenannten dienen dem Gemeinwohl (Link spricht von dem Lenker des Gespanns). Schon hier bestätigt sich die Relativität von Zweck und Mittel. Die klassischen Staatszwecke erscheinen nunmehr als Mittel zur Gewährleistung des Zweckes „Gemeinwohl“. 17 Vgl. Isensee, JZ 1999, 265 (271); Bethge, DVBl 1989, 841 (843); Herzog, HStR III, § 58 Rn. 38 f. Anm.: Der Friedenszweck soll hier unter „Sicherheit“ subsumiert werden.

I. Gemeinwohl – Begriff der Staatstheorie und des Staatsrechts

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Eine derartige Begriffsassimilation von Staatszweck und Staatsziel kompromittiert aber eher den Staatszweckbegriff, als einen Erkenntnisgewinn zu bieten. Nicht umsonst enthält die Verfassung zwar Ziel-, aber keine Zweckbestimmungen. 18 Der Zielbegriff entbehrt nämlich die begriffsimmanente Sinnverweisung des Zweckbegriffs. Die Sinnbestimmung kann, wie gezeigt, ausschließlich dem pouvoir constituant vorbehalten sein. Der Zielbegriff hingegen ist operational, er gibt keine Antwort auf das Warum, sondern konstituiert lediglich eine dem Ziel gemäße normative Bindung staatlichen Handelns. Verzichtet man auf das Erfordernis einer verfassungsrechtlichen Positivierung, so können Staatszwecke erst recht das Staatshandeln nicht mitbestimmen. Um im Schema zu bleiben: dies hieße, das Mittel würde über sich selbst hinaus- und auf den Zweck zugreifen. Der Verfassungsstifter hat seine gewollten Zwecke auf die zu deren Erreichung notwendigen Mittel hin analysiert und auf dieser Grundlage dem Staat mittels der Verfassung eine bestimmte Gestalt und instrumentale Ausstattung gegeben. Die absolute Souveränität des Verfassungsstifters 19 resultiert in einer unbedingten Richtigkeitsvermutung in bezug auf diese Gestalt und Ausstattung. Dem Mittel „Staat“ (und d. h. hier vor allem: den Staatsorganen) ist es verwehrt, diese Zweckanalyse des Verfassungsstifters nachzuvollziehen und hieraus eigene Schlußfolgerungen für das staatliche Handeln zu ziehen. Der Staat hat vielmehr davon auszugehen, daß der Verfassungsstifter alle für das staatliche Handeln relevanten Belange in die Verfassung als einzig konstituierender Grundlage des Staates aufgenommen hat. Aus dem engen Blickwinkel der Staatsorganisation ist die Verfassung in der Tat Vollregelung. Dies steht einer Anschauung der Verfassung als Teilordnung 20 innerhalb des Gesamtphänomens Gesellschaft nicht entgegen. c) Ergebnis Das Gemeinwohl ist eine Leistung, deren Erbringung der Staat zu dienen hat. Der normative Charakter dieser Aussage kann sich aber nicht auf eine Staatszwecklehre stützen. Handlungsanleitungen an den Staat ergeben sich ausschließlich aus der positiven Verfassungsordnung. 21 Der Nachweis eines Gemeinwohlvorbehalts ist daher nicht durch Verweis auf extrapositive Voraussetzungen von Staatlichkeit zu führen, sondern durch strenge Verfassungsexegese. 18 Vgl. Bull, NVwZ 1989, 801 (804). Außer in der Präambel, so betont Bull, sind dem Verfassungstext keine Aussagen über Sinn und Zweck des deutschen Staates zu entnehmen. Aussagen der Präambel bestätigen jedoch den oben angesprochenen, allenfalls deklaratorischen Charakter von Erwähnungen des Staatszwecks in der Verfassung. 19 Vgl. etwa Hillgruber, JZ 2002, 1072 (1073 f.) und ausführlich vorliegend 3. Kapitel I. 2. (3). 20 Vgl. Isensee, HStR III, § 57 Rn. 12, 24, 109. 21 Vgl. Stern, Staatsziele und Staatsaufgaben, 12; Häberle, AöR 111 (1986), 595 (600 f.); Schulze-Fielitz, Staatsaufgabenentwicklung, 15.

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

Erkenntnisse der Staatszwecklehre können damit im Rahmen dieser Untersuchung den Gemeinwohlvorbehalt nicht unmittelbar begründen. 22 2. Gemeinwohl als Verfassungsrechtsbegriff Wenn die staatstheoretischen Staatszwecke hier nicht unmittelbar fruchtbar zu machen sind, so stellt sich die Frage eines verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriffes. Das Grundgesetz verzichtet jedoch auf eine ausdrückliche 23 übergreifende Verpflichtung des Staates auf das Gemeinwohl. Der Verweis auf das Gemeinwohl etwa in Art. 14 Abs. 2, 3 GG bietet keine Handhabe, diesen Gedanken auf die gesamte Verfassungsordnung auszudehnen. Hiergegen spricht schon dieser lediglich punktuelle Begriffsgebrauch. Auch der Verweis auf die Eidesformel hilft nicht weiter (so aber das BVerwG 24). Zurecht wird nämlich darauf hingewiesen, gerade die Abgeordneten des Bundestages unterlägen keinem besonderen Amtseid. 25 Daraus wäre aber wohl kaum eine Gemeinwohlexemption des Parlaments zu folgern. Das Fehlen einer Legaldefinition oder auch nur einer übergreifenden positivrechtlichen Verankerung des Gemeinwohlbegriffes im Grundgesetz macht „Gemeinwohl“ zu einem der Verfassung ex-post oktroyierten Begriff. Die normative Anreicherung des Gemeinwohlbegriffes berührt daher fundamentale Fragen der Verfassungsinterpretation. Sie ist jedoch unabdingbar, um rechtsmächtige Konsequenzen des Gemeinwohlgedankens für das Handeln der Staatsorgane zu begründen.

II. Bestimmung eines grundgesetzlichen Gemeinwohlbegriffes 1. Zur Methode Obenstehendes Ergebnis begründet ein Dilemma. „Gemeinwohl“ als ein Begriff aus der Staatszwecklehre ist verfassungsnormativ nicht akut nutzbar, ein positiver Verfassungsbegriff besteht aber ebenfalls nicht. Gemeinwohl kann daher nur verfassungsrechtliche Bedeutung zeitigen als ein Inbegriff positiver Verfassungsnormen, welche bestimmte, vorzugebende Anforderungen erfüllen. Für einen solchen expost einzuführenden Rechtsbegriff unterliegt die Definition dieser Anforderungen der wissenschaftlichen Fragestellung. Die Forschungshypothese lautet, das Staatshandeln unterliege nicht nur umfassender formaler Bindung, sondern auch einer ebenso umfassenden materialen Zweckbindung. Die klassischen Bindungen staatlichen Handelns setzen diesem nur 22 23 24 25

Im Ergebnis ebenso: Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 285. Vgl. Häberle, Rechtstheorie 1983, 257 (262). Vgl. BVerwG, NJW 1991, 1770 (1771); Uerpmann, Öffentliches Interesse, 170 f. Vgl. Häberle, Rechtstheorie 1983, 257 (262).

II. Bestimmung eines grundgesetzlichen Gemeinwohlbegriffes

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Grenzen, etwa in Form von Kompetenz und Verfahren, geben aber keinen Regelungszweck universell vor. Selbst Art. 1 Abs. 1 GG beabsichtigt dies nicht. Zwar ist die Achtungspflicht umfassend, hingegen muß nicht schlechterdings jede Handlung des Staates die Pflicht zum aktiven Schutz der Menschenwürde aktualisieren. Der Versuch des Nachweises einer universalen Zweckbindung setzt bei der Verfassungsexegese ein Vorverständnis dieses aufzusuchenden Universalzweckes voraus. Bei der Gewinnung dieses Vorverständnisses kann die staatstheoretische Begriffsbedeutung durchaus mitwirken. Näherhin ist also zu prüfen, inwieweit Verfassungsbestimmungen existieren, die mit einem Vorverständnis von Gemeinwohl kongruieren. Die Identifizierung von Verfassungsnormen oder -prinzipien, welche die Kongruenzbedingung erfüllen, erlaubte dann eine normative Auffüllung des Gemeinwohlbegriffes. Ein so gewonnener verfassungsrechtlicher Gemeinwohlbegriff transzendiert seine zugrundeliegenden Verfassungsbestimmungen nicht. Das Ganze ist hier also die Summe seiner Teile. Zur verfassungsrechtlichen Positivierung von Staatszwecken, und damit auch zum staatstheoretischen Gemeinwohlbegriff, wurde oben ablehnend Stellung genommen. Wenn nun die staatstheoretische Begriffsbedeutung zur Gewinnung eines Vorverständnisses von Gemeinwohl herangezogen wird, so ruft dies nach einer deutlichen Abgrenzung der beiden Ansätze. Die Proklamation einer Positivierung von Staatszwecken gewinnt keinen neuen Rechtsbegriff, sondern bedient sich eines Gemeinwohlverständnisses, welches staatstheoretisch bleibt und geheimnisvoll auf die Verfassung ausstrahlt. So wird die Untersuchungsfrage also vom Gemeinwohl her auf die Verfassung blickend gestellt. Demgegenüber stellt der hier verfolgte Ansatz die Frage von der Verfassung her auf das Gemeinwohl blickend. Ausgangspunkt ist also nicht ein Gemeinwohl, welches es a priori „gibt“ und dessen „selbstverständlichen“ Niederschlag in der Verfassung man lediglich zu suchen hätte. Dies wäre ja gerade Positivierung. Statt dessen wird ergebnisoffen geprüft, ob Verfassungsbestimmungen mit gewissen ähnlichen Eigenschaften existieren und daher eine Zuordnung zu einem verbindenden Prinzip zweckmäßig erscheinen lassen. Diese Vorgehensweise ähnelt der Exegese beispielsweise von Bundes- 26 oder Rechtsstaatsprinzip 27 anhand konkretisierender Verfassungsnormen, welche diesen Prinzipien zugeordnet werden. Die übergreifende Positivierung der beispielhaft genannten Prinzipien in Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1, 79 Abs. 3 GG erlaubt allerdings, ihnen im Gegensatz zu einem ver26

Vgl. insbesondere Kimminich, HStR I, § 26 Rn. 36–38; Stern, Staatsrecht I, § 19 I 4 und

III 1. 27 Vgl. insbesondere Schmidt-Aßmann, HStR I, § 24 Rn. 2–8. Schmidt-Aßmann diskutiert ein „summatives oder integrales Rechtsstaatsverständnis“ unter Bezugnahme auf Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip. Er votiert für ein integrales Verständnis, also für einen normativen Gehalt, welcher über die Summe der rechtsstaatlichkeitsbezogenen Einzelregelungen hinausgeht.

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

fassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff eigenständigen normativen Gehalt 28 über die Einzelbestimmungen hinaus zuzubilligen. Ergebnis der gewählten Vorgehensweise ist die Einführung eines verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriffes bar jeder atavistischen Bezugnahme auf eine Staatszwecklehre. Dieser Rechtsbegriff ist lediglich eine semantische Vereinfachung. Mehr läßt die Verfassung jedoch nicht zu, denn einen positiven grundgesetzlichen Gemeinwohlbegriff gibt es unabweislich nicht. Deshalb kann auch kein verfassungsrechtlicher Gemeinwohlbegriff gewonnen werden, welcher über die Additivität der fraglichen Einzelbestimmungen hinausgeht. Nur ein positiver Gemeinwohlbegriff könnte als unbestimmter Rechtsbegriff normativen Selbststand entfalten. 2. Gewinnung eines Vorverständnisses An dieser Stelle kann nicht der Anspruch verfolgt werden, den Gemeinwohlbegriff in seiner staatsphilosophischen Tiefe zu erörtern. Vielmehr wird unmittelbar an dem hier relevanten Aspekt angesetzt. Das Gemeinwohl betrifft offenkundig das Wohl des Volkes, und zwar in Abgrenzung zu einem Wohl der staatlichen Institutionen oder einem einzelnen Partikularwohl. 29 Diese Abgrenzung scheint freilich wenig erhellend, denn der Begriff des „Wohles“ bleibt inhaltsleer. Der Schein jedoch trügt. Der vermeintlich leerformelhafte Charakter der Feststellung einbegreift die hier maßgebliche Qualifizierung von Gemeinwohl. Dies ist keine Ironie – die Erwähnung des Leerformelbegriffes ist mitnichten eine beipflichtende Anspielung auf den anzutreffenden Vorwurf, 30 „Gemeinwohl“ sei eine solche Leerformel und daher rechtlich unbrauchbar. Vielmehr bedarf es überhaupt keiner näheren Bestimmung des „Wohl“-Begriffes, um dennoch zu einer hinreichend klaren Vorstellung von Gemeinwohl zu kommen. Übersetzt man den Begriff des Wohles mit „gutem Zustand“, 31 so heißt Gemeinwohl, das Gemeinwesen, und damit die es formenden Teile befinden sich in einem guten Zustand. Wenn jedoch das Gemeinwohl in staatstheoretischer Betrachtung der grundlegende Zweck 32 von Staatlichkeit ist, so muß die Bestimmung dessen, welcher Zustand für ein bestimmtes Teil, ein bestimmtes Individuum der Gemeinschaft „gut“ ist, der staatlichen Existenz denklogisch ebenfalls vorausgehen und sich ihr damit definitorisch entziehen. Somit bleibt die Frage, wer die DefinitionsSiehe Fußn. 26. Vgl. Isensee, HStR III, § 57 Rn. 8–9, 17–19; Häberle, Rechtstheorie 1983, 257 (279). 30 Zu diesem Vorwurf ebenfalls ablehnend: Häberle, Rechtstheorie 1983, 257 (257, 269); Isensee, HStR III, § 57 Rn. 35. 31 Vgl. Isensee, HStR III, § 57 Rn. 2. 32 Vgl. Bull, NVwZ 1989, 801 (805); Link, VVDStRL 48 (1990), 19. 28 29

II. Bestimmung eines grundgesetzlichen Gemeinwohlbegriffes

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gewalt über den guten Zustand eines Individuums der betrachteten Gemeinschaft innehat. Ganz im Hobbesschen Sinne lautet die Antwort, bar jeder übergeordneten Instanz obliegt es dem Individuum selbst, den für ihn guten oder besten Zustand zu definieren. Nunmehr läßt sich ein Verständnis des Gemeinwohlbegriffes formulieren. Nach dem eben gesagten handelt es sich offenbar um den Zustand, in dem jedes Individuum der verstaatlichten Gemeinschaft sich in dem nach seiner eigenen Definition besten Zustand befindet. Zurecht zitiert Isensee: „Gemeinwohl ist die Gesamtheit jener Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens, die sowohl den Gruppen als auch deren einzelnen Gliedern ein volleres und leichteres Erreichen der eigenen Vollendung ermöglichen“. 33 In dieser Einsicht finden die klassischen Emanationen des Gemeinwohls ihre Erklärung. Freiheit, Sicherheit, Wohlfahrt 34 – sie alle erleichtern evident die Entfaltungsmöglichkeit des Individuums. Damit ist einem instrumentalen Gemeinwohlverständnis der Weg geebnet. 35 Dem Gemeinwohl dient, wer einen Zustand herbeiführt, der die Möglichkeit individueller Entfaltung fördert. Augenblicklich jedoch tritt das Grundproblem der Gemeinwohlverwirklichung hervor. Die gleichzeitige Förderung der optimalen Entfaltung aller Individuen ist offensichtlich aufgrund widerstreitender Interessen ausgeschlossen. Staatliche Gemeinwohlverwirklichung bedeutet daher näherhin, einen pareto-optimalen Ausgleich der Interessen zu gewährleisten oder zumindest anzustreben. 36 Die Forschungshypothese einer universalen Zweckbindung staatlichen Handelns wird nun durch Konkretisierung des materialen Gehalts vervollständigt. Solche Verfassungsnormen sind zu identifizieren, welche bestimmte anzustrebende Zustände definieren. Das Vorliegen dieser Zustände fördert die individuelle Entfaltung oder gewährleistet den Interessenausgleich. Die Untersuchung hat weiterhin zu Verfassungsbestimmungen Stellung zu nehmen, welche zwar anzustrebende Zustände nicht unmittelbar benennen, jedoch die Herbeiführung solcher Zustände erst ermöglichen. Hiermit sind die erforderlichen Daten gewonnen, um mit der Verfassungsexegese anzusetzen. Im folgenden soll die Pflicht zur Gemeinwohlnützlichkeit staatlichen Handelns „passiver Gemeinwohlvorbehalt“ heißen, die Pflicht zum staatlichen Tätigwerden zum Schutz von Gemeinwohlbelangen hingegen „aktiver Gemeinwohlvorbehalt“. 33 Isensee, HStR III, § 57 Rn. 26 (Isensee zitiert die Konstitution „Gaudium et spes“ des II. Vaticanuum). 34 Vgl. Link, VVDStRL 48 (1990), 18. 35 Diesen Weg will Isensee dann allerdings nicht ganz mitbeschreiten (vgl. HStR III, § 57 Rn. 27). 36 Vgl. BVerfGE 5, 85 [197 f.]; Häberle, Rechtstheorie 1983, 257 (262); Isensee, HStR III, § 57 Rn. 19.

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

3. Gemeinwohlrelevante Verfassungsbestimmungen Obschon die Existenz so bezeichneter Verfassungsbestimmungen evident zu bejahen erscheint, so ungleich schwieriger erweist sich die Festlegung, welche Bestimmungen in concreto zu einem verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff beitragen sollen. a) Grundrechte Die Brisanz der Frage dokumentiert beispielhaft der Topos objektiver Grundrechtsgehalte. Die Qualifizierung derjenigen Verfassungsbestimmungen als gemeinwohlrelevant, welche im Zusammenhang mit der Entfaltung des Individuums stehen, verweist offensichtlich vor allem auf die Grundrechte. Eine derartige Wirkung besitzen die Grundrechte bereits und gerade in ihrer subjektiv-abwehrrechtlichen Komponente. Im Hinblick auf die später zu untersuchende Frage eines aktiven Gemeinwohlvorbehaltes, also der möglichen Gemeinwohlinkompatibilität staatlichen Nichthandelns, lohnt jedoch auch die Diskussion der objektiven Gehalte. Der aktive Gemeinwohlvorbehalt ließe sich zumindest im grundrechtlichen Kontext ersichtlich fast nur 37 auf die objektive Komponente stützen. Nur diese resultiert nach der absolut herrschenden Meinung 38 in staatlichen Schutz- und damit Handlungspflichten. Ist damit die Relevanz objektiver Grundrechtsgehalte vorläufig bejaht, so stellt sich jedoch die Frage des Bedeutungsverhältnisses von subjektiver und objektiver Komponente für einen verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff. (1) Subjektiv-abwehrrechtliche Komponente der Grundrechte Wie gesehen ist für die Entfaltungsmöglichkeit des Individuums grundlegend, für sich selbst den „guten Zustand“ zu definieren. Verfassungsnormen unterstützen evident diese Definitionsgewalt, welche einen Rechtstitel verleihen, Verletzungen der eigenen Rechtssphäre im Rahmen souveräner Beurteilungsgewalt geltend zu machen. Zwar legen ausschließlich die positiven Grundrechte die geschützten Rechtsgüter fest und entziehen sie damit einer individuellen Definition. Innerhalb der Entscheidungshoheit des Individuums verbleibt jedoch, einen unzulässigen Eingriff anzunehmen und im Rechtswege geltend zu machen. Die grundrechtliche Rechtsgüterbestimmung schmälert zwar durchaus die Reichweite individueller Definitionsgewalt. Für die Gemeinwohlerheblichkeit der subjektiv-abwehrrechtlichen Komponente ist dies jedoch irrelevant. Um nämlich den weiteren Gemeinwohl37 38

Bedeutendste Ausnahme von dieser Feststellung ist Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG. Vgl. Stern, Staatsrecht III/1, § 69 IV 4 e a, IV 5, VI 6 a.

II. Bestimmung eines grundgesetzlichen Gemeinwohlbegriffes

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aspekt zu gewährleisten, Interessenausgleiche herbeizuführen, ist ein einheitlicher Beurteilungsmaßstab der widerstreitenden Interessen erforderlich. Diesen Maßstab liefern die Verfassungsnormen, vorliegend die Grundrechte. Im übrigen schafft der unten 39 ausführlich zu diskutierende Art. 2 Abs. 1 GG einen Auffangtatbestand, 40 dessen Reichweite einer individuellen Definitionsgewalt über beeinträchtigte Rechtsgüter nahekommt. Fraglich bleibt, ob sich die Gemeinwohlrelevanz nach Einzelgrundrechten differenzieren läßt. Dies könnte sicherlich unterbleiben, ließen sich die Grundrechte zu einem Grundrechtssystem zusammenfügen. Die Büchse der Pandora soll an dieser Stelle jedoch geschlossen bleiben, fangen die Schwierigkeiten doch schon beim Systembegriff 41 an. Eines geschlossenen Systems bedarf es für die einheitliche Zuordnung der Grundrechte zu einem verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff auch nicht, denn konstitutiv, geradezu wesensmäßig für ein Grundrecht ist dessen starke Bezogenheit auf den Individualschutz. 42 Ein derartiger Schutz verbessert evident die Entfaltungsmöglichkeit. Es ist daher hier nicht Aufgabe, einen Katalog der Grundrechte zu entwickeln. Vielmehr ist festzuhalten, daß die Grundrechte in ihrer subjektiv-abwehrrechtlichen Komponente Bestandteil des verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriffes sind. 43 (2) Der Gemeinwohlbezug der objektiv-rechtlichen Komponente Es erscheint gerechtfertigt, den Doppelcharakter der Grundrechte44 auch für den Gemeinwohlbegriff wirksam werden zu lassen. Die beiden Komponenten tragen nämlich auf durchaus unterschiedliche Weise zu dem oben formulierten Gemeinwohlverständnis bei. Allerdings soll der Doppelcharakter trotz seiner unstrittigen Anerkennung in der Verfassungsrechtslehre hier nicht einfach ungeprüft übernommen werden. Diese Anerkennung steht nämlich in einem gewissen Spannungsverhältnis zu der unklaren dogmatischen Fundierung. Eine normative Abstützung der objektiven Gehalte wird vor allem gesehen in Art.1 Abs.1 Satz 2 und Art.1 Abs.3 GG. Während Art.1 Abs.3 GG die Geltungsanordnung der Grundrechte für die gesamte Rechtsordnung45 ausspreche, könne Art. 1 Abs. 1 Siehe 1. Kapitel III. 2. b). So insbesondere seit BVerfGE 6, 32 [Elfes]; vgl. Rupp, NJW 1966, 2037 (2037); Nipperdey, Freie Entfaltung, 762; Pieroth, AöR 115 (1990), 33 (33); Wintrich, Art. 2 Abs. 1 GG, 8. 41 Vgl. Stern, HStR V, § 109 Rn. 28, 31. 42 Vgl. Stern, Staatsrecht III/1, § 63 V 2 a. 43 So auch Häberle, AöR 95 (1970), 262 (266). 44 Vgl. Stern, Staatsrecht III/1, § 69 I 3 d. 45 BVerfGE 7, 198 [206]; vgl. Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, 70; Stern, Staatsrecht III/1, § 69 IV 5 c. 39 40

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

Satz 2 GG eine Verdeutlichung der objektiven Grundrechtsgehalte 46 entnommen werden. Überwölbt werden diese Ansätze von dem Postulat der objektiven Wertordnung insbesondere in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Wenn auch ein Bedeutungsverlust der Wertbezogenheit dessen Judikatur festgestellt wird,47 so hat sich jedoch der Wertaspekt für einzelne Grundrechte verfestigt. 48 Dogmatisch befriedigen kann keiner dieser Ansätze. Die Eigenschaft von Grundrechten als objektive Wertentscheidungen, die staatliche Schutzpflichten aktivieren können, wird in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG nicht „am deutlichsten“ 49 ausgesprochen, sondern nur dort (abgesehen von im wesentlichen zwei Ausnahmen 50). Die Geltungsanordnung nach Art. 1 Abs. 3 GG ist zwar unmißverständlich. Allerdings bestimmt Art. 1 Abs. 3 GG dem Wortlaut nach die Grundrechtsverpflichteten und die Unmittelbarkeit der Geltung. Das dogmatische Problem besteht aber nicht in der Frage der Geltungskraft, sondern in der Unklarheit, worauf bzw. wozu die Grundrechtsverpflichteten verpflichtet sind. Der normativen Begründungsschwäche zu entkommen, indem man die Schutzpflicht auf „außergrundrechtliche Basis“ 51 (Isensee) stellt, ist mit dem hier verfolgten Ansatz unvereinbar. Zur Absenz einer normativen Durchschlagskraft staatstheoretischer Staatszwecke wurde eingangs Stellung genommen. Wenn die „Staatsaufgabe Sicherheit“ 52 angeblich nicht vom Verfassungsgesetz förmlich sanktioniert werden muß, weil sie eine Voraussetzung seiner effektiven Geltung bilde, so ähnelt dies einer Aufgabe, die sich ihre Befugnis selbst schafft. Hieran ändert auch eine ausdrückliche Feststellung nichts, die Schutzpflicht vermittle wiederum keine Kompetenz. 53 Die hiermit angesprochene Handlungskompetenz eines bestimmten Staatsorgans liegt nämlich am Ende der somit konstruierten Abfolge Staatsaufgabe Sicherheit – Schutzpflicht – Einzelmaßnahme. Wird für die Einzelmaßnahme zurecht eine positive Kompetenznorm gefordert, so ändert dies nichts an der extrapositiven, kompetenzfreien Ableitung einer gleichwohl normativ wirkenden Schutzpflicht aus einem vorverfassungsrechtlichen Arkanum. 46 BVerfGE 49, 89 [142]; vgl. Unruh, Grundrechtliche Schutzpflichten, 31 ff.; Isensee, HStR V, § 111 Rn. 80. 47 Vgl. Jarass, AöR 110 (1985), 363 (366); Stern, Staatsrecht III/1, § 69 I 3 c g bb; Winkler, Kollisionen, 29. 48 Beispielsweise BVerfG, 1 BvR 1847/95 vom 24. Februar 1999: „Geht es um Äußerungen, die vom Schutz der Meinungsfreiheit umfaßt werden, haben sie [die Strafgerichte] dabei aber dem eingeschränkten Grundrecht Rechnung zu tragen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt“. 49 BVerfGE 49, 89 [142]. 50 Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 6 GG. 51 Isensee, HStR V, § 111 Rn. 83. Zustimmend Starck, Verfassungsauslegung, 76. Ebenso Roth, Faktische Eingriffe, 415 f. 52 Vgl. auch Unruh, Grundrechtliche Schutzpflichten, 37 ff. Für eine vorverfassungsrechtliche Begründung der Schutzpflichten offenbar auch Alexy, Grundrechte, 414 f. 53 Isensee, HStR V, § 111 Rn. 148.

II. Bestimmung eines grundgesetzlichen Gemeinwohlbegriffes

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Eine Auseinandersetzung mit der bis in jüngste Zeit54 fortdauernden Praxis disjunktiver Behandlung von Grundrechtsbelangen und Gemeinwohl durch das Bundesverfassungsgericht liefert den Schlüssel zu einer konsistenten Grundrechtsinterpretation. Diese Kontrastierung wurde schon früh als problematisch und nicht frei von inneren Widersprüchen eingestuft, so etwa von Häberle. 55 Obwohl das Bundesverfassungsgericht diese Linie nicht ausnahmslos durchhält, erscheint dennoch prüfenswert, welches Verständnis von Grundrecht und Gemeinwohl eine solche Judikatur tragen könnte. Zu Recht wird der häufige Verzicht des Bundesverfassungsgerichts beklagt, 56 die jeweils in Frage stehenden Gemeinwohlbelange verfassungsnormativ abzustützen. Wesentliche Ausnahmen hiervon werden unten noch zu besprechen sein. Zunächst soll aber versucht werden, die Bedeutung der nicht näher begründeten Fälle der Gegenüberstellung von Gemeinwohl und Grundrechten zu interpretieren. Zwar soll eine Definition des verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriffes erst Ergebnis dieses Abschnittes sein, wird aber der Begriffsgebrauch des Bundesverfassungsgerichts analysiert, so ist hierfür dessen Definition maßgebend. Diese deckt sich mit dem eingangs formulierten Vorverständnis insoweit, als das Bundesverfassungsgericht Gemeinwohl betrachtet als „[..] gleichmäßige Förderung des Wohles aller Bürger und annähernd gleichmäßige Verteilung der Lasten [..]“. 57 Gemeinwohlfähig ist also ausschließlich der Bürger, und nicht der Staat. „Die Bürger“ (oder vielleicht besser: Private) partizipieren jedoch alle potentiell an den Rechten der Rechtsordnung, und nur an diesen. Spricht das Bundesverfassungsgericht daher von Gemeinwohlbelangen, so können hiermit jeweils nur die Interessen einer Mehrzahl von Bürgern gemeint sein. Deren Interessen folgen der gleichen Rechtsordnung wie die des jeweils grundrechtsbeeinträchtigten Beschwerdeführers. Daher ist zunächst kein Grund ersichtlich, aus der Kontrastierung der Begriffe auch einen rechtsdogmatischen Unterschied zu folgern. 58 Dies wird bestätigt durch einen vorzufindenden alternativen Be54 Vgl. BVerfG, NJW 2001, 879 (880); BVerfG, Der Betrieb 2001, 1367 (1368); BVerfG, NJW 2001, 1779 (1779, 1782); BVerfG, NJW 1999, 414 (414 f.); BVerfG, NJW 1998, 891 (891 f.); BVerfG, NJW 1998, (3481 f.); BVerfGE 102, 1 [15, 17]; 97, 67 [79 f.]; 96, 171 [197]. Grundlegend: BVerfGE 6, 389 [437]; 7, 377 [378 (LS 6)]. 55 Vgl. Häberle, AöR 95 (1970), 86 (113, 115 f.); Uerpmann, Öffentliches Interesse, 62 ff. 56 Vgl. Häberle, AöR 95 (1970), 86 (97). 57 BVerfGE 5, 85 [198] (Hervorhebung durch Verfasser). 58 Diese Frage wird auch diskutiert unter der Begrifflichkeit „Zwei- oder Mehrdimensionalität“ der grundrechtlichen Rechtsbeziehungen. Jüngst weist Holoubek die Ungeeignetheit dieser Kategorien auf, um abwehr- und schutzrechtliche Aspekte zu scheiden. Wenn der Staat in die Grundrechte einzelner eingreift und so das subjektive Abwehrrecht auslöst, so diene die staatliche Maßnahme doch in der Regel dem Schutze der Interessenpositionen anderer. Eine Mehrdimensionalität sei also auch hier durchaus anzunehmen (Holoubek, Gewährleistungspflichten, 159 ff., 256 ff.).

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

griffsgebrauch des Bundesverfassungsgerichts. 59 Anstelle von Grundrecht und Gemeinwohl ist häufig die Rede von „Privat- bzw. Individualinteresse“ versus „öffentlichem Interesse bzw. Interesse der Allgemeinheit“. 60 Auf beiden Seiten geht es also um „Interessen“; daß es sich jeweils nur um die Interessen Privater handeln kann, wurde gerade gezeigt. Insbesondere die Formulierungen „Individualinteresse“ versus „Interessen der Allgemeinheit“ suggerieren, es könne sich um eine quantitative Abwägung der Betroffenen bzw. um ein bloßes Mehrheitsprinzip 61 handeln. Derartiges verbietet jedoch die ausschließliche Abstützung des Bundesverfassungsgerichts auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip, wenn Grundrecht und Gemeinwohlbelang widerstreiten. Die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme ergibt sich aber aus anderen, oder zumindest weitergehenden Gesichtspunkten als nur dem Vergleich der betroffenen Personenzahl. Soll der Kontrastierung der Begriffe dennoch ein dogmatischer Unterschied entnommen werden, so könnte sich dieser noch stützen auf die Gegenüberstellung von subjektiver und objektiver Komponente. Die vom Bundesverfassungsgericht so bezeichneten „Gemeinwohlbelange“ wären dann objektiver Provenienz, während auf Seiten des Beschwerdeführers die subjektiv-abwehrrechtliche Komponente trägt. Ein deutliches Indiz für diese Interpretation sind die bereits angedeuteten Fälle, in denen das Bundesverfassungsgericht die fraglichen Gemeinwohlbelange ausnahmsweise verfassungsnormativ konkretisiert. Hierbei greift das Gericht gelegentlich auch auf solche Normen zurück, welche Bestandteil der objektiven Verfassungsordnung 62 sind, wie das Rechtsstaats- oder das Sozialstaatsprinzip. Nimmt das Bundesverfassungsgericht solche objektiven Normen als Gemeinwohlbelange in Anspruch, deutet dies auf eine entsprechende Aktivierung der objektiven Grundrechtskomponente, wenn sich in anderen Fällen die Gemeinwohlbelange als Grundrechte darstellen. Genannt sei etwa die Abwägung der „Grundrechtsposition“ Berufsfreiheit gegen den „Gemeinwohlbelang“ Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. 63 Jüngst hat das Gericht in einer Entscheidung zur Altlastensanierung 64 das Eigentumsgrundrecht des Grundstückbesitzers abgewogen gegen die „Gemeinwohlziele“ sowohl des Schutzes von Leben und Gesundheit unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Grundrecht nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, als auch des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen als Staatsziel gemäß Art. 20 a GG. Vgl. Häberle, Öffentliches Interesse, 37 f. Vgl. bspw. BVerfG, NJW 1999, 414 (414); BVerfG, NJW 2001, 879 (880); BVerfG, DVBl 2001, 896 (896 f.). 61 Ebenfalls gegen Gemeinwohl als Mehrheitsinteresse: Uerpmann, Öffentliches Interesse, 8. 62 Vgl. bspw. BVerfG, Der Betrieb 2001, 1367 (1368; Sozialstaatsprinzip); BVerfG, NJW 1999, 414 (414 f.; Rechtsstaatsprinzip). 63 Vgl. BVerfG, NJW 2001, 1779 (1779 ff.). 64 Vgl. BVerfGE 102, 1 [18]. 59 60

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Dies erlaubt, die Grundrechte insofern auch als objektive Ordnung zu betrachten, als sie Handlungsveranlassung für den Staat sein können. An dieser Stelle besonders hervorzuheben ist jedoch, daß dies noch nichts mit einer Handlungs- oder Schutzpflicht des Staates zu tun hat. Vielmehr kann zunächst nur der Tatbestand festgestellt werden, daß der Staat – möglicherweise nicht pflichtgebunden, sondern kraft freier Entscheidung – zum Schutz der Grundrechte sporadisch in Aktion tritt und dann für diesen Fall das Grundrecht als objektives Recht erscheint und zum Gemeinwohlbelang gerät. 65 Während also die subjektiv-abwehrrechtliche Komponente deshalb zum verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff beiträgt, weil sie durch Einräumen einer Rechtsposition die Entfaltungsmöglichkeit des Individuums verstärkt, gewinnt die objektive Komponente ihre Gemeinwohlrelevanz aus der Kompetenz des Staates, zum Schutz der Rechtsgüter der Grundrechte selbstveranlaßt tätig zu werden. Diese Rechtsgüter definieren eine Freiheitssphäre des Individuums und fügen sich daher ebenfalls in das hier unterstellte Vorverständnis von Gemeinwohl. Erneut sei betont, daß bisher über eine Pflicht zum Schutz dieser Rechtsgüter nichts ausgesagt ist. Eine derartige Schutzpflicht nachzuweisen, wäre eigentlich Aufgabe des späteren Abschnittes über den aktiven Gemeinwohlvorbehalt. Ausnahmsweise wird dies jedoch vorgezogen, um hier den Topos objektiver Grundrechtsgehalte abschließend behandeln zu können. Auf das Ergebnis wird dann im Abschnitt 66 über den aktiven Gemeinwohlvorbehalt Bezug genommen. (3) Schutzpflichten als objektiv-rechtlicher Gehalt Die bisherigen Überlegungen waren gekennzeichnet von der Dichotomie subjektiv-abwehrrechtlicher und objektiv-rechtlicher Grundrechtsgehalte. Nun setzt eine Dichotomie sprachlogisch die Existenz eines verbindenden Oberbegriffes voraus. Das Bemühen um einen derartigen Oberbegriff ist jedoch ein rechtswissenschaftliches Desiderat. 67 Dieser Mangel kommt nicht von ungefähr. Er ist Ergebnis des Totalitätsanspruchs, welcher dem abwehrrechtlichen Gehalt zugewiesen wird. 68 Eine 65 Ähnlich Häberle, AöR 95 (1970), 86 (115). Eine bemerkenswerte Parallelisierung von Grundrecht und Gemeinwohl findet sich – im Gegensatz zur sonstigen Judikatur – in BVerfGE 65, 1 [43]. „Dies [Verzicht auf Ausübung der Grundrechte nach Art.8 und 9 GG aus Furcht vor staatlicher Repression] würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit der Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist“. 66 Siehe 1. Kapitel III. 67 Ähnlich auch Häberle, AöR 111 (1986), 595 (611). 68 Vgl. Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, 34 f.; Isensee, HStR V, § 111 Rn. 11–21; Stern, Staatsrecht III/1, § 66 I: „Grundrechtstheoretischer Gesamtbegriff der Grundrechte schlechthin“; Jarass, AöR 120 (1995), 345 (354). Jarass setzt kurzerhand Freiheitsgrundrechte und Abwehrgrundrechte gleich.

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

aktuelle Bestätigung dieser Einschätzung bietet in unübertrefflicher Deutlichkeit die despektierliche Qualifizierung sonstiger Grundrechtsgehalte als „Anbauten“.69 Die Ursache dieses Totalitätsanspruchs liegt höchstwahrscheinlich in dem auf „strikter Entgegensetzung von Eingriff und Leistung beruhenden traditionellen Verständnis der Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte“. 70 Die Tradition ist hier ausschlaggebend. Sie prägt die Verfassungsexegese und verstellt die Sicht auf anderslautende Ergebnisse, die der Verfassungstext nicht nur zuließe, sondern nahelegt. Der Verdacht einer traditionellen, man möchte fast sagen ideologisch geprägten Grundrechtsinterpretation illustriert das bekannte Sondervotum zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch aus dem Jahre 1975. „Unser stärkstes Bedenken richtet sich dagegen, daß erstmals in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung eine objektive Wertentscheidung dazu dienen soll, eine Pflicht des Gesetzgebers zum Erlaß von Strafnormen, also zum stärksten denkbaren Eingriff in den Freiheitsbereich des Bürgers zu postulieren. Dies verkehrt die Funktion der Grundrechte in ihr Gegenteil. [..] die Grundrechte [könnten] unter der Hand aus einem Hort der Freiheitssicherung zur Grundlage einer Fülle von freiheitsbeschränkenden Reglementierungen werden.“ 71

Das Sondervotum setzt also nicht naheliegenderweise an der Schutzbereichseröffnung beim nasciturus an, oder hält eine differierende Abwägung von Grundrechtsschutz für Mutter und nasciturus entgegen. Vielmehr wird ein verfassungssystematisches Argument geboten, welches völlig unabhängig vom vorliegenden Sachverhalt besteht. Eine objektive Wertentscheidung des Grundgesetzes, die in einer Strafrechtsnorm resultiert, wird als Verkehrung der Grundrechte ins Gegenteil aufgefaßt. Eine kurze Besinnung wirft jedoch die Frage auf, wie es denn dann um die Verfassungsmäßigkeit des gesamten Strafgesetzbuches steht. Der staatliche Eingriffsschutz gegenüber Dritten sieht sich ansonsten kaum Zweifeln ausgesetzt. 72 So wird etwa Mord nach § 210 StGB mit der höchsten unter dem Grundgesetz möglichen Strafe bewehrt, und zwar alternativlos. Zwar hatte sich sowohl die lebenslange Freiheitsstrafe als auch deren Alternativlosigkeit bei Feststellung des Straftatbestandes einer verfassungsgerichtlichen Prüfung zu unterziehen. 73 Eine erhebliche Strafbewehrung als solche würde jedoch niemand als staatliche Verpflichtung in Zweifel ziehen. Diese wird als so fundamental empfunden, daß niemand den Vorwurf erhöbe, die Pflicht des Gesetzgebers zum Schutz von Leben führe hier unzulässigerweise zu einer freiheitsbeschränkenden Bethge, VVDStRL 57 (1998), 14. Lübbe-Wolff, Grundrechte, 206. Auf eine Kongruenz von Schutzbereich und Unterlassungsanspruch deutend auch Merten, VerwArch 73 (1982), 103 (104 ff.). 71 BVerfGE 39, 1 [73]. 72 Für „Mord und Totschlag“ beispielsweise Alexy, Grundrechte, 413. Ähnlich Preu, JZ 1991, 265 (266) unter Bezugnahme auf die zitierte abweichende Meinung. 73 BVerfGE 45, 187. 69 70

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Reglementierung. Warum genau dies dann in anderem Zusammenhang mit großer Emphase geschieht, ist rational schwer nachzuvollziehen. 74 Ein merkwürdiger Widerspruch klafft also zwischen gefestigter Rechtsprechung 75 sowie Akzeptanz und steigendem Interesse bezüglich objektiver Grundrechtsgehalte in der Lehre 76 einerseits und allenthalben kolportierten dogmatischen Zweifeln 77 bezüglich dieser „Anbauten“ andererseits. Um den dichotomen Abwehrrechten und Schutzpflichten den erforderlichen Oberbegriff zu verleihen, erfolgt zunächst eine Trennung der Begriffe „subjektiv“ und „abwehrrechtlich“. Was die Subjektivität der Grundrechte anbelangt, soll dem Ansatz des individualschützenden Charakters 78 gefolgt und dies hier nicht näher vertieft werden. Inwieweit die abwehrrechtliche Grundrechtsinterpretation tatsächlich den „Gesamtbegriff der Grundrechte“ 79 wiedergibt, soll nun mittels Verfassungstextexegese überprüft werden.

(a) Textexegese der Grundrechtsnormen Die stillschweigend gewählte Vorgehensweise des klassisch-abwehrrechtlichen Standpunktes läßt sich besonders deutlich zeigen an einer Normgehaltsanalyse Alexys. Allerdings betont Alexy selbst, 80 die Grundrechtsnormen könnten noch mehr bedeuten, als er in der genannten Analyse expliziert. Aufgrund des andern inhaltlichen Zusammenhangs seiner Ausführungen unternimmt er jedoch die Beschränkung auf nachfolgenden Normgehalt. Dennoch wird Alexys Darstellung zugrundegelegt, denn diese „Beschränkung“ bedeutet meist den vollständigen Normgehalt der traditionellen Interpretation. Alexy wählt als Beispiel zunächst den Art. 5 Abs. 3 GG und beginnt eine Ermittlung dessen Normgehalts. 81 74 Ebenfalls für die Ableitung des staatlichen Eingriffsschutzes gegenüber Dritten durch das gesamte Strafrecht aus der objektiven Wertentscheidung des Grundgesetzes: Murswiek, Sachs GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 24 „[..] die rechtsstaatliche Verfassung [setzt] als selbstverständlich voraus, daß der Staat den einzelnen gegen Eingriffe Dritter schützt“. 75 Vgl. Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, 17 ff.; Stern, Staatsrecht III/1, § 69 IV 4 e b. 76 Vgl. Unruh, Grundrechtliche Schutzpflichten, 17; Isensee, HStR V, § 111 Rn. 20. 77 Vgl. Lübbe-Wolff, Grundrechte, 205 ff.; Stern, Staatsrecht III/1, § 69 IV 5. 78 Vgl. Stern, Staatsrecht III/1, § 65 II 4. 79 Stern, Staatsrecht III/1, § 66 I; vgl. Jarass, AöR 120 (1995), 345 (347). 80 Vgl. Alexy, Grundrechte, 123 Fußn. 153. 81 Vgl. zu den folgenden Ausführungen über Alexys Normgehaltsanalyse: Alexy, Grundrechte, 123 f.

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

Aus dem Textbefund „Die Kunst ist frei“

präzisiert er in erster Näherung den Sollensgehalt „Eingriffe des Staates in Betätigungen, die zum Kunstbereich gehören, sind verboten“.

Der praktischen Konkordanz Rechnung tragend, gelangt er zum Endergebnis „Eingriffe des Staates in Betätigungen, die zum Kunstbereich gehören, sind verboten, wenn sie nicht zur Erfüllung solcher gegenläufigen Prinzipien von Verfassungsrang (die entweder Grundrechten Dritter oder kollektiven Gütern gelten können) erforderlich sind, die unter den Umständen des Falles dem Prinzip der Kunstfreiheit vorgehen“.

Diese Präzisierungsfolge dokumentiert die vollständige Gleichsetzung des staatlichen Beeinträchtigungsverbots mit der Reichweite des normierten Freiheitsrechts. Noch deutlicher wird diese Vorgehensweise bei solchen Grundrechten, die unter Gesetzesvorbehalt stehen. Alexy sprich nun davon, etwa Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG folgendermaßen zu vervollständigen: „Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden“

wird zu „Eingriffe des Staates in die Freiheit der Person sind verboten, wenn sie nicht aufgrund eines Gesetzes erfolgen oder nicht zur Erfüllung solcher gegenläufigen Prinzipien erforderlich sind, die unter den Umständen des Falles dem Prinzip der Freiheit der Person vorgehen.“

In beiden Fällen wird die Grundnorm, nämlich die Freiheitsgewährung, vollständig von dem Unterlassungsanspruch gegenüber dem Staat absorbiert. War dies vom Verfassungsgeber beabsichtigt, so fragt sich, warum er nicht von vornherein eine andere Regelungstechnik gewählt hat. Unter der Geltung dieser Normgehaltsanalyse wiese das Grundgesetz nämlich eine Regelungsredundanz auf. Bei einzelnen Grundrechten ist die Freiheitsgewährung und die Eingriffsbegrenzung sogar auf verschiedene Absätze des Verfassungsartikels verteilt: (1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. (2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes [..] eingeschränkt werden [..].

Unter Zugrundelegung Alexys Darstellung ließe sich dies verkürzen zu: „Die Freizügigkeit aller Deutschen im ganzen Bundesgebiet darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden“.

Die von der Verfassung tatsächlich gewählte Aufteilung der Regelung auf zwei Absätze oder zumindest zwei Sätze wäre also redundant. Für die Absicht des Verfassungsgebers, eine solche Redundanz in die Verfassung einzubringen, liegen jedoch keine Anhaltspunkte vor. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die Definition

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des Freiheitsbereiches nicht vollständig im Unterlassungsanspruch bzw. der Eingriffsbegrenzung aufgeht, die Normgehalte also inkongruent sind. Aus der unzweifelhaften Grundrechtsverpflichtetheit des Staates gemäß Art. 1 Abs. 3 GG folgt nichts anderes. Die Grundrechte binden die drei Gewalten. Hieraus allein resultiert noch kein materialer Gehalt dieser Bindung. Entscheidet sich das Grundgesetz durchgängig, Freiheitsbereich und gegebenenfalls Eingriffsbegrenzung in getrennten Normsätzen zu statuieren, dann ist auch von einer getrennten Bindung des Staates an die Normierung des Freiheitsbereiches einerseits und an die Normierung der Eingriffsbegrenzung andererseits auszugehen. Für vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte gilt dies erst recht. Hier gibt es überhaupt keinen grammatischen Anhaltspunkt, die Freiheitsgewährung auf die Eingriffsbegrenzung zu reduzieren. Immerhin mußte die Schrankenregelung für solche Grundrechte erst durch Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelt werden. 82 Der Staat ist also zum einen an den Freiheitsbereich des jeweiligen Grundrechts „gebunden“. Welche Verpflichtungen diese Bindung umfaßt, ist im Augenblick noch nicht entschieden. 83 Unabhängig davon hat der Staat zum anderen in Grundrechte nur unter den verfassungsmäßigen Voraussetzungen einzugreifen. Nunmehr lautet also die korrekte Ermittlung des Sollensgehalts am Beispiel: (1) Der Staat ist daran gebunden, daß die Freiheit der Person unverletzlich ist. (2) Der Staat ist daran gebunden, in die Freiheit der Person nur aufgrund eines Gesetzes einzugreifen.

Diese Bindungsanordnung des Art. 1 Abs. 3 GG stellt lediglich den unmittelbaren Normativcharakter der Grundrechte klar. Die Notwendigkeit einer derartigen Klarstellung ergibt sich insbesondere verfassungshistorisch. 84 Worin die zu beachtende Norm besteht, folgt ausschließlich aus dem Einzelgrundrecht.85 Den Begriff der Bindung gleichzusetzen mit der Eingriffsbegrenzung hieße aber, Art. 1 Abs. 3 GG unzulässig einen materialen Gehalt zuzuweisen. Satz (1) des obenstehenden Beispiels kann daher weiter präzisiert werden: (1) „Die Freiheit der Person ist unverletzlich“ ist eine Rechtsnorm, die für den Staat unmittelbar rechtsverbindlich ist.

Die Annahme einer nichtredundanten Regelungstechnik erfordert einen unterschiedlichen Regelungsgehalt der Sätze (1) und (2). Dies trifft nur zu, wenn Satz 1 einen Freiheitsbereich statuiert, der mehr bedeutet als Freiheit vor staatlichen Eingriffen. Zwar beweist der Begriff „unverletzlich“ in diesem Beispiel, daß es allgeVgl. hierzu insbesondere Winkler, Kollisionen, passim. Ähnlich auch Holoubek, Gewährleistungspflichten, 89. 84 Vgl. Stern, Staatsrecht III/1, § 65 I 3. 85 Vgl. Holoubek, Gewährleistungspflichten, 155 f.; Stern, Staatsrecht III/1, § 65 I 3 d; BVerwGE 71, 183 [192]. 82 83

3 Meyer

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

mein um die Abwehr von Eingriffen geht, nichts ist jedoch darüber ausgesagt, von wem diese Eingriffe ausgehen. Vielmehr suggeriert die Absolutheit des Begriffes „Unverletzlichkeit“ den Schutz vor Eingriffen durch jedermann. Eine Freiheit, die von Privaten 86 oder anderweitig 87 verletzt wird, ist damit verletzt und somit die Unverletzlichkeit nicht gewahrt. Auf keinen Fall soll hier einer unmittelbaren Drittwirkung das Wort geredet werden. 88 Die ausschließliche Verpflichtung des Staates durch die Grundrechte steht außer Frage und ergibt sich aus Art.1 Abs. 3 GG. 89 An dem vorliegenden Befund ändert dies jedoch nichts. Die vom Grundgesetz eingeräumten Rechte sollen von niemandem unzulässig beeinträchtigt werden, und genau auf diesen Tatbestand soll der Staat nach dem Wortlaut 90 der Grundrechtsnormen verpflichtet werden.

86 Jüngst ausdrücklich: BVerfG, NJW 2002, 3619 (3620) („Art. 10 Abs. 1 GG begründet ein Abwehrrecht gegen die Kenntnisnahme des Inhalts und der näheren Umstände der Telekommunikation durch den Staat und einen Auftrag an den Staat, Schutz auch insoweit vorzusehen, als private Dritte sich Zugriff auf die Kommunikation verschaffen“). 87 Wenn Grundrechte die grundrechtlichen Schutzgüter umfassend gewährleisten sollen, so erscheint nicht einsichtig, weshalb nichtpersonale Bedrohungen unbeachtlich bleiben sollen. Gerade diese können besonders intensive Eingriffe bewirken, etwa Naturkatastrophen. A. A. Isensee, HStR V, § 111 Rn. 112; Holoubek, Gewährleistungspflichten, 244 f. Für die Einschlägigkeit der Grundrechte: Roth, Faktische Eingriffe, 73, 420 ff. Siehe auch Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, 57 f. 88 Grundlegend für eine unmittelbare Drittwirkung: Nipperdey, Enneccerus-Nipperdey, 94 ff. Nipperdey rekurriert auf die objektive Wertordnung, welche das Grundgesetz bezwecke. Diese geht jedoch nicht erkennbar aus der Verfassung hervor, wie an anderer Stelle besprochen (1. Kapitel II. 3. a) (3) (c)). Richtig hingegen Nipperdeys Feststellung: „[..] Bedeutungswandel der Grundrechte, der sich daraus erklärt, daß die Gefährdung der Rechtssphäre des einzelnen Staatsbürgers durch andere als staatliche Gewalten zugleich eine Anpassung der Funktion der Grundrechte an eine gewandelte historische Situation bedingt“, S. 96. Vgl. auch Nipperdey, Freie Entfaltung, 750 ff.; Leisner, Grundrechte, passim. 89 Deshalb unzutreffend: Leisner, Grundrechte, 287: „Der reine Wortlaut – einer Bestimmung wie etwa: ‚Jeder hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern‘ (Art. 5 GG) – gibt keinen Anhaltspunkt für die Adressaten der Norm, auch dann nicht, wenn der ‚typische Grundrechtscontext‘ berücksichtigt wird[..]“. Der Wortlaut der Einzelgrundrechte entbehrt in der Tat eines derartigen Anhalts. Art. 1 Abs. 3 GG weist aber unzweifelhaft die nachfolgenden Grundrechte dem Staat als Adressaten zu. 90 Widersprochen sei damit Alexy, Grundrechte, 397, der meint, daß das Grundgesetz „von seiner Textfassung [..] her primär den Charakter einer an Abwehrrechten orientierten bürgerlich-rechtsstaatlichen Verfassung hat“ (Hervorhebung im Original). Starck, Verfassungsauslegung, 56 f. meint, Formulierungen wie „... ist frei“ sollten nicht als Rundum-Gewährleistungen auch gegen Dritte verstanden werden. Es handele sich um einen allgemein verwendeten Ausdruck für Grundrechtsgarantien und besage noch nichts über Schutzpflichten. Damit vernachlässigt Starck den hier aus dem Verfassungstext entwickelten Redundanztatbestand, welcher sich bei rein abwehrrechtlicher Auslegung ergäbe.

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(b) Staatliche Gewährleistungspflicht Als Oberbegriff der Dichotomie von Abwehrrechten und Schutzpflichten mag somit die staatliche Gewährleistungspflicht 91 dienen. „Gewährleistung“ muß dann allerdings in einem spezifischen Sinne verstanden werden, denn der Begriff wird meist generell zur Charakterisierung des Normgehalts von Grundrechten bemüht. 92 Kein Zweifel besteht nämlich, daß Grundrechte jedenfalls „irgend etwas“ gewährleisten. Dies könnte beispielsweise auch bloß die Abwehr staatlicher Eingriffe betreffen. Hier soll „Gewährleistung“ jedoch heißen, das Grundgesetz macht den Staat für den tatsächlichen Bestand, für die Effektuierung der grundrechtlichen Rechtsgüter verantwortlich. Diese Gewährleistung umfaßt den Verzicht auf staatliche Eingriffe ebenso 93 wie den Schutz vor sonstigen Beeinträchtigungen. Ob die abwehrrechtliche Komponente größere „Bedeutung“ als die Schutzpflicht innehat, ist eine staatsethische, keine verfassungsrechtliche Frage. An dieser Stelle sei denn auch die Zwischenfrage gestattet, was man sich unter einer Rechtsordnung vorzustellen hätte, die zwar den Staat von Eingriffen abhält, die Rechtsgenossen aber ansonsten jeglicher Beeinträchtigung bis hin zur physischen Vernichtung überantwortet. Die Inkonsistenz einer derartigen Verfassungsinterpretation zeigt sich schon daran, daß niemand wagt, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu objektiven Grundrechtsgehalten prinzipiell in Frage zu stellen. Es ist dann allerdings auch eine Frage der Redlichkeit, die objektiven 91 Mit dem Begriff der Gewährleistung im grundrechtlichen Bereich setzt sich jüngst insbesondere Winkler auseinander. Winkler geht dabei allerdings einen umgekehrten Weg. Er führt zunächst einen Verfassungsrechtsbegriff der Gewährleistung ein, den er nicht unmittelbar dem Verfassungstext entnimmt. Die gewährleistende Eigenschaft der Grundrechtsnormen wird vielmehr zunächst einfach unterstellt bzw. ohne nähere Begründung aus dem schützenden Charakter der Grundrechte gewonnen. Dieser Schutzcharakter wird dann als Grundlage unterstellt, den Grundrechten allgemein eine finale Ausrichtung auf die Bewahrung von Zuständen oder Beständen aufzufassen. Hierdurch gelangt er dann zu einer gebotenen Beeinträchtigungsfreiheit auch gegenüber Privaten und sonstigen Einflüssen (Winkler, Kollisionen, 37 ff.). Einer derartigen Vorgehensweise wird hier nicht gefolgt. „Gewährleistung“ ist kein verfassungsnormativer Begriff des Grundrechtsteils. Die lediglich punktuelle Verwendung in Art. 4 Abs. 2, 5 Abs. 1 Satz 2, 7 Abs. 4 Satz 1, 9 Abs. 3 Satz 1 und 14 Abs. 1 Satz 1 GG schließt vielmehr eine unmittelbar normative, prinzipielle Bedeutung des Begriffs jenseits dieser konkreten Verfassungsnormen aus. Daher scheint unzulässig, einen nichtverfassungsrechtlichen Begriff zur Grundlage dogmatischer Schlußfolgerungen zu machen. Hingegen wird vorliegend unmittelbar aus dem Verfassungstext die Eigenschaft der Grundrechte gewonnen, den Staat auf die Abwehr von Beeinträchtigungen von allen Seiten zu verpflichten. Dieser Tatbestand wird dann lediglich nachträglich mit dem Begriff der Gewährleistung sprachlich gekennzeichnet, ohne dem Begriff selbst normative Mächtigkeit beizumessen. 92 Vgl. etwa Winkler, Kollisionen, 37 ff.; Roth, Faktische Eingriffe, 73 ff.; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, 49 ff. 93 Ebenfalls für die Gleichrangigkeit von Schutzpflicht und Abwehrrecht bspw.: Holoubek, Gewährleistungspflichten, 261; Murswiek, Sachs GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 29, 32. Bzgl. der Frage nichtpersonaler Bedrohungen siehe oben Fußn. 93.

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

Grundrechtsgehalte aus der juristischen Schmuddelecke zu holen. An grundsätzlicher Bedeutung stehen sie insbesondere in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts den abwehrrechtlichen Aspekten in nichts nach. In einer der Leitentscheidungen (Mülheim-Kärlich) zur objektiven Ordnung formuliert das Gericht, für die Genehmigung von Kernkraftwerken seien nicht weniger strenge Maßstäbe anzulegen als bei der Prüfung staatlicher Eingriffsgesetze. 94 Es weist weiter darauf hin, das Grundrecht werde nicht erst durch eine faktische Verletzung beeinträchtigt, sondern auch dann, wenn vorbeugende Maßnahmen außer acht gelassen würden.95 Der staatlichen Schutzpflicht und Mitverantwortung sei auch verfahrensrechtlich Rechnung zu tragen. 96 Diesen Aspekt betont das Gericht nochmals, wenn es feststellt, genehmige der Staat ein Kernkraftwerk, so übernehme er die Mitverantwortung für die einhergehenden Gefährdungen. 97 Die Ausführungen des Gerichts zur Universalität staatlicher Verantwortung für die Grundrechtseffektuierung ließen sich fortsetzen. 98 In einer Entscheidung aus dem Jahre 2001 99 findet sich eine beachtliche Verknüpfung dreier verschiedener Kategorien von Verfassungsnormen: der Menschenwürde als Oberstem Konstitutionsprinzip, dem Sozialstaatsprinzip als Staatsziel, und schließlich dem Einzelgrundrecht aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG. Das Gericht stellt zunächst fest, die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit habe aufgrund des Sozialstaatsprinzips Verfassungsrang. Die Beseitigung von Arbeitslosigkeit führe jedoch dann auch dazu, daß ein zuvor Arbeitsloser sein Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG verwirklichen könne. Hiermit würde schließlich auch dem gesetzlichen Ziel von Art. 1 Abs. 1 GG Rechnung getragen, weil die Berufstätigkeit die Erfahrung von Achtung und Selbstachtung ermögliche. Das Sozialstaatsprinzip als rein objektive Verfassungsnorm und die Grundrechte wirken also kohärent zusammen, um einen aktiven Freiheitsschutz durch den Staat sicherzustellen. Die Redlichkeit gebietet somit, den Schritt zu wagen zu einer vom Verfassungstext voll getragenen Universalisierung der Beeinträchtigungsfreiheit.

Vgl. BVerfGE 53, 30 [58]. Vgl. BVerfGE 53, 30 [59]. 96 Vgl. BVerfGE 53, 30 [59]. 97 Vgl. BVerfGE 53, 30 [58]. Siehe auch BVerfGE 77, 170 [214]; 77, 381 [402 f.]. 98 Nicht gefolgt werden kann dem Bundesverfassungsgericht allerdings, wenn es eine Pflicht des Staates, „für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen und die Beachtung deren Rechte sicherzustellen“, „dem Verbot der Privatgewalt und der Verstaatlichung der Rechtsdurchsetzung“ entnimmt (BVerfGE 74, 257 [261 f.]). Dieser Behauptung fehlt der klare Bezug auf eine normative Grundlage. Dogmatisch vorzuziehen ist daher der hier gewählte Weg, die Schutzpflicht unmittelbar auf die Grundrechte und weitere, noch zu ermittelnde Gemeinwohlbelange normativ abzustützen. 99 BVerfG, Der Betrieb 2001, 1367 (1368). 94 95

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(c) Verfassungstext und Begriff der „objektiven Wertordnung“ Die gerade vorgestellte vorverständnisabstinente Verfassungstextexegese vermeidet, auf die mühsame Konstruktion einer objektiven Wertordnung angewiesen zu sein. Deren dogmatische Fundierung ist, vor allen Dingen auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, unklar und begegnet vielerlei Kritik. 100 Fraglich ist insbesondere, was für den Ordnungsaspekt konstitutiv sein soll. Zwar führt das Wertordnungskonzept die fraglichen Werte selbstverständlich auf die Grundrechte zurück, 101 Ordnung suggeriert jedoch mehr. Zu einer „Ordnung“ der Grundrechte sagt die Verfassung jedoch nichts, womit deren Aufweisung eine Verfassungsinterpretation im luftleeren Raum wäre. In diesem Zusammenhang als beachtlich sei vermerkt, daß das Bundesverfassungsgericht in der eigenen Begründung der objektiven Wertordnung (Lüth 102) den Verfassungstext ausklammert und lediglich auf Ideengeschichte und genetische Rechtsvergleichung verweist. Zwar wird auf das Zurückweichen des Wertbegriffes zugunsten der Terminologie einer objektiven Ordnung hingewiesen, 103 ein Verzicht des Bundesverfassungsgerichts auf den Wertbegriff ist jedoch nicht auszumachen. Anläßlich neuerlicher Erwähnungen der wertsetzenden Bedeutung der Meinungsfreiheit, der Berufsfreiheit104 und schließlich der Versammlungsfreiheit, 105 sei die Gefahr einer solchen selektiven Werteattribution angedeutet. Fraglich bleibt, weshalb eine derartige funktionale Exposition einzelner Grundrechte gerechtfertigt sein soll.106 Das Bundesverfassungsgericht bietet etwa die Rolle der Meinungsfreiheit für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung an. Letztendlich weist eine solche Dogmatik in Richtung eines Luhmannschen 107 Verständnisses der Grundrechte als Institution, bei denen weniger die individuelle Freiheitsgewährleistung, als vielmehr die Funktionsfähigkeit des Staates im Vordergrund steht. In die gleiche Richtung weist grundlegend das Spiegel-Urteil. 108 Eine solche Grundrechtsinterpretation ist mit Art. 1 GG nicht vereinbar und natürlich auch vom Bundesverfassungsgericht nicht beabsichtigt. Gerade deshalb sollte von einem Interpretationsansatz abgesehen werden, der zum Verfassungstext auf Abstand geht. Im übrigen stellt das Gericht anderenorts109 unterschiedslos den Schutzpflichtgehalt aller Freiheitsgrundrechte fest. Dessen eigene Judikatur macht also den Wertbegriff ohnehin überflüssig. Vgl. Müller, Methodik, 62 ff.; Goerlich, Wertordnung, 140. Vgl. BVerfGE 7, 198 [205 ff.]. 102 Vgl. BVerfGE 7, 198 [204 f.]. 103 Vgl. Jarass, AöR 110 (1985), 363 (366); Stern, Staatsrecht III/1, § 69 I 3 gbb. 104 Vgl. BVerfGE 96, 189 [199] (Berufsfreiheit); BVerfG, 1 BvR 1847/95 vom 24. Februar 1999 (Meinungsfreiheit). 105 Vgl. BVerfGE 104, 92 [108]. 106 Zur fragwürdigen Differenzierung wertsetzender und nicht wertsetzender Grundrechte vgl. Jarass, AöR 110 (1985), 363 (369 ff.). 107 Vgl. Luhmann, Grundrechte als Institution, passim. 108 BVerfGE 20, 162 [174 f.]. 109 Vgl. BVerfGE 92, 26 [46]. 100 101

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

Die hier vorgeschlagene Verfassungsinterpretation benötigt keine Annahme einer Wertordnung, deren Gestalt aus der Verfassung nicht sicher extrahierbar ist. Statt dessen wird die ausschließliche Abstützung auf den Verfassungstext angestrengt. Diesem Weg mögen nun vor allem zwei Einwände begegnen. (d) Dogmatische Fundierung Enthält bereits diejenige Norm die Gewährleistungspflicht, welche den Freiheitsbereich statuiert, so erscheint es möglicherweise wiederum redundant, wenn in einer weiteren Norm zusätzlich die Eingriffsbegrenzung erfolgt. Denn, wie oben bereits ausgeführt, umfaßt selbstverständlich bereits die Gewährleistungspflicht die grundsätzliche Unzulässigkeit staatlicher Eingriffe. Dieser Einwand verfängt jedoch nicht. Die Gesetzesvorbehalte bestimmen das Ausmaß zulässiger Eingriffsintensität und differenzieren zwischen vorbehaltlos gewährten Grundrechten und Grundrechten, die entweder durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes oder aber nur durch Gesetz eingeschränkt werden dürfen. Hinzu treten qualifizierte Gesetzesvorbehalte und spezielle Schrankenregelungen. Die Eingriffsbegrenzungen besitzen also einen Informationsgehalt, welchen nicht bereits die Gewährleistungspflicht aufweist. Eine Redundanz besteht daher nicht. Der zweite Einwand wiegt schwerer. Die vorgeschlagene Interpretation will sich erklärtermaßen vor allem auf den Verfassungstext abstützen. Die Behauptung einer Gewährleistungspflicht, welche das Grundrecht verursacherindifferent gegen Angriffe schützt, setzt aber das Vorliegen eines bestimmten grundgesetzlichen Freiheitsbegriffes voraus. Dies wurde bis jetzt noch nicht nachgewiesen. Zur Regelungstechnik des Grundgesetzes ist zunächst anzumerken, daß es bei der Statuierung der geschützten Freiheitsbereiche wahlweise die Begriffe „Recht“ oder „Freiheit“ bzw. „frei“ oder beide zusammen oder keinen von beiden gebraucht. Da Art. 1 Abs. 3 GG von den „nachfolgenden Grundrechten“ spricht, kann jedoch kein Zweifel bestehen, daß es in jedem Fall um die Einräumung individueller Schutzgüter geht. Auf eine ausdrückliche Formulierung „hat das Recht ...“ kommt es im Einzelfall nicht an. Unabhängig von einem ausdrücklichen Gebrauch des Freiheitsbegriffes räumen alle Grundrechte evident den Bestand eingriffsgeschützter eigenverantworteter Sphären ein. Das Gleichheitsgrundrecht nimmt selbstverständlich die bekannte Sonderstellung ein. Zusammenfassend kann jedoch davon ausgegangen werden, daß die Grundrechte je eine spezifizierte Freiheit definieren, unabhängig von dem Auftauchen des Begriffes „frei“. Auf den besonderen Gehalt von Art. 2 Abs. 1 GG wird später 110 eingegangen. Die „nachfolgenden Grundrechte“ sind nicht einfache Emanationen des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG. Nachfolgend wird zu zeigen sein, daß ihnen dennoch ein Freiheitsbegriff zugrundeliegt, welcher dem Normgehalt des Obersten Konstitutions110

Siehe 1. Kapitel III. 2. b).

II. Bestimmung eines grundgesetzlichen Gemeinwohlbegriffes

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prinzips entspringt. Selbstverständlich ist hier nicht der Ort, die Exegese des Begriffes der Menschenwürde in Gänze nachzuzeichnen. Dennoch soll eine Stellungnahme nicht geschuldet bleiben, worin die Interdependenz von Freiheitsbegriff und Menschenwürde bestehen kann. Für die Gewinnung eines Rechtsbegriffs von Menschenwürde stößt der Rückgriff auf einzelne Naturrechtslehren meist auf Ablehnung.111 Einhellig wird Menschenwürde dennoch im Zusammenhang gesehen mit der „unableitbaren Wesenheit der menschlichen Natur“. 112 Hierauf deutet bereits die Begriffsbildung. Menschen-Würde ist offenbar eine Eigenschaft, die an die Tatsache des Menschseins zu knüpfen ist. 113 Dies schließt aus, sie als staatlich konstituiert zu begreifen, wie dies für die Einräumung sonstiger individualschützender Rechtspositionen 114 zutrifft. Ist Menschenwürde somit vorstaatlicher Qualität, so lohnt sich doch ein Blick auf die Beschreibung eines Naturzustandes in der Staatsphilosophie. Handelt es sich bei der Menschenwürde tatsächlich um eine Eigenschaft, die dem Menschen als solchen zukommt, so ist darüber hinaus nicht nur auf staatliche, sondern auch auf sonstige Präformierung weitestmöglich zu verzichten; deshalb wird der Naturzustand bei Hobbes für einen knappen Exkurs ausgewählt. 115 Ausgehend von einer jedem Menschen zugestandenen Selbsterhaltung sind sämtliche Vorkehrungen statthaft, die dieser Selbsterhaltung dienen.116 Mangels einer übergeordneten Instanz fehlt jedoch ein allgemeiner Maßstab dessen, was dazu tatsächlich notwendig ist. Die Definitionsgewalt hierüber verbleibt daher beim Individuum. Dieses hat somit das Recht, alles tun, was nach eigenem Gutdünken zur Erhaltung des Lebens notwendig ist. 117 „Recht“ versteht Hobbes dabei als die Freiheit, etwas zu tun oder zu unterlassen. „Recht auf alles“ bedeutet also bei Hobbes Abwesenheit jeglicher Verpflichtung, 118 jeglichen Hindernisses. 119 Hieraus folgt die Bedeutungslosigkeit der Kategorien Recht und Unrecht im Naturzustand. „Recht“ und „Unrecht“ sind vielmehr Folge ex-post erzielter willkürlicher Übereinkunft, überwacht durch eine Zwangsgewalt. 120 Dieser weitgehende Freiheitsbegriff, bar sittlicher Präformierung, scheint zunächst eine anschlußfähige Beschreibung des Menschen im Naturzustand abzuge111 Vgl. Lübbe-Wolff, Grundrechte, 78 ff.; Evers, AöR 90 (1965), 88 (94 f.); Kunig, Münch/ Kunig GG-Kommentar, Art. 1 Rn. 21 m. w. N. 112 Vgl. Stern, Staatsrecht III/1, § 58 I 1. 113 Vgl. Brugger, Menschenwürde, 31 f.; Wintrich, Problematik, 5. 114 Vgl. Lübbe-Wolff, Grundrechte, 75 ff. 115 Vgl. insgesamt: Hobbes, Leviathan, XIII, XIV. 116 Vgl. Paeschke, Hobbes, 35. 117 Vgl. Ludwig, Staatsphilosophie, 25. 118 Vgl. Ludwig, Staatsphilosophie, 25. 119 Vgl. Paeschke, Hobbes, 36. 120 Vgl. Lemos, Hobbes and Locke, 22 f.; Ludwig, Staatsphilosophie, 29; Paeschke, Hobbes, 39.

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

ben. Wollte man hieraus auf den normativen Gehalt der Menschenwürde schließen, so müßte eine auf das notwendigste beschränkte staatliche Zwangseinwirkung Ergebnis sein. Eine derartige Interpretation übersähe jedoch, daß der Hobbessche Naturzustand über dem Menschen zukommende Eigenschaften keinerlei Aussage trifft und deshalb die eingangs getroffene Forderung verfehlt. Da es sich um eine Beschreibung des Menschen im Naturzustand, nicht des Naturzustands des Menschen handelt, sind auch innerer und äußerer Zustand des Menschen notwendig entkoppelt. Hobbes beschreibt einen Zustand der Abwesenheit äußerer Verpflichtungen, gleich ob positiv- oder naturrechtlicher Provenienz. Der innere Zustand des Menschen, die menschliche Natur, ist hierfür belanglos und bleibt offen. An anderer Stelle weist Hobbes allerdings ausdrücklich die Existenz derjenigen menschlichen Qualität zurück, 121 um die es im folgenden gehen soll. Stellt man die Frage nach der besonderen Natur des Menschen, so heißt dies näherhin zu ermitteln, was den Menschen als Lebewesen eigentümlich macht. Dies ist offenkundig seine Fähigkeit zum Ich-Bewußtsein. Sich der eigenen Existenz bewußt zu sein, verleiht der Formulierung einer „selbstbestimmten Fähigkeit, seine Umwelt zu gestalten“, 122 überhaupt erst Sinn. Ich-Bewußtsein und Willensfreiheit bedingen einander. Ausschlaggebend ist nun, daß diese besondere menschliche Fähigkeit Resultat biologischer Evolution ist. Die Eigenschaft des Menschen, einen freien Willen zu haben und auf dessen Grundlage freie Willensentschließungen zu treffen, ist ein anthropobiologisches Faktum. Hieran knüpft nun die Zurückweisung der Relevanz von Bestimmungen der Reichweite äußerer Freiheit im Naturzustand. Die menschliche Eigenschaft des freien Willens ist als Faktum 123 nämlich überhaupt nicht einschränkbar, sieht man einmal von dem Einsatz von Psychopharmaka ab. Ein Mensch entscheidet immer aufgrund der Betätigung seines Willens. 124 Dies geschieht auch dann, wenn er ungünstige äußere Bedingungen zu berücksichtigen hat. Selbst die Androhung größter physischer Gewaltsamkeit ändert nichts daran, daß es eine Willensentscheidung bedeutet, der Drohung durch entsprechendes Verhalten zu entgehen oder ihren Eintritt hinzunehmen. Was sich durch solche äußere Einwirkungen vielmehr ändert, ist die „Datenbasis“, auf deren Grundlage der freie Wille entscheidet. Vereinfacht könnte man sagen, die als schädlich und als nützlich 121 Gemeint ist der freie Wille. Hobbes sieht den freien Willen und die Gedanken unmittelbar kausal an äußere sinnliche Empfindung geknüpft. Vgl. Paeschke, Hobbes, 29; Ludwig, Staatsphilosophie, 18. 122 Stern, Staatsrecht III/1, § 58 I 1 a. Zur juristischen Bedeutung der natürlichen Ausstattung des Menschen insbesondere Wintrich, Art. 2 Abs. 1 GG, 1 ff.; Wintrich, Problematik, 6; Dürig, AöR 81 (1956), 117 (125 f.); Enders, Menschenwürde, 180 ff. 123 Der wissenschaftlichen Redlichkeit halber soll nicht unerwähnt bleiben, daß zeitgenössische Forschungen in der Psychologie tatsächlich die Hobbessche Annahme zu bestätigen scheinen. Der freie Wille erweist sich hiernach – experimentell bestätigt – als eine Illusion, die das Gehirn erzeugt, nachdem die tatsächliche Entscheidung bereits durch unbewußte Prozesse gefallen ist. Diese Erkenntnis würde freilich einen großen Teil der Geisteswissenschaften obsolet erscheinen lassen, und soll daher notfalls kontrafaktisch ignoriert werden. 124 Vgl. im übrigen Brugger, Menschenwürde, 34 f.

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bewerteten Konsequenzen einer Handlungsalternative werden abgewogen und auf Grundlage der Gesamtbewertung eine entsprechende Willensentscheidung betätigt. In den freien Willen einzugreifen, heißt nunmehr also nicht, den Willen selbst zu beeinträchtigen, sondern vielmehr die Datenbasis in Richtung einer Verstärkung der schädlichen Aspekte zu manipulieren. Hiervon sinnvoll sprechen zu können, setzt jedoch eine intersubjektive Vermutung darüber voraus, was die meisten Menschen wohl als schädlich empfinden werden. Die Qualifizierung bestimmter Tatbestände als schädlich der Natur des Menschen a priori zuzuschreiben, steht aber mit der Tatsache des freien Willens im Widerspruch. Illustrierend sei das Märtyrertum genannt, bei dem die freie Willensentscheidung zur Inkaufnahme der größtmöglichen physischen Beeinträchtigung führt. Fehlt eine solche intersubjektive Vermutung, so fehlt auch die Grundlage, bestimmte Tatbestände als schädlich oder nützlich zu qualifizieren. Deshalb sind „Recht“ und „Unrecht“ im Naturzustand keine genuinen Kategorien, jenseits der Frage eines Selbsterhaltungsrechts. Im Ergebnis ist festzuhalten, daß nicht ein Naturzustand der Philosophie, sondern vielmehr unmittelbar die biologische Ausstattung des Menschen substantiierte Aussagen über die menschliche Natur auch und gerade im Hinblick auf eine Normexegese gestattet. Eine solche unmittelbare Anknüpfung an der biologischen Existenz des Menschen bestätigt das Bundesverfassungsgericht, 125 wenn es beispielsweise feststellt, das „Dasein eines Kindes“ könne wegen Art. 1 Abs. 1 GG rechtlich nicht als Schadensquelle qualifiziert werden. Folgerichtig lehnt es Naturrecht als Prüfungsmaßstab ab. 126 Wenn also Ich-Bewußtsein und freier Wille das besondere der menschlichen Natur ausmachen, dann ist dies Schutzobjekt von Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG. 127 Da aber der freie Wille im gerade entwickelten Sinne nicht einschränkbar ist, wird nicht der Wille als solcher geschützt. In den Handlungen des Staates muß vielmehr jederzeit dessen Kenntnis dieser konstitutiven menschlichen Eigenschaft erkennbar sein. Der Staat hat den Menschen als denkendes Wesen anzuerkennen und so zu behandeln. Insofern erweist sich die Genialität der „Objektformel“. Sie expliziert den Normgehalt des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG so präzise, daß es geradezu geringschätzig erscheint, von einer „Interpretation“ zu sprechen. Die Objektformel „ist“ Art.1 Abs. 1 Satz 1 GG. 128 Hiervon unberührt bleibt selbstverständlich die richtige Feststellung, 125 Vgl. BVerfGE 88, 203 [296]. Insbesondere auch BVerfGE 88, 203 [252] („Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu. Diese Würde des Menschseins liegt auch für das ungeborene Leben im Dasein um seiner selbst willen“). Siehe auch Wintrich, Problematik, 7. 126 Vgl. BVerfGE 10, 59 [81]. 127 Vgl. Brugger, Menschenwürde, 31 f.; Nipperdey, Freie Entfaltung, 742, 759 f.; Roth, Faktische Eingriffe, 414 f.; Wintrich, Problematik, 14 f. 128 Zur natürlichen Ausstattung des Menschen als die Quelle des Verbots, den Menschen als Objekt staatlichen Handelns herabzuwürdigen vgl. Wintrich, Art. 2 Abs. 1 GG, 2; Wintrich, Problematik, 17 ff. Zur Objektformel Dürig, AöR 81 (1956), 117 (127 ff., 136 ff.).

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die Objektformel weise nur den Weg, die Menschenwürde konkretisiere sich immer nur in Ansehung des konkreten Falles. 129 Zurecht weist das Bundesverfassungsgericht hin auf das Ausreichen des Potentials, nicht der Aktualität 130 dieser menschlichen Eigenart, um den Schutz des Art. 1 Abs. 1 GG auszulösen. Auch der nasciturus sowie Bewußtlose sind damit geschützt. 131 Hingegen widersprüchlich ist die von Dreier vorgetragene Auffassung, dem Embryo fehle es an allen Voraussetzungen der Menschenwürde wie Ich-Bewußtsein, Vernunft, Fähigkeit zur Selbstbestimmung, hingegen seien Geisteskranke von Art. 1 Abs. 1 GG geschützt, da es hierfür alleine auf die Existenz individuellen körperlichen Lebens mit prinzipieller (nicht aktueller) Fähigkeit zu vernünftiger Selbstbestimmung ankäme, wie sie jedenfalls jedem lebenden menschlichen Wesen zu konzidieren sei. 132 Schließlich existieren durchaus angeborene Hirnschädigungen, welche jede Aussicht auf die Erlangung der genannten Fähigkeiten auf Lebenszeit ausschließen. Dennoch genießen diese Menschen selbstverständlich den Schutz des Art. 1 Abs. 1 GG. Selbst wenn man die vorgetragene Auffassung teilte, ergibt sich der Widerspruch, daß ein Embryo bei regulärem Verlauf der Schwangerschaft mit Sicherheit die als konstitutiv bezeichneten Fähigkeiten erlangen wird. Der Embryo hätte also sogar noch eine höhere Aussicht als der Hirngeschädigte, der fraglichen Fähigkeiten teilhaftig zu werden. Dreiers Auffassung müßte also noch eher dem Embryo als dem Hirngeschädigten die Menschenwürde zubilligen. Derartige Widersprüche vermeidet der hier vertretene Ansatz, die Menschenwürde zu gründen auf die biologischen Eigenheiten des Menschen als Spezies, und diese Würde dann jedem Menschen unabhängig von dessen konkreten psychischen oder physischen Zustandes zuzuerkennen. Dieses Ergebnis entspricht weitestgehend der zeitgenössischen Begriffsinterpretation. Wenn angesetzt wird an der Natur des Menschen, dessen Eigenständigkeit oder dessen, was den Menschen im spezifischen Sinne ausmacht, 133 so geht es immer um eine objektive Eigenschaft des Lebewesens, ohne daß bereits auf die Vorformung eines sittlichen Gehalts Wert gelegt würde. (e) Konsequenz für die Grundrechtsdogmatik Dem Begriff der Menschenwürde liegt also die natürliche Willensentschließungsfreiheit des Menschen zugrunde, welche sein Menschsein ausmacht. Mit der Betätigung des freien Willens aktualisiert ein Mensch dasjenige Potential, welches die

Vgl. BVerfGE 30, 1 [25]. Vgl. auch Brugger, Menschenwürde, 32 f. 131 Vgl. BVerfGE 39, 1 [41]; Wintrich, Problematik, 15; Dürig, AöR 81 (1956), 117 (125 f.); Münch, Münch GG-Kommentar, 3. Aufl., Art. 1 Rn. 6. 132 Vgl. Dreier, Dreier GG-Kommentar, Art. 1 Abs. 1 Rn. 50. 133 Vgl. Münch, Münch GG-Kommentar, 3. Aufl., Art. 1 Rn. 13. 129 130

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Quelle der Menschenwürde bedeutet. 134 Bestätigt wird damit auch die liberale Freiheitsauffassung in der Staatsrechtslehre. 135 Freiheit meint eine nicht vorgeformte, umfassende Freiheit. Ist Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG Oberstes Konstitutionsprinzip der Verfassung, 136 so muß der anhand dieses Rechtsguts entwickelte Freiheitsbegriff den weiteren Grundrechten zugrundegelegt werden. Während Art. 1 Abs. 1 GG eine grundsätzliche Negierung von Ich-Bewußtsein und Willensfreiheit der Grundrechtsberechtigten ausschließt, stellen die nachfolgenden Grundrechte einzelne Willensbetätigungen heraus, 137 die aufgrund verfassungsnormativer Entscheidung erhöhten Schutz genießen sollen. Ist die nicht vorgeformte Freiheit sozusagen omnidirektional, so können ihr auch aus allen Richtungen Gefahren drohen. Ist der Staat daher, wie eingangs gezeigt, zur Gewährleistung der jeweils eingeräumten Freiheit verpflichtet, hat er auch allseitige Gefahrenabwehr bzw. -vorsorge zu treffen. Das Bundesverfassungsgericht bekundet, verfassungsrechtliche Schutzpflichten können gebieten, die Gefahr von Grundrechtsverletzungen einzudämmen. 138 Der Freiheitsbegriff der Verfassung steht insgesamt im Einklang mit dem hier eingeschlagenen Weg der Grundrechtsexegese bezüglich objektiv-rechtlicher Gehalte. Abwehrrecht und Schutzpflicht sind damit in ihrer Bedeutung für den Grundrechtsschutz gleichgestellt. (f) Ablehnung der abwehrrechtlichen Lösung Abschließend sei eine deutliche Abgrenzung von der „abwehrrechtlichen Lösung“ 139 der Frage objektiver Grundrechtsgehalte vorgenommen. Nichtstaatliche Grundrechtsbeeinträchtigungen werden hier als staatliche Unterlassungen qualifiziert, weil der Staat diese Beeinträchtigungen nicht unterbunden hat. Die Unterlassung wird dann als aktiver Eingriff betrachtet. Die abwehrrechtliche Lösung stellt Vgl. Nipperdey, Freie Entfaltung, 742, 759, 770; Wintrich, Problematik, 15. Vgl. Enderlein, Begriff der Freiheit, 96 ff.; a.A. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, passim. 136 Vgl. Dürig, AöR 81 (1956), 117 (119); Dürig, Maunz-Dürig, Art. 1 Rn. 14; Brugger, Menschenwürde, 17 f. mit Rechtsprechungsnachweisen des BVerfG. 137 Zum generellen Verhältnis von allgemeinem Freiheitsrecht und Einzelgrundrechten meint das Bundesverfassungsgericht: „Neben der allgemeinen Handlungsfreiheit, die Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet, hat das Grundgesetz die Freiheit menschlicher Betätigung für bestimmte Lebensbereiche, die nach den geschichtlichen Erfahrungen dem Zugriff der öffentlichen Gewalt besonders ausgesetzt sind, durch besondere Grundrechtsbestimmungen geschützt[..]“ (BVerfGE 6, 32 [37]). 138 Vgl. BVerfGE 49, 89 [141]. 139 Vgl. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 211 ff.; Holoubek/Korinek, Privatwirtschaftsverwaltung, 127 ff.; Holoubek, Gewährleistungspflichten, 251; Unruh, Grundrechtliche Schutzpflichten, 44 ff. 134 135

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den hier vertretenen Ansatz auf den Kopf und bestärkt den Totalitätsanspruch des abwehrrechtlichen Aspektes noch weiter. Die Schutzpflicht wird zu einer Spielart des Abwehrrechts stilisiert. Anlaß ist möglicherweise die Furcht, die traditionelle Interpretation anzutasten, aber dennoch zu einem praktikablen Ergebnis zu kommen. 140 Die abwehrrechtliche Konstruktion überrascht insbesondere, wenn der Normzweck der Grundrechte zutreffend erkannt wird – nämlich die staatliche Gewährleistung gewisser Interessenpositionen sowohl mittels des Eingriffsverzichts als auch der Abwendung von Drittbeeinträchtigungen 141 (Holoubek). Dieses „teleologische Argument“ 142 begründet aber nicht nur den Schutzbereichsumfang des jeweiligen Einzelgrundrechts, 143 sondern legt gleichzeitig die hinreichende dogmatische Grundlage des Schutzpflichtaspektes. Des Umweges der Stilisierung staatlichen Unterlassens als Eingriff bedarf es nicht. Hinsichtlich Holoubeks und Grillers Variante der abwehrrechtlichen Konstruktion sei noch das folgende dogmatische Problem angedeutet. Sie stellt ab auf die Verantwortung des Staates für die von ihm geschaffene Rechtsordnung, welche gegebenenfalls einem privaten „Grundrechts-“störer sein Verhalten erlaubt („schwache Erlaubnis“ 144). Eine derartige Grundrechtsbeeinträchtigung aufgrund einfachgesetzlicher Erlaubnis sei insoweit auch dem Staat zuzurechnen. 145 Allerdings distanzieren sich beide Autoren davon, das grundrechtsbeeinträchtigende Verhalten selbst dem Staat zuzurechnen. Vielmehr sei ein Verhalten entweder erlaubt oder verboten („tertium non datur“ 146), daher sei auch eine Erlaubnis aufgrund fehlender gesetzlicher Beschränkung als Regelung zu betrachten. 147 Die Schaffung bzw. der Bestand einer derartigen Rechtslage wird dann als staatlicher Eingriff gesehen. 148 Die Existenz einer eigenständigen Schutzpflicht wird zurückgewiesen. 149 Eine derartige Verantwortung des Staates für die bestehende Rechtslage setzt jedoch voraus, daß der Staat zumindest prinzipiell imstande wäre, eine andere Rechtslage herzustellen. Hieran mangelt, sofern eine verfassungsimmanente Schranke 150 wirkt. In einem der140 Verblüffend erscheint daher, wenn ein Protagonist der abwehrrechtlichen Lösung (Griller) gerade diesen Vorwurf gegen den Ansatz des „objektiv-rechtlichen Gehalts“ wendet (Griller, JBl 1992, 205 (216)). 141 So Holoubek, Gewährleistungspflichten, 254, 261. Auch: Holoubek/Korinek, Privatwirtschaftsverwaltung, 130 f. 142 Holoubek, Gewährleistungspflichten, 254. 143 Vgl. Holoubek, Gewährleistungspflichten, 254. 144 Griller, JBl 1992, 205 (210, 213). 145 Vgl. Holoubek, Gewährleistungspflichten, 250 ff. 146 Griller, JBl 1992, 205 (209). 147 Vgl. Griller, JBl 1992, 205 (208 ff.; 217 ff.); Holoubek, Gewährleistungspflichten, 259; Holoubek/Korinek, Privatwirtschaftsverwaltung, 137 f. 148 „Der Eingriff erfolgt auch durch den Staat, weil dieser einem Privaten erlaubt, ihn durchzuführen“, Griller, JBl 1992, 205 (217). 149 Vgl. Griller, JBl 1992, 205 (216 f.). 150 Der Begriff soll hier sowohl die verfassungsimmanenten Schranken im engeren Sinne (bei vorbehaltlosen Grundrechten) umfassen, als auch sonstige, unmittelbar der Verfassung zu

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artigen Fall ist der Staat von Verfassungs wegen in seiner Möglichkeit begrenzt, die Grundrechte des einen zugunsten der Grundrechte eines anderen einzuschränken. Muß deshalb der andere gewisse Beeinträchtigungen seiner einzelgrundrechtlichen Freiheit hinnehmen, so fällt dies nicht mehr in die Verantwortung des Staates. Zwar liegt die hierfür ursächliche Verfassung selbstverständlich innerhalb der staatlichen Sphäre, die staatliche Eingriffszurechnung beider Autoren gründet aber gerade auf der prinzipiellen Fähigkeit zur Änderung einer Rechtslage, um Grundrechte zu schützen. Die „abwehrrechtliche Lösung“ dient ja gerade dazu, gegebenenfalls eine Handlungspflicht des Staates verfassungsrechtlich zu begründen, indem sie die Unterlassung als Eingriff ansieht und damit der grundrechtliche Eingriffsabwehranspruch ausgelöst wird (hier der Unterlassungsanspruch gegenüber der staatlichen Unterlassung). Hindert die Verfassung jedoch den Staat in einem Einzelfall, die fragliche Rechtslage zugunsten des vollen Schutzes der grundrechtlichen Interessenposition eines Drittbelasteten abzuändern, so bedeutet dies den verfassungsintendierten Wegfall der staatlichen Zurechenbarkeit. Die Verfassung hat entschieden, daß die fragliche Regelung (hier also das Fehlen einer schützenden Rechtsnorm) so sein soll. Das Problem besteht nun in folgendem. Diese „abwehrrechtliche Lösung“ begründet nicht nur die staatliche Schutzpflicht, sondern gleichzeitig vermöge des Umweges über die staatliche Zurechnung einer Beeinträchtigung durch Dritte überhaupt erst die Einschlägigkeit der Grundrechte bei derartigen Störungen. Andernfalls läge nämlich eine unmittelbare Drittwirkung vor. 151 Scheitert jedoch im Einzelfall die staatliche Zurechnung an einer verfassungsimmanenten Schranke, aufgrund derer der Staat mangels Fähigkeit zur Änderung der Rechtslage nicht verantwortlich gemacht werden kann, so entfällt damit auch die Einschlägigkeit des fraglichen Grundrechts. Anderenfalls läge eine Verfassungsantinomie vor: Die Verfassung hat einerseits entschieden, daß das Fehlen der schützenden Rechtsnorm so sein soll, andererseits soll gerade dieses Fehl eine verfassungsrechtliche Schutzpflicht auslösen, welche den Staat zum Erlaß der fraglichen Rechtsnorm verpflichten soll. Das Vorliegen verfassungsimmanenter Schranken bestimmte also die Reichweite des grundrechtlichen Schutzbereiches. Sofern man jedoch Schutzbereichsdefinition und Reichweite der Schranken mit der herrschenden Meinung dogmatisch klar auseinanderhält, ist ein derartiges Resultat abzulehnen.152 Dies umgeht Griller mittels des Gebrauchs einer nicht eindeutigen Terminologie. Er spricht nämlich einerseits von einem „durch Private begangenen Grundrechtseingriff“. 153 Zumindest nach der deutschen Verfassung 154 ist ein Privater aber überentnehmende Schranken (bspw. Wesensgehaltsgarantie als Schranken-Schranke, Art. 19 Abs.2 GG). 151 Vgl. besonders Alexy, Grundrechte, 412. 152 Für eine derartige Trennung jüngst mit Nachdruck Starck, Verfassungsauslegung, 23 f.; Starck, Starck – Bonner Grundgesetz, Art. 1 Abs. 3 Rn. 239 f. Vgl. auch BVerfGE 32, 54 [72 f.]; 85, 386 [396 f.]. 153 Griller, JBl 1992, 205 (208, ähnlich: 206, 210, 217).

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haupt nicht in der Lage in ein Grund-Recht einzugreifen, und zwar wegen der abschließenden Bindungsanordnung nach Art. 1 Abs. 3 GG. Er ist vielmehr nur imstande, das grundrechtliche Schutzgut faktisch zu beeinträchtigen. Könnte ein Privater selbst einen Grundrechtseingriff begehen, so handelte es sich hierbei um eine unmittelbare Drittwirkung. Dieser steht Griller aber wiederum eher ablehnend gegenüber. 155 Andererseits wählt er gelegentlich auch die (zutreffende 156) Formulierung der „Eingriffshandlung eines Privaten gegen ein grundrechtliches Schutzgut“. 157 Die Berechtigung des gerade geschilderten dogmatischen Einwands hängt nun aber davon ab, ob der Grundrechtseingriff bereits auf der Ebene der Privathandlung gesehen wird. Wird dies bejaht, wäre der Einwand hinfällig. Dann müßte man aber zwangsläufig auch die unmittelbare Drittwirkung bejahen. Im übrigen läßt sich „die abwehrrechtliche Lösung“, jenseits der beschriebenen Einwände, auf die Annahme einer Schutzpflicht zurückführen (und nicht umgekehrt 158). Die abwehrrechtliche Lösung betrachtet das Fehlen einer gesetzlichen Regelung als Grundrechtseingriff, sofern dieses Fehl einem Privaten die Beeinträchtigung eines entsprechenden Schutzgutes erlaubt. Dieser Tatbestand wird dann als verfassungswidrig gekennzeichnet. 159 Nun verpflichten die Grundrechte gem. Art. 1 Abs. 3 GG Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung. Der Vorwurf der Verfassungswidrigkeit muß also einen der genannten Gewalten treffen, hier die Gesetzgebung. Dieser Vorwurf kann dabei nur lauten, der Gesetzgeber habe sich in irgendeiner Weise verfassungswidrig verhalten. Vorliegend besteht dieses verfassungswidrige Verhalten in einem Unterlassen. Ist aber das Unterlassen verfassungswidrig, so kann das verfassungsgemäße Verhalten nur ein Handeln sein. Da der Gesetzgeber zu verfassungsgemäßem Verhalten verpflichtet ist, kann hier insofern von einer Handlungspflicht gesprochen werden. Diese Handlungspflicht richtet sich auf den Schutz eines Grundrechtsgutes. Das läßt sich sprachlich zu einer „Schutzpflicht“ vereinfachen. 160 Dem Gütekriterium der Einfachheit einer Theorie genügt viel eher der hier vorgeschlagene Ansatz. Die nach dem Wortlaut der Einzelgrundrechte omnidirektionale Beeinträchtigungsfreiheit einerseits, andererseits die ausschließliche Staatsgerichtetheit der Grundrechte gem. Art. 1 Abs. 3 GG resultiert eben zwanglos in der 154 Holoubek und Griller entwickeln ihren Ansatz vor allem auf Grundlage der österreichischen Verfassung, berücksichtigen dabei aber ausdrücklich das deutsche Verfassungsrecht. 155 Vgl. Griller, JBl 1992, 205 (219). Ebenfalls ausdrücklich ablehnend gegenüber unmittelbarer Drittwirkung: Holoubek/Korinek, Privatwirtschaftsverwaltung, 138 ff. Siehe auch gegen eine Drittwirkung Alexy, Grundrechte, 412. 156 Eingegriffen wird also in das Gut (der geschützte Lebenssachverhalt bzw. Verhaltensbereich), nicht in das Recht. 157 Griller, JBl 1992, 205 (217, ähnlich: 215, 218). 158 Vgl. Griller, JBl 1992, 205 (216 f.). 159 Vgl. Griller, JBl 1992, 205 (210, 299). 160 Alexy zieht daher den Sinn einer derart aufwendigen Konstruktion in Zweifel (Alexy, Grundrechte, 417 Fußn. 88). Dem ist, abseits der genannten dogmatischen Ungereimtheiten, zuzustimmen.

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Annahme einer staatlichen Schutzpflicht, welche sich als unmittelbarer Normbefehl der Grundrechte erweist. Einer komplizierten Rückführung auf Abwehrrechte bedarf es nicht. Man mag einwenden, im Ergebnis glichen sich die Ansätze. Dieser „Einwand“ trifft zu – und zwar auf alle Begründungsansätze der objektiv-rechtlichen Gehalte. Sie alle resultieren – voll beabsichtigt – in der Annahme staatlicher Handlungspflichten. Unterschiedlich ist lediglich die Nähe zum Verfassungstext. (4) Ergebnis Grundrechte tragen als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht zum verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff bei. Die beiden Grundrechtsaspekte entspringen dem Normbefehl der Grundrechte an den Staat, die Effektuierung dieser Rechte zu gewährleisten. b) Staatszielbestimmungen Zur Definition eines verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriffes sind solche Verfassungsnormen zu identifizieren, welche bestimmte anzustrebende Zustände definieren und Interessenausgleiche herbeiführen. Diese Konvention wurde eingangs getroffen. Hieran gemessen, scheint sich die Relevanz von Staatszielbestimmungen 161 völlig zwanglos zu ergeben. „Zielbestimmung“ und „Definition eines anzustrebenden Zustandes“ sind Synonyme. Umstritten erweist sich jedoch, welche Verfassungsnormen als Staatszielbestimmungen firmieren und wie weit ihr normativer Gehalt reicht. Schließlich findet sich auch noch die Ablehnung 162 eines Verfassungsvorbehalts für Staatsziele. Das Lagebild zeigt sich somit doch recht unklar und erfordert daher auch hier eine Positionsbestimmung. Ein vollständiger Katalog der Staatszielbestimmungen wird hier allerdings nicht angestrebt. (1) Formale Dimension von Staatszielbestimmungen Nur Verfassungsnormen sollen hier als Staatszielbestimmungen behandelt werden. Inwieweit ein Verfassungsvorbehalt für Staatsziele besteht, wird unten 163 diskutiert. 161 162 163

Begriff nach Ipsen, Über das Grundgesetz, 14. Vgl. Isensee, HStR III, § 57 Rn. 125. Siehe 1. Kapitel III. 2.

