Mimen-Ekphrasis: Schauspielkunst in der Literatur um 1800 und um 1900 [1 ed.] 9783737005395, 9783847105398

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Mimen-Ekphrasis: Schauspielkunst in der Literatur um 1800 und um 1900 [1 ed.]
 9783737005395, 9783847105398

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Palaestra Untersuchungen zur europäischen Literatur

Band 343

Begründet von Erich Schmidt und Alois Brandl Herausgegeben von Bernd Auerochs, Heinrich Detering und Maria Moog-Grünewald

Editorial Board: Irene Albers, Elisabeth Galvan, Julika Griem, Achim Hölter, Karin Hoff, Frank Kelleter, Katrin Kohl, Paul Michael Lützeler, Per Øhrgaard

Rüdiger Singer

Mimen-Ekphrasis Schauspielkunst in der Literatur um 1800 und um 1900

Mit einem Vorwort von Heinrich Detering Mit 38 Abbildungen

V& R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 0303-4607 ISBN 978-3-7370-0539-5 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de Diese Studie wurde im Frþhjahr 2014 von der Philosophischen FakultÐt der Georg-AugustUniversitÐt Gçttingen als Habilitationsschrift angenommen. Ihr Zustandekommen wurde wesentlich erleichtert durch ein zweijÐhriges Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung, die auch die Drucklegung durch einen großzþgigen Zuschuss ermçglichte.  2018, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: Titelillustration unter Verwendung von Anton Graffs GemÐlde Iffland als Pygmalion bei den Worten »aber eine Seele fehlet dir; deine Gestalt kann ihrer nicht entbehren« (1800), GKI 2669. Fotograf: Wolfgang Pfauder.  Stiftung Preußische Schlçsser und GÐrten Berlin-Brandenburg.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung. ›Rollenporträt‹ – ›Schauspielkunstbeschreibung‹ – ›Mimen-Ekphrasis‹: Annäherung an eine historische Textgattung . . . . 1. ›Rollenporträt‹/›Schauspielkunst-Beschreibung‹: eine Textgattung als theaterwissenschaftliche Entdeckung . . . . . . . . . . . . . . . 2. ›Schauspiel-Kunstbeschreibung‹: eine Textgattung im Zeichen des ›Laokoon-Problems‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. ›Ekphrasis‹: eine Textgattung aus Sicht der Intermedialitätsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. ›Ekphrasis‹: die Textgattung aus Sicht der antiken Rhetorik . . . . 5. ›Mimen-Ekphrasis‹: Implikationen eines terminologischen Vorschlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Korpusbildung und Analyseschwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . 7. Zur Forschungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I Poetik der Mimen-Ekphrasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Enargeia, eloquentia corporis und ästhetische Illusion . . . . . . 1.1 Körpersprache in enargeischer Beschreibungskunst . . . . . 1.2 Enargeia und actio bei Quintilian . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Enargeische actio und ästhetische Illusion in Hamlet . . . . . 1.4 Ein Shakespeare-Darsteller als Inbegriff enargeischer actio in Schauspieltheorie und Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Mimen-Ekphrasis als enargeische Wieder-Verkörperung in Hamlet, Revenge (1937) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. »[F]olgen Sie mir […] in einige Scenen«: Elemente der Ekphrasis 2.1 Elemente enargeischer Beschreibungskunst im Zeichen des »celare artem« (Cicero und Lichtenberg) . . . . . . . . . . . 2.1.1 Imaginations-Signale . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Einführung eines intradiegetischen Publikums . . . .

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Inhalt

2.1.3 Diskrete Empathie-Signale der Erzählinstanz . . . . . . 2.1.4 Zuspitzung auf handlungsintensive ›Szenen‹ . . . . . . . 2.1.5 Gegenstände als Konzentrate von Aktion . . . . . . . . . 2.1.6 Kontraste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.7 Plötzlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.8 Beleuchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.9 ›Sprechende‹ Details . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.10 ›Schemata‹ und Metaphorik . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Elemente enargeischer Kunstbeschreibung im Zeichen ausgestellter Intermedialität (Philostrat, Shakespeare und Lichtenberg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Die Enargeia von Text und graphischem Bild im Vergleich und als Wirkungskette . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Ebene 1: Die Enargeia der poetischen Bildvorlage . . . . 2.2.3 Ebene 2: Die Enargeia des beschriebenen Bildes . . . . 2.2.4 Ebene 3: Die Enargeia der beschreibenden Prunkrede . 2.2.5 Ausgestellte Intermedialität bei Shakespeare (Lucrece und »passionate speech«) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.6 Garrick als ›Bild des Entsetzens‹ bei Lichtenberg und in drei graphischen Bildern . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mimen-Ekphrasis und ›Bild‹-Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Zur Untergliederung des ›Bild‹-Begriffs . . . . . . . . . . . . . 3.2 Bild-Aspekte von Rolle, Verkörperung und Mimen-Ekphrasis: ein Schema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Image-Tendenz und Proteus-Ideal . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Funktionen von Mimen-Ekphrasen und graphischen Mimen-Bildern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Substitutions- und Memorialfunktion . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Transpositionsfunktion und paragonale Funktion . . . . . . . 4.3 Emotionalisierungs- und Evidenz-Funktion . . . . . . . . . . . 4.4 Analytische Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Mimen-Ekphrasis und Theaterwissenschaft . . . . . . . . . . . . . 5.1 Mimen-Ekphrasis und die Anfänge der Theaterwissenschaft . 5.2 »Erscheinung« und »Tätigkeit« des Schauspielers im System der »Aufführung als Text« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Die »Präsenz« des Schauspielers in der »Ästhetik des Performativen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

II Enargeia, Allegorie und Karikatur. Zur Entstehung der englischen Mimen-Ekphrasis und ihrer deutschen Rezeption im 18. Jahrhundert 1. Thersites und Verres: Leitthesen zu Enargeia und Karikatur . . . . 2. »Grief ’s true picture«: Intermedialität, vividness und Allegorie in einer anonymen Trauerelegie auf Richard Burbage (1619) . . . . . 2.1 Schauspielkunst und die Schwesterkünste . . . . . . . . . . . . 2.2 Vividness als Wiederbelebung des Toten . . . . . . . . . . . . . 2.3 Tod und Zunge: eine allegorische Szene zwischen Text und Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. »Corpulently Graceful«: Porträtkarikatur in Garricks Essay on Acting (1744) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 David Garrick als Däumling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 James Quin als Ertrinkender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. »The hardy Muse«: Allegorie und Karikatur in Churchills Rosciad (1761) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Der Rahmen: Schauspieler und Schiedsrichter . . . . . . . . . 4.2 Spöttische Karikaturen misslungener Schauspielkunst . . . . . 4.3 Kritik der bloßen Verzerrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Allegorisierende Beschreibungen gelungener Schauspielkunst . 5. »Dieser Herr Bediente«: Karikatur, Enargeia und Präsenz in Lichtenbergs Briefen aus England (1775–1778) . . . . . . . . . . . 5.1 Der Rahmen: ostentative Abschweifung und heimliche Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Spöttische Porträtkarikatur : Oper und Rollenfach-Überschreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Karikaturistische Stilisierung und character-Karikatur als mimische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Typologie jenseits der Allegorie: Garrick, Hogarth und Shakespeare als »Geistesverwandte« . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Körperliche Präsenz und galantes Gebaren . . . . . . . . . . . 5.6 Intermediale Bezüge und Reflexionen über Enargeia . . . . . . 5.7 Mimen-Ekphrasis und Theateranekdote . . . . . . . . . . . . . 5.8 Garricks Hamlet als Hogarth’scher ›Character‹ . . . . . . . . . 6. »Nach Shakespear’s Zeichnung«: Schinks Monographie Ueber Brockmanns Hamlet (1778) als Beispiel einer ›zergliedernden‹ Schauspielerkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

III Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹. Enargische Vermittlungsstrategien zwischen sensualistischer Detailbeobachtung und Gesamtdeutung in Böttigers Entwickelung des Ifflandischen Spiels (1796) . . . . . . . . . 1. »Flick- und Lappenwerk«: Tieck und Goethe kritisieren Böttiger im Zeichen der Autonomieästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Böttigers Zielbestimmung: analytische Funktion und Memorialfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Böttigers Leitmetapher ›Umriss‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Maske und Kostüm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Der erste Auftritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Gesamteindruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Einstimmung durch Motti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Böttigers Leitmetapher der »Vertheilung von Licht und Schatten« . 5. Böttigers Leitmetapher ›Schattierungen‹ – zwei Fallbeispiele . . . . 5.1 Das Milchglas des Lauschenden . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Das Entsetzen des Phantasierenden . . . . . . . . . . . . . . . 6. Böttigers ambivalente Haltung zu ›malerischer‹ Schauspielkunst . 6.1 Das Übertragbarkeits- und das Nachahmungsmodell ›malerischer‹ Schauspielkunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 ›Malerische‹ Schauspielkunst und ›Seelenmalerei‹ . . . . . . . 6.3 Relativierung ›malerischer‹ Schauspielkunst mit Diderot . . . 7. Böttigers Weiterführung der Leitvorstellung »Caricatur« . . . . . . 7.1 Ablehnung der ›Thersites-Technik‹ . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Spöttische Karikaturen missglückter Schauspielkunst . . . . . 7.3 ›Caricaturen-Rollen‹ und ›Character-Karikaturen‹ . . . . . . . 8. Böttigers ›Gesamtbild‹ »des Ifflandischen Spiels« . . . . . . . . . . 8.1 Verknüpfungen, »Beylagen« und Induktionen . . . . . . . . . 8.2 Die »Nachschrift« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes? Bemühungen um neue enargische Strategien im Zeichen der Autonomieästhetik . . . . . . 1. ›Strukturanalytisch‹, ›poetisch‹, ›konfigurierend‹: Optionen ›einheitlicher‹ Kunstbeschreibung nach Karl Philipp Moritz . . . 2. Symbolische Allegorie der enargeischen Wirkungskette: Goethes Elegie Euphrosyne (1798) als ›poetische‹ und ›konfigurierende‹ Mimen-Ekphrasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Andeutung ›ästhetischer Konfiguration‹ im Paratext . . . 2.2 Die Vision als ›poetisches‹ »Gebild« . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die symbolische ›Konfiguration‹ von Allegorie und Anekdote 2.4 Mimen-Ekphrasis oder monumentales Symbol? . . . . . . .

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Inhalt

3. Der Schauspieler als Bild der »Harmonie«: Humboldts Briefe Ueber die gegenwärtige Französische tragische Bühne (1799) als ›strukturanalytische‹ Mimen-Ekphrasis . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Verschiedene Extensionen des ›mimischen Kunstwerks‹ . . . 3.2 Der ›Umriss‹ des Schauspielerporträts . . . . . . . . . . . . . 3.3 Blasse Porträts ›finsterer‹ Rollenverkörperungen . . . . . . . 3.4 Nationalstil und Karikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Rezeptionsästhetik des mimischen ›Bildes‹ . . . . . . . . . . 3.6 Mimen-Ekphrasis oder ästhetische Abhandlung? . . . . . . . 4. ›Strukturanalytische‹ Theaterkritiken der ›Berliner Klassik‹ auf Iffland und sein Ensemble am Berliner Nationaltheater . . . . . . 4.1 Aufführungsrezensionen und Rollenporträts . . . . . . . . . 4.2 A. F. Bernhardis Schauspielerporträt Ueber Ifflands mimische Darstellungen (1799) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Romantische Mimen-Ekphrasis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Tiecks Kritiken als ›strukturanalytische‹ Mimen-Ekphrasen? 5.2 Bildgedicht und musikalische Ekphrasis als romantische Ausprägungen ›poetischer Kunstbeschreibung‹ . . . . . . . . 5.3 A.W. Schlegels Schauspielerinnen-Gedichte als ›poetische‹ Mimen-Ekphrasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V Poetische Mimen-Ekphrasis im Zeichen von ›nervöser Enargeia‹ und anti-literarischem Theater. Hofmannsthals Trauerelegien auf Friedrich Mitterwurzer (1898) und Josef Kainz (1910) . . . . . . . . . 1. Die Elegie Zum Gedächtnis des Schauspielers Mitterwurzer als Gegenmodell zur Mimen-Ekphrasis der Verkörperung . . . . . . . 1.1 ›Nervöse Enargeia‹, anti-literarisches Theater und die Schauspielkunst Mitterwurzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Der Verlebendiger und die »Schatten«: Eugen Guglias Mitterwurzer-Monographie und die Kontinuität der Mimen-Ekphrasis im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Schauspielerporträt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Rollenporträts und »Schlußwort« . . . . . . . . . . . . . 1.3 Kreative Allegorie und Evidenzfunktion: Das Schauspielerporträt Mitterwurzers in Hofmannsthals Guglia-Rezension (1895) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Entgrenzte Bildlichkeit und Präsentation von Absenz: Zum Gedächtnis des Schauspielers Mitterwurzer (1898) . . . . . . . 1.4.1 »Er fiel«: Todesmetaphorik . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

1.4.2 »Wer aber war er?« Metaphorische Deutungen . . . 1.4.3 »Und tötete den Leib«: Lebens-Metaphorik und Totentanz-Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.4 »Hier stand er«: Absenz und poetische Enargeia . . 2. Die Elegie Josef Kainz zum Gedächtnis (1910) als ›musikalische Ekphrasis‹ der Stimme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 ›Vergeistigung‹ durch »Stimme« . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Dialektische Struktur und Verklammerungselemente . . . 2.3 Klage und »Anstand« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Frage und Ausruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Schlussbild und Apotheose . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI ›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz. ›Bilder‹ Eleonora Duses in Lyrik, essayistischer Kunstprosa und semifiktionaler Prosa von Rainer-Maria Rilke, Hermann Bahr und Gabriele d’Annunzio . . . . 1. »Statue des Erbarmens«: Kunst-Metaphern und ›lyrische‹ Elemente in essayistischen Duse-Ekphrasen am Beispiel Hermann Bahrs (1891/1903) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bildnis: Das Zusammenspiel sprachlicher und (photo-)graphischer Bildlichkeit in Rilkes Duse-Gedicht (1907) . . 2.1 »Wild gebunden«: Porträtbild und Bewegung . . . . . . . . . . 2.2 »Mit den schönen blinden Händen«: Beschränkung der Gestik als Steigerung der Präsenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 »Wie das Schreien eines Steines«: ›Ausbruch‹ aus der Verkörperung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 »Wie ein fußloses Gefäß«: Präsenz und Allegorie . . . . . . . . 3. »In dem großen Schweigen gemeißelt«: Kunstbezug und Präsenzbeschwörung in semifiktionalen Texten Rilkes und D’Annunzios (1897/1900/1910) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 »Es wurde gespielt«: Amphitheater-Beschreibung als Vision antiken Theaters in einem Zeitungsessay D’Annunzios und einer ›Aufzeichnung‹ von Rilkes Malte . . . . . . . . . . . . . . 3.2 »Wie eine maskige Vorderansicht«: Die Duse als Wiederbelebung des antiken und Opfer des modernen Theaters in den »Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge« (1910) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 »Auf goldenem Amboß von Leidenschaften und Träumen gestaltet«: Duse-›Umschreibungen‹ in D’Annunzios Roman Il Fuoco . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Der Dichter als enargeischer »Immaginifico« . . . . . .

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Inhalt

3.3.2 In der Gondel: ›Bilder‹ von der Gesprächspartnerin . . . 3.3.3 Im Dogenpalast: die Allegorisierung der Zuschauenden. 3.3.4 Im Haus der Foscarina: Phantasiebilder von der Gefeierten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Im Garten: die Mimik der Flehenden . . . . . . . . . . . 3.3.6 Auf Murano: der Kelch der Zerbrechlichen . . . . . . . 3.3.7 Auf imaginärer Bühne: die Rollen-Vision der Instrumentalisierten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Nachspiel mit Rückblicken. Zur Aktualität der Mimen-Ekphrasis . . . .

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Anhang . . . . . Siglen . . . . Literatur . . . Abbildungen

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort Heinrich Detering

Angesichts dieser Studie fragt man sich, warum eigentlich bei allen literaturund bildwissenschaftlichen Bemühungen der letzten Zeit, namentlich um Formen der Ekphrasis, ausgerechnet die sprachliche Repräsentation und Reflexion von Schauspielkunst und Schauspielern so nachrangig, ja stiefmütterlich behandelt worden ist. Rüdiger Singers Habilitationsschrift zeigt eindrucksvoll, wie umfangreich und mannigfaltig dieses – von ihm auf die prägnante und einprägsame Formel von der »Mimen-Ekphrasis« gebrachte – Subgenre auf der Grenze zwischen Text, Bild und Performance kulturgeschichtlich produktiv geworden ist, von David Garrick bis zu Josef Kainz, von Lichtenbergs Londoner Notizen bis zu Hermann Bahr und Alfred Kerr, von der Konstruktion des modernen Individualismus auch in der Schauspielkunst bis zur selbstkritischen Reflexion einer Schauspieler-Idolatrie, wie sie in der Verehrung der Eleonora Duse geradezu sprichwörtlich geworden ist und hier einen einleuchtenden Schlusspunkt setzt. Damit kommen auf überraschend neuartige Weise Grundprobleme der Medienkomparatistik in den Blick, die das Fach seit Lessings Laokoon immer wieder beschäftigt haben, und zwar als Gegenstände wie auch als Praktiken der Erörterung. Rüdiger Singer erweist sich dabei als ebenso scharfblickender Text- wie Bildinterpret. So spezialisiert die Frage nach der Mimen-Ekphrasis auf den ersten Blick anmuten mag, so elementar sind die Probleme der Beziehungen zwischen Text und Bild, Sprachlichkeit und Zeitlichkeit, die mit dieser Frage berührt sind – wie auch der Begriff der Performativität hier eine verblüffende historische Konkretisierung erfährt. Diese Arbeit lehrt uns, anhand ihres konkreten Gegenstandsbereichs und weit über ihn hinaus, Grundprobleme der vergleichenden Literatur- und Medienwissenschaft mit neuen Augen zu sehen. Sie zeigt dabei auch, welcher methodischer Anstrengungen es bedarf, um adäquate Beschreibungskriterien für ein so komplexes intermediales Phänomen zu erarbeiten und hermeneutisch-analytische Zugänge zu finden, die zugleich den individuellen Texten gerecht werden und die institutions-, diskurs- und mediengeschichtlichen, nicht selten auch anthropologischen Prämissen und Implikationen freizulegen, die sich in diesen Texten artikulieren.

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Vorwort von Heinrich Detering

Die gerade angesichts der dafür erforderlichen thematischen Abstraktionen und terminologischen Reflexionen auffallende historische Detailgenauigkeit, Plastizität und – der Ausdruck sei gerade hier beim Wort genommen – Anschaulichkeit der Darstellung macht die Studie über die gattungs- und mediengeschichtlichen Einsichten hinaus auch zu einem Lesevergnügen. Der Verfasser schreibt geschmeidig, und er hat einen Blick für die signifikante Einzelheit des Bildes, für Denk- und Stilfiguren, in denen sich weitläufige Epochenzusammenhänge bündeln. Und weitläufig sind diese Zusammenhänge wahrhaftig. Überblickt man allein die Reihe der ›kanonischen‹ literarischen Texte, die hier aus der Perspektive der Schauspielkunst in den Blick kommen, so zeigt sich im Lichte der Theaterbeleuchtung eine stattliche Bibliothek der europäischen Literatur von der Aufklärung bis zur Frühen Moderne weit über den hier zunächst einschlägigen Bereich der Theatertheorie und Literaturkritik hinaus, und zwar der britischen (Fielding, Churchill, allenthalben die nicht nur theatralische Rezeptionsgeschichte der Dramen Shakespeares), der französischen (Diderot), italienischen (D’Annunzio), skandinavischen (Herman Bang) und deutschsprachigen (Moritz und Humboldt, Goethe und Tieck, Rilke und Hofmannshal) Literaturen. Singer entwickelt so aus der neuen Perspektive der Mimen-Ekphrasis heraus fast nebenbei auch eine neue Einsichten eröffnende Geschichte der europäischen Literaturen auf dem Weg in die Moderne, im Spannungsfeld von Text-, Bild- und Körperinszenierungen, von abstrakter Theoriebildung und sinnlicher Performanz.

Einführung. ›Rollenporträt‹ – ›Schauspielkunstbeschreibung‹ – ›Mimen-Ekphrasis‹: Annäherung an eine historische Textgattung

1.

›Rollenporträt‹/›Schauspielkunst-Beschreibung‹: eine Textgattung als theaterwissenschaftliche Entdeckung

»Solange ich Nachwelt für Diesen bin: solange will ich ihm Kränze flechten«, gelobt der Theaterkritiker Siegfried Jacobsohn nach dem Tod des Schauspielers Alexander Girardi 1918.1 Kränze dem Mimen lautet der Haupttitel einer Monographie, die Jacobsohns Kollege Julius Bab 1954 veröffentlichte; der Untertitel kündigt Dreißig Porträts großer Menschendarsteller im Grundriß einer Geschichte moderner Schauspielkunst an. Und der Klappentext zu einem 1965 erschienenen Band mit dem Titel Schauspieler : Sechsunddreißig Porträts beginnt: Dem Mimen, heißt es, flicht die Nachwelt keine Kränze. Dennoch hat uns die Legende großer Schauspieler der Vergangenheit erreicht. Nie hätte sich Ruhm an Namen wie Garrick oder die Duse heften können, hätte es nicht Zeitgenossen gegeben, die aufzuzeichnen und zu erklären versuchten, was an den flüchtigen Abenden Tausende in Erregung, Ergriffenheit und Begeisterung versetzt hat. Ein solcher Zeitgenosse ist heute Siegfried Melchinger.2

In allen drei Fällen wird eine Textgattung, die nach weit verbreiteter Ansicht (»heißt es«) gar nicht existieren dürfte, proklamiert, und zwar in ostentativer Abgrenzung zu einer Passage aus Schillers Wallenstein-Prolog: Denn schnell und spurlos geht des Mimen Kunst, Die wunderbare, an dem Sinn vorüber, Wenn das Gebild des Meißels, der Gesang Des Dichters nach Jahrtausenden noch leben. Hier stirbt der Zauber mit dem Künstler ab,

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1 Der Nachruf erschien am 25. 4. 1918 in der Weltbühne unter dem Titel Folkungersage (Jacobsohn: Schriften 2, 243ff., siehe auch Bronnen: Begegnungen mit Schauspielern, 40). – Zur Zitierweise: Die Abkürzung »ff.« bezieht sich im Folgenden nicht auf eine unbestimmte Seitenanzahl, sondern genau auf die folgenden zwei Seiten. 2 Melchinger/Clausen: Schauspieler.

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Einführung

Und wie der Klang verhallet in dem Ohr, Verrauscht des Augenblicks geschwinde Schöpfung, Und ihren Ruhm bewahrt kein daurend Werk. Schwer ist die Kunst, vergänglich ist ihr Preis, Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze, Drum muß er geizen mit der Gegenwart, Den Augenblick, der sein ist, ganz erfüllen, Muß seiner Mitwelt mächtig sich versichern, Und im Gefühl der Würdigsten und Besten Ein lebend Denkmal sich erbaun – So nimmt er Sich seines Namens Ewigkeit voraus, Denn wer den Besten seiner Zeit genug Getan, der hat gelebt für alle Zeiten.3

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Wie die drei Ausgangszitate zeugen auch Schillers Verse von Hochschätzung für »des Mimen Kunst« (V. 32), und der Theaterleiter Goethe ersetzt diesen Begriff, als er Schillers Prolog für die Wiedereröffnung des umgebauten Weimarer Hoftheaters am 12. 10. 1798 bearbeitet, sogar programmatisch durch den noch umstrittenen terminus technicus »Schauspielkunst«.4 Eine Tätigkeit, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch weithin als unschöpferisch, wenn nicht unehrenhaft galt,5 wird hier im Rahmen des Weimarer Theaterprojekts auf eine Stufe mit bildender Kunst und Dichtkunst gestellt und hat prinzipiell auch gleichen Anspruch auf Nachruhm. Dass dieser der Schauspielkunst versagt bleibt, liegt nicht in ihrer mangelnden Dignität begründet, sondern in ihrer spezifischen Medialität, ihrer konstitutiven Flüchtigkeit. Diese hat einen doppelten Aspekt: Zunächst sind die vom Schauspieler hervorgebrachten Zeichen (mit einem von Lessing geprägten Begriff) »in ihren Werken transitorisch«;6 die Tätigkeit des Schauspielers ist also, wenn der Vorhang fällt, vergangen. Immerhin könnte der Mime seine »Kunst« wiederholen oder weiterführen; da sie aber an seinen Körper gebunden ist, ist sie auch vergänglich: Sie stirbt mit ihm. Mit dieser Tatsache kontrastiert Schiller das »daurend Werk« (V. 39), das als Produkt der bildenden Kunst oder der Literatur auf die »Nachwelt« kommt (V. 41). Dahinter steht die aristotelische Unterscheidung von ergon und ener3 SSW 2: 271, V. 32–49. – Zur Zitierweise: Besonders intensiv untersuchte Werke oder häufig benutzte Ausgaben werden im Haupttext durch Siglen abgekürzt, siehe dazu das Siglenverzeichnis vor dem Literaturverzeichnis. In diesem Fall steht die Seitenzahl stets nach dem Doppelpunkt. 4 Noch 1843 spricht Wilhelm Hebenstreit dem Tun der Schauspieler jeglichen Kunstanspruch ab und sogar die moralische Legitimität, wie schon im Titel seiner Schrift deutlich wird: Das Schauspielwesen. Dargestellt aus dem Standpunkte der Kunst, der Gesetzgebung und des Bürgerthums (siehe Roselt: Schauspieltheorie, 290). 5 Siehe Bender : Zur »Grammatik« der Schauspielkunst. 6 LFA 6: 186 (Ankündigung zur Hamburgischen Dramaturgie).

›Rollenporträt‹/›Schauspielkunst-Beschreibung‹

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geia,7 die der englische Ästhetiker James Harris in seinen Three Treatises von 1744 auf die Einteilung der Künste übertragen hat: Wenn die Teile eines Kunstwerkes »coe-existent« seien, handle es sich um ein »WORK«; seien sie dagegen »successive« bzw. »ever passing away« wie das menschliche Leben, handle es sich um »a Motion or an ENERGY«.8 Zu beachten ist aber, dass Schiller die Dichtung als »Gesang« und damit, genau genommen, ebenfalls als ›Energie‹ anspricht.9 Zum »Werk« wird sie erst durch das Speichermedium Schrift. Das aber legt, zumal vor Erfindung des Films, die Frage nahe, ob sich die flüchtige Schauspielkunst ›speichern‹ lässt.10 Als Medien dafür kommen insbesondere Literatur und bildende Kunst in Frage.11 Tatsächlich behauptet Julius Bab in Kränze dem Mimen, dass »die immer wiederholte Wendung: es sei unmöglich, sich Wesen und Werk einmal gestorbener Schauspieler vorzustellen, auf Unkenntnis oder Phantasielosigkeit beruht«.12 Konkret geht es um ein »Porträt« des französischen Schauspielers Henry Louis Lekain (1729–1778). Bab beruft sich zum einen auf »Rollenbilder, vor allem die unschätzbaren Bühnenskizzen von Fesch-Whirsker«, die »eine unmittelbare Vorstellung von der Ausdrucksart und Ausdruckskraft des Schauspielers« vermittelten, zum anderen auf »die zeitgenössische Literatur«, die »der Phantasie ein vollkommen sicheres Bild dieses besonderen Mannes« gebe.13 Zugrunde liegt ein Konzept, das verschiedene Aspekte des vieldeutigen Begriffes ›Bild‹14 aufeinander bezieht: Gezeichnete Bilder, im Zusammenspiel mit Texten,

7 Zu Beginn der Nikomachischen Ethik (Arist. Eth. Nic. 1.1; 1094a) heißt es (in der Übersetzung von Olof Gigon): »Wo es Ziele außerhalb der Handlungen gibt, da sind ihrer Natur nach die Werke [t\ ]qca] besser als die Tätigkeiten [tym ]meqceiymm]« (Aristoteles/Gigon: Ethik, 1): »¨m dû eQs· t´kg tim± paq± t±r pq²neir, 1m to¼toir bekt¸y p´vuje t_m 1meqcei_m t± 5qca.« (Aristoteles Ethica, 1). Die Unterscheidung war auch (über Leibniz vermittelt) für Schillers Freund Wilhelm von Humboldt grundlegend (vgl. Maurer: Humboldt, 286). 8 Harris: Three Treatises, 31f. (Hervorhebung im Original). Zu Harris siehe Haym: Herder 1, 262f. 9 Für Harris ist Musik die am deutlichsten ›energische‹ Kunst, später ergänzt um Tanz und Reitkunst. Die Zuordnung der Poesie bleibt unklar; die Rede (»elocution«) allerdings wird ebenfalls zu den ›energischen‹ Künsten gezählt (Harris: Treatises, 33). 10 Dass auch eine Filmaufzeichnung eine Theateraufführung nur unvollkommen wiedergibt, gehört zu den Grundüberzeugungen der Theaterwissenschaft, zumal, wenn sie den Aspekt des ›Performativen‹ betont. Dennoch greifen Aufführungsanalysen in der Regel zumindest als Gedächtnisstütze auf filmische Aufnahmen zurück (siehe I.5.2, I.5.3). 11 Siehe auch August Wilhelm Schlegels Kontrafaktur zu Schillers Versen in einem Gedicht, das in Kapitel IV.5.3 dieser Arbeit behandelt wird. 12 Bab: Kränze dem Mimen, 65. 13 Bab: Kränze dem Mimen, 65f. In der eingangs erwähnten Monographie Schauspieler von 1965 werden Siegfried Melchingers Texte mit Photographien von Rosemarie Clausen kombiniert. 14 Zur Begriffsklärung siehe Kapitel I.3.1 dieser Arbeit.

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Einführung

lassen in der Imagination des Theaterhistorikers ein »Bild« des Schauspielers entstehen, das er wiederum in verbale »Porträts« umsetzt. Auch die von Bab angesprochene »zeitgenössische Literatur«, die Schauspielkunst beschreibt, kann in Analogie zu bildender Kunst verstanden werden: So formulieren die Theaterhistoriker Hans Peter Doll und Günther Erken, dass mit der Etablierung von Schauspielkunst im 18. Jahrhundert, die ihren Ausdruck in einer elaborierten Schauspieltheorie fand, »eine ebenso aufmerksame und gedankenreiche Mimographie, eine detailversessene Beobachtungs- und Beschreibungskunst« einherging.15 Die Analogie ist allerdings nur angedeutet, insofern ›gr#phein‹ sowohl ›zeichnen‹ (Lithographie, Graphik) als auch ›schreiben‹ (Biographie, Historiographie) bedeutet; explizit aufgerufen wird sie jedoch, wenn Erika Fischer-Lichte den Begriff »Rollenporträt« verwendet.16 Sie benennt damit, spezifischer als Doll und Erken, eine Textgattung, die sich im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts aus der ohnehin besonders auf Schauspielkunst konzentrierten deutschsprachigen Theaterkritik ausgliederte: Ende der siebziger und vor allem in den achtziger Jahren wurden nicht mehr nur bestimmte auffallend gelungene Details der Darstellung notiert, sondern ganze Rollenportraits verfaßt. Als wichtiges Vorbild dienten Lichtenbergs Briefe aus England (1775), in denen er ausführliche Beschreibungen des berühmtesten Schauspielers der Epoche, David Garricks (1717–1779), in den verschiedensten Rollen liefert; er konzentriert sich dabei – ähnlich wie Lessing und Nicolai – vor allem auf verschiedene charakteristische Details […].17

Der Versuch, die Gattung metaphorisch als ›Porträt‹ von Rollen zu fassen, scheint sich stützen zu lassen durch eine Formulierung Lichtenbergs in besagten Briefen aus England: »Dieses waren wieder ein paar Pinselstriche an seinem Porträt als Garrick. Nun noch ein paar am Hamlet« (BE: 340). Wie ein Künstler im Atelier arbeitet der Autor abwechselnd an einem Porträt und einem Rollenporträt und damit an zwei Bildtypen, die sich in der abendländischen Kunst erstmals in Bezug auf Garrick deutlich ausdifferenzierten.18 Damit ist der Begriff 15 16 17 18

Doll/Erken: Theater, 68. Sie greift damit eine Begriffsprägung auf, die schon um 1900 geläufig war, siehe II.5.1. Fischer-Lichte: Geschichte des deutschen Theaters, 133. Siehe Wind: Schauspielerporträts, bes. 107–119. Allerdings versteht Wind unter einem ›Rollenporträt‹ auch ein Bild, das Garrick in der ›Rolle‹ des Prologschriftstellers oder auch in der ›Rolle‹ des zwischen tragischer und komischer Muse Hin- und Hergerissenen zeigt. Für Wind sind deshalb »die Schauspielerporträts von Reynolds fast durchweg Rollenporträts, während Gainsborough ausnahmslos den Schauspieler aus seiner Rolle herausnimmt, ihn in einen Gesellschaftsmenschen zurückverwandelt und ihn in seiner Zuständlichkeit als Gesellschaftsmensch so natürlich schildert, daß man die Berufsfunktion des Schauspielerischen dabei überhaupt nicht bemerkt« (ebd. 106). Demgegenüber beschränke ich den Begriff ›Rollenporträt‹ auf graphische oder verbale Darstellungen von Schauspielern in einer spezifischen dramatischen Rolle.

›Rollenporträt‹/›Schauspielkunst-Beschreibung‹

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Rollenporträt zwar eine brauchbare Metapher, um einen Teilaspekt der Briefe aus England zu kennzeichnen, nicht aber für den gesamten Text. Wie bereits der Titel meiner Studie signalisiert, werde ich die Gattung unter dem Leitbegriff »Mimen-Ekphrasis« untersuchen, der sie als Objekt der Analyse vor dem Hintergrund einer spezifischen Tradition sichtbar machen soll. Da diese Begriffsbildung aber einigermaßen voraussetzungsreich ist, möchte ich zu ihr in mehreren Zwischenschritten hinführen, die mit einem mehrfachen Perspektivwechsel einhergehen, nämlich von der Theaterwissenschaft über Interart Studies und Intermedialitätsforschung zur antiken Rhetorik. Gerade die Kombination der Perspektiven erlaubt es, den Gattungscharakter dieses Textkorpus herauszuarbeiten und seine Attraktivität als literaturwissenschaftlichen Untersuchungsgegenstand deutlich zu machen. Zunächst gehe ich davon aus, dass die Theaterwissenschaft eine Textgattung entdeckt hat, die (wenigstens im deutschen Sprachraum) im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts entstanden ist und dadurch bestimmt werden kann, dass sie (im impliziten oder expliziten Widerspruch zu Schillers Wallenstein-Prolog) die Schauspielkunst großer Darsteller beschreibt. Sie sei also zunächst ›Schauspielkunstbeschreibung‹ oder auch, verdeutlichend, ›Schauspielkunst-Beschreibung‹ genannt. Nun ist zu fragen, in welchem Sinn es sich hier um eine literarische ›Gattung‹ handelt und was deren Besonderheiten ausmacht. Dabei orientiere ich mich an Klaus W. Hempfer, da seine Monographie Gattungstheorie und sein Artikel im Reallexikon der Literaturwissenschaft die wohl bewährtesten germanistischen Referenzen für Gattungsbildung darstellen.19 Hempfer unterscheidet sechs Verwendungsweisen des Ausdrucks »Gattung«, von denen hier die vierte und fünfte einschlägig sind, nämlich (4) die als ge- und bewußte Normen die Produktion und Rezeption von Texten bestimmenden ›historischen Textgruppen‹ wie Verssatire, Fabel, Ode, Tragödie usw. (5) Untergruppen von (4) als typologische und/oder historische Spezifizierungen wie Briefroman, Bürgerliches Trauerspiel, anakreontische Ode usw.20 19 Siehe Müller : Korpusbildung, 24; Dunker : Terminologien und Gattungsnamen, 25; Spörl: Inhalt als Bestimmungskriterium, 35. Dagegen halte ich die von Harald Fricke vorgeschlagene heuristische Unterscheidung zwischen einer rein deskriptiv bestimmbaren ›Textsorte‹ und einem historischem ›Genre‹, das ab einem bestimmtem Zeitpunkt etabliert sei (Fricke: Norm und Abweichung, 132–138), keineswegs für ein Kennzeichen der »elaborierteren Gattungstheorien der letzten Jahrzehnte« (Fricke: Invarianz und Variabilität, 20), sondern für einen Irrweg: Wie Borgstedt zu Recht kritisiert, »wird mit der ›Etabliertheit‹ der Textsorte ein kontextbezogenes Prädikat eingeführt, das selbst synchronistisch und ahistorisch gedacht wird«; zudem ist Genre in dieser Spezialverwendung »terminologisch verwechselbar und unübersetzbar« (Borgstedt: Topik des Sonetts, 8–11, hier 10). 20 Die übrigen sind (1) »die Sammelbegriffe Epik, Lyrik und Drama oder andere Klassenbildungen wie Gebrauchsliteratur, fiktionale Literatur usw.«, (2) die Staiger’schen »Qualitäten«, (3) »Schreibweisen als Repertoire transhistorischer Varianten wie das Narrative, […] das

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Einführung

Bei den hier genannten Beispielen handelt es sich um Gattungsbezeichnungen, die bereits früh von den Autoren gebraucht und vom Publikum als rezeptionssteuerndes Signal verstanden wurden. Hempfer empfiehlt, bei Gattungsbestimmungen von solchen historischen Selbstetikettierungen auszugehen.21 Im Fall der Schauspiel-Kunstbeschreibung handelt es sich allerdings um eine nachträgliche Gattungsbestimmung, die sich jedoch verstehen lässt als Untergruppe (5) einer »historischen Textgruppe« (4), nämlich der Ekphrasis.22 Dieser Begriff lässt sich allerdings in unterschiedlicher Weise akzentuieren, nämlich, um es zunächst mit dem Titel eines von Gottfried Boehm und Helmut Pfotenhauer herausgegebenen Standardwerks anzudeuten, im Sinne von ›Beschreibungskunst‹ wie im Sinne von ›Kunstbeschreibung‹, wobei sich die zweite Textgruppe systematisch als Untergruppe der ersten verstehen lässt. Diese Zusammenhänge werden in den folgenden drei Kapiteln eingehend erörtert, zunächst jedoch sei auf den Aspekt der nachträglichen Gattungszuschreibung eingegangen. Zwar ist die nachträgliche Etikettierung einer Gattung ohne Rückgriff auf Selbstetikettierungen eher die Ausnahme, in einigen Fällen aber durchaus etabliert, man denke etwa an das ›Dinggedicht‹23 oder den ›Bildungsroman‹.24 Die

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Komische usw.« und (6) »feste, d. h. metrisch bestimmte Formen« (Hempfer : Gattung, 651, siehe auch Hempfer: Generische Allgemeinheitsgrade, 15f.). Der erste Schritt wäre die Zusammenstellung eines Korpus von Texten, die von den Autoren beispielsweise »Ballade« genannt wurden, der zweite Schritt die Abstrahierung typischer Merkmale und ihre Verdichtung zu einer Definition oder einem Merkmalskatalog; auf dieser Grundlage können dann freilich auch Texte mit dieser Etikettierung als untypisch ausgeschlossen und solche mit anderer Etikettierung eingeschlossen werden (Hempfer : Gattungstheorie, 135f., siehe auch Müller : Korpusbildung, 26). Ausdrücklich als Gattung deklariert im grundlegenden Aufsatz von Graf: Ekphrasis. Der Begriff geht zurück auf Kurt Opperts 1926 erschienenen Aufsatz Das Dinggedicht. Eine Kunstform bei Mörike, Meyer und Rilke; die heuristische Ergiebigkeit dieser Gattungskonstruktion betont beispielsweise Burdorf: Gedichtanalyse, 211f. Der Begriff »Bildungsroman« wurde zwar schon 1819 von Karl von Morgenstern geprägt, aber erst 1870 von Wilhelm Dilthey im Hinblick auf Goethes Wilhelm Meister durchgesetzt (Jacobs: Bildungsroman, 230), allerdings ist er, etwa in seiner Abgrenzung zum »Erziehungsroman«, nicht unumstritten. Siehe grundlegend Schings: Bildungsroman; Voßkamp: Aktualität des Lebens. Auch Peter von Matt greift in seiner Studie …fertig ist das Mondgesicht. Zur Literaturgeschichte des menschlichen Gesichts unter anderem auf den Alternativbegriff »Entwicklungsroman« zurück, um zu illustrieren, dass sich eine literarische Gattungen auch im Sinn einer nachträglich gebildeten »literarischen Reihe« verstehen lässt (53– 59, bes. 54f.), als »ein Ergebnis der Rezeption, eine Begriffsbildung der Leser« (55). Doch auch als Konstruktion des auf eine »Reihe« zurückblickenden Literaturwissenschaftlers sei dieses Verständnis legitim und möglicherweise aufschlussreicher als Gattungsetikettierungen der Autoren selbst (57ff.) Auf die von mir postulierte Gattung bezogen, glaube ich allerdings, dass es schon früh auch bei den Autoren ein Bewusstsein für die Beschreibung von Schauspielkunst als eigener Gattung gegeben hat, auch wenn dies nicht in einem einheitlichen Begriff greifbar wird, sondern in einleitenden Reflexionen und nicht selten in

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›Rollenporträt‹/›Schauspielkunst-Beschreibung‹

Gattung Bildungsroman teilt mit der (hier vorläufig so genannten) Gattung Schauspielkunstbeschreibung die Eigenschaft, sich auf die literarische Darstellung eines spezifischen kulturellen Konzepts zu beziehen, nämlich ›Bildung‹ bzw. ›Schauspielkunst‹, das eine traditionsreiche Praxis aufwertet und neu konturiert. Die Neukonturierung von Schauspielkunst steht im engen Bezug zur Durchsetzung des Literaturtheaters gegen das Improvisationstheater im 18. Jahrhundert.25 Der Zusammenhang lässt sich verdeutlichen, indem man Schillers Wallenstein-Prolog mit jenem Text kontrastiert, den Goethe ursprünglich für die Wiedereröffnung des Weimarer Theaters vorgesehen hatte und schließlich dem Faust als Vorspiel auf dem Theater voranstellte.26 Darin wird der Schauspieler als Lustige Person gekennzeichnet, was erstens daran erinnert, dass schon der Begriff ›Schauspieler‹ auf Professionalisierung hindeutet,27 zweitens daran, dass die Akteure der Wanderbühnen meist auf einen Typus, ein Rollenfach festgelegt waren. Darunter war die ›Lustige Person‹ – als Harlekin, Hanswurst, Pickelhering und was der regionalen Ausformungen mehr waren – insofern typisch für den Charakter dieser ›Volks-Belustigung‹, als er besonders ausgeprägt die von allen geforderte Fähigkeit zur Improvisation besaß.28 Dementsprechend lautet das Credo der Lustigen Person ganz im Gegensatz zum elegischen Gestus des Wallenstein-Prologs: Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte; Gesetzt daß ich von Nachwelt reden wollte, Wer machte dann der Mitwelt Spaß? Den will sie doch und soll ihn haben. Die Gegenwart von einem braven Knaben Ist, dächt’ ich, immer auch schon was.29

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Zwar gab es auch für Wanderbühnen Texte, und selbst die Commedia dell’Arte hatte sogenannte Szenarien, doch waren sie lediglich der Ausgangspunkt für die improvisierende Interaktion zwischen Mimen und Publikum.30 Gegen diese Einstellung setzt Goethe den Dichter, der etwas ›Echtes‹ schaffen will, das der »Nachwelt unverloren« bleibe, nämlich: Literatur, Text. Gewiss hatte Caroline

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Polemiken und Parodien von Kritikern dieser Gattung. Beispiele dafür werden in den Teilkapiteln II.1, III.1, V.1 und VI.1 vorgestellt. Siehe Bauer/Wertheimer: Ende des Stegreifspiels; Haider-Pregler : Des sittlichen Bürgers Abendschule. Ursprünglich geschrieben für »ein anständiges, nicht gar zu langes, schon bekanntes Stück« (zit. nach FGA 7.2 [Komm.], 155). Siehe Kreuder : Schauspieler, 283f.; Mehlin: Fachsprache des Theaters, 217–260, bes. 225ff. Siehe Gaier : Kommentar 1, 28f.; Fischer-Lichte: Geschichte des deutschen Theaters, 73–89. Prägend war die Tradition der Englischen Komödianten (Haekel: Englische Komödianten, darin zum Narren 235–342, zu Grundzügen der Schauspielkunst 257–294). GFA 7.1: 16, V. 75–81. Siehe Fischer-Lichte: Geschichte des Dramas 2, 249–263; Brauneck: Welt als Bühne 2: 49–52.

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Neubers symbolische Verjagung des Harlekin von der Bühne im Jahr 1737 das Improvisationstheater keineswegs mit einem Schlag beendet,31 1798 jedoch war das Extemporieren vom Mannheimer Nationaltheater bis zum Weimarer Hoftheater mit Geldstrafen belegt.32 Es galt das geschriebene Wort; Schauspieler hatten sich in seinen Dienst zu stellen, hatten es zu ›verkörpern‹.33 Was das bedeutete, brachte Goethe selbst 1802 in einem Rechenschaftsbericht über die Entwicklung des von ihm geleiteten Weimarer Hoftheaters auf den Punkt: »Unter den Grundsätzen, welche man bei dem hiesigen Theater immer vor Augen gehabt, ist einer der vornehmsten: der Schauspieler müsse seine Persönlichkeit verleugnen und dergestalt umbilden lernen, daß es von ihm abhange, in gewissen Rollen, seine Individualität unkenntlich zu machen.«34 Der Begriff ›Rolle‹ impliziert hier, entsprechend seiner Ursprungsbedeutung der auswendig zu lernenden Textrolle,35 ein spezifisches, literarisch fixiertes Drama im Gegensatz zur stehenden Figur. Vor diesem Hintergrund galt die Prämisse, das Tun des Schauspielers werde umso mehr zur ›Kunst‹, je mehr er sich in den Dienst der Wortkunst stelle. So jedenfalls proklamierten dies, gegen eine noch weit ins 19. Jahrhundert reichende Denunziation der Schauspielerei als ›unschöpferisch‹ und dem Drama gegenüber ›parasitär‹,36 Dichter und Theoretiker, die sich der Theaterpraxis zuwandten, wie Gottsched, der Theaterdirektor Goethe und sein Hausdichter und Dramaturg Schiller. An Letzteren erinnert sogar, Peter Matussek zufolge, die Figur des Dichters im Vorspiel auf dem Theater »in manchen Zügen«.37 Auch für Verfasser von Schauspielkunstbeschreibungen wie Lessing, Lichtenberg und Johann Georg Schink stand Schauspielkunst im Dienst der ›Rolle‹ als Element des dramatischen Textes, obgleich sie, wie zu zeigen sein wird, »die Individualität des Schauspielers« nicht nur antagonistisch, sondern auch komplementär zur Rolle verstanden. Insbesondere aber versuchten sie, die in Schillers Prolog herausgestrichene Flüch31 Zumal im Volkstheater des österreichischen Raumes hielt sich die Tradition der komischen Figur und des Improvisierens bis ins 20. Jahrhundert hinein (siehe Fischer-Lichte, 93; Miller/Riha: Kasperletheater für Erwachsene; Müller-Kampel: Hanswurst, Bernadon, Kasperl). 32 Siehe Heßelmann: Gereinigtes Theater, 155–170, 280–296. 33 Siehe Fischer-Lichte: Verkörperung. 34 Weimarisches Hoftheater (GFA 18: 842–850, hier 843). Dass Goethe auch durchaus Sympathien für die Position der komischen Figur hatte, bezeugt sein Romanfragment Wilhelm Meisters theatralische Sendung von 1786. Im 8. Kapitel des 3. Buches klagt eine TheaterPrinzipalin, »daß wir um das Extemporieren gebracht sind« (GFA 9: 150), und wirft damit ein kritisches Licht auf die Gottsched’sche Theaterreform (siehe Bender: Grammatik der Schauspielkunst, 12f.). In den Lehrjahren, der Umarbeitung des Romans ab 1794, fehlt dieser Passus. 35 Siehe Haß: Rolle, 278. 36 Siehe Kosˇenina: Anthropologie und Schauspielkunst, 20–22; eine Zusammenfassung der zeitgenössischen Vorbehalte in Hebenstreit: Das Schauspielwesen. 37 Matussek: Faust I, 362.

›Schauspiel-Kunstbeschreibung‹

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tigkeit der Kunst großer Schauspieler in Text und damit in ein »daurend Werk« zu transformieren, das als »Denkmal« fungierte (SSW 271, V. 39, 46). Zurück zur Gattungsproblematik und zum Vergleich zwischen den posthumen Gattungskonstruktionen ›Bildungsroman‹ und ›Schauspielkunstbeschreibung‹. Es lässt sich noch eine weitere Analogie anführen: Da es in beiden Fällen keine zeitgenössische Gattungsbezeichnung gab, welche bestimmte Rezeptionserwartungen wecken konnte, war die Orientierung an einem rezeptionsprägenden Prototyp umso wichtiger, nämlich an Goethes Wilhelm Meister bzw. (im deutschen Sprachaum) an Lichtenbergs Briefen aus England. Damit erschöpfen sich die Analogien, und es fallen Unterschiede ins Auge, insbesondere im Hinblick auf die ›historischen Textgruppen‹, deren Untergruppe Bildungsroman und Schauspielkunst-Beschreibung bilden. Im Gegensatz zum Roman begegnet die Beschreibung oder Ekphrasis nämlich sowohl als Teiltext (etwa innerhalb eines Romans) wie als eigenständiger Text, kann fiktional oder faktual sein und als ›Gebrauchsliteratur‹ beziehungsweise ›Kunstprosa‹38 oder auch als ›Literatur‹ im emphatischen Sinn auftreten – in diesen Hinsichten ist sie mit der Anekdote zu vergleichen39 und die ›Schauspielkunstbeschreibung‹ mit der Theateranekdote.40 Nach diesen vorläufigen Klarstellungen zur Untergruppe ›Schauspielkunstbeschreibung‹ möchte ich sie in einem nächsten Schritt mit Blick auf die übergeordnete Klasse ›Kunstbeschreibung‹ konturieren: Es geht, anders gesagt, um die Schauspielkunstbeschreibung als ›Schauspiel-Kunstbeschreibung‹ aus Sicht der Interart Studies.

2.

›Schauspiel-Kunstbeschreibung‹: eine Textgattung im Zeichen des ›Laokoon-Problems‹

Obwohl Kunstbeschreibungen fiktional sein können, machen faktuale Beschreibungen einen wichtigen Bestandteil der Gattung aus, wenn sie nicht sogar den Regelfall bilden.41 Zudem ist mit Bernard Dieterle hervorzuheben, dass 38 Siehe Fischer : Gebrauchsliteratur ; Schwitalla: Gebrauchstexte; Weissenberger : Theorien der Kunstprosa. 39 Nicht zuletzt aufgrund dieser Zwischenstellung dient die Gattung ›Anekdote‹ in zwei Artikeln des von Rüdiger Zymner herausgegebenen Handbuches Gattungstheorie als Demonstrationsobjekt für Gattungsdefinition (Fricke: Definitionen und Gattungsnormen, dort zunächst als »Wirklichkeitserzählung«, dann als »fiktionale Erzählung« bestimmt, 8f.) bzw. für Korpusbildung (Müller : Korpusbildung, 15). 40 Im Übrigen können Theateranekdoten auch Teiltexte von Schauspielkunstbeschreibungen werden, siehe II.7, IV.2.3. 41 Ich verstehe unter einer fiktionalen Kunstbeschreibung die Beschreibung eines fiktiven

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Einführung

faktuale Kunstbeschreibungen insofern grundsätzlich anders als fiktionale zu interpretieren sind, als das Wissen darüber, dass eine Erzählung von einem wirklich existierenden Kunstwerk handelt, dem Lesevorgang und also auch dem Text eine andere Dimension verleiht, unter anderem, indem es die Aufmerksamkeit auf die Mechanismen, die Intensität und die Bedeutung der Bild-Umerzählung richtet. Dann erst wohnt man dem Spektakel einer Text-Bild-Kollision (oder Kollusion) bei, dann erst erlebt man das ›Abenteuer‹ einer Bild-Lektüre.42

Schauspiel-Kunstbeschreibungen nun sind gerade in ihren Anfängen ganz überwiegend faktual, wollen sie doch erklärtermaßen ihren ›flüchtigen‹ Gegenstand für Besucher, welche die Aufführung versäumt haben, vor allem aber für die (in Schillers Prolog und Goethes Vorspiel thematisierte) Nachwelt festhalten.43 So überrascht es kaum, dass die Gattung nicht von der Literatur-, sondern von der Theaterwissenschaft entdeckt und fast ausschließlich auf ihren theatergeschichtlichen Quellenwert hin befragt wurde. Eine solche Befragung ist – wie die eingangs zitierte Stellungnahmen von Julius Bab bezeugt – besonders dann aussichtsreich, wenn das mimische ›Kunstwerk‹ auch in anderen Texten und graphische Werken und Texte ›übersetzt‹ wurde, die vergleichend und ergänzend herangezogen werden können. Das Interesse dieser Studie gilt aber nicht der historischen Rekonstruktion des mimischen ›Kunstwerks‹, sondern den Strategien, mit denen Schauspielkunstbeschreibungen versuchen, die – um vorläufig Schillers Begriffe einzusetzen – »Gegenwart« von Schauspielkunst sprachlich zu evozieren und ihren Text zu einem »lebend[en] Denkmal« zu machen. Ich möchte zeigen, dass Schauspielkunstbeschreibung unter diesem Gesichtspunkt ein lohnender Untersuchungsgegenstand für eine intermedial interessierte Literaturwissenschaft ist, nicht weniger, als der beliebte Untersuchungsgegenstand Kunstbeschreibung es unter dem Aspekt der ›Übersetzung‹ eines graphischen in einen verbalen Code ist. Um diesen Zusammenhang zu verdeutlichen, möchte ich das spezifische Interesse der komparatistischen Interart Studies und ihrer neueren Variante, der Intermedialitätstheorie, zunächst auf das sogenannte ›Laokoon-Problem‹ zurückführen,44 um vor diesem Hintergrund ein besonderes Interesse des 18. Jahrhunderts auch für Schauspielkunst zu belegen. Kunstwerks und unter einer faktualen Kunstbeschreibung die eines tatsächlich existierenden. Eine faktuale Kunstbeschreibung kann also auch in einem fiktionalen Text vorkommen. 42 Dieterle: Erzählte Bilder, 211. Für eine exemplarische Studie zu fiktionaler Ekphrasis siehe Weidenhiller : Ekphrasis und Imagination. 43 Allerdings kann die Beschreibung auch andere Funktionen haben, etwa, wenn, wie von Dieterle für faktuale Kunstbeschreibungen proklamiert, das Interesse am Medienwechsel im Vordergrund steht (siehe I.4, bes. I.4.2). 44 Siehe Port: Laokoon-Problem.

›Schauspiel-Kunstbeschreibung‹

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Kunstbeschreibungen gelten als besonders lohnender Untersuchungsgegenstand für die Beschäftigung mit einer ästhetischen Streitfrage, die im 18. Jahrhundert erstmals in voller Schärfe zutage trat und in jüngerer Zeit besonders im Zeichen von iconic und visual turn diskutiert wird. Sie lautet in der Formulierung von Monika Schmitz-Emans: Besteht zwischen Texten und Bildern eine innere Analogie, eine wie auch immer geartete Entsprechung – oder kann eine solche zumindest bestehen? Existiert so etwas wie eine verbindende Tiefengrammatik von Text- und Bildphänomenen? […] Oder sind Texte und Bilder einander stattdessen unwiderruflich fremd? […] Stehen sie einander auch dort, wo sie scheinbar und vordergründig ein gemeinsamer Gegenstand oder ein gemeinsames Thema verbindet, ja sogar, dort, wo Texte sich ausdrücklich auf Bilder beziehen und Bilder sich Texten anlagern, unvermittelt und unvermittelbar gegenüber?45

Beide Positionen haben eine lange Vorgeschichte. Die Analogie-These steht in der Tradition des antiken Modells von den ›Schwesterkünsten‹ Dichtung und Malerei (wobei Malerei meist synekdochisch für bildende Kunst steht). Ihre loci classici sind die von Plutarch überlieferte Formel des Simonides, »daß die Malerei eine stumme Poesie, und die Poesie eine redende Malerei sei«,46 und die prägnante, wenngleich sinnentstellend verkürzte Formel ut pictura poesis aus der Ars poetica des Horaz.47 Die Fremdheits-These geht zurück auf das in der Renaissance entstandene Modell vom Paragone der Künste, einem Wettkampf in Bezug auf Wirkung und ›wahrere‹ Repräsentation von Wirklichkeit.48 Die bis heute meistdiskutierte Zuspitzung fand sie in Lessings Laokoon von 1766, in dem Malerei und Poesie von ihren medialen Voraussetzungen her auf verschiedene Gegenstandsbereiche eingeschränkt werden: Wenn es wahr ist, daß die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel, oder Zeichen gebrauchet, als die Poesie; jene nemlich Figuren und Farben in dem Raume, diese aber artikulierte Töne in der Zeit; wenn unstreitig die Zeichen ein bequemes Verhältnis zu dem Bezeichneten haben müssen: So können nebeneinander geordnete 45 Schmitz-Emans: Das visuelle Gedächtnis, 17. 46 So übersetzt Lessing in der Vorrede zum Laokoon die »blendende Antithese des griechischen Voltaire« (LFA 5.2: 14). 47 Horaz vergleicht poetische Texte, die nur bei einmaliger Lektüre befriedigen, mit Gemälden, die nur bei schlechter Beleuchtung und in einigem Abstand erfreuen, und umgekehrt Texte, die mehrmalige Lektüre verdienen, mit Bildern, die gute Beleuchtung und genaue Begutachtung nicht zu scheuen brauchen (Hor. Ars 361–65).Von einer darüber hinaus gehenden Gleichsetzung beider Künste kann keine Rede sein. Allerdings werden in den Einleitungsversen seiner Dichtkunst Darstellungen grotesker Wesen in Poesie und Malerei verglichen und verurteilt (Hor. Ars 1–37; siehe Hagstrum: Sister Arts, 9f.). Einen aktuellen Überblick über die Wirkungsgeschichte des Dictums bietet Arnulf: Ut pictura poesis. 48 Siehe Baader : Agon der Künste; Pfister: Paragone. In diesen Kontext stellen die Ekphrasis namentlich Krieger : Ekphrasis; Scott: Sculpted Words.

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Einführung

Zeichen, auch nur Gegenstände, die nebeneinander, oder deren Teile neben einander existieren, aufeinander folgende Zeichen aber, auch nur Gegenstände ausdrücken, die aufeinander, oder deren Teile aufeinander folgen.//[49] Gegenstände, die nebeneinander oder deren Teile nebeneinander existieren, heißen Körper. Folglich sind Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften, die eigentlichen Gegenstände der Malerei.// Gegenstände, die auf einander oder deren Teile aufeinander folgen, heißen überhaupt Handlungen. Folglich sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie. (LFA 5.2: 116)

Aus dieser Perspektive musste nicht nur die von Lessing kritisierte poetische Beschreibungsliteratur eines James Thomson, Albrecht von Haller oder Ewald von Kleist als tadelnswerter Versuch erscheinen, die Grenzen der Malerei und Dichtung zu überschreiten, sondern auch und insbesondere die Kunstbeschreibung.50 Trotz dieses ›Laokoon-Problems‹ aber blieb – wie Gottfried Boehm und Helmut Pfotenhauer im Anschluss an Murray Krieger formulieren – auch nach Lessing »der Wunsch der Sprache, der literarischen zumal, ihr Anderes, das Bild, als scheinbar natürliches Zeichen im Medium der willkürlichen Zeichen fassen zu können«,51 lebendig und manifestierte sich in Texten, die mit neuen Formen intermedialer Bezugnahmen experimentierten.52 Eine Leitthese meiner Arbeit ist, dass einerseits das neue Bewusstsein für die Eigenheiten der Künste einen wichtigen Grund für die verbreitete, in Schillers Prolog besonders prominent formulierte Skepsis gegenüber der Fixierbarkeit von Schauspielkunst darstellt, dass anderseits aber Texte wie Lichtenbergs Briefe aus England von der komplementären Suche nach neuen Analogien oder Homologien zeugen. Als erster Beleg kann Lichtenbergs oben zitierte metaphorische Gleichsetzung seiner Garrick-Beschreibung(en) mit gemalten Porträts dienen. Vor dem Hintergrund von Lessings Antithesen fällt auf, dass Lichtenberg nicht von der Vorstellung fertiger Kunst-Werke ausgeht, sondern ein work in progress präsentiert (»wieder ein paar Pinselstriche«) und somit ›Zeit‹-und ›Raumkunst‹ einander annähert. Das entspricht Lessings Vorschlag, »Gegenstände«, wenn sie denn überhaupt in ihrer spezifischen Erscheinung dargestellt werden müssten, nach Homers Vorbild durch die Erzählung ihrer Verfertigung zu evozieren.53 Allerdings ist fraglich, ob der Leser nach Lektüre einer solchen

49 Zur Zitierweise: Doppelte Virgeln stehen für Absätze oder Strophen. 50 Explizit wird diese Konsequenz allerdings erst gezogen in Karl Philipp Moritz’ Essay In wie fern Kunstwerke beschrieben werden können von 1788/89 (Pfotenhauer : Signatur des Schönen, 69; siehe III.1, IV.1). 51 Boehm/Pfotenhauer : Einleitung, 2 (als Zusammenfassung einer Grundthese von Krieger : Problem der Ekphrasis, 41–58). 52 Siehe etwa Schmitz-Emans: Die Literatur, die Bilder und das Unsichtbare. 53 Lessings Beispiele sind Junos Wagen (LFA 5.2: 118; siehe Il. 5, V. 722–731) und Pandarus’ Bogen (LFA 5.2: 122; siehe Il. 5, V. 105–111).

›Schauspiel-Kunstbeschreibung‹

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Erzählung die ›nebeneinander existierenden Teile‹ des in Handlung umgesetzten ›Körpers‹ als Ganzes vor Augen hat.54 Schauspielkunst dagegen lässt sich so zumindest in ihren konsekutiven Aspekten mediumsadäquat erfassen. Überhaupt kommt ihr vom Standpunkt des Laokoon aus betrachtet ein medialer Sonderstatus zu: Sie benutzt menschliche »Körper«, also Gegenstände der Malerei, um »Handlungen«, also Gegenstände der Dichtung, darzustellen.55 Ja mehr noch: Sie ›verkörpert‹ konkrete Dichtungen und überwindet damit die zweite für den Laokoon konstitutive Dichotomie zwischen ›künstlichen‹ und ›natürlichen Zeichen‹.56 Dieses Verständnis spricht etwa aus einer Definition, die von Conrad Ekhof, dem ›deutschen Garrick‹,57 stammt: »Die Schauspielkunst ist belebte Bildnerey«.58 Sie manifestiert sich aber auch in der Mode der ›lebenden Bilder‹,59 jenem Nachstellen berühmter Gemälde meist im geselligen Rahmen, das sich bis in die Festkultur des Spätmittelalters und vor allem der italienischen Renaissance zurückverfolgen lässt60 und das Denis Diderot für das Theater modifizierte: Zu wohlkomponierten tableaux61 soll die Bühnenhandlung in bedeutsamen und/oder besonders bewegenden Momenten erstarren, insbesondere am Schluss einer Szene.62 Eng verwandt ist die Kunst der Attitüde, die der körperlichen Nachahmung von Statuen gilt, jedoch als dynamisch verbundene Folge verschiedener Werke oder Posen angelegt ist.63 Schließlich relativiert auch der Diderot-Übersetzer Lessing selbst64 seine 54 Diesen Einwand macht bereits Herder im ersten Kritischen Wäldchen (Herder: Werke 2, 207f.). 55 Siehe Fischer-Lichte: Geschichte des deutschen Theaters, 122. 56 Aus Platos Dialog Kratylos, siehe Hagstrum; konkret schließt Lessing (siehe Laokoon Nr. 16 und 17) an Dubos’ R8flexions critiques sur la po8sie et sur als peinture von 1719 an. 57 Zu Ekhofs Bedeutung für die deutsche Schauspielkunst siehe Sosulski: Ekhof and the Reform. 58 Zitiert in Böttiger : Entwickelung des Ifflandischen Spiels, 246, siehe III.6. 59 Grundlegend sind Holmström: Monodrama, attitudes, tableaux vivants; Langen: Attitüde und Tableau; Jooss: Lebende Bilder. 60 Dazu Helas: Lebende Bilder. 61 Die oxymorale Fügung tableau vivant und ihr deutsches Pendant setzten sich erst im 19. Jahrhundert durch, im 18. Jahrhundert sprach man auch im Fall der Nachstellung spezifischer Gemälde meist einfach von tableaux, im Deutschen mitunter auch von ›Gemä(h)lden‹ (Jooss: Lebende Bilder, 19f.). 62 Siehe Holmström: Monodrama, attitudes, tableaux vivants, 11–39; Langen: Attitüde und Tableau; Jooss: Lebende Bilder, 44–54; außerdem Godden: ›Peinture parlante‹; Berger: Tableau; speziell zu Diderot auch Heeg: Phantasma der natürlichen Gestalt, 77–80. 63 Siehe zusätzlich zu den in den vorigen Anmerkungen genannten Arbeiten von Holmström, Langen und Jooss neuerdings Baum: Attitüden. Das Thema wird aufgegriffen in den Kapiteln III.6.2 und IV.5.3. 64 Sein Theater des Herrn Diderot von 1760 vereinigt mit den Unterredungen über den »Natürlichen Sohn« (1757) und der Abhandlung Von der dramatischen Dichtkunst (1758) sowie den dazu gehörigen Musterstücken diejenigen Schriften, die in Frankreich am entschie-

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Einführung

Entgegensetzung von Raum- und Zeitkünsten im Fünften Stück der Hamburgischen Dramaturgie (1767), und zwar im Anschluss an seine im Laokoon formulierte Forderung, dass für die unbeweglichen Darstellungen der Kunst »Schönheit«, für die transitorischen Darstellungen der Dichtung dagegen »Wahrheit und Ausdruck« das oberste Prinzip sein sollten: Die Kunst des Schauspielers stehet hier, zwischen den bildenden Künsten und der Poesie, mitten inne. Als sichtbare Malerei muß zwar die Schönheit ihr höchstes Gesetz sein; doch als transitorische Malerei braucht sie ihren Stellungen jene Ruhe nicht immer zu geben, welche die alten Kunstwerke so imponierend macht. Sie darf sich, sie muß sich das Wilde eines Tempesta, das Freche eines Bernini öfter erlauben; es hat bei ihr alle das Ausdrückende, welches ihm eigentümlich ist, ohne das Beleidigende zu haben, das es in den bildenden Künsten durch den permanenten Stand erhält. Nur muß sie nicht allzu lange darin verweilen, nur muß sie es durch die vorhergehenden Bewegungen allmählich vorbereiten und durch die darauf folgenden wiederum in den allgemeinen Ton des Wohlanständigen auflösen, nur muß sie ihm nie alle die Stärke geben, zu der sie der Dichter in seiner Bearbeitung treiben kann. Denn sie ist zwar eine stumme Poesie, aber die sich unmittelbar unsern Augen verständlich machen will […]. (LFA 6: 210)

Die Formulierung, Schauspielkunst sei eine »stumme Poesie«, rekurriert auf das erwähnte, bereits in der Laokoon-Vorrede thematisierte Bonmot des Simonides, »daß die Malerei eine stumme Poesie, und die Poesie eine redende Malerei sei«.65 Lessing sieht hier also vom Aspekt der Deklamation ab und konzentriert sich auf Bewegungszeichen, die mit Gesten der bildenden Kunst verglichen werden. Er folgt damit wiederum Diderot, der in seinem Essay Lettre sur les sourds et muets von 1749, einem Gründungstext der Gebärden-Semiotik, berichtet, dass er sich im Theater gern die Ohren zuhalte, um zu prüfen, wie weit die Schauspieler ihren Text in Zeichen umsetzen, die »unmittelbar unseren Augen verständlich« sind.66 Die Forderung nach sofortiger Verständlichkeit gilt für schauspielerische Bewegungszeichen weit stärker als für bildende Kunst, weil man die Körpersprache einer Figur im »permanenten Stand« mit Muße entschlüsseln kann. Andererseits hat gerade Lessing in der Hamburgischen Dramaturgie dem Aspekt der Deklamation in einem Doppelzugriff von Schauspielkunstbedensten zu einer Aufwertung der visuellen Dimension in der Theaterpraxis beitrugen (siehe das Nachwort von Klaus-Detlef Müller, ebd. 425–456; Berger : Tableau, 133–136; alle französischen Texte in Diderot: Œuvres ComplHtes 10). 65 LFA 5.2: 14; siehe Einf. 4. Auf den Zusammenhang dieser Stelle mit dem Laokoon weist bereits Fischer-Lichte hin (Semiotik des Theaters 2, 135f.), eingehend zum Verhältnis von Laokoon und Hamburgischer Dramaturgie Packard: Lessings Affektsemiologie. 66 Der Essay Lettre sur les aveugles / l’usage de ceux qui voient findet sich in Diderot: Œuvres complHtes 4, 129–243, die erwähnte Passage ebd. 149f.; dazu Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 2, 120f.

›Schauspiel-Kunstbeschreibung‹

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schreibung und Analyse breite Aufmerksamkeit geschenkt.67 Dies ist vom Standpunkt des Laokoon aus insofern unproblematisch, als Deklamation an textlich verfasste Figurenrede anschließt und ihre Beschreibung, wenigstens so weit sie diese zitiert, »ein bequemes Verhältnis« zu ihrem Gegenstand aufweist. Generell ist daran zu erinnern, dass Schauspielkunstbeschreibungen zwar darauf gerichtet sind, ein ›Werk‹, das einem transitorischen Medium angehört, in einen Text zu transformieren, dass dieses Schauspielkunst-Werk aber wiederum, wenigstens unter dem Vorzeichen des Literaturtheaters, auf das ergon des Dramentextes rekurriert und sich in Bezug zu diesem beschreiben lässt. Insofern teilen alle drei Repräsentationsebenen, die eine Schauspielkunstbeschreibung konstituieren – Drama, Verkörperung und Beschreibung – das Merkmal der Konsekutivität. Andererseits ist Schauspielkunst durch die Gleichzeitigkeit plurimedialer Zeichen charakterisiert, deren Umsetzung in textuelle Nachzeitigkeit eine beachtliche Herausforderung darstellt. Dies gilt für den Verfasser einer Schauspielkunstbeschreibung im 18. Jahrhundert ebenso wie für die Verfasserin einer modernen theaterwissenschaftlichen Aufführungsanalyse; in Kapitel I.5 wird denn auch gezeigt, dass in beiden Textgattungen teilweise vergleichbare Strategien ausgebildet wurden, dieses Problem zu bewältigen. Grundsätzlich jedoch – so eine zentrale These dieser Arbeit – folgen Schauspielkunstbeschreibungen einem Darstellungsideal, das sie von modernen Aufführungsanalysen ebenso unterscheidet wie von kunstwissenschaftlichen Bildanalysen; sie teilen es jedoch mit den meisten faktualen und fiktionalen Kunstbeschreibungen der Antike und frühen Neuzeit. Gemeint ist das Ideal der ›Lebendigkeit‹ bzw. ›Anschaulichkeit‹, das noch in Julius Babs Behauptung nachwirkt, Bild- und Textquellen vermöchten »der Phantasie ein vollkommen sicheres Bild« spezifischer Schauspielkunst zu geben,68 oder auch, Lichtenbergs Briefe aus England lieferten »vielleicht die anschaulichste Schilderung schauspielerischer Leistung, die in deutscher Sprache je zustande gekommen ist«.69 Dieses Ideal ist auf die römisch-hellenistische Rhetorik zurückzuführen, wo es erst griechisch als ]m\qceia, dann als evidentia auftritt und die Gattung der Ekphrasis kennzeichnet – nicht im modernen Sinn von ›Kunstbeschreibung‹, sondern im umfassenderen Sinn von ›Beschreibungskunst‹.70 Um plausibel zu machen, dass dieses Modell nicht nur historisches, sondern auch systematisches 67 Besonders berühmt ist in dieser Hinsicht das 3. Stück (LFA 6: 196–201), in dem Lessing ausgehend von Ekhofs Deklamation über das Verhältnis von dargestellter und tatsächlich empfundener Emotion beim Schauspieler reflektiert (siehe Roselt: Seelen mit Methode, 124– 127). 68 Bab: Kränze dem Mimen, 66. 69 Bab: Kränze dem Mimen, 27. 70 Das prägnante Begriffspaar entlehne ich dem Titel der bereits klassischen Aufsatzsammlung von Gottfried Boehm und Helmut Pfotenhauer.

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Einführung

Interesse insbesondere aus moderner komparatistischer Perspektive verdient, sollen im nächsten Kapitel (3) aktuelle Tendenzen der »Ekphrasis«-Diskussion im Bezugsfeld der Intermedialitätsforschung herausgestellt werden, um vor diesem Hintergrund im übernächsten (4) das rhetorische Modell der Enargeia zu umreißen. Vom spezifischen Aspekt der Schauspielkunst wird dabei weitgehend abgesehen, doch bilden die in Kapitel 3 und 4 behandelten systematischen und historischen Zusammenhänge die Grundlage, auf der in Kapitel 5 der heuristische Wert des Begriffs ›Mimen-Ekphrasis‹ erläutert werden kann.

3.

›Ekphrasis‹: eine Textgattung aus Sicht der Intermedialitätsforschung

Nachdem diskutiert wurde, warum Kunstbeschreibungen eines der prominentesten Untersuchungsfelder intermedial orientierter Literaturwissenschaft darstellen, ist nun zu präzisieren, dass sie in diesem Kontext fast immer als »Ekphrasen« bezeichnet werden. Diese Begriffsverwendung wird oft auf die Antike zurückprojiziert, geht aber auf Leo Spitzer zurück, der die Ekphrasis 1955 gelegentlich der Analyse von Keats Ode on a Grecian Urn als »poetic description of a pictorial or sculptural work of art« definierte.71 Auch Ekphrasis-Studien der folgenden Jahrzehnte beschäftigten sich mit literarischen Texten über Werke der bildenden Kunst, zunehmend auch solchen in Prosa.72 Seit Mitte der 90er Jahre ist eine schrittweise Entgrenzung des Begriffs hinsichtlich der in Ekphrasen thematisierten ›Kunst‹ zu verzeichnen: Auch Photographie, Film und sogar Musik gelten nunmehr als legitime Gegenstände.73 Entsprechend definierte Claus Clüver die Ekphrasis 1997 als »verbal representation of a real or fictious text composed in a non-verbal system«. Die Formulierung verweist insofern auf die Tradition der ›Schwesterkünste‹, als das Konzept ›nicht-verbaler Texte‹ eine prinzipielle ›Lesbarkeit‹ aller beteiligten Artefakte unterstellt.74 In neuerer Zeit wird Ekphrasis sogar gelegentlich so verstanden, dass nicht einmal das Bezug nehmende Repräsentationssystem verbal verfasst sein muss: In diesem Verständnis können Ekphrasen beispielsweise als Musikstücke und 71 Spitzer: The Ode on a Grecian Urn, 207; zur Vorgeschichte dieser Begriffsverwendung siehe Webb: Ekphrasis, Imagination, 7, 28–38; Brassat/Squire: Ekphrasis, 64. 72 Siehe z. B. Hess: Bilder des Grünen Heinrich; Neumann: Meyers Novelle; Schmidt: Proust; Stoichita: Bildbeschreibung bei Dostojewski. 73 Z. B. Bruhn: Musikalische Ekphrasis; Amir : Ekphrasis and Empathy ; Persin: Ekphrastic Principle; Sager Eidt: Writing and Filming the Painting. 74 Clüver: Ekphrasis Reconsidered, 26; vgl. dagegen James Heffernans vier Jahre ältere Ekphrasis-Definition als »the verbal representation of visual representation« (Heffernan: Museum of Words, 3).

›Ekphrasis‹ aus Sicht der Intermedialitätsforschung

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Filme auftreten.75 Diese Entgrenzung ist typisch für das aktuelle literaturwissenschaftliche Interesse an Intermedialität, verstanden als Sammelbegriff für »Mediengrenzen überschreitende Phänomene, die mindestens zwei konventionell als distinkt wahrgenommene Medien involvieren.«76 Irina O. Rajewski, von der diese Definition stammt und die 2002 ein umfassendes IntermedialitätsModell vorgestellt hat, behandelt Ekphrasis allerdings in Clüvers Sinn als verbal verfasste Texte, deren Besonderheit gerade in ihrem Bezug auf nonverbal verfasste ›Texte‹ besteht.77 Dies scheint mir sinnvoll zu sein, will man die Begriffe Ekphrasis und Intermedialität nicht bis zur Unkenntlichkeit verschwimmen lassen. Andererseits ist damit noch nicht genau bestimmt, wie sich Ekphrasen systematisch zu anderen Formen intermedialer Bezugnahme verhalten. Dafür bietet sich Rajewskis Modell als Ausgangspunkt an, wenngleich sie selbst diese Einordnung vermeidet. Rajewski unterscheidet drei intermediale Verfahrensweisen, nämlich »Medienkombination«, »Medienwechsel« und »intermediale Bezüge« (ich zitiere hier und im Folgenden nach Schema 4 ihrer Systematik).78 Ekphrasen können stellenweise durchaus mit »Medienkombinationen« arbeiten (zum Beispiel Lichtenbergs Hogarth-Kommentare mit integrierten Abbildungen)79, zeichnen sich aber dadurch aus, dass das (in Rajewskis Terminologie) »Produkt« eines Mediums erkennbar das (frühere entstandene oder erfundene) eines anderen Mediums thematisiert; somit handelt es sich nicht um eine Kombination im Sinne der Gleichrangigkeit zweier Medien. Aussichtsreicher scheint es, die Ek75 Siehe Bruhn: Musical Ekphrasis; Sager Eidt: Writing and Filming the Painting. 76 Rajewski: Intermedialität, 153. Sie greift dabei (ebd. 7) auf den Medienbegriff Werner Wolfs zurück: Ein Medium ist »a conventionally distinct means of communication or expression characterized not only by particular channels (or one channel) for the sending and receiving of messages but also by the use of one or more semiotic systems« (Wolf: Musicalized Fiction, 40). 77 Siehe Rajewski: Intermedialität, 26. Mit Jörg Robert bin ich der Ansicht, dass es sich um »die gründlichste, methodisch-typologisch orientierte Darstellung des Gegenstands im deutschsprachigen Raum« handelt (Robert: Einführung Intermedialität,19). Da Rajewski ihr Modell am Beispiel des Verhältnisses von Literatur und Film entwickelt, kritisiert Robert allerdings, Intermedialität erscheine »hier ausschließlich a) als Phänomen der Moderne und b) als Synonym für Text-Film-Beziehungen« (ebd.). Meines Erachtens geht Rajewskis Anspruch durchaus darüber hinaus, obwohl »der Gewinnn an terminologischer Geschlossenheit und Differenzierung« teilweise durchaus durch »Abstraktion von der historischen Tiefe« erkauft ist (ebd.). Mein Anspruch ist es, beide Aspekte in meiner Arbeit zu verbinden. Für eine Übersicht über das Feld der Intermedialitätsforschung sei, außer auf Roberts hier zitierter Einführung in die Intermedialität (bes. 7–29; 59–74), auf das von Gabriele Rippl herausgegebene Handbook of Intermediality verwiesen, besonders die Einleitung und die Beiträge zur Ekphrasis (35–55), die sich teilweise an Epochen, teilweise an Gattungen orientieren. 78 Rajewski: Intermedialität, 157; vgl. Robert: Intermedialität, 75. 79 Siehe Lichtenberg: Kalender-Erklärungen.

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Einführung

phrasis als »Medienwechsel« zu fassen, verstanden als »Transformation eines medienspezifisch fixierten Produkts bzw. Produkt-Substrats in ein anderes, konventionell als distinkt wahrgenommenes Medium; nur letzteres ist materiell präsent«. Wie jedoch Rajewskis Beispiel der »Literaturverfilmung bzw. -adaption« zeigt, kann die »Transformation« so vollständig sein, dass sich das Endprodukt nicht nur ohne Kenntnis des Ausgangsprodukts befriedigend rezipieren lässt, sondern auch ohne Kenntnis von dessen Existenz. Konstitutiv für Ekphrasen ist dagegen das Wissen des Rezipienten um die Existenz eines altermedial verfassten Ausgangsproduktes (sei diese Existenz nun real oder fiktiv) und oft auch dessen Kenntnis. Insofern gehören Ekphrasen, wie Jörg Robert richtig festellt, in den Bereich der »intermedialen Bezüge«, verstanden als Verfahren der Bedeutungskonstitution eines medialen Produkts durch Bezugnahme auf ein Produkt (=Einzelreferenz) oder das semiotische System (=Systemreferenz) eines konventionell als distinkt wahrgenommenen Mediums mit den dem kontaktgebenden Medium eigenen Mitteln; nur letzteres ist materiell präsent. Bezug genommen werden kann auf das fremdmediale System als solches oder aber auf ein (oder mehrere) Subsystem(e) desselben, wobei letzteres per definitionem auch ersteres impliziert. // z. B. Bezüge eines literarischen Textes auf einen bestimmten Film, ein filmisches Genre oder auf den Film qua System; entsprechend Bezüge eines Films auf die Malerei, eines Gemäldes auf die Literatur usw.80

Gegenüber anderen Formen intermedialer Bezugnahme zeichnen sich Ekphrasen m. E. erstens durch die Privilegierung der »Einzelreferenz« aus und zweitens durch eine besondere Intensität der Bezugnahme, die über eine bloße »explizite Systemerwähnung«81 weit hinausgeht. Es handelt sich – so Rajewskis Subkategorie – um eine »Systemerwähnung qua Transposition«, die auf »eine fremd- bzw. altermedial bezogene Illusionsbildung« zielt.82 Diesen Begriff wiederum entwickelt Rajewski im Ausgang von Werner Wolfs Konzept der »ästhetischen Illusionsbildung«: Ein Text kann zwar mit seinen Mitteln medienspezifische Komponenten eines fremdmedialen Bezugssystems nicht reproduzieren; die traditionsreiche Rede von der ›filmischen Schreibweise‹, von einer ›Musikalisierung der Literatur‹ und ähnlichen Phänomenen weist jedoch darauf hin, daß er sehr wohl in der Lage ist, eine Rezeptionslenkung und Illusionsbildung hervorzurufen, die dazu führen, daß bestimmte Textelemente und/oder -strukturen vom Leser als altermediale – d. h. ›filmische‹, ›televisuelle‹, ›musikalische‹ usw. – oder zumindest als dem jeweiligen Bezugssystem analoge rezipiert werden. In diesem Sinne verstanden sind intermediale Systemerwähnungen, die mittels der Imitation oder Evokation bestimmter Elemente und/oder 80 Rajewski: Intermedialität, 157. 81 Zum Beispiel »Karl und Hannelore verbrachten den ganzen Abend vor dem Fernseher« (Rajewski: Intermedialität, 80). 82 Rajewski: Intermedialität, 88.

›Ekphrasis‹ aus Sicht der Intermedialitätsforschung

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Strukturen des Bezugssystems vorgenommen werden, mit Verfahren der allgemeinen werkseitigen Illusionsbildung vergleichbar, wenn sie auch qualitativ und hinsichtlich der Zielsetzung vom Wolfschen Begriff der Illusionsbildung zu unterscheiden sind. Letzterem geht es um die allgemeine ästhetische Illusion eines Textes, die auf der Ebene der dargestellten ›Wirklichkeit‹ bezogen ist; erstere hingegen sind, als eigenständig illusionsbildende Verfahren betrachtet, auf einer anderen Ebene angesiedelt: Sie zielen nicht darauf, die dargestellte ›W elt‹ in Analogie zu einer ›realen‹, oder […] konventionalisierten Lebenswelt erfahrbar zu machen; sie zielen vielmehr auf eine Analogie zwischen der textuellen Darstellung oder Inszenierung von ›Welt‹ – die ›Inhalte‹ und ›Präsentationsweisen‹ betreffend – und bestimmten vorfindlichen und konventionalisierten semiotischen Systemen und deren Prinzipien und Regeln der ›Realitäts‹inszenierung.83

Der etwas paradox klingende Begriff »werkseitige Illusionsbildung« meint jene Strukturen und Gestaltungsprinzipien welche auf »die Ermöglichung einer den Rezipienten ansprechenden Erfahrung [zielen], die grundsätzlich analog zur Wirklichkeitserfahrung und damit wahrscheinlich wirkt und den Rezipienten an der dargestellten Welt interessiert«.84 Als leitende Verfahren nennt Wolf (1) »das Prinzip anschaulicher [!] Welthaftigkeit«, (2) »das Prinzip der Sinnzentriertheit« (»die logische oder auch psychologisch konsistente und motivierte Gestaltung«), (3) »das Prinzip der Interessantheit«, d. h. eine »Werkgestaltung, die den Rezipienten an die Ebene der dargestellten Sachverhalte bindet« (4), »das Prinzip des ›celare artem‹« und (5) »das Prinzip der Mediumsadäquatheit«, d. h. »die Ausschöpfung der den jeweiligen künstlerischen Medien eigenen Möglichkeiten und die Respektierung von deren Grenzen«.85 Die Prinzipien 1–3 dürften mit »altermedialer Illusionsbildung« verträglich sein. Ob dies für das Prinzip des »celare artem«, also des möglichst unauffälligen Einsatzes poetischrhetorischer Mittel,86 ebenfalls gilt, ist insofern fraglich, als ja schon die Bezug83 Rajewski: Intermedialität, 87f. 84 Wolf: Illusionsbildung, 272. »Zu den rezipientenseitigen Faktoren gehören überindividuelle (wie die Fähigkeit zur Vorstellungsbildung und zur Partizipation am jeweiligen Kontext oder auch ein gewisses Fiktionsbedürfnis) und individuelle (wie der jeweilige Erfahrungshorizont, die Zugehörigkeit zu bestimmten […] Gruppen, der Grad der Teilhabe am Code des Werkes und vor allem die Illusionsbereitschaft).« (ebd. 271f.). 85 Alle Zitate Rajewski: Intermedialität, 86f. bzw. Wolf: Illusionsbildung, 230; siehe dazu ausführlich Wolf: Ästhetische Illusion und Illusionsdurchbrechung, 115–207. Wolf ist zudem einer der wichtigsten Anreger einer »literaturzentrierten« Intermedialitätsforschung im deutschen Sprachraum (siehe v. a. Wolf: Intermedialität als neues Paradigma?). 86 In einem neueren Handbuch-Artikel erläutert Wolf: »This principle favors immersion by concealing the mediacy and mediality of representation, but also, where applicable, fictionality by avoiding paradox-creating devices such as (non-naturalizable) metalepsis and abstaining from overly intrusive metatextual elements and, generally, from devices that lay bare scripts and clich8s as constituents of the represented world« (Wolf: Aesthetic Illusion, Abs. 31). Siehe ausführlich Wolf: Ästhetische Illusion und Illusionsdurchbrechung, 188–198. Zur Herkunft des Begriffes siehe Abschnitt I.1.1 der vorliegenden Studie.

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Einführung

nahme auf ein anderes Medium ›Künstlichkeit‹ impliziert. Bezogen auf Kunstbeschreibung lässt sich das Problem auf die Grundfrage des Laokoon zurückführen, in dem Mediumsadäquatheit (wie zitiert) als »bequemes Verhältnis« und ästhetische Illusion als »das Täuschende« firmiert: Nochmals also: ich spreche nicht der Rede das Vermögen ab, ein körperliches Ganze nach seinen Teilen zu schildern; sie kann es, weil ihre Zeichen, ob sie schon aufeinander folgen, dennoch willkürliche Zeichen sind: sondern ich spreche es der Rede als dem Mittel der Poesie ab, weil dergleichen wörtlichen Schilderungen der Körper das Täuschende gebricht, worauf die Poesie vornehmlich gehet. (LFA 5.2: 127)

Allerdings interessieren sich moderne Literaturwissenschaftler im Gegensatz zu Lessing nicht allein für die Fähigkeit der Literatur zur Bildung ästhetischer Illusion, sondern auch zu deren gezielter Durchbrechung:87 Aus poststrukturalistischer Sicht macht gerade sie, wie Heinz Drügh vorführt, die Faszination von Beschreibungen wie von Kunstbeschreibungen aus.88 Doch kann man Lessings These nicht nur umwerten, sondern auch anzweifeln. So bemerkt Sabine Gross, dass im Laokoon »ein Mangel an Vertrauen in die zur literarischen Rezeption erforderlichen kognitiven Fähigkeiten des Menschen als Fürsorge für die RezipientInnen auftritt«.89 Rajewski hält fest, dass altermediale Illusionsbildung gegensätzliche »Auswirkungen auf die allgemeine ›realitäts‹bezogene Illusionsbildung eines Textes« haben kann: »Sie kann in diese eingehen oder aber dieser zuwiderlaufen, kann somit im Hinblick auf eine allgemeine werkseitige Illusionsbildung illusionsbildend oder -durchbrechend wirken.«90 Illusionsfördernd wirke sie insbesondere durch die Aktualisierung von Strukturen, die kontaktnehmendes und -gebendes Medium teilen.91 Aber auch im Hinblick auf eine Kategorie, hinsichtlich derer sich Malerei und Dichtkunst aus Lessings Sicht signifikant unterscheiden, spricht Murray von einer »ekphrastic ambition«: Sie richte sich darauf, »to overcome the arbitrariness of the verbal sign by aping the natural sign of the visual arts«.92 Die personifizierende Redeweise vom Ehrgeiz der Literatur erinnert an das allegorische Modell der Schwesterkünste, deren durch Kooperation und Konkurrenz gekennzeichnete Geschichte Jean H. Hagstrum und Murray Krieger dargestellt

87 Das Wechselverhältnis beider wird schon im Haupttitel von Wolfs Ästhetische Illusion und Illusionsdurchbrechung in der Erzählkunst thematisiert. 88 Drügh: Ästhetik der Beschreibung. 89 Gross: Ekphrasis, 107. 90 Rajewskis: Intermedialität, 88. 91 Rajewskis Beispiel sind Plot und Dialog eines in einem Erzähltext thematisierten Filmes; dem entspricht, wie angedeutet, der Bezug von Schauspielkunst auf Handlung und Figurenrede des Dramentextes. 92 Krieger : Ekphrasis, 14.

›Ekphrasis‹ aus Sicht der antiken Rhetorik

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haben.93 Dabei kann man die altermediale Tendenz der Literatur auf Kunst auch im Sinne einer »Rhetorik der Großzügigkeit« verstehen,94 wenn etwa Hagstrum, auf Simonides’ Bonmot anspielend, von »[t]hat special quality of giving voice and language to the otherwise mute art object« spricht.95 Grundsätzlich ist aber zu betonen, dass ästhetische Illusion darin besteht, »das von einem Kunstwerk Evozierte« nicht etwa als, sondern »wie eine Wirklichkeit zu erleben«:96 Sonst würde es sich nicht um ästhetische Illusion handeln, sondern um Illusion im Sinne tatsächlicher Täuschung. Konstitutiv ist also »ein ästhetisches Bewußtsein von der Scheinhaftigkeit des Evozierten als wesentliche Voraussetzung für ästhetischen Genuß«.97 Diese Aspekte, die im Folgenden als Evokations-Effekt und Als-ob-Bewusstsein angesprochen werden, gehören zusammen, wie Coleridges’ berühmte Formel »willing suspension of disbelief« verdeutlicht.98 Es ist sogar davon auszugehen, dass sich der Rezipient nicht nur willentlich auf ästhetische Täuschung einlässt, sondern aktiv und lustvoll an ihrem Zustandekommen mitarbeitet. Entsprechendes ist auch für intermediale Illusionsbildung vorauszusetzen.

4.

›Ekphrasis‹: die Textgattung aus Sicht der antiken Rhetorik

Damit ist das moderne Verständnis von Ekphrasis aus intermedialer Perspektive präzisiert und kann ins Verhältnis zum spätantik-rhetorischen Verständnis gesetzt werden, an das insbesondere die Altphilologin Ruth Webb nachdrücklich erinnert hat.99 Die folgenden Überlegungen schließen an ihre 2007 erschienene Monographie Ekphrasis, imagination and persuasion in ancient rhetorical theory and practice an. Ursprünglich bezeichnet Ekphrasis »eine beschreibende [perie¯ge¯matikos] Rede, die das Mitgeteilte anschaulich [enargo¯s] vor Augen führt.«100 So lautet 93 Hagstrum: The Sister Arts; Krieger : Ekphrasis; einen Überblick bietet Krieger: Problem der Ekphrasis. 94 Gross: Ekphrasis, 106. 95 Hagstrum: Sister Arts, 18, Anm. 43. Weiter geht Monika Schmitz-Emans’ These, dass Ekphrasen insbesondere auf »das Unsichtbare« am Kunstwerk zielten (Schmitz-Emans: Die Literatur, die Bilder und das Unsichtbare). 96 Wolf: Ästhetische Illusion im englischen Drama, 280 (meine Hervorhebung). 97 Wolf: Ästhetische Illusion im englischen Drama, 281; ausführlicher dazu Wolf: Ästhetische Illusion und Illusionsdurchbrechung, 31–68. 98 Coleridge: Biographia Literaria, 6. Den Begriff »Evokationseffekt« entlehne ich von Malte Möhrmann (Das Flüchtige und das Fixieren, 176), der ihn allerdings auf Texte beschränkt und etwas anders fasst (siehe Einf. 7). 99 Besonders prägnant in Webb: Ekphrasis Ancient and Modern. 100 5jvqasir 1sti kºcor peqigcglatij¹r 1maqc_r rpû exim %cym t¹ dgko¼lemom. (Theon: Progymnasmata 118.6; zit. nach Webb: Ekphrasis, Imagination, 198) Ich übernehme die deutsche

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Einführung

(hier in der wohl frühesten Formulierung bei Theon von Alexandria) die Standard-Definition in späthellenistischen Lehrbüchern der Rhetorik, den sogenannten Progymnasmata.101 Ekphrasen zielen somit auf die Erzeugung von Enargeia und damit auf eine Form von Illusionsbildung, die durch den Bezug auf den Gesichtssinn charakterisiert ist. Die Metapher des ›Vor-Augen-Stellens‹ von etwas Abwesendem wird allerdings schon in der Rhetorik des Aristoteles gebraucht, um die ontologische Kategorie der Energeia auch als poetologische Größe einzuführen.102 Enargeia und Energeia wurden denn auch seit der Renaissance häufig vermengt oder gleichgesetzt. Ein Vergleich beider Konzepte in ihren ursprünglichen Kontexten ergibt jedoch Differenzen, die Jean H. Hagstrum folgendermaßen fasst: Enargeia implies the achievement in verbal discourse of a natural quality or of a pictorial quality that is highly natural. Energeia refers to the actualization of potency, the realization of capacity or capability, the achievement in art and rhetoric of the dynamic and purposive life of nature. Poetry possesses energeia when it has achieved its final form and produces its proper pleasure, when it has achieved its own independent being quite apart from its analogies with nature or another art, and when it operates as an autonomous form with an effectual working power of its own. But Plutarch, Horace, and the later Hellenistic and Roman critics found poetry effective when it achieved verisimilitudine – when it resembled nature or a pictorial representation of nature. For Plutarchian enargeia, the analogy with painting is important; for Aristotelian energeia, it is not.103

In Rajewskis Termini übertragen, würde Energeia also auf Illusionsbildung unter Beachtung des Prinzips der Mediumsadäquatheit zielen, Enargeia dagegen zur »simulierenden Systemerwähnung«104 von medialen Eigenschaften der Malerei tendieren. Ein genauerer Blick auf jene Passage aus Plutarchs Schrift

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Übersetzung von Fritz Graf (Graf: Ekphrasis, 141), gebe jedoch »logos«, Webb folgend, als »Rede« (»speech«) und nicht als »Text« wieder (siehe Webb: Ekphrasis, Imagination, 51; ebenso bei Heffernan: Ekphrasis, 36). Zur Übersetzung von »perie¯ge¯matikos« siehe I.4.4. Webb: Ekphrasis, Imagination, 1; dort im Anhang (197–211) eine Zusammenstellung der wichtigsten auf Ekphrasis bezogenen Passagen aus den überlieferten Progymnasmata. »Ich verstehe unter Vor-Augen-Führen das, w a s W i r k s a m k e i t z u m A u s d r u c k b r i n g t. Sagt man z. B.: ein rechtschaffener Mann sei ein Würfel (=Ausdruck für geometrische Vollkommenheit), so ist das eine Metapher. Beides bezeichnet nämlich etwas Vollkommenes, aber nicht etwas Wirksames (]m]qceia, actualitas). Anders dagegen der Ausspruch: ›dessen Manneskraft in ihrer Blüte steht‹, er drückt Wirksamkeit aus.« (Aristot. rhet. 3.11.2 [1411b11]; Übers. Aristoteles: Rhetorik, 193; Hervorhebungen und Erläuterungen stammen vom Übersetzer Franz G. Sieveke). Original: »k]cy dµ pq¹ all\tym taOta poie?m fsa 1meqcoOmta sgla_mei, oXom t¹m !cah¹m %mdqa v\mai eWmai tetq\cymom letavoq\, (%lvy c±q t]keia), !kkû oq sgla_mei 1m]qceiam: !kk± t¹ ›!mhoOsam 5womtor tµm !jl^m« 1m]qceia‹« […] (Aristoteles: Ars rhetorica, 166). Hagstrum: Sister Arts, 12; siehe die artikelartige Anmerkung 22 in Campe: Affekt und Ausdruck, 230. Rajewski: Intermedialität, 84.

›Ekphrasis‹ aus Sicht der antiken Rhetorik

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vom Ruhm der Athener, die den locus classicus für den Bezug von Enargeia auf das Modell von Ekphrasis darstellt, führt jedoch zu einer gewissen Modifizierung dieses Verständnisses. Plutarch überliefert zunächst das schon mehrfach angesprochene Simonides-Zitat zum Verhältnis der ›Schwesterkünste‹,105 um es in aufschlussreicher Weise zu erläutern: Simonides nennt nun die Malerei ›schweigende Dichtung‹, die Dichtung hingegen ›sprechende Malerei‹. Denn die Taten, die die Maler als werdende zeigen, die beschreiben und legen die Worte als gewordene dar. Wenn aber die einen mit Farben und Formen, die anderen hingegen mit Begriffen/Namen und Wörtern dasselbe deutlich machen, sie sich im Material und in der Art der Nachahmung unterscheiden, haben doch beide ein einziges Ziel, und von den Historikern ist derjenige der beste [i. S.v. stärkste], der seine Erzählung wie ein Gemälde durch Affekte [pathos] und Figuren [prosopon] bildlich geformt hat [eidolo-poiein = Bild-machen]. Thukydides kämpft natürlich stets mit dem Wort für die Anschaulichkeit [enargeia], weil er schließlich den Leser [eigentl.: Hörer; akroate¯s;] zum Zuschauer machen will und weil er die beim Sehen entstehenden Emotionen [pathos; Plural: pate¯] des Staunens und der Bestürzung den Lesern deutlich machen will.106

Wichtiger als die medialen Unterschiede zwischen Malerei und Poesie – insbesondere ›Stummheit‹ der Malerei und sprachliche Verfasstheit der Poesie – ist für Plutarch das von beiden Medien geteilte Wirkungsziel der Enargeia. Doch ist hier nicht von der Verwandlung in einen Kunstbetrachter die Rede, sondern in einen Zuschauer (theate¯s). Auch der Progymnastiker Nikolaos formuliert, Enargeia versuche, ›aus Zuhörern Zuschauer zu machen‹,107 und Ruth Webb zufolge verweist die Formulierung ›vor Augen stellen‹ in der Standarddefinition von Ekphrasis ebenfalls auf »the dramatist who literally produces characters and actions on stage, placing them before the eyes of the audience.«108 Das aber bedeutet: Nicht das Kunstwerk ist das Modell für textuelle Enargeia, sondern die Enargeia von Texten wie von Kunstwerken orientiert sich am Modell 105 Zu einer weiteren weniger einschlägigen Stelle siehe Franz: Antike Ästhetik als Zeichenlehre, 62. 106 »Pkµm b Silym_dgr tµm l³m fycqav_am po_gsim siyp_sam pqosacoqe}ei, tµm d³ po_gsim fycqav_am kakoOsam. $r c±q oR fycq\voi pq\neir ¢r cimol]mar deijm}ousi, ta}tar oR k|coi cecemgl]mar digcoOmtai ja· succq\vousim. eQ d’ oR l³m wq~lasi ja· sw^lasim oR d’ am|lasi ja· k]nesi taqt± dgkoOsim, vk, ja· tq|poir lil^seyr diav]qousi, t]kor d’ !lvot]qoir 4m rp|jeitai, ja· t_m Rstoqij_m jq\tistor b tµm di^cgsim ¦speq cqavµm p\hesi ja· pqos~poir eQdykopoi^sar. b coOm Houjud_dgr !e· t` k|c\ pq¹r ta}tgm "likk÷tai tµm 1m\qceiam, oXom heatµm poi/sai t¹m !jqoatµm ja· t± cim|lema peq· to»r bq_mtar 1jpkgjtij± ja· taqajtij± p\hg to?r !macim~sjousim 1meqc\sashai kiwmeu|lemor.« (Plut. mor. 346F-347 A [De gloria Atheniensium §3], zit. nach Plutarch: Moralia 4, 501). Für die Übersetzung danke ich Meike Rühl; siehe auch die Übertragung in Sprigath: Dictum, 1, 6f. sowie in Franz: Antike Ästhetik, 62f. 107 »heat±r to»r !jo¼mtar 1qc²feshai« (Nikolaos: Progymnasmata, 68; siehe Webb: Ekphrasis, Imagination, 203f.). 108 Webb: Ekphrasis, Imagination, 54.

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einer Theateraufführung. Diese von Webb eher en passant vorgetragene Erkenntnis ist für die Interpretation ›enargeischer‹ Texte und Kunstwerke gerade auch in ihrem Verhältnis zueinander von größter Bedeutung. Bei Plutarch schlägt sie sich in der Bestimmung der zu erzielenden emotionalen Wirkung nieder : Wenn Geschichtsschreibung die »Emotionen des Staunens und der Bestürzung« hervorrufen soll, klingt deutlich die aristotelische Katharsis-Definition an.109 Für das Verständnis von Ekphrasis ist allerdings entscheidend, dass sie zunächst nicht Teil von schriftlich rezipierten Texten war, sondern von Reden, welche die Entscheidungsfindung einer politischen oder juristischen Instanz beeinflussen sollten. In diesem Kontext hatten Ekphrasen eine manipulative Funktion: Sie sollten ihre Adressaten im Sinne der Rednerposition emotionalisieren, indem sie ihnen bestimmte mentale ›Bilder‹ ›vor Augen stellten‹. Ein bis heute bewährter ekphrastischer Topos ist beispielsweise die Schilderung der Einnahme einer Stadt und der damit verbundenen Gräueltaten; er eignet sich insbesondere dazu, Hass auf den Feind und Kriegsbegeisterung zu erregen.110 Ein solcher Einsatz von Ekphrasen ist strukturell mit der Funktion graphischer Bilder in Werbung und Propaganda vergleichbar : Ekphrasis wie Bild sollen beim Rezipienten mentale ›Bilder‹ aufrufen, die so emotionalisierend und ›einleuchtend‹ wirken, dass sich vernünftige Reflexion, gar Zweifel an der vermittelten Botschaft zu erübrigen scheint.111 Damit aber ist Enargeia in einem Zwischenbereich von ästhetischer Illusion und tatsächlicher Täuschung angesiedelt: Einerseits weiß der Rezipient natürlich, dass das ihm ›vor Augen Gestellte‹ nicht wirklich anwesend ist, andererseits hat es für ihn Evidenzcharakter im Hinblick auf den repräsentierten faktualen Sachverhalt. Insofern war die Beachtung des von Wolf als Regulativ ästhetischer Illusion genannten celare artem-Prinzips entscheidend: Je weniger der Adressat sich der Gemachtheit der Rede bewusst wird, desto ›direkter‹ können Worte ›Bilder‹ aufrufen und Haltungen provozieren. Die eben gebrauchten Formulierungen ›einleuchten‹ und ›Evidenzcharakter‹ sind allerdings, streng genommen, anachronistisch, da sie sich der weiteren Begriffsgeschichte verdanken. Zunächst übersetzte Cicero ]maqceRa im Sinne manipulativen Wahr-Scheinlichmachens als »evidentia« ins Lateinische112 und schuf damit eine Begrifflichkeit, die in Poetiken der frühen Neuzeit übernom109 Wie Michael Franz erläutert, ist hier konkret die Rede von der »sogenannten tragischen Geschichtsschreibung (Duris von Samos und Phylarchos)« (Franz: Antike Ästhetik als Zeichentheorie, 66). 110 Siehe Paul: Urbs Capta. 111 Siehe Webb: Ekphrasis, Imagination, 131–165. 112 »[N]ihil esset clarius ]maqceRa, ut Graeci: perspicuitatem aut evidentiam nos, si placet, nominemus« (Cic. Ac. 2.6.17, zit. nach Cicero: The Academia, o.S.), siehe Kemman: Evidentia, Evidenz, 42.

