Paris in London: Kammermusikalische Begegnungen um 1900 3487162342, 9783487162348

Zwischen Irritation und Bewunderung schwankten die englischen Reaktionen auf die Streichquartette von Debussy und Ravel,

248 109 33MB

German Pages 390 [391] Year 2022

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Paris in London: Kammermusikalische Begegnungen um 1900
 3487162342, 9783487162348

Table of contents :
David Reißfelder: Paris in London. Kammermusikalische Begegnungen um 1900 (Musikwissenschaftliche Publikationen 51)
Inhalt
Tabellen
Abbildungen
Kosmopolitisch und nationalistisch: Englisches Musikleben, englische Musik
1 Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900
1.1 ‚Popular Classics‘: Kammermusik im Londoner Konzertleben
Eine germanophile Clique? Kammermusik aus England
Wagnerianer oder orthodox? Französische Annäherungen
1.2 Tableau der Moden: Französische Musik in London nach 1890
Eine zielgerichtete Unternehmung: Die Wolff Musical Union
Leicht und elegant? Stereotype Charakterisierungen französischer Musik
Akteure des Transfers: Anglo-französische Künstlernetzwerke
1.3 Klassizismus und Moderne: Die Etablierung Saint-Saëns’ und Francks
„At least very near the classics“: Saint-Saëns
„Progressiver Akademismus“: Franck
2 Zwischen Konzertsaal und Salon: Orte der Rezeption Faurés
2.1 „À Londres c’est le rêve et la poésie“: Reaktionen von Skepsis bis Euphorie
Etablierung im Repertoire: Englische Kontakte und englische Interpreten
2.2 „Music of friends“: Salonmusik und das Spätwerk
3 Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900
3.1 Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“
„Risen against the Teutonic tyranny“: Die French Concerts in Manchester
Systematisch und beharrlich: Die Londoner Société des concerts français
3.2 Panorama der französischen Schule(n): Begegnungen und Urteile
„The Debussy cult is making great progress in this country“: Debussy
Intellekt und Emotion: Die Tradition d’Indys und Chausson
Atmosphäre und Effekte: Ravel und Schmitt
3.3 „Allied Music“: Fortgesetzte Förderung nach 1914
Auf Gegenseitigkeit beruhend? Englische Musik in Frankreich
4 Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen
4.1 Vorträge und Publizistik: Protagonisten
‚Am französischen Wesen...‘: G. Jean-Aubry
„Liaison officer“ oder „banner-bearer“? Edwin Evans
Objektiver Kosmopolit: Michel-Dimitri Calvocoressi
4.2 Renaissance und Parteienstreit: Konstruktionen französischer Musik
‚Modern Classics‘: Französisches Repertoire in Kammermusikführern
4.3 „A splash of Gallic red“: Die Debatte über eine englische Nationalmusik
Folksong und Tudor-Musik: Isolationisten
„Not the method, but the motives“: Kosmopoliten
Englisch, nicht national: Nationalismusskeptiker
5 Eine Blüte der Kammermusik: Konzertleben und englisches Repertoire
5.1 Neue Bühnen, neue Reihen: Kammermusik im Konzert, 1900–1920
5.2 Die ‚junge englische Schule‘: Die Jahrgänge 1870–1895 in der Presse
Eine genuin englische Form? Cobbetts Phantasy
6 Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen
6.1 Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren
„Brahms happily tempered with Fauré“: Frank Bridge
„Almost classical modernity“: John Ireland
„The English Debussy“? Cyril Scott
„Cosmopolitan fashions“: Eugene Goossens
6.2 „French fever“: Weitere Schüler Stanfords und andere Frankophile
Späte französische Akzente: Verbindungen der älteren Generation
Zentrum der modernen Musik? London nach 1920
Quellen und Literatur
Archivmaterial
Notenausgaben
Zeitgenössische Periodika
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Dank
Personenverzeichnis

Citation preview

Musikwissenschaftliche Publikationen

David Reißfelder

aris in ondon Kammermusikalische Begegnungen um 1900

OLMS

Musikwissenschaftliche Publikationen · Band 51

Musikwissenschaftliche Publikationen Herausgegeben von Herbert Schneider und Stefan Keym Band 51 David Reißfelder Paris in London

Georg Olms Verlag Hildesheim · Zürich · New York 2022

David Reißfelder

Paris in London Kammermusikalische Begegnungen um 1900

Georg Olms Verlag Hildesheim · Zürich · New York 2022

Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Herbstsemester 2021 auf Antrag der Promotionskommission, Prof. Dr. Inga Mai Groote (hauptverantwortliche Betreuungsperson) und Prof. Dr. Laurenz Lütteken, als Dissertation angenommen.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© Georg Olms Verlag AG, Hildesheim 2022 www.olms.de Umschlaggestaltung: Barbara Gutjahr, Hamburg Satz: David Reißfelder ISBN: 978-3-487-42335-7

Inhalt

Kosmopolitisch und nationalistisch: Englisches Musikleben, englische Musik

11

1 Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

21

1.1 ‚Popular Classics‘: Kammermusik im Londoner Konzertleben Eine germanophile Clique? Kammermusik aus England Wagnerianer oder orthodox? Französische Annäherungen

21 26 31

1.2 Tableau der Moden: Französische Musik in London nach 1890 Eine zielgerichtete Unternehmung: Die Wolff Musical Union Leicht und elegant? Stereotype Charakterisierungen französischer Musik Akteure des Transfers: Anglo-französische Künstlernetzwerke

37 39 42 45

1.3 Klassizismus und Moderne: Die Etablierung Saint-Saëns’ und Francks „At least very near the classics“: Saint-Saëns „Progressiver Akademismus“: Franck

48 48 54

2 Zwischen Konzertsaal und Salon: Orte der Rezeption Faurés

69

2.1 „À Londres c’est le rêve et la poésie“: Reaktionen von Skepsis bis Euphorie Etablierung im Repertoire: Englische Kontakte und englische Interpreten

72 81

2.2 „Music of friends“: Salonmusik und das Spätwerk

87

3 Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

97

3.1 Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“ „Risen against the Teutonic tyranny“: Die French Concerts in Manchester Systematisch und beharrlich: Die Londoner Société des concerts français

97 106 111

3.2 Panorama der französischen Schule(n): Begegnungen und Urteile „The Debussy cult is making great progress in this country“: Debussy Intellekt und Emotion: Die Tradition d’Indys und Chausson Atmosphäre und Effekte: Ravel und Schmitt

136 136 153 163

3.3 „Allied Music“: Fortgesetzte Förderung nach 1914 Auf Gegenseitigkeit beruhend? Englische Musik in Frankreich

173 191

4 Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

199

4.1 Vorträge und Publizistik: Protagonisten ‚Am französischen Wesen...‘: G. Jean-Aubry „Liaison officer“ oder „banner-bearer“? Edwin Evans Objektiver Kosmopolit: Michel-Dimitri Calvocoressi

199 201 204 210

4.2 Renaissance und Parteienstreit: Konstruktionen französischer Musik ‚Modern Classics‘: Französisches Repertoire in Kammermusikführern

212 223

4.3 „A splash of Gallic red“: Die Debatte über eine englische Nationalmusik Folksong und Tudor-Musik: Isolationisten „Not the method, but the motives“: Kosmopoliten Englisch, nicht national: Nationalismusskeptiker

225 232 235 240

5 Eine Blüte der Kammermusik: Konzertleben und englisches Repertoire

245

5.1 Neue Bühnen, neue Reihen: Kammermusik im Konzert, 1900–1920

245

5.2 Die ‚junge englische Schule‘: Die Jahrgänge 1870–1895 in der Presse Eine genuin englische Form? Cobbetts Phantasy

254 260

6 Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

265

6.1 Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren „Brahms happily tempered with Fauré“: Frank Bridge „Almost classical modernity“: John Ireland „The English Debussy“? Cyril Scott „Cosmopolitan fashions“: Eugene Goossens

268 268 283 295 311

6.2 „French fever“: Weitere Schüler Stanfords und andere Frankophile Späte französische Akzente: Verbindungen der älteren Generation

322 337

Zentrum der modernen Musik? London nach 1920

349

Quellen und Literatur

355

Archivmaterial Notenausgaben Zeitgenössische Periodika Primärliteratur Sekundärliteratur

355 355 356 357 369

Dank Personenverzeichnis

383 385

Tabellen

1 Aufführungen von Saint-Saëns’ Kammermusik in London, 1873–1880 2 Erstaufführungen französischer Orchesterwerke in London, 1886–1909 3 Die Konzerte der Wolff Musical Union, 1894 4 Erstaufführungen von Saint-Saëns’ Kammermusik in London, 1884–1910 5 Frühe Aufführungen von Francks Kammermusik in England, 1893–1904 6 Franck in Programmen mit englischer Musik, 1909–1919 7 Faurés Aufenthalte in Großbritannien, 1882–1914 8 Faurés Kammermusik in Konzerten englischer Interpreten, 1907–1921 9 Die Londoner Konzerte von Guérittes Tournee, 1907 10 Die acht French Concerts in Manchester, 1907–1909 11 Die 28 Londoner Konzerte der Société des concerts français, 1909–1915 12 Erstaufführungen von Werken Debussys in England, 1903–1907 13 Erstaufführungen von späteren Werken Debussys in London, 1910–1919 14 Chaussons Kammermusik mit englischen Interpreten, 1909–1919 15 Erstaufführungen von Werken Ravels in England, 1904–1913 16 Isidore de Laras Konzertreihen mit französischer Musik, 1916–1918 17 „An Anglo-French Concert“, 6.4.1918 18 Konzerte mit englischer Musik in Paris, 1910/1919 19 Publikationen und Vorträge über französische Musik, 1903–1919 20 Kammerkonzert der Society of British Composers, 2.6.1911 21 Cobbetts Phantasy: Preisträger und Auftragswerke, 1905–1920 22 Kammermusik von Frank Bridge, 1900–1917 23 Formpläne von Bridges Phantasies für Klaviertrio bzw. -quartett 24 Kammermusik von John Ireland, 1897–1917 25 Kammermusik von Cyril Scott, 1899–1920 26 Konzerte von Cyril Scott in der Bechstein Hall, 1906–1914 27 Kammermusik von Eugene Goossens, 1911–1918 28 Weitere Kammermusikwerke in England, 1908–1921

34 38 40 50 60 62 74 84 101 108 118 138 152 160 164 176 190 195 214 256 262 274 278 288 302 303 314 324

Abbildungen

1 Programmzettel der privaten Erstaufführung von Faurés Streichquartett, 1925 2 Programmzettel der öffentlichen Erstaufführung von Faurés Streichquartett, 1925 3 Programmzettel für die Londoner Konzerte von Guérittes Tournee, 1907 4 Programmzettel des ersten Konzerts der Société des concerts français, 1909 5 Komitee des ersten Konzerts der Société des concerts français, 1909 6 Komitee des zweiten Konzerts der Société des concerts français, 1909 7 Mitgliederaufnahmeformular der Société des concerts français, 1909 8 Programmheft des 20. Konzerts der Société des concerts français, 1913 9 Programmheft des letzten Konzerts der Société des concerts français, 1915 10 Programmzettel der Erstaufführung von Debussys Streichquartett, 1904 11 Programmzettel von Liebichs „Matinées intimes of Old & Modern Music“, 1912 12 Programmheft des ersten französischen Konzerts von Isidore de Lara, 1916 13 Programmheft eines französischen Konzerts von de Lara und Lady Cunard, 1918 14 Zeitungsanzeige der British Concerts Society in Paris, 1909 15 Programmzettel einer Vortragsreihe von Edwin Evans, 1917 16 Programmzettel für eine Reihe der ‚Pops‘ des London String Quartet, 1916 17 Programmzettel für Goossens’ Konzert mit eigenen Kompositionen, 1916

92 93 100 110 112 114 120 121 132 146 147 178 182 194 206 252 318

Für Reproduktionen der Abbildungen und die Erlaubnis zum Abdruck danke ich dem Wigmore Hall Archive, dem Royal College of Music, der National Library of Wales, dem Conservatoire royal de Bruxelles und der Bibliothèque nationale de France. Die Einzelnachweise finden sich in den Bildunterschriften.

Kosmopolitisch und nationalistisch: Englisches Musikleben, englische Musik

Hans Richter hatte ab 1900 zehn Jahre lang die Leitung des Hallé Orchestra in Manchester innegehabt, als der kaum zwanzig gewordene Frankophile Jack Kahane, der später als avantgardistischer Verleger in Paris tätig sein sollte, aus Verärgerung über die germanozentrischen Programme kurzentschlossen eine musikalische Konkurrenzinitiative ins Leben rief. Der Auslöser war eine zufällige Begegnung im lokalen French Club: Most of the French Club’s interests were literary and dramatic, but a few members were musical, and one day a French member wondered about why one never heard French music in Manchester. “French music?” I asked innocently. “Do you mean Carmen?” “That’s the point” the Frenchman said. “Here every one seems to think that Bizet, Massenet, and Saint-Saëns are the only French composers. They’ve never heard of Debussy, Franck –” “Oh! Come –” “d’Indy, Dukas, Fauré, Ravel, Duparc...” He began to talk of French music, and we agreed that we inhabitants of Manchester were entitled to hear the French as well as the Germans. And for my part I said that I was going to see about it. In a little while we had organized a deputation to call on Richter. “Herr Doktor,” we asked him, with carefully prepared humility, “may we occasionally, very occasionally, be given an opportunity of hearing some French music?” He stared at us malevolently. “French music?” He grunted. “There is no French music.” And shrugged us out. The disgusting old despot! I raged. Who the devil did he think he was? Did he imagine we owed allegiance to his beastly emperor? To hell with German music and German conductors and Germans generally. We were all furious anyway, but I more than the others, because I was the youngest, the least experienced, and consequently the most intolerant of such blatant bullying. And also the vestments of brief authority have always got my goat. At that time I belonged to a little luncheon club, about which I shall have something to say elsewhere. Foaming at the mouth, I asked the members what they thought of it. Reaction was mixed, but I collected those on my side. One of them was Gerald Cumberland, as he was afterwards generally known. “And there’s English music, too.” I looked at him doubtfully. “Yes, modern music; as well as Elgar, there’s Delius, Holbrooke, Bantock, Boughton.” – “You don’t say so!” I exclaimed, and then, “Look here, we’re going to form a society, the Manchester Musical Society, and we’re going to do things.” We did. In a very short while we had hundreds of members, nice Manchester people of all social grades who wanted to hear French and English music at prices they could afford. We had fortnightly club concerts of very high merit, and two or three full-dress affairs. We gave Debussy and Delius, Holbrooke, Boughton, and other French and English moderns

11

Kosmopolitisch und nationalistisch: Englisches Musikleben, englische Musik

whose names were unknown to our public. We made a stir, we were well talked of: our concerts were small affairs at the best, but they had the right idea; our audiences forgave technical shortcomings, and applauded our adventurousness and goodwill.1

Zwar mögen die öffentlich ausgetragenen Kontroversen über die Orchesterprogramme zu Richters vorwiegend gesundheitlich bedingtem Rücktritt 1911 beigetragen haben, doch letztlich blieb die Manchester Musical Society eine kurze Episode von lokaler Bedeutung.2 Nichtsdestoweniger weisen sie und ihr Entstehungsumfeld einige Merkmale auf, die zur gleichen Zeit weiterreichende Geltung für London und ganz England beanspruchen können: die Vormachtstellung deutscher bzw. im weiteren Sinne ‚teutonischer‘ (auch Germanic ist im Englischen bis heute gebräuchlich) Persönlichkeiten und des entsprechenden Repertoires, die dezidiert dagegen in Anschlag gebrachte, noch wenig bekannte moderne französische Musik sowie das persönliche Engagement von musikalischen Amateuren und anderen Akteuren für deren Propagierung, die oft programmatisch mit einem Einsatz für die junge englische Musik verbunden war.3 Entsprechende Initiativen reichten von einzelnen Konzerten über kurzlebige Reihen wie der Wolff Musical Union (1894) des niederländischen Geigers Johannes Wolff bis zu mehrjährigen systematischen Kampagnen wie den French Concerts der Pariser Pianistin und Sängerin Lucie Barbier in Manchester (1907–1909) und der verwandten Société des concerts français des Ingenieurs Tony Guéritte und der Kritiker G. Jean-Aubry und Edwin Evans (1909–1915). Primär infolge solcher Aktivitäten war französische Instrumental- und insbesondere Kammermusik in England schon vor Beginn des Ersten Weltkriegs als höchst progressives und eigenständiges Repertoire etabliert. Den traditionellen deutschen Modellen stand dieses in vieler Hinsicht konträr gegenüber. Mit dem neuen Status einher ging eine kontroverse Debatte über die Tauglichkeit des französischen Vorbilds für eine angestrebte nationale Musik. Die Wechselwirkungen zwischen dem aufgeführten und anderweitig rezipierten französischen Repertoire, der Tätigkeit englischer Komponisten sowie dem Diskurs über die junge französische und englische ‚Schule‘ und deren Beziehung bilden den Leitfaden dieser Arbeit. Sie ist als kultur- und diskursgeschichtliche und zugleich kompositionsund gattungsgeschichtliche Untersuchung angelegt und greift dabei unter anderem auf Ansätze der Rezeptionsgeschichte und der verwandten, jüngeren Kulturtransferforschung zurück.4 Im Sinne einer musikalischen Topographie Englands und insbesondere 1

Kahane, Memoirs of a Booklegger, 17f. Siehe seine Leserbriefe in The Manchester Guardian, 22.10.1910, 5, und 20.1.1911, 4; zu den Programmen Anm. 366, für ähnliche Haltungen wie Richters S. 42f. Vgl. die Erinnerungen des beteiligten Kritikers Cumberland, Set Down in Malice, 157f.; zu Kahane Pearson, Obelisk, 12–15. 2 In seiner letzten Saison dirigierte Richter noch Dukas’ sinfonische Dichtung unter dem deutschen Titel Der Zauberlehrling zum ersten Mal in Manchester. Siehe zum Abschied Fifield, Richter, 418–424. 3 Im Folgenden wird der Bezeichnung ‚englische Musik‘ gegenüber ‚britische‘ pragmatisch den Vorzug gegeben. Zeitgenössisch finden sich beide Zuschreibungen parallel, erstere hebt den vornehmlichen Wirkungsort der meisten Komponisten hervor. 4 Vgl. stellvertretend für die Debatte zu Rezeptionsgeschichte Calella/Leßmann (Hgg.), Zwischen

12

Londons stehen einerseits das Kammermusikleben bis 1920, die Entwicklung des Konzertrepertoires hinsichtlich der aktiven Verbreitung und Durchsetzung französischer Werke und die sich daraus ergebenden Transformationen des Geschmacks und des Kanons im Fokus (Kapitel 1–3).5 Naturgemäß werden dafür vor allem öffentliche Konzerte herangezogen. Unter Einbeziehung des privaten Bereichs, zumindest der Salonkultur wohlhabender Mäzene und professioneller Interpreten, weniger der Alltagswelt musizierender Amateure, wird die Kammermusik auch in einen sozialen Kontext eingebettet.6 Besonders charakteristisch sind die disparaten Bedingungen, aber auch die Verschränkung von öffentlicher und privater Sphäre bei der englischen Wahrnehmung Gabriel Faurés (Kapitel 2). Als Quellen dienen in erster Linie die zeitgenössische Tages- und die musikalische Presse, ergänzt durch Archiv- oder ediertes Material wie Programmhefte und -zettel, Briefe und Tagebücher. Konzertkritiken sind Belege für Aufführungen, gleichzeitig kann ihnen eine sowohl abbildende als auch prägende Rolle für den breiteren musikalischen Geschmack attestiert werden.7 Andererseits wird die kompositorische Entwicklung der Kammermusik in England in den Blick genommen und die Aktivität junger Komponisten nach 1900 durch die Linse ihrer Auseinandersetzung mit der französischen Musik untersucht (Kapitel 6). Im Konzertleben wuchs der Stellenwert von (zeitgenössischer) Kammermusik stetig an, auch wenn englische Musik in einer speziellen Rolle des ‚Anderen‘ verblieb, was durch die gezielte Förderung nur unterstrichen wurde (Kapitel 5.1). Dabei geht es nicht um den Nachweis eines ‚Einflusses‘ der französischen Musik; nur in Ausnahmefällen emulierten Engländer konkrete französische Vorbilder. Die Begegnung mit diesen trug vielmehr zu einer Emanzipation von als überholt wahrgenommenen (deutschen) Modellen und somit zur Konstituierung einer als genuin englisch verstandenen Musik bei. Französische Musik fungierte so als ein Katalysator für die englische musikalische Identität.8 Transfer und Transformation, darin auch Andreas Münzmay, Kulturtransferforschung und Musikwissenschaft, 175–191. Zum Kulturtransfer vgl. zuletzt Keym/Meyer, Musik und Kulturtransfer. 5 Vgl. internationale Perspektiven auf den Geschmack im 19. Jahrhundert, ausgehend von Konzertprogrammen bzw. dem Publikum, bei Weber, The Great Transformation of Musical Taste; Müller, Das Publikum macht die Musik. 6 Vgl. zuletzt die Untersuchungen des (frühen) 19. Jahrhunderts vor allem im deutschen Kulturraum November, Cultivating String Quartets in Beethoven’s Vienna; Lott, The Social Worlds of NineteenthCentury Chamber Music. 7 Die Musikkritik ist hier eher Quellenmaterial als selbst Untersuchungsgegenstand. Vgl. zur Musikkritik in England im 19. und frühen 20. Jahrhundert Langley, Gatekeeping, Advocacy, Reflection; Watt, British Music Criticism, 1890–1945; Scaife, British Music Criticism. Zu kritischen Reaktionen auf französische Musik vgl. zuletzt den noch unveröffentlichten Band der Nineteenth-Century Music Review bzw. dessen Einleitung Sobaskie, Critical Responses to Nineteenth-Century French Music. 8 Zur Rolle der russischen für die französische Musik als „Katalysator“ siehe Groote, Östliche Ouvertüren, 33. Auch die Identität spanischer Musik wurde in Paris verhandelt. Llano, Whose Spain?. Für eine sich erstmals als amerikanisch verstehende Musik war der französische Einfluss ebenfalls prägend. Brody, Gallic Accents. Zu einem historischen Überblick über Musik und Nationalismus und

13

Kosmopolitisch und nationalistisch: Englisches Musikleben, englische Musik

Dieser Prozess wurde intensiv und kritisch in einem Diskurs verhandelt, der Reaktionen auf und Deutungen der französischen Musik und die Debatten über eine ‚Nationalmusik‘ zusammenführte (Kapitel 4 und 5.2). Dabei befürworteten und beförderten etwa Jean-Aubry und Evans eine solche Verbindung, Ernest Newman befürchtete hingegen ein neues Abhängigkeitsverhältnis, während andere konservative Beobachter die moderne französische Musik grundsätzlich ablehnten. Die traditionelle Darstellung des viktorianischen Englands zeichnete das Bild eines hochgradig kommerzialisierten, konservativen und durch internationale Verflechtungen geprägten Konzertlebens mit wenig Raum für die rückständige und isolierte einheimische Musik. Ernest Walker würdigte jedoch 1919 gerade den englischen „proud faith of the open door and the open mind“ (siehe Anm. 1071). Die Gastgeberrolle gegenüber ausländischen Komponisten besaß in der Tat eine lange Tradition von Haydn über Mendelssohn Bartholdy bis zu Saint-Saëns, Grieg, Dvořák und Tschaikowski.9 Deutsche Migranten nahmen dabei auch in der Breite oft zentrale Rollen ein, während umgekehrt englische Musiker ihre Studienjahre bevorzugt in Leipzig verbrachten.10 Ab etwa 1880 erkannten Zeitgenossen Zeichen einer Wiederbelebung der eigenen Musikkultur: Das langlebige Narrativ einer „English Musical Renaissance“ beschrieb einen bis weit ins 20. Jahrhundert reichenden Prozess, der sowohl eine Ausdehnung des Musiklebens in der Gesellschaft als auch ein wachsendes Selbstbewusstsein einer eigenständigen, genuin englischen Kompositionskultur umfasste. Getragen und propagiert wurde diese Idee entscheidend von dem Zirkel um das 1882 gegründete Royal College of Music und die dort lehrenden Komponisten Hubert Parry und Charles Villiers Stanford. Die Forschung hat dieses Narrativ ab den 1990er-Jahren einerseits als ideologisches Elitenprojekt zu dekonstruieren versucht, andererseits die Sicht auf das scheinbar stagnierende 19. Jahrhundert oft mit kulturwissenschaftlichen Ansätzen differenziert.11 In dem wachsenden Interesse an klassischer (deutscher) Instrumental- bzw. Kammermusik schon ab den 1830er-Jahren und dem ab 1870 bzw. 1880 aufkommenden Erneuerungstopos, der mit einer Propagierung progressiver Komponisten wie Schumann, Brahms und Wagner sowie der eigenen nationalen Musik einherging, bestanden Begriffsdefinitionen vgl. zuletzt Riley/Smith, Nation and Classical Music. 9 Siehe den nicht für eine musikwissenschaftliche Leserschaft verfassten Überblick zum kosmopolitischen London im ‚langen‘ 19. Jahrhundert McVeigh, A Free Trade in Music. Vgl. auch die Einzelbetrachtungen von Händel bis Bartók bei Gordon/Gordon, Musical Visitors to Britain. 10 Vgl. zur „Anglo-German Symbiosis“ Applegate, Mendelssohn on the Road; zu deutschen Migranten Manz, „Pandering to the Foreigner“; zum Leipziger Studium Geck, Leipzig und Großbritannien. 11 Vgl. die polemisch-revisionistische Studie, deren erste Ausgabe 1993 für Aufsehen sorgte, Hughes/Stradling, The English Musical Renaissance. Siehe zu Reaktionen und dem historiographischen Kontext die kritische Replik Frogley, Rewriting the Renaissance. Vgl. zur Historiographie des Topos ‚Das Land ohne Musik‘ Temperley, Xenophilia in British Musical History. Siehe grundsätzlich zum Verhältnis von Musik- und Aufführungsgeschichte und zu Fallstudien des breiteren Musiklebens Wright, Music and Musical Performance.

14

einige Parallelen zwischen Frankreich und England. Der langjährige Kritiker der Londoner The Times, H. C. Colles (siehe zu den „Oxford critics“ S. 227), stellte 1934 die Entwicklungen der einheimischen Kammermusik nebeneinander und wertete so insbesondere die Generation seines früheren Lehrers Parry auf, den er mit Stanford als Saint-Saëns, Franck und Fauré gleichwertig erachtete. Sein Vergleich der Länder ist deshalb programmatisch, auch wenn die These, die politischen Umstände hätten über den Erfolg einheimischer Komponisten mitbestimmt, nicht überzeugt: The struggles of English and French musicians to acclimatize concerted chamber music in their own countries during the latter part of the nineteenth century are in some respects similar. In neither country was there any national tradition to build on. [...] In the middle of the nineteenth century the English and French alike were stimulated by the classical traditions evolved by Germany, but the English were the more ready frankly to acknowledge the debt. Indeed, so eager were they to pay it in full that for a generation or more they were unwilling to acknowledge the existence of any chamber music outside the German classics, and least of all would they tolerate home products. [...] In both countries young composers were eagerly emulating the masters, and they encountered a common experience. They discovered that audiences newly awakened to the enjoyment of masterpieces had no attention to spare for the efforts of novices, whether native or foreign. [...] These [English] composers, however, failed to impress themselves on their generation as their French contemporaries were doing [after 1871], not from any inferiority in ability, but simply because their generation would not listen long enough to become impressed. The British public rigidly maintained towards them the attitude of ‘aut Caesar aut nullus’; either a masterpiece, and one which by some magic could be known for a masterpiece before it was heard, or nothing. By the time the public was ready to relax this severity there were younger claimants to attention, and the early works of Mackenzie, Parry, and Stanford were considered out of date. Some day the best of them will be revived as ‘classics’. Here it is only necessary to note as an historic fact that the movement towards chamber music composition was contemporaneous in the two countries, that the French was furthered by political disaster and the English smothered beneath political prosperity.12 Yet the English public has never accorded to the founders of its modern music anything like the place which the French have eagerly claimed for theirs. While unappreciated at home it is not to be expected that English composers should be so much as heard of abroad, and while the names of Fauré and Saint-Saëns are commonplaces on London concert programmes, the appearance of a work by Parry or Stanford in Paris would be regarded as a nine days’ wonder.13

So wie sich der avantgardistische Zirkel um die 1871 gegründete Société nationale de musique mit der Devise ‚Ars gallica‘ an dem Selbstverständnis und Anspruch der deutschen Instrumentalmusik orientierte, strebte der elitäre Kreis um das neue Royal College of 12

Colles, Symphony and Drama, 73–76. Ebd., 97. Vgl. auch die Parallelsetzungen der „musical renaissance“ bzw. des „rebirth“ bei Calvocoressi, Musicians Gallery, 17f.; Suckling, Fauré, 2f. Siehe zur englischen Musik in Paris unten S. 191ff. 13

15

Kosmopolitisch und nationalistisch: Englisches Musikleben, englische Musik

Music (allerdings ohne eigene entsprechende Konzertreihe) einen englischen Nationalstil nach dem Vorbild des deutschen an (siehe S. 26ff.).14 In beiden Ländern wurde gegen als überkommen angesehene Werte und Geschmäcker angekämpft, gegen die Dominanz der Oper in Paris und gegen die Oratorienfestivals mit ihrer Perpetuierung von Händel und Mendelssohn Bartholdy in England. Im Vergleich mit anderen ‚nationalen Schulen‘ Europas blieben sowohl in Frankreich als auch in England die seltenen Bezüge auf Volkslieder und andere lokale Elemente vor 1900 auf die musikalische Oberfläche begrenzt. Während hier dann zwar gegen den Akademismus des Pariser Conservatoire rebelliert wurde, aber der französische Charakter der eigenen Musik kaum infrage gestellt wurde, sprach dort die neue Generation der Musik des Establishments den nationalen Charakter grundsätzlich ab. Gesucht wurden neue Ansätze für eine genuin englische Musik. Diese fanden bzw. etablierten Beobachter etwa bei dem Autodidakten Elgar oder mit Vaughan Williams im Folksong und den Komponisten der Tudor- und Stuart-Zeit.15 Angesichts dieses die Historiographie dominierenden nationalistischen Narrativs einer ‚splendid isolation‘ sind die Einflüsse der internationalen Moderne auf die englische Musik hingegen lange kaum diskutiert worden: Dabei lässt sich erkennen, dass das unvermindert kosmopolitische Konzertleben die Auseinandersetzung mit kontinentalen Modellen weiterhin beförderte:16 1910 brachte Thomas Beecham Strauss’ Elektra, Salome und Feuersnot auf die Londoner Opernbühne; ein Jahr später waren Sergei Djagilews Ballets Russes erstmals zu Gast.17 Womöglich aber die tiefgreifendste, für die jungen englischen Komponisten und das ganze 20. Jahrhundert bedeutsamste Transformation war in der französischen Musik angelegt. Gerne zitiert wurde der 1905 sich verfestigende Eindruck Romain Rollands, dass die französische Kunst nun den Platz der deutschen einnehme. Nach Ravels Tod postulierte Edward J. Dent, dass die „neue Musik“ mit Debussy und Ravel begonnen habe.18 14

Vgl. zur französischen Orientierung an der deutschen Musik, der nationalistischen Agenda zum Trotz und abweichend vom Fokus der älteren Historiographie, Strasser, The Société Nationale and Its Adversaries. Vgl. die Überblicke zu Repertoire und Musikleben Jones, Nineteenth-Century Orchestral and Chamber Music; Groth, Debussy und das „Französische“ in der Musik; zu den Kammermusikreihen in Paris vor 1870 Cooper, The Rise of Instrumental Music; Fauquet, Les sociétés de musique de chambre. Siehe Kapitel 4.2 zur englischen Historiographie der französischen Musik. 15 Vgl. zur frühen Rezeption Elgars in diesem Sinne Crump, The Identity of English Music; entsprechend zu Vaughan Williams Frogley, Constructing Englishness in Music. 16 „It can be argued that [...] the revitalization of English music after 1900 was largely derivative of Continental trends, a replay of the pre-Elgar era when English musical life was dominated by Felix Mendelssohn and the music of Continental Romanticism.“ Botstein, Transcending the Enigmas of Biography, 366. 17 Vgl. zu kritischen und kompositorischen Reaktionen auf russische Musik Thomas, The Impact of Russian Music in England. Auch das Bild spanischer Musik wandelte sich „from the Exotic to the Modern“, vgl. Murray, Spanish Music and Its Representations in London. 18 In der englischen Übersetzung Rolland, Musicians of To-day, 214; zitiert etwa bei Jean-Aubry, La musique française d’aujourd’hui, 1; Hill, Modern French Music, 1. „Le XIXe siècle fut une période de

16

Schon vor der politischen Annäherung in der 1904 geschlossenen entente cordiale hatte sich Orchester- und Kammermusik aus Frankreich in England zu etablieren begonnen, was erst in der jüngsten Forschung nachvollzogen wurde.19 Tatsächlich scheint der Musiktransfer weitgehend unabhängig vom politischen Umfeld verlaufen zu sein: Der Kriegsausbruch 1914 behinderte etwa eher den Austausch, auch wenn ‚alliierte Musik‘ gefördert wurde. Die vom Ingenieur Guéritte und Jean-Aubry organisierte Tournee präsentierte 1907 ein Panorama der jüngsten und dezidiert modernen französischen Musik.20 Auch die modernen Strömungen aus Literatur und Kunst wirkten in England einflussreich: Der Dichter und Kritiker Arthur Symons veröffentlichte 1899 The Symbolist Movement in Literature, und Roger Fry konfrontierte das Publikum 1910 zum ersten Mal mit der französischen Malerei der letzten Jahrzehnte, in der Folgeausstellung 1912 neben englischen und russischen Künstlern.21 Der von Fry geprägte Begriff ‚Post-Impressionismus‘ wurde auch auf die englische Musik ab dem Ersten Weltkrieg angewandt: Trotz deren „teutonischen“ bzw. „nordischen Temperaments“ habe sie außerhalb Frankreichs die substanziellste Reaktion auf den Impressionismus gezeigt.22 Ungeachtet des problematischen Begriffs werden damit etwa ein neuer Stellenwert von Farbe, Textur und ‚Atmosphäre‘ gegenüber Form und Linie sowie ein neues Verhältnis zu Landschaft und Natur beschrieben. Galt der englische musikalische Nationalismus, der bis in die 1950er-Jahre die klassischen Programme dominierte, lange als rückwärtsgewandt, eskapistisch und provinziell (die Komponistin musique allemande; [...] le XXe siècle vit poindre un nouveau courant, un style entièrement nouveau et une nouvelle conception de la musique, lancés par la France.“ Dent, Ravel, 428. 19 Für einen Überblick auch der weiteren kulturellen Beziehungen ab 1830, der Ankunft von Aubers grand opéra, über Meyerbeer, Gounods Faust, Bizets Carmen und mehr Konzertmusik ab den 1880erJahren bis 1914 siehe Rodmell, French Music in Britain; zur Orchestermusik Debussys und Ravels Kelly, French Connections; zur Orchesterkultur um 1900 und zur Rolle Berlioz’ vgl. Langley, Joining Up the Dots; dies., Agency and Change. 20 Siehe die Masterarbeit Piatigorsky, The Campaign for French Music, und primär zu Barbiers Reihe in Manchester die Dissertation ihrer Enkelin Stonequist, The Musical Entente Cordiale (beide ungedruckt). 21 Symons schrieb auch über französische Musik, siehe zum englischen Diskurs über Symbolismus und vor allem Impressionismus in der Musik Kapitel 4.2. Vgl. zum literarischen Austausch Radford/Reid (Hgg.), Franco-British Cultural Exchanges. Vgl. zu Fry und dem Kontext der frühen Schönberg-Rezeption Heckert, Schoenberg, Roger Fry and the Emergence of a Critical Language. 22 Palmer, Impressionism in Music, 143. Neben anderen Ländern behandelte der Komponist Palmer 1973 Delius, Vaughan Williams, Holst, Scott, Bridge, Ireland, Bax und Britten. Vgl. Banfield, England, 1918–45, 183–186. Dent benutzte den Begriff „Post-Impressionism“ schon 1913 für die neuartige Orchestermusik (siehe Anm. 834). Für den gleichen Zeitraum wie Banfield 1993 zog Caldwell 1999 „Post-Romanticism“ vor. Caldwell, The Oxford History of English Music, Vol. II, 323. Auch der Musiksoziologe Alphons Silbermann konstatierte 1962: „War es doch der französische Impressionismus, so wie er sich von Gabriel Fauré anwärts über Debussy bis zu Ravel manifestierte, der die englische Musik aus einem allzu langen Dornröschenschlaf erweckte. In ihm und seinen neuen Klangfarben sah man die Erlösung von Brahmsscher Romantik und Wagnerianischer Grandezza, die bis dahin das musikalische Schaffen Englands überschatteten. In ihm sah man aber auch gleichzeitig eine Befreiung aus der Tradition einer vergangenen Grösse, die in England heisst: Madrigal, Purcell und Händel.“ Silbermann, Australische Komponisten, 278.

17

Kosmopolitisch und nationalistisch: Englisches Musikleben, englische Musik

Elisabeth Lutyens prägte insbesondere für den ‚Pastoralismus‘ den polemischen Begriff der „cow-pat school“), plädierte die jüngere Forschung dafür, Elgar, Vaughan Williams und ihre Nachfolger als Teil der kontinentalen Moderne (modernism) aufzufassen.23 Einige Autoren argumentierten, dass sich der als ‚englisch‘ verstehende und rezipierte Stil tatsächlich in einer kosmopolitischen Vielfalt manifestierte, die jene des Konzertlebens widerspiegelte.24 Die kompositorische Reaktion auf die französische Musik wurde jedoch kaum untersucht.25 Zuletzt machte Barbara L. Kelly auf die von Akteuren wie Jean-Aubry und Evans betriebene Annäherung beider Länder nach 1918 aufmerksam, berücksichtigte aber nicht die Rolle der von beiden mitorganisierten vorangegangenen Konzertreihen.26 Viele der Komponisten, die um den Ersten Weltkrieg mit einer unvermindert romantischen Ästhetik auf die musikalische Landkarte traten, aber mit oft internationaler Orientierung und ohne Folksong- und Tudor-Elemente abseits der zentralen nationalistischen Strömung standen, gerieten nach ihrem Tod in Forschung und Praxis fast in Vergessenheit. Peter J. Pirie trat dagegen schon ab den 1950er-Jahren etwa für Bridge, Bax, Ireland und Scott engagiert ein; bis heute forscht Lewis Foreman ebenfalls außerhalb der universitären Musikwissenschaft.27 Mittlerweile sind Werkkataloge, Biographien und Umfeld zahlreicher Persönlichkeiten weitgehend erschlossen (Goossens ist eine der Lücken) und erste analytische Perspektiven vorgeschlagen worden. Es existieren Darstellungen des Lieds, der Klaviersonate, der Sinfonie und der sinfonischen Dichtung im frühen 20. Jahrhundert. Für die Kammermusik bleibt neben einer jüngeren Unter23

Vgl. Saylor, English Pastoral Music, 2 (Zitat); Harper-Scott, Elgar, Modernist; Riley (Hg.), British Music and Modernism. In Abgrenzung davon und um Dahlhaus’ „musikalische Moderne“ von der „Neuen Musik“ abzugrenzen (beides als modernism übersetzbar), schlug Ben Earle als alternativen Begriff für die auf England übertragbare erstgenannte Moderne „liberal progressivism“ vor. Earle, Modernism and Reification, 376f. 24 Zur Generation nach 1900 siehe Clinch, Bridge: Poems of Re-enchantment, 310f. Schon Bridges Lehrer Stanford wurde eine chamäleonartige kompositorische Natur zwischen Verdi, Brahms und Rachmaninow attestiert. Dessen eklektische Orchesterprogramme am RCM hätten den Studenten eine Vielzahl an Modellen eröffnet. Rodmell, Stanford, 408; Wright, The Royal College of Music, 85f. 25 Vgl. knapp bei Nichols, Ravel and the Twentieth Century, 247f. mit einem Verweis auf die leider auch auf Anfrage nicht digital verfügbare Masterarbeit von Fiona Clampin, Englishness Revisited: The Influence of Debussy and Ravel on English Music 1900–1930, University of Exeter 1997. In den 1960er-Jahren skeptisch zeigte sich Pirie, Debussy and English Music; nur eine Seite füllte Lockspeiser, L’influence de Debussy. 26 Kelly, French Connections, 145; zur Zeitschrift The Chesterian dies., Une entente cordiale en musique. 27 Pirie, The Lost Generation; ders., The Unfashionable Generation. Vgl. wortgleich Palmer, Scott. Centenary Reflections, 738. Piries strikt chronologische Monographie von 1979 bot ein ‚AntiEstablishment‘-Gegenstück zur quasi-offiziellen Darstellung des langjährigen Times-Kritikers Frank Howes von 1966. Pirie, The English Musical Renaissance; Howes, The English Musical Renaissance. Vgl. Piries Leserbrief in The Musical Times, Juni 1980, 364, in dem er vor Howes’ Buch warnte. Siehe von Foreman vor allem die erstmals 1983 erschienene, zuletzt 2007 erweiterte Biographie Foreman, Bax. A Composer and His Times; und die umfangreichen Handbücher ders. (Hg.), Ireland Companion; ders./Scott/De’Ath (Hgg.), Scott Companion.

18

suchung ausgewählter Komponistinnen die zweibändige Enzyklopädie des Amateurs und Mäzens Walter Willson Cobbett von 1929/30 oft die ausführlichste Quelle (für zeitgenössische Anschauungen ist sie es insbesondere).28 Gerade die Kammermusik bietet ein vielfältiges Panorama englischen Komponierens nach der Jahrhundertwende: In den traditionellen Gattungen sahen junge Absolventen die klassischen ästhetischen Ideale ihrer Studienzeit in besonderem Maße durch die neuen französischen Ansätze herausgefordert.29 Diese Begegnung resultierte jedoch nicht in einer schlichten Ablösung der alten Modelle, vielmehr führte sie zu jeweils individuellen neuartigen Konstellationen. Ähnliche Tendenzen lassen sich in weiteren europäischen Ländern beobachten: Alfredo Casella, George Enescu und Joaquín Turina studierten in Paris, die beiden Erstgenannten waren sogar bei der Londoner Société des concerts français zu Gast. In Polen wandte sich Karol Szymanowski von der deutschen Musik zunehmend ab und Debussy, Ravel und Strawinsky zu. Einen großen Teil dieses internationalen Repertoires klammert die übliche, auf den deutschen Sprachraum konzentrierte Historiographie aus. Ihr zufolge wurde Kammermusik im frühen 20. Jahrhundert einerseits von konservativ Orientierten weiter gepflegt und spielte andererseits eine entscheidende Rolle in der Durchsetzung der (atonalen) ‚Neuen Musik‘.30 Der Blick auf eine lange als musikgeschichtliche Peripherie behandelte Sphäre kann die Perspektive auf die Umbruchszeit um 1900 weiten und das Verständnis einer pluralistischen Moderne schärfen.

28

Banfield, Sensibility and English Song; Hardy, The British Piano Sonata; Schaarwächter, Two Centuries of British Symphonism; Heldt, Das Nationale als Problem; Allis/Watt (Hgg.), The Symphonic Poem in Britain; Seddon, British Women Composers; Cobbett (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music. 29 Einen hohen Stellenwert der Kammermusik und derer organisch-logischer Prinzipien vermittelte vor allem Stanford am Royal College of Music. Somit wird der für das Renaissancenarrativ charakteristische Fokus auf dieser Schule hier ein Stück weit aufrechterhalten (siehe S. 266f.). Eine vergleichende kompositionstechnische Einordnung der Kammermusik vieler Schüler der Royal Academy of Music wie von McEwen, Bax, Holbrooke, Bowen und Dale bleibt ein Desiderat. 30 Vgl. Daverio, Fin de Siècle Chamber Music; Dahlhaus, Die Musik des 19. Jahrhunderts, 284.

19

1 Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

1.1 ‚Popular Classics‘: Kammermusik im Londoner Konzertleben One of the most remarkable features in our musical life at present is the development of taste for classical chamber music. A generation ago no one would have dreamt of seeking popular support for Concerts of this description. The Sonatas, Trios, and Quartets of the great masters were then the heritage of a cultured few; they are now the property of the people, and are to be heard in thousands of homes as well as in concert-rooms.31

Später als in Wien, Paris und Berlin, aber bald mit einer beispiellosen Ausdehnung und Reichweite hatten sich in London ab 1835 reine Kammermusikkonzerte etabliert. Schon früh waren dabei die Elemente angelegt, die das Bild des Genres und dessen Praxis bis ins 20. Jahrhundert hinein prägen sollten. Zu den wichtigsten Gesellschaften, deren Status zwischen intellektueller Gemeinschaft und kommerzieller Subskriptionsreihe pendelte, gehörte die von dem englischen Violinisten und Impresario John Ella geleitete Musical Union (1845–1881).32 Bereits zuvor hatte dieser mit Einladungskonzerten in seinem Privathaus an das Vorbild von Pariser Salons angeknüpft; nun strebte er danach, in ähnlichem Rahmen die ‚höchste Form‘ der Instrumentalmusik mit den angesehensten Interpreten einem elitären Kreis zugänglich zu machen. Diese Idealbedingungen bezogen eine Saalanordnung mit den Aufführenden in der Mitte und die Bereitstellung von Programmheften mit einer analytischen Beschreibung der gespielten Werke ein. Sie förderten und forderten so eine spezielle Form des konzentrierten Zuhörens.33 Die Präsentation und Programmgestaltung formten die Vorstellung eines bestimmten Begriffs von Kammermusik und eines Kernrepertoires, das von den ‚Klassikern‘ Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und speziell Ludwig van Beethoven bestimmt 31

The Musical Times, 1.6.1887, 344. Einen Überblick bietet Bashford, Public Chamber-Music Concerts in London, 1835–50. Zum Musikleben allgemein siehe Burrows, Victorian England. Zur Programmgestaltung und deren Einordnung in den europäischen Kontext siehe Weber, The Great Transformation of Musical Taste, 134–139 und 270f. Der Fokus der bisherigen Forschung auf der Musical Union lässt sich auf deren lange Wirkungszeit und auf die gute Quellenlage zurückführen. Siehe die Detailstudie Bashford, The Pursuit of High Culture. 33 Diese Form der bis heute gängigen Programmtexte etablierte sich zuerst in England. Bashford, Learning to Listen; dies., Concert Listening the British Way?. 32

21

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

wurde.34 William Weber prägte für die damit verknüpften ästhetischen Überzeugungen den Begriff des „musikalischen Idealismus“.35 Zeitgenössisches Repertoire bis in die 1850er-Jahre umfasste etwa Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy und Louis Spohr, die beide England regelmäßig besuchten. Nur eine geringe Präsenz besaß einheimische Kammermusik, vor allem zu hören waren George Alexander Macfarren und William Sterndale Bennett. Die Society of British Musicians (1834–1865), die 1842, dem Trend folgend, eine Kammermusikreihe aufsetzte, war zwar die erste nationale Initiative ihrer Art, allerdings ohne eine breite und langfristige Wirkung zu entfalten.36 Für die Ausdehnung dieses Geschmacks für Kammermusik auf größere Gesellschaftskreise, die im einleitenden Zitat festgestellt wurde, war hingegen vor allem eine Reihe verantwortlich: die 1859 ins Leben gerufenen, schnell zu einer Institution werdenden (Monday) Popular Concerts.37 Liebevoll ‚Pops‘ genannt, stellen sie eine interessante Parallele zu den unmittelbar darauf von Charles Lamoureux ins Leben gerufenenen Séances populaires de musique de chambre in Paris dar. In der neuen St. James’s Hall konnten bis zu zweitausend Personen schon für einen Schilling Programme hören, die sich von dem seriösen Anspruch der Musical Union nur geringfügig, etwa durch eingeschobene Vokalstücke zwischen den Ensemble- und Klavierwerken, unterschieden (dies entsprach dem seit dem 18. Jahrhundert üblichen ‚gemischten‘ Programmtypus).38 Die dort über Jahrzehnte regelmäßig auftretenden Interpreten wie Joseph Joachim,39 Wilma Neruda (verheiratete Norman-Neruda, ab 1888 in zweiter Ehe Lady Hallé),40 34

Siehe zu den besonders verehrten späten („posthumous“) Streichquartetten Beethovens und der Beethoven Quartet Society (1845–1852) Bashford, The Late Beethoven Quartets. 35 Zuletzt resümiert in Weber, Musical Canons, 325f. 36 Siehe für Erfolge und Probleme der Gesellschaft und eine Repertoireübersicht der sechzig Konzerte bis 1850 McVeigh, The Society of British Musicians, 164–166. 37 „The appellation Popular Concerts was originally, in fact, an impudent misnomer. The music given was of the most consistently un-popular character. Most speculators would have either altered the name of the entertainment or modified the selection of the compositions performed: Mr. [Arthur] Chappell took a bolder course – he changed the public taste.“ Zeitungsartikel, zit. nach dem Grove-Artikel [William] Chappell, Popular Concerts, 791. 38 Die von Samuel Arthur Chappell, Sohn eines Verlagsgründers, veranstalteten Konzerte fanden montagabends statt, ab 1865 zusätzlich samstagnachmittags. Die ‚Monday Pops‘ wurden aufgrund mangelnden Publikumsinteresses 1898 zum ersten Mal unterbrochen, die ‚Saturday Pops‘ noch bis 1902 fortgeführt. Trotz der Aussicht finanzieller Verluste übernahm der Joachim-Schüler Johann Kruse mit seinem Quartett zwei weitere Saisons bis zum Winter 1903/04. Die Saison ging stets von Herbst bis Ostern und umfasste etwa 40 Konzerte, sodass bis zum Ende der Ära 1904 insgesamt 1602 verzeichnet wurden. Siehe den Lexikonartikel Klein, Popular Concerts. Im Gegensatz zur Musical Union gibt es noch keine monographische Darstellung der ‚Pops‘. 39 Zu Joachim, der England zum ersten Mal 1844 und zuletzt 1906 besuchte, als „Repräsentant der deutschen Instrumentalmusik“ siehe Borchard, Stimme und Geige, 499–552; vgl. zu seiner Rolle auch im privaten Kontext Downes, Sentimentalism, Joachim, and the English. 40 Die Streicher bildeten kein eigenständiges Ensemble, wie sie in England erst um 1900 üblich wurden. Der Primarius bzw. die Primaria (oft auch mit Solostücken) wechselten am häufigsten; Louis Ries (zweite Geige) und Alfredo Piatti (Cello, auch als Solist) gehörten bis in die 1890er-Jahre zur

22

‚Popular Classics‘: Kammermusik im Londoner Konzertleben

Clara Schumann41 und Charles Hallé fungierten als „much prized link with the great musical past“ und festigten mit ihrer klassischen Ästhetik die konservativen Neigungen des Publikums.42 Der Dominanz der kontinentalen, vor allem deutschen, Interpreten entsprach das Repertoire, in dem englische Werke die Ausnahme blieben.43 Vereinigungen wie die People’s Concert Society (ab 1878) und die daraus hervorgehenden South Place Sunday Popular Concerts (ab 1887), wiederum ein breiteres Publikum auch in Londons Außenbezirken ansprechend, widmeten zumindest gelegentlich Programme einheimischen Komponisten.44 In anderen Städten Englands und in Edinburgh wurden ebenfalls früh Kammermusikreihen eingeführt: In der Universitätsstadt Cambridge fanden neben den Aktivitäten von Studenten und anderen Laien ab den 1870er-Jahren zunehmend professionelle Gastspiele statt, darunter regelmäßig von Joachim. In Manchester gelangte der russische Geiger Adolph Brodsky nach Hallés Tod 1895 mit einer germanophilen Ästhetik zu einer ähnlich einflussreichen Stellung wie Joachim.45 Kammermusik nahm zudem naturgemäß einen großen Raum im privaten und häuslichen Musikmachen ein.46 Angesichts der Verehrung des Kanons stießen Novitäten oft auf Vorbehalte. Ein Muster für die zögerliche Akzeptanz ‚romantischer‘ Kammermusik stellt Robert Schumann dar.47 Noch bis in die 1860er-Jahre attackierten führende Kritiker wie James William Stammbesetzung. Als Bratschisten wirkten etwa C. W. Doyle, Henry Webb, Henry Blagrove, Ludwig Straus (auch als Geiger), Jean-Baptiste Zerbini und Benno Holländer. Im Laufe der Zeit spielten gelegentlich weitere englische Musiker im Ensemble der ‚Pops‘, darunter Alfred Gibson, William Whitehouse und Haydn Inwards. 41 Zwischen 1856 und 1888 insgesamt neunzehnmal in England zu Gast, trat sie in keiner Stadt so häufig auf wie in London. Synofzik, Clara Schumann in England. 42 „To be initiated by such players as these [Joachim, Ries, Webb, Piatti] into the beauty and geniality of Haydn and Mozart, and into the mysteries of Beethoven, was a liberal education in chamber music. Even Mendelssohn’s works found ready acceptance then from hearers who, blackly ungrateful, have lived to disparage them.“ Cobbett, The Monday Popular Concerts, 333. Anlässlich eines Gastspiels von Ysaÿes Quartett in der Reihe bekannte ein Kritiker: „We in London are apt to be too conservative. We have formed our opinion of the masterpieces of chamber music on the interpretations given in the old days by Dr. Joachim and the „Pops“ quartet, and more recently by the Joachim Quartet, and any performance that differs we consider wrong.“ The Musical Standard, 6.4.1901, 207. 43 Zum Abschied der ‚Monday Pops‘ 1898 resümierte Cobbett das Repertoire der Reihe und kam zu folgender Rangliste der Zahl gespielter Werke (nicht Aufführungen), Klavierstücke eingeschlossen: Beethoven (100 Werke, davon am häufigsten die Kreutzersonate mit 73 Aufführungen), Mozart und Mendelssohn Bartholdy (je 66), Bach (65), Chopin (60), Haydn (58), Brahms (46), Schumann und Spohr (je 44), Schubert (40), Weber (12). Cobbett, The Monday Popular Concerts, 335. 44 Vgl. Bartley, Far From the Fashionable Crowd. Siehe für Repertoire- und Interpretenübersichten bis 1927 bzw. 1987 Meadmore, South Place Sunday Popular Concerts; Hawkins, A Hundred Years of Chamber Music. 45 Vgl. zu der Zeit von 1895 bis 1929 Thomason, Brodsky and His Circle. 46 Vgl. zur Hausmusik Bashford, Historiography and Invisible Musics; zum nicht immer spannungsfreien Verhältnis zwischen Amateuren und professionellen Musikern Gillett, Ambivalent Friendships. 47 Das Klavierquartett Es-Dur op. 47 wurde 1848 bei der Musical Union vorgestellt; trotz Ellas Hervorhebung der „beauty of its harmonies, the classical purity of its scoring, and orthodox development

23

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

Davison und Henry Chorley diesen kompromisslos und ordneten ihn neben Wagner der ‚neuen deutschen Schule‘ zu, deren Paradigmen in Kontrast zu allen geschätzten Werten wie Schönheit, Klarheit und Strenge der Form ständen.48 In der folgenden Dekade hatte Schumann – wie in kleinerem Ausmaß Franz Schubert – dennoch einen festen Platz in den Programmen eingenommen.49 Die Erweiterung des Repertoires um zeitgenössische Komponisten war dabei oft auf den beharrlichen Einsatz von Interpreten zurückzuführen. Viele englische Premieren fanden bei kleineren Rezitalserien statt, die sich oft ausdrücklich moderner Kammermusik widmeten. So stellte der Pianist Willem Coenen ab 1870 bei seinen „Chamber Concerts of Modern Music“ Werke von Schumann, Robert Volkmann, Niels Gade, Carl Reinecke, Johannes Brahms und anderen vor.50 Dem Letztgenannten begegnete die Kritik anfangs zwar auch oft mit Unverständnis, aber bereits ab den mittleren 1870er-Jahren stand Brahms’ ‚klassischer‘ Rang nicht mehr infrage. Bei den ‚Pops‘ gehörte er zu den meistgespielten Komponisten.51 Auffällige Parallelen zeigen sich zu der frühen Rezeption Schumanns und Brahms’ in Frankreich, auch wenn Letzterer dort nie eine vergleichbare Stellung erreichte.52 of its motivi“ (so auf die klassizistischen Vorlieben seines Publikums abzielend) fiel das Werk durch und wurde in der Reihe erst 1863 wieder aufgegriffen. Das Klavierquintett Es-Dur op. 44 spielte offenbar zuerst Hallé 1850 in Manchester, es konnte sich als Erstes durchsetzen. Abgesehen von einer frühen Aufführung des Streichquartetts a-Moll op. 41/1 1851 wurden die Quartette, Violinsonaten und Klaviertrios erst ab den 1860er-Jahren eingeführt. Vgl. zu einer Übersicht der Rezeption von Schumanns Musik in England Marston, ‘The Most Significant Musical Question of the Day’; F. G. E. [Frederick George Edwards], Schumann’s Music in England [zweiteilig], in: The Musical Times, 1.11.1905, 716–718, und 1.12.1905, 786f. (Zitat hier 717). 48 So schrieb Chorley zum Klavierquintett: „It is not music for us, nor can we consider its repetition here from time to time as a sign that a public is growing up to relish it, so much as of the discouraging dearth of new compositions.“ The Athenaeum, 29.4.1865, 594. 49 Vgl. zur Weiterentwicklung von Schuberts Bild als reinem Liedkomponisten Weller, The Reception of Schubert in England, zur Kammermusik insbesondere 63–74. 50 Zu Joachim Raff, Max Bruch und Hermann (?) Grädener hieß es: „And this is Young Germany! From it may Heaven protect us.“ The Musical World, 26.3.1870, 216. Als gebürtiger Niederländer hatte sich Coenen (1836–1918) 1862 in London niedergelassen. Von der Forschung wurden seine Konzerte bislang kaum beachtetet. Siehe Anm. 61 zu seiner Verteidigung gegen den Vorwurf, vor allem deutsche Musik aufzuführen. 51 Brahms’ Kammermusik wurde ab den 1860er-Jahren eingeführt: 1867 spielte Joachim das Streichsextett B-Dur op. 18 (eine Ankündigung nannte es bereits 1863). Bei Coenens Reihe folgten die beiden Klavierquartette opp. 25 und 26, das Klavierquintett f-Moll op. 34 (jeweils 1871), die Streichquartette op. 51 (1874 und 1875, Primarius Wilhelm Wiener) und das Klavierquartett c-Moll op. 60 (1876), bei den Popular Concerts das Streichquartett B-Dur op. 67 (1877, mit Joachim) und die Violinsonate GDur op. 78 (1880, Hans von Bülow und Norman-Neruda). Ab den 1880er-Jahren fanden die englischen Premieren meist kurz nach der Uraufführung statt. Vgl. (mit einer Übersicht der Erstaufführungen) Woodhouse, The Music of Brahms in England. 52 Dazu gehören etwa die Nebeneinanderstellung von Schumann und Wagner, die Bedeutungslosigkeit des Wiener ‚Parteienstreits‘ und die Tendenz, Schumann und Brahms wie zuvor bereits Schubert primär als Miniaturisten anzusehen. Vgl. Ellis, Music Criticism in Nineteenth-Century France, 167–172.

24

‚Popular Classics‘: Kammermusik im Londoner Konzertleben

Weitere Reihen mit dezidiert progressiver Orientierung bewegten sich oft zwischen öffentlichem und privatem Rahmen, darunter die Working Men’s Society (1867–1868), die vom Wagner-Liszt-Zirkel geprägt war,53 und die Subskriptionskonzerte von Edward Dannreuther in seinem Haus in Bayswater (1876–1893), bei denen etwa Theodor Kirchner, Karl Goldmark, Friedrich Gernsheim und Heinrich von Herzogenberg eingeführt wurden.54 Wie der ästhetisch ganz anders ausgerichtete Kreis um Joachim und Clara Schumann repräsentierten auch Klindworth und Dannreuther wirkmächtig die deutsche Tradition. Zu Novitäten aus anderen Regionen, die nicht nach einer einzelnen Aufführung wieder verschwanden, gehörten in den 1870er-Jahren Werke von Tschaikowski, Saint-Saëns und nach 1880 Grieg und Dvořák (siehe zu den 1890er-Jahren Kapitel 1.2). Auch die ‚moderne‘ Kammermusik, wobei der Begriff in der Regel wertfrei ‚zeitgenössisch‘ bzw. ‚von einem lebenden Komponisten‘ meinte, wurde an den Maßstäben der ‚Klassiker‘ gemessen, an deren Seite sie erklangen. Die in aller Regel ihre Texte nicht unterzeichnenden Kritiker beurteilten also die Originalität der Themen, die Qualität und Logik ihrer Verarbeitung und Entwicklung sowie die Einhaltung und den Zusammenhalt der klassischen Formen, wobei Inspiration und Handwerk gleichermaßen gewürdigt werden konnten.55 Weitergehende Aspekte wie Instrumentenbehandlung und ‚Farbe‘ wurden als sekundär angesehen, eine Annäherung etwa an orchestrale Texturen oder deskriptive Elemente oft als gattungsfremd missbilligt. Die Orientierung der Kritiker an klassischen Vorbildern zeigten auch Vergleiche oder Umschreibungen wie „French Schumann“ (angewendet auf Saint-Saëns, Fauré und Chausson) und die Vorstellung eines Pantheons der seriösen Kammermusik, wenn etwa Saint-Saëns’ Violinsonate als „not unworthy of being named with Beethoven“ erachtet wurde.56 Davon ausgeschlossen und eher als Musik für den Salon angesehen wurde solche, der man so vage Vorwürfe wie Effekthascherei, fehlende Würde und Unaufrichtigkeit machte, implizit auch reine Bläserkammermusik, Serenaden und andere nicht als Sonate angelegte Formen. Besonders häufig als tendenziell mit der ‚leichten Muse‘ verknüpft galt dabei die lange von Oper und Tanz dominierte französische Musik (siehe S. 42ff.).

53

Im Zentrum standen die vier Pianisten Karl Klindworth, Frits Hartvigson, Walter Bache und Edward Dannreuther. Ersterer hatte bereits 1861/62 in einer eigenen Reihe progressives Repertoire vorgestellt. Siehe zum Kontext der Society Allis, Performance in Private. 54 Dibble, Dannreuther and the Orme Square Phenomenon. 55 Anhand dieser Kategorien diskutierte Ella neue Werke in Programmtexten und hob deren klassische Gestaltungsprinzipien hervor. Bashford, The Pursuit of High Culture, 315f. 56 The Monthly Musical Record, 1.7.1894, 160.

25

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

Eine germanophile Clique? Kammermusik aus England When Frank Bridge matured at the turn of the century – the school of chamber music was really in the doldrums. The headmaster was Brahms, chief assistant masters, Schumann and Mendelssohn; the dancing-master, Dvorak, and of course above all, the Chairman of the Governors – Beethoven. Not much notice was taken of those rather dull, superannuated professors Haydn and Mozart – and though the occasional visits of the Art master Schubert gave pleasure, his character was highly suspect. Not as suspect, however, as the masters of that dreadful neighbouring coeducationalist school, Debussy and Faure.57

Als Benjamin Britten nach Ende des Zweiten Weltkriegs auf den Beginn der Laufbahn seines Lehrers Frank Bridge zurückblickte, stellte sich ihm die englische Kammermusik der Jahrhundertwende mit ihrer Vorliebe für die deutschen ‚Klassiker‘ (und Dvořák) als stagnierend dar. Aus der Perspektive der um 1900 an führenden Positionen etablierten Komponisten und Professoren allerdings hatte gerade die Orientierung an den progressiven kontinentalen Entwicklungen, für die vor allem Brahms stand, einen entscheidenden Fortschritt und eine Emanzipation von den überholten Modellen ihrer viktorianischen Vorgänger bedeutet. Wichtige Protagonisten wie Hubert Parry und Charles Villiers Stanford sowie einflussreiche Kritiker der liberalen Elite erkannten eine sich im Aufbruch befindliche englische kompositorische Tradition, die in den Jahrhunderten zuvor verschüttet gewesen sei. Kammermusik stand nicht im Mittelpunkt dieses Narrativs einer ‚English Musical Renaissance‘, war aber mit dieser verknüpft, denn neben dem wachsenden Interesse an Rezitalen mit zunehmend zeitgenössischem Repertoire widmeten sich englische Komponisten ab den 1870er-Jahren erfolgreicher als ihre Vorgänger den traditionellen Gattungen der Ensemblemusik.58 Ähnlich wie in Frankreich hatte diese für lange Zeit kaum Gelegenheit geboten, mit Aufführungen oder gar durch Drucklegungen ein Publikum zu erreichen.59 Doch im Gegensatz zur neuen Société nationale de musique in Paris setzten etablierte öffentliche Konzertreihen wie die Popular Concerts weiterhin nur in Ausnahmefällen einheimische Kompositionen auf das Programm und illustrierten bzw. festigten so die Vorurteile der Engländer gegenüber ihrer Musik, die bis weit ins 20. Jahrhundert beklagt wurden. Einige Kammermusikwerke wurden von deutschen Verlagen publiziert, wenige auch von englischen, allerdings im ganzen 19. Jahrhundert

57

Brittens Zitat stammt aus der Einführung einer Radioübertragung von Werken seines Lehrers Bridge. Britten, Frank Bridge and English Chamber Music (1947), in: Britten on Music, 75–77, hier 75. 58 Vgl. Bush, Chamber Music; Caldwell, The Oxford History of English Music, Vol. II, 298–304. 59 Der ‚Renouveau‘-Topos in der französischen Instrumentalmusik wurde etwa von Saint-Saëns formuliert, während die jüngere Forschung zu einem differenzierteren Bild der Zeit vor 1870 gelangt ist. Vgl. die Diskussion bei Eich, Die Kammermusik von Franck, 59–64. Siehe für einen autobiographisch grundierten Überblick über die englische Sicht auf ihre eigene Musik Evans, Then and Now.

26

‚Popular Classics‘: Kammermusik im Londoner Konzertleben

fast kein einziges Streichquartett.60 Der Pianist Willem Coenen verteidigte sich in einem Leserbrief gegen den Vorwurf, in seiner Reihe „Concerts of Modern Music“ fast nur deutsche Musik auf das Programm zu setzen: But, he [the critic] says, „Why not have works of English composers?“ I answer, Where are they? I am fully aware that Sir S. Bennett and Mr. Macfarren have written important works of chamber music, but, as my concerts are given for the purpose of introducing music not generally known to a London audience, I have, as a matter of course, omitted their well-known compositions from my programmes. I must confess I know of no other English composers whose works of chamber music can rank with those [...]. It is strange that, for instance, in the catalogue of Messrs. Novello, Ewer and Co., I find no mention of those numerous English compositions your critic speaks of. Such works may exist, for aught I know, in manuscript; but in that case, if they are not known and performed, the blame would seem to attach rather to the editors who do not publish them than to myself.61

Die Vertreter der ‚Renaissance‘ rückten den Nationalcharakter ins Zentrum des Originalitätsdiskurses. Aus ihrer Sicht hatte die englische Musik lange genug an dem dominierenden Einfluss fremder Modelle, zuletzt insbesondere jenen Mendelssohn Bartholdys, gekrankt. Paradoxerweise setzten sie dazu an, eine neue nationale Tradition auf aktualisierten deutschen Vorbildern wie Schumann und Brahms zu gründen, mit denen Kammermusik nach wie vor eng verbunden blieb; mit einer ähnlichen Intention orientierten sich auch etwa Saint-Saëns, Tschaikowski, Dvořák und Grieg grundsätzlich an diesen erweiterten klassischen Modellen.62 Einigen ihrer Vorgänger attestierten sie durchaus Pioniergeist; so erkannte Stanford bei William Sterndale Bennett trotz dessen enger Beziehungen zu deutschen Musikern die erste Kammermusik genuin englischen Charakters.63 Zwei von Bennetts nur drei groß angelegten Werken stammten aus den 1830er-Jahren, die Cellosonate op. 32 von 1852, als er, von pädagogischen und administrativen Tätigkeiten ausgelastet, schon praktisch nicht mehr komponierte. 60

Evans konstatierte, John McEwens viertes Streichquartett sei als erstes seit mindestens einem Jahrhundert 1903 von Novello herausgegeben worden. Evans, Chamber Music, 407. Doch in dem Katalog von Augener von 1861 finden sich bereits mehrere Quartette des oft als Amateur apostrophierten John Lodge Ellerton. 61 Der Kritiker erwiderte: „[...] even if the chamber compositions of Sir S. Bennett and Mr. Macfarren are known, many of them are not half as much as known as they deserve to be.“ The Musical Times, 1.5.1872, 479. Zwei Jahrzehnte später war die Situation kaum eine andere (siehe Anm. 808). 62 Caldwell zufolge war Brahms’ Modell flexibler und deshalb lohnender als Mendelssohns. Caldwell, The Oxford History of English Music, Vol. II, 259. Vgl. Baldassarre, Untersuchungen zur Geschichte des Streichquartetts, 564. 63 „When Bennett appeared on the scene, chamber-music of native origin had been dormant for nearly a century: there had been no outstanding composer of absolute music since Purcell. It is to Bennett’s initiative that England owes the awakening which since his day has spread over the artistic life of the country. He was affected, it is true, by his intercourse with Germans, but he maintained his British characteristics throughout his life.“ Stanford, William Sterndale Bennett, 631.

27

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

Alexander Mackenzie (1847–1935), Parry (1848–1918) und Stanford (1852–1924) übernahmen in den 1880er-Jahren ebenfalls hochrangige akademische Funktionen, woraufhin außer bei Letzterem keine Ensemblewerke mehr folgten.64 Dennoch galten vor allem diese drei der nachfolgenden Generation als der Ursprung der (modernen) englischen Kammermusik.65 Das klassische Narrativ der musikalischen Identitätsfindung zeichnete auch Edwin Evans für diese Gattung nach. Dabei unterschied er 1934 zwischen den Pionieren Elgar und Vaughan Williams und verdienstvollen Vorläufern, deren Musik man zwar nicht als englisch ansehe, die aber dennoch beharrlich gegen die Vorurteile ihrer Landsleute angekämpft und so einer genuin englischen Musik den Weg gebahnt hätten.66 War das Kammermusikleben insgesamt von Netzwerken deutscher bzw. deutschstämmiger, in England ansässiger oder regelmäßig gastierender Musikern geprägt, standen auch die frühen Werke der drei Genannten in solchen, durch persönliche Verbindungen aufgeladenen und oft (halb-)privaten Aufführungskontexten. Mackenzie kehrte nach Studien in Deutschland und London 1865 in seine Heimatstadt Edinburgh zurück und organisierte fortan eine Kammermusikreihe, bei der er selbst als Geiger mitwirkte und etwa zum ersten Mal Schumanns Klavierquartett und -quintett vorstellte.67 Für diese Konzerte schrieb er seine ersten drei groß angelegten Kompositionen, das Klaviertrio B-Dur (1867), das Streichquartett G-Dur (1868) und schließlich das Klavierquartett Es-Dur op. 11 (1873). Dieses widmete er Charles Hallé und ließ es in Leipzig drucken, wo es Hans von Bülows Anerkennung fand. Die Londoner Premiere 1875 stellte den ersten großen Erfolg für den jungen Komponisten dar, der sich anschließend jedoch größeren Besetzungen zuwandte.68 Für Parry kam der Anstoß, sich nach Streichquartettversuchen während seiner Studienzeit vertieft mit Kammermusik zu befassen, in erster Linie durch den Kontakt zu dem Pianisten Edward Dannreuther. Bei diesem nahm er ab 1873 Unterrichtsstunden ( Joseph Joachim hatte erfolglos bei Brahms angefragt), die sich von einer pianistischen Unterweisung zu einem grundsätzlichen musikalischen Austausch entwickelten. Die halb-privaten Konzerte in Dannreuthers Londoner Studio am Orme Square mit dem Gastgeber am Klavier boten zwischen 1878 und 1890 die Bühne für zehn groß ange64

Banfield argumentierte 1974, als ein Großteil der behandelten Musik auch in informierten Kreisen praktisch unbekannt war, die drei hätten mit dem Eintritt ins Establishment ihr (kompositorisches) Todesurteil unterschrieben. Banfield, British Chamber Music at the Turn of the Century. 65 Der Komponist Thomas Dunhill, ein Schüler Stanfords, attestierte der Dreiergruppe zwar noch keine völlige Unabhängigkeit von deutschen Einflüssen, aber doch eine erheblich größere Vielfältigkeit als Bennett. Dunhill, British Chamber Music, 197. Vgl. auch Kilburn [Abraham], Chamber Music and Its Masters, 191f. 66 Evans, Chamber Music, 405f. Siehe Anm. 12 zu Colles’ Vergleich mit der Entwicklung in Frankreich. 67 Dabei waren auch die sich in London für progressives Repertoire engagierenden Hugo Daubert (Cello) und der Liszt-Schüler Walter Bache (Klavier) beteiligt. Siehe S. 31ff. 68 In London stellte es der Pianist Coenen bei seiner Reihe vor. Vgl. zum biographischen Kontext und den Werken Barker, The Music of Mackenzie, 26–31.

28

‚Popular Classics‘: Kammermusik im Londoner Konzertleben

legte Kammermusikwerke Parrys, neben weiterem zeitgenössischen und englischen Repertoire.69 Diesem für progressive Strömungen aufgeschlossenen Umfeld entsprechend, zeigen die Klaviertrios e-Moll und h-Moll (1877 bzw. 1884) und das Klavierquartett As-Dur (1879) sowohl stilistische Elemente der Tradition Schumanns und Brahms’ (das Streichquintett Es-Dur begann Parry 1883 nach einer Aufführung von Brahms’ Quintett op. 88) als auch, auffällig im Fall der einsätzigen Fantasie Sonate für Violine und Klavier (1878), eine Anlehnung an die formalen und harmonischen Prinzipien der Liszt-Wagner-Linie.70 An Letzterer nahmen nicht nur einige Kritiker, sondern auch der regelmäßig bei Dannreuther und den ‚Pops‘ engagierte österreichische Geiger Ludwig Straus Anstoß.71 Die Aufnahme des Klavierquartetts in die Popular Concerts 1883 wurde als exzeptionelles Ereignis aufgefasst,72 aber nach 1890 folgten keine weiteren Ensemblewerke, während sich die älteren nie im Repertoire etablieren konnten. So forderte H. C. Colles bereits 1930 vehement eine Wiederentdeckung dieses Teils von Parrys Werkkatalog, dem er eine bahnbrechende Bedeutung für die englische Musik attestierte: The short list of Parry’s published chamber works, none of them very frequently performed, is no measure of their importance either in his own career or in the history of that English revival at the head of which he stands. Parry was the first English composer of recent times, perhaps the first since Henry Purcell, to form his own musical mind by the study and practice of concerted chamber music for instruments. [...] They must approach them [Parry’s chamber works] remembering that they belong to a time before most of the continental composers of the latter part of the nineteenth century had “arrived”, a time when Wagner was the great revolutionary and Brahms a doubtful quantity, while Dvořák, Franck, and Tchaikovsky scarcely existed; [...].73

Über einen längeren Zeitraum als Parry, zwischen etwa 1875 und mindestens 1919 und damit fast seine gesamte Laufbahn, widmete sich der Ire Stanford der Kammermusik. Nachdem er 1873 die Leitung der Cambridge University Musical Society übernommen hatte, führte er dort chorsinfonische sowie kammermusikalische Werke Schumanns und 69

So wurden dort auch die Klavierquartette von Mackenzie und Walford Davies (beide 1893 aufgeführt), ein Streichquintett von Henry Holmes (1882) und mehrere Werke Stanfords gespielt. Dibble, Dannreuther and the Orme Square Phenomenon, 292f. 70 Siehe für eine Diskussion der Werke Dibble, Parry, 148–150, 167–171, 220–223. 71 „Straus does not like the Violin Fantasie and the [Piano] Quartet because there are not enough cadences in them, and too many keys!!“ Tagebucheintrag von Parry, 23.3.1879, zit. nach ebd., 171. 72 „The production of a musical composition by an Englishman at the Popular Concerts is a phenomenon of such rare occurrence that the event deserves much more extended notice than we have at present space to give. Mr. Hubert Parry’s quartet in A flat for pianoforte and strings, heard last night for the first time at these concerts, is a work of the highest order, which will be liked more and more the better it is known.“ Der Programmheftautor versinnbildlichte die gängigen Vorurteile: „Were not the composer ... a young Englishman ... the quartet would be justly open to elaborate criticism, if, indeed, not less to well-merited eulogy“. Pall Mall Gazette, 4.12.1883, 2. 73 Colles, Parry, 209 und 211.

29

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

Brahms’ ein, an deren Seite sukzessive eigene Werke traten (zuerst ein heute verlorenes Klaviertrio G-Dur).74 Ähnlich wie Dannreuther für Parry fungierte für Stanford der Geiger Joachim als ein Mentor, dessen klassischer Ästhetik ‚reiner‘ Instrumentalmusik (Webers „musikalischem Idealismus“) Stanford bis zuletzt treu blieb. Seine ersten (bei verschiedenen deutschen Verlagen) veröffentlichten Werke widmete er deutschen Künstlern, die mit Joachim studiert hatten oder musizierten und regelmäßig in Cambridge gastierten.75 Joachim selbst war Widmungsträger des Klavierquintetts d-Moll op. 25 (1886), das er 1887 bei den Popular Concerts präsentieren konnte, und mit seinem Quartett des dritten Streichquartetts d-Moll op. 64 (1896); das fünfte in B-Dur op. 104 (1907) schrieb Stanford in Andenken an den England über Jahrzehnte eng verbundenen Geiger. In der Satzstruktur, der (auch satzübergreifenden) motivischen Verarbeitung, der instrumentalen Textur und der grundsätzlich diatonischen Harmonik orientierte sich Stanford an den Modellen, die Schumanns und Brahms’ Kammermusik bereitstellte. Die transparente, melodiezentrierte Schreibweise der Streichquartette erinnert hingegen eher an frühere Modelle wie Schuberts. In vergleichbarem Maße ist die frühe Kammermusik von Ethel Smyth (1858–1944) von einer an der deutschen Tradition geschulten Ton- und Formsprache geprägt. Wie Stanford kurz zuvor konnte sie 1877/78 dem Kompositionsunterricht bei Carl Reinecke am Leipziger Konservatorium kaum etwas abgewinnen, da dieser Brahms ebenso wie Wagner und andere zeitgenössische Musik nicht berücksichtigte. Doch der private Unterricht bei Heinrich von Herzogenberg wurde äußerst prägend, und die Kontakte zu den Ehepaaren Herzogenberg, Grieg und Joachim führten sie in den Kreis um Brahms und Clara Schumann ein. Dennoch blieb Smyth in dem diesem Umfeld eng verbundenen englischen Establishment außen vor.76 Sie kehrte erst kurz vor 1890 nach England zurück, sodass das Streichquintett E-Dur op. 1 (1883), die Cellosonate a-Moll op. 5 und die Violinsonate a-Moll op. 7 (beide 1887) in Leipzig uraufgeführt und auch gedruckt wurden (zu französischen Verbindungen in ihren Werken nach 1900 siehe S. 337ff.).77 74

Besonders prestigereich war die englische Erstaufführung von Brahms’ erster Sinfonie 1877, bei der Joachim die Ehrendoktorwürde verliehen wurde. Brahms sollte in gleicher Weise geehrt werden, nahm die Einladung zur Reise aber nicht an. Siehe zu dem prominent besetzten 50-jährigen Jubiläum der Society 1893 Anm. 152. Vgl. grundlegend zu Stanford Dibble, Stanford; Rodmell, Stanford. 75 Dazu gehörten die Cellosonate A-Dur op. 9 (1877, Robert Hausmann), die Violinsonate D-Dur op. 11 (1877, Ludwig Straus) und später das Streichquartett Nr. 2 a-Moll op. 45 (1891, Richard Gompertz). Auch das Klavierquartett F-Dur op. 15 (1879, Ernst Frank), das Klaviertrio Es-Dur op. 35 (1889, Hans von Bülow) und das Klaviertrio g-Moll op. 73 (1899, Karl Heinrich Barth, Emanuel Wirth und Robert Hausmann) widmete er deutschen Musikern. 76 Bernard Shaw schrieb den Status der Gruppe um Parry und Stanford allein deren gegenseitiger Beweihräucherung zu und spottete über die engen Verbindungen nach Deutschland: „This clique was the London section of the Clara Schumann-Joachim-Brahms clique in Germany; and the relations between the two were almost sacred.“ Shaw, Elgar, 10. 77 Siehe zu Smyths früheren Jahren die beiden Memoirenbände Smyth, Impressions That Remained. Zu ihrer Kammermusik vgl. Zigler, Selected Chamber Works of Smyth.

30

‚Popular Classics‘: Kammermusik im Londoner Konzertleben

Brahms repräsentierte in den 1870er-Jahren aus englischer Sicht die progressivste Strömung der kontinentalen Instrumentalmusik. Die Errungenschaft, diese kompositorisch aufzunehmen und zu verarbeiten, machte Stanford, auch als Kompositionsprofessor am neuen Royal College of Music von 1883 bis zu seinem Tod 1924, zu einem der einflussreichsten Komponisten seiner Generation, auch wenn sein ‚akademischer‘ Stil zunehmend eine leichte Angriffsfläche für Kritiker bot. Einige von Stanfords Kompositionen blieben im englischen Konzertleben präsent, die jüngeren wurden spätestens nach 1900 jedoch kaum mehr als aktuelle Beiträge wahrgenommen. Dunhill, einer seiner zahlreichen Schüler, plädierte trotz der offensichtlichen Anlehnung an die „great German masters“ für die historische Bedeutung dieses Œuvres. Stanford sei für die steigende Wertschätzung für Kammermusik im 20. Jahrhundert wesentlich verantwortlich (siehe dazu Kapitel 5.1 und 6): No doubt, as the first considerable British composer to write chamber music of importance (if one or two polished, but rather complacent, examples by Sterndale Bennett be excepted), he felt the responsibility of his isolated position. However that may be, Stanford made up his mind from the first that in this domain the lead of the great German masters was the only lead worth following.78 Stanford’s place in chamber music is far more important than any mere estimate of his own contributions to the art might lead one to believe. He is, indeed, a figure of great historical significance, if only for the very marked influence his personality and attainments had upon the work of his contemporaries and successors. Many will agree that the revival of interest in chamber music is the most striking feature on the musical landscape to-day.79

Wagnerianer oder orthodox? Französische Annäherungen Vor 1890 blieben Aufführungen von französischer Kammermusik in England weitgehend Einzelerscheinungen.80 In den 1830er- und 1840er-Jahren waren zwar etwa Streichquintette von George Onslow (dessen Vater Engländer war) und Klaviertrios von Henri Reber in London gespielt worden, doch anschließend praktisch in Vergessenheit geraten. Angesichts des Fokus der etablierten Konzertreihen auf die ‚Klassiker‘ blieb es ausdrücklich mit fortschrittlichem Repertoire verknüpften Interpreten vorbehalten, ein so ungewöhnliches Werk wie das frühe Klaviertrio fis-Moll op. 1/1 (um 1840) von César Franck in England vorzustellen. Der Liszt-Schüler Karl Klindworth war 1854 nach London gekommen und entwickelte mit zeitgenössischem Repertoire bald ein von der Presse kritisch betrachtetes künstlerisches Profil. 78

Dunhill, Stanford, 452. Der Artikel für Cobbett’s Cyclopedic Survey (1930) basierte auf einem früheren für Chamber Music. A Supplement to The Music Student (1915). 79 Ebd., 454. 80 Dies galt weitgehend auch für Orchesterkonzerte, in denen französische Musik bis mindestens 1880 praktisch allein mit Opernauszügen vertreten war. Vgl. Rodmell, French Music in Britain, 57 und 99.

31

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

1861 veranstaltete er zusammen mit dem Geiger Henry Blagrove und dem Cellisten Hugo Daubert eine Reihe von Kammerkonzerten in den Hanover Square Rooms, bei denen neben den üblichen Namen auch Schumann, Frédéric Chopin, Franz Berwald, Macfarren und Franck gespielt wurden.81 Mit dem Klaviertrio wurde 1861 vermutlich zum ersten Mal ein Kammermusikwerk von Franck in England aufgeführt. Während Schumanns Klaviertrio F-Dur auf Ablehnung stieß, wurde Francks Komposition positiv aufgenommen: [...] a composer whose very name was probably unknown to the majority of the audience. The work in question is the first of three trios written, we believe, some twenty years ago, by a certain Caesar Augustus Franck, a Belgian, then a mere boy, and who has since neglected to fulfil the rich promise of his youth. The trio performed on Tuesday night, unequal as it is, displays such extraordinary power and imagination, that it is incomprehensible how a man of such manifest genius as the author should have been content with the obscurity into which he has retired.82

Der konservative Kritiker Chorley, dem das Werk aus Paris bekannt war, lobte es in ähnlicher Weise und wies ebenfalls auf Anklänge an Beethoven hin. Er kritisierte allerdings die unzureichende Verknüpfung der Abschnitte im zu langen ersten Satz und das Prinzip, im letzten Satz Themen des ersten aufzugreifen: „one of the fancies of modern time.“83 Bei der Wiederaufnahme der Reihe im folgenden Jahr wurde Francks Trio wiederholt und von der Kritik dem Klaviertrio von Volkmann vorgezogen.84 In einer Zeitung wurde jedoch erneut die zyklische Verknüpfung der Sätze unvorteilhaft mit der Anwendung eines solchen Prinzips durch Mendelssohn Bartholdy verglichen.85 Weitere Aufführungen von Francks frühen Trios blieben eine Rarität, nachgewiesen sind eine mit Walter Bache 1867 und zwei mit Jenny Viard-Louis 1880.86 Sie vermochten nicht, Francks Namen zu dessen Lebzeiten in England bekannt zu machen.87 1861, im selben Jahr wie Francks Trio, wurde auch das Klaviertrio h-Moll (1852) von Edouard Lalo mit dem französischen Pianisten Ernst Lübeck bei der Musical Union gespielt, offenbar ohne besonderes Aufsehen oder eine Wiederholung anzuregen.88 81

Allis, Performance in Private, 146f. Blagrove war bereits ab 1836 bei einer der ersten Londoner Kammermusikreihen involviert gewesen. 82 The Musical World, 16.3.1861, 171. 83 The Athenaeum, 9.3.1861, 332. 84 The London Review, 15.3.1862, 269; The Critic, 15.3.1862, 268. 85 The Literary Gazette, 15.3.1862, 262f. 86 The Athenaeum, 1.6.1867, 734; The Athenaeum, 12.6.1880, 771; The Musical World, 17.7.1880, 455. Baches Aufführung diente Andrew de Ternant 1925 als Ausgangspunkt für Bemerkungen zu Francks Verbindung mit England und einem Besuch in London. Ternant, Franck and His Opus 1 in England. Schon bei Léon Vallas auf Skepsis gestoßen, konnten Ternants Berichte (darunter zu einem Treffen Debussys mit Brahms) mittlerweile als reine Fantasie entlarvt werden. Vgl. Stove, Franck, 184–187. 87 Fuller Maitland verwarf deswegen einen möglichen Einfluss Francks auf das Klavierquartett As-Dur (1879) von Parry. Fuller Maitland, The Music of Parry and Stanford, 30. 88 Es ist keine Pressenotiz auffindbar, allerdings wurde bei Pablo de Sarasates Aufführung von Lalos

32

‚Popular Classics‘: Kammermusik im Londoner Konzertleben

Der einzige französische Komponist – und in nicht geringerem Ausmaß Pianist und Dirigent –, der in England häufiger auf Programmen vertreten war und bis ins beginnende 20. Jahrhundert als quasi synonym mit französischer Musik angesehen wurde, war Saint-Saëns. Im Frühjahr 1871 vor der Pariser Kommune nach London geflohen, gab er im Juni bei der Musical Union sein Debüt als Pianist; zusammen mit Leopold Auer, dem belgischen Bratschisten Louis van Waefelghem und seinem Landsmann Jules Lasserre spielte er Mozarts Klavierquartett g-Moll, als Solist auch zwei eigene kurze Stücke.89 Die wohl erste Aufführung eines Ensemblewerks von SaintSaëns in England erfolgte erst zweieinhalb Jahre später bei den renommierten Popular Concerts. In der Folge standen sie regelmäßig auf dem Programm (siehe Tabelle 1). Seine Kompositionen wurden dabei vorwiegend in Reihen bzw. bei Konzerten mit dezidiert zeitgenössischem (englisch modern) Repertoire vorgestellt: Der Pianist Willem Coenen führte etwa im März 1876 auch Brahms’ Klavierquartett c-Moll in England ein, bei der Musical Union erklang kurz darauf Tschaikowskis Streichquartett D-Dur zum ersten Mal. Der Musikkritiker und Gesangslehrer Hermann Klein, dessen Bekanntschaft Saint-Saëns durch Manuel García machte und der zu einem treuen Förderer in England wurde, schrieb rückblickend: At that period he was regarded by English amateurs (ignorant as yet of the very existence of César Franck and his disciples) as the leader of the advanced French school. Orthodox musicians considered him eccentric; more modern thinkers admired his mixture of Teutonic severity with the ultra-saccharine melodiousness of Gounod.90

Trotz dieser Verknüpfung mit den modernsten Tendenzen fanden die Kritiker in SaintSaëns’ Kammermusik kaum überraschende Elemente; sie fühlten sich an klassische deutsche Vorbilder erinnert: He has been accused of being a pronounced Wagnerite; but in the early trio there is nothing but what is thoroughly orthodox, recalling fairy-like and fanciful themes of the Weberian school. M. Saint-Saëns met with a rapturous reception.91 Violinkonzert 1874 auf das Trio verwiesen: „[...] by M. Lalo, who has high reputation in Paris among the rising composers of France, but who is almost unknown here. A trio by him, in B minor, was given at the Musical Union, some years ago, which held out hopes of future fame, which have scarcely been realized, and are not likely to be, to judge from the concerto, for, orthodox in structure and form, it is not marked by originality.“ The Athenaeum, 23.5.1874, 708. Für das Jahr der Aufführung und den Namen des Pianisten siehe The Orchestra, 22.5.1874, 120. 89 „He has displayed an amount of industry, that, if it had been accompanied by the gift of genius, would have placed him in the first rank of composers; still credit must be given to him for being a careful and conscientious artist.“ The Athenaeum, 10.6.1871, 729. Offenbar war Saint-Saëns gar darum gebeten worden, ein eigenes Ensemblewerk vorzustellen, zog aber Mozart vor. The Musical Standard, 20.1.1872, 33. 90 Klein, Thirty Years of Musical Life in London, 170. 91 The Athenaeum, 2.6.1877, 713. Kurz zuvor war Wagner in London gewesen und hatte bei einigen Konzerten Ausschnitte seiner Werke selbst dirigiert. Jedoch feierten seine Opern dort erst in den 1880er-Jahren Erfolge.

33

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

Tabelle 1: Aufführungen von Saint-Saëns’ Kammermusik in London, 1873–1880 Datum

Werk

Interpreten (Reihe)

Presse

6.12.1873 (UA 1872)

Cellosonate c-Moll op. 32

Hans von Bülow, Alfredo Piatti (Popular Concerts)

MS, 13.12.1873, 370.

4.3.1874 (UA 1866)

Cellosuite d-Moll op. 16

Willem Coenen, Hugo Daubert

MS, 14.3.1874, 178.

16.3.1876 (UA 1865)

Klaviertrio F-Dur op. 18

Coenen, Wilhelm Wiener, Daubert

Aca, 18.3.1876, 274.

4.7.1876 (UA 1875)

Klavierquartett B-Dur op. 41

Saint-Saëns, Leopold Auer, Benno Holländer, Jules Lasserre (Musical Union)

MS, 8.7.1876, 21.

29.5.1877

Klaviertrio F-Dur

Saint-Saëns, Guido Papini, Lasserre (Musical Union)

Ath, 2.6.1877, 713.

28.2.1878

Cellosuite d-Moll

Edward Dannreuther, Lasserre

Ath, 2.3.1878, 295.

16.3.1878

Klaviertrio F-Dur

Karl Heinrich Barth, Joseph Joachim, Piatti (Pops)

MS, 23.3.1878, 177.

18.6.1878

Cellosonate c-Moll

Bülow, Lasserre (Musical Union, Saint-Saëns als Notenwender)

Ath, 22.6.1878, 807.

2.1.1879

KlQu. B-Dur

Dannreuther, Henry Holmes, Carl Jung, Lasserre

Ath, 11.1.1879, 59.

6.1.1879

KlQu. B-Dur

Mary Krebs, Wilma Norman-Neruda, Jean-Baptiste Zerbini, Piatti (Pops)

Ath, 11.1.1879, 59.

13.5.1880

KlQu. B-Dur

Agnes Zimmermann, Ludwig Straus, Zerbini, Lasserre

MT, 1.6.1880, 288.

34

‚Popular Classics‘: Kammermusik im Londoner Konzertleben

Mit Bülow auf seiner ersten Englandreise 1873 war es gerade kein französischer Interpret, der Saint-Saëns in England einführte (sie hatten sich bereits 1859 in Paris kennengelernt). Die Beteiligung eines französischen Musikers war auch in der Folge nicht zwingend, doch auch nicht die Ausnahme; der Cellist Lasserre etwa (Widmungsträger der Sonate op. 32) hatte sich 1869 dauerhaft in England niedergelassen. In den Kritiken wurde zwar nur selten explizit auf Saint-Saëns’ Nationalität rekurriert, doch war er wie seine Landsleute auch von Vorurteilen betroffen: The compositions of French composers when first introduced in this country enjoy but scant attention, and prejudice and partisanship are freely displayed. The works of M. SaintSaëns when originally heard here were severely and, it may be added, unjustly handled. [...] Now here is sufficient proof that M. Saint-Saëns is not quite the nonentity or impostor which he was called simply because he is a Frenchman. It is pleasant to find that these personalities are disappearing, and that the existence of a French school is being impartially admitted. M. Saint-Saëns has been accused of Wagnerian leanings, but there are no traces of them in the quartet; his subjects are clearly defined, and his development is that of the contrapuntist.92

Zu den wenigen französischen Komponisten, deren Kammermusik vor 1890 vereinzelt in England gespielt wurde, zählt auch Fauré. Dessen weitreichende englische Rezeption begann bereits 1877 mit einer Aufführung der Violinsonate A-Dur op. 13, nur ein halbes Jahr nach der Pariser Premiere, durch Alfred Jaëll und Leopold Auer bei der Musical Union.93 Wie die meisten Novitäten fand sie zunächst keinen Eingang ins Repertoire, nur Saint-Saëns griff das Werk seines Schülers und Freundes 1880 und 1887 erneut in London auf.94 Die Kritik erkannte die klassischen deutschen ‚Meister‘ als Faurés Modell, doch auch Ansätze von Originalität, insbesondere in den unkonventionellen harmonischen Fortschreitungen. Wie auch in Frankreich sollten seine Werke erst ab den 1890er-Jahren – parallel zu seinen regelmäßigen Besuchen in England – eine größere Verbreitung finden. Ein weiterer junger Komponist aus Frankreich, Benjamin Godard, erschien 1880 zum ersten Mal auf Konzertprogrammen; gleich drei seiner Orchesterwerke wurden in diesem Jahr vorgestellt.95 Auch seine Kammermusik war präsent: 1885 wurde die Serenade für 92

The Athenaeum, 11.1.1879, 59. The Athenaeum, 23.6.1877, 809. Orledge setzte die erste Einführung eines Kammermusikwerkes von Fauré in England noch 1891 an; auch die Kritiker erinnerten sich später an keine der früheren Aufführungen. Orledge, Fauré en Angleterre, 10, Anm. 2. 94 Bei der ersten Gelegenheit war Ovide Musin der Violinist, bei der zweiten Diaz Albertini. The Athenaeum, 5.6.1880, 737; The Musical Times, 1.6.1887, 344. 95 Der deutschstämmige Wilhelm Ganz dirigierte in seiner Reihe Introduktion und Rondo für Klavier und Orchester op. 49 sowie Kermesse op. 51, im November Frederic Cowen das Concerto romantique für Violine und Orchester op. 35. Bei Ganz spielte Saint-Saëns 1878 zum ersten Mal eines seiner eigenen Klavierkonzerte (Nr. 2 g-Moll) in England und kehrte als Solist in den Folgejahren regelmäßig wieder. Der Dirigent zeichnete 1881 auch für die erste komplette Londoner Aufführung von Berlioz’ Symphonie fantastique verantwortlich. Vgl. Ganz, Memories of a Musician, 135 und 144. 93

35

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

Klavier und zwei Violinen aus op. 18 gespielt, 1886 führte Hallé das Klaviertrio g-Moll op. 32 (1875) ein.96 Ein dreiteiliger Artikel über Godard, „by an admirer“, setzte sich zum Ziel, die im Rückblick auf das Jahr 1883 in der Times vorgebrachte Behauptung zu entkräften, die jüngere französische Generation habe bislang noch nichts Überzeugendes vorzuweisen gehabt: Now, with all deference to this eminent critic, I should like to know if the works of the following musicians do not show signs of creative genius – viz., Salvayre, Saint-Saëns, Leo Délibes, Reyer, Gouvy, Massenet, Guirand, Paladilhe, Godard, and many other young and middle aged composers I could name. [...] Of course many French and other composers are only known by name in England, and a great many not even by that.97

Eine solche Übersicht über die französische Musikszene und eine so ausführliche Behandlung eines jungen Komponisten finden sich zu dieser Zeit kaum in englischen Journalen. Die Orchesterwerke, die Charles Lamoureux im Frühjahr 1881 in London vorstellte, stießen bei konservativen Kritikern auf wenig Begeisterung.98 Insgesamt beherrschte die französische Oper die Aufmerksamkeit: Georges Bizets Carmen hatte 1878 ein äußerst positives Presseecho hervorgerufen, und im gleichen Jahr war Jules Massenet mit eigenen Werken zu Gast gewesen.99 Charles Gounod lebte zwischen 1870 und 1874 in London, seine Oper Faust dominierte seit 1863 den Spielplan.100 Diese Fokussierung spiegelte auch eines der ersten englischen Bücher über zeitgenössische französische Musik wider, Arthur Herveys Masters of French Music von 1894 (siehe Kapitel 4.2). 96

The Musical Times, 1.12.1885, 721. „[Godard’s works] display considerable originality, albeit of a somewhat bizarre type. The present example [op. 32], for instance, has little pretension to classic rank in consequence of the lack of form and symmetry in the movements. But, on the other hand, the themes are generally fresh and piquant, and particularly in the two middle movements.“ The Musical Times, 1.7.1886, 403. In ähnlicher Weise wurde in einer weiteren Kritik „organic cohesion“ vermisst, das Trio sei „an extremely clever, but also a very eccentric work“. The Athenaeum, 5.6.1886, 756. 97 Musical Opinion & Music Trade Review, 1.11.1885, 81. 98 „The characteristics of modern French music are those of a decadence in art. Mannerism may be pardoned when it is allied with genius, but without that companionship it is intolerable. Because Berlioz was altogether abnormal in his ideas of orchestration, his successors fancy they display wisdom in following his example; [...]. An original thinker is needed to restore a healthy feeling to French musical art.“ The Athenaeum, 26.3.1881, 437. Gespielt wurden in zwei Konzerten Werke von Berlioz, Gouvy, Lalo, Reyer, Saint-Saëns, Delibes, Massenet, Widor und Godard. Vgl. eine aufgeschlossenere Kritik in The Musical Times, 1.4.1881, 182f. 99 „The appearance of M. Massenet among us is an event of real importance, for he is undoubtedly a great man of the day, [...]. His conducting is like his music, graceful, energetic, and unaffected; his orchestration is masterly in the extreme, yet there is no apparent search after effect; his melodies are telling and never commonplace, [...].“ The Musical Standard, 11.5.1878, 286. Ein anderer Autor war kritischer und erkannte „a strong tendency towards over-orchestration – the besetting sin of many modern composers.“ The Academy, 11.5.1878, 427. 100 Vgl. zur Oper Rodmell, French Music in Britain.

36

Tableau der Moden: Französische Musik in London nach 1890

1.2 Tableau der Moden: Französische Musik in London nach 1890 In den 1890er-Jahren intensivierte sich die Verbreitung französischer Kammermusik in England. Neben dem unermüdlichen Saint-Saëns reisten Komponisten wie Fauré, Charles-Marie Widor und Cécile Chaminade mehrfach über den Kanal, gleichzeitig wurde Francks Musik eingeführt. Eine Übersicht über die französischen Novitäten der Orchestermusik in einem breiteren zeitlichen Rahmen zeigt Tabelle 2.101 Französische Musik war in dieser Dekade nur eine der kontinentalen Attraktionen des Londoner Kammermusiklebens und die Metropole ein Anziehungspunkt für Komponisten aus ganz Europa: 1891 gaben Isaac Albéniz und Giovanni Sgambati Kammerkonzerte,102 während sich Grieg zu einem der populärsten Besucher entwickelte. Brahms’ letzte Werke wurden vorgestellt,103 und das schon ältere Streichquartett e-Moll „Aus meinem Leben“ (1876) von Bedřich Smetana stieß nach der Erstaufführung bei den Popular Concerts 1894 auf so positive Resonanz, dass es beim Folgekonzert direkt wiederholt wurde.104 Im gleichen Jahr wurden Dvořáks Klaviertrio e-Moll „Dumky“ und das „Amerikanische“ Streichquartett F-Dur zum ersten Mal gespielt.105 Auch Musik skandinavischer Komponisten war beliebt: Werke, die zuvor bei kleineren Reihen gegeben worden waren, präsentierten die Popular Concerts nun einem breiteren Publikum, darunter 1895 Christian Sindings Klavierquintett e-Moll (zum ersten Mal 1890)106 und 1896 Griegs Streichquartett g-Moll (1881 bei Dannreuther).107 Andere Namen waren Emil Sjögren, vor allem mit Violinsonaten, und Johan Svendsen, dessen Werke schon in den 1870er-Jahren gespielt worden waren. Noch vertiefter war die Kenntnis russischer Kammermusik, etwa von Tschaikowskis erstmals 1888 erklungenem Klaviertrio a-Moll und Komponisten wie Anton Arenski (Klaviertrio d-Moll, 1895), Alexander Borodin (Streichquartett D-Dur, 1895), Alexander Glasunow 101

Vgl. auch die ausführliche Übersicht von Erstaufführungen ebd., 204–220. Albéniz lebte von Ende 1890 bis 1893 in London. Bei dessen auf die Klassiker konzentrierten Kammerkonzerten Anfang 1891 gab der Violinist Enrique Fernández Arbós sein Londoner Debüt, von 1894 bis 1915 wirkte er als Professor am Royal College of Music. Sgambatis zweites Klavierquintett war schon von den Popular Concerts bekannt. The Musical Standard, 27.6.1891, 525. 103 Das Streichquintett G-Dur wurde im März 1891 bei den Popular Concerts nur wenige Monate nach der Uraufführung gespielt; die Erstaufführung der Klarinettensonaten im Juni 1895 bestritt deren Widmungsträger Richard Mühlfeld mit Fanny Davies. The Musical Standard, 29.6.1895, 509f. 104 The Musical Standard, 8.12.1894, 445. 105 Der Pianist Isidor Cohn stellte das Trio bei seinem Konzert vor, das Publikum nahm es zurückhaltend auf. The Musical Standard, 16.6.1894, 506. Bei dem Quartettkonzert von Richard Gompertz wurde auch Tschaikowskis Streichquartett D-Dur gespielt und kurioserweise als Londoner Erstaufführung ausgewiesen (es war bereits 1876 gespielt worden, siehe zu dem ähnlichen Fall bei Fauré Anm. 93). The Academy, 17.11.1894, 406. 106 W. W. Cobbett, A Retrospect of the Winter’s Chamber Music, in: Musical News, 4.5.1895, 417. 107 „[...] a work unquestionably Scandinavian in character, but not altogether satisfactory in construction.“ The Athenaeum, 26.12.1896, 914. 102

37

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

Tabelle 2: Erstaufführungen französischer Orchesterwerke in London, 1886–1909 Datum

Werk

Dirigent (Reihe/Saal)

Presse

19.5.1886 (=UA)

Saint-Saëns, Sinfonie Nr. 3 c-Moll („Orgelsinfonie“)

Saint-Saëns (Philharmonic Society)

MS, 29.5.1886, 334f.

19.3.1887 (UA 1884)

Widor, Sinfonie Nr. 2 A-Dur

August Manns (Crystal Palace)

Ath, 26.3.1887, 425.

13.10.1888 (UA 1883)

Chabrier, España

Manns (Crystal Palace)

MT, 1.11.1888, 661.

19.11.1896 (UA 1889)

Franck, Sinfonie d-Moll

Charles Lamoureux (Queen’s Hall)

Aca, 21.11.1896, 434.

26.3.1897 (UA 1896)

Saint-Saëns, Klavierkonzert Nr. 5 F-Dur

Lamoureux (Kl. Louis Diémer, Queen’s Hall)

Ath, 3.4.1897, 452.

21.6.1898 (=UA)

Fauré, Pelléas et Mélisande (Schauspielmusik)

Fauré (Prince of Wales’s Theatre)

T, 22.6.1898, 12.

9.5.1899 (UA 1897)

Dukas, L’apprenti sorcier

Lamoureux (Queen’s Hall)

Ath, 13.5.1899, 603.

17.6.1899 (UA 1896)

Chausson, Poème für V. und Orch.

Henry Wood (V. Eugène Ysaÿe, Queen’s Hall)

Ath, 24.6.1899, 794.

30.4.1901 (UA 1894)

Lekeu, Adagio pour quatuor d’orchestre

Ysaÿe (London Musical Festival)

Ath, 4.5.1901, 574.

20.8.1904 (UA 1894)

Debussy, Prélude à l’après-midi d’un faune

Wood (Promenade Concerts)

Ath, 27.8.1904, 282.

1.2.1908 (UA 1905)

Debussy, La mer

Debussy (Promenade Concerts)

MG, 3.2.1908, 14.

27.3.1909 (UA 1888)

d’Indy, Wallenstein, trilogie symphonique (alle Teile)

d’Indy (Queen’s Hall)

Obs, 28.3.1909, 7.

21.10.1909 (UA 1908)

Ravel, Rapsodie espagnole

Wood (Promenade Concerts)

MS, 30.10.1909, 275.

38

Tableau der Moden: Französische Musik in London nach 1890

(Streichquartett G-Dur, 1898) und Sergei Rachmaninow (Trio élégiaque d-Moll, 1898).108 Bei den Popular Concerts überzeugte 1895 auch das Streichquartett F-Dur op. 17/3 (1853) des kurz zuvor verstorbenen Anton Rubinstein.109 Dass vier Jahrzehnte alte Kompositionen noch als Novitäten firmieren konnten, zeigt die weitgehend ungebrochen klassische Orientierung der großen Veranstalter und des Publikums an. Während ein Werk wie Arenskis Trio mit seinen Anklängen an Mendelssohn Bartholdy schnell populär wurde, widersetzte sich Glasunows „Slawisches“ Quartett der ästhetischen Erwartungshaltung an die Gattung.110 Offensichtlich nationale, umso mehr volkstümliche Charakteristika waren in der Kammermusik – auch bei den beliebten Dvořák und Grieg – weiterhin nicht gefragt. Dennoch war die Präsenz zeitgenössischer, nicht-deutscher Werke mittlerweile von einer anderen Qualität als noch in den 1870er-Jahren. Statt einzelner Werke, die nach einer Aufführung schnell wieder vergessen waren (wie Faurés Violinsonate A-Dur oder Tschaikowskis Streichquartett D-Dur), gab es nun die Gelegenheit, ganze Gruppen von nationalen ‚Schulen‘, wie sie in der Presse gerne bezeichnet wurden, auch durch wiederholte Wiedergaben kennenzulernen. Deutsche Komponisten waren in der modernen Kammermusik nicht mehr tonangebend.

Eine zielgerichtete Unternehmung: Die Wolff Musical Union Französische Musik war folglich nur eines unter mehreren konkurrierenden Phänomenen, die in England vermehrt Gehör fanden. Die neue Präsenz im Konzertleben zeigte eine Konzertreihe an, die mit dem ausdrücklichem Ziel antrat, das englische Publikum mit französischer Kammermusik vertraut zu machen: Der niederländische Violinist Johannes Wolff (1861–1931) hatte unter anderem in Paris bei Lambert Massart studiert und 1888 im Crystal Palace sein Londoner Debüt mit Godards Concerto romantique gegeben.111 In seiner neuen englischen Heimat etablierte er sich fortan rasch. So spielte er etwa mit Grieg (1897) und Saint-Saëns (1898) für Queen Victoria in Windsor.112 108

Besonders beliebt war offenbar Borodins zweites Streichquartett. W. W. Cobbett, Retrospective, in: Musical News, 16.7.1898, 61. Vgl. auch die Zusammenstellung von Erstaufführungen bei Thomas, The Impact of Russian Music in England, 269–278. 109 The Monthly Musical Record, 1.2.1895, 40. 110 „[It] can scarcely be termed a serious effort. The themes aim chiefly at being characteristically of Slavic idiosyncrasy, and are treated more in an orchestral than a quartet fashion.“ Musical News, 12.3.1898, 257. 111 The Musical Standard, 9.6.1888, 357. Im Oktober wiederholte er das Konzert im Crystal Palace unter Manns, im Januar 1889 auch in Edinburgh. In diesem Jahr spielte er bei Wilhelm Ganz das Andante religioso von Francis Thomé. Ganz, Memories of a Musician, 105. 112 Studd, Saint-Saëns, 212. Zu Wolff gibt es nur wenige Quellen: The Strand Musical Magazine, Aug. 1897, 144; M.A.P. (Mainly About People), 30.7.1898, 14f.; Wyndham/L’Epine (Hgg.), Who’s Who in Music, 228f. Diese nennen 1863 als Geburtsjahr, das korrekte findet sich auf Wolffs Grabstein in

39

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

Tabelle 3: Die Konzerte der Wolff Musical Union, 1894 Datum

Programm (ohne Lieder)

Instrumentalisten

Presse

21.5.1894

Widor KlQu. a-Moll, Sérénade für Qnt.; Chaminade Klaviertrio a-Moll

Widor, Chaminade, Johannes Wolff, Louis van Waefelghem, Jules Delsart

Ath, 26.5.1894, 686.

7.6.1894

Saint-Saëns Klaviertrio F-Dur, KlQu. B-Dur, Violinsonate d-Moll

Saint-Saëns, Wolff, Waefelghem, Joseph Hollman

MN, 16.6.1894, 557.

11.7.1894

Anton Rubinstein Qnt. für Kl. Louis Diémer, Wolff, und Bläser F-Dur; Trios, Duos Waefelghem, Paul Taffanel und Klavierstücke von Widor, (Fl.), Charles Turban Saint-Saëns, Diémer (Klar.) u. a.

22.11.1894

Fauré Violinsonate A-Dur, KlQu. c-Moll; Klavierstücke von Francis Thomé

Fauré, Thomé, Wolff, Waefelghem, Leo Stern

MT, 1.8.1894, 534f.; Magazine of Music, Aug. 1894, 171. Aca, 1.12.1894, 454.

Neben der französischen Musik, die er aus Paris mitbrachte, war Wolff eng mit Grieg verbunden; auch Godard, Fauré, Saint-Saëns und der englische Kritiker Hervey widmeten ihm Werke.113 Sein Renommee in den gehobenen Kreisen der Londoner Salonkultur, in denen auch Fauré verkehrte, zeigt das Porträt von John Singer Sargent (1897, siehe zu dem amerikanischen Maler Kapitel 2.1). Nachdem er schon als Solist vorwiegend französisches Repertoire präsentiert hatte, war Wolff mit seinen persönlichen Beziehungen zu Komponisten prädestiniert dafür, eine entsprechende Kammermusikreihe einzuführen. Die Wolff Musical Union wurde im April 1894 als Wiederbelebung von John Ellas Musical Union angekündigt.114 Bei insgesamt vier Konzerten über zwei Saisons stellten sechs französische Komponisten ihre Werke vor (siehe Tabelle 3); die avisierten Auftritte von Massenet und Grieg fanden hingegen nicht statt.115 Versailles, der ihn auch als Officier de la Légion d’honneur ausweist (ein Foto des Grabs wird auf der niederländischen Wikipedia verlinkt). 113 Im März 1889 spielte Wolff mit Grieg dessen Violinsonate c-Moll erstmals in England. The Monthly Musical Record, 1.4.1889, 91. Grieg war von Wolffs Spiel beeindruckt und blieb bis zu seinem letzten England-Besuch 1906 in engem Kontakt zu ihm. Carley, Grieg in England, 166 (mit biographischen Ungenauigkeiten). 114 The Musical Standard, 14.4.1894, 317. Ella war 1880 nach 35 Jahren von der Leitung seiner Reihe zurückgetreten, eine weitere Saison übernahm der Cellist Lasserre, bis die Ära 1882 endgültig endete. Vgl. Bashford, The Pursuit of High Culture, 332–336. 115 Nach der Ankündigung im April wurde die Absage nicht explizit verlautet. Grieg hatte kurz zuvor die Ehrendoktorwürde in Cambridge erhalten und verließ London Ende Mai, offenbar gesundheitlich angeschlagen. Carley, Grieg in England, 228. Am 11.6.1894 erlebte Massenets Werther die englische

40

Tableau der Moden: Französische Musik in London nach 1890

So far from presenting a replica, as has been stated, of the late John Ella’s classical musical union, the chief object, and one deserving in some respects of even higher commendation, which distinguishes the venture started by Mr. Johannes Wolff (the “favourite violinist of the Queen”), is the production of unfamiliar chamber works, more especially of the French school. Hence the first concert partook somewhat of the character of a “Widor Festival,” [...].116

Für Widor war es nicht die erste Konzertreise nach England.117 Einzelne (Orgel-)Werke waren nicht unbekannt, doch war Wolffs Konzert wohl die erste Gelegenheit, Widors Kammermusik kennenzulernen. Wie üblich gab es ein gemischtes Programm, bei dem die Ensemblewerke durch kürzere Stücke (von Widor drei Cellostücke sowie die kurze Sérénade für Flöte, Klavier, Harmonium, Violine und Cello) und Lieder ergänzt wurden. Die ambitionierte Unternehmung erfuhr eine breite Rezeption in der Presse, wobei Widors Klavierquartett a-Moll op. 66 (1891) unterschiedlich aufgenommen wurde: Deutlich an der modernen deutschen Musik orientiert, sei es trocken und effekthascherisch bzw. habe nur eine attraktive Idee, diese jedoch von Grieg geklaut; das Scherzo sei grässlich („hideous“).118 Andere Kritiker zeigten sich offener für das ungewohnte Idiom.119 Im Gegensatz zu den meisten früheren Besprechungen wurde der Musik auch eine eigene, spezifisch französische Qualität attestiert, die sich vom deutschen klassischen Stil abhebe: It is strange there was not a larger attendance, but perhaps English amateurs do not yet underetand [understand] the French school, and are only in love with the stoggy, pseudo-classical style of composition affected by second-rate German composers. These defects do not belong to Mdlle. Chaminade’s compositions. [...] M. Widor’s compositions are exceedingly graceful and very French in tone, but they have not the fire of Mdme. Chaminade’s.120 Erstaufführung, La Navarraise wurde am 20.6.1894 sogar in London uraufgeführt. 116 Musical Opinion & Music Trade Review, 1.7.1894, 622. 117 Widor hatte 1882 mit der Royal Amateur Orchestral Society seine neue Orgelsinfonie g-Moll vorgestellt; 1887 dirigierte Manns die zweite Sinfonie A-Dur. Siehe auch allgemein zur französischen Sinfonik The Musical World, 26.3.1887, 236. 1888 wurde er von der Philharmonic Society eingeladen, La nuit de Walpurgis zu dirigieren; in der gleichen Saison waren dort auch Tschaikowski und Grieg zu Gast: „M. Widor is far from being, and probably would not care to be, the most popular of modern French composers – for his aims are too serious, and he is apt to write over the heads of general audiences – but he is certainly one of the most individual among them.“ The Times, 20.4.1888, 10. Im Mai 1891 weihte er die Orgel der Newcastle Cathedral ein. Vgl. Near, Widor, 224 (das Konzert mit Wolff bleibt dort unberücksichtigt). 118 The Athenaeum, 26.5.1894, 686; Musical Opinion & Music Trade Review, 1.7.1894, 622. 119 „The quartet is in the orthodox form, and contains many points of interest, but space only admits of our mentioning that the adagio contains some lovely cantabile passages for the strings, [...] also that the scherzo is a marvel of successful modulation, the key signature changing no less than seven times.“ Musical News, 26.5.1894, 485. 120 The Musical Standard, 26.5.1894, 441. Andere Kritiker berichteten von einem größeren Publikum, spätestens das zweite Konzert sei ein Erfolg gewesen.

41

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

Auch Chaminade war bereits zuvor mit eigenen Werken in London aufgetreten: Zwischen 1892 und 1900 reiste sie beinahe jährlich für eigene Rezitale in die Hauptstadt; beim ersten hatte sie, wie zwei Jahre später, das zweite Klaviertrio a-Moll op. 34 (1887) mit Wolff und dem niederländischen Cellisten Joseph Hollman gespielt.121 Vor allem ihre Lieder und leichteren Klavierstücke waren beliebt,122 sodass ihr ein „honourable place among those who have helped to raise the standard of music for the drawing-room“ zugewiesen wurde.123 Im Laufe der Jahre wurden die zunächst überwiegend positiven Rezensionen allerdings immer negativer, da eine stilistische Weiterentwicklung vermisst wurde.124 Ab 1902 begleitete Chaminade in der neuen Bechstein Hall regelmäßig eigene Lieder bei gemischten Programmen. 1913 war sie für die Aufnahme von Klavierrollen erneut in London und wurde Präsidentin der Society of Women Musicians, bei deren Konzert zu ihren Ehren sie im Juni 1914 das zweite Klaviertrio spielte.125

Leicht und elegant? Stereotype Charakterisierungen französischer Musik In den Sälen, in denen die als am anspruchsvollsten geltende Kammermusik zelebriert wurde, repräsentierte französische Musik in der Regel immer noch das ‚Andere‘. Seit langer Zeit bestehende und hartnäckig fortdauernde Vorstellungen über sie fügten sich zu einem Bild, das genau den Gegensatz zu dem mit Ernsthaftigkeit, Seriosität und Tiefe verknüpften klassischen deutschen Kanon bildete. Dies änderte sich auch mit der Einführung des neuen Repertoires um die Jahrhundertwende zunächst kaum: Als der 121

„Though described as a Pianoforte Recital, the performance at which Miss Chaminade appeared for the first time in London at St. James’s Hall, on the 23rd ult., was virtually a Chamber Concert, as no fewer than six artists took part in it. Miss Chaminade’s name has appeared in the programmes of high-class Concerts of late, and the large audience, including many well-known musicians, testified to the curiosity concerning her. Let it be said at once that, alike as a composer and an executant, the young French musician made a remarkably favourable impression, although it was perhaps somewhat unwise to offer a programme entirely of her own compositions. The impression created by her Pianoforte Trio in A, in which she was ably assisted by Messrs. Johannes Wolff and Hollmann, was wholly favourable, for the work is remarkably bright, fresh, and homogeneous, in the last respect contrasting well with other efforts of the same kind from female hands. The rest of the programme consisted for the most part of elegant salon pieces and refined songs, the latter being artistically rendered by Mr. and Mrs. Oudin. Miss Amina Goodwin joined Miss Chaminade in some compositions originally written for orchestra, but transcribed for two pianofortes.“ The Musical Times, 1.7.1892, 410. 122 „As regards the pianoforte compositions of Mlle. Chaminade, we agree with a contemporary that the lighter pieces are much more interesting than the Sonata in C („Ut“) minor; where the style is vague and the sentiment, if sentiment be requisite, not very lucidly enunciated.“ The Musical Standard, 10.6.1893, 448f. 123 The Observer, 3.6.1894, 6. 124 Vgl. Citron, Cécile Chaminade, 10f. 125 Die beiden Streicherinnen waren Beatrice Langley und May Mukle. „Though light in style, the music shows sound workmanship, [...].“ The Athenaeum, 4.7.1914, 27.

42

Tableau der Moden: Französische Musik in London nach 1890

in progressiven Pariser Zirkeln verkehrende Kritiker Michel-Dimitri Calvocoressi 1905 bei der Royal Academy of Music zu Gast war, fragte ihn deren Kompositionsprofessor Frederick Corder: „And are the French still exclusively fond of light music?“126 Zwei französischen Korrespondenten zufolge ließ sich die Einschätzung der englischen Professoren zur modernen französischen Schule auf die Formel bringen: „Très forte, oui, mais sans profondeur !“127 Nicht anders sah es noch einige Jahre später in Manchester aus, wo man französische Musik entweder allein mit Carmen identifizierte oder, wie der Dirigent Hans Richter, deren Existenz(-berechtigung) gleich ganz infragestellte (siehe Anm. 1). Diese Simplifizierungen basierten auf einer bis ins 18. Jahrhundert zurückreichenden traditionellen Charakterisierung französischer Musik, wie sie etwa Hubert Parry 1911 mit seiner rassisch-evolutionistisch geprägten Perspektive auf die Musikgeschichte formulierte: It seems almost superfluous to point out that the range of French musical art till recently has been extremely limited. [...] even in things trivial the French insist upon dexterity of presentment; upon something which gives the impression of cleverness in the form of the texture, of the liveliness of their intelligence. [...] Of what the French may do in the new phase of their musical ardour it is not yet time to predict. Their dexterity in dealing with the orchestra is part of that same exaggerated estimate of style which has been discussed, and is shown in the neatness of their earlier song music as well as in the ingenious perversity of their latest developments in that line, wherein the reiteration of little formulas of accompaniment indicates a reversion towards primitive mental phases, which have been discussed in connection with the music of undeveloped races. Their tendency to cultivate sensibility is also bearing very conspicuous fruit; and it is to be observed that the phase in which it is now manifested was preceded by a period of excessive sensuousness in the middle of the nineteenth century, which had considerable influence upon art in other countries, as, for instance, on the church music of this country; [...].128

Solche Stereotype schlugen sich meist implizit, ohne Verweis auf die Nationalität, in Pressekritiken nieder. So wurde französische Kammermusik mit einem leichteren Tonfall verknüpft und man attestierte ihr zwar angenehme Themen, aber auch einen Mangel an Solidität und sorgfältiger Ausarbeitung. Beispielhaft lässt sich das an den Reaktionen auf die beiden Klaviertrios von Godard nachvollziehen (siehe Anm. 96 und 144). Francks ernsthafte Violinsonate hingegen lief den gängigen Erwartungen zuwider (siehe Anm. 184). Faurés Kammermusik gestanden die Kritiker anfangs nicht den höchsten Grad an Seriosität zu (siehe etwa Anm. 240). 126

„I started talking – maybe a shade too eagerly – of Franck and d’Indy and Fauré and Debussy, of the Bach cult in France, of the interest in Monteverdi and Marc Antoine Charpentier, and of critics such as Romain Rolland, Henry Expert, and Pirro and Lionel de la Laurencie. When I had quite done, he half raised his head, uttered a semi-resigned, semi-dubious grunt, and relapsed into silence.“ Calvocoressi, Musicians Gallery, 283. Corder galt im Vergleich zu Stanford, seinem Kollegen am Royal College of Music, als liberaler im Geschmack und war insbesondere eng mit Wagners Musik verbunden. 127 Boulestin/Toye, Beckmesserianisme anglais, 203. 128 Parry, Style in Musical Art, 162–164.

43

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

Dennoch wurden französische Leichtigkeit und Eleganz nicht als völlig unvereinbar mit den klassischen Gattungen angesehen, wenn sie auch eine separate Kategorie etablieren würden: Godards Klaviertrios bildeten etwa für den Kammermusikenthusiasten Walter Willson Cobbett „the most delightful examples of light chamber music we know“.129 Aus seiner Sicht hätten französische Komponisten in den seriösen, von deutscher Musik dominierten Popular Concerts für Abwechslung sorgen können. In einer Repertoireübersicht wiederholte er 1913 seine Einschätzung. The French school, too, has been somewhat neglected. Saint-Saëns’ name appears fairly often, but no performance has been given of his Quintet for piano and strings, nor of the two Sonatas for piano and violin, and we miss the names of César Franck, Widor, Godard, and Chaminade, for though we may admit that some of the music of these Dii minores is conceived in a lighter vein, we cannot admit this as a reason for excluding them.130 The earlier work (Op. 18 in F) [Saint-Saëns’ Klaviertrio] may be cited as the most artistic of the lighter contributions to chamber music. [...] French composers, as might be expected, excel in the production of works of a light and graceful character. B. Godard and Cécile Chaminade have each written two Trios which may be described as recreative, or as salon music in the best sense of the word.131

Erst in dem Zuge, in dem die lange unbestrittene Autorität deutscher Musik zu hinterfragen begonnen wurde und typische Eigenschaften insbesondere der jüngeren wie von Richard Strauss und Max Reger negativ umgedeutet werden konnten (schwerfällig statt stark, akademisch statt sorgfältig gearbeitet), wurde die Andersartigkeit der französischen Musik als attraktiver empfunden. Faurés ‚Salonmusik‘ wurde nicht mehr zwangsläufig abschätzig als charmant oder gar frivol betrachtet, ihr privater und intimer Charakter konnte vielmehr als besondere Qualität wertgeschätzt werden (siehe Kapitel 2.2). Das jüngste französische Repertoire, das England nach 1900 erreichte, stieß jedoch weiterhin auf stereotype Vorbehalte: Ganz ähnlich wie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schon Meyerbeer und Berlioz warf man Debussy, Ravel und anderen einerseits eine übermäßige Fokussierung auf ‚cleveren Effekten‘ vor, andererseits eine als ‚impressionistisch‘ bezeichnete Vagheit sowie einen Mangel formaler Kohärenz.132 Artikel und Vorträge vermittelten nun aber mehrere, ästhetisch divergierende französische ‚Schulen‘, die das zuvor weitgehend einheitliche Bild differenzierten. So beschrieb etwa Mackenzie die „Diatonic School“ um d’Indy mit Vokabular, das zuvor kaum mit 129

W. W. Cobbett, A Retrospect of the Winter’s Chamber Music, in: Musical News, 4.5.1895, 417. Cobbett, The Monday Popular Concerts, 334. 131 Cobbett, The Trio Repertory, 21. 132 Vgl. zu Meyerbeer und Berlioz Rodmell, French Music in Britain, 62f. Rodmell betonte die pejorativen Anklänge der Einschätzungen vor 1914, die etwa darauf abzielten, der französische Stil sei tendenziell kleineren Formen angemessen. In einer geschlechterkodierten Sichtweise habe man ihn zudem oft mit ‚typisch weiblichen‘ Eigenschaften verknüpft („pleasing and attractive but lacking virility and boldness“). Ebd., 186. Siehe Anm. 526 zu Ravels Klaviertrio („more show than substance“) und Anm. 745 zur Skepsis gegenüber neuartigen Instrumentaltechniken als rein effektorientiert. 130

44

Tableau der Moden: Französische Musik in London nach 1890

französischer Musik verknüpft worden wäre: „Their choice of subjects had hitherto been a healthy and sane one, and their compositions showed strength and rhythmic vigour.“ Die „Impressionist School“ sah er kritischer, aber räumte ein: „To say that their style was French was to admit its elegance and grace.“133 So blieben viele Vorurteile zwar lebendig, wurden aber mit Merkmalen wie Raffinesse, Zurückhaltung und Klarheit positiver formuliert, die so sogar einen beispielgebenden Charakter annehmen konnten (siehe zur Vermittlung und dem Diskurs über nationale Modelle Kapitel 4.2 und 4.3).

Akteure des Transfers: Anglo-französische Künstlernetzwerke Zahlreiche Interpreten traten in London regelmäßig mit französischer Musik auf. Bei den gemeinsamen Konzerten in unterschiedlichen Konstellationen lässt sich von einem sich etablierenden Künstlernetzwerk sprechen. Der Bratschist Louis van Waefelghem (1840–1908) hatte schon zwanzig Jahre zuvor gemeinsam mit Saint-Saëns bei der Musical Union musiziert, in Paris mit Fauré dessen beide Klavierquartette uraufgeführt und mit dem Cellisten Jules Delsart (1844–1900) zusammen im Quatuor Marsick gespielt. Mit Delsart und dem Pianisten und Cembalo-Pionier Louis Diémer (1843–1919) war er 1895 Mitbegründer der Société des instruments anciens.134 Diémer spielte bei Wolffs Reihe auch ein Solostück von Louis-Claude Daquin, Waefelghem zwei Stücke auf der Viola d’amore. Auch bei späteren Reihen wurde die moderne französische Musik gerne mit der älteren kombiniert. Der Cellist Joseph Hollman (auch Hollmann, 1852–1927), ein weiterer Niederländer, der sich in Paris niedergelassen hatte, konzertierte regelmäßig in London, auch mit Saint-Saëns, der ihm 1902 sein zweites Cellokonzert widmete. Als einziger Engländer bei der Wolff Musical Union beteiligt war der Cellist Leo Stern (1862–1904), der auch in Paris mit Godard und Massenet Konzerte gab und 1896 in London Dvořáks Cellokonzert uraufführte. Englische Künstler waren in den 1890er-Jahren noch eher selten mit französischer Kammermusik verbunden. Die Pianistin Fanny Frickenhaus (geb. Evans, 1849–1913) hingegen war auch als Veranstalterin eigener Konzerte äußerst aktiv. Sie hatte in Brüssel studiert und trat vor allem mit Erstaufführungen Francks (Violinsonate 1893 und Klavierquintett 1896) mit dem Geiger René Ortmans (1863–1949) hervor.135 1884 hatte sie zusammen mit dem Violinisten Joseph Ludwig ihre erste Kammermusikreihe ins 133

The Musical Herald, 1.3.1907, 74. Vgl. zur Société und der Aufführung Alter Musik in Frankreich Ellis, Interpreting the Musical Past, 89. 135 Die Quellenlage zu Ortmans ist diffus, teilweise bezeichnete ihn die Presse als Belgier und als Schüler Ysaÿes, er wurde aber wohl im französischen Fontainebleau geboren, in Paris ausgebildet und war ein Freund des belgischen Geigers. Sein Debüt in England gab er 1885 und wirkte wenig später als Dozent an der London Academy of Music. Ab etwa 1900 trat er auch regelmäßig als Dirigent in Erscheinung. Vgl. van der Straeten, The History of the Violin, Vol. II, 190f. 134

45

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

Leben gerufen, bei der neben zahlreichen Novitäten auch Saint-Saëns’ Klaviertrio F-Dur erklang.136 1883 debütierte auch die französische Pianistin Clotilde Kleeberg (1866–1909) noch als Teenager in London und spielte schon ein Jahr später bei den Popular Concerts.137 Zunächst vor allem dem deutschen Repertoire verbunden (sowie Chopin), spielte sie in den 1890er-Jahren mehrfach Saint-Saëns’ Klaviertrio bei den Popular Concerts (1893 und 1895), dort auch Faurés Klavierquartett c-Moll (1896) sowie mit Wolff zusammen Francks Violinsonate (1900). Sie präsentierte 1894 die ihr gewidmeten Poèmes sylvestres von Théodore Dubois und war 1904 eine der Ersten in England, die Klavierstücke von Debussy in ihr Programm aufnahmen.138 Im November 1894 fand das erste Konzert der Society for the Cultivation of Modern Chamber Music statt. Mit der dezidiert modernen Orientierung erinnerte diese etwa an Coenens Reihe aus den 1870er-Jahren; der kosmopolitische Anspruch („unfamiliar works of all nations on truly cosmopolitan lines“) war mit Wolffs Unternehmung im selben Jahr vergleichbar.139 Der deutsche Cellist Edmund van der Straeten (1855–1934) hatte bereits im Sommer 1893 ein Konzert veranstaltet, bei dem auch der Engländer Algernon Ashton, Ortmans und andere beteiligt waren. Er spielte dabei Godards Cellosonate d-Moll op. 104 (1887).140 Mit dem ersten Konzert der neuen Reihe führte er Vincent d’Indy und dessen Klarinettentrio B-Dur op. 29 (1887) in England ein, das auf wenig Interesse stieß (siehe zu d’Indy auch S. 153ff.).141 Im folgenden Jahr stand erneut Godard auf dem Programm, erstmals mit dem Streichquartett g-Moll op. 33 (1876),142 doch konnte sich die Reihe – wie auch die Wolff Musical Union – ausweislich der fehlenden Berichterstattung nicht etablieren. Die Dekade erlebte einen großen Zuwachs an selbstveranstalteten Rezitalen, die die traditionellen Reihen ergänzten und oft als Erstes Neuheiten einführten. Die Pianistin 136

The Athenaeum, 6.6.1885, 736. Bei einem Rezital des Joachim-Schülers Otto Peiniger spielte sie im selben Jahr auch eine Serenade von Godard und Saint-Saëns’ neue Violinsonate d-Moll. The Musical Times, 1.12.1885, 721. Vgl. zu ihrer Biographie und Repertoire Wenzel, Fanny Frickenhaus. 137 Vgl. Wenzel, Clotilde Kleeberg. 138 The Musical Standard, 2.6.1894, 458. Siehe zu Debussy Tabelle 12. 139 Musical Opinion & Music Trade Review, 1.12.1894, 152. 140 The Athenaeum, 8.7.1893, 75. Mit dem Konzert wurde Geld für das North East London Institute for Music, Science, and Art gesammelt, das von Ebenezer Prout geleitet wurde und an dem Straeten seit 1889 lehrte. 141 Mit van der Straeten musizierten Gustave Ernest (Klavier) und Charles Draper (Klarinette), zudem spielte Ortmans Parrys Partita für Violine und Klavier. Die freundlichste Kritik lautete: „The Chamber Music Society deserves great credit for introducing M. d’Indy’s name to the London public, and also for selecting a work in which no concessions are made to popular taste. It is difficult to judge the music until one has become accustomed to the composer’s peculiar rhythms and harmonies.“ The Academy, 1.12.1894, 454. 142 Musical News, 22.6.1895, 582. Im Frühjahr 1896 wurde auch Godards drittes Streichquartett A-Dur op. 136 (1892) von Richard Gompertz, Haydn Inwards, Emil Kreuz und Charles Ould vorgestellt. Musical Opinion & Music Trade Review, Mai 1896, 518f.

46

Tableau der Moden: Französische Musik in London nach 1890

Louise Douste de Fortis (1864–1937) wurde als Tochter französischer Eltern in London geboren; sie und ihre Schwester Jeanne traten schon früh als ‚Wunderkinder‘ auf.143 1891/92 organisierte sie drei Konzerte mit moderner Kammermusik, bei deren erstem sie mit Ortmans und Hollman Godards Klaviertrio F-Dur op. 72 (1883) spielte.144 Beim dritten Konzert stellte sie das Klavierquintett c-Moll op. 41 (1873 bei Schott veröffentlicht) des Franzosen Georges Pfeiffer vor, neben Ortmans mit dem jungen englischen Bratschisten Alfred Hobday und dem Cellisten William Henry Squire, die beide eine wichtige Position im englischen Musikleben einnehmen sollten.145 1893 spielten Douste de Fortis, Ortmans und Hobday mit dem Cellisten Alfred Gallrein Saint-Saëns’ Klavierquartett.146 Bei weiteren ihrer Konzerte standen etwa Violinsonaten von Sjögren und dem Schweizer Komponisten Hans Huber auf dem Programm. Die Pianistin trat mit ihrer Schwester auch als Gastgeberin privater ‚At Homes‘ hervor, die einen salonhaften Charakter hatten und mit Liedern und kurzen Instrumentalstücken bestritten wurden; auch Wolff und Hollman waren daran beteiligt.147 Diese Form der Rezitale mit leichterem Programm, wie sie auch Chaminade jährlich präsentierte, standen den öffentlichen Konzerten mit großen Ensemblewerken in Aufmerksamkeit und Wirkung kaum nach und trugen wesentlich zum Bild der französischen Musik in England bei. Ein Beispiel dafür sind zwei unmittelbar aufeinanderfolgende rein französische Konzerte im Juni 1895, bei denen mit Alfred und Jules Cottin zwei Pariser Mandolinisten sowie weitere Musiker der Concerts Colonne, darunter der Cellist Ermanno Mariotti mit Massenets Méditation aus Thaïs, auftraten. Louise Douste de Fortis präsentierte als Solopianistin „striking specimens of the grace and delicacy of Joncières, Augusta Holmès, Délibes, Guy d’Hardelot, Bemberg, Godard, and other modern composers.“148 Das erste der Konzerte wurde von den Verlegern L. Grus and Sons veranstaltet, die damit ihre Werke bewarben.149

143

Vgl. Grzybowski/Timmermann, Schwestern Douste de Fortis. „[...] a comparatively recent work of this voluminous composer, and dedicated to Grieg. In this country M. Godard is chiefly known by his songs; but there is scarcely any form of composition which he has not essayed, and the Trio played on Tuesday is a characteristic specimen of his powers. It is full of charming melody and effective writing, but wanting in strength, and insufficiently worked out. These defects are most noticeable in the opening Allegro; the second and third movements, a brief Adagio, and a very taking Vivace are the best part of the work, probably because their form demands less constructive ability.“ The Saturday Review, 5.12.1891, 640. Im Nachruf der Musical Times hieß es hingegen drei Jahre später, Godard sei vor allem für das Violinkonzert und Klavierstücke bekannt. The Musical Times, 1.2.1895, 118. 145 The Musical Standard (Supplement), 30.1.1892, 98. 146 The Athenaeum, 16.12.1893, 857. 147 Als einziges Stück wurde das Streicherduo Rêve von Thomé genannt. Musical News, 20.7.1895, 53. 148 The Musical Times, 1.7.1895, 478. 149 The Musical Standard, 15.6.1895, 477. Siehe zu der Verlagssituation bei Fauré S. 77. 144

47

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

1.3 Klassizismus und Moderne: Die Etablierung Saint-Saëns’ und Francks „At least very near the classics“: Saint-Saëns Die Komponisten, deren Kammermusik in den 1890er-Jahren am häufigsten gespielt und in der Presse kontrovers diskutiert wurde, waren Franck, Fauré und Saint-Saëns. Während die Rezeption der beiden Ersteren gerade begann, war Saint-Saëns längst ein vertrauter Name.150 Seine Position als bekanntester französischer Komponist seiner Zeit in England wurde durch mehrere Ehrungen illustriert: Die Londoner Philharmonic Society beauftragte ihn mit der Komposition eines neuen Werkes; die Uraufführung der Sinfonie c-Moll op. 78 leitete er 1886.151 1893 verlieh ihm die Universität Cambridge die Ehrendoktorwürde, die zum 50-jährigen Jubiläum der Cambridge University Musical Society mehrere führende Repräsentanten musikalischer Nationen persönlich in Empfang nahmen: neben Saint-Saëns Tschaikowski, Max Bruch und Arrigo Boito.152 1907 erhielt er die gleiche Ehre auch in Oxford.153 Saint-Saëns’ frühe Kammermusik, die schon in den 1870er-Jahren regelmäßig gespielt worden war, hatte sich endgültig im Repertoire etabliert.154 Die jüngeren Kompositionen wurden in der Regel nur kurz nach der Uraufführung in England – meist zunächst in London – eingeführt (siehe Tabelle 4). Einige Werke komponierte er sogar ausdrücklich für das englische Publikum: Die erste Violinsonate d-Moll op. 75 schrieb er für eine kleine Tournee in Yorkshire. Am 17.11.1885 wurde sie von Otto Peiniger und dem Komponisten in Huddersfield uraufgeführt, spontan tags darauf in Leeds und dann in 150

In der zuletzt verstärkten Saint-Saëns-Forschung wurde dessen Rezeption in England bislang noch nicht breiter dargestellt. Auf Orchester- und Chorwerke sowie die Bühne kann hier nicht eingegangen werden. Vgl. aber Studd, Saint-Saëns, 125–130; Leteuré, Saint-Saëns, le compositeur globe-trotter. 151 Zur sogenannten „Orgelsinfonie“ vgl. Ratner, Saint-Saëns in England. Ein Jahr zuvor hatte Dvořák seine Sinfonie d-Moll op. 70 ebenfalls als Auftragswerk bei der Philharmonic Society uraufgeführt. 152 Treibende Kraft hinter dem Jubiläumskonzert, das ursprünglich Brahms und Verdi gewidmet werden sollte, war der Leiter der Vereinigung, Stanford. Grieg konnte seinen Titel erst im folgenden Jahr annehmen, Dvořák hatte ihn bereits 1891 erhalten. Vgl. die anekdotenreiche, leider nicht mit Nachweisen ausgestattete Studie Norris, Stanford, the Cambridge Jubilee and Tchaikovsky, zu Saint-Saëns 224–232. Bei ähnlichen repräsentativen Gelegenheiten hatte 1862 bei der Londoner Weltausstellung Auber Frankreich vertreten (ihre Heimatländer vertraten auch Sterndale Bennett, Meyerbeer und Rossini), 1871 für die Eröffnung der Royal Albert Hall Gounod (neben Sullivan, Hiller und Pinsuti, während wiederum Saint-Saëns die Orgel miteinweihen durfte – zusammen mit Bruckner). 153 Weitere Ehrendoktoren der Musik wurden dort Elgar (1905), Grieg (1906), Glasunow (1907), Richard Strauss (1914), Ethel Smyth (1926) und Ravel (1928). 154 Für das frühe Klavierquintett a-Moll op. 14 (1855), das auch in Frankreich nur selten gespielt wurde, ist im März 1895 eine Aufführung mit der Pianistin Katherine Ellenberger und dem Cellisten Alfred Gallrein nachgewiesen, womöglich die erste in England. Musical News, 30.3.1895, 294.

48

Klassizismus und Moderne: Die Etablierung Saint-Saëns’ und Francks

London wiederholt.155 Das Duo für Violine und Cello La muse et le poète op. 132 feierte 1910 das 25-jährige Jubiläum des ersten Konzerts des Cellisten Hollman in England; dabei standen allein Werke von Saint-Saëns auf dem Programm, wie schon 1886 bei einem von Peinigers Konzerten.156 Trotz dieser gefestigten Stellung im Konzertleben blieben die englischen Kritiker, und offenbar auch das Publikum, in ihrer Einschätzung des Franzosen gespalten; selbst wertschätzende Kommentare wurden meist mit Einschränkungen versehen. Bei dem ersten seiner zwei eigenen Londoner Konzerte 1887 hieß es etwa: The French musician is a composer, an organist, and a pianist, and his capacity in each of these departments of his art is far above the average. This cannot be denied, but the English public is somewhat capricious, and, for some reason hard to determine, Mr. Saint-Saëns has failed as yet to ingratiate himself in its favour. There was but a small audience on the above occasion, though the programme was interesting, nearly every item being either new or at least unfamiliar.157

Nach dem Konzert bei der Wolff Musical Union 1894 (am gleichen Abend dirigierte Saint-Saëns zudem die Philharmonic Society) waren die Kritiken ebenfalls gemischt, häufiger wiederkehrende Bemerkungen zielten auf den Unterschied zwischen Inspiration und Handwerk. Dieser Topos fand sich etwa auch in der Besprechung des Streichquartetts e-Moll op. 112 (1899), das Eugène Ysaÿe 1901 bei den Popular Concerts einführte: As a gifted and trained musician, he always presents his thoughts clearly, and develops them skilfully. At moments inspiration may not be very fervid, but the workmanship conceals to a great extent any deficiency in this respect: indeed, in his power of development M. Saint-Saëns reminds one of Raff at his best.158 M. Saint-Saëns’s good qualities as composer are known. Like Haydn, he is master of his art, and can at a moment’s notice take up a pen and produce sound and skilful music; if inspiration fails, he can fall back upon harmony and counterpoint, and deck out to excellent advantage themes not remarkable for individuality or only shining with borrowed light.159 155

Eine Pressenotiz zitiert offenbar aus dem Programmheft oder der Ankündigung: „composed for M. Saint-Saëns’ Yorkshire Tour.“ The Lute, 1.12.1885, 284. Ein Brief von Saint-Saëns an seinen Verleger Auguste Durand vom 11.8.1885 unterstützt diesen Zusammenhang, der von der Forschung bislang nicht thematisiert wurde: „D’abord un grand duo pour piano et violon que j’ai promis de faire pour le jouer à Hammersfield [sic] au mois de novembre.“ Das Datum der Uraufführung lässt sich einem Brief aus Leeds vom 18.11. entnehmen, wird aber im Werkverzeichnis trotz der zitierten Briefpassagen später notiert (9.1.1886 mit dem Widmungsträger Marsick). Ratner, Saint-Saëns, Thematic Catalogue, Vol. I, 180f. 156 The Academy, 11.12.1886, 401. 157 The Musical Times, 1.6.1887, 344. Neben kleineren Stücken spielte Saint-Saëns mit Diaz Albertini seine Violinsonate d-Moll und Faurés Violinsonate A-Dur. Beim zweiten Konzert unterstützten ihn drei Pariser Holzbläser, der Flötist Paul Taffanel, der Oboist Georges Gillet und der Klarinettist Charles Turban. 158 The Academy, 16.6.1894, 502. 159 The Athenaeum, 19.1.1901, 89.

49

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

Tabelle 4: Erstaufführungen von Saint-Saëns’ Kammermusik in London, 1884–1910 Datum

Werk

Interpreten

Presse

27.6.1884 (UA 1880)

Septett für Trp., Str. und Kl. op. 65

Charles Hallé, Wilma Neruda, Louis Ries, Ludwig Straus, Jules Lasserre, Neuwirth, Jaeger (Trp.)

MMR, 1.8.1884, 184.

24.11.1885

Violinsonate Nr. 1 d-Moll op. 75 (UA 17.11., Huddersfield)

Saint-Saëns, Otto Peiniger

MS, 28.11.1885, 337.

29.4.1896 (UA 1892)

Klaviertrio Nr. 2 e-Moll op. 92

Fanny Frickenhaus, Achille Simonetti, Paul Ludwig

MS, 9.5.1896, 301.