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Näherhin soll es sich ausschließlich um objektive Verfassungsnormen 164 handeln. Grundrechte scheiden daher aus. Der vorstehend entwickelte objektivrechtliche Gehalt der Grundrechte ließe zwar deren partielle Subsumtion unter den Staatszielbegriff zu. Ihre Eigenschaft als subjektives Recht einerseits, die prominente Bedeutung der Grundrechte für den Verfassungsstaat andererseits empfehlen jedoch, Grundrechte und Staatszielbestimmungen als unterschiedliche Kategorien zu behandeln. Weitgehende Einigkeit besteht, Staatszielbestimmungen befänden sich auf einer mittleren Konkretisierungsstufe und erlaubten keinen unmittelbaren Vollzug durch ein bestimmtes Staatsorgan. 165 Dies leisten vielmehr die später zu besprechenden Staatsaufgaben. Auch diese Terminologie wird allerdings nicht voll durchgehalten, so verwendet etwa Schultze-Fielitz den Begriff der Staatsaufgaben offenbar als Überbegriff für sämtliche Aufgaben, die sich irgendwie aus dem Grundgesetz ergeben können. 166 Dennoch soll an der erstgenannten Eingrenzung festgehalten werden. Da „Staatszielbestimmung“ kein verfassungsnormativer Begriff ist, entgeht man dem Definitionszwang ohnehin nicht, will man hierüber den wissenschaftlichen Diskurs führen. (2) Materiale Dimension von Staatszielbestimmungen Ebenfalls der Definition bedarf, ob nur solche Verfassungsnormen als Staatszielbestimmungen qualifiziert werden sollen, welche der hier verwandten verfassungsrechtlichen Gemeinwohldefinition entsprechen. Alternativ hierzu könnte auch zwischen gemeinwohlrelevanten und nicht gemeinwohlrelevanten Staatszielbestimmungen unterschieden werden. Der Vorzug soll der letztgenannten Möglichkeit gegeben werden. Diese entspricht der hier gewählten Vorgehensweise „von der Verfassung auf das Gemeinwohl hin“. Würde man von vornherein nur solche Normen als Staatszielbestimmungen akzeptieren, welche dem Gemeinwohlvorverständnis entsprechen, so würde ein nicht verfassungsnormativer Begriff die Verfassungsexegese präjudizieren. Die Vorstellung, es könne auch nicht gemeinwohlrelevante Staatszielbestimmungen geben, wird Unbehagen hervorrufen und bedarf daher einer Erläuterung. Wenn an dieser Stelle von Gemeinwohlrelevanz die Rede ist, so handelt es sich um eine sprachliche Vereinfachung. Eigentlich gemeint ist die Relevanz für den hier zu bestimmenden verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff. Für diesen wurde eine trennscharfe Begriffsdefinition gewählt. In einem allgemeineren Sinne wird natürlich keiner Staatszielbestimmung eine Gemeinwohlrelevanz abgesprochen. Vgl. Isensee, HStR III, § 57 Rn. 121. Vgl. Bull, Staatsaufgaben, 44 ff., 128; Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 286; Link, VVDStRL 48 (1990), 18 f. 166 Vgl. Schultze-Fielitz, Staatsaufgabenentwicklung, 20. 164 165

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Als differentium specificum von allgemeiner Gemeinwohlrelevanz und der Relevanz für den verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff erweist sich der Grad der Instrumentalität des fraglichen Belangs. Dies sei am Beispiel der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Senkung der Staatsverschuldung 167 verdeutlicht. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet die Senkung der Staatsverschuldung als Gemeinwohlinteresse. Um für den verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff relevant zu sein, müßte die gesenkte Staatsverschuldung unmittelbar einen Zustand bedeuten, der der individuellen Entfaltung oder Interessenausgleichen dient. Dies ist jedoch evident nicht der Fall, die Senkung der Staatsverschuldung an sich hat zunächst überhaupt keine spürbare Auswirkung auf den Bürger. Sie ist vielmehr instrumental für eine spätere Herbeiführung solchermaßen bezeichneter Zustände. Unter dieser Kautel ist auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu interpretieren. Es handelt sich lediglich um eine sprachliche Verkürzung. Nicht die Senkung der Staatsverschuldung selbst ist unmittelbarer Gemeinwohltatbestand, sondern vielmehr die gemeinwohlrelevanten Aufgaben, die mit dem eingesparten Schuldendienst zusätzlich bewältigt werden können. Auch eine Steuersenkung käme in Betracht. Damit ist die Senkung der Staatsverschuldung also durchaus gemeinwohl„relevant“, es mangelt ihr jedoch an der geforderten Unmittelbarkeit. 168 Dies kann nun allgemein gelten. Die zu besprechenden Verfassungsbestimmungen sollen unmittelbar einen Zustand bezeichnen, der die individuelle Entfaltung oder Interessenausgleiche erleichtert. Dies entspricht dem Wortlaut der hier gewählten verfassungsrechtlichen Gemeinwohldefinition.

(3) Normative Kraft von Staatszielbestimmungen Fraglich ist, in welchem Maße Staatszielbestimmungen den Staat auf ihre Verwirklichung verpflichten. Die Zielvorgaben sind meist kaum operationalisiert. 169 Dementsprechend erschwert ist die Einsicht, welche Gestalt eine verfassungsintendierte Verwirklichung besäße. Einer Verwirklichung im Sinne der vollständigen „Erfüllung“ stehen weiterhin entgegen die Existenz von Zielkonflikten, 170 sowie die Knappheit von Ressourcen. Diese Eigenarten beeinflussen den normativen Gehalt von Staatszielbestimmungen insofern, als sie die Erzwingung bestimmten staatlichen Handelns ausschlieVgl. BVerfGE 76, 256 [357 f.] m. w. N. Vgl. hierzu auch Alexy, Grundrechte, 119 und dort Fußn.145–147. Alexy führt dort die Figur eines Verfassungsranges ersten und zweiten Grades ein, wobei ein Verfassungsrang zweiten Grades vermutlich in etwa den hier so bezeichneten instrumentalen Belangen entspricht. 169 Vgl. Isensee, HStR III, § 57 Rn. 121; Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 286. 170 Vgl. Isensee, HStR III, § 57 Rn. 116. 167 168

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ßen. 171 Vielmehr besitzt der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Allerdings darf deshalb nicht von einer Schwächung der normativen Kraft gesprochen werden. 172 Vielmehr ist die Präzisierung des normativen Gehalts angezeigt. Staatszielbestimmungen könnten verfassungsnormative Optimierungsgebote 173 enthalten. Allerdings weist Dolderer zu Recht auf resultierende rechtspolitische und staatsorganisationsrechtliche Schwierigkeiten hin. Eine Erfüllung von Staatszielen im „Optimum“ schränkte einerseits die gewaltenteilige und verfassungsintendierte Entscheidungsprärogative des Gesetzgebers ein, andererseits würde die judikative Kontrolle des Staatshandelns verstärkt. 174 Dieser Analyse ist beizupflichten, jedoch nicht Dolderers Schlußfolgerung, Staatszielbestimmungen gäben „allenfalls das Anstreben des Zieles auf“ bzw. statuierten „bloße Berücksichtigungspflichten“. Der Beitrag der Staatsziele zu der materialen Ordnung des Grundgesetzes ist zu wesentlich, um sie zu einem derartigen normativen Nullum zu erklären. Bethge spricht zutreffend von der Bindung des Staates an diese „verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen“. 175 Die Entscheidungsprärogative des Gesetzgebers könnte nur dann einer verstärkten judikativen Kontrolle weichen, sofern der anzustrebende optimale Zustand weitestgehend verfassungsdeterminiert wäre. Gerade dies ist jedoch nicht der Fall, wie bereits festgestellt. Die Formulierung von Staatszielen auf einer mittleren Konkretisierungsstufe 176 überantwortet dem Gesetzgeber eine präzisere Inhaltsbestimmung. Der normative Gehalt der Staatszielbestimmungen besteht daher nicht in der Vorgabe eines zu erfüllenden Programms, sondern in der Beauftragung des Staates, die Konkretisierung selbst vorzunehmen und die hieraus folgenden staatlichen Maßnahmen zu treffen. Einprägsam ist die Formulierung Bulls, Staatszielbestimmungen seien noch nicht konkretisierte Staatsaufgabenbestimmungen. 177 Die Entscheidungsprärogative meint das Wie, nicht das Ob, sie ist nicht nur Recht, sondern vor allem Pflicht zur Entscheidung. Der Staat wird „ermächtigt wie beauftragt“.178 171 Vgl. Schultze-Fielitz, Staatsaufgabenentwicklung, 26; Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 286. 172 So aber Winkler, Kollisionen, 161 mit Sommermann, Staatsziele und Staatsaufgaben, 397. 173 Vgl. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 286; Reimer, Verfassungsprinzipien, 329. 174 Vgl. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 293 f.; Wahl, Der Staat 20 (1981), 485 (504). 175 Vgl. Bethge, DVBl 1989, 841 (842), wobei Bethge allerdings die Begriffe Staatszweck und Staatsziel vermischt. 176 Vgl. Bull, Staatsaufgaben, 44 ff., 128; Bull, NVwZ 1989, 801 (802); Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 286; Link, VVDStRL 48 (1990), 18 f.; Reimer, Verfassungsprinzipien, 310; Isensee, HStR III, § 57 Rn. 115. 177 Vgl. Bull, Staatsaufgaben, 128; ähnlich: Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 293 f.; Schulze-Fielitz, Staatsaufgabenentwicklung, 39. 178 Scholz, Maunz-Dürig, Art. 20 a Rn. 18; mit besonderem Nachdruck auch BVerfGE 36, 1 [1 (LS 4)] zum Wiedervereinigungsgebot.

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Dem entspricht der Vorschlag der Sachverständigenkommission Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge, welche die Staatszielbestimmungen als Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung auffaßt, die der Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter Aufgaben vorschreiben. 179 Der Staat unterliegt also dem Handlungsauftrag, 180 die verbindlichen Richt- und Leitlinien 181 der Staatszielbestimmungen in Staatsaufgabenfestlegungen zu transformieren. Seine Entscheidungsprärogative umfaßt dabei eine Inhaltsbestimmung des jeweiligen Zieles nach pflichtgemäßem Ermessen, sowie die Priorisierung konfligierender Ziele und die Ressourcenverteilung. Sommermann fordert die „Plausibilität der Wahrnehmung der Zielverwirklichungsaufgabe“. 182 Im Falle der Relevanz von Staatszielbestimmungen für den verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff zeichnet sich hiermit bereits ein aktiver Gemeinwohlvorbehalt ab. Nukleus des normativen Gehalts von Staatszielbestimmungen bildet also gerade die Konstituierung einer Handlungspflicht, peripher hingegen bleibt die Präzisierung des jeweiligen Gemeinwohlbelanges. In einer derartigen Bedeutung kann der Begriff des Optimierungsgebotes aufrechterhalten werden.183 (4) Die wesentlichen Staatszielbestimmungen (a) Das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) Das Sozialstaatsprinzip ist „ein der konkreten Ausgestaltung in hohem Maße fähiges und bedürftiges Prinzip“. 184 Es bedarf also offensichtlich der Umsetzung und richtet sich noch nicht an bestimmte Staatsorgane. Wegen seiner Offenheit sieht es sich sogar allenthalben der Kritik ausgesetzt. An seiner normativen Qualität bestehen jedoch keine prinzipiellen Zweifel. 185 Die formale Dimension ist also unproblematisch erfüllt. Was den materialen Gehalt des Sozialstaatsprinzips betrifft, soll eine ausführliche Besprechung hier nicht geleistet werden. In allgemeinster Näherung kann jedoch festgestellt werden, das Sozialstaatsprinzip gewährleistet eine ökonomische Mindestausstattung und sichert die gesellschaftliche Teilhabe auch der sozial Schwächeren. Seine Notwendigkeit Vgl. BMI/BMJ, Staatszielbestimmungen, Rn. 7; Scholz, Maunz-Dürig, Art. 20 a Rn. 18. Vgl. BMI/BMJ, Staatszielbestimmungen, Rn. 161; Reimer, Verfassungsprinzipien, 292 ff. 181 Vgl. Kloepfer, BK, Art. 20 a Rn. 10; Sommermann, Staatsziele und Staatsaufgaben, 427 f. 182 Vgl. Sommermann, Staatsziele und Staatsaufgaben, 429. 183 So beispielsweise Sommermann, Staatsziele und Staatsaufgaben, 442; Schulze-Fielitz, Dreier GG-Kommentar, Art. 20 a Rn. 23 m. w. N. 184 Vgl. BVerfGE 6, 132 [198]; Schnapp, Münch/Kunig GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 35 m. w. N. 185 Vgl. Schnapp, Münch/Kunig GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 35 m. w. N. 179 180

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gründet in der „Einsicht in die ökonomische Bedingtheit der Menschenwürde“. 186 Das Sozialstaatsprinzip betont in besonderer Weise die konstitutive Bedeutung des Attributs „anzustrebend“ bei der Definition des verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriffes. Es existiert evident kein Endzustand, in dem das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes „erfüllt“ wäre. Das Sozialstaatsprinzip umfaßt also in geradezu prototypischer Weise auch die materiale Dimension einer Staatszielbestimmung, welche zum verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff beitragen soll. (b) Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht (Art. 109 Abs. 2 GG) Dieses Staatsziel steht materiell in durchaus engem Zusammenhang mit dem Sozialstaatsprinzip. Hoher Beschäftigungsstand und Preisstabilität verbessern bzw. erhalten unmittelbar die ökonomische Grundlage individueller Entfaltung. Den Zusammenhang, welchen das Bundesverfassungsgericht zwischen Berufstätigkeit und Menschenwürde sieht, wurde oben 187 bereits genannt. Außenwirtschaftliches Gleichgewicht und stetiges Wirtschaftswachstum hingegen sind eher instrumental. Wirtschaftswachstum etwa kann Arbeitslosigkeit senken und die fiskalische Basis staatlicher Aufgabenerfüllung erweitern. Erst die beiden letztgenannten Belange besitzen unmittelbar individuelle Auswirkung. Auch als Grundlage einer Lohnniveauerhöhung hätte das Wirtschaftswachstum mittelbar die individuelle Entfaltungsmöglichkeit gesteigert. Das Staatsziel dient aber jedenfalls zum erheblichen Teil unmittelbar der individuellen Entfaltung und rechtfertigt so die Annahme der (partiellen) Relevanz für den verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff. (c) Das vereinte Europa (Art. 23 Abs. 1 GG) Bei diesem Staatsziel 188 ist der instrumentale Charakter besonders deutlich. Die zunehmende Unfähigkeit von Nationalstaaten, auch nur ansatzweise die maßgeblichen Probleme der Gegenwart einer eigenständigen, nationalstaatlichen Lösung zuzuführen, macht internationale Kooperation geradezu existenznotwendig. Supranationale Zusammenschlüsse erhöhen die Problemlösungsfähigkeit der Menschheit. Das Ziel eines solchen Zusammenschlusses in Verfassungsrang zu erheben, definiert allerdings weder ein konkretes Problem, noch ein anzustrebendes Ziel, welches mit 186 Link, VVDStRL 48 (1990), 35; ähnlich Wintrich, Problematik, 15; Dürig, AöR 81 (1956), 117 (131 ff.); BVerfGE 65, 1 [47]. 187 Siehe 1. Kapitel II. 3. a) (3) (b). 188 Zur Einstufung als Staatsziel vgl. Pernice, Dreier GG-Kommentar, Art. 23 Rn. 18.

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dem hier verwandten verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff in Zusammenhang steht. Vielmehr erlaubt es der Bundesrepublik Deutschland, diejenigen Belange, welche dem verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff zugehören, in erhöhtem Maße zu gewährleisten. So ist vorstellbar, soziale, beispielsweise arbeitsmarktpolitische Probleme auf europäischer Ebene besser zu lösen und somit dem Sozialstaatsprinzip als dem eigentlichen Gemeinwohlbelang verstärkt zu genügen. Gleiches gilt etwa für die Friedenssicherung. Dies kommt in Art.23 Abs. 1 GG auch klar zum Ausdruck, wenn gefordert wird, nur eine solche Europäische Union solle gefördert werden, welche demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen verpflichtet ist. Dies ist geradezu eine Positivierung der Instrumentalität. Als Gemeinwohlbelang im hier entwickelten verfassungsrechtlichen Sinne scheidet das vereinte Europa daher aus. Um Mißverständnisse zu vermeiden: damit ist nichts ausgesagt bezüglich der überragenden Bedeutung, welche das vereinte Europa für die Bundesrepublik Deutschland selbstverständlich hat. Ausschlaggebend ist jedoch, daß nicht die Tatsache der Vereinigung als solche die Entfaltung des Individuums fördert, sondern erst die resultierenden Maßnahmen, die sich an anderen Prinzipien wie Sozialstaatlichkeit, Grundrechtsschutz oder Friedenswahrung orientieren. 189 Ein „Herunterbrechen“ auf die nationalstaatliche Ebene verdeutlicht dies. Nicht die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als solche ist ein Gemeinwohlbelang, sondern vielmehr deren konkrete verfassungsrechtliche Ausgestaltung, welche im Dienste der Entfaltung des Individuums steht. (d) Wahrung des Friedens (Art. 24 Abs. 2 GG) Die Bezugnahme auf ein System kollektiver Sicherheit in Art. 24 Abs. 2 GG zeigt, daß hier unter „Frieden“ entsprechend dem allgemeinsprachlichen Sinne die Abwesenheit eines militärischen Konflikts zu verstehen ist. Krieg stellt evident eine der größten Bedrohungen für die Entfaltung des Individuums dar, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit die physische Vernichtung einbegreift. Dessen Verhinderung ist also für jedwede Entfaltung des Individuums fundamentale Voraussetzung, daher steht die Relevanz für den verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff außer Zweifel. Widersprochen sei an dieser Stelle allerdings der Auffassung, 190 das Verbot des Angriffskrieges nach Art. 26 Abs. 1 GG sei ein Staatsziel. Diese Verfassungsnorm ermangelt sämtliche Voraussetzungen eines Staatsziels. Zunächst befindet es sich nicht auf einer mittleren Konkretisierungsstufe, vielmehr enthält es eine vollkommen klare Handlungsanweisung. Es bedarf auch nicht der Umsetzung, sondern bindet die Staatsorgane unmittelbar. Daran ändert nichts, daß das Grundgesetz fordert, entsprechende Handlungen unter Strafe zu stellen. Schließlich richtet es sich durch189 Vgl. zu einer Europäischen Union, die als Wertegemeinschaft insbesondere dem Grundrechtsschutz dient: Speer, DÖV 2001, 980 (980 ff.). 190 Vgl. Herzog, HStR III, § 58 Rn. 30; Schulze-Fielitz, Staatsaufgabenentwicklung, 20 f.

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aus auch an konkrete, nämlich an alle Staatsorgane. Dies schließt allerdings lediglich die Einstufung als Staatsziel aus, nicht aber als Bestandteil des verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriffes. (e) Umweltschutz (Art. 20 a GG) Die Rede von dem „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ meint den Schutz des Menschen. Diese anthropozentrische Perspektive des neuen Umweltstaatsziels wird in einem späteren Abschnitt 191 am Beispiel des Artenschutzes ausführlich erörtert. Zu der Neuerung des Tierschutzaspekts wird später kurz Stellung genommen. An dieser Stelle soll es damit bewenden, eine zumindest partielle Kongruenz des Schutzgegenstandes mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 GG festzustellen. 192 Zurecht bemerkt Isensee, die grundrechtliche Gewähr des Lebens, der Gesundheit und des Eigentums, das heißt die bereits vorhandene Schutzpflicht, sei dichter und differenzierter, als es eine „plakative“ Staatszielbestimmung sein könne. 193 Zu fordern ist daher vom Umweltstaatsziel eine Schutzintensivierung, bzw. eine Schutzlückenschließung. 194 Die grundgesetzliche Formulierung blendet allerdings einen weiteren, wesentlichen Aspekt des Umweltschutzes aus. Der Schutz der Umwelt ermöglicht auch den zukünftigen Genuß der Umwelt, also eine (sittliche) Erbauung des Menschen an der Natur. 195 Auch dies bedeutet einen Ausdruck menschlicher Entfaltung und entspricht somit den hier gestellten Anforderungen an einen verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff. Insgesamt bildet das Umweltstaatsziel daher problemlos einen verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbelang. c) Staatsfundamentalnormen Von den Staatszielbestimmungen unterscheiden sich die Staatsfundamentalnormen im vorliegenden Zusammenhang vor allen Dingen aufgrund ihrer unmittelbaren Geltung für bestimmte Staatsorgane und erhöhten Anforderungen an ihre Relativierbarkeit. 196 Im Bereich der Staatszielbestimmungen hat der Gesetzgeber eine sehr weitgehende Entscheidungsprärogative bezüglich der Abwägung widerstreitender Interessen. Staatsfundamentalnormen hingegen gelten zunächst einmal unbedingt. Lediglich in besonders begründeten Ausnahmefällen kann von ihnen abge191 192 193 194 195 196

Siehe 1. Kapitel III. 2. a). Vgl. Kloepfer, BK, Art. 20 a Rn. 17; Scholz, Maunz-Dürig, Art. 20 a Rn. 8. Vgl. Isensee, HStR III, § 57 Rn. 129. Vgl. Murswiek, NVwZ 1996, 222 (224); Scholz, Maunz-Dürig, Art. 20 a Rn. 8, 31. Vgl. Kloepfer, DVBl 1996, 73 (77). Vgl. Reimer, Verfassungsprinzipien, 347.

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wichen werden. Genannt sei etwa die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 197 Durchbrechungen des (echten) Rückwirkungsverbotes seien zulässig aus zwingenden, verfassungsgerechtfertigten Gründen des Gemeinwohls. Auf das republikanische Prinzip wird nicht eingegangen. Die Gemeinwohlrelevanz des Bundesstaatsprinzips bereitet den Hauptgegenstand dieser Arbeit, deren Erörterung bleibt daher den nachfolgenden Kapiteln vorbehalten.

(1) Das Rechtsstaatsprinzip Eine eindeutige gemeinwohlbezogene Einordnung des Rechtsstaatsprinzips erweist sich als schwierig. Es faßt „ganz unterschiedliche verfassungsrechtliche Aspekte“ bzw. „heterogene Unterprinzipien“ zusammen. 198 Gewährleistung der Grundrechte, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, Rückwirkungsverbot, Gewaltenteilung, Rechtsschutz, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, all diese Prinzipien tangieren individuelle Entfaltung und Interessenausgleiche auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlicher Intensität. Auch hier soll nicht die Entwicklung eines abschließenden Katalogs Ziel sein, sondern nur die Aufweisung der herausragenden Aspekte. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Rechtsschutzgarantie erlauben eine recht zwanglose Subsumtion unter den Begriff der Erleichterung individueller Entfaltung. Die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verringert eine Eingriffsintensität von vornherein, die Rechtsschutzgarantie erlaubt eine spätere Beseitigung unzulässiger Eingriffe, sowohl vom Staat als auch von Privaten. Entsprechendes gilt für das Rückwirkungsverbot. Als Garant von Rechtssicherheit 199 und Vertrauensschutz 200 erleichtert es die individuelle Entfaltung insofern, als die eigenen Handlungen nicht stets der Befürchtung späterer Lageänderungen Rechnung tragen müssen. Das Bundesverfassungsgericht 201 bezieht das Rückwirkungsverbot ausdrücklich auf den Freiheitsschutz. Die Gewaltenteilung deutet als Staatsorganisationsnorm zunächst auf einen stärker instrumentalen Charakter. Als checks and balances wirkt sie Machtkonzentration und damit Machtmißbrauch entgegen. Sie dient somit dem Freiheitsschutz. Zu Recht wird allerdings darauf hingewiesen, die Gewaltenteilung bilde heute, vor allen Dingen auch angesichts der Parteienstaatlichkeit, ein Element des Pluralismus. 202 Die Gewaltenteilung begünstigt unmittelbar die Einbeziehung möglichst 197 198 199 200 201 202

Vgl. BVerfGE 97, 67 [79 f.]. Vgl. Schnapp, Münch/Kunig GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 24. Vgl. Seiler, Parlamentsvorbehalt, 75. Vgl. Schnapp, Münch/Kunig GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 31. Vgl. BVerfGE 97, 67 [78 f.] m. w. N. Vgl. Schnapp, Münch/Kunig GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 40.

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vieler politischer Auffassungen in den staatlichen Entscheidungsfindungsprozeß. Das Bundesverfassungsgericht 203 erklärt, „Nur wenn die Mehrheit aus einem freien, offenen [..] Meinungs- und Willensbildungsprozeß, an dem [.] alle [.] Bürger zu gleichen Rechten teilhaben können, hervorgegangen ist, wenn sie bei ihren Entscheidungen das – je und je zu bestimmende – Gemeinwohl im Auge hat, insbesondere auch die Rechte der Minderheit beachtet und ihre Interessen mitberücksichtigt, [..] kann die Entscheidung der Mehrheit bei Ausübung von Staatsgewalt als Wille der Gesamtheit gelten [..]“.

Obschon das Gericht bei dieser Feststellung nicht speziell die Gewaltenteilung im Auge hatte, so kann deren allgemeine Richtigkeit dennoch nicht bezweifelt werden. Für Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes erweist sich die Bestimmung als besonders heikel, ob sie dem verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff zugehören. Der Vorrang des Gesetzes stellt die Vereinbarkeit des Handelns der Exekutive mit der Rechtsordnung sicher. Damit wird die Ununterbrochenheit der demokratischen Legitimationskette gewahrt und der Volkssouveränität Geltung verschafft. Der Vorbehalt des Gesetzes entzieht der Exekutive Entscheidungen bestimmter Qualität und fordert statt dessen vorausliegendes gesetzgeberisches Tätigwerden. Hiermit wird eine erhöhte Nähe der Entscheidung zum Souverän, dem Volk gewährleistet. In gewisser Weise dienen also beide Prinzipien dem Interessenausgleich, weil sie die Rückführbarkeit des Staatshandelns auf Entscheidungen des demokratischen Gesetzgebers verstärken bzw. gewährleisten. Dennoch ist die Zugehörigkeit zum trennscharfen verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff zu verneinen. Wie gesehen, sind sie nämlich nur instrumental zur Gewährleistung eines anderen überragenden Verfassungsprinzips, der Volkssouveränität. Erst sie bewirkt unmittelbar einen Zustand, in welchem freie Entfaltung und insbesondere Interessenausgleiche befördert werden. Man mag einwenden, zumindest der Vorrang des Gesetzes verhindere unmittelbar unzulässige Eingriffe in die individuelle Freiheitssphäre. Im Ergebnis ist dies zweifellos richtig. Damit wird allerdings nicht mehr ausgedrückt, als daß die bestehenden Gesetze auch einzuhalten sind. Dieser Tatbestand ist in dem Begriff des Gesetzes selbst angelegt und wird durch das Prinzip des Vorrangs des Gesetzes lediglich expliziert. Insofern haben diese zu beachtenden Gesetze, und nicht der „Vorrang des Gesetzes“, gemeinwohlrelevanten Selbststand. (2) Volkssouveränität und demokratisches Prinzip Die Relevanz dieser Staatsfundamentalnormen für den verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff begründet sich völlig unproblematisch. Beide stehen in einem Verhältnis von Zweck und Mittel. Angestrebt wird die Rückführbarkeit jeder Ausübung von Staatsgewalt auf den Souverän, das demokratische Prinzip soll dies sicherstellen. 204 Dies ist das konstitutive Prinzip, vermöge dessen der Verfassungs203 204

Vgl. BVerfGE 44, 125 [142]. Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip, 161 f.; BVerfGE 83, 60 [72 f.].

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staat auf grundsätzlichster Ebene den Interessenausgleich zwischen widerstreitenden gesellschaftlichen Kräften gewährleistet. 205 Darüber hinaus dienen Volkssouveränität und demokratisches Prinzip selbstverständlich auch unmittelbar einer Beförderung individueller Entfaltung, weil sie die Teilhabe jedermanns an staatlichen Entscheidungen eröffnen. Eine solche formale, institutionalisierte Teilhabe am Gemeinwesen erbietet dem Einzelnen eine Achtung dessen Wertes als Mensch, 206 die dem autokratischen Staat fremd ist. d) Kompetenznormen Die Kompetenznormen des Grundgesetzes stehen mit den noch zu besprechenden Staatsaufgaben in einem ebenso exklusiven wie komplexen Verhältnis. Gemeinhin wird die Staatsaufgabe als der Kompetenznorm vorgelagert angesehen. 207 Darauf, ob die betreffende Staatsaufgabe positiviert wurde, oder sich rückschließend aus der Kompetenzzuweisung ergibt, kommt es nicht an. 208 Äußerst fraglich ist hingegen, inwieweit Kompetenznormen geeignet sind, Staatsorgane zur Umsetzung des Kompetenzgegenstandes zu verpflichten. Eine uneingeschränkte derartige Pflicht wird einhellig abgelehnt. 209 Für Einzelfälle wird aber eine kompetenzgestützte Handlungspflicht nicht ausgeschlossen. 210 Die Wesentlichkeit einer imperativen Qualität für die Gemeinwohlrelevanz kann zunächst nicht ausgeschlossen werden. Als lediglich formale Rechtsvorschrift würde die Kompetenznorm nur im Innenverhältnis des Staates Wirksamkeit entfalten. Beabsichtigt der Staat, auf die von der Kompetenznorm erfaßte Staatsaufgabe zuzugreifen, so benennt die Kompetenznorm den zuständigen Verband oder das zuständige Staatsorgan. Die Notwendigkeit, oder zumindest die Konstituierung der Aufgabe müßte sich anderenorts ergeben, und dieser Ort besäße dann möglicherweise Relevanz für den verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff. Im Falle eines materialen Gehalts hingegen, welcher sich zumindest auf die Konstituierung, wenn nicht sogar auf die Verbindlichmachung der enthaltenen Aufgabe erstreckt, erscheint eine unmittelbare Relevanz zunächst denkbar. Der Vorsichtigkeit der Äußerungen zu dieser Frage soll allerdings auch hier Tribut gezollt werden. Konfliktvermeidend läßt sich zumindest feststellen, die KompeVgl. Bundestag, Enquete-Kommission, 76; Mößle, Regierungsfunktionen, 147 f., 201 f. Vgl. Wintrich, Problematik, 14. 207 Vgl. Stettner, Kompetenzlehre, 155, 166 f.; Bull, Staatsaufgaben, 52 ff.; Isensee, HStR III, § 57 Rn. 140 f.; Schulze-Fielitz, Staatsaufgabenentwicklung, 21; Winkler, Kollisionen, 97 f.; BVerfGE 69, 1 [60] (Sodervotum). 208 Vgl. Stettner, Kompetenzlehre, 166 f.; Winkler, Kollisionen, 97 f. 209 Vgl. Bull, Staatsaufgaben, 53; Stettner, Kompetenzlehre, 166 (Fußn.89); Schulze-Fielitz, Staatsaufgabenentwicklung, 21; Isensee, HStR III, §57 Rn.140 f. Zu Recht krit. in bezug auf Institutsgarantien, welche aus Kompetenzregeln abzuleiten seien Menzel, DÖV 1383, 805 (807). 210 Vgl. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 286 f.; Stettner, Kompetenzlehre, 166; Schulze-Fielitz, Staatsaufgabenentwicklung, 21; Stern, Staatsziele und Staatsaufgaben, 16. 205 206

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tenznormen antizipieren Unternehmungen des Gesetzgebers zur Gemeinwohlkonkretisierung, indem sie Staatsaufgabenbegründungen ex-ante in verfassungsgewollte prozedurale Bahnen lenken. Staatsaufgaben dienen nach der herrschenden Meinung der Effektuierung verfassungsrechtlicher Gemeinwohlbelange, 211 wie später im einzelnen gezeigt wird. Diese Qualität als „Modalitäten der Staatszielverwirklichung“ 212 erlaubt, Staatsaufgaben im vorliegenden Kontext außer acht zu lassen. Als Modalitäten konstituieren sie nicht selbst Gemeinwohlbelange, letztere liegen den Staatsaufgaben vielmehr voraus. Ob Kompetenznormen die Wahrnehmung von Staatsaufgaben fordern oder nur erlauben, bedarf deshalb hier keiner Klärung. Die jeweils hinter der Kompetenznorm liegende Staatsaufgabe ist ebenfalls nur instrumental für die Verfolgung eines eigentlichen Gemeinwohlbelanges und daher für den engen verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff nicht relevant. Die Sonderstellung der Generalklausel nach Art. 30 GG wird später 213 angesprochen. e) Verfassungsaufträge Unter Verfassungsaufträgen soll hier verstanden werden die explizite verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers, in einer bestimmten Richtung gesetzgeberisch tätig zu werden. 214 Dies umfaßt einerseits Organisationsnormen, wie etwa die Errichtung von Bundesbehörden (z. B. Art. 94 Abs. 2, Art. 95 Abs. 1, 3 GG), aber auch materielle Regelungen (z. B. Art. 4 Abs. 3, Art. 6 Abs. 5, Art. 12 a Abs. 2 Satz 3, Art. 14 Abs. 1 Satz 2, Art. 26 Abs. 1 Satz 2 GG). Der instrumentale Charakter der Organisationsnormen ist evident. So ist zwar die Schaffung oberster Bundesgerichte (Art. 95 Abs. 1 GG) selbstverständliche Voraussetzung für einen effektiven Rechtsstaat. Gemeinwohlrelevant ist aber eben die somit geförderte Rechtsstaatlichkeit, und nicht die Existenz eines Gerichts selbst. Gleiches gilt jedoch auch für die materiellen Regelungen. Sie beauftragen den Gesetzgeber, einem zuvor definierten Gemeinwohlbelang auf bestimmte Weise Geltung zu verschaffen. Deutlich wird dies vor allem in der Wendung „das Nähere regelt ein Bundesgesetz“ (Art. 4 Abs. 3 Satz 2, Art. 21 Abs. 3, Art. 23 Abs. 3 Satz 3, Art. 26 Abs. 2 Satz 2 GG). 215 211 Vgl. Schulze-Fielitz, Staatsaufgabenentwicklung, 13; Bull, Staatsaufgaben, 44 ff.; Link, VVDStRL 48 (1990), 19. 212 Link, VVDStRL 48 (1990), 19 (trotz dieses Zitates sei erneut festgestellt, Staatsaufgaben dienen selbstverständlich nicht nur der Verwirklichung von Staatszielen im engeren Sinne, sondern sämtlicher Gemeinwohlbelange). 213 Siehe 1. Kapitel III. 4. c) (3). 214 Definition nach Denninger, JZ 1966, 767 (767 f.). Vgl. auch Herzog, HStR III, § 58 Rn. 29. 215 Vgl. Denninger, JZ 1966, 767 (768).

III. Der Gemeinwohlvorbehalt

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An einer Nahtstelle befindet sich allerdings Art. 6 Abs. 5 GG. Fraglich scheint, inwieweit diese Verfassungsnorm an anderer Stelle geschaffene Gemeinwohlbelange konkretisiert (bspw. Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 GG), oder einen eigenen Gemeinwohlbelang schafft. Einen Hinweis gibt das Bundesverfassungsgericht, wenn es Art. 6 Abs. 5 GG die Qualität einer verfassungsrechtlichen Wertentscheidung zuweist, welche schon vor der Erfüllung des Gesetzgebungsauftrages die staatlichen Organe unmittelbar verpflichtet. 216 Der normative Gehalt weist also über die bloße Beauftragung des Gesetzgebers hinaus. Einer letztendlichen Entscheidung über den Sonderfall des Art. 6 Abs. 5 GG bedarf es hier allerdings nicht. Festzuhalten ist lediglich die überwiegend instrumentale Natur der Verfassungsaufträge, weshalb sie dem engen verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff regelmäßig nicht zugehören. 4. Ergebnis Der verfassungsrechtliche Gemeinwohlbegriff wird normativ angereichert vor allen Dingen von den Grundrechten, sowie von Staatszielbestimmungen und Staatsfundamentalnormen. Die so bezeichneten Verfassungsnormen kongruieren in ihrer Qualität, staatlich anzustrebende Zustände zu definieren. Diese Zustände fördern die individuelle Entfaltung oder den Interessenausgleich. Hierbei sind ausschließlich solche Verfassungsnormen einschlägig, welche die genannten Zustände unmittelbar bezeichnen. Hingegen sind Verfassungsnormen, welche die Herbeiführung dieser Zustände lediglich ermöglichen oder begünstigen, vom verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff auszuschließen.

III. Der Gemeinwohlvorbehalt Der nachzuweisende Gemeinwohlvorbehalt erstreckt sich sowohl auf eine Pflicht zur Gemeinwohlnützlichkeit allen staatlichen Handelns, als auch auf eine Pflicht zum selbstveranlaßten staatlichen Tätigwerden zum Schutze von Gemeinwohlbelangen. Beide Dimensionen des Gemeinwohlvorbehalts setzen eine Kenntnis dessen voraus, was Gemeinwohl umfaßt. Fehlt diese Kenntnis, so könnte weder die Gemeinwohlirrelevanz einer staatlichen Maßnahme, noch eine pflichtwidrige Unterlassung zuungunsten eines Gemeinwohlbelanges festgestellt werden. Hierfür ermangelte es schlicht des Bewertungsmaßstabes. 216

Vgl. BVerfGE 25, 167 [178 ff.].

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

Im voranstehenden Abschnitt wurden daher die wesentlichen verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbelange ermittelt. Fraglich bleibt, ob der Staat eine Befugnis zur Erweiterung dieser verfassungsvorgegebenen Gemeinwohlbelange besitzt. Eine derartige Befugnis zur verfassungstranszendenten Gemeinwohlkonkretisierung resultierte gegebenenfalls aus dem allerorten betonten prozeduralen und kompetentiellen Gemeinwohlverständnis. 1. Prozedurales und kompetentielles Gemeinwohlverständnis Staatliches Wirken ist weitestgehend verfassungskonstituiert und verfassungsbegrenzt. 217 Andererseits erfordert die Volkssouveränität eine Offenheit des demokratischen Prozesses. Die Vorstellung eines bloßen Verfassungsvollzuges durch den Staat stößt auf einhellige Ablehnung. 218 Diese Kontroverse zwischen der demokratischen Gestaltungsfreiheit des Parlaments und der strikten Befolgung der in der Verfassung niedergelegten Richtlinien (Bull) 219 findet auch ihren steten Niederschlag in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts. Es unterwirft sich einem strengen Maßstab bei der Aufhebung von Gesetzen 220 und respektiert also die demokratische Gestaltungsfreiheit, 221 behält sich aber grundsätzlich den Nachvollzug gesetzgeberischer Überlegungen vor. 222 Die Kontroverse erblickt ihre Beilegung im Aphorismus der „Aufgegebenheit anstelle der Vorgegebenheit“ 223 des verfassungsstaatlichen Gemeinwohlverständnisses. Die Quintessenz dieser Einschätzung lautet, das Grundgesetz begrenzt die gesetzgeberische Gemeinwohlfindung und lenkt sie in gewisse Bahnen. 224 Im Rahmen dieser Kautelen aber ist die Gemeinwohlfindung Resultat des freien Spieles der politischen Kräfte. Das „konstitutionelle Gemeinwohlverständnis“ (Häberle) erfährt also eine Präzisierung als demokratisches Verfahren und verfassungsrechtliche Kompetenzordnung. Die pluralistische Interessenkonkurrenz findet ihren Ausgleich in der letztver217 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip, 243; Schulze-Fielitz, Staatsaufgabenentwicklung, 12; Stern, Staatsziele und Staatsaufgaben, 12; Häberle, AöR 111 (1986), 595 (601). 218 Vgl. Bull, Staatsaufgaben, 143; Schulze-Fielitz, Staatsaufgabenentwicklung, 15; Magiera, Parlament, 29, 75 f.; Isensee, HStR III, § 57 Rn. 125; Häberle, Rechtstheorie 1983, 258 (262). 219 Vgl. Bull, Staatsaufgaben, 143. 220 Vgl. BVerfG, NJW 1998, 891; BVerfGE 91, 328 [332]; 83, 162 [171], stRspr. 221 Vgl. BVerfGE 90, 145 [145 (LS 2 a), 173, 183]; 50, 290 [333 f.]; 49, 89 [90 (LS 4), 131, 143]. 222 Grundlegend: BVerfGE 7, 377 [412]. 223 Vgl. Häberle, Rechtstheorie 1983, 258 (260); Häberle, AöR 95 (1970), 86 (92); Isensee, HStR III, § 57 Rn. 33. 224 Vgl. Häberle, Rechtstheorie 1983, 258 (262, 273); Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 288, 290; Schulze-Fielitz, Staatsaufgabenentwicklung, 29; Magiera, Parlament, 81 f.

III. Der Gemeinwohlvorbehalt

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bindlichen Gemeinwohlbestimmung durch das Parlament, oder durch sonstige, grundgesetzlich kompetente Instanzen. 225 „Das [..] erfordert aber, daß jedes Glied der Gemeinschaft freier Mitgestalter bei den Gemeinschaftsentscheidungen ist. [...] Was jeweils praktisch zu geschehen hat, wird also in ständiger Auseinandersetzung aller an der Gestaltung des sozialen Lebens beteiligten Menschen und Gruppen ermittelt. Dieses Ringen spitzt sich zu einem Kampf um die politische Macht im Staat zu.“ 226 „[.] nur wenn die Mehrheit aus einem freien, offenen [..] Meinungs- und Willensbildungsprozeß [..] hervorgegangen ist, wenn sie bei ihren Entscheidungen das – je und je zu bestimmende – Gemeinwohl im Auge hat, [..] kann die Entscheidung der Mehrheit bei Ausübung von Staatsgewalt als Wille der Gesamtheit gelten [..]“ 227

Die vorstehend ermittelten verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbelange wären somit allenfalls Grenzen staatlicher Gemeinwohlverwirklichung oder Gemeinwohlindikatoren für das staatliche Handeln. Verbindlich festgestellt wird das Gemeinwohl hingegen nicht von diesen Verfassungsbestimmungen, sondern kraft Entscheidung der zuständigen Staatsorgane als Ergebnis vorausliegender demokratischer Auseinandersetzung. Dieses Resultat scheint sich in Widerspruch zu setzen mit der Existenz eines Gemeinwohlvorbehalts. Eingangs wurde festgestellt, aktiver wie passiver Gemeinwohlvorbehalt setzten die Kenntnis von „Gemeinwohl“ voraus. Wird Gemeinwohl hingegen erst vermöge der staatlichen Entscheidungen definiert, so schafften sich die Staatsorgane den Bewertungsmaßstab der Gemeinwohlnützlichkeit ihres Handelns selbst. Ein verfassungsrechtlicher Gemeinwohlvorbehalt liefe ins Leere bzw. wäre existenzunmöglich, abgesehen von ausnahmsweisen Überschreitungen verfassungsrechtlicher Grenzen. Von einer universalen Zweckbindung staatlichen Handelns könnte so jedenfalls keine Rede sein. Der Schlüssel zur Behebung des vermeintlichen Widerspruchs liegt nun in einer trennscharfen Unterscheidung von „Gemeinwohl“ und „Gemeinwohlbelang“. Die enorme Tragweite dieser Unterscheidung für die korrekte Deutung des prozeduralen Gemeinwohlverständnisses wird im folgenden entwickelt. 2. Normative Schließung des verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriffes Träfe es zu, der Gesetzgeber könne unter Beachtung verfassungsrechtlicher Grenzen Gemeinwohl kraft eigener Entscheidungshoheit definieren, so gestattete dies die folgende Annahme. 225 Vgl. BVerfGE 5, 85 [135]; Häberle, Rechtstheorie 1983, 258 (262, 273); Stettner, Kompetenzlehre, 203 ff. 226 BVerfGE 5, 85 [197]. 227 BVerfGE 44, 125 [142] (Hervorhebung durch Verfasser).

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

Damit das prozedurale Gemeinwohlverständnis überhaupt eigenständige Bedeutung jenseits eines streng verfassungsdeterminierten Gemeinwohls entfaltet, müßte ein Gemeinwohlziel existieren, welches einerseits nicht gegen Verfassungsvorgaben verstößt, andererseits aber auch nicht aus diesen hervorgeht. Die Möglichkeit der Existenz eines solchen Gemeinwohlziels sei einführend diskutiert am Beispiel des schon erwähnten Artenschutzes. a) Exkurs: Artenschutz als Gemeinwohlbelang? (1) Verhältnis von Artenschutz und natürlichen Lebensgrundlagen Die Zuordnung des Artenschutzes zu einem der bisher bezeichneten Gemeinwohlbelange erweist sich als heikel. Diese Gemeinwohlbelange beabsichtigen im weitesten Sinne den Schutz des Menschen. Inwieweit sich durch Einfügung des Art. 20 a GG a. F. hieran etwas geändert hat, ist äußerst fraglich (Im folgenden wird stets von der alten Fassung ausgegangen). In der oben gewürdigten Wendung eines Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen einbegreift er den Artenschutz nicht unmittelbar. Schutzobjekt auch dieses Staatsziels ist letztlich der Mensch, wie der Wortlaut der Verfassungsnorm klar zum Ausdruck bringt. Der anthropozentrische Ansatz war Grundannahme der Verfassungsergänzung. 228 Nach völlig herrschender Meinung ist er normativer Gehalt des Art. 20 a GG. 229 Nicht völlig schlüssig erscheint daher, den Artenschutz dennoch Art. 20 a GG zu unterwerfen. 230 Ob jede einzelne, beliebige Tier- oder Pflanzenart Bestandteil der natürlichen Lebensgrundlage des Menschen ist, erscheint zweifelhaft. Dies kann allerdings auch dahingestellt bleiben. Selbst wenn Art. 20 a GG auch den umfassenden Artenschutz zum Erhalt des Gen-Pools 231 beabsichtigt, so dennoch mit anthropozentrischem Blick auf die Überlebenssicherung der Menschheit. Artenschutz, sowie Umweltschutz allgemein wird jedoch in einer breiten Öffentlichkeit als „Selbstzweck“ verstanden, als „Wert an sich“. Die Arten sollen um ihrer selbst Willen erhalten werden, die Umwelt sei aus ihrem eigenen Recht zu schützen (Ökozentrismus). 232 So nachdrücklich: Schulze-Fielitz, Dreier GG-Kommentar, Art. 20 a Rn. 25 m. w. N. Vgl. Kloepfer, BK, Art.20 a Rn.53; Scholz, Maunz-Dürig, Art.20 a Rn.39; Peters, NVwZ 1995, 555 (555); a. A. Murswiek, NVwZ 1996, 222 (224). 230 Vgl. Schulze-Fielitz, Dreier GG-Kommentar, Art. 20 a Rn. 28–30, 39 m. w. N. 231 Vgl. Kloepfer, BK, Art. 20 a Rn. 54; Kloepfer, DVBl 1996, 73 (77). 232 Diese Auffassung vertritt Murswiek, NVwZ 1996, 222 (224). Vgl. zur Kontroverse Ökozentrismus – Anthropozentrismus auch Scholz, Maunz-Dürig, Art. 20 a Rn. 8; Kloepfer, DVBl 1996, 73 (77). 228 229

III. Der Gemeinwohlvorbehalt

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Dieser Gedanke scheint zunächst auch dem Bundesnaturschutzgesetz zugrundezuliegen, wenn es mehrfach die Schützenswertigkeit von Vielfalt, Eigenart, Seltenheit und Schönheit von Natur und Landschaft betont. 233 Andererseits werden diese Qualitäten ausdrücklich als die Voraussetzung für die Erholung des Menschen in Natur und Landschaft bezeichnet. Eine Sichtweise der „unberührten Natur als emotionales und ästhetisches Menschenbedürfnis“ 234 verharrte jedoch auf dem anthropozentrischem Standpunkt. Jedenfalls soll der Artenschutz nach allgemeinem Begriffsverständnis eben nicht nur dem Menschen einen praktischen Nutzen bieten, sondern allen Arten unmittelbar dienen. In dieser Ausprägung könnte sich der Artenschutz als Aktualisierung der staatlichen Gemeinwohlfindungskompetenz jenseits verfassungsrechtlicher Vorgaben erweisen. Eine Diskussion der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts soll im folgenden die Klärung einleiten, in welchem Verhältnis demokratische Entscheidungshoheit, Verfassungsvorgaben und Gemeinwohlvorbehalt vorliegend gesehen werden. (2) Judikatur zum Artenschutz Die herangezogenen Entscheidungen befassen sich mit Konflikten zwischen Grundrechtsschutz und Artenschutz. Anläßlich einer Verfassungsbeschwerde nach der Verankerung des Umweltstaatsziels stellt das Bundesverfassungsgericht apodiktisch fest: „Es liegt auf der Hand, daß Eigentumsschranken zur Abwehr einer Bestandsbedrohung von Pflanzen- und Tierarten dem inzwischen sogar zum Staatsziel erhobenen Schutz der Umwelt (Art. 20 a GG), damit aber der Sicherung überragender Gemeinschaftsbelange dienen.“235

Bemerkenswert erscheint die zwanglose Zuordnung des Bestandsschutzes zum Staatsziel nach Art. 20 a GG. 236 Das Modaladverb „sogar“ deutet an, daß der Schutz der Umwelt auch jenseits einer Verfassungspositivierung einem überragenden Gemeinschaftsbelang dient. Das Gericht entgeht mit der Feststellung der Einschlägigkeit von Art. 20 a GG einer näheren Erläuterung des zu sichernden „überragenden Gemeinschaftsbelanges“. Wenn es jedoch offenbar die Gemeinwohlrelevanz des Artenschutzes auch außerhalb dieser Verfassungsnorm annimmt, lohnt sich der Versuch einer Ermittlung des zugrundeliegenden Gemeinwohlverständnisses. Hierfür besonders geeignet ist selbstverständlich die Judikatur vor der Aufnahme des Umweltstaatsziels. Vgl. § 1 Abs. 1, § 13 Abs. 1 BNatSchG. Kloepfer, DVBl 1996, 73 (77). 235 BVerfG, NuR 1996, 400 (401). 236 Weiterhin sieht das Gericht den Schwerpunkt des Artenschutzes im Bereich des Naturschutzes nach Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 GG angesiedelt, vgl. BVerfG, NuR 1996, 400 (401 f.). 233 234

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

In einer konkreten Normenkontrolle aus dem Jahr 1982 nimmt das Bundesverfassungsgericht besonders aufschlußreich Stellung. Zu überprüfen war hier die Vereinbarkeit eines Verbots des Aufsammelns toter Tiere (BNatSchG) mit der Berufsfreiheit (von Tierpräparatoren). Das Bundesverfassungsgericht versteht die Entnahme von Tieren aus der Natur als Eingriff in den Naturhaushalt, dessen Erhaltung auch im Interesse künftiger Generationen dem Gemeinwohl dient. 237 Später ist dann die Rede von dem „Erhalt der Tierwelt“ auch für kommende Generationen als ein überragendes Allgemeininteresse. 238 Ein näherer Grund für dieses Interesse wird nicht angegeben. Die Bezugnahme auf kommende Generationen scheint zunächst auf einen anthropozentrischen Ansatz zu deuten. Dann aber stellt das Gericht fest, beim Erlaß eines Aneignungsverbots (für tote Tiere) nehme der Gesetzgeber die Verantwortung des Menschen für die gefährdete Tierwelt wahr und bedürfe hierfür grundsätzlich keiner besonderen Legitimation. 239 Verfassungsrechtlich nachprüfbar würden derartige Entscheidungen des Gesetzgebers erst, wenn Maßnahmen im Interesse des Tierschutzes grundrechtlich geschützte Positionen berühren. 240 Für diesen Fall wird eine Abwägung der Schwere des Gemeinwohlbelanges mit dem Eingriff in das Grundrecht gefordert. 241 Entsprechende Sentenzen finden sich in früheren Entscheidungen zum Tierschutz. Dieser sei ethisch ausgerichtet im Sinne einer Mitverantwortung des Menschen für das seiner Obhut anheimgegebene Lebewesen. Auch hier komme es nur dann zu einer verfassungsgerichtlichen Prüfung, sofern die staatliche Schutzmaßnahme in Grundrechtspositionen eingreift. 242 (3) Bewertung Bemerkenswert ist zunächst der stete Bezug auf die „kommenden Generationen“, welcher die Nützlichkeit des Artenschutzes für den Menschen betont. Auch vor der Aufnahme des Umweltstaatsziels läßt sich dieser Standpunkt verfassungsnormativ abstützen. Hierfür ließen sich insbesondere Art. 2 Abs. 1 und 2 GG anführen, wobei das Umweltstaatsziel Schutzlücken schließt. 243 Der diesbezügliche Vorwurf der „Verrechtlichung einer Ethik der Zukunftsverantwortung“ 244 unterschätzt die Eigenschaft einer Rechtsordnung als abstrakte Ordnung. Die Hinnahme gegenwärtiger Beschränkungen zum Schutz der Zukunft ist in237 238 239 240 241 242 243 244

Vgl. BVerfGE 61, 291 [307]. Vgl. BVerfGE 61, 291 [312 f.]. Vgl. BVerfGE 61, 291 [308]. Vgl. BVerfGE 61, 291 [308]. Vgl. BVerfGE 61, 291 [311]. Vgl. BVerfGE 36, 47 [57 f.]; 48, 376 [389]. Vgl. Murswiek, NVwZ 1996, 222 (224); Scholz, Maunz-Dürig, Art. 20 a Rn. 8, 31. Schulze-Fielitz, Dreier GG-Kommentar, Art. 20 a Rn. 31.

III. Der Gemeinwohlvorbehalt

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sofern kein Rechtsproblem, als daß die Unbestimmtheit des rechtsbetroffenen Personenkreises einer Rechtsnorm immanent ist. Jede Wahrnehmung einer in die Zukunft gerichteten Schutzpflicht, wie sie etwa am Beispiel objektiver Grundrechtsgehalte besprochen wurde, entzieht der Gegenwart Ressourcen, die statt dessen auch zur gegenwärtigen Wohlfahrtssteigerung hätten eingesetzt werden können. Es erscheint kaum begründbar, warum ein in die Zukunft gerichteter ressourcenintensiver Schutz (bspw. Unterhaltung von Sicherheitsbehörden) von Eigentum, Leib und Leben etc. von gegenwärtig noch nicht benennenbaren oder noch nicht einmal existierenden Personen als selbstverständlicher Bestandteil einer Rechtsordnung akzeptiert ist, verantwortungsvoller, zukunftsschützender Umweltgebrauch hingegen grundsätzliche rechtstheoretische Probleme bereiten soll. Wäre schließlich die – faktisch freilich gegebene – kurzfristige Orientierung der Amtswalter wegen der für sie existentiellen Wahlen auch verfassungsrechtlich zu besorgen, 245 so könnte an dieser Stelle die weitere Bemühung um den Gemeinwohlvorbehalt abgebrochen werden. Neben den Interessen zukünftiger Generationen spricht das Gericht andererseits nun aber auch von einer „Verantwortung“ des Menschen für die gefährdete Tierwelt. Worauf diese Verantwortung gründet, bleibt offen. Am wahrscheinlichsten ist jedoch die Annahme einer rechtsethischen, extrapositiven Verpflichtetheit der Menschheit, für die Umwelt Sorge zu tragen. Dies folgt aus der Formulierung, der Gesetzgeber nehme „bei“ seiner Entscheidung die fragliche Verantwortung wahr. 246 Zum Zeitpunkt der rechtserheblichen artenschützenden Entscheidung muß die Verantwortung also schon vorgelegen haben. Sofern also der Schutz der gefährdeten Tierwelt im Sinne des eingangs bezeichneten Artenschutzes als „Selbstzweck“ zu verstehen ist, so stützt das Bundesverfassungsgericht diesen auf eine dem Gesetzgeber aufgegebene Verantwortung. Betont das Bundesverfassungsgericht, bei der Entscheidung bedürfe der Gesetzgeber keiner besonderen Legitimation, so schließt es damit lediglich eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Grundlage aus. Das Bundesverfassungsgericht bemißt die Gemeinwohlrelevanz des Artenschutzes also einerseits an verfassungsimmanenten Größen (zukünftige Generationen), andererseits an einer extrapositiven Pflicht. Es wahrt damit seinen im ersten Band formulierten Grundsatz, die Existenz überpositiven Rechtes anzuerkennen. 247 Den gleichen Schluß legt auch der Deutsche Bundestag nahe, wenn er in einer Entschließung feststellt, die ökologische Grundverantwortung des Staates sei „nunmehr auch“ in Art. 20 a GG verankert. 248 So Kloepfer, DVBl 1996, 73 (78). Vgl. BVerfGE 61, 291 [308]. 247 Vgl. BVerfGE 1, 14 [18 (LS 27)]. 248 Vgl. Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BT-Drucksache 12/82111, Plenarprotokoll 12/238, S. 21038; zit. nach: Scholz, Maunz-Dürig, Art. 20 a Rn. 37. 245 246

5 Meyer

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

Zwar deuten die Ausführungen zur vorliegenden Irrelevanz einer Staatszwecklehre bereits an, daß die Existenz extrapositiver Verpflichtungen des Gesetzgebers hier nicht bejaht werden kann. Für die nachfolgenden Überlegungen ist dieses Detail der Judikatur jedoch ohne Belang. Ausschlaggebend ist vielmehr die grundsätzliche Methode des Bundesverfassungsgerichts, zumindest irgendeinen Bewertungsmaßstab für die Gemeinwohlerheblichkeit einer gesetzgeberischen Entscheidung beizubringen. Trotz der hier zu verwerfenden extrapositiven Bezugnahmen muß diese Vorgehensweise des Bundesverfassungsgerichts betont werden, die Feststellung der Gemeinwohlerheblichkeit jedenfalls nicht völlig dem Gesetzgeber zu überlassen. Das Bundesverfassungsgericht versucht also nicht etwa, die Gemeinwohlfindung des Gesetzgebers an verfassungsrechtlichen Grenzen zu messen, also zu prüfen, ob eine Gemeinwohlerheblichkeit des Artenschutzes mit der Verfassung schlechterdings unvereinbar wäre. Dies entspräche der Vorgehensweise bei reiner Geltung des prozeduralen Gemeinwohlverständnisses, wie es oben entwickelt wurde. Vielmehr wird die Gemeinwohlqualität nicht angezweifelt, sondern dieser nur eine Rechtfertigung nachgeliefert, die außerhalb der gesetzgeberischen Entscheidung liegt. Die eigentliche Abwägung von Grundrechtseingriff und Gemeinwohlbelang geschieht dann auf Seiten des Gemeinwohlbelanges am Maßstab einerseits der verfassungsimmanenten Rechtfertigung (anthropozentrischer Artenschutzaspekt), andererseits der extrapositiven Verantwortung (Verpflichtung der Menschheit zum Schutz der Umwelt). An dieser Stelle verdient noch eine Verfassungsinterpretation besondere Beachtung und Zustimmung, welche die Reichweite gesetzgeberischer Gemeinwohlfindung im grundsätzlichen beschränken kann. Nach überwiegender Auffassung normiert Art. 1 Abs. 1 GG ein anthropozentrisches Grundkonzept der Verfassung. Selbst ein verfassungsänderndes Gesetz muß daher auf den Menschen bezogen sein, ansonsten scheitert es an der Verfassungsänderungsresistenz nach Art. 79 Abs. 3 GG. 249 Aus diesem Grunde ist die jüngste Ergänzung „und die Tiere“ äußerst fragwürdig und wurde daher aus der Betrachtung ausgeschlossen. Das Bundesverfassungsgericht konnte sich jedenfalls nicht durchringen, die Feststellung eines Gemeinwohlbelanges völlig dem demokratischen Prozeß unter Beachtung verfassungsrechtlicher Grenzen zu überlassen. Hierfür gibt es auch durchaus einen tieferliegenden Grund, welcher nachfolgend zu ermitteln sein wird.

249 Vgl. Scholz, Maunz-Dürig, Art. 20 a Rn. 40; Kloepfer, BK, Art. 20 a Rn. 53; Kloepfer, DVBl 1996, 73 (77); Peters, NVwZ 1995, 555 (555); Schmidt-Bleibtreu, Schmidt-Bleibtreu GG-Kommentar, Art. 20 a Rn. 11.

III. Der Gemeinwohlvorbehalt

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b) Allgemeine Handlungsfreiheit und Gemeinwohl Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die allgemeine Handlungsfreiheit in umfassendem Sinne. 250 Geschützt ist jede Form menschlichen Handelns ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht der Betätigung für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt. 251 Diese ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist nicht nur für den individuellen Freiheitsschutz fundamental, sondern insbesondere auch für die Reichweite staatlicher Gemeinwohlfindungskompetenz. Zunächst soll daher der genauere Gehalt von Art. 2 Abs. 1 GG in der herrschenden Interpretation kurz dargestellt werden. Anschließend wird dann die Interdependenz von allgemeiner Handlungsfreiheit und staatlicher Gemeinwohlfindung nachgewiesen.

(1) Normativer Gehalt von Art. 2 Abs. 1 GG Die gerade beschriebene Interpretation des Art.2 Abs.1 GG als umfassende Handlungsfreiheit durch das Bundesverfassungsgericht hat bis heute Bestand. Andere Auffassungen konnten sich weder in der Rechtsprechung durchsetzen, noch in ihrer Argumentationsweise überzeugen. Die diesbezüglichen Kontroversen sollen hier nicht vertieft werden, festzuhalten ist jedoch die Absage an jede Interpretation des Art. 2 Abs. 1 GG, welche die Schutzbereichsdefinition an einer wie auch immer gearteten Wertigkeit des fraglichen Verhaltens orientiert. 252 Ein solches Unterfangen scheitert nicht nur an der Schwierigkeit der Abgrenzung persönlichkeitserheblicher Verhaltensweisen. 253 Vielmehr widerspräche es auch dem Art. 1 Abs. 1 GG zugrundeliegenden Menschenbild und der hieraus abzuleitenden Freiheit des Willens als konstitutiver menschlicher Eigenart. 254 Vorstehend wurde bereits das Schutzgut der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG erörtert. Der menschliche Wille ist nicht nur dann frei, wenn er sich in einer bestimmten, sittlich oder sozial sanktionierten Weise 250 Vgl. BVerfGE 96, 10 [21]; BVerfG, NJW 1996, 983 (983); BVerfG, NJW 1993, 2167 f.; BVerfGE 80, 137 [153]; stRspr seit BVerfGE 6, 32; Nipperdey, Freie Entfaltung, 768, 798. 251 Vgl. BVerfG, NJW 1993, 2167 f.; BVerfGE 80, 137 [152 f.]. 252 Dies gilt auch für eine abgeschwächte Variante, in der nur die Individualität des Grundrechtsträgers geschützt ist, vgl. Lerche, Übermaß, 299. 253 Vgl. hierzu vor allem die Persönlichkeitskerntheorie (Hans Peters) in Peters, Die freie Entfaltung, 673; Peters, Das Recht auf freie Entfaltung, 48, 74 und deren Kritik: BVerfGE 6, 32; Nipperdey, Freie Entfaltung, 769 f.; Evers, AöR 90 (1965), 88 (88 ff.); E. Hesse, Bindung, 24 ff.; Scholz, AöR 100 (1975), 80 (94 f.); Roemer, Grundrecht der freien Entfaltung, 553; Starck, Bonner Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 6 f.; Dürig, JZ 1957, 167 (170); Podlech, AKGG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 7; Kunig, Münch/Kunig GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 1 Rn. 14; Murswiek, Sachs GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 49. 254 Vgl. Roemer, Grundrecht der freien Entfaltung, 569 f.; Evers, AöR 90 (1965), 88 (95); Wintrich, Art. 2 Abs. 1 GG, 1 ff.; Dürig, Maunz-Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 3.

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betätigt, sondern immer. Insofern verliert die häufig betrachtete Kontroverse 255 um die textliche Entstehungsgeschichte des Art. 2 Abs. 1 GG an Erheblichkeit. Die angenommene Inkongruenz von einer „Entfaltung der Persönlichkeit“ und einem „Recht, tun und lassen zu können, was man will“ besteht nicht. Der freie Wille, untrennbar verbunden mit dem Ich-Bewußtsein, machen die besondere menschliche Qualität aus. Trifft es aber zu, daß der freie Wille konstitutiv für die Qualität als Mensch ist, so entfaltet sich die Persönlichkeit eben durch diese freie Willensbetätigung als solche, ohne daß es eines besonderen Willensgehalts bedurfte. 256 Deshalb, um der Menschenwürde willen, 257 muß die Verfassung „einen generellen Wert der menschlichen Freiheit anerkennen“. 258 Geschützt ist also jedes menschliche Verhalten, einschließlich Unterlassungen. 259 Art. 2 Abs. 1 GG schützt als Hauptfreiheitsrecht 260 in der Tat die Freiheit schlechthin 261 und gewährleistet so die Lückenlosigkeit des Grundrechtsschutzes. 262 Jede Einschränkung der Freiheit ist rechtfertigungsbedürftig. 263 Daher ist auch der Auffassung zu widersprechen, bestimmte, sozialschädliche Verhaltensweisen fielen aus dem Schutzbereich heraus (Straftaten).264 Auch hierbei handelt es sich um menschliche Verhaltensweisen, und als solche eröffnen sie den Schutzbereich des Grundrechts, 265 wie auch das Bundesverfassungsgericht be255 Vgl. Pieroth, AöR 115 (1990), 33 (35); Scholz, AöR 100 (1975), 80 (87 f.); Haas, DÖV 1954, 70 (72); Roemer, Grundrecht der freien Entfaltung, 545 ff.; Wintrich, Problematik, 26; Starck, Bonner Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 6; Kunig, Münch/Kunig GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 1 Rn. 13; Podlech, AK-GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 4; a. A. Grimm, in: Sondervotum zu BVerfGE 80, 137 [165 ] (Reiten im Walde). 256 Vgl. Nipperdey, Freie Entfaltung, 769; Wintrich, Art. 2 Abs. 1 GG, 3; Scholz, AöR 100 (1975), 80 (94 f.) zur diesbezügl. Rspr des BVerfG. A. A. neben Peters (s. Fußn. 259) etwa W. Schmidt, AöR 91 (1966), 42 (81) („Ausscheidung durchaus trivialer Betätigungen“). 257 Vgl. BVerfGE 5, 85 [204]; Nipperdey, Freie Entfaltung, 742, 759, 770; Murswiek, Sachs GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 11, 52 f.; Dürig, Maunz-Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 1 f. 258 Dürig, Maunz-Dürig, Art.2 Abs. 1 Rn. 3. Vgl. Böckenförde, Wandel, 26 f.; BVerfGE 69, 1 [22]. 259 Vgl. Nipperdey, Freie Entfaltung, 768 ff.; Roemer, Grundrecht der freien Entfaltung, 552; Kunig, Münch/Kunig GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 1 Rn. 17, 19; Murswiek, Sachs GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 52. 260 Vgl. Dürig, JZ 1957, 167 (170); Nipperdey, Freie Entfaltung, 758; W. Schmidt, AöR 91 (1966), 42 (45); Dreier, Dreier GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 1 Rn. 15; Dürig, Maunz-Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 6. 261 Vgl. Murswiek, Sachs GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 11, 12; BVerfGE 65, 1 [42 f.]. 262 Vgl. Dürig, JZ 1957, 167 (170 f.); Murswiek, Sachs GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 51; Dürig, Maunz-Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 3; Zur Auffangfunktion des Art. 2 Abs. 1 GG: Rupp, NJW 1966, 2037 (2037); Nipperdey, Freie Entfaltung, 762; Pieroth, AöR 115 (1990), 33 (33); Wintrich, Art. 2 Abs. 1 GG, 8; W. Schmidt, AöR 91 (1966), 42 (44, 47). A. A. Häberle, Wesensgehaltgarantie, passim. 263 Vgl. Rupp, NJW 1966, 2037 (2040); Wintrich, Problematik, 23; Dreier, Dreier GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 1 Rn. 28; Murswiek, Sachs GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 51. 264 So beispielsweise Starck, Bonner Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 10; Dürig, Maunz-Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 22, 76 („selbstverständliche Unterform der Nichtstörungspflicht“). 265 Ebenfalls für eine Schutzbereichseröffnung bei strafbarem Verhalten: Murswiek, Sachs GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 53.

III. Der Gemeinwohlvorbehalt

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stätigt. 266 Gleichzeitig sind Straftaten selbstverständlich prototypisches Beispiel für die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung. Die Interpretation der Schrankentrias korrespondiert mit dieser Schutzbereichsdefinition. Zurecht betrachtet das Bundesverfassungsgericht die gesamte verfassungsmäßige Rechtsordnung als verfassungsmäßige Ordnung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG (2. Halbsatz). 267 Trotz der von anderen Grundrechten abweichenden Formulierung bedeutet dies einen einfachen Gesetzesvorbehalt. Fraglich erscheint allerdings, ob diese Schrankeninterpretation ausschließlich als Reflex auf den weiten Schutzbereich des Grundrechts ihre Rechtfertigung finden kann. 268 Kritische Stimmen hierzu existieren, 269 eine Interdependenz von Schranken und Schutzbereich vollkommen zu negieren, gelingt aber kaum. Zumindest hinsichtlich eines Aspektes ist dies jedoch bereits an dieser Stelle möglich. Anknüpfungspunkt hierfür ist der häufige Vorwurf, das Grundrecht liefe wegen der weitgehenden Schrankenregelung ins Leere. 270 Dem soll die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entgegenwirken. 271 Ein schwerwiegender Fehlschluß liegt aber in der Annahme, Art. 2 Abs. 1 GG sei Quelle des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. 272 Vielmehr eröffnet die Konstituierung eines grundrechtlichen Schutzbereiches durch 266 Vgl. BVerfG, NJW 1993, 2167 (2167 f.) (im Umkehrschluß). Allgemein gegen die Bestimmung des Schutzbereichs eines Grundrechts von den Schranken her: BVerfGE 32, 54 [72 f.]; 85, 386 [396 f.]. 267 Vgl. BVerfGE 96, 10 [21]; BVerfG, NJW 1996, 983 (983); BVerfG, NJW 1993, 2167 f.; BVerfGE 80, 137 [153]; stRspr seit BVerfGE 6, 32. 268 Vgl. Nipperdey, Freie Entfaltung, 789; Alexy, Grundrechte, 312; Scholz, AöR 100 (1975), 80 (83, 88, 273); W. Schmidt, AöR 91 (1966), 42 (46). 269 Vgl. Starck, Bonner Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 4, 7; Podlech, AK-GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 1; Dürig, Maunz-Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 18 ff.; Murswiek, Sachs GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 47. 270 Vgl. Nipperdey, Freie Entfaltung, 799. Nipperdey kritisiert, wenn die verfassungsmäßige Ordnung der allgemeinen Rechtsordnung gleichzusetzen wäre, so könnte nicht aus der in Art.2 Abs.1 GG selbst enthaltenen Grenze entnommen werden, ob ein Eingriff in dieses Freiheitsrecht materiell im Einklang mit der Verfassung steht, sondern nur aus anderen Normen des Grundgesetzes (unter Bezugnahme auf BVerfGE 9, 137 [146]). Dieser Vorwurf trifft nur insofern, als der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eben in der Tat seine Quelle nicht in Art.2 Abs.1 GG findet. Der materielle Gehalt des Grundrechts ist aber eindeutig bestimmt. Geschützt ist jedes Verhalten, dies bedeutet rechtslogisch die größtmögliche Bestimmtheit. Vgl. auch Rupp, NJW 1966, 2037 (2037); Evers, AöR 90 (1965), 88 (88, 92); Lerche, Übermaß, 285; Scholz, AöR 100 (1975), 80 (83 f.). Kritisch gegenüber des Vorwurfs: Alexy, Grundrechte, 314 ff. 271 Nachdrücklich Wintrich, Art. 2 Abs. 1 GG, 6 f. Vgl. Lerche, Übermaß, 287; Nipperdey, Freie Entfaltung, 789; Rupp, NJW 1966, 2037 (2039); Pieroth, AöR 115 (1990), 33 (39); Scholz, AöR 100 (1975), 80 (89, 273 f., 280 f., 288 f.); Kunig, Münch/Kunig GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 1 Rn. 24; Podlech, AK-GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 22 f.; Starck, Bonner Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 17 ff. 272 Vgl. Rupp, NJW 1966, 2037 (2038). Schwer verständlich deshalb die zunächst richtige Feststellung in Podlech, AK-GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 23, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz leite sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ab, dann aber irrig folgernd, gerade deshalb sei Art.2 Abs. 1 GG obsolet.

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

Art. 2 Abs. 1 GG lediglich die Anwendungsmöglichkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, so wie dies bei anderen Grundrechten selbstverständlich der Fall ist. Hierauf wird zurückzukommen sein. Diese Eigenschaft des Art. 2 Abs. 1 GG, Eingriffe in seinen Schutzbereich nur nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zuzulassen, existiert unabhängig von der Reichweite sowohl des Schutzbereiches als auch der Schranken. Sie ist daher nicht etwa nur eine Eigenart zur Bewahrung des von der weiten Schrankenregelung vermeintlich bedrohten materialen Gehalts. 273 Diese bedeutende Rolle des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für Art. 2 Abs. 1 GG wird allerdings häufig unterschätzt. 274 Damit bleibt allerdings weiterhin die Frage offen, ob die weitgehende Schrankeninterpretation noch eine weitere, tiefergehende Rechtfertigung findet als den Reflex auf den Schutzbereich des Grundrechts. Dies wird sich jedoch erst abschließend klären. Zunächst soll der Zusammenhang von Art. 2 Abs. 1 GG mit dem Gemeinwohlbegriff in den Mittelpunkt der weiteren Untersuchung treten. (2) Würdigung der Dürigschen „Gemeinwohlklausel“ Die Richtung weist Dürig mit seiner Kennzeichnung der Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung als „Gemeinwohlklausel“. Mit verfassungsmäßiger Ordnung seien solche Gemeinwohlforderungen gemeint, deren Realisierung die Verfassung fordere. 275 Allerdings umfasse dies nicht schlechthin jegliches öffentliches Interesse. 276 Dürig zählt einige Gemeinwohlforderungen auf, welche er als zulässige Beschränkungen des Freiheitsrechts ansehen will. Hierzu zählt er auch – in gewissem Widerspruch zur von ihm geforderten Verfassungsimmanenz – einige extrapositive Belange („in jedem staatlichen Gemeinwesen zu beachten“, „traditionelle Handlungs- und Unterlassungspflichten“, „Nichtstörungspflichten“). 277 273 In diese Richtung aber wohl beispielsweise Murswiek, Sachs GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 21; Kunig, Münch/Kunig GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 1 Rn. 24; Dreier, Dreier GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 1 Rn. 45. 274 Dies kommt besonders deutlich zum Ausdruck in einer Feststellung W. Schmidts. Er meint „Hat die allgemeine Eingriffsprüfung (gemeint ist die formelle Verfassungsmäßigkeit, Anm. des Verfassers) keine Verfassungsverstöße ergeben, so verengt das Gericht die Grundrechtsprüfung alsbald auf einen letzten Kernbereich des Freiheitsschutzes.“ (W. Schmidt, AöR 91 (1966), 42 (73)). Der Schutzbereich des Art.2 Abs. 1 GG wird hier also reduziert auf die Gewährleistung formeller Rechtmäßigkeit des Eingriffs und auf die Wesensgehaltsgarantie. Die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eröffnet jedoch eine dazwischenliegende Bandbreite, innerhalb derer sich der Vorrang der allgemeinen Handlungsfreiheit oder des Eingriffszwecks im Einzelfall bestimmt. 275 Vgl. Dürig, JZ 1957, 167 (172); Dürig, Maunz-Dürig, Art.2 Abs.1 Rn.18 f.; zustimmend Nipperdey, Freie Entfaltung, 800. 276 Vgl. Dürig, JZ 1957, 167 (172); Dürig, Maunz-Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 19. 277 Vgl. Dürig, JZ 1957, 167 (172); Dürig, Maunz-Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 21 ff. Teilweise krit. Nipperdey, Freie Entfaltung, 811; Lerche, Übermaß, 283, 298.

III. Der Gemeinwohlvorbehalt

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Jedoch muß Dürig wohl so verstanden werden, daß die Einschlägigkeit einer solchen zulässigen Gemeinwohlforderung gar nicht erst den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG eröffnet. Die Gemeinwohlforderung sei in eine individuelle Gemeinwohlpflicht umzudenken. Im Falle deren Einschlägigkeit versage der „Einwand für sich allein“ einer unzulässigen Freiheitsbeschränkung aus Art. 2 Abs. 1 GG. 278 Die Auferlegung dieser Handlungspflichten widerstreite dem Art. 2 Abs. 1 GG nicht und „relativiere“ dieses Freiheitsrecht. 279 Andererseits will Dürig dennoch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für eine solche Handlungspflicht gelten lassen, 280 welcher bei fehlender Schutzbereichseröffnung jedoch gegenstandslos wäre. Die nachfolgenden Überlegungen wollen den richtigen Gedanken der Gemeinwohlrelevanz der Schrankenregelung des Art. 2 Abs. 1 GG aufnehmen, dabei allerdings den Dürigschen Ansatz erweitern. Genannte Inkonsistenzen sind zu vermeiden. (3) Fragen der objektiven Reichweite des Art. 2 Abs. 1 GG An der Grundrechtsnatur von Art. 2 Abs. 1 GG besteht seit langem keinerlei Zweifel mehr. 281 Folgerichtig argumentieren alle Interpretationsansätze aus dem Blickwinkel eines bestimmten, wenn auch sehr weitgehenden Freiheitsrechtes, welches vor bestimmten staatlichen Eingriffen zu schützen ist. Diese Sichtweise ist selbstverständlich fundamental richtig. Die besondere, unstrittige Eigenschaft des Art. 2 Abs. 1 GG, jedes beliebige Tun und Unterlassen seinem Schutzbereich einzuverleiben und damit staatlicher Einwirkung – zunächst – zu entziehen, hat jedoch jenseits des bloßen Grundrechtsschutzes für den Verfassungsstaat zentral konstitutive Bedeutung. Hierfür ist das Vorliegen einer „Gemeinwohlklausel“ in Art. 2 Abs. 1 GG durchaus ursächlich, bezogen allerdings nicht nur auf die Schrankenregelung, sondern auf die Gesamtnorm. Aufzugeben ist die Dürigsche Einschränkung, nur bestimmte Belange, vor allem nur einzelne Forderungen der Verfassung, unterfielen dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung. Wenn nämlich jedes Tun oder Unterlassen von Art. 2 Abs. 1 GG geschützt wird, dann greift auch jedes staatliche Handeln in das Grundrecht ein (ob vielleicht doch marginale Ausnahmen hiervon vorstellbar sind, wird unten noch besprochen). Zunächst ist genau diese Erkenntnis Ursache des „Reflex“-Arguments, gerade deshalb müsse die Schrankenregelung entsprechend weitgehend sein, da ansonsten nahezu Vgl. Dürig, JZ 1957, 167 (172); Dürig, Maunz-Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 20; auch: Rn. 4. Vgl. Dürig, Maunz-Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 21. 280 Vgl. Dürig, Maunz-Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 23. 281 Vgl. J. Müller, Art. 2 Abs. 1 GG, 94 ff.; Nipperdey, Freie Entfaltung, 742 ff.; Dürig, Maunz-Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 5. A. A. Haas, DÖV 1954, 70 (70 ff.); Wintrich, Art. 2 Abs. 1 GG, 8. 278 279

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

jedes staatliche Handeln unterbunden würde. Dieses Argument leidet jedoch an seiner Qualität als bloße Praktikabilitätserwägung, 282 es verzichtet auf einen Ansatz logischer Deduktion. Einen ganz anderen Zugang eröffnete die Entschlossenheit, wirklich ernstzumachen mit der genannten Erkenntnis, jedes staatliche Handeln greift in das Grundrecht ein. Dieser objektive Normgehalt des Art. 2 Abs. 1 GG, jedem staatlichen Handeln von vornherein die Vermutung der Rechtswidrigkeit aufzuerlegen, 283 wird im folgenden spezifiziert und resultierend die Gemeinwohlklausel-Qualität nachgewiesen. Auf dieser Grundlage wird dann die normative Schließung des verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriffes als argumentum ad absurdum vollzogen. Eine deduktive Schrankenbegründung wird sich dabei erweisen. (4) Grundrechtseingriff durch jede staatliche Betätigung (a) Anforderungen an die Qualität der staatlichen Maßnahme Fraglich bleibt, welche Qualität eine staatliche Äußerungsform aufweisen muß, um überhaupt als staatliches Handeln in den Schutzbereich des Art.2 Abs. 1 GG eingreifen zu können. Gelegentlich wird argumentiert, 284 um Eingriffscharakter zu besitzen müsse eine staatliche Maßnahme zumindest eine gewisse Finalität aufweisen, bezogen auf den beeinträchtigten Grundrechtsträger. Die Lehre kennt jedoch auch sogenannte Reflexwirkungen oder faktische Beeinträchtigungen. Die uneinheitliche Terminologie 285 wird bei Gallwas 286 ausführlich aufgearbeitet. An dieser Stelle genügt jedoch die Kenntnis, daß staatliche Betätigung in verschiedenster Weise auf Adressaten und Nicht-Adressaten nicht-intendierte Wirkungen haben kann. Das Vorliegen solcher Beeinträchtigungen erscheint als Faktum auch selbstverständlich, daraus folgt jedoch noch nicht zwangsläufig deren gleichzeitige Eigenschaft als Grundrechtsbeeinträchtigungen. 287 Vgl. J. Müller, Art. 2 Abs. 1 GG, 55; Evers, AöR 90 (1965), 88 (90). Vgl. Wintrich, Problematik, 23; Jarass, AöR 120 (1995), 345 (371). Verblüffenderweise erkennt Jarass eine derartige „Vermutung für die Verfassungswidrigkeit staatlichen Handelns“ für die Einzelgrundrechte an, lehnt sie jedoch für die allgemeine Handlungsfreiheit ab. Er begründet dies mit deren „flächendeckenden Fassung“, was jedoch wiederum die Qualität eines Praktikabilitätsargumentes aufweist. 284 Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, 231 f. (krit.); Albers, DVBl 1996, 233 (234 f.) (Darstellung des Argumentationsstandes, Rechtsprechungsnachweis); Murswiek, Sachs GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 79. 285 Vgl. Albers, DVBl 1996, 233 (233) („diffuser Sammelbegriff“). 286 Vgl. Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, 12 ff.; ausführlich auch Stern, Staatsrecht III/2, § 78 III 2. 287 Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, 230; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, 48 f. 282 283

III. Der Gemeinwohlvorbehalt

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Wäre die Finalitätsforderung berechtigt, käme solches Staatshandeln als Grundrechtseingriff nicht in Betracht, welches den Schutzbereich zwar objektiv berührt, dies jedoch als nicht-intendierte Nebenwirkung eines ganz anderen Regelungszwecks. Rechtsprechung und Lehre weisen die Finalitätsforderung jedoch zurück.288 Art. 1 Abs. 3 GG vermittelt eine umfassende Bindung des Staates an die Grundrechte und beabsichtigt damit einen umfassenden und wirksamen Schutz der Grundrechtsträger. 289 Ebenfalls nicht kommt es auf die Vorwerfbarkeit des staatlichen Handelns an. 290 Für das Vorliegen eines Eingriffes abzustellen ist vielmehr auf den Regelungsbzw. Entscheidungscharakter einer Maßnahme als solchen. Regelung sei an dieser Stelle nicht als das Bewirken einer Rechtsfolge zu verstehen, sondern als das Bewirken irgendeiner Wirkung. 291 In diesem Sinne jedenfalls definiert das Bundesverfassungsgericht „Staatsgewalt“. 292 Auf die Rechtserheblichkeit der Maßnahme kommt es nicht an. 293 Wirkt sich eine derartige Entscheidung auf Grundrechtsträger aus, die nicht Adressat sind, so kommt ein Grundrechtseingriff dennoch in Betracht. Maßnahmen, welche keine Ausübung von Staatsgewalt darstellen, fallen damit aus der weiteren Betrachtung heraus. Hierzu gehören etwa bloße Meinungsäußerungen oder Mitteilungen von Staatsorganen. 294 Dies korrespondiert dem Schutzbereich des Grundrechts. Eine staatliche Meinungsäußerung ist regelmäßig nicht geeignet, die private Entschließungsfreiheit wirksam zu beeinträchtigen. Grenzfälle sind freilich denkbar. 295 (b) Unvermeidbarkeit der Grundrechtsbeeinträchtigung Eine Entscheidung, die eine Wirkung zeitigen soll, bedarf der Umsetzung und gegebenenfalls der Durchsetzung. Das bedeutet, ein zunächst rein kognitiver Vorgang beim menschlichen Entscheider führt zu einer Festlegung, die mit ihrer Umsetzung 288 Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, 231 f., 261 ff., passim; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, 57 ff.; Heidel, ZLR 1989, 447 (456) mit zahlreichen w. N.; Stern, Staatsrecht III/1, § 72 III 4; Staatsrecht III/2, §78 III3 b, 2 b m.w. N.; BVerfGE 66, 39 [60]; BVerwGE 71, 183 [191 f.]; BVerwG, DÖV 1971, 857 (858). 289 Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, 261 f.; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, 57 ff., passim; Stern, Staatsrecht III/1, § 72 III 4 a. 290 Vgl. Stern, Staatsrecht III/2, § 78 III 3 b b. 291 Hierzu ausführlich Jestaedt, Demokratieprinzip, 255 ff., allerdings a. A. bezüglich des Erfordernisses der Rechtserheblichkeit. 292 Vgl. BVerfGE 93, 37 [37 (LS 1)]; 83, 60 [72 f.]. 293 Vgl. Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 13; BVerfGE 8, 104 [114]. 294 Vgl. BVerfGE 83, 60 [74]; 47, 253 [273]; 37, 57 [61 f.]; 33, 18 [21 f.]. 295 Vgl. sowohl für die Regel als auch für die Ausnahmen: BVerfGE 40, 287 [293]; 57, 1 [7 f.]. Insbesondere zur Problematik staatlicher Warnungen: BVerfGE 82, 76 [79 ff.]; 105, 252 [252 ff.].

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

in der Außenwelt für einen bestimmten Ausschnitt der Lebenswirklichkeit die zunächst kontingenten Möglichkeiten auf eine einzige reduziert. Außenwelt ist hier nicht gleichbedeutend mit der Außenwirkung des Verwaltungsrechts. Gemeint ist vielmehr die Außenwelt der Person oder der Personenmehrheit, welche die Entscheidung trifft. Jede, auch nicht-intendierte bewirkte Wirkung infolge einer Entscheidung reduziert an irgendeiner Stelle die Zahl der Alternativen. Dies schließt die gleichzeitige Schaffung zusätzlicher Alternativen an anderer Stelle nicht aus. Letzteres gilt etwa für die Einräumung von Rechtspositionen durch staatliches Tätigwerden oder die Leistungsverwaltung im allgemeinen. Jeder, dessen Möglichkeitsraum durch die Umsetzung der Entscheidung reduziert wird, ist in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit beeinträchtigt. Dies folgt zwingend aus der Schutzbereichsdefinition der Beliebigkeit des Verhaltenkönnens und folgt für jede beliebige Art von Entscheidung. Ausschließlich ursächlich für die Grundrechtsbeeinträchtigung ist nämlich die Qualität von „Entscheidung“ als der Auswahl einer bestimmten Alternative. Die Beliebigkeit des Verhaltenkönnens definiert sich geradezu über die Existenz von Verhaltensalternativen. 296 Hierbei bedeutet insbesondere auch Tun oder Unterlassen bezüglich eines bestimmten Handelns eine Verhaltensalternative. 297 Es ist nicht vorstellbar, daß nicht der Möglichkeitsraum zumindest einer Person durch intendierte oder nicht-intendierte Wirkungen einer staatlichen Betätigung reduziert wird. Zumindest betroffen sind die Verwaltungsangehörigen, welche zur Umsetzung der Entscheidung verpflichtet sind. Selbstverständlich ist der Staat als solcher nicht grundrechtsfähig. Dennoch behalten die Amtswalter auch im Rahmen ihres Dienstverhältnisses den Grundrechtsschutz. Die Geltung des Art. 2 Abs. 1 GG im Verwaltungsbinnenbereich ist von der Rechtsprechung anerkannt. Für diesen Fall wirkt sich natürlich die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung besonders nachhaltig aus, hier als Dienstrecht. 298 Staatliche Aufgabenwahrnehmung in der Form des Privatrechts ändert hieran nichts. Ausschlaggebend ist nicht das hoheitliche Handeln, das Subordinationsverhältnis, sondern der Entscheidungscharakter der Maßnahme als solcher. Zu erinnern ist dabei nochmals die Möglichkeit faktischer Beeinträchtigungen als Ergebnis der Wirkung staatlicher Entscheidungen.

Vgl. Stern, Staatsrecht III/1, § 66 II 2 b a. Vgl. Stern, Staatsrecht III/1, § 66 II 2 b a. 298 Vgl. BVerfGE 39, 334 [366 f.]; BVerwGE 73, 296 [302 f.]; Kunig, Münch/Kunig GGKommentar, Art. 2 Abs. 1 Rn. 4. 296 297

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(c) Ergebnis Jede staatliche Maßnahme mit Entscheidungscharakter, d. h. jede Ausübung von Staatsgewalt, resultiert in einer Beeinträchtigung von Grundrechtsträgern nach Art. 2 Abs. 1 GG. Dies gilt unabhängig von der Finalität der Beeinträchtigung oder von deren Rechtserheblichkeit. Der Staat kann gar nicht anders handeln, als durch seine Maßnahmen stets in das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG einzugreifen. Die Auffassung wird vertreten, eine sehr weite Schutzbereichsinterpretation sprenge das geltende System des subjektiven Rechtsschutzes. 299 Der Einwand verfängt jedoch nicht. Zum einen handelt es sich um eine bloße Praktikabilitätserwägung. Zum anderen wird zu Recht darauf hingewiesen, daß es zwar keine allgemeine Geringfügigkeitsschranke gibt, minimale Beeinträchtigungen aber ohne weiteres als zumutbar legitimiert werden können. 300 Das Diktum des Bundesverfassungsgerichts besitzt volle Geltung, Art. 2 Abs. 1 GG bedeute den Anspruch, durch die Staatsgewalt nicht mit einem Nachteil belastet zu werden, der nicht in der verfassungsmäßigen Ordnung begründet ist. 301 (5) Verhältnismäßigkeit des Eingriffs Greift jede staatliche Maßnahme in die allgemeine Handlungsfreiheit ein, so hat auch jede Maßnahme dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu genügen. 302 Art. 2 Abs. 1 GG überschreitet somit seine Bedeutung als Grundrecht, welches das Staatshandeln für bestimmte, schutzbereichseröffnende Maßnahmen begrenzt. Vielmehr unterwirft es jedes beliebige Staatshandeln der objektiven Rechtspflicht, die Verhältnismäßigkeit der Freiheitsbeeinträchtigung zu wahren. An dieser Stelle kann nun der Dürigsche Gedanke einer Gemeinwohlklausel erneut eingeführt werden. Die wesentliche Modifikation liegt in der vollzogenen Aufgabe einer Beschränkung auf bestimmte, prominente Verfassungsbestimmungen. „Gemeinwohl“ bezeichnet bei Dürig dasjenige Element, zu welchem der Grundrechtseingriff ins Verhältnis gesetzt wird. Wenn daher jede staatliche Maßnahme in Art. 2 Abs. 1 GG eingreift, andererseits nur das „Gemeinwohl“ einen solchen Eingriff verhältnismäßig erscheinen lassen kann, so folgte daraus ein umfassender Gemeinwohlvorbehalt allen staatlichen Handelns. Vgl. Lübbe-Wolf, Grundrechte, 296; Dürig, Maunz-Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 5. Vgl. Stern, Staatsrecht III/2, § 78 IV a, b. 301 Vgl. BVerfGE 9, 83 [88]. 302 Zur Einschlägigkeit des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit für Art. 2 Abs. 1 GG: besonders klar: BVerfGE 17, 306 [313]; auch: BVerfGE 20, 150 [159]; vgl. Wintrich, Art. 2 Abs. 1 GG, 6 f.; Rupp, NJW 1966, 2037 (2037 ff.). 299 300

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

Allerdings wurde bis jetzt der Nachweis noch nicht erbracht, „Gemeinwohl“ sei in der Tat Antagonist des Grundrechtseingriffs bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Der auf dem Rechtsstaatsprinzip beruhende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz fordert zunächst lediglich, den Grundrechtseingriff dem mit der staatlichen Maßnahme verfolgten Zweck gegenüberzustellen. Worin dieser Zweck legalerweise bestehen darf, ist an dieser Stelle noch unklar. Unzulässig ist insbesondere, ohne nähere Begründung das „Gemeinwohl“ als allgemeinen Zweck zu unterstellen. (6) Bezugsgröße der Verhältnismäßigkeit Ob der Grundrechtseingriff verhältnismäßig ist, kann nur entschieden werden in bezug auf die Gerechtfertigtkeit des verfolgten Zweckes. Nur zwei Maßstäbe kommen hierfür in Betracht: verfassungsimmanente Belange, wie sie zuvor entwickelt wurden, und verfassungstranszendente Belange, wie sie der Gesetzgeber im Rahmen des prozeduralen Gemeinwohlverständnisses erfindet. Als verfassungstranszendent wurden oben solche Belange bezeichnet, welche der Verfassung nicht widersprechen, aber auch nicht aus ihr hervorgehen. Deren Gemeinwohlrelevanz stellt der Gesetzgeber kraft kompetenter Entscheidung fest. Will man nun Grundrechtseingriff und verfassungstranszendenten Gemeinwohlbelang abwägen, so stößt man an eine logische Barriere. Eine derartige Abwägung erforderte nämlich einen objektiven Bewertungsmaßstab, dem beide widerstreitenden Elemente unterliegen. Ein verfassungstranszendenter Gemeinwohlbelang liefert seinen Bewertungsmaßstab jedoch immanent mit. Hat der Gesetzgeber nämlich ein Gemeinwohlerfindungsrecht, so muß er zwangsläufig auch das Recht besitzen, einen neu erfundenen Gemeinwohlbelang zu priorisieren. Die Verfassung kann hierüber nichts aussagen. Gemeinwohlbelange, die nicht in ihr aufgenommen sind, kann die Verfassung selbstverständlich auch nicht prophetisch in ein Bedeutungsverhältnis zu anderen Gemeinwohlbelangen setzen. Ausnahme hiervon ist lediglich die Präponderanz des Art. 1 Abs. 1 GG. Andere Bewertungsmaßstäbe als die Verfassung sind nicht erkennbar. Kann der Gesetzgeber daher sowohl einen neuen Gemeinwohlbelang als auch dessen Stellenwert definieren, reduziert sich Art. 2 Abs. 1 GG augenblicklich auf den unantastbaren Wesensgehalt. 303 Der Gesetzgeber könnte nämlich jederzeit den Vorrang seines neuen Gemeinwohlbelanges gegenüber dem Freiheitsrecht begründen. Unter der Geltung des prozeduralen Gemeinwohlverständnisses käme auch eine gerichtliche Überprüfung zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch dem Gericht steht kein anderer Maßstab zur Verfügung, als der vom Gesetzgeber selbst geschaffene. 303 Diese Konsequenz zieht auch Dürig, problematisiert sie allerdings nicht. Vgl. Dürig, Maunz-Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 25. Vgl. auch Lerche, Übermaß, 286.

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Wesentliche Funktion der Wesensgehaltsgarantie ist der Schutz des Wesensgehalts eines Grundrechts vor der völligen Relativierung durch behauptete überragend wichtige Belange. 304 Keine Rede sein kann dagegen von der Zulässigkeit einer jederzeitigen Reduktion auf den Wesensgehalt. Ist es aber dem Gesetzgeber für verfassungstranszendente Belange freigestellt, eine solche überragende Wichtigkeit jederzeit infolge einfachen Gesetzesbeschlusses zu behaupten, so werden die Grundrechte in einem Ausmaß der Disposition des Gesetzgebers anheimgestellt, wie es mit ihrer besonderen Geltungskraft in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar ist. (7) Erfordernis eines objektiven Beurteilungsmaßstabes In der hier unterstellten Ausprägung führt das prozedurale Gemeinwohlverständnis zwangsläufig zu der beschriebenen Degradierung der Grundrechte. Der Staat erfindet einen neuen Gemeinwohlbelang, und mit ihm – logisch zwingend – dessen Stellenwert in Bezug auf sonstige, insbesondere verfassungskräftige Güter. Dies wird nicht verhindert von der Forderung, der fragliche neue Gemeinwohlbelang dürfe der Verfassung nicht widersprechen. Der fragliche neue Gemeinwohlbelang mag durchaus als solcher verfassungskonform sein. Ist der Staat jedoch in der Lage, sowohl Gemeinwohlbelang als auch dessen Stellenwert zu bestimmen, so gibt ihm dies die Möglichkeit, in jedem Einzelfall den Vorrang vor der Grundrechtsbeeinträchtigung zu begründen. Beurteilt man dieses Ergebnis, wie oben erläutert, als unzulässig, so muß statt dessen ein objektiver Beurteilungsmaßstab aufgeboten werden. Hierzu ist offensichtlich nur die Verfassung geeignet. Für den Artenschutz wurde eingangs beispielhaft gezeigt, auf welcher Grundlage das Bundesverfassungsgericht eine Abwägung der Schwere des Gemeinwohlbelanges mit dem Eingriff in das Grundrecht 305 vornimmt. Eine Autonomie des Gesetzgebers bei verfassungstranszendenten Gemeinwohlbelangen wird dort nicht akzeptiert. Als zulässige Zwecke bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung kommen also nur verfassungsimmanente Ziele in Betracht. Dies sind im wesentlichen die vorstehend entwickelten verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbelange. c) Ausschluß verfassungstranszendenter Gemeinwohlbelange Als Annahme ist hilfsweise auszugehen von der Geltung des prozeduralen Gemeinwohlverständnisses. In den Grenzen der Verfassung obläge es demnach den kompetenten Staatsorganen, allen voran dem Gesetzgeber, Gemeinwohlbelange zu definieren. 304 305

Krebs, Münch/Kunig GG-Kommentar, Art. 19 Abs. 1 Rn. 25; BVerfGE 34, 238 [245]. Vgl. BVerfGE 61, 291 [311].

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Hierdurch würden Gemeinwohlbelange ermöglicht, die zwar nicht ausdrücklich gegen die Verfassung verstoßen, aber auch nicht aus ihr abgeleitet werden können. Besitzt insbesondere der Gesetzgeber das Recht, derartige Gemeinwohlbelange außerhalb von Verfassungsvorgaben zu erfinden, so kommt ihm auch das Recht zu, die Wichtigkeit dieses Belanges festzulegen. Andere Quellen für diese Festlegung existieren nicht. Alle staatlichen Maßnahmen mit Entscheidungscharakter, d. h. die Ausübung von Staatsgewalt, greifen zumindest in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG ein. Beeinträchtigt sein kann zumindest die allgemeine Handlungsfreiheit der mit der Umsetzung beauftragten Amtswalter. Deshalb muß auch eine solche staatliche Maßnahme vor Art. 2 Abs. 1 GG standhalten, welche einem verfassungstranszendenten Gemeinwohlbelang dient. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit von verfassungstranszendentem Gemeinwohlbelang und allgemeiner Handlungsfreiheit kann der Gesetzgeber jederzeit zu seinen Gunsten entscheiden, weil ihm die Kompetenz zur Festlegung der Wichtigkeit des Belanges zukommt. Daher kann für verfassungstranszendente Gemeinwohlbelange das Freiheitsgrundrecht stets auf seinen Wesensgehalt reduziert werden. Eine derartige Verfügungsgewalt steht dem Gesetzgeber aber nach dem klaren Wortlaut von Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG nicht zu. Wenn der Gesetzgeber an die Grundrechte gebunden (!) ist, kann er nicht gleichzeitig kraft kompetenter Entscheidung deren Stellenwert nahezu beliebig relativieren. Ein prozedurales Gemeinwohlverständnis, welches die Erfindung verfassungstranszendenter Gemeinwohlbelange einbegreift, verstößt damit gegen die Verfassungsbindung des Gesetzgebers nach Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG und ist folglich auszuschließen. d) Ergebnis (1) Zur normativen Schließung des Gemeinwohlbegriffes Zulässige Gemeinwohlbelange müssen verfassungsnormiert sein. Im wesentlichen wurden diese verfassungsnormativen Gemeinwohlbelange im zweiten Abschnitt entwickelt. Der verfassungsrechtliche Gemeinwohlbegriff ist normativ geschlossen. Einen bedingten Gemeinwohlautomatismus der Gesetzgebung gibt es nicht. Die kryptonormative Wendung des Bundesverfassungsgerichts, gesetzgeberische Entscheidungen müßten „vor der Verfassung Bestand haben“ 306, ist aufzugeben zugun306

BVerfGE 90, 145 [175].