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men wurde.113 Spätestens im 16. Jahrhundert aber etablierte sich neben dem rhetorischen »ein philosophisch-epistemologisches Konzept von Evidenz, welches die Gegebenheit eines Sachverhalts über die Gewissheit mit dem erkennenden Subjekt vermittelt. Evidenz meint hier den objektiven Grund eines subjektiven Gewissseins durch das konkrete ›Sich-Zeigen‹ eines Sachverhalts, das mit der subjektiven Erfassung eines objektiv gewissen Sachverhalts durch das Sehen eben dieses Sachverhalts korreliert.«114 Schließlich wurde Evidenz in der Philosophie sogar »synonym mit ›Einsichtigkeit, Einsicht‹, als Inbegriff gesicherter Erkenntnisse überhaupt« gebraucht.115 Neuerdings beschäftigen sich Literatur- und Kulturwissenschaften intensiv mit der Konstruktion solcher »Gewissheit« in Naturwissenschaften und Philosophie.116 So hat Rüdiger Campe das 18. Jahrhundert zum »Age of Evidence« erklärt und unter anderem die Evidentialisierung philosophischer Theoreme durch Diagramme analysiert.117 Damit ist nicht nur die rhetorische Grundbedeutung wieder ins Bewusstsein gerückt, sondern auch das Zusammenspiel von Texten und graphischen Bildern als wichtige Strategie der Evidenzgewinnung. Daneben fungiert der Begriff ›Evidenz‹ gegenwärtig aber auch als bevorzugter Terminus für ästhetische Illusionsbildung mit dominant visueller Komponente. So wird in einem von Ludwig Jäger und Horst Wenzel herausgegebenen Sammelband mit dem Titel Deixis und Evidenz (2008) die »Evidenz« von lyrischen Texten, graphischen Bildern und Filmen untersucht, und Helmut Pfotenhauer, Sabine Schneider und Wolfgang Riedel wählen den Titel Poetik der Evidenz, um Die Herausforderung der Bilder in der Literatur um 1900 zu thematisieren (2005). Damit ist erklärtermaßen nicht »die philosophische Tradition der Evidenz als klare und distinkte Erkenntnis« gemeint; vielmehr geht es um »kreative Sprachanstrengungen im Spannungsfeld von Bild und Sprache«.118 In beiden Bänden werden nicht zuletzt Ekphrasen im oben umrissenen Sinn untersucht. Ein solches Begriffsverständnis steht in der Tradition einer bereits in der Spätantike erfolgten Modifizierung des Enargeia-Konzepts, das sich im Gegensatz zur späteren Epistemologisierung als Ästhetisierung fassen lässt: Enargeia wird in den Dienst reflektierter ästhetischer Illusionsbildung gestellt. Eine wichtige Voraussetzung dieser Entwicklung bildet die Tatsache, dass Gerichts113 Siehe Wimböck u. a.: Evidentia. Der oft zitierte Artikel Kemmann: Evidentia, Evidenz verunklärt die beschriebene Entwicklung einigermaßen, da er die philosophische, juristische und rhetorische Begriffsverwendung getrennt und entgegen der historischen Entwicklung in genau dieser Reihenfolge behandelt. 114 Siebenpfeiffer : Video, ergo scio, 3. 115 Kemman: Evidentia, Evidenz, 34, siehe auch Halbfass: Evidenz. 116 Siehe etwa Cuntz u. a.: Listen der Evidenz; Wilson: Invisible World. 117 Campe: Age of Evidence; siehe auch Campe: Evidenz als Verfahren. 118 Pfotenhauer/Riedel/Schneider : Poetik der Evidenz, IX.

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und politische Entscheidungsrede nach dem Ende der römischen Republik rapide an Bedeutung verloren, während die rhetorische Gattung der Lob- und Prunkrede ins Zentrum der Rhetorik rückte. Immerhin konnte Ekphrasis insbesondere als Bestandteil panegyrischer Rhetorik weiterhin zur Entscheidungsbeeinflussung beitragen.119 Dagegen stellten die sogenannten declamationes ein bewusstes Spiel mit der Grundsituation des rhetorischen Wettstreits um die Beeinflussung öffentlicher Entscheidungsfindung dar. Es handelt sich um fingierte Reden historischer oder mythischer Figuren, wobei auch der konkrete Redeanlass oft erfunden war.120 Wenn etwa ein Redner in die ›Rolle‹ des Demosthenes schlüpfte, ließ sich dies mit der Fiktion verbinden, dass er von der athenischen Bürgerschaft abgesandt worden war, Alexander dem Großen einen Ehrenkranz zu überreichen, jedoch unverrichteter Dinge zurückkehrte, erschüttert vom Elend des auf Geheiß Alexanders zerstörten Theben – was Gelegenheit zur ekphrastischen Schilderung der Zerstörung einer Stadt gab.121 Typisch für declamationes ist das Spiel mit einer illusionistischen Verdoppelung nicht nur der Redner-, sondern auch der Publikums-Position: Die zeitgenössischen Hörer werden von ›Demosthenes‹ als Bürger Athens angesprochen, vor denen er sich zu rechtfertigen hat. Versetzen sie sich auch imaginativ an deren Stelle, erhöht dies die illusionistische Wirkung der Ekphrasis.122 Damit aber hat das Prinzip des celare artem seine Bedeutung verloren; stattdessen eröffnen sich neue spielerische Möglichkeiten. Der fiktionale Status einer Deklamation kann vom Redner beispielsweise genutzt werden, indem er die Wahrscheinlichkeit seiner Erzählung – für eine ›faktuale Rede‹ von entscheidender Bedeutung – in unterhaltsamer Weise strapaziert und so die Aufmerksamkeit auf seine eigene Kunst lenkt, welche die seiner persona allererst hervorbringt.123 Ein weiterer Aspekt der Ästhetisierung ist die bei Plutarch sichtbar werdende Übertragung des Enargeia-Begriffs auf schriftlich rezipierte Texte: Wenn sich der ›Zuhörer‹ einer Rede in den virtuellen ›Zuschauer‹ einer Tragödienaufführung verwandelt, besteht Enargeia in der Modifikation einer bereits durch die Kopräsenz von Sender und Empfänger charakterisierte Rezeptionssituation. Einen ›Leser‹ dagegen muss Enargeia zur Transzendierung einer ›zerdehnten‹ Sprechsituation124 veranlassen, wobei das zu entschlüsselnde System arbiträrer Zeichen nicht nur einfach (verbal-lautlich), sondern doppelt (schriftlich) codiert ist.

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Siehe Webb: Ekphrasis, Imagination, 133–136. Webb: Ekphrasis, Imagination, 141–155, 175ff., 188. Webb: Ekphrasis, Imagination, 148f. Webb: Ekphrasis, Imagination, 148f. Siehe Webb: Ekphrasis, Imagination, 177. Siehe Ehlich: Zum Textbegriff.

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Die spätantike Ästhetisierung von Enargeia und Ekphrasis – so lässt sich zusammenfassen – konnte in (Semi-)Fiktionalisierung oder Verschriftlichung bestehen. Beide Tendenzen zeigen sich in den Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. entstandenen Eikones (›Bildern‹) des Rhetorikers und Autors Philostrat d.Ä.;125 vor allem aber verbinden sie sich hier mit altermedialer Illusionsbildung: ›Enargeische Beschreibungskunst‹ erscheint erstmals als ›enargeische Kunstbeschreibung‹. Ein Novum ist auch, dass Ekphrasen bei Philostrat nicht mehr als Teiltexte innerhalb eines persuasiven oder narrativen Textes auftreten, sondern als abgeschlossene Texte, wobei der Bezug zu Kunstwerken offensichtlich modellbildend wirkte: Jedes literarische ›Bild‹ beschreibt ein Wandgemälde; das Werk insgesamt repräsentiert eine Gemäldegalerie. Den Aspekt der Ästhetisierung thematisiert der berühmte Rhetoriker und Autor Philostrat im Prooimion der Eikones, indem er eine Entstehungsgeschichte erzählt, die als Rahmenkonstruktion fungiert: Eigentlich handle es sich bei den Eikones um eine Reihe improvisierter Reden vor Wandgemälden in der Galerie eines Gastfreundes, die einerseits die Wissbegierde von dessen zehnjährigem Sohn befriedigen sollten, andererseits einer Gruppe junger Männer als Muster der Redekunst dienten. Dabei ging es, wie im Fall der declamationes, nicht um die Beeinflussung einer Entscheidungsfindung; nicht dem Prinzip des celare artem huldigten »Konzertredner« wie Philostrat und ihre Schüler, sondern dem Prinzip demonstrativer Virtuosität. Lange war umstritten, ob es sich bei den dargestellten ›Bildern‹ um fiktionale oder faktuale Kunstbeschreibungen handelt; heute wird überwiegend die Faktualitätsthese favorisiert.126 Andererseits ist bemerkenswert, dass Kunstbeschreibungen fortan zu einem wichtigen Element des hellenistischen Romans wurden, wo sie, wie Webb nachgewiesen hat, zur Reflexion der ästhetischen Illusionsbildung der Erzählung mittels des fingierten Bildes einladen.127 Philostrat weist gleich in seiner ersten Beschreibung darauf hin, dass sich die beschriebenen ›Bilder‹ typischerweise auf mythologische Vorlagen beziehen, oft schon als Epen oder Tragödien gestaltet und also mit dichterischer Erfindung zumindest angereichert (siehe I.2.2.2). Offensichtlich fingiert sind aber auch die extremen Reaktionen des intradiegetischen Sprechers und seiner Hörer, die zugleich Betrachter sind, auf die Gemälde. Ein besonders markantes Beispiel ist das ›Aus-der-Rolle-Fallen‹ des intradiegetischen Sprechers zu Beginn des ›Bildes‹ Die Jäger : »Stürmt nicht an uns vorbei, ihr Jäger, und treibt eure Pferde nicht so an, bis wir euch auf der Spur sind, was ihr wollt und was ihr jagt!« (PE 2.28.1: 125 Meine Darstellung der Eikones stützt sich vor allem auf Schönberger : »Bilder« des Philostratos; Webb: Ekphrasis, Imagination, 187–191; Baumann: Bilder schreiben. In Brassat/ Squire: Ekphrasis, 64 wird die Entstehung auf »um 220« datiert. 126 Schönberger : »Bilder« des Philostratos, 162. 127 Webb: Ekphrasis, Imagination, 178–185.

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159).128 Die An-Rede wird noch einige Sätze lang fortgeführt, bevor sich der Sprechende zur Ordnung ruft: »Wie ist mir geschehen? Ich wurde von dem Bild ganz hingerissen und meinte, sie seien nicht gemalt, sondern wirklich, bewegten sich und seien verliebt; wenigstens necke ich sie, als ob sie mich hörten, und glaube, eine Antwort zu vernehmen« (PE 2.28.2: 159).129 Hier werden alle bisher behandelten Aspekte von Enargeia angesprochen und spielerisch zugespitzt. Zunächst geht es um Enargeia im Sinne des ›Vor-AugenStellens‹ von etwas Abwesendem, und zwar als Leistung des Gemäldes im Sinne realitätsbezogener Illusionsbildung und unter Betonung des Evokations-Effekts, der zunächst sogar zur tatsächlichen Täuschung hin überschritten wird. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass sich Enargeia nicht nur als ›Anschaulichkeit‹ übersetzen lässt, sondern auch als ›Lebhaftigkeit‹ oder ›Lebendigkeit‹. Angesichts des impliziten Bezugs zum Modell einer Theateraufführung ist diese Übersetzung wohl sogar oftmals vorzuziehen; die englische Standardübersetzung ›vividness‹ umfasst beide Aspekte. Indem der Sprecher nun die Figuren des Gemäldes statt seiner eigentlichen Hörer anspricht, macht er jene zu virtuellen Mitspielern und diese zu virtuellen Zuschauern, denen der Anfang eines Dialogs zwischen Sprecher und Jägern vorgespielt wird. Allerdings bleiben die Dialogpartner eine Antwort schuldig, und der Sprecher muss die medienspezifische Stummheit (und schließlich auch Starre) des Gemäldes erkennen. Dennoch macht der intradiegetisch inszenierte Illusionseffekt des Gemäldes die enargeische Kunstfertigkeit des Malers intra- wie extradiegetisch ›evident‹ und trägt dazu bei, auch den Leser der Eikones zum virtuellen Betrachter des abwesende Gemäldes bzw. zum Zuschauer des gemalten Schauspiels zu machen. Die hier besonders deutlich zutage tretende Dialektik von beschreibender und beschriebener Enargeia im Sinne ›anschaulicher Lebendigkeit‹ ist ein Grundzug der Eikones.130 Das Modell sollte Schule machen. Vivacit/, verstanden als Bewegung und Beseeltheit der dargestellten Figuren, war seit der Renaissance das wichtigste Darstellungsideal der bildenden Kunst und das wichtigste Thema von Kunstbeschreibungen.131 Dabei trat die Enargeia des Beschreibens selbst, 128 Im Haupttext werden Philostrats Eikones fortan nach der Übersetzung von Otto Schönberger zitiert, entsprechend folgendem Muster : ›PE [Buch]. [Kapitel]. [Absatz]: [Seitenangabe nach Philostratos: Bilder]‹. Der griechische Text wird jeweils in der Fußnote ergänzt, hier : »Lµ paqahe?te Bl÷r, § hgqeuta¸, lgd³ 1pijeke¼eshe to?r Vppoir, pq·m rl_m 1niwme}sylem, f ti bo}keshe ja· f ti hgq÷te.« (Philostratos: Bilder, 158). 129 »OXom 5pahom. 1n¶whgm rp¹ t/r cqav/r lµ cecq²vhai doj_m aqto}r, eWmai d³ ja· jime?shai ja· 1v÷m7 diatyh\fy coOm ¢r !jo¼omtar ja· doj_ ti !mtajo¼seshai.« (Philostratos: Bilder, 158). 130 Dazu eingehend I.2.2.3 und I.2.2.4. 131 Van Eck: Rhetoric and the Visual Arts, 139–166; Rosen: Enargeia des Gemäldes. Kunstbeschreibungen in mittelalterlicher Literatur (siehe grundlegend Wandhoff: Ekphrasis) sind ein eigenes Kapitel, da sie typischerweise der poetologischen Reflexion oder der Einführung neuer Motive dienen und vergleichsweise wenig nach enargeischer Wirkung

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auf welche im zitierten Beispiel die Reflexionen von Philostrats Erklärer-Figur nach dem Ende der Täuschung verweisen, hinter der ihres Gegenstandes zurück. Am deutlichsten zeigt dies der häufige Einsatz der rhetorischen Figur Prosopopoeia in Ekphrasen der Renaissance: Die Kunstbeschreibung besteht in einem fingierten Monolog des Kunstwerks, macht es also buchstäblich zu ›redender Malerei‹ oder Skulptur.132 Diese Tradition setzt sich bis ins 18. Jahrhundert hinein fort,133 wird jedoch ab der Jahrhundertmitte transformiert: Insbesondere im Zusammenhang mit der Entstehung von Kunstgeschichte (Winckelmann) und Kunstkritik (Diderot) erlangt die Subjektivität des Interpretierenden zentrale Bedeutung und wird typischerweise explizit thematisiert.134 In besonders signifikanter Weise geschieht dies durch den Rekurs auf den Pygmalion-Mythos, der sich spätestens seit 1740 in bildender Kunst, Literatur und Theater einer einzigartigen Beliebtheit erfreut.135 Oskar Bätschmann hat in einem vielzitierten Aufsatz umrissen, was es bedeutet, wenn nunmehr Pygmalion als Betrachter auftritt: Da Pygmalion nach der verbreiteten Lesart Ovids als eines der Urbilder des Künstlers gilt, macht sich die pygmalionisch gedeutete Rezeption erstens zur Nachbildung der Produktion des Werkes. Zweitens wird sie, da mit den Werken selbst geboren, zur autochthonen Beziehung zu ihnen. Indem der Betrachter auf diese zurückgeht, überwindet er die geschichtliche Differenz, die ihn von den Werken trennt; indem er seine Betrachtung als Produktion begreift, in der die Einbildungskraft das Werk zum Lebendigen verwandelt, hebt er die Differenz der Seinsweisen auf.136

Als Beispiel nennt Bätschmann die Beschreibung des Torso im Belvedere aus Winckelmanns Geschichte der Kunst des Altertums von 1764.137 Anders als bei Philostrat wirkt ästhetische Illusion hier keineswegs als Täuschung auf den ersten Blick, sondern fordert die kontemplative Versenkung138 des Betrachters: »Bey dem ersten Anblick dieses Stückes wird man nichts anders gewahr als einen fast ungeformten Klumpen Stein, aber so bald das Auge die Ruhe angenommen,

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streben (bes. klar herausgearbeitet bei Starkey : Function of Ekphrasis, siehe auch Bürkle: Enites Pferd). Van Eck: Rhetoric and the Visual Arts, 157–162. Beispiele für Ekphrasen der Barockzeit finden sich in Bott: Kunst in der italienischen Lyrik; Bätschmann: Belloris Bildbeschreibungen; Fehrenbach: Berninis Beseelungen. Siehe zu Winckelmann Pfotenhauer: Winkelmann und Heinse; Carroll: Re-membering the Figure; Krüger-Fürhoff: Der versehrte Körper, 31–60. Zu Diderot Langen: Bildbeschreibung in Diderots Salons. Siehe Heeg: Phantasma der natürlichen Gestalt, 375–378; Brandes: Leben die Bilder bald? Bätschmann: Pygmalion als Betrachter, 242. Abgedruckt mit Vorstufen und Varianten in Bernauer u. a.: Frühklassizismus, 167–185. Bätschmann bezieht sich allerdings auf die Beschreibung im zwischen 1756 und 1762 entstandenen Florentiner Manuskript (ebd. 168f.). Zur Wichtigkeit dieser Haltung als Bildthema wie als Voraussetzung von Kunstkritik im Frankreich des 18. Jahrhundert siehe Fried: Absorption and Theatricality.

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und sich fixiret auf dieses Stück, so verliehret das Gedächtniß den ersten Anblick des Steins und scheinet er weichliche zarte Materie zu sehen [werden].«139 Die imaginäre Belebung des Torsos setzt sich fort in einer imaginären Ergänzung der übrigen Glieder, für deren Beschreibung Winckelmann bezeichnenderweise vom ›man‹ zur ersten Person wechselt. Dieser Vorgang entspricht, wie Bätschmann erläutert, Winckelmanns Vorstellung von der Entstehung der Werke selbst: Die griechischen Künstler hätten sie als »Überwindung der Materie durch ihre Verwandlung in Geist« verstanden, wofür Winckelmann wiederum den Pygmalion-Mythos als Beleg verstanden habe.140 Indem seine Beschreibungen diesen Vorgang re-präsentieren, schaffen sie, so seine Hoffnung, die Voraussetzung für eine Wiedergeburt antiker Kunst, sofern sich die – wie ich formulieren würde – produktive Enargeia seiner Beschreibung auf lesende Künstler überträgt. Ein Beispiel für ›pygmalionische‹ Kunstkritik ist in mehr als einem Sinn Diderots Besprechung von Ptienne-Maurices Falconets Marmorgruppe Pigmalion au pieds de sa statue qui s’anime im Salon von 1763: Diderot würdigt die kühne Idee des Bildhauers Falconet, den lebenden Künstler ebenso wie die zum Leben erwachende Statue im Sinn einer mise en abyme als Statuen darzustellen, und feiert enthusiastisch die täuschende Oberflächengestaltung, mit der er die Haut Pygmalions von der Galateas und des Leben spendenden Amor abhebt.141 Vor allem aber führt der Beschreibende das Spiel mit den Darstellungsebenen schließlich noch einen Schritt weiter und setzt sich an die Stelle des Künstlers, indem er eine Veränderung der Komposition vorschlägt und beschreibend ›ausmalt‹, die seiner Ansicht nach »plus neuve, plus rare et plus 8nergique« wirken würde.142 Diderot schließt hier etymologisch zwar an die aristotelische Energeia an, doch war deren Abgrenzung zur Enargeia, wie erwähnt, schon in der Renaissance unscharf. So lässt sich angesichts des Gegenstandes auch hier behaupten, dass es um Enargeia geht, die im Sinn intermedialer künstlerischer Anregung und Überbietung von Ovid über Falconet bis Diderot wirkt. Victor Stoichita hat gezeigt, dass sich diese Wirkungskette noch weiter fortsetzte, indem bildende Künstler Diderots Verbesserungsvorschlag aufgriffen.143 Dieser knappe Abriss der Geschichte der Ekphrasis bis zum 18. Jahrhundert

Bernauer u. a.: Frühklassizismus, 168. Bätschmann: Pygmalion als Beobachter, 260 (Bätschmanns Formulierung). Siehe Stoichita: Pygmalion-Rezeption, 152. Diderot: Œuvres complHtes 13: 409ff., hier 411; siehe Stoichita: Pygmalion-Rezeption, 158. Die Änderungsvorschläge zielen vor allem darauf, Pygmalion und Galathea nicht nur durch Blicke, sondern auch durch Berührungen aufeinander zu beziehen. 143 Stoichita: Pygmalion-Rezeption, 159f. 139 140 141 142

›Mimen-Ekphrasis‹

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soll vorläufig genügen,144 um einen terminologischen Vorschlag zu rechtfertigen, der hilfreich sein mag angesichts der Konjunktur von Untersuchungen zu »Evidenz« und »Enargeia« bei gleichzeitiger Begriffsunschärfe und Unklarheit ihres Verhältnisses zur Ekphrasis. Mir scheint es erstens sinnvoll, den Begriff ›Evidenz‹ allein im Sinn des neuzeitlich-naturwissenschaftlichen, juristischen und philosophischen Verständnisses zu verwenden, ›Enargeia‹ dagegen, im Anschluss an die antike Konzeption, als Scharnierbegriff zwischen ästhetischer und altermedialer Illusionsbildung; ihre spezifische Verfahrensweise besteht in der Evokation einer theatralischen (oder auch quasi-filmischen) Aufführungssituation, die auf Emotionalisierung des Rezipienten zielt.145 Zweitens möchte ich, ebenfalls im Sinn der antiken Rhetorik, vorschlagen, den Begriff ›Ekphrasis‹ nicht an den Objektbereich Kunstwerke im engeren oder weiteren Sinn zu binden, sondern an das explizite oder explizierbare Darstellungsziel der Enargeia. In diesem Sinne könnte man auch von ›Landschafts-Ekphrasen‹ im Sinne enargeischer Landschaftsbeschreibung sprechen.146 Nach diesen Klärungen kann nun auch der Begriff ›Mimen-Ekphrasis‹ eingeführt, erläutert und nochmals mit der eingangs zitierten Gattungsbestimmung Fischer-Lichtes verglichen werden. Als Ausgangspunkt dient wiederum die Pygmalion-Rezeption des 18. Jahrhunderts, in deren Kontext ein kurzes Fallbeispiel analysiert wird.

5.

›Mimen-Ekphrasis‹: Implikationen eines terminologischen Vorschlags

Wenn nach antikem Verständnis die Enargeia eines Gemäldes wie die einer Ekphrasis den Rezipienten zum imaginären Zuschauer einer Theateraufführung machen sollte, so wurde dieser Kunstform offensichtlich ein besonders hohes, wenn nicht vollkommenes Maß an Enargeia zugesprochen. Dass noch Lessing dies ähnlich sieht, wurde bereits in der zitierten Formulierung deutlich, Schauspielkunst sei »transitorische Malerei«.147 Noch expliziter relativiert er die dichotomische Argumentation seines Laokoon in einem Brief an Nicolai vom 26. Mai 1769: »[D]ie höchste Gattung der Poesie ist die, welche die willkürlichen 144 Kapitel I.1 bietet eine ausführlichere Darstellung dieser Geschichte unter Betonung jener Aspekte, die sie zu einer Vorgeschichte der Mimen-Ekphrasis machen. 145 Die Wichtigkeit von Emotionserzeugung in Kunstbeschreibungen hat unlängst Amir (Ekphrasis and Empathy) herausgearbeitet; allerdings ist sein Begriff der »empathy« etwas unscharf und meines Erachtens zu eng. 146 Dazu grundlegend Jost: Landschaftsblick und Landschaftsbild, dort allerdings kein Bezug auf Ekphrasis und Enargeia. 147 LFA 6: 210.

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Zeichen gänzlich zu natürlichen Zeichen macht. Das aber ist die dramatische […].« (LFA 11.1: 610) Dass er dabei weniger an das schriftliche Drama als an dessen mimische Realisation denkt, bezeugt sein Plan, eine Fortsetzung des Laokoon zu schreiben, die sich vor allem mit Schauspieltheorie beschäftigt hätte. Obwohl es dazu nicht kommt, finden sich Spuren dieses Projekts in der Hamburgischen Dramaturgie, und zwar eng verbunden mit eigenen Mimen-Ekphrasen.148 In Werner Wolfs Termini könnte man sagen, die auf der Bühne erreichte ästhetische Illusion sei deshalb besonders überzeugend, weil die Prinzipien der »anschaulichen Welthaltigkeit«, des »celare artem« und vor allem der »Mediumsadäquatheit« besonders konsequent erfüllt werden.149 Dies wird durch eine Besonderheit theatralischer Zeichen begünstigt, auf die Erika Fischer-Lichte hinweist: Sie »vermögen grundsätzlich in materieller Hinsicht dieselben Zeichen zu sein wie diejenigen, die sie denotieren: ein Wort kann ein Wort, eine Geste eine Geste, ein Hut einen Hut, ein Stuhl einen Stuhl usf. bedeuten.«150 Besonders sinnfällig wird dies in Bezug auf Schauspielkunst als zentraler Bestandteil der Aufführung: »Das Schauspiel«, formuliert Arno Paul, »ist eine symbolische Interaktion besonderer Art, bei der der Mensch nicht nur als Produzent und Rezipient bestimmter symbolisch vermittelter Nachrichten fungiert, sondern auch als deren zentrales Medium.151 Diese mediale Besonderheit wird in den im 18. Jahrhundert beliebten Bühnenfassungen des Pygmalion-Mythos (oder auch in der Schlussszene von Shakespeares Wintermärchen152 oder dem Schlussakt des Don Giovanni) zum Ereignis, wenn eine (im Sinn ästhetischer Illusion oder tatsächlicher Täuschung) scheinbare Statue sich plötzlich als Dramenfigur erweist – und damit in der Aufführungssituation als Schauspieler/in. Umso mehr überrascht es, dass ein 1800 entstandenes Gemälde von Anton Graff, das eine Aufführung von Rousseaus Pygmalion-Melodram (1762) festhält, die Galathea-Figur entgegen aller ikonographischen Tradition von hinten zeigt, zudem verschattet, kaum zur Hälfte sichtbar und offensichtlich noch nicht belebt (Abb. 1 und Titelbild):153 148 Ich folge hier der Argumentation von Packard: Lessings Affektsemiologie. 149 Dies gilt, wie noch thematisiert wird, nur für bestimmte Theaterformen, die aber als Bezugspunkte während der Entstehung des Ekphrasis-Konzepts und der Herausbildung von Mimen-Ekphrasis anzusetzen sind. 150 Fischer-Lichte: Zeichensprache des Theaters, 238. 151 Paul: Theater, 332. 152 Hier verblüffte Sarah Siddons, die sich intensiv mit griechischen Skulpturen beschäftigte (siehe Boaden: Siddons 2, 288–292), als vermeintliche Statue, die sich als die tot geglaubte Königin Hermione erweist (siehe West: Image of the Actor, 120). 153 Zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Bildes Berckenhagen: Graff, 215ff.; Farbabbildung in Fehlmann/Verwiebe: Anton Graff, 195 (Kat. Nr. 69).

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Abb. 1: Anton Graff: August Wilhelm Iffland als Pygmalion bei den Worten »aber eine Seele fehlet dir; deine Gestalt kann ihrer nicht entbehren« (1800)

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Desto ›lebendiger‹ erscheint jedoch der auch im Bildtitel hervorgehobene Iffland als Pygmalion, der, Galathea eindringlich fixierend, auf sie zuschreitet. Dass Venus nicht sichtbar ist, entspricht Rousseaus sc8ne lyrique,154 in der sie durch ein Gebet an die Göttin belebt wird.155 An deren Stelle tritt hier spannungsvolle Gestik: Die kunstvoll um die Tunika geschlungene Toga fällt über den linken Ellbogen, die linke Hand schiebt sich unter ihr heraus abwehrend vor den Oberkörper, so dass sich ein Bemühen um Stabilität mitteilt; dagegen reckt sich der rechte Arm der Statue entgegen und belebt sie mit einer Geste, die Adams Beseelung durch Gott in Michelangelos sixtinischem Deckengemälde zitiert.156 Die rechte Hand wird, wie der kräftige Oberarm, durch Schlaglichter hervorgehoben; das meiste Licht sammelt sich aber in den Augen und auf der Stirn. Von diesem Licht scheint der zarte, baldige Belebung verheißende Schein um das dunkle Profil der Statue auszugehen. So verbinden sich die klassischen Mittel malerischer Enargeia – ausdrucksvolle Gestik und Mimik unter Betonung des Blickes sowie Lichtführung157 – mit der spezifischen eloquentia corporis eines Schauspielers, der – als zusätzliche Pointe – in der Schrittstellung des Apollo von Belvedere dargestellt ist. Diese Figur (die bei Rousseau keine Rolle spielt) ist tatsächlich im Bildhintergrund zu sehen, allerdings mit Helm und das Profil etwas verdeckt von Ifflands rechtem Unterarm, der genau hier aus dem Ärmel kommt; der linke Arm des Gottes ist in einer Gegenbewegung zu Ifflands Geste in Richtung von dessen Taille gestreckt: So verweist der Gott der Künste auf den Meister der ›Schauspielkunst‹.158 Graffs Gemälde von 1800 ist, wie ich meine, das malerische Pendant zu einem Sonett August Wilhelm Schlegels, das bereits in Schillers Musen-Almanach auf das Jahr 1799 erschien. Es gehört in den Zusammenhang von Schlegels seit 1790 154 In der ersten (ansonsten getreuen) Verdeutschung des Melodrams (Rosseau/von Gemmingen: Pygmalion) erhält Venus am Schluss einen Auftritt (siehe Istel: Rosseau als Komponist, 11f.); dagegen folgt die wohl von Iffland selbst besorgte Berliner Fassung auch in dieser Hinsicht dem Original (siehe hierzu und zu Ifflands Darstellung die Rezensionen in Gerlach: Experimentalpoetik, 351–376). Zur Interpretation von Rousseaus Libretto siehe Schlüter : Pygmalion-Symbol, 11–44. 155 Dies geschieht sitzend; zuvor war er die (auf dem Gemälde nicht sichtbaren) Stufen zur erhöht stehenden Statue emporgestiegen, um sie mit einigen letzten Meißelschlägen zu vollenden, hatte jedoch unter dem Eindruck, »chair palpitante« zu spüren, sein Werkzeug fallen lassen (Rousseau: Pygmalion, 1227). Allerdings könnte sich das Gemälde auf seine Wiederannäherung nach dem Gebet beziehen (ebd. 1229), der Wortlaut würde jedoch nicht ganz dazu passen. 156 Fehlmann/Verwiebe: Anton Graff, 194. 157 Siehe van Eck: Rhetoric and the Visual Arts, 150–162; Fehrenbach: Dialektik lebender Bilder ; Rosen: Enargeia des Gemäldes. Zu weiteren Schauspielerporträts von Graff siehe Ost: Melodram und Malerei. 158 Wie sehr sich Iffland als solcher sah, beweist die gut verbürgte Anekdote, dass er sich weigerte, Graff das Porträt zu bezahlen mit der Begründung, ihn malen zu dürfen sei Ehre genug (Berckenhagen: Graff, 32, 216).

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entstandenen Gemäldesonetten, die Elemente von Bildgedichten der Spätrenaissance mit denen der subjektivierten Ekphrasis-Tradition des 18. Jahrhunderts vermitteln.159 Da es jedoch ein Jahr vor Graffs Gemälde entstand, handelt es sich nicht etwa um eine poetische Kunstbeschreibung, sondern um eine MimenEkphrasis, an der sich Eigenheiten dieser Gattung aufzeigen lassen.160 Der neue Pygmalion. An Iffland. Sonnett. Sinds Träume, die dem Sinn vorüberwallten, Und die ein Morgenlüftchen mit sich rafft? Und seh’ ich wirklich: welch ein Zauber schafft, Daß Hellas Wunder neu sich mir entfalten? Er ists, der Bildner redender Gestalten, Sein Feuerblick, sein Gang, der Arme Kraft, Die Denkerstirn, die tiefe Leidenschaft, Die mächtig ringt das Höchste festzuhalten Was zürnst du noch dem Werke deiner Hand, Dem Spiegel deiner schöpferischen Seele, Als ob ihm Leben zur Vollendung fehle?

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Die hohe Kunst, der sich dein Geist verband, Schon fühlst du sie von deiner Glut erwarmen; Sie steigt herab und ruht in deinen Armen.161

Das Sonett trägt die Überschrift Der neue Pygmalion. An Iffland. Nicht von der Verlebendigung einer Statue ist also die Rede, sondern von der ›Erneuerung‹ einer mythologischen Figur. Das könnte einfach die Tatsache meinen, dass ein Schauspieler eine Figur – in diesem Fall den Bildhauer Pygmalion – ›neu‹ erstehen lässt. Doch legt die im 18. Jahrhundert beliebte Stilisierung von Künstlern beispielsweise zur ›neuen Sappho‹ oder zum ›neuen Tyrtäus‹162 die Vermutung nahe, hier werde der Schauspieler Iffland in Analogie zu Pygmalion als Inbegriff ›des‹ Künstlers verstanden. Das erste Quartett spricht allerdings weder 159 Siehe Borgstedt: Topik des Sonetts, 431–439; das wichtigste Vorbild war Giambattista Marinos Gedichtzyklus La Galeria (1619). 160 Zum Bildgedicht immer noch grundlegend Kranz: Bildgedicht; Einblick in jüngere Forschung bietet Ratkowitsch: Poetische Ekphrasis; speziell zu Marino neuerdings Kruse/ Stillers: Barocke Bildkulturen; zu deutschen Gedichten seit der Romantik Pestalozzi: Bildgedicht. Zur strukturellen Ähnlichkeit des Iffland-Gedichtes mit Schlegels Gemäldesonetten siehe Kapitel IV.5.2 dieser Arbeit. 161 In: Schiller : Musen-Almanach 1799, 144. 162 Zur Stilisierung Anna Louisa Karschs zur ›neuen Sappho‹ siehe Kitsch: Ästhetische Positionssuche, 38–46; zur Stilisierung eines von Gleim erfundenen und von Herder enttarnten dichtenden Grenadiers zum ›neuen Tyrtäus‹ siehe Singer : Gleim und Bürger.

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von Iffland noch von Pygmalion, sondern in Winckelmann’schen Topoi von der Vision einer Wiedergeburt der griechischen Antike. Im Gegensatz zum subjektiven Auftakt gibt sich die zweite Strophe objektiver. Zunächst werden die ungläubig staunenden Fragen der Eingangsstrophen konkretisierend beantwortet: »Er ists, der Bildner redender Gestalten« (V. 5). Wenn das, wie man annehmen sollte, den Bildhauer Pygmalion meint, muss man sich fragen, warum vom »Bildner redender« und nicht besonders schöner »Gestalten« die Rede ist.163 Allenfalls könnte man annehmen, dass Pygmalions Statuen so ›lebendig‹ wirken, dass sie die von Simonides hervorgehobene Stummheit der bildenden Kunst enargeisch transzendierten. Die folgende Aufzählung körperlicher Merkmale kennzeichnet jedoch nicht die »Gestalten«, sondern den Künstler Pygmalion selbst und gleichzeitig den Künstler Iffland als Pygmalion, wie ihn Graff kurz darauf darstellt: »Sein Feuerblick, sein Gang, der Arme Kraft,/ Die Denkerstirn« (V. 6f.). Letztere, die im Gemälde so auffällig beleuchtet und durch Lichtkorrespondenz mit dem Motiv von Galatheas Belebung verbunden ist, wird hier Anlass zu physiognomischen Rückschlüssen: Sie steht für »die tiefe Leidenschaft,/ Die mächtig ringt das Höchste festzuhalten.« (V. 7f.) Dies ist wiederum ganz im Sinne von Winckelmanns platonisierender Ästhetik gedacht, die Bätschmann hervorhebt. Deutlicher scheinen allerdings die Terzette auf den Pygmalion-Mythos in Rousseaus Gestaltung zu rekurrieren; doch auch hier fällt auf, dass nicht von Galathea die Rede ist, sondern von der ›hohen Kunst‹, die zum Leben erweckt wird. Bedenkt man nun, dass im Merkmalskatalog der zweiten Strophe zwar »der Arme Kraft« und in platonischer Deutung auch die »Denkerstirn« für Qualitäten eines Bildhauers stehen können, »der Gang« jedoch ein Ausdrucksmittel des Schauspielers ist und dass sich die Anrede der Terzette ausweislich der Überschrift nicht an Pygmalion, sondern An Iffland richtet, so zeigt sich, dass hier nicht die Kunst des mythischen Bildhauers gefeiert wird, sondern Iffland Schauspielkunst: Sie ist es, die ›redende Gestalten‹ lebendig macht, entsprungen aus der »Denkerstirn« und der ›tiefen Leidenschaft‹ des Schauspielers, die gemeinsam eine Vision der Antike hervorbringen, geschaffen mit dem Material des lebendigen Körpers. Dass gleich im ersten Vers die Formulierung »dem Sinn vorüber[…]« steht, erweist sich vor diesem Hintergrund als subtile Anspielung auf die ein Jahr zuvor bei Neueröffnung des Weimarer Hoftheaters gesprochene Behauptung, »spurlos« gehe die Schauspielkunst »an dem Sinn vorüber«, die durch das Sonett insgesamt widerlegt wird.164 163 Siehe Ovid: Met. 10, V. 247ff. 164 SSW 2: 271, V. 33; siehe Einf. 1. Teilkapitel IV.5.3 stellt einen noch deutlicheren Widerruf von Schillers Versen in einem Gedicht Schlegels auf die Schauspielerin Friederike Bethmann-Unzelmann vor.

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Von diesem Punkt aus sei noch einmal auf die eingangs zitierte Formulierung Erika Fischer-Lichtes eingegangen, wonach in deutscher Sprache seit »Ende der [Siebzenhundert]siebziger und vor allem in den achtziger Jahren […] nicht mehr nur bestimmte auffallend gelungene Details der Darstellung notiert, sondern ganze Rollenportraits verfaßt« wurden.165 Zunächst bestätigt die Analyse von Schlegels und Graffs ›Rollenporträts‹ Fischer-Lichtes implizite Annahme, dass die neue Gattung analog zur bildenden Kunst versuchte, Schauspielkunst zu ›porträtieren‹. Doch führt die Theaterwissenschaftlerin nicht aus, welche Prinzipien die Texte insgesamt strukturieren; letztlich, so muss man angesichts der angeführten Beispiele vermuten,166 handelt es sich mehr oder weniger um eine prosaische Aneinanderreihung ›gelungener Details‹, und tatsächlich resümiert Fischer-Lichte: »Der kontinuierliche Fluß der schauspielerischen Aktion wird in allen diesen Beschreibungen in eine Abfolge von Momenten zerlegt, die aufgrund ihrer ›Feinheit‹ eine psychologische Wahrheit vermitteln.«167 Es scheint also ein ›Laokoon-Problem‹ besonderer Art zu geben, insofern die detaillierte Beschreibung mimischer Feinheiten im Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit zu einer Zerdehnung, ja Partikularisierung führt. Demzufolge würden zwar Einzelheiten herausgehoben und als Material für anthropologische, insbesondere psychologische Erkenntnis verfügbar gemacht,168 doch unterbliebe ein Versuch, die enargeische Gesamtwirkung der Schauspielkunst auf der Textebene zu reproduzieren. Ich behaupte dagegen, dass sich Schauspielkunstbeschreibungen von Anfang an erkennbar um Enargeia bemühen und sich dabei oftmals an der aufgezeigten Tradition von Ekphrasis im Sinne enargeischer Kunstbeschreibung orientieren. Schlegels Sonett zeigt, dass dies sogar, wie im Fall des zeitgleich auftretenden romantischen Bildgedichts, in lyrischer Form versucht werden kann,169 und 165 Fischer-Lichte: Geschichte des deutschen Theaters, 133. 166 Fischer-Lichte (Geschichte des deutschen Theaters, 133) zitiert »einen kleinen mimischen Zug« aus Lichtenbergs Beschreibung von Garrick als John Brute sowie Johann Friedrich Schinks Beschreibung von Friedrich Ludwig Schröder als Lear mit der toten Cordelia (ebd. 134f.) und Karl August Böttigers Gestaltung von Karl Moors Schrecken in Szene IV.2 der Räuber (ebd. 136; siehe Kapitel III.2.4b dieser Arbeit). 167 Fischer-Lichte: Geschichte des deutschen Theaters, 136. 168 Fischer-Lichte betont nicht nur den Zusammenhang mit »Erfahrungsseelenkunde«, sondern auch »Parallelen und Querverbindungen« mit anderen sich in der Aufklärung herausbildenden Kulturwissenschaften wie Völkerkunde und Sprachwissenschaft (FischerLichte: Geschichte des deutschen Theaters, 121–141, hier 140; siehe auch Kosˇenina: Anthropologie und Schauspielkunst, 1–28). 169 Die Eigenschaft, in Vers und Prosa auftreten zu können, teilt die Mimen-Ekphrasis mit der historischen Gattung Ekphrasis. Gattungssystematisch ergibt sich hier kein Widerspruch, denn auch dramatische und epische Texte können in Versform auftreten. Unproblematisch ist zudem, dass Mimen-Ekphrasen wie Ekphrasen überhaupt, speziell als lyrische Texte auftreten können, sind doch die »Sammelbegriffe Epik/Narrativik, Dramatik, Lyrik […]

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zwar in einer Abfolge, die sich keineswegs allein am Ablauf der Dramenhandlung orientiert. Vielmehr nutzt Schlegel die neu ›belebte‹ Sonettform,170 um im ersten Quartett wie im ersten Terzett jeweils die Hoffnung auf die »Vollendung« ästhetischer Illusion, aber auch einen Moment des Zweifels zu formulieren, der dann in der jeweils folgenden Strophe aufgehoben wird. Ist damit eine zweifache Doppelbewegung festzustellen, die sich die Vierstrophigkeit des Sonetts zunutze macht, ergibt sich in Bezug auf das Verhältnis von Sprechinstanz und Adressat ein triadischer Aufbau: Das erste Quartett spricht dezidiert aus der Sicht eines staunenden Ich, dem Abwesendes ›vor Augen gestellt‹ wird (»seh ich wirklich […]?«, V.3), die zweite Strophe führt die Illusion auf die Erscheinung des in der dritten Person genannten Künstlers zurück (»Er ists«, V. 5), und die Terzette synthetisieren beide Positionen durch direkte Apostrophierung des Dargestellten (»Was zürnst du«, V. 11). Eine solche Dynamisierung des Verhältnisses von wahrnehmendem Subjekt und beschriebenem Objekt durch Wechsel des Adressaten ist, wie das Beispiel von Philostrats Jägern zeigt, von Anfang an ein beliebter Kunstgriff enargeischer Kunstbeschreibung, wenngleich in verschiedenen Epochen verschieden akzentuiert. Er impliziert eine Thematisierung ästhetischer Illusionsbildung, die den Evokations-Effekt wie das Als-ob-Bewusstsein betrifft. Ein weiterer Grundzug von Schlegels Ekphrasis ist das Spiel mit Darstellungsebenen: Iffland ›verkörpert‹ eine bestimmte Rolle, tritt aber auch mit spezifischen Merkmalen seines Körpers (kräftige Arme, ausgeprägte Stirnpartie) in Erscheinung und präsentiert mit Mimik, Gestik und Gang Grundelemente der Schauspielkunst, die man, Fischer-Lichtes Semiotik des Theaters folgend, als »kinesische Zeichen« zusammenfassen kann – ich werde von ›Bewegungszeichen‹ sprechen.171 Grundsätzlich ist auch diese Strategie bei Philostrat vorgebildet. Während dort jedoch die Versenkung in die vom Gemälde dargestellte Handlung und die Erkenntnis ihrer Dargestelltheit mit deutlich abgegrenzten Phasen der Rezeption korrelieren, hat Schlegels Sonett, insbesondere die zweite Strophe, etwas Vexierbildhaftes: Iffland wird zugleich als Individuum mit spezifischer Physis, als Schauspieler mit dem Potenzial zur Schaffung diverser »redender Gestalten« (V. 5) und als Verkörperung Pygmalions präsentiert. Diese Tendenz ist auch im Gemälde erkennbar, insofern Graff anstelle des Meißels Gestik setzt; bei Schlegel zeigt sie sich noch klarer, insofern das Kostüm unerwähnt bleibt und Galathea hinter der Bezeichnung »die hohe Kunst« (V. 12) verschwindet. Diese gezielte Mehrdeutigkeit lässt sich, wie zu zeigen ist, in Mimen-Ekphrasen von Anfang an nachweisen. In der Regel tritt sie als Dualiszwar Klassenbegriffe, konstituieren aber keine wirklich disjunkten Klassen« (Hempfer : Generische Allgemeinheitsgrade, 15). 170 Zum romantischen Sonett siehe Borgstedt: Topik des Sonetts, 426–451. 171 Sie bestehen aus »mimischen«, »gestischen« und »proxemischen Zeichen« (siehe II.5.2).

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mus auf, wie etwa Garricks Formulierung von seinem Porträt Garricks als Hamlet und »als Garrick« zeigt. Die Formulierung deutet an, dass sich beide Aspekte getrennt abhandeln lassen, doch wird sich zeigen, dass das ›Schauspielerporträt‹ immer wieder auf Verkörperungen und das ›Hamletporträt‹ immer wieder auf Eigenheiten des Schauspielers verweist. Auch die hier vorgeschlagene Gattungsbezeichnung ›Mimen-Ekphrasis‹ mit ihrem Rückgriff auf den von Schiller verwendeten Begriff des ›Mimen‹ soll andeuten, dass ›Schauspielkunst‹, obgleich sich das Konzept im Zusammenhang mit dem Literaturtheater und dem Ideal der ›Verkörperung‹ bildet, nicht ausschließlich von einer Rolle aus zu denken ist. ›Mimus‹ meint ursprünglich den Darsteller in »einer Mitte des 5. Jahrhunderts vor Christus entstandene karikaturistischen Darstellungsform mit satirischen Szenen aus dem Alltagsleben bzw. Mythentravestien«, die ihrerseits als »Mimos« oder »Mimus« bezeichnet wurde.172 Entsprechend führt Zedlers Universallexicon den Begriff auf das griechische Verb ›mimeisthai‹ (nachahmen) zurück und definiert »MIMI« als »eine gewisse Art von Comödianten, welche allerhand Leuten ihre Posituren und Reden so lebhafft nachmachen konten, daß es nicht genugsam zu bewundern war.«173 Der primäre Bezugspunkt ist hier also die ›lebhafte‹ Nachahmung von Menschen, nicht unbedingt von Rollen und nicht unbedingt getreu kopierend, sondern auch stilisierend. Der Altphilologe Gerald F. Else vertritt sogar die These, dass der erstmals von Plato im Zusammenhang mit Kunst und Dichtung verwendete Begriff der Mimesis vom Mimen/»Mimos« abgeleitet ist.174 Nicht zuletzt ist der Zusammenhang von Mimenkunst und Menschendarstellung im Begriff der Mimik präsent, die zumal im 18. Jahrhundert nicht nur das Mienenspiel meint, sondern auch die eloquentia corporis des Schauspielers: Ideen zu einer Mimik hieß denn auch die 1785 erschienene systematisch ehrgeizigste Schauspieltheorie ihrer Zeit, verfasst von Johann Jakob Engel, Ifflands Vorgänger als Leiter des Berliner Schauspielhauses. Iffland wiederum prägte den Begriff der »Menschendarstellung«.175 Insofern der Mime also ein Mensch ist, der wirkliche Menschen nachahmt, leistet er etwas Ähnliches wie Ekphrasis im ursprünglichen Sinn enargeischer Beschreibungskunst, die (wie noch eingehend zu belegen ist) ebenfalls den direkten Zugriff auf menschliches Handeln als »Mittelpunkt der Erfahrungswirklichkeit« bevorzugt.176 Und umgekehrt: Die Beschreibung von Aussehen 172 173 174 175

Girshausen: Mimesis, 202. Zedler : Universal-Lexikon 21, 162. Else: Plato’s Republic, siehe Girshausen: Mimesis, 202. Siehe Kosˇenina: Nachwort; Baumbach: Schauspieler, 31–62, bes. 54; die Prägung wird ausführlich begründet in Iffland: Bildung der Künstler zur Menschen-Darstellung. 176 Ebenfalls vom Begriff des ›Mimischen‹ ausgehend, formuliert Gottfried Willems: »Die Eigenheit der mimisch-theatralischen Darstellung beruht darauf, daß sie sich in ihrem

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und Körpersprache des Mimen (z. B. von Garrick »als Garrick«, BE: 340) lässt sich vor dem Hintergrund bewährter Verfahren enargeischer Beschreibungskunst verstehen. Bis zu diesem Punkt ist allerdings nur nachgewiesen, dass es eine Tradition von Ekphrasis als enargeische Beschreibungskunst und Kunstbeschreibung gibt, die von der Antike über die Renaissance bis ins 18. Jahrhundert wirkt, und dass Mimen-Ekphrasen des 18. Jahrhunderts erkennbar auf die zeitgenössische Ausprägung enargeischer Kunstbeschreibung rekurrieren. Im ersten Teil der auf diese Einführung folgenden Poetik der Ekphrasis (Teil I) jedoch wird darüber hinaus aufgezeigt, dass es genealogische Zusammenhänge zwischen dem Konzept der Enargeia und der (in die Spätrenaissance zurückreichenden) Formierung von Schauspielkunst gibt. Die Brücke führt über Quintilians actio-Theorie und die Wiederentdeckung ästhetischer Illusion auf der elisabethanischen Bühne, insbesondere bei Shakespeare. Nicht zufällig gelten denn auch David Garricks Gestaltungen von Shakespeare-Rollen als Inbegriff von ›Schauspielkunst‹, die in England deutlich vor Deutschland an Ansehen gewinnt und parallel in Schauspieltraktaten und Mimen-Ekphrasen thematisiert wird. So beziehen sich auch Lichtenbergs Briefe aus England, die das wichtigste Modell deutscher Mimen-Ekphrasis darstellen, hauptsächlich auf David Garrick als Inbegriff des modernen Mimen, und ihre berühmteste Passage beschreibt Garricks Gestaltung einer Shakespeare-Szene, der ersten Begegnung Hamlets mit dem Geist seines Vaters. Diese Passage wird im zweiten Teil der Poetik der Ekphrasis vor dem Hintergrund typischer Elemente antiker Ekphrasis interpretiert, und zwar zunächst im Sinne ›enargeischer Beschreibungskunst‹, dann im Sinne ›enargeischer Kunstbeschreibung‹. Dabei wird sich zeigen, dass Mimen-Ekphrasen nicht nur auf das Modell enargeischer Kunstbeschreibung rekurrieren, sondern auch – wie Lichtenbergs Formulierung von seinen ›Porträts‹ andeutet – direkt mit der ›Schwesterkunst‹ konkurrieren oder kooperieren können im Hinblick auf eine möglichst enargeische Darstellung der neuen ›Schwester‹ Schauspielkunst. In diesem Zusammenhang wird es wichtig sein, den vieldeutigen Begriff ›Bild‹ systematisch aufzufächern und auf die verAnknüpfen an die Erfahrungswirklichkeit zunächst auf einen ganz bestimmten Teil der Wirklichkeit, nämlich auf den Menschen, beschränkt und beschränken muß, denn ihr Medium ist der Mime, der Mensch als Nachahmer des Menschen, und im Rahmen dieses Mediums ist zunächst eben nur die Erfahrung Mensch darstellbar. Freilich ergreift sie mit dem Menschen gleichsam den Mittelpunkt der Erfahrungswirklichkeit, nicht nur weil die Wirklichkeit Mensch für den Menschen der wichtigste Gegenstand seiner Erfahrung ist, sondern vor allem auch deshalb, weil er als ein derartiger Gegenstand der Erfahrung selbst wiederum Subjekt, Erfahrer von Wirklichkeit ist, weil ihn als Menschen zu erfahren heißt, in ihm gerade auch einen solchen Mittler von Wirklichkeit zu erleben – so daß mittelbar an ihm und durch ihn auch andere Teile der Wirklichkeit darstellbar werden.« (Willems: Anschaulichkeit, 87f.).

Korpusbildung und Analyseschwerpunkte

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schiedenen Repräsentationsebenen von Mimen-Ekphrasis zu beziehen. Dies geschieht unter Rückgriff auf Modelle einer im Zeichen des pictorial turn stehenden Richtung der Interart Studies, hier vertreten vor allem durch W. J. Mitchell, und der Theaterwissenschaft. Die Poetik der Ekphrasis schließt mit einer Sichtung von Untersuchungsstrategien theaterwissenschaftlicher Aufführungsanalyse, die einerseits das Analyse-Instrumentarium für Mimen-Ekphrasen weiter verfeinern soll und andererseits andeutet, dass deren Untersuchung auch für die Theaterwissenschaft nicht nur aufgrund ihres Quellenwertes, sondern darüber hinaus aufgrund ihrer enargeischen Prägung attraktiv sein könnte. Insgesamt ist meine Arbeit einer hermeneutisch orientierten Komparatistik verpflichtet und bestrebt, Beschreibungskategorien der Rhetorik, Narratologie, Intermedialitätsforschung und Theaterwissenschaft zu vermitteln. Dies scheint mir insofern aussichtsreich, als sich Elemente eines »low stucturalism«177 bzw. einer ›gemäßigten Semiotik‹ in Narratologie (Mart&nez/Scheffel), Dramenanalyse (Pfister), rhetorischer Textanalyse (Plett) und theaterwissenschaftlicher Aufführungsanalyse (Fischer-Lichte) längst als hermeneutisch fruchtbar und gut miteinander vermittelbar erwiesen haben.178 Vermittelbar sind sie auch mit Irina O. Rajewskis Intermedialitätsmodell und Werner Wolfs Modell ästhetischer Illusionsbildung, die bereits in meine bisherige Modellbildung einbezogen wurden. So viel zur Systematik; der Hauptteil meiner Studie wird jedoch in Fallstudien bestehen. Deren Auswahl und Perspektivierung ist im Folgenden zu erläutern.

6.

Korpusbildung und Analyseschwerpunkte

Meine Studie hat nicht den Ehrgeiz, die gesamte Geschichte der Mimen-Ekphrasis aufzuarbeiten; wohl aber sollen markante Entwicklungen und Umbrüche der ›enargeischen‹ Evokation mimischer ›Lebendigkeit‹ identifiziert und im Kontext kultur- und literaturgeschichtlicher Entwicklungen interpretiert werden. (Der Begriff ›mimisch‹ wird in meiner Arbeit, dem Gebrauch des 18. Jahrhunderts folgend, als Adjektiv zu ›Mime‹ wie zu ›Gesichtsmimik‹ ge177 Zur Unterscheidung von »high« und »low structuralism« siehe Scholes: Structuralism, 157f.; ein Plädoyer für den »low structuralism« bei Scheffel: Strukturalismus, 60. 178 Verwiesen sei auf die zahlreichen Neuauflagen der Standardwerke Pfister : Das Drama; Martinez/Scheffel: Erzählanalyse; Plett: Rhetorische Textanalyse; Fischer-Lichtes Semiotik des Theaters wurde 1992 ins Englische übersetzt (Fischer-Lichte: Semiotics of Theatre). Die Fruchtbarkeit ihres semiotischen Ansatzes für Dramenanalyse zeigt sich in ihrer zweibändigen Geschichte des Dramas; zudem wird Fischer-Lichte inzwischen breit in der Literaturwissenschaft rezipiert.

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Einführung

braucht, die jeweilige Bedeutung erschließt sich aus dem Zusammenhang.) Aufgrund der thematisierten strukturellen und genealogischen Bezüge zwischen ›enargeischer‹ Kunstbeschreibung und Mimen-Ekphrasis, die in deren Poetik weiter auszuführen sind, gilt mein besonderes Augenmerk markierten und unmarkierten intermedialen Bezugnahmen graphischer und verbaler Artefakte in Bezug auf Schauspielkunst. Weitere wichtige Bezugsfelder sind selbstverständlich Theatergeschichte und Schauspieltheorie als Ermöglichungszusammenhänge von Mimen-Ekphrasis, doch sei noch einmal betont, dass hier nicht der theatergeschichtliche Quellenwert der Gattung verhandelt wird, weshalb theatergeschichtliche ›Lücken‹ irrelevant sind. Die Studie konzentriert sich im Interesse besserer Vergleichbarkeit auf die Tradition deutschsprachiger Mimen-Ekphrasen. Der Kontext europäischer theatergeschichtlicher und ästhetischer Diskurse wird jedoch schon deshalb berücksichtigt, weil mit David Garrick (II.3-II.5), FranÅois-Joseph Talma (IV.3) und Eleonora Duse (VI) drei nichtdeutsche Mimen vertreten sind. Insbesondere ist die frühe englische Mimen-Ekphrasis in die Betrachtung einzubeziehen, da sie der deutschen vorangeht und speziell über die Vermittlung von Lichtenbergs Briefen aus England strukturbildend wirkt. Außerdem privilegiert meine Auswahl Mimen-Ekphrasen, die selbstständige Texte darstellen und nicht beispielsweise in Theaterkritiken, Briefe oder Tagebücher eingebettet sind. Nur sie nämlich haben erkennbar den Ehrgeiz, nicht allein einzelne ›Feinheiten‹ einer Rolle zu notieren, sondern den Gesamteindruck einer schauspielerischen Rollengestaltung (oder sogar eines mimischen Lebenswerkes) auf der Ebene des Textes präsent zu machen, analog zu Philostrats Eikones, doch mit dem besonderen Akzent der Dialektik zwischen »des Augenblicks geschwinde[r] Schöpfung«179 und dem »daurend Werk«.180 Dennoch werden ekphrastische Passagen aus größeren Textzusammenhängen – insbesondere aus Schauspieltraktaten und Theaterkritiken – durchaus berücksichtigt, wo sie zur kultur- und literaturgeschichtlichen Kontextualisierung beitragen. Besonderer Begründung bedarf meine Konzentration auf Texte, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und um 1900 entstanden sind.181 Diese Epochen markieren (1) einen quantitativen und qualitativen Höhepunkt der Produktion von Mimen Ekphrasen (nicht nur) im deutschsprachigen Bereich, (2) wichtige theatergeschichtliche Stationen, die mit gegensätzlichen Idealen von Schauspielkunst einhergehen, (3) Umbrüche im Verständnis von ›Enargeia‹ 179 SSW 2: 271, V. 38. 180 SSW 2: 271, V. 39. 181 In dieser Weise ist die vielleicht allzu knappe Formulierung »um 1800 und um 1900« im Untertitel der vorliegenden Studie aufzufassen.

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mit Rückwirkungen auf Beschreibungskunst, Kunstbeschreibung und eben auch Mimen-Ekphrasis. Zu (1): Lichtenbergs Briefe aus England (1776) und Schlegels Sonett auf Iffland als Pygmalion (1799) bezeichnen in etwa den Anfangs- und Höhepunkt einer ersten Konjunktur deutschsprachiger Mimen-Ekphrasen. Spätestens seit den 1830er Jahren jedoch finden sich Mimen-Ekphrasen vor allem in Tagebüchern, Briefwechseln, Schauspielermemoiren und (eher selten) in Theaterkritiken.182 Dabei bleiben sie den im 18. Jahrhundert entwickelten Schreibstrategien verpflichtet.183 Kurz vor 1900 jedoch kommt es zu einer erneuten Konjunktur selbstständiger Mimen-Ekphrasen, die zwar in der Masse ebenfalls bewährten Mustern folgen, in wichtigen Fällen aber auch neue Schreibweisen entwickeln und sich insbesondere mit Traditionen lyrischen Sprechens verbinden. Zu (2): Die im 18. Jahrhundert dominierende Form der Mimen-Ekphrasis ist dem Paradigma des ›Literaturtheaters‹ und damit dem Ideal der ›Verkörperung‹ verpflichtet. Zwar wurde bereits deutlich, dass sie durchaus auch mimische Individualität und ›Präsenz‹ thematisiert; doch wird mimische Lebendigkeit in aller Regel auf den Dramentext bezogen. Noch entschiedener gilt in der Schauspieltheorie das Postulat, die individuelle Physis des Schauspielers sei möglichst vollständig in ein ›Zeichen‹ des Textes zu verwandeln, wenn auch in ein quasi-natürliches. Der im 19. Jahrhundert entstehende ›Starkult‹ bewirkt, dass Schauspieler zunehmend Rollen ›auf den Leib geschrieben‹ bekommen,184 doch erst im Zeichen der ›Retheatralisierung des Theaters‹ um 1900 werden Physis und Präsenz des Schauspielers auch in der Theorie gewürdigt und avancieren zum Hauptthema von Mimen-Ekphrasen.185 Die Rolle ist dabei oft nur Ausgangspunkt der Darstellung, wenn sie nicht sogar explizit abgewertet oder ignoriert wird. Zu (3): Es wurde bereits auf den Sammelband Poetik der Evidenz verwiesen, dessen Titelformel »kreative Sprachanstrengungen im Spannungsfeld von Bild und Sprache« meint und damit meines Erachtens den ursprünglichen Begriff von Enargeia reaktiviert.186 Allerdings handelt es sich um eine ›moderne‹ Ausprägung von Enargeia vor dem Hintergrund psychologischer »Nervenkunst«, in der sich dem Leser ein »prekärer Schwellenzustand zwischen Bild und Bedeu182 183 184 185

Siehe die Textsammlung Jacobs: Deutsche Schauspielkunst. Siehe dazu V.1.2. Siehe Fischer-Lichte: Geschichte des Dramas 2, 5–7. Siehe den Ausblick auf die Zeit um 1900 am Schluss von Kosˇenina: Anthropologie und Schauspielkunst, 290–93. 186 Pfotenhauer/Riedel/Schneider : Poetik der Evidenz, IX; das Theater ist in diesem Sammelband zwar nicht thematisiert, wird aber gebührend berücksichtigt in der Habilitationsschrift der Herausgeberin Schneider : Verheißung der Bilder (siehe V.1).

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tung, Visuellem und Symbolischem« vermitteln soll.187 Im Zeichen dieser – wie ich sie nennen möchte – ›nervösen Enargeia‹ – werden systematisch die Grenzen zwischen sprachlichen, perzeptuellen, mentalen und sprachlichen Bildern verwischt;188 zudem verbindet sich nervöse Enargeia in vielfältiger Weise mit der ›Retheatralisierung‹ des Theaters. Dies lässt sich etwa an Max Martersteigs Schrift Der Schauspieler von 1900 aufzeigen: Martersteig empfiehlt dem Schauspieler, die »unter der Bewußtseinsschwelle schlummernden Bilder und Kräfte einer Vorstellungsreihe« mit Hilfe von Hypnosetechniken zu aktivieren,189 um »das, was da als schwarze Buchstaben auf dem Papiere liegt,« – seinen Rollentext also – »in ein farbiges, vielgestaltiges, lebendiges Bild« seiner »Phantasie« zu überführen, das zur Gundlage seiner Verkörperung auf der Bühne wird .190 Mimen-Ekphrasen wiederum haben, wie zu zeigen sein wird, die Aufgabe, diese Gestaltung so in Text zu überführen, dass ein entsprechendes Mentalbild beim Leser entsteht. Der späteste hier eingehend analysierte Text, Rilkes lyrisches Bildnis der Eleonora Duse, stammt aus dem Jahr 1907, obwohl bis in die 50er Jahre hinein nicht wenige deutsche Mimen-Ekphrasen geschrieben wurden191 und sich die Theaterkritik bis heute gelegentlich, wenngleich selten, speziell auf Schauspielkunst einlässt (eine Stichprobe bietet der resümierende Schlussteil meiner Studie). Meines Erachtens sind seit 1907 aber (anders als im Bereich der Kunstbeschreibung)192 keine wirklich neuen ekphrastischen Schreibstrategien auszumachen. Selbst die Mimen-Ekphrasen eines Alfred Kerr, Herbert Ihering oder Julius Bab orientieren sich eher an Lichtenberg als an Hofmannsthal oder Rilke; für die aktuelle Situation bietet der resümierende Schlussteil Nachspiel mit Rückblicken: Zur Aktualität der Mimen-Ekphrasis einige Stichproben. Womöglich könnte es sich lohnen, nach innovativen Texten über Filmschauspiel187 Pfotenhauer/Riedel/Schneider : Poetik der Evidenz, unter Berufung auf Ernst Mach. Denkt man daran, wie ein Gemälde, in dem »das Feuer nicht im Wasser erlosch« (PE 1.1.1: 89), einen Knaben zu Beginn von Philostrats erster Bildbeschreibung in Verwirrung stürzt (I.2.2.2), lässt sich immerhin sagen, dass Bildwerke schon aus antiker Sicht in der Lage waren, solche ›Schwellenzustände‹ auszulösen; seit der Romantik werden sie gezielt als Ausgangspunkt für »literarische Transzendierungen des Sichtbaren« genutzt: So lautet die Überschrift des Kapitels zu Wackenroder und Tieck in Schmitz-Emans: Die Literatur, die Bilder und das Unsichtbare, 131–155; siehe zur weitern Entwicklung bei Jean Paul, E.T.A. Hoffmann und Justinus Kerner ebd. 161–248. 188 Siehe zu dieser Begrifflichkeit II.3. 189 Martersteig: Der Schauspieler, 35. 190 Martersteig: Der Schauspieler, 40f. 191 Dennoch scheint mir das Ende der Weimarer Republik im Wesentlichen auch das Ende der zweiten »Konjunktur« von Mimen-Ekphrasis zu markieren. 192 Z. B. Hofmann: Blindensturz, dazu Gross: Ekphrasis; Duden: Judasschaf, dazu Knapp: Ekphrasis as Unifying Fissure; siehe auch die Analysen in Schmeling/Schmitz-Emans: Gedächtnis der Literatur, 141–230.

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kunst zu forschen,193 doch unterscheiden sich deren Produktions- und Rezeptionsbedingungen von denen des Theaters so grundsätzlich, dass das hier entwickelte Analysemodell für eine solche Untersuchung gründlich modifiziert werden müsste.194 Nach dieser Eingrenzung des Untersuchungszeitraums ist die konkrete Textauswahl zu erläutern. Der Analyseteil besteht aus fünf Studien, die historischen Ausformungen von Mimen-Ekphrasen gelten. Sie setzen jeweils bei kritischen oder parodistischen Reaktionen auf bestimmte Mimen-Ekphrasen an, die auf unterschiedliche Leitvorstellungen davon verweisen, welche Strategien verbaler Enargeia geeignet sind, mimische Enargeia zu evozieren. Die erste Analyse – nach der Poetik Teil II der Studie – beschäftigt sich mit der Entstehung der Gattung Mimen-Ekphrasis im England des 18. Jahrhunderts und ihrer Übertragung in den deutschsprachigen Kulturraum unter dem Vorzeichen des sich etablierenden Literaturtheaters und der Professionalisierung von Schauspielkunst, wobei Lichtenbergs Briefen aus England eine besondere Vermittlungsfunktion zukommt. Von entscheidender Bedeutung in diesem Prozess, so meine These, ist zusätzlich zu den in Teil I vorgestellten ekphrastischen Strategien die Orientierung an allegorischen und karikaturistischen Verfahren der bildenden Kunst. An der Allegorie orientiert sich bereits eine anonyme Elegie auf Richard Burbage von 1619, die allerdings im 17. Jahrhundert keine direkte Nachfolge ausgebildet hat. Karikaturistische Verfahren ermöglichen insbesondere den Übergang von einer hyperbolischen Thematisierung der Wirkung von Schauspielkunst zur Beschreibung von ›Feinheiten‹ der actio. Die nächsten beiden Fallstudien beschäftigen sich mit Fortführung und Infragestellung dieses Modells um 1800: Teil III stellt mit August Wilhelm Böttigers Entwickelung des Ifflandischen Spiels von 1796 den bis dahin umfangreichsten Versuch vor, ›Feinheiten‹ der actio eines Schauspielers zu sammeln und zu einem ›Gesamtbild‹ zu verbinden. Goethe und Tieck zufolge verfehlt Böttigers Projekt die ›Einheit‹ des mimischen ›Kunstwerks‹. Diese Kritik steht im Zeichen autonomieästhetischer Ideale, die besonders prägnant von Karl Philipp Moritz formuliert wurden. Sie lassen das Projekt der Kunstbeschreibung überhaupt problematisch erscheinen, doch deuten sich gerade bei Moritz enargeische 193 Siehe z. B. einige Zitate in Koebner : Leibesvisitationen; Roth: Reise zu Chaplin und einige Texte in der Anthologie Ripkens/Stempel: Kino im Kopf, bes. 56–79, 118–141. 194 Für den Film ist insbesondere die ›zerdehnte‹ Kommunikationssituation unter Wegfall der Kopräsenz mit den Zuschauern und der Werkcharakter filmisch konservierter Schauspielkunst hervorzuheben, dazu kommt die »Partikularisierung« der mimischen Aktion durch Schnitt und die des Mimenkörpers durch Wechsel der Einstellungsgrößen. Diese Beobachtungen finden sich im Wesentlichen schon in Benjamin: Kunstwerk, 583–586; siehe ergänzend Heller u. a.: Körper im Bild; Hickethier : Film- und Fernsehanalyse, 169– 189.

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Strategien an, die der ›Einheit‹ eines Kunstwerks gerecht werden. Teil IV stellt diese Strategien, die insbesondere im Bereich romantischer Kunst- und Musikbeschreibung fruchtbar waren, vor und fragt, wie weit sie sich auch in ›klassizistischen‹ und ›romantischen‹ Mimen-Ekphrasen nachweisen lassen. Die Weiterführung solcher Ansätze zu einem neuen Modell von Mimen-Ekphrasis lässt sich allerdings erst um 1900 beobachten, wie die Teile V und VI vorführen. Wichtig ist hier insbesondere eine Bildlichkeit, die den Körper des Mimen metaphorisch entgrenzt, um seine ›Präsenz‹195 zu evozieren, in der nunmehr die ›Einheit‹ des ›mimischen Kunstwerks‹ gesucht wird. In Hofmannsthals Schauspielergedichten (V) funktioniert dies vor allem über die produktive Zerstörung mimenekphrastischer Topoi, in Rilkes lyrischem Bildnis der Duse (VI) unter Rückgriff auf eine vor allem photographisch vermittelte Ikonographie der Mimin und in der Aktualisierung allegorischer Verfahren. Teil VI bezieht aber auch Theaterkritiken Hermann Bahrs sowie semifiktionale Prosatexte Rilkes und Gabriele D’Annunzios in die Betrachtung ein und zeigt die Beliebtheit solcher ›poetischer‹ Verfahrensweisen zur Darstellung von Schauspielkunst über die Lyrik hinaus im Kontext einer assoziativ entgrenzten Kunstbeschreibung. Damit stellt sich auch die Frage nach dem Verhältnis der historischen Gattung Mimen-Ekphrasis zu den historischen Großgattungen Lyrik und Epik.

7.

Zur Forschungslage

Eine vergleichende Strukturanalyse von Texten über Schauspielkunst liegt bislang nicht vor. Am nächsten kommen meinem Erkenntnisinteresse Überlegungen zum Stellenwert von Schauspielkunst in der Theaterkritik. Malte Möhrmann reflektiert grundsätzlich Über das Flüchtige und das Fixieren als deren Grundspannung: »Das Erlebte und Gefühlte, das Gesehene, das Wahrgenommene, kurz das Flüchtige im Diskurs zu fixieren entzieht dies nicht der Vergänglichkeit […]. Aber das im Wort Bewahrte kann neues Erleben evozieren.«196 Möhrmann umreißt damit, zunächst allgemein auf Literatur bezogen, eine Variante von Enargeia,197 die zwar nicht so zuversichtlich wie die rhetorische Definition auf eine theateranaloge Wirkung setzt, dennoch aber ein »neues Erleben« beim Rezipienten annimmt, in das Sinneseindrücke wie Emotionen 195 Siehe zu diesem theaterwissenschaftlichen Leitbegriff II.5.3. 196 Möhrmann: Das Flüchtige und das Fixieren, 176. 197 Er selbst nennt sie »Evokationseffekt« (Möhrmann: Das Flüchtige und das Fixieren, 176.), ein Begriff, den ich in dieser Arbeit (mit Bindestrich verwendet) auf das Modell der ästhetischen Illusion beziehe und zwar, um den Gegenpol zum ›Als-Ob-Bewusstein‹ zu kennzeichnen (siehe Einf. 3).

Zur Forschungslage

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des Autors eingehen. Es wurde schon angedeutet und wird noch weiter auszuführen sein, dass diese Einbeziehung der Emotion durchaus mit dem klassischen Ekphrasis-Modell vereinbar ist (I.1, I.2); zudem kann der Aspekt des ›neuen Erlebens‹ sich in einer Grundvorstellung manifestieren, die ich als ›enargeische Wirkungskette‹ vorstellen werde (I.2.1). Was den Untersuchungsgegenstand der Arbeit angeht, behauptet Malte Möhrmann allerdings (nicht ganz zutreffend, jedoch bezeichnend für die aktuelle Situation), dass Schauspielkunst in der Theaterkritik auffallend selten beschrieben werde,198 und führt dies vor allem auf eine fehlende Terminologie für Bewegungszeichen zurück. Er empfiehlt eine Kombination von genauer Zeichenbeschreibung, Bedeutungszuweisung im Hinblick auf die literarische Vorlage und Thematisierung der Wirkung. Dies sind allerdings, wie zu zeigen ist, bereits Grundelemente von Philostrats erster Bildbeschreibung wie von Lichtenbergs Hamlet-Geist-Ekphrasis; sie lassen sich beträchtlich differenzieren und konkretisieren. Für die britische Theaterkritik stellt Irving Wardle dagegen fest, dass sie noch dieselbe Vorliebe für Schauspielkunst zeige wie im 18. Jahrhundert. Er ist überzeugt, dass Beschreibungen von Schauspielkunst durchaus in der Lage seien, diese der Nachwelt zu erhalten. Auch angesichts filmischer Aufzeichnungsmöglichkeiten seien sie nicht obsolet: Beschreibungen »distill the essence of the actor into a few concentrated images.«199 Wie seine Beispiele zeigen, bestehen die ›wenigen konzentrierten Bilder‹ in der Wiedergabe ausdrucks- und wirkungsvoller Bewegungszeichen. Wichtig ist Wardles Hinweis, dass MimenEkphrasen mentale ›Schemata‹ aufrufen können, die auf berühmte (photo-)graphische Bilder zurückgehen: »How could you discuss Olivier’s Coriolanus without describing his death fall, caught by his ankles and held upside down like the slaughtered Mussolini?«200 Wie zu zeigen sein wird, ist dieser Rückgriff auf ein visuelles Schema von Anfang an konstitutiv für die Erzeugung rhetorischer Enargeia (II.2.1.10). Dass sich solche Schemata mit dem Ausdruck und der Erzeugung spezifischer Emotionen verbinden können, hat Aby Warburg mit seinem Begriff der »Pathosformel« herausgestellt.201 Gabriele Brandstetter versteht Pathosformeln als »Bildmuster von symbolisch geprägten Ausdruckswerten der Bewegung, die im 198 Möhrmann spricht von Theaterkritik im Allgemeinen, beschränkt sich aber auf deutsche Beispiele. Auch für den deutschen Bereich aber muss sein Befund entschieden relativiert werden, und zwar nicht nur mit Blick auf das 18. Jahrhundert, sondern auch auf die sich um 1900 professionalisierende Theaterkritik. Die von Möhrmann besonders getadelten Kritiker Alfred Kerr und Herbert Ihering haben sogar eigene Sammelbände mit Mimen-Ekphrasen veröffentlicht (Kerr : Das Mimenreich; Ihering: Von Josef Kainz bis Paula Wessely). 199 Wardle: Theatre Criticism, 96. 200 Wardle: Theatre Criticism, 97. 201 Warburg: Gesammelte Schriften II.1, 3; siehe Kap. II.1.1.

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Inventar des kulturellen Gedächtnisses gewissermaßen formelhaft und transformierbar erscheinen«.202 Da der Begriff »Bildmuster« sich gleichermaßen auf Bildwerke, Mentalbilder, Sprachbilder und Bewegungszeichen auf der Bühne beziehen kann, bildet das Konzept der »Pathosformel« (ergänzt um das der »Toposformel«) eine überzeugende systematische Klammer für Brandstetters Projekt, die Rezeption des modernen Tanzes um 1900 in bildender Kunst und Literatur aufeinander zu beziehen. Über die Identifikation einzelner Pathosformeln hinaus geht es dabei um die Rekonstruktion von »Körperbildern«, verstanden als »vermittelnde symbolische Konstrukte zwischen szenischem Ereignis und Text«.203 In den Blick kommen auch Texte, die ich als ›Tanz-Ekphrasen‹ bezeichnen würde; sie sind zumeist fiktionaler Art, beziehen sich aber auch, mehr oder minder vermittelt, auf die Kunst von Tänzerinnen wie Isidora Duncan oder Lo"e Fuller. Ich werde zeigen, dass der Begriff ›Pathosformel‹ sich bereits auf ein Standardbeispiel Quintilians für Ekphrasis anwenden lässt, jedoch ergänzt werden muss durch ein Schema, das man ›Lächerlichkeitsformel‹ nennen könnte, und zunächst vor allem über diese Darstellungstradition in die Mimen-Ekphrasis Einzug hält, orientiert am Leitmodell der Karikatur (II.3.2, II.4.2). Andererseits führt die Orientierung der frühneuzeitlichen Schauspielkunst an bildender Kunst durchaus auch zur Adaption von Pathosformeln auf der Bühne wie in der Beschreibung von Schauspielkunst (III.6.2). Hajo Kurzenberger hat die Kunst der Schauspielkunstbeschreibung bei dem zu Beginn dieser Einführung zitierten Julius Bab charakterisiert und dabei drei grundsätzlich bedenkenswerte Kategorien benannt: »Die für Bab charakteristische Schreibmischung heißt Vergegenwärtigung, Huldigung und vergleichende Unterscheidung.«204 Kurzenberger erläutert diese Stichworte im Folgenden nicht explizit, führt aber zwei Zitate an, die sich zweien davon zuordnen lassen: Der Satz »In allen Erinnerungen an den Schauspieler Werner Krauss herrscht vor die Gestalt, und in allen Erinnerungen an Kortner die Stimme«205 ›vergegenwärtigt‹ ausdrücklich, indem er Erinnerung thematisiert; ›vergleichende Unterscheidung‹ betrifft darin den direkten Vergleich zweier Schauspieler, den Bab in seinem Buch Schauspieler und Schauspielkunst von 1926 zum Strukturprinzip gemacht und als »Doppelbildnis« bezeichnet hat.206 Meine 202 Brandstetter : Tanz-Lektüren, 30. 203 Brandstetter : Tanz-Lektüren, 26. 204 Kurzenberger : Julius Bab, 29. Kurzenberger beruft sich ausdrücklich auf Möhrmanns Aufsatz, dem gegenüber seine Definition von Babs Wirkungsintention allerdings wieder recht nah an der rhetorischen Enargeia-Definition ist: Es gehe darum, »den Schauspieler und seine Darstellungsweise dem Leser in Erinnerung zu rufen, sie erneut mit Lebendigkeit vor das innere Auge zu führen.« (Kurzenberger : Julius Bab, 29). Vorausgesetzt ist allerdings eine Leserschaft, die den beschriebenen Schauspieler bereits auf der Bühne erlebt hat. 205 Kurzenberger : Julius Bab, 29, nach Bab: Kränze dem Mimen, 356. 206 Bab: Schauspieler und Schauspielkunst, 8. Er geht von Gemeinsamkeiten wie Verwandt-

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Studie wird zeigen, dass solche Vergleiche in der Geschichte der Mimen-Ekphrasis vor allem agonalen Charakter hatten und dass sie bevorzugt im Hinblick auf die Verkörperung einer Rolle durch zwei Schauspieler und/oder auf Schemata wie femme fatale und femme fragile rekurrierten (II.3, VI.1). Das zweite von Kurzenberger angeführte Zitat bezieht sich auf die Art und Weise, wie Fritz Kortner als Gessler noch hinter der Bühne den Satz »Treibt sie auseinander« sprach: »Der Ton pfiff wie ein Peitschenhieb, es wurde uns eiskalt, wir fühlten brutalste Gewalt.«207 Ohne dies ausdrücklich zu thematisieren, zielt dieser Satz wiederum auf ›Vergegenwärtigung‹ und zwar vor allem über die Erinnerung an die Zuschauerreaktion, die, Sprechinstanz und erinnertes Publikum gleichsetzend, in der ersten Person Plural berichtet wird. Unterstützt wird sie durch die prägnante Metapher des Peitschenhiebs, der sowohl den Klangeindruck präzisiert als auch die emotionale Wirkung evoziert – auch dies, wie zu zeigen sein wird, traditionsreiche Verfahren. Der Begriff der »Huldigung« schließlich könnte auf eine bewundernde Grundhaltung hinweisen, die, wie eingangs gezeigt, oftmals die Motivation dafür darstellte, die Schauspielkunst eines Mimen für die ›Nachwelt‹ zu fixieren. Allerdings hat diese Haltung auch Kritik auf sich gezogen, deren Berechtigung zu prüfen ist (II.1, III.1); überdies kann sich die Enargeia von Mimen-Ekphrasen auch einer polemisch-kritischen Haltung verdanken (II.2.3, II.4.2). Auf Julius Bab bezogen meint Kurzenberger mit »Huldigung« aber auch konkret die Würdigung einer eigenständigen Rolleninterpretation, ein Aspekt der schon im 18. Jahrhundert besonders wichtig ist,208 und die Vorstellung von der »Wahrhaftigkeit des Schauspielers«, die sich traditionell vor allem mit dem Modell vom ›heißen Schauspieler‹ verbindet und oft mit einem besonderen Interesse für seine Persönlichkeit jenseits der Bühne einhergeht.209 Zu beachten ist schließlich, wie Kurzenberger den Übergang zwischen beiden Bab-Zitaten formuliert: »Aus solchen Hauptakzentuierungen« (hier : von Krauss und Kortner) »wird Feinziselierung in den jeweiligen Rollenporträts« (hier : von Kortners Deklamation).210 Anders als in Lichtenbergs Bild von der abwechselnden Arbeit an Garricks Schauspieler- und Rollenporträt wird hier die Textabfolge als Fortschreiten vom Allgemeinen zum Besonderen verstanden. Gleichwohl rekurriert auch das Bild »Feinziselierung« auf bildende Kunst – in analoger Weise spricht

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schaft, kultureller Herkunft oder Rollenfach aus und arbeitet vor diesem Hintergrund bezeichnende Unterschiede heraus. Kurzenberger : Julius Bab, 29, nach Bab: Kränze dem Mimen, 359. Kurzenberger : Julius Bab, 32; in der vorliegenden Arbeit wird dieser Aspekt besonders deutlich bei Lichtenberg (II.5) und Böttiger (III). Kurzenberger : Julius Bab, 32; ich werde diesen Aspekt als ›Image-Tendenz‹ von Schauspielkunst fassen (II.4.4); besonders deutlich lässt er sich am Beispiel Eleonora Duses beobachten (VI). Kurzenberger : Julius Bab, 29.

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schon Karl August Böttiger von ›Umriss‹ und ›Schattierungen‹, zwar bezogen auf die Anlage einer Verkörperung, jedoch, wie zu zeigen ist, mit entscheidenden Konsequenzen für seine eigene Darstellungsweise (III.3). Von den hier besprochenen Ausnahmen abgesehen konzentrieren sich Theaterwissenschaft und -historiographie, sofern sie sich mit Schauspielkunst befassen, auf Schauspieltheorien und nutzen Mimen-Ekphrasen, wenn überhaupt, ausschließlich als Quellenmaterial. Außer um eine Geschichte der Schauspielkunst selbst und ihrer semiotischen Grundprinzipien geht es dabei insbesondere um Wechselbeziehungen mit anderen kulturellen Feldern und Diskursen wie Medizin, Psychologie oder Physiognomik.211 Seit den 1990er Jahren sind zudem wichtige Studien erschienen, die am »›gemeinschaftlichen Rain‹ von Literatur- und Theaterwissenschaft« angesiedelt sind, wie Wolfgang F. Bender, Lessing variierend, formuliert.212 Sie beschäftigen sich vor allem – so der Titel eines von Bender herausgegebenen grundlegenden Sammelbandes – mit Schauspielkunst im 18. Jahrhundert. Ein spezifisch literaturwissenschaftliches Interesse liegt im vertieften Verständnis von Dramen, sofern sich Rollenprofile im Horizont zeitgenössischer Verkörperungstendenzen verstehen lassen.213 Dies gilt auch für Alexander Kosˇeninas Studie zum Verhältnis von Anthropologie und Schauspielkunst im 18. Jahrhundert, die eine Reihe von exemplarischen Dramenanalysen bietet und vor allem die interpretatorische Relevanz direkter und indirekter Bühnenanweisungen für Bewegungszeichen demonstriert. Dass Mimen-Ekphrasen in diesem Zusammenhang als Quellen außer Acht gelassen werden, lässt sich mit Anke Detkens Studie zu Regiebemerkungen in Dramen des 18. Jahrhunderts rechtfertigen: »Grundlegende Veränderungen der eloquentia corporis auf der Bühne sind nicht mit einer neuen Form der verschriftlichten eloquentia in eins zu setzen«.214 Zu diesem Befund kommt Detken nicht zuletzt aufgrund eines Vergleichs zwischen den Bühnenanweisungen in Kosˇeninas Leittext Miss Sara Sampson und Lessings Beschreibung von Sophie Hensels Spiel (siehe III.1); ansonsten sind Mimen-Ekphrasen für das Forschungsinteresse ihrer Studie irrelevant. Dagegen erstaunt es, dass Schauspielkunst in Günther Heegs bereits erwähnter Studie Das Phantasma der natürlichen Gestalt (I.5), die theater-, literatur- und kunstwissenschaftliche Analysen zusammenführt, be211 Neben Fischer-Lichtes Semiotik des Theaters ist hier vor allem Joseph R. Roachs kulturhistorisch ausgerichtete Studie The Player’s Passion zu nennen; Eduard Devrients einst einflussreiche Geschichte der deutschen Schauspielkunst von 1874 paraphrasiert ohne Quellenangaben zahlreiche Mimen-Ekphrasen (siehe Reinholz: Devrients Geschichte; Baumbach: Schauspieler, 31–37). 212 Bender : Schauspielkunst im 18. Jahrhundert, 10. 213 So vor allem in Kluge: Schauspielkunst in Schillers Jugenddramen unter Rekurs auf Böttigers Beschreibung von Iffland als Franz Moor ; siehe III.3. 214 Detken: Regiebemerkungen des 18. Jahrhunderts, 385.

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vorzugt anhand von Schauspieltheorien thematisiert wird. Immerhin wertet Heeg Humboldts Briefe Über die gegenwärtige tragische französische Bühne aus215 sowie, als »Zugabe« ganz am Schluss, Lichtenbergs Hamlet-Geist-Ekphrasis; die Gestaltung der Texte kommt dabei jedoch nicht in den Blick.216 Um das literarische Motiv des Schauspielers geht es in Studien von Uwe Rosenbaum (1970), Annette Meyhöfer (1989) und Michael Kleinherne (2000). Dabei handelt es sich in der Regel um fiktive Schauspielerfiguren, und selbst im Fall des Rückgriffs auf reale Darsteller wie Iffland217 oder Gründgens218 dominiert, wie Rosenbaum formuliert, nicht die »Abbildfunktion«219 der Darstellung (die ich »Substitutionsfunktion« nenne, siehe I.4.1), sondern die »Sinnbildfunktion«.220 Sinnbildlich stehen Schauspieler zum einen für Künstlertum und das Verhältnis von ›Kunst und Leben‹, das sich an ihnen insofern besonders eindrucksvoll darstellen lässt, als in diesem Fall der lebendige Körper des Künstlers das Material seiner Kunst ist. Zum anderen versinnbildlicht der Schauspieler die ›Rollenhaftigkeit‹ der conditio humana, sei es im Sinn des ›theatrum mundi‹,221 im Sinn soziologischer ›Rollen‹-Modelle222 oder Entwürfe der philosophischen Anthropologie;223 entsprechend fasst Kleinherne schon im Untertitel seiner Studie »das Motiv des Schau- und Rollenspielers« zusammen, das de facto auch Meyhöfer gemeinsam abhandelt.224 Für die Sinnbildfunktion des Schauspielers als exemplarischer Künstler wie als menschliches Sozialwesen haben sich die schauspieltheoretischen Modelle des ›heißen‹ und des ›kalten Schauspielers‹ als überaus attraktiv erwiesen; ersterer erschafft sein ›Rollenbild‹ von innen her, indem er sich leidenschaftlich in seine 215 Heeg: Phantasma der natürlichen Gestalt, 166–173; siehe III.5. 216 Heeg: Phantasma der natürlichen Gestalt, 448–451. 217 Siehe die Analyse von Charlotte Birch-Pfeiffers Drama Iffland (1858) in Rosenbaum: Gestalt des Schauspielers, 38–48. 218 Siehe die Analyse von Klaus Manns Mephisto (1936) in Kleinherne: Schau- und Rollenspieler, 124–140. 219 Rosenbaum: Gestalt des Schauspielers, 3. 220 Rosenbaum: Gestalt des Schauspielers, 6 (meine Hervorhebung). Der folgende Überblick stützt sich vor allem auf Meyhöfer : Motiv des Schauspielers, 9–29. 221 Kleinherne: Schau- und Rollenspieler, 11–13; Meyhöfer: Motiv des Schauspielers, 9–12; siehe Curtius: Lateinisches Mittelalter, 148–154; Barner: Barockrhetorik, 86–131; im Folgenden besonders wichtig in IV.2.3 und V.1.3. 222 Siehe insbesondere Goffmans Presentation of Self in Everyday Life (1959), in deutscher Übersetzung mit dem bezeichnenden Titel Wir alle spielen Theater. 223 Im Grunde gehört schon Diderots Dialog Paradoxe sur le com8dien (I.1.4) in diese Kategorie, siehe Sennett: Fall of Public Man, 110–115. Im 20. Jahrhundert waren besonders wirkungsmächtig Simmel: Über den Schauspieler (dazu Meyhöfer : Motiv des Schauspielers, 92–112; Roselt: Seelen mit Methode, 289–302) und Plessner : Zur Anthropologie des Schauspielers (dazu Roselt: Seelen mit Methode, 310ff.; Fischer-Lichte: Faszination als Wirkung). 224 Grundsätzliche Kritik an dieser Redeweise übt Lazarowicz: Gespielte Welt, 230–243.

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jeweilige Rolle einfühlt; letzterer erschafft sie von außen her, indem er beobachtet und, typischerweise vor dem Spiegel, seine mischen Ausdrücke auf größtmöglichen Effekt hin optimiert, um sie schließlich zu memorieren und kühlen Kopfes zu reproduzieren.225 In diesem Sinn ist die Figur des Roquairol in Jean Pauls Titan gleichzeitig ein großer Schauspieler und ein machiavellistischer Verstellungskünstler auf der ›sozialen Bühne‹.226 Figuren, die dem Modell des ›heißen Schauspielers‹ entsprechen, sind in der Regel sympathischer gezeichnet, bringen aber ihren ›Gefühlshaushalt‹ durch einen Exzess an Einfühlung aus dem Gleichgewicht. Schließlich können sie oft nicht mehr zwischen Bühne und Wirklichkeit unterscheiden und fallen entweder theatralisch oder sozial ›aus der Rolle‹.227 Die Modelle vom heißen und kalten Schauspieler können auch die Gestaltung von Mimen-Ekphrasen beeinflussen (etwa in der Kontrastierung von Eleonora Duse und Sara Bernhardt, siehe VI.1), und natürlich ist auch denkbar, dass Vergleichbares in fiktionalen Mimen-Ekphrasen geschieht. Doch wird in fiktionalen Texten zwar gern behauptet, dass es sich bei einer Figur um einen begnadeten Schauspieler handle, doch anstelle einer fiktionalen Ekphrasis seiner Kunst steht in der Regel eine von der Leserphantasie zu füllende Leer- bzw. zumeist Unbestimmtheitsstelle,228 die dem Charakter fiktiver Schauspieler als 225 Siehe dazu eingehend I.1.4.; für einen knappen Überblick siehe Roselt: Schauspieltheorie, 288f. 226 Siehe Rehm: Roquairol. 227 Ein berühmtes Beispiel für die Fiktionalisierung eines berühmten Schauspielers in diesem Sinne ist Edmund Kean, den Dumas der Ältere zum Titelhelden seines 1836 uraufgeführten Dramas Kean, ou d8sordre et g8nie machte; es faszinierte Heine (Französische Bühne, 272) und regte Sartre zu einer Neubearbeitung an (beide in Sartre/Dumas: Kean; dazu Van Maanen: Kean; Luce: Dumas’ Kean, siehe auch Fischer-Lichte: Geschichte des Dramas 2, 46). Ein prominenter Fall für einen fiktionalen Grenzgänger zwischen Schein und Wirklichkeit ist der Schauspieler Larkens in Mörikes Roman Maler Nolten (1830), ein begnadeter Komödiant, der darunter leidet, kein guter Tragöde zu sein und sich als Liebesbriefschreiber in der ›Rolle‹ seines Freundes tatsächlich verliebt (siehe dazu Rheinwald: Mörikes Briefe, 93–101). 228 Zur Unterscheidung siehe Iser: Akt des Lesens, 284. Eine wichtige Ausnahme von besagter Regel stellt Wilhelm Meisters Hamlet-Darstellung im 11. Kapitel des 5. Buches der Lehrjahre dar (GFA 9: 689–92, bes. 690). Sie orientiert sich meines Erachtens eindeutig an Lichtenbergs Darstellung, legt jedoch im Gegensatz dazu das Modell des ›heißen Schauspielers‹ zugrunde: Die Tatsache, dass der unbekannte und in der Rüstung auch nicht erkennbare Darsteller des Geistes mit der Stimme von Wilhelms tatsächlichem Vater spricht, stürzt diesen in Verwirrung und lässt ihn unwillkürlich jene mimischen Zeichen hervorbringen, die Garrick kalkuliert einsetzt. Da das Theater am selben Abend abbrennt, kommt Wilhelm nicht in die Verlegenheit, diese Zeichen reproduzieren zu müssen. Ein zweites bedeutsames Beispiel für eine fiktionale Mimen-Ekphrasis ist Thomas Manns Beschreibung des Operettendarstellers Müller-Ros8 im fünften Kapitel des Felix Krull (Mann: Krull, 32–41). Sie steht in der Tradition spöttisch-karikaturistischer Mimen-Ekphrasen des 18. Jahrhunderts namentlich auf Opernsänger (II.4.2, II.5.2, III.7.2) und im Zeichen

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»Projektionsfigur« (Meyhöfer)229 entspricht und somit die Sinnbildfunktion unterstützt.230 Das heißt nicht, dass umgekehrt die Sinnbildfunktion für faktuale Mimen-Ekphrasen irrelevant wäre, wohl aber, dass sie sich tendenziell weit weniger explizit äußert als in fiktionalen Texten, und dass die Abbild- bzw. Substitutionsfunktion meist klar dominiert. Wie sehr literaturwissenschaftliche Analysen des Schauspieler-Motivs bisher auf die Sinnbildfunktion fixiert sind, zeigt sich exemplarisch an Walter Rehms Analyse von Rilkes Gedicht Bildnis. Rehm arbeitet zutreffend heraus, dass Rilke hier ein Ideal von Künstlertum entwirft, das sich am Modell des ›heißen Schauspielers‹ orientiert, und bietet einen biographischen Ausblick auf die Begegnung zwischen Rilke und der Duse fünf Jahre nach Entstehung des Gedichts – ignoriert aber wird die Frage, anhand welcher Elemente zeitgenössische Leser überhaupt erkennen konnten, dass dieses Gedicht die Schauspielkunst der ungenannt bleibenden Eleonora Duse thematisiert.231 Immerhin gibt es zu Lichtenbergs Briefen aus England eine Monographie und einen Aufsatz, die meiner Fragestellung vorarbeiten. Die Kernthese von Klaus Siebenhaars Studie Lichtenbergs Schaubühne. Imaginarium und kleines Welttheater lautet: »Lichtenbergs Weltaneignung und -verarbeitung folgt in den unterschiedlichsten Teilen seines fragmentarischen, essayistischen Œuvres Formen und Gesetzen der szenischen Darstellung«.232 Besonders plausibel lässt

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nietzscheanischer Künstlerkritik (siehe Frizen: Letztes Wort zu Wagner, bes. 27, zu Nietzsches Schauspielerkritik siehe V.1.2.2). Schließlich ist auch auf Baudelaires Prosagedicht Un mort h8ro"que aus Le Spleen de Paris (1864) hinzuweisen, das sich allerdings ganz auf die Wirkung der Darbietung eines Pantomimen konzentriert und sie mit der Wirkung eines despotischen Willküraktes kontrastiert (Baudelaire: Sämtliche Werke 8, 212–220 [XXVII]); auch hier dominiert also die Sinnbildfunktion. Meyhöfer : Motiv des Schauspielers, 2. Als Beispiel sei auf Sommerset Maughams Roman Theatre verwiesen (1937), in dessen Mittelpunkt eine gefeierte, in die Jahre kommende Bühnenschauspielerin steht. Sie leistet sich zwar eine Romanze mit einem jüngeren Mann, erweist sich aber, als dieser sie für eine junge Schauspielerin verlässt, die auch noch mit ihr auf der Bühne steht, in jeder Hinsicht als ›kalte Schauspielerin‹: Bei den Proben agiert sie absichtlich schwach, um bei der Premiere ihre Konkurrentin an die Wand zu spielen. Nirgends aber wird ihre Spielweise beschrieben. Auch in Alfred Weidemanns 1962 uraufgeführter Verfilmung Julia du bist zauberhaft wird sie auf der Bühne einzig bei Entgegennahme des Beifalls gezeigt, jeweils von hinten gefilmt. Selbst die Formulierung »mit hochgehobnem Kinn« (RKA 1: 556, V. 16) deutet Rehm ausschließlich metaphorisch: »Je höher das Kinn, desto höher der Fall, desto schwerer und unmöglicher noch das Sichbücken nach dem verlorenen Wort« (Rehm: Rilke und die Duse, 352). Ähnliches gilt für bisherige Analysen von Hofmannsthals Schauspieler-Gedichten (Cohn: Hofmannsthals Gedichte für Schauspieler; Exner : Hofmannsthal/Kainz; Ohl: Totengedächtnis und Selbstreflexion) mit Ausnahme von Yates: Harbringers of Change, ein Aufsatz, der den theatergeschichtlichen Quellenwert durch Heranziehung weiterer MimenEkphrasen dokumentiert, ohne allerdings auf deren Struktur und Wirkungsweise einzugehen. Siebenhaar: Lichtenbergs Schaubühne, 17.

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Einführung

sich diese These naheliegenderweise an Lichtenberg Briefen aus England belegen, aber auch an seiner Erklärung der Hogarthschen Kupferstiche – Böttigers Iffland-Monographie referiert, wie zu zeigen sein wird, gleichermaßen auf beide, und zwar insofern sie das Repertoire überkommener ›Pathos-Formeln‹ erweitern. Damit ist der Bereich mentaler Bilder angesprochen, der, wie zu zeigen ist, für das Konzept der Ekphrasis im Allgemeinen und für Mimen-Ekphrasen im Besonderen von zentraler Bedeutung ist; Siebenhaar schenkt ihm allerdings in anderen Bereichen von Lichtenbergs Werk größere Aufmerksamkeit. Meine Analyse wird »das heimliche Strukturprinzip« der Briefe233 als Inszenierung eines dynamischen Wechselverhältnisses mentaler Bilder der Beobachtung, Erinnerung und Imagination fassen; Lichtenberg greift dabei auf die verschiedenen Bildebenen der Schauspielkunst zurück und bezieht auch Bildwerke mit ein. Dabei kann ich an Beobachtungen Roman Lachs anschließen, der aufgezeigt hat, dass Lichtenberg Shakespeare, Hogarth und Garrick vor allem als (Er-) Finder ›lesbarer‹ visueller Zeichen versteht in einer Logik jenseits der LaokoonDichotomien von ›Raum‹- und ›Zeitkünsten‹ oder von ›künstlichen‹ und ›natürlichen Zeichen‹.234

233 Siebenhaar: Lichtenbergs Schaubühne, 199. 234 Lach: Hogarths Methode auf der Bühne; siehe I.2.6.

I

Poetik der Mimen-Ekphrasis

1.

Enargeia, eloquentia corporis und ästhetische Illusion

In der Einführung wurde Ruth Webbs These vorgestellt und weiterentwickelt, wonach das rhetorische Konzept der Enargeia sich am Modell einer Theateraufführung orientiert und dieses Modell auch Ekphrasis im Sinne enargeischer Kunstbeschreibung und Beschreibungskunst prägt. Kapitel I.1 wird darüber hinaus zeigen, – dass antike Ekphrasen, die den Zuhörer oder Leser zum virtuellen Zuschauer machen wollen, bevorzugt auf die Evokation expressiver Körpersprache setzen (I.1.1); – dass dementsprechend Enargeia bei Quintilian implizit zum Wirkungsideal für die actio eines Redners wird und explizit zu ihrer wichtigster Produktionsvoraussetzung (I.1.2);235 – dass dieses rhetorische Modell in der Spätrenaissance und besonders deutlich bei Shakespeare auf schauspielerische Enargeia übertragen wird (I.1.3); – und dass es dementsprechend im 18. Jahrhundert Mimen-Ekphrasen besonders von Shakespeare-Darstellungen prägt (I.1.4).236 Insbesondere ist zu zeigen, wie Teilnehmer an der nun entstehenden Debatte über Schauspielkunst ekphrastische Passagen auf die Gestaltung von Shakespeare-Rollen durch David Garrick einsetzten, der seinen Zeitgenossen als Inbegriff mimischer Enargeia galt. Es ging hier insbesondere um die Modelle vom ›heißen‹ und vom ›kalten Schauspieler‹, beide bereits angelegt bei Quintilian. Dass die Diskussion noch im 20. Jahrhundert virulent ist und sich weiterhin bevorzugt an Garrick orientiert, kann eine Passage aus dem Kriminalroman 235 Dieser Zusammenhang wird auch ausgeführt in Singer : »Grief ’s true picture« und Singer : Intermediale Anschaulichkeit. 236 Einige Aspekte dieser Teilkapitel sowie von I.2.2.5 werden auch, teilweise mit wörtlichen Übereinstimmungen, im demnächst erscheinenden Artikel Singer : »Grief ’s true picture« vorgestellt.

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Poetik der Mimen-Ekphrasis

Hamlet, Revenge des Literaturwissenschaftlers Michael Innes von 1937 belegen, die im letzten Abschnitt dieses Kapitels (I.1.5) vorgestellt wird. Sie bildet einerseits eine narrative Komprimierung des bis dahin behandelten genealogischen Zusammenhangs und legt andererseits eine systematische Frage nahe: Gibt es über den Rekurs auf Körpersprache hinaus typische Schreibstrategien, die darauf zielen, die enargeische Wirkung von Ekphrasen im Allgemeinen und Mimen-Ekphrasen im Besonderen zu fördern? Um diese Frage zu beantworten, werden im folgenden Kapitel (I.2) wiederkehrende Strategien antiker Beschreibungskunst (I.2.1) und Kunstbeschreibung (I.2.2) identifiziert. Zu erproben ist jeweils, ob sie sich auch noch in jener Mimen-Ekphrasis finden, die den wichtigsten Bezugspunkt für Innes’ Roman liefert: der dem Geist seines Vaters begegnende Hamlet, verkörpert von Garrick, beschrieben von Lichtenberg.

1.1

Körpersprache in enargeischer Beschreibungskunst

In seiner Ästhetik der Beschreibung (2006) überträgt Heinz Drügh die Kritik Lessings an beschreibender Dichtung auf das antike Ekphrasis-Modell: Einerseits wolle sie ›Enargeia‹ oder ›Evidentia‹ im Sinne des ›Vor-Augen-Stellens‹ optischer Phänomene erreichen, andererseits setze sie zu diesem Zweck auf die »Anhäufung von Merkmalen des darzustellenden Gegenstands« und widerspreche damit »der üblichen Textökonomie, der zufolge jeweils nur ein Element oder sehr wenige ausgesuchte aus einem Paradigma im Syntagma realisiert werden. […] Folglich steht die Beschreibung stets in der Gefahr, in das Gegenteil von Evidenz, in obscuritas umzuschlagen«, insofern »ihr Zugriff auf die Gegenstände sich in seiner eigenen Textur verstrickt und dadurch die Referenzillusion unterläuft«.237 Drügh untermauert seine Ekphrasis-Auffassung nicht weiter, könnte sich aber immerhin auf die Etymologie berufen: Ek-phrasis bedeutet wörtlich ein ›Zuende-Beschreiben‹ oder ›erschöpfendes Beschreiben‹, was die Erwartung der detaillierten Beschreibung eines ›Körpers‹ nahelegt.238 Im 237 Drügh: Ästhetik der Beschreibung, 17. Dass es in antiker Ekphrasis um die »detaillierte Beschreibung von Dingen« gehe, wird häufig behauptet (hier von Rajewski: Intermedialität, 196, siehe neuerdings auch Giuriato: »klar und deutlich«, 34f.). 238 Siehe Webb: Ekphrasis, Imagination, 74f.; Graf: Ekphrasis, 144. Dem scheint, wie Fritz Graf anführt, die Empfehlung des spätantiken Progymnasmata-Verfassers Nikolaos zu entsprechen: »Wir werden am Anfang anfangen und so zum Ende kommen« (ebd. 147, siehe Nikolaos: Progymnasmata, 70). Das Ergebnis seiner Musterbeschreibung einer Statue ist denn auch tatsächlich, wie Webb anmerkt, »hard to define as ›vivid‹« (Webb: Ekphrasis, Imagination, 186). Doch kann Webb nachweisen, dass es sich hier gerade nicht um eine Muster-Ekphrasis handelt, sondern um eine Übung, die den Blick für bestimmte Elemente der Kunstbetrachtung schärfen soll (ebd. 186f., siehe auch 92).