20.6.1896 (UA 1896)

Violinsonate Nr. 2 Es-Dur op. 102

Otto Neitzel, Pablo de Sarasate

Obs, 21.6.1896, 6.

12.1.1901 (UA 1899)

Streichquartett Nr. 1 e-Moll op. 112

Ysaÿe, Alfred Marchot, Léon van Hout, Joseph Jacob (Pops)

MS, 19.1.1901, 45.

12.7.1906 (UA 1905)

Cellosonate Nr. 2 F-Dur op. 123

Saint-Saëns, Joseph Hollman

MT, 1.8.1906, 555.

2.7.1907 (=UA)

Fantaisie für V. und Hf. op. 124

Marianne und Clara Eissler

MG, 3.7.1907, 6.

7.6.1910 (=UA)

La muse et le poète für V., Vc. und Kl. op. 132

Saint-Saëns, Ysaÿe, Hollman

MT, 1.7.1910, 457f.

50

Klassizismus und Moderne: Die Etablierung Saint-Saëns’ und Francks

To sum up: the Quartet is of unequal merit and invention sometimes seems to flag; the work, in short, strikes the hearer as more scholastic than inspired.160

Die neuen groß angelegten Kompositionen, beide Violinsonaten (die zweite in Es-Dur op. 102, 1896) und das zweite Klaviertrio e-Moll op. 92 (1892), wurden insgesamt enttäuscht aufgenommen und als trocken und bemüht beschrieben. Der Programmgestaltung nach zu schließen konnten sie es auch in der Gunst des Publikums nicht mit den älteren Werken aufnehmen. Dabei fällt auf, dass die Kritiker ihnen meist nur einige Zeilen widmeten und offenbar allein mit dem Eindruck der Aufführung, also ohne Einsicht in die Partitur, urteilten.161 So wurde die originelle formale Struktur der ersten Sonate mit ihren zwei Sätzen und deren zyklischer Verbindung nicht diskutiert, ebenso wenig die Fünfsätzigkeit des zweiten Trios. Die klassizistische Gestaltung der zweiten Violinsonate wurde nicht als solche benannt; eine positive Einschätzung blieb die Ausnahme.162 Das Bild von Saint-Saëns als grundsolidem Handwerker wurde ohne eine nationale Färbung gezeichnet, doch entsprach es eher der stereotypen Vorstellung eines deutschen Komponisten. Offenbar war es gerade Saint-Saëns’ in den klassischen (deutschen) Modellen gründende Ästhetik, die seine Popularität sicherte. Cobbett schrieb im Rückblick über die Wolff Musical Union: French music had some vogue for a time. [...] but with the exception of the former composer [Saint-Saëns], who has something of the better understood Teutonic element in his composition, French music can hardly be said to have “caught on” here.163

Saint-Saëns’ klassische Haltung konnte so etwa gegenüber den trivialen „negro melodies“ von Dvořáks „Amerikanischem“ Streichquartett bei dessen erster Aufführung in den Popular Concerts ausgespielt werden.164 Dem Bild des trockenen Akademikers zuwider liefen hingegen wiederum die kürzeren salonhaften Stücke, die die Ensemblewerke in den Programmen ergänzten und mindestens ebenso beliebt waren.165 Bei einzelnen 160

A. M., The Popular Concerts, in: The Musical Standard, 19.1.1901, 45. Eine Ausnahme stellt die Besprechung des Duos La muse et le poète op. 132 dar, die ausgewogen urteilt und die Schwierigkeit der Einordnung Saint-Saëns’ als Klassiker bzw. Romantiker reflektiert. F. B. [Ferruccio Bonavia], New French Music, in: The Manchester Guardian, 29.12.1910, 3. 162 „His second Sonata for pianoforte and violin in E flat, disparaged by a captious contemporary as „dry,“ was appreciated by the writer as a continuous strain of quiet and unpretentious, but always interesting, music; [...].“ A. M., M. Wolff and M. Saint-Saens’s Concert, in: The Musical Standard, 18.6.1904, 392. Es erklangen auch die Romance für Violine, Klavier und Orgel op. 27, die für das Publikum wiederholt werden musste, Faurés Violinsonate und das Wolff gewidmete Andante op. 75. 163 W. W. Cobbett, Retrospective, in: Musical News, 16.7.1898, 61. 164 „The Frenchman C. Saint-Saëns towered like a giant over the Czech in his masterful and brilliantly effective Pianoforte Quartet in B flat (Op. 41), with Miss Fanny Davies at the piano; [...].“ Musical Opinion & Music Trade Review, Jan. 1897, 234. 165 „M. Saint-Saëns’ larger works, such as the Sonata, Op. 75, though they have themes quite as good as those in his smaller pieces, are not altogether satisfying, for the musical interest is not kept up throughout. We preferred the exquisite „Le Cygne“ and the beautiful „Berceuse“ to the more important works.“ The Musical Standard, 16.6.1894, 506. 161

51

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

Kritikern gab es der kontinuierlich steigenden Präsenz und Akzeptanz zum Trotz weiterhin tiefsitzende Vorurteile gegenüber französischer Musik. Bis heute zitiert wird Bernard Shaws Diktum über Saint-Saëns „as a ‚master of French music‘ – observe, not a French master of music“.166 Andere drückten ihre Ablehnung drastischer aus: So far it [the Wolff Musical Union] has devoted itself to French music, which is to me the abomination of desolation. [...] Some of his [Saint-Saëns’s] clever imitations of real music seemed to please the audience; but I am so hopelessly prejudiced against all that is „not real“ in music that it is useless for me to express an opinion – I am too prejudiced.167

Diese Stimmen konnten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Saint-Saëns vom breiten Konzertpublikum und der Mehrheit der Kritiker als einer der wichtigsten lebenden Komponisten anerkannt wurde. Aus der Sicht Cobbetts galt das insbesondere in der Kammermusik. Er war einer der wenigen, die Saint-Saëns’ Musik explizit einen französischen Charakter attestierten, auch wenn er gleichzeitig deren „teutonisches Element“ hervorhob (siehe oben). Zur gleichen Einschätzung kam ein Kritiker aus Manchester: Of course, amongst French composers, Saint-Saens towers above his confrères, and in circles interested in chamber music it is now realised that he is nowhere greater than in this department of art. He unites a certain austere dignity with a grace which is entirely French.168 In other words, while the actual musical matter of M. Saint-Saëns’s compositions proclaims the true nationality of the composer almost at every turn, the classical mould into which he pours it, and the scholarly fashion in which he handles his material is peculiarly suggestive of the Teuton, and one can scarcely imagine two works better adapted to emphasise this point than the String Quartet in E minor and the Trio, oddly enough in the same key, played last night.169

Es hing sicher auch mit dessen intensiver Beschäftigung mit Kammermusik zusammen, dass die Zuordnung von Saint-Saëns zur Wagner-Partei, wie sie in den 1870er-Jahren mit missbilligendem Unterton wiederholt vorgebracht wurde, zwanzig Jahre später kaum mehr eine Rolle spielte. In einem zunehmend fortschrittliche Tendenzen widerspiegelnden englischen Konzertleben vertrat der Franzose eine Balance zwischen diesen und klassischen Modellen: 166 Shaw gestand in einer Rezension von Herveys Masters of French Music: „To my mind, the French would be a very tolerable nation if only they would let art alone. It is the one thing for which they have no sort of capacity;“ und fuhr fort, „if you take away from Saint-Saëns’ music what he has borrowed from Meyerbeer, Gounod, and Bach, [...] you will find nothing left but graceful nicknacks – barcarolles, serenades, ballets, and the like, [...].“ The World, 28.2.1894, zit. nach Shaw, Music in London, Vol. III, 160f. Shaw zitierte Hervey mit der Bezeichnung „master of French music“, sie findet sich bei diesem jedoch nicht. 167 Magazine of Music, Juli 1894, 148. 168 W. W. Cobbett, A Retrospect of the Winter’s Chamber Music, in: Musical News, 4.5.1895, 417. 169 Manchester Courier, 13.5.1908 (NLW MS 22695D).

52

Klassizismus und Moderne: Die Etablierung Saint-Saëns’ und Francks

M. Saint-Saëns, often called the French Wagner, ought rather to be designated as the French Schumann; but, be he the one or the other, his extraordinary talent and originality must be acknowledged on all hands, and it must also be conceded that he cultivates with astonishing earnestness classical forms and knows how to adapt them to modern taste.170

Nach der Jahrhundertwende reiste Saint-Saëns weiterhin regelmäßig nach Großbritannien und gab erfolgreiche Konzerte mit eigenen Kompositionen, darunter im Mai 1908 als Gast bei den French Concerts in Manchester (siehe S. 106ff.). 1904 und 1907 besuchte er Edinburgh mit dem jungen Jacques Thibaud und den Cellisten Louis Hasselmans bzw. Hollman und rief überschwängliche Reaktionen der Lokalzeitungen hervor.171 Anlässlich eines Kammerkonzerts in London im November 1902 betonte auch die Times noch einmal Saint-Saëns’ Qualitäten. Seine etablierte Stellung im Konzertleben ließ sich am wohl am prägnantesten mit der Formulierung zusammenfassen, dass er beinahe als ein Klassiker gelten könne (siehe auch Anm. 654). Dieses Urteil ist eine Würdigung – allerdings ist bezeichnend, dass es mittlerweile mehrere Jahrzehnte alte Werke waren, die Saint-Saëns im Konzertleben repräsentierten. Moderne französische Kammermusik wurde längst mit anderen Namen verknüpft, und auch als deren Vorreiter war Saint-Saëns nicht mehr gefragt (siehe Kapitel 4.2): It might have been supposed that the name of Dr. Saint-Saëns was sure to draw a large audience to a concert of his works in which he himself was to take part, but the audience at St. James’s hall on Wednesday night was disappointingly small, and though the hearers were as enthusiastic as could be wished, the impression must have been created that the most eminent of living French composers is underrated in England – an impression that we hasten to say is entirely false. [...] At this time of day it is unnecessary to discuss the qualities of the great Frenchman’s music, for it has long ago taken its place, if not with the classics, at least very near them. Unequal it may be, but it is always original in a high degree, and generally calculated to give real pleasure to all who possess musical taste; it is never perfunctory, never sentimental in the bad sense, and the ideas are always set in the best possible light, for the composer’s mastery of all resources is among his most prominent qualities.172 The style of Saint-Saens scarcely comes into the scope of these concerts [Société des concerts français], as they were primarily intended to acquaint the English public with the output of the modern French composer, and, at his best, Saint-Saens could never plead guilty to having inspired a single bar of the latest development of French art.173 170 M. [Johannes?] Wolff, Charles Camille Saint-Saëns, in: Musical Opinion & Music Trade Review, 1.8.1894, 699. 171 „[...] since the death of Brahms, M. Saint-Saëns has generally been regarded as without rival in the excellence and variety of his musical compositions [...].“ The Scotsman, 6.6.1904, zit. nach Studd, Saint-Saëns, 236. Studd gibt den Namen des Cellisten fälschlicherweise mit Josef Hasselmans an. Louis wurde später der Widmungsträger von Faurés Cellosonate d-Moll op. 109 (1917). 172 The Times, 7.11.1902, 8. Saint-Saëns spielte mit den in Birmingham ansässigen Max Mossel, Harold Ketelbey und Johan C. Hock das erste Klaviertrio sowie das Klavierquartett. 173 G. H. C. [George H. Clutsam], Société des Concerts Français, in: The Observer, 26.2.1911, 7. Siehe zu dieser Londoner Reihe S. 111ff. Vgl. für eine konträre, positive Sichtweise von 1908 Anm. 362.

53

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

„Progressiver Akademismus“: Franck By the death of M. César Franck [...] France loses one of her most accomplished and most esteemed musicians. Popular indeed, in the ordinary sense, his works never were and perhaps never will be, for popularity for its own sake was the last thing the amiable composer sought to win. But though somewhat caviare to the general public, almost all his works are highly esteemed by musicians, and it is quite probable that the reputation of some of them will increase rather than diminish as they get to be better known. Little of his music has been performed in this country, at least in London: we do not find his name in the catalogues of either the Monday Popular or the Crystal Palace Concerts: nor do we recall a performance of any of his vocal works; but some of his pieces of chamber music have been given, we believe, at the recitals of Mr. Dannreuther, and a few organists of more than ordinary research have made themselves acquainted with some of his organ music, [...] 174

Es ist bezeichnend, dass dieser Nachruf als einziger in der englischen Presse ausführlicher auf Francks Bedeutung einging.175 Bis 1890 war dessen Musik in England praktisch unbekannt (den vereinzelten Aufführungen des ersten Klaviertrios zum Trotz). Gleichzeitig erwiesen sich die Zeilen als prophetisch, denn in der Tat sollten sich Francks Kompositionen, die selbst in Frankreich erst in dessen letzten Lebensjahren regelmäßig gespielt wurden, auch in Großbritannien schnell verbreiten.176 In der Dekade bis zur Jahrhundertwende erlangte und festigte er dort postum seinen Status als einer der bedeutendsten modernen Komponisten.177 Dafür verantwortlich waren zunächst fast ausschließlich Kammermusik- und Orchesterwerke: Bei den ab 1896 unternommenen Gastspielen von Charles Lamoureux bzw. Édouard Colonne zählten der zweite Satz der sinfonischen Dichtung Psyché (Oktober 1896), die Einleitung zum zweiten Teil von Rédemption und die Sinfonie d-Moll (November 1896) sowie Les Djinns (Februar 1898) zu den zahlreichen französischen Novitäten; dazu kam im März 1897 Le chasseur maudit bei Henry Woods Promenade Concerts.178 Die Chorfestivals hinkten dagegen zeitlich hinterher: Das Oratorium Les 174

The Musical World, 15.11.1890, 906. Unter seinen Schülern wurden neben d’Indy und Augusta Holmès kurioserweise auch Fauré und Chabrier aufgeführt. 175 Drei weitere sind kursorisch: The Times, 10.11.1890, 6; The Athenaeum, 15.11.1890, 671; The Monthly Musical Record, 1.12.1890, 284. 176 Vgl. auch den Überblick bei Stove, Franck after Franck. 177 „The music of César Franck is now the subject of comment and discussion in the musical papers of Paris and Brussels, and here in London, especially since the performance of this Symphony [...]. The war waged against Wagner for so many years is now almost at an end, and it has borne good fruit; many once opposed to the master have realised the fact that he who laughs loudest does not always laugh longest. There is, or ought to be, a general wish among musicians, and especially critics, not to judge a new man by old standards, not to fail to recognise the coming man.“ J. S. S. [John S. Shedlock], Music, in: The Academy, 16.1.1897, 87. 178 Colonne besuchte London mit seinem Orchester im Oktober 1896, die anderen Konzerte leitete

54

Klassizismus und Moderne: Die Etablierung Saint-Saëns’ und Francks

Béatitudes wurde 1900 in Glasgow zum ersten Mal in englischer Übersetzung präsentiert und in folgenden Jahren in Cardiff, Sheffield und London wiederholt.179 Der englische Pianist Harold Bauer, der 1892 nach Paris gegangen war und von dort regelmäßig auf Tourneen ging, stellte 1901 die beiden Klavierzyklen Prélude, choral et fugue und Prélude, aria et final vor, die mit ihrer Verbindung eines modernen Stils und der Evokation älterer Musik für Aufmerksamkeit sorgten.180 Die Variations symphoniques für Klavier und Orchester wurden 1902 bei den Promenade Concerts zum ersten Mal gespielt.181 Zuerst hatte das englische Publikum jedoch Francks drei späte Kammermusikwerke kennengelernt, bereits 1893 die Violinsonate A-Dur (1886), 1896 das Klavierquintett f-Moll (1879) und 1897 das Streichquartett D-Dur (1889). Diese systematische Einführung ging auf die Initiative der englischen Pianistin Fanny Frickenhaus und des in London ansässigen, mit Ysaÿe verbundenen Geigers René Ortmans zurück, die zusammen eigene Rezitale veranstalteten (siehe S. 45f.). Die Sonate wurde unmittelbar – bald in ganz Großbritannien – auch von englischen Interpreten aufgegriffen und konnte sich so zunehmend im Repertoire etablieren (siehe Tabelle 5), ganz im Gegensatz zu den zeitgleich präsentierten Werken Faurés, die erst ab etwa 1908 auch von Engländern regelmäßig gespielt wurden.182 It is very seldom that so interesting a programme is given at pianoforte recitals as that offered by Mme. Frickenhaus on Wednesday afternoon in St. James’s-hall. Of all contemporary schools of musicians the most advanced group of French composers receives almost less attention than any other. All the more welcome was the performance of a sonata for Lamoureux, zunächst mit seinem Pariser Orchester, 1898 mit dem der Queen’s Hall. Siehe Anm. 98 zu Lamoureux’ Besuch 1881; siehe Tabelle 2 für eine Übersicht von Erstaufführungen. Vgl. Langley, Joining Up the Dots, 44. 179 Zur Londoner Erstaufführung siehe The Athenaeum, 3.2.1912, 137. 180 Das erstgenannte Werk wurde bereits im Juni 1896 von Théophile Ysaÿe in London eingeführt. Zu letzterem Werk hieß es: „The music itself is a strange mixture of rather far-fetched chromaticism and a manly, self-respecting energy. There is not a bar in it that is common; and (the greatest charm to me) it is not pianoforte music at all. It asks much of the virtuoso, but gives him no opening for self-glorification. But one can understand how some of César Franck’s pupils (Bruneau amongst them) became merely eccentric.“ R. Peggio [E. A. Baughan], Concert-Room Impressions, in: The Musical Standard, 14.12.1901, 368. Vgl. auch The Athenaeum, 22.6.1901, 798. Das Orgelwerk Prélude, fugue et variation op. 18 bearbeitete Bauer für Klavier und präsentierte es in der Bechstein Hall 1907 (Wigmore Hall Archive). Diese Fassung spielte etwa auch William Murdoch 1915 zusammen mit Stücken Debussys. The Times, 27.3.1915, 11. Murdoch hatte 1908 beide Klavierzyklen bei Studentenkonzerten des Royal College of Music vorgestellt (6.2. und 26.11., Archiv RCM). 181 Die Solistin Adela Verne spielte unter der Leitung von Arthur Payne. „Its naïveté of sentiment I found charming, and its curious chromatic workmanship was delightfully ingenious and yet never obscure or pedantic.“ R. Peggio [E. A. Baughan], Concert-Room Impressions, in: The Musical Standard, 1.11.1902, 269. 182 Die Verbreitung konnte allerdings auch aus der anderen Perspektive betrachtet werden: „César Franck’s violin sonata has been played in London several times but it is by no means a hackneyed work. Why it has been comparatively neglected it is difficult to explain, for the composition has real beauty if not of the very greatest.“ The Musical Standard, 17.6.1899, 370.

55

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

pianoforte and violin by César Franck, one of the most influential of modern French composers; the work is one of great interest and undoubted originality, though its severe style and extremely modern harmonic design will probably retard its popularity with the general public. A very graceful allegretto, a little suggestive of Grieg in more ways than one, is followed by an allegro finely developed from a not very promising theme; [...] 183 [The Sonata] is marked by great earnestness of purpose, and has little in common with ordinary French music; but the tonality is almost painfully restless, except in the final movement, which at a first hearing proved the most agreeable.184 The most important feature of the programme was a Sonata in A for pianoforte and violin, by the late composer César Franck, whose works are very little known in this country. [...] he was scarcely in harmony with French musical art, which, almost invariably, seeks the stage as its medium of expression. [...] We believe his Pianoforte and Violin Sonata was one of his latest efforts, and it certainly betrays the influence of the modern German school. It is not a work to be hastily judged, the vague outlines and the bold and frequent drifting of the tonality rendering it difficult to follow at a first hearing.185

Sowohl das Klavierquintett, das allerdings bei einem Hauskonzert mit Fauré am Klavier auch im Frühjahr 1898 gespielt wurde, als auch das Streichquartett wurden zuerst von Ysaÿe wiederholt, der mit seinem belgischen Quartett für die Wintersaison 1901 bei den Popular Concerts gastierte.186 In den knapp zwanzig Konzerten standen wie immer zahlreiche ‚Klassiker‘ auf dem Programm, doch präsentierte Ysaÿe dem Londoner Publikum auch sechs Neuheiten.187 Mit seinen zeitgenössischen französisch-russischen Sympathien, die in Balance zu seinem Respekt gegenüber den deutschen Klassikern standen, wurde Ysaÿe als „man of the moment“ gefeiert; bis dahin habe Kammermusik in London bei Brahms, Dvořák und Grieg haltgemacht, nun habe man auch etwa Franck kennenlernen dürfen.188 Indem der Violinist die Aufmerksamkeit auf die französischbelgische Schule lenkte, trat er aus der Sicht der Kritik in die Fußstapfen Joachims, der Schumann und Brahms – beharrlich gegenüber langanhaltender Ablehnung und Skepsis

183

The Times, 21.4.1893, 4. The Athenaeum, 22.4.1893, 515. 185 The Musical Times, 1.5.1893, 278f. 186 Siehe zu Fauré Anm. 265. Der knapp 70-jährige Joachim setzte diesen Winter aus und kehrte mit seinem Quartett im April zurück. Zu Ysaÿes ausgedehntem Gastspiel (und einer Anekdote über den Komponisten Ortmans) siehe Stockhem, Ysaÿe et la musique de chambre, 133–137. Ein Bericht von Arthur Hartmann, einem amerikanischen Geiger, der 1900 bei Ortmans in London lebte, legt nahe, dass die Quartettkonzerte unter der unvermindert fortgeführten Solistentätigkeit Ysaÿes litten. Hartmann, Claude Debussy As I Knew Him, 195. 187 Zum ersten Mal bei den Popular Concerts – und in der Presse als Quasi-Novitäten besprochen – erklangen die beiden Werke Francks, Borodins zweites und Tschaikowskis drittes Streichquartett, zum ersten Mal in England Saint-Saëns’ erstes Streichquartett und d’Indys Klavierquartett a-Moll op. 7. 188 The Musical Standard, 6.4.1901, 207. Noch zwei Jahre zuvor war konstatiert worden, dass Ysaÿe beim englischen Publikum noch nicht angekommen sei. The Musical Standard, 17.6.1899, 370. 184

56

Klassizismus und Moderne: Die Etablierung Saint-Saëns’ und Francks

des Publikums und der Presse – zu den nach Beethoven beliebtesten Komponisten bei den Popular Concerts gemacht hatte.189 Alle drei Kompositionen Francks wurden in der Presse auf Anhieb und auch von Skeptikern als hoch moderne, ambitionierte Werke erkannt, deren neuartige Konzeption man nach nur einem Hören noch nicht abschließend beurteilen könne. Ähnlich wie gleichzeitig bei Fauré und Widor (siehe Anm. 119) wurde vor allem die flexible, teils gewagte Harmonik hervorgehoben. Den zur Schau gestellten Anspruch und die ‚Tiefe‘ verbanden die Kritiker dabei eher mit der modernen deutschen als mit „ordinary French music“. Vermutlich war diese Nähe ein Grund dafür, dass das Publikum Francks Werken tendenziell offen gegenüberstand. Die geäußerte Befürchtung, die Ernsthaftigkeit der Sonate würde deren Verbreitung im Wege stehen, sollte sich nicht bestätigen. Als Francks wohl meistgespielte Komposition repräsentierte sie in Violinrezitalen mit gemischtem Programm meist die jüngste Zeit, auch in der Bearbeitung für Cello.190 Allein für Anfang Juni 1912 verzeichnete die Musical Times drei Aufführungen in London, davon eine von Jacques Thibaud, und 1920 konnte die Sonate längst als „accepted modern classic“ bezeichnet werden.191 Bei dem Klavierquintett wurde in den ersten Kritiken insbesondere dessen außergewöhnlicher expressiver Gehalt hervorgehoben. Gleichzeitig wurden Zweifel ausgedrückt, ob sich dessen Stil noch im Rahmen der Kammermusik bewege, und der Grad der Neuartigkeit diskutiert. Zwar wurde ähnlich wie bei der Sonate konstatiert, die Musik richte sie primär an einen Kreis von Eingeweihten – so war die Wirkung des Quintetts auch in Frankreich in der Tat zunächst auf den Schülerkreis Francks begrenzt –, doch konnte es sich mit einer kleinen Verzögerung im Repertoire etablieren.192 Ab etwa 1910 gehörte es zu den am häufigsten gespielten Klavierquintetten, „an acknowledged masterpiece“:193 An excellent specimen of Chamber Music was produced last Saturday afternoon at a concert held by Mr. René Ortmans, at the small Queen’s Hall. This is a pianoforte quintet in F minor, a work of interest and importance that should be heard again for full appreciation of its merits. The style rises above the exactions of this particular form of composition, even to grandeur; many of the ideas, on the other hand, can hardly claim the charm of positive novelty.194 189

The Athenaeum, 2.3.1901, 282, und 6.4.1901, 441f. Die von Jules Delsart angefertigte und von Franck sanktionierte Fassung spielte etwa der junge englische Cellist Felix Salmond. The Musical Times, 1.3.1910, 170. 191 The Musical Times, 1.7.1912, 469f.; The Musical Times, 1.7.1920, 491. 192 Vgl. zu den frühen Aufführungen in Frankreich und einer möglichen programmatischen bzw. biographischen Dimension des Werkes Rathert, Ein „monstre sacré“?. 193 The Times, 19.1.1911, 10. „It is scarcely necessary to dilate upon the quality of this work, which has long since taken its place beside the great quintets of Schumann, Brahms and Dvořák. In a truer sense than any of these, Franck shows himself in this work, and perhaps even more in the string quartet of 1889, a close follower of Beethoven, carrying out what might be termed the latter’s testamentary dispositions as indicated in the posthumous quartets.“ Evans, Chamber Music, 397. 194 The Musical Standard, 4.4.1896, 220. 190

57

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

[...] there are bursts of imperious anger, moments of intense passion, themes which express yearning, oft sorrowful, at times despairing. There are sudden changes of mood which from a purely musical point of view seem scarcely justifiable. Chromatic harmony plays a large part in the scheme, and some of it strikes the ear as novel and even far-fetched. Until the form and the character of the music have become fairly familiar it is difficult to listen to it in the right mood.195 Franck’s Quintet, composed in his mature period (A.D. 1880) is a long and learned work of unquestionable power, ambitious aims and, above all, dramatically expressive; other points are its poetically romantic sensibility, and its „individuality“ of treatment. There are only three movements, all well and agreeably contrasted. The French character and complexion are obvious, but without any tinge of frivolity.196 It is given few to interpret César Franck’s noble but difficult music with success, and the popularity which that composer, essentially a musician’s musician, never sought for in his lifetime, is hardly likely to be gained after his death outside esoteric circles. For all that the work made a great impression.197 César Franck’s pianoforte quintet has received quite a lot of attention lately [...]. This noble quintet was until recently much neglected; indeed the same may still be said of César Franck’s other works proportionally to their merit. This is difficult to understand considering the immense effect he has had upon modern musical thought, French musical thought in particular. Apart from his remarkable innovations in harmony, his form is quite individual, and worthy of careful study by the musician. Certain it is that his influence is far-reaching, and powerful, although far too little acknowledged.198

Francks Streichquartett wurde in England im Vergleich zur Sonate und dem Quintett am seltensten aufgeführt, in der Presse dennoch bald auch als bekannt vorausgesetzt. Die als düster, unruhig und pessimistisch beschriebene Stimmung des Werkes irritierte die Kritiker, auch wenn sie den hohen Anspruch und die Seriosität des Komponisten nicht in Zweifel zogen. Der Rezensent des Athenaeum erinnerte 1901 daran, dass auch die Musik Schumanns einige Zeit gebraucht habe, bis man ihren vollen Wert erkannte, und schloss nicht aus, dass die Musiker recht behalten sollten, die Franck ein Genie nannten: Mr. René Ortmans would seem to have a mission to produce the works of the French composer César Franck. [...] last Saturday his programme in the Queen’s Small Hall was headed by a String Quartet in D from the same source. The general tone of this work is gloomy and restless, though it shows the hand of a first-class musician.199 The polyphonic skill of the music is undeniable, but it is restless and extravagant in its harmonies [...]. The composer seems to have struggled with deep thoughts and feelings 195

The Athenaeum, 2.3.1901, 282. The Musical Standard, 2.3.1901, 138. 197 The Manchester Guardian, 13.2.1903, 6. 198 The Violin and String World, Supplement to The Musical Standard, 25.2.1911, 12. 199 The Athenaeum, 3.4.1897, 453. 196

58

Klassizismus und Moderne: Die Etablierung Saint-Saëns’ und Francks

without obtaining perfect mastery over them. [...] Everything we have heard of the Belgian composer’s displays intense earnestness and great ability; but there has always been something to prevent us from frankly saying, „Hats off, gentlemen; a genius.“ [...] Whether Franck will ever take equal rank with Schumann or Brahms seems to us doubtful, yet we would a thousand times rather listen to his music, thoroughly independent in spirit and full of contempt for the commonplace, than to the works of men who only follow more or less skillfully in the footsteps of their predecessors.200 Every page of the music testified to lofty, highly cultured, and adept musicianship; but the prevailing pessimistical tone certainly detracts from the enjoyment of listening to its performance. The most original movement is the second, a Scherzo, which stamps itself on the listener’s memory by the force of its weirdness and suggestiveness of the wanderings of perturbed spirits. The other numbers are fully developed, and seem to have for their theme all that is terrible and sad in life. The music, owing to its restlessness and straining harmonic scheme, presents exceptional difficulties; [...] 201

Auch das frühe Klaviertrio fis-Moll op. 1/1 wurde weiterhin vereinzelt gespielt. Ein Kritiker verwies auf Einflüsse Liszts und postulierte, es sei origineller als Beethovens Trios mit der gleichen Opuszahl.202 Francks Sinfonie wurde nach 1896 erst 1904 zum zweiten Mal in London aufgeführt,203 erlebte aber spätestens während der Kriegsjahre einen regelrechten Boom.204 Im Gegenzug geriet sie als prototypische ‚spätromantische‘ Sinfonie ebenso schnell wieder aus der Mode.205 Kritische Stimmen waren auch in der frühen Phase der englischen Franck-Rezeption zu vernehmen. John F. Runciman von der Saturday Review erkor Franck zum Ziel regelrechter Tiraden, die sich auch auf dessen Schüler und somit große Teile der französischbelgischen Musikszene um die Jahrhundertwende erstreckten. Arthur Symons, Autor 200

The Athenaeum, 6.4.1901, 441. Der Kritik folgte eine Analyse bzw. Beschreibung des Streichquartetts, wobei die zyklische Wiederkehr von Themen zu Beginn des Finales in Anlehnung an Beethoven den Autor nicht überzeugte. Das fantastische Scherzo erinnere an Berlioz, das würdevolle Larghetto wiederum an Beethoven. 201 The Musical Times, 1.5.1901, 327. 202 The Athenaeum, 23.2.1907, 235. 203 Frederic Cowen dirigierte sie bei den Philharmonic Concerts. The Athenaeum, 11.6.1904, 760. 204 „There could hardly be a better proof of the progress of musical appreciation in England than the enthusiasm created at the Promenade Concert on September 3, when César Franck’s Symphony was performed.“ F. A. Hadland, César Franck, in: The Monthly Musical Record, 1.12.1914, 331. Zahlreiche Benefizkonzerte waren im Krieg belgischer Musik gewidmet. Francks Klavierquintett stand so inmitten eines Programms zeitgenössischer belgischer Orchestermusik. The Times, 19.2.1916, 11. 205 Wood hatte zwar mehrere Erstaufführungen von Franck dirigiert, entwickelte später aber eine Abneigung. Jacobs, Wood, 154. Auch Edwin Evans konstatierte 1934: „In recent years there have been signs of a reaction against César Franck, and perhaps his Symphony in D is not quite so great as was once thought, but the shapeliness of the string quartet is incontestable.“ Evans, Chamber Music, 397. Im gleichen Jahr ätzte Constant Lambert (Tschaikowskis fünfte und Dvořáks neunte Sinfonie einschließend), „their mingling of academic procedure with undigested nationalism, maudlin sentiment, or both, produces a chimerical monster, a musical Minotaur that fortunately has had no progeny.“ Lambert, Music Ho!, 317.

59

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

Tabelle 5: Frühe Aufführungen von Francks Kammermusik in England, 1893–1904 Datum

Werk

19.4.1893 (UA 1886)

Son.

7.6.1894

Son.

6.3.1895

Son.

6.12.1895

Son.

28.3.1896 (UA 1880)

KlQnt. René de Boisdeffre Frickenhaus, Ortmans, Son. für V. und Kl. e Alfred Mistowski, L. Szczepanowski, B. Albert

MS, 4.4.1896, 220.

27.3.1897 (UA 1890)

StrQu.

Ortmans, Szczepanowski, Alfred Hobday, Albert (Frickenhaus, Kl.)

MN, 3.4.1897, 318f.

31.3.1898

Son.

Herbert Parsons (Kl.), ? (Harrogate)

MT, 1.5.1898, 336.

13.6.1898

Son.

Clotile Kleeberg, Johannes Wolff

MS, 18.6.1898, 397.

11.1.1899

Trio fis Gernsheim, Chopin Ernst Denhof, Elkan Klaviertrios Kosman, Heinrich Pudor (Edinburgh)

MT, 1.2.1899, 115.

25.5.1899

Son.

MN, 17.6.1899, 639.

12.6.1899

Son.

30.10.1899

Son.

6.1.1900

Son.

25.1.1900

Son.

23.2.1901

KlQnt. Beethoven StrQu. F Théophile Ysaÿe, Eugène op. 59/1 Ysaÿe, Alfred Marchot, Léon van Hout, Joseph Jacob (Pops)

60

weitere Werke

Beethoven StrQu. f, Schubert Trio B

Interpreten (Reihe/Ort)

Presse

Fanny Frickenhaus, René Ortmans

MT, 1.5.1893, 278.

Maud Branwell, Marie Motto (RCM)

MN, 16.6.1894, 558.

Ethel Bauer, Achille Rivarde Ath, 9.3.1895, 321. Beethoven Klaviertrio B

Schumann KlQnt. Es

Grieg Son. c

Alfred Reisenauer, Irma Sethe

Schumann StrQu. a, Florence Smith, Edith Brahms KlQu. g Stanley (RCM)

MT, 1.1.1896, 24.

Benno Schönberger, Ysaÿe

Ath, 17.6.1899, 763.

Beethoven Son. c, Grieg Son. G

Edith Meadows, Henriette Schmidt

Ath, 4.11.1899, 626.

Schubert StrQu. a

Kleeberg, Wolff (Popular Concerts)

Ath, 13.1.1900, 58.

Lawrence Walker, Theodore MT, 1.3.1900, Werner (Belfast) 187f. Ath, 2.3.1901, 282.

Klassizismus und Moderne: Die Etablierung Saint-Saëns’ und Francks

Datum

Werk

weitere Werke

Interpreten (Reihe/Ort)

Presse

30.3.1901

StrQu.

Mozart StrQu. B

Ysaÿe etc. (s. o., Pops)

Ath, 6.4.1901, 441.

13.6.1901

Son.

Saint-Saëns Son. d

Ferruccio Busoni, Ysaÿe

Ath, 15.6.1901, 768.

15.4.1902

Son.

Beethoven Klaviertrio D

Fanny Howard, Wyllie Jaeger206

Wigmore Hall Archive

15.12.1902

Son.

Bach Son. E

Busoni, Ysaÿe

Ath, 20.12.1902, 834.

12.2.1903

KlQnt. Cyril Scott KlQu. e

Harold Bauer, Fritz Kreisler, MG, 13.2.1903, Charles Jacoby, Emil Kreuz, 6. Ludwig Lebell (Broadwood Concerts)

11.3.1903

StrQu.

Tschaikowski StrQu. es

Leeds Bohemian Quartet (Leeds)

28.5.1903

Son.

Brahms Son. d

Leopold Godowsky, Jacques Wigmore Hall Thibaud Archive

29.10.1903

Son.

J. Godfrey Luard, Fernando Wigmore Hall Palatín Archive

2.12.1903

KlQnt. Mozart StrQnt. Es, Brahms StrQnt. F

Busoni, Brodsky Quartet (Manchester)

MT, 1.1.1904, 47.

20.1.1904

StrQu.

Leeds Bohemian Quartet (Leeds)

MT, 1.2.1904, 123.

13.2.1904

KlQnt.

25.3.1904

Son.

Walford Davies Six Pastorals

„Signora und Signor Guarnieri“

Ath, 2.4.1904, 443.

12.11.1904

Son.

Brahms Son. G

Evelyn Suart, Enrique Fernández Arbós

Wigmore Hall Archive

Beethoven, Raff StrQu.

MT, 1.4.1903, 264f.

Charles Ross, Ernst Schiever MT, 1.3.1904, Quartett (Liverpool) 187.

206

Ein knappes Jahr nach der Eröffnung war dies die erste Aufführung eines der Kammermusikwerke Francks in der Bechstein Hall. Die Violinsonate stand in der Folge regelmäßig auf dem Programm. Das Streichquartett wurde zum ersten Mal 1907 vom Brussels String Quartet gegeben, im gleichen Jahr das Klavierquintett von York Bowen und dem Wessely Quartet (Wigmore Hall Archive).

61

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

Tabelle 6: Franck in Programmen mit englischer Musik, 1909–1919 Datum

Werk

24.11.1909

KlQnt. Frank Bridge Phantasie StrQu., Schubert StrQnt.

Katharine Goodson, Wessely Wigmore Hall Quartet Archive

19.12.1910

Trio207 Holbrooke KlQnt. op. 44, Reger Klaviertrio e

Ath, Joseph Holbrooke, Albert Sammons, Charles Warwick- 24.12.1910, 803. Evans

20.1.1911

KlQnt. Holbrooke KlQu. op. 21, Reger Son. fis

Holbrooke, Sammons, Thomas Petre, Harry Waldo Warner, Warwick-Evans

Ath, 28.1.1911, 107.

16.1.1912

KlQnt. StrQu. The Londonderry Air 208

Herbert Parsons, Gerald Walenn, Herbert Kinze, Lionel Tertis, Herbert Walenn

DM, 17.1.1912, 8.

1.1.1913

KlQnt. J. D. Davis StrQu. g

MT, 1.12.1912, Evlyn Howard-Jones, 784. London String Quartet (Festival der Musical League, (Ankündigung) Birmingham)

24.4.1914

StrQu. Arnold Bax Klaviertrio

Sammons, Petre, Tertis, Herbert Withers

MT, 1.6.1914, 400.

30.4.1915

Son.

R. J. Forbes, Arthur Catterall (Maddison als Veranstalterin und Liedbegleiterin)

MT, 1.6.1915, 364.

14.6.1915

KlQnt. Ethel Smyth StrQu. e, Ethel Hobday, London Dvořák StrQu. Es String Quartet

26.10.1915

KlQnt. Bridge Novelletten, Smetana StrQu. e

William Murdoch, Archiv Aeolian Philharmonic String Quartet Hall, RCM

9.2.1916

StrQu. Cyril Rootham StrQu. C, Beethoven StrQu. Es op. 74

Philharmonic String Quartet MT, 1.3.1916, (Cambridge) 162.

16.2.1916

KlQnt. Delius Violinsonate, Fauré KlQu. c

Forbes, Catterall Quartet (Birmingham)

207

weitere Werke

Delius Violinsonate (Lieder von Adela Maddison)

Interpreten (Reihe/Ort)

Presse

Obs, 20.6.1915, 14.

MT, 1.3.1916, 156/161.

Bei dem als Londoner Erstaufführung ausgewiesenen Klaviertrio handelte es sich um eine Transkription des Klavierwerks Prélude, aria et final. 208 Das Volkslied The Londonderry Air bildete die Grundlage für eine vom Hambourg String Quartet in Auftrag gegebene Suite, zu der Frank Bridge, Hamilton Harty, J. D. Davies, Eric Coates und York Bowen 1908 je einen Satz beitrugen.

62

Klassizismus und Moderne: Die Etablierung Saint-Saëns’ und Francks

Datum

Werk

weitere Werke

3.11.1916

KlQnt. Rootham StrQu. C

14.3.1917

KlQnt. Dvořák KlQnt. A, Herbert Johnson, Alexander MT, 1.4.1917, 183f. Stücke für StrQu. von Cohen, Elsa Stamford, Lily Bridge und Glasunow Simms, Kathleen Moorhouse (Leeds)

28.4.1917

KlQnt. Armstrong Gibbs Fantasy StrQu., Schubert StrQu. d

Benno Moiseiwitsch, London String Quartet

MT, 1.6.1917, 275.

7.7.1917

StrQu. John McEwen Nocturne für StrQu., Brahms KlQnt. f

London String Quartet (Fanny Davies, Kl.)

MT, 1.8.1917, 374.

26.10.1917

KlQnt. Howells Phantasy StrQu., Mozart StrQu.

Myra Hess, London String Quartet

MT, 1.12.1917, 556.

21.10.1918

Lily West, Jessie Grimson KlQnt. Chausson KlQu. A, Stücke für StrQu. von Quartet Bridge und Grainger

Wigmore Hall Archive

6.1.1919

StrQu. Balfour Gardiner StrQu. B, Mozart StrQu.

Edith Robinson, Hilda Lindsay, Gertrude Barker, Mary McCullagh

Wigmore Hall Archive

6.5.1919

KlQnt. Bridge Idylls für StrQu.

Goodson, Catterall Quartet

MT, 1.6.1919, 306.

20.6.1919

KlQnt. Elgar StrQu. e, Beethoven StrQu. f

Hess, Philharmonic String Quartet

Wigmore Hall Archive

29.9.1919

Son.

Ivan Phillipowsky, Yvonne Yorke

Wigmore Hall Archive

Ende 1919

Herbert Parsons (Kl.), KlQnt. Bridge Sätze für StrQu., Tschaikowski Clifton Quartet? (Bristol) StrQu. F

Dunhill Son. d, Sydney Rosenbloom Son. c

Interpreten (Reihe/Ort)

Presse

Irene Scharrer, London String Quartet

MT, 1.12.1916, 554.

MT, 1.1.1920, 54.

63

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

der gleichen Zeitung, urteilte ausgewogener, doch auch er wollte nicht in den weitgehenden Konsens der Kritiker über Francks Qualitäten einstimmen. Dabei bot die weitverbreitete Darstellung Francks als eine dem weltlichen Leben enthobener Figur eine Angriffsfläche, die dem jungen Philip Heseltine (alias Peter Warlock) zufolge einer größeren Popularität beim Publikum im Weg stand: No more colour-less, no less distinctive, piece of music exists. César Franck was doubtless an excellent teacher. [...] But he was entirely wanting in invention. His is the sort of music which might leave off almost anywhere. Of course there are subjects and second subjects and working-out sections and recapitulations; and on paper all looks well enough. But no sooner is the stuff played than the truth is patent: his themes want character and his movements want outline; in this music there is certainly unity, but no variety, no richness. [...] Much has been said and written about Franck’s new harmonic progressions; and I respond that the new harmonic progressions simply are not there. For those who like the game of hero-worship it is very well to find a new idol every fortnight or every ten years and proclaim him the greatest of composers; but it is incomprehensible to me how anyone with any temperament and ear should have selected Franck. I can understand a momentary Strauss-worship, for Strauss has audacity; I can understand drawing-rooms being fluttered for a year or so by Fauré, for some of his things are pretty piquant. But Franck! – laborious, conscientious, working always as one explaining the mysteries of form and development to a school-class – [...] His is modern kapellmeister music: [...] It is not bad music like that of our Academics; but after all, even a thoroughgoing scoundrel is more interesting than a Clapham grocer or a City man. Franck was an ambitious, industrious grocer; so small a man was he that he actually dreamed of founding a school. The great men never found schools: they close them. But the Franck school flourishes in Belgium to this day and produces music unto which no man may hearken without pain and grief and acute longing to run away. Busoni and Ysaÿe know better than to play such twaddle; and it is to be hoped that the exceedingly cool reception this sonata met with will serve as a hint that Franck will not do as a successor to Gounod, Dvorák, Greig [sic] and the others who have been foisted on us as great creative artists. [...] I have not heard all Franck’s music, and in future will hear no more of it than I can help: I think I have measured Franck.209 The reputation of César Franck among modern critics and musicians in France is a little difficult to understand from the specimens of his work which are given from time to time in London. A Quartet in D was lately played at Bechstein Hall by the Brussels Quartet; it was played with perfect sincerity and faithfulness by vigorous players on splendid instruments; 209

J. F. R. [John F. Runciman], Busoni, Ysaÿe and Others, in: The Saturday Review, 20.12.1902, 767. Dies war nicht der einzige Verriss dieser Art, anderthalb Jahre zuvor hatte er in ähnlicher Weise über Colonnes Aufführung von Rédemption geschrieben: „Not only did Franck cause a large number of people to write bad music, but he was himself the author of a huge quantity of bad music.“ J. F. R., The London Musical Festival, in: The Saturday Review, 4.5.1901, 567. Die darauffolgende Passage zitierte Ernest Newman, der Runciman als Kritiker zwar hoch schätzte, aber dessen „schlimmste Exzentrizitäten“ des musikalischen Geschmacks missbilligte. Newman, English Music and Musical Criticism, 745.

64

Klassizismus und Moderne: Die Etablierung Saint-Saëns’ und Francks

yet it was often tedious, often empty, often merely scholastic. At times the grave religious atmosphere in which this composer seems to have lived gives a certain noble yet unrestful quality to the music, as of one brooding alone. The moment this recluse realises the world, which he does too often, emptiness replaces depth. The first movement, for instance, begins like a penitential psalm, preparing one for something really profound. But before it is over a joyless dryness takes its place, and the scherzo which follows buzzes like sullen insects shut in. A kind of rich plaintiveness comes into the larghetto, and again prepares us for what does not come. Was César Franck an „apostle“ who could show one at least of the ways, the way towards seriousness, to many disciples, but who stood still at the cross-roads, not feeling any urgency towards going onwards?210 The popularity of César Franck’s music in this country has been – at any rate for the large body of concert-goers who receive music emotionally rather than intellectually – somewhat hindered by the excessive zeal of hierophantic persons who would fain interpret it to the multitude. The popular mind, forgetting a little and perhaps exaggerating a little of what it has been told, too frequently carries away two outstanding impressions which serve to make up a very inadequate and wholly fallacious connotation of César Franck and his work. The first fallacy is that of Franck the formalist. [...] The other fallacy concerns the essence rather than the externalities of Franck’s music. It has given rise to the conception of Franck as a shadowy, saint-like creature, remote, rather unreal, moving in a sphere where the throbbing heart of humanity is scarcely perceptible: [...] – almost a „dear old gentleman.“ Nothing could be farther from the truth, nor could any unbiassed listener attribute the authorship of this intensely vital and human Quintet so vague and emasculated a person as this figment of misguided minds.211

Zahlreiche englische bzw. in England ansässige, meist jüngere Interpreten traten mit Francks Kammermusik in Erscheinung, darunter Pianisten und Komponisten wie Percy Grainger, York Bowen und Joseph Holbrooke sowie Ensembles wie das London String Quartet,212 das English String Quartet,213 das Philharmonic String Quartet,214 das 210

Arthur Symons, Recent Events in Music, in: The Saturday Review, 30.11.1907, 665. Philip Heseltine, Analytical Notes für das Konzert des Philharmonic String Quartet am 26.10.1915, 7f. (Archiv Aeolian Hall, RCM). 212 Das London String Quartet gründeten 1908 Albert Sammons, Thomas W. Petre, Harry Waldo Warner und Charles Warwick-Evans. Bis 1911 unter dem Namen „New Quartet“ firmierend, etablierte es sich schnell als eines der profiliertesten englischen Streichquartette und veranstaltete während des Krieges zahlreiche eigene Konzerte. Anfangs verfolgte es streng das Prinzip, bei jedem Konzert ein klassisches, ein modernes und ein englisches (modernes) Werk zu spielen. The Violin and String World, Supplement to The Musical Standard, 25.2.1911, 10f. Vgl. auch C., British Players and Singers. VII. The London String Quartet, in: The Musical Times, 1.8.1922, 541–543. 213 Das English String Quartet wurde 1902 von Thomas Morris, Herbert Kinze (auch Kinsey), Frank Bridge und Ivor James während ihres Studiums am Royal College of Music gegründet. 1915 ersetzte Marjorie Hayward den im Kriegsdienst stehenden Primarius. Meadmore, British Performing Organizations, 205. 214 Arthur Beckwith, Eugene Goossens, Raymond Jeremy, Cedric Sharpe schlossen sich 1915 zum Philharmonic String Quartet zusammen, dessen Reihen in der Aeolian Hall zahlreiche zeitgenössische englische und französische Werke beinhalteten. 211

65

Abseits des Kanons: Französische und englische Kammermusik vor 1900

Wessely Quartet215 und das Catterall Quartet.216 Dazu kamen vor dem Kriegsausbruch 1914 – und wieder ab etwa 1920 – regelmäßige Gastspiele etwa von Thibaud und Alfred Cortot, dem Brüsseler Streichquartett und dem (Albert) Geloso Quartet. In den Kammerkonzertprogrammen nahm Franck vor und während der Kriegsjahre einen immer größeren Raum ein, auch in privaten und salonartigen Kontexten.217 In Folge der kurzzeitigen Reaktion gegen die jüngere deutsche Musik schien er dabei an die Stelle Brahms’ zu treten.218 Mehr als zwanzig Jahre nach seinem Tod wurde er vorbehaltlos als moderner Komponist betrachtet, etwa in der ausdrücklich auf „moderne“, meist englische, Kammermusik fokussierten Konzertreihe von Holbrooke. Wie Tabelle 6 zeigt, stand Franck in den Programmen immer öfter an der Seite junger englischer Komponisten. Seine Werke lassen sich so als eine Folie ansehen, vor der die moderne englische Kammermusik produziert und rezipiert wurde. Durch die Konzertreihen, mit denen die neue Generation französischer Komponisten ab 1907 systematisch in England bekannt gemacht wurde (siehe Kapitel 3.1), trat Francks Rolle als deren Vorreiter umso deutlicher hervor. Dabei wurde er nicht nur mit seinen unmittelbaren Schülern verknüpft, sondern zu Pionier und Leitfigur der gesamten modernen französischen Musik erhoben: In France César Franck opened up new paths and Vincent d’Indy, Debussy, and other composers look on him as the head of the modern French school. In this country Franck, for a long time ignored, is now recognized as a notable composer of the second half of the nineteenth century; and his D minor Symphony and various chamber works are already familiar. Vincent d’Indy and Ernest Chausson both studied with him; and Debussy and Ravel, to name two other prominent composers, if not so directly connected with Franck, have undoubtedly been influenced by his works.219 He [Franck] was a firm believer in tradition, an earnest student of the great classicists and at the same time a strong upholder of absolute liberty for the expression of his own personality or for those of the many students whom he initiated into the mysteries of composition.220 The Violin sonata has been played perhaps too often, the String quartet not quite often enough, but no one can say that any one of his later and more characteristic works for 215

Der österreichische Geiger Hans Wessely war ab 1889 Professor an der Royal Academy of Music, 1900 gründete er ein Quartett mit Spencer Dyke, Lionel Tertis (ab 1903 Ernest Tomlinson) und Patterson Parker. Ebd., 209. 216 Dieses bestand ab ca. 1909 aus Arthur Catterall, der ab 1907 in Manchester unterrichtete, Ernest O’Malley, David Reggel und Johan C. Hock und war auch in Birmingham aktiv. Ebd., 204. 217 Bei den Zusammenkünften in Muriel Drapers Studio in Chelsea um 1914 (siehe Anm. 536) war Francks Klavierquintett ein beliebtes Stück und wurde etwa in einer denkwürdigen Besetzung mit Arthur Rubinstein, Ysaÿe, Thibaud, Lionel Tertis und Pablo Casals gespielt. White, Tertis, 28f. 218 Dent, Moderne: Engländer, 1052. 219 The Athenaeum, 14.12.1907, 777. 220 L. L. [Louise Liebich], Cesar Franck’s Piano Quintet at Herr Wilhelm Sachse’s First Quartet Matinee, in: The Musical Standard, 23.3.1907, 185. Siehe zu Debussys erster Biographin Liebich S. 150.

66

Klassizismus und Moderne: Die Etablierung Saint-Saëns’ und Francks

instruments has been neglected in this country. At the same time our acceptance of Franck has been rather passive; he has been praised by the precious; the keepers of ‚the classical tradition‘ have opened their door by one chink to admit him into the circle of the elect, while at the same time the assailants of ‚the classical tradition‘ and of all tradition have not despised him. English musical journalists emulate the pæans of such accomplished French critics as M. D’Indy and M. Rolland, who find Franck to be the saviour of music, the restorer of the symphony, and who attribute to his beneficent influence nearly every species of musical development since 1870.221

Hatten die ersten englischen Rezensenten vor allem Francks kühne Neuerungen hervorgehoben, trat zunehmend dessen Bindung an die Tradition in den Vordergrund. Der Kritiker Edwin Evans sprach in diesem Zusammenhang von „progressivem Akademismus“ (siehe Anm. 690 und Kapitel 4.2). Die Innovationen auf formaler (zyklische Integration) und harmonischer Ebene (zunehmende Chromatisierung) führten aus englischer Perspektive die deutsche Linie nach Beethoven, Liszt, Wagner und Brahms fort. Sie ließen die klassische Form im Grundsatz unangetastet und erhärteten Francks Anspruch auf höchste Seriosität bei gleichzeitig maximaler Expressivität. Gerade in der Balance aus vertrauten und innovativen Elementen lag wohl eine wichtige Ursache für den Erfolg von Francks Musik in England. Er stand zwischen dem klassizistischeren Saint-Saëns, der weniger an kompositorischen Grenzverschiebungen interessiert war und dem man tadelloses Handwerk, aber wenig künstlerische Tiefe zusprach, und Fauré, dessen Neuerungen sich von der deutschen Tradition tendenziell weiter entfernten und von der Kritik eher sekundären Parametern wie Instrumentierung und ‚Farbe‘ zugeordnet wurden. Francks Kammermusik war unverdächtig, statt den höchsten Gattungsansprüchen primär den Vorlieben des Salons genügen zu wollen.

221

Colles, César Franck and the Sonata, 206.

67

2 Zwischen Konzertsaal und Salon: Orte der Rezeption Faurés

How many English musicians appreciate Fauré – really enjoy him with gusto? I have met none.222

Dem Autor der weiterhin wichtigsten Fauré-Biographie, Jean-Michel Nectoux, zufolge brachte man Faurés Musik in keinem ausländischen Land mehr und dauerhafteres Interesse entgegen als in England. Die regelmäßigen Aufenthalte des Komponisten auf der Insel, sein enger Kontakt zu wichtigen Persönlichkeiten sowie der englische Musikgeschmack für Nuancenreichtum hätten ihm den Weg zu zahlreichen Erfolgen gebahnt.223 In der Tat hielt er sich gerne in England auf,224 war dort in Musikerkreisen und der gehobenen Gesellschaft beliebt und gut vernetzt (auch wenn er die englische Sprache offenbar nicht beherrschte, siehe Anm. 279) und hatte über einen Zeitraum von zwanzig Jahren viele Gelegenheiten, seine Kompositionen selbst zu spielen oder sie in ihm gewidmeten Konzerten zu hören. Der Großteil seiner Besuche fand in den 1890er-Jahren statt, der Dekade, in der sich französische Kammermusik im englischen Konzertleben etablierte. Dennoch, und diese Seite wurde von Nectoux weniger akzentuiert, wurde ihm in England keineswegs einhellige Bewunderung entgegengebracht.225 Die Rezeption Faurés in England zeigt paradigmatisch den Zwiespalt auf, in dem sich französische Kammermusik in dieser Zeit befand: Einerseits wurde sie bei Aufführungen mit eher privatem, salonartigem Charakter gepflegt, andererseits war sie bei großen öffentlichen Konzerten und in renommierten Reihen den Erwartungen einer strengen Gattungsästhetik und dem Vergleich mit den deutschen Klassikern ausgesetzt. Faurés Kompositionen befanden sich dabei in einem stets diskutierten Spannungsfeld zwischen klassischen Modellen und moderner Orientierung, wobei vor allem ihre Harmonik als fortschrittlich angesehen wurde. Die drei frühen Hauptwerke Faurés, die erste Violinsonate (1877) und die beiden Klavierquartette (1879–1886), wurden von der 222

W. R. A. [W. R. Anderson], Modern French Music, by Edward Burlingame Hill [Buchrezension], in: The Musical Times, 1.4.1926, 321. 223 Nectoux, Fauré, 280 (vgl. auch die zweite Ausgabe des französischen Originals von 2008, 369). 224 „J’ai trouvé ici, à mon retour, toutes les occupations de la vie rélle ! À Londres c’est le rêve et la poésie : ici c’est la prose, hélas ! et les devoirs !“ Brief von Fauré an Mrs. George (Elizabeth/Elsie) Swinton, Paris, 11.7.1898. Fauré, Correspondance, 244. 225 Andere Biographen beurteilten die Rezeption in England hingegen auf schmaler Quellenbasis einseitig negativ: „[...] but generally English critics judged Fauré’s music by Germanic standards and reacted against it through ignorance and incomprehension.“ Orledge, Fauré, 40. Siehe auch die jüngste Darstellung bei Rodmell, French Music in Britain, 141f. und 183–185.

69

Zwischen Konzertsaal und Salon: Orte der Rezeption Faurés

musikalischen Presse insgesamt zurückhaltend aufgenommen. Das erste Klavierquintett (1906) und die späte Kammermusik (ab 1917) etablierten sich erst gar nicht im englischen Konzertrepertoire. Eine solche reservierte Haltung ist charakteristisch für die Aufnahme von Faurés Musik nicht nur in England.226 Schon 1924, kurz vor Faurés Tod, beklagte der amerikanische Komponist Aaron Copland, der zwischen 1921 und 1924 in Paris studierte, die völlige Vernachlässigung der Musik des Franzosen außerhalb dessen Heimatlandes.227 Copland machte dafür die ‚Gallizität‘ von Faurés Musik sowie dessen individuelle Ausprägung von Originalität bzw. Fortschrittlichkeit im Laufe der kompositorischen Entwicklung verantwortlich.228 Der in England ansässig gewordene Kritiker MichelDimitri Calvocoressi gewann den gleichen Eindruck.229 Percy Scholes sprach in seiner Zusammenstellung von hundert Jahren Berichterstattung der Musical Times von „The British Indifference to Fauré“, „who during his long working life of incessant production never obtained anything like a ‚footing‘ in Britain“.230 Auch Norman Suckling, der Autor der ersten englischen Fauré-Monographie von 1946, konstatierte eine beklagenswerte Unkenntnis von Fauré in England.231 Aus seiner Sicht war dessen Musik nach Ende des Zweiten Weltkriegs das ideale Gegenmittel gegen die anhaltende Germanophilie der englischen Musikkultur. Gerade indem Fauré sich mit den Deutschen auf deren eigenem Grund, Liedern und Kammermusik, gemessen hatte, habe er einen anderen kompositorischen Weg gewiesen und zusammen mit seinen jüngeren Landsleuten englischen Komponisten nach 1900 zur Loslösung von deutschen Modellen verholfen: At last it was made evident to us that a great deal of what we had hitherto believed to be the centre and the norm of music was in reality nothing but German music. [...] The Russians had also helped in our liberation; but it was the French composers who did most to break the yoke; and a share may thus be claimed for Fauré in the process by which a whole generation of our own composers, in the early part of the present century, availed themselves of the French example to write again – for the first time since more than a century – music worthy of their country’s older achievements.232 226

Vgl. Strobel, Zur Fauré-Rezeption in Deutschland. Siehe hingegen für die früh einsetzende und produktive Aufnahme von Faurés Musik in den USA Savage, The American Reception of Fauré. 227 Copland, Fauré, a Neglected Master. 228 Vgl. zu Innovation und Originalität bei Fauré Caballero, Fauré and French Musical Aesthetics. 229 „Another equally strange phenomenon is that this [Fauré’s] music which meant, and still means, so much to France remains almost unrecognized abroad – [...] and held cheap in England after a short period of comparative popularity following, it seems to me, upon his visit to London in 1898, when Maeterlinck’s Pelléas et Mélisande was given with his incidental music.“ Calvocoressi, Musicians Gallery, 133f. 230 Scholes, The Mirror of Music, 443. 231 „It was not until the 1914 war that English audiences were given much chance of understanding that there was something in French music beyond the operas Faust, Carmen and Samson et Dalila and the pianoforte pieces of Cécile Chaminade; and when the news was brought, the names most prominent in the headlines were those of Fauré’s juniors, chiefly Debussy and Ravel.“ Suckling, Fauré, 181. 232 Ebd., 181f. „We can see already, for example, that Fauré was more of an harmonic pioneer than any

70

Allein aufgrund seiner Nationalität und von als salonartig klassifizierten Elementen sei Fauré lange nicht als gleichwertig akzeptiert worden. Die Biographie von Faurés Kompositionsschüler Charles Koechlin sei 1927 zum falschen Zeitpunkt erschienen, da man in England mit dem hundertsten Todesjahr von Beethoven und Schubert beschäftigt gewesen sei. Eine englische Übersetzung von Koechlins Buch wurde schließlich im selben Jahr wie Sucklings Studie herausgebracht; der Übersetzer Leslie Orrey drückte in der Einleitung seine Hoffnung aus, dass sich an der traurigen Situation nun etwas ändern könnte.233 Wie ist der offenkundige Widerspruch zwischen diesen Einschätzungen und jener von Nectoux erklärbar, dass Fauré in England anhaltende freundliche Beachtung gefunden habe? Ein bereits von Zeitgenossen vorgebrachter und in der Forschung aufgegriffener Erklärungsansatz zielt darauf ab, dass sich Faurés Musik nicht an eine große Masse richte, sondern grundsätzlich eine Kunst für einen kleinen Kreis von Verehrern sei. So formulierte D. C. Parker schon 1918 in einer biographischen Würdigung: „He is not the man to move the great public, but he has much to offer the select few.“234 Auch in Bezug auf Frankreich sprach Koechlin von einer „Faurien freemasonry“, von einer kleinen Elite des Geschmacks, der eine große Zahl germanophiler Musikfreunde gegenüberstehe.235 So lässt sich konstatieren, dass Fauré in England einen Kreis von treuen Bewunderern und Vertrauten fand, in der Presse jedoch nur wenig Anerkennung erhielt, und von seinen Werken nur wenige im breiten Musikleben ankamen.236 Der zwei Jahre ältere Grieg hingegen, der vergleichbar mit Fauré vor allem als Komponist von salonartiger Musik rezipiert wurde,237 zog bei seinen Konzerten stets ein großes begeistertes Publikum an. Auch die frühe Schumann-Rezeption in England hatte ähnliche Züge aufgewiesen: Abgesehen von dem Klavierkonzert war er vor allem für Miniaturen bekannt gewesen, die Kammermusik wurde lange als zu fortschrittlich abgelehnt.

of the post-Wagnerians or even the Russians; and it may yet be recognized that Debussy’s musical architectonics indicated not so much a lack of constructive sense as an allegiance to principles of construction which in his day were usually ruled out of court merely because they were not those of the German tradition.“ Suckling, “La clarté française”, 141. 233 „There are signs in this country that Gabriel Fauré is at last about to receive some of the recognition due to him, and there must be many, both among his old admirers and among those who are only just beginning to savour the distinctive delights of his style, who will be eager to supplement the somewhat meagre biographical details given in Grove and other reference books.“ Koechlin, Fauré, vii. Suckling rezensierte die Übersetzung in Music & Letters, Juli 1946, 189f. Der Artikel zu Fauré in der zweiten Ausgabe des Grove von 1906 umfasste nicht einmal eine ganze Spalte. 234 Parker, Fauré. A Contemporary Study, 226. In der fünften Ausgabe des Grove hieß es ähnlich: „But for a cultivated and civilized minority his music will remain a precious possession.“ Blom, Fauré, 42. 235 Koechlin, Fauré, 78. 236 Vgl. die Einschätzung bei Johnson, Fauré. The Songs and Their Poets, 302. 237 Auf deren beider Talent für „La Musique Intime“ wies Camille Benoît bereits in den 1880er-Jahren hin, den Hervey (offenbar Hugues Imbert folgend) zitierte. Hervey, Masters of French Music, 268f.

71

Zwischen Konzertsaal und Salon: Orte der Rezeption Faurés

2.1 „À Londres c’est le rêve et la poésie“: Reaktionen von Skepsis bis Euphorie Drei frühe Londoner Aufführungen von Faurés Violinsonate A-Dur op. 13 in den Jahren 1877 ( Jaëll/Auer), 1880 und 1887 (jeweils mit Saint-Saëns) wurden bereits erwähnt, sie verorteten den Namen des Komponisten jedoch noch nicht auf der musikalischen Landkarte. Zwei Jahre nach seinem eigenen Londoner Debüt war es Eugène Ysaÿe, der die Sonate mit dem Pianisten Benno Schönberger im Mai 1891 erneut präsentierte. Shaw brachte das Desinteresse der Kritiker auf den Punkt; „however it might have sounded before Mozart, [it] made no effect after.“238 Im November des Jahres feierte Ysaÿe eine doppelte Premiere mit der englischen Erstaufführung von Faurés zweitem Klavierquartett g-Moll op. 45 (1886) bei seinem ersten Auftritt bei den Popular Concerts, erneut mit Schönberger sowie Ludwig Straus und William Whitehouse. Die Kritiker zeigten sich nicht überzeugt; anders als später bei Franck begrüßten sie die harmonischen Experimente nicht, sondern vermissten eine angemessene ‚Entwicklung‘ der Themen und entsprechende ‚Tiefe‘ der Musik: The songs and minor piano pieces by this composer are in many instances characterized by considerable merit, but he does not seem to be able to handle the larger forms of the art with much success, and there is less of interest in the present quartet than in the violin and piano sonata introduced at one of M. Ysaye’s recitals last season. M. Fauré seeks to gain effects by singular changes of tonality, and this device is pursued in the slow movement to such an extent as to be positively ear-torturing. The best portion of the work is the opening allegro molto moderato, which is founded on an unconventional theme, but the development of even this movement is laboured and vague.239 M. Fauré’s chief strength lies in his original instrumentation, which is always effective and sometimes pleasing. The performance was most hearty; the performers evidently having faith in what they were playing. Nevertheless they failed to convince us, and the general impression appeared to be not particularly enthusiastic. The first movement, especially, lacks individuality of style, in spite of its fervid and uncomfortable restness. Perhaps the term „uncomfortable“ most aptly conveys our impression of the work as a whole. It is wanting in the calm dignity of real power, and (if we mistake not) it also lacks the persuasiveness of real feeling.240 M. Fauré’s work was placed at the end of the programme, which was in some respects unfortunate, for it is so new in style and original in conception that it demands more attention than can be expected so late in the evening. The restlessness of its tonality and the originality which marks every moment make it at first somewhat hard to follow; but it is full of good and often beautiful ideas, and it breathes throughout a spirit of earnestness which should commend it to musicians. The composer is hardly at all known 238

The World, 10.6.1891, zit. nach Shaw, Music in London, Vol. I, 206. The Athenaeum, 14.11.1891, 656. 240 Musical News, 13.11.1891, 734. 239

72

„À Londres c’est le rêve et la poésie“: Reaktionen von Skepsis bis Euphorie

in this country, [...]. Mr. Chappell deserves the thanks of musicians for having brought the Quartet forward. It is to be hoped that he will continue his researches in the same direction, and enable English amateurs to hear some of the chamber music of M. César Franck, a composer whose influence on French music has had a marked and lasting effect.241

Die Mehrheit der Kritiker schloss sich dem skeptischen Tenor der ersten beiden Zitate an. Eine mögliche Erklärung liefert das dritte: Der Autor der Saturday Review war mit der modernen französischen Musik offenbar bereits besser vertraut, etwa mit der in England noch unbekannten Francks. Er identifizierte Faurés Quartett als so neuartig, dass man es nicht mit den gewohnten deutschen Maßstäben messen könne. Sicherlich war es nicht Arthur Chappell, der Manager der Popular Concerts, sondern Ysaÿe, der es vorgeschlagen hatte; 1888 und 1889 hatte er mit Fauré in Brüssel konzertiert. Wie in den 1870er-Jahren mit Bülow und Saint-Saëns ging die Einführung neuer Werke also auf einzelne Interpreten zurück, bevor die Kompositionen gegebenenfalls von anderen aufgegriffen wurden und sich so im Repertoire etablieren konnten. Faurés durch Quellen gesicherte Aufenthalte in England sind in Tabelle 7 zusammengestellt.242 Seine erste Konzertreise wurde 1894 durch die Wolff Musical Union (siehe S. 39f.) angeregt, an deren letztem Konzert er zusammen mit Francis Thomé teilnahm. Dabei erklang zum ersten Mal in England sein erstes Klavierquartett c-Moll op. 15 (1879/1883) neben der Violinsonate, der Berceuse op. 16 (als Zugabe) und Liedern. Die Biographien und seine Korrespondenz werfen kaum Licht auf die Beziehung zwischen Fauré und Wolff: Der Geiger studierte in Paris, Fauré widmete ihm sein Andante op. 75 (1897) und noch 1919 wünschte er sich Wolff als Interpreten für die zweite Violinsonate.243 Bei dem Konzert erschien Fauré gegenüber Thomé als der „solidere“ Komponist,244 dennoch wurde ihm auch von wohlwollenden Kritikern der Anspruch auf höchste Seriösität nicht zugestanden: There is great freshness and charm about his music, What [sic] he has to say may not be very strong or striking; but he expresses his thoughts so simply, and develops them so skilfully, that the result is highly satisfactory. Mr. Fauré never goes beyond his depth, and with him this seems to be a matter of instinct quite as much as of experience. The two works mentioned are genuine specimens of chamber music.245 241

The Saturday Review, 14.11.1891, 558. Vgl. die Zeitleiste bei Nectoux, Fauré, 491–517. Mögliche weitere Besuche fanden im Dezember 1897 (laut seinem Sohn Philippe Fauré-Fremiet), in den Sommern 1906 und 1907 (laut Adrian Boult) und im Jahr 1921 oder 1922 (laut John Barbirolli, der 1923 bzw. 1925 als Cellist bei den Erstaufführungen von Faurés Klaviertrio und Streichquartett mitwirkte) statt; für keinen dieser Besuche gibt es jedoch weitere Zeugnisse. Orledge, Fauré en Angleterre, 13–15. 243 Brief von Fauré an Robert Lortat, 4.4.1919. Fauré, Correspondance, 472f. 244 „The first named is the more „solid;“ the second, the more melodious and brilliant. The genuinely inspired adagio in Fauré’s Pianoforte Quartet in C minor presented a striking contrast to the rest of his more or less artificial, dull, and pretentious music.“ Musical Opinion & Music Trade Review, 1.1.1895, 219. 245 The Academy, 1.12.1894, 454. 242

73

Zwischen Konzertsaal und Salon: Orte der Rezeption Faurés

Tabelle 7: Faurés Aufenthalte in Großbritannien, 1882–1914

74

Zeitraum

Anlass bzw. Konzerte

Mai 1882

Reise mit André Messager, hören in London Wagners Ring

Ende Nov. 1894

Konzert bei Wolff Musical Union mit Francis Thomé, spielt Violinsonate und erstmals in England Klavierquartett c-Moll (22.11.)

Ende Nov. 1895

Privatkonzert bei Frank Schuster allein mit Werken von Fauré; John Singer Sargent und Ehepaar Maddison unter den Gästen

ca. 29.4.–3.5.1896

Privatkonzerte und Empfänge, Konzert beim Verlag Metzler, Parry unter Zuhörern (30.4.), und in St. James’s Hall (1.5.)

Mitte Dez. 1896

zu Gast bei Lord und Lady de Grey, Konzerte in St. James’s Hall: Fauré-Programm von Léon Delafosse mit UA der Thème et variations (10.12.), Violinsonate mit Wolff bei Pops (19.12.)

Anfang Juni 1897

Konzert in St. James’s Hall mit Wolff, Violinsonate und Klavierquartett c-Moll (5.6.)

ca. 28.3.–7.4.1898

Proben für La naissance de Vénus, bei Schuster La bonne chanson in Bearbeitung mit Streichquintett (1.4.)

Ende Juni/ Anfang Juli 1898

mit Charles Koechlin zu Gast bei Schuster, dirigiert bei Premiere des Schauspiels Pelléas et Mélisande seine Musik (21.6.)

Aug. 1898

zu Gast beim Ehepaar George und Elsie Swinton in Wales

Anfang Okt. 1898

Leeds Festival: hört Uraufführung von Elgars Caractacus (5.10.), dirigiert La naissance de Vénus (8.10.)

ca. 14.3.–24.3.1908

in London bei Schuster, Konzerte (Bechstein Hall, 18.3.) und Empfänge (Buckingham Palace, 23.3.), trifft und hört Percy Grainger

ca. 28.11.–7.12.1908

zu Gast bei den French Concerts in Manchester, auch Ethel Smyth dirigiert eigene Lieder (30.11.), weitere Konzerte in London, Empfang von Schuster vor Londoner Premiere von Elgars erster Sinfonie (6.12.)

Mitte Juni 1914

Robert Lortat präsentiert alle Klavierwerke Faurés in der Aeolian Hall (16./19./22.6.), Fauré spielt Violinsonate und Klavierquartett mit Leonora Speyer und Frank Bridge

„À Londres c’est le rêve et la poésie“: Reaktionen von Skepsis bis Euphorie

[...] it will be sufficient to say that both works were very favourably received. We prefer, however, M. Fauré in compositions either of smaller dimensions or in such where comparisons with immortal models of the kind are not suggested; [...].246

Von Beginn seiner öffentlichen Konzerttätigkeit in England an bewegte sich Fauré auch in privaten Zirkeln. Die bedeutende Rolle, die vermögende Förderer und Salons für das Konzertleben in London – für Interpreten wie Komponisten – auch über die Jahrhundertwende hinaus spielten, wurde in der jüngeren Forschung vermehrt betont.247 Auch die Karriere Edward Elgars, auf den Fauré bei mehreren Gelegenheiten traf, wurde durch das zuweilen zwiespältige Pendeln zwischen öffentlichem und privatem Raum mit deren unterschiedlichen Konnotationen geprägt. Ein wichtiger Fürsprecher Faurés in Londons höheren Gesellschaftskreisen war der amerikanische Maler John Singer Sargent. Der Musikliebhaber und Amateurpianist machte während seiner Pariser Jahre zwischen 1874 und 1886 Faurés Bekanntschaft, bevor er sich in London niederließ. 1887 begleitete er in Boston den jungen Geiger Charles Martin Loeffler spontan bei Faurés Violinsonate; zwei Jahre später porträtierte er in Paris den Komponisten zum ersten Mal in Öl.248 Percy Grainger würdigte Sargent kurz nach dessen Tod voller Respekt als „the apostle of Gabriel Fauré in England“.249 Durch die Veranstaltung privater Konzerte womöglich noch entscheidender war Faurés Kontakt zu Leo „Frank“ Schuster (1852–1927), dem Sohn eines deutschstämmigen Bankiers, der das Mäzenatentum zu seiner Profession machte und den Fauré liebevoll „ma nourrice“ nannte.250 Schuster konnte offenbar ausreichend gut Klavier spielen, um bei öffentlichen Benefizkonzerten aufzutreten wie im Juli 1889 mit so 246

The Illustrated Sporting and Dramatic News, 8.12.1894, 454. Der Artikel ist eine Eloge auf den Konzertveranstalter Wolff und seine propagandistische Agenda: „For all that, we cannot help expressing a wish that some English virtuoso had enough faith in the talent of his own country to export some British music abroad, on the lines adopted by M. Johannes Wolff.“ 247 Vgl. etwa McVeigh, Building a Concert Career, 196. 248 Knight, Loeffler, 67. Loeffler war von Sargents Musikalität beeindruckt; als sich beide 1900 in London trafen, hatte die Unterhaltung nur ein Thema: „It was a treat. Conversation: Fauré, Fauré, Fauré! ... He [Sargent] was kind, charming, and interesting.“ Brief von Loeffler an Elise Fay, zit. nach ebd., 118. 1921 sandten Loeffler und Sargent Fauré 2000 Francs; dieser widmete Loeffler im selben Jahr die zweite Cellosonate g-Moll op. 117, Sargent erhielt als Geschenk das Manuskript des zweiten Klavierquintetts c-Moll op. 155. Ebd., 204f. 249 „In my opinion Sargent is chiefly responsible for the fine understanding of Fauré’s music that obtains in England.“ Grainger, Sargent’s Contributions to Music (1927) [Brief an Evan Charteris, 6.5.1926], in: Grainger on Music, 169–172, hier 170. Der jüngste Überblick über die Beziehung zwischen Sargent und Fauré begnügt sich mit einer Zusammenstellung von Faurés Londoner Aufenthalten und Bekanntschaften. Nectoux, Sargent et Fauré. Vgl. allgemeiner auch Langley, Sargent as Listener, Practitioner, Performer and Patron. 250 Brief von Fauré an Marie Fauré-Fremiet, 15.3.1908. Fauré, Lettres intimes, 157. Leo Francis Howard Schuster wurde bislang keine umfassende Studie gewidmet, obwohl er vor allem in der Elgar-Biographik eine große Rolle spielt. Vgl. Fuller, Elgar and the Salons, 235–240; Smith, Frank Schuster – Elgar’s Patron. Adrian Boult lernte Schuster schon als Jugendlicher kennen, in seinen Memoiren fasste er dessen Wirken zusammen: „He spent his life making other people happy.“ Boult, My Own Trumpet, 64.

75

Zwischen Konzertsaal und Salon: Orte der Rezeption Faurés

renommierten Musikern wie Hallé, Wilma Norman-Neruda (Lady Hallé), Wolff und Hollman.251 Es ist denkbar, dass der Kontakt zu Fauré durch Wolff zustande kam und sich die beiden bereits im November 1894 kennenlernten. Bei zahlreichen Gelegenheiten beherbergte Schuster Fauré in 22 Old Queen Street am St. James’s Park oder (ab ca. 1903) in seiner ironisch „The Hut“ getauften Residenz in Bray an der Themse, die beide auch regelmäßig für musikalische Zusammenkünfte genutzt wurden. Das erste Mal war Fauré wohl Ende November 1895 zu Gast bei Schuster, als dieser den neuen Musikraum in seinem Londoner Stadthaus mit einem reinen Fauré-Konzert einweihte. Hierbei waren Faurés Förderin Winnaretta Singer (Princesse de Polignac) und ihr Ehemann sowie Sargent, Henry James und der Komponist Frederick Bridge unter den Gästen: It was an unforgettable evening, for the music had been well rehearsed and the greatest artists had gathered together to sing or play. Among other works the exquisite Four-part Madrigal and the Pavane were most beautifully sung and enthusiastically received. Fauré’s music had an immediate and very great success; [...].252 M. Léo Schuster vient de donner à Londres, dans son ravissant hôtel, une soirée musicale pour faire entendre une série d’œuvres de M. Gabriel Fauré. Cet hommage rendu en Angleterre à un de nos meilleurs compositeurs français est particulièrement flatteur. Le programme a été interpreté par Mlles Laudi et Duncomb, MM. Maquay et Humford, accompagnés par un orchestre de vingt musiciens. Cette audition a été un véritable triomphe pour l’exquis auteur de Clair de lune et de Roses d’Ispahan. Le public, enthousiasmé, a bissé presque tous les morceaux et acclamé l’auteur à la fin du concert. Public de dilettantes très choisi. Citons au hasard : Prince et princesse Edmond de Polignac, lord et lady Dudley, M. John Sargent, duc de Manchester, M. et Mme Tosti, Claude Phillips, Reginald Lister, docteur Bridge, organiste de Westminster, qui dirigeait l’autre jour l’admirable exécution des œuvres de Purcell, dans la cathédrale; Mme Patrick Campbell, etc.253

Der Dichter Siegfried Sassoon beschrieb Schuster im Rückblick (siehe auch Anm. 316): „He had ‚the soul of an artist‘, as far as appreciation of music goes, [...] Unable to create anything himself, he loved and longed to assist in the creation of music. He wanted to create artistic history; but could only do so by entertaining gifted people. He was a social impresario of ‚artistic events‘. [...] It is easy to accuse such a man of mere dilettantism and social frivolity, but Frankie realised that – when ideally successful – the feat of ‚bringing together‘ two men of genius, under the ‚ideal conditions‘ which he could offer them, was the best he could do for them. [...] He was something more than a patron of music, because he loved music as much as it is humanly possible to do.“ Sassoon, Diaries 1920–1922, 293f. (Anhang, datiert 7.7.1938). Der oft zitierte Ausschnitt klingt weniger vorteilhaft bei Moore, Elgar. A Creative Life, 268. Zwei würdigende Nachrufe von Bekannten erschienen in The Times, 2.1.1928, 19. 251 The Musical Standard (Supplement), 29.6.1889, 534. In der Presse trat Schuster sonst vor allem bei Aufzählungen von Gästen sozialer Ereignisse sowie als Mitglied verschiedener Komitees in Erscheinung. 252 [Singer], Memoirs of the Late Princesse Edmond de Polignac, 119. Singer datierte das Konzert in ihren Aufzeichnungen fälschlicherweise auf 1896. Vgl. Kahan, Music’s Modern Muse, 94 und 439, Anm. 83. In Orledges Zusammenstellung fehlte dieser Aufenthalt Faurés, weshalb er fälschlicherweise schlussfolgerte, dieser müsse die Maddisons bereits 1894 kennengelernt haben. Orledge, Fauré en Angleterre, 12. 253 Le Figaro, 29.11.1895, 2.

76

„À Londres c’est le rêve et la poésie“: Reaktionen von Skepsis bis Euphorie

Anwesend waren auch die Komponistin Adela Maddison (siehe S. 339ff.) und ihr Ehemann Frederick Brunning Maddison, der für den englischen Klavierbauer und Musikverlag Metzler & Co. tätig war. Ein Jahr zuvor noch hatte Fauré an die Comtesse Greffulhe geschrieben: „J’ai essayé de glisser aux Anglais mes sacs de charbon (j’en ai tant !) mais il n’en ont pas voulu. Il y a là-bas surabondance !“254 Doch am 15. Januar 1896 unterzeichnete er einen Vertrag mit Metzler, der dem vor allem mit ‚leichter‘ Musik verknüpften Verlag die Exklusivrechte für neue Bearbeitungen sowie noch unveröffentlichte Kompositionen Faurés in England und den USA zusicherte.255 Im September 1896 verbrachte Fauré zwei Wochen bei den Maddisons in der Bretagne. Diese hatten offenbar eine genaue Vorstellung, wie er in London mit eigenen Konzerten reüssieren könnte: D’autre part, les Maddison croient fermement que j’arriverai, peut-être déjà cette année et, à coup sûr, dans un an, à pouvoir donner un concert à Londres à mon bénéfice, et le renouveler tous les ans dans ce pays où l’on prend l’habitude des personnalités, où tout va toujours en croissant, lentement, mais sûrement. Ils disent que ces concerts devraient rapporter au moins trois mille francs chaque fois. C’est un malheur qu’ils n’ont pas les droits des salles de concert publiques, et qu’ils ne peuvent procéder que par invitation. Sans cela ce serait déjà fait.256

Faurés Londoner Aufenthalt im Frühjahr 1896 war jedoch wiederum von privaten Empfängen und kleineren Konzerten geprägt, die ihm gewidmet waren. Spätestens jetzt war sein Name in aller Munde – oder zumindest bei einem Teil der kunstsinnigen High Society in Mode. Kein Abend verging ohne musikalisch-gesellschaftlichen Anlass: At the house of Mr. Albert Visetti [Gesangsprofessor am Royal College of Music] a brilliant assembly of musical people foregathered to meet M. Gabriel Fauré on Wednesday in last week [29.4.1896]. A long programme of music, consisting entirely of compositions by M. Fauré, was performed during the evening, commencing with a pianoforte quartet played by the composer, Mr. Gompertz (violin), Mr. Kreuz (viola), and Mr. Ould (violoncello). It contained much scholarship, and was very interesting from several points of view; it was perhaps not characteristically French, indeed, more German, from its solidity, it seemed to us.257 254

Brief, Ende November 1894. Fauré, Correspondance, 227. Ebenfalls 1896 wurde ein zweiter Vertrag unterzeichnet; schließlich trat auch Faurés Pariser Verleger Julien Hamelle mit Metzler in vertragliche Beziehung. Metzler veröffentlichte mehr als zwanzig von Faurés Kompositionen, darunter die Erstausgabe der Thème et variations op. 73, doch der 1901 auslaufende Vertrag wurde nicht verlängert, zudem verhielt sich Frederick Maddison offenbar immer weniger kooperativ. Vgl. Orledge, Fauré en Angleterre, 12f.; ders., Fauré, 16. 256 Brief von Fauré an Marie Fauré-Fremiet, 23.9.1896. Fauré, Lettres intimes, 21f. Anderthalb Jahre später schrieb er ihr: „Mon Dieu ! comme je voudrais pouvoir monnayer l’enthousiasme qu’on me témoigne ici !“ London, 2.4.1898. Ebd., 28. 257 Musical News, 9.5.1896, 436. Besonderen Eindruck machte das Andante mit den „delicate and quite entrancing soli for the viola“, es wurde also das g-Moll-Quartett gespielt. Franz Liebich präsentierte Klavierstücke. 255

77

Zwischen Konzertsaal und Salon: Orte der Rezeption Faurés

The fashion of Fauré, which has been for some time in Paris, affected London, too, during the composer’s visit. All the musical magnates conspired to do him honour, and even unmusical people were content to follow when the lead was given by Lady de Grey, Lady Granby, Lady Radnor, and Mrs. Ronalds. The festival began with a party given by Signor and Signora Visetti, and among those who came to listen to Fauré’s music, and nothing but Fauré’s music, were Mrs. Ronalds; Mrs. Maddison, in a pretty flowered silk, with pearls in a rope round her neck, and a diamond dagger in her hair; Mrs. George Batten, dressed in black, with a very pretty daughter in white; Mr. Sargent, and many others known to fame. On the Thursday was a concert at Metzler’s Rooms, when Miss Esther Palliser, M. Bagès, and M. Fauré himself interpreted the music, and two songs of Piernés [sic] were sung by Mrs. Batten, and some new songs by Adela Maddison were in the programme. [...] On the Friday was a successful concert, given by Mr. David Bispham, at which Lady de Grey, Mrs. Ronalds, and most of the same guests were present, while Mr. Bispham himself sang a song by Adela Maddison with great effect. On Saturday was the Melody matinée, and on Sunday Mrs. Ronalds gave a musical party especially for Fauré, at which, however, he was, at the last moment, unavoidably prevented from appearing; [...]. One of the most salient features of M. Fauré is his personal popularity. He has as many friends as a man as he has admirers as a musician, and Mr. John Sargent, who is one of the busiest of men, gladly put aside all other work to make the accompanying sketch especially for the pages of this paper.258

Das erste öffentliche Konzert, das allein Werken Faurés gewidmet war, veranstaltete der Pianist Léon Delafosse am 10.12.1896 in der St. James’s Hall. Er gab neben weiteren Klaviersoli die Uraufführung der Thème et variations op. 73, Fauré spielte sein Klavierquartett g-Moll mit Wolff, Hobday und Paul Ludwig. Im Vormonat war bei den Popular Concerts zum ersten Mal das Klavierquartett c-Moll gespielt worden,259 am 19.12. spielten Fauré und Wolff erstmals in dieser Reihe die Violinsonate.260 Auch im Juni 1897 taten sich Fauré und Wolff für ein Konzert zusammen, das abgesehen von 258

The Sketch, 13.5.1896, 96. Bei seinem Konzert präsentierte der Bariton David Bispham neben Liedern etwa von Parry und Maddison die Uraufführung von Faurés Duo Pleurs d’or op. 72, zudem spielte der Komponist sein Klavierquartett c-Moll mit Adolph Brodsky, Alfred Hobday und William Henry Squire. In der Kritik wurde er mit seinem Landsmann Saint-Saëns verglichen. The Athenaeum, 9.5.1896, 627. 259 Die Interpreten waren Kleeberg, Marie Soldat-Röger, Louis Ries, Alfred Gibson und Ludwig. „French composers are not at their best in chamber music, and Mr. Faure’s [sic] quartet has no distinctiveness. It is, however, written with musicianly ability, and is refined and finished in character. Save when it becomes ambitious, and consequently dull, it is pleasant music, such as an accomplished and well-to-do musician would write in a comfortable armchair.“ Musical News, 28.11.1896, 463. „The composer is one of the most earnest of living Gallic musicians, and his efforts are gradually gaining favour in this country. The c minor Quartet, being Op. 15, is an early work, but it is distinctly interesting, and affords some justification for the statement that Fauré may be regarded as a sort of French Schumann.“ The Athenaeum, 28.11.1896, 764. „Whence this preference to one of the least gifted French composers at these and other concerts? To call Fauré a kind of French Schumann is worse than ridiculous.“ Musical Opinion & Music Trade Review, Jan. 1897, 235. Auch Saint-Saëns wurde als „French Schumann“ bezeichnet, siehe Anm. 170. 260 „M. Fauré’s compositions have been brought forward lately on several occasions, and this sonata is

78

„À Londres c’est le rêve et la poésie“: Reaktionen von Skepsis bis Euphorie

einigen Klavierstücken und Liedern Schumanns erneut Fauré vorbehalten blieb.261 Wie die Maddisons es ihm nahegelegt hatten, war Fauré in London nun auch mit eigenen Konzerten prominent vertreten. Der Ansatz, dabei allein seine Werke auf das Programm zu setzen, wurde jedoch in der Presse kritisch betrachtet: The so-called “grand” evening Concert given by Mr. Delafosse at St. James’s Hall, on the evening of the 10th ult., consisted entirely of compositions by the French composer, M. Gabriel Fauré, who, like his compatriot, M. Saint-Saëns, evinces German tendencies. [...] but it must be confessed that the effect of an entire programme by a composer possessed of great talent, but not of genius, was rather monotonous, though the performances were entirely praiseworthy.262

Dieselbe Kritik war schon 1892 bei einem Konzert von Chaminade vorgebracht worden (siehe Anm. 121) und wurde auch bei anderen von Faurés Konzerten wiederholt. Die Veranstalterin der French Concerts in Manchester, Lucie Barbier, verteidigte die Praxis in ihrer 1907 begonnenen Reihe damit, das Werk eines Komponisten auf diese Weise gründlicher kennenlernen zu können.263 Vermutlich kam man damit dennoch vor allem dem Teil des Publikums entgegen, der Faurés Werk kannte und schätzte, während man die Gelegenheit verpasste, durch eine balancierte Programmgestaltung Skeptiker nach und nach mit französischer Musik vertraut zu machen.264 In Faurés ‚englischem‘ Jahr 1898 mit vier Aufenthalten spielte Kammermusik eine untergeordnete Rolle – abgesehen von Matineen, Soireen und nächtlichen Zusammenkünften bei Schuster.265 Im Frühjahr probte er seine Kantate La naissance de Vénus op. 29 thought by many to be his best effort. It is very clear and straightforward in design, consisting of the usual four movements, all of which abound in broad melodies which the performers proved to be capable of fervent and even passionate expression. The sonata was so well received that an extra piece was given – a charming trifle, which we believe is the same composer’s berceuse for piano and violin.“ Musical News, 26.12.1896, 559. 261 Sie spielten die Sonate und mit Gibson und Ludwig das Klavierquartett c-Moll, zudem standen die Élégie op. 24 (Cello) und die Berceuse op. 16 (Violine) auf dem Programm. „Both works were received with decided demonstrations of approval by the large audience. M. Fauré has the gift of writing sustained and vigorous melody, which is very attractive and is displayed to the greatest advantage in the sonata, which has the making in it of a general favourite.“ Musical News, 12.6.1897, 565. 262 The Musical Times, 1.1.1897, 45. 263 „It was desired to guard against the tendency to criticise a composer too superficially, which came from having too little of his music.“ Manchester Courier, 17.3.1908 (NLW MS 22695D). Siehe zur Reihe S. 106ff. 264 Bei einer Wiederholung von Faurés Klavierquartett g-Moll bei den Popular Concerts 1901 hieß es dazu: „[...] of which we willingly admit the cleverness and at times attractiveness, yet after Saint-Saëns [Erstaufführung des ersten Streichquartetts] something more substantial would have been desirable. Only let the classical and the modern – for M. Fauré’s quartet, though not a novelty, is modern – be wisely intermixed, and every one will be satisfied.“ The Athenaeum, 19.1.1901, 89. 265 „Je me suis couché cette nuit à quatres heures. Après la soirée Schuster, quelques personnes musicales sont restées et nous avons recommencé à chanter et à jouer jusqu’à cette heure absurde ! De même que la matinée des Maddison, la soirée de Schuster a été on ne peut plus réussie. Tout a marché à merveille,

79

Zwischen Konzertsaal und Salon: Orte der Rezeption Faurés

(1882) für die Aufführung beim Leeds Festival im Oktober,266 der Liederzyklus La bonne chanson op. 61 (1894) wurde bei Schuster erstmals mit Streichquintett aufgeführt, und er erhielt den Auftrag, die Musik für die Londoner Produktion von Maurice Maeterlincks Schauspiel Pelléas et Mélisande im Juni zu schreiben.267 Diese erhielt gemischte Kritiken; während die Times negativ urteilte,268 zog Cobbett sie Faurés Kammermusik vor, die sich für seinen Geschmack zu sehr von den Gattungskonventionen entfernte. Parallel erschien eine Huldigung auf den Komponisten und Menschen Fauré, die eine Verbindung zwischen seiner Musik und Persönlichkeit herstellte: We have not endorsed the verdict of Parisian enthusiasts upon Gabriel Fauré. His music is too indefinite for a form of art which is nothing if not logical. He is more in his element, we opine, when composing, as he did this season, a musical commentary for Maeterlinck’s mystical play „Pelléas and Melisande.“ It has precisely the nebulous charm of which one is conscious when listening to the lines of the Belgian dramatist.269 To many of those who do not happen to enjoy the work of this gifted composer his effects may appear too cherchés. That this is not the case is apparent to anyone who has ever met him; for a simpler, less affected personality is inconceivable. However complex and contradictory his musical ideas may sound, one realises that he writes in the only way natural to him. With no intention of defying the public and imposing upon them his own views, he has written to please himself and a few lovers of music. [...] Gabriel Fauré is an example of the definition of the difference between talent and genius: that talent is in the man’s power, whereas the man is in the power of genius. Fauré writes as he does because he cannot help it; his life and interests have been one constant sacrifice to his genius.270

Was die gesicherten Englandreisen betrifft, entstand für den 1898 bzw. 1905 berufenen Kompositionsprofessor und Konservatoriumsdirektor bis 1908 eine Lücke von fast zehn Jahren. Über die beiden Aufenthalte dieses Jahres und die Freundlichkeit, mit der Fauré bei den zahllosen Empfängen begegnet wurde, geben Briefe an seine Ehefrau le Quintette de Franck et La bonne Chanson.“ Brief von Fauré an Marie Fauré-Fremiet, 2.4.1898. Fauré, Lettres intimes, 27f. Francks Klavierquintett war erst zwei Jahre zuvor zum ersten Mal überhaupt in England gespielt worden. 266 „It is strange that for such a festival he should have offered such an indifferent specimen of his talent. By the side of some of the English novelties it made a poor show.“ The Athenaeum, 15.10.1898, 536. 267 Die Darstellerin der Mélisande, Mrs. Patrick Campbell (Beatrice Tanner), hatte zuerst vergeblich bei Debussy angefragt; sie war bereits 1895 bei Schuster auf Fauré getroffen. Unter Zeitdruck vertraute dieser seinem Schüler Koechlin die Orchestrierung an. Vgl. Nectoux, Fauré, 159–162; Orledge, Fauré’s ‘Pelléas et Mélisande’. 268 „Judged by the ordinary standards of theatrical music which are perhaps higher in the present day in England than anywhere else, it is scarcely satisfactory, being wanting alike in charm and in dramatic power. It has, indeed, the vagueness of melodic and harmonious progression which may be held to suit best the character of the play, but its continued absence of tangible form, not to speak of its actual ugliness at many points, is such as to disturb rather than to assist the illusion of the scene.“ The Times, 22.6.1898, 12. 269 W. W. Cobbett, Retrospective, in: Musical News, 16.7.1898, 61. 270 L. D., An Appreciation of Fauré, in: The Outlook, 18.6.1898, 618f.

80

„À Londres c’est le rêve et la poésie“: Reaktionen von Skepsis bis Euphorie

Auskunft.271 Für den Prince (ab 1910 King George V) und die Princess of Wales (am 20.3.) sowie Queen Alexandra und die russische Zarenmutter Maria Feodorowna (23.3.) präsentierte er einige Lieder und war so in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen angekommen. In der Bechstein Hall (18.3.) begleitete er Jeanne Raunay im Liederzyklus La bonne chanson und zum ersten Mal überhaupt in drei Liedern aus dem späteren Zyklus La chanson d’Ève op. 95 (1910). Als einziges Instrumentalwerk ergänzte die Ballade op. 19 für zwei Klaviere das reine Fauré-Programm.272 Bei Schuster fanden sich auch seine Landsleute Édouard Risler und das Quatuor Capet für eine Sonntagssoiree ein (22.3.). Fauré selbst spielte mit Letzterem das Klavierquartett g-Moll, „qui ne tient pas encore ici une aussi grande place que le premier. J’aurais préféré jouer le Quintette. Mais je crois que la méthode de mon hôte est la meilleure. (Faire bien connaître une œuvre avant d’en présenter de nouvelles.)“273 Das erste Klavierquintett d-Moll op. 89 (1905) war bei der Erstaufführung im Vorjahr verhalten positiv besprochen worden, wurde jedoch daraufhin kaum aufgegriffen.274

Etablierung im Repertoire: Englische Kontakte und englische Interpreten Faurés Werke hinterließen auch bei englischen Komponisten Eindruck: Bei einem der Anlässe im Frühjahr 1896 war der alles andere als frankophile Hubert Parry anwesend; er charakterisierte die Musik, die er wohl zum ersten Mal hörte, wohlwollend: „Some of it delicately and artistically good. Very sensitive stuff“.275 Bei seinen Aufenthalten baute Fauré enge Verbindungen zu Interpreten auf: Neben Wolff gehörte dazu etwa der junge Cellist William Henry Squire, mit dem er ebenfalls im Frühjahr 1896 konzertierte; 271

„Dans tous les cas, j’ai pu juger déjà que ma musique est très cultivée ici et que, personnellement, je suis considéré comme un Seigneur d’importance !“ Brief von Fauré an Marie Fauré-Fremiet, 15.3.1908. Fauré, Lettres intimes, 157. 272 „[...] drew a very large audience on Wednesday afternoon. The wisdom of devoting a whole programme to the works of one man is always a little doubtful, and it may be held that the success of the experiment varies inversely as the number of separate compositions performed.“ The Times, 20.3.1908, 19. 273 Brief von Fauré an Marie Fauré-Fremiet, 20.3.1908. Fauré, Lettres intimes, 159. 274 Bei den Broadwood Concerts am 21.3.1907 spielten es Marguerite Long und das Quatuor Capet. „This work proved interesting both thematically and from the point of view of workmanship. It is written in three movements, Molto Moderato, Adagio and Allegretto Moderato, and considering the tendency of modern composers to outrun the powers of sensibility of the generality, it must be pronounced a brief work. It opens with a well-marked smooth flowing theme given out by the strings against a piano arpeggio to which succeeds material in beautiful contrast. The Adagio is a piece of most sympathetic writing and unmistakably bears the „impressionist“ stamp.“ D. H. Y., Broadwood Concerts, in: The Musical Standard, 30.3.1907, 203. Bei den sonntäglichen South Place Concerts wurde es immerhin einmal gespielt: „Fauré’s Piano Quintet Op. 89 for example met with a cool reception in 1909 when its first performance at South Place earned ‚barely a recall“‘. Bartley, Far From the Fashionable Crowd, 125. 275 Tagebucheintrag, 30.4.1896, zit. nach Dibble, Parry, 340.

81

Zwischen Konzertsaal und Salon: Orte der Rezeption Faurés

ihm widmete Fauré zwei Jahre später die Sicilienne op. 78.276 Eine weitere ‚englische‘ Widmung erhielt die Komponistin Adela Maddison mit dem im Sommer 1898 in Wales entstandenen siebten Nocturne op. 74.277 Während dessen Pariser Zeit hatte Fauré auch Frederick Delius kennengelernt und versuchte, diesem mit einem Einführungsschreiben einen Weg in die vermögenden Liebhaberkreise Londons zu bahnen.278 An musikalischen Abenden bei Schuster und Sargent traf Fauré 1908 mehrfach auf den jungen australischen Pianisten und Komponisten Percy Grainger, der ihm das erste Nocturne sowie eigene Stücke vorspielte.279 Grainger war auch bei der Soiree mit dem Quatuor Capet anwesend und vermittelt eine emotionalere Perspektive der Zeitgenossen auf Faurés Musik, ebenso wie sein Freund Roger Quilter:280 It was absolutely heavenly, that 4tet. I was so stupid, a year ago, to think that the 1st 4tet was better; but I made an enormous mistake. I think now that there are many many places in Nr 2 that absolutely come up to the most lovely things in Tristan; without joking it is like angel’s song, a great deal of it. It seems to writhe in luscious human sensuous pain, never excessive, or energeticly passionate, but solemnly gnawingly soothingly glowing within, with calm Odin-like weltschmerz. When we get together again I must show you 276

In der Queen’s Hall präsentierte Squire im Februar 1898 erstmals „[t]hree graceful little pieces for violoncello and orchestra, by Godard and Fauré respectively“. The Observer, 13.2.1898, 6. Die aus einer früheren Schauspielmusik stammende Sicilienne arbeitete Fauré jedoch erst im April 1898 für Cello um, bevor er sie in Pelléas et Mélisande einband. Wahrscheinlich stand also die Élégie op. 24 auf dem Programm. 1925/26 machte Squire zwei frühe elektrische Tonaufnahmen von der Sicilienne sowie Papillon op. 77. 277 Fauré war in Llandough Castle zu Gast bei dem Ehepaar George und Elizabeth Swinton. Elsie (geb. Ebsworth) durchlief als Amateursängerin zwischen 1906 und 1914 eine kurze professionelle Karriere. Sie wurde 1908 bei drei Gelegenheiten von Fauré begleitet und wurde auch von Ethel Smyth geschätzt. 1897 porträtierte Sargent sie als Mrs. George Swinton. Vgl. Greer, A Numerous and Fashionable Audience, zu Fauré 89f. 278 Fauré sandte Delius im Vorfeld dessen ersten englischen Konzerts im Mai 1899 drei Schreiben für Sargent, Schuster und Lady Lewis, die Adela Maddison zufolge ihren Zweck erfüllten. Delius, A Life in Letters, Vol. I, 151 und 155. 279 „He [Fauré] was very kind and appeared to think well of the performance. I played somewhat too fast, he said; and I can very well realise that now. His manners and personality are very winning, he has the easy calm collected French manner that I like so much. However it is a little difficult for me to understand the depth in him, possibly because we cannot talk to each other, or because he belongs to a still more highly civilised people than I. He doesn’t give that impression of immediate truth and courage that the sweet little Grieg did – which one wouldn’t expect either from his music. He is, in other words, after all a man recognisably like other men. (although more gifted and of a rare lovely nature) That is, not anything so supernatural as the little Grieg. But that’s not necessary either. There was a lot of Fauré played last night, and there were tremendously lovely things among them.“ Brief von Grainger an Karen Holten, 16.3.1908. Grainger, The Farthest North of Humanness, 200. 280 F. S. Kelly, ebenfalls ein australischer Pianist und Komponist, berichtete von einem Abend, an dem er und Grainger an zwei Klavieren Faurés Klavierquartett c-Moll vor Zuhörern ausprobierten: „The first and slow movements contain delightful things melodically and harmonically but the scherzo seemed rather trivial. I did not find my way about the last movement.“ Tagebucheintrag, 26.7.1909. Kelly, Race Against Time, 138.

82

„À Londres c’est le rêve et la poésie“: Reaktionen von Skepsis bis Euphorie

some places that I am particularly in love with; by the way I can well remember your enthusiasm for the Fauré 4tets, some years ago. [...] The more I see of him, the kinder and more loveable I find him, and can better and better understand the good Sargent’s eager love of him. I don’t think he is really even in his works; it is surely seldom that he reaches so high up as in this 2nd 4tet. But he can be a great genius, sometimes, it seems to me.281 I thought them both [two quartets] entrancing and have not had an opportunity of hearing either since [in the past two years] – Fauré you see is french, and therefore the sensual & passionate is handled very knowingly & lovingly282

Bereits im Oktober 1898 lernten sich Fauré und Elgar kennen, beide dirigierten beim Leeds Festival ein eigenes Werk. Womöglich hatten sie sich bereits zuvor bei Schuster getroffen: Dafür spricht, dass Elgar in Leeds Fauré einer Lady Mary vorstellte,283 sie offenbar also nicht zuerst einander vorgestellt werden mussten, dagegen, dass das erste dokumentierte Zusammentreffen von Elgar mit seinem treuen Förderer Schuster erst im Mai 1899 stattfand.284 Schuster agierte mindestens in der Folge als Bindeglied zwischen den beiden, die ihre Musik gegenseitig sehr schätzten.285 Am 6.12.1908 organisierte er nach der Generalprobe der Londoner Erstaufführung von Elgars erster Sinfonie unter Hans Richter ein Festessen für beide Komponisten.286 Faurés zweite Englandreise dieses Jahres war mit einer Einladung zum zweiten der French Concerts in Manchester verknüpft, bei dem auch Ethel Smyth eigene Lieder dirigierte.287 Bei dem vermutlich letzten Aufenthalt auf der Insel im Juni 1914 präsentierte der junge Robert Lortat alle bisher veröffentlichten Klavierstücke in der Aeolian Hall.288 Fauré selbst spielte mit dem Bratschisten und Komponisten Frank Bridge sowie Ivor James das Klavierquartett c-Moll und erneut mit Leonora Speyer die Violinsonate.289 281

Brief von Grainger an Roger Quilter, 25.3.1908. Grainger, The Farthest North of Humanness, 202. Brief von Quilter an Percys Mutter Rose Grainger, 27.3.1908. Langfield, Roger Quilter, 76. 283 Tagebucheintrag, 6.10.1898. Elgar, Road to Recognition, 123. 284 Ebd., 177. 285 „Fauré’s new quintett [op. 89] which I heard in Paris under Ysaÿe is stunning. I almost induced him (Fauré) to promise to get sent by the Figaro to report the Birmingham Festival. He is most keen about you & begged me to send him the Apostles score. It is partly he – partly Mdme. Greffulhe who is responsible for the ‚Dream‘ [of Gerontius] being done in Paris!“ Brief von Schuster an Elgar, 4.5.1906. Elgar, Letters of a Lifetime, 199. 286 Moore, Elgar. A Creative Life, 547. Am Vorabend in der Bechstein Hall hatte Fauré Elsie Swinton bei eigenen Liedern begleitet, den Flötisten Louis Fleury in der Fantaisie op. 79. 287 Fauré spielte dort das Klavierquartett c-Moll und die Violinsonate mit Leonora Speyer (geb. von Stosch), der Ehefrau des Unternehmers und Mäzens Edgar Speyer. The Musical Times, 1.1.1909, 44. Siehe zu der Reihe S. 106ff. und zu Smyths Liedern S. 337f. 288 Lortat war Schüler von Diémer am Pariser Conservatoire. Fauré widmete ihm später sein zwölftes Nocturne op. 107. Nectoux, Fauré, 377f. 289 „The sonata is one of the best known of Fauré’s chamber works, and one could hear it many times, but when it is followed by so many other works from the same hand (the programme further included some songs, sung by Miss Germaine Sanderson), all full of melody which never cuts deep or strikes hard, but is always gracious and well-mannered, the misgivings gain weight.“ The Times, 17.6.1914, 5. 282

83

Zwischen Konzertsaal und Salon: Orte der Rezeption Faurés

Tabelle 8: Faurés Kammermusik in Konzerten englischer Interpreten, 1907–1921 Datum

Werk

24.10.1907 Son. A 13.3.1908 KlQu. c

6.4.1908

Son. A

11.6.1908 KlQu. g

16.11.1908 Son. A 23.11.1909 KlQu. c 9.12.1909 KlQu. g 2.11.1910 KlQu. g

22.11.1911 KlQu. c

16.2.1913 KlQu. c 10.12.1913 KlQu. c

17.1.1914 KlQu. c 26.1.1914 KlQu. c 23.2.1914 KlQu. c

290

weitere Werke

Interpreten (Reihe/Ort)

Presse

Debussy StrQu. g, Brahms Klaviertrio c Eduard Schütt Suite für Kl. und V. d

Winifred Gardiner, May Archiv RCM Harrison (RCM)290 Archiv RCM William Murdoch, Esther Capel-Cure, Janet Macfie, Felix Salmond (RCM) Frank Bridge Stücke für Hamilton Harty, Harrison291 MT, 1.5.1908, 326. Kl. und V. Archiv RCM Brahms Klaviertrio c Murdoch, Sidney Bostock, Frank Bridge, Salmond (RCM) Chausson Poème für Kl. Evelyn Suart, Henriette T, 17.11.1908, und V. Schmidt 12. Chausson KlQu. A Lily Henkel, Beatrice Langley, MT, 1.1.1910, Cecilia Gates, May Mukle 27. Grainger Stücke für Langley, Mukle, ? MT, 1.1.1910, StrQu. 27. T, 3.11.1910, Chopin Son. für Kl. Leonard Borwick, Jacques und Vc. g Thibaud, Bridge, Pablo Casals 10. (Classical Concert Society) Beethoven StrQu. C Percy Grainger, Maurice Sons, Obs, Bridge, Ivor James (Classical 26.11.1911, 7. Concert Society) Beethoven StrQu. C, York Bowen, Wessely Quartet MT, 1.3.1913, Dvořák StrQnt. Es 176. MT, 1.1.1914, Dvořák KlQu. Es Herbert Sharpe, Albert Sammons, Thomas Peatfield, 46. Cedric Sharpe Schubert StrQu. D, Frederick Dawson, Brodsky MG, 19.1.1914, Beethoven StrQu. e Quartet (Manchester) 10. Schumann KlQu. Es Percy Sharman (V.), ? (York) MT, 1.3.1914, 195. MT, 1.4.1914, Schubert StrQnt., York Clifton Quintet (Bristol) 260. Bowen Son. für Kl. und Va. F

Dies war vermutlich die erste Aufführung eines der Kammermusikwerke Faurés bei den 1884 begonnenen Studentenkonzerten des RCM; im Laufe eines Dreivierteljahres wurden drei vorgestellt. 291 In der 1901 eröffneten Bechstein Hall wurde mit der Sonate 1907 zum ersten Mal Fauré gespielt. 1908 erschien sie dort schon viermal auf Programmen. Vgl. zu Franck Anm. 206.

84

„À Londres c’est le rêve et la poésie“: Reaktionen von Skepsis bis Euphorie

Datum

Werk

23.6.1914 KlQu. c 13.2.1915

27.10.1915

19.2.1916 13.3.1916

8.12.1916

Ende 1916

weitere Werke

Adam Carse Streichtrio, Dunhill KlQu. h KlQu. c Debussy StrQu. g, Brahms Son. für Kl. und Va. KlQu. ? Chausson KlQu. A, Pierné 2 Sätze für StrQu. Son. A Haydn StrQu. D, Schubert StrQu. d KlQu. c Ravel StrQu. F, Jean Huré Son. für Kl. und Vc. fis KlQu. c Schumann KlQnt. Es, Waldo Warner Phantasy für StrQu. D KlQnt. d Franck Son. A

27.1.1917 Son. A 13.7.1917 KlQu. c

15.11.1917 KlQu. g

30.1.1918 KlQu. c

6.11.1918 Son. A 25.6.1919 Son. e 5.1.1920

Son. A

6.1.1921

KlQu. g

Interpreten (Reihe/Ort)

Presse

Thomas Dunhill (Kl.), May MT, 1.8.1914, Mukle (Vc.), ? 541. Ethel Hobday, British String Ath, 20.2.1915, Quartet 173. „Mmes“ Eaglefield Hull, Vanner, Clayton, Beanland, Temperton (Huddersfield) Max Mayer, Brodsky (Manchester) Herbert Parsons (Kl.), Percy Lewis (Vc.), ? (Bristol)

MT, 1.12.1915, 750. MG, 21.2.1916, 10. MT, 1.4.1916, 210.

Benno Moiseiwitsch, London DT, 9.12.1916, String Quartet 7.

MT, 1.1.1917, Parsons, Marie Faulkner Adolphi, Hilda Barr, Alfred 37. Best, Lewis (Bristol) Franck Son. A, Grieg Julian Rosetti, J. G. Burnett MT, 1.3.1917, Son. c (Edinburgh) 134. John Ireland Klaviertrio Murdoch, Sammons, Bridge, MT, 1.8.1917, Salmond 374. e, Bridge Son. für Kl. und Vc. d, Debussy Son. für Kl. und V. Bridge Phantasy KlQu. Geoffrey O’Connor-Morris, ST, 18.11.1917, Rhoda Backhouse, Bridge, 4. Salmond Herbert Johnson, Alexander MT, 1.3.1918, William Hurlstone 135. Cohen, Lily Simms, Alfred KlQu. e, Schumann Hemingway (Leeds) KlQu. Es Dunhill Son. F, Grieg Dunhill, Nancy Phillips MT, 1.12.1918, Son. G 561. Bach, Brahms Son. d Irina Meyrick, Marjorie Ath, 4.7.1919, Gunn 565. Samuel Midgley, Albert E. MT, 1.2.1920, Richard H. Walthew 132. Trio mit Klar., Ireland Dunford (Bradford) Son. d Bridge Phantasy KlQu., Murdoch, Sammons, Lionel T, 8.1.1921, 8. Beethoven Streichtrio c Tertis, Salmond

85

Zwischen Konzertsaal und Salon: Orte der Rezeption Faurés

Trotz Faurés regelmäßiger Besuche und des teils enthusiastischen Empfangs bei privaten Konzerten dauerte es einige Zeit, bis sich dessen Kammermusik im Repertoire auch der englischen Interpreten etablierte. Bei Gastspielen französischer bzw. belgischer Musiker blieb vor allem die Violinsonate beliebt, etwa bei Théophile und Eugène Ysaÿe (1896), Risler und Valerio Franchetti (genannt Oliveira, 1903) sowie Blanche Selva und Jeanne Diot, die 1907 bei ihrer Reihe von Rezitalen eines den Sonaten von Fauré, Franck und d’Indy widmeten.292 Im Dezember desselben Jahres, bei der ambitionierten Englandtournee des Quatuor Willaume und Ricardo Viñes’, stand Faurés Klavierquartett c-Moll neben jenem Chaussons und den Streichquartetten von Debussy und Ravel (siehe Kapitel 3.1). In ein solches Programm eingebettet, trat die Modernität von Faurés Musik auf eine neue Art und Weise in Erscheinung, da er nun – wie Franck, aber im Gegensatz zu Saint-Saëns, mit dem er sonst oft verglichen wurde – als Wegbereiter der jungen Generation angesehen werden konnte. Von den programmatisch auf moderne französische Musik ausgerichteten Gastspielen angeregt, aber sicherlich auch unabhängig davon eine Erweiterung des Repertoires anstrebend, nahmen englische Interpreten zunehmend französische Musik in ihre Programme auf. Eine Auswahl von Konzerten stellt Tabelle 8 zusammen. Sie zeigt, dass dieses Repertoire auch in größeren und kleineren Städten jenseits von London gepflegt wurde. Während Fauré in den 1890er-Jahren, etwa bei den Popular Concerts, meist an der Seite von deutschen Klassikern eingeführt wurde, waren nun Programme mit rein französischem Programm nicht mehr außergewöhnlich. Dabei nahm Faurés vierzig Jahre altes erstes Klavierquartett c-Moll die Stelle eines ‚modernen Klassikers‘ ein.293 Auffällig ist zudem die häufige Kombination mit jungen englischen Komponisten, die wie Bridge oft auch als Interpreten mit der französischen Musik vertraut wurden. Auch nach dem Ende des Ersten Weltkriegs blieben die älteren Werke Faurés in den Konzertprogrammen präsent, dazu kamen eher seltenere Aufführungen des Spätwerks. Das profilierte Klavierquartett-Ensemble The Chamber Music Players mit dem australischen Pianisten William Murdoch und den Engländern Albert Sammons, Lionel Tertis und Felix Salmond gab 1921 seine Premiere mit Bridge und Fauré; Letzterer stand auch beim zunächst letzten Konzert des Ensembles 1936 auf dem Programm.294

292

Musical News, 20.6.1896, 581; The Musical Standard, 27.6.1903, 409; The Athenaeum, 30.11.1907, 698. Siehe zu den Rezitalen von Selva und Diot Anm. 453. 293 Der Komponist Thomas Dunhill charakterisierte es 1913 als „[one] of the very finest pianofortequartets of modern times [... which] will not suffer by comparison even with the masterpieces of Brahms.“ Dunhill, Chamber Music. A Treatise for Students, 221. Siehe zum Begriff des ‚modernen Klassikers‘ S. 223. 294 Drei der vier Musiker hatten schon 1908 während ihrer Studienzeit am Royal College of Music Werke von Fauré präsentiert. Später waren sie auch Elgar eng verbunden und zeichneten 1919 für die frühen Aufführungen seiner Kammermusik verantwortlich. Bei Hauskonzerten von Salmond wurde neben Elgar, Brahms und Beethoven etwa 1919 und 1921 auch Fauré gespielt. Elgar, The Windflower Letters, 270 und 299. Siehe zum Ensemble White, Tertis, 43–53.

86

„Music of friends“: Salonmusik und das Spätwerk

2.2 „Music of friends“: Salonmusik und das Spätwerk Die verstärkte Präsenz von Faurés Musik verlangte eine elaboriertere kritische Auseinandersetzung. Dabei war der Bezug auf dessen Position im Verhältnis zu jüngeren Komponisten wie Debussy ein neuer Aspekt, während negative Topoi der früheren Jahre wie der Vorwurf mangelnder Tiefe und musikalischer Gleichförmigkeit weiterhin vorgebracht wurden. In der Saturday Review wurde das ambitionierte französische Gastspiel Ende 1907 ausführlich besprochen. Arthur Symons, der als Dichter und Essayist maßgeblich für die Verbreitung des Symbolismus in England während der 1890er-Jahre verantwortlich gewesen war, pries die Musik von Chausson und Debussy (im Gegensatz zu Francks und Ravels) hymnisch, urteilte hingegen über deren Vorgänger knapp: „Fauré has a small and pretty talent, which will go to the way of the stronger but not permanent talent of Saint-Saëns.“295 Für Symons ebenso wie für seinen Kollegen John F. Runciman, der auch Franck vernichtend beurteilt hatte (siehe S. 64), gehörte Faurés charmante Musik in den Salon und entsprach nicht den intellektuellen Anforderungen seriöser Kammermusik. Demgegenüber machte George H. Clutsam angesichts des neuesten Liederzyklus Le jardin clos op. 106 (1914) darauf aufmerksam, dass Fauré neben der jüngeren Generation womöglich ungerecht beurteilt wurde. [...] for if Fauré, for example, vanishes away into a thin mist at the starry coming of Mozart [vgl. Shaw auf S. 72], is not that one way of realising the truth about one’s contemporaries? I choose the name of Fauré, for I have been hearing a great deal of his music lately, not without some impatience; and I find myself wondering why this music which seems to me so trivial should seem to be really good music to people really musical. I speak of England, for his time, though not past, is passing. There, Debussy is taking his place: will he before long do so in England? I hope so, and there seem signs of its probability. It is true that the influence of Fauré is to be traced in some of the music of Debussy, but so, to take a more notable example, was the influence of Liszt visible in the music of Wagner. Yet just as Wagner transformed a very pretty air of Liszt into the delirious and enchanting cadences of the flower-maidens in „Parsifal“, so, on his smaller scale, Debussy does over again, very much better, what he may have learnt from Fauré or another. Prettiness, which more than occasionally defines some of the music of Liszt, though there, in that music, are far other worlds beyond it, is precisely the epithet which best qualifies the main part of the music of Fauré. Take for instance the Quartett in C minor, which one hears so often. I heard it at the last concert of the very interesting Concert Club, and I would not like to judge it by that performance, in which the first violin shrieked down the more temperate voices of piano, viola and cello. But I have heard it done delicately, and though I liked it better, I have never been able to take any serious pleasure in its prettiness, so empty, or in the faint feebleness of its charm. Charm of a kind, if you like, the charm of artificial flowers; drawing-room music which everyone finds it easy to like. Yes, that is it, it is easy to mistake this music 295

Symons, French Music in London, 724.

87

Zwischen Konzertsaal und Salon: Orte der Rezeption Faurés

for good music; it is so sweet and swift and ornamental, like a primrose-coloured bird fluttering in a cage; it chirps, inside gilded wires.296 Mr. Gabriel Fauré is one of the most gifted of the French school of composers. His position may be roughly described as midway between Saint-Saëns and Debussy or Ravel. But the people who regard music as frivolous want music to be frivolous; and they take good care to pay for what they want, and even better care not to pay for what they don’t want. So, early in life, M. Fauré turned his back on serious music and set his face in the direction of the other sort. Result: a large quantity of stuff which it is safe to predict he will outlive, and a few serious attempts made after he had ruined his style and his pen. [...] Lately his pupil, Mr. Lortat, has given a series of recitals entirely devoted to music that makes no pretence to high aim. I attended two of these; but, so far as getting a knowledge of Fauré’s earlier and later styles is concerned, I might as well have stayed away from the second. Each concert was enjoyable enough by itself; but two I found monotonous, and a third would have been intolerable. The best that can be said of such music is that it is charming. [...] The audience at these Fauré „festivals“ were wildly enthusiastic and demonstrative. This is just what I expected. The many ladies and few gentlemen who attended wanted music of an agreeable and harmless sort, making no demand on the intellect or the emotions, and they got it.297 A fine cycle of songs by Gabriel Fauré, entitled „Le Jardin Clos,“ revealed its composer at his best, and the delicate art and happy harmonic compromise between the modern and supramodern (for want of better terms) led one to think that perhaps in the turmoil of innovation M. Fauré has been rather unduly neglected as a supreme artist in his own particular genre.298

Die Forschung hat Faurés Rolle als prototypischer ‚Salonkomponist‘ nicht bestritten, sondern versucht, den pejorativen Beigeschmack dieser Charakterisierung zu überwinden.299 Hervé Lacombe machte mit Bezug auf Jann Pasler darauf aufmerksam, dass (oft als feminin wahrgenommene) Eigenschaften wie Charme, Eleganz und Grazie im Frankreich der Dritten Republik wieder stärker wertgeschätzt wurden, auch wenn Debussy – ähnlich den zitierten englischen Kritikern – Fauré 1903 abschätzig als „Maître des Charmes“ betitelte.300 Elgar wurde auf vergleichbare Weise abwertend mit Salonkultur verknüpft: But Elgar, till he was considerably over thirty years of age, was known chiefly by, so to speak, ‚smart society‘ music – the Salut d’amour kind of production that seeks and 296

Arthur Symons, On Some Modern Music, in: The Saturday Review, 7.3.1908, 297f. Die Rezension behandelte die fünf Konzerte von Thomas Beechams New Symphony Orchestra mit primär englischer (Delius, Joseph Holbrooke, Granville Bantock) und französischer Musik (Franck, Fauré, Debussy) – neben Mozart. 297 John F. Runciman, “Frivolous” Music, in: The Saturday Review, 18.7.1914, 75f. 298 G. H. C. [George H. Clutsam], Société des Concerts Français, in: The Observer, 13.6.1915, 14. 299 Vgl. Kahan, Patrons and Society; Tardif, Fauré and the Salons; Ross, Music in the French Salon. 300 Lacombe, Keys to the Ineffable in Fauré, 43–46.

88

„Music of friends“: Salonmusik und das Spätwerk

finds its reward in the West End drawing-room, clever and shallow and artistically quite unpromising; and even in the days of his high fame, he has had (at any rate for a time) the heavy millstone of aristocratic fashionableness hanging round his neck, and may over and over again well have prayed to be delivered from his friends.301

Es erschwerte die stilistische Einordnung Faurés, dass dessen gespielte Werke knapp dreißig Jahre und älter waren: Zwischen dem zweiten Klavierquartett g-Moll (1886) und der zweiten Violinsonate e-Moll op. 108 (1917) entstand nur das kaum präsente erste Klavierquintett. So ergab sich eine ähnliche Situation wie bei Saint-Saëns, dass ein lebender Komponist vor allem mit seinen frühen Werken verbunden wurde – auch wenn Faurés ältere Musik zweifellos noch als ‚modern‘ galt (siehe Anm. 264). Die zweite Violinsonate (Harold Samuel und Désiré Defauw spielten diese nur einen Monat nach der Pariser Uraufführung Ende 1917) sowie die beiden Cellosonaten opp. 109 und 117 (1917 und 1921) wurden in England zwar vorgestellt, aber kaum gespielt. Evans ebenso wie der Amateurviolinist Cobbett zeigten sich von der neuen Violinsonate enttäuscht: [...] its interest is more academic, though there is a touch of the old Fauré in the slow movement.302 Even Gabriel Fauré, whose first Violin and Pianoforte Sonata is so full of gracious beauty (it has frequently been played within these walls) has produced a second Sonata which no doubt is of interest to musicians, but alas! of unrelieved dullness from end to end.303

Das Spätwerk traf jedoch keineswegs nur auf Unverständnis. Die Besprechungen der drei letzten Werke – des zweiten Klavierquintetts c-Moll op. 115 (1921), des Klaviertrios d-Moll op. 120 (1923) und des Streichquartetts e-Moll op. 121 (1925) – zeigen, dass die eigenwillige Ästhetik Faurés zumindest von einem Teil der Kritiker anerkannt und wertgeschätzt wurde. Das Streichquartett erlebte seine englische Erstaufführung, erst die zweite überhaupt, in privatem Rahmen in Schusters Landhaus The Hut (nun „Long White Cloud“ genannt). Auf dem Programm des Music Society Quartet (später International String Quartet) mit André Mangeot und John Barbirolli standen auch Faurés Klaviertrio und Ravels Streichquartett. Beide Musiker hatten das Trio zwei Jahre zuvor schon erstaufgeführt. Die öffentliche Premiere des Quartetts folgte wenig später bei der Music Society in London. Alfred Cortot gab dort Klavierstücke von Ravel und Debussy und führte Francks Klavierquintett an (siehe Abbildungen 1 und 2). Faurés’s quintet is a gorgeous piece of sound. The part-writing is very full almost throughout, as usual, and entirely subservient to the graceful melodies. Of all Frenchmen, he seems to be the stanchest in upholding the Greek ideal of the mean, the least affected by either 301

Walker, A History of Music in England, 304; vgl. Fuller, Elgar and the Salons, 241. Siehe Anm. 316 für Sassoons Verteidigung von Elgars distinguierten Freunden. 302 E. E. [Edwin Evans], New Fauré Sonata, in: Daily Mail, 21.12.1917, 5. Siehe aber auch Anm. 318. 303 [Cobbett], Cobbett on Chamber Music [1922], 56.

89

Zwischen Konzertsaal und Salon: Orte der Rezeption Faurés

fashion or antiquarianism. His main characteristic is his method of colouring the key; he does not deliberately use the modes, to do which would be too much of a pose for him; but employs the same sort of daring modifications of key as we find in Bach and Handel before its classical use had been established. This imparts to his music the character of a voyage autour de ma chambre, a series of exciting discoveries among the everyday things that most of us take for granted.304 M. Faurè [sic] achieves much – clearness, distinction, persuasive eloquence, and scholarship are his. But with all this he gives a feeling of self-imposed restraint that somehow does not seem quite natural. One felt as if good breeding and good manners forbade him to touch the more substantial ingredients of music; self-denial appeared to be carried a little farther than can be done without endangering the healthy flow of life.305 It is a work that will be welcomed amongst the more skilled amateurs and by performers generally. The public at large, I fancy, will be less eager to accept it for the reason that it gives greater pleasure to the performer than to the listener. [...] Construction counts much more for the listener than for the performer, and the construction of the Quintet is not its strongest feature. M. Fauré, it is known, takes his stand half-way between the modernists and the conservatives. From this point of vantage he is undoubtedly in a position to avoid the errors of both. But there is also the possibility of his falling between two stools. His music, it is true, is free from whimsicalities and platitudes, but also lacks occasionally stimulus and ease.306 It [the Trio] is a beautiful work, singularly limpid, and in its sentiment and craftmanship the height of refi[n]ement.307 The intimate conditions of the Tufton Street concerts favoured the new composition [the String Quartet]. Fauré’s music has never won anything like its Paris vogue in the outside world, and when we ask why, we find one reason in that it was so beautifully designed to harmonize with the local circumstances of music-making. His chamber music is indeed for the chamber. And he wrote for listeners who were willing to be charmed but not harangued. Fauré’s sentiment in his songs is often declared here to be ‚artificial‘ or ‚too scented.‘ But let us consider the society in which these songs were to live – not the earnest German middle-classes for whom the great German lieder-composers wrote, but a more sceptical, more fastidious, more limited, more lightly musical world – and we shall see better how exquisitely his art shaped itself. Most concert-rooms are too big for Fauré. Yet it sounds like disparagement to call his a ‚drawing-room music.‘ It is that: but of what a cultivated, elegant, sensitive drawing-room!308 304

Das zweite Klavierquintett spielten Alfred Cortot und das Allied String Quartet (Désiré Defauw, Charles Woodhouse, Lionel Tertis, Emile Doehaerd) bei der Classical Concert Society. The Times, 3.11.1921, 7. 305 The Daily Telegraph, 3.11.1921, 9. 306 F. B. [Ferruccio Bonavia?], Violin and Chamber Music, in: The Musical Times, 1.12.1921, 841. Zur Erstaufführung hieß es nur: „[The Quintet] caused no pulse to quicken.“ Ebd., 847. 307 Bei der Music Society spielten Yvonne Arnaud, André Mangeot und John Barbirolli Faurés Klaviertrio. R. C. [Richard Capell], Last Night’s Concerts, in: Daily Mail, 12.12.1923, 7. 308 C., Fauré’s Posthumous Quartet, in: The Musical Times, 1.12.1925, 1123.

90

„Music of friends“: Salonmusik und das Spätwerk

Ende 1925, ein Jahr nach Faurés Tod, war die Kritik des Streichquartetts bereits von einem retrospektiven Blick geprägt. Wie Copland und die frühe Forschung konstatierte der Rezensent eine wenig fruchtbare Rezeption außerhalb der französischen Hauptstadt – welch ein Kontrast zu den Beschreibungen des begeisterten Empfangs etwa bei Faurés Londoner Besuch im Frühjahr 1896. Den gängigen Topos der Salonnähe griff er zwar auf, um ihn allerdings gleichzeitig ins Positive zu wenden. In eine ähnliche Richtung ging die Bemerkung über das zweite Quintett, es sei vor allem für die Interpreten geschrieben, weniger für das breite Publikum. Diese Charakterisierung bietet eine mögliche Erklärung für die paradoxe Situation, dass Faurés Musik gleichzeitig – in den Privaträumen der Freunde und Förderer wie Schuster und Sargent – auf anhaltenden Enthusiasmus stieß und – in öffentlichen Konzerten, neben den verehrten Klassikern – wenig Begeisterung erregte und nie an die Position Brahms’ oder Dvořáks heranreichen konnte. Seine Musik schien dem Ideal einer ‚Hausmusik‘ offenbar besonders nahezukommen: Die Klavierquartette zeigen sowohl Elemente, die an eine gehobene Salonmusik gemahnen (ausgeprägte Kantabilität der prägnanten Themen, an reiner Klanglichkeit orientierte Unisonopassagen, von Arpeggien geprägte Klavierbegleitung),309 als auch solche, die den Bezug auf traditionelle, ‚seriös gearbeitete‘ Kammermusik sicherstellen (polyphon geführte Streicherstimmen, motivische Vereinheitlichung durch Verknüpfung der Intervallstrukturen von Thema und Begleitung im ersten bzw. auch über Satzgrenzen hinweg im zweiten Klavierquartett).310 Die Musik greift so das für das Gespräch im Salon charakteristische Wechselverhältnis von Konvention und Nuance auf. Fauré übertrug die äußeren Bedingungen der musikalischen Praxis in innermusikalische Prinzipien.311 Die Vorstellung von Kammermusik, die die Spieler in intimem Rahmen vor allem zu ihrem eigenen Vergnügen pflegen, ohne auf Zuhörer angewiesen zu sein, stammt aus dem späten 18. Jahrhundert, war aber auch den Zeitgenossen um 1900 keineswegs fremd. Der Komponist Richard H. Walthew prägte in dieser Zeit den Begriff der „music 309 „The longer movements of the Sonata and Quartet had a quality more lyrical, a running stream of accompaniment, [...], and yet was something quite different and finer than the baneful moto perpetuo, just because it is lyrical while that is not. It is equally superior to the insistent accompaniment figure which marks salon music off from chamber music, because in M. Fauré’s music this flowing movement is more a part of the lyrical stream itself, is itself melodic more than harmonic.“ S. L. [Samuel Langford], The French Concerts, in: The Manchester Guardian, 1.12.1908, 7. 310 „[...] the prominent features [des g-Moll-Quartetts] are extensive employment of the strings in unison and, as the annotator reminds his readers, ‚a decidedly polyphonic method where the strings act indepedently.‘“ A. M., The Popular Concerts, in: The Musical Standard, 19.1.1901, 45. Pointiert fasste auch Carl Dahlhaus die Faktur von Faurés Quartetten zusammen: Erst durch reflektierendes Hören erkenne man den subtilen Tonsatz, den engen Bezug zwischen Melodik und Satztechnik und somit mehr als „kantable[] Phrasen über einem zerfließenden, bunt changierenden Klanggrund“. Dahlhaus, Die Musik des 19. Jahrhunderts, 243. Vgl. zur motivischen Vereinheitlichung die Übersichtsdarstellung Jones, Nineteenth-Century Orchestral and Chamber Music, 60–65. 311 Kabisch, Musik im Salon.

91

Zwischen Konzertsaal und Salon: Orte der Rezeption Faurés

Abbildung 1: Programmzettel der privaten Erstaufführung von Faurés Streichquartett, 1925 (André Mangeot Collection, Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Royal College of Music, London)

92

„Music of friends“: Salonmusik und das Spätwerk

Abbildung 2: Programmzettel der öffentlichen Erstaufführung von Faurés Streichquartett, 1925 (André Mangeot Collection, Royal College of Music, London) 93

Zwischen Konzertsaal und Salon: Orte der Rezeption Faurés

of friends“.312 Als Pianist war Fauré offenbar in der Lage, seinen Rezitalen den der intimen Atmosphäre abträglichen Konzertcharakter zu nehmen.313 Für die Zuhörer und Musiker, die Fauré persönlich erlebten, trug seine charmante und einnehmende Art zweifellos zur Popularität seiner Musik bei (siehe die Kritiken in Anm. 258 und 270). Fauré selbst war der Ansicht, sinfonische und Kammermusik seien die aufrichtigsten Formen der Wiedergabe einer Persönlichkeit.314 Liebhaber der privaten Kammermusikpflege, zu denen viele der genannten professionellen Interpreten gehörten, blieben Fauré auch nach der Zeit seiner regelmäßigen Besuche treu. In England prägte diese naturgemäß schwieriger einzusehende Sphäre das Musikleben in nicht geringerem Ausmaß als in Frankreich, wo Faurés Erfolge lange auf die Salons beschränkt geblieben waren.315 Auf die zahlreichen halb-öffentlichen ‚At Home‘-Konzerte in den 1890er-Jahren wurde bereits verwiesen. Die renommierten Popular Concerts wurden 1904 eingestellt, doch blühte die Kammermusik in kleineren Sälen und Privaträumen auf und konnte sich dabei auf einen wachsenden Kreis von Liebhabern und Amateurmusikern stützen (siehe Kapitel 5.1). Diese intimen Bedingungen scheinen eine Faurés Musik angemessenere Rezeptionshaltung gefördert zu haben. Auch Elgar war mit solchen Kreisen eng verknüpft, sein Streichquartett und Klavierquintett wurden im April 1919 in Schusters Haus am St. James’s Park vor ausgewähltem Publikum uraufgeführt (siehe S. 346f.).316 Insbesondere Schuster und Sargent waren entscheidende Figuren nicht nur für Faurés Einführung in diese Sphäre, sondern in der Konsequenz auch für die Verbreitung und steigende Wertschätzung seiner Musik in England (siehe zu Graingers Würdigung von 312

Walthew, The Development of Chamber Music, 42. Diese Definition griff Evans 1934 auf. Evans, Chamber Music, 343. Einer neueren Studie über Mozart diente sie als Anregung. Klorman, Mozart’s Music of Friends, 4. 313 „Not the least of the merits of M. Gabriel Fauré’s share of the evening’s programme was the quiet, unassuming efficiency of his work at the piano. It effectually dispelled the concert atmosphere so fatal to a thorough enjoyment of chamber music, and placed him at once on intimate terms with his audience.“ Manchester Courier, 1.12.1908 (NLW MS 22695D). 314 „Je te remercie de ce que tu me dis de ce nouvel essai dans la musique de chambre [Klavierquintett d-Moll]; tu as raison d’apprécier le genre comme tu le fais. C’est bien là, avec la musique symphonique, la véritable musique et la traduction la plus sincère d’une personnalité.“ Brief von Fauré an Marie FauréFremiet, 27.8.1903. Fauré, Lettres intimes, 77. Zur Bedeutung von „sincerity“ für die künstlerische Ästhetik Faurés vgl. das erste Kapitel in Caballero, Fauré and French Musical Aesthetics. 315 So bekannte er im Rückblick: „J’ai eu de bons amis, et quand on est ignoré du grand public, on est heureux d’être compris de quelques-uns.“ Roger Valbelle, Entretien avec M. Gabriel Fauré, in: Excelsior, 12.6.1922, 2. 316 „There is no doubt that a beautiful music-room, filled with an audience of the very elect, is the ideal place in which to hear chamber music.“ Pall Mall Gazette, 28.4.1919, zit. nach Moore, Elgar. A Creative Life, 740. Diese Verbindungen abschätzig betrachtenden Stimmen trat Sassoon entgegen (siehe auch Anm. 250): „You may say that it was merely his [Frank Schuster’s] wealth which enabled him to have Kreisler trying out the Elgar Violin Concerto with the composer, at his house in Old Queen Street. But the fact remains that such men as Schuster have often been the godfathers of musical masterpieces.“ Sassoon, Diaries 1920–1922, 294.

94

„Music of friends“: Salonmusik und das Spätwerk

Sargent Anm. 249). Nachdem Schuster von Faurés Tod erfahren hatte, fuhr er nach Paris, um dessen Requiem hören zu können; die englische Premiere sollte Nadia Boulanger erst 1936 leiten.317 Am 9.6.1925 organisierte er ein Gedenkkonzert in der Wigmore Hall, bei dem die renommiertesten englischen Künstler mitwirkten: Die Chamber Music Players (Murdoch, Sammons, Tertis und Cedric Sharpe) spielten beide Klavierquartette; Eugene Goossens, Roger Quilter, Landon Ronald und Daisy Bucktrout begleiteten Lieder von Kirkby Lunn, Olga Lynn, Anne Thursfield und Mark Raphael; Tertis und Henry Wood spielten die Élégie und Cortot die Thème et variations.318 Neben Personen der höheren Gesellschaft waren die Botschafter aus Frankreich, Italien und Österreich anwesend; Sargent hingegen war im April verstorben, er hatte offenbar am Tag seines Todes den Scheck der Konzertsubskription unterschrieben.319 Dass der Anlass eine öffentliche Angelegenheit wurde, könnte man als Zeichen des schleichenden Niedergangs der privaten Musikwelt deuten,320 doch erlebte noch im selben Monat in Schusters Landhaus Faurés Streichquartett seine englische Erstaufführung. Schuster hatte auch Elgar wegen des Gedenkkonzerts kontaktiert; dieser dirigierte jedoch am gleichen Tag die Enigma-Variationen. In mehreren Briefen an seinen Förderer drückte Elgar sein Bedauern darüber aus, dass Fauré in einem Umfeld, das durch Interpreten wie Joachim lange von deutschen Paradigmen dominiert wurde, völlig marginalisiert worden sei: I was very sad over Fauré’s death – he was such a real gentleman – the highest type of Frenchman & I admired him greatly. His chamber music never had a chance here in the good old Joachim days I fear; I may be wrong but I feel that it was ‚held up‘ to our loss.321 I thought Fauré’s friends might have done something for his music during his lifetime & not waited until it is quite safe to do so.322 Of course I will come to the concert but at this moment I do not know the time the Varns. [Variations] come on at Queen’s Hall. When I wrote to you [...] I had in mind the long 317

Boult, My Own Trumpet, 73. Im folgenden Jahr bat Schuster Elgar um Unterstützung, es in England aufführen zu lassen; dazu kam es nicht. Elgar, Letters of a Lifetime, 435. Die späte Premiere hatte auch konfessionelle Gründe. Adams, Lux aeterna, 113. 318 In einer kurzen Einleitung im Programmheft formulierte Evans zur Kammermusik: „Many of the other works were composed towards the end of his life, when the prevailing taste favoured less reserved modes of expression, and it may be some time before they share the popularity of their predecessors.“ (Wigmore Hall Archive) „It is rare to find a composer who takes up his musical heritage exactly as it comes to him and then manages to put his own distinctive mark on everything he does with it. [...] his string music makes player and listeners feel equally at home.“ The Times, 12.6.1925, 14. Die Einnahmen des Konzerts sollten einem Fauré-Denkmal in Paris zugute kommen. The Times, 8.6.1925, 12. 319 So berichtete es Sassoon, der auch unter den Zuhörern war: „An exquisite concert of almost too refined music.“ Sassoon, Diaries 1923–1925, 233 und 258. 320 „In the old days Schuster might have made this a private party for distinguished friends. Post-war economics now dictated that it be a public affair.“ Elgar, Letters of a Lifetime, 438. 321 Brief von Elgar an Schuster, 15.11.1924. Ebd., 435. 322 Brief von Elgar an Schuster, 19.5.1925. Ebd., 438.

95

Zwischen Konzertsaal und Salon: Orte der Rezeption Faurés

years of neglect of F.s great chamber music; under the German domination I do not recall the performance of anything on a large scale of Fauré’s & as far as I can resent anything – which is not far – I resented such neglect.323

Elgars persönlicher Eindruck lässt sich nach der vorangegangenen Darstellung differenzieren bzw. abschwächen. Der Prozess einer sukzessiven Abkehr von deutschen hin zu französischen Leitbildern in der Kammermusik hatte bereits eingesetzt. Aus Edward Lockspeisers Perspektive der 1950er-Jahre nahm dennoch erst eine spätere Generation englischer Komponisten die Qualitäten Faurés auf, dessen Werk als Verbindung der beiden Länder betrachtet werden könne: Though he was born over a hundred years ago and was a frequent visitor to this country, it is only in the last generation or so that English musicians have felt an affinity with the essentially sobre qualities of his music. Certain works of Vaughan Williams and also of Berkeley and Britten show, not an influence of Fauré, but, as we now see, similar standards of modesty, sensitiveness, and understatement. Somehow the musical civilizations of England and France seem to find a bridge in the work of Fauré.324

323 324

96

Brief von Elgar an Schuster, 30.5.1925. Ebd. Lockspeiser, French Chamber Music, 371.

3 Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

3.1 Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“ Musicians know full well the debt they owe to the Société des Concerts Français. Many and many a lover of modern French music in London owes at least his or her first knowledge of that music to the wonderful performances given in the Wigmore Hall and elsewhere, while many of us made our first personal and practical acquaintance with such composers as M. Ravel and M. Florent Schmitt under the auspices of the société.325

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war französische Kammermusik im englischen Konzertleben keine Randerscheinung mehr. Dennoch markierten die Jahre ab 1907 eine beträchtliche Weiterentwicklung sowohl hinsichtlich der Bandbreite des neu zu entdeckenden Repertoires als auch des Stellenwerts des bereits bekannten. Wie die Aufführungsübersichten für Franck und Fauré zeigen, erschienen deren Werke nun regelmäßig auf den Konzertprogrammen, auch englischer Interpreten. Parallel lernte das Publikum in Großbritannien die jüngere (Schüler-)Generation kennen: Die Einführung der Kammermusik von Chausson, Debussy, Roussel, Lekeu, Schmitt, Ravel und vielen anderen ging dabei wesentlich auf die systematische Initiative einzelner Personen zurück. Zunächst unabhängig von bestehenden Konzertveranstaltern agierend, verfolgten diese mit einer gezielten Programmpolitik die konkrete Zielsetzung, die moderne französische Schule in ihrer ganzen Breite zu präsentieren. Schon in den 1890er-Jahren ließen sich bei dem Geiger Johannes Wolff, der französische Komponisten und Interpreten für Erstaufführungen nach London gebracht hatte, und bei Fanny Frickenhaus und René Ortmans eine zunehmende Institutionalisierung bei der Vorstellung französischer Kammermusik feststellen, doch wurde dieser Ansatz nun auf eine neue Stufe gehoben. Für die Untersuchung der Ursprünge der Société des concerts français, wie die Londoner Vereinigung sich nannte, ist man weitgehend auf die Darstellungen ihrer führenden Akteure angewiesen: Die Essaysammlung La musique française d’aujourd’hui (1916) des französischen Kritikers und homme de lettres G. Jean-Aubry erschien drei Jahre später in der Übersetzung von Edwin Evans mit einem neuen Kapitel „French Music in

325

Legge, Anglo-French Society, 3.