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sten der Forderung nach eindeutiger Verfassungsimmanenz gesetzgeberischer Gemeinwohlbelange. Der Unterschied zu Dürigs Gemeinwohlklausel besteht in folgendem. Dürig unterscheidet von der Verfassung geforderte gemeinwohlerhebliche Rechtsnormen von sonstigen gesetzgeberischen Regelungen, deren „jegliches öffentliche Interesse“ der Gesetzgeber bejahe. 307 Er spricht also dem Gesetzgeber ein Erfindungsrecht für Gemeinwohlbelange zu (was der vorliegende Ansatz gerade ausschließen will). Unter Geltung einer derartigen Prämisse ist es dann allerdings folgerichtig, wenn Dürig nur von der Verfassung geforderten Gemeinwohlbelangen die Fähigkeit zuerkennt, Art. 2 Abs. 1 GG einschränken zu können. Da der vorliegende Ansatz überhaupt nur verfassungsimmanente Gemeinwohlbelange kennt, ist er bezüglich dieses Ergebnisses mit Dürig identisch. Fraglich bleibt dann allerdings, wie die von Dürig angenommenen „sonstigen“ öffentlichen Interessen Wirksamkeit erlangen sollen, hält er sie doch offenbar für außerstande, die allgemeine Handlungsfreiheit zu beschränken. 308 Der vorliegende Ansatz gibt die Unterscheidung verfassungsimmanenter und sonstiger Gemeinwohlbelange auf und erklärt nur die Verfolgung verfassungsimmanenter Gemeinwohlbelange für einzig verfassungsgemäß. Diese sind dann auch in der Lage, unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Art. 2 Abs. 1 GG einzuschränken. Die so vorgeschlagene Gemeinwohlklausel macht Art. 2 Abs. 1 GG jedoch keinesfalls zu einer Norm, „die schlechthin alle Maßnahmen zur Beförderung des Gemeinwohls legitimiert“ (Nipperdey). 309 Im Gegenteil, dieses Grundrecht unterwirft alle staatlichen Betätigungen zunächst der Vermutung der Rechtswidrigkeit. Diese Vermutung widerlegt der handelnde Staat erst, sofern er die Verfolgung eines verfassungsimmanenten Gemeinwohlbelanges nachweisen kann und die hierfür erforderliche Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit verhältnismäßig ist. (2) Zu Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeine Eingriffsabwehr Die vorliegende Interpretation des Art. 2 Abs. 1 GG macht diese Verfassungsnorm zur Grundlage einer allgemeinen „Eingriffsabwehr“. 310 Mit der Interdependenz einer allgemeinen Handlungsfreiheit und einer allgemeinen Eingriffsabwehr setzt sich eingehend Scholz auseinander. 311 Scholz ist beizupflichten, Handlungsfreiheit und Eingriffsfreiheit stünden in einem Verhältnis der Instrumentalität. 312 Eingriffsfreiheit ist nicht unmittelbarer Normbefehl des Art. 2 Abs. 1 GG an den Staat. Sie ergibt sich Vgl. Dürig, JZ 1957, 167 (172). Dazu kritisch auch Roemer, Grundrecht der freien Entfaltung, 551. 309 Nipperdey, Freie Entfaltung, 813. 310 Vgl. insb. W. Schmidt, AöR 91 (1966), 42 (49), passim. Siehe auch Pieroth, AöR 115 (1990), 33 (33); Scholz, AöR 100 (1975), 80 (95 ff.). 311 Vgl. zu folgendem Scholz, AöR 100 (1975), 80 (95 ff.). 312 Vgl. Scholz, AöR 100 (1975), 80 (104). 307 308

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vielmehr erst als (Rechts-)Folge des grundrechtlichen Schutzbereichs. 313 Keine Übereinstimmung besteht allerdings in der Beurteilung der Reichweite dieser Rechtsfolge. Scholz betrachtet die Vorstellung der liberalen Staatsidee als unvereinbar mit dem Verfassungsstaat des Grundgesetzes, das Prinzip bürgerlicher Freiheit und gesellschaftlicher Zuständigkeit verdiene Beachtung überall dort, wo der Staat nicht für eine Angelegenheit zuständig oder zum funktionellen Eingriff in die gesellschaftliche Sphäre ermächtigt sei. Der materiale und soziale Rechtsstaat sei nicht nur der eingreifende, bürgerliche Freiheiten potentiell beschränkende Staat, er sei vielmehr auch leistender, vorsorgender, freiheitssichernder und -verfassender Staat. Dieser Staat könne sich nicht allein aus einer Staat und Gesellschaft distanzierenden Grundvorstellung eines überhöhten status negativus klären. 314 Derart gegenübergestellte Staatsideen erscheinen in der Tat zunächst unvereinbar, hieraus ergeben sich allerdings nicht die von Scholz beschriebenen Konsequenzen für die Dogmatik des Art. 2 Abs. 1 GG. Selbstverständlich besitzt der Staat des Grundgesetzes die Verfassungspflicht, sozial gestaltend tätig zu sein. Dieser Tatbestand beeinträchtigt jedoch nicht die Richtigkeit des von Scholz – ablehnend – formulierten Gehalts des Art. 2 Abs. 1 GG einer „universal verfassungsgeschützten allgemeinen Handlungsfreiheit“. 315 Diese müsse prinzipiell jeden staatlichen Kompetenz- oder Ordnungsanspruch als potentiellen Freiheitseingriff erkennen und bewerten. 316 Genau dies jedoch bedeutet das vorliegend gefundene Ergebnis. Jede staatliche Maßnahme bedeutet zwingend einen Eingriff in die Freiheitssphäre von Bürgern, auch sofern sie für andere Bürger eine Freiheitssicherung oder sogar Freiheitsmehrung bewirkt. Sie muß sich daher zumindest an Art. 2 Abs. 1 GG messen lassen. Insoweit besteht keine Exemption für leistende, sozial gestaltende Tätigkeit. Art. 2 Abs. 1 GG gelingt gewissermaßen, die beiden Staatsideen unter dem Grundgesetz zu versöhnen. Auch die Unterscheidung zwischen einer allgemeinen Handlungsfreiheit, welche auf die thematische Konkretisierung verzichtet und einem thematisch eigenständigen Freiheitsgrundrecht 317 besteht in dieser Schärfe nicht. Diesen vermeintlichen Unterschied macht Scholz zur Grundlage einer Forderung nach funktionstypischer Konkretisierung des vom Verfassungsgeber bewußt „in die Zeit“ offengehaltenen Tatbestands. 318 Die allgemeine Handlungsfreiheit bedarf jedoch insoweit keiner Konkretisierung, als sie rechtslogisch bereits den höchstmöglichen Konkretisierungsgrad aufweist. Jedes beliebige Verhalten oder Unterlassen ist geschützt, jedes 319 staatliches Verhalten kann eindeutig dem Schutzbereich unterworfen werden. Daher ist kein Einzelfall 313 Vgl. zu diesem Verhältnis von Freiheitsrecht und Eingriffsfreiheit auch W. Schmidt, AöR 91 (1966), 42 (67). 314 Vgl. Scholz, AöR 100 (1975), 80 (96 f.). 315 Scholz, AöR 100 (1975), 80 (96). 316 Vgl. Scholz, AöR 100 (1975), 80 (96). 317 Vgl. Scholz, AöR 100 (1975), 80 (98). 318 Vgl. Scholz, AöR 100 (1975), 80 (99). Für eine derartige Entwicklungsoffenheit auch W. Schmidt, AöR 91 (1966), 42 (47, 78). 319 Vornehmlich der oben (1. Kapitel III. 2. b) (4) (a)) getroffenen Ausnahmen.

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vorstellbar, welcher Zweifel über die Einschlägigkeit des Art. 2 Abs. 1 GG aufwirft. Wenn das Bundesverfassungsgericht bei der Prüfung der Vereinbarkeit einer staatlichen Maßnahme mit Art.2 Abs. 1 GG konkretere Freiheitssphären benennt, so handelt es sich hierbei nicht um „Grundrechtskonkretisierung“, sondern um einfache Subsumtion unter den Schutzbereich der Verfassungsnorm. 320 Aufgrund der Universalität des Schutzbereiches gelingt diese Subsumtion entsprechend mühelos. Schützt Art. 2 Abs. 1 GG jedes Verhalten, dann selbstverständlich auch die wirtschaftliche Freiheit, die aktive Gestaltung der Lebensführung usw. 321 Die Gewinnung konkreterer Freiheitssphären als Subsumtion menschlichen Verhaltens unter den universalen Schutzbereich darzustellen entspricht eventuell der Auffassung Scholz’, denn er vermerkt „Diese Konkretisierung ist aber Vorgang der Tatbestandsanwendung beziehungsweise Tatbestandsvollendung im Rechtsanwendungsfall“. 322 Dem steht jedoch dessen Annahme eines Entwicklungsaspekts des Grundrechts entgegen. Gerade sein universaler Schutzbereich macht Art.2 Abs.1 GG zeitinvariant. Zu einer Konkretisierung im realen gesellschaftlichen Freiheitsprozeß ist diese Verfassungsnorm unfähig, denn sie umfaßt ja bereits jedes denkbare Verhalten. In Betracht käme also nur noch eine Verengung des Schutzbereiches. Diese wäre aber nicht vorstellbar als Resultat gesellschaftlicher Prozesse, sondern ausschließlich als eine Änderung der gegenwärtigen Dogmatik des Art. 2 Abs. 1 GG. Dieser Befund wird nicht beeinträchtigt vom subsidiären Verhältnis des Art. 2 Abs. 1 GG zu den Spezialfreiheitsrechten. Erfaßt ein spezieller Gewährleistungsbereich ein bestimmtes menschliches Verhalten, so verdrängt er Art. 2 Abs. 1 GG. 323 An dem vorliegend behaupteten Grundtatbestand änderte dies jedoch nichts, jede staatliche Maßnahme bedeute einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in die geschützte Freiheitssphäre des Bürgers. Statt auf Art. 2 Abs. 1 GG gründete die Rechtfertigungsbedürftigkeit dann eben auf einem der Spezialgrundrechte. Die Argumentation kann bestehenbleiben, auf welcher die normative Schließung des verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriffes beruht. Diese Irrelevanz eines subsidiären Verhältnisses des Art. 2 Abs. 1 GG zu den Spezialfreiheitsrechten für die vorliegende Argumentation erfordert allerdings eine Voraussetzung. Nach stark vertretener Auffassung sei aus dem ausdrücklich normierten Schutzbereich eines Spezialgrundrechtes unter Berufung auf lex specialis 320 Die Behauptung W. Schmidts erweist sich daher als unzutreffend, ohne weitere Inhaltsausfüllung sei die allgemeine Handlungsfreiheit kein auf den konkreten Lebenssachverhalt als Prüfungsmaßstab anwendbares Grundrecht (W. Schmidt, AöR 91 (1966), 42 (51, 82 f.)). Vielmehr einbegreift Art. 2 Abs. 1 GG a priori jeden vorstellbaren Lebenssachverhalt und ist deshalb ohne eine wie auch immer geartete „Inhaltsausfüllung“ unmittelbar anwendbar. 321 Vgl. Scholz, AöR 100 (1975), 80 (102 f.). Die allgemeine Handlungsfreiheit enthält also nicht „einzelne“ Freiheitsrechte, welche durch Auslegung zu gewinnen wären. Eine derartige Sichtweise wäre nur statthaft, wollte man jedes beliebige Tun oder Unterlassen als ein derartiges „einzelnes“ Freiheitsrecht auffassen. Die Anzahl derartiger Einzelrechte wäre jedoch unendlich. 322 Scholz, AöR 100 (1975), 80 (99) Fußn. 118. 323 Vgl. Scholz, AöR 100 (1975), 80 (122 f.).

6 Meyer

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dessen abschließender Regelungscharakter abzuleiten, 324 welcher das (meist personelle, aber auch sächliche) Komplement dieses Schutzbereiches dem Schutz durch Art. 2 Abs. 1 GG entziehen soll. Hier wären insbesondere die Deutschengrundrechte zu nennen, aber auch Schutzbereichskonkretisierungen wie „friedlich und ohne Waffen“. Der Rückgriff auf den Spezialitätsgrundsatz suggeriert jedoch fälschlich die Gültigkeit einer rechtslogischen Deduktion. Damit überhaupt eine Vorrangregelung zur Anwendung gelangen kann, ist jedoch die konkurrierende Einschlägigkeit beider Normen vorauszusetzen. Genau dies ist nun aber vorliegend eben gerade nicht der Fall. Etwa ist ein Deutschengrundrecht für Ausländer nicht einschlägig und daher irrelevant. Die Annahme einer „thematischen Einschlägigkeit“ 325 eines Einzelgrundrechts außerhalb seines Schutzbereichs leugnet die Normativität der Grundrechte und verstößt im übrigen gegen die Bindungsanordnung nach Art. 1 Abs. 3 GG. Eine derartige „thematische“ Einschlägigkeit, welche gerade außerhalb des normierten Schutzbereiches Rechtsfolgen 326 zeitigen soll, eröffnete dem Gesetzgeber nämlich eine nicht verfassungsintendierte Disposition über den Freiheitsschutz nach Art. 2 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber könnte fast unkontrolliert die Reichweite dieser schutzbereichsüberschreitenden „thematischen Einschlägigkeit“ ausdehnen und damit gleichzeitig den Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG einengen. (Verfassungsgerichtliche) Kontrolle versagt weitestgehend deshalb, weil ja gerade Aussagen jenseits des verfassungsnormierten Bereichs relevant sein sollen. Für das Komplement „Nicht-Deutsche“ folgt aus dem Konditionalsatz beispielsweise des Art. 8 GG daher überhaupt nichts. Der Ausschluß Nicht-Deutscher vom Grundrechtsschutz des Art. 8 GG ist vielmehr Resultat rechtspositiver Verfassungsinterpretation. Ausländer genießen deshalb keinen Art. 8 GG vergleichbaren Versammlungsschutz, weil kein verfassungspositiver Rechtssatz existiert, welcher einen derartigen Schutz normierte. Mit Schlußfolgerungen aus der Eigenschaft des Art. 8 GG als Deutschen-Grundrecht hat dies überhaupt nichts zu tun. Dies wird vollends deutlich, stellte man sich ein Grundgesetz ohne den Art.8 vor. An der Rechtslage für Ausländer änderte sich überhaupt nichts. Sie genössen keinen dem Art. 8 GG gemäßen Grundrechtsschutz. Wenn aber die Existenz oder Nichtexistenz des Art. 8 GG keinerlei Auswirkungen auf die Rechtslage für Ausländer hat, so kann ein „Schluß“ aus Art. 8 GG auch nicht Rechtsgrund für die Nichteinschlägigkeit des Art. 2 Abs. 1 GG im Sinne eines Versammlungsschutzes für Ausländer bedeuten. Da Art. 8 GG überhaupt nichts über Ausländer aussagt, steht er der Einschlägigkeit des Art.2 Abs.1 GG in diesem Beispiel auch nicht im Wege. 327 Diese am Beispiel erläuterte Einen324 Vgl. E. Hesse, Bindung, 53 ff. („Die besondere Gestaltung der Freiheit in bestimmten Lebensbereichen durch die Einzelfreiheitsrechte muß, wenn sie ihren Sinn erfüllen soll, in positiver und in negativer Hinsicht gelten“, Hervorhebung im Original); Quaritsch, HStR V, § 120 Rn. 114, 130; Erichsen, HStR VI, § 152 Rn. 26, 49. 325 E. Hesse, Bindung, 56. 326 Nämlich die Nichtanwendbarkeit des Art. 2 Abs. 1 GG. 327 Vgl. Degenhart, JuS 1990, 161 (167); Merten, JuS 1976, 345 (350); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 114. So im Ergebnis BVerfGE 78, 179 [196 f.]; auch: BVerfGE 35, 383 [399]. Zustimmend Pieroth, AöR 115 (1990), 33 (41); a.A. Dürig, Maunz-Dürig, Art.2 Abs. 1 Rn. 66.

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gung des Schutzbereiches auf Deutsche ist in seiner formalen Struktur identisch mit sonstigen Einengungen, etwa „friedlich und ohne Waffen“. Unfriedliche, bewaffnete Versammlungen genießen als menschliches Verhalten daher den Grundrechtsschutz nach Art. 2 Abs. 1 GG. Die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung gestattet aber unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, derartige Versammlungen generell zu verbieten. Das generelle Verbot eines bestimmten Verhaltens scheitert noch nicht an der Wesensgehaltsgarantie nach Art. 19 Abs. 2 GG. Die nach Art. 2 Abs. 1 GG Grundrechtsberechtigten (hier bspw. Ausländer) sind im übrigen auch dann nicht den nach einem Spezialgrundrecht Berechtigten gleichgestellt, wenn letzteres unter einfachem Gesetzesvorbehalt steht (etwa Versammlungen unter freiem Himmel). Auch durch verfassungsnormative Vorbehalte legitimierte Eingriffe sind „im Lichte der Bedeutung des Grundrechts“328 zu sehen. Wenn die Verfassung ein bestimmtes Verhalten in die Gestalt eines Spezialgrundrechts gießt, so verleiht sie diesem Verhalten einen herausgehobenen Schutz, welcher von der bloßen Existenz eines einfachen Vorbehalts nicht relativiert wird. 329 Diese Exposition bestimmter Verhaltensweisen bedeutet, daß zumindest für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ein strengerer Maßstab anzulegen ist als bei Art. 2 Abs. 1 GG. 3. Der passive Gemeinwohlvorbehalt Die normative Schließung des verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriffes ist mit dem passiven, normativen Gemeinwohlvorbehalt identisch. Jedes Staatshandeln greift zumindest in den Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG ein. Der Eingriff findet seine Rechtfertigung ausschließlich in seiner Verhältnismäßigkeit mit dem beabsichtigten Zweck. Dieser Zweck muß verfassungsnormativ sein und entspricht regelmäßig einem der vorstehend entwickelten verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbelange. Anders ausgedrückt, jedes verfassungsmäßige staatliche Handeln muß im Dienste mindestens eines verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbelanges stehen. Der passive Gemeinwohlvorbehalt ist somit positivrechtlich substantiiert. Dürig begründet seine Auffassung am Beispiel des Art. 12 Abs. 1 GG. Eine Anwendung des Art. 2 Abs. 1 GG auf die Berufsfreiheit von Ausländern gewähre diesen einen stärkeren Grundrechtsschutz als den Deutschen, da Art. 2 Abs. 1 GG eine engere Schrankenregelung enthalte. Damit bezieht Dürig sich allerdings auf seine Auffassung, „verfassungsmäßige Ordnung“ meine nur Gesetze, welche die Verfassung fordere. Legt man die hier vertretene und der h. M. entsprechende Auffassung zugrunde, „verfassungsmäßige Ordnung“ impliziere einen umfassenden Gesetzesvorbehalt im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, so verfällt die Grundlage der Dürig’schen Argumentation. 328 Vgl. BVerfGE 7, 198 [208 f.]. 329 BVerfGE 6, 32 [37] („Neben der allgemeinen Handlungsfreiheit, die Art.2 Abs. 1 GG gewährleistet, hat das Grundgesetz die Freiheit menschlicher Betätigung für bestimmte Lebensbereiche, die nach den geschichtlichen Erfahrungen dem Zugriff der öffentlichen Gewalt besonders ausgesetzt sind, durch besondere Grundrechtsbestimmungen geschützt[..]“). 6*

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

a) Konsequenz für die Schrankendogmatik des Art. 2 Abs. 1 GG Der passive Gemeinwohlvorbehalt bedeutet eine umfassende Zweckbindung staatlichen Handelns. Der Staat hat bei seinen Maßnahmen stets das Gemeinwohl zu fördern, wie es in den einzelnen Verfassungsbestimmungen angelegt ist. Die verfassungsmäßige Ordnung ist daher in der Tat „Gemeinwohlordnung“ 330 (Häberle). Auch die gesamte verfassungsmäßige positive Rechtsordnung ist Resultat staatlichen Handelns, hier in Gestalt der Normsetzung. Unter der Geltung des passiven Gemeinwohlvorbehalts muß die gesamte Rechtsordnung daher von den Normsetzern zum Zwecke der Förderung der verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbelange geschaffen worden sein. Das heißt, die gesamte Rechtsordnung dient der Verwirklichung des verfassungsrechtlichen Gemeinwohlziels. Sie kleidet dessen Belange in konkrete Gestalt und erzeugt die notwendigen Rechte und Pflichten für Staatsorgane und Staatsvolk. „Verfassungsmäßige Ordnung“ und „verfassungsmäßige Rechtsordnung“ kongruieren daher insoweit, als eine verfassungsmäßige Rechtsordnung wirkkräftige Emanation des Gemeinwohlgehalts der Verfassung bedeutet. Die verfassungsmäßige Ordnung ist also in der Tat „die der Verfassung gemäße Ordnung“. 331 Jede beliebige Rechtsnorm ist also Verwirklichung des verfassungsrechtlichen Gemeinwohlziels. Dieser Verwirklichungsakte bedarf die Verfassung zweifelsohne auch, ihre bloße Existenz gestaltet keine Realität. Insbesondere die Exekutive, welche die gemeinwohlkonforme Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse unmittelbar vorzunehmen hat, benötigt für ihr Handeln einfachgesetzliche Grundlagen. Die Verfassung verschafft sich also mittels der Rechtsordnung gemeinwohlerhebliche Geltung. Betrachtete man daher die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung lediglich als das unmittelbare Verfassungsrecht, gar nur einzelne Vefassungsbestimmungen, so verhinderte die Verfassung selbst die Verwirklichung ihres Gemeinwohlziels. Auch unterverfassungsgesetzliche Normen müssen das allgemeine Freiheitsrecht beschränken können. Nimmt man andererseits an, nur bestimmte unterverfassungsgesetzliche Normen bildeten die Schranke, nicht jedoch die gesamte Rechtsordnung, so fehlt ein gültiges Abgrenzungskriterium. Der passive Gemeinwohlvorbehalt stellt die Gemeinwohlerheblichkeit jeder verfassungsmäßigen Rechtsnorm sicher. Daher ist die weite Interpretation der Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung in Art. 2 Abs. 1 GG zwingend. Häberle, AöR 95 (1970), 86 (89). BVerfGE 6, 32 [38], bezugnehmend auf das OVG Münster im Ausgangsverfahren; Dürig, JZ 1957, 167 (171 f.); Dürig, Maunz-Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 18 (krit.). 330 331

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b) Zur Judikatur des Bundesverfassungsgerichts (1) „Relative Gemeinschaftsinteressen“ Das Bundesverfassungsgericht führt aus, der Gesetzgeber könne auch Gemeinschaftsinteressen zum Anlaß von Regelungen nehmen, die ihm nicht in diesem Sinne „vorgegeben“ seien, sondern die sich vielmehr erst aus seinen wirtschafts-, sozial- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen und Zielen ergäben, die er also erst selbst in den Rang wichtiger Gemeinschaftsinteressen erhebe.332 Derartige relative Gemeinschaftsinteressen erweisen sich bei näherem Hinsehen als die oben 333 bereits besprochenen instrumentalen Belange. Diese werden in der Tat vom Gesetzgeber selbst definiert, allerdings in Verfolgung eines verfassungsnormativ vorgegebenen Gemeinwohlbelanges. Eine Bestätigung findet sich in der Rechtsprechung selbst. In der zitierten Entscheidung etwa beruft sich das Gericht nämlich im weiteren auf die Einschätzung des Gesetzgebers, es handele sich beim Handwerk um einen „volkswirtschaftlich unentbehrlichen Zweig der gewerblichen Wirtschaft“. 334 Die Funktionstüchtigkeit der Volkswirtschaft läßt sich nun aber problemlos auf verfassungsnormative Gemeinwohlbelange zurückführen. An anderer Stelle befindet das Gericht, es unterfiele dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung mit Hilfe eines Sozialversicherungssystems zu erreichen. 335 In diesem Fall sei dessen Finanzierbarkeit ein überragend wichtiger Gemeinwohlbelang. Es scheint also, der Gesetzgeber habe mit dem Sozialversicherungssystem einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang geschaffen. Dahinter steht aber natürlich die Volksgesundheit, die sich als Gemeinwohlbelang unproblematisch aus Verfassungsnormen herleiten läßt. Vergleichbares wurde oben 336 bereits für die Staatsverschuldung entwickelt. Dieser Befund bestätigt sich durchgängig in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das Gericht ordnet die Quelle in Frage stehender Gemeinwohlbelange einem Gemeinwohlerfindungsrecht des Gesetzgebers zu, tatsächlich jedoch dienen diese Belange (in Wahrheit Staatsaufgaben) einem verfassungsimmanenten Gemeinwohlbelang. 337 Vgl. BVerfGE 13, 97 [107]. Siehe 1. Kapitel II. 3. b) (2). 334 Vgl. BVerfGE 13, 97 [107 ff.]. 335 Vgl. BVerfG, NJW 2001, 1779 (1780). 336 Siehe 1. Kapitel II. 3. b) (2). 337 So ausdrücklich für den Ausschluß eines Urheberrechts für Werke privater Einrichtungen (hier: Deutsches Institut für Normung e.V.) im Falle der Veröffentlichung in amtlichen Verlautbarungen unter Rückgriff auf Art. 82 Abs. 1 GG (Verkündung von Gesetzen und Verordnungen), sowie dem Rechtsstaatsprinzip (BVerfG, NJW 1999, 414 (414 f.)); „mittelbare Gemeinwohlnützlichkeit“ einer Enteignung zugunsten einer Privatschule als „Daseinsvorsorge“ (BVerfG, NJW 1999, 2659 (2660)); Senkung der Staatsverschuldung zur Bewältigung der Deutschen Einheit (Staatsziel) als wichtiges Gemeinwohlinteresse (BVerfG, DVBl 2001, 896 (897)); BVerfGE 10, 89 [114] (Gemeinwohlrelevanz der Wasserwirtschaft), vgl. zu letzterem: Häberle, AöR 95 (1970), 86 (89). 332 333

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(2) Interpretation verfassungsimmanenter Schranken Für vorbehaltlos gewährte Grundrechte stellt das Bundesverfassungsgericht fest, sie seien nur zum Schutz von Gemeinwohlbelangen einschränkbar, welchen gleichermaßen verfassungsrechtlicher Rang gebührt („verfassungsimmanente Schranken“). 338 Diese Formulierung erweckt den Eindruck, als könnten andere Grundrechte zum Schutz von Gemeinwohlbelangen eingeschränkt werden, welche keinen verfassungsrechtlichen Rang besitzen. Die Existenz derartiger Gemeinwohlbelange ohne verfassungsrechtlichen Rang widerspräche den bisherigen Befunden. Einen derartigen Schluß vertritt jüngst etwa Winkler. Könnten sowohl Grundrechte mit als auch ohne Gesetzesvorbehalt durch den Gesetzgeber eingeschränkt werden, so verlange dies zumindest einen Unterschied in der Qualität des Schrankengutes. Ansonsten würde die verfassungsnormativ vorgegebene Unterscheidung der beiden Grundrechtstypen sinnlos. Für Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt sei deshalb mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deren Einschränkbarkeit nur durch andere Verfassungsgüter zu fordern, während der gesetzgeberische Rückgriff auf ausdrückliche Gesetzesvorbehalte einen außerverfassungsrechtlichen Zweck aktualisiere. 339 Das systematische Argument erscheint zunächst schlüssig. Dies gelingt jedoch nur mittels der Zugrundelegung der falschen Prämisse, das Schrankengut sei das einzig denkbare Unterscheidungskriterium. Der Unterschied zwischen vorbehaltlosen Grundrechten und solchen unter Gesetzesvorbehalt liegt jedoch nicht in der Frage der Verfassungsimmanenz des Schranken-Gutes. Wie der Begriff „verfassungsimmanente Schranke“ vielmehr unzweifelhaft erkennen läßt, liegt der Unterschied eben in der Verfassungsimmanenz der Schranke selbst. 340 Der vorliegende Ansatz kennt überhaupt nur verfassungsimmanente Güter (Gemeinwohlbelange). Deshalb werden sowohl Grundrechte mit Gesetzesvorbehalt als auch vorbehaltlose Grundrechte nur von solchen verfassungsimmanenten Gütern eingeschränkt. Bei Grundrechten unter Gesetzesvorbehalt ist dem Gesetzgeber jedoch ein weites Ermessen eingeräumt, Prioritäten zwischen diesen Verfassungsgütern nach eigenen Vorstellungen zu setzen. Er verwirklicht damit in besonderer Weise seinen Gemeinwohlauftrag, Interessenausgleiche herbeizuführen. Für vorbehaltlose Grundrechte ist dem Gesetzgeber hingegen dieses Ermessen verwehrt. Die Schranke ist dem Grundrecht immanent. Ausschließlich die Verfassung bestimmt also, welche anderen Verfassungsgüter auf welche Weise das fragliche Grundrecht einschränken können. 338 Vgl. BVerfGE 3, 248 [252 f.]; 24, 236 [249]; 28, 243 [260 f.]; 30, 173 [193]; 32, 98 [108]; 33, 23 [29]; 49, 334 [367]; 49, 24 [55 f.]; 69, 1 [54 f.]; BVerfG, Der Betrieb 2001, 1367 (1368); Isensee, HStR III, § 57 Rn. 111, Fußn. 167 m. w. N. 339 Vgl. Winkler, Kollisionen, 60 ff. Siehe auch Jarass, AöR 120 (1995), 345 (370 f.). 340 Dies bringt das Bundesverfassungsgericht deutlich in BVerfGE 3, 248 [252 f.] zum Ausdruck, wenn es die Existenz der dort relevanten immanenten Schranke mit dem Willen des Verfassungsgesetzgebers begründet.

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Aufgabe des Gesetzgebers ist hier lediglich die authentische Interpretation des verfassungsvorgegebenen Verhältnisses der fraglichen Verfassungsgüter, welches den Grundrechten „von vornherein und daher auch ohne konstitutiven gesetzgeberischen Akt innewohnt“. 341 Die so gefundene Interpretation der „immanenten Schranken“ scheint zunächst nicht in vollem Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu stehen. Das Gericht stellt bei seinen Formulierungen sehr stark auf die Bedeutung des einschränkenden Rechtsguts selbst ab. Für die konkret zu entscheidende Frage sei dann diejenige Verfassungsbestimmung zu ermitteln, welche das höhere Gewicht besitzt. 342 Dies könnte so verstanden werden, als bedeute die Figur der „immanenten Schranken“ lediglich, Grundrechte könnten „im allgemeinen“ durch andere Rechtswerte mit Verfassungsrang eingeschränkt werden, die genaue Grenzziehung obliege jedoch dem pflichtgemäßen Ermessen des Gesetzgebers unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Ein derartiges Verständnis der „immanenten Schranken“ verkehrte jedoch deren Bedeutung in ihr Gegenteil, indem es die Reichweite vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte der okkassionellen Verhältnismäßigkeitsbewertung des Gesetzgebers unterwürfe. Auch die Verfassungsrechtsprechung bildete für diesen Fall kein Korrektiv, denn sofern dem Gesetzgeber ein Ermessen eingeräumt ist, prüft sie in ständiger Rechtsprechung343 nur die Verletzung äußerster Grenzen. 344 Derartiges liegt jedoch tatsächlich nicht in der Absicht des Gerichts. Es betont nämlich an anderer Stelle, die Ermittlung der „immanenten Schranken“ sei Sache der Verfassungsauslegung. „[..] der Vorbehaltlosigkeit des Grundrechts [kommt] die Bedeutung zu, daß die Grenzen [..] nur von der Verfassung selbst zu bestimmen sind. [..] [Der] Konflikt [ist] nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems durch Verfassungsauslegung zu lösen.“ 345 „[..] diese Auslegung des Grundsatzes [„ne bis in idem“, Anm. d. Verf.] [muß] als vom Verfassungsgesetzgeber gewollt und daher als eine [..] immanente Schranke angesehen werden“ 346 (Hervorhebungen 341 Knies, Kunstfreiheit, 101 f. mit zahlreichen weiteren Nachweisen zur Immanenz der Schranken und der Reduktion der Aufgabe des Gesetzgebers auf ein Interpretationsproblem (Knies selbst allerdings krit.). 342 Vgl. BVerfGE 28, 243 [260 f.]. 343 Vgl. BVerfGE 7, 377 [412]; 49, 89 [131]; 45, 1 [39]; 80, 244 [255] m.w. N.; 90, 145 [173] m. w. N. 344 Zu den Gefahren der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf die „immanenten Schranken“ siehe auch Nieuwland, Immanente Grundrechtsschranken, 138 f. Vgl. Jestaedt, Zuständigkeitsüberschießende Gehalte, 317 ff. Auch Jestaedt sieht die Gefahr, Grundrechte würden zu bloßen Abwägungsgesichtspunkten verkommen, würde das Prinzip der „praktischen Konkordanz“ zu einem Einzelfallvorbehalt geraten. 345 BVerfGE 30, 173 [193]. 346 BVerfGE 3, 248 [252 f.]. Diesbezüglich besonders klar das Sondervotum zur Kriegsdienstverweigerung II (BVerfGE 69, 1 [62 f.]). „Werden einer Grundrechtsgewährleistung ranggleich andere verfassungsgeschützte Rechtswerte oder Grundentscheidungen in der Form von Kompetenzbestimmungen, Ermächtigungsnormen und Organisationsregelungen gegen-

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durch Verf.). Diese klaren Feststellungen verbieten, die sprachlich zunächst nicht ganz eindeutigen Ausführungen des Gerichts zu den „immanenten Schranken“ im Sinne einer einzelfallbezogenen Konkretisierungskompetenz des Gesetzgebers mißzuverstehen. Von diesen Überlegungen streng zu trennen bleibt allerdings die Frage, ob eine „immanente Schranke“ unmittelbare Wirksamkeit gegenüber den Grundrechtsberechtigten entfaltet, oder ob hierzu eine Entscheidung bzw. Umsetzung des Gesetzgebers erforderlich ist. Träfe dies zu, 347 änderte dies jedoch nichts an der Beschränkung der gesetzgeberischen Aufgabe auf das Erkennen des Verfassungswillens und dessen präziser Verwirklichung im einfachen Recht. 348

c) Folge für das prozedurale Gemeinwohlverständnis Angesichts der einhellig betonten, insbesondere vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochenen Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers mag die Zurückweisung eines weiten prozeduralen Gemeinwohlverständnisses erschüttern. Hierfür besteht jedoch kein Anlaß. Vielmehr bedarf es lediglich einer Klarstellung, wie weit die Kompetenz des Gesetzgebers dennoch reicht. Dem Gesetzgeber ist lediglich verwehrt, neue Gemeinwohlbelange zu erfinden. „Gemeinwohl“ und „Gemeinwohlbelang“ müssen jedoch, wie schon eingangs gefordert, streng auseinandergehalten werden. Das „Gemeinwohl“ als der Versuch, die widerstreitenden Gemeinwohlbelange soweit als möglich einem Ausgleich zuzuführen, ist die vornehmste Aufgabe des Gesetzgebers. Die Verfassung will also gerade nicht vorgeben, wie das „richtige“ bonum commune im Endzustand auszusehen habe („[...] das Grundgesetz [versteht] den Staat nicht als den Hüter eines Heilsplans [...]“, BVerfG 349). Die Verfassung ist insofern fragmentarische Ordnung, 350 als sie zwar abschließend regelt, welche Belange dem übergestellt, so werden in die Verfassung Spannungsverhältnisse hineinverlegt, für deren Auflösung sie keine Maßstäbe enthält. [...] Die Verfassung verliert so die inhaltliche Bestimmtheit, die es möglich macht, sie auf die ihr unterliegenden Sachverhalte wirklich anzuwenden [..]. Die Folge ist, daß eine Abwägung zwischen den von der Verfassung normativ nicht mehr übergriffenen Spannungselementen stattfinden muß. Diese Abwägung kann mangels eines generellen Maßstabes nur auf den konkreten Fall bezogen sein; sie wird als solche letztlich vom Richter, insbesondere vom Bundesverfassungsgericht, getroffen. Das anwendbare Recht hat dann seinen Sitz nicht mehr in der Verfassung, sondern im Abwägungsspruch des Richters“. 347 So etwa Jarass, AöR 110 (1985), 363 (385). 348 A. A. Jarass, AöR 120 (1995), 345 (372), der einen erheblichen Spielraum des Gesetzgebers bei der „Nachzeichnung“ der verfassungsrechtlichen Grenzziehung sieht. 349 BVerfGE 42, 312 [332]. 350 Vgl. Isensee, HStR III, § 57 Rn. 24.

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Gemeinwohl dienen können, den Ausgleich widerstreitender Gemeinwohlbelange jedoch dem demokratischen Prozeß überläßt. 351 „Staatsziele sind die Belange des Gemeinwohls (öffentliche Interessen), die der Staat sich zu eigen macht und in deren Dienst er sich planmäßig stellt.“352 (Isensee). Obschon der Beschränkung auf Staatsziele hier nicht gefolgt wird, so gibt diese Sentenz die Gemeinwohlqualität der Verfassungsordnung zutreffend wieder. Der Staat hat die Gesellschaft oder einzelne Bürger betreffende Probleme zu erkennen, zu benennen und angemessenen Lösungen zuzuführen.353 Unter Vorgriff auf den späteren Nachweis des aktiven Gemeinwohlvorbehalts läßt sich bereits jetzt als staatliche Pflicht erblicken, stets die allgemeine Lage zu beurteilen und mögliche Gemeinwohlgefährdungen zu erkennen und diese abzuwehren. Hierbei hat er das Recht, bei der Verfolgung von Gemeinwohlbelangen Prioritäten zu setzen. Er besitzt weites Ermessen bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe (bspw. Sozialstaatsprinzip). In ständiger Rechtsprechung354 betont das Bundesverfassungsgericht, der Gesetzgeber habe nicht die jeweils gerechteste Lösung zu wählen, dies entziehe sich verfassungsgerichtlicher Nachprüfung. Wichtigste Aufgabe und wesentlichster Anwendungsbereich der Einschätzungsprärogative ist jedoch die Wahl der Mittel, womit nun die Überleitung vollzogen ist zum Begriff der Staatsaufgaben. Fraglich ist hierbei insbesondere, welche Konsequenz die normative Schließung des verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriffes für das Krügersche Omnikompetenztheorem besitzt. 4. Der aktive Gemeinwohlvorbehalt Der gerade entwickelte Gemeinwohlvorbehalt ist konditionaler Natur. Wenn der Staat handelt, dann hat dieses Handeln dem Gemeinwohl zu dienen. Unter Verfolgung eines normativen Ansatzes ist jedoch der Schluß vom passiven Gemeinwohlvorbehalt auf eine sich okkassionell aktualisierende Handlungspflicht nicht als Evidenzschluß möglich. Der obenstehende Nachweis des passiven Gemeinwohlvorbehalts verliehe einer Untätigkeit des Staates noch nicht das Verdikt der Rechtswidrigkeit. 351 Vgl. BVerfGE 5, 85 [135]; 40, 287 [291]; 89, 155 [171 f.]; 97, 350 [369]; besonders Lerche, AöR 90 (1965), 341 (348 ff.); Häberle, Rechtstheorie 1983, 258 (262, 273); Stettner, Kompetenzlehre, 203 ff. 352 Isensee, HStR III, § 57 Rn. 115. 353 Vgl. BVerfGE 91, 276 [285]. 354 Vgl. BVerfGE 90, 145 [173] m. w. N.

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Die Erkenntnisse zu objektiven Grundrechtsgehalten und dem normativen Gehalt von Staatszielen deuten jedoch bereits in die Richtung. Vor dem Nachweis einer staatlichen Pflicht zum Tätigwerden bedarf allerdings erst das Mittel einer Klärung, vermöge dessen der Staat unmittelbar gestaltend in die Gesellschaftsordnung eingreift: die Staatsaufgaben.

a) Die Staatsaufgaben Die Staatsaufgaben wurden bereits in ihrer Interdependenz mit Kompetenznormen erörtert. Staatsziele und auch die Grundrechte bewegen sich auf einer mittleren Konkretisierungsebene. 355 Dabei verpflichten die Staatsziele keine bestimmten Staatsorgane. Die Grundrechte verpflichten zwar alle staatliche Gewalt zu ihrer Achtung, benennen aber ebenfalls keine bestimmten Organe, die für den aktiven Schutz zuständig wären. Hingegen erzielen die Staatsaufgaben den höchsten Konkretisierungsgrad und benennen die verantwortlichen Staatsorgane. 356 Die Staatsaufgaben dienen damit also nach der herrschenden Meinung der Effektuierung verfassungsrechtlicher Gemeinwohlbelange. Nur der Gesetzgeber gebietet über die Schaffung von Staatsaufgaben. 357 Bei dieser Auswahl des Mittels, der Modalität der Staatszielverwirklichung, 358 greift eine weitreichende Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, welche insbesondere in der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hervortritt. Üblicherweise gebraucht das Gericht die folgenden Wendungen. „Die politischen Optionen sind durch die Verfassung nicht vorgegeben. Insbesondere ist es keine Frage des Verfassungsrechts, ob sich das gesamte Ziel auch auf andere Weise und besser hätte erreichen lassen.“ 359 „Das Bundesverfassungsgericht kann [die] [.] Entscheidung [des Gesetzgebers] nicht darauf prüfen, ob er die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat [...]“ 360 355 Vgl. Bull, Staatsaufgaben, 44 ff., 128; Bull, NVwZ 1989, 801 (802); Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 286; Isensee, HStR III, § 57 Rn. 115; Link, VVDStRL 48 (1990), 18 f.; Uerpmann, Öffentliches Interesse, 67 (Grundrechte als Staatsaufgabenfestlegungen; wobei Uerpmann wohl einen weiteren Staatsaufgabenbegriff zugrundelegen muß als den hier definierten). 356 Vgl. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 286; Stettner, Kompetenzlehre, 156; Isensee, HStR III, § 57 Rn. 115, 137. 357 Vgl. Bull, Staatsaufgaben, 115, 121; Isensee, HStR III, § 57 Rn. 125. 358 Link, VVDStRL 48 (1990), 19. 359 BVerfG, NJW 2001, 1779 (1781). 360 BVerfGE 90, 145 [173], stRspr, m. w. N.

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Durch die Bestimmung von Staatsaufgaben konkretisiert 361 der Gesetzgeber also die ihm verfassungsmäßig aufgegebenen Gemeinwohlbelange und bringt sie zu einem Ausgleich. „Staatsaufgaben sind Verfassungsaufgaben“. 362 Ungeklärt bleibt bis jetzt allerdings, wie weit eine Konkretisierungspflicht des Gesetzgebers reicht. b) Konkretisierungspflicht des Gesetzgebers Im Abschnitt 363 über die Staatszielbestimmungen wurde generell eine Pflicht des Gesetzgebers zur Entscheidung darüber bejaht, in welcher Weise Staatsziele zu konkretisieren sind. Auch die Schutzpflicht als objektiver Grundrechtsgehalt soll den Gesetzgeber zum Tätigwerden veranlassen. Welcher Tatbestand im Einzelfall eine staatliche Handlungspflicht zur Konkretisierung verfassungsrechtlicher Gemeinwohlbelange auslöst, steht allerdings noch in Frage. Den nachfolgenden Überlegungen liegt eine Vorstellung zugrunde, die in der Pflicht zur allgemeinen „Gefahrenabwehr und Risikovorsorge“ 364 eine treffende Bezeichnung fände. Eingangs wurde ein Vorverständnis von Gemeinwohl entwickelt, nach dessen möglichen Entsprechungen die Verfassung durchsucht wurde. Zusammengefaßt lautete dieses Vorverständnis, ein verfassungsrechtlicher Gemeinwohlbegriff setzte eine normative Beschreibung anzustrebender Zustände voraus. Die anschließende Verfassungsexegese hat eine Anzahl derartiger, verfassungsnormierter Zustände aufgewiesen. Den Staatszielen ist die Eigenschaft immanent, anzustrebende Zustände zu benennen. „Ziel“ und „anzustrebender Zustand“ wurden als Synonyme bezeichnet. Für die Grundrechte erbrachte eine Exegese der objektiven Gehalte ein identisches Ergebnis. Die Grundrechte unterbinden nicht nur bestimmte staatliche Maßnahmen, die sich als Eingriffe darstellten. Dies wäre noch keine positive Zustandsdefinition (als negative Zustandsdefinition könnte „Abwesenheit staatlicher Eingriffe“ betrachtet werden). Vielmehr legen auch die Grundrechte anzustrebende Zustän361 Vgl. Schulze-Fielitz, Staatsaufgabenentwicklung, 13, 16, 28 f., 39; Häberle, AöR 95 (1970), 86 (90, 99); Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 286 f., 290; Bull, Staatsaufgaben, 44; Isensee, HStR V, § 111 Rn. 90, 151, 153: „Die Schutzpflicht enthält den Gesetzgebungsauftrag, die dem Schutzbedarf genügenden Regelungen zu erlassen[..]“. 362 Schulze-Fielitz, Staatsaufgabenentwicklung, 15. Schulze-Fielitz macht den richtigen Zusatz, dennoch sei nicht jedes staatliche Handeln ein bloßer Vollzug der Verfassung. Vgl. auch Bull, Staatsaufgaben, 113, 116. 363 Siehe 1. Kapitel II. 3. b) (3). 364 Vgl. BVerfGE 49, 89 [143]; Scholz, Maunz-Dürig, Art. 20 a Rn. 9 f.

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de fest, indem sie bestimmte Freiheitssphären definieren. Anzustreben ist jeweils der Zustand, in welchem die Grundrechtsberechtigten eine solche Freiheitssphäre tatsächlich innehaben. (1) Veranlassungsarten staatlichen Verhaltens Das Anstreben eines Zustands macht folgende Veranlassungsarten staatlichen Verhaltens denkbar. Zunächst kann der Staat Maßnahmen unterlassen, die entweder den bereits erreichten Zustand beeinträchtigen oder die weitere Förderung dieses Zustandes erschweren. Er kann bereits erfolgte Beeinträchtigungen oder Erschwerungen durch Dritte oder sonstige Umweltbedingungen 365 kompensieren oder unterbinden. Weiterhin kann er Dritte oder sonstige Umweltbedingungen hindern, derartige Beeinträchtigungen oder Erschwerungen zukünftig zu bewirken. Schließlich kann er selbstveranlaßt Maßnahmen treffen, welche die Erreichung des Zustandes fördern, ohne hierbei unmittelbar auf benennbare Beeinträchtigungen oder Erschwerungen zu reagieren. Selbstverständlich können in der staatlichen Praxis mehrere Veranlassungsarten zusammentreffen, dennoch lassen sich diese Grundtypen sinnvoll unterscheiden. Fraglich bleibt, inwieweit diese Veranlassungsarten nicht nur tatsächlich, sondern auch normativ existieren. 366 365 Der Auffassung Isensees sei damit widersprochen, die grundrechtliche Schutzpflicht umfasse nicht die Abwehr natürlicher Gefahren (Isensee, HStR V, § 111 Rn. 112). Ebenfalls ablehnend gegenüber einer grundrechtsbasierten Schutzpflicht gegenüber höheren oder Naturgewalten: Holoubek, Gewährleistungspflichten, 244 f. Holoubek führt aus, der Schutz auch vor Naturkatastrophen als grundrechtlich gebotene Gewährleistungspflicht hieße, dem Staat eine Garantenstellung hinsichtlich sämtlicher grundrechtlicher Schutzgüter zuzuerkennen und zwar unabhängig davon, ob die eintretende Gefahr [..]überhaupt auch nur abstrakt seinem Ingerenzbereich unterläge. Genau dieser Tatbestand jedoch ist Ergebnis der bisherigen Untersuchung. Die Ermittlung eines derartigen normativen Gehalts der Verfassung führt keineswegs zu praktisch undurchführbaren staatlichen Verpflichtungen. Holoubeks eigenes Beispiel für die vermeintliche Abwegigkeit der von ihm kritisierten Grundrechtsinterpretation zeigt dies: er nennt nämlich den Blitzschlag. Der Eintritt dieses Naturereignisses unterliegt zwar in der Tat kaum dem Ingerenzbereich des Staates. Dennoch hat der Staat gerade hier seine Vorsorgepflicht wahrgenommen, und zwar in der Form entsprechender Bauvorschriften. Insofern besitzt der Staat zwar selbstverständlich keine Garantenstellung in dem Sinne, daß er den Eintritt schädlicher Ereignisse von Verfassungs wegen in jedem Falle zu verhindern hätte. Dies entbindet ihn jedoch nicht, Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Sicherlich will auch Holoubek eine Verpflichtung des Staates zu derartigen Vorsorgemaßnahmen nicht bestreiten. Es fragt sich jedoch, worauf solche Maßnahmen verfassungsnormativ abzustützen wären, wenn nicht auf die Grundrechte oder die sonstigen hier entwickelten Gemeinwohlbelange. Für die Ableitung einer Schutzpflicht gegen höhere Gewalt aus den Grundrechten jüngst Roth, Faktische Eingriffe, 73, 420 f.

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Beeinträchtigung und Erschwerung werden ab hier unter dem Begriff der Störung zusammengefaßt. Ebenfalls Störung soll heißen, wenn der Zielerreichungsgrad nicht hinnehmbar gering ist, obwohl keine erkennbaren Beeinträchtigungen oder Erschwerungen vorliegen. 366 (2) Normativität der Veranlassungsarten Die Unterlassungspflicht bezüglich staatlicher Störungen folgt aus dem passiven Gemeinwohlvorbehalt. Auch die Pflicht zur Unterbindung oder Kompensation erfolgter Störungen durch Dritte bzw. andere Umweltbedingungen ist vom bisher gesagten schon umfaßt. Danach sind die verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbelange als Zustände aufzufassen, deren Vorliegen der Staat innerhalb seiner Möglichkeiten zu gewährleisten hat. Liegt eine Störung aktuell vor, so ist der anzustrebende Zustand definitiv gefährdet. Hat der Staat daher den fraglichen Zustand zu gewährleisten, so ist seine Pflicht zum Einschreiten ebenso definitiv. Dies folgt zwingend aus dem ermittelten normativen Gehalt der verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbelange. Vom „Anstreben eines Zustandes“ könnte keine Rede sein, wenn selbst bei gegenwärtiger Gefahr keine Rechtspflicht zum Tätigwerden bestünde. Dabei zu erinnern ist freilich die Grundpflicht des Gesetzgebers, widerstreitende Belange zu einem möglichst schonenden Ausgleich zu bringen. Im Einzelfall kann dies bedeuten, eine erkannte Störung hinzunehmen, sofern dies final einem anderen, im Augenblick höherrangig eingeschätzten Gemeinwohlbelang dient. 367 Die normative Bewertung der übrigen Veranlassungsarten erweist sich schwieriger. Diese bergen einen Zukunftsaspekt. Sie betreffen zum einen die Abwehr zu erwartender zukünftiger Störungen durch Dritte oder sonstige Umweltbedingungen. Zum anderen kann der Staat auch völlig selbstveranlaßt tätig werden, um einen höheren Zielerreichungsgrad zu gewährleisten (Untermaßverbot 368). Maßgeblich ist dabei der Vorsorgegedanke. 369 Der Zukunftsaspekt bewirkt aber unvermeidlich eine gewisse Unsicherheit über die Notwendigkeit der Maßnahme. Die Erwartung einer die Handlungspflicht auslösenden, zukünftigen Störung erfordert nämlich eine zwangsläufig fehlerbehaftete Prognose. Eine ähnliche Typologie findet sich bei Roth, Faktische Eingriffe, 74. Besonders nachdrücklich: BVerfGE 94, 12: Verfassungsmäßigkeit des Restitutionsausschlusses. Wiedervereinigungsgebot gestattet Modifikation der positivrechtlichen Ausprägung der nach Art. 79 Abs. 3 GG unberührbaren Grundsätze. Vgl. auch BVerfG, NJW 1996, 651 m. w. N. 368 Vgl. BVerfGE 88, 203 [254]. 369 Vgl. BVerfGE 49, 89 [139]. 366 367

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Diese Unsicherheit begründet die normative Bewertungsschwierigkeit. Fraglich ist, welche Anforderungen an die Qualität einer Prognose zu stellen sind, um eine staatliche Handlungspflicht auszulösen. Hieran ermißt sich die Reichweite des aktiven Gemeinwohlvorbehalts. (3) Pflicht zur gesetzgeberischen Prognose Der hier interessierende Gegenstand staatlicher Prognose bedarf zunächst einer Abgrenzung gegenüber einer anderen rechtswissenschaftlichen Prognoseproblematik. Die weitaus größte Aufmerksamkeit in der Literatur erfährt die Prognose bezüglich der Wirksamkeit einer staatlichen Maßnahme im Hinblick auf die Erreichung des angestrebten Ziels. 370 Die Diskussion betrachtet vor allem die Frage einer legislativen Nachbesserungspflicht 371 aufgrund Falschprognosen einerseits, die Zulässigkeit „experimenteller Gesetzgebung“ andererseits. Vorliegend steht jedoch nicht die Wahrscheinlichkeit der Wirksamkeit einer staatlichen (Gegen-)Maßnahme zur Untersuchung an, sondern vielmehr die Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung einer Gefahr, gegen welche eine Maßnahme gerichtet sein soll. Die Ressourcenknappheit verbietet eine umfassende staatliche Vorsorge gegen alle überhaupt nur erdenklichen Gefahren. Deshalb muß der Eintritt einer Handlungspflicht in irgendeiner Weise gebunden sein an die Qualität der besorgten Gefahr. Zum erstgenannten Prognosegegenstand, also der Maßnahmenwirksamkeit, liegen jedoch umfängliche Erkenntnisse vor, welche später den nachfolgenden Überlegungen dienen können. (a) Staatshandeln bei sicherer Prognose Eine recht einfach zu beurteilende Situation besteht, wenn dem Staat in bezug auf die Gefahrenwahrscheinlichkeit eine relativ sichere Prognose 372 möglich ist. Gefahrenvorsorge bedeutet Einsatz von Ressourcen. Dieser Ressourcenverbrauch schränkt die Gemeinwohlförderung an anderer Stelle notwendig ein. Gefahrenvorsorge bedeutet daher gleichzeitig auch einen gewissen Gemeinwohlverzicht. 373 Liegt eine sichere Prognose vor, so erlaubt dies eine Abwägung von Eintrittswahr370 So etwa die Untersuchungsfrage im nachfolgend zu diskutierenden Werk Horn, Experimentelle Gesetzgebung, 195, 201 f., 208 ff. 371 Vgl. BVerfG, 1 BvR 1190/93 vom 26. Juni 1997; BVerfGE 90, 145 [216]; 88, 203 [309 f.]; 87, 114 [114]; 65, 1 [55 f.]; 49, 89 [130]. 372 Vgl. zur Qualität der Prognose BVerfGE 50, 290 [332] („Prognosen enthalten stets ein Wahrscheinlichkeitsurteil, dessen Grundlagen ausgewiesen werden können und müssen)“. Auch: BVerfG, NJW 1996, 651; BVerfGE 39, 210 [226]; 50, 290 [333 f.]; 66, 39 [57 ff.]; 86, 90 [108 f.]; 88, 203 [263]. Siehe auch Busse, VerwArch 87 (1996), 445 (467); Stettner, NVwZ 1989, 806 (807); Bull, Staatsaufgaben, 107, 111. 373 Vgl. BVerfG, NJW 1996, 651 m. w. N.: „Dem Gesetzgeber steht jedoch bei der Erfüllung dieser Schutzpflicht ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich zu, der auch Raum läßt, etwa konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen". Zur Ressourcenknappheit als Grund für einen „unechten“ Wertkonflikt Magiera, Parlament, 234.

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scheinlichkeit und Schadenshöhe der befürchteten Störung mit dem Gemeinwohlverzicht, welchen die Gefahrenvorsorge bewirkt. Die Abwägung folgt dabei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Widersprochen sei damit der Auffassung, Risikovorsorge könne nur dann Staatsaufgabe werden, wenn die Rechtsgutgefährdung höchstwahrscheinlich bzw. unabweisbar ist. Hierdurch genügte der Staat nicht annähernd seinem Schutzauftrag. Die zu erwartende Schadenshöhe muß immer entscheidungserheblich bleiben. Dies bestätigt in nachdrücklicher Form das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung zur friedlichen Nutzung der Kernenergie: bereits eine entfernte Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts müsse genügen, um die Schutzpflicht des Gesetzgebers konkret auszulösen. 374 (b) Staatshandeln bei unmöglicher Prognose Glaubt hingegen der Staat Anhaltspunkte einer Gefahr zwar zu erkennen, fehlen ihm jedoch die Grundlagen zur Erstellung einer sicheren Prognose, so gestaltet sich die Verfassungsrechtslage schwieriger. Ob das Prognoseproblem auf fehlendem Faktenwissen oder auf mangelndem Verständnis der Wirkungszusammenhänge beruht, ist dabei irrelevant. Eine derartige Situation resultiert nun in einer bemerkenswerten Parallelität zu der Frage „experimenteller Gesetzgebung“. „Experimentelle Gesetzgebung“ unterscheidet sich von einem „gewöhnlichen“ Gesetz in der Regelungsabsicht. Während das gewöhnliche Gesetz einen Ausschnitt der gesellschaftlichen Wirklichkeit regeln will, dient das experimentelle Gesetz final der Datenerhebung. Die gewonnenen Daten sollen die Prognose, welche der späteren, eigentlichen Regelung zugrundeliegt, auf eine gesichertere Grundlage stellen. 375 Das experimentelle Gesetz dient also der Gesetzesvorbereitung. Kein Unterschied zu gewöhnlichen Gesetzen besteht jedoch in dem Eintritt einer Außenwirkung, welche für die Normadressaten verbindlich ist und gegebenenfalls grundrechtserheblich sein kann. Für experimentelle Gesetze wird eine derartige Grundrechtsbeeinträchtigung allerdings vom Gesetzgeber wissentlich ex-ante in Kauf genommen, während das gewöhnliche Gesetz erst aufgrund einer Falschprognose einer grundrechtskonformen Nachbesserung bedarf. Im letzteren Fall wollte der Gesetzgeber eine zukünftige Gefahr abwenden, Grundrechts- oder sonstige Beeinträchtigungen also gerade ausschließen. Mit dem Eintritt einer derartigen Beeinträchtigung hat er zunächst nicht gerechnet. In dieser wissentlichen Inkaufnahme von Grundrechtsbeeinträchtigungen aus experimentellen Gründen trifft sich nun die „experimentelle Gesetzgebung“ mit dem staatlichen Verhalten bei fehlender Prognose über die Gefahrenwahrscheinlichkeit. Denn egal, ob der Staat im letztgenannten Fall Gefahrenvorsorge betreibt oder nicht, unternimmt er in gewisser Weise ein Experiment, bei welchem die Überprüfung der Vgl. BVerfGE 49, 89 [142]. Vgl Horn, Experimentelle Gesetzgebung, 282 f. Siehe auch BVerfGE 65, 1 [47, 54 f.] (Volkszählung); BVerfGE 27, 1 [9] (Mikrozensus). 374 375

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Hypothese durch Abwarten des Zeitablaufs erfolgt. Da ihm die Gefahrenwahrscheinlichkeit unbekannt ist, kann der Staat keine Verhältnismäßigkeitsprüfung vornehmen zwischen dem Gefahreneintritt einerseits, dem erforderlichen Gemeinwohlverzicht aufgrund Ressourcenverbrauch zur Gefahrenvorsorge andererseits. Er nimmt daher zwangsläufig das Risiko des Eintritts einer der beiden nachfolgenden Konstellationen in Kauf. Der Staat unternimmt die Gefahrenvorsorge, hätte diese aber unterlassen, wäre ihm die (geringe) Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts bekanntgewesen. Der Ressourcenverbrauch zur Gefahrenvorsorge erwiese sich hier als unverhältnismäßig. Im anderen Fall unterläßt der Staat die Gefahrenvorsorge, hätte diese aber unternommen, wäre ihm die (hohe) Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts bekanntgewesen. Die Untätigkeit erwiese sich dann als Verstoß gegen das Untermaßverbot (Die Schadenshöhe bzw. der Stellenwert des beeinträchtigten Rechtsguts als weitere Entscheidungsgrundlage wird jeweils als bekannt vorausgesetzt). Der zwangsläufig experimentelle Charakter des staatlichen Verhaltens tritt besonders deutlich dann zutage, wenn der Gefahreneintritt oder das Ausbleiben der Gefahrenverwirklichung in absehbarer Frist feststellbar ist. Dies gilt beispielsweise für die Entwicklung volkswirtschaftlicher Indikatoren. In diesem Falle ist eine ex-post Entscheidung darüber möglich, ob der Staat die richtige Alternative gewählt hat. Zu fragen bleibt nun, wie die gemäß dem soweit gesagten zwangsläufig prognostische, „experimentelle“ Entscheidung für oder gegen eine Gefahrenvorsorge verfassungsrechtlich zu beurteilen ist. Für die „experimentelle Gesetzgebung“ liefert insbesondere Horn Gründe für die Annahme deren Verfassungsmäßigkeit. Verfassungsrechtliche Bedenken treffen die „experimentelle Gesetzgebung“ zunächst vor allem im Hinblick auf die Achtung der Menschenwürde. Ein Gesetz, welches keine gesellschaftliche Gestaltung beabsichtigt, sondern vielmehr den Freiheitsraum der Rechtsunterworfenen lediglich zum Zwecke einer empirischen Analyse beeinträchtigt, scheint den Menschen zum Versuchsobjekt zu machen. Hieraus folgte mühelos eine Verletzung der Menschenwürde. Horns Weg, die Betroffenheit der Menschenwürde auszuschließen, muß hier jedoch auf Zurückweisung stoßen. Horn postuliert eine Sinnverweisung der Menschenwürde, gerichtet auf eine subjektive verantwortliche Gestaltung der Sozialordnung. 376 Er empfiehlt eine „pflichtenbezogene Auslegung“ 377 der Menschenwürde. Hieraus ergebe sich dann eine Befolgungspflicht bezüglich willkürfreier Rechtsregeln. 378 Die Menschenwürde beruht aber, wie eingangs diskutiert, auf der menschlichen Natur, namentlich der Willensfreiheit. Sie ist daher Selbstzweck und einer Sinnverweisung auf andere Güter nicht fähig. Befolgungspflichten ausgerechnet aus der Menschenwürde abzuleiten, verkehrt die verfassungsmäßige Stellung von Art. 1 Vgl. Horn, Experimentelle Gesetzgebung, 243 f. Horn, Experimentelle Gesetzgebung, 244. 378 Vgl. Horn, Experimentelle Gesetzgebung, 246 unter Bezugnahme auf das Abhörurteil BVerfGE 30, 1. 376 377

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GG in deren Gegenteil. Außerdem trägt eine Diskussion von Befolgungspflichten überhaupt nichts bei zur Erhellung der Frage einer Betroffenheit der Menschenwürde durch „experimentelle Gesetzgebung“. Behauptet wird nämlich nicht, Rechtsunterworfenheit an sich mache den Bürger zum Objekt staatlichen Handelns in einer die Menschenwürde berührenden Weise. Fraglich erscheint vielmehr, ob speziell die Instrumentalisierung individueller Lebensverhältnisse zu legislativen Experimenten die Menschenwürde verletzt. Auch der Verweis auf das Demokratieprinzip begründet die Verfassungsmäßigkeit experimenteller Gesetzgebung noch nicht. Es trifft zwar zu, daß Alternativendenken demokratieimmanent ist. 379 Einer Ableitung dieser Erkenntnis aus demokratie- oder wissenschaftstheoretischen Erkenntnissen 380 bedarf es im übrigen nicht. Versteht man Demokratie im engeren, verfassungsnormativen Sinne als Herrschaftstechnik, welche Mittel zur Gewährleistung der Volkssouveränität ist, 381 so ergibt sich die Notwendigkeit des Vorhandenseins von Alternativen unmittelbar begriffsnotwendig. „Effektiven Einfluß auf die Ausübung der Staatsgewalt“ 382 besitzt das Volk nämlich nur dann, wenn es (zumindest) in seinen eigenen Entscheidungen – Wahlen und Abstimmungen – über Alternativen verfügt. Auch die Negation einer bestimmten Entscheidung kommt dabei formal als Alternative in Betracht. Dennoch kann aus dem Demokratieprinzip, maßgeblich verstanden als Alternativenauswahl, die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des „experimentellen Gesetzes“ nicht begründet werden. Horn verkennt die von der Verfassung gemeinte Zielrichtung der Alternativenauswahl durch Volk oder gesetzgebende Körperschaft. Beide sind in ihren Entscheidungen dem Verfassungsrecht unterworfen. Alternativen, unter denen eine demokratische Auswahl stattzufinden hat, setzen daher deren Verfassungsmäßigkeit voraus. Dies erfordert die prinzipielle Geeignetheit aller Alternativen zur Behebung des zugrundeliegenden Problems. Eine demokratische Auswahl unter Alternativen beruht daher weniger auf der prognoseorientierten Beurteilung der Geeignetheit einer Maßnahme, vielmehr folgt sie der unterschiedlichen Beurteilung der Wünschenswertigkeit oder Hinnehmbarkeit der als sicher empfundenen 383 Wirkungen und Nebenwirkungen der geplanten Rechtsnorm. Selbst bei übereinstimmender Annahme eines Handlungsbedarfes ist die Maßnahmenpräferenz wesentlich abhängig von den politischen Vorstellungen der Entscheider, 384 und weniger von der Beurteilung der Wirksamkeitswahrscheinlichkeit einer Maßnahme. Vgl. Horn, Experimentelle Gesetzgebung, 258. Vgl. Horn, Experimentelle Gesetzgebung, 256 ff. 381 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip, 161 f. 382 BVerfGE 83, 60 [71]. 383 Die tatsächliche Unmöglichkeit einer derartigen „Sicherheit“ wird sogleich besprochen. 384 Hierauf weist besonders Kloepfer in seiner Diskussion des Gesetzgebungsexperiments hin. Die Abgeordneten seien keine Sachverständigen für gesetzliche Sachregelungsmaterien, sondern Experten des politisch Machbaren, und dies sei so falsch nicht. Sie träfe daher keine Pflicht zur optimalen Methodik der Gesetzgebung. Das Gesetzgebungsverfahren sei vorentschieden durch das Aushandeln politischer Lösungen zwischen Regierung, gesellschaftlichen Gruppen etc. Vgl. Kloepfer, VVDStRL 40 (1982), 89. 379 380

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Zustimmung hingegen verdient die Überlegung, eine Grundrechtsbeeinträchtigung durch das experimentelle Gesetz in Verhältnis zu setzen mit der möglichen Grundrechtsbeeinträchtigung aufgrund einer unzulänglichen endgültigen Regelung. 385 Das experimentelle Gesetz mehrt den legislativen Erkenntnisstand und erhöht so die Qualität der endgültigen Regelung. Eine schwerwiegende Grundrechtsbeeinträchtigung durch letztere wird so vermieden. Diese Verhältnismäßigkeitsbetrachtung – Vorschaltung eines experimentellen Gesetzes als mildestes Mittel – begründet die Zulässigkeit des Hinausschiebens einer endgültigen Regelung zugunsten der Erfahrungsgewinnung. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit experimenteller Gesetzgebung ergebe sich also bereits aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, ohne daß es des Rekurses auf sonstige Verfassungsprinzipien bedurfte. Diese Einsicht beantwortet jedoch noch nicht die Frage nach der Betroffenheit der Menschenwürde. Verstießen experimentelle Gesetze generell gegen die Menschenwürde, so bedeutete auch die Grundrechtssicherung an anderer Stelle hierfür keine Rechtfertigung. Zur Erhellung des Menschenwürdeaspektes geeignet erweist sich nun ein erneuter Vergleich des „gewöhnlichen“ Gesetzes mit dem experimentellen Gesetz. Horns oben wiedergegebene Unterscheidung der beiden Kategorien anhand des Gesetzestelos bietet analytische Trennschärfe und gestattet somit die Definition derjenigen verfassungsrechtlichen Anforderungen, welche speziell an ein experimentelles Gesetz zu richten sind. Allerdings verdunkelt diese analytische Unterscheidung auch eine maßgebliche Gemeinsamkeit beider Kategorien. 386 Jedes Gesetz ist insoweit Experiment, als eine abstrakt-generelle Regelung zukunftsbezogen und somit zwangsläufig prognosebasiert ist. 387 Ein Unterschied besteht insoweit nur in der Güte der Prognose. Der Gesetzgeber hofft aufgrund eines ex-ante Wahrscheinlichkeitsurteils stets, eine getroffene Regelung möge die erwünschte Wirkung zeitigen. Er vertraut also darauf, die Regelung könne die befürchtete Gemeinwohlbeeinträchtigung abwenden, ohne dabei neue (unverhältnismäßige) Beeinträchtigungen zu schaffen. Da eine wirklichkeitsbezogene Prognose das sichere Ereignis nicht kennt, ist die Enttäuschung dieses Vertrauens ebenfalls stets möglich. Da sich der Gesetzgeber dieses Umstandes bewußt ist, dient insoweit jedes Gesetz auch der Datensammlung bzw. Erfahrungsgewinnung über die eigene Wirksamkeit. Diese ErVgl. Horn, Experimentelle Gesetzgebung, 247 f., 295 ff. Vgl. Horn, Experimentelle Gesetzgebung, 21 f.; 28 f. 387 Auf diesen Tatbestand weist auch Horn, Experimentelle Gesetzgebung, 28 f. unter Bezugnahme auf Noll, Gesetzgebungslehre, 76 und Jahrreiss, Gesetzgebung, 5 f.; 32 ff. hin, berücksichtigt ihn aber dann nicht weiter. Vgl. Stettner, DVBl 1982, 1123 (1123); Denninger, VVDStRL 40 (1982), 107 (Aussprache): „[..] heute [tragen] sehr viele Gesetze den Charakter von Versuchen in der Weise, daß sie eben versuchen, auf gesellschaftliche Probleme, die neu oder in neuer Gestalt aufgetaucht sind, eine neue Antwort zu geben. Deswegen sollte man vielleicht auch den Gesetzgebungsprozeß unter dem Stichwort ‚trial and error‘ oder ‚Versuch und Irrtum‘ einmal analysieren“; Dagtoglou, VVDStRL 40 (1982), 117 (Aussprache). Im Ergebnis ebenso Tomuschat, VVDStRL 40 (1982), 129 (Aussprache), wobei Tomuschat den Experimentalcharakter nicht auf die prinzipiell prognostische Natur zukunftsgerichteter Maßnahmen zurückführt, sondern auf die Grenze der (legislativen) Verarbeitungskapazität. 385 386

III. Der Gemeinwohlvorbehalt

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fahrung führt dann gegebenenfalls zu einer Nachbesserung. Die unterschiedlichen Regelungszwecke von gewöhnlichem und experimentellem Gesetz gestatten zwar die Ableitung unterschiedlicher Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit, die Wirkung beim Normadressaten ist hingegen identisch. In beiden Fällen sieht dieser sich einer Rechtsnorm unterworfen, welche mit gewisser Wahrscheinlichkeit einer späteren Nachbesserung unterliegt. Beim experimentellen Gesetz ist eine solche von Beginn an vorgesehen, beim gewöhnlichen Gesetz ist sie zwar zunächst nicht beabsichtigt, aber als stete Möglichkeit hinzugedacht. Aufgrund dieser identischen Wirkung beim Normadressaten beurteilt sich auch die Betroffenheit der Menschenwürde nach identischen Maßstäben. Jedwede Gesetzgebung besitzt also vom Standpunkt des Normadressaten experimentellen Charakter. 388 Bedeutete daher die Behandlung der Normadressaten als vermeintliche „Versuchsobjekte“ einen Verstoß gegen die Menschenwürde, so machte dies nicht nur das „experimentelle Gesetz“, sondern jedes Gesetz verfassungswidrig. Art. 20 Abs. 3 GG sieht nun aber die Staatsfunktion „Gesetzgebung“ vor. Die Verfassungsnorm bindet zudem vollziehende Gewalt und Rechtsprechung an die Hervorbringungen dieser Staatsfunktion. Sie unterwirft damit von Verfassungs wegen den Großteil der Staatstätigkeit den Willensbekundungen der Gesetzgebers. Art. 1 Abs. 1 GG darf daher nicht in einer Weise ausgelegt werden, daß jedwede Gesetzgebung dem Verdikt des Menschenwürdeverstoßes verfiele. Die Verfassung würde sonst den durch sie zu verfassenden Staat unmöglich machen. Der experimentgleiche Tatbestand des unsicheren Vertrauens in gemeinwohlfördernde, und nicht -schädigende Gesetzeswirkung löst daher alleine noch nicht den Schutz des Art. 1 Abs. 1 GG aus. Als Zwischenergebnis bleibt daher festzuhalten, die „experimentelle Gesetzgebung“ verstößt nicht gegen die Menschenwürde, ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit ergibt sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das experimentelle Gesetz erweist sich im Einzelfall als milderes Mittel gegenüber einer inadäquaten endgültigen Regelung. Eingangs wurde nun die Parallelität von experimenteller Gesetzgebung und der staatlichen Entscheidung für oder gegen eine Gefahrenvorsorge bei nicht feststellbarer Gefahrenwahrscheinlichkeit aufgezeigt. Die Übertragung der Ergebnisse zur experimentellen Gesetzgebung liefert zunächst den Befund der Vereinbarkeit einer derartigen staatlichen Entscheidung mit der Menschenwürde. Charakteristisch für die fragliche Entscheidungssituation war nun jedoch gerade, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mangels Information nicht anwenden zu können. Zu klären bleibt, inwieweit sich dies auf die Zulässigkeit der Entscheidung auswirkt.

388 Dies ist kein „Fehlschluß“, wie Kloepfer, VVDStRL 40 (1982), 92, 137 f. meint. Es kommt hier auf den Blickwinkel an. Aus Sicht des Gesetzgebers ist in der Tat die Unterscheidung statthaft zwischen endgültiger Regelungsabsicht und einer bloßen Informationsgewinnung. Aus Sicht des Normadressaten hingegen ist die Motivlage des Gesetzgebers und auch ein dergestalt objektivierter Wille des Gesetzgebers ohne Auswirkung. Der prognostische Charakter jeder Norm macht sie für den Adressaten immer zum Experiment.

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

(c) Verhältnismäßigkeit des Staatshandelns bei unmöglicher Prognose Der Staat hat im Einzelfall zunächst keine andere Möglichkeit, als Gefahrenvorsorge zu betreiben oder nicht – tertium non datur. Dieser Hinweis könnte schon genügen, weitere Bemühungen um die Klärung der Verfassungsmäßigkeit abzubrechen. Auch die Verfassung kann sich nicht der Logik versagen. Allerdings wäre dies dogmatisch nicht allzu befriedigend. Ein erneuter Vergleich mit der experimentellen Gesetzgebung ermöglicht eine überzeugendere Lösung. Horn erachtet ein experimentelles Gesetz (im engeren Sinne, also ein solches Gesetz, welches die Regelung des problemursächlichen Wirklichkeitsausschnittes überhaupt nicht beabsichtigt, sondern zunächst ausschließlich die Informationsgewinnung) nur dann für zulässig, sofern eine hochgradige Unsicherheit über die Tauglichkeit der geplanten (endgültigen) Regelung besteht. 389 Besteht aber eine solche hochgradige Unsicherheit, so ist die Frage des Ausmaßes der Grundrechtsbeeinträchtigung durch diese geplante Regelung ebenfalls hochgradig unsicher. Diese Unsicherheit schließt aus, die Grundrechtsbeeinträchtigung der eventuell inadäquaten endgültigen Regelung in ein „absolutes“ Verhältnis zu setzen mit der Grundrechtsbeeinträchtigung des experimentellen „Vorschalt-„Gesetzes (jeweils gewichtet mit der Eintrittswahrscheinlichkeit). Dennoch wurde zuvor behauptet, die Zulässigkeit experimenteller Gesetzgebung ergebe sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Dessen Anwendung richtet sich jedoch nicht auf einen (unmöglichen) absoluten Vergleich der Beeinträchtigungen, sondern auf einen relativen. Zu fordern ist nämlich eine verläßliche Prognose 390 bezüglich der Beeinträchtigungen aufgrund des experimentellen Gesetzes. Die Beeinträchtigungen aufgrund des experimentellen Gesetzes an sich (das heißt jenseits eines Vergleiches mit der endgültigen Regelung) müssen also abschätzbar sein und sich verfassungsrechtlich vertretbar erweisen hinsichtlich des Regelungszweckes, die Qualität der endgültigen Regelung zu verbessern. Aus dieser verfassungsrechtlichen Vertretbarkeit des für sich alleine betrachteten experimentellen Gesetzes ergibt sich dessen „relative“ Verhältnismäßigkeit gegenüber den Beeinträchtigungen aufgrund einer inadäquaten endgültigen Regelung, welche weder in Schadenshöhe nach Eintrittswahrscheinlichkeit absehbar sind. Gleiches gilt nun für die Entscheidung des Gesetzgebers, im Einzelfall eine Gefahrenvorsorge bei unbekannter Gefahrenwahrscheinlichkeit zu betreiben oder nicht. Wie oben geschildert, scheidet auch hier ein absoluter Vergleich der Beeinträchti389 Vgl. Horn, Experimentelle Gesetzgebung, 295 ff. Auch Kloepfer, VVDStRL 40 (1982), 93 deutet für diesen Fall eine Pflicht zum Experiment an. 390 Ähnlich, wenn auch abgeschwächt Horn, Experimentelle Gesetzgebung, 305 f., 312 ff. („Im Hinblick auf die materiellen, rechtsstaatlichen Postulate, wie etwa die Geeignetheits- und Erforderlichkeitsprinzipien, muß die Konformität der experimentellen Norm zwar unsicher, aber möglich sein“; „Die Bindung des Gesetzgebers an das Gebot nur verhältnismäßiger Grundrechtsbegrenzungen zwingt ihn daher, die Versuchsanordnung so auszugestalten, daß irreversible Experimentschäden soweit wie möglich vermieden werden[..]“.

III. Der Gemeinwohlvorbehalt

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gungen durch Treffen einer Regelung oder den Verzicht hierauf aus. Der Gesetzgeber kann jedoch diejenigen Beeinträchtigungen abschätzen, die unmittelbar von einer Entscheidung für die Gefahrenvorsorge ausgehen, ohne sie ins Verhältnis mit den Beeinträchtigungen durch die gegenteilige Entscheidung zu setzen. Der Gesetzgeber prüft dann wie gewöhnlich die zu erlassende Regelung auf deren Verfassungsmäßigkeit. Gegenstand der Prüfung sind insbesondere Grundrechts- oder sonstige Beeinträchtigungen, welche die Maßnahme trotz ihrer gemeinwohlfördernden Zielrichtung an anderer Stelle unmittelbar mit sich bringt. Weiterhin beachtlich ist der erforderliche Gemeinwohlverzicht aufgrund Ressourcenverbrauchs für die Gefahrenvorsorge. Maßstab der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist die abzuwendende Gefahr. Dabei bleibt die nicht bekannte Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts unberücksichtigt. Dementsprechend enthält sich der Gesetzgeber auch eines (mangels bekannter Wahrscheinlichkeiten ohnehin nicht möglichen) Vergleiches mit der Situation bei Unterlassen der Maßnahme. Die Zulässigkeit folgt dann aus der verfassungsrechtlichen Vertretbarkeit der für „sich allein betrachteten“ Maßnahme. Entscheidet sich der Gesetzgeber hingegen für den Verzicht auf Gefahrenvorsorge, so mangelt es an einer Maßnahme, welche auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft werden könnte. Da jedoch weder die Verfassung noch eine verfassungsgerichtliche Überprüfung in der Lage wären, diejenige Wahrscheinlichkeitsaussage beizubringen, welche dem Gesetzgeber als Entscheidungsgrundlage fehlt, so kann dem Gesetzgeber auch keine verfassungswidrige Verletzung seiner Schutzpflicht vorgehalten werden. 391 Hiervon besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lediglich eine bereits angedeutete Ausnahme. Ist die zu erwartende Schadenshöhe bei Gefahreneintritt so hoch, daß diese auch bei einer praktisch beliebig geringen Eintrittswahrscheinlichkeit nicht hinnehmbar ist, so muß der Gesetzgeber handeln.392 (4) Ergebnis Der Staat ist zu umfassender Beobachtung von Zustand und Entwicklung der Gesellschaft verfassungsrechtlich verpflichtet. Dabei ist er nicht nur auf Erkenntnisse beschränkt, welche die Tätigkeit seiner Organe produzieren. Verfassungsgewollt ist 391 Vgl. BVerfGE 49, 89 [131] („In dieser, notwendigerweise mit Ungewißheit belasteten Situation liegt es zuvorderst in der politischen Verantwortung des Gesetzgebers und der Regierung, im Rahmen ihrer jeweiligen Kompetenzen die von ihnen für zweckmäßig erachteten Entscheidungen zu treffen. Bei dieser Sachlage ist es nicht Aufgabe der Gerichte, mit ihrer Einschätzung an die Stelle der dazu berufenen politischen Organe zu treten. Denn insoweit ermangelt es rechtlicher Maßstäbe“); BVerfGE 90, 145 [173] m. w. N. („Bei der Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit des gewählten Mittels zur Erreichung der erstrebten Ziele sowie bei der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Einschätzung und Prognose der dem einzelnen oder der Allgemeinheit drohenden Gefahren steht dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zu, welcher vom Bundesverfassungsgericht je nach der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter nur in begrenztem Umfang überprüft werden kann“, Hervorhebung durch Verfasser). 392 Vgl. BVerfGE 49, 89 [142] für die friedliche Nutzung der Kernenergie.

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Teilhabe an dieser kontinuierlichen Lagefeststellung und -beurteilung. In den Staatsorganen wird diese Teilhabe vor allem von den politischen Parteien zur Wirksamkeit gebracht. Die Feststellung einer eingetretenen oder nach praktischen Maßstäben sicher bevorstehenden Störung zwingt den Staat zum Handeln, sofern nicht ein dritter, gegenwärtig höherrangig eingeschätzter Gemeinwohlbelang dem nicht ausdrücklich entgegensteht. 393 Besteht Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung, hat der Staat sein Urteil auf Prognosen zu stützen, die seinem Erkenntnisvermögen entsprechen. Dabei hat er Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe der Gefahr zu gewichten mit dem Gemeinwohlverzicht, welchen der Ressourcenverbrauch zur Gefahrenvorsorge bedingt. Fehlt für die Erstellung einer Prognose die erforderliche Datengrundlage, so ist die Gefahrenvorsorge in das staatliche Ermessen gestellt. Entscheidet der Staat sich für eine Vorsorgemaßnahme, so bemißt sich deren Verfassungsmäßigkeit ausschließlich anhand der Wirkungen, welche unmittelbar von dieser Maßnahme ausgehen. Ein Vergleich mit der Situation bei Unterlassen der Maßnahme unterbleibt. c) Staatliche Omnikompetenz Die normative Schließung des verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriffes, der aktive Gemeinwohlvorbehalt und das Omnikompetenztheorem erscheinen zunächst in einem multivalenten Spannungsverhältnis. Das Omnikompetenztheorem besagt, der Staat müsse sich der jeweiligen Lage anpassen können, indem er diejenigen Aufgaben wahrnimmt, welche eben diese Lage gerade erfordert. 394 Die normative Schließung des verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriffes hindert den Staat am Zugriff auf außerverfassungsrechtliche Belange. Er wäre also nicht omnikompetent. Andererseits scheint der aktive Gemeinwohlvorbehalt Omnikompetenz zu fordern, schließlich soll der Staat grundsätzlich jede erkannte Störung abwehren. (1) Zulässige Regelungsgegenstände staatlichen Handelns Die Spannung zwischen den Begriffen läßt sich jedoch durchaus abbauen. Die Begrenzung des staatlichen Instrumentariums durch die Grundrechte ist selbstverständlich und zur Gemeinwohlwahrung auch unvermeidlich. 395 So ausdrücklich auch Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 439. Vgl. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 767; Bull, Staatsaufgaben, 90; Link, VVDStRL 48 (1990), 11; Isensee, HStR III, § 57 Rn. 156. 395 Vgl. Bull, Staatsaufgaben, 96; Isensee, HStR III, § 57 Rn. 142. 393 394

III. Der Gemeinwohlvorbehalt

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Die Rede von Staatsaufgaben meint allerdings zuvorderst den zu regelnden Ausschnitt der Lebenswirklichkeit, weniger die Eingriffsintensität. In der Tat besteht kein Ausschnitt der Lebenswirklichkeit, der staatlichem Zugriff per se entzogen wäre. 396 Hierfür ermangelt es eines verfassungsrechtlichen Anhaltspunkts. Das bemühte Gegenbeispiel der Religionsfreiheit 397 widerlegt sich selbst. Die positivrechtliche Normierung im Grundgesetz schließt die Befassung des Staates mit inhaltlichen Fragen der Religion nicht aus, sondern erzwingt sie geradezu. Schließlich muß er eine normative Schutzbereichsbestimmung leisten. Im übrigen belegt die bloße Existenz des Art. 4 Abs. 1 GG die Fähigkeit des Staates, den Religionsgegenstand positivrechtlich aufzunehmen, wenn auch hier in Form einer freiheitsgewährenden Grundrechtsbegründung. Schon deshalb liegt Religion nicht schlechthin außerhalb staatlicher Befassung. Erklärt das Bundesverfassungsgericht, dem Staat sei der bestimmende Zugriff auf die religiöse oder weltanschauliche Dimension des Menschen verwehrt, 398 so bezeichnet es die grundrechtliche Intensitätsgrenze. Keinesfalls begründet es einen vollkommen staatsfreien Bereich. (2) Bezugsgröße der Omnikompetenz Der Staat ist also zunächst insoweit omnikompetent, als er auf beliebige Ausschnitte der Lebenswirklichkeit zugreifen kann. Die normative Schließung des verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriffes ändert hieran nichts. Diese zunächst frappante Behauptung soll belegt werden anhand einer begrifflichen Analyse des Omnikompetenztheorems. Kurz gesagt, Anpassung erfordert Konstanz. Der Staat, genaugenommen das staatliche Verhalten soll sich wechselnden Lagen „anpassen“. Dieses staatliche Verhalten ist final. Wie stets betont, soll es bestimmte verfassungsintendierte Zustände gewährleisten. Betrachtet man die „Lage“ als Summe der Umweltbedingungen einschließlich des gegenwärtigen Gesellschaftszustands, so transformiert 399 (idealtypisch) das staatliche Verhalten die gegenwärtige Lage in eine neue Lage, welche dem angestrebten Zustand stärker entspricht. Konstante Bezugsgröße des staatlichen Verhaltens sind also die anzustrebenden Zustände. Ohne diese Konstanz wäre der Begriff der Anpassung sinnlos. Der Staat vollzieht also insoweit eine Anpassung, als er nach einer Lageänderung gegebenenfalls auf neue Ausschnitte der Lebenswirklichkeit zugreift, um trotz der geänderten Bedingungen weiterhin eine Annäherung an die angestrebten Zustände sicherzustellen. 396 397 398 399

Vgl. Isensee, HStR III, § 57 Rn. 156. Vgl. Bull, Staatsaufgaben, 91. Vgl. BVerfGE 42, 312 [331 f.]. Vgl. Bull, Staatsaufgaben, 102.

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

(3) Gültigkeit des Omnikompetenztheorems Bezieht man daher die Omnikompetenz nicht auf die Wahl der Ziele (Gemeinwohlbelange), sondern auf die Wahl der Mittel (Staatsaufgaben), so kann das Theorem fortgelten. In Verfolgung des aktiven Gemeinwohlvorbehalts kann der Staat auf alle Aufgaben und damit auf alle Ausschnitte der Lebenswirklichkeit zugreifen, die der Förderung von Gemeinwohlbelangen dienlich sind. Der passive Gemeinwohlvorbehalt, vor allem die Grundrechtsbindung, beschränkt die Intensität des Zugriffs. Eindrucksvoller normativer Beleg des Omnikompetenztheorems ist die Generalklausel nach Art. 30 GG. Die prominente Erklärung des Bundesverfassungsgerichts gibt hiervon beredtes Zeugnis, befasse sich der Staat in irgendeiner Form mit einer Aufgabe, werde sie zu einer staatlichen Aufgabe im Sinne von Art. 30 GG. 400 d) Ergebnis Der Staat ist umfassend verpflichtet, die verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbelange aktiv zu fördern. Er hat den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft zu beobachten und stets Prognosen über die zukünftige Entwicklung anzustellen. Erkennt er dabei die Gefahr von Störungen oder vermeidbares Zurückbleiben hinter dem gegenwärtig möglichen Zielerreichungsgrad, so muß er handeln. Untätigkeit ist nur gerechtfertigt, sofern sie unmittelbar höherrangigen Gemeinwohlbelangen dient. Diese Pflichten resultieren aus dem normativen Gehalt der verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbelange. Sie definieren anzustrebende Zustände, deren Erreichung staatliches Unterlassen, aber ebenso staatliches Tun erfordern. Die Verfassung bietet keinen Anhaltspunkt für die Annahme einer Beschränkung auf die Unterlassungspflicht. Damit ist auch der aktive Gemeinwohlvorbehalt positivrechtlich substantiiert. 5. Bestätigung des umfassenden Gemeinwohlvorbehalts Aktiver und passiver Gemeinwohlvorbehalt ist verfassungsnormative Verpflichtung. Der Staat unterliegt umfassender materialer Zweckbindung. Jedes Staatshandeln hat einem der verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbelange zu dienen. Die Zustände, deren Anstreben die Verfassung aufgibt, muß der Staat aktiv im Rahmen seiner Möglichkeiten gewährleisten. 400

Vgl. BVerfGE 12, 205 [206 (LS 7 a), 243]; Isensee, HStR III, § 57 Rn. 137.

IV. Folgerung

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„Gemeinwohl ist der nicht hintergehbare Legitimationsgrund des Staates und damit zugleich des von diesem gesetzten Rechts“. 401

Die gesellschaftlichen Strömungen und Kräfte zu einem schonenden Ausgleich aufzunehmen und zu verarbeiten, erweist sich als gesetzgeberische Grundverpflichtung. Vermerkt sei schließlich die Notwendigkeit einer klaren Trennung zwischen den behandelten materialen Pflichten einerseits und andererseits den prozessualen Fragen, welche hier außer acht gelassen wurden. Das Bestehen eines Rechtsschutzes für den Fall der Verletzung gesetzgeberischer Handlungspflicht ist für die vorliegende Fragestellung nicht relevant.

IV. Folgerung Das erste Kapitel bestätigt einen normativen, passiven wie auch aktiven Gemeinwohlvorbehalt. Der Staat ist verpflichtet, Gemeinwohlgefährdungen zu erkennen und selbstveranlaßt zu deren Abwendung in Aktion zu treten. Art. 78 GG präjudiziert jedoch eine Situation, die den Staat am Tätigwerden hindert. Bundesrat und Bundestag mögen in der Feststellung einer Gemeinwohlgefährdung übereinstimmen, besteht aber dauerhafter Dissens über die geeignete Maßnahme zur Beseitigung der Gefahr, bleibt der Staat ebenso dauerhaft untätig. Der normative Gemeinwohlvorbehalt und die bimodale Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens scheinen sich also zu widersprechen. Dies gilt insbesondere, weil die Normativität der Gemeinwohlbelange die objektive Feststellung einer Gemeinwohlbeeinträchtigung erlaubt. Nichthandeln des Staates aufgrund gegensätzlicher Auffassungen von Bundesrat und Bundestag kann also nicht dergestalt interpretiert werden, der Staat habe eben im Verlaufe des verfassungsmäßigen Verfahrens letztlich keine Gemeinwohlbeeinträchtigung festgestellt und das Nichthandeln sei daher unproblematisch. Wenn Existenzgrund des Staates die Gemeinwohlhervorbringung ist, und diese Zweckbindung in der vorangegangenen Analyse verfassungsnormativ bestätigt werden konnte, so läßt sich dieser Widerspruch nicht alleine unter Hinweis auf die Eigenstaatlichkeit der Länder auflösen. Der Besorgnis der Eigenstaatlichkeit haftet zweifelsohne ein gewisses Moment staatsbezogener Selbstzweckhaftigkeit an, welches mit der universalen und ausschließlichen Gemeinwohlverpflichtung des Staates unvereinbar wäre. Unter der Geltung des Axioms der Widerspruchsfreiheit der Verfassung 402 ist in den folgenden Kapiteln zu prüfen, wie eine Vereinbarkeit von Zustimmungserfor401 402

864.

Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 199. Zum Begriff: Brüning, NVwZ 2002, 33; Jarass, AöR 126 (2001), 588; Sodan, JZ 1999,

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1. Kap.: Gemeinwohl und Staatshandeln

dernis und Gemeinwohlvorbehalt darzustellen ist, näherhin: welche verfassungsrechtliche Funktion Umkehrschluß Art. 78 GG unter der Geltung des Gemeinwohlvorbehalts besitzt.

2. Kapitel

Definition staatlicher Aufgaben im Bund Staatliche Untätigkeit aufgrund inkompatibler Auffassungen von Bundestag und Bundesrat als Problem der verfassungsrechtlichen Stellung des Bundesrates zu behandeln setzt voraus, anderen Verfassungsorganen einen allgemeinen Vorrang bei der Definition gesellschaftlicher Probleme und resultierender staatlicher Aufgaben zuzubilligen. Von dieser Prämisse hängt die Sinnhaftigkeit der Frage nach der Gemeinwohlrelevanz des Zustimmungsbedürfnisses ab. Eine Bedeutungsgleichheit der drei 1 am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorgane, oder zumindest der beiden gesetzgebenden Körperschaften, ließe eine Problematisierung ausgerechnet der Befugnisse des Bundesrates ungerechtfertigt erscheinen. Unter den Begriffen „politische Gesamtleitung“ bzw. „Staatsleitung“ wird der Anteil der verschiedenen Verfassungsorgane an der Bestimmung staatlicher Aufgaben diskutiert. Das Bundesverfassungsgericht nimmt zu dieser Frage unmißverständlich Stellung. 2 Nach der Regelung des Grundgesetzes sei der Bundesrat nicht eine Zweite Kammer eines einheitlichen Gesetzgebungsorgans, die gleichwertig mit der „Ersten Kammer“ entscheidend am Gesetzgebungsverfahren beteiligt wäre. Diese Feststellung des Bundesverfassungsgerichts soll selbstverständlich eine eigene Analyse der Verfassungsrechtslage nicht hindern. Das Zweite Kapitel untersucht daher die Anteile der drei beteiligten Verfassungsorgane an der Staatsleitung. Allerdings soll auf diesen in der Literatur gängigen Begriff im weiteren verzichtet werden. Den Vorzug erhält im Hinblick auf Subsumtionsfähigkeit der Begriff der Definitionssuprematie, was die vorrangige verfassungsmäßige Beauftragung eines Organs zur Ermittlung staatlicher Aufgaben – das heißt insbesondere das Erkennen von Gemeinwohlgefährdungen – und der Form ihrer Wahrnehmung meint. Die Begriffe unterscheiden sich jedoch nicht nur in ihrer sprachlichen Genauigkeit, sondern vor allem in ihrem materialen Gehalt. „Staatsleitung“ umfaßt insbesondere auch die Kompetenz der Letztentscheidung über politische Handlungsalternativen. Eine Definitionssuprematie hingegen muß ein Letztentscheidungsrecht nicht zwangsläufig umfassen. Vielmehr kann der hergebrachte 1 2

Die marginale Beteiligung des Bundespräsidenten wird hier nicht weiter berücksichtigt. Vgl. BVerfGE 37, 363 [380]. Vgl. auch Friesenhahn, Rechtsentwicklung, 253.

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

Begriff der „Staatsleitung“ 3 verstanden werden als die Summe von Definitionssuprematie und Letztentscheidungsrecht.

I. Anmerkung zur Methode Der Nachweis einer Definitionssuprematie erfolgt hier ausschließlich auf Grundlage der verfassungsnormativen Organkompetenzen und sonstiger, die fraglichen Verfassungsorgane unmittelbar betreffender Verfassungsnormen. Auch eine alternative Vorgehensweise wäre durchaus naheliegend. Die Verfassungsorgane könnten von vornherein in Beziehung gesetzt werden zu den Verfassungsprinzipien der parlamentarischen Demokratie und der Bundesstaatlichkeit. Ihre Rolle wäre dann unter diesen Kautelen zu analysieren. Dieser Ansatz wird jedoch nicht gewählt. Zum einen vermeidet dies, in den Sog der grundsätzlichen Debatte über Vereinbarkeit von parlamentarischem System und Bundesstaatlichkeit 4 zu geraten, zumal diese Frage unter dem Grundgesetz entschieden ist. „Eine vom Bundesstaatsvolk abgeleitete demokratische Legitimation hat der Bundesrat nicht und braucht sie im System der gemischten Verfassung auch nicht“. 5 Zum anderen erleichtert die gewählte Vorgehensweise jedoch vor allem die Systematisierung der weiteren Analyse. Zunächst hat der Nachweis von Kompetenzen zu erfolgen, welche den Schluß auf eine Definitionssuprematie gestatten. Erst anschließend kann das verfassungsrechtliche Telos der so nachgewiesenen Definitionssuprematie im Spannungsfeld von Bundesstaatlichkeit und parlamentarischer Demokratie geklärt werden. Eine Definitionssuprematie ergäbe sich aus den konkreten, verfassungsnormativen Kompetenzen und Pflichten der Verfassungsorgane. Die Verfassungsunmittelbarkeit dieser Bestimmungen macht es zunächst entbehrlich, sogleich die Rolle des fraglichen Verfassungsorgans innerhalb der Verfassungsprinzipien zu berücksichtigen. Wenn etwa der Bundesrat das Recht zur Gesetzesinitiative nach Art. 76 Abs. 1 GG besitzt, so wirkt die Qualität des Bundesrates als föderatives Verfassungsorgan zunächst nicht auf die Qualität dieser Kompetenz ein. Diese Organkompetenz besteht vielmehr ganz schlicht, weil sie im genannten Verfassungsartikel so normiert ist. Die verfassungssystematische Bedeutung dieser Kompetenz im Rahmen des föderativen und des parlamentarischen Prinzips der Verfassung ist dann eine zweite Frage. Zur Unschärfe des Begriffs Magiera, Parlament, 65 f. Vgl. bspw. Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 50 („Der Bundesrat [..] paßt [.] überhaupt nicht in die Struktur einer parlamentarisch-demokratischen Verfassung“); Friesenhahn, Rechtsentwicklung, 253 („In die demokratisch-parlamentarische Bundesverfassung [..] paßt [.] [der Bundesrat] sich systematisch schlecht ein [..]“). 5 Vgl. Sachs, VVDStRL 58 (1999), 44; Klein, Legitimation, 102 ff.; Möllers, Bundesstaat, 104. 3 4

II. Verfassungsrechtliche Stellung der Bundesregierung

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Die Verfassungsorgane werden also ausschließlich anhand verfassungsnormativer Einzelbestimmungen beurteilt, zunächst herauslöst aus ihrem parlamentarischen bzw. föderalen Kontext. Inwieweit das Resultat der Analyse Züge des parlamentarischen Regierungssystems bzw. der Bundesstaatlichkeit widerspiegelt, bedeutet eine anschließend zu beantwortende Frage. Die Analyse muß in ihren Grundannahmen allerdings nicht künstlich hinter dem erkennbaren Willen der Verfassung zurückbleiben. Das Grundgesetz sieht ein Verfassungsorgan vor, welches einen Hinweis auf seine Leitungsrolle schon im Namen trägt. Die Existenz eines Organs „Bundesregierung“ gestattet die zwanglose Annahme, diese solle einen wesentlichen Teil der Staatsleitung leisten. 6 Dieses Verfassungsorgan bildet daher den Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen. Im folgenden wird also insbesondere zu einer der frühesten Fragen der bundesdeutschen Verfassungsrechtslehre Stellung zu beziehen sein, nämlich der tatsächlichen Stärke dieses Anteils der Bundesregierung an der „Staatsleitung“. Des weiteren ist zu klären, welche Folgerungen sich hieraus für die – enger gefaßte – Definitionssuprematie ergeben. Zerfließt auch sie, wie die Staatsleitung, im Raume mehrerer Verfassungsorgane zugunsten einer „gesamten Hand“ 7, oder verbleibt sie in der Hand eines Verfassungsorgans, namentlich der Bundesregierung?

II. Verfassungsrechtliche Stellung der Bundesregierung Äußerungen zur Regelungsabstinenz des Grundgesetzes sind Legion, was den Aufgabenbereich der Bundesregierung betrifft. 8 Eine allgemeine Definition des Begriffes Regierung, bzw. was das Regieren umfaßt, stößt auf eben solche Schwierigkeiten. 9 Die Frage, „woher Politik kommt“, 10 wird dann auch als eine empirische behandelt. Dennoch soll an dieser Stelle die Frage aufgeworfen werden, inwieweit ein Nexus zwischen empirischem Befund und normativer Ausgangslage besteht. Es ist zwar wahr, „Regieren“ entbehre im Grundgesetz einer materiellen Definition, und eine solche kann wohl auch nicht gefunden werden. Auch wahr ist, daß, sofern das materielle Verfassungsrecht eine Funktion „Regieren“ kennt, mehrere, wenn nicht alle Verfassungsorgane hieran Anteil haben. 11 Ebenfalls wahr ist aber, 6 Vgl. auch Stern, Staatsrecht II, § 31 I 2; Schröder, HStR II, § 50 Rn. 4; BVerfGE 105, 252 [270 f.]. 7 Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 38 f. Vgl. auch Herzog, Beziehungen, 168; Mößle, Regierungsfunktionen, 108 ff. 8 Vgl. Götz, Vorbehaltsbereich, 40; Schröder, HStR II, § 50 Rn. 1, 6, 8; Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 97 ff. 9 Vgl. Mößle, Regierungsfunktionen, 105 ff.; Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 22. 10 Formulierung nach dem Titel eines Aufsatzes von Becker, Bundesregierung, 67. 11 Vgl. Götz, Vorbehaltsbereich, 44; Schröder, HStR II, § 50 Rn. 10 m. w. N.

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

daß in der engen verfassungsstaatlichen Kompetenzordnung die Bundesregierung nur solche Tätigkeiten verfolgen darf, welche ihr das Grundgesetz kompetentiell zuweist. Daraus folgt die Zulässigkeit eines Rückschlusses von diesen ausdrücklichen Kompetenzen auf den Anteil der Bundesregierung an der materiellen Regierungsaufgabe, die das Grundgesetz in „beredtem Schweigen“12 vorsieht. 1. Gewinnung der relevanten Verfassungsnormen Durch Subsumtion unter den Begriff der Definitionssuprematie über staatliche Aufgaben und der Form ihrer Wahrnehmung sind nun diejenigen Verfassungsnormen zu identifizieren, die eine Positionsbestimmung der Bundesregierung im Orchester der Verfassungsorgane erlauben. Für einige wichtige Kategorien von Verfassungsnormen wird nachfolgend knapp begründet, warum sie zur Frage einer Definitionssuprematie keinen Beitrag leisten. Im Anschluß wird dann detailliert auf die relevanten Verfassungsnormen eingegangen. a) Kategorien nicht relevanter Verfassungsnormen Verfassungsnormen rein administrativer Natur residieren offensichtlich jenseits eines Beitrags zur Definitionssuprematie. Hierzu zählen insbesondere Aufgaben im Zusammenhang mit dem Vollzug bestehender Gesetze, etwa in Form von Berichtspflichten. Ebenfalls in diese Kategorie fallen solche Normen, welche Kompetenzen der Bundesregierung bezüglich der Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder betreffen. Zwar erlauben diese Verfassungsnormen maßgebliche Rückschlüsse auf die Qualität der bundesstaatlichen Ordnung, sie regeln jedoch das Verfahren für bereits bestehende Gesetze. Damit können sie dem hier gewählten Begriff der Definitionssuprematie nicht unterfallen. Einen Grenzfall bilden sicherlich solche Verfassungsnormen, welche Kompetenzen der Bundesregierung im Falle eines Notstandes vorsehen, wie etwa Weisungsbefugnisse gegenüber den Ländern. Zwar handelt es sich hier in der Regel nicht um eine neu zu bestimmende Aufgabe, sondern um einen geradezu klassischen Bereich des Vollzuges (Einsatz von Polizei und Streitkräften), jedoch kann die Feststellung eines derartigen Notstandes eine politische Entscheidung existentieller Tragweite sein. Welchem Verfassungsorgan diese Feststellung obliegt, könnte durchaus Schlußfolgerungen bezüglich der Frage einer Definitionssuprematie gestatten. Beispielhaft sei die ausschließliche Antragsbefugnis der Bundesregierung zur Feststellung des Verteidigungsfalles genannt (Art. 115 a Abs. 1 Satz 2 GG). Letztendlich soll diesem Gedanken hier aber nicht gefolgt werden. Das vorangegangene Kapitel er12

Stern, Staatsrecht II, § 39 I 3 b.