Enargeia, eloquentia corporis und ästhetische Illusion

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Folgenden soll jedoch gezeigt werden, dass die ›Vollständigkeit‹ antiker Ekphrasis die gelungene Evokation einer imaginären dramatischen ›Szene‹ durch eine Erzählung meint. Auch hierin folge ich Argumentation und Beispielen Ruth Webbs, werde jedoch zusätzlich nachweisen, dass Ekphrasen insbesondere handelnde, typischerweise bewegte ›Körper‹ evozieren, um diese ›Vollständigkeit‹ zu erreichen. Zunächst ist klarzustellen, dass der Begriff ›Beschreibung‹ für Ekphrasis im Sinne rhetorischer ›Beschreibungskunst‹ irreführend sein kann, wenn man ihn vor dem Hintergrund aktuell gebräuchlicher narratologischer Modelle versteht. Jene Dichotomie von ›Erzählen‹ und ›Beschreiben‹, die G8rard Genette als konstitutiv für das moderne Verständnis von Literatur erachtet, greift hier nämlich nicht.239 Im rhetorischen Verständnis geht es vielmehr um die Dichotomie von allgemein gehaltenem, knapp informierendem Bericht (diegesis, lateinisch narratio) und spezifizierendem, anschaulichem Erzählen. Wesentlich bedeutsamer ist die Affinität zu narratologischen Dichotomien wie showing und telling oder ›dramatischem‹ und ›narrativem Modus‹ des Erzählens,240 die letztlich, wenn auch wohl vermittelt, an die antike Tradition anschließen.241 239 Genette: FrontiHres du r8cit, 162, siehe Webb: Ekphrasis, Imagination, 8. 240 Einen konzisen Überblick gibt der Artikel Telling vs. Showing von Tobias Klauk und Tilmann Köppe im Living Handbook of Narratology ; darüber hinaus liefern beide in ihrem Aufsatz On the Very Idea of the Telling vs. Showing Disctinction eine überzeugende Kritik an Unstimmigkeiten der bisherigen (wenig ausgearbeiteten) Konzepte, insbesondere dem von G8rard Genette (Die Erzählung, 104–108), und erarbeiten einen Definitionsvorschlag, der mit der antiken Ekphrasis-Definition durchaus kompatibel ist: »A passage of text (that is about perceptually accessible aspects of the story-world) is in the showing mode if, and only if, readers are invited to vividly imagine what the text is about. Otherwise, the passage is in the telling mode.« (Klauk/Köppe: Telling vs. Showing Distinction, 35) Entscheidend ist, dass es sich um einen »reader-response-approach« handelt und dass die autorisierte Leserreaktion zwar bestimmte Schreibstrategien nahezulegen scheint, aber durchaus auf widersprüchliche Weise erreicht werden kann, so eben auch durch »a great amount of detail« ebenso wie durch wenige, aber prägnante Details. Die für rhetorische Ekphrasis typischen Kunstgriffe, die im Folgenden herauszuarbeiten sind (v. a. in I.2.1), werde ich ins Verhältnis setzen zu solchen, die in der Narratologie dem Modus des showing zugeordnet werden – oder entsprechender Bestandteilen einer binären Terminologie, siehe den zweiten Abschnitt: Explication im Handbuch-Artikel von Klauk/Köppe. Terminologische Varianten zu showing, die deutlich auf das Theater verweisen, sind »szenische Erzählung« (Otto Ludwig), »szenische Darstellung« (Franz K. Stanzel), »scenic mode« (Norman Friedman) und »dramatischer« Modus (Genette); vgl. Mart&nez/ Scheffel: Erzähltheorie, 50. 241 Siehe etwa die Charakterisierung von Flauberts Stil in Madame Bovary durch Percy Lubbok, auf den das Begriffspaar Showing/Telling zurückgef ührt wird: »His object is to place the scene before us, so that we may take it in like a picture gradually unrolled or a drama enacted« (Lubbock: Craft of fiction, 65, siehe Klauk/Köppe: Idea of Telling vs. Showing, o.S.). Andreas Solbachs Studie Evidentia und Erzähltheorie. Die Rhetorik anschaulichen Erzählens in der Frühmoderne und ihre antiken Quellen von 1994 ist eine der wenigen, die auf diesen Zusammenhang aufmerksam machen (bes. 117–120). Allerdings setzt Solbach, dem es v. a. um den Ich-Erzähler in satirischen Romanen des Barock geht, nicht bei den

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Entsprechend verstanden die Verfasser der spätantiken Progymnasmata gerade Bewegung und Handlung als Momente, welche die Anschaulichkeit steigern. So gibt Nikolaos (in Webbs Übersetzung) folgendes Beispiel: »It is [characteristic] of diegesis to say that Athenians and the Pelopennesians went to war, but of ekphrasis [to say] that each side made such and such preparations and equipped itself in this manner (tropos).«242 Ebenfalls auf das Thema Krieg (in der Ausprägung der urbs capta-Tradition),243 rekurriert ein analoges, doch ausführlicheres Beispiel in Quintilians Insitutio oratoria: Zweifellos nämlich erfaßt derjenige, der sagt, die Gemeinde sei erobert worden, alles, was nur ein solcher Schicksalsschlag enthält, jedoch dringt es wie eine knappe Nachricht [velut nuntius] zu wenig tief in unser Gefühl [adfectus]. Wenn du dagegen das entfaltetest [aperias], was alles das eine Wort enthielt, dann wird das Flammenmeer erscheinen [apparebunt], das sich über die Häuser und Tempel ergossen hat, das Krachen der einstürzenden Dächer und das aus den so verschiedenen Lärmen entstehende eine Getöse, das ungewisse Fliehen der einen, die letzte Umarmung, in der andere an den Ihren hängen, das Weinen der Kinder und Frauen und die unseligerweise bis zu diesem Tag vom Schicksal bewahrten Greise; dann die Plünderung der geweihten und ungeweihten Stätten, die Beute, die die Eroberer wegschleppen, deren Umhereilen, um sie einzutreiben, die Gefangenen, die jeder Sieger in Ketten vor sich hertreibt, die Mutter, die versucht, wenigstens ihr eigenes Kind festzuhalten, und, wo es sich um größeren Beuteanteil handelt, der Wettstreit unter den Siegern. Mag auch das Wort ›Zerstörung‹ all das, wie gesagt, umfassen, so ist es doch weniger, das Ganze auszusprechen, als alles. [minus est totum dicere quam omnia]. (Quint. Inst. 8.3. 67–9: 1, 179).244 Aussagen und Beispielen spätantiker Rhetoriker zum Enargeia-Konzept an, sondern bei Bemerkungen Platons zur Mimesis und beim Horaz’schen Begriffspaar des »prodesse« und »delectare«, das er als antagonistisch versteht und in etwas gewagter Weise mit »showing« und »telling« korreliert. 242 Siehe Webb: Ekphrasis, Imagination, 71; im Original: »digc^sir l]m 1stim eQe?m 1pok]lgsam )hgma?oi ja· Pekopomm^sioi7 1jvq\seyr d³, fti toiøde 2j²teqoi paqasjeu0 1wq^samto ja· t`de t` tqºp\ t/r bpk¸seyr« (ebd.) Lohnend wäre eine vergleichende Untersuchung der antiken Beispiele für Diegesis und Ekphrasis mit modernen Beispielen für diese Dichotomie. So führt Ford Madox Fox den Satz »The wicked Mr. Blank shot nice Blanche’s dear cat« als Beispiel für »telling« an und kontrastiert ihn mit einer detailreichen Beschreibung desselben Vorgangs als Beispiel für »rendering« (Ford: English Novel, 122, siehe Klauk/ Köppe: Distance in Fiction, 77). Das Moment der Gewalt verbindet dieses Beispiel mit der zitierten Definition und mit dem demnächst vorzustellenden Beispiel der Plünderung einer Stadt. Ein weiteres spätantikes Beispielpaar bezieht sich auf die Geschichte vom Wahnsinn des Ajax, der eine Schafherde statt seiner Gegner niedermetzelt (siehe Webb: Ekphrasis, imagination, 72; 99; 209f.); hier kommt das Motiv der Wut hinzu, das auch (allerdings deutlich harmloser) Rimmon-Kenans vielzitiertes Beispiel eines wütenden Ehemannes bestimmt (siehe Rimmon-Kenan: Narrative fiction, 109). 243 Siehe Einf. 4. 244 Im Haupttext wird Quintilians institutio oratoria fortan in der Übersetzung von Helmut Rahn zitiert nach folgendem Muster : ›Inst. [Buch]. [Kapitel]. [Absatz]: [Bandangabe von Quintilianus/Rahn: Ausbildung], [Seitenangabe ebd]‹. Der lateinische Text wird jeweils in

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Auf den ersten Blick geht es hier tatsächlich um ›restlose Beschreibung‹, zumal in der Formel vom ›Alles-Aussprechen‹ sogar die erwähnte Etymologie von ›Ekphrasis‹ anklingt.245 Doch fügt Quintilian keineswegs Details von ›Körpern‹ im Sinne Lessings aneinander, sondern ›Handlungen‹, die sich durch starke Dynamik und intensive optische und akustische Wirkung auszeichnen. Gewiss dürfte die Inszenierung aller hier ›erscheinenden‹ Aktionen die technischen Möglichkeiten und Aufführungskonventionen der antiken Bühne gesprengt haben, so dass die ›Vorstellung‹ aus heutiger Sicht eher filmisch anmutet.246 Doch wurde das auf der Bühne Gezeigte gerade im Fall von Kriegshandlungen durch zwei Kunstgriffe ergänzt, die der Ekphrasis verwandt sind, insofern sie auf der Bühne nicht gezeigte Vorgänge erzählend ›vor Augen führen‹: Botenbericht und Mauerschau.247 Genuin ›dramatisch‹ auch nach Maßgabe antiker Bühnenkonventionen sind die miteinander kontrastierenden Aktionen von Protagonisten und Antagonisten: Die Brutalität der Eroberer drückt sich in Handlungen aus, das Leid der Eroberten vor allem in expressiver Körpersprache. Solche Konzentrate aus ›Affekten und Figuren‹ (um an Plutarchs Formulierung zu erinnern, siehe Einf. 4) finden sich auch in Tragödien wie etwa den Troerinnen und frühneuzeitlichen Historiengemälden;248 mit Aby Warburg könnte man sie als ›Pa-

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der Fußnote ergänzt, gefolgt von Band- und Seitenangabe ebd. in Klammern: »sine dubio enim qui dicit expugnatam esse civitatem, complectitur omnia, quaecumque talis fortuna recipit, sed in adfectus minus penetrat brevis hic velut nuntius. at si aperias haec, quae verbo uno inclusa erant, apparebunt effusae per domus ac templa flammae et ruentium tectorum fragor et ex diversis clamoribus unus quidam sonus, aliorum fuga incerta, alii extremo complexu suorum cohaerentes et infantium feminarumque ploratus et male usque in illum diem servati fato senes: tum illa profanorum sacrorumque direptio, efferentium praedas repetentiumque discursus et acti ante suum quisque praedonem catenati et conata retinere infantem suum mater et, sicubi maius lucrum est, pugna inter victores. licet enim haec omnia, ut dixi, complectatur ›eversio‹, minus est tamen totum dicere quam omnia.« (1, 178). So charakterisiert Heinrich F. Plett in seiner Monographie zur Enargeia bei der Interpretation diese Quintilian-Passage als »a detailed description« (Plett: Enargeia, 10). Doch kommt er bei seiner Sichtung klassischer Quellen und ihrer humanistischer Rezeption im ersten Kapitel (7–22) zu weitergehenden Befunden und hält insbesondere fest, dass es um die Erzeugung von »imaginary scenes« (9) gehe, ohne allerdings diese Bestimmung auszuführen. Dass es in antiker Erzählliteratur eine film-analoge Phantasie gab, behauptet Philipp Fondermanns Studie zu Ovides Metamorphosen bereits im Titel: Kino im Kopf. Siehe die Analyse der dramatischen Funktion von Botenberichten in Jong: Euripedian Messenger Speech, bes. 172–177. Dort spielen die erst Jahrhunderte nach Euripides geprägten Begriffe Ekphrasis und Enargeia zwar keine Rolle, doch ist das Modell präsent über ein Horaz-Zitat (Hor. ars 179–182), das den Ausgangspunkt von Jongs Schlussbetrachtung bildet. Einen expliziten Zusammenhang zwischen Botenbericht, Mauerschau und Ekphrasis sieht Claudia Benthien: Augenzeugenschaft und sprachliche Visualisierung im Drama, bes. 362–365. Da die Meisterwerke antiker Malerei verloren sind, musste man sich in der Neuzeit an

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thosformeln‹ im Sinne von »Ausdrucksformen des maximalen inneren Ergriffenseins« bezeichnen.249 Nach Quintilian soll sich das Leiden der Figuren dem »Gefühl« der Rezipienten mitteilen, so dass auch sie »Jammer« (miseratio) empfinden. Im Unterschied zur zitierten Übersetzung würde ich allerdings, den lateinischen Begriff aufgreifend, vom ›Affekt‹ sprechen: »Affekt meint im alten griechischen Sprachgebrauch, als spezieller Bedeutung des umfassenderen Begriffs ›Pathos‹, etwas, das einem zustößt.«250 Insofern sind Affekte sowohl für die Theorie der griechischen Tragödie, speziell die Katharsis-Lehre,251 einschlägig, als auch für die Rhetorik: Ekphrasis gehört in den Zusammenhang der bis an die Schwelle der Aufklärung gültigen Affektenlehre, die auf die gezielte emotionale Manipulation der Hörer ausgerichtet ist.252 Quintilians Beispiel verdeutlicht, dass die Weckung von Affekten nicht etwa ein bloßes Hilfsmittel zur Hervorrufung mentaler Bilder ist, sondern dass diese im Gegenteil auf die Affekte wirken und den Hörer manipulieren sollen, vergleichbar mit dem Einsatz von Bildern in Werbung und Propaganda. Damit steht die Funktion rhetorischer Ekphrasen im deutlichen Gegensatz zur Funktion jener frühgriechischen Kunstbeschreibungen, die, der erwähnten modernen Ekphrasis-Konstruktion zufolge, am Anfang der Gattung stehen sollen. Insbesondere Homers angebliche Ur-Ekphrasis, die Beschreibung von Achills Schild, unterbricht die Haupthandlung und bietet eine implizite Reflexion über die Dichtung als Ganzes.253 Für jene rhetorische Ekphrasis dagegen, welche die Progymnasmata-Definition meint, wäre eine Reflexion über die Medialität der Darstellung schlichtweg kontraproduktiv. Sie

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späthellenistische Skulpturen wie die Laokoon-Gruppe halten oder auf Beschreibungen zurückgreifen (z. B. Plutarch: De gloria Atheniensium §2, mor.346F – unmittelbar vor der in Einf. 4 zitierten Passage – oder auch Quint. int. II.13. 13–14). Den Einfluss des EnargeiaKonzepts auf die frühneuzeitliche Historienmalerei haben von Rosen und Wolfgang Brossat am Beispiel von Raffaels Brand des Borgo diskutiert, bei dem ein Einfluss von Quintilians urbs capta-Passage wahrscheinlich ist (von Rosen: Enargeia des Gemäldes, 192–197; Brossat: Historienbild, 45–48). Warburg: Gesammelte Schriften 2.1, 3; dazu grundlegend Port: ›Katharsis des Leidens‹. Kolesch: Gefühl, 120. Eine Einführung in den aktuellen Stand der Forschung zur aristotelischen Katharsislehre gibt Arbogast Schmitts Kommentar zu Aristoteles/Schmidt: Poetik, 333–348 und bes. 466– 510; zu Konzept und Wirkungsgeschichte siehe Mittenzwei: Katharsis; immer noch hilfreich auch Fuhrmann: Dichtungstheorie, 101–110. Siehe Campe: Affekt und Ausdruck, bes. 71ff., 119–123, 304–08. Hom. Il. 18, 478–608. Grundlegend Simon: Der Schild des Achill; zur »interventive ekphrasis« siehe Elsner: Genres of ekphrasis, bes. 3–9. Als Inbegriff von Ekphrasis im Sinn von Kunstbeschreibung fungiert der Schild des Achilles bereits bei Walther Killy (Sprache der Bildbeschreibung) und neuerdings bei Sharar Bram, der behauptet, dass Ekphrasis sich mit einem räumlich gedachten Modell von Textualität verbinde und somit »[t]he creative dimension of time, its ›fluency‹, its ›becoming‹, its ›movement‹« vernachlässige (Bram: Ekphrasis as Shield, 376).

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folgen vielmehr dem Prinzip des celare artem, das vielleicht nicht dem Begriff, wohl aber der Sache nach aus der antiken Rhetorik stammt.254 Der genaue Blick auf Quintilians Skizze einer urbs-capta-Ekphrasis hat also gezeigt, dass ekphrastisches ›Alles-Sagen‹ keineswegs auf eine erschöpfende Abarbeitung von Details eines ›Körpers‹ zielt. Darüber hinaus erweist sein Kommentar zu einer ekphrastischen Passage bei Cicero, dass sogar kurze Ekphrasen ›vollständig‹ sein können: Oder ist jemand so unempfänglich für die Gabe, die Dinge bildhaft aufzufassen [a concipiendis imaginibus], daß er nicht, wenn er die Stelle in den Reden gegen Verres liest: ›Da stand in seinen Pantöffelchen der Prätor des römischen Volkes mit purpurnem Griechenumhang und bis zum Knöchel reichenden Leibrock auf sein Dämchen gestützt am Gestade‹, nicht nur meint, die Personen selbst vor sich zu sehen, die Örtlichkeit sowie ihre Aufmachung, sondern sich auch manches von dem, was nicht gesagt worden ist, selbst hinzuergänzt? Ich jedenfalls meine deutlich seinen Gesichtsausdruck vor meinen Augen zu sehen und die Augen und die ekelhaften Zärtlichkeiten der beiden einerseits und auf der anderen Seite die stumme Gebärde der Ablehnung bei den Anwesenden und ihre betretene Scheu. (Quint. Inst. 8.3. 64–65: 2, 177)255

Die zu erreichende Vollständigkeit ist also nicht auf Seiten des Textes zu verorten, sondern auf Seiten des Rezipienten, der sich die fehlenden Züge ergänzt. Dieses Verständnis ist nicht auf die antike Rhetorik beschränkt: Es sei daran erinnert, dass auch Julius Bab zufolge »die immer wiederholte Wendung: es sei unmöglich, sich Wesen und Werk einmal gestorbener Schauspieler vorzustellen, 254 John Dryden (bzw. seine Dialogfigur Crites) bezeichnet in seinem Essay of Dramatic Poesy (1668) den Satz »Ars est celare artem« (die Kunst liegt darin, die Kunst zu kaschieren) als »that maxime of all Professions« (Dryden: Dramatic Poesie). Die Maxime wird oft fälschlich Ovid zugeschrieben, doch ist der Ursprung ungeklärt (am nächsten kommt die Formulierung »ars adeo latet arte sua« aus Ovids Pygmalion-Erzählung, Ov. Met. 10, V. 252, zit. nach Jones: Reading Ovid, 223, siehe Komm. ebd.). Der Grundgedanke findet sich jedoch meines Erachtens bereits in Aristoteles’ Rhetorik, wobei bemerkenswerterweise Überlegungen zu wirkungsvoller Textgestaltung und zu überzeugenden Theaterdeklamation ineinander übergehen: Im Gegensatz zur Versrede sei es in Prosarede wichtig, deren Gemachtheit zu verbergen und den Eindruck von Natürlichkeit zu erzeugen, da die Zuhörer sonst misstrauisch würden. In vergleichbarer Weise habe die kunstvolle Deklamation des Schauspielers Theodoros die Aufmerksamkeit auf dessen eigene Stimme gelenkt stattt auf die der Rollenfigur. Hingegen greife Euripides erfolgreich auf die Umgangssprache zurück (Aristot. rhet. 2.2.3–5.). 255 Das unterstrichene »nicht« habe ich eingefügt, weil Rahn übersieht, dass Quintilian hier eine doppelte Verneinung gebraucht: »[A]n quisquam tam procul a concipiendis imaginibus rerum abest, ut non, cum illa in Verrem legit: ›stetit soleatus praetor populi Romani cum pallio purpureo tunicaque talari muliercula nixus in litore‹, non solum ipsos intueri videatur et locum et habitum, sed quaedam etiam ex iis quae dicta non sunt sibi ipse adstruat? Ego certe mihi cernere videor et vultum et oculos et deformes utriusque blanditias et eorum, qui aderant, tacitam aversationem ac timididam verecundiam.« (Inst. 2, 176; siehe Cic. Verr. 2.5.86).

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auf Unkenntnis oder Phantasielosigkeit beruht«.256 Dass ›Leer‹- und ›Unbestimmtheitsstellen‹ eines Textes von den Rezipienten ergänzt werden, ist auch eine Grundannahme der Rezeptionsästhetik und moderner Theorien ästhetischer Illusionsbildung. Wie sie dies allerdings tun, ist nach modernem Verständnis von spezifischen Dispositionen des jeweiligen Lesers abhängig.257 Quintilian jedoch glaubt eben dieses Wie präzise vorhersagen zu können, und zwar für alle ›empfänglichen‹ Leser. Diese Zuversicht lässt sich zurückführen auf ein antikes Modell vom engen Zusammenhang zwischen Wahrnehmung, Erinnerung und Imagination. Es deutet sich bereits in der ersten Sophistik an, findet bei Aristoteles seinen prägnantesten Ausdruck, wird in der Stoa verfeinert und prägt noch bei den Rhetoriklehrern der römischen Republik und Kaiserzeit insbesondere die Lehre der inventio und memoria; an dieser Stelle kann es nur knapp skizziert werden.258 Noch der deutsche Begriff (Sinnes-)›Eindruck‹, eine wörtliche Übersetzung von ›Impression‹,259 erinnert an eine von Aristoteles formulierte Analogie: Sinnesdaten, insbesondere optische, werden in der menschlichen Seele repräsentiert wie ein Siegelring, der einen bleibenden Eindruck in Wachs hinterlässt.260 Diese Repräsentation ist, mit dem Semiotiker Charles Sanders Peirce gesprochen, sowohl ›indexikalisch‹, d. h. sie steht in einem Kausalitätsverhältnis zum Repräsentierten, als auch ›ikonisch‹, das heißt, sie steht in einem Ähnlichkeitsverhältnis.261 Aristoteles und insbesondere die stoischen Fortsetzer seiner Theorie veranschaulichen gerne das besagte Ähnlichkeitsverhältnis, aber auch die Permanenz der gespeicherten Phantasmata in der Erinnerung durch eine weitere Metapher : Gemälde in der Seele.262 Diese könne man jederzeit in Ruhe aufrufen und ›betrachten‹. Somit ist ein Vermögen der Phantasia ange256 Bab: Kränze dem Mimen, 65, siehe Einf. 1. 257 Webb schlägt ausdrücklich die Brücke zwischen Quintilian und Wolfgang Iser (Webb: Ekphrasis, Imagination, 109) unter Verweis auf Iser: Akt des Lesens (siehe jedoch bereits Iser: Appellstrukturen, bes. 23). Näher bei Quintilian als das Iser’sche Konzept der »Leerstelle« (Iser : Appellstrukturen, 23; Iser: Akt des Lesens, 284), das auch die Subjektivität der jeweiligen Interpretation berücksichtigt, liegt Ingardens »Unbstimmtheitsstelle« (Ingarden: Vom Erkennen, z. B. 49f.), die, ungefähr Quintilians Vorstellung entsprechend, im Sinn einer eher mechanischen Ergänzungsleistung gedacht ist (für einen Überblick siehe Richter : Wirkungsästhetik). Jenseits der Literaturwissenschaft sind grundlegend Gombrich: Art and Illusion, 181–299; Kemp: Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik; zu den »rezipientenseitigen Faktoren« der »Illusionsbildung« im Allgemeinen siehe Wolf: Illusionsbildung, 271 bzw. Anm. 86 meiner Einführung; zwischen Text- und ›Kunstlektüre‹ vermittelt Gross: Lese-Zeichen. 258 Meine Darstellung folgt Webb: Ekphrasis, Imagination, 113–119; siehe auch Dross: Phantasia et enargeia. 259 Siehe Grimm: Wörterbuch 3, 846. 260 Aristot. De memoria 450a 25–32., siehe Webb: Ekphrasis, Imagination, 112. 261 Peirce: Semiotische Schriften 2, 98–126, vgl. Trabant: Semiotik, 31f. 262 Nachweise in Webb: Ekphrasis, Imagination, 112.

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sprochen, die nicht als erfindend gedacht wird, sondern als findend. Entscheidend ist nun, dass die Antike von relativ ähnlichen Erfahrungen einer Gemeinschaft und damit einer überindividuellen »Gallery of the Mind« ausgeht.263 So gesehen, braucht ein Redner optische Eindrücke nicht ›auszumalen‹, sondern nur aufzurufen. Dennoch ist auch für Quintilians Beispiel nicht die Grundvorstellung eines gemalten Bildes entscheidend, sondern die einer theatralischen Szene: Er stellt sich Zuschauer vor, die auf »die ekelhaften Zärtlichkeiten« der beiden Akteure mit stummer Betretenheit reagieren. Damit folgt er einer Vorgabe Ciceros, der die zitierte Passage durch zwei Erwähnungen eines intradiegetischen Publikums einrahmt. Unmittelbar vor der Passage heißt es: »Unser pflichttreuer Prätor sah die Flotte während seiner ganzen Amtszeit gerade so lange, wie sie an seinem schandbaren Zechgelage vorüberfuhr ; er selbst, den man schon viele Tage nicht mehr gesehen hatte, zeigte sich damals doch auf kurze Zeit den Blicken der Seeleute«.264 Die Szene ist intern fokalisiert aus Sicht der Seeleute, die gerade, jämmerlich ausgerüstet, zur Jagd auf Piraten in See stechen, während sich ihr Oberbefehlshaber in unwürdiger Kleidung zur Schau stellt. Unmittelbar nach dem von Quintilian zitierten Satz wird dieses ›Schauspiel‹ auf ein größeres Publikum bezogen: »Schon oft hatten ihn zahlreiche Sizilier und römische Bürger in dieser Kleidung gesehen.«265 Würdelos ist aber bei Cicero nicht nur die Kleidung, sondern vor allem die Körpersprache des auf seine Mätresse gestützten Verres – in Ergänzung zu Warburg könnte man hier von einer ›Lächerlichkeitsformel‹ sprechen. Sie wird von Quintilian imaginativ ergänzt um Verres’ »Gesichtsausdruck […] und die Augen und die ekelhaften Zärtlichkeiten der beiden«; auch die Reaktion der Anwesenden äußert sich als »stumme Gebärde der Ablehnung«. Damit ist auch die gewünschte Reaktion von Ciceros Publikum benannt, das gegen den Angeklagten eingenommen werden soll; sie überträgt sich idealerweise sogar auf einen nachgeborenen Leser wie Quintilian und macht ihn zum virtuellen Zuschauer. Im nächsten Teilkapitel jedoch soll es um das reale Publikum einer Rede und um die reale Körpersprache des Redners gehen. In diesem Zusammenhang nämlich spricht Quintilian explizit von ]m\qceia und von Ciceros Übersetzung dieses Begriffs.

263 Webb: Ekphrasis, Imagination, 107 (Überschrift). 264 Cicero: Reden gegen Verres 2, 511. »Tam diu in imperio suo classem iste praetor diligens vidit quam diu convivium eius flagitioissimum praetervecta est; ipse autem, qui visus multis diebus non esset, tum se tamen in conspectum nautis paulisper dedit.« (ebd. 510; Cic. Verr. 2.5.86). 265 Cicero: Reden gegen Verres 2, 513. »Iam hoc istum vestitu Siculi civesque Romani permulti saepe viderant.« (ebd. 512; Cic. Verr. 2.5.86).

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Poetik der Mimen-Ekphrasis

1.2

Enargeia und actio bei Quintilian

Im Dienst der Affektmanipulation stehen nicht nur Ekphrasen mit ihrer Tendenz zur Hervorhebung von Körpersprache, sondern auch die Gesten des sie gebrauchenden Redners, denen sich Quintilian vor allem in Buch IX der Institutio zuwendet. Deren Macht begründet er unter Berufung auf diverse Beispiele, die auch für das Thema Mimen-Ekphrasis relevant sind: Denn es machen nicht nur die Hände, sondern auch schon Winke unseren Willen klar und dienen bei Stummen als Sprache; auch das Tanzen versteht man häufig ohne Worte und läßt sich davon beeindrucken; ferner läßt sich aus Miene und Gang die Geistesverfassung entnehmen, und auch bei Lebewesen, die keine Sprache besitzen, lässt sich Zorn, Freude, Schmeichelei sowohl an den Augen wie auch an körperlichen Merkmalen ablesen. Kein Wunder, daß diese Gebärden, die ja doch auf einer Art von Bewegung beruhen, so stark auf den Geist wirken, da ja ein Gemälde, ein Werk, das schweigt und immer die gleiche Haltung zeigt, so tief in unsere innersten Gefühle eindringen kann, daß es ist, als überträfe es selbst die Macht des gesprochenen Wortes [vim dicendi]. Wenn umgekehrt Gebärde und Miene mit der Rede in Widerspruch steht, wir also Trauriges mit heiterer Miene sagen oder etwas mit Kopfschütteln bekräftigen, so dürfte gewiß den Worten nicht nur aller Nachdruck [auctoritas], sondern sogar die (schlichte) Glaubwürdigkeit [fides] fehlen. Auch die Schönheit (unseres Auftretens) [decor] kommt von Gebärdenspiel und Bewegung. Und deshalb pflegte Demosthenes sich seinen Vortrag zurechtzulegen [componere], indem er dabei in einen großen Spiegel schaute. So sehr schenkte er, obwohl der Schimmer ihm die Bilder [imagines] seitenverkehrt zeigte, nur erst den eigenen Augen Vertrauen darüber, wie das Gebärdenspiel wirkte. (Inst. 11.3, 66–68: 2, 635)266

Hervorzuheben ist erstens der Vergleich zwischen Wort und Bild: Gemälde haben aufgrund ihrer konstitutionellen Visualität einen prinzipiellen Vorteil hinsichtlich Energeia und Affektmanipulation. In dieser Hinsicht scheinen sie jener vis dicendi, die den hauptsächlichen Gegenstand der Rhetorik bildet, sogar überlegen.267 Dies ist zumal dann der Fall, wenn Gemälde auf ›Körper-Sprache‹

266 »[Q]uippe non manus solum, sed nutus etiam declarant nostram voluntatem et in mutis pro sermone sunt, et saltatio frequenter sine voce intellegitur atque adficit, et ex vultu ingressuque perspicitur habitus animorum, et animalium quoque sermone carentium ira, laetitia, adulatio et oculis et quibusdam aliis corporis signis deprenditur. nec mirum si ista, quae tamen in aliquo posita sunt motu, tantum in animis valent, cum pictura, tacens opus et habitus semper eiusdem, sic in intimos penetret adfectus, ut ipsam vim dicendi nonnumquam superare videatur. contra si gestus ac vultus ab oratione dissentiat, tristia dicamus hilares, adfirmemus aliqua renuentes, non auctoritas modo verbis sed etiam fides desit. decor quoque a gestu atque motu venit. Ideoque Demosthenes grande quoddam intuens speculum componere actionem solebat: adeo, quamvis fulgor ille sinistras imagines reddat, suis demum occulis credidit, quod efficerit.« (2, 634). 267 Siehe Till: Rhetorik und Schauspielkunst, 62.

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rekurrieren und damit sogar Stummheit und Starre als typische mediale Nachteile von Mimesis in bildender Kunst kompensieren. Zweitens wird aber auch das Gebärdenspiel (gestus) des Redners als eine Art Kunstwerk verstanden. Es ist nämlich, wie das Beispiel des Demosthenes zeigt, mit Kalkül und Kunstfertigkeit ›komponiert‹, dabei aber wirkungsvoller als ein Gemälde, weil es sich mit Bewegung und Stimme verbindet. Dabei gilt das Gebot des celare artem: Rhetorische actio – so der eingeführte Begriff für Gestik und Mimik als Teilaspekt der Rhetorik –268 soll möglichst ebenso spontan und glaubwürdig wirken wie jene zu Beginn der Passage thematisierte ›Körpersprache‹, die natürlicherweise die Alltagsrede des Menschen unterstützt. Damit stellt sich die Frage, wie der Redner eine möglichst enargeische actio erzielen kann, zumal er seinen Körper ja nur bruchstückhaft sieht. Das Beispiel des vor einem Spiegel probenden Demosthenes legt eine Vorgehensweise nahe, die an der äußeren Erscheinung ansetzt und sie durchgehend kontrolliert. In diesem Sinne lassen sich jene Ge- und Verbote verstehen, die Quintilian im dritten Kapitel des elften Buches entwickelt: Er gibt detaillierte Anweisungen für Atemübungen, Stimmtechnik, Körperhaltung, Bewegungen und Gebärden bis hinein in die Fingerhaltung. Dabei werden immer wieder Vergleiche zu Schauspieltechniken eingeschaltet, die sowohl Gemeinsamkeiten wie Unterschiede herausstellen.269 Die Verabsolutierung dieses Aspekts von Quintilians actioTheorie sollte in späteren acting-Theorien zum Modell des kalten Schauspielers führen, der seine Mimik kontrolliert und nur auf Wirkung bedacht einsetzt, ohne zu fühlen, was er zu fühlen vorgibt. Doch schlägt Quintilian komplementär dazu eine Methode vor, welche die Körpersprache als Ausdruck von Leidenschaften ansieht und dem Redner deshalb empfiehlt, seine eigenen Leidenschaften zu manipulieren: Wir sollten »bei dem, was der Wahrheit gleichen soll, auch selbst in unseren Leidenschaften [adfectibus] denen gleichen, die wirkliche Leidenschaften durchmachen, und unsere Rede sollte aus einer Gemütsstimmung [animo] hervorgehen, wie wir sie auch bei dem Richter zu erzeugen wünschen« (Inst. 6.2, 27: 1, 709).270 Soweit ist dieser Gedankengang noch traditionell und insbesondere bei Cicero und Horaz vorgeprägt.271 Innovativ jedoch ist die weitere Argumentation, in deren Verlauf Quintilian allererst den Begriff Enargeia explizit erwähnt und seine lateinische Übersetzung diskutiert. Die Passage muss hier auch deshalb vergleichsweise 268 Siehe Steinbrink: Actio, bes. 43. 269 Siehe Maier-Eichhorn: Gestikulation, Übersicht 31–35. 270 »[…] [I]n his, quae esse veri similia volemus, simus ipsi similes eorum, qui vere patiuntur, adfectibus, et a tali animo proficiscatur oratio, qualem facere iudici volet.« (2, 708). 271 Siehe Cicero: De orat. 2. 189 und Horaz: Ars, 102. Auf Inst. 6.2, 27 beruft sich beispielsweise Sulzers Artikel »Schauspiehler, Schauspiehlkunst« von 1774 (Sulzer : Allgemeine Theorie 2, 1082).

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ausführlich zitiert werden,272 weil sie die Grundlage für das Modell vom ›heißen Schauspieler‹ bildet: Aber wie ist es möglich, sich ergreifen zu lassen? Die Gemütsbewegungen stehen doch nicht in unserer Gewalt! […] Jeder, der das, was die Griechen vamtas_ai nennen – wir können ›visiones‹ (Phantasiebilder)[273] dazu sagen –, wodurch die Bilder abwesender Dinge so im Geiste vergegenwärtigt werden, daß wir sie scheinbar vor Augen sehen und sie wie leibhaftig vor uns haben, jeder also, der diese Erscheinungen gut erfaßt hat, wird in den Gefühlswirkungen am stärksten sein. […] [D]as kann uns, wenn wir wollen, leicht gelingen. Umgeben uns doch schon in Zeiten der Muße, wenn wir unerfüllten Hoffnungen nachhängen und gleichsam am hellen Tage träumen, solche Phantasiebilder so lebhaft [als ob wir auf Reisen wären, zu Schiffe führen, in der Schlacht ständen, zum Volke redeten oder über Reichtümer, die wir nicht besitzen, verfügten, und das alles nicht nur in Gedanken, sondern wirklich täten. Sollen wir aus dieser Schwäche nicht einen geistigen Gewinn machen? Ich habe Klage zu führen, ein Mann sei erschlagen. Kann ich da nicht all das, was, als es wirklich geschah, vermutlich vorgefallen ist, vor Augen haben? Wird nicht plötzlich der Mörder hervorbrechen? Nicht das Opfer voll Angst aufschrecken? Wird es schreien, bitten oder flehen? Werde ich nicht den Schlag fallen, das Opfer zusammenbrechen sehen? Wird sich nicht sein Blut, seine Blässe, sein Stöhnen und schließlich sein letzter Todesseufzer meinem Herzen tief einprägen?// Daraus ergibt sich die ]m\qceia (Verdeutlichung), die Cicero ›illustratio‹ (Ins-Licht-Rücken) und ›evidentia‹ (Anschaulichkeit) nennt, die nicht mehr in erster Linie zu reden, sondern vielmehr das Geschehen anschaulich vorzuführen scheint, und ihr folgen die Gefühlswirkungen [adfectus] so, als wären wir bei den Vorgängen selbst zugegen. (Inst. 6.2, 29–32: 2, 709; 711).274

272 Selbst in der grundlegenden Studie Scholz: Ekphrasis and Enargeia in Quintilian’s Institutionis oratoriae libri xii. wird diese Passage nur sehr knapp zitiert (20) und nicht thematisiert, dass Enargeia hier nicht als Wirkung eines Textes aufgefasst ist, sondern als Voraussetzung für mitreißende actio (wobei in der gelungenen Rede beides zusammenwirkt). 273 In dieser Passage stehen, der Vorlage entsprechend, in runden Klammern erläuternde Übersetzungen Helmut Rahns. 274 »[A]t quo modo fiet, ut adficiamur? neque enim sunt motus in nostra potestate. […] quas vamtas_ai Graeci vocant (nos sane visiones appellemus),per quas imagines rerum absentium ita repraesentantur animo ut eas cernere oculis ac praesentes habere videamur, has quisquis bene conceperit, is erit in adfectibus potentissimus. […] quod quibus nobis volentibus facile continget. nisi vero inter otia animorum et spes inanes et velut somnia quaedam vigilantium ita nos hae, de quibus loquor, imagines prosequuntur, ut peregrinari, navigare proeliari populous adloqui, divitiarum, quas non habemus, usum videamur disponere, nec cogitare, sed facere: hoc animi vitium ad utilitatem non transferemus? hominem occisum queror : non omnia, quae in re praesenti accidisse credibile est, in oculis habebo? non percussor ille subitus erumpet? non expavescet circumventus? exclamabit vel rogabit vel fugiet? non ferientem, non concidenten videbo? non animo sanguis et pallor et gemitus, extremus denique exspirantis hiatus insident?// insequentur ]m\qceia, quae a Cicerone inlustratio et evidentia nominatur, quae non tam dicere videtur quam ostendere, et adfectus non aliter, quam si rebus ipsis intersimus sequentur.« (2, 708; 710).

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Am Schluss der Passage lenkt Quintilian wieder in den auch für Progymasmata typischen Zusammenhang ein und bestimmt Enargeia als Effekt ekphrastischer Passagen in Texten, und zwar sowohl Redetexten (einer Anklagerede in einem Mordprozess) als auch epischen Texten: Es folgen mehrere Verse aus kriegerischen Erzählzusammenhängen in Vergils Aeneis.275 Bemerkenswert für den vorliegenden Zusammenhang ist dabei erstens, dass Quintilian eigentlich von der Körpersprache des Redners ausgeht und die Passage insgesamt es rechtfertigt, von einer ›Enargeia der actio‹ zu sprechen. Zweitens ist das, was durch Enargeia bewirkt werden soll – die Erzeugung von Emotion über Phantasiebilder – hier bereits Voraussetzung sowohl für die Produktion eines enargeischen Textes wie für dessen enargeische Verkörperung durch den Redner ; insofern kann man auch von ›actio dank Energeia‹ sprechen. So ergibt sich eine Wirkungskette innerer und äußerer Bilder und damit einhergehender oder durch sie ausgelöster Affekte, die als Modell nicht nur die frühneuzeitliche Theorie oratorischer eloquentia corporis prägt, sondern auch die daraus hervorgehende Schauspieltheorie. Diese wiederum hängt eng mit der Entstehung ästhetischer Illusion im Theater der frühen Neuzeit zusammen, für die Shakespeare das wirkungsmächtigste Beispiel ist. Besonders deutlich wird dies am Beispiel des Quintilian-Schülers Hamlet.

1.3

Enargeische actio und ästhetische Illusion in Hamlet

Wenn Quintilian behauptet, einem Redner könne die für enargeische actio nötige Selbstaffizierung durch Phantasie »leicht gelingen«, scheint er ein rein instrumentelles Verständnis von Affekten und ihrer Wirkungsweise auf animus und Körper des Redners zu haben. Wenig später jedoch bewertet er diesen Mechanismus als erstaunlich, wenn nicht gar bedrohlich und geht dabei bemerkenswerterweise von einer Beobachtung im Theater aus: Oft habe ich es erlebt, daß Schauspieler und Komödianten [histriones atque comoedos], nachdem sie nach einem ernsteren Auftritt die Maske abgelegt hatten, noch weinten, wenn sie hinaustraten. Wenn aber bei Stücken, die andere geschrieben haben, allein schon das Vortragen nur durch erdichtete Gefühle eine solche Bewegung mit sich bringt, was werden wir erst tun, die wir darauf sinnen müssen, wie wir uns in den Stand setzen, so gerührt zu werden, als wären wir die vom Prozeß Bedrohten selbst? (Inst. 6.2, 35: 1, 713)276

275 Nämlich Verg. Aen. 9, V. 474 (Teil einer urbs capta-Passage); 11, V. 40; 11, V. 89; 10, V. 782; siehe Quintilianus/Rahn: Ausbildung, 710f. 276 »[V]idi ego saepe histriones atque comoedos, cum ex aliquo graviore actu personam deposuissent, flentes adhuc egredi. quod si in alienis scriptis sola pronuntiatio ita falsis

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Quintilian thematisiert den Status der die Affekte auslösenden phantasia: Ein Schauspieler muss Gefühle fiktiver Figuren glaubhaft machen, ein Redner dagegen – hier als Verteidiger vor Gericht – muss sich in eine Situation hineinversetzen, die zwar nicht die eigene ist, aber doch sehr real und deshalb noch geeigneter, seinen eigenen Gefühlshaushalt nachhaltig zu gefährden.277 Die Abhängigkeit frühneuzeitlicher Schauspielpraxis von Quintilians actioLehre bezeugt Hamlets berühmte Reaktion auf die Rezitation des First Player einer Schauspieltruppe, die sich wie eine Variation der eingangs zitierten Passage liest: Is it not monstrous that this player here, But in a fiction, in a dream of passion, Could force his soul so to his own conceit That from her working all his visage wann’d, Tears in his eyes, distraction in his aspect, A broken voice, and his whole function suiting With forms to his conceit? And all for nothing! For Hecuba! (Ham. 2.2, V. 545–552: 269f.)278

Anders als ein antiker Schauspieler trägt der moderne player keine starre Maske und muss die zu vermittelnden Gefühle durchgehend über Mimik vermitteln. Das verbindet ihn mit der performativen Situation des Redners; ihr ist die von Hamlet kommentierte Darbietung auch insofern angenähert, als der player nicht eine durch Verkleidung markierte Rolle spielt, sondern eine »passionate speech« (Ham. 2.2, V. 428: 262) vorträgt.279 Diese lässt sich dem ekphrastischen Genre der urbs capta zuordnen – es geht um deren Urmodell, die Zerstörung Trojas –, sie entspricht aber auch Quintilians Beispiel für eine gezielt zu erzeugende phantasia: Im Mittelpunkt steht der Mord an König Priamos, begangen vor den Augen seiner Gemahlin Hekuba, die, wie Hamlets Kommentar erkennen lässt, als Perspektivfigur analog zu den Seeleuten in Ciceros Verres-Ekphrasis fungiert. accendit adfectibus, quid nos faciemus, qui illa cogitare debemus, ut moveri periclitantium vice possimus?« (1, 712). 277 Der Ausdruck ›Gefühlshaushalt‹ ist bewusst gewählt: Er verweist auf das antike, über Galen in die frühe Neuzeit vermittelte Modell eines Gleichgewichts der Säfte als Grundlage der Gesundheit, das durch heftige Affekte oder Leidenschaften gefährdet ist. Vor diesem Hintergrund gilt der Schauspieler, der sich immer wieder gezielt fremden Affekten aussetzen muss, in der frühen Neuzeit als ebenso bewundernswert wie gefährdet (siehe Roach: The Player’s Passion, 37–42). 278 Die Seitenangabe nach dem Doppelpunkt bezieht sich auf Harold Jenkins’ Arden-Ausgabe von 1982. 279 Meine Interpretation stützt sich vor allem auf Levin: Explanation of the Player’s Speech; siehe auch Johnston: The Player’s Speech in Hamlet. Als überholt gelten darf die Interpretation der Rede als Parodie in Bethell: Rede des Schauspielers.

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Die hier exemplifizierte Mittelposition zwischen Schauspieler und Redner lässt sich durch den Begriff ›Deklamator‹ andeuten. Als Deklamatoren traten Schauspieler der frühen Neuzeit insbesondere in Erscheinung, wenn sie prologues und epilogues sprachen, doch auch innerhalb der Dramen-Aufführung waren durch »descriptions und narrations« geprägte Monologe zu gestalten.280 Der Depiction by Indicative and Imitative Gestures in Descriptive Passages widmete Dene Barnett in seinem Standardwerk The Art of Gesture. The Practices and Principles of 18th Century Acting (1987) ein eigenes Kapitel.281 Wenn er formuliert, dass »the aim of the actor as well as of the poet was to depict the objects and events so vividly that the spectators would be made to feel they were seeing them with their own eyes«,282 so klingt nicht zufällig die römisch-hellenistische Ekphrasis-Definition an: Barnett verweist ausdrücklich auf den »repeated use of the phrase ›to bring before the eyes‹ when describing the use of gestures« durch den Schauspiellehrer Petrus Francius (1645–1704),283 der in zwei berühmten Handbüchern Satz für Satz die angemessene Rezitation und Gestik für zwei Cicero-Reden ausführte.284 Im weiteren Verlauf von Hamlets Kommentar findet auch Quintilians Kontrastierung von erdichteten Affekten und realer Gerichtssituation ihre Entsprechung: What’s Hecuba to him, or he to her, That he should weep for her? What would he do Had he the motive and the cue for passion That I have? He would drown the stage with tears, And cleave the general ear with horrid speech; Make mad the guilty and appal the free, Confound the ignorant, and amaze indeed The very faculties of eyes and ears. (Ham. 2.2, V. 552–560: 270.)

280 Barnett: Art of Gesture, 19. Bei dieser Doppelformel handelt es sich nicht etwa um die Zusammenstellung zweier polarer Darstellungsweisen im Sinne Genettes (siehe Anm. 239), sondern um ein Hendiadyoin; für solche ›erzählenden Beschreibungen‹ oder ›beschreibenden Erzählungen‹ wurde damals oft der Begriff Hypotyposis verwendet (Barnett: Art of Gesture, 216). 281 Barnett: Art of Gesture, 216–219. 282 Barnett: Art of Gesture, 19, fast wortgleich ebd. 215. 283 Barnett: Art of Gesture, 19. 284 Nämlich Specimen eloquentiae exterioris. Ad Orationem M. T. Ciceronis Pro A. Licin […] (1697) und Eloquentiae exterioris specimum alterum, ad Orationem Ciceronis Pro Marcello Accomodatum […] (1699); siehe Barnett: Art of Gesture, 484f. Dass die Tradition des beschreibend-deklamierenden ›Vor-Augen-Stellens‹ bis in Shakespeares Zeit zurückreicht, belegt ein Zitat (ebd. 216) aus Thomas Wilsons Art of Rhetorique (1585).

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Hamlet ist sogar noch direkter von einem realen Mordfall betroffen als (in Quintilians Beispiel für ein gezielt herbeigeführtes phantasma) ein Anwalt vor Gericht, der die Angehörigen des Opfers vertritt. Der Dänenprinz selbst nämlich ist der Sohn eines mutmaßlichen Mordopfers und hat den Hergang der Tat vom mutmaßlichen Geist seines Vaters erzählt bekommen (Ham. 1.5, V. 59–73: 219f.). Gleichzeitig jedoch befindet er sich in der Position eines Richters, der sich nicht von der vermeintlichen ›Evidenz‹ des Erzählten überwältigen lassen darf.285 Vielmehr muss er die Glaubwürdigkeit des Opfers und Klägers prüfen, was in diesem Fall gleichbedeutend ist mit dessen ontologischem Status: […] The spirit that I have seen May be a devil, and the devil hath power T’assume a pleasing shape, yea, and perhaps, Out of my weakness and my melancholy, As he is very potent with such spirits, Abuses me to damn me. […] (Ham. 2.2, V. 593–601: 273)

Hamlet thematisiert hier die im elisabethanischen Zeitalter sehr ernst genommene Gefahr eines durch höllische Mächte erzeugten Phantasmas, das etwas so enargeisch ›vor Augen stellte‹, dass man es fälschlich für real hielt. Insofern geriet das Theater ins Zwielicht, und der Teufel wurde auch als Schauspieler gedacht.286 Auch wird der Zusammenhang zwischen Geist und First Player durch die Tatsache unterstrichen, dass im elisabethanischen Theater beide Rollen üblicherweise vom selben Schauspieler verkörpert wurden – in den ersten Aufführungen womöglich von Shakespeare selbst.287 Das Theater erschien umso bedrohlicher, je weniger es, mit Werner Wolf formuliert, eine auf Mitspielbereitschaft der Zuschauer basierende »Spielillusion […] ohne besondere Rücksicht auf die Relation zwischen ›lebensecht‹ scheinendem Werk und Erfahrungswelt« nutzte und je mehr es sich stattdessen um »mimetische Illusion« bemühte. Dies meint ein »im Kontext der renaissancetypischen Aufwertung der Empirie stehendes Bemühen um eine Illusionsbildung, die sich gegenüber dem Mittelalter verstärkt an der Erfahrung von Wirklichkeit und den Wahrnehmungsstrukturen orientiert«.288 Für den Schauspieler folgte daraus die Forderung, den illusionistischen Eindruck zu erzeugen, »as if the Personator were the man Personated«,289 oder als wäre er doch we285 Zum Übergang des Begriffs evidence in die englische Rechtssprache in der Frühen Neuzeit siehe Kemman: Evidenz, 38. 286 Siehe Warner : Phantasmagoria, 123. 287 Siehe Levin: Player’s Speech, 44. 288 Wolf: Ästhetische Illusion im englischen Drama, 284. 289 So Thomas Heywood in An Apology for Actors (1612), zit. nach Wolf: Ästhetische Illusion im englischen Drama, 284.

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nigstens, wie im Fall des First Player, tatsächlich durch das Leid einer imaginären Figur erschüttert. Wie jedoch Geister auch tatsächlich die ruhelosen Seelen Ermordeter repräsentieren290 oder im Dienst höherer Mächte den mörderischen Richard III. heimsuchen können, so kann die mimetische Illusion des Theaters auch in den Dienst der Wahrheitsfindung gestellt werden. Dementsprechend entwickelt Hamlet im Verlauf seiner Reflektion über die Darbietung des First Player die Idee seiner ›Mausefalle‹ und schließt mit der Zuversicht: […] I’ll have grounds More relative than this. The play’s the thing Wherein I’ll catch the conscience of the King. (Ham. 2.2, V. 588ff: 273)

Die ›Mausefalle‹ besteht in einer theatralischen Umsetzung des vom Geist ekphrastisch dargebotenen Tathergangs, die beim König, falls er der Täter ist, unkontrollierte Affekte auslösen müsste. Damit dies gelingt, gibt Hamlet den Schauspielern Anweisungen für ein kontrolliertes und glaubwürdiges Gebärdenspiel im Sinne des celare artem-Prinzips. Auch dies weist ihn als QuintilianSchüler aus, hier im Hinblick auf den zweiten Aspekt seiner actio-Lehre (III.2).291 Aus Sicht der römisch-hellenistischen Rhetorik, die über Quintilians actioTheorie das Stück erkennbar beeinflusst, lässt sich also formulieren, dass die ›Mausefalle‹ den Theaterzuschauern Theater als Extremfall täuschenden VorAugen-Führens vor Augen führt.292 Dies geschieht allerdings in einer Weise, die sie selbst in eine Beobachterrolle versetzt; Hamlets provozierende, durch gespielten Wahnsinn motivierte Kommentare unterstreichen dies. Aus Sicht von Werner Wolfs Modell ästhetischer Illusion lässt sich formulieren, dass Shakespeare jene zwei Pole thematisiert, die diesen Rezeptionsmodus konstituieren: den Evokations-Effekt im Hinblick auf den König und das Als-ObBewusstsein im Hinblick auf Hamlet und die realen Zuschauer.293 Genau besehen charakterisieren sie bereits Hamlets Reaktion auf die Darbietung des First Player: Einerseits ist er, ablesbar an seinem Körper, so hochgradig durch die Vorstellung affiziert, dass Polonius die Deklamation abbricht, und verrät seine Erregung auch sprachlich durch rhetorische Fragen, Exklamationen und Hyperbeln. Andererseits analysiert er präzise den Mechanismus der Selbstaffizierung nach Quintilian 290 Siehe Greenblatt: Hamlet in Purgatory. 291 Siehe Wolf: Ästhetische Illusion im englischen Drama, 290. Die schauspieltheoretische Relevanz von Hamlets Anweisungen wird bestätigt durch ihre Diskussion im 5. Stück von Lessings Hamburgischer Dramaturgie (FLA 6: 209–212). 292 Zu Enargeia als Modell für elisabethanisches Theater siehe Heninger : Sidney’s Speaking Pictures and the Theatre. 293 Siehe Einf. 3.

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und liefert eine Beschreibung der beobachteten actio, die im Drama als indirekte Regieanweisung fungiert, aber auch als Teil einer Mimen-Ekphrasis funktionieren würde. Im Folgenden ist an einigen Beispielen zu zeigen, dass aus vielen bildnerischen wie ekphrastischen Darstellungen David Garricks als Shakespeare-Darsteller294 eine vergleichbare Faszination des Verfassers durch mimetische Illusion spricht, wie sie Hamlet bekundet; dabei ist die Grenze zwischen Be- und Vorschreiben, Mimen-Ekphrasis und Schauspieltheorie fließend.

1.4

Ein Shakespeare-Darsteller als Inbegriff enargeischer actio in Schauspieltheorie und Kunst

Wenn Lady Macbeth den Anblick des von ihrem Mann ermordeten Königs als »painted devil« verspottet und damit bereits indirekt auf die ihn heimsuchenden Geistererscheinungen verweist, dürfte sie sich, wie Marina Warner annimmt, im Gegensatz zur Teufels- und Geistergläubigkeit der meisten elisabethanischen Zuschauer befunden haben.295 Immerhin ist der Geist in Szene III.1 zwar für Lady Macbeth und die Gäste unsichtbar, für das Publikum aber sichtbar. Andererseits wird ihr obsessiver Drang, ihre Hände von Blut zu reinigen, als Wahnvorstellung inszeniert, bei der Beobachter zugegen sind (Macb. V.1),296 und ähnlich verhält es sich mit den Wahnsinns-Szenen des Lear. Die ›aufgeklärten‹ Londoner Theaterzuschauer des 18. Jahrhunderts neigten generell dazu, Geistererscheinungen auf eine überhitzte Phantasie der Heimgesuchten zurückzuführen; der Theaterkritiker und -theoretiker Robert Lloyd leitete aus dieser Auffassung in seinem Verstraktat The Actor von 1760 sogar eine weitreichende inszenatorische Forderung ab: But in stage-customs what offends me most Is the slip-door, and slowly rising ghost. Tell me, nor count the question too severe, Why need the dismal power’d form appear? When chilling horrors shake th’ affrighted king, And guilt torments him with her scorpion sting; When keenest feelings at his bosom pull, And fancy tells him that the seat is full; Why need the ghost usurp the monarch’s place, To frighten children with is mealy face? The king alone shou’d form the phantom there, And talk and tremble at the vacant chair.297 294 295 296 297

Einen Überblick bietet Brunkhorst: Garricks Shakespeare-Rollen. Warner : Phantasmagoria, 131; siehe Macb. 2.2, V. 54: 57. Zur Rezeption dieser Szene in der Bildenden Kunst siehe Faroult: Lady Macbeth. Lloyd: Actor, V. 222–233 [Verszählung von mir ergänzt]: 41f.

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Lloyd verspottet die Maschinerie des Barocktheaters als Jahrmarktsattraktionen298 und fordert eine Angleichung des Spiels an (aufgeklärte) Alltagserfahrung. Dennoch soll Theater auch die Imagination der Zuschauer aktivieren, um ihre Leidenschaften zu erwecken und im Sinn einer ›Schaubühne als moralische Anstalt‹ zu läutern.299 Auf dieser Grundlage wird die Profession der Schauspieler, die ›dem Menschen den Spiegel vorhalten‹,300 entschieden aufgewertet: Am Schluss seines Traktats beklagt auch Lloyd die Flüchtigkeit von Schauspielkunst und kontrastiert sie mit dem bleibenden Ruhm der Dichter, denen sie dient.301 Immerhin relativiert die oben zitierte Passage den Aspekt der Flüchtigkeit etwas, indem sie eine gewisse Vorstellung von einer gelungenen Verkörperung Macbeths in Szene III.4 festzuhalten sucht: Wie der First Player den Mord an Priamos, soll der Schauspieler das aus seiner »fancy« geborene »phantom« enargeisch evozieren, indem er starke Affekte (»chilling horrors«, »guilt« ) durch Körpersprache (Zittern, Sprechen in Richtung des leeren Stuhles) anschaulich macht. Die Passage scheint eher präskriptiven als deskriptiven Status zu haben, zumal die Verbannung des Geistes von der Bühne keineswegs gängige Praxis war. Andererseits behauptet Lloyd bereits im fünfzehnten Vers von The Actor, dass David Garrick den Inbegriff der propagierten neuen Schauspielkunst darstellt, und rühmt wenig später, den Schauspieler direkt apostrophierend, dessen Verkörperung des Macbeth und des wahnsinnigen Lear : Through ev’ry vein I feel a chilness [sic] creep, When horrors such as thine have murder’d sleep; And at the old man’s look and frantic stare, ’Tis Lear alarms me, for I see him there.302

Dass die Verkörperungen enargeisch geglückt sind, erweist sich im Fall Macbeths besonders hinsichtlich der durch ein leicht variiertes Zitat bezeichneten Affekte,303 die sich auf den Zuschauer – hier mit der Sprechinstanz identisch – übertragen. Im Fall Lears erweist es sich im Hinblick auf das Rollenbild des alten Mannes, den Garrick bereits seit seinem vierundzwanzigsten Lebensjahr kon-

298 »[T]umblers, monsters, pantomime, or song«, (Lloyd: Actor, V. 257: 41). Siehe zum Verhältnis von höfischem Barocktheater und Schaustellung im 18. Jahrhundert Rothe: Lesen und Zuschauen, 115–131, bes. 124f. 299 »To purge the passions, and reform the mind,/To give to nature all the force of art,/And while it charms the ear to mind the heart.«(Lloyd: Actor, V. 244ff.: 42). Siehe Barkhausen: Die Vernunft des Sentimentalismus. 300 Lloyd: Actor, V. 267: 42. 301 Lloyd: Actor, V. 272–299: 42; 45. 302 Lloyd: Actor, V. 23–26: 24. 303 »Methought, I heard a voice cry, ›Sleep no more!/ Macbeth does murther Sleep‹« (Macb. II.2, V. 35: 55), zugleich spielt Lloyd auf Macbeths eigene Schlaflosigkeit an.

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tinuierlich den Zuschauern vor Augen stellt;304 wie in einem zeitgleich entstandenes Gemälde von Garrick als Lear wird dabei vor allem sein starrer Blick betont.305 Vor diesem Hintergrund mag sich die oben zitierte Beschreibung einer idealen Verkörperung Macbeths in Szene III.4 auch auf Garricks Leistung beziehen. Einen ähnlichen Status zwischen Beschreibung und Vorschrift haben bereits die Macbeth-Passagen in Garricks eigenem Essay on Acting von 1744. Darin greift er, drei Jahre nach seinem Debüt, den Schauspielstil seines Rivalen James Quin an und entwickelt aus einer psychologischen Figurenanalyse eine präzise Vorstellung von der angemessensten und wirkungsvollsten Verkörperung der Rolle. Garrick exemplifiziert seine Vorstellungen zum einen an der »most remarkable Scene in the whole Play, which is that of the Air-drawn Dagger«306 (Macb. II.1). Der Dramentext lässt die Möglichkeit offen, den Dolch, der Macbeth ins Schlafzimmer des zu ermordenden Königs voranschwebt, tatsächlich auf der Bühne erscheinen zu lassen; Garrick entscheidet sich für eine psychologische Herleitung und eine Lösung im Sinn Lloyds: Macbeth, as a Preparation for his Vision, is so preposses’d from his Humanity, with the Horror of the Deed, which by his more prevailing Ambition he is incited to, and for the Perpetration of which, he lies under a promissory Injunction to his Lady, that his Mind being torn by these different and confus’d Ideas, his Senses fail, and present that fatal Agent of his Cruelty,—the Dagger, to him […]. (GEA: 17)307

Die zweite von Garrick besprochene Szene ist die unmittelbar folgende (Macb. 2.2), die Garrick beträchtlich umstilisiert: Er macht aus dem Dialog zwischen Lady Macbeth und ihrem vom eben begangenen Mord erschütterten Mann einen Kontrast zwischen ohnmächtiger vis dicendi und einer actio, die enargeisch Macbeths Phantasieren vor Augen stellt: He should at that Time, be a moving Statue, or indeed a petrify’d Man; his Eyes must Speak, and his Tongue be metaphorically Silent, his Ears must be sensible of imaginary Noises, and deaf to the present and audible Voice of his Wife […]. (GEA: 9)

Der Absorbiertheit Macbeths gilt auch das Hauptinteresse von Johan Zoffanys Gemälde dieser Szene308 und einer verbreiteten Mezzotinto-Version Valentine Greens:309 304 Nämlich seit dem Frühjahr 1742, zur Datierung siehe McIntyre: Garrick, 47; zur Verkörperung dieser Rolle Benedetti: Garrick, 100–110. 305 Wilsons Gemälde ist verloren, doch existieren diverse Abzüge einer von James Mc Ardell am 7. 3. 1761 publizierten Mezzotinto-Fassung (Lennox-Boyd: The Age of Garrick, 27–29); siehe auch Benedetti: Garrick, 105. 306 Garrick: Essay 16f. 307 Das Kürzel GEA steht hier wie im Folgenden für Garricks Essay on Acting von 1744. 308 Siehe Treadwell: Zoffany, 78.

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Abb. 2: Valentine Green nach Johan Zoffany : Mr Garrick and Mrs Pritchard in the Tragedy of Macbeth (1776)

Garrick steht abgewandt von seiner Frau, die ihm zwei Dolche abnimmt, und blickt starr nach vorne, gebannt von der Erinnerung an den Mord, gleichzeitig aber auch die Zuschauer beziehungsweise die Betrachter des Gemäldes bannend. In dieselbe Position wird der Betrachter bereits in William Hogarths Gemälde David Garrick as Richard III (1745) gerückt.310 Es zeigt den entsetzten König vor der Entscheidungsschlacht, wie er, gerade erwacht, abwehrend die rechte Hand emporreckt, »which, in staving off the ghostly accusers that still prey on his mind and stand before his eyes, pushes against nothing but air.«311 In der Macbeth- wie in der Richard-Szene ist das Phantasma auch von der Bühne abwesend, in der ersten Hamlet-Geist-Szene aber sehr wohl anwesend. Dennoch verzichtet auch der seit 1755 verbreitete Mezzotinto-Druck Garricks in dieser Szene, der ein verschollenes Gemälde Benjamin Wilsons umsetzt (Abb. 4),312 auf die Darstellung des Geistes und evoziert diesen allein durch die Körpersprache des aus dem Bild herausstarrenden Schauspielers. 309 310 311 312

Siehe Lennox-Boyd: Age of Garrick, 81; West: Image of the Actor, 65. In einer Kupferstich-Version abgebildet (Abb. 3) und ausführlich interpretiert in I.2.2.6. Hallet/Riding: Hogarth, 204; siehe auch die Analyse in Sillars: Painting Shakespeare, 46ff. Die Mezzotinto-Fassung stammt von James McArdell und wurde Mitte Januar 1755 in

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Gewissermaßen spiegelbildlich dazu verhält sich die wirkungsmächtige Darstellung von Garricks Hamlet-Verkörperung in Buch 16, Kapitel 5 von Henry Fieldings Roman Tom Jones: Garrick wird nicht direkt beschrieben, sondern in seiner Wirkung auf den einfältigen Dorfschullehrer Partridge vorgeführt. Anders als das Londoner Publikum, das sich köstlich über den Provinzler amüsiert, glaubt Partridge durchaus an die Existenz von Geistern, ist jedoch überzeugt, dass ein Geist keine Rüstung trägt. Der Darsteller des Geistes löst also, der Erläuterung seines Begleiters Tom Jones zum Trotz, bei Partridge keine ästhetische Illusion aus, till the Scene between the Ghost and Hamlet, when Partridge gave that Credit to Mr. Garrick, which he had denied to Jones, and fell into so violent a Trembling, that his Knees knocked against each other. […] And during the whole Speech of the Ghost, he sat with this Eyes fixed partly on the Ghost, and partly on Hamlet, and with his Mouth wide open; the same Passions which succeeded each other in Hamlet, succeeding likewise in him.313

Wieder ist es die Reaktion auf die Verkörperung von Entsetzen, welche die Existenz des Entsetzlichen plausibel macht und sich auf den Körper des Rezipienten überträgt. Das geht so weit, dass Partridge das Entsetzen des Schauspielers als real erlebt und darum kämpft, diesen Evokations-Effekt mit dem für ästhetische Illusion konstitutivem Als-ob-Bewusstsein zu vereinbaren: »[…] I am not afraid of any Thing; for I know it is but a Play : And if it really was a Ghost, it could do one no Harm at such a Distance, and in so much Company ; and yet if I was frightened, I am not the only Person.«314 Schließlich ist Partridge sogar überzeugt, dass es sich bei diesem Geist um den Teufel selbst handle, was ironischerweise der Furcht der Hamlet-Figur entspricht. Da aber nun tatsächliche Täuschung an die Stelle ästhetischer Illusion getreten ist, gibt Partridge auf Jones’ Frage, welcher Schauspieler ihm am besten gefallen habe, eine überraschende, im Grunde jedoch konsequente Antwort: ›The King without a Doubt.‹ ›Indeed, Mr. Partridge,‹ says Mrs. Miller, ›you are not of the same Opinion with the Town; for they are all agreed, that Hamlet is acted by the best Player who ever was on the Stage.‹ ›He the best Player!‹ cries Partridge with a contemptuous Sneer, ›why I could act as well myself. I am sure if I had seen a Ghost, I should have looked in the very same Manner, and done just as he did. […] I know you are only joking with me; but indeed, Madam, though I was never at a play in London, yet I have

Wilsons Namen publiziert (siehe Lennox-Boyd: Age of Garrick, 81). Sie wird in Kapitel I.2.2.6 wiedergegeben und eingehend interpretiert. 313 Fielding: Tom Jones 2: 853f. 314 Fielding: Tom Jones 2: 853f.

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seen acting before in the Country ; and the King for my Money ; he speaks all his Words distinctly, half as loud again as the other. – Any Body may see he is an Actor.‹315

Das Gespräch illustriert zum einen (um Titel und Untertitel des Standardwerks von Erika Fischer-Lichte zu zitieren) den Übergang [v]om »künstlichen« zum »natürlichen« Zeichen bzw. den Gegensatz zwischen dem Theater des Barock und der Aufklärung. Das Barocktheater wirkte nämlich nicht durch ›mimetische Nachahmung‹ der Wirklichkeit, sondern durch prononcierte Stilisierung; die von Partridge hervorgehobenen Merkmale eines ›königlichen‹ Gebarens und einer deutlich artikulierenden Aussprache wären um 1700 nicht etwa als ›provinziell‹ empfunden worden, sondern wurden einem Darsteller wie Thomas Betterton als Qualitäten nachgerühmt.316 Matthias Rothe spricht sogar, insbesondere mit Blick auf das französische Vorbild, von einem Theater der »Präsentation« (im Gegensatz zum bürgerlichen Theater der scheinbaren »Präsenz« einer Rollenfigur): Darin präsentierten die Schauspieler ihre Figuren »und waren dabei als Personen anwesend. Ihre Anwesenheit aber war real. Die Differenz zwischen Person und Figur blieb beständig gegenwärtig, markiert durch eine körperliche Haltung wie zum Beispiel das Bühnenkreuz, durch eine Überhöhung des Spiels und durch die Führung der Stimme oder die Adressierung des Publikums, die Kleidung etc.«317 Zum anderen entspricht Partridges Überzeugung, er werde, in derselben Lage und damit denselben Affekten ausgesetzt wie die Figur, dieselben mimischen Zeichen hervorbringen wie ihr Darsteller, der Vorstellung vom ›heißen Schauspieler‹, die auf Quintilians Selbstaffizierungs-Modell zurückgeht. Dieses Modell dominierte gerade zur Zeit Garricks in England und wurde etwa auch von Robert Lloyd verfochten.318 Am theoretisch stringentesten wurde sie zwar von einem Franzosen, R8monde de Sainte Albine, in seinem Traktat Le Com8dien (1747) entwickelt, doch übersetzte der Dramatiker John Hill dieses ins Englische, reicherte es durch Hinweise auf Garrick an und brachte es unter dem Titel The Actor als eigenes Werk heraus.319 Nach Garricks triumphalem Frankreich315 Fielding: Tom Jones 2: 856f. 316 Siehe Gildon: Life of Betterton; die Langlebigkeit dieser Ideale dokumentiert Barnett: Art of Gesture, 136–160, bes. die Zusammenfassung 160. 317 Rothe: Lesen und Zuschauen, 181, ausführlich entwickelt ebd., 117–124; 137–147. 318 Neben »Nature’s true knowledge« (Lloyd: Actor, V. 42: 24) kennzeichne den großen Schauspielers vor allem »strong-felt passion« (ebd. V. 44: 24), und Lloyd geht sogar so weit, christliche Märtyer »dying ’midst insulting foes« als Modell für eine vollkommene Identifikation mit der Rolle anzuführen (ebd. V. 49–66: 27, hier V. 56). 319 Sulzers Artikel Schauspiehler, Schauspiehlkunst von 1774 empfiehlt das eifrige Studium von The Actor »jedem Schauspiehler auf das nachdrücklichste« (Sulzer : Allgemeine Theorie 2, 1028). – Die im Folgenden skizzierte Entstehungsgeschichte von Diderots Paradoxe folgt Benedetti: Garrick, 187f. und Jane Marsh Dieckmanns Einleitung in Diderot: Œuvres ComplHtes 3, 3–26.

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Aufenthalt 1763–65 wurde wiederum die zweite Auflage von The Actor (1755) unter dem Titel Garrick ou les Acteurs Anglais (1769) von Antonio Sticotti ins Französische übersetzt; in dieser Version boten sich die Thesen Sainte Albines als nachgelieferte Theorie zum Eindruck von Garricks Schauspielkunst an. Diesem Anspruch trat Diderot 1770 entgegen mit seinen Observations sur une Brochure intitul8e: Garrick ou les Acteurs Anglais,320 der Keimzelle für seinen posthum veröffentlichten Dialog Le Paradoxe sur le Com8dien.321 Diderot verficht das Modell des kalten Schauspielers, indem er Argumente aus FranÅois Riccobonis Traktat L’Art du th8.tre (1750) weiterentwickelt, aber auch, indem er sich gleichfalls auf Garricks Schauspielkunst beruft. Im Folgenden wird die Bezugnahme auf Garrick im Paradoxe befragt auf Diderots Vorstellungen von mimischer Illudierung und Selbstilludierung. Ausgangspunkt ist eine szenische Beschreibung von Garricks Schauspielkunst: Ce que je vais vous raconter, je l’ai vu.// Garrick passe sa tÞte entre les deux battants d’une porte, et dans l’intervalle de quatre / cinq secondes son visage passe successivement de la joie folle / la joie mod8r8e; de cette joie / la tranquillit8; de la tranquillitH / la surprise; de la surprise / l’8tonnement; de l’8tonnement / la tristesse; de la tristesse / l’abattement, de l’abattement / l’effroi, de l’effroi / l’horreur, au horreur au d8sespoir, et remonte de ce dernier degr8 / celui d’oF il Htait descendu. Est-ce qe son .me a pu Hprouver toutes ces sensations et ex8cuter, de concert / son visage, cette espHce de gamme? Je n’en crois rien, ni vous non plus.322

Hier wird ein Aspekt von Schauspielkunst – Mimik im engeren Sinn – isoliert, aber nicht im Einzelnen beschrieben (etwa durch Hinweise auf offenen Mund, zusammengezogene Brauen usw.), sondern wiedergegeben durch den jeweils ausgedrückten Affekt, genauer : erst als Dämpfung eines extremen Affekts zur ›Ruhe‹, dann als Abfolge von Affekten, für die es spezifische Ausdrücke gibt. Eine Rollenvorgabe dafür gibt es nicht, wohl aber ein graphisches Vorbild: Charles Le Bruns als Kupferstichwerk verbreitete tÞtes d’expressions, welche jedem der traditionellen Leidenschaften einen Gesichtsausdruck zuordneten und nach 1700 rasch in Schauspieltraktate wanderten.323 Schauspieler, die vor dem Spiegel 320 Diderot: Œuvres ComplHtes 3, 27–42; erstmals veröffentlicht am 15.10. und 1. 11. 1770 in Melchior Grimms Correspondance litt8raire (siehe ebd. 18). 321 Diderot: Œuvres ComplHtes 3, 43–132; erstmals posthum veröffentlicht 1830 (siehe ebd. 3). 322 Diderot: Œuvres ComplHtes 3, 73. 323 Der französische Hofmaler Le Brun entwarf die Köpfe zur Veranschaulichung seines Akademie-Vortrags Conf8rence sur l’Expression G8nerale et PariculiHre; sie wurden von S8bastian Le Clerc in Kupfer gestochen. 1698 erschienen Vortrag und Stiche in Paris und Amsterdam unter dem Namen des inzwischen verstorbenen Le Brun und mit dem Titel M8thode pour apprendre / dessiner les passions propos8 dans une conf8rence sur l’expression g8n8rale et particuli8re. Bereits 1701 wurden sie von John Smith ins Englische übersetzt und wanderten bald in Schauspielanweisungen: Siehe dazu grundlegend Jennifer Montagus Studie The Expression of the Passions mit einer kritischen Edition des Textes (109–125) und

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Le Bruns graphische Bilder imitierten,324 teilten mit Malern, die sich daran orientierten, das Problem, was sie mit dem übrigen Körper anfangen sollten,325 und standen überdies vor der Herausforderung, Übergänge zwischen den dargestellten passions-Bildern zu schaffen.326 In der hier beschriebenen Le Brun’schen Nummernrevue ist das erste Problem durch die Isolierung des Kopfes gelöst, das zweite durch die rasende Geschwindigkeit des mimischen Ausdruckswechsels. Diderot führt seine Beschreibung ins Feld, um die These, dass ein Schauspieler die dargestellten Affekte empfinden müsse, ad absurdum zu führen. Die nächsten Beispiele unterstützen das einige Seiten vorher angeführte Argument, dass ein großer Schauspieler angesichts seiner »diversit8 des functions« eine »tÞte de fer« bräuchte, um seine Stimmung der jeweiligen Rolle anzupassen,327 wäre er von tatsächlichen Emotionen abhängig. Für Garrick, der sowohl in Tragödie wie Komödie exzelliert, gälte dies in besonderer Weise: Si vous demandiez / cet homme c8lHbre, qui lui seul m8ritait autant qu’on f%t le voyage d’Angleterre que tous les restes de Rome m8ritent qu’on fasse le voyage d’Italie, si vous lui demandiez, dis-je, la scHne du petit garÅon p.tissier, il vous la jouait; si vous lui demandiez toute de suite la scHne d’Hamlet, il vous la jouait, 8galement prÞt / pleurer la chute de ses petits p.t8s, et / suivre dans l’air le chemin d’un poignard. Est-ce qu’on rit, est-ce qu’on pleure / discretion? On en fait la grimace plus ou moins fidHle, plus ou moins trompeuse, selon qu’on est ou qu’on est pas Garrick.328

Dass Diderot die Dolch-Szene fälschlicherweise dem Hamlet zuordnet, bezeugt sein epochentypisches Interesse für Shakespeare als Schöpfer von Figuren, die von einem (in Lloyds Formulierung) »phantom« heimgesucht werden und somit besonders geeignet sind, theatralische Illusion in nuce vorzuführen: Unter diesem Aspekt sind Macbeth und Hamlet, die Vision des Dolches und die des Geistes austauschbar. Dieser verdeckte Bezug zur Vorstellung vom »phantom« wird in der zweiten Garrick-Passage des Paradoxe in mehrfacher Hinsicht explizit thematisch: Je te prends / t8moin, Roscius anglais, c8l8bre Garrick, toi, qui du consentement unamine de toutes les nations subsistantes, passes pour le premier com8dien qu’elles

324 325 326 327 328

einer englischen Übersetzung (126–140). Zum Einfluss auf die Schauspielkunst siehe Heeg: Phantasma der natürlichen Gestalt, 49ff; Roach: The Player’s Passion, 66f., West: Image of the Actor, 92–100 sowie die Tafeln nach Le Brun in Barnett: Art of Gesture. Von einigem Einfluss war auch James Parsons’ Human Physiognomy Explained (1747), die Le Brun im Lichte moderner anatomischer Erkenntisse modifizierte (West: Image of the Actor, 93–100; Heeg: Phantasma der natürlichen Gestalt, 114f.). Benedetti: Garrick, 184. Heeg: Phantasma der natürlichen Gestalt, 51. Roach: The Player’s Passion, 73. Diderot: Œuvres ComplHtes 3, 63. Diderot: Œuvres ComplHtes 3, 73f.

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aient connu, rends hommage / la v8rit8: ne m’as tu pas dit que, quoique tu sentisses fortement, ton action serait faibles, si quelle que f0t la passion ou le caractHre que tu avais / rendre, tu ne savais t’8lever par la pens8e / la grandeur d’un fantime hom8rique auquel tu cherchais # t’identifier? Lorsque je t’objectaie que ce n’8tait donc pas d’aprHs toi que tu jouais, confesse ta r8ponse: ne m’avouas-tu que pas tu t’en gardais bien, et que tu ne paraissais si 8tonnant sur la scHne que parce que tu montrais sans cesse au spectateur un Þtre d’imagination qui n’8tait pas toi.329

Die Passage verwendet die in antiken Reden beliebte Figur der Apostrophe an einen Abwesenden.330 Noch deutlicher wird der Bezug zur antiken Rhetorik in der Apostrophierung Garricks als Roscius,331 der ebenso als Inbegriff des großen Schauspielers galt wie sein Freund Cicero als Inbegriff des großen Redners.332 Garrick selbst hat also etwas von einem ›Phantom‹, insofern er Wiedergänger eines antiken Schauspielers ist.333 Auf metaphorischer Ebene ist es damit nur noch ein kleiner Schritt zur Formulierung von einer ›homerischen Geistererscheinung‹. Systematisch gesehen wird hier, nachdem Garrick als Virtuose in einigen mimischen ›Nummern‹ vorgestellt worden ist, seine Verkörperung ganzer Rollen thematisiert. Dies geschieht in einer Weise, die sich am Modell des kalten Schauspielers orientiert, ohne Quintilians Modell der actio dank Enargeia grundsätzlich in Frage zu stellen. In Frage gestellt wird lediglich, dass der Schauspieler ›sich selber‹ spielt, das heißt, aus biographischen Erinnerungen schöpft, eigene Charakterzüge in die Figurengestaltung einbringt und deshalb von quasi-authentischen Leidenschaften bewegt wird. Stattdessen stellen sich Schauspieler, geschult durch die systematische Beobachtung mimischer Ausdrücke ihrer Umgebung, während ihrer Probenarbeiten das Ergebnis ihrer Rollengestaltung vor wie ein Bildhauer die fertige Skulptur, die er aus dem Stein holt: Si vous assistiez / ses 8tudes, combien de fois vous lui diriez: Vous y Þtes…combien de fois elle vous r8pondrait: Vous vous trompez!… C’est comme Le Quesnoi / qui son ami 329 Diderot: Œuvres ComplHtes 3, 92f. 330 Siehe Lausberg: Rhetorik, 145 (§442.2b); ähnlich auch die oben zitierte Apostrophe in Lloyd: Actor V. 24: 24, die allerdings bei einem in London veröffentlichten Text weitaus weniger ›weit hergeholt‹ war. 331 Der Beiname Roscius, bereits in der Renaissance ein gängiges Kompliment für große Schauspieler (siehe II.2), wurde für Garrick schon ab seinem Gastspiel in Dublin 1742 verwendet (siehe Diderot: Œuvres ComplHtes 3, 93, Anm. 89); Charles Churchill machte die Nachfolge des Roscius zum Plot seiner Rosciade von 1761 (siehe II.2). 332 Nach Sulzers Artikel Schauspiehler, Schauspiehlkunst von 1774 hat »Cicero sich angelegen seyn lassen, von dem Schauspieler Roscius in diesem wichtigen Theile der Kunst, zu lernen«, nämlich der »Action« (Sulzer : Allgemeine Theorie 2, 1027f.). 333 Motivisch ist diese Überhöhung bereits vorbereitet durch den vorausgegangenen Vergleich Garricks mit römischen Antiken als Reiseanreiz.

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saissait le bras et criait: ArrÞtez; le mieux est l’ennemie du bien; vous allez tout g.ter… Vous voyez ce que j’ai fait, r8pliquait l’artiste haletant au connaisseur 8merveill8; mais vous ne voyez pas ce que j’ai l/ et ce que je poursuis.334

Diese Analogie zieht Diderot bereits auf den ersten Seiten des Paradoxe, bezogen auf die berühmteste französische Tragödin seiner Zeit, Claire-Joseph L8ris (1723–1803), genannt Hippolyte L8ris de Latude oder schlicht »Mlle Clairon« oder »la Clairon«. Im Zusammenhang mit ihrer ›Arbeit an der Rolle‹ fällt wiederum das Stichwort »fantime«: Quel jeu plus parfait que celui de la Clairon? cependant suivez-la, 8tudiez-l/, et vous serez convaincu qu’/ la sixiHme repr8sentation elle sait par cœur tous les d8tails de son jeu comme tous les mots de son rile. Sans doute elle s’est fait un modHle auquel elle a d’abord cherch8 / se conformer ; sans doute elle a conÅu ce modHle le plus haut, le plus grand, le plus parfait qu’il lui a 8t8 possible; mais ce modHle, qu’elle a emprunt8 de l’histoire ou que son imagination a cr8e comme un grand fantime, ce n’est pas elle; si ce modHle n’8tait que de sa hauteur, que son action serait faible et petitite.335

Zunächst wird Clairons Rollengestaltung ›von außen‹ thematisiert, nämlich als Folge von mimischen ›Details‹ in Analogie zum Rollentext. Die Geschlossenheit und Konstanz dieser Verkörperung ist ein Zeichen von Vollkommenheit und macht die Verkörperung zu einem würdigen Objekt für intensives und wiederholtes Studium. Vor dem Hintergrund der bisherigen Beispiele darf ergänzt werden, dass sich dieses Studium in einer Mimen-Ekphrasis oder einem Kunstwerk manifestieren kann.336 Diderot selbst liefert jedoch keine Beschreibung der Clairon in einer bestimmten Rolle aus der Außensicht, sondern wendet sich der Frage zu, wie die Rollengestaltung ›von innen‹ heraus entsteht. Hier entspricht der äußeren »r8presentation« bzw. dem »jeu« ein mentales »modHle«, das sich entweder an historischen Vorbildern orientieren kann oder am »fantime« der eigenen »imagination«. Zwar wurde der Begriff »fantime« zu Diderots Zeiten auch wahrnehmungsphysiologisch verstanden: Der Dictionnaire de Trevoux definiert ihn als »l’image que se forme en notre esprit par l’impression que font les objets sur nos sens« und fügt hinzu: »L’.me ne conna%t rien que par les fantimes«.337 Dass Diderot hier aber auch mit der Bedeutungskomponente ›Gespenst‹ spielt, bezeugt nicht erst seine Formulierung vom »fantime hom8rique«, sondern – nach besagter Parallelisierung zwischen der Arbeit von Schauspielerin und Bildhauer – die folgende berühmte Passage:

334 Diderot: Œuvres ComplHtes 3, 51. Mit »Le Quesnoi« ist der belgische Bildhauer FranÅois Duquesnoy (1594–1643) gemeint (ebd. Anm. 14). 335 Diderot: Œuvres ComplHtes 3, 50. 336 Beispiele für beides bietet beispielsweise Nagler : Theatrical History, 293–301; 306. 337 Zit. nach Diderot: Œuvres ComplHtes 3, 50, Anm. 13.

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[…][L]orse qu’elle s’est une fois 8lev8e / la hauteur de son fantime, elle se possHde, elle se r8pHte sans 8motion. Comme il nous arrive quelquefois dans le rÞve, sa tÞte touche aux nues, ses mains vont chercher les deux confins de l’horizon; elle est l’.me d’un grand mannequin qui l’enveloppe; ses essais l’ont fix8 sur elle. Nonchalamment 8tendue sur une chaise longue, les bras crois8s, les yeux ferm8s, immobile, elle peut, en suivant son rÞve de m8moire, s’entendre, se voir, se juger les impressions qu’elle excitera. Dans ce moment elle est double: le petite Clairon et la grande Agrippine.338

Das Bild vom »mannequin«, der Künstlerpuppe, verweist noch einmal auf die Arbeit des bildenden Künstlers, der in diesem Fall nicht nur eine innere Vision, sondern auch ein äußeres Modell braucht, um Bewegungen und Proportionen korrekt wiederzugeben. Doch wird dieses Modell hier nicht von außen, sondern von innen bewegt und steht damit in Analogie zu Spielautomaten.339 Insofern Diderot jedoch die Ausmaße dieser Puppe metaphorisch ins Riesenhafte steigert und das Erleben der Schauspielerin während der Aufführung mit dem eines Traums vergleicht, wird die Bedeutungskomponente ›Gespenst‹ wachgerufen und Schauspielkunst gerade in ihrer Kalkuliertheit als etwas Unheimliches präsentiert. Dieser Aspekt wird im Folgenden aber auch auf das äußere Rollenbild ausgeweitet, wenn es heißt, dass dem Schauspieler »sur la scHne ou dans les 8tudes« nichts so sehr gleiche wie das Spiel von Kindern, die mit einem Laken über dem Kopf auf dem Kirchhof Gespenster spielen und Passanten erschrecken.340 Diderots Modell von der Verkörperung einer Rolle als präzise kalkuliertes »phantom« ohne Bezug zur »sensibilit8«341 des Schauspielers kann sich auf Äußerungen der Clairon berufen, keineswegs aber auf Äußerungen Garricks, der bei der Clairon vielmehr Mangel an Leidenschaft vermisste. Darauf verweist Jean Benedetti und behauptet, Diderot habe Garrick nach dem Vorbild der 338 Diderot: Œuvres ComplHtes 3, 51. 339 »Denn dass der Schauspieler zur ›.me‹ seines künstlichen, von ihm abgespaltenen Geschöpfs werden soll, hat mit ›Herz‹ im Sinne von Empfindsamkeit nichts zu tun, meint vielmehr den rational gesteuerten Antrieb des Apparats, den Ursprung der Bewegung in ihrer Vielheit, die zugleich Einheit ist.« (Florack: Spiel-Automaten, 56 unter Verweis auf Sarasin: Reizbarer Maschinen, 59–61 für das zugrunde liegende Modell eines »vitalitischen Materialismus«; siehe ergänzend Roach: Player’s Passion, 116–159, bes. 155f.). 340 Diderot: Œuvres ComplHtes 3, 52. Während es sich bei den bisher zitierten Passagen um Äußerungen des »Premier Interlocuteur« handelt, der als Sprachrohr Diderots fungiert, stammt diese Formulierung von seinem Gesprächspartner, der das Model des heißen Schauspielers vertritt. Der Vergleich mit dem Gespensterspiel dürfte als Provokation gemeint sein (man vergleiche Lloyds bereits zitierte polemische Bemerkung: »Why need the ghost usurp the monarch’s place,/ To frighten children with is mealy face?« Lloyd: Actor, V. 230f.), wird vom ersten Gesprächspartner allerdings durch ein schlichtes »Vous avez raison« pariert (Diderot: Œuvres ComplHtes 3, 529). 341 Siehe das Kapitel »Vitalism and the Crisis of Sensibility« in Roach: The Player’s Passion, 93– 115.

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Clairon gestaltet.342 Allerdings ist die theatergeschichtlich faszinierende Frage, ob sich der historische Garrick eher am Konzept des heißen oder des kalten Schauspielers orientiert hat, für das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit irrelevant. Entscheidend ist vielmehr der Beleg, dass Garricks Schauspielkunst im 18. Jahrhundert, zumal in Shakespeare-Szenen, als Inbegriff enargeischer Schauspielkunst galt und sich deshalb Schauspieltheoretiker verschiedener Schulen auf sie beriefen und sie ansatzweise auch beschrieben. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie noch ein Detektivroman von 1937 diese Diskussion wieder aufgreift und zum Anlass nimmt für eine fiktive Wieder-Verkörperung von Garrick als Hamlet, welche die bisher verfolgte Karriere der Enargeia in nuce abbildet.

1.5

Mimen-Ekphrasis als enargeische Wieder-Verkörperung in Hamlet, Revenge (1937)

Der Roman Hamlet, Revenge des schottischen Literaturwissenschaftlers John Innes Macintosh Stewart alias Michael Innes präsentiert eine Ausgangssituation, in der sich Schauspielpraxis und -theorie auf bemerkenswerte Weise ergänzen: Der Herzog von Scamnum hat auf seinem Herrensitz führende Mitglieder der englischen Gesellschaft versammelt, die als Laienspieler an einer elisabethanisch-historisierenden Hamlet-Inszenierung mitwirken sollen, geleitet von einem Renaissance-Experten namens Gott (sic).343 Einziger ›Theater-Profi‹ ist ein berühmter Schauspieler mit dem sprechenden Namen Melville Clay,344 der den Hamlet spielen soll. Am Vorabend der ersten Proben unterhält man sich im Salon über die geplante Inszenierung und über die Aufführungsgeschichte des Dramas. Besonders die Herzogin von Scamnum, die sich begeistert in das Thema eingelesen hat, treibt das Gespräch voran und findet in Clay einen Experten für bisherige Verkörperungen dieser Rolle. 342 Benedetti: Garrick, 198ff. unter Berufung auf einen Brief Garricks an seinen dänischen Freund Helfrich Peter Sturz vom 3. 1. 1769 (siehe Howarth: French Theatre, 550f.). 343 Damit folgen sie einer Tendenz der frühen Theaterwissenschaft, als zweiten Schritt der »Rekonstruktion« die »Verlebendigung« zu versuchen: »Lebendig werden konnte das vergangene Werk nur auf der Bühne selbst. In vollem Sinne, in der Komplexität all seiner Bestimmungen, blieb es den ›Übungen zur szenischen Dramaturgie‹ vorbehalten, der praktischen Bühnenarbeit, dem Modell-Sandkastenspiel oder studentischen Aufführungen, in denen historische Inszenierungen originalgetreu nachgestellt werden sollten« (Girshausen: Zur Geschichte des Fachs, 29). 344 Bereits bei Sainte-Albine (1747) findet sich der Vergleich des Schauspielers mit formbarem Material, in diesem Fall Wachs: »Comme un cire molle […], il faut que l’esprit & le cœur d’une personne de Th8.tre soient propres / recevoir les modifications que l’Auteur veut leur donner« (Sainte-Albine: Le Com8dien, 32, siehe Florack: Spiel-Automaten, 47).

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Poetik der Mimen-Ekphrasis

She now turned to a subject she had already frequently debated with Clay : Garrick’s Hamlet, and particulary his first encounter with the ghost. ›On the stage he was natural, simple, affecting; ’Twas only that, when he was off, he was acting,‹ quoted the Duchess. ›Yes, but this wasn’t natural. It’s clear he took it too slowly ; theatrically, you would put it. The St James’s Chronicle said so; even Lichtenberg said so – and Lichtenberg was an enthusiast. […] And Garrick overstressed mere physical terror. That was Johnson’s opinion, Fielding’s opinion.‹345

Bisher handelt es sich um eine recht akademische Debatte über die ›Natürlichkeit‹ von Garricks Schauspielkunst im Allgemeinen und seiner Verkörperung Hamlets im Besonderen, bei der auf ein beachtliches Spektrum schriftlicher Zeugnisse verwiesen wird.346 Nun aber nimmt das Gespräch eine auffallende Wendung, die offensichtlich weniger damit zu tun hat, was Clay sagt, als wie er es sagt: ›One sees you see it,‹ the Duchess let fall.// And Clay was obviously seeing it. He was on his feet still,[347] his brow knitted, his eye upon David Garrick on the stage of Drury Lane nearly two hundred years ago.348

Hier wird also fiktionsintern behauptet, die Lektüre von Texten über einen vor anderthalb Jahrhunderten verstorbenen Schauspieler könne so enargeisch wirken, dass dessen Schauspielkunst einem Leser ›deutlich vor Augen‹ stehe, wenigstens, wenn es sich bei diesem um einen »scholar-actor«349 handelt, »genuinely learned in the histories of all Hamlets that had ever been«.350 Als »scholar-actor« aber kann er fiktionsintern auch den Beweis für die Eindrück345 Innes: Hamlet, 36. 346 Die Herzogin zitiert aus Oliver Goldsmiths unvollendetem Spottgedicht Retaliation von 1774 (Goldsmith: Poems and plays, 214–217, Zitat 216, V. 101f.), Clay bezieht sich auf die minutiöse Analyse von Garricks Hamlet-Verkörperung in den Dramatic Strictures durch einen mit hic et ubique zeichnenden Kritiker, erschienen im St. Jame’s Chronicle vom 20./ 22. 2. 1772 (siehe Gray : Theatrical citicism, 197f.), ferner auf Lichtenbergs Briefe aus England (1775) und auf die besprochene Partridge-Episode aus Fieldings Tom Jones. Allerdings ist Clays Behauptung, Garricks Stil sei ›künstlich‹ und ›zu langsam‹ gewesen, durch keine dieser Quellen wirklich gedeckt; auch dafür, dass Samuel Johnson dieser Meinung gewesen sei, konnte ich keinen Beleg finden. 347 Clay steht immer noch, weil er unmittelbar vorher eine Improvisation geliefert hat, die Samuel Pepys beim Auswendiglernen des to be or not to be-Monologs zeigte (Innes: Hamlet, 35). 348 Innes: Hamlet, 36. 349 Innes: Hamlet, 37 (meine Hervorhebung). Das Lob ist aus der Sicht des Shakespeare-Experten Gott formuliert. 350 Innes: Hamlet, 35. Für sein Studium könnte ihm (bzw. Innes) Austin Breretons Anthologie Some Famous Hamlets, from Burbage to Fechter (1884) oder John Alexander Kellys Studie German Visitors to English Theatres in the Eighteenth Century (1937) gedient haben.

Enargeia, eloquentia corporis und ästhetische Illusion

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lichkeit der von ihm studierten Texte antreten, indem er die ihm vor Augen stehende Schauspielkunst Garricks den anderen Gästen vor Augen stellt, beginnend mit Hamlets einleitendem Monolog351 und kulminierend in Hamlets Erschrecken beim Anblick des Geistes, der – Robert Lloyds Forderung entsprechend – nicht dargestellt wird: No one missed the actual presence of the Ghost in the minute that followed. With the rapidity of an athlete Clay had whirled round upon himself and stiffened as instantly into a convention of retarded motion at once wholly theatrical and wholly terrifying. The hat had slipped to the ground, the cloak fallen back. Legs straddled, left arm flung wide and high, right arm bent with the hand hanging down and the fingers wide apart, the whole trembling figure of the man answered to the fixed, glaring terror on the face. Second after second of absolute silence crawled by. Then, on the hiss of an outgoing breath, came speech: ›Angels and ministers of grace defend us!‹352

Auf diesem Höhepunkt bricht Clay seine Darbietung jäh ab und hebt ihre argumentative Funktion als Stütze seiner These von Garricks ›Künstlichkeit‹ hervor: »›Garrick,‹ he said, ›was more effective, of course, but that was the idea.‹«353 Allerdings sind seine Zuschauer eher überwältigt denn überzeugt: Nearly everybody seemed to be under the influence of a species of stage shock: the evocation, and more the abrupt dissipation of a piece of supreme theatre, had left the audience somewhat in the air. It was the Duke who lowered the tension. ›You know, if I were the Ghost I think I’d be the more scared of the two!‹354

Im Gegensatz zu den intradiegetischen Zuschauern haben es die Leser von Innes’ Roman mit einer ›Vorstellung‹ aus Worten zu tun, die nur teilweise von Innes stammen: Jene Passage, die Hamlets Sich-Herumwerfen, Erstarren und erste Ansprache an den Geist wiedergibt, ist fast wörtlich Lichtenbergs Briefen aus England entnommen. Zu Beginn des nächsten Kapitels soll diese wohl berühmteste aller Mimen-Ekphrasen355 in extenso zitiert werden, um auf dieser Grundlage (und unter gelegentlichem Bezug auf Innes) exemplarisch vorzuführen, dass sich der bisher genetisch belegte Zusammenhang zwischen dem spätantik-rhetorischen Konzept von Ekphrasis/Enargeia und ›Mimen-Ekphrasis‹ auch strukturell nachweisen lässt. Dies gilt sowohl für Ekphrasis im ur351 352 353 354 355

Innes: Hamlet, Revenge, 38f., siehe Ham. 1.4, V.13–38. Innes: Hamlet, 38. Innes: Hamlet, 38. Innes: Hamlet, 38f. Nur zwei weitere Beispiele: Günther Heeg lässt mit dieser »Beschreibung, die als eine der Schlüsselszenen des Theaters der natürlichen Gestalt angesehen werden kann«, seine Studie Das Phantasma der natürlichen Gestalt ausklingen (449–451, hier 449); Ernst-Peter Wieckenberg nimmt sie in seinen Almanach Einladung ins 18. Jahrhundert auf (309–311).

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Poetik der Mimen-Ekphrasis

sprünglichen Sinn von enargeischer Beschreibungskunst als auch im engeren Sinn von enargeischer Kunstbeschreibung.

2.

»[F]olgen Sie mir […] in einige Scenen«: Elemente der Ekphrasis

Im Folgenden soll Lichtenbergs Beschreibung Garricks in der (wie sie fortan genannt sei) Hamlet-Geist-Szene, die Innes auszugsweise verwendet, in voller Länge zitiert werden. Sie weist nämlich einen außerordentlichen Reichtum von enargeischen Strategien auf, die bereits für antike Ekphrasen charakteristisch sind, und erlaubt deshalb, einen Katalog typischer Elemente von Ekphrasis als Beschreibungskunst, Kunstbeschreibung und Schauspielkunstbeschreibung zu erstellen. Zur besseren Orientierung gliedere ich das Zitat durch eingefügte Ziffern in Abschnitte: [1:] Nun, mein lieber B., wenn Sie sich anders aus dem, was ich gesagt habe, schon einen Garrick haben bilden können, so folgen Sie mir itzt mit ihm in einige Scenen. Ich will heute, weil ich eben dazu aufgelegt bin, die aus dem Hamlet nehmen, wo ihm der Geist erscheint. Sie kennen ihn schon aus der vortrefflichen Beschreibung im Fündling. Die meinige soll jene nicht entbehrlich machen, sondern nur erklären: [2:] Hamlet erscheint in einem schwarzen Kleide, dem einzigen, das leider! noch am ganzen Hofe für seinen armen Vater, der kaum ein paar Monate tot ist, getragen wird. Horatio und Marcellus sind bei ihm und haben Uniform; Sie [sic] erwarten den Geist; die Arme hat Hamlet hoch untergesteckt, und den Hut in die Augen gedrückt; es ist eine kalte Nacht, und eben zwölfe; das Theater ist verdunkelt und die ganze Versammlung von einigen Tausenden wird so stille, und alle Gesichter so unbeweglich, als wären sie an die Wände des Schauplatzes gemalt; man könnte am entferntesten Ende des Theaters eine Nadel fallen hören. [3:] Auf einmal, da Hamlet eben ziemlich tief im Theater, etwas zur Linken, geht und den Rücken nach der Versammlung kehrt, fährt Horatio zusammen: Sehen Sie, Mylord, dort kommts, sagt er, und deutet nach der Rechten, wo der Geist schon unbeweglich hingepflanzt steht, ehe man ihn einmal gewahr wird. Garrick, auf diese Worte, wirft sich plötzlich herum und stürzt in demselben Augenblicke zwei bis drei Schritte mit zusammenbrechenden Knien zurück, sein Hut fällt auf die Erde, die beiden Arme, hauptsächlich der linke, sind fast ausgestreckt, die Hand so hoch als der Kopf, der rechte Arm ist mehr gebogen und die Hand niedriger, die Finger stehen so auseinander, und der Mund offen, so bleibt er in einen [sic] großen aber anständigen Schritt, wie erstarrt, stehen, unterstützt von seinen Freunden, die mit der Erscheinung bekannter sind, und fürchteten, er würde niederfallen; in seiner Miene ist das Entsetzen so ausgedruckt, daß mich, noch ehe er zu sprechen anfing, ein wiederholtes Grausen anwandelte. Die fast fürchterliche Stille der Versammlung, die vor diesem Auftritt vorherging, und machte, daß man sich kaum sicher glaubte, trug vermutlich nicht wenig dazu bei. [4:] So spricht er endlich, nicht mit dem Anfange, sondern mit dem Ende eines Odemzugs und bebender Stimme:

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Angels and ministers of grace defend us. Worte, die alles vollenden, was dieser Szene noch fehlen könnte, sie zu einer der größten und schrecklichsten zu machen, deren vielleicht der Schauplatz fähig ist. [5:] Der Geist winkt ihm, da sollten Sie ihn sich von seinen Freunden, die ihn warnen nicht zu folgen und fest halten, los arbeiten sehen, immer mit den Augen auf dem Geist, ob er gleich mit seinen Gefährten spricht. Aber endlich, da sie es ihm zu lange machen, wendet er auch sein Gesicht nach ihnen, reißt sich mit großer Heftigkeit los, und zieht mit einer Geschwindigkeit, die einen schaudern macht, den Degen gegen sie: by heaven I’ll make a ghost of him, that lets me, sagt er. Das ist genug für sie; alsdann legt er den Degen gegen das Gespenst aus: go on I’ll follow thee. So geht der Geist ab. Hamlet steht noch immer still, mit vorgehaltenem Degen, um mehr Entfernung zu gewinnen, endlich da der Zuschauer den Geist nicht mehr sieht, fängt er ihm langsam an zu folgen, steht zuweilen still und geht dann weiter, immer mit ausgelegtem Degen, die Augen starr nach dem Geist, mit verwirrtem Haar und noch außer Odem, bis er sich ebenfalls hinter der Szene verliert. Mit was für einem lauten Beifall dieser Abzug begleitet wird, können Sie sich denken. Er fängt an, so bald der Geist fort ist, und dauert, bis Hamlet ebenfalls verschwindet. Was das für ein Triumph ist. (LBE: 334ff.)356

2.1

Elemente enargeischer Beschreibungskunst im Zeichen des »celare artem« (Cicero und Lichtenberg)

Quintilians Institutio und die hellenistischen Progymnasmata bieten zwar Definitionen von und Beispiele für Ekphrasis, diskutieren aber nicht explizit konkrete Schreibstrategien.357 Doch hat die Altphilologin Beth Innocenti einige wiederkehrende Kunstgriffe ekphrastischer Passagen aus einem Textkorpus destilliert, auf das Quintilian selbst gerne verweist: Ciceros Reden gegen Verres. Innocentis Katalog ekphrastischer Verfahrensweisen stelle ich im Folgenden leicht modifiziert vor und ergänze sie um Beobachtungen Ruth Webbs.

2.1.1 Imaginations-Signale Ekphrasen können durch explizite Imaginations-Signale (»cues to imagine«)358 eingeleitet werden. Das passt bemerkenswert gut zur Definition des »showing mode« durch Tobias Klauk und Tilmann Köppe: Für diesen sei kennzeichnend, dass »readers are invited to vividly imagine what the text is about«;359 antike 356 Die Sigle LBE steht fortan für Lichtenbergs Briefe aus England, zitiert nach Lichtenberg: Schriften und Briefe 3, 326–367. 357 Webb: Ekphrasis, Imagination, 92. 358 Innocenti: Vivid Description, 378. 359 Klauk/Köppe: Idea of Telling vs. Showing Distinction, o.S.