97

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

England“.326 Daneben sind Evans’ Vorwort und weitere Artikel Jean-Aubrys ab 1909 grundlegende Quellen für die Geschichte der Société, die mit Pressezeugnissen und Programmheften abgeglichen werden können.327 Jean-Aubry hatte 1906 den Cercle de l’Art moderne in der Küstenstadt Le Havre mitgegründet.328 Als lokales Forum für die Avantgarde in Musik, Dichtung und Malerei veranstaltete dieser Vorträge, Ausstellungen und Konzerte, meist mit Beteiligung der Komponisten.329 Evans beschrieb den Cercle als Keimzelle der folgenden Unternehmungen in England: It is in the musical section of this undertaking that will be found the germ of the Société des Concerts Français, by means of which his [Jean-Aubry’s] brother-in-law, M. T. J. Guéritte, has done so much to further the knowledge of modern French music in England.330

Tatsächlich waren in Le Havre mit dem Pianisten Ricardo Viñes, dem Quatuor Willaume sowie den Sängerinnen Hélène M. Luquiens und Jane Bathori(-Engel) genau die Künstler involviert, die auch die ersten Konzerte der Société in England bestritten. Als Verbindung über den Kanal fungierte Alfred Tony Jules Guéritte (1875–1964), der in seiner beruflichen Tätigkeit als Ingenieur 1899 nach Newcastle gekommen war,

326 Jean-Aubry, French Music of To-day, 237–258. Der Text war zuerst 1916 auf Französisch erschienen: Jean-Aubry, La musique française en Angleterre. Siehe zu beiden Kritikern Kapitel 4.1. 327 Ebd.; Jean-Aubry, Some Recollections of Debussy. 328 Vgl. die unveröffentlichte kunsthistorische Dissertation Lefebvre, Le cercle de l’Art Moderne. Es gibt noch keine Darstellung des Cercle aus musikwissenschaftlicher Perspektive. In Lexika wird stets eine unterschiedliche Auswahl an Gründern genannt: Beteiligt waren offenbar auch die Komponisten André Caplet und Henry Woollett sowie die Maler Othon Friesz und Raoul Dufy, die alle aus Le Havre stammten. Jean-Aubry fungierte als „secrétaire“ bzw. „spiritual director“ der bis 1910 aktiven Vereinigung. Huneau, André Caplet, Bd. 1, 352f.; Mouren, Jean-Aubry, 153. Er selbst formulierte: „Du Havre, où j’avais avec Friesz l’année précédente [1906] fondé le Cercle de l’Art Moderne pour tenter de sortir des sentiers battus mes concitoyens momentanés, je venais de temps à autre à Paris : j’y avais déjà visité Claude Debussy, rencontré Vincent d’Indy, et par Ricardo Viñes connu Ravel [...]; et André Caplet que j’avais connu au Havre presque au sortir de mon enfance m’avait déjà fait connaître Florent Schmitt.“ Jean-Aubry, Une première rencontre, 16. 329 Das erste Konzert im Frühsommer 1906 präsentierte Guy Ropartz’ erste Cellosonate und d’Indys Klarinettentrio. Ende 1906 spielten Viñes und das Quatuor Willaume Debussys Streichquartett und Chaussons Klavierquartett. Dieselben Interpreten und Hélène M. Luquiens rückten im Februar 1907 Chausson in den Fokus. Klavierwerke von Ravel und Schmitt (beide auch vierhändig am Klavier) sowie Roussel und Séverac (beide beteiligt als Liedbegleiter bzw. Umblätterer) folgten im gleichen Jahr. Im Frühjahr 1908 war je ein Konzert d’Indy und Debussy gewidmet; Jean-Aubry erstellte für beide ein erstes Werkverzeichnis. 1909 folgten Konzerte zu Roussel und Debussy (mit dem Sängerehepaar Jane Bathori und Émile Engel sowie dem englischen Pianisten Franz Liebich). Notizen über diese Konzerte, oft von Jean-Aubry selbst verfasst, druckten Le Mercure musical und das Bulletin français de la S.I.M. Auf Jean-Aubrys Einladung wurde Debussy 1906 Ehrenmitglied des Cercle. Debussy, Lettres à deux amis, 107; ders., Correspondance, 983. Die Briefausgabe gibt fälschlicherweise an, der Cercle habe die Verbreitung französischer Musik in England zum Ziel gehabt. 330 Evans, Translator’s Preface, vi.

98

Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“

1907 nach London zog und 1912 Jean-Aubrys Schwester Madeleine heiratete.331 Der Musikliebhaber wird in den Quellen übereinstimmend als Gründer der Société genannt und war die treibende Kraft bei der Organisation der ersten Tournee im Dezember 1907, der Londoner Reihe zwischen Februar 1909 und Juni 1915 und der Zusammenarbeit mit weiteren Veranstaltern im ganzen Land.332 Zwischen dem 3. und 7.12.1907 gaben Viñes, Luquiens und das als „Parisian Quartet“ angekündigte Quatuor Willaume fünf Konzerte in Newcastle, Leeds, Sheffield und London, bei denen Chaussons Klavierquartett, Ravels Streichquartett und einige Klavierstücke und Lieder zum ersten Mal in England erklangen (das Programm wurde auf die Städte verteilt, siehe Tabelle 9 für die beiden es wohl komplett abdeckenden Londoner Konzerte). Die Tournee fungierte offenbar als eine Art Testlauf und fand noch nicht unter dem Dach der Société statt, sondern wurde schlicht als „Concerts of Modern French Music“ beworben (siehe Abbildung 3). Statt des üblichen Programmhefts, das nur Werke und Liedtexte abdruckte, gab es eine knapp vierzigseitige Broschüre mit analytischen und biographischen Hinweisen sowie einer allgemeinen Einführung zu der neuen französischen Musik von Jean-Aubry.333 Insbesondere die beiden Londoner Konzerte wurden in der Presse auf breiter Ebene besprochen. Die Bewertungen schwankten zwischen den beiden folgenden Polen, wobei positive deutlich überwogen. Das Verdienst der Vorstellung einer aufstrebenden ‚Schule‘ französischer Musik wurde allgemein anerkannt, wodurch Guéritte sich nur bestärkt fühlen konnte, seine Kampagne fortzuführen und im Rahmen einer Vereinigung zu verstetigen: It is very much to be hoped that both she [Luquiens] and the instrumentalists will give us other opportunities of hearing more of the advanced French school; whatever we may think at a first hearing of some of the music – and it is hardly possible that, when so little of it has been given over here, the most advanced of all should not sometimes sound strange and even ugly – it is most important that it should be heard, if only because it represents the attitude of some of the ablest of living composers. Such playing and singing 331

Vgl. zu seinem Einfluss als Ingenieur und zu seinem Einsatz auch für die wirtschaftliche französischenglische Zusammenarbeit May, Gueritte und Karl W. Mautner. Das Ehepaar wohnte in Surbiton (Surrey, heute Greater London). Madeleine Aubry war als Pädagogin und Übersetzerin tätig. Zum Hochzeitsjahr siehe https://data.bnf.fr/fr/12610958/madeleine_t__gueritte (Zugriff 24.10.2021). 332 „Here it may be mentioned that what Jean-Aubry had done at the ‚Cercle de l’Art Moderne‘ was taken as a pattern by Mr. T. J. Guéritte, when he founded and organized the ‚Société des Concerts Français‘ in London for the diffusion of French music throughout Great Britain, and that Jean-Aubry has exercised an influence on the action of that Society since its foundation.“ Mouren, Jean-Aubry, 153. Jean-Aubry widmete seinen Band La musique française d’aujourd’hui dem Ehepaar Guéritte „à cause de la Société des Concerts Français de Londres et de ma fraternelle affection.“ 333 „A hand-book was circulated for the uninitiated, which, besides serving the purpose of the ordinary analytical programme, contained useful biographical notes on the composers and some philosophical reflections on things in general. The seriousness of its style was lightened by a few happy touches, [...].“ The Times, 9.12.1907, 3. Vgl. Jean-Aubry, Debussy et la musique française moderne en Angleterre, 282. Leider konnte kein Exemplar ausfindig gemacht werden.

99

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Abbildung 3: Programmzettel (Vorderseite) für die Londoner Konzerte von Guérittes Tournee, 1907 (Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Wigmore Hall Archive) 100

Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“

Tabelle 9: Die Londoner Konzerte von Guérittes Tournee, 1907 Komponist

Werke

Interpreten

Leighton House, 6.12.1907 (nach The Times, 9.12.1907, 3; Reihenfolge unsicher): Chausson

Klavierquartett A-Dur

Ricardo Viñes, Parisian Quartet

Ravel

Viñes

Schmitt Séverac Debussy

Klaviersoli: Vallée de cloches Jeux d’eau Pavane pour une infante défunte Brise En Languedoc zwei Stücke?

Ravel Duparc Roussel Séverac Debussy

Lieder: La flûte enchantée Phydilé Le jardin mouillé Le ciel est par-dessus le toit Il pleure dans mon cœur

Gaston Théroine, Hélène M. Luquiens

Ravel

Streichquartett F-Dur

Parisian Quartet

Bechstein Hall, 7.12.1907 (Wigmore Hall Archive): Fauré

Klavierquartett c-Moll

Viñes, Parisian Quartet

d’Indy Chausson

Lieder: Lied maritime Apaisement La chanson perpétuelle

Théroine, Luquiens (Parisian Quartet)

Roussel Debussy Chausson

Klaviersoli: Danse au bord de l’eau Toccata Paysage

Viñes

Duparc Fauré

Lieder: L’invitation au voyage Clair de lune La fée aux chansons

Théroine, Luquiens

Fauré d’Indy Ravel

Klaviersoli: Impromptu No. 3 Le lac vert Alborada del gracioso

Viñes

Debussy

Streichquartett g-Moll

Parisian Quartet

101

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

as we have heard at these two concerts are quite the best introduction that any one could desire to those works of which we have both heard so much and heard so little.334 Among many recent concerts, some of the most interesting have been those given with the object of introducing and popularising various examples of ultra-modern French music, but I am afraid the task is rather hopeless so far as the average British concert-goer is concerned. The music of Debussy, Chausson, Duparc, Ravel, and others of this school is interesting enough in a way, but at its worst goes beyond anything hitherto known in the matter of vagueness, obscurity, and seemingly wilful perversity; and these qualities are the more strange in music coming from a land whose people usually display such regard for the opposite virtues of form, lucidity, elegance, and restraint.335

Einen Tag vor dem ersten Tourneekonzert hatte eine ganz ähnlich ausgerichtete Unternehmung in Manchester ihren Anfang genommen: Parallel zu Guéritte hatte dessen Landsfrau Lucie Barbier (geb. Hirsch, 1875–1963) bereits ab 1905 eine Reihe geplant und veranstaltete schließlich zwischen Dezember 1907 und März 1909 acht sogenannte French Concerts.336 Die Quellen geben keine eindeutige Antwort auf die Frage, wie die Zusammenarbeit von Barbier und Guéritte aussah und ob sie sich als Teil derselben Organisation verstanden.337 Die Broschüren für die zweite Saison in Manchester 1908 listeten neben dem General Committee in Paris, London und Manchester das Executive Committee mit den Ehepaaren Barbier und Guichard (der Chairman Adolphe Guichard war Direktor der Compagnie française de l’Afrique occidentale in Manchester) sowie Guéritte und Arthur Walton.338 334

The Times, 9.12.1907, 3. Einen langen Text steuerte auch Arthur Symons bei: „The adventure of the Parisian Quartet in England was a hazardous one, and it is pleasant to know that it has succeeded.“ Symons, French Music in London, 723. Siehe auch The Musical Standard, 14.12.1907, 376 (Sheffield); The Daily Telegraph, 9.12.1907, 7; The Violin and String World, Supplement to The Musical Standard, 4.1.1908, 1f.; The Musical Times, 1.1.1908, 40 (London), 46 (Newcastle), 49 (Leeds); The Athenaeum, 14.12.1907, 777. Roussel schrieb an Jean-Aubry, 13.12.1907: „J’ai été bien heureux d’avoir de vos nouvelles et de savoir que la tournée en Angleterre a été l’occasion d’un vrai succès pour la musique française et ses interprètes.“ Ravel, Correspondance, 174. 335 Truth, 11.12.1907, 1453. 336 In Paris geboren, wurde Lucie Hirsch am Conservatoire als Pianistin und Sängerin ausgebildet; sie konzertierte etwa 1902 in London mit Chaminade und Wolff; am Ende dieses Jahres tauchte sie als Mme. André Barbier auf Konzertprogrammen auf. Ihr Ehemann André Barbier (1879–1953) war Dozent für Französisch, zunächst in Bangor, von 1903 bis 1909 an der University of Manchester und wurde anschließend Professor am University College Wales, Aberystwyth. E. M. P., Joseph-Louis André Barbier, 1879–1953, in: French Studies 7/3 (1953), 286f. Vgl. zur musikalischen Karriere von Lucie Barbier den Band mit ihren persönlichen Konzertprogrammen (National Library of Wales, Aberystwyth, NLW MS 22694D). 337 Dies bejahte Stonequist, Barbiers Enkelin, in ihrer auf den in Aberystwyth aufbewahrten Quellen beruhenden Dissertation zur Reihe in Manchester. Stonequist, The Musical Entente Cordiale, 18. Dagegen wandte Piatigorsky in ihrer Masterarbeit über die Londoner Reihe ein, dass die Aktivitäten Barbiers und Guérittes nur lose verknüpft waren. Piatigorsky, The Campaign for French Music, 14. 338 In der ersten Saison waren die beiden Frauen als Honorary Secretaries bezeichnet worden. Die Broschüren und Programmhefte der French Concerts befinden sich in einem Band mit zahlreichen von Barbier gesammelten Zeitungsausschnitten (NLW MS 22695D).

102

Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“

Diese Komitees erschienen auch beim ersten Konzert in London, das in Manchester eine Woche später wiederholt wurde (siehe Abbildung 5 auf S. 112 und den Programmzettel, Abbildung 4). Ab dem zweiten Londoner Konzert wurden unter der Überschrift „Société des Concerts Francais“ nur noch ein „Comité d’honneur“ und die „Membres fondateurs“ abgedruckt, mit Guéritte als alleinigem Honorary Secretary (siehe Abbildung 6 auf S. 114). Barbiers Name erschien in London noch bis Frühjahr 1910 unter den Gründungsmitgliedern (als „Guarantor“), anschließend nicht mehr.339 Die Société schien also Anfang 1909 als Zusammenführung von Barbiers und Guérittes Initiativen340 bzw. als Ableger der Reihe in Manchester341 konzipiert worden zu sein und verblieb nach deren Einstellung als die zentrale Vereinigung, mittels derer Guéritte in London und ganz England Konzerte in die Wege leitete. Von Guéritte selbst gibt es keine ausführlichen Berichte über seine Aktivitäten, sieht man von einzelnen Leserbriefen an englische Zeitungen ab: 1916 verwies er in Reaktion auf eine Würdigung der Société bescheiden auf die Mithilfe zahlreicher weiterer Personen im ganzen Land.342 Anhand eines Vergleichs mit der Parallelunternehmung der British Concerts Society in Paris erläuterte er 1918 Gedanken zur frühen Programmpolitik der Société und ging auch auf finanzielle Herausforderungen der Anfangszeit ein.343 Knapp dreißig Jahre später würdigte Guéritte den verstorbenen Evans als Ideengeber für die Gründung.344 Auch Francis Poulenc brachte Evans in seinem Nachruf mit der Société in Verbindung.345 Die Rolle Jean-Aubrys, der seine persönlichen Beziehungen 339 Jean-Aubry nannte in seinem Artikel 1909 die Bemühungen Barbiers in Manchester noch in einem Atemzug mit jenen Guérittes in Newcastle und Evans’ in London. 1916 erwähnte er sie nicht mehr, was bedeuten könnte, dass er ihr eher eine lokale Bedeutung beimaß, oder, wie Piatigorsky vermutete, dass das persönliche Verhältnis gestört war. Jean-Aubry, Debussy et la musique française moderne en Angleterre, 282f.; Piatigorsky, The Campaign for French Music, 40. 340 „Il devint utile de coordonner tous les efforts, et en janvier 1909 fut créée la „Société des concerts français“ de Londres, [...].“ Le Figaro, 12.1.1910, 6. 341 „The Société des Concerts Français, which has already won many friends in Manchester by its concerts of modern French music, is making its first attempt to convert London, [...].“ The Manchester Guardian, 26.2.1909, 6. In Manchester wurde die Reihe allerdings allein unter dem Titel „French Concerts“ beworben; die Presse in London erwähnte zudem keinen Bezug zu Manchester. 342 Guéritte, Musical Reciprocity, 4 (siehe auch Anm. 383). Dies war eine Replik auf die Würdigung Robin H. Legges (siehe Anm. 385). 343 Guéritte, British Music in Paris (siehe auch Anm. 372 und 579, zu Paris S. 191ff.). 344 „May I recall the great gratitude owed to Mr. Edwin Evans by French music? On his advice the Société des Concerts Français was founded in 1907, and during its 10 years of existence he was one of its most active committee members.“ Guéritte, Evans [Leserbrief], 7. „Mr. Edwin Evans, a man of enthusiastic and courageous spirit, whose knowledge of France and of the French language facilitated his penetration of French music, and who takes a somewhat rare joy in expressing his thoughts without reservation, was the first to take up in London, by means of lectures and articles, the campaign which was then being conducted by M. Guéritte in Newcastle, a coincidence of effort that inevitably brought them into close association when the French organisation removed to London.“ Jean-Aubry, French Music of To-day, 254. 345 „C’est plus de cent concerts qu’il dédia à la musique française de 1907 à 1917 en collaboration avec

103

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

zu Komponisten und Künstlern einsetzen konnte und diese auch in die Planung einband, bestand offenbar in einer Art Beraterfunktion im Hintergrund; Barbier in Manchester konnte auf ihre eigenen Kontakte zurückgreifen.346 Die Zusammensetzung des Komitees in Manchester und die stetig wachsende Mitgliederliste der Société in London sind Anhaltspunkte für die steigende Verankerung der frankophilen Aktivitäten im englischen Musikleben: Schon auf der ersten Ankündigung der French Concerts im Mai 1907 konnte Barbier neben anderen Adolph Brodsky und Kendrick Pyne, Violin- bzw. Orgelprofessoren am Royal Manchester College of Music, und die Pianistin Fanny Davies als Unterstützer aufführen.347 In der zweiten Saison fanden sich in der neu aufgeführten Pariser Abteilung als „Comité de Patronage des French Concerts à Manchester“348 vor allem die Künstler, die selbst nach Manchester eingeladen wurden, darunter Saint-Saëns (Ehrenpräsident), Fauré (Präsident), Reynaldo Hahn und d’Indy, aber etwa auch Louis Diémer und Paul Viardot. Die Londoner Sektion versammelte Namen wie Evans, Frank Schuster, Ethel Smyth, deren Schwester Mary Hunter, Leonora Speyer, Arthur Symons und Henry Wood (siehe Abbildung 5). Ab dem zweiten Londoner Konzert, dem ersten unter dem Namen der Société, war neben Symons und Wood auch Thomas Beecham Teil des neuen Ehrenkomitees unter dem Vorsitz des französischen Botschafters (siehe Abbildung 6). Paul Cambon, von 1898 bis 1920 in diesem Amt und vor 1904 entscheidend an den Verhandlungen für die entente cordiale beteiligt, fungierte von der ersten Broschüre in Manchester bis zum letzten Konzert in London als Ehrenvorsitzender bzw. Schirmherr der Vereinigung(en). Trotz weiterer Beteiligungen von französischen Beamten wie Étienne Dujardin-Beaumetz und Jean Grillon ist nicht von einer offiziellen (oder gar finanziellen) Förderung der Société durch den französischen Staat auszugehen, eine solche wäre wohl prominenter ausgestellt worden.349 Das Ehrenkomitee vervollständigten Engländer aus dem Adel, l’indéfatigable Monsieur Guéritte.“ Poulenc, Evans [Nachruf], 26. 346 „In 1907, when Mr. T. J. Guéritte founded the Société des Concerts Français and gave his first concerts in London, Newcastle, Sheffield, and Leeds, I told Debussy of our intentions, for I had some share in the making of those programmes.“ Jean-Aubry, Some Recollections of Debussy, 204. Ein Brief von Jean-Aubry an Barbier belegt, dass beide zumindest in loser Verbindung standen; offenbar hatte er sie um den Kontakt zu einem englischen Sänger für ein Konzert von Franz Liebich im Februar 1909 in London angefragt. Der Brief wird wie mehr als 500 weitere an Barbier in Aberystwyth aufbewahrt (NLW MSS 22692-3E). 347 Brief von Davies an Barbier, 27.5.1907: „Certainly I shall be very happy to see my name on the general committee if it will be of any help in the interests of French music. [...] Of course I could not be on the acting committee or be in any way responsible – this I expect is what you also mean.“ (NLW MSS 22692-3E) Transkription und Faksimile auch bei Stonequist, The Musical Entente Cordiale, 42–44. Hans Richter, Dirigent des Hallé-Orchesters, ließ hingegen ausrichten, ihn erreichten so viele Anfragen, dass er alle ablehnen müsse. Zwei Vertreter der Hallé Concerts Society erschienen aber auf der Liste. Ebd., 45. 348 Siehe Barbiers Leserbrief in The Manchester Guardian, 29.4.1908, 5. 349 Dujardin-Beaumetz war von 1905 bis 1912 Sous-secrétaire d’État aux Beaux-Arts. Er war schon in Manchester mit Saint-Saëns Ehrenpräsident der Pariser Sektion des Komitees. In London war er von

104

Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“

der Finanzwelt und Politik, deren philantropisches Engagement sich oft nicht nur auf die Musik erstreckte, darunter Thomas Scott-Ellis (Lord Howard de Walden), Alfred de Rothschild, Millicent Leveson-Gower (Duchess of Sutherland), Edward Sassoon und Aline Caroline de Rothschild (Lady Sassoon).350 Ab der dritten Saison 1910/11 wurde das Ehren- durch ein eigentliches Organisationskomitee ersetzt. Die Mitglieder des vierbis fünfköpfigen Gremiums wechselten, stets vertreten waren Evans und Guéritte (siehe Abbildung 8 ab S. 121 für ein Programmheft von 1913). Die Société begann in London mit 46 Gründungsmitgliedern, darunter als Bürgen Jean-Aubry, Barbier, Evans, Guéritte (Honorary Secretary) und Alfred Liotard-Vogt (Honorary Treasurer).351 Mitglieder zu einem Beitrag von 2 Pfund und 2 Schilling pro Saison waren gleichzeitig Subskribenten der Londoner Konzerte, wenn sie nicht allein als Bürgen wirken wollten (siehe Abbildung 7 für das an Guéritte zu richtende Aufnahmeformular). Die Mitgliederliste wuchs kontinuierlich auf mehr als 130 Namen (siehe für das letzte Londoner Konzert 1915 Abbildung 9 ab S. 132). Zu den Mitgliedern zählten Komponisten wie Ralph Vaughan Williams (ab Februar 1911), Arthur Bliss (ab Januar 1914, sowie dessen Vater) und die auch in Programmen vertretenen Baron Frédéric d’Erlanger (ab Januar 1911) und Poldowski (als Lady Dean Paul, ab Februar 1913), junge progressive Musikkritiker bzw. -schriftsteller wie Rollo Myers, Montagu Nathan und Frank Henry Shera352 und zunehmend selbst mit französischer Musik auftretende Musikerinnen und Musiker wie Winifred Christie, Louise Douste de Fortis, Lily Henkel, Louise und Franz Liebich, Adine Rückert (Pianistin und Ehefrau des Komponisten Norman O’Neill), Harriet Solly und Dorothea Walenn. Weiterhin präsent blieben wohlhabende Amateure und Mäzene wie Schuster und Liotard-Vogt, William Gair Rathbone (ab November 1909), der mit Sargent und 1910 bis 1912 Schirmherr neben Cambon; sein Nachfolger im Amt, Léon Bérard, führte diese Funktion bis 1913 fort. Grillon war zwischen 1906 und 1910 Abgeordneter der Nationalversammlung. Er war Mitglied der Pariser Sektion des Komitees in Manchester und bei deren erstem Konzert anwesend. „On Monday the second season of the French Concerts will be opened, and through the presence of M. Jean Grillon, deputy of Nancy, the concerts will receive the official patronage of the French Government.“ The Manchester Guardian, 24.10.1908, 8. In London war er von Beginn bis 1910 Teil des Ehrenkomitees. 350 Die in Paris geborene Lady Sassoon war regelmäßig Gastgeberin musikalischer Anlässe, etwa eines französischen Liederabends mit Reynaldo Hahn und dem Ehepaar Bathori-Engel. The Daily Telegraph, 9.7.1908, 6. Das Ehepaar Sassoon erschien schon 1907 im Komitee der ersten Saison in Manchester. 351 Liotard-Vogt war Generaldirektor der Firma Nestlé und Anglo-Swiss Condensed Milk Company. Seine Frau fungierte als Gastgeberin für zwei der Société-Konzerte in London, am 19.1.1911 und 6.12.1912 in ihrem Haus „The Limes“ am Holland Park. Ab der vierten Saison 1911/12 wurden die Bürgen weiterhin markiert und mit der Bemerkung versehen: „Those marked * were Guarantors during the early struggles of the Society.“ 352 Siehe zu Myers und anderen Kritikern nach 1920 S. 350f. M. Montagu-Nathan (1877–1958), unter anderem bei Ysaÿe als Geiger ausgebildet, schrieb zu russischer und für den Chesterian auch über französische Musik. Shera (1882–1956) verfolgte nach dem Studium am Royal College of Music, darunter bei Stanford in Komposition, eine akademische Laufbahn, er verfasste 1925 ein Buch über Debussy und Ravel.

105

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Grainger bekannt war, und Maud bzw. Lady Cunard (ab Januar 1910), eine Gastgeberin beliebter Salongesellschaften und Partnerin Beechams. Die Mitgliederlisten zeigen, dass die Société auch mit den gehobenen Zirkeln der privaten Musikwelt eng verflochten war.

„Risen against the Teutonic tyranny“: Die French Concerts in Manchester A series of three French Concerts has been arranged for next Winter under the patronage of the French Ambassador, Mr. Paul Cambon. Their object is to give the musical public of Manchester an opportunity of hearing French music, more especially contemporary music, interpreted when possible by the composers themselves. [...] Many of the best French artists will be heard. A few days before each Concert a Lecture will be delivered about the composers and the different items of the programme.353

Der Anspruch, die Komponisten selbst präsentieren zu können, konnte abgesehen von dem Konzert mit Debussy, der krankheitsbedingt kurzfristig absagen musste, stets eingelöst werden (siehe Tabelle 10). Auch als Interpreten fungierten fast ausnahmslos Musiker aus Frankreich.354 Im Vergleich zu der ein gutes Jahr später begonnenen Londoner Reihe waren die Programme in Manchester eklektischer; es standen nicht primär jüngste Werke im Fokus, sondern auch bereits bekannte Stücke von Franck, Lalo, Saint-Saëns, Fauré und d’Indy. Bei den ersten drei Konzerten ergänzte Musik des 17. und 18. Jahrhunderts die zeitgenössische, das fünfte war allein älterer Musik gewidmet. Schon bei Wolffs Reihe 1894 hatten Diémer und Waefelghem einzelne frühe Stücke dargeboten, die als Ausweis für die lange Geschichte der französischen Musiktradition fungieren und zeitübergreifende nationale Charakteristika aufzeigen sollten.355 353

So verlautete die erste Broschüre („preliminary notice“), handschriftlich datiert Mai 1907, die bereits ein vorläufiges Komitee listete (NLW MS 22695D). Über die geplante Unternehmung berichtete auch die französische Presse: „La petite colonie française de Manchester se voue corps et âme à une entreprise artistique dont on ne saurait trop louer le but patriotique et que les Français de France et d’Angleterre auront à cœur d’encourager de toutes leur forces. Il s’agit de faire connaître, et par suite apprécier et aimer, nos grands compositeurs; la musique allemande, interprétée par un maître tel que Richter, a déjà conquis depuis longtemps droit de cité à Manchester ; pourquoi la musique française n’aurait-elle pas même honneur ?“ J. Coudurier, Figaro à Londres, in: Le Figaro, 3.6.1907, 2. 354 Zu Gast waren etwa der Geiger Marcel Chailley (erstes und viertes Konzert), das Quatuor Willaume (7), die Cellisten Paul Bazelaire (2), Georges Pitsch (3) und Fernand Pollain (5, 8), der Flötist Louis Fleury (3, 6) und die Pianisten Viñes (7) und Blanche Selva (8). Bei dem Konzert mit Fauré und Smyth (6) kamen dazu als einheimische Künstler Leonora Speyer, Arthur Catterall und die Sängerin Elsie Swinton. Catterall, der junge Violinprofessor am Royal Manchester College of Music, hatte bereits bei Barbiers erstem Vortrag mit ihr zusammen die musikalischen Illustrationen geliefert. The Manchester Guardian, 30.11.1907, 6. 355 Jean-Aubry bezog sich auf die Londoner Reihe: „The older French music served as a rallying point to which one could refer for evidence that France had an important musical past that was too little

106

Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“

Für die musikalisch illustrierten Vorträge, die am Tag vor dem Konzert stattfanden, teilweise bereits mit dessen Interpreten, zeichnete Barbier selbst verantwortlich. Anhand der an sie adressierten Briefe lassen sich auch prosaische Hürden der Konzertorganisation nachvollziehen.356 Über die Erstattung der Reise- und Hotelkosten hinaus erhielten die Komponisten und Interpreten in der Regel kein Honorar; die Einnahmen kamen einer wohltätigen Einrichtung zugute.357 Für ein separates Benefizkonzert nach dem Ende der eigentlichen Reihe kam neben weiteren französischen Künstlern auch Théodore Dubois, ehemaliger Direktor des Pariser Conservatoire, nach Manchester.358 Ausweislich der zahlreichen Presseberichte in lokalen und überregionalen Zeitungen waren die French Concerts sowohl künstlerisch als auch beim Publikum ein Erfolg. Die Midland Hall in dem gleichnamigen, 1903 eröffneten Grand Hotel am zentralen Bahnhof in Manchester war zu Beginn gut gefüllt: Stonequist errechnete aus der Finanzübersicht Barbiers eine Besucherzahl zwischen jeweils 350 und 400 Personen für die beiden ersten Konzerte, wenngleich der Zuspruch in der zweiten Saison offenbar etwas nachließ.359 Wie bei der Société in London waren französische Zuhörer anfänglich in der Mehrheit.360 Während die Kompositionen von César Géloso und Henry Février als solide bewertet wurden, beeindruckte Reynaldo Hahn, der sich am Klavier auch selbst begleitete. Bei Saint-Saëns, der bereits 1879 in Manchester gastiert hatte, war schon dessen Ankunft in der Stadt eine eigene Nachricht wert, er wurde ebenso wohlwollend besprochen wie Fauré. Debussy, dessen Abwesenheit bedauert wurde, und d’Indy erschienen als entgegengesetzte Pole der gegenwärtigen französischen Musik. Beider Individualität wurde anerkannt, aber es war d’Indy, dessen Konzert, auch mit Musik Francks und weiterer von Francks Schülern, vom Publikum so positiv aufgenommen wurde wie keines der vorherigen.361 appreciated, [...].“ Jean-Aubry, French Music of To-day, 247. Auch die Kritik erkannte eine gemeinsame Tradition: „Couperin and Leclair helped one also to bridge over diversity of national tendency and smoothed the way for the moderns, because these men have the same characteristics as Dumas, and even Debussy, though in a very different form and of a somewhat limited scope.“ F. B. [Ferruccio Bonavia], The Parisian Quartet at the Southport Chamber Concert, in: The Manchester Guardian, 29.3.1912, 9. 356 Das dritte und achte Konzert untersuchte Stonequist dahingehend ausführlich. Stonequist, The Musical Entente Cordiale, 49–114. Für März 1908 war d’Indy angekündigt, der jedoch unter dem Eindruck, das Konzert sei abgesagt worden, nach Russland reiste. Fauré sagte zu, einzuspringen; da jedoch seine bevorzugte Sängerin Jeanne Raunay verhindert war, wollte er dann doch nicht kommen. Die Sängerin Louise Durand-Texte stellte schließlich Reynaldo Hahns Teilnahme für das Konzert sicher, wobei auch Henry Février, der kurz zuvor in Manchester gewesen war, seine Kontakte einsetzte, um Barbier zu unterstützen. Die Briefe an sie werden in Aberystwyth aufbewahrt (NLW MSS 22692-3E). 357 Der Governesses’ Institution and Home wurde nach den ersten drei Konzerten ein Scheck über 12 Pfund, 11 Schilling und 7 Pence überreicht. The Manchester Guardian, 24.10.1908, 9. 358 Der Anlass im Mai 1909 diente dem Bau eines Wohnheims für Studentinnen. The Manchester Guardian, 15.5.1909, 6 (Leserbrief der Organisatorinnen); 21.5.1909, 14 (Kritik). 359 Stonequist, The Musical Entente Cordiale, 130. 360 Daily Dispatch, 3.12.1907 (NLW MS 22695D). 361 The Manchester Guardian, 9.3.1909, 7.

107

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Tabelle 10: Die acht French Concerts in Manchester, 1907–1909 Datum

Komponisten (*beteiligt) und Werke

Presse

2.12.1907

César Géloso* Klavierkonzert; Franck Violinsonate; Lalo; Saint-Saëns; Henri Duparc; Musik 17./18. Jh.

MT, 1.1.1908, 46.

11.2.1908

Henry Février* Klaviertrio, Violinsonate (Andante); Paul Bazelaire* Lied; Fauré; Musik 18. Jh.

MT, 1.3.1908, 187.

17.3.1908

Reynaldo Hahn* Lieder, Variationen für Fl. bzw. Vc. und Kl.; Musik 17./18. Jh.

MT, 1.4.1908, 257f.

12.5.1908

Saint-Saëns* StrQu. e-Moll, Klaviertrio e-Moll

MT, 1.6.1908, 402.

26.10.1908

Musik des 16. bis 18. Jh. auf alten Instrumenten (darunter Haydn und Byrd); Victor Gallois* Lieder

MG, 27.10.1908, 7.

30.11.1908

Fauré* KlQu. c-Moll, Violinsonate A-Dur; Ethel Smyth* Vier Lieder mit Ensemble

MT, 1.1.1909, 44.

2.3.1909

Debussy (sagt kurzfristig ab) StrQu. g-Moll, Danse sacrée et danse profane für Hf. und Str.

MS, 20.3.1909, 181.

8.3.1909

d’Indy* Klarinettentrio; Franck; Chausson; Duparc

MS, 20.3.1909, 181.

Insbesondere die Interpretationen wurden lobend hervorgehoben; die französischen Musiker boten Aufführungen auch von bekannten Werken wie Francks Violinsonate, wie sie in Manchester zuvor noch nicht zu hören gewesen waren. Der Kritiker Samuel Langford erkannte darin einen genuin französischen Stil, der mit seiner Klarheit und Leichtigkeit in Kontrast zu dem bislang in Manchester vorherrschenden deutschen stehe.362 Nur vereinzelt wurden die French Concerts als Unternehmung gezeichnet, die sich dezidiert gegen die von Richter und Brodsky dominierte, germanophile Musikkultur Manchesters richte.363 Doch wurde die enge Verbindung zwischen England 362

„[...] it would seem that there is not only a French style of composition that is worth knowing better, but also a French style of playing and singing. Of the music which is really familiar here, probably Chopin, delicately played, comes the nearest to it, and he was certainly much influenced by the French style. Our taste is Germanised out of all knowledge. Attack and argument are things we must have. There seems to be some subtle connection between music and language. The German syllables are guttural and heavy, the French light and quiet. [...] Saint-Saëns is probably much more vitally connected with Debussy and the modern French writers than we should guess from the rough English performances we get of his music.“ S. L. [Samuel Langford], M. Camille Saint-Saëns, in: The Manchester Guardian, 11.5.1908, 5. 363 „The French colony in Manchester has at last risen against the Teutonic tyranny that is exercised in the music of this city. Of modern French composers Saint-Saëns is the one we know best; we have had a Symphony of César Franck’s, and his Violin Concerto [sic] and his chamber music we know fairly well; we are also acquainted slightly with the chamber music of Debussy and know a song or

108

Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“

und Frankreich beschworen: Schon das erste Konzert assoziierte eine Zeitung mit der 1904 geschlossenen entente cordiale.364 Tatsächlich plante das Komitee im Zuge einer langfristigen Verstetigung der Reihe die Teilnahme von englischen Komponisten und Interpreten zur Förderung der Entente (zu Gast war dann nur Ethel Smyth, siehe S. 337f.).365 Gleichzeitig sollten diesen mit Hilfe lokaler Vereinigungen auch in Frankreich Auftrittsgelegenheiten eröffnet werden (siehe S. 191ff.). Der im letzten Programmheft angekündigten und von der Presse begrüßten Fortsetzung der Reihe machte wohl die akademische Laufbahn von André Barbier einen Strich durch die Rechnung: Lucie Barbier führte nach dem Umzug nach Aberystwyth (Wales) 1909 zwar ihre Vortragstätigkeit fort und engagierte sich im universitären Musical Club, unternahm jedoch keine ambitionierte Konzertreihe mehr. Dass auch in Manchester keine französischen Konzerte vergleichbaren Anspruchs mehr stattfanden, macht deutlich, in welchem Ausmaß die Initiative von Barbiers Einsatz und Kontakten abhängig gewesen war. Nur ein Jahr später formierte sich zwar für kurze Zeit eine neue musikalische Vereinigung, die Manchester Musical Society, die der spätere Verleger Jack Kahane aus Unzufriedenheit über die reaktionäre Programmgestaltung des Hallé-Orchesters unter Richter ins Leben rief (siehe Anm. 1). Gemäß der launigen Beschreibung in seinen Memoiren war es gerade die fehlende Bühne für die (moderne) französische Musik, die sein Engagement initiierte; der Kritiker Gerald Cumberland ergänzte die Notwendigkeit, auch englische Komponisten zu Gehör zu bringen. Die Programme der folgenden Kammerkonzerte waren jedoch weniger von nationalen als von dezidiert modernen Tendenzen geprägt.366

two composed by him, [...].“ The Musical World [nicht zu verwechseln mit der 1891 eingestellten Zeitung], 16.12.1907 (NLW MS 22695D). Milder ausgedrückt hieß es: „We shall always probably be good Germans in our musical affectations, but precisely because they have done their work so well we need to know more of the other complementary Latin half of musical emotion and thought.“ The Manchester Guardian, 9.11.1907, 8. 364 Manchester City News, 7.12.1907 (NLW MS 22695D). 365 Dies wird in einem Brief an die Unterstützer der French Concerts zur zweiten Saison deutlich: „Our great success last year has encouraged us to go on with our Scheme and we should like the French Concerts to become a permanent feature of the Manchester Musical Season. Our aim and ambition will be to keep the Manchester public closely in touch with the Musical movement of our time, by giving them an opportunity of hearing some of the most interesting contemporary works and of seeing some of the men who represent best the present condition of music in France. But it is our intention not to confine ourselves solely to French music and you will notice that on our programmes we have given to English composers and performers a place which, we hope, to make larger still in the future.“ Der maschinenschriftliche Brief ist datiert auf den 24.9.1908, die Anrede ist freigelassen (NLW MS 22695D). Siehe Anm. 567 für Barbiers Leserbrief mit dem expliziten Bezug auf die Entente. 366 Nach dem Manchester Guardian, in dessen Leserbriefspalten eine lebhafte Debatte über Richter stattfand, wurden in der Saison 1910/11 Werke gespielt von Sibelius, Ernest Walker, Reger, Arnold Trowell, Debussy, Brahms, Balfour Gardiner, Vítězslav Novák und Ignacy Jan Paderewski.

109

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Abbildung 4: Programmzettel des ersten Konzerts der Société des concerts français, 1909 (Wigmore Hall Archive) 110

Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“

Systematisch und beharrlich: Die Londoner Société des concerts français Bei der Société in London stellt sich die Quellenlage, immerhin mit Programmheften und Presseberichten, weniger reich dar als in Manchester. Zeichnete dort Barbier praktisch allein verantwortlich für die Organisation, galt hier dasselbe für Guéritte. Dieser schien gleichwohl eng mit Jean-Aubry, seinem Schwager in spe, zusammenzuarbeiten: In London wurden anfangs dieselben Interpreten und jungen Komponisten eingeladen, deren Werke bereits beim Cercle in Le Havre präsentiert worden waren.367 Das betraf inbesondere das in England sogenannte Parisian Quartet mit Gabriel Willaume, Georges Morel, Emile Macon und Louis Feuillard.368 Auch Viñes sowie die Sängerinnen Luquiens und Bathori waren regelmäßige Gäste; bis zum Schluss waren die Interpreten fast allein französischer Herkunft.369 An die Tournee vom Jahresende 1907 anschließend, zeichnete sich das Profil der Londoner Reihe insbesondere zu Beginn durch Ensemblewerke, Lieder und Klavierstücke allein jüngsten Datums und progressiver Prägung aus. Englische Erstaufführungen wurden in den Ankündigungen und Programmheften nur selten ausgewiesen, dennoch ist in einer Vielzahl der Fälle von solchen auszugehen: Nach Guérittes Zählung wurden in 130 Konzerten der Société in ganz Großbritannien 75 Komponisten vorgestellt, von denen 15 zu Gast waren; von insgesamt 407 Werken seien 240 zum ersten Mal in England zu hören gewesen.370 In Tabelle 11 sind die 28 Konzerte verzeichnet, die die Société in London selbst veranstaltete.371 367

Das zweite Londoner Konzert mit Antoinette Veluard, Marcel Baillon, Charles Maurech und der Sängerin Suzanne Berchut (auch Suzanne Balguerie, sie wurde kurzfristig von Bathori vertreten) war eine fast direkte Aufnahme des Roussel-Konzerts des Cercle im Vormonat (siehe Anm. 329). 368 Das Quartett bestritt die Konzerte 1, 4, 7, 10, 11, 16, 20, 23 und 24. Der Komponist Louis Dumas sprang zweimal für den Cellisten ein (10/11). Vgl. F. M., The Parisian Quartet, in: The Violin and String World, Supplement to The Musical Standard, 3.4.1909, 15. 369 Zu den Pianisten zählten Viñes (1, 4, 7, 21), Antoinette Veluard (2, 8, 18), Blanche Selva (5), Yves Nat (1, 4, 7, 12), Maurice Dumesnil (10, 11) und Joaquín Nin (19). Entweder spielten diese Solostücke und begleiteten Lieder oder es gab einen separaten Liedbegleiter. Engagiert wurden die Violinisten Firmin Touche (5), André Mangeot (6, 12, 20, 25, 28), Yvonne Astruc (17, 27), Albert Geloso (26) und Désiré Defauw (28), die Cellisten Georges Pitsch (6, 25) und Fernand Pollain (8) sowie der Flötist Louis Fleury (6, 9, 15, 25, als Mitglied sowohl der Société moderne d’instruments à vent als auch der Société des concerts d’autrefois). Zu den wenigen einheimischen Beteiligten zählten Harold Samuel (10, als Vertreter von Mme. Feuillard) und Geoffrey O’Connor-Morris (20) als Liedbegleiter, Lily Henkel, die mit Schmitt vierhändig spielte (24), sowie die Streicher Hugo Hundt, Eugene Goossens (als E. Goosen, beide 25) und Lionel Tertis (28). 370 Guéritte, Evans [Leserbrief]. Anfang 1914 wurden 53 Konzerte (davon 22 Londoner) mit 320 Werken (davon 182 Erstaufführungen) von 66 Komponisten gezählt. J. M., Nouvelles de l’étranger, in: Revue française de musique, 25.1.1914, 291. Jean-Aubry ging bis Ende 1915 von 39 Konzerten (davon 30 in London) aus, die unter dem Namen der Société veranstaltet wurden, und weiteren 42, die sie anderen Vereinigungen vermittelte; dazu kamen zehn Vorträge über moderne französische Musik. Jean-Aubry, French Music of To-day, 245. 371 Die ersten Saisons fanden komplett in der Bechstein (heute Wigmore) Hall statt. Die meisten

111

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Abbildung 5: Komitee des ersten Konzerts der Société des concerts français, 1909 (National Library of Wales) 112

Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“

Wie Guéritte in einem Leserbrief rückblickend ausführte, war es vor allem anfangs entscheidend, nur solche neuen Werke aufzuführen, die die Reputation der Société zu steigern vermochten, da die Zuhörer ohne eigene Repertoirekenntnisse auf deren Programmauswahl vertrauen mussten.372 Dies dürfte einer der Gründe dafür sein, dass die ersten drei Konzerte mit den anwesenden Debussy, Roussel, Ravel und Schmitt derart aufsehenerregend besetzt waren. Zu Beginn stellten dennoch Franzosen die Mehrheit des Publikums, und gerade die besonders angesprochenen englischen Musiker blieben fern.373 Doch die geduldige Arbeit zahlte sich zunehmend aus: Während Franzosen 1909 noch 65 Prozent der Mitglieder der Société stellten, sank dieser Anteil bis vor dem Krieg auf 19 Prozent.374 Offenbar waren die Konzerte – mit einem hohen Anteil an Subskribenten – regelmäßig so gut besucht, dass Programmzettel ankündigten, am Konzertabend würden keine Tickets mehr verkauft.375 Die Erfolgsgeschichte wurde von wohlgesinnten Kritikern begleitet und bestärkt (siehe zu einigen Personen Kapitel 4.1): In den großen Tageszeitungen erschienen fast zu jedem Konzert (meist nicht unterzeichnete) Berichte, dazu kamen kurze Notizen in den Musikjournalen. Die grundsätzliche Ausrichtung der Société, vor allem die jüngste französische Musik nach England zu bringen, wurde fast uneingeschränkt begrüßt, während die zahlreichen vorgestellten Werke naturgemäß unterschiedlich bewertet wurden. Den zuerst eingeführten Debussy, Roussel, Ravel und Schmitt attestierten die Kritiker, wenn sie sich von den Modernismen auch nur selten vollends überzeugt zeigten, zumindest die Programmhefte werden in deren Archiv aufbewahrt, diese nehmen eine fortlaufende Zählung der Konzerte vor. Jean-Aubry zählte wohl die beiden Londoner Stationen der Tournee 1907 dazu und kam so auf 30 Konzerte. 372 „Now, it is certain that the public will not pay to come and listen to music of which it knows no hing, unless it is presented to them by organizations which have acquired a name for including in their programmes none but works worth hearing. To acquire such a name represents years of patient work. Societies of the kind now under consideration are bound therefore to have a very small following at first.“ Guéritte, British Music in Paris, 308. 373 Evans zeigte sich enttäuscht, dass sie das Vorurteil des Provinzialismus bestätigten: „The concerts of the French society in London were at the outset almost boycotted by English musicians, though now [1915] a few of the younger generation are interested in them.“ Evans, The Emancipation of Music, 183. Eine an die französische Presse übermittelte Zusammenfassung klang positiver: Der Anteil von Franzosen am Publikum habe zuletzt nur noch 18 Prozent betragen, und es gebe freie Eintrittskarten für Studenten der Royal Academy und des Royal College of Music. Auch englische Komponisten seien unter den regelmäßigen Besuchern. „Le but de la Société est donc atteint, car c’est surtout sur le public professionel qu’elle désire et doit agir.“ Le Guide musical, 9.1.1910, 35. 374 Guéritte, British Music in Paris, 308; siehe auch Anm. 579 für den Vergleich mit Paris. 375 Die Société hatte sich einen guten Ruf erarbeitet: „In London one may spend many weary afternoons and evenings attending indifferent concerts and recitals. So many are bad and so few are good that one turns with a hopeful heart to the meetings of the Société des Concerts Français, and it is seldom indeed that one is disappointed. Bechstein Hall has been the scene of a good many concerts of this distinguished society, devoted mostly to modern works. Last night, in spite of the bitter weather, a fairly large audience listened to a programme of old things beautifully played and sung.“ The Daily Telegraph, 18.1.1912, 11.

113

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Abbildung 6: Komitee des zweiten Konzerts der Société des concerts français, 1909 (Wigmore Hall Archive) 114

Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“

ernsthafte Ambition höchster Novität. Diese durch die Programmgestaltung geschürte Erwartungshaltung wurde bei einigen späteren Konzerten allerdings enttäuscht: Denn einerseits ergänzten nun auch ältere, bekannte Werke die Programme,376 andererseits wurden manche der jungen Komponisten, wie Amédée und Maurice Reuchsel oder JeanBaptiste Ganaye, dem etablierten hohen Standard nicht immer gerecht.377 Der Mäzen und Liebhaber Walter Willson Cobbett, der oft den leichten Charakter französischer Kammermusik rühmte, verteidigte allerdings den Erstgenannten, dessen Klavierquartett 1914 vom englischen Henkel Piano Quartet aufgegriffen wurde.378 Die ästhetische und institutionelle Polarität des französischen Musiklebens zwischen dem Pariser Conservatoire und der Schola cantorum spiegelten die Londoner Programme insofern wider und vermittelten sie, dass Konzerte vor allem anfangs oft Komponisten einer ‚Schule‘ vorbehalten blieben. Wie in Manchester wurde (allerdings erst ab Mai 1911) auch ältere französische Musik gespielt, entweder als komplettes Konzertprogramm wie von den Spezialisten der Société des concerts d’autrefois ( Januar 1912) oder in ein modernes Programm integriert wie von den Mitgliedern des Parisian Quartet (Februar 1913). Nach den ersten drei Jahren passte das Komitee die Maxime, sich auf Erstaufführungen zu fokussieren, an und ermöglichte die Wiederholung bereits gespielter Werke.379 376

Saint-Saëns etwa habe seinen Platz im Februar 1911 dort nicht verdient gehabt (siehe Anm. 173), Franck und sein Klavierquintett im Vormonat hingegen schon, „whose sheer beauty quickly obliterated all other impressions received during the concert.“ The Musical Times, 1.2.1911, 116. 377 „It is the first object of this valuable society to spread its net wide and to give English people the chance of appreciating at its right value the work of a number of French composers who do not swim in the main stream of their country’s art. It is an excellent object, but it may be questioned whether by devoting practically the whole of the first of the four concerts to the work of MM. Amédée and Maurice Reuchsel the committee was attaining this object in the best possible way.“ The Times, 29.11.1911, 10. „Why M. Ganaye’s quartet was given it is difficult to say when there is so much modern French music still waiting to be heard in London. It was frigid and formal and full of dull sequences, [...]. The whole thing sounded rather like the early work of a not very ambitious student without anything in particular to say.“ The Times, 30.3.1912, 11. 378 „I fear that new compositions of simple structure are treated nowadays by the critics with something less than justice. For example, a quite beautiful quartet by Amedée Reuchsel, of a type needed by the musical community, was produced at Bechstein Hall in January, by the Henkel Pianoforte Quartet, much enjoyed, not only by the audience, but also (as I happen to know) by the artists concerned, who found it gain on repetition after several rehearsals, but condemned by the advanced musicians present as „obvious.““ W. W. Cobbett, A Chamber Music Causerie, in: Chamber Music. A Supplement to The Music Student, März 1914, 61. 379 „During the first four seasons of the Society, the Committee have made a point of never giving twice the same work, with a view to giving the British public an opportunity of gaining as comprehensive as possible an insight into the whole field of modern French music. In future seasons the Committee propose to allocate about one-half of each programme to works not yet produced at the Society’s concerts (and which, in most cases, will be given for the first time in London), and to reserve the other half to the performance of some of the most interesting among the works already given.“ Programmheft, 29.3.1912 (Wigmore Hall Archive).

115

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Im gleichen Zug kündigte es ein Konzert mit Komponisten an, „who belong to the French school, although not of French nationality“. So waren George Enescu, Baron Frédéric d’Erlanger, Alfredo Casella und die Komponistin Poldowski persönlich zu Gast, und es gab Musik von Manuel de Falla und Philipp Jarnach; alle hatten in Paris studiert.380 Damit wurde die europaweit prägende Rolle der französischen Musik unterstrichen. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde belgischen Komponisten wie Joseph Jongen, Guy Weitz (beide anwesend) und Victor Vreuls eine Bühne geboten. Das Programmheft des 28. Konzerts im Juni 1915, als Schmitts Psaume XLVII op. 38 in einer Fassung für einen knapp fünfzigstimmigen Chor, Sopran, zwei Klaviere, Violinsolo und Orgel aufgeführt wurde, fasste noch einmal die Konzeption der Société zusammen und versprach eine baldige Ankündigung für die Folgesaison (siehe Abbildung 9 ab S. 132). Dennoch sollte dieses Konzert das letzte bleiben. Mit ihren zahlreichen Erstaufführungen und den insgesamt fünfzehn selbst beteiligten Komponisten stellte die Londoner Konzertreihe doch nur einen Ausschnitt der Aktivitäten der Société dar, die die moderne französische Musik in ganz Großbritannien verbreiten wollte. In anderen Städten auf der Insel kooperierte sie bevorzugt mit lokalen Konzertveranstaltern oder trat selbst als solcher auf.381 Oft führten kleinere Tourneen eine Gruppe von Interpreten in kurzer Zeit an verschiedene Orte: So war für Debussy nach dem Londoner Konzert 1909 eine Reise über Edinburgh nach Manchester geplant, die die Musiker ohne ihn antreten mussten, zuvor hatten sie schon in Leeds gespielt. Das Londoner Konzert im Februar 1913 stand am Ende einer Tournee von Helensburgh über Edinburgh nach Southport.382 Guéritte betonte in einem Leserbrief, dass seine Propagandatätigkeit ohne die Bereitwilligkeit zahlreicher Personenen, seine Vorschläge für ihre Konzertreihen aufzugreifen, nicht denkbar gewesen wäre.383 In Newcastle etwa hatte bereits 1907 das Parisian Quartet Station gemacht, im Oktober 1908 wurde dort das am Vortag in Manchester gespielte 380 D’Erlanger, deutsch-amerikanischer Abstammung, zog früh nach London und war dort als Bankier tätig. Der Italiener Casella spielte 1915 nicht nur in der Erstaufführung von Ravels Klaviertrio, sondern präsentierte auch aus seinem À la manière de... op. 17 die Stücke in der Art von Debussy und Ravel. Régine Wieniawski, Tochter des polnischen Violinisten Henryk Wieniawski, verheiratete Lady Dean Paul, trat in London unter dem Pseudonym (Mme) Poldowski als Komponistin und Pianistin in Erscheinung. 381 „Taking into account that decentralisation is much more pronounced in England than in France, M. Guéritte undertook to spread his activity throughout the provinces. Whenever possible he endeavoured to keep the Société des Concerts Français, so to speak, behind the scenes, and take advantage of the existing organisations and societies to interpolate in their schemes programmes similar to those of the Société des Concerts Français, and devoted, as the name indicates, exclusively to French works, old or modern.“ Jean-Aubry, French Music of To-day, 244. 382 Die drei Konzerte fanden unter dem Dach der örtlichen Reihen statt. Das Programm neben Chaussons Concert variierte, in Edinburgh wurden auch Mozart und Glasunow gespielt – undenkbar bei der Société. Programmhefte zu allen vier Konzerten werden in der André Mangeot Collection (Royal College of Music) aufbewahrt. 383 Er nannte James R. Simpson von den Classical Concerts in Edinburgh, Aberdeen und Dundee, W. G. Whittaker von der Newcastle Classical Concert Society, Mr. Grimshaw in Leeds, Alderman

116

Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“

Programm mit älterer Musik wiederholt und in den Jahren 1909, 1911 und 1914 waren nacheinander Hahn, Ravel und Schmitt zu Gast.384 Guérittes persönliches Netzwerk war so ein entscheidender Baustein für die Ausweitung der erfolgreichen Arbeit über London hinaus. Bereits 1916 erinnerte der Kritiker Legge in fast verklärender Weise an dessen Rolle in der kurzen Ära der Société. Mitten im Ersten Weltkrieg erschien diese ihm im Rückblick nicht nur als ideales Vehikel für die Verbreitung moderner französischer Musik, sondern auch gegen die deutsche Vorherrschaft im englischen Musikleben und als Grundstein der englisch-französischen Entente. Während der laufenden Konzertreihe hatten diese politischen Implikationen in den Kritiken (anders als in Manchester) jedoch keine Rolle gespielt. Gleichzeitig forderte Legge, ein Engländer müsse sich das Konzept in Paris zum Vorbild nehmen. Solche Forderungen waren schon 1894 anlässlich der Wolff Musical Union erhoben worden (siehe Anm. 246). Diesen tatsächlich bereits in Ansätzen unternommenen Versuchen war jedoch kein Erfolg beschieden (siehe S. 191ff.): The next point is then to discover some enthusiast of knowledge who can and will make propaganda on behalf of English music in France even as M. Guéritte, the honorary secretary and founder of the fine series of Concerts Français which for many years before the war were a prominent feature of our musical life, made propaganda for French concert music here. Those concerts were ideal after their kind, and I make no apology for stating a case for them here, for they form an admirable example for the English worker [...]. M. Guéritte came here at a time when English music was almost literally smothered under the influence of German musical thought and feeling. [...] Among musicians, among music-lovers (for they are not always the same thing), this French music became not only known but admired (and imitated, though this last was not at all part of the scheme of propaganda). The point was that the best of French chamber music of the most modern type did gradually become known here under the best auspices, and so the foundation was laid of the musical entente which now it is intended to cement even more strongly than before.385

Charles Brumm in Southport, Hugh Godley von der Classical Concert Society in London sowie A. J. Clements von den Southplace Sunday Concerts und dankte Mrs. Grundtvig, J. B. Croft und Evans für ihre Unterstützung. Guéritte, Musical Reciprocity, 4. Jean-Aubry verwies zudem auf die Zusammenarbeit mit der Middlesbrough Union und den Haslemere Classical Concerts sowie auf von der Société organisierte Konzerte in Bournemouth, Leeds und Sheffield. In London habe sie auch mit dem Music Club, dem Concert-Goers’ Club und für Vorträge mit der Incorporated Society of Musicians kooperiert. Jean-Aubry, French Music of To-day, 244f. 384 Guéritte wurde 1908 Mitglied des Komitees der Newcastle Classical Concert Society und schlug ein Jahr später vor, Whittaker aufzunehmen, den er selbst mit der modernen französischen Musik bekannt gemacht hatte (siehe zu Whittaker Kapitel 4.1). Borthwick, The Life and Musical Achievements of Whittaker, 18. 385 Legge, French Music, 5.

117

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Tabelle 11: Die 28 Londoner Konzerte der Société des concerts français, 1909–1915 Datum

Komponisten (*anwesend) und Ensemblewerke

Presse

26.2.1909

Debussy* Streichquartett g-Moll, Danse sacrée et danse profane für Harfe und Streicher

T, 27.2.1909, 13.

24.3.1909

Roussel* Klaviertrio Es-Dur, Violinsonate d-Moll; Séverac; d’Indy

MT, 1.5.1909, 327.

26.4.1909

Ravel*; Florent Schmitt*

T, 27.4.1909, 8.

4.6.1909

Chausson Klavierquartett A-Dur; Fauré Klavierquartett c-Moll; Franck; Duparc

T, 5.6.1909, 12.

22.10.1909

Albéric Magnard Violinsonate G-Dur; d’Indy Violinsonate C-Dur

Ath, 30.10.1909, 534.

15.11.1909

Reynaldo Hahn*; Schmitt Andante et scherzo für chromatische Harfe und Streicher; André Caplet; Désiré-Émile Inghelbrecht

T, 16.11.1909, 14.

25.1.1910

Chausson Streichquartett c-Moll; Lekeu Klavierquartett h-Moll; Ravel Streichquartett F-Dur; Séverac; Pierre de Bréville

Obs, 30.1.1910, 7.

8.3.1910

Paul Dukas; Edouard Lalo; Henry Février; Emmanuel Chabrier

T, 9.3.1910, 12.

29.11.1910

d’Indy; Émile Bernard; Gabriel Pierné; Caplet; Fauré; Hahn (Société moderne d’instruments à vent)

T, 30.11.1910, 13.

18.1.1911

Louis Dumas* Streichquartett; Franck Klavierquintett f-Moll; Gabriel Dupont; Louis Aubert; Albert Bertelin

MT, 1.2.1911, 116.

19.1.1911

Schmitt Klavierquintett h-Moll; Ravel*; Gabriel Grovlez

MT, 1.2.1911, 116.

22.2.1911

Saint-Saëns Violinsonate d-Moll, Klaviertrio F-Dur; Ernest Moret*386

T, 23.2.1911, 10.

10.5.1911

Léon Moreau*; Henry Woollett;387 Debussy; Fauré; Duparc; René Lenormand; Charles Koechlin; Vokalquartette des 16. Jh.

T, 12.5.1911, 10.

28.11.1911

Amédée Reuchsel* Klavierquartett, Cellosonate; Maurice Reuchsel* Streichtrio; Charles Bordes

T, 29.11.1911, 10.

386

Jean Huré war wie Moret angekündigt worden, Blanche Marchesi in seinen Liedern zu begleiten und ein Ensemblewerk zu spielen, er tauchte im Programm dann jedoch nicht auf. 387 Woollett war ebenfalls persönlich angekündigt gewesen, jedoch kurzfristig verhindert.

118

Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“

Datum

Komponisten (*anwesend) und Ensemblewerke

Presse

17.1.1912

Musik des 17. und 18. Jh. (Société des concerts d’autrefois)

T, 18.1.1912, 8.

29.3.1912

Franck Streichquartett D-Dur; Jean-Baptiste Ganaye Streichquartett; Chausson; Alexis de Castillon

MT, 1.5.1912, 320.

29.5.1912

George Enescu* Violinsonate f-Moll; Frédéric d’Erlanger*; Manuel de Falla388

Ath, 1.6.1912, 631.

6.12.1912

Guy Ropartz Cellosonate g-Moll; d’Indy Klarinettentrio B-Dur; Philippe Gaubert; Séverac; d’Indy

Aca, 28.12.1912, 834.

31.1.1913

Musik des 17. und 18. Jh.

T, 1.2.1913, 12.

14.2.1913

Chausson Concert; Castillon; Schmitt; Duparc; Ropartz; Musik des 15., 17. und 18. Jh.

T, 15.2.1913, 10.

29.4.1913

Debussy; Ravel; Albéniz

T, 30.4.1913, 9.

13.11.1913

Poldowski*; Georges Hüe; Philipp Jarnach; Debussy; Ravel; Musik des 17. und 18. Jh.

T, 14.11.1913, 11.

16.1.1914

Dupont Klavierquintett Poème; Ravel Streichquartett F-Dur; Jean Cras; Chausson

MG, 17.1.1914, 6.

16.2.1914

Schmitt* Klavierquintett h-Moll

T, 17.2.1914, 8.

15.5.1914

Bordes; d’Indy Suiten und Volksliedbearbeitungen

Obs, 17.5.1914, 5.

28.1.1915

Victor Vreuls Violinsonate; Franck Violinsonate A-Dur; Berlioz; Chausson; Bordes; Joseph Jongen

Obs, 31.1.1915, 5.

11.6.1915

Ravel Klaviertrio a-Moll; Guy Weitz Violinsonate; Alfredo Casella*; Fauré; Chabrier; Debussy; Ravel

Ath, 19.6.1915, 558.

25.6.1915

Jongen* Klaviertrio; Schmitt Psaume XLVII; Poldowski; Bréville; Auszug aus Paul Claudels Drama L’Otage

Ath, 3.7.1915, 18.

388

Im vorherigen Programmheft waren auch Werke von Isaac Albéniz und Joaquín Turina angekündigt worden.

119

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Abbildung 7: Mitgliederaufnahmeformular der Société des concerts français im Programmheft des fünften Konzerts, 1909 (Wigmore Hall Archive) 120

Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“

Abbildung 8: Programmheft des 20. Konzerts der Société des concerts français, 1913 (Wigmore Hall Archive) 121

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

122

Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“

123

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

124

Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“

125

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

126

Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“

127

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

128

Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“

129

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

130

Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“

131

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Abbildung 9: Programmheft (Ausschnitt) des letzten Konzerts der Société des concerts français, 1915 (Conservatoire royal de Bruxelles) 132

Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“

133

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

134

Die Kampagnen zur Verbreitung von „modern French music“

135

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

3.2 Panorama der französischen Schule(n): Begegnungen und Urteile Galt noch in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts Saint-Saëns den meisten englischen Beobachtern als bedeutendster lebender Komponist aus Frankreich, nahm innerhalb kurzer Zeit Debussy unangefochten dessen Stellung ein. Sein radikal neuartiges Idiom wurde zwar zunächst eher abwartend beurteilt, gleichzeitig jedoch als Ursprung einer neuen musikalischen Bewegung anerkannt, die in der Presse oft ‚impressionistisch‘ genannt und vor allem mit ungewöhnlichen harmonischen Verbindungen assoziiert wurde. Der Eindruck einer poetischen Unschärfe, die über das rein Musikalische hinauszureichen schien, übte eine Faszination aus, der sich eine Mehrheit der Musikinteressierten nicht entziehen wollte. Dasselbe galt etwas später auch für die Musik Ravels. Diesem gegenüber verwandelte sich offen ausgedrückte Ablehnung in mehrheitlich große Wertschätzung, was sich insbesondere an den Reaktionen auf das Streichquartett nachzeichnen lässt, das vor Beginn des Ersten Weltkriegs wie wenige andere Werke den Stand der modernen Musik repräsentierte. Wurde französische Musik aufgrund ihrer Herkunft grundsätzlich dieser nationalen Tradition zugeordnet, bildete sich in den englischen Kritiken zunehmend ein Bewusstsein für die Differenzierung der kompositorischen Positionen heraus. In Artikeln und Vorträgen und durch die Programmgestaltung besonders der ersten Konzerte der Société wurde dem englischen Publikum der ästhetische ‚Parteienstreit‘ der französischen Musik vermittelt (siehe Kapitel 4.2). Auf der einen Seite standen dabei die Schüler Francks und der Zirkel um d’Indy, der institutionell in der Schola cantorum und der älteren Société nationale de musique verankert war. Zu dieser Gruppe gehörten die jung verstorbenen Ernest Chausson und Guillaume Lekeu mit bereits älteren Werken, die in England rasch eine gewisse Popularität erreichten, und die schwerer zugänglichen Albert Roussel und Albéric Magnard. Auf der anderen Seite standen die Absolventen des Pariser Conservatoire, aus deren Kreis 1910 die von Schülern Faurés dominierte, Debussy nahestehende Société musicale indépendante gegründet wurde.389 Neben Ravel nahm aus dieser Gruppe vor allem Florent Schmitt eine wichtige Rolle in England ein.

„The Debussy cult is making great progress in this country“: Debussy Die aufsehenerregende Pariser Premiere von Pelléas et Mélisande am 30.4.1902 war auch auf der anderen Seite des Kanals nicht unbeachtet geblieben.390 Debussy war deshalb 389

Vgl. zu beiden Vereinigungen Duchesneau, L’avant-garde musicale. „This music-drama appears to be of ultra-modern character, and its reception was doubtful. It is even said to have been received with laughter. The partisans of the composer point to ‘Tannhäuser,’ ‘Carmen,’ and ‘Tristan,’ which were at first unfavourably received. But a critic in the Vossische Zeitung 390

136

Panorama der französischen Schule(n): Begegnungen und Urteile

kein unbekannter Name mehr, als ein knappes Jahr später zum ersten Mal auf der britischen Insel Musik von ihm erklang: Bei einem Liederabend von Kendall Rashleigh ergänzte Percy Grainger nur das Programm, doch nutzte er diese Gelegenheit, die Toccata einzuführen, die auch er erst im Sommer zuvor kennengelernt hatte.391 Zunächst waren es einzelne Klavierstücke, die junge englische Pianistinnen und Pianisten wie Evelyn Suart, Harold Bauer,392 Lucie Mawson, Mary Cracroft und Willy Scott, etwas später auch die bewährten Fanny Davies und Leonard Borwick,393 präsentierten (siehe Tabelle 12). Die schon lange regelmäßig in England gastierende Clotilde Kleeberg war eine der wenigen französischen Interpreten, die ebenfalls früh mit Debussy hervortraten. Gegenüber den 1870er- bis 1890er-Jahren, in denen bei Gastspielen oder von in England ansässigen Franzosen moderne Werke vorgestellt wurden, war dies ein neuer Modus selbstständiger und folglich, so ließe sich argumentieren, nachhaltigerer Repertoireerschließung. Debussys Etablierung im Konzertleben, die in Frankreich nach dem Erfolg von Pelléas vergleichsweise spät erfolgte, entwickelte sich somit in England nur leicht verzögert.394 Angesichts dieser aktiven Rolle englischer Musiker war es nicht überraschend, dass es einer Formation von Studierenden gebührte, Debussys Streichquartett 1904 in der Reihe des Royal College of Music wohl zum ersten Mal in England zu spielen (siehe Abbildung 10).395 In der Folge griffen es bestehende Quartette wie das Kruse Quartet und das Wessely Quartet sowie neuformierte rein weibliche wie das Nora Clench Quartet, das Jessie Grimson Quartet und jenes von Edith Robinson in Manchester auf.396 Die sich nach 1900 erstmals zahlreicher bildenden festen Ensembles shrewdly reminds them that ‘many other operas at first considered trashy have always remained trashy.’“ The Athenaeum, 31.5.1902, 699. 391 „[...] Mr. Percy Grainger introduced, for the first time here, a toccata, a very interesting little example of the art of M. Debussy of which there has been much talk recently, [...].“ The Times, 21.2.1903, 9. Zum französischem Repertoire des australischen Pianisten, der 1901 nach London gekommen war, siehe Kilpatrick, Grainger and the ‘New Iconoclasts’. 392 Bauer, seit 1892 in Paris wohnhaft, kannte Debussy schon aus dieser Zeit. Er spielte die Uraufführung der Suite Children’s Corner im Dezember 1908 in Paris (einen Monat später auch in London) und berichtete darüber in seinen Memoiren. Bauer, His Book, 141f. Ravel widmete ihm 1908 Ondine. 393 Borwick, ein Schüler Clara Schumanns, trat später auch mit eigenen Klavierarrangements des Prélude à l’après-midi d’un faune und von Fêtes hervor. The Musical Times, 1.4.1914, 258. 394 Vgl. zur Orchestermusik in England Kelly, French Connections, und Nichols, The Reception of Debussy’s Music; speziell zu den Promenade Concerts bis in die Gegenwart Rapoport, Debussy et les Proms. Vgl. auch Trillig, Untersuchungen zur Rezeption Debussys; Lang-Becker, Aspekte der Debussy-Rezeption in Deutschland. 395 Auf dem Programmzettel wurde es zwar nicht als Erstaufführung ausgewiesen, aber eine frühere konnte nicht ausfindig gemacht werden (der aktuelle Grove nennt erst das Jahr 1907). Abgesehen von der ersten Geige entsprach die Besetzung der des English String Quartet. Auch etwa Borodins zweites (1895) und Glasunows drittes Streichquartett (1898) hatten Studenten in England eingeführt. 396 Der in Melbourne geborene Primarius Johann Kruse war von 1892 bis 1897 zweiter Geiger des Joachim Quartetts gewesen. Ende 1905 spielte er im Quartett mit Haydn Inwards, Lionel Tertis und Herbert Withers. Zum Wessely Quartet siehe Anm. 215. Die kanadische Primaria Nora Clench gründete ihr Quartett 1904 mit Lucy Stone, Cecilia Gates und May Mukle. Sie gaben Erst- bzw.

137

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Tabelle 12: Erstaufführungen von Werken Debussys in England, 1903–1907 Datum

Werk

Interpreten (Reihe/Ort)

Presse

19.2.1903

Toccata (UA 1902)

Percy Grainger

T, 21.2.1903, 9.

24.3.1904

Danse (Tarantelle styrienne) Clotilde Kleeberg (UA 1900) Sarabande (UA 1902) Evelyn Suart

2.5.1904 20.8.1904

Prélude à l’après-midi d’un faune (UA 1894)

Henry Wood (Promenade Concerts)

19.10.1904 Streichquartett (UA 1893)

Vera Warwick-Evans, Herbert Kinze, Frank Bridge, Ivor James (RCM) Kruse Quartet

27.2.1905

Streichquartett

T, 25.3.1904, 5. T, 3.5.1904, 10. Ath, 27.8.1904, 282. MMR, 1.12.1904, 234. Ath, 4.3.1905, 282.

15.11.1905 Pagodes (UA 1904)

Grainger

MT, 1.12.1905, 811.

31.1.1906

Streichquartett

Leeds Bohemian Quartet (Leeds)

MT, 1.3.1906, 197.

5.2.1906/ 27.3.1906

Streichquartett

Nora Clench Quartet

24.2.1906

Prélude (UA 1902), Jardins Mary Cracroft sous la pluie; La soirée dans Grenade (UA 1904) Deux arabesques (UA Nr. 2 Lucie Mawson 1894) L’isle joyeuse (UA 1905) Harold Bauer

MS, 17.2.1906, 100; 31.3.1906, 195. T, 26.2.1906, 12.

24.4.1906

26.10.1906 Masques (UA 1905)

Rafael Navas

Wigmore Hall Archive Wigmore Hall Archive T, 27.10.1906, 4.

2.11.1906

Edith Robinson Quartet (Manchester) Fanny Davies

MT, 1.12.1906, 837. Ath, 13.7.1907, 50.

6.6.1906

10.7.1907

Streichquartett

Images (UA 1906, ein Stück?) 24.10.1907 Streichquartett

Esther Capel-Cure, Thomas Archiv RCM Peatfield, Kinze, Felix Salmond (RCM)

30.10.1907 Streichquartett (nur 2. und Wessely Quartet 3. Satz) 3./4./7. Streichquartett Parisian Quartet 12.1907 (Newcastle/Leeds/London)

138

Wigmore Hall Archive MT, 1.1.1908, 46/49/40.

Panorama der französischen Schule(n): Begegnungen und Urteile

konnten sich mit einem Stück wie Debussys von Beginn an als Exponenten progressiver Musik profilieren. Die als interessant und evokativ beschriebenen Klavierstücke wurden – anders als ein parallel vorgestelltes Stück Ravels – durchweg ernstgenommen,397 auch wenn sich mancher einer ironischen Spitze nicht enthalten konnte.398 Mit seinen harmonischen Experimenten und gewagten Modulationen führte Debussy die französische Tradition etwa Francks und Faurés fort, bei denen diese Merkmale oft hervorgehoben worden waren.399 Das Streichquartett nahmen die meisten Kritiker, teils zu ihrer eigenen Überraschung, äußerst positiv auf. Es verband für sie eine der Gattung angemessene klassische Formgestaltung (mit zyklischem Motiv, auf das womöglich auch im Programmheft hingewiesen wurde) mit neuartigen, „atmosphärischen“ Klangreizen, die es in die Nähe von Programmmusik rückten. Gerade die Mittelsätze, deren Klanglichkeit auch ohne Partiturkenntnis unmittelbaren Eindruck erzielen konnte, wurden oft hervorgehoben. Nur einzelne Autoren reproduzierten alte Stereotype wie die mangelnde Tiefe französischer Musik: It resembles all this composer’s other music in its wayward, whimsical, picturesque style, interwoven with complex, abruptly changing harmonies. Especially fascinating are the slow movement and scherzo.400 In the quartet, as in this short work [Prélude à l’après-midi d’un faune], the composer must have had reasons for his changing moods and his often peculiar harmonies; and yet there seems no need of an explanatory programme; the music in itself is sufficient. It is modern in character and form, and very original. The two middle movements are delightful, and at once make a strong appeal. The opening movement needs knowing; the finale is, perhaps, the weakest section. This Debussy quartet is music of a kind which would surely please poets and painters who, while loving music, are ignorant of its technique; it creates a

Uraufführungen etwa von Hugo Wolf, Max Reger und Cyril Scott, bevor Clench in ihre Heimat zurückkehrte. Die gebürtige Londonerin Jessie Grimson konzertierte ab 1902 mit Frank Bridge, von dem mehrere Werke uraufgeführt wurden, Ernest Tomlinson und Edward Mason. 397 „For sheer ugliness the palm must be allotted to M. Ravel’s „Jeux d’Eau,“ which apparently was written merely as a protest against all received notions of harmony, without any regard to melody or design. M. Debussy’s pieces, on the other hand, though revolutionary enough to please the most advanced spirits, are plainly the work of a musician, [...].“ The Monthly Musical Record, 1.6.1904, 117. 398 „The ‘concert of 20th century compositions’ given by Miss Mary Cracroft [...] was an interesting experiment, although in some hearers it induced a feeling of profound thankfulness that so much of their lives had been passed in the 19th century.“ The Times, 26.2.1906, 12. Auf dem Programm standen auch Ludwig Thuille, Richard Strauss, Sergei Rachmaninow, Stanford, Elgar und Vaughan Williams. 399 „The works of this young French composer are comparatively little known here, with the exception of a few charming songs and one or two weird and tortuous piano-pieces. In the latter M. Debussy’s methods forcibly bring to mind those of his compatriot Fauré, of whom Leschetizki once remarked that, if he simply wanted a glass of water, he would apparently be forced to twist himself backwards, [...].“ E , „L’après-midi d’un faune,“ by Claude Debussy, in: The Academy, 15.4.1905, 427f. 400 The Monthly Musical Record, 1.12.1904, 234.

139

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

poetical atmosphere, which would help them to give utterance and shape to their thoughts and feelings.401 What we know of him hardly prepares us to find in him a musician who has sympathy for chamber music, but the unexpected sometimes happens in music too, and the quartet we heard to-night is full of originality, while it is only in the last movement that we feel the modern composer’s usual striving after orchestral effects. The whole is so dramatic and apparently so descriptive that one is driven to the inference that M. Debussy meant to tell some story or to depict some outward objects or scenes. He has a fondness for strange harmonies which have an exotic subacid flavour. Some will no doubt call them cacophony, but the composer has sufficient discretion to know when to stop. There is a strange melancholy in the first movement, and in the second the use of the pizzicato is astonishingly fresh and ingenious. A pensive slow movement is followed by a passionate finale, and throughout there are many Wagnerian suggestions, but the total effect is one of great originality.402 It is a sequence of strange movements, partly elusive, like the rest of the composer’s work, and partly enchanting. Such music seems to yearn both for a „programme“ and for an orchestra. It creates an atmosphere rather than a substantial structure, and, in a way, may be compared to one of Turner’s more ethereal pictures. Still, for such work there is surely room in the temple of modern art. Debussy, at all events, does not shatter his themes to fragments, after the Strauss manner. Rather does he shroud them in an exquisite mist.403 Debussy’s Quartet in G minor ought to be heard again and again. The music is very original and charming, though not at all deep.404 The quartet is based on an initial motif, which runs more or less through the composition. The first movement is of a classical nature. [...] The whole composition conveys a feeling of remoteness, of far away enchanted islands, of fairy lands and magic meres. There is altogether another worldliness about it.405 Beautiful as it is, this quartet leads us to wonder whether, when we have become quite used to Debussy’s idiom, he will be looked upon as the Grieg of the French school – a composer whose power is limited by a number of obvious mannerisms.406

Der mit einer Monographie über den Symbolismus hervorgetretene Arthur Symons ging mit seiner Kritik zu den Londoner Konzerten der von Guéritte und Jean-Aubry organisierten Tournee 1907 über die ‚atmosphärische‘ Deutung hinaus, indem er eine grundlegende suggestive Qualität der Musik erkannte und als prophetisch würdigte:

401

The Athenaeum, 4.3.1905, 282. The Manchester Guardian, 6.2.1906, 6. 403 The Daily Telegraph, 6.2.1906, 11. 404 The Musical Standard, 17.2.1906, 100. 405 The Musical Standard, 31.3.1906, 195. 406 Das Jessie Grimson Quartet spielte auch das es-Moll-Quartett von Tschaikowski; beide Quartette würden nicht so oft gespielt, wie sie es verdienten. The Times, 14.12.1908, 6. 402

140

Panorama der französischen Schule(n): Begegnungen und Urteile

After Chausson comes Debussy. He is more of a problem, and is not to be solved by the hearing of a single quartet. It was divinely played, and it was through this playing that I was able at last to enter into the somewhat dark and secret shadows of this wood. Here, if anywhere, is a new kind of music, not merely showy nor wilfully eccentric, like too much that we have heard at the two concerts, but filled with an instinctive quality of beauty, which can pass from mood to mood, surprise us, lead us astray, but end by leading us to the enchantment in the heart of what I have called the wood. But words, however vague, are too precise for this music, which suggests nothing but music. It is content to be lovely in a new and unfamiliar way, the pure remote melody always just creeping in and always just held back, so that it may suggest the more. That is the modern method, the lyrical method of Verlaine, and that is why this composer, who is in no sense literary, can go for a title or an impulse to Mallarmé or to Maeterlinck or to the „Blessed Damozel“ of Rossetti. There is no direct speech in the quartet, but there is no emptiness, no lack of meaning. It soothes and intoxicates, and leads you at its will.407

Selbst Hubert Parry, der als Direktor und Kompositionslehrer am Royal College of Music einen tendenziell konservativen und keineswegs frankophilen Geschmack pflegte, zeigte sich von der ersten Aufführung des Streichquartetts beeindruckt.408 Umso mehr galt das für eine ganze Generation junger englischer Komponisten und Interpreten, denen Debussy völlig neue Klangwelten eröffnete.409 Auch mindestens Teile des Publikums verlangten nach mehr Musik von dieser Sorte: Das Streichquartett und das Prélude à l’après-midi d’un faune wurden jeweils „by request“ wiederholt; Henry Wood berichtete, bei keinem Werk mehr Bitten um eine Wiederholung erhalten zu haben als beim Prélude.410 Jene, die Debussy als eine der markantesten Persönlichkeiten der modernen Musik bezeichneten, erkannten zwar dessen wachsende Beliebtheit in England, bedauerten aber, dass dort bislang nur ein kleiner Teil seines Werks bekannt war. 407

Symons, French Music in London, 723. Der Cellist Ivor James blickte zurück: „[...] what must have been very nearly the first performance of the Debussy Quartet in this country. Sir Hubert was so delighted with it (the work, not the performance) that he expressed a wish to have it again at another Chamber concert – I cannot remember whether we did play it again, but he was most enthusiastic.“ James, The Good Old Days, 101. 409 „The first production of Debussy’s lovely String Quartet stirred the musical world to the depths. It may be that its significance was not immediately grasped by all, but if it seemed remote, mystical, elusive, it was for a brief moment only. It came very quickly nearer, and found the way to all our hearts by its wondrously delicate charm and originality.“ [Cobbett], Cobbett on Chamber Music [1922], 55. „The quartet of Debussy marks an entirely new era in chamber music, and definitely throws off allegiance to any traditions that have gone before.“ Clarke, The History of the Viola in Quartet Writing, 13. Siehe zu Eindrücken auch S. 229f. 410 Das Nora Clench Quartet spielte Debussy im Frühjahr 1906 gleich zweimal, das Prélude wurde nach der Erstaufführung direkt im Herbst 1904 von Wood bei den Promenade Concerts (dort auch 1906 und 1907) wiederholt und im Folgejahr bei der Philharmonic Society unter Frederic Cowen und in Liverpool vorgestellt. „The beauty of the harmony, the exquisitely beautiful orchestration, the atmosphere so fresh and original, created the deepest impression.“ Wood, My Life of Music, 244. Wood führte auch Debussys Chorwerke ein, im Februar 1908 La Damoiselle élue (nach einer englischen Vorlage) und im Herbst beim Sheffield Festival die Prix-de-Rome-Kantate L’enfant prodigue, die Debussy für diesen Anlass neu orchestrierte. 408

141

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Aus der Sicht Edgar Speyers, Finanzier des Queen’s Hall Orchestra und Mäzen mit modernem Geschmack, war es längst überfällig, Debussy nach England einzuladen.411 In Speyers Auftrag reiste Wood im Juli 1907 nach Paris und verpflichtete den Franzosen schließlich für eine feudale Gage.412 Am 1.2.1908 dirigierte Debussy bei den Promenade Concerts das mittlerweile bekannte Prélude à l’après-midi d’un faune und zum ersten Mal La mer. Ein Jahr später kehrte er für die englische Erstaufführung der Nocturnes neben dem Prélude zurück.413 Die beiden Besuche legten den Grundstein für einen regelrechten Debussy-Kult in England und den Eindruck, dass dieser in keinem anderen Land so begeistert aufgenommen wurde. Es gab bereits Gerüchte über eine Oxforder Ehrendoktorwürde.414 Parallel wurde auch Francks Sinfonie zum Publikumsliebling. Deutsche Musik dominierte nicht mehr das Orchesterrepertoire, wenngleich die neue französische Musik nicht plötzlich ganz ohne Skepsis betrachtet wurde: The Debussy cult is making great progress in this country. It has reached that interesting stage when many people who are really desperately bewildered, affect to perceive beauties and wonderful meanings that have probably entirely escaped the attention of the composer. But there is no mistaking the depth and width of the influence Debussy is exerting on the art. His music may be classed as nebulous, fragile, diaphanous, and so on, but one cannot resist the languor of the hazy atmosphere with which it envelopes and mesmerises the listener. What one appears to miss is the attribute of strength and grip and clearness of purpose. It is nearly always veiled suggestion and an appeal to imaginativeness.415 411

Speyer war ein Bankier deutscher Herkunft, der sein Geld als Unternehmer (etwa für die London Underground) und für die Kunst einsetzte. Bereits 1889 hatte er Strauss kennengelernt, der ihm Salome widmete. 1906 veranstaltete er ein großes Hauskonzert in 46 Grosvenor Street für Grieg. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs fiel Speyer in England in Ungnade und verließ das Land im Mai 1915 in Richtung Amerika. Vgl. Liebmann, The Fall of the House of Speyer. 412 Wood beschrieb die Szene in seinen Memoiren: Das großzügige Angebot von 100 Guineen (etwas mehr als 100 Pfund) lehnte Debussy ab und akzeptierte das doppelte; Speyer bekräftigte, „we must have Debussy whatever the cost“. Wood, My Life of Music, 208f. Grieg erhielt 1906 jeweils 100 Guineen für zwei Konzerte. Carley, Grieg in England, 348. Elgar bekam für Dirigate seiner ersten Sinfonie 25 Pfund pro Konzert und zeigte sich verärgert: „They [Queen’s Hall] pay any foreigner 4, 5, 6, 7 or even 8 times the amount given to me & lose largely over the visitor because they say its good for art.“ – „They had these three really trying concerts from me for 75 – then paid Debussy about 200 for a concert which only 3/4 filled the house – I am not complaining.“ Zwei Briefe an den Sekretär seines Verlags Novello, Henry R. Clayton, 2.2.1909 und 12.2.1910. Elgar, Elgar and His Publishers, Vol. II, 720 und 732. Vgl. Drysdale, Elgar’s Earnings. 413 Erst im Januar 1908 hatte Debussy zum ersten Mal überhaupt selbst dirigiert. Im zweiten der Nocturnes kam es zu einem oft beschriebenen Zwischenfall; Debussy wollte nach einer misslungenen rhythmischen Koordination abbrechen, doch das Queen’s Hall Orchestra wollte sich keine Blöße geben und fuhr unbeirrt fort. 414 „Why was it that Debussy was refused an honorary musical degree at Oxford, despite weighty influences in his favour? Perhaps his harmonies were immoral!“ The Observer, 3.10.1909, 12. Ein Kommentator meinte: „Would it not be a little early thus to honour the French composer? ‘Dr.’ Strauss has not yet been so honoured! We are not going to accept Debussy at a gulp, it would be stupid to do so.“ The Musical Standard, 9.10.1909, 237. 415 Nach dem Besuch im Februar in The Musical Times, 1.4.1909, 258. „Debussy seemed delighted –

142

Panorama der französischen Schule(n): Begegnungen und Urteile

Ähnliches galt für die Opernbühne: Die mit Spannung erwartete englische Premiere von Pelléas et Mélisande am 21.5.1909 war eine von drei französischen Novitäten der Saison.416 Vier Tage nach der Aufführung hielt Edwin Evans einen Vortrag über Debussys drame lyrique, in dessen Vorlauf er den Komponisten um einen Kommentar gebeten hatte. Dieser hatte zudem in einem Interview die Gelegenheit, seine Ansichten über Opernkomposition darzulegen.417 Evans’ These, Debussy habe in Pelléas eine neue Stufe der Einheit von Musik und Text erreicht, wurde kritisch diskutiert und hing letztlich mit der Bewertung von Debussys gesamtem Schaffen zusammen.418 Schon im Dezember 1908 hatte Guéritte mit dem Sängerehepaar Bathori-Engel in Leeds ein lecture-recital über die Oper gehalten: nur einer von zahlreichen Vorträgen dieses Jahres zu Debussy.419 Dessen Stellung in der zeitgenössischen Musik war ein Kernpunkt der publizistischen Auseinandersetzung, die eng mit der Debatte um den französischen Einfluss auf die englische Musik verknüpft war (siehe Kapitel 4.2 und 4.3). Über die Planung der Tournee Ende 1907, bei der den Engländern die jüngste französische Kammermusik präsentiert werden sollte, war Debussy durch Jean-Aubry informiert.420 Bei den fünf Konzerten wurden von ihm nur bereits bekannte Werke aufalmost like a child – because he thought that we in London appreciated his music more than his own countrymen in his beloved Paris.“ Wood, My Life of Music, 297. Ein anonymer Nachruf postulierte: „England may claim the distinction of having given him the most sympathetic reception. Even in France he did not enjoy the uncontested glory accorded to him in this country.“ The Saturday Review, 13.4.1918, 318. 416 Der italienische Dirigent Cleofonte Campanini leitete die Aufführung, während der zu den Proben angereiste Komponist im Hotel blieb. In der gleichen Saison gab es Saint-Saëns’ Samson et Dalila und Gustave Charpentiers Louise. Landon Ronald, The New Departure at Covent Garden, in: Daily Mail, 26.4.1909, 6. Zum ersten Mal seit 1887 stand keine Carmen auf dem Spielplan. Rosenthal, Two Centuries of Opera at Covent Garden, 340. 417 Evans’ Vortrag wurde veranstaltet von der Société des concerts français, dem Concert-Goers’ Club, dem Playgoers’ Club und der Society of British Composers. Das Ehepaar Bathori-Engel sang Auszüge. Evans, Debussy’s “Pelléas et Mélisande”. In seiner Antwort ging Debussy auf die Melodie und das sinfonische Gerüst der Oper ein. Debussy, Correspondance, 1170f. Siehe für das Gespräch, in dem Debussy Bach als seinen Lieblingskomponisten nannte, R. de C. [René de Castéra?], The Newest Music, in: Daily Mail, 28.5.1909, 4. 418 Vgl. etwa David Irvine, Wagner and Debussy, in: The Musical Standard, 12.6.1909, 379f. Evans’ Replik wurde mit einem Kommentar des Herausgebers abgedruckt, der postulierte: „For some time we have been convinced that Debussyism in composition, whether operatic or non-operatic, is not likely to exert at all a desirable influence on our art. It is simply a thing in itself – a delightful curiosity, though tiring in the end. Unfortunately this self-conscious music of Debussy has influenced other composers.“ The Musical Standard, 10.7.1909, 29. 419 The Musical Times, 1.1.1909, 46. 420 „Excusez mon retard à répondre à votre aimable lettre et à vous remercier de votre belle activité. Si mon nom peut vous être utile n’hésitez pas à vous en servir et que l’Angleterre vous soit clémente. À ce propos il me semble que les Anglais n’ont pour la musique que les sympathies officielles auxquelles jusqu’ici Haendel et Sullivan ont abondamment suffi.“ Brief von Debussy an Jean-Aubry, 26.10.1907. Debussy, Correspondance, 1038. Aus England erhielt er eine Postkarte von den Organisatoren und Interpreten und schrieb erneut an Jean-Aubry, 11.12.1907: „J’ai reçu le programme de vos concerts en

143

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

geführt, darunter das Streichquartett zum ersten Mal von französischen Interpreten. Für die sich formierende Société des concerts français war es naheliegend, den vieldiskutierten Debussy einzuladen und ihm ein eigenes Konzert zu widmen. Auch in Manchester war er bereits im Herbst 1908 für den 23.2.1909 persönlich angekündigt worden, doch im Dezember schrieb er der Organisatorin Lucie Barbier bedauernd, er könne ihr seinen Besuch nicht zusichern.421 Mit Guéritte hatte er jedoch die Vereinbarung getroffen, bei der Eröffnung der Londoner Konzertreihe anwesend zu sein. Diese fand am Vorabend des Konzerts in der Queen’s Hall statt. Guéritte überzeugte Debussy trotz großen Widerwillens schließlich auch, mit den von der Société engagierten Interpreten noch in Edinburgh und Manchester Station zu machen.422 Diese Reise wurde durch Debussys plötzlich verschlechterten Gesundheitszustand verhindert, die Konzerte mussten ohne ihn stattfinden.423 Als Repräsentant der Society of British Composers lud Evans Debussy zu einem Empfang nach dem Orchesterkonzert ein.424 In seinen Memoiren persiflierte Arnold Bax die Zurschaustellung des berühmten Gastes vor einer Versammlung alter snobistischer Herrschaften: The Club members were mostly elderly, and notable for wealth, paunchiness, and stertorous breathing. [...] Of the four guests Debussy’s torments were certainly the most excruciating. [...] The proceedings were to be preluded by an address welcoming the Angleterre : il est parfait, et je ne doute pas que les Anglais n’en accueillent favorablement l’élégante concision. [...] Voilà de l’admirable propagande dont il faut vous être reconnaissant, par-dessus toute espèce de personnalité... Je compte absolument vous voir à Londres, votre présence sympathique me sera un encouragement précieux parmi tant de visages inconnus, qu’ils soient hostiles ou bienveillants !“ Ebd., 1044f. (Anm. 2 verweist fälschlicherweise auf die Konzertreihe in Manchester statt auf die Tournee.) Vgl. Jean-Aubry, Some Recollections of Debussy. 421 „Malgré mon désir de vous servir dans ce que vous voulez faire à Manchester pour la musique française, je ne puis, au moins maintenant, vous assurer de mon concours. D’abord, j’ai peur d’avoir besoin de demander que l’on recule la date du concert de Londres, tant il me reste à travailler; ensuite, ce voyage représente un long dérangement et des frais avec lesquels il me faut compter. Croyez à mes regrets et tâchez de patienter jusqu’au mois de Mars, époque à laquelle je retournerai à Londres; peut-être trouverons-nous quelque chose pouvant vous satisfaire.“ Brief von Debussy an Lucie Barbier, 22.12.1908. Debussy, Correspondance, 1138. Der Aufbewahrungsort wird als unbekannt angegeben; das Autograph liegt in Aberystwyth (NLW MSS 22692-3E). 422 „J’espère vous y voir et vous raconterai les menées de votre ami Guéritte qui me force à m’arrêter à Manchester en revenant d’Édimbourg; cet homme est sans pitié.“ Brief von Debussy an Jean-Aubry, 24.2.1909. Ebd., 1157. 423 Eine Woche nach seiner vorzeitigen Abreise aus London schrieb Debussy an Guéritte, 7.3.1909: „Je regrette d’avoir dû causer tant de désappointement au public musical de Manchester qui s’intéresse à mes œuvres, et à votre Comité.“ Ebd., 1161f. Auch dieser Brief wird als Teil von Barbiers Nachlass in Aberystwyth aufbewahrt. 424 Die Vereinigung wurde 1905 von Professoren der Royal Academy of Music gegründet, primär um Publikationen englischer Komponisten zu ermöglichen. Evans war Mitgründer und erster Schatzmeister. Debussys Zusage erfolgte am 10.2.1909, von dem Brief an Evans ist nur eine Zusammenfassung dokumentiert. Ebd., 1152.

144

Panorama der französischen Schule(n): Begegnungen und Urteile

composer, and embodying a short appreciation of his work. A speaker of French was an essential, for Debussy could understand scarcely a word of English. [...] The great composer, an inordinately shy man, was planted in a chair in the exact centre of the platform facing the audience. He was clearly utterly nonplussed, and could only attempt to solve his problem by rising and making a stiff little bow whenever he recognized his own name amid Kalisch’s guttural mumblings. This part of his ordeal over, he was permitted to shamble dazedly to the rear of the hall, where he confided to Edwin Evans that he would rather write a symphony to order than go through such an experience again.425

Bax’ Beschreibung der Szene, die Debussy ganz ähnlich vorhergesagt hatte,426 wurde gerne und oft zitiert, begnügte sich aber mit leichtem Spott. Tatsächlich wurde bei diesem Anlass auch Musik Debussys gespielt, darunter mindestens Auszüge des Streichquartetts.427 Die gleiche Aufwartung war nur knapp zwei Wochen zuvor Sibelius gemacht worden, als auch englische Kompositionen erklangen.428 Auch wenn Debussy keine englische Musik präsentiert wurde, ist doch auffällig, dass er im Brief an seinen Verleger die entente cordiale erwähnte. So lässt sich der Empfang nicht nur als Zeichen hoher Anerkennung für den Gast ansehen, sondern auch als angestrebte Zusammenführung der jungen französischen und englischen Musik. Der älteren Generation hingegen, hier repräsentiert durch Frederick Corder, Kompositionsprofessor und Vorsitzenden der Society of British Composers, blieb Debussys Musik meist fremd.429 Wenn auch gesundheitlich bedingt, war der vorzeitige Abschied Debussys von der abendlichen Feier gewissermaßen symptomatisch:430 Im Vergleich etwa zu Fauré oder 425

Bax, Farewell, My Youth, 56–59. „Ce soir il me faut aller à une réception organisée par La Sté [Société] des Compositeurs Anglais... Quelle figure y ferai-je ? ... Quelque chose de comparable à un condamné à mort ; il paraît que je ne peux m’en démettre, à cause de l’entente cordiale et quelques autres sentimentalités, inventées pour hâter la mort de son prochain – probablement.“ Brief von Debussy an Jacques Durand, 27.2.1909. Debussy, Correspondance, 1159. 427 Als Interpreten fungierten das Parisian Quartet (wie am Vorabend bei der Société), Evelyn Suart und die amerikanische Sängerin Betty Booker. Der Empfang wurde gemeinsam von der Society of British Composers, dem Concert-Goers’ und dem Playgoers’ Club gegeben. The Observer, 28.2.1909, 5. Bax war seiner Erinnerung nach der Klavierbegleiter, womöglich spielte auch die junge Myra Hess. McKenna, Myra Hess, 50. 428 Mindestens der Concert-Goers’ Club agierte auch als Gastgeber. Die Einladung des Vorsitzenden Alfred Kalisch an Sibelius und das Programm vom 16.2.1909 finden sich in Sibelius/Newmarch, Correspondence, 67f. Dabei spielten Lionel Tertis, York Bowen, Myra Hess und als Liedbegleiter Arnold Bax: alle Absolventen der Royal Academy of Music, was auf eine Beteiligung der Society of British Composers hindeutet. Der „Music Club“, wie sich der Concert-Goers’ Club nun nannte, lud wiederholt prominente Komponisten ein, darunter d’Indy 1909, Ravel 1913, Schönberg, Strauss und Skrjabin (nicht anwesend) jeweils 1914, Delius 1915 sowie Rachmaninow 1922 (siehe Anm. 1157). 429 Corders Schüler Bax zufolge ließ dieser sich entschuldigen, die Ansprache zu Ehren Debussys zu halten; „he could not bring himself publicly to extol a musical idiom that he was unable to appreciate.“ Bax, Farewell, My Youth, 58. 430 „[...] les répétitions, le concert du Queen’s Hall à Londres m’ont tellement affaibli que j’ai dû quitter avant la fin la réception que m’offrait, le soir du concert, la Société des British Composers ; [...].“ Brief von Debussy an Guéritte, 7.3.1909. Debussy, Correspondance, 1162. 426

145

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Abbildung 10: Programmzettel der Erstaufführung von Debussys Streichquartett, 1904 (Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Royal College of Music, London) 146

Panorama der französischen Schule(n): Begegnungen und Urteile

Abbildung 11: Programmzettel von Liebichs „Matinées intimes of Old & Modern Music“, 1912 (André Mangeot Collection, Royal College of Music, London) 147

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

148

Panorama der französischen Schule(n): Begegnungen und Urteile

149

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

später Ravel knüpfte er keine solche engen Kontakte zu englischen Musikern. Bei seinen beiden ersten Englandbesuchen 1902 und 1903 hatte er die Bekanntschaft des Komponisten Percy Pitt gemacht,431 mit dem er korrespondierte und der ihn bei den Proben von Pelléas 1909 unterstützte, doch schätzte er (halb-)private Anlässe weniger. Im Juli 1914 allerdings, bei seiner letzten Auslandsreise überhaupt, war er zu Gast bei einer Soiree von Leonora und Edgar Speyer.432 Bei den Speyers hatte er wohl 1908 auch Ethel Smyth kennengelernt.433 Zwei wichtige Exponenten seiner Musik in England, die er hoch zu schätzen wissen sollte, traf Debussy erstmals im April 1909 in Paris:434 Das Ehepaar Louise und Franz Liebich ließ seine modernen und kosmopolitischen Neigungen vor allem bei häuslichen Rezitalen wie den „Matinées intimes of Old & Modern Music“ erkennen.435 1912 erklangen dort Ravels Valses nobles et sentimentales und Debussys Rhapsodie für Klarinette und Klavier zum ersten Mal in England (siehe Abbildung 11). An der Reihe beteiligt waren Edmund van der Straeten an der Viola da gamba, der schon vor 1900 moderne französische Musik gespielt hatte, und der auch bei der Société aktive André Mangeot. Louise Liebich, die Einführungsvorträge hielt, war durch einen Artikel von Lionel de La Laurencie auf Debussy aufmerksam geworden.436 Bereits Anfang 1904 schrieb sie einen Text über ihn in einer englischen Musikzeitung und veröffentlichte 1907 die erste Biographie überhaupt (siehe S. 216).437 431

1902 war Debussy zu Gast bei André Messager, dem künstlerischen Direktor der Oper Covent Garden. Zwanzig Jahre zuvor hatte Fauré zusammen mit Messager das erste Mal die Insel besucht. 432 Gespielt wurden am 17.7.1914 die Petite suite (für Orchester?), das Prélude à l’après-midi d’un faune, Children’s Corner, die Danses für Harfe sowie Lieder, wie Emma Debussy 1927 an Jean-Aubry schrieb: „Réception somptueuse qui aurait pu lui déplaire si tous n’avaient rivalisé de réelle admiration et de très affectueuse courtoisie“. Ebd., 1836, Anm. 3. Ihr Brief macht deutlich, dass das Konzert „chez Lady Speyer“ und nicht in der Queen’s Hall stattfand, wie der Kommentar angibt. Für Debussy war ein solcher Anlass vor allem eine willkommene Einnahmequelle, weshalb er sehr bedauert hatte, dass ein geplanter Anlass bei Speyers im Vorjahr nicht zustande gekommen war. Ebd., 1612. 433 Bei diesem Anlass dirigierte Smyth ihre vier französischen Lieder mit Ensemble, es sang die auch mit Fauré verbundene Elsie Swinton (siehe Anm. 277). Smyth, What Happened Next, 301f. 434 Brief von Debussy an Franz Liebich, 16.4.1909; Brief von Debussy an Jean-Aubry, 30.4.1909: „Vos amis Liebig sont charmants..!“ Debussy, Correspondance, 1169 und 1175. 435 Franz (Frank) Liebich (1860–1922) wurde in London geboren und studierte in Deutschland unter anderem bei Ferdinand Hiller und Hans von Bülow. 1887 heiratete er Louise (Louisa) Shirley (1863–?). Vgl. Wyndham/L’Epine (Hgg.), Who’s Who in Music, 124. Schon früh trat er mit französischer Musik hervor und spielte 1896 bei einem Empfang für Fauré (siehe Anm. 257). Das Ehepaar gab gemeinsame Konzerte und lecture-recitals oft in privatem Rahmen, die von Bernard Shaw 1893 kritisch besprochen wurden. Shaw, Music in London, Vol. III, 103–105. In der Aeolian Hall veranstaltete Franz Liebich Manuel de Fallas englisches Debüt im Mai 1911 und ein französisch-ungarisches Programm mit Musik von Bartók und Kodály im März 1914 (Archiv Aeolian Hall, RCM). Vgl. Collins, Falla in Britain, 35. Beide Eheleute wurden auch Mitglieder der Société. 436 Liebich, An Englishwoman’s Memories of Debussy. Siehe auch dies., Debussy and His Garden. 437 Debussy bat Jean-Aubry am 5.3.1908, ihm das Buch zurückzuschicken. Debussy, Correspondance, 1071.

150

Panorama der französischen Schule(n): Begegnungen und Urteile

Bei einem Rezital von Franz Liebich im Februar 1909 bekam Jean-Aubry die Gelegenheit für einen ausführlichen Vortrag in französischer Sprache über Debussy.438 Sicher durch den Kontakt zu Jean-Aubry ermöglicht, spielte Liebich im folgenden Monat Stücke Debussys auch beim Cercle in Le Havre, bei dem sonst nur französische Interpreten auftraten (siehe Anm. 329). Der „Übergang von der romantischen Schule zu den Impressionisten über die Orientalisten“ war Thema eines weiteren Konzerts mit Vortrag im Juni 1910, diesmal von Louis Laloy. Liebich gab dabei die Uraufführung von La fille aux cheveux de lin und die englische Erstaufführung dreier weiterer Préludes.439 Zudem spielte Cyril Scott drei eigene Werke. Der gerne als „englischer Debussy“ Bezeichnete hatte auch bei den ersten Konzerten in London oft mit dem Franzosen auf dem Programm gestanden (siehe S. 295ff.). In den Kriegsjahren wurden einige von Debussys neuen Werken (und ein altes) gar in England uraufgeführt (siehe Tabelle 13). Wie zu Beginn waren oft englische Interpreten involviert: Zwei der drei späten Sonaten führten Mitglieder des London String Quartet ein.440 Die neuen Kompositionen wurden in der Presse selten ausführlich besprochen, einige Beobachter wie Ernest Newman standen dem Spätstil kritisch gegenüber.441 Debussys frühere Klavierstücke, Lieder und das Streichquartett waren längst fester Bestandteil des Konzertrepertoires geworden. Das Quartett wurde sowohl bei Gastspielen von etablierten Quartetten des Kontinents, wie dem Brüsseler Streichquartett und dem St. Petersburg String Quartet, als auch von englischen Ensembles nicht mehr nur in London gespielt.442 Seine Musik hielt zudem Einzug in eine so konservative und germanophile Institution wie die Classical Concert Society, bei der das Quartett 1911 438

„[...] nearly forty minutes’ conversation in French, the greater part of which is already known to those who are sufficiently well acquainted with the language to understand what he said, seems a queer way of showing the desire to extend a composer’s reputation.“ Die zweite Hälfte des Konzerts war allein Debussy gewidmet (unter anderem mit Children’s Corner), in der ersten erklangen zum ersten Mal in England fünf Lieder von Mussorgski. L. P. C., „From Monteverde to Debussy.“, in: The Musical Standard, 20.2.1909, 116. Jean-Aubry hatte Barbier für dieses Konzert um die Empfehlung eines Sängers gebeten (siehe Anm. 346). 439 The Times, 3.6.1910, 11. „We wonder how a Parisian audience would view a lecturer who addressed them (say) in English!“ The Musical Standard, 11.6.1910, 367. Laloys Schwägerin Marguerite Babaïan sang zudem armenische und von Ravel arrangierte griechische Volkslieder. The Manchester Guardian, 3.6.1910, 7. 440 Die Violinsonate spielten zwar offenbar zuerst die Belgier Jongen und Defauw, doch die Aufführung von William Murdoch und Albert Sammons folgte nur einen Monat später und wurde gleichfalls als Premiere angekündigt. The Times, 14.7.1917, 3. 441 Siehe Anm. 669. Zur Sonate für Flöte, Viola und Harfe schrieb hingegen Evans: „The work is a departure from but by no means a recantation of his earlier methods. The melodic line moves with a freedom that is remarkable, even in this composer, and its originality stands out even when compared with his own earlier work. The fact that he has discarded many of his own chlichés is also strongly in the work’s favour.“ E. E. [Edwin Evans], New Debussy Sonata, in: Daily Mail, 3.2.1917, 5. 442 So war etwa das neue Plymouth Philharmonic String Quartet „bold enough to risk putting Debussy before a Plymouth audience“. The Musical Times, 1.11.1911, 737. Die erste Aufführung in Birmingham bestritt das Catterall Quartet im Februar 1912. The Musical Times, 1.3.1912, 183.

151

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Tabelle 13: Erstaufführungen von späteren Werken Debussys in London, 1910–1919 Datum

Werk

Interpreten

Presse

2.6.1910 (UA 1910)

La fille aux cheveux de lin (UA), drei weitere Préludes

Franz Liebich

MS, 11.6.1910, 367.

30.11.1912 (UA 1911)

Rhapsodie für Klarinette und Klavier

Liebich, Leo Dawes

MS, 7.12.1912, 360.

12.6.1913 (=UA)

Préludes, deuxième livre (komplett)

Walter Morse Rummel

Ath, 21.6.1913, 678.

4.3.1916 (=UA)

Cellosonate

Ethel Hobday, Charles Warwick-Evans

Ath, März 1916, 150.

2.2.1917 (UA 1916)

Sonate für Flöte, Viola und Harfe

Albert Fransella, Harry Waldo Warner, Miriam Timothy

DM, 3.2.1917, 5.

26.6.1917 (UA 1917)

Violinsonate

Joseph Jongen, Désiré Defauw

Fonds Jongen

20.11.1919 (=UA)

Fantaisie für Klavier und Orchester (1890)

Alfred Cortot, Royal Philharmonic Society (Dgt. Albert Coates)

Ath, 28.11.1919, 1266.

und 1914 gespielt wurde.443 Bei Liedrezitalen und anderen gemischten Programmen waren auch Arrangements für Violine und Klavier beliebt (etwa von En bateau, der zweiten Arabesque oder der Sérénade à la poupée), die eine ähnliche Stellung einnahmen wie etwa Faurés Salonstücke. Auch in privatem Rahmen wurde Debussys Musik rege gepflegt, wie bei den programmatisch modernen Rezitalen der Liebichs. Einen kleinen Einblick in die naturgemäß weniger dokumentierte private Praxis geben Memoiren: So erinnerte sich Arthur Rubinstein an eine Aufführung von Debussys Quartett in Muriel Drapers kellerartigem Studio in Chelsea mit Albert Sammons, Sylvia Sparrow, Lionel Tertis und Agustín Rubio 1915. Der Widmungsträger Ysaÿe verblüffte die Anwesenden mit dem Geständnis, er könne die Musik nicht verstehen, sie sei für ihn zu modern.444 Die Fantaisie für Klavier und Orchester, ein Werk aus Debussys jungen Jahren, wurde noch vor der öffentlichen Uraufführung 1919 in London bei einem privaten Nachmittagskonzert vorgestellt.445 443

1911 war es Teil eines rein französischen modernen Programms: Das English String Quartet spielte außerdem Francks Klavierquintett mit Percy Grainger, der Klavierstücke von Albéniz, Fauré, Ravel und Debussy beisteuerte. The Violin and String World, Supplement to The Musical Standard, 25.2.1911, 11. 1914 gastierte damit das Geloso Quartet. Siehe zu der Reihe S. 246f. 444 Rubinstein, My Young Years, 445. Siehe zu Draper Anm. 536. 445 Eine Ankündigung und der Programmzettel des Konzerts am 19.11.1919 bei Mrs. Edmund Davis in

152

Panorama der französischen Schule(n): Begegnungen und Urteile

Mit Debussys bereits vor Beginn des Krieges gesicherter Stellung im Konzertleben richtete sich der Blick seiner Fürsprecher zunehmend auf andere französische Komponisten. Von diesen konnte zwar keiner an die Erfolge Debussys auf der großen Bühne anknüpfen oder gar einen neuen ‚Kult‘ entfachen, aber einige der – oft bei der Société vorgestellten – Kammermusikwerke gelangten zu einer gewissen Popularität und schafften den Sprung ins englische Repertoire. Louise Liebich postulierte 1912: [The ordinary general public] is perfectly well aware now of the existence of Debussy and it is bored by the reiteration of his name as seemingly the only French living composer when it is quite ready to acclaim the genius of such men as Ravel, Florent Schmitt, de Severac, Dukas, Roussel and others.446

Intellekt und Emotion: Die Tradition d’Indys und Chausson Die Musik d’Indys, des zu Lebzeiten zweifellos einflussreichsten Schülers aus der FranckKlasse, wurde in England parallel zu der des Lehrers bekannt: Das frühe Orchesterwerk La forêt enchantée op. 8 (1878) etwa wurde 1896 im Crystal Palace zuerst von August Manns, dann von Lamoureux präsentiert.447 Bei seinem ersten Auftritt als Dirigent in England führte Ysaÿe 1900 das Vorspiel zu Fervaal sowie die sinfonischen Variationen Istar op. 42 (1896) ein.448 Schon 1894 war das Klarinettentrio B-Dur op. 29 (1887) bei der neuen Kammermusikreihe des Cellisten Edmund van der Straeten gespielt worden.449 Wieder war es Ysaÿe, der bei seinem Gastspiel bei den Popular Concerts 1901 neben Franck und Saint-Saëns mit dem Klavierquartett a-Moll op. 7 (1878–1888) weitere Kammermusik d’Indys vorstellte. Das frühe Werk stieß jedoch nicht auf Begeisterung: The work is full of pleasing and ear-winning melodies, with much arpeggio work and chromatic passages for the pianoforte, [...]. Nevertheless it must be opined that the Quartet as a whole is below the standard of the Popular Concerts: it lacks depth and dignity, [...].450

13 Lansdowne Road werden in der André Mangeot Collection (RCM) aufbewahrt. Cortot, Mangeot, Georges Pitsch und Blanche Marchesi präsentierten neben der Fantaisie (an zwei Klavieren) außerdem Debussys Cello- und Violinsonate, das erste Heft der Préludes und Vokalstücke. 446 Liebich, Symptoms of Musical Progress, 53. 447 „[...] it is a good illustrative example of the modern French school, fancy and colour being preferred to form.“ Musical News, 21.11.1896, 439. 448 Das französische Repertoire war auch durch Francks Le chasseur maudit und Henri Duparcs Lénore vertreten. „It is not without significance that all the French composers in this list have been pupils of César Franck, who must have enjoyed something very like a monopoly in his lifetime.“ The Musical Times, 1.12.1900, 817. 449 Siehe für die positivste der Kritiken Anm. 141. Das Werk griffen Frances Thomas (Klarinette) und die erst sechzehnjährige May Mukle mit ihrer Schwester Anne auf. Musical News, 3.4.1897, 318. 450 The Musical Standard, 2.3.1901, 138. Vgl. zu diesen Konzerten S. 56.

153

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Dennoch wurde das Klavierquartett vereinzelt aufgegriffen.451 Das Leeds Bohemian Quartet präsentierte 1905 auch das zweite Streichquartett E-Dur op. 45 (1897).452 Anders als Francks verbreitete sich d’Indys Kammermusik in England aber nicht auf einer breiten Ebene. Die Vorstellung der ‚Franck-Schule‘ als prägende Gruppierung der modernen französischen Musik, die sich schon bei Orchesterprogrammen in den späten 1890er-Jahren abgezeichnet hatte, konkretisierte sich hingegen zunehmend: Dafür sorgten Konzerte wie jene von Blanche Selva, ehemalige Schülerin d’Indys und Klavierprofessorin an der Schola cantorum, die im Herbst 1907 das Poème des montagnes (1881) neben die beiden groß angelegten Klavierzyklen Francks und Werke von Fauré (ein Nocturne), Debussy (Estampes), Séverac (En Languedoc), Dukas (Variations, interlude et final sur un thème de Rameau und die Klaviersonate) und Albéniz (Stücke aus Iberia) stellte.453 Zusammen mit der Geigerin Jeanne Diot spielte Selva zudem d’Indys Violinsonate C-Dur op. 59 (1904) und die Sonaten von Fauré und Franck, wobei dem Kritiker zufolge die ersten beiden die aktuellen Tendenzen repräsentierten, die sich dem „original stimulus“ Francks verdankten.454 Bei der kurz danach von Guéritte und Jean-Aubry organisierten Tournee mit moderner französischer Musik stand d’Indy mit einem Lied und einem kurzen Klavierstück nicht im Zentrum. Er war dafür im März 1909 mit Selva bei dem letzten von Barbiers French Concerts in Manchester zu Gast. Da von ihm wie meistens nur ältere Kompositionen zu hören waren, überrascht die Einschätzung nicht: Although acclaimed a modern, Vincent D’Indy’s music is representative of a different class of modernity to Debussy’s, and comparison [sic] one with the other is impossible, their mode of speech is as opposite as the poles. [...] A predominance of the diatonic style with occasional hints of newer and wider forms of to-day convey a feeling of one with a conservative instinct.455 451

E. E. [Edwin Evans], A New Chamber-Music Club, in: The Musical Standard, 12.12.1903, 371. „[...] a French composer little heard of in England as yet, but whose work must force him rapidly to the front.“ T. J. B., Leeds, in: The Musical Standard, 18.2.1905, 108. Siehe zu dem Ensemble Anm. 501. 453 In einer Woche fast täglicher Rezitale von Selva in London waren drei französischer Musik gewidmet (zudem gab sie eines auf Einladung von Evans, siehe Anm. 638). „For all their cleverness in descriptive music, very few of the younger men can maintain the interest of a work that professes to be abstract, for very few have attained the skill to write in the classical forms, which for the most part they despise; [...]. Franck himself, probably from choice, preferred repeating whole passages textually to developing his themes in the proper sense; so that there is no model for his disciples when they leave the sphere of illustrative music. To condemn wholesale the movement that Franck began would, of course, be unfair, but as yet it has produced results of very doubtful utility to the true interests of art.“ The Times, 27.11.1907, 12. 454 The Times, 26.11.1907, 7. Die Chronologie wurde dabei irreführend wiedergegeben, denn Faurés Sonate entstand zehn Jahre vor Francks. 455 WM. Henry Caunt, French Music in Manchester, in: The Musical Standard, 20.3.1909, 181. Vgl. auch The Manchester Guardian, 9.3.1909, 7. Gespielt wurden d’Indys Klarinettentrio, Poème des montagnes, Lied für Violoncello op. 19 (1884) und zwei Lieder. Nach dem Orchesterkonzert in London hieß es: „[...] d’Indy stands midway between the iconoclastic young composers on the one hand and the 452

154

Panorama der französischen Schule(n): Begegnungen und Urteile

Anlässlich seines anschließenden Besuchs in der Queen’s Hall am 27.3.1909 – einen Monat nach Debussys zweitem Auftritt –, bei dem er die sinfonische Trilogie Wallenstein (1873–1881) zum ersten Mal in England komplett dirigierte, wurde d’Indy in der Presse ausführlich behandelt.456 Das gezeichnete Bild war dabei von großem Respekt geprägt, insbesondere wurde der Einfluss seiner Lehrtätigkeit hervorgehoben. Seine Musik wurde hingegen abwägend beurteilt, dieser attestierte man eher sichere Technik und Raffinesse der Ausarbeitung, weniger Individualität und Inspiration der Erfindung.457 Für die Organisatoren der Société des concerts français stellte sich die Frage nach der Modernität d’Indys nicht, er war in der Londoner Reihe bei immerhin fünf Konzerten vertreten. Seine älteren Werke repräsentierten dort die früheste Phase der vorgestellten progressiven Tendenzen. Im Oktober 1909 war es wieder Selva, die sechs Stücke aus den Tableaux de voyage op. 33 (1889) und mit Firmin Touche die Violinsonate C-Dur spielte. Das Duo führte auch die Violinsonate G-Dur op. 13 (1901) von Albéric Magnard ein, der privat bei d’Indy studiert hatte und wie Selva als Dozent an der Schola cantorum tätig war. Die Programmgestaltung bekräftigte die stilistische Verbundenheit dieser Schule. [...] Albéric Magnard, a pupil of d’Indy’s whose works are very little known in this country. He was represented last night by a Sonata for violin and piano, which, though very long and diffuse in three of its four movements, has many moments of beauty and some extremely ingenious part-writing. It resembles much contemporary French music in that the harmonic transitions are often very abrupt and, until one is familiar with the work, sound sometimes harsh and ugly; the form, as usual in French work, is regular and logical, and the writing is extraordinarily clear throughout, and particularly so in the impassioned coda to the first movement, which shows the influence of the master of d’Indy and the greater part of the modern school – César Franck.458

Die Haltung der Musik Magnards gegenüber ähnelte derjenigen zu Albert Roussel, ebenfalls ein Schüler d’Indys und Dozent an der Schola cantorum: Es handelte sich eher um Spezialistenrepertoire, das nach der Einführung durch die Société in England kaum wieder aufgegriffen wurde. Roussel war zu Gast bei deren zweitem Konzert im März 1909, das d’Indy und zweien seiner Schüler gewidmet war und mit denselben Interpreten zuvor in Le Havre gegeben worden war (siehe Anm. 329, die Pianistin Antoinette Veluard war ebenfalls Absolventin der Schola cantorum). Er selbst begleitete Jane Bathori-Engel bei seinen Liedern und war gleich mit zwei jüngeren und groß ultra-conservative party on the other, a party much discredited in these days when eau sucrée is no longer in vogue.“ The Times, 29.3.1909, 5. 456 Wie Debussy vor ihm war auch d’Indy Ehrengast bei einem Empfang des Music Club; dem anwesenden Bax zufolge war das Hauptwerk die Klaviersonate op. 63 (1907), die die erst neunzehnjährige Myra Hess spielte. Bax, Farewell, My Youth, 59f. 457 „D’Indy has exercised an influence on the younger French school that is easily liable to be underestimated. It is perhaps true that the quality of his work has not advanced.“ G. H. C. [George H. Clutsam], The Visit of Vincent d’Indy, in: The Observer, 21.3.1909, 7. Vgl. auch The Times, 27.3.1909, 15. 458 The Times, 23.10.1909, 11.

155

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

angelegten Kammermusikwerken vertreten, dem Klaviertrio Es-Dur op. 2 (1902) und der Violinsonate d-Moll op. 11 (1908).459 Von der Sonate lassen sich bis 1918 nur zwei Wiederholungen ausmachen: Ende 1909 durch Harriet Solly und im November 1912 durch André Mangeot bei einer Matinee von Franz Liebich (siehe Abbildung 11).460 Die Kritiken deuten an, welche Schwierigkeiten die Musik Roussels und Magnards aufwarf. Bei aller wohlwollenden Anerkennung des Anspruchs und der Komplexität kreidete man ihr auch Weitschweifigkeit und Strenge an: That special gift of French composers, the faculty of interweaving the most complex rhythms, is unusually developed in these two works. Another feature is the length of the melodic phrases, to which modern writers have little accustomed us. In fact this feature, coupled with an extraordinary degree of inventiveness, gave one an impression of almost continuous melody, once one became reconciled to the essential characteristics of the composer’s individuality, which are very marked and somewhat pungent.461

Ganz im Gegensatz zu der zurückhaltenden Aufnahme dieser ‚Enkelschüler‘ Francks wurde die Kammermusik von Chausson („in some ways the most worthy of Franck’s pupils“)462 in England äußerst positiv rezipiert und nur kurze Zeit nach ihrer Einführung von zahlreichen englischen Interpreten aufgenommen. Genau eine Woche nach seinem Unfalltod erschien im Juni 1899 zum ersten Mal ein Werk Chaussons auf einem englischen Konzertprogramm: Ysaÿe spielte unter Wood das Poème op. 25 für Violine und Orchester (1896).463 Knapp ein Jahr später dirigierte Wood wiederum bei den Ysaÿe Concerts die frühe sinfonische Dichtung Viviane op. 5 (1882).464 Mit dem Klavierquartett A-Dur op. 30 (1897) führten Viñes und das Parisian Quartet bei der Tournee im Dezember 1907 das erste Kammermusikwerk Chaussons in England ein. 459

Für das Frühjahr 1914 war offenbar ein weiterer Besuch Roussels bei der Société geplant, bei dem er eine Suite für Holzbläser und Streichorchester dirigieren sollte. Letztlich blieb das zweite Konzert jedoch das einzige mit Werken von ihm. The Times, 18.10.1913, 10. 460 Bei einem Konzert des Solly String Quartet spielte die Primaria Roussels Violinsonate mit der frankophilen Pianistin Evelyn Suart. L. L. [Louise Liebich], The Solly String Quartet, in: The Musical Standard, 4.12.1909, 363. Das vor allem mit modernem Repertoire verbundene Quartett war auch in Paris aktiv, wo es auch ältere englische Musik vorstellte, dort hörten es etwa Roussel und Ravel. The Violin and String World, Supplement to The Musical Standard, 29.7.1911, 30. Im März 1917 stellte Henry Wood bei den Promenade Concerts den ersten Satz von Roussels Evocations op. 15 (1911) vor. The Musical Times, 1.5.1917, 225. In der ersten englischen Monographie über Roussel beschrieb Demuth 1947, dass dessen Musik in England erst in den letzten Jahren häufiger zur Aufführung gekommen sei. Demuth, Roussel, 7f. 461 The Violin and String World, Supplement to The Musical Standard, 3.4.1909, 14. Vgl. auch The Times, 25.3.1909, 13, die das wenige Positive an den Werken Roussels auf Franck zurückführte. 462 The Times, 5.6.1909, 12. 463 „The programme on the 17th ult. was exceptionally interesting. [...] The poem is sombre in character, in parts elegiac, and testifies to its composer not only being a gifted but an accomplished musician.“ The Musical Times, 1.7.1899, 471. 464 „This music is inspired by Wagner, but it is so full of an indescribably ethereal charm that we hope to hear it again. Wagner himself would not have disdained to sign it.“ Musical News, 9.6.1900, 538.

156

Panorama der französischen Schule(n): Begegnungen und Urteile

Neben dem zehn Jahre vor ihm geborenen Fauré mit dessen bis in die 1870er-Jahre zurückreichenden ersten Klavierquartett, dem originellen, nicht mehr unbekannten Debussy und dem radikalen Neuerer Ravel nahm Chausson eine Mittlerposition ein, die aus der Sicht der Kritiker Intellektualität und Emotionalität in idealer Weise verband. Er zeigte so die Stärken der ‚Franck-Schule‘, aber nicht deren Schwächen: The first number, a quartet for pianoforte and strings by Ernest Chausson, was remarkably free from the eccentricity which seems to be the main object of the modern composer’s existence. It is a sane and original work of art pursuing a logical course from beginning to end, and interesting throughout its great length.465 Chausson’s work struck us particularly, as, in addition to being intellectual, the music was strongly emotional; moreover, from a harmonic point of view it seemed more spontaneous than that of Ravel.466 Of the nine composers whose music was thus faithfully interpreted to us, two stood out from the others with a definite superiority. These were Ernest Chausson, who seems to close the past, and Claude Debussy, who seems to open the future. Chausson, whose work has hardly ever been played in England, and who is not too well known even in France, was, it is evident, a man of genius, a real musician. His quartet was the finest and the most vital thing done by these French players, his piano „Paysage“ the most reticent and satisfying, and his two songs delicately inspired. [...], but it was after all in the quartet that Chausson was seen in his full complement of genius. Here was a music which was born, not made; a strange boisterous gaitey filled and heartened the first movement; the second was slow, haunting, full of mournful passion; the third, a sort of folk-song, came with frank entertainment; the finale, with its Spanish motive, brings in a new, more deeply lyrical element, and with its outbursts of honest joyfulness ends, really ends, a work of equal beauty and significance.467

In London wiederholt wurde das Klavierquartett jedoch erst im Juni 1909 von denselben Interpreten bei der Société. Das Parisian Quartet präsentierte ein halbes Jahr später ebenfalls in dieser Reihe Chaussons Streichquartett c-Moll op. 35 (1899), das d’Indy nach dessen Tod vollendet hatte. Mit einem dem vorwiegend heiteren Klavierquartett völlig konträr gegenüberstehenden puristischen Gestus stellte es die Kritiker vor größere Probleme: That of Chausson, a „Quatuor“ for strings, is peculiarly representative of its composer’s bent, and reveals his striking individuality in its strongest and most convincing moments. It is not a work easily to be grasped. Not that there is anything particularly disturbing in its harmonic basis. In this respect it is quite modest in its demands on the ear. But the thematic material is arranged with an insidious egotism that involves general or casual criticism in a dilemma. [...] The work reeks of a contemptuous deprecation of the classical form, and is, nevertheless, entirely dependent on it. In certain respects it is a beautiful 465

The Times, 9.12.1907, 3. The Athenaeum, 14.12.1907, 777. 467 Symons, French Music in London, 723. 466

157

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

graveyard – innumerable headstones perpetuating a virtue in the deceased one that scarcely deserved the ornate and elaborate chiselling. But in its determinate characterisation of an exclusive musical mind playing a prominent part in the perspective of progress, the work is worthy of being associated with the highest examples of quartet-writing.468

Das ausstehende der drei großen Kammermusikwerke Chaussons, das Concert für Klavier, Violine und Streichquartett D-Dur op. 21 (1891),469 wurde wie die beiden anderen bei einem französischen Gastspiel vorgestellt, einem Rezital von Alfred Cortot und Jacques Thibaud im März 1911.470 Anders als das Streichquartett und ähnlich wie das Klavierquartett wurde es mit Begeisterung aufgenommen. Schon Saint-Saëns und Fauré waren als ‚französischer Schumann‘ bezeichnet worden (siehe Anm. 259). Der Vergleich machte die stilistische Distanz zwischen Chausson gegenüber Debussy und Ravel deutlich. Chausson verband die von seinem Lehrer vermittelten „soliden“ deutschen Elemente mit unerwarteten, schumannesken Wendungen: A Chausson Triumph. [...] It would have been a pity indeed to miss that glorious Concerto in D by Chausson – [...]. The work all through is full of strongly-marked outlines, determinate yet deep, long but intensely interesting. A few songs, mostly of a melancholy order, comprise all that is really known of Chausson in this country. He might be roughly described as a French Schumann of later date.471 Chausson seems in fact to have discovered new possibilities of tonal effect in his combination of instruments, and even if in many places his themes show the influence of his teacher, César Franck, the writing as a whole is strong and individual, and rises in the Sicilienne, the slow movement, and the Finale to heights which have seldom been touched by his contemporaries or the more modern school of French chamber music.472 The quartet by Chausson is a work of an altogether different quality. Debussy and Ravel brought in a finer kind of musical texture [...] César Franck aimed rather at the solidity and sincerity of the German school, although he added to their style a distinctly French [...] romanticism. Chausson, who was a young composer of Franck’s school, came nearer than the master to the spontaneity of Schumann [...] although in this quartet he adopts Franck’s method of welding the various movements together by a certain identity of subjects [...] and an effort to sum up in the last movement, the method hardly seems necessary natural to him. Like Schumann, he is most himself when he is bringing forth the most unexpected and surprising things.473 468

G. H. C. [George H. Clutsam], Societe des Concerts Francais, in: The Observer, 30.1.1910, 7. Das frühe Klaviertrio g-Moll op. 3 (1881) wurde erst 1919 im Druck veröffentlicht und bis dahin offenbar nicht in England gespielt. 470 Das Streichquartett setzte sich zusammen aus André Mangeot, Thomas Fussell, W. J. Byles und David de Souza. Auf dem Programm standen zudem die Violinsonaten von Fauré und Franck. The Violin and String World, Supplement to The Musical Standard, 29.4.1911, 20. 471 The Observer, 2.4.1911, 9. 472 The Times, 15.2.1913, 10. Bei der Société spielten Mme. Feuillard (die Ehefrau des Cellisten, ihr Vorname ist nicht ausfindig zu machen), das Parisian Quartet (Willaume als Solist) und Mangeot. 473 The Manchester Guardian, 12.1.1914, 8 (Mikrofilm am Rand nicht lesbar). Bei den Bowdon Chamber Concerts waren Mme. Feuillard und das Parisian Quartet zu Gast, das auch Debussy spielte. 469

158

Panorama der französischen Schule(n): Begegnungen und Urteile

Nicht in dem Ausmaß wie bei Franck, aber vergleichbar mit Fauré, griffen englische Interpreten Chaussons Klavierquartett und das Concert auf, das Streichquartett hingegen fast nie, so wie auch Francks oder d’Indys Quartette seltener gespielt wurden. Tabelle 14 zeigt diese Aufführungen (das oft auch als Solostück mit Klavierbegleitung gespielte Poème und die Lieder mit Ensemble sind ausgeklammert). Das Concert bot einigen Engländern, darunter Komponisten wie Eugene Goossens und Rebecca Clarke, die Gelegenheit, bei Rezitalen französischer bzw. nach Beginn des Krieges vor allem belgischer Musiker zu partizipieren. Als ein moderner Klassiker hielt sich besonders das Klavierquartett auch in den 1920er- und 1930er-Jahren im Repertoire, etwa bei den Chamber Music Players (siehe S. 86). Zumindest zeitweise zu einer gewissen Beliebtheit kam ein weiteres Werk eines Franck-Schülers: Die Violinsonate G-Dur (1892) des früh verstorbenen Wallonen Guillaume Lekeu spielten Hamilton Harty und die junge belgische Violinistin Marie du Chastain in London zum ersten Mal 1908: The sonata in G for violin and piano is so full of romantic melody that it is wonderful that our violinists have not found it out before. It consists of three movements, of which the second, a slow movement, is the weakest, though it is full of expressive beauty of a dreamy kind. The last, a full-blooded impulsive movement, is the strongest of the three. Throughout the influence of Franck is observable, especially in the subtle modulations which enrich the tonality.474

Es war nicht das erste in England zu hörende Werk Lekeus, wie bei Chausson wurde 1901 zuerst ein Orchesterwerk vorgestellt.475 1905 spielte die polnische Pianistin Hedvige de Wierzbicka die suitenartige Klaviersonate g-Moll (1891).476 Das unvollendete Klavierquartett h-Moll (1893) präsentierten Yves Nat und Mitglieder des Parisian Quartet zum ersten Mal bei einem Vortrag von Edwin Evans im Januar 1910 und am Ende des Monats erneut bei der Société, es wurde danach kaum mehr aufgegriffen.477 Die Violinsonate hingegen repräsentierte in den Rezitalprogrammen auch zahlreicher englischer Interpreten immer häufiger die moderne Richtung,478 insbesondere nachdem 474

The Times, 3.4.1908, 12. Ysaÿe dirigierte das Adagio c-Moll für Streicher (1891) beim London Musical Festival. „It showed Wagnerian influence, which is only what might be expected, and was in its tender and somewhat elegiac mood not unlike Franck’s Adagio.“ The Musical Times, 1.6.1901, 391. Bei den Promenade Concerts präsentierte Wood 1913 die Fantaisie sur deux airs populaires angevins (1892). The Musical Times, 1.10.1913, 672. 476 „The work is sombre in character and deficient in variety and contrast, but it has some impressive and poetic passages [...].“ The Musical Times, 1.7.1905, 478. 477 „Lekeu’s piano Quartet sounds very much like the violin Sonata; there are the same shaped tunes in both, the same use of arpeggios, and the same harmonic methods. The slow movement, with its long-drawn lyrical subject treated with a restraint that one does not find in his quick movements, is more beautiful than anything of the composer’s that has been heard so far in this country.“ The Times, 26.1.1910, 10. 478 In den Worten Oscar Sonnecks, der Lekeu 1919 fast hagiographisch besprach, sei dessen Musik „of yesterday, if confronted with Schönberg or Scriabin, but modern nevertheless“. Sonneck, Lekeu, 121. 475

159

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Tabelle 14: Chaussons Kammermusik mit englischen Interpreten, 1909–1919 Datum

Werk

weitere Werke

16.7.1909

KlQu. A ?

Interpreten (Reihe/Ort)

Presse

Carl Fuchs? (Vc.), ? (Manchester)

–479

23.11.1909 KlQu. A Fauré KlQu. c

Lily Henkel, Beatrice Langley, MT, 1.1.1910, Cecilia Gates, May Mukle 27.

30.11.1909 KlQu. A Ernest Austin Klaviertrio

Langley, Mukle, ?

MT, 1.1.1910, 27.

15.2.1911

KlQu. A Tschaikowski Trio, Herbert Johnson, Alexander Beethoven Trio B Cohen, George Schott (Leeds)

MT, 1.3.1911, 194.

27.1.1912

KlQu. A Brahms KlQu. c

Henkel, Arthur Beckwith, Alfred Hobday, Darbishire Jones

MT, 1.3.1912, 181.

5.6.1912

Concert (nur 2. und 3. Satz) Chausson Poème, Glasunow Konz. für V.

Richard Epstein, Margery Bentwich, Mrs. Ronald Carter, Ruth Macklin, Rebecca Clarke, Thelma Bentwich

The Violin and String World, Supp. MS, 22.6.1912, 26.

18.11.1912 Concert Brahms Horntrio, Grieg StrQu. g, Schmitt 2 Stücke für Vc.

Herbert Parsons, Maurice MT, 1.12.1912, Alexander, Otto Milani, Albert 809. Morgan, Alfred Best, Percy Lewis (Bristol)

9.6.1914

Georges de Lausnay, Jacques Thibaud, André Mangeot, Eugene Goossens, Hugo Hundt, Mukle

Concert

26.10.1914 KlQu. A William Hurlstone Henkel Pianoforte Quartet KlQu. e (Liverpool)

Ath, 13.6.1914, 834f.

MT, 1.12.1914, 711.

479 Carl Fuchs, der deutsche Cellist des Brodsky Quartet, unterrichtete Lucie Barbier in einem Brief vom 17.7.1909 von diesem Konzert: „My young people bravely overcame the great difficulties of this work [...]. You ask me if my sympathy for the Quartet has increased. Well, I must confess that I can reply to this question in the affirmative, even though I still don’t have a real love for the first movement, whose phrases seem to me endless and not logically developed. In the second movement there are things that move me. It is possible that my taste for Chausson will increase if I get to know other works of his, as I hate to be prejudiced. As for the Fauré Quartets, I played them with Risler at the home of the Princess de Polignac at Beyreuth [sic] in the presence of the composer, but my colleague, Monsieur Brodsky, is so conservative that I fear he won’t include them in his concert programs.“ Zit. nach Stonequist, The Musical Entente Cordiale, 164. Fuchs irrte sich bezüglich seines Primarius, Brodsky hatte sogar bereits 1896 mit Fauré konzertiert und setzte 1914 eines der Quartette auf das Programm in Manchester. Siehe Anm. 258 und Tabelle 8.

160

Panorama der französischen Schule(n): Begegnungen und Urteile

Datum

Werk

weitere Werke

2.11.1914

Concert Bach Chaconne, Tschaikowski StrQu. es

28.6.1915

Concert Beethoven StrQu. c, Winifred Christie, Marjorie Bridge Londonderry Hayward, London String Quartet Air für StrQu., Goossens Phantasy für StrQu.

10.10.1915 Concert Franck Son. A

Interpreten (Reihe/Ort)

Presse

? (Studenten der Royal Academy of Music)

DT, 3.11.1914, 3. Ath, 3.7.1915, 18.

Marcel Lavureux, Désiré MT, 1.11.1915, Defauw, Richard Kay, Ernest 678. La Prade, Clarke, M. Lagrilliere (South Place Sunday Concerts)

20.10.1915 KlQu. A Beethoven Serenade Joseph Jongen, Defauw, Lionel MT, 1.11.1915, 686. für Streichtrio Tertis, Emile Doehaerd (Classical Concert Society) 27.10.1916 KlQu. A J. D. Davis Idyll für William Murdoch, London Str. String Quartet 9.11.1917

KlQu. A Dvořák KlQu. ?

Lucy Pierce, „Mr. and Mrs. Rawdon Briggs“, Seth Lancaster (Halifax)

MT, 1.12.1916, 554. MT, 1.12.1917, 568.

29.11.1917 Concert Tartini, Vivaldi Konzerte für V.

Geoffrey O’Connor-Morris, Wigmore Hall Sybil Eaton, Rhoda Backhouse, Archive Evelyn Cooke, Frank Bridge, Felix Salmond

5.12.1917

Irene Berry, Catterall Quartet (Birmingham)

MT, 1.1.1918, 33.

21.10.1918 KlQu. A Franck KlQnt. f, Stücke für StrQu. von Bridge und Grainger

Lily West, Jessie Grimson Quartet

Wigmore Hall Archive

5.3.1919

StrQu. c (nur zwei Sätze)

? (Studenten der Royal Academy of Music)

MT, 1.4.1919, 170.

6.10.1919

Concert

Constance Izard (Solo-V.), Hayward (V.), ?

Ath, 17.10.1919, 1042.

Concert Brahms Son. d, Arenski StrQu. a

161

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

ab 1914 zahlreiche belgische Musiker nach England geflüchtet waren und ihr Repertoire weiter verbreiteten (siehe Kapitel 3.3).480 Lekeus war nicht die einzige Violinsonate von Komponisten aus dem Kreis um Franck, die in England eingeführt wurde, aber gemessen an der Zahl der Aufführungen die beliebteste. Auch die Sonaten von Sylvio Lazzari (op. 24, 1893),481 Gabriel Pierné (op. 36, 1900)482 und Louis Vierne (op. 23, 1906)483 waren dort in der Regel zuerst von französischen Virtuosen zu hören. Im Norden erwiesen sich die Mitglieder des neugegründeten Leeds Trio als Pioniere: Nach einer frühen Aufführung von Chaussons Klavierquartett stellten sie 1911 auch das Streichquartett d-Moll (1900) von Gustave Samazeuilh aus dem Manuskript vor.484 Angesichts der anhaltenden Popularität von Francks modellbildenden Gattungsbeiträgen – insbesondere der Sonate – bestand offenbar Neugier auf ähnliche Musik, und so lohnte der Versuch, dieses noch unbekannte moderne französische Repertoire vorzustellen. Nach dem Ende des Krieges wurde der Stil des Lehrers jedoch tendenziell kritischer betrachtet, und die enge Orientierung an diesem konnte zu einem Schwachpunkt umgedeutet werden: [...] we doubt if Silvio Lazzari’s E minor Sonata has a future. It has some beautiful moments, but is very uneven and is rather too palpably „School of Franck.“ And the next generation will probably be more alive to Franck’s shortcomings than is the present one.485

480

Lekeus Sonate spielten etwa Ethel Barns (1910), Nikolai Sokoloff und Marcel Bonnemain (1913), Robert Pollak und der Ysaÿe-Schüler Thomas Fussell (1914). Kurz nach Ausbruch des Krieges nahmen Jongen und Defauw die Sonate in ihr Programm mit belgischer Musik auf. Zwischen 1915 und 1918 ist sie in Programmen von englischen Geigerinnen und Geigern wie Isolde Menges, Alexander Cohen (Leeds), Albert Sammons, Catterall (Manchester), Sybil Eaton und Constance Izard nachzuweisen. 481 Die Sonate von Lazzari spielten zuerst Raoul Pugno und der Widmungsträger Ysaÿe. „[...] who studied for some time at Paris with César Franck, so that his music shows natural traces of that influence. We find earnest thought in the work, and a spirit of freedom, tempered, however, by wise restraint.“ The Athenaeum, 15.5.1909, 595. Wiederholt wurde sie von Arthur Rubinstein und Thibaud 1912 (Wigmore Hall Archive) und von R. J. Forbes und Brodsky 1913 bzw. 1914 in Liverpool und Manchester. The Musical Times, 1.11.1913, 751. 482 Eine Aufführung von Piernés Sonate gaben Ninette Chassaing und Yvonne Astruc am 3.5.1910 bei einem rein französischen Programm in der Bechstein Hall (Wigmore Hall Archive). In Manchester wurde sie von Forbes und Catterall vorgestellt. The Manchester Guardian, 30.1.1915, 8. 483 Geoffrey O’Connor-Morris und die junge Engländerin Murray Lambert spielten Viernes Sonate im Februar 1918 in der Bechstein Hall. The Observer, 24.2.1918, 5. 484 „[The quartet] proved to be a highly picturesque composition.“ The Musical Times, 1.5.1911, 329. Auch Samazeuilhs Violinsonate h-Moll (1903) wurde offenbar in Leeds gespielt. M. Montagu-Nathan, Some Modern French Sonatas for Piano and Violin. Gustave Samazeuilh, in: Chamber Music. A Supplement to The Music Student, Juli 1914, 96. Das Leeds Trio bestand aus Herbert Johnson, Alexander Cohen und George Schott und trat auch mit weiteren Erstaufführungen hervor. Demaine, Individual and Institution in the Musical Life of Leeds, 183. Siehe auch Anm. 501 zum Leeds Bohemian Quartet. 485 The Athenaeum, 11.7.1919, 598. Siehe zu Francks Ansehensverlust Anm. 205.