II. Verfassungsrechtliche Stellung der Bundesregierung

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wies als fundamentale staatliche Aufgabe, gesellschaftliche Probleme zu erkennen, Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten und, bei knappen Ressourcen, Prioritäten zu setzen. Aufgrund der gesellschaftlichen Komplexität erfordert diese Aufgabe erhebliche geistige Anstrengung und Kreativität. Wen die Verfassung mit dieser Aufgabe daher zuvorderst betraut, gestattet maßgebliche Rückschlüsse auf das Bedeutungsverhältnis der Verfassungsorgane. Bei einem Notstand liegt der Fall jedoch anders. Das Erkennen eines solchen wird regelmäßig kein Ergebnis geistiger Anstrengung und gezielter Beobachtung der gesellschaftlichen Entwicklung sein, sondern auf der Hand liegen. Auch die erforderlichen Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr werden im wesentlichen von der Art des Notstandes diktiert. Die besondere Leistung, welche von einem mit der Definitionssuprematie ausgestatteten Verfassungsorgan abverlangt wird, lebt also gerade im Zusammenhang mit den verfassungsnormierten Notstandslagen nicht auf. Weiterhin scheiden aus der Betrachtung aus die Normierung von Inkompatibilitäten sowie Organisationsnormen, wobei allerdings die Richtlinienkompetenz sowie das Ressortprinzip selbstverständlich der Beurteilung bedürfen. Mit dieser kursorischen Betrachtung der für die Definitionssuprematie nicht relevanten Verfassungsnormen soll es bewenden.

b) Überblick über die relevanten Verfassungsnormen An dieser Stelle wird zunächst ein knappes Vorverständnis formuliert, warum die nachfolgend zu untersuchenden Verfassungsnormen einen Beitrag zur Klärung der Definitionssuprematie in Aussicht stellen. Eine detaillierte Untersuchung erfolgt in den späteren Abschnitten.

(1) Gewaltenteilung Das gewaltenteilige Prinzip des Grundgesetzes, niedergelegt in Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG, macht die Bundesregierung überhaupt erst zu einem eigenen Staatsorgan, das den anderen Verfassungsorganen „gegenübersteht“. 13 Dies verdeutlicht treffend das als kritischer Kontrast formulierte Zerrbild der Bundesregierung als „Ausschuß des Bundestages“. 14 Eine relative Selbständigkeit wäre Vorbedingung einer Partizipation der Bundesregierung an einer Definitionssuprematie. 13 BVerfGE 45, 1 [46] in Bezug auf den Bundestag. Vgl. insbesondere BVerfGE 68, 1 [66 ff.]; Badura, Verfassungsrechtliche und politische Grundlagen, 29 ff.; Busse, VerwArch 87 (1996), 445 (451 ff.). 14 Vgl. Badura, Verfassungsrechtliche und politische Grundlagen, 31.

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(2) Normen zur parlamentarischen Verantwortlichkeit Gleichermaßen Auskunft über den Grad der Eigenständigkeit der Bundesregierung liefern selbstverständlich solche Verfassungsnormen, welche das gewaltenteilige Verhältnis der in Frage stehenden Verfassungsorgane spezifizieren. Hierzu gehören etwa die Wahl des Bundeskanzlers durch den Bundestag, Art. 63 GG, und die in Art. 65 GG definierte Verantwortung des Bundeskanzlers und der Bundesminister. Konstitutive Bedeutung für das Verhältnis von Bundesregierung und Bundestag besitzen insbesondere auch die Art. 67 und 68 GG, welche dem Verantwortungsund Vertrauenszusammenhang der beiden Verfassungsorgane normativen Ausdruck verleihen. (3) Richtlinienkompetenz, Ressortprinzip Die Reichweite der Richtlinienkompetenz nach Art. 65 GG ist seit jeher umstritten. Allerdings erfordert eine „Suprematie“ begrifflich ja gerade nicht einen absoluten Vorbehaltsbereich. Selbstverständlich kann der Bundeskanzler dem Parlament nicht eine bestimmte Politik aufzwingen. Dennoch lohnt die Untersuchung, weshalb die Richtlinienkompetenz „dem Regierungschef die zur Erfüllung der komplexen Staatsaufgaben erforderliche umfassende politische Leitungs-, Koordinations- und Gesamtplanungskompetenz“ 15 verleiht, wenn diese Kompetenz nur im Binnenbereich der Regierung bestehen soll und demzufolge die immanente Außenwirksamkeitstendenz einer derartigen Kompetenz kompromittiert würde. Die Normierung des Ressortprinzips in Art. 65 Satz 2 GG begründet die Annahme der Verfassung, die Bundesregierung werde entsprechende Geschäftsbereiche auch errichten 16 und damit einen handlungsmächtigen Apparat schaffen. Dieser Tatbestand ist Anknüpfungspunkt des Bundesverfassungsgerichts, wenn es die Interpretationsregel der Funktions- bzw. Systemgerechtigkeit auf die Kompetenzverteilung zwischen Regierung und Parlament anwendet. Allein die Regierung verfüge institutionell und auf Dauer in hinreichendem Maße über die personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten, auf wechselnde (hier: äußere) Lagen zügig und sachgerecht zu reagieren. 17 (4) Gesetzgebungsnotstand Die kompetentielle Depossedierung des Bundestages zugunsten der Bundesregierung im Gesetzgebungsnotstand nach Art. 81 GG bedeutet sicherlich eine der beVgl. Stern, Staatsrecht II, § 31 IV 2 a. Also über die verfassungsvorgegebenen hinaus. 17 Vgl. BVerfGE 68, 1 [87]. Ausdrücklicher Verweis auf die Funktionsgerechtigkeit in: BVerfGE 104, 151 [206]. 15 16

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merkenswertesten Verfassungsnormen, deren Relevanz für das Bedeutungsverhältnis der Verfassungsorgane zum Greifen anmutet. Die empirisch geringe Bedeutung ändert hieran nichts. Im Gegenteil, gerade der extreme Ausnahmecharakter der Tatbestandsvoraussetzung zwingt die Verfassung geradezu, hier ihre Präferenz klar zu offenbaren. (5) Kompetenzen im Gesetzgebungsverfahren Die in Frage stehende Definitionssuprematie umfaßt nicht nur das Erkennen, sondern insbesondere auch die Wahrnehmungsweise staatlicher Aufgaben. Das Gesetzgebungsverfahren nach Art. 76 ff. GG ist gerade der Ort, wo gesellschaftliche Probleme ihrer staatlichen Lösung endgültig zugeführt werden. Ein entsprechendes Vorschlagsrecht der Bundesregierung ist also vorliegend evident relevant. (6) Haushaltsrechtliche Kompetenzen Auch im Bereich des Haushaltsrechts räumt die Verfassung der Bundesregierung einige beachtliche Kompetenzen ein. Die Bundesregierung besitzt nach Art. 110 Abs. 3 GG das ausschließliche Initiativrecht zur Vorlage des Haushaltsgesetzes. Art. 111 GG ermächtigt die Bundesregierung zu nötigen Ausgaben im etatfreien Zeitraum, nach Art. 112 GG darf sie überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben bei unvorhergesehenem und unabweisbarem Bedürfnis leisten. Art. 113 GG schließlich macht sogar bestimmte haushaltswirksame Gesetze von der Zustimmung der Bundesregierung abhängig. Bedenkt man die überragende Bedeutung des Haushaltsgesetzes als ein „staatsleitender Hoheitsakt in Gesetzesform [.], eine wirtschaftliche Grundsatzentscheidung für zentrale Bereiche der Politik“ (BVerfG), 18 so erscheinen diese Kompetenzen der Bundesregierung für die Frage der Definitionssuprematie ebenfalls evident relevant. (7) Außenpolitischer Gestaltungsbereich Art. 59 Abs. 2 GG errichtet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen außenpolitischen Vorbehalts- bzw. Gestaltungsbereich der Exekutive auf Grundlage des gewaltenteiligen Prinzips. 19 Die Existenz eines derartigen Gestaltungsbereiches wäre begrifflich identisch mit einer partiellen Definitionssuprematie. Selbst im Falle der Zustimmungspflichtigkeit völkerrechtlicher Vereinbarungen sehen sich die gesetzgebenden Körperschaften in eine alternativlose „Ratifika18 19

BVerfGE 45, 1 [32]. Zuletzt in: BVerfGE 104, 151 [206]. Vgl. BVerfGE 90, 286 [357]; BVerfGE 68, 1 [85 ff.].

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tionslage“ 20 gedrängt, der Gestaltungsbereich der Bundesregierung scheint sich also auch hierauf zu erstrecken. (8) Normen zur Europäischen Union Der neue Art. 23 GG bietet recht klare Aussagen zur Kompetenzabgrenzung der hier betrachteten drei Verfassungsorgane in Fragen der Europäischen Union. Die Bundesregierung genießt hier eine prononcierte Stellung. Die beachtlichen, gesetzlichen und gesetzesgleichen innerstaatlichen Rückwirkungen der Maßnahmen der Europäischen Union legen eine Relevanz dieser Kompetenzen der Bundesregierung für die Definitionssuprematie nahe. 2. Einzelanalyse der relevanten Verfassungsnormen Der Anteil der Bundesregierung an einer Definitionssuprematie soll nun anhand der gerade angeführten Verfassungsnormen bestimmt werden. a) Zur Richtlinienkompetenz (Art. 65 GG) Zu Beginn dieses Abschnitts seien zunächst die folgenden Konventionen getroffen. Die Kompetenzverteilung innerhalb der Bundesregierung, insbesondere das Bedeutungsverhältnis der drei angewandten Organisationsprinzipien, spielt für die vorliegende Fragestellung keine Rolle. Sie wird deshalb hier nicht thematisiert. Kompetenzen des Bundeskanzlers werden in der Regel dem Bereich der Bundesregierung zugehörig behandelt. Ebenfalls an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben wird die konstitutive Bedeutung des Art. 65 GG für die parlamentarische Verantwortung der Bundesregierung. Diese wird erst an späterer Stelle dieses Kapitels gewürdigt. (1) Grundannahmen heutiger Interpretationsansätze Die schon erwähnte Behauptung einer Regelungsabstinenz des Grundgesetzes bezüglich der Aufgaben der Bundesregierung mag den unbefangenen Interpreten überraschen, hält die Verfassung doch geradezu apodiktisch eine klar erscheinende Aufgabenzuweisung bereit: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik [..]“ (Art. 65 GG). Gerade die Reichweite dieser Aufgabenzuweisung bedeutet jedoch eine der frühesten Schwierigkeiten der bundesdeutschen Verfassungsrechtswissenschaft. Zum einen ist strittig, ob diese Kompetenz auf den Regierungsbinnenbereich beschränkt 20 Begriff nach Stern, Aussprache zu VVDStRL 33 (1975), 128. Vgl. Mößle, Regierungsfunktionen, 124.

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bleibt. 21 Zum anderen ist seit jeher der materiale Gehalt eines Verfassungsrechtsbegriffs „Politik“ unklar. 22 In seinem ersten Band meinte das Bundesverfassungsgericht noch, die Rechtsvermutung spreche für die Ausschließlichkeit der Richtlinienkompetenzzuweisung an den Bundeskanzler. Der Bundestag könne diese Funktion der Regierung nicht übernehmen, soweit ihm nicht ausdrücklich Regierungsaufgaben zugewiesen seien. 23 Artikel 65 GG handele von der Stellung des Bundeskanzlers und der Bundesminister innerhalb der Bundesregierung und gegenüber anderen Verfassungsorganen des Bundes. 24 Diese Verfassungsinterpretation impliziert also, die Richtlinienkompetenz stehe ausschließlich dem Bundeskanzler zu, und deren Ausübung besäße (Rechts-)wirkungen gegenüber anderen Verfassungsorganen. In derartiger Schärfe weist diese Interpretation heute keine Gültigkeit mehr auf. 25 Betont wird vielmehr der Charakter der Richtlinienkompetenz als einer Intraorgankompetenz. 26 Scheiden somit Rechtswirkungen auf andere Verfassungsorgane aus, so wird statt dessen betont, die Gesetzesbindung der Exekutive nach Art. 20 Abs. 3 GG erlaube der Legislative, durch eigene Entscheidung an einer Richtlinienkompetenz zu partizipieren und somit die Bundesregierung in der Ausübung dieser Kompetenz zu begrenzen. 27 (Freilich ließe sich die frühe Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit dieser zeitgenössischen Auffassung versöhnen, sofern man die Gesetzgebungskompetenz des Bundestages als „ausdrückliche Zuweisung von Regierungsaufgaben“ ansieht. Dies kann hier offenbleiben). Etwaige Interorganwirkungen der Richtlinienkompetenz wären nichts anderes als ein normatives Substrat einer Definitionssuprematie. Sie zu klären, mag daher dem Schluß dieses Kapitels vorenthalten bleiben. Wegen der begrenzten Fragestellung reicht an dieser Stelle der Rückzug auf eine konsensuale Interpretation der Richtlinienkompetenz völlig aus. Die Richtlinienkompetenz dient jedenfalls dazu, die Einheitlichkeit des Regierungshandelns zu gewährleisten und die regierungsintern gefundene Auffassung nach außen hin geschlossen zu vertreten. 28 Inwieweit diese 21 Vgl. Knöpfle, DVBl 1965, 857 (857); Meyer, VVDStRL 33 (1975), 102; Linck, DÖV 1979, 165 (166). 22 Vgl. Knöpfle, DVBl 1965, 857 (858); Kröger, Das Parlament B 34/1969, 28 (31); Junker, Richtlinienkompetenz, 45 ff.; Stern, Staatsrecht II, IV 2 a. 23 Vgl. BVerfGE 1, 372 [394 f.]. 24 Vgl. BVerfGE 1, 299 [310 f.]. 25 Vgl. Schröder, HStR II, § 50 Rn. 9. 26 Vgl. Meyer, VVDStRL 33 (1975), 102; Schröder, HStR II, § 50 Rn. 18; Linck, DÖV 1979, 165 (166); Kröger, Das Parlament B 34/1969, 28 (33 f.); Maurer, Richtlinienkompetenz, 130 f. 27 Vgl. Karehnke, DVBl 1974, 101 (102); Herzog, Maunz-Dürig, Art. 65 Rn. 32, 35; Art. 20 Abschnitt V Rn. 102 f.; Schröder, HStR II, § 50 Rn. 12; Kröger, Das Parlament B 34/1969, 28 (33 f.); Linck, DÖV 1979, 165 (166). 28 So auch die GO-BReg an zahlreichen Stellen; vgl. Kröger, Das Parlament B 34/1969, 28 (31 f., 38); Knöpfle, DVBl 1965, 857 (860); Stern, Staatsrecht II, § 31 IV2 a d, IV 5 c b (bezogen auf die Rechtsförmigkeit der Verantwortung des Bundeskanzlers für seine Richtlinien).

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„Vertretung nach außen“ rechtswirksamen Charakter aufweist, kann vorläufig dahingestellt bleiben. (2) Materialer Gehalt des „Politik“-Begriffs Die Richtlinienkompetenz hat also auf jeden Fall Rechtswirkungen 29 zumindest innerhalb der Bundesregierung. Ist dies richtig, so muß auch der Gegenstand der Richtlinien, nämlich die „Politik“, normativ auf den Regierungsbinnenbereich bezogen sein. Aufgabe des Bundeskanzlers ist lediglich die Bestimmung der Richtlinien der Politik. Die Bundesregierung als Ganzes hat also „Politik“ zur Verfassungsaufgabe. Somit entfaltet sich die zweite, eingangs aufgeworfene Grundfrage nach dem materialen Gehalt eines Verfassungsrechtsbegriffs „Politik“. Als bemerkenswert sei an dieser Stelle hervorgehoben, daß im Rahmen der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Bedeutung der „Richtlinien der Politik“ der Begriff der Richtlinie die weitaus größere Aufmerksamkeit erfährt, „Politik“ als Gegenstand der Richtlinien dabei aber kaum thematisiert, allenfalls auf die Definitionsschwierigkeit hingewiesen wird. 30 Obwohl der Begriff der Politik semantisch auf das „Politische“, und damit scheinbar auf etwas nicht-rechtliches zu verweisen scheint, 31 ist zu betonen, daß hier eine Rechtsfrage zur Klärung ansteht. 32 Erneut ist zunächst an die begrenzte Fragestellung dieses Kapitels zu erinnern. Eine grundsätzliche, vollständige Klärung des verfassungsrechtlichen Gehalts des Politikbegriffs in Artikel 65 GG ist auch hier nicht erforderlich. „Politik“ fungiert also zunächst offenbar als Begriff für eine Aufgabe der Bundesregierung. Ist aber die eingangs getroffene Feststellung richtig, in der engen Kompetenzordnung des Grundgesetzes könne ein Verfassungsorgan nur solche Kompetenzen wahrnehmen, die ihm das Grundgesetz ausdrücklich zuweist, so müssen sich unter den Politikbegriff des Art. 65 GG speziellere Kompetenzzuweisungen an die Bundesregierung subsumieren lassen. 33 Vgl. Scheuner, DÖV 1974, 433 (434); Herzog, Maunz-Dürig, Art. 65 Rn. 17 f. Vgl. bspw. Knöpfle, DVBl 1965, 857; Kröger, Das Parlament B 34/1969, 28; Maurer, Richtlinienkompetenz, 128. Anders jedoch Scheuner, Der Bereich der Regierung, 272, der eine recht präzise Definition anbietet. 31 Vgl. Knöpfle, DVBl 1965, 857 (860 f.); Stern, Staatsrecht II, § 39 I 3 a; Linck, Zulässigkeit und Grenzen, 49. 32 Zustimmend Maurer, Richtlinienkompetenz, 127; Knöpfle, DVBl 1965, 925 (926). Vgl. auch Scheuner, Der Bereich der Regierung, 264. A. A. Buchheim, Richtlinienkompetenz, 339; wohl auch Kröger, Das Parlament B34/1969, 28 (31), allerdings unter unzutreffender Berufung auf Junker, Richtlinienkompetenz, 59. Junker bezeichnet nämlich an gleicher Stelle die Richtlinienkompetenz als normative Ermächtigung der Verfassung, welche Führungsansprüche legalisiert (seinerseits unter Bezugnahme auf Eschenburg, Staat, 747). 33 In dieser Richtung Meyer, VVDStRL 33 (1975), 102, 114; Maurer, Richtlinienkompetenz, 128; BVerfGE 67, 100 [129] („Die Beziehungen zwischen Bundestag und Bundesregierung [..]sind durch ihre verfassungsrechtlichen Kompetenzen bestimmt“). 29 30

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Anders ausgedrückt: Wie auch immer eine allgemeingültige normative Interpretation des Begriffes „Politik“ lauten mag, wann immer die Bundesregierung ihre Aufgabe „Politik“ wahrnehmen will, so muß sie sich hierzu, soll es sich nicht um einen nur rein kognitiven Vorgang handeln, einer der Handlungsformen bemächtigen, die ihr das Grundgesetz zur Verfügung stellt. Die gewaltenteilige Kompetenzzuordnung des Grundgesetzes setzt den Befugnissen der Verfassungsorgane nämlich nur dann Grenzen, wenn diese Kompetenzen die Befugnisse abschließend regeln. Jedwede Kompetenzordnung verlöre ihren Sinn, stünde es den Staatsorganen frei, zusätzliche Handlungsformen jenseits ausdrücklicher Kompetenzen zu entwickeln. 34 Vielmehr will das Grundgesetz „die konkrete Ordnung der Verteilung und des Ausgleichs staatlicher Macht“ 35 gewahrt wissen. Hierin liegt auch kein Widerspruch zu der regelmäßig konstatierten rechtlichen Unschärfe des Politikbegriffs in Artikel 65 GG. Vielmehr trägt hier erneut die Dichotomie von Zweck und Mittel. Die „Normierungsschwierigkeiten“ 36 betreffen die materielle Regierungsaufgabe, welche sich im Begriff der Politik widerspiegelt. Die Wahrnehmung dieser Aufgabe ist das Telos, dem zu dienen das Grundgesetz die zuständigen Verfassungsorgane geschaffen hat. Bezüglich der Mittel, vermöge derer diese Verfassungsorgane die Aufgabe wahrnehmen, besteht aufgrund der klaren Kompetenzzuweisungen der Verfassung keinerlei Unklarheit. (3) Spezifizierung durch Kompetenzen Fraglich bleibt somit, welche speziellen Kompetenzen der Bundesregierung deren Aufgabe „Politik“ dienen können. (a) Exegese des Art. 65 GG Die Kompetenz des Bundeskanzlers zur Bestimmung der Richtlinien der Politik bedeutet gleichzeitig die Befugnis des Verfassungsorgans Bundesregierung, Ziele festzulegen. Normativ folgt dies aus Art. 65 Satz 2 GG, wonach die Bundesminister ihren Geschäftsbereich „innerhalb“ der Richtlinien leiten. Das heißt, die Richtlinien schränken die Zahl grundsätzlich möglicher Handlungsalternativen der Minister für zukünftige Entscheidungssituationen ein. Etwas derartiges leistet nur eine Zielbestimmung. 37 Des weiteren folgt hieraus jedoch auch eine Zielfestlegungskompetenz 34 Vgl. BVerfGE 105, 252 [270]; 49, 89 [124 f.] (Kalkar); Stettner, Kompetenzlehre, 306 („Einzigkeit der Kompetenz“); Mößle, Regierungsfunktionen, 107, 140 f.; Magiera, Parlament, 213. 35 BVerfGE 68, 1 [87] (NATO-Doppelbeschluß). 36 Schröder, HStR II, § 50 Rn. 8. 37 Auf die Meinungsverschiedenheit darüber, ob auch eine Einzelfallentscheidung des Bundeskanzlers (die keine Zielfestlegung wäre) eine Richtlinie darstellen kann, kommt es an dieser Stelle nicht an. Unstreitig ist nämlich, daß der Begriff der Richtlinie i. S. des Art. 65 GG auf jeden Fall insbesondere allgemeingültige Vorgaben meint.

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

der Bundesminister. Die Funktion der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, Handlungsalternativen der Minister einzuschränken, macht nämlich nur dann Sinn, sofern die Minister unter Abwesenheit einer Richtlinie überhaupt Handlungsalternativen besitzen. Eine selbständige Leitung des Geschäftsbereiches kann in diesem Fall wiederum nur dann vorliegen, wenn der Minister selbständig eine Handlungsalternative auswählt. Die rationale Auswahl einer Alternative setzt jedoch abermals eine vorausgehende Zielfestlegung voraus. Erst dieser Zusammenhang gestattet eine am Verfassungstext orientierte Annahme, die Bundesminister seien mehr als ausführende bzw. überwachende Organe. Keinesfalls ginge die Zielsetzungskompetenz unmittelbar aus dem Begriff der Ressortleitung selbst hervor. Leitung kann sprachlich nämlich auch die bloße Beaufsichtigung der korrekten Ausführung bestehender Aufgaben bedeuten. Auf die Frage einer Verbindlichkeit der Zielfestlegungen für andere Verfassungsorgane kommt es im übrigen an dieser Stelle nicht an. Festzuhalten ist vielmehr zunächst die Kompetenz der Bundesregierung, sich selbst Ziele in bezug auf „Politik“ zu geben. Diese so bezeichnete Kompetenz wurde unmittelbar durch Exegese des Art. 65 Satz 1 und 2 GG gewonnen. Es kann sich hier also noch nicht um eine der gesuchten spezielleren Kompetenzen handeln, welche vorstehend als Mittel zur Erfüllung der „Politik“-Aufgabe gemäß Art. 65 Satz 1 GG bezeichnet wurden. Vielmehr wird die Zielfestlegung als eine dem Art. 65 GG immanente Kompetenz später der Bestimmung dieser spezielleren Kompetenzen dienen. Die bisherigen Befunde gestatten bereits eine erste Eingrenzung des „Politik“-Begriffes. Die Möglichkeit der Zielfestlegung in bezug auf „Politik“ bedingt eine gewisse materiale Qualität dessen, was „Politik“ in Art. 65 GG meint. Das festzulegende Ziel muß nämlich durch geeignete Parameter beschreibbar sein. Das Ziel definiert sich also über die Angabe anzustrebender Werte dieser Parameter. Eine derartige Summe von Parametern bezeichnet gemeinhin einen bestimmten Zustand. Die Aufgabe „Politik“ bedeutet also näher, Zielfestlegungen im Hinblick auf bestimmte Zustände zu treffen. Um welche Zustände es sich handeln kann, läßt sich allerdings aus der Zielfestlegungskompetenz alleine nicht gewinnen. (b) Exegese des Begriffes „Bundesregierung“ Einen Hinweis könnte der Begriff „Bundesregierung“ selbst liefern. Der lateinische Wortursprung regere (lenken, steuern) deutet auf eine staatsbezogene („Bundes-“) Lenkungsaufgabe, die sich unmittelbar grammatisch aus der Organbezeichnung gewinnen läßt. 38 Allerdings erscheint der Wortursprung „Lenkung“ gegenüber dem meist gewählten Begriff der Leitung zunächst als der weitergehende. Schließlich bedeutet Lenkung „eine Richtung geben“, während hingegen Leitung, wie bereits oben angeführt, auch eine bloße Aufsichtsfunktion meinen kann. Ob dies allerdings einen Erkenntnisgewinn bietet, bleibt zweifelhaft. Der Lenkungsbegriff umfaßt nämlich nicht zwangsläufig eine immanente Zielsetzungskompetenz. Einerseits 38

Vgl. Götz, Vorbehaltsbereich, 29; Schröder, HStR II, § 50 Rn. 4.

II. Verfassungsrechtliche Stellung der Bundesregierung

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eine Richtung, das heißt ein Ziel zu definieren und andererseits die Einhaltung der Richtung zu gewährleisten, bedeuten zwei unterschiedliche Leistungen. „Lenkung“ kann beide, oder aber auch nur eine dieser Leistungen umfassen. Hier stößt die grammatische Auslegung des Begriffes „Bundesregierung“ mit Sicherheit an Grenzen der Ergiebigkeit. Als Minimalkonsens soll deshalb gelten, daß aus dem Begriff der Regierung mindestens die Aufgabe folgt, im Sinne einer Leitung die Einhaltung einer bestimmten Richtung zu gewährleisten. Ob der Begriff unmittelbar auch auf die Richtungsvorgabe abzielt, bleibt sprachlich unklar und ist daher vorsorglich zu verneinen. Die Organbezeichnung alleine erlaubt also mit Gewißheit nur die Annahme einer Leitungsaufgabe im oben definierten Sinne, also eine aufsichtsartige Gewährleistung der Einhaltung einer bestimmten Richtung. Die Richtung ergibt sich dabei aus der Existenz eines staatsbezogenen Ziels. (c) Schluß auf den normativen Gehalt der Richtlinienkompetenz Damit wurden bis jetzt folgende Ergebnisse gewonnen. Die Bundesregierung kann sich Ziele setzen, die auf „Politik“ bezogen sind, wobei „Politik“ von bestimmten Zuständen handelt. Sie besitzt weiterhin eine Leitungsaufgabe, die von der Einhaltung bestimmter staatsbezogener Ziele handelt. Sowohl aus Art. 65 GG, als auch aus der Organbezeichnung „Bundesregierung“ folgt also, daß die Bundesregierung eine Aufgabe im Hinblick auf staatsbezogene Zielzustände hat. Während Art. 65 GG darüber hinaus die Kompetenz zur Definition dieser Zielzustände enthält, läßt die Organbezeichnung mit Gewißheit nur die Annahme einer Kompetenz zum Anstreben solcher Zielzustände zu. Die materiale Qualität dieser Zielzustände bedarf allerdings immer noch der Präzisierung. Welchen Aspekt, welche Reichweite von Staatlichkeit „Bundes-Regierung“ eigentlich meint, läßt dieser Begriff selbst nämlich völlig offen. Die Verfassung entbehrt einer allgemeinen, normativen Aufgabenbeschreibung der Bundesregierung, gerade dieser Tatbestand macht ja die Untersuchungen dieses Kapitels notwendig. Diese Abstinenz steht im übrigen in einem bemerkenswerten Gegensatz zu den recht klaren Aufgabenzuweisungen bei anderen Verfassungsorganen. „Die Bundesgesetze werden vom Bundestage beschlossen“ (Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG). „Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes [..] mit“ (Art. 50 GG). Nun wird gemeinhin angenommen, die Bundesregierung sei (oberstes) Organ der vollziehenden Gewalt des Bundes. Diese Annahme ließe sich mangels expliziter Aufgabenzuweisung jedoch nur auf Grundlage eines Rückschlusses von den Einzelkompetenzen der Bundesregierung rechtfertigen. Zwar enthält das Grundgesetz durchaus Kompetenzen der Bundesregierung, welche deren Eigenschaft als oberstes Organ der vollziehenden Gewalt nahelegen. Allerdings wäre eigentlich zunächst die unerschöpfliche Aufgabe zu bewältigen, „vollziehende Gewalt“ zu definieren. Um eine Formulierung Herzogs aufzugreifen, 39 diese Unmög39

Vgl. Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V Rn. 98.

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

lichkeit kann auch vorliegend nicht behoben werden. Die gerade erwähnten, recht klaren Aufgabenzuweisungen für die anderen Verfassungsorgane machen die „Subtraktionsmethode“ auf Grundlage des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG 40 jedoch zu mehr als einer Verlegenheitslösung. Zwingt diese Verfassungsnorm, jedes Organ einer der drei normierten Gewalten eindeutig zuzuordnen, so erscheint für die Bundesregierung nur die vollziehende Gewalt vorstellbar. 41 Die Eigenschaft der Bundesregierung als oberstes Organ der vollziehenden Gewalt nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG erlaubt nun eine Spezifizierung der fraglichen Zielzustände. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG untergliedert als Fundamentalnorm der Gewaltenteilung alle Staatsgewalt in die Funktionsbereiche der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und der vollziehenden Gewalt. Die Gewaltenteilung teilt also nicht den Staat selbst in disjunkte Handlungssphären auf, innerhalb derer die Staatsgewalt jeweils auf unterschiedliche Weise tätig würde. Vielmehr benennt sie verschiedene Funktionen bzw. Tätigkeiten, die jeweils am Staat als Ganzes zu verrichten sind. Damit ist auch die Funktion der Exekutive auf den Staat als Ganzes gerichtet. Bezeichnet der Begriff „Bundesregierung“ das oberste Organ dieser vollziehenden Gewalt, so akkumuliert diese also die Zuständigkeit für die auf den Staat als Ganzes bezogene exekutivische Funktion. Dem Handeln der Bundesregierung unterliegt daher der gesamte Ausschnitt der Lebenswirklichkeit (im Staat), welcher staatlicher Einwirkung überhaupt zugänglich ist. Der Gegenstandsbereich des Handelns der Bundesregierung ist also universal, denn ein noch weiterer Gegenstandsbereich bedeutete, ein Staatsorgan müßte in einem Bereich tätig werden können, welcher staatlicher Einwirkung nicht zugänglich ist. Das wäre eine logischer Widerspruch. Die Bundesregierung kann also beliebige Zielzustände des Staates definieren oder zumindest anstreben. 42 Im Aufgabenbereich „Politik“ besteht die Zielsetzungskompetenz. Ziele definieren anzustrebende Zustände. Hieraus folgt eine Gestaltungskompetenz der Bundesregierung für den Staat, da Gestaltung die Transformation eines Zustandes A in einen Zielzustand B bedeutet. An dieser Stelle zu erinnern ist die Intraorganqualität aller bis jetzt besprochen Kompetenzen. Auf welche Weise eine Gestaltungskompetenz nach außen wirksam wird, ist noch nicht beantwortet. Bleibt noch zu klären, wie derjenige Ausschnitt aus dem Aufgabenbereich der Bundesregierung zu konkretisieren ist, welcher sich als Minimalgehalt der Organ40 Vgl. Mößle, Regierungsfunktionen, 132; Puhl, Minderheitsregierung, 160; Weiß, Auswärtige Gewalt, 60; Götz, Vorbehaltsbereich, 57; Böckenförde, Organisationsgewalt, 61; Magiera, Parlament, 50 ff., 241. 41 Vgl. Schröder, HStR II, § 50 Rn. 2; Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V Rn. 42; BVerfGE 1, 372 [394 f.]. BVerfGE 100, 249 [258] stellt fest, das Grundgesetz stelle der vollziehenden Gewalt weder einen abschließenden Katalog bestimmter Handlungsformen zur Verfügung noch würden ausdrücklich erwähnte Handlungsformen inhaltlich im einzelnen definiert. 42 An dieser Stelle geht es nur um die prinzipielle Reichweite des Handelns. Selbstverständlich unterliegt die Bundesregierung bei ihren Zielsetzungen den verfassungsrechtlichen Beschränkungen, wie den Grundrechten oder der Kompetenzordnung.

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bezeichung ergibt (Leitungsaufgabe), jedoch nicht gleichzeitig „Politik“ bedeutet. Hier finden sich jene administrativen Kompetenzen, die zu Beginn dieses Kapitels von der weiteren Betrachtung ausgeklammert wurden. Diese Kompetenzen unterfallen durchaus dem Begriff der „Leitung“, im wohlverstandenen Sinne als Aufsicht bzw. Durchführung. Mit der Gestaltungskompetenz im Gegenstandsbereich Politik haben sie hingegen nichts gemein. (4) Ergebnis Die Begriffs- und Strukturanalyse bestätigt somit die in Rechtsprechung und Lehre vorherrschende Auffassung, die Bundesregierung besäße vor allem eine Gestaltungsaufgabe. 43 Spricht das Bundesverfassungsgericht davon, Aufgabe der Bundesregierung sei die Bestimmung der Ziele der Politik, die Aufstellung des Regierungsprogramms und die Verwirklichung dieses Programms, 44 so entspricht dies genau den gerade ermittelten Kompetenzen Gestaltung und Leitung. Ob allerdings die Bundesregierung tatsächlich das „Gravitationszentrum politischer Gestaltung“ 45 bildet, bleibt an dieser Stelle noch offen. Nun endlich kann mit der Suche solcher spezieller Kompetenzen der Bundesregierung angesetzt werden, welche deren Subsumtion unter den Begriff „Politik“ in Art. 65 GG gestatten. Sie müssen geeignet sein zu gestalten, ihre Wahrnehmung muß also anzustrebende Zustände definieren. Hierzu zeichnet die Verfassung die folgenden Kompetenzen der Bundesregierung aus: zuvorderst das Recht der Gesetzesinitiative nach Art. 76 Satz 1 GG, des weiteren das alleinige Recht zur Einbringung des Haushaltsentwurfs nach Art. 110 Abs. 2 und 3 in Verbindung mit Art. 76 Abs. 2 GG, der außenpolitische Gestaltungsbereich nach arg. Art. 59 Abs. 2 GG, dabei insbesondere die Befugnisse im Rahmen der Europäischen Union nach Art. 23 GG. Damit finden sich als kompetentielle Spezifizierung von „Politik“ im Sinne des Art. 65 GG gerade jene Kompetenzen der Bundesregierung wieder, deren Relevanz für eine Definitionssuprematie zu Beginn bereits vermutet wurde. Die Frage einer Außenwirkung der Gestaltungs- und damit der Richtlinienkompetenz erhellt der Blick auf diese Mittel, die die Verfassung der Bundesregierung zur Erfüllung ihrer Aufgabe „Politik“ bereitstellt. Mindestens als Vorschlagsrechte erweisen sich die Kompetenzen zur Ausführung von Politik aufgrund verfassungsnormativer Feststellung als außenwirksam. Zu den genannten spezielleren Kompetenzen wird nun Stellung genommen. 43 Vgl. BVerfGE 68, 1 [87]; Junker, Richtlinienkompetenz, 87; Schröder, Jura 1982, 449 (452); Schreiber, DVBl 1986, 974 (975); Scheuner, Der Bereich der Regierung, passim; Scheuner, DÖV 1974, 433 (438); Linck, Zulässigkeit und Grenzen, 9, 53; Karpen, JA 1986, 585 (586 f.); Busse, VerwArch 87 (1996), 445 (452); Herzog, Maunz-Dürig, Art. 65 Rn. 11, 54, 15; Schröder, HStR II, § 50 Rn. 6; Mößle, Regierungsfunktionen, 103 f., 107. 44 Vgl. BVerfGE 45, 1 [46 f.]. 45 Stern, Staatsrecht II, § 31 I 3. Vgl. auch Karpen, JA 1986, 585 (586); Böckenförde, Organisationsgewalt, 290.

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b) Budgetinitiative der Bundesregierung Einigkeit besteht, das Budget sei „das wichtigste Programm zur Steuerung der Regierungstätigkeit“. 46 Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet das Budget als „Regierungsprogramm in Zahlen“, 47 als „staatsleitenden Hoheitsakt in Gesetzesform, eine wirtschaftliche Grundsatzentscheidung für zentrale Bereiche der Politik“. 48 Hier ist nicht der Ort, die zahlreichen weiteren Funktionszuweisungen durch Verfassungsrechts- und Finanzwissenschaft en détail nachzuvollziehen. Genannt seien nur etwa die „Kontroll- und Legitimationsfunktion“ 49 und die wirtschaftspolitische Stabilisierungsfunktion. 50 Vielmehr gebietet die anstehende Bestimmung einer Definitionssuprematie über staatliche Aufgaben, als auch die Exegese der Richtlinienkompetenz, den Fokus auf die politische Gestaltungsfunktion zu richten, welche in den erstgenannten Zitaten zum Ausdruck kommt. Diese allseits angenommene zentrale Funktion des Budgets gilt es zunächst normativ zu belegen. (1) Die Gestaltungsfunktion des Haushalts Art. 104 a GG formuliert die Annahme der Verfassung, aus der Wahrnehmung von Aufgaben entstünden Ausgaben. In Art. 111 Abs. 1 konkretisiert das Grundgesetz einige ausgabenverursachende Aufgaben, hierunter insbesondere die Durchführung gesetzlich beschlossener Maßnahmen. Für alle Ausgaben ordnet Art. 110 Abs. 1 GG an, sie seien in den Haushaltsplan einzustellen. Ob dem Budget die zentrale Gestaltungsfunktion zu Recht zugesprochen wird, hängt nun einerseits ab von der Bedeutung des Begriffes „Aufgaben“, andererseits vom Umfang der Aufgaben, welche tatsächlich ausgabenwirksam sind. 51 Der Begriff „Aufgaben“ in Art. 104 a Abs. 1 GG weist den gleichen materialen Gehalt auf wie in Art. 30 GG. Hierfür sprechen grammatische und systematische Argumente. In Art. 30 GG ist die Rede von der Erfüllung „der“ staatlichen Aufgaben. Dies sei Sache der Länder, soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft. Neben den Ländern kommt nur noch der Bund als staatliche Ebene in Betracht. 52 Art. 30 GG stellt also die Existenz von Aufgaben fest, welche entweder vom Bund oder von den Ländern zu erfüllen sind. Art. 104 a Abs. 1 GG spricht nun wiederum von der Wahrnehmung „ihrer“ Aufgaben, nämlich des Bundes oder der 46 Karpen, JA 1986, 585 (587); vgl. in diesem Sinne: Scheuner, Der Bereich der Regierung, 268, 276; Mußgnug, Haushaltsplan, 4. 47 BVerfGE 79, 311 [329]. 48 BVerfGE 45, 1 [32]; 70, 324 [355]. 49 BVerfGE 79, 311 [344]; Puhl, Budgetflucht, 3. 50 Vgl. Art. 109 Abs. 2 GG; Puhl, Budgetflucht, 3. 51 Vgl. BVerfGE 79, 311 [328 f.]. 52 Vgl. BVerfGE 13, 54 [77 f.]; 86, 148 [215].

II. Verfassungsrechtliche Stellung der Bundesregierung

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Länder. Neben diese sprachliche Entsprechung tritt der systematische Konnex der beiden Verfassungsnormen. Während Art. 30 GG zunächst die Existenz der Aufgaben feststellt und diese auf die beiden staatlichen Ebenen verteilt, nimmt Art. 104 a Abs. 1 GG Bezug auf diese Aufteilung und regelt die Ausgabenverantwortung (Die Sonderregelungen der Art. 104 a Abs. 2 ff. GG sind hier ohne Belang). Der Tatbestand der Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder ändert hieran nichts.53 Wegen der materialen Identität der beiden Aufgabenbegriffe gelten die obenstehenden 54 Feststellungen zum Omnikompetenztheorem auch hier. „Aufgaben“ sind Staatsaufgaben, 55 die der Staat als Mittel zur Annäherung an verfassungsnormative Gemeinwohlbelange bestimmt. Damit ist die Gestaltungsrelevanz von „Aufgaben“ im Sinne des Haushaltsrechts evident. Die Ausgabenwirksamkeit dieser Aufgaben folgt aus dem Erfordernis personeller und/oder sächlicher Mittel, um in einer Umwelt Wirkungen zu erzielen. „Wahrnehmung einer Aufgabe“ läßt sich in größtmöglicher Allgemeingültigkeit definieren als das Bewirken einer Wirkung, welche ohne die Wahrnehmung der Aufgabe nicht eingetreten wäre. Dabei ist Wirkung der Eintritt eines bestimmten Zustandes. Dieser Zustand soll – zumindest der Absicht nach – zielgerichtet eintreten. Zumindest solange der angestrebte Endzustand noch nicht erreicht ist, müssen daher ständig Informationen über den gegenwärtigen Umweltzustand bezogen und verarbeitet werden, um hieran die eigenen Maßnahmen auszurichten. Wenigstens diese Informationsgewinnung und -verarbeitung bedeutet den Einsatz von Personal und in der Regel auch sächlicher Mittel. Die Maßnahmen selbst sind dagegen nicht geeignet, um allgemeingültige Aussagen über die Notwendigkeit von Ausgaben zum Zwecke der Aufgabenerfüllung zu gewinnen. Schließlich kann eine Politikmaßnahme zur Erreichung eines bestimmten Zustandes auch darin bestehen, einen bisher bestehenden aktiven staatlichen Eingriff vorübergehend auszusetzen. Ob im Rahmen einer neuen Politikmaßnahme die zusätzlich notwendige Informationsgewinnung und -verarbeitung von der schon vorhandenen Ausstattung geleistet werden kann und daher nicht haushaltswirksam wird, ist eine empirische Frage, die die Gültigkeit des vorstehenden Nachweises nicht beeinträchtigt. Kann die neue Aufgabe nämlich ohne zusätzliche ausgabenwirksame personelle oder sächliche Mittel bewältigt werden, so bestand vorher eine Überkapazität. Die zusätzlich notwendigen Ausgaben wurden also gewissermaßen vorweggenommen. Jede Aufgabe, die der Staat wahrnimmt, erfordert somit Ausgaben. Also müssen wenigstens dem Prinzip nach alle Aufgaben in den Haushaltsplänen enthalten sein. 53 Art. 30 GG umfaßt den Gesamtbestand aller denkbaren staatlichen Aufgaben. Eine Verengung des Regelungsgegenstandes auf die Gesetzgebungskompetenz zur Schaffung einer Auffangnorm gegenüber den ausdrücklichen Kompetenzkatalogen ist nicht angezeigt. Daher kann die Aufspaltung von Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Finanzierungskompetenz bereits in Art. 30 GG angelegt gesehen werden. Vgl. hingegen für eine Verengung des finanzverfassungsrechtlichen Aufgabenbegriffes Waiblinger, Aufgabe, 30 ff. 54 Vgl. 1. Kapitel III. 4. c) (3). 55 Vgl. BVerfGE 79, 311 [328 f.]; Heun, Staatshaushalt, 85.

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

Der Haushaltsplan enthält also alle staatlichen Aufgaben, und diese Aufgaben dienen der Gestaltung im Rahmen der Gemeinwohlverpflichtung. Somit liegt eine verfassungsnormative Bestätigung für die zentrale Bedeutung des Budgets vor. Diese besondere Bedeutung des Haushaltsplans ergibt sich jedoch nicht nur aus der Vollständigkeit der enthaltenen staatlichen Aufgaben an sich. Die Gesamtheit aller staatlichen Aufgaben kann in der ebenso komprimierten wie vollständigen Gestalt des Haushaltsplans den gesetzgebenden Körperschaften, vor allem aber auch der Öffentlichkeit vorgelegt werden. Einerseits wird so dem Parlament die Kontrolle der Regierung maßgeblich erleichtert. 56 Die Öffentlichkeitsfunktion des Haushalts, so auch das Bundesverfassungsgericht, erleichtert andererseits die Möglichkeit eines Ausgleichs widerstreitender Interessen 57 und dient damit einem zentralen Aspekt der Gemeinwohlverwirklichung, wie im Ersten Kapitel dargelegt. (2) Das Einbringungsmonopol der Bundesregierung Besondere Aufmerksamkeit verdient nun aber der Umstand, daß die Verfassung das Initiativrecht für dieses zentrale Gestaltungsinstrument ausschließlich der Bundesregierung anheim stellt. 58 Das Bundesverfassungsgericht betont die „überragende verfassungsrechtliche Stellung“ 59 des Bundestages bei der Feststellung des Haushaltsplans im Verhältnis zu den anderen Verfassungsorganen. Es sei der Bundestag, der mit seiner Entscheidung über den Haushaltsplan eine seiner Hauptaufgaben wahrnehme 60 und eine „wirtschaftliche Grundsatzentscheidung für zentrale Bereiche der Politik“61 treffe. Vor allem betrachtet das Bundesverfassungsgericht das Haushaltsrecht auch als maßgebendes Instrument der allgemeinen Regierungskontrolle. 62 Die unbefangene Betrachtung mag nun eine Diskrepanz ausmachen zwischen dem Vorliegen einer überragenden Stellung des Bundestags einerseits, und dem „Einbringungsmonopol“ 63 der Bundesregierung andererseits. Eine Anfangsvermutung lautet, die Komplexität und der Umfang des Haushaltsplans lassen nur das herrschende Verfahren der Haushaltsaufstellung zu, nämlich des Aufwuchses „von unten nach oben“ innerhalb des exekutivischen Bereichs. 64 Eine ungeheure Zahl verschiedener Titel müsse in einem komplexen Verfahren in einem konsistenten BudgetentVgl. BVerfGE 70, 324 [356] m. w. N. Vgl. BVerfGE 70, 324 [355]; 40, 237 [249]; Puhl, Budgetflucht, 5 f., 11 f.; Magiera, Parlament, 151. 58 Vgl. BVerfGE 70, 324 [357]; 45, 1 [29, 46 f.]; 1, 144 [161]; Heun, Staatshaushalt, 302. 59 Vgl. BVerfGE 70, 324 [355]; 45, 1 [32]. 60 Vgl. Frömel, DVBl 1974, 65 (65). 61 BVerfGE 70, 324 [355]. 62 Vgl. BVerfGE 70, 324 [356]. 63 BVerfGE 70, 324 [357]. 64 Vgl. Heun, Staatshaushalt, 104, 303; Mußgnug, Haushaltsplan, 25, 237 ff. 56 57

II. Verfassungsrechtliche Stellung der Bundesregierung

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wurf aufeinander abgestimmt werden. 65 Fraglich bleibt jedoch, weshalb dieser Tatbestand ein verfassungsrechtlich abgesichertes Einbringungsmonopol der Bundesregierung erfordert. Das Budgetrecht nach Art. 110 II GG garantiert dem Bundestag auf jeden Fall die Letztentscheidung über den Haushalt. 66 Wer den Haushaltsentwurf einbringt, könnte die Verfassung daher durchaus der sachgerechten Beurteilung der beteiligten Verfassungsorgane überlassen. Wäre dies geltendes Verfassungsrecht, so hätte sich das tatsächlich bestehende – verfassungsvorgeschriebene – Verfahren gegebenenfalls als Übung eingestellt. Die Existenz eines Interpretationsmaßstabes der Organadäquanz 67 soll an dieser Stelle keinesfalls im Grundsatz bestritten werden, vielmehr wird er noch häufig heranzuziehen sein. Die bloße Kompliziertheit des Verfahrens 68 jedoch reicht der Verfassung eben nicht, diesen Maßstab anzuwenden und einem bestimmten Verfassungsorgan eine Aufgabe exklusiv zuzuweisen. Es bestehen nämlich zahlreiche allgemeine Gesetzesvorhaben, die ebenfalls beachtliche Kompliziertheit aufweisen und daher unter praktischen Gesichtspunkten auf die exklusiven Kenntnisse und Ressourcen der Bundesregierung, respektive der Ministerialbürokratie angewiesen sind. Hier kennt das Grundgesetz jedoch keine Beschränkungen des Initiativrechts. Der verfassungsrechtliche Grund für das Einbringungsmonopol muß also woanders liegen. Der Verfassungsfunktion eher gerecht wird die Annahme, Grund für das verfassungsrechtliche Einbringungsmonopol seien nicht technische Aspekte der Aufstellung eines Haushaltsentwurfs, sondern vielmehr die Bedeutung der Einbringung des Haushaltsentwurfs innerhalb des kompetenzverschränkten Gefüges der beteiligten Verfassungsorgane. Den Weg weist die Deutung des Haushaltsplans als ein zeitlich begrenztes Regierungsprogramm in Gesetzesform. 69 Er sei mit der Gesamtpolitik unaufhebbar verschränkt. 70 Dies erscheint zunächst nur möglich, wenn der Haushaltsplan auch tatsächlich von der Bundesregierung stammt. Das Einbringungsmonopol sicherte dann die obenstehend ermittelte Gestaltungsaufgabe der Bundesregierung im Bereich „Politik“ kompetentiell ab. Freilich besteht Einigkeit, die Gesetzgebung besäße einen Anteil an einer materiellen Regierungsaufgabe. 71 Nun belegt aber gerade das Einbringungsmonopol, daß die Verfassung im Falle des Haushaltsgesetzes ausschließlich die Bundesregierung in der Verantwortung sieht, dieses besondere „politische Gestaltungsmittel“ 72 einzusetzen. Dem entspricht die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, das haushaltsrechtliche Instrumentarium in der Hand des Vgl. Heun, Staatshaushalt, 303; Mußgnug, Haushaltsplan, 357 ff. („Natur der Sache“). Vgl. Mößle, Regierungsfunktionen, 136 f.; Heun, Staatshaushalt, 321, 524 f.; Frömel, DVBl 1974, 65 (66). 67 Vgl. Meyer, VVDStRL 33 (1975), 102; Heun, Staatshaushalt, 97 ff., 303. 68 Vgl. Mußgnug, Haushaltsplan, 358. 69 Vgl. BVerfGE 79, 311 [342]; Puhl, Budgetflucht, 5; Mußgnug, Haushaltsplan, 265; Karpen, JA 1986, 585 (587). 70 Vgl. BVerfGE 79, 311 [340]. 71 Vgl. Schröder, HStR II, § 50 Rn. 10 m. w. N. 72 BVerfGE 79, 311 [329]. 65 66

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

Gesetzgebers genüge nicht immer, jede finanzwirtschaftliche oder finanzpolitische Situation zu bewältigen, der sich die Exekutive gegenübergestellt sehen mag. 73 Es bringt so die Vermutung zum Ausdruck, derartige „Situationen“ stellten sich ganz generell eben zunächst einmal der Exekutive. Gegen eine herausragende Bedeutung der Budgetinitiative in der Hand der Bundesregierung erhebt sich allerdings noch ein Einwand. Das Aufstellungsverfahren „von unten nach oben“ 74 innerhalb der Exekutive konterkariere die Annahme, das Haushaltsgesetz sei Resultat planvoller Steuerungsabsicht der Bundesregierung. Eine eigenständige Gestaltungsqualität der Haushaltsgesetzgebung bestünde insofern kaum. Dieses Bedenken gegen die Bedeutung der Budgetinitiative trägt jedoch nicht. Das Haushaltsgesetz bedeutet die rechtsförmige, einheitliche und vollständige Rechenschaft über alles gestaltende und sonstige staatliche Handeln. Für diesen Tatbestand ist ohne Belang, ob das Haushaltsgesetz eine „Summierung dezentral getroffener, fragmentierter Entscheidungen“ 75 oder eine umfassende, in der Bundesregierung zentralisierte staatliche Steuerungsabsicht verkörpert. Es einbegreift jedenfalls objektiv das gesamte staatliche Wirken. Dies ist das differentium specificum, an welches die Verfassung anknüpft, wenn sie ausschließlich der Bundesregierung die Budgetinitiative anheimstellt, während sonstige Gesetzesvorlagen auch von den gesetzgebenden Körperschaften eingebracht werden können. Gerade die Zusammenführung der fragmentierten Aufgabenbereiche in einem einheitlichen Plan eröffnet eine neue „Erkenntnisdimension“, 76 die insbesondere den Interessenausgleich der widerstreitenden Politikfelder erst ermöglicht.77 Damit ist zwar die besondere Qualität des Haushaltsgesetzes geklärt, aufgrund derer die Verfassung nur ein bestimmtes Verfassungsorgan mit der Initiative für dieses Gestaltungsmittel beauftragt. Dennoch bedeutet dies keine Klärung der Frage, weshalb gerade die Bundesregierung in den Genuß dieser Präferenz gelangt. Der verfassungsnormative Grund hierfür liegt sehr wohl in einer Organadäquanz der Bundesregierung. Diese betrifft jedoch nicht den „technischen“ Umfang der Aufgabe bzw. die Kompliziertheit des Budgetentwurfs, wie oben bereits festgestellt. Ausschlaggebend zeichnet vielmehr die Eigenschaft der Bundesregierung, wegen ihres Apparats und ihrer Permanenz im höchsten Maße in der Lage zu sein, Gemeinwohlgefährdungen 78 rechtzeitig zu erkennen, rational abzuwägen sowie Handlungsalternativen zu erarbeiten. Abschließend seien noch zwei weitere Einwände gegen die besondere Bedeutung des Haushaltsgesetzes vorgetragen.

73 74 75 76 77 78

Vgl. BVerfGE 45, 1 [34]. Vgl. Heun, Staatshaushalt, 296 f. Vgl. Heun, Staatshaushalt, 296. Moeser, Beteiligung, 43. Vgl. Puhl, Budgetflucht, 7. Im Sinne der Definition des ersten Kapitels II. 2.

II. Verfassungsrechtliche Stellung der Bundesregierung

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Eine Bedeutungsminderung könnte das Einbringungsmonopol erfahren von der Änderungskompetenz des Parlaments bezüglich des Haushaltsentwurfs. 79 Der Gesetzgeber befindet sich hier also nicht in einer reinen Ratifikationslage. Diese Änderungskompetenz schmälert gewiß die absolute Bedeutung des Einbringungsmonopols. Wie jedoch bereits betont, hat dieses Kapitel den Nachweis einer Definitionssuprematie zur Aufgabe. Das Einbringungsmonopol verhilft der Budgetinitiative der Bundesregierung evident zu der Qualität, welche eine Suprematie auszeichnet. Ein absoluter Vorbehaltsbereich ist hier nicht begriffsnotwendig. Im übrigen ist die Änderungskompetenz des Gesetzgebers durchaus begrenzt, wie sich unten noch erweisen wird. Ein letzter Einwand lautet, die Haushaltswirksamkeit würde in der Regel von den materiellen Gesetzen ausgelöst, und vom Haushaltsgesetz nur noch nachvollzogen. 80 Dieser zutreffende Tatbestand wiegt schwer. Oben wurde die Organadäquanz als verfassungsrechtlicher Grund benannt für das Einbringungsmonopol der Bundesregierung. Die Verfassung hält also die Bundesregierung für am besten geeignet, die Gestaltungsaufgabe wahrzunehmen, welche sich an das „staatliche Gesamtprogramm“ 81 Haushaltsgesetz knüpft. Ist aber der Haushalt wesentlich vorbestimmt von der Verpflichtungswirkung der materiellen Gesetze, so verbleibt der Exekutive kein nennenswerter Spielraum für tatsächliche, eigenständige Gestaltung. Die Budgetinitiative der Bundesregierung wäre somit kein geeignetes Mittel, den Gestaltungsauftrag gemäß der Aufgabe „Politik“ wahrzunehmen. Inwieweit dieser Einwand tatsächlich verfängt, kann nur die untenstehende Befassung mit dem Zustandekommen der materiellen Gesetze erweisen. Besondere Bedeutung erlangen kann dabei freilich die Absicherung der Budgetinitiative der Bundesregierung durch die Kompetenz des Art. 113 GG (Zustimmung der Bundesregierung zu haushaltswirksamen Gesetzen). (3) Ergebnis Das Haushaltsgesetz enthält das „staatliche Gesamtprogramm“,82 als solches bedeutet es ein zentrales „politisches Gestaltungsmittel“.83 Das Grundgesetz stattet die Bundesregierung mit einem Einbringungsmonopol für das Haushaltsgesetz aus. Der Grund für dieses Monopol liegt jedoch nicht in der technischen Kompliziertheit des Aufstellungsverfahrens. Derartiges trifft auch auf andere Gesetze zu. Vielmehr vertraut die Verfassung diese gesamtstaatliche GestalVgl. BVerfGE 45, 1 [38]; 70, 324 [356]; Heun, Staatshaushalt, 304. Vgl. Mößle, Regierungsfunktionen, 127 ff., 137; Heun, Staatshaushalt, 517 f.; Puhl, Budgetflucht, 5, 8 f.; Mußgnug, Haushaltsplan, 246 ff., 293. 81 BVerfGE 79, 311 [328]. 82 BVerfGE 79, 311 [328]. 83 BVerfGE 79, 311 [329]. 79 80

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

tungsaufgabe gezielt der Bundesregierung an, weil diese für eine derartige Gestaltungsaufgabe, verstanden als das Erkennen und die Abwendung von Gemeinwohlgefährdungen unter Wahrung des Interessenausgleiches, die höchste Organadäquanz aufweist. Einer nachfolgenden Begründung überlassen bleibt die Frage, ob die Determiniertheit des Haushaltsgesetzes durch materielle Gesetze dessen Qualität als Gestaltungsaufgabe in Frage stellt. Die Budgetinitiative der Bundesregierung hat sich vorbehaltlich der noch zu klärenden Frage als eine der spezielleren Kompetenzen erwiesen, welche der Gestaltungsaufgabe der Bundesregierung im Bereich „Politik“ gemäß der Richtlinienkompetenz dienen. c) Gesetzesinitiative nach Art. 76 Abs. 1 GG Art. 76 Abs. 1 GG ermächtigt Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung, Gesetzesvorlagen einzubringen. Dies wirft die Frage auf, ob die Verfassung allen drei Einbringungsarten auch die gleiche Qualität beimißt. (1) Die Bedeutung des Gesetzes Das Gesetz ist das staatliche Gestaltungsmittel schlechthin. 84 Dies folgt aus dem Vorbehalt des Gesetzes als Element des Rechtsstaatsprinzips nach Art. 20 Abs. 3 GG 85 in Verbindung mit der „Wesentlichkeitsdoktrin“ 86 des Bundesverfassungsgerichts. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, losgelöst vom Merkmal des Eingriffs, in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen. Die Wesentlichkeit hängt unter anderem ab von Sachbereich, Intensität und Auswirkungen auf die allgemeinen Lebensverhältnisse der Bürger. 87 Dabei stützt sich die Wesentlichkeitstheorie einerseits auf den Grundrechtsschutz, andererseits auf das Demokratiegebot. 88 Die Gültigkeit dieser Interpretation 84 Vgl. Schulze-Fielitz, Parlamentarische Gesetzgebung, 157; Bryde, Münch/Kunig GGKommentar, Art. 76 Rn. 2; Scheuner, Der Bereich der Regierung, 274 ff.; Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 22; Bundestag, Enquete-Kommission, 53 („hervorragende Bedeutung der Gesetzgebungskompetenz als Instrument der Politik“). Vgl. BVerfGE 45, 297 [331 f.]; 33, 125 [158 f.]. 85 Vgl. Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 22, 55 ff., 86. 86 Vgl. Seiler, Parlamentsvorbehalt, 64 ff. mit Nachweisen zur Rspr; Schulze-Fielitz, Parlamentarische Gesetzgebung, 158, 162 ff.; Herzog/Pietzner, Möglichkeiten, 39; Mößle, Regierungsfunktionen, 137 ff.; Magiera, Parlament, 299. 87 Vgl. BVerfGE 34, 165 [192 f.]; 40, 237 [248 ff.]; 49, 89 [126 f.]. 88 Vgl. Seiler, Parlamentsvorbehalt, 66; Schulze-Fielitz, Parlamentarische Gesetzgebung, 164 ff.; Schulze-Fielitz, Dreier GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 103 f.; Stern, Staatsrecht II, § 37 I 4 b; Stern, Staatsrecht I, § 20 IV 4 b. Krit. Bleckmann, DÖV 1983, 129 (132).

II. Verfassungsrechtliche Stellung der Bundesregierung

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des Vorbehaltes des Gesetzes wird an dieser Stelle angenommen und den weiteren Überlegungen als Grundlage dienen. Will der Staat also gesellschaftsgestaltend tätig werden, so hat er hierfür in der Regel die Form des Gesetzes zu wählen. Damit ist die allgemeine Gesetzgebung auch für die Frage der Definitionssuprematie relevant, sofern die Eingangsfrage nach einer gleichen Qualität der Einbringungsarten zu verneinen wäre.

(2) Universales Einbringungsmonopol der Bundesregierung? Eine provokante Frage soll die nachfolgenden Überlegungen einleiten. Die Behandlung des Haushaltsverfassungsrechts erbrachte einen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem Haushaltsgesetz und sonstigen, eine materielle Regelung enthaltenden Gesetzen. Das Haushaltsgesetz bedeutet das staatliche Gesamtprogramm, während die sonstigen Gesetze unweigerlich nur partikulare Sachbereiche zum Regelungsgegenstand haben. Aufgrund dieser besonderen Qualität spricht die Verfassung für das Haushaltsgesetz ein Einbringungsmonopol der Bundesregierung wegen deren Organadäquanz aus. Wenn aber, wie obenstehend festgestellt, die Bundesregierung besser als alle anderen Verfassungsorgane in der Lage ist, Gemeinwohlgefährdungen rechtzeitig zu erkennen und Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten, warum soll dann nicht auch für die partikularen Regelungsbereiche der sonstigen Gesetze ein Einbringungsmonopol gelten? Eine stringente Argumentation muß ansetzen an dem verfassungsrechtlichen Grund für die Sonderstellung der Bundesregierung im Bereich der Haushaltsgesetzgebung. Ist die Organadäquanz dort Grund für diese Sonderstellung, so kann das Initiativrecht für die materielle Gesetzgebung auch nur mit einer Organadäquanz begründet werden. Wenn also Bundestag und Bundesrat im Bereich der materiellen Gesetzgebung einbringungsberechtigt sind, so findet dies seine Begründung ebenfalls in exklusiven Qualitäten dieser Verfassungsorgane. 89 Bundestag und Bundesrat müssen also mit ihrer Partizipation am Initiativrecht eine verfassungsintendierte Funktion erfüllen, welche die Bundesregierung entweder gar nicht oder in geringerem Maße zu erfüllen imstande wäre.

(3) Das Initiativrecht des Bundestages Unter den Einbringungsberechtigten besitzt der Bundestag von Verfassungs wegen eine Sonderstellung. Als einziges Verfassungsorgan ist er nicht nur möglicher Initiant, sondern gleichzeitig Adressat von Gesetzesvorlagen. 90 89 90

Vgl. Magiera, Parlament, 178 f. Vgl. Bryde, Münch/Kunig GG-Kommentar, Art. 76 Rn. 3, 8.

9 Meyer

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

Das Grundgesetz antizipiert die Aufspaltung des Bundestages in Regierungsmehrheit und Opposition. Dies folgt mittelbar aus der Wahl des Bundeskanzlers durch das Parlament (Art. 63 GG) und der verfassungsrechtlichen Rezeption der Parteien in Art. 21 GG. Unmittelbarer verfassungsnormativer Niederschlag dieser Rollenverteilung ist Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG (Untersuchungsausschuß) als „minderheitsschützende Vorschrift“. 91 Die Vorstellung einer parlamentarischen Minderheit setzt die Existenz eines Unterscheidungskriteriums voraus, nach dem sich die Zugehörigkeit entweder zur Mehrheit oder zur Minderheit bemißt. Dieses Kriterium ist offenkundig die Unterstützung der amtierenden Bundesregierung. 92 Das Bundesverfassungsgericht spricht ausdrücklich von der Mehrheit und der von ihr getragenen Regierung und der parlamentarischen Opposition. 93 Die Ausübung einer Opposition begründet das Bundesverfassungsgericht mit dem demokratischen Prinzip nach Art. 20 Abs. 1 und 2 GG. 94 Sind aber parlamentarische Mehrheit und Opposition der Verfassung immanent, so erscheint es unter verfassungsdogmatischen Kautelen zulässig, auch das Initiativrecht nach seiner Wahrnehmung entweder durch Mehrheit oder Opposition zu differenzieren. 95

(a) Mehrheitsvorlagen Ein Initiativrecht der Mehrheitsabgeordneten erweckt den Eindruck einer gewissen Konkurrenz zu dem entsprechenden Recht der Bundesregierung. Da die Regierung von der Parlamentsmehrheit getragen wird, mag ein Initiativrecht beider als eine unnötige Verdopplung anmuten. Oben wurde abgestellt auf die Organadäquanz. Die Bundesregierung besitzt den Vorteil ihrer Ministerialbürokratie, ihres Zugangs zu Informationen sowie der Fähigkeit der rationalen Erarbeitung von Alternativen. Soll ein paralleles Initiativrecht der Parlamentsmehrheit eine verfassungsrechtliche Funktion erfüllen, so setzt dies eine intendierte Eigenschaft der Mehrheitsvorlagen voraus, über welche Regierungsvorlagen nicht verfügen. Die Ermittlung dieser Eigenschaft erfordert die ausnahmsweise Vorwegnahme des Untersuchungsergebnisses eines späteren Abschnittes. 96 Im gewaltenteiligen Kon91 BVerfGE 105, 197 [222 f.]; BVerfGE 49, 70. Dazu jüngst Wiefelspütz, DÖV 2002, 803 (803 ff.). 92 Vgl. Bundestag, Enquete-Kommission, 104 ff., 123; Bundestag, Verfassungskommission, 178; Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 26, 33; Heun, Staatshaushalt, 108 f.; Linck, Zulässigkeit und Grenzen, 5; Oppermann, VVDStRL 33 (1975), 19, 64; Scheuner, Verantwortung, 397; Magiera, Parlament, 112, 129, 140, 277; Sattler, DÖV 1967, 765 (768, 773); Kretschmer, Informationelle Zusammenarbeit, 109; Mößle, Regierungsfunktionen, 120. 93 Vgl. BVerfGE 105, 197 [225]; 10, 4 [17 ff.]. 94 Vgl. BVerfGE 70, 324 [363]; 2, 1 [13]; 44, 308 [321]. 95 Vgl. BVerfGE 1, 144 [153 f.] („Das Initiativrecht steht nicht dem Bundestag, sondern den Abgeordneten in einer zahlenmäßig bestimmten Gruppierung zu“). 96 Siehe 2. Kapitel II. 3. d).

II. Verfassungsrechtliche Stellung der Bundesregierung

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zert der Verfassungsorgane kann die Bundestagsmehrheit die Bundesregierung nicht rechtlich verpflichtend zwingen, eine bestimmte Gesetzesvorlage einzubringen. 97 Nachhaltiger verfassungsnormativer Beleg ist der Gesetzgebungsnotstand nach Art. 81 GG. Könnte der Bundestag die Bundesregierung zur Einbringung einer bestimmten Gesetzesvorlage verpflichten, so liefe diese Verfassungsnorm ins Leere. 98 Die Initiativfreiheit der Bundesregierung gilt im allgemeinen als unproblematisch. Aufgrund der Kreation der Bundesregierung in Abhängigkeit der jeweiligen Bundestagsmehrheit sind gegenläufige Auffassungen in der Regel nicht zu erwarten. 99 Häufig wird darauf verwiesen, im Extremfall könne eine Mehrheit die amtierende Bundesregierung über Art. 67 GG jederzeit stürzen und einen politisch konformeren Bundeskanzler wählen. 100 Zwar trifft dies zu, jedoch wünscht das Grundgesetz auch stabile Regierungsverhältnisse. 101 Die Abwahl eines Bundeskanzlers nur durch konstruktives Mißtrauensvotum ist hierfür nur einer von vielen normativen Belegen. Dieses Instrument soll denn auch nur zum Einsatz gelangen, sofern ein nahezu vollständiger Vertrauensverlust vorliegt. 102 Keinesfalls dem Willen der Verfassung entspräche, wenn aus Anlaß der Uneinigkeit in einer Einzelfrage oder in einem einzelnen Politikfeld sofort ein Regierungswechsel ins Werk zu setzen wäre. Oben wurde jedoch auch die Sonderstellung des Bundestages im Gesetzgebungsverfahren betont. Er ist zwar nur einer von drei möglichen Initianten, aber der einzige Adressat von Gesetzesvorlagen. Der Bundestag ist dasjenige Gesetzgebungsorgan, das Gesetze zu beschließen hat. Er trifft damit die Letztentscheidung über wesentliche gesellschaftliche Gestaltungsakte. 103 Dies gilt sowohl für Einspruchs- als auch für Zustimmungsgesetze. Besteht daher zwischen Bundesregierung und Bundestagsmehrheit eine Uneinigkeit über die Notwendigkeit eines bestimmten Gesetzesvorhabens, 104 und soll diese Uneinigkeit andererseits nicht sofort zu einem Re97 Vgl. Linck, DÖV 1979, 165 (166); Linck, Zulässigkeit, 56 ff., 71; Herzog, Maunz-Dürig, Art. 65 Rn. 52. 98 Vgl. Linck, Zulässigkeit und Grenzen, 64. 99 Vgl. BVerfGE 6, 84 [93 f.]; 10, 4 [17]; 36, 1 [18] („Die Abschätzung der Chancen ihrer Politik [der Bundesregierung] ist ihre und der sie tragenden parlamentarischen Mehrheit Sache“); BVerfGE 90, 286 [344]; Bundestag, Verfassungskommission, 178; Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 36, 68; Meyer, VVDStRL 33 (1975), 86; Ossenbühl, DÖV 1980, 545 (547); Schröder, Jura 1982, 449 (449). 100 Vgl. Karpen, JA 1986, 585 (587). 101 Vgl. Badura, Verfassungsrechtliche und politische Grundlagen, 29; Karpen, JA 1986, 585 (586); Oppermann, VVDStRL 33 (1975), 31; Schreiber, DVBl 1986, 974 (975); Scheuner, Der Bereich der Regierung, 284; Sattler, DÖV 1967, 765 (771); Mößle, Regierungsfunktionen, 117; BVerfGE 6, 84 [92 ff.]; 62, 1 [40 f.]; 67, 100 [129 f.]. 102 Vgl. Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 62 f. 103 Vgl. Art. 77 Abs. 1, 78 GG; BVerfGE 45, 297 [331 f.]; 33, 125 [158 f.]. Mößle, Regierungsfunktionen, 203 spricht vom Gesetz als der „Verwirklichung der von der Regierung initiierten und vom Parlament festgelegten Ziele, Zwecke und Programme“ (Hervorhebungen durch Verfasser). Vgl. auch Magiera, Parlament, 43; Kretschmer, Informationelle Zusammenarbeit, 102. 104 Zur Existenz einer solchen Möglichkeit ausdrücklich: BVerfGE 10, 4 [19].

9*

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

gierungssturz führen, so muß für einen derartigen Fall ein milderer Ausweg zur Verfügung stehen. Dieser findet sich in dem Initiativrecht von Abgeordneten der Bundestagsmehrheit. 105 Obwohl die Bundesregierung aufgrund ihrer Ministerialbürokratie im allgemeinen die höchste Organadäquanz zur rationalen Erarbeitung von Gesetzesvorlagen aufweist, muß auch die Bundestagsmehrheit eigenständig in der Lage sein, eine Gesetzesvorlage einzubringen. Auf diese Weise behält auch im Falle einer partiellen Uneinigkeit mit der Bundesregierung der Bundestag die Verfügungsgewalt über das maßgebende gesellschaftliche Gestaltungsmittel. Ob dieses Initiativrecht von den Abgeordneten der Mehrheit auch aus anderem Anlaß genutzt wird, ist vorliegend ohne Belang. Zu Recht weist Bryde darauf hin, die Suche nach dem materiellen Autor einer Gesetzesvorlage sei im parlamentarischen Parteienstaat letztlich nicht möglich. 106 Immerhin belegt die verfassungsrechtliche Debatte über die Zulässigkeit einer Umgehung des Bundesrates im ersten Durchgang, 107 daß Gesetzesinitiativen von Mehrheitsabgeordneten aus einem anderem als dem geschilderten Anlaß durchaus problematisch sein mögen. Jedenfalls geht zumindest das Bundesverfassungsgericht wie selbstverständlich davon aus, daß Gesetzesvorlagen in der Regel von der Bundesregierung einzubringen und dann vom Bundestag zu beraten und gegebenenfalls zu beschließen sind: „[..] die Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs durch die zuständigen Bundesministerien, [..] die Verabschiedung im Bundeskabinett und die Beratung in den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes [bedurfte] einer längeren [..] Zeitspanne“. 108

(b) Minderheitsvorlagen Noch stärker auf der Hand liegt die verfassungsrechtliche Funktion von Gesetzesvorlagen der Opposition im Bundestag. Wie oben bereits angeführt, begründet das Bundesverfassungsgericht die verfassungsrechtlich abgesicherte Stellung der parlamentarischen Opposition109 mit dem demokratischen Prinzip nach Art.20 Abs. 1 und 2 GG. Der Volkssouveränität gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG wird in der bundesdeutschen Verfassungsordnung vermöge des demokratischen Prinzips Geltung verschafft. 110 Eine wechselseitige Bedingtheit besteht zwischen dem Demokratieprinzip und der Parteienfreiheit nach Art. 21 105 Vgl. Karpen, JA 1986, 585 (587); Kröger, Das Parlament B 34/1969, 28 (33 f.); Herzog, Maunz-Dürig, Art. 65 Rn. 33. Das Sondervotum Heinsen/Rietdorf/Böckenförde in Bundestag, Enquete-Kommission, 223 spricht allgemein von einer „konfliktlösenden Tendenz des Grundgesetzes“. 106 Vgl. Bryde, Münch/Kunig GG-Kommentar, Art. 76 Rn. 21. 107 Vgl. Schürmann, AöR 115 (1990), 45 (45 ff.); Kirn, ZRP 1974, 1 (1 ff.). 108 BVerfGE 25, 167 [186 f.] (Hervorhebung durch Verfasser). 109 Vgl. BVerfGE 2, 1 [1 (LS 2), 13]. 110 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip, 161 ff. m. w. N.

II. Verfassungsrechtliche Stellung der Bundesregierung

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GG. 111 Erst die Parteien verleihen dem Souverän die erforderliche Wirkmächtigkeit, seinem Willen in den Staatsorganen Geltung zu verschaffen. 112 Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet die Parlamentswahlen als den entscheidenden Akt für die Willensbildung im demokratischen Staat. 113 Gerade bei den Parlamentswahlen erfüllen also die Parteien diese verfassungsrechtliche Funktion, dem Willen des Souveräns Ausdruck zu geben. Damit aber ein weiteres Element des Demokratieprinzips Sinnhaftigkeit erlangt, die Mehrheitsentscheidung, 114 müssen die Parteien dem Bürger unterschiedliche Programme vorlegen. Diese Programme bedeuten alternative Strategien zur Behebung von Gemeinwohlbeeinträchtigungen. 115 Der Wahlakt erweist eine Präferenz für eines oder mehrerer dieser Programme.116 Die Verpflichtung der Parteien, Alternativen zu entwickeln, dauert jedoch über den Wahlakt hinaus fort. Nur die dauernde Präsenz von Alternativen gewährleistet den steten Fortgang der Volkswillensbildung und schafft so das Potential einer Änderung der Mehrheitsverhältnisse. „In einem freiheitlichen Staat, in dem der Mehrheitswille [..] entscheidet, müssen Minderheitsgruppen die Möglichkeit haben, zur Mehrheit zu werden.“ 117 Diese fundamentale Funktion des steten Angebots von Alternativen nimmt öffentlichkeitswirksam insbesondere die parlamentarische Opposition wahr. Hierfür bedarf sie des Zugriffs auf diejenige Handlungsform, die einer gesetzgebenden Körperschaft eigen ist. Eine diskutable Alternative der Opposition muß in ihrer formalen Gestalt der tatsächlich zur Verwirklichung gelangenden Mehrheitsalternative entsprechen. Daher steht der Parlamentsminderheit das Instrument der Gesetzesvorlage zur Verfügung. Für die Mehrheitsvorlage wurde oben festgestellt, sie besitze vor allem eine Reservefunktion für den seltenen Fall eines partiellen Dissenses zwischen Regierung und Parlamentsmehrheit. Daher ist Hans Meyer 118 beizupflichten, wenn er der Gesetzesinitiative hauptsächlich den Charakter eines Minderheitsrechts zuweist. Etwas weitgehend erscheint allerdings die Behauptung, das Initiativrecht sei nie als Mehrheitsrecht gedacht gewesen. 119

So ausdrücklich: BVerfGE 91, 276 [284]. Vgl. Mößle, Regierungsfunktionen, 20 ff.; BVerfGE 20, 56 [113]; 44, 125 [145]; 91, 276 [284 f.]. 113 Vgl. BVerfGE 20, 56 [113]. 114 Vgl. insbesondere: BVerfGE 44, 125 [145]; Jestaedt, Demokratieprinzip, 165. 115 Vgl. Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 67; Magiera, Parlament, 130; BVerfGE 20, 56 [113]; BVerfGE 44, 125 [146]; 91, 276 [285 f.]. 116 Vgl. BVerfGE 44, 125 [146]. 117 BVerfGE 44, 125 [145]. 118 Vgl. Meyer, VVDStRL 33 (1975), 87. 119 Schmidt-Jortzig/Schürmann, BK, Art. 76 Rn. 340. 111 112

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

(4) Das Initiativrecht des Bundesrates Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung des Bundes mit (Art. 50 GG). Die nähere Qualität dieser Mitwirkung zu klären, bleibt die Schuldigkeit des abschließenden Kapitels dieser Untersuchung. Die Bestimmung einer Definitionssuprematie erfordert jedoch bereits an dieser Stelle einige Anmerkungen, da der Bundesrat nach Art. 76 Abs. 1 GG das Gesetzesinitiativrecht ebenso besitzt wie Bundesregierung und Bundestag. Steht vorliegend zur Klärung an, ob dieses Recht eines der drei initiativberechtigten Verfassungsorgane als den Inhaber der Definitionssuprematie erscheinen läßt, so kann der Bundesrat also nicht einfach übergangen werden. Eine erste Vermutung lautet jedoch, der Bundesrat komme als Inhaber der Definitionssuprematie nur schwerlich in Betracht. Dieses Verfassungsorgan verfügt weder in gleichem Maße über Informationsressourcen wie die Bundesregierung, noch steht es mit dieser in einem Verantwortungs- und Vertrauenszusammenhang, welcher mit dem später noch zu diskutierenden Verhältnis von Bundesregierung und Bundestag vergleichbar wäre. Zwar besitzt der Bundesrat Zugriff auf die Länderbürokratien und deren Informationen. Aufgrund der Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder gemäß Art. 83 GG betreffen diese Informationen sehr wohl auch Gegenstände der Bundesgesetzgebung. Dennoch scheint die Erfahrung mit der Ausführung bereits bestehender Maßnahmen zur Abwendung von Gemeinwohlgefährdungen eine der Bundesregierung vergleichbare Organadäquanz auf Bundesebene nicht nahezulegen, wie sie von einem Inhaber der Definitionssuprematie zu erwarten wäre. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Informationsressourcen des Bundesrates generell verfassungsrechtlich von geringer Bedeutung wären, wie die Untersuchungen im abschließenden Kapitel erweisen werden. An dieser Stelle soll also lediglich eine Vermutung darüber ausgesprochen werden, daß der Bundesrat als Inhaber der Definitionssuprematie unwahrscheinlich erscheint. (5) Das Initiativrecht der Bundesregierung Die vorstehenden Überlegungen wurden eingeleitet von der provokanten Frage, warum die Organadäquanz der Bundesregierung nur für das Haushaltsgesetz zu einem Einbringungsmonopol führt, die Verfassung hingegen für materielle Gesetzgebung drei mögliche Initianten vorsieht. Der Grund liegt seinerseits in einer Organadäquanz von Bundestag und Bundesrat. Mehrheits- und Minderheitsvorlagen aus der Mitte des Bundestages wurden besondere verfassungsrechtliche Funktionen zuerkannt, welche die Gesetzesinitiativen der Bundesregierung nicht zu erfüllen imstande wären. Zur Funktion des Initiativrechtes des Bundesrates wurde die Vermutung geäußert, sie spreche nicht für eine Definitionssuprematie dieses Verfassungsorgans. Gesetzesvorlagen des Bundesrates müssen daher eine andere verfassungsrechtliche Bedeutung besitzen, welche im abschließenden Kapitel zu klären bleibt.

II. Verfassungsrechtliche Stellung der Bundesregierung

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Die Verfassung stattet alle drei fraglichen Verfassungsorgane mit dem Initiativrecht aus, weil jedes für eine andere verfassungsrechtliche Funktion des Initiativrechts jeweils die (höchste) Organadäquanz besitzt. Damit ist zwar eine Antwort auf die provokante Eingangsfrage gefunden. Diese Antwort beschwört jedoch eine weitere, sozusagen reziproke Frage herauf. Wenn alle Initiativberechtigten mit der Ausübung ihres Rechtes verfassungsintendierte Funktionen erfüllen, warum sollten sie gerade bei der Haushaltsgesetzgebung dieser Aufgabe entkleidet werden? So könnte etwa der Opposition durchaus ein Interesse daran unterstellt werden, ihre haushaltspolitischen Vorstellungen in einem eigenen Gesetzentwurf zum Haushaltsgesetz öffentlichkeitswirksam geltend zu machen. Diese Widersprüchlichkeit offenbart sich um so gravierender, wirft man einen erneuten Blick auf den gefundenen Grund für das Einbringungsmonopol beim Haushaltsgesetz. 120 Das Haushaltsgesetz birgt objektiv das gesamte staatliche Wirken. Die Zusammenführung der fragmentierten Aufgabenbereiche in einem einheitlichen Plan soll eine neue „Erkenntnisdimension“ 121 eröffnen, die den Interessenausgleich der widerstreitenden Politikfelder ermöglicht. 122 An diese besondere Eigenschaft knüpft die Verfassung beim exekutivischen Einbringungsmonopol an. Andere Unterscheidungskriterien konnten nicht aufgewiesen werden, welche die Sonderstellung der Budgetinitiative ebenfalls hätten erklären können. Bezeichnet das Bundesverfassungsgericht den Haushaltsplan als ein zeitlich begrenztes Regierungsprogramm in Gesetzesform, 123 so meint es also offenkundig ein Gesamtprogramm. 124 Demgegenüber wurde zwar oben festgestellt, sonstige, materielle Regelungen enthaltende Gesetze regelten nur partikulare Sachbereiche. Dies heißt nun aber nicht, es handele sich um geradezu „autistische“ Insellösungen. Gesetze bedeuten (idealtypisch) in der Regel vielmehr abgestimmte Teilprogramme im Rahmen eines Gesamtprogramms. Die komplexen gesellschaftlichen Wirkungszusammenhänge erzwingen eine solche Qualität schlechterdings. Treffend formuliert Friesenhahn, „Regieren“ bedeute heute weitgehend „Gesetze geben“, daher sei die Regierung auf das Parlament zur Durchführung ihres Programms angewiesen. 125 Der ebenfalls programmatische, interdependente Charakter der materiellen Gesetzgebung scheint also das im Abschnitt zur Haushaltsgesetzgebung gefundene differentium specificum des Haushaltsgesetzes in Frage zu stellen, welches dort als verfassungsrechtlicher Grund für das Einbringungsmonopol bezeichnet wurde. Die scheinbaren Inkonsistenzen lassen sich zu einer der beiden folgenden, konträren Verfassungsantinomien verdichten. Sind die sonstigen Gesetze als Teilprogramme untrennbar mit dem Gesamtprogramm verwoben, und besitzt die BundesSiehe oben 2. Kapitel II. 3. b) (2). Moeser, Beteiligung, 43. 122 Vgl. Puhl, Budgetflucht, 7. 123 Vgl. BVerfGE 79, 311 [342]. 124 Vgl. BVerfGE 79, 311 [340]. Das Haushaltsgesetz sei mit der Gesamtpolitik unaufhebbar verschränkt. 125 Vgl. Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 48. 120 121

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

regierung aufgrund einer Organadäquanz das Einbringungsmonopol für das Gesamtprogramm (Haushaltsgesetz), so müßte sie auch ein Einbringungsmonopol für die sonstigen Gesetze innehaben. Wenn indessen die beiden anderen Verfassungsorgane von Verfassungs wegen für die sonstigen Gesetze als Teilprogramme initiativberechtigt sind, und eine untrennbare Verbindung dieser Teilprogramme mit dem Gesamtprogramm besteht, so sollten Bundestag und Bundesrat auch für das Gesamtprogramm (Haushaltsgesetz) einbringungsberechtigt sein. Die Auflösung der (alternativen) Antinomien gründet auf dem bereits angesprochenen, etwas stiefmütterlich behandelten Art. 113 GG, und damit auf dem problematischen Verhältnis zwischen haushaltswirksamen sonstigen Gesetzen und dem Haushaltsgesetz. (a) Haushaltsgesetz und Sonstiges Gesetz Sonstiges Gesetz meint ein Gesetz, welches nicht Haushaltsgesetz ist, also im allgemeinen eine materielle Regelung enthält. Das sonstige Gesetz legt die Staatsaufgaben 126 fest und bringt diese zur Ausführung. Der Gesetzgeber benennt also erkannte Gemeinwohlgefährdungen und beschließt eine Vorgehensweise zu deren Abwendung. 127 Die Ausführung eines jeden sonstigen Gesetzes nimmt Ressourcen in Anspruch. Dies gilt nicht nur für solche Gesetze, die materielle oder monetäre staatliche Leistungen definieren. Selbst die straf- und ordnungsrechtliche Gesetzgebung, welche zunächst nur Verhaltensnormen errichtet, verursacht über die Bereiche Prävention und Repression Kosten. Inwieweit das kostenverursachende Gesetz selbst die Höhe der Kosten definiert, hängt vom Einzelfall ab. Begründet das Gesetz staatliche Leistungen oder Investitionen, kann eine Vorausschätzung der Kosten zumindest prinzipiell unmittelbar aus dem Regelungstatbestand gewonnen werden. Verursacht hingegen vor allem die Ausführung des Gesetzes Verwaltungskosten, 128 so dürfte eine ex-ante Bestimmung deren Höhe in der Regel schwierig sein. Hieraus folgt, der Gesetzgeber definiert kontinuierlich Staatsaufgaben und damit staatliche Handlungspflichten, eine Vorausbestimmung deren Gesamtkosten ist im Stadium des einzelnen Gesetzesbeschlusses jedoch kaum möglich. Die Ressourcenknappheit verleiht diesem Tatbestand nun grundsätzliche Bedeutung für das Verhältnis von Bundesregierung und Gesetzgeber. Die Ausführbarkeit der Gesetze im beschlossenen Umfang ist keineswegs gewährleistet. Fehlte ein Koordinationsmechanismus, Im Sinne der Definition des 1. Kapitels II. 3. b) (2), (3); II. 3. d); III. 4. a). Selbstverständlich existieren zahlreiche Gesetze, die nicht unmittelbar auf die Bekämpfung einer Gemeinwohlgefährdung gerichtet sind. Da jedoch, wie das erste Kapitel erwiesen hat, jedes staatliche Tun seine Rechtfertigung in der Förderung eines verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbelanges finden muß, ist jedes Gesetz zumindest instrumental hierauf gerichtet. 128 Sofern die Bundesverwaltung oder die Auftragsverwaltung betroffen ist. Tragen hingegen die Länder nach Art.104 a Abs.1 GG die Verwaltungskosten, ist die Finanzierungsfrage für die Bestimmung des Bedeutungsverhältnisses von Bundesregierung und Gesetzgeber offensichtlich irrelevant. 126 127

II. Verfassungsrechtliche Stellung der Bundesregierung

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so könnten die Kosten der beschlossenen Staatsaufgaben leicht die zur Verfügung stehenden Mittel übersteigen. Die Kompensation durch Neuverschuldung ist nach Art. 115 Abs. 2 Satz 2 GG begrenzt. Dieser Koordinationsmechanismus besteht offenkundig in der Haushaltsgesetzgebung. Die materiellen Staatsaufgaben sind also vom Gesetzgeber vorbestimmt, welcher hierfür selbstverständlich auch initiativberechtigt ist. Die Bezeichnung des Haushaltsgesetzes als Gesamtprogramm kann folglich nicht heißen, das Haushaltsgesetz sei konstitutiv für die Bestimmung von Staatsaufgaben. Vielmehr findet die Bundesregierung bei der Aufstellung des Haushaltsentwurfs die Summe gesetzlicher Aufgaben als Invariante vor. Hinzu treten vertragliche und sonstige finanzielle Verpflichtungen. Der bereits zuvor thematisierte Einwand erscheint also zunächst bestätigt, wegen der Vorbestimmung durch die sonstigen Gesetze besäße das Haushaltsgesetz keine eigene Gestaltungskraft. Doch der Schein trügt. Der zunächst formal wirkende Aspekt der Ressourcenknappheit verleiht dem Haushaltsgesetz ein unerhört bedeutsames materielles Gepräge. Wiederholt wurde festgestellt, der Gesamtprogrammcharakter des Haushaltsgesetzes eröffne eine neue „Erkenntnisdimension“ 129 und ermögliche so den Interessenausgleich der widerstreitenden Politikfelder. 130 Dies kann nun endlich präzisiert werden. Die herausgehobene, verfassungsintendierte Leistung der Bundesregierung bei der Aufstellung und Einbringung des Haushaltsentwurfs besteht in einem Ressourcenmanagement. Die Bundesregierung muß die Kosten gesetzgeberischer Entscheidungen abschätzen, sofern der Gesetzgeber dies unterlassen hat. Beispielhaft ist auf die oben bereits angesprochenen Verwaltungskosten zu verweisen. Natürlich ist es die Exekutive selbst, welche aufgrund von Erfahrungswerten auch zukünftige Kosten am sichersten vorhersehen kann. Weiterhin muß die Bundesregierung innerhalb des gesetzlichen Spielraums die Wahrnehmungsform der Aufgaben, das Verwaltungsverfahren, unter dem Gesichtspunkt der Kosteneffizienz präzisieren. Sie muß fakultative Kosten, die ihrer eigenen Entscheidungshoheit unterliegen, notfalls reduzieren, um die Wahrnehmung der gesetzlich verbindlichen Aufgaben zu ermöglichen. Fakultative Kosten, welche nicht ihrer Entscheidungshoheit unterliegen, schlägt sie gegebenenfalls dem Gesetzgeber zur Reduzierung vor. Darüber hinaus ist die Bundesregierung aufgrund ihres Apparates im Stande, solche Gemeinwohlgefährdungen zu antizipieren, welche noch nicht Gegenstand gesetzgeberischer Befassung waren. Für derartige Gefährdungen kann der Haushaltsplan Mittel vorhalten, deren Verwendung erst später vom Gesetzgeber als neue Staatsaufgabe konkretisiert wird. Diese Tätigkeiten der Bundesregierung bedeuten eine eigenständige, erhebliche materielle Leistung. Zwar ist die Regierung insoweit an die gesetzgeberischen Vorgaben gebunden, als die gesetzlich definierten Aufgaben erfüllt werden müssen und daher auch im Haushaltsplan vorzusehen sind. 131 Sie muß dennoch eine eigenstän129 130 131

Moeser, Beteiligung, 43. Vgl. Magiera, Parlament, 267; Puhl, Budgetflucht, 7. Vgl. Moeser, Beteiligung, 73.

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

dige, rationale Bewertung der Staatsaufgaben und der zugrundeliegenden Gemeinwohlgefährdungen vornehmen, um zu einer ressourceninduzierten Priorisierung zu gelangen. 132 Eine solche, alle staatlichen Tätigkeitsbereiche einbegreifende Bewertung vorzunehmen, macht die Verfassung der Bundesregierung zur Aufgabe im Rahmen des Haushaltsverfahrens.

(b) Zwischenergebnis Der Gesetzgeber beschließt die gesetzeskräftigen Staatsaufgaben. Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung sind für derartige Gesetzesvorlagen initiativberechtigt. Exklusive Aufgabe der Bundesregierung ist die Einpassung aller gesetzlichen Staatsaufgaben und sonstiger finanzieller Verpflichtungen in ein finanzierbares Gesamtprogramm auf Grundlage materialer Bewertung. Eine derartige Aufgabe kann rational nur von der Ministerialbürokratie bewältigt werden. Die Verfassung spricht daher der Bundesregierung für den Haushaltsplan das Einbringungsmonopol aus. Die Entwicklung dieses Gesamtprogramms bedeutet eine eigenständige, erhebliche Gestaltungsleistung der Bundesregierung. Dennoch schmälert das Initiativmonopol die Gestaltungskompetenz des Gesetzgebers nicht, weil die zu bewältigenden Aufgaben durch die sonstigen Gesetze bereits vorentschieden sind. Die Bundesregierung beschließt also nicht anstelle des Gesetzgebers über Aufgaben, sondern konkretisiert und koordiniert bestehende Aufgaben. Ausnahme hiervon bildet die oben angesprochene Antizipation zukünftiger Gemeinwohlgefährdungen und demgemäße Mittelbereitstellung. Auch dies greift jedoch nicht in die Gestaltungskompetenz des Gesetzgebers ein. Der Gesetzgeber entscheidet letztverbindlich über den Haushaltsplan und kann die so vorgesehenen Mittel im Haushaltsgesetzgebungsverfahren wieder streichen. Somit gelingt die Auflösung der (scheinbaren) Antinomien. Oben wurde der Begriff des Gesamtprogramms vor allem auf die materiale Interdependenz gesetzlicher Regelungen bezogen. Ist jedoch im Zusammenhang mit dem Haushaltsgesetz von einem Gesamtprogramm im Unterschied zu den sonstigen Gesetzen als Teilprogramme die Rede, so ist nicht die materielle, sondern die finanzielle Interdependenz gemeint. Das Haushaltsgesetz transzendiert den materialen Gehalt der haushaltswirksamen Einzelgesetze. Es erbringt eine emergente Leistung, welche die tatsächliche Ausführung der Teilprogramme überhaupt erst ermöglicht. 133 Weil also das Haushaltsgesetz nicht einfach nur eine programmatische Bündelung der sonstigen Gesetze bedeutet, bestehen auch die vermuteten Antinomien nicht. Alle drei Verfassungsorgane sind initiativberechtigt für materielle Regelungen aller Art. Die finanzielle 132 133

Vgl. Puhl, Budgetflucht, 7; Linck, Zulässigkeit und Grenzen, 53. Vgl. Puhl, Budgetflucht, 5 ff.

II. Verfassungsrechtliche Stellung der Bundesregierung

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Ermöglichung der so aufwachsenden Summe aller Staatsaufgaben ist Sache der Bundesregierung. Damit besteht eine klare Trennung der Verantwortungssphären. 134 Allerdings behält der Gesetzgeber die Letztentscheidung über den Haushaltsplan. Die eben entwickelte exklusive Stellung der Bundesregierung hätte keinen Bestand, könnte der Gesetzgeber dabei beliebige Änderungen am Haushaltsentwurf der Bundesregierung vornehmen. Hier entfaltet nun der Art. 113 GG seine elementare Wirkung. (c) Bedeutung des Art. 113 GG Art. 113 GG trifft allenthalben auf fundamentale Verfassungskritik. Die hier zugrundegelegte Methode der Verfassungsexegese schließt jedoch die Kennzeichnung einer Verfassungsnorm als „Fehlkonstruktion“, 135 „Anachronismus“ 136 oder „Systemwidrigkeit“ 137 aus. Jede Verfassungsnorm bedeutet ein Systemelement, dem ein intendierter funktionaler Beitrag zum Gesamtsystem der Verfassung zu unterstellen ist. 138 Dieses Gesamtsystem besteht genau so, wie es positiv durch das Grundgesetz normiert wurde. Die Negation des Systembeitrags einzelner Verfassungsnormen bedeutet keine sinnhafte Operation im Rahmen der Exegese, denn dies stellte die Geltungskraft des Gesamtsystems und damit die Normativität der Verfassung als solches in Frage. Die Ermittlung des normativen Gehalts eines Gesetzeswerkes unter einem derartigen Interpretationsansatz führte sich selbst ad absurdum, denn die Schwächung der Normativität zerstörte letztlich das, was eigentlich ermittelt werden soll. Einen empirischen „Beweis“ für die Mangelhaftigkeit einer Verfassungsnorm dergestalt zu behaupten, die Norm gelange nicht zur Anwendung, muß ebenfalls scheitern. Von einer derartigen, zurückzuweisenden Fundamentalkritik an einer Verfassungsnorm zu unterscheiden ist selbstverständlich die zulässige Auseinandersetzung über den normativen Gehalt. Umstritten sind im wesentlichen die Geltung des Art. 113 GG auch für das Haushaltsgesetz, das Ziel des Haushaltsausgleichs als Anwendungsvoraussetzung, ein etwaiger Ausnahmecharakter der Regelung, sowie die Bedeutung des Ermächtigungscharakters des Haushaltsgesetzes für den Stellenwert des Art. 113 GG. Wegen der besonderen Bedeutung des Wortlauts des Art. 113 Abs. 1 Satz 1 GG wird dieser zunächst wiedergegeben. 134 Zur Verantwortung der Bundesregierung im Haushaltswesen vgl. BVerfGE 45, 1 [46 f., 55] („wesentliche Zuständigkeiten, die sie [die Bundesregierung] als Exekutivorgan auch gegenüber dem Gesetzgeber hat“). 135 Heun, Staatshaushalt, 183 ff. 136 Mußgnug, Haushaltsplan, 203. 137 Mußgnug, Haushaltsplan, 203. 138 Vgl. BVerfGE 1, 299 [312]; 1, 14 [15 (LS 4), 32]; 8, 210 [221]; 8, 274 [307]; Henrichs, Artikel 113, 232 f.

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

„Gesetze, welche die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplanes erhöhen oder neue Ausgaben in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen, bedürfen der Zustimmung der Bundesregierung.“

Auch in jüngerer Zeit ist keine verläßliche Klärung der Frage gelungen, ob Art. 113 GG auch einschlägige Änderungen des Haushaltsgesetzentwurfs dem Zustimmungsvorbehalt unterwirft. 139 Art. 113 Abs. 1 GG unterscheidet drei alternative Tatbestandsvoraussetzungen. Solche Gesetze, welche die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplanes erhöhen, sollen dem Zustimmungsvorbehalt unterliegen, weiterhin solche Gesetze, welche neue Ausgaben in sich schließen und schließlich Gesetze, welche neue Ausgaben für die Zukunft mit sich bringen. Hervorzuheben ist nun der Wortlaut der erstgenannten Tatbestandsalternative: 140 „von der Bundesregierung vorgeschlagene Ausgaben des Haushaltsplanes“. Dieser Wortlaut ist so eindeutig, daß eine Umdeutung von „durch die Bundesregierung vorgeschlagene Ausgaben“ in „vom Bundestag im Haushaltsgesetz beschlossene Ausgaben“ nicht stattfinden kann. Zu erinnern ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach mit keiner Auslegungsmethode ein Ergebnis erzielt werden darf, welches dem Wortlaut der Norm widerspricht. 141 Dem Wortlaut können deshalb auch keine vermeintlich anderslautenden systematischen oder sonstigen Interpretationen entgegengehalten werden. So ist die Behauptung falsch, die Annahme der Anwendbarkeit des Art.113 GG auf den Haushaltsgesetzentwurf mit Verweis auf den Wortlaut mache den Haushaltsplan der Bundesregierung zum generellen Prüfungsmaßstab aller Tatbestandsalternativen, das heißt auch für sonstige Gesetze. 142 Dies zeigt der Wortlaut des Art.113 Abs. 1 GG völlig zwanglos. Die zweite und dritte Tatbestandsalternative lautet „Gesetze, welche neue Ausgaben in sich schließen“ bzw. „Gesetze, welche neue Ausgaben für die Zukunft mit sich bringen“. Prüfungsmaßstab dieser beiden Tatbestandsvoraussetzungen ist also, ob eine neue Ausgabe vorliegt. Eine „neue“ Ausgabe liegt nur dann vor, wenn die Ausgabe bisher noch nicht bestand. Eine Ausgabe „besteht“ im rechtlichen Sinne aber nur dann, wenn sie gesetzlich beschlossen wurde. Beschlossen wird eine Ausgabe jedoch durch die sonstigen Gesetze und anderweitige materielle Regelungen, nicht durch das Haushaltsgesetz oder den Haushaltsplan. 143 Das Haushaltsgesetz stellt nur die Mittel bereit. Prüfungsmaßstab der beiden letztgenannten Tatbestandsalternativen ist daher weder der Haushaltsplan der Bundesregierung noch das Haushaltsgesetz. Vielmehr lautet der Prüfungsmaßstab, der Gesetzgeber will durch sonstiges Gesetz eine neue Ausgabe beschließen, welche bisher gesetzlich noch nicht bestand. Die erstgenannte Tat139 Für die Anwendbarkeit: Moeser, Beteiligung, 118, 120; Henrichs, Artikel 113, 255; Weis, Artikel 113, 78 jeweils m. w. N. Dagegen: Heun, Staatshaushalt, 307 f.; Mußgnug, Haushaltsplan, 208 jeweils m. w. N. 140 Vgl. zur Bedeutung des Wortlautes Weis, Artikel 113, 70 m. w. N.; Moeser, Beteiligung, 119 m. w. N. 141 Vgl. BVerfGE 8, 210 [220]. 142 Vgl. Heun, Staatshaushalt, 307. 143 Vgl. Karehnke, DVBl 1972, 811 (812).