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Ekphrasen machen dieses Charakteristikum also gern explizit. Dabei lassen sich sich zwei Ausprägungen unterscheiden: 1) Der Redner fordert die Zuhörer auf, sich das Folgende vorzustellen; begünstigt wird dies durch das beiden Seiten vertraute Phantasia-Modell (siehe I.1.2). 2) Der Redner erklärt, dass die Erinnerungs-Bilder sich ihm selbst gerade aufdrängen, und gibt in der Regel eine damit verbundene Emotion als Grund an. Das kann, sofern der Redner ein Augenzeuge des Erzählten war, der Beglaubigung dienen, vor allem aber soll es die Hörer zur Identifikation einladen und die emotionale Wirkung der Ekphrasis steuern. Insofern entsprechen Ekphrasen nicht der Forderung mancher Narratologen, Erzählungen im »Showing«-Modus sollten keinen erkennbaren Erzähler haben.360 Lichtenberg leitet seine Hamlet-Passage mit der Aufforderung an seinen Briefpartner ein, ihm »in einige Szenen« zu folgen, und begründet die konkrete Wahl der ersten Szene mit seiner augenblicklichen Stimmung [1]. Damit verbindet er beide Ausprägungen von Imaginations-Signalen. An Stelle des Publikums tritt der Briefpartner Heinrich Christian Boie, mit dem sich wiederum die Leser identifizieren können: Sie sollen sich vorstellen, sie folgten dem sich erinnernden Briefschreiber ins Drury Lane Theatre. Innerhalb der Beschreibung selbst verwendet Lichtenberg ein Imaginations-Signal, das den virtuellen Sehsinn des Lesers mit dem Blick der Bühnenfigur korreliert: »Der Geist winkt ihm, da sollten Sie ihn sich von seinen Freunden, die ihn warnen nicht zu folgen und fest halten, los arbeiten sehen, immer mit den Augen auf dem Geist« [5].361

2.1.2 Einführung eines intradiegetischen Publikums Bereits in Abschnitt I.1.2 wurde festgestellt, dass die von Quintilian zitierte Cicero-Ekphrasis des auf sein »Dämchen« gestützten Verres ein intradiegeti360 Die Forderung wird insbesondere erhoben von Genette: Die Erzählung, 104–108, Chatman: Story and Discourse, 32, Nünning/Sommer : Diegetic and Mimetic Narrativity, 341; zur Kritik siehe besonders Klauk/Köppe: Idea of Telling vs. Showing, welche die Forderung vor allem für Ich-Erzählungen in Frage stellen und dahingehend modifizieren, dass die Aufmerksamkeit im Showing-Modus nicht zentral auf den Erzähler gerichtet sein darf (o.S.). Auch Werner Wolf betont, dass realistische Romane, um ästhetische Illusion zu erzielen, dem »principle of life-like perspectivity« folgen und deshalb zur internen Fokalisierung tendieren, »since the 18th-century first-person epistolary novel and later in modernist third-person ›figural narration‹ with its covert narrators and effect of immediacy« (Wolf: Aesthetic Illusion, Abs. 28). 361 Zudem sei an die Worte erinnert, mit denen Diderot seine Beschreibung von Garricks mimischem Virtuosenstück einleitet: »Ce que je vais vous raconter, je l’ai vu« (Diderot: Œuvres ComplHtes 3, 73), die besonders deutlich der Beglaubigung dienen.

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sches Publikum fingiert; Innocenti stellt fest, dass sich dieser Kunstgriff in ausnahmslos allen ekphrastischen ›Szenen‹ der Reden gegen Verres findet, ebenfalls zur Beglaubigung des Erzählten dient und ebenfalls ein Identifikationsangebot impliziert, in diesem Fall für das gegenwärtige in Bezug auf das vergegenwärtigte Publikum. Somit dient die Erwähnung eines intradiegetischen Publikums in recht wörtlicher Weise dem ekphrastischen Postulat, ›Zuhörer zu Zuschauern zu machen‹. Nach der Einleitung [1] wechselt Lichtenbergs Ekphrasis zwischen der Schilderung von Bühnengeschehen und Publikumsreaktion in einer Weise, aufgrund derer sich die eigentliche Beschreibung in vier Abschnitte gliedern lässt: Am Ende des ersten Abschnitts [2] ist es »die ganze Versammlung« (LBE: 335), die gebannt schweigt; am Ende des zweiten [3] artikuliert sich ein Ich, das kein erzählendes mehr ist, sondern ein erzähltes als Teil des intradiegetischen Publikums:362 »[I]n seiner Miene ist das Entsetzen so ausgedruckt, daß mich, noch ehe er zu sprechen anfing, ein wiederholtes Grausen anwandelte. Die fast fürchterliche Stille der Versammlung […] trug vermutlich nicht wenig dazu bei.« (LBE: 335) So vorbereitet, erweist sich die Formulierung »Worte, die alles vollenden, was dieser Szene noch fehlen könnte, sie zu einer der größten und schrecklichsten zu machen, deren vielleicht der Schauplatz fähig ist« (ebd.) [4], wiewohl dem Wortlaut nach ganz auf das Bühnengeschehen bezogen, auch als Zusammenfassung der Wirkung auf das Publikum. Dementsprechend führt das Ende des letzten Abschnitts [5] Wertung (»Triumph«) und konkrete Reaktion (»Beifall«; LBE: 336) zusammen. Vor dem Hintergrund der Quintilian’schen ›Leerstellen-Theorie‹ ist besonders beachtenswert, dass die Beschreibung von Garricks Mienenspiel durch die der Publikumsreaktion nicht nur ergänzt, sondern teilweise ersetzt wird: Der Phantasie des Lesers bleibt es überlassen, sich eine Miene vorzustellen, die eine solche Reaktion auslöst. Damit wird punktuell fortgeführt, was Fieldings Darstellung durchgehend bestimmt (siehe I.1.4). 2.1.3 Diskrete Empathie-Signale der Erzählinstanz Die Einführung eines intradiegetischen Publikums hat den Vorteil, das geschildete Geschehen gewissermaßen zu objektivieren, durch eine (oft durchaus fiktive) Zeugenschaft. Dennoch ist zu ergänzen, dass sich auch in Ekphrasen, die eine Zeugenschaft nicht explizit behaupten, Empathie-Signale finden, die der Erzählinstanz zuzuschreiben sind: So führt etwa Quintilians urbs-capta-Skizze »die unseligerweise bis zu diesem Tag vom Schicksal bewahrten Greise« vor Augen; entsprechend zeugt die Formulierungen »Hamlet erscheint in einem 362 Bzw. nicht mehr heterodiegetisch, sondern homodiegetisch.

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schwarzen Kleide, dem einzigen, das leider! noch am ganzen Hofe für seinen armen Vater, der kaum ein paar Monate tot ist, getragen wird« (LBE: 335, meine Hervorhebung) von Empathie für die Rollenfigur. Im Sinne des celare artem sind solche Kommentare tendenziell jedoch eher diskreter Natur.363 2.1.4 Zuspitzung auf handlungsintensive ›Szenen‹ Wenn Innocenti formuliert, dass die Ekphrasen in Ciceros Reden gegen Verres handlungsintensive ›Szenen‹ (»scenes« voller »forceful actions«)364 darstellen, ist dies, wie in Teilkapitel I.1.1 gezeigt wurde, nicht etwa eine Metapher, die sich einer modernen Philologin aufdrängt und die zufällig mit meinem Modell von Mimen-Ekphrasis und den angeführten Textpassagen kompatibel ist; vielmehr war Theater bereits in der Spätantike das wohl wichtigste Wahrnehmungsmodell für Ekphrasis. Dafür sprechen die im Zusammenhang mit der antiken Definition von Ekphrasis diskutierte Theater-Metaphorik ebenso wie das soeben vorgestellte Kunstmittel, ein intradiegetisches Publikum anzuführen und die (bereits thematisierte) Nähe der Ekphrasis zu Mauerschau und Botenbericht (I.1.1). Die Gestaltung solcher szenischen Ekphrasen weist nun einige Merkmale auf, die im Folgenden, von Innocenti abweichend, als eigene Kunstgriffe aufgeführt werden. 2.1.5 Gegenstände als Konzentrate von Aktion Bewegungslose Gegenstände stehen zwar nicht im Mittelpunkt von Ciceros Ekphrasen und werden deshalb selten (etwa durch Adjektive) näher charakterisiert. Dennoch hat ihre Nennung in den dargestellten Handlungen eine wichtige Funktion: »particularizing actions with objects«.365 Dabei werden die Gegenstände zumeist bewegt – und sind dergestalt auszuwählen, dass sie eine affektive ›Bewegung‹ (motus) beim Hörer/Leser auslösen. In Bezug auf Mimen-Ekphrasis ist also auf den Einsatz von Requisiten zu achten. Er dürfte zumeist ihrem Einsatz durch den beschriebenen Schauspieler entsprechen, doch bleibt zu fragen, welche Requisiten der Beschreiber auswählt 363 In der Narratologie werden Wertungen überwiegend als typisch für den »telling«-Modus gesehen, weil sie eine Erzählinstanz voraussetzen, während im »showing« der Eindruck von Objektivität erzeugt werden soll (siehe Rabinowitz, 530). Dagegen betont Werner Wolf, dass zur Erzeugung ästhetischer Illusion wenigstens in illusionistischen Romanen das »principle of generating interest, and in particular emotional interest, in the represented world« zentral ist, zu dem die Strategie gehört, an »the recipient’s emotions« zu appellieren (Wolf: Aesthetic Illusion, Abs. 30). 364 Innocenti: Vivid Description, 378 et al.; ebd. 380 ist sogar von der Identifikation der Zuschauer »with the actors in a scene« die Rede. Der Begriff »actor« meint zwar zunächst ›Akteur‹, legt aber in Verbindung mit »scene« auch die Bedeutung ›Schauspieler‹ nahe. 365 Innocenti: Vivid Description, 378.

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und wie er sie in den Text einbindet. Das zeigt sich deutlich im Vergleich zwischen Innes und Lichtenberg. Innes lenkt die Aufmerksamkeit auf zwei Kleidungsstücke,366 mittels derer Clay, im Abendanzug, sein Kunststück vorbereitet: »›The cloak and the big hat,‹ he said softly, ›it was all built up from them‹«. Es handelt sich dabei keineswegs um historische oder historisierende Stücke, vielmehr um »a twentieth century dandy’s coat« in Schwarz und Scharlachrot und einen Künstlerschlapphut mit monströs ausladender Krempe.367 So wird deutlich, dass sie nicht Zeitkolorit vermitteln, sondern die Stimmung der Nachtszene unterstützen sollen: Den weiten Mantel nutzt Clay vor allem, um den Körper verschwinden zu lassen, den Hut, um das Gesicht zu verschatten. Lichtenberg thematisiert die Historizität der Requisiten gar nicht368 und erwähnt auch keinen Mantel, wohl aber einen Hut. Ihn hat Garrick zunächst »in die Augen gedrückt« (worin ihm Clay folgt); bei der zweiten Erwähnung fällt er zur Erde und verdeutlicht so die Heftigkeit der jähen Bewegung. Zwischen beiden Erwähnungen besteht also eine Beziehung, die Innocenti zufolge auch für Ciceros Ekphrasen typisch ist: die des Kontrastes.

2.1.6 Kontraste Gegensätze und Spannungen lassen sich zwar mit einigem Spürsinn oder auch Einfallsreichtum in nahezu jedem Text ausmachen,369 doch ist Innocentis Formulierung, »contrasting features of the scene«370 trotzdem hilfreich, wenn man Kontraste als ›ins Auge fallende‹ Gegensätze versteht, die auch an der sprachlichen Oberfläche klar markiert sind. In Lichtenbergs Ekphrasis wären vor allem zu nennen: – der durch ein »leider!« markierte Kontrast zwischen Hamlets schwarzen Trauerkleidern und denen der übrigen Hofgesellschaft einschließlich der Uniformen seiner Freunde [2]; – der durch ein »Auf einmal« markierte Kontrast zwischen der stummen Beklemmung des Szenenanfangs, die sich auf die Zuschauer überträgt [2], und Horatios Ausruf [3]; – der Kontrast zwischen Hamlets Entsetzen, das sich in seiner Erstarrung ausdrückt, und dem (sprachlich durch Komparativ markierten) Bemühen 366 Fischer-Lichte folgend verstehe ich Kleidungsstücke, die zum hervorgehobenen Bestandteil mimischer Aktion werden, nicht mehr als Teil des Kostüms, sondern als Requisiten (Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 1, 151–155; siehe unten I.5.3). 367 Innes: Hamlet, Revenge, 36. 368 Siehe jedoch seine spätere Diskussion von Garricks Entscheidung, Hamlet im zeitgenössischen »französischen Kleide« (LBE: 347) zu spielen, dazu II.5.8. 369 Siehe Posner : Strukturalismus. 370 Innocenti: Vivid Description, 378.

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seiner Freunde, »die mit der Erscheinung bekannter sind, und fürchteten, er würde niederfallen«, ihn zu stützen [3], – und schließlich sein Hin- und Hergerissensein zwischen dem Geist und den Freunden, ausgedrückt in der Körpersprache, sprachlich unterstrichen durch ›obgleich‹: »mit den Augen auf dem Geist, ob er gleich mit seinen Gefährten spricht« [5]. Der Kontrastmarker »Auf einmal« zeigt überdies, dass Lichtenberg einen Kunstgriff verwendet, den Innocenti bereits als typisch für Ciceros Ekphrasen ansieht: 2.1.7 Plötzlichkeit »The sudden occurrence of events«371, in diesem Fall also das plötzliche Gewahrwerden des Geistes, wird bei Lichtenberg nicht nur explizit markiert, sondern auch durch Doppelung gesteigert: »Auf einmal […] fährt Horatio zusammen«, »Garrick […] wirft sich plötzlich herum« (LBE: 335, meine Hervorhebung). Es handelt sich, wohlgemerkt, nicht etwa um das plötzliche Erscheinen des Geistes, der ja »schon unbeweglich hingepflanzt steht, ehe man ihn einmal gewahr wird« (ebd.), sondern um den Effekt einer Aufmerksamkeitslenkung: ›Man‹ hätte, will sagen: die Zuschauer hätten ihn eigentlich schon längst bemerken können, wären sie nicht von der Aktion der in sich versunkenen HamletFigur gefesselt gewesen. Die Leser haben diese Möglichkeit nicht, da Lichtenberg die entsprechende Information erst im Perfekt nachliefert, um den Effekt der Plötzlichkeit zu steigern.372 2.1.8 Beleuchtung Innocenti zufolge ist die Erwähnung von Licht in Ciceros Ekphrasen »a feature […] that promotes visualization without calling attention to the technique of vivid description«,373 dem Prinzip des celare artem entsprechend. Mit ›Be371 Innocenti: Vivid Description, 372. 372 In vergleichbarer Weise betont Innes die Plötzlichkeit von Clays körperlicher Aktion durch Einsatz des Plusquamperfekts: »No one missed the actual presence of the Ghost in the minute that followed. With the rapidity of an athlete Clay had whirled round upon himself and stiffened as instantly into a convention of retarded motion at once wholly theatrical and wholly terrifiying. The hat had slipped to the ground, the cloak fallen back« (Innes: Hamlet, 38; meine Hervorhebungen). Damit wird suggeriert, das Herumwirbeln sei so jäh erfolgt und so plötzlich (»instantly«) beendet worden, dass man es gar nicht ›gleichzeitig‹ versprachlichen, sondern nur angesichts der anschließenden Pose erinnern bzw. rekonstruieren könne. 373 Innocenti: Vivid Description, 373.

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leuchtung‹ wird insbesondere Atmosphäre im imaginierten Raum374 geschaffen – vor allem durch den Kontrast von Licht und Dunkelheit. Bei Lichtenberg wird allerdings vor allem Dunkelheit thematisiert, die Bühne und Zuschauerraum verbindet. 2.1.9 ›Sprechende‹ Details Soweit die von Innocenti herausgestellten Merkmale von Ekphrasis in Ciceros Verres-Reden; sie sind geeignet, einen Haupttypus auch im Bereich der griechisch geprägten spätantiken Rhetorik zu charakterisieren.375 Komplementär möchte ich, einige Beobachtungen von Ruth Webb auswertend, auf eine weitere Strategie hinweisen, die über die bloße Partikularisierung von Handlung durch Gegenstände hinausgeht: den Einsatz ›sprechender‹, d. h. zeichenhaft eingesetzter Details.376 Ein gutes Beispiel dafür ist das bereits erwähnte Beispiel des auf sein »Dämchen« gestützten Verres.377 Die imaginativen Ergänzungen durch den zeitgenössischen Hörer/Leser führt Webb nicht allein auf das Modell der Übertragung von Phantasmata zurück, sondern auch auf die Bedeutungen, die den einzelnen Elementen und ihrem Arrangement zukommen: Die Mätresse ist ein Zeichen für Verres’ Lüsternheit; dass er sich auf sie lehnt, ist ein Zeichen für die hinter ihm liegenden Ausschweifungen. Wenn Quintilian die Lüsternheit der Augen hinzuphantasiert, ergänzt er also lediglich ein mimisches Zeichen für dieselbe Bedeutung. In Lichtenbergs Mimen-Ekphrasis werden Elemente aller schauspielerischen Zeichensysteme378 benannt und entweder explizit oder in ihrer Bedeutung durch den Kontext klar determiniert: das Kostüm (schwarze Farbe steht für Trauer), 374 »Der Begriff Atmosphäre bezieht sich in seiner ästhetischen Bedeutung auf die leiblichaffektive Wirkung einer Umgebung in ihrer jeweiligen Wahrnehmungssituation. Grundsätzlich ist jeder Raum durch eine spezifische Atmosphäre geprägt, die entweder aus unwillkürlich zusammenwirkenden oder bewusst inszenierten Qualitäten eines Ortes resultiert.« In dieser Definition aus dem Metzler Lexikon Theatertheorie (Schouten: Atmosphäre, hier 13) wird die Existenz eines Raumes vorausgesetzt und das Phänomen Atmosphäre von diesem abgeleitet – ich gehe davon aus, dass sich atmosphärische Erfahrungen über die Angabe von typischen »Qualitäten« auch imaginieren lassen. 375 Siehe die Übersicht über die in den Progymnasmata angeführten griechischen Musterbeispiele für Ekphrasis in Webb: Ekphrasis, Imagination, 213f. 376 Übrigens empfiehlt auch Lessing diese Strategie in seinem Laokoon: Ihm zufolge »kann die Poesie in ihren fortschreitenden Nachahmungen nur eine einzige Eigenschaft der Körper nutzen und muß daher diejenige wählen, welche das sinnlichste Bild des Körpers von der Seite erwecket, von welcher sie ihn braucht« (LFA 5.2: 117). Der unerreichte Meister in dieser Kunst sei Homer : »Ein Schiff ist ihm bald das schwarze Schiff, bald das hohle Schiff, bald das schnelle Schiff, höchstens das wohlberuderte schwarze Schiff. Weiter läßt er sich in die Malerei des Schiffes nicht ein« (LFA 5.2: 118). 377 Siehe Webb: Ekphrasis, Imagination, 92. 378 Für eine präzisere Systematisierung siehe I.5.2.

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die Frisur (›verwirrtes Haar‹ deutet auf innere Verwirrung), die Gestik (›untergesteckte Arme‹ bezeichnen Frösteln), die Mimik (offen bleibender Mund steht für anhaltendes Staunen) und die Deklamation (›bebende Stimme‹ drückt Schrecken aus). 2.1.10 ›Schemata‹ und Metaphorik Verres’ Mätresse als Zeichen zu interpretieren, dürfte auch modernen Lesern nicht schwerfallen, und wahrscheinlich verstehen sie auch, dass »Pantöffelchen« keine repräsentative Kleidung für einen römischen Statthalter waren.379 Dass allerdings ein ›purpurner Griechenumhang‹380 auch wegen des orientalischen Farbstoffs auf ›Dekadenz‹ hinwies, ist eine Bedeutung, die kulturspezifisches Wissen voraussetzt.381 Der Purpurmantel kann somit als Beispiel für das Aufrufen eines Gemeinplatzes dienen (koinos topos bzw. locus communis), eine Strategie, die, wie Webb nachweist, entscheidend zur Steuerung der durch Ekphrasen hervorgerufenen Imagination beiträgt.382 Allerdings kann das Aufrufen mentaler Muster auch außerhalb dieses Wirkungszusammenhangs funktionieren, die Anschaulichkeit steigernd, ohne notwendigerweise auf bestimmte Emotionen zu zielen. Die rhetorische Kategorie ›Gemeinplatz‹ soll deshalb im Folgenden durch den Begriff Schema ersetzt werden, mit dem die Kognitionswissenschaft in analoger Weise die schnelle Verarbeitung unterschiedlicher Informationen erklärt, sofern sie sich einem solchen Schema zuordnen lassen.383 In diesem Fall wird das Schema ›römischer Statthalter‹ explizit aufgerufen, das damit kontrastierende Schema ›verweichlichter Griechling‹ dagegen implizit. »With the rapidity of an athlete« wirbelt Clay bei Innes um die eigene Achse. Für dieses Schema findet sich in Lichtenbergs Hamlet-Passage selbst keine direkte Entsprechung, wohl aber veranschaulicht er an anderer Stelle seiner Briefe 379 Inst. 8.3. 64: 2, 177 ; siehe I.1.1. 380 Die zitierte Übersetzung Helmut Rahns (Quintilian: Ausbildung, 177) kommt dem Leser bereits kommentierend entgegen; Webb übersetzt lediglich »a purple cloak« (Webb: Ekphrasis, Imagination, 108). 381 Siehe Webb: Ekphrasis, Imagination, 110. 382 Siehe Webb: Ekphrasis, Imagination, 126. 383 »Ein erworbenes Schema ist eine relativ stabile, gegen Vergessensprozesse vergleichsweise resistente Wissensstruktur, die Wahrnehmungen und Handlungen leitet und es gestattet, Bekanntes und Unbekanntes, Erwartetes und Unerwartetes kognitiv zu integrieren. Das beinhaltet allerdings auch die Gefahr, dass Ereignisse und komplexe Geschehensabläufe im Sinne eines bestimmten, z. B. kulturspezfischen Schemas verzerrt und somit nicht mehr realitätsadäquat erinnert werden.« (Kölbl/Straub: Schema, 520; dort auch weiterführende Literaturangaben). Gross führt als alternative Begriffe für derartige »Superstrukturen« an: »Skripts«, »Szenarios«, »Rahmen« und »Erzählgrammatiken« (Gross: Lese-Zeichen, 20, Literaturnachweise 126).

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aus England die Anmut von Garricks Bewegungen durch eine raffinierte Verschiebung im Verhältnis zweier Schemata: »[E]r geht und bewegt sich unter den übrigen Schauspielern wie der Mensch unter Marionetten« (LBE: 331). Dabei ist die Grenze zur Metaphorik fließend; auch sprachliche Bilder rufen ja bestimmte Schemata auf, um damit verbundene Vorstellungen auf den Bildempfänger zu übertragen. Quintilian wendet sich denn auch im Anschluss an seine in Kapitel I.1.2 zitierte Diskussion enargeischer Passagen den Gleichnissen oder Vergleichen (similitudines) zu.384 Für unseren Zusammenhang ist wichtig, dass er vom Redner im Gegensatz zum Dichter fordert, Bildspender zu verwenden, deren Gemeinsamkeit mit dem Bildempfänger unmittelbar einleuchtet,385 wenngleich ›weit hergeholte‹ Vergleiche386 in anderen Zusammenhängen durchaus effektvoll sind. Wie aktuell diese Überlegungen sind, zeigt die Tatsache, dass Sabine Gross 2002 eine vergleichbare Unterscheidung zwischen »Alltagsmetaphern« und »poetischen Metaphern« vorgeschlagen hat – ohne Rückgriff auf Quintilian, jedoch unter Berufung auf aktuelle linguistische Forschungen.387 In unserem Zusammenhang ist entscheidend, dass poetische Metaphern die Gefahr der obscuritas mit sich bringen, was dem Prinzip des celare artem zuwiderlaufen würde. Dieses Prinzip ist allerdings für Beschreibungskunst deutlicher weniger wichtig als für Kunstbeschreibung – wie nun zu zeigen ist.

2.2

Elemente enargeischer Kunstbeschreibung im Zeichen ausgestellter Intermedialität (Philostrat, Shakespeare und Lichtenberg)

Obwohl rhetorische Beschreibungskunst vom Wahrnehmungsmodell einer ›Szene‹ ausgeht und meist sogar ein intradiegetisches Publikum präsentiert, handelt es sich dabei typischerweise um die sprachliche Repräsentation einer nichtfiktionalen, nicht durch einen Autor oder Künstler vorgeformten Wirklichkeit. Lichtenbergs Mimen-Ekphrasis dagegen ist durch eine dreifache Staffelung von Repräsentationsebenen gekennzeichnet, die im Folgenden als ›Rollentext‹ (1), ›Verkörperung‹ (2) und ›Beschreibung‹ (3) bezeichnet werden sol384 Eingleitet durch die Formulierung: »Eine herrliche Erfindung aber, die Dinge ins hellste Licht zu rücken, sind die Gleichnisse« (Inst. 8.3.72: 2, 181): »Praeclare vero ad inferendam rebus lucem repertae sunt similitudines« (2, 180). Es handelt sich also weiterhin um ein mit Enargeia zumindest eng verwandtes Wirkungideal, obgleich mir ungewiss zu sein scheint, ob die Gleichnis-Diskussion der Besprechung enargeischer Passagen unter- oder beigeordnet ist. 385 Siehe Inst. 8.3. 72–75; ich ›übersetze‹ in die Terminologie von Weinrichs Metaphernmodell (Weinrich: Sprache in Texten, bes. 297). 386 »[L]ongius petita« (Inst. 8.3. 74: 2, 180). 387 Gross: Literatur und Synästhesie.

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len.388 Obige Untersuchung von Lichtenbergs Text auf für enargeische Beschreibungskunst typische Kunstgriffe hin ignoriert also Ebene 2 und behandelt Ebene 1 wie (womöglich fingierte) Realität. Das lässt sich dadurch rechtfertigen, dass sich das in der Renaissance entstehende Literaturtheater tendenziell darum bemüht, eine ästhetische Illusion von Wirklichkeit zu vermitteln (siehe I.1.4) und sich die mit Garrick einsetzende moderne Schauspielkunst des 18. Jahrhundert in den Dienst dieser Wirkungsabsicht stellt. Beide folgen dem Gebot des celare artem, um im Extremfall sogar augenblicksweise jene Verselbstständigung des Evokations-Effektes herbeizuführen, die Fieldings Partridge modellhaft vorführt (siehe I.1.5). Diese Wirkungsabsicht wird durch das bereits diskutierte Potenzial theatralischer Zeichen begünstigt, »in materieller Hinsicht dieselben Zeichen zu sein wie diejenigen, die sie denotieren«.389 Dies gilt besonders deutlich für Schauspieler, insofern sie ›Menschendarsteller‹ sind. Wenn aber Lichtenberg formuliert, er wolle Fieldings »vortreffliche[ ] Beschreibung […] erklären« [1], bedeutet dies, dass seine Ekphrasis das Prinzip des celare artem teilweise suspendiert, um den Kunstcharakter von Garricks Schauspielkunst zu analysieren, die Partridge aufgrund ihres Evokations-Effektes gar nicht als Kunst erkennen, geschweige denn analysieren und würdigen kann. Insofern die Beschreibung zur expliziten Erklärung eines nicht-schriftlichen Mediums (hier : der Schauspielkunst) wird, kann man vom Prinzip der ausgestellten Intermedialität sprechen. Die Spannung zwischen dem Prinzip des celare artem und dem der ausgestellten Intermedialität manifestiert sich bei Lichtenberg besonders deutlich im Wechsel zwischen der fünfmaligen Referenz auf »Hamlet« während der eigentlichen Beschreibung [2–5] und der Referenz auf »Garrick«, die zwar nur einmal erfolgt, jedoch buchstäblich den affektiven und motorischen Wendepunkt der Handlung markiert: »Garrick, auf diese Worte, wirft sich plötzlich herum« [3]. Zudem lässt sich besagte Spannung in Bezug auf die erste Repräsentationsebene aufzeigen, den Dramentext: Einerseits übersetzt Lichtenberg zweimal Redeanteile der Bühnenfiguren und nähert damit die Darstellung der Dramenhandlung einer enargeischen Erzählung in deutscher Sprache an. Andererseits zitiert er den Vers »Angels and ministers of grace defend us« im englischen Original und markiert ihn damit als Material, das Garrick durch seine spezifische Deklamationstechnik bearbeitet: »nicht mit dem Anfange, sondern mit dem Ende eines Odemzugs« [3]. Für Ekphrasen in der Spannung zwischen celare artem und ausgesteller Intermedialität gibt es ein bereits in der Einleitung behandeltes antikes Modell, das in den meisten Fällen ebenfalls eine dreifache Staffelung der Repräsentations388 Diese Unterscheidung wird in Kapitel I.5 erläutert und durch Einführung der Kategorien ›Produktionsvoraussetzung‹, ›Artefakt‹ und ›Rezeptionsergebnis‹ weiter ausdifferenziert. 389 Fischer-Lichte: Zeichensprache des Theaters, 238, siehe Einf. 5.

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ebenen aufweist: die um 200 n. Chr. entstandenen Gemäldebeschreibungen des hellenistischen Rhetors Philostrat(os).390 Die beteiligten Ebenen sind in diesem Fall ein Epos, Drama oder eine historiographische Schrift (1), die Darstellung von Momenten daraus als Gemälde (2) und dessen Beschreibung (3).391 In den folgenden Abschnitten (I.2.2.1-I.2.2.4) werde ich das Thema MimenEkphrasis vorübergehend unbeachtet lassen, um einige Tendenzen und Verfahrensweisen von Philostrats Eikones zu umreißen. Die Leitfrage der folgenden Überlegungen zu Philostrats Eikones wird sein, was Enargeia unter dem Vorzeichen ausgestellter Intermedialität bedeutet. Die nochmalige Thematisierung gerade der Eikones liegt begründet in ihrer dreifachen rezeptionsgeschichtlichen Relevanz: erstens als direktes Vorbild für die in der Einleitung (Unterkapitel 4) vorgestellte Texttradition der ›enargeischen Kunstbeschreibung‹,392 zweitens als indirektes Vorbild für Mimen-Ekphrasen, sofern sich diese an enargeischen Kunstbeschreibungen orientierten, und drittens als Beispiel einer impliziten Intermedialitätstheorie, die sowohl für die bis ins 18. Jahrhundert hinein dominierende ut pictura poesis-Doktrin Argumente geliefert hat wie auch für ihre Infragestellung namentlich im Laokoon, und damit, wie in I.2 postuliert, auch einen Bezugsrahmen für die erste Konjunktur von Mimen-Ekphrasis. Als Beleg für den ersten Rezeptionszusammenhang wird in Kapitel I.2.2.5 eine Kunstbeschreibung aus Shakespeares Erzählgedicht Lucrece interpretiert, von der die passionate speech im Hamlet eine Variante darstellt. Insofern Hamlets Kommentierung der passionate speech, wie gezeigt, bereits Elemente von Mimen-Ekphrasis enthält (siehe I.4), deutet sich hier auch der zweite Rezeptionszusammenhang an. Abschließend wird exemplarisch gezeigt, wie weit die erarbeiteten Elemente enargeischer Kunstbeschreibung dazu beitragen können, erstens Lichtenbergs Hamlet-Geist-Ekphrasis zu analysieren, zweitens deren Verhältnis zu graphischen Darstellungen derselben und drittens die Briefe aus England insgesamt.

390 Es handelt sich um den sog. »zweiten« Philostratos (ca. 175–245); zur Biographie siehe Bowie: Philostratus. 391 Zwar kann die erste Ebene im Fall von Stilleben oder Landschaftsdarstellungen entfallen, doch gibt es auch Mimen-Ekphrasen von Darbietungen, die nicht einen fixierten Dramentext umsetzen, sondern direkt Situation und Personen nachahmen oder improvisierend erfinden. Unter dem Vorzeichen des Literaturtheaters bzw. der von Mythendarstellungen dominierten hellenistische Malerei stellt dreifache Staffelung der Repräsentationsebenen aber den Normalfall dar. 392 Ob der Schild des Achill in diese Tradition gehört, wäre eigens zu diskutieren; ich folge jedenfalls Webb, die mit Philostrat einsetzt.

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2.2.1 Die Enargeia von Text und graphischem Bild im Vergleich und als Wirkungskette Obwohl der Begriff Enargeia in den Eikones nicht explizit begegnet, formuliert Sandrine Dubel in einer rezenten Untersuchung, die Erwähnung heller Farben bei Philostrat errege »the reader’s attention as a spot of colour does that of a painting’s viewer, producing an effect of enargeia which gives the illusion that one is in the presence of the painting«.393 Dubel referiert auf Enargeia als das Vermögen, Abwesendes imaginär anwesend zu machen,394 und bezieht es auf die zweite Repräsentationsebene, das Kunstwerk. Das leuchtet schon deshalb ein, weil Philostrat seine Sammlung von Gemäldebeschreibungen ›Bilder‹ nennt. Dubels Formulierung macht zudem darauf aufmerksam, dass im Fall von Gemäldebeschreibungen die Ekphrasis und ihr Gegenstand die Absicht teilen, auf den Rezipienten durch visuelle Eindrücke affektiv einzuwirken. Diesen Gedanken formuliert ansatzweise bereits Quintilian (Inst. 11.3, 66–68, siehe I.3.3); weiter ausgeführt wird er in der in Kapitel 4 der Einführung zitierten Passage aus Plutarchs Schrift Vom Ruhm der Athener, die in das Vorfeld der Eikones gehört.395 Darin stellt er eine gemeinsame Strategie der ›Schwesterkünste‹ heraus: die anschauliche Darstellung »durch Affekte [pathos] und Figuren [prosopon]«.396 Vor dem Hintergrund von Quintilians Überlegungen zur Enargeia (I.1.1) verstehe ich dies als Darstellung durch Figuren und deren Affekte, wobei sich letztere über Mimik und Gestik vermitteln. Entsprechend verläuft die Argumentation im Einleitungssatz von Philostrats ›Bild‹ Pantheia: Die schöne Pantheia ist von Xenophon zwar nach ihrem Wesen [e¯thos] geschildert, daß sie Araspes verschmähte, dem Kyros nicht erlag und mit Abradates von gleicher Erde bedeckt sein wollte; wie schön aber ihr Haar war, wie kräftig ihre Braue, wie ihr Blick war und der Ausdruck ihres Mundes, dies hat Xenophon noch nicht beschrieben, so geschickt er war, dies zu schildern; ein Mann aber, der Geschichte freilich zu schreiben nicht fähig war, dafür aber wunderschön malen konnte, ein Mann, der Pantheia selbst zwar nicht sah, aber seinen Xenophon kennt, der malt Pantheia, wie er sie sich in seiner Seele vorstellte. (PE 1.9.1: 199)397 393 Dubel: Colour, 311. 394 Diese Kurzformel gebraucht auch Ruth Webb für die Überschrift ihres Kapiteles »Enargeia«: Making absent things present in: Webb: Ekphrasis, imagination, 87–106. 395 Plutarch lebte ca. 45–125 n. Chr., ist also etwas jünger als Quintilian. Wie Philostrat wird er der »2. Sophistik« zugerechnet, und seine Rede Vom Ruhm der Athener dürfte wie Philostratos’ Eikones zum Genre der »Prunkrede« gehören. Auf die Bedeutung des SimonidesZitats für die Eikones verweist Graf: Philostratos, 165. 396 Plut. mor. 346 F-347 A; siehe zu dieser Passage Kapitel 2 der Einleitung. 397 Wie schon in der Einführung werden Philostrats Eikones fortan nach der Übersetzung von Otto Schönberger zitiert nach folgendem Muster : ›PE [Buch]. [Kapitel]. [Absatz]: [Seitenangabe nach Philostratos: Bilder]‹. »P\mheia B jakµ Nemov_mti l³m !p¹ toO Ehour c]cqaptai, dti te )q\spam !pgn_ou ja· J}qou oqw Btt÷to ja· )bqad\t, 1bo}keto joimµm c/m

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Anders als bei Plutarch jedoch ist hier der Historiker Augenzeuge, und der Maler gestaltet aufgrund der vom Text hervorgebrachten Enargeia, die also eine »chain of artistic transmission« (Webb) ermöglicht.398 Ähnlich wie im Fall von Quintilians Phantasma eines Mordes wird hier offensichtlich ein Schema vorausgesetzt; in diesem Fall verbindet es das »Wesen« einer tugendhaften Frau mit ihrem Aussehen. Dieses Aussehen hätte zwar, wie es heißt, auch Xenophon beschreiben können, doch scheint die hier im Stil einer diegesis zusammengeraffte Erzählung von Pantheias Schicksals eher die Domäne des Historikers zu sein. Die Kompetenz des Malers dagegen besteht darin, Aussehen und mimischen Ausdruck Pantheias »wunderschön« auszugestalten. Entsprechend rühmt Philostrats Prooimium die Malerei für ihr »Ebenmaß« (symmetr&a) und ihre »Farbenpracht«. Als Gegenstandsbereich werden zwar die »Taten und Gestalten [e&dos] der Heroen« genannt (PE 1 Prooimium 1: 84), denen sich auch Epos, Drama und Geschichtsschreibung widmen, doch heißt es, die Malerei kenne – auch im Gegensatz zur Plastik – insbesondere »den Blick, der beim Rasenden anders ist als beim Leidenden oder Frohen. Auch den jeweils verschiedenen Glanz der Augen kann ein Bildhauer kaum wiedergeben, die Malkunst jedoch kennt ein feuriges, ein helles und ein schwarzes Auge« (PE 1. Prooimium 2: 85; 87).399 Mit dem Ausdruck der Augen wird ein mimisches Merkmal hervorgehoben, dem in der Spätantike besondere Aufmerksamkeit galt400 und das, über die actio-Lehre, auch für die Schauspieltheorie der frühen Neuzeit zentral werden sollte.401 Somit sind auch hier medienübergreifende wie medienspezifische Aspekte von Enargeia thematisiert. Philostrats Text nun, als vorläufig letztes Glied der enargeischen Wirkungskette,402 reagiert explizit auf beide Repräsentationsebenen und schafft so eine intermediale Enargeia, die zwei Aspekte hat: Sie steht einerseits im Zeichen des Als-ob-Bewusstseins, das eine Würdigung künstleri-

398 399 400 401 402

1pi]sashai7 bpo_a d³ B jºlg ja· B avq»r fsg ja· oXom 5bkepe ja· ¢r eWwe toO st|lator, oupy b Nemov_m eUqgje ja_toi deim¹r £m peqikak/sai taOta, !kk !mgq nuccq\veim l³m oqw Rjam|r, cq\veim d³ Rjam~tator, aqt0 l³m P\mheia oqj 1mtuw~m, Nemov_mti d³ blik^sar cq\vei tµm P\mheiam, bpo_am t0 xuw0 1tejl^qato.« (Philostratos: Bilder, 198). Ruth Webbs Formulierung bezieht sich auf Beschreibungen des Sophisten Nikolaos, passt aber m. E. bereits auf Philostrat (Webb: Ekphrasis, Imagination, 186). »k]lla […] #kko l³m toO lelgm|mtor, #kko d³ toO #kcoOmtor C wa_qomtor. ja· aqc±r all\tym bpo?a_ eQsim b pkastij¹r l]m tir Bjista 1qcafetai, waqop¹m d³ alla ja· ckauj¹m ja· l³kam cqavijµ oWde« (Philostratos: Bilder, 84). Newby : Absorption and Erudition, 325. Siehe Till: Rhetorik und Schauspielkunst, 65; 80; insbesondere in den Ekphrasen der Kapitel I.2-I.4 ist der Ausdruck der Augen ein wichtiges Thema. Otto Schöneberger eröffnet seinen Aufsatz Die »Bilder« des Philostrat, indem er eine Beschreibung von Dürers auf Philostrat zurückgehenden Kupferstich zitiert, womit die Wirkungskette um zwei (bzw., einschließlich Analyse drei) weitere Glieder erweitert ist (Schöneberger : Philostrat, 158). Zu weiteren Kunstwerken nach Philostrat siehe Brassat/ Squire: Ekphrasis, 75.

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scher Mittel implizieren kann, wie sich in der zitierten Eingangspassage zu Pantheia andeutet. Komplementär dazu wird aber auch der Evokations-Effekt inszeniert, wie die in der Einleitung zitierte intermediale Metalepse zu Beginn der Jäger zeigt. Dafür, dass dabei alle Repräsentationsebenen berücksichtigt werden, bildet die im Prooimium gebotene narrative Rahmenkonstruktion der Eikones mit ihrem doppelten intradiegetischen Publikum eine wichtige Voraussetzung: Der gelehrte Rhetor erklärt dem zehnjährigen Sohn seines Gastgebers Inhalt und Machart (sophia) der Bilder, womit sich die Aufmerksamkeit auf die erste und zweite Repräsentationsebene richtet; seinen jugendlichen Rhetorikschülern bietet er außerdem ein Musterbeispiel virtuoser Redekunst, so dass für sie die dritte Repräsentationsebene im Vordergrund steht. Allerdings sind manche Interpreten der Meinung, dass insgesamt die Virtuosität des Beschreibens im Vordergrund stehe und sogar im Sinne einer spätantiken Paragone gegen die des Bildes ausgespielt werde. Winfried Eckel behauptet darüber hinaus, dass dies im Rekurs auf den ›Logos‹ der sprachlichen Vorlage geschehe und dass überhaupt sprachliche Diskursivität über bildnerische Unbestimmtheit gestellt werde. Sein Aufsatz Wissen und Sehen: Überlegungen zum Problem literarischer Bildbeschreibung ist deshalb besonders einschlägig für die vorliegende Arbeit, weil er vor dem Hintergrund Philostrats ekphrastische Positionen Goethes und Rilkes umreißt, von Autoren also, die im Analyseteil behandelt werden (III.2 und V). Die folgenden Abschnitte werden deshalb in Auseinandersetzung mit Eckel zeigen, wie die Enargeia aller drei Darstellungsebenen sowohl reflektiert wie in ihrer Wirkung vorgeführt wird. 2.2.2 Ebene 1: Die Enargeia der poetischen Bildvorlage Gleich zu Beginn der ersten Bildbeschreibung, Skamandros, wird die Aufmerksamkeit des primär adressierten Jungen von der zweiten auf die erste Ebene gelenkt: Hast du erkannt, liebes Kind, daß dies nach Homer gemalt ist? Oder hast du es noch nicht bemerkt, weil du dich offenbar staunend fragst, wie nur das Feuer nicht im Wasser erlosch? Überlegen wir also, was es bedeutet; du aber sieh jetzt weg davon, um das zu sehen, worauf das Bild beruht! Du kennst wohl die Erzählung der Ilias, wo Homer den Achilles sich als Rächer des Patroklos erheben läßt und die Götter zum Kampf unter sich erregt werden. […] Und nun sieh wieder hin! Alles stammt aus jener Stelle. (PE 1.1.1–2: 89)403 403 »=cmyr, § pa?, taOta jl¶qou emta; C oq p¾pote 5cmyjar dkadµ haOla Bco¼lemor, fpyr, d¶pote 5fg t¹ pOq 1m t` vdati; sulb\kolem owm f ti moe?, s» d³ !pobkexom aqt_m, fsom 1je?ma Qde?m, !vû ¨m B cqav^. oWsh\ pou t/r Yki\dor tµm cm¾lgm, 1m oXr nlgqor !m¸stgsi l³m t¹m )wik]a 1p· t` Patq|jk\, jimoOmtai d³ oR heo· pokele?m !kk¶koir. […]nqa dµ p²kim7 p²mta 1je?hem.« (Philostratos: Bilder, 88) Die Kürzung folgt der Wiedergabe bei Eckel: Wissen und Sehen, 93.

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Winfried Eckel kommentiert: Um wirklich sehen und nicht nur »staunen« zu können, ist zuallererst Wissen erforderlich, und dieses Wissen ist ein primär literarisches. Der in diesem Sinn Wissende aber, der seinen Homer genau gelesen hat, stößt durch die auf Anhieb vielleicht verwirrende Oberfläche des Bildes in eine ihm vollkommen vertraute Welt durch, eine Welt, in der er zu Hause ist, ja in der er sich womöglich besser auskennt als derjenige, der das Bild gemalt hat.404

Gewiss ist die Rückführung der zweiten auf die erste Darstellungsebene und die Rückbindung an das griechisch geprägte Wissen einer Herrschaftselite405 bedeutsam für etliche von Philostrats ›Bildern‹, und fraglos kann damit eine besondere Akzentuierung des Als-ob-Bewusstseins einhergehen. Fragwürdig erscheint es mir aber, wenn Eckel Poesie auf ›literarisches Wissen‹ reduziert und später sogar formuliert, dass »der Logos bei Philostrat noch den fraglosen Primat vor den sichtbaren Bildern« besitze.406 Demgegenüber ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die von Philostrat ins Gedächtnis gerufene Homerstelle nicht primär ›Wissen‹ vermittelt, sondern Enargeia. So folgt die Bemerkung »Alles stammt aus jener Stelle« auf eine (von Eckel weggekürzte) Passage, die nicht nur Bildbeschreibung, sondern auch Homer-Paraphrase ist407 und mithin eine Schnittstelle poetischer und malerischer Enargeia bezeichnet. Achill, so die Ausgangslage, hat seine Feinde wiederholt in den Fluss Skamandros hinein verfolgt, und der Flussgott droht nun, den Griechen zu ertränken, wird jedoch wiederum von Hephaistos mit Feuer bedroht. Hochragend hier die Stadt und dort der Mauerkranz von Ilion, hier die mächtige Ebene, weit genug, um Asien gegen Europa ins Feld zu stellen; dort strömt das Feuer breit übers Feld und frißt sich machtvoll die Uferhöhen des Stromes entlang, so daß er keine Bäume mehr hat. Das Feuer, das Hephaistos umloht, strömt über das Wasser hin, und der Flußgott leidet und fleht bei Hephaistos um Gnade. (PE 1.2: 89)408

Die Passage endet bezeichnenderweise mit dem Hinweis auf eine für den Flussgott verwendete Pathosformel, welche Homers direkte Redewiedergabe (Ilias 21, V. 357–60) ersetzt. Eckels These vom Primat ›logisch‹-literarischen Wissens in den Eikones lässt nicht nur außer Acht, dass Philostrat die Homer-

404 405 406 407 408

Eckel: Wissen und Sehen, 93. Siehe Newby : Absorption and Erudition. Eckel: Wissen und Sehen, 109. Siehe Hom. Il. 21, V. 1–382. rxgkµ l³m avtg B p|kir ja· taut· t± jq¶dela toO Yk¸ou, ped¸om d³ tout· l´ca ja· !powq_m tµm )s_am pq¹r tµm Eqq¾pgm !mtit²nai7 pOq d³ toOto pok» l³m pkglluqe? jat± toO ped¸ou, pok» d³ peq· t±r ewhar 6qpei toO potaloO, ¢r lgj´ti aqt` d]mdqa eWmai. t¹ d³ !lv· t¹m Nvaistom pOq 1piqqe? t` vdati, ja· b potal¹r !kce? ja· Rjete¼ei t¹m Nvaistom aqtor. (Philostratos. Bilder, 88).

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Passage hier zur ›Szene‹ zuspitzt,409 sondern auch, dass er sich in anderen ›Bildern‹ auf Dramen bezieht, namentlich auf Aischylos’ Agamemnon (PE 2.10) und Euripides’ Bakchen (PE 1.18).410 2.2.3 Ebene 2: Die Enargeia des beschriebenen Bildes Eckels These vom ›Primat des Logos‹ über die beschriebenen Gemälde überzeugt aber auch deshalb nicht, weil Philostrat gleich im ersten Satz seines Werkes den Verächtern der Malerei vorwirft, sie hätten »kein Gefallen am Ebenmaß [symmetr&a], durch das die Kunst auch am Logos teilhat« (PE Prooimium 1: 85). Von einem auf sprachliches Wissen eingeschränkten Logos-Begriff kann in den Eikones also keine Rede sein.411 Was Eckels Beispieltext anbelangt, ist hervorzuheben, dass hier im Vergleich mit Homer gerade die Eigenständigkeit des Skamandros-Malers herausgestrichen wird. Sie zeigt sich in der Auswahl einer besonders enargeischen Passage412 und sogar in einigen Abweichungen von der Vorlage. Diese beruhen keineswegs auf schlechter Homer-Kenntnis, sondern fördern gezielt Plausibilität und Farbwirkung.413 So wird eine spezifisch malerische Enargeia erzeugt, welche die Figur des Jungen in den Bann des Evokations-Effektes zieht. Dass Gemälde nicht nur auf unwissende Kinder so intensiv wirken können, zeigt sich, wenn der Sprecher selbst am Anfang des ›Bildes‹ Jäger direkt die Gestalten auf den Gemälden anspricht, im Wahn, »sie seien nicht gemalt, son409 Dieser Begriff findet sich auf Philostrat bezogen wiederholt bei Schmitz-Emans: Das Unsichtbare, 21. 410 Wie Jas´ Elsner herausgearbeitet hat, werden dabei besonders jene Ereignisse ›ausgemalt‹, die aus praktischen und vor allem aus Schicklichkeitsgründen nicht auf der Bühne gezeigt werden können und deshalb in der Regel durch Botenbericht oder Mauerschau (beides, wie erwähnt, im Grunde ekphrastische Textsorten) repräsentiert werden. Philostrat tut sein Bestes, die Dramatik der dargestellten Handlungshöhepunkte effektvoll auszuspielen, etwa, indem er die Ekphrasis Bakchen, den Evokationseffekt unterstützend, in medias res beginnt (PE 1.18.1: 134f.) und mit einer Pathosformel abschließt (PE 1.18.4: 136f.). 411 Siehe zum antiken Logos-Verständnis (und dessen aufklärerischer Fehlinterpretation) Gockel: Mythos und Poesie, 1–26. 412 »Von dieser Götterfehde nun« – heißt es am Schluss der von Eckel ausgelassenen Passage– »übergeht das Gemälde die übrigen Umstände und zeigt nur, wie Hephaistos mit aller Macht und Glut über Skamandros herfällt« (PE 1.1.1–2: 89): »to}tym oqm t_m peq· to»r heo»r B cqavµ t± l³m %kka oqj oWde, t¹m d³ Nvaistom 1lpese?m vgsi t` Sjal\mdq\ pok»m ja· %jqatom.« (Philostratos: Bilder, 88). 413 »Doch weder ist der Flußgott mit wallendem Haar gemalt, weil er ringsum versengt ist, noch Hephaistos hinkend, weil er einherstürmt. Auch ist der Glanz des Feuers nicht gelbrot oder vom üblichen Aussehen, sondern gleicht dem Gold und der Sonne. Dies allerdings steht nicht mehr bei Homer.« (PE 1.1.1–2: 89): »!kkû oute b potal¹r c]cqaptai jol_m rp¹ toO peqijejaOshai oute wyke}ym b Nvaistor rp¹ toO tq]weim7 ja· t¹ %mhor toO puq¹r oq namh¹m oqd³ t0 eQhisl]m, exei, !kk± wqusoeid³r ja· Bki_der. taOta oqj]ti jl¶qou.« (Philostratos: Bilder, 88).

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dern wirklich, bewegten sich und seien verliebt« (PE 1.28.1: 159). Diese (bereits im 4. Unterkapitel der Einführung thematisierte) intermediale Metalepse inszeniert malerische Enargeia als rezipientenseitige Transzendierung der mediumsspezifischen Starre und Stummheit, komplementär zu poetischer Enargeia, welche danach strebt, die mediumsspezifische Unanschaulichkeit sprachlicher Zeichen zu transzendieren. Beide wollen letztlich einen Eindruck von ›Lebendigkeit‹ erzeugen, der in einer Theateraufführung schon durch die medienspezifischen lebenden Darsteller hervorgerufen wird. Andererseits hat die Enargeia einer Theateraufführung gegenüber Texten und Kunstwerken den Nachteil der Flüchtigkeit. Dass dieser nicht erst im 18. Jahrhundert reflektiert wird, zeigt Philostrats Vergleich von graphischem Bild und Drama bzw. Aufführung in seiner Ekphrasis Kassandra: »Und wenn wir dies, mein Sohn, als Schauspiel fassen, so ist eine große Tragödie mit wenigem aufgeführt, wenn aber als Gemälde, so wirst du darin noch mehr sehen« (PE 2.10.1: 203).414 Dieses ›Mehr‹ besteht, wie Elsner aufzeigt, in der Möglichkeit, die optischen Details der fixierten Darstellung schauend und beschreibend auszukosten, sei es in Bezug auf die einfallsreich variierten »Todesarten der Gefällten« (PE 2.10.3: 205) oder, wie im Fall Pantheias, in Bezug auf die Schönheit der Sterbenden. Nicht ›Lebendigkeit‹ wird hier also thematisiert, sondern das Paradox eines ›lebendig‹ dargestellten Erstarrens im Tod, dem die mediumsspezifische Starre durchaus angemessen ist. Zwischen den Extremen der Jäger-Beschreibung, welche die Starre der Bilddarstellung überspielt, und der Kassandra-Beschreibung, welche sie semantisch auflädt, lässt sich Narkissos einordnen: Auch hier wird eine Figur angesprochen, doch gerade nicht aufgrund eines Eindrucks von lebendiger Bewegung, sondern von Erstarrung: Nicke doch! Wende dich von dem Bild ab, rühre du leise die Hand und bleibe nicht reglos stehen! Doch als hättest du einen Gefährten getroffen, wartest du, was von dort kommt. Dann soll die Quelle wohl dich anreden? Er aber hört kein Wort von uns, sondern ist mit Aug und Ohr ins Wasser versunken […]. (PE 1.23.3: 147)415

Dass der Jüngling nicht reagiert, wird ironischerweise nicht (wie im Fall der Jäger) darauf zurückgeführt, dass er gemalt, sondern darauf, dass er in sein Spiegelbild versunken ist. Gerade diese Analogie zwischen der Täuschung durch ein Spiegelbild und dem Evokationseffekt eines gemalten Bild aber stellt die 414 »ja· eQ l³m ¢r dq÷la 1net\folem, § pa? taOta, tetqac]dgtai lec\ka 1m slijq`, eQ dû ¢r cqav^m, pke_y 1m aqto?r exei.« (Philostratos: Bilder, 202). 415 »meOsai d³ ja· paqatq]xai toO eUdour ja· tµm we?qa rpojim/sai ja· lµ 1p· taqtoO 2st²mai, s» dû ¦speq 2ta¸q\ 1mtuw½m t!je?hem peqil]meir. eWt² soi B pgcµ l¼h\ wq¶setai; oxtor l³m owm oqdû 1paýei ti Bl_m !kkû 1lp]ptyjem 1p· t¹ vdyq aqtoir ¡si ja· aqtoir ellasim […].« (Philostratos: Bilder, 146).

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illusionistische Leistung der Malerei heraus, gemäß dem Einleitungssatz dieses Textes: »Die Quelle malt Narkissos, das Gemälde die Quelle und das ganze Schicksal des Narkissos« (PE 1.23.1: 145).416 Philostrat rekurriert hier auf die Tatsache, dass die hellenistische Malerei erstmals Spiegelbilder darstellte und damit eine doppelt gestaffelte Mimesis innerhalb eines Kunstwerkes schuf.417 Während jedoch Spiegel-Motiv und intermediale Metalepse immer noch inhaltlich an den Narkissos-Mythos zurückgebunden sind, unterstreicht Philostrat kurz zuvor den programmatischen Charakter seiner Bildbeschreibung als Rühmung malerischer Illusionsbildung, indem er ein inhaltlich irrelevantes Detail thematisiert: »Weil aber das Bild nach Wirklichkeit [ale¯theia]418 strebt, läßt es auch ein wenig Tau von den Blumen triefen, auf die sich sogar eine Biene setzt – ich weiß nicht, ob irregeführt von der Malerei oder ob wir getäuscht sein sollen und sie für echt halten. Mag sein, wie es will!« (PE 1.23.2: 147.)419 In diesem Fall handelt es sich nicht um eine Apostrophe an das Gemalte, die dann wieder aufgehoben würde, sondern um ein doppeltes Interpretationsangebot dessen, was der intradiegetische Sprecher sieht: Entweder eine gemalte Blume hat eine echte Biene getäuscht, die auf dem Gemälde sitzt, oder diese ist ein trompe-l’œil. Der Kunst des Malers würde beides Ehre machen, die zweite Möglichkeit allerdings nach antikem Verständnis noch mehr. Philostrat variiert nämlich die bei Plinius überlieferte Anekdote vom Malerwettstreit zwischen Zeuxis und Parrhios: Zeuxis täuscht mit gemalten Weintrauben einige Sperlinge (die den Bienen entsprechen), Parrhios mit einem gemalten Vorhang ›vor‹ seinem Gemälde den Konkurrenten (der den Narkissos-Betrachtern entspricht). Zeuxis gesteht die Überlegenheit des Parrhios ein: Es sei schwerer, einen Menschen und zumal einen Künstler zu täuschen als vernunftlose Tiere.420 Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten: Malerische Enargeia, wie sie in den Eikones präsentiert wird, strebt ebenso wie sprachliche Enargeia danach, dem Rezipienten Abwesendes als anwesend und ›lebendig‹ zu präsentieren, was in der Beschreibung durch eine kurzzeitige Ausblendung des Repräsentationsstatus von Ebene 2 vorgeführt werden kann, insbesondere als intermediale Metalepse. Die so demonstrierte Verabsolutierung der Evokations-Wirkung erzielt die Malerei entweder mit medienspezifischen Mitteln oder indem sie ihre 416 »J l³m pgcµ cq\vei t¹m M\qjissom, B d³ cqavµ tµm pgcµm ja· t± toO M\qjissou p\mta.« (Philostratos: Bilder, 144). 417 Siehe Philostratos: Bilder, 351 (Komm.) und die Abbildung einer Narkissos-Darstellung auf einem pompejanischen Wandgemälde ebd. 505. 418 Newby : Absorption and erudition, 337 übersetzt: »the painting honours truth«. 419 »til_sa d³ B cqavµ tµm !k^heiam ja· dq|sou ti ke_bei !p¹ t_m !mh´ym, oXr ja· l]kitta 1vif\mei tir, oqj oWda eUtû 1napatghe?sa rpo t/r cqav/r, eUte Bl÷r 1napat/shai wqµ eWmai aqt¶m. !kkû 5sty.« (Philostratos. Bilder, 146). 420 Plin. Nat. 35.36, 64–66; siehe hierzu Elsner : Erotics of the Gaze, 253 und Boeder : Visa est vox, 157.

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mediale Bedingtheit in Richtung auf narrative und dramatische Mittel überschreitet. Im ersten Fall überzeugt sie vor allem bei der Darstellung von Lebewesen, die von Natur aus oder im spezifischen Kontext einer Erzählung erstarrt sind (Sterbende, der gebannte Narziss, eine Biene auf einer Blume) und beruht auf einer weitgehenden Angleichung des visuellen Erscheinungsbildes an das Dargestellte, analog zu Spiegelbildern. Im zweiten Fall wählt sie aus der dramatischen oder narrativen Vorlage einen besonders ›szenisch‹-enargeischen Moment, betont die actio der Figuren, achtet aber auch auf das mediumsspezifische Mittel der Farbwirkung. Diese und andere malerische Kunstgriffe sind aus einer Position des reflexiv gesteigerten Als-ob-Bewusstseins heraus formuliert, die oft ebenfalls performativ ausgestellt wird in Appellen des Sprechers an sein intradiegetisches Publikum.421 Sie kann sich aber auch darin manifestieren, dass der Sprecher nicht nur die vorhandene Darstellung thematisiert, sondern auch alternative Darstellungsmöglichkeiten ins Spiel bringt. So diskutiert Philostrat das ›Kostüm‹ der Pantheia, die sich auf dem für ihren gefallenen Mann errichteten Scheiterhaufen einen Dolch in die Brust gestoßen hat: »Sie geht dahin, nicht wie das Weib des Protisilaos mit den Kränzen, die es zu dionysischer Feier trug, auch nicht wie die Gattin des Kapaneus wie zum Opfer geschmückt, sondern ohne Schmuck bewahrt sie ihre Schönheit, wie sie war, als Abradates lebte, und nimmt sie mit sich ins Grab« (PE 2.9.5: 201).422 Zugrunde liegt die rhetorische Grundunterscheidung von gleichbleibender res und variablen verba423 (die ja auch die Voraussetzung bildet für rhetorischstilistische Aufgaben wie die Umformung einer Diegesis in eine Ekphrasis).424 Hier werden die verschiedenen Geschichten als Varianten eines Motivs – Selbstopferung einer Ehefrau – gefasst; die jeweilige Ausführung des ›Kostüms‹ wird als mögliche Darstellungsoption auch für den Maler verstanden. In einem anderen Fall bekommt der hypothetische einen agonalen Zug, wenn die Erfüllung einfacher und schwieriger malerischer Aufgaben kontrastiert wird: »Der 421 So in Skamandros durch die Aufforderung an den Jungen, sich vom Bild erst abzuwenden und in den Jägern, nach Gewahrwerden der Täuschung, durch den Appell: »So laß uns das Bild betrachten, denn ein Bild ist es, vor dem wir stehen!« (I.28.2: 159): »sjop_lem owm t± cecqall]ma7 cqav0 c±q paqest^jalem. (Philostratos: Eikones, 158). Programmatisch auch die Aufforderung in Pantheia: »Die Augen aber, mein Junge, wollen wir nicht nach ihrer Größe und Schwärze beurteilen, sondern nach der Macht des Geistes, der aus ihnen leuchtet« (I.9.6: 201, 203): »to»r d³ avhaklo}r, § pa?, lµ !p¹ toO lec]hour lgdû eQ l]kamer, !kk± tºm te moOm heyq_lem, fsor 1m aqto?r 1sti« (Philostratos: Eikones, 200; 202). 422 »%peisi d³ oqw ¦speq B toO Pqytes_key jatastevhe?sa oXr 1b\jweusem, oqdû ¦speq B toO Japam]yr oXom hus_ar !vhe?sa, !kkû !sje¼astom t¹ j²kkor ja· oXom 1p· toO )bqad\tou Gm vuk\ttei aqt¹ ja· !p\cei« (Philostratos: Bilder, 200). 423 Siehe van Eck: Rhetoric and the Visual Arts, 9. 424 Siehe 1.1.

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Kranz von Rosen sei zwar gelobt, doch nicht wegen seines Aussehens; denn etwa mit rotgelber oder dunkelblauer Farbe die Gestalt der Blumen wiederzugeben, das ist keine große Kunst. Rühmen aber muß man das Lockere und Zarte an dem Kranz; ich lobe auch die tauige Frische der Rosen und sage kühnlich, sie seien samt ihrem Dufte gemalt« (PE 1.2.3: 1).425 Das Beispiel ist auch insofern bemerkenswert, als hier auf die Analyse wiederum eine Formulierung folgt, die den Repräsentationscharakter von Malerei suspendiert, in diesem Fall gewissermaßen als synästhetische Metalepse. So zeigt sich, dass analysierendes Als-obBewusstsein und Evokations-Effekt in den Eikones zwar effektvoll kontrastiert werden können, mitunter aber auch ineinander übergehen.

2.2.4 Ebene 3: Die Enargeia der beschreibenden Prunkrede Das Beispiel der ›samt ihrem Dufte gemalten‹ Rosen ist außerdem geeignet, Eckels These von der Dominanz des Logos in einer weiteren Hinsicht zu widerlegen. Eckel zitiert aus der einleitenden Passage des ›Bildes‹ Liebesgötter : »Hast du nichts von dem Wohlgeruch verspürt, der den Garten erfüllt, oder riechst du noch nichts? Höre nur gut zu! Mit meinen Worten nämlich wird auch der Duft der Äpfel zu dir kommen« (PE 1.6.1, 1: 99),426 und kommentiert: »Die Rede des Auslegers tritt damit in ausdrückliche Konkurrenz zu den Gemälden, um die es scheinbar allein geht, und der Überlegenheitsanspruch ist deutlich«.427 Anders gesagt: Nicht nur die Enargeia der ersten, sondern vor allem die Enargeia428 der dritten Ebene soll angeblich gegen die der zweiten Ebene ausgespielt werden. Abgesehen davon, dass Philostrat andernorts die Gleichrangigkeit der Malerei gerade hinsichtlich der Darstellung duftender Äpfel vorführt,429 ist daran zu erinnern, dass sich auch im Fall der Liebesgötter die Rede zunächst einmal intradiegetisch an den Knaben richtet, der die Bilder vor sich hat und erst 425 »j st´vamor d³ t_m Nºdym 1peime¸shy l]m, !kk± lµ !p¹ toO eUdour7 namho?r c±q ja· juamo?r, eQ t}woi, wq~lasim !polile?shai t±r t_m !mh´ym eQjºmar oq l´car b ühkor. !kkû 1peime?m wq^ t¹ waOmom toO stev\mou ja· "pak|m. (Philostratos: Bilder, 90, siehe auch PE 1.2.4). Dazu Newby : Absorption and Erudition, 333. 426 »l_m 1p-shou ti t/r !m± t¹m j/tom eqyd_ar C bqad}sei soi toOto; !kk± pqoh}lyr %joue7 pqosbake? c²q se let± toO kºcou ja· t± l/ka.« (Philostratos: Bilder, 98). 427 Eckel: Wissen und Sehen, 95. 428 Eckel spielt mit diesem Begriff implizit und listig in einer Fußnote zur Analyse der Liebesgötter-Passage: »Wem die oben gebrauchte Formulierung, die Bildbeschreibung Philostrats versuchten ihrem Selbstverständnis nach ›anschaulicher‹ zu sein als die Bilder selbst, überzogen schien, wird hier zumindest konzedieren müssen, daß sie ›duftender‹ sein wollen« (Eckel: Wissen und Sehen, 95, Anm. 9). 429 »Cheiron […] reicht ihm Äpfel aus seinem Gewandbausch, schöne und wohlriechende, denn auch ihr Duft scheint gemalt« (PE 2.2.2: 177): »b We_qym […]l/ka !p¹ toO j|kpou aq´cym aqt` jak± ja· eq¾dg – ja· c±q toOto aqt_m 5oijem 1ccecq²vhai […]« (Philostratos: Bilder, 176).

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lernen muss, sie richtig zu sehen. Der synästhetische Effekt stellt sich also im Zusammenspiel zwischen dem Sehen des Bildes und dem Hören der Erläuterung ein. Insofern ist das Versprechen, den Duft der Äpfel zu evozieren, nicht als Herausforderung der Malerei zu verstehen, sondern im Sinn der enargeischen Wirkungskette: Wie der Maler Pantheias Aussehen aufgrund von Xenophons Beschreibung ihres Charakters sichtbar macht, bringt Philostrat buchstäblich Aspekte des Bildes zur Sprache, die wenigstens einem ungeschulten Knaben verborgen sind. Bei dieser Gelegenheit kann der Beschreibende mit seinem literarischen Wissen wie mit seinem Weltwissen prunken, vor allem aber mit seinem nachgerade detektivische Scharfsinn, der den Gemälden auch keineswegs ›ins Auge fallende‹ Bedeutungen entlockt. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel stellt Themistokles dar. Das Gemälde zeigt den verbannten griechischen Feldherrn am Hofe des Mederkönigs Xerxes, und Philostrat schließt mit der Behauptung: Nichts von dem persischen Wesen verwirrt ihn, sondern er ist voll Zuversicht, wie wenn er auf dem Rednerstein (zu Athen) stünde, und seine Sprache ist nicht die unsrige, sondern Themistokles spricht Persisch, das er dort zu lernen sich die Mühe nahm. Glaubst du es nicht, so betrachte nur seine Zuhörer, wie ihre Augen volles Verständnis erkennen lassen, sieh aber auch Themistokles an, der zwar mit der Festigkeit seines Gesichtes ganz den Rednern gleicht, im Ausdruck der Augen aber Unsicherheit zeigt, weil er in einer neu gelernten Sprache reden muß. (PE 1.31.2: 261)430

Während die Rationalität der Argumentation und die Grundannahme der Stummheit des Gemäldes das Als-ob-Bewusstsein wachhalten, wird durch die Ansprache des intradiegetischen Publikums und die genaue Wiedergabe der Körpersprache der Evokationsaspekt angesprochen. Diese Verschränkung scheint mir typisch für die spezifische Enargeia der dritten Darstellungsebene. Sie ist auch zu konstatieren, wo es nicht mehr um das Finden versteckter Bedeutungen geht, sondern um das kreative Erfinden zusätzlicher Aspekte, bisweilen unter Einbeziehung literarischer Kontexte, die eher durch die Gelehrsamkeit des Erklärers nahegelegt werden denn durch das Gemälde selbst. So heißt es am Schluss von Kassandra, die Prophetin schreie »so jammervoll, daß sogar Agamemnon mit dem, was an Leben und Bewußtsein noch in ihm ist, Mitleid empfindet, als er es hört; denn er wird all dies noch im Hades gegenüber Odysseus erwähnen, wenn sich die Schatten sammeln« (PE 2.10.4: 205).431 430 »1jpk^ttei d³ aqt¹m oqd³m t_m Lgdij_m, !kk± teh\qgsjem oXom jahest½r 1p· toO k¸hou, ja· B vymµ oqj !p¹ toO BledapoO tq|pou lgd_fym b Helistojk/r7 enep|mgse c±q 1je? toOto. eQ dû !piste?r, fqa to»r !jo¼omtar, ¢r eqn}metom 1pisgla_mousi to?r ellasim, fqa ja· t¹m Helistojk´a tµm l³m toO pqos~pou st\sim paqapk^siom to?r k]cousi, pepkamgl]mom d³ tµm t_m avhakl_m 5mmoiam rp¹ toO k]ceim, ¢r let]lahem.« (Philostratos: Bilder, 260). 431 »(boø) d³ ovty ti oQjtqºm, ¢r ja· t¹m )cal]lmoma t` koip` t/r xuw/r 1kee?m taOta !jo¼omta7 lelm^setai c±q aqt_m ja· 1m AVdou pq¹r idduss´a 1m t0 !coqø t_m xuw_m.« (Philostratos:

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2.2.5 Ausgestellte Intermedialität bei Shakespeare (Lucrece und »passionate speech«) In Unterkapitel I.2.2.3 wurde zitiert, wie Philostrat Pantheias schlichte Kleidung auf dem beschriebenen Gemälde mit anderen denkbaren Darstellungsweisen vergleicht. Diese Übertragung der rhetorischen Unterscheidung von res und verba auf künstlerische Verfahrensweisen wird in einem um 1571 entstandenen Discorso Bartolomeo Marantas über eine Verkündigung Tizians, den Caroline van Eck als »first substantial text devoted to a work of art« einstuft, für die Unterscheidung malerischer Individualstile genutzt. Die Passage lautet in van Ecks Übersetzung: And as a poet cannot alter or vary the story [la favola] which has already been accepted by everybody, for instance that Laius will be killed by his son Oedipus, but can vary the actual scenes [gli episodi], that is the way in which this death happened, similarly the painter cannot represent the angel in any other way [in altro modo] than that which has been accepted by everybody. But the manner in which he depicts the angel can vary, which corresponds to the scenes in a drama [l’episodii della poesia]. For that reason he is at liberty to let the angel be still suspended in the air while he makes his announcement to Mary, he can make him touch the floor of the room with his feet, he can vary his figure so that it is full or thin or average and other similar things, which by their variety make the difference between one painter and another, just as the episodes [gli episodii] distinguish one poet from another.432

Obwohl man »l’episodii della poesia« nicht zwangsläufig als Theaterszenen verstehen muss und der Ödipus-Stoff nicht nur dramatisch behandelt wurde, ist diese Interpretation sinnvoll: In der italienischen Renaissance wurde malerische Qualität in emphatischer Weise verstanden als Enargeia433 oder »vivacit/«, das heißt als »the viewer’s experience of living presence, which transforms the boundaries between the spectator and inanimate paint into a sense of shared Bilder, 204) Siehe Hom. Od. 11, V. 421f. Siehe auch den buchstäblich weit hergeholten Vergleich in der Beschreibung Inseln: »Ein Papagei und ein Häher singen in einem geflochtenen Häuschen wie die Sirenen auf der Insel« (PE 2.17.14: 229). »x¸ttaj|r te ja· j¸tta 1m oQj¸sj\ pkejt` d_jgm 1m t0 m^s\ Ådousim« (Philostratos: Bilder, 228). 432 Van Eck: Rhetoric and the Visual Arts, 145f.: »E come un poeta non puk alterare n8 variare la favola gi/ cos' accettata da tutti, come per caso che Laio sia stato ammazzato da Edipo suo figliuolo, ma ben puk variare gli episodi, cio8 il modo come questa morte sia accaduta, cos' il pittore non puk dipingere l’angelo in altro modo che in quello che H stato accettato da tutti. Ma il modo puk variare, che ha proporzione con l’episodii della poesia. Imperoch8 puk a sua posta far che l’angelo mentre annunzia stia ancor sospeso in aria, puk farlo toccare il suolo della camera co’ piedi, puk variare la sua figura di farla piena o scarna o mediocre et altre cose simili, le quali per la variet/ loro fanno differenza da pittor a pittore, come gli episodii da poeta a poeta.« (Ebd. 164, Anm. 32 nach Maranta: Discorso, 870) 433 Den wörtlichen Übernahmen dieses Konzepts – bisweilen auch unter dem Leitbegriff ›Energeia‹– geht der grundlegende Aufsatz Valeska von Rosens Die Enargeia des Gemäldes nach.

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humanity, or even of divine presence«,434 und sie wurde sehr konkret auf Theateraufführungen bezogen.435 So sind im vorliegenden Beispiel sogar Momente thematisiert, die sich nicht unbedingt auf den ›Dramentext‹ beziehen, sondern gewissermaßen auf die ›Inszenierung‹, etwa die ›Rollenbesetzung‹ des Engels. Kunstbeschreibungen der Renaissance folgten dem Ideal der Enargeia sogar so nachdrücklich, dass beispielsweise in den ekphrastischen Passagen der Künstler-Viten Vasaris von Formanalyse kaum die Rede sein kann.436 Englische Kunstbeschreibungen der Renaissance orientierten sich noch deutlicher als italienische am Theater, war dieses doch, wie Leonard Barkan nachgewiesen hat, »England’s lively pictorial culture, the answer, the compensation, the suppl8ment in the face of all the painting, sculpture, and art theory that was so famously alive in the European civilizations that Elizabethans dreamt about.«437 Dementsprechend wurde elisabethanisches Theater nicht nur als »speaking picture« verstanden, sondern mitunter wurden Gemälde auch szenisch präsentiert.438 So lässt sich auch der in Abschnitt I.1.3 demonstrierte Zusammenhang zwischen enargeischer Beschreibungskunst, actio- und Schauspieltheorie bei Shakespeare um Bezüge zu enargeischer Kunstbeschreibung nach dem Vorbild Philostrats erweitern. Im Folgenden wird zunächst nachgewiesen, dass eine an Philostrat orientierte Kunstbeschreibung in Shakespeares Erzählgedicht Lucrece von 1594439 den Aspekt der actio nicht nur besonders extensiv, sondern auch mit deutlichem Bezug zum Theater vorführt. Komplementär dazu wird gezeigt, dass die (ebenfalls Trojas Untergang behandelnde) »passionate speech« nicht nur in der Tradition enargeischer Beschreibungskunst steht, sondern auch Elemente von Kunstbeschreibung aufnimmt, und zwar in

434 435 436 437 438

Van Eck: Rhetoric and the Visual Arts, 9. Siehe Van Eck: Rhetoric and the Visual Arts, 139–166. Siehe Alpers: Vasaris Viten; Winner: Ekphrasis bei Vasari. Barkan: Making Pictures Speak, 338. Die auf Simonides zurückgehende Formulierung, »Poesy« sei »a speaking picture«, stammt aus Sir Philip Sidneys Apology for Poetry von 1579 (Sidney : Apology, 86); dass er damit vor allem dramatische Poesie meint, hat Heninger nachgewiesen (Sidney’s Speaking Pictures) und Barkan (Making Pictures Speak) an Szenen aus Shakespeares Winter’s Tale, Cymbeline sowie an Hamlets »Mausefalle« exemplifiziert. Sidneys Verhältnis zur Kunstbeschreibung untersucht Klarer : Ekphrasis, 73–107. 439 Ernst Gombrich weist darauf hin, dass Philostrat in Eikones I.4.2: 95 erstmals die malerische Strategie der »Überschneidung und Überdeckung« benennt, die er dem »etc.-Prinzip« zuordnet, und dass Shakespeare diese Technik auf seine Ekphrasis in Lucrece, V. 1422–1428 überträgt (Gombrich: Kunst und Illusion, 176f.). Wolf zufolge setzt Shakespeare das Prinzip auch als Dramatiker in seinen »medias-in-res-Drameneingängen« ein (Wolf: Ästhetische Illusion im englischen Drama, 286). Von den zahlreichen Untersuchungen zur Ekphrasis in Lucrece seien stellvertretend genannt Heffernan: Museum of Words, 74–90; Wells: Enargeia, Ekphrasis, and Mourning; neuerdings Belsey : Lucrece and Beyond.

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einer Weise, die sich strukturell vergleichbar auch in spätere Mimen-Ekphrasen findet, nicht zuletzt bei Lichtenberg. Etwa zu Beginn des letzten Drittels von Lucrece findet die Heldin, auf ihren Mann wartend und von der Verzweiflung über ihre Vergewaltigung zermürbt, ein »piece/ Of skilful painting, made for Priam’s Troy« (Lucr. V. 366f.: 128),440 dessen Enargeia in einer paradoxalen Formulierung gepriesen wird: »A thousand lamentable objects there,/ In scorn of nature, art gave lifeless life« (Lucr. V. 373f.: 128). Zunächst ist es die Erzählinstanz, die unter häufigem Gebrauch von Imaginationssignalen441 ohne erkennbare chronologische Ordnung Szenen und Aspekte des Polyphasenbildes hervorhebt, die von actio geprägt sind: Kontrastiert werden die Augen sterbender Helden (ein philostratisches Lieblingsmotiv) mit den weinenden Augen ihrer Frauen,442 und es wird die Fähigkeit des Malers gelobt, Tapferkeit wie (gelegentlich) Feigheit von Soldaten durch Miene und Körperhaltung auszudrücken (Lucr. V. 1387–1393: 129) oder auch den Charakter von Ajax und Odysseus in ihre Blicke zu legen (Lucr. V. 1394– 1400: 129). Einen ersten Höhepunkt erreicht die Beschwörung enargeischer actio bezeichnenderweise in der Darstellung einer (Durchhalte-)Rede: There pleading might you see grave Nestor stand, As ’twere encouraging the Greeks to fight; Making such sober action with his hand That it beguil’d attention, charm’d the sight; In speech, it seem’d, his beard, all silver white Wagg’d up and down, and from his lips did fly Thin winding breath, which purl’d up to the sky. (Lucr. V. 1401–1407: 130).

Wie in Philostrats Themistokles-Beschreibung (siehe I.2.2.4) spiegelt sich die Wirkung der Rede in der Mimik des gemalten Publikums. Was aber die Reaktion des intradiegetischen Publikums der Rahmenerzählung – das heißt: Lucretias – herausfordert, ist der Anblick der verzweifelnden Hecuba, Staring on Priam’s wounds with her old eyes, Which bleeding under Pyrrhus’ proud foot lies.// In her the painter had anatomiz’d Time’s ruin, beauty’s wrack, and grim care’s reign: 440 Die Seitenangabe nach dem Doppelpunkt bezieht sich auf die Arden-Ausgabe von Shakespeares Poems (1969), hg. von E. T. Prince. 441 Hier nur die ersten beiden Beispiele: »There might you see« (Lucr. V. 1380: 129), »O what art/ […] might one behold« (Lucr. V. 1395f.). 442 Lucr. V. 1375–1379: 129. Die Dialektik von Sehen, Gesehenwerden und malerischer Darstellung treibt die Erzählinstanz noch weiter, wenn sie die Kunst des Malers lobt, erkennbar die Augen der Belagerten zu malen, die hoch oben angstvoll aus den Mauern Trojas hinausspähen (V. 1382–1386: 129).

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Her cheeks with chops and wrinkles were disguis’d; Of what she was no semblance did remain. (Lucr. V. 1448–1453: 132)

Doch so lebendig sich ihr Leid in der Darstellung ihres Körpers ausdrückt, fehlt der gemalten Figur doch die Fähigkeit zur Klage in Worten: Lucretia kommt ihr zu Hilfe und beschimpft die »strumpet« Helena (Lucr. V. 1471: 133) im selben Tonfall wie die Erzählinstanz der passionate speech die Fortuna (Ham. 2.2, V. 488: 266). Außerdem überträgt sich Hekubas eloquentia corporis auf den Köper der Betrachterin: So Lucrece set a-work, sad tales doth tell To pencill’d pensiveness and colour’d sorrow ; She lends them words, and she their looks doth borrow. (Lucr. V. 1496ff.: 132)

Auf diesen Höhepunkt der Äquivalenzdichte innerer und äußerer, verbaler und visueller, dargestellter und selbsterlebter Emotion folgt eine Sequenz, in der es, erstmals während der Gemäldebeschreibung, um eine Dissonanz zwischen Innen und Außen geht: Der von den Trojanern gefangene griechische Schafhirte Sinon rührt mit seinem ehrlichen Gesicht und seinem zur Schau gestellten Trauer sogar Priamos zu Tränen und schafft so die Voraussetzung für die Überführung des hölzernern Pferdes in die Stadt. Die Betrachterin durchschaut Sinon nicht nur aufgrund ihrer Kenntnis des Mythos, sondern auch aufgrund ihrer eigenen Täuschung durch den Vergewaltiger Tarquinius. In ihrem Schmerz fällt sie momentan aus der ästhetischen Illusion in tatsächliche Täuschung: She tears the senseless Sinon with her nails, Comparing him to that unhappy guest Whose deed hath made herself herself detest; At last she smilingly with this gives o’er ; »Fool, fool!« quoth she, »his wounds will not be sore.« (Lucr. V. 1564–1567: 137)

Hier wird Philostrats Kunstgriff der intermedialen Metalepse in einer Weise umfunktioniert, die man im Anschluss an Werner Wolf so formulieren könnte: In den Eikones thematisiert die Metalepse in spielerisch-hyperbolischer Weise malerischer Enargeia als werkseitigen Ermöglichungsfaktor ästhetischer Illusionsbildung, in Lucrece verweist sie – ähnlich wie Aeneas’ Betrachtung einer Wandmalerei in Karthago, die Trojas Untergang darstellt –443 auf den rezipientenseitigen Faktor der Identifikation. Damit wird die Metalepse pathetisch

443 Verg. Aen. 1, V. 441–497; siehe Amir : Ekphrasis and Empathy.

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aufgeladen: Die Sinnlosigkeit des Versuchs, eine gemalte Figur zu bestrafen, entspricht der Aussichtslosigkeit von Lucretias Lage.444 Mit dem Thema der Verstellung ist aber auch ein wesentliches Thema des Hamlet angesprochen: die Heuchelei des Königs Claudius, über die sich Hamlet nach der Begegnung mit dem Geist empört (Ham. 1.5, V. 106ff.) und die durch die Inszenierung des Verbrechens entlarvt werden soll. Die Anregung zu dieser ›Mausefalle‹ hat, wie erwähnt (I.1.3), die Rezitation der »passionate speech« (Ham. 2.2, V. 428: 262) gegeben. Sie berichtet vom Untergang Trojas und speziell von der Ermordung des Königs Priamos durch Achills Sohn Pyrrhus, gehört also in die urbs capta-Tradition. Vor dem Hintergrund von Lucrece fällt besonders auf, dass Hecuba gleichzeitig als intradiegetisches Publikum wie als Zeichen für den zu vermittelnden Jammer fungiert, dessen Anblick – wenn auch im Irrealis – die Götter als intradiegetisches Publikum höherer Stufe herbeiruft: »But if the gods themselves did see her then,/ When she saw Pyrrhus make malicious sport« (Ham. 2.2, V. 508f.: 267) – dann, so heißt es, würden sogar die Gestirne weinen. Ob Götter sich rühren lassen, bleibt fraglich,445 doch dass sich der First Player von Hecuba zu Tränen rühren lässt, rührt wiederum Hamlet, was sich laut impliziter Regieanweisung auch in der Mimik des Darstellers spiegeln sollte,446 mit entsprechender Wirkung auf das reale Publikum. So ergibt sich (wie ein Schema von Harry Levin vor Augen führt)447 eine regelrechte kosmische Wirkungskette enargeischer actio. Andererseits folgt die passionate-speech nicht mehr dem für klassische rhetorische Beschreibungskunst verbindlichen Prinzip des celare artem, sondern steht in der Tradition deklamatorischer Virtuosität, die in diesem Fall sogar besondere Kennerschaft voraussetzt: Hamlet berichtet, dass die Rede samt dem zugehörigen Stück bei der ignoranten Masse durchgefallen sei (»’twas caviar to the general«, Ham. 2.2, V. 432f.: 262), und Polonius klagt schon nach den ersten zwei Dritteln: »This is too long« (Ham. 2.2, V. 494: 266). Eine hochgezüchtete Diktion, ausführliche Gleichnisse und allegorische Passagen bestätigen diesen Eindruck. Doch die Passage ist nicht nur ›künstlich‹, sondern zeigt sogar Züge von Kunstbeschreibung. Typisch für diese ist bereits die Aufmerksamkeit für Farben im ersten Abschnitt,448 der Pyrrhus auf der Suche nach seinem Opfer vor

444 Dagegen wird Aeneas von der gemalten Version des eigenen Unglücks zwar auch gerührt, letztlich aber getröstet und gestärkt durch die sich darin ausdrückende Anteilnahme am Schicksal Trojas (Verg. Aen. 1, V. 459–463). 445 Siehe Ham. 2.2, V. 512: 267. 446 Polonius bricht die passionate speech ab, weil Hamlet ›die Farbe gewechselt und Tränen in den Augen hat‹ (Ham. 2.2, V. 515: 268). 447 Levin: Explanation of the Player’s Speech, 291. 448 Der Vortrag wird durch Polonius’ Unterbrechungen gegliedert.

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dem Hintergrund des brennenden Troja beschreibt.449 Pyrrhus’ Körper, erst schwarz camoufliert, dann vom Blut seiner Opfer starrend, wird mit dem Begriff »heraldry« belegt (Ham. 2.2, V. 432: 264). Als er dann vor Priamos steht und das Schwert zum tödlichen Streich erhebt, erstarrt Pyrrhus, abgelenkt vom Zusammenkrachen der trojanischen Burg, mitten in der Bewegung und bietet den Anblick eines »painted tyrant« (Ham. 2.2, V. 477: 265). Damit ist die für bildende Kunst konstitutive Starre, wie bei Philostrats motivisch vergleichbarer Kassandra-Ekphrasis,450 in die eigentlich konsekutiv strukturierte ›szenische‹ Aktion eingedrungen und bietet ein ›Mehr‹ an ästhetischem Genuss. Hier besteht es darin, dass eine ikonographische Tradition als mentales Schema genutzt wird. Während der Kassandra-Text jedoch bereits eine Umwandlung des Dramas in ein Gemälde voraussetzt, wird die Erstarrung des Akteurs Pyrrhus innerhalb einer Ereignisfolge psychologisch motiviert und erzähltechnisch durch den Einschub eines Gleichnisses – die Ruhe vor dem Sturm (Ham. 2.2, V. 478–481: 265) – realisiert. Da die Erstarrung aber nur einen Moment, eine Verzögerung innerhalb der Handlungskette darstellt, wirkt die darauf folgende grausige Mordhandlung nur umso enargeischer. Eben diese Technik plötzlicher Erstarrung auf dem Höhepunkt innerer und äußerer Bewegung sollte ein bevorzugtes Mittel des Shakespeare-Darstellers Garrick werden, wie diverse Gemälde und Mimen-Ekphrasen bezeugen – vor allem Lichtenbergs Beschreibung der Hamlet-Geist-Szene, die nun mit graphischen Darstellungen verglichen werden soll. 2.2.6 Garrick als ›Bild des Entsetzens‹ bei Lichtenberg und in drei graphischen Bildern Welche Elemente von Lichtenbergs Briefen aus England und insbesondere seiner Beschreibung der Hamlet-Geist-Szene treten vor dem Hintergrund der Eikones, der Kunstbeschreibung in Lucrece und der »passionate speech« hervor? Zu449 Konstitutiv ist der Kontrast zwischen Schwarz und Rot: Schwarz war die Nacht im Bauch des Pferdes, in dem sich Pyrrhus versteckt hat; schwarz sind seine Arme gefärbt, und schwarz ist seine Absicht (Ham. 2.2, V. 449–451: 263f.); dagegen wird das rote Blut gesetzt, mit dem er sich bei der Ermordung von »fathers, mothers, daugthers, sons« beschmiert (Ham. 2.2, V. 454: 264). Rot steht aber auch für Feuer (2.2, V. 456: 264) und Schwarz für Pyrrhus’ »eyes like carbuncles« (Ham. 2, V. 456: 264); gemeinsam rufen sie das Schema des Teufels auf: »the hellish Pyrrhus/ Old grandsire Priam seeks« (Ham. 2.2, V. 459f.: 264). 450 Siehe oben, Abschnitt I.2.2.3. Im direkten Vergleich zwischen Kassandra und der »passionate speech« ist festzuhalten, dass jeweils der Mord an Wehrlosen im Moment des Ausholens mit der Mordwaffe angehalten wird. Berücksichtigt man außerdem die durch die »passionate speech« motivierte Mausefallen-Vorstellung, so fällt das gemeinsame Motiv des Gattenmordes und der Thronursupation durch den Liebhaber der Königin auf; zusammengenommen scheint mir eine Modellfunktion der Kassandra-Beschreibung nicht abwegig.

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nächst einmal ist festzuhalten, dass sich die Briefe ebenso wie die Eikones, aber im Gegensatz zu den Shakespeare-Texten insgesamt als längere Ekphrasis verstehen,451 die kürzere Ekphrasen umfasst: Ich fasse ein solches Verhältnis als das einer Makro-Ekphrasis zu Mikro-Ekphrasen. Der Übergang zwischen beiden wird in den Eikones an einer Stelle markiert: der in autonomer direkter Rede wiedergegebenen Einleitung, welche am Ende des Prooimium die Kommunikationssituation für alle nun folgenden Texte festlegt. In den Briefen geschieht die Überleitung fallweise, in unserem Fall durch die Aufforderung an den Briefpartner (und damit den Leser), ihm in die ›Szene‹, »wo ihm [Hamlet] der Geist erscheint«, zu ›folgen‹ (LBE: 334). Der erste Satz der eigentlichen Mikro-Ekphrasis – »Hamlet erscheint in einem schwarzen Kleide, dem einzigen, das leider! noch am ganzen Hofe für seinen armen Vater, der kaum ein paar Monate tot ist, getragen wird« (LBE: 335) – bringt in durchaus philostratischer Manier ein visuelles Detail der zweiten Darstellungsebene (Aufführung) ›zum Sprechen‹, nämlich Hamlets Kostüm, kontrastiert mit dem der übrigen Figuren. Der Kontrast erinnert an den Grundkonflikt, der die bisherige Handlung beherrscht und etwa Hamlets Äußerungen in Szene I.2 motiviert. Das eingeschobene »leider!« und die mitfühlende Formulierung »seinen armen Vater« verwandeln die Aussage in eine intermediale Metalepse: Der Beschreiber (und der erinnerte Zuschauer) identifiziert sich mit Hamlets Leiden. Im Unterschied zu den intermedialen Metalepsen der Eikones aber wird diese Einfühlung nicht explizit thematisiert, sondern recht diskret gestaltet, eher im Sinne des celare artem. Es folgt eine Beschreibung von Kleidung/Kostüm, Körpersprache und Situation, die, da sie nicht explizit eine bestimmte Ebene thematisiert, auch Teil einer traditionellen Ekphrasis sein könnte: »Horatio und Marcellus sind bei ihm und haben Uniform; Sie [sic] erwarten den Geist; die Arme hat Hamlet hoch untergesteckt, und den Hut in die Augen gedrückt; es ist eine kalte Nacht und eben zwölfe; […]«. (LBE: 335). Nun aber (die asyndetische Reihung ist noch nicht durch einen Punkt abgeschlossen) ruft das zweimal gebrauchte Stichwort »Theater« die zweite Repräsentationsebene ins Bewusstsein: »das Theater ist verdunkelt und die ganze Versammlung von einigen Tausenden wird so stille, und alle Gesichter sind so unbeweglich, als wären sie an die Wände des Schauplatzes gemalt; man könnte am entferntesten Ende des Theaters eine Nadel fallen hören« (LBE: 335). Hier wird ein theatergeschichtliches Novum thema451 Haben die Eikones das Ziel, »für die Jugend in Form von Vorträgen über Werke der Malerei [zu berichten]« (»eUdg fycqav_ar !pacc]kkolem blik_ar aqt± to?r m]oir numtih]mter«, PE Prooimium 3: 86f.), so heißt es gleich im ersten Satz der Briefe, diese sollten das »Verlangen« des Briefpartners, ihm »etwas von Herrn Garrick zu schreiben, […] befriedigen« (LBE: 326).Wie Lichtenberg dieses recht allgemeine Ziel im Laufe der Briefe ekphrastisch zuspitzt, wird in II.5.1 untersucht.

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tisiert: Dem Regisseur und Theaterdirektor Garrick gelang es erstmals, die Verdunklung des Zuschauerraums durchzusetzen und damit die Interaktion der Zuschauer zu verringern.452 Wie stark dies die Konzentration auf das Bühnengeschehen steigern kann, macht Lichtenbergs Metapher der »an die Wände des Schauplatzes« gemalten Zuschauergesichter sinnfällig: Das einstige ›Schauspiel‹ im Zuschauerraum ist zur zweiten Kulisse geworden.453 Bezeichnenderweise bildet ein solches Kulissenbild 1789 den Ausgangspunkt von Goethes Dialog Über Wahrheit und Wahrscheinlichkeit der Kunstwerke, welcher das Als-obBewusstsein theatralischer Illusion entfaltet.454 Dieser Verwandlung des Publikums in ein Gemälde entspricht es, wenn Lichtenberg in seinem Londoner Tagebuch schreibt: »Der Stellung in welcher Garrick bei Erblickung des Gespenstes fällt, fehlt nicht[s] als das aufgehobene Haupt um einem Mahler zum Muster bei einem Saul, Saul was verfolgst du mich zu dienen.«455 Umgekehrt bedeutet dies, dass Garricks Stellung die vertraute Ikonographie des Damaskus-Erlebnisses aufruft456 – jedenfalls in der Phantasie Lichtenbergs, dem der Verweis wiederum, in Analogie zu Shakespeares »painted tyrant«, dazu dient, Enargeia über das Aufrufen eines Bildschemas herzustellen.457 Zwar hat Lichtenberg seinen intermedialen Verweis nicht in die Briefe452 Siehe Brewer: Pleasures of the Imagination, 327. Übrigens thematisiert auch Innes das Mittel der Beleuchtung in einer Weise, die zeitgenössische mediale Entwicklungen spiegelt: Er lässt Clay das elektrische Licht herunterdimmen, um seine Zeitreise ins 18. Jahrhundert sinnfällig zu machen, parallelisiert die zunehmende Verdunklung (von Clay fortgeführt, indem er mit einer Schulterdrehung den Unterteil des Gesichtes verbirgt und den Hut nach vorne rutschen lässt) mit der zunehmenden Verfremdung der Sprechweise und vergleicht sie mit filmischer Überblendung: »And as the speech proceeded Clay imperceptibly, like a cinematograph trick – faded out and Hamlet – David Garrick’s Hamlet – grew into being.« (Innes: Hamlet, 37). 453 Zur üblichen lebhaften Interaktion des Publikums untereinander und mit den Darstellern siehe Nicoll: Garrick Stage, 78–101. Wie die Abbildungen dort zeigen, handelte es sich um ein Lieblingssujekt der zeitgenössischen Karikatur; aber auch Touristen kamen nach London »as much to observe play-goers as the players« (Brewer: Pleasures of the Imagination, 352). 454 Siehe FGA 18: 501–507, hier 501. 455 Lichtenberg in England 1, 50 (Hervorhebung im Original). 456 Roman Lach kommentiert: »Das Verbindende zwischen Saulus und Hamlet liegt in der Gleichartigkeit ihres inneren Zustands, die sich in gleichen Stellungen zeigt. Dabei greift Lichtenberg, wie auch Hogarth und Garrick selbst, durchaus auf überkommene Affekttypologien zurück.« (Lach: Hogarths Methode auf der Bühne, 141). 457 Hier soll nicht behauptet werden, dass diese Formulierung der passionate speech die unmittelbare Anregung für Lichtenberg war, obgleich sie, anders als die von der ›düsteren Heraldik‹, in Garricks Hamlet-Bearbeitung stehen geblieben ist (siehe Garrick: Plays 4, V. 262f.). Wohl aber gibt es Hinweise darauf, dass in Shakespeares Dramen die Herausstellung mancher Handlungshöhepunkte im Sinne von tableaux vivants angelegt ist, etwa »the piet# of the King [Lear] cradling Cordelia«, ein Ansatz, der von Garricks Schauspielkunst und Bildpolitik aufgenommen und gesteigert wurde (dazu grundlegend Borlik: Performance of

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Version übernommen, sondern durch eine eingehende Beschreibung von Garricks Stellung ersetzt, doch bildet diese mit ihren Partizipien und Zustandsverben einen markanten Kontrast zur plötzlichen Bewegung, die der Satzanfang in kühner Syntax und einer Folge dreier handlungsintensiver Verben gestaltet: »Garrick, auf diese Worte, wirft sich plötzlich herum und stürzt in demselben Augenblicke zwei bis drei Schritte mit zusammenbrechenden Knien zurück, sein Hut fällt auf die Erde, die beiden Arme, hauptsächlich der linke, sind fast ausgestreckt, die Hand so hoch als der Kopf, der rechte Arm ist mehr gebogen und die Hand niedriger, die Finger stehen so auseinander, und der Mund offen, so bleibt er in einen großen aber anständigen Schritt, wie erstarrt, stehen […]« (LBE: 335).458 Derartige Detaillierungen körperlicher Stellung sind ihrem Gegenstand adäquat, wenn es um die Beschreibungen starrer Kunstwerke geht, und machen, Philostrat zufolge, sogar ein ästhetisches Surplus des Gemäldes gegenüber einem dieselbe Geschichte darstellenden Drama sichtbar (I.2.2.3). Im Fall von Schauspielkunst aber privilegieren sie, um die Terminologie von Lessings Laokoon zu gebrauchen, den Aspekt des ›Körpers‹ gegenüber dem der ›Handlung‹. Das ist dann gerechtfertigt, wenn die Aufführung selbst zum ›Bild‹ erstarrt und dies handlungslogisch motiviert ist wie im Fall des Pyrrhus durch dessen Ablenkung, im Fall Hamlets durch dessen »Entsetzen«. Anders aber als in der passionate speech ist der die Erstarrung motivierende Affekt selbst Gegenstand des Interesses, genauer gesagt: die schauspielkünstlerische Darstellung dieses Affektes mit dem Ziel der Übertragung auf die Zuschauer. Dieser Umstand begründet nicht nur Lichtenbergs Vergleich mit der Saulus-Ikonographie, sondern auch Diderots Verwechslung von Garricks Interpretation der HamletGeist-Szene mit jener der Dagger-Szene aus Macbeth (siehe I.1.4). Für Roman Lach ist er Anlass, Hogarths Gemälde eines »painted tyrant«, nämlich David Garrick as Richard III. von 1745 (siehe I.5), auf (wie ich formulieren würde) Strategien malerischer Enargeia hin zu untersuchen. Lachs Ergebnisse sollen im Folgenden, ergänzt durch weitere kunsthistorische Befunde, mit Lichtenbergs Hamlet-Beschreibung verglichen werden, um sowohl medienspezifische wie medienübergreifende Strategien der Evokation mimischer Affektdarstellung herauszuarbeiten: Die Komposition folgt dem heroischen Stil eines barocken Klassizismus / la Le Brun: zwei Diagonalen kreuzen sich in der quer hingestreckten Figur Garricks/Richards, der soeben aus dem Traum aufzuschrecken scheint. Mit der einen Hand wehrt er noch die Alptraumbilder ab, mit der andern greift er bereits nach dem Schwert, um sich in den Stasis, Zitat ebd. 4); Lichtenberg ist fasziniert von diesem intermedialen Zusammenspiel und führt es ekphrastisch weiter (siehe auch Kapitel II.5.3 und II.5.6). 458 Meine Hervorhebungen.

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Abb. 3: William Hogarth (unter Mitarbeit von Charles Crignon): Mr Garrick in the Character of Richard the 3d (Kupferstich, 1746)

imaginären Kampf zu stürzen. Links und rechts von Garrick sind elegant die Vorhänge des Zeltes drapiert und zeichnen die Haltung der Figur nach: der linke Vorhang die Linie von Bein und Oberkörper, der rechte folgt dem nach dem Schwert greifenden Arm und der Linie des Hermelinsaums von Richards Mantel. Auf diese Weise wird die Figur von dem Zelt umschlossen (an den beiden über ihr hängenden Troddeln erkennt man, dass das Zeltdach an der Vorderseite da, wo der obere Bildrand es abschneidet, noch weiter in den Vordergrund ragen muss).459

Die hier hervorgehobenen Mittel – Zentrierung, Umschließung einer Form durch eine andere, Richtungsparallelen – sind medienspezifisch, da sie Flächigkeit voraussetzen. Andererseits unterstützen sie auch sprachlich evozierbare Aspekte der eloquentia corporis: »[D]ie Finger« der rechten Hand etwa »stehen« genau in der Bildmitte »so auseinander« wie die Hamlets (LBE: 335). Ein weiteres bildspezifisches Mittel, gezielte Beleuchtung,460 hebt Garricks Mimik hervor, die sich wiederum in Bezug auf den Dramentext (auch hier die erste Re459 Lach: Hogarths Methode auf der Bühne, 143f. 460 Zwar ist die Erwähnung von Lichtverhältnissen ein gängiges Mittel, um die ›Dramatik‹ traditioneller Beschreibungskunst zu erhöhen oder Atmosphäre zu schaffen (siehe I.2.1.8), doch kann Beleuchtung auf einem Gemälde gezielter die Aufmerksamkeit lenken (siehe Arnheim: Kunst und Sehen, 302–315).

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präsentationsebene) entschlüsseln lässt: »The king’s face, illuminated by bright candlelight, is expressive of hallucinatory nightmare and semi-conscious speech: his wide eyes tell of the parade of ghosts he has just been witnessing in his dreams, while his mouth is parted, as if muttering his first, startled words on awakening«.461 Hogarth nutzt aber nicht nur, im Gefolge Le Bruns, die Flächigkeit des Bildes,462 sondern spielt auch, wie Lach aufzeigt, in innovativer, gänzlich unklassischer Weise mit der perspektivisch suggerierten Bildtiefe: Das Zelt ist oben abgeschnitten. Durch diesen Trick kann Hogarth das Zelt als ein Mittel zur Verwirrung der Raumverhältnisse einsetzen, statt zu deren Klärung. Eine dynamische Spannung zwischen Auge und Vorstellung wird aufgebaut, die Unruhe statt klassische Ruhe stiftet. Wenn der Betrachter mit dem Auge von der Troddel, die den vordersten Punkt des Zeltdachs markiert, eine Linie nach unten zieht, so erscheint Garricks Kopf hinter dieser, also im Inneren des Zeltes, die Hand aber weit davor (auch wenn wir den Blick vom linken Vorhang zur Hand bewegen, ergibt sich dieser Effekt). […] In noch helleres Licht getaucht als die übrige Figur, scheint sie mit dieser Gebärde blanken Entsetzens aus dem Bild zu ragen, die ästhetische Grenze des Bildes zu durchbrechen. […] Die diffuse Raumsituation zwingt das Auge permanent zur Bewegung zwischen einzelnen Markierungspunkten, um die räumliche Situation in der Vorstellung immer wieder neu zu konstituieren. […] Wenn hier also auch ein fest determiniertes Zeichen der Typenlehre Verwendung findet, so wird es hier nicht mehr nur zur Denotierung eines festgelegten Affekts verwendet: Überraschung oder Entsetzen, sondern es drückt diesen Affekt selbst aus, vermittelt ihn, überträgt ihn auf den Betrachter.463

Obwohl dies wiederum ein bildspezifisches Mittel ist, erreicht Lichtenberg gegen Ende der Beschreibung Garricks als ›Bild des Entsetzens‹ einen vergleichbaren Effekt mit Sprüngen zwischen Erzählperspektiven und Zeitebenen: »[I]n seiner Miene ist das Entsetzen so ausgedruckt, daß mich, noch ehe er zu sprechen anfing, ein wiederholtes Grausen anwandelte.« (LBE: 335) Der Wechsel vom Starre suggerierenden Präsens zum Präteritum signalisiert zunächst, dass sich diese Starre wieder in Aktion auflösen wird (»ehe er zu sprechen anfing«), doch folgt nun keineswegs die Erzählung der nächsten Aktion, sondern die Dauer der Erstarrung wird, analog zu den Einschüben in der passionate speech, mittels Einschub auf die Erzählzeit abgebildet. Dieser Einschub geht einher mit einem Wechsel vom erzählenden zum erzählten Ich, vom Beschreiber zum Zuschauer. Noch komplizierter werden die Verhältnisse, wenn Lichtenberg die »fast 461 Hallett/Riding: Hogarth, 204. 462 Nach Mary F. Klinger, an die Lach anschließt, ist das unmittelbare Vorbild Le Bruns La Famille de Darius aux pieds d’Alexandre (1660). (Klinger: Hogarth and Eighteenth Century Drama, 133–136). 463 Lach: Hogarths Methode auf der Bühne, 144.