162

Panorama der französischen Schule(n): Begegnungen und Urteile

Atmosphäre und Effekte: Ravel und Schmitt Anders als bei der ‚bande à Franck‘ wurde der Stil von Faurés Schülern und weiteren Absolventen des Pariser Conservatoire in der englischen Presse fast nie auf den Lehrer zurückgeführt. Stattdessen ordneten Kritiker diese anfangs meist der „impressionistischen“ oder „atmosphärischen“ Schule zu, die aus ihrer Sicht vor allem mit dem Namen Debussy verbunden war.486 Gerade Ravels Streichquartett lenkte jedoch trotz seiner „ultra-modernisms“ auch den Blick auf klassische Elemente in der Musik des nach Debussy mittlerweile am interessiertesten betrachteten französischen Komponisten.487 Als Studienkollege zu Beginn oft zusammen mit Ravel präsentiert, schlug Florent Schmitt mit seinem Klavierquintett einen anderen Weg ein. Dieses wurde mit Francks Vorbild verknüpft, aber zugleich als origineller Beitrag aufgenommen. Mit seinem kraftvollen Gestus, dichten Texturen und der klaren formalen Gestaltung hob es sich vom zeitgenössischen Umfeld deutlich ab und trug so zu einer differenzierteren Sicht auf die moderne französische Schule bei. Während Debussys erste vorgestellte Kompositionen neutral bis positiv besprochen wurden, stießen jene des dreizehn Jahre jüngeren Ravel mehrheitlich auf Ablehnung. Sein Jeux d’eau (1901) erschien 1904 im Rezital der jungen englischen Pianistin Evelyn Suart neben Debussys Sarabande (1894) als ungleich radikaler; womöglich hatte Cyril Scott seiner Bekannten Suart das Stück aus Paris mitgebracht.488 In der Konsequenz blieb Ravels Musik eine absolute Rarität auf den Programmen, bis Viñes und das Parisian Quartet auf der Tournee Ende 1907 neue Werke vorstellten (siehe Tabelle 9 und für Erstaufführungen Ravels bis 1909 mit Folgeaufführungen des Quartetts Tabelle 15).489 486

So wurden Schmitt und Ravel als „young composers of the impressionist school“ beschrieben, Ravel auch als „one of the most advanced French writers of what has been called the ‚atmospheric school“‘. The Musical Times, 1.6.1909, 389, und 1.10.1907, 671. Auch Faurés Musik wurde als „impressionist“ charakterisiert, siehe Anm. 274. 487 „After Debussy the most conspicuously interesting figure in contemporary French music is Maurice Ravel. London has gradually shown signs of waking up to the former, but up till now the pieces by Ravel with which even the really musical public is familiar may be counted on the fingers of one hand.“ The Times, 26.10.1911, 8. Zum Streichquartett und dessen „ultra-modernisms“ siehe The Musical Times, 1.12.1911, 813. 488 „M. Maurice Ravel’s “Jeux d’Eaux,” [sic] given for the first time in England, is not very much like a fountain, but it is still less like music, [...].“ The Times, 3.5.1904, 10. Drei Jahre später hieß es immer noch: „[...] Ravel’s “Jeux d’Eau” was given as an encore, and, though it made even Debussy look antique, it seemed quite sensible compared with the same composer’s “Adorada del Gracioso,” [sic] which left one wondering how the player committed to memory two consecutive bars; [...] it really did not sound as though the wrong notes would have made much difference.“ The Times, 9.12.1907, 3. Siehe Anm. 397 zu Ravels „sheer ugliness“ und S. 299 zu Scott. 489 In der Bechstein Hall war zwischen Suarts Premiere und der Tournee nur einmal Ravel zu hören: Die brasilianische Pianistin Antonietta Rudge Miller griff im Oktober 1907 Jeux d’eau auf (Wigmore Hall Archive). Siehe zur Wahl der mélodie für die Tournee den Brief von Ravel an Jean-Aubry, 12.11.1907. Ravel, Correspondance, 172. Vgl. die Übersicht der Londoner Erstaufführungen bis 1914 in

163

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Tabelle 15: Erstaufführungen von Werken Ravels in England, 1904–1913 Datum

Werk

2.5.1904 Jeux d’eau (UA 1902) 26.10.1906 Sonatine (UA 1906) 4.9.1907 3.– 7.12.1907

Interpreten (Reihe/Ort) Presse Evelyn Suart Rafael Navas

Introduction et allegro (UA 1907) Alfred Kastner (Hf.), Henry Wood (Proms) Parisian Quartet, Streichquartett (UA 1904), Alborada del gracioso, La vallée des Ricardo Viñes (Newcastle, Leeds, cloches (UA 1906), Pavane pour Sheffield, London) une infante défunte (UA 1902)

T, 3.5.1904, 10. T, 27.10.1906, 4. T, 6.9.1907, 8. T, 9.12.1907, 3.

29.10.1908 Oiseaux tristes (UA 1906) 26.4.1909 Cinq mélodies populaires grecques; Shéhérazade; Histoires naturelles (Auswahl)

Rudolph Ganz T, 30.10.1908, 13. T, 27.4.1909, 8. Ravel, Jane Bathori, Émile Engel (Société des concerts français)

21.10.1909 Rapsodie espagnole (UA 1908) 30.10.1909 Le gibet, Ondine (UA 1909)

Wood (Proms) Harold Bauer

MS, 30.10.1909, 275. T, 1.11.1909, 11.

29.11.1909 Ravel StrQu., Reger Klaviertrio, Roussel Son. für Kl. und V.

Solly String Quartet

MS, 4.12.1909, 363.

3.12.1909

Ravel, Haydn StrQu.

25.1.1910

Ravel, Chausson StrQu., Lekeu KlQu.

20./ 21.1.1911

Ravel StrQu., Franck KlQnt.

9.2.1911

Ravel, Schubert, Grieg StrQu.

Leeds Bohemian Quartet MT, 1.1.1910, 43. (Leeds) Parisian Quartet T, 26.1.1910, 10. (Société) Parisian Quartet, Ravel MT, 1.2.1911, 121. als Liedbegleiter (Newcastle/Edinburgh) Brussels String Quartet Aca, 18.2.1911, 202.

25.10.1911 Ravel, Haydn, Brahms StrQu.

Wessely Quartet T, 26.10.1911, 8. 8.11.1911 Ravel, Schubert, Smetana StrQu. Leeds Bohemian Quartet MT, 1.12.1911, 813. (Leeds) 13.10.1912 Ravel, Mozart StrQu. Langley-Mukle Quartet MS, 19.10.1912, 243. (South Place Concerts) 29.10.1912 Ravel, Mozart StrQu. 11.6.1913 Ravel, Mozart, Schumann StrQu. 17.12.1913 Ravel StrQu., Introduction et allegro, Friskin Phantasy für KlQnt.

164

Flonzaley Quartet English String Quartet English String Quartet, Ravel als Dirigent und Liedbegleiter (Classical Concert Society)

MT, 1.12.1912, 806. MT, 1.7.1913, 468. T, 18.12.1913, 11.

Panorama der französischen Schule(n): Begegnungen und Urteile

Als jüngstes der vier Ensemblewerke bei den fünf Konzerten traf Ravels Streichquartett F-Dur (1903) – nicht anders als bei der Pariser Uraufführung dreieinhalb Jahre zuvor – als einziges auf große Skepsis, auch bei einem der modernen französischen Musik offen gegenüberstehenden Autoren wie Symons. Die Kritiker, die sich nicht angesichts der offenkundigen Neuartigkeit der Konzeption eines vorschnellen Urteils enthielten, beanstandeten vor allem die exzentrische Harmonik und eine damit zusammenhängende primär auf Effekte ausgerichtete Klanglichkeit. Anders als bei Debussys Quartett wurden der klassischen Form und der zyklischen Verknüpfung, die ohne Partitur gleichwohl nicht unmittelbar nachvollziehbar sind,490 kaum Beachtung geschenkt. Nur das Editorial des Musical Standard hielt ein Plädoyer für das unbekannte Idiom: The other concerted work presented at the first concert is a string quartet by Maurice Ravel, who is just now the extreme vanguard of the party, being as far beyond Debussy as Debussy is beyond Fauré. There is no recognizable principle of construction, and the only wonder is how the thing is kept going so long without a principle. Some rhythmic figure, generally tiresome in itself, is reiterated in different positions of the scale, and associated with harmonic progressions that are bound to follow in the least pleasing succession.491 To hear the quartet of Ravel between the quartets of Chausson and Debussy was instructive. Here was a buzzing and fluttering, here was a wandering as of clouds which cannot be motionless and which efface each other. Originality is sought by every means, but never comes; the whole aim is effect, and even that end is not attained.492 The first of the two concerts was held at Leighton House, and it was on this occasion that the most startling work of the series was played. We refer to the string Quartet by Maurice Ravel. [...] The suggestion that the modern French school of composers is a band of lunatics has been hazarded by one or two critics – let us charitably assume that they have let their feelings get the better of their judgment. Such a suggestion is preposterous, and cannot possibly be taken seriously. [...] The indisputable fact remains that Ravel is a master of his particular mode of expression. Time alone will enable the majority of us to become en rapport with him. The opening of the first movement, which is in A major [sic], is a graceful and melodious theme for the first violin, of extreme sensitiveness, but nevertheless, as the movement proceeds, we are made to feel that we only imperfectly grasp the contents. The whole conception is foreign to the traditions which have been sacred to us for generations, and if we persist in regarding the work from our usual point of view, we can scarcely form a favourable opinion of it. If, on the other hand, we can divorce our intellects from preconceived notions of right and wrong, then we are in a position to learn the new language in which so many modern French works are couched. Is it good or bad? All language is good in so far as it is a means of expression. This work expresses something – it is at present hard to know precisely what. The harmonies used throughout are of the most novel order, but they are logical, and that is much. [...] There is Foreman/Foreman, London. A Musical Gazetteer, 279; zur Orchestermusik Kelly, French Connections. 490 Das ausführliche Programmheft bot zwar eine Analyse des Quartetts von Jean-Aubry, auf die jedoch keine Kritik rekurrierte (siehe Anm. 333). 491 The Times, 9.12.1907, 3. 492 Symons, French Music in London, 724.

165

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

in some subtle way a relationship between the movements, which does not arise solely on account of the metamorphic treatment of the material.493

An den Aufführungen und Kritiken des Streichquartetts lässt sich zugleich jedoch der Wandel nachvollziehen, der sich in der englischen Wahrnehmung von Ravels Musik innerhalb nur weniger Jahre ereignete. Im Vergleich mit Debussys wurde es zunächst zögerlicher aufgegriffen, wie Tabelle 15 zeigt, aber noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs war es im Repertoire einiger englischer Ensembles vertreten und in Programmen keine Seltenheit mehr. An der Royal Academy of Music allerdings verbot der Direktor Alexander Mackenzie den Studierenden offenbar, Ravels Musik zu spielen, die er als schädlichen Einfluss ansah.494 Kommentatoren hoben zugleich zunehmend die klassischen Aspekte der Komposition anerkennend hervor und differenzierten so die Klassifizierung Ravels als ‚impressionistisch‘ (bzw. fantastisch, verschwommen).495 Ernest Walker erkannte in seinen Anmerkungen für das Programmheft der Classical Concert Society 1913 „more than a touch of Schubert“ (siehe unten das vorletzte Zitat), der Rezensent der Times gar „more than a touch of Brahms in the positive way in which the melodies are developed. Not one is a mere passing impression“.496 Im selben Monat hielt der Violinist Alexander Cohen aus Leeds ein Plädoyer für das Werk: One can imagine few better exercises in clear technique and logical expression for musicians of the English or any other school than the Quartet. Every note has its place and seems to have been put there with a firm hand guided by a clear brain; there is a certain brutality in the rhythmical devices that one meets with in the last movement, and the adagio is not as attractive as some other products of this school; but the opening allegro is strong, vigorous, and, above all, beautiful; the scherzo is a miracle of grace and delicacy, and the whole work has the merit of brevity – the one virtue which is sometimes lacking the rival school of César Franck.497 493

The Violin and String World, Supplement to The Musical Standard, 4.1.1908, 1. Das Editorial zitierte missbilligend aus der Kritik in Truth (siehe Anm. 335): „Such a work as Maurice Ravel’s „Alborada del Gracioso,“ which was heard at the concert of the Parisian Quartet on Saturday, suggests the nearest approach to musical dementia capable of being committed to paper by means of the accepted notation.“ 494 Dies berichtete die Ehefrau von John Barbirolli, der von 1912 bis 1916 an der RAM Cello studierte: „John and three of his friends were determined to play this music and they spent hours doing so in the men’s lavatory, each sitting in a cubicle.“ Barbirolli, Life with Glorious John, 19. Siehe zu Mackenzie auch S. 218. 495 Louise Liebich war eine der wenigen, die sich von Ravels Streichquartett – wie einige Kritiker von Debussys – in eine Fantasiewelt versetzt fühlten: „In this bright, lively Scherzo M. Ravel takes one into that magic otherworld where his spirit seems so completely in sympathy with the genii of water and the air; where elementals take tangible form and where joyous elves and fairies indulge their pranks and dance their rounds. To my mind there is something immaterial and objective rather than human and subjective in this composer’s art. And this movement is full of gnomic irony and laughter.“ L. L. [Louise Liebich], The Solly String Quartet, in: The Musical Standard, 4.12.1909, 363. 496 The Times, 20.12.1913, 11. 497 The Times, 26.1.1910, 10.

166

Panorama der französischen Schule(n): Begegnungen und Urteile

„Fantastic“ is the epithet that one hears used to describe such music as this. We think the word quite unsuitable. There is much that is grave, a good deal that might even be called austere, in the quartett, and to classically-nurtured ears it is undeniably strange. But its thought and the texture of its weaving are so harmonious, so well-weighed, nothing in it seems haphazard, that the music has not the note of true fantasy. It is too serious; though it is strange, it is not fantastic.498 It at first sight would appear more than usually eccentric, but further examination reveals a fixity of purpose and a consistency of construction which are never found in work which is eccentric for the sake of being eccentric. The wonderful ingenuity is a striking characteristic of all Ravel’s music, and in his quartet it is present not less than in his other works. There is nothing aimless, nothing vague in any part of it. On a first hearing it is difficult to form a proper idea of it, but on closer acquaintance it clears up very much, and in reality Ravel has departed very little from the spirit of the classic tradition. His harmonies are extremely rich, and his love of dissonance is very marked, but his use of it is logical in the extreme, and familiarity with his music reconciles one completely to many things which at first seemed repellant.499 Universally recognised as one of the landmarks of present-day French music, it may very fitly have place at the head of a concert designed to illustrate, so far as may be, modern methods in four of the most artistically advanced European countries. [...] if we compare it [Debussy’s quartet] in our minds with the quartet heard to-day, we shall notice that in the fifteen years’ interval there has been a distinct return towards robustness and classicism. M. Ravel’s harmonic methods are, of course, not those of the older classicists: more things are considered both lawful and expedient, there is less precision of outline, and the points of rest are fewer and different. But the essential details, alike of form and texture, are firmly bound to the great ideals of the past: there is no loose handling, no colour for its own sake, no merely sensuous appeal.500 The Quartet in F has been heard already in several English cities. Its reception, however, has been very often of the raised-eyebrows and shoulder-shrugging variety. Yet it is one of the most splendid achievements in modern chamber-music. It will be readily understood why, in so novel a work and amidst much that is radiant with a new beauty, there should be effects that could scarcely be accounted „nice“ and „pleasing“ in themselves.501

Das dritte Londoner Konzert der Société bot im April 1909 den Anlass für Ravels erste Konzertreise ins Ausland überhaupt. Einige englische Kontakte hatte er bereits zuvor knüpfen können: In den 1890er-Jahren, während dessen Pariser Zeit, machte er die Bekannschaft von Frederick Delius, und Edwin Evans lernte er im Dezember 1906 498

The Academy, 18.2.1911, 202. The Violin and String World, Supplement to The Musical Standard, 25.2.1911, 12. 500 Ernest Walker, Programmheft des Konzerts vom 17.12.1913 (Wigmore Hall Archive). 501 Cohen, Ravel’s String Quartet, 28. Cohen übernahm 1912 die Führung des Leeds Bohemian Quartet. Dieses hatte in seiner seriösen Reihe, ohne Klavier- und Vokalstücke, zuvor schon einige Neuheiten präsentiert, darunter Quartette von Franck (1903), d’Indy (1905), Debussy (1906), Reger (1909), Tanejew (1912) und Sibelius (1914). Vgl. zu Kontext und Kritiken Demaine, Individual and Institution in the Musical Life of Leeds, 171–193. Siehe auch Anm. 484 zum Leeds Trio. 499

167

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

kennen.502 Die Einladung Ravels für die Société ging aber wahrscheinlich auf Jean-Aubry zurück, der Ravel Anfang 1906 erstmals getroffen hatte. Dem zweieinhalb Jahre älteren Vaughan Williams gab er Anfang 1908 für zwei Monate Kompositionsstunden; ein Jahr später waren der Engländer und seine Frau Ravels Gastgeber in Chelsea.503 Bei diesem und den folgenden Besuchen – 1911 in London, Newcastle und Edinburgh wiederum über die Société sowie 1913 in London – beschränkte sich Ravel als Pianist meist auf das Begleiten seiner Lieder. Seine steigende Reputation als einer der wesentlichen Vertreter der Moderne illustrierten zwei Einladungen Ende 1913: die der Classical Concert Society für ein Konzert, bei dem aktuelle Musik aus vier Ländern erklang,504 und jene eher sozialer Natur des Music Club am Folgetag, der schon für andere namhafte Komponisten private Empfänge veranstaltet hatte.505 Auch die Besprechungen von Ravels Ballett Daphnis et Chloé (1912) bei der englischen Erstaufführung im Juni 1914 hoben Ravels gewachsenes Renommee hervor.506 So wie die ‚Scholisten‘ d’Indy, Roussel, Séverac und Magnard bei der Société gemeinsam vorgestellt wurden, teilten sich Ravel und Schmitt, befreundet und beide Absolventen des Conservatoire, im April 1909 deren Bühne für ein reines Lied- und Klavierrezital.507 Auch das zweite Konzert der Herbstsaison stand mit Schmitt, Inghel502

Von Delius’ Oper Margot la rouge erstellte Ravel 1902 einen Klavierauszug. Delius, A Life in Letters, Vol. I, 205f. Das Tagebuch von Viñes gibt darüber Auskunft, dass er und Ravel am 29.12.1906 im Büro des Verlegers Eugène Demets die Bekanntschaft des englischen Kritikers machten, der mit zwei Komponisten in Paris weilte. Viñes, Le journal inédit, 206. Es ist zu vermuten, dass Evans’ Besuch mit seinen Aktivitäten für die im Vorjahr gegründete Society of British Composers in Verbindung stand; so hatte er auch in Leipzig einen Verlag aufgesucht. Evans, Then and Now, 270. 503 Bei ihm sowie bei Evans bedankte sich Ravel nach seiner Rückkehr für die Zeit in London: „Me voici redevenu parisien. Mais un Parisien qui a la nostalgie de Londres. [...] malgré la réception charmante de mes confrères anglais, je me serais senti bien étranger. Il a fallu cet accueil cordial et délicat qui m’attendait à Cheyne Walk pour me trouver chez moi, [...].“ Brief von Ravel an Vaughan Williams, 5.5.1909. Ravel, Correspondance, 212. 504 Siehe zu der Reihe S. 246f. Neben Ravel standen Lieder von Reger und Strauss, Klavierstücke von Skrjabin und James Friskins Phantasy für Klavierquintett auf dem Programm. F. S. Kelly hatte bereits im Herbst 1912 den Plan gefasst, Ravel nach London einzuladen, der sein Gaspard de la nuit und ein Ensemblewerk von Fauré spielen sollte. Tagebucheintrag, 27.9.1912. Kelly, Race Against Time, 269. 505 In den Grafton Galleries, wo auch Roger Frys post-impressionistische Ausstellungen stattfanden, wurde Introduction et allegro gespielt, Hélène Luquiens sang. The Musical Times, 1.2.1914, 118. Siehe zum Music Club Anm. 428. 506 „Nothing more important in scope and power has come from the modern French composer of recent years, and as M. Ravel is perhaps the most authoritative representative of the main characteristics of modern French work, it is well that he is able to maintain his reputation, for there has been an inclination to insinuate, in regard to the movement, that is has its limitations, and that its peculiar fascination possesses no power of expansion.“ The Observer, 14.6.1914, 6. In einem Leserbrief an mehrere Zeitungen hatte Ravel protestiert, dass der Chor für die Londoner Aufführung von Sergei Djagilew gestrichen wurde. The Times, 9.6.1914, 9. 507 „The whole programme was full of the liveliest interest, for each composer speaks with a distinct voice of his own, and although they belong to the same school, their works show many points of strong contrast. [...] M. Florent Schmitt’s songs aim at a fuller type of expression, and though, placed

168

Panorama der französischen Schule(n): Begegnungen und Urteile

brecht, Caplet und Hahn, der zu Gast war und die zweite Hälfte mitbestritt, ganz im Zeichen dieses Kreises. Angesichts eines solchen Überblicks gerieten die kompositorischen Wechselbeziehungen innerhalb der Generation in den Fokus. Dabei fand die Debatte der französischen Musikkritik über eine einseitige Nachahmung der Methoden Debussys (durch die debussystes) in England Niederschlag. Während Inghelbrecht und Caplet einer solchen bezichtigt wurden,508 zog George H. Clutsam die gängige Klassifizierung des Stils als „Impressionismus“ grundsätzlich infrage.509 Schmitt erinnerte den Kritiker der Times wiederum an die Effekthascherei Ravels.510 Speziell mit einem Kammermusikwerk gelang es Schmitt jedoch, sich auch in England als eigenständiger Vertreter zwischen den verschiedenen Strömungen der französischen Musikwelt zu etablieren. Im Januar 1911 veranstaltete die Société ein Konzert in dem Privathaus der Liotard-Vogts und präsentierte Schmitts Klavierquintett h-Moll op. 51 (1908).511 Mit knapp einer Stunde Länge, einer zyklischen dreisätzigen Struktur und der monumental-expressiven Tonsprache (eine Anlehnung an Francks Quintett ist vor allem zu Beginn des ersten Satzes offensichtlich) bildete es einen starken Kontrast zu Schmitts bisher bekannten, stärker am zeitgenössischen Umfeld orientierten Klavierminiaturen der Musiques intimes (Bd. 2 op. 29, 1904) und den Liedern: This work is a most remarkable production, and occupied the composer from 1905 to 1908. It was first produced in Paris last year [recte März 1909], and it then created quite a stir in musical circles. It is sharply differentiated from most present-day French music, as it is not built upon those peculiar harmonies which we associate with Debussy and Ravel. Its form is in essence classical, that is to say that the key relationship employed is that which has its origin in classical tradition. The thematic material is often strong and always beside M. Ravel’s they are apt to appear a little laboured, their beauty is distinct, [...].“ The Times, 27.4.1909, 8. Schon zwei Jahre zuvor beim Cercle in Le Havre waren Ravel und Schmitt zusammen aufgetreten, siehe Anm. 329. 508 „The general effect left by a fairly typical group of these pieces was disappointingly trivial in so far as both composers seem to have been content to adopt the mannerisms of Debussy without having really saturated themselves in his style. This does not apply quite so much to the instrumental compositions as to the songs; [...].“ The Times, 16.11.1909, 14. 509 „The word „impressionism“ applied so confidently to the aims of the modern French composer seems to me not only an inadequacy, but a misconception of the whole movement, which is essentially concerned with a widening of the harmonic field. [...] each of these composers clearly accentuated the main lines of development of the French school. The only items that reflected Debussy distinctly were a few songs of Inghelbrecht.“ G. H. C. [George H. Clutsam], French Music Again, in: The Observer, 21.11.1909, 7. Siehe auch Kapitel 4.2. 510 „As to Florent Schmitt’s Andante and Scherzo for harp and strings, which also came into the first part of the programme, it out-Ravelled Ravel in the tyranny with which it made its effects.“ The Times, 16.11.1909, 14. 511 Zu den Gastgebern siehe Anm. 351. Schmitt war offenbar nicht anwesend, dafür wieder Ravel, der seine Lieder begleitete und sogar selbst die Sonatine gab. Maurice Dumesnil spielte das Quintett mit dem Parisian Quartet und die Uraufführung der ihm gewidmeten Improvisations sur Londres von Gabriel Grovlez.

169

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

beautiful, and the clearness with which it is elaborated is intensely gratifying. Indeed this clarity of design is a noticeable feature of all M. Schmitt’s work.512

Schon anlässlich der Pariser Uraufführung hatte der Korrespondent Michel-Dimitri Calvocoressi das Quintett als Meisterwerk gefeiert und Schmitts stilistische Wendung in den Kontext des französischen ‚Parteienstreits‘ gestellt.513 Elemente wie formale Klarheit, thematische Kohärenz und ein traditioneller Tonartenplan, die im Vergleich mit der ‚impressionistischen‘ Strömung als konservativ erschienen, wurden in der englischen Presse tendenziell begrüßt, etwa auch bei George Enescu, der seine Violinsonate f-Moll op. 6 (1899) bei der Société selbst spielte.514 Wie Chaussons Klavierquartett wurde Schmitts Quintett als Nachfolger von Francks Modell sowie als „distinctly strong rather than exquisite music“ beschrieben, also mit Vokabular, das eher mit deutscher Musik assoziiert wurde.515 Das Finale erinnerte einen anderen Kritiker hingegen in seiner Rhythmik an Strawinsky und verdeutlichte so die große Spannweite von Schmitts Stil, die in den Orchesterwerken naturgemäß noch auffälliger war.516 Als leidenschaftlicher Reisender besuchte Schmitt zahlreiche Male die britische Insel.517 Seine persönliche Verbindung zu England manifestierte sich in Freundschaften mit Delius und Vaughan Williams und mindestens einer Bekanntschaft mit Evans.518 Bei 512 The Violin and String World, Supplement to The Musical Standard, 28.1.1911, 7. Weitere Kritiken waren knapper gehalten, aber ebenso grundsätzlich positiv. 513 „Whether this production by an artist who has sedulously studied the resources of the so-called impressionistic style, and written works akin to M. Debussy’s or M. Ravel’s, will be considered as an argument in favour of the conservative tendencies can hardly be doubted by any one acquainted with the feverish war that is waged between the two parties. [...] As it is, M. Florent Schmitt’s Quintet is bold enough in its style and architecture to displease tardigrade critics quite as much as if it was infected with modernisms.“ M.-D. Calvocoressi, Musical Life in Paris, in: The Musical Standard, 3.4.1909, 214. 514 „The music, although modern, was clear in form and in tonality, whereas in some French compositions of the present day both are unduly vague.“ The Athenaeum, 1.6.1912, 631. 515 S. L. [Samuel Langford], Southport Chamber Concerts, in: The Manchester Guardian, 21.2.1914, 6. 516 The Times, 17.2.1914, 8. Neben dem Quintett war das Ballett La tragédie de Salomé op. 50 (1907) Schmitts bekanntestes Werk, es wurde 1913 von den Ballets Russes in London vorgestellt. „M. Schmitt is more the disciple of Chabrier and Chausson than Debussy and his followers. He suggests a superior Gabriel Fauré, stronger, sincerer, and with a decidedly more subtle and complete technique.“ The Observer, 6.7.1913, 7. Beim letzten Londoner Konzert der Société 1915 erklang der Psaume XLVII op. 38 (1904) in einer Fassung mit zwei Klavieren. Auch bei den Promenade Concerts war Schmitt vertreten, 1914 mit der Suite Reflets d’Allemagne op. 28 (1905) sowie 1919 mit Rêves op. 65 (1915) und der Rapsodie viennoise op. 53 (1904). Jacobs, Wood, 457. Für Wood war Schmitts Musik „a distinct blending of Latin and Teuton“. Wood, My Life of Music, 381. 517 „In London I looked for M. Runciman but never actually managed to meet him. I saw Messager there and we talked about you. I went to Covent-Garden a few times. The orchestra is good but the London public seems to me quite indifferent and I don’t think that England is a country of the future for music.“ Brief an Delius, Athen, 1.11.1902. Delius, A Life in Letters, Vol. I, 208 (original französisch). Siehe zu Schmitts abschätziger Meinung zur englischen Musik Anm. 581. 518 Wie Ravel erstellte auch Schmitt für Delius Klavierauszüge von vier Opern, zwischen etwa 1894 und 1902, selbst während seines Romaufenthalts. Vaughan Williams lernte er 1909 kennen, Schmitt

170

Panorama der französischen Schule(n): Begegnungen und Urteile

mehreren Gelegenheiten spielte er sein Quintett selbst, zuerst im Februar 1914 auf einer Tournee der Société von London über Newcastle bis ins nordwestliche Southport.519 Mit dem Allied String Quartet unter Désiré Defauw konzertierte Schmitt 1916 in der französischen Reihe von Isidore de Lara und im März 1919 bei der Classical Concert Society.520 Wiederum anderthalb Jahre später stellte Schmitt seine neue Sonate libre op. 68 mit Defauw vor.521 1933 war er erneut in Glasgow und Edinburgh zu Gast. Vor 1920 ist hingegen nur eine Aufführung des Quintetts von englischen Interpreten nachgewiesen.522 Im Vergleich dazu wurde das Klavierquintett des Widor-Schülers Gabriel Dupont (Poème, 1911), mit seiner Expressivität, dem dichten Klaviersatz und häufigen Streicherunisoni jenem Schmitts nicht unähnlich, 1914 bei der Société reservierter aufgenommen.523 Doch selbst ein solches auch in Frankreich kaum gängiges Werk wurde von englischen Musikern in Leeds und Manchester aufgegriffen.524 Sie demonstrierten so ein Interesse an der zeitgenössischen französischen Kammermusik, das über die mittlerweile weithin gewürdigten modernen Klassiker hinausging. Zu diesen gehörte bald auch Ravels Klaviertrio a-Moll (1914), ohne allerdings gleich an die Beliebtheit des Quartetts anknüpfen zu können. Die Kritiker ließ es zunächst etwas ratlos zurück, auch wenn sie dem Werk positive und typisch französische Charakteristika attestierten: widmete ihm das erste Stück der Crépuscules op. 56 (1911). Ihr letztes Treffen fand 1956 in London statt. Vgl. Eccott, Schmitt; Barber, Schmitt and Vaughan Williams. Im Januar 1923 gehörte Schmitt zu den Gastgebern eines Dinners zu Ehren Evans’ (siehe Anm. 617). 519 Das Londoner Konzert war das einzige der Reihe, das nur einem Komponisten gewidmet war, der zudem in allen Programmpunkten mitwirkte. Im vorherigen Programmheft wurde das „epoch-making Quintet“ angekündigt. 520 Siehe zu de Laras Reihe Kapitel 3.3. Das Interesse war offenbar so groß, dass das Quintett im privaten Rahmen bei dem Verleger William Heinemann wiederholt wurde. The Musical Times, 1.1.1917, 32, und 1.4.1919, 179. 521 „This music is all temperament and no sense.“ Daily Mail, 24.11.1920, 5. 522 Es spielten das Philharmonic String Quartet und Herbert Sharpe. The Musical Times, 1.1.1916, 30. 523 „The Poème for strings and piano by Gabriel Dupont was quite a good example of that side of modern French art that threatens so easily to become a mere affectation rather than a sincerely felt utterance.“ The Observer, 18.1.1914, 4. „No doubt M. Dupont, whose quartet [recte quintet] was played with irresistible charm to-night by the Parisian quartet and Mme. Feuillard, reaches, perhaps, to a more telling dramatic expression than some of his rivals, but, like the rest of them, he shows clearly enough the national characteristics.“ The Manchester Guardian, 17.1.1914, 6. 524 Im März 1918 spielten es Herbert Johnson, Alexander Cohen, Arthur Boothroyd, Lily Simms und Alfred Hemingway, am Ende desselben Jahres Marjorie Sotham und das Catterall Quartet. „[...] a brilliant and exuberantly dramatic work, straining after effects hardly within the compass of chamber music.“ The Musical Times, 1.5.1918, 233. „[...] less satisfying as music than some other works which have been given. Widor, the master of Dupont, to whom the work is dedicated, may be regarded as the representative French composer in the style which does not shun the grandiose, and though this quintet bears signs of a nature more earnest in feeling than inhabits the works of the famous organist, Dupont does not hesitate to copy the broadness of outline and the freedom of style which his master adopted.“ S. L. [Samuel Langford], Friday Noon Concerts, in: The Manchester Guardian, 14.12.1918, 4.

171

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Life and skill are strong features of the work. The composer is a master of the technique of his art, and can make his strength felt. There is no uncertainty; what he aims at, he achieves, though, at any rate at a first hearing, there seems more show than substance in the music. Effects, however piquant, do not always stand the test of time.525 [...] a delightful piece of work, quite free from ultra-modern extravagances, and possessing a vein of melody which should make it welcome wherever it is heard. Ravel has doubtless written more characteristic music than this, but he has certainly given us nothing more typical of the French school in its neatness of construction and charm of sentiment, [...].526

1929 betrachtete Scott Goddard das Trio als Ravels wichtigstes Kammermusikwerk. Den Ursprung der Kammermusik verortete er in Faurés Klassizismus, und das Quartett sei das Werk eines Romantikers – welch ein Wandel der Auffassungen seit der Erstaufführung 1907.527 Nach Debussys Tod fand sich der noch zehn Jahre zuvor kaum ernstgenommene Ravel in England als vorderster Vertreter der französischen Musik wieder (siehe Kapitel 4.2). Im Oktober 1919 widmete ihm die Classical Concert Society, sonst bedacht auf abwechslungsreiche Programme, ein ganzes Konzert.528 Bis zu Ravels nächstem Besuch nach 1913 vergingen allerdings fast zehn Jahre: Im Juli 1922 stand er wie früher sein Lehrer Fauré im Zentrum zahlreicher privater Empfänge und öffentlicher Rezitale. Bei der mit Jean-Aubry verbundenen schwedischen Sopranistin Louise Alvar-Harding spielten Jelly d’Aranyi und Hans Kindler zum ersten Mal die neue Sonate für Violine und Violoncello, und Ravel interpretierte zusammen mit Eugene Goossens vierhändig Ma mère l’oye.529 Öffentlich präsentierten André Mangeot und May Mukle die Sonate erstmals im Rahmen der British Music Society bei Lady und Lord de Walden (früher Mitglied des Ehrenkomitees der Société). Vier Tage später wiederholten sie d’Aranyi und Kindler auf Betreiben Jean-Aubrys bei Lord Rothermere.530 525 The Athenaeum, 19.6.1915, 558. Beim vorletzten Londoner Konzert der Société spielten Alfredo Casella, Yvonne Astruc und Jean Charron das Trio erstmals. 526 C. D. G., In the Concert Room, in: The Monthly Musical Record, 1.7.1915, 200. 527 Goddard, Ravel, 271. 528 Das Allied String Quartet spielte das Quartett und mit Emile Bosquet das Trio, der zudem die neue Suite Le Tombeau de Couperin vorstellte. „The Quartet we know to be a masterpiece. In the Pianoforte Trio, which we do not know so well, the composer often seems to be trying to say more than three instruments can manage, and to be groping after something he cannot find, but there are moments which have the fine poetry and dignity of the beautiful ‚Pavane.‘ Anyway, we desire better acquaintance with it.“ Alfred Kalisch, London Concerts, in: The Musical Times, 1.12.1919, 694. „[...] the Quartet still holds its place securely, [...]. The Trio in A minor is another thing altogether. One accepts the rhythms as curiosities, but they do not propel, and the needless flat sevenths are oh! so tiring. Still, there is that sort of aroma about it all, especially in the first two movements, that only a real artist gives.“ The Times, 30.10.1919, 10. 529 Siehe die Kritik von Leigh Henry in Foreman/Foreman, London. A Musical Gazetteer, 279. Die in London ansässige Geigerin d’Aranyi gab dort 1924 auch die Uraufführung von Tzigane und stellte 1927 mit Myra Hess Ravels Violinsonate vor. 530 Das Allied String Quartet gab das Quartett, Ravel dirigierte Introduction et allegro und spielte die Sonatine sowie zwei der Miroirs. The Times, 4.7.1922, 12, und 10.7.1922, 12. „[...] one can only

172

„Allied Music“: Fortgesetzte Förderung nach 1914

Im Januar 1923 war Ravel als Delegierter Frankreichs bei der ersten Konferenz der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik in London und beehrte Evans mit seiner Anwesenheit bei dem Festessen zu dessen Ehren.531 Die mit seinen ersten Schritten auf der Insel verbundenen Kontakte waren also weiterhin lebendig. Weitere Konzertreisen folgten bis 1932, mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde in Oxford 1928 als einem Höhepunkt.532 Ravels Vorstellung durch die Société lag zu diesem Zeitpunkt zwei Jahrzehnte zurück, doch lässt sich die allgemeine Wertschätzung, die Ravel in England schließlich zuteil wurde, bis zu deren Aktivitäten zurückverfolgen: eines der nachhaltigsten Ergebnisse der Erfolgsgeschichte.

3.3 „Allied Music“: Fortgesetzte Förderung nach 1914 Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs traf die englische Musiklandschaft, die wie wenige andere Bereiche des öffentlichen Lebens kontinental orientiert war und speziell vom Austausch mit deutschen Musikern und deren Musik lebte, ins Mark.533 Unter den neuen Bedingungen konsolidierte sich der Konzertbetrieb allerdings schnell, und die Auswirkungen auf das Repertoire hielten sich letztlich in Grenzen: Trotz einer weitverbreiteten anti-deutschen Stimmung blieb die deutsche Musik bis einschließlich Brahms und Wagner ein Kernelement beliebter Programme.534 Zwar brachten zahlreiche Konzerte bewusst Komponisten der alliierten Nationen zusammen, doch war die zunehmende Präsenz von französischem und russischem Repertoire ein Aspekt,

hope that Jean-Aubry will continue to arrange for us to hear contemporary composers away from the uninspiring environment of the ordinary concert hall.“ Leigh Henry, The Ravel Concert, in: Musical News and Herald, 15.7.1922, 59. Am Klavier fühlte Ravel sich am Folgeabend in noch kleinerer Gesellschaft etwa mit Jean-Aubry und Joseph Conrad offenbar wohler. 531 Diese Feier fand in der fast lückenlos erfassten Chronologie von Ravels Leben kaum Beachtung (siehe Anm. 617). Beim Festival der IGNM in Oxford 1931 erschienen Goossens die einheitlich gekleideten Ravel, Evans und Casella wie die drei Musketiere. Goossens, Overture and Beginners, 294. 532 Zu diesem Anlass richteten 136 Oxforder Musiker einen Appell an Ravel, ein zweites Streichquartett zu komponieren. Nichols, Ravel, 296f. Die amerikanische Musikmäzenin Elizabeth Sprague Coolidge bot ihm dafür wenige Jahre später 1200 Dollar und hatte gar bereits das London String Quartet für ein Konzert in Paris engagiert. Brief von Coolidge an Ravel, 6.4.1931. Ravel, Correspondance, 1269. 533 Vgl. als Überblick über das britische Musikleben im Krieg Foreman, The Winnowing-Fan. 534 Zu den Opfern der Agitation und rechtlicher Einschränkungen zählten etwa Edgar Speyer (siehe Anm. 411) und die Bechstein Hall, die nach dem Kriegsausbruch kaum noch, nach Oktober 1915 gar nicht mehr bespielt, 1916 wie der gesamte Besitz von Bechstein in England versteigert und Anfang 1917 als Wigmore Hall wiedereröffnet wurde (Wassili Safonow und Albert Sammons gaben ein reines Beethoven-Programm). Zur Debatte, bis wann deutsche Musik tragbar bleiben sollte, vgl. Jacobs, Wood, 146–150. Vgl. zur Sichtweise auf die deutsche Musik im Krieg das zweite Kapitel in Angell, Art Music in British Public Discourse.

173

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

der eher Kontinuität als Wandel betonte.535 Ebenso erreichten die fortgesetzten Bemühungen um die englische Musik keine grundsätzlich neue Qualität (siehe Kapitel 5.1). Die Einschränkungen der Kriegsjahre kamen Aufführungen von Kammermusik, insbesondere durch einheimische Künstler, aber tendenziell entgegen, und auch die private Musizierpraxis bei ‚At Homes‘ blieb lebendig: Die Kammermusikabende und -nächte bei der amerikanischen Musikliebhaberin Muriel Draper verkörperten in idealtypischer Weise die kosmopolitische und gastfreundliche Atmosphäre des musikalischen London und die Symbiose zwischen Künstlern und kunstsinnigen vermögenden Förderern.536 London erwies sich als Magnet für eine beträchtliche Zahl ausländischer, anfangs insbesondere belgischer Künstler, die ihre Musik mitbrachten. Wallonische Komponisten wie Joseph Jongen, Victor Vreuls und Guy Weitz wurden aufgrund ihrer Ausbildung bzw. allein ihrer Herkunft in enger Verbindung zur französischen Tradition Francks und d’Indys verortet.537 Ihre Werke standen ab Herbst 1914 im Zentrum zahlreicher Konzerte, oft zu Benefizzwecken, die in England praktisch unbekanntes modernes Repertoire erschlossen.538 1917 wurde Jongen in das Programm des englischen Verlags Chester aufgenommen, der sich auf internationales progressives Repertoire unter Ausschluss des deutschen fokussierte. Auch die Société des concerts français öffnete belgischen Komponisten und Interpreten ihre Bühne (siehe Tabelle 11). Als Gastspielveranstalter auf uneingeschränkten Reiseverkehr angewiesen, konnte sie ihre Programme nicht mehr auf gewohnte Weise planen und gab nur noch drei Konzerte in der ersten Jahreshälfte

535

Die ältere Forschung betonte hingegen oft den Effekt des Kriegs: „This particular [German] phobia [...] was largely responsible for the popularization of French and Russian music in this country from 1914 onwards, and it also gave some encouragement to younger British composers.“ Mackerness, A Social History of English Music, 238. 536 In dem Studio in 19a Edith Grove, Chelsea, spielten etwa Arthur Rubinstein, Harold Bauer, Cortot, Ysaÿe, Thibaud, Albert Sammons, Eugene Goossens, Rebecca Clarke, Lionel Tertis, Pablo Casals und Karol Szymanowski; unter den meist nur wenigen Zuhörern waren John Singer Sargent und Henry James. Die regelmäßigen Treffen begannen im Sommer 1912, wurden auch im Krieg fortgesetzt und endeten erst, als Drapers Familie im Frühsommer 1915 England verließ. In ihren Memoiren schwärmten zahlreiche der Beteiligten von diesen Stunden: Tertis, My Viola and I, 45; Goossens, Overture and Beginners, 98; Casals, Licht und Schatten, 125; Rubinstein, My Young Years, 404ff. Vgl. die Erinnerungen der Gastgeberin Draper, Music at Midnight. 537 So hieß es zur zweiten Violinsonate von Jongen, der nie Unterricht in Frankreich erhalten hatte: „We do not know whether M. Joseph Jongen is or is not an avowed follower of César Franck. [...] in M. Jongen’s work one catches a faint but unmistakable echo of the work of the older composer. [...] By this M. Jongen identifies himself with the modern French classical movement, which owes its very existence to the stimulating vitality of Franck’s art, [...].“ F. B. [Ferruccio Bonavia], New French Music, in: The Manchester Guardian, 29.12.1910, 3. 538 Die Belgier Jongen, Désiré Defauw und Léon Reuland präsentierten beim South Place Vreuls’ Klaviertrio d-Moll (1896), Jongens Klavierquartett Es-Dur op. 23 (1902) sowie Lekeus Violinsonate und waren einen Monat später mit einem ähnlichen Programm in Elgars Privathaus zu Gast. The Athenaeum, 7.11.1914, 485 (Ankündigung); The Musical Times, 1.1.1915, 38. „The music performed was all Belgian, of recent date and of the most modern type. To some hearers it was a new experience.“

174

„Allied Music“: Fortgesetzte Förderung nach 1914

1915. Alle Einnahmen widmete sie wohltätigen Organisationen, zu deren Gunsten sogar Briefe und Autographe versteigert wurden.539 Unter den veränderten Vorzeichen des Krieges führte eine neue Reihe die systematische Pflege französischer Kammermusik fort: Der Sänger und Komponist Isidore de Lara (1858–1935) hatte Ende 1914 in London die War Emergency Entertainments ins Leben gerufen, um Musiker mit Konzertverpflichtungen zu unterstützen. Anfang 1915 erweiterte er das Vorhaben um die Förderung englischer Komponisten, indem er bei wöchentlichen Konzerten in der Steinway Hall fast ausschließlich neue Kompositionen vorstellte.540 Im Juli 1916 veranstaltete de Lara unter dem gleichen organisatorischen Dach ein erstes rein französisches Rezital, dem bis zum Sommer 1918 weitere folgen sollten (siehe Tabelle 16): In the course of a brief address, Mr. de Lara said that he hoped, with the sympathy and patronage of the French Ministry of Fine Arts, to embark in the autumn on a campaign on behalf of French music. There was no time to listen to the music of Germany, but it undoubtedly was a time to listen to that of a nation we love, respect, and revere. Up to the present there had been no unity between French and English musicians, and this, surely, was the season to bring it about. He hoped that the same thing would be done in Paris for English music as the Société des Concerts Français had done in the past, and he hoped to do in the immediate future for the art of our Allies.541 539 Am meisten brachten Musikautographe Debussys (38 Schilling) und Ravels (2 Pfund) ein. The Observer, 31.1.1915, 5. Drei Jahre später erzielte ein Brief Gounods bei einem Festkonzert zu dessen hundertstem Geburtstag 25 Pfund für das französische Rote Kreuz. The Times, 17.6.1918, 5. 540 Die War Emergency Concerts wurden bis zum Ende des Krieges fortgesetzt; ihre Zahl belief sich schließlich auf 1259, darunter 171 rein britische Konzerte, bei denen 266 neue Werke präsentiert wurden. The Times, 1.7.1919, 14. Vgl. auch de Lara, Many Tales of Many Cities, 247–258. Der der modernen englischen Musik so eng verbundene Evans fällte später dennoch ein hartes Urteil über die Konzerte: „The bulk of the programmes was furnished by the unknown or the disappointed, and in these days of alert curiosity in music there are few disappointments that remain inexplicable. [...] The outcome of this was that these concerts were mostly of a dullness hard to describe.“ Evans, Introductions: XI. Goossens, 332. Vgl. auch ders., The Emancipation of Music. In einer der wenigen Forschungsarbeiten zu de Laras Aktivitäten kam Jane Angell zu dem Schluss, dass dessen Außenseiterposition im englischen Musikleben einer angemessenen Würdigung im Weg gestanden habe. Angell, Music and Charity, 197. 541 The Daily Telegraph, 20.7.1916, 10. Anlässlich eines italienischen Festivals, das de Lara im Sommer 1918 veranstaltete, bekräftigte er in einem Leserbrief vehement seine Motivation: „In giving these [War Emergency] concerts I have sedulously striven to wage war on those enemy composers whose works encouraged in the past, alike in the home and the school and the concert room, have won so much popularity in this country that they have given the average Briton the fallacious idea that Germany is pre-eminently the land of music. To counteract this heresy, it seemed necessary in the first place to do all I could to encourage British music, and I am proud to think that, through the „All British“ concerts, a very large number of native works and a considerable number of highly-gifted native composers have gained a hearing, and, possibly in some cases, a public. But the encouragement of British music is not in itself sufficient to undermine Teutonic influence. I have, therefore, made it my business to give French concerts in considerable numbers, [...]. I hope thus to do something to underminde the devastating influence of the Teutonic artists who virtually made London, in the musical sense, a German city before the war.“ The Daily Telegraph, 4.6.1918, 4 (Hervorhebung hinzugefügt).

175

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Tabelle 16: Isidore de Laras Konzertreihen mit französischer Musik, 1916–1918 Datum

Programm (Ensemblewerke)

Presse

19.7.1916

Chausson KlQu. A-Dur; Debussy StrQu. g-Moll; Schmitt Chant élégiaque; Duparc; Hahn; Fauré

Obs, 23.7.1916, 7.

15.11.1916 Saint-Saëns Klaviertrio ?; Franck KlQnt. f-Moll; Bréville; Duparc; Chabrier (Rede von Lord Burnham)

DT, 16.11.1916, 7.

7.12.1916

Schmitt KlQnt. h-Moll (mit Schmitt); Fauré Violinsonate A-Dur; Chausson; Bordes; Debussy (Rede von Jean-Aubry)

MT, 1.1.1917, 32.

26.1.1917

Castillon KlQnt. Es-Dur (mit Théophile Ysaÿe); Bordes Suite basque; Hahn; Fauré; Franck; Grovlez; Chausson; Gustave Charpentier

DT, 29.1.1917, 11.

28.3.1917

Erik Satie; Henri Büsser (Rede von de Lara zu Aufführungsrechten)

DT, 24.3.1917, 4. (Ankündigung)

7.5.1917

Debussy Danse sacrée; Ravel Introduction et allegro; Godard; Duparc; François Couperin (bei Lady Cunard)

DT, 11.5.1917, 3.

26.6.1917

Debussy Violinsonate; Fauré KlQu. c-Moll; Hahn; Chabrier; Franck

Fonds Jongen

21.11.1917 Franck KlQnt. f-Moll; F. Couperin Concert royal; Büsser; Hahn; Xavier Leroux; Rameau; Jean-Marie Leclair; Louis Couperin; Marin Marais (Rede von Lord Burnham)

DT, 22.11.1917, 3.

20.12.1917 Fauré Violinsonate e-Moll (mit Harold Samuel); Debussy Cellosonate; Rameau; Massenet; Ravel

DT, 22.12.1917, 3.

3.1.1918

Franck Violinsonate A-Dur; Debussy Sonate für Fl., Va. und Hf.; Chabrier; Louis Vierne; Jacques de La Presle

DT, 5.1.1918, 3.

17.1.1918

d’Indy KlQu. a-Moll; Leclair Klaviertrio; Chausson; Massenet; Delibes; F. Couperin; Lully; Rameau; Gossec

DT, 19.1.1918, 6.

31.1.1918

Fauré KlQnt. d-Moll; ?

DT, 31.1.1918, 1. (Anzeige), Fonds Jongen

14.2.1918

Ravel StrQu. F-Dur; Michel Blavet; Berlioz; d’Erlanger; Flötensoli (mit Louis Fleury)

DT, 16.2.1918, 3.

28.2.1918

Chausson KlQu. A-Dur; Satie (Sonatine bureaucratique mit Louis Delune); Dukas; Chabrier; Chaminade; Lalo; Fauré; Massenet; Grovlez; Séverac; Büsser

DT, 1.3.1918, 6.

176

„Allied Music“: Fortgesetzte Förderung nach 1914

Datum

Programm (Ensemblewerke)

Presse

30.4.1918

Bordes Suite basque; Ravel Introduction et allegro; Couperin; Marais (Rede von Beecham)

T, 1.5.1918, 8.

14.5.1918

Debussy StrQu. g-Moll, Sonate für Fl., Va. und Hf., Danse sacrée (Rede von Evans)

DT, 15.5.1918, 5.

21.5.1918

Franck KlQnt. f-Moll; Ravel Introduction et allegro; Berlioz; Massenet; Rameau

DT, 23.5.1918, 6.

30.5.1918

Saint-Saëns Klaviertrio F-Dur; Leclair Violinsonate; Franck; Chausson; Debussy; Chaminade; Gabriel Pierné

DT, 25.5.1918, 3. (Ankündigung), Fonds Jongen

4.6.1918

Magnard Qnt. für Kl. und Bläser; Franck Violinsonate A-Dur (für Viola, mit Lionel Tertis)

MT, 1.7.1918, 325.

11.6.1918

Fauré KlQu. c-Moll; Leclair; Saint-Saëns; Michel Corrette

DT, 8.6.1918, 5. (Ankündigung)

Auch die French Concerts in Manchester waren vereinzelt als Unternehmung für die englisch-französische Entente und gegen die deutsche Dominanz aufgefasst worden (siehe Anm. 363), doch bei der Londoner Société waren solche Deutungen sowohl in der Eigendarstellung als auch in der Fremdwahrnehmung ausgeblieben. Nun erklärte de Lara die Aufführung französischer Musik in der Kriegszeit zu einem patriotischen Akt: Das Publikum (oder der Prima Donna Choir unter de Lara) sang zu Beginn die Marseillaise und am Schluss God Save the King (siehe das Programmheft des ersten Konzerts, Abbildung 12). Die Schirmherrschaft übernahm der französische Kulturminister.542 Der Kritiker Robin H. Legge unterstützte das Vorhaben nachdrücklich und betonte insbesondere, dass eine Entente auf Gegenseitigkeit beruhe und nun auch die englische Musik in Frankreich bekannter gemacht werden müsse.543 Beim zweiten Konzert hielt Harry Levy-Lawson (Lord Burnham) eine kurze Rede, in der er mit militaristischer Metaphorik die künstlerische Annäherung beschwor, „that the comradeship of the field should be carried also into the world of art“.544 In seiner Reihe präsentierte de Lara grundsätzlich das moderne französische Repertoire, das die Société eingeführt hatte, später ebenso Musik des 18. Jahrhunderts. Der postulierte Anspruch auf Erstaufführungen konnte dabei nicht immer eingelöst 542

Beim „French Minister of Fine Arts“ handelte es sich um Albert Dalimier, Sous-secrétaire d’État aux Beaux-Arts, dessen Vorgänger schon in Manchester und London eine Schirmherrfunktion übernommen hatten. Nach dem ersten Konzert schrieb er de Lara und gratulierte zu dem Programm. The Daily Telegraph, 1.8.1916, 4. 543 Siehe dazu S. 191ff. Legge, French Music (siehe auch Anm. 385); ders., Musical Entente. 544 The Daily Telegraph, 16.11.1916, 7. Levy-Lawson war Besitzer und Direktor des Daily Telegraph, in dem breit über de Laras Konzerte berichtet und Anzeigen geschaltet wurden. Er wirkte auch als Präsident der neuen Anglo-French Society (siehe unten).

177

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Abbildung 12: Programmheft des ersten französischen Konzerts von Isidore de Lara, 1916 (Fonds Joseph Jongen, Conservatoire royal de Bruxelles) 178

„Allied Music“: Fortgesetzte Förderung nach 1914

179

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

180

„Allied Music“: Fortgesetzte Förderung nach 1914

181

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Abbildung 13: Programmheft eines französischen Konzerts von Isidore de Lara und Lady Cunard, 1918 (Fonds Joseph Jongen, Conservatoire royal de Bruxelles) 182

„Allied Music“: Fortgesetzte Förderung nach 1914

183

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

184

„Allied Music“: Fortgesetzte Förderung nach 1914

185

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

werden.545 Alexis de Castillons Klavierquintett Es-Dur op. 1 (1864) erklang allerdings wohl tatsächlich zum ersten Mal in England, ebenso wie später die neuen Violinsonaten von Debussy und Fauré.546 Für Dezember 1916 wurde ein Besuch des in England praktisch unbekannten Erik Satie angekündigt, der jedoch absagte und von Schmitt vertreten wurde.547 Im folgenden März stand Saties Choses vues à droite et à gauche auf dem Programm, ohne dass eine kritische Einschätzung greifbar wäre, denn eine rechtliche Problematik zog die Aufmerksamkeit auf sich: In einer Rede sah de Lara sich gezwungen, gegen die neue Praxis der Performing Right Society (PRS) zu protestieren und vor deren schädlichen Folgen zu warnen.548 Die PRS hatte ein Lizenzsystem eingeführt, das Konzertsäle zur Zahlung eines jährlichen Pauschalbeitrags verpflichtete, um Aufführungen von Werken unter ihrem Schutz zu ermöglichen. Dies betraf in erster Linie englische und französische Musik, da die PRS auch als Agent für die französische Verwertungsgesellschaft SACEM fungierte, während für deutsche Werke keine Gebühren anfielen. Bei einer von de Lara einberufenen Versammlung wurde gemeinsam mit G. Jean-Aubry als offiziellem Gesandten der französischen Regierung ein Brief an die SACEM aufgesetzt, der erneut die Aufführung französischer Musik mit patriotischen Motiven verknüpfte: [...] explaining how detrimental to the interests of the composers of French chamber music, and favourable to the renewed propaganda of German music, is the friction existing between the P. R. S. and the concert halls in London, and further begging the committee of the Paris Society, on the grounds of patriotic and public policy, to facilitate in every way the performance of French music in England during the war.549 545

In einem Leserbrief merkte Guéritte an, dass der als Novität angekündigte Chant élégiaque von Schmitt bereits bei der Société gespielt worden war. T. J. Guéritte, French Music, in: The Daily Telegraph, 22.7.1916, 4. Auch Faurés Klavierquintett d-Moll wurde 1918 zu Unrecht als Erstaufführung beworben. 546 „To English audiences the name of Mr. A de Castillon is entirely unfamiliar, yet on the other side of the Channel he is regarded practically as the founder of that French school which is now universally regarded as one of the greatest factors in the history of the development of music.“ The Daily Telegraph, 29.1.1917, 11. 547 Geplant waren eine Reise von London über Newcastle nach Edinburgh und lecture-recitals mit Jean-Aubry. Für Saties Absage war die Arbeit an Parade offenbar ebenso verantwortlich wie dessen Antipathie gegenüber Jean-Aubry: „Si vous saviez combien Aubry est „con“. Il a même l’air d’un cul – vu de très près.“ Brief von Satie an Roland-Manuel, 14.11.1916, zit. nach Bryars, Satie and the British, 13. Vaughan Williams schrieb im März 1912 an Edward J. Dent: „Have you ever heard of a composer called Eric Satie – Ravel has, apparently discovered him – he was doing all the Debussy tricks in 1887 before D. was invented. – They are not much in themselves but are interesting as fore-runners.“ Vaughan Williams, Letters, VWL337. 548 The Daily Telegraph, 31.3.1917, 3. Auch der Manager des London String Quartet, dem die PRS eine Aufführung von Debussys Quartett untersagt hatte, erhob Einspruch dagegen, dass nicht mehr die Künstler selbst die Gebühren übernehmen konnten: „Is it not an ill-chosen moment to bar French music in this country?“ 549 The Musical Times, 1.5.1917, 207. Vgl. zur Geschichte der PRS, allerdings nicht zu dieser Debatte, Ehrlich, Harmonious Alliance.

186

„Allied Music“: Fortgesetzte Förderung nach 1914

In der Folge wurde ein Kompromiss gefunden, Werke nun doch einzeln abzurechnen, doch die Debatte blieb weiterhin lebendig, insbesondere was das englische Repertoire betraf.550 In einem ähnlichen Zusammenhang, das Verlagswesen betreffend, stand 1916 die Gründung der Anglo-French Music Company durch John McEwen und Tobias Matthay, beide Professoren an der Royal Academy of Music. Um dem im Krieg versiegenden Nachschub deutscher Publikationen entgegenzuwirken, veröffentlichte der 1925 von Oxford University Press aufgekaufte Verlag zahlreiche primär für den pädagogischen Kontext bestimmte Klavier- und Violinwerke vor allem englischer Komponisten. Nach de Lara und Lord Burnham erhielt beim dritten der französischen Konzerte Jean-Aubry die Gelegenheit für eine kurze Ansprache, die einen festen Bestandteil der War Emergency Entertainments darstellte. Neben einer Einführung in das Programm, bei der er Fauré („the most intimate“) und dessen Schüler Schmitt („the most powerful“) als gegensätzliche Pole der französischen Musik beschrieb, bekräftigte auch er das gemeinsame Interesse beider Länder an einer künstlerischen Entente. Er pries Frankreich („the land of artistic liberty“) als Vorbild für junge englische Komponisten an und plädierte für die Gründung einer „National Society of British Music“ in Anlehnung an die französische Société nationale de musique. Als Schmitts Quintett einige Tage später bei dem Verleger William Heinemann wiederholt wurde und Lionel Tertis zwei Sätze aus Benjamin Dales Suite op. 2 spielte, sah die Musical Times bereits darin eine Stärkung der „musical entente“.551 Die Interpreten in de Laras französischer Reihe stellten ebenfalls wechselnde belgischenglische Kooperationen dar: Zu den Stammgästen gehörten Joseph Jongen als Pianist, der Geiger Désiré Defauw und der Cellist Emile Doehaerd; an den Mittelstimmen agierten der Amerikaner Ernest La Prade und Engländer wie Tertis, Sylvia Sparrow, Alfred Hobday und Raymond Jeremy. Aus diesem Kreis setzten sich auch zwei feste Ensembles zusammen: Das Belgian Quartet ( Jongen, Defauw, Tertis, Doehaerd) hatte bereits im Juni 1915 sein erstes öffentliches Konzert gegeben und griff regelmäßig auch englisches Repertoire auf.552 Das Allied (String) Quartet gruppierte sich ebenfalls um Defauw und Doehaerd, zu den Mitspielern gehörten La Prade, Richard C. Kay und später Charles Woodhouse an der zweiten Violine sowie Hobday und nach ihm Tertis an der Bratsche.553 Seinem Namen folgend, verknüpfte es häufig zeitgenössische 550

Für ein Instrumentalwerk über 15 Minuten etwa wurden 10 Schilling fällig. The Musical Times, 1.8.1917, 357. Mehrere Komponisten richteten eine Protestnote an die Times, wohingegen der Präsident der PRS, William Boosey, auf die divergierenden Interessen von Schaffern „sehr ernster“ und leichterer Musik hinwies. Siehe die Leserbriefe und eine Einordnung bei The Musical Times, 1.11.1917, 520f. 551 The Daily Telegraph, 8.12.1916, 6; The Musical Times, 1.1.1917, 32. Siehe zu diesem Diskurs S. 235ff. 552 Beim ersten Konzert spielte das Ensemble Jongens Klavierquartett, Bridges Phantasy und Mozart. The Observer, 13.6.1915, 14. Vgl. Whiteley, Jongen and His Organ Music, 36–38. Whiteley ging nicht auf den Kontext von de Laras Reihe ein und übernahm die irrtümlichen Angaben der Erstaufführungen. 553 Vgl. White, Tertis, 30, sowie 54–63 für Konzerte in den 1920er-Jahren. Auch Raymond Jeremy, Frank Bridge, Boris Pecker und Thomas Peatfield halfen gelegentlich aus. Ein Gründungs- und Auflösungsjahr sind nicht auszumachen; in einigen Überblicken ist fälschlicherweise zu lesen, das Ensemble sei nur

187

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

französische und englische Werke, zeichnete für Ur- und Erstaufführungen etwa von Bax, Fauré und E. J. Moeran verantwortlich und konzertierte mit Komponisten wie Bridge, Schmitt und Ravel.554 Die Fortsetzung seiner Reihe im Herbst 1917 verband de Lara mit einer Zusammenarbeit mit der neugegründeten Anglo-French Society, die sich unter dem Vorsitz Lord Burnhams die künstlerische und intellektuelle Annäherung beider Länder zum Ziel setzte.555 Hatte Legge anfangs noch kritisiert, dass die Musik in der Vereinigung offenbar keine Rolle spielen sollte, und erneut die Vorbilder Guéritte und Jean-Aubry beschworen, kooperierte die Anglo-French Society in der Folge mit den War Emergency Entertainments.556 Bei der letzten Reihe mit sechs französischen Rezitalen ab April 1918 fungierte auch Lady Cunard als Mitveranstalterin, eine prominente Salongastgeberin, die bereits Mitglied der Société gewesen war. Zu den Zuhörern zählten darum nicht nur solche der Künstlerszene wie Ezra Pound,557 sondern auch zahlreiche Mitglieder aus der höheren Gesellschaft.558 Die Programmhefte der letzten Konzerte verzeichnen eine Liste der „Subscribers to French Concerts“ mit mehr als 100 Namen, darunter zahlreiche mit Adelstiteln (siehe Abbildung 13).559 Als weitere Gastredner wirkten Evans, bei einem Gedenkkonzert für Debussy, sowie Beecham, der der französischen Musik höchsten Respekt zollte: Stets zeige ihr nachahmungswürdiger Stil Klarheit und Sinn für Proportion; an Bedeutung, Schönheit und Charme sei ihre Produktion seit während des Krieges aktiv gewesen. Meadmore, British Performing Organizations, 203. 554 Bei einem Empfang des Music Club im Savoy Hotel für die Sängerin Marguerite d’Alvarez im Dezember 1917 spielten Harriet Cohen und das Allied Quartet zum ersten Mal überhaupt Bax’ Klavierquintett g-Moll (1915, Evans gewidmet). The Daily Telegraph, 20.12.1917, 8. Mit Bridge und Ivor James spielte es 1919 Bridges Streichsextett (Wigmore Hall Archive), im selben Jahr bei der Classical Concert Society mit Schmitt dessen Klavierquintett, mit Cortot bei der gleichen Reihe 1921 die Erstaufführung von Faurés zweitem Klavierquintett und mit Ravel 1922 Introduction et allegro (siehe Anm. 520, 304 und 530). Bei einem Konzert allein mit Kompositionen des jungen Moeran spielte das Allied Quartett (nun mit Defauw, Woodhouse, James Lockyer und Ambrose Gauntlett) 1923 zum ersten Mal dessen Streichquartett a-Moll. The Daily Telegraph, 17.1.1923, 6. 555 Für die offizielle Ankündigung der Motivation und Ziele des Gesellschaftsclubs, zu denen auch die Gründung einer Schwestervereinigung in Frankreich gehörte, siehe The Egoist, 1.4.1918, 62. 556 Legge, Anglo-French Society, 3. 557 „English literature is very poorly represented, but on the other hand the concerts of French music given under the society’s auspices are a very valuable contribution to the musical life of this city. Having heard the Ravel „Septuor“ this afternoon, and hoping to hear the Debussy memorial concert a fortnight hence, I can only express my gratitude to the society [...].“ Ezra Pound, The Anglo-French Society and M. Davray, in: The Egoist, 1.5.1918, 72. 558 Beecham, der Partner Lady Cunards, formulierte zu de Laras britischer Reihe: „[...] a large mass of British compositions was introduced to a section of society which so far had been unaware of its existence. For the audiences were largely composed of women of fashion and of those who liked to be seen in their proximity, [...].“ Beecham, A Mingled Chime, 221. Vgl. Angell, Music and Charity, 196. 559 Hervorzuheben wären der französische Botschafter; Arthur Balfour, der ehemalige Premierminister und Mitgründer einer Handel Society; Lady Randolph Churchill, die Mutter des späteren Premierministers; der Bildungsminister Herbert Fisher und Gordon Selfridge, Gründer des gleichnamigen Kaufhauses. Auf einer Liste eines früheren Konzerts stand auch die Princesse de Polignac.

188

„Allied Music“: Fortgesetzte Förderung nach 1914

etwa 1880 von keinem Land übertroffen worden. Er legte nahe, dass mehr nötig sei als die „quiet appreciation“, die sie bisher in England erhalten habe.560 Das Konzertleben bot allerdings längst ausreichend Gelegenheit für ein näheres Kennenlernen: Von den Neuheiten um die Jahrhundertwende hatte sich die Kammermusik von Fauré, Debussy, Ravel und deren Landsleuten schneller und nachhaltiger im Repertoire etabliert als etwa die von Max Reger, Sergei Tanejew oder Christian Sinding. Immer häufiger war der moderne Teil eines Programms französischer Herkunft. Die Ende 1918 wiederaufgenommene Classical Concert Society, deren Konzept nun auch ‚moderne Klassiker‘ einschloss, kam kaum mehr ohne französisches Element aus.561 Auch zahlreiche exklusiv zeitgenössische Programme waren davon geprägt, und Uraufführungen neuer englischer Kompositionen wurden regelmäßig mit einem französischen Werk verknüpft (siehe zu Franck Tabelle 6): So wurde Vaughan Williams’ Phantasy Quintet von Ravels Gaspard de la nuit und Dukas’ Rameau-Variationen mit Ricardo Viñes eingerahmt.562 Ein Konzert stellte jüngste Werke von Bridge, Ireland und Debussy nebeneinander.563 Und neue Streichquartette von Bax sowie E. J. Moeran wurden neben Ravels eingeführt.564 Einen Höhepunkt der Gegenüberstellung von moderner französischer und englischer Kammermusik stellte ein Anlass in der Wigmore Hall im April 1918 dar (siehe Tabelle 17, Wigmore Hall Archive): A well-nigh perfect specimen of the art of programme-making was offered on Saturday afternoon, April 6, at a concert given under the auspices of four different Anglo-French Societies (L’Entente Cordiale Society, Fédération Britannique de l’Alliance Française, Alliance Franco-Britannique, and Société des Concerts Français). The programme, entirely devoted to modern French and English music, and compiled, we believe, by M. G. JeanAubry, was admirably designed to illustrate not only the qualities and characteristics of each of the two Schools, but also their relation to and completion of each other.565 560

The Times, 1.5.1918, 8; The Daily Telegraph, 1.5.1918, 7. Bei einem Dinner zu Ehren de Laras warnte Beecham allerdings ein Jahr später, dass nun zwar die Zeit britischer Musik gekommen sei, jedoch in Frankreich auf eine Blütephase eine schlechte Reaktion gefolgt sei. The Times, 1.7.1919, 14. 561 „The committee has now thoroughly revised the reading of its title, and instead of putting a ring round certain composers and saying, “These are the classics and we can ignore all others,” it would bring modern music to the classical test, and say, rather, “Here are our classics; let us see if we can find some more.”“ The Times, 7.3.1919, 8. Siehe zu den Ursprüngen der Society S. 246f. Bei den ersten Konzerten nach dem Krieg spielte das Allied String Quartet Francks Quartett und Quintett sowie Schmitts Quintett (Wigmore Hall Archive). 562 Das London String Quartet spielte Hugo Wolf und Percy Grainger. The Times, 24.3.1914, 10. 563 William Murdoch, Albert Sammons, Bridge und Felix Salmond gaben die Uraufführung von Bridges Cellosonate, Irelands neues Klaviertrio, Faurés Klavierquartett c-Moll und Debussys Violinsonate (als Erstaufführung angegeben, doch kurz nach Jongen und Defauw). The Times, 14.7.1917, 3. 564 The Times, 8.6.1918, 3. Siehe zu Moeran im Jahr 1923 S. 336. 565 The Musical Times, 1.5.1918, 216. Trotz der breiten Rückendeckung des Konzerts konnte keine weitere Besprechung ausfindig gemacht werden. Siehe aber die kurze Notiz in Le Figaro, 16.4.1918, 4.

189

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Tabelle 17: „An Anglo-French Concert“, 6.4.1918 Komponist

Werke

Interpreten

Ravel Debussy

Klaviersoli: Pavane pour une infante défunte Hommage à Rameau

Anthony Bernard

Fauré Duparc Debussy

Lieder: Après un rêve La chanson triste Fantoches

Olga Haley, Roger Quilter

Debussy

Violinsonate

Bernard, Désiré Defauw

Chausson Roussel

Lieder: Nocturne Le jardin mouillé

Haley, Quilter

Ireland

Violinsonate a-Moll

Ireland, Defauw

Lieder: Lament of the Bedouin Slave-girl Bantock The Roadside Fire Vaughan Williams Isobel Bridge

Haley, Quilter

Goossens

Klaviersoli: Kaleidoscope (UA)

Goossens

Quilter

Lieder: Three Songs of William Blake

Haley, Quilter

Bei diesem programmatisch konzipierten Konzert wurde der französische Teil von einer kurzen Ansprache Evans’ eingeleitet, der englische im Gegenzug von Jean-Aubry. Die zweifellos von beiden Kritikern beschworene Verbindung beider Länder erhielt durch die Beteiligung gleich dreier englischer Komponisten (Ireland, Goossens und Quilter) besonderen Nachdruck. Dies galt entsprechend für ein weiteres englisch-französisches Konzert zwei Jahre später, bei dem Jane Bathori, Goossens und Darius Milhaud ein Programm bestritten, das nun auch die jüngste französische Generation einschloss.566 In der Debatte um das Selbstverständnis der aktuellen englischen Musik nahmen das Verhältnis zur französischen und deren mögliche Vorbildfunktion eine zentrale Stellung ein (siehe Kapitel 4.3).

566 Im Privathaus von Mrs. Bigham in Chelsea wurden Lieder und (vierhändige) Klavierstücke von Goossens, Scott, Ireland, Gerald Tyrwhitt (Lord Berners) sowie Milhaud, Satie und Louis Durey gegeben. The Daily Telegraph, 31.5.1920, 6.

190

„Allied Music“: Fortgesetzte Förderung nach 1914

Auf Gegenseitigkeit beruhend? Englische Musik in Frankreich Die Verfechter der französischen Musik in England – Barbier, Guéritte und de Lara – einten nicht nur diese Bestrebungen, sondern auch der Wunsch, im Gegenzug die moderne englische Musik nach Frankreich zu bringen. Schon im Vorlauf der zweiten Saison der French Concerts in Manchester 1908 hatte Barbier entsprechende Pläne skizziert.567 Ein Jahr später schickte Guéritte ein Ankündigungsschreiben an einige englische Zeitungen, in dem er um die Unterstützung in Paris lebender Briten für seine neue Unternehmung warb: A musical society is now being formed in Paris, under the name of “British Concerts Society,” for the purpose of spreading a knowledge of British music among French audiences by means of concerts entirely devoted to the works of British composers. Works by the masters of past centuries will naturally be given, the greater part of the programmes being, however, devoted to the works of modern composers. The society is under the same committee of management as the London “Société des Concerts Français.” It will be worked on exactly similar lines, not being a commercial enterprise, but simply an artistic organisation. [The hon. secretaries T. J. Guéritte and R. Vaufrey] will feel grateful to anyone kindly mentioning to them the names and addresses of British residents in Paris who may be likely to take an interest in the work of the society.568

Erst 1906 hatte es bereits Versuche gegeben, die Franzosen mit englischer Musik bekanntzumachen: Im Januar gastierten das neugegründete London Symphony Orchestra und der Chor des Leeds Festival für zwei Konzerte in Paris, bei denen Werkausschnitte von Sullivan, Cowen, Elgar, Mackenzie, Parry und Stanford zu hören waren.569 Vier Monate später erlebte Elgars Oratorium The Dream of Gerontius seine französische Premiere.570 Der etablierte Kreis des englischen Musiklebens hinterließ jedoch einen Eindruck, der einem fortgesetzten Austausch kaum zuträglich war.571 Auch Thomas 567

„The task of these committees [in Paris and large provincial towns] will be to organise concerts for English composers and performers or to arrange for them to play at the concerts already existing. Thus we hope to contribute for our part to a musical entente cordiale, [...].“ Leserbrief in The Manchester Guardian, 22.10.1908, 4. Siehe Anm. 365 für die Ankündigung englischer Musik in Manchester. 568 The Musical Standard, 2.10.1909, 220. 569 Die instrumentale und vokale Virtuosität wurde hingegen in Werken von Strauss, Wagner und Beethoven demonstriert. Anlässlich dieser Konzerte und der bereits gewohnten Besuche französischer Orchester in England wurde die entente cordiale beschworen. The Athenaeum, 13.1.1906, 58. 570 Für einige Kritiken siehe The Musical Times, 1.7.1906, 467. Neben der Präsidentin der Société des grandes auditions, der Comtesse Greffulhe, war die Pioniertat offenbar auch der Fürsprache Faurés zu verdanken, siehe Anm. 285 für den Brief von Frank Schuster an Elgar. 571 So berichtete es Calvocoressi sowohl kurze Zeit später als auch in der Rückschau. Calvocoressi, Musique et musicologie anglaises II, 437; ders., Musicians Gallery, 286. Ein Zuhörer des ersten Festivals berichtete, „tous ces musiciens paraissaient les élèves, travailleurs mais peu doués, d’un Conservatoire dirigé par Mendelssohn.“ Joseph de Marliave, Musiciens anglais [1906], in: ders., Études musicales, 99–118, hier 113. Marliave bezog diese aufgeschnappte Bemerkung vor allem auf Stanford und Parry und hob von der jüngeren Schule Percy Pitt und Elgar hervor.

191

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Beecham erlebte Fehlschläge, als er 1911 seine Londoner Elektra-Produktion in Paris wiederholen wollte und zwei Jahre später mit Erstaufführungen von Vaughan Williams und Delius kaum auf positive Resonanz stieß.572 Hingegen erreichte Ethel Smyth mit ihrem Konzert 1908 einen Achtungserfolg (siehe Anm. 1110). Die neue British Concerts Society richtete ihren Fokus ebenso wie die Londoner Schwestervereinigung auf die jüngere Generation. Ihre Organisation und Motivation legte eine Anzeige im Bulletin français de la S.I.M. dar. Prominente Schirmherren auf beiden Seiten des Kanals liehen ihre Namen zur Unterstützung (siehe Abbildung 14).573 Demonstrativ setzte sich die Society zum Ziel, das Vorurteil zu widerlegen, England sei ein Land ohne Musik.574 Vier Rezitale wurden angekündigt, darunter eines mit älterer englischer Musik, und für die Zukunft auch Orchesterkonzerte angedacht, im Idealfall unter Leitung der Komponisten. Beim ersten Konzert im Januar 1910 (siehe Tabelle 18) richtete sich der instrumentale Teil des Programms nach den Interpreten Myra Hess und Lionel Tertis,575 während ein einleitender Vortrag die didaktische Zielsetzung der Reihe unterstrich. Der Kritiker und Komiteemitglied Michel-Dimitri Calvocoressi zog eine Parallele zwischen der englischen und französischen Musikgeschichte: Beide Länder würden auf eine längere Phase zurückblicken, in der fremde Einflüsse dominiert und den nationalen Charakter zurückgedrängt hätten. Nachdem sich die moderne französische Musik bereits davon gelöst habe, öffne sich nun auch die aktuelle Generation in England weniger reaktionären Einflüssen, die ihr die Entwicklung eines ihrer „Seele“ bzw. „Rasse“ angemessenen Stils ermöglichten.576 Andere französische Autoren vermittelten ebenfalls 572

Für die Absage der Elektra machte Beecham die chauvinistische Haltung der Pariser Musiker verantwortlich: „As there was much talk in circulation about the beauty and fitness of the AngloFrench Entente, it seemed to both Messager and myself that this pleasant little manifestation should be welcomed in the city of light. But we were mistaken.“ Beecham, A Mingled Chime, 175. Bei seinem Pariser Debüt im Juni 1913 stellte er in einem internationalen Programm, wieder der Société des grandes auditions, Vaughan Williams’ Norfolk Rhapsody und Delius’ Appalachia vor. Lucas, Beecham, 101f. 573 „Soyez assuré que votre projet d’établir une Société de Musique Anglaise à Paris ne peut que m’être sympathique. Vous pourrez donc disposer de mon nom comme il vous plaira. Et malgré ma nonchalance native pour tout ce qui ressemble à une exécution de n’importe quoi, mes faibles moyens vous sont acquis.“ Brief von Debussy an Guéritte, 10.9.1909. Debussy, Correspondance, 1212. 574 Die Anzeige räumte aber gleichzeitig einen großen deutschen Einfluss im 19. Jahrhundert ein. Diesen Eindruck spiegelte die französische Presse wider: „[...] il devenait utile et intéressant, en réciprocité, de faire connaître en France la jeune école britannique qui secoue en ce moment le joug écrasant que l’influence germanique avait réussi à lui imposer jusqu’à ces dernières années, en annihilant en elle toute individualité.“ Le Figaro, 12.1.1910, 6. 575 Es ist auffällig, dass Hess, Tertis und die Mehrheit der vertretenen Komponisten Absolventen der Royal Academy of Music waren. Denkbar wäre eine Beteiligung der mit der RAM eng verknüpften Society of British Composers an der Reise (siehe Anm. 428 für den ähnlich besetzten Empfang des Music Club für Sibelius ein Jahr zuvor). Eine andere Möglichkeit ist, dass Calvocoressis Begegnung mit Dale und Bowen in London zu dem Programm führte. Calvocoressi, Musicians Gallery, 283. 576 Zu Konzert und Vortrag siehe Gaston Carraud, Le mois. Paris, in: S.I.M. Revue musicale mensuelle 6/1 (15.1.1910), 121–125. Zur „Rasse“ siehe Calvocoressi, Musique et musicologie anglaises II, 447.

192

„Allied Music“: Fortgesetzte Förderung nach 1914

das Narrativ einer ‚Renaissance‘, die mit Elgar und dessen Altersgenossen eingesetzt, aber erst in der jüngeren Schule um Vaughan Williams vielversprechende individuelle Ansätze entwickelt hätte.577 Aus dem Bewusstsein vermeintlicher eigener Überlegenheit bzw. eines zeitlichen Vorsprungs in einer vergleichbaren Entwicklung nahmen die Kritiker dabei häufig einen gönnerhaften Tonfall an. Das französische Publikum und die Presse zeigten sich weniger wohlwollend: Das zweite Pariser Konzert, nun ohne englische Künstler, aber mit ähnlich zurückhaltenden Kritiken wie das erste, sollte das letzte der British Concerts Society bleiben.578 Mit einigen Jahren Abstand blickte Guéritte auf seine gescheiterte Unternehmung zurück und benannte die fehlende (finanzielle) Unterstützung durch die in Paris lebenden Engländer als Ursache für den Abbruch der kurzlebigen Initiative.579 In Leserbriefen plädierte er wie der Kritiker Legge, der Guérittes Arbeit in London 1916 als beispielhaft rühmte und Engländer zur Nachahmung aufrief (siehe Anm. 385 und 543), und de Lara für einen erneuten Versuch. Dabei hatte er genaue Vorstellungen, wie die Franzosen von englischer Musik überzeugt werden könnten: In Frankreich werde größeres Gewicht auf die Interpretation und Programmzusammenstellung gelegt; zudem sei es entscheidend, Werke junger Komponisten vorzustellen statt der älteren Generation, die dermaßen von deutschem Einfluss geprägt sei, dass sie kaum als englische Musik erkannt werden könnte: Besides, as a result of the performances in Paris of such works, a feeling has taken root in France that English works are inclined to be dull and lengthy. [...] [Guéritte recommended] short works from the pens of your younger composers; personal feeling must not be allowed to hold sway in such a case. For the sake of English music 577

Der später als Fernsehkoch und Kochbuchautor berühmt gewordene Marcel Boulestin etwa berichtete nach seinem Umzug nach England 1906 regelmäßig über das dortige Musikleben. Boulestin/Toye, Beckmesserianisme anglais; Boulestin, Les Post-Elgariens. Noch die ältere Generation (Elgar, Smyth, Delius, Parry, Stanford, Bantock) stellte R. A. Streatfeild 1913 in den Mittelpunkt. Streatfeild, Musiciens anglais contemporains. Jean-Aubry etablierte sich nach seinem Umzug auf die Insel 1916 als Autorität auch zur englischen Musik. Für ihn war Elgar sowohl hinsichtlich seiner kompositorischen Leistung als auch der historischen Position in der nationalen Musikgeschichte mit Saint-Saëns zu vergleichen (siehe auch Anm. 1146). Jean-Aubry, La musique anglaise actuelle, 862. 578 Calvocoressi hatte Vaughan Williams’ neues Streichquartett g-Moll eingeplant, dessen Noten jedoch in London gebraucht wurden. Der Komponist schickte ihm deshalb, nebem dem Angebot, Kopien zu machen, das stilistisch völlig verschiedene Klavierquintett c-Moll mit Kontrabass (1903), das er später zurückzog. Brief von Vaughan Williams an Calvocoressi, 3.9.1909. Vaughan Williams, Letters, VWL168. 579 Guéritte, Musical Reciprocity; ders., British Music in Paris. Guéritte reagierte mit letzterem Brief auf Frederick Corder, der konstatiert hatte, dass die französischen Konzerte in London im Gegensatz zu den englischen in Paris gut besucht gewesen seien, ausländische Musik in England also willkommener wäre als die eigene. Laut Guéritte war es tatsächlich genau andersherum: Zu Beginn waren die zu erwartenden Verluste in London von dort lebenden Franzosen ausgeglichen worden, bevor immer mehr Engländer die Konzerte hörten. In Paris hingegen hatten zwar die Franzosen Interesse gezeigt, die britische Kolonie jedoch kaum Unterstützung geboten, weshalb er den Versuch abgebrochen habe. Siehe Corder, Concerning ‘Some Plain Words.’ (Leserbrief zu seinem eigenen Artikel in der JanuarAusgabe). Calvocoressi verwies auf die grundsätzlich fehlende Unterstützung durch Öffentlichkeit und Presse. Calvocoressi, Musicians Gallery, 287.

193

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

Abbildung 14: Zeitungsanzeige der British Concerts Society in Paris, 1909 (L’Actualité musicale : annexe de la Revue musicale S.I.M., Bibliothèque nationale de France) 194

„Allied Music“: Fortgesetzte Förderung nach 1914

Tabelle 18: Konzerte mit englischer Musik in Paris, 1910/1919 Datum

Programm

Interpreten und Saal

Presse

British Concerts Society: 14.1.1910

Benjamin Dale Klaviersonate; York Bowen Violasonate; Lieder von Purcell, Elgar, Quilter, Holbrooke, Scott, Arthur Somervell, Landon Ronald, Hubert Bath

Myra Hess, Lionel Tertis, Elsie Swinton, Yves Nat (Liedbegleiter) (Salle Érard)

Le Guide musical, 23.1.1910, 69.

7.2.1910

Bax Klaviertrio; Balfour Gardiner StrQu. B-Dur; Vaughan Williams KlQnt. c-Moll; Klavierstücke von Paul Corder, Harold Jervis-Read; Lieder von Scott, Norman O’Neill

Antoinette Veluard, Clara Schultz, Quatuor Lejeune (Salle Érard)

Le Gaulois, 6.2.1910, 2 (Ankündigung); Le Guide musical, 13.2.1910, 129.

25.4.1919

Goossens StrQu. op. 14; Ireland Violinsonate (a-Moll?); Vaughan Williams On Wenlock Edge für Tenor, Kl. und StrQu. Klavier- und Orgelstücke von Holbrooke, Goossens, Scott, Bax, Gerald Tyrwhitt (Lord Berners); Lieder von Granville Bantock, Fred Barlow

Quatuor Poulet; Hélène Léon, Gaston Poulet; Nadia Boulanger (Org.); Janine Weil (Kl.) u. a. (Société musicale indépendante, Salle Gaveau)

L’Œuvre, 28.4.1919, 3; T, 29.4.1919, 15.

Arthur Bliss, Philharmonic String Quartet (Salle Gaveau)

Le Ménestrel, 5.12.1919, 70.

26.11.1919 Bridge Three Idylls für StrQu.; Scott StrQu. (Nr. 1); Bliss KlQnt. (UA)

195

Neue Töne: Die junge französische Generation in England nach 1900

abroad, let the older men be proud to send their pupils to fight on their behalf, and win the battle, rather than attempt to go over themselves, only to discover, when it will be too late, that their weapons are obsolete. It goes without saying, of course, that your treasures of past centuries should also be made large use of, and they will be most thankfully welcomed by French people.580

Nach dem Ende des Krieges leitete der mittlerweile in England ansässige Jean-Aubry ein englisches Konzert bei der Société musicale indépendante in die Wege (siehe Tabelle 18).581 Vaughan Williams’ Liederzyklus On Wenlock Edge war dort schon 1912 erklungen (und beim selben Konzert auch Cyril Scott zu Gast gewesen), mit Ravel am Klavier, nachdem die Ablehnung mehrerer Werke (darunter von zweien seiner Schüler, Vaughan Williams und Maurice Delage) den Franzosen im Januar 1909 zum Rücktritt vom Komitee der Société nationale de musique bewogen hatte.582 Jean-Aubrys Einsatz lässt sich, ebenso wie der seines Kollegen Evans, als direkte Nachahmung der systematischen und staatlich unterstützten Förderung französischer Musik im Ausland ansehen.583 Ende 1919 plante das Philharmonic String Quartet zusammen mit Joseph Holbrooke und Arthur Bliss eine Reise nach Paris und Lyon.584 Aufgrund von Passproblemen konnte Holbrooke nicht einreisen – ein Bild mit Symbolcharakter – und letztlich fand nur ein Konzert statt, vor fast leerem Saal, aber immerhin mit Darius Milhaud unter den Zuhörern.585 Die Kritik hob Bridges Three Idylls hervor, die bereits 1912 in Paris gespielt worden waren.586 Auch das London String Quartet gab um den Jahreswechsel 1919/20 580

Brief von Guéritte an Legge, zit. nach Legge, As Others See Us, 4. Siehe auch Anm. 776. The Times, 8.4.1919, 15; Schmitt, Some Notes on an English Concert in Paris. Unter den Zuhörern war Florent Schmitt, der gegenüber der englischen Musik offenbar eine besondere Abneigung verspürte und im Gespräch mit Vera Newman, der Ehefrau des Kritikers, The Dream of Gerontius als schlechtestes Musikstück aller Zeiten bezeichnete. Sie zitierte ihren Mann: „I wonder what it is in the French mentality that makes it so utterly impossible for them to understand English music in general and Elgar in particular.“ [Vera] Newman, Ernest Newman. A Memoir by His Wife, 41. 582 Duchesneau, L’avant-garde musicale, 38–40. Ravel hatte sich für eine Aufführung einer „Fantaisie“ für Orchester von Vaughan Williams eingesetzt, vielleicht In the Fen Country (1904)? Briefe von Ravel an Vaughan Williams, 3.3. und 25.3.1908. Ravel, Correspondance, 177 und 180. 583 Vgl. Norman Peterkin, British Music in America, in: The Musical Times, 1.2.1920, 100f. 584 Auf dem Programm zweier englischer Konzerte stehen sollten Werke von Goossens, Bridge, Holbrooke, Elgar, Scott und zum ersten Mal überhaupt ein neues Klavierquintett von Bliss, in Lyon auch Debussy und Borodin. The Times, 17.11.1919, 10. 585 Bliss, As I Remember, 56. Die Meldung in The Musical Times, 1.1.1920, 63, von zwei Konzerten passt nicht mit dem in Le Ménestrel angegebenen Programm zusammen. 586 „[...] pleine à la fois de fraîcheur de sentiment et de maturité harmonique ; [...].“ Le Ménestrel, 5.12.1919, 70. Das Quatuor Lejeune hatte die Idylls im Rahmen einer Geschichte des Streichquartetts unter anderem neben Schönbergs Verklärte Nacht (zum ersten Mal in Frankreich) präsentiert, ein Jahr zuvor bereits Bridges erstes Streichquartett e-Moll. Le Guide musical, 31.3.1912, 253, und 16.4.1911, 311. Auch ein Streichquartett von Holbrooke war schon 1914 in Paris erklungen, bei einem Konzert von Robert Schmitz mit dem Quartett der Association musicale moderne et artistique. Saint-Marceaux, Journal, 795, Anm. 5. 581

196

„Allied Music“: Fortgesetzte Förderung nach 1914

mehrere Konzerte in Paris, bei denen es englischer Musik einen Platz einräumte, jedoch primär für sein Ensemblespiel gelobt wurde.587 Als engagierter Botschafter für die englische Musik im Ausland wirkte in der Folge auch der Violinist André Mangeot, der (in umgekehrter Richtung) schon bei einigen Konzerten der Société des concerts français beteiligt gewesen war und sich nach dem Krieg endgültig in England niederließ.588 An den in der André Mangeot Collection (Royal College of Music) aufbewahrten Programmen lässt sich etwa eine Reise über Belgien nach Frankreich Anfang 1920 nachvollziehen, bei der auch Eugene Goossens, Georges Pitsch und in Paris zudem Alfredo Casella beteiligt waren. Goossens’ erste Violinsonate fand so den Weg zur Société musicale indépendante und im Mai auch in die Société nationale de musique. 1921 wurde der Engländer Mitglied im Komitee der SMI.589 Zahlreiche weitere englische Werke verdankten Mangeot ihre Einführung auf dem Kontinent.590 Aus den Perspektiven von Edward Lockspeiser, Gustave Samazeuilh und Émile Vuillermoz kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs gelang es jedoch erst der folgenden Generation um William Walton und Benjamin Britten, die Vorurteile gegenüber englischer Musik zu überwinden und in Frankreich die Anerkennung zu erhalten, die französische Musik in England bereits seit den Zeiten der Société genossen hatte.591

587

So wurde ein französischer Korrespondent zitiert: „It is a pity that English players, when introducing native music to foreign audiences, do not choose their programmes more carefully, for when the standard of playing is as high as that of the London String Quartet, a great deal of good could be done in helping to dispel the idea so prevalent abroad (and especially in France) that English music does not really count.“ The Times, 23.12.1919, 14. Neben Mozart und Schubert spielte das Quartett Bridges Londonderry Air und eine Phantasy seines Bratschisten Harry Waldo Warner. 588 Im Rahmen der von ihm gegründeten (Westminster) Music Society und mit dem gleichnamigen Streichquartett gab Mangeot in England auch die Erstaufführungen der beiden letzten Kammermusikwerke Faurés (siehe S. 89) sowie solche etwa von Jean Huré (1921 das Klavierquintett), Ernest Bloch (1922, Streichquartett) und Claude Delvincourt (1924, Violinsonate). 589 Duchesneau, L’avant-garde musicale, 107. Ende 1919 waren auch Goossens’ Two Sketches für Streichquartett op. 15 bei der SMI vorgestellt worden. 590 Darunter waren die Lieder für Gesang und Violine op. 35 von Gustav Holst (SN, Paris, 1923), Goossens’ Phantasy Sextet op. 37 (mit dem Philharmonic String Quartet und John Barbirolli, Paris, 1924) und Vaughan Williams’ Streichquartett g-Moll (1909), das 1925 in mehreren belgischen Städten und Bad Homburg zum ersten Mal präsentiert wurde. Die umfangreichen Aktivitäten von Mangeot scheinen in der Forschung noch keine Beachtung gefunden zu haben. 591 Lockspeiser, Anglo-French Relations. Vgl. Anm. 738. Zu weiteren französischen Aufführungen und Meinungen zu englischer Musik in den 1920er-Jahren vgl. Nichols, The Harlequin Years, 255–257.

197

4 Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

4.1 Vorträge und Publizistik: Protagonisten No propaganda for native music in our country is as insistent as that in support of Richard Strauss, Debussy and the Russians. Explanatory notes, special rehearsals, booklets, clever publishing, heavy advertising, are the methods by which these fine art works get known.592

Die Verbreitung moderner französischer Kammermusik in England wurde zunehmend durch publizistische Aktivitäten und insbesondere ab 1907 durch verschiedene Vorträge bzw. lecture-recitals begleitet und befördert. In mehreren Monographien und zahlreichen Artikeln, die sich an ein spezialisiertes Publikum oder Laien richten konnten, führten Autoren Komponisten und Werke ein, beschrieben originelle und charakteristische Merkmale und entwickelten so das Bild einer zwar von unterschiedlichen Strömungen geprägten, aber in derselben Tradition verwurzelten modernen französischen ‚Schule‘. Musikschriftsteller und Kritiker nahmen in diesem Kontext mit propagandistischen Intentionen die Rolle von Vermittlern und Verfechtern der französischen Musik ein. Mit ihrem Einsatz für die russische Musik lieferte Rosa Newmarch ein Modell für eine solche Tätigkeit.593 Verknüpft war dieses Engagement oft mit einem Eintreten für die zeitgenössische englische Musik. Das historiographische Narrativ einer nationalen Renaissance in Frankreich wurde dabei als ein Muster für die einheimische Entwicklung dargestellt. Zu den ersten Autoren, die sich im späten 19. Jahrhundert mit französischer Musik beschäftigten, gehörte der in Paris geborene Arthur Hervey (1855–1922), der auch als Komponist wirkte.594 Für Herveys Monographie von 1894 war dessen Freund Robin Humphrey Legge (1862–1933) eine wichtige Unterstützung.595 In Deutschland ausgebildet, war Legge ab 1891 bei der Times tätig und wurde 1906 Hauptkritiker des Daily Telegraph, wo er sich engagiert für neue Musik einsetzte, wiederholt Tony 592

Holbrooke, Contemporary British Composers, 10. Vgl. Bullock, Newmarch and Russian Music. Abgesehen von Programmtexten und Übersetzungen trat sie nicht mit Veröffentlichungen zu französischer Musik hervor, siehe jedoch die Einleitung zu d’Indy, Franck. 594 Hervey war von 1892 bis 1908 Kritiker der Morning Post. „In that capacity he was conspicuous for his broad views, which were not unduly influenced by his predilection already referred to for the music of France.“ Nachruf in The Musical Times, 1.4.1922, 277. 595 Hervey, Masters of French Music, xii. 593

199

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

Guéritte und dessen Société des concerts français würdigte und die anglo-französische Entente propagierte.596 Auch die Kritiker der anderen großen Tageszeitungen standen französischer Musik in der Regel aufgeschlossen gegenüber, darunter Henry Cope Colles (von 1911 bis 1943 bei The Times, weniger dessen Vorgänger John Alexander Fuller Maitland), Samuel Langford und Ferruccio Bonavia (beide The Manchester Guardian) und der auch mit Untersuchungen zu moderner Harmonik hervortretende George Howard Clutsam bei der Sonntagszeitung The Observer (1908–1918).597 Der Dichter Arthur Symons, der ab 1891 als Kritiker für The Athenaeum, ab 1894 für The Saturday Review tätig war und 1899 die pionierhafte Monographie The Symbolist Movement in Literature verfasste, kam wohl durch seine literarischen Vorlieben zur französischen Musik und schrieb früh über Debussy, beurteilte dessen Landsleute jedoch differenziert.598 Nicht vornehmlich durch Kritiken in der Tagespresse, sondern mit Artikeln in Musikjournalen, Vorträgen und der Organisation von Konzerten wirkten drei der wichtigsten Vermittler und Propagatoren: Edwin Evans sowie die beiden sich nach dem Kriegsausbruch in England niederlassenden G. Jean-Aubry und Michel-Dimitri Calvocoressi. Durch Guérittes beruflich bedingten Aufenthalt in Newcastle entwickelte sich auch die Stadt in Nordengland zu einem Zentrum der französischen Musik. Dort fand 1907 das erste Tourneekonzert des Parisian Quartet und Ricardo Viñes’ statt. Seinen Klavierlehrer William Gillies Whittaker (1876–1944) weihte Guéritte in die diesem völlig unbekannte Musik Debussys und anderer ein und weckte damit ungeahnten Enthusiasmus. Der vielfältig tätige Komponist, Dirigent und Pädagoge Whittaker hielt 1908 erstmals einen Vortrag über Debussy, reiste nach Paris, um Pelléas zu hören, und engagierte sich im Komitee der Newcastle Classical Concert Society. 1920 wurde er, wie bereits 1911 der Vorsitzende der Konzertvereinigung, H. G. Dakyns (der ab 1913 auch Schatzmeister der Société war), zum Officier d’Académie de France ernannt.599 596

Siehe die im Literaturverzeichnis genannten Artikel. „His sympathy was readily given to everything new in the art with which he was chiefly concerned, and he was ready to champion each example of the new music as it came along. [...] But he necessarily sacrificed something of his authority as a critic in becoming an advocate.“ Nachruf in The Times, 7.4.1933, 18. 597 Jean-Aubry würdigte namentlich Colles und Legge und nannte die Musical Times, die Musical Opinion, den Monthly Musical Record und den Music Student als Organe, die französische Musik vorbildlich behandelt hatten. Siehe auch zu anderen Autoren Jean-Aubry, French Music of To-day, 252–256. Für eine Übersicht der festen Musikkritiker siehe Scaife, British Music Criticism, 310–313. 598 So sah er Franck, Fauré und Ravel skeptisch, während er Debussy und Chausson sehr schätzte. Siehe die ausführliche Kritik der Londoner Tourneekonzerte 1907. Symons, French Music in London. 599 Anlässlich der Ernennung würdigte Guéritte seinen alten Bekannten: „Mr. Whittaker has succeeded during the past fifteen years in making Newcastle so important a centre of study of French music, that French musicians conversant with British conditions doubt whether any other town, even in France, may be found in which French music is so well-known in its most intimate developments.“ The Musical Times, 1.4.1920, 246. Dakyns hatte die Ehre neun Jahre zuvor auf Anregung des französischen Botschafters Paul Cambon erhalten: „The Société des Concerts Français, in its endeavour to spread a knowledge of French music in England, has been greatly assisted in the North by the hearty co-operation of the Newcastle Society.“ The Athenaeum, 30.9.1911, 399. Siehe für eine biographische Skizze Whittakers

200

Vorträge und Publizistik: Protagonisten

Auch der Sohn eines mit Whittaker bekannten lokalen Amateurmusikers entwickelte eine Leidenschaft für die moderne französische Musik: Thomas Edward Clark (1888– 1962) wurde ebenfalls von Guéritte angesteckt und bekam beim Französischlernen in Paris 1907 möglicherweise die Gelegenheit, Debussy, Ravel und Roussel kennenzulernen. Im Februar 1908 hielt er in Tynemouth bei Newcastle einen der ersten Vorträge über Debussy, aus dem missionarischer Eifer ebenso wie eine starke Abneigung gegen Gounod und andere Figuren des 19. Jahrhunderts sprachen.600 Auch als führende Figur im englischen Musikleben und bei der BBC behielt Clark seine europäischen Ideale und die Neigung zur zeitgenössischen Musik bei (zu weiteren frankophilen Autoren nach 1920 siehe S. 350f.).601

‚Am französischen Wesen...‘: G. Jean-Aubry M. Jean–Aubry, [...], is much more than a French musical critic of distinction. He is an ardent believer in the French musical Renaissance, a propagandist, and above all a missionary who before the war was already engaged in the task of promoting a musical entente with England, Belgium, Spain, and Switzerland. So far as England is concerned, he has little cause of complaint. Indeed, he goes the length of admitting that in some ways modern French composers are even better appreciated by English critics than at home. Moreover, the path had been smoothed for him by the pioneer work done for many years by some of our leading conductors, and latterly by the admirable Société des Concerts Français [...].602

Während ihn seine Propagandatätigkeit später in zahlreiche verschiedene Länder und bis nach Südamerika führen sollte, begann Jean Frédéric Émile Aubry (1882–1950) – zeitlebens unter dem Pseudonym G. Jean-Aubry auftretend – seine Karriere in der französischen Provinz, der Küstenstadt Le Havre.603 Gleichermaßen interessiert an moderner Literatur, Poesie und Musik, schrieb er dort ab 1902 für verschiedene Zeitungen, war selbst schriftstellerisch tätig und 1906 an der Gründung des Cercle de l’Art moderne The Musical Herald, 1.4.1909, 99–102. Vgl. zu Whittakers Aneignung eines wachsenden Repertoires während der Lehrjahre in der englischen Provinz Borthwick, The Life and Musical Achievements of Whittaker, 1–26. 600 Der Vortrag wurde als Privatdruck veröffentlicht. Clark, Paper on Modern French Composer. 601 1942 heiratete Clark die Komponistin Elisabeth Lutyens, die in ihren Memoiren auch den frühen Werdegang ihres Ehemanns beleuchtete. Lutyens, A Goldfish Bowl, 106–108. Als dritter Engländer in Folge (nach Edward J. Dent und Evans) war Clark von 1947 bis 1952 Präsident der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik. In einer unveröffentlichten, nicht immer verlässlichen Darstellung seiner frühen Biographie berichtete Clark von Treffen mit den Komponisten in Paris, für die es sonst keine Anhaltspunkte gibt. Vgl. dazu und zu seinem weiteren Wirken Forkert, ‘Always a European’. 602 Anonyme Rezension von Jean-Aubrys French Music of To-day in The Spectator, 1.3.1919, 264. 603 Vgl. zur Biographie, auch wenn einige Nachweise ungenannt bleiben, Rodriguez, Jean-Aubry. Oft als ‚Georges‘ aufgelöst, verbarg sich hinter G. tatsächlich kein Vorname.

201

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

beteiligt.604 Seine persönlichen Kontakte zu Komponisten wie Ravel, Roussel, Schmitt und Debussy erleichterten ihm die Organisation von Konzerten des Cercle mit deren Beteiligung, die zu den ersten Podien für die Avantgarde gehörten.605 Parallel ging er einer regen Reise- und Vortragstätigkeit nach und setzte sich auch im Ausland für die moderne französische Lyrik und Musik ein. Die Texte zur Musik mündeten 1916 in eine Aufsatzsammlung, die er seiner Schwester Madeleine und deren Mann Tony Guéritte widmete („à cause de la Société des Concerts Français de Londres“).606 Bei der von Guéritte organisierten englischen Tournee im Dezember 1907 war Jean-Aubry eng in die Planung involviert und verfasste das umfangreiche Programmheft (siehe Anm. 333). Für die daraus hervorgehende Société knüpfte er, weiterhin in Le Havre ansässig, Kontakte zu Komponisten und Interpreten. Vor Debussys erstem Londoner Orchesterkonzert im Februar 1908 aßen er und Guéritte mit dem Gast zu Mittag. Ein Jahr später gab er bei einem Konzert Franz Liebichs eine ausgedehnte Einführung in Debussys Werk und machte das Ehepaar Liebich mit diesem bekannt (siehe S. 150). Im August 1916 ließ sich Jean-Aubry fest in England nieder (verfasste jedoch weiterhin Korrespondentenberichte aus Paris) und führte seine Mission als inoffizieller Botschafter der französischen Musik in offiziellem Regierungsauftrag weiter.607 Diese Aufgabe stand im Kontext einer umfassenden Strategie für künstlerische Propaganda in alliierten und neutralen Staaten.608 1919 übernahm er die Herausgeberschaft der Zeitschrift The Chesterian, Hausjournal des englischen Verlags J. & W. Chester, der vor allem russische und französische Musik vertrieb und zunehmend englische, spanische und italienische Komponisten unter Vertrag nahm.609 Jean-Aubry blieb bis 1940 Herausgeber, zog jedoch 1930 wieder nach Paris. In seiner Londoner Zeit entwickelte er 604

Siehe zum Cercle Anm. 328. Am wirkmächtigsten war seine literarische Tätigkeit wohl in der Übersetzung und der ersten Biographie des Autors Joseph Conrad. Einige Komponisten vertonten Gedichte Jean-Aubrys, darunter Roussel, Schmitt, Caplet, Goossens, Tyrwhitt, Falla und Malipiero. 605 Siehe für eine Übersicht der Konzerte Anm. 329. Den Kontakt zu Ravel und Debussy stellte Viñes jeweils 1906 her. Vgl. (auch zu Roussel) Jean-Aubry, Une première rencontre; ders., Debussy; ders., Some Recollections of Debussy. Siehe Anm. 547 zu Saties Abneigung gegenüber Jean-Aubry. 606 Jean-Aubry, La musique française d’aujourd’hui. 607 So wurde er bezeichnet als „Chargé de mission par le ministère des affaires étrangères, et soussécrétariat d’état aux beaux-arts“. The Musical Times, 1.5.1917, 207. „Not very long ago the French Government entrusted him with a special mission in this country for the purpose of inquiring into the means for drawing closer the intellectual and artistic bonds that unite France and Great Britain.“ Mouren, Jean-Aubry, 154. 608 In dem im Mai 1916 ins Leben gerufenen „Service de propagande artistique“ hatte Alfred Cortot eine leitende Position inne. Siehe zu einer Übersicht über die Aktivitäten in verschiedenen Ländern Anselmini, Cortot et la mobilisation des musiciens français, 153f. 609 Jean-Aubry hatte bereits Ende 1916 das Vorwort zu einem Verlagskatalog mit moderner französischer, belgischer und spanischer Musik geliefert. Jean-Aubry, La musique française moderne. Im Chesterian schrieben in der Folge nicht nur progressiv orientierte Kritiker wie Evans und Leigh Henry, sondern auch zahlreiche Komponisten, darunter Scott über Goossens, Goossens über Lord Berners und Bliss, Roussel über die (späteren) Les Six, Turina über Falla, Falla über Debussy und Durey über Ravel. Vgl. Davies, Jean-Aubry.

202

Vorträge und Publizistik: Protagonisten

– wie sein Schwager Guéritte vor ihm – ein reges Interesse für die jungen englischen Komponisten und setzte sich auch für diese mit Artikeln und Konzerten im Ausland ein.610 Auf seine Beteiligung in privateren Kontexten gibt es vereinzelte Hinweise: Offenbar fanden bei ihm Proben für die Kammermusikreihe von Arthur Bliss statt; 1922 organisierte er Hauskonzerte mit Ravel (siehe Anm. 1073 und 530). Jean-Aubrys Wirken war von der Überzeugung bestimmt, dass verschiedenen Nationen bzw. „Rassen“ jeweils eine spezifische Musik angemessen sei, die gleichzeitig von gegenseitigem Austausch und fremden, assimilierbaren Einflüssen profitiere.611 Er propagierte die französische Musik, deren Rückbesinnung auf nationale Charakteristika sie zu der gegenwärtigen Blüte geführt habe, als Vorbild für andere Nationen, ihrerseits zu einem eigenständigen künstlerischen Ausdruck zu gelangen, wofür die in Paris ausgebildeten spanischen Komponisten das beste Beispiel seien.612 Insbesondere die englisch-französische Beziehung („in bonds straiter than those of any mere Entente cordiale“) beschwor er eindringlich im Vorwort „Why we should study French music“ seines kurzen Überblicks über die französische Musikgeschichte (1917): French influence has never, either politically or intellectually, taken on the absorbent character of German influence; the French spirit has a tendency towards the freedom of nations. Deprived, as it is, of dogmatism, French art of to-day, as of former days, lays down not absolute principles but guidance, from which it is the business of other nations to draw whatever may be of service to themselves.613 610

1910 war er bereits bei der kurzlebigen British Concerts Society involviert gewesen, 1919 organisierte er ein englisches Konzert in Paris (siehe S. 191ff.). „[...] the distinguished emissary of the French Government, who is commissioned to work for the establishment of a musical entente cordiale between France and Britain. [Jean-Aubry] is at present organising concerts of British music, both ancient and modern, in France, as well as spreading the musical fame of his country over here.“ The Chesterian, Nov. 1916, 66. 611 Siehe etwa Jean-Aubry, La musique française d’aujourd’hui, 1–18. Im Vergleich zu den protektionistischen Idealen der 1916 gegründeten Ligue nationale pour la défense de la musique française war Jean-Aubrys Haltung moderat. Dennoch ließ es sich Fauré nicht nehmen, in seinem Vorwort Widerspruch geltend zu machen, etwa dagegen, nur die Musik als genuin französisch anzusehen, die sich bis Rameau zurückverfolgen lasse. Ebd., ix. Vgl. Caballero, Patriotism or Nationalism?, 600–607. In dem Vorwort für die spanische Übersetzung unterstützte hingegen Falla nachdrücklich die antiuniversalistische Position und den Stellenwert der Rasse. Hess, Falla and Modernism in Spain, 65–69. Vgl. zu Jean-Aubrys Ästhetik auch Bancroft, Two Pleas. 612 So forderte er in einem Vortrag bei einem der französischen Konzerte von Isidore de Lara: „Young British composers should look to France as the land of artistic liberty, and learn from it, what the best Spanish composers had learnt, the power of self-expression.“ The Daily Telegraph, 8.12.1916, 6. Im Vorwort zu Chesters Verlagskatalog schrieb er: „Mais l’intérêt de la musique française ne se limite pas aujourd’hui à elle-même. En étudiant ses aspects on trouvera non seulement des indications, précieuses pour tous ceux qui sont curieux des ressources nombreuses de l’intelligence et de la sensibilité françaises, mais des sources de renovation pour d’autres musiques nationales.“ Jean-Aubry, La musique française moderne, 6. 613 Jean-Aubry, An Introduction to French Music, 12 und 16. Der Band erschien direkt in englischer Übersetzung.

203

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

Auch die zwei Jahre später erschienene englische Übersetzung seiner Aufsatzsammlung durch Evans zielte offensichtlich darauf ab, die positive Rezeption französischer Musik in England und deren Stellenwert für die jungen Komponisten hervorzuheben.614 Die Veröffentlichung wurde grundsätzlich wohlwollend besprochen, wenn auch eher als eloquent überzeugende Einführung denn als Ergebnis solider Musikkritik.615 Gleichzeitig wurde sie als Beitrag zur Debatte um die Richtung der englischen Musik wahrgenommen (siehe Kapitel 4.3). Ernest Newman, der dabei die Gegenposition vertrat, kritisierte Jean–Aubrys essenzialistischen Nationalismusbegriff. Er traf jedoch den Punkt, indem er Jean-Aubry nur scheinbar paradox als „a nationalist in regard not only to French music but to European music in general“ bezeichnete.616

„Liaison officer“ oder „banner-bearer“? Edwin Evans Am 21. Januar 1923 versammelte sich eine große Gesellschaft in dem besonders in Musikerkreisen beliebten Londoner Restaurant Pagani’s nahe der Queen’s Hall, um den Kritiker Edwin Evans (1874–1945) für seinen Einsatz für die moderne Musik, speziell englische, zu ehren. Die Liste der Gastgeber liest sich wie ein Who’s who der progressiven europäischen Komponistenszene; fünf Nationen waren vertreten, jedoch nicht Deutschland.617 Als „a kind of liaison officer between musicians of all foreign 614 Siehe insbesondere die Übertragung eines Artikels von 1916 als „French Music in England“ in Jean-Aubry, French Music of To-day, 237–258. 1919 folgten zwei weitere Überblicke über die englische Musik. Jean-Aubry, La musique anglaise actuelle; ders., British Music Through French Eyes. 615 Für Legge war schon die französische Originalausgabe „a stone in the foundation of a musical Anglo-French Entente“. Legge, French Music of To-day, 6. Vgl. Besprechungen der Übersetzung in The Spectator, 1.3.1919, 264f.; R. O. M., Almost Thou Persuadest Me..., in: The Athenaeum, 15.8.1919, 757. 616 „We have the suspicion that more than one French composer has narrowed the scope of his music by his determination to be at all costs elegant, pellucid, or ironic. And I think that when the really big Frenchman arrives he will roar out from a great chest a great song that will shatter some of these facile theories about French elegance as a robust tenor note will sometimes shatter the glass in a small room.“ Newman, The New French Recipe, 441. Dem europäischen Gedanken (er hätte wohl wie Charles de Gaulle von einem ‚Europa der Vaterländer‘ gesprochen) war Jean-Aubrys zweite Aufsatzsammlung gewidmet, die auch seinen Artikel über die englische Musik von 1919 enthielt. Jean-Aubry, La musique et les nations. 617 Die Gastgeber (gleichwohl ist unklar, ob alle persönlich teilnahmen) waren Arnold Bax, Lord Berners, Arthur Bliss, Adrian Boult, Frank Bridge, Alfredo Casella, Edward Clark, Louis Durey, Frédéric d’Erlanger, Manuel de Falla, Armstrong Gibbs, Eugene Goossens, Gustav Holst, Herbert Howells, John Ireland, Cyril Jenkins, Ethel Leginska, Gian Francesco Malipiero, Percy Pitt, Maurice Ravel, Florent Schmitt, Cyril Scott, Ethel Smyth und Igor Strawinsky. Sie präsentierten dem Geehrten ein Porträt von Wyndham Lewis (heute in den National Galleries of Scotland). Anwesend waren auch die Delegierten der erstmals tagenden Internationalen Gesellschaft für Neue Musik. The Musical Times, 1.2.1923, 127. „But the Evans dinner had a wider significance than this. To begin with, there is some reason to congratulate ourselves on the fact that it is an English critic who is thus honoured. This

204

Vorträge und Publizistik: Protagonisten

nations and our own“ würdigte Arnold Bax später seinen langjährigen Förderer, für Eric Blom war Evans „the most cosmopolitan of London’s critics“ und mit Adrian Boult postulierte ein weiterer Zeitgenosse, „as a critic, [he] took the lead at that time [1919] in London over all things modern.“618 Polyglott und in höchstem Maße fortschrittlich – diese beiden Eigenschaften charakterisierten Evans’ Geschmack, der nicht nur seine Texte prägte, sondern den er auch dem interessierten Publikum unermüdlich zu vermitteln suchte. Gleichzeitig setzte ihn seine demonstrative Vorliebe insbesondere für französische und russische Musik sowie für die jungen englischen Komponisten dem Vorwurf aus, eher ein voreingenommener „publicity agent“ als ein sorgfältig abwägender Kritiker zu sein.619 Aus Evans’ Perspektive gründete dieser Vorwurf in der verbreiteten, jedoch widersinnigen Ansicht, allein deutsche Musik als universal anzusehen, und er stand dazu, bei der Beurteilung von Kompositionen größeres Gewicht auf positive Aspekte zu legen.620 Ralph Vaughan Williams, über den Evans schon zu Beginn beider Karrieren, 1903, geschrieben hatte, hielt es dennoch nicht für angebracht, dass Komponisten einem Kritiker huldigen sollten. In einer enttäuschten, wenn nicht verbitterten Reaktion blickte Evans auf seine bisherige Laufbahn zurück: When I began my work exactly twenty years ago the cause of modern music in general and of modern British music in particular was an unpopular one, and I see in this affair a recognition of the fact that I took upon myself to share its unpopularity. It has many friends now, but it has gratified me exceedingly to discover that a few people have long memories. You must remember that I have paid a heavy price for having from the beginning associated myself with the workers. [...] The result is that no prominent or well-paid post has ever come my way. [...] The model I have kept before me is Stassoff in his relation to the Five Russian Nationalists, but he at least had security in material things. Further, you speak of me merely as a critic. Do you believe that my work has been so limited? Think of the list of performances that have resulted from my initiative. Have you not heard that I have sometimes been a friend to composers in other and more helpful ways than those of a journalist?621 seems to me to mark a new position occupied by England in the world of music.“ Francis Toye, Music of the Week, in: The Sphere, 3.2.1923, 122. 618 Bax, Farewell, My Youth, 60; Blom, Music in England, 197; Boult, My Own Trumpet, 77. 619 Edward J. Dent bedauerte dies in seiner Trauerrede und führte es vor allem auf Evans’ enge Verbindung zu Sergei Djagilews Ballett in den 1920er-Jahren zurück. Dent, Evans [Nachruf], 24. Evans’ beharrlicher professioneller Widersacher Ernest Newman konstatierte: „He is more of a bannerbearer“. Newman, Concerning ‘A Shropshire Lad’, 393. Siehe zu dem Disput mit Newman S. 240ff. 620 „To this day I cannot follow the reasoning of those who considered it ‚broadminded‘ to perform almost exclusively German music and evidence of adhesion to a narrow clique to perform any other.“ Evans, Then and Now, 270. „If the critic concentrated on finding fault he was declared to be an impartial critic, but if he concentrated on finding out what was good he was at once put down as somebody’s press agent.“ The Musical Times, 1.2.1923, 127. 621 Brief von Evans an Vaughan Williams, 8.5.1922. Vaughan Williams, Letters, VWL495. Vgl. auch dessen Antwort (die erste Nachricht ist nicht verzeichnet), 11.5.1922: „[...] so I still feel that much as I

205

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

Abbildung 15: Programmzettel (Vorderseite) einer Vortragsreihe von Edwin Evans, 1917 (Archiv Aeolian Hall, Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Royal College of Music, London) 206

Vorträge und Publizistik: Protagonisten

Evans war zwar zwischen 1914 und 1923 Kritiker der danach eingestellten Pall Mall Gazette, doch einen prestigereichen und besser bezahlten Posten übernahm er erst 1933 bei der Daily Mail. Gleichzeitig schrieb er für zahlreiche weitere Zeitungen und Musikjournale, gab Vorträge und lecture-recitals (siehe Abbildung 15) und verfasste Programmtexte.622 Er war 1922 Gründungsmitglied der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik und Vorsitzender ihrer britischen Sektion, des London Contemporary Music Centre, bis er 1938 als Nachfolger Edward J. Dents zum Präsidenten der Gesellschaft gewählt wurde. Kurz nach seinem Tod wurde ein Sammelband über englische Musik seinem sowie Henry Woods Andenken gewidmet, „for their Unsurpassed Services to British Music of Our Time“.623 Die zeitgenössische Wertschätzung steht allerdings in Kontrast zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Evans’ Wirken.624 Mehrere Nachrufe hoben die konservative und germanophile Orientierung des englischen Musiklebens am Anfang des 20. Jahrhunderts hervor. Als Evans seine Tätigkeit als Kritiker begann, argumentierte er also zwangsläufig aus einer Außenseiterposition, wie sie aus dem Brief an Vaughan Williams spricht.625 In Lille und Echternach (Luxemburg) aufgewachsen und ab 1889 in England sich zunächst der Telegraphie und dem Finanzsektor (von 1908 bis 1913 als Finanzjournalist) widmend, hatte Evans allein bei seinem Vater eine rudimentäre musikalische Ausbildung erhalten. Edwin Evans senior (1844–1923) repräsentierte für seinen Sohn die Mentalität des Establishments: Der nebenberufliche Organist und Komponist verfasste analytische Monographien etwa über Beethoven, Brahms und Wagner. Die uneingeschränkte Loyalität seines Vaters gegenüber den deutschen Klassikern löste bei Evans junior eine ausgeprägte Gegenreaktion aus.626 Im Vorwort seiner Übersetzung von Jean-Aubrys Aufsatzsammlung beschrieb er rückblickend „a period of scepticism concerning the finality of the ideals even of the German classics who preceded the decadence.“627 feel that your work ought to be publicly recognized that it is emphatically not the composer who can promote it.“ Ebd., VWL496. 622 Zudem gibt es Hinweise auf Konzerte für belgische Kriegsgeflüchtete, die Evans in Earl’s Court veranstaltete. Scaife, British Music Criticism, 204. 623 Bacharach (Hg.), British Music of Our Time. Auch Dent verglich in seiner Trauerrede die beiden Pioniere. 624 Vgl. allein Scaife, British Music Criticism, 174–188. Keine nähere Berücksichtigung fand Evans in dem jüngeren Sammelband Dibble/Horton (Hgg.), British Musical Criticism. 625 „It required courage for a writer at the beginning of his career to take up the cause of contemporary music, especially in a country so fundamentally conservative in these matters as England; [...].“ Myers, Evans [Nachruf], 105; Dent, Evans [Nachruf], 24. 626 „It was the natural impulse of youth to react against the teaching of age that led me, without in any way lessening my respect for the masters, to question whether they had really told the whole of the story – whether music was really, as Wilde’s Baroness Bernstein imagined it, a dialect of the German language – and made me intensely curious to know what else there was to tell.“ Evans, Then and Now, 269. 627 „I was vaguely conscious of something lacking in them which had been present in the music of the seventeenth and eighteenth centuries, [...].“ Evans, Translator’s Preface, xi. Er bezog sich auf Jean-Aubrys Eindruck der Dekadenz deutscher Musik nach dem Hören von Strauss’ Josephs Legende.

207

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

Über die diesen Idealen diametral entgegenstehenden nationalistischen russischen Komponisten, speziell Borodin, kam Evans zu Debussy und der modernen französischen Musik. Diese Erweckungserlebnisse, die den Ausgangspunkt seines lebenslangen enthusiastischen Einsatzes bildeten, verdankte er insbesondere einem zeitweise in London ansässigen Franzosen, Emile Duval-Yzelen (1872–1935).628 Waren Borodin und gerade Debussy in den späten 1890er-Jahren in England noch klandestines Repertoire, machte Duval-Yzelen den entdeckungsfreudigen Dilettanten durch vierhändige Arrangements mit deren Werken vertraut. Auch mit Hilfe d’Indys erlangte Evans eine umfassende Expertise und setzte sich ab 1908 mit Artikeln und Vorträgen für Verständnis und Verbreitung der französischen Musik in England ein.629 Vermutlich in Erinnerung an seine ersten Erfahrungen führte Evans die Streichquartette von Debussy und Ravel noch dreißig Jahre später auf Borodins wesentlichen Einfluss zurück.630 Eng verknüpft war dieses Engagement mit der gegenwärtigen Situation der englischen Musik, die Evans’ Rückblick zufolge stets sein übergeordnetes Ziel gewesen sei.631 Er war überzeugt, dass die Renaissance der russischen und französischen Musik ein Muster für die Emanzipation der jungen englischen Komponisten darstellte und diesen endlich zu einem eigenständigen musikalischen Ausdruck verhelfen könnte. Die Parallele zog er bereits 1903 zum Abschluss seiner ersten Artikelreihe, eines grundlegenden Überblicks über russische Instrumentalmusik.632 Dieser folgte unmittelbar eine weitere, die 1903/04 in siebzehn Teilen moderne britische Komponisten behandelte, größtenteils Namen, die in der Presse bislang keinerlei Beachtung erfahren hatten. Eine große Wirkung entfaltete insbesondere Evans’ zweite Reihe unter dem gleichen Titel 1919/20 in The Musical Times mit neun Komponisten.633 Über diese gleichermaßen erzieherisch wie propagandistisch 628

Vgl. Curinier (Hg.), Dictionnaire national des contemporains, 286; zum Todesjahr Chaffanjon, Racine et sa descendance, 336. Evans besprach ein Schumann-Arrangement seines Bekannten: „Mr. Yzelen is no stranger to London, where he has occupied a flat as a pied-à-terre for some years [...].“ E. E. [Edwin Evans], Reviews of New Music, in: The Musical Standard, 19.12.1903, 391. 629 Der Absatz stützt sich komplett auf Evans’ eigenes Narrativ, siehe am ausführlichsten Evans, Translator’s Preface, x–xiii; vgl. besonders zu Borodin ders., My First “Modern”. Aufgrund der Affinität zu Borodin zeigte Duval-Yzelen ihm zuerst den langsamen Satz von Debussys Streichquartett. Der (briefliche?) Kontakt zu d’Indy verbleibt im Dunkeln. Auch mit dem Verleger Mitrofan Petrowitsch Beljajew korrespondierte Evans; dessen rege Publikationstätigkeit erschien ihm als Vorbild für die englische Musik. 630 Evans, Debussy, 317; und als Ergänzung zu Goddard, Ravel, 276, in Cobbett’s Cyclopedic Survey. 631 „[...] my early enthusiasm for the Russian Nationalists and for modern French music, both being fields then virtually unexplored by most English musicians. But even then English music was my ultimate goal.“ Evans, Then and Now, 269. 632 Evans, Modern Russian Instrumental Music. Bereits zwei Jahre zuvor hatte er in zwei Leserbriefen die Aufmerksamkeit auf die Vielfalt der russischen Musik gelenkt und beklagt, dass primär programmatische Werke gespielt würden. ders., The Neo-Russian Musical School; ders., The Neo-Russian School of Music. Anders als er implizierte, war aber etwa Borodins zweite Sinfonie bereits 1896 in England gespielt worden. 633 Evans, Modern British Composers. Dabei machte Evans deutlich, dass er ‚modern‘ im emphatischtechnischen, nicht chronologischen Sinne verstehe. Er schloss deshalb die ‚akademische Schule‘ um

208

Vorträge und Publizistik: Protagonisten

ausgerichtete Tätigkeit und seine Beteiligung bei der 1905 gegründeten Society of British Composers entwickelten sich persönliche Verbindungen zu zahlreichen Künstlern, von denen die erhaltene Korrespondenz Zeugnis ablegt.634 Ausgehend von der Vermarktung der durch die Society ermöglichten Publikationen, war Evans auch im Ausland aktiv und ermöglichte Konzerte.635 Diese Tätigkeit stand in Parallele zu Jean-Aubrys Arbeit unter anderem im Rahmen der Société des concerts français. Tony Guéritte würdigte Evans, der bis zum Ende im Organisationskomitee vertreten war, als Ideengeber für deren Gründung; auch bei der kurzlebigen Schwestervereinigung in Paris war er aktiv (siehe Anm. 344 und S. 191ff.).636 Schon Ende 1906 hatte Evans in Paris bei dem Verleger Eugène Demets Ravel und Viñes kennengelernt. Ravel blieb er bis zuletzt verbunden, mit Debussy korrespondierte er etwa über seinen Vortrag anlässlich der Londoner Premiere von Pelléas et Mélisande 1909.637 Zudem gibt es Hinweise auf frühe Konzerte mit französischer Musik in privaterem Rahmen.638 Von der grundsätzlich positiven und zunehmend intensiveren Parry aus und schrieb etwa über Holbrooke, William Wallace, Vaughan Williams, William Hurlstone, Thomas Dunhill, Richard H. Walthew und George H. Clutsam. Die zweite Reihe umfasste Bridge, Bax, Dale, Goossens, Ireland, Holst, Lord Berners, Howells und Vaughan Williams. 1923 folgte ein Nachtrag über Bliss und 1944 eine dritte Reihe, in der Evans vor seinem Tod jedoch nur noch Walton und Rubbra behandeln konnte. 634 1903 erreichten Evans Dankesbriefe für seine Artikel etwa von Algernon Ashton. Er selbst schrieb an Elgar, um ihn über sein „pioneer work“ zu informieren. Bax, der Evans als „always my sponsor through pre-war German thick and the Franco-Russian thin of ‘the silly ’twenties’“ bezeichnete, widmete diesem sein Klavierquintett (1915). Elgar, Letters of a Lifetime, 163–165; Bax, Farewell, My Youth, 82. 1917 vertonte Eugene Goossens einige französische Gedichte von Evans als opp. 16 und 17 (siehe zu dessen Wertschätzung Anm. 1029). Für die Beziehung zu Gustav Holst siehe Tudor, The Composer and the Critic. Ein Großteil der Briefe an Evans wird als Teil der Central Music Library, deren Grundstock Evans’ Nachlass bildete, heute in der Westminster Music Library bzw. in den Westminster City Archives aufbewahrt. Siehe zu Vaughan Williams S. 323f. 635 „From 1907 or thereabouts, when I was the means of introducing Elgar’s ‚Enigma‘ Variations into Russia, I was constantly seeking opportunities of having British music performed abroad.“ Evans, Then and Now, 270. Evans’ zweite Artikelreihe entstand in Verbindung mit dem Ministry of Information und war zuerst in Spanien und Dänemark erschienen. Evans, Modern British Composers. Introductory Article, 10. 636 „Il n’y a probablement pas en Angleterre, dans les milieux musicaux, d’esprit plus ardemment sympathique aux idées françaises. [...] Tous ceux d’entre nous qui ont le plaisir d’être liés avec M. Edwin Evans savent non seulement le charme de son esprit averti, mais quel enthousiasme et quelle ardeur il manifeste dès qu’il s’agit de ses affectations musicales.“ Jean-Aubry, Debussy et la musique française moderne en Angleterre, 284. 637 Siehe Anm. 502 und 417. Nach Evans’ Tod wurde in seinem Gedenken die Schlussszene von Pelléas gesungen, begleitet von Francis Poulenc. Harriet Cohen spielte Klavierstücke von Bax, Debussy und Falla; Bliss und Dent sprachen. The Musical Times, Apr. 1945, 108. Evans hatte Cohen zu Beginn ihrer Karriere um 1920 regelmäßig mit der neuesten Musik des Kontinents vertraut gemacht. Cohen, A Bundle of Time, 44. 638 „Some years ago, before modern French music had become popular in London, I invited a few musicians of my acquaintance to hear Blanche Selva, one of its most prominent exponents, play a

209

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

Rezeption der jungen französischen Komponisten und deren Etablierung im englischen Konzertleben durfte Evans sich bestätigt fühlen. Das auf einer übergeordneten Ebene erreichte Ziel der Loslösung von einem alles dominierenden musikalischen Einfluss fasste er bei dem ihm zu Ehren veranstalteten Dinner 1923 in den Begriff eines föderalen Staates: Mr. Evans, in reply, said it was unique that the criticised should form themselves into a committee to honour the critic. After a strenuous fight lasting many years they had at last reached a time when the musical world, which was once an imperial state, was now a federal republic.639

Objektiver Kosmopolit: Michel-Dimitri Calvocoressi Der Kritiker Michel-Dimitri Calvocoressi (1877–1944) personifiziert die kosmopolitischen Tendenzen der modernen Musik nach 1900; seine Biographie steht sinnbildlich für die Etablierung der französischen Musik in England. Als Sohn eines griechischen Vaters und einer griechischstämmigen Mutter in Marseille geboren, legte er schon in seiner Kindheit den Grundstein für eine später berüchtigte Fremdsprachenkenntnis. Die Leidenschaft für die Musik, aus der die Entscheidung folgte, diese zu seiner Profession zu machen, wurde durch ein Wagner-Programm der Concerts Lamoureux 1893 geweckt. Am Pariser Conservatoire lernte er 1898 Ravel kennen, mit dem er Liszt und die ‚nationalistischen‘ russischen Komponisten entdeckte.640 Ab 1902 schrieb er für verschiedene Zeitungen, darunter die englisch-französische Weekly Critical Review, fast ausschließlich über zeitgenössische Musik.641 1905 begann er eine rege Vortragstätigkeit zunächst an der École des Hautes Études sociales, die bis 1914 die gesamte musikalische Geographie Europas abdeckte.642 Daneben trat er mit selection of recent examples. Very few turned up.“ Evans, British Music, 372. Dieser Anlass lässt sich auf November 1907 datieren, als Selva in London eine ganze Rezitalreihe gab (siehe Anm. 453). „The writer still clearly remembers attending certain gatherings that used to be held, before the last German war, in the suburban house of a French musical enthusiast, and listening there to concerts of modern French works which were introduced and explained to us with great clarity and charm by a bearded lecturer named Evans.“ Myers, Evans [Nachruf], 105. 639 The Musical Times, 1.2.1923, 127. Siehe auch ein Jahr später Evans, The New Spirit in English Music. 640 Vgl. die autobiographisch gefärbte Porträtsammlung Calvocoressi, Musicians Gallery. Vgl. auch Scaife, British Music Criticism, 208–222. 641 Das zweisprachige Magazin wurde in den Jahren 1903 und 1904 in Paris gedruckt und verfolgte eine intellektuelle Annäherung beider Länder. Zu den Beitragenden gehörten Arthur Symons sowie für die Musik John F. Runciman und Ernest Newman. Vgl. Watt, Musical and Literary Networks. 642 Er sprach etwa über Schönberg, Bartók und englische Musik: „Après nous avoir entretenus de la question des nationalités en musique et de l’impossibilité d’une musique universelle, M. C. nous retraça dans ses grandes lignes l’histoire de la musique anglaise qui monta si haut avec Purcell et tomba ensuite si bas grâce à l’influence néfaste d’Haendel et de Mendelssohn.“ L’Actualité musicale : annexe de la Revue musicale S.I.M., 15.4.1910, 179.

210

Vorträge und Publizistik: Protagonisten

Monographien (zunächst zu Liszt und russischer Musik, 1912 aber auch zu Robert Schumann) und als Übersetzer von musiktheoretischen Abhandlungen und Liedtexten hervor. Seine Mitgliedschaft in dem die Musik Debussys propagierenden Freundeskreis „Les Apaches“ stand einer engen Verbindung mit der oft eine entgegengesetzte Haltung repräsentierenden Schola cantorum nicht entgegen.643 Schon früh verband den polyglotten Calvocoressi ein besonderes Verhältnis zu England.644 Seit seinem ersten Besuch auf der Insel 1902 erkannte er dort die idealen Bedingungen für eine planvolle Entwicklung und Ausweitung seiner Kritikerkarriere: [...] I felt that England would be a favourable field for the very things I was most eager to do – in fact, the only possible field outside France. I was not yet in touch with Russia [...]; and Germany did not seem to know, or wish to know anything about the modern French and Russian music which was my favourite subject of study. [...] In England things seemed very different. Connoisseurs were developing an interest in the very music about which I wished to write. And as a subject upon which to write for France, British music, an unknown quantity, seemed far more attractive than the more or less known quantity, modern German.645

Calvocoressis erster Artikel über englische Musik behandelte 1905 Elgar, es folgte ein mehrteiliger Überblick. Der erste englische Text ein Jahr später betrachtete im Gegenzug „pianoforte works of an altogether new style“ von Debussy, Séverac und Ravel.646 In England knüpfte er Kontakte mit gleichgesinnten Kollegen wie Evans, den er überzeugte, Ravel anstatt d’Indy als Lehrer für Vaughan Williams zu empfehlen (siehe S. 323f.). Neben Evans und Guéritte war er Komiteemitglied bei der kurzlebigen British Concerts Society in Paris und hielt bei deren erstem Konzert eine Einführung. Sein englisches Netzwerk, ausgehend von Bekanntschaften etwa mit Arnold Bennett und dem Komponisten Theodore Holland, verhalf ihm zu zahlreichen Gelegenheiten für Artikel: So schrieb er allein für The Musical Times zwischen 1908 und 1914 unter anderem über Debussy, Strawinsky, den Ursprung des ‚impressionistischen‘ Idioms (Mussorgski, Chabrier und Satie), Saint-Saëns, Massenet, d’Indy, Programmmusik, das Volkslied in der modernen Musik, Ravel und Schönberg. In weiteren Artikeln und bei Vorträgen gab er einen Überblick über die französische Musikgeschichte.647 Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs verhinderte die Erfüllung eines Auftrags über eine englische Monographie, 643

Calvocoressi wirkte als „the principal promoter of Apache interests abroad.“ Zu Anliegen, die in beiden Kreisen vertreten wurden, gehörte etwa der hohe Stellenwert von Volksliedern sowie der französischen Regionen. Pasler, A Sociology of the Apaches, 162. 644 Calvocoressi, Musicians Gallery, 279–290. 645 Ebd., 281f. 646 Calvocoressi, Elgar; ders., Musique et musicologie anglaises. Das Vorspiel von The Dream of Gerontius erschien als Beilage im Heft. Calvocoressi, A Few Remarks on Modern French Pianoforte Music, 124 (Zitat). 647 Siehe das Literaturverzeichnis. Für The Music Student schrieb er nach Thomas J. Hoggett drei Artikel über die Entwicklung nach 1870. Eine Zusammenfassung von vier Vorträgen in Oxford 1913 sowie einen Abriss über Calvocoressis Biographie bietet The Musical Times, 1.9.1913, 573–575.

211

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

die die moderne französische Schule ausführlicher behandeln sollte. Diese ‚Marktlücke‘ schloss 1919 Evans’ Übersetzung von Jean-Aubrys Aufsatzsammlung. Da er als griechischer Staatsangehöriger nicht für die französische Armee arbeiten durfte, reiste Calvocoressi nach England und war bis 1919 für die britische Regierung tätig, unter anderem als Kryptograph (dieses Interesse entsprang seiner Begeisterung für Edgar Allan Poe). Er blieb dort den Rest seines Lebens, wurde eingebürgert und war ab 1921 wieder als Kritiker tätig. In diesem Jahr schrieb er etwa über die dramatischen Werke d’Indys sowie über Magnard und Koechlin.648 Ein wichtiges Interesse galt seit längerem der Hörpsychologie speziell in Bezug auf moderne Musik sowie der Methodik und Didaktik der Musikkritik. Mit seiner streng objektivistischen Perspektive fand er dabei in Ernest Newman einen Verbündeten. Diese Überlegungen mündeten 1923 in eine breit diskutierte Monographie.649 In früheren seiner Texte finden sich ähnlich wie bei Jean-Aubry Formulierungen zum nationalen, auch ‚rassisch‘ geprägten Charakter von Musik (siehe Anm. 576); ab etwa 1910 bzw. in englischen Zeitschriften äußerte er sich in dieser Hinsicht neutraler. Es entsprach seiner bewusst objektiven Haltung, im Gegensatz zu seinem Kritikerkollegen trotz seines offenkundigen Enthusiasmus die Vorherrschaft der modernen französischen Musik in Europa nicht herauszustellen.

4.2 Renaissance und Parteienstreit: Konstruktionen französischer Musik Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts besaßen Darstellungen der französischen Musiklandschaft in England Seltenheitswert. Noch 1885 beklagte ein anonymer Bewunderer Godards die mangelnde Kenntnis insbesondere jüngerer Komponisten (siehe Anm. 97). Eine der ersten Monographien zum Thema, 1894 in der Reihe Masters of Contemporary Music erschienen, versprach Besserung. Hervey behandelte in Kapiteln zu Ambroise Thomas, Gounod, Saint-Saëns, Massenet, Ernest Reyer und Alfred Bruneau zwar vornehmlich Opernkomponisten, doch zeichnete er auch das großflächigere Bild eines immensen Fortschritts in den letzten dreißig Jahren, der sich etwa im Kreis um Franck und den Werken Faurés manifestiert habe, allerdings in England noch kaum wahrgenommen worden sei.650 Eine Einzelerscheinung, im kurzlebigen Magazin The Musician 648

Siehe auch Calvocoressi, Modern French Composers: I. How They Are Encouraged. Calvocoressi, The Principles and Methods of Musical Criticism. Vgl. auch zur Verbindung mit Newman Watt, The Regulation and Reform of Music Criticism, 55f. Evans setzte einen postulierten objektiven Anspruch hingegen mit einer Perpetuierung deutscher Maßstäbe gleich (siehe Anm. 786). 650 „It is highly regrettable that the spirit of free trade is not acted upon to a greater extent in the matter of musical affairs. If this were the case we should be afforded more chances of becoming acquainted with the works of those members of the young, and if I may so term it, militant French school, which are not sufficiently known on this side of the channel.“ Hervey, Masters of French Music, 256. „It may here be said that the almost absolute ignorance existing in England as regards the compositions of so 649

212

Renaissance und Parteienstreit: Konstruktionen französischer Musik

1897 wohl auch kaum wahrgenommen, blieb ein scharfzüngiger Text von Bruneau, der Reyer, Saint-Saëns und Massenet als pensionierte Feldmarschalle bezeichnete und zu der in Europa beispiellosen jungen französischen Armee etwa Gustave Charpentier, Debussy, d’Indy und Chausson zählte.651 Knapp ein Jahrzehnt später griff Hervey seine eigenen Punkte auf und spitzte sie zu, indem er explizit von einer „Renaissance“ der französischen Musik sprach. Von dieser zog er eine Parallele zu den ähnlichen Aufschwüngen in Russland und England und begrüßte den zunehmenden Austausch zwischen den Nationen.652 Der nun das gesamte 19. Jahrhundert umfassende Band zeigte weiterhin einen Schwerpunkt auf der Oper. Die Renaissance verknüpfte Hervey vornehmlich mit Bizet, aber auch mit dem gewachsenen Interesse an „ernster“ Musik und den Konzerten von Pasdeloup und Colonne.653 Eigene Kapitel widmete er Saint-Saëns mit den Zeitgenossen Lalo, Dubois, Fauré und Godard sowie Franck und dessen Anhängern. Saint-Saëns würdigte er als ersten Franzosen, der sich auf dem Gebiet der sinfonischen und Kammermusik erfolgreich mit den Deutschen gemessen habe.654 Den enormen Einfluss Francks schätzte er ambivalent ein: Einerseits habe dieser mit seinem Charakter ein moralisches Vorbild geschaffen, andererseits hätten manche seiner Nachfolger übermäßig komplizierte Pfade eingeschlagen, die den Qualitäten ihrer „Rasse“ wie Klarheit und Direktheit zuwidergelaufen wären.655 Ungewöhnliche Harmonien erkannte er auch bei Fauré und Debussy, wobei sich Letzterer gelegentlich in diesen verlieren könne.656 eminent a musician as César Franck does not redound to our credit.“ Ebd., 263. Das Buch erhielt sehr positive Besprechungen, selbst eine wohlwollende von Shaw, der gleichwohl Herveys Enthusiasmus nicht teilte (siehe Anm. 166). 651 Bruneau, The Young French Composers of To-day. Dabei handelte es sich um einen übersetzten Originalbeitrag. Ebenfalls für The Musician schrieb Guy Ropartz einen vierteiligen Artikel über die Biographie und Werke Francks, insbesondere die Oratorien. Ropartz, César Franck. 652 „The growth of musical intelligence has indeed been recently everywhere apparent. The Russian school, now so important, is only of comparatively recent birth. In England the outlook is much brighter than it was. Since the early days of what Mr. Fuller Maitland terms the Renaissance, great progress has been made, [...].“ Hervey, French Music in the XIXth Century, vii. „[...] while England has of late not been uninfluenced by the music of Russia, which may possibly prove an effective antidote to the dull imitations of Brahms.“ Ebd., 170. Fuller Maitland hatte seinen Band der gleichen Reihe in zwei Teile unterteilt: in die Zeit der Renaissance (ab 1851) und jene davor. Fuller Maitland, English Music in the XIXth Century. 653 Hervey, French Music in the XIXth Century, 177 und 195. 654 In der Kammermusik seien das Klaviertrio F-Dur, das Klavierquartett B-Dur und die Cellosonate c-Moll „almost classics“. Ebd., 188f. Vgl. für eine ähnliche Charakterisierung der Rolle Faurés S. 70. 655 Ebd., 225. Die Kammermusik beschrieb Hervey als „wonderfully bold and new in conception“, die Violinsonate vereine „beautiful melodic simplicity with a restlessness of spirit, a feeling of yearning suggested by an ever shifting tonality.“ Ebd., 223f. 656 Er benutzte für beide fast die identische Formulierung: „[Fauré’s] music is characterised by ultrarefinement. He loves to wander through a labyrinth of uncommon harmonies, in which, however, he never loses himself.“ Ebd., 200. „[Debussy’s] music is exquisitely refined, and he wanders at will through all the keys at the risk of losing his way.“ Hervey, The Musical Movement in France, 63.

213

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

Tabelle 19: Publikationen und Vorträge über französische Musik, 1903–1919 Jahr

Form

Autor und Kurztitel (siehe Literaturverzeichnis)

1903

Monographie

Hervey, French Music in the XIXth Century.

Artikel

Edwards, Some Living French Composers.

1904

Artikel

Liebich, An Impressionist Composer; Symbolism and Impressionism.

1905

Artikel

Hale, The Franckist School (Nachdruck aus den USA).

1906

Artikel

Calvocoressi, A Few Remarks on Modern French Pianoforte Music.

1907

Vortrag

Mackenzie, Phases of Modern French Music (Royal Institution).

Monographie

Liebich, Claude-Achille Debussy.

Vortrag

Evans, Some Aspects of Modern French Music (Concert-Goers’s Club).

Vorträge

Clark, Paper on Modern French Composer (Tynemouth); Grimshaw; Bellairs; Whittaker (jeweils über Debussy, Incorporated Society of Musicians Leeds, Worcester, Newcastle); Guéritte/Grimshaw (Pelléas et Mélisande, Leeds)

Vortrag

Newman, Franck and the Modern French School of Composers (Liverpool).

Vortrag

Evans, Debussy’s “Pelléas et Mélisande” (Concert-Goers’s Club u. a.).

Artikel

[Evans], Musical Party Strife in France.

1910

Vorträge

Evans, The Significance of Contemporary French Music (ISM); French Music of To-day (Musical Association).

1912

Artikelreihe

Calvocoressi, A Turning Point in the History of French Music; Franckism and Impressionism; More About French Composers.

1913

Vortragsreihe

Calvocoressi, Oxford Lectures on French Music.

1908

1909

1914– Artikelreihe 1918

Henry, Liberations. Studies of Individuality in Contemporary Music (u. a. zu Satie, Ravel und Séverac)

1917

Monographie

Jean-Aubry (engl. Percy A. Scholes), An Introduction to French Music.

Vortragsreihe

Evans, The Foundations of Twentieth Century Music.

Artikelreihe

Jean-Aubry, French Music and Musicians.

1919

214

Artikelsammlung Jean-Aubry (engl. Evans), French Music of To-day.