II. Verfassungsrechtliche Stellung der Bundesregierung

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bestandsvoraussetzung ist hiervon völlig getrennt zu beachten, sie normiert einen anderen Fall. Wer dies anders sieht, liest Art. 113 Abs. 1 GG anders: „Gesetze, welche die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplanes erhöhen oder gegenüber den von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben neue Ausgaben in sich schließen oder gegenüber den von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben für die Zukunft mit sich bringen, bedürfen der Zustimmung der Bundesregierung.“ So lautet die Verfassungsnorm aber nun einmal nicht. Ohne Anhalt im Verfassungstext werden also die beiden mit „oder“ eingeleiteten Alternativen konditional mit der ersten Alternative verknüpft. Damit wird ein Ausgabenvorschlag der Bundesregierung zur partiellen Tatbestandsvoraussetzung aller drei Alternativen gemacht. Zerlegt man hingegen Art. 113 Abs. 1 Satz 1 GG grammatisch korrekt in drei Sätze, so folgen die drei autonomen Tatbestände, wie sie oben angeführt wurden. Ebenfalls nicht überzeugen kann der Verweis Heuns auf „‚unterirdische‘ Regierungsinitiativen“. 144 Diese können kein Problem der Verfassung sein. Ist die Bundesregierung nicht im Stande, einen eindeutig ihr zuzuordnenden Haushaltsplan vorzulegen, muß sie dies notfalls gegen sich gelten lassen. Des weiteren hingewiesen wird auf den Ermächtigungscharakter des Haushaltsgesetzes. Dieser mache eine Anwendung des Art. 113 GG auf das Haushaltsgesetz überflüssig, weil die Bundesregierung nicht zur Leistung einer vom Bundestag im Haushaltsgesetz beschlossenen Ausgabenerhöhung verpflichtet sei. 145 Doch auch diese Annahme geht fehl. Besitzt nämlich der Haushaltsplan annahmegemäß bloßen Ermächtigungscharakter, so muß der Bundestag die von ihm im Haushaltsgesetz vorgesehene Mehrausgabe zusätzlich durch sonstiges Gesetz beschließen, damit diese tatsächlich Wirksamkeit erlangt. Auf ein derartiges Gesetz fände Art. 113 GG aber unstrittig Anwendung. Wenn jedoch die Bundesregierung nach Art.113 GG sogar im Stande ist, den Bundestag an einem wirksamen materiellen Ausgabenbeschluß zu hindern, so muß sie – a majore ad minus – erst recht zur Unterbindung einer ex-ante Haushaltsmittelbereitstellung in der Lage sein für eine Aufgabe, welche sich aufgrund des später möglichen Vetos gegen die materielle Regelung ohnehin erledigte. Endlich bleibt festzustellen, ausschließlich das Haushaltsgesetz bzw. Nachtragshaushalte sind rechtstechnisch überhaupt in der Lage, „von der Bundesregierung vorgeschlagene Ausgaben des Haushaltsplanes“ zu erhöhen. Wäre Art. 113 GG auf das Haushaltsgesetz nicht anwendbar, so könnte er sich nur auf die Ausgabensteigerung durch sonstige Gesetze beziehen. Derartige ausgabensteigernde sonstige Gesetze erhöhen die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplanes nun aber gerade nicht, sondern verursachen ein Finanzierungsproblem. Die Prüfung aller strittigen Aspekte ergibt also, Art. 113 GG ist auf die Haushaltsgesetzgebung anzuwenden. 144 Heun, Staatshaushalt, 307. Heun bezieht sich auf Ausgabenansätze, welche von Abgeordneten „pro forma“ beantragt, in Wahrheit von der Regierung initiiert seien. 145 Vgl. Moeser, Beteiligung, 120; Henrichs, Artikel 113, 250; Frömel, DVBl 1974, 65 (69); Boldt, ZParl 1973, 534 (543); Weis, Artikel 113, 77; Mußgnug, Haushaltsplan, 207; Böckenförde, Organisationsgewalt, 114, 304; Karehnke, DVBl 1972, 811 (812).

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

Art. 113 GG zählt abschließend die oben genannten drei Tatbestandsalternativen für dessen Anwendbarkeit auf. Ob jenseits des Vorliegens einer dieser Tatbestandsalternativen die Bundesregierung den Haushaltsausgleich zum Ziel ihrer Zustimmungsverweigerung haben muß, 146 geht aus dem Verfassungstext nicht unmittelbar hervor. Die notwendige Motiverforschung wäre jedenfalls auch ein normatives Novum. Henrichs weist zu Recht auf die Unwahrscheinlichkeit hin, der Bundesregierung einen etwaigen Ermessensmißbrauch nachzuweisen. 147 Nun muß jedoch eine klare Unterscheidung erfolgen zwischen Tatbestandsvoraussetzung und verfassungsrechtlicher Funktion. Ganz offensichtlich fußt die Verfassungsnorm auf dem Problem der Ressourcenknappheit, das oben bereits als Grund für die kompetentielle Beteiligung der Bundesregierung im Haushaltsverfahren benannt wurde. Anders wäre die tatbestandliche Beschränkung auf Ausgabenerhöhungen und Einnahmenminderungen nicht zu erklären. Dieses Problem kann man durchaus als „Notwendigkeit des Haushaltsausgleichs“ bezeichnen, womit das Telos der Norm erfaßt wäre. Die teleologische Auslegung einer Norm ist aber gerade dort geboten, wo Zweifel über die Bedeutung einer normierten Tatbestandsvoraussetzung bestehen, 148 etwa weil diese einen unbestimmten Rechtsbegriff enthält. Vorliegend bestehen hierüber jedoch keinerlei Zweifel. Zwar mag es im Einzelfall schwierig sein zu ermitteln, welche Ausgabenerhöhungen ein Gesetz zur Folge hat, der Begriff der Ausgabenerhöhung als solches hingegen ist eindeutig. Einer teleologischen Auslegung bedarf es nicht. Liegt daher eine der normierten Tatbestandsvoraussetzungen vor, kann die Bundesregierung ihre Zustimmung verweigern. Weitere Anwendungsvoraussetzungen bestehen nicht. Art. 113 GG wird häufig als „Ausnahme“ bezeichnet. Jedoch erweist sich äußerst umstritten, zu welcher Regel die Verfassungsnorm überhaupt eine Ausnahme bilden soll. Der Auseinandersetzung liegt die Frage zugrunde, ob entweder die Legislative oder die Exekutive im Bereich des Haushaltswesens originäre Rechte besitzt. Angesichts der vorliegend zur Anwendung gelangenden Methode der Verfassungsexegese bleibt diese Frage ohne Belang. Ob das Haushaltswesen eine originär legislative oder exekutive Aufgabe bedeutet, zielt auf eine extrapositive Begründung. Der Debatte seien aber dennoch einige Anmerkungen geschuldet. Das Bundesverfassungsgericht äußert sich eindeutig: „Diese Bestimmung dient, wie sich sowohl aus der Entstehungsgeschichte als auch aus dem Wortlaut ergibt, dazu, die Rechte der Legislative durch die Exekutive zu beschränken.“ 149 Den Kontrapunkt bildet die Auffassung, das Budget sei eigentlich ein der Exekutive zuzurechnender Verwaltungsakt, die Beteiligung des Parlaments trage daher Ausnahmecharakter, diesbezügliche 146 Vgl. Moeser, Beteiligung, 73 f.; Henrichs, Artikel 113, 321; Mußgnug, Haushaltsplan, 279; Weis, Artikel 113, 89 f. 147 Vgl. Moeser, Beteiligung, 73 f. 148 Oder selbstverständlich auch Zweifel über sonstige Normgehalte, was aber vorliegend keine Rolle spielt. 149 BVerfGE 45, 1 [58 f.]; vgl. auch BVerfGE 95, 1 [16] („[..] kraft des dem Parlament historisch zukommenden Haushaltsbewilligungsrechts[..]“).

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Normen seien restriktiv auszulegen. 150 Die herrschende Meinung scheint allerdings eher der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zu folgen. 151 Außerverfassungsrechtliche Kompetenzvermutungen tragen aber nicht zur Klärung des Verhältnisses von Bundestag und Bundesregierung im Haushaltsverfahren bei. Der Beurteilung können vielmehr nur die ausdrücklichen Kompetenzen zugrundeliegen. Demnach besitzt die Bundesregierung das Einbringungsmonopol, der Bundestag ein von Art. 113 GG beschränktes Letztentscheidungsrecht. Wie gesehen, folgt diese Konstellation dem Grundsatz der Organadäquanz. Das Zusammenwirken von Bundestag und Bundesregierung führt zu einem optimierten Ergebnis. 152 Allerdings wurde oben 153 bereits festgestellt, gegenläufige Auffassungen von Bundestagsmehrheit und Bundesregierung seien weder zu erwarten noch von der Verfassung „als Regelfall“ vorgesehen. Art. 113 GG könnte daher zumindest insofern Ausnahmecharakter besitzen, als er einen derartigen, außergewöhnlichen Fall gegenläufiger Auffassungen beschreibt. Die Außergewöhnlichkeit beraubt die Verfassungsnorm aber keineswegs ihrer Funktion. Im Gegenteil, sie hält das unverzichtbare verfassungsnormative Verdikt über die nicht auszuschließende Situation der Uneinigkeit bereit. Denn hier gilt ebenso wie im allgemeinen Gesetzgebungsverfahren, eine punktuelle Uneinigkeit von Bundesregierung und Bundestagsmehrheit soll nicht zwangsläufig sofort in ein konstruktives Mißtrauensvotum münden. 154 Die Behauptung geht daher fehl, Art. 113 GG besäße keine Durchschlagskraft, da sich die Bundesregierung kaum gegen den erklärten Willen des Parlaments auflehnen könne. Vielmehr schützt Art. 113 GG sowohl Bundesregierung als auch Parlament, und damit die Bundesrepublik Deutschland, vor Situationen politischer Instabilität. Wenn die Norm bisher kaum zur Anwendung gelangt ist, so bedeutet dies nur einen empirischen Beleg der stabilen politischen Verhältnisse unter dem Grundgesetz. Obenstehende Überlegungen gestatten die folgende Abschlußbewertung. Art. 113 GG soll die verfassungsrechtliche Funktion der Bundesregierung im Haushaltsverfahren schützen, die Finanzierbarkeit aller beschlossenen staatlichen Aufgaben durch die Aufstellung des Haushaltsplanes notfalls gegen den Willen des Bundestages zu gewährleisten. 155 Hierbei wirkt die Verfassungsnorm mit dem Einbringungsmonopol zusammen. Unzutreffend erscheint allerdings die Auffassung, Art. 113 Abs. 1 GG diene der Sicherung bzw. Stärkung des Einbringungsmonopols der Bundesregierung. 156 Eine Verfassungsnorm ist nicht exklusiv dazu da, die normative Kraft einer anderen Verfassungsnorm zu verstärken. Alle Normen eines positiven Vgl. Boldt, ZParl 1973, 534 (543). Vgl. Weis, Artikel 113, 85 ff.; Mußgnug, Haushaltsplan, 203 ff.; Frömel, DVBl 1974, 65 (67 ff.); Henrichs, Artikel 113, 312 ff. 152 Vgl. Heun, Staatshaushalt, 99 ff. 153 Vgl. 2. Kapitel II. 3. c) (3) (a). 154 Vgl. ebd. 155 Vgl. Mußgnug, Haushaltsplan, 208; Karehnke, DVBl 1972, 811 (812); Weis, Artikel 113, 78, 89 f.; Henrichs, Artikel 113, 324. 156 Vgl. Henrichs, Artikel 113, 324; Weis, Artikel 113, 78, 89 f.; Karehnke, DVBl 1972, 811 (812). 150 151

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

Gesetzes besitzen aus sich heraus gleichrangige Geltungskraft. Tatsächlich dienen beide Verfassungsnormen gleichermaßen der gerade genannten verfassungsrechtlichen Funktion. Insoweit sind sie also durchaus aufeinander bezogen, keinesfalls jedoch im Sinne eines instrumentalen Subordinationsverhältnisses. Ebenfalls ohne verfassungsrechtliche Grundlage bleibt die Behauptung, verfassungsrechtliche Funktion des Art. 113 GG sei, einer angeblichen parlamentarischen Tendenz der Ausgabenvermehrung 157 entgegenzuwirken. Ob das Parlament zur Ausgabenvermehrung tendiert, ist eine rein empirische Frage, deren Beantwortung einer situativen Varianz unterliegt. Wenn das Parlament im Einzelfall eine Ausgabenerhöhung beschließt, welche dem Zustimmungsvorbehalt des Art. 113 GG unterliegt, so mag dies durchaus sachlich gerechtfertigt, und nicht ein Indikator für eine generelle Verhaltenstendenz sein. Abschließend ist Friaufs Feststellung 158 beizupflichten, Art. 113 GG sei eine Schlüsselbestimmung des parlamentarischen Systems. (d) Organadäquanz und Initiativprärogative der Bundesregierung Vermeintliche Inkonsistenzen in der verfassungsrechtlichen Regelung der Initiativberechtigung konnten somit ausgeräumt werden. Die Beschränkung der Initiativbefugnis im Haushaltsgesetzgebungsverfahren bei gleichzeitiger Ausdehnung dieser Befugnis für sonstige Gesetze war verfassungsrechtlich zu begründen. Damit kann sich die Aufmerksamkeit nun wieder auf die Organadäquanz der Bundesregierung richten, wenn sie von ihrem Initiativrecht für sonstige Gesetze Gebrauch macht. Die Bundesregierung besitzt den Vorteil ihrer Ministerialbürokratie, ihres Zugangs zu Informationen sowie der Fähigkeit der rationalen Erarbeitung von Alternativen. Ausgangsfrage dieses Abschnitts war allerdings, ob die Verfassung allen drei Einbringungsberechtigten auch die gleiche Qualität beimißt. Dies wurde noch nicht beantwortet. Die bisherigen Befunde erlauben jedoch, eine Variante des „Subtraktionsverfahrens“ anzuwenden. Das Initiativrecht von Bundesrat und Bundestag erfüllt spezielle verfassungsrechtliche Funktionen. Zur Erfüllung dieser speziellen Funktionen besitzen diese Verfassungsorgane jeweils eine besonders hohe Organadäquanz. Jedoch zielt keine dieser Funktionen, und damit auch keine der Organstrukturen auf die größtmögliche Richtigkeit der Beurteilungen und Entscheidungen. Mehrheitsvorlagen des Bundestages wurde die verfassungsrechtliche Funktion zuerkannt, für die seltene Situation einer Uneinigkeit zwischen Mehrheit und Bundesregierung ein mildes Mittel zur deren Bereinigung bereitzustellen. Derlei Beschränkungen unterliegen Minderheitsvorlagen zwar nicht, haben aber in der Regel keine Chance der Gesetzwerdung. Für die Gesetzesinitiative des Bundesrates liegt eine Vermutung vor, sie zeichne dieses Verfassungsorgan nicht als den Inhaber der Definitionssuprematie aus. Die Funktion dieser Bundesratskompetenz muß anders 157 158

Vgl. Weis, Artikel 113, 78, 89 f.; Moeser, Beteiligung, 74; Scheuner, Verantwortung, 396. Friauf, VVDStRL 33 (1975), 163 (Aussprache).

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lauten. Weder Bundestag noch Bundesrat treten mit der Bundesregierung in Konkurrenz bezüglich der Organadäquanz hinsichtlich Rationalität und Informiertheit des Entscheidungsapparates. Aufgrund dieser anderslautenden verfassungsrechtlichen Funktionen des Initiativrechts der anderen Verfassungsorgane richtet sich somit der Fokus auf die Bundesregierung. Für den gesetzgeberischen Normalfall ist sie von Verfassungs wegen am geeignetsten, Gesetzesinitiativen einzubringen. Das Initiativrecht erlaubt der Bundesregierung, faktisch und rechtlich eine politische Führung auszuüben.159 Die Bedeutung des exekutivischen Initiativrechts ist jedoch weniger faktischer, sondern vor allem streng normativer Natur. Die Verfassung erteilt der Bundesregierung aufgrund der gerade beschriebenen Organadäquanz nicht nur die Initiativbefugnis, sondern ordnet deren Gebrauch auch als verfassungsrechtlichen Regelfall an. Auch das Bundesverfassungsgericht scheint dieser Auffassung zu sein, wenn es feststellt, die Bundesregierung habe mit den Vorarbeiten für ein Strafvollzugsgesetz ohne schuldhaftes Zögern darauf reagiert, daß die Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis als eigene implizite Grundrechtsschranke zunehmend auf Ablehnung stieß. 160 Damit wird die grundsätzliche Möglichkeit eines schuldhaften Zögerns der Bundesregierung festgestellt. Ein solcher Begriff macht nur Sinn in Bezug auf eine Handlungspflicht. Das Bundesverfassungsgericht sieht also eine Pflicht der Bundesregierung zur Einbringung von Gesetzesvorlagen, und zwar über die Haushaltsgesetzgebung hinaus. (6) Ergebnis Für den Bereich der allgemeinen Gesetzgebung besitzt die Bundesregierung eine Initiativprärogative. Diese bedeutet nicht nur ein Recht, sondern vor allem eine Pflicht zur Einbringung von Gesetzesvorlagen, sofern die Bundesregierung Kenntnis von Gemeinwohlgefährdungen erhält. Dem Initiativrecht der anderen Verfassungsorgane wurden verfassungsrechtliche Funktionen zuerkannt, die für die Frage einer Definitionssuprematie nicht relevant sind. Damit hat sich das Initiativrecht der Bundesregierung für die allgemeine Gesetzgebung als eine weitere der spezielleren Kompetenzen erwiesen, welche der Gestaltungsaufgabe der Bundesregierung im Bereich „Politik“ gemäß der Richtlinienkompetenz dienen. 159 Vgl. BVerfGE 9, 268 [281] („Die Regierung hat kraft ihrer Aufgabe das Recht, der ganzen Staatstätigkeit eine bestimmte Richtung zu geben“); Scheuner, Der Bereich der Regierung, 261; Scheuner, DÖV 1974, 433 (438) (Entwurf des Inhalts der Gesetzgebung durch die Exekutive ein „normaler Vorgang“); Schröder, Jura 1982, 449 (452); Drath, Gewaltenteilung, 121; Meyer, VVDStRL 33 (1975), 87 f.; Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 55, 57 („Verfassungswirklichkeit“, „praktisch-politischer Gegenschlag der Exekutive“); Herzog/ Pietzner, Möglichkeiten, 42; Böckenförde, Organisationsgewalt, 81, 86 f.; Mößle, Regierungsfunktionen, 156 ff.; Magiera, Parlament, 232 f. 160 Vgl. BVerfGE 33, 1 [13].

10 Meyer

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d) Außen- und europapolitische Kompetenzen (1) Außenpolitischer Vorbehaltsbereich der Bundesregierung? Die Zuordnung der Akte des auswärtigen Verkehrs zu den Verfassungsorganen des Bundes ist seit jeher eine Streitfrage des Verfassungsrechts. 161 Grundtenor des Streits lautet, ob die auswärtige Gewalt Vorrangbereich der Legislative oder der Exekutive sei, oder ob hier gegebenenfalls eine Gleichordnung bestünde. 162 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Akte des auswärtigen Verkehrs grundsätzlich dem Kompetenzbereich der Exekutive zugeordnet. 163 Folgerichtig bezeichnet das Gericht Art. 59 Abs. 2 GG als eine Durchbrechung des Gewaltenteilungssystems, insofern dort die Legislative in den Bereich der Exekutive übergriffe. 164 Die Befugnisse der gesetzgebenden Körperschaften nach Art. 59 Abs. 2 GG werden als Übertragung von „Mitentscheidungsrechten“ qualifiziert, 165 sie seien beschränkt 166 bzw. „(strikt) begrenzt“. 167 (a) Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Soweit ersichtlich, verwendet das Gericht fünf verschiedene Begründungsansätze. Es verweist zunächst auf die traditionelle Staatsauffassung, die deutsche Staatspraxis. 168 Weiterhin unterstellt es von vornherein die exekutivische Natur der auswärtigen Gewalt. 169 Ebenfalls zur Anwendung gelangt die Subtraktionsmethode. Der Handlungsbereich der auswärtigen Gewalt sei nicht Gesetzgebung im Sinne des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG. 170 Auch Art. 65 GG spreche für die ausschließliche Zuständigkeit der Bundesregierung in auswärtigen Angelegenheiten, sofern dem Bundestag nicht ausdrücklich Aufgaben zugewiesen seien. 171 Schließlich greift das Gericht auf das Argument der Organadäquanz zurück. Dessen Grundlage sei Art. 20 161 Vgl. Grewe, HStR III, § 77 Rn. 41 ff.; Kadelbach/Guntermann, AöR 126 (2001), 563 (563 f.). 162 Vgl. Grewe, HStR III, § 77 Rn. 41 ff.; Pernice, Dreier GG-Kommentar, Art. 59 Rn. 15 ff.; Ehrenzeller, Legislative Gewalt, 177 ff.; Kadelbach/Guntermann, AöR 126 (2001), 563 (567 ff.). 163 Vgl. BVerfGE 68, 1 [87 f.]; 1, 372 [394 f.]. 164 Vgl. BVerfGE 1, 351 [369]; auch: BVerfGE 1, 372 [394 f.]. 165 Vgl. BVerfGE 90, 286 [351, 357, 363, 376 f.]; 104, 151 [151 ff.]. 166 Vgl. BVerfGE 1, 372 [394 f.]; 68, 1 [85]; 104, 151 [206]. 167 Vgl. BVerfGE 1, 372 [380 f.]; 68, 1 [87]. 168 Vgl. BVerfGE 68, 1 [83]; 104, 151 [206]; Grewe, Völkerrecht und Außenpolitik, 25. 169 Vgl. BVerfGE 90, 286 [357] („Außenpolitik eine Funktion der Regierung“); 68, 1 [87] („zentrale Entscheidungsbefugnisse exekutivischer Natur“, „zentrale Gestaltungsbereiche der Exekutive“); 1, 372 [394 f.] („Regierungsaufgabe“). Zur „Natur der Sache“ auch Fastenrath, Kompetenzverteilung, 215; Grewe, HStR III, § 77 Rn. 55. 170 Vgl. BVerfGE 68, 1 [87]. 171 Vgl. BVerfGE 1, 372 [394 f.].

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Abs. 2 GG. Die organisatorische und funktionelle Unterscheidung und Trennung der Gewalten ziele auch darauf ab, daß staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen würden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügten. 172 In Kürze seien zu diesen Ansätzen zunächst folgende Erwägungen vorgetragen. Die zugrundegelegte Methode der Verfassungsexegese verbietet einen Verweis auf traditionelle Staatsauffassung oder Staatspraxis. Nur Deduktion aus positiven Normen soll Auskunft über die staatliche Kompetenzverteilung geben können. 173 Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers wurde als zunächst regierungsintern wirkende Kompetenz befunden. Eine Außenwirkung erlangt diese erst durch weitere spezielle Kompetenzen der Bundesregierung. Von deren Auffindung handelt gerade dieses Kapitel. Art. 65 GG verleiht also nicht eine selbständig außenwirksame Handlungskompetenz, auch nicht in auswärtigen Angelegenheiten. 174 Das Argument der Organadäquanz hingegen gelangte im Rahmen dieser Untersuchung bereits zur Anwendung, es scheint daher zunächst die Richtung zu weisen. Der unmittelbare Rückgriff des Bundesverfassungsgerichtes auf Art. 20 Abs. 2 GG zur Begründung der Kompetenzverteilung aufgrund Organadäquanz ist allerdings abzulehnen. Organadäquanz ist kein Normbefehl. Wäre sie dies, so könnte sie in Konkurrenz zu den ausdrücklichen Kompetenzzuweisungen des Grundgesetzes geraten. Zwar wäre eine derartige Konkurrenz nach lex specialis auflösbar. Dann stellte sich jedoch die Frage, wozu die Verfassung einen derartigen Normbefehl überhaupt erteilt. Sofern im Rahmen dieser Untersuchung bisher das Argument der Organadäquanz gebraucht wurde, betraf dies einen anderen Aspekt der Verfassungsexegese. Die Organadäquanz ist nicht selbst Normbefehl, sondern Telos von Verfassungsnormen. Sie erklärt also im Einzelfall die verfassungsintendierte Funktion ausdrücklicher Kompetenzzuweisungen. 175 Dies erleichtert eine Bedeutungszuweisung der einzelnen Kompetenznorm im Gesamtsystem der Verfassung, normative Folgerungen aus den Kompetenznormen werden so ermöglicht. Die Organadäquanz ist aber nicht selbständig kompetenzbegründend. Dies gilt auch für Art. 20 Abs. 2 GG selbst. Dessen Normgehalt ist die Anordnung einer funktionengegliederten Staatsorganisa172 Vgl. BVerfGE 68, 1 [87 f.]; 104, 151 [206]. Zustimmend vor allem Grewe, HStR III, § 77 Rn. 49. 173 Ebenfalls ablehnend: Weiß, Auswärtige Gewalt, 58. 174 Ebenso: Weiß, Auswärtige Gewalt, 64 f.; Ehrenzeller, Legislative Gewalt, 179 f.; Fastenrath, Kompetenzverteilung, 216; A. A. Grewe, HStR III, § 77 Rn. 55; vermutlich auch Seidel, Bundespräsident, 87, 122. Inkonsequent vor allem auch Zuleeg, JA 1983, 1 (3). Er betrachtet die Richtlinienkompetenz als eine ausschließlich regierungsinterne Kompetenz, leitet aus dieser aber dennoch die Kompetenz der Bundesregierung zur Außenpolitik ab, da andernfalls der Bundespräsident selbständig die Außenpolitik gestalten dürfte. 175 A. A. Magiera, Parlament, 90, 92 („von der normativen Gewaltenteilung geforderte Organadäquanz“); Heun, Staatshaushalt, 100. Heun meint, der Gesichtspunkt der Organadäquanz komme regelmäßig erst dann ins Spiel, wenn die Verfassungsbestimmungen gerade nicht eindeutig sind.

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tion, diese Organisation hat unter anderem die Organadäquanz als Telos. Die Organadäquanz selbst ist Normgehalt überhaupt keiner speziellen Verfassungsnorm, sondern muß als Auslegungskriterium axiomatisch behandelt werden, ähnlich der hier zugrundegelegten Widerspruchsfreiheit der Verfassung. Zu einer vermeintlich a priori exekutivischen Natur der auswärtigen Gewalt sowie zur Subtraktionsmethode wird nun ausführlicher Stellung genommen. (b) Existenz „der“ Auswärtigen Gewalt? Bereits die Fülle bundesverfassungsgerichtlicher Ansätze kann gewisse Zweifel an der Stringenz der Argumentation wecken. Alle vorgetragenen Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts, welche sich auch in den Literaturmeinungen wiederfinden, 176 weisen eine Voraussetzung auf: es gibt „die“ auswärtige Gewalt bzw. muß sie geben, um einer derartigen Zuordnung, bzw. bereits der Frage danach, überhaupt Sinnhaftigkeit zu verleihen. „Auswärtige Gewalt“ ist jedoch kein verfassungsnormativer Begriff. 177 Deshalb scheint es auch zunächst fraglich, ob hierfür eine verfassungsintendierte allgemeine Kompetenzzuweisung zugunsten bestimmter Verfassungsorgane existieren kann. Eine normative Grundlage könnte sich ergeben aus Art. 73 Nr. 1 GG, welcher von den „auswärtigen Angelegenheiten“ handelt, sowie aus Art. 32 Abs. 1 GG, welcher die „Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten“ zum Gegenstand hat. Obwohl begrifflich verschieden, scheint zunächst nichts gegen eine inhaltliche Kongruenz mit „Auswärtiger Gewalt“ zu sprechen. Selbst dies unterstellt, wären hieraus jedoch keine Rückschlüsse auf die Zuordnung dieser Gewalt zur Exekutive oder Legislative möglich. Beide Verfassungsnormen haben die Kompetenzverteilung im Bundesstaat zum Gegenstand. 178 Darüber hinaus ist dem Art. 73 Nr. 1 GG lediglich noch zu entnehmen, daß die Legislative in diesem Bereich überhaupt tätig werden kann. 179 Die genannten Verfassungsnormen erlauben jedoch keinesfalls die Annahme, die auswärtige Gewalt sei ein derart einheitlicher Gegenstand, daß allgemeingültige Aussagen über die Kompetenzverteilung zwischen den Bundesverfassungsorganen möglich seien. 180 Dies gilt nicht nur für eine vorrangige Zuweisung der „auswärtigen Gewalt“ zum Bereich der Legislative oder der Exekutive, sondern auch für die Annahme eines „allgemeinen Prinzips“ 181 einer „gemischten Gewalt“ 182. Begrüßenswert ist daher die deutliche Feststellung Vgl. Weiß, Auswärtige Gewalt, 57 f. Vgl. Pernice, Dreier GG-Kommentar, Art. 59 Rn. 15. 178 Vgl. Stern, Staatsrecht I, § 14 IV 1. 179 Ebenso Art. 45 a Abs. 1 GG, vgl. Fastenrath, Kompetenzverteilung, 82. 180 Zur Ablehnung einer verfassungsnormativen Bedeutung des Begriffes „auswärtige Gewalt“: Ehrenzeller, Legislative Gewalt, 179. 181 Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 68. 182 So aber bspw. Seidel, Bundespräsident, 40 f.; Menzel, VVDStRL 12 (1954), 194. Zu den unterschiedlichen Begründungen für eine vorrangige Zuordnung zur Legislative, Exekutive oder für die Annahme einer gemischten Gewalt: Kadelbach/Guntermann, AöR 126 (2001), 176 177

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Ehrenzellers: „[..] im deutschen Verfassungsrecht [gibt] es gar keine auswärtige Gewalt [.]“. 183 Zwar mag es im Rahmen einer andersartigen wissenschaftlichen Analyse sinnvoll sein, verschiedene staatliche Tätigkeiten unter den Begriff der „Auswärtigen Gewalt“ zu subsumieren. Aus einer derartigen außerverfassungsrechtlichen Vorgehensweise können aber keine Rückschlüsse auf die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung gezogen werden. (c) Grundlage der Kompetenzverteilung bei auswärtigen Angelegenheiten Fraglich bleibt, woraus sonst die Kompetenzverteilung dann zu gewinnen ist. Art. 59 Abs. 2 GG regelt ersichtlich nur einen Teil denkbarer Tätigkeiten im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten. Sonstige Kompetenzen müssen sich daher unmittelbar aus dem Prinzip der Funktionengliederung nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG ergeben. 184 Zunächst sollen jedoch einige Anmerkungen zu Art. 59 Abs. 2 GG erfolgen. Die Verfassungsnorm nennt bestimmte Arten völkerrechtlicher Verträge, welche einem Zustimmungsvorbehalt durch die gesetzgebenden Körperschaften unterliegen. Daher ist zunächst festzustellen, daß Regelungsgehalt nur Verträge, und nicht auswärtige Angelegenheiten im allgemeinen sind. 185 Als argumentum e contrario kann daher ausschließlich auf die Zustimmungsfreiheit sonstiger Verträge geschlossen werden. Eine Erweiterung dieses Schlusses auf sonstige auswärtige Angelegenheiten im allgemeinen ist unzulässig. 186 Ins Leere zielt auch ein argumentum a majore ad minus, welches von der Zustimmungsfreiheit sonstiger Verträge (also der alleinigen Zuständigkeit der Exekutive) auf die alleinige Zuständigkeit der Exekutive im nichtvertraglichen Bereich schließt, da letzterer von geringerer Bedeutung gegenüber dem vertraglichen Bereich wäre. Ein solches „minus“ kann nicht allgemein angenommen werden, wie etwa der Hinweis auf Aufnahme und Abbruch diplomatischer Beziehungen zu anderen Staaten zeigen mag. Die zutreffende Bedeutung des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG für die Frage der Kompetenzverteilung in auswärtigen Angelegenheiten haben insbesondere Ehrenzeller und Weiß herausgearbeitet. Nach hier vertretener Auffassung ist allerdings nicht die insbesondere von Weiß stark betonte Funktion des Gewaltenteilungsprinzips als Hemmung und Kontrolle 187 vorliegend ausschlaggebend. Ausreichender Anhalt für eine Lösung bietet der reine Wortlaut der Norm. Es gibt besondere Organe der Ge563 (567 ff.); besonders krit. zur gemischten Gewalt Grewe, Völkerrecht und Außenpolitik, 25 f. 183 Ehrenzeller, Legislative Gewalt, 189 (im Original kursiv). 184 Vgl. Ehrenzeller, Legislative Gewalt, 189; Weiß, Auswärtige Gewalt, 65 ff. 185 Vgl. Ehrenzeller, Legislative Gewalt, 182, 185. 186 So Ehrenzeller, Legislative Gewalt, 185. 187 Vgl. Weiß, Auswärtige Gewalt, 65 ff.

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setzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung. 188 Darüber hinaus sieht die Verfassung keine weiteren Organe und keine weiteren Staatsfunktionen vor. 189 Unter einem besonderen Organ einer der genannten Staatsfunktionen muß offenbar ein solches Organ verstanden werden, welchem die Staatsfunktion zur zumindest vorrangigen Wahrnehmung übertragen ist. 190 Damit gewinnt dieser Verfassungsrechtssatz normativen Selbststand jenseits speziellerer Regelungen im sonstigen Verfassungstext. Zutreffend stellt Weiß fest, die Zuordnung gemäß Art.20 Abs. 2 Satz 2 GG erfolge nicht im Wege vom Organ auf die Funktion, sondern umgekehrt. Beispielsweise seien nicht alle (verfassungsnormativ vorgesehenen 191) Tätigkeiten der Legislative automatisch als Gesetzgebung zu bezeichnen. 192 Damit erlaubt Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG, staatliche Tätigkeiten, die nicht ausdrücklich verfassungsrechtlich kompetentiell zugewiesen sind, aufgrund ihrer Eigenart einem der drei besonderen Organe bzw. Organbereiche zuzuordnen. Zu fragen ist daher nicht nach der Zugehörigkeit „der auswärtigen Gewalt“ zu einem der Organbereiche, sondern jeweils nach dem einzelnen Akt der auswärtigen Gewalt. Dessen entweder überwiegend exekutivische oder legislative Eigenart muß erkannt werden, danach hat dann die Zuordnung zu erfolgen. 193 Mit dem Bundesverfassungsgericht 194 ist insbesondere auch festzustellen, daß die Wesentlichkeit einer Entscheidung kein Zuordnungskriterium bedeutet. (d) Sonderfall des Art. 59 Abs. 2 GG Unter diesen Kautelen zunächst bemerkenswert erscheint dann allerdings die Spezialnorm des Art. 59 Abs. 2 GG. Die dort genannten völkerrechtlichen Verträge erzeugen in der Regel gesetzesähnliche Wirkungen. 195 Sie legen für die Zukunft Tatbestände fest, an deren Eintritt sich Rechtsfolgen anknüpfen sollen, meist bestimmte Handlungspflichten der vertragsschließenden Völkerrechtssubjekte. 196 Aufgrund dieser legislativen Natur völkerrechtlicher Verträge scheint die Zuständigkeit eben der Legislative naheliegend. Für die Alternative „Gegenstände der Bundesgesetzgebung“ ist die legislative Natur des Vertragsgegenstandes sogar ausdrücklich in den Verfassungstext aufgenommen. Art. 59 Abs. 2 GG regelt also ausdrücklich eine ZuVgl. Weiß, Auswärtige Gewalt, 20; Ehrenzeller, Legislative Gewalt, 179. Vgl. Ehrenzeller, Legislative Gewalt, 180. 190 Vgl. Weiß, Auswärtige Gewalt, 26, 47. 191 Anmerkung des Verfassers. 192 Vgl. Weiß, Auswärtige Gewalt, 25; ähnlich: Ehrenzeller, Legislative Gewalt, 180; Götz, Vorbehaltsbereich, 26. 193 Vgl. Weiß, Auswärtige Gewalt, 65 ff.; Ehrenzeller, Legislative Gewalt, 187. 194 Vgl. BVerfGE 68, 1 [89, 108 f.]. 195 Vgl. Weiß, Auswärtige Gewalt, 91, 136 f. 196 Vgl. BVerfGE 90, 286 [360]. Freilich kann es auch völkerrechtliche Verträge geben, welche sich durch einmaligen Vollzug erledigen. Solche Detailfragen können aber nicht Gegenstand dieser Untersuchung sein. 188 189

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ständigkeit der Legislative, welche ohne weiteres auch unmittelbar aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG hätte erschlossen werden können. Dies überrascht, da die Verfassung für andere Akte des auswärtigen Verkehrs, welche viel eher zu Zweifelsfragen Anlaß hätten bieten können, auf eine ausdrückliche Regelung verzichtet hat. Der eigentliche Regelungsgehalt des Art. 59 Abs. 2 GG liegt nun aber in dem obengenannten argumentum e contrario. Genauer wäre die Verfassungsnorm eigentlich so zu lesen: „Nur Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln [..], bedürfen der Zustimmung [..] der [..] zuständigen Körperschaften [..]“ Sonstige Verträge bedürfen also nicht der Zustimmung der zuständigen Körperschaften. Da aber auch sonstige Verträge in der Regel die oben formulierte gesetzesähnliche Qualität besitzen, wäre diese Spezialregelung vor dem Hintergrund des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG nicht zu erwarten gewesen und war daher erforderlich. Aufgrund dieser Spezialregelung bricht also die Exekutive beim selbständigen Abschluß sonstiger Verträge in den Bereich der Legislative ein. 197 Hingegen nehmen die gesetzgebenden Körperschaften bei der Abstimmung über einen in Art. 59 Abs. 2 GG genannten Vertrag ihre ureigenste Aufgabe gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG wahr und brechen keineswegs in den Bereich der Exekutive ein, wie das Bundesverfassungsgericht 198 meint. 199 Insgesamt ist die Bedeutung des Art. 59 Abs. 2 GG zu sehen in der Errichtung eines ausnahmsweisen und ausdrücklichen Vorbehaltsbereiches der Bundesregierung für den Abschluß völkerrechtlicher Verträge, lediglich eingeschränkt von den ausdrücklich genannten Zustimmungsvorbehalten. Insbesondere bestätigt etwa auch Art. 23 Abs. 3 GG die Regelungstechnik der Verfassung, im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten nur dort ausdrückliche Regelungen vorzunehmen, wo Abweichungen vom Prinzip des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG beabsichtigt sind. Die Verfassungsnorm handelt von Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG müßte eine Vermutung für die innerstaatliche Zuständigkeit der Legislative zur Festlegung des Deutschen Votums sprechen. Statt dessen wird die Zuständigkeit der Bundesregierung bestimmt, wenn auch unter Mitwirkungsrechten des Bundestages. Von diesen Feststellungen unberührt bleibt natürlich die allgemeine Kontrollaufgabe des Parlaments gegenüber der Regierung. 200 Diese allgemeine Kontrollaufgabe ist aber eben nicht die einzige Form der Teilhabe der Legislative an den auswärtigen Angelegenheiten. 201

Vgl. Weiß, Auswärtige Gewalt, 92. Vgl. BVerfGE 1, 351 [369]. 199 Vgl. auch Mößle, Regierungsfunktionen, 137; Pernice, Dreier GG-Kommentar, Art. 59 Rn. 17. 200 Vgl. BVerfGE 89, 155 [191]; 68, 1 [109 f.]; 67, 100 [129 f., 134, 139]; 10, 4 [17 f.]. 201 So aber Grewe, HStR III, § 77 Rn. 51, 56. 197 198

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

(2) Folgerungen für die Stellung der Bundesregierung Die einzelnen völkerrechtlichen Akte gemäß obenstehendem Kriterium den zuständigen Verfassungsorganen zuzuweisen, kann nicht Aufgabe dieser Untersuchung sein. Insofern sei auf die einschlägigen Arbeiten verwiesen. Allerdings muß im Hinblick auf die Frage einer Definitionssuprematie noch geklärt werden, inwieweit der Bundesregierung Initiativbefugnisse zustehen. Grundsätzlich vorstellbar wäre dies auch in jenen Bereichen, bei denen die Letztentscheidung gemäß gerade gefundenem Ergebnis der Legislative vorbehalten ist. (a) Bereich völkerrechtlicher Verträge Zur Beantwortung dieser Frage soll zunächst obenstehendes Ergebnis nochmals in größerer Schärfe formuliert werden. Auswärtige Angelegenheiten sind kein exzeptioneller Gegenstandsbereich staatlichen Handelns, für welchen a priori kompetentielle Sonderregelungen zu vermuten wären. Die allgemeinen Kompetenznormen behalten daher für auswärtige Angelegenheiten ihre volle Gültigkeit. 202 Im Widerspruch zur herrschenden Meinung und zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 203 scheint daher zunächst die Initiativbefugnis der gesetzgebenden Körperschaften für die in Art. 59 Abs. 2 GG genannten völkerrechtlichen Verträge zu folgen. Ehrenzeller überrascht, wenn er sich gerade hier der anderslautenden herrschenden Meinung anschließt. Dies mutet zunächst inkonsequent an, wenn man zuvor die Anwendbarkeit der innerstaatlichen Kompetenzordnung bejaht. Das von Ehrenzeller zutreffend herausgearbeitete allgemeine Initiativrecht der Bundesregierung 204 mutiert denn auch für die Frage völkerrechtlicher Verträge ohne nähere Begründung zu einem Initiativvorbehalt. 205 Zwar wird auf die Organadäquanz der Regierung verwiesen. 206 Jedoch fehlt bei Ehrenzeller ein normativer Beleg, weshalb dies ausgerechnet für auswärtige Angelegenheiten zu einem Initiativvorbehalt führen soll, während Art. 76 Abs. 1 GG für Gesetzesinitiativen drei mögliche Initianten kennt. Warum Organadäquanz alleine nicht kompetenzbegründend sein kann, wurde oben bereits erläutert. Die erforderliche normative Grundlage läßt sich jedoch aufweisen. Sie handelt aber nicht von der Organadäquanz, sondern ist unmittelbarer Gehalt des Art. 59 Abs. 2 GG. Oben wurde gesagt, diese Verfassungsnorm errichtet – e contrario – eiIn dieser Deutlichkeit vor allem Ehrenzeller, Legislative Gewalt, 180. Vgl. BVerfGE 68, 1 [78] m. w. N. 204 Vgl. Ehrenzeller, Legislative Gewalt, 24 („Gesetzesinitiativrecht“, „Recht und Pflicht zu Initiative und Handeln der Regierung“), 122 („generelles Initiativrecht der Regierung“). 205 Vgl. Ehrenzeller, Legislative Gewalt, 199 („Die Initiative beim gesamten Verhandlungsprozeß liegt bei der Regierung“), 207 („Dem Parlament steht kein unmittelbares, konkretes Initiativrecht zu“). 206 Vgl. Ehrenzeller, Legislative Gewalt, 199. 202 203

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nen ausnahmsweisen Vorbehaltsbereich der Bundesregierung für völkerrechtliche Verträge. Nur die ausdrücklich genannten Vertragsarten stehen unter Zustimmungsvorbehalt der gesetzgebenden Körperschaften. Nun wird sich erklären, warum die Verfassung die zunächst etwas kryptisch anmutende Regelungstechnik wählt, nicht etwa den Vorbehaltsbereich der Regierung selbst ausdrücklich zu benennen, sondern vielmehr nur dessen Ausnahme (welche quasi die Ausnahme von der Ausnahme von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG bedeutet). Zu unterstellen ist zunächst, daß Art. 59 Abs. 2 GG die Kompetenzverteilung im Bereich völkerrechtlicher Verträge abschließend regeln will. Indem er nun ausschließlich den einzigen beabsichtigten Fall einer Zuständigkeit der gesetzgebenden Körperschaften ausdrücklich normiert, verweist er damit alle anderen denkbaren Akte im Zusammenhang mit dem Abschluß völkerrechtlicher Verträge in den ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Exekutive – abschließende Regelungsabsicht vorausgesetzt. Hiermit vermeidet die Verfassung, alle Arten derartiger Akte voraussehen zu müssen. Vorstellbar wäre lediglich gewesen, daß Art. 59 Abs. 2 GG zunächst die Universalzuständigkeit der Bundesregierung im Bereich völkerrechtlicher Verträge ausdrücklich feststellt („Der Abschluß völkerrechtlicher Verträge obliegt der Bundesregierung. Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder ...“). Da dieser Tatbestand jedoch zwangsläufig aus Art. 59 Abs. 2 GG folgt, war dies nicht unbedingt erforderlich. Unterfallen somit alle anderen Akte im Bereich völkerrechtlicher Verträge der Zuständigkeit der Bundesregierung, so gilt dies auch für Verhandlungsaufnahme, Vertragsverhandlungen und -abschluß sowie Ratifikation. Das Zustimmungsgesetz erhält damit den Rang einer Ermächtigung zum Vertragsabschluß. 207 Wenn es jedoch ausschließlich der Bundesregierung obliegt, den Abschluß der Vertragsverhandlungen und damit die Endgültigkeit des ausgehandelten Vertragswerkes festzustellen, so ist auch nur die Bundesregierung im Stande, den angebrachten Zeitpunkt der Einholung der Ermächtigung zu bestimmen.208 Die Bundesregierung besitzt daher das Initiativmonopol kraft Sachzusammenhang.

(b) Sonstige Akte im Bereich auswärtiger Angelegenheiten Für völkerrechtliche Akte, welche nicht Verträge betreffen, bemißt sich die Zuständigkeit gemäß oben gefundenem Resultat nach deren legislativer oder exekutiver Eigenart. Dort, wo die Zuständigkeit der Exekutive vorliegt, besteht selbstverständlich auch die Initiativbefugnis. Fraglich erscheint ein Initiativrecht der Bundesregierung nur noch dort, wo die Legislative Entscheidungsbefugnis besitzt. 207 Vgl. Weiß, Auswärtige Gewalt, 136 (allerdings bejahend bezüglich eines Initiativrechts des Bundestages; ebenso Fastenrath, Kompetenzverteilung, 240); Stern, Staatsrecht I, § 14 IV 4 d b. 208 So auch Baade, Verhältnis von Parlament und Regierung, 89.

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

Art. 59 Abs. 2 GG derogiert für den Bereich völkerrechtlicher Verträge das Gesetzgebungsverfahren gemäß Art. 76 GG. Für alle anderen auswärtigen Angelegenheiten lebt dieses jedoch auf. Damit besitzt gemäß Art. 76 Abs. 1 GG die Bundesregierung auch dort die Initiativbefugnis, wo die Letztentscheidung bei Bundestag und gegebenenfalls Bundesrat liegt. Eine derartige Letztentscheidungskompetenz der gesetzgebenden Körperschaften im Bereich auswärtiger Angelegenheiten käme etwa bei der Mitwirkung an Rechtsetzungsakten in anderen Organisationen als der Europäischen Union in Betracht. Die legislative Natur ist hier unzweifelhaft. Auch ist ein Analogieschluß dergestalt unzulässig, aufgrund Art. 23 Abs. 3 GG eine Zuständigkeit der Bundesregierung für Rechtsetzungsakte in anderen Organisationen als der Europäischen Union anzunehmen. Entspräche dies dem Willen der Verfassung, so erschiene unverständlich, warum lediglich die Mitwirkung in der Europäischen Union ausdrücklich normiert wird. Letzteres spricht vielmehr dafür, daß eben nur dort die Entscheidungsbefugnis der Exekutive gewollt ist. (3) Angelegenheiten der Europäischen Union Auf die Bestimmungen des Art. 23 n. F. GG soll hier nur in Kürze eingegangen werden, da der Wortlaut der Norm insofern keinen Zweifel an einer Definitionssuprematie der Bundesregierung zuläßt. „Berücksichtigung einer Stellungnahme“ gemäß Art. 23 Abs. 3 GG bleibt sprachlich hinter jeder Anmutung einer Verpflichtungswirkung zurück. Die Bundesregierung entscheidet daher in eigener Verantwortung. 209 Lediglich eine sachlich nicht mehr nachzuvollziehende Ignorierung der Auffassung des Bundestages kann gegebenenfalls als Verstoß gegen Art. 23 Abs. 3 GG gelten. Der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts 210 ist daher nicht zuzustimmen, die Wahrnehmung der deutschen Mitgliedschaftsrechte sei aufgrund der Beteiligungsrechte des Bundestages nach Art. 23 Abs. 2 und 3 GG parlamentarisch mitverantwortet. Eine derartige Mitverantwortung besteht nur aufgrund der allgemeinen Kontrollaufgabe des Bundestages gegenüber der Bundesregierung. Hier nicht näher eingegangen wird auf die Regelungen des Art. 23 Abs. 5 Satz 2 und Abs. 6 GG. Die Frage, wer gegenüber der Europäischen Union Angelegenheiten der Länder vertritt, ist zwar wesentlich für die Qualität der deutschen Bundesstaatlichkeit. Gegenstand dieses Kapitels ist hingegen ausschließlich eine Definitionssuprematie auf der staatlichen Ebene des Bundes. In Frage steht die Kompetenzverteilung zwischen den Bundesverfassungsorganen im Hinblick auf die Wahrnehmung der verfassungsmäßigen Bundeskompetenzen.

209 210

Vgl. Pernice, Dreier GG-Kommentar, Art. 23 Rn. 105. Vgl. BVerfGE 97, 350 [369].

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(4) Ergebnis Im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten verfügt die Bundesregierung über wesentliche Prärogativen. Sie verfügt über das alleinige Recht, in Art. 59 Abs. 2 GG nicht aufgeführte völkerrechtliche Verträge abzuschließen. Für zustimmungspflichtige Verträge gemäß Art. 59 Abs. 2 GG besitzt sie ein Initiativ-, Inhalts- sowie Ratifikationsmonopol. Für nichtvertragliche Angelegenheiten exekutivischer Natur besitzt die Bundesregierung das Alleinentscheidungsrecht. Für Angelegenheiten legislativer Natur verfügt sie über ein Gesetzesinitiativrecht nach Art. 76 Abs. 1 GG. Sie nimmt die Mitwirkungsrechte in der Europäischen Union wahr, dabei entscheidet sie insbesondere eigenverantwortlich über das deutsche Votum bei Rechtsetzungsakten. e) Zusammenfassung der Einzelanalyse Alle untersuchten Verfassungsnormen bestätigen eine Definitionssuprematie der Bundesregierung in den geregelten Bereichen. Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers und die Zielsetzungskompetenz der Bundesminister innerhalb ihrer Geschäftsbereiche erlauben der Bundesregierung, anzustrebende staatliche Zustände zu definieren. Außenwirksamkeit erlangen diese Definitionen insbesondere vermöge der Gesetzesinitiative, des Einbringungsmonopols zum Haushaltsgesetz und der außen- und europapolitischen Kompetenzen der Bundesregierung. Diese Befugnisse, allen voran die Initiativbefugnis für Gesetzesvorlagen, bedeuten für die Bundesregierung nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, im Falle einer erkannten Gemeinwohlgefährdung von dieser Befugnis Gebrauch zu machen. 211 Für diese Aufgabe verfügt die Bundesregierung über die höchste Organadäquanz. 212 Die Initiativbefugnis des Bundestages erfüllt als Mehrheitsvorlage eine Reservefunktion im Falle partieller Uneinigkeit mit der Bundesregierung. Als Minderheitsvorlage dient sie der Sicherstellung von Alternativen als einer Anforderung des demokratischen Prinzips. Das Recht zur Gesetzesinitiative deutet also nur auf die Bundesregierung als Inhaber der Definitionssuprematie über staatliche Aufgaben und der Form ihrer Wahrnehmung, während die übrigen Initianten andere verfassungsrechtliche Funktionen erfüllen. Das Einbringungsmonopol zum Haushaltsgesetz überträgt der Bundesregierung die materielle Aufgabe, die Wahrnehmung der gesetzlich beschlossenen Staatsaufgaben im Rahmen der verfügbaren Ressourcen zu ermöglichen. Trotz dieser Vorge211 212

Vgl. BVerfGE 105, 252 [269 f.]. Vgl. BVerfGE 68, 1 [86 ff.].

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gebenheit der auszuführenden Aufgaben liegt hierin ein maßgebender Gestaltungsbereich der Bundesregierung. Sie muß die Ausführungsmodalitäten und die Priorisierung innerhalb der gesetzlichen Vorgaben in Übereinstimmung mit den vorhandenen Mitteln bringen. Dieser Gestaltungsbereich wird von Art. 113 GG abgesichert. Die Bundesregierung besitzt die ausschließliche Kompetenz für den Abschluß solcher völkerrechtlicher Verträge, welche in Art. 59 Abs. 2 GG nicht ausdrücklich genannt sind. Für alle Verträge besitzt sie ein Initiativmonopol. Sonstige auswärtige Angelegenheiten exekutivischer Natur werden ebenfalls von der Bundesregierung in eigener Verantwortung wahrgenommen. Für Angelegenheiten legislativer Natur besitzt die Bundesregierung ein Initiativrecht, welches im Falle einer festgestellten Gemeinwohlgefährdung zur Initiativpflicht wird. Für Angelegenheiten der Europäischen Union besitzt die Bundesregierung ebenfalls weitreichende Kompetenzen. Am bedeutungsvollsten erweist sich die Entscheidungsbefugnis über das deutsche Votum bei Rechtsetzungsakten der Union. Der Bundestag besitzt hier lediglich Mitwirkungsrechte. Die so gefundenen Kompetenzen der Bundesregierung verleihen dieser die Definitionssuprematie für nahezu alle maßgebenden Bereiche staatlicher Gestaltung. Ausgeklammert wurde bis jetzt allerdings das allgemeine verfassungsrechtliche Verhältnis von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung. Zwar scheinen die untersuchten speziellen Kompetenzen der Bundesregierung jeweils eigenverantwortliches Handeln zu ermöglichen. Eine Überlagerung dieser Eigenverantwortlichkeit durch die verfassungsrechtliche Ausgestaltung des gewaltenteiligen Systems erscheint aber nicht ausgeschlossen. Eine intensiv untersuchte Frage des Verfassungsrechts lautet daher, inwieweit insbesondere der Bundestag die Bundesregierung verbindlich anweisen kann, von deren Kompetenzen in bestimmter Weise Gebrauch zu machen. Der nächste Abschnitt wird sich dieser Frage widmen. 3. Grundverhältnis von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat a) Gewaltenteilung und Grundgesetz Dieser Abschnitt hat nicht zur Aufgabe, die Verwirklichung des Gewaltenteilungsprinzips im Grundgesetz zu untersuchen. Zwar errichtet das Grundgesetz gezielt eine gewaltenteilige Staatsorganisation, „Gewaltenteilung“ an sich ist jedoch ein außerverfassungsrechtlicher Begriff. Die Verfassung an einem solchen Begriff zu messen, stellt keinen Erkenntnisgewinn in Aussicht. Das verfassungsmäßige Verhältnis der Verfassungsorgane wird ausschließlich von den verfassungsnormativen Regelungen bestimmt. Inwieweit diese Regelungen einer idealtypischen Urform von Gewaltenteilung entsprechen, bedeutet eine Frage staats- und verfassungstheoretischen Inter-

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esses. Der Normexegese dient sie nicht. 213 Eine derartige, einzelnormorientierte Vorgehensweise entspricht der überwiegenden Literaturauffassung. 214 Häufig wird dabei auf den geringen Regelungsgehalt der Grundnorm der Gewaltenteilung, Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG, verwiesen. Selbst unterstellt, die Verfassung nehme – entgegen hier vertretener Auffassung – durch Art.20 Abs.2 Satz 2 GG ein „vorgegebenes“ Gewaltenteilungsprinzip in ihren Willen auf, so wird zu Recht hingewiesen auf die zahllosen gegenseitigen Ingerenzen, die den Aussagewert eines solchen Prinzips schwinden lassen. 215 Das Bundesverfassungsgericht urteilt lakonisch „Das Prinzip der Gewaltenteilung ist nirgends rein verwirklicht“. 216 Dies macht eine Befassung mit den spezielleren Verfassungsnormen unverzichtbar, um die Gestalt der gewaltenteiligen Staatsorganisation nach dem Grundgesetz zu ermitteln. b) Bedeutung des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG Wird also der Vorstellung entsagt, das Grundgesetz mache sich ein bestimmtes, vorgefundenes Gewaltenteilungsprinzip zueigen, 217 so hat dies Auswirkungen auf die Rolle des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG. Diese Verfassungsnorm nimmt nicht einfach das Gewaltenteilungsprinzip in den Willen der Verfassung auf, sondern konstituiert aus eigener Normgewalt eine spezifische Staatsorganisation. Es sollen „besondere“ Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung bestehen, durch welche das Volk die Staatsgewalt ausübt. Der Wortlaut der Norm kreiert zum einen die drei Staatsfunktionen und schließt die Existenz weiterer Staatsfunktionen aus. 218 Zum anderen ordnet er die Wahrnehmung dieser Funktionen durch besondere, das heißt jeweils eigene Organe an. 219 Ein darüber hinausgehender Normgehalt ist zunächst nicht feststellbar. 220 Eine derartige Konstruktion scheint zumindest eine Unterwerfung des einen Organbereichs unter einen anderen auszuschließen, da insoweit eine Besonderheit der Organe nicht mehr bestünde. Ein solcher Schluß ist jedoch voreilig. Mit der Eigenschaft „besonderes Organ“ erwiese Vgl. Drath, Gewaltenteilung, 113; Puhl, Minderheitsregierung, 131 f. Vgl. Linck, Zulässigkeit und Grenzen, 34 ff. m. w. N.; 83; Heun, Staatshaushalt, 90, 95 f.; Meyer, VVDStRL 33 (1975), 85 f., 114; Puhl, Minderheitsregierung, 131 f.; Ossenbühl, DÖV 1980, 545 (545 f.); Mößle, Regierungsfunktionen, 187; Schröder, JA 1982, 449 (452); Weiß, Auswärtige Gewalt, 17, 20; Magiera, Parlament, 84 ff. 215 Vgl. Heun, Staatshaushalt, 88; Linck, Zulässigkeit und Grenzen, 44; Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 28 ff., 37. 216 Vgl. BVerfGE 3, 225 [247]; 34, 52 [59]; 95, 1 [15]. 217 Vgl. Hesse, Grundzüge, 207 ff. mit dem Vorwurf, dem herrschenden Verständnis erschiene Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG lediglich als positivrechtliche Verankerung eines überpositiven Dogmas. Vgl. auch Magiera, Parlament, 44 ff. 218 Vgl. Magiera, Parlament, 86; Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 40 („Vollregelung“). 219 „Organisatorische Gewaltenteilung“; vgl. Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 15. 220 Vgl. Puhl, Minderheitsregierung, 127; Weiß, Auswärtige Gewalt, 17. 213 214

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sich durchaus vereinbar, wäre einem Organ eine bestimmte Aufgabe zur grundsätzlich selbständigen Wahrnehmung übertragen, ein anderes Organ jedoch hierzu bei Bedarf im Einzelfall Weisungen erteilen könnte. Die organisatorische Trennung, wie Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG sie fordert, kann also höchstens als ein Indiz für eine gewisse Unabhängigkeit der Entscheidungsgewalt der Organbereiche gelten. 221 Diese Annahme aber muß, wie oben bereits dargelegt, erst durch speziellere Verfassungsnormen substantiiert werden. Die Interpretation des Bundesverfassungsgerichts 222 geht daher zu weit, Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG normiere die Teilung der Gewalten als ein für das Grundgesetz tragendes Organisations- und Funktionsprinzip. Zutreffender erscheint hingegen Herzogs 223 Formulierung, es handele sich bei Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG um eine bloße Zuständigkeitsverteilung, dies sei das einzige greifbare, was von der klassischen Gewaltenteilungslehre übriggeblieben sei. Das anerkannte Telos einer gewaltenteiligen Staatsorganisation wird hierdurch nicht angetastet. Gegenseitige Kontrolle, Hemmung und Mäßigung der Staatsgewalt 224 resultieren aber erst aus der konkreten verfassungsmäßigen Ausgestaltung der Staatsorganisation, und nicht unmittelbar aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG. Das Telos der Organadäquanz trägt Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG insoweit, als er den besonderen Organen die jeweiligen staatlichen Funktionsbereiche zuweist. Für diese Funktionsbereiche sollen die besonderen Organe nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen, wie das Bundesverfassungsgericht 225 formuliert. Damit ist aber eben noch nicht über die Frage gegenseitiger Ingerenzen entschieden. 226 Vgl. Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 51. Vgl. BVerfGE 3, 225 [247]; 34, 52 [59]; 95, 1 [15]; 95, 48 [61]; BVerfG, NVwZ 1998, 1060 (1060 f.). 223 Vgl. Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 5, 30 (Wobei Herzog dies mit der Parteienstaatlichkeit begründet). 224 Vgl. BVerfGE 3, 225 [247]; 7, 183 [188]; 9, 268 [279 f.]; 12, 180 [186]; 22, 106 [111]; 34, 52 [59]; 95, 1 [15]; stRspr; Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 9; Ossenbühl, DÖV 1980, 545 (546); Heun, Staatshaushalt, 94 ff.; Puhl, Minderheitsregierung, 131: Weiß, Auswärtige Gewalt, 20 ff. 225 Vgl. BVerfGE 68, 1 [86 ff.]; 95, 1 [15, 17]. Hingegen irrig ist die Auffassung Puhls, das Grundgesetz mache Entscheidungskompetenzen nicht von einem – wie auch immer definierten – Sachverstand abhängig, sondern von der demokratischen Legitimation der Entscheidungsträger (Puhl, Minderheitsregierung, 130). Zunächst ist gem. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG jeder Entscheidungsträger demokratisch legitimiert. Als Unterscheidungskriterium für eine Aufgabenzuweisung taugt dieser Maßstab von vornherein nicht. Als Wille der Verfassung kann sehr wohl angenommen werden, mit bestimmten Funktionen verfassungsnormativ beauftragte Entscheidungsträger sollten hierfür optimal geeignet sein. Nur darf der Fehler nicht begangen werden, bei fehlender oder unklarer Kompetenzzuweisung durch das Grundgesetz die Organadäquanz zur Grundlage der Zuweisung zu machen. Wie oben bereits dargelegt (2. Kapitel II. 3. d) (1) (a)), kann Organadäquanz nur bei vorhandener verfassungsnormativer Kompetenzzuweisung Relevanz für die Verfassungsexegese erlangen. Für diese Fälle kann die Organadäquanz die Verfassungsexegese jenseits der Kompetenzfrage unterstützen. Siehe auch Ossenbühl, DÖV 1980, 545 (548 f.). 226 Vgl. Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 38, 81. 221 222

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c) Unabhängigkeit von Bundestag und Bundesrat Die vorangegangene Untersuchung hat eine Definitionssuprematie der Bundesregierung in Aussicht gestellt. Daher ist nachfolgend die Frage der Unabhängigkeit der Bundesregierung zu klären. Jedoch seien der Vollständigkeit halber zunächst sonstige Beziehungen der Verfassungsorgane kurz angesprochen. Die Bedeutung des Gesetzgebungsverfahrens wird an dieser Stelle ausgespart. Die Unabhängigkeit des Bundestages von der Bundesregierung folgt ausdrücklich aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG. 227 Ist der einzelne Abgeordnete an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur seinem Gewissen unterworfen, so kann offensichtlich auch der Bundestag als Ganzes nicht von der Bundesregierung zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten angewiesen werden. Lediglich verfassungsrechtlich vorgesehene Ingerenzen sind zulässig. Hierzu zählen beispielsweise das Recht der Bundesregierung, jederzeit gehört zu werden, Art. 43 Abs. 2 Satz 2 GG, oder das Recht des Bundeskanzlers, die Einberufung des Bundestages zu verlangen, Art. 39 Abs. 3 Satz 3 GG. Eine inhaltliche Vorbestimmung der Beschlüsse des Bundestages durch andere Organe ist somit ausgeschlossen. Auch der Bundesrat kann mittels seines jederzeitigen Anhörungsrechtes gemäß Art. 43 Abs. 2 Satz 1 GG auf den Bundestag einwirken. Die Einbringung einer Gesetzesvorlage nach Art. 76 Abs. 1 GG löst die Befassungspflicht des Bundestages aus. Gegenüber dem Bundesrat besitzt die Bundesregierung lediglich formale Rechte, wie das Anhörungsrecht nach Art.53 Satz 2 GG oder das Recht, dessen Einberufung zu verlangen, Art. 52 Abs. 2 Satz 2 GG. d) Die Stellung der Bundesregierung Zunächst ist zu erinnern, daß hier nicht die Frage einer allgemeinen Staatsleitung zur Klärung ansteht, einschließlich der Letztentscheidungsbefugnisse.228 Vielmehr soll ermittelt werden, ob das Grundgesetz einem Verfassungsorgan die Definitionssuprematie überträgt. Hierunter soll definitionsgemäß verstanden werden die vorrangige Beauftragung eines Verfassungsorgans mit der Ermittlung staatlicher Aufgaben und der Form ihrer Wahrnehmung. Der Inhaber der Definitionssuprematie soll also Gemeinwohlgefährdungen rechtzeitig erkennen und Möglichkeiten zu deren Abwendung erarbeiten. Hiervon ist die letztverbindliche Feststellung 229 einer Vgl. Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 6 f. Vgl. Zur Unterscheidung etwa Mößle, Regierungsfunktionen, 203. Er spricht vom Gesetz als der „Verwirklichung der von der Regierung initiierten und vom Parlament festgelegten Ziele, Zwecke und Programme“ (Hervorhebungen durch Verfasser). Siehe Fußn. 203. 229 Zur Letztentscheidungsbefugnis des Gesetzgebers vgl. BVerfGE 34, 52 [59]. 227 228

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Gefährdung und der Gegenmaßnahmen zu unterscheiden. Diese vertraut das Grundgesetz dem Monopol des Gesetzgebers an, sofern eine gesetzliche Regelung notwendig ist. Definitionssuprematie und Letztentscheidungskompetenz fügen sich zur Staatsleitung zusammen, und insofern ist auch der Gesetzgeber „Staatsleitungsorgan“. 230 Dieser Tatbestand bedarf an dieser Stelle allerdings keiner Erörterung. Die bisherige Untersuchung wies einige spezielle Kompetenzen der Bundesregierung auf, vermöge derer sie eine allgemeine Gestaltungskompetenz wahrnehmen kann, wie sie aus Art.65 GG folgt. Diese speziellen Kompetenzen sind zum einen Initiativbefugnisse, wie Art. 76 Abs. 1 GG oder das Einbringungsmonopol zum Haushaltsgesetz. Zum anderen besitzt die Bundesregierung auch Entscheidungsbefugnisse. Hierzu zählt der partielle Veränderungsschutz des Entwurfs zum Haushaltsgesetz und die Verwerfungskompetenz gemäß Art. 113 GG, sowie der außenpolitische Vorbehaltsbereich. Diese Befugnisse sprechen klar für eine Definitionssuprematie der Bundesregierung. Stärkstes Indiz ist die vorrangige Beauftragung mit der Einbringung von Gesetzesinitiativen nach Art. 76 Abs. 1 GG, da das Gesetz als das staatliche Gestaltungsmittel überhaupt erkannt wurde. 231 Zur rationalen Erarbeitung von Gesetzen, welche Gemeinwohlgefährdungen beheben sollen, besitzt die Bundesregierung die höchste Organadäquanz. Dennoch darf an dieser Stelle der Besitz der Definitionssuprematie nicht voreilig bejaht werden. Zunächst bedarf der Klärung, ob die Bundesregierung zum Gebrauch ihrer Kompetenzen in einem bestimmten Sinne verpflichtet werden kann. Der Gesetzgeber könnte sich die Organadäquanz der Bundesregierung beispielsweise zunutze machen, indem er sie durch Beschluß zur Erarbeitung und Einbringung einer erwünschten Gesetzesinitiative verpflichtet. 232 (1) Bedeutung des Art. 65 GG Dem Art. 65 GG ist für die Klärung der Frage nach der Entscheidungsfreiheit der Bundesregierung zentrale Bedeutung beizumessen. Bestimmt die Verfassung eindeutig, dem Bundeskanzler obliege die Bestimmung der Richtlinien der Politik, so schließt dies eine Instruktion durch andere Organe aus. Zu beachten bleibt allerdings die materielle Begrenztheit der Richtlinienkompetenz. Zwar erfährt diese heute eine sehr extensive Auslegung. Aber jedenfalls kann nicht jede beliebige Entscheidung der Bundesregierung automatisch als Richtlinie des Bundeskanzlers qualifiziert und auf diese Weise dem Zugriff anderer Organe entzogen werden. Dennoch behält Art. 65 GG seine autonomiebegründende Bedeutung. Oben wurde nämlich festgestellt, wenn der Bundeskanzler nach Art. 65 GG lediglich die Richtlinien der Begriff nach Bundestag, Enquete-Kommission, 21, 91 ff. (in bezug auf den Bundestag). Vgl. BVerfGE 6, 84 [93 f.]; Drath, Gewaltenteilung, 121; Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 48; Busse, VerwArch 87 (1996), 445 (458); Mußgnug, Haushaltsplan, 278; Scheuner, DÖV 1974, 433 (433, 438); Schröder, JA 1982, 449 (452). 232 In der Tat wird eine derartige Verpflichtungsbefugnis in der Literatur vertreten, vgl. Sellmann, Parlamentsbeschluß, 103. 230 231

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Politik bestimme, so mache dies „Politik“ zur Verfassungsaufgabe der gesamten Bundesregierung. Die Bundesregierung bestimmt also die „Politik“. Dem Politikbegriff wurde oben die Bedeutung einer Zielfestlegungs- bzw. Gestaltungskompetenz zugemessen. Zwar soll sich diese Kompetenz zunächst auf den Regierungsbinnenbereich beschränken, dies schadet jedoch vorliegend nicht. Die weitere Untersuchung hat ergeben, daß diese Gestaltungskompetenz nach außen vermöge der spezielleren Kompetenzen wirksam wird. Die Kompetenz zur regierungsinternen Zielfestlegung und die außenwirksamen Kompetenzen der Bundesregierung sind also aufeinander bezogen. Könnte ein anderes Verfassungsorgan der Bundesregierung die Wahrnehmung ihrer außenwirksamen Kompetenzen diktieren, etwa in Form einer Verpflichtung zur Einbringung einer Gesetzesvorlage, so beschnitte dies auch die interne Gestaltungskompetenz und verletzte damit Art. 65 GG. 233 (2) Bedeutung des Art. 20 Abs. 3 GG Art. 65 GG verbietet anderen Verfassungsorganen also, der Bundesregierung durch Beschluß die Wahrnehmung von Kompetenzen zu diktieren. 234 Allerdings bindet Art. 20 Abs. 3 GG die vollziehende Gewalt an das Gesetz. Ginge diese Verfassungsnorm dem Art. 65 GG vor, so könnte gegebenenfalls eine Verpflichtung der Bundesregierung durch Gesetz erzielt werden. 235 Unbeachtlich der Beurteilung des Einzelfallcharakters eines derartigen Gesetzes sollen daher die Implikationen des Art. 20 Abs. 3 GG überprüft werden. (a) Zum Gesetzgebungsverfahren Art. 20 Abs. 3 GG erlegt der Wahrnehmung der Kompetenz nach Art. 76 Abs. 1 GG keine Beschränkung auf. Die Einbringung einer Gesetzesvorlage zielt gerade auf die Abänderung der bestehenden Gesetzeslage ab. 236 Die Bundesregierung hierbei einer Bindung an bestehende Gesetze zu unterwerfen, ließe diese Kompetenz ins Leere laufen. 233 Vgl. Linck, Zulässigkeit und Grenzen, 45 ff.; Linck, DÖV 1979, 165 (166), allerdings mit Verweis auf den Begriff der Verantwortung, dessen Rolle hier aber anders beurteilt wird, siehe unten 2. Kapitel II. 4. d) (3). Hervorzuheben bleibt, Art. 65 GG begründet keinen materiellen Vorbehaltsbereich der Regierung. Er hindert den Gesetzgeber also nicht an der Befassung mit bestimmten Gegenständen (vgl. Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 104 f., Art. 65 Rn.31 f.; Meyer, VVDStRL 33 (1975), 102). Er verhindert lediglich, wie erläutert, eine Instruktion der Bundesregierung durch den Gesetzgeber oder andere Verfassungsorgane. 234 Dies betrifft insbesondere den sogenannten schlichten Parlamentsbeschluß, vgl. Mößle, Regierungsfunktionen, 118 f.; Mußgnug, Haushaltsplan, 288; Linck, Zulässigkeit und Grenzen, 71 ff.; Magiera, Parlament, 214 f. 235 Vgl. Böckenförde, Organisationsgewalt, 81; Linck, Zulässigkeit und Grenzen, 24 ff.; Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 55 f., Art. 65 Rn. 52. 236 Vgl. Linck, Zulässigkeit und Grenzen, 13.

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

Für das Haushaltsgesetz besitzt dieses Argument nicht in gleicher Weise Gültigkeit, da „Änderung der Gesetzeslage“ hier sicher keine geeignete Beschreibung des Zweckes der Gesetzesvorlage bedeutet. Dennoch muß es dem Gesetzgeber verwehrt sein, die Bundesregierung zur Einbringung bestimmter Haushaltsvorlagen zu verpflichten. Dies folgt zwingend aus Art. 113 GG. 237 Einer Zustimmungsverweigerung der Bundesregierung wäre jederzeit die Rechtsgrundlage zu entziehen, könnte der Gesetzgeber die Bundesregierung nach Belieben zur Einbringung eines bestimmten Haushaltsentwurfs oder von Änderungsvorlagen verpflichten. Die Entscheidungsautonomie der Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren trägt noch ein anderes Argument. Mit dem Gesetzgebungsverfahren entwirft die Verfassung ein subtiles Geflecht des Zusammenwirkens der Verfassungsorgane. Mit diesem Zusammenwirken verfolgt die Verfassung einen Zweck, welcher auf den Punkt gebracht die Richtigkeit der Entscheidung bedeutet. 238 Linck nennt dies „Vergütung“ 239 in Anlehnung an Krüger. Dieses verfassungsrechtliche Telos würde konterkariert, könnte einem der beteiligten Organe sein Verhalten diktiert werden. (b) Zum außenpolitischen Vorbehaltsbereich Für nichtvertragliche Akte des auswärtigen Verkehrs, welche von der Verfassung nicht ausdrücklich geregelt sind, ist die Verfassungsrechtslage weniger klar. Zur Aufweisung des Unterschiedes seien zur Gesetzesinitiative zunächst noch einige vertiefende Bemerkungen vorgetragen. Das Gesetzgebungsverfahren nach dem Grundgesetz bewegt sich offenbar an einer Nahtstelle von Exekutive und Legislative. Jedenfalls besitzt das Initiativrecht der Bundesregierung keine eindeutig exekutivische Natur. Der Bundestag und gegebenenfalls der Bundesrat besitzen die Letztentscheidungsbefugnis,240 die Bundesregierung als Organ der Exekutive besitzt ein Initiativrecht. Hiervon hat die Bundesregierung wegen ihrer Organadäquanz vorrangig Gebrauch zu machen. Das Gesetzgebungsverfahren ist somit das prototypische Beispiel einer Staatsleitung (nicht Definitionssuprematie) „zur gesamten Hand“. 241 Die beteiligten Verfassungsorgane können nicht alleine einen Erfolg herbeiführen, sondern sind auf ein „funktionelles Zusammenwirken“ 242 angewiesen. 243 Da es also der Gesetzesinitiative der BundesVgl. Linck, Zulässigkeit und Grenzen, 67. Vgl. Heun, Staatshaushalt, 99; Puhl, Minderheitsregierung, 152. 239 Vgl. Linck, Zulässigkeit und Grenzen, 76; auch: Magiera, Parlament, 181 f., 193. 240 Vgl. Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 104. 241 Vgl. Busse, VerwArch 87 (1996), 445 (452); Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 8, 104. Im gleichen Sinne für den Bereich des öffentlichen Haushalts: Boldt, ZParl 1973, 534 (545). 242 Frömel, DVBl 1974, 65 (67). 243 Vgl. Busse, VerwArch 87 (1996), 445 (447); Moeser, Beteiligung, 29, 33 ff.; Scheuner, Der Bereich der Regierung, 290. 237 238

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regierung einer eindeutig exekutivischen Natur ermangelt, kann eine Befugnis des Gesetzgebers, die Regierung zur Einbringung einer Gesetzesinitiative zu verpflichten, auch nicht mit dem bloßen Hinweis auf eine derartige Natur verneint werden. Erforderlich war vielmehr der Verweis auf das eindeutige verfassungsrechtliche Telos des Initiativrechts, nämlich der Änderung der Gesetzeslage. Hieraus folgt die Nichtanwendbarkeit der Gesetzesbindung nach Art. 20 Abs. 3 GG. Für nichtvertragliche Akte des auswärtigen Verkehrs exekutivischer Natur liegt hingegen eben diese exekutivische Natur per definitionem vor. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG verweist diese Akte daher zunächst in den Zuständigkeitsbereich der Exekutive. Im Gegensatz zum Gesetzgebungsverfahren fehlen jedoch spezielle verfassungsnormative Vorkehrungen, die eine Verpflichtungsbefugnis des Gesetzgebers ausschließen. Oben wurde bereits begründet, daß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG zwar eine Aufgabenzuweisung an einen bestimmten Organbereich gestattet, jedoch nicht zwingend vor Instruktionen durch andere Verfassungsorgane schützt. Mangels eindeutig entgegenstehender Verfassungsnormen kann deshalb für diese Akte des auswärtigen Verkehrs eine Verpflichtungsbefugnis des Gesetzgebers nicht ausgeschlossen werden. 244 In dem offenen Feld nichtvertraglicher Akte muß daher letztlich der Einzelfall entscheiden, inwieweit der Gesetzgeber unter Rückgriff auf Art. 20 Abs. 3 GG die Bundesregierung instruieren kann. Durch Erlaß geeigneter Gesetze kann er jedenfalls die Bundesregierung in ihrer Entscheidungsfreiheit einengen. Anstelle von „Verpflichtung“ wird dann von „Bindung“ der Bundesregierung gesprochen. Dies hält die herrschende Meinung für verfassungsrechtlich unproblematisch. 245 Da aber „Bindung“ nicht die Anweisung zur Vornahme eines ganz bestimmten Aktes bedeutet, berührt dies die vorliegende Frage nur am Rande. Allerdings kann der Übergang von der Bindung zur Verpflichtung fließend verlaufen, wie ein Beispiel zeigen mag. Der Gesetzgeber wünscht die baldige Vornahme eines bestimmten Aktes im auswärtigen Verkehr durch die Bundesregierung. Hierzu verabschiedet er ein Gesetz, welches die Bundesregierung zwar nicht unmittelbar zur Vornahme dieses Aktes verpflichtet. Das Gesetz hält sich vielmehr an die Form einer abstrakt-generellen Regelung, schafft allerdings eine Rechtslage, welche die Bundesregierung zur Vornahme des konkret erwünschten Aktes zwingt. Eine derartige „Tarnung“ eines Einzelfallgesetzes verweist das Bundesverfassungsgericht zwar in die Rechtswidrigkeit, 246 die Abgrenzung dürfte aber im Einzelfall schwerfallen. Immerhin könnte der Gesetzgeber in Anspruch nehmen, auch zukünftige Fälle vorsorglich regeln zu wollen. 247 Wenn damit auch für nichtvertragliche Akte des auswärtigen Verkehrs eine Instruktion der Bundesregierung durch den Gesetzgeber gemäß Art. 20 Abs. 3 GG im Einzelfall möglich erscheint, schadet dies der Vermutung nicht, die BundesregieVgl. Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 67 f. Vgl. Linck, DÖV 1979, 165 (166); Linck, Zulässigkeit und Grenzen, 21 ff.; 72 ff. 246 Vgl. BVerfGE 99, 367 (400); 24, 33 [52]; 13, 225 [229]. 247 Vgl. BVerfGE 99, 367 [400]; 13, 225 [228 f.]; 2, 213 [222]; 10, 234 [243 f.]; z. T. a. A. Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 62. 244 245

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

rung habe die Definitionssuprematie inne. Untersuchungsfrage dieses Kapitels ist eben das Vorliegen einer Suprematie, und nicht einer exklusiven Definitionsgewalt eines Verfassungsorgans. Für den vertraglichen Bereich hingegen wurde Art. 59 Abs. 2 GG eine Kompetenzzuweisung zugunsten der Bundesregierung entnommen, sofern keine der ausdrücklich genannten Vertragsarten vorliegt. Doch auch für solche Verträge besitzt die Bundesregierung das alleinige Initiativ-, Verhandlungs- und Vorlagerecht. Die Verfassung nimmt damit eine Kompetenzzuweisung vor, die der legislativen Natur völkerrechtlicher Verträge widerspricht. Trifft die Verfassung damit ausdrücklich eine Entscheidung gegen die eigentlich zu vermutende Zuständigkeit des Gesetzgebers, so kann dem Willen der Verfassung nicht entsprechen, wenn der Gesetzgeber diese Zuständigkeit indirekt durch Verpflichtung der Bundesregierung erneut an sich zöge. (c) Ergebnis Art.20 Abs.3 GG gestattet dem Gesetzgeber nicht, die Bundesregierung durch Gesetz zur Vornahme erwünschter Akte zu verpflichten. Als Ausnahme sind allenfalls einzelne Akte des auswärtigen Verkehrs im nichtvertraglichen Bereich denkbar. (3) Bedeutung von Vertrauen und Verantwortung Zur Begründung der Entscheidungsautonomie der Bundesregierung wurden bis jetzt noch nicht die verfassungsrechtlichen Begriffe von Vertrauen und Verantwortung herangezogen. Dieser Verzicht gründet in einer von der herrschenden Meinung abweichenden Beurteilung der Bedeutung diese Begriffe. Vertrauen und Verantwortung werden vorliegend für die Entscheidungsautonomie der Bundesregierung nicht als konstitutiv, sondern als deklaratorisch betrachtet. Verantwortung und Vertrauen, wie sie in Art. 65, Art. 67 und Art. 68 GG Verwendung finden, sollen nach überwiegender Auffassung eine Gehorsamspflicht der Bundesregierung ausschließen. Verantwortung könne nur tragen, wer selbstbestimmte Entscheidungen trifft. Eine Verpflichtung zu Regierungsentscheidungen mache die Bundesregierung zu einem Vollzugsausschuß. 248 Eine derartige Schlußfolgerung ist nicht logisch zwingend. Einem Organ kann durchaus ein bestimmter Aufgabenbereich zur verantwortlichen Wahrnehmung übertragen werden. Dieses Organ ist dann verantwortlich, seine Entscheidungen im Aufgabenbereich nach bestem Wissen und Gewissen unter Wahrung des Rechtes zu 248 Vgl. Bayer, DÖV 1965, 753 (753 ff.); Linck, Zulässigkeit und Grenzen, 41 f., 56, 61; Scheuner, Verantwortung, 391 f.; Schröder, JA 1982, 449 (451); Mößle, Regierungsfunktionen, 190; Böckenförde, Organisationsgewalt, 82.

II. Verfassungsrechtliche Stellung der Bundesregierung

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treffen. Dies schließt aber nicht die Existenz eines übergeordneten Organs aus, welches im Einzelfall Weisungen erteilen kann. Vielmehr bedeutet dies das Organisationsprinzip fast der gesamten öffentlichen Verwaltung. Eine Entbindung von der Verantwortung liegt nur dann vor, wenn das übergeordnete Organ tatsächlich eine derartige Einzelweisung erteilt. Vorliegend bedeutet dies, mit der Verantwortung der Bundesregierung wäre durchaus vereinbar, wenn sie grundsätzlich eigenverantwortlich beispielsweise über die Einbringung von Gesetzesvorlagen entscheidet, im Einzelfall jedoch hierzu auch vom Bundestag verpflichtet werden könnte. Lediglich bei Vorliegen einer solchen Weisung des Bundestages wäre die Bundesregierung von ihrer Verantwortung entbunden. 249 In allen anderen Fällen wäre sie voll für ihre Maßnahmen verantwortlich. Damit ist der Kernbereichsthese des Bundesverfassungsgerichts 250 insofern beizupflichten, als Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG und die Begriffe Vertrauen und Verantwortung eine vollständige und tatsächliche Determinierung des Handelns der Bundesregierung durch ein anderes Verfassungsorgan verbieten. Gelegentliche Weisungen für Einzelfälle wären hingegen nicht ausgeschlossen. Hieraus ergeben sich allerdings nicht unmittelbar bestimmte Gegenstände dieses Kernbereichs, wie das Bundesverfassungsgericht meint. 251 Diese folgen vielmehr aus speziellen Verfassungsnormen, wie gerade dargestellt. 252 Aus den Begriffen der Verantwortung und des Vertrauens alleine kann also die Entscheidungsautonomie der Bundesregierung nicht normativ gefolgert werden. 253 Diese Entscheidungsautonomie ergibt sich vielmehr aus den speziellen Verfassungsnormen, so wie obenstehend entwickelt. Dennoch sind diese Begriffe keineswegs ohne Bedeutung. Nur ist es nicht so, daß Verantwortung und Vertrauen die Entscheidungsautonomie normativ begründen. Vielmehr sind es umgekehrt die die Entscheidungsautonomie begründenden speziellen Verfassungsnormen, welche den 249 Das BVerfG machte sich zunächst eine Feststellung des BayVfGH zueigen, Verantwortung könne nicht tragen, wer in seiner Entscheidung inhaltlich in vollem Umfang an die Willensentscheidung eines anderen gebunden ist (BVerfGE 9, 268 [281]). Mit der Forderung, die Entscheidung müsse in vollem Umfang an einen anderen gebunden sein, spricht das BVerfG implizit die Möglichkeit aus, die Bundesregierung könne Verantwortung dann wahrnehmen, wenn Entscheidungen nur sporadisch vorbestimmt würden. Später erklärt das Gericht dies ausdrücklich. Entscheidungsbefugnisse könnten auch einem unbegrenzt weisungsabhängigen Organ zukommen. Solange derartige Ingerenzrechte nicht ausgeübt würden, käme die Entscheidungsgewalt des weisungsunterworfenen Organs zur Geltung (BVerfGE 83, 60 [73]). 250 Vgl. BVerfGE 9, 268 [279 f.]; 22, 106 [111]; 34, 52 [59]; 67, 100 [139]; 68, 1 [86 f.]; 95, 1 [15]; Bull, Koordination, 37; Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 115; Art. 65 Rn. 105; Heun, Staatshaushalt, 89 f.; Schröder, HStR II, § 50 Rn. 11; Böckenförde, Organisationsgewalt, 84; Weiß, Auswärtige Gewalt, 24; Götz, Vorbehaltsbereich, 22 ff. 251 Vgl. BVerfGE 67, 100 [139] (nicht ausforschbarer Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich); krit. auch: Herzog, Maunz-Dürig, Art. 65 Rn. 105. 252 Andererseits stellt auch das Bundesverfassungsgericht fest, die Beziehungen zwischen Bundestag und Bundesregierung seien durch ihre verfassungsrechtlichen Kompetenzen bestimmt (BVerfGE 67, 100 [129]). 253 Einprägsam formuliert Puhl: „Die Verantwortung folgt der Kompetenz, nicht umgekehrt“, Puhl, Minderheitsregierung, 133.

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

Begriffen Verantwortung und Vertrauen ihre spezifisch verfassungsrechtliche Prägung verleihen. Diese Begriffe kennzeichnen die Bedeutung der Entscheidungsautonomie und der Definitionssuprematie der Bundesregierung innerhalb der verfassungsmäßigen Staatsorganisation. Soll die Bundesregierung vom Vertrauen des Bundestages abhängen, so fragt sich, worauf genau dieses Vertrauen gerichtet ist. Die Antwort lautet, der Bundestag vertraut darauf, daß von der Bundesregierung benannte Gemeinwohlgefährdungen zutreffen und die vorgeschlagenen Maßnahmen zur deren Abwendung geeignet sind. Die Bundesregierung ist verantwortlich, genau dies zu gewährleisten. 254 Hierzu trifft sie autonome Beurteilungen und Entscheidungen.255 Der Bundestag spricht also eine revozierbare Richtigkeitsvermutung bezüglich der Einschätzungen der Bundesregierung aus. Dessen Vertrauen in die Bundesregierung beruht auf deren höchster Organadäquanz zum Erkennen von Gemeinwohlgefährdungen und zur rationalen Erarbeitung geeigneter Maßnahmen. 256 Dieses Grundverhältnis von Bundesregierung und Bundestag verkennt, wer die Schaffung einer „Gegenbürokratie“ des Bundestages fordert, um vermeintliche Informationsdefizite des Parlaments auszugleichen. 257 Gelangt der Bundestag zur Überzeugung, die Einschätzungen der Bundesregierung seien in nicht mehr vertretbarem Maße unzutreffend, so kann er eine amtierende Bundesregierung mittels der einschlägigen Verfassungsnormen beseitigen. 258 Die Definitionssuprematie ist damit weniger ein Recht, sondern vielmehr eine Pflicht der Bundesregierung. Die Bundesregierung ist es, die aus eigener Initiative die gesellschaftliche Entwicklung stetig zu beobachten hat und bei erkann254 Vgl. BVerfGE 9, 268 [281]; Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 45 ff.; Mößle, Regierungsfunktionen, 159 ff.; Karpen, JA 1986, 585 (588); Schreiber, DVBl 1986, 974 (974 ff.); Scheuner, Verantwortung, 384; Magiera, Parlament, 259. 255 Vgl. Badura, Verfassungsrechtliche und politische Grundlagen, 30 f., 36, 43; BVerfGE 9, 268 [279 f.]; 10, 4 [17 ff.]; 22, 106 [111]; 34, 52 [59]; 45, 1 [2 (LS 7), 46 f.]; 67, 100 [139]; 68, 1 [86 f.]; 95, 1 [15]. 256 Vgl. BVerfGE 6, 84 [93 f.]; 45, 1 [37 f.]; 68, 1 [86 ff.]; BVerfGE 104, 151 [206] („funktionsgerechte Teilung der Staatsgewalt“); Bull, Koordination, 47 f.; Busse, VerwArch 87 (1996), 445 (453 f.); Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 34; Heun, Staatshaushalt, 105 ff., 115, 471; Meyer, VVDStRL 33 (1975), 102; Mößle, Regierungsfunktionen, 161 ff. (krit.); Moeser, Beteiligung, 30; Mußgnug, Haushaltsplan, 239; Bryde, Münch/Kunig GG-Kommentar, Art. 76 Rn. 9; Schneider, VVDStRL 8 (1950), 35 (Schneider spricht vom Laufenlassen der Regierungspolitik durch das Parlament). Insbesondere zur informationellen Überlegenheit der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag, was Rückschlüsse auf die Organadäquanz der Bundesregierung gestattet: BVerfGE 57, 1 [5]; BVerfG, NJW 1996, 2085 (2085 f.); Bundestag, Enquete-Kommission, 135 f. 257 Vgl. Puhl, Minderheitsregierung, 179 m. w. N. Andeutungsweise auch Schäffer, VVDStRL 40 (1982), 113 f. (Aussprache); Scheuner, Verantwortung, 399 („Bedrohung“ des Entscheidungsanteils des Parlaments); Magiera, Parlament, 258 f., 311 (krit. zu einer derartigen Vorstellung); differenziert Herzog/Pietzner, Möglichkeiten, 56 f. 258 Vgl. Bundestag, Verfassungskommission, 173; Mößle, Regierungsfunktionen, 119; Herzog, Bundesrat, 199; Oppermann, VVDStRL 33 (1975), 20; Karpen, JA 1986, 585 (586 f.); Schröder, JA 1982, 449 (449); Stern, Staatsrecht II, § 31 IV 5, § 39 II 1; BVerfGE 1, 372 [394 f.]; 1, 351 [370]; 2, 347 [371]; 68, 1 [72, 89, 109 f.]; 89, 155 [191].

II. Verfassungsrechtliche Stellung der Bundesregierung

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ten Gemeinwohlgefährdungen zur Erarbeitung geeigneter Gegenmaßnahmen 259 verpflichtet ist. Diesen Verpflichtungsaspekt nennt Busse sehr einprägsam die Verantwortungsprärogative 260 der Bundesregierung. Definitionssuprematie und Verantwortungsprärogative sind zwei Seiten einer Medaille. (4) Bedeutung des Gesetzgebungsnotstandes nach Art. 81 GG Die Ausgestaltung des Gesetzgebungsnotstandes nach Art. 81 GG bildet den Schlußstein der Suche nach der Definitionssuprematie. Im Zustande des Gesetzgebungsnotstandes vertraut der Bundestag nicht mehr darauf, die Einschätzungen der Bundesregierung träfen in der Regel zu. Dennoch kann er die amtierende Bundesregierung nicht beseitigen. Einerseits kam es nicht zur Auflösung des Bundestages nach Art. 68 GG, andererseits findet sich keine Mehrheit zur Einbringung eines konstruktiven Mißtrauensvotums nach Art. 67 GG. Diese verfassungsrechtliche Ausnahmesituation zwingt die Verfassung, ihre Präferenz in der Frage der Definitionssuprematie eindeutig zu offenbaren. Nimmt der Bundestag nicht die ihm obliegende Aufgabe wahr, eine von seinem Vertrauen getragene Bundesregierung zu installieren, so spricht das Grundgesetz selbst der amtierenden Bundesregierung das Vertrauen aus. Das Grundgesetz stellt durch normative Anordnung fest, daß die Einschätzungen der Bundesregierung als zutreffend zu erachten sind und erteilt ihnen daher Gesetzeskraft. Der reguläre Inhaber der Definitionssuprematie wird zusätzlich mit der Letztentscheidungsbefugnis ausgestattet, um die verfassungsnormative Richtigkeitsvermutung staatlicher Entscheidungen aufrechtzuerhalten. Stern spricht davon, 261 die Regierung müsse „notwendige“ Gesetze gegen den Widerstand des Parlaments durchsetzen können, sofern dieses in Obstruktion verharrt. Dabei läßt Stern offen, wonach ihm zufolge sich die „Notwendigkeit“ bemißt. 262 Nach hier vertretener Auffassung erzwingt die Gefährdung eines verfassungsnormativen Gemeinwohlbelanges die Notwendigkeit gesetzgeberischen Handelns. Die Notwendigkeit ist also zunächst keine Frage politischer Einschätzung, sondern anhand der Verfassung objektiv feststellbar. Die Definitionssuprematie wirkt sich nun aber insofern aus, als die Verfassung vorrangig die Bundesregierung beauftragt, eben diese Feststellung auch tatsächlich zu treffen und insbesondere die geeigneten Gegenmaßnahmen zu erarbeiten. 259 Vgl. BVerfGE 9, 268 [281]; 45, 1 [46 f.]; BVerwGE 82, 76 [80]; Bull, Koordination, 47 f.; Busse, VerwArch 87 (1996), 445 (452, 467); Bryde, Münch/Kunig GG-Kommentar, Art. 76 Rn. 9; Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 33; Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 102; Karpen, JA 1986, 585 (587); Scheuner, Verantwortung, 381; Schröder, HStR II, § 50 Rn. 2 f., 26 f.; Böckenförde, Organisationsgewalt, 81. 260 Busse, VerwArch 87 (1996), 445 (453 f.). 261 Vgl. Stern, Gesetzgebungsnotstand, 131 f. 262 Allerdings spricht er später davon (Gesetzgebungsnotstand, 137 f.), es handele sich um ein von der Bundesregierung „für unerläßlich gehaltenes“ Gesetz. Vermutlich stellt Stern also die Notwendigkeit der politischen Einschätzung der Bundesregierung anheim.

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

Der Bundesrat hat lediglich eine Zustimmungsbefugnis, Einfluß auf den Inhalt der Gesetzesvorlagen ist ihm nicht gewährt. Die Kennzeichnung des Bundesrates im Gesetzgebungsnotstand als „Ersatzgesetzgeber“ 263 ist deshalb unzutreffend. Somit geht das Grundgesetz davon aus, die Bundesregierung sei jederzeit dasjenige Organ, welches am besten Gemeinwohlgefährdungen erkennen und geeignete Gegenmaßnahmen erarbeiten kann. Die Anwendung des Gesetzgebungsnotstandes führt daher keineswegs in eine „ernste Verfassungskrise“, 264 sondern überbrückt verfassungskonform eine Funktionsstörung des parlamentarischen Regierungssystems. 265 Der grundgesetzlichen Präferenz der Einschätzungen der Bundesregierung im Gesetzgebungsnotstand voraus liegt die Ermöglichung einer Minderheitsregierung. 266 Nach gescheiterter Vertrauensfrage hängt die Auflösung des Bundestages vom politischen Willen des Bundeskanzlers ab (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG), ebenfalls ein durchaus bemerkenswerter Verfassungsrechtstatbestand. Schon diese Vorstufe offenbart also den Willen der Verfassung, während einer Funktionsstörung den politischen Einschätzungen der Bundesregierung den Vorzug zu geben. Der Gesetzgebungsnotstand bestätigt insbesondere das zuvor gewonnene 267 Untersuchungsergebnis, die Bundesregierung weise nicht nur „faktisch“ 268 die höchste Organadäquanz auf, sondern besäße auch die verfassungsnormative Initiativprärogative für Gesetzesvorlagen. Ohne eine derartige, der Definitionssuprematie folgende Initiativprärogative 269 bedeutete die Zurückweisung einer Gesetzesvorlage der Bundesregierung durch den Bundestag keinerlei abhilfebedürftiges Problem. Das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Gesetzgebungsnotstandes änderte hieran nichts. Sähe die Verfassung alle drei Initiativberechtigten gleichermaßen in der Pflicht, Gemeinwohlgefährdungen durch Einbringung von Gesetzesvorlagen zu 263 Bundestag, Enquete-Kommission, 113. Zutreffend zur Rolle des Bundesrates hingegen Schneider, VVDStRL 8 (1950), 43. Stern sieht die Funktion des Zustimmungsbedürfnisses in der Wahrung der bundesstaatlichen Belange (Gesetzgebungsnotstand, 131). Eine derartige Einschätzung setzt voraus, dem Bundesrat ganz allgemein diese Aufgabe zuzuweisen. Vgl. hierzu die Analyse im dritten Kapitel. 264 Scheuner, DÖV 1974, 433 (436). 265 Vgl. Bundestag, Enquete-Kommission, 108; Stern, Gesetzgebungsnotstand, 129 f.; Schneider, VVDStRL 8 (1950), 35; Badura, ThürVBl 1994, 169 (169). 266 Vgl. Badura, ThürVBl 1994, 169 (174); Puhl, Minderheitsregierung, 189; Linck, Zulässigkeit und Grenzen, 62. 267 2. Kapitel II. 3. c) (5) (d). 268 Insbesondere Puhl führt die Kompetenzverteilung zwischen Bundestag und Bundesregierung auf „tatsächliche Gründe“ zurück (Puhl, Minderheitsregierung, 178). Derartige Gründe sieht er vor allem in der Eilbedürftigkeit und Unvorhersehbarkeit bestimmter Entscheidungen. Die Heranziehung derartiger tatsächliche Gründe stellt aber die Kompetenzverteilung der Beliebigkeit anheim. Auszugehen ist vielmehr davon, daß die Verfassung derartige „Gründe“ vorausgesehen und ihrer normativen Kompetenzzuweisung mit zugrundegelegt hat. Für den Staat maßgebend ist dann nur noch diese normative Entscheidung der Verfassung. 269 Im Sinne einer vorrangigen Pflicht (nicht des Rechtes) zur Einbringung einer Gesetzesvorlage.

II. Verfassungsrechtliche Stellung der Bundesregierung

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begegnen, so wäre ein Vertrauensausfall des Bundestages gegenüber der Bundesregierung kein Anlaß, dieser einen Gesetzesbeschluß gegen den Willen des Bundestages verfassungsrechtlich zu ermöglichen. Lagebeurteilung und Lösungsstrategie des Bundestages könnten dann nämlich die entsprechenden Einschätzungen der Bundesregierung jederzeit vollwertig substituieren. Die Normierung des Gesetzgebungsnotstandes vermittelt noch eine weitere, bemerkenswerte Einsicht. Das Grundgesetz geht offenbar davon aus, der Bundestag stimme Gesetzesinitiativen der Bundesregierung prinzipiell immer zu. Dies sei nachfolgend kurz begründet. Zu den Tatbestandsvoraussetzungen des Gesetzgebungsnotstandes gehört keine exogene Gefahrenlage, wie dies etwa für den Verteidigungsfall zutrifft (drohender Angriff mit Waffengewalt). Einziges qualifiziertes Merkmal der fraglichen Gesetzesvorlage ist lediglich die „Dringlichkeit“. Verzichtet die Verfassung jedoch auf eine Eingrenzung des Gesetzesgegenstandes auf spezielle, besonders schwerwiegende Gefahren, so kann eine derartige „Dringlichkeit“ jederzeit eintreten. Die Feststellung obliegt dem pflichtgemäßen Ermessen der Bundesregierung. Nun dokumentiert die Existenz des Art.81 GG, daß die Verfassung die Ablehnung einer derartigen, dringlichen Gesetzesvorlage durch den Bundestag für problematisch und abhilfebedürftig hält. Wenn nun aber eine derartige Situation prinzipiell jederzeit eintreten kann, so fragt sich, warum die Verfassung nur im Falle einer vorangegangenen gescheiterten Vertrauensfrage eine derartige Abhilfe vorsieht. Für die Lösungsbedürftigkeit eines dringenden, empirisch eingetretenen gesellschaftlichen Problems ist es nämlich ziemlich egal, ob irgendwann zuvor im Bundestag eine Vertrauensfrage gestellt wurde. Dieser Widerspruch läßt sich nur beseitigen durch die Annahme, die Verfassung ziehe die Möglichkeit einer okkassionellen Zurückweisung von Gesetzesvorlagen durch den Bundestag überhaupt nicht erst in Betracht. Die Verfassung unterstellt also offenbar, zu einer derartigen Zurückweisung könne es überhaupt nur dann kommen, wenn es durch davorliegende krisenhafte Entwicklungen zu einem Vertrauensausfall gekommen sei, wie Art. 81 GG ihn beschreibt. (5) Verhältnis zum Bundesrat Der Bundesrat nimmt an den beschriebenen Verantwortungs- und Vertrauensbeziehungen nicht teil. 270 Weder kann der Bundesrat eine amtierende Bundesregierung beseitigen, noch hat die Bundesregierung Einfluß auf die Zusammensetzung des Bundesrates. Daher nimmt kaum Wunder, behauptet das Bundesverfassungsgericht die grundgesetzliche Zuweisung der Entscheidungsverantwortlichkeiten an Parlament und Regierung. 271 Divergierende Auffassungen zwischen der Bundesregierung als dem Inhaber der Definitionssuprematie und dem Bundesrat zeitigen keinerlei 270 Vgl. Dolzer, VVDStRL 58 (1999), 21, 26; Herzog, Bundesrat, 199; Ossenbühl, Zustimmung, 321. 271 Vgl. BVerfGE 6, 84 [93 f.]; 97, 350 [368 ff.]; BVerfG, NJW 1998, 3187 (3187 f.). Siehe auch Herzog, Bundesrat, 195 f.; Scheuner, DÖV 1974, 433 (433) („die politische Entscheidung ist in dem Verhältnis Regierung-Parlament konzentriert“).