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fürchterliche Stille der Versammlung, die vor diesem Auftritt vorherging« als zusätzlichen Grund für sein »Grausen« anführt und damit von der Vergangenheit zur Vorvergangenheit und vom Zuschauer-Ich zu den Zuschauern springt (LBE: 335). Bemerkenswert ist auch, dass das Grausen des erzählten Ich »ein wiederholtes« ist, obwohl sich die Wiederholungen nur vollziehen können, solange Garricks Miene erstarrt ist. Diese Erinnerung an die einstige Wirkung der Aufführung ist nun aber mit dem nachvollziehenden Leseakt insofern verschränkt, als sie die genaue Beschreibung von Garricks Mimik, die nach der vorhergegangenen Detaillierung seiner Haltung eigentlich zu erwarten wäre, ersetzt. Kurz zusammengefasst: Die herkömmliche Unterstützung körpersprachlicher Elemente durch Nutzung der Bildfläche wird bei Hogarth ergänzt durch ein dynamisierendes Spiel mit der Bildtiefe, unterstützt durch eine Auslassung (das unvollständige Zelt). Lichtenberg spielt mit den Zeitebenen und der Perspektivierung seiner Darstellung, ebenfalls unterstützt durch eine Auslassung (die unvollständige Mimik). Dazu kommt der Wechsel zwischen zeitlichem Nacheinander und der Suggestion von zeitaufhebender, ein ›Kunstwerk‹ evozierender Erstarrung. Diese Suggestion wird sogar dann noch aufrecht erhalten, als das ›Bild des Entsetzens‹ »endlich« zu sprechen beginnt, ohne sich allerdings zu bewegen: Lichtenberg thematisiert zunächst, in Analogie zur vorher thematisierten Körperstellung, Garricks Sprechtechnik (»nicht mit dem Anfange, sondern mit dem Ende eines Odemzugs«), zitiert sodann das deklamatorische ›Material‹ im Originalwortlaut und schließt den Satz schließlich mit einer emphatischen Apposition: »Worte, die alles vollenden, was dieser Szene noch fehlen könnte, sie zu einer der größten und schrecklichsten zu machen, deren vielleicht der Schauplatz fähig ist« (LBE: 335). Die Formulierung »Worte« verweist weniger auf die erste Darstellungsebene, d. h. Hamlets eher konventionellen Ausruf, als auf dessen deklamatorische Gestaltung, die zweite Ebene also. Die Darbietung wird insgesamt als ›vollendete Szene‹ angesprochen, obwohl der Auftritt noch keineswegs abgeschlossen ist. Abgeschlossen ist aber das ›Bild‹ von Hamlets Entsetzen (als Nächstes wird er sich von seinen Freunden losreißen, um dem Geist zu folgen). Dass dieses mimische ›Kunst-Werk‹ in mancher Hinsicht tatsächlich eine höhere Lebensdauer hatte als andere mimische Darstellungen, lässt sich in Bezug auf graphische Werke vorführen, die zudem, im Vergleich mit Hogarths Richard, eine beachtliche Kontinuität graphisch-enargeischer Mittel belegen. Garrick spielte die Rolle von 1742 bis zu seinem Rückzug von der Bühne 1776, dem Jahr der Erstveröffentlichung von Lichtenbergs Briefen. Im Januar 1755, ein Jahrzehnt nach Hogarths Richard, wurde James McArdells Kupferstich Mr Garrick in Hamlet nach einem (inzwischen verschollenen) Gemälde Benjamin Wilsons publiziert.

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Abb. 4: James McArdell nach Benjamin Wilson: Mr Garrick in Hamlet (Kupferstich, 1754)

Er zeigt Garrick in ähnlicher Haltung und Mimik wie Hogarths Gemälde, allerdings aufrecht stehend und halb nach rechts gedreht; die jähe Bewegung wird nicht in einem effektvoll geöffneten Mantel sichtbar, aber deutlich genug in der Kontur der linken Körperhälfte und den flatternden, durch Schlaglicht modellierten Ärmeln. Wiederum ist die rechte Hand in der Bildmitte platziert, die linke allerdings deutlicher gespreizt und höher, akzentuiert durch die Kante des dahinter aufragenden Burggebäudes. Hände und Kopf bezeichnen die durch Beleuchtung markierten Ecken eines in die Bildtiefe gekippten Dreiecks. Die Tiefenbewegung wird in entgegengesetzter Richtung fortgeführt durch die längsseitige Oberkante des Burggebäudes, deren Verlängerung durch Garricks rechte Schulter und linken Ellbogen hindurch auf die rückwärtige Burgmauer und zum Horizont führt. Hinter dem Horizont ist, wie in Richard, ein schwacher Lichtschein auszumachen. Imaginativ ergänzen muss man sich in diesem Fall nicht nur Teile der Architektur, sondern auch der etwa in Kniehöhe abgeschnittenen Figur,

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genauer gesagt: ihres ›großen aber anständigen Schrittes‹.464 Und es fehlt nicht nur das Phantasma des Geistes, es fehlen auch die Darsteller von Horatio und Marcellus. Versammelt sind diese jedoch auf einem um 1768/69 entstandenen Gemälde, das wahrscheinlich von Johan Zoffany stammt und nicht, wie lange angenommen, David Garrick, sondern William Powell in derselben Szene zeigt:465

Abb. 5: Johan Zoffany (?): Richard Powell as Hamlet (Ölgemälde, ca. 1768/69)

464 Das Standbein befindet sich etwa auf einer Achse mit dem linken Ohr, das Spielbein ist parallel zum linken Arm und zur entsprechenden Umrisslinie des Rockes gespreizt. Ein zwischen 1750 und 1770 entstandener anonymer Kupferstich, der Mr Garrick in Four of his Principal Tragic Characters zeigt, greift für Hamlet auf Wilsons Bild zurück (allerdings seitenverkehrt) und ergänzt die Figur, indem sie das Spielbein dem Betrachter entgegenstreckt (Druck beispielsweise unter der Sigle Nr. Ee,3.103 im British Museum, siehe achte Abbildung nach Benedetti: Garrick, 122). 465 Den Nachweis, dass es sich um William Powell handelt, erbrachte William L. Pressly (Pressly : Shakespeare Paintings, 236). Weniger überzeugend scheint mir die Begründung, warum er das Bild Zoffany ab- und Wilson zuschreibt: »In the scale of the figures to the setting, in the moonlight effects, and in the dry, pedestrian handling of the paint, the picture resembles other works by Wilson« (ebd. 237). Dass diese Kriterien nicht wirklich zur Abgrenzung von Zoffany taugen, zeigt ein Blick auf dessen Gemälde David Garrick and Mrs Cibber in »Venice Preserved« von 1762/63 (siehe Treadwell: Zoffany, 70f.). Fraglich scheint mir auch, warum Wilson seiner in Drucken verbreiteten Darstellung Garricks in derselben Szene hätte Konkurrenz machen sollen. Viel wahrscheinlicher ist dies für Wilsons ehemaligen Gehilfen Zoffany, der zudem ein Nachbar Powells in Covent Garden war und ihn 1764 als Posthumus in Shakespeares Cymbeline porträtierte (siehe ebd. 88–91).

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Powell vertrat Garrick während seiner Europa-Tournee in einigen Rollen so erfolgreich, dass er es wagte, 1767 als Teilhaber zur Konkurrenzbühne Covent Garden zu wechseln und Garrick sogar als Hamlet herauszufordern; er starb jedoch schon am 3. Juli 1769.466 Im gegenwärtigen Zusammenhang ist wichtig, dass Powell sich offensichtlich nicht bemühte, eigene Akzente zu setzen, sondern Garricks ›Werk‹ so minutiös kopierte, dass im Katalog der Folger Shakespeare Library Lichtenbergs Garrick-Beschreibung zitiert wird, um das Powell-Porträt zu erläutern.467 Es zeigt den Hut, der, wie bei Lichtenberg beschrieben, durch das heftige ›Sichherumwerfen‹ zu Boden gefallen ist, und führt vor, wie Hamlet »von seinen Freunden, die mit der Erscheinung bekannter sind, und fürchteten, er würde niederfallen« (LBE: 335), gestützt wird, insbesondere an der rechten Hand, während in diesem Fall die Linke, abwehrend gespreizt, die Bildmitte markiert. Diese Unterstützung erscheint angesichts von Hamlets instabiler Haltung dringend erforderlich: Sein linkes Bein ist fast so weit nach vorne gespreizt wie seine linke Hand. Ihm spiegelbildlich zugekehrt ist das Spielbein des Geistes, dessen Profil sich nach Hamlet zurückwendet und der optisch auch durch die ›dramatische‹ Beleuchtung von Kopf und Schultern auf ihn bezogen ist. Hier deutet sich bereits an, dass Hamlet trotz seines Zurückweichens nicht in das links aufragende Schlossgebäude fliehen, sondern, wie von Lichtenberg in der nächsten Passage beschrieben, dem Geist folgen wird. Dementsprechend markiert die abwehrende Hand nicht, wie bei Hogarth und Wilson, den vordersten Punkt des Gemäldes; vielmehr verläuft vorne, an der linken Bildseite beginnend, eine Kante, die den Bühnenrand markieren könnte,468 würde sie nicht ab der Seitenmitte von einer Rampe abgelöst. Diese bezeichnet den weiteren Weg des Geistes, der sich also nicht mit Hamlet ›hinter den Szenen verlieren‹, sondern auf den Betrachter zuschreiten wird. So eigenständig Zoffany also mit den Mitteln seiner Vorgänger umgeht, den Schauspieler malerisch in Szene zu setzen, so deutlich steht er doch auch in ihrer Tradition und bestätigt die Geschlossenheit und Kontinuität dieser ›größten und schrecklichsten Szene‹ sogar beim Wechsel von Bühne und Darsteller. Der behauptete Zusammenhang von Schauspielkunst, Kunst und Mimen-Ekphrasis im Hinblick auf ein von Garrick geschaffenes ›Bild des Entsetzens‹ ist damit belegt; nunmehr soll erläutert werden, was der Begriff ›Bild‹ in dieser Formulierung und im Zusammenhang mit Schauspielkunst überhaupt bedeuten kann. Bereits 466 Siehe Benedetti: Garrick, 202ff.; 208f., einen biographischer Abriss bietet Barker: William Powell. 467 Pressly : Shakespeare Paintings, 236. 468 Anders als auf Darstellungen von Komödien-Szenen vermeidet Hogarth hier jeden Hinweis auf den zeitgenössischen Bühnenraum und präsentiert ›Richard III.‹ »in the historical setting of Bosworth Field itself«, um sein Porträt an die Tradition der klassizistischen Historienmalerei anzuschließen (Hallett/Riding: Hogarth, 204).

Mimen-Ekphrasis und ›Bild‹-Begriff

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eingangs hatte sich ja am Beispiel von Julius Bab gezeigt, dass dieses Konzept geeignet ist, die Realisierbarkeit des Projekts Mimen-Ekphrasis zu begründen (I.1); nun soll demonstriert werden, dass seine systematische Entfaltung in Bezug auf Schauspielkunst die Analyse von Mimen-Ekphrasen präzisieren kann.

3.

Mimen-Ekphrasis und ›Bild‹-Begriff

3.1

Zur Untergliederung des ›Bild‹-Begriffs

Ich gehe von einem heuristisch bewährten Modell der Untergliederung von images aus, das William J. Thomas Mitchell 1984 in seinem berühmten Aufsatz What is an Image? entworfen hat;469 allerdings definiert Mitchell nicht explizit, sondern durch Beispiele. Ergänzend werden zwei umfangreiche deutsche Artikel zum Stichwort Bild herangezogen: Moshe Barraschs Artikel Bild, Bildlichkeit, aus dem Handwörterbuch der Rhetorik und Oliver R. Scholz’ Eintrag Bild in den Ästhetischen Grundbegriffen.470 Mitchells erste Kategorie ist das »graphic image«, exemplifiziert durch »pictures, statues, designs«.471 Für Barrasch handelt es sich hierbei um Bilder »im eigentlichen Sinn«;472 Mitchell zufolge stimmt dies allenfalls etymologisch, während eine ontologische Priorität nicht auszumachen ist. Barrasch und Scholz weisen darauf hin, dass ›Bilder‹ in diesem Sinn zunächst Statuen waren und der Begriff eikon dann auf zweidimensionale Gebilde überging.473 Eine entscheidende Eigenschaft scheint zu sein, dass es sich um ein von Menschen planvoll geschaffenes Werk (nicht notwendigerweise mit ›Kunst‹-Anspruch im emphatischen Sinn) handelt, das primär den Sehsinn anspricht. Ein ›graphisches Bild‹ ›des Entsetzens‹ wäre beispielsweise Charles Le Bruns L’horreur aus den tÞtes d’expressions.474 469 Mitchell: What is an Image?, hier 505 (Darstellung dort als Diagramm, Mitchells Kategorien in Kapitälchen, hier normalisiert). Obwohl der Aufsatz in deutscher Übersetzung von Jürgen Blasius vorliegt, wird die Terminologie hier zunächst im Original vorgestellt, da ›optical‹, ›mental‹ und ›verbal‹ nicht völlig deckungsgleich sind mit Blasius’ Übersetzungsvorschlägen ›optisch‹, ›geistig‹ und ›sprachlich‹ (Mitchell: Was ist ein Bild?, 20). Ein Beispiel für die heuristische Ergiebigkeit von Mitchells Modell ist die 2007 erschienene altphiloglogische Studie Mannlein-Roberts: Stimme, Schrift und Bild, siehe bes. 9. In Allert: Horaz – Lessing – Mitchell wird nachgewiesen, dass Mitchells Unterscheidungen systematisch bereits in Lessings Laokoon angelegt sind. 470 Barrasch: Bild, Bildlichkeit bietet eine komprimierte Fassung der Monographie Barrasch: Icon; Scholz: Bild bündelt Ergebnisse der Monographie Scholz: Bild, Darstellung, Zeichen. 471 Mitchell: What is an Image?, 505. 472 Barrasch. Bild, Bildlichkeit, 10. 473 Barrasch. Bild, Bildlichkeit, 10; Scholz: Bild, 620. 474 Montagu: Expression of the Passions, 134, Abb. 163.

138

Poetik der Mimen-Ekphrasis

Die zweite Kategorie heißt bei Mitchell »optical image« und wird durch »mirrors« und »projections« exemplifiziert; Scholz spricht von »Naturbildern« und nennt als Beispiele »Spiegelungen, Schatten und Abdrücke«.475 Das letzte Beispiel macht besonders deutlich, was diese Kategorie auszeichnet: Es handelt sich um die visuelle Repräsentation eines Objektes, die diesem nicht nur – wie ein Gemälde – mehr oder weniger ähnelt, sondern dessen Repräsentationsfunktion »tatsächlich mit seinem dargestellten Objekt verbunden ist, unabhängig davon, ob es als eine Darstellung interpretiert wird oder nicht«. Die hier gebrauchte Formulierung stammt von Charles Sanders Peirce und dient zur Abgrenzung ›indexikalischer Zeichen‹ gegenüber ›ikonischen‹ (letztere gekennzeichnet durch ein Ähnlichkeitsverhältnis).476 Allerdings können beide auch verbunden sein; im Fall von ›optischen Bildern‹ liegt die Ähnlichkeit in der ursächlichen Verbindung von Objekt und Bild begründet. In diesem Sinn ist das eigentliche ›Bild des Entsetzens‹ auch im Fall Le Bruns nicht dessen graphisches Bild, sondern das darauf abgebildete Gesicht eines entsetzten Menschen, das dessen Affekt indexikalisch ausdrückt. Auch der ›heiße Schauspieler‹ bringt in diesem Sinne ein ›optisches Bild‹ hervor ; der ›kalte‹ dagegen muss sich beobachtend orientieren an entsetzten Menschen oder graphischen Bildern wie dem von Le Bruns. Da er sich selbst nicht sehen kann, bedarf er, wie Demosthenes in Quintilians Beispiel (Inst. 11.3, 66–68: 2, 635; siehe I.1.3), eines Spiegels. Wie im Zusammenhang mit der antiken Gedächtnistheorie bereits ausgeführt (I.1.2), dient eine Sonderform des optischen Bildes, der Wachsabdruck, von Plato über Aristoteles bis in die Spätantike als Modell für eine Gruppe von Bildern, die Scholz als »innere Bilder« zusammenfasst;477 Barrasch bezeichnet diesen Bildaspekt als »psychologisch« und unterscheidet »die innere Vorstellung im Sinne einer erinnerten oder erdachten Wahrnehmung«.478 Für Scholz gehören sowohl »Wahrnehmung, Erkennen und Denken« in diesen Zusammenhang als auch »Erinnerung« »Vorstellungstätigkeit« und »das Träumen«.479 Mitchell untergliedert den Gegenstandsbereich in zwei Kategorien: »perceptual images« und »mental images«. Diese Unterscheidung ist insofern problematisch, als mittlerweile erwiesen ist, was schon Herder ahnte: Der ›mentale‹ Anteil an der Konstruktion perzeptueller Bilder ist konstitutiv ; Phänomene wie Hungerphantasien, optische Täuschungen und ›Nachbilder‹ zeigen, wie durchlässig die Grenze zwischen ›perzeptuellen‹ und ›mentalen Bildern‹ ist.480 Dennoch halte 475 Scholz: Bild, 620. 476 Aus dem 1. Teil des Logischen Traktats Nr. 2 (Peirce: Semiotische Schriften 2, 98–126, hier 113); siehe dazu Jäger: Indexikalität und Evidenz, 299; Nöth: Bildsemiotik, 243–245. 477 Scholz: Bild, 621. 478 Barrasch: Bild, Bildlichkeit, 10. 479 Scholz: Bild, 621. 480 Siehe Uhlmann: Herders Poetik der Visualität; zur phänomenologischen Sicht auf per-

Mimen-Ekphrasis und ›Bild‹-Begriff

139

ich an Mitchells Unterscheidung fest, weil sie eine Möglichkeit bietet, zwischen ›inneren Bildern‹ mit Objektpräsenz – ›perzeptuelle Bilder‹ – und ohne Objektpräsenz – ›mentale Bilder‹ –481 zu unterscheiden, was gerade in Bezug auf Schauspielkunst wichtig ist. Wie aufgezeigt, changiert Lichtenbergs MimenEkphrasis zwischen beiden Kategorien, wenn sie einerseits dem Briefpartner seine Erinnerung an das von Garrick gelieferte ›Bild des Entsetzens‹ vermittelt, andererseits die Beschreibung von Garricks entsetzter Miene ersetzt durch die Schilderung ihrer Wirkung auf sich während der Darbietung. Mitchells letzte Kategorie, »verbal images«, steht analog zu Barraschs ›sprachkünstlerischer‹ Wortbedeutung.482 In Scholz’ Formulierung handelt es sich um »rhetorische und poetologische Fachausdrücke für verschiedene Formen sprachlicher Veranschaulichung«.483 Ich verstehe ›sprachliche Bilder‹ als Versuche, bei den Rezipienten mittels Verbalsprache mentale Bilder zu erzeugen. Naheliegenderweise orientieren sich sprachliche Bilder an vertrauten, oft bereits mit sprachlichen Konzepten verbundenen mentalen Bildern. Sie können aber auch auf optische Bilder rekurrieren (man denke an die beliebte Rede von Literatur als ›Spiegel‹ der Realität) und auch – etwa als Ekphrasen im modernen Sinn – auf graphische Bilder. Bei Mitchell werden all diese Aspekte allein durch die Begriffe »description« und »writing« abgedeckt; außerdem steht »metaphor« nicht nur für Metaphern im engeren Sinn, sondern (wie der weitere Aufsatz zeigt) auch für rhetorische Tropen und Figuren wie »Allegorie, Metonymie, Synekdoche, Personifikation, Antonomasie, Periphrase und Gleichnis« sowie Symbol.484 Hier ist anzumerken, dass diese Figuren nicht notwendigerweise visueller Natur sind; doch sind sie es wohl prototypischerweise485 und funktionieren teilweise auch in graphischen Bildern (zum Beispiel Dolch und Gift oder eine weinende Maske für die Tragödie). Damit sind die von Mitchell gebotenen Kategorien erschöpft. Allerdings beabsichtigt er lediglich, »some of the ways we use the word image in a number of institutionalized discourses«486 zu erkunden, und zwar in einer abendländi-

481 482 483 484 485 486

zeptuelle Bilder siehe Böhm: Die Wiederkehr der Bilder, 17–22; Stemmler : Wider die Unmittelbarkeit des Visuellen; Kapust: Phänomenologische Bildpositionen; Horstkotte: Nachbilder. Einen Einblick in die neurobiologische Forschung gibt Wolf Singers Aufsatz Das Bild in uns; einen umfassenden Überblick über aktuelle naturwissenschaftliche und philosophische Positionen einschließlich kommentierter Bibliographie bietet Thomas: Mental Imagery. Hier (und nur hier) weiche ich in der Übersetzung von Jürgen Blasius ab, der das vieldeutigere Adjektiv ›geistig‹ wählt (Mitchell: Was ist ein Bild?, 20). Barrasch: Bild, Bildlichkeit, 10; da sich der Artikel mit Bedeutungen des Begriffs ›Bild‹ »in Rhetorik und Poetik« befasst (ebd.), wird Alltagssprache nicht berücksichtigt. Scholz: Bild, 622. Beschel: Bild, 86. Kohl: Metapher, 12. Mitchell: What is an Image?, 508.

140

Poetik der Mimen-Ekphrasis

schen Tradition, die das graphische Bild als ›eigentliches Bild‹ sieht. Mitchell weist jedoch in einem eigenen Kapitel darauf hin, dass es noch eine weitere Tradition gibt: Sie beginnt with the account of man’s creation »in the image and likeness« of God. The words we now translate as image (the Hebrew tselem, the Greek eikona, and the Latin imaginem[487]) are properly understood, as the commentators never tire of telling us, not as any material picture, but as an abstract, general, spiritual »likeness«. […] The true, literal image is the mental or spiritual one; the improper, derivative, figurative image is the material shape perceived by our senses, especially the eye.488

Auf Platos Ideen-Konzept geht Mitchell in diesem Zusammenhang nicht ein, präsentiert jedoch de facto eine strukturalistisch inspirierte Variante davon: »We might use the words model or schema or even definition to explain the sort of thing we mean when we talk about an image that is not (just) a picture. The image as likeness, then, can be understood as a series of predicates listing similarities and differences.«489 Damit wäre allerdings, wie Mitchell selbst feststellt, der Aspekt der Anschaulichkeit oder Veranschaulichung teilweise preisgegeben. Barrasch dagegen betont den Aspekt des Anschaulichen, wenn er für vergleichbare Phänomene eine »ontologisch-typologisch[e]« Kategorie des Bild-Verständnisses aufmacht. Ausgangspunkt ist dabei jedoch gerade nicht das abstrakte ›Schema‹, sondern »eine Person oder Sache, die eine andere Person oder Sache oder etwas Allgemeines als Präfiguration (z. B. Abraham Christus), Abbild (z. B. eine Sache eine Idee), Ebenbild (z. B. der Mensch Gott) oder Inbegriff (z. B. Cato die Tugend) verkörpert, vorprägt, nachahmt oder sonstwie stellvertretend repräsentiert«.490 In ähnlicher Weise gründet Scholz eine eigene Kategorie auf die »metaphysische, ontologische oder auch typologische Verwendung« des Bild-Begriffs.491 Als gemeinsames Merkmal dieser verwirrenden Fülle von Unterkategorien und Bildtraditionen erscheint mir das Merkmal der ›Repräsentation‹, auf das Barraschs Definition herausläuft; ich möchte deshalb vom ›repräsentativen Bild‹ sprechen. Es entspricht der Kategorie des ›repräsentativen Symbols‹, dessen Konturen Bengt Algot Sørensen in seinem Standardwerk Symbol und Symbolismus in den ästhetischen Theorien des 18. Jahrhunderts und der deutschen Romantik umrissen hat. Sørensen zufolge erscheint es in einigermaßen kohärenter Formulierung erstmals bei Goethe. Grundlegend sei »die Idee des ›Re487 Jürgen Blasius’ Übersetzung korrigiert Mitchells grammatische Inkonsequenz: »das hebräische zelem, das griechische eikon und das lateinische imago« (Mitchell: Was ist ein Bild?, 54). 488 Mitchell: What is an Image?, 521. 489 Mitchell: What is an Image?, 522. 490 Barrasch: Bild, Bildlichkeit, 10. 491 Scholz: Bild, 622.

Mimen-Ekphrasis und ›Bild‹-Begriff

141

präsentativen‹, d. h. die Idee, daß ein einzelner Fall seines empirisch zufälligen Charakters entkleidet und stattdessen in die Sphäre reiner Wesenheit gehoben wird. Mit Hilfe dieses repräsentativen Falles meinte Goethe, vom Besonderen zum Allgemeinen, von der Erscheinung zur Idee emporsteigen zu können, ohne den Boden der Erfahrung zu verlassen […].«492 Sørensen betont, dass dieses Modell in engem Zusammenhang mit Goethes naturwissenschaftlicher Forschung steht, in der Begriffe wie ›Typus‹, ›Gesetz‹, ›Erfahrung höherer Art‹, ›reines Phänomen‹, ›eminenter Fall‹, ›das Allgemeine‹ und z. T. auch ›Urphänomen‹« eine wichtige Rolle spielen.493 Unabhängig von dieser Tradition wirkte Goethes Symbolbegriff, dessen Verständnis mit dem Aspekt des ›Repräsentativen‹ keineswegs erschöpft ist, nachhaltig auf die symbolistische Tradition der Moderne.494 Allerdings glaube ich, dass die »Idee des Repräsentativen« in Sørensens eben zitierter Formulierung sich auch zur zusammenfassenden Charakterisierung von Bildtraditionen vor Goethe eignet (wie sie von Barrasch und Scholz angeführt werden), zumal dessen naturwissenschaftliche Forschung ja selbst in der Tradition des Aristotelismus stehen; insbesondere seine Faszination für das Prinzip der Metamorphose ist nicht vom Modell der »Entelechie« zu trennen.495 Wenn man nun den Hinweis auf Aristoteles durch den Hinweis auf Platon ergänzt, lassen sich ›Bilder‹ im Sinne strukturierter Abstraktionen als eigene Kategorie fassen, die ich ›schematische Bilder‹ nennen möchte. In diese Kategorie würden beispielsweise ›Weltbilder‹ gehören oder auch kollektive ›Selbstund Fremdbilder‹, wie sie die komparatistische Forschungsrichtung der ›Imagologie‹ beschäftigen.496 Nun ist zwar offensichtlich, dass es zwischen ›repräsentativen‹ und ›schematischen Bildern‹ Überschneidungen gibt, etwa im Bereich der Allegorie. Dies gilt jedoch auch für Mitchells übrige Kategorien und erinnert lediglich daran, dass Klassifikationen wie Begriffe überhaupt nicht ontologisch zu verstehen sind, sondern als Behelfsinstrumente zur Verständigung in einem konkreten Diskussionszusammenhang. Wichtig ist auch, dass sowohl ›repräsentative‹ wie ›schematische Bilder‹ sowohl als ›graphische‹ wie 492 Sørensen: Symbol und Symbolismus, 118. 493 Sørensen: Symbol und Symbolismus, 118. 494 Zum Gesamtspektrum des Goethe’schen Symbolbegriffs siehe Sørensen: Symbol und Symbolismus, 86–132, bes. 112–123; zum Verhältnis zur Romantik 123–128, zur Nachwirkung der »Symboltheorien der Goethezeit« 287f., hier 287. 495 Siehe Hilgers: Entelechie, Monade und Metamorphose. 496 Dauss: Imagologie, 343. Allerdings kann die Vorstellung von Selbst- und Fremdbildern, wie Ruth Florack gezeigt hat, dazu verführen, individualisierten Kollektiven konstante und kohärente Bilder zuzuschreiben, zusammengeklaubt aus verschiedensten Texten, deren Funktion und insbesondere Literarizität unberücksichtigt bleibt. Sinnvoller sei es, von ›Bildern‹ im Plural zu sprechen oder präzise definierte Begriffe wie ›Stereotyp‹ zu verwenden (siehe Florack: Komparatistische Imagologie).

142

Poetik der Mimen-Ekphrasis

auch als ›mentale‹ und ›sprachliche Bilder‹ auftreten können, wobei ihr Reiz gerade im Zusammenspiel dieser Bildformen liegt. Kurz zusammengefasst: Der Begriff »Bilder« lässt sich mit Mitchell in ›graphische Bilder‹ (1), ›optische Bilder‹ (2), ›perzeptuelle Bilder‹ (3), ›mentale Bilder‹ (4) und ›sprachliche Bilder‹ (5) einteilen; wobei diese Begriffe ungefähr auf einen konkreten Träger verweisen, letztlich aber alle erst durch eine mentale Leistung zu Bildern gemacht werden. Ergänzend lassen sich ›repräsentative‹ (6) und ›schematische Bilder‹ (7) unterscheiden, die zumeist als graphische, optische und mentale Bilder auftreten. Die Kategorien 1 und 2 lassen sich im Sinne Hans Beltings als »äußere Bilder« verstehen, 3 und 4 als »innere Bilder«;497 unklarer ist die Zuordnung bei den übrigen Kategorien. Bevor ich präzisiere, inwiefern diese Kategorien für Schauspielkunst und ihre literarische Darstellung relevant sind, seien noch zwei Merkmale der verwendeten Begrifflichkeit hervorgehoben: 1) Auch in Bezug auf vergleichsweise klar definierte Bild-Kategorien kann es für einzelne Phänomene Zuordnungsprobleme geben. So behauptete Roland Barthes, dass die Photographie indexikalisch sei, also ein ›optisches Bild‹. Das hat viele Kritiker auf den Plan gerufen, die auf die Eingriffsmöglichkeiten des Photographen hinweisen, Photos also wesentlich als ›graphische Bilder‹ verstehen.498 Allegorien – um ein für die weiteren Kapitel wichtiges Beispiel zu nennen – können sich als ›graphische‹ wie als ›sprachliche Bilder‹ manifestieren und lassen sich zudem als ›repräsentative‹ wie als ›schematische Bilder‹ gestalten bzw. verstehen. In solchen Fällen gilt es, die Funktion des ›Bildes‹ im konkreten Zusammenhang zu berücksichtigen und aus dem KategorienRaster keine ontologischen Entscheidungszwänge herzuleiten, sondern Beschreibungskriterien. 2) Die oben angeführten Beispiele für graphische Bilder legen den Irrtum nahe, es ginge hier nur um stumme und statische Bilder ; dieses Missverständnis könnte auch das Verständnis der übrigen Bild-Kategorien beeinflussen. Doch Spiegelbilder sind beweglich, Träume ebenfalls und außerdem keineswegs stumm. Wie Mitchell betont, werden selbst ›starre‹ Bilder in der Wahrnehmung dynamisch und multisensorisch aufgenommen,499 und genau diese 497 Das Gegensatzpaar »äußeres« und »inneres Bild« wird eingeführt in Belting: Bild-Anthropologie, 21; Belting versucht im Übrigen, den Theaterterminus »Verkörperung« für eine anthropologische »Mediengeschichte des Bildes« fruchtbar zu machen (ebd. 53). 498 Für eine knappe Sichtung der Positionen siehe Horstkotte: Nachbilder, 30ff.; ein rezentes Beispiele für Kritik an Barthes aus kunstgeschichtlicher Perspektive ist Warncke: Kritische Bild-Geschichte; siehe auch aus semiotischer Sicht Jäger : Indexikalität und Evidenz. 499 »[I]images ›proper‹ are not stable, static, or permanent in any metaphorical sense, they are not perceived in the same way by viewers any more than are dream images; and they are not exclusively visual in any important way but involve multisensory apprehension and interpretation.« (Mitchell: What is an Image?, 507).

Mimen-Ekphrasis und ›Bild‹-Begriff

143

Rezeption ist gemeint, wenn in Bezug auf graphische Bilder von Enargeia bzw. vivacit/ die Rede ist.

3.2

Bild-Aspekte von Rolle, Verkörperung und Mimen-Ekphrasis: ein Schema

Wie lassen sich diese Unterscheidungen im Hinblick auf Schauspielkunst fruchtbar machen? Der Theaterwissenschaftler Klaus Schwind versteht Schauspielkunst (ein zugrunde liegendes Drama vorausgesetzt) als Wechsel-Spiel von »Imagination« und »Konkretisierung«: Der Schauspieler konkretisiert eine Vision seiner Rolle, der Zuschauer transformiert diese Konkretisierung wiederum in eine Imagination.500 Von dieser Überlegung ausgehend möchte ich nun im Hinblick auf die zu analysierenden Mimen-Ekphrasen – und nicht etwa als Vorschlag für moderne Dramen- und Aufführungsanalysen! – ein Schema vorschlagen, das Schwinds Modell etwas ausdifferenziert. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass sich jene vom Schauspieler zu gestaltende bzw. gestaltete Größe, die oft pauschal als ›Rolle‹ bezeichnet wird, auf drei Ebenen beziehen kann: auf die Textvorlage, auf deren Umsetzung und auf deren Beschreibung. Den Begriff ›Rolle‹ möchte ich für die erste Ebene reservieren, was auch der Etymologie des Wortes (Schriftrolle)501 entspricht. Auf allen drei Ebenen lassen sich ein Produzent und ein Rezipient der realen Manifestation unterscheiden, die jeweils ein mentales Bild von ihr haben. Aus der Kombination beider Parameter lässt sich folgendes Schema entwickeln:

500 Schwind: Schau-Spiel im Theater. 501 Siehe Haß: Rolle, 278. Eine solche Schriftrolle versinnbildlicht auf dem »subscription ticket« für den Kupferstich nach Hogarths Richard-Gemälde den Text Shakespeares, während eine Maske für die Verkörperung Garricks steht (Hallett/Riding: Hogarth, 204).

144

Poetik der Mimen-Ekphrasis

Produktionsvoraussetzung Artefakt

Rezeptionsergebnis

Textvorlage (1) Mentales Rollenbild des Dramatikers

(2) Rolle/Rollenfigur502

(3) Mentales Rollenbild des Lesers

Umsetzung (4) Mentales Verkörperungsbild des Schauspielers (Regisseurs)503 (Wieder-) (7) Mentales VerkörpeVertextung rungsbild des Beschreibers

(6) Perzeptuelles Ver(5) Verkörperung körperungsbild des (ggf. als repräZuschauers sentatives Bild von 1–4) (8) Mimen-Ek(9) Mentales Verkörpephrasis (ggf. als rungsbild des Lesers repräsentatives Bild von 5–7)

Es sei noch einmal betont: Das Schema soll lediglich dazu dienen, Ebenen zu unterscheiden, die in Mimen-Ekphrasen und eventuell auch in schauspieltheoretischen Schriften angesprochen werden; deshalb erübrigt sich etwa eine prinzipielle Auseinandersetzung mit der Frage, ob das mentale Rollenbild des Dramatikers tatsächlich erschließbar und von der Rolle bzw. vom Rollenbild des (Modell-)Lesers zu sondern ist. Im Übrigen soll das Schema verdeutlichen, dass im Bereich der mentalen und perzeptuellen Bilder Übergänge zu erwarten sind, sofern der Rezipient einer Ebene zum Produzenten einer anderen Ebene wird: Ein Schauspieler ist zunächst Leser, ein Mimen-Beschreiber zunächst Zuschauer, so dass die perzeptuellen und mentalen Bilder 3/4 und 6/7 auch als Kontinuum gedacht werden können. Das Rollenbild und das Verkörperungsbild des Lesers können ebenfalls ineinander übergehen, beide können aber auch konfligieren oder sich gegenseitig modifizieren. Wenn eine Makro- oder Mikro-Ekphrasis (siehe I.2.2.6). sich auf die Verkörperung einer bestimmten Rolle bezieht, spreche ich, um den Anschluss an die theaterwissenschaftliche Terminologie zu wahren (Einf. 1), von einem ›Rollenporträt‹, obwohl der Begriff ›Rolle‹ in meinem Schema, streng genommen, nur auf das schriftlich konzipierte Drama verweist. Makro-Ekphrasen 502 Zwar bevorzuge ich den Begriff ›Rolle‹, um die Textgebundenheit dieses Artefakts zu betonen, doch will ich durch die alternative Verwendung des Begriffs ›Rollenfigur‹ den Anschluss an eine literaturwissenschaftliche Analysekategorie gewährleisten, die auch für Erzählliteratur und bildende Kunst gilt. Dabei verstehe ich ›Figur‹ mit Fotis Janidis als »menschliche oder in gewisser Hinsicht (z. B. handlungsfähig, spricht, hat Intentionen und andere Innenzustände) menschenähnliche Gestalt in einem fiktionalen Werk« (Janidis: Figur und Person, 119). Manfred Pfisters Definition der ›dramatischen Figur‹ als »Summe ihrer strukturellen Funktionen der Situationsveränderung und der Situationsstabilisierung« (Pfister : Das Drama, 224) ignoriert die lebensweltliche Erfahrung der Rezipienten, dank derer die besagte »Summe« überhaupt erst gezogen werden kann. 503 Diese Differenzierung mag vor allem für moderne Theater- und Filmkritiken wichtig sein; für die hier zu behandelnden Mimen-Ekphrasen sind sie schon deshalb unerheblich, weil in den meisten Fällen die Hauptdarsteller auch Regisseure sind; Begriff und Konzept kommen im Übrigen erst im 19. Jahrhundert auf (siehe Sandhack: Regie).

145

Mimen-Ekphrasis und ›Bild‹-Begriff

bieten in der Regel das ›Bild‹ eines Schauspielers in mehreren Rollen und oft auch rollenübergreifende und biographische Aspekte;504 nur in Bezug auf Rollen kommt die dreifache mediale Staffelung der Ekphrasis, die das Schema vorführt, völlig zum Tragen. Im Übrigen lassen sich die in diesem Schema unterschiedenen neun Aspekte auch für das Drama als Ganzes ausführen:505 Produktionsvoraussetzung Artefakt

Rezeptionsergebnis

Textvorlage (1) Mentales Dramenbild des Dramatikers

(2) Drama

(3) Mentales Dramenbild des Lesers

Umsetzung (4) Mentales Aufführungsbild des Regisseurs

(5) Aufführung / Inszenierung506 (ggf. als repräsentatives Bild von 1–4) (8) Aufführungsbeschreibung (ggf. als repräsentatives Bild von 5–7)

(6) Perzeptuelles Aufführungsbildes Zuschauers

(Wieder-) (7) Mentales AuffühVertextung rungsbild des Beschreibers

(9) Mentales Verkörperungsbild des Lesers

Beide Schemata gehen von jenem Theatermodell aus, das sich parallel zur Entstehung der Textsorte Mimen-Ekphrasis durchsetzte: dem Literaturtheater. Dennoch lassen sie sich, gegebenenfalls um die erste Spalte verkürzt, auch auf Mimen-Ekphrasen im Kontext weniger dramenzentrierter Theatermodelle beziehen. Entscheidend ist, dass dann ›Verkörperung‹ im Extremfall nicht mehr Umsetzung einer Rolle ist, sondern Hervorbringung im Sinne von »Embodiment«;507 im Übergangsfall kann die Rolle auch eine Negativfolie oder ein bloßer Ausgangspunkt der Verkörperung sein. Auch im Fall von Literaturtheater jedoch trifft die Rückführung der Verkörperung auf eine Rolle beziehungsweise auf die von ihr hervorgebrachten perzeptuellen und mentalen Bilder nur einen Teilaspekt der Verkörperung. Zum einen nämlich lässt sich bereits das mentale Rollenbild des Dramatikers (bzw. 504 Allerdings kann auch ein geschlossener längerer Text zugleich eine Makro-Ekphrasis und ein Rollenporträt darstellen, innerhalb dessen szenische Ekphrasen Mikro-Ekphrasen darstellen (z. B. II.6); auch ein Schauspielerporträt kann in solchem Rahmen als Mikroekphrasis auftreten. 505 Vgl. Guido Hiß’ Modell der »drei Simulacren«, das jedoch (im Kontext theaterwissenschaftlicher Aufführungsanalyse verständlich) die erste und letzte Position unbesetzt lässt. Vor allem aber bietet Hiß eine eher kontraintuitive Terminologie: »Drama« bezeichnet bei ihm nicht den Text, sondern das, was ich »mentales Dramenbild des Lesers« (3) nenne, und statt »Aufführung« (5) spricht Hiß von »szenischer Textur« (Hiß: Theatralischer Blick, 156f.). 506 Zum Verhältnis dieser Begriffe siehe I.5. 507 Siehe Fischer-Lichte: Verkörperung, 381.

146

Poetik der Mimen-Ekphrasis

sein mentales Dramenbild) und infolgedessen auch die Rolle (bzw. das Drama) als Repräsentation von Wirklichkeit begreifen; diese Repräsentation wiederum ist sowohl als graphisches Bild wie auch als optisches Bild interpretierbar. In diesem Sinn konkurriert der Terminus ›Bild‹ in manchen Epochen mit ›Szene‹, ›Akt‹ oder gar ›Drama‹. So wird »the purpose of playing« schon in Hamlets Belehrung der Schauspielertruppe bestimmt als »to hold as ’twere the mirror up to nature; to show virtue her feature, scorn her own image, and the very age and body of the time his form and pressure« (Ham. 3.2: 288), wobei die Formulierung »pressure« auf das schon von Aristoteles bemühte indexikalische Zeichen des Wachsabdrucks verweist. Die Spiegelbild-Metapher findet zwar auch Anwendung auf Erzählliteratur,508 ist im Fall des Dramas aber besonders plausibel, vermögen theatralische Zeichen doch, um noch einmal die Formulierung Fischer-Lichtes anzuführen, »grundsätzlich in materieller Hinsicht dieselben Zeichen zu sein wie diejenigen, die sie denotieren«.509 Diese Tatsache liegt etwa Diderots berühmter Forderung zugrunde, Dramenzuschauer sollten den Eindruck vermittelt bekommen, durch eine unsichtbare ›vierte Wand‹ in das Leben wirklicher Menschen zu schauen, eine Forderung, die noch für die Konzeption der naturalistischen ›Guckkastenbühne‹ bestimmend ist.510 Zu Diderots Zeiten war sie im Hinblick auf Bühnengestaltung, insbesondere Kulissen, vergleichsweise schwierig zu realisieren.511 Umso besser schien die reale Physis der Schauspieler geeignet, den Eindruck von optischen Bildern zu erwecken. Dass aber auch die ›natürliche Gestalt‹ ein »Phantasma« ist, und zwar eines, das an zeitgenössische KollektivPhantasien anschließt, hat Günther Heeg für das 18. Jahrhundert insbesondere am Phantasma der ›weiblichen Unschuld‹ demonstriert. Heeg zeigt Konstanten und Aporien dieses und anderer Phantasmen anhand von ›Figuren‹ in Gemälden, Erzählungen und Dramen auf, vor allem aber an den in Schauspieltheorien entworfenen Darstellungsidealen.

508 Z. B. der berühmte zweimalige Vergleich zwischen einem Roman und einem beweglichen Spiegel in: Stendhal: Le Rouge et le Noir, 76; 357 (zur Deutungsgeschichte siehe zusammenfassend Meier : Leben im Zitat, 13f.). 509 Fischer-Lichte: Zeichensprache des Theaters, 238, siehe Einf. 5. 510 Siehe Lehmann: Der Blick durch die Wand. 511 In Garricks Drury-Theater Lane änderte sich das ein wenig mit der Beschäftigung des Malers und führenden Bühnengestalters Philip James de Loutherbourg (siehe Nicoll: The Garrick Stage, 102–143; WaB 2: 666–669).

Mimen-Ekphrasis und ›Bild‹-Begriff

3.3

147

Image-Tendenz und Proteus-Ideal

Auf welche Weise es die Schauspieler vermochten, ihre individuelle Physis und auch Psyche dem »Phantasma der natürlichen Gestalt« anzunähern, ist denn auch eine Leitfrage vieler Mimen-Ekphrasen. Zwei gegensätzliche Modelle waren besonders wirkungsmächtig:512 a) Der Schauspieler spielt eigentlich ›sich selber‹, weil die Rolle entsprechend besetzt, ja ihm vielleicht sogar ›auf den Leib geschrieben‹ wurde oder weil sie zumindest Spielraum lässt, sie sich anzuverwandeln. Dabei kommt oft ein weiterer Aspekt ins Spiel: Wie Friedemann Kreuder ausführt, bestimmt der von Schwind beschriebene Wechsel zwischen »Imagination« und »Konkretisierung«, »wenn er jeglicher vermittelnder Spielebene enthoben ist und von daher auch seiner Unschädlichkeitsgarantie verlustig geht, ebenfalls jene Form der Darstellung, die als Gesamttätigkeit eines bestimmten Teilnehmers an einer bestimmten Lebenssituation dazu dient, den anderen Teilnehmern ein bestimmtes Bild von sich nahezubringen«.513 Im Deutschen wird dieses ›Bild‹ gern mit dem englischen Begriff Image belegt. Die rhetorische EthosLehre, der auch Quintilians actio-Theorie verpflichtet ist, hat also, wenn man die moderne Begrifflichkeit einsetzt, das Ziel, glaubwürdig ein Image zu vermitteln, das der Durchsetzung des Überredungszweckes förderlich ist: Der Redner muss zumindest den Eindruck erwecken, seine tatsächliche Überzeugung zu artikulieren und zu verkörpern. Doch kann das Image eines Schauspielers auch im Rahmen des Literaturtheaters die Rezeption seiner Verkörperung beeinflussen. Ich möchte hier von der ›Image-Tendenz‹ der Verkörperung bzw. Verkörperungsrezeption514 sprechen. 512 Ähnliche Dichotomien werden immer wieder erwogen; so schlägt Louis Jouvets vor, zwischen wandlungsfähigem com8dien und von der eigenen Persönlichkeit ausgehendem acteur zu unterscheiden (Jouvet: Komödiant und Schauspieler). Im Französischen ist dies allerdings schwierig, weil die Begriffe, wie Jouvet selbst feststellt, »im heutigen Sprachgebrauch ohne Unterschied verwendet werden« (ebd. 284); im Deutschen ist »Komödiant« etwas antiquiert und bezieht sich sehr explizit auf Darsteller komischer Rollen. Tatsächlich ist Jouvet überzeugt, dass der »Tragöde […] immer ein Schauspieler [acteur]« sei (ebd. 285). Noch weiter geht Bernhard Diebold: Er behauptet, allerdings vor allem mit Blick auf das 18. Jahrhundert, dass »der bloße Empfindungsschauspieler praktisch eher als Held und Liebhaber und zwar in ›tragischen‹ Rollen seine Geltung habe, der Nachahmungsschauspieler als Charakterspieler eher in ›komischen‹« und schließt damit, anders als Jouvet, an die Dichotomie von ›kaltem‹ und ›heißem Schauspieler‹ an (Diebold: Rollenfach, 30). Mit meinem Unterscheidungsvorschlag mache ich keine Aussage darüber, wie Schauspieler waren und sind, sondern wie über sie gesprochen wurde und wird. 513 Kreuder : Schauspieler, 286. 514 Damit meine ich sowohl die durch eine Verkörperung direkt und indirekt erzeugten perzeptuellen und mentalen Bilder als auch die Mimen-Ekphrasis (also die Positionen 6–9 des obigen Schemas).

148

Poetik der Mimen-Ekphrasis

b) Der Schauspieler vermag es, seine Verkörperung unterschiedlichsten Rollen anzupassen, was eine größtmögliche Manipulierbarkeit seiner Physis impliziert: Ich möchte ein seit dem 16. Jahrhundert beliebtes sprachliches Bild aufgreifen und vom ›Proteus-Ideal‹ der Verkörperung (bzw. Verkörperungsrezeption) sprechen. Dieses ist umso beeindruckender, je mehr es sich gegen scheinbar so zwingende Dispositionen wie Alter, Geschlecht, Hässlichkeit oder Körpergröße behauptet. Schließlich sei festgehalten, dass Verkörperung auch im Kontext des Literaturtheaters nicht zwangsläufig als optisches Bild gedacht werden muss, sondern auch als graphisches Bild gedacht werden kann, das einem spezifischen Code folgt wie dem des Barocktheaters, dem beispielsweise Partridge verpflichtet ist.

4.

Funktionen von Mimen-Ekphrasen und graphischen Mimen-Bildern

In diesem Kapitel sollen einige Bezüge zwischen dem linken und rechten Pol von Mitchells image-Schema, nämlich graphischen und sprachlichen Bildern, aufgezeigt werden: Es geht um Funktionen, die sowohl graphische Bilder wie Ekphrasen übernehmen können und hinsichtlich derer sie potenziell konkurrieren oder kooperieren. Ausgangspunkt meiner Überlegungen sind bereits besprochene Texte und sprachliche Bilder, einbezogen werden aber auch weitere Stellen aus Lichtenbergs Briefen und weitere Garrick-›Bilder‹.

4.1

Substitutions- und Memorialfunktion

Wie in Kapitel I.1.5 zitiert, behauptete Diderot, Garrick allein sei ebenso eine Reise nach England wert wie die römischen Altertümer eine Reise nach Italien (I.1.4). Tatsächlich war das Londoner Theater eine wichtige Station reisefreudiger Europäer insbesondere aus dem deutschen Kulturraum.515 Wer sich jedoch keine Reise leisten konnte, war, wie im Fall Italiens, auf das Substitut von graphischen Bildern und Ekphrasen angewiesen. Wie Lichtenbergs Hinweis auf einen Stich der Schauspielerin Frances Abbington zeigen wird (siehe II.5.6), konnten sich im Hinblick auf diese Substitutionsfunktion sprachliche und graphische ›Schauspieler-Bilder‹ ergänzen. Insofern sich Garrick 1776, als die Briefe erstmals erschienen, von der Bühne 515 Siehe Kelly : German Visitors.

Funktionen von Mimen-Ekphrasen und graphischen Mimen-Bildern

149

zurückzog und keiner mehr die ›Bilder‹ mit dem ›Original‹ vergleichen konnte, wuchs diesen auch jene Memorialfunktion zu, die den Ausgangspunkt meiner Überlegungen bildete (Einf. 1). Angesichts der konstitutiven Flüchtigkeit von Schauspielkunst dürfte sie vor Erfindung des Films die wichtigste Funktion von Mimen-Ekphrasen gewesen sein. Die Parallele zur bildenden Kunst ist hier besonders deutlich, insofern sich gerade die Gattung des Porträts, mit der Lichtenberg wie Fischer-Lichte Schauspielkunstbeschreibungen in Verbindung bringen, von Anfang an besonders an die ›Nachwelt‹ richtet.516 Vom Bedürfnis nach Authentizität zeugt die Tatsache, dass im 18. Jahrhundert künstlerische Porträts mit optischen Bildern, insbesondere Silhouetten und Totenmasken, konkurrierten.517 Besonders repräsentativ für diese Tendenz ist ein am 4. Mai 1779 publiziertes Mezzotinto von Robert Edge Pine: Es zeigt Garricks Totenmaske, drapiert sie aber so vor einem schwarzen Untergrund, dass der Zuschauer zur Ergänzung der Haare und des Oberkörpers herausgefordert wird, zumal der Künstler selbst die Augen des lebendigen Garrick ergänzt hat: Malerische vivacit/ suggeriert Wieder-Belebung.518 Um eine entsprechende Funktionalisierung ekphrastischer Enargeia wird es in den Kapiteln II.1, III.2, IV und V.3 gehen.

4.2

Transpositionsfunktion und paragonale Funktion

Wenn Lichtenberg seine Mikro-Ekphrasen über einen Schauspieler als ›Porträts‹ bezeichnet, thematisiert er aber nicht nur die Substitutionsfunktion von Literatur und Kunst, sondern proklamiert auch eine die ›Schwesterkünste‹ verbindende enargeische Wirkungskette in struktureller Analogie zu jener, die Philostrat anhand Pantheias vorführt (I.2.2.1), erweitert um Schauspielkunst. In diesem Sinn ist es zu verstehen, wenn Garricks ›Bild des Entsetzens‹ dem Maler einer Saulus-Bekehrung »zum Muster« dienen kann – und der Autor Lichtenberg diesen Zusammenhang für seine Beschreibung nutzt (I.2.2.6). Wie er diese Enargeia in den Briefen begründet und inszeniert, wird in Kapitel II.4 untersucht. Vorderhand sei daran erinnert, dass schon in Philostrats Eikones ein Interesse für medienspezifische wie medienübergreifende Aspekte der Darstellung gleicher Motive in den Schwesterkünsten erkennbar ist, welches in Ekphrasen, die es ausdrücklich thematisieren, als Transpositionsfunktion angesprochen werden kann. Wenn sich diese Thematisierung mit der Behauptung verbindet, ein Medium stelle 516 Siehe zu diesem Aspekt Kruse: Der Ursprung der Bilder. 517 Siehe Grünstein: Silhouetten aus der Goethezeit; Davidis/Dessoff-Hahn: Archiv der Gesichter. 518 Siehe Lennox-Boyd: Age of Garrick, 126f.

150

Poetik der Mimen-Ekphrasis

einen Gegenstand – z. B. Schauspielkunst – besser dar als ein anderes, kommt das Modell vom Wettkampf der Künste ins Spiel, und die Ekphrasis erfüllt eine paragonale Funktion (siehe III.1, V).

4.3

Emotionalisierungs- und Evidenz-Funktion

Das Beispiel von Diderots Paradoxe zeigte aber auch, dass der Rekurs auf die Kunst eines gefeierten Schauspielers wie Garrick dazu dienen kann, einer angeblich von seinem Beispiel ›abstrahierten‹ Schauspieltheorie Evidenz zu verleihen, sie als ›unmittelbar einleuchtend‹ erscheinen zu lassen (Einf. 4). Eine solche Evidenzfunktion können auch Bilddarstellungen von Schauspielkunst übernehmen; so ersetzte Henry Siddons in seiner englischen Übersetzung von Engels Mimik, die 1807 unter dem Titel Practical Illustrations of Rhetorical Gestures and Action erschien, Chodowieckis Illustrationen durch Darstellungen seiner Mutter Sarah Siddons und John Philip Kembles.519 Tatsächlich aber macht die Rückbesinnung auf die Ursprungsbedeutung von Enargeia darauf aufmerksam, dass scheinbare Evidenz oft auf subtiler Manipulation beruht – dieser Aspekt soll als Emotionalisierungs-Funktion angesprochen werden. Wie beide Funktionen ineinander übergehen, exemplifiziert der Schauspieler Melville Clay im Roman Hamlet, Revenge (I.1.5): Scheinbar macht er seinem intradiegetischen Publikum evident, dass Garrick ein ›kalter‹ Schauspieler war – den Lesern jedoch verrät die Erzähinstanz, dass der Überzeugungskraft seines ›Beweises‹ vor allem die virtuose »evocation, and more the abrupt dissipation of a piece of supreme theatre« zugrunde liegt.520

4.4

Analytische Funktion

Lichtenberg leitet seine Hamlet-Garrick-Beschreibung einerseits mit der Aufforderung an den Briefpartner ein, ihm »in einige Szenen« zu »folgen«; anderseits will er Fieldings »Beschreibung im Fündling […] erklären« [1]. Dieser Zusammenhang von Beschreibung und Erklärung ist, Ruth Webb zufolge, bereits Theons Definition von Ekphrasis – »eine beschreibende Rede, die das Mitgeteilte anschaulich vor Augen führt«– inhärent, genauer gesagt jenem Adjektiv, das Fritz Graf als ›beschreibend‹, Webb as ›descriptive‹ übersetzt (Einf. 4): »perie¯ge¯matikos«. 519 Siehe West: Image of the Actor, 78, 80. 520 Innes: Hamlet, 38f.

Funktionen von Mimen-Ekphrasen und graphischen Mimen-Bildern

151

The adjective perie¯ge¯matikos […] casts the speaker as a guide showing the listener around the sight to be described, as Pausanias leads the reader around Greece in his Periegesis […].[…] [T]he tenor of the metaphor adds to the composite picture of ekphrasis: the guide not only ›shows‹, but directs his or her audience’s attention, adding order and meaning to the undifferentiated mass of sights which is presented to the visitor. Ekphrasis, in some cases, therefore does not only make ›visible‹ the appearance of a subject but makes something about it intelligible […].521

Wie weit dies schon für antike Beschreibungskunst in persuasiven Zusammenhängen gilt, sei dahingestellt; jedenfalls gilt es für Ekphrasis im Sinn von Kunstbeschreibung, die Webb mit ihrem Hinweis auf Pausanias’ Beschreibung Griechenlands ja ins Spiel bringt.522 Schon Philostrat präsentiert sich als Führer durch die Galerie seines Gastfreundes, der insbesondere dessen Sohn die Bilder erklärt. Seine Erklärungen zielen zunächst auf das Was der Bilder, mitunter im Rückgriff auf die Ebene der literarischen Vorlage, dann aber auch auf das Wie, die malerische Sophia, wenngleich noch nicht im Sinn einer modernen Formanalyse. Noch deutlicher interessiert sich Lichtenberg nicht allein dafür, was Garrick aus Shakespeares Text macht, sondern auch wie. Insbesondere seine Beobachtung zur Deklamation des Verses »Angels and ministers of grace defend us« lässt sich sogar praktisch nachvollziehen, und eben dies tut denn auch Clay in Innes’ Roman. Insofern eine Ekphrasis dergestalt die Technik der zweiten Darstellungsebene thematisiert, erfüllt sie eine analytische Funktion. Lichtenberg deutet sogar an, dass Ekphrasen dieser Art der Abstraktion technischer Grundprinzipien vorarbeiten und damit in eine Schauspieleranweisung übergehen können: Man hat mich einmal versichern wollen, daß hier ein Mann an einem Werk für die Schauspieler arbeite, das Regeln enthalten soll, von Garricken abstrahiert, aber durch Philosophie auf Grundsätze zurückgebracht, verbunden und geläutert. Ich habe nachher nichts wieder davon gehört. Wenn es an dem ist, so gebe der Himmel, daß der Mann ein Lessing ist, aber die sind leider! hier so selten als in Deutschland. (BE: 330f.)

In der Tat sind gerade die ersten Stücke der Hamburgischen Dramaturgie, insbesondere in der Analyse von Conrad Ekhofs Schauspielkunst, Musterbeispiele für die Verbindung von Substitutionsfunktion und heuristischer Funktion.523 Ein Regelwerk hat Lessing zwar trotz einiger Entwürfe nicht entwickelt, wohl aber sein Schüler Johann Jakob Engel, der wiederum deutlich auf Illustrationen setzt (siehe II.5). Im Folgenden soll gezeigt werden, dass Mimen-Ekphrasen 521 Webb: Ekphrasis, imagination, 54. 522 Auf diesen Aspekt weist neuerdings auch Jörg Roberts Einführung in die Intermedialität (88f.) hin. 523 Besonders im 3. Stück (LFA 6: 196–201), siehe Einf. 2, Anm. 67, siehe außerdem die Beobachtung zu Sophie Hensels Darstellung der sterbenden Sara Simpson im 13. Stück (FLA 6: 250, dazu III.1).

152

Poetik der Mimen-Ekphrasis

(nicht nur) hinsichtlich der analytischen Funktion vergleichbar mit und attraktiv für Aufführungsanalysen im Rahmen der modernen Theaterwissenschaften sind.

5.

Mimen-Ekphrasis und Theaterwissenschaft

Der Gegenstand dieser Studie wurde in Abschnitt I.1 zunächst im Rekurs auf die Theaterwissenschaftler und -historiker Doll, Erken und Fischer-Lichte als ›Mimographie‹ bzw. ›Rollenporträt‹ angesprochen, im Folgenden aber von Positionen der antiken Rhetorik her als ›Mimen-Ekphrasis‹ konturiert, um dem Einfluss von Quintilians actio-Theorie und der Tradition enargeischer Kunstbeschreibung gerecht zu werden. Nunmehr ist zu fragen, welche Relevanz Mimen-Ekphrasen für die Theaterwissenschaft haben und komplementär, welchen Beitrag theaterwissenschaftliche Kategorien zur Interpretation von Mimen-Ekphrasen leisten können. Da meine Arbeit literaturwissenschaftlich ausgerichtet ist, wird der zweite Aspekt im Vordergrund stehen.

5.1

Mimen-Ekphrasis und die Anfänge der Theaterwissenschaft

Die bis heute wohl umfangreichste Sammlung von Mimen-Ekphrasen ist Monty Jacobs’ Anthologie Deutsche Schauspielkunst von 1913. Der Untertitel Zeugnisse zur Bühnengeschichte klassischer Rollen signalisiert, dass hier die Memorialfunktion im Vordergrund steht; ihr dienen auch 33 Bildertafeln. Im Gegensatz zu Julius Bab bekundet Jacobs in seiner Einleitung Skepsis, wie weit sich die Flüchtigkeit von Schauspielkunst in einem »Rollenporträt« (der Ausdruck fällt also nicht erst bei Fischer-Lichte) überliefern lasse.524 Andererseits postuliert er : »Aber wenn, ohne die Hilfsmittel der Technik, überhaupt von einer historischen Fixierung der Bühnenkunst die Rede ist, so kann sie nur auf den Aussagen berufener Zuschauer fußen. Hier allein ist fester Boden für eine wissenschaftliche Disziplin, die nicht im Wust der Akten und im Klatsch der Anekdoten 524 »Das Flackern, Zucken, Gleiten, das Projizieren seelischer Zustände durch Leib, Antlitz, Stimme, den hurtigen Wechsel von Ruhe und Leidenschaft in Sekundenspanne – wer will es wagen, durch ein Zauberwort den Geist der Beweglichkeit selbst erstarren und wieder aufleben zu lassen? […] Wie wortkarg wird etwa Heinrich Laube, wenn seine schreibfrohe Seele nach so viel Räsonnements über das Theaterwesen an ein wirkliches Rollenporträt gerät!« (Jacobs: Deutsche Schauspielkunst, 3; meine Hervorhebung). Jacobs variiert Lessings Bedenken im Vorwort der Hamburgischen Dramaturgie: »Eine schöne Figur, eine bezaubernde Miene, ein sprechendes Auge, ein reizender Tritt, ein lieblicher Ton, eine melodische Stimme: sind Dinge, die sich nicht wohl mit Worten ausdrücken lassen« (FLA 6: 186).

Mimen-Ekphrasis und Theaterwissenschaft

153

versumpft.«525 Besagte Disziplin ist die Theaterwissenschaft, deren deutsche Anfänge das Interesse des 1875 geborenen Theaterkritikers Monty Jacobs und seines 1880 geborenen Kollegen Julius Bab für Schauspielkunst maßgeblich beeinflussen. Ab 1900 nämlich hielt Max Herrmann in Berlin, wo Jacobs als Theaterkritiker arbeitete, theaterwissenschaftliche Vorlesungen und publizierte 1914, ein Jahr nach dessen Anthologie, seine Forschungen zur Theatergeschichte des Mittelalters und der Renaissance. Die programmatische Einleitung gilt als Gründungsschrift der Theaterwissenschaft und kritisiert mit gleicher Stoßrichtung wie Jacobs’ Einleitung die bisherige Praxis: »Wir begnügten uns meistens damit, glücklich aufgestöbertes Material […] zusammenzufügen, und nannten das Ergebnis Theatergeschichte.«526 Im Mittelpunkt der neuen Wissenschaft steht der Begriff der »Aufführung«, deren Inbegriff für Herrmann die »Schauspielkunst« darstellt: Sie erzeuge »das eigentliche, das reinste Kunstwerk, das das Theater hervorzubringen imstande ist«.527 Dieses Kunstwerk allerdings historisch zu rekonstruieren, sei eine gewaltige Herausforderung: Man achte nur auf das fast erfolglose Ringen der modernen Theaterkritik, die theatralischen Leistungen, die sie doch in unmittelbarer, lückenloser Lebendigkeit vor sich hat, so zu beschreiben, daß ein vollständiges und scharfes Bild auch für den entsteht, der die Vorstellung nicht besucht hat – um wieviel schwieriger ist es, Mittel und Wege zu finden, um aus den Trümmern der Überlieferung die längst vergangene Leistung einigermaßen deutlich wieder erstehen zu lassen.528

Bei Herrmann hörte auch Julius Bab,529 und unterstützte – gemeinsam mit Maximilian Harden, Leopold Jessner und Max Reinhardt – dessen Gründung des ersten theatergeschichtlichen Instituts in Berlin 1923.530 Als aktiver Theaterkritiker sehr viel zuversichtlicher, was Mimen-Ekphrasen anging, publizierte er unter anderem die Monographien Schauspieler und Schauspielkunst (1926) und Das Theater der Gegenwart. Geschichte der deutschen Bühne seit 1870 (1928).531 1939 musste Bab emigrieren; die eingangs erwähnte Geschichte moderner Schauspielkunst von 1954 mit dem herausfordernden Haupttitel Kränze dem Mimen (Einf.1) stellt nicht zuletzt einen (vergeblichen) Versuch des jüdischen Rückkehrers dar, sich für einen Lehrstuhl der Theaterwissenschaft in Deutschland zu empfehlen. Bab zitiert darin, im Sinn der Memorial-Funktion, ausführlich aus Mimen-Ekphrasen ferner Epochen, ergänzt sein Korpus um 525 526 527 528 529 530 531

Jacobs: Deutsche Schauspielkunst, 1. Herrmann: Theatergeschichte, 3–10, hier 5. Herrmann: Raumerlebnis, 152, siehe Fischer-Lichte: Aufführung, 17. Hermann: Theatergeschichte, 5. Zur Biographie siehe Huder: Julius Bab, bes. 8f.; Kurzenberger : Julius Bab. Siehe R. Möhrmann: Einleitung, 8. Vollständige Bibliographie in Huder : Julius Bab, 25–31.

154

Poetik der Mimen-Ekphrasis

eigene ekphrastische Passagen für die jüngere Vergangenheit und wertet diese Zeugnisse im Sinn der analytischen Funktion rekonstruierend aus. Trotz dieser Anfänge zeigte sich die Theaterwissenschaft bis in die 70er Jahre hinein nicht nur an Schauspielkunst erstaunlich desinteressiert, sondern auch an Aufführungsanalyse. Guido Hiß führt dies nicht zuletzt auf praktische Gründe zurück, insbesondere auf die multimediale »Komplexität der Bühnendarstellung« und die Tatsache, dass es für eine Aufführung »keinen fixierten Text, keine Partitur, seit wenigen Jahren immerhin die audiovisuelle Technik« gebe.532 Einen wichtigen methodischen Fortschritt stellt Fischer-Lichtes dreibändige Semiotik des Theaters von 1983 dar, die systematisch entwickelt, historisch erläutert und praktisch erprobt, wie sich Die Aufführung als Text verstehen und analysieren lässt.

5.2

»Erscheinung« und »Tätigkeit« des Schauspielers im System der »Aufführung als Text«

Im Anschluss an Jurij M. Lotman versteht Fischer-Lichte die Aufführung als »ästhetischer Text«, dessen »Sinn« eng an seine spezifische Struktur gebunden ist. Zu deren Analyse muss ein System der theatralischen Zeichen entfaltet werden. Dies geschieht bereits im ersten Band und wird im zweiten zunächst theaterhistoriographisch fruchtbar gemacht, um den Übergang vom Zeichensystem des Barocktheaters zum »bürgerlichen Illusionstheater« der Aufklärung zu beschreiben; dabei werden auch Lichtenbergs Briefe aus England ausgewertet. Im Folgenden sollen die für ›Schauspielkunst‹ wichtigsten Elemente von Fischer-Lichtes »System« (Bd. 1) vorgestellt werden, und zwar am Beispiel von Lichtenbergs Beschreibung der Hamlet-Geist-Szene und im Vergleich zu den vorgestellten graphischen Darstellungen dieser Szene. Dann ist zu fragen, welcher Ausschnitt dieses Systems für das »bürgerliche Illusionstheater« am wichtigsten ist (Bd. 2), um schließlich die Gesamtstruktur von Fischer-Lichtes Modellanalyse (Bd. 3) mit der von Lichtenbergs Mikro-Ekphrasis zu vergleichen. Max Herrmanns Postulat entsprechend steht im Mittelpunkt von FischerLichtes »System« der Schauspieler. Zunächst geht es um Die Tätigkeit des Schauspielers als Zeichen (Kap. 1), unterteilt in »sprachliche Zeichen« und »kinesische Zeichen«. Den deutlichsten Bezug zum Drama weist in der Regel eine Unterkategorie sprachlicher Zeichenproduktion auf, nämlich die lautliche Reproduktion »linguistischer Zeichen« der vor-geschriebenen Figurenrede. Sie 532 Hiß: Zur Aufführungsanalyse, 67. Das dritte Problem, die Einbeziehung des Zuschauers »als Bedeutungsproduzent« (ebd.), wird im übernächsten Abschnitt thematisiert.

Mimen-Ekphrasis und Theaterwissenschaft

155

kann in einer Mimen-Ekphrasis wieder in Schrift zurückverwandelt werden: Lichtenberg zitiert gleich dreimal den englischen Text. Dass Horatios Ausruf ins Deutsche übersetzt wird (»Sehen Sie, Mylord, dort kommts«, LBE: 335), weist darauf hin, dass Bühnenrede Teil einer fiktionalen Kommunikation ist. Lichtenberg thematisiert aber auch (im Fall des ersten englischen Zitats) »paralinguistische Zeichen«, indem er Garricks Stimme als ›bebend‹ bezeichnet und seine Sprech- bzw. Atemtechnik beschreibt (ebd.); es geht hier um jenen gezielten Einsatz paralinguistischer Zeichen, der traditionell als Deklamation bezeichnet wird. Zu ihr gehört auch der Aspekt der Betonung, der in den Briefen an anderer Stelle thematisiert wird. Fischer-Lichte reproduziert ihn anhand eines Beispielsatzes auf der Schriftebene durch Kursivierung.533 Außer in »sprachlichen« äußert sich die Tätigkeit des Schauspielers in »kinesischen Zeichen«, hier schlicht Bewegungszeichen genannt. Sie unterteilen sich in »mimische«, »gestische« und »proxemische« Zeichen. »Als mimische Zeichen sollen dabei all jene Gesichtsbewegungen gelten, die dem Eindruck der Primäreffekte dienen, als gestische Zeichen alle übrigen Gesichtsbewegungen und die Körperbewegungen, die ohne Positionswechsel ausgeführt werden, als proxemische Zeichen diejenigen Körperbewegungen, die einen Positionswechsel bewirken«534 oder auch nur einen »Abstand zwischen den Interaktionspartnern« markieren.535 Diese Unterscheidung wird hier im Sinn des alltagssprachlichen Verständnisses modifiziert: ›Mimische Zeichen‹ beziehen sich fortan auf das Gesicht, ›gestische‹ auf den übrigen Körper (sofern er keinen Positionswechsel vollzieht). Lichtenbergs Beschreibung von Garricks Bühnenaktion wird durch drei auf den Geist bezogene proxemische Zeichen interpunktiert: Er wirft sich zu ihm herum, ringt sich von seinen Freunden los und folgt schließlich dem Geist. Garricks Erstarrung nach dem Herumwerfen gibt Raum für die Wahrnehmung von Garricks offenem Mund als mimisches Zeichen seines ›Entsetzens‹ (weitere muss sich der Leser ergänzen) und etlicher gestischer Zeichen wie seinen gespreizten Fingern. Die »Erscheinung des Schauspielers« (Kap. 2) umfasst seine »Maske«, die bei Lichtenberg nicht thematisiert wird, seine »Frisur« – Hamlet folgt dem Geist »mit verwirrtem Haar«536 – und vor allem sein »Kostüm«: Dieses wirkt grundsätzlich »allein schon aufgrund seiner rein quantitativ größeren Ausdehnung, die eine bessere Wahrnehmung als Maske oder Frisur erlaubt, dominierend.«537 Wie gezeigt, thematisiert Lichtenberg gleich eingangs Hamlets Trauerkleidung und nutzt sie zu einer kurzen Rekapitulation des dramatischen Grundkonflikts; 533 534 535 536 537

Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 1, 41. Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 1, 47. Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 1, 87. Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 1, 336. Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 1, 120.

156

Poetik der Mimen-Ekphrasis

später werden Hamlets Hut und Degen erwähnt. Insofern Hamlet jedoch seinen Hut beim Sichherumwerfen zu Boden fallen lässt und seinen Degen zieht, also an ihnen »Handlungen vollzieht«,538 verwandeln sich diese Teile des Kostüms, systematisch gesehen, in »Requisiten«, die zu den »Zeichen des Raumes« gehören (Kap. 3). Zu diesen zählt auch Dunkelheit als Variante von »Beleuchtung«; Lichtenberg thematisiert sie, wie beschrieben, in einer Weise, die Zuschauerund »Bühnenraum« ebenso aufeinander bezieht wie die metaphorische Verlegung der »Dekoration« in den Zuschauerraum. Die letzte Kategorie des »theatralischen Codes« bilden »nonverbale akustische Zeichen« (Kap. 4), nämlich »Geräusche« und »Musik«, die in Lichtenbergs Mikro-Ekphrasis nicht erwähnt werden, prinzipiell aber sehr wohl ein Ausdruck von Schauspielkunst sein können. Dies gilt insbesondere für Gesang, der meist mit der Produktion sprachlicher Zeichen einhergeht. Fragt man vor diesem Hintergrund, welche schauspielerischen Zeichen graphische Bilder überhaupt oder besonders adäquat wiedergeben können, so erweist sich als deren eigentliche Domäne die Wiedergabe der schauspielerischen Erscheinung. Etwas weniger eignen sie sich zur Reproduktion von Bewegungszeichen: Insbesondere muss aus schnellen Bewegungsabläufen ein charakteristischer Moment gewählt und die vorausgegangene und folgende Bewegung angedeutet werden (ein Hauptthema des Laokoon, wenngleich nicht auf Schauspieler bezogen). Im Fall von Zoffanys Powell-Darstellung etwa geschieht dies durch den zu Boden gefallenen Hut und die Bezogenheit Hamlets auf den Geist über Beleuchtung und Raumgliederung. Überhaupt ist festzuhalten, dass graphische Bilder Zeichen des Raumes nicht nur besonders adäquat reproduzieren, sondern auch zur Akzentuierung von Erscheinung und Tätigkeit des Schauspielers nutzen können. Sprachliche und nonverbal-akustische Zeichen können sie nicht eigentlich darstellen, sondern nur auf sie hinweisen, etwa über einen geöffneten Mund oder das Spielen eines Instruments. Der konkrete Hinweis auf eine bestimmte Textstelle funktioniert nur, wenn deren Rezitation konventionell an bestimmte Bewegungs- oder Raumzeichen gebunden ist,539 ansonsten ist eine Ergänzung durch Text erforderlich (siehe II.5). Wenn also Mimen-Ekphrasen in Bezug auf die Darstellung von Bewegungszeichen einen gewissen medialen ›Vorsprung‹ haben, so ist dies insofern bedeutsam, als Fischer-Lichte im zweiten Band ihrer Semiotik des Theaters zu dem Schluss kommt, dass speziell der »kinesische Code des Theaters als repräsentatives Sinnsystem der Aufklärung« fungierte, und zwar auch in der Anthropologie 538 Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 1, 151. 539 Das berühmteste Beispiel ist kurioserweise die Koppelung des Verses »To be or not to be, that is the question« an Hamlets Blick auf Yoricks Totenschädel, der sich tatsächlich in einer viel späteren Szene vollzieht.

Mimen-Ekphrasis und Theaterwissenschaft

157

mit ihrem Interesse für die ›Ursprache‹, in der Physiologie mit ihrem Interesse für das Verhältnis von Körper und Seele sowie, daran anschließend, in der beginnenden Psychologie.540 Noch weit über die Aufklärung hinaus aber hätten die Bewegungszeichen im Zentrum des »bürgerlichen Illusionstheaters« gestanden, dessen systematische Perfektionierung Fischer-Lichte in der Stanislawski-Bühne sieht. Es beruht nach Fischer-Lichte auf drei Prämissen: »1. Das Theater soll eine Illusion der Wirklichkeit herstellen. […] 2. Gegenstand der Schauspielkunst sind psychische Zustände und seelische Prozesse des bürgerlichen Individuums. […] 3. Der Körper ist von Natur aus zum vollkommenen Ausdruck der Seele befähigt und geeignet.«541 Alle drei Aspekte lassen sich modellhaft vorführen an der zu Beginn von Lichtenbergs Mikro-Ekphrasis erwähnten Figur des Partridge (siehe I.1.4): Bei ihm erzeugt Garrick (erstens) die Illusion, er reagiere auf einen wirklichen Geist, indem er (zweitens) den Affekt des Erschreckens in einer Weise gestaltet, die der Dorfschulmeister bruchlos vom Dänenprinzen auf sich beziehen kann, und schafft dies (drittens) durch Bewegungszeichen, die sich sogar nach dem Muster einer Ansteckung542 auf Partridges Körper übertragen. Damit aber stellt sich nicht nur für Lichtenberg, sondern auch für Theaterwissenschaftler, die eine in der Tradition des bürgerlichen Illusionstheaters stehende Aufführung analysieren wollen, die Aufgabe, je spezifische Zeichenverwendungen zu notieren und zu analysieren. Der dritte Band demonstriert die Praktikabilität von Fischer-Lichtes Ansatz in dieser Hinsicht. Sie wählt Augusto Fernandes’ Inszenierung von Pirandellos Drama Heinrich der Vierte, das die eben genannten Prämissen des illusionistischen Theaters auf der Handlungsebene thematisiert.543 Da dies in gewisser Weise, wenngleich vor dem Hintergrund eines früheren theatergeschichtlichen Umbruches, auch in Shakespeares Hamlet der Fall ist544 und die Inszenierung kaum avantgardistisch-postdrama-

540 Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 2, 177–182. Kosˇenina: Anthropologie und Schauspielkunst hat konkrete Bezüge zwischen Schauspielkunst und den beiden letztgenannten Disziplinen aufgedeckt und für Dramenanalysen fruchtbar gemacht. 541 Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 2, 183f. 542 Fischer-Lichte: Aufführung, 17. 543 Es handelt sich um Pirandellos 1922 uraufgeführtes Drama Enrico IV. Hauptfigur ist ein zeitgenössischer italienischer Adliger, der zwanzig Jahre vor Einsatz der Bühnenhandlung bei einem Festumzug Heinrich den Vierten gespielt hatte und nach einem Sturz vom Pferd im Glauben lebte, er sei tatsächlich der deutsche König, unterstützt von seiner Verwandtschaft, die seine Illusion mitspielend aufrechterhielt. Allerdings ist der Adlige vor Beginn des Dramas bereits aus seiner Täuschung erwacht, hat aber beschlossen, weiterhin den Verrückten zu spielen. Im Mittelpunkt der Handlung steht der Versuch, den Geheilten zu heilen. 544 Werner Wolf zufolge markieren Shakespeares Dramen den Übergang von einem der »Spiellillusion« zu einem der »mimetischen Illusion« verpflichteten Theater (siehe I.1.2);

158

Poetik der Mimen-Ekphrasis

tische Tendenzen erkennen lässt,545 besteht im Folgenden keine Notwendigkeit, auf Einzelheiten des Dramas oder der Inszenierung einzugehen; es interessieren allein die Grundzüge von Fischer-Lichtes Vorgehensweise im Vergleich zu der Lichtenbergs. Im Anschluss an ihre Erkenntnisse zur Norm des bürgerlichen Illusionstheaters stellt Fischer-Lichte die Notation und Interpretation der Bewegungszeichen in den Mittelpunkt, im Gegensatz zur Systematik des ersten Bandes aber nicht an den Anfang. Vielmehr behandelt sie zunächst »Kontexte für die kinesischen Zeichen« (Kap. 3.2), nämlich erstens, in einer knappen Inhaltsangabe, die »Handlung des Dramas«, zweitens die »Zeichen des Raumes« und drittens die vergleichsweise permanenten »Zeichen der äußeren Erscheinung«, insbesondere das Kostüm der Darsteller. Das ist strukturell durchaus mit Lichtenbergs MikroEkphrasis vergleichbar, die vom Kostüm ausgehend den Ausgangskonflikt resümiert und gleich darauf Bühnen- und Zuschauerraum in Beziehung setzt, um in diesem ›Kontext‹ insbesondere die Bewegungszeichen Garricks ausführlich zu beschreiben. Ähnlich ist auch das exemplarische Vorgehen: Fischer-Lichte beschreibt zunächst die Bewegungszeichen des ersten Aktes »in ihren allgemeinen Grundzügen« und analysiert dann jeweils »eine kurze Sequenz« aus dem zweiten und dritten Akt »en detail«, um schließlich »ihre spezifische Funktion und Leistung« herauszuarbeiten.546 Lichtenberg ›führt‹ seinen Briefpartner zunächst Pirandello spielt auf der Schwelle zur Avantgarde mit den Voraussetzungen des bürgerlichen Illusionstheaters (siehe Rössner : Pirandello). 545 Nach Fischer-Lichtes Schlussresümee ist Fernandes’ Inszenierung »einer Richtung des dramatischen Theaters zuzurechnen, die Günther Rühle als ›Theater einer neuen Bildlichkeit‹ bezeichnet hat« und in der Bewegungszeichen im Gegensatz zum aufklärerischen Illusionstheater nicht »die Funktion haben, Gefühle, psychologische Vorgänge, die subtilsten Regungen einer dramatis persona zum Ausdruck zu bringen«, sondern »eine Situation [zu] verdeutlichen und Beziehungen [zu] qualifizieren: sie sind vor allem auf die Interaktionsprozesse bezogen, die zwischen den Personen ablaufen« (Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 3: 187). Dies scheint mir jedoch nur eine Neuakzentuierung zu sein: Zum einen thematisiert auch die Bühne des 18. Jahrhunderts durchaus prominent Beziehungen zwischen den Figuren (siehe Lichtenbergs ›Doppelporträt‹ von Thomas Weston und David Garrick als Dienerpaar, II.5.6 und Ifflands Technik der ›Spiegelung‹ von mimischen Aktionen seiner Bühnenpartnerinnen, III.5.2. Auch Fischer-Lichtes Kronzeuge Stanislawski legt durchaus Wert auf diese Ebene und betont sie sogar in Bezug auf den Geist von Hamlets Vater (siehe Stanislawski-Reader, 99–104, bes. 101). Zum anderen begründet Fischer-Lichte die Fokussierung ihrer Aufführungsanalyse auf Bewegungszeichen mit den Ergebnissen ihrer Untersuchung zum bürgerlichen Illusionstheater (Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 3: 120) und arbeitet beispielsweise die durch »elegische« Musik und synchrone Bewegungen unterstrichenen Seelenregungen des Protagonisten im zweiten Akt heraus (Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 3: 157). Insofern würde ich Punkt 2 der oben genannten Prämissen – »Gegenstand der Schauspielkunst sind psychische Zustände und seelische Prozesse des bürgerlichen Individuums« – um den Zusatz »und ihre sozialen und emotionalen Beziehungen« erweitern. 546 Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 3, 131. Im ersten Akt geht es um die »Definition der

Mimen-Ekphrasis und Theaterwissenschaft

159

in die Hamlet-Geist-Szene und ›erklärt‹ deren durch Partridge exemplifizierte emotionalisierende Wirkung; später thematisiert er anhand weiterer Sequenzen weitere Aspekte von Garricks Schauspielkunst. Bemerkenswerterweise hält Guido Hiß 1990 als Ergebnis einer breit angelegten Untersuchen von Aufführungsanalysen in Magisterarbeiten auf »Erkenntnisinteressen, Theoriebezüge« und »methodische Strategien« hin fest: »Eine originelle Lösung des Vielschichtigkeitsproblems haben verschiedene Arbeiten unabhängig voneinander gefunden, es ist fast schon ein Standard: Die zeitlich präsenteren Ausdrucksebenen (Bühnenbild, Kostüm, Requisite) getrennt zu beschreiben von den mehr ›transitorischen‹ sprachlichen und körperlichen.«547 Mit Blick auf Lichtenberg und Fischer-Lichte ist die Originalität dieser Verfahrensweise in Frage zu stellen und ihre intermediale Logik zu betonen: Wenn zunächst die relativ konstanten Elemente vorgestellt werden, die auch ein graphisches Bild am adäquatesten entwickeln kann, bilden sie auch in der Vorstellung des Lesers eine ›Kulisse‹, vor der sich die Bewegungszeichen in konsekutiver Erzählung ›abspielen‹ können. So viel zur Kontextualisierung von Bewegungszeichen; was den größeren Kontext angeht, kann Hiß berichten, dass »hermeneutische Inhaltsanalyse […] fast schon den Normalfall« bildet: Diese »untersucht – etwa bei einer Klassikerinszenierung – zunächst das Drama, profiliert dann die theatralische Bedeutung vor diesem Hintergrund, stellt also die dramatische Figur ihrer szenischen Umsetzung gegenüber.«548 Wie angedeutet, folgt auch Fischer-Lichte diesem Muster bis zu einem gewissen Grad, indem sie ihrer Untersuchung eine knappe Inhaltsangabe voranstellt. Diese dient allerdings nur »zum besseren Verständnis der nachfolgenden Ausführungen«,549 wäre also im Fall einer Klassikerinszenierung wohl überflüssig. Hiß dagegen entwickelt das Schema fort zum Modell der »Transformationsuntersuchung«, bestehend aus einer »dramaturgischen Analyse« und der durch sie profilierten eigentlichen Aufführungsanalyse. Die ›dramaturgische Analyse‹ untersucht ein Drama »im Hinblick auf denkbare und sinnvolle Interpretationen«, unter Einbeziehung Rollen«, welche die Figuren »in Übereinstimmung mit ihrer vom Kostüm bezeichneten Rolle, in Widerspruch zu ihr, über sie hinausgehend, sie entfaltend oder ohne erkennbaren Bezug auf sie […] in der Interaktion mit den anderen spielen wollen« (ebd. 143). Im zweiten Akt ermöglichen die Bewegungszeichen den Figuren »ein lediglich symbolisches Ausagieren und Beenden ihres Verhältnisses«, wobei nicht mehr der Bezug zum Kostüm, sondern »zu den verbalen Zeichen« dominiert (ebd. 164). Im dritten Akt schließlich wird in den Bewegungszeichen eine »Festlegung der Beziehungen« sichtbar (ebd. 165), »die sich in mancher Hinsicht als eine Umkehrung der entsprechenden Relationen des I. Aktes« erweisen (ebd. 176). 547 Hiß: Zur Aufführungsanalyse, 77; siehe Manfred Pfisters Unterscheidung »durativer und nicht-durativer« Zeichen der Aufführung (Pfister : Das Drama, 28). 548 Hiß: Zur Aufführungsanalyse, 77. 549 Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 3, 122.

160

Poetik der Mimen-Ekphrasis

literaturwissenschaftlicher Ergebnisse und der bisherigen Aufführungsgeschichte. Sie »tastet Sinnspielräume ab, Interpretationsfelder. […] Auf dieser Grundlage untersucht die Transformationsanalyse im zweiten Schritt die Aufführung, einerseits als weiteren Schritt der Interpretationsgeschichte des Dramas, zugleich als eigenständige theatralische Größe.«550

5.3

Die »Präsenz« des Schauspielers in der »Ästhetik des Performativen«

Fischer-Lichtes semiotisch orientierte und Hiß’ rezeptionsästhetisch inspirierte Modellanalyse551 folgen mehr oder weniger deutlich dem Modell des Literaturtheaters und befassen sich, genau genommen, weniger mit einer ›Aufführung‹ als mit der ›Inszenierung‹ von Dramen. Während nämlich ›Inszenierung‹ die intendierte und geplante performative Hervorbringung von Materialität meint, schließt ›Aufführung‹ »jegliche in ihrem Verlauf hervorgebrachte Materialität« ein. Deshalb erschöpfen sich Aufführungen »in ihrer Gegenwärtigkeit, d. h. ihrem zwischen Anfang und Ende andauernden Werden und Vergehen, in ihrer Autopoesis.«552 In Die Aufführung als Text gibt Fischer-Lichte jedoch an, dass ihre Analyse »nach mehrmaligem Besuch der Aufführung an einer Videoaufzeichnung vorgenommen« wurde,553 und Hiß verlässt sich sogar auf die Videoaufzeichnung einer Inszenierung, die er gar nicht besucht hat.554 Lichtenberg destilliert seine Hamlet-Ekphrasis aus zwei Aufzeichnungen zu zwei Theaterbesuchen555 und thematisiert insofern ebenfalls Inszenierung als Aufführung; allerdings muss er sich trotz sporadischer Kenntnis von graphischen Rollenbildern556 vor allem auf sein Gedächtnis verlassen. Gleichwohl thematisiert er auch Aspekte, die aus der Sicht einer »Ästhetik des Performativen« relevant sind, wie sie von Fischer-Lichte seit den 1990er Jahren entwickelt und 2004 in einer Monographie dieses Titels umrissen wurde. Eine prägnante Zusammenfassung bietet ihr Artikel Aufführung aus dem von ihr mitherausgegebenen Metzler Lexikon Theatertheorie (2005), auf den ich mich im Folgenden beziehe. 550 551 552 553 554 555 556

Hiß: Theatralischer Blick, 158f. Von Peter Steins Bremer Tasso-Inszenierung (1969). Fischer-Lichte: Aufführung, 18. Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 3, 119. Siehe Hiß: Theatralischer Blick, 301. Siehe Lichtenberg in England 1, 46–57; 58–64. Die Kenntnis des Stiches nach Wilsons Hamlet- und Hogarths Richard-Gemälde halte ich angesichts von deren Verbreitung in England für ziemlich sicher, wenngleich sie sich nicht explizit nachweisen lässt. Von Zoffanys Powell-Gemälde dagegen sind keine Druckversionen bekannt. Zu impliziten und expliziten Bezugnahmen weitere Rollenporträts in den Briefen aus England siehe II.5.2; II.5.3; II.5.6.

Mimen-Ekphrasis und Theaterwissenschaft

161

Eine Aufführung, so die Ausgangsdefinition, ist ein Ereignis, das »aus der Interaktion zweier Gruppen von Personen hervorgeht, die sich an einem Ort zur selben Zeit versammeln, um in leiblicher Ko-Präsenz gemeinsam eine Situation zu durchleben, wobei sie zum Teil wechselweise, als Akteure und Zuschauer agieren«.557 Wie oben gezeigt (I.2.1.2), thematisiert Lichtenberg das Wechselspiel zwischen Garrick und seinem Publikum nicht nur, sondern nutzt es sogar zur Strukturierung seiner Mikro-Ekphrasis. Auch die Wirkung der übrigen Zuschauer auf den Berichterstatter wird thematisiert im Zusammenhang mit der Koppelung von Dunkelheit und ›fast fürchterlicher Stille‹, die Bühne und Zuschauerraum umfassen; Heeg fühlt sich hier an das »Ritual einer Totenbeschwörung« erinnert.558 Damit ist der Aspekt der »Atmosphäre« angesprochen, »die vom Raum und den Dingen […] auszugehen scheint«, so dass diese »dem Subjekt, das ihn betritt, in einem geradezu emphatischen Sinne gegenwärtig werden«.559 Überdies führt Lichtenberg vor, wie diese Atmosphäre der Stille den Aspekt der »Lautlichkeit« bewusst macht.560 Diese ist (ergänzt sei: schon bei Schiller)561 »[g]eradezu paradigmatisch für die Flüchtigkeit von Aufführungen«; zudem wirkt sie »unmittelbar auf den, der ihn vernimmt« ein, in seinen Körper eindringend, oft physiologische Reaktionen auslösend, »Räumlichkeit« schaffend und im Fall von »Stimmlichkeit« auch »Körperlichkeit« evozierend.562 »Körperlichkeit« manifestiert sich aber insbesondere in der »Präsenz des Akteurs«, der »den Raum besetzt und beherrscht, so dass er die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich zieht. Ein Strom von Energie scheint von ihm auszugehen, der sich auf die Zuschauer überträgt und sie ihrerseits energetisiert.«563 Wie sehr es in Lichtenbergs Mikro-Ekphrasis um dieses Phänomen geht, wird spä-

Fischer-Lichte: Aufführung, 16 (meine Hervorhebung). Heeg: Phantasma der natürlichen Gestalt, 450. Fischer-Lichte: Aufführung, 19 unter Berufung auf Böhme: Atmosphäre. In der ersten Beschwörung der ›fürchterlichen Stille‹ heißt es, »man könnte am entferntesten Ende des Theaters eine Nadel fallen hören«, die zweite mündet in die Deklamation des Verses »Angels and ministers of grace defend us« (LBE: 335); Innes’ Garrick-Imitator Melville Clay zerstört an dieser Stelle die Atmosphäre abrupt durch sein ›musikalisches Gelächter‹ (Innes: Hamlet, 38). 561 »Und wie der Klang verhallet in dem Ohr, / Verrauscht des Augenblicks geschwinde Schöpfung« (SSW 2: 271, V. 37f., siehe Einf. 1). 562 Fischer-Lichte: Aufführung, 19 (meine Hervorhebungen). 563 Fischer-Lichte: Aufführung, 18f. (meine Hervorhebung). Den Begriff »Energie« wiederum definiert ein weiterer Artikel des Metzler Lexikon Theaterwissenschaft (auf den dieser verweist) als »eine starke körperliche, affektive, imaginäre oder mentale Wirkung eines Objekts, Textes, Stoffes, Bildes oder Körpers. Die Kategorie Energie betont, dass Materialien, Körper, Praktiken oder Prozesse insbesondere in den Künsten nicht allein in ihrer Funktion als Zeichen oder als Medium von Bedeutung aufgehen, sondern über eine eigenständige sinnliche Wirklichkeit und Wirksamkeit verfügen.« (Schrödl: Energie, 87). 557 558 559 560

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Poetik der Mimen-Ekphrasis

testens in den Schlusssätzen deutlich, die den »Beifall« als »Triumph« feiern (LBE: 336). Die genannten Phänomene lassen sich im Fall einer Theateraufführung natürlich durchaus »auf die Figur bzw. eine bestimmte fiktive Welt oder eine bestimmte symbolische Ordnung« beziehen564 und werden von Hiß und vor allem der frühen Fischer-Lichte, falls überhaupt thematisiert, in diesem Sinne gedeutet. Dies gilt tendenziell auch für Lichtenbergs Mikro-Ekphrasis; wenn es allerdings heißt, Hamlet ziehe »mit einer Geschwindigkeit, die einen schaudern macht, den Degen gegen« seine Gefährten, so verweist dies weniger auf die Figur Hamlet als auf Garricks ›Präsenz‹, die sich in einer bereits zitierten Passage als Artistik manifestiert: Er ist wirklich stark und äußerst geübt und flink. In der Szene im Alchemisten, wo er sich boxt, läuft er und hüpft er von einem dieser netten Beine auf das andere mit bewundernswürdiger Leichtigkeit, daß man glaubt er schwebe, auch in dem Tanz in much ado about nothing, unterscheidet er sich vor andern durch die Leichtigkeit seiner Sprünge, als ich ihn in diesem Tanz sah, war das Volk so zufrieden damit, daß es die Unverschämtheit hatte, seinem Roscius encore zuzurufen. (LBE: 332)

Die zuerst genannte Szene hatte Garrick in Ben Jonsons Komödie The Alchemist allererst eingefügt, um seine Artistik vorzuführen,565 und auch Shakespeares Benedick zeichnet sich eigentlich eher durch Schlagfertigkeit aus als durch Tanzkünste. Wenn das Publikum also auf diese Darbietungen reagiert wie auf einen anderen Aufführungstyp, nämlich eine Jahrmarktsvorstellung, so manifestiert sich darin ein durch Garricks Eingriffe vorbereitetes »Umspringen der Wahrnehmung« zwischen einer Interpretation vor dem Hintergrund der Rollenfigur zur »Wahrnehmung […] selbstbezüglicher Phänomene«,566 die den alternativen Wahrnehmungsmodus jeder Aufführung ausmacht. Lichtenberg distanziert sich zwar von der spezifischen, die ästhetische Illusion störenden Reaktion des ›Volkes‹, bezeichnet Garricks Artistik aber ebenfalls als ›bewundernswürdig‹. Auf ihn hat Garricks Körperlichkeit nicht erst auf dem Höhepunkt verkörperter Emotion oder motorischer Aktion eine starke PräsenzWirkung: »Wenn er, auch ohne Furcht, Hoffnung, Mißtrauen oder irgend einen Affekt hinter den Szenen hervortritt, so möchte man gleich nur ihn allein ansehen; er bewegt sich unter den übrigen Schauspielern, wie der Mensch unter Marionetten« (LBE: 331). Noch deutlicher wird der Effekt der ›Energetisierung‹ durch ›Präsenz‹ ein paar Sätze weiter bezeichnet: »Man fühlt sich selbst leicht und wohl, wenn man die Stärke und Sicherheit in seinen Bewegungen sieht, und wie allgegenwärtig er in den Muskeln seines Körpers scheint« (LBE: 332). 564 Fischer-Lichte: Aufführung, 20. 565 Vorbild war der populäre Boxer John Broughton (Benedetti: Garrick, 122). 566 Fischer-Lichte: Aufführung, 20 (meine Hervorhebung).

Mimen-Ekphrasis und Theaterwissenschaft

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Fischer-Lichtes Ästhetik des Performativen zufolge handelt es sich hier sogar um »das starke Konzept von Präsenz«;567 sie exemplifiziert es an Gustav Gründgens, der in Theaterkritiken vom Anfang und Ende seiner Karriere mit verblüffend ähnlichen Formulierungen gefeiert wird.568 Ich werde in dieser Arbeit abkürzend von ›starker Präsenz‹ sprechen, weil es mir eigenartig erscheint zu sagen, Zuschauer erlebten ein »Konzept«. Doch kann körperliche Präsenz – wie Lichtenbergs Formulierung von Garricks »netten« (im heutigen Sprachgebrauch etwa: ›properen‹) Beinen andeutet, auch eine erotische Komponente haben. Dieser Aspekt wird zwar in ›seriösen‹ Theaterkritiken gern verschwiegen569 und wurde im 18. Jahrhundert, zumal in Bezug auf Schauspielerinnen, teilweise heftig kritisiert und bekämpft, dürfte aber kaum weniger die Rezeption bestimmt haben als heutzutage beim Film. Dass sie von ›Schauspielkunst‹ im engeren Sinn nicht säuberlich zu trennen ist, zeigt besonders eindrücklich Lichtenbergs ›Porträt‹ von Frances Abbington (II.5.6). Aufführungsanalyse im strikten Sinn wirft, Fischer-Lichte zufolge, eine Reihe methodischer Probleme auf: Da Aufführungen sich in ihrem Vollzug erschöpfen, also nicht fixier- und überlieferbar sind, lassen sich nur Aufführungen analysieren, an denen der Analysierende selbst teilgenommen hat. […] Eine Analyse der Aufführung losgelöst von der Subjektivität des Analysierenden und den Erfahrungen, die er während der Analyse gemacht hat, stellt daher einen Widerspruch in sich dar. […] Dabei darf die Subjektivität der Analyse weder mit purer Introspektion noch mit Beliebigkeit verwechselt werden. Vielmehr handelt es sich um eine Subjektivität, die kommunizierbar ist und daher intersubjektiv zugänglich und gegebenenfalls nachvollziehbar.570

Vor diesem Hintergrund gewinnt Monty Jacobs’ oben zitierte Behauptung, man könne sich »einer historischen Fixierung der Bühnenkunst« nur über die »Aussagen berufener Zuschauer« nähern, neue Aktualität, auch angesichts eines weiteren methodischen Problems:

567 Zum Präsenz-Konzept siehe ausführlich Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, 160– 175, hier 166, (Hervorhebung im Original). 568 Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, 164f. 569 Der Theaterkritiker Irving Wardle kritisiert dies als Heuchelei: »Reviewers often seem on their guard against beauty and physical prowess. The pretence is that we are touched only by the performer’s professional accomplishment, psychological insight, verse-speaking technique, and other elements that can be appraised at arm’s length; and that we are immune to animal magnetism, charm, heroic profiles and lovely legs which move the reviewer like any other spectator to desire and envy. I can recall only one reviewer (Joyce Macmillan of The Guardian) owning up to being turned on while in possession of a Press ticket« (Wardle: Theatrical criticism, 100). 570 Fischer-Lichte: Aufführung, 23.

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Poetik der Mimen-Ekphrasis

Nicht-sprachliche Vorstellungen, Bilder, Phantasien und Erinnerungen oder auch Befindlichkeiten, Empfindungen und Gefühle, die sich körperlich artikulieren und als diese spezifischen körperlichen Artikulationen bewusst werden, lassen sich nur schwer in Sprache ›übersetzen‹. Denn den Zeichen der Sprache eignet immer eine gewisse Abstraktheit, die sie eben zur Herstellung von Beziehungen und Zusammenhängen befähigt. Die konkreten wahrgenommenen Objekte dagegen werden ihres besonderen phänomenalen Seins, als das sie in der Wahrnehmung in Erscheinung treten, allein schon dadurch beraubt, dass sie nachträglich auf den Begriff gebracht werden. Das heißt, auch die Sprache setzt der Analyse gewisse Grenzen.571

Bis zu einem gewissen Maß versucht bereits die ›frühe‹ Fischer-Lichte dieses Defizit zu kompensieren, indem sie ihre Modellanalyse durch Szenenphotos ergänzt. Für die Vergegenwärtigung von Phänomenen wie Präsenz aber ist sogar eine Videoaufführung ungeeignet.572 Mimen-Ekphrasen jedoch müssten für die Theaterwissenschaft gerade deshalb von Interesse sein, weil sie – nicht zuletzt im Rekurs auf graphische Bilder – nach Enargeia streben und insofern die ›Grenzen der Sprache‹ poetisch erweitern wollen.

571 Fischer-Lichte: Aufführung, 26. 572 Fischer-Lichte: Aufführung, 23.

II

Enargeia, Allegorie und Karikatur. Zur Entstehung der englischen Mimen-Ekphrasis und ihrer deutschen Rezeption im 18. Jahrhundert

1.

Thersites und Verres: Leitthesen zu Enargeia und Karikatur

Zunächst sei an einige Grundelemente von Enargeia erinnert, die für die Analysekapitel (II–VI) besonders wichtig sind. Diese Rekapitulation erfolgt nicht alleine mit Blick auf die ›Schulbuch‹-Definition von Enargeia, sondern auch auf ihre ›Karrieren‹, und akzentuiert besonders ihre intermediale Dimension. Enargeia soll Abwesendes virtuell anwesend machen im Sinn des ›Vor-AugenStellens‹, also der Evokation eines mentalen Bildes. Dieser Effekt ist kein Selbstzweck; er dient der Affekterzeugung. Mit Blick auf die Verwirklichung von Enargeia lassen sich zwei Grundtendenzen unterscheiden und durch Übersetzungen ins Deutsche akzentuieren: Es geht um ›Anschaulichkeit‹ und ›Lebendigkeit‹. Anschaulichkeit meint die Fähigkeit, ein mentales Bild beim Rezipienten zu erzeugen; es ist jener Aspekt, hinsichtlich dessen Bildwerke, insofern sie sich ikonischer Zeichen bedienen, ›enargeischer‹ erscheinen als Texte. Anders verhält es sich mit dem Aspekt der Lebendigkeit, der wiederum zwei Teilaspekte umfasst, nämlich ›Belebtheit‹ und ›Bewegung‹. Belebtheit meint schlicht das Am-Leben-Sein von Lebewesen, insbesondere von Menschen: Sie und nicht tote Gegenstände sind prototypischer Gegenstand enargeischer Beschreibungskunst. Belebtheit impliziert aber auch Emotionalität, die sich wiederum in ›lebhaften‹ Bewegungen und Aktionen ausdrückt. All dies können Gemälde zwar andeuten, doch nur unter Beachtung zweier medialer Grenzen, die schon Plutarch und Quintilian hervorgehoben haben: Sie sind starr und stumm. Die perfekte Verwirklichung von Enargeia scheint dagegen in einer theatralischen Aufführung erreichbar, die anschaulich wirkt und sich lebendiger Körper und gesprochener Sprache bedient. Deshalb ist die theatralische Szene nicht nur ein Grundmodell für enargeische Beschreibungskunst, sondern auch für enargeische bildende Kunst. Auf der realen Bühne wirkt vor allem die actio des Schauspielers. Glaubwürdig und enargeisch wirkt sie nur, wenn die dargestellte Rollenfigur überzeugend verkörpert wird, vor allem in ihren Affekten. Das hat sie, nach

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

Quintilian, mit der actio des Redners gemeinsam, die ebenfalls innere Bewegung – pathos – vermittelt, jedoch nicht, wie bei diesem, im Dienst von Fiktion und ästhetischer Illusion, derer sich das Publikum letztlich bewusst ist, sondern im Dienst des ethos. Da dieses ethische Pathos aber oft genug vorgetäuscht werden muss, bedürfen Schauspieler wie Redner der Selbstemotionalisierung, für deren Erzeugung Quintilian enargeische Phantasmen empfiehlt. Andererseits bedarf die actio, wiederum Quintilian zufolge, auch eines gewissen Maßes an reflektierter Kontrolle, denn der unkontrollierte Ausdruck von Affekten kann undeutlich oder missverständlich sein oder gegen das decorum verstoßen. Obwohl eine actio, welche diese Vorgaben beachtet, eigentlich Enargeia in Vollendung repräsentieren müsste, gibt es auch (wie am Beispiel von Philostrat, Shakespeare und Lichtenberg gezeigt) Tendenzen, die Permanenz von Bildwerken als enargeischen Vorteil zu sehen, dem die actio nachstreben sollte – wenigstens auf Höhepunkten der Handlung oder auf der Ebene der MimenEkphrasis. Besonders in diesem Zusammenhang (doch keineswegs nur in ihm) wird beim Rezipienten oft die Kenntnis bestimmter graphischer Bilder, ikonographischer Muster oder graphischer Verfahren aktualisiert. Im folgenden Kapitel werden diese Aspekte im Rahmen eines spezifischen historischen Kontexts untersucht: Es geht um die Anfänge der Mimen-Ekphrasis in England und ihren Transfer nach Deutschland über Lichtenbergs Briefe aus England vor dem Hintergrund des Übergangs »vom allegorischen zum mimetisch-illusionistischen Darstellungsstil«, der, wie Gottfried Willems gezeigt hat, bildende Kunst wie Literatur umfasst und in den Wechselbeziehungen beider besonders deutlich wird.573 Zu zeigen ist, dass er sich auch in Aufführungspraxis und Mimen-Ekphrasis manifestiert. Zudem vertrete ich im Anschluss an Erkenntnisse des Kunsthistorikers Werner Busch die Auffassung, dass beim Übergang vom allegorischen zum mimetisch-illusionistischen Darstellungsstil auch im Bereich von Schauspielkunst und Mimen-Ekphrasis die Gattung der Karikatur Modellfunktion erlangt.574 Dies soll im Folgenden erläutert und auf drei Leitthesen zugespitzt werden. Ausgangspunkt ist ein kleiner Disput, ausgelöst durch Lichtenbergs Briefe aus England.