Renaissance und Parteienstreit: Konstruktionen französischer Musik

Den jedoch weiterhin dürftigen Wissensstand repräsentierte ebenfalls 1903 ein zweiteiliger Artikel von Rhoda Edwards mit kurzen Skizzen zu lebenden französischen Komponisten. Sie hob hervor, dass man selbst zu russischen leichter an Informationen gelangen könne, und hatte Sätze aus Herveys älterem Buch wörtlich übernommen. Zum eminentesten Vertreter erkor sie Saint-Saëns, den die Verbindung klassischer und romantischer Elemente auszeichne und dessen Kammermusik sich durch Simplizität und Klarheit deutlich von der komplexen deutschen Linie um Brahms abhebe. Den zweiten Platz gab sie an Massenet, gefolgt von d’Indy, Bruneau, Widor und Fauré, denen sie kurze Absätze widmete, während Debussy mit Pelléas wie einige weitere zumindest genannt wurde.657 Tabelle 19 verzeichnet ausgewählte Artikel und Vorträge zur französischen Musik der Folgejahre. Nahezu parallel zu den frühesten Aufführungen von Debussys Musik in England (ab 1903) setzten sich Autorinnen und Autoren näher mit dieser auseinander, als eine der ersten Louise Liebich.658 In zwei Artikeln porträtierte sie den Franzosen bereits 1904 bewundernd als harmonischen Pionier, der von der Gegenseite als Anarchist verdammt werde. Sein musikalischer Ausdruck strebe zu „the intangible and elusive nature of mystery, legend and dream“ und der von ihm geschaffene „musikalische Impressionismus“ sei das ideale Pendant zu den symbolistischen Vorlagen Mallarmés und Maeterlincks.659 Arthur Symons betonte die symbolistische Deutung, indem er Debussy 1908 prägnant als „the Mallarmé of music“ bezeichnete.660 Das Schlagwort ‚impressionistisch‘, das schon in den 1880er-Jahren für Debussys Musik verwendet worden war, blieb auch in England haften und diente als bequeme Etikettierung für die neuartigen Klänge aus Frankreich, die einige Kritiker zu einer ‚impressionistischen Schule‘ zusammenfassten (siehe Anm. 486). George H. Clutsam wies den Begriff zurück und verwies auf die systematische Ausweitung der Harmonik (siehe Anm. 509). Auch Calvocoressi vermied ihn und charakterisierte die neue Schule der Klaviermusik 1906 durch deren „picturesque, even descriptive, turn“, die freie Formgestaltung und eine auf subtilen Manipulationen der Obertöne beruhende Harmonik. In einem späteren Artikel betonte er, dass diese Neuerungen eine Traditionslinie weiterführten.661 Demgegenüber bekannte F. J. Sawyer in seinem analytischen Vortrag über moderne 657

Edwards, Some Living French Composers. Vgl. Lockspeiser, Debussy: His Life and Mind, Vol. II, 119–126; Nichols, The Reception of Debussy’s Music, 147f. 659 Liebich, An Impressionist Composer, 119; dies., Symbolism and Impressionism. In einem weiteren zweiteiligen Artikel behandelte sie 1905 die künstlerischen Ideale d’Indys. Liebich, M. Vincent d’Indy. 660 Symons, Debussy, 170. Noch im Jahr zuvor war er bei seiner Einschätzung zurückhaltender gewesen: „[...] if he is really like Mallarmé, that is an accident of temperament. I doubt if he will ever be more than a quite small composer, and have not heard enough of his music to be able to come to a decided opinion; [...].“ Symons, Debussy and Other Questions, 746. 661 Calvocoressi, A Few Remarks on Modern French Pianoforte Music, 123; ders., The Origin of To-day’s Musical Idiom. Schon Liebich hatte hervorgehoben: „[...] he has evolutionised the tonal effects of previous centuries in a way hitherto unknown and undreamt.“ Liebich, Debussy’s “Pélleas [sic] et Mélisande.”, 20. 658

215

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

Harmonik: „Turning to Debussy we seem to have left behind all former ideas, and to be lost in a new world of sound.“662 Ebenfalls 1906 postulierte der konservative Musikschriftsteller W. H. Hadow, Debussys Musik sei weder analysier- noch diskutierbar. Von Pelléas ebenso wie vom Streichquartett zeigte er sich angetan, gleichwohl aber skeptisch, ob das „genre omnitonique“ auch „epische Ideen“ tragen könne.663 In Debussys erster Biographie überhaupt, die wohl Ende 1907 erschien und knapp 100 Seiten umfasste, vertiefte Liebich technische Aspekte, beschrieb eingehend die Musik (in einem eigenen Kapitel Pelléas, das Streichquartett hingegen nicht) und ging auf Debussys Kritikertätigkeit ein.664 Eine knappere Monographie von William H. Daly aus Edinburgh stellte keine neue Deutung vor, charakterisierte die Art von Debussys ‚Revolution‘ als „evolution made apparent“ und wandte sich gegen den Vorwurf der Formlosigkeit.665 Nicht nur in London erregte Debussy Aufmerksamkeit und wissenschaftliche Neugier: Im Jahr seines ersten Auftritts in der Queen’s Hall wurden bei Treffen der Incorporated Society of Musicians (ISM) in ganz England Vorträge über ihn gehalten. Jean-Aubry resümierte jene von Arthur E. Grimshaw (Leeds, März 1908), Ralph H. Bellairs (Worcester, Mai 1908) und W. G. Whittaker (Newcastle, Mai 1908).666 Jenen ging noch ein Vortrag des erst neunzehnjährigen Edward Clark voraus (Tynemouth, Februar 1908, auch gedruckt). Weitere Anlässe behandelten Pelléas, darunter eine Konferenz von Guéritte bzw. Grimshaw (Leeds, Dezember 1908 bzw. Edinburgh, März 1909) und Evans’ Vortrag nach der Londoner Premiere im Mai 1909.667 Als Jean662

„Chord connection and resolution, tonal relationship, all seemed gone, yet it could not be said that the result is not music.“ The Musical Herald, 1.3.1906, 85. Der ausführliche Vortrag bei der Incorporated Society of Musicians behandelte überwiegend Elgar, außerdem Strauss. Vgl. die Artikelreihe Sawyer, Modern Harmony. 663 „[...] still more remarkable, because not dependent on direct poetic suggestion, is the string-quartet which has blurred with iridescent rays the severe contours of chamber composition. The whole thing is sincere, sensitive, refined; it vibrates to a breath, it can be bruised with a touch, it is the direct outcome of a temperament almost too fragile for daily life.“ [Hadow], Some Tendencies in Modern Music, 391. 664 Liebich, Claude-Achille Debussy. Oft wird 1908 als Erscheinungsjahr angegeben, die British Library verzeichnet jedoch auch ein Exemplar mit der früheren Jahreszahl. Die Musical Times listete es im März 1908 unter den eingegangenen Büchern. Siehe S. 150 zur Bekanntschaft der Liebichs mit Debussy. 665 Daly, Debussy. A Study in Modern Music, 11. 666 Grimshaw erkannte in Debussy nach Wagner, Brahms, Tschaikowski und Strauss ein neues „Spielzeug“ des englischen Publikums zur rechten Zeit, während Bellairs in einer Gegenüberstellung mit Sibelius abgesehen vom langsamen Satz des Quartetts kein gutes Wort über Debussy verlor. Besonders beeindruckt zeigte sich Jean-Aubry von Whittakers systematischer Herangehensweise, die auch in Frankreich noch nicht erreicht worden sei. Jean-Aubry, Debussy et la musique française moderne en Angleterre, 267–271. Auch Debussy selbst war angetan: „Ce que vous voulez bien nommer : le Bilan du Debussysme en Angleterre est on ne peut plus intéressant, – même Debussy à part – au point de vue des tendances que cela révèle chez ces jeunes gens. C’est de beaucoup supérieur à ce qui se fabrique chez nous sur cette matière, où ceux qui écrivent de mauvais comptes rendus se figurent faire de la critique.“ Brief von Debussy an Jean-Aubry, 30.4.1909. Debussy, Correspondance, 1175. 667 Offenbar hielt Grimshaw einen von Guéritte geschriebenen Vortrag, den dieser selbst im März

216

Renaissance und Parteienstreit: Konstruktionen französischer Musik

Aubry bei einem Konzert Franz Liebichs im Februar eine Einführung in Debussys Werk unternahm, wurde nicht grundlos angemerkt, dass das meiste den Interessierten längst bekannt sei (siehe Anm. 438). Gegenüber den ersten Erkundungen trat zunehmend Debussys (künftige) Position in der Musikgeschichte in den Fokus der Auseinandersetzung. Auch viele Kritiker, die seine Musik irritierte, erkannten ihn als visionären Wegbereiter an. Für Ernest Newman gehörte beides zusammen: Indem Debussy eine neue Epoche beginne, könne sein Werk als eines des Übergangs nicht durchweg auf hohem Niveau stehen. Er bemängelte Debussys „Fetisch der Individualität“ und sah eine Gefahr in der bequemen Nachahmung seiner Manierismen, aber würdigte ihn auch als Gegengewicht zur (von Newman verehrten) deutschen Tradition.668 Besonders kritisch sah er die wachsende Fokussierung der französischen Musik auf den nationalen Charakter; von Debussys späteren Werken zeigte er sich wie andere Beobachter enttäuscht.669 Auch wenn Debussy oft im Zentrum stand, wurde er gleichzeitig in die jüngere französische Musikgeschichte eingebettet, die immer häufiger als eine ‚Renaissance‘ erzählt wurde. Liebich benannte so die Periode von Franck bis Debussy, die von einer Emanzipation von deutschen Einflüssen, insbesondere Wagners, gekennzeichnet sei.670 Clark verwendete dasselbe Bild, indem er die vorhergehende Zeit um Auber, Meyerbeer und Gounod in den dunkelsten Farben malte und die militärischen Niederlagen 1871 als Ursache für die Wiedergeburt der französischen Musik erkannte.671 Im Gegensatz wiederholte. Das Sängerehepaar Bathori-Engel lieferte musikalische Illustrationen, ebenso für Evans’ Vortrag (siehe Anm. 417). Piatigorsky, The Campaign for French Music, 44. 668 „Of Debussy’s present and ultimate importance in history there can be no question. He has stemmed, partially at all events, the vast and heavy tide of German music, showed us that music can talk beautifully and interestingly without talking German, and has made the most advanced Teutonic art of the day seem to some people like the music of an epoch that is almost past.“ Newman, A Note on Debussy, 293. 1906 hatte er Debussys „neurotische“, „rein sinnliche“ Musik dem solide-intellektuellen Elgar gegenübergestellt. Thomson, Elgar’s Critical Critics, 214. Newmans komplexem Verhältnis zu Debussy und der französischen Musik ging Watt in der jüngsten Biographie kaum nach. Die Behauptung, Newman habe diese schlicht nicht ertragen können, führt in die Irre. Watt, Newman, 155. Siehe auch Filson Young, Debussy, in: The Saturday Review, 6.3.1909, 300f. 669 „Debussy and his fellows are pushing a good principle to a very bad extreme. [...] That they should imagine they can only become Frenchmen by declaring themselves to be fundamentally different in soul from the Germans is deplorable.“ Newman, Debussy on Nationality in Music, 701. „Few people, I imagine, who are not blinded by partisanship will deny the Debussy of the last years has been a great disappointment. From one of the most original composers in Europe he degenerated into one of the least original. Newman, The Development of Debussy, 199. Auch Cecil Gray erkannte in der Rückschau einen „steady decline“. Gray, A Survey of Contemporary Music, 110. 670 Sie bezog sich damit auf Lionel de La Laurencie. In der zyklischen Methode erkannte sie einen direkten Einfluss Francks auf Debussy. Liebich, Claude-Achille Debussy, 29 und 44. 671 „Coming as he [Gounod] did when the character of the French as a nation was at one of the weakest points of its history, his work is the epitome of all that is worst in French music.“; „I think it is not too extravagant to regard those disasters to French Arms as the direct cause of the renascence of French music.“ Clark, Paper on Modern French Composer, 5f.

217

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

zu der von Hervey aufgestellten Hierarchie waren es nun nicht mehr primär Saint-Saëns oder gar Bizet, die diese angestoßen hatten, sondern der ‚fortschrittlichere‘ Franck und sein Schülerkreis, aus dem Clark d’Indy, Chausson und Duparc hervorhob. Bereits 1905 war in einem nachgedruckten Artikel des Amerikaners Philip Hale die „Franckist School“ der Liedkomposition behandelt worden.672 Einen der ersten Vorträge, die die moderne französische Musik in einem breiteren Zusammenhang darstellten, hielt im Januar 1907 an der Royal Institution ausgerechnet Alexander Mackenzie, seit 1888 Direktor der Royal Academy of Music, der dort um 1914 die Musik Ravels ausschließen sollte (siehe Anm. 494). Auch Mackenzie erkannte Franck eine Pionierrolle zu, in dessen Nachfolge sich verschiedene Gruppen gebildet hätten: eine kleine „Franckian“, die klassische mit modernen Neigungen verschmolz (Dukas), eine „Diatonic School“ (d’Indy) und die größte und prominenteste „Impressionist School“, die die harmonischen Gesetze aufgebe (hier werde oft Duparc als einer der Gründer genannt). Mackenzie bezeichnete sich selbst als Bewunderer französischer Musik, doch hegte er – ähnlich wie Hadow – Zweifel über die Zukunftsfähigkeit des Impressionismus, der für ihn eine Abkehr von allen bislang geltenden (deutschen) Idealen repräsentierte.673 Er stehe zudem im Gegensatz zum englischen ‚Nationalcharakter‘ und sei somit kein wünschenswerter Einfluss auf junge Musiker (siehe zu dieser Debatte S. 232ff.). Kurioserweise hatte Evans Mackenzie die Hörbeispiele zusammengestellt.674 Auch für Evans war Musik ein Ausdruck nationaler Wesenszüge und in den ‚rassischen‘ Unterschieden erkannte er die Ursache für das fehlende englische Verständnis der modernen französischen Musik. Nichtsdestoweniger unternahm er ab 1908 in zahlreichen Vorträgen den Versuch, seine Landsleute zu überzeugen und die These zu untermauern, dass jene Schule die deutsche als führende abgelöst habe und mit 672

Zu dieser zählte Hale neben Chausson, Duparc und d’Indy auch Debussy und Fauré. Hale, The Franckist School. Ein weiterer Artikel Hales in der New Yorker The New Music Review von 1906 zeichnete sich durch einen profunden Überblick über die aktuellsten Tendenzen (mit den Vorreitern d’Indy, Debussy und Fauré), aber auch die Zeit vor 1870 aus und warnte vor einem einseitig auf Franck konzentrierten Renaissancenarrativ. Hale, Notes on Certain Ultra Modern Composers of France. 673 Von den vorgestellten Musikbeispielen überzeugten das Publikum vor allem Ausschnitte des Streichquartetts, während die von York Bowen gespielten ungenannten Klavierstücke auf wenig Verständnis stießen: „Harmonic progressions moved about in the most unlikely way; there were very few moments of repose and contrast – two important essentials in music. Neither was there any polyphonic invention, nor could the themes be said to be subject to any development. It had been said that there was nothing that could take the place of tonality but colour, and as tonality was non-existent here, colour came first and the rest was nowhere.“; „A whole school seriously working at music so full of irregularities and daring innovation, as a movement for general acceptance, gave one seriously to think. Viewing this cult as a whole, it could scarcely be called virile; it was not robust enough to be sensuous. In a word, there was little or no humanity in it. There was sentimental languor, but little real emotion. The lecturer had come to think much more of its imaginative than of its abstract music.“ The Musical Herald, 1.3.1907, 74. 674 „[The purpose of the lectures] was to excommunicate with bell, book, and candle, certain reprehensible practices which had crept into the noble art of musical composition.“ Evans, ‘Extremists versus the Rest’ [Leserbrief], 831.

218

Renaissance und Parteienstreit: Konstruktionen französischer Musik

einem rein ästhetischen statt rhetorischen Musikbegriff nicht weniger als eine neue Phase der Musikgeschichte eingeläutet habe.675 Selbst der germanophile Newman maß der neuen französischen Musik in einem Vortrag in Liverpool große Bedeutung bei, warnte allerdings vor deren übermäßiger Nationalisierung.676 Evans betonte die aktuelle Lagerbildung – die Lust zur Kontroverse beweise den hohen Stellenwert der Musik in Frankreich –, wobei er sowohl die Gruppe um d’Indy und die Schola cantorum (in der Kontrapunktik) als auch die „Unabhängigen“ um Debussy (in der Harmonik) auf Francks Einfluss zurückführte. Im Hinblick auf die jüngste Generation verteidigte er Ravel („primarily an ironist“) gegen den Vorwurf, ein Nachahmer Debussys zu sein.677 Séverac und Roussel wies er eine Position zwischen beiden Gruppen zu; Dupont und Schmitt seien unabhängig.678 Die dualistische Gruppeneinteilung illustrierte er durch verschiedene Begriffspaare wie subjektiv/objektiv, formal/impressionistisch, intellektuell/ästhetisch und musique cérébrale/musique sensorielle.679 Die Reaktionen der Zuhörer, darunter Fachpublikum und Liebhaber, auf Evans Vorträge und die Musikbeispiele zeugten von aufrichtigem Interesse ebenso wie tiefsitzender Skepsis.680 Das Renaissancenarrativ wurde auch von französischen Autoren propagiert: Bis hinein in Frauenmagazine, damit eine breitere Leserschaft erreichend, präsentierten sie die Zeit ab 1870 als eine kompositorische Blüte mit einem erneuerten Geschmack für Instrumentalmusik.681 Darin erkannten Beobachter eine Parallele zum englischen Publi675

Evans, French Music of To-day, 52. „So great is the impetus given by this master [Franck] to the musical movement of modern France that his followers of the present day, by insisting on the nationalisation of their art – going back to Rameau, – were running into dangerous extremes.“ The Manchester Guardian, 23.1.1909, 11. Siehe für Newmans Wertschätzung Francks auch seine ausführliche Rezension der von Rosa Newmarch 1909 unternommenen Übersetzung von d’Indys Franck-Biographie. Newman, d’Indy on Franck. 677 [Evans], Musical Party Strife in France, 394. Der Artikel erschien unsigniert, verwendete aber wortgleiche Formulierungen wie andere Texte Evans’. 678 Evans, French Music of To-day, 68. 679 Die letztgenannten Begriffe übernahm er von Calvocoressi. M.-D. Calvocoressi, La musique à Paris. Œuvres de M. Florent Schmitt, in: L’Art moderne, 6.1.1907, 3f. Vgl. Scaife, British Music Criticism, 180. 680 J. A. Fuller Maitland fragte: „What were the constructive methods of the French moderns? If their works were being produced in such numbers, there must be some principle in them which was not entirely destructive. What did they propose to build on the ruins about them? [...] Is beauty to come again?“ The Musical Herald, 1.2.1908, 41. Evans hatte postuliert: „Their [the impressionists’] compositions are written under the canons of plastic beauty common to all the arts, and not the laws of development which music shares only with that of decoration. They admit of no valid reason why the ideal of musical form should not be the perfect balance of inequalities in an antique statue rather than sonata form.“ The Musical Standard, 25.1.1908, 53. Ein Teilnehmer der ISM-Konferenz zwei Jahre später differenzierte: „Really beautiful music this [d’Indy’s school]. Very modern in harmony, sometimes startingly so, but a masterly working out of a few good ideas, [...]. There, personally, the pleasure ended. I listened to the Debussy-Ravel examples with every wish to be converted, but the new faith came not.“ The Musical Herald, 1.2.1910, 55. Das Parisian Quartet und Yves Nat spielten zum ersten Mal in England Lekeus Klavierquartett. The Musical Times, 1.2.1910, 107. 681 Siehe etwa Mauclair, La musique française depuis Berlioz; und das letzte Kapitel „The Awakening: 676

219

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

kum.682 Durch die Betonung der nationalen Charakteristika und der Rückbesinnung auf die ‚Klassiker‘ um Rameau wurde eine französische Musik gezeichnet, die, unabhängig von fremden Einflüssen, als Gegenbild zu dem gewohnten ‚universalistischen‘, letztlich aber deutschen Modell fungieren konnte und während des Krieges offensiv als ein solches in Stellung gebracht wurde.683 Die zunehmend chauvinistischen anti-deutschen Einlassungen Saint-Saëns’ bedauerte Jean-Aubry hingegen und brachte sie 1917 in Verbindung mit dessen ablehnender Haltung gegenüber den jüngsten französischen Entwicklungen.684 Tatsächlich spielte Saint-Saëns in den Überblicksdarstellungen – im Gegensatz zu Franck – als Vorreiter kaum mehr eine Rolle (siehe auch Anm. 173). Dagegen erhob Hermann Klein, ein langjähriger Freund und Förderer des Komponisten in England, vehement Einspruch.685 Entsprechend würdigte Hervey, wie Klein ein Kritiker der älteren Generation, Saint-Saëns 1921 mit dessen erster englischen Biographie.686 A Sketch of the Musical Movement in Paris Since 1870“ in Rolland, Musicians of To-day. Calvocoressi zählte nach Berlioz Franck, Gounod und Saint-Saëns zu den Urhebern der modernen Bewegung und behandelte schon Namen nach Debussy. Calvocoressi, A Turning Point in the History of French Music; ders., Franckism and Impressionism; ders., More About French Composers. Siehe auch die Zusammenfassung seiner Vortragsreihe in Oxford 1913 in The Musical Times, 1.9.1913, 574f. Für The Ladies’ Field schrieb Jean-Aubry 1917 einen achtteiligen Überblick über die französische Musikgeschichte (Evans schrieb dort auch über russische Musik). Jean-Aubry, French Music and Musicians (siehe das Literaturverzeichnis für die Überschriften). 682 „Thus the Parisian public of 1890 was beginning to grow out of its apathy; its appetite had been whetted (as the appetite of the London public was whetted when Richter, Henschel, and Wood carried on the work that had been started by Manns), and musical students began to cry out for more music in every branch of the art and particularly in the branch of the French classics.“ The Times, 27.3.1909, 15. 683 „Je voudrais faire connaître à nos chers Alliées une des forces vives de mon pays : sa jeune musique, trop ignorée hors de France, si âprement combattue, avant la guerre, dans nos propres théâtres et dans nos propres concerts, par la horde allemande. Je crois que l’heure arrive d’en préparer la victoire qui, à mon avis, devrait suivre presque immédiatement celle de nos armes.“ Bruneau, La nouvelle musique française, 391. Jean-Aubrys knappe Musikgeschichte für englische Leser sprang von den Cembalisten des 17. und 18. Jahrhunderts über das isolierte Phänomen Berlioz direkt zur „French Musical Renaissance“. Diese begann mit Saint-Saëns, Chabrier, Lalo und Fauré; es folgten Franck und seine Schüler, Debussy und die „Post-Debussyists“ Ravel, Schmitt, Roussel und Séverac. Jean-Aubry, An Introduction to French Music. 684 Jean-Aubry, Saint-Saëns: Wagner and French Music. Damit trat Jean-Aubry der Darstellung Hermann Kleins entgegen. Klein, German Music in France: Saint-Saëns and Wagner. 685 „Let it not be forgotten that there was a time when Saint-Saëns was regarded as the leader of advanced French musical thought. [...] he was one of those who prepared the way for that movement [of the younger musicians]. His sin in other eyes was that he did not go hand in hand with César Franck.“; „The matter of encouraging and stimulating the love of French music of all periods in this country is ‚another story‘ (I was fighting to aid that cause long years before M. Jean-Aubry and his friends had crossed the Channel). It is absurd to contend that M. Saint-Saëns’s objection to the popularity of German music in France can have a deleterious influence upon the popularization of French music in England.“ Replik auf Jean-Aubry, Saint-Saëns: Wagner and French Music, 16. Siehe auch Klein, Saint-Saëns As I Knew Him. 686 Hervey, Saint-Saëns. Schon 1903 hatte er aufgrund der Unabhängigkeit des Komponisten konstatiert: „Thus has he fallen foul of the reactionaries on the one hand and the advanced party on the other.“

220

Renaissance und Parteienstreit: Konstruktionen französischer Musik

In einer Vortragsreihe über die Grundlagen der Musik des 20. Jahrhunderts stellte Evans seine Überlegungen zur französischen Musik („The Neo-Latin Renascence“) in einen größeren Kontext:687 Nationalismus bezeichnete er nicht nur als ein Aufbegehren gegen fremden Einfluss, sondern als gesunde Reaktion gegen jegliche Form der Einförmigkeit. Russland habe vor einer Generation dafür das beste Beispiel geboten, während Frankreich aktuell von einer subtileren Form des Nationalismus geprägt sei und in diesem Geist die Klarheit des 18. Jahrhunderts wiederherstelle.688 Die zwei dominierenden Gruppen „the constructive“ (Franck, d’Indy, Fauré) und „the selective“ (Debussy, Séverac, Chausson) führte er jeweils auf das durch Franck vermittelte Erbe Beethovens bzw. auf Rameau und die clavecinistes zurück.689 Beide Gruppen kennzeichne ein spezifisches Verhältnis von Tradition und Moderne, das Evans in die Formel eines „progressiven Akademismus“ fasste.690 Eine andere Perspektive auf französische Musik warf er mit lecture-recitals über deren Volksliedgut, darunter Ende 1917 zu „Songs of Old France“ und ab Mai 1918 in einer Reihe zu „The Spirit of France in her Beautiful Folk-Songs“, in deren Rahmen auch Jean-Aubry referierte.691 Ab den unmittelbaren Vorkriegsjahren wurden auch die (jüngeren) Komponisten, die die Société eingeführt hatte, zum Gegenstand eigener Artikel. Zwei Texte beschrieben Ende 1913 die Technik Ravels, dessen Solidität nach den ersten Irritationen nicht mehr infrage stand, und betonten die Unterschiede zu Debussy.692 Nach dessen Tod kristallisierte sich Ravel als legitimer Nachfolger und Kopf der modernen französischen Musik heraus, auch wenn er zugleich über den sich neu formierenden Gruppierungen und Konfliktlinien der 1920er-Jahre schwebte.693 Nicht ohne Genugtuung blickte JeanHervey, French Music in the XIXth Century, 180. 687 Siehe die Ankündigung der Reihe in The Musical Times, 1.6.1917, 281. 688 Evans, The Foundations of Twentieth Century Music, 349. Seinem historiographischen Modell legte Evans eine Einteilung künstlerischer Bewegungen in die drei Phasen „primitive“, „classic“ und „post-classic“ bzw. „decadent“ zugrunde. Debussy markiere den Beginn einer neuen Phase. 689 Siehe die Berichte The Daily Telegraph, 23.6.1917, 3; The Times, 30.6.1917, 9. 690 „In short, the motto of the Franckist tradition in France is loyalty to principle combined with the utmost liberality in detail – in other words, progressive academicism. But the same motto with slightly less exclusive principles would apply to a considerable proportion of modern French music outside of the Franckist tradition, for the working of the French mind is nothing if not passionately logical. Even when it gives the impression of jumping at a conclusion, the truth is often that the intermediary processes of thought have been omitted as being equally obvious to the listener and therefore not worth stating. A great deal of the unexpected in French harmony arises in this manner, which does not modify its fundamentally academic character.“ Evans, The Foundations of Twentieth Century Music, 349. 691 The Musical Times, 1.1.1918, 20. Auch die sonst nicht mehr aktive Société des concerts français war in die Organisation der Vortragsreihe involviert. Liedharmonisierungen für den ersten Abend stellten Bridge, Goossens, Ireland und Howells bereit. The Daily Telegraph, 25.5.1918, 3; The Times, 30.5.1918, 8. 692 Calvocoressi, Ravel; The Times, 20.12.1913, 11. 693 Goddard erkannte 1925 d’Indy und Jean Cocteau als Wortführer der Hauptparteien und konstatierte bereits zwei Jahre zuvor: „M. Maurice Ravel may be said to have succeeded Debussy as leader of the advanced school of musicians in Paris.“ Goddard, Some Aspects of the Work of Ravel, 82; ders.,

221

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

Aubry 1918 auf die zögerliche Aufnahme der ersten Werke zurück.694 Debussy und Ravel bildeten auf der musikalischen Landkarte, trotz aller Appelle zur Differenzierung, ein festes Gespann.695 Eine neue Generation englischer Kritiker kam zu unterschiedlichen Einschätzungen: Cecil Gray kleidete seine negative Perspektive auf beide 1924 in beißende Polemik; zehn Jahre später betonte Constant Lambert Debussys Schlüsselrolle für die moderne Musik und rehabilitierte das Spätwerk.696 In einer noch vor dem Krieg begonnenen, sich über vier Jahre erstreckenden Reihe im modernistischen Magazin The Egoist unternahm der wie Evans kosmopolitisch und progressiv orientierte Kritiker Leigh Henry unter anderem den Versuch, die auf Impressionismus und Symbolismus folgenden Strömungen der französischen Musik auf einen Begriff zu bringen: In einem der ersten Artikel über Satie überhaupt sprach er 1914 vom „musical imagisme“. Ravel beschrieb er 1916 als den Urheber einer Bewegung, die den „Fantaisiste spirit“ von der Literatur auf die Musik übertrage, und Séverac würdigte er 1918 als „modern pastoral poet“, der die formalistische Prägung seiner Lehrjahre ebenso wie den dominierenden Einfluss des Impressionismus hinter sich gelassen habe.697 Erst Ende desselben Jahres behandelte Jean-Aubry Chausson in einem eigenen Artikel: Dieser markiere den Übergang von Franck zu Debussy.698 Auf die Einladung des Herausgebers Jean-Aubry ging im Folgejahr auch ein Artikel im Chesterian zurück, mit dem Roussel der englischen Leserschaft die jüngste Generation vorstellte.699

French Composers. Louis Durey, gewissermaßen Ex-Mitglied der Groupe des Six, verwahrte sich 1921 im Chesterian gegen die salonfähig gewordene Diskreditierung Ravels als überholt; keiner sei ein geeigneterer Repräsentant von „French music of France“. Durey, Ravel, 423. Vgl. zur Rolle Ravels in den 1920er-Jahren Kelly, Ravel After Debussy. 694 Jean-Aubry, Modern French Composers. I. Ravel. 695 Siehe etwa die handliche, aber durchaus analytisch-technische Monographie von 1925 in der an Laien gerichteten Reihe „The Musical Pilgrim“ Shera, Debussy and Ravel. In der dritten Auflage 1938 merkte Shera an, dass zehn Jahre später wohl beide Komponisten einen eigenen Band erhalten hätten. 696 Gray, A Survey of Contemporary Music, 95–126. „[Debussy] is undeniably the guiding principle and unifying link behind its [the pre-war period’s] apparently disparate experiments. [...] the disruptive element in Debussy’s impressionism provided the liberating force that led these composers [Stravinsky and Schönberg] to their own revolutionary style.“ Lambert, Music Ho!, 37f. 697 Henry, Satie and the Ironic Spirit (siehe zu Satie auch Anm. 547); ders., The Fantaisiste Spirit; ders., Séverac. Nach einer Tätigkeit in Florenz wurde Henry 1914 nach Berlin berufen, nach Kriegsausbruch jedoch im Lager Ruhleben interniert, von wo aus er Artikel nach England sandte. Siehe zu Henrys Biographie und den weiteren Artikeln seiner Reihe Scaife, British Music Criticism, 189–202. 698 Jean-Aubry, A French Composer: Chausson. 699 Neben den Mitgliedern der „Groupe des Six“ nannte er auch Roland-Manuel. Roussel, Young French Composers. Vgl. Kelly, Music and Ultra-Modernism in France, 164f.; zum Chesterian dies., Une entente cordiale en musique; zum Kontext der musikwissenschaftlichen Beziehungen zwischen England und Frankreich im 20. Jahrhundert dies./Thumpston, Maintaining the Entente Cordiale.

222

Renaissance und Parteienstreit: Konstruktionen französischer Musik

‚Modern Classics‘: Französisches Repertoire in Kammermusikführern Nicht nur in Journalen für Spezialisten und bei wissenschaftlichen Vorträgen wurde die Entwicklung der französischen Musik beleuchtet, die Thematik erreichte auch eine breitere musikinteressierte Leserschaft. Gerade in der Kammermusik repräsentierten einige französische Werke aus englischer Perspektive ‚moderne Klassiker‘.700 Dies zeigt etwa eine Durchsicht der zwischen 1913 und 1916 von dem Unternehmer und Geigendilettanten Walter Willson Cobbett herausgegebenen, allein der Kammermusik gewidmeten Beilage zum Magazin The Music Student (siehe S. 257): Am Ende der kurzen Gattungsgeschichten vom Duo bis zum Oktett standen auffällig oft französische Kompositionen: Richard H. Walthew beschloss seinen Überblick über die Violinsonate nach Beethoven, Schumann und Brahms mit Bemerkungen zu Francks („one of the best known and most frequently played of modern violin and piano sonatas“) und Faurés Sonate („less original, less deeply felt than Franck’s work“, „should be better known in this country“).701 Der Artikel über das Klaviertrio mündete nach den deutschen ‚Klassikern‘, Tschaikowski und Dvořák überraschend in Francks frühe Trios und deren einflussreiche „cyclic form“.702 Beim Streichquartett erwähnte Cobbett neben Francks auch Debussys („the most original of modern times“) und Ravels („the last word in modernity“).703 Auf Faurés Klavierquartette wurde kurz verwiesen, während Francks Klavierquintett wiederum am Ende der Darstellung stand. Magnards Bläserquintett war „by far the finest wind work since Mozart“ (Brahms ausgenommen).704 In einer sechsteiligen Reihe besprach M. Montagu-Nathan, Spezialist für russische Musik und Mitglied der Société des concerts français, moderne und in England kaum bekannte französische Violinsonaten von d’Indy, Roussel, Ropartz, Samazeuilh, Grovlez, Magnard, Paul Dupin und Milhaud.705 Jean-Aubry hob in einem Gastbeitrag die Affinität der jungen Franzosen zur Kammermusik hervor und wandte sich gegen den gängigen Vorwurf, diese böte nichts als „atmosphärische Effekte“ und Raffinesse. Er betonte den Einfluss, den „this eager striving after a thorough renovation of instrumental colouring“ in ganz Europa gezeitigt habe.706 Ein angekündigter Artikel von Guéritte erschien nicht. 700

Siehe Anm. 191 zu Francks Violinsonate 1920 und Anm. 561 zu einer Neudefinition von „classics“ durch die Classical Concert Society 1919. 701 Walthew, The Sonata for Violin and Pianoforte, 5f. In seinen ergänzenden Bemerkungen verwies Cobbett auf Saint-Saëns’ erste Sonate („always clear, plastic, and in the French sense, classical“). 702 „Under César Franck’s teaching and influence a new French school of composition came to the front, and this Cyclic Form has been greatly employed by many eminent composers in that country, and especially so in their chamber-productions.“ Sharp, The Pianoforte Trio, 20. 703 Cobbett, The Quartet Repertory, 23. Siehe im gleichen Heft Cohen, Ravel’s String Quartet. 704 Walthew, On Some Quartets for Piano and Strings; ders., The Quintet for Piano and Strings; E. J. B., Wind-Music from an Oboeist’s Point of View, in: Chamber Music. A Supplement to The Music Student, Jan. 1915, 37. 705 Montagu-Nathan, Some Modern French Sonatas. 706 „It is however in chamber music that the most characteristic and subtle expression of French modern

223

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

In anderen Übersichtswerken spielte die französische Schule ebenfalls eine wichtige Rolle: In seiner Handreichung für (Kompositions-)Studenten diskutierte Thomas Dunhill 1913 Grundlagen des Schreibens für Streichquartett und andere Gattungen. Vor dem übermäßigen Einsatz von Doppelgriffen warnend, lobte er Debussys sorgfältigen Einsatz dieser Technik, etwa im Höhepunkt des Quartettkopfsatzes.707 Ravels Quartett, das sich im Konzertleben noch durchzusetzen hatte, sah er zwiespältig: Er begrüßte dessen schlanke Textur, kritisierte aber die auf Wiederholung ausgerichtete thematische Arbeit. Dunhill würdigte auch den weitreichenden Einfluss von Francks Violinsonate und die „rhapsodische Freiheit“ bei Fauré, Lekeu und anderen, die gleichwohl nicht die „meisterhafte Konstruktion“ deutscher Musik erreichten. Faurés erstes Klavierquartett stellte er auf eine Stufe mit Brahms’ (siehe Anm. 293). While the tendency of late in Germany and Russia has been to increase the sonority of Chamber Music – and, one might say, to make it sound more than it is – in other quarters there have been signs that it may be looked upon as something most slender and delicate, [...]. [Notenbeispiel des Seitenthemas im Kopfsatz] This possesses that precious quality known as ‚atmosphere,‘ though the whole quartet is disfigured, as in so many modern French works, by the irritating mannerism which takes the form of insisting on the repetition of each phrase rather than its continuity. It is tinted rather than coloured – we hear it, as it were, through gauze which obscures the outlines and makes us lose all sense of strength and stability. To those who would prefer their music to be a reflection of shadows rather than substance, a pale symbol rather than a bold actuality, the study of this quartet will be most valuable, for it is very beautiful and very finished, and is welded together with a most subtle and delicate touch.708 The sonatas of G. Fauré, Victor Vreuls, Lekeu, and others, [...] are not masterpieces of construction like the works of Beethoven or Brahms, but they show that a certain picturesque rhapsodical freedom, as if both performers were sympathetically extemporising together, is not wholly incompatible with Chamber Music in sonata form. For good or ill the influence of César Franck has been productive of energetic results, with the consequence that most of the sonatas for piano and violin of the present day are no pale reflections of those of past generations, but works charged with a new kind of sensitiveness and alive with restless impetuosity.709

Während in Nicholas Kilburns Kammermusikführer von 1904 französische Musik noch fast gänzlich außen vor geblieben war, konnte der junge Gerald Abraham, das Renaissanceprinzip aufnehmend, 1932 in der Neuauflage konstatieren: art is to be found.“ Sich außer Stande sehend, einen kompletten Überblick zu geben, behandelte er zwei bei der Société vorgestellte Klavierquintette. Jean-Aubry, Chamber Music in France. Schmitt and Dupont, 93. 707 „No modern composer has a larger or surer sense of the immense value of such passages, precisely because of the fact that he uses them infrequently, and thereby gives them their fullest significance when they do occur.“ Dunhill, Chamber Music. A Treatise for Students, 102. 708 Ebd., 78f. 709 Ebd., 168.

224

„A splash of Gallic red“: Die Debatte über eine englische Nationalmusik

Perhaps the most interesting chamber music of the present century is that of the French composers. This is the more remarkable in that France has only taken an interest in chamber music during the last half century or so. According to Romain Rolland, it was „almost unknown in Paris before 1870. [...]“710

Dabei gab es längst Autoren, die auf das reiche Pariser Kammermusikleben schon vor 1870 hinwiesen.711 In konzentrierter Form und für eine breite Leserschaft resümierte noch einmal Evans 1934 das weithin akzeptierte Narrativ und beschrieb die spezielle, 1917 von ihm als ‚subtil‘ bezeichnete französische Ausprägung des Nationalcharakters: The renascence of „absolute music“ – symphonic and chamber music – in France is, despite its strong national character, not comparable to the nationalist movements we have hitherto described [Bohemia, Scandinavia, Russia]. France did not need to emancipate her music from foreign influences or to rediscover in the domain of folk-lore the sources of a national idiom. At most did she need a renewal of contact with her musical past. But in France music had become consistently an art of the theatre. No composer could hope to win fame except by writing for the stage, and in the striving for popular success which is the incentive in the theatre, French music had lost sight of its ideals. It is the recovery of these, rather than any assertion of nationality, that is the achievement of the French renascence, and it is significant that, although it had set in earlier in the century, it began to gather momentum after the chastening experiences of 1870. It would seem as if these had induced a mood of recueillement, and that, precisely, is the mood in which the noblest music thrives.712

4.3 „A splash of Gallic red“: Die Debatte über eine englische Nationalmusik It may be confidently asserted that the chief pre-occupation of our current musical literature is the foundation of a school of national music in this country. In almost every recent publication dealing with contemporary music we find ourselves confronted with some aspect of the question. The columns of the press devoted to the reports of our multitudinous concerts ring with the cuckoo-cries of ‘native idiom’ and ‘a national school.’713

Die Debatte um eine englische Nationalmusik erreichte in den Jahren unmittelbar vor Beginn des Ersten Weltkriegs einen Höhepunkt. Noch vor 1900 war das Ziel eine Musik aus England in einem universalistischen, implizit aber deutschen Idiom gewesen, nun 710

Kilburn [Abraham], Chamber Music and Its Masters, 184. Vgl. die Erstausgabe Kilburn, The Story of Chamber Music. 711 Etwa 1929 in Cobbett’s Cyclopedic Survey Prunières, French Chamber Music Since the Revolution. 712 Evans, Chamber Music, 394f. Zwei Abschnitte behandeln jeweils die Zeit vor und nach Franck. 713 Newmarch, Chauvinism in Music, 95.

225

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

wurde eine genuin englische Musik angestrebt.714 Hatte der nationale Anspruch zwar bereits zuvor im Zentrum vieler Diskussionen über die Richtung englischer Musik gestanden, rückte erst nach und nach die Frage in den Blickpunkt, was eine nationale Prägung auszeichnen solle und wodurch sie sich überhaupt konstituiere. In einem Aufsatz in der Edinburgh Review bemängelte Rosa Newmarch 1912, dass die Kritik bislang nicht in der Lage gewesen sei, solche Kriterien zu entwickeln, und deswegen ständig widersprüchliche Einschätzungen zu lesen seien, wo die ‚englische Schule‘ aktuell stehe, ob es sie längst gebe oder sie erst angestrebt werde. Vor allem wandte sie sich gegen einen übertriebenen Widerstand gegen fremde Elemente im englischen Musikleben und stellte die Frage, ob eine insulare Kunst der gegenwärtigen kosmopolitischen überhaupt vorzuziehen sei.715 Als eine entscheidende Kategorie nationaler Musik galt die Unabhängigkeit von äußeren bzw. ausländischen Einflüssen. Die bloße Nachahmung fremder Modelle von Händel bis Mendelssohn Bartholdy habe die lange Phase mangelnder künstlerischer Produktivität begründet, hatten bereits die Propagatoren der ‚English Musical Renaissance‘ argumentiert, und ein zentraler Diskussionspunkt blieb, inwiefern sich englische Komponisten mittlerweile emanzipiert oder aber in neue Abhängigkeiten von Brahms über Strauss bis zu Debussy begeben hätten. Mehrere Autoren unterschiedlichen Hintergrunds wie Newman (1901), Evans (1903) und W. H. Hadow (1906) betrachteten die jüngere Entwicklung der russischen Musik als ein paradigmatisches Modell für die Befreiung von fremder Dominanz und erkannten in der englischen Situation Parallelen zu jener in Russland einige Jahrzehnte zuvor.716 Mit dieser Feststellung räumten sie zugleich ein, dass der Emanzipationsprozess noch längst nicht als abgeschlossen angesehen werden könne. John F. Runciman postulierte apodiktisch, es gebe keine englische Musik (so wie Hans Richter die Existenz französischer bestritt).717

714

Vgl. zu den Diskursen vom frühen 19. Jahrhundert bis in die 1930er-Jahre Ling, Debating English Music; Ball, Reclaiming a Music for England; Heldt, Das Nationale als Problem, 106–136. 715 Newmarch, Chauvinism in Music, 96 und 98. 716 Newman, English Music and Musical Criticism, 743; „Yet less than half a century ago, music was in Russia a foreign art. [...] We have never been quite so badly off here, but we have been severely handicapped by circumstances which have a family likeness with those prevailing in Russia during the early days of its musical Renaissance. The comparison is a pleasing one to dwell upon, if only for the sake of the hope it encourages within us when we look upon the promising work of our younger and more characteristic writers. Even the element of nationalism is not absent; indeed this element is the most hopeful feature of all, as it shows that our composers are learning to speak their own language at last.“ Evans, Modern Russian Instrumental Music [Abschluss der Serie], in: The Musical Standard, 17.1.1903, 37; „The stimulus which a nationalist revival has afforded to Russian music is the best of auguries for the further progress and development of our own.“ [Hadow], Some Tendencies in Modern Music, 396. 717 „[...] English music has remained in the main true to Handel and Mendelssohn traditions. [...] the fact remains, as I have often said, that there is no English music. Elgar’s music is German music, [...].“ John F. Runciman, After Berlioz, in: The Saturday Review, 12.12.1903, 730. Siehe zu Richter Anm. 1.

226

„A splash of Gallic red“: Die Debatte über eine englische Nationalmusik

Für die Generation, die um die Jahrhundertwende in die Musikwelt eintrat, blieb – nicht anders als für zahlreiche vorangegangenen – die deutsche Musik das natürliche Vorbild. Die Überzeugung der deutschen kulturellen Überlegenheit war in England tief verwurzelt und verknüpft mit einer langen politischen (und Theorien einer rassischen) Verbundenheit sowie der Präsenz solcher deutsch- bzw. österreichstämmiger Künstlerpersönlichkeiten wie Charles Hallé, August Manns, Joseph Joachim und Hans Richter, aber auch privater Förderer wie Edward und Edgar Speyer. Eine starke germanophile Orientierung zeichnete auch die sogenannten „Oxford critics“ um Parry, Hadow, Tovey, Walker und H. C. Colles aus, die von akademischen Leitungspositionen bzw. wichtigen Kritikerposten bis in die 1930er-Jahre Einfluss ausübten.718 Parry ging so weit, die positive Aufnahme deutscher Komponisten in England als ein Zeichen des soliden englischen nationalen Charakters zu deuten.719 Walker und später Colles hoben die entscheidende Stellung Brahms’ im englischen Musikleben um 1900 bzw. insbesondere dessen Bedeutung für die Kammermusik hervor.720 Die wachsende politisch-wirtschaftliche Rivalität zwischen den beiden Nationen und der Kriegsausbruch 1914 führten auf der anderen Seite dazu, dass die langanhaltende Autorität der deutschen Kultur schwand und vermehrt Positionen Gehör beanspruchten, die diese Prägung des englischen Musiklebens immer schärfer kritisierten.721 Schon 1907 war in Manchester in Zusammenhang mit den French Concerts von einer „Teutonic tyranny“ die Rede (siehe Anm. 363). Der junge Komponist Arthur Bliss, verletzt von der Front zurückgekehrt, lobte die klare Haltung gegen deutsche Musik, und Isidore de Lara erklärte mit seinen War Emergency Concerts den deutschen „enemy composers“ den Krieg.722 Neben der strukturellen Dominanz wurde zugleich gegen Brahms’sche kompositorische Modelle polemisiert, ebenso wie die vorherige Generation gegen die Stellung Mendelssohn Bartholdys rebelliert hatte. Der über Jahrzehnte eng mit deutscher Musik verbundene Stanford unterschied hingegen sorgfältig zwischen den ‚Klassikern‘ bis einschließlich Brahms, die auch auf den Programmen unvermindert präsent blieben, und jüngeren Vertretern wie Richard Strauss, die er mit dem militaristischen preußischen

718

Siehe zur Gruppe und der Bezeichnung Scaife, British Music Criticism, 17 und 129f. „The influence which this country [England] has exercised on the general trend of art by its enthusiastic acceptance of Haydn, Beethoven, Mendelssohn, and Brahms illustrates the national solidity and respectability in matters of taste in a secondary degree.“ Parry, Style in Musical Art, 159f. 720 Walker, Brahms; Colles, Symphony and Drama, 38–72. 721 Vgl. Müller, ‘A Musical Clash of Civilisations’?; Manz, „Pandering to the Foreigner“; Dibble, The Death of a Culture. Der Diskurs über deutsche Musik während des Krieges ist Thema des zweiten Kapitels in Angell, Art Music in British Public Discourse. 722 „As one of those musicians who have fought German aggression in France, I should like to express my thanks to Edwin Evans and ‘Musicus’ for their championship of English music and their fight against the predominating influence of Germany at home.“ Brief von Arthur Bliss an die Pall Mall Gazette, abgedruckt am 11.10.1916, zit. nach Foreman (Hg.), From Parry to Britten, 86. Siehe zu de Lara Anm. 541. 719

227

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

Nationalismus gleichsetzte.723 Andere Stimmen aus dem Publikum äußerten keinerlei Bedarf an einer Anpassung des Konzertkanons.724 Mit dieser Entwicklung einhergehend, erwuchs in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts mit der modernen französischen Musik ein als völlig konträr wahrgenommenes Gegenmodell zur deutschen Tradition. Eine ähnliche Funktion hatte zuvor die russische Musik in Frankreich eingenommen.725 In dem neuen Repertoire der ‚französischen Schule‘ erkannten die Kritiker charakteristische Elemente, die sie deren nationalem Temperament zuschrieben und als Antithese zur jüngeren deutschen Musik auffassten. So würden „grace“, „refinement“, „restraint“ und die daraus resultierende „clearness“ zu den Merkmalen nicht nur der modernen, sondern auch der älteren französischen Musik zählen.726 Mit diesen Eigenschaften hätten die Franzosen sich an die Spitze der Reaktion gegen die ‚teutonischen‘ Ideale der vorherigen Generation gesetzt, wie ein Essay über Ravel nach dessen Besuch bei der Classical Concert Society konstatierte: Before the coming of César Franck few of us had heard of French classical music, though, of course, we were all acquainted with the great romantic composers. Now instead there are not one but many musicians who by different means seek to give France a classical school to balance if not to oust the output of their friendly German rivals. They all belong to various groups [...]. Yet it must be admitted that they have at least one thing in common – nationality, – and to us foreigners it is the national characteristics that appeal most in their music. What these typical traits are is plain to anyone who would turn to the examination of one of their scores after listening to the music of the modern Germans. Just as the Germans can be said, on the whole, to exult in power, so do these Frenchmen delight in delicacy.727 [...] but there are other things very well worth having besides bigness of outlook and design, and it is the appreciation of that fact which has given French composers such importance in modern European music and enabled them to lead a reaction from the ideals which Brahms and Wagner in their different ways swayed the taste of the last generation.728

Die charakterlichen Zuschreibungen an die französische Musik unterschieden sich nicht maßgeblich von den Stereotypen einer ‚leichten Muse‘, mit denen diese vor 723

Stanford, Music and the War (1916), in: Interludes, 102–124, hier 108f. Schon 1894 hatte Fuller Maitland Zweifel ausgedrückt, ob Brahms einen würdigen Nachfolger fände, der Deutschlands Vormachtstellung sichern würde. Fuller Maitland, Masters of German Music, 4f. 724 „I sincerely hope that the strenuous attempts of some critics to substitute modern French and Russian music for the old German classics in our concert-halls will not succeed. I do not deny that there is much of value in modern music and that it may interpret the spirit of this age. But the spirit of this age is precisely what many of us want to have as little as possible to do with.“ James Walker, Music the Cinderella of the Arts [Leserbrief], in: The Athenaeum, 23.5.1919, 375. 725 Vgl. zum Konzept des „Gegenkanons“ und dem die deutsche Musik einschließenden Dreiecksverhältnis Groote, Östliche Ouvertüren, 235f. 726 F. B. [Ferruccio Bonavia], The Parisian Quartet at the Southport Chamber Concert, in: The Manchester Guardian, 29.3.1912, 9. 727 The Manchester Guardian, 17.1.1914, 6. 728 The Times, 20.12.1913, 11.

228

„A splash of Gallic red“: Die Debatte über eine englische Nationalmusik

1900 belegt worden war (siehe S. 42ff.), wurden aber nun oft positiver formuliert. Die neue Generation bot mindestens eine willkommene Abwechslung.729 Manche Autoren erkannten in ihr eine ernstzunehmende Alternative: Die Begegnung mit der neuartigen französischen Musik könne englischen Komponisten zur Emanzipation von dem dominanten deutschen Modell verhelfen. Der Komponist Rutland Boughton reflektierte in einer Besprechung von Louise Liebichs Debussy-Biographie 1908 über die Wahl zwischen zwei Polen, vor der Engländer ständen: England stands in a peculiar position with regard to the arts of France and Germany. Her blood and language may be largely Teutonic, but there is a considerable splash of Gallic red which cannot be left out of account. So, with regard to the appreciation of the arts of these two countries, the Englishman may be in an advantageous, or a very disadvantageous position. If one’s sympathies be unprejudiced in either direction it may be possible to understand something of both; but it seems to me impossible to understand the essentials of either unless a man be in absolute sympathy with one of them, and, consequently blind and deaf to the peculiar values of the other. For the arts of Germany and France are as far apart in ideal, conception and realisation as a deep and silent sea is different from a piece of lace. [...] Compare Bach with Rameau, Beethoven with Gounod, Wagner with Berlioz, or Strauss with Debussy, and the very hopelessness of comparison becomes ridiculously obvious. Now it is precisely the qualities of the Teutons which appeal to me, despite their mysticism and ponderousness of thought; and it is precisely the qualities of the French which irritate me, despite their clarity of thought and delicacy of expression. I freely admit that a piece of lace may be a work of loveliness and a silent sea a mere mass of stupid water, but I prefer the sea.730

Zahlreiche Aussagen legen Zeugnis ab von der Faszination, die junge, teils noch jugendliche Komponisten in England nach der Bekanntschaft insbesondere mit Debussys Musik und deren Andersartigkeit erfasste: Eugene Goossens erhielt zu Weihnachten 1907 die Estampes und zeigte sich von den sich öffnenden neuen Pfaden euphorisiert (siehe S. 312f.). Bereits zuvor wurde der fünfzehnjährige Arthur Bliss von den Franzosen gefesselt, und Eric Coates eröffnete das Prélude à l’après-midi d’un faune fremde Welten, 729

Nach Woods Erstaufführung von Ravel Rapsodie espagnole teilte der Kritiker neben der positiven Einschätzung auch allgemeine Überlegungen: „Some may prefer the deeper music of Germany, but the modern French music, with all its irresponsibility, is not at all a bad thing by way of contrast. The point is we should not claim that the French „moderns“ represent the only possible music of the future, even if we admit Debussy and his satellites are making concert-going increasingly interesting.“ J. H. G. B. [Baughan], Ravel – And Other Matters, in: The Musical Standard, 30.10.1909, 275. „[...] it is an undoubted fact that French writers such as Debussy, Charpentier, Dukas, D’Indy, Ravel and Gabriel Fauré are striving against the metaphysical Germans for the present-day mastery. But, after all, one’s audience has to be considered, and it is certain that the French impressionism is making but tardy progress with our rather stolid English audiences – whatever its fate may be in the dim future.“ Hamilton Law, A Review of the Bournemouth Winter Season, 1909–10, in: The Musical Standard, 4.6.1910, 354. 730 Boughton, Debussy, 84. Vgl. zur deutsch-französischen Dichotomie in England nach 1914 Mäkelä, Nationalismus und Kontinentalismus.

229

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

wie sie jeweils in ihren Memoiren zurückblickten.731 In den Spalten des Musical Herald, in denen zum Abschluss eines Jahres nach den „strongest impressions“ gefragt wurde, erschien nach 1905 hinter Elgar und Strauss wohl kein Name häufiger als Debussys.732 Der Kritiker Evans und die Pianistin Louise Liebich beschrieben, wie sie schon vor 1900 auf der Suche nach einer Art von Musik gewesen waren, die die gewohnten deutschen Konventionen hinter sich ließe.733 An der neuartigen Musik entzündete sich jedoch auch ein Generationenkonflikt: Stanford sprach von Debussy und Ravel als „Eunuchenmusik“,734 und Goossens’ Klavierdozent am Royal College of Music, John St. Oswald Dykes, zeigte sich wenig begeistert von der neuen Vorliebe seines Schülers. An der Royal Academy of Music trat der ebenfalls ‚angesteckte‘ York Bowen kurzzeitig von seiner Lehrposition zurück, um gegen die ablehnende Haltung des Direktors Mackenzie zu protestieren, der wie auch Bowens Kompositionsprofessor Frederick Corder Debussys Musik für dekadent hielt und Ravels offenbar gar verbot.735 Es war eine logische Folge der Begeisterung, dass sich Elemente der neuentdeckten Musik in den ersten kompositorischen Versuchen der Genannten niederschlagen sollten. Spuren eines Einflusses von Debussy auf englische sowie amerikanische Komponisten erkannten etwa der Amerikaner Lawrence Gilman und Liebich bereits 1906 bzw. 1907, wobei solchen Feststellungen zu diesem Zeitpunkt noch eine eher prophetische Natur attestiert werden müsste, umso mehr, da sie keine Namen oder Werke benannten.736 Ein Jahr darauf charakterisierte Newmarch in einem Interview mit einem französischen Journal die englische „Renaissance“ als von deutschen (vor allem Brahms) und 731

Goossens, Overture and Beginners, 68; Bliss, As I Remember, 21; Coates, Suite in Four Movements, 47. So nannten ihn etwa für das Jahr 1905 H. A. Donald, Dirigent der West Ham Philharmonic Society (Prélude), und Ernest Walker („the slow movement of Debussy’s string quartet in G minor“) sowie 1908 der Pianist Frank Merrick (L’isle joyeuse) und der in Newcastle aktive W. G. Whittaker („The possibilities of the “new paths” as foreshadowed by some of the modern French writers – Debussy, Rowel [sic], etc.“). The Musical Herald, 1.1.1906, 8f., und 1.1.1909, 8. 733 Evans, Translator’s Preface, x–xvi. „I could imagine some rare music which would be ‘a little new of the ever old,’ and that would be more subtile, more delicately-shaded, less ‘literary’ and imitative than any we already knew; a music that would transmute what is ‘invisible’ in nature, that would be less conventional than either classic or romantic music, and consequently simpler in its weaving of sounds as sound, and not as fixed notes of a pre-determined arbitrary scale.“ Liebich, An Englishwoman’s Memories of Debussy, 250. 734 So berichtete sein Schüler Arthur Benjamin im Rückblick: „He was bigoted in his dislikes – in his antipathy towards Elgar and still more towards Debussy and Ravel. [...] Yet he included their works in College programmes.“ Benjamin, A Student in Kensington, 201. Siehe zu Stanfords eklektischen Orchesterprogrammen im Royal College of Music Wright, The Royal College of Music, 83–90 und 11f. 735 Watson, York Bowen, 15. Bowen hatte Mackenzies Vortrag an der Royal Institution im Januar 1907 am Klavier illustriert (siehe Anm. 673). Siehe zum Verbot Ravels Anm. 494. 736 Gilman, Claude Debussy, Poet and Dreamer, in: The Music of To-morrow and Other Studies, 16– 46, hier 18; Liebich, Claude-Achille Debussy, 29. Möglicherweise griff Liebich auf den im November 1906 erschienenen Zeitungsartikel Gilmans zurück. Dieser hatte wohl den frankophilen Amerikaner Charles Martin Loeffler im Hinterkopf, dem er seine Essaysammlung auch widmete (siehe zu Loeffler und Fauré Anm. 248). 732

230

„A splash of Gallic red“: Die Debatte über eine englische Nationalmusik

russischen (Tschaikowski), aber kaum französischen Einflüssen geprägt, während sich die Jüngsten diesen zu öffnen begännen.737 Auch französische Kritiker beschrieben später im Rückblick solche Bezüge.738 Eine Bemerkung von Arnold Bax, der 1904 eines übermäßigen Debussy-Studiums bezichtigt wurde, ohne je dessen Musik gehört zu haben, zeigt jedoch, dass auch nur vage, zufällige Anklänge als Einfluss missverstanden werden konnten.739 Wurde gegenüber Bax noch ein Vorwurf formuliert, demonstrierte es das gestiegene Ansehen der französischen Musik, dass ihre Wirkung nur wenige Jahre später als positiv beschrieben wurde.740 Zwischen zeitgenössischen französischen und einer Gruppe junger englischer Komponisten erkannte ein weiterer Kritiker 1912 „an unmistakable entente cordiale“; seit der Ankunft Debussys würden letztere dem „new gospel of liberation from academic pedantry“ lauschen.741 Mithilfe des politischen Schlagworts der Entente verknüpfte auch de Lara die Musik beider Länder gegen einen gemeinsamen Antagonisten: die moderne deutsche Musik.742 Die hitzige Diskussion über die Bewertung des Einflusses, den die moderne französische Musik mittlerweile unbestritten ausübte, war ein zentraler Strang der Grundsatzdebatte über die Ausrichtung der englischen Musik. Stimmten praktisch alle Diskutanten noch darin überein, dass diese einen wie auch immer gearteten englischen bzw. nationalen Charakter anstreben sollte, gab es widerstreitende Meinungen, inwiefern ein solcher durch die neuen Vorbilder befördert oder behindert würde. Die diversen Haltungen lassen sich drei prinzipiellen Positionen zuordnen, die hier konkret aus der Sichtweise auf das Modell Frankreich entwickelt werden und nicht anstreben, den gesamten Nationalmusikdiskurs abzubilden: Die ‚isolationistische‘ Position verortete die Grundpfeiler der (bzw. einer künftigen) englischen Schule allein auf der Insel und bewertete fremde Einflüsse tendenziell als schädlich. Im Gegensatz dazu warb die ‚kosmopolitische‘ Position für den Blick über die Grenzen, ging aber dahingehend mit der ersten konform, dass sie einen essenzialistischen, weitgehend homogenen Charakter der englischen ‚Rasse‘ und Nation voraussetzte. 737

„Mais Debussy, certainement a ses disciples et même ses imitateurs. On les trouve naturellement parmi les plus jeunes de nos compositeurs.“ Chassé, La musique anglaise moderne, 559. 738 Vuillermoz machte bei Bantock, Vaughan Williams, Bridge und Goossens den Einfluss Debussys und Ravels aus. Vuillermoz, Histoire de la musique, 485. Einen ähnlichen Eindruck gewann Samazeuilh, der Jean-Aubrys Rolle bei der Förderung englischer Musik in Frankreich hervorb. Er postulierte, dass sich Bridge in seiner Kammermusik (wohl der späteren) vom deutschen Einfluss löse. Samazeuilh, Musiciens de mon temps, 364f. Vgl. auch die Porträts von 1952 in Cooper, Les musiciens anglais d’aujourd’hui. 739 Ein Kritiker ließ sich nach einer Aufführung aus A Celtic Song Cycle (1904) zu dieser Zurechtweisung hinreißen. Bax, Farewell, My Youth, 22. 740 „We English, as represented by our younger composers, have assimilated, without understanding in some cases, much of its [the modern French school’s] main virtues.“ G. H. C. [George H. Clutsam], Concerning Debussy, in: The Observer, 28.2.1909, 5. 741 Siehe die unsignierte, zweitteilige Besprechung verschiedener neuer Werke „French Music. The New School“, in: The Daily Telegraph, 3.8.1912, 13, und 10.8.1912, 15. 742 „British and French composers, he [de Lara] said, had at any rate one characteristic in common, and that was a mutual horror of exaggeration.“ The Daily Telegraph, 5.1.1918, 3. Siehe zu de Lara Kapitel 3.3.

231

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

Die dritte, ‚nationalismusskeptische‘ Position löste sich von dieser Vorstellung und wandte sich gegen die vereinheitlichenden Tendenzen einer (objektiv) englischen Musik. Vielmehr sollten Komponisten auf individuelle Art und Weise zu einem angemessenen subjektiven Ausdruck ihres englischen Charakters finden.

Folksong und Tudor-Musik: Isolationisten Much of the music which had been referred to was in opposition to our national character. We might appreciate its temperamental, imaginative, and idealistic proclivities, the cultivation of which must always make for progress, but there was much in this exotic which was not a desirable importation into our own music, and which could hardly be recommended for imitation on the part of our younger musicians (applause).743

Mit seinem Vortrag über moderne französische Musik bei der Royal Institution 1907 erkannte Mackenzie einerseits an, dass diese (gerade Franck und die Gruppe um d’Indy) beachtenswerte Entwicklungen hervorgebracht hatte, andererseits ließ er klar erkennen, dass die jüngsten Produkte der ‚impressionistischen Schule‘ aus seiner Sicht kaum ernstzunehmen seien. Die Nennung einiger Titel von Klavierstücken wie „Sad Birds“ rief beim Publikum Gelächter hervor. Insbesondere postulierte er zum Abschluss unmissverständlich, dass die behandelte Musik im Gegensatz zum englischen Nationalcharakter stehe und sie deshalb kaum zur Nachahmung empfohlen werden könne. Bei einem weiteren Vortrag bei der Royal Institution im Juni 1916 über The Revival of Chamber Music kam Mackenzie auf das Thema Nationalismus in der Musik zurück und bedauerte das grundsätzlichere Problem, dass seine Landsmänner sich seit langer Zeit stetig wechselnde fremde Modelle einzuverleiben pflegten.744 Skeptisch zeigte er sich gerade gegenüber den jüngeren Entwicklungen der Kammermusik, den Fokus vom musikalischen Gehalt der Ideen auf die Wirkung instrumentaler Effekte zu lenken. Auch wenn er sich dabei auf das vorgetragene zweite Phantasy Quartet von Waldo Warner bezog (das Cobbett mit französischem Einfluss verknüpfte), ließen sich dabei nationale Zuschreibungen mitdenken – deutsch: musikalischer Gehalt, französisch: instrumentale Effekte.745 Als Lösung für das Problem der Nachahmung fremder Modelle schwebte 743

The Musical Herald, 1.3.1907, 75. Siehe auch Anm. 673. „Well, we are not all Purcells, and the easy habit of imitation, the faculty of assimilating the modes of expression, the styles peculiar to other nations have certainly not diminished during the progress of the years. In turn Handelian, Mendelssohnian, Wagnerian, Gounodian, etc., now Debussy-Ravelian, there always has been a vogue so to speak ‘on tap’ and a constant relay of native drinking cups held under it.“ Zit. nach dem ausführlichen Bericht von Cobbett, Obiter Dicta, 3. 745 „Nor may I stop to enquire whether the musical value of the ideas, surely of first essential importance, may not deteriorate under the undue emphasis which is occasionally being laid upon instrumental technique.“ Zit. nach ebd., 2f. Vgl. den Artikel in Cobbett’s Cyclopedic Survey Cobbett, Warner, 567. ‚Effekthascherei‘ wurde etwa Ravels Streichquartett anfangs oft vorgeworfen. 744

232

„A splash of Gallic red“: Die Debatte über eine englische Nationalmusik

Mackenzie das Studium des einheimischen Volksliedguts (Folksong) vor, wobei er Cobbetts jüngsten Wettbewerb von Folk-Song Phantasies lobend hervorhob.746 Aus Sicht der ‚Isolationisten‘ wurde der mittlerweile einhellig abgelehnte ‚BrahmsKult‘ von einem ebenso wenig wünschenswerten ‚Debussy-Kult‘ abgelöst, der weiterhin der Originalität englischer Komponisten entgegenstehe. Neben dem urtümlichen Liedgut verwiesen die Vertreter dieser Position oft auf die englische Musik des 16. und 17. Jahrhunderts als modellhaftes Beispiel eines unverfälschten Ausdrucks nationaler Charakteristika. Einer solchen Argumentation eines anonymen Komponisten hielt ein ebenfalls anonymer Kritiker jedoch entgegen, dass Purcell schamlos italienische und französische Modelle verarbeitet und auch etwa Parry nicht bewusst ‚national‘ komponiert habe. Vielmehr seien beide Teil ihrer Lebenswelt gewesen und hätten gelernt, sich selbst auszudrücken, weshalb man ihre Musik als unzweifelhaft britisch wahrnehme.747 Für eine enge Verbindung zwischen Kunst und der Lebenswelt des Volkes plädierte auch Vaughan Williams: Ausweislich seiner oft kurzen und argumentativ zugespitzten Artikel dieser Zeit ist auch er der Gruppe der isolationistischen musikalischen Nationalisten zuzuordnen. Wenngleich als Komponist alles andere als ignorant gegenüber den kontinentalen Entwicklungen, polemisierte er gegen Brahms-, Tschaikowski-, Debussyund Strawinsky-Imitate seiner Zeitgenossen und forderte, eine wahrhaft englische Musik müsse aus genuin englischen Quellen schöpfen, deren fruchtbarste der Folksong böte.748 Wie es bei Mackenzie schon anklang – nicht jedoch bei Vaughan Williams –, war die isolationistische Position häufig mit einer reaktionären Ablehnung jüngerer kompositorischer Techniken verknüpft. Der seit 1888 als Kompositionsprofessor an der Royal Academy of Music tätige Frederick Corder hatte seinen Studenten stets eine eklektische Bandbreite an progressiven, insbesondere wagnerianischen Modellen eröffnet, doch nahm er ähnlich wie sein Schüler Holbrooke (der sich zur Frage der Nachahmung nicht explizit äußerte und seinen Fokus auf die strukturellen Bedingungen richtete) zunehmend eine von Verbitterung geprägte Perspektive auf die Situation und wahrgenommene Vernachlässigung der englischen Musik ein. Für Corder lag die Rettung im Rückzug auf einen unverfälschten englischen Stil, wie ihn die Vergangenheit aufzeige.749 746

„An attempt to beget a native art out of our own racial characteristics, founded exlusively upon a good store of folk tune, may appear at first blush like starting on the lowest rung of [t]he ladder again, like a return to first principles. But if it helps, in however small a degree, to turn our thoughts in a homeward direction, and check the denationalization at present in unwelcome operation, then it will serve a good purpose.“ Zit. nach Cobbett, Obiter Dicta, 4. 747 Some Reflections of a Native Composer, in: The Musical Times, 1.1.1915, 11–15, hier 13; ‘A Critic’, Reflections Refracted: A Reply to ‘A Native Composer’, in: The Musical Times, 1.2.1915, 74–77, hier 75. 748 Siehe exemplarisch die Artikel Who Wants the English Composer? (Royal College of Music Magazine, 1912) und British Music (vierteilig, The Music Student, 1914), beide abgedruckt in: Vaughan Williams, Vaughan Williams on Music, 39–56. Siehe für seinen Ratschlag zur Eigenständigkeit an Goossens Anm. 1037. Vgl. die Übersicht seines Engagements bei Manning, The Public Figure; zum Kontext des musikalischen Nationalismus und dessen Einfluss auf die Rezeption des Komponisten Frogley, Constructing Englishness in Music. 749 „Our younger ones are in the experimental stage, and, finding that Debussy and Stravinsky are

233

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

Die frühe Klaviersonate (1905) seines Schülers Dale bezeichnete er rückblickend als „noble example of a new and sane English art, which owes as little as may be to that of the turgid modern German, the meretricious modern French, and the flimsy modern Russian.“750 Bei einer Passage hob er hervor, sie zeige „not the faintest tendency to extravagance, or what is called modernism – that foolish and offensive employment of discords as concords which the younger French writers affect.“751 Diese Bemerkung illustrierte die vereinfachende, aber gängige Vorstellung, bestimmte fortschrittliche Mittel mit französischer Musik zu verknüpfen: Benutze etwa ein junger englischer Komponist die Ganztonleiter, werde er sofort und zu Unrecht der Nachahmung französischer Methoden bezichtigt, bedauerte Evans mehrfach (siehe auch unten).752 Demselben Fehlschluss erlag Stanford bei seinen Schülern, wie Bliss berichtete.753 Doch nicht nur aus reaktionärer Perspektive konnte der französische Einfluss skeptisch bewertet werden. So argumentierte der junge William Denis Browne 1913 ästhetisch gegen die einseitig harmonische Konstruktionsweise bei Debussy und anderen, der englische Komponisten aufgrund der auf Harmonik zentrierten Ausbildung im 19. Jahrhundert leicht zum Opfer gefallen seien.754 Der germanophile Kritiker Gerald Cumberland attackierte 1920 die junge und selbstbewusste ‚englische Schule‘ supposed to be the fashion, make frequent and futile attempts to be ‚futuristic‘ on these lines – with conspicuous ill-success, I am glad to say. For nothing can save us unless we stick to our national style – the style of Purcell, Arne, Macfarren, and Sullivan.“ Corder, Some Plain Words, 9. Vgl. zu diesem Artikel von 1918 Hannam, The Enemy Within. Noch 1912 hatte Corder in einem Leserbrief erklärt, dass die Nachahmung Strauss’ und Debussys bei jungen Komponisten eine völlig natürliche Phase sei. The Musical Times, 1.3.1912, 172. 750 Corder, Dale’s Pianoforte Sonata, 167. Als Gründer dieser „sane English art“ nannte er seine Professorenkollegen Mackenzie und McEwen. In der jüngeren Forschung wurde Dales Sonate ganz im Gegensatz zu Corders Postulat mit dem Einfluss etwa Liszts, Wagners und Strauss’ verknüpft. Hardy, The British Piano Sonata, 42f. 751 Ebd., 165. 752 In einer kurzen Rede bei de Laras War Emergency Entertainments sprach Evans auch von „‚independence‘ as a high ideal for British composers“. The Daily Telegraph, 6.1.1917, 5. 1914 hatte er angemerkt, die in England neuerdings auf Interesse stoßende Ganztonleiter sei bereits längst veraltet. Evans, British Music, 372. 753 „How well I remember the savage delight with which our master [Stanford] would rend us as imitators of Debussy, if we innocently placed three major thirds in succession. No matter what the mood, no matter what the context, those little thirds did the trick; we were thereafter followers of Debussy.“ Bliss selbst war der Ansicht, mit Debussy sei auch die Ganztonleiter als Grundlage einer Tonalität („a personal cliché“) gestorben. Bliss, Some Aspects of the Present Musical Situation (Vortrag bei der Musical Association, 1923), in: Bliss on Music, 33–42, hier 41. 754 „Debussy and others were experimenting with harmony for its own sake, and writing music which depended for its effect solely on the juxtaposition of unresolved discords. Strauss was working on somewhat similar lines in Germany, Puccini in Italy. It was not surprising that young British composers, tired of Brahms and estranged from counter point, should fall an easy prey to music which was both easier (when you had your models) and more exciting to produce than dry fugues and sonatas. They did indeed fall an easy prey, and some of them, like Cyril Scott, have not yet struggled out of the toils.“ Browne, Georgian Music, 64. Vgl. Banfield, Sensibility and English Song, Vol. 1, 106f.

234

„A splash of Gallic red“: Die Debatte über eine englische Nationalmusik

um Scott, Goossens oder Ireland und warf ihr blinde Verehrung der Franzosen und Russen und einen Kult reiner „cleverness“ bei gleichzeitiger Abwendung von jeglicher Emotionalität vor.755 Dieser Angriff stand für die neue Kluft zwischen dem älteren modern, dem grundsätzlich ‚teutonischen‘ Stil der Generation Elgars, und dem experimentelleren modernist (oder, wie bei Corder abwertend, futuristic), wie ihn Schönberg, Debussy oder Strawinsky repräsentierten.756

„Not the method, but the motives“: Kosmopoliten Die kosmopolitische, frankophile Partei vertrat in der Debatte über die jungen Franzosen eine Gegenposition zu den ‚Isolationisten‘ (siehe auch die biographischen Abrisse in Kapitel 4.1). Zwar teilte sie gleichzeitig einige deren wichtigster Ansichten über die Lage der englischen Musik: Auch sie propagierte den Ausdruck eines nationalen Charakters und damit einhergehend die Emanzipation von fremden Modellen, insbesondere den zunehmend als dekadent wahrgenommenen deutschen. Doch vom Weg zur Unabhängigkeit hatte sie divergierende Vorstellungen und wandte sich gegen die Fokussierung auf ‚Folksong Movement‘ und ‚Tudor Revival‘. Wie bereits angesprochen, war es nach 1900 zunächst die russische Musik, deren jüngere Entwicklung mit anti-akademischen und nationalistischen Tendenzen wiederholt als wünschenswertes Vorbild für die englische genannt wurde, auch von Newmarch.757 Dazu trat, im Zuge ihrer Einführung in das Konzertrepertoire und durch begleitende Artikel und Vorträge, bald die moderne französische Musik, allerdings nicht als konkretes kompositorisches Modell, sondern als Vorbild einer mentalen Grundhaltung. Der vielseitig tätige französische Autor Jean-Aubry propagierte die junge künstlerische Bewegung seiner Heimat als Vorbild für verschiedene Nationen in deren Streben nach (Wieder-)Erlangung eines authentisch nationalen Ausdrucks. Im Rückblick auf die intensivierte Rezeption französischen Repertoires formulierte er 1909 zum ersten Mal dieselbe Hoffnung für England.758 In einem weiteren Überblick bekräftigte er 1916 diese Verbindung: Nirgendwo anders bringe man seinen Landsleuten solche Sympathie 755

„Not a school founded on folk-song, of course, but, nevertheless, a school so militantly British, so militarily British, that its members will listen to no music that is no Allied music. [...] In these experiments to found a British school by making France and Russia their spiritual homes, our young composers began by throwing sentiment to the winds.“ Cumberland, The Bane of Cleverness, 16f. 756 Maw, ‘Phantasy mania’, 105. Vgl. zu beiden Begriffen McGuire, Elgar: “Modern” or “Modernist?”. 757 Bei Newmarch war diese Propagierung ebenfalls mit einer ablehnenden Haltung gegenüber der modernen deutschen Musik verknüpft. Später erkannte sie in Sibelius ein wegweisendes Modell für musikalischen Nationalismus. Vgl. Bullock, Newmarch and Russian Music, 45–67. 758 „[...] et peut-être l’ouverture d’une ère d’influence musicale française souhaitable à certains égards car elle pourra vraisemblablement contribuer à restituer à l’Angleterre une dignité et une personnalité musicales qu’elle posséda il y a quatre siècles.“ Jean-Aubry, Debussy et la musique française moderne en Angleterre, 262.

235

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

entgegen. Zwar habe sich deren Einfluss („l’effet esthétique“) noch nicht so bemerkbar gemacht wie etwa in Spanien, doch seien die englischen Komponisten, die am stärksten von den nationalen Bedürfnissen überzeugt waren, zugleich die mit der größten Begeisterung für die französische Musik.759 Gleichzeitig erkannte er, wiederum sein Heimatland als Vorbild nehmend, auch im Volkslied und älterer Musik Quellen für die Zukunft englischer Musik.760 Jean-Aubry betrachtete sich in der Debatte nicht als befangen, sondern stilisierte sich als bescheidenen Berater, dessen Erfahrungen aus anderen Ländern potenziell dienlich sein könnten. So wandte er sich 1918 gegen Corders pessimistische Perspektive auf die gegenwärtige Situation in England und beschrieb zwei mögliche Wege: Statt einer protektionistischen „splendid isolation“ plädierte er für die Auseinandersetzung mit den kontinentalen Entwicklungen, einen künstlerischen internationalen Freihandel und die Aufnahme fremder Ideen „in a national spirit“. Die Vorwürfe von bloßer Imitation gründeten aus seiner Sicht auf mangelnder Kenntnis der kontinentalen Entwicklungen: There are in England a certain number of people who are always complaining of the ‘Debussyism,’ ‘Ravelism,’ or ‘Stravinskyism’ of young English composers, where we of the Continent, accustomed to the work of these masters, hardly find a trace of resemblance. For some people, a composer who has given up the beaten track of Beethoven and Brahms at once becomes a ‘Debussyite’ or a ‘futurist.’761

Corders Replik brachte die Divergenzen beider Positionen auf den Punkt: Gerade dieser Freihandel habe die englische Musik lange genug beeinträchtigt.762 Evans vertrat die gleiche Sichtweise wie Jean-Aubry und entwickelte eine systematische Theorie über den Nationalismus als eine der Grundlagen der Musik des 20. Jahrhunderts. Im Vorwort zur Übersetzung der Aufsatzsammlung seines Kollegen formulierte er 1919: Like the Russian Nationalist movement which preceded it, but from which it differed in some essential particulars, this movement [which has restored to France a characteristic mode of musical expression after an era of Rossini and Meyerbeer] should be of engrossing interest to all those who wish to see English music set free from the influences which have so long obstructed its true progress. Of course it is not the method, but the motives, of the French composers which should furnish the example where one is needed. It is not by 759

Jean-Aubry, La musique française en Angleterre, 535f. und 552. Vgl. auch in der englischen Übersetzung ders., French Music of To-day, 237 und 257f. Vgl. auch die Darstellung der englischen Musikgeschichte bei ders., La musique anglaise actuelle; ders., British Music Through French Eyes. Wie Calvocoressi (siehe Anm. 576) betonte er die Parallelen beider Länder in der Dominierung durch ein fremdes Idiom in großen Teilen des 19. Jahrhunderts. Siehe Anm. 613 zum „French spirit“, der einen freien Austausch nahelege. 760 Jean-Aubry, The French Musical Renaissance, 286. 761 Jean-Aubry, The Musical Situation in England, 114f. 762 Corder, Concerning ‘Some Plain Words.’ Corder vermisste vor allem im Gegenzug die offene Aufnahme englischer Musik im Ausland (etwa Paris). Siehe zu Guérittes Klarstellung Anm. 579.

236

„A splash of Gallic red“: Die Debatte über eine englische Nationalmusik

adding this or that technical device to the musician’s vocabulary that freedom of expression is to be obtained. There has already been far too much assimilation of features which are purely external to French music. Neither does a set purpose of conscious revolution promise the best results. Independence does not consist in mere negation; it is a positive quality, but it rests ultimately on the responsibility of the artist and on that alone.763

Aus Evans’ Perspektive gründete der hohe Rang, den die moderne französische Schule in Europa eingenommen habe, in erster Linie auf deren Verdienst, einen adäquaten Ausdruck der eigenen ‚rassischen‘ Grundzüge gefunden zu haben. Dies sei im Gegensatz zu Russland unter fast völligem Verzicht auf explizite nationale Elemente wie Volkslieder und ältere Klassiker gelungen, wenngleich die französische Musik des 18. Jahrhunderts bereits einen ähnlich authentischen Ausdruck erreicht hätte. Eine intensive Auseinandersetzung mit parallelen Entwicklungen in Literatur und Malerei habe diese Form eines subtileren Nationalismus befördert.764 Dieses Verdienst legitimierte die Vorbildfunktion für die englische Musik, die in einer ähnlichen Situation (dem Kampf gegen dominierende „parasitäre“, also der eigenen Mentalität zuwiderlaufende Elemente) dasselbe Ziel anstrebe: eigenständigen musikalischen Ausdruck.765 Im 19. Jahrhundert habe die Übermacht der deutschen Instrumentalmusik in Europa dafür gesorgt, dass der für die Entwicklung der Kunst nötige internationale Austausch praktisch zum Erliegen gekommen sei.766 Nationalismus sei in diesem Kontext ein Mittel gewesen, mit dessen Hilfe verschiedene Länder um ihre Unabhängigkeit von dem einheitlichen deutschen Modell gerungen hätten. Smetana und Dvořák hingegen hätten sich damit begnügt, einheimisches Material in das deutsche Modell zu zwingen.767 Der „Folksongkult“ sei ein weiteres solches Mittel zum Zweck, dessen Eignung allerdings diskutabel sei: Zumindest beinhalteten Lieder potenziell mehr Elemente eines verschütteten Nationalcharakters als alte Musik.768 Unabhängig von ihrem Einsatz als 763

Evans, Translator’s Preface, xiiif. Diese Punkte entwickelte Evans bereits ausführlich in seinem Vortrag für die Musical Association 1910. Evans, French Music of To-day. Vgl. auch die Kurzfassung bei Anm. 712. Der Unterscheidung zwischen „thematic“ (etwa mit Folksonganleihen) und „stylistic nationalism“ bediente sich noch 1971 Rollo Myers, der bereits vor dem Ersten Weltkrieg als junger Mann Vorträge von Evans gehört hatte. Myers, Modern French Music, 9 (Kapitel „Music and Nationality“). 765 „The problem of the French was to purge their music of parasitical elements, not so much because their origin was foreign in the geographical sense as because they were unsuited to reflect the French mentality, and our own problem is the same in an aggravated form, because the parasitical elements have held longer and more complete sway over our music.“ Evans, Translator’s Preface, vxiii. 766 Evans, French Music of To-day, 48. Dabei wandte sich Evans nicht grundsätzlich gegen deutsche Musik, sondern nur gegen eine ungesunde Form von Einförmigkeit. Zudem entwickelte er seine Position bereits lange vor dem Ersten Weltkrieg und ohne politische Implikationen. 767 Cobbett formulierte, der Schotte McEwen habe in Kammermusik „a vehicle for the expression of musical idealism tinged with national feeling“ gefunden – auch dies wäre aus Evans’ Sicht eben keine ‚echte‘ schottische Musik. Ergänzung des Herausgebers Cobbett zu Dyke, McEwen, 107. 768 Siehe zur Vortragsreihe von 1917 Evans, The Foundations of Twentieth Century Music, 349. 764

237

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

(temporäre) Grundlage einer nationalen Schule bestritt Evans den Wert von Volksliedern nicht und hielt mehrere Vorträge zum französischen Liedgut.769 Die Propagatoren des englischen Folksong mussten es fast als Provokation auffassen, dass Evans vier befreundeten Komponisten (Bax, Bridge, Ireland und Goossens) die Anregung gab, ausgerechnet über ein französisches Lied (Cadet Rousselle) gemeinsam Variationen für Sopran und Klavier zu verfassen.770 Evans stellte dieselbe Diagnose wie die ‚Isolationisten‘, wenn er 1914 in einem ernüchterten Rückblick auf die ausbleibende Weiterentwicklung zuvor vielversprechender junger Namen konstatierte, der englische Komponist kleide sich immer noch in die abgetragenen Kleider Brahms’ oder Wagners, ausgebessert mit Flicken Tschaikowskis und Knöpfen Debussys. Doch in der Abschottung erkannte er nicht die Lösung, sondern die Ursache dieses Mangels: Gegen den Provinzialismus und die fehlende Neugier für breitere kulturelle Strömungen sowie die technische Rückständigkeit verordnete er einen Blick über die Grenzen, um eine Emanzipation hin zum Ausdruck eines subtilen Nationalismus zu erreichen.771 Evans versuchte auch, konkrete Merkmale einer ‚authentisch englischen‘ modernen Musik zumindest näherungsweise in Worte zu fassen: Diese müsse sich zwangsläufig von dem „logical thematic development established by the German classics“ (der ‚motivisch-thematischen Arbeit‘) lösen, da der englischen Mentalität direkte Aussagen näher lägen als diskursive Referate.772 Seiner Position treu bleibend, propagierte Evans aber auch zu keinem Zeitpunkt die Übernahme von konkreten kompositorischen Techniken aus der französischen Musik und spielte entsprechende Anmutungen herunter (siehe zu Ireland bzw. Vaughan Williams Anm. 930 und 1063).773 Dabei offenbarten sich divergierende Sichtweisen auf das Phänomen der Nachahmung. Schon in seiner ersten Artikelreihe zur englischen Musik 1903 hatte er sich gegen die gängigen Verurteilungen der jungen Namen als 769

Siehe Anm. 691. Evans’ Vortrag Ende 1917 veranlasste den Kritiker der Times zu grundsätzlichen Überlegungen zum nationalen Charakter des englischen Folksong. The Times, 1.12.1917, 11. 770 Craggs, Ireland: A Catalogue, 62. Es liegt nahe, Evans’ Inspiration hierfür bei einer ähnlichen Kollaboration von zehn Komponisten des Zirkels um Beljajew für Variationen über ein russisches Volkslied für Streichquartett (1899) zu vermuten. Evans, A Plea for Intimate Music, 32. 771 Evans, British Music. Der Artikel in The New Age richtete sich vor allem gegen den darin erneut mit monotonen Klagen hervortretenden Holbrooke. Vgl. auch den Bezug auf Russland und Frankreich ein Jahr später bei Evans, The Emancipation of Music, 180f. 772 „Directness of purpose, a sentiment that occasionally savours of the ingenuous, combined with a reticence that frequently causes it to be misunderstood abroad, an open-air vigour, and a latent sense of fun, not often disclosed but seldom far distant, these are the features that one may expect to find in representative modern British music.“ Evans, Modern British Composers. Introductory Article, 11. Als Beispiele nannte er in Ansätzen Elgars Musik (Enigma-Variationen, Cockaigne-Ouvertüre) und Irelands zweite Violinsonate a-Moll. 773 Dasselbe galt für Jean-Aubry: „I do not for my part see the good of young English composers going on copying slavishly Debussy’s or Ravel’s methods; very little would be gained if the yoke of Brahms were shaken off only to exchange it for that of another.“ Jean-Aubry, British Music Through French Eyes, 204. Siehe S. 297f. zu Scott.

238

„A splash of Gallic red“: Die Debatte über eine englische Nationalmusik

bloße Imitatoren gewandt, denn es gehöre zur normalen Entwicklung, sich Werkzeuge aus dem Instrumentarium der großen Komponisten anzueignen, solange Originalität erkennbar bleibe.774 In Reaktion auf die schwelende Kontroverse mit Newman (siehe unten) kam er 1917 auf das aus seiner Sicht übliche Missverständnis zurück: Das gewichtigere, weil verbreitetere Problem sei nicht die Nachahmung Debussys und anderer Moderner (außerdem gebe es keine Plagiate in der Verwendung neuer Mittel, so funktioniere Fortschritt), sondern jene der deutschen Methoden (wie des Prinzips der Durchführung), die allerdings im allgemeinen Bewusstsein derart verankert seien, dass ihre dem englischen Charakter widersprechende Übernahme nicht als solche erkannt werde.775 Evans berief sich dabei auch auf einen Kommentar Guérittes anlässlich der skeptischen Aufnahme englischer Musik in Paris: It cannot be denied that France has been more enterprising than Great Britain in her exploration of the unbeaten tracks of the music world; French ears have grown accustomed to more unconventional idioms, and, in short, have acquired a taste for what I may call, for want of a better term, modern music. Works from a number of your [English] younger men will appeal to French ears and brains; those works are sometimes reproached here with being unduly under the influence of French works, but French ears detect quite well an accent and a spirit in them which is not French but British. Some of the older works would fall flat before a French audience (it has happened before), and score a mere succès d’estime. The fact is that to a French ear they sound hardly like English music, for German influence is throughout felt too much. They might as well have been written in Germany as in England.776

Robin H. Legge vom Daily Telegraph war ein weiterer Wortführer der Entente: Jenseits der Frage kompositorischer Modelle propagierte er Frankreichs staatliche Kulturförderung als Vorbild für England, das für eine angemessene Verbreitung der eigenen Produktion auch im Ausland auf eine konzertierte Aktion angewiesen sei.777 Auf mehreren Programmheften von All-British Concerts im Rahmen von de Laras War Emergency Entertainments wurde 1916 die Forderung abgedruckt „Wanted – A Minister of Fine Arts!“. Im gleichen Jahr referierte der umtriebige Veranstalter über „The Urgent Necessity of State Protection for British Art“, denn aufgrund einer solchen habe Frankreich in der Kunst die Führung übernommen.778 Auch Jean-Aubry regte die Gründung einer „National Society of British Music“ in Anlehnung an die französische Société nationale de musique an.779 Diese Idee griff Calvocoressi 1922 auf, er befürwortete vor allem die regelmäßige Aufführung neuer Werke, 774

Evans, Modern British Composers. I., in: The Musical Standard, 23.5.1903, 322. Er wiederholte diesen Punkt in Erwiderung auf die Kritik Runcimans. The Musical Standard, 12.12.1903, 371. 775 Evans, Musical Notes. 776 Brief von Guéritte an Legge, zit. nach Legge, As Others See Us, 4. Siehe auch Anm. 580. 777 The Daily Telegraph, 18.11.1916, 4. 778 Programmhefte im Fonds Joseph Jongen; The Daily Telegraph, 22.9.1916, 11. Bei de Laras französischen Konzerten fungierte der französische Minister als Schirmherr (siehe Kapitel 3.3). 779 The Daily Telegraph, 8.12.1916, 6. Siehe zu Jean-Aubrys Rede bei einem Konzert de Laras Anm. 551.

239

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

was kein Schwerpunkt der 1918 gegründeten British Music Society war.780 Dagegen zeigte sich Evans skeptisch gegenüber einem (womöglich Konformismus fördernden) Kunstministerium, ebenso wie Beecham einer staatlichen Protektion die mäzenatische Förderung nach amerikanischem Vorbild vorzog.781

Englisch, nicht national: Nationalismusskeptiker Kein Autor bezog so beharrlich Stellung gegen die anglo-französische Clique, als die er Jean-Aubry, Evans und deren Gefolgsmänner ansah, wie Newman. Auch er hatte bei der ‚jungen Schule‘ bereits um die Jahrhundertwende eine genuin englische Musik identifiziert und angesichts der Werke Elgars und Bantocks die Zeit der Nachahmung für beendet erklärt.782 Nichtsdestoweniger entwickelte er sich in der Folge zu einem der scharfzüngigsten Kritiker des auf breiter Ebene propagierten Projekts eines nationalen musikalischen Idioms. Er wandte sich gegen die von ‚Isolationisten‘ und ‚Kosmopoliten‘ geteilte und einen Nationalstil überhaupt erst ermöglichende essenzialistische Position, Komponisten einer ‚Rasse‘ zuzuordnen, die deren Musik determiniere. So attackierte er 1912 in einem aufsehenerregenden Artikel sowohl Parry als vordersten Vertreter des akademischen Establishments (der Mozart als Italiener bezeichne) als auch den Volksliedsammler Cecil Sharp als Personifizierung der Bewegung, die englische Musik aus den Quellen des Folksong wiederzubeleben.783 In der Ablehnung des Folksong stimmte er mit Jean-Aubry überein, den er als Autor grundsätzlich schätzte, dem er aber auch vorwarf, ein zu einseitiges, restriktives Konzept der französischen Musik zu vertreten.784 Schon zuvor hatte er vor nationalistischen Tendenzen der Franzosen gewarnt, deren historische Bedeutung er nicht leugnete, und für einen regen Austausch zwischen den Kulturen plädiert (siehe S. 217 und Anm. 676). Zugleich hob Newman den Unterschied zwischen einer von ihm abgelehnten bzw. prinzipiell aus seiner Sicht nicht zu realisierenden nationalen Musik und einer unbedingt erstrebenswerten englischen bzw. britischen hervor, die charakteristische Elemente aufweise, von denen jedoch keines einen nationalen Anspruch erheben könne. Als tendenziell konservativer und germanophiler Kritiker, der seine Bewunderung für Wagner und Strauss nie verbarg, verurteilte er die jüngsten Neigungen, Frankreichs moderne 780

Calvocoressi, There and Here, 96. Evans, Modern British Composers. Epilogue, 441; The Times, 1.7.1919, 14. 782 Newman, English Music and Musical Criticism, 742; ders., The New School of British Music. 783 Newman, The Folk-Song Fallacy. Für eine Zusammenfassung der folgenden Debatte mit Sharp siehe The Musical Times, 1.10.1912, 642f. 784 „The danger of selecting a few mental traits and elevating them to the dignity of national characteristics is that composers may feel it their duty to try to live up to them, to the damage of their own originality, which may really have quite a different orientation.“ Newman, The New French Recipe, 441. Siehe auch Anm. 616. 781

240

„A splash of Gallic red“: Die Debatte über eine englische Nationalmusik

Musik als neues Modell zu propagieren, und fürchtete, die überwunden geglaubte Unterwerfung englischer Komponisten vor der deutschen Musik auf diese Weise bloß durch eine vor der französischen zu ersetzen. Als Effekt des Krieges erkannte er allerdings an, dass das englische Publikum deutsche Musik nicht mehr wie zuvor unkritisch akzeptiere. Der Geschmack sei vielfältiger geworden und Musik nun nicht mehr die alleinige Domäne einer Nation.785 Zumindest damit lag Newman auf einer Linie mit Evans. Seinem regelmäßigen publizistischen Kontrahenten warf er vor, französische und russische Werke nicht ausgewogen zu beurteilen, sondern zu glorifizieren, und die Unterschiede zwischen französischer und englischer Mentalität zu verkennen:786 What has happened during the last twenty-five years or so in French music, resulting in giving France a great deal of music that is truly and finely her own, has been the outcome of certain forces peculiar to French civilisation and French culture as a whole. Those forces are not as vital in our culture as they are in the French, and therefore it would be as pure folly for us to think that our British musical salvation is to be found in the French medicine as it ever was to think that it was to be found in the German medicine. The new flower of English music can blossom only out of purely English soil.787

Newman verbat sich den Anspruch Jean-Aubrys (bzw. entsprechend Guérittes, siehe oben), zu entscheiden, welche Musik authentisch englisch sei, wenn der Franzose Elgars diese Eigenschaft absprach und als deutsch ansah.788 Letzten Endes zähle die individuelle Originalität des Komponisten in der Assimilierung äußerer Einflüsse, und nichts weiter als das freie Spiel von freien Persönlichkeiten gleicher Herkunft konstituiere das als ‚Nationalismus‘ firmierende Konstrukt.789 Hier hätte Evans ihm wohl zugestimmt und 785

Newman, Music in England during the War. Anlass einer besonders ausführlichen Darlegung seines Standpunkts 1918 war beider divergierende Sichtweise auf Vaughan Williams’ Liedzyklus On Wenlock Edge (1909) und die Frage, inwiefern es dem Komponisten damit gelungen war, das englische Idiom der Gedichte von A. E. Housman in Musik zu übertragen. Newman, Concerning ‘A Shropshire Lad’. Vgl. Scaife, British Music Criticism, 159–161. Eine weitere heftige Grundsatzdebatte entzündete sich 1920 an jüngsten Werken Strawinskys. Newman, Extremists versus the Rest; Evans, ‘Extremists versus the Rest’ [Leserbrief]. Noch 1925 beschrieb Evans den aus seiner Sicht absurden Anspruch germanophiler und reaktionärer Kritiker wie Newman auf alleinige Objektivität. Evans, Objectivity in Contemporary Criticism. 787 The Musical Times, 1.10.1918, 471. Die Zeitschrift druckte Auszüge aus drei Artikeln in der Birmingham Daily Post, in denen Newman seine Thesen aus oben genanntem Artikel weiterentwickelte. Ein Rezensent von Jean-Aubrys Artikelsammlung formulierte entsprechend: „Musical propaganda to-day is busier than ever; but though, despite the efforts of certain eminent critics and professors, our music is shaking off (for the process is not yet complete) the Teutonic obsession, we have no desire whatever merely to exchange it for a Russian, French, or Italian obsession.“ R. O. M., Almost Thou Persuadest Me..., in: The Athenaeum, 15.8.1919, 757. 788 Newman besprach 1922 auch Jean-Aubrys zweite Aufsatzsammlung. Newman, National Music and English Music. Siehe zum französischen Unverständnis Elgars auch Anm. 581. 789 „It is characteristic of writers of M. Jean-Aubry’s school that while they deplore the old German influence upon English music they look with an indulgent eye on the more recent French influence. The sensible view surely is that neither influence can be wholly good or wholly bad in itself; everything 786

241

Frankreichs Musik als Modell: Diskurse und Positionen

auch Newmarch, die etwa bei Sibelius die subjektive Haltung betonte, aber gleichwohl von einem nationalen Stil sprach.790 Selbst der frankophile und eng mit Evans verbundene Goossens teilte in einem Vortrag Ende 1919 prinzipiell Newmans Befürchtungen, sah die Gefahr aber als überwunden an: All new movements in art produce a crop of imitators, and it is only to be expected that with such a drastic revolution of musical speech, such as France gave birth to at the beginning of this century, many would succumb entirely to the new influence rather than profit by its teaching, and in no other country was this so apparent as in our own, where, for a short time, in our endeavours to rid ourselves of the ponderous German influences to which we were enslaved, we seemed likely to revert to the other extreme and become entirely Gallic, both in speech and manner. This fortunately did not entirely happen, and the development in power and significance of the music of Vaughan Williams is only to quote one example of how, under foreign influence, the level-headed musician can assimilate and expand, without sacrificing either the personal or the national characteristic to be found in the work of all real artists.791

Auch Calvocoressi hatte bereits vor dem Ersten Weltkrieg prinzipielle Aspekte von Nationalität und Musik diskutiert. Dabei positionierte er sich bei der Frage, ob Nationalität in der Musik überhaupt Ausdruck finde, ausdrücklich weder auf Newmans Seite noch gegen ihn, sondern ordnete ihr nur sekundäre Bedeutung zu. In jedem Fall gebe es in der modernen Musik mehrere „Schulen“ mit jeweils stark divergierenden Eigenschaften, die man „rassischen Idiosynkrasien“ zuordnen könne oder auch nicht. Allerdings spreche es für Newmans Standpunkt, dass es allein in Frankreich drei oder vier verschiedene solcher Gruppen gebe.792 Calvocoressi behandelte auch die Verwendung von Folksong in der modernen Musik (ein Brennpunkt in dem Diskurs um nationale Musik), die aus seiner objektiv-technischen Perspektive weder grundsätzlich für noch gegen den Komponisten spreche, da es auf die Methode ankomme.793 Trotz seines Interesses sowohl für die französische als auch die englische Musik blieb Calvocoressi in der Debatte um Modell und Nachahmung neutral. In den 1920er-Jahren zeichnete sich zunehmend ein auf ähnliche Art und Weise distanzierterer Blick auf musikalischen Nationalismus ab. Auch wenn die Frage eines englischen Nationalidioms virulent blieb,794 löste sich die Diskussion von polaren, einander gegenübergestellten ‚nationalen Schulen‘ (wie deutsch/französisch) als Modell, und depends upon the uses to which English composers can put it. The French influence of the last few years has been answerable for quite as much silly English music as the older German influence was for dull English music.“ Ebd., 5. 790 Newmarch, Chauvinism in Music, 115. 791 Goossens, Modern Tendencies in Music, 9f. Vgl. aber Anm. 1037 für Vaughan Williams’ und Newmans Kritik. 792 Calvocoressi, The Perplexities of the Modern Music-Lover, 160. 793 Siehe die lose verbundene Artikelreihe zu Programmmusik in The Musical Times von 1913, darunter Calvocoressi, Programme Music, Folk-Tune, and Progress; ders., Folk-Song in Modern Music. 794 Eine Art Bilanzierung seiner anhaltenden Aktivitäten nahm Vaughan Williams 1932 in einer Vortragsreihe in den USA vor, die zwei Jahre später in dem Band National Music veröffentlicht wurde.

242

„A splash of Gallic red“: Die Debatte über eine englische Nationalmusik

es traten ästhetische Gruppierungen wie Les Six oder die Komponisten der Ballets Russes um Strawinsky in den Vordergrund. Wie von Newmarch prognostiziert, kristallierte sich auch Sibelius als ein weithin respektiertes Vorbild heraus. Mit einer polemischen Ablehnung des Konzepts und der Realität einer ‚englischen Nationalmusik‘ tat sich insbesondere der eine radikale Individualität vertretende Kreis mit Philip Heseltine (der ab 1920 die Zeitschrift The Sackbut herausgab), Cecil Gray, Kaikhosru Sorabji und Constant Lambert hervor, aber auch später der junge Benjamin Britten.795 Gray sah in seiner mit praktisch allen gängigen Ansichten brechenden Darstellung der zeitgenössischen Musik 1924 die Phase der Nachahmung kontinentaler Modelle in England noch lange nicht als beendet an. Er tat Holsts Musik als mittelmäßigen Pastiche aller modernen Stile sowie Vaughan Williams als inkompetent ab und attestierte höchstens Delius und Elgar internationale Bedeutung.796 Ausgewogener und nüchterner las sich zehn Jahre später die Einschätzung des jungen Lambert. Die englische Nationalismusbewegung betrachtete er als verspäteten „special case“: Der Folksong besitze dort keine lebendige Tradition wie in Russland und es habe nie einen „echt-English“ Komponisten analog etwa Mussorgski gegeben. Die Stärke der englischen Kunst sei vielmehr stets die Aufgeschlossenheit für fremde Einflüsse gewesen, „which have been grafted on to the native plant without causing it to wither away.“797

795

Vgl. zur „Sackbut coterie“ Scaife, British Music Criticism, 223–275. In mehreren Artikeln für amerikanische Zeitschriften zeichnete Britten ein Bild von zwei Lagern: Auf der einen Seite ständen nationalistische Folksong-Anhänger (in der Nachfolge Parrys), auf der anderen Vertreter von Professionalität und Offenheit gegenüber kontinentalen Einflüssen (zuvorderst Elgar und Brittens Lehrer Bridge). Siehe etwa Britten, England and the Folk-Art Problem (1941), in: Britten on Music, 31–35. 796 „In the same way that Stanford and Parry provided us with second-hand Brahms, Cyril Scott provides us with imitation Debussy; Holbrooke and Bantock have followed Strauss, and in the music of Goossens, Bliss, and Berners we find our English Ravel, Stravinsky, and Satie.“ Gray, A Survey of Contemporary Music, 251. 797 Lambert, Music Ho!, 153 und 172f. Lambert betrachtete die Mischung aus Nationalismus und akademischer Form stark ablehnend (siehe Anm. 205).

243

5 Eine Blüte der Kammermusik: Konzertleben und englisches Repertoire

5.1 Neue Bühnen, neue Reihen: Kammermusik im Konzert, 1900–1920 It may be true that we do not to-day enjoy such a regular and comfortable succession of uniformly excellent performances, but it is also true that the Chamber Music which we do hear is generally listened to under far more favourable conditions, either in buildings more suitable in size than the old St. James’s Hall, or in the private rooms of the wealthy and the cultured, where musical entertainments on the required artistic level are far more frequently given than formerly.798

Die Popular Concerts hatten seit 1859 über fast vierzig Saisons die Londoner Musiklandschaft geprägt und bei mehr als 1500 Konzerten ein breites Publikum vor allem mit den Klassikern der Kammermusik bekannt gemacht (siehe Kapitel 1.1). Doch mit der nahenden Jahrhundertwende ließ das Interesse spürbar nach, die Abonnentenzahlen gingen zurück und angesichts der sinkenden Einnahmen wurden 1898 zuerst die ‚Monday Pops‘ unterbrochen. 1902 gab der Gründungsdirektor Arthur Chappell die Leitung der Reihe endgültig ab, und nach zwei weiteren kurzen Saisons unter dem Geiger Johann Kruse endete die Ära 1904 endgültig. In völligem Gegensatz zu dieser Entwicklung erkannten allerdings immer mehr Beobachter nach dem Ersten Weltkrieg rückblickend einen bereits ab etwa 1900 andauernden zunehmenden Aufschwung in der englischen Kammermusikproduktion und -pflege.799 Thomas Dunhill verwies zwar 1913 noch auf die verbreiteten Stimmen, die einen Niedergang beklagten und sich wehmütig an die Blütezeit der ‚Pops‘ erinnerten, doch postulierte er zugleich, dass es immer mehr Gelegenheiten gebe, Kammermusik unter intimeren und folglich angemesseneren Bedingungen zu hören. Neben den „Privaträumen der Wohlhabenden“, wie bei den öffentlichen Leighton House Chamber Concerts (1900–1917, fortgesetzt von der London Chamber Concert Society, 1918–1923) oder den privaten und informellen, aber prominent besetzten Nächten im Studio von Muriel 798

Dunhill, Chamber Music. A Treatise for Students, 8. Siehe etwa 1920 Antcliffe, The Recent Rise of Chamber Music in England; im Vergleich dazu die Darstellung von 1903 bei Cobbett, Chamber Music in London. Vgl. Seddon, British Women Composers, 41–47; und die Einleitung bei Everett, British Piano Trios, Quartets, and Quintets. 799

245

Eine Blüte der Kammermusik: Konzertleben und englisches Repertoire

Draper (siehe Anm. 536), sorgten dafür vor allem neue Säle wie die Bechstein Hall (1901 eröffnet, ab 1917 Wigmore Hall) und die Aeolian Hall (1903). Wie die ältere Steinway Hall (1875, ab 1925 Grotrian Hall) besaßen beide mit etwa 400 bis 550 Plätzen nur ein Viertel der Kapazität der 1905 abgerissenen und durch ein Hotel ersetzten St. James’s Hall. Viele der Besucher trugen gleichermaßen als aktiv musizierende Dilettanten zur aufstrebenden Kammermusik bei.800 Der 1899 gegründete, in London ansässige Oxford and Cambridge Musical Club war nur eine von zahlreichen Vereinigungen zu deren privater Förderung. Das Magazin The Strad richtete sich ab 1890 explizit an Amateure und Streicher, ebenso 1923 ein Führer durch das Repertoire.801 Das Londoner Konzertleben erfuhr in den Jahren um 1900 insgesamt eine weitere Ausdehnung: Unter den Bedingungen des freien Markts konkurrierten zahlreiche Veranstalter und Künstler mit eigenen Rezitalen um das Publikum.802 An die Stelle der ‚Pops‘ trat keine neue dominierende Reihe, sondern eine Vielzahl an Unternehmungen, teils mit der klaren Intention, in der klassischen Orientierung an das Vorbild anzuknüpfen, teils mit einem moderneren Profil, das oft die besondere Berücksichtigung von englischen Komponisten einschloss. Zur ersten Gruppe gehörten die Joachim Quartet Concerts (1901–1906), bei denen Joachims Berliner Quartett zum ersten Mal regelmäßig in London gastierte. Die Reihe stand unter der Federführung von Edward Speyer, einem wichtigen Mäzen der privaten Musikwelt und Freund Elgars (siehe zu seinem entfernten Cousin Edgar Anm. 411).803 Nach Joachims Tod wurde die Classical Concert Society (1908–1922) als Fortführung der Reihe gegründet. Speyer als Vorsitzenden des Komitees berieten bei der Programmgestaltung der Pianist Leonard Borwick (ein Schüler Clara Schumanns), Donald F. Tovey und der Australier F. S. Kelly.804 Tovey hatte bereits 1900 bei seinen Rezitalen auch 800

So beschrieb es der Bratschist Lionel Tertis: „In the England of my time the circle of the musicloving increased decade by decade, greatly influenced by the abundance of practical amateur musicians – so important to the musical profession, and now, alas, fast disappearing, owing I would say to the ease of turning a switch. Amateurs were more prolific in the 1890s than in the 1880s and greater still after the turn of the century.“ Tertis, My Viola and I, [Foreword]. Cobbett formulierte bei seiner Würdigung der South Place Concerts: „[...] thus an art supposed at one time to appeal only to an esoteric circle is proving to be the democratic art par excellence.“ Musical News, 23.11.1907, zit. nach South Place Magazine, Jan. 1908, 82. Vgl. zu Amateuren auch Bashford, Historiography and Invisible Musics; Gillett, Ambivalent Friendships. 801 Hayward, Chamber Music for Amateurs. Vgl. zum Magazin und der Hochkonjunktur von Streichinstrumenten Bashford, Hidden Agendas. 802 Siehe zu Konzertreihen Dunhill, British Performing Organizations; Tatton, English Viola Music, 27– 50. Vgl. McVeigh/Ehrlich, The Modernisation of London Concert Life; McVeigh, Building a Concert Career. Mit Leanne Langley leiteten die beiden Autoren das Forschungsprojekt The Transformation of London Concert Life, 1880–1914, aus dem noch keine Publikation zur Kammermusik hervorging. 803 Bei den ‚Pops‘ hatte Joachim nur für wenige Konzerte im Frühjahr 1897 mit seinen Berliner Kollegen zusammengespielt. Zu den Ursprüngen der Reihe, bei der Speyer einen Schwerpunkt auf die späten Quartette Beethovens legte, siehe Speyer, My Life and Friends, 184f. 804 Ebd., 195f. (mit einer Liste der engagierten Künstler); Grierson, Tovey, 124–128.

246

Neue Bühnen, neue Reihen: Kammermusik im Konzert, 1900–1920

eigene Kammermusikwerke vorgestellt. Bei der Classical Concert Society stand in den ersten Jahren fast ausschließlich deutsche Musik auf dem Programm, während der Wiederbeginn nach dem Krieg mit einer Umorientierung in Richtung zeitgenössisches, oft anglo-französisches Repertoire verbunden war.805 Die Persönlichkeit Joachims behielt gleichwohl ihre singuläre Stellung im Pantheon der englischen (Kammer-)Musikwelt bei: Sein Porträt von John Singer Sargent (1904) ziert als Frontispiz den zweiten Band von Cobbett’s Cyclopedic Survey (1930).806 Mit einem Schwerpunkt auf moderner und der Einbeziehung englischer Musik machten auch die Broadwood Concerts (1902–1912) der gleichnamigen Klavierbaufirma auf sich aufmerksam. Beim ersten Konzert gastierten Fritz Kreisler und Ernst von Dohnányi. In den Folgejahren wurde auch jungen englischen Komponisten wie Tovey, Dunhill, Cyril Scott, Henry Balfour Gardiner, Frank Bridge, John McEwen und James Friskin (jeweils mit Ensemblewerken) eine Bühne geboten.807 Bereits eine Dekade zuvor standen Namen der Vorgängergeneration wie Mackenzie, Parry, Stanford und Algernon Ashton, aber auch jüngere wie Ernest Walker, William Hurlstone, Richard H. Walthew und Joseph Speaight im Zentrum der British Chamber Music Concerts (1894–1899) unter der Leitung von Ernest Fowles.808 Der gleichwohl weiterhin unbefriedigenden Situation einheimischer Musik begegneten zwei weitere Komponisten bzw. Pianisten mit eigenen Reihen: Bei Joseph Holbrookes Modern Chamber Music Concerts (1903–1931) war dessen eigene Musik am prominentesten vertreten, daneben standen zahlreiche seiner Landsmänner sowie Zeitgenossen wie Alexander Skrjabin, Richard Strauss und Max Reger.809 Dunhill legte bei seinen Konzerten (1907–1919) den Schwerpunkt auf englische Werke, die nach ihrer Uraufführung in Vergessenheit zu geraten drohten, und war besonders mit seinem Freund John Ireland verbunden.810 805 Siehe zum neuen Profil und dem neuen Verständnis von „classics“ Anm. 561. Bereits 1910 und 1911 wurde Fauré gespielt, dessen Klavierquartette Kelly schätzte (siehe Tabelle 8 und Anm. 280). 1913 gaben Rhoda von Glehn und Jane Bathori-Engel französische Lieder (Wigmore Hall Archive). 806 Der erste Band trägt als Frontispiz ein Bild von Frank Salisbury, das eine Aufführung von Chaussons Concert mit Cobbett als Sologeiger zeigt. 807 Siehe für eine Übersicht der Konzerte bis 1910 mit Künstlern und ausgewählten Programmpunkten https://www.concertprogrammes.org.uk/html/search/verb/GetRecord/4331 (Zugriff 24.10.2021). 808 Fowles postulierte im Programmheft für seine erste Saison: „The position of native-born Chamber Music in this country is a sad, if not humiliating, one. Few writers, even when possessed by the divine spark, are brave enough to write works whose destiny, after one usually imperfect hearing, if thus so far fortunate, is the shelf. [...] Two things will at once be grasped: firstly, that there already exists a number of works written for the Chamber by British writers worthy of the highest attention, and, secondly, that there exists a band of earnest writers who only wait the call to arms to at once consecrate their genius to the cause.“ Zit. nach Everett, British Piano Trios, Quartets, and Quintets, 10. 809 Beim ersten Konzert im März 1903 in der Steinway Hall spielte Holbrooke wohl zum ersten Mal in England Skrjabins erste Klaviersonate. Siehe für eine Liste der Programme und Künstler die Broschüre Holbrooke Music Society (Hg.), The Work of a Pioneer; vgl. Lowe, Holbrooke and His Work, 25–27. 810 „The idea of making the musical public familiar with music that has been favourably received

247

Eine Blüte der Kammermusik: Konzertleben und englisches Repertoire

Abseits der Hauptstadt wurde Kammermusik natürlich auch im Rest des Landes gepflegt, nicht nur in den weiteren Zentren Manchester, Liverpool, Leeds oder Edinburgh:811 Nur ein Beispiel einer langlebigen produktiven Unternehmung ‚in the Provinces‘ stellen dabei die Konzerte von Samuel Midgley in Bradford (Yorkshire) dar. Der auch in Leipzig ausgebildete Pianist präsentierte bereits ab den 1870er-Jahren kontinuierlich englische Werke und warb erfolgreich finanzielle Unterstützung, um zwischen 1911 und 1924 bei freiem Eintritt Kammerkonzerte mit kosmopolitischem Repertoire veranstalten zu können.812 Im Gegensatz zu Holbrookes missionarischem, auch publizistisch ausgelebtem Eifer betrachtete Midgley die Lage englischer Musik nüchterner. Er wies auf den wunden Punkt der vielen Initiativen hin, nämlich die Frage, welche langfristige Wirkung die (wiederholten oder einmaligen) Aufführungen immer neuer Werke beim Publikum erzielen könnten: How to serve it [English chamber music] wisely is a very difficult problem. Zeal must be tempered with discretion; to force it on unwilling listeners serves no good purpose; to try and convince musical people that it is superior, or even equal, to the music of the great masters is only to court disaster. What can be done is to seek after the best work by English composers, to secure as perfect a performance as possible, to give it an appropriate place in a programme – and not too big a place. One considerable work for an evening should suffice, and if opportunity offers, let each novelty have at least two hearings in successive seasons. It is not fair to play it only once: a new idiom is scarcely ever properly mastered at a first performance, any more than a really novel play receives full justice on the first night. For success, rehearsal, rehearsal, and yet again rehearsal is necessary; and performance must succeed performance if an original work is to be fitly presented and appreciated.813

at its first production may not at once bear fruit in a financial sense, but the plan is one by which modern composers of the other nationalities have gained success in England. It is only necessary to point to the well-rewarded labours of the Société des Concerts Français for evidence that it is the later performances, not the first, that really make for popularity.“ The Times, 25.2.1911, 10. Vgl. [David] Dunhill, Dunhill: Maker of Music, 37–39. 811 Vgl. zu Manchester Thomason, Brodsky and His Circle; zu Leeds Demaine, Individual and Institution in the Musical Life of Leeds. 812 „The Free Chamber Concerts organized by Mr. S. Midgley again promise a programme which carefully excludes all the German classics, but forecasts many interesting things, such as Violin Sonatas by Pierné, Lekeu, Franck, Medtner, Sjögren, Cui, Walford Davies, Ireland, Trowell, Melartin, and Sinding, also Pianoforte Trios by Parry, Trowell, Rubinstein, and Dvorák.“ The Musical Times, 1.11.1918, 523. Vgl. die Memoiren Midgley, My 70 Years’ Musical Memories, 23–40. 813 Ebd., 31. Illustriert wurde die typische Skepsis eines Londoner Publikums gegenüber einheimischer Musik auch durch folgende Einleitung einer Kritik: „A small number of people were assembled in the badly-lit theatre, and all had that half-bored, half-interested expression peculiar to London audience brought together to listen to British music; faces that looked unutterable things and seemed about to say: ‘We might tell you what we think about Debussy and Scriabin, but we won’t.’“ Frederic Lamond, Some Remarks on John Ireland’s New Sonata, in: The Monthly Musical Record, Aug. 1920, 170–172, zit. nach Foreman (Hg.), Ireland Companion, 359.

248

Neue Bühnen, neue Reihen: Kammermusik im Konzert, 1900–1920

In der Tat war der breite Erfolg der auf verschiedenen Ebenen intensiv geförderten englischen Musik fraglich, wie die Protagonisten selbst einräumen mussten: Diese blieb in Konzerten das argwöhnisch beäugte ‚Andere‘. Zu den auf Orchesterwerke fokussierten, dabei Kammermusik einschließenden Unternehmungen zählte der 1903 von Ernest Palmer gestiftete Patron’s Fund am Royal College of Music mit zwei Konzerten im Jahr.814 Die 1908 ins Leben gerufene, prominent besetzte Musical League veranstaltete nur zwei Festivals, 1909 in Liverpool und 1912/13 in Birmingham. Publikationen unterstützten die im Umfeld der Royal Academy of Music gegründete Society of British Composers (1905–1918) mit der Charles Avison Edition sowie der Carnegie United Kingdom Trust mit der Carnegie Collection of British Music (1917–1928).815 Dazu kamen, neben regelmäßigen Premieren unter Henry Wood bei den Promenade Concerts, repräsentative Veranstaltungen wie die acht Konzerte Balfour Gardiners in einer Doppelrolle als Mäzen und Dirigent 1912/13 und ein dreitägiges Festival unter Thomas Beecham im Mai 1915.816 Erreichten diese alle zwar letztlich keinen (nachhaltigen) Erfolg, fungierten sie doch zumindest als Selbstvergewisserung und gewährten Komponisten die Gelegenheit, wahrgenommen zu werden. Gerade Aufführungen größerer Orchesterwerke waren eine so kostspielige Unternehmung, dass sie auf solche mäzenatischen Initiativen angewiesen waren. Demgegenüber waren Proben und Konzerte in kammermusikalischen Besetzungen leichter zu realisieren, und entsprechend kam Kammermusik insbesondere während des Ersten Weltkriegs schon aus pragmatischen Gründen eine größere Rolle zu (siehe auch Kapitel 3.3). Neben den War Emergency Entertainments von Isidore de Lara, die allein bei den englischen Konzerten 266 neue Werke präsentierten (siehe Anm. 540), traten auch junge Ensembles mit eigenen Reihen hervor. Seit etwa 1900 hatten sich zahlreiche feste Gruppierungen gegründet,817 insbesondere Streichquartette, die immer häufiger nur aus englischen und in England ausgebildeten Musikern und zunehmend Musikerinnen bestanden und nach 1914 in Abwesenheit ausländischer Künstler zwangs814

Vgl. Wright, The Royal College of Music, 93–97. Siehe für eine Liste der veröffentlichten Kammermusikwerke (darunter von Howells, Bowen, Scott und Walton) Scholes, Carnegie Trust. Bax beklagte polemisch die negativen Folgen eines gelegentlich übereifrigen Einsatzes der Society of British Composers: „This society did some useful work, but sad mistakes were made, and many jejune pieces by composers later to come to the fore slipped into print instead of their rightful place, the wastepaper basket. An early trio of my own [Trio in One Movement, für Klavier, Violine und Viola, 1906] [...] has become the very bane of my life; [...] whenever application is made to them [Verlag Chester] from abroad for an example of my work that early derivative and formless farrago is inevitably sent out, with the natural result that European interest in me is stillborn.“ Bax, Farewell, My Youth, 88f. 816 Bax überlieferte ein missmutiges Murmeln Beechams nach einem zu langen und unausgewogenen Programm: „Well, I think we have successfully paved the way this afternoon for another quarter of a century of German music!“ Ebd., 91. 817 Das erste feste Klaviertrio (London Trio) etablierte sich etwa erst 1904. „Even at the old ‚Pops‘ at the St. James’s Hall a trio was often rehearsed for the first time in the artists’ room just before the concert began.“ Meadmore, London Trio. 815

249

Eine Blüte der Kammermusik: Konzertleben und englisches Repertoire

läufig ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückten. Oft profilierten diese sich mit neuen interpretatorischen Ansätzen und setzten sich von dem klassischen Stil ab, den Joachim und seine Quartette als Ideal repräsentiert hatten.818 Das 1910 erstmals aufgetretene London String Quartet begann im Mai 1915 eine Reihe von Popular Concerts in der Aeolian Hall („meant to be a revival in a modern spirit of the old St. James’s Hall chamber concerts“), die zwei Jahre später das fünfzigste Konzert erreichten und bis zum 117. Konzert im Juli 1919 fortgeführt wurden (siehe Abbildung 16).819 Bis Mai 1917 hatte es siebzehn englische Uraufführungen (unterschiedlicher Besetzungen) präsentiert, darunter von Bridge, McEwen, Frederick Delius, Eugene Goossens und dem Belgier Guy Weitz, zudem vor dem Krieg bereits von Ethel Smyth, J. D. Davis und der eigenen Mitglieder Albert Sammons und Harry Waldo Warner. Evans würdigte das Quartett: One of the indirect effects of the war, as welcome as it was unforeseen, has been a remarkable revival of interest in Chamber Music. Although the explanation of this revival must be sought elsewhere, its development has an intimate relation to the movement in favour of native art, for it has made patent to the world at large two facts which were unsuspected beyond the narrower circle of British music-lovers. These are, first, that our composers have accumulated in recent years a varied and valuable repertoire of native chamber music, and, second, that at the very time when we were extending a profuse welcome to visiting quartet parties from abroad, we possessed in our midst players able to challenge comparison with the best and most celebrated of them. Among several quartets of English players who have achieved prominence during this movement, pride of place belongs to The London String Quartet, both by right of priority, and by the achievement it has accumulated.820

Noch jünger war das Philharmonic String Quartet, das im Herbst 1915 eine Subskriptionsreihe mit einem ähnlichen, auf englische und zudem französische Musik konzentrierten Programm anbot. Dabei erklangen Werke von Bridge, Arthur Bliss, Cyril Rootham und dem zweiten Geiger Goossens neben Franck, Ravel, Schmitt, Beethoven, Brahms und Dvořák.821 In den Folgejahren gab das Quartett Uraufführungen etwa von Arnold Bax, Charles Wood, Holbrooke, erneut Goossens sowie Scott und spielte auch neue 818

„Besides, there lingers on from the Victorian days a curious notion that to play the classics with any life is a culpable irreverence. All this was challenged by The London String Quartet. They took upon themselves to play the classics not only con amore, but also con spirito.“ Edwin Evans, The 50th Pop, Programmheft 12.5.1917 (Archiv Aeolian Hall, RCM). „The Joachim touch has for the moment disappeared from our concert platforms, its place taken by a more romantic, subjective style, which reflects the tendencies of modern composers.“ Cobbett, Obiter Dicta, 3. Vgl. die Übersicht Meadmore, British Performing Organizations, 203–212. 819 So charakterisierte der Bratschist Waldo Warner die eigene Reihe und hob dabei die guten Bedingungen für Kammermusik im Krieg hervor. C., British Players and Singers. VII. The London String Quartet, in: The Musical Times, 1.8.1922, 542. 820 Edwin Evans, The 50th Pop, Programmheft 12.5.1917 (Archiv Aeolian Hall, RCM). 821 Siehe die Ankündigung in The Athenaeum, 25.9.1915, 214. Programmhefte dieser Reihe sowie der ‚Pops‘ des London String Quartet in der Aeolian Hall werden im RCM aufbewahrt. „It is rather significant that chamber music performances should come to suffer less through the war than any

250

Neue Bühnen, neue Reihen: Kammermusik im Konzert, 1900–1920

Werke von Igor Strawinsky und Antonio Scontrino.822 Für seine Kammerkonzerte 1915 bat auch Kalman Ronay, Violinprofessor an der Guildhall School of Music und Neffe Leopold Auers, um Einreichungen von Klavier- bzw. Violinsonaten: So standen etwa York Bowen und Nicholas Gatty neben Saint-Saëns und Sylvio Lazzari auf dem Programm – ein weiteres Beispiel einer Abwendung von, wenn auch nicht Ausgrenzung des deutschen klassisch-romantischen Repertoires.823 Nach dem Ende des Krieges nahm die Zahl solcher Programmkonzepte wieder ab. Die neue British Music Society (1918–1933) etwa zog den Protest Granville Bantocks damit auf sich, das Festkonzert bei ihrem Kongress 1920 zum größeren Teil ausländischen Werken vorzubehalten.824 Erneut widmeten sich jedoch zwei junge Komponisten neuester einheimischer Musik: Arthur Bliss veranstaltete im Herbst 1919 im Lyric Theatre in Hammersmith sechs (Kammer-)Konzerte von Pergolesis La serva padrona über Purcell, Couperin bis zu Ravel, Herbert Howells, Armstrong Gibbs, Ireland und Vaughan Williams.825 Ähnlich breit und eklektisch angelegt waren fünf Konzerte von Goossens und Herbert Bedford im Frühjahr 1923: „We began with a rather unexciting programme in order to encourage the conservatives.“826 Es folgten ein Konzert mit Liedern vom 12. Jahrhundert bis zur Gegenwart und ein weiteres allein mit englischer Kammermusik von Vaughan Williams, Goossens, Bridge und Gustav Holst. Goossens kam zu einer Schlussfolgerung, die ähnlich auch für das englische Publikum des 19. Jahrhunderts gegolten hätte: On the whole, the experiment of twilight chamber concerts of new music had shown that an audience did exist for such things, but confirmed what I had already guessed: that a steady diet of novelty without a leavening of the classics was insufficient to hold a regular clientèle.827 other concerts in London. Thanks to the London String Quartet and to the Philharmonic Quartet opportunities of hearing chamber music have been, in fact, more frequent during the last eighteen months than ever before, and the scope of these concerts has widened, [...].“ F. B. [Ferruccio Bonavia], New “Phantasy” for Strings Quartet, in: The Manchester Guardian, 19.11.1915, 9. „Almost every week we are invited to hear some new music for string quartet by young composers who are themselves string players.“ The Times, 11.3.1916, 9, zur Uraufführung von Goossens’ Two Sketches. 822 The Musical Times, 1.7.1918, 325; 1.12.1918, 564; 1.5.1919, 237; 1.7.1919, 372. Trotz der Fortschritte englischer Ensembles berichtete Thomas Scott-Ellis (Lord Howard de Walden), der als Mäzen besonders mit Holbrooke verbunden war, einige Jahre später ernüchtert: „On one occasion I got the Philharmonic String Quartet to play at my house, and at the end one of my guests exclaimed, ‘How well those Hungarians play!’ This shows the battle is by no means won.“ The Musical Times, 1.8.1922, 579. 823 The Musical Times, 1.8.1915, 495; 1.9.1915, 561; 1.11.1915, 686; 1.12.1915, 735. 824 Gespielt wurden Elgars Ouvertüre In the South, Vaughan Williams’ London Symphony, Berlioz’ Nuits d’été und Strauss’ Ein Heldenleben. Granville Bantock, British Music. An Inconsistent Programme [Leserbrief], in: The Times, 20.4.1920, 10. 825 „These Sunday Concerts are planned, perhaps a little too consciously, for the intelligent minority, [...].“ The Times, 11.10.1919, 10. Vgl. Bliss, As I Remember, 54. 826 Das erste Programm umfasste Bax’ erstes Streichquartett, Irelands zweites Klaviertrio und Goossens’ Klavierquintett. Goossens, Overture and Beginners, 198. Siehe dort auch für weitere Programme. 827 Ebd., 201.

251

Eine Blüte der Kammermusik: Konzertleben und englisches Repertoire

Abbildung 16: Programmzettel für eine Reihe der ‚Pops‘ des London String Quartet, 1916 (Archiv Aeolian Hall, Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Royal College of Music, London) 252

Neue Bühnen, neue Reihen: Kammermusik im Konzert, 1900–1920

253

Eine Blüte der Kammermusik: Konzertleben und englisches Repertoire

5.2 Die ‚junge englische Schule‘: Die Jahrgänge 1870–1895 in der Presse Mit dem wachsenden Stellenwert von (englischer) Kammermusik im Konzertleben nach 1900 einher ging – und dabei ist nicht eindeutig zu bestimmen, welches Phänomen Ursache, welches Wirkung war – eine steigende kompositorische Produktivität. Schwierig zu trennen sind allerdings ein tatsächlicher Aufschwung, gewissermaßen eine zweite Phase der ‚English Musical Renaissance‘, und der begleitende Diskurs über vielversprechende Zeichen und enttäuschte Hoffnungen eines nationalen Durchbruchs. Zwei Vertreter einer neuen Generation von Musikkritikern nahmen schon um die Jahrhundertwende die Formierung einer ‚neuen‘ bzw. ‚jungen englischen Schule‘ wahr: Die beiden noch im Finanzwesen tätigen Autoren Ernest Newman und Edwin Evans beschrieben in zwei groß angelegten Artikelreihen 1901/02 bzw. 1903/04 zahlreiche Komponisten, die größtenteils in den 1860er-Jahren geboren worden waren und die gegenüber der älteren, ‚akademischen‘ Gruppe um Parry und Stanford (siehe S. 26ff.) dezidiert ‚moderne‘ Tendenzen andeuten würden.828 Der Schwerpunkt der meisten Behandelten (darunter Edward Elgar, Granville Bantock, William Wallace, Joseph Holbrooke und Samuel Coleridge-Taylor) lag wie zuvor auf Orchester- und Chorwerken. Evans behandelte jedoch auch einige nach 1870 Geborene wie William Hurlstone, Cyril Scott, Thomas Dunhill und Richard H. Walthew, die vor allem mit Kammermusik auf sich aufmerksam machten. 1909 unternahm Evans in einem unsignierten Artikel erneut den Versuch, das Feld junger Komponisten abzustecken. Er erkannte erste Fortschritte in der öffentlichen Wahrnehmung englischer Musik und eine lebendige Szene, die durch Vielfältigkeit, Ausdruckswillen und Talent, allerdings zugleich noch einen gewissen Dilettantismus charakterisiert werde. Ohne sich auf eine kontinuierliche nationale Tradition stützen zu können, hätten viele Komponisten sowohl klassische als auch zeitgenössische Einflüsse nur oberflächlich aufgenommen. Es gebe jedoch Anzeichen, dass nach der gegenwärtigen „Sturm und Drang“-Phase, ähnlich wie zuvor in Russland, eine neue Tradition auf Basis einer soliden, einheimischen Technik Konturen angenommen haben werde.829 Auch wenn eine Klassifizierung schwerfalle, gruppierte Evans die behandelten Komponisten nach der Ausbildungsstätte. Eine solche Einteilung bleibt für den ersten Überblick geeignet, auch wenn sie nicht zu vorschnellen Dichotomien der Form reaktionär/progressiv führen sollte (siehe Anm. 859): Das jüngere Royal College of Music (RCM) sei im Vergleich mit der Royal Academy of Music (RAM) von konservativeren 828

Newman, The New School of British Music; Evans, Modern British Composers. Siehe zu weiteren zeitgenössischen Überblicken über die englische Komponistenszene und deren Klassifizierungen Ball, Reclaiming a Music for England, 345–364. 829 [Evans], The Younger British Composers. Auf seine Autorschaft lassen etwa die Vergleiche mit russischer und französischer Musik schließen; im gleichen Monat hatte Evans zudem bereits einen unsignierten Artikel in The Academy veröffentlicht.

254

Die ‚junge englische Schule‘: Die Jahrgänge 1870–1895 in der Presse

Elementen geprägt und tendiere zu einem gleichförmigen Ideal.830 So könne insbesondere in der Kammermusik statt des Namens des Urhebers auch ein Monogramm des RCM abgedruckt werden. Dies gelte, neben den bereits in der vorherigen Serie genannten Hurlstone, Dunhill und Walthew, auch für John Ireland, Frank Bridge und James Friskin, allesamt Schüler Stanfords ( Joseph Speaight ordnete Evans irrtümlicherweise dem RCM zu). Ralph Vaughan Williams und Gustav von Holst, beide nicht (primär) mit Kammermusik hervorgetreten, würden sich hingegen widerstandsfähiger gegen eine verordnete Doktrin zeigen. Im Gegensatz zu Stanford lasse Frederick Corder als Kompositonsprofessor am RAM seinen Schülern alle Freiheiten und tendiere so zum anderen Extrem, zu wenig Disziplin zu fordern. Zu diesen gehörten, neben dem zuvor erwähnten Holbrooke, Arnold Bax, York Bowen und Benjamin Dale, die alle auch mit Kammermusik verbunden waren. Als weitere Gruppe nannte Evans ehemalige Studenten an Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt am Main. Von den fünf Namen der engeren sogenannten ‚Frankfurt Group‘ war Scott in Kammermusik am produktivsten. Aber auch Norman O’Neill, der australische Pianist Percy Grainger (primär Volksliedbearbeitungen) und Balfour Gardiner schrieben einzelne Werke, während Roger Quilter vor allem für seine Lieder bekannt wurde. Zu einem „conservative wing“ mit kontinentaler bzw. deutscher Prägung zählte Evans Algernon Ashton, Donald Francis Tovey, Ernest Walker, John David Davis und Arthur Hinton, während der ebenfalls mit klassischen Beiträgen zur Kammermusik hervorgetretene Schotte John Blackwood McEwen als Teil der älteren Generation nicht zum Fokus von Evans’ Artikel gehörte. Einen repräsentativen Überblick über den Stand der Kammermusik bot das Konzert, das die eng mit der RAM verbundene Society of British Composers anlässlich des Londoner Kongresses der Internationalen Musikgesellschaft 1911 veranstaltete. Entsprechend dominierten Absolventen der RAM (siehe Tabelle 20).831 Naturgemäß spiegelte die Auswahl der hervorgehobenen Namen in einem Überblick über die Lage der englischen Musik stets das Modernekonzept des jeweiligen Kritikers wider: Autoren wie der germanophile Newman und Gerald Cumberland (Pseudonym von Charles Frederick Kenyon) betonten tendenziell solche Komponisten, die mit groß angelegter, oft programmatischer Orchestermusik in der Nachfolge etwa Richard Strauss’ verbunden waren. In einem Artikel von 1914 versetzte sich Cumberland in die Lage eines Musikhistorikers im Jahr 2014, der wohl konstatieren würde, „between the years 1900–1915 there was undoubtedly a great and gracious flowering of British genius in the field of musical composition, but no contemporary writer appears to have been conscious of the fact.“ Er fokussierte sich auf Elgar, Holbrooke, Scott, Delius 830 Zehn Jahre später betonte Evans, dass nun auch Absolventen derselben Institution oft kaum Gemeinsamkeiten aufwiesen, für ihn ein Zeichen des Fortschritts. Evans, Modern British Composers. V. Ireland, 394. 831 Siehe den Bericht und alle Programme des Kongresses in The Musical Times, 1.7.1911, 441–454.

255

Eine Blüte der Kammermusik: Konzertleben und englisches Repertoire

Tabelle 20: Kammerkonzert der Society of British Composers, 2.6.1911 Komponist

Werke

Interpreten

Frank Bridge

Three Idylls für Streichquartett

Wessely Quartet

Arnold Bax

Klaviersonate d-Moll: 1. Satz

Myra Hess

Hubert Bath Norman O’Neill Ernest Walker

Lieder: A Sea Spell Lilacs Spring Twilight

Mary Elizabeth Grainger Kerr, Begleiter?

John McEwen

Streichquartett a-Moll

Wessely Quartet

Paul Corder Tobias Matthay Cyril Scott

Klaviersoli: Prelude in E flat Elves Danse nègre

Hess

Benjamin Dale

Suite für Viola und Klavier: Romance

Dale, Lionel Tertis

Arthur Hinton Richard Walthew Roger Quilter

Lieder: Cradle Song Eldorado Blow, blow, thou winter wind

Grainger Kerr

York Bowen

Septett für Kl., Klar., Hr. und StrQu.

Bowen, Charles Draper, Mr. Borsdorf, Wessely Quartet

und Bantock. Newman zählte 1911 ebenfalls Elgar, Bantock sowie von den jüngeren Holbrooke zu den wichtigsten Persönlichkeiten der Gegenwart.832 Evans wandte sich dagegen in der Regel der aktuell jüngsten Generation zu und würdigte auf der Suche nach einem genuin englischen Stil eher die Distanz zu deutschen Modellen und die Originalität auch in kleineren Formen. So bedauerte er 1908 einen Niedergang der intimeren Musik und regte dazu an, auch im Sinne von Amateuren leichtgewichtigere, kürzere und lyrische Gattungen abseits der „ernsthaften“ Sonate in der Kammermusik nicht außer Acht zu lassen.833 Tatsächlich profilierte sich etwa Bridge früh mit den Novelletten und Three Idylls für Streichquartett (1904 bzw. 1906), später mit Volksliedbearbeitungen (Sally in Our Alley und Cherry Ripe für Streichquartett, 832

Siehe für diese Artikel im Kontext der zunächst zögerlichen publizistischen Rezeption Vaughan Williams’ Thomson, Becoming a National Composer, 56 (Zitat). Siehe zu Elgars Rezeption Thomson, Elgar’s Critical Critics. Vgl. auch die Erinnerungen Cumberland, Set Down in Malice. 833 Evans, A Plea for Intimate Music. Es folgten zwei Repliken gegen Evans’ These, die zeitgenössische Kammermusik sei der Orchestermusik in Qualität unterlegen. Als Beispiele für Komponisten, die sich besonders den kleineren Formen gewidmet hätten, nannten sie „Max Reger, Busoni, Alkan, Taniev [Tanejew], Max Jeutsch, Stephan Krehl, Paul Juon, Nedbal, Carl Nielsen, V. Novak, W. H. Dayas, Karl Klinger, L. V. Saar, Guillaume Leken [Lekeu], Albéric Magnard, Chevillard, Gustav Samazeuilh, Glière and Ernest Walker“. E. A., An “Initial” Difference of Opinion, in: The Musical Standard, 5.9.1908, 150. Die genannten französischen Namen waren 1908 in England sicher noch nicht zu hören gewesen.

256

Die ‚junge englische Schule‘: Die Jahrgänge 1870–1895 in der Presse

1916, siehe zu Bridges Motivation Anm. 878). Auch aus der Sicht Edward J. Dents wies die Kammermusik eine vielversprechende Perspektive für „wahren Fortschritt“ und gegen modernistische Orchestrierungsklischees des „Post-Impressionism“ auf.834 Im Kontext der insgesamt wachsenden Beachtung einheimischer Musik und des Prozesses der angestrebten nationalen Identitätsbildung nahm Kammermusik zunehmend eine wichtige Stellung ein. Ihr widmete sich eine Beilage in The Music Student, dem Magazin der Home Music Study Union und der Music Teachers’ Association, die zwischen 1913 und 1916 in 23 Ausgaben erschien und von dem Unternehmer, Mäzen und Geiger Walter Willson Cobbett herausgegeben wurde. Mit ihrem enzyklopädischen Charakter und den systematischen Gattungsübersichten lässt sie sich als Versuchsballon für Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music (1929/30) ansehen. Ab März 1915 behandelte das Chamber Music Supplement mit emphatischem Vorrang britische Kammermusik und betonte dabei die Verbindungen zwischen deren Geschichte und Gegenwart, die eine (wenn auch nicht kontinuierliche) nationale Tradition konstituieren würden: It appears to me fitting that during the war musical Britain should receive a little more attention than usual, and therefore I hope that a series of numbers devoted to a consideration of the contributions of native composers to the beautiful art of chamber music will be welcome to our readers. It should be a source of patriotic pride for them to reflect that nowhere are its beginnings so distinctly traceable as in English instrumental music of the 17th century, and in the social life of the same period [...].835

Während des Ersten Weltkriegs rückten weitere junge Komponisten, mehrheitlich nach 1890 geboren, in den Blickpunkt der interessierten Öffentlichkeit. Allein bei Stanford am RCM hatten Arthur Bliss, Herbert Howells und Eugene Goossens studiert, deren Kammermusik wiederholt präsentiert wurde. Nach dem Ende des Krieges folgten erste Arbeiten der Stanford-Schüler Rebecca Clarke und E. J. Moeran. In einem unsignierten Artikel formulierte Howells 1916 erneut das klassisch gewordene Narrativ eines Aufschwungs englischer Musik mit Parry, Stanford und Elgar als Vorreitern und Wächtern über die lebendige junge Szene, die ihre eigenen Charakteristika aufweise, wenn auch vielleicht nicht so offensichtlich nationale wie in anderen Ländern. Zugleich wandte er sich gegen einen in Mode kommenden musikalischen

834

Die Gedanken formulierte er 1913 in einer Besprechung von Busonis Aufsatz Neuer Anfang. Dent, A Fresh Start in Music. Der Begriff wurde auch in der Forschung aufgegriffen (siehe Anm. 22). 835 W. W. Cobbett, The Beginnings of British Chamber Music, in: Chamber Music. A Supplement to The Music Student, März 1915, 49–52, hier 49. Die Komponisten, deren Kammermusikœuvre in eigenen Artikeln besprochen wurde, waren Parry, Stanford, Hurlstone, Bridge, McEwen, Holbrooke, Friskin, Walthew, Dunhill, Charles Wood, Walker, Ashton, Bowen, Hinton, Arthur Grimshaw, Speaight, William Sterndale Bennett, Eugene Goossens und Vaughan Williams. Daneben gab es eine mehrteilige Reihe „The Rise and Development of English Concerted Instrumental Music“ von Thomas L. Southgate, eine Kolumne zu Frauen und Kammermusik von Katharine E. Eggar und Marion M. Scott und verschiedene Texte von Gastautoren, darunter Vaughan Williams und Goossens.

257

Eine Blüte der Kammermusik: Konzertleben und englisches Repertoire

Nationalismus.836 Als „up-to-date Romanticists“ würden sich die jungen Engländer vor allem in Orchester- (wenn auch nicht bevorzugt der Sinfonieform) und Kammermusik ausdrücken. Gegenüber Vorzügen wie „sensibility to musical colour“ erkannte Howells allerdings in einer oft redundant werdenden Weitschweifigkeit eine gemeinsame Schwäche. Mangelnder Sinn für Formkonstruktion und Ökonomie des Materials verhindere vor allem in der „pursten“ Kammermusik bessere Ergebnisse.837 Im Vergleich zum vorherigen Jahrhundert waren die neuen Werke englischer Komponisten auf der öffentlichen Bühne deutlich präsenter und blieben häufiger auch nach der Uraufführung im Repertoire, wie etwa im Fall des 1906 jung verstorbenen Hurlstone. Howells zeichnete jedoch ein Bild, das auf weitere notwendige Verbesserungen abzielte, was etwa Publikationen betraf. Er stieß damit ins gleiche Horn wie Holbrooke, der im Jahr zuvor nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal die Vorbehalte der Engländer gegen einheimische Komponisten und die Privilegien ausländischer Musik beklagt hatte: They [the Russians] first publish a work, then perform it. In this country the cart is put before the horse. Before the war there were occasional concerts given at which works by younger composers received their first performances: no one ever saw the manuscripts; except those people who were immediately concerned in performing the pieces. And what is the inevitable result? Ninety per cent of these works have had doubtful and hazardous recognition, each for as many minutes as were taken up in its performance, and have since sunk into indecently black obscurity. Things are as wrong with performances as with publication, so far as regards recent British works. In these unselfish days, when the artistic efforts of our countrymen might well be as widely recognized as the noble energies most of them are expending against the enemy, there is still an attitude of fear and misgiving on the part of concert managements and of our prominent conductors towards native works of most undeniable merit.838 The reason of this article is to try to point out that our work is very rarely fairly treated, and also that there is a very strong prejudice against our work, from the public point of view, from the publishers’ point of view, and mainly caused, worst of all, by the critic’smusicians’s point of view, who is (and should be, if he is an honest critic) all powerful. [...] When one considers the innumerable auditions of the Russians – Tschaikowski, Glazounov, Rimsky-Korsakov, Scriabine, Rachmaninoff, or Strauss, Debussy, etc., etc., who are played again and again until the public do understand their works and like them, and the sales are assured and their name is legion – (for be it understood the new works by these men are not liked or understood at the first hearing). But when we look at the other side of the picture 836

„[...] and if we do not lose ourselves in the fashionable quest for Nationalism in Art, we shall not be unduly perturbed that this speech is not always confined to one language, and that our own.“ [Howells], Younger British Composers, 560. Der Artikel erschien unsigniert, Howells verzeichnete ihn aber in seinem Schriftenverzeichnis. 837 Ebd., 561. Als Positivbeispiel nannte Howells Bridges Phantasy für Klavierquartett („one of the finest chamber works in English music“), als zu weitschweifig dagegen Bowens zweites Streichquartett, Waldo Warners Phantasy Quartet, Bax’ Klaviertrio op. 4 und im Allgemeinen Holbrookes Versuche in kleineren Formen. 838 Ebd., 562.