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

verfassungsrechtliche Konsequenzen. Von der Bundesregierung eingebrachte und vom Bundestag beschlossene zustimmungsbedürftige Gesetzesvorlagen kann der Bundesrat niederschlagen, ohne gleichzeitig einen verfassungsrechtlichen Konfliktbeseitigungsmechanismus auszulösen. 272 Eine Zustimmungsverweigerung scheint daher die Definitionssuprematie der Bundesregierung vollständig zu absorbieren. Dieser Tatbestand ist verfassungsrechtlich erklärungsbedürftig und bildet den Untersuchungsgegenstand des letzten Kapitels. e) Ergebnis Die gefundene Stellung der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag hindert nicht die Annahme einer Definitionssuprematie der Bundesregierung. Die gewaltenteilige Staatsorganisation verleiht dem Bundestag keine Handhabe, die Bundesregierung zu einem bestimmten Gebrauch ihrer Kompetenzen zu verpflichten. Weder ein schlichter Parlamentsbeschluß, noch ein Gesetz vermag die Entscheidungsfreiheit der Bundesregierung zu beeinträchtigen, wie sie vorstehend deduziert wurde. 273 Zwischen beiden Verfassungsorganen besteht ein verfassungsdeterminiertes Verantwortungs- und Vertrauensverhältnis, welches die Kongruenz politischer Einschätzungen gewährleistet. Im Falle einer Störung dieses Verhältnisses offenbart die Verfassung ihre Präferenz der Einschätzungen der Bundesregierung, und überträgt ihr im Gesetzgebungsnotstand die Gesetzgebungsbefugnis. Die bisherige Untersuchung bestätigt somit die Bundesregierung als den Inhaber der Definitionssuprematie. Gleichzeitig eröffnet sie die Frage nach dem verfassungsrechtlichen Telos einer Zustimmungsverweigerung des Bundesrates. 4. Ergebnis Die Untersuchung der Stellung der Bundesregierung gegenüber den anderen Verfassungsorganen erwies sie als den Inhaber der Definitionssuprematie. Sie ist von Verfassungs wegen vorrangig verpflichtet, die gesellschaftliche Entwicklung stetig zu beobachten, Gemeinwohlgefährdungen zu erkennen und Gegenmaßnahmen zu erarbeiten. 272 Auch der Vermittlungsausschuß bedeutet kein geeignetes Instrument. Eine Konfliktbeseitigung setzt hier nämlich die Erzielung eines Konsenses der Vertreter von Bundestag und Bundesrat voraus. Hingegen kann der Bundestag bei einem Vertrauensausfall gegenüber der Bundesregierung beispielsweise von einem konstruktiven Mißtrauensvotum Gebrauch machen, ohne dabei von der Zustimmung eines anderen Verfassungsorgans abhängig zu sein. Wird eine Vertrauensfrage des Bundeskanzlers negativ beantwortet, so bedarf es zwar des Zusammenwirkens von Bundespräsident und Bundeskanzler, um den Bundestag aufzulösen. Erzielen diese jedoch keine Übereinstimmung und kommt daher die Auflösung nicht zustande, so mündet dies in den Gesetzgebungsnotstand und damit wiederum in einen wirksamen Konfliktbeseitigungsmechanismus. Vgl. im übrigen Bundestag, Enquete-Kommission, 227. 273 Die geringfügige Ausnahme im außenpolitischen Vorbehaltsbereich wurde genannt.

II. Verfassungsrechtliche Stellung der Bundesregierung

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Art. 65 GG verleiht der Bundesregierung eine Gestaltungskompetenz, aufgrund derer sie staatliche Zustände definieren und anstreben kann. Die Definitionssuprematie der Bundesregierung ergibt sich aber erst aus den speziellen Kompetenzen, welche der Gestaltungskompetenz Außenwirksamkeit verleihen. Obwohl Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag gleichermaßen das Recht zur Einbringung von Gesetzesinitiativen besitzen, betraut die Verfassung jeden Initianten mit einer anderen verfassungsrechtlichen Funktion. Die Bundestagsmehrheit ist insbesondere für den seltenen Fall eines partiellen Dissenses mit der Bundesregierung einbringungsberechtigt. Die Bundestagsminderheit garantiert mit der Einbringung ihrer Vorlagen politische Alternativen als die Voraussetzung der Wirksamkeit des Demokratieprinzips. Gesetzesinitiativen des Bundesrates besitzen eine verfassungsrechtliche Funktion, welche jedenfalls nicht für eine Definitionssuprematie des Bundesrates zu sprechen scheint. Demgegenüber zeichnet die Grundfunktion einer objektiven Richtigkeitsgewähr für die gesetzgeberischen Maßnahmen exekutivischer Provenienz. Hierfür besitzt die Bundesregierung die höchste Organadäquanz. Das Einbringungsmonopol für den Haushaltsplan in Verbindung mit der Absicherungsfunktion des Art. 113 GG erteilt der Bundesregierung den Gestaltungsauftrag, die finanzielle Leistbarkeit staatlicher Aufgaben sicherzustellen. Die Verteilung der Kompetenzen für auswärtige Angelegenheiten gehorcht zum einen Art. 59 Abs. 2 GG, zum anderen der primär exekutivischen oder legislativen Natur des jeweiligen Gegenstandes. Maßgebliche Bereiche unterliegen der Entscheidungsautonomie der Bundesregierung. Hierzu zählt insbesondere das Initiativ-, Verhandlungs- und Abschlußmonopol für alle völkerrechtlichen Verträge. Lediglich in Art. 59 Abs. 2 GG ausdrücklich genannte Verträge bedürfen der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften. Bundestag und Bundesrat können die Bundesregierung weder durch Beschluß noch mittels Gesetz zu einer bestimmten Ausübung ihrer Kompetenzen verpflichten. Die Bundesregierung ist dem Bundestag, nicht hingegen jedoch dem Bundesrat, für die Richtigkeit ihrer Einschätzungen und Maßnahmen verantwortlich. Dieser Richtigkeit gilt das Vertrauen des Bundestages. Hierin findet seine Rechtfertigung, wenn die Vorschläge des Inhabers der Definitionssuprematie eine erhöhte Realisierungschance besitzen. Das Vertrauen des Bundestages ist allerdings revozierbar, eine amtierende Bundesregierung kann jederzeit beseitigt werden, befindet der Bundestag deren Einschätzungen und Maßnahmen als meist unzutreffend. Im Gesetzgebungsnotstand hingegen hält die Verfassung die Richtigkeitsvermutung zugunsten der Bundesregierung aufrecht.

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

III. Bedeutung weiterer grundgesetzlicher Kompetenzen Der vorstehende Abschnitt unternahm eine Verfassungsexegese aus dem Blickwinkel der Stellung der Bundesregierung. Dies fand seine Rechtfertigung in dem grammatischen Hinweis, welchen die Verfassung mit der Wahl der Organbezeichnung liefert. Andere Verfassungsorgane wurden insoweit betrachtet, als sie verfassungsgeprägte Berührungspunkte mit der Bundesregierung aufweisen. Tatsächlich wurde die Bundesregierung als der Inhaber der Definitionssuprematie erkannt. Allerdings könnten dabei sonstige verfassungsrechtliche Kompetenzen der anderen Verfassungsorgane aus dem Blickwinkel geraten sein. Zunächst nicht auszuschließen erscheint eine derartige Reichweite solcher Kompetenzen, daß sie eine Definitionssuprematie der Bundesregierung wiederum in Frage stellen. Solche Kompetenzen sind daher aufzusuchen und gegebenenfalls zu beurteilen. Dabei wird allerdings auf die Nennung sämtlicher, bis jetzt noch nicht behandelter Kompetenzen verzichtet und statt dessen eine Auswahl nach der Nähe zum Gegenstand getroffen.

1. Parlamentarische Kontrollbefugnisse Bisher nicht betrachtet wurden zahlreiche Kompetenzen des Bundestages, vermöge derer er die Rechtfertigung seines Vertrauens in die Bundesregierung im speziellen überprüfen kann. Hierzu gehören insbesondere die Anwesenheitspflicht für Regierungsmitglieder und das Interpellationsrecht nach Art. 43 Abs. 1 GG, der Untersuchungsausschuß nach Art. 44 GG, der Verteidigungsausschuß nach Art. 45 a Abs. 2 GG sowie die Einrichtung eines Wehrbeauftragten nach Art. 45 b GG. Obschon diese Kompetenzen erhebliche Ingerenzen normieren, so hindern sie die Annahme einer Definitionssuprematie der Bundesregierung dennoch nicht. Vielmehr stützen sie das Ergebnis, vorrangig die Bundesregierung sei mit der Feststellung von Gemeinwohlgefährdungen und der Erarbeitung von Gegenmaßnahmen von Verfassungs wegen beauftragt. Der Bundestag wird hier nicht selbst gestaltend tätig, sondern übt eine ex-post Kontrolle des gestalterischen Handelns der Bundesregierung aus.

2. Die Verfassungsänderung nach Art. 79 GG Die Analyse des Ersten Kapitels erbrachte die Verfassungsimmanenz der Gemeinwohlbelange. Staatsorgane erfinden Gemeinwohlbelange nicht selbst, sondern gewinnen sie aus den objektiven Vorgaben des Grundgesetzes. Ihre Aufgabe besteht daher in dem Erkennen von Gemeinwohlgefährdungen, der Erarbeitung von Gegenmaßnahmen sowie der Vornahme ressourceninduzierter Priorisierungen. Als vor-

III. Bedeutung weiterer grundgesetzlicher Kompetenzen

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nehmste staatliche Leistung erweist sich, die widerstreitenden Gemeinwohlbelange zu einem Ausgleich zu führen. Eine Verfassungsänderung jedoch schafft entweder neue Gemeinwohlbelange, beseitigt bestehende, oder sie ändert das Verfahren zur Gewährleistung der Gemeinwohlerheblichkeit staatlichen Handelns. Der erste Tatbestand entzieht sich dem vorliegenden Analysemaßstab. Die Schaffung eines neuen Gemeinwohlbelanges dient nicht der Abwehr einer bestehenden Gemeinwohlgefährdung. Bestehende Gemeinwohlgefährdungen definieren sich ausschließlich auf Grundlage bereits gegenwärtig verfassungsnormativ bestimmter Gemeinwohlbelange. Solche Verfassungsänderungen können somit nicht als staatliche Aufgabenwahrnehmung im Rahmen der Gemeinwohlpflichtigkeit verstanden werden. Der Impetus einer derartige Maßnahme muß vielmehr in einer extrapositiven Sphäre liegen. Hierfür erweist sich die Vorstellung einer verfassungsnormativen Definitionssuprematie als logisch ausgeschlossen. Gleiches gilt analog für die Abschaffung eines bestehenden Gemeinwohlbelanges. Demzufolge berührt eine solche Verfassungsänderung die vorliegende Fragestellung nicht, welche Gemeinwohlbelange schafft oder abschafft. Für den zweiten Tatbestand hingegen liegt der Fall anders. Hier verfallen solche Verfassungsnormen der Änderung, welche instrumental zur Erreichung von Gemeinwohlzielen sind. Die Verfassung eröffnet also die Möglichkeit, derartige Verfahren zu modifizieren, welche ihre Geeignetheit zur Gemeinwohlförderung verloren haben. Die Verfassungsänderung unterliegt dem normalen Gesetzgebungsverfahren. Eine Definitionssuprematie der Bundesregierung erscheint daher zunächst nicht ausgeschlossen. Jedoch fragt sich, ob die Bundesregierung auch in diesem Falle die höchste Organadäquanz aufweist. Beispielsweise wäre die Änderung einer Organisationsnorm vorstellbar, welche ein anderes Verfassungsorgan als die Bundesregierung betrifft. Man mag einwenden, derartige Organisationsnormen bestünden auch einfachgesetzlich. Der Verfassungsrang einer Organisationsnorm wäre somit der falsche Anknüpfungspunkt für die Klärung der Definitionssuprematie in solchen Fällen. Dieser Einwand verfängt insofern, als für beide Normebenen die Frage einer Definitionssuprematie für Organisationsnormen identisch zu beantworten ist. Eine Definitionssuprematie im hier gewählten Sinne bedeutet keinen absoluten Definitionsvorbehalt der Bundesregierung. Vielmehr wurde häufig betont, die Bundesregierung müsse insbesondere die gesellschaftliche Entwicklung beobachten. Die suprematiebegründende Organadäquanz entfaltet gerade für diesen Bereich ihre höchste Wirksamkeit. Die Bundesregierung als den Inhaber der Definitionssuprematie zu benennen verbietet daher nicht, für einige spezielle Gegenstände eine höhere sachliche Organadäquanz bei anderen Verfassungsorganen zu vermuten. Auf eine nähere Erörterung dieses Tatbestands wurde in der vorstehenden Untersuchung verzichtet, da er das Ergebnis nicht beeinträchtigt. Hingegen rechtfertigt die herausgehobene Bedeutung von Verfassungsänderungen, an dieser Stelle auf diesen

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2. Kap.: Definition staatlicher Aufgaben im Bund

Tatbestand einer gegenständlichen Einschränkung der Definitionssuprematie hinzuweisen. Für Verfassungsänderungen, welche das Verfahren zur Gewährleistung der staatlichen Gemeinwohlerheblichkeit betreffen, 274 besteht also keine generelle Definitionssuprematie der Bundesregierung. Wegen des exzeptionellen Charakters einer Verfassungsänderung beeinträchtigt dieses Resultat jedoch die ermittelte Definitionssuprematie der Bundesregierung nur in vernachlässigbarer Weise. 3. Ergebnis Die sonstigen Kompetenzen der anderen Verfassungsorgane beeinträchtigen die Definitionssuprematie der Bundesregierung nicht. Vielmehr bestärken insbesondere die parlamentarischen Kontrollbefugnisse das Analyseergebnis. Für Organisationsnormen betreffende Verfassungsänderungen besteht keine durchgängige Definitionssuprematie der Bundesregierung. Staatliches Handeln beabsichtigt jedoch zum überwiegendsten Teil ein unmittelbares Einwirken auf die Gesellschaft. Dort entfaltet die Definitionssuprematie der Bundesregierung ihre Wirkung. Demgegenüber tritt staatliche Selbstbefassung in ihrer Bedeutung zurück. Eine dortige Einschränkung der Definitionssuprematie der Bundesregierung ist daher für das vorliegende Ergebnis unschädlich. Gleiches gilt für unterverfassungsgesetzliche Organisationsnormen. Welche Auswirkungen die Kompetenzen des Bundesrates auf die Definitionssuprematie der Bundesregierung besitzen, wird im nachfolgenden Kapitel diskutiert.

IV. Zusammenfassung des Zweiten Kapitels Art. 65 GG stattet die Bundesregierung mit der Gestaltungskompetenz aus, staatliche Zustände zu definieren und in der Folge anzustreben. Dieser Gestaltungskompetenz Außenwirksamkeit zu verleihen, hat das Grundgesetz die Bundesregierung mit speziellen Kompetenzen ausgestattet. Hierzu zählen insbesondere die Haushaltskompetenzen, das Gesetzesinitiativrecht sowie die außen- und europapolitischen Kompetenzen. Zu deren Wahrnehmung besitzt die Bundesregierung die höchste Organadäquanz. In der Gesamtschau erweisen diese Kompetenzen eine Definitionssuprematie der Bundesregierung. Sie wird vorrangig von der Verfassung beauftragt, Gemeinwohlgefährdungen zu erkennen und Gegenmaßnahmen zu erarbeiten. Eine Definitionssuprematie bliebe jedoch gegenstandslos, besäßen die vorgeschlagenen Maßnahmen keine erhöhte Realisierungschance. Das verfassungsnormative Verhältnis von 274 Und gegebenenfalls, wie gesehen, sonstige unterverfassungsgesetzliche Organisationsnormen.

IV. Zusammenfassung des Zweiten Kapitels

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Bundesregierung und Bundestag gewährt daher das Vertrauen des Bundestages in die Einschätzungen der Bundesregierung. Die Bundesregierung ist dem Bundestag für die Richtigkeit ihrer Maßnahmen verantwortlich. Diese Richtigkeit bemißt sich an der Eignung zur Abwehr von Gemeinwohlgefährdungen. Vertraut der Bundestag den Einschätzungen der amtierenden Bundesregierung nicht mehr, so kann er diese auf verfassungsmäßigem Wege beseitigen. Jene Möglichkeit bleibt lediglich im Falle einer Funktionsstörung des parlamentarischen Systems versperrt. Mittels des Gesetzgebungsnotstandes hält die Verfassung dann die Richtigkeitsvermutung bezüglich der Einschätzungen der Bundesregierung aufrecht.

3. Kapitel

Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates Das vorangegangene Kapitel hat die Bundesregierung als den Inhaber der Definitionssuprematie erwiesen. Die Bundesregierung steht damit in der vorrangigen verfassungsrechtlichen Pflicht, die gesellschaftliche Entwicklung zu beobachten, Gemeinwohlgefährdungen zu erkennen und Maßnahmen zu deren Abwendung zu erarbeiten. Die Verfassung trifft nachhaltige Vorkehrungen, den Maßnahmen, welche die Bundesregierung in Ausübung ihrer Definitionssuprematie erarbeitet, eine hohe Realisierungschance zu sichern. Die wesentlichste Vorkehrung verkörpert dabei der Vertrauens- und Verantwortungszusammenhang zwischen Bundesregierung und Bundestag. Die Verfassung unterstellt, in der Regel gelangten beide zu kongruenten Einschätzungen. Versagt diese Annahme ausnahmsweise, können sowohl Bundestag als auch Bundesregierung auf das verfassungsrechtliche Instrumentarium der Art. 67 und 68 GG zugreifen, um erneut Kongruenz herzustellen. Der Gesetzgebungsnotstand bedeutet eine bemerkenswerte Bestätigung dieses Verfassungswillens, dem Inhaber der Definitionssuprematie die Gesetzwerdung dessen Problemlösungsstrategie bevorzugt zu ermöglichen. Dem logisch vorausliegen muß selbstverständlich eine verfassungsrechtliche Bevorzugung der Lagebeurteilung der Bundesregierung. Ist Kongruenz aufgrund einer vorübergehenden Funktionsstörung nicht herzustellen, so erlaubt das Grundgesetz der Bundesregierung sogar gegen den erklärten Willen des primären Gesetzgebungsorgans, ihren Maßnahmen Gesetzeskraft zu verleihen. Die Bundesregierung soll sich also in jeder tatsächlichen Lage durchsetzen können. Hiermit in völligem Widerspruch zu stehen scheint, wenn die Bundesregierung als der Inhaber der Definitionssuprematie gegen die Zustimmungsverweigerung des Bundesrates keinerlei Handhabe besitzt. Die Bundesregierung kann im Gesetzgebungsnotstand sogar das primäre Gesetzgebungsorgan überwinden. Hingegen kann der Bundesrat als ein Organ, welches bei der Gesetzgebung lediglich „mitwirkt“, 1 die Einschätzungen der Bundesregierung der Bedeutungslosigkeit anheimstellen. Hierin besteht die vermeintliche Verfassungsantinomie, welche den Gegenstand des letzten Kapitels bildet. Einerseits beauftragt die Verfassung vorrangig die Bundesregierung mit dem Erkennen von Gemeinwohlgefährdungen und dem Erarbeiten 1 Art. 50 GG. Die einschränkende Bedeutung dieses Wortlauts betonen etwa Jahn, Gesetzgebung, 370; Dolzer, VVDStRL 58 (1999), 15. A.A. Wyduckel, DÖV 1989, 181 (187); Maurer, Bundesrat, 620; BVerfGE 37, 363 [380 f.].

I. Der Bundesstaat des Grundgesetzes

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von Gegenmaßnahmen. Andererseits schafft sie mit dem Zustimmungsbedürfnis einen Verfassungsrechtstatbestand, welcher diese Prärogative der Bundesregierung absorbiert. Im Gegensatz zum Verhältnis von Bundestag und Bundesregierung fehlt auch eine verfassungsnormative Grundlage zur Beseitigung eines der beiden Organe, um die Inkongruenz auszuräumen. Es scheint, als könne der Bundesrat die Abwendung von Gemeinwohlgefährdungen dauerhaft unterbinden, obwohl diese Gefährdungen vom dafür vorrangig zuständigen Organ als solche benannt wurden. Derartiges widerspräche dem universalen Gemeinwohlvorbehalt, wie er im ersten Kapitel entwickelt wurde. Das zugrundegelegte Verfassungsverständnis schließt jedoch die tatsächliche Existenz einer Verfassungsantinomie aus. Vielmehr wird ausgegangen von einem widerspruchsfreien Normensystem, welches auf die Gemeinwohlverwirklichung hin optimiert ist. Die scheinbare Antinomie ist daher aufzulösen durch Angabe des verfassungsnormativen Zweckes, welchem das Zustimmungsbedürfnis dient. Setzt sich im Falle der Zustimmungsverweigerung die Definitionssuprematie der Bundesregierung nicht durch, und soll dies dennoch gemeinwohlkompatibel sein, so gestattet dies eine erste Forschungshypothese. Möglicherweise suspendiert das Grundgesetz für zustimmungsbedürftige Gesetzgebungsgegenstände die Definitionssuprematie der Bundesregierung zugunsten des Bundesrates. Zu begründen wäre dann, warum der Bundesrat für diese Gegenstände ausnahmsweise die Definitionssuprematie innehat.

I. Der Bundesstaat des Grundgesetzes Die Forschungshypothese der vorliegenden Untersuchung lautet, das Zustimmungserfordernis – und damit auch die Möglichkeit einer Zustimmungsverweigerung – bedeute einen funktionalen Beitrag zur Gemeinwohlverwirklichung. Die Annahme lautet also näherhin, verhindert der Bundesrat eine vom Bundestag beschlossene gesetzliche Maßnahme zur Abwehr einer Gemeinwohlgefährdung, so ist dies nach dem Grundgesetz gemeinwohlkonform. Dies setzt voraus, die Entscheidung des Bundesrates bilde einen bestimmten funktionalen Beitrag zur gesetzgeberischen Gemeinwohlfindung, dessen Bedeutung im Falle der Zustimmungsbedürftigkeit die Beiträge von Bundesregierung und Bundestag überwiegt. Eingangs wurde bereits die Forschungshypothese für diesen letzten Abschnitt der Untersuchung dahingehend konkretisiert, im Falle zustimmungsbedürftiger Gesetze werde die Definitionssuprematie der Bundesregierung zugunsten des Bundesrates suspendiert. Qualität und Ursprung eines derartigen funktionalen Beitrages des Bundesrates ließen sich nur ermitteln auf Grundlage dessen verfassungsmäßiger Stellung. Als föderales Bundesorgan gewinnt es seine Bedeutung als Element der Bundesstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland. Zunächst gilt es daher, die verfassungsnormative Gestalt dieses Bundesstaates zu ermitteln. 12 Meyer

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

1. Anmerkung zur Methode Die Untersuchung zur grundgesetzlichen Bundesstaatlichkeit wird von vornherein begrenzt von dem instrumentalen Charakter, welcher dem Untersuchungsergebnis hier beigemessen wird. Das eigentliche Interesse ist nicht auf die Entwicklung einer „positiven Bundesstaatstheorie“ 2 gerichtet, vielmehr sollen die aufzudeckenden Eigenschaften des Bundesstaates nur die Bedeutung des Zustimmungserfordernisses klären helfen. Dabei wird unterstellt, das Grundgesetz habe sich für die Bundesstaatlichkeit entschieden, weil diese gewisse Funktionen für die verfassungsmäßige Gemeinwohlverwirklichung erfüllen könne. Die Untersuchung der Bundesstaatlichkeit gilt daher diesen verfassungsintendierten Funktionen. Die Untersuchung kann nicht anknüpfen an staatstheoretischen Erwägungen. 3 Grundlage bildet vielmehr ausschließlich das positive Verfassungsrecht. Eine derartige Analyse erweist sich gegenwärtig allerdings ebenso als Desiderat, wie dies für die allgemeine Bundesstaatstheorie zutrifft. 4 Zweifel sind anzumelden, ob eine Orientierung am Textbefund als „axiomatisch“ (Sˇarcˇevic´) verstanden werden kann. Axiome sind, wie Sˇarcˇevic´ bestätigt, 5 ohne Begründung vorausgesetzte Sätze. Diese Definition bedeutet aber gerade eine extrapositive Qualität einer axiomatischen Methode. Baut man die Exegese auf dem positiven Verfassungstext auf, so bedeutet das nichts anderes als eine normative Begründung des Ergebnisses. Die Begründung liegt in den verfassungsnormativen Begriffen. Wenn Sˇarcˇevic´ daher seine „axiomatische Begriffsbestimmung“ erklärtermaßen auf spezielle Verfassungsnormen stützt, sie aus den ausdrücklichen Grundgesetzregelungen folgen läßt, 6 so ist dies entgegen des Bekenntnisses gerade nicht axiomatisch. Vielmehr gelangen die canones zur Anwendung. Daher bleibt der Exeget auch nicht darauf angewiesen, den verfassungsrechtlichen Bundesstaatsbegriff (Art. 20 Abs. 1 GG) nur als integrale Sammelbezeichnung unterschiedlicher Axiome zu verstehen, welche aus spezielleren Verfassungsnormen folgten. 7 Seine Qualität als unbestimmter Rechtsbegriff bedeutet keineswegs, dessen Bedeutung könne nur axiomatisch gewonnen werden. 8 Vielmehr bedeutet dessen Auslegung, speziell mittels der grammatischen Methode, eine Begründung im dogmatischen Sinne. Ein Bekenntnis zur klassischen Auslegung kann und muß daher Anspruch auch der Exegese der Bundesstaatlichkeit sein. Anderenfalls bewegte man sich außerhalb des normativen Gehalts der Verfassung. Begriff nach Sˇarcˇevic´, Bundesstaatsprinzip, 25, passim. Vgl. Hesse, Grundzüge, 96; Isensee, HStR IV, § 98 Rn. 5 f. 4 Zum Fehlen einer Bundesstaatstheorie März, Bundesrecht, 15; S ˇ arcˇevic´, Bundesstaatsprinzip, 21, 27 f. m. w. N.; Bauer, Bundestreue, 262 f.; Stern, Föderative Ordnung, 16; Hesse, Unitarischer Bundesstaat, 1, 5, 11; Häberle, Die Verwaltung 1991, 169 (183, 186). 5 Vgl. S ˇ arcˇevic´, Bundesstaatsprinzip, 53. 6 Vgl. S ˇ arcˇevic´, Bundesstaatsprinzip, 18, 35, 44. 7 Vgl. S ˇ arcˇevic´, Bundesstaatsprinzip, 18. 8 Vgl. S ˇ arcˇevic´, Bundesstaatsprinzip, 65. Krit. zu einem „Axiom“ der Staatsqualität der deutschen Länder März, Bundesrecht, 172. Zur Ableitung aus dem Grundgesetz Bothe, Kompetenzstruktur, 8. 2 3

I. Der Bundesstaat des Grundgesetzes

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2. Gehalt der föderativen Verfassungsnormen Art. 20 Abs. 1 GG erklärt die Bundesrepublik Deutschland zum Bundesstaat. Soll dieser Verfassungsrechtssatz nicht lediglich deklaratorisch verstanden werden, so ergibt sich dessen Regelungsgehalt aus einer Exegese des unbestimmten Rechtsbegriffs „Bundesstaat“. Maunz scheint recht zu behalten, wenn er feststellt, unter „Bundesstaat“ im Sinne des Grundgesetzes sollte die überlieferte Bedeutung dieses Ausdrucks verfassungsmäßig festgelegt werden. Maunz’ Begründung ist ebenso einfach wie überzeugend. Wäre der Begriff plötzlich in einem ganz anderen Sinn gemeint gewesen als vor 1933 und vor 1918, so hätte dies zum Ausdruck gebracht werden müssen. 9 Vorsorglich anzumerken ist, es handelt sich hierbei um eine grammatische, nicht um eine historische Auslegung. 10 In der Tat läßt das Grundgesetz den Exegeten mit der apodiktischen Feststellung des Art. 20 Abs. 1 GG zunächst allein. Es bringt allemal „nichts anderes zum Ausdruck“, jedenfalls nicht in Gestalt einer „Legaldefinition“. Bevor sich nun die Untersuchung aber der „überlieferten“ Bedeutung des Begriffes zuwendet, hat die Aufmerksamkeit einer weiteren, ebenso zutreffenden Erkenntnis zu gelten. Die Verfassung gestaltet den Bundesstaat mittels speziellerer Verfassungsnormen sehr konkret aus. Die Analyse solcher Verfassungsnormen ermöglicht sichere Aussagen über die Qualität des Bundesstaates. Ein gegebenenfalls noch zu ermittelnder Gehalt des Bundesstaatsbegriffes nach der allgemeineren Norm des Art. 20 Abs. 1 GG kann sich nicht zu den Aussagen der spezielleren Normen in Widerspruch setzen. Daher werden nachfolgend zunächst letztere betrachtet. Im Anschluß bliebe die Frage zu beantworten, ob für Art. 20 Abs. 1 GG noch ein „Residualgehalt“ übrigbleibt. a) Kompetenzverteilung im Bundesstaat Maßgebend für die konkrete Gestalt eines Bundesstaates erweist sich, wen die Verfassung auf welche Weise mit welchen Kompetenzen betraut. Im Grundgesetz geschieht dies insbesondere in den Art. 30 sowie 70 ff. Art. 30 GG macht „die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben“ zur Sache der Länder. Ausnahmen bestimmt das Grundgesetz. Art. 70 GG spezifiziert diese Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Länder für die Gesetzgebung. Für eine Bundesgesetzgebungskompetenz wird wiederum eine entsprechende Grundlage in der Verfassung verlangt. In den nachfolgenden Artikeln werden dann solche Gesetzgebungskompetenzen des Bundes bestimmt. In dieser ersten Phase der Untersuchung der deutschen Bundesstaatlichkeit ist nun die konkrete Verteilung der Kompetenzen noch ohne Belang. Hier interessiert Vgl. Maunz, Staatsrecht, 124. Beispielhaft für diese Argumentationsfigur aus der grammatischen Methode BVerfGE 83, 37 [58] in anderem Zusammenhang. 9

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

vielmehr zunächst nur der Tatbestand, daß die Bundesverfassung offensichtlich davon ausgeht, eine derartige Kompetenzverteilung überhaupt vornehmen zu können. Sie nimmt also die Kompetenz-Kompetenz in Anspruch. Das bedeutet, der Bundesverfassung eignet die Verfügungsgewalt über alle denkbaren staatlichen Kompetenzen, sie weist diese entweder dem Bund oder den Ländern zu. Während die Zuweisung von Kompetenzen an den Bund durch die Bundesverfassung kaum besondere Aufmerksamkeit zu erwecken vermag, verhält sich dies für die Länder anders. 11 Der Kompetenzbestand der Länder hängt ausschließlich ab von bundesverfassungsrechtlicher Zuweisung. Daran ändert auch der generalklauselartige Gehalt von Art. 30 und 70 GG nichts. In dessen Folge ist zwar der Kompetenzumfang der Länder nicht enumerativ zu bestimmen, im Gegensatz zum dem des Bundes. Einzig zulässige Schlußfolgerung hieraus ist aber die Geltung des Omnikompetenztheorems. 12 Die Bundesverfassung verfügt – um mit Kelsen 13 zu sprechen – über jede die Ordnung menschlichen Verhaltens betreffende Kompetenz. Der Generalklauselcharakter ändert hingegen nichts an dem Tatbestand, daß die Länder ihren (unbestimmten) Kompetenzumfang genießen aufgrund entsprechender Festlegung in der Bundesverfassung. Die Länder üben also Staatsgewalt aus nach Maßgabe des Grundgesetzes. 14 Die Verfügung des Grundgesetzes über die Kompetenz-Kompetenz ist nun wesentliche Grundlage der früheren Auseinandersetzung um den zwei- oder dreigliedrigen Bundessstaatsaufbau. (1) Der zwei- oder dreigliedrige Bundesstaatsaufbau Isensee meint, 15 um das gekünstelte Begriffskonstrukt des dreigliedrigen Bundesstaates sei viel Tinte vergossen worden. Dennoch scheint der Charme einer derartigen Konstruktion auf der Hand zu liegen. Wäre der Bund nur „Oberstaat“, welcher zusammen mit den Gliedstaaten einen Gesamtstaat bildete, so erhellte sich augenblicklich die Frage der Kompetenz-Kompetenz. Das Grundgesetz ist dann die gemeinsame Verfassung von Oberstaat und Gesamtstaat, wobei einzelne Teile der Verfassung nur den Oberstaat, andere den Gesamtstaat betreffen. 16 Die Kompetenz-Kompetenz wäre dann Bestandteil der gesamtstaatlichen Verfassung. Letztere könnte daher die Kom11 Die Beachtlichkeit des letzteren Tatbestands hebt besonders Herzog, DÖV 1962, 81 (82) hervor. 12 Siehe 1. Kapitel III. 4. c). 13 Vgl. Kelsen, Staatslehre, 110. 14 Dies hat jedoch noch nichts zu tun mit einer „Überordnung“ des Oberstaates gegenüber den Ländern, wie jedoch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 13, 54 [78]) meint. Vgl. im übrigen Haegert, NJW 1961, 1137 (1138); Kaiser, DÖV 1961, 653 (656); Isensee, Bundesstaat, 719; Isensee, SächsVBl 1994, 28 (30). 15 Vgl. Isensee, AöR 115 (1990), 248 (265) Fußn. 46. 16 Hierzu besonders deutlich: Isensee, HStR IV, § 98 Rn. 84. Vgl. auch Nawiasky, Grundgedanken, 35 ff.; Nawiasky, Staatslehre, 159 ff.; Harbich, Bundesstaat, 84 f.

I. Der Bundesstaat des Grundgesetzes

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petenzen auf die untergeordneten Teile, nämlich Bund und Gliedstaaten, verteilen. 17 Die Vorstellung, es sei ein Oberstaat von dem Gesamtstaat zu unterscheiden, stößt sich jedoch insbesondere an der Unterstellung einer eigenen Rechtspersönlichkeit des Gesamtstaates, sowie dem Fehlen eigener gesamtstaatlicher Organe. Dem wird entgegengehalten, die Organe des Bundes nähmen in „Realunion“ 18 Aufgaben des Gesamtstaates und des Oberstaates (auch: Zentralstaat) wahr. Diese Vorstellung wird dann – durchaus konsequent – dergestalt weitergetrieben, die Ausübung der Gesamtstaatsgewalt erfolge durch Organe des Bundes, also – vom Gesamtstaat her gesehen – durch fremde Organe. Bundesorgane übten daher zum Teil auch fremde (!) Staatsgewalt in Treuhänderschaft aus. 19 Das erscheint abwegig. Die Auseinandersetzung um die zwei- oder dreigliedrige Bundesstaatlichkeit soll hier aber nicht noch ein weiteres Mal in Gänze nachvollzogen werden. Gefolgt wird vielmehr der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, den zweigliedrigen Bundesstaat anzunehmen. 20 Es könne nicht zwischen einem Zentralstaat und einem Gesamtstaat als zwei verschiedenen Rechtsträgern und Subjekten gegenseitiger verfassungsrechtlicher Rechte und Pflichten unterschieden werden. Warum dieser Judikatur vorliegend gefolgt wird, sei nur ganz knapp begründet. Sie ergibt sich eigentlich relativ zwanglos aus dem Grundgesetz. Dieses kennt eben nur Bund und Länder als Träger von Rechten und Pflichten. 21 Ein Gesamtstaat wird nicht benannt. Wird dem entgegengehalten, von der „Doppelaufgabe“ bundesstaatlicher Institutionen finde sich im Verfassungsrecht nur deshalb keine Spur, weil auf Herrenchiemsee und im Parlamentarischen Rat die Vorstellung eines dreigliedrigen Bundesstaates nicht bewußt geworden sei, 22 so bedeutet dies eine unzulässige Methode der Verfassungsauslegung. Sofern man den Vorgängen im Zuge der Verfassungsstiftung überhaupt Relevanz für die Exegese beimessen will, 23 so kann aber mit Sicherheit nicht der innere Bewußtseinszustand der beteiligten Personen, und erst recht nicht ein fehlendes Bewußtsein, den normativen Gehalt der Verfassung determinieren. Grundlage der Verfassungsexegese ist der Verfassungstext. Der Gesamtstaat mag daher ein Theorem, 24 eine gedankliche Hilfskonstruktion, 25 gar nur ein konstruktiHarbich, Bundesstaat, 65; Nawiasky, Staatslehre, 159. Isensee, HStR IV, § 98 Rn. 83. Isensee bejaht jedoch klar den zweigliedrigen Bundesstaatsaufbau und nennt den Gesamtstaat – zutreffend – ein Theorem. 19 Vgl. Harbich, Bundesstaat, 68. 20 Vgl. BVerfGE 13, 54 [77 ff.]. 21 Vgl. Scheuner, DÖV 1962, 641 (644); Schäfer, NJW 1961, 1281 (1282 f.); Kaiser, DÖV 1961, 653 (656 ff.); Bauer, Bundestreue, 135; Haegert, NJW 1961, 1137 (1138); Isensee, Bundesstaat, 739; Hesse, Unitarischer Bundesstaat, 6; Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), 7 (12). 22 So aber Harbich, Bundesstaat, 68. Dagegen etwa richtig Haegert, NJW 1961, 1137 (1138); Kaiser, DÖV 1961, 653 (657). 23 Bei einer solchen Auslegungsmethode wäre zumindest darauf zu achten, keine Motiverforschung zu betreiben. Dies wäre ein Hinterfragen der Zwecksetzung des Verfassungsstifters, wie es im ersten Kapitel (I. 1. b)) ausgeschlossen wurde. 24 Isensee, HStR IV, § 98 Rn. 83. 25 Maunz, NJW 1962, 1641 (1643); Maunz, Staatsrecht, 170. 17 18

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

ves Luftschloß ohne Realitätsgehalt 26 sein – jedenfalls scheint er keine Rechtspersönlichkeit, keine juristische Relevanz zu besitzen. (2) Zweigliedriger Bundesstaat und kompetentielles Paradoxon Leider hat sich damit das Ausgangsproblem nicht erledigt, sondern bestätigt. Das Grundgesetz kennt nur den Bund und die Länder – tertium non datur. 27 Die Bundesverfassung mutiert daher nicht im Augenblick der Ausübung der Kompetenz-Kompetenz zu einer „Gesamtstaatsverfassung“, welche den unter- bzw. nachgeordneten Rechtsträgern Bund und Länder ihre Kompetenzen zuwiese. Indem sie die Aneignung der Kompetenz-Kompetenz durch die Bundesverfassung ausdrücken, scheinen Art. 30 und 70 GG somit ein Paradoxon zu statuieren. Einerseits bestimmen diese Verfassungsnormen, daß der Bund nur über einen abschließend festgelegten Teil der staatlichen Kompetenzen verfügen kann. Andererseits verfügen gerade diese beiden Normen der Bundesverfassung über alle denkbaren staatlichen Kompetenzen, und damit auch über jene, welche gerade gemäß dieser Normen dem Bund nicht zukommen. Über eine Kompetenz, die der Bund nicht besitzt, kann aber auch dessen Verfassung nicht disponieren. Neben dem mittlerweile verworfenen dreigliedrigen Bundesstaatsaufbau bietet die Lehre weitere Ansätze der Auflösung des Paradoxons. Diese befassen sich auf verschiedene Weise mit dem Verzicht beziehungsweise der Übertragung von Landeskompetenzen auf den Bund zum Zeitpunkt der Bundesverfassungsstiftung. Nach der Theorie des „Hoheitsvakuums“ verzichten die Länder zunächst auf einen Teil ihrer Staatsgewalt. In dieses Vakuum dringt dann der Bund ein. 28 Herzog grenzt diese Theorie schroff ab gegenüber einer unmittelbaren Übertragung von Hoheitsrechten von den Ländern auf den Bund. Eine derartige Übertragung widerspreche der Unabgeleitetheit der Staatsgewalt. 29 Demgegenüber könne ein Land zwar nicht unwiderruflich, „dinglich“ auf einen Teil seiner Staatsgewalt verzichten, sich aber durch eine unabänderliche Verfassungsentscheidung prinzipiell zeitlich unbegrenzt an einen derartigen Verzicht binden. Auf diesen freigewordenen Anteil der Staatsgewalt (Hoheitsvakuum) könne der Bund dann „unabgeleitet“ zugreifen. 30 Nach hier vertretener Auffassung gehen diese beiden Ansätze jedoch nicht soweit auseinander, wie behauptet wird. Der Unterstellung kann nicht gefolgt werden, es mache einen entscheidenden Unterschied, ob das Land zunächst auf einen Teil seiner Staatsgewalt verzichtet, worauf der Bund Scheuner, DÖV 1962, 641 (644). Vgl. Maunz, NJW 1962, 1641 (1644). 28 Vgl. Harbich, Bundesstaat, 55 unter Berufung auf Herzog, DÖV 1962, 81 (83 ff.). Zustimmend Kölble, DÖV 1962, 583 (585). 29 Vgl. Herzog, DÖV 1962, 81 (83 ff.). 30 Vgl. Harbich, Bundesstaat, 55; Herzog, DÖV 1962, 81 (83 ff.). 26 27

I. Der Bundesstaat des Grundgesetzes

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dann zugreift, oder ob diese Staatsgewalt direkt übertragen wird. Ursprüngliche Quelle der Staatsgewalt ist in beiden Fällen das Land. Im übrigen müßte man – um der Theorie wenigstens innere Schlüssigkeit zu verleihen – annehmen, die Länder entledigten sich zunächst völlig ziellos, unmotiviert eines Teils ihrer Staatsgewalt, der Bund trifft dann – quasi per Zufall – auf diesen Teil und nimmt sich dessen an. Geht man jedoch von einem derartigen Verzicht der Länder tatsächlich aus, so geschieht dieser gerade nicht unmotiviert, sondern ganz gezielt im Hinblick auf die Gründung des Bundesstaates. Die Länder entledigen sich also nicht eines Teils ihrer Staatsgewalt, sie hinterlegen diesen Teil absichtsvoll im Hinblick auf den hinzutretenden Bund. Worin dann noch ein Unterschied zu einer Übertragung liegen soll, erscheint nicht ersichtlich.

(3) Auflösung des Paradoxons Das Paradoxon der Kompetenz-Kompetenz läßt sich jedoch auf äußerst einfache Weise auflösen, jedoch nur im Widerspruch zu einem erheblichen Teil der Lehre 31 und auch der Rechtsprechung 32 des Bundesverfassungsgerichts. Zu verwerfen ist nämlich die These der Unabgeleitetheit der Staatsgewalt der Länder. Alle Probleme verschwinden augenblicklich, geht man von der unabgeleiteten Verfügung des Bundes über alle staatlichen Kompetenzen aus, welcher diese dann entweder sich selbst oder den Ländern zuweist. Mühsame Konstruktionen wie der dreigliedrige Bundesstaatsaufbau oder die Vakuumstheorie entfallen. Dann bleibt allerdings zu klären, wie der Bund bzw. die Bundesverfassung in den Besitz der umfassenden Verfügungsgewalt gelangen.

(a) Gesamtvolk als pouvoir constituant Zahlreiche Ansätze zur Erklärung des Bundesstaates orientieren sich zu stark an historischen Bedingtheiten, selbst wenn sie sich verfassungsrechtlich verstehen. 33 Inwieweit vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes in dessen Geltungsbereich Länder oder sonstige Entitäten existiert haben, ist für die verfassungsrechtliche Natur des Bundesstaates völlig irrelevant. Dem Bund kommt die Verfügungsgewalt über alle Kompetenzen deshalb zu, weil das Grundgesetz auf einer Willensbetätigung des 31 So Stern, Staatsrecht I, § 19 III 2. Vgl. auch Harbich, Bundesstaat, 60. Hingegen spricht März, Bundesrecht, 170 von der Bundesverfassung als dem Geltungsgrund von Landes- und Bundesrecht. 32 „Die Länder sind als Glieder des Bundes Staaten mit eigener – wenn auch gegenständlich beschränkter – nicht vom Bund abgeleiteter, sondern von ihm anerkannter staatlicher Hoheitsmacht“ (BVerfGE 1, 14 [34]; 34, 9 [19 f.]). 33 So nennt Harbich dies den „orthodoxen Weg“, welchem er sich ausdrücklich anschließen will (Harbich, Bundesstaat, 53).

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

Bundesvolkes, das heißt des deutschen Volkes beruht. 34 Dies kommt bereits in der Präambel a. F. zum Ausdruck, wenn es heißt „das deutsche Volk in den Ländern ...“ und nicht „die Völker in den Ländern ...“. 35 Die Neufassung der Präambel unterstreicht dies noch weiter, sie meint geradezu lakonisch „[..] das Deutsche Volk [hat sich] [..] dieses Grundgesetz gegeben“. Wenn anschließend von den Deutschen in den Ländern die Rede ist, so verweist dies heute nur noch auf die territoriale Gliederung Deutschlands. In der Ursprungsversion wurde damit der Sachverhalt ausgedrückt, daß das deutsche Volk nur in den aufgezählten Ländern aktiv mitwirken konnte. 36 Die Berufung auf das „deutsche Volk“ findet sich weiterhin in einzelnen Verfassungsartikeln, etwa Art. 1 Abs. 2 GG. Nach Art. 56 GG in Verbindung mit Art. 64 Abs. 2 GG werden Bundespräsident, Bundeskanzler und Bundesminister auf das Wohl des deutschen Volkes verpflichtet. Besonders aufschlußreich ist jedoch die Bezugnahme auf das deutsche Volk in Art. 146 GG, und zwar sowohl in der aktuellen als auch in der alten Fassung. Zwar kann eine gegenwärtige Verfassung einen zukünftigen pouvoir constituant nicht binden, sie gibt aber jedenfalls in dieser Verfassungsnorm Aufschluß darüber, wen sie selbst als ihren pouvoir constituant erachtet. Wenn das Grundgesetz sein eigenes Erlöschen in Betracht nimmt aufgrund einer Willensbetätigung des deutschen Volkes als pouvoir constituant, so muß – aus Sicht des Grundgesetzes – das deutsche Volk auch der pouvoir constituant der gegenwärtigen Verfassung sein. 37 Zwar kann – aus faktischer Sicht – das Grundgesetz auch durch die Betätigung eines anderen pouvoir constituant abgelöst werden. Man denke zur Veranschaulichung an die Gründung der „Vereinigten Staaten von Europa“ durch eine europäische Verfassungsstiftung. Das deutsche Volk wäre zwar hier als personales Substrat Bestandteil des europäischen Verfassungsstifters. Dies ist jedoch im Hinblick auf den Besitz des pouvoir constituant irrelevant. In einem derartigen Falle wäre ausschließlich „das europäische Volk“ pouvoir constituant, letzterer zerfällt nicht in „teilidentische“ pouvoirs constituants. Der Begriff des pouvoir constituant bezeichnet den einen Willen zur Verfassungsstiftung, dieser kann nicht aus verschiedenen 34 Vgl. Badura, Rechtfertigung, 55; Haegert, NJW 1961, 1137 (1137); Steiner, Verfassunggebung, 153 f.; Kölble, DÖV 1962, 583 (584), allerdings mit der hier als irrelevant betrachteten Erklärung, der über das Ende des Zweiten Weltkriegs hinaus weiterbestehende deutsche Staat wäre ein Einheitsstaat gewesen, eine wesentliche Veränderung dieses Staatscharakters hätte der verfassunggebenden Gewalt der deutschen Nation bedurft. Im folgenden wird darzulegen sein, daß die Verhältnisse vor dem Augenblick der Verfassungsstiftung, ob rechtlicher oder tatsächlicher Natur, aus logischen Gründen nicht mehr für die Interpretation eben dieser Verfassungsstiftung herangezogen werden können. 35 Vgl. Hillgruber, JZ 2002, 1072 (1074); Boehl, Verfassunggebung, 77, 139 f.; Boehl, Der Staat 30 (1991), 572 (577); Kaiser, DÖV 1961, 653 (657); Böckenförde, Verfassunggebende Gewalt, 15; Roellecke, JZ 1992, 929 (929); Murswiek, Verfassunggebende Gewalt, 32 ff., 42, 58 ff.; Oeter, Integration, 117 ff.; BVerfGE 13, 54 [73]; 83, 37 [50 f.]. 36 Murswiek, Verfassunggebende Gewalt, 61 ff., 71. 37 Vgl. Böckenförde, Verfassunggebende Gewalt, 15.

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Einzelwillen zusammengesetzt gedacht werden. 38 Erzeugt die verfassunggebende Gewalt die Verfassung durch Akklamation, 39 so kann es nur den einen Zuruf geben, entweder ja oder nein. Verfassungsstiftung ist keine Polyphonie. Wenn jedoch das Grundgesetz in Art. 146 von dem Ende seiner eigenen Geltung handelt, dann bedeutet dies das Ende der Geltung in seinem Geltungsbereich. Diese Feststellung ist tautologisch. Eine Verfassung kann über Vorgänge, seien sie rechtlicher oder sonstiger Natur, außerhalb ihres Geltungsbereichs keine gültige Aussage treffen. 40 Art. 146 GG handelt also nur von einem solchen Fall, bei dem es um die Stiftung einer neuen Verfassung im Geltungsbereich des gegenwärtigen Grundgesetzes geht. Über eine Verfassungsstiftung, die einen größeren als den Geltungsbereich des Grundgesetzes einbegreift, kann eben dieses Grundgesetz keine Aussage treffen. 41 Mit der Übereinstimmung des Geltungsbereiches ist aber auch die Identität des pouvoir constituant bestimmt. Zur Vermeidung von Mißverständnissen seien folgende Anmerkungen hinzugefügt. Zunächst sei erneut betont, die Bindung eines zukünftigen pouvoir constituant an eine vorangegangene Verfassung wird hier keinesfalls behauptet. 42 Deshalb wäre auch obenstehendes Beispiel einer europäischen Verfassungsstiftung denkbar, obwohl Art. 146 GG nach hier vertretener Auffassung in diesem Falle nicht einschlägig wäre. Der pouvoir constituant unterliegt keinen positivrechtlichen Bindungen, worauf unten noch näher eingegangen wird. Als Regelungszweck des Art. 146 GG erscheint vielmehr, „die Aktivierung des pouvoir constituant von der Warte des Grundgesetzes aus als verfassungskonform“ 43 erscheinen zu lassen. Der normative Gehalt liegt also in der Anordnung der Verfassungsmäßigkeit einer zukünftigen Verfassungsstiftung aus Sicht des Grundgesetzes. Art. 146 GG hat damit sehr wohl Normativcharakter. Jede normative Festlegung des Grundgesetzes ist aber auf dessen Geltungsbereich beschränkt. Das Grundgesetz kann deshalb auch keine normative Aussage dazu treffen, ob die Betätigung eines pouvoir constituant außerhalb des gegenwärtigen Geltungsbereiches aus Sicht des Grundgesetzes als verfassungsmäßig oder verfassungswidrig zu betrachten wäre. Art. 146 GG handelt also von einem speziellen Fall der Ablösung des Grundgesetzes, nämlich eben jenem des identischen pouvoir constituant. 38 Vgl. Murswiek, Verfassunggebende Gewalt, 34 f.; Böckenförde, Verfassunggebende Gewalt, 26 f.; Henke, Der Staat 7 (1968), 165 (175); Sauerwein, Omnipotenz, 27; Steiner, Verfassunggebung, 151 ff.; Schmitt, Verfassungslehre, 77. 39 Vgl. Sauerwein, Omnipotenz, 63 f. 40 Aufschlußreich hierzu BVerfGE 5, 85 [131 f.]. 41 Für den Sonderfall der Wiedervereinigung über den vom Grundgesetz offenbar selbst in Betracht genommenen Weg des Art. 146 GG ist die Fiktion der Präambel zu beachten, wonach bei der Schaffung des Grundgesetzes auch für jene gehandelt wurde, denen mitzuwirken versagt war. Im übrigen hätte auch über Art. 23 a. F. GG zunächst die Ausweitung des Geltungsbereiches, und dann eine Verfassungsstiftung nach Art. 146 GG erfolgen können. 42 So auch BVerfGE 89, 155 (180). 43 Dreier, Dreier GG-Kommentar, Art. 146 Rn. 23 (Hervorhebung durch Verfasser). Ähnlich Murswiek, Verfassunggebende Gewalt, 212.

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

Somit wurde gezeigt, daß nicht nur die Präambel44 einen Hinweis auf den pouvoir constituant enthält, sondern auch eine spezielle Verfassungsnorm ausdrücklich das deutsche Volk als solchen bezeichnet. 45 Doch auch der Gesamtgehalt des Grundgesetzes läßt nur den Schluß auf das deutsche Volk als pouvoir constituant zu. Art. 20 Abs. 2 GG bestimmt, alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, diese wird insbesondere durch Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Die Auseinandersetzung, ob diese Verfassungsnorm auch unmittelbare Geltung für die Staatsgewalt in den Ländern entfaltet, sei hier hintangestellt. 46 Sie entfaltet jedenfalls Geltung für die Bundesstaatsgewalt. Es existieren Organe des Bundes, die eine solche Staatsgewalt ausüben, welche das gesamte Volk im Geltungsbereich des Grundgesetzes einheitlich betrifft. Prototypisch sei hier der Erlaß von Bundesgesetzen genannt. Disponiert die Verfassung in Art. 20 Abs. 2 GG über eine solche Bundesstaatsgewalt, dann muß die verfassunggebende Gewalt ebenfalls im Stande gewesen sein, hierüber zu disponieren. Wenn aber, wie zuvor festgestellt, der pouvoir constituant nur einheitlich denkbar ist, dann kommt auch nur das Gesamtvolk als die disponierende Gewalt in Frage. 47 Die empirischen Vorgänge um die Entstehung des Grundgesetzes sind nicht im Stande, die gefundenen Ergebnisse zu widerlegen. 48 Der Akt der Verfassungsstiftung bedeutet einen „metajuristisch-soziologischen Schöpfungsakt“,49 welcher „die erste Grundlage rechtlicher Legitimität“ 50 setzt. Sie ist damit selbst nicht rechtlich fundierbar. 51 Dies erhellt bereits aus ihrem Anspruch, innerhalb einer Rechtsord44 Diese Feststellung sei nicht im Sinne eines „geringeren Wertes“ der Aussagen der Präambel zu verstehen. Deren Normativgehalt ist heute nicht mehr umstritten; vgl. Murswiek, Verfassunggebende Gewalt, 97; Starck, Starck – Bonner Grundgesetz, Präambel, Rn. 30. 45 Vgl. insbesondere BVerfGE 83, 37 [51]: „In nicht zu übersehender Parallelität erklären die Präambel und Art.146 GG das Deutsche Volk zum Träger und Subjekt des Staates der Bundesrepublik Deutschland“. 46 Für die h. L. vgl. Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), 7 (11). A. A. Kersten, DÖV 1993, 896 (901). 47 Vgl. Boehl, Verfassunggebung, 159 ff.; Badura, Rechtfertigung, 55; BVerfGE 83, 37 [51]; BVerfGE 83, 37 [50 f.]. 48 Vgl. Boehl, Verfassunggebung, 138 ff.; Isensee, HStR IV, § 98 Rn. 60; Lerche, VVDStRL 21 (1964), 92, 99; Kölble, DÖV 1962, 583 (586); Haegert, NJW 1961, 1137 (1137); Schäfer, NJW 1961, 1281 (1282); a. A. etwa Harbich, Bundesstaat, 56 f. 49 Erler, VVDStRL 18 (1960), 14. Vgl. auch Henke, Der Staat 7 (1968), 165 (169); Henke, Der Staat 19 (1980), 181 (199); Steiner, Verfassunggebung, 180; Schmitt, Verfassungslehre, 87 ff. 50 Henke, Der Staat 19 (1980), 181 (198). 51 Vgl. Wahl, Der Staat 20 (1981), 485 (515); Boehl, Verfassunggebung, 80 ff.; Boehl, Der Staat 30 (1991), 572 (575); Böckenförde, Verfassunggebende Gewalt, 26; Murswiek, Verfassunggebende Gewalt, 258; Steiner, Verfassunggebung, 31 f., krit. Insbesondere beruht die Verfassunggebung nicht auf überpositivem Recht. Derartiges aus dem Satz der Präambel zu folgern „Das deutsche Volk hat kraft seiner verfassunggebenden Gewalt dieses Grundgesetz beschlossen“ erscheint kühn (so Murswiek, Verfassunggebende Gewalt, 97 f.). Die Berufung auf die verfassunggebende Gewalt des Volkes muß nicht zwangsläufig die Berufung auf ein Recht bedeuten. Im Gegenteil, der Begriff der „Gewalt“ deutet eher auf

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nung „höchste Norm“ zu sein. 52 Sie kann sich daher nicht aus anderen Normen legitimieren. Diese besondere Eigenschaft der Verfassungsstiftung resultiert nun in einer Scheidung des „davor“ und des „danach“. 53 Innerhalb einer positiven Rechtsordnung wird Recht nur aus Recht erzeugt. Die legale Erzeugung einer Rechtsnorm „aus sich selbst“, das heißt ohne positiv-normative Grundlage zumindest in der Verfassung, ist dort ausgeschlossen. 54 Soll nun die Verfassung selbst ein Ergebnis eines als solchen nicht-rechtlichen Aktes sein, so muß alles zuvor gewesene hinter einem „Ereignishorizont“ verschwinden. Würde man nämlich das – historisch gesehen – zuvor geltende Recht auch nach der Verfassungsstiftung als relevant erachten, so beträfe dies das gesamte zuvor geltende Recht. Es ermangelte eines Abgrenzungskriteriums, welches Recht nach der Verfassungsstiftung noch relevant und welches nicht mehr relevant sein sollte. Aus dem Blickwinkel des zuvor gewesenen Rechts müßte jedoch die Verfassungsstiftung als rechtswidrig erscheinen, da sie eben nicht aus Recht erzeugt wurde. Daher ist es einer positiven Verfassungsordnung verwehrt, jenseits ihres eigenen Ereignishorizontes zu blicken. 55 Dies würde sonst ein Paradoxon erzeugen. Der Akt der Verfassungsstiftung ist daher akausal, aus dem Blickwinkel einer gegenwärtig gültigen Verfassung bedeutet die Verfassungsstiftung eine spontane, jedenfalls nicht weiter hintergehbare Willensbetätigung des pouvoir constituant. Diese Charakterisierung des Aktes der Verfassunggebung als spontanes Ereignis ist nicht nur selbst Resultat logischer Deduktion, sondern die somit erfolgte Freistellung von empirischen Bedingtheiten schafft erst die Grundlage, die Verfassunggebung als Operand „logischer Operationen“ 56 zu gebrauchen. Dies wird später geschehen. die Faktizität dieser Fähigkeit des Volkes. Gleiches gilt für die Annahme einer naturrechtlichen Kompetenz (Murswiek, Verfassunggebende Gewalt, 213, 258 f.). 52 Vgl. Boehl, Verfassunggebung, 80 f.; Böckenförde, Verfassunggebende Gewalt, 8; Henke, Der Staat 19 (1980), 181 (198); Roellecke, JZ 1992, 929 (933); Wahl, Der Staat 20 (1981), 485 (485). 53 Vgl. Henke, Der Staat 7 (1968), 165 (169) („Grenze des positiven Rechts“); Boehl, Der Staat 30 (1991), 572 (575) („[..] das Recht [hört] auf bzw. hat es genaugenommen noch nicht angefangen“). 54 Vgl. Böckenförde, Verfassunggebende Gewalt, 8. 55 Vgl. Wahl, Der Staat 20 (1981), 485 (515 f.); Roellecke, JZ 1992, 929 (929) („Das beobachtende Unbeobachtbare“); Henke, Der Staat 7 (1968), 165 (169). Henke spricht von einem „illegalen Grenzübertritt“. Dennoch verlangt Henke eine Antwort der Staatsrechtslehre, was jenseits dieser Grenze liegt (S. 171). Seiner dementsprechenden Annahme, auch der Grund des Rechts gehöre zum Recht, kann allerdings vorliegend nicht zugestimmt werden. Bemerkenswerter Weise formuliert er aber später (1980) „Der Ursprung oder Anfang oder Grund aller juristischen Legitimität liegt sowenig im Bereich des Rechts wie der Ursprung des Lebens in dem der Biologie oder der Anfang des Weltalls in dem der Physik. Er liegt im Bereich der Wirklichkeit, aber jenseits der Grenze methodischer juristischer Arbeit“. Dem ist nichts hinzuzufügen. Vgl. dazu Henke, Der Staat 19 (1980), 181 (198). Siehe auch Boehl, Der Staat 30 (1991), 572 (576 f.); Murswiek, Verfassunggebende Gewalt, 210, 237, 239. 56 Begriff nach Henke, Der Staat 7 (1968), 165 (168). In einer kritischen Würdigung der Arbeit Steiners gebraucht er diesen Begriff, um dessen Methode zu bezeichnen (Steiner, Verfassunggebung).

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

Zunächst sei jedoch festgehalten, über die Natur des pouvoir constituant kann nur der Inhalt der geltenden Verfassung selbst Auskunft geben. Historisch-rechtliche Bedingtheiten, wie die Existenz der deutschen Länder schon vor der Bundesverfassungsstiftung oder Abstimmungsvorgänge in den Landtagen zur Annahme des Grundgesetzes 57 sind nach dem Akt der Verfassungsstiftung vom positivrechtlichen Standpunkt zur Benennung des pouvoir constituant nicht mehr heranzuziehen. Die Verfassung und der durch sie geschaffene Staat lösen sich von ihrem Erzeugungsakt ab. 58 Dieser Tatbestand ist nicht zu verstehen als ein „Erlöschen“ des zuvor gewesenen, vielmehr entzieht sich einfach alles zuvor gewesene einer späteren Einsichtnahme durch das positive Verfassungsrecht. 59 Was bleibt, ist der positive Inhalt der Verfassung, wie er vorstehend untersucht wurde und den Schluß auf das (einheitliche) deutsche Volk als den pouvoir constituant erzwingt.

(b) Omnikompetenz des pouvoir constituant Bei seiner Willensbetätigung als pouvoir constituant unterliegt das deutsche Volk keinerlei Bindungen. 60 Dies ergibt sich unmittelbar aus der gerade erläuterten Natur des Aktes der Verfassungsstiftung. Dieser Akt ist akausal, er ist insbesondere nicht aus Recht erzeugt. Deshalb kann er auch von keinem Recht gebunden sein. Die Möglichkeit überpositiver Bindung, welche von Rechtsprechung und Lehre behandelt wird, 61 kann vorliegend außer acht bleiben. Selbst wenn eine derartige Bindung bestünde, so beträfe sie nur die „äußersten Grenzen der Gerechtigkeit“. 62 Sie beeinträchtigte daher nicht grundsätzlich die Omnikompetenz des pouvoir constituant, welche unmittelbar aus der generellen Bindungslosigkeit folgt. Hat sich daher das deutsche Gesamtvolk als pouvoir constituant betätigt, so disponierte es dabei zwangsläufig über alle denkbare Staatsgewalt. 57 So behauptet Harbich, das Grundgesetz beruhe auf dem Willen aller deutschen Länder, die Landtage handelten in Vertretung ihres Landesvolkes (Harbich, Bundesstaat, 56 f.). Ablehnend etwa Haegert, NJW 1961, 1137 (1137). Vgl. auch Murswiek, Verfassunggebende Gewalt, 42 ff., 58. 58 Vgl. Erler, VVDStRL 18 (1960), 14; Münch, DÖV 1962, 649 (649); Schmidt, AöR 87 (1962), 253 (278); Lerche, VVDStRL 21 (1964), 91 f.; Schmitt, Verfassungslehre, 389. 59 Vgl. Kelsen, Hauptprobleme, 9 ff.; Henke, Der Staat 19 (1980), 181 (195). Henke fordert, es müsse auf die Frage selbst nach dem Ursprung verzichtet werden. 60 Vgl. Boehl, Verfassunggebung, 104 ff.; Boehl, Der Staat 30 (1991), 572 (579); Böckenförde, Verfassunggebende Gewalt, 26; Steiner, Verfassunggebung, 178; Hillgruber, JZ 2002, 1072 (1074); Murswiek, Verfassunggebende Gewalt, 179; BVerfGE 1, 14 [61]. 61 Vgl. Boehl, Verfassunggebung, 106 ff.; Boehl, Der Staat 30 (1991), 572 (579); Henke, Der Staat 19 (1980), 181 (189); Murswiek, Verfassunggebende Gewalt, 79; BVerfGE 1, 14 [61]; 3, 225 [232 f.]. 62 Böckenförde, Verfassunggebende Gewalt, 27; BVerfGE 3, 225 [232].

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Das deutsche Volk als omnikompetenter pouvoir constituant hat also den deutschen Bundesstaat durch die Grundgesetzstiftung geschaffen. 63 Daher konnte er auch alle Kompetenz in die Hand der Bundesverfassung geben. Die Bundesrepublik Deutschland ist daher als rück-föderalisierter Einheitsstaat entstanden. 64 Die einheitliche Staatsgewalt teilt sich „an der Quelle“65 in Bund und Länder auf. Diese Quelle ist die Bundesverfassung. In einem unendlich kurzen Augenblick nach dem Akt der Verfassungsstiftung hat die Bundesverfassung einen Teil der durch sie verfügten umfassenden Staatsgewalt auf die Länder übertragen. Die Staatsgewalt der Länder ist also eine von der Bundesverfassung, mithin vom Bund abgeleitete Staatsgewalt. Eine bündische, vertragliche Theorie über die Entstehung der Bundesrepublik Deutschland aus Sicht des diesseitigen positiven Verfassungsrechts findet keine Grundlage. 66 Dem kann auch keine „umgekehrte Vakuumstheorie“ entgegengehalten werden. Unter der Bezeichnung „Vakuumstheorie“ 67 wurde vorhin die abzulehnende Theorie beschrieben, ein Bundesstaat entstünde durch einen Teilverzicht der zuvor bestehenden Länder auf ihre Kompetenzen, die freigewordenen Kompetenzen würden dann vom Bund aufgegriffen. Die Erkenntnis, alle Staatsgewalt liegt zunächst beim pouvoir constituant das Gesamtvolkes, mag jedoch einen umgekehrten Gedanken inspirieren. Zwar unterliegt der pouvoir constituant keiner exogenen Bindung, vielleicht könnte er sich aber eine Selbstbindung dergestalt auferlegen, daß er bei der Verfassungsstiftung von vornherein auf einen Teil der staatlichen Kompetenzen verzichtet. Dieser Teil könnte dann von den Ländern aufgegriffen werden. Ob dem pouvoir constituant ein solcher Verzicht überhaupt möglich ist, muß hier nicht diskutiert werden. Bei der Schaffung des Grundgesetzes hat er diesen Verzicht jedenfalls nicht geübt. Ein derartiger Kompetenzverzicht müßte dem Akt der Verfassungsstiftung logisch vorausliegen. Nur so könnte ein Teil des Gesamtkompetenzumfanges „zurückbleiben“, welchen die Länder dann aufgreifen könnten. Von einem derartigen, dem Akt der Verfassungsstiftung vorausliegenden Verzicht kann jedoch keine Rede sein, vielmehr hat der pouvoir constituant die positive Verfassungsnorm des Art. 30 GG geschaffen, welche ausdrücklich den Ländern Kompetenzen zuteilt. Der pouvoir constituant hat also den vollen Kompetenzumfang in die Verfassungsstiftung hineinge63 Vgl. insbesondere Herzog, Maunz-Dürig, Art.20 Abschnitt IV Rn.26; Boehl, Verfassunggebung, 159 ff.; Haegert, NJW 1961, 1137 (1137); Isensee, HStR IV, § 98 Rn. 5, 77. 64 So Schmidt, AöR 87 (1962), 253 (278); Boehl, Verfassunggebung, 59 ff.; Lerche, VVDStRL 21 (1964), 91 f.; Stern, Föderativstruktur, 52 f. 65 Schmidt, AöR 87 (1962), 253 (278). 66 Vgl. Boehl, Verfassunggebung, 138 ff.; Hesse, Unitarischer Bundesstaat, 4, 9, 32; Isensee, HStR IV, §98 Rn.60; Lerche, VVDStRL 21 (1964), 92, 99; Kölble, DÖV 1962, 583 (586); Haegert, NJW 1961, 1137 (1137); Schäfer, NJW 1961, 1281 (1282 f.); Stern, Föderativstruktur, 52; Hoppenstedt, Bundesstaatliche Ordnung, 229; Möllers, Bundesstaat, 90 f.; Schmitt, Verfassungslehre, 389. 67 Vgl. Harbich, Bundesstaat, 55 unter Berufung auf Herzog, DÖV 1962, 81 (83 ff.); oben 3. Kapitel II. 2. a) (2).

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legt, anderenfalls könnte das Grundgesetz keine derartige Anordnung treffen. Ein weiterer Gesichtspunkt belegt die Untauglichkeit einer „umgekehrten Vakuumstheorie“. Vorhin wurde gefordert, die (ursprüngliche) Vakuumstheorie sei überhaupt nur dann in sich schlüssig, wenn der Kompetenzverzicht nicht von vornherein im Hinblick auf ein späteres Aufgreifen der freien Kompetenzen durch das jeweils andere Rechtssubjekt geschieht. Ein solcher „Verzicht“ mit der klaren Absicht, der andere möge die Kompetenzen aufgreifen, wäre von einer Übertragung logisch nicht zu unterscheiden. Eine solche Übertragung hielten aber gerade die Befürworter der Vakuumstheorie für unvereinbar mit der Unabgeleitetheit der Staatsgewalt. Sollte die Vakuumstheorie nun umgekehrt vom Bund auf die Länder hin gelten, so müßte der pouvoir constituant ganz ziellos auf einen Teil der Kompetenzen verzichten. Diese schwebten dann im vorverfassungsrechtlichen Raume und könnten von den Ländern in einem aktiven Akt aufgegriffen werden. Selbst bei Hinwegdenken des Art. 30 GG liegt ein solcher zielloser Kompetenzverzicht offensichtlich nicht vor. Wenn das Grundgesetz insbesondere Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz trennt, und damit den Bund in der Ausübung seiner Staatsgewalt von den Ländern abhängig macht, so zeigt dies, daß das Grundgesetz die Länder von Beginn an hinzugedacht hat. (c) Die Abgeleitetheit der Staatsgewalt der Länder Festzuhalten bleibt daher, die Staatsgewalt der Länder ist vom Bund abgeleitet. Erstaunlich mutet an, wenn die herrschende Lehre68 und Rechtsprechung 69 zwar die Entstehung der Bundesrepublik Deutschland als rück-föderalisierten Einheitsstaat bejaht, gleichzeitig aber an dem Dogma der Unabgeleitetheit der Staatsgewalt der Länder festhält. Die zwangsläufigen Widersprüche einer solchen Auffassung seien beispielhaft verdeutlicht an einer jüngeren Darstellung Boehls. Boehl setzt sich auseinander mit einer Formulierung Herzogs, wonach Art. 20 Abs. 1 GG die Festlegung enthalte, daß die im Grundgesetz so genannten Länder Staatscharakter besitzen sollen und die von ihnen ausgehende Hoheitsgewalt infolgedessen als nicht von der Bundesgewalt abgeleitet zu betrachten ist. 70 Boehl interpretiert dies zunächst als scheinbares Paradoxon. Die Unabgeleitetheit der Staatsgewalt der Länder bestünde, weil dies im Grundgesetz so normiert sei. Es handele sich also um eine vom Grundgesetz abge68 Vgl. Boehl, Verfassunggebung, 159 ff.; Badura, Rechtfertigung, 55; Isensee, Bundesstaat, 719 f., 737. Wenn Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), 24 f. davon spricht, die herrschende Lehre hebe ab auf die Umwandlung eines Staatenbundes in einen Bundesstaat, hingegen bekäme sie den umgekehrten Vorgang, die Föderalisierung eines Einheitsstaates, nicht in den Blick, so scheint er sich auf die allgemeine Bundesstaatslehre zu beziehen. Kettler, Recht und Politik 1995, 165 (166) meint wohl zurecht, den Staatsrechtler befalle doch Unbehagen, wenn er den Ländern die unabgeleitete Herrschergewalt absprechen soll. 69 Vgl. BVerfGE 1, 14 [34]; 34, 9 [19 f.]; 60, 175 [207]. 70 Vgl. Herzog, Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt IV Rn. 13.

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leitete Unabgeleitetheit. 71 Das Paradoxon will Boehl dadurch aufgelöst wissen, daß das Grundgesetz zugleich Gesamtstaatsverfassung sei. Ableitung vom Grundgesetz bedeute daher nicht zwingend die Ableitung von der Bundesstaatsgewalt. 72 Einen dreigliedrigen Bundesstaatsaufbau hat Boehl jedoch unmittelbar zuvor deutlich verneint. 73 Handelt es sich bei diesem also lediglich um eine „gedankliche Verdeutlichung“, 74 so bestehen nach der Lehre des zweigliedrigen Bundesstaatsaufbaus eben nur der Bund und die Länder. Damit ist die Bundesverfassung eben auch nur Verfassung des Bundes, man kann sie nicht beim Auftauchen von dogmatischen Schwierigkeiten zur Gesamtstaatsverfassung mutieren lassen. Für diesen Zusammenhang sei hingewiesen auf die fundierte Kritik März’ an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 75 wonach das Grundgesetz Teil der Verfassungsurkunde der Länder sei. Das Recht im Bundesstaat sei formal, und nicht funktional zugeordnet. Demzufolge ist Bundesrecht dasjenige Recht, das von Organen des Bundes gesetzt wird, hingegen Landesrecht dasjenige Recht, welches von den Landesorganen gesetzt wird. 76 Verbindliche Vorgaben werden aufgrund dieser Eigenschaft nicht automatisch Bestandteil der von ihnen gebundenen Rechtsmaterie. Das Paradoxon löst sich allerdings auf, sofern man Herzogs Äußerung anders interpretiert. Das Grundgesetz ordnet nicht die Unabgeleitetheit der Staatsgewalt der Länder an, und somit auch keine „abgeleitete Unabgeleitetheit“. 77 Auch eine Vefassung setzt die Gesetze der Logik nicht außer Kraft. Man muß Herzog nur wörtlich nehmen. Das Grundgesetz ordnet an, daß die von den Ländern ausgehende Hoheitsgewalt als nicht von der Bundesgewalt abgeleitet zu betrachten ist. 78 Das heißt, tatsächlich ist die Staatsgewalt der Länder sehr wohl von der Bundesstaatsgewalt abgeleitet, die Organe des Bundes haben jedoch aufgrund verfassungsnormativer Anordnung hieraus keine Konsequenzen zu ziehen. In diese Richtung tendiert wohl auch Boehl, wenn er feststellt, die rechtliche Ableitung vom Grundgesetz könne nicht gegen die vom Grundgesetz gewollte Behandlung der Landesstaatsgewalt als Vgl. Boehl, Verfassunggebung, 149. Vgl. Boehl, Verfassunggebung, 150. Den gleichen Widerspruch findet man auch bei Isensee, Bundesstaat, 719 f., 737. Dieser betont zunächst nachdrücklich den zweigliedrigen Bundesstaatsaufbau und insbesondere die Bundesstaatlichkeit nach Maßgabe des Grundgesetzes. Dennoch gelangt er zum Ergebnis, die Hoheitsgewalt der Länder sei nicht abgeleitet, und zwar mit dem Argument, ihre Kompetenz gründe „wie die des Bundes gleichermaßen in der Bundesverfassung“. Dort gründet sie zwar in der Tat, aber eben tatsächlich in der Bundesverfassung, und nicht in einer Gesamtstaatsverfassung. Deshalb ist die Hoheitsgewalt abgeleitet. 73 Vgl. Boehl, Verfassunggebung, 145 ff. 74 Vgl. Boehl, Verfassunggebung, 147. 75 Vgl. BVerfGE 1, 208 [232]; 27, 44 [55]; 66, 107 [114]; 103, 332 [383 f.]. 76 Vgl. März, Bundesrecht, 180 f. In diesem Sinne allerdings auch BVerfGE 18, 407 [414]. 77 Boehl, Verfassunggebung, 149 ff. 78 Den Zusatz „zu betrachten“ hebt auch Boehl hervor, zieht aber offenbar eine andere Konsequenz. 71 72

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‚unabgeleitet‘ ausgespielt werden. 79 Für dieses Ergebnis bedarf es aber eben nicht des Rekurses auf eine „Gesamtstaatsverfassung“. Ist hiermit die Möglichkeit bejaht, das Grundgesetz könne eine bundesstaatliche Ignorierung der Abgeleitetheit der Staatsgewalt der Länder als juristische Fiktion anordnen, so sei damit aber noch keine Entscheidung getroffen, ob das Grundgesetz eine derartige Anordnung tatsächlich trifft. Wenn Herzog formuliert, die Hoheitsgewalt der Länder sei als nicht von der Bundesgewalt abgeleitet zu betrachten infolge der grundgesetzlichen Anordnung des Staatscharakters der Länder, so wird hiermit ein zwingender Konnex behauptet zwischen Staatlichkeit und unabgeleiteter Hoheitsgewalt. 80 Diese These bedarf jedoch der Überprüfung. b) Die Staatsqualität der Länder Die Befassung mit der Kompetenz-Kompetenz erbrachte zwei wesentliche Ergebnisse. Die Länder üben Staatsgewalt nach Maßgabe des Grundgesetzes aus, diese Staatsgewalt ist zudem vom Grundgesetz abgeleitet. Wenn jedoch die Länder ihre Staatsgewalt vom Grundgesetz, und das heißt vom Bund ableiten, so fragt sich, ob auch die Länder selbst vom Grundgesetz konstituiert werden. Zu klären bleibt also die Länderentstehung und – damit verknüpft – die Staatsqualität der Länder. (1) Die Entstehung der Länder Dem ersten Anschein nach scheidet eine Konstituierung der Länder durch das Grundgesetz aus. Die Staatsorganisation als entscheidender Bestandteil jeder Konstitution regelt das Grundgesetz für die Länder gerade nicht.81 Ob neben der Konstitution durch das Grundgesetz als einzige Alternative verbleibt, die Länder als vom Grundgesetz lediglich „vorgefunden“ zu betrachten, erhellt zunächst eine Befassung mit Art. 29 GG. (a) Bedeutung des Art. 29 GG Art. 29 GG stellt den Bestand einzelner Länder zur Disposition der Bundesstaatsgewalt. Dies bedeutet die meistbeachtetste Konsequenz der Verfassungsnorm, wie sie das Bundesverfassungsgericht insbesondere in seiner Entscheidung aus dem Vgl. Boehl, Verfassunggebung, 149. So wohl auch Boehl, Der Staat 30 (1991), 572 (582). Boehl formuliert zunächst zutreffend, das Eigentümliche des durch das Grundgesetz konstituierten Bundesstaates sei, daß seine Gliedstaaten die Staatsqualität ebenso besitzen wie der Gesamtstaat. Daraufhin stellt Boehl sofort fest, die Staatlichkeit und Staatsgewalt der Länder sei rechtlich ursprünglich und unabgeleitet. 81 Vgl. Boehl, Der Staat 30 (1991), 572 (582); Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), 12. 79 80

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Jahre 1961 82 gezogen hat. Diese Konsequenz wird gleich auch für die vorliegende Untersuchung eine maßgebende Rolle spielen. An dieser Stelle soll jedoch zunächst ein weiterer, nicht weniger bemerkenswerter Tatbestand gewürdigt werden. Das Grundgesetz selbst hält es offenkundig für unproblematisch, wenn die Bundesstaatsgewalt nach Art. 29 GG ein neues Land „erschafft“ 83, ohne gleichzeitig eine verfassungsmäßige Vollkonstitution vorzunehmen. Wenn derartiges aber nach Inkrafttreten des Grundgesetzes dem einfachen Bundesgesetzgeber möglich ist, so spricht nichts dafür, warum dies für den Augenblick der Bundesverfassungsstiftung nicht gelten könnte. Jedes Potential, über die ein pouvoir constitué verfügt, muß zuvor selbstverständlich auch der pouvoir constituant innegehabt haben. Wenn das Grundgesetz keine Regelung über die Staatsorganisation in den Ländern trifft, so schließt dies also nicht aus, daß die Länder dennoch vom Grundgesetz geschaffen sind. Jedoch gilt auch hier, die Bejahung der Möglichkeit bedeutet noch keineswegs die Annahme, das Grundgesetz habe von der Möglichkeit auch tatsächlich Gebrauch gemacht. (b) Erzeugungszusammenhang von Land und Bund Historisch betrachtet haben die Länder den Augenblick der Verfassungsstiftung überdauert. Rechtlich gilt dies jedoch nicht. Oben wurde erläutert, das positive Verfassungsrecht sei außerstande, zu einem Zeitpunkt vor seiner eigenen Entstehung zurückzublicken. Vom verfassungspositiven Standpunkt ist also die Frage sinnlos, ob die Länder zum Zeitpunkt der Verfassungsstiftung bereits existiert haben. Das historische Überdauern der Verfassungsstiftung führt allerdings dazu, daß die Bundesverfassung vom ersten Augenblick ihrer eigenen Existenz an die Existenz der Länder hätte wahrnehmen können. Von diesem positiven Standpunkt der Bundesverfassung wäre dies möglicherweise so zu interpretieren, daß die Länder im Augenblick der Bundesverfassungsstiftung ebenso spontan entstanden sind, wie die Bundesverfassung selbst. Vom verfassungspositiven Standpunkt wären die Länder also zeitgleich mit der Bundesverfassung selbst spontan „aufgetreten“. Dieses „Auftreten“ hätte die Bundesverfassung dann nur noch zur Kenntnis nehmen und den Ländern Staatsgewalt übertragen müssen. Eine derartige Deutung wäre jedoch unvollständig. Oben wurde beschrieben, einen „unendlich kleinen“ Augenblick nach der Bundesverfassungsstiftung überträgt die Bundesverfassung einen Teil ihrer Kompetenzen an die Länder. Die somit errichtete Reihenfolge ist streng zu beachten, sie hat Konsequenzen. 84 Im Augenblick der Bundesverfassungsstiftung selbst wäre den Ländern also noch keine Staatsgewalt übertragen worden gewesen. Diese Übertragung von Staatsgewalt auf die Länder kam erst als ein Akt der dann schon Vgl. BVerfGE 13, 54 [73 ff.]. Ebenso BVerfGE 5, 34 [38]. So auch BVerfGE 13, 54 [73]. 84 Vgl. Hillgruber, JZ 2002, 1072 (1074); Boehl, Verfassunggebung, 105; Henke, Der Staat 7 (1968), 165 (165); Murswiek, Verfassunggebende Gewalt, 169. 82 83

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bestehenden Bundesverfassung zustande, denn die Übertragung beruht auf positiven Verfassungsnormen (Art. 30, 70 ff. GG). Hieraus ergibt sich nun das folgende. Selbst wenn die vorstehend entwickelte verfassungspositive Deutung des historischen Fortbestands der Länder als ein gleichzeitiges Auftreten von Bundesverfassung und Ländern richtig ist, so hätten die Länder im Augenblick der Entstehung der Bundesverfassung, und das heißt im Augenblick ihres eigenen positiven Auftretens, noch keine Staatsgewalt innegehabt. Diese hätten sie erst erhalten, nachdem die Bundesverfassung – unmittelbar nach ihrer eigenen Entstehung – den Ländern diese Staatsgewalt übertragen hätte. 85 Das heißt, im Augenblick ihrer Entstehung, ihres ersten Auftretens (aus verfassungspositiver Sicht) hätten die Länder keinerlei Staatsgewalt innegehabt. Es fragt sich nun, was unter einem derartigen Konstrukt „Land ohne Staatsgewalt“ verstanden werden könnte. Zunächst sei betont, dieses Problem hat noch nichts mit der Frage der Staatsqualität, der Eigenstaatlichkeit der Länder zu tun. Nicht jede Entität, die Staatsgewalt ausübt, muß zwangsläufig Staat sein, wie ein Blick auf den übertragenen Wirkungskreis der Kommunen beispielhaft verdeutlicht. Inwieweit die Länder Staaten sind, kann daher später geklärt werden. Hier kommt es auf etwas anderes an. Oben wurde die Omnikompetenz des einheitlichen pouvoir constituant betont. Er verfügt über jede staatliche Gewalt, und das heißt näherhin über jede rechtliche Gewalt des zu verfassenden Staates. Daraus folgt aber: Wenn im Augenblick der Entstehung der Bundesverfassung die Staatsgewalt noch für einen Moment vollständig bei eben dieser lag, bevor sie teilweise an die Länder übertragen wurde, so bleibt für diesen Moment keinerlei Restmenge rechtlichen Dürfens übrig, welches die Länder hätten innehaben können. „Land ohne Staatsgewalt“ heißt also näherhin Land ohne jedes Recht. Vom verfassungspositiven Standpunkt ist jedoch etwas, was keinerlei rechtliche Dimension besitzt, nicht existent. 86 Es mag zwar im Augenblick der Verfassungsstiftung eine Form realen Substrats vorgelegen haben, Länder im Sinne des Grundgesetzes bedeutete dieses Substrat jedoch noch nicht. Um eine Metapher zu gebrauchen, die Bundesverfassung hat einer körperlichen Hülle das Leben eingehaucht (durch Übertragung von Kompetenzen), die Länder also sozusagen zum Leben erweckt. (c) Zwischenergebnis Erst die Übertragung von Staatsgewalt durch die Bundesverfassung im Augenblick nach der Verfassungsstiftung macht die Länder zu einer Erscheinung des Rechts. Die Länder sind also, kurz gesagt, vom Grundgesetz erschaffen. 87 So auch ausdrücklich Kaiser, DÖV 1961, 653 (657). Vgl. Hillgruber, JZ 2002, 1072 (1073). 87 Vgl. Kaiser, DÖV 1961, 653 (657); Isensee, HStR IV, § 98 Rn. 7, dennoch a. A., was die Ursprünglichkeit der Staatsgewalt betrifft, was unschlüssig erscheint (Isensee, HStR IV, § 98 Rn. 78). 85 86

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(2) Länder als Staaten Inwieweit das Grundgesetz den Ländern ausdrücklich Staatsqualität zuerkennt, ist fraglich. Wird auf Art. 30 GG rekurriert, da dieser die Ausübung der „staatlichen“ Befugnisse und die Erfüllung der „staatlichen“ Aufgaben zur Sache der Länder macht, so ergibt sich die Staatsqualität daraus nicht zwangsläufig. Wie jedoch das schon erwähnte Beispiel der Kommunen, und auch das der beliehenen Privatpersonen zeigt, spricht die Wahrnehmung staatlicher Befugnisse und Aufgaben nicht zwangsläufig für die Qualität als Staat. Anderen Verfassungsnormen, wie Art. 7 Abs. 1 GG („Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates“) fehlt die konstitutive Regelungsabsicht. Offensichtlich soll die Schulaufsicht geregelt, und nicht die Anerkennung der Länder als Staaten festgestellt werden. (a) Verfassungsnormative Grundlage der Staatlichkeit Dennoch ist der Formel beizupflichten, die Länder seien Staaten nach Maßgabe des Grundgesetzes. Aus dem bisher gesagten läßt sich dies allerdings nicht schlußfolgern. Zwar kann man durchaus die konkrete Ausgestaltung der Bundesstaatlichkeit durch verfassungsrechtliche Einzelbestimmungen heranziehen, um hieraus auf die Staatlichkeit der Länder zu schließen. Jedoch muß man gewahr sein, auf diese Weise nur eine Staatlichkeit nach Maßgabe der Staatstheorie zu ermitteln. 88 Eine so bestätigte Staatlichkeit der Länder bleibt aber stets staatstheoretischer Natur und kann daher nicht auf die Verfassung und deren Auslegung zurückwirken. Eine verfassungsnormativ wirksame Aussage über die Staatsnatur der Länder muß sich hingegen unmittelbar aus der Verfassung ergeben. 89 Eine solche unmittelbare Aussage der Verfassung findet sich nun in einem Residualgehalt des Art. 20 Abs. 1 GG. 90 Der anfangs schon erwähnten Feststellung Maunz’ 91 wird hier zugestimmt, mit dem unbestimmten Rechtsbegriff „BundesVgl. März, Bundesrecht, 173; Isensee, HStR IV, § 98 Rn. 67; Isensee, Bundesstaat, 730. Vgl. Sˇarcˇevic´, Bundesstaatsprinzip, 112 ff., 231; Kölble, DÖV 1962, 583 (587); Boehl, Verfassunggebung, 136; März, Bundesrecht, 173; Isensee, Bundesstaat, 730; Bothe, Kompetenzstruktur, 8; Kersten, DÖV 1993, 896 (896). 90 A. A. S ˇ arcˇevic´, Bundesstaatsprinzip, 18, 232, der die Staatsqualität auf die Kompetenzaufteilung zurückführt. Besonders eindrücklich formulieren jüngst Müller/Mayer/Wagner, VerwArch 93 (2002), 585 (588), die den Bundesstaat konstituierende Kompetenzordnung diene der Aufrechterhaltung der Staatlichkeit von Bund und Ländern. Dagegen meint Bryde zutreffend, die Verfassung weist zwar Funktionen und Kompetenzen zu, nicht jedoch deren staatstheoretische Qualifizierung (Bryde, Münch/Kunig GG-Kommentar, Art. 79 Abs. 3 GG, Rn. 31). Isensee, Bundesstaat, 737 f. wiederum erkennt Art. 20 Abs. 1 GG zwar eigenständigen normativen Gehalt zu, dieser liegt bei ihm jedoch nicht in der Charakterisierung als Staat. Dies sei vielmehr ein Theorem der Verfassungsauslegung. 91 Vgl. Maunz, Staatsrecht, 124; BVerfGE 36, 342 [360 f.]; Ähnlich Kölble, DÖV 1962, 583 (586); Isensee, Bundesstaat, 719; Heintzen, DVBl 1997, 689 (692); Gramm, AöR 124 (1999), 212 (218); Maurer, Bundesrat, 615. 88 89

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staat“ knüpfe die Verfassung an die herrschende Definition eines aus Staaten zusammengesetzten Staates an. Der Ableitung der Staatlichkeit aus Art. 20 Abs. 1 GG folgt wohl auch das Bundesverfassungsgericht, wenn es formuliert „[..] die gewährleistete Eigenstaatlichkeit des Landes (Art. 20 Abs. 1 GG) [.]“. 92 Der in Klammern gesetzte Verweis auf die Verfassungsnorm kann wohl nur so verstanden werden, daß das Gericht die Eigenstaatlichkeit hierauf zurückführt. Allerdings verleiht das Grundgesetz das Prädikat „Staatlichkeit“ nicht als „Selbstzweck“, vielmehr müssen sich hieraus Konsequenzen ergeben. 93 (b) Inhalt des grundgesetzlichen Staatsbegriffes Wenn Art. 20 Abs. 1 GG tatsächlich einen Residualgehalt besitzt, so kann unter „Staat“ im Sinne des Grundgesetzes nicht einfach die Summe von Eigenschaften der Länder gemeint sein, wie sie sich aus sonstigen Verfassungsnormen ergeben. 94 Vielmehr muß etwas darüber hinausgehendes gemeint sein. Die Gesetzgebungskompetenz wird den Ländern bereits von Art. 70 GG zuerkannt, dieser wesentliche Vorbehaltsbereich eines Staates ist also bereits verbraucht. Auch das Recht der Verfassunggebung läßt sich klarer auf Art. 28 Abs. 1, denn auf Art. 20 Abs. 1 GG stützen. Allerdings liefert das Recht zur Verfassunggebung einen wichtigen Hinweis auf die Regelungsabsicht des Art. 20 Abs. 1 GG, insbesondere unter Berücksichtigung des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG. Eine aus demokratischen, allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangene Volksvertretung deutet auf das Element des Politischen, welches dem Staate eigentümlich ist. Wenn Art. 20 Abs. 1 GG die Länder zu Staaten erklärt, dann spricht er hiermit den Willen des Grundgesetzes aus, die Länder mögen politische Beurteilungs- und Entscheidungsgewalt innehaben. 95 Diese politische Potenz der Länder zielt, so eine bündige Formulierung Isensees, „auf die (grundsätzlich offene) Definition des Gemeinwohls“. 96 Nach den Befunden des ersten Kapitels muß diese Feststellung vorliegend freilich präzisiert werden. Demnach hat der Staat die verfassungsnormativen Gemeinwohlbelange zu fördern. Als vornehmste Aufgabe wurde weiterhin bezeichnet, die widerstreitenden Gemeinwohlbelange zu einem Ausgleich zu führen. Hierbei setzt der 92 BVerfGE 81, 310 [330]. Siehe auch BVerfGE 36, 342 [360 f.]: „Das Eigentümliche des Bundesstaates ist, daß der Gesamtstaat Staatsqualität und daß die Gliedstaaten Staatsqualität besitzen“; BVerfGE 87, 181 [196]. 93 Vgl. Haratsch, DVBl 1993, 1338 (1340); Isensee, HStR IV, § 98 Rn. 68. 94 Vgl. Isensee, Bundesstaat, 730 ff. 95 Vgl. S ˇ arcˇevic´, Bundesstaatsprinzip, 233; Hesse, AöR 98, 1 (14 ff., 18 ff., 29 f.); Isensee, Bundesstaat, 724, 738, 749; Stern, Föderative Ordnung, 21 ff.; Stern, Föderativstruktur, 57; Ernst, DÖV 1974, 12 (13 f.); Frowein, Entwicklung, 30; Bandorf, Bundesrat, 17; Rietdorf, DÖV 1974, 2 (3); Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), 14 f.; Bundestag, Enquete-Kommission, 47; Dolzer, VVDStRL 58 (1999), 16 f.; Frowein, Beziehungen, 120; Ossenbühl, DVBl 1989, 1230 (1235); Calliess, DÖV 1997, 889 (889); Stehr, Gesetzgebungskompetenzen, 10 f.; Scheuner, DÖV 1974, 16 (17) (krit.); BVerfGE 86, 148 [264] („politische Autonomie“). 96 Isensee, HStR IV, § 98 Rn. 72. Vgl. auch Isensee, Bundesstaat, 724; BVerfGE 1, 14 [34]; 36, 342 [360 f.].

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Staat Prioritäten und wählt die geeigneten Mittel. 97 Es ist dieser Aspekt der politischen Beurteilungsgewalt, welche den Staat im Sinne des Grundgesetzes von den Selbstverwaltungskörperschaften unterscheidet. Letzteren kommt eine derartige Beurteilungsgewalt nicht zu, sie haben allenfalls einen Ermessensspielraum bei der Erledigung ihrer Aufgaben. (c) Verfassunggebung in den Ländern Die Möglichkeit des „Politischen“ setzt also eine bestimmte Verfassungsordnung voraus. Die Verwendung des Begriffes „verfassungsmäßige Ordnung“ in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG verleiht dieser Prämisse verfassungsnormative Kraft. „Verfassung“ (in den Ländern) ist somit ein Bundesverfassungsrechtsbegriff. Dies muß erinnert werden, will man den Umfang der verfassunggebenden Gewalt in den Ländern ermitteln. Hierdurch erledigten sich Auseinandersetzungen um die Frage, inwieweit ein Land einen pouvoir constituant besitzen kann, wenn dieser doch in der Ausübung einer verfassunggebenden Gewalt von vornherein durch das Grundgesetz beschränkt ist. Derartiges widerspräche der Definition des pouvoir constituant. Bei der Verwendung des Begriffes „Verfassung“ verweist das Grundgesetz nicht in gleicher Weise auf eine vorgefundene Definition, wie es dies im Falle des „Bundesstaates“ tut. Die Verfassung in der Ländern ist nur Mittel zur Erreichung des vom Grundgesetz gewollten Zweckes, den Ländern politische Potenz zu verleihen. Sie knüpft nicht an einen pouvoir constituant eines „Landesvolkes“ an. 98 Derartiges gibt es nicht. Das Grundgesetz kennt nur das einheitliche deutsche Volk, welches als pouvoir constituant die Bundesverfassung gestiftet hat. Aufgrund der Einheitlichkeit und Omnikompetenz dieses pouvoir constituant können daneben nicht noch andere pouvoirs constituants in Erscheinung treten. Wenn das Grundgesetz den Ländern das Recht der „Verfassunggebung“ einräumt, so ist damit lediglich gemeint, daß die Länder sich eine solche Ordnung geben sollen und dürfen, wie sie einerseits zu Erfüllung ihrer speziellen (bundesverfassungsmäßigen) Aufgaben, andererseits zur Ausübung ihrer verfassungsintendierten politischen Gewalt erforderlich ist. 99 Nicht angeknüpft wird an einen staatstheoretischen Verfassungsbegriff. Damit ist auch das vom Bundesverfassungsgericht so bezeichnete „unentziehbare Hausgut“ näher eingegrenzt. Schützt Art.79 Abs.3 GG die Bundesstaatlichkeit, und besteht diese nach Art.20 Abs.1 GG in der politischen Potenz der Länder, so sind eben solche Kompetenzen der Länder verfassungsrevisionsfest, welche dieser Potenz zwingend zugrundeliegen. 100 Vgl. 1. Kapitel III 3. c). A. A. Boehl, Der Staat 30 (1991), 572 (583, 592); März, Bundesrecht, 175. 99 Ähnlich März, Bundesrecht, 176; Isensee, SächsVBl 1994, 28 (30). Kersten, DÖV 1993, 896 (897) spricht von einem Funktionszusammenhang, welcher das Ausmaß der Homogenität abhängig macht von der Bedeutsamkeit einer gliedstaatlichen Funktion für die bundesstaatliche Ordnung. 100 Vgl. S ˇ arcˇevic´, Bundesstaatsprinzip, 233; Hesse, AöR 98, 1 (14 ff.); Stern, Föderativstruktur, 57. Vgl. näher 3. Kapitel II. 2. a) (3) (c). 97 98

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Genausowenig, wie aus dem verfassungsnormativen Begriff der „verfassungsmäßigen Ordnung in den Ländern“ staatstheoretisch auf einen pouvoir constituant des Landes geschlossen werden kann, genausowenig kann aus der Staatlichkeit der Länder nach Maßgabe des Grundgesetzes die wiederum staatstheoretische Folge der Existenz eines solchen pouvoir constituant abgeleitet werden. 101 Das Homogenitätsgebot des Art. 28 GG gewährleistet, daß sich die politische Potenz in der Ländern in einer Weise entfaltet, wie es dem Willen der Bundesverfassung entspricht. 102 Diese Verfassungsnorm stellt also sicher, daß die politischen Beurteilungen der Länder in Qualität und Ursprung der Erfüllung ihres funktionalen Beitrages im Rahmen der Gesamtordnung adäquat sind. Insofern erweist sich der Begriff „Homogenitätsgebot“ als unglücklich. Das Grundgesetz beabsichtigt nicht Homogenität als Selbstzweck, sondern eine zweckdienliche Landesstaatsorganisation.

(d) Ausschluß von „Landesvölkern“ Was soeben für den pouvoir constituant gesagt wurde, gilt in gleicher Weise für die Betätigung des pouvoir constitué in der Ländern. Wenn das Volk in den Ländern durch Teilnahme an Wahlen oder Abstimmungen sich als Staatsorgan aktualisiert, so tritt hier kein eigenes „Landesvolk“ in Erscheinung. Vielmehr handelt ein Teil des einheitlichen deutschen Volkes. 103 Ein „Landesvolk“ hätte in irgendeiner Weise entstehen müssen. Hierfür ist aber nach dem bisher gesagten kein Raum. Der deutsche pouvoir constituant hat die Bundesverfassung geschaffen, diese wiederum hat die Länder geschaffen und sie mit Staatsgewalt ausgestattet. Die Länder sind damit Bestandteil einer rechtlichen Ordnung des Gesamtvolkes.

101 So aber Boehl, Der Staat 30 (1991), 572 (588). Allerdings kann aus der bundesverfassungsgewollten Staatlichkeit der Länder zumindest auf das Recht der Verfassunggebung geschlossen werden, vgl. Limbach, Länderverfassungen, 25; Kersten, DÖV 1993, 896 (896); Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), 22 ff. Auch BVerfGE 34, 9 [19 f.] sieht keinen Zusammenhang zwischen Staatsqualität und Verfassung. Anders äußert sich das Gericht hingegen für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes: „Diese Verfassungen [der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern] sind [.] die Rechtsgrundlage der staatlichen Existenz und des politischen Lebens der drei Länder“ (BVerfGE 1, 14 [21]). 102 Vgl. S ˇ arcˇevic´, Bundesstaatsprinzip, 117 f.; Isensee, HStR IV, § 98 Rn. 79. 103 Vgl. Isensee, HStR IV, § 98 Rn. 62. BVerfGE 83, 37 [53] spricht von einem territorial begrenzten Verband der im Bereich des jeweiligen Landes lebenden Deutschen und nennt diesen Verband das „(Landes-)Volk“. In einem so spezifisch definierten Sinne kann der Begriff des Landesvolkes akzeptiert werden. In BVerfGE 83, 60 [81] spricht das Gericht von einem örtlich begrenzten Teil des Staatsvolkes, dabei handele es sich um die in den fraglichen Bezirken wohnenden Deutschen. Vgl. auch BVerfGE 36, 1 [16] („einheitliches Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland“).