573 Willems: Anschaulichkeit, 110–151, zitiert ist die Kapitelüberschrift. Allerdings handelt es sich um ein idealtypisches Modell, das in vielem zu modifizieren ist. So ist mit Peter Andr8 Alt darauf hinzuweisen, dass die Allegorie im 18. Jahrhundert nicht etwa aus der Literatur verschwindet, sondern in vielfältiger Weise umfunktionalisiert wird (Alt: Begriffsbilder); dazu mehr in Kapitel III.2. Für die bildende Kunst lässt sich ein Verschwinden der Allegorie allenfalls behaupten, wenn man den Blick auf wenige Werke des Höhenkamms beschränkt (vgl. Logemann: Allegorie, 571); dagegen ist insbesondere die Bildersprache der Pressekarikatur von ihren Anfängen im 18. Jahrhundert bis heute zutiefst allegorisch geprägt (dazu grundlegend Gombrich: Arsenal des Karikaturisten). 574 Siehe hierzu Busch: Englische Karikatur ; Busch: Das sentimentalische Bild, 457–476.

Thersites und Verres: Leitthesen zu Enargeia und Karikatur

167

Obwohl die Briefe von Anfang an sehr erfolgreich waren,575 reagierte Lichtenberg empfindlich auf die von Johann Heinrich Voß in ganz anderem Zusammenhang formulierte Stichelei gegen »seine beinah bis zur Karrikatur [sic] übertriebenen Verwunderungen über Garrick«:576 Er nennt meine Bewunderung von Garricks Spiel Carikaturmässig. So viel ich weiß, habe ich mehr beschrieben, als bewundert, und was ich beschrieben habe, bin ich mir deutlich bewußt, habe ich gesehen. […] Ich habe glaube ich, meine Empfindung so entwickelt, daß dabey von dem eignen derselben nichts im Ausdruck verschwunden ist, und durch Vergleichungen, die ich für die schicklichsten hielt, dieselbe oder eine nicht sehr verschiedene wieder im Leser zu erwecken gesucht.577

Lichtenberg versteht ›Beschreibung‹ einerseits als nicht durch »Bewunderung« getrübten Bericht von tatsächlich Beobachtetem, andererseits aber durchaus als ›Entwicklung‹ eigener, vom Gesehenen ausgelöster »Empfindung« mit dem Ziel, diese auf den Leser zu übertragen. Das passt bruchlos in das eingehend vorgestellte Konzept von Ekphrasis als enargeischer Beschreibungskunst. Voß dagegen unterstellt, dass eine bestimmte Empfindung, die der Gegenstand beim Beschreiber auslöst, nämlich übermäßige Bewunderung (von ihm spöttisch ›Verwunderung‹ genannt), die Beschreibung unfreiwillig in die Nähe der graphischen Gattung ›Karikatur‹ rückt. Diese Analogie impliziert zweierlei: Die Darstellung ist weniger beschreibend als übertreibend, und sie löst im Rezipienten nicht Bewunderung aus, sondern Erheiterung. Die Karikatur galt nämlich als graphische Darstellung von Individuen, die durch Übertreibung und oft Verhässlichung charakteristischer physiognomischer Merkmale lächerlich gemacht wurden.578 Gemeint ist damit speziell die Tradition der italienischen caricatura, ein Fremdwort, das im Deutschen manchmal (wenn auch in unterschiedlicher Schreibweise) wörtlich übernommen, manchmal eingedeutscht wurde579. Für diese Karikatur im engeren Sinn sei hier der Begriff Porträtkarikatur verwendet, wurde sie doch als dialektisches Gegenstück zum Porträt begriffen, das traditionell eine eher idealisierende Tendenz hatte.580 575 Siehe hierzu LSB 3/Komm.: 50. 576 In Vossens Vertheidigung gegen Hrn Profess. Lichtenberg, die im Märzheft 1782 des Deutschen Museum erschien (213–250, hier 249) ging es eigentlich um die Frage der Aussprache griechischer Eigennamen in Übersetzungen; Voß wehrte sich gegen Lichtenbergs Polemik Über die Pronunciation der Schöpse […] (LSB 3: 296–308). 577 Göttingisches Magazin 3 (1782), 147f., zit. nach LSB 3/Komm: 150f. 578 Über den Karikaturbegriff im 18. Jahrhundert, besonders im deutschsprachigen Raum, informiert umfassend Arburg: Kunst-Wissenschaft um 1800, 64–76. 579 Z. B. als »Aftergestalt«, »Spottbild« oder »Zerrgemählde« (Arburg: Kunst-Wissenschaft um 1800, 67). 580 So heißt es in Jonathan Richardsons zuerst 1715 erschienenem Essay on the Theory of Painting: »Many Painters have taken a fancy to make caricatures of people’s faces; that is exaggerating the defects, and concealing the beauties, however preserving the resemblance;

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

Wo aber liegen nun Analogien zwischen graphischen Porträtkarikaturen und Ekphrasen? Zur Beantwortung dieser Frage ist ein kurzer Exkurs nötig, an dessen Ende sich andeuten wird, wie zentral die Kategorie der ›Karikatur‹ im engeren und weiteren Sinn für das Verständnis von Lichtenbergs Mimen-Ekphrasen ist – und für die englische Tradition, in der sie stehen. Drei Progymnasmata nennen als Musterbeispiel einer gelungenen PersonenEkphrasis die Darstellung des Thersites aus der Ilias.581 Er wird darin als Inbegriff eines ›Demagogen‹ vorgestellt:582 Viele ungebührliche Worte trug er im Herzen, Immer verkehrt, ohne Maß und Ziel mit den Fürsten zu hadern, Wo ihm nur etwas erschien, das lächerlich vor den Argeiern Wirkte, […]. (Hom. Il. 2.213–215: 51)583

Schamlosigkeit und Insubordination des Thersites spiegeln sich in seinem ›verkehrten‹ Äußeren: […], der häßlichste Mann, der gegen Troja gekommen: Säbelbeinig und hinkend auf einem Fuße, die Schultern Höckrig, gegen die Brust zusammengebogen; darüber Spitzte sich zu sein Kopf, besät mit spärlicher Wolle. (Hom. Il. 2.215–218: 51)584

Die Passage ist Ausdruck der menschlichen Disposition, das ›Hässliche‹ als ›Hassenwertes‹ zu verstehen,585 auf der, wie insbesondere Ernst Gombrich herausgearbeitet hat, ein wichtiges denunziatorisches Potenzial der graphischen Karikatur gründet: »Sie beinhaltet eine neue Interpretation der betreffenden

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583 584 585

the reverse of that is to be done in the present case (beim Porträtmalen), but the character must be seen throughout.« (Richardson: Works 1, 43f., mit Erläuterung zit. nach Busch: Englische Karikatur, 230). Siehe Arburg: Kunst-Wissenschaft um 1800, 71f. Tatsächlich waren es gerade die ersten Porträtkarikaturisten, nämlich die Brüder Annibale und Agostini Carracci, welche andererseits »die Inthronisierung des akademischen Kunstideals« vorbereiteten (Hofmann: Die Karikatur – eine Gegenkunst, 318). Es handelt sich um die Progymnasmata von Theon, Pseudo-Hermogenes und Nikolaos, siehe Webb: Ekphrasis, Imagination, 214, siehe auch 58. Siehe Rosen: Macking Mockery, 67–116. In der Neuzeit belehrt bereits ein anonymes New Enterlude Called Thersytes von ca. 1562 (wie es im Untertitel heißt) Theaterzuschauer und Leser darüber, »howe that the greatest boesters are not the greatest doers« (Anonym: Thersites). Hier zitiert nach der zweisprachigen Ausgabe Homer/Rup8: Iias (Seitenzahl nach Doppelpunkt): »dr 5pea vqes·m Øsim %josl\ te pokk\ te Õdg/ l\x, !t±q oq jat± j|slom, 1qif]lemai basikeOsim,/ !kk’ f ti oR eUsaito ceko_iom )qce_oisim/5llemai· […]« (Hom. Il. 2.213–215: 50). »[…]aUswistor d³ !mµq rp¹ ]kiom Gkhe·/ vokj¹r 5gm, wyk¹r d’ 6teqom p|da· t½ d] oR ¥ly/ juqt½ 1p· st/hor sumowyj|te· aqt±q vpeqhe/ von¹r 5gm jevak^m, xedmµ d’ 1pem^mohe k\wmg.« (Hom. Il. 2.215–218: 50). Siehe Kliche: Häßlich, 27f.

Thersites und Verres: Leitthesen zu Enargeia und Karikatur

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Physiognomie, die man nie mehr vergessen kann und die daher das unglückliche Opfer bis an sein Lebensende mit sich herumträgt, wie wenn ihn die Circe verhext hätte.«586 In diesen Zusammenhang gehört der Tiervergleich in graphischen Karikaturen587 und analog verfahrenden Texten: Plato lässt Thersites in einem Affenkörper wiedergeboren werden;588 ein anonymer Karikaturist stellt den verwachsenen Satiriker Alexander Pope 1729 als »A – - P – - E« dar und gibt seinem Bild Popes Übersetzung von Homers Thersites-Passage bei (Abb. 6).589 Im Kontrast zu Popes Affengestalt (das Gesicht selbst ist kaum verhässlicht) stehen seine Denkerpose und seine Papstkrone, die nicht nur auf seinen Nachnamen, sondern auch auf seinen Katholizismus anspielt. Eine Figur kann also nicht nur über ihre Physis verächtlich und lächerlich gemacht werden, sondern auch über Kleidung und Körpersprache: In diesem Sinn bildet Ciceros Ekphrasis des römischen Statthalters Verres, der sich in einen griechischen Umhang gehüllt und verkatert auf sein ›Dämchen‹ stützt (siehe I.1, I.2.1.10), ebenfalls eine verbale ›Karikatur‹. Sie entspricht strukturell in bemerkenswerter Weise einer graphischen Karikatur des 21. Jahrhunderts, die den damaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, von diversen ›Dämchen‹ umgeben, im die Geschlechtsteile betonenden »Mankini« von »Borat« zeigt, einer Filmfigur des britischen Komikers Sacha Baron Cohen.590 Allerdings macht der Vergleich auch einen wichtigen Unterschied deutlich: Im Fall der BerlusconiKarikatur lässt schon die Unterschrift Borat Berlusconi keinen Zweifel daran, dass hier ein Zeichner den Karikierten durch den Vergleich mit dem Komiker lächerlich machen will; die polemische Tendenz der Verres-›Karikatur‹ dagegen soll gemäß dem celare artem-Prinzip verborgen bleiben. Deshalb rät Quintilian 586 Gombrich: Kunst und Illusion, 292. 587 Siehe Lammel: Deutsche Karikaturen, 11–13; seit dem 16. Jahrhundert fördert vor allem der Tiervergleich in der Physiognomielehre den Einsatz dieses Mittels in der graphischen Karikatur (Guratzsch u.a.: Bild als Waffe, 239). 588 Siehe Plat. rep. 10, 620a. 589 Abgebildet und kurz erläutert in George: Hogarth to Cruikshank, 30; ausführlicher kommentiert in Timm: Art of Illustration, 26; siehe zudem George: Prints and Drawings, 676 (Nr. 1814). Eine Variante ohne Papstkrone (siehe Döring, 231, Komm. ebd. 76, Anm. 60 sowie George: Prints and Drawings 2, 673–675, Nr. 1812) bildet das Frontispiz zu Pope Alexander’s Supremacy and Infallibility Examin’d, einem anonymen Gegenpamphlet von 1729 zur zweiten Fassung von Popes Verssatire The Dunciad aus demselben Jahr (Pope: Dunciad Variorvm, siehe II.4.1). 590 Der intradiegetischen Zuschauer-Konstruktion entspricht hier das Posieren vor einer imaginären Kamera. Leider konnte ich Ursprung, Zeichner und Rechteinhaber der spätestens seit 2010 im Netz verbreiteten Karikatur bislang nicht ermitteln und muss deshalb auf folgende Homepage verweisen: http://swiss-lupe.blogspot.com/2009/07/der-papstund-der-windstoss.html [8. Okt. 2017]. Direktes Vorbild ist ein Photo, mit dem auch der Verkauf von Mankinis beworben wird, vgl. https://www.latestbuy.com.au/official-boratsuit/ (29. 05. 2017).

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

Abb. 6: Anonym: His Holiness and his Prime Minister (Kupferstich, 1729)

dem Redner, der die Passage vorträgt, davon ab, die Haltung des sich aufstützenden Verres ›nachzubilden‹: Dies sei eine Unart von Komödianten, die einem seriösen Redner nicht anstehe.591 Leitend ist hier die Vorstellung vom aptum oder decorum, dem der Redner verpflichtet ist.592 Quintilians Mahnung macht darauf aufmerksam, dass es auch ›mimische Karikaturen‹ gibt – wie bereits erwähnt, bestand der griechisch-römische Mimos/Mimus, von dem sich der Begriff ›Mime‹ möglicherweise herleitet, in einer übertreibenden Nachahmung von Zeitgenossen (Einf. 5). Zudem führt das Zitat in jenen Kontext, in dem missglückte actio – unabhängig von bestimmten Figuren – mit besonders wirkungsmächtiger Anschaulichkeit verbal karikiert wird, nämlich Kapitel 11.3 von Quintilians Institutio. Besonders seine Formu-

591 »[N]on enim […] in illa perihodo ›stetit soleatur praeter populi Romani‹ inclinatio incumbentis in mulierculam Verris effingenda est« (Quint. Inst. 11.3.90: 2, 642). 592 So Maier-Eichhorn: Gestikulation, 57f.

Thersites und Verres: Leitthesen zu Enargeia und Karikatur

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lierung von der ›trägen, unsteten, sägenden Handbewegung‹593 hat Karriere gemacht. So warnt Hamlet in seiner ebenso wirkungsmächtigen Rede an die Schauspieler, die seine ›Mausefalle‹ aufführen sollen: »[D]o not saw the air too much with your hand, thus, but use all gently« (Ham. 3.2: 287). Noch ›karikaturistischer‹ fällt allerdings die Warnung vor affektierter Überartikulation aus, mit der die Ansprache beginnt: »Speak the speech, I pray you, as I pronounced it to you, trippingly on the tongue; but if you mouth it as many of your players do, I had as lief the town-crier spoke my lines« (ebd.) Wie Quintilian geht es Hamlet um die Einhaltung des Aptum: »Suit the action to the word, the word to the action, with this special observance, that you o’erstep not the modesty of nature.« (Ham. 3.2: 288) Da er sich allerdings an Schauspieler und nicht an Redner wendet, geht es ihm nicht darum, imitierende actio zu vermeiden, sondern affektierte Übertreibung.594 Als Ergebnis des Exkurses lässt sich festhalten: Bereits in der Antike finden sich Ekphrasen, welche die hässliche Physis und/oder Kleidung und Körpersprache einer Figur nutzen, um deren Charakter zu denunzieren und/oder lächerlich zu machen. Die im 16. Jahrhundert entstandene Porträtkarikatur weist deutliche Analogien zu diesem Schema auf, insbesondere zur Evokation eines herabsetzenden Schemas (z. B. Tiervergleich oder negatives kulturelles Stereotyp). In Quintilians Institutio wird zudem der Verstoß bestimmter Elemente von actio gegen das rednerische aptum oder decorum ›karikiert‹ – ein wichtiges Vorbild speziell für die Darstellung missglückter Schauspielkunst, besonders im Hamlet. Meine erste These ist nun, dass sich in der englischen Literatur um die Mitte des 18. Jahrhunderts ein weiterer Schritt vollzieht: Der veraltete Schauspielstil spezifischer Mimen wird über die karikaturistische Zuspitzung von Elementen ihrer actio ›karikiert‹, und zwar unter dem Eindruck der zeitgenössischen Karikatur. Damit ist allerdings nicht nur die italienische Porträtkarikatur gemeint, sondern auch die niederländische Tradition der Bildsatire und vor allem die Verschmelzung beider Gattungen zur Pressekarikatur, die sich ebenfalls um die Jahrhundertmitte in England vollzieht.595 Die Bildsatire unterhält, wie der Name verrät, ohnehin enge Beziehungen zur Literatur, zumal sie typischerweise als Bild-Text-Kombination auftritt.596 Auch kombinieren graphische wie literari593 »[S]olet esse et pigra et trepida et secanti similis« (Quint. Inst. 11.3.119: 2, 652.) 594 Siehe Hirsh: Hamlet’s Stage Direction; zur Umsetzung seiner Maxime in Schauspieltraktaten des 18. Jahrhunderts siehe Barnett: Art of Gesture, 162–167. 595 Siehe Busch: Englische Karikatur. 596 Siehe umfassend Kunzle: The Early Comic Strip. Umgekehrt beruht der Erfolg von Sebastian Brants Verssatire Das Narrenschiff nach Meinung Heinz Schlaffers weit mehr auf Dürers Illustrationen als auf Brants »überaus bescheidenen poetischen Mitteln« (Schlaffer : Kurze Geschichte der deutschen Literatur, 36).

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

sche Satiren und Literaturparodien die Technik des Tiervergleichs und der Aktivierung anderer herabsetzender Schemata mit allegorischen Verfahrensweisen: Erinnert sei etwa an die griechische Ilias-Parodie Der Froschmäusekrieg und an Die Vögel des Aristophanes; für den hier behandelten Zusammenhang werden sich Alexander Popes komisches Heldengedicht The Dunciad (1728/9, 1743) und Henry Fieldings Tragödienparodie Tom Thumb (1730) bzw. The Tragedy of Tragedies (1731) als bedeutsam erweisen. Strukturell ist gerade die szenische und allegorische Struktur, die Bild- und Textsatiren verbindet, für die Darstellung von Schauspielkunst zentral. Schauspieler wie Personifikationsallegorien ›verkörpern‹ nämlich etwas, und mitunter verkörpern Schauspieler auch Allegorien. Dieser Zusammenhang zwischen Schauspielkunst und Allegorie lässt sich bereits in einer völlig unsatirischen Funeral Elegy auf den Schauspieler Richard Burbage von 1619 greifen, die im folgenden Kapitel (II.2) behandelt wird. Obwohl diese Mimen-Ekphrasis im 17. Jahrhundert einen Solitär darstellt, ist sie strukturell (nicht nur) durch die Allegorie mit Charles Churchills Verssatire The Rosciad von 1761 verbunden (II.4). Die ›karikierende‹ Darstellung missglückter Schauspielkunst begünstigt aber auch – so meine zweite These – die (zunächst vor allem allegorische) Darstellung gelungener Schauspielkunst, insofern sie Beobachtungs- und Ausdrucksvermögen für actio schult. Insbesondere für die Darstellung gelungener Schauspielkunst in Komödien – so meine dritte These – gibt es ein graphisches Modell: die szenisch strukturierten »moral modern subjects« von William Hogarth.597 Diese vor allem als Druckgraphiken verbreiteten Bilder gehören heute ganz selbstverständlich in jede Geschichte der Karikatur – seinerzeit jedoch verwahrte sich Hogarth gegen diese Etikettierung ebenso entschieden wie Lichtenberg gegen die Einstufung seiner Briefe als literarische Karikaturen.598 So erläuterte Hogarth 1743 in einem berühmten Subskriptionsblatt zu seiner Bilderfolge Marriage / la Mode den Unterschied zwischen (so der Titel des Blattes) Characters and Caricaturas (Abb. 7).

597 Siehe Busch: Das sentimentalische Bild, 242–293; Paulson: Hogarth 1, 237–336; 2, 15–47; 203–245. 598 »Seine [Hogarths] Bezeichnung als ›Vater‹ der englischen Karikatur geschieht sicher zu Recht, wenngleich er in den meisten seiner Werke direkte aktuelle Anspielungen vermied und sich ausdrücklich in theoretischen Äußerungen von der Karikatur distanzierte.« (Döring: Frühe englische Karikatur, 220)

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Abb. 7: William Hogarth: Characters and Caricaturas (1743)599

Links unten dienen einige Physiognomien aus Raphaels Londoner Teppichkartons (darunter bezeichnenderweise ein Redner)600 als Beispiele für characters; im Hintergrund präsentiert Hogarth eine Fülle eigener Beispiele. Mit diesen characters kontrastieren die Porträtkarikaturen rechts vorne aus der Tradition von Leonardo da Vinci, Annibale Carracci, Pier Leone Ghezzi und jener adliger dilettanti, welche die caricatura nach England gebracht hatten. Besonders die Kritzelei zwischen der dritten und vierten Karikatur von rechts verdeutlicht, dass sich Hogarth hier gegen ein ›niederes‹ und ›kunstloses‹ Genre absetzt, um sein neues Genre aufzuwerten. Noch weiter lässt sich Hogarths Verfahren gegenüber der Karikatur im engeren Sinn profilieren anhand eines Details aus dem ersten Bild seines Zyklus Marriage / la Mode (Abb. 8). In der rechten unteren Ecke ist ein Hundepärchen aneinander gekettet; das Männchen döst, das Weibchen schaut neugierig umher. In beiden »spiegelt sich«, wie Lichtenberg in seiner Ausführlichen Erklärung der Hogarthischen 599 Nr. 156 in Hogarth: Graphic Works, 339; Komm. ebd. 112f. 600 Nämlich (hier nach links gewandt mit erhobenen Armen) der Apostel Paulus aus Die Predigt des Paulus in Athen von 1515 (siehe Hogarth’s Graphic Works, 113). Die Kartons gehören zur Sammlung des britischen Königshauses und befinden sich heute im Victoria and Albert Museum.

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

Abb. 8: William Hogarth: Marriage /-la-Mode, Pl. 1, Detail (Kupferstich 1743)

Kupferstiche (ab 1794) formuliert, das dahinter sitzende Pärchen ab.601 Und zwar in doppelter Hinsicht: Die Kette steht für die von den Vätern aus Geldnot bzw. Prestigesucht arrangierte Ehe; die Haltung der Hunde steht für den Charakter der beiden Eheleute, den Hogarth auch durch deren Kleidung, Mimik, Körpersprache und Requisiten verdeutlicht.602 Hogarth geht jedoch nicht so weit, den Körper der beiden selbst tierisch zu verformen; überhaupt spitzt er zwar zu, verzerrt aber nicht. 601 LSB 3: 921; Lichtenbergs Erläuterungen erscheinen im Göttinger Taschen Calender zwischen 1784 und 1796 und als separate Ausgabe zwischen 1794 und 1799 (siehe LSB 3/ Komm.: 318–323). 602 Hogarth lässt sie voneinander abgewandt sitzen; sie hockt schwer auf dem Sofa, er schwebt fast über dessen Kante, sie gückt mürrisch drein, er schaut blasiert-verträumt vor sich hin und nimmt eine Prise Schnupftabak, während sie ein Schnupftuch durch den Ehering fädelt und einem Advokaten namens Silvertongue lauscht, mit dem sie bald schon die Ehe brechen wird (siehe LSB 3: 917ff.).

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Dennoch war Hogarths schroffe Abgrenzung gegen die Porträtkarikatur schon der nächsten Künstlergeneration kaum mehr zu vermitteln,603 zumal er selbst (wie zu zeigen sein wird) nicht ungern Ausflüge in den Bereich der Porträtkarikatur und Bildsatire unternahm.604 Auch wurde die Pressekarikatur zum Jahrhundertende hin immer mehr als ernstzunehmende ›Kunst‹ gewürdigt –605 Karl August Böttigers Erläuterungen englischer Karikaturen insbesondere von James Gillray in der Zeitschrift London und Paris beispielsweise schließen explizit an Lichtenbergs Erklärung der Hogarthschen Kupferstiche an.606 Darin führt Böttiger die von Gillray verwandte Technik, »das Thun der Menschen auf demselben Blatte noch einmal durch die animalische Natur der sie umgebenden Hausthiere zurückzuspiegeln«, ausdrücklich auf Hogarth zurück.607 Insofern also die Unterschiede zwischen Hogarths Characters und anderen Traditionen der Karikatur eher gradueller Natur sind, ist es sinnvoll, sie dem heutigen Sprachgebrauch folgend ebenfalls als ›Karikaturen‹ in den Blick zu nehmen.608 Zur Abgrenzung gegen Porträtkarikaturen, Bildsatiren und Pressekarikaturen aber möchte ich, um auch Hogarths Selbstetikettierung präsent zu halten, von ›Character-Karikaturen‹ sprechen. Zu zeigen ist, dass diese Untergattung, die auch von unbekannteren Künstlern wie Garricks ›Hofmaler‹ Johan Zoffany aufgegriffen wurde, auf die Darstellung gelungener Schauspielkunst sowohl in englischen Mimen-Ekphrasen wie in Lichtenbergs Briefen aus London einen prägenden Einfluss hatte.609 Zunächst jedoch soll eine Mimen-Ekphrasis aus dem frühen 17. Jahrhundert vorgestellt werden, in der karikaturistische Verfahren noch keine Rolle spielen, wohl aber allegorische, und in der die vividness der ›Schwesterkünste‹ kunstvoll mit der von Rhetorik und Schauspielkunst verbunden wird.

603 Siehe z. B. James Gillrays auf Hogarth anspielende Radierung Doubl0res of Characters; – or – Striking Resemblances in Phisiognomy [sic] von 1798: Sämtliche hier dargestellten Köpfe führender Whigs wären von Hogarth als caricaturas eingestuft worden (Gillray : Meisterwerke, 135 [Abb. 114], Komm. ebd. 228). 604 Siehe II.2.1 und II.4.3. 605 Siehe Arburg: Kunst-Wissenschaft um 1800, 74–76. 606 Siehe Deuling: Karikatur und Kommentar. 607 Zit. nach Deuling: Karikatur und Kommentar, 174. Hogarth verwendet sie beispielsweise auch auf dem fünften Blatt von A Rake’s Progress. 608 Siehe auch II.2.5. 609 Zur Rezeption Hogarths in Literatur und Bildender Kunst siehe Joost: Hogarth und die Nachwelt.

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2.

Enargeia, Allegorie und Karikatur

»Grief ’s true picture«: Intermedialität, vividness und Allegorie in einer anonymen Trauerelegie auf Richard Burbage (1619)

Den ersten mir bekannten Versuch in der abendländischen Literatur, die Arbeit eines historisch verbürgten Schauspielers eingehend als ›Kunst‹ zu würdigen, stellt eine Anonymous funeral elegy for Richard Burbage aus dem Jahr 1619 dar.610 Burbage war der erste berühmte Shakespeare-Darsteller und verkörperte bei der Premiere von Hamlet, Othello, Richard III. und King Lear jeweils die Titelrolle.611 Hier zunächst das Gedicht in voller Länge, zitiert nach dem von David Thomas und Arnold Hare herausgegebenen Band Restoration and Georgian England 1660–1788 der wichtigen Reihe Theatre in Europe: a Documentary History612 und abgekürzt durch die Sigle AFB: Some skilfull limner help me; if not so, Some sad tragedian help’t express my woe. But O he’s gone, that could both best; both limn And act my grief; and ’tis for only him That I invoke this strange assistance to it, And on the point invoke himself to do it; For none but Tully, Tully’s praise can tell, And as he could, no man could act so well. This part of sorrow for him no man draw, So truly to the life, this map of woe, That grief ’s true picture which his loss hath bred. He’s gone and with him what a world are dead, Which he reviv’d, to be revived so No more; young Hamlet, old Hieronimo, Kind Lear, the grieved Moor, and more beside, That liv’d in him, have now forever died. Oft have I seen him leap into the grave, Suiting the person, which he seem’d to have,

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610 Einige Aspekte dieses Kapitels werden auch, teilweise mit wörtlichen Übereinstimmungen, in Singer : »Grief ’s true picture« vorgestellt. 611 Zu Burbage siehe Nungezer : Dictionary of Actors, 67–79; Gurr : Shakespearean Stage, 91; zum lange unsicheren Geburtsjahr Ingram: The Business of Playing, 102. 612 Die Version ist allerdings orthographisch modernisiert, der Titel abgekürzt. Im zugrunde liegenden Manuskript, das sich in der Huntington Library (San Marino, USA) befindet (Signatur 198.99–101), lautet der Titel A Funerall Ellegy on ye Death of the famous Actor Richard Burbedg who dyed on Saturday in Lent the 13 of March 1618 – nach heutiger Zeitrechnung ist dies das Jahr 1619. Ich hatte keine Gelegenheit, das Manuskript einzusehen und verweise auf die Transkription in Ingleby : Shakespeare,180–182; dort auch die Wiedergabe einer weiteren Fassung (177–179) und eine Diskussion der verwickelten Überlieferungslage (169–177), gekennzeichnet durch spätere, stark ausgeschmückte Fassungen, die teils noch heute im Internet kursieren.

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»Grief’s true picture«

Of a sad lover, with so true an eye That there I would have sworn he meant to die. Oft have I seen him play his part in jest So lively that spectators, and the rest Of his sad crew, whilst he did seem to bleed, Amazed, thought even then he died in deed. O let not me be check’d, and I shall swear E’en yet it is a false report I hear, And think that he, that did so truly feign Is still but dead in jest, to live again. But now this part he acts, not plays: ’tis known Other he play’d, but acted hath his own, England’s grand Roscius, for what Roscius Was unto Rome, that Burbage was to us. How did his speech become him, and his pace Suit with his speech, and every action grace Them both alike, whilst not a word did fall Without just weight to ballast it withal. Hadst thou but spoke to death and us’d thy power Of thy enchanting tongue, at that first hour Of his assault, he had let fall his dart And been quite charm’d by thy all-charming art. This he well knew, and to prevent this wrong He therefore first made seizure on his tongue; Then on the rest, ’twas easy by degrees; The slender ivy tops the smallest trees. Poets whose glory whilom ’twas to hear Your lines so well express’d, henceforth forebear And write no more; or if you do, let ’t be In comic scenes, since tragic parts you see Die all with him. Nay, rather sluice your eyes And henceforth wrote nought else but tragedies, Or dirges, or sad elegies or those Mournful laments that not accord with prose. Blur all your leaves with blots, that all your writ May be but one sad black, and open it. Draw marble lines that may outlast the sun And stand like trophies when the world is done, Turn all your ink to blood, your pens to spears, To pierce and wound the hearer’s hearts and ears. Enrag’d, write stabbing lines, that every word May be as apt for murder as a sword, That no man may survive after this fact Of ruthless death, either to hear or act; And you his sad companions, to whom Lent Becomes more lenten by this accident,

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Henceforth your waving flag no more hang out, Play now no more at all, when round about We look and miss the Atlas of your sphere. What comfort have we (think you) to be there, And how can you delight in playing, when Such mourning so affecteth other men; Or if you will still put ’t out let it wear No more light colours, but death livery there Hang all your house with black, the hue it bears, With icicles of ever-melting tears, And if you ever chance to play again, May nought but tragedies afflict the scene. And thou dear Earth that must enshrine that dust By Heaven now committed to thy trust, Keep it as precious as the richtest mine That lies entomb’d in that rich womb of thine, That after-times may know that much lov’d mould From other dust, and cherish it as gold. On it be laid some soft but lasting stone, With this short epitaph endor’sd thereon, That every eye may read, and reading weep: ›’Tis England’s Roscius, Burbage, that I keep.‹ (AFB V. 1–86: 185ff.)

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Schauspielkunst und die Schwesterkünste

Die Trauerelegie613 setzt die Kunst Richard Burbages von Anfang an, beginnend mit einem programmatisch variierten Musenanruf, ins Verhältnis zu den Sister Arts: Some skilfull limner help me; if not so, Some sad tragedian help’t express my woe. But O he’s gone, that could both best; both limn And act my grief; and ’tis for only him That I invoke this strange assistance to it, And on the point invoke himself to do it; (AFB V. 1–6: 181f.)

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Die Wortkunst ist vertreten durch die Sprechinstanz selbst, die für den Funeraldichter steht: Er hat die für ein Epicedion typische Aufgabe der memoria zu erfüllen (die hier mit der Memorialfunktion von Ekphrasis konvergiert) und 613 Als ›Trauerelegie‹ wird hier ein Epicedium bezeichnet, das länger ist als ein Epigramm.

»Grief’s true picture«

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damit einhergehend die Aufgabe der lamentatio.614 Diese wird synekdochisch durch einen Affekt vertreten, nämlich »woe« bzw. »grief«. Obwohl »woe« sich von einer Interjektion herleitet und damit eigentlich einen Höreindruck denotiert,615 scheint ein Vertreter der visuellen Schwesterkunst (»limner« heißt Graphiker, Maler und insbesondere Porträtmaler)616 so gut zum ›Ausdruck‹ dieses Affekts geeignet, dass zunächst er vom Dichter um Hilfe angerufen wird. Der Affekt manifestiert sich also vor allem visuell, was in diesem Zusammenhang heißt: durch Mimik und/oder Körpersprache. Damit aber kommt die Schauspielkunst ins Spiel; der Dichter ruft alternativ die Hilfe eines ›traurigen Tragöden‹ an. Dies führt zu einer metaleptischen Pointe: Als größter Tragöde wäre Burbage wie kein zweiter geeignet, den Gram über seinen Tod zu ›spielen‹ – und ›zu malen‹. Die solcherart proklamierte Allianz von Wort-, Bild- und Schauspielkunst wird im folgenden Verspaar auf die antike Redekunst zurückgeführt, die sich in Marcus Tullius Cicero, kurz »Tully«, verkörpert:617 For none but Tully, Tully’s praise can tell, And as he could, no man could act so well. (AFB V. 7f.: 182)

Wieder ist der Begriff ›to act‹ entscheidend. In Bezug auf den Tragöden ließ er sich mit ›spielen‹ übersetzen, hier jedoch aktualisiert er den etymologischen Zusammenhang mit actio. Allerdings ist Cicero nicht nur Vortragender, sondern, wie die doppeldeutige Formulierung ›to tell his praise‹ andeutet, auch Verfasser seiner Rede und insofern ebenfalls eine geeignete ›Muse‹ für den um Inspiration bittenden Dichter. Nach diesem Ausgriff in die Rhetorik kommt das Gedicht auf den zu preisenden und zu beklagenden Schauspieler zurück und evoziert dessen Fähigkeit, Kummer darzustellen, gleich in dreifacher Variation durch sprachliche Bilder, deren Bildspender graphische Bilder sind:

614 Zu den traditionellen Aufgaben des Epicediums bzw. seiner Teile siehe Springer : Epicediendichtung; Krummacher : Epicedium. Zur Memorialfunktion von Ekphrasis siehe I.4.1. 615 Siehe Hoad: Etymology, 544. 616 Die Begriffsverwendung lässt sich durch den Blick in einen neueren Roman illustrieren, der ebenfalls vom Thema der Schwesterkünste bzw. der Paragone inspiriert ist: In Will Davenports The Painter. A Novel of Rembrandt’s Most Secret Seduction von 2003 findet die Heldin den Begriff limner 2001 in Tagebuchaufzeichnungen aus dem Jahr 1662, muss ihn nachschlagen und übersetzt ihn schließlich zutreffend als »portrait painter« (86). Bei Shakespeare findet sich das Verb to limn out im Sinn von »paint, draw, portray« und das Partizip limned im Sinn von »portrayed, reproduced, painted« (siehe Crystal: Shakespeare’s Words, 264). 617 Zur Cicero-Rezeption im Tudor-England siehe Jones: Master Tully.

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This part of sorrow for him no man draw, So truly to the life, this map of woe, That grief ’s true picture which his loss hath bred. (AFB V. 9–11: 182)

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Das tertium comparationis zwischen Schauspielkunst und Malerei ist das Ziel, einen Affekt bildhaft und überzeugend zum ›Leben‹ zu erwecken. Die folgenden Verse konkretisieren dieses Ziel erstmals speziell in Bezug auf acting: He’s gone and with him what a world are dead, Which he reviv’d, to be revived so No more; young Hamlet, old Hieronimo, Kind Lear, the grieved Moor, and more beside, That liv’d in him, have now forever died. (AFB V. 12–16: 182)

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Die Leistung des acting wird nicht allein als Verbildlichung eines Affektes gefasst, sondern darüber hinaus als ›Verlebendigung‹ einer Vielzahl gegensätzlicher Bühnenrollen, die zwar teilweise miteinander korrespondieren,618 vor allem aber in ihren Gegensätzen den proteushaften Umfang von Burbages Kunst exemplifizieren:619 Er spielte junge wie alte Helden, Könige wie ›Mohren‹. Hervorgehoben wird das Thema ›Verlebendigung‹ durch eine lautliche Variation: ›reviv(e)d‹ ist erst zweisilbig, dann dreisilbig realisiert. Damit ist die Kategorie der vividness aufgerufen: Schauspielkunst als Enargeia in Reinform.

2.2

Vividness als Wiederbelebung des Toten

Doch gibt das Gedicht dem Aspekt der ›Lebendigkeit‹ umgehend eine neue Wendung: Der Verlebendiger ist tot, und das Gedicht hat nunmehr die Aufgabe, ihn zu verlebendigen.620 Dies geschieht über die Einführung eines intradiegetischen Publikums (I.2.1.2; im Folgenden kursiv hervorgehoben) und im Anschluss an die Technik der intermedialen Metalepse, wie sie schon in Ekphrasen Philostrats und Shakespeares eingesetzt wird (I.2.2.1, I.2.2.5): 618 »[O]ld Hieronimo« ist die Hauptfigur in Thomas Kyds Spanish Tragedy (1592), die in vieler Hinsicht zum Vorbild für Shakespeares Hamlet wurde; Lear und Othello lassen sich beide von ihrer Leidenschaft dazu hinreißen, die Liebe ihrer Tochter bzw. Frau zu verkennen, werden hier allerdings vom Tragödienende her als bemitleidenswert verstanden. 619 Zur Bedeutung der Proteus-Figur für die frühneuzeitliche Schauspielkunst siehe Roach: The Player’s Passion, 23–57. 620 Dass der Versuch der verbalen Vergegenwärtigung den realen und unwiederbringlichen Verlust eines Toten oft nur umso sinnfälliger macht, zeigt Ruth Webb schon anhand von Trauerreden der Spätantike insbesondere auf jung Verstorbene (Webb: Ekphrasis, Imagination, 170ff.).

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Oft have I seen him leap into the grave, Suiting the person, which he seem’d to have, Of a sad lover, with so true an eye That there I would have sworn he meant to die. Oft have I seen him play his part in jest So lively that spectators, and the rest Of his sad crew, whilst he did seem to bleed, Amazed, thought even then he died in deed. (AFB 17–24: 182)

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Ebenso wie im Fall Philostrats und Hamlets suggeriert hier die intermediale Metalepse ein Umkippen ästhetischer Illusion – zu der ja immer ein Bewusstsein für das ›Als-ob‹ der Darstellung gehört – in tatsächliche Illusion, tatsächliche Täuschung. So eingehend der Effekt von Burbages Verlebendigung ausgeführt ist, so vage wird das Wie seiner Kunst angedeutet: Sein Spiel ist der jeweiligen Rolle ›angemessen‹, und die Affekte drücken sich vor allem in den Augen aus.621 Außerdem wird das Wortfeld des ›Wiederbelebens‹ durch das Adjektiv »lively« fortgeführt. Die Schraube der Paradoxie wird insofern noch eine Umdrehung weitergetrieben, als das, was Burbage offensichtlich besonders überzeugend ›verlebendigen‹ konnte, das Sterben war. In einer letzten Umkehrung wird dieses Paradox nochmals auf den Anlass dieses Gedichtes zurückbezogen: O let not me be check’d, and I shall swear E’en yet it is a false report I hear, And think that he, that did so truly feign Is still but dead in jest, to live again. (AFB V. 25–28: 182)

Hier wird Enargeia besonders deutlich in den Dienst der hyperbolischen laudatio gestellt, der die verbale Evokation von Burbages Kunst letztlich untergeordnet ist. In den folgenden Versen wird diese Priorität durch eine Umakzentuierung des Wortes ›to act‹ unterstrichen, und zwar in Abgrenzung zu ›play‹: Burgbage ›spielt‹ Roscius, den größten Schauspieler Roms, nicht, sondern ›agiert‹/wirkt als Wiederverkörperung dieses Vor-Bilds: But now this part he acts, not plays: ’tis known Other he play’d, but acted hath his own, England’s grand Roscius, for what Roscius Was unto Rome, that Burbage was to us. (AFB V. 29–32: 182)

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621 Siehe Roach: Player’s passion, 23–57; zum Ausdruck der Augen Till: Rhetorik und Schauspielkunst, 65; 80.

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

Immerhin ist auch von Gallus Quintus Roscius nur bekannt, dass er der größte Schauspieler Roms gewesen sein soll, nicht jedoch, inwiefern.622 So könnte mit der Apotheose Burbages als neuer Roscius das Gedicht durchaus sinnvoll enden. Doch folgen nun einige Verse, die sich einem besonderen Aspekt von Schauspielkunst widmen, nämlich der Rezitation in ihrem Verhältnis zur Körpersprache.

2.3

Tod und Zunge: eine allegorische Szene zwischen Text und Bild

How did his speech become him, and his pace Suit with his speech, and every action grace Them both alike, whilst not a word did fall Without just weight to ballast it withal. (AFB V. 33–36: 182)

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Burbage artikuliert jedes Wort also mit genau dem ›Gewicht‹, das ihm innerhalb der Rede zukommt; mit dem Ausdruck der Rede wiederum korrespondieren Gang und Gestik. Wie Hamlets Ratschläge für die Schauspieler bewegt sich dieses Lob im Rahmen von Quintilians actio-Lehre, orientiert an aptum und decorum.623 Die folgenden Verse schreiben der Deklamation aber noch die zusätzliche Qualität des ›Bezaubernden‹ zu und beziehen sie wiederum auf ein Publikum, genauer gesagt, einen Zuhörer, der allerdings allegorischen Status besitzt: den Tod. Hadst thou but spoke to death and us’d thy power Of thy enchanting tongue, at that first hour Of his assault, he had let fall his dart And been quite charm’d by thy all-charming art. This he well knew, and to prevent this wrong He therefore first made seizure on his tongue; Then on the rest, ’was easy by degrees; The slender ivy tops the smallest trees. (AFB V. 37–44: 182)

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Der Text entwirft eine ›Szene‹, in der deklamierender Schauspieler und allegorisierter Tod als Antagonisten aufeinandertreffen, spielt also mit einer strukturellen Analogie, die noch für Mimen-Ekphrasen und graphische Darstellungen von Schauspielkunst im 18. Jahrhundert bedeutsam ist: Personifikationsallegorien – wie ich sie in Abgrenzung zur Allegorie als metaphora continuata 622 Siehe Blume: Roscius. 623 »Suit the action to the word, the word to the action, with this special observance, that you o’erstep not the modesty of nature.« (Ham. 3.2, Z. 17ff.: 297).

»Grief’s true picture«

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nennen möchte624 – ›verkörpern‹ Abstrakta, Schauspieler ›verkörpern‹ Rollen, und diese Rollen wiederum können, wie im Fall des englischen morality play vom Everyman aus dem späten 15. Jahrhundert, auch Personifikationsallegorien sein. Nun sind Personifikationsallegorien auf der Bühne allerdings typisch für die »Spielillusion« der mittelalterlichen Bühne und wurden im Zeichen voranschreitender »mimetischer Illusion« zurückgedrängt.625 Doch bleiben Spuren davon auch bei Shakespeare erhalten; man denke an den Sommernachtstraum oder den Sturm.626 Wahrscheinlich ist außerdem, dass hier auf die Gattung des Totentanzes angespielt wird, in dem ja der Tod die Vertreter verschiedener Stände aus dem Leben reißt. Totentänze sind üblicherweise ein Gemeinschaftswerk beider ›Schwesterkünste‹;627 zudem klingt in den zitierten Versen die Verbindung zu einer medienkombinatorischen Gattung an, die deutliche Spuren im elisabethanischen Drama hinterlassen hat, nämlich dem Emblem.628 Hier wird es zum einen aufgerufen durch das Bild der Zunge: Sie steht in Emblemen typischerweise für die Wirkung des gesprochenen Wortes629 und erscheint dabei in der Regel vom Körper getrennt; auf das Drama übertragen, liefert dieses Motiv wirkungsvolle Gruseleffekte,630 etwa in Titus Andronicus oder der Spanish Tragedy, die im Rollenkatalog der Elegy mit der Figur des »old Hieronimo« angesprochen ist (V. 14). In der allegorischen Szene des Gedichts steht die Zunge als pars pro toto für die Kunst des Deklamators Burbage, die wiederum synekdochisch seine gesamte actio vertritt und deshalb vom Tod als erstes angegriffen werden muss. Zum anderen hat auch das Bild, mit dem die Szene abgeschlossen 624 Ich übernehme den Begriff von Peter-Andr8 Alt (Begriffsbilder, z. B. 628), der ihn allerdings im Wechsel mit ›Personifikation‹ benutzt (z. B. 625, zum barocken Begriffsverständnis 162– 183). Mir geht es darum, einerseits Redewendungen wie »die Sonne lacht«, die ebenfalls gern als ›Personifikationen‹ bezeichnet werden, auszuschließen, und andererseits die Übergängigkeit zur ausgeführten Allegorie (allegoria continua) präsent zu halten, für den der hier zitierte Passus ein Beispiel ist. 625 Siehe zu diesem Begriffspaar von Werner Wolf Abschnitt I.1.3 dieser Arbeit. 626 Siehe Landau: Das allegorische Modell. 627 Siehe einführend Schulte: Totentanz; Kaiser : Der tanzende Tod; grundlegend Koller : Totentanz. Die anhaltende Popularität dieser Bildgattung in England weit über das Spätmittelalter hinaus bezeugt beispielsweise Thomas Rowlandsons Zyklus The English Dance of Death von 1814–14 (Jung: Totentanz, 73–79), der Karikatur und Totentanz-Tradition verbindet. Hier findet sich insofern ein Bezug zur Bühne, als der Zyklus durch die Abholung von Commedia-dell’Arte-Darstellern eröffnet wird: »Behold the signal of Old Time:/ That bids you close your Pantomime« (ebd. 73). Der Zyklus ist durch Hans Holbeins TotentanzZyklus angeregt, der ab 1538 in Buchform erschien. 628 In der Elegy fehlt zwar eine Bebilderung, doch waren die Übergänge fließend, insofern es auch sogenannte Emblemata nuda gab, d. h. bildlose Embleme (siehe Heß: Emblematik, 172). 629 Siehe die Beispiele in Henkel/Schöne: Emblemata, Sp. 1007. 630 Siehe Mazzio: Sins of the Tongue.

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

wird, eine reiche emblematische Tradition: der schwache Efeu tötet den starken Baum.631 Das Zusammenwirken der Schwesterkünste in Bezug auf die Bühne wird also in den Versen 37–44 durch den impliziten Bezug auf medienkombinatorische Gattungen noch einmal eindringlich ›vor Augen gestellt‹. Die Poesie tritt dabei insofern ordnend in Erscheinung, als die Sprechinstanz es vermag, die Imagination zweier Szenen zu ordnen: Zunächst phantasiert sie im Irrealis, wie die Deklamationskunst des Mimen den Tod hätte entwaffnen können, dann imaginiert sie den Verlauf von Burbages Tod im Modus des Allegorischen. Im Rest des Gedichtes tritt das Darstellungsziel der Enargeia in den Hintergrund und die Sprechinstanz in der ›Rolle‹ eines dichtenden Trauerredners in den Vordergrund: Er, der soeben den Verstorbenen angesprochen hatte (»Hadst thou but spoke to death«, AFB V. 37: 182), gliedert durch drei Apostrophen an die Mitwelt den Rest des Gedichtes, spricht zunächst die »poets« an (AFB V. 45: 183), sodann die »sad companions« (AFB V. 63: 183) des Schauspielers und schließlich die »dear Earth« (AFB V. 77: 183). Ihnen allen gibt er Anweisungen, wie sie auf den Tod des größten Schauspielers zu reagieren hätten. Die formale Gestaltungsweise dieser Anweisungen braucht im Zusammenhang dieser Studie nicht mehr zu interessieren; entscheidend ist, dass ihre Kunstfertigkeit nicht mehr durch intermediale Verweise überdeckt wird.632 Das dichterische Selbstbewusstsein, das den Unfähigkeitsbeteuerungen des Anfangs diametral entgegengesetzt ist, erreicht seinen Höhepunkt, wenn der Sprecher, das Gedicht beschließend, ein Grabepitaph entwirft: ›’Tis England’s Roscius, Burbage, that I keep.‹ (AFB V. 86: 183)

Wie Cicero Inbegriff der Redekunst ist, so ist Roscius, der bereits in Vers 30 genannter Freund des Redners, Inbegriff bzw. ›Verkörperung‹ der Schauspielkunst: Die erste Würdigung spezifischer Schauspielkunst mündet also in eine entindividualisierende Apotheose. Der Text stellt im 17. Jahrhundert einen Solitär dar ; umso bemerkenswerter erscheint es, dass die rund 150 Jahre später entstandene Rosciad von Charles Churchill nicht nur den Ehrentitel und die panegyrische Tendenz aufnimmt und in eine große allegorische Konstruktion überführt, sondern auch das Versmaß des heroic couplet mit der Elegy teilt. Doch verbinden sich diese Elemente in dem viel umfangreicheren Gedicht Churchills mit einer Tendenz zu scharfer Beobachtung und ›Karikatur‹ anderer Schau631 Siehe Henkel/Schöne, Sp. 276f. 632 Hingewiesen sei nur auf die Parallelität des Gesamtaufbaus bezüglich der menschlichen Adressaten (zunächst wird jeweils dekretiert, sie sollten ihre Tätigkeit gänzlich beenden, dann wird dieses Verdikt gemildert) und auf die Formulierung, durch den Tod Burbages in der Fastenzeit werde »Lent/ […] more lenten« (V. 63f.).

»Corpulently Graceful«

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spieler, die zuerst in publizistischer Prosa entwickelt wurde. Der im Folgenden behandelte Text ist dafür ein prominentes Beispiel.

3.

»Corpulently Graceful«: Porträtkarikatur in Garricks Essay on Acting (1744)

3.1

David Garrick als Däumling

Wie Burbage wurde auch David Garrick vielfach als neuer »Roscius« gefeiert, und zwar bereits ab seinem ersten Gastspiel in Dublin von 1742, ein Jahr nach seinem Debüt.633 Ausgesprochen herabsetzend dagegen scheint ein 27 Seiten dünnes Pamphlet, das im Jahr 1744 anonym erschien, mit dem angehenden Star umzugehen. Der Titel lautet: AN ESSAY ON ACTING: In which will be consider’d TheMimical Behaviour OF A certain fashionable faulty ACTOR, AND THE Laudableness of such unmannerly, as well as inhumane Proceedings. To which will be added, a short CRITICISM On His acting Macbeth.

Wer mit dem modisch-fehlerhaften Schauspieler gemeint ist, stellt ein Zitat am Fuß der Seite klar : —Oh! Macbeth has murder’d G—–k. Shakespear.

Die parodierte Macbeth-Passage lautet im Original »Methought, I heard a voice cry, ›Sleep no more!/ Macbeth does murther Sleep […]‹« (II.2, V. 34f., SMA: 55). Auf Seite 2 der Einleitung heißt es dementsprechend, man habe kürzlich »Macbeth Burlesqu’d or Be—g—k’d,[634] which are synonymous«. Parodie und Burleske werden hier also korreliert, und dementsprechend spielt auch ein weiteres Pseudo-Zitat der Titelseite auf eine aktuelle burlesque oder farce an:635 633 Siehe Diderot: Œuvres ComplHtes 3, 93, Anm. 89. Was Garricks Biographie und die theatergeschichtliche Einordnung seiner Leistung anbelangt, stütze ich mich vor allem auf die Studie David Garrick and the Birth of Modern Theatre von Jean Benedetti (2001) sowie auf die wesentlich umfangreichere, aber weniger auf seine Schauspielkunst konzentrierte Darstellung David Garrick von Ian McIntyre (1999). Außerdem sei verwiesen auf Woods: Garrick Claims the Stage. Die wichtigsten Biographien von Zeitgenossen sind Thomas Davies Memoirs of the Life of David Garrick (1780) und Arthur Murphys Life of David Garrick (1801). 634 Für Zeitgenossen unschwer zu ergänzen als »Begarrick’d« (›vergarrickt‹). 635 Der Begriff burlesque bezeichnet eine besonders drastische Parodie oder Travestie, besonders auf der Bühne, der Begriff farce (etwa der deutschen ›Posse‹ oder ›Klamotte‹ entsprechend) ein komisches Bühnenspektakel mit abstruser Handlung und extremem Slapstick (siehe die Artikel in Cuddon: Literary Terms, 99f., 307f. sowie Baldick: Literary

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

—So have I seen a Pygmie strut, Mouth and rant, in a Giant’s Robe. Tom Thumb.

Gemeint ist Henry Fieldings überaus erfolgreiche Farce Tom Thumb, die 1730 am Little Haymarket Theatre aufgeführt wurde und 1731 in erweiterter Form unter dem Titel The Tragedy of Tragedies; or, The Life and Death of Tom Thumb the Great erschien.636 Schon dieser Titel lässt erkennen, dass hier die Absurditäten der zeitgenössischen Tragödienproduktion parodiert werden, und der Plot bestätigt es: Weil Tom Thumb mehrere Riesen erschlagen hat, soll der heroische Däumling König Arthurs Tochter Huncamunca zur Frau bekommen, sehr zum Missfallen der gleichfalls in ihn verliebten Königin Dollalolla. Ein Mordanschlag des missgünstigen Höflings Grizzle schlägt fehl, doch wird Tom unerwartet von einer Kuh verschluckt, erscheint aber als Geist und wird von Grizzle ein zweites Mal gemeuchelt. Am Schluss haben sich alle Protagonisten gegenseitig umgebracht, bis auf den König, der, den Schlussmonolog sprechend, Selbstmord begeht. Fielding zitiert exzessiv aus zeitgenössischen Tragödien, deren Herkunft er in der Tragedy durch parodistische, pseudo-gelehrte Fußnoten offenlegt. Indem er sie einem fiktiven Herausgeber namens Scriblerus Secundus zuschreibt, stellt sich Fielding explizit in die Tradition des 1713 gegründeten Scriblerus Club, in dem sich u. a. Jonathan Swift, John Gay und Alexander Pope an Literatur- und Gelehrtensatire vergnügten.637 Dass hier nicht nur Handlung und Stil zeitgenössischer Tragödien parodiert wurde, sondern auch der dazugehörige Schauspielstil, ist anzunehmen. Die ›zitierten‹ Verse finden sich allerdings weder in Tom Thumb noch in der Tragedy of Tragedies, stammen also wohl vom Verfasser des Essay on Acting selbst,638 der in ihnen jedoch zwei weitere Shakespeare-Anspielungen unterbringt: Macbeth vergleicht in seiner Sterbeszene das Leben mit einem »poor player,/ That struts and frets his hour upon the stage« (V.5, 24f., SMA: 160),639 und in III.2 ermahnt

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Terms, 43, 126). Auf Tom Thumb treffen beide Charakterisierungen zu, weshalb sein Stück noch in der Einleitung zur kommentierten Ausgabe (Fielding: Tom Thumb and The Tragedy of Tragedies, 1–16), die über Entstehungs- und Wirkungsgeschichte informiert, zunächst zu Fieldings »farce satires« gerechnet und noch auf derselben Seite als »dramatic burlesque« bezeichnet wird (ebd. 2). Zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte siehe die Einleitung zu Fielding: Tom Thumb and The Tragedy of Tragedies, 1–16. Siehe Rogers: Eighteenth Century Satire. Sie greifen jedoch die tragödientypische »So have I seen«-Formel auf, die in Szene 2.10, V. 55–60 der Tragedy of Tragedies speziell Addisons Cato parodiert (siehe Fielding: Tom Thumb and The Tragedy of Tragedies, 81, letzte Anm.) und in Szene 3.2, V. 46–53 in achtmaliger Variation strapaziert wird (ebd. 86). Meine Hervorhebung.

»Corpulently Graceful«

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Hamlet (wie bereits zitiert) die Schauspieltruppe, ›leicht von der Zunge weg‹ zu sprechen: »but if you mouth it as many of you players do, I had as lief the towncrier spoke my lines« (Ham. 3.2: 287).640 1742, im Vorwort zu Joseph Andrews, sollte Fielding derartige Farcen mit graphischen Karikaturen parallelisieren und unter die Rubrik des ›Burlesken‹ subsumieren, das er entschieden gegen die – höherwertige – Kategorie des ›Komischen‹ abgrenzte. Für das Komische wiederum standen seine eigenen Romane und die Werke des »Comic History-Painter« Hogarth.641 Ein Jahrzehnt vorher jedoch hatte Fielding keine Bedenken, eine Burleske zu schreiben642 – und Hogarth verschmähte nicht, für die Tragedy of Tragedies 1731 ein Frontispiz zu entwerfen (Abb. 9), das sich in doppelter Weise in die Tradition der Porträtkarikatur stellt: Hogarth gibt der Königstochter Huncamunca die Züge und das korpulente Aussehen von Prinzessin Anne643 und variiert eine anonyme Karikatur auf berühmte Händel-Sänger Abb. 10), die er bereits 1724 in seiner Bildsatire The Bad Taste of the Town (Masquerades and Operas) zitiert hatte.644 Ein kurzer Blick auf die ursprüngliche Porträtkarikatur (Abb. 10) soll der Analyse von ›karikaturistischen‹ Passagen im Essay on Acting vorarbeiten, wird aber auch für Lichtenbergs Briefe relevant werden (siehe II.5.2). Das anonyme Blatt von 1723 ist ein Zeugnis der Verachtung englischer Kulturpatrioten für die italienische Oper, die seit Händels Eintreffen in London 1710 Triumphe feierte. Ironischerweise bedient es sich ebenfalls einer damals gerade in Mode gekommenen italienischen Formensprache, nämlich der caricatura.645 Karikiert werden drei berühmte Händel-Sänger : Die Sopranistin Francesca Cuzzoni ist eingerahmt von den Kastraten Francesco Bernardi, genannt Senesino (links), und Gaetano Berenstadt (rechts). Auffallendstes Mittel der Verunglimpfung sind die grotesk verzerrten Proportionen, insbesondere der Kontrast von mächtigem Oberkörper und winzigem Köpfchen bei den Herren. Dazu kommt die affektierte Körpersprache: Berenstadt hat beide Hände in die Hüften gestemmt und spreizt sich wie ein Pfau, der singende Senesino hat seine 640 Meine Hervorhebung. 641 Fielding: Joseph Andrews, 1–11, hier 6; siehe dazu Thomsen: Das Groteske, 93–141; Paulson: Hogarth 2, 185–202; West: Image of the Actor, 127–136. 642 Er selbst ordnet seine Haymarket-Farcen so ein – und nimmt in diesem Zusammenhang seine kategorische Abwertung des Burlesken ein wenig zurück: »[…] it contributes more to exquisite Mirth and Laughter than any other ; and these are probably more wholesome Physic for the Mind, and conduce better to purge away Spleen, Melancholy and ill Affections, than is generally imagined.« (Fielding: Joseph Andrews, 5). 643 Siehe Paulsons Kommentar in Hogarth: Graphic works, 188. 644 Abbildung in Hogarth: Graphic Works, 230 (Nr. 44), Komm. ebd. 44; siehe Hallett/Riding: Hogarth 59 (Nr. 18). 645 Zur karikaturgeschichtlichen Einordnung des Blattes, das früher Hogarth zugeschriebenen wurde, siehe Döring: Frühe englische Karikatur, 119f.

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

Abb. 9: William Hogarth (Entwurf): Frontispiz zu Henry Fieldings Tragedy of Tragedies (1730)

stelzenartigen Beine geradezu ausgeklappt. Etwas milder wird die zu ihm emporschmachtende Cuzzoni behandelt, doch gibt ihre grotesk lange Schleppe auch sie der Lächerlichkeit preis. Schleppenträger ist ein Zwerg, nur etwa halb so groß wie die Sängerin, die wiederum von Senesino fast um das Doppelte überragt wird. So vereinigt diese englische caricature zwei Themen, von denen schon die kontinentale caricatura des 17. Jahrhunderts fasziniert war : Bühnendarsteller und Zwerge.646 Mit Fischer-Lichte gesprochen, wird die »Erscheinung« der Akteure in Bezug auf Physis und Kostüm, die »Tätigkeit« vor allem in Bezug auf mimische und gestische Zeichen karikiert.647 Der Gesang als ihre eigentliche Stärke kann von einem ›stummen‹ Bild zwar prinzipiell nur angedeutet werden, dennoch ist auffällig, dass die drei nicht in einem Terzett dargestellt sind, sondern nur Senesino ein wenig sein Mündchen öffnet. Diese untergeordnete Bedeutung des Singens erleichtert es Hogarth, die Karikatur im Sinn von Fieldings Polemik gegen einen für überholt erachteten 646 Siehe Guratzsch u. a.: Bild als Waffe, 250–264. Frederic George Stephens meint allerdings, dass es sich bei dem Schleppenträger um ein Kind handle (Stephens: Prints and Drawings 2, 625, Nr. 1768) – dagegen sprechen jedoch die Riesenhaftigkeit Senesinos und die Aufnahme des Motivs durch Hogarth. 647 Siehe I.5.2.

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Abb. 10: Anonym: Berenstadt, Cuzzoni and Senesino (Radierung, ca. 1723)

Tragödienstil zu variieren. Er wählt Szene II.7, in der sich Prinzessin Huncamunca (rechts) und die – hier hinzugefügte – Amazone Glumdalca um Tom Thumb streiten, repräsentiert durch eine verzwergte Version des Federbusch tragenden Berenstadt.648 Dass gerade diese Rolle, geschaffen von Garricks Freund Fielding und ins Bild gesetzt von Garricks Freund Hogarth, den Schauspielstil Garricks bezeichnen soll, scheint eine besondere Perfidie des Essay on Acting zu sein. Der Hintergrund dafür war, dass Garrick zwar nicht zwergwüchsig, aber doch für das Rollenfach des Heldendarstellers ungewöhnlich klein war, was ihm heftige Kritik eintrug, insbesondere in den ersten Jahren seiner Schauspielkarriere und ganz speziell schon vor seinem ersten Auftritt in der Rolle des Macbeth.649 648 »HUMCAMUNCA. Let me see nearer what this Beauty is/ That captivates the Heart of Men by Scores. Holds a Candle to her Face./ Oh! Heaven, thou art as ugly as the Devil.« (Fielding: Tom Thumb, 75) 649 Bezeichnend ist folgende Passage aus einem Treatise on the Passion von 1747, verfasst von Samuel Foote, der als Parodist seiner Kollegen den Publikumsgeschmack gut kannte: »[A]s the Eye is the Scene [sic] first gratified, or disgusted, it may not be improper to enquire what kind of Preposession arises in the Mind, from the Appeareance of Mr. G’s Figure, and here I am afraid frail Nature has been a little unkind, and tho’ I must own I have very distinct Ideas of big and great, yet such is the Folly of the Million, that they expect a more than ordinary Appearance from a Man, who is to perform extraordinary Actions; it is in vain, to tell them, that Charles of Sweden, was but five feet five, or Alexander the Great, a very little Man, the

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

James Quin als Ertrinkender

Dennoch hätte ein aufmerksamer und wohlinformierter Leser schon angesichts des Titelblattes skeptisch werden können, was Autor und Stoßrichtung des Pamphlets betraf. Der Vorwurf des mouthing nämlich, der im angeführten Tom Thumb-Zitat mit dem des ranting korreliert wird, bezog sich im zeitgenössischen Diskurs speziell auf den Deklamationsstil der älteren Schauspielergeneration, also etwa eines James Quin, zumal in Verbindung mit dem strutting (Umherstolzieren).650 Zudem ist der Stil, in dem sich die Kritikerfigur schon auf der ersten Seite des Essay vorstellt, von einer Pedanterie und Selbstgerechtigkeit geprägt, welche die Scriblerus-Tradition aufruft: As I have a long Time (twenty Years or more) made the STAGE and ACTING, my Study and Entertainment, I look upon myself, and indeed am thought by my Intimates, a proper Person to animadvert upon, or approve, the Errors and the Excellencies of the Theatre; and as there can be no better Opportunity to offer itself than now, when the Town is running after their little fashionable Actor, in a Character of which he is, properly speaking, the Anticlimax of Shakespear ; I will endeavour in the following Dissection of our Puppet Heroe, to convince my dear Country Men and Country Women, that they are madly following an Ignis fatuus, or Will of the Whisp, which they take for real substantial Light, and which I will prove to be only the Rush-light of Genius, the Idol of Fashion, and an Air-drawn Favourite of the Imagination. (GEA: 1f.)651

Meines Erachtens geht der rhetorische Überschwang jedoch noch über die Kommentierungstradition der Scriblerianer hinaus. So findet sich etwa im Vorwort des Martinus Scriblerus zu Popes Dunciad nicht ein einziger Satz von vergleichbarer Länge und Umständlichkeit, huldigt doch selbst die satirische false Association is so deeply rooted into their Minds, that you may as well attempt to persuade them that Night and Apparitions have no connection […].« (Foote: Treatise, 14). Hinweis in Fielding: Tom Jones, 139, Anm1. Zu Footes Treatise siehe Carlson: Theories of the Theatre, 139. 650 Zum mouthing siehe II.4.2, zu Quin Benedetti: Garrick, 49. Die Implikationen von strutting erhellt jene Szene, die Fielding das Modell für seine Partridge-Passage in Tom Jones (siehe I.1.4) lieferte: Im Spectator 335 vom 25. März 1712 erzählt ›der Zuschauer‹ von einem Theaterbesuch in Begleitung eines nicht eben kultivierten »Knight« namens Roger de Coverley, dessen Bemerkungen gleichwohl, und zwar deutlich weniger ironisch als bei Fielding, als »a Piece of Natural Criticism« gewürdigt werden (Addison/Steele: Spectator 3, 45–48, hier 47; auf Fieldings Prätext verweist Martin C. Battestin in Fielding: Tom Jones, 852, Anm. 1). In diesem Fall geht es noch darum zu erweisen, dass die neoklassizistischen Regeln, denen die Tragödie The Distressed Mother von Joseph Addisons Freund Ambroce Philips folgt, mit der ›Natur‹ übereinstimmen und auch einem ungebildeten Zuschauer verständlich sind. Auch das dazugehörige Bewegungsmuster des strutting gilt als der königlichen Heldenrolle angemessen: »Upon the Entring [sic] of Pyrrhus, the Knight told me, that he did not believe the King of France himself had a better Strut.« (Addison/Steele: The Spectator 3, 47). 651 Die Sigle GEA steht hier wie im Folgenden für Garricks Essay on Acting von 1744.

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Kritikerfigur trotz manch drolliger Formulierung insgesamt dem Ideal der perspicuitas.652 Ähnliches gilt für das Vorwort von H. Scriblerus Secundus zur Tragedy of Tragedies. Allerdings findet sich darin eine Passage von größerem Überschwang, die den Verfasser des Essay sogar zum eben zitierten Satz angeregt haben mag; doch gerade im Vergleich beider wird das unterschiedliche Profil der Pseudo-Kritiker deutlich. Scriblerus Secundus tritt gegen den vermeintlichen Irrglauben an, es handle sich bei der Tragedy of Tragedies um eine »Burlesque on the Loftiest Parts of Tragedy«: Now, if I can set my Country right in an Affair of this Importance, I shall lightly esteem any Labour which it may cost. And this I rather undertake, First, as it is indeed in some measure incumbent on me to vindicate myself from that surreptious Copy beforementioned, published by some ill-meaning People, under my Name: Secondly, as knowing my self more capable of doing Justice to our Author, than any other Man, as I have given my self more Pains to arrive at a thorough Understanding of this little Piece, having for ten Years together read nothing else; in which time, I think I may modestly presume, with the Help of my English Dictionary, to comprehend all the Meanings of every Word in it.653

Während Scriblerus Secundus »my Country« belehren will, spricht die Kritikerfigur des Essay konkret seine »dear Country Men and Country Women« an, blickt ›auf sich selbst‹ und präsentiert sich damit in einer mündlichen Kommunikationssituation. Scriblerus Secundus dagegen evoziert mit klaren Gliederungssignalen (»First«, »Secondly«, »beforementioned«) Diskursivität und Schriftlichkeit, zumal er explizit auf seine Lektüre-Erfahrung verweist. Zudem ist sein Stil frei von jenen zahlreichen antithetischen oder pleonastischen Formeln, die den Essay-Kritiker als bemüht daherwitzelnden Schwätzer charakterisieren.654 Diese Autor-Maske ist meines Erachtens einzuordnen in die Tradition des Dottore, das heißt des pseudo-gelehrten Alten der Commedia dell’arte. Der Shakespeare-Kontext dürfte speziell die Figur des Polonius evozieren, der sich in seinen Kommentaren zur passionate speech ja auch als SchauspielConnaisseur disqualifiziert.655 Damit wird die Frage nahegelegt, wer die ›Rolle‹ 652 Siehe Martinus Scriblerus of the Poem in: Pope: Dunciad, 48–53. 653 Preface von H. Scriblerus Secundus in Fielding: Tom Thumb and The Tragedy of Tragedies, 41–46, hier 42. 654 Diese Ausdrücke sind auch noch ausnahmslos durch Kursivierung ›betont‹: »my Study and Entertainment«, »to animadvert upon, or approve, the Errors and the Excellencies of the Theatre«; »their little fashionable Actor«, »the Anticlimax of Shakespear«, »an Ignis fatuus, or Will of the Whisp«, »the Rush-light of Genius, the Idol of Fashion, and an Air-drawn Favourite of the Imagination« (GEA: 1f.). 655 Siehe Ham. 2.2, V. 494: 266. Zuvor ist Szene 2.2 besonders bezeichnend: Die Königin unterbricht eine rhetorisch geschraubte Tirade des Alten mit der Aufforderung »More matter with less art« (Ham. 2.2, V. 95: 241). Insofern würde ich Polonius (mit Henke: Commedia dell’arte and Hamlet, 70) in die Tradition des Dottore einordnen, obwohl er als

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des Schauspiel(er)-Kritikers ›besetzen‹ darf – eine zwanzigjährige ZuschauerErfahrung allein ist jedenfalls keine hinreichende Qualifikation. Ähnlich doppelbödig ist die Kritik an Garrick in der Rolle des Macbeth. Sie beginnt mit einer »dissection« von Macbeths »character«, die ihn zwar als erfahrenen und ehrgeizigen General, nicht jedoch als aktiven Kriegshelden vorstellt,656 und folgert daraus: Valour and Ambition, the two Grand Characteristicks of Macbeth, form in the Mind’s Eye a Person of near Six Foot High, corpulently Graceful, a round Visage, a large Hazel Eye, aquiline Nose, prominent Chest, and a well-calv’d Leg, rather inclin’d to that which is call’d an Irish leg; this; I say, would be the Painter’s Choice, was he to give us the Macbeth of his Imagination; I mention this only to prove that Mr G—-k is not form’d in the least, externally, no more than internally, for that Character […]. (GEA: 13f.)

Die Vorgehensweise, eine Rollenbesetzung aufgrund einer quasi-dramaturgischen Figurenanalyse zu diskutieren, ist durchaus zukunftsweisend.657 Hier erfolgt sie über eine Festlegung seiner Hauptcharakterzüge – diesen entspricht ein mentales Bild des Lesers, das als graphisches Bild eines Malers konkretisiert wird und angeblich unvereinbar ist mit Garricks zierlicher Physis.658 Allerdings erweist sich das vermeintliche Idealbild bei genauem Hinsehen als Karikatur, wie insbesondere die oxymoronische Formulierung »corpulently graceful« verrät. Und zwar als Porträtkarikatur : Die ›Adlernase‹ ist (auch auf idealisierenden Porträts) ein typisches Erkennungsmerkmal des irischen Mimen James Quin, der um 1744 noch als berühmtester Macbeth-Darsteller galt. Ein damals schon verbreiteter Kupferstich zeigt Quin als Coriolanus mit »well-calv’d Leg« (GEA:13) und »in a breastplate and stiff skirt that make him look like a grotesque drag-queen in a liberty bodice and a tutu«.659

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Vater einer Tochter und Ränkeschmied auch Züge der Pantalone-Figur besitzt (siehe Winter : Von der Maske zur Rolle), mit der er üblicherweise in Verbindung gebracht wird (z. B. Davis/Frankforter : Polonius). Jedenfalls wurde Polonius im 18. Jahrhundert noch überwiegend als ungebrochen komische Figur aufgefasst; lediglich Charles Macklin spielte ihn ab 1750 als »a more serious character and therefore a more dangerous opponent.« (Benedetti: Garrick, 111) »He is an experienc’d General, crown’d with Conquest, innately Ambitious, and religiously Humane, spurr’d on by metaphysical Prophecies, and the unconquerable Pride of his Wife, to a Deed, horrid in itself, and repugnant to his Nature; but as it is the Ladder to the swelling Act of the Imperial Theme, his Milk soon becomes Gall, imbitters his Whole Disposition, and the Consequences is the Murder of Duncan, the taking off of Banquo, and his own Coronation. Thus stands Macbeth. Now to our Inferences.« (GEA:13) Erinnert sei an Guido Hiss’ Begriff der ›dramaturgischen Analyse‹ (Hiß: Theatralischer Blick, 158f, siehe I. 5.2); in den Lehrjahren bildet sie eine Lieblingsbeschäftigung Wilhelm Meisters. Siehe zur Auffächerung des ›Bild‹-Begriffs Kap. I.3. Thomson: David and Goliath, 141. Möglicherweise handelt es sich eher um eine unbeholfene Darstellung als um eine Karikatur, möglicherweise bezieht sich das Bild auch auf eine farcehafte Coriolanus-Aufführung, (aufgeführt 1718 in Lincoln’s Inn Fields, siehe R.B.

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Die wahre Stoßrichtung des Essay on Acting dürfte dem zeitgenössischen Leser also spätestens angesichts dieses verbalen Pseudo-›Idealbildes‹ aufgegangen sein: Garrick selbst wollte, bereits vor seinem ersten Auftreten als Macbeth, der zu erwartenden Kritik an seiner Verkörperung den Wind aus den Segeln nehmen; ein »Sixpenny Pamphlet« (GEA:22) war bestens geeignet, dieses Anliegen ›unter die Leute zu bringen‹.660 Doch ging es nicht nur um Physis, sondern auch um actio. So wird beispielsweise661 für die berühmte Szene, in der Macbeth, noch schwankend, ob er den Königsmord begehen soll, einen schwebenden Dolch halluziniert (II.1), ironisch vorgeschlagen: Der Vers Come let me clutch thee! is no to be done by one Motion only, but by several sucessive Catches at it, first with one Hand, and then with the other, preserving the same Motion at the same Time, with his Feet, like a Man, who, out of his Depth, and half drowned in his Struggles, catches at Air for Substance: This would make the Spectator’s Blood run cold, and he would almost feel the Agonies of the Murderer himself. (GEA:17f.)

Kritisiert wird hier also, dass jene Geste, die durch den Vers im Sinn einer impliziten Regieanweisung angedeutet ist, sich der szenischen Situation gegenüber verselbstständigt. Diese Inkongruenz wird erstens veranschaulicht durch eine ausführliche, sukzessive (und möglicherweise übertriebene) Beschreibung der Einzelbewegungen, zweitens und besonders pointiert durch den Vergleich mit einem Schema, nämlich dem Bewegungsschema eines Ertrinkenden.662 Dies ist eine der frühesten dezidiert anschaulichen Beschreibungen von Schauspielkunst – allerdings von missglückter. Bemerkenswert ist nicht nur, dass diese ekphrastische Karikatur von einem Schauspieler kommt, sondern auch, dass ihr dessen mimische Karikaturen vorhergingen: Seit 1742 schon hatte Garrick führende Vertreter des neoklassizistischen Schauspielstils auf der Bühne parodiert. Als Vehikel diente die von ihm gründlich aktualisierte RestaurationsFarce The Rehearsal von George Villiers, dem zweiten Duke of Buckingham;

Parker: Introduction Coriolanus, 71). Jedenfalls frappiert die Nähe zur Karikatur der OpernSänger insbesondere hinsichtlich Haltung und barocker Kostümierung, und das Bild schadete, Peter Thomson zufolge, dem Ansehen Quins beträchtlich (Thomson: David and Goliath, 141). 660 Siehe McIntyre: Garrick, 84f.; Benedetti: Garrick, 127ff. 661 Ein anderes Beispiel ist Garricks Besprechung der Bankett-Szene (Ham. 3.4): Macbeth, so wird ironisch empfohlen, solle, wenn er den Geist anspricht, nicht diesen, sondern die Gäste anstarren (GEA: 18). Bei seinem zweiten Erscheinen solle er auf den Geist einen Ausfall mit dem Degen machen und ihn so von der Bühne jagen (GEA: 19). 662 Der Begriff ›Schema‹ (siehe I.2.1.10) entspricht strukturell dem in der Komiktheorie bevorzugten ›Script‹ (siehe Müller : Theorie der Pointe, 114–117), vermeidet aber dessen Denotierung von Text.

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eines der ersten Opfer war der Tragöde Dennis Delane.663 Garricks Biograph Arthur Murphy berichtet: Delane was at the head of his profession. He was tall and comely ; had a clear and strong voice, but was a mere declaimer. Garrick began with him: he retired to the upper part of the stage, and drawing his left arm across his breast, rested his elbow on it, raising a finger to his nose, and then came forward in a stately gait, nodding his head, as he advanced, and, in the exact tone of Delane, spoke the following lines: So boar and sow, when any storm is nigh, Snuff up, and smell it gath’ring in the sky. Boar beckons to the sow in chesnut groves, And there consummate their unfinished loves, Pensive in mud they wallow all alone, And snort, and gruntle to each other’s moan.664

Die (hier nur über Murphys Beschreibung zugängliche) körpersprachliche Karikatur wird also noch durch Garricks parodistischen Monolog ergänzt. Dieser ruft in genuin karikaturistischer Weise das Schweine-Schema auf, um die Deklamation als Grunzen zu diffamieren, und unterstützt diesen Eindruck durch lautliche ›Verzerrungen‹ (z. B. »[p]ensive in mud« statt »mood«). In den Essay on Acting übernimmt Garrick allerdings nur die Karikatur der Gestik. Doch bietet sein Pamphlet nicht nur das verbale Äquivalent zu seinen mimischen Karikaturen; er liefert auch, und zwar vorher, die unironische Ekphrasis einer gelungenen Macbeth-Verkörperung im Rahmen des überwiegend ernsthaft gemeinten Short TREATISE UPON ACTING.665 Es handelt sich um die

663 Garrick führte The Rehearsal insgesamt neunundneunzig Mal auf, öfter als jedes Shakespeare-Drama (siehe McIntyre: Garrick, 45f.; Benedetti: Garrick, 65f.). 664 Murphy : Garrick, 54, siehe McIntyre: Garrick, 46. 665 Mit dem Untertitel By which THE PLAYERS may be Instructed and the TOWN Undeceiv’d (GEA: 4–12, hier 4). Trotz einiger stilistischer Absonderlichkeiten, welche die vorgebliche Verfasserschaft des Krittlers präsent halten sollen, nehme ich mit der Garrick-Forschung an, dass der Treatise insgesamt die Ansichten und Verkörperungen Garricks verlässlich wiedergibt (z. B. Woods: Garrick Claims the Stage, 9–13; Cunningham: Shakespeare and Garrick, 53). Allerdings ist die Frage nach der Funktion des Treatise im Essay bisher nicht gestellt worden. Meiner Meinung nach liegt der Schlüssel in der vorangestellten Leseanweisung: »I shall present my Readers with the following short Treatise upon ACTING, which will shew’em what ACTING ought to be, and what the present Favourite in Question is not« (GEA: 3). Da das neue Ideal der Schauspielkunst sich gerade erst abzuzeichnen begann, musste es zunächst einmal dem Leser in allem Ernst vor Augen gestellt werden. Weiterlesend sollte er dann erkennen, dass es Quins Verkörperung war, die davon abwich – und im Theater feststellen, dass Garricks Verkörperung vollkommen dem neuen Ideal entsprach. Um diese subtile Taktik abzusichern, machen die die darauf folgenden »Critical OBSERVATIONS upon the Character of MACBETH, as it is at present Attempted at the TheatreRoyal in Drury Lane (GEA: 12–22, hier 12) unmissverständlich klar, was das tatsächliche und was das vorgebliche Ideal geglückter Schauspielkunst ist.

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bereits im ersten Kapitel anzitierte Beschreibung von Szene II.2, die Macbeths Entsetzen nach dem Königsmord gestaltet: He should at that Time, be a moving Statue, or indeed a petrify’d Man; his Eyes must Speak, and his Tongue be metaphorically Silent, his Ears must be sensible of imaginary Noises, and deaf to the present and audible Voice of his Wife, his Attitudes must be quick and permanent; his Voice articulately trembling, and confusedly intelligible; the Murderer should be seen in every Limb, and yet every Member, at the same Instant, should seem separated from his Body, and his Body from his Soul: This is the Picture of a compleat Regicide […]. (GEA: 9)

Auch hier ist die Körpersprache ausgesprochen disharmonisch, was explizit durch Oxymora und Antithesen herausgearbeitet wird. In diesem Fall aber ist das widersprüchliche Körperbild kein Beweis für die Unfähigkeit des Schauspielers, sondern illustriert sinnfällig den aufgewühlten ›inneren‹ Zustand der Rollenfigur. Dabei ist die ›Beredsamkeit des Körpers‹ weit wichtiger als die ›Macht der Worte‹ des Rollentexts.666 Obwohl nämlich der Aspekt der Stimme angesprochen wird, sind Macbeths Worte unverständlich artikuliert – in der Schauspielkunst eines Quin noch undenkbar –667, und die Worte von Lady Macbeth dringen zum unter Schock stehenden Königsmörder erst gar nicht durch. Diesem Primat des Visuellen entsprechend wird die Passage eingerahmt durch Vergleiche mit bildender Kunst: Macbeth gleicht einer sich bewegenden Statue, die gesamte Darbietung bietet das ›Bild eines wahren Königsmörders‹. Johan Zoffanys (ebenfalls schon erwähntes) Gemälde dieser Szene (Abb. 2) entstand 1768, also 34 Jahre später, als Garrick die Rolle zum letzten Mal spielte; der Vergleich belegt jedoch die erstaunliche Konstanz einer einmal erfolgreichen Verkörperung. Das Bild zeigt Anklänge an die Gattung des Historiengemäldes, mit dem die Tragödie traditionell korreliert wurde, doch von der gattungstypischen Heroisierung kann hier keine Rede sein: Garrick, obwohl vor seiner Mitspielerin stehend, ist deutlich kleiner als diese, und insbesondere seine gespreizt-angespannte Beinhaltung und die verkrampften Finger der linken Hand wären auf einem Historiengemälde von Benjamin West oder Jaques-Louis David ein klarer Verstoß gegen jedes Dekorum.668 Umso auffälliger scheint mir die Nähe zu einer Figur aus einem anderen Hogarth-Zyklus, A Rake’s Progress (1735): Platte 7 zeigt den Helden im Schuldgefängnis, gleichfalls in entsetzter Verkrampfung, mit abgespreizten Fingern und taub für die Stimme seiner wütend auf ihn einredenden Frau. (Abb. 11).669 666 Siehe Borlik: Performance of Stasis, 5. 667 Siehe die Karikatur von Quins Deklamationsstil in Churchills Rosciad, V. 945–963. 668 Dazu kommt, dass die Knöpfe seiner Weste und Jacke offenstehen. Zum Problem der Heldendarstellungen in der Historienmalerei des 18. Jahrhunderts siehe Busch: Das sentimentalische Bild, 24–181. 669 Hogarth: Graphic Works, 315 (Nr. 138); dass auch er wie Garricks Macbeth stattdessen

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

Abb. 11: William Hogarth: A Rake’s Progress Pl. 7, Detail (Kupferstich 1735, Pl. 7)

Innerhalb des Essay on Acting hebt sich Garricks Beschreibung des mimischen Königsmörder-Bildes zudem von einer weiteren vorangegangenen Ekphrasis ab: Zunächst nämlich wird ausgeführt, wie eine Nebenrolle aus Ben Johnsons Komödie The Alchemist zu gestalten ist, genauer gesagt: eine pantomimische Einlage, die der Schauspieler Colley Cibber hinzuerfunden hatte und die seither zur Aufführungstradition gehörte.670 Der einfältige Tabakhändler Abel Drugger, eines von vielen Opfern des Pseudo-Alchemisten Subtle, spielt, während andere imaginäre Stimmen hört, ist anzunehmen, da ihn die nächste Szene nach der Einlieferung in die Irrenanstalt zeigt (ebd. 316f.). Böttiger wird auf Lichtenbergs Beschreibung der Figur im Kerker verweisen, um Ifflands Gestaltung des entsetzen Franz Moor zu verdeutlichen (siehe 3.2). 670 Das berichtet Wilkes: View of the Stage, 257, siehe den Kommentar in Garrick: Plays 5, 324f.

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Figuren sprechen, mit einigen Requisiten in Subtles Labor herum und zerbricht versehentlich ein Urinal. Folglich ist er, wie Garrick analysiert, hin- und hergerissen zwischen der Faszination durch das vermeintlich unschätzbar wertvolle Gefäß und der Angst vor Bestrafung. Diese widersprüchlichen »ideas« spiegeln sich in einer widersprüchlichen Körpersprache: His Eyes must be rever’sd from the Object he is most intimidated with, and by dropping his Lip at the some [sic] Time to the Object, it throws a trembling Languor upon Every Muscle, and by declining the right Part of the Head towards the Urinal, it casts the most comic Terror and Shame over all the upper Part of the Body, that can be imagin’dand to make the lower Part equally ridiculous, his Toes must be inverted from the Heel, and by Holding his Breath, he will unavoidingly give himself a Tremor in the Knees, and if his Fingers, at the same Time, seem convuls’d, it finishes the compleatest low Picture of Grotesque Horror that can be imagin’d by a Dutch Painter. (GEA: 7f.)

Der Hinweis am Schluss der Passage bezieht sich auf Darstellungen der unteren Volksschichten, insbesondere von betrunkenen Bauern, in Bildern holländischer und flämischer Genremaler des 17. Jahrhunderts wie Adriaen Brouwer und Adriaen van Ostade, die im England des 18. Jahrhunderts als Kupferstichdrucke außerordentlich populär waren und die Entstehung der englischen Karikatur nachhaltig beeinflussten.671 Bei Garrick geht die alles andere als graziöse Körpersprache dieser Tradition trotz aller Unterschiede zwischen Tabakshändler und Königsmörder strukturell sogar in die Gestaltung einer MacbethSzene ein – und in ihre Beschreibung. Dies entspricht seiner Relativierung der strikten neoklassizistischen Trennung zwischen der Tragödie, die »passions« darstelle, und der Komödie, die sich mit »humours« befasse: »Now in some Cases, Passions are Humours, and Humours Passions; for the Revenges or an Alexander and a Haberdasher, may have the same Fountain, and differ only in the Currents« (GEA: 5).672 Abschließend ist zu prüfen, ob es sich bei den hier vorgestellten Passagen aus Garricks Essay on Acting tatsächlich um Mimen-Ekphrasen im Sinne meiner Einleitung handelt. Zumindest die eben zitierten Passage zu Macbeth als ›wandelnde Statue‹ ist nämlich, streng genommen, keine Beschreibungen der Kunst eines beobachteten Schauspielers, sondern Vor-Schrift für die perfekte Verkörperung einer Szene; und auch als Drugger hat sich Garrick selbst allenfalls beim Proben vor dem Spiegel gesehen. Doch dienen diese Beschreibungen dazu, Garricks kurz bevorstehende Macbeth-Verkörperung zu erläutern und gegen traditionalistische Kritik abzusichern, und zwar vor dem Hintergrund seiner bereits sehr erfolgreichen Verkörperung Druggers. Da Garrick seine Rolle 671 Siehe Busch: Englische Karikatur, 230; Donald: Age of Caricature, 9f., Scholz: Brouwer invenit. 672 Siehe dazu auch Woods: Garrick, 12.

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über dreißig Jahre lang genau wie hier beschrieben gespielt hat, haben die Texte auch die Funktion von Mimen-Ekphrasen übernommen – dass Garrick bei Zoffany ein Gemälde eben dieser Szene in Auftrag gegeben hat, unterstreicht dies eindrucksvoll. Klarer noch ist die Beschreibung von Quins Macbeth-Verkörperung als Mimen-Ekphrasis einzuordnen – wenn auch nicht als Überlieferung geglückter Schauspielkunst, sondern als ›Karikatur‹ von missglücktem ›mimical behaviour‹. Der folgende Text aus dem Jahr 1761 wird zeigen, dass die Darstellung missglückter Schauspielkunst noch auf einige Zeit deutlich anschaulicher blieb als die Darstellung gelungener Schauspielkunst – und warum.

4.

»The hardy Muse«: Allegorie und Karikatur in Churchills Rosciad (1761)

4.1

Der Rahmen: Schauspieler und Schiedsrichter

Die Verssatire The Rosciad des schriftstellernden Geistlichen Charles Churchill stellt sich bereits mit ihrem Titel in eine literarisch-satirische Tradition mit allegorisierender Tendenz: die Tradition des mock-heroic poem, des komischen Heldengedichts. Unmittelbares Vorbild war Alexander Popes Dunciad (1728/ 29), deren dritte und letzte Version in vier Büchern 1742 erschien.673 Wie Ulrich Broich gezeigt hat,674 wird bereits in dieser ›Schwachkopfiade‹ die Epenparodie deutlich von Zeit- und Personensatire überlagert: Die Göttin Dulness [sic] erhebt im ersten Buch den Schauspieler, Theaterleiter und poeta laureatus Colley Cibber zum ›König der Schwachköpfe‹. Zu seinen Ehren werden im zweiten Buch Wettspiele abgehalten, beispielsweise ein Wett-Urinieren der Buchhändler um das Phantom eines Autors oder ein Wett-Tauchen bezahlter Kritiker und Pamphletisten in den Kloaken Londons. Im dritten Buch wird dem King of Dunces die beglückende Zukunftsvision eines in völliger Verblödung versinkenden Englands zuteil. Dazu kommt im vierten Buch ein allegorisches Tableau vom Hofstaat der Dummheit mit gefesselten Musen und dem Auftritt der Oper, die mit gleicher Tendenz wie in der Karikatur von 1723 als Inbegriff verblödeter Bühnenkunst verspottet wird. Das von Pope selbst entworfenen Titelkupfer zur zweiten Fassung von 1729 (Abb. 12) zeigt deutlich den Zusammenhang mit der Tradition der Bildsatire; die oben vorgestellte Pope-Karikatur (Abb. 6) zitiert daraus den Esel. Überdies hat Anita Ehrlich bemerkenswerte formale Äquivalenzen zu Hogarth herausgearbeitet: Die Gesamtstruktur der Dunciad gleiche einer »series of 673 Dazu immer noch grundlegend: Williams: Pope’s Dunciad, 87–130. 674 Broich: Mock-Heroic Poem, 142–159.

»The hardy Muse«

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Abb. 12: Frontispiz zu Alexander Pope: Dunciad Variorum (1729)

cameos or tableaux strung together by only the flimsiest chain of events«.675 Vergleichbar seien auch Hogarths und Popes Vorliebe für die theatrum mundiAllegorie sowie eine Tendenz zur ›theatralischen‹ Darstellung;676 insbesondere neigten beide dazu, Personifikationsallegorien wie tatsächliche Theaterfiguren darzustellen, um sie den übrigen anzunähern.677 Auffallend sei zudem beider »concentration on vivid, visual details«; dieser Aspekt wird ausdrücklich in die rhetorische Enargeia-Tradition gestellt.678 Trotz all dieser Tendenzen jedoch und obwohl mit Colley Cibber ein Schauspieler das Hauptangriffsziel der Dunciad 675 Ehrlich: Hogarthian Aspects, 168. 676 Dies meint die ›szenische‹ Darstellung von Ereignissen mit intradiegetischen Zuschauern und den bühnenartigen Aufbau der tableaux insgesamt, bei denen Dulness explizit als stage manager schaltet und waltet (Ehrlich: Hogarthian Aspects, 99–142). 677 Ehrlich: Hogarthian Aspects, 103–109. 678 Ehrlich: Hogarthian Aspects, 75; zur Enargeia-Tradition siehe ebd. iiif., 43.

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ist, finden sich darin zwar etliche ekphrastische Passagen, jedoch noch keine Mimen-Ekphrasis, die schauspielerische Aktion thematisieren würde. Diesen Schritt geht erst die Rosciad. Wenn Churchill aus der ›Schwachkopfiade‹ eine ›Rosciade‹ macht, signalisiert er nicht nur Kontinuitäten zu Pope, sondern auch eine eigene Akzentsetzung: Nicht mehr um einen Rundumschlag gegen sämtliche Dummheiten seiner Zeit geht es, sondern speziell um die Bühne und ganz besonders um Schauspielkunst. Zudem wird nicht nur getadelt, sondern auch gerühmt: Nach dem Tode des Roscius – so die Ausgangssituation – ist zu entscheiden, wer als größter englischer Schauspieler der Gegenwart dessen »vacant chair« (CR V. 2: 3)679 besetzen darf; die Suche danach wird nicht ironisch gebrochen erzählt, sondern durchaus ernsthaft.680 Als Juroren werden zunächst einige selbsterklärte Bühnenexperten der zeitgenössischen Kulturszene erwogen und verworfen. Auf Vorschlag von Churchills Freund Lloyd, dessen Verstraktat The Actor 1760 erschienen war,681 nehmen schließlich Shakespeare und Ben Jonson auf den Richterstühlen Platz. Da die nach allegorischem Muster verfahrende Darstellung insbesondere Shakespeares bei Churchill wie später bei Lichtenberg das ›Bild‹ des Shakespeare-Darstellers Garricks beeinflussen wird, sei hier kurz auf die literarischikonographische Darstellungstradition eingegangen. Dazu, dass die Nachwelt Jonson und Shakespeare schon bald als die wichtigsten elisabethanischen Dichter verstand, hatte Jonson selbst wesentlich beigetragen durch sein Epicedium To the Memory of My Beloved, the Author Mr William Shakespeare: And What He Hath Left Us (1623), das im ersten Shakespeare-Folio erschien.682 Der gelehrte Jonson prägt darin zwar die berühmte Formulierung, Shakespeare habe »small Latin and less Greek« (V. 31: 150) verstanden, wünscht aber, »thundering Aeschylus/ Euripides, and Sophocles« (V. 33f.: 150) könnten zurückkehren, »to hear thy buskin tread/ And shake a stage« (V. 36f.: 150), und vergleicht den Verstorbenen sogar mit »Apollo« und »Mercury« (V. 45f.: 150). Das Gedicht gipfelt in zwei allegorischen Visionen: Der »Sweet Swan of Avon« (V. 71: 151) möge zur Themse fliegen; der »star of poets« (V. 86: 151) möge »with rage,/ Or influence chide or cheer the drooping stage« (V. 76f.: 151) – schon hier also ist die Vorstellung von Shakespeare als Richter 679 Aus Churchills Rosciad wird in folgender Form zitiert: ›CR V. [Versangabe]: [Seitenzahl in Churchill: Poetical Works]‹. 680 In dieser Hinsicht stellt sich die Rosciad in die Tradition des session poem, die ins frühe 17. Jahrhundert zurückreicht: »The form was used as method of literary criticism, and it would place a row of contemporary poetes before the throne of Apollo, all competing for the laurel wreath. Apollo would dismiss the totally incompetent ones, criticize the bad ones, praise the good ones, and crown the champion.« (Broich: Mock-heroic poem, 89) 681 Siehe I.1.4. 682 Im Folgenden zitiert nach: Fowler: Seventeenth Century Verse, 149–151, Komm. ebd. 801. Siehe Schoenbaum: Shakespeare and Jonson.

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künftiger Bühnenkunst angelegt. Auch der Essay on Acting schließt mit einem Hymnus auf Shakespeare, der ihn über Regelpoetik jeder Art stellt und in eine Apotheose mündet: Shakespear was a Writer not to be confin’d by Rule; he had a despotick Power over all Nature; Laws would be an Infringement of his Prerogative; his scepter’d Pen wav’d Control over every Passion and Humour ; his Royals Word was not only Absolute, but Creative; Ideas, Language, and Sentiment were his Slaves, they were chain’d to the Triumphal Car of his Genius; and when he made his Entry into the Temple of Fame, all Parnassus rung with Acclamations; the Muses sung his Conquests, crown’d him with never-fading Laurels, and pronounc’d him Immortal. AMEN. (GEA: 24)

Wenngleich die Entscheidung schwerfällt, ob hier Garrick selbst spricht oder mittels seiner Figur des lächerlichen Kritikers damals gängige ShakespeareKlischees parodiert –683 feststeht, dass derartige Lobpreisungen in England schon in den 1740er Jahren beliebt waren und ein Arsenal bildeten, aus dem sich später auch die deutsche Genieästhetik bedienen sollte.684 Churchill stellt Shakespeare so vor : In the first seat, in robe of flaming dyes, A noble wildness flashing from his eyes, Sat SHAKESPEAR. – In one hand a wand he bore, For mighty wonders fam’d in days of yore; The other held a globe, which to his will Obedient turn’d, and own’d the master’s skill: Things of the noblest kind his genius drew, And look’d through Nature to a single view : A loose he gave to his unbounded soul, And taught new lands to rise, new seas to roll; Call’d into being scenes unknown before, And, passing Nature’s bounds, was something more. (CR V. 259–270: 10)

683 Die erste Ansicht vertritt Ian McInytre (McIntyre: Garrick, 84), die zweite Brian Vickers (Vickers: Shakespare 3, 130). Nach Ansicht von Vanessa Cunningham spricht der exzessive Gebrauch von Kursivierungen für eine parodistische Absicht; andererseits gibt sie zu bedenken, dass der Ton des Hymnus frappant an jene Shakespeare-Ode erinnert, die Garrick 25 Jahre später dichten und auf dem von ihm organisierten Shakespeare-Jubiläum rezitieren sollte (Cunningham: Shakespeare and Garrick, 54; zum Jubilee siehe II.4.4). 684 So erscheint ebenfalls 1744 Mark Akensides Lehrgedicht The Pleasures of the Imagination, das Shakespeare als Inbegriff des Erhabenen darstellt: Auf einer Klippe thronend überblickt und genießt er das Wüten der Elemente, vor denen die Völker zittern (Bd. 3, V. 550–559). Herder greift diese Allegorie in seinem Shakespear-Aufsatz von 1773 auf (siehe Herder: Werke 2, 498, Komm. 1170). Zur Shakespeare-Rezeption und Renaissance der WelttheaterAllegorie im Ausgang vor allem der deutschen Aufklärung siehe Alt: Begriffsbilder, 519– 538. Zu Lichtenbergs Reaktion auf diese ikonographische Tradition siehe II.5.4.

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

Shakespeare wird hier vor allem als schöpferisches Genie und Prospero-ähnlicher Magier präsentiert, der ästhetische Bühnenillusion über den Bereich der Empirie hinaus erweitert. Anders scheint es mit seinem Richterkollegen zu stehen, der nicht visuell vergegenwärtigt, sondern umgehend im Hinblick auf intellektuelle Vorzüge charakterisiert wird: Next JONSON sat, in antient [sic] learning train’d, His rigid judgment Fancy’s flights restrain’d [.] (CR V. 271f.: 10)

Das liest sich fast, als ob sich die ›Flüge der Phantasie‹ auf Shakespeare bezögen und Jonson als dessen Korrektiv fungierte. Doch wird im Folgenden modifiziert: Was Jonson korrigiert, sind Übertreibungen in Phantasie und Ausdruck (»wild luxuriant thought«, CR V. 274: 10); sein Maßstab ist vor allem psychologische Glaubwürdigkeit: The book of man he read with nicest art, And ransack’d all the secrets of the heart; Exerted Penetration’s utmost force, And trac’d each passion to its proper source, Then, strongly mark’d, in liveliest colours drew, And brought each foible forth to public view [.] (CR V. 275–280: 11).

Trotz der Ausführlichkeit jedoch, mit der die beiden Richter vorgestellt werden, sind es keineswegs diese beiden Autoritäten, die den ab Vers 295 an ihnen vorbeimarschierenden Zug von Schauspielern und Schauspielerinnen auf darstellerische Stärken und Schwächen hin durchmustern. Stattdessen erledigt dies eine Sprechinstanz, die klar in der Funktion eines modernen Kritikers vorgestellt wird.685 Bereits auf dem Titelblatt wird dies in satirisch-allegorischer Weise verdeutlicht durch die Beschwörung einer Muse der (Theater-) Kritik mit Eigenschaften der Justitia: Unknowing, and unknown, the hardy Muse Boldly defies all mean and partial Views; With honest Freedom plays the Critic’s Part, And praises, as she censures, from the Heart. (CR: 1)686

Bezeichnend ist die Formulierung, die neue Muse ›spiele‹ den »Part«, also die ›Rolle‹ des Kritikers. Als ›Fehlbesetzung‹ dieser Rolle wird dagegen zu Anfang des Gedichtes die Masse des Publikums dargestellt. Sie, so der Vorwurf, orien685 Einmal wird sogar auf Churchills unvorteilhaftes Aussehen angespielt (siehe II.4.3), obwohl er seine Satire zunächst anonym publizierte. 686 Nicht Teil der Verszählung.

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tiert sich in ihrem Urteil besonders an belanglosen ›Äußerlichkeiten‹, insbesondere Physis und Kostüm der Schauspieler, und bedarf deshalb der Leitung durch einen professionellen Kritiker : Things of no moment, colour of the hair, Shape of a leg, complexion brown or fair, A dress well chosen, or a patch misplac’d, Conciliate favour, or create distaste. (CR V. 38–41: 4)

Doch auch Kritiker, die sich professionell wähnen, werden in der Rosciad karikiert: Last GARRICK came. – Behind him throng a train Of snarling critics, ignorant as vain. One finds out,– ›He’s of stature somewhat low,– ›Your Hero always should be tall you know. – ›True nat’ral greatness all consists in height.‹ Produce your voucher, Critic – ›Seargeant KYTE.‹ (CR V. 1027–1032: 32)

Die Passage spielt auf die im 18. Jahrhundert überaus populäre Komödie The Recruiting Officer (1706) von George Farquhar an; Sergeant Kite, der verschlagene Gehilfe des Titelhelden, hält bereits in der Eingangsszene eine Werberede auf dem Marktplatz, in der es heißt: »he that has the good fortune to be born six foot high, was born to be a great man.«687 Churchills Pointe zielt ebenso auf die Kritik an Garricks Körpergröße – die Bühne ist kein Kasernenhof – wie auf die Kompetenz der Kritiker : Wer so urteilt, mag in der Rolle eines Bauernfängers reüssieren, als Theaterkritiker ist er eine Fehlbesetzung. Die Kritiker greifen Garrick allerdings noch in einem zweiten Punkt an, der nicht seine Physis, sondern seine Aktion betrifft: Er versuche, das Publikum mit allerlei mimischen Mätzchen (»paltry arts«, CR V. 1033: 32) zu beeindrucken, insbesondere durch »unnat’ral start, affected pause« (CR V. 1036: 32). Gemeint ist Garricks Kunstgriff, die Zuschauer erst durch eine jähe, heftige Bewegung zu verblüffen, um sodann einige Sekunden lang in einer ausdrucksvollen Pose zu verharren;688 Hogarths Gemälde von Garrick als Richard, der aus wilden Träumen aufschreckt, ist ein früher Beleg (Abb. 3). Churchill gesteht zwar zu, dass dieser Kunstgriff lächerlich werden kann, wenn er von talentlosen Mimen kopiert wird, die »pause and start with the same vacant face« ausführen (CR V. 1046: 33). 687 Farquhar: Recruiting Officer, 10. Über Struktur und Rezeption der Komödie (zu der auch Brechts Bearbeitung Pauken und Trompeten gehört), informiert Tiffa Sterns Einleitung (ebd. vii–xxviii). 688 Siehe zur »pause« bei Garrick (womit auch ein Pausieren mitten im Vers gemeint sein kann) eingehend Borlik: Performance of Stasis, zu den Kritikern ebd. 5f.