258

Die ‚junge englische Schule‘: Die Jahrgänge 1870–1895 in der Presse

we find one hearing is deemed sufficient for a British work – that one often a scurried one – where neither the composer, conductor, nor players can understand it, where the same can nearly always be said of the public who have listened to it, and certainly British music has no chance whatever until these circumstances are altered.839

Newman wies solche Wehklagen ab und hinterfragte deren Anspruchshaltung. Er postulierte, das Publikum zeige Desinteresse nicht grundsätzlich den eigenen Komponisten gegenüber, sondern allen, die keine Berühmtheit wie Strauss, Debussy oder Puccini seien. Allein aus solider Arbeit könne sich kein Anspruch ableiten, in der Presse besprochen zu werden. Nach 1920 verlor Newman jeglichen Glauben an die englische Musik und gab zu erkennen, dass die Anstrengungen von ihm selbst und hunderten Anderen letztlich zu nichts geführt hätten.840 Evans betonte hingegen meist die wahrnehmbaren Fortschritte: Das direkte Aufeinanderfolgen verschiedenartiger Komponistengenerationen zeigte aus seiner Sicht die rasche Entwicklung und eine zuvor unerreichte Unabhängigkeit der englischen Musik an. Er setzte fünfzehn Jahre als Abstand fest und kam so auf vier gegenwärtig aktive Generationen: die der vor 1855 Geborenen (wie Stanford), vor 1870 (Elgar, Bantock, „representing the first definite stage of emancipation“), vor 1885 (zwischen Vaughan Williams und Dale, „extraordinarily numerous and productive. [...] much of its output [...] premature, [...] the plainest evidence that the English renascence was not a dream but an accomplished fact“) und nach 1885 (wie Goossens).841 Einen Meilenstein der kritischen Auseinandersetzung stellte Evans’ zweite Artikelreihe „Modern British Composers“ in The Musical Times dar: Darin behandelte er 1919/20 Bridge, Bax, Dale, Goossens, Ireland, Holst, Gerald Tyrwhitt (Lord Berners), Howells und Vaughan Williams.842 In der Kammermusik repräsentierten aus seiner Perspektive von 1934 insbesondere Bridge, Ireland und Bax „the English Treasury“.843 Sie und weitere stehen für eine Blüte, die zahlreiche Autoren nach Ende des Ersten Weltkriegs beschrieben, darunter auch der Franzose Jean-Aubry: No department of our native art is in a more flourishing condition than chamber music. There are various reasons for this. Much of the credit must go to Mr. W. W. Cobbett, some 839

Holbrooke, British Music I, 422, und II, 42. Newman, The Public, the Critic, and the Native Composer, 142. Siehe zu dem seine Replik auslösenden anonymen Text Anm. 747. Vgl. zu der Einschätzung nach 1920 Watt, Newman, 129–131. 841 Eine Vortragsreihe im Frühjahr 1918 begann Evans mit Einordnungen je eines Vertreters der letzten beiden Generationen, Ireland und Goossens, die beide auch eigene Werke spielten. The Musical Times, 1.7.1918, 321f. 842 Vgl. zu den Grundzügen seines Plädoyers Evans, Modern British Composers. Introductory Article. Im Epilog rechtfertigte er die notwendigen Auslassungen: McEwen (vier Jahre älter als Vaughan Williams) habe er der älteren Generation zugerechnet, Holbrooke sei in seiner Entwicklung stehengeblieben und Scott sei zwar originell, aber auf gewisse Weise limitiert. Evans, Modern British Composers. Epilogue, 442. 843 Evans, Chamber Music, 409f. Auch Peter Evans konstatierte 1995, „the first four decades of this century represent a heyday for British chamber music“. [Peter] Evans, Instrumental Music I, 239. 840

259

Eine Blüte der Kammermusik: Konzertleben und englisches Repertoire

of the best of recent works having been written in response to his generous competition schemes. It is certain, too, that the revival of home-music led to the formation of many amateur quartet parties. These players and their friends have undoubtedly helped to swell the audiences at chamber concerts, and so given practical encouragement to the activities of the professional chamber-music organizations. Moreover, whereas orchestral programmes have been chiefly composed of familiar works (owing partly to the cost of rehearsals, but even more to the lack of enterprise which was already a pronounced failing before the war), our chamber-music players have given us a constant succession of novelties, many of them by British composers.844 One of the most striking features of the rapid development of music in England during the last twenty years has been the rise of a really great school of Chamber Music composers – a school that will bear comparison with any on the Continent of Europe, including those of France and Russia, to which, however, it bears a certain affinity.845 [...] already to-day England can boast of several composers who, particularly in the domain of chamber-music, can bear the test of being placed before a foreign public and command attention not only because of the works in themselves, but for the national characteristics which they contain.846

Eine genuin englische Form? Cobbetts Phantasy Eine neue musikalische Form wurde in besonderer Weise zum Inbegriff sowohl des jungen nationalen Selbstverständnisses als auch der erweckten Leidenschaft für kleine Besetzungen: 1905 rief der dilettierende Geiger und Mäzen Cobbett in Verbindung mit der Worshipful Company of Musicians den ersten Kompositionswettbewerb zur sogenannten Phantasy ins Leben. Begrifflich angelehnt an die Fancies für Gambenconsorts aus dem 16. und 17. Jahrhundert und damit eine alte, genuin englische Traditionslinie von Instrumentalmusik aufgreifend, sollte die moderne Phantasy der Kammermusik eine größere Verbreitung im Konzertleben verschaffen sowie neue kompositorische Anreize in diesem Bereich bieten.847 Bei der ersten Ausschreibung für Streichquartett waren eine maximale Länge von zwölf Minuten (etwa einer Orchesterouvertüre entsprechend, die auf Kammermusikprogrammen zuvor ohne Äquivalent geblieben sei) und 844

The Musical Times, 1.7.1919, 336 (in einer Besprechung von Elgars neuem Streichquartett). Antcliffe, The Recent Rise of Chamber Music in England, 12. 846 Jean-Aubry, British Music Through French Eyes, 212. Corder hatte eine negativere Position eingenommen, der Jean-Aubry widersprach (vgl. S. 232ff.): „The gallant attempts to revive an interest in chamber-music do not meet with much response from a public which has never really warmed to that form of art.“ Corder, Some Plain Words, 9. Siehe die Replik bei Jean-Aubry, The Musical Situation in England, 115. 847 Die Ausschreibung verlautete: „The object is to popularise the String Quartet among general audiences, and to endeavour to bring into life a new Art Form providing fresh scope for the composers of Chamber Music.“ Musical News, 8.7.1905, 36. Vgl. [Cobbett], British Chamber Music [1911], 242. 845

260

Die ‚junge englische Schule‘: Die Jahrgänge 1870–1895 in der Presse

eine einsätzige Struktur (bzw. nahtlos verbundene Abschnitte) vorgeschrieben. Von 67 Einsendungen erhielten sechs eine Auszeichnung, wurden vom Saunders Quartet in einem Konzert präsentiert und bei Novello gedruckt (nur Stimmen).848 Bis 1920 hatten sieben Wettbewerbsrunden unterschiedlichen Zuschnitts stattgefunden, zudem hatte Cobbett 1910 zwölf (oder elf) Phantasies für verschiedene Besetzungen in Auftrag gegeben (siehe für eine Übersicht der Preisträger und Werke Tabelle 21).849 Zahlreiche weitere entstanden unabhängig von konkreten Anregungen. Besonders Absolventen des Royal College of Music, wo der Wettbewerb von 1923 bis 1950 fortgeführt wurde, waren mit der Form verbunden, darunter Hurlstone, Bridge, Friskin, Ireland und Goossens. Auffällig ist auch eine hohe Beteiligung von professionellen Quartettspielern sowie von Komponistinnen wie Alice Verne-Bredt, Susan Spain-Dunk und Ethel Barns.850 Zwischen der wachsenden kompositorischen Produktivität und dem Aufschwung englischer Interpretinnen und Interpreten bestand ein Zusammenhang, auf den Cobbett in einem Leserbrief aufmerksam machte: Let British folk realise that chamber music is in the way of becoming an essentially British art, on the creative as well as the executive side. Many of the leading players are themselves composers, Mr. Sammons himself among the number, and his viola, Waldo Warner, whose brilliant Phantasy has been so often played of late. Frank Bridge, of the English quartet [...], W. H. Reed, of the British String Quartet; Eugene Goossens of the Philharmonic Quartet, of which Miss Smyth writes with so much enthusiasm; John Ireland, Hamilton Harty, Thomas Dunhill, R. Walthew, J. Friskin, Ethel Barns, are names which occur to me as composer-players. There are many others, and their activities form a promising feature in British musical life to which I ask you to allow me to draw attention.851

Cobbetts Engagement für die Phantasy war dabei nur ein Teil seiner Bestrebungen, Kammermusik auf breiter Ebene zu popularisieren. Vor allem auch deren private Praxis hielt er für einen in höchstem Maße förderlichen Beitrag für das persönliche Glück und die ganze Gesellschaft.852 In diesem Sinne war er stets darauf bedacht, die spieltechnischen Anforderungen der Phantasies in Grenzen zu halten, sodass diese als eine Form von Gebrauchsmusik verstanden werden können, bei der „simplicity“ und „directness“ statt „complexity“ und „virtuosity“ im Fokus stehen sollten.853 Die für Amateure unerreichbare Phantasy op. 12 von Goossens widerspricht diesem Anspruch allerdings massiv (siehe S. 317f.). 848

The Musical Times, 1.7.1906, 489. Vgl. die beiden zeitgenössischen Texte Maclean, A New Form in English Music; Walker, The Modern British Phantasy (mit zwanzig Werkbeschreibungen). Für die jüngere Forschung siehe Maw, ‘Phantasy mania’, dessen Anhang die Grundlage für die Tabelle bietet. 850 Vgl. Seddon, British Women Composers, 117–144. 851 W. W. Cobbett, British Chamber Music. A New Phase [Leserbrief], in: The Daily Telegraph, 10.7.1915, 13. 852 Vgl. seinen Vortrag 1912 bei der Musical Association. Cobbett, Chamber-Music. 853 Maw, ‘Phantasy mania’, 104f. 849

261

Eine Blüte der Kammermusik: Konzertleben und englisches Repertoire

Tabelle 21: Cobbetts Phantasy: Preisträger und Auftragswerke, 1905–1920 Jahr

Besetzung

Preisträger / Komponisten

1905/06

StrQu.

William Hurlstone, Frank Bridge, James Friskin, Joseph Holbrooke, Harry Waldo Warner, Haydn Wood

1907/08

Klaviertrio

Frank Bridge, James Friskin, John Ireland zusätzliche Preise: Alice Verne-Bredt, Susan Spain-Dunk (sechs weitere ergänzende Preise)

1909/10

international ausgeschrieben, keine Phantasy: V. und Kl.

1910ff.

1914/15

Auftragswerke: KlQu. Va. und Kl. Vc. und Kl. KlQnt. StrQnt. (2 Va.) KlarQnt. KlQnt. (Kb.) StrQnt. (2 Vc.) V. und Kl. Kl., V., Va. 2 V. und Kl. Streichtrio StrQu.

Frank Bridge Benjamin Dale B. Walton O’Donnell James Friskin Ralph Vaughan Williams (Donald Tovey, nicht fertiggestellt), später Richard Walthew Richard Walthew John McEwen York Bowen Thomas Dunhill Ethel Barns Adam von Ahn Carse (möglicherweise kein Auftragswerk) Edward Elgar? (keine Phantasy, siehe Anm. 1144)

StrQu.

Albert Sammons (Phantasy) Frank Bridge, W. H. Reed (Sonatenform)

1916/17

1917/18

Phantasy basierend auf einem Folksong: Klaviertrio

James Cliffe Forrester, Arnold Trowell, Geoffrey O’Connor-Morris, William J. Fenney

StrQu.

Harry Waldo Warner, Herbert Howells, Edward Norman Hay

Kl. und Va.

York Bowen

1919/20

Dance Phantasy: Kl. und Str.

262

John Ireland, Eric Gritton, Geoffrey O’Connor-Morris, Susan Spain-Dunk

Cecil Armstrong Gibbs, Cecil Hazlehurst, Eric Fogg

Die ‚junge englische Schule‘: Die Jahrgänge 1870–1895 in der Presse

Zudem zeigten sich Verbindungen zu den Topoi einer nationalen Musik: Zwar hatte der begriffliche Bezug auf die ältere englische Musik der Fancies eher rhetorischen Charakter, da dieses Repertoire noch kaum im Druck verfügbar war und die modernen Prinzipien der Sonatenfantasie sowie von ‚Mehrsätzigkeit in der Einsätzigkeit‘ ihre Wurzeln eher bei Beethoven und Liszt besaßen.854 Doch bezog sich der Wettbewerb von 1916 durch die Maßgabe, einen Folksong als Basis zu verwenden, dezidiert auf einen wichtigen Pfeiler des in einflussreichen Kreisen propagierten Nationalmusikprojekts. So hob Mackenzie in seinem Vortrag The Revival of Chamber Music 1916 Cobbetts Bemühungen mehrfach lobend hervor.855

854 855

Caldwell, The Oxford History of English Music, Vol. II, 392f. Siehe die zitierten Auszüge bei Cobbett, Obiter Dicta, 2–4.

263

6 Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

Die wachsende Präsenz der modernen französischen Musik im englischen Musikleben blieb nicht ohne Auswirkungen auf kompositorische Aktivitäten. Dabei konnte die Auseinandersetzung mit den neuen Klängen verschiedene Formen annehmen, wenn Komponisten diese im Konzert hörten oder selbst interpretierten, mit den französischen Kollegen in persönlichen Kontakt traten oder gar bei ihnen Unterricht nahmen. Kompositorische Bezüge sind ein schwer zu fassendes Rezeptionsphänomen: Die Verwendung bestimmter Techniken ist nicht zwangsläufig als Folge eines ‚Einflusses‘ zu beurteilen und kann völlig unabhängig von der Kenntnis eines möglichen Vorbilds erfolgen. Je nach Standpunkt im Diskurs über eine Nationalmusik wurden solche Parallelen unterschiedlich ausgelegt. Auch frankophile bzw. kosmopolitische Kritiker befürworteten jedoch keine bloße Emulation der neuen Modelle (siehe Kapitel 4.3). Die Presse hob bei erstmals aufgeführten Stücken Parameter wie Originalität und Individualität hervor, oft auch einen als englisch erachteten Charakter. Ein solcher wurde mit starken, kraftvollen Themen, logischer zielgerichteter Entwicklung und ernsthafter Würde verbunden. Diesen standen Begriffe wie Vagheit, Weitschweifigkeit und oberflächliche Raffinesse entgegen. Wahrgenommene Einflüsse wie von Wagner (chromatische Harmonik) oder Brahms (strenge formale Kohärenz) standen einer positiven Einschätzung nicht entgegen. Die Autorität dieser tradierten Modelle wurde jedoch auch vor dem Hintergrund der wachsenden nationalen Rivalität mit Deutschland zunehmend kritisch hinterfragt. In dem Zuge, in dem die neue französische Musik endgültig in England angekommen war, formulierten Beobachter nun Assoziationen etwa mit Debussy weniger abschätzig und erkannten sie als Ausweis einer zeitgemäßen Handschrift, sogar als Emanzipation von überholten akademischen Mustern hin zu einem eigenständigen künstlerischen Ausdruck. Diese kompositorische Aneignung der neuen Ideale lässt sich besonders gut in den ersten beiden Dekaden des 20. Jahrhunderts nachvollziehen. Komponisten der Jahrgänge nach 1870 schlossen in den 1890er-Jahren oder kurz nach 1900 ihr Studium ab, während dessen sie in der ‚germanischen‘ Ästhetik der ersten ‚Renaissance-Generation‘ um Stanford und Parry geschult worden waren. Zeitgenössische französische Musik hatte bei diesen keinen guten Stand; umso neugieriger nahmen viele Absolventen die in England eingeführten Franck, Fauré und andere wahr. Einige waren an der Entdeckung und Vorstellung jüngerer Werke wie Debussys, Ravels und Chaussons beteiligt oder wurden Mitglied in der Société des concerts français. Die wenigsten waren interessiert an einer revolutionären Umwälzung (auch wenn ihr Lehrer Stanford dies später so 265

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

empfunden haben mochte),856 vielmehr verbanden sie auf der Suche nach ihrer eigenen Stimme traditionelle Modelle – in der Kammermusik vor allem Brahms – mit den neuen, französisch geprägten Elementen. Für die nach etwa 1885 Geborenen stellte sich der kammermusikalische Konzertkanon von Beginn an noch internationaler und progressiver dar: Novitäten kamen nun von Ravel statt von Dvořák. Während der 1890er-Jahre hatten englische Komponisten in der Ensemblemusik primär die bestehenden Tendenzen fortgeführt (siehe S. 26ff.). Insbesondere am Royal College of Music wurden die Studenten zu Kammermusik ermuntert und knüpften wie ihre Lehrer an die formalen Muster, die organische Konstruktion und die instrumentale Tonsprache der das Londoner Konzertleben dominierenden Brahms und Dvořák an. Dies gilt etwa für Stanfords „model pupils“ William Hurlstone und Samuel ColeridgeTaylor.857 Eine ähnliche akademische Herangehensweise zeigten ebenfalls am RCM etwa Henry Walford Davies und Richard Walthew sowie in Oxford Ernest Walker und Donald F. Tovey, die beide zur einflussreichen Gruppe der germanophilen „Oxford critics“ gehörten.858 Evans postulierte noch 1909, man könne auf vielen Werken ein RCM-Monogramm statt des Komponistennamens abdrucken (siehe S. 254f.). An der Royal Academy of Music unter dem Wagner verehrenden Kompositionslehrer Frederick Corder stand ‚absolute‘ Kammermusik weniger im Fokus. John McEwen, Joseph Holbrooke und kurz nach 1900 Arnold Bax, York Bowen und Benjamin Dale (die vier Letztgenannten virtuose Pianisten) widmeten sich dieser anfangs unter anderen, von der ‚neudeutschen‘ Linie geprägten Voraussetzungen (siehe auch die Gegenüberstellung im Pressediskurs, Kapitel 5.2). Ihre Werke sind oft formal freier oder rhapsodisch 856

Stanfords ehemaliger Schüler Arthur Benjamin berichtete, wie dieser 1921 mit Tränen in den Augen klagte: „All my lovely pupils – mad! They’ve all gone mad! Vaughan Williams, Holst, Howells, Bliss – all mad!“ Benjamin, A Student in Kensington, 207. Vgl. zu weiteren Einschätzungen zu Stanford als Pädagoge und dessen mangelnder Auseinandersetzung mit französischer Musik Rodmell, Stanford, 369f. 857 Banfield, Sensibility and English Song, Vol. 1, 65. Coleridge-Taylors Klarinettenquintett (1895) stand wohl in direkter Verbindung zu Brahms’ (zu einer ähnlichen Verbindung bei Ireland siehe Anm. 944). Vgl. zu Coleridge-Taylors Kammermusik Carr, From Student to Composer. „They frequently discussed their art, Coleridge-Taylor’s favourite composer being Dvorák, while Hurlstone adored Brahms.“ Newell, Hurlstone, 11. 858 Siehe zu der Gruppe S. 227, zu Walker S. 327f. Tovey, als Professor für Musik in Edinburgh ab 1914 besonders bekannt durch seine Essays in Musical Analysis, widmete das Klaviertrio h-Moll op. 1 (1895, gedruckt 1910 bei Schott) in Dankbarkeit seinem Lehrer Parry. Der Maestoso-Kopfsatz erinnert mit dem ernsthaften Tonfall und den gegenläufigen Rhythmen an Brahms. An seine Musiklehrerin Sophie Weisse schrieb Tovey 1897: „I want you to hear Walker’s trio, which has some noble features. It is in the style of Brahms and Walker, but the form and texture of Schumann; a most singular combination, but just what one would expect from an original man, who knew all the works of Brahms, but had found out all he knew of form simply by experience.“ Grierson, Tovey, 54. Zu einem ähnlichen Eindruck gelangte eine Kritik von Walkers Violinsonate a-Moll op. 8 (1895): „He does not so much swallow up the style of Brahms, but is swallowed by it. We cannot conjecture at all fairly what Dr. Walker might have been without Brahms.“ S. L. [Samuel Langford], The Manchester Musical Society, in: The Manchester Guardian, 14.1.1911, 6. Für Walker verband Brahms in idealtypischer Weise „the desire for emotional expression with the desire for structural proportion“. Walker, Brahms, 116.

266

angelegt. Der Schotte McEwen band folkloristische Elemente ein; Holbrooke vergab programmatisch-poetische Titel, viele davon Edgar Allan Poe entliehen.859 Die frühen Kompositionen von John Ireland und Frank Bridge, die 1897 bzw. 1899 ein Stipendium für das Studium bei Stanford erhielten, folgten diesem Umfeld entsprechend den oben beschriebenen Mustern. Beide setzten sich jedoch nach 1900 – auch als Interpreten – intensiv mit der jungen französischen Musik auseinander. Dasselbe gilt für Cyril Scott, der seine Ausbildung in Deutschland erhielt. Alle drei wurden 1879 geboren, und ihre Werkkataloge verbindet neben einem Schwerpunkt in der Kammermusik die geringe Präsenz von Kirchenmusik und Oratorien, Gattungen, die die englische Musikkultur des 19. Jahrhunderts stark geprägt hatten. Anders als viele Zeitgenossen interessierten sie sich wenig für Folksong und ältere englische Musik; in diesem Sinne waren sie keine musikalischen Nationalisten, nahmen aber dennoch einen individuellen Ausdruck der eigenen Nationalität für sich in Anspruch. Die Begegnung mit den der Ästhetik ihrer Studienzeit so entgegengesetzten französischen Modellen begriffen sie als Möglichkeit der Erweiterung ihres stilistischen Vokabulars, etwa durch modale und ganztönige Skalen, aber auch als neue Perspektive auf Klang und Struktur. Ihre kompositorischen Entwicklungen zeigen so einige Parallelen, ohne dass sie zu denselben Ergebnissen führten. Eugene Goossens, 1893 geboren und von 1910 bis 1912 Student bei Stanford, gehörte bereits einer jüngeren Generation an, für die die traditionellen Modelle von Beginn der Ausbildung an keine übergeordnete Bedeutung mehr beanspruchen konnten. Bei zahlreichen weiteren Komponisten schlug sich die Auseinandersetzung mit der mittlerweile vollständig etablierten französischen Musik, primär während der 1910erJahre, auf ähnliche, dabei zugleich stets individuelle Art und Weise nieder. Parallel zu dem steigenden Stellenwert von Kammermusik entstanden gerade in diesen Gattungen neue kompositorische Konstellationen, die häufig durch anglo-französische Konzertprogramme akzentuiert wurden. Allein bei Stanfords Schülern ergaben sich solche etwa bei Ralph Vaughan Williams (der 1907/08 einige Monate Unterricht bei Ravel nahm), Thomas Dunhill und den zwischen 1910 und 1914 das Studium abschließenden Rebecca Clarke, Arthur Bliss, Herbert Howells und E. J. Moeran. Aber auch die ältere Generation, mit ihren jeweils völlig verschiedenen Hintergründen, nahm neue Eindrücke auf, darunter Ethel Smyth, Frederick Delius, Adela Maddison und Edward Elgar. Auf eine kürzestmögliche Formel gebracht, lässt sich die modifizierte Ästhetik als eine Aufwertung von ‚Atmosphäre‘ verstehen (ein auch zeitgenössisch oft verwendeter Begriff): Farbe und Textur erhielten gegenüber Linie und Form einen mindestens gleichberechtigen Rang.860 Klanglichkeit definierte sich nicht mehr nur über die Steigerung, 859

Hardy charakterisierte das RCM („Brahmsian style“) und die RAM („late romantic“, „Wagnerian“) im Vergleich als konservativ bzw. progressiv. Dies führt jedoch dahingehend in die Irre, dass sich auch Corder nach 1900 als entschiedener Gegner zeitgenössischer Entwicklungen profilierte (siehe S. 232ff.). Hardy, The British Piano Sonata, 35f. 860 „Colour and texture were no longer perceived as surface applications in a composition but as

267

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

sondern auch das bewusste Zurücknehmen instrumentaler Ressourcen (siehe Dunhills kurze Diskussion von Ravels Streichquartett, auch zur „precious quality“ der Atmosphäre, S. 223). Zudem verlor der Anspruch einer streng organischen Konstruktion an Autorität. Rhapsodische Elemente ebenso wie die Wiederholung von (leicht veränderten) Phrasen wurden zu Alternativen einer kontinuierlichen motivisch-thematischen Entwicklung.

6.1 Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren „Brahms happily tempered with Fauré“: Frank Bridge It is not until you reach one of the sub-divisions of this world of music-lovers that you discover a circle where Frank Bridge can be described as intimately known. That circle is the small community of enthusiasts who meet for the performance of chamber music in the intimacy for which such music was originally intended. I hesitate even to include the devotees of chamber concerts. For one thing recent experience shows them to be not only a small, but a dwindling band; for another the works of Frank Bridge have never had the same attraction for even this public as they had for the players themselves, which is in itself another tribute to their excellence as chamber music in the intimate sense of the word.861

Keiner seiner englischen Zeitgenossen war mit Kammermusik so eng verbunden wie Frank Bridge (1879–1941), der sowohl als Komponist als auch als Bratschist auf diesem Gebiet einen hervorragenden Ruf genoss. Evans’ Einführung von 1924 legt Parallelen zu Gabriel Fauré nahe, dessen Rezeption in England ebenfalls zunehmend von Topoi eines ‚intimen Zirkels‘ und der Interpretenfreundlichkeit geprägt wurde (siehe Kapitel 2.2). Ähnlich wie bei Fauré nahm Kammermusik für Bridge offenbar den Rang einer privaten, oft mit persönlicher Bedeutung aufgeladenen Musik an (die Three Idylls für Streichquartett etwa widmete er Ethel Elmore Sinclair, seiner späteren Ehefrau), deren expressives Potenzial für ihn der Orchestermusik gegenüber in keiner Weise zurückstand.862 Sein Kollege Herbert Howells formulierte: „His pronounced aptitude for chamber-music performance powerfully affected the whole process of his thought.“863 essences, on a level with – and perhaps determining – form.“ Banfield, England, 1918–45, 184. Für Stanford stand der Vorrang von Form gegenüber Farbe außer Frage. Stanford, Musical Composition, 74. Zum Kontext der „line vs. colour dichotomy“ vgl. O’Connell, Stanford and the Gods of Modern Music, 34. Siehe Anm. 1058 für Vaughan Williams’ Bemerkung zum Studium bei Ravel. 861 Evans, Introductions: XVI. Bridge, 106. 862 Huss, The Music of Bridge, 25f. Vgl. zu Fauré Anm. 314. 863 Howells, Frank Bridge, 208.

268

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

Werke jener Gattungen erstrecken sich von 1900, mitten in der Studienzeit, bis 1937 und damit praktisch über Bridges gesamte Laufbahn. An diesen lässt sich eine weitreichende stilistische Entwicklung konstatieren, die während und nach dem Ende des Ersten Weltkriegs einen Bruch umfasst, der bei Generationsgenossen wie Scott, Ireland oder Bax keine Entsprechung findet. Mit der Klaviersonate (1924) und dem 1927 abgeschlossenen dritten Streichquartett, dem eine zehnjährige Lücke in der Kammermusikproduktion vorausgegangen war, hatte Bridge sich von der traditionellen tonalen Struktur entfernt und einem modernen Stil angenähert, der kontrovers diskutiert und oft ablehnend aufgenommen wurde.864 Als Referenzpunkte für die post-tonale, expressionistische Tonsprache wurden etwa Alexander Skrjabin, Béla Bartók und Alban Berg herangezogen (der berühmteste von Bridges wenigen Privatschülern, Benjamin Britten, fasste 1933 ein Studium bei Berg in Wien ins Auge).865 Der Zyklus der vier Streichquartette (1906, 1915, 1927, 1937) lässt sich mit seiner großen Bandbreite auch mit dem zu ähnlichen Zeitpunkten entstandenen Alexander von Zemlinskys (1896, 1915, 1924, 1936) vergleichen. Bridge konnte sich nach 1923 neben dem Dirigieren ganz der Komposition widmen, da er von der amerikanischen Mäzenin Elizabeth Sprague Coolidge großzügig finanziell unterstützt wurde. Diese setzte sich zunehmend für zeitgenössische englische Kammermusik ein.866 Gleichzeitig verlor seine Musik nach und nach ihre Stellung im Konzertrepertoire: Die neuen Werke blieben der Öffentlichkeit fremd, und die älteren, zu denen auch kürzere und zugänglichere Formen bis hin zu Salonstücken für Amateure gehörten, gerieten größtenteils in Vergessenheit. Nach Bridges Tod dauerte es mehrere Jahrzehnte, bis sein Œuvre wieder Beachtung in Praxis und Forschung fand.867 Die Polarität zwischen Konservatismus und Radikalität, die seine Laufbahn prägte,868 drückte sich in den früheren Werken, vor etwa 1920, in einer dialektischen Verbindung des traditionellen romantischen Idioms mit modernen Elementen aus. Evans beschrieb Bridge noch 1924 als „conservative with eclectic leanings“; fünf Jahre zuvor hatte er ihn

864 Schon früh wurde debattiert, ob dieser ‚Bruch‘ nicht eher eine konsequente Weiterentwicklung von Bridges persönlichem Stil darstelle. Siehe etwa ebd., 213f. Gerne zitiert wird hingegen Howes’ abfälliges Diktum, Bridge „began to uglify his music to keep it up to date“. Howes, The English Musical Renaissance, 160. 865 Hardy, The British Piano Sonata, 113–123; Payne, Bridge – Radical and Conservative, 64. Siehe für das Verhältnis zu seinem Schüler Mark, Bridge and Britten. 866 Bei Coolidges jährlichem Berkshire Festival in Pittsfield/MA waren 1923 etwa Rebecca Clarke, Myra Hess, May Mukle, Lionel Tertis und das London String Quartet unter den Interpreten, gespielt wurden Werke von Arnold Bax, Benjamin Dale, Eugene Goossens, Clarke und Bridge. Vgl. Banfield, “Too Much of Albion”?. 867 Vgl. zwei analytische Dissertationen der 1990er-Jahre Edwards, Bridge: The String Quartets; Wade, The Four String Quartets of Bridge. Eine breitere Herangehensweise zeigte die Dissertation von Huss, der auch frühe Werke einbezog. Huss, The Chamber Music of Bridge. Weitere unveröffentlichte Dissertationen befassten sich mit einzelnen Aspekten oft mit Schwerpunkt auf dem Spätwerk. 868 Vgl. eine der frühesten Studien über Bridge von 1984. Payne, Bridge – Radical and Conservative.

269

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

aufgrund seiner Vielseitigkeit mit Florent Schmitt verglichen.869 In seiner Artikelreihe postulierte Evans, dass Bridge im Umgang mit den akademischen Prinzipien, die am Royal College of Music vermittelt wurden (und für die etwa Brahms und Glasunow standen), einen Mittelweg beschritten habe. Weder genügte es ihm, diese Modelle stets zu wiederholen, noch habe er sich völlig von ihnen abgewandt. Vielmehr bleibe auch in seinen kühnsten Modernismen die solide Grundlage stets erkennbar. Ähnlich formulierte Jean-Aubry, der ebenso die Kammermusik hervorhob: Just as the acute dissonances used as a pointillage by Stravinsky in his later works occur also in Ravel, but embedded in an explanatory harmonic context, in Frank Bridge will be found most of the current extensions of the older harmony, but in a state of complete reconciliation.870 Mr. Frank Bridge mingles very felicitously Victorian or classical traditions with modernism; his work is unequal but always carefully written. He has a special gift for chamber-music, [...].871

Die erste Dekade des 20. Jahrhunderts, in der Bridge sein Studium abschloss und erste Erfolge feiern konnte, war zugleich die Zeit, in der moderne französische Kammermusik in England in zuvor unerreichtem Ausmaß Verbreitung fand. Dies betraf bereits bekannte Werke von Franck und Fauré sowie neue von Debussy, Ravel und anderen. Bridge setzte sich mit diesem Repertoire auch als Interpret intensiv auseinander. So lässt sich die Verbindung von klassischen und modern-eklektischen Elemente in seinem Stil auch als solche von deutschen und französischen Modellen identifizieren. Auf französische Bezüge in Bridges Werk wurde in Rückblicken schon früh aufmerksam gemacht: Britten verteidigte seinen Lehrer kurz nach dessen Tod gegen den gängig gewordenen Eindruck, ihn vor allem mit ‚Salonmusik‘ zu verknüpfen (der etwa die Novelletten und Three Idylls für Streichquartett von 1904 bzw. 1906 nahestehen), und beschrieb die Phantasy für Klavierquartett (1910) prägnant als Mischung aus Brahms und Fauré.872 Zur selben Zeit erkannte J. A. Westrup Spuren Faurés im Klavierquintett (1912), Ravels in der Klaviermusik und „impressionist influence“ im späten Klavier-

869

Evans, Introductions: XVI. Bridge, 109. „[Bridge’s] spacious technique provides a facility for reconciling divergent methods, in which respect his rôle in English music presents some analogy to that of Florent Schmitt in France.“ Evans, Modern British Composers. Introductory Article, 12. 870 Evans, Modern British Composers. I. Bridge, 55. 871 Jean-Aubry, British Music Through French Eyes, 209. 872 „His inclination was instinctively towards the French tradition of skill, grace and good workmanship, and away from 19th-century German decadence.“ Britten, Frank Bridge and English Chamber Music (1947), in: Britten on Music, 75–77, hier 75f. In einer kurzen Werkeinführung schrieb Britten 1948: „Finished in June 1910, this work is written in Bridge’s early style – sonorous yet lucid, with clear, clean lines, grateful to listen to and to play. It is the music of a practical musician, brought up in German orthodoxy, but who loved French romanticism and conception of sound – Brahms happily tempered with Fauré.“ Britten, Frank Bridge: Phantasie Piano Quartet (1910), in: Ebd., 394.

270

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

trio (1929). Auch in seiner langfristigen Entwicklung erinnere Bridge an Fauré.873 Die Tondichtungen stehen hingegen eher anderen Modellen nahe: Die Suite The Sea (1911) gemahnt höchstens begrifflich an Debussy.874 Gerade der Vergleich mit Fauré – etwa in der Textur der Kammermusikwerke mit Klavier – wurde in der späteren Forschung häufig aufgegriffen und fand Eingang in CD-Booklets und -Rezensionen; auch auf Francks Zirkel wurde verwiesen.875 Auf der anderen Seite beschrieb Ben Earle in Anlehnung an Anthony Payne die meist regelmäßig periodische Satzbildung bei Bridge als genuin „Germanic“ und damit als im Gegensatz zur französisch-russischen Prägung vieler progressiver englischer Komponisten stehend.876 In frühen Besprechungen von Bridges Werken waren Verweise auf nationale Stile rar. Jedoch wurde häufig deren moderne Harmonik hervorgehoben, gleichzeitig eines der charakteristischen Merkmale der jüngeren französischen Musik.877 An den Moden des englischen musikalischen Nationalismus zeigte Bridge sich allgemein wenig interessiert: Das galt für die Wiederentdeckung älterer englischer (‚Tudor‘) Musik ebenso wie für das Sammeln von Volksliedern, die keinen Einfluss auf seine kompositorische Sprache hatten, auch wenn er einzelne als effektvolle Streichquartettsätze arrangierte.878 1923 positionierte sich Bridge in einem Interview explizit gegen den Ausdruck von Nationalität in der Musik. Seine kosmopolitisch-kontinentale Orientierung wurde ihm insbesondere nach 1920 häufig negativ ausgelegt und den späteren Werke ein ‚gesunder 873

„Like Fauré he began as a romantic in the nineteenth-century tradition and later refined his style to such an extent that it made an appeal only to a limited circle. Like Fauré he had a classical sense of fitness and a gift for achieving clarity without apparent effort.“ Westrup, Bridge, 82. 874 In frühen Werken wie Mid of the Night (1904) erkannte Clinch ein Nebeneinander verschiedener Idiome wie Wagners und Tschaikowskis, das er als typisch für die englische Musik der Zeit beschrieb. Clinch, Bridge: Poems of Re-enchantment. Vgl. zu The Sea Downes, Modern Maritime Pastoral. 875 Payne, Bridge – Radical and Conservative, 13 und 22. Bridge sei „[...] an even closer English equivalent of the French sub- and post-Franck school on stylistic grounds [than Hurlstone]“. Banfield, Sensibility and English Song, Vol. 1, 68. Huss formulierte grundsätzlich: „Such elements [the basic aesthetic foundations of German romanticism] were eventually complicated by influences from more progressive music, especially French impressionism, whose alternative structural and expressive priorities led to a movement away from Brahmsian logic [...].“ Huss, The Music of Bridge, 12. 876 So sei Vaughan Williams im ersten Satz der Pastoral Symphony (1921) „concerned with the linking together of varied repetitions of heterogeneous fragments, not with the spinning out of homogeneous paragraphs from smaller units [wie Bridge zuvor].“ Earle, Modernism and Reification, 371 und 364f. 877 „It [das erste Streichquartett (1906)] is an exceedingly interesting work, fully developed on the lines of the classical form, but making free use of modern varieties of harmony.“ The Times, 17.6.1909, 13. Bei einem allein Bridge gewidmeten Konzert in der Wigmore Hall wurde dessen Stil ausführlicher beschrieben und mit an französischer Musik erprobten Adjektiven bedacht: „The strength of this composer lies in his versatile harmonies. The invention all goes into these, and the listener feels himself slip from point to point as in a dream that comes true. [...] The themes are not condensed or pithy. They are gracious, imaginative, happy thoughts, not meant to clinch the matter, only to set one thinking.“ The Times, 31.10.1918, 8. 878 Über die beiden Quartettsätze Two Old English Songs (1916) sagte er in einem Interview: „[...] they fulfil a purpose of fostering an interest in chamber music among those who cannot yet appreciate more serious music.“ Musical America, 17.11.1923, 3, zit. nach Bray, Bridge: A Life in Brief, Abschnitt 28.

271

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

Nationalcharakter‘ abgesprochen.879 Entsprechend, aber neutraler kommentiert wurde 1933 das zweite Streichquartett (1915), das „more to the banks of the Rhine, left and right, than to the banks of the Thames“ gehöre.880 Für Bridges frühe musikalische Erfahrungen grundlegend war neben dem familiären Zirkel und dem Music-Hall-Orchester seines Vaters in Brighton die Zeit am Royal College of Music, das er 1896 als Violinstudent betrat.881 Sein Lehrer Achille Rivarde hatte in Paris studiert und lange im Orchestre Lamoureux gespielt, was zu der Spekulation einlädt, er habe seine Schüler auch mit französischer Musik vertraut gemacht.882 1899 erhielt Bridge ein Stipendium für das Kompositionsstudium bei Stanford, das er 1903 abschloss. Er war zugleich häufig als Interpret bei den Kammerkonzerten des RCM eingebunden, zunehmend mit der Viola, und wurde Mitglied professioneller Quartette, insbesondere im English String Quartet, das 1902 aus einer Gruppe von Kommilitonen hervorging (daneben spielte er ab 1902 zweite Geige im Jessie Grimson Quartett und ab 1903 Viola im Marie Motto Quartet). Eigene Konzerte boten Gelegenheit für die Aufführung seiner Werke. Bei seinem ersten Auftritt in der neuen Bechstein Hall im Mai 1902 spielte Bridge mit dem Jessie Grimson Quartet das ein Jahr zuvor am RCM uraufgeführte Streichquartett B-Dur. Am prestigeträchtigsten war wohl jedoch Bridges kurzzeitige Verbindung zum Berliner Joachim Quartett, das er 1906 bei mehreren Gelegenheiten als zweite Viola komplettierte.883 Auch in der Nachfolgereihe der Joachim-Konzerte, der Classical Concert Society, war Bridge als Interpret aktiv und zudem ein regelmäßiger Gast des Komiteevorsitzenden Edward Speyer bei privatem Musikmachen in dessen Anwesen Ridgehurst.884 So zeigte er sich den in diesen Kreisen hochgehaltenen klassischen deutschen Idealen eng verbunden, ähnlich wie schon sein Lehrer Stanford stets die Nähe zu Joachim gesucht hatte. 879

„You really cannot speak of nationality in music, since art is world-wide. If there is to be any expression of national spirit, it must be the expression of the composer’s own thoughts and feelings, [...].“ Musical America, 17.11.1923, 3, zit. nach Huss, The Music of Bridge, 160, siehe dort auch zu weiteren Einschätzungen. Vgl. auch Harasim, An Internationalist Composer in a Nationalist Society. 880 The Times, 22.5.1933, 9. Gleiches galt für das zweite Quartett (1921) von Gerrard Williams, das den Rezensenten an Ravel und Reger erinnerte. 881 Eine ausführliche Biographie Bridges unter Einbeziehung zahlreicher Primärquellen hatte Trevor Bray im Internet präsentiert, sie ist allerdings nur noch in archivierter Form aufzurufen. Bray, Bridge: A Life in Brief. Auf diese stützte sich auch die jüngste Darstellung von Huss, The Music of Bridge. 882 Bray nannte Rivarde als Bridges Lehrer, auch wenn dieser erst ab 1899 als Professor am RCM firmierte. 883 Bridge spielte bei zwei Konzerten im Mai Beethoven und Brahms (in der Literatur bislang nicht beachtet) sowie im November erneut zweimal Brahms (Wigmore Hall Archive). Anders als Evans in Cobbett’s Cyclopedic Survey angab und damit Bridges große Reputation verdeutlichte, vertrat Bridge nicht den festen Bratschisten Wirth, das übernahmen die erfahreneren Alfred Gibson und Karl Klingler. Evans, Bridge, 188. 884 Siehe zu der Reihe S. 246f. In diesem Kreis traf Bridge auch mit Elgar und Pablo Casals zusammen. Vgl. Elgar, Ridgehurst Friends, 329–340; und die Erinnerungen Speyer, My Life and Friends, 220f.

272

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

Ergänzt wurde diese Prägung durch eine praktische Auseinandersetzung mit dem aufkommenden modernen französischen Repertoire: Die Kammermusikaufführungen am RCM, an denen Bridge zwischen 1900 und 1912 als Geiger oder Bratschist beteiligt war, zeigen neben den gängigen deutschen Namen, Grieg, Dvořák, Borodin und Richard Strauss auch Franck (Klavierquintett mehrfach ab 1903, Streichquartett 1908), Fauré (Klavierquartett g-Moll 1908) und Debussy (englische Erstaufführung des Streichquartetts, 1904).885 Mit Saint-Saëns, Chausson und insbesondere Franck und Fauré trat er in der Folge regelmäßig hervor, etwa mit dem English String Quartet und bei der Classical Concert Society, wo er im Dezember 1913 auch persönlich auf Ravel traf. Ein halbes Jahr später gab er mit Fauré dessen Klavierquartett c-Moll. Natürlich spielte Bridge auch zeitgenössisches englisches Repertoire, darunter 1919 sein Streichsextett mit dem internationalen Allied String Quartet.886 Bridges erste erhaltene Werke stammen aus dem zweiten Jahr seines Kompositionsstudiums und werden von Kammermusikstücken dominiert, die sich bis 1902 auf vier groß angelegte, jeweils zeitnah uraufgeführte, aber bis heute unveröffentlichte Studienkompositionen summieren (siehe für eine Übersicht bis 1917 Tabelle 22).887 Die drei erhaltenen viersätzigen Werke bezeugen Bridges mit der klassisch-romantischen Ästhetik des ‚musikalischen Idealismus‘ (siehe Anm. 35) verbundenes kompositorisches Fundament eines professionellen Ansatzes, handwerklicher Solidität und einer organischökonomischen Logik, die auf den Prinzipien seines Lehrers Stanford basierte.888 Zu dieser Logik gehörten die (auf unterschiedliche Weise ausprägbare) Sonatenform, ein auch charakterlich manifestierter Themendualismus, über Satzgrenzen hinausreichende motivische Entwicklungen und eine auf funktionsharmonischen Zusammenhängen basierende, primär diatonische tonale Architektur. Das Streichquartett B-Dur (1900) ist von den drei Stücken am klassischsten gehalten und zeigt fast lehrbuchartig eine ökonomische Form motivisch-thematischer Arbeit:889 Das Material, das die ausgedehnte Adagio-Einleitung in b-Moll in imitatorischer Engführung und darauffolgenden harmonischen Erkundungen exponiert, bildet zugleich die Grundlage des folgenden Allegro moderato, wo es als Themenkopf und Ausgangspunkt der Überleitung fungiert. Verglichen mit den später für Bridge typischen weitgespannten, fließenden Themen ungewöhnlich ist die Phrasengestaltung des ersten Themas, dessen 885

Siehe die Übersicht bei Huss, The Chamber Music of Bridge, 332–336. Siehe Tabellen 8, 14 und 15 sowie Anm. 289 und 554 (vgl. Wigmore Hall Archive). 887 Manuskripte werden in der British Library und der Frank Bridge Collection im Royal College of Music aufbewahrt. Vgl. den aktuellen Werkkatalog bei Hindmarsh, Bridge. The Complete Works. Alle erhaltenen Kammermusikwerke Bridges sind mittlerweile auf CD eingespielt. 888 Das Ideal der Ökonomie leitete Stanford in seinem Handbuch für Studenten exemplarisch aus dem ersten Satz von Beethovens Klaviersonate op. 31 Nr. 3 ab: „All the figures and passages have a logical origin in some detail of the themes.“ Stanford, Musical Composition, 88. Siehe zu Stanfords Einfluss als Pädagoge auf Bridge Huss, The Music of Bridge, 13–15. 889 Für eine ausführliche Analyse der Studienwerke mit Notenbeispielen siehe Huss, The Chamber Music of Bridge, 14–68, kondensiert in ders., The Music of Bridge, 16–24. 886

273

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

Tabelle 22: Kammermusik von Frank Bridge, 1900–1917 Abschluss

Druck

Werk

1900



Klaviertrio d-Moll (verloren)



Streichquartett B-Dur

1901



Streichquintett e-Moll

1902



Klavierquartett c-Moll

1904

1997

Violinsonate Es-Dur (nur erster Satz vollendet)

1915

Novelletten für Streichquartett



Klavierquintett d-Moll (viersätzig, revidiert 1912)

1906

Phantasie f-Moll für Streichquartett

1911

Three Idylls für Streichquartett

1916

Streichquartett Nr. 1 e-Moll (viersätzig)

1907

1909

Phantasie c-Moll für Klaviertrio

1910

1911

Phantasy fis-Moll für Klavierquartett

1912

1919

Klavierquintett d-Moll (revidiert, dreisätzig)

1920

Streichsextett Es-Dur (dreisätzig)

1915

1916

Streichquartett Nr. 2 g-Moll (dreisätzig)

1917

1918

Cellosonate d-Moll (zweisätzig)

1905 1906

zweitaktiger Vordersatz vom Nachsatz durch eine Pause deutlich abgesetzt ist. Huss’ Argumentation zufolge gelingt es Bridge in der Durchführung nicht, das thematische Material über die Exposition hinaus weiterzuentwickeln, diese bleibe fragmentarisch und ziellos.890 Bei den Bogenformen der späteren Phantasies konnte er auf die klassische Durchführung verzichten. Die Tonsprache des Quartetts wie auch der Folgewerke orientiert sich eng an dem im Laufe des 19. Jahrhunderts in ganz Europa verbreiteten romantischen Kammermusikidiom, konkrete Bezüge auf Komponisten sind kaum auszumachen. So verwies Huss zwar für den zweiten Satz auf Dvořák „or the lightness of Mendelssohn or Schumann rather than Brahms or Beethoven, although a French influence is also probable (particularly Fauré)“.891 Aber ebenso gut könnte Stanfords erstes Streichquartett G-Dur op. 44 (1891) mit dem tänzerischen g-Moll-Scherzo, G-Dur-Trio und grundierenden Cellopizzicati als Parallele herangezogen werden. 890 891

Huss, The Music of Bridge, 18. Ebd.

274

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

Das Streichquintett e-Moll aus dem folgenden Jahr zeigt verschiedene Elemente, die für Bridges Kammermusik der ganzen Dekade typisch werden sollten: Dazu zählen die Grundtonart in Moll, der energische Unisono-Beginn und die zyklische Verknüpfung der Sätze durch die Wiederaufnahme von Themenmaterial des ersten Satzes am Ende des Finales. Auch dafür ist kein konkretes Modell auszumachen: Ein ähnliches Verfahren findet sich mehrfach bei Stanford, etwa im Klavierquintett d-Moll op. 25 (1886), ebenso wie bei Mendelssohn Bartholdy, Schumann und vielen anderen.892 Auf paradoxe, aber angesichts Bridges persönlicher Weiterentwicklung konsequente Art und Weise zeigt das Klavierquartett c-Moll sowohl individuellere Züge als auch eine klarere Orientierung an bestimmten Modellen. Typisch für Bridge sind der lyrischnostalgische Tonfall, die symmetrische Bogenform im ersten Satz durch die vertauschte Reprise der beiden Themen und die Einbindung des ersten Themas in das zweite.893 Als Vorbilder lassen sich Brahms’ Klavierquartett in der gleichen Tonart nennen (etwa in der Gegenüberstellung von leisem Beginn und Fortissimo-Wiederholung sowie dem vom Cello eingeleiteten E-Dur-Adagio), Francks Klavierquintett (in dem energischen cisMoll-Mittelteil des langsamen Satzes mit Doppelpunktierungen in den Streichern und lyrischer Erwiderung des Klaviers sowie der von Doppelgriffen und Tremoli geprägten dichten Textur im Anschluss) und Faurés Klavierquartett g-Moll (in den durchlaufenden, von Pizzicati der Streicher begleiteten Klavierachteln im raschen Scherzo). Die beiden letztgenannten Werke hatte Bridge zwar noch nicht selbst öffentlich im RCM gespielt, er hätte sie aber im Jahr zuvor, 1901, bei den Popular Concerts hören können. Die nach dem Abschluss seines Studiums begonnene, nicht vollendete Violinsonate Es-Dur (1904) zeigt einen Weg auf, den Bridge nicht weiterverfolgen sollte. Erst mit der Cellosonate (1917) legte er wieder ein Duo vor. Der an den Beginn von Strauss’ Violinsonate erinnernde heroisch-virtuose Einstieg kontrastiert mit der sonst für Bridge typischen Themengestaltung, auch von dem regen Gebrauch verminderter Septakkorde sollte er in der Folge Abstand nehmen.894 Hingegen weisen die beiden Sammlungen für Streichquartett, die drei Novelletten (1904) und die Three Idylls (1906), auf kleinem Raum Elemente auf, die für ihn relevant bleiben sollten. Beide gehörten zu den ersten seiner Werke, die sich im Konzertrepertoire etablieren konnten, und wurden 1915 bzw. 1911 auch gedruckt. Die Idylls wurden in den 1910er-Jahren mehrfach in Paris gespielt, eigneten sich besonders für Amateure und private Kontexte (1910 hörte sie Elgar in kleiner Runde bei Edward Speyer in Ridgehurst) und standen 1911 bei einem repräsentativen Kammerkonzert der Society of British Composers auf dem Programm.895 892

Vgl. ebd., 22. Huss, The Chamber Music of Bridge, 58f. 894 Ebd., 73–75. 895 Siehe Anm. 586 und Tabellen 18 und 20. „Lady and Miss Elgar, Miss Wild and Mrs Bridge were also there and Mr and Mrs and Eddie Speyer. Sir Edward Elgar couldn’t be induced to remain indoors and was only captured, after a prolonged hunt by several people, to come in to listen to Bridge’s Idylls [played by the Motto Quartet with Bridge].“ Tagebucheintrag von F. S. Kelly, 28.3.1910. Kelly, Race Against Time, 169. 893

275

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

Nicht zuletzt bot das zweite der Idylls die Grundlage für Brittens Variations on a Theme of Frank Bridge op. 10 für Streichorchester (1937), die für lange Zeit fast allein Bridges Namen im Repertoire bewahrten. Beide Sammlungen eröffneten Bridge die Gelegenheit, abseits einer strengen thematischen Erörterung eine vielfältigere Streichertextur, deren Finger- bzw. Wechseltremoli und Pizzicati an die Quartette von Debussy und Ravel erinnern, und eine farbenreiche Harmonik mit Alterationen und mehrdeutigen akkordischen Verbindungen zu erkunden. Diese Merkmale ergeben einen Eindruck ‚impressionistischer‘ Miniaturen.896 Besondere Prominenz, auch in späteren Werken, kommt dem sogenannten ‚französischen Sextakkord‘ (übermäßigen Terzquartakkord) zu, klanglich identisch mit dem Dominantseptakkord mit verminderter Quinte und aus den Tönen derselben Ganztonskala zusammengesetzt: Ein solcher findet sich etwa am Schluss der sich über einen Dominantorgelpunkt erstreckenden Einleitung der ersten Novellette (im Takt vor Ziffer 2, als Dominante von Es-Dur) und im ersten Idyll (T. 6, als Doppeldominante von h-Moll zu einem fis-Moll-Septnonakkord führend).897 Ein Beispiel für die mehrdeutige Funktion eines Akkords bietet die zweite Novellette, wo der E-Dur-Septnonakkord sowohl eine subdominantische als auch eine dominantische Funktion einnimmt, indem ihm das A-DurThema, direkt aber ein h-Moll-Klang folgen (Ziffer 3). Im zweiten Idyll wird die Grundtonart durch widersprüchliche Verbindungen lange offengehalten; erst in T. 16 folgt auf den französischen Sextakkord über h ein Quintfall im Bass, der e-Moll etabliert.898 Den Durchbruch in der kleinen Öffentlichkeit der Kammermusikliebhaber verschaffte Bridge in dieser Zeit die erfolgreiche Teilnahme an mehreren Wettbewerben, bei denen gleich vier Werke ausgezeichnet wurden. Besonders verknüpft war er mit der Phantasy-Form, die der Enthusiast Walter Willson Cobbett angeregt hatte (siehe S. 260ff.): Die Phantasie f-Moll für Streichquartett erhielt bei der ersten Ausschreibung 1905 einen Sonderpreis, die Phantasie c-Moll für Klaviertrio zwei Jahre später den ersten Preis; dazu kam 1910 Cobbetts Auftrag für die Phantasy fis-Moll für Klavierquartett. Das (nun erstes genannte) Streichquartett e-Moll erhielt 1906 bei einem internationalen Wettbewerb in Bologna ein mention d’honneur, und das zweite Streichquartett g-Moll erlangte wiederum bei einer Ausschreibung Cobbetts 1915 in der Kategorie Sonatenform den ersten Preis. Insbesondere die beiden Phantasies mit Klavier repräsentieren die Quintessenz des Stils, mit dem Bridge fortan primär verknüpft wurde und letztlich bis heute wird. Das Quartett wurde schon 1913 von Dunhill zur Illustration von „quite modern trends of thought“ in einem Leitfaden herangezogen und stand 1921 neben Fauré auf dem ersten 896

So wurden die Three Idylls als „delicate impressionist sketches of a light and fantastic nature“ beschrieben. Morning Post, 9.3.1907, 5c, zit. nach Little, Bridge. A Bio-Bibliography, 8. 897 Huss, The Chamber Music of Bridge, 79 und 96. Die französische Qualität der „French Sixth“ ist natürlich nicht auf die auf das frühe 19. Jahrhundert zurückgehende Terminologie zurückzuführen, sondern in diesem Kontext, wenn überhaupt, auf die klangliche Verwandtschaft mit der Ganztonskala. Vgl. Ellis, A Chord in Time, 207f. 898 Huss, The Chamber Music of Bridge, 101.

276

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

Programm des prominenten englischen Ensembles The Chamber Music Players.899 In beiden Werken zeigt sich am deutlichsten die Verbindung einer traditionellen, grundsätzlich romantischen Tonsprache mit originellen Formlösungen und Klangfarben, die sich in ihrer transparenten Textur, lyrischem Gestus und harmonischen Flexibilität von der Stanford-Tradition entfernen und stattdessen an französische Modelle angelehnt sind. Faurés frühe Kammermusik zeichnete sich in ähnlicher Art und Weise durch die Kombination von klassischen Mustern und vergleichbaren individuellen Elementen aus. Die zunehmende Ausprägung jener Merkmale bei Bridge ist zudem an der Revision des Klavierquintetts d-Moll nachvollziehbar, dessen 1907 öffentlich uraufgeführte erste Fassung von 1905 er bis 1912 umarbeitete und dabei unter anderem die beiden Mittelsätze Adagio und Scherzo in einem zusammenzog. Die formalen Anlagen beider Phantasies haben einige Analogien, wie Tabelle 23 zeigt:900 Sie folgen jeweils einer Bogenform nach dem Schema ABCBA, wobei die Abschnitte dem Wettbewerbsgebot der Einsätzigkeit entsprechend mehr oder minder nahtlos ineinander übergehen. Insbesondere das Trio wurde schon von den Zeitgenossen als erweiterte Sonatenform angesehen,901 in der Abschnitt A als Allegro-Exposition mit zwei Themen in der üblichen Tonartenkonstellation (Molltonika/Durparallele, in der Reprise dann Durvariante) fungiert. Im Quartett hat A den Charakter eines langsamen Satzes im 9/8-Takt einer Barcarolle. Hier wird kein thematischer Seitensatz etabliert, aber in stabilem D-Dur ein Element des Hauptthemas (T. 10) abgespalten, sequenziert und mit einer neuen duolischen Begleitfigur kombiniert (Ziffer 2). Diese eher episodische Passage wird im zweiten A-Teil erneut in D-Dur aufgegriffen, bevor das Hauptthema in der lange aufgeschobenen Tonika triumphierend wiederkehrt, sodass sich eine Reprise mit vertauschten harmonischen Bereichen ergibt. Aus dem ruhigen Grundtempo folgt, dass die beiden Abschnitte A nicht wie im Trio langsamen Satz und Scherzo, sondern Scherzo und Trio umschließen. Die klassische Durchführung wird dadurch jeweils aufgegeben. An deren Stelle treten motivische Verknüpfungen zwischen den Abschnitten in den Vordergrund, die aus Aufspaltungen und Ableitungen resultieren. Im Trio wird ein einleitend vorangestelltes leidenschaftliches und tonal instabiles ‚Motto‘ zur motivischen Keimzelle für das lyrische Hauptthema und zur rhythmischen Grundlage der 899

Dunhill, Chamber Music. A Treatise for Students, 223–225. Siehe zu dem neuformierten Klavierquartett S. 86. Evans war einer derjenigen, die das Klavierquartett als „not only his finest phantasy, but also one of the most striking of the many works which have been the result of Cobbett’s initiative“ bezeichneten. Cobbett selbst stufte das Trio als „the most important work (in trio form) of the British repertory“ ein. Evans, Bridge, 190 und 195. Zu den Bewunderern des Quartetts zählte auch Howells, siehe seine Artikel von 1916 und 1941. [Howells], Younger British Composers, 561; ders., Frank Bridge, 211. 900 Die erste Phantasie für Streichquartett zeigt demgegenüber drei durch Fermaten deutlich separierte Abschnitte in der Anordnung schnell–langsam–schnell. Vgl. die Analysen bei Huss, The Chamber Music of Bridge, 132–152, und die möglichen Deutungen einer Sonaten- oder Bogenform bei Hsu, Form in Bridge’s Three Phantasies. 901 Walker, The Modern British Phantasy, 21f.

277

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

Tabelle 23: Formpläne von Bridges Phantasies für Klaviertrio bzw. -quartett Phantasie für Klaviertrio

Phantasy für Klavierquartett

A Allegro mod. ma con fuoco (Motto) (c) c Ben moderato (Hauptsatz) Es – (Seitensatz)

Andante con moto (Motto) – (Hauptthema) – (Episode, Hauptthema)

fis fis D–fis

B Andante con molto espressione

A

Allegro vivace (Scherzo)

d

C Allegro scherzoso

a

L’istesso tempo (Trio)

Es

B Andante

a–A

– (Scherzo)

d

A Allegro moderato (Motto) – (Hauptsatz) Con anima (Seitensatz) Poco più mosso (Motto, Seitensatz)

(c) c C C

Tempo dell’introd. (Motto, Hauptth.) – (Episode) Pochettino allargando (Hauptthema) Tranquillo (Coda)

d D fis Fis

ostinaten Klavierbegleitung. Das Motto kehrt in der Überleitung des Hauptsatzes in der Originalgestalt wieder; in der Überleitung des Seitensatzes ist die Intervallstruktur des Mottos im Rahmen der kleinen Sexte wiederzuerkennen. Das Andante-Thema in B lässt sich ebenfalls aus einer Umkehrung des Mottos herleiten. Als Block steht das Motto erneut am Beginn der Reprise von A und, nach C-Dur gewendet, am Beginn der Schlusskulmination (Poco più mosso). Im Quartett wird mit ähnlichem markierten Unisono-Gestus ein allerdings ausgedehnteres, fünftaktiges Motto vorgestellt. Es nimmt dementsprechend eine andere Funktion als dasjenige im Trio ein und steht nicht in Bezug zum folgenden Hauptthema; dafür greift es der als Trio fungierende Abschnitt C in augmentierter und transponierter Form auf, den dramatischen in einen lyrischen Charakter verwandelnd. Andere Elemente überschreiten ebenfalls die Abschnittsgrenzen, so klingen die ostinaten Oktavsprünge der Begleitfigur des Scherzos B schon zuvor an (Ziffer 1 und T. 5 nach Ziffer 3); die Tranquillo-Coda sublimiert diese Begleitfigur ebenso wie das Scherzothema selbst. Während im Trio die Bezüge auf die Keimzelle eher subkutan verlaufen, sind die Verknüpfungen im Quartett unmittelbarer wahrnehmbar. Schon in seinen Studienwerken hatte Bridge Abschnitte motivisch verknüpft und im ersten Streichquartett ein chromatisches Motto eingeführt, aus dem sich das Hauptthema und dessen Begleitung entwickelten.902 Sein Verfahren der Thementransformation und damit zusammenhängend der zyklischen Vereinheitlichung lässt sich auf verschiedene Modelle zurückführen: Stanford hatte die daraus resultierende Ökonomie schon bei Beethoven hervorgehoben (siehe Anm. 888), Parallelen lassen sich ebenso zu Schubert 902

Bridge schrieb, „it was done under a motto“. Brief an Edward Speyer, 3.5.1909, zit. nach Huss, The Chamber Music of Bridge, 110, Anm. 1.

278

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

und Liszt (mehrteilige Strukturen in einsätzigen Formen) und Francks thème cyclique ziehen. Im zeitgenössischen englischen Diskurs war es aber wohl Brahms, der zuvorderst mit dem modernen Fortleben der klassischen Formen abstrakter Instrumentalmusik verknüpft wurde und der gerade in der Kammermusik das vereinheitlichende Moment der thematischen Entwicklung derart konsequent zum Prinzip gemacht hatte, dass es von Gegnern als ‚akademisch‘ abgewertet wurde. Wenn Bridge also mit Brahms’ Namen verknüpft wurde (wie von Britten und Howells in den 1940er-Jahren, die zeitgenössische Kritik hatte hingegen kaum andere Komponisten als Referenzpunkte benannt),903 lässt sich das als ein Verweis auf das von Bridge ebenfalls bevorzugt behandelte Genre und die aufrechterhaltene Logik motivischer Verknüpfung und Entwicklung interpretieren: eine Referenz auf struktureller, weniger einer tonsprachlichen Ebene. Auf der strukturellen Ebene bot die frühe Kammermusik von Fauré kein prinzipiell verschiedenes Alternativmodell. In der Tonsprache lassen sich jedoch einige Parallelen zu Bridge aufzeigen. In Kapitel 2.2 wurde argumentiert, dass Fauré die ‚seriös gearbeiteten‘ Elemente mit solchen verband, die an eine eine ‚gehobene Salonmusik‘ gemahnen. Auch bei Bridge finden sich insbesondere in den beiden Phantasies mit Klavier (in der reinen Streicherkammermusik konnte Fauré noch kein Beispiel liefern) eine melodiezentrierte Satztechnik, die den primär kantablen Themen oft eine Begleitung aus flexiblen Klavierarpeggien unterlegt. Abgesehen von den zur klanglichen Verdichtung vor Höhepunkten eingesetzten Unisonopassagen zeichnen sich die Streicherstimmen durch eine große Unabhängigkeit aus; gerade das lyrische Material wird bevorzugt in einer polyphonen Textur imitatorisch fortgesponnen (siehe etwa im Seitensatz des Trios den Kanon zwischen Geige und Cello oder im Quartett vor Ziffer 2).904 Die Satztechnik verschleiert also durch das Vorgeben eines schlichten „zerfließenden, bunt changierenden Klanggrunds“ die subtile Durcharbeitung (siehe Dahlhaus’ Beschreibung von Fauré in Anm. 310). Eine weitere charakteristische Parallele, auch zu anderen französischen Komponisten, sind Momente, in denen die Textur abrupt ausgedünnt wird – oft verknüpft mit einer harmonischen Rückung in eine entfernte Tonart: Im Trio erscheint das Poco tranquillo in as-Moll (mit Cellopizzicati) kurz vor dem Seitensatz wie aus einer anderen Sphäre und wird in absteigenden Halbtonschritten sequenziert. Der von der Viola vorgetragene As-Dur-Seitengedanke im scherzoartigen Abschnitt B des Quartetts (T. 5 nach Ziffer 7, auf d-Moll folgend) erinnert an ähnliche von der Viola getragene Einschübe bei Fauré (siehe etwa die espressivo-Melodie in der ersten Überleitung des Klavierquartetts g-Moll, T. 20). In Bridges Werken mit Klavier ist die Instrumentaltechnik der Streicher insgesamt klassischer und kommt anders als etwa in den Three Idylls für Streichquartett weitgehend ohne ‚flirrende‘ Tremoli und Pizzicato-Passagen aus (mit Letzteren ist das Scherzo des 903

Howells, Frank Bridge, 214; zu Britten siehe Anm. 872. Payne verknüpfte gerade diese „easy contrapuntal mastery“ hingegen mit Brahms, „different though the sound-world is“. Payne, Bridge – Radical and Conservative, 17. 904

279

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

Phantasy-Trios eine Ausnahme). In seiner Analyse hob Huss die erneut prominente Rolle übermäßiger Sextakkorde bzw. dominantischer Akkorde mit verminderter Quinte hervor und erkannte darin den Einfluss Debussys und Ravels (siehe etwa den französischen Sextakkord in T. 2 nach Ziffer 3 im Quartett).905 Die Themen sind jedoch weitgehend klassisch harmonisiert und modale Färbungen (etwa durch Vermeidung des Leittons wie bei Fauré) finden sich nicht. Auch eine experimentellere Harmonik mit Ganzton- und Polychordklängen schien Bridge in den 1910er-Jahren noch für seine Klaviermusik und deren kürzere Charakterstücke reserviert zu haben.906 Seine individuelle harmonische Sprache auch noch der darauffolgenden Dekade ging dabei eher vom französischen ‚koloristischen‘ Impressionismus als von der zugespitzten Chromatik der modernen deutschen Musik aus.907 Im Klavierquintett, speziell der revidierten Fassung, unternahm Bridge durch die systematische Verwendung übermäßiger Sextakkorde und halbverminderter Septakkorde als Dominantvertreter verstärkt eine Modifikation klassischer Akkordverbindungen und erreichte damit eine schwebende, farbenreiche Harmonik, die Ähnlichkeiten zu französischer Musik besitzt und auf die chromatische Instabilität seiner späteren Werke vorausweist.908 Beide Akkordtypen erscheinen in der kurzen, mysteriösen Adagio-Einleitung, die das leidenschaftliche Fortissimo-Unisono des Allegro-Themas in der ersten Fassung ersetzte: Die Auflösung des französischen Sextakkords über d zur Tonika d-Moll (statt zur Dominante) erfolgt durch chromatische Stimmführung, umgeht dabei aber den Leitton cis (T. 4–5). Huss machte insbesondere auf den Akkord es-f -gh aufmerksam, der in allen drei Sätzen an markanten Scharnierstellen erscheint und unterschiedlich weitergeführt wird: in der Durchführung des ersten Satzes zu einem E-Dur-Septnonakkord (T. 6 nach Ziffer 13); am Ende des zweiten Satzes zu einem dominantischen fis-Orgelpunkt (T. 10 nach Ziffer 12); vor der Reprise des Seitenthemas im dritten Satz zu einem fis-Dominantklang in H-Dur (Takt vor Ziffer 10). Die ambige Qualität des Akkords wird stets durch eine ausgedünnte Textur betont und im ersten Satz der Ganztoncharakter durch das a in der Melodiestimme zusätzlich hervorgehoben.909 Im zweiten Satz verstärken die parallel geführten Akkorde im Anschluss einen ‚impressionistischen‘ Klangeindruck, der statt Fauré nun jüngere französische Modelle nahelegt.

905

Huss, The Chamber Music of Bridge, 140 und 152. Huss, The Music of Bridge, 84. 907 Ebd., 125. 908 Huss, The Chamber Music of Bridge, 162–165 und 173, siehe dort auch zu einem umfangreichen Vergleich der beiden Fassungen. Auch Debussy benutze in ähnlicher Weise den französischen Sextakkord als Dominantvertreter vor der Tonika. Huss, The Music of Bridge, 62. 909 Von f im Bass bis es ergibt sich eine übermäßige Sexte, ohne dass der Akkord strenggenommen einem ‚französischen‘ oder ‚deutschen‘ Sextakkord entspräche. Ein „whole-tone pentachord“ (Huss) entsteht jedoch allein im ersten Satz, wenn man die Melodielinie der ersten Geige miteinbezieht; das a findet sich weder an der entsprechenden Stelle im zweiten noch im dritten Satz. Ebd., 63f. 906

280

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

Die Schreibweise und das Ausdrucksspektrum des Klavierquintetts gleichen grundsätzlich jenen der Phantasies mit Klavier, was etwa der infolge der Revision transparentere Tonsatz anzeigt. Vergleichbar dem 9/8-Takt des Quartetts steht der Kopfsatz im 6/8-Takt, in dem beide lyrische Themen durch Überbindungen einen fließenden, synkopischen Rhythmus erhalten. Das Seitenthema in F-Dur (Ziffer 4) ähnelt auch von der Intervallstruktur dem Hauptthema des Quartetts. Auch die chromatische ostinate Begleitfigur im Bass, die die Präsentation des Hauptthemas begleitet und in der ersten Fassung fehlte, schien Bridge dem Schluss des Quartetts entlehnt zu haben. Die Integration des Scherzos in das Adagio erinnert an die nahtlosen Einschübe in den Phantasies; Vorläufer der daraus folgenden dreisätzigen Struktur sind aber wohl eher bei Brahms (Streichquintett F-Dur) als in der französischen Tradition nach Franck (Klavierquintett, siehe auch Faurés erstes Klavierquintett d-Moll) zu suchen, die das Scherzo aussparte. Das Quintett strebt zwar nicht den Grad motivischer Integration durch Entwicklung bzw. Transformation einer Keimzelle an, wie ihn die Phantasies erreichten, aber Bridge beschäftigte schon in der frühen Fassung die zyklische Verbindung zwischen den Sätzen: So erscheint das Seitenthema des Kopfsatzes verändert im langsamen Satz und dem Finale, jeweils mit dramatischem statt lyrischem Charakter (in der revidierten Fassung: Ziffer 12 im zweiten Satz und Ziffer 1 im dritten). In der ersten Fassung begann das Finale mit einer kurzen Einleitung, die beide Themen des Kopfsatzes verband; diese Einleitung strich Bridge, aber behielt den klassischen Dur-Durchbruch am Ende bei, bei dem beide ebenfalls kombiniert werden (Ziffer 12). Dieses Verfahren knüpft an die Studienwerke und deren verschiedene Modelle an (siehe oben zum Streichquintett). Für Besetzungen mit Klavier und Streicherensemble schien Bridge nun eine idiomatische Tonsprache gefunden und verfeinert zu haben, die äußerst positiv aufgenommen wurde und mit der er wie beschrieben bis heute primär verknüpft wird. Alle folgenden Kammermusikwerke schlugen dennoch oder gerade deswegen neue Wege ein: Zwar entwickelte er in den drei bis 1917 entstandenen die erprobten strukturellen Verfahren wie motivische Transformation, zyklische Verknüpfung, formale Integration, Bogenform und Bezugsnetze zwischen harmonischen Bereichen weiter, aber ließ den salonmusikartigen funkelnden Glanz der drei vorangegangenen Werke hinter sich, was etwa im ausgedünnten Klaviersatz der Cellosonate deutlich wird. Ähnlich wie in der Karriere Faurés konnten die jüngeren Kompositionen im Konzertleben nicht an den Beliebtheitsgrad der älteren anknüpfen. Die Entstehung des Streichsextetts Es-Dur (1912) reichte ähnlich wie beim Klavierquintett bis 1906 zurück. Darin führt schon das für Bridge untypische Tongeschlecht zu veränderten Konstellationen und einer stärker diatonischen Harmonik. Während die Ecksätze in klangvoller Textur an Streichsextette des ‚germanisch‘ geprägten Repertoires erinnern (für größer besetzte Streicherkammermusik gab es keine französischen Modelle), zeigt der zwei Satztypen verbindende Mittelsatz einen neuen Grad thematischer Ökonomie und eine kargere Seite, für die im Andante con moto vor allem ein meditatives Orgelpunkt-Ostinato steht.910 910

Für eine ausführliche Analyse siehe Huss, The Chamber Music of Bridge, 183–198.

281

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

In den programmatisch-illustrativen Orchester- und Klavierwerken nach 1913, die Huss zufolge den Beginn einer Übergangsperiode markieren, setzte sich Bridge verstärkt mit modernistischen Strömungen auseinander. Das Dance Poem für Orchester aus diesem Jahr erregte Aufsehen und viel Ablehnung, auch wenn es die Ballets Russes nicht wie erhofft aufnahmen. Impressionistische Einflüsse brachten dabei vor allem klangliche und weniger formale Implikationen mit sich.911 Demgegenüber erscheinen das zweite Streichquartett g-Moll (1915) und die Cellosonate d-Moll (1913–1917) auf einer äußerlichen Ebene rückwärtsgewandt, indem sie etwa klassische Satztypen beibehalten. Ihre herbere Klangsprache und harmonische Instabilität treten an die Stelle der vorherigen Anklänge an (gerade den frühen) Fauré. Wie das Streichsextett sind beide Werke von primär lyrischem Material geprägt. Das Quartett zeigt eine zunehmende Auflösung klassischer Periodenbildung,912 eine Verdichtung der motivischen Entwicklung und weist zugleich verstärkt chromatische (insbesondere in den Begleit- bzw. meist Mittelstimmen) sowie modale Elemente (wie die verminderte siebte Stufe in Moll) auf.913 Zumindest bei der Streichertextur, etwa im tänzerischen Scherzo und dessen Trio, lassen sich gelegentlich Bezüge zu den Quartetten von Debussy und Ravel erkennen,914 aber angesichts von Bridges Vertrautheit als Spieler mit diesen und angesichts seiner eigenen impressionistisch gefärbten zeitnahen Werke anderer Gattungen sind die Unterschiede, gerade im düsteren ersten Satz, auffälliger als die Parallelen. Auch die weiterhin romantisch geprägte Cellosonate bot bei der Uraufführung neben Debussys neuer Violinsonate aus Sicht der Times „a study in contrasts“: Sei Letztere „gathered into a series of short rushes with a clear point to be made in each“, ergebe Bridges Sonate den Eindruck „of one long song by the violoncello“.915 Gleichwohl blieben Elemente der französischen Tonsprache, etwa in Harmonik und Textur, auch für Bridges Kammermusik um 1930 relevant.916

911

Vgl. Huss, The Music of Bridge, 86; Palmer, Impressionism in Music, 161–164. Siehe die Formenlehre-Analyse der ersten Takte bei Earle, Modernism and Reification, 372–376. 913 Payne hob insbesondere die motivischen Transformationen über Satzgrenzen hervor. Payne, Bridge – Radical and Conservative, 41–44. 914 „[...] a wide variety of textures, which suggest that the influence of the Debussy and Ravel quartets had now been fully assimilated.“ Huss, The Music of Bridge, 113. Huss’ Verweis auf Payne lässt sich nicht nachvollziehen. 915 Auf dem Programm von William Murdoch, Albert Sammons, Bridge und Felix Salmond standen auch Irelands neues Klaviertrio e-Moll und Faurés Klavierquartett c-Moll. The Times, 14.7.1917, 3. 916 Eine Parallele zu Debussy, Ravel sowie Skrjabin ist die bevorzugte Verwendung der oktatonischen (verminderten) und Ganztonskala. Huss, The Music of Bridge, 136. Siehe Beispiele im dritten Streichquartett (1927) und der Violinsonate (1932) bei Harasim, An Internationalist Composer in a Nationalist Society, 80 und 95–107. 912

282

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

„Almost classical modernity“: John Ireland Wie der im gleichen Jahr geborene Bridge – wie letztlich die meisten Komponisten seiner Generation – sah sich John Ireland (1879–1962) mit der Aufgabe konfrontiert, die von ihm geschätzten klassischen Prinzipien, Gattungen und Formen mit der ihm ebenso eigenen, sich stetig entwickelnden modernen Tonsprache zu vereinbaren. Bei ihm tat sich insbesondere eine Kluft auf zwischen der Simplizität seiner Struktur und seines (diatonischen) Materials auf der einen und der harmonischen (chromatischen) Reichhaltigkeit seiner Textur auf der anderen Seite.917 Diese produktive Spannung spiegelte sich in Einschätzungen wie Goossens’, der 1919 in einem Vortrag Irelands „almost classical modernity“ hervorhob, gerade in der Kammermusik und als Gegensatz etwa zu Bax’ „dreamy and delicately refined romantic chromaticism“.918 Die enge Verbindung seines Lehrers zu traditionellen Formen betonte auch Moeran 1923: Irelands Methoden seien „the reverse of impressionistic“.919 Dass er mit einer solchen Ästhetik in der Zwischenkriegszeit zwischen den Stühlen stand, war Ireland durchaus bewusst, wie aus einem Brief an seine Schwester hervorgeht.920 Seine Musik konnte folglich nie eine herausgehobene Stellung im nationalen Kanon einnehmen und wurde von älteren Zeitgenossen wie Elgar und Vaughan Williams ebenso überschattet wie von jüngeren wie Walton und Britten; weder war er Teil der frühen ‚Renaissance‘-Generation noch der jüngeren „modernist“.921 Nichtsdestoweniger waren gerade seine wenigen Orchesterwerke wie The Forgotten Rite (1913), Mai-Dun (1921) und das Klavierkonzert (1930) regelmäßig, und besonders häufig in den 1930erund 1940er-Jahren, bei den Proms zu hören.922 917

Evans, Ireland, 214; ders., Modern British Composers. V. Ireland, 394. Evans führte Ireland 1919 fast zeitgleich im amerikanischen Musical Quarterly und in der Artikelreihe der Musical Times ein. In ersterem Artikel sprach er von dem „gulf between the simplicity of his structure and the richness of the texture“, im zweiten schrieb er, Ireland „was not content to erect a diatonic structure and surround it with a cloud of notes. [...] The measure of his present success is that he has completely reconciled matter with manner, and has not compromised with principle.“ Schon 1918 hatte er mit Beteiligung des Komponisten ein lecture-recital gehalten (siehe Anm. 841). 918 Goossens, Modern Tendencies in Music, 18. Vgl. auch Hull, A Modern English Classicist. 919 Moeran, Introductions: X. Ireland, 302. 920 „People of the older school regard me as a revolutionary, while the rising generation look on me as an old fogey, so one pleases nobody but oneself“. Brief von John Ireland an Ethel Ireland, 11.4.1925, zit. nach Richards, The Music of Ireland, 1. 921 Ebd. So wie Richards in der bisher einzigen analytischen Monographie von 2000 auf die schwierige Einordnung Irelands hinwies, beschrieb Nigel Townshend 1943 noch zu dessen Lebzeiten das problematische Verhältnis zu Elgar, Vaughan Williams und Delius, denen Irelands Musik nicht gleiche, auf deren Pionierarbeit er aber habe aufbauen können. Townshend, The Achievement of Ireland, 65. 922 Zwischen 1912 und seinem Todesjahr 1962 war Ireland mindestens mit einem Lied jährlich auf den Programmen vertreten und fungierte selbst auch als Dirigent und Pianist. Für die BBC, die 1927 die Proms übernahm, war er ab 1942 auch in beratender Funktion tätig und nahm Kompositionsaufträge von ihr an. Vgl. Foreman, John Ireland and the BBC, in: ders. (Hg.), Ireland Companion, 79–115.

283

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

Irelands Stil wurde schon früh als genuin englisch charakterisiert.923 Seine zweite Violinsonate a-Moll stand 1918 und 1919 in Paris auf repräsentativen Programmen der zeitgenössischen englischen Musik (siehe Tabellen 17 und 18). John Caldwell stellte noch 1999 Bridges europäischen Idealen den „resolutely English“ gebliebenen Ireland entgegen.924 Dabei gehörte dieser ebenso wie Bridge oder Bax nicht zu den Komponisten, die durch die Verwendung von Folksong und Rückgriffen auf ältere englische Musik zu einem originellen Ausdruck der eigenen Nationalität gelangen wollten. Auch für Evans, der nationale Charakteristika in seiner Artikelreihe programmatisch ins Zentrum stellte, war Ireland „thoroughly English in his outlook and in the directness of his method“, er habe „one point of contact with the French, and one only, in the meticulous care which he devotes to detail.“925 Tatsächlich wurde jedoch ein französischer Einfluss auf Irelands Entwicklung in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts gelegentlich in Kritiken angedeutet und später von Autoren beschrieben: So habe Ireland durch die umfassende Beschäftigung mit Ravel, Debussy und Strawinsky nach der Studienzeit die Phase einer starken akademischen Prägung durch Brahms (deren Ausmaß derart groß gewesen sei, dass er seine Werke vor 1906 zurückhielt) überwunden.926 Ist diese Darstellung von Ralph Hill 1946 stark vereinfachend und chronologisch unpräzise (die Studienzeit endete bereits 1901, als Ravel noch am Conservatoire studierte und Strawinsky sich für Rechtswissenschaft einschrieb), sind mit den Namen doch die Pole markiert, zwischen denen sich Ireland in seiner frühen Laufbahn bewegte. Auch aus der Sicht von Geoffrey Bush, der ab den 1930er-Jahren zunächst als privater Kompositionsschüler bis zuletzt mit ihm verbunden war, fand Ireland unter dem „befreienden Einfluss“ Debussys und Ravels zu seinem eigenen Stil. Gerade Ravel, wie Ireland ein „classicist using Impressionist techniques“, habe dieser besonders bewundert. In einem späteren Interview gestand Ireland auch selbst einen Einfluss durch Ravel ein, wohingegen er Strawinsky nach Le sacre du printemps meist trocken und verkopft gefunden hätte.927 Die Schwerpunkte im Werkkatalog auf Liedern, Klavier923

„With the exception of Mr. Vaughan Williams, perhaps even more than this composer in the realm of chamber-music, Mr. John Ireland appears to me the most profoundly English of the rising generation; the one whose works are best fitted to give an idea outside of England of what English music can be.“ Jean-Aubry, British Music Through French Eyes, 206. 924 Caldwell, The Oxford History of English Music, Vol. II, 349. Noch zwanzig Jahre zuvor charakterisierte ihn auch Peter Pirie anhand eines Vergleichs von Bridges und Irelands Phantasies von 1908 als „the most English, if one of the most limited, of composers“. Pirie, The English Musical Renaissance, 58. 925 Evans, Modern British Composers. V. Ireland, 461. 926 Hill, Ireland, 99. Howes ging so weit, in Ireland wie in Cyril Scott einen „English Debussy“ zu sehen, zwar nicht klanglich, aber im objektiven Ausdruck der Klavierminiaturen. Howes, The English Musical Renaissance, 222. 927 Murray Schafer, Interview with John Ireland [1963], in: Foreman (Hg.), Ireland Companion, 54–61, hier 60; Geoffrey Bush, Introduction to the 1993 Edition, in: Craggs, Ireland: A Catalogue, xiii–xvi, hier xiv; ders., John Ireland: A Personal Impression [1983], in: Foreman (Hg.), Ireland Companion, 324–333, hier 330f.

284

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

und Kammermusik legen auch einen Vergleich mit Fauré nahe. Wie dieser betrachtete Ireland gerade die Kammermusik als ideales Medium für den Ausdruck persönlicher Gedanken: „Why a symphony, if I’ve no desire – did Ravel or Debussy compose a symphony?“.928 Der Pianist Eric Parkin erinnerte sich, wie Ireland noch Jahrzehnte später von der ersten Begegnung mit Debussys neuartigen Préludes 1910 geschwärmt habe, die man so als Katalysator für dessen eigene Klaviermusik ansehen könne.929 Die drei Decorations (1913) wurden in frühen Besprechungen in Zusammenhang mit Ravel gebracht, während Evans gegen diese ‚impressionistische‘ Deutung argumentierte und darauf beharrte, die gerade nicht als illustrativ zu verstehenden Titel und die Verse von Arthur Symons bzw. Arthur Machen habe Ireland erst nach der Komposition hinzugefügt.930 Unbestritten ist der Einfluss insbesondere des walisischen Autors Machen (der in der Tradition etwa Edgar Allan Poes und Maurice Maeterlincks steht) auf Irelands künstlerische Entwicklung nach 1906. Dieser findet eine Parallele in Bax’ zeitgleicher Begeisterung für eine mythisch-keltische Vorstellungswelt.931 Mit vierzehn Jahren begann Ireland 1893 ein Klavierstudium am Royal College of Music bei Frederic Cliffe. Für diese Zeit hob er selbst im Rückblick die Monday und Saturday ‚Pops‘ hervor, bei denen er die „classics“ der Kammermusik und die Werke Brahms’, oft unter dem Primarius Joachim, kennenlernte und sich so mit den weiterhin dominierenden deutschen Idealen vertraut machte.932 1897 erhielt Ireland zusammen mit seinem Kommilitonen und Freund Thomas Dunhill ein Stipendium des RCM, das ihm bis 1901 Kompositionsunterricht bei Stanford ermöglichte. In einem Interview anlässlich seines achtzigsten Geburtstags blickte er auf seine frühen Erfahrungen zurück: “When I was a student, Brahms was still alive, the basis of Stanford’s teaching and accepted as the greatest living composer. You must remember that there is a very complex musical situation nowadays, but all the time I was Stanford’s pupil I heard no Debussy, no modern French music at all. [...] He [Stanford] could be cruel, but he had no hard and fast rule; he adapted his ideas to each pupil. For example folk-song influenced Vaughan Williams, but I have been more influenced by plainsong. You see, I was the first pupil to whom 928

Zu Fauré siehe ebd., 332, und Anm. 314. Das Zitat überlieferte Irelands Freund John Longmire, dem Ireland auch in einem undatierten Brief anvertraute: „Really, John, chamber music is a far finer medium for one’s inmost thoughts than orchestral music.“ Longmire, Ireland. Portrait of a Friend, 36. 929 Eric Parkin, John Ireland and the Piano, in: Foreman (Hg.), Ireland Companion, 181–192, hier 181. 930 „[...] they are the most successful pieces of pictorial writing we have encountered since the advent of Maurice Ravel, whose style they somewhat resemble as regards technique.“ The Monthly Musical Record, 2.8.1915, 227. „[...] there were many who considered that he had joined the ranks of the Impressionists and even a few who charged him with a French allegiance. Both were wrong, [...].“ Evans, Modern British Composers. V. Ireland, 395. Auch Jean-Aubry war „thankful to Mr. John Ireland for not falling into the snare of following too closely in the footsteps of French music.“ Jean-Aubry, British Music Through French Eyes, 206. 931 Vgl. Colin Scott-Sutherland, Arthur Machen and John Ireland, in: Foreman (Hg.), Ireland Companion, 126–131; Palmer, Impressionism in Music, 164–167. 932 Richards, The Music of Ireland, 13.

285

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

Stanford expounded the modal scales. ‘Your music is all Brahms and water, my boy,’ he said. ‘You’ll have to study Dvorak.’ I did, but he still wasn’t satisfied, so he taught me the modal system, basing it all upon Palestrina; he kept me at it for a whole year.”933

Schon während des Studiums hatte Ireland Orgel gespielt, am längsten füllte er zwischen 1904 und 1926 die Stelle als Organist und Chorleiter an der Kirche St Luke’s in Chelsea aus. Er unterrichtete auch, zunächst privat und für den Lebensunterhalt, von 1923 bis 1939 als Kompositionsprofessor am RCM, wo Britten, Moeran und Alan Bush zu seinen Schülern zählten. Kompositorisch hinterließen die ersten Jahre nach dem Verlassen des RCM 1901 jedoch kaum Spuren: Alle seine Werke vor der Phantasie für Klaviertrio (1908) verwarf Ireland als unreif, auch wenn wenige schon gedruckt vorlagen und einige weitere nach seinem Tod publiziert und aufgenommen wurden. In die gleiche Zeit fiel Irelands erste Auseinandersetzung mit der modernen französischen Musik, die in England Fuß zu fassen begann.934 Anders als beim Streicher Bridge lässt sich dieser Prozess bei Ireland nicht konkret nachvollziehen, und es ist unklar, auf welche Belege sich Hills und Richards chronologische Angaben stützten. Eine Ausnahme stellt Irelands Beteiligung an einer frühen Aufführung von Ravels Klaviertrio dar, das er gegenüber seinen Studenten als Idealbild eines Trios hochhielt (siehe außerdem zu einem französisch geprägten Programm mit seiner Mitwirkung Anm. 956).935 Mit einem Blick auf Irelands Werke ab 1908 wird dessen Beschäftigung mit französischer Musik plausibel: Die transparente Klaviertextur und die Verwendung der pentatonischen und der Ganztonskala in den bereits genannten Decorations lehnen sich offenkundig an Modelle etwa Debussys an. Auch das ebenfalls 1913 entstandene und ebenfalls durch Irelands Faszination für die Kanalinseln Guernsey und Jersey und deren vorgeschichtliche Stätten geprägte Prelude für Orchester The Forgotten Rite erinnert mit seiner Evokation heidnisch-mystischer Topoi und einem prägnanten (Pan-)Flötenmotiv an das Prélude à l’après-midi d’un faune.936 Die Kammermusikwerke sind hingegen frei von solchen durch Literatur (wie Machens) oder Orte inspirierten programmatischen Elementen und lassen weniger konkrete kompositorische Vorbilder erkennen. Zu Irelands erhaltenen frühen Kompositionen gehören zwei Streichquartette und ein Sextett aus der Studienzeit (siehe Tabelle 24).937 Diese verwarf er zwar, wie alle Werke vor 1908, vernichtete aber nicht die Manuskripte, sodass das Sextett 1960, mehr als sechzig Jahre nach seinem Abschluss, in Anwesenheit des achtzigjährigen Komponisten uraufgeführt werden konnte.938 Zu einer Aufführung am RCM war es offenbar nicht 933

The Times, 3.8.1959, 10 (auch in: Foreman (Hg.), Ireland Companion, 414–417). Hill, Ireland, 99; Richards, The Music of Ireland, 17. 935 Lewis Foreman, Interview mit Charles Markes (16.1.1985), in: ders. (Hg.), Ireland Companion, 70–76, hier 73. Für diese Aufführung ist kein weiterer Beleg und keine Kritik nachweisbar. 936 Richards, The Music of Ireland, 99–102 und 69. Auch etwa Soho Forenoons (1920) aus den London Pieces lässt sich auf Debussys Prélude Minstrels beziehen. Ebd., 122. 937 Die Manuskripte liegen in der British Library. Siehe den Werkkatalog Craggs, Ireland: A Catalogue. 938 The Times, 26.3.1960, 3. 934

286

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

gekommen, weil Stanford das Finale als „not organic“ abgetan hatte.939 Im gleichen Jahr wurde auch das spätere der beiden Streichquartette erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt, wovon Freunde Ireland hatten überzeugen können.940 Sein erstes Streichquartett hatte Ireland Anfang 1897, noch vor der Aufnahme des Kompositionsstudiums bei Stanford, abgeschlossen und bezeichnete es später als „scholarship piece“. Auch Searle brachte es mit dem erhaltenen Stipendium in Verbindung; der Direktor Parry sei bei einer durch Stanford arrangierten Aufführung am RCM von dem Quartett beeindruckt gewesen.941 Für das Stipendium war allerdings sicherlich nicht eine Aufführung allein maßgeblich, wie Searle implizierte. Ireland betrachtete die Quartette im Rückblick nicht zu selbstkritisch.942 Stanfords kolportierte abschätzige Bemerkung macht deutlich, dass in diesen Werken des jungen Studenten die organische Logik im Mittelpunkt stand, die Stanford aus deutschen klassisch-romantischen Modellen zog und seinen Schülern vermittelte (siehe auch Bridges frühe Kammermusik).943 Bei Ireland ebenso wie bei Bridge sticht die Bevorzugung von Moll-Tonarten ins Auge. Dabei ist das d-Moll des ersten Quartetts mit dem wiegenden 6/8-Takt im Kopfsatz eher pastoraler Natur, das c-Moll des zweiten tragisch. Im Kopfsatz des zweiten sind die nahtlose Verbindung der Formteile und deren motivische Verknüpfung auffällig: So durchzieht eine Sechzehntelbegleitfigur mit Wechselnoten den ganzen Satz. Am Ende der Exposition werden Haupt- und Seitenthema im Wechsel isoliert vorgetragen (T. 9 nach Buchstabe D). Weder wird die Exposition wiederholt, noch greift die Reprise deren Beginn wie erwartet direkt auf. Stärker als bei Bridges frühem Streichquartett sind konkrete Vorbilder erkennbar: Der langsame dritte Satz von Irelands d-Moll-Quartett nimmt in der gleichen Takt- und Tonart (4/4, A-Dur) den ebenfalls mit Andante moderato überschriebenen Satz aus Brahms’ Quartett a-Moll op. 51/2 anfangs fast wörtlich auf, selbst die Angaben poco forte und espressivo sind identisch. Das Nocturne des c-MollQuartetts stimmt ebenfalls in Takt- und Tonart (3/8, As-Dur) und den Anfangstönen der ersten Violine mit dem langsamen Satz aus Beethovens „Harfenquartett“ Es-Dur 939 John Ireland, Sir Charles Villiers Stanford [BBC-Sendung, 24.3.1949], in: Foreman (Hg.), Ireland Companion, 399–401, hier 400. 940 „It [the sextet] is indisputably the finer work of the two, and alike in harmonic idiom, textural colour and general imaginative enterprise revealed how drastically the composer developed in the course of one brief year.“ The Times, 20.10.1960, 8. 941 Searle, John Ireland, 19f. Searle datierte das Quartett auf den Sommer 1895 statt 1897, womöglich hatte es Ireland zu diesem Zeitpunkt begonnen. 942 „I wrote two, as a student – they were not so bad, either, but wouldn’t do now. I have never had the temerity to complete another, though I have made one or two beginnings at different times. It is the purest form of music.“ Brief von Ireland an Elisabeth Lutyens, 14.9.1952. Richards, The Music of Ireland, 16. 943 Noch viel später machte Ireland bei verschiedenen Gelegenheiten immer wieder die Notwendigkeit einer organischen Gestaltung deutlich. Über den Liedkomponisten Roger Quilter schreibend, verwies er auf Grieg oder Chopin: „[...] he was quite unable to handle the kind of construction and organic development which is essential to any successful work on the large canvas.“ Brief von Ireland an John Longmire, 16.6.1950. Longmire, Ireland. Portrait of a Friend, 37, siehe auch 78.

287

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

Tabelle 24: Kammermusik von John Ireland, 1897–1917 Abschluss

Druck

Werk

1897

1973

Streichquartett d-Moll

1973

Streichquartett c-Moll



Klaviertrio a-Moll (verloren)

1961

Sextett für Klarinette, Horn und Streichquartett D-Dur



Violinsonate c-Moll (verloren)

1905



Violinsonate g-Moll (einsätzig, verloren)

1908

1908

Phantasie a-Moll für Klaviertrio

1909

1911

Violinsonate Nr. 1 d-Moll

1913



Klarinettentrio d-Moll (rev. 1915 als Klaviertrio e-Moll, rev. und publ. 1938 als Klaviertrio Nr. 3 in E)

1917

1917

Violinsonate Nr. 2 a-Moll

1918

Klaviertrio Nr. 2 e-Moll (einsätzig)

1898

op. 74 überein. Textur und Gestus der Ecksätze erinnern an Brahms’ Doppelopus 51, betrachtet man etwa jeweils den dramatischen Höhepunkt am Ende der Kopfsätze mit der sich über repetierten Sechzehnteln erhebenden ersten Violine. Die kargeren Scherzi lassen hingegen eher an Beethoven denken. Auch das kurz darauf entstandene, optimistischer gestimmte Sextett für Klarinette, Horn und Streichquartett lässt sich mit Brahms in Verbindung bringen. Ireland hatte als Student dessen Klarinettenquintett mit Richard Mühlfeld gehört. Auch Stanford wurde davon zu Kompositionen für Klarinette angeregt.944 Stanfords Urteil über die ersten Werke seines Schülers lautete wenig ermutigend „all Brahms and water“ (siehe Anm. 933 und 939). Bei ihnen geht es nicht darum, Elemente von Irelands späterem, individuellerem Stil aufzuspüren, sondern sich dem Ausgangspunkt des Schreibens für Kammermusik im England der 1890er-Jahre anzunähern. Offenbar war für ihn die Orientierung an dem in den ‚Pops‘ aufgeführten Repertoire zentral. Die Präferenz für deutsche Modelle sollte also auch in anderen Fällen nicht vorschnell allein auf den Pädagogen Stanford zurückgeführt werden. Zehn Jahre liegen zwischen dem Sextett und Irelands nächstem erhaltenen Kammermusikwerk. Die Phantasie a-Moll für Klaviertrio (1908) ist die erste Komposition, die 944

Richards, The Music of Ireland, 16; Bruce Phillips, The Happy Highways: John Ireland’s Chamber Music, in: Foreman (Hg.), Ireland Companion, 219–231, hier 221. In einer Radiosendung erzählte Ireland 1942 von eindrücklichen Erstaufführungen (Brahms’ Klarinettenquintett, Tschaikowskis Pathétique und Strawinskys Le sacre du printemps). Ebd., 409–412.

288

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

er später als gültig akzeptierte; entsprechend wurde sie schon früh als ein Wendepunkt in seinem Schaffen bezeichnet.945 Ireland schrieb sie für Cobbetts zweiten PhantasyWettbewerb, der im Sommer 1907 ausgeschrieben worden war, und errang im Frühjahr 1908 hinter Bridge und Friskin den dritten Preis (häufig wird inkorrekt 1906 als Entstehungsjahr angegeben). Die als Resultat gedruckte und in Folgejahren bei anderen Verlagen wiederaufgelegte Partitur widmete er seinem Lehrer Stanford. Der geforderten einsätzigen Form entsprach Ireland durch eine nur geringfügige Modifizierung der traditionellen Sonatenanlage. Deren Begriffe benutzte er in seinen Programmanmerkungen, ebenso wie die Kritik nach der Uraufführung durch das London Trio.946 Der harmonische Plan ist zwar erweitert, zeigt aber weitgehend typische Tonartenverhältnisse: Nach dem Hauptthema in a-Moll und einem bereits frühen expressiven Höhepunkt führt eine f-Moll-Überleitung zum C-Dur-Seitensatz des Klaviers (Buchstabe D). An der Stelle der Durchführung steht ein langsamer Mittelteil in As-Dur (Meno mosso, quasi andantino). Die Reprise des Hauptthemas (Tempo I ) erfolgt in A-Dur, während das Seitenthema in E-Dur wiederholt wird (Buchstabe L); die Coda (Vivace e giocoso) findet dann in A-Dur den Abschluss. Ähnlich wie bei Bridges Phantasie durchzieht das Hauptmotiv mit einem gut wiedererkennbaren abgesetzten Quartsprung das Werk; es wird allerdings nicht wie bei dem Wettbewerbssieger tiefergehenden Transformationen unterzogen.947 Die Textur weist ebenfalls Parallelen zu Bridge auf, mit häufigem Streicherunisono und kraftvollen Gesten in hoher Streicherlage gegen ausgreifende Klavierfigurationen.948 Leider ist kein Vergleich mit Irelands nicht erhaltener früherer Klavierkammermusik möglich. Gegenüber den Streichquartetten der Studienzeit ist naturgemäß eine deutliche Weiterentwicklung des Idioms wahrnehmbar. Richards konstatierte unspezifisch Einflüsse russischer (etwa in dem rustikalen Volkston bei den Buchstaben E und M, der aber genauso Dvořák nahelegen könnte) und französischer Musik.949 Diese bleiben aber 945

Evans, Modern British Composers. V. Ireland, 395; Moeran, Introductions: X. Ireland, 303. Richards, The Music of Ireland, 19. „The work is characterized by extreme brilliancy and strenuousness, and is rich in musicianship. Although in one continuous movement, it has four well-defined sections corresponding with those of an extended sonata movement, [...]. At the conclusion of the performance the composer was twice recalled, and considering that the programme included Brahms’s monumental Trio in B (new edition), it was a triumph for British chamber music.“ The Musical Times, 1.3.1909, 178f. 947 „The feeling is classical throughout, and unity is secured not so much by the derivation of the thematic material, which is a familiar device in cyclic works, as by a less obvious affinity of themes which maintain their independence. The use of themes which are homogeneous without being positively related often produces the better result, and the cohesion of this attractive trio is not the least of its many qualities.“ Evans, Modern British Composers. V. Ireland, 395. Vgl. Evans’ Artikel für Cobbett’s Cyclopedic Survey zehn Jahre später, wo er von „classic-romantic“ sprach. Evans, Ireland, 20. Cobbett selbst ergänzte, wie Ireland ihm gegenüber seine Dankbarkeit für den wichtigen Anreiz der Wettbewerbe, sich selbst der Kammermusik zuzuwenden, ausgedrückt habe. Ebd., 24. 948 Vgl. für einen knappen Vergleich beider Werke Smallman, The Piano Trio, 193. Bridge verknüpfte er auch mit französischem Einfluss, Ireland stärker mit Stanfords. 949 Richards, The Music of Ireland, 18. 946

289

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

auf einer oberflächlichen Ebene, und der Gesamteindruck gerät letztlich weitgehend traditionell. Die Violinsonate d-Moll (1909) behält dieselbe grundsätzlich klassische Anmutung und Struktur bei und projiziert sie auf eine größere Dimension. Auch die Sonate wurde bei einem von Cobbetts Wettbewerben ausgezeichnet, der diesmal international und nicht in der Phantasyform ausgeschrieben wurde. Von 134 eingesandten Manuskripten errang sie den ersten Preis. Die Ausschreibung im Mai 1909 war diesmal aber wohl nicht die Anregung für die Komposition; zwei frühere Violinsonaten sind nicht erhalten. Die Uraufführung erfolgte dennoch erst 1913 in der Reihe von Irelands Freund Dunhill mit der Violinistin Marjorie Hayward und dem Komponisten am Klavier. Die Sonate wurde positiv aufgenommen, allerdings eher als solider denn als überraschender Beitrag.950 Bei der Besprechung einer Reihe vor allem französischer Violinsonaten wurde sie als Kontrast zu deren Art von „aimless writing“ gewürdigt und nur das Fehlen von Kontrapunkten bemängelt.951 Anlässlich von Neuauflagen des Drucks nahm Ireland 1917 und 1944 Revisionen vor und straffte vor allem den Kopfsatz.952 Der harmonische Plan des ersten Satzes weist einige Parallelen zur Phantasie auf: Wieder führt bereits die Überleitung in eine entfernte Tonart, das durch eine TritonusRückung von E-Dur erreichte b-Moll, und in der Reprise stehen weder Haupt- noch Seitensatz in der Tonika d-Moll, die erst die Coda befestigt. Erneut stellen motivische Verknüpfungen zwischen Abschnitten die von Ireland angestrebte organische Konstruktion sicher: Zwei auftaktige Sechzehntel durchziehen den ganzen Satz (als Teil des Hauptthemas, T. 7, im Sforzato-Gestus in der Überleitung, T. 16 nach Buchstabe A, und im Seitenthema, B). Im Seitensatz greift die Violine die einleitende Klavierbegleitung auf (T. 9 nach B). Auch in der Sonate postulierte Richards den Einfluss Faurés und nun auch Debussys, ohne diesen auszuführen.953 Dabei ist die Harmonik grundsätzlich diatonisch und weist auf der Ebene von Akkorden und Phrasen über weite Strecken wenig darüber hinausgehende Elemente auf, vergleicht man sie etwa mit Scotts freitonalchromatischer Musik. Ein solches überraschendes, für einen Farbwechsel sorgendes Element ist die schwebende Sekundakkordkette, mit der die regelmäßige Begleitfigur des Beginns weitergeführt wird, pianissimo und in plötzlich höherer Lage (T. 11–17). Die Klaviertextur ist im Vergleich zu Bridges zeitgleich entstandenen Werken karger, weniger von den perlenden, an Fauré erinnernden Arpeggien geprägt. Aufhorchen lässt

950

„The allegro is full of the darkness and also of the tenderness of the North. It owes a little to Grieg, to MacDowell, and perhaps even to Brahms; but it is all the better for that. There is much more in it than the influence of these great masters. There are strong themes, novelly presented and well-developed, a constantly changing play of harmonic light, with clever technique for both instruments.“ The Monthly Musical Record, Juli 1915, 200. Siehe zur Uraufführung The Musical Times, 1.4.1913, 256. 951 The Times, 5.4.1913, 10. Der Text behandelte daneben neu erschienene Violinsonaten von Louis Thirion, Ermend Bonnal, Louis Vierne, Sydney Rosenbloom und Nicholas Gatty. 952 Siehe zu den gestrichenen Passagen Harper, Ireland’s First Sonata for Violin and Piano. 953 Richards, The Music of Ireland, 21.

290

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

aber der Mittelteil der Romance: In noch langsamerem Lento schlagen leise Klavierakkorde in dorisch gefärbtem es-Moll einen völlig neuen Ton an (darauf folgt ein expressiver Höhepunkt, Con moto, mit der Melodie, con passione, nun doch über Klavierarpeggien). Sie ähneln dem ebenfalls dorischen Beginn des Liedes „Is My Team Ploughing?“ aus Vaughan Williams’ Liedzyklus On Wenlock Edge (auch 1909). Diesem war die Parallele sofort aufgefallen, als ihm sein Freund Ireland den Satz vorspielte.954 Ireland sollte zunehmend solche modalen Modifikationen in sein Vokabular integrieren. Zurückführen ließen sich diese zwar auch auf das Palestrina-Studium bei Stanford (weniger auf Folksong-Anleihen), Ireland selbst brachte jedoch in einem späteren Brief vor allem Ravels Harmonik damit in Verbindung.955 Ließ die Sonate die zeitgenössische Presse noch vorrangig an ältere Namen wie Grieg denken, rief das neue Trio, das 1914 und 1915 in verschiedenen Fassungen (mit Klarinette in d-Moll und als klassisches Klaviertrio in e-Moll) aufgeführt wurde, mit seiner Modulationsfreudigkeit Assoziationen an französische Musik hervor. Passend genug, erschien es beim Debüt des English Trio (Ireland, Beatrice Langley und Charles Warwick-Evans) in einem Hauskonzert programmatisch neben den „modern French composers“ (in den Worten der Anzeige) Benjamin Godard (Klaviertrio g-Moll op. 32, siehe S. 35) und Jean Huré (Suite sur des chants bretons, 1913).956 Im Rahmen der insgesamt positiven Rezeption bediente sich die Kritik des Daily Telegraph typischer Topoi nationaler Zuschreibungen, wenn der erstrebenswerten „direct and simple utterance“ die hier vorherrschende bloße „cleverness in harmonic device“ gegenübergestellt wurde. Letztere war das Kennzeichen der modernen französischen, Erstere Ausweis genuin englischer Musik, wie sie dann gerade auch mit Ireland verbunden werden sollte. Das Trio wurde nicht publiziert und zur Seite gelegt; Ireland griff es zwei Jahrzehnte später für sein dann drittes Klaviertrio in E (1938) auf.957 954

Die Anekdote erzählte Ireland in einem Nachruf: „After a moment’s thought V.W. said, ‘Well, we must both have cribbed it from something else, so we had better both leave it as it is – nobody will notice it’; And so far as I know, nobody ever has!“ Ireland [et al.], Tributes to Vaughan Williams, 536 (auch in: Foreman (Hg.), Ireland Companion, 413f.). 955 „[...] one gets a flavour for it [Ravel’s harmonic idiom], like oysters or some strangely flavoured dish. Melodically, Ravel’s tunes are nearly all cast in some one or other of the Greek ‘modes’ – as indeed are many of my own“. Brief von Ireland an Arthur Robert Lee Gardner, 5.8.1943, zit. nach Richards, The Music of Ireland, 24. 956 Weder die Aufführung noch das (kurzlebige) Ensemble scheinen in der Forschung bislang beachtet worden zu sein. „It shows the composer to have been susceptible to the influence of the modern French idiom, and on the whole he uses it adroitly enough.“ The Daily Telegraph, 30.6.1915, 11. „[...] an interesting work with a rather French idiom.“ The Musical Times, 1.8.1915, 495; The Graphic, 10.7.1915, 62. Zum früheren Klarinettentrio hieß es: „[...] there is a change of key on an average in every other bar.“ The Times, 10.6.1914, 10. 957 Zur Quellenlage und dem Ausmaß der Änderungen siehe Richards, The Music of Ireland, 189–192. Als Bridge bei der ersten Aufführung des neuen Trios eine Bemerkung in die Richtung machte, dass Ireland offenbar etwas Älteres aus der Schublade gezogen habe, traf diesen das tief. Lewis Foreman, Interview mit Felix Aprahamian (11.9.1985), in: ders. (Hg.), Ireland Companion, 62–67, hier 65.

291

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

In der ersten Jahreshälfte 1917, auf dem Höhepunkt des Krieges, für den er für untauglich befunden worden war, trat Ireland mit zwei neuen Kompositionen an die Öffentlichkeit. Die Uraufführung der zweiten Violinsonate a-Moll (wie die erste hatte sie einen Preis gewonnen, ausgeschrieben zur Unterstützung von Musikern im Krieg) durch William Murdoch und Albert Sammons löste eine Sensation aus und machte Ireland endgültig zu einem der beachtenswertesten jüngeren englischen Komponisten.958 Kollegen und Kritikerfreunde wie Bridge und Evans zeigten sich elektrisiert, und besonders auffällig erschien vielen Betrachtern, dass gerade ein Kammermusikwerk eine solche Wirkung hatte erzielen können: [...] and if the much maligned British public rose to the occasion, as it did beyond all question, it is at least permissible to believe that the music struck some latent chord of sentiment that had been waiting for the sympathetic voice to make it articulate. Never in the recent annals of British chamber-music has success been so immediate.959 Not that I shall ever lose the impression – that’s impossible – but while the recollection is so vivid I feel I must write and tell you how overjoyed I am with the Sonata... Its power is tremendous. I have the greatest faith in its future... It is not only for the comparatively small circle of people who are interested in British music, but for the whole world, regardless of nationality...960 For me it was an electrifying occasion. Little of my music had been publicly heard, and I felt that my fate as a composer was to be decided at that particular moment in time, as proved to be the case. On that I need not enlarge. It was probably the first and only occasion when a British composer was lifted from relative obscurity in a single night by a work cast in a chamber-music form.961

Dabei ordnete sich dieses, wenn auch herausstechende, Ereignis in die gewachsene Popularität von Kammermusik während der Kriegsjahre ein. Das Engagement von Ensembles und Interpreten sowie von Veranstaltern wie Isidore de Lara verhalf insbesondere der einheimischen Kammermusik zu ungekannter Präsenz (siehe Kapitel 5.1). Der Auftritt von Murdoch und Sammons, beide in aktivem Militärdienst, in Uniform verstärkte zweifellos die Assoziation der neuen Sonate mit dem Kriegskontext. Im gleichen Umfeld wurde kurz darauf Irelands zweites Klaviertrio e-Moll wahrgenommen (nach der Phantasie, wie diese einsätzig).962 958

„The composer has already earned distinction, and many musicians who are aware of his ability are disposed to give him a prominent niche in the British musical Pantheon. His new Sonata is a brilliant specimen of his powers, and is unquestionably one of the most important chamber works that a native composer has brought forward in recent years. It is all so sane, and at the same time unconventional and yet natural.“ The Musical Times, 1.4.1917, 168. 959 Evans, Modern British Composers. V. Ireland, 458. 960 Auszüge aus einem Brief von Frank Bridge an Ireland, zit. nach Hill, Ireland, 105. 961 Ireland, Sammons: A Tribute, 548 (auch in: Foreman (Hg.), Ireland Companion, 412f.). 962 „It was written in the spring of 1917, and bears the impress of the grim contrast between the season and the wastage of war at the very springtime of life. Here the atmosphere is more martial [than in

292

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

Sicherlich auch damit verbunden, nahmen die neuen Werke schnell eine wichtige Position in ‚alliierten‘, anglo-französisch-belgischen Künstlernetzwerken und (teilweise Benefizzwecken gewidmeten) Konzerten ein: Die nach Kriegsausbruch aus Belgien nach London geflohenen Joseph Jongen, Désiré Defauw und Emile Doehaerd (siehe Kapitel 3.3) griffen das Trio noch im selben Jahr auf. Mit Defauw spielte Ireland die zweite Sonate mehrfach selbst, darunter bei dem programmatischen „Anglo-French Concert“ im April 1918 (siehe Tabelle 17), und mit Defauw und Doehaerd auch sein Trio bei der Classical Concert Society 1919 (neben Brahms und Charles Bordes). In der Wigmore Hall stand Irelands Musik in den Jahren 1917/18 neben Fauré, Ravel, Chausson und Lekeu auf dem Programm. Während der 1920er-Jahre führten etwa die Chamber Music Players solche Zusammenstellungen fort (siehe S. 86). Der primär lyrische Gestus der Phantasie und der ersten Violinsonate wich in den jüngeren Werken einem herberen, kargeren Eindruck, der auch durch eine dissonanzenreichere Harmonik erzeugt wird. Das Verhältnis der beiden Violinsonaten ließe sich etwa mit demjenigen von Faurés (1876 und 1917) vergleichen. Die Weiterentwicklung dieser Tendenz zeigt die Cellosonate g-Moll (1923). Ähnlichkeiten bestehen ebenfalls zur Anlage von solchen der ‚Scholisten‘ wie d’Indy und Roussel (unabhängig davon, ob Ireland diese kannte), was auch den hohen Grad an struktureller Verdichtung durch motivische Bezüge betrifft. Verweise auf französische Musik blieben in der Presse nun allerdings aus, vielmehr wurden die neuen Stücke anerkennend mit einem maskulin konnotierten Vokabular von kraftvoller Direktheit verbunden, das einem ‚vage-impressionistischen‘ diametral entgegenstand.963 Es war ein solcher Stil, der annäherungsweise als genuin englisch bzw. britisch beschrieben wurde, etwa von Evans (siehe Anm. 772). Noch stärker als in vorherigen Werken werden motivische Zellen satz- bzw. abschnittsübergreifend verarbeitet.964 Im Trio stellt der rhapsodische Celloeinstieg die Grundlage für alles Folgende dar, in der Sonate vor allem das entschiedene punktierte Motiv, das mit prominenten Sept- und Sekundreibungen exponiert wird, während die Tonika a-Moll länger umgangen wird. the Sonata], and one might suspect a glorification of the ‘panache’ did not a touch of bitter emphasis remind one of the tragic futility that has overtaken the glitter of the armies of the past.“ Evans, Modern British Composers. V. Ireland, 459. Vgl. zum Kriegstopos in der englischen Musik der Zeit Saylor, English Pastoral Music, 64–66. 963 Das Trio wurde bei einem reinen Ireland-Programm in der Wigmore Hall im Juni 1917 uraufgeführt: „[...] the vigour and the power which are such marked characteristics of the sonata again give the music a virility that is most welcome and most refreshing.“ The Daily Telegraph, 13.6.1917, 9. „The most interesting item [...] was undoubtedly Mr. John Ireland’s Trio in E, played by MM. Defauw and Doehaerd, with the composer at the piano. The work is in seven continuous sections, well contrasted and admirably balanced, unity being given to the whole by the skilful re-employment of the same thematic material under different guises. It is essentially modern both in form and spirit; there is a refreshing terseness and lucidity in the presentation of the ideas and in their development, while there is much in the rhythm and harmony that is arresting.“ The Athenaeum, 11.4.1919, 181. 964 Für eine formale Analyse und eine programmatische Deutung der Violinsonate vgl. Richards, The Music of Ireland, 26–30 und 208–213, zum Trio 179–181.

293

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

Die Melodik prägen modale Flexionen wie die dorische Sexte cis im Trio, harmonisch setzt Ireland vermehrt auf parallele Akkorde im Klavier. Arpeggien werden weniger als begleitende Unterlegung eingesetzt denn perkussiv-gestenhaft wie am Beginn der Sonate oder als rein klangliches abgesetztes Element wie im zweiten Satz vor Buchstabe G. Unter Beibehaltung klassischer Formprinzipien entwickelte Ireland sein modernes Vokabular, angelegt zuerst in der Phantasie von 1908, weiter. Der Umgang mit Dissonanzen und Zusatztönen in einem grundsätzlich diatonischen Rahmen lässt sich mit französischen Komponisten wie Ravel in Verbindung bringen. Bestand also zehn Jahre zuvor eine Nähe zwischen Bridge und besonders Fauré, lassen sich nun Bezüge zwischen Ireland und der jüngeren Generation herstellen. Bridges Cellosonate von 1917 stellte in ähnlicher Weise eine Abwendung vom älteren Stil dar. Die gleiche Tendenz lässt sich in Irelands Klaviermusik nachvollziehen: Der Klaviersatz der Sonate (1920) und Sonatine (1927) ist im Vergleich zu den oft als impressionistisch wahrgenommenen bildhaften Stücken der vorherigen Dekade ökonomischer und seltener von ausgreifenden Figurationen geprägt. Den Beginn der Sonate beschrieb Hardy als „almost neo-classical“.965 Im Gegensatz dazu steht allerdings der klangliche Höhepunkt im dritten Satz, Meno mosso che al Primo, mit Glissando und parallelen Akkorden. Anlässlich des hundertsten Todestags von Beethoven 1927 kontrastierte Ireland die zeitgenössischen musikalischen Ideale der Klarheit und Prägnanz mit denen Beethovens und des (deutschen) 19. Jahrhunderts („an unduly logical classicism of form and expression“) und damit zugleich jene seiner Studienzeit mit den neu angeeigneten, die zu seinen eigenen geworden waren. Ähnlich wie sein Freund Evans (vgl. Anm. 688) und dessen Kritikerkollege Jean-Aubry erkannte Ireland in der modernen Ästhetik, wie sie von der Musik Debussys und Ravels mitgeprägt worden war, eine Anknüpfung an Ideale des 18. Jahrhunderts: The tendency nowadays is towards brevity of statement, flexibility and conciseness of form, clarity of texture, and attention to sound as an experience for the ear. The works of Debussy, Ravel, and Stravinsky display these qualities, and form a natural continuation of the pre-Beethoven period – a period in music more in accord with present-day taste than the Beethoven-Brahms epoch, which includes not only some of the greatest things in music, which are obviously for all time, but also, if one may say so without treason, a good deal which now seems to many people dull and faded.966

965 966

Hardy, The British Piano Sonata, 86. Ireland, A Speech for the Opposition, 110 (auch in: Foreman (Hg.), Ireland Companion, 394f.).

294

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

„The English Debussy“? Cyril Scott Not one of the many younger composers in our midst has deserved better of his countrymen than Mr. Cyril Scott, if only for the one reason that his fine, sensitive musical nature has introduced an element in English music – the poetical – that has ever been remarkably conspicuous by its absence. His method of thought, in its singular refinement, has, in quarters that perceive but primitively the power of personal imagination, brought a certain amount of disparagement upon him. It is quite easy to say that Debussy has inspired Mr. Scott: the fact can be proved up to the hilt; but, all the same, throughout everything that he has written, especially of later years, there is a personal note that is unmistakable. What if he continually refers to an ideal? Many of our younger composers are continually dependent on a whole bunch of ideals – so much so, that they become as hopelessly lost in the mixture as the pea in a pease pudding. Mr. Scott only reflects Debussy, after all, which is quite a different matter.967

In der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts war kein englischer Komponist in der öffentlichen Wahrnehmung so eng mit der modernen französischen Musik verknüpft wie Cyril Scott (1879–1970). Seine mal wertschätzende, mal abschätzige Titulierung als „English Debussy“ (siehe auch Cecil Gray in Anm. 796) wurde zwar schon von den Zeitgenossen, und umso mehr im Rückblick, häufiger zurückgewiesen als proklamiert, doch führte beides letztlich zu deren stärkerer Verankerung. Auch der frankophile Kritiker und Komponist George H. Clutsam stellte den Bezug nicht in Abrede, aber formulierte ihn differenzierter und wandte sich gegen den meist unterschwellig damit einhergehenden Vorwurf. Im Vergleich zu den im gleichen Jahr geborenen Ireland und Bridge erlangte Scott früher, bereits kurz nach der Jahrhundertwende, eine Reputation als vielversprechender und im höchsten Maße fortschrittlicher Vertreter der jüngsten Generation. Gleichwohl schienen sich die in ihn gesetzten Hoffnungen ebenso bald wieder zu zerschlagen; viele Kritiker konnten schon in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg keine künstlerische Weiterentwicklung mehr erkennen. In der Zwischenkriegszeit ging die zuvor große Wertschätzung seiner Musik durch das Publikum zunehmend zurück. Neben der Musik nicht minder aktiv als Dichter sowie Autor von Abhandlungen auf verschiedensten Gebieten von Okkultismus bis alternativer Medizin, fand der bis ins hohe Alter komponierende Scott immer seltener eine Bühne. Nach seinem Tod waren er und seine Musik – wie die der meisten seiner Generationsgenossen – großteils vergessen.968 Als Evans 1903/04 in seiner Artikelreihe das Feld moderner britischer Komponisten absteckte, konnte Scott darauf bereits einen vorderen Platz beanspruchen – doch in 967

G. H. C. [George H. Clutsam], Mr. Cyril Scott, in: The Observer, 23.5.1909, 7. Siehe für einen Überblick über die Historiographie Collins, The Aesthetic Life of Scott, 4f. Zur zeitgenössischen und postumen Rezeption in der Presse siehe Peter Atkinson, ‘Music for the Martians’: Scott’s Reception and Reputation at Home and Abroad, in: Scott/Foreman/De’Ath (Hgg.), Scott Companion, 69–88. Scotts Verhältnis zur BBC ist wie oft ein Spiegelbild seines Verhältnisses zur musikalischen Öffentlichkeit, siehe dazu Lewis Foreman, Cyril Scott and the BBC, in: Ebd., 49–67. 968

295

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

die zweite Reihe 1919/20 fand er nicht mehr Eingang. Die fließende Musik ließ Evans an die Lyrik Stéphane Mallarmés denken; besonders überzeugt zeigte er sich von den drei Ouvertüren zu Dramen Maurice Maeterlincks (tatsächlich übte die persönliche Beziehung zu Stefan George einen entscheidenden Einfluss auf Scotts frühe Ästhetik aus). Zu einem Zeitpunkt, an dem Debussy und die Schüler Francks in England noch fast unbekannt waren, erkannte Evans in Scott einen Gleichgesinnten der „Franckistes“ und dennoch gleichzeitig einen „English of the English“. Nach Ende des Ersten Weltkriegs schätzte er dessen Musik immer noch, verortete ihn aber ästhetisch unverändert in den 1890er-Jahren und machte in der kompositorischen Technik Limitationen aus. Der ständige Vergleich mit Debussy habe Scott mehr geschadet als genutzt.969 Anlässlich eines Rezitals von Evelyn Suart 1904, bei dem diese Scott neben Debussy und Ravel (Letztgenannten zum ersten Mal in England, siehe dazu unten) stellte, wurde der junge Engländer auch in der Tagespresse als Gegenpart der beiden „ultra-moderns“ eingeführt – wohl von J. A. Fuller Maitland, der diese Parallelsetzung auch in der zweiten Ausgabe des Grove 1908 einer breiten Leserschaft vermittelte.970 Scotts Studienkollege Percy Grainger wollte diese Affinität 1912 nicht bestreiten, doch machte er darauf aufmerksam, dass einige der geteilten Merkmale, deren Wurzel er in den harmonischen Innovationen Griegs erkannte, bei Scott bereits vor dessen Kontakt mit Debussys Musik (wohl 1902, siehe auch dazu unten) manifest geworden seien.971 In der Tat galt Scott auch unabhängig von der Kopplung mit Debussy als revolutionärer und anti-akademischer Modernist: Goossens soll ihn als „father of modern English music“ bezeichnet und Elgar gegenüber Bernard Shaw im Hinblick auf seine eigene avancierte Harmonik proklamiert haben, „don’t forget that Cyril Scott started it“. Für Ireland war Scott „the first to break away from the academic school“.972 Auf eine Schublade ließ er sich jedoch nicht reduzieren: Von den sechs Kategorien des englischen Nationalmusikdiskurses, die Ball in seiner Dissertation von zeitgenössischen Kritiken abstrahierte, wurde jede einzelne auch auf Scott angewandt, der so als „a continentally-

969

Evans sprach nicht von Symbolismus, sondern von der „French literary renaissance“ bzw. „decadence“. In Scotts Musik sah er einen idealen Vertreter des „type of musical romanticism appropriate to Maeterlinck“. Evans, Modern British Composers. IX., in: The Musical Standard, 12.9.1903, 162. Siehe zu den Einschätzungen von 1920 bzw. 1923 ders., Modern British Composers. Epilogue, 442; ders., Introductions: VII. Scott. 970 The Times, 3.5.1904, 10. „His works aim at the portrayal of ‘atmosphere,’ rather than definite beauty; and they occasionally reach their object. Mr. Scott may best be described as the English counterpart to Debussy, whose vagueness of melody and far-fetched harmonies are reproduced in the works of the younger man.“ Fuller Maitland, Scott, 390. 971 Grainger, The Music of Cyril Scott, 32f. Blom wies Scott 1942 den Platz eines „englischen Grieg“ zu. Blom, Music in England, 204. Vgl. den analytischen Vergleich bei Richard Price, Cyril Scott, Debussy and Stravinsky, in: Scott/Foreman/De’Ath (Hgg.), Scott Companion, 39–47. 972 Collins, The Aesthetic Life of Scott, 3f. (Goossens ohne Quellenangabe); Armstrong, The Frankfort Group, 13; Murray Schafer, Interview with John Ireland [1963], in: Foreman (Hg.), Ireland Companion, 54–61, hier 57.

296

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

influenced modernist of Eastern and Debussyan tendencies whose music possesses a strikingly individual, yet recognizably English note“ gegolten haben könne.973 Scott selbst verortete sich dezidiert in der romantischen Tradition (im Gegensatz zur klassizistischen und futuristischen Position).974 In Deutschland ausgebildet, fand er von Beginn an Aufführungsmöglichkeiten auf dem Kontinent, wo er vor 1914 jedes Jahr mehrere Monate verbrachte und bis in die 1920er-Jahre neben Elgar wohl der bekannteste englische Komponist war: Erste Orchesteraufführungen fanden 1900 in Darmstadt und Frankfurt statt. Ricardo Viñes nahm 1905 das Klavierstück Dagobah in seine Pariser Concerts historiques auf, und zu den Bewunderern insbesondere von Scotts Klavier- bzw. Violinsonate zählten Strawinsky und Alma Mahler, die er beide um 1913 traf.975 Gerade in Frankreich, wo englische Musik wenig Wertschätzung genoss (siehe S. 191ff.), bewegte sich Scott auch souverän in privaten Salons (wenngleich ohne die Gastgeberin Marguerite de Saint-Marceaux nachhaltig zu beeindrucken) und erhielt im Februar 1912 die Gelegenheit, eigene Klavierwerke bei der Société musicale indépendante vorzustellen.976 Nicht anders als in seiner Heimat konnte er nach dem Ersten Weltkrieg kaum mehr an diese Erfolge anknüpfen. Der französische Kritiker Jean-Aubry zog in zwei Artikeln 1919 rückblickend ein enttäuschtes (vorläufiges) Fazit. In diesen scheint deutlich die Debatte über französischen Einfluss auf englische Musik durch (siehe zu Jean-Aubrys Position S. 235ff.): Il y a une dizaine d’années, M. Cyril Scott, qui est encore un homme jeune, apparaissait comme une des promesses les plus vives de l’art en Angleterre. Son nom et ses œuvres se sont répandus en tous lieux. Il était, à vingt ans, le seul rival de Sir Edward Elgar pour représenter la musique anglaise sur le Continent ; un peu trop précipitamment on lui fit, 973

Ball, Reclaiming a Music for England, 370. Vgl. zu seiner künstlerischen Ästhetik die Aufsatzsammlung von 1917 Scott, The Philosophy of Modernism, darin auch Classicism, Romanticism and Futurism [1916], 1–9. 975 M.-D. Calvocoressi, A propos de Concerts Historiques, in: Revue musicale de Lyon, 14.5.1905, 327. Siehe zu den Treffen mit den Genannten Scotts zwei im Abstand von 45 Jahren entstandene Autobiographien Scott, My Years of Indiscretion, 204f.; ders., Bone of Contention, 136f. 976 Bei Saint-Marceaux spielte er 1904/05 mindestens viermal, davon dreimal neben Ravel. „C’est de la musique libre. Plus d’armure à la clé. Les modulations ne sont que des altérations, plus de règle dans le développement de l’idée. C’est jeune et vivant et le système peut se défendre.“ Tagebucheintrag von Marguerite de Saint-Marceaux, 8.1.1904. „L’aplomb de ce jeune Anglais est formidable. Il ne manque pas de nature mais le désordre de son écriture musicale rend l’audition de ses œuvres pénible. Je n’aime pas les maisons à cinq étages, dit Debussy après avoir entendu quelques-unes de ses productions. Il ne jure que par Debussy c’est son maître et son dieu.“ Tagebucheintrag, 22.1.1904. „Cyril Scott exécute deux morceaux de sa façon pleins d’idées appartenant aux autres et d’une écriture peu intéressante. Il continue à se gober immensément et à se poser en homme de génie.“ Tagebucheintrag, 6.1.1905. Davor hatte Ravel sein Oiseaux tristes präsentiert („Un peu confus. Il faut l’entendre encore.“). Auch Viñes hielt Scott für einen poseur. Saint-Marceaux, Journal, 325, 328, 330f. und 373. Bei der SMI spielte Scott die Debussy gewidmete zweite Suite op. 75 und eine Sonate (Nr. 1 op. 66?); seine Schreibweise lud zum Vergleich mit Debussy, aber auch Schumann ein. Excelsior, 4.3.1912, 8. 974

297

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

sur les indices, une notoriété qui lui a plus nui qu’elle ne l’a servi. M. Cyril Scott fut un des premiers à introduire dans ses œuvres les procédés d’écriture de Claude Debussy ou de M. Maurice Ravel : ce lui valut d’être bien accueilli en France où l’on retrouvait sans effort un vocabulaire auquel on commençait à s’habituer, et d’être regardé en Angleterre comme le chef de la jeune école : mais il était un chef sans disciples, car la curiosité de M. Scott était malheureusement plus ardente et plus vive que sa nature.977 It is of course impossible for a composer of to-day to write as if Claude Debussy had never existed; but there is assuredly a certain difference between this and following him too closely; what interests us is to discover in England works definitely English in character, reflections of some of the virtues or even defects inherent in the race or races which are mingled there, and not works too directly inspired by foreign influences. Without doubt Mr. Cyril Scott has been the means of introducing into England modern French compositions, particularly those for the piano, but also that his extraordinarily rapid power of assimilation, perhaps also a similiarity of outlook, made him adopt sooner than any other in his country the new forms of expression first used by the French school. It seems as if Mr. Scott’s individuality did not disengage itself sufficiently; as if, on the whole, his power of assimilation had been more a hindrance than a help. What drew us to him ten years ago already appears a little old-fashioned. One cannot help feeling that in Mr. Scott’s work intellect and will play a more prominent part than the emotions and though it is true in art that emotion without craftmanship soon becomes faded, craftmanship without emotion is not slow in losing the freshness of its coloring. One can be certain of nothing in a nature as supple and singular as Mr. Scott’s, but I do not see that he has enriched English music with any very personal elements, although he has facilitated its liberation, by the introduction of fresh documents borrowed from the music of other countries.978

Als erst Zwölfjähriger fand sich Scott 1891/92 für anderthalb Jahre allein in Frankfurt am Main, wo er Klavierschüler an Dr. Hoch’s Konservatorium war. Nachdem, zurück in Liverpool, sein Entschluss gereift war, Komponist zu werden, setzte er von 1896 bis 1899 seine Studien an derselben Institution fort. Von den englischsprachigen Komponisten, die in dieser Dekade bei Iwan Knorr studierten, werden Scott, Norman O’Neill, Roger Quilter, Balfour Gardiner und Percy Grainger zur lebenslang freundschaftlich eng verbundenen ‚Frankfurt Group‘ gezählt. Abseits der die englische Musikwelt dominierenden Royal College of Music und Royal Academy of Music und abseits des Londoner Konzertlebens kam der junge Scott mit anderen Repertoireschwerpunkten in Berührung als die meisten seiner gleichaltrigen Landsleute. Wie aus einer späteren Würdigung Graingers hervorgeht, machte der drei Jahre ältere Scott ihn als Erster mit „moderner Musik“ vertraut, die für diesen Griegs Ballade und Tschaikowskis Thema und Variationen repräsentierten.979 Beider Lehrer Knorr war sowohl mit Tschaikowski als 977

Jean-Aubry, La musique anglaise actuelle, 870. Jean-Aubry, British Music Through French Eyes, 203f. Die Formulierung könnte so aufgefasst werden, dass Scott selbst französisches Repertoire im Konzert präsentierte, tatsächlich spielte er als Pianist nur eigene Werke. 979 Lloyd, From Frankfurt with Love, 15. 978

298

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

auch mit Brahms persönlich verbunden gewesen, doch ist auffällig, dass die Musik des Letzteren sich bei keinem aus der ‚Frankfurt Group‘ signifikant niederschlug.980 Auf die jüngste französische Musik stieß Scott nur wenig früher als etwa Bridge und Ireland: Nach dem Ende seines Studiums war er wiederum nach Liverpool zurückgekehrt und teilte dort ein Haus mit dem französischen Linguisten Charles Bonnier. Dieser ermunterte Scott nicht nur zum Schreiben von Poesie, er reiste auch mit ihm zusammen nach Nordfrankreich, wo Scott wohl 1902 im Bekanntenkreis des englischen Historikers York Powell (der Mallarmé und andere nach Oxford gebracht hatte) mit der Musik Debussys in Verbindung kam. Die Partitur von Pelléas et Mélisande hielt er dort nach der Komposition seiner eigenen Ouvertüre (1900) zum selben Schauspiel erstmals in den Händen.981 Im Winter 1903/04 hielt sich Scott zusammen mit Gardiner in Paris auf und traf durch die Vermittlung der englischen Komponistin Adela Maddison (siehe S. 339f.) mit Debussy und Ravel zusammen, wohl bei späteren Gelegenheiten auch mit Fauré und Florent Schmitt.982 Mit beiden Erstgenannten blieb er in regelmäßigem Kontakt und man tauschte sich gegenseitig über neueste Werke aus.983 Auf eine Anfrage des Mainzer Verlags Schott eingehend, verfasste Debussy 1910 eine vielzitierte Eloge auf Scott, deren offene Zuversicht jedoch zunehmend zu einer Bürde wurde (und die die Assoziation zwischen Scotts Musik und Debussy stärkte, auch wenn dieser – in jüngeren Werken – keine Ähnlichkeiten erkannte).984 980

In Ergänzung von Evans’ erstem Artikel über Scott wurde dieser nach seinen Einflüssen gefragt und antwortete, er verdanke einen „great deal to Palestrina, Bach, Tchaïkovsky and Wagner, but in the matter of form more especially to Bach.“ The Musical Standard, 19.12.1903, 386. Sein Enthusiasmus für den russischen Komponisten war die größte Differenz der Geschmäcker Scotts und Ravels, doch zwanzig Jahre später hatte Scott seine Haltung revidiert. Scott, Bone of Contention, 131. 981 „Of the French composer’s music I had hitherto heard nothing, so that my surprise was considerable when dinner over, they confronted me with the first page of Pelleas, and I saw before me that opening phrase: here was the very Pre-Raphaelite atmosphere I had dreamed of, and to a certain extent already created in my compositions. True, there was to me a flavour of something exotic, which I actually did not feel in my own music, and which struck me more by its strangeness than by its absolute beauty – but that the Frenchman and I had been aiming at something astonishingly similar, was evident.“ Scott, My Years of Indiscretion, 65f. Siehe zu Bonnier Hull, Scott, 18f. 982 „You asked me about Fauré. I love a lot of his things & met him personally in Paris two years ago.“ Brief von Scott an Roger Quilter, 7.4.1908 (siehe Anm. 282 für Quilters Meinung). Um 1949 schrieb Schmitt einen Brief an Scott und blickte auf ihr erstes Treffen 35 Jahre zuvor mit Ravel und Maurice Delage zurück. Lloyd, From Frankfurt with Love, 31; Leslie De’Ath, ‘Years of Indiscretion’: The Early Piano Works, 1898–1909, in: ders./Scott/Foreman (Hgg.), Scott Companion, 127–142, hier 127. 983 Beide zeigten sich sehr interessiert an Scotts Musik und bei beiden hob er eine Abneigung gegen deutsche Musik und deren Einfluss hervor. Siehe zu seinen Eindrücken in den Memoiren Scott, My Years of Indiscretion, 99–105; ders., Bone of Contention, 125–131. 984 „Cyril Scott est un des plus curieux artistes de la génération présente. [in der englischen Übersetzung: „one of the rarest artists“] [...] Cette musique se déroule, – un peu – à la façon de ces rapsodies javanaises [...]. C’est beaucoup plus qu’il n’en faut pour qu’on puisse faire confiance à ce musicien si fortement averti, quoiqu’encore très jeune.“ Zit. nach J. S. S. [John S. Shedlock], Cyril Scott and His Art Work, in: The Monthly Musical Record, 1.11.1910, 242f. Vgl. auch den Brief von Debussy an Schott, 18.9.1910. Debussy, Correspondance, 1315f.

299

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

Das Interesse am progressiven französischen Repertoire teilte Scott mit der jungen englischen Pianistin Evelyn Suart, Schülerin von Raoul Pugno und Theodor Leschetizky, die sich in London nach 1900 auch mit entsprechenden Rezitalprogrammen profilierte. Bald in engem persönlichen Kontakt zu Scott, stellte sie ihn seinem zukünftigen Verleger William Elkin vor und weckte sein Interesse für Metaphysik und spirituelle Philosophie. Auch wenn es dafür keinen expliziten Nachweis gibt, ist es gut möglich, dass Scott Ravels Jeux d’eau, das ihm der Komponist Anfang des Jahres in Paris vorgespielt hatte, Suart mitbrachte, die es dann im Mai 1904 als erstes Stück Ravels in London auf ihr Programm setzte (neben Scott und Debussy). Scotts große Wertschätzung der französischen Musik spiegelte sich auch in publizistischen Beiträgen etwa von 1917 bzw. 1921 wider: Berlioz habe die „Farbe“ in der Musik erfunden, und dieser Sinn für Klanglichkeit sei von allen ihm nachfolgenden Landsleuten gepflegt worden. Gerade in der Kammermusik hätten Franck, Debussy, Chausson und besonders Ravel im Quartett und Trio mit neuartigen „Effekten“ neue klangliche Maßstäbe geschaffen, wohingegen vieles etwa bei Brahms und Reger als „Papiermusik“ gelten müsse.985 Schließlich spielten französische Komponisten auch in den von Scotts Auseinandersetzung mit dem Okkultismus geprägten Schriften ab den 1920er-Jahren eine prominente Rolle, etwa in dem zuerst 1933 erschienenen und vielfach wiederaufgelegten Music. Its Secret Influence Throughout the Ages.986 Kammermusik nahm in Scotts Œuvre eine Zwischenposition ein: Auf der einen Seite galt sein Ehrgeiz insbesondere groß angelegter Orchestermusik, auf der anderen wurde er beim Publikum primär mit salonmusikartigen Klavierstücken wie Lotus Land (1905) und Liedern bekannt und beliebt, die auch auf dem englischen Verlagsmarkt erfolgreich waren. Skeptische Kritiker waren in der Folge schnell mit dem Schlagwort des ‚Miniaturisten‘ bei der Hand, das in der Ablehnung progressiver Musik eine Tradition besaß, etwa schon bei Schumann, Grieg oder Fauré. Scotts Memoiren zufolge war es jedoch die Londoner Erstaufführung seines Klavierquartetts op. 16 (1901), mit seiner eigenen sowie der prominenten Beteiligung Fritz Kreislers bei den Broadwood Concerts (neben Francks Klavierquintett), die seinen Namen im Februar 1903 mit einem Schlag in das öffentliche Interesse rückte, ganz ähnlich wie 1917 Ireland dessen zweite Violinsonate.987 Mit der (auch finanziellen) Unterstützung des Vorsitzenden der Firma Broadwood, William Henry Leslie, erschien das Quartett noch im gleichen 985

„Grace, vivacity, certain forms of politeness, colour and wit are certainly what we should ascribe to the French in general; and if I have not dwelt on these particular qualities in their music, it is because they are too obvious to need emphasis, on the one hand, while, on the other, the less obvious fact that our Ally is responsible for the incomparable invention of tone-colour is one which outweighs almost every other factor in the case.“ Scott, The Genius of French Music, 544; ders., Chamber-Music: Its Past and Future. Für eine annotierte Bibliographie von Scotts musikalischen Schriften siehe Sampsel, Scott. A Bio-Bibliography, 115–144. 986 Eigene Kapitel erhielten dort etwa Franck („The Bridge between the Humans and the Devas“) sowie Debussy und Ravel. Scott, Music. Its Secret Influence Throughout the Ages, 72–76 und 78–81. 987 Scott, My Years of Indiscretion, 68–72; ders., Bone of Contention, 87f.

300

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

Jahr bei Boosey & Co. im Druck, und mit Prestige war auch die Aufführung bei den Popular Concerts 1904 in deren letzter Saison unter Johann Kruse verbunden.988 Es war gleichwohl nicht Scotts erstes Kammermusikwerk: Von den zahlreichen zwischen seiner Frankfurter Studienzeit bis 1920 fertiggestellten Kompositionen wurden zwar alle mindestens einmal aufgeführt, allerdings nur eine Minderheit auch gedruckt (siehe Tabelle 25).989 Ähnlich wie Ireland erkannte Scott viele seiner früheren Werke, das gedruckte Klavierquartett eingeschlossen, später nicht mehr als gültig bzw. repräsentativ an. Zwischen 1906 und 1914 (außer 1910 und 1912) gab Scott jährliche Rezitale in der Bechstein Hall, bei denen er auch als Pianist mitwirkte (solche Rezitale mit Werken eines einzigen Komponisten ernteten wegen mangelnder Abwechslung regelmäßig Kritik, etwa schon bei Chaminade und Fauré, siehe Anm. 121 und 262). In diesem Rahmen fanden zahlreiche Uraufführungen statt, auch von den hier nicht aufgelisteten Klavierstücken und Liedern (siehe Tabelle 26, vgl. Wigmore Hall Archive). Anfangs machten stets zwei ausgedehnte Ensemblewerke den Großteil des Programms aus, doch vollendete Scott zwischen 1908 und 1919 nur einen weiteren Sonatenzyklus (als Revision eines älteren), und entsprechend nahm der Konzertanteil kürzerer und freier geformter Duos zu. Die Suite Tallahassee für Violine und Klavier op. 73/4 (1910) etwa mit ihrer exotisch-mystischen Evokation einer Südstaatenszenerie (und rassistischen Vorstellungen im dritten Satz, Air et danse nègre) steht eher im Kontext von Klavierstücken wie dem populären Danse nègre op. 58/5 (1908) als in jenem der genuin kammermusikalischen Gattungen. Grundsätzlich zeichnet sich Scotts Musik dieser Jahre vor allem durch charakteristische Merkmale auf zwei Ebenen aus: Metrik und Harmonik. Durch flexible Periodik, ständige Taktartenwechsel und die Vermeidung von Kadenzen strebte er einen kontinuierlichen „musical flow“ an, dem auf der harmonischen Ebene ein hoher Grad an frei eingesetzten und unaufgelösten Dissonanzen wie Sept-, Non- und Undezimakkorden gegenübersteht.990 Diese resultieren aus einer chromatischen Skala, die den zwölf Tönen gleiches Gewicht gibt: So entsprach der Verzicht auf ein stabiles metrisches Gerüst demjenigen auf (lokale) tonale Zentren (Scott selbst sprach von „non-tonal music“).991 Banfield führte diese Charakteristika auf Scotts Auseinandersetzung mit symbolistischer Dichtung zurück, und Grainger beschrieb im Rückblick „den Akkord“ als zentrales 988

„It is pleasant to find that the present-day Popular Concerts are not liable to the old reproach of neglecting fine English music. On Saturday the chief attraction was to have been a new quintet by Mr. Cyril Scott, but for it was substituted the composer’s pianoforte quartet, [...].“ The Times, 23.3.1904, 12. Es ist unklar, welches Quintett geplant gewesen war. 989 Ausgeklammert bleiben Werke bzw. Charakterstücke für zwei Instrumente in freier oder Suitenform. Vgl. die Werkkataloge Leslie de’Ath (mit Desmond Scott), Catalogue of Cyril Scott’s Music, in: Dieselben/Foreman (Hgg.), Scott Companion, 431–551; Sampsel, Scott. A Bio-Bibliography, 23–114. 990 Scott selbst sprach von „multi-metricism“ und bezog sich auf Wagners Tristan; tatsächlich lässt sich ein Bezug zu Wagners „unendlicher Melodie“ herstellen. Parallelen zu Graingers Konzept der „beatless music“ diskutierten schon die beiden Freunde. Vgl. Collins, The Aesthetic Life of Scott, 198–201. 991 Vgl. Hardy, The British Piano Sonata, 58–65; Hull, Scott, 22.