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(3) Ergebnis Die Länder sind Staaten aufgrund verfassungsnormativer Anordnung in Art. 20 Abs. 1 GG. Die Länder wurden vom Grundgesetz geschaffen, indem es diesen unmittelbar nach der Bundesverfassungsstiftung Staatsgewalt übertragen hat. Der verfassungsnormative Begriff „Bundesstaat“ zielt auf eine politische Potenz der Länder. Sie sollen das Recht und die Fähigkeit besitzen, eigene Bewertungen und Festlegungen zu treffen, wie die verfassungsnormativen Gemeinwohlbelange am besten zu fördern sind. Hierin unterscheiden sich die Länder von Selbstverwaltungskörperschaften. Diesem Zweck dient das Recht zur Landesverfassunggebung. Dabei erweist sich der staatstheoretische Verfassungsbegriff als bedeutungslos. Die Länder besitzen keine eigenen pouvoirs constituants, die Landesverfassung bezeichnet vielmehr eine Grundordnung, welche der Erfüllung der Länderaufgaben, insbesondere der Wahrnehmung der politischen Gewalt dient. „Landesvölker“ gibt es nicht. Wann immer sich das Volk in den Ländern in rechtlicher Weise betätigt, so handelt es sich um einen Teil des deutschen Volkes. Da die Länder „Staaten“ ausschließlich in der verfassungsgewollten Begriffsbedeutung sind, ist die Abgeleitetheit ihrer Staatsgewalt für die so normierte Staatsqualität unschädlich. Das Grundgesetz dekretiert die Möglichkeit einer Staatlichkeit trotz abgeleiteter Staatsgewalt. Daher bedarf es auch keiner juristischen Fiktion (wie oben zunächst offengelassen), wonach die Organe des Bundes die Länder so zu behandeln hätten, als sei deren Staatsgewalt unabgeleitet. Die Staatsgewalt ist abgeleitet, unzulässige Ingerenzen des Bundes unterbindet das Grundgesetz nicht mittels juristischer Fiktionen, sondern durch die Kompetenzordnung. 3. Die funktionale Natur des Bundesstaates Die bisherige Untersuchung der deutschen Bundesstaatlichkeit liefert bereits starke Hinweise auf deren funktionalen Charakter im Rahmen der verfassungsmäßigen Gesamtordnung. 104 Das Grundgesetz hat die Länder nicht „vorgefunden“, es mußte sie also nicht etwa nur „hinnehmen“ und lediglich in Gestalt einiger staatsorganisatorischer Verflechtungen in die Ordnung des Bundes „soweit als möglich“ integrieren. Vielmehr sind die Länder und deren gesamte Kompetenzen eine Schöpfung der Bundesverfassung. Aus Sicht des pouvoir constituant zeigt sich die Entscheidung für die Bundesstaatlichkeit also kontingent, er hätte auch anders entscheiden können. 105 Diese Qualität der Länder als intendierte Bestandteile der Bundesverfassungsordnung legt die Annahme nahe, das Grundgesetz habe den Ländern einen bestimmten Zweck bei der bundesstaatlichen Gemeinwohlverwirklichung 104 A. A. zum funktionalen Charakter des Bundesstaates Badura, Rechtfertigung, 55 f. Befürwortend Hesse, Unitarischer Bundesstaat, 26. 105 Zur Beliebigkeit der Verfassung etwa Murswiek, Verfassunggebende Gewalt, 235.

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zugedacht. 106 Ansonsten hätte das Grundgesetz nämlich mit der Bundesstaatlichkeit etwas Selbstzweckhaftes geschaffen. Dies wäre mit dem instrumentalen Charakter einer Verfassung unvereinbar, wie er zu Beginn der Untersuchung 107 diskutiert wurde. Bei dem Nachweis des funktionalen Charakters der Bundesstaatlichkeit bleibt man jedoch nicht nur auf solche Deduktion verwiesen. Die Verfassung enthält den positiven Ausspruch dieses Charakters. Dieser Ausspruch findet sich in Art. 29 GG. a) Neugliederungsbefugnis des Bundes Will man Art. 29 GG zum Nachweis des funktionalen Charakters der Bundesstaatlichkeit heranziehen, so mag zunächst die verfassungsvorgegebene Zweckbindung einer Neugliederung einen Anhalt bieten. Die Neugliederung soll gewährleisten, daß die Länder die „ihnen obliegenden Aufgaben“ wirksam erfüllen können. 108 Bezogen auf die ursprüngliche Fassung des Art. 29 GG folgert das Bundesverfassungsgericht unmißverständlich „Der Bund soll nach Art. 29 Abs. 1 Satz 2 erst die Länder schaffen, die für das von der bundesstaatlichen Verfassung geordnete Zusammenwirken von Bund und Ländern vorausgesetzt werden. [..] Die Neugliederung ist nicht im Interesse der bestehenden Länder vorgesehen, sondern nur im Interesse des Ganzen, und sie erfolgt auch nur nach den übergeordneten Gesichtspunkten des Ganzen [.]“. 109 In der Zweckbindung wird vorliegend jedoch nicht der Schwerpunkt des Nachweises gesehen. Im Gegenteil, wollte man sich alleine hierauf stützen, so wäre dies ein Fehlschluß. Darf der Bund aus funktionalen Gründen die Länder neu gliedern, so bedeutet dies noch nicht, daß die Länder von vornherein aus funktionalen Gründen existieren. Der Nachweis liegt vielmehr in der Befugnis des Bundes an sich, die Länder neu zu gliedern. Der Bund kann durch einfaches Bundesgesetz ohne Zustimmung des Bundesrates 110 Länder abschaffen, erschaffen oder umgestalten. Die Existenz der Länder wird also vollständig in das (pflichtgemäße) Ermessen des Bundes gestellt. Damit wird jedes Bestehen ursprünglichen Rechts der Länder negiert, 111 das voran106 Für „Zweckmäßigkeit“ als bundesstaatliche Grundlage Hesse, AöR 98, 1 (8 f.); Haegert, NJW 1961, 1137 (1139); besonders auch März, Bundesrecht, 177; Stern, Föderative Ordnung, 21 („duplex regimen als Wert an sich, als Kraftquelle für die Gemeinschaft“); Ernst, DÖV 1974, 12 (13); Rietdorf, DÖV 1974, 2 (3); Scheuner, DÖV 1974, 16 (16); Bovermann, DÖV 1974, 6 (6); Haratsch, DVBl 1993, 1338 (1340). Überwiegend auch Frowein, Entwicklung, 29 f. 107 Vgl. 1. Kapitel I. 1. a). 108 Art. 29 Abs. 1 Satz 1 GG; vgl. Feuchte, DÖV 1974, 9 (9); Scheuner, DÖV 1974, 16 (18); Greulich, Länderneugliederung, 39, 49; BVerfGE 5, 34 [39]. 109 BVerfGE 13, 54 [73 f., 76]. Siehe insbesondere auch Hesse, AöR 98, 1 (10). 110 Das mangelnde Zustimmungsbedürfnis betont auch BVerfGE 13, 54 [73, 94]. 111 Mit Nachdruck in eine ähnliche Richtung, allerdings noch im Hinblick auf den Begriff der Souveränität, welchem vorliegend keine Bedeutung beigemessen wird, Haegert, NJW 1961,

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gegangene Untersuchungsergebnis insoweit erneut bestätigt. Die Abschaffung der Bundesstaatlichkeit an sich ist auch dem verfassungsändernden Gesetzgeber verwehrt, weil der pouvoir constituant im Bundesstaat offenbar einen unverzichtbaren funktionalen Beitrag zur Gemeinwohlverwirklichung sah, welchen er daher nicht der Preisgabe anheim stellen wollte. Die konkreten Länder sind in diesem Rahmen jedoch nur Funktionselemente, über die der Bund disponieren kann. Gegenwärtig bestehende Länder verdanken ihre fortdauernde Existenz alleine dem Nichtgebrauch der Befugnis aus Art. 29 GG. 112 Sobald die Gesamtordnung dies erfordert, können sie abgeschafft werden.

b) Entgegnung möglicher Einwände aus Art. 29 GG Die inzwischen zahlreichen Textstufen des Art. 29 GG beeinträchtigen die vorgetragene Schlußfolgerung nicht. Für den Tatbestand der Verfügungsgewalt des Bundes über die Existenz der Länder macht es keinen Unterschied, ob der Bund einem Bundesverfassungsauftrag zur Neugliederung unterliegt, oder ob er (ab 1976) lediglich die verfassungsmäßige Befugnis zur Neugliederung innehat. Auch das Erfordernis einer Volksabstimmung schränkt die Verfügungsgewalt nicht ein. In diesem Zusammenhang möglicherweise nicht genügend gewürdigt wird der Umstand, daß jeweils das Bundesvolk zur Abstimmung berufen ist. In der Ursprungsfassung war dies noch nicht ganz eindeutig. Dort war nur die Rede davon, „in jedem Gebiete, dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll, [ist] der Teil des Gesetzes, der dieses Gebiet betrifft, zum Volksentscheid zu bringen“. 113 Insoweit findet sich in der Fassung von 1976 eine Klarstellung, als „Mehrheit im Volksentscheid und in der Volksbefragung [.] die Mehrheit der abgegebenen Stimmen [ist], wenn sie mindestens ein Viertel der zum Bundestag Wahlberechtigten umfaßt“. 114 Die Wahlberechtigung zum Bundestag besitzt aber nur das Bundesvolk. Die Entscheidung erfolgt also keineswegs durch „Landesvölker“ oder durch „Staatsvölker der bestehenden Bundesländer“. 115 Vielmehr definiert die Bundesverfassung einen Ausschnitt aus dem Bundesvolk, welchem die Abstimmungsfrage gestellt wird. Führt das Bundesvolk jedoch eine verfassungsmäßige Abstimmung 1137 (1138): „Was soll überhaupt der Begriff ‚Souveränität‘ im Zusammenhang mit Ländern, die der Bund auf dem Wege des Art. 29 GG zum Verschwinden bringen kann? Das ist nicht nur ein müßiges Spiel mit Worten, sondern auch in jedem Sinne falsch“. Vgl. Kaiser, DÖV 1961, 653 (657); März, Bundesrecht, 174; Meyer-Teschendorf, DÖV 1993, 889 (890); Hesse, Unitarischer Bundesstaat, 33. 112 Vgl. März, Bundesrecht, 174 f.; Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), 26; Isensee, SächsVBl 1994, 28 (30); Greulich, Länderneugliederung, 38; BVerfGE 1, 14 [48]; 5, 34 [38]; 13, 54 [75]. 113 Art. 29 Abs. 3 Satz 1 GG i. d. F. vom 23. Mai 1949. 114 Art. 29 Abs. 6 Satz 1 GG i. d. F. vom 23. August 1976; unverändert geblieben i. d. F. vom 27. Oktober 1994. 115 Meyer-Teschendorf, Starck – Bonner Grundgesetz, Art. 29 Abs. 3 Rn. 44.

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durch, so aktualisiert sich seine Eigenschaft als oberstes Staatsorgan des Bundes. 116 Die Entscheidung wird also auf jeden Fall vom Bund herbeigeführt. Der Verzicht der Ursprungsfassung auf eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Wahlberechtigten zum Bundestag ist unschädlich. Ein ablehnender Volksentscheid in den betroffenen Gebieten konnte nämlich bis 1976 vom Bundesvolk überstimmt werden. 117 Der Bund konnte also während des gesamten Geltungszeitraums des Grundgesetzes seinen Neugliederungsanspruch durchsetzen. Hieran ändert auch die bis 1976 bestehende Möglichkeit nichts, „in Gebietsteilen, die bei der Neubildung der Länder nach dem 8. Mai 1945 ohne Volksabstimmung ihrer Landeszugehörigkeit geändert haben“, ein Volksbegehren durchzuführen, welches „der Zustimmung eines Zehntels der zu den Landtagen wahlberechtigten Bevölkerung“ bedarf. 118 Zum einen beeinträchtigt die Befugnis des obersten Staatsorgans eines Landes zum selbstveranlaßten Tätigwerden bezüglich einer Neugliederung nicht die entsprechende Befugnis des Bundes. Die volle Verfügungsgewalt des Bundes über den Bestand der Länder wird hierdurch nicht angetastet. Zum anderen sieht die Ursprungsfassung des Art. 29 GG lediglich vor, nach einem erfolgreichen Volksbegehren müsse die Bundesregierung in den Gesetzentwurf über die Neugliederung „eine Bestimmung über die Landeszugehörigkeit des Gebietsteiles“ 119 aufnehmen. Diese Formulierung deutet nicht darauf, daß eine solche Bestimmung dem Inhalt des Volksbegehrens voll zu entsprechen habe. 120 Eine Klarstellung erfolgte 1969. Zwar ordnete das Grundgesetz dort nun an, einem erfolgreichen Volksbegehren müsse zwingend ein Volksentscheid nachfolgen, welcher wiederum auf die zum Landtag wahlberechtigte Bevölkerung Bezug nimmt. 121 Außerdem stellt das Grundgesetz nun ausdrücklich fest, dem Bundesgesetz sei das Ergebnis des Volksentscheides zugrunde zu legen. Jedoch darf es hiervon abweichen, sofern dies zur Erreichung der Ziele der Neugliederung nach Abs. 1 erforderlich ist. 122 Die funktionale Komponente aus Sicht des Bundes bleibt also letztentscheidend wirksam. Vgl. BVerfGE 8, 104 [113 ff.]. Art. 29 Abs. 4 Satz 2 GG i. d. F. vom 23. Mai 1949 und Art. 29 Abs. 5 Satz 3 GG i. d. F. vom 19. August 1969. 118 Art. 29 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG i. d. F. vom 23. Mai 1949 und 19. August 1969. 119 Art. 29 Abs. 2 Satz 3 GG i. d. F. vom 23. Mai 1949. 120 Aufschlußreich in diesem Zusammenhang auch die Feststellung des BVerfG: „Wenn Art. 29 Abs. 2 und 3 in einem eng gezogenen Rahmen den Bürgern bestimmter Gebiete die Möglichkeit einräumt, ihre Meinung über die Landeszugehörigkeit zu äußern, so handelt es sich um Sätze des objektiven Verfassungsrechts, die den Gang des Gesetzgebungsverfahrens regulieren, nicht aber um die Zuerkennung eines subjektiven Rechtes der Selbstbestimmung an die regionale Bevölkerung als solche. Es wird nicht ein gegen den Staat gerichtetes ursprüngliches Selbstbestimmungsrecht anerkannt, sondern ein Willensprozeß innerhalb des Staates geregelt, in den in besonderer Weise die Befragung der regionalen Bevölkerung eingebaut ist“ (BVerfGE 13, 54 [94]). Vgl. auch Greulich, Länderneugliederung, 52 ff. 121 Art. 29 Abs. 3 GG i. d. F. vom 19. August 1969. 122 Art. 29 Abs. 4 Satz 1 GG i. d. F. vom 19. August 1969. 116 117

I. Der Bundesstaat des Grundgesetzes

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Schließlich erweist sich auch die seit 1976 123 bestehende Möglichkeit eines Volksbegehrens außerhalb des Zusammenhangs der Neubildung der Länder nach dem 8. Mai 1945, sowie die seit 1994 124 bestehende Möglichkeit einer staatsvertraglichen, allerdings durch Volksentscheid zu bestätigenden Regelung für den vorliegenden Befund als bedeutungslos. Auch hier gilt nämlich die Bezugnahme auf die zum Bundestag Wahlberechtigten, wiederum entscheidet also ein Ausschnitt des Bundesvolkes. Darüber hinaus bedarf der Staatsvertrag auch noch der Zustimmung des Bundestages. 125 c) Ergebnis Der funktionale Charakter der Bundesstaatlichkeit ergibt sich nicht nur aus der Erschaffung der Länder durch die Bundesverfassung und der Ableitung der Landesstaatsgewalt vom Bund. Vielmehr unterliegen die Länder in ihrem Fortbestand der Disposition des Bundeswillens. Die existentielle Abhängigkeit der Länder vom Bundeswillen schließt eine ursprüngliche, unabgeleitete Existenz der Länder aus. Diese Qualität der Länder als disponibles Funktionselement des Bundesstaates macht auch eine autonome Zwecksetzung der Länder logisch unmöglich. Damit ist nun keinesfalls gemeint, die Länder würden in jedem Einzelfall von Bundesorganen instruiert, gar im Bereich ihrer Verfassunggebung. Eine derartige Behauptung stünde in absurdem Gegensatz zur grundgesetzlichen Konstruktion des Bundesstaates. Vielmehr bewirkt die bundesstaatliche Konstruktion des Grundgesetzes mit den Ländern als Funktionseinheiten unmittelbar, unabhängig vom Willen einzelner Organe oder deren Amtswalter, eine Zweckdienlichkeit des Handelns der Länder für den Bund. Handelt ein Land dort, wo die Bundesverfassung nicht vorgibt, sondern nur begrenzt, so muß dieser Spielraum als von der Bundesverfassung gewollt betrachtet werden. Da die Länder nur aufgrund und nach Maßgabe der Bundesverfassung existieren, können solche Entscheidungsspielräume der Länder nicht als einfach „gegeben“ betrachtet werden, sondern als ganz bewußt von der Bundesverfassung erzeugt. Geht man wiederum davon aus, daß die Bundesverfassung nichts Selbstzweckhaftes errichtet, 126 so müssen auch diese Spielräume einen funktionalen Beitrag zur Gemeinwohlverwirklichung leisten. 127 Dies wird untenstehend gleich noch näher ausgeführt.

Art. 29 Abs. 4, 5 GG i. d. F. vom 23. August 1976 sowie i. d. F. vom 27. Oktober 1994. Art. 29 Abs. 8 GG i. d. F. vom 27. Oktober 1994. 125 Art. 29 Abs. 8 Satz 6 GG i. d. F. vom 27. Oktober 1994. 126 Vgl. 1. Kapitel I. 1. a). 127 Vgl. Hesse, AöR 98, 1 (8 f.); März, Bundesrecht, 177 f. („dem Gesamtstaat dienende Funktion“, „ein die Staatlichkeit der Länder instrumentalisierendes Komplementärverhältnis“); Isensee, Bundesstaat, 724. 123 124

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

4. Handeln der Länder und Gemeinwohlverwirklichung im Bund Folgende Ergebnisse sind bis jetzt gewonnen. Im Akt der Verfassungsstiftung für das Grundgesetz hat das deutsche Volk als einheitlicher pouvoir constituant gehandelt. Die Bundesrepublik Deutschland entstand als rück-föderalisierter Einheitsstaat. Unmittelbar nach seiner eigenen Entstehung hat das Grundgesetz die Länder in ihrer rechtlichen Dimension erschaffen und sie mit Staatsgewalt ausgestattet. Die bestehenden Länder können nach Maßgabe des Bundeswillens abgeschafft, neue Länder erschaffen werden. Aus alledem erhellt der Charakter der Länder als Funktionseinheiten des Bundes. Oben wurde nun gerade festgestellt, diese Funktion sei auf die Gemeinwohlverwirklichung gerichtet. Zu ergänzen bleibt nun noch, es kann sich dabei nur um das Gemeinwohl des Gesamtvolkes handeln. Abgelehnt wurde bereits die Vorstellung, der deutsche Bundesstaat setze sich aus selbständigen Landesvölkern zusammen. Die Bevölkerung in den Ländern ist lediglich ein Teil des deutschen Volkes. Isensee spricht einprägsam von Teilidentität. 128 An ein und demselben Volk kann aber auch nur ein Gemeinwohl verwirklicht werden. Das deutsche Volk ist sowohl Subjekt als auch Objekt staatlicher Gemeinwohlverwirklichung. Es ist deren Subjekt in seiner Eigenschaft als demokratischer Legitimationsursprung aller Staatsgewalt (Art. 20 Abs. 2 Satz 1, Art. 28 Abs. 1 GG). Es ist deren Objekt, als das Gemeinwohl eben an ihm, am deutschen Volk, verwirklicht wird. Somit vereint sich die „an der Quelle“ 129 geteilte Staatsgewalt in sich selbst. Das Handeln von Land und Bund verschmilzt im einzelnen Staatsbürger zur ungeteilten, unteilbaren Gemeinwohlverwirklichung. 5. Grundeigenschaft des deutschen Bundesstaates Aus dem bisher gesagten erwächst nun eine grundlegende Erkenntnis über den deutschen Bundesstaat, welche die weitere Untersuchung leitet. Länderinteressen sind Bundesinteressen. Die Eigenschaft der Länder als Funktionseinheiten des Bundes, deren Zweck von der Bundesverfassung abschließend determiniert wird, sowie die Einheitlichkeit des Objekts der Gemeinwohlverwirklichung erzwingen diesen Schluß. Auch sofern Bundesorgane und Landesorgane widerstreitende Interessen formulieren, gegensätzliche Entscheidungen treffen, einen Streit vielleicht sogar vor dem Bundesverfassungsgericht austragen, vom Standpunkt der Bundesverfassung muß dies alles der Gesamtgemeinwohlverwirklichung dienen. All diese Handlungsformen und -spielräume der Länder sind von der Bundesverfassung gewollt und können daher nur als zum Wohle des Ganzen gedacht werden. 128 Vgl. Isensee, AöR 115 (1990), 248 (272); Isensee, HStR IV, § 98 Rn. 45 f., 62, 74, 146. Ebenso Süsterhenn, Senats- oder Bundesratssystem, 179. Siehe auch BVerfGE 1, 14 [56]. 129 Schmidt, AöR 87 (1962), 253 (278).

II. Die Funktion des Bundesstaates

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Diese Feststellung darf keinesfalls dahingehend mißverstanden werden, als müßten sich Landesorgane „altruistisch“ betätigen, womöglich Länderinteressen stets zugunsten des Bundes negieren. Im Gegenteil, das Grundgesetz will, daß die Länder ihre eigenen Interessen formulieren und durchzusetzen versuchen. 130 Das Grundgesetz stellt aber vermöge der bundesstaatlichen Konstruktion sicher, daß diese Interessenverfolgung stets automatisch dem Bundesinteresse, das heißt dem Wohle des Gesamtvolkes dienlich ist. Anders wäre nicht zu erklären, warum das deutsche Volk als einheitlicher pouvoir constituant bei der Erschaffung der Bundesverfassung den Ländern solche Kompetenzen überhaupt eingeräumt hat. Auf die konkreten Absichten von Bundes- oder Landesorganen kommt es bei diesem Automatismus der Gesamtgemeinwohlverwirklichung nicht an. Funktionsvoraussetzung ist lediglich das verfassungsmäßige Verhalten der Organe. Neben dieser Erkenntnis „Länderinteressen sind Bundesinteressen“ muß die weitere Untersuchung den verfassungsmäßigen Gehalt des Bundesstaatsbegriffes einbeziehen, den Ländern das Element des „Politischen“ zu eröffnen.

II. Die Funktion des Bundesstaates Bis hierher konnte die Untersuchung die Annahme eines funktionalen Gehalts der Bundesstaatlichkeit bestätigen. Die Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland als Bundesstaat beabsichtigt die Förderung der Gesamtgemeinwohlverwirklichung. Noch keine Erkenntnisse wurden jedoch darüber erzielt, worin genau der funktionale Gehalt der Bundesstaatlichkeit eigentlich besteht. Dies bleibt im folgenden zu klären. 1. Hergebrachte Erklärungsmuster Für die Funktion des Bundesstaates werden eine ganze Reihe von Erklärungen angeboten. Statt von Funktion ist dabei häufig auch von Legitimation die Rede. Die130 Vgl. Maunz, NJW 1962, 1641 (1642); Isensee, Bundesstaat, 724; Leibholz, Stellung des Bundesrates, 105 f.; Kisker, Beziehungen, 164 f.; Stern, Föderative Ordnung, 18, 21 f.; Stern, Föderative Besinnungen, 327; Gusy, DVBl 1998, 917 (927). Der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz Peter Altmeier sprach als Präsident des Bundesrates von ganz natürlichen Spannungen, die sich notwendigerweise einfach aus den verfassungsmäßigen Funktionen der Bundesorgane ergäben und die letztlich allen Organen zugute kämen (Altmeier, Föderalismus, 7). Die in bezug auf die Bundestreue getroffene Feststellung des Bundesverfassungsgerichts „[..] die Länder [müssen] die Freiheit ihrer Entscheidung der Rücksicht auf das Gesamtwohl unterordnen“ ist in dieser Allgemeinheit im Hinblick auf das oben Gesagte nicht unproblematisch (BVerfGE 4, 115 [141], Hervorhebung durch Verfasser). Die Behauptung einer Fehlentwicklung, sobald der Bundesrat in Konfrontation zur Mehrheit im Bundestag gerät, kritisiert Klein, Legitimation, 96 zu Recht als Ausdruck eines verbreiteten, dem notwendigen politischen Streit zwischen den Parteien und in den Parteien abgeneigten Harmoniebedürfnisses, das der Demokratie inadäquat sei.

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

ser Unterscheidung soll vorliegend nicht nachgegangen werden, statt dessen werden die vorhandenen Erklärungen geschlossen angegeben. An vorderster Stelle ist die Auffassung zu nennen, wonach der Bundesstaat eine Verstärkung der demokratischen und gewaltenteiligen Elemente im Staatsaufbau bedeute. 131 Die demokratische Teilhabe würde verstärkt, 132 eine doppelte Mitwirkung an der politischen Willensbildung ermöglicht. Die territoriale Gliederung und die dementsprechende Kompetenzverteilung bedeute eine vertikale, die Mitwirkung an der Gesetzgebung des Bundes über den Bundesrat eine horizontale Gewaltenteilung. 133 So würde eine Begrenzung und Kontrolle politischer Macht erreicht, 134 der Bundesstaat sei sogar die wirksamste Form der checks and balances. 135 In der gewaltenteiligen Wirkung realisiere sich so die freiheitssichernde Bedeutung des Bundesstaates. 136 Des weiteren besäße der Bundesstaat systemstabilisierende Wirkung, 137 beruhend insbesondere auf einer erhöhten Konfliktverarbeitungskapazität. 138 Überschaubarkeit und größere Ortsnähe politischer Probleme erleichterten die Mitwirkung des Bürgers. 139 Damit würde insbesondere dem Gedanken der Subsidiarität Rechnung getragen. 140 Ferner böte der Bundesstaat die Gelegenheit, poli131 Vgl. Frowein, Entwicklung, 30; Hesse, AöR 98, 1 (8 f.); Hesse, Unitarischer Bundesstaat, 27; Scheuner, DÖV 1974, 16 (17); Rietdorf, DÖV 1974, 2 (3); Limbach, Länderverfassungen, 21; Sˇarcˇevic´, Bundesstaatsprinzip, 208 ff.; Stern, Föderative Ordnung, 20 f.; Hesse, Grundzüge, 98; Bryde, Münch/Kunig GG-Kommentar, Art. 79. Abs. 3 GG, Rn. 31; Hoppenstedt, Bundesstaatliche Ordnung, 22; Stehr, Gesetzgebungskompetenzen, 4; Lerche, VVDStRL 21 (1964), 78 f., dieser allerdings insgesamt krit. zu einer Legitimation des Bundesstaates aus der Gewaltenteilung. 132 Vgl. Ernst, DÖV 1974, 12 (13); Frowein, Entwicklung, 30; Stern, Föderativstruktur, 53; Isensee, Bundesstaat, 747; Bauer, DÖV 2002, 837 (838); Isensee, AöR 115 (1990), 248 (270). 133 Vgl. Bovermann, DÖV 1974, 6 (6); Hesse, AöR 98, 1 (12); Hesse, Grundzüge, 101 f., 259; Merten, Reform, 79; Stern, Föderativstruktur, 53; Sˇarcˇevic´, Bundesstaatsprinzip, 195; Sachs, VVDStRL 58 (1999), 46; Bundestag, Enquete-Kommission, 204; Halstenberg, Fortentwicklung, 133. 134 Vgl. Ernst, DÖV 1974, 12 (13); Hesse, Grundzüge, 101 f.; Isensee, AöR 115 (1990), 248 (264 f.); Lerche, VVDStRL 21 (1964), 79 f.; Stern, Föderative Besinnungen, 331; Müller/Mayer/Wagner, VerwArch 93 (2002), 585 (588); Klein, AöR 108 (1983), 329 (347). 135 Vgl. Stern, Föderative Ordnung, 25. Ähnlich Maurer, Bundesrat, 631. 136 Vgl. Hesse, Grundzüge, 101; Isensee, AöR 115 (1990), 248 (269); Stern, Föderative Ordnung, 21, 25; Sˇarcˇevic´, Bundesstaatsprinzip, 196; Bandorf, Bundesrat, 10; Knies, Bundesrat, 224 f.; Dolzer, VVDStRL 58 (1999), 23; Bundestag, Enquete-Kommission, 47, 54, 204; Häberle, Die Verwaltung 1991, 169 (190); Volkmann, DÖV 1998, 613 (614); Bauer, DÖV 2002, 837 (838); BVerfGE 104, 249 [279] (Sondervotum Di Fabio/Mellinghoff). 137 Vgl. Isensee, Bundesstaat, 747; Isensee, AöR 115 (1990), 248 (270). 138 Vgl. Frowein, Entwicklung, 17; Rietdorf, DÖV 1974, 2 (3); Badura, Rechtfertigung, 56 f.; Hesse, Grundzüge, 101; Bauer, DÖV 2002, 837 (838). 139 Vgl. Ernst, DÖV 1974, 12 (13); Limbach, Länderverfassungen, 20; Stern, Föderative Ordnung, 30; Isensee, Bundesstaat, 747; Hesse, Grundzüge, 100 f.; Hesse, AöR 98, 1 (13); Calliess, DÖV 1997, 889 (891); Vonderbeck, Bundesrat, 111. 140 Vgl. Limbach, Länderverfassungen, 18; Hesse, AöR 98, 1 (31); Hesse, Unitarischer Bundesstaat, 31 f.; Isensee, Bundesstaat, 747; Haegert, NJW 1961, 1137 (1139); Stern, Föderative Besinnungen, 329 f.; Volkmann, DÖV 1998, 613 (615).

II. Die Funktion des Bundesstaates

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tische Lösungen zunächst auf Länderebene „auszuprobieren“.141 Auch würde die „Zentrale“ von denjenigen Aufgaben entlastet, welche in eigenverantwortlichen, dezentralisierten Einheiten wahrgenommen werden. 142 Endlich gestatte die Bundesstaatlichkeit der politischen Minderheit auf Bundesebene, in den Ländern gegebenenfalls politische Führungsverantwortung zu übernehmen. 143 Auf diese Weise könne sie sich einerseits auf eine Übernahme der Verantwortung im Bund vorbereiten, andererseits gegenüber der Öffentlichkeit ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis stellen. 144 Alle genannten Funktionen besitzen sicherlich Plausibilität. Weniger sicher erscheint jedoch, inwieweit sie tatsächlich verfassungsintendiert sind. Schärfer formuliert: sind dies tatsächlich die Funktionen, derentwegen das Grundgesetz den Bundesstaat geschaffen hat? Bereits jetzt sei festgestellt, daß die hier zu vertretende Auffassung keiner dieser hergebrachten Erklärungsmuster in vollem Umfang beitreten kann. Obschon plausibel, ermangelt es ihnen doch einer erkennbaren Bezugnahme auf den Willen der Verfassung. Als verfassungsnormative Essenz des Bundesstaates wurde oben entwickelt die Identität von Bundes- und Landesinteressen einerseits, die politische Potenz der Länder andererseits. Hierauf muß eine Auffüllung des funktionalen Gehalts der Bundesstaatlichkeit nicht nur beruhen, sondern sich auch darin erschöpfen. Das bedeutet, die gemeinwohlfördernde Qualität des Bundesstaates muß sich unmittelbar hieraus erschließen. Demgegenüber trifft ein Verständnis des Bundesstaates auf berechtigte Kritik, welches bloß nützliche „Hilfsund Zubringerdienste“ für Demokratie und Rechtsstaat leistet.145 Bevor mit der Entwicklung der hier vertretenen Auffassung begonnen wird, seien noch knapp einige mögliche Bedenken gegen die wichtigsten hergebrachten Erklärungsmuster angedeutet.

141 Vgl. Stern, Föderative Ordnung, 29; Hesse, AöR 98, 1 (13); Hesse, Grundzüge, 102; Sachs, VVDStRL 58 (1999), 46; Lerche, VVDStRL 21 (1964), 73 f.; Rennert, Der Staat 32 (1993), 269 (273); Calliess, DÖV 1997, 889 (891 f.); Halstenberg, Fortentwicklung, 133; Häberle, Die Verwaltung 1991, 171 (177); Bauer, DÖV 2002, 837 (838). 142 Vgl. Ernst, DÖV 1974, 12 (13); Stern, Föderative Ordnung, 21; Stern, Föderative Besinnungen, 327; Hesse, Grundzüge, 101; Bauer, DÖV 2002, 837 (838). 143 Vgl. Scheuner, DÖV 1974, 16 (19); Hesse, AöR 98, 1 (13); Hesse, Unitarischer Bundesstaat, 30; Scheuner, DÖV 1962, 641 (642); Bovermann, DÖV 1974, 6 (6); Stern, Föderative Ordnung, 25; Isensee, AöR 115 (1990), 248 (271); Klein, Legitimation, 104; Rennert, Der Staat 32 (1993), 269 (273). 144 Vgl. Limbach, Länderverfassungen, 23; Hesse, Grundzüge, 100; Hesse, Unitarischer Bundesstaat, 30; Halstenberg, Fortentwicklung, 133. 145 Vgl. Badura, Rechtfertigung, 55. Allerdings lehnt Badura den funktionalen Ansatz als solchen ab. Dem wird hier nicht gefolgt. Vgl. Isensee, AöR 115 (1990), 248 (260), wobei Isensee einer solchen „Hilfsdienstnatur“ des Bundesstaates zustimmt, ebenso Ossenbühl, DVBl 1989, 1230 (1236). Vgl. Lerche, VVDStRL 21 (1964), 80 ff., dieser mit besonderem Nachdruck gegen eine Legitimation des Bundesstaates aus der Gewaltenteilung.

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

a) Demokratie Über das demokratische Prinzip verwirklicht sich die Volkssouveränität gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Bedeutung dieser Verfassungsnorm für die Gemeinwohlverwirklichung wurde obenstehend bereits hervorgehoben. 146 Danach gewährleisten Demokratie und Volkssouveränität auf grundsätzlichster Ebene den Interessenausgleich zwischen widerstreitenden gesellschaftlichen Kräften. Sie eröffnen die Teilhabe jedermanns an staatlichen Entscheidungen. Eine institutionalisierte Teilhabe am Gemeinwesen erbietet dem Einzelnen die Achtung dessen Wertes als Mensch. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG errichtet das demokratische Prinzip für den Bund. Erst über Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG erstreckt sich dessen Geltung auf die Länder. 147 Während sich jedoch die Ausgestaltung des demokratischen Prinzips zumindest in den Grundsätzen in Bund und Ländern entsprechen muß, ist es dem Grundgesetz hingegen unbenommen, die Zweckgebung des Prinzips in Bund und Ländern unterschiedlich vorzunehmen. Dieses Vermögen des Grundgesetzes folgt aus der Eigenschaft des Volkes als pouvoir constitué für den status activus. Ein vom Grundgesetz verfaßtes und begrenztes Staatsorgan kann von diesem Grundgesetz auch einen eigentümlichen Zweck zuerkannt erhalten. Für den Bund wurde der Zweck gerade genannt. Oben wiedergegebene Auffassungen nehmen nun augenscheinlich für das demokratische Prinzip in den Ländern den identischen Zweck an. Ganz ausdrücklich wird von einer „Verstärkung“ des demokratischen Elements gesprochen. Verstärkt werden soll offenbar die legitimatorische Wirkung der „einheitsstaatsgleichen“ Wahlen zum Deutschen Bundestag. Fraglich erscheint, ob derartiges überhaupt möglich ist. Ruft man einen teilidentischen Ausschnitt des Staatsvolkes erneut zur Wahlurne, so erscheint dies eher als Redundanz, denn als Verstärkung. 148 Wäre das „Verstärkungs-“ Argument zutreffend, so bedeutete dies, ein als Einheitsstaat konstituiertes Deutschland wiese demgegenüber ein demokratisches Legitimationsdefizit auf. Derartiges erscheint abwegig. Die Wahlen zum Deutschen Bundestag verleihen diesem und allen weiteren Staatsorganen des Bundes die volle demokratische Legitimation. Die Legitimationskraft einer Wahl als Akt des Volkes im status activus kann überhaupt nicht mehr verstärkt werden. Vollzieht man nun den Übergang zum Bundesstaat, entzieht man also den Bundesorganen einen Teil ihrer Kompetenzen und weist sie den Landesorganen zu, so bewirken die dann erforderlichen Wahlen in den Ländern lediglich eine MehrSiehe 1. Kapitel II. 3. c) (2). Vgl. BVerfGE 83, 60 [71, 76]; 83, 37 [53]; 47, 253 [272]; 9, 268 [281]. 148 Für eine „Senatslösung“ befürchtete die Enquete-Kommission Verfassungsreform des Bundestages, die Bevölkerung eines Landes werde in einem Senat nicht besser, sondern allenfalls doppelt repräsentiert. In dieser Befürchtung spiegelt sich die oben beschriebene redundante Qualität einer Vermehrung demokratischer Wahlen. Diese Eigenschaft wird vorliegend aber nicht nur speziellen Formen, wie der Senatslösung, zugesprochen, sondern derartigen „Verstärkungs“-Modellen generell unterstellt. Vgl. Bundestag, Enquete-Kommission, 206. 146 147

II. Die Funktion des Bundesstaates

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stufigkeit des Legitimationsaktes. Für den einen Teil der staatlichen Kompetenzen erteilt das Volk die demokratische Legitimation in den Bundestagswahlen, für die übrigen Kompetenzen in den Landtagswahlen. Es ist nicht ersichtlich, auf welche Weise eine derartige – man möchte fast sagen künstliche – Aufspaltung des Legitimationsaktes die Legitimationskraft als solche verstärken könnte. Eher wäre eine Schwächung zu befürchten aufgrund des – unzutreffenden – Eindrucks, die Bundestagswahlen litten an einem demokratischen Mangel, der nun durch Landtagswahlen auszugleichen wäre, da diese eine „Verstärkung des demokratischen Elements“ bewirkten. Allerdings gestattet die Aufspaltung des Legitimationsaktes, differenziertere Entscheidungen zu treffen. Hierin könnte dann doch eine „Verstärkung“ erblickt werden. Diese betrifft jedoch nicht die Qualität des Legitimationsaktes. Eine derartige Behauptung wäre gleichbedeutend mit der Aussage, die Legitimationskraft der Bundestagswahlen steige mit der Anzahl der für die Wahl zugelassenen Parteien. Richtig ist jedoch, daß dem Volk größere Differenzierungsmöglichkeiten bei der Auswahl angebotener Alternativen zur Gemeinwohlverwirklichung zur Verfügung stehen. Ob darin jedoch der eigentliche Zweck der Bundesstaatlichkeit bestehen kann, erscheint äußerst fraglich. Für welche Materien die wahlberechtigte Bevölkerung eine abweichende Entscheidung gegenüber den Bundestagswahlen treffen kann, ergibt sich ausschließlich aus der grundgesetzlichen Kompetenzordnung. Diese kann auch noch in erheblichem Umfang vom Bundesgesetzgeber verändert werden. Die Aufteilung von Bundes- und Landeskompetenzen erfolgt auch nicht immer nach Gesichtspunkten, bei denen ein Differenzierungswunsch der wahlberechtigten Bevölkerung besonders stark anzunehmen wäre. Als prototypisches Beispiel mag die unterschiedliche Zuständigkeit für innere und äußere Sicherheit dienen. Wäre die Verbesserung der Differenzierungsmöglichkeiten tatsächlich der eigentliche Zweck der Bundesstaatlichkeit, so hätte sich deren Ausgestaltung sicher stärker sachlich an diesem Zweck orientiert, als es im Grundgesetz tatsächlich der Fall ist. Festzuhalten bleibt bis hierher, die Verstärkung des demokratischen Elements wird vorliegend nicht als die Funktion der Bundesstaatlichkeit erachtet.

b) Gewaltenteilung Für die Gewaltenteilung liegt der Sachverhalt insofern anders als beim demokratischen Prinzip, als eine Aufteilung staatlicher Kompetenzen auf eine größere Zahl von Trägern im Vergleich zum Einheitsstaat natürlich unbestreitbar ist. Das Eintreten eines gewaltenteiligen Effektes steht also außer Frage. Damit ist jedoch nicht gleichzeitig beantwortet, ob dies auch die eigentliche Funktion der Bundesstaatlichkeit bedeutet. Es könnte sich durchaus auch um einen Nebeneffekt handeln. Die berechtigten Zweifel formuliert Lerche in wunderbarer Prägnanz: „Was für die Lehre von der Gewaltenteilung [..] ein betriebstechnischer Hintersinn ist, nämlich eine innere Wohlverteilung der Gewalten, damit sie betriebsklar funktionieren, das wird 14 Meyer

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

im föderalen Denken zum ersten Sinn, zum Zweck schlechthin; und umgekehrt wird die Frage des Ausgleichs, der Machtentschärfung zum bloß betriebstechnischen Instrument.“149

Die Bundesstaatlichkeit strebt danach also eine verbesserte Funktionstüchtigkeit der Staatsorganisation – offenbar im Hinblick auf die Gemeinwohlverwirklichung – an, eine Gewaltenhemmung ist dabei allenfalls instrumental, nicht jedoch final. Weiterhin gilt es zu bedenken, daß das Grundgesetz eine handlungsfähige Regierung, beziehungsweise überhaupt eine handlungsfähige Staatsorganisation wünscht. 150 Das Ausmaß der Gewaltenteilung besitzt daher eine Grenze der Dysfunktionalität. Zumindest wird der freiheitssichernde Effekt der Gewaltenteilung durch immer weitere Auffächerung der Staatsgewalt irgendwann nicht mehr steigerbar sein. Die Annahme, Gewaltenteilung sei die Funktion der Bundesstaatlichkeit, müßte den Nachweis erbringen, die klassische Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 3 GG erreiche diese Grenze noch nicht. Nur dann könnte die föderative Gewaltenteilung noch eine weitere Verbesserung des Freiheitsschutzes bewirken. 151 Ein gewaltenteiliger Effekt kann vor allem in drei Erscheinungen des Bundesstaates vermutet werden. Die Länder besitzen einen ausschließlichen Gesetzgebungsbereich, sie führen die Bundesgesetze aus und sie wirken über den Bundesrat bei der Bundesgesetzgebung mit. Bei näherem Hinsehen stellt sich jedoch die Frage, ob dieser gewaltenteilige Effekt jeweils tatsächlich so stark ist, daß der Aufwand 152 der Errichtung eines bundesstaatlichen Systems hierzu in angemessenem Verhältnis steht. Nach überwiegender Auffassung bedeutet moderne Gewaltenteilung nicht mehr strikte Trennung der Gewalten, sondern vielmehr die Notwendigkeit des Zusammenwirkens von Gewalten, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. 153 Das Verhältnis von Bundestag und Bundesregierung ist hierfür prototypisch. Die vertikale Gewaltenteilung kommt nun zunächst dadurch zustande, daß gewisse Gesetzgebungskompetenzen auf eine zweite staatliche Ebene abgeschichtet werden. Zweifellos wird dadurch die Machtfülle der „Zentrale“, also des Bundes, geschmälert. Hält man eine solche Abschichtung für erforderlich oder jedenfalls für zweckmäßig, um den Freiheitsschutz noch zu verstärken, so setzt dies die Auffassung voraus, die Gewaltenteilung und -verschränkung zwischen den Organen des Bundes erziele im Hinblick auf den Freiheitsschutz noch nicht das optimale Niveau. Die abgeschichteten Gesetzgebungskompetenzen werden nun jedoch von den Ländern durch eine Staatsorganisation wahrgenommen, welche in den Grundsätzen mit der des Bundes identisch ist. Hält man den mittels horizontaler Gewaltenteilung erzielten Freiheitsschutz auf Bundesebene für noch nicht optimal, so ist es nicht einsichtig, weshalb Lerche, VVDStRL 21 (1964), 83. Vgl. hierzu oben 2. Kapitel. 151 Zu diesen Gefahren besonders Henrichs, Artikel 113, 312; Volkmann, DÖV 1998, 613 (615 ff.); Möllers, Bundesstaat, 100 f. 152 Vgl. Stern, Föderativstruktur, 72. 153 Vgl. Mößle, Regierungsfunktionen, 156 ff.; Frömel, DVBl 1974, 65 (67); Weis, Artikel 113, 55; Scheuner, Der Bereich der Regierung, 268; Heun, Staatshaushalt, 88 ff.; Herzog, Beziehungen, 167; BVerfGE 9, 268 [279 f.]; 22, 106 [111]; 34, 52 [59]; 95, 1 [15]; stRspr. 149 150

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die grundsätzlich identisch organisierte horizontale Gewaltenteilung im Land den erwünschten zusätzlichen Freiheitsschutz garantieren soll. Die Gesetzgebungsaufgabe wird vom Land vermöge einer Staatsorganisation wahrgenommen, welche der des Bundes gleicht. Deshalb ist auch kein gesteigertes Niveau des Freiheitsschutzes zu erwarten. Die bloße Verteilung von Gesetzgebungskompetenzen auf zwei verschiedene staatliche Träger alleine entspricht noch nicht der oben formulierten modernen Auffassung von Gewaltenteilung. „Checks and balances“ finden aufgrund der vertikalen Aufteilung von Gesetzgebungskompetenzen auf Bund und Länder nämlich gerade nicht statt. Sachs formuliert prägnant, der Grundsatz der Gewaltenteilung als solcher beziehe sich von vornherein nur auf ein und dieselbe Ebene der Staatlichkeit. 154 Die Möglichkeit des Machtmißbrauchs ist für den Bereich der Landesgesetzgebungskompetenzen daher nicht geringer als für den Bereich der Bundesgesetzgebungskompetenzen. Für die zweite Komponente der vertikalen Gewaltenteilung, der Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, gelten diese Bedenken offenbar nicht. Im Gegenteil, sie scheint die Notwendigkeit eines Zusammenwirkens von Staatsgewalten zur Erzielung eines bestimmten Ergebnisses in Reinkultur zu verwirklichen. Normierungen des Bundesgesetzgebers bleiben wirkungslos ohne den Vollzug durch die Länder. Jedoch fragt sich, wie groß der hierdurch zusätzlich erzielte Freiheitsschutz tatsächlich ist. Ingerenzen sind möglich insbesondere nach Art.84 Abs. 1 GG. Diese erfordern zwar die Zustimmung des Bundesrates. Wird diese Zustimmung jedoch mehrheitlich erteilt, so gilt der Eingriff für alle Länder, das heißt auch für jene, welche die Zustimmung verweigert haben. 155 Hinzu treten die weitreichenden Befugnisse des Bundes im Bereich der Bundesauftragsverwaltung, Art. 85 GG. 156 Diese Ingerenzen sind nun aufschlußreich im Hinblick auf die Annahme einer gewaltenteiligen, freiheitsschützenden Funktion der Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder. Erhofft sich die Verfassung von dieser Organisationsform einen verbesserten Freiheits-, und das heißt vor allem Grundrechtsschutz der Bürger, so steht damit kaum in Einklang, wenn die Verfassung gleichzeitig relativ niedrige Hürden für erhebliche Eingriffe in die vorgesehene strenge Aufgabentrennung errichtet. Durch übereinstimmendes Handeln der Beteiligten, nämlich der Länderregierungen im Bundesrat und dem Bundestag, erfolgt statt Gewaltentrennung eher eine „Gewaltenfusion“ 157. Ob das Grundgesetz daher den Aufwand 158 der Errichtung eines Bundesstaates betreibt für einen geringen, dispositiven freiheitsschützenden Effekt, erscheint fraglich. Vgl. Sachs, VVDStRL 58 (1999), 52. Ähnlich Hesse, AöR 98, 1 (25, 37); Gramm, AöR 124 (1999), 212 (218); Volkmann, DÖV 1998, 613 (617). 156 Vgl. BVerfGE 81, 310 [332 ff.]; 104, 249 [264 f.]. Dazu Müller/Mayer/Wagner, VerwArch 93 (2002), 585 (bes.597); Antoni, AöR 113 (1988), 329 (352 f.); Jochum, DÖV 2003, 16 (16 ff.) („noch nicht einzuschätzender Machtgewinn des Bundes zu Lasten der Länder“, S.17). 157 Begriff aus Dolzer, VVDStRL 58 (1999), 24, 29. Ebenfalls sehr krit. zur Wirkung dieser Form der vertikalen Gewaltenteilung Hesse, Unitarischer Bundesstaat, 27. 158 Vgl. Stern, Föderativstruktur, 72. 154 155

14*

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

Bleibt noch die Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung des Bundes im Bundesrat. Auch hier wird offenbar zunächst der Forderung genüge getan, die Gewaltenteilung gestalte sich als die Notwendigkeit des Zusammenwirkens mehrerer Staatsorgane. Dies gilt jedoch nur für die zustimmungsbedürftigen Gesetze. Wie im nachfolgenden noch näher zu untersuchen sein wird, unterliegen dem Zustimmungsbedürfnis jedoch gerade diejenigen Gesetzgebungsmaterien, welche sich um den Eigenbereich der Länder sorgen. Von einer freiheitsschützend gemeinten Gewaltenteilung sollte man aber erwarten, sie gelte insbesondere materiellen Regelungen mit einem Potential zu Freiheitseingriffen. Was jedoch das Zustimmungserfordernis betrifft, scheint sich die Gewaltenteilung nur selbst zu schützen, indem es die föderative Ordnung aufrecht erhält. Für die Gewaltenteilung als die Funktion des Bundesstaates ergeben sich also nachhaltige Zweifel. Betrachtet wurde allerdings nur der freiheitsschützende, nicht jedoch der rationalisierende Aspekt von Gewaltenteilung.

c) Möglichkeit des „Experiments“ Abschließend sei noch der Frage nachgegangen, inwieweit die Bundesstaatlichkeit die Möglichkeit eines „Ausprobierens“ von Regelungen eröffnet. Aufgrund der klaren Trennung der Kompetenzbereiche von Bund und Ländern kann sich eine derartige Nutzbarmachung von Erfahrungen eigentlich nur zwischen den Ländern abspielen. Kompetenzbereiche, in denen die Länder Erfahrungen sammeln, können vom Bund einfach deshalb nicht genutzt werden, weil ihm gerade diese Kompetenzbereiche nicht offen stehen. Prinzipiell möglich wäre jedoch, daß ein Bundesland die erfolgreiche Regelung eines anderen Bundeslandes übernimmt. Sieht man darin jedoch die Funktion der Bundesstaatlichkeit, so erscheint es auch hier, ähnlich wie bei der Gewaltenteilung, als sei die Verfassung auf halbem Wege stehengeblieben. Die Verfassung eröffnet zwar die Möglichkeit des Ausprobierens, sie sieht aber keinerlei Verfahren vor, wie das erfolgreiche Modell in einem Land in anderen Ländern Geltung erlangen soll. Die Verfassung wäre vielmehr auf das kluge Handeln der Amtswalter angewiesen. Die Erfahrung scheint denn auch dagegen zu sprechen, daß Länder in größerem Umfang bereit wären, von den Erfolgen anderer Länder zu lernen. Jedenfalls erscheint auch hier unwahrscheinlich, daß die Verfassung den Aufwand der Errichtung eines Bundesstaates betreibt, das Ernten von dessen Früchten jedoch empirischen Zufällen überläßt.

II. Die Funktion des Bundesstaates

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2. Autonom-funktionaler Erklärungsansatz Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen muß die zuvor entwickelte Erkenntnis sein, Bundesstaatlichkeit bedeute politische Potenz der Länder. Dabei bleiben aber Länderinteressen jederzeit Bundesinteressen. Trotz der zahl- und detailreichen Regelungen des Grundgesetzes zur Bundesstaatlichkeit lassen sich Essentiale identifizieren. Die deutsche Bundesstaatlichkeit wird geprägt von einem ausschließlichen Gesetzgebungsbereich der Länder, von konkurrierenden und ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes, von der Aufteilung von Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz, vom Recht des Bundesrates zur Gesetzesinitiative, vom Recht des Bundesrates zum Einspruch gegen Bundesgesetze und schließlich von dem Zustimmungserfordernis im Bundesrat. Ist aber, wie zuvor betont, differentium specificum der Bundesstaatlichkeit – im Gegensatz zum bloß dezentralisierten Einheitsstaat – die politische Potenz der Länder, so müssen die genannten Essentiale mit dieser Potenz der Länder in Beziehung stehen. Zu fordern ist jeweils eine unmittelbare und exklusive Beziehung, denn ein lediglich instrumentaler oder mediatisierender Zusammenhang wurde im vorangegangenen Abschnitt gerade ausgeschlossen. Die Bundesstaatlichkeit muß also eine autonome Funktion für die Gemeinwohlverwirklichung besitzen, die nicht lediglich auf eine Stärkung von Demokratie, Gewaltenteilung oder ähnlichem verweist. Die Untersuchung soll beginnen mit dem Zusammenhang von politischer Potenz und ausschließlichem Gesetzgebungsbereich der Länder. a) Der ausschließliche Gesetzgebungsbereich der Länder In einem instruktiven Beitrag fragt Walter Leisner zugespitzt: „Soll dies bedeuten, daß es nur Regierungen, nicht Landtage in den Gliedstaaten unbedingt geben muß?“ 159 Er bezieht sich dabei auf eine zuvor von ihm ermittelte übergewichtige Bedeutung der Landesregierungen. Freilich muß es Landtage alleine schon deshalb geben, weil Art. 28 Abs. 1 GG dies anordnet. Aber natürlich hat Leisner mit seiner Feststellung Recht, in den meisten Bereichen handelt die Landesregierung, der Landtag hat allenfalls eine beigeordnete Rolle. Die Landesregierung verantwortet die Verwaltungskompetenz, und damit auch die Ausführung der Bundesgesetze. Sie ist es, die im Bundesrat für die Länder mitwirkt. Sie kann sogar – worauf Leisner besonders aufmerksam macht 160 – durch Zustimmung im Bundesrat die Gesetzgebungskompetenzen des Leisner, DÖV 1968, 389 (391). Vgl. Leisner, DÖV 1968, 389 (390). Bei der Verfassungsreform 1994 wurde ein Schutz der Landtage vor Kompetenzentzug insoweit eingerichtet, als daß sie antragsbefugt sind für das bundesverfassungsgerichtliche Verfahren zur Bedürfnisprüfung nach Art.93 Abs. 1 Nr. 2 a GG; vgl. Bundestag, Verfassungskommission, 71. Zur bevorzugten Stellung der Länderexekutive 159 160

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

Landtages beschneiden, obwohl letzterer ja eigentlich die Regierung kontrollieren soll. Ohne Art. 28 Abs. 1 GG könnte man sich tatsächlich eine Art gliedstaatliches Präsidialsystem ohne Unterleib vorstellen. Erst der ausschließliche Gesetzgebungsbereich der Länder ist es, welcher solchen Gedanken einen Riegel vorschiebt. Vor allem im ausschließlichen Gesetzgebungsbereich begründet und bestätigt sich die politische Potenz der Länder. Über die formale Anordnung des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG „[..] das Volk [muß] eine Vertretung haben [..]“ hinaus erfüllt die Überlassung von Gesetzgebungskompetenzen nach Art. 30, 70 ff. GG diese Vertretung mit materialer Kraft. Eigene politische Potenz eines Landes setzt eigene politische Gegenstände des Landes voraus, an denen sich die Entwicklung von Alternativen der Gemeinwohlverwirklichung entfachen kann. 161 (1) Parteien in den Ländern Mit der Entwicklung von Alternativen der Gemeinwohlverwirklichung ist die Aufgabe der politischen Parteien angesprochen. Zu Recht weist das Bundesverfassungsgericht auf „die enge Beziehung“ hin zwischen Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 20 Abs. 2 GG. Wahlen vermögen nur dann demokratische Legitimation zu verleihen, wenn die Wähler ihr Urteil in einem freien, offenen Prozeß der Meinungsbildung gewinnen können. Dies setze die Existenz politischer Parteien voraus. 162 Eine weitere Feststellung des Gerichts kann den nachfolgenden Gedanken zugrundeliegen. Die Parteien seien Instrumente der ständigen Auseinandersetzung um die Festlegung der politischen Gesamtrichtung. Dabei müßten sie im Volk vorhandene Meinungen, Interessen und Bestrebungen sammeln, in sich ausgleichen und zu Alternativen formen. 163 Als ausschlaggebend wird nun vorliegend erachtet, daß die Parteien im Zuge der Volkswillensbildung eben in der Tat jeweils eine Gesamtrichtung durch Kanalisierung und Bündelung vorhandener Meinungen zu Alternativen erzeugen und repräsentieren. 164 Parteien verkörpern – idealtypisch – unterschiedliche gesellschaftliche gegenüber den Landesparlamenten auch Antoni, AöR 113 (1988), 329 (354); Scholz, Landesparlamente, 832 f.; Gramm, AöR 124 (1999), 212 (217); Gusy, DVBl 1998, 917 (927); Bandorf, Bundesrat, 153; Ravens, ZParl 1979, 539 (541); Volkmann, DÖV 1998, 613 (618); Hoppenstedt, Bundesstaatliche Ordnung, 247 f.; Maurer, Bundesrat, 621; Rennert, Der Staat 32 (1993), 269 (276) („Die Landtage [..]nur mehr als Kreations- und Kontrollorgan für die Landesregierung[..]“, krit.; Schmidt-Jortzig, DÖV 1998, 746 (748). 161 Vgl. Hesse, AöR 98, 1 (14 ff.); Hesse, Unitarischer Bundesstaat, 16; Stern, Föderativstruktur, 58; Bundestag, Enquete-Kommission, 53, 55; Klein, Legitimation, 107; Rennert, Der Staat 32 (1993), 269 (275 f.); Scholz, Landesparlamente, 844; Heintzen, DVBl 1997, 689 (692); Stehr, Gesetzgebungskompetenzen, 7 ff.; Volkmann, DÖV 1998, 613 (614). 162 BVerfGE 91, 276 [284 f.]. 163 BVerfGE 91, 276 [285 f.]. 164 Vgl. Klein, Parteipolitik, 364; Hesse, AöR 98, 1 (14 ff.); Stern, Föderativstruktur, 58; Süsterhenn, Senats- oder Bundesratssystem, 173; Dolzer, VVDStRL 58 (1999), 16; Sachs,

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Grundkonzeptionen, welche Qualität im Einzelfall die Maßnahmen zur Begegnung von Gemeinwohlgefährdungen besitzen sollten. Wurde zuvor 165 als die vornehmste Aufgabe des Gesetzgebers bezeichnet, die widerstreitenden Gemeinwohlbelange soweit als möglich einem Ausgleich zuzuführen, so geben die Parteien im Vorfeld der gesetzgeberischen Entscheidung unterschiedliche Antworten darauf, welche Gestalt dieser Ausgleich generell aufweisen soll. Nun scheint begrifflich ausgeschlossen, dieser organisierten Bildung des Volkswillens bestimmte Gegenstände zu entziehen. Die Volkswillensbildung ist unteilbar, die Kompetenzgrenzen zwischen Bund und Ländern spielen für sie keine Rolle. (2) Gegenständliche Unbegrenztheit der Parteien in den Ländern Die vorstehenden Überlegungen haben bisher folgendes ergeben. Die Ausstattung des Landes mit eigenen Gesetzgebungskompetenzen macht es in Verbindung mit dem demokratischen Prinzip erforderlich, für diese Gegenstände alternative Konzepte der Gemeinwohlverwirklichung zu entwickeln. Dies ist zunächst vornehmlich die Aufgabe der politischen Parteien in den Ländern. Sie bündeln vorhandene Meinungen in der Bevölkerung zu alternativen Gesamtrichtungen in der Politik. In diesem Vorfeld der Staatswillensbildung spielen Kompetenzgrenzen keine Rolle. Dies ergibt sich im übrigen schon aufgrund der Qualität der Landesbevölkerung als teilidentischer Bestandteil des Bundesvolkes. 166 Insofern muß es auch zulässig sein, wenn Parteien in den Ländern in die öffentliche, vorstaatliche Auseinandersetzung Gegenstände einbeziehen, welche der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes unterliegen. Auch die später zu diskutierende Mitwirkung im Bundesrat ist hierauf ein Hinweis. 167 Dies bedeutet jedoch, die Parteien in den Ländern repräsentieren keine gegenständlich beschränkten Gesamtrichtungen. Die Vorstellung einer Grundkonzeption, das heißt einer allgemeinen Leitlinie, auf welche Weise (widerstreitende) Gemeinwohlbelange am besten zu fördern und auszugleichen sind, schließt eine solche Beschränkung schon begrifflich aus. Die Parteien in den Ländern sind gegenständlich nur beschränkt, soweit sie in Landesstaatsorganen zur Wirkung kommen. Staatsorganschaftliche Entscheidungen bedeuten – wiederum idealtypisch – einzelfallbezogene Konkretisierungen der Gesamtrichtung, der Grundkonzeption der beteiligten Parteien. Trifft dies jedoch zu, dann ist auch die Gesamtheit der staatlichen Maßnahmen, das heißt die „Landespolitik“, eine Emanation von gesellschaftlichen Grundkonzeptionen, welche über die gegenständliche Verengung durch Landeskompetenzen hinVVDStRL 58 (1999), 47 f.; Leibholz, Stellung des Bundesrates, 106 ff.; Mößle, Regierungsfunktionen, 20 ff.; Magiera, Parlament, 104 f. 165 1. Kapitel III. 3. c). 166 Vgl. Süsterhenn, Senats- oder Bundesratssystem, 179. 167 Vgl. Klein, Parteipolitik, 364; Klein, Legitimation, 101 f.; Lange, Legitimationskrise, 238 f.; Bundestag, Enquete-Kommission, 210; Badura, Schlußbericht, 326 f.; Kisker, Beziehungen, 169.

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

ausreichen. Die Maßnahmen, welche in einem Land im Zuge der Verwirklichung und des Ausgleichs von Gemeinwohlbelangen getroffen werden, bedeuten also einen repräsentativen Ausschnitt aus parteigebundenen Gemeinwohlkonzepten, welche ihrer Natur nach auf das Gesamtgemeinwohl, und damit auf das Gemeinwohl im Bund gerichtet sind. (3) Alternativfunktion der Existenz von Ländern für den Bund (a) Definition der Alternativfunktion Zur Bedeutung des demokratischen Prinzips im Bund wurde oben bereits Stellung genommen. 168 Über das demokratische Prinzip verwirklicht sich die Volkssouveränität gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG. Demokratie und Volkssouveränität gewährleisten auf grundsätzlichster Ebene den Interessenausgleich zwischen widerstreitenden gesellschaftlichen Kräften. Gleichzeitig wurde jedoch betont, das Grundgesetz könne der Betätigung des Staatsvolkes im status activus in Bund und Ländern unterschiedliche Funktionen beimessen. 169 Im Land geht es nun nicht primär – sozusagen als Selbstzweck – um die Teilhabe des Volkes an sich, wie dies im Bund der Fall ist. Die Vorstellung, im Bundesstaat würde sich die demokratische Teilhabe des Volkes gegenüber dem Einheitsstaat verdoppeln, wurde oben zurückgewiesen. Es handelte sich vielmehr um Redundanz. Funktion des demokratischen Prinzips in Verbindung mit den ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen der Länder ist vielmehr die Wirklichkeitwerdung und damit das Verfügbarhalten von alternativen Gemeinwohlkonzepten in einem realen staatlichen Leben. Ohne Bedeutung bleibt, daß im Land das Staatshandeln gegenständlich beschränkt ist und sich ein Gemeinwohlkonzept daher nur in Ausschnitten darstellen kann. Die gemeinwohlverwirklichenden Maßnahmen in einem Land sind repräsentativ für das zugrundeliegende (Gesamt-)Gemeinwohlkonzept. Zu erinnern ist nun der funktionale Charakter der Bundesstaatlichkeit, wie er zuvor nachgewiesen wurde. Ein solches Verfügbarhalten eines Gemeinwohlkonzeptes in einem realen staatlichen Leben darf weder als „Selbstzweck“, 170 noch als nur zum Wohle des jeweiligen Landes gedacht werden. Es muß vielmehr eine bundesstaatliche Funktion für die Gesamtgemeinwohlverwirklichung erfüllen. 171 Diese bundesstaatliche Funktion Siehe 1. Kapitel II. 3. c) (2), 3. Kapitel III. 1. a). Siehe 3. Kapitel III. 1. a). Diesen funktionalen Unterschied betont insbesondere Jahn, Gesetzgebung, 370 f. 170 Vgl. Hesse, AöR 98, 1 (8 f.). 171 Für diesen funktionalen Stellenwert des Bundesstaatsprinzips für das „gesamte Gemeinwesen“ Hesse, AöR 98, 1 (11); Hesse, Unitarischer Bundesstaat, 26, 31; Jahn, Gesetzgebung, 377; Lange, Legitimationskrise, 236 f.; Sachs, VVDStRL 58 (1999), 47; Klein, AöR 108 (1983), 329 (332); Haratsch, DVBl 1993, 1338 (1340); Volkmann, DÖV 1998, 613 (614). 168 169

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besteht darin, alternative Konzepte der Gemeinwohlverwirklichung für den Bund real verfügbar zu halten. Die besondere Leistung der deutschen Bundesstaatlichkeit besteht also darin, mit der mehrheitlichen Entscheidung für eine bestimmte Alternative bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag die übrigen Alternativen der Gemeinwohlverwirklichung nicht zu neutralisieren. Die Minderheit im Deutschen Bundestag ist verwiesen auf Gesetzesinitiativen und allgemeine Öffentlichkeitsarbeit, um ihre alternativen Konzepte der Gemeinwohlverwirklichung zur Geltung zu bringen. Diese Konzepte existieren daher in gewisser Weise nur „virtuell“. In den Ländern jedoch existieren reale Gemeinwesen, in denen Alternativen „in Kraft“ und damit erfahrbar und beobachtbar sind. Diese Alternativen können und müssen sich also real bewähren. 172 Sie bedeuten eine in reales staatliches Leben gegossene Alternative zu dem jeweils im Bund gegenwärtig angewandten Konzept der Gemeinwohlverwirklichung. Für diese Alternativfunktion gegenüber dem Bund spielen die komplementären Kompetenzbereiche von Bund und Ländern keine Rolle auf Grund des repräsentativen Charakters der Gemeinwohlkonzepte in den Ländern. Oben wurde betont, die Kompetenzbeschränkung der Länder gewinnt erst Bedeutung in den Staatsorganen, während die von den Parteien geformten Grundrichtungen begriffsnotwendig gegenständlich unbegrenzt sind. Das bedeutet, in den Ländern getroffene staatliche Maßnahmen erlauben einerseits einen Rückschluß auf die Qualität des Gesamtkonzeptes, andererseits geben sie eine beispielhafte Anschauung, wie sich das Gesamtkonzept einzelfallbezogen in der Realität darstellt. Damit ergeben sich Hinweise, welche Güte eine im Land real gewordene Alternative auf Bundesebene besäße. Der repräsentative Charakter der Gemeinwohlkonzepte in den Ländern folgt noch aus weiteren Tatbeständen. Der eingangs entwickelte verfassungsnormative Gemeinwohlbegriff 173 besitzt zwei Komponenten. Zum einen sind verfassungsnormative Gemeinwohlbelange zu fördern, andererseits ist ein Interessenausgleich herbeizuführen. Mit der Entwicklung von Maßnahmen zur Förderung verfassungsnormativer Gemeinwohlbelange ist vorrangig die mit der Definitionssuprematie ausgestattete Regierung beauftragt. Die Tauglichkeit solcher Maßnahmen hängt wesentlich ab von den generellen Annahmen der Regierung über zugrundeliegende Wirkungszusammenhänge und zu berücksichtigende äußere Bedingungen. Jede Regierung besitzt also eine bestimmte Technik der Förderung von Gemeinwohlbelangen, welche auf generalisierten Grundannahmen beruht. Diese Grundannahmen werden meist mit dem gesellschaftlichen Grundkonzept der mehrheitlichen politischen Kraft in Zusammenhang stehen. Als pointierte Beispiele seien angeführt ein regulativer beziehungsweise kooperativer Regelungsstil und ein angebots- bzw. nachfrageökonomisches Konzept der Wirtschaftspolitik. Ob sich eine Maßnahme tatsäch172 173

Zu diesem Aspekt der Bewährung auch Rennert, Der Staat 32 (1993), 269 (274). Siehe 1. Kapitel.

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

lich als tauglich erweist, läßt sich – zumindest prinzipiell – objektiv überprüfen, denn die anzustrebenden Zustände sind verfassungsvorgegeben. Damit sind auch objektive Rückschlüsse auf die Qualität des Grundkonzeptes möglich, welches – wie beschrieben – die Technik der Förderung von Gemeinwohlbelangen teilweise determiniert. Wegen dieses Zusammenhangs zwischen Grundkonzept und objektiver Tauglichkeit der Maßnahmen kann die Zielerreichung im Land als repräsentativ für den Erfolg desselben Grundkonzeptes im Bund gelten. Die Wirksamkeit des Interessenausgleiches als die zweite Komponente des verfassungsnormativen Gemeinwohlbegriffs läßt sich hingegen nicht in gleicher Weise objektiv bestimmen. Die Ressourcenknappheit macht den Interessenausgleich erforderlich, er bedeutet also vor allem Priorisierung. Diese jedoch läßt sich nicht objektiv ableiten, sondern nur dezisionistisch festlegen. Die Tendenz, die Grundrichtung dieser Dezision bedeutet ebenfalls einen repräsentativen Charakter der Gemeinwohlkonzepte in den Ländern. Auf die konkret entschiedenen oder zu entscheidenden Gegenstände kommt es daher insgesamt weniger an. (b) Irrelevanz konkreter politischer Konstellationen Die Bedeutung dieser Alternativfunktion ist unabhängig von den politischen Konstellationen in Bund und Ländern zu einem bestimmten Zeitpunkt. Für solche Länder, deren mehrheitliche politische Kräfte sich vom Bund deutlich unterscheiden, ist die Alternativfunktion ohnehin unproblematisch. Doch auch ein Land, in welchem mit dem Bund identische politische Kräfte die Mehrheit besitzen, erfüllt seine Alternativfunktion auf verschiedene Weise. Die Identität des Gemeinwohlkonzepts im Bund und in einem Land vermag zu enthüllen, inwieweit offenbar gewordene Stärken und Schwächen in dem Konzept selbst begründet sind, oder aber auf Rahmenbedingungen, Zufälligkeiten und persönlichen Qualitäten fußen. Bei starker Übereinstimmung dieser Stärken und Schwächen in Land und Bund spricht eine Vermutung für eine konzeptionelle, also internale Ursache. Starke Abweichungen sprechen eher für externale Ursachen. Starke Übereinstimmung von Stärken und Schwächen markiert auch eine Bestätigung der Güte des Konzeptes der Gemeinwohlverwirklichung im Bund. Darüber hinaus besitzt ein solches Land auch eine Reservefunktion für den Fall sich ändernder politischer Verhältnisse im Bund. Tritt dieser Fall ein, so steht augenblicklich ein Land bereit, welches eine – nunmehr abweichende – Alternative verkörpert. (c) Das unentziehbare Hausgut Der gefundene funktionale Gehalt der Bundesstaatlichkeit erlaubt auch die Eingrenzung des vom Bundesverfassungsgericht so bezeichneten „Hausguts“ der Länder. Es geht dabei nicht um den selbstzweckhaften Schutz eines Eigenbereichs oder

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der Eigenstaatlichkeit der Länder. 174 Vielmehr müssen insbesondere Verfassungsautonomie und Gesetzgebungskompetenzen von einem solchen Ausmaß sein, daß sich die beschriebene Auseinandersetzung um politische Alternativen und deren Verwirklichung real vollziehen kann. Diejenigen politischen Kräfte, welche die Mehrheit im Landesparlament und die Landesregierung stellen, müssen Kompetenzen in einem solchen Umfang besitzen, wie sie erforderlich sind um das staatliche Leben in erkennbarer Weise zu gestalten. Nur so kann das Land seine Alternativfunktion erfüllen. Darauf, welche Gesetzgebungsgegenstände den Ländern im einzelnen überlassen sind, kommt es im übrigen nicht an. 175 Auf diese Weise ist auch der Schutzgehalt des Art. 79 Abs. 3 GG näher bestimmt. b) Abschöpfung der Alternativen Das bis hierher gefundene Ergebnis könnte alleine noch nicht überzeugen. Den Bürgern politische Alternativen in ihrer realen staatlichen Existenz vorzuführen, hätte bloß volkspädagogischen Nutzen. Als einzige konkrete Konsequenz könnte man erhoffen, das Alternativmodell in einem Land überzeuge gegenüber dem Bund so sehr, daß es im Zuge einer Bundestagswahl zu einem Mehrheitswechsel kommt. Auch der vorliegende Ansatz müßte sich dann aber die Frage gefallen lassen, ob das Grundgesetz für eine derartige empirische Zufälligkeit den erheblichen Aufwand der Errichtung eines Bundesstaates betreiben würde. Einem der hergebrachten Erklärungsmuster, nämlich der Möglichkeit des „Experiments“, wurde oben entgegengehalten, die Verfassung sähe kein Verfahren vor, wie das „Gewinnermodell“ in anderen Ländern implementiert werden solle. Die Verfassung brächte sich so um die Früchte der Errichtung der Bundesstaatlichkeit. 176 Für die hier vertretene Funktion der Bundesstaatlichkeit, nämlich die Wirklichkeitwerdung und damit das Verfügbarhalten alternativer Gemeinwohlkonzepte in einem realen staatlichen Leben, trifft dies nicht zu. Vielmehr hält die Verfassung Vorkehrungen bereit, wie diese Existenz alternativer Konzepte zwingend eine Gesamtgemeinwohlförderung bewirken. Ein solcher „Gesamtgemeinwohlautomatismus“ ist unverzichtbar, soll die Existenz der Länder dem Gemeinwohl im Bund zugutekommen, wie eingangs behauptet. Die Existenz alternativer Gemeinwohlkonzepte in den Ländern dient also nicht etwa der „Bereicherung“ des politischen Lebens der Länder, sondern ausschließlich dem Gemeinwohl im Bund. Dieser „Gesamtgemeinwohlautomatismus“ ist nun aufzudecken. Vgl. Hesse, AöR 98, 1 (8 f.); Haratsch, DVBl 1993, 1338 (1340). Vgl. Hesse, AöR 98, 1 (16 ff., 41); Stern, Föderativstruktur, 57; Maunz, Staatsrecht, 128; Dolzer, VVDStRL 58 (1999), 16 f., 20; Bundestag, Enquete-Kommission, 47, 55; Klein, Legitimation, 98 f.; Haratsch, DVBl 1993, 1338 (1339); Volkmann, DÖV 1998, 613 (614); BVerfGE 34, 9 [19 f.]; 87, 181 [196]. 176 Siehe 3. Kapitel III. 1. c). 174 175

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

(1) Bundesrat als Aktualisierung der Alternativen Nach hier vertretener Auffassung erlangen die Alternativen ausschließlich im Bundesrat Wirksamkeit für den Bund. Er bietet diejenigen institutionalisierten, verfassungsvorgegebenen Verfahren, in welche der funktionale Beitrag der Länder zum Gemeinwohl im Bund zwingend einfließt. Damit wird also behauptet, der Bundesstaat sei auf den Bundesrat hin konzipiert. 177 Diese Behauptung ist nachfolgend durch Untersuchung der einzelnen Bundesratskompetenzen zu belegen. Vor der näheren Befassung mit dem Bundesrat ist jedoch noch die Bedeutung eines weiteren Kernbausteins der deutschen Bundesstaatlichkeit zu klären, die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder. (2) Zur Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder Bis jetzt wurde folgendes Ergebnis gewonnen. Während die Wahl zum Deutschen Bundestag durch Mehrheitsentscheid Alternativen der Gemeinwohlverwirklichung neutralisiert, halten die Länder solche Alternativen in einem realen staatlichen Leben verfügbar. Deshalb können und müssen sich diese Alternativen dort bewähren. Die Alternativen beruhen auf Grundkonzepten der Gemeinwohlverwirklichung mit umfassendem Gegenstandsbereich. Sie sind deshalb auch für die Wirksamkeit dieser Konzepte im Bund repräsentativ, obwohl aufgrund der komplementären Kompetenzbereiche von Bund und Ländern im staatlichen Leben des Landes bestimmte Gegenstände ausgespart sind. Obwohl also die repräsentative Qualität der Gemeinwohlverwirklichung im Land bereits alleine auf Grundlage der Landesgesetzgebungskompetenzen besteht, trifft das Grundgesetz eine weitere Kompetenzregelung, welche die Güte der Alternativfunktion noch enorm verstärkt. Zwar ist das Land im Bereich der Bundesgesetzgebung nicht befugt, Grundentscheidungen zu treffen. Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder verlangt aber die Befassung mit den fraglichen Gegenstandsbereichen. Die Landesregierungen werden auf diese Weise mit den zusammenhängenden materiellen Fragen vertraut und gewinnen spezifische Sachkenntnis. Verhält sich somit die Landesregierung im Bundesrat zu Gegenständen der Bundesgesetzgebung, dann tut sie dies auf Grundlage eigener unmittelbarer Anschauung und Sachkenntnis. Damit sei kei177 Leisner, DÖV 1968, 389 (395) spricht von der vertikalen Gewaltenteilung als eine Fortsetzung der horizontalen Gewaltenteilung der Bundesverfassungsordnung mit anderen Mitteln. Vgl. auch Klein, Parteipolitik, 365 f.; Klein, AöR 108 (1983), 329 (359); Jahn, Gesetzgebung, 377; Langguth, Das Parlament B 6/2000, 4; Sachs, VVDStRL 58 (1999), 49; Leibholz, Stellung des Bundesrates, 105; Dolzer, VVDStRL 58 (1999), 19. Allerdings wird die Konzentration der Bundesstaatlichkeit auf die Mitwirkung der Länder im Bundesrat häufig als Ergebnis einer „Entwicklung“ beschrieben, und nicht als von Anfang an verfassungsgewollt. Dieser Einschätzung wird vorliegend nicht gefolgt.

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nesfalls der Auffassung das Wort geredet, die Funktion des Bundesrates bestünde vor allem in der Einbringung des administrativen Sachverstandes der Länder. 178 Die zuvor durchgängig betonte Fokussierung der deutschen Bundesstaatlichkeit auf die politische Potenz der Länder schließt eine derartige Funktionszuweisung geradezu aus. Will jedoch der Bundesrat qualifiziert an Grundentscheidungen über die Erkennung und Abwendung von Gemeinwohlgefährdungen auf Bundesebene mitwirken, so ist mittels eigener Befassung erworbene Sachkenntnis hierfür offenkundig hilfreich. Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder erhöht also die Güte des gemeinwohlfördernden Beitrags der Länder im Bundesrat. Die Beurteilungskompetenz des Bundesrates stützt sich also zum einen auf Gesamtkonzepte der Gemeinwohlverwirklichung, welche sich im Bereich der Landesgesetzgebungskompetenz repräsentativ und gegenwärtig bewähren. Zum anderen können die Landesregierungen auf spezifische Sachkompetenz in bezug auf die Gegenstände der Bundesgesetzgebung zugreifen, sobald sie im Bundesrat zur Erkennung und Abwendung von Gemeinwohlgefährdungen auf Bundesebene berufen sind. (3) Der „gouvernementale“ 179 Bundesstaat Markiert der Bundesrat den Brennpunkt der Bundesstaatlichkeit, so rückt dies die Landesregierungen in eine ebenso zentrale Stellung. Der Bundesstaat ist somit nicht nur auf den Bundesrat, sondern ebenso auf die Landesregierungen hin konzipiert. Die Landesregierung ist für ihr Bundesland Inhaber der Definitionssuprematie. Die Aussagen des vorangegangenen Kapitels zur Bundesregierung gelten daher analog auch für die Landesregierungen. Die Landesregierungen besitzen die höchste Organadäquanz zur Erkennung von Gemeinwohlgefährdungen und zur Erarbeitung von Maßnahmen zu deren Abwendung. Die Landesparlamente vertrauen in der Regel den Einschätzungen der Landesregierungen. Die eigentliche Funktion der Bundesstaatlichkeit, also die Wirklichkeitwerdung und das Verfügbarhalten alternativer Gemeinwohlkonzepte in einer realen staatlichen Existenz, realisiert sich also vor allem in der Tätigkeit der Landesregierungen. Aufgrund ihrer Definitionssupre178 So aber Hesse, Unitarischer Bundesstaat, 24 f., 28 f. („Das spezifisch administrative Element in den Ländern“ als bestimmendes Substrat im Bundesrat); Bundestag, Verfassungskommission, 71 f.; Ziller, Spannungsverhältnis, 333; Dolzer, VVDStRL 58 (1999), 26 ff. Gegen eine maßgebliche Bedeutung des administrativen Elements Schüle, Informationspflicht, 142 f.; Knies, Bundesrat, 212 f.; Fromme, Kammern im Widerstreit, 393, 397; Klein, Parteipolitik, 357 f. Für einen starken administrativen wie politischen Anteil Herzog, Bundesrat, 205; Lange, Legitimationskrise, 236 f.; Koschnik, Bundesrat, 83. Eine treffende Formulierung wählt Sachs, VVDStRL 58 (1999), 51, wenn er von der Fähigkeit der Länder spricht, aufgrund ihres sachkundigen Regierungsapparates die gesamte Bundespolitik aus der Sicht der Länder zu begleiten. Ähnlich Bundestag, Enquete-Kommission, 218. 179 Begriff nach Stern in Föderative Ordnung, 34 und Föderativstruktur, 55. Siehe auch Erdmann, Bundesrat, 28.

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

matie in Verbindung mit dem Vertrauens- und Verantwortungszusammenhang mit den Landesparlamenten besitzen ihre Vorschläge zur Gemeinwohlverwirklichung die höchste Realisierungschance. Die konkrete Gestalt, in der sich ein alternatives Gemeinwohlkonzept für den Bereich der Landesgesetzgebung repräsentativ darstellt, verdankt sich also vor allem dem Wirken der Landesregierung. Stützt sich jedoch die Beurteilungskompetenz des Bundesrates zum einen Teil eben auf jene Gesamtkonzepte der Gemeinwohlverwirklichung, welche sich im Bereich der Landesgesetzgebung repräsentativ und gegenwärtig bewähren, so gründet damit auch diese Beurteilungskompetenz auf dem Wirken der Landesregierung. 180 Zum anderen Teil stützt sich diese Beurteilungskompetenz, wie gerade zuvor festgestellt, auf den Erwerb von Sachkenntnis mittels der Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder. Auch diese Sachkenntnis kommt jedoch unmittelbar der Landesregierung als der Verwaltungsspitze zugute. Schließlich wird auch eine Instruktion der Landesregierung durch den Landtag bezüglich des Abstimmungsverhaltens im Bundesrat für unzulässig erachtet. Vielmehr unterliegt die Landesregierung dabei nur der allgemeinen politischen Kontrolle. 181 Diese Befunde werfen ein differenziertes Licht auf den zum Teil beklagten Bedeutungsverlust der Landesparlamente. 182 Zum „unentziehbaren Hausgut“ wurde bereits Stellung genommen. Der Umfang der Landeskompetenzen muß die politische Potenz der Länder ermöglichen. Unterhalb dieser Schwelle ist ein Verlust von Landesgesetzgebungskompetenzen jedoch bundesstaatlich nicht bedenklich. 183 Konzen180 So auch mit Nachdruck Klein, Legitimation, 98 ff. Klein gebraucht dabei den Begriff des „Exekutivföderalismus“. Vgl. auch Badura, Schlußbericht, 322 f. 181 Vgl. BVerfGE 8, 104 [120 f.]; Leisner, DÖV 1968, 389 (391); Ossenbühl, Zustimmung, 321; Süsterhenn, Senats- oder Bundesratssystem, 181; Sachs, VVDStRL 58 (1999), 73 f.; Bundestag, Enquete-Kommission, 214 f.; Klein, AöR 108 (1983), 329 (345); Klein, Legitimation, 107; Koschnik, Bundesrat, 82; Badura, Schlußbericht, 323 f.; Ravens, ZParl 1979, 539 (541); Maurer, Bundesrat, 619; Scholz, Landesparlamente, 835 ff.; Rührmair, Bundesrat, 96 ff.; Schneider, Einflußmöglichkeiten, 7, 156, 174 f. (krit.). Ansätze, über Art. 50 GG („Durch den Bundesrat wirken die Länder [..] mit“) den Landesparlamenten einen Einfluß zu eröffnen (vgl. Schneider, Einflußmöglichkeiten, 156 ff.; Kisker, Beziehungen, 164) sind mit der Entscheidung des BVerfG zum Zuwanderungsgesetz (BVerfG, NJW 2003, 339 (339)) wohl endgültig gescheitert („“Der Bundesrat ist ein kollegiales Verfassungsorgan des Bundes, das aus Mitgliedern der Landesregierungen besteht[..]. Er wird nicht aus den Ländern gebildet. Art. 50 GG umschreibt nur die Funktion dieses Bundesverfassungsorgans [..]“. 182 Vgl. Leisner, DÖV 1968, 389 (389); Sachs, VVDStRL 58 (1999), 55; Bundestag, Enquete-Kommission, 54 f., 73, 203 f, 212 ff.; Halstenberg, Fortentwicklung, 134; Klein, AöR 108 (1983), 329 (351); Herzog, Einfluß, 240; Klein, Legitimation, 98, 107; Langguth, Das Parlament B 6/2000, 6; Kisker, Beziehungen, 158, 171; Scholz, Landesparlamente, 832 f.; Stehr, Gesetzgebungskompetenzen, 12; Rührmair, Bundesrat, 118 ff.; Schmidt-Jortzig, DÖV 1998, 746 (748). 183 Vgl. Hesse, AöR 98, 1 (14 ff.); Maunz, Staatsrecht, 128; Scholz, Landesparlamente, 843. Krit. zur Frage, ob die politische Potenz der Länder noch ausreichend besteht Leisner, DÖV 1968, 389 (393).

II. Die Funktion des Bundesstaates

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triert sich die Bundesstaatlichkeit auf die Mitwirkung der Länder im Bundesrat, so sind die Landesparlamente nur instrumental zur Ermöglichung einer qualifizierten Mitwirkung. 184 Die Vorstellung, die Bundesstaatlichkeit diene unmittelbar einer Verstärkung des demokratischen Elements, wurde bereits zurückgewiesen. Das Erfordernis einer Volksvertretung in den Ländern dient nicht einer verstärkten Teilhabe an sich, sondern der in der Regel parteigebundenen Bündelung politischer Strömungen zu konkreten Alternativen der Gemeinwohlverwirklichung. Diese Alternativen wiederum gewinnen ihre eigentliche Bedeutung über die Mitwirkung im Bundesrat. 3. Ergebnis Die Bundesländer existieren, um für die Gemeinwohlverwirklichung im Bund Alternativen aufzuweisen. Dies gelingt, indem die Länder parteigebundenen Gesamtkonzepten der Gemeinwohlverwirklichung für den Gegenstandsbereich der Landesgesetzgebung eine gegenwärtige, reale staatliche Existenz verleihen. Die Alternativen in den Ländern können und müssen sich daher zeitgleich mit dem im Bund verwirklichten Gemeinwohlkonzept real bewähren. Funktion der Bundesstaatlichkeit ist also die Wirklichkeitwerdung und damit das Verfügbarhalten von alternativen Gemeinwohlkonzepten in einem realen staatlichen Leben. Die besondere Leistung dieser Funktion besteht darin, mit der mehrheitlichen Entscheidung für eine bestimmte Alternative bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag die übrigen Alternativen der Gemeinwohlverwirklichung nicht zu neutralisieren. Die komplementären Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern beeinträchtigen diese Alternativfunktion nicht. Die Parteien in den Ländern formen und bündeln politische Strömungen in den Ländern zu konkreten Alternativen. Diese organisierte Volkswillensbildung ist gegenständlich unbeschränkbar. Die Parteien entwerfen Gesamtkonzepte der Gemeinwohlverwirklichung. Diese bedeuten eine generalisierte Vorgabe, auf welche Weise im Einzelfall Gemeinwohlbelange zu fördern oder Interessenausgleiche herbeizuführen sind. Maßnahmen im Bereich der Landesgesetzgebungskompetenz lassen daher Rückschlüsse auf die Qualität des Gesamtkonzeptes zu, diese Maßnahmen sind also repräsentativ. Dieser repräsentative Charakter gestattet wiederum Rückschlüsse auf die Tauglichkeit der fraglichen Gesamtkonzepte im Bund. Das Grundgesetz ordnet dem demokratischen Prinzip in den Ländern eine andere Funktion zu als im Bund. Während im Bund die demokratische Teilhabe des Volkes und somit die Sicherung der Volkssouveränität die ausschließliche Funktion darstellt, besitzt das Erfordernis einer Volksvertretung in den Ländern nach Art. 28 184 Wegen dieser instrumentalen Beziehung ist auch die bundesverfassungsrechtlich evozierte Einschränkung der Gewaltenteilung in den Ländern (vgl. oben 3. Kapitel II. 2. a) nicht zu besorgen.

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

Abs. 1 GG nur instrumentale Bedeutung. Es soll die parteigebundene Formung von Alternativen in oben beschriebener Weise ermöglichen, diese Alternativen dienen der Gemeinwohlverwirklichung im Bund. Die Existenz der Alternativen besitzt nicht nur volkspädagogische Bedeutung, vielmehr stellt das Grundgesetz mit dem Bundesrat ein eigenes Verfassungsorgan bereit, welches die Nutzbarmachung der Alternativen für das Gesamtgemeinwohl zwingend sicherstellt. Der Bundesstaat ist somit auf den Bundesrat hin konzipiert. Hieraus folgt, die Bundesländer sind wiederum auf die Landesregierungen hin konzipiert. Sie verleihen aufgrund ihrer Kompetenzen der Alternativfunktion der Länder maßgeblich Wirksamkeit. Die Beurteilungskompetenz des Bundesrates stützt sich zum einen auf sich gegenwärtig bewährende Alternativen in den Ländern, welche repräsentativ für die zugrundeliegenden Gesamtkonzepte der Gemeinwohlverwirklichung sind. Zum anderen gestattet die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder den Landesregierungen die Gewinnung spezifischer Erfahrungen und Sachkenntnis in bezug auf die Gegenstände der Bundesgesetzgebung. Sachkenntnis ist jedoch Voraussetzung, um an Grundentscheidungen über die Förderung von Gemeinwohlbelangen und der Herbeiführung von Interessenausgleichen qualifiziert mitzuwirken.

III. Die Funktion des Bundesrates Auf Grund der begrenzten Untersuchungsfrage sei verzichtet auf eine umfassende Beschreibung der verfassungsmäßigen Stellung des Bundesrates. Die nachfolgenden Überlegungen dienen der Aufklärung der gemeinwohlrelevanten Funktion des Zustimmungsbedürfnisses. 1. Diskussionsfragen Die wissenschaftliche Diskussion um die Rolle des Bundesrates handelt im wesentlichen von drei Grundfragen. Zunächst erweist sich umstritten, ob der Bundesrat nur Länderinteressen, 185 nur Bundesinteressen oder beides zu vertreten hat. 186 Weiterhin erscheint fraglich, inwieweit der Bundesrat politisches Organ ist, oder vor allen Dingen den administrativen Sachverstand der Länder einzubringen hat. 187 Einer 185 Vgl. Mangoldt, Grundgesetz, 262; Schüle, Informationspflicht, 133; Wassermann, NJW 2003, 331 (331); Arnim, ZRP 1998, 138 (140). 186 Vgl. Mangoldt, Grundgesetz, 274; Klein, Parteipolitik, 361 f.; Lange, Legitimationskrise, 235; Ossenbühl, Zustimmung, 321; Ziller, Spannungsverhältnis, 326 f.; Dolzer, VVDStRL 58 (1999), 15; Klein, AöR 108 (1983), 329 (332, 358); Badura, Schlußbericht, 326; Antoni, AöR 113 (1988), 329 (345 f.); Rührmair, Bundesrat, 71 ff.; Wyduckel, DÖV 1989, 181 (184); Maurer, Bundesrat, 629. 187 Vgl. Rührmair, Bundesrat, 33 ff.; Leibholz, Stellung des Bundesrates, 99 ff.; Hesse, Unitarischer Bundesstaat, 24 f., 28 f.; Mangoldt, Grundgesetz, 280.

III. Die Funktion des Bundesrates

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gewissen Aufgeregtheit erfreut sich schließlich die Diskussion um eine parteipolitische Instrumentalisierung des Bundesrates. Ob parteipolitische „Blockbildungen“ bei Abstimmungen im Bundesrat statthaft sind oder nicht, scheint zwar empirisch, nicht jedoch unbedingt auch verfassungsrechtswissenschaftlich entschieden. Weniger Aufmerksamkeit erfährt hingegen die Untersuchungsfrage, welche gemeinwohlfördernde Funktion das Zustimmungserfordernis als die schwerwiegendste Kompetenz des Bundesrates besitzt. Die – durchaus zutreffende – Antwort lautet meist, das Zustimmungserfordernis schütze die Länder vor Systemverschiebungen zugunsten des Bundes. Die selbstzweckhafte Tendenz dieser Antwort ist jedoch nicht zu übersehen. Der Schutz vor Systemverschiebung kann also nicht die eigentliche Funktion des Zustimmungserfordernisses bedeuten. Dieser Schutz muß vielmehr instrumental für die final gemeinte Funktion sein. Worin diese Funktion besteht, ergibt sich im folgenden aus einem Abgleich der bisherigen Resultate mit den vorliegend relevanten Kompetenzen des Bundesrates. Der Funktion der Bundesstaatlichkeit, also das Verfügbarhalten alternativer Gemeinwohlkonzepte in einem realen staatlichen Leben, wird der Bundesrat somit zugeordnet. Das Ergebnis dieser abschließenden Untersuchung wird auch die Antwort auf die genannten Diskussionsfragen bereithalten. 2. Einspruch und Gesetzesinitiative a) Irrtumswahrscheinlichkeit der Feststellungen der Bundesregierung Nachfolgenden Überlegungen zu der Funktion des Bundesrates liegt eine Voraussetzung zugrunde. Das Grundgesetz erkennt der Bundesregierung die Definitionssuprematie zu. Die Bundesregierung besitzt also von Verfassungs wegen die höchste Organadäquanz zur Erkennung von Gemeinwohlgefährdungen und zur Erarbeitung von Maßnahmen zu deren Abwendung. Dennoch unterstellt das Grundgesetz den Feststellungen der Bundesregierung eine gewisse Irrtumswahrscheinlichkeit. Für die Förderung von Gemeinwohlbelangen als eine Komponente der Gemeinwohlverwirklichung erscheint diese Möglichkeit des Irrtums besonders naheliegend. Die verfassungsnormativen Gemeinwohlbelange bedeuten anzustrebende Zustände. Ob eine von der Bundesregierung entwickelte Maßnahme den zu regelnden Ausschnitt der Lebenswirklichkeit dem anzustrebenden Zustand näherbringt, ist zumindest in der Regel der Prognose zugänglich. Obwohl die Bundesregierung zur Erstellung dieser Prognose von Verfassungs wegen die höchste Organadäquanz besitzt, bleibt jede Prognose selbstverständlich fehlerbehaftet. Die Voraussage tritt nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein, der Zukunftscharakter jeder staatlichen Maßnahme schließt das sichere Ereignis prinzipiell aus. Eine Irrtumswahrscheinlichkeit ist daher zwingend. Für die zweite Komponente der Gemeinwohlverwirklichung, nämlich die Herbeiführung eines Interessenausgleichs, erweist sich die Herleitung der Irrtumswahrscheinlichkeit schwieriger. Der anzustrebende Zustand ist hier nicht ob15 Meyer

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

jektiv vorgegeben, deshalb ist auch keine objektive Prognose möglich. Zuvor wurde bereits festgestellt, vornehmste Aufgabe des Gesetzgebers sei, die widerstreitenden Gemeinwohlbelange zu einem Ausgleich zu führen. Die Qualität dieses Ausgleichs beruht allerdings auf Dezision der mehrheitlichen politischen Kräfte. Zu Beginn der Untersuchung wurde formuliert, dem Gemeinwohl diene, wer einen Zustand herbeiführt, der die Möglichkeit individueller Entfaltung fördert. Hieraus ergaben sich dann die beiden Komponenten der Gemeinwohlverwirklichung, die Förderung verfassungsnormativer Gemeinwohlbelange und die Herbeiführung des Interessenausgleichs. Nach dieser Definition des Gemeinwohls liegt ein pareto-optimaler Interessenausgleich genau dann vor, wenn die Summe der individuellen Entfaltungsmöglichkeiten aller Staatsbürger durch staatliche Maßnahmen nicht mehr erhöhbar ist. Die Komplexität und Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft schließt jedoch evident aus, diesen pareto-optimalen Zustand im Wege irgendeiner objektiven „Arithmetik“ zu ermitteln. Deshalb ist er dezionistisch zu bestimmen. Staatliche Maßnahmen zur Herbeiführung des Interessenausgleichs weisen daher zwei Fehlerquellen auf. Ob die festgelegte Qualität des Interessenausgleiches tatsächlich dem pareto-optimalen Zustand nahekommt, ist – wie gerade erläutert – nicht objektiv überprüfbar. Man kann daher bezüglich dieser Festlegung anderer Auffassung sein, ohne daß dies eine prognostische Frage wäre. Die Behauptung der Fehlerhaftigkeit der regierungsseitig festgelegten Qualität des Interessenausgleiches ist also ebenfalls bloß dezionistischer Natur. In Gestalt einer solchen Dezision ist diese Behauptung aber jedenfalls zulässig. Die zweite Fehlerquelle hingegen bezieht sich wiederum auf eine Prognose. Diese bestimmt, ob die konkret entwickelten Maßnahmen geeignet sind, die so festgelegte Qualität des Interessenausgleiches herbeizuführen. Für die erste Fehlerquelle ist der Begriff der „Irrtumswahrscheinlichkeit“ aus den dargestellten Gründen eigentlich unglücklich, da mangels prognostischen Charakters auch nicht von „Wahrscheinlichkeit“ gesprochen werden kann. Aus Gründen der einheitlichen Begriffsbildung soll „Irrtumswahrscheinlichkeit“ aber dennoch auch diese Fehlerquelle bezeichnen. b) Korrigierbarkeit der Feststellungen der Bundesregierung Gemäß den Befunden des ersten Kapitels beauftragt das Grundgesetz die Staatsorgane mit der Förderung verfassungsnormativer Gemeinwohlbelange und der Herbeiführung eines Interessenausgleichs, also kurz mit der Gemeinwohlverwirklichung. Das Grundgesetz stattet die Bundesregierung mit der Definitionssuprematie aus. Die Bundesregierung wird also bevorzugt beauftragt, Gemeinwohlgefährdungen zu erkennen und Maßnahmen zu deren Abwendung zu erarbeiten. Von der Definitionssuprematie streng zu trennen war die Befugnis zur Letztentscheidung. Diese liegt beim Gesetzgeber. „Staatsleitung“ ergab sich erst als Summe von Definitionssuprematie und Letztentscheidungsbefugnis.

III. Die Funktion des Bundesrates

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Unterliegt nun der Inhaber der Definitionssuprematie einer Irrtumswahrscheinlichkeit, so dient es der Gemeinwohlverwirklichung, diese Irrtumswahrscheinlichkeit für die Letztentscheidung möglichst zu reduzieren. Hierzu müssen den Einschätzungen der Bundesregierung qualifizierte Alternativen gegenüberstehen, die im Falle des Irrtums als Korrektiv wirken können. Die Verfassung erachtet daher als geboten, Korrekturmöglichkeiten vorzusehen, um die Gemeinwohlverwirklichung möglichst optimal zu gewährleisten. Diese Korrekturmöglichkeiten bestehen in dem Einspruch gegen Gesetzesbeschlüsse des Bundestages und in der Einbringung eigener Gesetzesinitiativen des Bundesrates. 188 Die Einschätzungen des Bundesrates, auf deren Grundlage er Gesetzesinitiativen einbringt oder Einspruch einlegt, beruhen nun nicht auf (theoretischen) politischen Ideen oder bloßen Vermutungen. Die enorme Leistung der deutschen Bundesstaatlichkeit liegt darin, diese Einschätzungen auf die Grundlage sich gegenwärtig in realer staatlicher Existenz bewährender Alternativen zu stellen. Hierdurch tritt eine Rationalisierung der Gemeinwohlverwirklichung ein, welche dem Einheitsstaat in dieser Qualität verwehrt bleibt. Im Einheitsstaat können wirksame Korrekturvorschläge nur von der parlamentarischen Opposition eingebracht werden. Deren Gesamtkonzepte besitzen aber gegenwärtig nur virtuellen Charakter. Allenfalls in der Vergangenheit konnten sich Gesamtkonzepte einer gegenwärtigen Opposition bewähren. Äußere Bedingungen können sich jedoch seitdem geändert, Wirkungszusammenhänge auf Grund der gesellschaftlichen Fortentwicklung neu geformt haben. Die Tauglichkeit der Gesamtkonzepte der parlamentarischen Opposition bleibt somit völlig ungewiß. Beruhen hingegen die Einschätzungen des Bundesrates auf Gesamtkonzepten, welche sich gegenwärtig in den Ländern zu bewähren haben, so verringert dies die Ungewißheit bezüglich der Tauglichkeit von Korrekturvorschlägen erheblich. 188 Insoweit bestätigt sich in gewisser Weise von Magoldts frühe Formulierung, der Bundesrat stehe der Regierung „zur Seite“ (Mangoldt, Grundgesetz, 268). Auch die Annahme einer „Mitregierung“ des Bundesrates ist insoweit korrekt, als der Bundesrat den Einschätzungen der Bundesregierung Alternativen gegenüberstellt und insofern an der Regierungsfunktion partizipiert (Mangoldt, Grundgesetz, 269; Vonderbeck, Bundesrat, 106). Siehe auch Ziller, Spannungsverhältnis, 326 f.; Sachs, VVDStRL 58 (1999), 69; Frowein, Beziehungen, 120; Kirn, ZRP 1974, 1 (3); Wyduckel, DÖV 1989, 181 (185); Klein, AöR 108 (1983), 329 (355, Fußn. 159) („Mitverantwortung des Bundesrates für die Gesamtpolitik der Bundesregierung“); Laufer, Reform, 403 („[Der Bundesrat] ist[.] strukturell-organisatorisch ein Regierungsorgan[..]“). Des weiteren formuliert Klein, AöR 108 (1983), 329 (358), durch die Stimmen der Länder im Bundesrat müßten neue Bewertungen in die Diskussion kommen. A. A. Schüle, Informationspflicht, 137 f. („Von der Regierung im echten Sinne, d. h. der Staatsleitung im Bunde, ist der Bundesrat ausgeschlossen“). Dabei stellt Schüle allerdings auf das Recht der Bundesregierung ab, die Bundespolitik allein zu gestalten, was aufgrund der fehlenden Durchsetzungsmöglichkeit von Einspruch und Gesetzesinitiative wiederum zutrifft. Ebenfalls a. A. Herzog, Bundesrat, 196 („nur entfernte Verwandtschaft mit der Bundesregierung“).