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But when, from Nature’s pure and genuine source, These strokes of Acting flow with gen’rous force; When in the features all the soul’s portray’d, And passions, such as GARRICK’s, are display’d; To me they seem from quickest feelings caught: Each start is Nature; and each pause is thought. (CR V. 1049–1044: 33)

Dem Vorwurf armseliger Kunststückchen wird hier die Behauptung entgegengestellt, die Natur selbst sei die Quelle von Garricks Kunst. Wie die Formulierung »from quickest feelings caught« verrät, verbindet sich die Vorstellung von ›natürlichem‹ Spiel mit dem Modell vom ›heißen Schauspieler‹, das in England schon deshalb dominierte, weil es besser zum Ideal der Natürlichkeit passte. Zudem dürfte auch für England der Befund Bernhard Diebolds gelten, dass ›heiße Schauspieler‹ eher zur Tragödie, ›kalte‹ eher zur Komödie tendierten, die ja auch beim Zuschauer eher auf emotionalen Abstand zu den Bühnenfiguren setzt.689 Da die Tragödie aber in der Gattungshierarchie über der Komödie stand, musste ein ›neuer Roscius‹ vor allem erweisen, dass er sein Publikum zu erschüttern verstand. In diesem Sinne soll ja auch der ›Auftritt‹ von Fieldings unverdorbenem Naturkind Partridge die Natürlichkeit von Garricks Affektdarstellung szenisch beglaubigen (siehe I.1.4). Die Fokussierung auf Partridges Reaktion bringt es allerdings mit sich, dass die Leser nicht erfahren, wie Garricks ›natürliche‹ Affektdarstellung denn konkret aussah. Auch Churchills kritische Muse, die zwar (wie zitiert) Parteilichkeit verschmäht, doch ›aus dem Herzen‹ urteilt, muss sich eine analysierende Beschreibung von Garricks Kunst prinzipiell versagen. Gerade dadurch aber erweist sich der Kritiker als im besten Sinne naives Naturkind: Whilst, working from the Heart, the fire I trace, And mark it strongly flaming to the Face; Whilst, in each sound, I hear the very man; I can’t catch words, and pity those who can. Let wits, like spiders, from the tortur’d brain Fine draw the critic-web with curious pain; The gods, – a kindness I with thanks must pay, – Have form’d me of a coarser kind of clay ; Nor stung with Envy, nor with Spleen diseas’d, A poor dull creature, still with Nature pleas’d [.] (CR1059–1070: 33)

689 Diebold: Rollenfach, 30.

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Am Schluss allerdings tritt doch noch einmal Shakespeare auf, um Garrick zum Sieger zu küren. Er spricht, »temper« und »judgment« verbindend (CR V. 1078: 34), ausdrücklich auch im Namen Jonsons (CR V. 1080: 34): ›If manly sense; if Nature link’d with Art; ›If thorough knowledge of the Human Heart; ›If Pow’rs of acting vast and unconfin’d; ›If fewest Faults with greatest Beauties join’d; ›If strong expression, and strange powers which lie ›Within the magic circle of the Eye; ›If feelings which few hearts, like his, can know, ›And which no face so well as His can show, ›Deserve the Pref ’rence; – Garrick! take the Chair, ›Nor quit it – ’till thou place an Equal there.‹ (CR V. 1077–1090: 34)

Doch verrät auch dieser Kurz-Panegyrikus wenig über Garrick spezifische »Pow’rs of acting«: Shakespeare wiederholt den Gemeinplatz von der Verbindung zwischen Natur und Kunst, deutet zart an, dass es ein paar wenige »Faults« geben mag, und hebt die (schon für die Burbage-Elegie wichtige) Wirkung der Augen hervor. Immerhin ist darüber hinaus von Garricks besonders ausdrucksfähigem Gesicht die Rede und davon, dass es Gefühle darzustellen vermöge, die sein ›Herz‹ so genau kenne wie nur wenige. Grundsätzlich aber schließen sich in der Rosciad, ähnlich wie es noch Voß in seiner Kritik an Lichtenbergs Briefen voraussetzt (siehe II.1), Bewunderung für vollendete Schauspielkunst und sachliche Beschreibung aus. Umso mehr befähigt die »hardy muse« der Kritik zur Beschreibung missglückter Schauspielkunst nach dem Muster der Karikatur.

4.2

Spöttische Karikaturen misslungener Schauspielkunst

Die Hauptstoßrichtung der Kritik wird bereits deutlich in den ersten vier Versen der Rosciad: ROSCIUS deceas’d, each high aspiring play’r Push’d all his int’rest for the vacant chair ; The buskin’d heroes of the mimic stage No longer whine in love, and rant in rage [.] (CR V. 1–4: 3)

Aufs Korn genommen werden die Tragöden der alten Schule, erkennbar am Barockkostüm, für das die dem ›Kothurn‹ entsprechenden Schnürstiefel (buskins) stehen, und (wie im Tom Thumb-Zitat auf dem Titel des Essay on Acting)

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am pathetischen Deklamationsstil des ranting. Dass es hier um den Kampf zwischen alter und neuer Schauspielkunst geht, zeigt explizit folgende MikroEkphrasis: When FALLSTAFF stands detected in a lye, Why, without meaning, rowls LOVE’s glassy eye? Why? – There’s no cause – at least no cause we know – It was the Fashion twenty years ago. (CR V. 451–454: 16)

Bühnenzeichen, so wird hier vorausgesetzt, dürfen sich nicht mehr auf Konvention berufen, sondern müssen nachvollziehbare ›Gründe‹ haben – nachvollziehbar im Hinblick auf die Psychologie der Rollenfigur (wie sie etwa in der »dissection« von Macbeths »character« im Essay on Acting vorgeführt wird) und im Hinblick auf ›natürlichen‹ mimischen Ausdruck. Dies entspricht den Forderungen von Mitstreitern Garricks wie Aaron Hill mit seinen Artikeln im Prompter (1734–1746)690 und Churchills Freund Lloyd.691 Die Darstellungen missglückter Schauspielkunst in der Rosciad leben von der Inkongruenz zwischen Darstellungsideal und scharf herausgestellten mimischen Einzelzügen; dazu kommt wiederum der Rekurs auf triviale Schemata. Besonders prägnant zeigt sich diese Verfahrensweise in einer Folge dreier epigrammatisch zugespitzter Mimen-Ekphrasen: Here H[A]V[A]RD, all serene, in the same strains, Loves, hates, and rages, triumphs, and complains; His easy vacant face proclaim’d a heart Which could not feel emotions, nor impart. With him came mighty D[A]V[IE]s:– On my life, That Davies hath a very pretty wife! Statesman all over! – In plots famous grown!– He mouths a sentence, as curs mouth a bone. Next H[O]LL[AN]D came. – With truly tragic stalk, He creeps, he flies. – A Hero should not walk. As if with heav’n he warr’d, his eager eyes Planted their batteries against the skies; Attitude, action, air, pause, start, sigh, groan, He borrow’d, and made use of as his own. (CR V. 315–328: 12)

315

320

325

Die verfehlten Darstellungsideale sind unschwer zu erschließen: William Harvard verstößt gegen die Forderung, jede Emotion in je spezifischer Weise ›abzubilden‹ und gegen das Quintilian’sche Rezept, dies durch Selbstemotionali690 Siehe zusammenfassend Benedetti: Garrick, 51–53. 691 Siehe I.1.4.

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sierung zu erreichen. Thomas Davies (Garricks späterer Biograph) verfehlt insbesondere in seiner Deklamation das Ziel, ein ›Bild der Würde‹ seiner Helden zu erzielen. Charles Holland schließlich übertreibt das Darstellungsziel ›Würde‹ auf Kosten der Natürlichkeit; zudem kopiert er Kunstmittel anderer Schauspieler statt eigene zu entwickeln und widerspricht damit der Forderung nach Originalität. Die Darstellung der konkreten Bühnenaktionen wird in doppelter Hinsicht ›überzeichnet‹: erstens durch extreme Zusammendrängung, zweitens durch inadäquate Vergleiche oder Metaphern, d. h. gezielten sprachlichen ›Bildbruch‹. Zusammengedrängt werden im zweiten Vers der zitierten Passage (CR V. 316: 12) fünf semantisch meist gegensätzliche Verben, die zu verkörpernde Affekte bezeichnen. Im vorletzten Vers (CR V. 327: 12) stehen nicht weniger als sieben asyndetisch gereihte Nomen für gebräuchliche Elemente mimischer Darstellung im Dienst solcher Affektdarstellung. Als inadäquater Vergleich fällt vor allem die Formulierung ins Auge, Davies deklamiere so, ›wie Köter einen Knochen benagen‹ (CR V. 321:12). Churchill geht damit noch einen deutlichen Schritt weiter als Shakespeare, wenn er Hamlet denselben Fehler mit dem Geschrei eines Ausrufers vergleichen lässt.692 Ebenso grotesk ist der Vergleich der in barocker Manier grollend gen Himmel gerichteten Blicke Hollands mit Kanonen (CR V. 325: 12).693 Das Grundmuster dieser doppelten ›Überzeichnung‹ gilt für eine Fülle literarischer ›Mimen-Karikaturen‹ der Rosciad, welche die Satire schon bald berühmt und berüchtigt machten.694 Hier seien nur noch zwei herausgegriffen, die in graphischen Karikaturen kaum darstellbare Elemente von Schauspielkunst mit textspezifischen Mitteln karikieren: Stimme und ›Timing‹.695 Die karikierte Stimme gehört Garricks späterem Biographen Arthur Murphy : His voice, in one dull deep unvaried sound, Seems to break forth from caverns under ground. From hollow chest the low sepulchral note Unwilling heaves, and struggles in his throat. (CR V. 567–570: 19)

570

692 Siehe II.1. 693 Die graphische Konkretisierung eines kriegerischen Blicks durch aus den Augen höhlen ragende Kanonen findet sich noch 1881 in einer Bismarck-Karikatur von Wilhelm Scholz (Guratzsch u. a.: Bild als Waffe, 127). 694 Für weitere ›Karikaturen‹ in der Rosciad siehe die Beispiele in McIntyre: Garrick, 63, 96, 305f. Die Wirkung des Textes wird greifbar in einer Reihe von Gegensatiren und Nachahmungen (siehe Broich: Mock-Heroic Poem, 212). 695 Zu Stärken und Schwächen der ›Schwesterkünste‹ hinsichtlich der Wiedergabe von Erscheinung und Tätigkeit des Schauspielers siehe I.5.2.

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

Zunächst ist festzuhalten, dass zur Beschreibung des Stimmeindrucks wieder die beiden soeben herausgearbeiteten Techniken der Karikierung missglückter Schauspielkunst zum Einsatz kommen: Zusammengedrängt werden asyndetisch gereihte Adjektive, die den unangenehmen Höreindruck umschreiben, und metaphorisch wird der Brustkorb (»chest«), in dem sich der Ton bildet, zum Sarg in unterirdischen Gewölben transformiert. Zu ergänzen ist, dass hier dumpfe Vokale und Diphthonge, teilweise durch Alliterationen unterstützt (»dull, deep«; »forth from«), den Höreindruck nachbilden. Zudem wird im Enjambement von Vers 569 zu 570 und der Tonbeugung »5nwilling heaves« das Gewaltsame der lautlichen Anstrengung metrisch umgesetzt. So nutzt Churchill die Möglichkeit ikonischer Nachbildung von Rezitation, ohne einen bestimmten gesprochenen Text zu zitieren oder – wie etwa Garrick in seiner parodistischen Bearbeitung des Rehearsal – zu erfinden.696 Die Karikatur des falschen ›Timing‹ gilt Garricks Rivalen Spranger Barry697 in der Hamlet-Geist-Szene: Some dozen lines before the ghost is there, Behold him for the solemn scene prepare. See how he frames his eyes, poises each limb, Puts the whole body into proper trim, From whence we learn, with no great stretch of art, Five lines hence comes a ghost, and, Ha! a start. (CR V. 907–912: 29)

Dies ist die einzige karikaturistische Ekphrasis der Rosciad, die nicht nur einzelne Elemente von Schauspielkunst herausgreift, sondern einen wenigstens kurzen szenischen Ablauf ›vor Augen stellt‹. Dabei kommen gleich mehrere der klassischen Kunstgriffe enargeischer Beschreibungskunst zum Einsatz (siehe I.2.), insbesondere Auswahl einer handlungsintensiven Szene und wiederholte Imaginationssignale, die sogar in einer – eigentlich Überraschung suggerierenden – Interjektion gipfeln. Die ›Partikularisierung der Aktion‹ erfolgt zwar nicht durch Requisiten, wohl aber durch Körperteile. Der Kunstgriff ›Plötzlichkeit‹ wird dagegen demonstrativ vermieden, entsprechend der mangelhaften Ausführung eines mimischen Mittels, das bereits im Katalog von Hollands ›plagiierten‹ Kunstgriffen genannt wurde: Gemeint ist der start, also der jähe, überraschende Einsatz proxemischer Bewegungszeichen.698 Schlimmer jedoch als die sklavische Nachahmung des start ist offensichtlich die gänzliche Miss696 Siehe II.3.2. 697 Anders als der mit zunehmendem Alter immer massiger werdende Quin war Barry hochgewachsen, attraktiv und verfügte über eine melodische Stimme (Thomson: Celebrity and Rivalry, 144) – für einen Garrick-Anhänger war es also umso wichtiger zu zeigen, dass er nicht verstand, diese Gaben der Rolle angemessen einzusetzen. 698 Terminologie nach Fischer-Lichte, siehe I.5.2.

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achtung dieses Kunstgriffs: Barry verfehlt damit seine Aufgabe, das Schrift-Bild des Dramentextes in eine Folge bewegter Bilder zu übersetzten. Als Schrift-Bild wird Shakespeares Text gleich zu Beginn dieser Passage durch die Formulierung »Some dozen lines« (nicht etwa »verses«) gefasst, also noch vor dem Imaginationssignal »Behold«. Dem entspricht im Schlussvers der Passage die Formulierung »Five lines hence«, die pointiert Zeit und Druckbild gleichsetzt. Damit kontrastiert die eigentlich Mündlichkeit suggerierende, hier ironisch gebrauchte Interjektion »Ha!«. Zwar sind Kontraste an sich ebenfalls ein Mittel von Ekphrasis im engeren Sinn, doch handelt es sich dabei um Kontraste auf einer Darstellungsebene, nämlich innerhalb der dargestellten Szene. Hier jedoch kollidieren explizit die Ebene des Textes und die Ebene seiner missglückten Umsetzung in ein ›bewegtes Bild‹. Zudem kollidieren zwei Ideale ›äußerer Bilder‹, die ein Schauspieler hervorzubringen hat: Die Verse »See how he frames his eyes, poises each limb,/Puts the whole body into proper trim«, bezeichnen ja durchaus treffend den Versuch barock-klassizistischer Schauspielkunst, ein eher statisches ›Körperbild‹ hervorzubringen, das dem Gestaltungsideal harmonischen Gleichgewichts folgt. Allerdings wird auch im Kontext barocker Schauspielkunst erwartet, dass die Zuschauer das fertige Körper-Bild bewundern, nicht seine Verfertigung.699 Schließlich ist die Passage unverkennbar ein Gegen-Bild zu Garricks berühmter Verkörperung derselben Szene, die immerhin bereits ihre literarische Spiegelung in der Reaktion von Fieldings Partridge-Figur gefunden hatte,700 wenngleich erst Lichtenbergs Beschreibung vorführt, wie effektvoll Garrick gerade hier die von Churchill verteidigten Kunstgriffe von »start« und »pause« einsetzt.

4.3

Kritik der bloßen Verzerrung

Was hier als ›karikaturistische‹ Variante von Mimen-Ekphrasis in der Rosciad bezeichnet wurde, beruht also auf Übertreibung und Inkongruenz; im Fall eines Vergleichs wie dem von Davies’ »mouthing« mit dem Benagen eines Knochens kann man getrost von ›Verzerrung‹ sprechen. Dennoch findet sich in der Rosciad eine leidenschaftliche Kritik an einer Strategie, die als »distort« apostrophiert wird, einem Stichwort, das auf Karikatur verweist.701 Konkreter Anlass ist die Kritik an Samuel Foote, der als Autor und Hauptdarsteller seiner Farcen die 699 Siehe Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 2, 56–69. 700 Siehe I.1.4. 701 Siehe Anm. 579. Den Einsatz karikaturistischer Verfahrensweisen bei englischen Komikern des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts sowie deren Darstellung in Karikaturen untersucht (allerdings etwas später einsetzend) Davis: Comic Acting und Portraiture.

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

›karikaturistische‹ Tradition des antiken »Mimus« weiterführte702 und von dem bezeichnenderweise eine anonyme Karikatur im Stil Leonardo Ghezzis erhalten ist.703 Churchill attestiert Foote durchaus eine beachtliche Verwandlungsgabe und bemüht sogar den schon zu Shakespeares Zeiten beliebten Vergleich mit Proteus (CR V. 398:14).704 Unmittelbar darauf aber folgt das Verdikt: His strokes of humour and his bursts of sport Are all contain’d in this one word, Distort. Doth a man stutter, look a-squint, or halt? Mimics draw humour out of Nature’s fault: With personal defects their mirth adorn, And hang misfortunes out to public scorn. (CR V. 399–404: 14)

Mit ›Verzerrung‹ meint Churchill also vor allem die verspottende Nachahmung körperlicher Defekte. Er argumentiert moralisch: Wer schon in seinem physischen Erscheinungsbild benachteiligt ist, darf nicht auch noch über Nachahmung dem öffentlichen Spott ausgesetzt werden. Mit überraschender Freimütigkeit lässt der Autor Churchill erkennen, dass hinter diesem Urteil eigene Ängste stecken: E’en I, whom Nature cast in hideous mould, Whom having made she trembled to behold, Beneath the load of mimicry may groan, And find, that Nature’s errors are my own. (CR 405–408: 15)

Wie berechtigt diese Befürchtung war und wie kulturgeschichtlich angemessen es ist, den Begriff der ›Verzerrung‹ um 1760 auf mimische, graphische und literarische Karikaturen zu beziehen, mag ein kurzer historischer Vorgriff zeigen: Im September 1762 attackierte Hogarth den neuen Premierminister William Pitt sowie seine publizistischen Gefolgsleute Charles Churchill und John Wilkes auf einem Stich, der in der niederländischen Tradition politisch-allegorischer Bildsatire steht, allerdings ohne Elemente von Porträtkarikatur einzusetzen.705 Wilkes spielte daraufhin Hogarths lebenslange Versuche, seine Kunst zu nobilitieren, gegen den Künstler aus:

702 Siehe Einf. 5 und II.1. In ihrem Aufsatz zum ›modernen Aristophanes‹ spricht Jane Moody ganz selbstverständlich von »Foote’s caricatures« (Moody : Stolen Identities, 68). 703 Siehe West: Image of the Actor, 133. 704 Zum Proteus-Modell in der frühen Neuzeit siehe Roach: Player’s Passion, 23–57. 705 Es handelt sich um die erste Platte von The Times, publiziert im September 1762, abgebildet und kommentiert in Hallet/Riding: Hogarth, 232f. sowie Hogarth: Graphical Works, 410 und 181f.

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I am grieved to see the genius of Hogarth, which should take in all ages and countries, sunk to a level with the miserable tribe of party etchers, and now, in his rapid decline, entering into the poor politics of the faction of the day, and descending to low personal abuse, instead of instructing the world, as he could once, by manly moral satire.706

Hogarth, weit davon entfernt, zu seinen moral modern subjects zurückzukehren, reagierte im Mai 1763 mit einer aggressiven Porträtkarikatur auf Wilkes, die besonders dessen Schielen grotesk übertreibt.707 Daraufhin publizierte Churchill im Juli 1763 eine Epistle to Hogarth, in der er seinen früheren Vorsatz, körperliche Gebrechen nicht satirisch zu nutzen, entschieden ignoriert und den sechsundsechzigjährigen Künstler, der im Sommer einen Schlaganfall erlitten hatte,708 als debiles Wrack darstellt. Dabei fällt wiederum die Verbindung von Karikatur und Allegorie auf: VIRTUE, with due contempt, saw HOGARTH stand, The murd’rous pencil in his palsied hand. […] With all the symptoms of assur’d decay, With age and sickness pinch’d, and worn away, Pale quiv’ring lips, lank cheeks, and fault’ring tongue, The spirits out of tune, the nerves unstrung, […].709

So geht es weiter. Hogarth wiederum publizierte im August 1763 seinen Kupferstich The Bruiser (Abb. 13) und denunzierte den zum politischen Pamphletisten gewordenen Kleriker »as a drunken, drooling performing bear, wearing a ripped clerical neck-band, clasping an ale-pot in his one paw and an unwieldy club – the club of satire, inscribed with lies and fallacies – in the other.«710 Es handelt sich um eine Umarbeitung von Hogarths berühmtem Selbstporträt mit Boxer – dieser ist geblieben und uriniert nun in Vertretung seines Herrn auf Churchills Spottgedicht. Auf der hier abgebildeten sechsten Fassung des mehrfach überarbeiteten Stichs findet sich rechts unten ein Bild im Bild,711 auf dem Hogarth einen Tanzbären (Churchill) und einen Affen (Wilkes) mittels Peitsche zur Räson bringt. Die Betitelung des Stiches schafft einen klaren Bezug zu Theater und Karikatur : »THE BRUISER; C. CHURCHILL (once the Revd !) in 706 The North Briton Nr. 17 vom 25. 9. 1762, zit. nach Hallet/Riding: Hogarth, 234. 707 Abgebildet und kommentiert in Hallet/Riding: Hogarth, 234f. sowie Hogarth: Graphical Works, 413, 183. 708 Siehe Hogarth: Graphical Works, 184. 709 Churchill: Poetical Works, 224, V. 411f., V. 419–422. 710 Abgebildet und kommentiert in Hallet/Riding: Hogarth, 236f. sowie Hogarth: Graphic Works, 414–416 und 183–185 (Kommentar); ich hier kann nur auf die letzte Fassung und wenige Aspekte von Hogarths Satire eingehen. 711 Hogarth nannte diesen Kunstgriff »a New PETIT-PIECE« (Hogarth: Graphic Works, 184).

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

Abb. 13: William Hogarth: The Bruiser, 7. Fassung (Kupferstich, 1763)

the Character of a Russian Hercules, Regaling himself after having Kill’d the Monstrous Caricatura that so Sorely Gall’d his Virtous friend the Heaven born WILKES. […]«712 Es war also nur ein kleiner Schritt von Churchills und Hogarths satirischer Praxis zu einem karikaturistischen Verfahren, das körperliche Schwächen des Gegners denunziatorisch ausnutzt, und beide konnten sich durchaus zu diesem Schritt hinreißen lassen. Doch wie Hogarths Verfahren sich überwiegend eben doch im Rahmen der Character-Karikatur hielt (siehe II.1), richten sich die 712 Zur genauen Erläuterung dieser Unterschrift und des hier übergangenen anschließenden Zitats siehe den Kommentar Hogarth: Graphic Works, 185.

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karikaturistischen ›Verzerrungen‹ der Rosciad in der Tat nicht gegen eine ungünstige Physis der Karikierten,713 sondern gegen mangelhafte actio. In mehreren Fällen wird sogar ein vorteilhaftes Aussehen mit einer erbärmlichen Spielweise kontrastiert. So heißt es über den Schauspieler Richard Yates: […] [T]hrough the regions of that beauteous face, We no variety of passion trace; (CR V. 735f.: 24).

735

Ein paar Verse weiter wird der Vorwurf ins Grundsätzliche gewendet: What’s a fine person or a beautous face, Unless deportment gives them decent grace? Bless’d with all other requisites to please, Some want the striking elegance of Ease; The curious eye their aukward movement tires; They seem like puppets led about by wires. (CR V. 741–744: 24)

745

Auf den Marionetten-Vergleich folgt die im 18. Jahrhundert so beliebte Gleichsetzung von Schauspielkunst und Bildhauerei,714 in diesem Fall jedoch karikaturistisch gewendet: Others, like statues, in one posture still, Give great ideas of the workman’s skill; Wond’ring, his art we praise the more we view, And only grieve he gave not motion too. (CR V. 746–750: 24)

750

In diesem Sinne wird auch die immer noch virulente Kritik an Garricks ›unheldisch‹ kleinem Wuchs zurückgewiesen. Churchill kontert sie gleich zweimal durch eine ›Karikatur‹ der Kritiker. Die erste ist Teil der bereits anzitierten ›Publikumsbeschimpfung‹ zu Beginn der Rosciad: Seated in pit, the dwarf, with aching eyes, Looks up, and vows that BARRY’s out of size; Whilst to six feet the vigo’rous stripling grown, Declares that GARRICK is another COAN. (CR V. 47–50: 4) 713 Das gilt sogar für die breit ausgeführten Karikaturen von Aspiranten für das Amt des Schiedsrichters. Thady Fitzpatrick etwa, Anstifter eines berüchtigten Theaterkrawalls im Januar 1763, wird sogar als zu schön und damit unmännlich denunziert: »Fearful it seem’d, tho’ of Athletic make,/ Lest brutal breezes should too roughly shake/ Its tender form, and savage motion spread/ O’er its pale cheeks the horrid manly red.« (CR 149–152: 7; die Verse wurden von Churchill in die achte Auflage eingefügt, siehe Komm. Churchill: Poems, 8). 714 Siehe Einf. 5.

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

Dem (wahrscheinlich gängigen) ›karikaturistischen‹ Vergleich Garricks mit dem seinerzeit berühmten ›Zwerg‹ John Coan aus Norfolk715 wird also die Karikatur eines hochaufgeschossenen Grünschnabels entgegengesetzt, der ebenso wenig von seiner eigenen Perspektive absehen kann wie ein zwergwüchsiger Kritiker des hochgewachsenen Spranger Barry.

4.4

Allegorisierende Beschreibungen gelungener Schauspielkunst

Auch die Kunst der Schauspielerin und Sopranistin Catherine (»Kitty«) Clive (1711–1785) wird ausdrücklich gepriesen, obwohl sie keine vollkommene Schönheit ist. Die ihr gewidmete Passage – mit der die Darstellung von Schauspielerinnen im Festzug eröffnet wird – zeigt darüber hinaus, dass, obwohl Garricks Schauspielkunst aus Churchills Sicht ›unbeschreiblich gut‹ ist, die Kunst einer brillanten Schauspielerin sich wenigstens allegorisierend rühmen, wenngleich nicht eigentlich beschreiben lässt: First, giggling, plotting chamber-maids arrive, Hoydens and romps, led on by Gen’ral CLIVE. In spite of outward blemishes, she shone; For Humour fam’d, and Humour all her own. Easy as if at Home, the stage she trod; Nor sought the critic’s praise, nor fear’d his rod; Original in spirit and in ease, She pleas’d by hiding all attempts to please. No comic actress ever yet could raise, On Humour’s base, more merit or more praise. (CR V. 685–694: 23)

Die Passage wird von zwei Allegorien gerahmt. Die erste schließt an die allegorische Grundkonstruktion des Festzuges an, der an den Schiedsrichtern vorbeizieht. Wenn die ›kichernd-intriganten Kammermädchen‹, die für das Typenfach der Soubrette in der Tradition der italienischen Columbina stehen,716 von ›General(in) Clive‹ kommandiert werden, signalisiert dies, dass sie ihr Typenfach in Vollendung verkörpert, deutet aber auch an, dass sie noch mehr zu bieten hat als ihre ›Truppe‹. Diese besondere Qualität wird explizit als ease, spirit und original[ity] bezeichnet, die Elemente von humour darstellen. Dieser Begriff, dessen Bedeutung hier zwischen ›Komik‹ und ›Laune‹ liegt, wird abschließend in eine Personifikationsallegorie überführt: Clive kann an der So715 Siehe Anm. 50 in Churchill: Poems, 4. 716 Den Begriff ›Typenfach‹ verstehe ich in Anlehnung an Bernhard Diebold als Verfeinerung der Kategorie ›Rollenfach‹ (siehe Diebold: Rollenfach, 36, zum Typenfach der Soubrette ebd. 38; 42; 133ff.).

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ckelbasis einer Statue des ›Humors‹ mehr Verdienste und Lobeshymnen häufen als jede ›komische Schauspielerin‹ vor ihr. Clive transzendiert das Typenfach der Soubrette also und wird zum Inbegriff des Rollenfachs Komödiantin. Diese die Mikroekphrasis abschließende Allegorie entspricht strukturell in auffallender Weise Joshua Reynolds’ Darstellung von Frances Abington as the Comic Muse aus dem Jahr 1768 (Abb. 14). Wie Clive sowohl humour besitzt als auch am ›Sockel‹ des humour Gaben darbringt, so verkörpert Abington laut Bildtitel selbst die Muse der Komödie, steht aber im Bild selbst an deren Statue, die allerdings nur verschattet und kopflos gezeigt wird. Auf einem Kupferstich von 1783 (Abb. 15) stützt sich Abington sogar auf einen leeren Sockel und markiert mit lässig herabhängender Komödienmaske ihren eigenen allegorischen Status.717 Dass sie auf beiden Bildern allenfalls verhalten lächelt, lässt sich mit Shearer West so deuten, dass es hier weniger um die komische Wirkung der Komödie geht als um ihren, mit der Tragödie verglichen, größeren Realismus.718

Abb. 14: James Watson: Mrs. Abington as Thalia Abb. 15: »Mr. Walker«: Mrs Abington, in the (Mezzotinto, 1769) nach Joshua Reynolds: Mrs. character of the Comic Muse (Kupferstich, 1783) Abington as the Tragic Muse (1768)

717 Ergänzend erinnert ein Satyr an der Vorderseite des Sockels an die satirische Funktion der Komödie. 718 West: Image of the Actor, 123f.; West diskutiert nur Reynolds Gemälde.

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Text und graphischen Bildern besteht in der Darstellung von ease. Abingtons betont lässige Haltung korrespondiert mit Vers 689: ›Sie bewegt sich auf der Bühne, als sei sie zu Hause.‹ Der Vers bildet einen starken Kontrast zum eben zitierten Vergleich statisch agierender Schauspieler mit Marionetten und vermittelt eine Idealvorstellung von Theater, die mit Diderots Vorstellung einer unsichtbaren ›vierten Wand‹ korrespondiert, durch welche die Zuschauer in die Privaträume der Figuren blicken.719 Darüber hinaus bezeichnet ease aber auch ein Verhaltensideal des Adels – der Begriff war im 18. Jahrhundert, wie Peter Burke bemerkt, die englische Entsprechung für das in Castigliones Libro del Cortegianio propagierte Ideal nachlässiger Eleganz, der sprezzatura.720 Insofern bedeutet die Beförderung Clives zur Generalin der Stubenmädchen auch, dass diese Komödiantin adligen Habitus auf der Bühne simulieren konnte.721 Etwas anders verhält es sich mit Abingtons Pose auf dem Porträt des berühmten Reynolds: Sie ist, wie Shearer West beobachtet, dem Darstellungsrepertoire modischer Gentlemen-Porträts entnommen und deutet somit meines Erachtens an, dass sich Abington auch jenseits der Bühne in der besten Gesellschaft bewegen konnte.722 Zurück zur Rosciad: Wenn Kitty Clive nachgerühmt wird, dass sie ›weder nach dem Lob des Kritikers strebte noch seine Zuchtrute fürchtete‹ (CR V. 690: 23), ist dies zwar sehr konkret mit Blick auf die Konkurrenzsituation des Theaters formuliert, entspricht aber ebenfalls dem sprezzatura-Ideal: Wer sich allzu offensichtlich um Lässigkeit bemüht, wirkt nicht lässig, sondern affektiert.723 Churchill lässt allerdings in der Schwebe, ob sich Clive (wie Vers 690 nahelegt) tatsächlich nicht für Lob und Tadel der Kritiker interessiert, oder ob sie (wie Vers 692 vermuten lässt) ihr Kalkül einfach sehr geschickt verbirgt. Rückblickend lässt sich festhalten, dass die vorgestellte Darstellung gelungener Schauspielkunst im komischen Rollenfach eine eher abstrakte Anschaulichkeit aufweist, nahe der Allegorie und abgesichert durch explizite Benennung jener Darstellungsideale, welche die Mimin erfüllt. Abschließend soll geprüft werden, ob es sich mit der Darstellung der Kunst großer Tragödinnen, für die, unmittelbar anschließend, gleich zwei Exempel geboten werden, ähnlich verhält. Zunächst der Beginn einer längeren Mikro-Ekphrasis von Susannah Maria Cibber :

719 Dazu umfassend Lehmann: Blick durch die Wand. 720 Burke: Fortunes of the Courtier, 126; grundsätzlich zu diesem Ideal Louis: Sprezzatura. 721 Immerhin war sie mit Händel, Johnson und Horace Walpole befreundet: zur Biographie siehe Joncus: Kitty Clive. 722 Siehe West: Image of the Actor, 123f., siehe auch II.5.6. Das Thema der sprezzatura wird in II.5.4 in Bezug auf Abington und Garrick weitergeführt. 723 Siehe Blanc: Affectation.

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Form’d for the tragic scene, to grace the stage With rival excellence of Love and Rage, Mistress of each soft art, with matchless skill To turn and wind the passions as she will; To melt the heart with sympathetic woe, Awake the sigh, and teach the tear to flow ; To put on Frenzy’s wild distracted glare And freeze the soul with horror and despair ; With just desert enroll’d in endless fame, Conscious of worth superior C[I]BB[E]R came. (CR V. 777–786: 25)

Schon syntaktisch hebt sich die Passage deutlich ab vom üblichen Stil der Rosciad, der zu Hypotaxe und epigrammatischer Zuspitzung tendiert. Erst ganz am Ende wird Cibbers Name genannt; zusammen mit dem alliterierenden Verb »came« bildet er einen denkbar knappen Hauptsatz, der eine lange Reihe nebensatzwertiger Appositionen und Partizipialkonstruktionen abschließt. Das entspricht der panegyrischen Grundhaltung: Shakespeares Lobrede auf Garrick ist ähnlich strukturiert (CR V. 1077–1090: 34; siehe II.4.1). Aus intermedialer Perspektive ließe sich formulieren, dass zunächst ein ›Porträt‹ geschaffen und dann gewissermaßen mit einer identifizierenden ›Unterschrift‹ versehen wird. Wie ist es gestaltet? Gerühmt wird zunächst die Eignung von Cibbers Physis für ein ›Verkörperungsbild‹, das nicht einer bestimmten Rolle gilt, sondern dem tragischen Rollenfach überhaupt. Dieses Bild wird näher bestimmt als Ausdruck zweier Leidenschaften, die, wie zitiert, bereits zu Beginn der Rosciad die äußersten Pole tragischer Darstellung bezeichnen: »love« und »rage« (CR V. 4f.: 3). Im Gegensatz zum formelhaften Heulen und Wüten der »buskin’de heroes« jedoch (CR V. 3: 3) wird Cibber gepriesen als unerreichte Meisterin in der ›Kunst‹, die Leidenschaften nicht nach überkommenen Mustern auszudrücken, sondern subtil zu modifizieren. Unklar ist jedoch, ob mit der folgenden Formulierung »To turn and wind the passions as she will« die Wirkung dieser Darstellung auf das Publikum gemeint ist oder ihre Selbstemotionalisierung im Sinne des Modells vom ›heißen Schauspieler‹. Nicht klar zuordnen lassen sich auch die folgenden Verse: Wenn es heißt, dass Cibber die Kunst beherrsche, ›das Herz durch mitleidiges Weh zu erweichen‹, scheint sich dies noch recht eindeutig auf die Zuschauerreaktion zu beziehen; nicht unwahrscheinlich ist auch, dass es das Publikum ist, dem ›Seufzer und Tränen‹ entlockt werden sollen. Doch dass sich das Publikum ›den wilden, abwesenden Blick der Raserei‹ wie eine Maske ›aufsetzen‹ soll, darf bezweifelt werden; ungleich plausibler scheint die Interpretation, dass es sich hier um die

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

mimische Darstellung einer Emotion handelt, die auf der tragödientypischen Ausdrucksskala von »love« bis »rage« bei letzterer anzusiedeln ist.724 Diese Vermutung bestätigt sich im folgenden Rollenporträt. Alicia ist eine Figur aus Nicholas Rowes Tragedy of Jane Shore (1714), deren Eifersucht in Wahnsinn umschlägt. Zudem wird deutlich, dass es Methode hat, wenn in den eben analysierten Versen die Grenzen zwischen Selbstemotionalisierung, daraus resultierender Darstellung von Leidenschaften auf der Bühne und der dadurch ausgelösten Emotionalisierung des Publikums unscharf sind. Gerade der Zusammenhang zwischen diesen Ebenen nämlich ist auch das Grundthema dieses Rollenporträts, wenngleich expliziter als Wechselwirkung markiert und diesmal nicht auf ›äußere‹, sondern auf ›innere Bilder‹ bezogen: When poor Alicia’s madding brains are rack’d, And strongly imag’d griefs her mind distract; Struck with her grief, I catch the madness too! My brain turns round, the headless trunk I view! The roof cracks, shakes, and falls! – New horrors rise, And Reason buried in the ruins lies. (CR V. 787–792: 25f.)

Die Rollenfigur wird zwar als mitleiderregend gekennzeichnet, ihr Verkörperungsbild jedoch überhaupt nicht beschrieben. Stattdessen übertragen sich die Mentalbilder der Wahnsinnigen725 auf ein ›Ich‹, das in diesem Fall weniger für eine extradiegetisch urteilenden kritische Instanz steht als für einen intradiegetischen Zuschauer, und werden zu Metaphern für emotionale Überwältigung durch ästhetische Illusion. Im nächsten Abschnitt wird die Emotionalisierung des Publikums nochmals dargestellt, jedoch in allegorisierenden Formulierungen: Nobly disdainful of each slavish art, She makes her first attack upon the heart: Pleas’d with the summons, it receives her laws, And all is silence, sympathy, applause. (CR V. 793–795: 26) 724 Siehe CR 4: 3, siehe auch II.4.2. 725 Die Metapher des zusammenstürzenden Daches schließt an Alicias Worte im 5. Akt an (V. 233–339, keine Szeneneinteilung): »This is her [mysery’s] house, where the sun never dawns,/ The bird of night sits screaming o’er the roof,/ Grim spectres sweep along the the horrid gloom,/ And nought is heard but wailings and lamentings./ Hark! something cracks above! – It shakes, it totters!/ And see, the nodding ruin falls to crush me!/ ’Tis fall’n, ’tis here! I feel it on my brain!« (Rowe: Jane Shore, 66, zu Entstehung und Rezeption siehe Harry William Pedicords Einleitung ebd. xiii–xxvii). Die Vision vom kopflosen Leib (V. 247f.) bezieht sich auf Lord Hastings, dessen Liebe Alicia verloren hat und der von Richard III. unter das Richtbeil gebracht wurde: »Ha! what art thou, thou horrid headless trunk?/ It is my Hastings! – See, he wafts me on! –« (ebd. 67).

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Der allegorische Modus begünstigt die Rückkehr zu Sprechkonventionen reflektierender Kritik. Spätestens, wenn in diesem Zusammenhang die Stichworte ›erfreut‹ und ›Gesetze‹ fallen, wird offenkundig, dass es insgesamt um eine wohlgeordnete Wirkungsdramaturgie geht, die den Gesetzen der ›ästhetischen Illusion‹ gehorcht: Nicht der Ruin der ›Vernunft‹ hat das letzte Wort, sondern kollektiver ›Applaus‹, der die durchlebten Affekte goutiert. Eher unklar bleibt aber, wie Cibbers ›Angriffe auf das Herz‹ sich konkret auf der Bühne manifestieren; nur die Formulierung »frenzy’s wild, distracted glare« verweist auf ausdrucksstarke Mimik in der Darstellung seelischer Extremzustände. Der Panegyrikus auf Hannah Pritchard ist ähnlich strukturiert wie das Lob für Cibber :726 Zunächst wird die natürliche Eignung der Mimin für die Bühne gerühmt (CR V. 803–808: 26), dann wird sie in einer Rolle – der gefangenen Maurenkönigin Zara aus William Congreves Morning Bride (1697) – vorgestellt (CR V. 809–818: 26), in der es ebenfalls um die Darstellung von »Love, Hate, Jealousy, Despair and Rage« geht (CR V. 812: 26). Doch wird im ersten Teil weniger Pritchards Physis thematisiert als ihre »person graceful and in sense refin’d« (CR V. 804: 26); sogar die Makellosigkeit ihrer Stimme wird, Physis auf Image beziehend, mit der ihres Ruhmes gleichgesetzt (CR V. 806: 26). Wenn es dann heißt, sie wisse »in majesty to please,/ Attemper’d with the graceful charms of ease« (CR V. 807f.: 26), ist ein deutlich anderer Akzent gesetzt als bei Cibber : Von Anfang an geht es nicht darum, Erschrecken hervorzurufen, sondern ›Gefallen‹, eine Kategorie, die, wie gesehen, auch für die Beurteilung der Komödiantin Clive zentral ist.727 Als Zara gefällt Pritchard folgerichtig nicht dadurch, dass sie ein extremes, sondern ein würdevolles Bild der Leidenschaften bietet: When Congreve’s favoured pantomime to grace, She comes a captive queen of Moorish race; When Love, Hate, Jelousy, Despair and Rage With wildest tumults in her breast engage; Still equal to herself is Zara seen; Her passions are the passions of a Queen. (CR V. 810–814)

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Die Passage ist zwar insofern wie die Beschreibung der Alicia-Rolle gegliedert, als zunächst in einem (hier sogar gedoppelten) »When«-Satz die Bühnenhandlung hinsichtlich der Rolle rekapituliert wird. Im Hauptsatz reagiert aber 726 Dazwischen tadelt Churchill Cibbers Ausflüge ins Gebiet der Komödie: Komische Rollen seien gegen ihre ›Natur‹ (CR V. 800: 26), siehe Lichtenbergs Kritik am Komödianten Thomas Weston, der sich als Tragöde versucht (II.5.2). 727 Im Gegensatz zu Cibber wird Pritchard denn auch anschließend als Komödiantin gewürdigt, obwohl einige Kritiker sie »for Comedy too fat and old« finden (CR V. 819–852: 26f., hier CR 820: 26); Churchill betont dagegen ihre »perfections of the mind« (CR V. 846: 27) und stellt sie in dieser Hinsicht sogar auf eine Stufe mit Garrick (CR V. 852: 27).

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kein ›Ich‹ auf die Rollendarstellung, sondern es wird eher distanziert das ›Gesamtbild‹ der Rolle zusammengefasst: Ihre Leidenschaften sind die einer Königin. Anders wiederum verhält es sich mit der unmittelbar anschließenden Beschreibung einer weiteren Verkörperung: When she to murder whets the tim’rous Thane I feel ambition rush through ev’ry vein; Persuasion hangs upon her daring tongue, My heart grows flint, and every nerve’s new strung. (CR V. 815–81: 268)

Das Drama brauchte nicht eigens genannt zu werden, war doch Lady Macbeth eine Paraderolle Pritchards, mit der sie sich sechs Jahre später von der Bühne verabschieden sollte – auf das aus diesem Anlass entstandene Gemälde Johan Zoffanys (Abb. 2) wurde bereits hingewiesen (I.1.4, II.3.2). Der die Rolle rekapitulierende »When«-Satz ist hier nur einen Vers lang; umgehend folgt die Reaktion des intradiegetischen ›Ich‹. In diesem Fall identifiziert es sich nicht mit der Figur der Beschriebenen, sondern mit der ihres Mitspielers Garrick (in Macb. 2.2). Das Stichwort »persuasion« stellt ihre Schauspielkunst in den Zusammenhang der Rhetorik, doch obwohl die Rede insgesamt als ›überzeugungsmächtig‹ und ›kühn‹ gekennzeichnet wird, erfährt der Leser nichts über Einzelheiten der Deklamation oder der sonstigen actio. Vergleicht man Churchills Darstellung gelungener komödiantischer und tragischer Kunst, lässt sich festhalten, dass auch im zweiten Fall die erreichten Darstellungsziele benannt und mit allegorischer Tendenz vermittelt werden. Allerdings sind die Allegorien im zweiten Fall diskreter gestaltet und schließen enger an Physis und Verkörperungsbild an. Zudem werden auch Rollen erwähnt, doch ohne dass die Verkörperungsbilder konkret beschrieben würden; stattdessen geht es um die Wirkung auf die Zuschauer, die teilweise durch ein intradiegetisches ›Ich‹ vertreten werden. Auch Churchills verbale Tragödinnen-Porträts weisen bezeichnende Ähnlichkeiten mit einem späteren Gemälde von Joshua Reynolds auf: Sarah Siddons as the Tragic Muse von 1784 (Abb. 16). Die Verschmelzung von Physis und Allegorie geht darin so weit, dass die Zeitgenossen darüber spekulierten, ob Siddons vom Maler so positioniert wurde oder, wie eine Anekdote erzählt, sich zu Beginn der Sitzung einfach erschöpft in den Stuhl warf. Dass Ersteres der Fall ist, legt die Ähnlichkeit mit der Pose von Michelangelos Propheten Jesaja in der Sixtinischen Kapelle nahe. Doch gibt es auch eine Parallele zu dem bei Churchill herausgestellten Aspekt der

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Abb. 16: Joshua Reynolds: Mrs. Siddons in the Character of the Tragic Muse (Ölgemälde, 1787)

Wirkung: Die ›tragische Muse‹ wird von Personifikationsallegorien der Aristotelischen Wirkungsdispositionen fear and pity flankiert.728 Nun soll hier keineswegs behauptet werden, dass Reynolds Gemälde von Churchills Rosciad angeregt worden seien oder auch nur auf sie anspielten. Wohl aber verweisen sie auf eine größere, Text, Bild und Bühne übergreifende Tradition im England des 18. Jahrhunderts, gelungene Schauspielkunst allegorisch zu fassen und als ›Verkörperung‹ von Wesenszügen der dramatischen Großgattungen Komödie und Tragödie zu verstehen. Zwischen Churchills Text und Reynolds Porträts steht – systematisch wie chronologisch – das von Garrick 1769 inszenierte Shakespeare-Jubilee, eine dreitägige Feier in Stratford-on-Avon zum zweihundertjährigen Geburtstag Shakespeares, die allerdings im September statt im April stattfand.729 Höhepunkt sollte ein großer Umzug sein, bestehend aus Figuren aus Shakespeares beliebtesten Dramen.730 Garrick schließt damit – wie Churchill – an die Tradition höfischer Feste und Festzüge an, die ab 1710 in den masquerades des Londoner Haymarket Theatre wiederbelebt und popula728 Der Hinweis auf Michelangelo und die Identifikationen der doppelten Katharsis-Allegorie nach West: Image of the Actor, 113–115. 729 Dazu eingehend McIntyre: Garrick, 412–432. 730 »[T]wo hundred and seventeen walkers stood ready to march, most of them dressed as Shakespearean characters, the rest got up in mythical attire.« (McIntyre: Garrick, 426).

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

risiert wurden. Der Umzug in Stratford fiel allerdings einem sintflutartigen Regen zum Opfer. Doch griff Garrick eine Anregung des Malers (!) Benjamin Wilson auf und schrieb eine kurze Komödie, The Jubilee, die den Vorwand dafür lieferte, den Festzug in seinem Londoner Drury Lane-Theatre ab 1769 mit allem Pomp auf die Bühne zu bringen.731 Der Zug bestand aus neunzehn Abteilungen, die jeweils ein Shakespeare-Drama repräsentierten; zumeist traten die Darsteller in den Rollen auf, in denen sie das Drury-Lane-Publikum bereits kannte.732 Obwohl The Jubilee als after-piece zu einer deutlich längeren Komödie gegeben wurde, avancierte dieses Nachspiel zum größten Bühnenerfolg des 18. Jahrhunderts.733 In unserem Zusammenhang ist festzuhalten, dass darin nicht nur Shakespeare-Figuren auftraten, sondern auch Personifikationsallegorien. So folgte dem Wagen von Antonius und Kleopatra ein Rachedämon mit brennender Fackel, und der Wagen der tragischen Muse wurde von sechs Furien gezogen, begleitet von Ruhm, Kummer, Mitleid, Verzweiflung und Wahnsinn.734 In einer Wiederaufnahme des Jubilee von 1785 wurde die tragische Muse von Sarah Siddons verkörpert, die wiederum ihr Reynolds-Porträt nachstellte.735 Das Jubiläum in Stratford markiert nicht alleine den Beginn der bis heute anhaltenden bardolatry, es diente auch dazu, Garrick gewissermaßen als dramatischen Statthalter Shakespeares in Szene zu setzen. So zeigt ihn Caroline Watsons Kupferstich vom 1. März 1783 nach Robert Edge Pines verloren gegangenem Gemälde David Garrick delivering his Ode to Shakespeare (Abb. 17)736 zu Füßen der von ihm gestifteten Shakespeare-Statue John Cheeres,737 auf die sich links die Muse der Tragödie stützt; links von ihr ist nochmals Garrick zu sehen: als Macbeth in der Dolchszene und als Lear. Ob Fama im Hintergrund mit

731 Siehe McIntyre: Garrick, 427–445. 732 Den Plot des Jubilee fasst Garrick in einem Brief an Reverend Evan Lloyd vom 4. 12. 1796 zusammen: »I suppose an Irishman […] to come from Dublin to See ye Pageant – he is oblig’d to lye in a post Chaise all Night – undergoes all kind of fatigue & inconvenience to see ye Pageant, but unluckily goes to Sleep as ye Pageant passes by ; & returns to Irleand without knowing any thing of ye Matter«. (Garrick: Letters 2, 675–677, hier 675). Im Kontrast zu dieser schwankhaften Handlung steht der prächtige Festzug aus neunzehn Abteilungen, die Szenen aus Shakespeare-Dramen darstellen; Garrick erschien als Benedick aus Much Ado About Nothing (siehe Brewer : Pleasures of the Imagination, 327). 733 McIntyre: Garrick, 437. 734 McIntyre: Garrick, 439. 735 West: Image of the Actor, 114. 736 Siehe Garrick: An Ode. Abbildung und Kommentar in Pressly : Shakespeare Paintings, 216 (Fig. 78); das Entstehungsjahr des Gemäldes ist unklar, doch ist überliefert, dass es 2,43 x 2,13 m (8 x 7 ft.) groß war. Eine weitere Abbildung findet sich in Lennox-Boyd: Age of Garrick, 123; der Kommentar deutet das Bild allerdings in Unkenntnis des Titels ausschließlich allegorisch, ohne auf das Shakespeare-Jubiläum einzugehen. 737 Es handelt sich um den Bruder des berühmteren Henry Cheere, der an Scheemakers Shakespeare-Statue in Westminster Abbey mitgearbeitet hatte (McIntyre: Garrick, 413f.).

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ihren Trompetenstößen den Ruhm des Schauspielers oder den des Dichters verkündet, ist schwer zu entscheiden.

Abb. 17: Caroline Watson: David Garrick delivering his Ode to Shakespeare (Kupferstich, 1783) nach dem Gemälde von Robert Edge Pine

224

Enargeia, Allegorie und Karikatur

5.

»Dieser Herr Bediente«: Karikatur, Enargeia und Präsenz in Lichtenbergs Briefen aus England (1775–1778)

5.1

Der Rahmen: ostentative Abschweifung und heimliche Ordnung

Den großen Erfolg von Churchills Rosciad bezeugt eine Fülle von Gegen-Satiren und Nachahmungen; Schauspielkritik in heroic couplets wurde um 1800 geradezu eine Unterabteilung der englischen Verssatire.738 Man darf deshalb annehmen, dass auch Lichtenberg bei seiner ausgedehnten Kenntnis der englischen Gegenwartsliteratur739 und seinem lebhaften Interesse für Garrick mit ihr vertraut war, als er 1775 seine Briefe aus England verfasste, die ihrerseits zum großen Vorbild für deutsche Mimen-Ekphrasen avancierten.740 Zudem waren Churchill und Lichtenberg gleichermaßen darauf bedacht, ihre Verfahrensweise gegen die der Karikatur abzugrenzen, gerade weil sie so deutlich in deren Richtung tendierte.741 Für Lichtenberg ist dies noch zu zeigen; zunächst aber sollen einige strukturelle Besonderheiten der Briefe vor dem Hintergrund der Rosciad herausgearbeitet werden. Als Ausgangspunkt dienen die Einleitungssätze des ersten Briefes: London, den 1. Oktob. 1775 Ihr Verlangen, mein liebster B., Ihnen etwas von Herrn Garrick zu schreiben, kann ich nun hoffentlich besser befriedigen, als damals, da Sie es zum erstenmal gegen mich äußerten. Ich hatte diesen außerordentlichen Mann zu der Zeit gerade zweimal gesehen, und das war zu wenig, um ihn ruhig zu beobachten, und nicht lange genug her, um einem Freund darüber zu schreiben. Hier kommen nun einige Bemerkungen; nicht alle; Sie sollen künftig die übrigen haben, wenn Sie wollen; Beobachtung und Raisonnement durch einander, und wahrscheinlicher Weise mehr Ausschweifung als beide zusammen; alles, wo möglich, gerade weg, ich meine in der Ordnung und mit den Ausdrücken, die mir die Laune der Minute darbietet, in welcher ich schreibe. (LBE: 326)

Zunächst fallen vor allem Unterschiede zwischen dem hier entworfenen Programm und dem der Rosciad ins Auge: Nicht mit einem ausgefeilten Langgedicht haben wir es zu tun, sondern mit Briefen, die sich in jeder Wendung wie im 738 Bereits 1761 erschien anonym The Anti-Rosciad (1761), gefolgt von The Smithfield Rosciad (1763), The Rational Rosciad (1767) und The Siddoniad (1784), siehe Broich: Mock-Heroic Poem, 212. 739 In seiner Erläuterung zur dritten Platte von Heirat nach der Mode erzählt Lichtenberg knapp, wie »der unglückliche Zwist« zwischen Hogarth und Churchill (siehe II.4.3) verlief (LSB 3: 933f., hier 933). Zum Ausgleich zitiert er mehrfach (ebd. 659, 727, 819) die Verse 567f. aus der Epistle to William Hogarth: »HOGARTH unrivall’d stands, and shall engage/ Unrivall’d praise to the most distant age« (Churchill: Poetical Works, 228). Sie beziehen sich dort allerdings nur auf die Bilderzyklen. 740 Siehe Einf. 1; LSB 3/Komm: 150f. 741 Siehe II.1 und II.4.3.

»Dieser Herr Bediente«

225

gesamten Aufbau programmatisch an der »Laune der Minute« ausrichten.742 Insbesondere bieten die Briefe aus England keine allegorisierende Rahmenhandlung, die nach Art einer Bildsatire im zeitlichen Ungefähr zwischen Antike, Renaissance und Gegenwart spielen würde, sondern sind präzise datiert und in einer realen Situation verankert: Lichtenberg schreibt von einer Englandreise an seinen im Untertitel genannten Freund Heinrich Christian Boie.743 Historischer Autor und homodiegetische Sprechinstanz fallen von Anfang an zusammen, und immer wieder wird der Adressat angesprochen, der sogar den Schreibanlass liefert: Boie hat Garrick noch nie spielen sehen und will nun wenigstens etwas über ihn lesen; die deutsche Leserschaft, die diese Voraussetzungen zumeist teilt, ist eingeladen, sich mit dieser Position zu identifizieren. Zudem ist die Behauptung von Garricks Überlegenheit nicht Ziel-, sondern Ausgangspunkt von Lichtenbergs Text; im Vordergrund steht nicht die Evidenzfunktion von Mimen-Ekphrasis, sondern die Substitutionsfunktion (siehe I.4). Auf den zweiten Blick aber gibt es zwischen dem 1761 und dem 1775 verfassten Text auch bemerkenswerte Analogien. Insbesondere lässt die Doppelformel »Beobachtung und Raisonnement« erkennen, dass auch in den Briefen die Darstellung von Schauspielkunst und die Reflexion über sie verbunden werden sollen, bei Lichtenberg allerdings stärker im Sinn der analytischen Funktion. Zudem stellt die Aufgabe, über den »außerordentlichen Mann« Garrick zu schreiben, wie bei Churchill ein Problem dar, wenn auch nun ein prinzipiell lösbares. In der Rosciad heißt es: »Whilst in each sound I hear the very man,/ I can’t catch words, and pity those who can« (CR V. 1061f.: 33), in der Einleitungspassage des ersten Briefes wird aus dem ›während‹ bzw. ›obwohl‹ ein »damals«. Dass Garricks Spiel »damals« auch den Zuschauer Lichtenberg in emotionale Unruhe versetzt hatte, lässt sich ex negativo aus dem zweifachen 742 Wie Harald Kämmer gezeigt hat (Kämmerer: Satire und Satiretheorie, 48–55), war ›Laune‹ neben ›Humor‹ in der deutschen Aufklärung die Standardübersetzung des englischen humour. Dieser wurde meist »als Merkmal für typisch englischen Individualismus« verstanden (ebd. 49), mitunter aber auch für deutsche Autoren proklamiert. 743 Dennoch dürften die Briefe mit Blick auf eine Publikation verfasst worden sein, sind sie doch auf der Grundlage von Tagebuchaufzeichnungen sorgfältig komponiert. So gibt es je einen Eintrag zum Besuch der Hamlet-Vorstellung am 2.12. und am 12. 12. 1774 (Lichtenberg in England 1, 46–57, 58–64); beide enthalten außer dem Rollenporträt bereits etliche Elemente des Schauspielerporträts von Garrick. Wie Hans Ludwig Gumbert bemerkt, »verläßt Lichtenberg den Notizenstil des Tagebuches, von dem er bisher kaum abgewichen ist. […] Die eingehende Analyse von Garricks schauspielerischer Leistung zeigt eine […] neue literarische Dimension. Sie würde, auch wenn wir nichts von den Briefen aus England wüßten […], als der Versuch zu einem abgerundeten Schauspielerporträt zu uns sprechen« (ebd. 2, 48). Ob die Briefe aus England dennoch zunächst handschriftliche an Boie gelangten, ist unklar ; Albrecht Schöne und Ulrich Joost haben sie jedenfalls in ihre Ausgabe von Lichtenbergs Korrespondenz aufgenommen (Lichtenberg: Briefwechsel 1, 534–556, 582– 602).

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

adverbialen Gebrauch von »ruhig« schließen: Lichtenberg braucht zeitlichen Abstand, »um an einen Freund ruhig darüber zu schreiben«, und er muss Garrick öfters sehen, »um ihn ruhig zu beobachten«. Unter diesen Voraussetzungen aber ist es durchaus möglich, auch »etwas von Herrn Garrick zu schreiben«, das dessen Schauspielkunst vor Augen stellt und analysiert. Dies geschieht nun, wie angekündigt, in ostentativ unsystematischer Manier :744 Lichtenberg beschreibt Garrick in diversen Rollen, geht aber auch – wiederum Churchill nicht unähnlich – auf dessen Kolleginnen und Kollegen ein, erzählt Anekdoten, berichtet über einen Ausflug in die Oper am Haymarket und kommentiert nebenbei auch kurz (und recht positiv) die Situation der deutschen Schauspielkunst (LBE: 337f.). Während jedoch Churchill die klare Struktur seiner erzählten Allegorie durch allerlei thematische Abschweifungen auflockert,745 mildert Lichtenberg die Unordnung seines Textes durch diskret befolgte Ordnungsprinzipien. Gemeint ist hier vor allem die mehrfach zitierte Abwechslung zwischen Garricks »Porträt als Garrick« und als Hamlet (LBE: 340); letztere wird durch die Beschreibung weiterer Rollenverkörperungen Garricks ergänzt, alle sind orientiert an der Leitfrage, worin Garricks Außerordentlichkeit bestehe. Auch die Beschreibung von Garricks Kollegen (manche nur in ›Rollenporträts‹, andere nur in ›Schauspielerporträts‹, manche in beiden Varianten) dienen dazu, dessen Leistung schärfer zu profilieren. Diese Zusammenhänge gilt es bei der folgenden Analyse zu beachten. Leitend ist die Frage, wie weit auch bei Lichtenberg, trotz seiner Abwehr des Vossischen Karikaturen-Vorwurfs (siehe II.1), Analogien zu ›karikaturistischen‹ (und allegorischen) Verfahren nachweisbar sind. Von hier aus lässt sich die Enargeia von Lichtenbergs MimenEkphrasen, die in Kapitel I anhand der Hamlet-Geist-Beschreibung in die großen Zusammenhänge von ›Beschreibungskunst‹ und ›Kunstbeschreibung‹ gestellt wurde, auf der Grundlage der Briefe insgesamt in spezifischen kunst- und theatergeschichtlichen Zusammenhängen des 18. Jahrhunderts analysieren.

5.2

Spöttische Porträtkarikatur: Oper und Rollenfach-Überschreitung

Vor dem Hintergrund der Beobachtungen zu Garricks Essay on Acting und Churchills Rosciad soll zunächst gefragt werden, welchen Stellenwert Analogien 744 Bedenkt man, dass die beiden in der vorigen Fußnote erwähnten Tagebucheintragungen bereits ein recht umfangreiches Rollenporträt von Garrick als Hamlet bieten, einschließlich der Szene mit Ophelia und Elementen des Schauspielerporträts, offenbart sich in der Verteilung dieses Rollenporträts über die Briefe hinweg und im Wechsel zwischen Schauspieler- und Rollenporträt eine gezielte Strategie, die spontanes Schreiben suggerieren und Abwechslung bieten soll. 745 Etwa mit Reflexionen über die satirische Waffe des distort (siehe II.4.3).

»Dieser Herr Bediente«

227

zur Porträtkarikatur im engeren Sinn und mit herabsetzender Tendenz in Lichtenbergs Briefen besitzen.746 Sie lassen sich nur an zwei Stellen nachweisen, die aber in Verfahren wie Gegenstand umso aufschlussreicher sind. Erstes Angriffsziel ist die italienische Oper. Eingeleitet durch ein typisch ekphrastisches Imaginations-Signal, wird die Sängerin Caterina Gabrielli (1730–1796), die in der Haymarket-Opera einen Gastauftritt hat, vor Augen gestellt: Stellen Sie sich unter Gabrielli eine Frau vor, mit rundlichem Gesicht, viel eher klein als groß, und der bereits die Tag- und Nachtgleichen des Lebens aus den Augen sehen; die schlechterdings keine Aktion hat, und im Vertrauen auf ihre Stimme ihre Arien, 34 des Gesichts gegen die Zuschauer gewandt, abgurgelt, oft bei schiefgedrehtem Hals, mit den Augen auf eine individuelle Loge gerichtet, so haben Sie sie ganz. (LBE: 364)

Und etwas später heißt es über einen Kastraten: Statt des virgilischen Aeneas und des wackern Montezuma, der 200 schwangere Gemahlinnen auf einmal hatte, sehe ich hier einen gemästeten Hämling mit Waden bis an die Fersen, die Hand an ein schlappes Herz gelegt, hoch von Liebe trillern, daß sich die Steine erbarmen mögten. (LBE: 365)

Beide Passagen weisen deutliche Analogien zu der in II.3.1 behandelten Karikatur auf (Abb. 10), die der Hogarth-Kenner Lichtenberg zumindest über dessen Stich Masquerades and Operas gekannt haben dürfte:747 die Betonung der steifen Haltung, die groteske Verzerrung der Physis und der Kontrast zum Verkörperungsbild einer tragischen Rolle, letztere in der graphischen Karikatur präsent durch den übergroßen Helmbusch rechts, in der verbalen Karikatur durch die explizite Nennung zweier Heldenrollen. Dazu kommt die Aufrufung des Tierschemas – graphisch durch die Vogelsilhouette Berenstadts, verbal durch den Vergleich zwischen Kastrat und verschnittenem Widder, der in aufklärerischer Opernkritik nahezu topisch war.748 Zu diesen auf Visualität zielenden Verunglimpfungen kommt bei Lichtenberg die Verzerrung des akustischen Eindrucks (›abgurgeln‹/steinerweichend »trällern«), den die graphischen Karikatur nicht anzudeuten versucht. 746 Beides gehört nicht zwangsläufig zusammen: Die ersten Porträtkarikaturen im päpstlichen Kreis waren Spielereien unter Freunden (siehe Guratzsch u. a.: Bild als Waffe, 93, mit Literaturangaben), und auch den englischen Kavaliere, die sich in Venedig von Ghezzi karikieren ließen, darf man eher Selbstironie als Masochismus unterstellen (ebd. 104ff., mit Literaturangaben). Dennoch sollte für den weiteren Verlauf in England die Verbindung von Porträtkarikatur und Polemik prägend werden (Döring: Frühe englische Karikatur; Busch: Englische Karikatur ; Donald: Age of Caricature). 747 Hogarth: Graphic Works, 230. Lichtenberg hat diesen Stich zwar nicht erläutert, schreibt jedoch am 23. 12. 1776 an Daniel Chodowiecki, er besitze »Hogarths Werke selbst ganz vollständig« (LSB 4: 282–285, hier 284). 748 Siehe Lichtenbergs Kommentar zum »Hämling Carestini« auf der vierten Platte von Hogarths Heirat nach der Mode (LSB 3: 951).

228

Enargeia, Allegorie und Karikatur

Solch drastisch-karikaturistische Stellen sind jedoch untypisch für die Briefe aus England – sie bleiben reserviert für die »Nuß im Flittergold einer Welt«, die italienische Oper am Haymarket, die nur den düsteren Hintergrund abgibt für »die Welt in einer Nuß«, das heißt die großen Theater Coventgarden und vor allem Drury Lane (LBE: 362).749 Allerdings gibt es auch im Rahmen der realistischeren Bühnenkunst mehr oder weniger Gelungenes. Doch nutzt Lichtenberg die Darstellung missglückter Schauspielkunst vor allem dazu, die gelungene Schauspielkunst, an deren Ergründung er primär interessiert ist, im Gegen-Bild schärfer zu profilieren. Dies gilt auch für folgende Passage, in der berichtet wird, wie der Komödiant Thomas Weston sich einmal an der Rolle Richards III. versucht hat. Wohlgemerkt: Lichtenberg kennt Westons Debakel nur vom Hörensagen, lässt sich davon aber trotzdem zu gleich zwei Einfällen inspirieren, die einmal mehr die Verwandtschaft von Karikatur und Parodie im 18. Jahrhundert bezeugen.750 Zunächst wird das mentale Bild einer Karikatur assoziiert: »Mir fiel, als ich es hörte, der Affen-Laokoon ein, wo sich die Schlange um drei Affen, Vater und Söhne schlingt, die alle drei erbärmlich zusammen schreien. Es mag toll hergegangen sein. –« (LBE: 354) Die Assoziation mit dem auf Tizian zurückgehenden »Affen-Laokoon« (Abb. 18)751 verweist auf das elementare karikaturistische Verfahren, ein Ideal – hier die antike Statue bzw. die tragische Rolle – mit einem als negativ oder lächerlichen konnotierten Schema zu kontrastieren. Das Schema des Affen ist insofern sinnig gewählt, als Schauspielerei gerne mit ›Nachäffung‹ verglichen wurde.752 Lichtenberg setzt nun die Erzählung seiner Anekdote fort und lässt sie in eine Kurzparodie münden: 749 Lichtenberg lässt keinen Zweifel daran, dass seine Ablehnung der italienischen Oper grundsätzlicher Natur ist: »In einem Kopf, an welchem ein solches Paar ungeübter, oder vielleicht unverwöhnter Ohren sitzt, wie der meinige, kann der feine Kitzel einer komplizierten Musik unmöglich die schmerzhaften Stiche auch nur mildern, die ihm die überschwenglichen Absurditäten der italienischen Oper alle Augenblicke geben muß [sic].« (Lichtenberg. Schriften und Briefe 3, 365) Obwohl sich der Bericht von Lichtenbergs Ausflug in die Opernwelt im letzten Drittel des letzten Briefes findet, lässt Lichtenberg deshalb die Briefe programmatisch ausklingen mit einem Porträt der Ballerina Giovanna Ba(c)celli (ebd. 365f.) und einem konzentrierten Rollenporträt von Macklin als Shylock (ebd. 366f.). 750 Dazu kommt eine dritte beliebte Form pointierter Darstellung, die noch zu diskutieren ist: die Theateranekdote (II.5.7). 751 Das Blatt entstand zwischen 1540 und 1550 und wird heute im Allgemeinem Niccolk Bodrini zugeschrieben, der für Tizian arbeitete; ob von diesem die Vorlage stammt, ist unklar. Umstritten bleibt auch, ob sich der Spott gegen die Statue oder ihre Nachahmer richtet (siehe den Kommentar von Christina Eifler und Manfred Luchterhandt in: Bergemann u. a.: Abgekupfert, 260f.). 752 So werden Schauspieler, die sich gegen Kritik verwahren, in der Rosciad beschieden, sie seien »things,/ Which, less than nothing, ape the pride of kings« (CRV. 503f.: 17). Allerdings bezeichnen Affen in der Karikatur oft genug auch bildende Künstler und Autoren (Stei-

»Dieser Herr Bediente«

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Abb. 18: Niccolk Boldrini (zugeschr.): Karikatur des Laokoon, sog. Affenlaokoon (Holzschnitt, 1540–1550)

Als er am Ende starb, so bestund das Volk darauf, er sollte wieder aufstehen, und noch einmal sterben, und das vermutlich mit einem Getöse, das wohl einen Toten hätte auferwecken können. Der hätte in dem bekannten Monolog sagen müssen: an ass, an ass, a Kingdom for an ass! (LBE: 354)

Lichtenberg gewinnt der vorgegebenem Anekdote, in der die publikumsseitige Aufhebung ästhetischer Illusion angesichts von Westons unfreiwilliger RollenParodie thematisiert ist, noch eine weitere Pointe ab, indem er gespielten und tatsächlichen Tod scherzhaft verwechselt. Das ist strukturell vergleichbar mit der intermedialen Metalepse der Anonymous funeral elegy, die allerdings das genaue Gegenteil bezeugen soll, nämlich die völlige Illudierung des Publikums durch Burbages ›lebendige‹ Darstellung des Sterbens (II.2.2). Inwiefern Weston seine Aufgabe verfehlt, wird nicht erläutert. Stattdessen bietet Lichtenberg einen weiteren Einfall, der – wie das parodistische Macbeth-Zitat des Essay on Acting – mit dem Parodie und Karikatur gemeinsamen Mittel der Substitution (Esel statt Pferd) arbeitet, einhergehend mit einem abrupten Wechsel vom hohen zum niederen Stil.753 gerwald: Äffische Nachahmung), doch ist der Vergleich für Schauspieler noch sinnfälliger, da das Medium ihrer Mimesis der eigene Körper ist. 753 Siehe Rotermund: Parodie, 18.

230 5.3

Enargeia, Allegorie und Karikatur

Karikaturistische Stilisierung und character-Karikatur als mimische Verfahren

Lichtenbergs Spott trifft allerdings nur Westons Verirrung ins tragische Fach – als Komödiant schätzt er ihn durchaus. So ist der Tiervergleich im folgenden Rollenporträt – das diesmal auf Lichtenbergs eigener Beobachtung beruht – durchaus positiv gemeint: In den Rival Candidates […] sprach er […] den Epilog in Gesellschaft eines großen Hundes, den er am Ring des Halsbandes hält, und der ihm fast bis an die Hüfte reicht. Es ist ein allerliebstes Tier, und klotzt [sic!] seinem drolligen Führer, während er spricht, zuweilen so menschlich hinauf ins Gesicht, und dieser streichelt ihn wieder mit so vieler Herablassung, daß niemand zwischen beiden die Seelenvereinigung verkennen kann. (LBE: 354)

Lichtenberg berichtet nun, wie Weston sich einmal weigerte, diesen Epilog zu sprechen und erst auftrat, als das wütende Publikum begann, das Theater zu demolieren. Weston schaffte es schließlich, die Zuschauer durch eine improvisierte Textänderung zu stürmischem Beifall zu bewegen. Jedoch: »Alles das machte auf Westons Gesicht nicht so viel Veränderung als auf einer Ofenplatte. Da war keine Freude, keine innere Satisfaktion; gar nichts, so wenig, als auf dem Gesicht seines vierbeinigen Freundes.« (LBE: 355) Ofenplatte und Hund – beide Vergleiche für Westons gleichbleibende Miene wirken zwar enthumanisierend, sind aber strukturanalog zu jener Technik, mittels derer der Komiker selbst sich stilisierend absetzt von der Mimesis des ›natürlichen‹ menschlichen Mienenspiels (eine Technik, die noch Buster Keaton einsetzt).754 Zudem verdeutlichen die Metaphern je verschiedene Wirkungsaspekte, die diese Technik hervorruft: den Eindruck des Unbelebt-Starren und den Eindruck des ›Drolligen‹, den Lichtenberg in seinen Kommentaren zu Hogarth besonders häufig verwendet, wenn es um komische Kombinationen graphischer Elemente geht.755 Genau in diesem Sinn betont ein Stich von Philip James de Loutherbourg756 ebenfalls die Ähnlichkeit von Weston und seinem Hund, ohne eine diffamierende Tendenz erkennen zu lassen (Abb. 19).757 754 Damit schaffen beide eine die jeweilige Rolle transzendierende Figur, die sich jedoch untrennbar mit Physis und Mimik eines bestimmten Schauspielers verbindet. Insofern scheint es mir an diesem Punkt geboten, auch Weston nicht allgemein als ›Komödianten‹ zu bezeichnen, sondern speziell als ›Komiker‹. 755 Siehe Arburg: Kunst-Wissenschaft um 1800, 190ff. 756 Der Elsässer Philip James de Loutherbourg (1740–1812) war der berühmteste Bühnenbildner seiner Zeit und arbeitete im Auftrag Garricks von 1771 bis 1781 am Drury Lane Theatre (siehe Nicoll: The Garrick Stage, 137–41). 757 Man beachte besonders die Verschattung der Augen bei Herr und Hund sowie die parallele Stellung von Händen und Vorderpfoten.

»Dieser Herr Bediente«

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Abb. 19: Philip James de Loutherbourg: Mr. Weston & Dragon in The Rival Candidates (Aquatinta in Braun, 1775)

Dass Westons Manier allerdings auch im komischen Fach mit eingeschränkten Wirkungsmöglichkeiten einhergeht, zeigt der direkte Vergleich zwischen Weston und Garrick in der Rolle des Abel Drugger aus Ben Jonsons Komödie The Alchemist.758 Bemerkenswerterweise hat Lichtenberg den Komiker auch in dieser Rolle nicht selbst gesehen, traut sich aber aufgrund seiner Beobachtung von Westons Schauspielkunst zu, dessen Verkörperung des einfältigen Tabakhändlers zu extrapolieren. Dazu wählt er einen originellen Vergleich aus dem Bereich der bildenden Kunst, der das Verhältnis von vorgeschriebener Rolle und spezifischer Verkörperung sinnfällig macht, nämlich mit einer Karton-Vorzeichnung, die punktweise auf die zu bemalende Wand oder Decke durchgepaust wird:759 758 Wie im Essay on Acting ist eine Szene aus dieser Komödie die erste Mikro-Ekphrasis des Textes. 759 Bemerkenswerterweise steht diese Technik wiederum am Beginn des englischen Begriffs

232

Enargeia, Allegorie und Karikatur

Nun hat Ben Jonson nur wenige Punkte von Abel Druggers Charakter gegeben, wenn ein Schauspieler durch diese seine Linie ziehen kann, so kann er ziemlich a son aise fortgehen, ohne zu fürchten, daß er übertreten werde. Eine vortreffliche Gelegenheit für Weston, seine eigene Person gut los zu werden, zumal in den langen Zwischenräumen, wo Abel Drugger stumm ist, in einer Stube, wo außer einem Paar Sternseher und Teufelsbanner, Skelette von Menschen, Krokodile und leere Straußeneier stehen, worin wohl gar der Teufel sitzen könnte. Mich dünkt, ich sähe ihn, wie er bei jeder heftigen Bewegung der Astrologen, oder dem geringsten Getöse, das sich nicht gleich selbst erklärt, erstarrt, und mit parallelen Beinen dasteht wie eine Mumie, und dann, wenn es vorüber ist, erst mit den Augen zu leben und zu untersuchen anfängt, und dann den Kopf langsam dreht usw. (LBE: 328)

Wie Garrick selbst in seiner Beschreibung der Szene von Drugger und dem zerbrochenen Urinal geht Lichtenberg in zwei Schritten vor: Er vermittelt zunächst, von der Dramenszene ausgehend, die Emotionen der Figur aus deren Innensicht, um dann eine passende Körpersprache zu ergänzen. In beiden Fällen geht es darum, ein »low Picture of Grotesque Horror« (GEA: 8) zu erzeugen, gekennzeichnet durch verkrampfte Haltung und die Isolierung eigentlich zusammengehöriger Bewegungen, nämlich derer von Augen und Kopf. Der Unterschied ist lediglich, dass Garrick seine eigene Rollenkreation beschreibt und Lichtenberg aus Westons mimischem Repertoire dessen Verkörperung erschließt. Die nunmehr in den Briefen folgende beobachtete Verkörperung wird ausdrücklich als qualitative Überbietung der extrapolierten eingeführt: Der größte Teil der Versammlung klatscht und lacht [über Westons Drugger, R.S.] und selbst der Kenner lächelt mit; über den närrischen Teufel: aber bei Garricks Abel Drugger – da fängt der Kenner mit dem Beifall an. […] Die Gebärdensprache fällt ihm nicht, wenn ich so reden darf, in einer bequemen alles verschlingenden Erstarrung, die am Ende doch unnatürlich läßt, sondern in jeder Minute äußert der arme Drugger seinen Charakter, Aberglauben und Einfalt, mit neuen Zeichen. Ich erwähne nur eines Zugs, den Herr Weston nicht einmal nachmachen, geschweige erfunden haben könnte, und an den der Dichter vermutlich auch nicht gedacht hat. Wenn die Astrologen den nunmehr großen Namen Abel Drugger aus den Sternen heraus buchstabieren, so sagt der arme betrogne Tropf mit inniger Freude: Das ist mein Name. Garrick macht daraus eine heimliche Freude, denn sich so gerade heraus zu freuen wäre wider den Respekt. Garrick dreht sich also von ihnen ab, und freut sich ein paar Augenblicke so in sich hinein, daß er wirklich die roten Ringe um die Augen kriegt, die allemal eine große, wenigstens zum Teil gewaltsam unterdrückte Freude begleiten, und so sagt er : das ist mein Name, zu sich selbst. Dieses weise Heimlichtun tat eine unbeschreibliche Wirkung, denn man sah nicht bloß den einfältigen, hintergangenen passiven Pinsel, sonfür Pressekarikatur : »Zu jeder Ausgabe der Zeitschrift [Punch] gehörte […] seit 1834 […] auch der große politische Cartoon, eine Bezeichnung, die sich auf Kartons bezieht, nach denen das Parlament ausgeschmückt werden sollte und die der Punch in einer Serie von Karikaturen parodierte.« (Anonym: Karikatur, 310).

»Dieser Herr Bediente«

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dern einen noch weit lächerlicheren, der mit einer Art von innerem Triumph sich noch wohl gar für einen durchtriebenen Gast hält. (LBE: 328f.)

Wiederum verbinden sich hier Innensicht der Figur und präzise Beschreibung passender mimischer Zeichen – jedoch mit zwei Besonderheiten: Zum einen wird die Kreativität des Schauspielers im Erfinden neuer Zeichen betont, welche die Rollenfigur aktiver und interessanter machen, ohne ihren Grundcharakter zu ändern. Zum anderen wird die physiologische Korrektheit der Zeichen mit geradezu medizinischer Beschreibungspräzision herausgestellt. Besonders beachtlich an Garricks Leistung ist, dass »die roten Ringe um die Augen« ebenso wie Tränen zu jenen Zeichen gehören, die sich üblicherweise nicht beliebig hervorbringen lassen und deren Hervorbringung die zeitgenössische Schauspieltheorie deshalb besonders faszinierte.760 Noch wurde ein Satz der zitierten Passage zurückgehalten. Er lohnt eine eigene Betrachtung, weil er Lichtenbergs Theorie der Schauspielkunst in nuce enthält: »Das [nämlich Garricks Drugger] ist ein ganz anderes Geschöpf, aus der Absicht des Dichters abstrahiert, durch die ausgebreiteste [sic] Kenntnis individualisierender Umstände verbessert und von der obersten Galerie herab leserlich ausgedrückt.« (LBE: 328) Der große Schauspieler ist also erstens ein hervorragender Ausleger des Dramentextes, zweitens ein hervorragender Naturbeobachter, nämlich von ›natürlichen Zeichen‹ des Körpers, und drittens ein begnadeter Schöpfer neuer mimischer Bühnenzeichen. Diese verbinden Textvorgaben und natürliche Zeichen, spitzen sie aber auch so zu, dass sie prägnant für die Zuschauer erkennbar sind. Das aber heißt: Lichtenberg versteht Garricks Verfahren in Analogie zum Hogarth’schen Darstellungsideal des character. Zum Beleg dieser These sei zunächst761 auf ein Gemälde verwiesen, das eben die von Lichtenberg beschriebene Szene darstellt und dessen Kupferstichversion er in den Briefen an späterer Stelle ausdrücklich rühmt (Abb. 20).762 Es stammt allerdings nicht von Hogarth, sondern einmal mehr von Garricks ›Hofmaler‹ Johan Zoffany. Doch ist es weder ein idealisierendes Porträt noch »the compleatest low Picture of Grotesque Horror that can be imagin’d by a Dutch Painter«. Vielmehr hält es, Hogarths Theorie entsprechend, recht genau die Mitte zwischen Idealisierung und Verzerrung – und zeigt auch sonst bezeichnende Parallelen zu Lichtenbergs Beschreibung. Lichtenberg referiert zunächst, dass »die Astrologen den nunmehr großen Namen Abel Drugger aus den Sternen heraus buchstabieren«, gebraucht dafür jedoch einen Nebensatz und behält Drugger den Hauptsatz vor, an den dessen wörtliche Rede und Lichtenbergs Analyse von Garricks Gestaltung anschließen. 760 Siehe Kosˇenina: Anthropologie und Schauspielkunst, 86ff., 127ff. 761 Ein zweiter Beleg wird zu Anfang des nächsten Teilkapitels vorgestellt. 762 Siehe LBE: 352.

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

Abb. 20: Johan Zoffany : Garrick with Burton and Palmer in »The Alchemist« (Ölgemälde, ca. 1770)

Auch das graphische Bild platziert die beiden Betrüger zwar im vertikalen Mittelbereich zwischen Drugger und die Ansammlung schauerlicher astrologischer Requisiten; der im klassischen Redegestus erhobene Finger Subtles markiert sogar den Bildmittelpunkt.763 Doch blicken beide zu Drugger hin, der räumlich vor ihnen steht, dem Betrachter/Zuschauer näher, und von einer Säule hinterfangen wird. Im Kontrast zu diesem Bildelement, das herkömmlicherweise Stabilität suggeriert, steht Druggers Körpersprache: Einerseits zeigen vor 763 Die Abbildung ist leicht verkleinert, auf dem Original ist der Zeigefinger genau in der Mitte (siehe Treadwell: Zoffany, 171). Zoffany könnte den Kunstgriff aus Hogarths Gemälde Richard III. übernommen haben (siehe Abb. 3).

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allem die Füße, parallel stehend und durch Schattenwurf betont, nach rechts, wo etwas höher die Hände gedankenverloren mit der Tabakspfeife spielen. Andererseits liegt die vom Betrachter aus rechte Körper- und Gesichtshälfte etwas im Schatten, und der Kopf selbst ist nach links gedreht, ebenso wie die Augen: Drugger lauscht der Rede mit gespannt erhobenen Brauen. Dieser bereits aus Garricks Essay vertraute Kunstgriff der verdrehten Körperhaltung wird nun allerdings in Lichtenbergs Beschreibung von Garricks Drugger-Verkörperung gerade nicht erwähnt, wohl aber kurz zuvor Weston zugeschrieben. Da Garrick selbst ihn in seinem Essay für Drugger entwickelt und das Zustandekommen von Zoffanys Bildern konzeptuell begleitet hat, ist jedoch anzunehmen, dass er ihn tatsächlich auch in dieser Szene einsetzte. Dass Lichtenberg ihn allein Weston zuordnet, scheint mir im Interesse einer deutlicheren Kontrastierung der beiden ›karikaturistischen‹ Schauspielstile zu liegen: Weston ist der stilisierende Komiker, Garrick der individualisierende Hogarth’sche character-Darsteller. Doch ist auch Garricks charakterisierende mimische Erfindung schon auf dem graphischen Bild deutlich repräsentiert: Auch hier hat sich Drugger, wie bei Lichtenberg beschrieben, von den Betrügern abgewendet und ist dennoch, obwohl im Bildvordergrund stehend, nicht den Zuschauern zugewandt,764 sondern in sich verdreht – selbst die »roten Ringe um die Augen« finden sich angedeutet. Der Lichteinfall unterstreicht, dass Drugger eine ›Erleuchtung‹ zu haben glaubt.

5.4

Typologie jenseits der Allegorie: Garrick, Hogarth und Shakespeare als »Geistesverwandte«

Der zweite Beleg für meine These, dass Lichtenberg Garricks Verfahren in Analogie zum Hogarth’schen Darstellungsideal des character versteht, ist folgende erstaunliche Formulierung: »Das gebe ich gerne zu (und wer wird es nicht zugeben?), daß Tausende nicht alles sehen, was Garrick zu sehen gibt, darin geht es ihm nicht um ein Haar besser, als seinen beiden nahen Geistesverwandten Shakespear und Hogarth.« (LBE: 330) Garrick als Wiedererwecker Shakespeares – das ist 1775 fast ein Gemeinplatz, nicht zuletzt dank der beliebten JubileeAufführungen und der dazugehörigen Bildpolitik; zum »Geistesverwandten« ist es da nur ein kleiner Schritt.765 Überraschender jedoch erscheint die Korrelation beider mit Hogarth, der sich allmählich erst im künstlerischen Kanon etablierte. Immerhin steht bereits Hogarths 1745 entstandenes Porträt von Garrick als 764 Siehe dagegen den verschwörerischen Blick Garricks zum Betrachter hin und hinter vorgehaltenem Hut hervor in Francis Haymans 1747 entstandenem Gemälde Garrick as Ranger and Mrs. Pritchard as Clarinda in »The Suspicious Husband« (Abbildung in Burnim: Garrick and the Artist, 192, Erläuterung ebd. 191). 765 Siehe I.4.4, siehe auch West: Image of the Actor, 4f.

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

Richard III (Abb. 3) für eine die drei Künstler verbindende enargeische Wirkungskette.766 Zudem wurde Hogarth wegen der szenischen Struktur seiner Bilderfolgen schon früh gewissermaßen als graphischer Dramatiker verstanden; 1766 etwa brachten Garrick und George Coleman d.Ä. die auf Marriage / la Mode (1745) zurückgehende Komödie The Clandestine Marriage auf die Bühne des Drury Lane Theatre. Der von Garrick verfasste Prologue zollt Hogarth Tribut im Zeichen der ›Schwesterkünste‹ (die hier des Reimes wegen zu ›Bruderkünsten‹ werden): Poets and painters, who from nature draw Their best and richest stores, have made this law : That each should neighborly assist his brother, And steal with decency from one another. Tonight, your matchless Hogarth gives the thought, Which from his canvas to the stage is brought. And who so fit to warm the poet’s mind, As he who pictured morals and mankind?767

5

Die Aufgabe »morals and mankind« darzustellen, die sich auch in Hogarths Etikettierung seiner Bildserien als Modern moral subjects manifestiert, verbindet hier also den satirischen Künstler mit dem dramatischen Dichter. Nach Lichtenbergs Ansicht verbindet sie diese beiden auch mit dem Schauspieler. So heißt es in den Briefen wenig später über Garrick: Er besuchte die Schule, in welche Shakespeare ging, wo er ebenfalls, wie jener, nicht auf Offenbarungen paßte, sondern, studierte, (denn in England tut das Genie nicht alles, wie in Deutschland) London meine ich, wo ein Mann mit solchem Talent zur Beobachtung seinen Erfahrungssätzen in einem Jahre leicht eine Richtigkeit geben kann, wozu kaum in einem Städtchen, wo alles einerlei hofft und fürchtet, einerlei bewundert und einerlei erzählt, und wo sich alles reimt, ein ganzes Leben hinreichend wäre. (LBE: 333)

Shakespeare und Garrick werden hier in einer Weise aufeinander bezogen, die – im Gegensatz zur Erhebung Garricks durch Shakespeare am Ende der Rosciad – weniger allegorischen Charakter hat als typologischen. Zudem wird ein Shakespeare-›Bild‹ vorausgesetzt, das deutlich näher an Churchills Darstellung von Ben Jonson ist, der »[t]he book of Man« (CR V. 275: 11) gelesen hat und »each foible forth to public view« bringt (CR V. 280: 11), wobei sein »rigid judment Fancy’s flights restrain’d« (CR V. 272: 10), als an seiner Allegorie Shakespeares mit Zaubermantel, Zauberstab und Globus. Der »große nachahmende Zauberer«, wie man die Tendenz dieser Personi766 Siehe zu diesem Begriff I.2.2.1. 767 Garrick: Plays 1, 256, V. 1–8, siehe das Kapitel Das Theater von David Garrick und George Colman in Lach: Characters in Motion, 67–110.

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fikationsallegorie zusammenfassen könnte, ist bei Lichtenberg vielmehr das Ideal provinzieller Stümper, mit denen er im Folgenden Künstler vom Schlage Garricks, Hogarths und (in diesem Fall nicht mehr Shakespeares, sondern) Fieldings kontrastiert: [I]ch wundere mich, daß London nicht mehrere bildet, ich meine nicht mehrere Garricke oder Hogarthe oder Fieldinge, sondern Leute, die zwar etwas anderes wären, aber es so würden wie jene. Kenntnis der Welt gibt dem Schriftsteller in jeder Klasse Überlegenheit. Sie gibt, wo nicht in allen Fällen seinem Was, doch immer seinem Wie eine Stärke, gegen die der große nachahmende Zauberer nicht aufkommt, so sehr auch Er, oder sein Club, oder sein Städtchen das Gegenteil glauben muß […]. (LBE: 333f.)

Lichtenberg attackiert das Shakespeare-Bild der ihm zutiefst suspekten GenieBewegung, wie es etwa in der allegorisierenden Eingangspassage zu Herders Shakespear-Aufsatz zum Ausdruck kommt, die Shakespeare zum Riesen »hoch auf einem Felsengipfel sitzend« macht,768 – diese ikonographische Tradition kippt durch den Kontrast zur deutschen Provinz ins Karikaturhafte. Die eben zitierten Passagen gehören zu jenem Teil der Briefe, die Lichtenberg selbst Garricks »Porträt als Garrick« nennt (LBE: 340). Es besteht im Wesentlichen aus einer längeren, in sich geschlossenen Passage im ersten und einer Nachbemerkung im zweiten Brief. Die Verbindung dieses verbalen Porträts mit Shakespeare in typologischer, ›Geistesverwandtschaft‹ suggerierender Weise findet ihre graphische Entsprechung in einem Porträt Thomas Gainsboroughs, das Garrick in einer Parklandschaft zeigt, gelehnt an den Sockel einer Shakespeare-Büste. Das Gemälde wurde 1766 in der Society of Artists ausgestellt. Obwohl es zunächst den diskreten Titel A Gentleman Whole Length trug, wurde es sofort als Garrick-Porträt erkannt und kontrovers diskutiert.769 Was daran provozierte, verdeutlicht die respektlose Bildbeschreibung des Garrick-Biographen Ian McIntyre: Garrick looks pretty pleased with himself – possibly because like so many of Gainsborough’s subjects, he had been flatteringly elongated. Hat in hand, he leans nonchalantly against a bust of Shakespeare, rather like a drunk propping up a lamp-post. One arm is draped in a casually proprietary way round the top of the plinth; the bard might just be saying something to him out of the corner of his mouth.770

Der Eindruck, dass Shakespeare Garrick etwas ins Ohr flüstert, wird durch dessen Haltung nahegelegt; insofern ist auch hier ein typologischer Bezug un768 Herder : Werke 2, 498; zentrale Texte der Shakespeare-Rezeption im Sturm und Drang in Blinn: Shakespeare-Rezeption, 95–150; Sauder : Empfindsamkeit und Sturm und Drang, 260–284. 769 Siehe McIntyre: Garrick, 414. 770 Siehe McIntyre: Garrick, 414.

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

Abb. 21: Valentine Green: David Garrick Esqr. (Mezzotint, 1769) nach Thomas Gainsborough (1766)

verkennbar. Außerdem mag das Motiv des aufgestützten Dastehens mit überkreuzten Beinen den zeitgenössischen Betrachter an die 1740 von Peter Scheemakers geschaffene Shakespare-Statue in Westminster Abbey erinnert haben, durch welche die auf antike Statuen (besonders die Dioskurengruppe) zurückgehende Pose zunächst in die englische Porträtmalerei Einzug hielt, dann in die europäische, und zwar zumeist für die Darstellung Adliger.771 Die Pose unterstreicht also Garricks Anspruch, ein »Gentleman« zu sein, lässt sich aber meines Erachtens auch so deuten, dass der Körper des Schauspielers als Ergänzung von Shakespeares Porträtbüste erscheint, ähnlich wie Frances Abbington auf den oben besprochenen Porträts (Abb. 14, 15) die Thalia-Statue ergänzt oder gar ersetzt. Dennoch bietet Gainsboroughs diese Deutungsmöglichkeit nur versteckt an und präsentiert vordergründig das realistische Bild einer Büste und eines Mannes in Kleidung und Pose eines zeitgenössischen Gentleman. Im Übrigen ist 771 Siehe Busch: Anton Graff, 173.

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McIntyres Vergleich mit einem Betrunkenen an der Straßenlaterne etwas überzogen, da Garrick seine Haltung souverän unter Kontrolle hat: Die in die Hüfte gestemmte Linke nimmt den Mantel gerade genug zurück, um sowohl die teure Weste als auch den bis zum Boden reichenden Degen zur Geltung zu bringen. Wie sehr solch kontrollierte Lässigkeit Garricks ›Image‹ von sich entsprach, zeigt sich darin, dass er Gainsborough im Vorfeld der Vorbereitungen des Shakespeare-Jubilee 1769 beauftragte, dieses Porträt für das neue Rathaus von Stratford-on-Avon zu überarbeiten;772 wenig später erschien davon das hier wiedergegebene Mezzotinto Valentine Greens (Abb. 21). Das ist umso bemerkenswerter, als Gainsborough zuvor in charakteristischer Weise an Garricks Auftrag eines Shakespeare-Gemäldes für Stratford gescheitert war, wie sein Brief an Garrick vom 22. August 1768 bezeugt: I was willing like an Ass as I am, to expose myself a little, out of the simple portrait way, and had a notion of shewing where the inimitable Poet had his Ideas from, by an immediate Ray darting upon his Eye turn’d upon for the purpose; but G– damn I can make nothing of my Ideas there has been such a fall of rain from the same quarter – you shall not see it for I’ll cut it before you can come […].773

Wie Lichtenberg verspottet Gainsborough also eine allegorisierende Bildidee, die Shakespeare als (in diesem Fall göttlich inspiriertes) ›Genie‹ zeigt,774 und bezieht ihn stattdessen in realistischerer Darstellungsweise typologisch auf Garrick. Bemerkenswert ist nun, dass sich die Analogie zwischen graphischem und verbalem Garrick-Porträt fortsetzt: Wie bereits angedeutet, verbindet sich bei Gainsborough die typologische Darstellungsweise mit der sehr konkreten Präsentation von Garricks Körperlichkeit, die in der Unterschrift explizit mit dem Ideal eines Gentleman verbunden wird. Der Begriff hatte sich im 18. Jahrhundert bereits so weit von der ursprünglichen Bindung an adlige Herkunft gelöst, dass der Weinhändler Garrick, der 1737 nach London kam, als Gentleman gelten konnte, weil er der Sohn eines Offiziers war. Eben deshalb jedoch war seine Entscheidung für den zweifelhaften Beruf eines Schauspielers zunächst ein Affront für seine Familie.775 Seine Karriere auch als erfolgreicher Theaterdirektor und Gast in den ersten Kreisen führte nun exemplarisch vor, 772 Siehe McIntyre: Garrick, 414. 773 Gainsborough: Letters, 60. Edgar Wind hält dies »für eine der liebenswürdigsten Verspottungen des allegorischen Porträts« (Wind: Schauspielerporträts, 117) – und für reine Fiktion. Inzwischen aber brachte eine Röntgenphotographie zutage, dass Gainsborough seinen allegorischen Versuch unter dem Porträt des Johann Christian Fisher verschwinden ließ (siehe Gainsborough: Letters, 60, Fußnote 1, 61). 774 Benjamin Wilson, den Garrick daraufhin beauftragte, schuf denn auch ein ShakespearePorträt in der von Gainsborough verworfenen Pose (siehe Pressly : Folger Shakespeare Library, 321, Abb. 121). 775 Meine Darstellung folgt hier Benedetti: Garrick, 22, 33.

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dass man Schauspieler und Gentleman sein konnte. Dieser Anspruch manifestierte sich nicht zuletzt im Erwerb eines repräsentativen Landhauses mit Parkanlage von der Art der im Hintergrund des Gemäldes gezeigten.776 Vor allem aber manifestiert sich in Garricks Pose jenes »refinement […] in speech, manners and deportment«, das als Distinktionsmerkmal der feinen Gesellschaft galt.777 Wie im Fall von Reynolds Abington-Porträt in ähnlicher Attitüde spielt dabei gerade die von McIntyre ridikülisierte Lässigkeit eine entscheidende Rolle. Auch Lichtenbergs verbales Porträt will außer der ›Geistesverwandtschaft‹ zwischen Garrick und Shakespeare die Körperlichkeit des Schauspielers vor Augen stellen und zwar ebenfalls im Sinn eines bestimmten Ideals, das mit dem des Gentleman verwandt, wenngleich nicht identisch ist. Dieser Zusammenhang soll im Folgenden genauer herausgearbeitet werden.

5.5

Körperliche Präsenz und galantes Gebaren

Ein Kronzeuge für die Wichtigkeit der Leitvorstellung von sprezzatura bzw. ease für das Gentleman-Ideal des 18. Jahrhunderts sind Lord Chesterfields berühmte Erziehungsbriefe an seinen bürgerlichen Sohn.778 1741 etwa empfiehlt er dem Zehnjährigen: Besides being civil, which is absolutely necessary, the perfection of good-breeding is, to be civil with ease, and in a gentlemanlike manner. For this, you should observe the French people, who exel in it, and whose politeness seems as easy and natural as any other part of their conversation […].779

Dass dieses Ideal nicht nur Konversation meint, sondern auch eine Körperbeherrschung, die sich durch eine »genteel, easy manner and carriage« auszeichnet, stellt Chestertons Brief vom 25. Juli 1741 klar.780 Allerdings war solches Gebaren gerade in bürgerlichen Kreisen durchaus umstritten, wie Samuel Johnsons berühmtes Verdikt über die Letters bezeugt: »[T]hey teach the morals 776 In diesem Fall handelt es sich zwar um Prior Park, das Anwesen seines Freundes, des Bischofs William Warburton (siehe Lennox-Boyd: Age of Garrick, 109), doch wurde für diejenigen Betrachter, die dies erkannten, die so dokumentierte Freundschaft zum Ausweis für Garricks gesellschaftliche Position. Zu Garricks Repräsentationsstrategien siehe Woods: Garrick; außerdem die Interpretation zweier Zoffany-Porträts des Hausherrn in seiner Parklandschaft in Hampton in Treadwell: Zoffany, 65–70. 777 Benedetti: Garrick, 24. 778 Eine Einordnung in die Geschichte der europäischen Höflichkeitskultur und einen Überblick über die deutsche Rezeption bis ins 19. Jahrhundert bietet Rang: Chesterfields Briefe; siehe ergänzend Roberts: Introduction (mit Auswahlbibliographie). 779 Chesterfield: Letters 2, 446ff. (nur mit »Wednesday« datiert), hier 447. 780 Chesterfield: Letters 2, 459–462, hier 459; Chesterfield entwirft in der Folge einen slapstickhaften »account of what you should not do« (ebd. 461).

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of a whore, and the manners of a dancing master«.781 Insofern Tanzmeister typischerweise aus Frankreich kamen,782 wird hier auch Chesterfields Orientierung am französischen Ideal der höfisch konnotierten und auf Gefallen zielenden galanten Conduite kritisiert.783 Ähnlich reserviert bis feindselig standen Vertreter der deutschen Hochaufklärung und Empfindsamkeit der französischen Verhaltenskultur gegenüber.784 Umso bemerkenswerter erscheint es daher, wenn Lichtenberg für ein deutsches Publikum formuliert: Herr Garrick hat in seiner ganzen Figur, Bewegung und Anstand etwas, das ich unter den wenigen Franzosen, die ich gesehen habe, ein paarmal wenigstens zum Teil, und unter den vielen Engländern, die mir vorgekommen sind, gar nie wieder angetroffen habe. Ich meine hier Franzosen, die wenigstens über die Mitte des Lebens hinaus sind; aus der guten Gesellschaft, das versteht sich wohl. Wenn er sich z.E. mit einer Verbeugung gegen jemanden wendet, so sind, nicht der Kopf allein, nicht die Schultern, nicht die Füße und Arme allein beschäftigt, sondern jedes gibt dazu einen gemäßigten Anteil in der [sic] gefälligsten und den Umständen angemessensten Verhältnis her. (LBE: 331)

In seinem diese Passage vorbereitenden Tagebucheintrag hieß es noch, Lichtenberg habe bisher »nur einen eintzigen Mann gekannt, der in seinem Körper so allgegen wärtig [sic] war, einen Deutschen. Ich nenne ihn nicht, da das Amt, wozu ihn Verdienst erhoben hat es bedencklich macht an ihm eine blose Naturgabe und zwar an dieser Stelle zu rühmen.«785 Dass er aus diesem Deutschen einen Franzosen macht, verweist auf das Ideal der galanten Conduite. Zwar vermeidet Lichtenberg den 1775 einigermaßen anrüchig gewordenen Begriff des Galanten,786 präsentiert Garrick jedoch deutlich genug als seltenes Exemplar eines englischen galant homme, dessen Gebaren Gefallen erregt.787 Das seine 781 Boswell: Life of Johnson 1, 266. 782 Siehe Lichtenbergs Anmerkungen zum Tanzmeister auf der zweiten Platte von Hogarths Bilderfolge A Rake’s Progress (LSB 3: 838). 783 Einen Überblick über Aspekte des Verhaltensmodells Galanterie bietet die Einleitung in Florack/Singer : Galanterie, 1–16; weitere Beispiele für Lord Chesterfields Orientierung an der französischen Salonkultur finden sich in Craveri: Age of Conversation, 237f; 288f. 784 Siehe Florack: Im Namen der Vernunft. 785 Lichtenberg in England, 54 (Aufzeichnung vom 2. 12. 1775, Tagebuch II. 16). 786 Lichtenberg selbst formuliert in seiner Erläuterung zur ersten Platte von Hogarths Marriage / la Mode, eine junge Frau könne »schwerlich boshafter, eigensinniger, halsstarriger und dabei duckmäuerischer« als diese Braut »gezeichnet werden«, »gezogen« jedoch sehr wohl, etwa »in den galantesten Familien von Deutschland.« (LSB 3: 919) 787 Bemerkenswert ist dies auch deshalb, weil Lichtenberg alternativ an das Kapitel Of Action aus Hogarths Analysis of Beauty hätte anschließen können, wo für den Alltag wie für das Agieren auf der Bühne die Orientierung an geschmeidigen Bewegungen des Tanzes empfohlen wird, ohne auf die Tanzkultur der von Hogarth verabscheuten Franzosen zu verweisen. Stattdessen verweist er auf italienische Traditionen und greift auch auf Elemente aus Malereitraktaten der italienischen Renaissance zurück, insbesondere die berühmte »serpentine line« (Hogarth: Analysis of Beauty, 148–162, hier 152; eine Analyse des Kapitels in

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

Körperbeherrschung veranschaulichende Beispiel zielt nicht etwa auf die Bühnensituation, denn die Verbeugung hat ausdrücklich einen bestimmten Adressaten. Gemeint könnte entweder eine Begrüßung im Alltag sein oder die Eröffnung eines Tanzes. Die zweite Möglichkeit erscheint insofern besonders plausibel, als galante Conduite auch im deutschen Kulturraum insbesondere über die Tanzmeistererziehung vermittelt wurde. »Charakteristisch für den ›galanten‹ Körper sind an erster Stelle«, wie Marie Th8rHse Mourey zusammenfasst, »die Leichtigkeit, Flexibilität, Flinkheit und Geschicklichkeit des Leibes sowie die Zierlichkeit und Anmut der Gebärden und andere ›gefällig machende Bewegungen‹«.788 Wenn Lichtenberg betont, dass dieses Ideal von einem Franzosen wenigstens mittleren Alters verkörpert werde, nimmt er seine im Tagebuch formulierte Einstufung als »eine blose Naturgabe« zurück, denn es bedarf offensichtlich langer Übung und einiger Erfahrung, einen solchen »Anstand« auf gesellschaftlichem Parkett zu erlangen. Das Stichwort »Anstand« könnte manche Leser der Briefe aus England zudem an eine Kategorie erinnert haben, welche Bühne, Gesellschaftstanz und galante Conduite verklammerte: den Begriff der »Anstandsrolle«. Bernhard Diebold, dessen 1913 publizierte Dissertationsschrift zum Rollenfach im deutschen Theaterbetrieb des 18. Jahrhunderts noch immer grundlegend ist,789 zitiert den Theaterpraktiker Johann Ludwig Rennschüb: »Anstand ist Würde in Wort und Geberden. Nach meiner Meinung bedient man sich des Ausdrucks Anstand, um das Benehmen, die Würde des Mannes, aus der großen Welt anzuzeigen«.790 Und Diebold ergänzt: Tanzen, Fechten, Umgang in feinen Kreisen wird dem Anstandspieler sehr förderlich sein. […] Unterscheidet der Anstand […] im allgemeinen schon das hohe Komische vom niedrigen, »die Herren und Damen von Stande«, »die Officiers« und »Präsidenten« von »Bauern«, »Bedienten« und »Pedanten«, so müssen unter den Standespersonen ganz besonders diejenigen, die dem Modegeschmack der feinen Welt – es war der französische – am meisten folgen, ihn übertreiben oder gar ihn führen, den Anstandsspielern zuerteilt werden […].791

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Heeg: Phantasma der natürlichen Gestalt, 138–150). Lichtenberg teilt Hogarths Gallophobie nicht und zieht das reale Muster gelungener Körperkultur der eklektischen Konstruktion vor. Mourey : Tanzen als Schule galanten Gebarens, hier 290. Siehe die Einleitung in Detken/Schonlau: Rollenfach; siehe speziell zu französischen Anstandsrollen auf der deutschen Bühne Diebold: Rollenfach, 93–103. Zit. nach Diebold: Rollenfach, 93 ohne Literaturnachweis. Diebold führt noch weitere Auffassungen des Begriffes ›Anstand‹ an, hält Rennschübs Verständnis jedoch für das repräsentative. Diebold: Rollenfach, 93. ›Komisch‹ meint hier ›auf die Komödie bezüglich‹; das ›hohe Komische‹ findet sich also auch in der com8die larmoyante bzw. dem ›rührenden Lustspiel‹ (ebd. 13ff.).