301

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

Tabelle 25: Kammermusik von Cyril Scott, 1899–1920 Abschluss

Druck

Werk

1899



Klaviertrio e-Moll op. 3



Cellosonate (verloren)

1900



Klavierquintett e-Moll

1901

1903

Klavierquartett e-Moll op. 16



Streichquartett op. 12



Streichquartett op. 28 (verloren)



Klaviersextett op. 26 (dreisätzig, verloren, als Klavierquintett revidiert 1913)

1904



Streichquartett F-Dur op. 31 (verloren)

1907



Klavierquintett op. 57 (dreisätzig, verloren)

1908

1910

Violinsonate Nr. 1 op. 59

1913



Klavierquintett (viersätzig, verloren, basierend auf Klaviersextett op. 26)

1919



Streichquintett (2 Vc., verloren)

1921

Streichquartett Nr. 1 (fünfsätzig)

1922

Klaviertrio Nr. 1

1925

Klavierquintett Nr. 1 (viersätzig, basierend auf Klaviersextett op. 26 bzw. Klavierquintett von 1913)

1903

1920

Gestaltungselement der musikalischen ‚Präraffaeliten‘.992 William Denis Brownes Kritik an einer einseitig harmonischen Schreibweise seiner englischen Zeitgenossen traf so auch und insbesondere Scott (siehe Anm. 754). Mit Bridge und Ireland verband diesen wiederum, dass Folksong und Tudor-Revival trotz einzelner Volksliedbearbeitungen nicht im Zentrum seiner Ästhetik standen. Diese über Gattungs- und Genregrenzen hinaus prägenden Merkmale dominierten die Diskussion von Scotts Musik in der Presse: Typische Kritikpunkte betrafen einen Mangel an Formbeherrschung und tonaler Stabilität, der zu einem improvisatorischepisodenhaften Eindruck auf Kosten der kompositorischen Einheit führe. Oft wurde angemerkt, dass diese Manierismen in kleineren Formen weniger schädlich seien, was 992

Banfield, Sensibility and English Song, Vol. 1, 91f. und 106f. Aus einem Programmheft von 1962 zitierte Palmer Auszüge aus den Erinnerungen Graingers: „The chord has the heartrending powere [sic] we musical prerafaelites needed. Based on Bach, Skriabine, Wagner, Grieg and Cesar Franck Cyril, Balfour and I became chord-masters indeed.“ Palmer, Scott. Centenary Reflections, 739.

302

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

Tabelle 26: Konzerte von Cyril Scott in der Bechstein Hall, 1906–1914 Datum

Kammermusik (*UA)

22.3.1906 Klaviersextett op. 26; Klavierquartett op. 16

Instrumentalisten; Sänger (Scott, Kl.)

Presse

John Saunders, Charles Woodhouse, F. S. Pearce, Ernest Yonge, Jean Preuveneers; Gervase Elwes, Edith Clegg

Ath, 31.3.1906, 403.

12.3.1907 Klaviersextett op. 26; Saunders, Woodhouse, Henry Gibson, T, 13.3.1907, Klavierquintett op. 57* Yonge, Preuveneers; Frederic Austin, Clegg 12. 24.3.1908 Streichquartett op. 28*; Nora Clench, Lucy Stone, Cecilia Gates, Violinsonate op. 59* Edith Evans; Ethel Barns; Elsie Swinton, Theodore Byard

MG, 26.3.1908, 7.

17.5.1909 Violinsonate op. 59; Barns; Swinton, E. Gordon Cleather (Klaviersonate op. 66*)

Obs, 23.5.1909, 7.

22.3.1911 Suite Tallahassee für Kl. Efrem Zimbalist (V.); Byard, Jean und V. op. 73/4* Waterston

DT, 23.3.1911, 6.

16.4.1913 Scotch Pastorale für Kl. und Fl.*

Albert Fransella (Fl.); Hubert Eisdell, Waterston

DT, 17.4.1913, 9.

6.4.1914 Klavierquintett*; Stücke für Kl. und V.

Leonora Speyer, Maurice Sons, Lionel DT, Tertis, Arnold Trowell; Austin, Waterston 7.4.1914, 9.

wiederum das Bild von Scott als Miniaturisten beförderte.993 Ihm wurde genau das Handwerk abgesprochen, dessen Beherrschung etwa Bridge und Ireland anhand von Begriffen wie Klarheit und Kohärenz der Ideen, Logik und Entwicklung attestiert wurde. Die angesprochenen Defizite weisen einige Parallelen zu der typischen Reaktion auf französische Musik schon im 19. Jahrhundert auf. So überrascht es nicht, dass der dieser offen gegenüberstehende Kritiker Clutsam zu einer deutlich positiveren Einschätzung Scotts gelangte (siehe Anm. 967). Ein häufiges Schlagwort der ablehnenden Haltung lautete ‚Farbe‘, so wie es in der Times wohl deren Hauptkritiker Fuller Maitland zu Scotts erstem Konzert in der Bechstein Hall 1906 formulierte: To name the keys or to attempt to discuss in detail either of the works [Klavierquartett und -sextett] were alike difficult of performance and futile in result, since those who admire ultra-modern music are, for the most part, unversed in technicalities and profess to be above such conventionalities as form and design in music. Both works create an impression of rich colouring from which all else is exluded; the snatches of melodic themes which sometimes appear as though by inadvertence have little or no place in the general scheme, [...].994 993

Siehe Presse in Tabelle 26. Vgl. Peter Atkinson, ‘Music for the Martians’: Scott’s Reception and Reputation at Home and Abroad, in: Scott/Foreman/De’Ath (Hgg.), Scott Companion, 69–88. 994 The Times, 23.3.1906, 10.

303

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

In seinem kurzen Überblick über Scotts Kammermusik, dem einzigen der jüngeren Forschung, postulierte Leland einen Dualismus zwischen ausdrucksvoller Farbe (den er Frankreich zuordnete) und logischer Form (Deutschland), den Scott sein Leben lang kompositorisch verhandelt und zu einer Synthese zu bringen versucht habe.995 Wirken dieser Dualismus und die nationalen Assoziationen zunächst stark vereinfachend, können sie sich immerhin auf Scotts Identifizierung der französischen Musik mit Farbe (siehe Anm. 985) sowie den zeitgenössischen Pressediskurs stützen (siehe zu Stanfords Haltung Anm. 860). Im Klavierquartett e-Moll op. 16 erkannte Leland noch eine von Brahms geprägte Tonsprache und folgte damit einer für englische Musik dieser Zeit typischen Zuschreibung. Tatsächlich lässt sich das am Ende des Frankfurter Studiums 1899 begonnene Werk auf den ersten Blick etwa Bridges frühen Kompositionen an die Seite stellen (die Intervallstruktur des Themas im langsamen Satz mit dem Sextsprung entspricht sogar fast wörtlich derjenigen im entsprechenden Satz von Bridges Klavierquartett, 1902).996 Die Streicher werden über weite Teile unisono geführt (deren fehlende Unabhängigkeit wurde als technischer Mangel angemerkt).997 Der Klaviersatz ist jedoch weniger dicht und häufiger akkordisch als arpeggiert gehalten. An mögliche französische Muster erinnern überraschende Rückungen, bei denen auf tonal instabilerem Grund plötzlich eine transparentere Textur eintritt, wie in der Überleitung des Hauptsatzes (erster Satz, C), sowie der kurze dritte Satz mit durchgängigem con sordino und begleitenden Tremoli der Streicher. Der von Stanford propagierten und von dessen Schüler Bridge befolgten Logik motivisch-thematischer Arbeit mit Keimzellen entgegen steht allerdings Scotts Anspruch einer durchgehenden Kantilene, wie er ihn in einem Brief an Gardiner formulierte. Aus diesem ergibt sich, dass das Thema immer eher in ganzer Form aufgegriffen wird, statt aufgespalten zu werden: The Prelude [der Kopfsatz des Quartetts, in der Partitur nicht mehr so bezeichnet] is one great Cantilene from beginning to end, the theme coming in in different ways & different keys from time to time. It gives a tremendously bedeutend ring to the work. You must broaden your mind for it and not think me chaotic or formal bad for branching off in a new direction. Imagine the beginning of the Mathäus Passion [sic] in a modern style with a broad sweeping theme, then you have a vague idea of it.998 995

Leland, The Chamber Music, 189f. Scott stellte das Quartett wohl 1901 fertig; über den Entstehungsprozess geben Briefe von Scott an Gardiner aus dem Sommeraufenthalt in Vevey Auskunft, außerdem ein Brief von Grainger an Herman Sandby vom 27.9.1901. Eine ursprüngliche Satzfolge hieß demzufolge Prelude, Scherzo, Andante, Intermezzo, Finale, wobei das Scherzo später offenbar entfiel und das Intermezzo an dritter Stelle (Allegretto amabile) nicht mehr so betitelt wurde. Die Briefe werden zitiert in Lloyd, From Frankfurt with Love, 22–25. 997 Siehe eine Besprechung der Aufführung mit Kreisler. The Manchester Guardian, 13.2.1903, 6. 998 Brief von Scott an Gardiner, 28.8.1901, zit. nach Lloyd, From Frankfurt with Love, 23. Die Assoziation mit Bach wird in einer Anekdote wiederaufgenommen: Stanford suchte nach einer Aufführung des Quartetts das Gespräch mit Scott und pochte auf die Notwendigkeit von „breathing 996

304

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

Die Kluft zwischen diesem Originalitätsanspruch und dem insgesamt doch traditionellen Gesamteindruck war womöglich ein Grund dafür, dass Scott das publizierte Quartett nachträglich verwarf, auch wenn er es noch 1906 bei seinem eigenen Konzert auf das Programm setzte. Dort erklang auch das ebenfalls schon ältere Klaviersextett, das Scott kurz vor der Fertigstellung als „by far the best chamber music I have done & harmonically [...] a great advance“ beschrieben hatte.999 Eine private Aufführung im Salon des Ehepaars Suart wohl 1903 hatte erregte Diskussionen zur Folge, und ein Konzert in Brüssel konnte offenbar nur durch die Einsprache von Georgette Leblanc, der Sängerin sowie Partnerin Maeterlincks, gerettet werden.1000 Das Sextett mit der ungewöhnlichen, drei Violinen einschließenden Besetzung (Holbrooke schrieb zur gleichen Zeit ähnliche Klaviersextette) ist das erste der Werke, deren Material letztlich in das 1920 uraufgeführte und 1925 publizierte Klavierquintett Eingang fand. Vom Sextett ebenso wie von den beiden Klavierquintetten von 1907 bzw. 1913 sind keine Quellen erhalten, sodass sich Rückschlüsse, auch über das Ausmaß der Überarbeitung, nur aus den Pressekritiken ziehen lassen.1001 Grundsätzlich erschienen den Kritikern Quartett und Sextett denselben Prinzipien zu folgen. Der Kopfsatz des Sextetts zeige eine „mathematical regularity of rhythm“, die keine große Nähe zum Kopfsatz des erhaltenen Quintetts nahelegt.1002 Das Klavierquintett op. 57, das 1907 neben dem Sextett uraufgeführt wurde, beeindruckte mit einer „really beautiful meditative introduction à la Debussy“,1003 die „beauty beyond that of unusual harmonies“ besitze. Scott habe nun verstärkt den Wert von Interpunktion bzw. Kadenzen entdeckt, der Streichersatz basiere jedoch weiterhin auf „mere successions of shifting chords without any contrapuntal design“.1004 Das 1914 erstmals aufgeführte Klavierquintett mit nun vier nahtlos verbundenen Sätzen schließlich griff Themen des space“ gegenüber einem „continual musical flow“, worauf Scott erwiderte: „But Bach flows on without a break.“ – „Ah, Bach is Bach“, lautete Stanfords Antwort. Scott, My Years of Indiscretion, 72. 999 Undatierter Brief von Scott an Gardiner, zit. nach Lloyd, From Frankfurt with Love, 26. 1000 „But in spite of its mythical “modernity,” I have not only made it more modern still, but transformed it from a sextet into a quintet; in that newer guise it has since been performed in London, Holland, and elsewhere.“ Scott, My Years of Indiscretion, 92. 1001 Anders als es der jüngste Werkkatalog im Scott Companion angibt, gehört das Quintett op. 57 nicht in denselben Revisionskontext, da es 1907 neben dem Sextett auf dem Programm stand. So muss offenbleiben, ob Scott auch Material dieses Quintetts wiederverwendete und ob womöglich ein noch früheres Quintett mit dem Sextett in Zusammenhang stand (siehe auch Anm. 988). 1002 The Times, 23.3.1906, 10. „[...] a work conceived in an orchestral spirit and possessing a certain distinction, but marred by want of contrasts, not only between its three movements but also in the part writing.“ The Musical Times, 1.4.1906, 262. Scott hatte Evans das Sextett schon zuvor am Klavier vorgestellt: „As far as I was able to judge, the work is splendid, but of a nature to which it will be difficult to convert the votaries of chamber music, who are generally speaking overawed when confronted with something off the beaten track.“ Evans, Modern British Composers. IX., in: The Musical Standard, 12.9.1903, 163. 1003 The Manchester Guardian, 13.3.1907, 7. 1004 The Times, 13.3.1907, 12.

305

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

Sextetts auf. Die zurückhaltenden Kritiker konnten dabei keinen wirklichen Fortschritt feststellen: Das Material sei limitiert und repetitiv, eine Struktur kaum erkennbar.1005 Auch für die drei Streichquartette der Jahre 1901, 1903 und 1904 ist die Überlieferungslage schlecht. Nur das Manuskript des ältesten Quartetts op. 12, das Scott selbst als verloren ansah, liegt in der Liverpool Central Library, konnte aber nicht eingesehen werden. Das mittlere Quartett op. 28 erschien 1908 in Scotts Konzert in der Bechstein Hall und zeigte im Vergleich mit der neueren Violinsonate keine grundlegenden Differenzen.1006 Das Streichquartett F-Dur op. 31 schließlich spielte das Rebner-Quartett (in das 1915 Paul Hindemith aufgenommen wurde) 1910 in Berlin. Von einer Probe in Frankfurt in Anwesenheit Scotts und Quilters berichtete F. S. Kelly, ein weiterer Schüler Knorrs und Pianist aus Australien, in seinem Tagebuch.1007 Kellys skeptische Eindrücke des kontinuierlichen „flow“ decken sich größtenteils mit denjenigen des Berliner Kritikers Wilhelm Altmann ebenso wie mit der Haltung der englischen Presse zu Scotts Klavierkammermusik.1008 Die Violinsonate war nach dem Klavierquartett erst Scotts zweites groß angelegtes Kammermusikwerk, das (nun bei Schott) im Druck erschien. Im Vergleich zum Quartett folgte sie deutlich entschiedener einem modernen Stil und wurde entsprechend 1005

„Each movement had moments of very great lyrical charm, but all save the last dropped as often into a diffuse manner, in which the composer seemed to have forsaken his thread of thought for the sake of juggling with more or less bizarre harmonies.“ Daily Mail, 7.4.1914, 8; The Daily Telegraph, 7.4.1914, 9; The Observer, 12.4.1914, 13. Letzterer Kritik zufolge wurde das Quintett im vorherigen Sommer 1913 fertiggestellt, während Hulls Angabe folgend meist 1911/12 angegeben wird. 1006 „It is difficult to discover any logic in the sequence of the various motifs or much consistent development, and the fact that Mr. Scott is seemingly averse from allowing any of the players a bar’s rest results in a lack of variety of tone colour and contrast.“ The Manchester Guardian, 26.3.1908, 7. „The Quartet is written in a spirit of rhapsody, and its vague structural outlines and high emotional tension leave an impression, not of monotony, for that implies dulness – a fault of which Mr. Scott is never guilty, but of a circumscribed though striking style.“ L. R., Music and Musicians, in: The Sunday Times, 29.3.1908, 4. 1007 „There were some pleasant bits in the work and as a whole it sounded fairly brilliant. I was, however, struck by the monotony of the flow in each movement. There seemed no reason why the music should begin or end anywhere in particular and there was something very amateurish in the way for long stretches at a time a phrase would keep being repeated again and again in a different key. [...] The second movement too begins with something which seemed very like some chords from the first page of Debussy’s ‘Reflet sur l’eau’. [...] Scott prides himself on his modernity, but a work like this does nothing towards solving the problem that awaits modern music – the invention of a new kind of movement that differs from the movement in sonata form just as its movement differs from that of the suite.“ Tagebucheintrag von F. S. Kelly, 17.11.1910. Kelly, Race Against Time, 189f. 1008 „Sehr wenig Geschmack gewann ich dem von Wagner und Strauß gelegentlich beeinflußten F-dur Quartett op. 31 von Cyril Scott ab. Phrasen, nichts als Phrasen bietet er, wenn er auch ab und zu einen Anlauf zur Größe nimmt. Dazu liebt er Sequenzen und Parallelen allzu sehr und will durchaus etwas Neues sagen, ohne die Kraft dazu in sich zu haben. Seine sehr gesuchten Harmonieen und Klangwirkungen konnten einen geradezu nervös machen.“ Wilhelm Altmann, Konzert, in: Die Musik 10/6 (Dez. 1910), 381.

306

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

skeptischer aufgenommen.1009 Versuchte das Quartett, den Anspruch einer kontinuierlichen Kantilene durch die Sequenzierung klar umrissener Themen einzulösen, ist in der Sonate kaum stabiles Material mehr auszumachen. Scott zufolge zeigte sie als erstes „irregular rhythms“, also ständige Taktartenwechsel. Im Kopfsatz dauert es 21 Takte, bis eine Taktart über mehr als einen Takt bestehen bleibt. Erst bei einem an der Stelle eines Seitensatzes stehenden Klaviersolo, das in der Form aber nicht wiederkehrt, wird über immerhin fünf Takte ein 11/8-Takt aufrechterhalten. Dennoch bleiben die Umrisse einer Sonatenform erkennbar (die Reprise beginnt fünf Takte vor F, wie die Exposition in Es-Dur). Einen besonderen Stellenwert, auch durch die Form einer Klammer vom Beginn bis zum Schluss, nimmt ein chromatisches punktiertes Motiv ein, das ein früher Kritiker als „Motto“ aller vier Sätze wahrnahm und mit dem eröffnenden Flötensolo des Prélude à l’après-midi d’un faune in Verbindung brachte (wohl als Zufall ist zu werten, dass das eröffnende Begleitmotiv von Irelands ein Jahr später vollendeter erster Violinsonate denselben 6/8-Rhythmus aufweist).1010 In den Mittelsätzen taucht es jedoch nicht prägnant auf. Auffälliger ist das Aufgreifen von Material der vorherigen drei Sätze im Finale:1011 Das Motto des Kopfsatzes erscheint erstmals zwei Takte vor F, erneut bei G und schließt am Ende eine Klammer über das ganze Werk. Nach einem längeren, allein vom Klavier vorgetragenen Fugato – ungewöhnlich genug für einen gemeinhin als anti-akademisch wahrgenommenen Komponisten – nimmt die Violine das Thema des zweiten Satzes auf (ab 19 Takte vor G). Die Violinsonate stellt also stärker als frühere Werke eine motivisch-strukturelle Erörterung dar. Leland bezeichnete sie im Rahmen seines aufgestellten Dualismus von deutscher Form gegen französische Farbe als „quasi-Germanic essay in musical form“.1012 Gleichzeitig weist sie, neben den unregelmäßigen Metren, innovative harmonische Elemente wie den Einsatz der Ganztonskala und Parallelharmonik auf, die in der Zeit eng mit der modernen französischen Musik verknüpft waren. Als „atmosphärisch“, ein Schlagwort für die ‚impressionistische‘ Musik, wurde der langsame Satz Andante mistico 1009 Scott, My Years of Indiscretion, 197. „My concert I think was certainly an artistic success especially so as all the notices were bad almost. The violin sonata is by far the best thing I have done.“ Brief von Scott an Quilter, 7.4.1908, zit. nach Lloyd, From Frankfurt with Love, 11. Die Widmungsträgerin und Violinistin der Uraufführung 1908, Ethel Barns, spielte zwei Jahre später bei ihrem eigenen Konzert auch Lekeus Violinsonate. 1010 The Manchester Guardian, 26.3.1908, 7. Dabei hat Scotts Motto einen viel entschiedeneren Gestus. Die postulierte Ähnlichkeit zeigte wohl eher Scotts weiterhin enge Assoziation mit Debussy. 1011 Vgl. Hull, Scott, 65–67. „The number of lovely cantabile melodies gives the work a certain peaceful charm, a restful feeling which recalls César Franck in some of his moods.“ Scotts Biograph postulierte abschließend: „My one criticism is that the evolution of musical form tends to render the re-statement of themes at any length in the recapitulatory sections unnecessary. Why repeat anything at all when one’s memory carries it in mind? Still, perhaps this reflection is somewhat unnecessary with regard to Scott, since many find his music not always easy to follow, and his themes too far removed from the obvious to dispense entirely with the necessity for recapitulation.“ 1012 Leland, The Chamber Music, 190.

307

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

bezeichnet, dessen Beginn im hier völlig gleichmäßigen 3/4-Takt an Debussys frühes Lied Beau soir erinnert.1013 Ein Großteil seines Materials ist aus Ganztönen zusammengesetzt, so das Hauptthema (ab T. 5) und eine wiederkehrende Arabeskenfigur (erstmals T. 28), die Leland auf eine Begleitfigur im Kopfsatz (Buchstabe A) zurückführte, und damit die strukturelle (statt rein ‚farblicher‘) Rolle der Ganztonleiter in der Sonate hervorhob.1014 Ein ebenfalls ganztöniges Motiv mit Doppelpunktierungen aus dem Hauptthema des zweiten Satzes (T. 8) wird im scherzoartigen dritten aufgegriffen (T. 8). Während des Ersten Weltkriegs, seiner regelmäßigen Reisetätigkeit und einer geplanten Amerikatour beraubt, komponierte Scott weniger, und es kam kaum zu größeren Aufführungen, etwa bei den verstärkt der einheimischen Musik gewidmeten Konzertreihen.1015 Seine Präsenz nahm also im Vergleich etwa zu Ireland und dessen Durchbruch 1917 einen umgekehrten Verlauf. In den Jahren 1919/20 gelangten hingegen gleich vier neue Kammermusikwerke zur Uraufführung: Das junge und während des Krieges sehr aktive Philharmonic String Quartet spielte in der Reihe britischer Musik von Isidore de Lara zuerst ein neues Streichquartett (als erstes publiziertes mit der Nr. 1 versehen),1016 kurz darauf ein heute verlorenes Streichquintett mit zwei Celli. Im April 1920 folgten das erste Klaviertrio (Scott mit Margaret und Beatrice Harrison) und im Juni, am gleichen Tag wie Irelands Klaviersonate, das auf älteren Werken basierende Klavierquintett. Es spielte der Widmungsträger und Brahms- wie Bach-Spezialist Evlyn Howard-Jones mit dem London String Quartet. Das Quintett wurde 1924 für die Veröffentlichung in der Carnegie Collection of British Music ausgewählt. Mit den Kritiken von Scotts Musik vor 1914 im Hinterkopf überrascht die in der Regel positive Aufnahme der neuen Werke, und in der Tat nahmen viele Beobachter einen Fortschritt wahr. Das Streichquartett, insbesondere das Scherzo und die Elegy, wurde als im besten Sinne wohlgearbeitet und unmittelbar zugänglich wahrgenommen.1017 1013 „The Sonata shows a broader outlook, a greater inventiveness, and a decided amplification of means. The non-tangible and “atmospheric” Andante is what one may call the latest mode, and those who appreciate humour in music must enjoy the Molto Scherzando.“ L. R., Music and Musicians, in: The Sunday Times, 29.3.1908, 4. 1014 Leland, The Chamber Music, 191. 1015 Vgl. die Überblicke Leslie De’Ath, ‘Like a Bird Sings’: The Piano Works from the Op. 66 Sonata to World War 1; ders., The Later Piano Works, beide in: ders./Scott/Foreman (Hgg.), Scott Companion, 143–160 und 161–175, hier 159–161. 1016 Da die Uraufführung im Januar 1919 gleichzeitig mit Delius’ Violinkonzert stattfand, wiederholte das Ensemble das Stück zwei Wochen später in der gleichen Reihe, außerdem im November in Paris (siehe Tabelle 18). 1017 „Mr. Scott’s quartet is one of the most striking works of the kind produced in recent times. [...] there is no other composer in England to-day who combines to the same extent so sincere a feeling for beauty with such mastery of technical resources.“ F. B. [Ferruccio Bonavia], British Music in PeaceTime, in: The Manchester Guardian, 15.2.1919, 5. „But the capricious harmonies, not brought about by legitimate musical means, tire the ear; it is too much like a child playing with a kaleidoscope. It is a feast of kickshaws, and however good the cooking one comes away hungry. At the same time the table was arranged with taste, and there were adjuncts which spoke of refinement.“ The Times, 14.2.1919, 5.

308

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

Niemand sprach Scott den Sinn für Schönheit ab, aber Sinn für Form und Proportion vermissten beim Quintett Ernest Newman und (implizit) Evans, sodass sich die regelmäßigen Kontrahenten darin einmal einig waren.1018 Eine ‚organische‘ Architektur, wie sie Ireland mit der Entwicklung motivischer Zellen pflegte, stand für Scott nicht im Zentrum. Richard Capell äußerte sich wohlwollend über Trio und Quintett, und seine Assoziation mit Debussy schlug eine Brücke zu den Pressekommentaren knapp fünfzehn Jahre zuvor: It is the first large work to come from Mr. Scott since his string quintet of last summer, and again one must admire the devotion of our English composers in lavishing the labour of love in this field of chamber music where, though the glory is certainly most precious, material gain is out of the question. The new trio is in the traditional four movements, and there its connection with the traditional ceases. Not that Mr. Scott’s music is without relations. If the trio had appeared 20 years ago some people would have thrown things at the author and others would (justly) have acclaimed him as one of the greatest of originators. On Saturday the very appreciative audience no doubt knew its “Pelléas” and its “Firebird,” so that acceptance of the new work was easy, and all took their pleasure calmly. The trio is chiefly original in bringing within the utterance of three instruments a language that hitherto has mainly been spoken by the orchestra. This really is accomplished. With all his ponticello effects and piano glissandos (he does not treat the piano “classically,” being a modern man with ears to hear its special tone qualities) this is truly chamber and not arranged orchestral music. The opening Allegretto, which begins with a piece of landscape painting after Debussy’s manner, is a movement of fairly contrasted moods, which forms a complete whole in itself. Echoes of Stravinsky are loudest in the Scherzo (Sostenuto misterioso). The other movements are an Andante and a Rondo. This music above all gave pleasure. Isolated originality and strength of thought are not always indispensable for pleasure, and that given by Mr. Cyril Scott’s work could certainly have been contrived only by a very fine and poetically minded musician. It was extremely well played as it needs to be.1019

1018

„To unify a work that runs on continuously for over half an hour, to distribute points of emphasis and of repose so that the hearer’s attention shall never flag, to show one mood growing logically out of another, and to make the last few pages seem not a mere finish but a conclusion – not a dismissal but an exit – all this demands organic architectural power, and it is precisely this power that Mr. Scott most conspicuously lacks. There are some lovely moments in the quintet, and a good deal of clear thinking instead of the spineless impressionism that goes against the lasting popularity of so much of Mr. Scott’s work.“ E. N. [Ernest Newman], Yesterday’s Concerts. Two New English Works, in: The Sunday Times, 13.6.1920, 17. „He is more concerned with the adornment of the building than with such things as supporters and girders. And, be it said at once, his sense of ornament is exceptionally acute and inventive.“ Edwin Evans, London Greatly Impressed by Sophie Braslau at Her Debut, in: Musical America, 10.7.1920, 32, zit. nach Sampsel, Scott. A Bio-Bibliography, 11. Siehe auch The Daily Telegraph, 14.6.1920, 6. 1019 R. C. [Richard Capell], Mr. Cyril Scott’s Trio. A Feat on Three Instruments, in: Daily Mail, 26.4.1920, 4. Siehe zum Quintett ders., A Fine English Quintet, in: Daily Mail, 14.6.1920, 10.

309

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

Das Streichquartett zeigt eine suitenartige Form: Jeder der fünf Sätze (Prelude, Pastorale, Scherzo: On an Irish Air, Elegy, Rondo retrospettivo; schon beim frühen Klavierquartett hatte er den Kopfsatz als „Prelude“ bezeichnet, siehe Anm. 998) weist einen homogenen Charakter auf. Alle verbindet eine avancierte Schreibweise, die den instrumentaltechnischen Effektreichtum des Quartetts von Ravel (oder auch der frühen Quartette Béla Bartóks) aufgreift: So durchziehen Tremoli, Streichen am Steg und auf dem Griffbrett (in der Partitur pontecelli [sic] bzw. sur la touche), Arpeggien, Pizzicati, Glissandi und Flageoletttöne die Partitur (siehe zu der meist abwertenden Assoziation von Effekten mit der modernen französischen Musik S. 232f.). Die weitgehend diatonischen, häufig zweistimmig parallel geführten Melodien (etwa im Prelude bei Ziffer 10, ecstatico, mit den beiden Violinen im Quintabstand, auch diese Technik erinnert an Ravel und Debussy) werden durch parallele, nicht-funktionale Akkordbewegungen harmonisch stark verschleiert. Die Pastorale ist fast durchgängig von solchen verschobenen, dissonanten Sept- und Non- und weiteren Akkorden geprägt; manche erreichen fast clusterartige Qualität wie im Prelude e-f -g-a-h (Ziffer 14). Der auf diese Weise meist aufgehobenen harmonischen Stabilität zum Trotz, und nicht als Ergebnis einer tonalen Erörterung, endet jeder Satz mit einem Durakkord. Die jeweils monothematisch angelegten Sätze zeigen auch keine motivische Arbeit; die Themen (wie die im dorischen Modus beginnende irische Tanzmelodie des Scherzos) bleiben stets als solche erhalten und werden gut erkennbar im letzten Satz wiederaufgenommen (ab T. 5 nach Ziffer 5). So strebte Scott wie in vorherigen Werken einen zyklischen Zusammenhalt an. Das Klaviertrio und -quintett folgen wieder weitgehend der traditionellen Sonatenanlage, aber auch ihre Struktur ist eher durch Klang und Textur als motivisch-thematisch organisiert. War der Kopfsatz des frühen Klavierquartetts noch von einem fest umrissenen Thema geprägt, das immer weiter sequenziert wurde, bilden zu Beginn des Quintetts die Streicher sich einander ablösend über ganze 41 Takte hinweg eine ‚unendliche Melodie‘ über einer gleichmäßigen Klavierbegleitung.1020 Diesem eröffnenden, lyrisch geprägten Andante con esaltazione folgt ein Allegro con spirito (zunächst allein im Klavier), sodass man Ersteres für eine langsame Einleitung halten könnte, doch auch im Allegro wird kein stabiles thematisches Material exponiert. Hingegen kehrt der Beginn zweimal verändert wieder (T. 4 nach J, T. 6 nach P). Der kurze zweite Satz ist ein flirrendes Scherzo mit fast durchgehenden Streichertremoli (anfangs con sordini). Wie das Streichquartett ist das Adagio von ungehemmtem Einsatz paralleler Septakkorde geprägt: Ausgehend von einem C-Dur-Septakkord bewegen sich die Streicherstimmen die ersten 19 Takte praktisch völlig parallel. Und wie im Streichquartett dient das Finale auch der Rückkehr vorheriger Themen (2. Satz zuerst ab T. 14 nach Buchstabe H; 3. Satz ab T. 9 nach J, 1. Satz ab T. 11 nach K).

1020

Eine „lovely continuous melody of no fewer than thirty-eight bars“ erkannte der Bratschist Tertis auch in der Romance von Benjamin Dales Suite op. 2 (1906). Tertis, My Viola and I, 34.

310

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

Das Klaviertrio sticht in Lelands Sicht aus Scotts Œuvre heraus: Charakteristisch sei vor allem der harmonische Rhythmus, der im Phrasen- oder Taktwechsel zwischen verschiedenen Modi bzw. Skalen (pentatonisch, diatonisch, hexatonisch und oktatonisch) wechsle und damit eine Brücke zu den Kompositionen nach dem Zweiten Weltkrieg schlage.1021 In den 1920er-Jahren komponierte Scott zunächst keine weiteren Kammermusikwerke in den klassischen Formaten. Bis wenige Jahre vor seinem Tod sollten jedoch noch zahlreiche folgen. Im Vergleich zu Bridge und Ireland geht seine Kammermusik von völlig anderen Bedingungen aus und erzielt entsprechend einen völlig anderen Eindruck: Dass alle drei sich mit französischen Modellen auseinandersetzten, führte nicht zu gleichförmigen Ergebnissen. Und auch Scotts Entwicklung zeitigte unterschiedliche Wegmarken, angefangen vom noch traditionellen Klavierquartett über die motivisch organisierte, harmonisch und metrisch ambitionierte Violinsonate bis zu dem episodischen, farbenreichen Klavierquintett.

„Cosmopolitan fashions“: Eugene Goossens Für die Generation der nach 1890 Geborenen besaß die deutsche Tradition nicht mehr die Verbindlichkeit, die bis dahin selbstverständlich vorausgesetzt werden konnte: Beethoven und Brahms konkurrierten nun mit den Opern von Richard Strauss, mit Ravel und Strawinsky. Stanford sah die neuen Vorlieben seiner Schüler mit Schrecken; die 1910 in London ihre Premiere erlebende Elektra war für ihn nichts als „pornographic rubbish“, was die Faszination der jungen Studenten nicht minderte.1022 Sein Unterricht legte weiterhin eine umfassende handwerklich-technische Basis gemäß der traditionellen ökonomisch-organischen Logik, aber ästhetisch konnte er kaum mehr als Vorbild dienen.1023 Eugene Goossens (1893–1962) gehörte in England zu den Ersten, die die franko-russische Moderne adaptierten. Um 1920 sollten ihm etwa Arthur Bliss und William Walton folgen, auch wenn alle drei später konservativere Richtungen einschlugen. Aus medizinischen Gründen für den Kriegsdienst nicht infrage kommend, war der immer noch äußerst junge Goossens in diesen Jahren einer der umtriebigsten Akteure des Londoner Konzertlebens und galt gleichzeitig als einer von Englands vielversprechendsten Komponisten. Seine jahrzehntelange Tätigkeit als Orchesterleiter in den USA und ab 1947 in Australien rückte das Komponieren nie ganz in den Hintergrund – zentrale Werke sind zwei Opern auf Libretti von Arnold Bennett (Covent Garden 1929 und 1937) und 1021

Leland, The Chamber Music, 193f. Salome erklang Ende 1910, zensiert, ebenfalls unter Thomas Beecham. Goossens, Overture and Beginners, 82. 1023 „He started me off on a theme and variations for piano, as he claimed that the supreme test of creative ingenuity lay in extracting the last ounce of variety from a good tune.“ Ebd., 80. 1022

311

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

zwei Sinfonien (1940 und 1945) –, beeinträchtigte die Wahrnehmung und Wertschätzung seines Œuvres aber bis heute. Goossens’ einflussreicher Stellung im australischen Musikleben, auch als Konservatoriumsdirektor in Sydney (sein persönlicher Einsatz stand am Beginn des Opernhausprojekts), setzte der Fund von okkultistisch-sexuellem Material 1956 ein jähes Ende, nur ein Jahr nach seiner Erhebung in den Adelsstand. Im Schatten auch von wiederentdeckten Zeitgenossen stehend, wurde er in der Forschung kaum beachtet; eine monographische Behandlung von ‚Leben und Werk‘ steht aus. Goossens stammte aus einer belgischen, schon lange in England ansässigen Musikerfamilie. Sein Vater und Großvater, beide ebenfalls Eugène Goossens, waren Dirigenten bei der Carl Rosa Opera Company. Eugenes (er ließ den Akzent später fallen) Geschwister Marie und Sidonie (Harfe) sowie Leon (Oboe) wurden renommierte Instrumentalisten.1024 Er wuchs in Liverpool auf, erhielt seine erste Ausbildung aber ab 1903 in Brügge, dann in Liverpool. 1907 bewarb er sich erfolgreich für ein Stipendium des Londoner Royal College of Music, wo von 1910 bis 1912 Kompositionsunterricht bei Stanford hinzukam. Zwischen 1911 und 1915 spielte Goossens bei den ersten Violinen von Henry Woods Queen’s Hall Orchestra; 1913/14 erklangen bei den Proms zwei seiner Werke. 1916 wurde er Assistent bzw. regelmäßiger Stellvertreter von Thomas Beecham und machte sich als Opern- und Konzertdirigent einen Namen. Nach dem Ersten Weltkrieg engagierte er sich dabei vor allem für die modernste russische, französische und englische Musik: Im Juni 1921 dirigierte er ein eigens zusammengestelltes Orchester bei der ersten konzertanten Londoner Aufführung von Strawinskys Le sacre du printemps (neben Lord Berners, Ireland und Ravel, Ende des Monats mit ähnlichem Programm wiederholt), zusammen mit Adrian Boult ein Konzert mit Holbrooke, Vaughan Williams, Scott, Holst und seiner eigenen Tondichtung The Eternal Rhythm sowie Ende des Jahres vier weitere Programme mit neben anderen Bliss, Falla, Honegger und Schönberg.1025 Dank des aufsehenerregenden Erfolges dirigierte er danach mehrfach Sergei Djagilews Ballets Russes. 1923 initiierte er zudem eine Kammermusikreihe (siehe S. 251f.). Das zeitgenössische Repertoire und dessen ästhetische Fragen behandelte er auch in mehreren Vorträgen und Artikeln.1026 Schon als 14-Jähriger, nachdem er erst im Herbst das Studium am RCM angetreten hatte und drei Jahre vor den ersten Stunden bei Stanford, stieß Goossens 1907 dank eines Weihnachtsgeschenks auf Debussys Estampes und war sofort fasziniert – eine Faszination, die Debussys zwei Orchesterkonzerte in London 1908/09 noch verstärkten:

1024

Sein Bruder Adolphe (Horn) fiel 1916 in Frankreich. Vgl. zu der Familie Rosen, The Goossens. Alfred Kalisch, London Concerts, in: The Musical Times, 1.7.1921, 488–490. Wegen der geringen Zahl an Subskribenten wurde beim ersten Konzert im Oktober Strawinskys Le chant du rossignol durch Brahms’ erste Sinfonie ersetzt. Siehe für alle Programme Goossens, Overture and Beginners, 157–171. 1026 Goossens, Modern Tendencies in Music; ders., Modern Developments in Music; ders., The String Quartet Since Brahms. 1025

312

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

This enthusiasm was no sudden hysteria; it was just a youthful reaction to something very new and very welcome. I wasn’t much in sympathy with the heavy fare taught at the College, but I had come to think of it as an inevitable destiny. Something more exotic and highly seasoned seemed indicated, and my newly discovered Frenchman was the very thing: his music opened up new and alluring pathways. I took Pagodes to Dykes [John St. Oswald Dykes, sein Klavierlehrer am RCM], whose moustache bristled at Debussy’s impressionism. As an antidote, he prescribed Schumann. But the Kinderscenen sounded trite, so I returned with my newest discovery, Ravel’s Jeux d’eau, antedating Pagodes. Those insidious harmonies were seemingly far more glamorous than any Brahms, Chopin, Dykes or anyone else could conjure up. And, considerably daring, I told him so. The result was that we arrived at a friendly compromise; I was to be allowed to bring to each lesson the latest importation from the Place de la Madeleine, providing I memorized by the end of the term a Beethoven sonata and a lot of Schumann. The arrangement worked, and even Dykes grudgingly admitted his interest in the new technical problems presented by the whole tone scale.1027

Die ab 1914 aufblühende Londoner Kammermusikszene prägte Goossens sowohl als Komponist als auch als Interpret mit, ähnlich wie Bridge war er als Streicher ein versierter und gesuchter Partner. Noch am RCM führte er eine Aufführung von Debussys Streichquartett an.1028 Als zweiter Geiger gründete er 1915 das Philharmonic String Quartet mit, das modernes Repertoire von Franck, Schmitt und Ravel bis zu Bridge, Bliss und Bax sowie die Klassiker spielte. Er war Teil der legendären Nächte bei Muriel Draper, spielte bei einem der letzten Konzerte der Société des concerts français Bratsche und neben Jacques Thibaud Chaussons Concert (siehe Anm. 536, 369 und Tabelle 14). Mit dem engagierten Kritiker Evans war er gut befreundet, dieser hielt im Mai 1918 mit Beteiligung des Komponisten ein lecture-recital über ihn als Vertreter der jüngsten Generation (siehe Anm. 841). Ein Jahr später war Goossens der jüngste Name in Evans’ Artikelreihe „Modern British Composers“.1029 Sicher auch über Evans war Goossens in den frankophilen Londoner Kreisen gut vernetzt. Seine Musik erklang bei mehreren anglo-französischen Konzerten sowie in Frankreich, wo er auch in der Société musicale indépendante involviert war. Er steuerte 1920 die Hommage à Debussy op. 28 zur Gemeinschaftskomposition Tombeau de Claude Debussy bei, spielte 1922 mit Ravel vierhändig und begleitete bei dem Gedenkkonzert 1027

Goossens, Overture and Beginners, 68f. Wright, The Royal College of Music, 89. 1029 Beide blieben in freundschaftlichem Kontakt: „My dear Teddy: I have just received Cobbett’s dictionary and hasten to write you a line of appreciation for your splendid article on my work. You are still the champion of the contemporaries, and no one is fitted, temperamentally or intellectually, to write about them better than you are. Your article on atonality proves this. So far as my works are concerned, if ever occasion arises, you are the only one who shall ever write an account of my career as a composer, insignificant though it be in the light of present day accomplishment. Nevertheless, I have taken on a new lease of life as a composer and I think that, the Fates willing, I shall still produce something worth while, in spite of my conducting activities.“ Brief von Goossens an Evans, Rochester, 2.10.1929. Edwin Evans Collection, CML/132. 1028

313

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

Tabelle 27: Kammermusik von Eugene Goossens, 1911–1918 Abschluss Druck

Werk

1911



Phantasy Octet für Fl., Klar., Hr., Hf. und StrQu. op. 3

1913

1957

Four Sketches für Flöte, Violine und Klavier op. 5

1914

1917

Suite für Flöte, Violine und Harfe op. 6

1916

Five Impressions of a Holiday für Flöte, Cello und Klavier op. 7

1917

Phantasy für Streichquartett op. 12

1917

Rhapsody für Cello und Klavier op. 13

1917

Streichquartett Nr. 1 op. 14

1916

1916

Two Sketches für StrQu. op. 15 (By the Tarn/Jack O’Lantern)

1918

1919

Violinsonate Nr. 1 e-Moll op. 21

1921

Klavierquintett op. 23 (einsätzig)

1915

für Fauré 1925 Lieder. Eine enge Zusammenarbeit verband ihn schon früh mit dem Violinisten André Mangeot.1030 Von einer illustren Runde mit Ravel, Falla, Malipiero, Boult, Jean-Aubry und anderen in einem Studio in Holland Park berichtete Goossens in seinen Memoiren.1031 Dieselbe mühelose Fertigkeit, mit der er sich komplexe Partituren über Nacht aneignete und Stimmen vom Blatt spielte, zeigte Goossens als Komponist, ganz anders als der selbstkritische Ireland.1032 Vor allem mit Kammermusik machte er bei den zahlreichen während des Krieges gepflegten Reihen auf sich aufmerksam, meist selbst als Pianist oder Geiger beteiligt (siehe die Werkübersicht in Tabelle 27, ohne kürzere Stücke für zwei Instrumente). Zuerst boten Anfang 1915 Isidore de Laras War Emergency Concerts (siehe Anm. 540) eine Bühne für die Suite (auch Three Pieces) op. 6 und die Five Impressions of a Holiday op. 7. Im Juni 1915 stellte das London String Quartet bei seinen ‚Pops‘ die Phantasy op. 12 vor, Ende des Jahres das Philharmonic String Quartet das Streichquartett op. 14 (jeder Satz ist einem von Goossens’ Kollegen gewidmet) und 1030

Siehe zur SMI, Mangeot und Frankreich S. 197 und Goossens, Overture and Beginners, 147. Siehe zum Londoner Konzert mit Ravel Anm. 529, zu Fauré Anm. 318 und zu den anglo-französischen Konzerten S. 190. 1031 Der Musikraum besaß eine kleine Orgel von Aeolian, die Ravels Faszination weckte. Goossens, Overture and Beginners, 156f. Collins bezweifelte die Anekdote, die drei Komponisten seien nie gleichzeitig in London gewesen, doch wäre die Ehrung für Evans 1923 eine Möglichkeit, auch wenn Falla trotz der Gastgeberrolle Collins zufolge nicht selbst in London war (siehe Anm. 617). Collins, Falla in Britain, 46, Anm. 36. 1032 Ein Symphonic Prelude über ein Ossian-Thema komponierte er 1915 für ein Konzert de Laras offenbar in weniger als vier Wochen. Goossens, Overture and Beginners, 115.

314

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

im März 1916 die Two Sketches op. 15. Alle diese Werke wurden mehrfach wiederholt und erschienen auch bei Goossens’ eigenem Rezital in der Aeolian Hall im April 1916 (siehe Abbildung 17). Im Juni 1918 folgte ein weiteres Konzert allein mit seinen Werken, neben älteren mit der Rhapsody op. 13, der Violinsonate op. 21, Auszügen aus dem Klavierzyklus Kaleidoscope op. 18 und Liedern (darunter auf französische Texte von Evans und Jean-Aubry). Schon mit den ersten Kompositionen etablierte Goossens sich auf Anhieb als kosmopolitischer Modernist. Damit war er beim Verlag Chester ideal aufgehoben, in dessen hauseigenem Journal The Chesterian Goossens’ Musik mit huldigenden Pressezitaten beworben und etwa die Concert Study für Klavier op. 10 neben Debussy und Ravel gestellt wurde.1033 Überraschenderweise erwies sich die Rezeption in der Presse als fast durchweg positiv; eine häufig bemerkte Nähe zu Debussy und dessen Kollegen wurde Goossens bereitwillig nachgesehen.1034 Er repräsentierte einen exemplarischen Gegenstand der Debatte um den französischen Einfluss. So hieß es zur Rhapsody op. 13: „It will be regarded as “French” by many English, and “English” by many French“.1035 Aus der Perspektive Evans’ und Jean-Aubrys hatte Goossens die offensichtlichen frühen Einflüsse assimiliert und seinem national geprägten individuellen Charakter untergeordnet.1036 Skeptischer klangen Newman und Vaughan Williams, wenngleich sich Newman auch anerkennend äußerte.1037 Nur Cecil Gray tat Goossens polemisch 1033

Die Widmungsträgerin Winifred Christie hatte Goossens in ihrem Rezital mit den Franzosen kombiniert. The Chesterian, Feb. 1916, 25. 1034 „No young composer worth his salt was ever without his enthusiasms for certain of his elders and betters and that Mr. Goossens should be a devoted disciple of Debussy is far from being to his discredit. For he shows, especially in his more recent writings, a personality and a freshness of outlook that give promise of really good things to come.“ The Daily Telegraph, 15.4.1916, 10. „Most of the works show that Mr. Goossens has studied modern French music and absorbed its style. [...] Strong though these influences are, they do not, however, give the impression of affectation. Sometimes in his instrumental music Mr. Goossens rises superior to them; as his personality develops he may succeed in doing so consistently. Probably his music will always be more French than British, in spite of his British upbringing.“ The Times, 17.4.1916, 4. 1035 ... „but we prefer to regard it as just Eugene Goossens, jun., and it is very good music indeed at that.“ The Daily Telegraph, 8.1.1917, 6. 1036 Evans, Modern British Composers. IV. Goossens; ders., Introductions: XI. Goossens; ders., Goossens; Jean-Aubry, La musique anglaise actuelle, 876f.; ders., British Music in French Eyes, 208f. 1037 Anfang 1918 beschrieb er Goossens’ harmonisches Idiom: „In Mr. Goossens’ music, harmony, though still used melodically at times – of course in the freer modern style – is also largely used very much as painters use colour to build up the “tones” of a picture.“ Newman, A Note on Goossens, 180. Nur Monate später bezichtige er ihn der Nachahmung: „Mr. Goossens, for instance, in his ‘Kaleidoscope,’ is only meandering about in Debussy’s workshop, picking up chips that have flown from Debussy’s lathe; and a young composer of his great ability, I cannot help thinking, would be much better employed in trying to discover his real self.“ The Musical Times, 1.10.1918, 472. 1919 postulierte er: „Eugene Goossens has quickly made a place for himself. At present he is a shade too cerebral: if his extraordinary ear and his brilliant technique were mated with greater emotional power he would add a new chapter to British music.“ Newman, Music in England during the War, 308. Vaughan Williams

315

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

als „English Ravel“ ab (siehe Anm. 796). Goossens selbst beschrieb 1919 rückblickend die überwundene Gefahr einer Unterwerfung gegenüber der neuesten Mode (siehe Anm. 791). Spätere Kritiker wie Robin Hull urteilten, er habe diese anfangs vielleicht etwas zu leicht aufgegriffen.1038 Dies ließ auch Norman Demuth anklingen, der jedoch in späteren Werken einen „klassischen Formalismus“ à la d’Indy ausmachte (eine späte Folge des Studiums bei Stanford?): Goossens’ Gallic expression served him well in his initial days as a composer; indeed, it can be said of him that he timed his entry into this world at exactly the right moment. His individualism was just the thing for the 1920’s and, founded, as it was, upon a strictly classical formalism, it added an element of authority to an iconoclastic period. Such has always been his realisation of formal exigencies that some of his works, particularly the late Symphonies, suggest that he would have been an exemplary pupil of Vincent d’Indy at the Schola Cantorum which, in itself, suggests a point of contact between the Schola and the Royal College of Music. Coming to the fore just at that time when the native composer began to experience the possibilities of a hey-day, Goossens was helped and encouraged in a practical way by the far-seeing Otto Kling, whose publishing house [Chester] had just the right Continental atmosphere and contacts for one of Goossens’ temperament. His music would not have been at home in a strictly English publishing environment.1039

Von seinen wenig älteren Zeitgenossen unterschied sich Goossens durch die essenziell chromatische Tonalität seiner Musik. Ähnlich wie bei Bax, bei dem jedoch chromatische Elemente eher dekorativ sind und nicht die Struktur dominieren, ergibt sich dadurch ein Eindruck großer Komplexität – Newman zufolge jedoch eher für die Augen als die Ohren.1040 Goossens bedachte zudem immer die Praktikabilität für die (freilich stark geforderten) Interpreten. Die Satzweise und Textur sind in der Regel simpel, die melodische Linie wird häufig von einer Gegenbewegung begleitet und mit Akkorden harmonisiert, die völlig frei oder etwa in Parallelen verlaufen, also vertikal statt horizontal gedacht sind.1041 Die chromatische Tonalität schließt Bitonalität ein wie in dem kurzen Klavierstück Dance Memories op. 20/2 (linke Hand Es-Dur, rechte Hand A-Dur). Eine solche einfache Struktur, bei der die zahlreichen Dissonanzen eher beiläufig entstehen, gut nachzuvollziehen in den zwölf Klavierminiaturen des Kaleidoscope op. 18 (1918), prägte etwa auch Ravels Valses nobles et sentimentales (1911). meinte: „Perhaps one of our faults in England is that too much virtuosity of utterance leads our composers to want to do the striking things they hear of the modernists do, and to ‘go them one better.’ Mr. Goossens might write better Stravinsky than Stravinsky himself, but it is much better for him to write Goossens.“ The Musical Times, 1.8.1922, 579. 1038 „Until the appearance of his ‘String Quartet in C,’ [op. 14] Goossens’ individuality was largely obscured by his predilection for the mannerisms of contemporary French and Russian music.“ Hull, Goossens [1931], 345. „Goossens’s first works, although freezingly clever, reflected overmuch the cosmopolitan fashions of a period when ballets such as Ravel’s Daphnis and Chloé and Stravinsky’s Rite of Spring were still enthralling novelties.“ Hull, Goossens [1946], 130. 1039 Demuth, Musical Trends in the 20th Century, 291f. 1040 Vgl. ebd., 292; Newman, A Note on Goossens, 180. 1041 Evans, Modern British Composers. IV. Goossens, 266.

316

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

Evans zufolge sei Goossens am ehesten als „neo-classic“ zu bezeichnen („whose formal principles are classic but who works in a medium which is largely novel“). Weder gehöre er den extremen Modernisten noch den Impressionisten an (auch wenn die rezitativischen Lieder auf Prosatexte stark dem französischen Modell verpflichtet sind).1042 Den auffälligen Fokus auf der Flöte in den ersten, oft deskriptiven Werken brachte Evans mit der allgemein zu beobachtenden Abwendung von einem romantischen Ausdrucksparadigma und mit der Annäherung an das 18. Jahrhundert in Verbindung. Anfangs hätten Kritiker Goossens einen Mangel an emotionaler Empfindung vorgeworfen; später konnte er gleichwohl als „a romantic at heart“ bezeichnet werden.1043 Eine ähnliche Entwicklung erkannten Jean-Aubry und andere schon länger in Frankreich. Auch Ireland äußerte sich 1927 dahingehend (siehe Anm. 966). Goossens’ frühe kompositorische Tendenzen zeigen die drei Werke für Streichquartett (1915/16). Mutmaßlich entstand die Phantasy op. 12 für die vierte Runde von Cobbetts Wettbewerb, die Albert Sammons gewann. Mit Sammons als Primarius gab das London String Quartet die Uraufführung des dem Ensemble gewidmeten Werkes neben Chaussons Concert. Es zeigt eine im englischen Repertoire bis dahin wohl ungekannte Virtuosität in der Streicherbehandlung. Die ambitionierten Effekte verfehlten ihre Wirkung nicht, und Goossens’ technische Meisterschaft wurde unmittelbar anerkannt, doch blieben Restzweifel: Wie zuvor schon bei Ravels Quartett wurde ein gegenüber französischer Musik häufig bemühter Topos aufgerufen, nämlich die Frage, ob die zur Schau gestellte Cleverness und die neuartigen Klanglichkeiten nicht auf Kosten der musikalischen Substanz gingen.1044 Im Chesterian verteidigte Scott Goossens 1919 als wahren Erfinder von neuen Klangkombinationen und „sound-colour“.1045 Für Holbrooke war Goossens’ Phantasy „[t]he best quartet of the young school, this, for its exhibition of taste, atmosphere and advanced technique.“1046 Ebenso beeindruckt zeigte sich Delius, 1042

Ebd., 265. Ebd., 331; The Musical Times, 1.7.1918, 321; Evans, Goossens, 478; Hull, Goossens [1946], 130. 1044 Siehe zu Instrumentaltechnik und Cleverness auch Anm. 745 und 755. „In the quartet there is lightness and quick contrasts of mood, plenty of rhythmic movement and variety. The harmonic ideas are daring often to the point of violence, but there is an effective moment of cessation in the central slow movement. Although the work is continuous it contains three distinct movements. It is all clever writing, sometimes annonyingly clever. The certainty with which effects of rapid pizzicato, harmonics, and contrasts of tone colour are used comes from the composer’s experience as a player, and one occasionally has a suspicion that they come in usefully to hide what would otherwise be blank spaces in invention.“ The Times, 29.6.1915, 6. Siehe auch die durchweg positive Besprechung in Daily Mail, 29.6.1915, 8. Eine Rezension der Publikation hob eher die Rhythmik und abrupten Wechsel als die fortschrittliche Harmonik hervor. The Musical Times, 1.7.1918, 306. 1045 „Why, that when they [the critics] hear a novel sound combination they frequently banish it to the category of mere “effects,” and instead of regarding it as an indication of inventiveness regard it as an indication of a lack of such. [...] Thus he [Goossens] is not content with mere music, as Brahms and Reger seem to have been, but he thinks and creates in sound-colour, as do all our best composers of the day.“ Scott, Goossens, 15. Siehe für Scotts Assoziation von Farbe mit französischer Musik Anm. 985. 1046 Diesen Standard habe er seitdem nicht mehr erreicht: „All these [later works] are sterling efforts, 1043

317

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

Abbildung 17: Programmzettel für Goossens’ Konzert mit eigenen Kompositionen, 1916 (Archiv Aeolian Hall, Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Royal College of Music, London) 318

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

319

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

dem Philip Heseltine alias Peter Warlock die Partitur nach Frankreich geschickt hatte. Aber auch Delius verknüpfte Goossens in einem späteren Brief in einem Atemzug mit Debussy und Ravel mit oberflächlicher Cleverness (siehe zu Delius S. 342ff.).1047 Tatsächlich weist die Phantasy einige offensichtliche Parallelen gerade zu Ravels Quartett auf, wie Heseltine in seiner kurzen Würdigung bereits 1916 („more than a shade of Ravel“) und auch Evans in Cobbett’s Cyclopedic Survey einräumten.1048 Diese betreffen vor allem die fortgeschrittenen Streichertechniken wie häufiges Doppelgriffspiel, bis zu vierstimmige Pizzicati, arpeggierte Begleitfiguren und Tremoli, die Goossens anders als vor ihm etwa Bridge nicht vereinzelt, sondern praktisch durchgängig vorsieht. Ein zweites Thema (Grazioso con moto e cantabile, Buchstabe C) wird wie bei Ravel von erster Geige und Bratsche im Oktavabstand (bei Ravel zwei Oktaven) über Sechzehnteln der zweiten Geige und Cellopizzicati vorgestellt (vgl. auch die Steigerung bei G mit Ravels Poco meno vivo im Kopfsatz bei H). Wie bei der Phantasy-Form üblich, ist das Quartett in drei nahtlos verbundene, satzähnliche Abschnitte gegliedert (Moderato con fantasia, Andante espressivo, Allegro scherzando). Ihnen vorgeschaltet ist ein Largo-Motto mit einer raschen aufwärtsgerichteten Unisono-Geste und einer darauffolgenden langsameren Akkordfolge, die beide als motivische Keimzellen für das Quartett angesehen werden können. Diese Methode erinnert an Bridges Phantasies, wobei in der Verlagsankündigung betont wurde: „[The two contrasting ideas] are by no means worked out in the orthodox quartet form, and they are an atmospheric rather than a thematic basis.“1049 Der ständige Wechsel an Tempo- und Vortragsbezeichnungen ist fast mit den hochkomprimierten Miniaturen Weberns zu vergleichen, und diesem entspricht ein harmonischer Verlauf fast ohne Kadenzen und Ruhepunkte. Erst im zweiten Abschnitt wird mit As-Dur eine Tonart über einem Orgelpunkt etabliert, freilich weiterhin mit ständigen Vorhalten und folgenden Modulationen. Zu Beginn des scherzohaften dritten Teils wird das Motto gut erkennbar aufgegriffen, und kurz vor Schluss kehrt der Anfang in verkürzter Form wieder (T. 3 nach V). Die Phantasy endet (ähnlich wie Scotts späteres Quartett) mit einem C-Dur-Akkord, der in keiner Verbindung zum Vorhergehenden steht. Im Vergleich zu dem ‚phantastischen‘ Effektfeuerwerk stellt sich das Streichquartett op. 14 deutlich klassizistischer dar. Es wurde als ein weiterer Schritt zu Goossens’ komnot much shoddy is perceptible; but there is not enough of Mr Goossens in any of them for me, and too much strenuosity, restlessness (for its own sake) and agony of effect. Effect–effect! D—effect! We are tired of it.“ Holbrooke, Contemporary British Composers, 180. 1047 „Just a few words to tell you how much I like Goossens quartet: it is the best thing I have seen coming from an English pen & full of emotion“. Brief von Frederick Delius an Philip Heseltine, 22.1.1916. Delius, A Life in Letters, Vol. II, 163. „The same with Ravel who is even cleverer than Debussy but even more flimsy & superficial – But their chief idea is to startle & be brilliant – Eugene Goossens is also far too clever altho’ he is gifted & I hope, will do something“. Brief von Delius an C. W. Orr, 10.4.1917. Ebd., 178. 1048 Warlock [Heseltine], Notes on Goossens’ Chamber Music, 23; Evans, Goossens, 478. 1049 The Chesterian, Juli 1917, 130.

320

Kammermusik nach der Jahrhundertwende: Vier frühe Karrieren

positorischer Eigenständigkeit wahrgenommen.1050 Cobbett hingegen zog im Rückblick die Phantasy vor.1051 Auch im jüngeren Quartett lässt sich eine Linie zu Ravels ziehen, nun von dem gleichmäßig und schrittweise dahinfließenden Beginn, der bei Goossens freilich chromatisch und in Gegenbewegung verläuft und keine Dissonanzen meidet; die auf Programmen gelegentlich angegebene Tonika C-Dur wird kaum erreicht. Goossens scheute gleichzeitig keine traditionellen Techniken: So wird das Thema des ersten Satzes als Fugato verarbeitet. Wie bei der Phantasy strebte er durch satzübergreifende Motivverknüpfungen eine organische Einheit an, blieb diesem Teil der Ästhetik Stanfords also treu. Die Two Sketches für Streichquartett op. 15 wurden besonders viel gespielt (und 1925 von Mangeots Music Society String Quartet auf Grammophon aufgenommen). Die tonmalerischen Evokationen einer Naturidylle (By the Tarn) und einer Schauerszene (Jack O’Lantern/Ignis fatuus) machten einen unmittelbaren Eindruck. Beide Sätze basieren letztlich auf jeweils einer kompositorischen Technik: Der erste, con sordino, harmonisiert eine Melodie vielseitig über einer durchgängigen Bewegung aus Achteln und Triolen, der zweite greift den effektvollen Scherzando-Gestus aus der Phantasy auf. Nach zwei Jahren ohne kammermusikalische Werke ließen die Violinsonate op. 21 (bei der Uraufführung im Juni 1918 mit dem Widmungsträger Sammons noch Sonatina genannt) und das Klavierquintett op. 23 Goossens’ fortgesetzte stilistische Entwicklung erkennen. Beide verzichten ganz auf deskriptive Elemente und besitzen eine klassischere Anmutung, die sich in einer klareren formalen Struktur und Textur, tatsächlich einmal diatonischen Melodien und einer entsprechend größeren Zugänglichkeit zeigt.1052 Nur von der Einbindung eines Folksong in der Sonate zeigte sich Bliss nicht überzeugt.1053 Gerade das Klavierquintett, praktisch in der einsätzigen Phantasyform, die sich aus einer anfangs eingeführten Keimzelle entwickelt, greift auch auf eine konventionellere romantische, massive Tonsprache und Instrumentaltechnik zurück.1054 1050

Bonavia stellte das Quartett neben Strawinsky und Schönberg. F. B. [Ferruccio Bonavia], British Composer’s New Quartet, in: The Manchester Guardian, 13.12.1915, 8. 1051 „Circulation of the string quartet in C major, written in dissonant vein, should in my opinion be confined to friends of the extremely talented artist to whom it is dedicated. It is little more than what in Germany is known as a musikalischer Spass. But the phantasy quartet is on an altogether higher plane; a work in which one discerns the quality of genius. Eugene Goossens is the perfect Fantasist (or Phantasist?), and of all the one-movement works written round the ideas promoted by the Phantasy Competition, this work realizes best my own conception of a short, concise, and essentially fantastic composition.“ Ergänzung zu Evans, Goossens, 483; siehe 479 für eine kurze Analyse. 1052 „[The violin sonata] will supply the needed antidote to such as may have been estranged by his recent methods, is built upon foundations secure enough to satisfy even reactionary opinion, which will be further reconciled by the occasional use of a more accessible idiom than he usually employs.“ The Observer, 23.6.1918, 5. 1053 „Its entry is too self-conscious, which makes me think that Goossens is no more in tune with the spirit of English folk music than – well, than I am.“ Arthur Bliss, Reflections on Three Works of Eugene Goossens, in: Musical News and Herald, 4.6.1921, 721, abgedruckt in: Bliss on Music, 13–15. 1054 Das Klavierquintett spielten Goossens und das Philharmonic String Quartet, in dem er nicht

321

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

Weniger auf klanglich-emotionale Überwältigung abzielend, basiert schließlich das Phantasy Sextet für Streicher auf einer ähnlichen romantischen Technik bei unvermindert harmonischer Kühnheit. Goossens schrieb es 1923 im Auftrag der amerikanischen Mäzenin Elizabeth Sprague Coolidge für die großzügige Summe von 1000 Dollar (siehe Anm. 866). Bei deren Berkshire Festival mit starker englischer Beteiligung repräsentierte Goossens weiterhin die progressivste Partei.1055 Seine Entwicklung steht dennoch repräsentativ für die konservativeren Tendenzen der englischen Musik im Laufe der 1920er-Jahre – sieht man von dem ebenfalls bei Coolidges Festival anwesenden Bridge ab.

6.2 „French fever“: Weitere Schüler Stanfords und andere Frankophile Keine ins englische Musikleben des frühen 20. Jahrhunderts verwickelte Person entging der Begegnung mit französischer (Kammer-)Musik. Für einige Komponisten bot sie neue Impulse, für jüngere gehörte sie von Beginn ihrer Laufbahn an zum Kernbestandteil des Repertoires, den manche auch als Interpreten im Konzert aktiv pflegten. Tabelle 28 zeigt eine chronologische Übersicht von Kammermusikwerken zwischen dem Ende der nur kurz währenden Edwardian era bis zum Beginn der 1920er-Jahre. Sie sind auf die eine oder andere Weise von der Auseinandersetzung mit den neuen Modellen gezeichnet. Die Liste umfasst Namen, die vor 1879, also vor Bridge, Ireland und Scott, geboren wurden, sowie Jüngere, von denen bis auf den Jüngsten, den 1901 geborenen William Walton, alle am RCM bei Stanford studierten. Ralph Vaughan Williams (1872–1958), schon bei den Zeitgenossen der bekannteste von Stanfords Schülern, wurde lange primär mit nationalistischen Strömungen wie dem Folksong- und dem Tudor-Revival assoziiert (siehe S. 232f.). Der Schwerpunkt seines Œuvres liegt in der Orchester- und Chor-, kaum der Kammermusik. Als einer von wenigen RCM-Absolventen studierte er Komposition sowohl bei Parry als auch, nach Parrys Ernennung zum Direktor 1895, bei Stanford (seine Bewunderung galt Ersterem). Obgleich selbst aus Stanfords Sicht „too Teuton already“, lernte Vaughan Williams nach dem Londoner Abschluss 1897/98 noch ein halbes Jahr bei Max Bruch in mehr Mitglied war, im März 1919 neben Strawinskys Drei Stücken für Streichquartett und Antonio Scontrinos Quartett C-Dur. „The trappings, the ornaments, are of the latest pattern – call it futurist or impressionistic, it matters little. But the substance is essentially that which has hitherto been recognised as the true basis of music – emotion.“ F. B. [Ferruccio Bonavia], New Chamber Music, in: The Manchester Guardian, 29.3.1919, 10. Siehe auch The Musical Times, 1.5.1919, 237. Vgl. Evans, Modern British Composers. IV. Goossens, 333. 1055 „From all accounts, my work had pleased the radicals in the audience, but baffled the old guard, who were present in force in that picturesque music-shed on South Mountain.“ Goossens, Overture and Beginners, 212.

322

„French fever“: Weitere Schüler Stanfords und andere Frankophile

Berlin.1056 Vier unveröffentlichte, später zurückgezogene und erst postum freigegebene Kammermusikwerke (Streichquartett c-Moll; Quintett D-Dur für Klarinette, Horn und Klaviertrio, beide 1898; Klavierquintett c-Moll mit Kontrabass, 1903; Ballade und Scherzo für Streichquintett, 1904) legen Zeugnis ab von einer umfänglichen Beherrschung des traditionellen Vokabulars und einer hochromantischen Tonsprache, wie sie zur selben Zeit etwa auch Ireland und Dunhill zeigten (beide verfassten ebenfalls 1898 Werke für gemischte Streicher-/Bläserbesetzung).1057 Doch Vaughan Williams empfand seine kompositorische Technik immer noch (wie sich zeigen sollte, zeitlebens) als unzureichend. Der befreundete Kritiker Edwin Evans empfahl ihm für weitere Studien den wiederum ihm bekannten Vincent d’Indy, während Michel-Dimitri Calvocoressi hingegen seinen Studienfreund Ravel für weit geeigneter hielt, die klassische Ausbildung in neue Richtungen zu erweitern (siehe zu beiden Kritikern Kapitel 4.1). Die drei Monate in Paris über den Winter 1907/08 empfand Vaughan Williams schließlich tatsächlich als äußerst gewinnbringend. Ausweislich seiner Jahrzehnte später verfassten Erinnerungen arbeiteten er und Ravel vor allem mit russischer Musik an Orchestrierung: „He showed me how to orchestrate in points of colour rather than in lines.“1058 Nicht nur bei ihm selbst, auch in Frankreich wirkte Vaughan Williams’ Studienaufenthalt nach und führte über einige Ecken zur Gründung der neuen Société musicale indépendante.1059 Zwei kammermusikalische Werke brachte Vaughan Williams im Rückblick selbst unmittelbar mit den neuen Eindrücken in Verbindung: das Streichquartett g-Moll und den Liederzyklus On Wenlock Edge für Tenor, Klavier und Streichquartett nach A. E. Housman (beide 1908 begonnen und im November 1909 uraufgeführt): After three months I came home with a bad attack of French fever and wrote a string quartet which caused a friend to say that I must have been having tea with Debussy, and a song cycle with several atmospheric effects, [...].1060 1056

Vaughan Williams, A Musical Autobiography [1950], in: ders., National Music, 177–194, hier 187. Vgl. zu den ästhetischen und pädagogischen Differenzen zwischen Parry und Stanford Adams, Vaughan Williams’s Musical Apprenticeship, 33–37. 1057 Vgl. ebd., 37f.; Mark, Chamber Music, 180f. Noch früher, in den späten 1880er-Jahren, hatte er für ein Schulkonzert ein einsätziges Klaviertrio komponiert: „All I remember about it is that the principal theme is distinctly reminiscent of César Franck, a composer of whom I was not even aware in those days and whom I have since learned to dislike cordially. I must have got the theme from one of the French or Belgian imitators of Franck whose salon music was popular in those days.“ Vaughan Williams, A Musical Autobiography [1950], in: ders., National Music, 177–194, hier 179. Das Klavierquintett c-Moll schickte Vaughan Williams noch 1909 für eine Pariser Aufführung an Calvocoressi (siehe Anm. 578). 1058 Ebd., 191. Vgl. Adams, Vaughan Williams’s Musical Apprenticeship, 38–53; Calvocoressi, Musicians Gallery, 283–285. Siehe auch die Briefe aus Paris an Calvocoressi in Vaughan Williams, Letters. 1059 Siehe Anm. 582; siehe S. 191ff. zu Aufführungen von Vaughan Williams in Frankreich, wo dieser eine Bekanntschaft mit Florent Schmitt schloss (siehe Anm. 518). Ab Februar 1911 wurde er als Mitglied der Londoner Société des concerts français geführt (siehe S. 105f.). 1060 Vaughan Williams, A Musical Autobiography [1950], in: ders., National Music, 177–194, hier 191.

323

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

Tabelle 28: Weitere Kammermusikwerke in England, 1908–1921 Abschluss Druck

Komponist/in

Werk

1908

1909

Ethel Smyth

Vier Lieder für Mez. bzw. Bar., Fl., Streichtrio, Hf. und Perkussion

1909

1923

Ralph Vaughan Williams

Streichquartett Nr. 1 g-Moll

1912

1914

Ethel Smyth

Streichquartett e-Moll

1914

1928

Ernest Walker

Cellosonate f-Moll op. 41

1915

Arthur Bliss

Streichquartett A-Dur

1915 1916

Klavierquartett a-Moll 1918

Herbert Howells

Klavierquartett a-Moll op. 21

1922

Frederick Delius

Streichquartett (rev. 1917)

1925

Adela Maddison

Klavierquintett

1917

1920

Thomas Dunhill

Violinsonate Nr. 2 F-Dur op. 50

1918

1919

Edward Elgar

Violinsonate e-Moll op. 82 Streichquartett e-Moll op. 83

1919

Klavierquintett a-Moll op. 84 –

Arthur Bliss

Klavierquintett (verloren)

1921

Rebecca Clarke

Violasonate

1924

William Walton

Klavierquartett

1920

1925

Ernest John Moeran

Klaviertrio D-Dur (rev. 1925)

1921

1923 1928

324

Streichquartett a-Moll Rebecca Clarke

Klaviertrio

„French fever“: Weitere Schüler Stanfords und andere Frankophile

Allein das Quartett zeigte (scheinbar) eine völlige Abkehr von seiner vorherigen Kammermusik und den klassischen Gattungsidealen und wurde von der Presse als modernistisches Experiment aufgenommen. Der Verzicht auf thematische Entwicklung sowie die harschen harmonischen Fortschreitungen und klanglichen Effekte waren Schlagworte, die es in die Nähe moderner französischer Musik rückten; manche Kritiker stellten diese Verbindung explizit her.1061 Tatsächlich stach das Werk im Konzertrepertoire noch heraus: Ravels Quartett etwa wurde nach der Erstaufführung 1907 erst im November 1909 erstmals wiederholt (siehe Tabelle 15). Doch ebenso wie sich die Reaktionen diesem gegenüber rasch wandelten, wurde Vaughan Williams’ ein Jahr später schon deutlich positiver beurteilt.1062 Auch Evans musste in On Wenlock Edge Spuren Ravels zugestehen (das Quartett sah er 1920 als verloren an). Aus seiner Sicht war jedoch vor allem bezeichnend, dass der französische Einfluss als anrüchig angesehen worden war, während der in England allgegenwärtige deutsche stets unhinterfragt bleibe.1063 1930 konnte der deutsch-französische Gegensatz im Quartett nüchterner beschrieben werden: The string quartet, when compared with similar works by Brahms and Debussy, by whom Vaughan Williams may be said to have been influenced, shows the conflict between German and French methods. The opening bars are nearer to Brahms than to Debussy, and the general lay-out of the instruments shows a closer affinity to the former. But this manner is interrupted continually as for the first time at the tranquillo four bars after [E], where the suave triplets of the inner strings bring to mind the thirteenth bar of Debussy’s work. 1061

Die Uraufführung fand bei einem Konzert der Society of British Composers statt: „There were passages [...] which [...] represented the extreme development of modernism, so much so that not even the advanced tastes of an audience of British composers could find everything in them acceptable.“ The Musical Times, 1.12.1909, 797. Wiederholt wurde das Quartett eine Woche später bei der Uraufführung des Liederzyklus, erneut vom Schwiller Quartet: „The essential characteristic of quartet writing, the development of individual themes, is hardly to be traced at all, except in the hilarious finale, the best movement of the four. [...] [In the first movement] we get little more than the statement above harmonic progressions that often torture the ear.“ The Times, 16.11.1909, 14. „Mr. R. Vaughan Williams was clearly in a foreign mood what time he composed the String Quartet [...]. The Cinquevallian tricks [nach dem Jongleur Paul Cinquevalli] of Ravel are so much less obvious when performed by Ravel himself, and the exquisite atmospheric French diction of Debussy is so very much more mellifluous when proceeding from Debussy himself [...] in spite of the cleverness of the whole and the warm colouring and feeling of the Romance.“ The Daily Telegraph, 17.11.1909, 18. 1062 Bei Dunhills Chamber Concerts spielten Marjorie Hayward, Fanny Eveleigh, Rebecca Clarke und May Mukle. „It is a pity that it has not been heard since, for it is certainly a very important and original contribution to modern English music. [...] the fugato in the last movement is a little difficult to assimilate even with Ravel in one’s ears.“ The Times, 13.3.1911, 11. 1063 „Yet this extraneous influence [of Ravel] is so completely confined to what one may term the scenic accessories of the music that, even were it most apparent, it carries with it no feeling of intrusion.“ Evans, Modern British Composers. IX. Vaughan Williams, 302. Siehe Anm. 930 für die ähnliche Argumentation bei Ireland und Anm. 786 zum Disput mit Newman über den englischen Charakter des Liedzyklus. Siehe auch den ersten Artikel zu Vaughan Williams. Evans, Modern British Composers. VI., in: The Musical Standard, 25.7.1903, 52f.

325

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

The scoring is never so thick as that of Brahms, but as a rule it is heavier, and certainly more angular, than anything written by Debussy.1064

Auch wenn aus heutiger Sicht die traditionelleren Elemente der Komposition den Eindruck stärker prägen als die experimentellen, wäre Brahms nicht der erste Name, den man vergleichend heranziehen würde. Im Gegensatz zu diesem und der meisten englischen Kammermusik um 1900 steht etwa der transparente Beginn mit einem Bratschensolo in g-Dorisch; auch die folgenden Sätze werden von modalem Material dominiert. Der gezielte Einsatz von Pizzicato und Tremolo (dazu kommen wie später bei Scott Passagen sur la touche) lässt sich mit zeitlich benachbarten Quartettwerken von Bridge vergleichen, bei denen der Tonsatz jedoch meist dichter und als stetiger motivischer Dialog gestaltet ist. Vaughan Williams’ Kopfsatz wirkt demgegenüber rhapsodisch und stellt viele Gedanken nebeneinander, statt sie zu entwickeln. Nichtsdestoweniger lassen sich die Hauptthemen aller weiteren Sätze auf das des ersten zurückbeziehen: eine ‚moderne‘ Technik, wie Goddard hervorhob, die wie Modalität und Textur eine Brücke zu Debussys und Ravels Quartetten schlägt. Zweifellos als experimentell konnten die schwebende, praktisch kadenzenlose Harmonik in der Romance und die vereinzelte Verwendung einer Ganzton- und einer oktatonischen Skala (im Trio des fast neoklassizistischen Menuetts) gelten.1065 Im Vergleich zum Quartett steht das folgende Phantasy Quintet (1912 als Auftragswerk für Cobbett, siehe Tabelle 21) mit seinem pentatonischen Beginn und der Satztechnik deutlich im Bann von Folksong und älterer Musik. Die explizit französischen Anklänge blieben in Vaughan Williams’ Kammermusik eine kurze Episode. Parallel mit Vaughan Williams studierte Thomas Frederick Dunhill (1877–1946) von 1894 bis 1901 bei Stanford, 1897 erhielt er zusammen mit seinem engen Freund Ireland das Kompositionsstipendium. Sein weitreichendes Engagement für die im frühen 20. Jahrhundert im Aufstieg begriffene Kammermusik brachte Dunhill 1924 die erste Cobbett Chamber Music Medal ein. Zwischen 1907 und 1919 war seine Konzertreihe eine wichtige Bühne für neue Werke seiner Landsleute, hier spielte er am Klavier aber auch etwa Fauré (siehe Tabelle 8). Der jüngeren französischen Musik stand er in seinem praktischen Kompositionsleitfaden von 1913 offen, aber differenziert gegenüber (siehe S. 223f.). 1910 hielt er in Windsor einen Vortrag zu Debussy.1066 Nicht anders als bei seinen Kommilitonen ist Dunhills frühe Kammermusik von den traditionellen deutschen Modellen geprägt (Variationensätze und -werke deuten insbesondere auf Brahms). Dazu gehören das Quintett Es-Dur für Klarinette, Horn und Klaviertrio op. 3 (1898), das Quintett f-Moll für Horn und Streichquartett op. 6 (1900) und nach Studienabschluss das Klavierquartett h-Moll op. 16 (1903) und das Klavierquintett c-Moll op. 20 (1904). 1064

Goddard, Williams, 583. Vgl. Fournier, Histoire du quatuor à cordes, tome 3, 21–23; zur Ganztonskala Mark, Chamber Music, 181f.; zur oktatonischen Skala Adams, Vaughan Williams’s Musical Apprenticeship, 47. 1066 The Musical Times, 1.4.1910, 261. 1065

326

„French fever“: Weitere Schüler Stanfords und andere Frankophile

Seine Devise, im grundsätzlich diatonischen Tonsatz weitgehend auf Experimente zu verzichten, sicherte ihm wohlwollende Besprechungen und Assoziationen eines ‚gesunden‘ Nationalcharakters.1067 Primär mit leichterer und pädagogischer Musik verbunden, durchlief Dunhill keine stilistische Wandlung, die sich neben jene Irelands stellen ließe. Doch nach der ersten Violinsonate d-Moll op. 27 (1908) und der Phantasy Es-Dur für Klavier, Violine und Viola op. 36 (1911) ruft die Ireland gewidmete zweite Violinsonate F-Dur op. 50 (1917) gegenüber den früheren, hochromantischen Ensemblewerken tatsächlich eine veränderte Klangwelt auf. Wie Irelands zweite Sonate, die zu Beginn desselben Jahres Aufsehen erregt hatte, wurden sie bzw. das Adagio lamentoso mit dem Krieg in Verbindung gebracht.1068 Gerade der Kopfsatz mit der flexiblen und durch Dissonanzen angereicherten Harmonik (siehe bereits die Quintsextakkorde bzw. Mollseptakkorde zu Beginn) und dem transparenteren Klaviersatz erinnert etwa an Fauré; noch jüngere Techniken bleiben allerdings weiterhin ausgespart. Dunhills Sonate zeigt, inwieweit zuvor abschätzig als typisch französisch angesehene Charakteristika wie Leichtigkeit und harmonische Variabilität in das Standardvokabular englischer Kammermusik eingedrungen waren. Eine ähnlich gelagerte stilistische Erweiterung einer klassisch-romantischen Tonsprache lässt sich bei dem Komponisten, Lehrer und Autor Ernest Walker (1870–1949) beobachten, dessen Werke auch von wohlwollender Seite als konservativ und akademisch orientiert beschrieben wurden. Seine frühere Kammermusik war stark von Brahms beeinflusst, den er 1899 in einem akademischen Vortrag würdigte (siehe Anm. 858). Wie Dunhill setzte er sich aber zugleich interessiert mit der jüngsten Musik des Kontinents auseinander und gab dieser als Director of Music (1901–1925) bei den Kammermusikkonzerten des Balliol College in Oxford Raum. Schon früh bewunderte er Debussy und schätzte die klassizistischen Tendenzen in Ravels Streichquartett (siehe Anm. 732 und 500). Ivor Keys erkannte in Walkers Œuvre um 1914 in der erweiterten und subtileren harmonischen Bandbreite einen sich manifestierenden Wandel. Besonders die Cellosonate f-Moll op. 41 (1914) sei davon geprägt und zeige gleichzeitig einen intensivierten emotionalen Ausdruck. Eine zeitgenössische Einschätzung assoziierte deren „mystic 1067

Eine Rezension des Klavierquartetts postulierte: „It lacks, with advantage, the perplexities of key and tempo changes too prevalent in ultra-modern music, but gains thereby, as a natural corollary, a healthy, spontaneous utterance which rivets attention from beginning to end.“ The Musical Times, 1.5.1909, 317. „Dunhill’s chamber music is English through and through. It has, however, more affinity with the English national songs of the seventeenth and eighteenth centuries than with the folk-song idiom.“ [Marion] Scott, Dunhill, 346. Vgl. auch den Überblick von 1915, der vor allem den Einfluss Schumanns und Brahms’ hervorhob. Findlay, The Chamber Music of Dunhill. Vgl. die Biographie seines Sohnes [David] Dunhill, Dunhill: Maker of Music, darin auch Lewis Foreman, The Music of Thomas F Dunhill, v–xxii. 1068 Scott, Dunhill, 346. Die Uraufführung gaben Ethel Hobday und Marjorie Hayward: „It evidences fine craftmanship throughout, and its genial spirit, the distinction of its themes and the felicity of their treatment, and its avoidance of pretentious modernity, recommend it strongly.“ The Sunday Times, 18.11.1917, 4.

327

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

charm“ mit moderner französischer Musik.1069 Dass Walker in zwei A-cappella-Liedern aus op. 30 (1914) Akkorde „as colourful entities in their own right“ behandelt habe, zeige seine Beschäftigung mit Debussy. Spätere Miniaturen brachte Keys mit dem späten Fauré in Verbindung.1070 In seiner Ästhetik blieb Walker gleichwohl den ‚Klassikern‘ treu und bedauerte die deutsche Lücke im neu von Jean-Aubry herausgegebenen The Chesterian.1071 Die jüngste Generation, die Komponisten, die während des Ersten Weltkriegs erstmals auf die öffentliche Bühne traten, focht diese für so lange Zeit gepflegte Verehrung hingegen an. Arthur Bliss (1891–1975), kaum aus Frankreich zurückgekehrt, drückte 1916 in einem Leserbrief seine Unterstützung für den Kampf gegen den weiterhin dominanten deutschen Einfluss auf das englische Musikleben aus (siehe Anm. 722). Seine frühe Entwicklung weist einige Parallelen zu der des befreundeten Goossens auf: Um 1907 entflammte er in Rugby für Debussy und Ravel. Nach dem Studium in Cambridge, wo ihn der aufgeschlossene Edward J. Dent prägte, lernte er 1913/14 knapp ein Jahr am RCM bei Stanford, zu dem aber keine Vertrauensbasis entstand.1072 Ab Januar 1914 war Bliss Mitglied der Société des concerts français (siehe S. 105f.). Kurz bevor er im Sommer 1915 an die Front aufbrach, wurden zwei Kammermusikwerke in London aufgeführt. Nach Kriegsende nahm er dort rasch eine geschäftige Rolle im Musikleben ein. Seine avantgardistischen Stücke für Stimme und Ensemble sorgten für Gesprächsstoff und wurden mit der späteren Groupe des Six, Strawinsky und dem Jazz in Verbindung gebracht. In Paris knüpfte er Kontakte mit jungen Kollegen, in London organisierte er eine originelle Konzertreihe und verkehrte etwa mit Heseltine, Bernard van Dieren, Jean-Aubry und anderen Künstlern.1073 Wie Goossens äußerte er sich auch als Autor 1069

„The composer’s latest work is animated by very modern spirit, and marks an advance on the earlier compositions. It is full of life. The first movement is fiery and strong and rich in chromatic progressions. The second movement has a mystic charm that allies it to modern French music.“ T. V., The Chamber Music of Dr. Ernest Walker, in: Chamber Music. A Supplement to The Music Student, März 1916, 45–47, hier 47. 1070 Ivor Keys, Ernest Walker as Composer, in: Deneke, Walker, 119–131, hier 124–126. 1071 „Sir, We are at peace with the German people: are we also at peace with German music? [...] With all its shortcomings, English music has been pre-eminent in at least one respect: throughout our musical life we have stood, more firmly than any other nation, for the proud faith of the open door and the open mind.“ Brief an The Times, 20.9.1919, zit. nach Dibble, Free Thought and the Musician, 81. Vgl. dort zu Walkers literarischen Aktivitäten. 1072 „At fifteen years of age I was immediately captivated by the French masters. I loved the delicious sounds and poetry of Debussy and the cool elegant music of Ravel – no beetling brows and gloomy looks here, but a keen and slightly quizzical look at the world.“ Bliss, As I Remember, 21, siehe 29 zu Stanford. 1073 „[...] he [Arthur Bliss] would have a private rehearsal of them all [Streichquartettsätze und andere Werke van Dierens] so that he might hear them and get a better impression of their character. This rehearsal, I understand, is to take place at the house of M. Jean Aubry (!!) and I shall especially request the presence of our distinguished colleague Mr Edwin Evans!“ Brief von Philip Heseltine an Bernard van Dieren, 14.11.1919. Foreman (Hg.), From Parry to Britten, 108. Siehe zu Bliss’ Reihe S. 251f.

328

„French fever“: Weitere Schüler Stanfords und andere Frankophile

zur zeitgenössischen Musik und war als Dirigent tätig, kurzzeitig in den USA.1074 Schon früh wurde sein Schaffen in zwei Phasen unterteilt, wobei die anti-romantische, modernistische erste von der Orientierung an den franko-russischen Moden geprägt worden sei (von einer bloßen Nachahmung wurde er stets betont freigesprochen), die zweite stärker der ‚englischen‘ Tradition etwa Elgars folgte, abseits von Folksong- oder Tudor-Anleihen und wahrnehmbar schon ab A Colour Symphony (1922). Die jüngere Forschung hat diese Unterteilung differenziert.1075 Drei Kompositionen zeigen Bliss’ frühe Auseinandersetzung mit verschiedenen Modellen in der Kammermusik. Das Streichquartett A-Dur reicht offenbar bis in die Zeit in Cambridge 1913 zurück. Ähnlich wie Irelands zwei Quartette erscheint es als Studienwerk mit einer auffälligen tonalen Stabilität und vereinzelten modalen Elementen mit pastoralem Anklang. Der Fokus auf Klang und Textur ließe sich direkt auf französische Vorbilder zurückführen oder auf ein vermittelndes Medium wie Vaughan Williams’ Quartett.1076 Bliss’ Streichquartett und das folgende Klavierquartett a-Moll wurden 1915 mehrfach in London aufgeführt, positiv aufgenommen und mit Unterstützung Goossens’ gedruckt.1077 Nach der Rückkehr aus dem Militärdienst zog Bliss beide zurück und ließ die Platten vernichten, bis seine Witwe Trudy Bliss die Werke in den 1990er-Jahren wieder freigab. Das nach einem Violasolo einsetzende Hauptthema des Klavierquartetts ähnelt jenem von Ravels Streichquartett, aber die Satzweise ist traditionell. Der grundsätzlich lyrische Charakter und das graziöse Intermezzo (Tempo di Mazurka, b-Mixolydisch) sowie eine oft transparente Textur rücken das Werk in die Nähe Faurés. War Bliss damit (deutschen) klassischen Mustern weitgehend treu geblieben, stellte sich die Situation nach der Rückkehr ins zivile Leben völlig verändert dar. Von den neuen französischen Kontakten von Ravel bis Milhaud (Evans hatte ihn auch an Maurice Delage vermittelt) könnte das Klavierquintett Zeugnis ablegen, wenn es nicht verloren wäre. Mit dem Philharmonic String Quartet spielte Bliss es zuerst im November 1919 in Paris (siehe zu der missglückten Reise S. 196f.) und im April 1920 in London neben Strawinskys Ragtime.1078 Auch wenn er die Chronologie offenbar vertauschte, beschrieb Evans das Quintett als eine heftige Reaktion auf die französischen Begegnungen: 1074

Vgl. Bliss, Bliss on Music. Siehe etwa Anm. 753 zur Imitation Debussys und der Ganztonleiter. Siehe zu frühen Einschätzungen Goossens, Bliss; Evans, Bliss; Henry, Introductions: IX. Bliss; Demuth, Bliss; Robertson, Bliss. Die jüngste und ausführlichste Darstellung ist Ellis, Bliss’s New England. Vgl. auch Craggs, Bliss. A Source Book. 1076 Vgl. die Analyse bei Ellis, Bliss’s New England, 26–30. 1077 Das Klavierquartett wurde im April 1915 bei de Laras War Emergency Concerts mit einem Preis ausgezeichnet und dort mehrfach gespielt. Das Streichquartett nahm das Philharmonic String Quartet in sein Repertoire auf. The Daily Telegraph, 23.4.1915, 7; The Times, 26.6.1915, 11. 1078 „Mr. Bliss’ new Quintet [...] is a very heterogeneous mixture of styles. Mr. Bliss has learned something, it is clear, from Debussy, Delius, Elgar, Ravel, Stravinsky and Vaughan Williams, and some day he will weld the results of his various musical experiences into a style of his own. What is really individual and compelling in his quintet is its wonderful energy and exuberance. It is reminiscent, but it has no clichés, no padding, no empty rhetoric; it is always vital and expressive, often genuinely noble 1075

329

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

There is something very stimulating in the contact with French musicians which compensates for whatever disadvantages there may be in venturing among such particularists as most of them are. This disadvantage Bliss threw off on his return by means of a Pianoforte Quintet which was so truly Parisian in character that it may be regarded as the effect of an inoculation resulting in immunity after the immediate effects had passed.1079

Insoweit Bliss die traditionellen Prinzipien seines Lehrers fremd blieben und er später aktiv gegen sie rebellierte, hielt sein befreundeter Kommilitone Herbert Howells (1892– 1983) diese unverdrossen hoch und wurde von Stanford geschätzt wie kein anderer seiner späteren Schüler. Von 1912 bis 1917 studierte er mit einem Stipendium am RCM und war ebenda von 1920 bis 1979 lehrend tätig. Howells’ Artikel über die englische Szene von 1916 legte dessen Fokus auf kompositorischer Ökonomie offen ebenso wie die Ablehnung nationalistischer Tendenzen (siehe S. 257). Dabei stellte diese Haltung keinen Widerspruch zu der häufigen Charakterisierung seiner Musik als typisch englisch dar, wie Evans argumentierte: Die Phase sei vorüber, in der ein englisches Idiom zwangsläufig künstlich gewesen sei.1080 Gleichzeitig standen diese Tendenzen keinen kosmopolitischen Eindrücken entgegen: Die Phantasy für Klavier (1917) orientiert sich, ganz ähnlich wie Goossens’ Concert Study (1914), deutlich an der perlenden Textur, wie sie Ravels Jeux d’eau etabliert hatte.1081 Auch Howells’ Klavierquartett a-Moll op. 21 (1916) wurde mit Ravel, besonders dessen Klaviertrio, in Verbindung gebracht.1082 Mithilfe von Stanfords Fürsprache erschien es 1918 in der neuen, prestigeträchtigen Carnegie Collection of British Music. Überschrieben mit der Widmung „To the Hill at Chosen and Ivor Gurney who knows it“, ist es zwar keine Programmmusik, ging aber von einem poetischen, von der Landschaft um Gloucestershire inspirierten Programm aus, das Howells mit Marion M. Scott teilte, in deren Haus die private Uraufführung stattfand.1083 Ein solcher sense of place war ein typisches Merkmal einer als englisch wahrgenommenen Musik. Diesen Eindruck verstärkt das volksliedartige melodische Material, ohne echte Folksongs zu zitieren. and beautiful. It completely avoids those characteristic English vices, pompousness and sentimentality, and it is full of delightful and original colour-effects. Its only grave faults are its untidiness of style and its looseness of structure.“ The Athenaeum, 7.5.1920, 614. 1079 Evans, Bliss, 22f. Tatsächlich entstand das Klavierquintett wohl im Vorgriff auf das Pariser Konzert, an das sich zwei Aufenthalte in der Stadt anschlossen. Bliss, As I Remember, 56f.; Ellis, Bliss’s New England, 73. Das Quintett war unter anderem Frank Schuster, dem Förderer Elgars und Faurés, gewidmet. Foreman, Bliss. Catalogue of the Complete Works, 46. 1080 Evans, Modern British Composers. VIII. Howells, 87f. 1081 Siehe für Parallelen auch zu Debussy Maw, ‘I am a “modern” in this, but a Britisher too’, 213–216. Vgl. zu kontinentalen Einflüssen in Howells’ Orchestermusik und Klavierkonzerten im gleichen Band Cooke/Maw (Hgg.), The Music of Howells. 1082 Das Trio hatte Howells jedoch vorher wohl nie gehört. Sein Biograph Spicer erkannte eine allgemeine Affinität zur französischen Tonsprache, etwa auch in der Chormusik. Spicer, Howells, 47. 1083 Die erste öffentliche Aufführung fand erst im November 1917 in Oxford statt. Siehe zum Wortlaut des Programms, dem Kontext des Quartetts und einer Einordnung seines Verhältnisses zum englischen Pastoralismus Saylor, English Pastoral Music, 103–108.

330

„French fever“: Weitere Schüler Stanfords und andere Frankophile

Eine zentrale Rolle nimmt das zuerst bei Ziffer 2 vom Klavier vorgestellte zweite Thema ein, das auch in den beiden anderen Sätzen verändert aufgegriffen wird (Ziffern 26, 40, 42 und T. 7 nach 51).1084 Wie viele seiner Zeitgenossen legte Howells in seinen frühen Werken einen Fokus auf Kammermusik, die sich in seinem Œuvre fast ausnahmslos auf die Jahre von 1915 bis 1923 konzentriert. Das Phantasy String Quartet op. 25 (1917) für Cobbetts Folksong-Wettbewerb lehnt sich ebenfalls an ein Volksliedidiom an und ließ die Kritik im Unklaren, ob ihm ein echter Folksong zugrunde lag; in jedem Fall wurde die im Vergleich zu Howells’ Vorgängern nun eigenständigere Entwicklung des Materials gelobt.1085 Die einsätzige Violinsonate Nr. 1 E-Dur op. 18 (1918) hieß anfangs ebenfalls Phantasy, bei ihr wurde das rhapsodische Moment hervorgehoben. Ein solches sowie die subtilen motivischen Transformationen lassen sich bis zu Franck zurückverfolgen.1086 Einem jungen Studenten in Oxford diente wiederum Howells als konkretes Vorbild: William Walton (1902–1983) gestand die Modellierung seines 1918/19 komponierten Klavierquartetts an jenem des zehn Jahre Älteren später offen ein.1087 Beide Werke teilen eine modal gefärbte, reiche Harmonik (Howells notierte nach einem Besuch bei Walton Anfang 1919 im Tagebuch dessen „highly-coloured chords“), eine flexible Textur, zyklische Themen und deren kontrapunktische Kombinationen.1088 Darüber hinaus zitiert der Beginn des langsamen dritten Satzes eine Akkordverbindung aus dem Mittelteil von Ravels Lied Le Martin-Pêcheur aus den Histoires naturelles (1906) fast notengetreu. Waltons Quartett stellt somit ein repräsentatives Beispiel für die Verarbeitung zeitgenössischer Einflüsse dar: Er setzte sich offensichtlich direkt mit moderner französischer Musik auseinander und nahm deren Stilmittel zusätzlich durch die Beschäftigung mit jüngeren englischen Werken, in diesem Fall Howells’, auf. Eine vergleichbare mehrgleisige Auseinandersetzung zeigte zur gleichen Zeit Rebecca Clarke (1886–1979). Dabei legen die Reaktionen auf die beiden Kammermusikwerke, mit denen sie nach Ende des Krieges auf beiden Seiten des Atlantiks Furore machte, nahe, dass entsprechende Stilmittel auch nach einer mittlerweile länger andauernden Phase der englischen Aneignung weiterhin als ‚modern französisch‘ wahrgenommen werden konnten. Clarkes frühe Laufbahn weist einige Parallelen etwa zu Bridge auf: Sie 1084

„It is practically a perfect folk tune – of his own composition.“ Scott, Introductions: XVII. Howells, 143. 1085 The Daily Telegraph, 27.10.1917, 3. 1086 „The sonata is not what we have hitherto called a Sonata, but a “Contemplation” with a moment of rhapsody in it.“ The Times, 20.1.1919, 11. Vgl. die Übersicht Scott, Howells, und die technischästhetischen Betrachtungen bei Maw, ‘I am a “modern” in this, but a Britisher too’. Die jüngste, analytische Darstellung ist die Dissertation Clinch, ‘Experiments with Sonata Form’. 1087 „I wrote it really to emulate Herbert Howells, to be quite honest, because he’d had a great success with his Piano Quartet and I thought I’d have a go. It got the Carnegie Award like his did, so I was justified to a point.“ Walton im Interview mit John Warrack, in: The Listener, 8.8.1968, 177, zit. nach Cannon, From Oldham to Oxford, 181. Siehe für eine ausführliche Analyse ebd., 181–195. 1088 Ebd., 182. Vgl. auch Smallman, The Piano Quartet and Quintet, 119f.

331

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

studierte ab 1903 zunächst zwei Jahre an der Royal Academy of Music bei Hans Wessely Violine, bis ihr Vater sie nach einem Heiratsantrag ihres Harmonielehrers Percy Miles erzürnt abmeldete. Von 1908 bis 1910 war sie am RCM Kompositionsstudentin bei Stanford (nicht wie oft kolportiert dessen erste).1089 Der von diesem angeregte Wechsel zur Viola legte den Grundstein einer erfolgreichen, vor ihrem Eintritt in die RCM kaum absehbaren Tätigkeit als Solistin, Orchestermusikerin (als eine von sechs Streicherinnen wurde sie 1913 in Woods Queen’s Hall Orchestra aufgenommen) und vor allem in der Kammermusik (darunter bei den intimen, prominent besetzten Zusammenkünften bei Muriel Draper, siehe Anm. 536). Von 1916 bis 1923 war sie in den USA ansässig bzw. weltweit auf Tourneen unterwegs, ab 1924 etablierte sie sich wieder in London als Interpretin. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hielt sie sich in den USA auf und erhielt keine Erlaubnis zur Rückreise. Sie sollte den Rest ihres Lebens dort verbringen. Nach der Heirat mit dem früheren RCM-Kommilitonen James Friskin 1944 spielte sie nicht mehr professionell und gab das Komponieren praktisch auf. Ihren Durchbruch und zugleich größten Erfolg verdankte Clarke der Violasonate, die sie Ende 1918 auf Konzertreise in Honolulu begann und im Sommer 1919 bei dem von der Mäzenin Elizabeth Sprague Coolidge veranstalteten Wettbewerb einreichte: Nach der Durchsicht von mehr als siebzig anonym eingesandten Manuskripten (für Viola und Klavier) kam die Jury zu einem Patt, und erst Coolidges Stimme gab den Ausschlag für Ernest Blochs Suite. Clarkes zweiter Platz stellte immer noch eine Sensation dar.1090 Die Sonate zeigt sowohl Elemente der jüngeren französischen Musik, wie von Ravels Klaviertrio und Debussys Cello- sowie Violinsonate, als auch englische, wie im Einsatz eines ‚künstlichen‘ (komponierten) Folksongidioms. Darin folgte Clarke den Violawerken von Benjamin Dale, einem früheren Kommilitonen an der RAM. Im Rückblick nannte sie Debussy und Vaughan Williams als Einflüsse.1091 Sie beschrieb auch Stanfords fehlendes Verständnis für Debussy und entsprechend für ihre 1089

Ihre Erinnerungen von der Kindheit bis zum Karrierebeginn schrieb Clarke am Ende ihres Lebens in den unveröffentlichten Memoiren I Had a Father Too or The Mustard Spoon nieder. Ihre Tagebücher von 1919 bis 1933 sind erhalten. Diese und andere Quellen werden von Christopher Johnson (einem angeheirateten Großneffen Clarkes) verwaltet. Er schreibt an einer Monographie, deren aktuellen Stand er ebenso wie die Memoiren zur Verfügung stellte. Johnson, Clarke. Viola-Player and Composer (Typoskript). An der Veröffentlichung eines Kompendiums entzündete sich 2004 ein Rechtsstreit zwischen Johnson und Liane Curtis (bzw. der Rebecca Clarke Society), der zu einer Spaltung der Clarke-Forschung führte. Curtis (Hg.), A Clarke Reader. Eine ältere deutsche Biographie gibt den damaligen Wissensstand trotz einiger Ungenauigkeiten weitgehend wieder. Kohnen, Clarke. 1090 Coolidge erzählte später: „You should have seen their [the jury’s] faces when they saw it was by a woman!“ Rebecca Clarke’s 1977 Program Note on the Viola Sonata, in: Curtis (Hg.), A Clarke Reader, 225f., hier 226. Siehe zu Coolidge Anm. 866. 1091 „[...] it was not so awfully long, I suppose, after I was a student that I wrote the Viola Sonata, and that was quite a lot influenced by Debussy, and also influenced by Vaughan Williams, who was a friend of mine and whose music I admired very much.“ Musicologist Ellen D. Lerner Interviews Rebecca Clarke, 1978 and 1979, in: Curtis (Hg.), A Clarke Reader, 203–224, hier 212.

332

„French fever“: Weitere Schüler Stanfords und andere Frankophile

„very mildly modern viola sonata“.1092 In ihren ersten Jahren als Berufsmusikerin war sie eng mit französischer Musik verbunden: 1912 erwarb sie für eine halbe Monatsmiete den Klavierauszug von Pelléas et Mélisande, sie erarbeitete mit dem Nora Clench Quartet das Werk von Ravel (unter dem sie 1928 spielen und dem sie Tarotkarten legen sollte), führte Chausson auf und sang 1915 bei der Société des concerts français im Chor Schmitts Psaume XLVII.1093 Wertschätzende Worte für das französische Repertoire fand sie 1923 in einem Artikel über die Viola im Streichquartett.1094 Ihrer Sonate stellte sie zwei französische Verse voraus.1095 Diese ist durchgängig von zeitgenössischem Vokabular wie chromatischen und Tritonus-Verbindungen, dissonanten Sept-, Non- und Undezimakkorden und unterschiedlichen (modalen und ganztönigen) Skalen geprägt. Besonders der Mittelsatz, ein Vivace-Scherzo, verwendet die ganze Bandbreite moderner Instrumentaltechnik (die Viola stets con sordino) mit Pizzicato, Glissando und Flageolett, abrupten Texturwechseln, perkussivem Spiel in ‚exotischer‘ Pentatonik (darunter ein Klavierglissando auf schwarzen Tasten, T. 12) und bitonalen Passagen im kontrastierenden Mittelteil (Ziffer 19). Das den Kopfsatz einleitende deklamatorische Violasolo in e-Dorisch entpuppt sich als Motto, dessen Material im anschließenden Poco agitato kontinuierlich verarbeitet wird. Die nahtlose Verbindung von rhapsodischem Einstieg und vorwärtsdrängendem Hauptteil erinnert an die Violinsonate von Magnard; vielleicht hatte Clarke diese 1909 in London gehört. 1092

„His tastes were extremely conservative. It was said that when he heard Debussy’s Pelleas for the first time he was so disgusted that he walked out before the end. I remember the scorn and disgust with which he spoke to me about Vaughan Williams’ overture to The Wasps when it was first given at Cambridge. He seemed particularly affronted because Vaughan Williams had been one of his own students. I remember too a remark overheard by a friend of mine years later when he came to hear the very mildly modern viola sonata I had written in America in 1919. She was sitting in the row in front of him in the AEolian Hall, where I was playing it with Harold Samuel, and kept her ears pricked up for any remark from the seat behind. Later she told me what she had heard. After the first movement: silence; after the second movement: silence; at the end of the piece, as I was walking off the platform, Sir Charles turned to his companion and cleared his throat. Now the oracle is going to speak, she thought. She listened harder; and what she heard was: “Strange she’s still Miss.” That was all.“ Clarke, I Had a Father Too (Typoskript), 171. 1093 „We were working at the Ravel 4tet, very new at the time, & I have a vivid recollection of how a large dog, lying quietly in the studio, invariably howled at a certain chord in one of the movements.“ Ebd. (handschriftliche Ergänzungen), 12. Siehe zu Pelléas Johnson, Clarke. Viola-Player and Composer (Typoskript), zum Nora Clench Quartet Anm. 396, zu Chausson Tabelle 14 und zur Société das Programmheft (Fonds Joseph Jongen). Die Episode mit Ravel erzählte sie 1976 im Interview mit Robert Sherman, in: Curtis (Hg.), A Clarke Reader, 170–181, hier 178f. 1094 „Very different is the French school, where distinction of material as well as of technique is aimed at above everything. Here all is subtle, polished, and delicately sensuous, any crude display of emotion being entirely avoided.“ Clarke, The History of the Viola in Quartet Writing, 13. Siehe zu Debussy auch Anm. 409. 1095 „Poète, prends ton luth; le vin de la jeunesse / Fermente cette nuit dans les veines de Dieu.“ Die Verse aus Alfred de Mussets Gedicht La Nuit de Mai (1835) dienten zunächst der Identifizierung des anonymen Manuskripts, sie wurden aber auch dem Druck bei Chester 1921 beigefügt.

333

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

Das Motto kehrt auch im dritten und letzten Satz wieder: Dessen einstimmige Klaviermelodie in a-Äolisch, Adagio, mündet bei einer Wiederholung in die Wiederaufnahme des Mottos (vor Ziffer 31, Ziffer 32 entspricht dem Poco agitato), und so entwickelt sich der langsame Satz zu einer Auseinandersetzung mit vorangegangenem Material, das dabei beständig transformiert erscheint. Das Comodo: quasi pastorale (Ziffer 35) ruft in es-Dorisch erneut eine volksliedhafte Atmosphäre hervor, bevor bei Quasi fantasia (Ziffer 36) das Motto mit dem Adagio-Beginn überblendet wird und, nach einem weiteren Einschub (Poco meno mosso), zuletzt die Überhand behält.1096 Clarkes einzigen beiden weiteren groß angelegten Kompositionen stehen ebenfalls in einer engen Verbindung zu Coolidge und deren Festival: Mit dem Klaviertrio (1921) nahm sie wieder am Wettbewerb teil und erhielt eine „honorable mention“ (den Preis gewann Waldo Warner, der Bratschist des London String Quartet, mit seinem Trio op. 22). Wiederum für das Festival zwei Jahre später gab Coolidge die Rhapsody für Cello und Klavier in Auftrag (1923, neben Goossens’ Phantasy Sextet), die nach der Uraufführung nicht mehr erklingen sollte und erst 2020 veröffentlicht wurde. Beide Werke nehmen die ambitionierte Tonsprache der Sonate auf, das Trio auch die zyklischen Verknüpfungen, und offenbaren eine weiter verdichtete Expressivität. Französische Akzente zeigen zudem zwei Einzelsätze für Streichquartett: das pastorale Comodo e amabile (1924, als Kopfsatz bezeichnet) und Adagio (Poem, 1926).1097 Der Ruf der zunächst für einen amerikanischen Kontext geschriebenen Stücke eilte ihnen voraus, bevor Clarke sie in ihrer Heimat vorstellte: Im Mai 1920 spielte sie die Sonate mit Harold Samuel zum ersten Mal in London, im November 1922 präsentierten Myra Hess, Marjorie Hayward und May Mukle das Trio neben Mozart und Ravel. Ein vielbeachtetes Konzert mit eigenen Werken gab Clarke im Oktober 1925 in der Wigmore Hall. Für die wohlwollenden, aber nicht überschwänglichen Kritiker stach eine offensichtliche Affinität der Musik zu französischen Vorbildern hervor, zudem wurde dem schon traditionellen Misstrauen gegenüber ‚Effekten‘ Ausdruck verliehen.1098 1096

Nach Clarkes eigener Zusammenfassung der Sonate folgt auf das Adagio sogar eine Satzzäsur, die im Druck jedoch nicht abgebildet ist. „After this comes a slow movement starting very simply, almost like a folksong, but anon becoming more emotional. It ultimately bridges over to the last movement, with a long passage in which the piano builds up to a climax based on first movement themes, underneath which the viola plays for 18 bars a low open note, becoming more and more intense until it reaches the last movement. This consists of a sort of fantasia on the first movement tune, embracing every mood, from the pastoral to the fantastic, and finally ending with an enthusiastic climax.“ Springfield Daily Republican, 26.9.1919, zit. nach Johnson, Clarke. Viola-Player and Composer (Typoskript). Vgl. die Analyse bei Bynog, Notes for Violists, 99–109. 1097 Vgl. die Werkbeschreibungen, auch weiterer Miniaturen, bei MacDonald, Clarke’s Chamber Music; zum Trio auch Bryony Jones, “But Do Not Quite Forget”. The Trio for Violin, Cello, and Piano (1921) and the Viola Sonata (1919) Compared, in: Curtis (Hg.), A Clarke Reader, 79–99. 1098 „That her admiration for Debussy is unbounded was sufficiently evident, particularly in the whimsical Vivace, which forms the second movement. One felt, too, that she is apt, or is possibly compelled, to rely for her effects more upon her ingenuity as a technician than upon her invention as a melodist, and while her themes are adequate they are rarely, if ever, striking, [...].“ The Daily

334

„French fever“: Weitere Schüler Stanfords und andere Frankophile

Als programmatisch lässt sich der Eindruck festhalten, Clarke habe eine ideale Verschmelzung von französischem und englischem Idiom erreicht. Die eher reihenhafte formale Gliederung und der improvisatorische Gestus sorgten hingegen für größtmögliche Distanz zu deutschen Modellen, ohne dass deshalb Einbußen beim intellektuellen Anspruch konstatiert wurden: Apart from the fact that it is admirably suited to the viola, [the Sonata] is notable for the modernity of its phraseology, the depth of its intellectual foundation, and the expressiveness of its terms. Its style is the happiest combination of British and French, German idiom being completely absent.1099

In einem kurzen, vor allem Ethel Smyth gewidmeten Kapitel „Women Composers“ erwähnte Holbrooke 1925 auch Clarke wertschätzend.1100 Unterschiedliche Einschätzungen gab es zur Aktualität von Clarkes Idiom: War es beeinflusst von den gegenwärtigen französischen Strömungen, wie Evans in Cobbett’s Cyclopedic Survey feststellte, oder von längst überholten französischen Manierismen, wie eine Kritik nahelegte?1101 Diese Unterscheidung hatte es vor 1920 kaum gegeben, als moderne französische Musik automatisch als in höchstem Maße progressiv gelten konnte. Eine Verbindung von französischen und englischen Tendenzen stellt auch die frühe Kammermusik von Ernest John Moeran (1894–1950) der Jahre nach 1920 dar. Er hatte von 1913 bis zum Beginn des Krieges am RCM bei Stanford Komposition studiert und nach seinem Ausscheiden aus dem Militärdienst dort bis 1923 weiteren Unterricht bei Ireland genossen. So lässt sich bei ihm ähnlich wie gleichzeitig bei Walton eine vermittelte Form der Aneignung insbesondere der Musik Ravels feststellen.1102 Anders als sein Lehrer Ireland und die meisten anderen in diesem Kontext behandelten Namen war Moeran auch als Volksliedsammler aktiv. Auf melodischer ebenso wie harmonischer Ebene erhielt seine Musik durch den Folksong eine modale Prägung. Telegraph, 2.6.1920, 15. „It [the Trio] is much influenced by Debussy and Ravel, yet bears the mark of a personal style in the making. The interest is kept alive throughout by well-marked themes and strong workmanship. There is passionate feeling in every section, and even had it been the work of a man, it would be called a virile effort.“ A. K., Rebecca Clarke’s Trio, in: The Musical Times, 1.12.1922, 874. 1099 Morning Post, 1.6.1920, zit. nach Johnson, Clarke. Viola-Player and Composer (Typoskript). 1100 „The most advanced of the lady songsters, however, is Rebecca Clarke, whose viola sonata is the best of the ladies’ efforts I know. [...] Her style is quite as modern and chromatic as most folks will wish for, and she has melody with her.“ Holbrooke, Contemporary British Composers, 304. 1101 „The Sonata is a brilliant work in three movements, imaginative rather than profound, steeped in a fantastic atmosphere. Though written with some freedom, its formal outline is sufficiently definite to counterbalance both the rhapsodical character of some of its thematic material, and the fanciful impressionism suggested by its harmonic texture, which has some affinities with French music of its period.“ Evans, Clarke, 282. „[The Sonata,] with all its indebtedness to the French stylists of twenty years ago, is entitled to some consideration amongst native works for that combination; [...].“ The Daily Telegraph, 22.10.1925, 8. 1102 Zu allgemeineren Bemerkungen über den Einfluss deutscher und anschließend französischer Komponisten in England vgl. Self, The Music of Moeran, 24–27.

335

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

Diesen pastoralen Eindruck ergänzen moderne Elemente wie eine vielschichtige kammermusikalische Textur und dissonante Akkorde. Besonders solche mit hinzugefügter Sexte sind charakteristisch auch für Ravel und Ireland.1103 Im Klaviertrio D-Dur (1920, revidiert 1925) erkannte Moerans Biograph Self in den wogenden Melodien über tonal schwankendem Grund auch Merkmale Faurés. Der scherzohafte dritte Satz evoziert mit Parallelharmonik eine ‚exotische‘ Harmonik nach französischem Vorbild.1104 Mit einem eigenen Konzert in der Wigmore Hall stellte Moeran Anfang 1923 einen repräsentativen Ausschnitt aus seinem Œuvre mit zwei Uraufführungen vor: Das Streichquartett a-Moll (1921) spielte das während des Krieges erstmals formierte Allied String Quartet mit dem Widmungsträger als Primarius, dem belgischen Geiger Désiré Defauw. Das einzige fremde Werk auf dem Programm war Ravels Streichquartett – mit der direkten Gegenüberstellung bewies Moeran Selbstbewusstsein. Sein Quartett zeigt einige Parallelen zum Vorbild, etwa in den Texturen mit Tremoli und Pizzicati (siehe bei Buchstabe E im ersten Satz mit erster Violine und Viola in Oktaven über Arpeggiobegleitung). Im Vergleich zur ebenfalls Ravel-affinen Phantasy von Goossens ist es mit seinen folkloristischen Melodien allerdings deutlich zugänglicher. Defauw spielte zudem mit Harriet Cohen, die drei Klavierstücke beisteuerte, die Violinsonate e-Moll (1923). Für diese lässt sich Irelands populär gewordene zweite Sonate als ein Modell identifizieren. Der Eindruck ist herberer als im Quartett: Die Klavierstimme ist dissonanzenreicher und die Melodik kurzatmiger. Eine dreitönige Zelle a-g-e stellt satzübergreifend eine strukturelle Vereinheitlichung her.1105 Die Kritikerkontrahenten Evans und Newman besprachen das Konzert beide: Evans war nicht als Fürsprecher der Folksong-Schule bekannt, stand Moeran aber positiv gegenüber. Newman zeigte sich unentschieden, ob er den frühen Werken angesichts der offensichtlichen Einflüsse Individualität attestieren könnte.1106 Eine Reihe von drei weiteren Konzerten Moerans in der Wigmore Hall 1925 legte erneut Zeugnis ab von dessen 1103

„His works are modern in every sense, with some refinement of style – perhaps following, at present, the leanings of the French school.“ Holbrooke, Contemporary British Composers, 291f. 1104 Self, The Music of Moeran, 30. 1105 Ebd., 37–39. Auf die Nähe der Sonate zum Lehrer Ireland wies schon Moerans enger Freund Heseltine alias Peter Warlock in einer frühen Darstellung hin. Heseltine, Introductions: XVIII. Moeran, 173. Er erwähnte auch mehrere Vorgängerwerke in Quartett- und Violinsonatenform, von denen ein undatiertes, zweisätziges Quartett in Es-Dur nach Moerans Tod im Manuskript auftauchte. Self fühlte sich versucht, zumindest dessen zweiten Satz als spätes Werk zu identifizieren, tatsächlich aber erschien ein Quartett Es-Dur bereits 1925 in der Werkliste bei Holbrooke. Self, The Music of Moeran, 253–255; Holbrooke, Contemporary British Composers, 292. 1106 „Mr. Moeran, who has been working with John Ireland, inclines, like many other composers of to-day, to rely upon the pentatonic scale for the fashioning of his thematic material. It is this that gives it the flavour which is conventionally recognised as Celtic, though a film now showing proves it also to be Tibetan. In his case it has been hailed as Irish, and none can object. The flavour itself is good, but we cannot entirely overlook the circumstance that with the pentatonic scale it is next to impossible to go wrong. The composers’s treatment is, however, remarkably interesting.“ E. E. [Edwin Evans], E. J. Moeran, in: The Musical Times, 1.2.1923, 131. „[...] in the spirit he seems to have communed a good deal with Ravel, and to have heard something of Puccini. It is difficult to make

336

„French fever“: Weitere Schüler Stanfords und andere Frankophile

musikalischen Neigungen und seiner Unterstützung englischer Zeitgenossen: So stand sein eigenes Quartett neben Debussys („by special request“) sowie Bax’ Klavierquintett, sein revidiertes Klaviertrio neben dem zweiten Irelands (mit dem Komponisten am Klavier), und er bot die Bühne für einige Uraufführungen, darunter von Bernard van Dierens viertem Quartett.1107 Beteiligt waren erneut Defauw im Quartett, der französische Geiger André Mangeot (siehe S. 197) und John Barbirolli als Cellist: Künstler, die in den 1920er-Jahren insbesondere für die Verbindung von englischem und französischem Repertoire standen.

Späte französische Akzente: Verbindungen der älteren Generation Anders als bei den Komponisten, die während des 20. Jahrhunderts studierten, fand die Auseinandersetzung mit moderner französischer Musik bei älteren Vertretern inmitten ihrer Karrieren statt, nachdem sich ein in der Regel auf deutschen Modellen gründender Personalstil längst konsolidiert hatte. Und anders als bei dem akademischen Establishment um Mackenzie, Parry und Stanford, die aus ihrer Ablehnung der neuen Klänge keinen Hehl machten, schlug sich diese Auseinandersetzung im Fall von Ethel Smyth (1858–1944) auch kompositorisch nieder. Obwohl ihre Mutter in Paris aufgewachsen war, blieb Smyth die französische Kultur lange verschlossen, wie sie selbst einräumte.1108 Die Kammermusik der 1880er-Jahre stand im Kontext des Studiums in Leipzig und insbesondere der engen Beziehung zum Kreis des Ehepaars Herzogenberg, der bis zu Brahms reichte (siehe S. 30f.). Nach 1900 entwickelten sich jedoch starke französische Verbindungen, einerseits durch Smyths engen Freund und Librettisten Henry Brewster, andererseits durch ihre Bekanntschaft mit und entflammte Leidenschaft für Winnaretta Singer (Princesse de Polignac). Die einflussreiche Förderin der Künste ermöglichte Smyth den Weg in die Pariser Salons und Kontakte zu Musikern wie dem Pianisten Léon Delafosse, dem Flötisten Louis Fleury und Fauré.1109 Letztgenannter gehörte zu den Schirmherren eines „Concert de musique anglaise moderne“, das Smyth im Juni 1908 im Pariser Salle Érard gab.1110 Dabei dirigierte sie ihre vier neuen Lieder für Mezzosopran bzw. Bariton out from these conscientious but immature works [...] whether Mr. Moeran has an individuality of his own. At present he appears to be too intent on manner at the expense of matter.“ E. N. [Ernest Newman], Mr. E. J. Moeran, in: The Sunday Times, 21.1.1923, 5. 1107 The Musical Times, 1.7.1925, 640. Siehe auch Programme in der André Mangeot Collection, RCM. 1108 „In spite of my mother’s leanings the only countries that counted for me were England and Germany, and no John Bull ever held more foolish notions as to French superficiality and moral instability [...].“ Smyth, Impressions That Remained, Vol. 2, 71. 1109 Vgl. Smyth, What Happened Next, 306–313; Kahan, Music’s Modern Muse, 133f. und 155. 1110 Bei diesem erklangen neben Smyths je zwei Lieder von Cyril Scott und Norman O’Neill und ein Flötenstück von York Bowen neben Faurés Klavierquartett c-Moll. Robert Brussel, Concert de musique anglaise moderne donné par Mlle Ethel Smyth, in: Le Figaro, 6.6.1908, 4.

337

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

mit Flöte, Streichtrio, Harfe und Perkussion (1908) auf Texte von Henri de Régnier (1–3) und Leconte de Lisle (Übersetzer der anonymen Ode, 4). Mit der originellen Ensemblebesetzung und den instrumentalen Effekten legen diese Lieder wie kein anderes Werk Smyths neue französische, wenn nicht gar impressionistische Affinität offen.1111 Sie erklangen auch im November 1908 bei den French Concerts in Manchester, wo Smyth (als einzige englische Komponistin der ganzen Reihe) und Fauré gemeinsam zu Gast waren und wie in Paris Elsie Swinton sang, und in der Bechstein Hall in einem ansonsten rein französischen Liedprogramm des Ehepaars Bathori-Engel neben Franck, Chabrier, Fauré, Chausson, Bréville, Debussy und Ravel.1112 Dazu kamen im gleichen Jahr Aufführungen in privatem Kreis bei Mäzenen wie Frank Schuster sowie Leonora und Edgar Speyer, bei denen Smyth auf Debussy traf (siehe Anm. 433). Zu einer klassischen Kammermusikform kehrte Smyth nach der frühen Zeit in Deutschland nur noch einmal zurück: Zwei Quartettsätze von 1902 ergänzte sie zehn Jahre später, auch auf Ermunterung von Arnold Rosé, um zwei weitere zum Streichquartett e-Moll. Nach dem London String Quartet, das als Widmungsträger 1913 die Uraufführung gab, nahmen noch bis in die 1930er-Jahre einige Ensembles das Stück in ihr Repertoire auf.1113 Die impressionistischen Klangkombinationen der vier Lieder lässt das Quartett völlig hinter sich (die ersten beiden Sätze waren ja auch zuvor entstanden), gleichzeitig zeigt es keine Rückkehr zu den romantischen Idealen der Frühwerke. Der Kopfsatz, ein Allegretto lirico im 6/8-Takt, wird von einem unbegleiteten, modalen Violasolo eingeleitet und erzeugt mit seiner transparenten Textur einen asketischen Eindruck. Einen ähnlich kargen Tonfall sollte Elgar wenige Jahre später in Teilen seines Streichquartetts ebenfalls in e-Moll aufnehmen. Das Finale beginnt als Fuge und nimmt in seiner Motorik fast grotesk-expressionistische Züge an. Wenn man eine französische Parallele ziehen wollte, läge Chaussons ernstes, fast klassisches Quartett c-Moll näher als die ‚moderneren‘ von Debussy und Ravel. Letztlich lässt Smyths Quartett aber kein offensichtliches Modell erkennen, es zeigt vielmehr ihre Loslösung von der zuvor dominierenden Brahms-Tradition. Auf musikalisch leichtgewichtigerer Ebene erwies 1111

Von einem ähnlichen stilistischen Wandel war ihre neueste, auf Brewsters französischem Libretto basierende Oper The Wreckers (1902–04) geprägt: „[...] this opera & the songs are in my ‘later manner’ (!!) i.e. absolutely out of the German wood [eine Anspielung auf die vorangegangene Oper Der Wald]“. Brief von Smyth an Percy Pitt, 19.3.1908, zit. nach Kertesz, Issues in the Critical Reception of Smyth’s Mass, 247. „The songs are of elaborate design and considerable length. Modern – but not ultra-modern – in style, they belong to some extent to the impressionist school; [...]. There is, however, little trace of the influence of any other composer.“ The Musical Times, 1.8.1909, 525. „They were described then [1907] as “thoroughly French in style, and Oriental-French in treatment,” [...].“ Eggar/Scott, Women as Composers of Chamber Music, 75. Siehe zu den instrumentalen Effekten auch Boughton, Introductions: II. Smyth, 42. 1112 The Daily Telegraph, 12.12.1908, 15. Siehe zu Manchester und Swinton S. 106ff. und Anm. 277. 1113 The Musical Times, 1.7.1913, 468. Siehe für analytische Betrachtungen Zigler, Selected Chamber Works of Smyth, 321–379; Seddon, British Women Composers, 90–103.

338

„French fever“: Weitere Schüler Stanfords und andere Frankophile

Smyth der anglo-französischen Allianz noch mit der „postwar comedy“ Entente cordiale (1925), ihrer letzten Oper, ihre Reverenz. Eine weitere englische Komponistin bewegte sich schon seit den 1890er-Jahren nahtlos zwischen Londoner und Pariser Salonkreisen und war auf beiden Seiten des Kanals auch selbst als Gastgeberin aktiv: Über die erste musikalische Ausbildung von Adela Maddison (geb. Katherine Mary Adela Tindal, 1862–1929) ist nichts bekannt, aber sie veröffentlichte schon früh eigene Lieder und Klavierstücke.1114 Wohl im November 1895 traf sie bei einem Anlass Frank Schusters erstmals auf Fauré, und ihr Mann Frederick Brunning Maddison knüpfte als Vertreter des Verlags Metzler & Co. in der Folge geschäftliche Beziehungen mit dem Franzosen (siehe S. 77f.). Das Ehepaar, das Fauré im September 1896 auch auf seinem Anwesen in der Bretagne beherbergte, setzte sich engagiert für die Verbreitung von dessen Musik in England ein. Bei zwei Konzerten im Mai 1896 begleiteten Maddison und Fauré jeweils eigene Lieder; einer Kritik zufolge studierte sie zu diesem Zeitpunkt bereits in Paris.1115 Ende 1898 ließ sie sich dort fest nieder und dabei ihren Mann und zwei Kinder in England zurück: Interpretierten die frühen Biographen Faurés diesen Umzug als durch eine anhaltende Affäre motiviert, verwiesen andere auf eine nicht unübliche Unabhängigkeit von wohlhabenden Ehepaaren dieser Zeit und auf Maddisons ambitioniert verfolgte kompositorische Karriere.1116 Sie wurde in der Pariser Presse als Schülerin Faurés bezeichnet, später in England auch – mehrfach, aber wohl kaum zutreffend – als Schülerin Debussys.1117 In Paris verkehrte sie unter anderem in den Zirkeln von Winnaretta Singer, die sie wie Fauré 1895 in London kennengelernt hatte, und Marguerite de Saint-Marceaux.1118 In ihrem eigenen Salon fand im März 1899 die erste Aufführung von Delius’ Oper Koanga statt.1119 Um den Jahreswechsel 1903/04 vermittelte sie dem jungen Cyril Scott Treffen mit Debussy und Ravel.1120 Kurze Zeit darauf siedelte sie nach Berlin über, wo 1114

Vgl. zur Biographie Fuller, Women Composers, 299–325, und den Lexikonartikel dies., Maddison. „Those [songs] by Mrs. Maddison are from the pen of a young musician who is now studying in Paris, and they were written specially for this concert, and may be described as somewhat Wagnerian in character.“ The Athenaeum, 9.5.1896, 627. Siehe auch Anm. 258. 1116 Fuller, Women Composers, 308f. Indizien für eine in der Tat romantische Beziehung zwischen Maddison und Fauré finden sich bei Marguerite de Saint-Marceaux: „Fauré et Mme Maddison viennent de nous voir. Triomphe de l’amour que l’abandon de tout par cette femme pour suivre l’homme adoré.“ Tagebucheintrag, 24.9.1899. Saint-Marceaux, Journal, 204. 1117 René Lara, Notre Page Musicale, in: Le Figaro, 1.10.1898, 2; The Musical Times, 1.12.1910, 805. 1118 Vgl. zu Singer Kahan, Music’s Modern Muse, 94 und 105. Noch 1927 war Maddison gelegentlich in Paris aktiv: „Dans un petit atelier Mme Maddison donne un petit concert avec Nevada et Mme Long. Public singulier de vieilles Anglaises, des princesses cosmopolites, des compositeurs français, de bons gâteaux et une certaine cordialité sans façon qui n’est pas de notre pays.“ Tagebucheintrag, 20.2.1927. Saint-Marceaux, Journal, 1251. 1119 Delius, A Life in Letters, Vol. I, 149. 1120 „Around the beginning of the century I had made the acquaintance of a composeress (if I may employ the word to match authoress) named Adela Madison [sic], a married woman who moved 1115

339

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

sie auch Konzerte mit französischer Musik organisierte.1121 In Anerkennung dieser Dienste wurde sie später zum Officier d’Académie de France ernannt. Mit ihrer Oper Der Talisman 1910 in Leipzig erreichte sie einen international beachteten Erfolg.1122 Vor dem Krieg womöglich wieder in Paris, sah Maddison sich im August 1914 zur Rückkehr nach England gezwungen. Auch in London veranstaltete sie weiterhin Konzerte, darunter 1915 eines mit eigenen Liedern, Violinsonaten von Delius (kurz nach deren Uraufführung) und Franck sowie Ravels Valses nobles et sentimentales (siehe auch Tabelle 6). Ihre kosmopolitischen bzw. frankophilen Vorlieben spiegelten sich auch in einem Kommentar zum musikalischen Nationalismus im gleichen Jahr. Dabei erkannte sie in der Orientierung an fremden Modellen keine bloße Nachahmung, wie sie in einem Brief an Delius vehement bekräftigte: I quite agree with what you say about the French music but just now all music seems to me barren! I am conscious of having become childishly melodic in this work [Der Talisman]. Even Italian in places!!! & then feel the Debussy note that was born in us all at the same moment (& is no imitation – only he has had more opportunity of expressing it – in Pelléas surtout) & then again Wagner surges up in one! After all one can only express in languages one has heard and absorbed & assimilated the most: – hence I never admit – or rarely – that people are guilty of plagiarism because they give out what they’ve already taken in & digested – in another form. Just now I’m suffering from attacks of people who say my music is Wagner, Debussy and Fauré and Puccini (!!!) served in a gravy of my own. I think it ought to make a quite nice dish anyhow!1123 The world is now open to all travellers, and students who with avidity devour the scores of Strauss, Debussy, Scriabine, and Stravinsky cannot be expected to sit down and give us mere pastoral symphonies. The green fields of England are a joy for ever, but a source of restful joy more than of progressive inspiration.1124 in London society. [...] Mrs. Madison, now many years deceased, used to write recherché songs in the French style, having, so she hinted, had a romance with the eminent composer Gabriel Fauré, and possibly some lessons from him too; though whether the lessons came about as the result of the romance of [sic] vice versa, I was not told. In any case, Mrs. Madison had everything good to say about French music and everything bad to say about the very academic British type which prevailed at the time.“ Scott, Bone of Contention, 125. 1121 „Grâce à l’initiative de Mme Maddison, dont les compositions doivent être connues à Paris, et grâce à l’initiative du violoncelliste Loevensohn, on est en train de préparer à la salle Choralion les fameux Six Concerts français, dont les journaux ont parlé depuis longtemps.“ W. Junker, Le Mouvement musical en Province et à l’Etranger, in: Le Courrier musical, 15.11.1908, 647. 1122 Die Oper wurde nach acht Aufführungen nicht wieder aufgegriffen und ist nicht erhalten, anders als das ebenfalls von Maddison stammende Libretto nach Ludwig Fuldas dramatischem Märchen. Ähnlich wie vier Jahre zuvor bei Smyths The Wreckers (deutsch Strandrecht) hatte womöglich Winnaretta Singer ihren Einfluss auf die Leipziger Oper geltend gemacht. Kahan, Music’s Modern Muse, 162f. 1123 Undatierter Brief (1909?) von Maddison an Delius, zit. nach Fuller, Women Composers, 311. 1124 Adela Maddison et al., A National School of British Composers, in: The Musical Herald, 1.8.1915, 350. Die Ausgangsfrage an mehrere Komponisten hatte gelautet: „Do you, as a British composer, think that our wide sympathies check our national spirit in composition?“

340

„French fever“: Weitere Schüler Stanfords und andere Frankophile

Neben den zahlreichen Liedern, die mit einer oft frei-rezitativischen Vokallinie und farbenreichen Klavierstimme als ‚impressionistisch‘ beschrieben werden können, sticht in Maddisons Œuvre das Klavierquintett (1916) heraus, eines ihrer wenigen (größer angelegten) Instrumentalwerke. Ethel Hobday und das London String Quartet gaben im Juni 1920 die Uraufführung in der Wigmore Hall, auf dem Programm standen auch Lieder Maddisons und ein Streichquartett von Mozart. Die Presse berichtete positiv, wenn auch kaum unvoreingenommen („very charming music“, „graceful melody“, „light in texture“, „very bright and spirited“, „real lyrical tenderness and beauty“).1125 1925 erschien die Partitur im Druck, wohl auf Kosten der Komponistin. Keine der genannten Kritiken verwies auf (französische) Einflüsse, aber Fuller konstatierte, dass das Quintett als „interesting example of modern, French-influenced composition“ wahrgenommen wurde.1126 In der Tat ist dessen französischer Tonfall angesichts von Maddisons Netzwerk wenig überraschend, doch gleichzeitig gibt es Berührungspunkte zur zeitgenössischen englischen Musik.1127 Der Anfang des ersten Satzes lässt sich mit seinem dramatischen Gestus und den (doppel-)punktierten Figuren als Hommage an Francks einflussreiches Klavierquintett hören. Er beginnt mit alternierenden Largamente- und Allegro vivo-Abschnitten bis zum fließenden 9/8-Takt des Hauptteils (Andante moderato, Buchstabe C). Mit einem dreitönigen punktierten Motiv wird dort ein völlig veränderter Charakter aufgerufen. Die flexible Textur mit unabhängigen Streicherstimmen und Klavierarpeggien (E) erinnert an die Kammermusik von Fauré oder Bridge. Gerade Bridges Phantasy für Klavierquartett (mit dem Hauptthema auch im 9/8-Takt sowie häufigen Duolen und synkopischen Überbindungen) und sein Klavierquintett (mit einem ähnlich punktierten Rhythmus im Hauptmotiv) zeigen auch rhythmische Parallelen. Durch eine Generalpause abgetrennt, folgt danach erneut ein völlig konträrer Abschnitt, den zunächst nur die Streicher in einem rhythmisch gleichmäßigen, aber metrisch ungewöhnlichen kontrapunktischen Satz vorstellen (Un poco più tranquillamente e molto semplice, 5/4-Takt, H). Im zweiten Teil des Kopfsatzes, nach einer kurzen Überleitung mit Orgelpunkttremoli und Pizzicati, kehren alle Abschnitte wieder (Largamente/Allegro vivo; Andante moderato, N; Vivace, Q, nun unisono): Die entfallende Durchführung ergibt sich dabei aus der eher episoden- bzw. reihenartigen Form, in der die Motive eines Abschnitts stetig leicht variiert wiederholt werden. Diese Technik geht mit stetigen Modulationen einher, die kaum eine stabile Tonart sich etablieren bzw. einen reinen Dreiklang erklingen lassen. Charakteristisch dafür sind etwa der G-Dur-Akkord mit sixte ajoutée im Bass zu Beginn des Hauptteils (C), die ostinate Begleitung mit Quintorgelpunkt d (D) und der vier- bis fünfstimmige Streichersatz mit ständigen Durchgangsdissonanzen (H), der 1125

The Daily Telegraph, 22.6.1920, 4. „While the work is sober and does not thrill, it, nevertheless, is a proof of good technique and taste, inventiveness of pleasing themes, and conversance with the classics.“ Daily Mail, 22.6.1920, 5. Siehe auch The Times, 22.6.1920, 14. 1126 Fuller, Maddison. 1127 Vgl. zu Maddison, mit knapper Analyse, Seddon, British Women Composers, 80–90.

341

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

dann zumindest kurzzeitig Es-Dur erreicht (I). Der Satz endet in einem anfangs völlig fernliegenden E-Dur. Das Vivace beginnt mit einem übermäßigen Quintsextakkord, der doppeldominantisch über eine chromatische Tonleiter zu einem hier nun stabilen e-Moll führt. Pizzicati und luftige Staccato- bzw. Spiccato-Achtel rufen einen typischen unbeschwerten Scherzocharakter hervor. Dagegen erzeugen ein lyrischeres Poco meno mosso sowie ein ernsthafter Mittelteil Più lento Kontrast. In Letzterem wird die regelmäßige Pizzicatobegleitung von Viola und Cello aus dem Hauptteil beibehalten (nun gegen den Schlag), aber in einen marschartigen Gestus transformiert. Ebenso stellt die plötzliche Texturveränderung eine Parallele zu Fauré oder Bridge dar, wenn allein das Cello mit einer leidenschaftlichen Melodie hervortritt (Un poco più mosso, H; vgl. das Allegro vivace in Bridges Phantasy Quartett, nach Ziffer 7). Jüngere Modelle scheint der pastorale Beginn des Tranquillamente, ma non troppo lento (F-Dur) mit offenen Quintparallelen nahezulegen. Auch dessen Texturen sind vielfältig, vergleicht man den homophonen Anfang mit der expressiven Violinmelodie über Triolen des Klaviers (B). Wieder deutlich an Fauré gemahnen dann die perlenden Zweiunddreißigstel des Klaviers und der zwischen Unisono und Polyphonie schwankende Streichersatz (Poco più tranquillo). Der tonalen Instabilität des Kopfsatzes steht das abschließende Allegro vivo diametral entgegen, auch wenn das Es-Dur der ersten Themenvorstellung über Ges-Dur und b-Moll mit Septime zur überraschenden Wiederholung in F-Dur führt (A). Im Mittelteil erscheint die Form durch viele Zäsuren und rhapsodische Einschübe bewusst zerfasert. Eine von Sordinoklängen untermalte triolische Figur nimmt den Rhythmus des Hauptthemas aus dem Kopfsatz auf und stellt so eine entfernte zyklische Reminiszenz dar (Poco meno mosso, E). Im Finale herrscht weitgehend ein unbeschwerter und tänzerischer Tonfall vor, der stärker an englische als an französische Musik der Zeit erinnert: Insgesamt stellt Maddisons Quintett ebenso wie ihre Biographie eine Verbindung beider nationalen Traditionen dar. Ebenso wie Smyth und Maddison stand auch Frederick Delius (bis 1902 Fritz Delius, 1862–1934) völlig abseits der Zirkel der Londoner Konservatorien. Nicht nur aufgrund seiner deutschen Eltern weicht er außerdem einer eindeutigen nationalen Zuordnung aus: Eine englische Nationalität nahm seine Musik vor allem im Laufe der Rezeptionsgeschichte an.1128 In Nordengland aufgewachsen, erhielt er erst von 1886 bis 1888 in Leipzig eine vertiefte formale musikalische Ausbildung, ein Jahrzehnt nach Stanford und Smyth, und knüpfte enge Kontakte insbesondere mit Grieg. Anschließend ließ er sich in Paris nieder und tauchte in die junge Künstler- und Komponistenszene ein. Zu seinen dortigen Bekanntschaften zählten Edvard Munch, Maddison, Schmitt und

1128

Vgl. aber die abwägende Darstellung in der Artikelsammlung British Music of Our Time von 1946: „I have often heard people say that Delius was essentially an English composer and expressed the very spirit of the people. Before making such precise statements it is worth remembering that Delius was a true cosmopolitan, [...].“ Hill, Delius, 37.

342

„French fever“: Weitere Schüler Stanfords und andere Frankophile

Ravel. Fauré ebnete ihm 1899 mit einem Einführungsschreiben den Weg in Londons gehobene Kreise (siehe Anm. 278 und 518). Ab 1897 lebte Delius mit seiner späteren Frau Jelka Rosen in Grez-sur-Loing unweit von Paris. Von dem kleinen Dorf aus erlebte er die Verbreitung seiner Musik zuerst in Deutschland, dann in England vor allem durch Thomas Beecham. Aus seiner Geringschätzung der englischen Musik seiner Zeit machte Delius keinen Hehl, auch wenn er die Gründung der Musical League anregte und sich in deren Rahmen für seine Landsleute einsetzte (siehe S. 248): You must have misunderstood me about German music. I am a great admirer of the great German composers. I protest only against the school which imitates them and would palm its imitations off as the real thing – the so-called classical direction. The Russians and French have tried to break away, and partly the Norwegians – Grieg. The English and Americans, however, go on stolidly creating dead works. The French, although perhaps not great composers, know that their force lies in charm and grace, and the light touch in the orchestra. [...] They [the English] go on conscientiously working on foreign models and on biblical subjects, [...].1129

Gleichzeitig beeindruckte ihn auch die moderne französische Musik kaum. Debussy und Ravel hielt er vor allem für clever, „flimsy & superficial“ (siehe Anm. 1047). Percy Grainger, den Delius von allen jungen Komponisten, die er getroffen hatte, am meisten schätzte (wie er Smyth 1909 schrieb), zitierte eine wohl kurz nach 1900 in Paris getroffene Aussage Delius’ im Gespräch mit Ravel und anderen Komponisten, die ihre Musik wie üblich auf die Tradition Rameaus und Couperins zurückführten: „Fiddlesticks! Modern French music is simply Grieg, plus the Prelude to the third act of Tristan“.1130 Wohl aufgrund der ebenfalls vertikalen, harmonischen Struktur wurde Delius’ Musik anfangs gelegentlich mit Debussys verglichen.1131 Delius hatte wenig Interesse an einer Auseinandersetzung mit klassischen Formen. Als abstraktes, nicht-programmatisches Instrumentalwerk steht die dreisätzige Violinsonate H-Dur (1892, als op. posth. erst 1977 gedruckt) in seinem Œuvre vor 1915 fast allein. Sie erlebte 1893 eine private Aufführung durch den englischen Pianisten Harold Bauer und den später in London lehrenden Achille Rivarde in deren Pariser Appartement. Nachdem keine Veröffentlichung erfolgte, blieb sie für mehr als ein halbes Jahrhundert unbeachtet. Der Verleger von C. F. Peters machte für seine Absage Gründe geltend, die an typische (Vor-)Urteile gegenüber französischer Musik wie Faurés 1129

Brief von Delius an Ethel Smyth, 15.3.1909. Delius, A Life in Letters, Vol. II, 17f. Ravel antwortete demzufolge: „C’est vrai. Nous sommes toujours très injuste [sic] envers Grieg.“ Grainger, Grieg: Nationalist and Cosmopolitan (1943), in: Grainger on Music, 318–337, hier 332. 1131 So hieß es etwa nach der Uraufführung der Mass of Life: „Like M. Debussy, he inclines to a departure from what is commonly known as tune; [...].“ Daily Mail, 8.6.1909, 5. Siehe auch die frühe Darstellung von 1923 bei Heseltine, Introductions: V. Delius, 146, und Palmer, Delius, Vaughan Williams and Debussy. Vgl. zum großen Einfluss Delius’ („the harmonic composer par excellence“) in England Banfield, Sensibility and English Song, Vol. 1, 107f. 1130

343

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

erinnern: eine zu freie Form und zu häufige Modulationen.1132 Dennoch ordnet sich ihr leidenschaftlicher Tonfall nicht nahtlos in das französische zeitliche Umfeld ein. Der ersten folgten drei nummerierte Violinsonaten (1914, 1923 und 1930) und eine Cellosonate (1916), von denen nur die letzte Violinsonate mehrsätzig ist. In der einsätzigen Struktur mit kontrastierenden Abschnitten besteht eine Parallele zur Phantasy-Form der Cobbett-Wettbewerbe, auch wenn diese eine implizite klassische Mehrsätzigkeit in der Regel deutlicher erkennen lässt (siehe S. 260ff). Nach Ausbruch des Krieges hielt sich das Ehepaar Delius knapp ein Jahr in England auf. Ende 1915 waren sie zurück in Grez-sur-Loing, und im Juni 1916 beendete er ein Streichquartett in drei Sätzen, sein gewichtigstes Kammermusikwerk. Die Uraufführung gab das London String Quartet im November 1916.1133 Im Jahr darauf überarbeitete Delius es und ergänzte ein Scherzo, das Material eines Quartetts aus Studienzeiten (1888) aufnahm. Trotz des völlig anderen Entstehungsumfelds lässt sich das Quartett mit kompositorischen Tendenzen in England in Verbindung setzen. Philip Heseltine hielt es gar für möglich, dass Delius die Phantasy op. 12 des mehr als dreißig Jahre jüngeren Goossens zur Komposition angeregt haben könnte.1134 Beide Quartette teilen eine hochflexible, farbenreiche Harmonik, wobei Delius’ auf die extreme Zurschaustellung avancierter Instrumentaltechniken verzichtet und einen eher resignativen als fantastischen Tonfall annimmt. Chromatische Fortschreitungen, wie zu Beginn von G-Dur zu fis-Moll, sind modal statt funktional motiviert (modale Elemente zeigte in Ansätzen auch Elgars Streichquartett zwei Jahre später). Mit Goossens teilt das Werk auch Anklänge an Ravels Quartett, etwa in der typischen Textur mit erster Violine und Viola in Oktaven über Cellopizzicati (drei Takte vor Ziffer 9).1135 Zu besonderer Beliebtheit gelangte der langsame Satz, dessen con sordino-Mittelteil über einem Achtelostinato die in der Satzüberschrift benannten „Late 1132

„[...] I cannot publish the Sonata, because the form is too free, the key is changed too frequently & the first & last movements are so difficult to play that reasonably large sales for the work are unthinkable.“ Brief von Max Abraham an Delius, 28.2.1893. Delius, A Life in Letters, Vol. I, 73. Bauer teilte eine ähnliche Haltung zu Delius’ früher Musik: „I did not care very much for the compositions he showed me, for I found them loose in construction and deficient in contrapuntal writing. We discussed these things very frankly, and he criticized my attitude as being unduly academic, saying that he was not interested in writing in the style of the ancients. This did not mean that he disliked the music of any one of the great composers; [...].“ Bauer, His Book, 59. 1133 „As might have been expected, this composition is a serious contribution to musical art – the most important, in fact, that has been heard in London during the present season.“ The Musical Times, 1.12.1916, 554. „At least the opening movement seemed to us to be pure orchestral music, and its almost perpetual vertical harmony to aim at an ‘atmosphere’ which the four strings could not quite create.“ The Daily Telegraph, 18.11.1916, 4. 1134 „Mr. Philip Heseltine records that it ‘was sent in MS. to Frederick Delius, who pronounced it the best thing he had seen from an English pen; and it is not improbable that the new resources revealed and suggested by this work may have served to break down his apparent aversion to quartet writing, [...]’.“ Evans, Goossens, 478. Siehe zu Delius’ Brief Anm. 1047. 1135 Vgl. zu den Ravel-Anklängen auch die Analysen Lee-Browne/Guinery, Delius and His Music, 369; Dibble, The Music of Delius, 425.