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

Während also eine gewaltenteilende Funktion der Bundesstaatlichkeit im Sinne von Hemmung und Freiheitsschutz eingangs 189 zurückgewiesen wurde, dient der Bundesrat jedoch einer solchen Gewaltenteilung, welche – wie das Bundesverfassungsgericht formuliert 190 – darauf abzielt, daß staatliche Entscheidungen möglichst richtig getroffen werden. Der Bundesrat erhöht also die objektive Richtigkeitsgewähr von Gesetzesbeschlüssen. Nachhaltige verfassungsrechtliche Bestätigung findet diese Funktion des Bundesrates als Korrektiv gegenüber den Einschätzungen der Bundesregierung in Art. 53 Satz 3 GG. Die Pflicht der Bundesregierung, den Bundesrat über die Führung der Geschäfte auf dem laufenden zu halten, kennzeichnet die Parallelität der Aufgaben dieser Verfassungsorgane. Beide sollen Gemeinwohlgefährdungen erkennen und Maßnahmen zu deren Abwendung erarbeiten. Jedoch räumt das Grundgesetz der Bundesregierung die Definitionssuprematie im Bund ein, ihre Vorschläge besitzen von Verfassungs wegen die höchste Realisierungschance. Insbesondere gegenüber dem Bundesrat kann sich die Bundesregierung jederzeit durchsetzen. Die Vorschläge des Bundesrates sollen aber die Einschätzungen der Bundesregierung für den Fall des Irrtums korrigieren können, allerdings müssen dem Bundesrat hierzu diese Einschätzungen und deren Grundlagen bekannt sein. Dies soll Art. 53 Satz 3 GG gewährleisten. 191 Gleiches gilt im übrigen für die gegenseitige Vorlagepflicht von Bundesregierung und Bundesrat nach Art. 76 Abs. 2 und 3 GG. 192 Im Zuge der Harmonisierung dieser Fristen bei der Verfassungsreform 1994 sprechen die Gemeinsame Verfassungskommission und die Kommission des Bundesrates von einer „Spiegelbildlichkeit“ dieser Vorlagepflicht. 193 Auch dies deutet eher auf eine Siehe 3. Kapitel II. 1. b). Vgl. BVerfGE 68, 1 [86]. Diesen Aspekt betont besonders auch Klein, Legitimation, 104, begründet die erhöhte Richtigkeitsgewähr allerdings vor allem mit der Vollzugserfahrung der Länder, was vorliegend nicht als ausschlaggebend betrachtet wird. Vgl. auch Rennert, Der Staat 32 (1993), 269 (280); Gramm, AöR 124 (1999), 212 (220); Volkmann, DÖV 1998, 613 (615 f.); Herzog/Pietzner, Möglichkeiten, 44 f., 50 f.; Böckenförde, Organisationsgewalt, 79 f.; Magiera, Parlament, 84, 254. 191 Zur besonderen Bedeutung des Art. 53 Satz 3 GG für das Verhältnis von Bundesrat und Bundesregierung Schüle, Informationspflicht, 125 ff.; Herzog, Bundesrat, 201 f.; Sachs, VVDStRL 58 (1999), 70; Esterbauer, BayVBl 1980, 225 (226); Lang, ZParl 2001, 281 (281 ff.). Während Klein, Parteipolitik, 362 im Zusammenhang mit Art.53 Satz 3 GG noch von der „Mitverantwortung des Bundesrates für die Gesamtpolitik des Bundes“ spricht, so nimmt er zwar in Klein, AöR 108 (1983), 329 (355, Fußn.159) hierauf Bezug, spricht aber nun von der „Mitverantwortung des Bundesrates für die Gesamtpolitik der Bundesregierung“ (Hervorhebungen jeweils durch Verfasser). Noch später warnt er schließlich vor dem Irrtum, eine Teilhabe des Bundesrates an der Regierung des Bundes sehe die Verfassung nicht vor (Klein, Legitimation, 97; Hervorhebungen durch Verfasser). Der ausbleibende Rückgriff des Bunderates auf Art. 53 Satz 3 GG ändert nichts am Stellenwert dieser Verfassungsnorm für die Ermittlung des Bedeutungsverhältnisses zwischen Bundesrat und Bundesregierung, vgl. hierzu auch Herzog, Beziehungen, 174. 192 Vgl. Bundesrat, Kommission Verfassungsreform, Rn. 31, 37. 193 Vgl. Bundesrat, Kommission Verfassungsreform, Rn. 37; Bundestag, Verfassungskommission, 72 f. 189 190

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Parallelität der Aufgaben von Bundesrat und Bundesregierung, und weniger auf eine Parallelität der Aufgaben von Bundesrat und Bundestag. c) Wirkungsweise von Einspruch und Gesetzesinitiative Das Grundgesetz stellt zwei Verfahren bereit, in denen der Bundesrat seine Korrekturvorschläge geltend machen kann. Er kann nach Art. 76 Abs. 1 GG Gesetzesinitiativen einbringen und nach Art. 77 Abs. 3 GG Einspruch gegen Gesetzesbeschlüsse des Bundestages einlegen. Damit reagiert das Grundgesetz differenziert auf unterschiedliche Ausprägungen der Irrtumswahrscheinlichkeit bezüglich der Feststellungen der Bundesregierung. Die Gesetzesinitiative ist zum einen geeignet, Unterlassungen der Bundesregierung und des Bundestages zu beheben. Zum anderen können bereits getroffene, aber untaugliche oder unzureichende gesetzliche Maßnahmen aufgehoben und geändert werden. Die Gesetzesinitiative bedeutet somit vor allem eine ex-post Kontrolle. Eine zurückliegendes Versäumen von Handlungspflichten oder eine fehlerhafte Wahrnehmung der Handlungspflicht können korrigiert werden. Der Einspruch gegen Gesetzesbeschlüsse des Bundestages weist hingegen in die Zukunft. Er soll das Zustandekommen einer – nach Auffassung des Bundesrates – untauglichen oder unzureichenden gesetzlichen Maßnahme verhindern. Beide Verfahren erweisen sich indes als konstruktive Kontrollkompetenzen. Sie fördern in jedem Falle das Gemeinwohl. Für die Gesetzesinitiative erscheint dies evident. Das Zustandekommen eines entsprechenden Gesetzes bedeutet eine neue gestaltende, gemeinwohlfördernde Maßnahme. Für den Fall des Einspruches hingegen könnte man zunächst annehmen, er strebe zwar die Verhinderung einer ungeeigneten Maßnahme an, bewahre aber insofern nur den Status Quo. Das Gemeinwohl würde insoweit nicht gefördert. Diese Einschätzung erweist sich jedoch als unkorrekt. Das Zustandekommen der ungeeigneten Maßnahme hätte nämlich einen Ressourcenverbrauch bewirkt. Die Verhinderung des Gesetzes spart diese Ressourcen ein und hält sie für die Gemeinwohlverwirklichung an anderer Stelle bereit. Damit fördert auch der Einspruch unmittelbar und konstruktiv das Gemeinwohl. Bei alledem bleibt selbstverständlich zu berücksichtigen, daß der Bundestag den Einspruch überstimmen kann und ein vorgelegtes Gesetz nicht beschließen muß. Der Bundestag kann somit den Korrekturvorschlag der Wirkungslosigkeit anheimstellen. Die Bedeutung dieses Tatbestandes wird später erörtert.

d) „Interessenlage“ beim Einbringen von Korrekturvorschlägen Sowohl der Einspruch als auch die Gesetzesinitiative gelten Bundesgesetzen. Damit bestimmt bereits der Gegenstand, wessen Interesse ein entsprechender Korrek-

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

turvorschlag dient. 194 Der Erlaß eines Bundesgesetzes, oder der Verzicht hierauf, kann begriffslogisch eigentlich nur Bundesinteressen dienen. Wenn dennoch gefragt wird, inwieweit der Bundesrat Landesinteressen diene oder die Mitglieder des Bundesrates sich bei ihren Entscheidungen von Landesinteressen leiten lassen dürften, so setzt eine derartige Frage den Antagonismus oder zumindest die Inkongruenz von Landes- und Bundesinteressen voraus. Dahinter steht der Gedanke, eine derartige (maßgebliche) Berücksichtigung von Landesinteressen könne eventuell einen Mißbrauch des Bundesrates bedeuten. Eine solche Frage stellt sich jedoch in Wirklichkeit überhaupt nicht. Wie zuvor ermittelt, sind Landesinteressen gleich Bundesinteressen. Dies ergab sich aus dem funktionalen, dem Gesamtgemeinwohl dienenden Charakter der Bundesstaatlichkeit. Die Kompetenzzuweisungen des Grundgesetzes stellen sicher, daß das Land überhaupt nicht anders kann, als im Interesse des Bundes zu handeln. Mit „Bund“ ist hier allerdings nicht der konkrete Wille von Verfassungsorganen des Bundes im Einzelfall gemeint, sondern vielmehr das Gesamtgemeinwohl, das heißt das Gemeinwohl im Bund an sich. Als Inhaber der Definitionssuprematie im Land hat die Landesregierung selbstverständlich solche Gemeinwohlgefährdungen zu erkennen, welche das Land betreffen und in den Kompetenzbereich der Landesregierung fallen. Solche Gemeinwohlgefährdungen für ein Land können gegebenenfalls auch von der Bundesgesetzgebung hervorgerufen oder verhindert werden. Trifft dies im Einzelfall zu, so kann beziehungsweise muß die Landesregierung hieran auch ihr Abstimmungsverhalten im Bundesrat orientieren. Daneben können Gegenstände der Bundesgesetzgebung bestehen, welche für denjenigen Ausschnitt des Gemeinwohls im Land indifferent bleiben, dessen Verwirklichung den Landesregierungen vorrangig anvertraut ist. In beiden Fällen entscheidet die Landesregierung jedenfalls auf Grundlage der parteigebundenen Gesamtkonzepte der Gemeinwohlverwirklichung, wie sie bei den Landtagswahlen mehrheitlich Zustimmung gefunden haben und sich im Land gegenwärtig und repräsentativ bewähren. Hinzu tritt ihre Sachkenntnis, wie sie sich der Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder verdankt. Diese Zusammenhänge lassen nun die Annahme eines Antagonismus oder einer Inkongruenz von Bundes- und Landesinteressen entfallen. Zunächst sei festgestellt, die Verfassung kennt überhaupt keine „Interessen“, sondern nur Kompetenzen. 195 194 Vgl. Lange, Legitimationskrise, 235 f. („Die Vorstellung, daß das Organ einer Juristischen Person nicht verpflichtet wäre, deren Interessen wahrzunehmen, wäre widersinnig und ohne Vorbild“); Maunz, Staatsrecht, 237; Bandorf, Bundesrat, 16; Ossenbühl, Zustimmung, 321; Dolzer, VVDStRL 58 (1999), 15 f.; Sachs, VVDStRL 58 (1999), 47 f.; Klein, AöR 108 (1983), 329 (330, 332, 358); Koschnik, Bundesrat, 81 f.; Badura, Schlußbericht, 319; Leibholz, Stellung des Bundesrates, 104; Kisker, Beziehungen, 153; Rührmair, Bundesrat, 75. 195 Zwar spricht das Grundgesetz in Art. 23 Abs. 5 GG von den „Interessen der Länder“, in Art. 72 Abs. 2 GG vom „gesamtstaatlichen Interesse“ sowie in Art. 135 Abs. 4 GG vom „Interesse des Bundes“. Staatshandeln aktualisiert sich jedoch ausschließlich im Kompetenzge-

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Die Verfassungsorgane gebrauchen diese Kompetenzen, um ihren verfassungsmäßigen Gemeinwohlauftrag zu erfüllen, wie im ersten Kapitel dargestellt. Kompetenzen und Gemeinwohlauftrag der Landesregierung ergeben sich daraus, daß das Grundgesetz den Ländern eigene Kompetenzen zuweist. Erst die Wahrnehmung dieser Kompetenzen und die Erfüllung dieses Gemeinwohlauftrages ermöglicht und formt das Gesamtkonzept der Gemeinwohlverwirklichung, welches die Landesregierung auch ihren Entscheidungen im Bundesrat zugrundelegt. Das Gemeinwohlkonzept, auf dessen Grundlage die Landesregierung im Bundesrat entscheidet und damit die Funktion der Bundesstaatlichkeit im Einzelfall aktualisiert – also die Wirklichkeitwerdung und das Verfügbarhalten alternativer Gemeinwohlkonzepte in einer realen staatlichen Existenz – verdankt sich somit überhaupt erst den Landeskompetenzen. Die parteigebundenen Konzepte der Gemeinwohlverwirklichung entstehen dadurch, daß den Ländern gewisse eigene Kompetenzen übertragen sind. Dieser Kompetenzbestand macht in Verbindung mit dem Demokratieprinzip die Bündelung politischer Strömungen im Volk, das heißt die Entwicklung von Alternativen erforderlich. Eines dieser alternativen Konzepte der Gemeinwohlverwirklichung wird durch die Landtagswahl mehrheitlich ausgewählt, ihr liegt die gemeinwohlverwirklichende Tätigkeit der Landesregierung zugrunde. Der Kompetenzbereich der Länder und das Gesamtkonzept der Gemeinwohlverwirklichung, welches die Landesregierung ihrem Verhalten im Bundesrat zugrundelegt, stehen also in einem interdependenten Erzeugungszusammenhang. Der eigene Kompetenzbereich setzt das Land überhaupt erst in Stand, derartige Konzepte zu entwickeln. Die Wahrnehmung der Kompetenzen wird wiederum von diesen Konzepten geleitet. 196 Indem das Grundgesetz also die Länder mit eigenen Kompetenzen ausstattet, stellt es selbst den Zusammenhang her zwischen der Wahrnehmung von Landesaufgaben als Quelle des entscheidungserheblichen Gesamtkonzepts der Landesregierung und der Aktualisierung dieses Konzepts beim Abstimmungsverhalten im Bundesrat. Der Auftrag der Landesregierung, auf Grundlage ihrer Definitionssuprematie Landeskompetenzen wahrzunehmen, ermöglicht ihr überhaupt erst die qualifizierte Mitwirkung im Bundesrat im Sinne des Grundgesetzes. brauch. Interessen können sich also ausschließlich über Kompetenzen im Einzelfall definieren, sie bedeuten daher einen subalternen Begriff. 196 Ähnlich Hesse, AöR 98, 1 (38); Klein, Parteipolitik, 364; Lange, Legitimationskrise, 236 f.; Süsterhenn, Senats- oder Bundesratssystem, 173; Sachs, VVDStRL 58 (1999), 47 f.; Badura, Schlußbericht, 320 f., 333 f.; Leibholz, Stellung des Bundesrates, 106; Carstens, Das föderative Verfassungsprinzip, 11; Halstenberg, Fortentwicklung, 150; Wyduckel, DÖV 1989, 181 (191 f.); Maurer, Bundesrat, 634; Ravens, ZParl 1979, 539 (540); Rührmair, Bundesrat, 40 ff.; Klein, AöR 108 (1983), 329 (359) („[..] [Es] entbehrt [..]schlicht der Logik, Staats- (also auch Länder-)Interessen von parteipolitischen zu unterscheiden. Denn die Interessen des Staates werden von den parlamentarischen Mehrheiten und den aus ihnen hervorgegangenen Regierungen, also von den sie bildenden politischen Parteien, verbindlich definiert“).

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

Zu erinnern bleibt, dem Grundgesetz geht es nicht um die Verfolgung irgendwelcher Interessen, sondern darum, den Einschätzungen der Bundesregierung solche Einschätzungen gegenüberzustellen, welche auf sich bewährenden Alternativen beruhen. Hiermit werden Korrekturmöglichkeiten für den Fall eines Irrtums der Bundesregierung eröffnet. Das heißt, solange eine Landesregierung auf Grundlage ihres Gesamtkonzepts im Bundesrat so entscheidet, wie sie es für richtig hält, erfüllt sie ihre bundesstaatliche Funktion nach dem Grundgesetz. Hiermit wird auch die Frage hinfällig, ob der Bundesrat nur Länder- bzw. Bundesinteressen, oder auch „Parteiinteressen“ vertreten darf. Der Bundesrat soll von Verfassungs wegen „Parteiinteressen“ vertreten, allerdings wohlverstanden als alternative Konzepte der Gemeinwohlverwirklichung. Dies schließt aber auch eine gegenstandsindifferente, selbstzweckhafte Obstruktion aus. 197 e) Die Präponderanz des demokratischen Prinzips im Bund Zuvor wurde schon angemerkt, die Korrekturvorschläge des Bundesrates können sich nicht endgültig durchsetzen. Der Bundestag kann einen Einspruch überstimmen, eine Gesetzesinitiative kann die notwendige Mehrheit im Bundestag verfehlen. Diese Verfassungsrechtslage erweist sich als konsistent mit den bisherigen Befunden. Inhaber der Definitionssuprematie im Bund ist die Bundesregierung. Sie besitzt von Verfassungs wegen die höchste Organadäquanz zur Feststellung von Gemeinwohlgefährdungen und zur Erarbeitung von Gegenmaßnahmen. Die Existenz des Bundesrates ändert hieran nichts. Das Grundgesetz trägt allerdings der Irrtumswahrscheinlichkeit der Bundesregierung Rechnung, indem es in einem verfassungsvorgegeben Verfahren Korrekturmöglichkeiten eröffnet. Es stünde jedoch in völligem Widerspruch zur Definitionssuprematie der Bundesregierung, könnten sich danach erfolgte Korrekturvorschläge endgültig durchsetzen. 198 Die Wirkung der Korrekturvorschläge besteht vielmehr darin, eine Befassung des Bundestages zu erzwingen. Im Falle der Gesetzesinitiative wird das normale Gesetzgebungsverfahren ausgelöst. Eine bisher nicht erkannte oder berücksichtigte Gemeinwohlgefährdung erlangt so die Chance der Behebung. Der Einspruch des Bundesrates kann das Augenmerk des Bundestages bei der notwendig gewordenen erneuten Beschlußfassung auf mögliche Mängel des Gesetzesbeschlusses lenken. Daher ist vom Bundesrat im übrigen von Verfassungs wegen zu fordern, den Einspruch und das vorgeschaltete Anrufungsbegehren zum Vermittlungsausschuß zu begründen. 199 Der Bundestag kann sich nicht mit Mängeln auseinandersetzen, welSiehe dazu auch 3. Kapitel III. 3. c). Vgl. Dolzer, VVDStRL 58 (1999), 20; Maurer, Bundesrat, 631 f. 199 A. A. BVerfGE 101, 297 [306]; Antoni, AöR 113 (1988), 329 (346). Zur erneuten Befassung des Bundestages als Folge des Einspruchs Vonderbeck, Bundesrat, 80. 197 198

III. Die Funktion des Bundesrates

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che ihm überhaupt nicht gewahr werden. Entsprechendes wird später noch für die Zustimmungsverweigerung gelten. Jedoch offenbart sich in der mangelnden Durchsetzungsfähigkeit des Bundesrates eine weitere, grundlegende Eigenschaft der Bundesstaatlichkeit. Wie im zweiten Kapitel dargelegt, besitzt die Bundesregierung zwar die Definitionssuprematie, hängt aber in deren Ausübung vom Vertrauen des Bundestages ab. Das Vertrauen des Bundestages ist darauf gerichtet, die Einschätzungen der Bundesregierung im Rahmen ihrer Definitionssuprematie in der Regel für zutreffend zu erachten. Entfällt diese Richtigkeitsvermutung des Bundestages, so kann er die amtierende Bundesregierung beseitigen. Der Bundestag – beziehungsweise dessen Wahl – bedeutet jedoch diejenige Instanz, in welcher sich die Volkssouveränität „einheitsstaatsgleich“ auf demokratische Weise aktualisiert. Indem sich die Einschätzungen der Bundesregierung und die Beschlüsse des Bundestages gegenüber dem Bundesrat jederzeit durchsetzen können, findet die grundgesetzliche 200 Präponderanz des demokratischen Prinzips ihren Ausdruck. 201 Das Zustimmungserfordernis für manche Gesetzesbeschlüsse ist hiergegen kein zulässiger Einwand. Dies bleibt nachfolgend zu begründen. 3. Das Zustimmungserfordernis a) Die Qualität zustimmungsbedürftiger Gesetzgebungsmaterien Aus Gründen der geschlossenen Darstellung der Argumentation wird eine kursorische Betrachtung der wichtigen Zustimmungsfälle an das Ende dieses Abschnittes gestellt. Das Ergebnis wird insoweit für das Folgende vorweggenommen. Eine Durchsicht der zustimmungsbedürftigen Gesetzgebungsmaterien offenbart, daß hier nicht unmittelbar anzustrebende Zustände definiert oder Interessenausgleiche innerhalb des Staatsvolkes ermöglicht werden. Entsprechende Bundesgesetze dienen also nicht unmittelbar der Gemeinwohlverwirklichung. Zwar erbrachte das erste Kapitel einen passiven Gemeinwohlvorbehalt, das heißt alles Staatshandeln muß dem Gemeinwohl im verfassungsnormativen Sinne dienen. Dennoch besteht eine sinnvolle Unterscheidung zwischen der unmittelbaren Förderung von Gemein200 Zu beachten bleibt, daß hier nicht etwa eine generelle, vorverfassungsrechtliche Präponderanz der Demokratie gegenüber der Bundesstaatlichkeit zum Ausdruck kommt. Vielmehr besteht diese Präponderanz aufgrund verfassungsrechtlicher Anordnung; vgl. hierzu Sachs, VVDStRL 58 (1999), 44 f. 201 So auch Jahn, Gesetzgebung, 371 f.; Knies, Bundesrat, 220 f.; Bundestag, Verfassungskommission, 77 ff.; Bundestag, Enquete-Kommission, 60, 218; Friesenhahn, Rechtsentwicklung, 253; Badura, Schlußbericht, 334 f. („Der Bundesrat ist nicht dazu berufen, in grundlegenden Fragen politischer Gesamtleitung und Entscheidung den Ausschlag zu geben. Bundesregierung und Bundestag sind [..]diejenigen Institutionen, in denen die Politik des Bundes in der Hauptlinie initiiert, bestimmt und formuliert wird“); BVerfGE 55, 274 [341 f.] (Sondervotum Hirsch) („Bundestag als Haupt-Gesetzgebungsorgan“).

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

wohlbelangen oder des Interessenausgleichs auf der einen Seite, und lediglich instrumentalen Maßnahmen auf der anderen Seite, welche eine derartige Förderung später erst ermöglichen sollen. Demnach weisen die zustimmungsbedürftigen Gesetzgebungsmaterien instrumentalen Charakter auf, sie bewegen sich im Bereich der Staatsorganisation. Dieser Befund schließt aus, eine Definitionssuprematie des Bundesrates für zustimmungsbedürftige Materien dergestalt anzunehmen, der Bundesrat besäße hier eine höhere Beurteilungskompetenz über den geeignetsten Weg der Gemeinwohlverwirklichung. 202 b) Zweck des Zustimmungserfordernisses Insbesondere das Bundesverfassungsgericht hat die Wendung geprägt, das Zustimmungserfordernis diene dem Schutz vor einer Systemverschiebung. 203 Zunächst spricht das Gericht noch davon, das Grundgesetz sehe die Zustimmung in solchen Fällen vor, in denen der Interessenbereich der Länder „besonders stark“ berührt würde. 204 Dieser Gedanke wird später dahingehend erweitert, die Kompetenzaufteilung des Grundgesetzes sei ein Element zusätzlicher funktionaler Gewaltenteilung. Der so verteilten politischen Macht würde ein verfassungsrechtlicher Rahmen gesetzt, der diese Machtverteilung aufrechterhalten und ein Zusammenwirken der verschiedenen Kräfte sowie einen Ausgleich widerstreitender Belange ermöglichen soll.205 Während der Schutz vor Systemverschiebung auch vorliegend als der ausschließliche Zweck des Zustimmungserfordernisses gesehen wird, bleibt die frühe Bezugnahme des Bundesverfassungsgerichts auf „Länderinteressen“ zu undifferenziert, um diese Mitwirkungsform des Bundesrates gegenüber Einspruch und Gesetzesinitiative analytisch abzugrenzen. Der kategorische Unterschied zwischen zustimmungsbedürftigen und sonstigen Gesetzgebungsmaterien schließt aus, Einspruch und Zustimmungsverweigerung nur als unterschiedlich starke Ausprägungen ein und derselben Bedeutungsskala aufzufassen. In diese Richtung zielte jedoch die Abstützung des Zustimmungserfordernisses auf einer „besonders starken“ Berührung von Länderinteressen. Die weitere Annahme des Gerichts trifft zu, die Machtvertei202 Schon Schneider, DVBl 1953, 257 (257) weist darauf hin, die Zustimmung des Bundesrates werde zum Beispiel nicht verlangt, um gesetzgeberische Einschränkungen der individuellen Freiheitsrechte zu erschweren. 203 Vgl. BVerfGE 105, 313 [331]; 75, 108 [150]; 55, 274 [319 f.]; 33, 363 [379]; Bundestag, Enquete-Kommission, 219 f.; Lerche, Zustimmungsgesetze, 184. 204 Vgl. BVerfGE 1, 76 [79]; 37, 363 [381]; 39, 96 [116]. So auch Schneider, DVBl 1953, 257 (260); Wassermann, NJW 2003, 331 (331); Maurer, Bundesrat, 621; Wyduckel, DÖV 1989, 181 (186); Antoni, AöR 113 (1988), 329 (344). Besonders weitgehend Halstenberg, Fortentwicklung, 148 („Der Bundesrat hat [..]grundsätzlich dann ein Zustimmungsrecht, wenn Bundesregelungen den Landesbereich unmittelbar berühren[..]“). Zu einengend hingegen Janson, DVBl 1978, 318 (321) („[..] Abwehrrecht zum Schutz der Länderverwaltungen vor einer Überbeanspruchung durch den Bundesgesetzgeber“). 205 Vgl. BVerfGE 55, 274 [319 f.].

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lung infolge der Kompetenzaufteilung soll verfassungsrechtlich aufrechterhalten und ein Ausgleich widerstreitender Belange erreicht werden. Die bloße Aufteilung von Kompetenzen auf verschiedene Träger bedeutet aber nicht zwangsläufig auch eine verbesserte Fähigkeit zur Gemeinwohlverwirklichung. Der „Gemeinwohlautomatismus“ des Zustimmungserfordernisses wird so nicht aufgedeckt. Das Bundesverfassungsgericht erweitert jedoch seine teleologische Auslegung des Zustimmungsbedürfnisses und führt aus, es diene der Absicherung des föderativen Staatsaufbaus und solle verhindern, daß Verschiebungen im bundesstaatlichen Gefüge im Wege der einfachen Gesetzgebung über Bedenken des Bundesrates hinweg herbeigeführt werden. 206 Diese Interpretation war von Beginn an vorhanden und trat später in den Mittelpunkt, die Bezugnahme auf „Interessen“ geriet hingegen nachrangig. Tatsächlich muß aus den gegenständlich vollkommen disparaten Gesetzgebungsmaterien auch auf vollkommen disparate Funktionen von Einspruch und Zustimmungsverweigerung geschlossen werden. Zustimmungsgesetze betreffen die Staatsorganisation im Bund-Länder-Verhältnis. Gesetzgebung in diesem Bereich betrifft den Kompetenzbestand der Länder, sowie sonstige Regelungsgegenstände, welche sich in besonderer Weise auf die politische Potenz der Länder auswirken können. 207 Nicht zustimmungspflichtige Gesetze hingegen betreffen zum einen unmittelbar gemeinwohlverwirklichende Maßnahmen, sie fördern also Gemeinwohlbelange oder den Interessenausgleich. Zum anderen umfassen sie solche Fragen der Staatsorganisation, welche den Kompetenzbestand oder die politische Potenz der Länder nicht besonders berühren. Dem Bundesrat wird also gerade dort eine unüberwindbare Vetoposition eingeräumt, wo eine gesetzliche Regelung unmittelbar auf den Grad politischer Potenz der Länder rückwirkt. Berücksichtigt man die bisherigen Befunde, so kann der „Schutz von Länderinteressen“ jedoch nicht den Zweck dieser Vetoposition bedeuten. Sind die Länder Funktionselemente der Gemeinwohlverwirklichung im Bund, so schützt diese Vetoposition nicht die „Interessen“ der Länder, sondern vielmehr die des Bundes. Die Verweigerung der Zustimmung ist geeignet, eine Einbuße politischer Potenz der Länder zu verhindern. Die Bedeutung des Zustimmungserfordernisses läßt sich somit nur klären, erinnert man die Funktion dieser politischen Potenz. Wie gesehen besitzen die Länder eine Alternativfunktion. Sie halten alternative Konzepte der Gemeinwohlverwirklichung verfügbar, welche sich gegenwärtig in einem realen staatlichen Leben bewähren. Der Bundesrat dient der Nutzbarmachung dieser sich bewährenden Konzepte für den Bund. Einspruch und Gesetzesinitiative eröffnen eine Korrekturmöglichkeit im Falle von Irrtümern der Bundesregierung. Voraussetzung der Entwicklung der alternativen Konzepte bildet jedoch die Fähigkeit und die Notwendigkeit gestaltenden Staatshandelns in den Ländern. Hierzu bedarf es eines Mindestbestandes an Kompetenzen und finanzieller Ausstattung, sowie des Be206 207

Vgl. BVerfGE 105, 313 [331]; 75, 108 [150]; 55, 274 [319 f.]; 33, 363 [379]. Vgl. Sachs, VVDStRL 58 (1999), 63; Bundestag, Enquete-Kommission, 220.

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sitzes von Sachkenntnis aufgrund der Ausführung der Bundesgesetze. Diese Eigenschaften definieren die politische Potenz. 208 Hieraus folgt, erst die politische Potenz der Länder ermöglicht deren funktionsgerechte Mitwirkung im Bundesrat, welche auf eine Korrekturmöglichkeit in Bezug auf die Bundesgesetzgebung gerichtet ist. Das Zustimmungserfordernis schützt die politische Potenz der Länder und sichert so die Qualität der Alternativen der Gemeinwohlverwirklichung in den Ländern als repräsentative Emanationen alternativer Gesamtkonzepte. Die sich auf Landesebene gegenwärtig bewährenden Alternativen bedeuten auch das Fundament für die Korrekturvorschläge des Bundesrates in Gestalt des Einspruchs gegen Gesetzesbeschlüsse und der Einbringung von Gesetzesinitiativen. Das Zustimmungserfordernis dient somit unmittelbar dem Schutz der Qualität der Gemeinwohlverwirklichung im Bund, indem es die Qualität und Rationalität der Korrekturvorschläge des Bundesrates sichert. Das Zustimmungserfordernis dient also nicht selbstzweckhaft der Sicherung einer Eigenstaatlichkeit der Länder. c) Zustimmungsverweigerung und Gemeinwohlvorbehalt Das Zustimmungserfordernis erstreckt sich ausschließlich auf Gegenstände der Staatsorganisation, welche die politische Potenz der Länder betreffen. Sowohl die Regelung dieser Gegenstände, als auch die politische Potenz der Länder selbst sind instrumental für die Gemeinwohlverwirklichung. Der Bundesrat gewinnt also keine Vetoposition zu Gegenständen, welche unmittelbar der Förderung von Gemeinwohlbelangen oder des Interessenausgleiches dienen. Bei solchen Gegenständen wirkt der Bundesrat ausschließlich mittels des Einspruchs und der Gesetzesinitiative mit. Diese Handlungsformen besitzen die Gestalt von Vorschlägen, welche eine Korrektur für den Fall des Irrtums zwar eröffnen, jedoch nicht erzwingen. Damit aber bleibt die Definitionssuprematie der Bundesregierung für Gegenstände der unmittelbaren Gemeinwohlverwirklichung vollkommen unangetastet. Die Bundesregierung besitzt in jeder Hinsicht die höchste Organadäquanz zur Erkennung von Gemeinwohlgefährdungen und zur Erarbeitung von Gegenmaßnahmen. Eine Zustimmungsverweigerung des Bundesrates bleibt daher ausschließlich gerichtet auf diejenige formale, das Bund-Länder-Verhältnis betreffende Regelung, welche das Zustimmungserfordernis ausgelöst hat. Hingegen bedeutet die Zustimmungsverweigerung keinerlei Aussage über die Qualität des materialen Gehalts des betreffenden Gesetzesbeschlusses. Hinsichtlich des Vorliegens der von der Bundesregierung angenommenen und vom Bundestag bestätigten Gemeinwohlgefährdung sowie der Geeignetheit der im Gesetz enthaltenen Maßnahme zu deren Abwendung 208 Vgl. Stern, Föderativstruktur, 58; Leisner, DÖV 1968, 389 (393 f.); Ossenbühl, DVBl 1989, 1230 (1231); Rennert, Der Staat 32 (1993), 269 (276); Volkmann, DÖV 1998, 613 (615); BVerfGE 86, 148 [213 f.]; 72, 330 [383, 388]; 55, 274 [299 ff.]; 39, 96 [107 f.]; 32, 333 [338].

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trifft die Zustimmungsverweigerung also keinerlei Aussage. Hierzu ist sie aufgrund ihres beschränkten Gegenstandsbereiches überhaupt nicht in der Lage. Somit wird also die verfassungsnormierte Richtigkeitsvermutung bezüglich des Vorliegens einer Gemeinwohlgefährdung und der Geeignetheit der Maßnahme zu deren Abwendung von der Zustimmungsverweigerung nicht berührt. Wie im zweiten Kapitel dargestellt, korrespondiert diese Richtigkeitsvermutung mit der verfassungskräftigen Ausstattung der Bundesregierung mit der Definitionssuprematie. Hieraus folgt, die Zustimmungsverweigerung ändert überhaupt nichts an dem Vorliegen einer verfassungsmäßig festgestellten Gemeinwohlgefährdung. Die Bundesregierung bleibt daher auch nach dem Scheitern des Gesetzesbeschlusses im Bundesrat unverändert verpflichtet, Maßnahmen zur Abwendung dieser Gefährdungen zu erarbeiten. Dabei hat sie die im Bundesrat zum Ausdruck gekommene Auffassung zu berücksichtigen. Sie muß einen neuen Gesetzentwurf einbringen, welcher den Einwänden des Bundesrates bezüglich der zustimmungspflichtigen Regelung Rechnung trägt. So kann sie etwa die Intensität des Eingriffs in die politische Potenz der Länder abmildern, sie kann – etwa im Falle des Art. 84 Abs. 1 GG – auf eine zustimmungspflichtige Regelung ganz verzichten, oder sie kann eine Kompensation der Einbuße politischer Potenz der Länder an anderer Stelle ermöglichen. Voraussetzung einer derartigen Berücksichtigung der Auffassung des Bundesrates ist jedoch die Kenntnis eben dieser Auffassung. Da eine Gemeinwohlgefährdung unverändert objektiv vorliegt, ist auch der Bundesrat als Verfassungsorgan des Bundes verpflichtet, an deren Abwendung konstruktiv mitzuwirken. Er muß deshalb von Verfassungs wegen seine Zustimmungsverweigerung begründen, damit die Bundesregierung den Bedenken in geeigneter Weise Rechnung tragen kann. 209 Die vorliegende Auffassung setzt sich in Widerspruch zu einer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, welche dieses im Zusammenhang mit der „Einheitsthese“ 210 vertritt. Danach darf der Bundesrat „einem Gesetz, das sowohl materielle Normen als auch Vorschriften über das Verfahren der Landesverwaltung enthält, deshalb die Zustimmung versagen, weil er nur mit der materiellen Regelung nicht einverstanden ist“. 211 Selbst unter Geltung der Einheitsthese 212 wäre dieser Schluß nicht zwingend. Eine Vetoposition bei unmittelbar gemeinwohlverwirklichenden Regelungen ist dem Bundesrat von Verfassungs wegen nicht gewährt. 213 Eine Zustimmungsverweigerung ist mißbräuchlich, welche formal auf eine zustimmungsbedürftige Regelung gestützt wird, in Wirklichkeit aber im materialen Gehalt 209 Vgl. Merten, Reform, 78, für die Anrufung des Vermittlungsausschusses. A. A. Lerche, Zustimmungsgesetze, 190; Antoni, AöR 113 (1988), 329 (337, 346); Gramm, AöR 124 (1999), 212 (227). 210 StRspr seit BVerfGE 8, 274 [294 f.]. 211 Vgl. BVerfGE 37, 363 [381]. Zustimmend Wyduckel, DÖV 1989, 181 (189); Hanf, Bundesstaat, 64. 212 Siehe unten 3. Kapitel III. 3. d (1) (e). 213 Vgl. Bundestag, Enquete-Kommission, 221 f.; Ossenbühl, Zustimmung, 315; BVerfGE 55, 274 [334 f. (Sondervotum Rottmann), 341 f. (Sondervotum Hirsch)].

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begründet liegt. 214 Ein solcher Mißbrauch gefährdet die Definitionssuprematie der Bundesregierung und die Präponderanz des demokratischen Prinzips, er stellt somit die Qualität der Gemeinwohlverwirklichung in Frage. Die Forschungshypothese einer Suspendierung der Definitionssuprematie der Bundesregierung konnte somit nicht bestätigt werden für die Aufgabe, Gemeinwohlgefährdungen zu erkennen und Maßnahmen zu deren Abwendung zu erarbeiten. Die Definitionssuprematie der Bundesregierung wird jedoch zugunsten des Bundesrates suspendiert für die Beurteilung der Gemeinwohlkompatibilität der zustimmungspflichtigen staatsorganisationsrechtlichen Eingriffe in die politische Potenz der Länder. d) Fälle der Zustimmungsbedürftigkeit im einzelnen (1) Regelfälle Nachfolgend werden solche zustimmungsbedürftigen Bundesgesetze genannt und knapp erläutert, deren Zustimmungsbedürftigkeit sich aus dem Gedanken des Kompetenzschutzes und des Schutzes der politischen Potenz für die Länder ergibt. Die Regelungen für den Verteidigungsfall wurden ausgespart. Ebenfalls nicht berücksichtigt wurden die Übergangs- und Schlußbestimmungen, abgesehen allerdings von Art. 143 a Abs. 3 GG. (a) Art. 23 GG Art. 23 GG sieht in Abs. 1 die Zustimmung des Bundesrates zu solchen Gesetzen vor, welche Hoheitsrechte auf die Europäische Union übertragen. Ebenfalls zustimmungsbedürftig nach Abs. 7 sind Gesetze, welche die vorgeschriebene Mitwirkung des Bundesrates an der Willensbildung des Bundes über Angelegenheiten der Europäischen Union regeln. Die Übertragung von Hoheitsrechten an die Europäische Union kann eine Beschneidung von Länderkompetenzen bedeuten. Rechtsetzungsakte der Union können Auswirkungen auf Umfang und Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens der Länder besitzen. 215 Diese Ingerenzen sind zum Teil sogar ausdrücklich in den Ver214 Ähnlich zur Möglichkeit eines Kompetenzmißbrauchs Lange, Legitimationskrise, 239; Sachs, VVDStRL 58 (1999), 72 f.; Schneider, DVBl 1953, 257 (260); Friesenhahn, Rechtsentwicklung, 267; Antoni, AöR 113 (1988), 329 (337 f., 346). A. A. Lerche, Zustimmungsgesetze, 190. Lerche behauptet, da der Gegenstand der Zustimmungsentscheidung notwendigerweise nur das ganze Gesetz bilden könne, ließe sich die Zustimmung sachlich nicht eingrenzen; deshalb könnten die Ablehnungsgründe auch im materiellen Teil des Gesetzes liegen. Eine solche „Untrennbarkeit“ wird vorliegend nicht gesehen. 215 Vgl. Bundesrat, Kommission Verfassungsreform, Rn. 6; Bundestag, Verfassungskommission, 64; Sachs, VVDStRL 58 (1999), 67 ff.; Frowein, Bundesrat, 289 f.; Badura, Schluß-

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fassungstext des Art. 23 GG aufgenommen. Das Zustimmungsbedürfnis dient damit ganz offensichtlich dem Schutz des Kompetenzbestandes der Länder. Zu beachten bleibt allerdings, daß die Absätze 4 und 5 insofern nur von Berücksichtigungspflichten handeln. Obschon also ein Gesetz nach Abs. 7, welches unter anderem diese Berücksichtigungspflichten regelt, der Zustimmung des Bundesrates bedarf, so kann es dennoch nicht über dieses verfassungsvorgegebene Ausmaß der Mitwirkung hinausgehen. Das Zustimmungserfordernis wirkt sich dort also nicht als ein unüberwindbarer Bestandsschutz aus. Selbstverständlich ist es aber geeignet, die Berücksichtigungspflichten bis zur verfassungsrechtlich gerade noch zulässigen Grenze auszugestalten. (b) Art. 29 Abs. 7 GG Art. 29 GG handelt vor allem von der „Neugliederung des Bundesgebietes“, das heißt einer umfassenden Gebietsreform im Dienste der Ziele des Art. 29 Abs. 1 Satz 1 GG. Eine solche Reform ist Sache des Bundes, Art. 29 GG wurde oben als wesentliche Bestätigung des funktionalen Charakters der Bundesstaatlichkeit herangezogen. Ein entsprechendes Neugliederungsgesetz bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates. Hingegen regelt Art. 29 Abs. 7 GG „sonstige Änderungen des Gebietsbestandes der Länder“. Hiermit sind kleinere Änderungen des Gebietsbestandes gemeint, welche nicht unmittelbar der Zielerreichung gemäß Art. 29 Abs. 1 Satz 1 GG dienen, sondern sich in ihren Auswirkungen auf die beteiligten Länder beschränken. Regelungszweck des Art. 29 Abs. 7 GG ist also nicht die Steigerung der Funktionstüchtigkeit des Bundes – im Gegensatz zu Art. 29 Abs. 1–6 GG –, sondern lediglich die Steigerung der Funktionstüchtigkeit der beteiligten Länder. Steht Art. 29 Abs. 7 GG somit also im Dienste der Länder, so schützt das Zustimmungserfordernis für Änderungsgesetz und Verfahrensgesetz eine Definitionshoheit der Länder über die funktionsgerechte Ausgestaltung ihrer Staatsorganisation. Der Bund soll nicht ohne Mitwirkung der Länder darüber befinden können, ob eine Änderung des Gebietsbestandes bestimmter Länder für die Aufgabenwahrnehmung dieser Länder förderlich ist oder nicht. (c) Art. 74 a GG Art. 74 a GG unterwirft „die Besoldung und Versorgung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen“, der konkurrierenden Gesetzgebung, Abs. 2 erklärt entsprechende Gesetze für zustimmungsbedürftig. bericht, 333 f.; Gramm, AöR 124 (1999), 212 (216); Volkmann, DÖV 1998, 613 (616 f.); Maurer, Bundesrat, 624.

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Wird angesichts dieser Verfassungsnorm von einer „bedenklichen Gefahrenlage für die Eigenstaatlichkeit der Länder“, gar von einem „Systembruch“ 216 gesprochen, so bezeichnet dies treffend die Intensität des Eingriffs in „organisatorische Grundentscheidungen“ 217 der Länder, in ein „föderales Nervenzentrum“. 218 Ein so tiefer Eingriff des Bundes in Organisationsfragen des öffentlichen Dienstes der Länder berührt offenkundig auch deren politische Potenz als Staaten im Sinne des Art. 20 Abs. 1 GG. Das Zustimmungserfordernis erweist sich daher als konsequent, es sichert die Mitwirkung der Länder bei der Ausgestaltung der fraglichen Rechtsmaterie über den Bundesrat ab. (d) Art. 74 Abs. 2 GG Die Regelung der Staatshaftung begründet das Zustimmungserfordernis aufgrund der erheblichen finanziellen Auswirkungen, welche hierin für die Länder begründet liegen können. Damit wird die Finanzausstattung und somit die politische Potenz der Länder geschützt. (e) Art. 80 Abs. 2 GG Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfordert ein Bundesgesetz die Zustimmung des Bundesrates, welches als „anderweitige bundesgesetzliche Regelung“ die Zustimmung des Bundesrates zu den in Art. 80 Abs. 2 GG genannten Rechtsverordnungen ausschließt. 219 Hierfür spricht insbesondere das systematische Argument, daß die verfassungskräftige Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit von Rechtsverordnungen ins Leere zielte, wäre diese durch ein zustimmungsfreies Bundesgesetz zu überwinden. Art. 80 Abs. 2 GG eröffnet dem Bundesrat die verbindliche Mitwirkung an der Rechtsetzung im Bund in Form bestimmter Rechtsverordnungen. Das Zustimmungserfordernis bezüglich eines Ausschlusses dieser Mitwirkung schützt unmittelbar den so geschaffenen Kompetenzbestand der Länder. (f) Art. 84 Abs. 1, 85 Abs. 1 GG Der Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder wurde oben erhebliche Bedeutung für die Ermöglichung und Qualitätssicherung der Alternativfunktion der Länder beigemessen. Die beiden Verfassungsnormen erlauben zwar die Abwei216 Oeter, Starck – Bonner Grundgesetz, Art. 74 a, Rn. 6, 15. Krit. auch Bundestag, EnqueteKommission, 54; Herzog, BayVBl 1991, 513 (515). 217 BVerfGE 34, 9 [19 f.]. Auch: BVerfGE 4, 115 [126 f.]. 218 Lerche, Zustimmungsgesetze, 187. 219 Vgl. BVerfGE 28, 66 [76 ff.].

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chung von diesem Kernbaustein der Bundesstaatlichkeit, stellen sie aber unter den Schutz der Zustimmung des Bundesrates. Unter tatsächlichem Gesichtspunkt besitzt insbesondere Art. 84 Abs. 1 GG herausragende Bedeutung. Dessen Anteil an die Zustimmungspflicht auslösenden Gesetzesbestimmungen beträgt ca. 60 Prozent. 220 Im Zusammenhang mit der – wohl allerdings nicht mehr fortbestehenden 221 – Einheitsthese 222 des Bundesverfassungsgerichts bedeuten die beiden Verfassungsnormen die nachhaltigste verfassungsrechtliche Grundlage der Mitwirkung des Bundesrates an der Gesetzgebung des Bundes. Nach der Änderung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Erlaß von allgemeinen Verwaltungsvorschriften durch die Bundesregierung nach Art. 84 Abs. 2, 85 Abs. 2 GG entfällt das zuvor vom Gericht aufgestellte Zustimmungserfordernis. 223 Dieses galt einem Bundesgesetz, welches den Ausschluß der Zustimmung des Bundesrates zu solchen Verwaltungsvorschriften vorsah. 224 Einen derartigen Ausschluß erachtet das Bundesverfassungsgericht nunmehr für unzulässig.

(g) Art. 87 Abs. 3, 87 b Abs. 1, 2 GG Die Verfassungsnormen handeln in verschiedener Form von der Einrichtung einer Bundeseigenverwaltung. Die entsprechenden Verwaltungskompetenzen würden den Ländern somit entzogen. Auch hier dient das Zustimmungsbedürfnis also dem Schutz des Kompetenzbestandes der Länder. 220 Vgl. Dästner, ZParl 2001, 290 (306). Zu Recht weist im übrigen Hesse darauf hin, da der Einfluß der Bundesrates über das Zustimmungserfordernis im Grundgesetz normativ angelegt ist, sei es unerheblich, ob die weittragende Rolle des Zustimmungserfordernisses und damit des Bundesrates bei der Schaffung des Grundgesetzes beabsichtigt war oder nicht (Hesse, AöR 98, 1 (11)). Identisch äußert sich Halstenberg, Fortentwicklung, 146. Ähnlich Herzog, Einfluß, 237; Hoppenstedt, Bundesstaatliche Ordnung, 230. Zur angeblichen Ausweitung des Zustimmungserfordernisses Schneider, DVBl 1953, 257 (257); Leisner, DÖV 1968, 389 (390); Bandorf, Bundesrat, 140; Herzog, Bundesrat, 204 f.; Herzog, Beziehungen, 168; Ossenbühl, Zustimmung, 302; Ziller, Spannungsverhältnis, 338; Langguth, Das Parlament B 6/2000, 5; Dolzer, VVDStRL 58 (1999), 15, 29 ff.; Sachs, VVDStRL 58 (1999), 61; Klein, AöR 108 (1983), 329 (351); Oeter, Integration, 159 ff.; Gramm, AöR 124 (1999), 212 (221); Antoni, AöR 113 (1988), 329 (329 ff., 349 ff.); differenziert Lerche, Zustimmungsgesetze, 184 ff., 198. Im übrigen weist Dästner, ZParl 2001, 290 (290 ff.) überzeugend nach, daß Erweiterungen des Zustimmungserfordernisses durch den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht die Ursache für dessen erhöhte Einschlägigkeit sind. Vgl. zum Eingriffscharakter der Verfassungsnormen in die Länderhoheit BVerfGE 11, 6 [18]; 14, 197 [211]; 26, 338 [397 ff.]; 37, 363 [384]; 55, 274 [318 ff.]; 75, 108 [150]; 100, 249 [259 ff.]; 105, 313 [331]. 221 Vgl. BVerfGE 105, 313 [339, 341]. 222 Vgl. besonders BVerfGE 8, 274 [294 f.]; 24, 184 [194 ff.]; 37, 363 [380 f.]. Zur Kritik Ossenbühl, Zustimmung, 300 ff.; Antoni, AöR 113 (1988), 329 (333 ff.). 223 Vgl. BVerfGE 100, 249 [259 ff.]. 224 Vgl. BVerfGE 26, 338 [398 f.].

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

(h) Art. 87 c GG Für den Gegenstandsbereich der friedlichen Nutzung der Kernenergie sieht Art. 87 GG die Möglichkeit vor, auf Grundlage eines zustimmungspflichtigen Bundesgesetzes die Auftragsverwaltung durch die Länder anzuordnen. Hierdurch würde von dem Grundsatz der Ausführung durch die Bundesländer als eigene Angelegenheit gemäß Art. 83 GG abgewichen und insofern die Verwaltungskompetenz der Länder eingeschränkt. (i) Art. 87 d Abs. 2 GG Art. 87 d Abs. 1 GG ordnet für die Luftverkehrsverwaltung die Form der bundeseigenen Verwaltung an. Abs. 2 ermöglicht die Übertragung von Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung auf die Länder mittels eines Bundesgesetzes mit Zustimmung des Bundesrates. Dieses Zustimmungserfordernis scheint sich zunächst nicht in das Schema des Kompetenzschutzes einzufügen. Der Erlaß des fraglichen Bundesgesetzes vergrößerte den Kompetenzumfang der Länder, indem es eine den Ländern bisher völlig entzogene Verwaltungsaufgabe zumindest in Form der Beauftragung diesen nunmehr in Teilen überließe. Das Zustimmungserfordernis erhellt jedoch, würdigt man den Ausnahmecharakter einer Verwaltungskompetenzzuweisung durch einfaches Bundesgesetz. Verwaltungskompetenzen werden vom Grundgesetz aufgeteilt. 225 Art. 83 GG ordnet die Regelzuständigkeit der Länder für die Ausführung der Bundesgesetze an. Abweichungen bedürfen ausdrücklicher verfassungsrechtlicher Festlegung. Eine solche Abweichung bedeutet Art. 87 d Abs. 1 GG, indem es für die Luftverkehrsverwaltung die bundeseigene Verarbeitung anordnet. Hierbei handelt es sich also um die zunächst verfassungsgewollte Form der Aufgabenwahrnehmung. Das Grundgesetz hat dabei den Aspekt der Organadäquanz in föderaler Hinsicht berücksichtigt. Der verfassungsrechtlichen Aufgabenzuweisung ist also zu unterstellen, sie sei sowohl für den Bund als auch für die Länder funktionsgerecht. 226 Die Regelzuständigkeit des Bundes von Verfassungs wegen kann daher nicht als ein „Nachteil“ der Länder betrachtet werden. Art. 87 d Abs. 2 GG eröffnet nun ausnahmsweise dem einfachen Bundesgesetzgeber die Möglichkeit, abweichend von der Regelzuständigkeit die Länder mit der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben zu beauftragen. Dabei wird sich der Bundesgesetzgeber von der Funktionsgerechtigkeit für den Bund leiten lassen. Die Übertragung zusätzlicher Aufgaben auf die Länder durch einfaches Bundesgesetz bedeutet also nicht „automatisch“ einen Gewinn der Länder, sondern gegebenenfalls sogar einen nachteiligen Eingriff in die Organisationshoheit. Die Beauftragung zwingt die Länder, die notwendigen Verwaltungseinrichtungen zu 225 „Verfassungsvorbehalt für die Kompetenzverteilung“, Heintzen, DVBl 1997, 689 (689); BVerfGE 45, 297 [341]. 226 Vgl. Bundesrat, Kommission Verfassungsreform, Rn. 6.

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schaffen. Daher entfaltet das Zustimmungserfordernis auch hier eine Schutzfunktion, um die mögliche Nachteiligkeit der Aufgabenübertragung zu begrenzen. (j) Art. 87 e GG Art. 87 e Abs. 1 Satz 2 GG ermöglicht die Übertragung von Aufgaben der Eisenbahnverkehrsverwaltung auf die Länder, welche diese abweichend von der Regelzuständigkeit des Bundes gem. Satz 1 dann als eigene Angelegenheit wahrnehmen. Insoweit gilt für das Übertragungsgesetz das unter Art.87 d Abs. 2 GG gesagte. Hieran ändert nichts, wenn dort die Auftragsverwaltung vorgeschrieben ist, während Art. 87 e Abs. 1 Satz 2 GG von der Landeseigenverwaltung ausgeht. Abs. 2 gestattet die Übertragung von „über den Bereich der Eisenbahnen des Bundes hinausgehenden Aufgaben“ der Eisenbahnverkehrsverwaltung an den Bund. Die Verfassungsnorm gestattet somit eine Abweichung von der Kompetenzvermutung zugunsten der Länder gemäß Art. 83 GG, woraus sich wiederum der kompetenzschützende Charakter des Zustimmungserfordernisses ergibt. Zu den Absätzen 3 bis 5 wird unten im Abschnitt „Sonderfälle“ Stellung genommen. (k) Art. 91 a Abs. 2 GG Die „Mitwirkung“ des Bundes bei der Erfüllung von Aufgaben der Länder bedeutet ebenfalls eine Beeinträchtigung der Kompetenzhoheit der Länder. 227 Dementsprechend unterwirft das Grundgesetz die gesetzliche Regelung der Gemeinschaftsaufgaben dem Zustimmungserfordernis. (l) Art. 96 Abs. 5 GG Die Ausübung einer Gerichtsbarkeit des Bundes durch die Länder bedeutet keinen Kompetenzgewinn der Länder. Vielmehr bleibt die Bundeskompetenz erhalten und wird in Organleihe von Gerichten der Länder ausgeübt. In dieser Weise dem Bund eigene Organe zur Verfügung stellen zu müssen, berührt die Organisationshoheit der Länder und löst daher das Zustimmungserfordernis aus.

227 Vgl. Bundestag, Verfassungskommission, 64; Frowein, Bundesrat, 285; Halstenberg, Fortentwicklung, 140; Kisker, Beziehungen, 158; Scholz, Landesparlamente, 832; Ravens, ZParl 1979, 539 (540); Calliess, DÖV 1997, 889 (890); Ossenbühl, DVBl 1989, 1230 (1232); Gramm, AöR 124 (1999), 212 (216); Volkmann, DÖV 1998, 613 (617); Bauer, DÖV 2002, 837 (840).

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

(m) Art. 104 a – 109 GG Von der Finanzverfassung wird behauptet, sie sei eine Fundamentalfrage,228 der Kern bundesstaatlicher Verfassung. Nach den bisherigen Befunden kann einer derart apodiktischen Einschätzung nicht zugestimmt werden. Der „Kern“ bundesstaatlicher Verfassung muß sicherlich in der Funktion der Bundesstaatlichkeit gesehen werden, wie sie oben entwickelt wurde. Die Äußerungen treffen aber insoweit zu, als die Finanzverfassung unter den instrumentalen bundesstaatlichen Regelungen herausragende Bedeutung besitzt. Neben den Kompetenzzuweisungen der Art. 30, 70 ff. GG bewirkt erst die zureichende Mittelausstattung die Ermöglichung politischer Potenz der Länder, indem sie ökonomischen Gestaltungsspielraum eröffnet. Danach ist auch das Zustimmungserfordernis zu diesbezüglichen gesetzlichen Regelungen dem unmittelbaren Schutz der politischen Potenz der Länder gewidmet. (n) Art. 143 a Abs. 3 GG Nach dem Grundgesetz sind die Aufgaben im Bereich des Schienenpersonennahverkehrs eigentlich Ländersache, wie sich insbesondere aus Art. 87 e GG und Art. 106 a GG ergibt. Für einen definierten Zeitraum entzieht Art. 143 a Abs. 3 GG den Ländern diese Aufgabe, dieser Kompetenzentzug begründet das Zustimmungserfordernis des ausgestaltenden Bundesgesetzes. (2) Sonderfälle unmittelbar gemeinwohlerheblicher Zustimmungsmaterien Nachfolgende Zustimmungserfordernisse betreffen Gesetzgebungsgegenstände, welche nicht nur lediglich instrumental für die Gemeinwohlverwirklichung sind. Sie besitzen keinen staatsorganisatorischen, sondern vielmehr unmittelbar gemeinwohlerheblichen Charakter. So ist denn etwa in Art. 87 e Abs. 4 GG bezeichnenderweise ausdrücklich vom „Wohl der Allgemeinheit“ die Rede. Diese Zustimmungserfordernisse gewährleisten also nicht Schutz vor Systemverschiebung, sondern gewähren erhöhten Einfluß auf unmittelbar gemeinwohlerhebliche Sachfragen. Sie gefährden damit zum einen die Präponderanz des demokratischen Prinzips, zum anderen die Definitionssuprematie der Bundesregierung. Die gemeinwohlfördernde Alternativfunktion der Länder verwirklicht sich im Bundesrat in der Form des Einspruchs und der Gesetzesinitiative, wie oben entwickelt. Allerdings ist dem verfassungsändernden Gesetzgeber gestattet, die in den Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze systemgerecht zu „modifizieren“. 229 Systemgerecht kann aber die 228 Vgl. Stern, Föderative Besinnungen, 329; Isensee, HStR IV, § 98 Rn. 209; BVerfGE 32, 333 [338]; 55, 274 [299 ff.]; 67, 256 [288 f.]; 105, 185 [194]. 229 Vgl. BVerfGE 30, 1 [24]; 84, 90 [120 f.]; 89, 155 [208 f.]; 94, 12 [34].

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beschriebene qualitative Ausweitung des Zustimmungserfordernisses nur bleiben, wenn sich die Zahl derartiger Fälle in engen Grenzen hält. (a) Art. 16 a GG Die Abs. 2 und 3 dieser Verfassungsnorm ordnen das Zustimmungserfordernis an für Bundesgesetze, welche die sogenannten „sicheren Drittstaaten“ bzw. verfolgungsfreie Staaten definieren. Während Abs. 2 den persönlichen Geltungsbereich begrenzt, bedeutet Abs. 3 eine Beschränkung des verfahrensbezogenen Gewährleistungsinhalts. 230 Jedenfalls besitzen Bundesgesetze sowohl nach Abs. 2 als auch nach Abs. 3 eine grundrechtsausgestaltende Wirkung. Eine Vermutung könnte zunächst dafür sprechen, das Zustimmungserfordernis in Zusammenhang mit dem „verfassungsnahen“ Regelungsgegenstand zu sehen, gewissermaßen in Anlehnung an das Zustimmungserfordernis in Art. 79 Abs. 2 GG. Eine derartige Vermutung ginge jedoch fehl, da solche grundrechtsausgestaltenden Regelungen im Grundrechtskatalog auch anderweitig vorkommen, ohne daß das Zustimmungsbedürfnis ausgelöst würde. Für Verfahrensfragen im Sinne des Abs. 3 gilt dies ohnehin. Ob Abs. 2 tatsächlich den persönlichen Geltungsbereich beschränkt, erscheint zweifelhaft. Das Bundesverfassungsgericht begründet diese Annahme mit dem Wortlaut „Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer ...“. 231 In der Tat ist diese Formulierung personenbezogen, und im Ergebnis wird aufgrund des entsprechenden Bundesgesetzes ein bestimmter Personenkreis auch tatsächlich von der Gewährung des Grundrechtes ausgeschlossen. Allerdings knüpfen die im weiteren normierten Tatbestandsvoraussetzungen gerade nicht an personalen Eigenschaften an, sondern an den objektiven Eigenschaften von „Drittstaaten“, aus denen Asylsuchende stammen können. Zwar hat die Definition „sicherer Drittstaaten“ bzw. verfolgungsfreier Staaten Auswirkungen auf die Anzahl der Asylsuchenden und damit auf die anfallenden Kosten für die Länder. Die Entstehung von Kosten für die Länder ist jedoch den Art. 83 und 104 a GG immanent, sie allein bedeutet keine Einschränkung des Kompetenzbestandes oder der politischen Potenz, welche ein Zustimmungserfordernis rechtfertigen könnte. Daher bleibt festzuhalten, aufgrund der Zustimmungserfordernisse in Art. 16 a GG erhalten die Länder gesteigerte Einwirkungsmöglichkeiten auf unmittelbar gemeinwohlerhebliche Sachfragen. 232

230 231 232

Vgl. BVerfGE 94, 115 [132 f.]. BVerfGE 94, 115 [132 f.]. Krit. hierzu Sachs, VVDStRL 58 (1999), 62.

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3. Kap.: Die Zustimmungsbefugnis des Bundesrates

(b) Art. 87 e Abs. 3–5, Art. 87 f Abs. 1 und Art. 143 b Abs. 2 GG Als einziger Grund für die Zustimmungsbedürftigkeit der fraglichen Bundesgesetze wäre noch die Bedeutung des Infrastruktursicherungsauftrages für die Länder denkbar. 233 Auch hierbei handelt es sich jedoch um eine unmittelbar gemeinwohlerhebliche Sachfrage, welche zwar die Länder zweifellos „betrifft“, nicht aber deren politische Potenz in Frage stellt. e) Ergebnis Der Bundesrat ist dasjenige Verfassungsorgan, welches der Alternativfunktion der Länder verfassungsrechtliche Wirksamkeit verleiht. Die Ausübung der Definitionssuprematie der Bundesregierung unterliegt einer Irrtumswahrscheinlichkeit. Einspruch und Gesetzesinitiative eröffnen für diesen Fall Korrekturmöglichkeiten. Korrekturvorschläge des Bundesrates beruhen nicht auf bloßen Vermutungen oder lediglich theoretisch fundierten politischen Ideen. Vielmehr beruhen sie auf sich gegenwärtig in realen staatlichen Leben bewährenden alternativen Konzepten der Gemeinwohlverwirklichung. Dies gewährleistet eine erhöhte Qualität und Rationalität der Korrekturvorschläge. Auf diese Weise fördert die Alternativfunktion der Länder die Gemeinwohlverwirklichung im Bund. Die Gesetzesinitiative bedeutet eine ex-post Kontrolle. Bereits bestehende, aber ungeeignete gesetzliche Regelungen können beseitigt bzw. korrigiert werden. In der Vergangenheit nicht erkannten Gemeinwohlgefährdungen kann mittels des Gesetzes begegnet werden. Der Einspruch ist in die Zukunft gerichtet, er kann ungeeignete Maßnahmen zur Abwendung einer erkannten Gemeinwohlgefährdung verhindern. Wahrnehmung von „Interessen“ bedeutet Wahrnehmung von Kompetenzen. Nehmen die Länder ihre Kompetenzen wahr, so entfaltet dies ihre verfassungsgewollte politische Potenz. Die politische Potenz ist jedoch Voraussetzung ihrer Alternativfunktion, und damit auch Grundlage der funktionsgerechten Mitwirkung im Bundesrat. Die Landesregierungen entscheiden auf der Basis alternativer Gesamtkonzepte der Gemeinwohlverwirklichung. Für Gegenstände der Landesgesetzgebung wirkt ein repräsentativer Ausschnitt des Gesamtkonzepts, im Bundesrat kommt das Gesamtkonzept in Gänze zum Tragen. Gerade dieses Gesamtkonzept bedeutet aber von Verfassungs wegen die Grundlage der Entscheidung über die Einlegung eines Einspruches oder die Einbringung einer Gesetzesinitiative. Zwischen Landes- und Bundesinteressen besteht daher weder ein Antagonismus noch eine Inkongruenz. Solange eine Landesregierung auf Grundlage ihres Gesamtkonzepts im Bundesrat 233 Vgl. Lerche, Maunz-Dürig, Art. 143 b Rn. 23 f. Krit. Rottmann, Archiv PT 1994, 193 (197).

III. Die Funktion des Bundesrates

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so entscheidet, wie sie es für richtig hält, erfüllt sie ihre bundesstaatliche Funktion nach dem Grundgesetz. Die fehlende Durchsetzungsfähigkeit von Einspruch und Gesetzesinitiative sind Ausdruck der Definitionssuprematie der Bundesregierung und des demokratischen Prinzips. Den Zusammenhang zwischen Definitionssuprematie und demokratischem Prinzip bildet der Vertrauens- und Verantwortungszusammenhang zwischen Bundesregierung und Bundestag. Der Bundestag vertraut zwar in der Regel den Einschätzungen der Bundesregierung, diese Richtigkeitsvermutung ist aber jederzeit revozierbar. Das Zustimmungserfordernis besteht für solche Gesetzgebungsmaterien, welche Auswirkungen auf die politische Potenz der Länder besitzen. Die politische Potenz ist jedoch Voraussetzung der Entstehung alternativer Gesamtkonzepte der Gemeinwohlverwirklichung in den Ländern, und somit auch die Voraussetzung der ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Alternativfunktion. Die sich auf Landesebene gegenwärtig bewährenden Alternativen bedeuten auch das Fundament für die Korrekturvorschläge des Bundesrates in Gestalt des Einspruchs gegen Gesetzesbeschlüsse und der Einbringung von Gesetzesinitiativen. Das Zustimmungserfordernis dient somit unmittelbar dem Schutz der Qualität der Gemeinwohlverwirklichung im Bund, indem es die Qualität und Rationalität der Korrekturvorschläge des Bundesrates sichert. Das Zustimmungserfordernis dient also nicht selbstzweckhaft der Sicherung einer Eigenstaatlichkeit der Länder. Die Zustimmungsverweigerung trifft somit keine Aussage über die Qualität unmittelbar auf die Gemeinwohlverwirklichung gerichteter Maßnahmen. Scheitert daher ein Gesetz im Bundesrat, so besteht die von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundestages objektiv festgestellte Gemeinwohlgefährdung fort. Die Bundesregierung bleibt verpflichtet, Maßnahmen zur Abwendung dieser Gemeinwohlgefährdung zu erarbeiten. Sie muß einen neuen Gesetzentwurf einbringen, welcher den Bedenken des Bundesrates bezüglich der zustimmungsbedürftigen Regelungen Rechnung trägt. Der Bundesrat ist daher auch von Verfassungs wegen verpflichtet, seine Zustimmungsverweigerung zu begründen. Eine Zustimmungsverweigerung vorgeblich auf zustimmungsbedürftige Regelungen formal zu stützen, sie aber in Wirklichkeit mit den materiellen Regelungen zu begründen, ist mißbräuchlich. Der Bundesrat muß seine Zustimmungsverweigerung gründen auf der Annahme einer zu starken Einbuße politischer Potenz der Länder. Andere Beweggründe sind unzulässig.

Zusammenfassung Zum Begriff des Gemeinwohls „Gemeinwohl“ entbehrt einer ausdrücklichen positiven Grundlage in der Verfassung. Der Begriff bildet lediglich einen Analysemaßstab, anhand dessen die Normen des Grundgesetzes auf Übereinstimmungen mit dem zuvor definierten Begriffsinhalt überprüft werden. Der Begriffsinhalt von „Gemeinwohl“ wird vorliegend zunächst definiert als der Zustand, in dem jedes Individuum der verstaatlichten Gemeinschaft sich in dem nach seiner eigenen Definition besten Zustand befindet. Daraus ergibt sich ein gemeinwohlbezogener Sollensgehalt von Verfassungsvorschriften als die Definition anzustrebender Zustände. Hierzu zählen einerseits solche Zustände, welche die Möglichkeit der Entfaltung des Individuums erhöhen. Derartige Zustände sollen „Gemeinwohlbelange“ heißen. Andererseits macht ein mögliches Widerstreiten von Gemeinwohlbelangen einen Interessenausgleich erforderlich. Zustände, welche der Herbeiführung eines solchen Interessenausgleiches dienen, bedeuten ebenfalls einen „Gemeinwohlbelang“. Der so gewählte verfassungsnormative Gemeinwohlbegriff bedeutet lediglich den Inbegriff grundgesetzlicher Einzelbestimmungen, welche obenstehender Definition entsprechen. Dem verfassungsnormativen Gemeinwohlbegriff gehören zunächst die Grundrechte an, weiterhin die Mehrzahl der Staatszielbestimmungen und der Staatsfundamentalnormen. Die Definition eines verfassungsnormativen Gemeinwohlbegriffes gestattet, nach der Gemeinwohlpflichtigkeit staatlichen Handelns zu fragen. Der Klärung bedarf zunächst, inwieweit jedes staatliche Handeln einem Gemeinwohlvorbehalt unterliegt, also im Dienste des definierten Gemeinwohls stehen muß. Darüber hinaus könnte auch eine staatliche Handlungspflicht zum Zwecke der Gemeinwohlverwirklichung existieren. Solche Gemeinwohlvorbehalte setzen die Kenntnis zulässiger Gemeinwohlbelange voraus. Wäre dem Staat gestattet, über die verfassungsnormativ festgelegten Gemeinwohlbelange hinaus weitere Gemeinwohlbelange zu erfinden, so schlösse dies eine solche ex-ante Kenntnis zulässiger Gemeinwohlbelange aus. Werden Gemeinwohlbelange erst vermöge der staatlichen Entscheidungen definiert, so schafften sich die Staatsorgane den Bewertungsmaßstab der Gemeinwohlnützlichkeit ihres Handelns selbst. Ein verfassungsrechtlicher Gemeinwohlvorbehalt liefe ins Leere. Das sogenannte prozedurale Gemeinwohlverständnis behauptet jedoch ein derartiges Gemeinwohlerfindungsrecht. Dieses Gemeinwohlverständnis bedarf daher der Widerlegung.

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Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG umfaßt alles denkbare menschliche Tun und Unterlassen. Daher greift jedes beliebige staatliche Handeln mit Entscheidungscharakter, d. h. die Ausübung von Staatsgewalt, in den Schutzbereich der Verfassungsnorm ein. Entscheidung bedeutet die Festlegung auf eine Alternative. Die Umsetzung der Entscheidung reduziert daher in der Außenwelt für einen bestimmten Ausschnitt der Lebenswirklichkeit die zunächst kontingenten Möglichkeiten auf eine einzige. Eine staatliche Entscheidung beschränkt zumindest die Handlungsmöglichkeit eines Individuums. Ein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts bedarf der Rechtfertigung. Der Eingriff muß den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Diese Verhältnismäßigkeit läßt sich nur ermitteln in Kenntnis des beabsichtigten Zweckes der Maßnahme. Die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit setzt also ein Bedeutungsverhältnis zwischen Art. 2 Abs. 1 GG und angestrebtem Zweck voraus. Wäre dem Gesetzgeber die Erfindung neuer, das Grundgesetz transzendierender Gemeinwohlbelange gestattet, so müßte der Gesetzgeber gleichzeitig auch die Bedeutung dieser neuen Gemeinwohlbelange bestimmen dürfen. Ein anderer Beurteilungsmaßstab liegt nicht vor. Das Grundgesetz scheidet hierfür aus, denn für Gemeinwohlbelange, die es selbst überhaupt nicht vorsieht, kann es auch nicht deren Bedeutung festlegen. Damit könnte jedoch zumindest Art. 2 Abs. 1 GG, im Falle der Einschlägigkeit auch alle anderen Grundrechte, jederzeit auf den Wesensgehalt reduziert werden. Kommt dem Gesetzgeber die Definitionskompetenz über die Bedeutung seiner neu erfundenen Gemeinwohlbelange zwangsläufig zu, so könnte er für jeden dieser Belange einen Vorrang vor den verfassungsnormativen Gemeinwohlbelangen behaupten. Dem Gesetzgeber erwüchse eine Verfügungsgewalt über die Grundrechte, welche in Widerspruch zu Art. 1 Abs. 3 GG stünde. Verfassungstranszendente Gemeinwohlbelange sind daher auszuschließen, ein Gemeinwohlerfindungsrecht des Gesetzgebers besteht nicht. Neben der Förderung der verfassungsnormativen Gemeinwohlbelange besteht seine vornehmste Aufgabe darin, den Interessenausgleich widerstreitender Gemeinwohlbelange herbeizuführen. Jedes beliebige staatliche Handeln greift zumindest in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG ein, daher bedarf es der Rechtfertigung. Wegen des Ausschlusses verfassungstranszendenter Gemeinwohlbelange bleiben für diese Rechtfertigung nur die verfassungsnormativen Gemeinwohlbelange übrig. Jedes staatliche Handeln muß also zumindest einem dieser Gemeinwohlbelange dienen. Handlungspflichten folgen aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte, sowie aus dem normativen Gehalt von Staatszielen und Staatsfundamentalnormen. Die Pflicht des Staates zur Gewährleistung der verfassungsnormativen Gemeinwohlbelange bedingt eine Pflicht zu umfassender Beobachtung von Zustand und Entwicklung der Gesellschaft. Die Feststellung einer eingetretenen oder sicher bevorstehenden Störung zwingt den Staat zum Handeln, sofern nicht ein dritter, gegenwärtig höherrangig eingeschätzter Gemeinwohlbelang dem ausdrücklich entge-

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gensteht. Besteht Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung, hat der Staat sein Urteil auf Prognosen zu stützen. Der Staat hat also im Rahmen des Gemeinwohlvorbehaltes die Förderung verfassungsnormativer Gemeinwohlbelange zu gewährleisten. Art. 78 GG präjudiziert jedoch eine Situation, die den Staat am Tätigwerden hindert. Bundesrat und Bundestag mögen in der Feststellung einer Gemeinwohlgefährdung übereinstimmen, besteht aber dauerhafter Dissens über die geeignete Maßnahme zur Beseitigung der Gefahr, bleibt der Staat ebenso dauerhaft untätig. Daher besteht ein scheinbaren Widerspruch zwischen dem Gemeinwohlvorbehalt und dem Zustimmungserfordernis. Nichthandeln des Staates aufgrund gegensätzlicher Auffassungen von Bundesrat und Bundestag kann auch nicht dergestalt interpretiert werden, der Staat habe eben im Verlaufe des verfassungsmäßigen Verfahrens letztlich keine Gemeinwohlbeeinträchtigung festgestellt. Dem steht die Existenz normativer Gemeinwohlbelange und damit die objektive Feststellbarkeit einer Gemeinwohlgefährdung entgegen. Zur Definitionssuprematie der Bundesregierung Staatliche Untätigkeit aufgrund inkompatibler Auffassungen von Bundestag und Bundesrat als Problem der verfassungsrechtlichen Stellung des Bundesrates zu behandeln setzt voraus, anderen Verfassungsorganen einen Vorrang bei der Definition gesellschaftlicher Probleme und resultierender staatlicher Aufgaben zuzubilligen. Eine Bedeutungsgleichheit der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorgane ließe eine Problematisierung ausgerechnet der Befugnisse des Bundesrates ungerechtfertigt erscheinen. Zur Verfeinerung der Analyse ist der meist verwendete Begriff der „Staatsleitung“ zu scheiden in eine Definitionssuprematie über staatliche Aufgaben und die Form deren Wahrnehmung einerseits, und eine Letztentscheidungsbefugnis andererseits. Die Definitionssuprematie betrifft insbesondere das Erkennen von Gemeinwohlgefährdungen und die Erarbeitung von Maßnahmen zu deren Abwendung. Die Forschungshypothese war zu bestätigen, die Bundesregierung sei der Inhaber der Definitionssuprematie. Bestimmt der Bundeskanzler nach Art. 65 GG nur die Richtlinien der Politik, entfalten diese Richtlinien Rechtswirkung jedoch nur im Regierungsbinnenbereich, so muß „Politik“ eine Aufgabe der Bundesregierung sein. Der „Politik“-Begriff des Art. 65 GG meint die Festlegung bestimmter Zielzustände. Besitzt jedoch die Richtlinienkompetenz Rechtswirkung nur im Regierungsbinnenbereich, so bedarf es weiterer, spezieller Kompetenzen der Bundesregierung, um deren Zielfestlegungen Außenwirksamkeit zu verleihen. Das Herbeiführen eines Zustandes, das heißt die Transformation des gegenwärtigen Zustandes in einem hiervon unterschiedlichen zukünftigen Zustand, bedeutet Gestaltung. Dem Art. 65 GG verleihen daher solche Verfassungsnormen Außenwirksamkeit, welche eine Gestaltungskompetenz der Bundesregierung begründen. Dies sind das Recht zur Gesetzesinitiative nach Art. 76 Abs. 1 GG, das Initiativmonopol zum Haushaltsgesetz nach

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Art. 110 Abs. 2 und 3 in Verbindung mit Art. 76 Abs. 2 GG, und der außenpolitische Gestaltungsbereich nach arg. Art. 59 Abs. 2 GG. Das Haushaltsgesetz enthält das staatliche Gesamtprogramm, es bedeutet jedoch nicht die materielle Regelung gemeinwohlverwirklichender Maßnahmen, vielmehr ist es die Grundlage der finanziellen Ermöglichung der Vorhaben des Gesetzgebers. Die Bundesregierung konkretisiert und koordiniert bei der Aufstellung des Haushaltsplanes die zuvor gesetzlich begründeten Aufgaben und erbringt damit eine erhebliche Gestaltungsleistung, welche den Regelungsanspruch des Gesetzgebers in Einklang mit der Ressourcenknappheit bringt. Art. 113 GG sichert diese Gestaltungsleistung verfassungsrechtlich ab. Die Gesetzgebung ist das entscheidende Gestaltungsmittel im Staat. Dem entsprechend bedeutungsvoll ist das Recht eines Verfassungsorgans zur Einbringung von Gesetzesinitiativen. Gesetzesinitiativen des Bundestages dienen speziellen verfassungsrechtlichen Funktionen, unterschieden nach Mehrheits- und Minderheitsinitiativen. Das Grundgesetz wünscht stabile Regierungsverhältnisse. Deshalb soll eine partielle Uneinigkeit zwischen Parlamentsmehrheit und Bundesregierung nicht sofort zum Regierungssturz führen, das Parlament soll seinen Willen vielmehr selbst in Gestalt der Mehrheitsinitiative durchsetzen können. Eine Minderheitsvorlage gestattet der parlamentarischen Opposition, ihre Alternativen auf eine Weise öffentlichkeitswirksam darzustellen, welche in ihrer formalen Gestalt der tatsächlich zur Verwirklichung gelangenden Mehrheitsalternative entsprechen. Die Existenz solcher Alternativen ist Funktionsvoraussetzung des demokratischen Prinzips. Während also Mehrheits- und Minderheitsvorlagen spezielle verfassungsmäßige Funktionen erfüllen, bedeutet die Gesetzesinitiative der Bundesregierung den Regelfall. Die Bundesregierung besitzt die höchste Organadäquanz zum Erkennen von Gemeinwohlgefährdungen und zur Erarbeitung von Gegenmaßnahmen. Die Organadäquanz gründet in dem Informationsvorsprung und der Fähigkeit zur rationalen Verarbeitung dieser Informationen in der Ministerialbürokratie. Im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten verfügt die Bundesregierung über das alleinige Recht, in Art. 59 Abs. 2 GG nicht aufgeführte völkerrechtliche Verträge abzuschließen. Für zustimmungspflichtige Verträge gemäß Art. 59 Abs. 2 GG besitzt sie ein Initiativ-, Inhalts- sowie Ratifikationsmonopol. Für nichtvertragliche Angelegenheiten exekutivischer Natur besitzt die Bundesregierung das Alleinentscheidungsrecht. Sie nimmt die Mitwirkungsrechte in der Europäischen Union wahr. Die Bundesregierung verfügt somit über wesentliche staatliche Gestaltungskompetenzen, welche dem Begriff der „Politik“ in Art. 65 GG Außenwirksamkeit verleihen. Hieraus eine Definitionssuprematie der Bundesregierung zu folgern, setzt jedoch die Unabhängigkeit der Bundesregierung beim Gebrauch ihrer Kompetenzen voraus. An einer solchen Unabhängigkeit fehlte es, könnte der Bundestag die Bundesregierung beispielsweise zur Einbringung einer Gesetzesinitiative verpflichten. Die Normierung der Gewaltenteilung in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG liefert für diese Frage keinen Anhaltspunkt. Das Grundgesetz übernimmt mit dieser Verfassungs-

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norm kein „vorgegebenes“ Gewaltenteilungsprinzip, die Ausgestaltung der Gewaltenteilung ergibt sich vielmehr aus weiteren Einzelnormen. Art.20 Abs. 2 Satz 2 GG geht über den eigenen Wortlaut nicht hinaus. Eine Autonomie der Bundesregierung bei der Wahrnehmung ihrer Gestaltungskompetenzen ergibt sich unmittelbar aus Art. 65 GG. Zwar wirkt die Richtlinienkompetenz rechtsverbindlich nur im Regierungsbinnenbereich. Art. 65 GG macht jedoch „Politik“ zu einer Aufgabe der Bundesregierung. Diese Aufgabe gewinnt Außenwirksamkeit vermöge der genannten speziellen Kompetenzen. Könnte der Bundestag oder auch der Bundesrat die Bundesregierung zu einer bestimmten Wahrnehmung dieser speziellen Kompetenzen instruieren, so wäre damit gleichzeitig die von Art. 65 GG geschützte Zielfestlegungskompetenz im Binnenbereich der Bundesregierung hinfällig. Von Ausnahmen abgesehen, scheitert auch eine Instruktion durch Gesetz auf Grundlage des Art. 20 Abs. 3 GG. Zwischen Bundestag und Bundesregierung besteht ein Vertrauens- und Verantwortungszusammenhang. Das Vertrauen des Bundestages ist darauf gerichtet, daß von der Bundesregierung benannte Gemeinwohlgefährdungen zutreffen und die vorgeschlagenen Maßnahmen zu deren Abwendung geeignet sind. Die Bundesregierung ist verantwortlich, dies zu gewährleisten. Hierfür besitzt sie die höchste Organadäquanz. Der Bundestag spricht eine revozierbare Richtigkeitsvermutung bezüglich der Einschätzungen der Bundesregierung aus. Gelangt der Bundestag zur Überzeugung, die Einschätzungen der Bundesregierung seien in nicht mehr vertretbarem Maße unzutreffend, so kann er eine amtierende Bundesregierung beseitigen. Die Definitionssuprematie ist daher nicht nur Recht, sondern vor allem Pflicht der Bundesregierung. Der Definitionssuprematie korrespondiert eine Verantwortungsprärogative. Die Regelung des Gesetzgebungsnotstandes nach Art. 81 GG bestätigt nachhaltig diese Stellung der Bundesregierung. Der Bundestag vertraut den Einschätzungen der Bundesregierung nicht mehr, zu einer Beseitigung der Bundesregierung kommt es aber nicht. Diese Ausnahmesituation zwingt die Verfassung, ihre Präferenz in der Frage der Definitionssuprematie eindeutig zu offenbaren. Nimmt der Bundestag nicht die ihm obliegende Aufgabe wahr, eine von seinem Vertrauen getragene Bundesregierung zu installieren, so spricht das Grundgesetz selbst der amtierenden Bundesregierung das Vertrauen aus. Das Grundgesetz stellt durch normative Anordnung fest, daß die Einschätzungen der Bundesregierung als zutreffend zu erachten sind und erteilt ihnen daher Gesetzeskraft. An dieser Verantwortungs- und Vertrauensbeziehung nimmt der Bundesrat nicht teil. Weder kann der Bundesrat eine amtierende Bundesregierung beseitigen, noch hat die Bundesregierung Einfluß auf die Zusammensetzung des Bundesrates. Allerdings kann der Bundesrat einen zustimmungsbedürftigen Gesetzesbeschluß niederschlagen, ohne gleichzeitig einen verfassungsrechtlichen, verbindlichen Konfliktbeseitigungsmechanismus auszulösen. Eine Zustimmungsverweigerung scheint daher die Definitionssuprematie der Bundesregierung vollständig zu absorbieren.

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Zur Funktion der Bundesstaatlichkeit Das Grundgesetz verfügt im deutschen Bundesstaat über die Kompetenz-Kompetenz. Im zweigliedrigen Bundesstaatsaufbau ist diese Verfügungsgewalt der Bundesverfassung logisch nur begründbar mit der Annahme, der Bund habe zunächst alle Kompetenzen inne und weise dann einen Teil davon den Ländern zu. Damit ist die These der Unabgeleitetheit der Staatsgewalt der Länder zu verwerfen. Die Verfügungsgewalt über alle staatlichen Kompetenzen besitzt das Grundgesetz, weil es nicht auf bündischer Grundlage beruht, sondern durch einen Willensakt des deutschen Gesamtvolkes als pouvoir constituant geschaffen wurde. Der pouvoir constituant unterliegt beim Akt der Verfassungsschöpfung keinerlei Bindungen. Hat sich daher das deutsche Gesamtvolk als pouvoir constituant betätigt, so disponierte es dabei zwangsläufig über alle denkbare Staatsgewalt. Das Grundgesetz verfügte daher zunächst auch über alle Kompetenzen. Die Bundesrepublik Deutschland ist als rück-föderalisierter Einheitsstaat entstanden. Die einheitliche Staatsgewalt teilt sich „an der Quelle“ in Bund und Länder auf. Diese Quelle ist die Bundesverfassung. In einem unendlich kurzen Augenblick nach dem Akt der Verfassungsstiftung hat die Bundesverfassung einen Teil der durch sie verfügten umfassenden Staatsgewalt auf die Länder übertragen. Die Länder sind in ihrer rechtlichen Dimension vom Grundgesetz erschaffen. Erst die Übertragung von Kompetenzen durch das Grundgesetz erweckte sie zu verfassungsrechtlichem Leben. Die Länder sind Staaten, weil hierin der normative Residualgehalt von Art. 20 Abs. 1 GG liegt. Die Länder sind Staaten von Grundgesetzes wegen. In Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 GG, welcher die Existenz einer aus demokratischen Wahlen hervorgegangen Volksvertretung in den Ländern anordnet, ergibt sich der Inhalt des grundgesetzlichen Staatsbegriffes als die Ermöglichung einer politischen Potenz der Länder. Die Länder besitzen eine eigenständige Beurteilungsgewalt über die Gemeinwohlverwirklichung. Insgesamt ergibt sich eine funktionale Natur des deutschen Bundesstaates. Hat das Grundgesetz die Länder geschaffen, so müssen die Länder als intendierte Bestandteile der Bundesverfassungsordnung einem verfassungsmäßigen Zweck dienen. Insbesondere Art.29 GG bestätigt diese Annahme. Der Bund kann durch einfaches Bundesgesetz ohne Zustimmung des Bundesrates Länder abschaffen, erschaffen oder umgestalten. Die konkret zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden Länder sind Funktionselemente der Bundesverfassungsordnung, welche sofort abgeschafft werden können, sobald die Gesamtgemeinwohlverwirklichung dies erfordert. Aus dieser Eigenschaft der Länder als Funktionseinheiten folgt der Grundsatz, Länderinteressen sind Bundesinteressen. Unabhängig von konkreten – grundgesetzlich durchaus erwünschten – Meinungsverschiedenheiten zwischen Verfassungsorganen der Länder und des Bundes stellt die grundgesetzliche Konstruktion sicher, daß die Verfolgung von Länderinteressen automatisch dem Gesamtgemeinwohl dient.

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Für die genaue Inhaltsbestimmung der Funktion der Bundesstaatlichkeit wird von hergebrachten Erklärungsmustern Abstand genommen. Hierzu zählen etwa die Behauptung einer gesteigerten demokratischen Teilhabe und die Verstärkung der Gewaltenteilung im Sinne der gegenseitigen Mäßigung und Hemmung der Gewalten. Vielmehr wird eine eigenständige Funktion der Bundesstaatlichkeit unterstellt, welche nicht bloß einer Förderung anderer Konstruktionselemente dient. Die Parteien in den Ländern formen und bündeln politische Strömungen in den Ländern zu konkreten Alternativen. Diese organisierte Volkswillensbildung ist gegenständlich unbeschränkbar. Die Parteien entwerfen daher Gesamtkonzepte der Gemeinwohlverwirklichung. Die Teilverwirklichung dieser Gesamtkonzepte in den Ländern besitzt repräsentativen Charakter für deren Güte. Die Bundesländer existieren, um für die Gemeinwohlverwirklichung im Bund Alternativen aufzuweisen. Dies gelingt, indem die Länder parteigebundenen Gesamtkonzepten der Gemeinwohlverwirklichung für den Gegenstandsbereich der Landesgesetzgebung eine gegenwärtige, reale staatliche Existenz verleihen. Die Alternativen in den Ländern können und müssen sich daher zeitgleich mit dem im Bund verwirklichten Gemeinwohlkonzept real bewähren. Die Bundesstaatlichkeit ermöglicht somit die Wirklichkeitwerdung und damit das Verfügbarhalten von alternativen Gemeinwohlkonzepten, welche sich gegenwärtig in einem realen staatlichen Leben bewähren. Die besondere Leistung dieser Funktion besteht darin, mit der mehrheitlichen Entscheidung für eine bestimmte Alternative bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag die übrigen Alternativen der Gemeinwohlverwirklichung nicht zu neutralisieren. Zur Funktion des Bundesrates Das Grundgesetz stellt mit dem Bundesrat ein eigenes Verfassungsorgan bereit, welches die Nutzbarmachung der Alternativen für das Gesamtgemeinwohl zwingend sicherstellt. Der Bundesstaat ist somit auf den Bundesrat hin konzipiert. Die Beurteilungskompetenz des Bundesrates stützt sich zum einen auf sich gegenwärtig bewährende Alternativen in den Ländern, welche repräsentativ für die zugrundeliegenden Gesamtkonzepte der Gemeinwohlverwirklichung sind. Zum anderen gestattet die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder den Landesregierungen die Gewinnung spezifischer Erfahrungen und Sachkenntnis in bezug auf die Gegenstände der Bundesgesetzgebung. Die Ausübung der Definitionssuprematie der Bundesregierung unterliegt einer Irrtumswahrscheinlichkeit. Einspruch und Gesetzesinitiative eröffnen für diesen Fall Korrekturmöglichkeiten. Korrekturvorschläge des Bundesrates beruhen nicht auf bloßen Vermutungen oder lediglich theoretisch fundierten politischen Ideen, sondern auf sich gegenwärtig in realen staatlichen Leben bewährenden alternativen Konzepten der Gemeinwohlverwirklichung. Dies gewährleistet eine erhöhte Quali-

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tät und Rationalität der Korrekturvorschläge und fördert somit die Gemeinwohlverwirklichung im Bund. Die fehlende Durchsetzungsfähigkeit von Einspruch und Gesetzesinitiative sind Ausdruck der Definitionssuprematie der Bundesregierung und des demokratischen Prinzips. Ein Antagonismus zwischen Landes- und Bundesinteressen besteht nicht. Die Landesregierungen entscheiden immer auf der Basis alternativer Gesamtkonzepte der Gemeinwohlverwirklichung, in der Existenz dieser alternativen Gesamtkonzepte besteht die grundgesetzlich gewollte Funktion der Länder. Solange eine Landesregierung auf Grundlage ihres Gesamtkonzepts im Bundesrat so entscheidet, wie sie es für richtig hält, erfüllt sie ihre bundesstaatliche Funktion nach dem Grundgesetz. Zur Funktion des Zustimmungserfordernisses Das Zustimmungserfordernis besteht für solche Gesetzgebungsmaterien, welche Auswirkungen auf die politische Potenz der Länder besitzen. Die politische Potenz ist Voraussetzung der Entstehung alternativer Gesamtkonzepte der Gemeinwohlverwirklichung in den Ländern, und somit auch die Voraussetzung der ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Alternativfunktion. Die sich auf Landesebene gegenwärtig bewährenden Alternativen bedeuten auch das Fundament für die Korrekturvorschläge des Bundesrates. Das Zustimmungserfordernis dient somit unmittelbar dem Schutz der Qualität der Gemeinwohlverwirklichung im Bund, indem es die Qualität und Rationalität von Gesetzesinitiativen und Einsprüchen des Bundesrates sichert. Die Zustimmungsverweigerung trifft somit keine Aussage über die Qualität unmittelbar auf die Gemeinwohlverwirklichung gerichteter Maßnahmen. Scheitert ein Gesetz im Bundesrat, so besteht die von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundestages objektiv festgestellte Gemeinwohlgefährdung also fort. Die Bundesregierung bleibt verpflichtet, Maßnahmen zur Abwendung dieser Gemeinwohlgefährdung zu erarbeiten. Sie muß einen neuen Gesetzentwurf einbringen, welcher den Bedenken des Bundesrates bezüglich der zustimmungsbedürftigen Regelungen Rechnung trägt. Eine Zustimmungsverweigerung formal auf zustimmungsbedürftige Regelungen zu stützen, sie aber in Wirklichkeit mit den materiellen Regelungen zu begründen, ist mißbräuchlich. Der Bundesrat muß seine Zustimmungsverweigerung gründen auf der Annahme einer zu starken Einbuße politischer Potenz der Länder. Andere Beweggründe sind unzulässig.

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Sachverzeichnis Abgeleitete Staatsgewalt der Länder 189, 190, 199, 253 Abwehrrechtliche Lösung 43 Akte des auswärtigen Verkehrs 146, 151, 162, 163 Aktiver Gemeinwohlvorbehalt 23, 24, 29, 51, 61, 89, 94, 102, 104, 105 Allgemeine Handlungsfreiheit 67 Alternativfunktion 216, 223, 224, 235, 240, 244, 246, 247, 255 Altlastensanierung 28 Artenschutz 62, 77 Auffangtatbestand 25 Auswärtige Gewalt 146, 148 Axiome 14, 105, 178 Berufsfreiheit 28, 37, 64 Budgetentwurf 125 Budgetinitiative der Bundesregierung 122 Bundesgesetzgebungskompetenz 179 Bundesinteressen 204, 205, 213, 224, 230, 246, 253, 255 Bundesnaturschutzgesetz 63 Bundestagsmehrheit 131, 143, 171 Checks and balances 55, 206, 211 Definitionssuprematie 107 Demokratisches Prinzip 56, 57, 130, 132, 155, 208, 209, 215, 216, 223, 232 Drittwirkung 34, 45, 46 Eigenstaatlichkeit der Länder 105, 194, 196, 219, 236, 240, 247 Eigentumsgrundrecht 28 Einbringungsmonopol 124, 129 Eingriffsschutz gegenüber Dritten 30 Einspruch gegen Gesetzesbeschlüsse des Bundestages 229, 232, 234, 244, 246, 247, 254 Element des Politischen 196 18 Meyer

Emanationen des Gemeinwohls 23 Embryo 42 Ermächtigungscharakter des Haushaltsgesetzes 141 Exegese 18, 21, 39, 91, 117, 118, 122, 139, 178, 179, 181 Experimentelle Gesetzgebung 95 Faktische Beeinträchtigungen 72 Feststellung des Verteidigungsfalles 110 Finalität 72, 75 Gefahrenabwehr 43, 91 Gemeinwohlklausel 70, 71, 72, 75, 79 Gemeinwohlrelevanz 25, 29, 48, 49, 55, 57, 63, 65, 71, 76, 107 Gesamtsystem der Verfassung 14, 139, 147 Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht 52 Geschäftsbereiche 112 Gesetzesinitiative des Bundesrates 229, 232, 234, 244, 247, 254 Gesetzesvorlagen 126, 128, 129, 131, 132, 134, 138, 145, 155, 165, 168, 169, 170 Gesetzgebungsnotstand 168 Gestaltungsaufgabe 121 Gesundheitsversorgung 28, 85 Gewährleistungspflicht 35, 38 Gewaltenteilung 55, 56, 111, 120, 156, 206, 209, 210, 211, 212, 213, 228, 234, 251, 254 Gleichheitsgrundrecht 38 Grundrechtssystem 25 Grundrechtsverpflichtetheit 33 Hausgut der Länder 197, 218, 222 Haushaltsausgleich 139, 142 Haushaltsgesetz 113, 126, 129, 134, 155, 160, 162, 250, 251

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Sachverzeichnis

Haushaltsgesetzgebung 126, 129, 135, 137, 141, 145 Haushaltsplan 122, 135, 137, 140, 171 Homogenitätsgebot 198 Individualinteresse 28 Informationsgewinnung 100, 123 Initiativrecht des Bundestages 129 Interessen der Allgemeinheit 28 Judikative Kontrolle 50 Kompetenz-Kompetenz 180, 192, 253 Kompetenznorm 26, 147 Kompetenznormen 57, 90, 147, 152 konstruktives Mißtrauensvotum 131, 143 Länder als Staaten 195 Länderinteressen 204, 205, 213, 224, 234, 235, 253 Landesstaatsgewalt 191, 203 Landtage 213 Landtagswahl 231 Legaldefinition 20, 179 Legitimationskette 56 Leistungsverwaltung 74 Meinungsfreiheit 37 Menschenwürde 21, 36, 39, 52, 67, 96, 99 Mord 30 Nachtragshaushalte 141 nasciturus 30, 42 Neugliederungsbefugnis 200 Neuverschuldung 137 Normgehaltsanalyse 31, 32 Notstand 111 Oberstes Konstitutionsprinzip 36, 39, 43 Objektformel 41 Objektive Grundrechtsgehalte 24, 25, 28, 29, 31, 36, 43, 47, 65, 91, 249 Öffentlichkeitsfunktion des Haushalts 124 Omnikompetenztheorem 102 Opposition 130, 132, 133, 135, 227, 251 Partikularwohl 22 Passiver Gemeinwohlvorbehalt 23, 61, 83, 84, 89, 93, 104, 105, 233

Politische Potenz der Länder 196, 199, 207, 213, 214, 221, 222, 235, 238, 255 Pouvoir constituant 19, 183, 193, 194, 197, 199, 204, 205, 253 Pouvoir constitué 193, 198, 208 Präambel 184 Preisstabilität 52 Prognose 94 Prozedurales und kompetentielles Gemeinwohlverständnis 60, 62, 66, 76, 88, 248 Rechtsstaatsprinzip 21, 55, 76 Regelungsredundanz 32 Regelungstechnik 32, 33, 38, 151, 153 Regieren 109, 135 Regierungsbinnenbereich 114, 116, 161, 250, 252 Regierungsmehrheit 130 Religionsfreiheit 103 Ressortleitung 118 Richtlinienkompetenz 114 Rück-föderalisierter Einheitsstaat 189, 204, 253 Rückwirkungsverbot 55 Schrankendogmatik 84 Schrankengut 86 Schrankentrias 69 Schutzpflicht 26, 29, 35, 36, 43, 44, 47, 54, 65, 91, 95, 101 Schwangerschaftsabbruch 30 Sondervotum 30 Sozialstaatsprinzip 18, 28, 36, 51, 52, 53, 89 Staatsaufgaben 16, 48, 57, 58, 85, 89, 90, 103, 104, 112, 123, 136, 137, 138, 139, 155 Staatsfundamentalnormen 54, 56, 59, 248, 249 Staatsfunktionen 150, 157 Staatsgewalt 56, 61, 73, 75, 78, 97, 120, 157, 180, 181, 182, 183, 186, 190, 192, 193, 194, 198, 199, 204, 210, 249, 253 Staatsgründung 17 Staatsleitung 107, 159, 162, 226 Staatsverschuldung 49, 85

Sachverzeichnis Staatswillensbildung 215 Staatsziel 16, 19, 28, 36, 47, 50, 52, 53, 62, 63, 89, 90, 91, 249 Staatszielbestimmungen 47, 54, 59, 91, 248 Staatszweck 16 Staatszwecklehre 16, 19, 20, 66 Subjektiv-abwehrrechtliche Komponente der Grundrechte 24 Subsumtionsfähigkeit 107 Subtraktionsmethode 120, 146, 148 System kollektiver Sicherheit 53 Systemgerechtigkeit 112 Systemverschiebung 234 Theorie des „Hoheitsvakuums“ 182 Umweltstaatsziel 54, 64 Untermaßverbot 93, 96 Verbot des Angriffskrieges 53 Vereintes Europa 52 Verfassungstext 30, 36, 37, 38, 47, 118, 141, 142, 150, 178, 181, 239 Verfassungsantinomie 14, 45, 176, 177 Verfassungsaufträge 58 Verfassungsexegese 14, 19, 21, 23, 30, 48, 91, 139, 142, 147, 172, 181 Verfassungsimmanente Schranken 86 Verfassungsmäßige Ordnung 69, 84, 197

18*

275

Verfassungsstiftung 18, 181, 184, 185, 193, 194, 204, 253 Versammlungsfreiheit 37 Vertikale Gewaltenteilung 210 Vertrauen und Verantwortung 164 Verwaltungskompetenz 190, 213, 242 Volksbegehren 202 Volkssouveränität 56, 60, 97, 132, 208, 216, 223, 233 Volkswillensbildung 133, 214, 223, 254 Vollkonstitution 193 Vorbehalt des Gesetzes 55, 128 Vorrang des Gesetzes 56 Wahl des Bundeskanzlers 112, 130 Wahrung des Friedens 53 Wertordnung 26, 37, 38, 87 Wesensgehaltsgarantie 77, 83 Wesentlichkeitstheorie 128 Widerspruchsfreiheit der Verfassung 14, 105, 148, 177 Willensfreiheit 40, 43, 96 Wohl des Volkes 22 Zustimmungsgesetze 235 Zweckbindung 20, 21, 23, 61, 84, 104, 105, 200 Zwei- oder dreigliedriger Bundesstaatsaufbau 180 Zweite Kammer 107