344

„French fever“: Weitere Schüler Stanfords und andere Frankophile

Swallows“ evoziert („not too slow and with waving movement“). Krummacher beschrieb, wie der letzte Satz sich auf „flimmernde Klangbänder statt einen thematischen Prozeß“ richte, bzw. die Musik insgesamt „auf changierenden Klangmustern statt auf thematischer Arbeit“ basiere.1136 Mit diesen Merkmalen partizipierte Delius an der Entwicklung in England, die französische Modelle auch in der Kammermusik stärker ins Zentrum rückte. Wie Delius abseits des englischen musikalischen Establishments, aber wiederum dessen Ästhetik völlig entgegengesetzt, stand Edward Elgar (1857–1934): „The plain truth is that [...] he was totally uninterested in, and probably ignorant of, the work of any of his contemporaries or juniors.“1137 Auch wenn man Bax’ Postulat nicht wörtlich nehmen sollte, ist es nicht einfach, zu einem Überblick über Elgars Meinung zur Musik seiner Zeit zu gelangen. Für den Autodidakten nahm die deutsche Musik von Haydn bis Brahms zweifellos eine herausgehobene Stellung ein.1138 Gleichzeitig bewunderte er die französische Musik, Meyerbeer nicht weniger als Wagner, und zahlreiche weitere Namen, die während des 19. Jahrhunderts in England oft Vorurteilen ausgesetzt waren.1139 Einige Beobachter wie Gray wiesen auf Ähnlichkeiten zwischen den geistlichen Werken Elgars und Francks hin; auch die Sinfonik stehe in der Übernahme von Techniken der sinfonischen Dichtung näher bei Franck als bei Brahms.1140 1913 sah Elgar Debussys Pelléas et Mélisande, offenbar mit Gefallen.1141 Für den Kontext der Kammermusik am relevantesten ist Elgars Wertschätzung Faurés, den er wohl bereits 1898 kennenlernte (siehe S. 83). Positive Äußerungen über eines der Klavierquartette notierte Alice Elgar 1919.1142 Nach Faurés Tod äußerte 1136

Krummacher, Das Streichquartett, 227. Auch in Cobbett’s Cyclopedic Survey hob Gray die idiomatische Anlage hervor; so vertraue Delius allgemein eher auf „timbre and colour [rather] than [...] line, symmetry, or polyphonic construction“, habe aber in der Kammermusik gleichzeitig auf die „stylistic possibilities afforded by impressionism“ verzichtet. Gray, Delius, 322. 1137 Zu Bax’ Verwunderung war die Ausnahme offenbar Strauss. Bax, Farewell, My Youth, 32. Vgl. aber entgegen der populären Darstellung einer tiefen Kluft zwischen Elgar und etwa Parry oder Stanford Dibble, Elgar and His British Contemporaries. 1138 Vgl. Gassmann, Elgar und die deutsche symphonische Tradition. Anlässlich eines BrahmsKammerkonzerts schrieb Elgar in der lokalen Zeitung: „[...] the classical composer par excellence of the present day; one who, free from any provincialism or expression of national dialect (the charming characteristic of lesser men: Gade, Dvořák, Grieg) writes for the whole world and for all time – a giant, lofty and unapproachable – Johannes Brahms.“ The Malvern Advertiser, 21.12.1886, zit. nach Moore, Elgar. A Creative Life, 117. 1139 In einem Vorlesungsmanuskript vom 6.12.1905 notierte er handschriftlich: „Now if there is anything modern French – it is Délibes [sic].“ Elgar, A Future for English Music, 174. Vgl. Csizmadia, Leitmotivik und verwandte Techniken, 151–153. 1140 Gray, A Survey of Contemporary Music, 83–86. Francks Sinfonie kannte Elgar 1912 aber offenbar nicht gut genug, als dass er sie nicht mehrfach vierhändig durchspielen musste. Moore, Elgar. A Creative Life, 641. Vgl. zu Francks Einfluss auf Elgar und beider nationale Rolle Demuth, Franck, 208f. und 213. 1141 Moore, Elgar. A Creative Life, 648. 1142 Nach einem Abend bei dem Cellisten Felix Salmond schrieb sie im Tagebuch, 30.11.1919: „E [Edward] liked the Fauré Quartet vesy muss [very much]“. Zit. nach Trowell, The Road to Brinkwells, 383.

345

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

Elgar gegenüber beider Mäzen Frank Schuster tiefes Bedauern über die aus seiner Sicht ungerechte Missachtung der Werke des Franzosen, für die er die lange Dominanz Joseph Joachims über das Londoner (Kammermusik-)Konzertleben verantwortlich machte (siehe S. 95). Elgar selbst widmete sich der Kammermusik erst 1918, als er sich mit seiner Frau Alice zur Erholung in das Cottage Brinkwells in Sussex zurückgezogen hatte.1143 Dort schrieb er nach einer längeren Schaffenspause die Violinsonate e-Moll op. 82, das Streichquartett e-Moll op. 83, das Klavierquintett a-Moll op. 84 und das Cellokonzert e-Moll op. 85. Tatsächlich hatte er schon einige Jahre zuvor von dem Mäzen Walter Willson Cobbett bzw. der Worshipful Company of Musicians den Auftrag für ein Streichquartett erhalten (womöglich in der Reihe der Phantasy-Aufträge, siehe Tabelle 21). Dennoch gibt es keine Anzeichen, dass Elgar sich Cobbetts Projekt der Wiederaufnahme einer genuin englischen Kammermusiktradition in Abgrenzung von deutschen Vorbildern anzuschließen gedachte, wie Brian Trowell überlegte.1144 Vielmehr strebte er einen universalistischen Ausdruck absoluter Musik an, ganz wie er 1886 in einem Artikel Brahms gepriesen und einen „national dialect“ geringgeschätzt hatte (siehe Anm. 1138). So scheuen sich die drei Werke – im Unterschied etwa zu den parallelen Kompositionen von Delius und Maddison, aber ähnlich wie Smyths Quartett – nicht, die klassischen Formen, eine traditionelle motivische Verarbeitung und eine romantische Tonsprache und Harmonik Brahms’scher Prägung grundsätzlich zu übernehmen. Gleichzeitig zeigen sie eine zyklische Formgestaltung mit thematischen Reminiszenzen und harmonische Elemente, die sich etwa auch auf Francks Kammermusik zurückführen ließen.1145 Aus der Perspektive Jean-Aubrys repräsentierte Elgar noch die viktorianische Ära der Abhängigkeit von deutschen Modellen und nahm so eine historische Position analog zu Saint-Saëns und eben nicht den emanzipatorischen Franck oder Fauré ein.1146 Schon vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte Elgars Popularität ihren Zenit überschritten. Das Quartett und Quintett erlebten im April 1919 eine private Urauf1143

Ein Streichquartett op. 8 und eine Violinsonate op. 9 (beide 1887?) sind unvollendet bzw. nicht erhalten. Später sah er die Gelegenheit für abstrakte Instrumentalmusik noch nicht gekommen: „If I had a free mind I shd. like to write my chamber music, & symphony &c.&c., on all of which forms of art Providence has laid the curse of poverty.“ Brief von Elgar an August Jaeger, 13.1.1902, zit. nach Moore, Elgar. A Creative Life, 363. 1144 „This forgotten commission, nationalist in intention, may consciously or unconsciously have prompted him to provide a corpus of works to head an English tradition of non-Teutonic chamber music.“ Trowell, The Road to Brinkwells, 367. Erst nach Veröffentlichung des Quartetts konnte Cobbett Elgar überzeugen, die 50 Guineen Honorar anzunehmen. 1145 Grimley, ‘A Smiling with a Sigh’, 130. 1146 „As with Saint-Saëns in France, Sir Edward Elgar’s greatest merit consisted in adapting German classical forms to the English cast of mind and modifying classical precepts to suit truly national requirements. In this light, the two Symphonies, the Dream of Gerontius, the Violin Concerto, are works which deserve a place equivalent to that held by M. Camille Saint-Saëns’ Symphony in C. In both cases we are under the impression that these works were too readily hailed as masterpieces.“ Jean-Aubry, British Music Through French Eyes, 198. Vgl. McGuire, Elgar: “Modern” or “Modernist?”, 24f.

346

„French fever“: Weitere Schüler Stanfords und andere Frankophile

führung in intimer Runde im Haus von Frank Schuster (siehe Anm. 316), aber die Aeolian Hall war bei der Premiere der Sonate im Monat zuvor nicht besonders gut besucht (das British String Quartet spielte außerdem Mozart und Ravel). Elgar war sich selbst durchaus bewusst, nicht mehr an der Spitze des musikalischen Fortschritts zu stehen.1147 Die zeitgenössischen Kritiker registrierten jedoch wohlwollend einen ästhetischen Wandel und hoben insbesondere die Schlichtheit der Tonsprache hervor, so nach der öffentlichen Uraufführung der Sonate: That which strikes one, on a first hearing, perhaps more strongly than anything else is the extraordinary conciseness of the sonata and its great clearness of structure and expression. There is from it an entire absence of the modern tendency to diffuseness, though the music is modern in the best sense of that abused term.1148 Like Brahms in the later part of his career, Sir Edward aims at ever-increasing directness, terseness and simplicity of expression. There are in the sonata no complications of rhythm or harmony, no thematic singularities, it is not exceedingly difficult to play, it seems like a protest against the far-fetched devices of the ultra-moderns – it seems to say: See what can be done yet with the old forms, the old methods of composing, the old scales: if you only know how to do it your work may yet be new, yet original, yet beautiful.1149 Elgar’s style has become one of extraordinary slenderness so far as the mere notes are concerned. It may be that he has deliberately rarified the tissue of his music for the occasion; or it may be that his style in general is becoming simpler in maturity, as that of Hugo Wolf did in his last songs. As with Wolf, the simplification is in the texture only; every superfluous line has been eliminated from the design, every superfluous note from the harmony; but the music carries a surprising weight of thought and feeling.1150

Elgar sollte diese Tendenzen jedoch nicht weiter verfolgen und komponierte in den 1920er-Jahren fast gar nicht mehr. Evans bewertete die Werke im Rückblick als zwar gelungene, aber verspätete edwardianische Relikte.1151 Doch die ‚Brinkwells-Kammermusik‘ hinkt ihrer Zeit nicht hinterher, sondern zeigt einen bewusst retrospektiven Charakter: Darauf deutet etwa die Harmonik mit ihren modalen Flexionen zu Beginn des Quartettkopfsatzes und die auffallende Diatonik zu Beginn des zweiten. Der Mittelsatz der Violinsonate (Romance. Andante) kreiert eine gespenstische Atmosphäre mit einer 1147

Über die Violinsonate schrieb er an deren Widmungsträgerin Marie Joshua am 6.9.1918: „I fear it does not carry us any further but it is full of golden sounds & I like it but you must not expect anything violently chromatic or cubist.“ Elgar, Letters of a Lifetime, 356. 1148 The Daily Telegraph, 24.3.1919, 5. 1149 L. Dunton Green, Music of the Week, in: The Arts Gazette, 29.3.1919, zit. nach Grimley, ‘A Smiling with a Sigh’, 133, und Moore, Elgar. A Creative Life, 739. 1150 [Ernest Newman], in: The Birmingham Daily Post, 8.4.1919, zit. nach ebd. 1151 „But though sedate, they are in no sense academic. If they have scarcely met with as much appreciation as they deserved, the reason is that they appeared a little late for that particular style of music. The temper of the audience was no longer that of Edwardian days, and though it continued to treasure the music inherited from them, its sensibilities were dulled for additions to it.“ Evans, Chamber Music, 406.

347

Von Brahms zu Debussy? Kompositorische Auseinandersetzungen

rhapsodisch-freien Violinstimme, Pizzicati der linken Hand und arpeggierten Klavierakkorden.1152 Im Mittelteil bietet ein nun stabiles B-Dur (Ziffer 28) Gelegenheit für ungezügelte espressivo-Bögen, doch aus der Perspektive einer Schenkerian analysis wird der Satz nur als rein diatonisch gehört, während der Hintergrund aus chromatischen Medianten konstruiert ist.1153 Eine solche Doppelbödigkeit von traditionellen Elementen und deren origineller und neuartiger Anordnung ist charakteristisch für die ganze Werkgruppe. Mit der zurückgenommenen, nur oberflächlich konservativen Tonsprache steht diese international nicht isoliert, sondern weist Parallelen auf etwa zu Sibelius’ Streichquartett op. 56 (Voces intimae, 1909), dem klassizistischen zweiten von Saint-Saëns G-Dur op. 153 (1918), Debussys späten Sonaten oder dem einzigen Quartett von Fauré e-Moll op. 121 (1924).1154 Wenn sich bei Elgar eine Auseinandersetzung mit der französischen Musik zwar nicht konkret manifestiert, wie bei vielen seiner jüngeren Landsleute, trug er dennoch zu der immer vielschichtigeren Kammermusiklandschaft in England bei.

1152 Den Kopfsatz des Quintetts nannte Elgar in einem Brief an dessen Widmungsträger Newman „ghostly stuff“. Keys, ‘Ghostly Stuff’, 108. Für die instrumentale Faktur der Romance scheint es in der Violinliteratur kein Vorbild zu geben, genauso wenig wie für das aus Arpeggien gebildete, dennoch lyrisch-vokale Seitenthema im Kopfsatz (Ziffer 5). 1153 Siehe die noch unveröffentlichte Dissertation Chandler, Elgar’s Chamber Music, 95–122, auch als ders., Diatonic Illusions and Chromatic Waterwheels. Mit der Metapher eines Wasserrads beschrieb Elgar 1915 in einem Artikel die in der modernen Musik gängige Sequenzierung, darunter Debussys parallele große Terzen (vgl. entsprechend Bliss’ Kommentar in Anm. 753). 1154 Vgl. Chandler, Elgar’s Chamber Music, 267; Grimley, ‘A Smiling with a Sigh’, 133.

348

Zentrum der modernen Musik? London nach 1920

One of the many surprising results of the upheaval of the last few years has been the sudden change effected in the leadership of the world’s music. Before the war a man who expressed the opinion that London was ‘the musical forum’ of the world would have been gaped at as blankly as if he had attributed to Siam the pioneer work in popularizing football. ‘Go to Germany!’ was the cry. ‘Go to Vienna, go to Paris, go anywhere, but do not stop in London, for we are an unmusical nation.’ It seems so long ago that I do not remember whether that advice contained truth or no, but in this year, 1921, it is emphatically a superstition now moribund. [...] With the exception of two or three outstanding figures in Europe, the heart of musical creation beats in London – Elgar and Bax in Hampstead, Vaughan Williams and Ireland in Chelsea, Holst and Howells in Hammersmith, Goossens in Bayswater. It is such personalities that have largely contributed to the growth in importance of musical London, and now that we hold the leadership it will need another such upheaval to cause us to detach our grip.1155

Bliss zeichnete wenige Jahre nach Ende des Krieges ein selbstbewusstes Bild der englischen Hauptstadt (nur seinen eigenen Namen verschwieg er bescheiden). Tatsächlich gab es dort die jüngste Musik des Kontinents unmittelbar neben den nicht minder ambitionierten englischen Komponisten zu hören. Edward Clark präsentierte etwa bei vier (Kammer-)Orchesterkonzerten im Frühjahr 1921 Werke seines Lehrers Schönberg sowie von Strawinsky, Busoni, Ravel, Milhaud, Poulenc, Tailleferre, Goossens, Bliss, Bax, Vaughan Williams und Falla. Dieselbe Richtung schlug Goossens kurz darauf mit einer ähnlichen Unternehmung ein (siehe S. 312f).1156 Als Ehrengast beim Music Club zeigte sich Sergei Rachmaninow 1922 von dem rein englischen Programm genauso beeindruckt wie die ebenfalls anwesenden Egon Wellesz und Erich Wolfgang Korngold; ein Teil des Programms war ihm gar zu fortschrittlich.1157 Und beim ersten Musikfest der neugegründeten Internationalen Gesellschaft für Neue Musik 1923 in Salzburg sorgte ein atonales (später zurückgezogenes) Streichquartett des jungen Walton für 1155

Arthur Bliss, London Leads in Music, in: Daily Mail, 20.10.1921, 6, abgedruckt in: Bliss on Music, 29f. „One feels that London has definitely developed into the hub of present-day musical life. The energy of the younger men seems to be culminating in a tide of fresh impulses which is suffusing the main stream of music.“ Leigh Henry, London Letter, in: The Chesterian, Juni 1921, 498, zit. nach Kelly, Une entente cordiale en musique, 1052. Vgl. zu Clarks Reihe Forkert, ‘Always a European’, 61f. 1157 Auf Rachmaninows Wunsch gab es ein zeitgenössisches Programm mit Ireland, Bridge, Goossens, Bax, Dale und Smyth. „M. Rachmaninow at the close expressed himself to have been extremely interested in the whole programme, but was fain to confess that he found some of the music too advanced for his taste.“ A. K. [Alfred Kalisch], Reception to M. Rachmaninov, in: The Musical Times, 1.6.1922, 421. Siehe zum Music Club Anm. 428. 1156

349

Zentrum der modernen Musik? London nach 1920

Aufsehen, wenn auch nicht Enthusiasmus.1158 London wurde im gleichen Jahr zum Hauptsitz der Vereinigung, der bis 1952 mit Edward J. Dent, Edwin Evans und Clark drei Engländer nacheinander als Präsident vorstehen sollten. Auch aus Evans’ Sicht war „the new spirit in English music“ 1924 ein „fait accompli“. Die Nation bleibe aber mehrheitlich konservativ; das musikalische Idiom sei mittlerweile von heute, nicht von morgen, aber immerhin nicht mehr von gestern. Aktuell sei noch keine neue Gruppe auszumachen, die an die Bedeutung der Generation zwischen Vaughan Williams und Bax anschließen könne.1159 Zu dieser gehörte auch Benjamin Dale, der 1905 noch als Student Corders mit seiner Klaviersonate op. 1 breitere Bekanntheit erlangt hatte. Dales Violinsonate op. 11 (1922) repräsentiert exemplarisch die unvermindert organische Kompositionsästhetik und romantische Tonsprache, zu der etwa Goossens und Bliss in den 1920er-Jahren zurückkehrten und die selbst Bridge in seiner späten Kammermusik trotz der avancierten Harmonik beibehielt. Elemente wie die Ganztonskala, Parallelharmonik sowie modale Flexionen verwiesen einerseits noch auf mögliche französische Vorbilder, andererseits gehörten sie längst zu dem als genuin englisch propagierten pastoral style.1160 Aus dieser Perspektive betrachtet, erscheint 1918 nicht als Zäsur, sondern ließ Raum für Kontinuitäten. Die neue französische Musik wurde auf der Insel weiterhin verfolgt, auch wenn ihr Goddard 1925 attestierte, nicht mehr wie noch kurz nach dem Krieg die Speerspitze des musikalischen Fortschritts zu verkörpern.1161 Interpreten wie der schließlich in England eingebürgerte Violinist André Mangeot (siehe S. 197) führten den anglo-französischen Austausch fort. Eine neue Generation an Musikkritikern setzte sich gleichfalls für französisches Repertoire ein, darunter der vor dem Krieg schon als Mitglied der Société des concerts français geführte Rollo Hugh Myers (1892–1985). Er war von 1919 bis 1934 als Korrespondent in Paris tätig, fungierte von 1947 bis 1950 in der Nachfolge Jean-Aubrys als Herausgeber des Magazins The Chesterian und trat mit Büchern über französische Musik hervor.1162 Norman Demuth (1898–1968), der auch komponierte und an der Royal Academy of Music lehrte, schrieb unmittelbar nach 1158 Edwin Evans, Donaueschingen and Salzburg Festivals, in: The Musical Times, 1.9.1923, 633. Die Jurywahl wurde als nicht repräsentativ kritisiert: „Presumably the international jury regards him [Walton] as being in the van on the strength of his writing experiments rather than music.“ The Musical Times, 1.8.1923, 549. 1159 Evans, The New Spirit in English Music; ders., Who Is Next?. 1160 „[Dale’s sonata] breathes the gentle melancholy that is one characteristic of our native English pastoral music.“ W. R. A. [W. R. Anderson], A Dale Sonata, in: The Observer, 7.1.1923, 16. „[...] its serious and rather romantic nature is soon comprehensible, [...]. It is a work which will surely appeal to accomplished amateurs, who may regard it as a legitimate successor of the sonatas of Schumann and Brahms, though it is not uninfluenced by Wagnerian harmony.“ Daily Mail, 7.8.1923, 10. Die Einschätzung lässt auf einen hohen technischen Standard der Amateurmusik schließen. In der gleichen Kritik wurde Milhauds Quartett für Klavier und Bläser op. 47 als „good example of a more dashing sort of modernism“ beschrieben. 1161 Goddard, French Composers, 503. 1162 Myers, Debussy; ders., Ravel; ders., Modern French Music.

350

dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls mehrere Monographien. Eine Darstellung der Musik des 20. Jahrhunderts widmete er 1952 dem (schon bei der Société involvierten) Pianisten Maurice Dumesnil. Schon die Kapitelüberschriften legten Demuths persönliche Neigungen offen: Auf „The French Genius“ folgten, neben den Einzelporträts, „The English Panorama“, „The German Tragedy“ und „The Austrian Debacle“.1163 Mit einer solchen Haltung stand Demuth vor und nach dem Zweiten Weltkrieg in England allerdings weitgehend allein. Einige Beobachter beklagten eine weiterhin vor allem auf die deutsche Musik und die Klassiker ausgerichtete Kultur. Schon für die mittleren 1920er-Jahre, nur kurz nach dem oben beschriebenen Strom von Novitäten, erkannte Megan Prictor einen nachhaltigen „conservative backlash“. Die anfangs liberale Programmpolitik der BBC sei nach 1930 eingeschränkt worden (auch wenn weiterhin etwa regelmäßig die ‚Zweite Wiener Schule‘ gespielt wurde), und die Music-AppreciationBewegung fokussierte sich, etwa in zahlreichen günstigen Buchpublikationen für das breite Publikum, ohnehin auf die Namen von Bach bis Brahms.1164 In einer Reihe von „Controversial Essays on Music“, 1943 zusammengefasst in dem schmalen Band Challenges, forderte Ralph Hill (1900–1950) einige gängige, aber aus seiner Sicht schädliche Ansichten zugespitzt heraus. Er schrieb noch unter Evans für die Daily Mail und wurde 1945 dessen Nachfolger. Auch Newman nannte er als einen wichtigen Einfluss auf seine Kritikertätigkeit und auf den englischen Musikgeschmack der letzten drei Jahrzehnte. Viele seiner auf die gegenwärtige Situation bezogenen Schlaglichter standen in einer engen Verbindung zu den Debatten am Anfang des 20. Jahrhunderts: So verurteilte er, genau wie damals Evans, das Hochhalten des musikalischen Universalismus und Internationalismus, wenn damit nur das Primat der deutschen Musik gemeint war. Er bedauerte die anhaltende Gleichgültigkeit seiner Landsgenossen gegenüber der einheimischen Musik, die zudem lange genug mit dem deutschen Maßstab gemessen worden war. Allerdings attestierte er der englischen Musik auch einen tief verankerten „cult of academicism“, der von dem Dreigespann Parry, Stanford und Mackenzie weiter gepflegt worden sei. Damit einhergehend, sei Musik eher als Gewerbe („industry“) denn als Kunst angesehen worden, was wiederum in die kommerzielle Haltung vieler professioneller Musiker münde.1165 Gleichzeitig erteilte Hill in dem Text The Folk-Song Bubble („for Sir Arnold Bax“) dem Projekt eine Absage, eine moderne nationale Musik 1163

Demuth, Musical Trends in the 20th Century. Siehe eine vernichtende Rezension von Hans Keller in Tempo, Sommer 1952, 37f. Siehe auch Demuth, Roussel; ders., Ravel; ders., Franck; ders., D’Indy. Weitere Titel behandelten Gounod, die französische Opernkultur und französische Klaviermusik. Vgl. zum englischen Schreiben über französische Musik im 20. Jahrhundert und Verbindungen in der Musikwissenschaft Kelly/Thumpston, Maintaining the Entente Cordiale; Simeone, Gallic Musings. 1164 Prictor, “Bach and Beethoven... are G o d s”, 20. Evans konstatierte resigniert: „[...] we have lost contact with the currents of musical opinion at home and the conservatives hold practically undisputed sway.“ Edwin Evans, Half-Time in England, in: Modern Music, Mai 1926, 13–15, zit. nach ebd. Vgl. zur Programmpolitik der BBC Doctor, The BBC and Ultra-Modern Music. 1165 Hill, The Cult of Academicism; ders., Music of Our Time, in: Challenges, 51–54 und 64–73.

351

Zentrum der modernen Musik? London nach 1920

auf den Folksong zu stützen. Die sogenannten „nationalists“ seien die unpopulärsten englischen Komponisten, während international offene Persönlichkeiten wie Elgar, Ireland, Bax, Bliss und Walton auch ohne ‚volksnahe‘ Anmaßungen wichtige Werke geschaffen hätten.1166 In dem bezeichnenderweise dem frankophilen Ireland gewidmeten Artikel The Spirit of French Music (Ireland hatte für den Band ein Vorwort beigesteuert) erwies Hill der französischen Musik seine Reverenz: Diese habe sich anders als die englische vollständig von dem deutschen Vorbild emanzipiert, nicht nur dank Debussy, ebenso durch Fauré und dessen Schüler wie Ravel.1167 Dennoch werde ihr vom Publikum nur wenig Wertschätzung entgegengebracht, vermutlich da man den Studenten von Beginn an allein deutsche Musik vorsetze – aufgrund der Vorurteile der Akademiker? Ins andere Extrem seien jedoch Musikliebhaber verfallen, die während des Ersten Weltkriegs plötzlich unkritisch die französische Musik propagiert hätten. Unmissverständlich gemeint waren damit auch Kritiker wie Evans und Jean-Aubry, und in Hills rückblickender Perspektive schien der damalige Vorwurf Newmans durch. Gleichwohl würdigte Hill die charakteristischen französischen Qualitäten: This blind and uncritical worship of German music created violent opposition during and after the last war among a small group of musicians and music-lovers who went to the other extreme and condemned everything German and extolled the musical virtues of every other country, particularly those of France. French music provided an excellent truncheon, for whereas German music had culminated in that cult of the Kolossal, [...], French music has generally been remarkable for its restraint, its terseness of expression, its epigrammatic quality.1168

Auch während des Zweiten Weltkriegs rückte französische Musik in London wieder verstärkt in den Fokus: Im Frühjahr 1940 planten das London Philharmonic Orchestra und die erst kurz zuvor gegründete Association of British Musicians (mit dem federführenden Ehepaar Elisabeth Lutyens und Edward Clark) gemeinsam mit der staatlichen Association française d’action artistique ein Festival of English and French Music („expressing the rapprochement of English and French musicians“).1169 Von zehn Konzerten konnten aufgrund der Verschärfung der Lage in Frankreich nur drei durchgeführt werden, ohne die vorgesehenen französischen Künstler.1170 Langlebiger war die Reihe von Kammerkonzerten in der Wigmore Hall, die Tony Mayer (1902–1997) mit 1166

Vaughan Williams sei trotz der Folksong-Einflüsse ein bedeutender Komponist. Hill, The FolkSong Bubble, in: Ebd., 55–63. Hill zitierte Newmans Angriff von 1918 gegen die Behauptung, nur durch Folksong könne ein englischer Komponist englische Musik schreiben. Newman, Concerning ‘A Shropshire Lad’. 1167 Auf Faurés Rolle in dieser Emanzipation – auch als Modell für England – wies Norman Suckling (1904–1994) zur gleichen Zeit wie Hill in der ersten englischen Biographie des Franzosen 1946 hin (siehe S. 70f). 1168 Hill, The Spirit of French Music, in: Challenges, 78–83, hier 79f. 1169 Prospekt des Festivals, zit. nach Simeone, French Music in Wartime London, 7. 1170 In der Queen’s Hall gab es am 18.6.1940 ein Orchesterkonzert mit Werken von Berlioz, Ireland,

352

der Unterstützung des frankophilen Musikkritikers Felix Aprahamian (1914–2005) ins Leben rief. Der Franzose Mayer war chargé de mission des Komitees France libre, das anfangs die Schirmherrschaft der Concerts de musique française übernahm. Zwischen Juni 1942 und Dezember 1947 fanden 52 Konzerte statt; 61 weitere folgten unregelmäßiger bis 1967, als Mayer aus dem Dienst der französischen Botschaft ausschied.1171 Wie Tony Guéritte war Mayer ein leidenschaftlicher Musikliebhaber und Amateur. Der Geist der Société des concerts français lebte in der neuen Reihe weiter, auch wenn auf das mögliche Vorbild offenbar nicht explizit Bezug genommen wurde.1172 Wie bei der Société stand bei gemischt vokal-instrumentalen Programmen fast ausschließlich französische Musik im Zentrum, angefangen mit Debussy (wie 1909 in London war ihm das erste Konzert gewidmet), Ravel und Fauré über Les Six, Roussel, d’Indy, Chausson und Franck bis zu den Komponisten, die ab 1945 eigene Werke (erstmals) vorstellten, darunter Poulenc, Auric, Dutilleux, Françaix und Messiaen. Die Künstler waren mehrheitlich in London ansässig; zu denjenigen, die dort bereits dreißig Jahre zuvor mit französischer Musik verbunden gewesen waren, zählten Jacques Thibaud, die Harfenistin Gwendolen Mason und die Pianistin Kathleen Long. Texte für die aufwendig gestalteten Programmhefte trugen auch Evans und Calvocoressi bei. Die im Londoner Exil lebende Winnaretta Singer (Princesse de Polignac) besuchte im September 1943, zwei Monate vor ihrem Tod, ein Konzert mit Liedern Faurés, die er mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor als ihr Gast in Venedig komponiert hatte. Der Saal war allerdings bei keinem einzigen der Konzerte ausverkauft: Der Geschmack für französische Kammermusik war ein weitgehend exklusiver geblieben.

Ibert, Debussy, Delius und Dukas. Bei zwei kleineren Konzerten in der National Gallery kurz darauf waren etwa Myra Hess, Gerald Moore, Maggie Teyte und Constant Lambert beteiligt. Ebd., 11f. 1171 Siehe die Dokumentation der ersten 52 Programme ebd. Vgl. zur Biographie Aprahamians und einer Reihe seiner Texte Foreman/Foreman (Hgg.), Aprahamian. Diaries and Selected Writings. 1172 Von Guéritte lassen sich keine Äußerungen zu der neuen Unternehmung finden. Als Präsident der Vereinigung Les Français de Grande-Bretagne dankte er der britischen Nation für die Befreiung von Paris. T. J. Gueritte, French Thanks [Leserbrief], in: The Daily Telegraph, 28.8.1944, 4.

353

Quellen und Literatur

Archivmaterial Programmarchiv Bechstein Hall bzw. Wigmore Hall (Wigmore Hall Archive, London). Programmarchiv des Royal College of Music (Royal College of Music, London). Programmarchiv Aeolian Hall (Royal College of Music, London). Frank Bridge Collection (Royal College of Music, London). André Mangeot Collection (Royal College of Music, London). Lucie Barbier Papers, GB 0210 MSLBARB bzw. NLW MSS 22692–22698 (National Library of Wales, Aberystwyth). Edwin Evans Collection (Central Music Library, London / City of Westminster Archive). Fonds Joseph Jongen (Conservatoire royal de Bruxelles). Materialien zu Rebecca Clarke (verwaltet von Christopher Johnson, Brooklyn), darunter Manuskript und Typoskript der Memoiren von Rebecca Clarke, I Had a Father Too or The Mustard Spoon, und das digitale Typoskript der noch unveröffentlichten Monographie von Christopher Johnson, Rebecca Clarke, Viola-Player and Composer. A Life, 2021.

Notenausgaben Bliss, Arthur, String Quartet in A major, London 2007. , Quartet for Piano, Violin, Viola and Violoncello, London 2007. Bridge, Frank, 3 Idylls for String Quartet, London 1911. , Phantasy for Piano, Violin, Viola & Violoncello, London 1911. , Novelletten for String Quartet, London 1915. , Quintet for Piano, Two Violins, Viola & Violoncello, London 1919. , Phantasie in C minor for Piano, Violin & Violoncello, [1921]. Clarke, Rebecca, Sonata for Viola (or Violoncello) and Piano, London 1921. , Two Movements for String Quartet, Oxford 2009. Delius, Frederick, String Quartet, London 1922. Dunhill, Thomas F., Sonata No. 2 in F Op. 50 for Violin & Piano, London 1920. Elgar, Edward, Sonata for Violin and Pianoforte (Op. 82), London 1919. , Quartet for Strings (Op. 83), London 1919. , Quintet for Piano & Strings (Op. 84), London 1919. Goossens, Eugène, Two Sketches for String Quartet Op. 15, London 1916. , Phantasy Quartet for Strings Op. 12, London 1917. , String Quartet Op. 14, London 1918. , Sonata No. 1 (in E minor) for Violin and Pianoforte Op. 21, London 1919.

355

Quellen und Literatur

, Quintet for Piano, 2 Violins, Viola and Violoncello Op. 23, London 1921. Howells, Herbert, Quartet in A minor for Pianoforte, Violin, Viola & Violoncello, Opus 21, London 1918. Ireland, John, Sonata No. II in A minor for Violin and Piano, London 1917. , Trio No. 2 in One Movement for Piano, Violin & Violoncello, London 1918. , Phantasie in A minor for Pianoforte, Violin & Violoncello, London [1918]. , Sonata No. 1 in D minor for Violin & Pianoforte, London 1944. , String Quartet No. 1 D minor op. posth., London 1973. , String Quartet No. 2 C minor op. posth., London 1973. Maddison, Adela, Quintet for Two Violins, Viola, Violoncello and Pianoforte, London 1925. Moeran, E. J., Quartet for Strings, London 1923. , String Quartet in E Flat, London 1956. Scott, Cyril, Quartet for Violin, Viola, Violoncello and Pianoforte, London 1903. , Sonata for Violin and Pianoforte Op. 59, London 1910. , Quartet for Strings, London 1921. , Piano Quintet for Piano and String Quartet, London 1925 [Nachdruck Leipzig 2009]. Smyth, Ethel, Streichquartett E moll, Wien 1914. Tovey, Donald F., Trio in B minor for Piano, Violin and Violoncello, op. 1, Mainz 1910. Vaughan Williams, Ralph, String Quartet in G minor, London 1923. Walker, Ernest, Sonata in F minor for Cello and Piano, London 1928.

Zeitgenössische Periodika The Academy (Acad) L’Art moderne L’Actualité musicale : annexe de la Revue musicale S.I.M. The Athenaeum (Ath) The Blue Review Bulletin français de la S.I.M. The Chesterian The Contemporary Review Le Courrier musical The Critic Daily Mail (DM) The Daily Telegraph The Edinburgh Review The Egoist The English Review Excelsior Le Figaro French Studies Le Gaulois

356

The Graphic Le Guide musical The Illustrated Sporting and Dramatic News The Ladies’ Field The League of Composers’ Review The Literary Gazette The London Review The Lute M.A.P. (Mainly About People) Magazine of Music The Manchester Guardian (MG) Le Ménestrel Le Mercure musical Mercure musical et bulletin français de la S.I.M. The Monthly Musical Record (MMR) Music & Letters The Music Bulletin The Music Student (mit Supplement Chamber Music) The Musical Herald

Primärliteratur

Musical News (MN) Musical News and Herald Musical Opinion & Music Trade Review The Musical Standard (MS, mit Supplement The Violin and String World) The Musical Times (MT, bis 1903 The Musical Times and Singing-Class Circular) The Musical World The Musician Die Musik The New Age The New Music Review (and Church Music Review) The New Statesman The Observer (Obs) L’Œuvre The Orchestra The Outlook

Pall Mall Gazette Revue française de musique Revue musicale de Lyon The Sackbut The Saturday Review (of Politics, Literature, Science, and Art) S.I.M. Revue musicale mensuelle The Sketch South Place Magazine The Speaker The Spectator The Sphere The Strand Musical Magazine The Sunday Times (ST) Tempo The Times (T) Truth Zeitschrift der Internationalen Musikgesellschaft

Primärliteratur Antcliffe, Herbert, The Recent Rise of Chamber Music in England, in: The Musical Quarterly 6/1 ( Jan. 1920), 12–23. Bauer, Harold, His Book, New York 1948. Bax, Arnold, Farewell, My Youth, London 1943. Beecham, Thomas, A Mingled Chime. An Autobiography, New York 1943. Benjamin, Arthur, A Student in Kensington, in: Music & Letters 31/3 ( Juli 1950), 196–207. Bliss, Arthur, As I Remember, London 1970. , Bliss on Music. Selected Writings of Arthur Bliss 1920–1975, hg. von Gregory Roscow, Oxford 1991. Boughton, Rutland, Debussy, in: The Musical Standard 29/736 (8.2.1908), 84f. , Introductions: II. Ethel Smyth, in: The Music Bulletin 5/2 (Feb. 1923), 40–43. Boulestin, Marcel und Francis Toye, Beckmesserianisme anglais, in: Bulletin français de la S.I.M. 4/2 (15.2.1908), 199–208. Boulestin, X. Marcel, Les Post-Elgariens ou la jeune école anglaise, in: La Revue musicale S.I.M. 10/1 (1.1.1914), 19–30. Boult, Adrian Cedric, My Own Trumpet, London 1973. Britten, Benjamin, Britten on Music, hg. von Paul Kildea, Oxford 2003. Browne, William Denis, Georgian Music. The Balfour-Gardiner Concerts, in: The Blue Review 1/1 (Mai 1913), 63–67. Bruneau, Alfred, The Young French Composers of To-day, translated by Miss Milman, in: The Musician 1/7 (23.6.1897), 132–134. , La nouvelle musique française, in: The Athenaeum 4608 (Aug. 1916), 391f.

357

Quellen und Literatur

Calvocoressi, Michel-Dimitri, Edward Elgar, in: La Revue musicale 5/2 (15.1.1905), 42–48. , A Few Remarks on Modern French Pianoforte Music, in: The Monthly Musical Record 36/426 (1.6.1906), 123f. , Claude Debussy, in: The Musical Times 49/780 (1.2.1908), 81f. , Musique et musicologie anglaises. I. Notes préliminaires, in: Bulletin français de la S.I.M. 4/3 (15.3.1908), 291–302. , Musique et musicologie anglaises. II. Compositeurs et tendances, in: Bulletin français de la S.I.M. 4/4 (15.4.1908), 437–448. , Musique et musicologie anglaises. II. Quelques livres, in: Bulletin français de la S.I.M. 4/10 (15.10.1908), 1091–1100. , The Origin of To-day’s Musical Idiom, in: The Musical Times 52/826 (1.12.1911), 776–778. , A Turning Point in the History of French Music, in: The Music Student 4/6 (März 1912), 249f. , Franckism and Impressionism, in: The Music Student 4/7 (Apr. 1912), 285–287. , More About French Composers, in: The Music Student 4/8 (Mai 1912), 333–335. , Dr. Camille Saint-Saëns, in: The Musical Times 53/832 (1.6.1912), 365–367. [unsigniert], Vincent d’Indy, in: The Musical Times 53/837 (1.11.1912), 705f. , The Perplexities of the Modern Music-Lover, in: The Musical Times 54/841 (1.3.1913), 158–161. [unsigniert], Michael D. Calvocoressi [Oxford Lectures on French Music], in: The Musical Times 54/847 (1.9.1913), 573–575. , Programme Music, Folk-Tune, and Progress, in: The Musical Times 54/848 (1.10.1913), 643–645. , Folk-Song in Modern Music, in: The Musical Times 54/849 (1.11.1913), 716–719. , Maurice Ravel, in: The Musical Times 54/850 (1.12.1913), 785–787. , Modern French Composers: I. How They Are Encouraged, in: The Musical Times 62/938 (1.4.1921), 238–240. , Albéric Magnard, in: The Musical Times 62/944 (1.10.1921), 683–685. , Charles Kœchlin [I–II/IV], in: The Musical Times 62/945 (1.11.1921), 759–761. , There and Here: A Retrospect and Comparisons, in: The Musical Times 63/948 (1.2.1922), 94–97. , The Principles and Methods of Musical Criticism, London 1923. , Musicians Gallery. Music and Ballet in Paris and London. Recollections, London 1933. Casals, Pablo, Licht und Schatten auf einem langen Weg. Erinnerungen aufgezeichnet von Albert E. Kahn, Frankfurt am Main 1971. Chappell, William, Popular Concerts, The, in: J. A. Fuller Maitland (Hg.), Grove’s Dictionary of Music and Musicians [Second Edition], Vol. III, London 1907, 791f. Chassé, Charles, La musique anglaise moderne. Une interview avec Mrs Rosa Newmarch, in: Bulletin français de la S.I.M. 4/5 (15.5.1908), 556–562. Clark, Thomas Edward, Paper on Modern French Composer: Claude Debussy. Read by T. E. Clark before the Tynemouth Congregational Church Literary and Debating Society, on Monday, February 17th, 1908, o. O. o. J. Clarke, Rebecca, The History of the Viola in Quartet Writing, in: Music & Letters 4/1 ( Jan. 1923), 6–17. Coates, Eric, Suite in Four Movements. An Autobiography, London 1953.

358

Primärliteratur

Cobbett, Walter Willson, The Monday Popular Concerts. A Valediction, in: Musical News 15/398 (15.10.1898), 333–335. , Chamber Music in London, in: Zeitschrift der Internationalen Musikgesellschaft 4/9 ( Juni 1903), 549–555. [unsigniert], British Chamber Music [Vortrag beim Concert-Goers’ Club vom 1.2.1911], in: The Musical Times 52/818 (1.4.1911), 242f. , Chamber-Music [Vortrag vom 19.3.1912], in: Proceedings of the Musical Association 38 (1911–1912), 93–116. , The Trio Repertory. Some Comments, in: Chamber Music. A Supplement to The Music Student 2 (Aug. 1913), 21–24. , The Quartet Repertory. Second Paper, in: Chamber Music. A Supplement to The Music Student 4 (Dez. 1913), 21–24. , Obiter Dicta [mit Ausschnitten zweier Vorträge von Alexander Mackenzie bei der Royal Institution zu The Revival of Chamber Music], in: Chamber Music. A Supplement to The Music Student 22 (Sep. 1916), 1–6. [unsigniert], Mr. W. W. Cobbett on Chamber Music [Rede anlässlich einer Preisverleihung am Royal College of Music vom 22.11.1922], in: The Musical Times 64/959 (1.1.1923), 54–57. (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, 2 Vols., London 1929–1930. , Warner, Harry Waldo, in: ders. (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, Vol. 2, London 1930, 567f. Cohen, Alexander, Ravel’s String Quartet in F, in: Chamber Music. A Supplement to The Music Student 4 (Dez. 1913), 28f. Cohen, Harriet, A Bundle of Time. The Memoirs of Harriet Cohen, London 1969. Colles, H. C., César Franck and the Sonata, in: The Musical Times 56/866 (1.4.1915), 206–209. , Parry, Sir Charles Hubert Hastings, in: Walter Willson Cobbett (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, Vol. 2, London 1930, 207–211. , Symphony and Drama 1850–1900 (The Oxford History of Music, 7), London 1934. Copland, Aaron, Gabriel Fauré, a Neglected Master, in: The Musical Quarterly 10/4 (Okt. 1924), 573–586. Corder, Frederick, Some Plain Words, in: The Musical Times 59/899 (1.1.1918), 7–10. , Benjamin Dale’s Pianoforte Sonata in D, in: The Musical Times 59/902 (1.4.1918), 164–167. , Concerning ‘Some Plain Words.’ [Leserbrief], in: The Musical Times 59/903 (1.5.1918), 214. Cumberland, Gerald, Set Down in Malice. A Book of Reminiscences, New York 1919. , The Bane of Cleverness, in: The Musical Times 61/923 (1.1.1920), 16f. Curinier, C.-E. (Hg.), Dictionnaire national des contemporains, tome deuxième, Paris [1900]. Daly, William H., Debussy. A Study in Modern Music, Edinburgh 1908. Debussy, Claude, Lettres à deux amis. Soixante-dix-huit lettres inédites à Robert Godet et G. JeanAubry, Paris 1942. , Correspondance 1872–1918, hg. von François Lesure und Denis Herlin, Paris 2005. Delius, Frederick, A Life in Letters, Vol. I, 1862–1908, hg. von Lionel Carley, Cambridge/MA 1983. , A Life in Letters, Vol. II, 1909–1934, hg. von Lionel Carley, Aldershot 1988. Dent, Edward J., A Fresh Start in Music, in: The Blue Review 1/2 ( Jun. 1913), 97–102. , Moderne: Engländer, in: Guido Adler (Hg.), Handbuch der Musikgeschichte, Zweiter Teil, Berlin 2 1930, 1044–1057.

359

Quellen und Literatur

, Maurice Ravel, aus dem Englischen von M. Orloff, in: La Revue musicale 19/187, Hommage à Maurice Ravel (Dez. 1938), 428f. , Edwin Evans [Nachruf], in: ADAM International Review 14/161 (Aug. 1946), 24–26. Draper, Muriel, Music at Midnight, New York und London 1929. Dunhill, Thomas F., Chamber Music. A Treatise for Students, London 1913. , British Chamber Music, in: Walter Willson Cobbett (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, Vol. 1, London 1929, 195–198. , British Performing Organizations. (1) Historical Survey, in: Walter Willson Cobbett (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, Vol. 1, London 1929, 198–203. , Stanford, Sir Charles Villiers, in: Walter Willson Cobbett (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, Vol. 2, London 1930, 451–454. Durey, Louis, Maurice Ravel, in: The Chesterian N. F. 14 (Apr. 1921), 422–426. Dyke, Spencer, McEwen, John Blackwood, in: Walter Willson Cobbett (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, Vol. 2, London 1930, 105–108. Edwards, Rhoda, Some Living French Composers [zweiteilig], in: The Musical Standard 20/510 (10.10.1903), 229–232, und 20/511 (17.10.1903), 246. Eggar, Katharine E. und Marion M. Scott, Women as Composers of Chamber Music, in: Chamber Music. A Supplement to The Music Student 8 (Mai 1914), 75f. Elgar, Edward, A Future for English Music, and Other Lectures, London 1968. , Elgar and His Publishers. Letters of a Creative Life, Vol. II (1904–1934), hg. von Jerrold Northrop Moore, Oxford 1987. , Letters of a Lifetime. Second Edition (Collected Correspondence I/1), hg. von Jerrold Northrop Moore, Rickmansworth 2012. , Road to Recognition. Diaries 1897–1901 (Collected Correspondence V/2), hg. von Martin Bird, Rickmansworth 2015. , The Windflower Letters. Correspondence with Alice Caroline Stuart Wortley and Her Family. Second Edition (Collected Correspondence II/2), hg. von Jerrold Northrop Moore, Rickmansworth 2015. , Elgar and His Sponsors – I: Ridgehurst Friends (Collected Correspondence II/3), hg. von Martin Bird, Rickmansworth 2019. Evans, Edwin, The Neo-Russian Musical School [Leserbrief], in: The Saturday Review, 18.8.1900, 208. , The Neo-Russian School of Music [Leserbrief], in: The Saturday Review, 15.9.1900, 332. , Modern Russian Instrumental Music [Reihe mit 8 Artikeln], in: The Musical Standard 18/465 (29.11.1902), 337f., bis 19/472 (17.1.1903), 36f. , Modern British Composers [Reihe mit 17 Artikeln], in: The Musical Standard 19/490 (23.5.1903), 321f., bis 21/536 (9.4.1904), 229f. [unsigniert], Some Aspects of Modern French Music. A Lecture [Vortrag beim ConcertGoers’ Club], in: The Musical Standard 29/734 (25.1.1908), 52f. [unsigniert], Some Aspects of Modern French Music [Vortrag beim Concert-Goers’ Club], in: The Musical Herald 719 (1.2.1908), 41. , A Plea for Intimate Music, in: The Violin and String World, Supplement to The Musical Standard 30/761 (1.8.1908), 32f. , Debussy’s “Pelléas et Mélisande”, in: The Musical Standard 31/805 (5.6.1909), 361–364. [unsigniert], Musical Party Strife in France, in: The Academy 77/1944 (7.8.1909), 392–395.

360

Primärliteratur

[unsigniert], The Younger British Composers, in: The Academy 77/1946 (21.8.1909), 444– 446. , French Music of To-day [Vortrag vom 15.2.1910], in: Proceedings of the Musical Association 36 (1909–1910), 47–74. [unsigniert], The Incorporated Society of Musicians. Annual Conference, January 3 to 7 [Vortrag über The Significance of Contemporary French Music], in: The Musical Times 51/804 (1.2.1910), 100 und 107f. [unsigniert], The I.S.M. Conference. Impressions of a Member [auch über Vortrag von Edwin Evans], in: The Musical Herald 743 (1.2.1910), 55f. [unsigniert], French Music of To-day [Vortrag bei der Musical Association], in: The Musical Herald 744 (1.3.1910), 73f. , British Music, in: The New Age N. F. 14/12 (22.1.1914), 372f. , The Emancipation of Music, in: The English Review, Sep. 1915, 178–187. , Musical Notes, in: The English Review, Feb. 1917, 185–188. , The Foundations of Twentieth Century Music, in: The Musical Times 58/894 (1.8.1917), 347–351. [unsigniert], Mr. Edwin Evans on Eugène Goossens and John Ireland, in: The Musical Times 59/905 (1.7.1918), 321f. , Translator’s Preface, in: G. Jean-Aubry, French Music of To-day, aus dem Französischen von Edwin Evans, London 1919, v–xxiv. , Modern British Composers. Introductory Article, in: The Musical Times 60/911 (1.1.1919), 10–13. , Modern British Composers. I. Frank Bridge, in: The Musical Times 60/912 (1.2.1919), 55–61. , Modern British Composers. II. Arnold Bax [zweiteilig], in: The Musical Times 60/913 (1.3.1919), 103–105, und 60/914 (1.4.1919), 154–156. , John Ireland, in: The Musical Quarterly 5/2 (Apr. 1919), 213–220. , Modern British Composers. III. Benjamin Dale, in: The Musical Times 60/915 (1.5.1919), 201–205. , Modern British Composers. IV. Eugène Goossens [zweiteilig], in: The Musical Times 60/916 (1.6.1919), 265–268, und 60/917 (1.7.1919), 329–334. , Modern British Composers. V. John Ireland [zweiteilig], in: The Musical Times 60/918 (1.8.1919), 394–396, und 60/919 (1.9.1919), 457–462. , Modern British Composers. VI. Gustav Holst [dreiteilig], in: The Musical Times 60/920 (1.10.1919), 524–528, 60/921 (1.11.1919), 588–592, und 60/922 (1.12.1919), 657–661. , Modern British Composers. VII. Lord Berners, in: The Musical Times 61/923 (1.1.1920), 9–13. , Modern British Composers. VIII. Herbert Howells [zweiteilig], in: The Musical Times 61/924 (1.2.1920), 87–91, und 61/925 (1.3.1920), 156–159. , Modern British Composers. IX. Ralph Vaughan Williams [dreiteilig], in: The Musical Times 61/926 (1.4.1920), 232–234, 61/927 (1.5.1920), 302–305, und 61/928 (1.6.1920), 371–374. , Modern British Composers. Epilogue: A Personal Explanation, in: The Musical Times 61/929 (1.7.1920), 441–443. , ‘Extremists versus the Rest’ [Leserbrief], in: The Musical Times 61/934 (1.12.1920), 831. , Arthur Bliss [zweiteilig], in: The Musical Times 64/959 (1.1.1923), 20–23, und 64/960 (1.2.1923), 95–99.

361

Quellen und Literatur

, My First “Modern”. A Retrospective Meditation, in: Music & Letters 4/3 ( Juli 1923), 219–230. , Introductions: VII. Cyril Scott, in: The Music Bulletin 5/7 ( Juli 1923), 208–211. , Introductions: XI. Eugene Goossens, in: The Music Bulletin 5/11 (Nov. 1923), 332–335. , The New Spirit in English Music, in: The League of Composers’ Review 1/1 (Feb. 1924), 20–23. , Introductions: XVI. Frank Bridge, in: The Music Bulletin 6/4 (Apr. 1924), 106–109. , Who Is Next?, in: The League of Composers’ Review 1/3 (Nov. 1924), 3–6. , Objectivity in Contemporary Criticism, in: The Musical Times 66/990 (1.8.1925), 692–695. , Bridge, Frank, in: Walter Willson Cobbett (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, Vol. 1, London 1929, 188–195. , Clarke, Rebecca, in: Walter Willson Cobbett (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, Vol. 1, London 1929, 282f. , Debussy, Claude, in: Walter Willson Cobbett (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, Vol. 1, London 1929, 316–319. , Goossens, Eugene, in: Walter Willson Cobbett (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, Vol. 1, London 1929, 477–483. , Ireland, John, in: Walter Willson Cobbett (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, Vol. 2, London 1930, 20–24. , Chamber Music, in: John Erskine (Hg.), A Musical Companion. A Guide to the Understanding and Enjoyment of Music, New York 1935 [gekürzte amerikanische Ausgabe des Originals, hg. von A. L. Bacharach, London 1934], 343–429. , Then and Now, in: The Musical Times 85/1219 (1.9.1944), 269–271. Fauré, Gabriel, Lettres intimes, hg. von Philippe Fauré-Fremiet, Paris 1951. , Correspondance, suivie de Lettres à Madame H., hg. von Jean-Michel Nectoux, Paris 2015. Findlay, James A., The Chamber Music of Thomas F. Dunhill, in: Chamber Music. A Supplement to The Music Student 16 (Sep. 1915), 9f. Fuller Maitland, J. A., Masters of German Music, New York 1894. , English Music in the XIXth Century, London 1902. , Scott, Cyril Meir, in: ders. (Hg.), Grove’s Dictionary of Music and Musicians [Second Edition], Vol. IV, London 1908, 390. , The Music of Parry and Stanford. An Essay in Comparative Criticism, Cambridge 1934. Ganz, Wilhelm, Memories of a Musician. Reminiscences of Seventy Years of Musical Life, London 1913. Gilman, Lawrence, The Music of To-morrow and Other Studies, London und New York 1907. Goddard, Scott, Some Aspects of the Work of Maurice Ravel, in: The Music Bulletin 5/3 (März 1923), 82–86. , French Composers: With a Note on Maurice Ravel’s Latest Work, in: The Musical Times 66/988 (1.6.1925), 503–505. , Ravel, Maurice, in: Walter Willson Cobbett (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, Vol. 2, London 1930, 270–276. , Williams, Ralph Vaughan, in: Walter Willson Cobbett (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, Vol. 2, London 1930, 582–584. Goossens, Eugène, Modern Tendencies in Music [Lecture for the Arts League of Service, 27.11.1919], London o. J. , Arthur Bliss, in: The Chesterian N. F. 16 ( Juni 1921), 481–486.

362

Primärliteratur

, Modern Developments in Music, in: Proceedings of the Musical Association 48 (1921–1922), 57–76. , The String Quartet Since Brahms, in: Music & Letters 3/4 (Okt. 1922), 335–348. , Overture and Beginners. A Musical Autobiography, London 1951. Grainger, Percy, The Music of Cyril Scott, in: The Music Student 5/2 (Okt. 1912), 31–33. , The Farthest North of Humanness. Letters of Percy Grainger 1901–14, hg. von Kay Dreyfus, Melbourne 1985. , Grainger on Music, hg. von Malcolm Gillies und Bruce Clunies Ross, Oxford 1999. Gray, Cecil, A Survey of Contemporary Music, London 1924. , Delius, Frederick, in: Walter Willson Cobbett (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, Vol. 1, London 1929, 320–323. Guéritte, T. J., Musical Reciprocity [Leserbrief], in: The Daily Telegraph, 26.8.1916, 4. , British Music in Paris [Leserbrief], in: The Musical Times 59/905 (1.7.1918), 308f. , Mr. Edwin Evans [Leserbrief], in: The Times, 16.3.1945, 7. Hadow, W. H. [unsigniert], Some Tendencies in Modern Music, in: The Edinburgh Review 204/418 (Okt. 1906), 381–399. Hale, Philip, The Franckist School [Nachdruck aus The Musician, Philadelphia], in: The Musical Standard 24/605 (5.8.1905), 87. , Notes on Certain Ultra Modern Composers of France, in: The New Music Review and Church Music Review 5/50 ( Jan. 1906), 633–638. Hartmann, Arthur, Claude Debussy As I Knew Him and Other Writings, hg. von Samuel Hsu, Sidney Grolnic und Mark Peters, Rochester 2003. Hayward, John D., Chamber Music for Amateurs. Notes from a Library, London und New York 1923. Henry, Leigh, Liberations: Studies of Individuality in Contemporary Music. V. Erik Satie and the Ironic Spirit, in: The Egoist 1/13 (1.7.1914), 252–254. , Liberations: Studies of Individuality in Contemporary Music. IX. The Fantaisiste Spirit in Modern French Music – II. The Works of Maurice Ravel, in: The Egoist 3/3 (1.3.1916), 43–46. , Liberations: Studies of Individuality in Contemporary Music. XII. Déodat de Séverac, a Modern Pastoral Poet in Music [zweiteilig], in: The Egoist 5/2 (Feb. 1918), 26–30, und 5/3 (März 1918), 40f. , Introductions: IX. Arthur Bliss, in: The Music Bulletin 5/9 (Sep. 1923), 268–272. Hervey, Arthur, Masters of French Music, London 1894. , French Music in the XIXth Century, London 1903. , The Musical Movement in France, in: The Monthly Musical Record 34/400 (1.4.1904), 62–64. , Saint-Saëns, London und New York 1921. Warlock, Peter [Philip Heseltine], Notes on Goossens’ Chamber Music, in: Chamber Music. A Supplement to The Music Student 22a (Nov. 1916), 23f. Heseltine, Philip, Introductions: V. Frederick Delius, in: The Music Bulletin 5/5 (Mai 1923), 144–147. , Introductions: XVIII. E. J. Moeran, in: The Music Bulletin 6/6 ( Juni 1924), 170–174. Hill, Edward Burlingame, Modern French Music, Boston 1924. Holbrooke, Joseph, British Music [zweiteilig], in: The English Review, März 1915, 420–425, und Apr. 1915, 37–44.

363

Quellen und Literatur

, Contemporary British Composers, London 1925. Holbrooke Music Society (Hg.), The Work of a Pioneer. A List of Some Chamber Music Given by Josef Holbrooke in London and the Provinces, from 1903 to 1931 with the Artists He Engaged, Beccles [1942]. Howells, Herbert [unsigniert], Younger British Composers, in: The Athenaeum 4611 (Nov. 1916), 560–562. , Frank Bridge, in: Music & Letters 22/3 ( Juli 1941), 208–215. Hull, Arthur Eaglefield, Cyril Scott. Composer, Poet and Philosopher, London 1918. , A Modern English Classicist, in: Musical Opinion & Music Trade Review 42/497 (Feb. 1919), 281f. d’Indy, Vincent, César Franck, aus dem Französischen von Rosa Newmarch, London 1909. Ireland, John, A Speech for the Opposition, in: Music & Letters 8/2 (Apr. 1927), 109f. , Albert Sammons: A Tribute, in: The Musical Times 98/1376 (Okt. 1957), 548. et al., Tributes to Vaughan Williams, in: The Musical Times 99/1388 (Okt. 1958), 535–539. James, Ivor, The Good Old Days, in: Royal College of Music Magazine 50/3 (Dez. 1954), 99–102. Jean-Aubry, G., Claude Debussy et la musique française moderne en Angleterre (1907–1908), in: Bulletin français de la S.I.M. 5/3 (15.3.1909), 262–285. , Chamber Music in France. Florent Schmitt and Gabriel Dupont, in: Chamber Music. A Supplement to The Music Student 9 ( Juli 1914), 93–95. , La musique française d’aujourd’hui, Paris 1916. , La musique française en Angleterre, in: Le Correspondant 265/3 (10.11.1916), 535–552. , La musique française moderne [Vorwort, auch englisch von Rosa Newmarch], in: J. & W. Chester, Manual of Modern French Music. Including the Modern Belgian School with a Supplementary Catalogue of Modern Spanish Music, London und Brighton [1917], 3–7. , An Introduction to French Music, aus dem Französischen von Percy A. Scholes, London 1917. , Camille Saint-Saëns: Wagner and French Music, in: The Musical Times 58/887 (1.1.1917), 13–16. , French Music and Musicians [Reihe mit 8 Artikeln: French Music of the Eighteenth Century; Hector Berlioz; Emmanuel Chabrier; Camille Saint-Saëns, Gabriel Fauré and Florent Schmitt; César Franck and His School; Claude Debussy; Maurice Ravel; The Lyrical Theatre in France], in: The Ladies’ Field, 24.2.1917, 24f., bis 9.6.1917, 66. , The French Musical Renaissance: Its Causes and Consequences [zweiteilig], in: Musical Opinion & Music Trade Review 40/473 (Feb. 1917), 285f., und 40/474 (März 1917), 352f. , Modern French Composers. I. Maurice Ravel [zweiteilig], in: The Monthly Musical Record 48/566 (1.2.1918), 31f., und 48/567 (1.3.1918), 57f. , The Musical Situation in England, in: The Musical Times 59/901 (1.3.1918), 114–116. , Some Recollections of Debussy, in: The Musical Times 59/903 (1.5.1918), 203–209. , Claude Debussy, in: The Musical Quarterly 4/4 (Okt. 1918), 542–554. , A French Composer: Ernest Chausson, in: The Musical Times 59/909 (1.11.1918), 500f. , French Music of To-day, aus dem Französischen von Edwin Evans, London 1919. , La musique anglaise actuelle, in: Le Correspondant, 274/5 (10.3.1919), 856–877. , British Music Through French Eyes, in: The Musical Quarterly 5/2 (Apr. 1919), 192–212. , La musique et les nations, Paris und London 1922.

364

Primärliteratur

, Une première rencontre, in: Albert Roussel. Numéro spécial de la Revue musicale (Apr. 1929), 16–19. Kahane, Jack, Memoirs of a Booklegger, London 1939. Kelly, F. S., Race Against Time. The Diaries of F. S. Kelly, hg. von Thérèse Radic, Canberra 2004. Kilburn, Nicholas, The Story of Chamber Music, London 1904. , Chamber Music and Its Masters in the Past and in the Present, New Edition, revised, and with additional chapters by G. E. H. Abraham, London [1932]. Klein, Hermann [Herman], Thirty Years of Musical Life in London 1870–1900, New York 1903. , German Music in France: Saint-Saëns and Richard Wagner, in: The Musical Times 57/883 (1.9.1916), 400–402. , Saint-Saëns As I Knew Him, in: The Musical Times 63/948 (1.2.1922), 90–93. , Popular Concerts: Monday and Saturday, in: Walter Willson Cobbett (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, Vol. 2, London 1930, 232–235. Koechlin, Charles, Gabriel Fauré (1845–1924), aus dem Französischen von Leslie Orrey, London 1946. Lambert, Constant, Music Ho! A Study of Music in Decline, New York 1934. Lara, Isidore de, Many Tales of Many Cities, London 1928. Legge, Robin H., French Music, in: The Daily Telegraph, 15.7.1916, 5. , French Music of To-day [Buchrezension], in: The Daily Telegraph, 30.9.1916, 6. , Musical Entente, in: The Daily Telegraph, 18.11.1916, 4. , As Others See Us, in: The Daily Telegraph, 16.12.1916, 4. , Anglo-French Society, in: The Daily Telegraph, 10.11.1917, 3. Liebich, Louise (Mrs. Franz Liebich), An Impressionist Composer. Claude Debussy and His Music of Legend and Dream, in: The Musical Standard 21/529 (20.2.1904), 119. , Symbolism and Impressionism. Stephane Mallarmé and Claude Debussy, in: The Musical Standard 22/570 (3.12.1904), 357. , M. Vincent d’Indy [zweiteilig], in: The Musical Standard 23/582 (25.2.1905), 116f., und 23/583 (4.3.1905), 133–135. , Claude Debussy’s “Pélleas [sic] et Mélisande.”, in: The Musical Standard 27/680 (12.1.1907), 20–22. , Claude-Achille Debussy, London 1907. , Debussy and His Garden [Leserbrief], in: The Musical Standard 32/820 (18.9.1909), 189. , Symptoms of Musical Progress, in: The Musical Standard 38/969 (27.7.1912), 52f. (Louisa Shirley), An Englishwoman’s Memories of Debussy, in: The Musical Times 59/904 (1.6.1918), 250. Lowe, George, Josef Holbrooke and His Work, London 1920. Lutyens, Elisabeth, A Goldfish Bowl, London 1972. Mackenzie, Alexander [unsigniert], Phases of Modern French Music [Vortrag bei der Royal Institution], in: The Musical Herald 708 (1.3.1907), 74f. Maclean, Charles, A New Form in English Music, in: Zeitschrift der Internationalen Musikgesellschaft 12/6 (März 1911), 149–153. Marliave, Joseph de, Études musicales, Paris 1917. Mauclair, Camille, La musique française depuis Berlioz, in: The English Review, Nov. 1910, 629–650.

365

Quellen und Literatur

Meadmore, W. S., South Place Sunday Popular Concerts. The Story of a Thousand Concerts (1887– 1927), London 1927. , British Performing Organizations. (2) Present-Day Organizations, in: Walter Willson Cobbett (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, Vol. 1, London 1929, 203–212. , London Trio, in: Walter Willson Cobbett (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, Vol. 2, London 1930, 103. Midgley, Samuel, My 70 Years’ Musical Memories (1860–1930), London 1934. Moeran, E. J., Introductions: X. John Ireland, in: The Music Bulletin 5/10 (Okt. 1923), 300–303. Montagu-Nathan, M., Some Modern French Sonatas for Piano and Violin [Reihe mit 6 Artikeln zu d’Indy, Roussel, Ropartz, Samazeuilh, Grovlez, Magnard, Dupin, Milhaud], in: Chamber Music. A Supplement to The Music Student 5 ( Jan. 1914), 40; 7 (März 1914), 67f.; 8 (Mai 1914), 83; 9 ( Juli 1914), 96; 10 (Sep. 1914), 11f.; 12 ( Jan. 1915), 43–45. Mouren, Robert, Jean-Aubry, in: The Musical Times 59/902 (1.4.1918), 153f. Newman, Ernest, English Music and Musical Criticism, in: The Contemporary Review 80 ( Jul.– Dez. 1901), 734–748. , The New School of British Music [Reihe mit 10 Artikeln], in: The Speaker 5/114 (7.12.1901), 271f., bis 5/132 (12.4.1902), 40f. [unsigniert], Mr. Ernest Newman on César Franck [and the Modern French School of Composers, Vortrag in Liverpool], in: The Manchester Guardian, 23.1.1909, 11. , M. Vincent d’Indy on César Franck [zweiteilige Rezension], in: The Musical Times 51/804 (1.2.1910), 77f., und 51/805 (1.3.1910), 150–152. , A Note on Debussy, in: The Musical Times 51/807 (1.5.1910), 293–296. , Debussy on Nationality in Music, in: The Musical Times 51/813 (1.11.1910), 700–702. , The Folk-Song Fallacy, in: The English Review, Mai 1912, 255–268. , The Public, the Critic, and the Native Composer, in: The Musical Times 56/865 (1.3.1915), 142–144. , The New French Recipe [Nachdruck der Rezension aus der Birmingham Post, 20.8.1917], in: The Musical Times 58/896 (1.10.1917), 441. , A Note on Eugène Goossens, in: The Chesterian 12 (Feb. 1918), 178–181. , The Development of Debussy [zweiteilig], in: The Musical Times 59/903 (1.5.1918), 199–203, und 59/906 (1.8.1918), 343–346. , Concerning ‘A Shropshire Lad’ and Other Matters, in: The Musical Times 59/907 (1.9.1918), 393–398. [unsigniert], Mr. Ernest Newman on French and English Music [Zusammenfassung von drei Artikeln aus der Birmingham Daily Post], in: The Musical Times 59/908 (1.10.1918), 471f. , Music in England during the War, in: The Chesterian 20 ( Juni 1919), 306–308. , Extremists versus the Rest, in: The Musical Times 61/933 (1.11.1920), 729–735. , National Music and English Music, in: The Sunday Times, 23.7.1922, 5. Newman, Vera, Ernest Newman. A Memoir by His Wife, New York 1964. Newmarch, Rosa, Chauvinism in Music, in: The Edinburgh Review 216/441 ( Juli 1912), 95–116. Parker, D. C., Gabriel Fauré. A Contemporary Study, in: The Monthly Musical Record 48/574 (1.10.1918), 225f. Parry, C. Hubert H., Style in Musical Art, London 1911.

366

Primärliteratur

Poulenc, Francis, Edwin Evans [Nachruf], in: ADAM International Review 14/161 (Aug. 1946), 26. Prunières, Henry, French Chamber Music Since the Revolution, in: Walter Willson Cobbett (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, Vol. 1, London 1929, 430–434. Ravel, Maurice, L’intégral. Correspondance (1895–1937), écrits et entretiens, hg. von Manuel Cornejo, Paris 2018. Rolland, Romain, Musicians of To-day, aus dem Französischen von Mary Blaiklock, New York 1914. Ropartz, Guy, César Franck [vierteilig], in: The Musician 1/23–26 (13.10.1897 bis 3.11.1897), 432f., 453–455, 473f., 490f. Roussel, Albert, Young French Composers, in: The Chesterian N. F. 2 (Okt. 1919), 33–37. Rubinstein, Arthur, My Young Years, London 1973. Saint-Marceaux, Marguerite de, Journal. 1894–1927, hg. von Myriam Chimènes, Paris 2007. Sassoon, Siegfried, Diaries 1920–1922, hg. von Rupert Hart-Davis, London 1981. , Diaries 1923–1925, hg. von Rupert Hart-Davis, London 1985. Sawyer, F. J., Modern Harmony: Exemplified in the Works of Elgar, Strauss and Debussy [achtteilig], in: Musical Opinion & Music Trade Review 29/342 (März 1906), 436f., bis 29/349 (Okt. 1906), 26. [unsigniert], Modern Harmony [Vortrag bei der Incorporated Society of Musicians], in: The Musical Herald 696 (1.3.1906), 84f. Schmitt, Florent, Some Notes on an English Concert in Paris, in: The Chesterian 20 ( Juni 1919), 310–313. Scholes, Percy A., Carnegie Trust, The, in: Walter Willson Cobbett (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, Vol. 1, London 1929, 227. , The Mirror of Music 1844–1944. A Century of Musical Life in Britain as Reflected in the Pages of the Musical Times, London 1947. Scott, Cyril, The Philosophy of Modernism. In Its Connection with Music, London 1917. , The Genius of French Music, in: The New Statesman 9/231 (8.9.1917), 543f. , Eugène Goossens, in: The Chesterian N. F. 1 (Sep. 1919), 13–16. , Chamber-Music: Its Past and Future, in: The Musical Quarterly 7/1 ( Jan. 1921), 8–19. , My Years of Indiscretion, London 1924. , Music. Its Secret Influence Throughout the Ages. New and Extended Edition, London 1950. , Bone of Contention. Life Story and Confessions, London 1969. Scott, Marion M., Dunhill, Thomas Frederick, in: Walter Willson Cobbett (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, Vol. 1, London 1929, 345–347. , Howells, Herbert, in: Walter Willson Cobbett (Hg.), Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, Vol. 1, London 1929, 573–575. , Introductions: XVII. Herbert Howells, in: The Music Bulletin 6/5 (Mai 1924), 140–144. Sharp, J. Wharton, The Pianoforte Trio, in: Chamber Music. A Supplement to The Music Student 2 (Aug. 1913), 17–20. Shaw, G. Bernard, Sir Edward Elgar, in: Music & Letters 1/1 ( Jan. 1920), 7–11. , Music in London 1890–94, 3 Vols., London 1932. Shera, F. H., Debussy and Ravel, London 1925. Sibelius, Jean und Rosa Newmarch, The Correspondence of Jean Sibelius and Rosa Newmarch, 1906–1939, hg. von Philip Ross Bullock, Woodbridge 2011.

367

Quellen und Literatur

Singer, Winnaretta [unsigniert], Memoirs of the Late Princesse Edmond de Polignac, in: Horizon 12/68 (Aug. 1945), 110–141. Smyth, Ethel, Impressions That Remained. Memoirs, 2 Vols., London 1919. , What Happened Next, London 1940. Sonneck, O. G., Guillaume Lekeu (1870–1894), in: The Musical Quarterly 5/1 ( Jan. 1919), 109–147. Speyer, Edward, My Life and Friends, London 1937. Stanford, Charles Villiers, Musical Composition. A Short Treatise for Students, New York 1911. , William Sterndale Bennett. 1816–1875, in: The Musical Quarterly 2/4 (Okt. 1916), 628–657. , Interludes. Records and Reflections, London 1922. Straeten, Edmund van der, The History of the Violin. Its Ancestors and Collateral Instruments. From Earliest Times to the Present Day, 2 Vols., London 1933. Streatfeild, R. A., Musiciens anglais contemporains, aus dem Englischen von Louis Pennequin, Paris 1913. Symons, Arthur, Debussy and Other Questions, in: The Saturday Review 103/2694 (15.6.1907), 746f. , French Music in London, in: The Saturday Review 104/2720 (14.12.1907), 723f. , Claude Debussy, in: The Saturday Review 105/2728 (8.2.1908), 170f. Ternant, Andrew de, César Franck and His Opus 1 in England, in: The Musical Times 66/989 (1.7.1925), 609f. Tertis, Lionel, My Viola and I. A Complete Autobiography, London 1974. Vaughan Williams, Ralph, National Music and Other Essays, London 1963. , Vaughan Williams on Music, hg. von David Manning, Oxford 2008. , The Letters of Ralph Vaughan Williams, Onlinedatenbank unter http://vaughanwilliams.uk (Zugriff 24.10.2021); eine Auswahl als Letters of Ralph Vaughan Williams 1895–1958, hg. von Hugh Cobbe, Oxford 2008. Viñes, Ricardo, Le journal inédit de Ricardo Viñes, hg. von Nina Gubisch, in: Revue internationale de musique française 1/2 ( Juni 1980), 154–248. Walker, Ernest, Brahms, in: Proceedings of the Musical Association 25 (1898–1899), 115–138. , A History of Music in England, Oxford 1907. , The Modern British Phantasy, in: Chamber Music. A Supplement to The Music Student 17 (Nov. 1915), 17–27. Walthew, Richard Henry, The Development of Chamber Music: Three Lectures Delivered at South Place Institute 1909, London 1909. , The Sonata for Violin and Pianoforte, in: Chamber Music. A Supplement to The Music Student 1 ( Juni 1913), 3–6. , On Some Quartets for Piano and Strings, in: Chamber Music. A Supplement to The Music Student 5 ( Jan. 1914), 49f. , The Quintet for Piano and Strings, in: Chamber Music. A Supplement to The Music Student 7 (März 1914), 57–59. Wood, Henry J., My Life of Music, London 1938. Wyndham, H. Saxe und Geoffrey L’Epine (Hgg.), Who’s Who in Music. A Biographical Record of Contemporary Musicians, Boston 1913.

368

Sekundärliteratur

Sekundärliteratur Adams, Byron, Vaughan Williams’s Musical Apprenticeship, in: Alain Frogley und Aidan J. Thomson (Hgg.), The Cambridge Companion to Vaughan Williams, Cambridge 2013, 29–55. , Lux aeterna. Fauré’s Messe de Requiem, Op. 48, in: Carlo Caballero und Stephen Rumph (Hgg.), Fauré Studies, Cambridge 2021, 113–133. Allis, Michael, Performance in Private: ‘The Working Men’s Society’ and the Promotion of Progressive Repertoire in Nineteenth-Century Britain, in: Bennett Zon (Hg.), Music and Performance Culture in Nineteenth-Century Britain. Essays in Honour of Nicholas Temperley, Farnham 2012, 139–171. und Paul Watt (Hgg.), The Symphonic Poem in Britain, 1850–1950, Woodbridge 2020. Angell, Jane, Art Music in British Public Discourse during the First World War, Diss. Royal Holloway, University of London 2014. , Music and Charity on the British Home Front during the First World War, in: Journal of Musicological Research 33/1–3 (2014), 184–205. Anselmini, François, Alfred Cortot et la mobilisation des musiciens français pendant la Première Guerre mondiale, in: Vingtième Siècle. Revue d’histoire 118 (2013), 147–157. Applegate, Celia, Mendelssohn on the Road: Music, Travel, and the Anglo-German Symbiosis, in: Jane F. Fulcher (Hg.), The Oxford Handbook of the New Cultural History of Music, Oxford 2011, 228–244. Armstrong, Thomas, The Frankfort Group, in: Proceedings of the Royal Musical Association 85 (1958–1959), 1–16. Bacharach, A. L. (Hg.), British Music of Our Time, Harmondsworth 1946. Baldassarre, Antonio, „Der klarste Träger musikalischer Ideen, der je geschaffen wurde“. Untersuchungen zur Gattungsgeschichte des Streichquartetts zwischen 1830 und 1870, Diss. Universität Zürich 2005. Ball, William Scott, Reclaiming a Music for England: Nationalist Concept and Controversy in English Musical Thought and Criticism, 1880–1920, 2 Vols., Diss. The Ohio State University 1993. Bancroft, David, Two Pleas for a French, French Music, II, in: Music & Letters 48/3 (1967), 251–258. Banfield, Stephen, British Chamber Music at the Turn of the Century. Parry, Stanford, Mackenzie, in: The Musical Times 115/1573 (1974), 211–213. , Sensibility and English Song. Critical Studies of the Early Twentieth Century, 2 Vols., Cambridge 1985. , “Too Much of Albion”? Mrs. Coolidge and Her British Connections, in: American Music 4/1 (1986), 59–88. , England, 1918–45, in: Robert P. Morgan (Hg.), Modern Times: From World War I to the Present (Man & Music, 8), Basingstoke 1993, 180–205. Barber, Robin, Florent Schmitt and Ralph Vaughan Williams – An Unknown Friendship, in: Journal of the Ralph Vaughan Williams Society 61 (2014), 3–6. Barbirolli, Evelyn, Life with Glorious John. A Portrait of Sir John Barbirolli, London 2002. Barker, Duncan James, The Music of Sir Alexander Campbell Mackenzie (1847–1935): A Critical Study, Diss. Durham University 1999.

369

Quellen und Literatur

Bartley, Alan, Far from the Fashionable Crowd. The People’s Concert Society and Music in London’s Suburbs, [Newbury] 2009. Bashford, Christina M., Public Chamber-Music Concerts in London, 1835–50: Aspects of History, Repertory and Reception, 2 Vols., Diss. King’s College London, University of London 1996. , Learning to Listen. Audiences for Chamber Music in Early-Victorian London, in: Journal of Victorian Culture 4/1 (1999), 25–51. , The Late Beethoven Quartets and the London Press, 1836–ca. 1850, in: The Musical Quarterly 84/1 (2000), 84–122. , The Pursuit of High Culture. John Ella and Chamber Music in Victorian London, Woodbridge 2007. , Historiography and Invisible Musics: Domestic Chamber Music in Nineteenth-Century Britain, in: Journal of the American Musicological Society 63/2 (2010), 291–360. , Hidden Agendas and the Creation of Community: The Violin Press in the Late Nineteenth Century, in: Bennett Zon (Hg.), Music and Performance Culture in Nineteenth-Century Britain. Essays in Honour of Nicholas Temperley, Farnham 2012, 11–35. , Concert Listening the British Way? Program Notes and Victorian Culture, in: Christian Thorau und Hansjakob Ziemer (Hgg.), The Oxford Handbook of Music Listening in the 19th and 20th Centuries, Oxford 2019, 187–206. Blom, Eric, Music in England, Harmondsworth 1942. , Fauré, Gabriel (Urbain), in: ders. (Hg.), Grove’s Dictionary of Music and Musicians, Fifth Edition, Vol. 3, London 1954, 38–42. Borchard, Beatrix, Stimme und Geige. Amalie und Joseph Joachim. Biographie und Interpretationsgeschichte (Wiener Veröffentlichungen zur Musikgeschichte, 5), Wien 2005. Borthwick, Mary Christine, ‘In the Swim’: The Life and Musical Achievements of William Gillies Whittaker 1876–1944, Diss. Durham University 2007. Botstein, Leon, Transcending the Enigmas of Biography: The Cultural Context of Sir Edward Elgar’s Career, in: Byron Adams (Hg.), Edward Elgar and His World, Princeton 2007, 365– 405. Bray, Trevor, Frank Bridge: A Life in Brief, online, archivierte Version, https://web.archive.org/ web/20180319215430/http://trevor-bray-music-research.co.uk (Zugriff 24.10.2021). Brody, Elaine, Vive la France: Gallic Accents in American Music From 1880 to 1914, in: The Musical Quarterly 65/2 (1979), 200–211. Bryars, Gavin, Satie and the British, in: Contact. A Journal for Contemporary Music 25 (1982), 4–14. Bullock, Philip Ross, Rosa Newmarch and Russian Music in Late Nineteenth and Early TwentiethCentury England, Farnham 2009. Burrows, Donald, Victorian England: an Age of Expansion, in: Jim Samson (Hg.), The Late Romantic Era. From the Mid-19th Century to World War I (Man & Music, 7), Basingstoke 1991, 266–294. Bush, Geoffrey, Chamber Music, in: Nicholas Temperley (Hg.), Music in Britain. The Romantic Age 1800–1914 (The Athlone History of Music in Britain, 5), London 1981, 381–399. Bynog, David M., Notes for Violists. A Guide to the Repertoire, Oxford 2021. Caballero, Carlo, Patriotism or Nationalism? Fauré and the Great War, in: Journal of the American Musicological Society 52/3 (1999), 593–625. , Fauré and French Musical Aesthetics, Cambridge 2001.

370

Sekundärliteratur

Caldwell, John, The Oxford History of English Music, Vol. II: From c. 1715 to the Present Day, Oxford 1999. Calella, Michele und Benedikt Leßmann (Hgg.), Zwischen Transfer und Transformation. Horizonte der Rezeption von Musik (Wiener Veröffentlichungen zur Musikwissenschaft, 51), Wien 2020. Cannon, Gary D., From Oldham to Oxford: The Formative Years of Sir William Walton, Doctor of Musical Arts Diss. University of Washington 2014. Carley, Lionel, Edvard Grieg in England, Woodbridge 2006. Carr, Catherine, From Student to Composer: The Chamber Works, in: Black Music Research Journal 21/2, Samuel Coleridge-Taylor (2001), 179–196. Chaffanjon, Arnaud, Jean Racine et sa descendance, Paris 1964. Chandler, Oliver, Edward Elgar’s Chamber Music, 1918–1919: Tonality, Form, and Aesthetics, Diss. Royal Holloway, University of London 2019. , Diatonic Illusions and Chromatic Waterwheels: Edward Elgar’s Concept of Tonality, in: Journal of the Society for Musicology in Ireland 15 (2020), 3–29. Citron, Marcia J., Cécile Chaminade. A Bio-Bibliography (Bio-Bibliographies in Music, 15), New York 1988. Clinch, Jonathan, ‘Experiments with Sonata Form’: A Critical Study of the Absolute Music of Herbert Howells and Its Place in Modern British Music, Diss. Durham University 2015. , Frank Bridge: Poems of Re-enchantment, in: Michael Allis und Paul Watt (Hgg.), The Symphonic Poem in Britain, 1850–1950, Woodbridge 2020, 305–330. Collins, Chris, Falla in Britain, in: The Musical Times 144/1883 (2003), 33–48. Collins, Sarah, The Aesthetic Life of Cyril Scott, Woodbridge 2013. Cooke, Phillip A., und David Maw (Hgg.), The Music of Herbert Howells, Woodbridge 2013. Cooper, Jeffrey, The Rise of Instrumental Music and Concert Series in Paris 1828–1871 (Studies in Musicology, 65), Ann Arbor 1983. Cooper, Martin, Les musiciens anglais d’aujourd’hui, aus dem Englischen von Frans Durif, Paris 1952. Craggs, Stewart R., Arthur Bliss. A Source Book, Aldershot 1996. , John Ireland: A Catalogue, Discography and Bibliography. 2nd Revised and Enlarged Edition, Aldershot 2007. Crump, Jeremy, The Identity of English Music: The Reception of Elgar 1898–1935, in: Robert Colls und Philip Dodd (Hgg.), Englishness. Politics and Culture 1880–1920, London 1986, 164–190. Csizmadia, Florian, Leitmotivik und verwandte Techniken in den Chorwerken von Edward Elgar. Analysen und Kontexte, Berlin 2017. Curtis, Liane (Hg.), A Rebecca Clarke Reader, Bloomington 2004. Dahlhaus, Carl, Die Musik des 19. Jahrhunderts (Neues Handbuch der Musikwissenschaft, 6), Laaber 1980. Daverio, John, Fin de Siècle Chamber Music and the Critique of Modernism, in: Stephen E. Hefling (Hg.), Nineteenth-Century Chamber Music, New York 1997, 348–382. Davies, John Howard, Entente-Cordiale. G. Jean-Aubry and a Generation of Anglo French Musical Journalism in The Chesterian, in: Fontes Artis Musicae 13/1 (1966), 31–33. Demaine, Robert, Individual and Institution in the Musical Life of Leeds 1900–1914, Diss. University of York 2000. Demuth, Norman, Arthur Bliss, in: The Sackbut 11/2 (1930), 46–49.

371

Quellen und Literatur

, Albert Roussel: A Study, London 1947. , Ravel, London 1947. , César Franck, New York 1949. , Vincent d’Indy 1851–1931. Champion of Classicism, London 1951. , Musical Trends in the 20th Century, London 1952. Deneke, Margaret, Ernest Walker, London 1951. Dibble, Jeremy, C. Hubert H. Parry. His Life and Music, Oxford 1992. , Edward Dannreuther and the Orme Square Phenomenon, in: Christina Bashford und Leanne Langley (Hgg.), Music and British Culture, 1785–1914. Essays in Honour of Cyril Ehrlich, Oxford 2000, 275–298. , The Death of a Culture. Germany and British Music Before 1914, in: Lewis Foreman (Hg.), Oh, My Horses! Elgar and the Great War, Rickmansworth 2001, 72–87. , Charles Villiers Stanford. Man and Musician, Oxford 2002. , Elgar and His British Contemporaries, in: Daniel M. Grimley und Julian Rushton (Hgg.), The Cambridge Companion to Elgar, Cambridge 2004, 15–23. und Julian Horton (Hgg.), British Musical Criticism and Intellectual Thought 1850–1950, Woodbridge 2018. , Free Thought and the Musician: Ernest Walker, the ‘English Hanslick’, in: ders. und Julian Horton (Hgg.), British Musical Criticism and Intellectual Thought 1850–1950, Woodbridge 2018, 64–83. , The Music of Frederick Delius. Style, Form and Ethos, Woodbridge 2021. Doctor, Jennifer, The BBC and Ultra-Modern Music, 1922–1936: Shaping a Nation’s Tastes, Cambridge 1999. Downes, Stephen, Modern Maritime Pastoral: Wave Deformations in the Music of Frank Bridge, in: Matthew Riley (Hg.), British Music and Modernism, 1895–1960, Farnham 2010, 93–107. , Sentimentalism, Joseph Joachim, and the English, in: 19th-Century Music 42/2 (2018), 123–154. Drysdale, John, Elgar’s Earnings, Woodbridge 2013. Duchesneau, Michel, L’avant-garde musicale et ses sociétés à Paris de 1871 à 1939, Sprimont 1997. Dunhill, David, Thomas Dunhill: Maker of Music, London 1997. Earle, Ben, Modernism and Reification in the Music of Frank Bridge, in: Journal of the Royal Musical Association 141/2 (2016), 335–402. Eccott, David, Florent Schmitt, in: Lionel Carley (Hg.), Frederick Delius: Music, Art and Literature, Aldershot 1998, 113–153. Edwards, Angela M., Frank Bridge: The String Quartets, Diss. University of Sheffield 1992. Ehrlich, Cyril, Harmonious Alliance. A History of the Performing Right Society, Oxford 1989. Eich, Katrin, Die Kammermusik von César Franck (Kieler Schriften zur Musikwissenschaft, 48), Kassel 2002. Ellis, Katharine, Music Criticism in Nineteenth-Century France. La Revue et Gazette musicale de Paris, 1834–80, Cambridge 1995. , Interpreting the Musical Past. Early Music in Nineteenth-Century France, Oxford 2005. Ellis, Mark, A Chord in Time: The Evolution of the Augmented Sixth from Monteverdi to Mahler, Farnham 2010. Ellis, Sam, Bliss’s New England: Identity, Interdependence and Isolation, Diss. Bangor University 2011.

372

Sekundärliteratur

Evans, Peter, Instrumental Music I, in: Stephen Banfield (Hg.), Music in Britain. The Twentieth Century (The Blackwell History of Music in Britain, 6), Oxford 1995, 179–277. Everett, William A., British Piano Trios, Quartets, and Quintets, 1850–1950: A Checklist (Detroit Studies in Music Bibliography, 80), Warren/MI 2000. Fauquet, Joël-Marie, Les sociétés de musique de chambre à Paris de la Restauration à 1870 (Domaine musicologique, 1,1), Paris 1986. Fifield, Christopher, Hans Richter. New Edition, Woodbridge 2016. Foreman, Lewis, Arthur Bliss. Catalogue of the Complete Works, Borough Green 1980. (Hg.), From Parry to Britten. British Music in Letters 1900–1945, London 1987. , The Winnowing-Fan. British Music in Wartime, in: ders. (Hg.), Oh, My Horses! Elgar and the Great War, Rickmansworth 2001, 88–131. und Susan Foreman, London. A Musical Gazetteer, New Haven und London 2005. , Bax. A Composer and His Times. Third Revised & Expanded Edition, Woodbridge 2007. (Hg.), The John Ireland Companion, Woodbridge 2011. und Susan Foreman (Hgg.), Felix Aprahamian. Diaries and Selected Writings on Music, Woodbridge 2015. Forkert, Annika, ‘Always a European’: Edward Clark’s Musical Work, in: The Musical Times 159/1943 (2018), 55–80. Fournier, Bernard (mit Roseline Kassap-Riefenstahl), Histoire du quatuor à cordes, tome 3 : De l’entre-deux-guerres au XXIe siècle, Paris 2010. Frogley, Alain, Constructing Englishness in Music: National Character and the Reception of Ralph Vaughan Williams, in: ders. (Hg.), Vaughan Williams Studies, Cambridge 1996, 1–22. , Rewriting the Renaissance: History, Imperialism, and British Music Since 1840, in: Music & Letters 84/2 (2003), 241–257. Fuller, Sophie, Women Composers during the British Musical Renaissance, 1880–1918, Diss. King’s College University of London 1998. , Elgar and the Salons: The Significance of a Private Musical World, in: Byron Adams (Hg.), Edward Elgar and His World, Princeton 2007, 223–247. , Maddison [née Tindal], (Katherine Mary) Adela, in: Oxford Dictionary of National Biography, Stand 23.9.2010, https://www.oxforddnb.com/view/10.1093/ref:odnb/9780198614128.001. 0001/odnb-9780198614128-e-59605 (subskriptionspflichtig, Zugriff 24.10.2021). Gassmann, Michael, Edward Elgar und die deutsche symphonische Tradition. Studien zu Einfluß und Eigenständigkeit (Studien und Materialien zur Musikwissenschaft, 27), Hildesheim 2002. Geck, Cordula Susanne, Leipzig und Großbritannien. Britische Komponisten am Leipziger Konservatorium im 19. Jahrhundert, in: Stefan Keym und Katrin Stöck (Hgg.), MusikStadt, Bd. 3: Musik in Leipzig, Wien und anderen Städten im 19. und 20. Jahrhundert. Verlage, Konservatorien, Salons, Vereine, Konzerte (Bericht über den XIV. Internationalen Kongress der Gesellschaft für Musikforschung vom 28. September bis 3. Oktober 2008 am Institut für Musikwissenschaft der Universität Leipzig), Leipzig 2011, 182–195. Gillett, Paula, Ambivalent Friendships: Music-Lovers, Amateurs, and Professional Musicians in the Late Nineteenth Century, in: Christina Bashford und Leanne Langley (Hgg.), Music and British Culture, 1785–1914. Essays in Honour of Cyril Ehrlich, Oxford 2000, 321–340. Gordon, David und Peter Gordon, Musical Visitors to Britain, London 2005. Greer, David, A Numerous and Fashionable Audience. The Story of Elsie Swinton, London 1997. Grierson, Mary, Donald Francis Tovey. A Biography Based on Letters, London 1952.

373

Quellen und Literatur

Grimley, Daniel M., ‘A Smiling with a Sigh’: The Chamber Music and Works for Strings, in: ders. und Julian Rushton (Hgg.), The Cambridge Companion to Elgar, Cambridge 2004, 120–138. Groote, Inga Mai, Östliche Ouvertüren. Russische Musik in Paris 1870–1913 (Schweizer Beiträge zur Musikforschung, 19), Kassel 2014. Groth, Renate, Debussy und das „Französische“ in der Musik, in: Sabine Ehrmann-Herfort, Ludwig Finscher und Giselher Schubert (Hgg.), Europäische Musikgeschichte, Bd. 2, Kassel 2002, 943–982. Grzybowski, Jelena und Volker Timmermann, Schwestern Douste de Fortis, in: Sophie Drinker Institut. Instrumentalistinnen-Lexikon, Stand 2011, https://www.sophie-drinker-institut.de/ douste-de-fortis-schwestern (Zugriff 24.10.2021). Hannam, William B., The Enemy Within: Some Disagreeable Words from Frederick Corder (1918), in: The Musical Times 151/1910 (2010), 47–52. Harasim, Sonja Maria Worth, An Internationalist Composer in a Nationalist Society: The Violin Sonata (1932) of Frank Bridge, Doctor of Musical Arts Diss. Rice University 2016. Hardy, Lisa, The British Piano Sonata 1870–1945, Woodbridge 2001. Harper, Nelson Owen, John Ireland’s First Sonata for Violin and Piano: An Introduction to Its Study, Doctor of Musical Arts Diss. The Ohio State University 1992. Harper-Scott, J. P. E., Edward Elgar, Modernist, Cambridge 2006. Hawkins, Frank V., A Hundred Years of Chamber Music, London 1987. Heckert, Deborah, Schoenberg, Roger Fry and the Emergence of a Critical Language for the Reception of Musical Modernism in Britain, 1912–1914, in: Matthew Riley (Hg.), British Music and Modernism, 1895–1960, Farnham 2010, 49–66. Heldt, Guido, Das Nationale als Problem in der englischen Musik des frühen 20. Jahrhunderts. Tondichtungen von Granville Bantock, Ralph Vaughan Williams, Edward Elgar, George Butterworth, Gerald Finzi und Gustav Holst (Schriften zur Musikwissenschaft aus Münster, 19), Hamburg 2007. Hess, Carol A., Manuel de Falla and Modernism in Spain, 1898–1936, Chicago und London 2001. Hill, Ralph, Challenges. A Series of Controversial Essays on Music, London [1943]. , Frederick Delius. 1863–1934, in: A. L. Bacharach (Hg.), British Music of Our Time, Harmondsworth 1946, 30–43. , John Ireland. b. 1879, in: A. L. Bacharach (Hg.), British Music of Our Time, Harmondsworth 1946, 99–112. Hindmarsh, Paul, Frank Bridge (1879–1941). The Complete Works, Poynton 2016. Howes, Frank, The English Musical Renaissance, London 1966. Hsu, Hui-Pin, Form in Frank Bridge’s Three Phantasies, Doctor of Musical Arts Diss. City University of New York 2013. Hughes, Meirion und Robert Stradling, The English Musical Renaissance 1840–1940. Constructing a National Music. Second Edition, Manchester 2001. Hull, Robin H., Eugene Goossens, in: Music & Letters 12/4 (Okt. 1931), 345–353. , Eugene Goossens. b. 1893, in: A. L. Bacharach (Hg.), British Music of Our Time, Harmondsworth 1946, 130–136. Huneau, Denis, André Caplet (1878–1925) : Debussyste indépendant, 2 Bde., Weinsberg 2007. Huss, Fabian Gregor, The Chamber Music of Frank Bridge, Diss. University of Bristol 2010. , The Music of Frank Bridge, Woodbridge 2015.

374

Sekundärliteratur

Jacobs, Arthur, Henry J. Wood. Maker of the Proms, London 1994. Johnson, Graham, Gabriel Fauré. The Songs and Their Poets, Farnham 2009. Jones, Timothy, Nineteenth-Century Orchestral and Chamber Music, in: Richard Langham Smith und Caroline Potter (Hgg.), French Music Since Berlioz, Aldershot 2006, 53–89. Kabisch, Thomas, Musik im Salon. Konvention und Nuance, in: Musiktheorie 23/2 (2008), 110–140. Kahan, Sylvia, Music’s Modern Muse. A Life of Winnaretta Singer, Princesse de Polignac, Rochester 2003. , Patrons and Society: Gabriel Fauré’s “Other” Career in the Paris and London Music Salons, in: Carlo Caballero und Stephen Rumph (Hgg.), Fauré Studies, Cambridge 2021, 13–34. Kelly, Barbara L., Ravel After Debussy: Leadership, Influences and Style, in: dies. und Kerry Murphy (Hgg.), Berlioz and Debussy: Sources, Contexts and Legacies. Essays in Honour of François Lesure, Aldershot 2007, 167–180. , Music and Ultra-Modernism in France. A Fragile Consensus, 1913–1939, Woodbridge 2013. und Rebecca Thumpston, Maintaining the Entente Cordiale. Musicological Collaboration Between the United Kingdom and France, in: Revue de musicologie 103/2 (2017), 615–640. , Une entente cordiale en musique: The Chesterian dans l’entre-deux-guerres, in: Timothée Picard (Hg.), La Critique musicale au XXe siècle, Rennes, 2020, 1045–1054. , French Connections: Debussy and Ravel’s Orchestral Music in Britain from Prélude à l’après-midi d’un faune to Boléro, in: Michael Allis und Paul Watt (Hgg.), The Symphonic Poem in Britain, 1850–1950, Woodbridge 2020, 115–146. Kertesz, Elizabeth Jane, Issues in the Critical Reception of Ethel Smyth’s Mass and First Four Operas in England and Germany, Diss. University of Melbourne 2001. Keym, Stefan und Michael Meyer, Musik und Kulturtransfer, in: Laurenz Lütteken (Hg.), MGG Online, Kassel 2016ff., Stand Oktober 2020, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/ 372783 (subskriptionspflichtig, Zugriff 24.10.2021). Keys, Ivor, ‘Ghostly Stuff’: The Brinkwells Music, in: Raymond Monk (Hg.), Edward Elgar: Music and Literature, Aldershot 1993, 108–120. Kilpatrick, Emily, Grainger and the ‘New Iconoclasts’: Forays into Modernist French Music, in: Suzanne Robinson und Kay Dreyfus (Hgg.), Grainger the Modernist, London und New York 2015, 107–122. Klorman, Edward, Mozart’s Music of Friends. Social Interplay in the Chamber Works, Cambridge 2016. Knight, Ellen, Charles Martin Loeffler. A Life Apart in American Music, Urbana und Chicago 1993. Kohnen, Daniela, Rebecca Clarke. Komponistin und Bratschistin. Biographie (Deutsche Hochschulschriften, 1157), Egelsbach 1999. Krummacher, Friedhelm, Das Streichquartett, Teilband 2: Von Mendelssohn bis zur Gegenwart (Handbuch der musikalischen Gattungen, 6,2), Laaber 2003. Lacombe, Hervé, Keys to the Ineffable in Fauré. Criticism, History, Aesthetics, in: Carlo Caballero und Stephen Rumph (Hgg.), Fauré Studies, Cambridge 2021, 35–58. Lang-Becker, Elke, Aspekte der Debussy-Rezeption in Deutschland zu Lebzeiten des Komponisten, in: Cahiers Debussy N. F. 8 (1984), 18–41. Langfield, Valerie, Roger Quilter. His Life and Music, Woodbridge 2002.

375

Quellen und Literatur

Langley, Leanne, Agency and Change: Berlioz in Britain, 1870–1920, in: Journal of the Royal Musical Association 132/2 (2007), 306–348. , Joining Up the Dots: Cross-Channel Models in the Shaping of London Orchestral Culture, 1895–1914, in: Bennett Zon (Hg.), Music and Performance Culture in Nineteenth-Century Britain. Essays in Honour of Nicholas Temperley, Farnham 2012, 37–58. , Art Music: John Singer Sargent as Listener, Practitioner, Performer and Patron, in: Visual Culture in Britain 19/1 (2018), 112–131. , Gatekeeping, Advocacy, Reflection: Overlapping Voices in Nineteenth-Century British Music Criticism, in: Christopher Dingle (Hg.), The Cambridge History of Music Criticism, Cambridge 2019, 147–169. Lee-Browne, Martin und Paul Guinery, Delius and His Music, Woodbridge 2014. Lefebvre, Géraldine, Le cercle de l’Art Moderne, 1905–1910 : le Havre : place des modernités artistiques et culturelles en France au début du XXe siècle, Diss. Université Paris Nanterre 2018. Leland, Kurt, The Chamber Music, in: Desmond Scott, Lewis Foreman und Leslie De’Ath (Hgg.), The Cyril Scott Companion. Unity in Diversity, Woodbridge 2018, 189–204. Leteuré, Stéphane, Camille Saint-Saëns, le compositeur globe-trotter (1857–1921), Arles [2017]. Liebmann, George W., The Fall of the House of Speyer. The Story of a Banking Dynasty, London 2015. Ling, John, Debating English Music in the Long Nineteenth Century, Woodbridge 2021. Little, Karen R., Frank Bridge. A Bio-Bibliography (Bio-Bibliographies in Music, 36), New York 1991. Llano, Samuel, Whose Spain? Negotiating “Spanish Music” in Paris, 1908–1929, Oxford 2013. Lloyd, Stephen, From Frankfurt with Love: Friendships Observed Through Correspondence and Reminiscence, in: Desmond Scott, Lewis Foreman und Leslie De’Ath (Hgg.), The Cyril Scott Companion. Unity in Diversity, Woodbridge 2018, 3–37. Lockspeiser, Edward, Anglo-French Relations, in: Penguin Music Magazine 1 (1946), 29–34. , French Chamber Music (from 1700), in: Alec Robertson (Hg.), Chamber Music, Harmondsworth 1957, 357–389. , Debussy: His Life and Mind. Vol. II, 1902–1918, London 1965. , L’influence de Debussy: Angleterre, in: Edith Weber (Hg.), Debussy et l’évolution de la musique au XXe siècle, Paris 1965, 239f. Longmire, John, John Ireland. Portrait of a Friend, London 1969. Lott, Marie Sumner, The Social Worlds of Nineteenth-Century Chamber Music. Composers, Consumers, Communities, Urbana 2015. Lucas, John, Thomas Beecham. An Obsession with Music, Woodbridge 2008. MacDonald, Calum, Rebecca Clarke’s Chamber Music (I), in: Tempo N. F. 160 (1987), 15–26. Mackerness, E. D., A Social History of English Music, Westport 1964. Mäkelä, Tomi, Nationalismus und Kontinentalismus – „Britizismus“ und Modernismus. Zur stilistischen und nationalen Orientierung Britischer Komponisten nach 1914, in: Giselher Schubert (Hg.), Französische und deutsche Musik im 20. Jahrhundert (Frankfurter Studien. Veröffentlichungen des Hindemith-Institutes Frankfurt/Main, 7), Mainz 2001, 84–93. Manning, David, The Public Figure: Vaughan Williams as Writer and Activist, in: Alain Frogley und Aidan J. Thomson (Hgg.), The Cambridge Companion to Vaughan Williams, Cambridge 2013, 231–248.

376

Sekundärliteratur

Manz, Stefan, „Pandering to the Foreigner“. Deutsche Musiker und nationale Abgrenzung in Großbritannien um 1900, in: Sabine Mecking und Yvonne Wasserloos (Hgg.), Inklusion & Exklusion. ‚Deutsche‘ Musik in Europa und Nordamerika 1848–1945, Göttingen 2016, 105–126. Mark, Christopher, Chamber Music and Works for Soloist with Orchestra, in: Alain Frogley und Aidan J. Thomson (Hgg.), The Cambridge Companion to Vaughan Williams, Cambridge 2013, 179–198. , Bridge and Britten, Britten and Bridge, in: Music & Letters 99/1 (2018), 45–73. Marston, Nicholas, ‘The Most Significant Musical Question of the Day’: Schumann’s Music in Britain in the Later Nineteenth Century, in: Matthias Wendt (Hg.), Robert und Clara Schumann und die nationalen Musikkulturen des 19. Jahrhunderts. Bericht über das 7. Internationale Schumann-Symposion am 20. und 21. Juni 2000 im Rahmen des 7. Schumann-Festes, Düsseldorf (Schumann Forschungen, 9), Mainz 2005, 153–165. Maw, David, ‘Phantasy mania’: Quest for a National Style, in: ders. und Emma Hornby (Hgg.), Essays on the History of English Music in Honour of John Caldwell. Sources, Style, Performance, Historiography, Woodbridge 2010, 97–121. , ‘I am a “modern” in this, but a Britisher too’: Howells and the Phantasy, in: ders. und Phillip A. Cooke (Hgg.), The Music of Herbert Howells, Woodbridge 2013, 185–221. May, Roland, T. J. Gueritte und Karl W. Mautner, oder: Wie Emigranten den Spannbeton nach Großbritannien brachten, in: Heiderose Kilper (Hg.), Migration und Baukultur. Transformation des Bauens durch individuelle und kollektive Einwanderung, Basel 2019, 203–219. McGuire, Charles Edward, Edward Elgar: “Modern” or “Modernist?” Construction of an Aesthetic Identity in the British Music Press, 1895–1934, in: The Musical Quarterly 91/1–2 (2008), 8–38. McKenna, Marian C., Myra Hess. A Portrait, London 1976. McVeigh, Simon, The Society of British Musicians (1834–1865) and the Campaign for Native Talent, in: Christina Bashford und Leanne Langley (Hgg.), Music and British Culture, 1785– 1914. Essays in Honour of Cyril Ehrlich, Oxford 2000, 145–168. und Cyril Ehrlich, The Modernisation of London Concert Life Around 1900, in: Michael Talbot (Hg.), The Business of Music, Liverpool 2002, 96–120. , A Free Trade in Music: London during the Long 19th Century in a European Perspective, in: Journal of Modern European History / Zeitschrift für moderne europäische Geschichte / Revue d’histoire européenne contemporaine 5/1, Demarcation and Exchange. „National“ Music in 19th Century Europe (2007), 67–94. , Building a Concert Career in Edwardian London, in: Rosemary Golding (Hg.), The Music Profession in Britain, 1780–1920. New Perspectives on Status and Identity, London 2018, 189–219. Moore, Jerrold Northrop, Edward Elgar. A Creative Life, Oxford 1984. Müller, Sven Oliver, ‘A Musical Clash of Civilisations’? Musical Transfers and Rivalries Around 1900, in: Dominik Geppert und Robert Gerwarth (Hgg.), Wilhelmine Germany and Edwardian Britain. Essays on Cultural Affinity, Oxford 2008, 305–329. , Das Publikum macht die Musik. Musikleben in Berlin, London und Wien im 19. Jahrhundert, Göttingen 2014. Murray, Kenneth James, Spanish Music and Its Representations in London (1878–1930): From the Exotic to the Modern, Diss. Melbourne Conservatorium of Music 2013.

377

Quellen und Literatur

Myers, Rollo S. [recte Rollo Hugh], Edwin Evans [Nachruf], in: The Musical Times 86/1226 (1945), 105f. , Debussy, London 1948. , Ravel. Life and Works, London 1960. , Modern French Music. Its Evolution and Cultural Background from 1900 to the Present Day, Oxford 1971. Near, John R., Widor. A Life Beyond the Toccata, Rochester 2011. Nectoux, Jean-Michel, Fauré. Seine Musik, sein Leben. „Die Stimmen des Clair-obscur“, aus dem Französischen von Norbert Kautschitz, Kassel 2013. , John Sargent et Gabriel Fauré. Chronique d’une amitié, in: Yves Balmer, Alban Framboisier, Fabien Guilloux und Catherine Massip (Hgg.), Musiques, images, instruments. Mélanges en l’honneur de Florence Gétreau (Music and Visual Cultures, 5), Turnhout 2019, 351–360. Newell, H. G., William Yeates Hurlstone. Musician and Man, London 1936. Nichols, Roger, The Reception of Debussy’s Music in Britain up to 1914, in: Richard Langham Smith (Hg.), Debussy Studies, Cambridge 1997, 139–153. , The Harlequin Years. Music in Paris 1917–1929, Berkeley und Los Angeles 2002. , Ravel, New Haven und London 2011. , Ravel and the Twentieth Century, in: Deborah Mawer (Hg.), The Cambridge Companion to Ravel, Cambridge 2011, 240–250. Norris, Gerald, Stanford. The Cambridge Jubilee and Tchaikovsky, Newton Abbot 1980. November, Nancy, Cultivating String Quartets in Beethoven’s Vienna, Woodbridge 2017. O’Connell, Kevin, Stanford and the Gods of Modern Music, in: The Musical Times 146/1890 (2005), 33–44. Orledge, Robert, Fauré’s ‘Pelléas et Mélisande’, in: Music & Letters 56/2 (1975), 170–179. , Fauré en Angleterre, in: Bulletin. Association des Amis de Gabriel Fauré 13 (1976), 10–16. , Gabriel Fauré, London 1979. Palmer, Christopher, Delius, Vaughan Williams and Debussy, in: Music & Letters 50/4 (1969), 475–480. , Impressionism in Music, New York 1973. , Cyril Scott. Centenary Reflections, in: The Musical Times 120/1639 (1979), 738–741. Pasler, Jann, A Sociology of the Apaches: ‘Sacred Battalion’ for Pelléas, in: Barbara L. Kelly und Kerry Murphy (Hgg.), Berlioz and Debussy: Sources, Contexts and Legacies. Essays in Honour of François Lesure, Aldershot 2007, 149–166. Payne, Anthony, Frank Bridge – Radical and Conservative, London 1999. Pearson, Neil, Obelisk. A History of Jack Kahane and the Obelisk Press, Liverpool 2007. Piatigorsky, Anna, The Campaign for French Music: The Société des Concerts Français and the Critical Reception of French Music in Britain 1907–1915, Masterarbeit University of Melbourne 2018. Pirie, Peter J., The Lost Generation, in: The Musical Times 96/1346 (1955), 194f. , The Unfashionable Generation, in: High Fidelity 16 (1966), 59–62. , Debussy and English Music, in: The Musical Times 108/1493 (1967), 599–601. , The English Musical Renaissance, London 1979. Prictor, Megan, “Bach and Beethoven... are G o d s”: The Role of the German Composer in English Music Appreciation, 1919–1939, in: Christa Brüstle und Guido Heldt (Hgg.), Music

378

Sekundärliteratur

as a Bridge. Musikalische Beziehungen zwischen England und Deutschland 1920–1950 (Studien und Materialien zur Musikwissenschaft, 37), Hildesheim 2005, 17–31. Radford, Andrew und Victoria Reid (Hgg.), Franco-British Cultural Exchanges, 1880–1940. Channel Packets, Basingstoke 2012. Rapoport, Michel, Debussy et les Proms, in: Myriam Chimènes und Alexandra Laederich (Hgg.), Regards sur Debussy, Paris 2013, 477–489. Rathert, Wolfgang, Ein „monstre sacré“? Francks Klavierquintett in seiner Zeit, in: Peter Jost (Hg.), César Franck. Werk und Rezeption, Stuttgart 2004, 74–87. Ratner, Sabina Teller, Camille Saint-Saëns, 1835–1921: A Thematic Catalogue of His Complete Works, Vol. I: The Instrumental Works, Oxford 2002. , Saint-Saëns in England: His Organ Symphony, in: Jann Pasler (Hg.), Camille Saint-Saëns and His World, Princeton 2012, 161–166. Richards, Fiona, The Music of John Ireland, Aldershot 2000. Riley, Matthew (Hg.), British Music and Modernism, 1895–1960, Farnham 2010. und Anthony D. Smith, Nation and Classical Music. From Handel to Copland, Woodbridge 2016. Robertson, Alec, Arthur Bliss. b. 1891, in: A. L. Bacharach (Hg.), British Music of Our Time, Harmondsworth 1946, 150–160. Rodmell, Paul, Charles Villiers Stanford, Aldershot 2002. , French Music in Britain 1830–1914, London und New York 2021. Rodriguez, Philippe, Georges Jean-Aubry : infatigable passeur des arts, in: Cahiers Maurice Ravel 8 (2004), 119–135. Rosen, Carole, The Goossens. A Musical Century, Boston 1993. Rosenthal, Harold D., Two Centuries of Opera at Covent Garden, London 1958. Ross, James, Music in the French Salon, in: Richard Langham Smith und Caroline Potter (Hgg.), French Music Since Berlioz, Aldershot 2006, 91–115. Samazeuilh, Gustave, Musiciens de mon temps. Chroniques et souvenirs, Paris 1947. Sampsel, Laurie J., Cyril Scott. A Bio-Bibliography (Bio-Bibliographies in Music, 79), Westport 2000. Savage, Heather de, The American Reception of Gabriel Fauré: From Francophile Boston, 1892–1945, to the Broader Postwar Mainstream, Diss. University of Connecticut 2015. Saylor, Eric, English Pastoral Music. From Arcadia to Utopia, 1900–1955, Urbana 2017. Scaife, Nigel Clifford, British Music Criticism in a New Era: Studies in Critical Thought 1894–1945, Diss. University of Oxford 1994. Schaarwächter, Jürgen, Two Centuries of British Symphonism. From the Beginnings to 1945. A Preliminary Survey, 2 Vols., Hildesheim 2015. Scott, Desmond, Lewis Foreman und Leslie De’Ath (Hgg.), The Cyril Scott Companion. Unity in Diversity, Woodbridge 2018. Searle, Muriel V., John Ireland. The Man and His Music, Tunbridge Wells 1979. Seddon, Laura, British Women Composers and Instrumental Chamber Music in the Early Twentieth Century, Farnham 2013. Self, Geoffrey, The Music of E. J. Moeran, London 1986. Silbermann, Alphons, Australische Komponisten, in: Schweizerische Musikzeitung 102/5 (1962), 277–280.

379

Quellen und Literatur

Simeone, Nigel, Gallic Musings: English Writing on French Music, in: Nineteenth-Century Music Review 1/2 (2004), 93–101. , French Music in Wartime London. The Festival of English and French Music and the Concerts de Musique Française, Bangor 2005. Smallman, Basil, The Piano Trio. Its History, Technique, and Repertoire, Oxford 1990. , The Piano Quartet and Quintet. Style, Structure, and Scoring, Oxford 1994. Smith, Richard, Frank Schuster – Elgar’s Patron, in: The Elgar Society Journal 19/5 (2016), 4–18. Sobaskie, James William, Critical Responses to Nineteenth-Century French Music, in: NineteenthCentury Music Review, First View [2021], 1–9. Spicer, Paul, Herbert Howells, Bridgend 1998. Stockhem, Michel, Eugène Ysaÿe et la musique de chambre, Liège 1990. Stonequist, Martha Elisabeth, The Musical Entente Cordiale, 1905–1916, Diss. University of Colorado 1972. Stove, R. J., Franck after Franck: the Composer’s Posthumous Fortunes, in: The Musical Times 152/1914 (2011), 44–60. , César Franck. His Life and Times, Lanham 2012. Strasser, Michael, The Société Nationale and Its Adversaries: The Musical Politics of L’Invasion germanique in the 1870s, in: 19th-Century Music 24/3 (2001), 225–251. Strobel, Klaus, Zur Fauré-Rezeption in Deutschland, in: Peter Jost (Hg.), Gabriel Fauré. Werk und Rezeption, Kassel 1996, 186–196. Studd, Stephen, Saint-Saëns. A Critical Biography, London 1999. Suckling, Norman, Fauré, London 1946. , “La clarté française” in Orchestration, in: Music & Letters 27/3 (1946), 141–146. Synofzik, Thomas, Clara Schumann in England, in: Ingrid Bodsch (Hg.), On Tour. Clara Schumann als Konzertvirtuosin auf Europas Bühnen, Bonn 2019, 251–287. Tardif, Cécile, Fauré and the Salons, in: Tom Gordon (Hg.), Regarding Fauré (Musicology: A Book Series, 19), Amsterdam 1999, 1–14. Tatton, Thomas James, English Viola Music, 1890–1937, Doctor of Musical Arts Diss. University of Illinois 1976. Temperley, Nicholas, Xenophilia in British Musical History, in: Bennett Zon (Hg.), NineteenthCentury British Music Studies, Vol. 1, Aldershot 1999, 3–19. Thomas, Gareth James, The Impact of Russian Music in England 1893–1929, Diss. University of Birmingham 2005. Thomason, Geoffrey Edward, Brodsky and His Circle: Europan Cross-Currents in Manchester Chamber Concerts, 1895–1929, Diss. Manchester Metropolitan University 2016. Thomson, Aidan J., Elgar’s Critical Critics, in: Byron Adams (Hg.), Edward Elgar and His World, Princeton 2007, 193–222. , Becoming a National Composer: Critical Reception to c. 1925, in: ders. und Alain Frogley (Hgg.), The Cambridge Companion to Vaughan Williams, Cambridge 2013, 56–78. Townshend, Nigel, The Achievement of John Ireland, in: Music & Letters 24/2 (Apr. 1943), 65–74. Trillig, Johannes, Untersuchungen zur Rezeption Claude Debussys in der zeitgenössischen Musikkritik (Frankfurter Beiträge zur Musikwissenschaft, 13), Tutzing 1983.

380

Sekundärliteratur

Trowell, Brian, The Road to Brinkwells. The Late Chamber Music, in: Lewis Foreman (Hg.), Oh, My Horses! Elgar and the Great War, Rickmansworth 2001, 346–385. Tudor, Philippa, The Composer and the Critic. Gustav Holst and Edwin Evans, in: The Musical Times 157/1937 (2016), 71–86. Vuillermoz, Émile, Histoire de la musique, Paris 1949. Wade, Bryan L., The Four String Quartets of Frank Bridge, Diss. Catholic University of America 1995. Watson, Monica, York Bowen. A Centenary Tribute, London 1984. Watt, Paul, Ernest Newman. A Critical Biography, Woodbridge 2017. , Musical and Literary Networks in the Weekly Critical Review, Paris, 1903–1904, in: Nineteenth-Century Music Review 14 (2017), 33–50. , The Regulation and Reform of Music Criticism in Nineteenth-Century England (Royal Musical Association Monographs, 31), London 2018. , British Music Criticism, 1890–1945, in: Christopher Dingle (Hg.), The Cambridge History of Music Criticism, Cambridge 2019, 371–391. Weber, William, The Great Transformation of Musical Taste. Concert Programming from Haydn to Brahms, Cambridge 2008. , Musical Canons, in: Paul Watt, Sarah Collins und Michael Allis (Hgg.), The Oxford Handbook of Music and Intellectual Culture in the Nineteenth Century, Oxford 2020, 319–341. Weller, Beth Anne, The Reception of Schubert in England, 1828–1883, Diss. King’s College London 2015. Wenzel, Silke, Clotilde Kleeberg, in: Beatrix Borchard und Nina Noeske (Hgg.), MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, Hamburg 2003ff., Stand 23.11.2017, https://mugi.hfmt-hamburg.de/artikel/Clotilde_Kleeberg.html (Zugriff 24.10.2021). , Fanny Frickenhaus, in: Beatrix Borchard und Nina Noeske (Hgg.), MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, Hamburg 2003ff., Stand 25.9.2018, https://mugi.hfmt-hamburg.de/artikel/Fanny_Frickenhaus.html (Zugriff 24.10.2021). Westrup, J. A., Frank Bridge. 1879–1941, in: A. L. Bacharach (Hg.), British Music of Our Time, Harmondsworth 1946, 75–82. White, John, Lionel Tertis. The First Great Virtuoso of the Viola, Woodbridge 2006. Whiteley, John Scott, Joseph Jongen and His Organ Music (The Complete Organ, 2), Stuyvesant 1997. Woodhouse, Edward Luke Anderton, The Music of Johannes Brahms in Late Nineteenth and Early Twentieth Century England and an Assessment of His Reception and Influence on the Chamber and Orchestral Works of Charles Hubert Hastings Parry and Charles Villiers Stanford, 3 Vols., Diss. Durham University 2012. Wright, David C. H., Music and Musical Performance: Histories in Disjunction, in: Colin Lawson und Robin Stowell (Hgg.), The Cambridge History of Musical Performance, Cambridge 2012, 169–206. , The Royal College of Music and Its Contexts: An Artistic and Social History, Cambridge 2020. Zigler, Amy Elizabeth, Selected Chamber Works of Dame Ethel Smyth, Diss. University of Florida 2009.

381

Dank

Diese Untersuchung entsprang einer persönlichen Leidenschaft für französische und englische Kammermusik und der Neugier auf deren Kontexte und Zusammenhänge. Für die Gelegenheit und den Freiraum, auch die Forschung zur Leidenschaft werden lassen zu dürfen, sowie jegliche Unterstützung danke ich in erster Linie meiner Hauptbetreuerin Prof. Dr. Inga Mai Groote. Gleichfalls für wertvolle Anregungen und die Übernahme der Ko-Betreuung danke ich Prof. Dr. Laurenz Lütteken. Das Musikwissenschaftliche Institut der Universität Zürich bot ideale Arbeitsbedingungen. Allen Kolleginnen und Kollegen danke ich für die angenehme Atmosphäre und Gespräche über das Thema sowie darüber hinaus. Für die Aufnahme meiner Dissertation in die Reihe Musikwissenschaftliche Publikationen bin ich Prof. Dr. Stefan Keym und Prof. Dr. Herbert Schneider dankbar, ebenso dem Georg Olms Verlag und der Lektorin Ulrike Böhmer für die Zusammenarbeit. Archiv- und Bibliotheksrecherchen in England und Wales ermöglichten den Zugang zu wesentlichen Materialien. Dabei möchte ich den Mitarbeitenden der Royal College of Music Library, der British Library, der National Library of Wales, Aberystwyth, und des City of Westminster Archive danken. Aus der Ferne stellten freundlicherweise das Conservatoire royal de Bruxelles sowie Christopher Johnson (Brooklyn) Quellen zur Verfügung. Besonderen Dank möchte ich Emily Woolf vom Wigmore Hall Archive ausdrücken, darunter für die Reproduktionen von Programmheften. Für Abbildungen und die Erlaubnis zum Abdruck habe ich außerdem Federica Nardacci und Michael Mullen (Royal College of Music), Iwan ap Dafydd (National Library of Wales), Olivia Wahnon de Oliveira (Conservatoire royal de Bruxelles) und deren Institutionen zu danken. Zu guter Letzt: Danke an meine Familie sowie Kari für eure stetige Teilhabe und Unterstützung!

383

Personenverzeichnis

Die Verweise stellen in vielen Fällen nur eine Auswahl dar und beziehen sich ggf. auf den Beginn eines relevanten Abschnitts. Kursive Seitenzahlen verweisen auf Anmerkungen.

Albéniz, Isaac, 37, 119, 154 Allied String Quartet, 90, 171, 187, 273 Alvar-Harding, Louise, 172 Aprahamian, Felix, 291, 353 d’Aranyi, Jelly, 172 Arbós, Enrique Fernández, 37, 61 Ashton, Algernon, 46, 209, 247, 255, 257 Astruc, Yvonne, 111, 162, 172 Aubert, Louis, 118 Auer, Leopold, 33, 35 Bache, Walter, 25, 28, 32 Bantock, Granville, 11, 88, 190, 231, 240, 254 Barbier, Lucie, 79, 102, 144, 191 Barbirolli, John, 73, 89, 166, 337 Barlow, Fred, 195 Barns, Ethel, 162, 262, 303 Bath, Hubert, 195, 256 Bathori(-Engel), Jane, 98, 143, 155, 190, 217, 247, 338 Bauer, Harold, 55, 137, 174, 343 Bax, Arnold, 62, 144, 188, 195, 205, 231, 249, 255, 266, 349 Bazelaire, Paul, 108 Beckwith, Arthur, 65, 160 Beecham, Thomas, 16, 104, 188, 192, 249, 312, 343 Bellairs, Ralph H., 216 Benjamin, Arthur, 230, 266 Bennett, William Sterndale, 27, 48, 257 Berlioz, Hector, 35, 176, 219, 251, 300 Berlioz; Hector, 119 Bernard, Émile, 118 Bertelin, Albert, 118 Bizet, Georges, 36, 213 Blagrove, Henry, 23, 32

Bliss, Arthur, 105, 196, 203, 227, 229, 250, 328, 349 Bloch, Ernest, 197, 332 Bonavia, Ferruccio, 200 Bonnal, Ermend, 290 Bordes, Charles, 118, 176, 293 Borwick, Leonard, 84, 137, 246 Boughton, Rutland, 11, 229 Boulanger, Nadia, 95, 195 Boulestin, Marcel, 193 Boult, Adrian, 75, 205, 312 Bowen, York, 65, 145, 195, 218, 230, 255, 266 Bréville, Pierre de, 118, 176, 338 Bridge, Frank, 62, 83, 138, 161, 187, 196, 247, 255, 262, 268 British String Quartet, 85, 347 Britten, Benjamin, 26, 96, 197, 243, 269, 286 Brodsky, Adolph, 23, 78, 104, 160 Browne, William Denis, 234, 302 Bruneau, Alfred, 55, 212, 220 Bülow, Hans von, 28, 35 Busoni, Ferruccio, 61, 256, 349 Büsser, Henri, 176 Calvocoressi, Michel-Dimitri, 43, 70, 170, 192, 210, 242, 323 Capell, Richard, 90, 309 Caplet, André, 98, 118, 169 Carse, Adam von Ahn, 85, 262 Casals, Pablo, 66, 84, 174, 272 Casella, Alfredo, 116, 172, 197, 204 Castillon, Alexis de, 119, 186 Catterall, Arthur, 62, 66, 106, 151, 162, 171 Chabrier, Emmanuel, 38, 118, 176, 211 Chaminade, Cécile, 42, 176

385

Chappell, Arthur, 22, 73, 245 Charpentier, Gustave, 143, 176, 213 Chausson, Ernest, 38, 97, 156, 176, 218 Christie, Winifred, 105, 161, 315 Clark, Edward, 201, 216, 349 Clarke, Rebecca, 141, 159, 174, 257, 331 Clench, Nora, 137, 303, 333 Clutsam, George H., 87, 169, 200, 215, 295 Coates, Eric, 62, 229 Cobbett, Walter Willson, 44, 51, 89, 115, 223, 257, 260, 276, 289, 317, 346 Coenen, Willem, 24, 27, 33 Cohen, Alexander, 63, 85, 160, 166 Cohen, Harriet, 188, 209, 336 Coleridge-Taylor, Samuel, 254, 266 Colles, H. C., 15, 29, 200, 227 Coolidge, Elizabeth Sprague, 173, 269, 322, 332 Corder, Frederick, 43, 145, 233, 255, 266 Corder, Paul, 195, 256 Cortot, Alfred, 66, 89, 152, 158, 174, 202 Cowen, Frederic, 35, 59, 141, 191 Cracroft, Mary, 137 Cras, Jean, 119 Cumberland, Gerald, 11, 109, 234, 255 Cunard, Maud (Lady), 106, 188 Dakyns, H. G., 200 Dale, Benjamin, 187, 195, 234, 255, 262, 266, 332, 350 Daly, William H., 216 Dannreuther, Edward, 25, 28 Daubert, Hugo, 28, 32, 34 Davies, Fanny, 37, 51, 63, 104, 137 Davies, Henry Walford, 29, 61, 248, 266 Davis, John David, 62, 161, 250, 255 Debussy, Claude, 38, 97, 136, 176, 202, 215, 229, 299 Defauw, Désiré, 89, 111, 152, 161, 171, 187, 190, 293, 336 Delafosse, Léon, 78, 337 Delage, Maurice, 196, 299, 329 Delibes, Léo, 36, 47, 176, 345 Delius, Frederick, 82, 145, 167, 192, 317, 342 Delsart, Jules, 40, 45, 57

386

Delvincourt, Claude, 197 Demuth, Norman, 156, 316, 329, 345, 350 Dent, Edward J., 16, 205, 257, 328 Diémer, Louis, 38, 40, 45, 104 Dieren, Bernard van, 328, 337 Djagilew, Sergei, 16, 168, 205, 312 Doehaerd, Emile, 90, 161, 187, 293 Douste de Fortis, Louise und Jeanne, 47, 105 Draper, Charles, 46, 256 Draper, Muriel, 66, 152, 174, 313, 332 Dubois, Théodore, 46, 107, 213 Dukas, Paul, 12, 38, 118, 154, 176, 189, 218 Dumas, Louis, 111, 118 Dumesnil, Maurice, 111, 169, 351 Dunhill, Thomas, 28, 63, 85, 224, 245, 254, 262, 326 Duparc, Henri, 101, 108, 118, 153, 176, 190, 218 Dupin, Paul, 223 Dupont, Gabriel, 118, 171, 219, 224 Durey, Louis, 190, 204, 222 Duval-Yzelen, Emile, 208 Edwards, Rhoda, 215 Eggar, Katharine E., 257 Elgar, Edward, 83, 88, 95, 142, 191, 255, 345 Ella, John, 21, 40 Enescu, George, 116, 170 English String Quartet, 65, 137, 164, 272 d’Erlanger, Frédéric (Baron), 105, 116, 176, 204 Evans, Edwin, 28, 97, 143, 167, 190, 204, 218, 236, 254, 313, 350 Falla, Manuel de, 116, 150, 202, 314, 349 Fauré, Gabriel, 35, 69, 104, 187, 203, 212, 268, 299, 339, 345 Fenney, William J., 262 Février, Henry, 107, 118 Fleury, Louis, 83, 106, 111, 176, 337 Fogg, Eric, 262 Forrester, James Cliffe, 262 Fowles, Ernest, 247 Franck, César, 31, 54, 154, 212, 323, 345

Frickenhaus, Fanny, 45, 50, 55 Friskin, James, 164, 247, 255, 262, 332 Fry, Roger, 17, 168 Fuller Maitland, John Alexander, 32, 200, 213, 219, 228, 296 Gallois, Victor, 108 Ganaye, Jean-Baptiste, 115, 119 Gardiner, Henry Balfour, 63, 109, 195, 247, 255, 298 Gatty, Nicholas, 251, 290 Gaubert, Philippe, 119 Géloso, César, 107 Geloso Quartet (Albert), 66, 111, 152 Gibbs, Cecil Armstrong, 63, 204, 251, 262 Gibson, Alfred, 23, 78, 272 Godard, Benjamin, 35, 43, 46, 213, 291 Goddard, Scott, 172, 221, 326, 350 Gompertz, Richard, 37, 46, 77 Goossens, Eugene, 65, 111, 159, 172, 190, 229, 242, 251, 311 Gounod, Charles, 36, 48, 175, 212 Grainger, Percy, 65, 82, 137, 255, 296, 343 Gray, Cecil, 217, 222, 243, 315 Grieg, Edvard, 30, 37, 71, 142, 296, 342 Grimshaw, Arthur E., 116, 216, 257 Grimson, Jessie, 63, 137, 161, 272 Gritton, Eric, 262 Grovlez, Gabriel, 118, 169, 176, 223 Guéritte, Tony, 98, 143, 191, 200, 239 Hadow, W. H., 216, 226 Hahn, Reynaldo, 104, 107, 169, 176 Hale, Philip, 218 Hallé, Charles, 23, 28, 50, 76 Harrison, Beatrice, 308 Harrison, Margaret, 308 Harrison, May, 84 Harty, Hamilton, 62, 84, 159, 261 Hay, Edward Norman, 262 Hayward, Marjorie, 65, 161, 290, 325, 327, 334 Hazlehurst, Cecil, 262 Henkel, Lily, 84, 105, 111, 160 Henry, Leigh, 172, 202, 222, 349 Hervey, Arthur, 36, 199, 212

Heseltine, Philip, 64, 243, 320, 328, 336, 344 Hess, Myra, 63, 145, 155, 172, 192, 269, 334, 353 Hill, Ralph, 284, 351 Hinton, Arthur, 255 Hobday, Alfred, 47, 60, 78, 160, 187 Hobday, Ethel, 62, 85, 152, 327, 341 Holbrooke, Joseph, 65, 195, 247, 258, 266 Holländer, Benno, 23, 34 Hollman, Joseph, 42, 45, 49, 50, 76 Holmès, Augusta, 47, 54 Holst, Gustav, 197, 204, 243, 255, 266, 312 Howard-Jones, Evlyn, 62, 308 Howells, Herbert, 63, 251, 257, 268, 330 Hüe, Georges, 119 Huré, Jean, 85, 118, 197, 291 Hurlstone, William, 85, 160, 247, 254, 262, 266 d’Indy, Vincent, 46, 107, 153, 208, 215 Inghelbrecht, Désiré-Émile, 118, 169 Inwards, Haydn, 23, 46, 137 Ireland, John, 85, 190, 255, 262, 283, 326, 335, 352 Jaëll, Alfred, 35 James, Ivor, 65, 83, 141, 188 Jarnach, Philipp, 116 Jean-Aubry, G., 97, 186, 196, 201, 235 Jeremy, Raymond, 65, 187 Jervis-Read, Harold, 195 Joachim, Joseph, 22, 30, 246, 272, 285 Johnson, Herbert, 63, 85, 160, 171 Jongen, Joseph, 116, 152, 161, 174, 293 Kahane, Jack, 11, 109 Kelly, F. S., 82, 168, 246, 275, 306 Kleeberg, Clotilde, 46, 60, 137 Klein, Hermann, 33, 220 Klindworth, Karl, 25, 31 Koechlin, Charles, 71, 80, 118, 212 Kreisler, Fritz, 61, 247, 300 Kreuz, Emil, 46, 61, 77 Kruse, Johann, 22, 137, 245, 301

387

La Prade, Ernest, 161, 187 Lalo, Edouard, 32, 108, 118, 176, 213 Laloy, Louis, 151 Lambert, Constant, 59, 222, 243, 353 Lamoureux, Charles, 22, 36, 38, 54, 153 Langford, Samuel, 108, 200 Langley, Beatrice, 42, 84, 160, 164, 291 Lara, Isidore de, 175, 227, 249, 292, 308 Lasserre, Jules, 33, 40 Laurencie, Lionel de La, 43, 150, 217 Lazzari, Sylvio, 162, 251 Leeds Bohemian Quartet, 61, 138, 154, 167 Legge, Robin H., 117, 177, 193, 199, 239 Lekeu, Guillaume, 38, 118, 159, 174, 224, 256, 307 Lenormand, René, 118 Leroux, Xavier, 176 Levy-Lawson, Harry (Lord Burnham), 177 Liebich, Franz, 77, 98, 105, 150, 156, 202 Liebich, Louise, 105, 150, 166, 215, 230 Liotard-Vogt, Alfred, 105, 169 Lockspeiser, Edward, 96, 197 London String Quartet, 65, 151, 196, 250, 269, 308, 314, 338, 341 Long, Kathleen, 353 Long, Marguerite, 81 Lortat, Robert, 83 Ludwig, Paul, 50, 78 Luquiens, Hélène M., 98, 168 Lutyens, Elisabeth, 18, 201, 287, 352 Macfarren, George Alexander, 22, 32, 234 Mackenzie, Alexander, 28, 44, 166, 191, 218, 232, 263 Maddison, Adela, 62, 77, 299, 339 Magnard, Albéric, 118, 155, 177, 212, 223, 256, 333 Malipiero, Gian Francesco, 204, 314 Mangeot, André, 89, 111, 150, 156, 172, 197, 314, 337, 350 Manns, August, 38, 153 Marchesi, Blanche, 118, 153 Mason, Gwendolen, 353 Massenet, Jules, 36, 40, 176, 212 Matthay, Tobias, 187, 256 Mawson, Lucie, 137

388

Mayer, Tony, 352 McEwen, John Blackwood, 27, 63, 187, 234, 237, 247, 255, 262, 266 Messager, André, 74, 150, 170, 192 Midgley, Samuel, 85, 248 Milhaud, Darius, 190, 196, 223, 329, 350 Moeran, E. J., 188, 257, 283, 335 Montagu-Nathan, M., 105, 223 Moreau, Léon, 118 Moret, Ernest, 118 Motto, Marie, 60, 272 Mukle, May, 42, 84, 137, 153, 160, 164, 172, 269, 325, 334 Murdoch, William, 55, 86, 151, 161, 282, 292 Myers, Rollo Hugh, 105, 237, 350 Nat, Yves, 111, 159, 195, 219 Newman, Ernest, 151, 217, 240, 254, 351 Newmarch, Rosa, 199, 226, 235 Nin, Joaquín, 111 Norman-Neruda, Wilma (Lady Hallé), 22, 34, 76 O’Connor-Morris, Geoffrey, 85, 111, 161, 162, 262 O’Donnell, B. Walton, 262 O’Neill, Norman, 195, 255, 298, 337 Ortmans, René, 45, 55 Parisian Quartet (Quatuor Willaume), 98, 145, 156, 164 Parry, Hubert, 28, 43, 81, 141, 191, 227 Parsons, Herbert, 60, 85, 160 Pfeiffer, Georges, 47 Philharmonic String Quartet, 65, 171, 196, 250, 308, 313, 329 Piatti, Alfredo, 22, 34 Pierné, Gabriel, 78, 85, 118, 162, 177, 248 Pitsch, Georges, 106, 111, 153, 197 Pitt, Percy, 150, 191, 204, 338 Poldowski (Régine Wieniawski, Lady Dean Paul), 105, 116 Pollain, Fernand, 106, 111 Poulenc, Francis, 103, 209, 349 Pound, Ezra, 188 Presle, Jacques de la, 176

Quilter, Roger, 82, 190, 255, 298 Rachmaninow, Sergei, 39, 145, 349 Ravel, Maurice, 38, 97, 163, 176, 196, 202, 210, 219, 273, 299, 313, 323, 333 Reed, W. H., 262 Reger, Max, 44, 62, 109, 139, 164, 247, 256, 300, 317 Reuchsel, Amédée und Maurice, 115, 118 Richter, Hans, 11, 83, 104 Ries, Louis, 22, 50, 78 Risler, Édouard, 81, 160 Rivarde, Achille, 60, 272, 343 Robinson, Edith, 63, 137 Roland-Manuel, 186, 222 Rolland, Romain, 16, 43, 225 Ronald, Landon, 95, 195 Ronay, Kalman, 251 Rootham, Cyril, 62, 250 Ropartz, Guy, 98, 119, 213, 223 Rosenbloom, Sydney, 63, 290 Rothschild, Aline Caroline de (Lady Sassoon), 105 Roussel, Albert, 101, 118, 155, 190, 202, 219, 353 Rubinstein, Arthur, 66, 152, 162, 174 Runciman, John F., 59, 87, 170, 226 Saint-Marceaux, Marguerite de, 297, 339 Saint-Saëns, Camille, 33, 48, 104, 212, 220 Salmond, Felix, 57, 86, 138, 161, 282, 345 Samazeuilh, Gustave, 162, 197, 223, 231, 256 Sammons, Albert, 65, 86, 151, 162, 173, 250, 262, 282, 292, 321 Samuel, Harold, 89, 111, 176, 334 Sargent, John Singer, 40, 75, 174, 247 Sassoon, Siegfried, 76, 95 Satie, Erik, 186, 190, 202, 211, 222 Schmitt, Florent, 101, 118, 168, 176, 196, 202, 219, 299, 323, 342 Schumann, Clara, 23, 30 Schuster, Leo (Frank), 75, 83, 104, 330, 338, 346 Scontrino, Antonio, 322 Scott, Cyril, 61, 151, 163, 196, 247, 255, 295

Scott, Marion M., 257, 330 Scott-Ellis, Thomas (Lord Howard de Walden), 105, 172, 251 Selva, Blanche, 86, 106, 111, 154, 209 Séverac, Déodat de, 101, 118, 154, 176, 211, 219 Sgambati, Giovanni, 37 Sharp, Cecil, 240 Sharpe, Cedric, 65, 84, 95 Sharpe, Herbert, 84, 171 Shaw, George Bernard, 30, 52, 72, 150, 296 Shera, Frank Henry, 105, 222 Sibelius, Jean, 145, 242, 348 Singer, Winnaretta (Princesse de Polignac), 76, 188, 337, 353 Sjögren, Emil, 37, 47, 248 Smyth, Ethel, 30, 104, 150, 192, 204, 337 Solly, Harriet, 105, 156 Somervell, Arthur, 195 Spain-Dunk, Susan, 262 Sparrow, Sylvia, 152, 187 Speaight, Joseph, 247, 257 Speyer, Edgar, 142, 150, 173, 338 Speyer, Edward, 246, 272 Speyer, Leonora, 83, 104, 150, 338 Squire, William Henry, 47, 78, 81 Stanford, Charles Villiers, 29, 191, 227, 255, 265, 273, 285, 312, 328 Straeten, Edmund van der, 46, 150 Straus, Ludwig, 23, 29, 34, 72 Strauss, Richard, 16, 44, 64, 142, 145, 207, 227, 234, 247, 273, 311, 345 Strawinsky, Igor, 204, 241, 251, 284, 297, 312, 322, 329, 349 Suart, Evelyn, 61, 84, 137, 156, 163, 300 Suckling, Norman, 70, 352 Sullivan, Arthur, 191, 234 Swinton, Elizabeth (Elsie), 82, 150, 195, 303, 338 Symons, Arthur, 59, 87, 104, 140, 200, 215 Tertis, Lionel, 62, 66, 86, 111, 137, 152, 161, 187, 192, 246, 269, 303 Thibaud, Jacques, 53, 57, 158, 174, 353 Thirion, Louis, 290 Thomé, Francis, 40, 73

389

Touche, Firmin, 111, 155 Tovey, Donald F., 227, 246, 255, 262, 266 Trowell, Arnold, 109, 248, 262 Tyrwhitt, Gerald (Lord Berners), 190, 195, 204, 259 Vaughan Williams, Ralph, 105, 168, 192, 205, 233, 255, 291, 322 Veluard, Antoinette, 111, 155, 195 Verne-Bredt, Alice, 262 Viñes, Ricardo, 98, 168, 189, 202, 209, 297 Vierne, Louis, 162, 176, 290 Vreuls, Victor, 116, 174, 224 Vuillermoz, Émile, 197, 231 Waefelghem, Louis van, 33, 45 Walker, Ernest, 109, 166, 227, 247, 255, 266, 327 Wallace, William, 209, 254 Walthew, Richard H., 91, 209, 223, 247, 254, 262, 266 Walton, William, 197, 209, 331, 349

390

Warner, Harry Waldo, 65, 85, 152, 197, 232, 250, 258, 262, 334 Warwick-Evans, Charles, 65, 291 Webb, Henry, 23 Weitz, Guy, 116, 174, 250 Wessely Quartet, 66, 137, 164, 256 Whitehouse, William, 23, 72 Whittaker, William Gillies, 116, 200, 216, 230 Widor, Charles-Marie, 38, 41, 215 Wolff, Johannes, 39, 45, 73 Wood, Charles, 250, 257 Wood, Haydn, 262 Wood, Henry, 59, 95, 104, 141, 156, 170, 249, 312, 332 Woodhouse, Charles, 90, 187, 303 Woollett, Henry, 98, 118 Ysaÿe, Eugène, 38, 49, 56, 72, 152, 156, 174 Ysaÿe, Théophile, 55, 86, 176 Zerbini, Jean-Baptiste, 23, 34