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Diesen »Anstand« auf der Bühne zu vermitteln, war nun zumal für deutsche Schauspieler, die oft den untersten Schichten entstammten und keinen Zugang zur ›großen Welt‹ hatten, eine oft unlösbare Aufgabe, so dass sie mitunter unfreiwillige mimische ›Karikaturen‹ galanter Conduite lieferten.792 Vor diesem Hintergrund rühmte die Litteratur- und Theater-Zeitung 1778 dem Schauspieler Josef Anton Christ als Blainville in Gustav Friedrich Großmanns Komödie Henriette nach, er sei »der wahre, galante Franzose, der Mann aus der feinen Welt, zärtlich ohne just Windbeutel oder Chevalier zu sein.«793 In Lichtenbergs ›Garrick-Porträt‹ wiederum wird das Ideal der galanten Conduite bzw. des ›Anstands‹ auf der Bühne zum Ideal von Schauspielkunst überhaupt erhoben, heißt es doch im Anschluss an die oben zitierte Passage: »Wenn er, auch ohne Furcht, Hoffnung, Mißtrauen oder irgend einen Affekt hinter den Szenen hervortritt, so möchte man gleich nur ihn allein ansehen« (LBE: 331). Das ist zunächst eine deutliche Abgrenzung gegen das von Fischer-Lichte beschriebene barocke System der theatralischen Zeichen, demgemäß vom ersten Augenblick an ein spezifischer Affekt und/oder der Charakter einer Figur durch konventionalisierte Zeichen erkennbar sein sollte.794 Hier dagegen geht es nicht um die Kennzeichnung einer Bühnenfigur, sondern um die Überführung des galanten »je-ne-sais-quoi«795 in die ›starke Präsenz‹ (Fischer-Lichte) eines spezifischen Schauspielers, dessen Körperlichkeit alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.796 In diesem Sinne gibt Lichtenberg unmittelbar anschließend der schon von Churchill karikaturistisch verwendeten Puppen-Metapher797 eine neue Wendung: »[E]r geht und bewegt sich unter den übrigen Schauspielern, wie ein Mensch unter Marionetten.« (LBE: 331) Bis zu diesem Punkt versucht die Ekphrasis ein ›Gesamtbild‹ von Garricks Bewegungsästhetik zu vermitteln und setzt dabei vor allem auf die Strategie der Evokation eines Schemas (I.2.1.10). Bedingung dafür ist jedoch die Kenntnis dieses Schemas, die trotz Tanzerziehung und Anstandsrollen offensichtlich nicht allgemein vorausgesetzt werden kann: Hieraus wird nun freilich niemand Herrn Garricks Anstand kennen lernen, der nicht schon etwa vorher das Betragen eines solchen wohlerzogenen Franzosen aufmerksam gemacht hat, in dem Fall wäre dieser Wink die beste Beschreibung. Folgendes wird die Sache vielleicht klärer machen. (LBE: 331)

792 793 794 795 796 797

Siehe Diebold: Rollenfach, 94. Zit. nach Diebold: Rollenfach, 94. Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 2, 56. Siehe dazu Florack: Nationale Stereotype, 239, Anm. 13. Siehe I.5.3. Siehe II.4.2; grundsätzlich zur Puppen-Metaphorik in Bezug auf Schauspielkunst Florack: Spiel-Automaten.

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

Damit ist der Übergang zu einer eher detaillierenden Beschreibung der konkreten Körperlichkeit Garricks markiert, auf die Gainsboroughs Gemälde den Betrachter vor allem über die ungewöhnliche Haltung aufmerksam macht. Anders als Gainsborough verunklärt Lichtenberg nicht, dass Garricks »Statur […] eher zu den kleinen als den mittleren zu rechnen« ist (LBE: 331). Doch kompensiert er diesen für einen Heldendarsteller problematischen Aspekt, indem er die weitere Beschreibung als konkretisierende Amplifikation jenes Körpereindrucks gestaltet, der durch den Kontrast zur ›Marionettenhaftigkeit‹ der übrigen Schauspieler angedeutet wurde. Zunächst geht es um die Physis: Seine Gliedmaßen haben das gefälligste Ebenmaß und der ganze Mann ist auf die niedlichste Weise beisammen. Es ist an ihm kein dem geübtesten Auge sichtbares Gebrechen, weder in den Teilen, noch in der Zusammensetzung, noch in der Bewegung. (LBE: 331)

Die Beschreibung bleibt noch recht summarisch und arbeitet mit ästhetisch wertenden Kategorien: ›gefällig‹, ›ebenmäßig‹, »niedlich« (zu verstehen im Sinne des englischen ›neat‹).798 Über den Superlativ werden eine genießende Rezeptionshaltung (»das gefälligste Ebenmaß«, »auf die niedlichste Weise«) und eine beobachtende Einstellung (»dem geübtesten Auge«) verbunden. Das Stichwort »gefällig« bezeichnet auch eine Leitvorstellung galanten Gebarens; entsprechend kommt die Passage ganz zuletzt auf den Aspekt Bewegung zurück: In der letzteren bemerkt man mit Entzücken immer den reichen Vorrat an Kraft, der, wenn er gut gezeigt wird, wie Sie wissen, mehr gefällt als Aufwand. Es schleudert und schleift und schleppt nichts an ihm, und da, wo andere Schauspieler in der Bewegung der Arme und Beine sich noch einen Spielraum von sechs und mehr Zollen zu beiden Seiten des Schönen erlauben, da trifft er es mit bewundernswürdiger Sicherheit und Festigkeit, auf ein Haar. (LBE: 331)

Lichtenberg variiert hier einen vielzitierten Fingerzeig aus Francesco Riccobonis Traktat L’Art du th8.tre (1750), den Lessing unter dem Titel Die Schauspielkunst übersetzte: »Mein Vater pflegt zu sagen, wenn man rühren wolle, so müsse man zwei Finger breit über das Natürliche gehen; sobald man aber dieses Maß nur um eine Linie überschreite, so werde das Spiel alsobald übertrieben und unangenehm.«799 Die Steigerung von ›zwei Fingerbreit‹ durch ›sechs und mehr Zoll‹ ist eine mustergültig ›karikaturistische‹ Übertreibung. Dass Lichtenberg ›Rührung‹ durch »Entzücken« ersetzt, zeigt, dass für ihn die tragische Wirkung keineswegs der höchste Prüfstein für Schauspielkunst ist. Noch bemerkenswerter ist aber die Ersetzung von ›Natürlichkeit‹ durch ein ›Schönes‹, das im Zusammenhang 798 Siehe den Artikel »niedlich« in: Adelung 3, 501f. 799 Riccoboni: Schauspielkunst, 76. Francescos Vater Ludovico Riccoboni (1674–1753) war ebenfalls Schauspieler und Verfasser eines Traktats mit dem Titel Pens8es sur la d8clamation (1737).

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mit höfischer Bewegungskultur steht. So exemplifiziert die nun folgende Passage die hier postulierte Gesetzmäßigkeit anhand von Bewegungen, die dem Bewegungsrepertoire eines Gentleman (bzw. dem Fach der Anstandsrolle) entstammen: Seine Art zu gehen, die Achseln zu zucken, die Arme einzustecken, den Hut zu setzen, bald in die Augen zu drücken, bald seitwärts in die Stirne zu stoßen, alles mit der leichten Bewegung der Glieder, als wäre jedes seine rechte Hand, ist daher eine Erquickung anzusehen. Man fühlt sich selbst leicht und wohl, wenn man die Stärke und Sicherheit in seine Bewegungen sieht, und wie allgegenwärtig er in den Muskeln seines Körpers scheint. (LBE: 331f.)

Bei Gainsborough hängt die »rechte Hand« wie der gesamte Oberarm lässig herab und hält »den Hut« sicher zwischen den Fingerspitzen. Die »Muskeln seines Körpers« werden vor allem in seinen Waden sichtbar, da diese die Gewichtsverlagerung des Schwerpunkts zur Shakespeare-Büste hin ausgleichen müssen. Auch Lichtenberg betont vor allem die Extremitäten: Wenn ich mich selbst recht verstehe, so trägt sein untersetzter Körper nicht wenig dazu bei. Von dem starken Schenkel herab verdünnt sich das richtig geformte Bein immer mehr und schließt sich endlich in dem nettesten Fuß, den Sie sich denken können, und eben so verdünnt sich der starke Arm nach der kleinen Hand zu. Was das für eine Wirkung tun muß, können Sie sich leicht vorstellen. (LBE: 332)

Im Gegensatz zum Maler allerdings kann Garrick durch den kurzen Hinweis auf eine Box- und eine Tanzeinlage in zwei berühmten Rollen (LBE: 332) demonstrieren, dass es sich hier nicht nur um den Anschein, sondern um einen »Vorrat« an wirklich vorhandener Kraft handelt. Die Passage wurde bereits in Unterkapitel I.5.3 als Beispiel für Fischer-Lichtes Kategorie schauspielerischer ›Präsenz‹ angeführt. Erst nachdem die körperliche Gesamtwirkung thematisiert und an Armen und Händen, Beinen und Füßen exemplifiziert ist, wendet sich Lichtenberg dem Gesicht zu – im Gegensatz zur ›schulbuchmäßigen‹ Beschreibung, die vom Kopf bis zu den Füßen verfuhr und dabei in der Tat wenig enargeisch war.800 Für die Physis des Gesichtes stehen stellvertretend Auge und Stirn, die – nach dem Deutungsmuster der Physiognomik801 – jene Charakteristika Garricks andeuten, welche in seiner Gestaltung des Drugger bereits anklangen:

800 Siehe Graf: Ekphrasis, 147f. 801 Lichtenbergs Stellung zur Physiognomik analysiert in Bezug auf Schauspielkunst FischerLichte: Semiotik des Theaters 2, 147–156, in Bezug auf Bildinterpretation Arburg: KunstWissenschaft um 1800, 155–181.

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

In seinem Gesichte sieht jedermann, ohne viel physiognomisches Raffinement, den glücklichen schönen Geist auf der heitern Stirne, und den wachsamen Beobachter und witzigen Kopf in dem schnellen, funkelnden und oft schalkhaften Auge. (LBE: 332)

Bei Gainsborough werden Stirn und Augen durch den Lichteinfall hervorgehoben, die Stirn bezeichnenderweise in Analogie zur sonst eher verschatteten Shakespeare-Büste, die Augen entgegen der Körperbewegung sinnend nach rechts oben gerichtet. Auch Lichtenberg dynamisiert die Erscheinung des Auges durch die Adjektive ›schnell‹ und ›funkelnd‹ und schafft so einen fließenden Übergang zu einem Aspekt, den das Gemälde nicht festhalten kann, nämlich Mimik im engeren Sinn als Ausdruckskraft des sich verändernden Gesichtes. Er hebt drei Aspekte hervor ; den ersten hat er schon im Zusammenhang mit der vorhergegangenen Drugger-Ekphrasis herausgearbeitet: »Seine Mienen sind bis zur Mitteilung deutlich und lebhaft.« (LBE: 332) Der zweite ist eine Steigerung des in der Diskussion der Gesamtphysis angesprochenen Aspektes unmittelbarer körperlicher Wirkung, nunmehr aufgefasst im Sinne von unmittelbarer ›Ansteckung‹:802 »Man sieht ernsthaft mit ihm aus, man runzelt die Stirne mit ihm, und lächelt mit ihm; in seiner heimlichen Freude, und in der Freundlichkeit, wenn er in einem Beiseite den Zuhörer zu seinem Vertrauten zu machen scheint, ist etwas so Zutunliches, daß man dem entzückenden Manne mit ganzer Seele entgegen fliegt.« (LBE: 332) Der dritte Aspekt schließlich wird wie ein außerordentliches akrobatisches Kunststück vorgestellt: »Von seiner Gabe das Gesicht zu verändern haben Sie vermutlich, so wie ich, in Deutschland, schon gehört.« In der Tat bezeugt Diderots Beschreibung einer mimischen ›Nummernrevue‹ im Paradoxe sur le Com8dien (I.1.4), welchen Stellenwert besagtes Phänomen im öffentlichen Bewusstsein hatte. Lichtenberg nimmt diesem Ruhm gegenüber die Haltung des kritischen Augenzeugen ein: »Der Enthusiasmus seiner Landsleute und der Reisenden hat wohl etwas hier zugesetzt, aber ich glaube doch, daß mehr als die Hälfte wahr ist, und das heiß ich für den Enthusiasmus gut observiert.« (LBE: 332) Er verspricht, dafür im weiteren Verlauf der Briefe »unter der Hand« einige Beispiele zu geben und führt vorläufig seine »ganz in der Nähe beobachtete« (LBE: 332) Rolle des Sir John Brute an, in der ihn sein Mund aufmerksam machte, so bald er auf die Bühne trat. Er hatte nämlich die beiden Winkel desselben etwas herab gezogen, wodurch er sich ein äußerst liederliches und versoffenes Aussehen gab. Diese Figur des Mundes behielt er bis ans Ende bei, nur mit dem Unterschiede, daß sich der Mund etwas mehr öffnete, so wie sein Rausch anwuchs: diese Figur muß sich also, in dem Manne, so mit der Idee eines Sir Johns Brutes [sic] assoziiert haben, daß sie sich ohne Vorsatz gibt, sonst, sollte man denken, müßte er sie einmal in dem Lärm vergessen, dessen er fürwahr in dem Stück genug macht. (LBE: 333f.) 802 Siehe Fischer-Lichte: Aufführung, 17.

»Dieser Herr Bediente«

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Das ›Schauspielerporträt‹ wird also punktuell durch den Bezug auf eine (im Vorfeld bereits thematisierte) Rolle illustriert, wobei jedoch, anders als in den meisten Rollenporträts, keine bestimmte Szene erläutert, sondern eine bestimmte mimische ›Feinheit‹ ein ganzes Stück hindurch verfolgt wird.803 Innerhalb des ›Schauspielerporträts‹ wird die These von Garricks mimischer Beweglichkeit damit nicht etwa nur illustriert – dafür wäre eine Beschreibung rasch wechselnder mimischer Ausdrücke / la Diderot geeigneter –, sondern vertieft: Garrick kann nicht nur blitzschnell zwischen verschiedenen Ausdrücken wechseln, sondern auch einen mimischen Zug durchhalten und fein variieren. Es folgt ein Kurzresümee – »dieser vortrefflich gebildete und dabei mit allen Geistesgaben eines großen Schauspielers von der Natur ausgerüstete Mann« –, das in einen biographischen Exkurs übergeht: Erzählt wird, wie Garrick »in seinem 27ten Jahre, als Exkandidatus Juris, auf einmal auf dem Theater in Goodmansfields erschien, und gleich bei seiner ersten Erscheinung alle Schauspieler seiner Zeit zurück ließ«; inzwischen sei er »der Abgott der Nation, die Würze der guten Gesellschaft und der Liebling der Großen« (LBE: 333). Doch hält sich Lichtenberg nicht lange damit auf, dieses gesellschaftliche ›Image‹ zu feiern, sondern akzentuiert, die Evidenzfunktion seiner Ekphrasis nutzend, einen Aspekt von Garricks Ruhm, der seinen eigenen Überzeugungen entgegenkommt, nämlich den fruchtbaren Austausch zwischen Schauspieler, Autor und graphischem Satiriker im Zeichen von Literaturtheater und Realitätsbezug: In diesem Zusammenhang stehen die eingangs zitierte Passage von London als Schule der Beobachtung für Shakespeare wie Garrick (sowie dann auch für Fielding und Hogarth) und die polemische Abgrenzung gegen das Missverständnis des Genies als »nachahmende[r] Zauberer« (LBE: 334). Damit ist Garricks »Porträt als Garrick« (LBE: 340) in den entscheidenden Zügen abgeschlossen. Im ersten Brief folgt noch eine kurze Ergänzung, die Garricks »Überlegenheit« im Eingehen auf das Publikum thematisiert (LBE: 334), dezidiert also ein Aspekt von ›Präsenz‹ in der jeweiligen Aufführung. Dann aber wird der Leser aufgefordert, dem Briefschreiber »in einige Szenen« (LBE: 334), das heißt Rollenporträts, zu folgen, von denen die Hamlet-Geist-Szene die erste ist; hier dominiert der Aspekt der ›Erscheinung‹ in einer Rolle unter dem Vorzeichen des Literaturtheaters, doch wiederum mit Hinweisen auf Garricks die Rolle transzendierende ›Präsenz‹. Die »Pinselstriche« (LBE: 340), die dem ›Schauspielerporträt‹ im folgenden Brief hinzugefügt werden, gelten noch einmal Garricks »unbeschreibliche[r] Leichtigkeit, Stärke und Sicherheit in der Bewegung« (LBE: 339). Diese Qualität wird einerseits auf »vieljährige Zeit und schweißkostende Übung des Leibes« zurückgeführt (LBE: 340), andererseits auf die »beständige Beobachtung schöner, von Personen beiderlei Geschlechts be803 Fischer-Lichte: Geschichte des deutschen Theaters, 136; siehe Einf. 5.

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

wunderter und beneideter Männer« (LBE: 340). Beides führt zu dem »seelenstärkender Gefühl seiner Überlegenheit« (LBE: 340), das Garrick letztlich nicht nur zum vollendeten Schauspieler macht, sondern zum Inbegriff souveräner Körperlichkeit auch auf gesellschaftlichem Parkett: »[W]enn er den Hofmann macht, so tritt in ihm kein armer Teufel auf, sondern es ist der Mann von Welt selbst, den man sieht; der Mann, der an diesem Abend an dem papierenen Hof in Drurylane und morgen vormittag an dem goldenen von St. James glänzt« (LBE: 340). Während Gainsborough sein Porträt mit A Gentleman Whole Length betitelt hat, setzt Lichtenberg unter das seine also gewissermaßen ein Il Cortegiano.804

5.6

Intermediale Bezüge und Reflexionen über Enargeia

Die zu Beginn von Kapitel II.5.4 zitierte Behauptung, wonach »Tausende nicht alles sehen, was Garrick« und »seine[ ] beiden nahen Geistesverwandten Shakespear und Hogarth« zeigten, schließt mit einem bezeichnenden Nachsatz: »Um bei ihnen alles zu sehen, muß man zu der gewöhnlichen Erleuchtung noch sein eigenen Lichtchen mitbringen.« (LBE: 330) Es bedarf keiner großen Erleuchtung, um zu erkennen, dass hier das geistige Triumvirat zu einem Viererbund erweitert wird, in den sich der Beobachter Lichtenberg einschleicht: Auch seine Mimen-Ekphrasen haben also den Anspruch, nicht einfach Reproduktionen zu sein, sondern – um seine prägnante Formulierung über Garricks Rollengestaltung zu variieren – ›aus der Absicht des Schauspielers abstrahiert, durch die ausgebreitetste Kenntnis individualisierender Umstände verbessert und für den deutschen Leser anschaulich ausgedrückt.‹ Allerdings beurteilt Lichtenberg die tatsächliche Anschaulichkeit seiner kreativen, dem aufklärerischen Witz-Prinzip verpflichteten Beschreibungen805 recht unterschiedlich. Wenn er im Hinblick auf seine verbale Karikatur der Opernsängerin formuliert: 804 Zur europäischen Rezeption von Baldassare Castigliones Libro del Cortigiano (1528) siehe Burke: Fortunes of the Courtier ; darin der explizite Hinweis, dass Garrick (wie seine Freund Samuel Johnson und Joshua Reynolds) zu den englischen Bewunderern des Buches gehörte (132). Speziell zum Einfluss auf deutsche Verhaltenslehren des 17. und 18. Jahrhunderts siehe Geitner : Sprache der Verstellung, 51–67, zu Lichtenbergs Physiognomik-Auffassung ebd. 270–275. 805 Lichtenberg versteht ›Witz‹ im Sinn der Aufklärung (dazu Schmidt-Hidding: Humor und Witz; Best: Witz) als Assoziations- und Kombinationsfähigkeit, die in scheinbar weit auseinander liegenden Gegenständen Gemeinsamkeiten aufspürt; insofern steht sie der Metapher nahe, die er als kreativ-konstruktive Leistung versteht (siehe Arburg, 318–323; Gockel: Individualisiertes Sprechen, 75–91, 175–93). Allerdings muss ›Witz‹ in Lichtenbergs Verständnis wie dem seiner Zeit durch ›Scharfsinn‹ ergänzt werden, der im scheinbar Ähnlichen Unterschiede findet (Arburg: Kunst-Wissenschaft um 1800, 22).

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»Stellen Sie sich unter Gabrielli eine Frau vor, mit [es folgt die eigentliche Beschreibung], so haben Sie sie ganz« (LBE: 364), ist er ähnlich zuversichtlich wie Quintilian angesichts von Ciceros konzentrierter Verres-Karikatur (I.1.1, II.1). Deutlich skeptischer aber beurteilt Lichtenberg die Enargeia seines im letzten Unterkapitel behandeltem Porträts von Garrick »als Garrick«, das von der Frage nach den Ursachen von Garricks »Überlegenheit« ausgeht: Der Ursachen, mein Freund, sind sehr viele, und ein sehr großer Teil derselben liegt in der höchstglücklichen Bildung des Mannes. Allein, ob ich gleich ihre Wirkung in der Summe bis zum Hinreißenden mächtig gefühlt habe, so wage ich es doch nicht, sie in einem jeden gegebenen Fall zu analysieren. Es gehört mehr Kenntnis der Welt und mehr Übung in der Analyse dazu, als ich habe, und eine öftere Vergleichung, als ich anstellen konnte. Indessen, da einem manches im Umgange mit Menschen von allerlei Stand, Form und Anstand unvermutet klar werden kann (manches ist mir itzt schon deutlicher als es anfangs war) und ich den Mann in den Hauptsituationen mit Figur und Gesicht immer wie lebendig vor mir sehen kann, so könnte es sein, daß ich künftig einmal, wenn ich wieder bei Ihnen bin, etwas Zusammenhängenderes über ihn sagen könnte. Izt müssen Sie es selbst hier und da aus den Briefen heraussuchen. (LBE: 330)

Hier wird die analytische Funktion von Mimen-Ekphrasis in den Vordergrund gerückt: Es geht darum, die emotionale Wirkung von Garricks Körperlichkeit (»Bildung« bezieht sich hier auf die Physis) jenseits spezifischer Rollen zu verstehen. Die Bewältigung dieser Aufgabe verlangt vom Beschreiber nicht nur »Übung in der Analyse«, sondern auch »Kenntnis der Welt«, insofern die Körpersprache eine soziale Dimension hat, für die, wie bereits aufgezeigt, insbesondere der sozial konnotierte Begriff »Anstand« steht. Lichtenberg gesteht sie sich noch nicht zu, jedenfalls nicht genug, um, wie es im Folgenden heißt, »ein Werk für die Schauspieler« zu verfassen, »das Regeln enthalten soll, von Garricken abstrahiert, aber durch Philosophie auf Grundsätze zurückgebracht, verbunden und geläutert.« (LBE: 330, siehe I.4.4) Was Lichtenberg jedoch für sich reklamiert, ist ein enargeischer Zugriff seines Erinnerungsvermögens auf Garrick »in den Hauptsituationen mit Figur und Gesicht«, und was er anbieten kann, ist der Versuch, auf dieser Basis zwar kein systematisches Regel-Werk, wohl aber ein Garrick-Porträt zu entwerfen, das Anschauung mit der Beobachtung von Wirkungsgesetzen verbindet. Allerdings vermittelt sich eine solche Ekphrasis beim Lesen gerade nicht so zwingend wie er das von seiner GabrielliKarikatur annimmt, sondern erfordert die aktive Mitarbeit der Leser : Sie müssen das Dargebotene eigenständig »heraussuchen« und imaginativ verbinden. Um diese Aufgabe zu erleichtern, greifen Lichtenbergs Briefe, deren Bezüge auf graphischen Darstellungen und Verfahrensweisen sonst mehr oder weniger impliziter Natur sind, in zwei Fällen explizit auf graphische Schauspielerporträts zurück, verbunden mit Überlegungen zu intermedialer Enargeia. Es handelt sich

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zum einen um ein Porträt der Komödiantin Frances Abington, zum anderen um ein doppeltes Rollenporträt, welches das Zusammenspiel von Garrick und Weston in einer Komödie zeigt. Das von Reynolds geschaffene allegorisierende Porträt von Frances Abington als komischer Muse (Abb. 13) wurde bereits mit Churchills allegorisierendem ›Porträt‹ von Kitty Clive verglichen (II.4.4). Zu ergänzen ist, dass auch ein in den 1760er Jahren entstandenes anonymes Doppelporträt von ihr als komischer und der Tragödin Mary Ann Yates (1728–1787) als tragischer Muse überliefert ist (Abb. 22).

Abb. 22: Unbekannter Künstler : Mrs. Yates and Mrs. Abington in the Characters of the Tragic & Comic Muse (Weißlinienstich, ca. 1760–1770)

Vielleicht auf dieses Porträt, jedenfalls aber auf dieses graphische Verfahren spielt Lichtenberg an, um von seiner Beschreibung von Yates und der Tragödin Ann Barry zum Porträt Abingtons überzuleiten:

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Mrs Abington ist von Mrs. Yates und Mrs. Barry so unterschieden, wie die komische Muse von der tragischen. An Majestät und Ausdruck sanfter Empfindung steht sie ihnen, zumal der letztern, nach, und übertrifft sie an Talent, die bittere Wahrheit, mit allen den kleinen begleitenden Zügen, den Zeichen der eigenen Bemerkung, tief ins Herz zu reden, daß jeder glauben muß, sie meinte ihn; und dann auch an leider allzufrüh geübter Kunst; bei allem diesen, den herrlichsten Wuchs mit einem gefälligen Strich von Absicht zu zeigen, der dieser großen Schauspielerin noch aus der gefährlichen Schule anklebt, in welcher ihre Reize ausgebildet worden und – – – – noch ehe sie die Bühne betrat, ihren Lohn empfangen haben. (LBE: 359f.)

Dies ist, wenn man von der Anspielung auf die allegorische Tradition vom »Zauberer« Shakespeare absieht (II.5.4), die einzige Personifikationsallegorie der Briefe aus England, und auch sie wird nicht entfaltet, sondern dient lediglich als Ausgangspunkt für die diskursive Profilierung von Abingtons Charakteristika. Die Passage lässt bereits erkennen, was im Folgenden amplifiziert wird: Thematisiert werden die gleichen Kategorien wie im Garrick-Porträt, nämlich Gesamtwirkung (nicht nur) auf der Bühne, geistige und körperliche Voraussetzungen, biographische Hintergründe. Die Gesamtwirkung ist einerseits durch den Eindruck eindringlicher und scharfsinniger Wahrhaftigkeit gekennzeichnet, weshalb Abington in ihrem Rollenfach nicht für »das Niedrigkomische« (LBE: 360) geeignet ist, andererseits arbeitet die Schauspielerin nach Lichtenbergs Überzeugung gezielt und erfolgreich an ihrer erotischen Ausstrahlung. Um diese zu erklären, nimmt Biographisches einen breiten Raum ein: Die »Schule« durch die die Schauspielerin gegangen ist, meint nicht, wie bei Garrick und Shakespeare, die Weltstadt London, sondern ein Bordell, doch hat auch Abington dank »Geist« und Stilbewusstsein eine solche Weltläufigkeit erworben, dass sie einen Lord, »der an Glücksgütern, Stand und Ruhm nur wenige seinesgleichen in England hat« (LBE: 361), an sich zu binden versteht. Das durch die implizite Anspielung auf eine graphische Allegorie eingeleitete Porträt wird abgeschlossen durch die explizite Beschreibung eines nicht-allegorisierenden graphischen Porträts nach Reynolds (Abb. 23), die das diskursiv und narrativ Entfaltete noch einmal zusammenfassend vor Augen stellt: Wenn Sie sie einmal im Spiegel sehen wollen, so kaufen Sie sich ein gewisses Porträt von ihr, das nach Reynolds von Elisabeth Judkins in schwarzer Kunst vortrefflich gearbeitet worden ist. Ein wahrhaftes Muster einer leichten Stellung, und natürlichen Ordnung der Hände, vermutlich von dieser leichten Hexe selbst angegeben. Es sollte billig von manchen deutschen Porträtmalern studiert werden, deren Favoritstellung der Hände noch immer von der Lage der Flügel an einem gebratenen Huhn geborgt zu sein scheint. Ich besitze es, und es wird vermutlich auch in meiner kleinen Porträtsammlung haften, die sonst, wie Sie wissen, eben so, nur in flüchtigern Generationen, kommt und geht, wie die schnöden Sterblichen, deren Abbildungen sie enthält. (LBE: 361f.)

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Abb. 23: Elizabeth Judkins nach Sir Joshua Reynolds: Mrs. Abington (Mezzotinto, 1772)

Diese Passage ist das Gegenteil einer Bildbeschreibung mit Substitutionsfunktion: Auf das Bild wird verwiesen, um die vorausgegangene Mimen-Ekphrasis zu ergänzen; es bekommt sogar den Täuschungsgrad eines optischen Bildes zugesprochen. Zudem spielt die Spiegel-Metapher auch auf die ovale Form von Judkins’ Mezzotinto an,806 und diese Anspielung kann nur verstehen, wer tatsächlich einen Abzug davon vor Augen hat. Dennoch macht die Beschreibung auch für Leser, die den Druck nicht vor Augen haben, Elemente von Abingtons Wirkung anschaulicher, insbesondere den – schon für Churchills Clive-Porträt wesentlichen – Eindruck der ›Leichtigkeit‹ sowie die erotische Wirkung. Sie werden zusammengefasst im Oxymoron »von dieser leichten Hexe« (LBE: 362). Optisch konzentriert sich dieser Eindruck in Abingtons Handstellung, die zwar nicht direkt beschrieben, aber als Kontrast zu einer karikaturistisch präsentierten Porträtkonvention angedeutet wird. Diese Differenz unterstreicht auch den Abstand zum »Niedrigkomische[n]«, der sie, wie Lichtenberg zuvor formulierte, als Komödiantin auszeichnet (LBE: 360). Dass er die inventio dieser Handstellung der Schauspielerin statt des Malers zuschreibt, unterstreicht noch einmal, wie gezielt sie ihre erotische Wirkung kalkuliert. Das Kalkül geht auf: Abington ›behext‹ zumal männliche Zuschauer bzw. Betrachter wie Reynolds, Lichtenberg und potenziell den Briefadressaten, deren Fantasie erotisch-enargeisch belebt wird. Die durchaus gängige Bezeichnung der Mezzotinto- oder

806 Reynolds’ Original ist nicht mehr erhalten, wohl aber eine rechteckige Ölskizze. Auch existieren Beschreibungen des Gemäldes, die von einer – für Reynolds absolut ungewöhnlichen – Ovalform des Gemäldes nichts verlauten lassen (siehe Postle: Reynolds, 10).

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Schabkunst-Technik als ›schwarze Kunst‹ wird vor diesem Hintergrund zweideutig.807 Ein weiteres graphisches Bild, auf das Lichtenberg explizit verweist, um seine eigene Beschreibung zu ergänzen, zeigt Garrick und Weston in einer gemeinsamen Szene der Komödie The Beaux Stratagem von George Farquhar. Bevor der Zusammenhang von verbalem, graphischem und mentalem Bild thematisiert wird, sei die Ekphrasis bis zur Erwähnung des Kupferstiches vorgestellt. Die Eingangspassage von Lichtenbergs verbalem Doppelporträt nennt dessen Darstellungsziel und verbindet damit eine grundsätzliche Reflexion über MimenEkphrasis: Ich kann eine solche Szene, worin die beiden Lieblinge eines erleuchteten Volks sich bemühen, zu ihrem längst gegründeten Ruhm, ohne Übertreibung, in dem Zaum der geübtesten Vernunft, etwas hinzuzutun, nicht beschreiben. Alles, was ich tun kann, ist, einer Einbildungskraft, deren Wirkungskreis mir unbekannt ist, auf Geratewohl einige Winke zu geben, sich selbst etwas Ähnliches zu schaffen. (LBE: 351)

Hier wird die zu Beginn von Garricks ›Schauspielerporträt‹ getroffene Überlegung, dass der ›Wink‹ mit dem Ideal galanten Gebarens beim Leser die Beobachtung eines französischen Vertreters dieser Bewegungskultur voraussetzt (LBE: 331), verallgemeinert: Der Erklärer ist eigentlich immer auf einen leserseitigen Vorrat mentaler Bilder angewiesen, den er nicht kennt. Insofern ist es ratsam, nicht nur einen »Wink«, sondern »einige Winke« zu geben. Die ersten drei fokussieren auf verschiedene Aspekte des Kontrast zwischen den beiden Verkörperungsbildern. Erstens werden kurz die beiden Rollen charakterisiert: »Garrick macht den Archer, einen Herrn von Stand, der sich aus leicht zu erratenden Ursachen in einen Bedienten verkleidet hat, und der arme Weston den Scrub, einen Aufwärter, in einem armseligen Wirtshause, worin jener einkehrt« (LBE: 351). Zweitens werden die Erscheinung des »entzückenden Kerl[s]« Archer und des »arme[n] Teufel[s]« Scrub in Bezug auf ihr prächtiges bzw. schäbiges Kostüm kontrastiert. Und drittens wird das erste Zusammentreffen beider unter das Vorzeichen von Scrubs Bewunderung gestellt, der damit die Position des intradiegetischen Publikums einnimmt:808 Er gerät in eine Art von andächtigem Staunen, da dieser Herr Bediente (wie das Göttingische Mädchen sagte) auftritt. Garrick, frisch, schalkhaft und schön wie ein Engel, den niedlichen Hut mit fast gefälliger Leichtigkeit seitwärts aus dem hellen Gesicht gestoßen, tritt munter und voll Vertrauens auf seine Waden und neuen Anzug, fest und stramm daher, und fühlt sich um ein Drittel größer neben dem trübseligen Scrub. Und 807 Siehe zu dieser Drucktechnik, die in revolutionärer Weise die Wiedergabe von Tonwerten ermöglichte, das Standardwerk Wax: The Mezzotint und den Ausstellungs-Katalog Fehle/ Hanebutt-Benz: »Die also genannte schwarze Kunst«. 808 Siehe I.2.1.2.

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

Scrub, der ohnehin wenig ist, scheint auch noch das zu verlieren, und zittert mit den Knien, vor lauter Gefühl des dreifachen Kontrasts zwischen Aufwärter – – und Bedienten, und folgt bei gefallenem Unterkinn in einer Art von Anbetung Garricken bei allen Bewegungen mit den Augen nach. (LBE: 352)

Obwohl Lichtenberg den imaginativen »Wirkungskreis« seiner Leser nicht kennt (LBE: 351), darf er annehmen, dass wenigstens den Aufmerksameren unter ihnen einige Elemente aus bisherigen Beschreibungen der beiden Schauspieler im Gedächtnis geblieben sind, die in der zitierten Passage reaktiviert werden: Die Attitüde des staunenden Scrub erinnert in ihrer Spannung zwischen verängstigter Körperhaltung und groß staunenden Augen deutlich an jene Pose Druggers in der alchemistischen Wunderkammer, die Lichtenberg aus Westons mimischem Repertoire extrapoliert hat (II.5.3). Zur Evokation von Garricks Präsenz wiederum (bezeichnenderweise wird zweimal der Name des Schauspielers genannt, nicht der Rollenfigur) aktualisiert Lichtenberg die in seinem ›Schauspielerporträt‹ hervorgehobenen Merkmale weltmännischer Lässigkeit und athletischer Kraft (II.5.4); allerdings verstärkt er die erotische Komponente durch die Betonung der Waden und die Einführung einer weiblichen Perspektive (»das Göttingische Mädchen«). Nach dieser Einführung wendet sich der Beschreiber nun einer Sequenz der Szene zu, die auch in einem Kupferstich festgehalten ist (Abb. 24). Anders als im Fall des graphischen Abington-Porträts ist er von dessen Ausführung allerdings wenig angetan: Archer, der den Scrub zu seinen Absichten braucht, wird bald gnädig. Sie setzen sich neben einander nieder. Dieser Teil der Szene ist in Kupfer gestochen, und Sayer hat eine Kopie davon unter seine bekannten Bildchen aufgenommen. Allein weder Weston noch Garrick gleichen sich da sonderlich, zumal ist der letztere, der sich sonst in eben dieser Bildchensammlung als Abel Drugger und Sir John Brute so herrlich gleicht, daß fast nichts drüber geht, abscheulich mißhandelt. Wer die unwiderstehliche Kraft des Kontrastes auf dem Theater kennen lernen will, wenn er vom Dichter und dem Schauspieler gut und nach beiden Seiten gleich stark durchgesetzt wird, damit nicht die Struktur, deren ganze Schönheit im richtigen Gleichgewicht bestehet, nach einer Seite umgeschmissen wird, wie gemeiniglich geschiehet, der muß diese Szene sehen. (LBE: 352)

Die Kritik an dieser Darstellung aus Robert Sayers Stichwerk Dramatic Characters, or Different Portraits of the English Stage (1770) kann eigentlich nur der recht schematisierten Physiognomie gelten, denn zum einen betont auch Sayer, bis in die Schatten hinein, das ›Gleichgewicht‹ der Gegensätze,809 zum anderen 809 Die Figuren fügen sich annähernd in ein Quadrat; eine senkrechte Mittelachse führt durch Garricks rechten Ellbogen über sein rechtes Knie und Westons linke Schuhschnalle, eine waagrechte durch den Ansatz von Westons Schürze über Garricks abgespreizten linken

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Abb. 24: Robert Sayer: Mr. Weston & Mr. Garrick in the Characters of Scrub and Archer in the Stratagem (Kupferstich, 1770)

ist die nun folgende Szenenbeschreibung zugleich eine präzise Beschreibung des Bildes. Da Lichtenberg von Sayers »bekannten Bildchen« spricht, darf er darauf rechnen, dass manche Leser seine Beschreibung mit dem Kupferstich vergleichen und auch auf diesem »die unwiderstehliche Kraft des Kontrastes« auskosten.810 Die folgenden Sätze jedenfalls lassen sich ebenso als Mimen-Ekphrasis wie als Bildbeschreibung lesen: Garrick wirft sich mit der ihm eigenen Leichtigkeit auf den Stuhl, schlägt den rechten Arm über Westons Lehne, und biegt sich zum vertraulichen Gespräch nach ihm hin; die herrliche Livree liegt rückwärts geschlagen, und eine Schönheitslinie schließt sich Daumen zu dessen Rocktasche. Die Gegensätze werden kompositorisch betont durch die Überschneidung der Beine sowie die leicht unterschiedliche Höhe der auf den Schenkel ruhenden Hände und insbesondere der einander fixierenden Augen. 810 Übrigens tut Lichtenberg gut daran, sich am Kupferstich zu orientieren, da sein Gedächtnis gerade in Bezug auf diese Komödie, die er nur einmal gesehen hat (LBE: 326), nicht ganz zuverlässig ist: Scrub ist kein »Aufwärter« des Gasthofs, sondern Bedienter des Squire Sullen (siehe auch David: Restoration and Georgian England, 379). Dem Kontrast zwischen den beiden Figuren kommt dieser Lapsus allerdings zugute.

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in Rock und Mann an die andre. Weston sitzt auf der Mitte des Stuhls, wie es sich gebührt, nur etwas zu weit nach vorn und auf jedem Knie eine Hand, stark versteinert da, mit den Schalksaugen auf Garricken gewendet. (LBE: 352)

Selbst der Gebrauch der line of beauty, die Hogarth für graphische wie für schauspielerische und tänzerische Darstellungen empfiehlt,811 wird von Sayer angedeutet, besonders deutlich im Ausschwingen von Garricks Rock. Auch die nun folgende erinnerte Zuschauer-Beobachtung – »Hierbei bemerkte ich etwas an Weston, das sich herrlich ausnahm« –, wie Weston dem »mit einer gefälligen Nachlässigkeit in sich selbst« ruhenden Garrick »mit steifem Rücken allmählich die Höhe abzugewinnen sucht« (LBE: 352), lässt sich am graphischen Bild ablesen: Weston hat den rechten Fußballen leicht angehoben. Die Szenenbeschreibung schließt mit einem überraschenden Fazit: »In dieser Szene tat die natürlich dumme Miene des Weston, sein treuherziges Wesen, das bei ihm aus allem hervorleuchtet, und durch den unaffektierten Pelz seiner Stimme nicht wenig gewinnt, fast Garricken Abtrag. Das ist viel gesagt.« (LBE: 353) Überraschend ist dies weniger angesichts der Hierarchie der Rollenfiguren als angesichts von Lichtenbergs früherer Abwertung Westons gegenüber Garricks Schauspielkunst am Beispiel der Verkörperung Druggers. Hier ist nachzutragen, dass das Doppelporträt beider in The Beaux’ Stratagem Teil eines längeren Weston-Porträts ist, das mit einem ›Schauspielerporträt‹ beginnt (LBE: 350), gefolgt von einer Reihe von Rollenporträts. Diese nimmt Lichtenberg nun wieder auf mit einer weiteren Bedientenrolle812 und schließt diesen Teil seines Porträts mit der gewissermaßen meta-ekphrastischen Reflexion: Wie gern beschriebe ich Ihnen den Mann, wie er als Schuhflicker im hinkenden Teufel (Devil upon two sticks) ein paar Schuh, die er unter dem Rock stecken hat, in die Ecke hinlegt, um mit desto mehr Anstand auf einen Schemel zu steigen, auf welchem ihn Foote zum Doktor kreiert. Aber wenn ich das durchlaufe, was ich gesagt habe, so vergeht mir alle Neigung mehr von ihm zu sagen. Es ist zwar ein Vergnügen, den Totaleindruck, den der Anblick eines solchen Wundergeschöpfes auf einen macht, in seine Bestandteile zu zerlegen, und Empfindungen zu Buche zu bringen; (ich habe mir solche Beschreibungen zum Vergnügen eine Menge gemacht,) aber die Absicht einem andern ein ähnliches Vergnügen zu verschaffen, wird meist verfehlt, weil die unvermeidliche Unvollständigkeit der Zahl dieser entwickelten Gefühle, dem Leser bei ihrer Herabminderung zur Klarheit Raum genug übrig läßt, neben dem Endzweck des Verfassers vorbei zu schleichen, oder noch schlimmer ihm den Vorwurf zu machen, er habe zu viel gesehn. (LBE: 353f.)

811 Siehe Anm. 787. 812 In John Burgoynes Komödie The Maid of the Oaks (1774), siehe LBE: 353.

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Auch von der Szene, deren Beschreibung hier verworfen wird, findet sich ein Stich in Sayers Dramatic Characters,813 doch dürfte es in diesem Fall tatsächlich besonders schwierig sein, den »Totaleindruck« des auf eine Figur reduzierten Bildes verbal einzuholen. Lichtenbergs Skepsis betrifft allerdings nicht nur die Beschreibung dieser Szene, sondern ausdrücklich seine bisherigen Ekphrasen Westons sowie einige weitere, die er in den Briefen nicht mitteilt. Allerdings bricht er damit die Charakterisierung Westons nicht etwa ab, sondern wechselt die Darstellungsform und erzählt zwei »Anekdoten von ihm, die mich mehr unmittelbar in des Mannes Seele sehen lassen« (LBE: 354). Es sind jene Geschichten von Westons Verirrung ins tragische Rollenfach (als Richard III.) und seinem Zusammenspiel mit dem großen Hund im Epilog zu den Rival Candidates, die bereits in Kapitel II.5.3 erwähnt wurden. Auch hier versucht Lichtenberg durchaus, einen »Totaleindruck« von Weston zu geben, allerdings weniger durch dessen beschreibende ›Zerlegung‹ als durch den Einsatz einprägsamer ›karikaturistischer‹ Bilder, insbesondere von Tiervergleichen. Lichtenbergs Skepsis gegenüber der enargeischen Reichweite von Mimen-Ekphrasis führt also nicht zur Resignation, wohl aber zu einem Registerwechsel. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass auch Ekphrasen im ursprünglichen rhetorischen Kontext nie eine ganze Rede umfassten, sondern Höhepunkte bezeichneten, bei denen die Aufmerksamkeit des Publikums in besonderem Maße durch die Evokation innerer Bilder zu fesseln war. Lichtenbergs Briefe aus England haben sich zwar insgesamt die Aufgabe gestellt, »etwas von Herrn Garrick zu schreiben« (LBE: 326), das seine schauspielerische Wirkung anschaulich und verständlich macht, doch geschieht dies im Wechsel von Rollenporträts und dem diskursiveren Schauspielerporträt Garricks, vor dem Hintergrund weiterer Rollen- und Schauspieler(innen)porträts und unter Dreingabe von allerlei »Ausschweifung« (LBE: 326). Damit können sich die Leser einerseits von ihren Imaginations-Anstrengungen erholen, werden andererseits aber auch auf neue Porträts eingestimmt. Wenn Lichtenberg etwa vor der eigentlichen Ekphrasis der Sängerin Gabrielli ausführlich erzählt, wie er dreimal zu ihrem Konzert geeilt ist, das dreimal wegen Krankheit verschoben wurde, so wird die derart aufgebaute Spannung auf das schließlich doch stattfindende Konzert im Sinne einer Antiklimax enttäuscht und der Verdacht nahegelegt, bei ihrer angeblichen Unpässlichkeit handle es sich um Diven-Gehabe. In ähnlicher Weise bezeugt die Anekdote von den selbstbewusst ausgehandelten Vertragsbedingungen der Liaison zwischen Frances Abbington und einem kultivierten Adligen (LBE: 361) die These, dass ihr »die papierene Welt in Drurylane […] zu enge« sei (LBE: 360). Doch gibt es auch engere Bezüge zwischen Theateranekdote und Mimen-Ekphrasis; dazu seien im Folgenden einige 813 Siehe West: Image of the Actor, 47.

258

Enargeia, Allegorie und Karikatur

Beobachtungen und Thesen formuliert, die in späteren Kapiteln untermauert und weitergeführt werden.814

5.7

Mimen-Ekphrasis und Theateranekdote

Lichtenberg zufolge lassen seine Weston-Anekdoten »in des Mannes Seele sehen« (LBE: 354). Diese Bestimmung entspricht der grundsätzlichen Funktion der Anekdote, »im Episodischen Typisches aufzuzeigen« und insbesondere »in gedrängter Form einen für menschliche Charakterzüge […] aufschlussreichen Augenblick zu erfassen.«815 Theateranekdoten tendieren nun dazu, diese Charakterzüge in Spannung zur Verkörperung zu setzen bzw. zur ästhetischen Bühnenillusion überhaupt. Diese Spannung führt oft sogar zu einem Bruch: Der Vollblutkomiker Weston zum Beispiel gestaltet seinen Richard unfreiwillig als Karikatur und provoziert das Publikum zu lautstarken, spöttischen Reaktionen (siehe II.15.2).816 Der hier aufscheinende Charakterzug Westons ist Selbstverblendung in der Einschätzung seiner künstlerischen Möglichkeiten. Sein Eigensinn wird jedoch in der oben anzitierten Anekdote von seinem Epilog mit Hund (II.5.3) positiv gewendet: Weston war des Monologs »überdrüssig […] und wollte nicht erscheinen« (LBE: 354). Diese ästhetische Spielverweigerung empört das Publikum, das mit Flaschen und anderen Wurfgeschossen die Bühne bombardiert. Auf diesen Umstand spielt eine »höchst sinnreiche Veränderung« an (LBE: 355), die Weston, als er schließlich doch auftrat, in seiner an den Hund gerichteten Versrede anbrachte – zum Eigensinn dieses Schauspielers kommen also Kaltblütigkeit und improvisatorische Virtuosität. Um diese Eigenschaften in ihrer Spannung zur ästhetischen Bühnenillusion zu exponieren, hätte Lichtenberg jedoch seine Anekdoten auch wesentlich knapper erzählen können; insbeson814 Siehe II.8.2 und IV.2.3. 815 Schäfer : Anekdote, 24. Nach Sonja Hilzinger hatten die zwischen 1760 und 1810 im deutschen Sprachraum erschienenen Anekdotensammlungen »[a]n der Schwerpunktverlagerung von der Fürsten- und Kriegsgeschichte zur Sozial- und Kulturgeschichte […] insofern Anteil, als sie die Erweiterung in die Breite ergänzten um die in die Tiefe: mit ihrer Charakterisierung des Einzelmenschen, der Erforschung seiner Motivationen und seines Seelenlebens und der Entdeckung des Privaten leisteten sie einen wesentlichen Beitrag zur Mentalitätsgeschichte ihrer Zeit.« (Hilzinger : Anekdotisches Erzählen, 55). Das enargeische Potenzial der Gattung betont Klaus Tudyka, wenn er im Prolog seiner aus Originalquellen zitierenden Sammlung Theater-Anekdoten formuliert, diese wollten »das Treffende, das Bezeichnende, das Menschliche aus dem Bereich der Bühne schildern, damit uns das Charakteristische des Vergangenen lebendige Anschauung wird.« (Tudyka: TheaterAnekdoten, 6ff., hier 7). 816 Weitere Beispiele dieses Anekdoten-Typs für Schauspieler aus dem 18. Jahrhundert in Tudyka: Theater-Anekdoten, 69–72.

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dere die Einfügung der karikaturistischen Vergleiche mit dem Affen-Laokoon und dem unbewegten Ausdruck einer »Ofenplatte« (LBE: 355) wären überflüssig. Er nutzt aber den anekdotisch vorgegebenen Bruch der Illusion, um Westons Erscheinung vor Augen zu stellen: So wenig »dieses hölzerne Gestell« (LBE: 354) fähig ist, den zwar hässlichen, aber spätestens seit Garricks epochaler Verkörperung höchst beweglichen und bedrohlichen Richard zu spielen, so sehr kommt die Starrheit insbesondere der Mimik seinem Eindruck in ›drolligen‹ Rollen zugute. Diesen Aspekt bringt die Anekdote insofern besonders eindrucksvoll zur Geltung, als Weston einerseits mit seiner Anspielung auf die aktuelle Aufführungssituation die durch die Form des Epilogs ja ohnehin relativierte Illudierung noch einmal relativiert, andererseits jedoch einzig seinem ihm ähnlichen ›Bühnenpartner‹ zugewandt bleibt, der allerdings als Tier wiederum eine besondere Präsenz jenseits der ›Rolle‹ besitzt.817 Insofern diese Anekdote die Kaltblütigkeit eines Schauspielers demonstriert, zielt sie auf eine ähnliche Pointe wie eine ekphrastische Anekdote Diderots, die im Sinne der Evidenz-Funktion sein Paradoxe vom ungerührt-rührenden Schauspieler untermauert: Le Kain Ninias descend dans le tombeau de son pHre, il y 8gorge sa mHre; il en sort les mains sanglantes. Il est rempli d’horreur, ses membres tressaillent, ses yeux sont 8gar8s, ses cheveux semblent se h8rrisser sur sa tÞte. Vous sentez frissoner les vitres, la terreur vous saisit, vous Þtes aussi 8perdu que lui. Cependant Le Kain Ninias pousse du pied vers la coulisse une pendeloque de diamants qui s’8tait d8tach8e de l’oreille d’une actrice. Et cet acteur-l/ sent?818

Es handelt sich nur um ein Beispiel von mehreren Anekdoten des Paradoxe sur le Com8dien, welche die Kaltblütigkeit ›kalter Schauspieler‹ verdeutlichen; letztlich soll auch die Ekphrasis von Garricks mimischer ›Nummern-Revue‹ dieselbe Aussage evident machen (I.1.4).819 Analog dazu funktioniert eine Garrick-Anekdote des Schauspielers Tom King. Er beschied einen Gesprächspartner, der behauptete, keiner habe mehr als Garrick unter den von ihm verkörperten Emotionen gelitten, folgendermaßen: Pooh, […] he suffer those feelings! Why, Sir, I was playing with him one night in Lear, when in the middle of the most passionate and affecting part, and when the whole house was drown’d in tears, he turned his head around to me and whisper’d »D-mn me, Tom, it’ll do.«820

817 Siehe Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, 176–186. 818 Diderot: Œuvres 20, 82. 819 Für weitere Anekdoten siehe Diderot: Œuvres 3, 68–72 (unmittelbar vor der Beschreibung von Garricks Kunststückchen ebd. 73); 81f. 820 The Monthly Mirror New Series 1 (1807), 78, zit. nach McIntyre: Garrick, 3.

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

Im Gegensatz zu den Weston-Anekdoten ist das Publikum in all diesen Fällen hochgradig illudiert; erzähltechnisch kann der Bruch zwischen mitreißendem Spiel und ungerührtem Spieler nur durch einen Blick ›hinter die Kulissen‹ vermittelt werden. Eine weitere Gruppe von Theateranekdoten thematisiert das Kippen der Zuschauerillusion in tatsächliche Täuschung. Die Nähe dieses beliebten Erzählmusters821 zur ekphrastischen Strategie der ›intermedialen Metalepse‹ wurde bereits deutlich in Philostrats Rückgriff auf die Legende vom gemalten Vorhang, mit dem Parrhasios seinen Malerkollegen Zeuxis täuscht (I.2.2.3).822 Eine vergleichbare Pointe hat eine Geschichte, die Garricks erster Biograph Thomas Davies erzählt: Ein Gemüsehandler aus Lichfield sollte Garrick bei einem London-Besuch eine Nachricht von dessen Bruders Peter überbringen, sah David aber zunächst als Drugger und wollte mit einem solch erbärmlichen Burschen nichts zu schaffen haben.823 Die Anekdote hat auffallende Ähnlichkeit mit der Partridge-Passage in Tom Jones (I.1.4) und steht wie diese im Dienst der Evidenz-Funktion. Allerdings geht es in der Anekdote um die Reaktion auf die realistische Verkörperung einer Komödienfigur, während der komische Partridge auf die Verkörperung einer Tragödienfigur reagiert. Im Folgenden soll gefragt werden, wie sich Lichtenbergs Rollenporträt von Garrick als Hamlet, das ja explizit von »Meister Rebhuhns vortrefflicher Beschreibung im Fündling« (LBE: 334) ausgeht,824 zu den Beschreibungen komischer Rollen in den Briefen verhält.

5.8

Garricks Hamlet als Hogarth’scher ›Character‹

Bisher orientierte sich meine Analyse von Lichtenbergs Briefen aus England in Struktur und Textauswahl zum einen am Zusammenhang zwischen Karikatur und Mimen-Ekphrasis in England, der bereits in den Unterkapiteln II.3-II.4 verfolgt wurde, zum anderen an der Formulierung »Dieses waren wieder ein 821 Deutsche Beispiele für Theateranekdoten aus dem 18. Jahrhundert, die diesem Muster folgen, finden sich in Tudyka: Theater-Anekdoten, 68f. 822 Die Geschichte wird meist als ›Legende‹ bezeichnet (siehe Scholz: Bild, 624) weist aber die wichtigsten Merkmale einer Anekdote auf, außer den genannten insbesondere auch das der Pointiertheit (siehe Fricke: Definitionen und Begriffsnormen). 823 Davies: Garrick 1, 63. 824 Im Tagebucheintrag zum Besuch der Hamlet-Vorstellung am 2.12. 1774 erzählt Lichtenberg den Vorfall (noch in Unkenntnis von Tom Jones?) als Anekdote: »Mir ist erzählt worden, daß vor einigen Jahren ein Mann auf der Schillings Gallerie glaubte dieses wäre ein würklicher Geist, sein Nachbar sagte ihm es wäre ein Ackteur und der Geist gehörte mit in dass Trauerspiel. Aber, sagte der andere, wenn das ist, warum ist dann der Mann im schwartzen Kleide (Garrick) selbst davon erschrocken.« (Lichtenberg in England 1, 49).

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paar Pinselstriche an seinem Porträt als Garrick. Nun noch ein paar am Hamlet.« (LBE: 340) Die bisher ausgewählten Rollenporträts jedoch zeigten Garrick nicht in der Titelrolle der Hamlet-Tragödie, sondern als Komödianten. Zwar wurde die bei weitem berühmteste Passage des Hamlet-Porträts bereits in Kapitel I aus wechselnden systematischen Perspektiven analysiert, doch besteht das ›Rollenporträt‹ selbst noch aus weiteren ›Bildpartien‹ bzw. Textpassagen; einer davon entstammt das »Porträt«-Zitat. Meine bisherige Bevorzugung von Komödienrollen bedarf also einer anderen Begründung. Zunächst sei darauf verwiesen, in welcher Abfolge die Mikro-Ekphrasen in den Briefen präsentiert werden. Lichtenberg beginnt nämlich mit Mimen-Ekphrasen von Garrick in mehreren Komödienrollen: erst als Abel Drugger, dann als Sir John Brute; auf beide bezieht er sich sogar im folgenden Porträt Garricks »als Garrick«, zudem auf die Rolle des Benedick in Much Ado about Nothing.825 Erst nach dieser Vorbereitung wendet sich Lichtenberg der Hamlet-Geist-Szene zu; den größten Raum nimmt aber auch in den folgenden Briefen die Beschreibung komischer Rollen (nicht nur Garricks) ein. Nun hat Lichtenberg tatsächlich, wie er zu Anfang in einem kleinen Rechenschaftsbericht darlegt, in London hauptsächlich Komödien gesehen, doch hätte er immerhin Garricks Verkörperung des Lusignan in Voltaires Zaire beschreiben können (LBE: 326f.). Lichtenberg jedoch macht (zu Beginn seines Doppelporträts von Garrick und Weston in The Beaux’ Stratagem) unmissverständlich klar, dass seine Bevorzugung von Komödienrollen programmatisch ist: Der Schauspieler sowohl als der Zuschauer sind beide immer mehr im Lustspiel zu Haus, als im Trauerspiel, und was der erstere auch selbst durch die feinste Kunst im Trauerspiel hervorbringt, läßt sich immer, dünkt mich, leichter in Worte fassen, als was die unerschöpfliche Natur im erstern sowohl tut als bemerkt. (LBE: 351)

Entscheidend sind der größere Realismus und die größere Gegenwartsnähe des Lustspiels im Gegensatz zur Tragödie, die zumal in England (von ersten Versuchen im ›bürgerlichen Trauerspiel‹ abgesehen) durch Verssprache und die Beachtung klassizistischer Regeln weitaus stilisierter wirkte.826 Zwar wäre die Beschreibung einer Schauspielerleistung vor dem Hintergrund der klaren tragischen Darstellungskonventionen aus Lichtenbergs Sicht wesentlich einfacher, sie interessiert ihn aber nicht, da es auch ihm um die Beobachtung der »unerschöpflichen Natur« geht, auf wie jenseits der Bühne.827 Diese Dichotomie von Lust- und Trauerspiel gilt jedoch für die Tragödien Shakespeares gerade nicht, da Lichtenberg diesen Dramatiker ebenso wie den Schauspieler Garrick vor allem als Menschenbeobachter versteht (siehe II.5.4). 825 Siehe I.5.3. 826 Siehe Brauneck: Welt als Bühne 2, 293–299, 670–673. 827 Siehe Olschner : London in Lichtenbergs Augen.

262

Enargeia, Allegorie und Karikatur

Wie sehr dies Garricks schauspielerischem Selbstverständnis entspricht, bezeugt bereits das von ihm in Auftrag gegebene Hogarth-Porträt in der Titelrolle der Shakespeare-Tragödie Richard III. (Abb. 3), das eine bis dahin nur in Komödienrollen gekannte Beweglichkeit und mimische Expressivität vermittelt. Zudem sei daran erinnert, dass er in seinem Essay on Acting formuliert, die Rachegelüste eines Alexander des Großen und eines Krämers hätten womöglich dieselbe Quelle und unterschieden sich nur in ihren ›Strömen‹,828 und Shakespeare nachrühmt, er gebiete mit dem Zepter seiner Feder über »every Passion and Humour«.829 Wie sich die sichtbaren ›Ströme‹ der jeweiligen Verkörperung im Falle vergleichbarer Emotionen ähneln, bezeugt in Garricks Essay die Parallelisierung von Druggers und Macbeths Entsetzen: Beide manifestieren sich in einer steifen, widersprüchlichen Stellung (II.3.2). Das impliziert nicht nur eine Psychologisierung der Tragödienfigur, sondern auch eine Individualisierung der Komödienfigur, wie Lichtenberg in seinen Beobachtungen zur Drugger-Verkörperung herausgearbeitet hat. Ähnlich verhält es sich, wenn sich das Entsetzen des von Garrick verkörperten Hamlet in Fieldings komödiantischer Partridge-Figur spiegelt – wobei hervorzuheben ist, dass Fielding die körperlichen Symptome des Dorfschulmeisters gar nicht beschreibt, sondern ihn einen komischen Monolog halten lässt, der das Bühnengeschehen lediglich kommentiert. Dennoch spricht Lichtenberg von »Meister Rebhuhns vortrefflicher Beschreibung«, die er mit seiner eigenen Beschreibung »nicht entbehrlich machen, sondern nur erklären« wolle (LBE: 334). Dass auch diese beschreibende Erklärung, das heißt Lichtenbergs Porträt von Garrick als Hamlet, etliche Elemente der an Hogarths character-Karikaturen orientierten Ekphrasen aufweist, soll im Folgenden gezeigt werden. Die Untersuchung wird dabei zunächst noch einmal die Hamlet-Geist-Szene in den Blick nehmen, danach die Weiterführung von Lichtenbergs Hamlet-Porträt in weiteren Briefen. Ich beginne mit einer kleinen Vergleichsreihe: Nach Garricks Vorstellung hat Abel Drugger seinen Körper dem zerbrochenen Urinal zuzukehren, die Augen aber ängstlich davon abzuwenden (II.3.2); Lichtenberg imaginiert Westons Drugger, wie er vor Angst erstarrt dasteht, »erst mit den Augen zu leben und zu untersuchen anfängt, und dann den Kopf langsam dreht usw« (LBE: 328) – und wünscht sich schließlich in seiner Beschreibung der Geist-Szene, der Briefpartner könnte Garrick als Hamlet »sich von seinen Freunden, die ihn warnen nicht zu folgen und fest halten, los arbeiten sehen, immer mit den Augen auf dem Geist, ob er gleich mit seinen Gefährten spricht.« (LBE: 335) Die Beschreibung seines Abgangs wiederholt und steigert die Momente der Inkongruenz: »endlich da der Zuschauer den Geist nicht mehr sieht, fängt er ihm an langsam zu folgen, 828 Das heißt konkret, in ihren dem Stand gemäßen mimischen Zeichen; GEA: 4, siehe II.3.2. 829 GEA: 24, siehe II.4.1.

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steht zuweilen still und geht dann weiter, immer mit ausgelegtem Degen, die Augen starr nach dem Geist, mit verwirrtem Haar und noch außer Odem« (LBE: 336). Das verwirrte Haar macht das Erscheinungsbild zwar nicht lächerlich, doch das Dekorum eines ›Helden‹ im Sinne barocker Schauspielkunst wird in dieser Darstellung von Garricks Verkörperung ebenso missachtet wie auf Zoffanys Gemälde des kleinen Macbeth-Darstellers mit offener Weste (Abb. 2). Auch in der vorausgegangenen Beschreibung von Hamlets erstem Gewahrwerden des Geistes ist die Haltung des Helden so instabil, dass er »unterstützt [werden muss] von seinen Freunden, die mit der Erscheinung bekannter sind, und fürchteten, er würde niederfallen« (LBE: 335). Dass auch Lichtenberg fürchten mag, die Beschreibung könnte an dieser Stelle ins Lächerliche ›kippen‹, legt seine Versicherung nahe, Garrick bleibe »in einem großen aber anständigen Schritt« (LBE: 335) stehen. Dieser – im Schauspielerporträt bereits hervorgehobene – Eindruck des ›Anstands‹ wird, ein paar Absätze weiter und die erste Hamlet-Passage beschließend,830 abgegrenzt gegen bloße Bühnenkonvention und gesellschaftliche Konvention, indem Lichtenberg eine Anekdote von Garricks Nachahmer William Smith831 kolportiert, der ihn mitunter als Hamlet vertrat: Vor mehreren Jahren […] erschrak er zwar als Hamlet in der oben beschriebenen Szene, zog aber zugleich aus Respekt gegen den Geist seines gnädigsten Herrn Vaters den Hut mit einer tiefen Verbeugung ab. […] [D]afür kriegte auch Herr Smith damals den Namen Monsieur Hamlet ab. (LBE: 337)

Hamlet-Garricks Hut dagegen »fällt auf die Erde« (LBE: 335), als er erschrocken herumwirbelt – ein Einfall, der auch im Dienst eines komischen Effektes stehen könnte, hier jedoch als Teil von Garricks start den Ausdruck der Überraschung unterstreicht und die erschütternde Wirkung steigert. Lichtenbergs Anekdote hat also eine ähnliche Funktion wie Churchills karikaturistische Darstellung von Spranger Barrys Missachtung des gezielten Einsatzes von start in derselben Szene (II.4.2). In der Hamlet-Passage des zweiten Briefes übergeht Lichtenberg ausdrücklich »[e]inige der schönsten Szenen […], unter andern die, wo er die Schauspieler unterrichtet, und dann die, in welcher er seiner Mutter die Vergleichung zwischen seinem Onkel und seinem Vater ins Herz donnert, und der Geist darüber erscheint« (LBE: 343), und wählt stattdessen zwei berühmte Monologe, wie sie traditionell Anlass für die Deklamationskunst von Tragöden alter Schule waren. Umso deutlicher wird der Gegensatz zu deren Praxis herausgearbeitet. Gleich 830 Ich übergehe hier einige ›Abschweifungen‹ über Garricks glücklose Nachahmer in England, das Kostüm des Geistes und die Situation der deutschen Schauspielkunst (LBE: 337). 831 Im Allgemeinen bezeichnenderweise »Gentleman Smith« genannt (siehe McIntyre: Garrick, 402, 493, 497); Vorname nach Lichtenberg in England 2, 276.

264

Enargeia, Allegorie und Karikatur

der Eingangssatz dieses Hamlet-Porträts832 ist ein Beleg dafür, dass Shakespeares Tragödien aus Lichtenbergs Sicht die Dichotomie von Komödie und Tragödie transzendieren, zumal wenn Garrick den ›Helden‹ spielt: In dem vortrefflichen Monolog: O that this too, too solid flesh would melt etc. bringt er, um mich astronomischer Kunstwörter zu bedienen, wieder eine Menge von den kleinen Gleichungen an, womit er die Handlung eines mittleren Menschen zur Wahrheit und Bestimmtheit des Individuums verbessert. (LBE: 340)

Lichtenberg greift hier also Aristoteles’ Modell des ›mittleren‹ Tragödienhelden auf,833 geht aber über dessen Schematismus hinaus und verlangt Individualisierung, die er als eigentliche Leistung Garricks sieht. Der Hinweis, dass er diese Leistung »wieder« vollbringe, verknüpft die Passage zudem mit der Formulierung im ersten Brief, Garrick habe die Rolle des Abel Drugger »aus der Absicht des Dichters abstrahiert, durch die ausgebreiteste [sic] Kenntnis individualisierender Umstände verbessert und von der obersten Galerie herab leserlich ausgedrückt.« (LBE: 328) In beiden Formulierungen wird der Zeichencharakter dieser Leistung (»leserlich«, »Gleichungen«) betont. Sie entspricht der Leistung des Zeichenerfinders Hogarth, deren Deutung sich Lichtenberg ein paar Jahre später verschreiben sollte. Wie Hogarth beanspruchte, mit seinen characters eine Gattung zwischen Porträtkarikatur und Porträt geschaffen zu haben, und seine moral modern subjects zwischen Historienmalerei und Bildsatire verortete, so schuf auch Garrick nach Lichtenbergs Überzeugung einen Darstellungsstil, der Komödientypen und Tragödienhelden einander annäherte durch individualisierende Charakterisierung und forcierte Visualisierung. Die Berechtigung dieser Analogie zu graphischen Gattungen zeigt sich in der folgenden Ekphrasis der beiden Monologe darin, dass Lichtenberg die Besprechung deklamatorischer Feinheiten konsequent verweigert und visuelle Zeichen an ihre Stelle setzt. So wird die Grundempfindung, in deren Zeichen der erste Monolog steht (und die eben nicht als tragödientypische ›Leidenschaft‹ gefasst wird, sondern als allgemein-menschlich im Sinn des Essay on Acting) durch das unwillkürliche Zeichen der Träne repräsentiert:834 832 Die mehrfach zitierte Metapher vom den »Pinselstriche[n] an seinem Porträt als Garrick« und als »Hamlet« geht unmittelbar voraus (LBE: 340). 833 Arist. Poet. 1453a 16f, zur Interpretation siehe Fuhrmann: Dichtungstheorie, 42ff. Dass Hamlet auch durchaus als komische Figur verstanden werden kann, hat Norbert Greiner gezeigt (Greiner: Hamlet). 834 Auch dies eine Parallele zur Analyse von Garricks Verkörperung Abel Druggers, der »wirklich die roten Ringe um die Augen kriegt, die allemal eine große, wenigstens zum Teil gewaltsam unterdrückte Freude begleiten« (LBE: 328f.). Zur Kategorie der unwillkürlichen Zeichen siehe Kosˇenina: Anthropologie und Schauspielkunst. Noch Joachim Meyerhoff berichtet vom ersten Jahr seiner Ausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule 1989, dass die Fähigkeit oder Unfähigkeit, auf der Bühne spontan weinen zu können, die Schauspiel-

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Die Tränen des gerechtesten Schmerzes für einen tugendhaften Vater, um den eine leichtsinnige Mutter, nicht allein keine Trauer, sondern kein Leid mehr trägt, zu einer Zeit, da die Schmarotzer noch Schwarz tragen sollten, die unaufhaltsamste unter allen Tränen, vielleicht, da sie bei einem solchen Kampf von Pflicht mit Pflicht die einzige Erleichterung sind, die sich ein rechtschaffenes Herz verschaffen kann, überwältigen Garricken völlig. (LBE: 340f.)

Wie zu Anfang der Hamlet-Geist-Passage wird hier der Grund für Hamlets Leid einerseits aus der Innensicht entwickelt, andererseits durch den Bezug auf Kostüm-Zeichen veranschaulicht. Im Folgenden geht Lichtenberg zwar auf Garricks Sprechen ein, jedoch nicht im Sinne kunstvoller Deklamation, sondern von deren Negierung im Zeichen der Expression: Von den Worten: So excellent a King geht das letzte ganz verloren; man sieht es nur an der Bewegung des Mundes, der sich gleich darauf fest und zitternd schließt, um den allzu deutlichen Ausdruck des Schmerzes durch die Lippen, der sich ins Unmännliche ziehen könnte, zu hemmen. (LBE: 341)

In doppelter Weise geht es hier um Sehen statt Hören: Der Zuschauer muss das unhörbare Wort an der Bewegung der Lippen ablesen; Hamlet ist bei allem Schmerz darauf bedacht, keinen unmännlichen Ausdruck des Mundes zuzulassen.835 Diese Struktur steigert sich im Sinne jener pause, die bereits in der Hamlet-Geist-Szene vorgeführt wurde: Am Ende des Monologs mischt sich gerechter Unwille mit seinem Schmerz, und einmal, da sein Arm heftig, wie mit einem Streich, herunter fällt, um einem Wort im Unwillen Nachdruck zu geben, bleibt dieses Wort, unerwartet für die Zuhörer, von Tränen aufgehalten aus, und kömmt erst nach einigen Augenblicken mit den Tränen zugleich nach. Ich und mein Nachbar, mit dem ich noch kein Wort gesprochen hatte, sahen uns hier einander an, und sagten etwas. Es war unwiderstehlich. (LBE: 341)

Weder die Beschreibung der Monolog-Darbietung noch die Beschreibung der sie strukturell wiederholenden Zuschauerreaktion verrät, was gesprochen wird; man erfährt nur, dass ein »Wort« zunächst ausbleibt und sich schließlich seinen Weg bahnt, psychologisch so »unwiderstehlich« wie Hamlets »Tränen«. Auch die Beschreibung von Hamlets »To be or not to be etc.«-Monolog (LBE: 341) thematisiert keinerlei deklamatorische Feinheiten. Stattdessen wird zuschüler »knallhart in zwei Klassen« teilte: »den hoch talentierten, heulenden Hochadel« und »die untalentierte Unterschicht, die sich die Hände vors Gesicht schlug und vom Publikum abgewandt mit staubtrockenen Augen Schluchzen spielte« (Meyerhoff: Ach, diese Lücke, 168). 835 Der folgende Satz lässt keinen Zweifel daran, dass es hier um die Charakterisierung der Rollenfigur geht und nicht etwa um Bedenken des Schauspielers: »Diese Art Tränen fallen zu lassen, die mit der ganzen Last des innern Schmerzes auch zugleich die männliche Seele zeigt, die unter ihr leidet, teilt sich unaufhaltsam mit.« (LBE: 341).

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nächst die kulturelle Bedeutung dieser Verse gewürdigt, die jeder Engländer »wie ein Vaterunser« auswendig wisse (LBE: 341), dann Garricks Kostüm: Hamlet, der, wie ich schon erinnert habe, in Trauer ist, erscheint hier, weil er angefangen hat, den Verrückten zu spielen, mit dickem, losem Haar, davon ein Teil über die eine Schulter hervorhängt; einer von den schwarzen Strümpfen ist herunter gefallen und läßt den weißen Unterstrumpf sehen, auch eine Schlinge des roten Kniebandes hängt über die Mitte der Wade herab. (LBE: 341)

Die Affinität dieses Kostüms (und seiner Beschreibung) zur Komödie wird deutlich im Vergleich zu einer Passage aus Lichtenbergs Ekphrasis von Garrick als John Brute, der betrunken nach Hause kommt: »Die Weste ist von oben bis unten offen, die Strümpfe voller Falten, und die beiden Strumpfbänder hängen herab« (LBE: 344). Allerdings betont Lichtenberg, dass Hamlets Kostüm »mit Anständigkeit verwirrt« sei, und kontrastiert diese Verwirrung mit der melancholischen »Würde« von Hamlets Haltung: »So tritt er langsam und in tiefer Betrachtung hinter den Szenen hervor ; das Kinn unterstützt er mit der rechten Hand, und den Ellbogen des rechten Arms mit der linken, und sieht mit großer Würde seitwärts auf die Erde nieder.« (LBE: 342) Nun erst geht Lichtenberg auf Garricks Rezitation ein und betont dabei wiederum die Verweigerung von Deklamations-›Kunst‹ im herkömmlichen Sinne: Hierauf, indem er den rechten Arm von dem Kinn wegbringt, aber, wo ich mich recht erinnere, ihn noch durch den linken unterstützt hält, spricht er die Worte To be or not to be etc. leise, aber wegen der großen Stille (und nicht aus einer besonderen Gabe des Mannes, wie sogar in einigen Schriften steht) überall vernehmlich. (LBE: 342)

Im dritten Brief gilt Lichtenbergs Aufmerksamkeit zunächst keiner speziellen Hamlet-Szene mehr, sondern Garricks inszenatorischen Grundentscheidung, Hamlet im zeitgenössischen Kostüm zu spielen, genauer gesagt »im französischen Kleide« (LBE: 347). Auch wenn sich konsequent historische Kostüme und Bühnenbilder im heutigen Verständnis erst seit den 1870er Jahren unter dem Eindruck des Meininger Theaters durchsetzten,836 hatte doch bereits Aaron Hill die Forderung nach historisierenden Kostümen erhoben und gerade Garrick bereits wichtige Schritte in diese Richtung getan.837 So gab es in London offensichtlich bereits eine »antiquarische« Erwartungshaltung, vor deren Hintergrund die Aktualisierung des Kostüms wiederum eine Annäherung an den gegenwartsbezogenen Realismus der Komödie darstellte. In diesem Sinne versteht

836 Siehe Brauneck: Welt als Bühne 3, 151–154. 837 Siehe Nicoll: The Garrick Stage, 144–173, zu Hill siehe Benedetti: Garrick, 52f. Zur Situation im deutschen Theater siehe Heßelmann: Gereinigtes Theater, 312–318.

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Lichtenberg Garricks Entscheidung unter dem Aspekt der unmittelbaren ›Lesbarkeit‹838 von Körpersprache und Mimik: Unsere französischen Röcke sind längst zur Würde einer Haut, und ihre Falten zur Bedeutung von Mienen gediehen, und alles Ringen, Krümmen, Fechten und Fallen in einer fremden Tracht verstehen wir zwar, aber wir fühlen es nicht. Den Fall eines Huts während eines Kampfes fühle ich völlig, den von einem Helm weit weniger, er könnte sich auf die Ungeschicklichkeit des Akteurs schieben lassen, und lächerlich aussehen. Ich weiß nicht, wie fest ein Helm sitzen muß und kann. (LBE: 348)

Einmal mehr geht es um eine aus der Nähe zur Erfahrungswelt der Zuschauer gewonnene ›Deutlichkeit‹, die der von Komödie und Charakter-Bildnis entspricht, jedoch gerade nicht lächerlich sein soll. Der Hinweis auf den fallenden Hut erinnert an die Hamlet-Geist-Szene, deren körpersprachliche Grundspannung – Hamlet mit gezogenem Degen zwischen dem Geist und den Freunden – denn auch in überraschender neuer Perspektive erscheint: Als Garrick in oben erwähnter Stellung den Rücken zum Teil gegen die Versammlung kehrte, und ich bei seiner Anstrengung die bekannte Diagonalfalte von der Schulter nach der entgegengesetzten Hüfte erblickte, fürwahr, ich hätte selbst sein Gesicht ein paarmal dafür hingegeben. (LBE: 349)

Nachdem das verzögerte, leise oder gar unverständliche Sprechen über klare Artikulation gestellt wurde, wird hier die Rühmung anschaulicher, erfahrungsnaher Visualität auf die Spitze getrieben: Lichtenberg stellt den durch extreme Positur bewegten Ausdruck eines zeitgenössischen Kostüms noch über die Mimik des Akteurs, in der sich nach traditioneller Auffassung die schauspielerische Enargeia konzentriert. Vergleichbares gibt es bis dahin nur in einer Gemäldebeschreibung Quintilians, in der er den Ausdruck des sich abwendenden, von Trauer erschütterten Agamemnon bei Iphigenies Opferung über jede mögliche Darstellung seiner Mimik stellt.839 Im Unterschied zu dieser Stelle handelt es sich bei Garricks Hamlet allerdings nicht um einen so extremen Affektausdruck, dass die Darstellung der Mimik in Gefahr geriete, das Dekorum zu verletzen. Vielmehr geht es hier um die Spannung zwischen den Akteuren, aber auch – wie der folgende Satz verdeutlicht – um Dynamik im Sinn von ›starker Präsenz‹ (siehe I.5.3):

838 Das ist ganz ›buchstäblich‹ zu verstehen: Auf ihn, formuliert Lichtenberg, wirkten »alte Trachten« auf der Bühne wie Bücher »mit lateinischen Lettern«, die er gezwungen sei »in mein altes darmstädtisches ABC zu übersetzen« (LBE: 348). 839 Siehe Quint. inst. 2.13.13. »The passage […] returns in an ongoing series of discussions of vivid description and visual persuasion from Pliny through Quintilian, Valerius Maximus, Alberti and Giannozzo Manetti (van Eck: Rhetoric and Visual Arts, 29). Siehe ausführlicher III.6.3.

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

Ein gut gebauter Schauspieler, (und das sollten wenigstens alle sein, die sich mit dem Trauerspiel abgeben) verliert allemal in einer Tracht, die sich zu sehr von der entfernt, die irgend einmal im Leben […] die süßeste Befriedigung jugendlicher Eitelkeit war, und bei der unser Auge das zu viel und zu wenig bis zu Strohhalmebreite anzugeben weiß. (LBE: 349)

Lichtenberg greift hier auf die alte Rollenfach-Konvention vom stattlich gebauten Tragöden zurück, um sie im Sinn des im ›Garrick-Porträt‹ entwickelten Ideals umzuinterpretieren, das an die Stelle des ›Gardemaßes‹ den erotischen Reiz eines durchtrainierten Körpers setzt. Dazu wird das Sich-zur-Schau-Stellen des Schauspielers thematisch mit dem Sich-Präsentieren im jugendlichen Geschlechterspiel verknüpft, dessen Kleidungs-Semiotik Akteure wie Mitspieler genauestens kennen müssen. Mit der Darstellung von Trauer hat dieses Spiel allerdings nichts mehr zu tun; Hamlet erscheint vielmehr als Anstandsrolle, ganz im Sinn einer Formulierung aus dem ›Garrick-Porträt‹: »Wie viele Hofleute, und was sage ich Hofleute? Wie viele Hamlete mögen denn wohl in der Welt sein, die das sind, was der Mann zwischen seinen vier Wänden ist?« (LBE: 340) Die eben zitierte Charakterisierung von Garrick als »gut gebauter Schauspieler« (LBE: 349) steht denn auch im Vorfeld zum bereits vorgestellten Rollenporträt Garricks, das ihn in der Lustspielrolle des Archer als »entzückender Kerl« erscheinen lässt (LBE: 351). Wenn außerdem etwas später der Einfluss einiger der »größten Kenner des Menschen« auf Garricks Rollengestaltung in die Formulierung gefasst wird: »Selbst den Strumpf, der ihm so herabhängt, kann man denken, hat ihm vielleicht Fielding herabgezogen, und den Hut, der da so schön seitwärts sitzt, Sterne oder Goldsmith zurückgestoßen« (LBE: 355f.), so ist nicht mit Sicherheit zu sagen, ob es sich um den herabhängenden Strumpf von Sir Brute oder Hamlet handelt. Gerade deshalb zeigt sich in diesem Zitat noch einmal die Grundtendenz von Lichtenbergs ekphrastischer Strategie in bildhafter Prägnanz: das Zusammenspiel von intermedialer und kreativer Enargeia im Zeichen einer »character«-Darstellung, die sich an Hogarth und seinen poetischen »Geistesverwandten« orientiert.

»Nach Shakespear’s Zeichnung«

6.

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»Nach Shakespear’s Zeichnung«: Schinks Monographie Ueber Brockmanns Hamlet (1778) als Beispiel einer ›zergliedernden‹ Schauspielerkritik

Lichtenbergs Plan, die im Deutschen Museum veröffentlichten Briefe aus England separat zu veröffentlichen, wurde nicht verwirklicht.840 Doch brachte Johann Heinrich Schink vier Jahre später ein siebzigseitiges Oktavbändchen Ueber Brockmanns Hamlet heraus, das exemplarisch auch für die übrigen, (teilweise ebenfalls recht umfangreichen) Schauspiel(er)-Rezensionen dieses fleißigen Dramatikers, Dramaturgen und Rezensenten stehen kann.841 Da diese Texte den Zeitgenossen als Muster präziser Beschreibungskunst galten842 und auch bei den Theaterhistorikern Hans Peter Doll, Günther Erken und Erika Fischer-Lichte die Gattung der »Mimographie« bzw. des »Rollenporträts« vertreten,843 soll ein Blick auf Brockmanns Hamlet exemplarisch zeigen, wie eine typische ›Zergliederung‹ von Schauspielkunst aussah. Der Vergleich mit Lichtenberg bietet sich nicht zuletzt deshalb an, weil Lichtenbergs Briefe aus England Friedrich Ludwigs Schröders Hamburger Hamlet-Inszenierung, in der Brockmann auftrat, stark beeinflussten.844 Auch Schink erklärt die erste Begegnung Hamlets mit dem Geist »zu einer der größten Scenen dieses Stücks« (SBH: 21),845 mokiert sich aber in einer Nachschrift über die Behauptung, »Brockmann spiele besser als Garrick« (SBH: 68). Ähnlich wie Lichtenberg fragt auch Schink zu Beginn seiner Darstellung, wie man von einem »Werke der Kunst« schreiben könne, solange man sich in einem »Stand der Begeistrung« befinde, und rät zu einer »oft wiederholten Beschauung« (SBH: 5) des mimischen Kunstwerks. Schärfer als Lichtenberg artikuliert er ein grundsätzliches Misstrauen gegen die erste emotionale Wirkung: »Wenn die Seele in Entzückung ist, ist sie ihrer nicht mächtig; ist sie ihrer nicht mächtig, so ist sie auch nicht überzeugt, ist sie nicht überzeugt, so gilt auch ihr Urtheil nichts« (SBH: 5). Es geht also dezidiert um die kritische Beurteilung von 840 Siehe LSB 3/Komm.: 149. 841 Zu Leben und Werk siehe Bitterling: Schink; zu Schinks Selbstverständnis als Kritiker Heßelmann: Gereinigtes Theater, 86–88. 842 Siehe Heßelmann: Gereinigtes Theater, 377. 843 Siehe Einf. 1. 844 So Häublein: Entdeckung Shakespeares, 61; über Schröders Bearbeitung und Inszenierung des Hamlet informiert Birkner : Schröders Hamlet; siehe auch Bruno Voelckers Auswertung von Daniel Chodowieckis 1178 publizierter Kupferstichfolge des Berliner Gastspiels (Voelcker : Hamlet-Darstellungen Chodowieckis; Abbildungen dort im Anhang sowie in Chodowiecki: Sämtliche Kupferstiche, 143f.). Indizien für eine Bezugnahme Schinks auf Chodowiecki oder umgekehrt konnte ich nicht finden, weshalb die Kupferstiche hier nicht vorgestellt werden. 845 Die Sigle SBH steht im Folgenden für Schinks Schrift Ueber Brockmanns Hamlet.

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Schauspielkunst; die analytische Funktion von Mimen-Ekphrasis dominiert. Dennoch sind mentale Bilder in doppelter Weise konstitutiv für Schinks Text: Zum einen hat der Beschreiber den Mimen zwölfmal als Hamlet gesehen und verfügt über eine ebenso deutliche wie reflektierte Erinnerung an seine Leistung: Jede Schönheit seines Spiels, jeder Zug des Genies, den er seinem Hamlet einwebte, schwebt so klar, so deutlich vor meiner Seele, daß es die festeste Ueberzeugung ist, die aus mir ruft: Brockmann ist ein großer Schauspieler, und einer der vorzüglichsten Deutschlands! Aber deswegen sagen: Brockmann habe gar nichts zu erinnern übrig gelassen, kein menschlicher Akteur könne so was nachspielen, so ein Schauspieler existire in ganz Deutschland nicht, das kann ich unmöglich […]. (SBH: 8)

Zum anderen ist der Beschreiber überzeugt, seine Aufgabe wie kein Zweiter erfüllen zu können, da er sein mentales Verkörperungsbild abgleichen kann mit seinem intensiven mentalen Rollenbild als Hamlet-Leser : [I]ch habe mir aus der Rolle des Hamlet’s, eh’ ich noch daran dachte, daß Brockmann sie hier spielen würde, ein wahres Studium gemacht, weiß sie beynahe englisch und deutsch auswendig; habe in meiner Seele Hamlets Karakter so genau zergliedert, ihn durch alle seine Nüancen so genau verfolgt; ihn aus dem wahrsten und richtigsten Gesichtspunkt zu sehn mich so sehr bestrebt: als hätt ich selbst in dieser Rolle auftreten sollen. (SBH: 7)

Deshalb folgt auf die einleitenden Bemerkungen (BHE: 5–9) noch nicht die Beschreibung von Brockmanns Verkörperung, sondern eine Darstellung von »Hamlet’s Karakter nach Shakespear’s Zeichnung« (BHE: 9). Eine solche dramaturgische ›Zergliederung‹ der Rolle846 vor Beschreibung der Verkörperung war, wie Peter Heßelmann feststellt, überaus typisch für Schauspiel(er)rezensionen in Theaterperiodika des späten 18. Jahrhunderts und konnte einen beachtlichen Umfang erreichen: »Beispielsweise wird in der Neueren deutschen Dramaturgie auf 25 Seiten die Entwicklung des Charakters von Posa aus Schillers Dom Karlos verfolgt und diskutiert, wie die Figur mit allen ihren Eigenschaften auf der Bühne umzusetzen sei.«847 Damit verglichen, fällt die ›Nach-Zeichnung‹ von Hamlets Charakter mit etwa einer halben Seite recht knapp aus: Hamlets Hauptcharakterzug sei »tiefe, innige, menschenfeindliche Schwermuth« (SBH: 9); sie setze sich zusammen aus »Schmerz« über den Tod seines Vaters einerseits, »Abscheu und Unwillen« über das Verhalten seiner Mutter andererseits; die zweite Komponente überlagere im Fortgang des Dramas mehr und mehr die erste. 846 Siehe bereits die »dissection« von Macbeths Charakter im Essay on Acting (GEA: 13f., siehe II.2.2.) und noch die »dramaturgische Analyse« bei Guido Hiß (Hiß: Theatralischer Blick, 158f., siehe I.5.3). 847 Heßelmann: Gereinigtes Theater, 382; längeres Zitat ebd. 383; gemeint ist das zweite Heft in Band 1 der Neueren deutschen Dramaturgie von 1798.

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Vor diesem Hintergrund billigt Schink den ersten Auftritt Brockmanns: Dieser trete »mit dem beredtesten Ausdruck des Schmerzes, langsam und bebend einher, den Blick zur Erde gesenkt, die Arme übereinander geschlagen, ein wahres Ideal für einen Mahler der den Schmerz mahlen wollte!« (SBH: 10) Weitere Zeichen für den Affekt des seelischen Schmerzes sind tiefe Seufzer, Tränen in den Augen und zitternde Knie. Bereits während der Rede des Stiefvaters gestalte Brockmann auch den zweiten Pol von Hamlets Charakter : Sein Unwillen wird in den Blicken voll Verachtung, die er zuweilen auf den König und seine Mutter wirft, merklich sichtbar, und bricht auch auf einmal auf die Anrede des Königs, mein geliebter Sohn! in den Worten aus: »Lieber nicht so nahe befreundet und wenger geliebt!« (SBH: 10)

Doch während Brockmann in der ersten Szene also dem spannungsvollen Charakter-Bild Hamlets, das sich der Shakespeare-Leser Schink gemacht hat, entspricht, bleibt er im folgenden Monolog dahinter zurück: Er spricht ihn durchgehend »in einem klagenden larmoyanten Ton«, ohne die »Abwechslung der verschiednen Affecten« zu berücksichtigen (SBH: 15). Diese Kritik wird vorbereitet durch eine detaillierte »Zergliederung« des Monologs im Wechsel von Zitat und Erläuterung des jeweils vorherrschenden ›Affektes‹. So heißt es im Anschluss an jene Passage, in der Hamlet seinen Vater mit seinem Schwiegervater vergleicht (Ham.1.2; V. 142): »Hier hat ihn der Affect gleichsam zu gewaltig erschüttert – er kann nicht weiter, und eine merkliche stumme Pause muß hier die Beklommenheit seines Herzens mahlen.« (SBH: 13) Außer in einer solchen Pause sollte sich der jeweilige Affect im Mienenspiel ausdrücken, vor allem aber im ›Ton‹ der Stimme:848 »Hier bricht ihm das Herz, Thränen überschwemmen seine Backen, und in gebrochnen Tönen stößt er noch folgendes aus«. (SBH: 15) Wohlgemerkt: Das ist nicht die Beschreibung von Brockmanns Verkörperung, sondern die ›Ausmalung‹ einer idealen Verkörperung, die Schinks mentalem Rollenbild entspräche, tatsächlich aber mit Brockmanns im Anschluss kritisierter ›Ein-Tönigkeit‹ kontrastiert. Im Fall der folgenden Szene dagegen – Hamlets Begegnung mit den Freunden, die ihm von ihrer Begegnung mit dem Geist berichten – entspricht die Verkörperung dem mentalen Rollenbild so vollkommen, dass Schink ankündigen kann: »Ich darf hier nur Brockmann’s Spiel detallieren – und der Leser hat Shakespear’s Geist und Sinn vor sich.« (SBH: 16) Diese ›Detaillierung‹ der realen ist genauso gestaltet wie die der idealen Bühnenaktion: Sie besteht aus Redezitat, Erläuterung des vorherrschenden Affekts bzw. ›Tons‹ und Beschreibung entsprechender 848 »[S]ein Ton ist der bebende Ton des ängstlichen Schmerzes«; »[d]er klagende Ton geht […] in den Ton des Widerwillens und Abscheus über« (SBH: 12); »er bricht in den Ton des äußersten Erstaunens und Entsetzens aus«; »[u]nd nun wirft er mit dem Ton der stärksten Verachtung die Bemerkung hin« (SBH: 14).

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paralinguistischer Zeichen sowie Bewegungszeichen, wobei hier zur Mimik noch die Gestik kommt.849 Durchgehend ist von »Hamlet« statt von Brockmann die Rede, bis es überraschend heißt: Hier wünscht ich wohl dem Leser ein deutliches Gemälde von Brockmanns trefflichem Geberdenspiel geben zu können: Wie bey Gustavs[850] Erzählung die trübe Wolke auf seiner Stirn sich nach und nach verzieht, seine Augen voll Begierde hervorquellen, Angst, Furcht, Neugierde, Entschlossenheit und Staunen sich wechselweise in seinem Gesicht mischen – wie wahr, wie meisterhaft hier die Veränderung des Tons ist! Aber so was muß man mit sehn und hören. (SBH: 19)

Doch ist der Unsagbarkeitstopos umgehend vergessen – nur durch ein Absatzzeichen vom eben Zitierten getrennt, heißt es: »So wie Gustav seine Erzählung anfängt, heftet er sein starres Auge auf den Erzähler« (SBH: 19) und was der mimischen Zeichen für gespannte Aufmerksamkeit mehr sind. Damit wird der bewährte Darstellungsmodus (Zitat, Affektidentifikation, mimische Zeichen) – wieder aufgenommen; erst am Schluss der Szene erinnert ein resümierendes »Vortrefflich!« daran, dass es um Brockmanns Leistung ging (SBH: 21). Nach diesem Beispiel für das Zusammenfallen von mentalem Rollenbild des Lesers und Verkörperungsbild des Zuschauers werden beide effektvoll gegeneinander ausgespielt. Zunächst greift Schink tief in den Vorrat empfindsamer Topoi, um seine seelische Erschütterung bei der Lektüre der »Erscheinungsscene des Geistes« auszudrücken: Nie bebten gewaltgere Schauer durch meine Seele, nie fühlt ich mich mehr Entsetzen ergreifen, nie mehr ängstliches Schrecken mein Herz durchklopfen – als wenn ich mir diese Scene aufm Theater dachte. Meine Einbildung mahlte sich das all so schauerig, so feyerlich, daß ich oft das Buch weglegen mußte, um diese mächt’gen Eindrücke auszuhalten. (SBH: 21)

Die tatsächliche Vorstellung dagegen habe ihn »ganz kalt gelassen – ich hab’ auch nicht den kleinsten Schauer empfunden. Woher das wohl kommen mag?« (SBH: 21) Er beantwortet diese Frage zunächst durch die Behauptung, dass »die Einbildungskraft mehr Farben hat, sich die Scenen auszumahlen, als die Wirklichkeit sie geben kann!« (SBH: 22) Für einen Theatermann wie Schink ist diese Skepsis gegenüber der ästhetischen Illusion des Theaters bemerkenswert. »Wirklichkeit« meint nämlich die Wirkmöglichkeiten des Theaters und speziell der Berliner Gastbühne, die zu klein für schaurige Raumeffekte ist.851 Vor allem

849 Zum Beschreibungsvokabular siehe I.5.2. 850 »Gustav« steht in Schröders Fassung für Horatio. 851 In diesem konkreten Sinne verstehe ich jedenfalls die Formulierung von »dem Bedürfnis des hiesigen Theaters, das nicht Größe, nicht Tiefe genug hat, um eine solche Geistererscheinung täuschend genug und also effectuöser zu machen« (SBH: 22). Man vergleiche

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aber ist der Kritiker mit der »Ausführung dieser Scene von Hr. Brockmann nicht zufrieden« und fragt: »Was that Herr Brockmann in dieser Scene, und was hätt’ er thun sollen?« (ebd.). Der erste Teil dieser Frage wird zunächst durch eine Beschreibung des berühmten Überraschungsmomentes beantwortet: »Der Geist tritt auf, Herr Brockmann schlägt ein Kreuz, wirft den Hut herunter, steht mit bebendem Knie, keuchendem Athem, und vorgebeugtem Leib da – und indem der Geist näher tritt, redet er ihn mit gebrochner Sprache und zwar mit halben Thönen an.« (SBH: 22) So sehr diese Beschreibung mit ihrer spannungslos-parataktischen Aneinanderreihung von Bewegungszeichen gegen Lichtenbergs Satzkunstwerk abfällt, so weit blieb allerdings auch, Schink zufolge, Brockmanns Verkörperung hinter der Garricks zurück: Zu loben seien zwar das Fallenlassen des Hutes und das Beben der Stimme (beides bereits bei Lichtenberg erwähnt) sowie Brockmanns Einfall des Kreuzschlagens, zweierlei sei aber zu tadeln. Zum einen bewertet Schink ein zentrales Bewegungszeichen als empirisch ›falsch‹: »Nun frag’ ich einen jeden, ob Entsetzen und Erstaunen den Leib vorwärts, oder rückwärts biegt? Ich denke das letztere. Erstaunen fährt allemal zurück.« (SBH: 22) Die Formulierung ist ein Beispiel dafür, dass im 18. Jahrhundert »[d]er kinesische Code des Theaters als repräsentatives Sinnsystem der Aufklärung« verstanden wurde,852 der Gesetzmäßigkeiten im Zusammenhang von Psyche und Körperausdruck zu folgen hatte. Rund ein Jahrzehnt später sollte dieser Ansatz in Johann Jakob Engels Ideen zu einer Mimik (1785/86) seine wohl konsequenteste und einflussreichste Formulierung finden. Engel fasst darin den Zusammenhang zwischen Affekten und Bewegungszeichen durchgehend in ähnlich apodiktischen Wendungen und verbindet sie gern mit der Korrektur falscher Darstellungen, sei es im Zusammenhang mit Verkörperungsbildern oder graphischen Bildern. So kritisiert Engel zu Beginn des Sechzehnten Briefes eine Schautafel, die sich in einer einflussreichen Malanleitung, dem Groot Schilderboek (1707) von G8rard de Lairesse, findet: Eine ähnliche Regel wie für die annähernde Begierde, gilt auch für die zurückstrebende: immer wird derjenige Theil des Körpers, welcher vorzüglich leidet oder bedroht wird, zuerst verschlossen, zurückgezogen. Lairresse’s Zeichnung eines Mannes, der von einer Schlange – ich weiß nicht, ob schon gestochen ist oder erst gestochen werden soll – ist also falsch: der Mann hält den Fuß, indem er schon die Flucht nimmt, noch bei der

dagegen Lichtenbergs Formulierung, wonach Garrick als Hamlet bei Erscheinen des Geistes »ziemlich tief im Theater« geht (LBE: 335). 852 Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 2, 177 (Überschrift von Kapitel 2.3., ebd. 177–182); siehe weiterhin Kosˇenina: Anthropologie und Schauspielkunst und Kapitel I.5.2 dieser Arbeit.

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Schlange am Boden, da doch dieser Fuß eben so zuerst zurückfahren sollte, wie der gebrannte Finger vom Lichte.853

Zurück zu Schink: Sein zweiter Kritikpunkt ist Brockmanns ›Timing‹ bzw., im Rückgriff auf Churchill formuliert, die mangelnde Kontrastierung von start und pause.854 Neben das Kriterium der empirischen Gesetzlichkeit (»allemal«) tritt hier die angestrebte affektive Wirkung auf das Publikum: Ich daher, wenn ich den Hamlet spielte, würde […] meinen Leib rückwärts biegen; und da Erstaunen allemal die Zunge bindet, in dieser Attitüde des Erstaunens drey bis vier Minuten sprachlos bleiben, nach und nach mich mehr vorwärts beugen, nach und nach Worte zu suchen scheinen, und so den Geist, wie Herr Brockmann in halben gebrochnen Thönen, anreden. Der Eindruck, den eine solche minutenlange stumme Pause auf den Zuschauer machen müßte, könnte nicht anders als groß seyn. (SBH: 23)

Dass es aber auch zu einem Konflikt zwischen einer ›wahren‹ und einer affektiv wirksamen Verkörperung kommen kann, zeigt Schinks Besprechung der weiteren Szenengestaltung: Als Hamlet »sein Schwerd« gegen seine Freunde zieht und dem Geist folgt, tut Brockmann dies immer noch »mit zitternder Stimme«: »Schön! herrlich! Riefen die Zuschauer. Ja wohl schön, dacht’ ich, aber nur nicht im Sinne des Dichters, nicht in Hamlets Karakter!« (SBH: 23). Immerhin, behauptet der Kritiker, habe er sich durch das Urteil des Publikums kurz irritieren lassen, dann aber durch erneute Shakespeare-Lektüre versichert, »daß ich doch Recht, Herr Brockmann dagegen Unrecht habe« (ebd.). Hier wird besonders pointiert der Anspruch formuliert, nicht nur die Mimen, sondern auch das Publikum im Sinne des ›Literaturheaters‹ zu erziehen.855 Dieser Anspruch ist schon für Lloyd und Churchill grundlegend (I.1.4, II.4.1); während dieser jedoch mimische Fehlleistungen exemplarisch und manchmal auch ohne Bezug zu einem speziellen Drama herausgreift (II.4.2), stellt Schink sehr ausführlich sein mentales Rollenbild vor, davon überzeugt, es sei mit dem Shakespeares identisch, und misst daran Brockmanns Verkörperungsbild. Allerdings vermischen sich Rollenbild und Verkörperungsbild in den folgenden Szenenanalysen oft bis 853 Engel: Mimik 1, 120; zu Engels Systematik der »Zustände der menschlichen Seele«, in der Angst und Entsetzen zu den »abstoßenden«/»zurückstrebenden Begierden« im Gegensatz zu den »annähernden« gehört, die wiederum zu den »Tätigkeiten des Herzens« im Gegensatz zu denen »des Kopfes« zählen, siehe das Übersichts-Diagramm in Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 2, 165. – Die von Engel kritisierte Zeichnung findet sich in der 1784 erschienenen deutschen Übersetzung des Groot Schilderboek (Lairesse: Grosses Mahler-Buch, 34). 854 Siehe II.4.2. 855 Schink führt die narrative Kontrastierung sogar noch weiter fort: Sogar einige »Freunde«, denen er seine »Zweifel« mitteilt, »nahmen das gleich für Verrath gegen Brockmann auf« (SBH: 23) und müssen also noch einmal zurechtgewiesen, vor allem aber durch eine nun folgende gründliche Szenenanalyse restlos widerlegt werden.

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zur Ununterscheidbarkeit, wie Schink einmal selbst in einer Fußnote einräumt. Darin geht es um die Beschreibung des Streitgesprächs zwischen Hamlet und seiner Mutter sowie dessen zweite Begegnung mit dem väterlichen Geist (Ham. 3.4): Was in der bisherigen Zergliederung dieser Scene Herrn Brockmann von mir nachgeschrieben, oder nicht nachgeschrieben worden, werden die Leser, die ihn gesehn, ohne meine Angabe wissen. Im Ganzen spielt Brockmann diese Scene vortrefflich, ober [sic] sich gleich die feinern Uebergänge von Schmerz zur Bitterkeit, von der Wehmut zum Unwillen nicht selten hat entschlüpfen lassen. Die Bemerkung, die ich eben bey der ersten Erscheinung des Geistes gemacht habe, daß Erstaunen den Leib rückwärts nicht vorwärts beugt, gilt auch hier ; und hier noch mehr als oben. (SBH: 61)

Wie Churchill schreibt Schink vor allem für solche Leser, die das als Zuschauer erworbene Verkörperungsbild mit dem bei der Lektüre entstehenden vergleichen können, um so zur kritischen Beurteilung von Schauspielkunst erzogen zu werden. Die Substitutionsfunktion der Mimen-Ekphrasis ist deshalb weitgehend irrelevant. Das erklärt wohl auch, warum Schink weder Brockmanns Kostüm noch seine Physis thematisiert.856 Die Fußnote verdeutlicht aber auch, dass Schinks Mimen-Ekphrasis eine Evidenzfunktion im Hinblick auf seine schauspieltheoretische Position erfüllt. Obwohl er sorgsam kleinste mimische Details diskutiert, optiert Schink nämlich nicht für das Modell des kalten Schauspielers, der diese Details bewusst abruft, sondern für das des heißen Schauspielers: »Wenn man aber eine solche Situation nicht zu fühlen weiß, wenn dies Schrecken nicht wirkliches Schrecken beym Schauspieler ist, sondern nur Nachäffung des Schreckens, so seh ich nur den Komödianten nicht den Menschen, sehe Brockmann, aber nicht Hamlet.« (SBH: 61) Entscheidend ist das celare-artem-Prinzip: Schink ist überzeugt, dass ein kalter Schauspieler seine Kunst unmöglich verbergen könne. »So lange an dem Schauspieler immer noch seine Kunst zu sehen ist, so lange er die Kunst nicht in der Natur zu verstecken weiß, ist er wol nicht der große Schauspieler, das Publikum mag ihn auch noch so sehr dafür ausschreyen.« (SBH: 62) Unter dieser Prämisse ist es durchaus konsequent, wenn die Beschreibung von idealem Rollenbild des Lesers und gelungenem Verkörperungsbild zusammenfallen, denn wenn sich der Schauspieler wirklich in »Hamlet’s Karakter nach Shakespear’s Zeichnung« (BHE: 9) ›einfühlt‹, wird er ebenso unfehlbar die passenden mimischen Zeichen hervorbringen, wie sie dem wirklich verständigen Leser vor Augen stehen. Zudem ist zwar eine Reflexion der Angemessenheit mimischer Zeichen geboten, aber immer im Bezugsfeld von vor-geschriebener Rolle, em856 Lediglich »die außerordentliche Beredsamkeit seines Gesichtes« wird gewürdigt (SBH: 16), das Gesicht aber nicht beschrieben.

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pirischer Glaubwürdigkeit und Wirkungsintention, nicht aber bezogen auf vorgängige Schauspieltheorien. Ein Schauspieler, der diesem von Schink vorgeführten Prinzip folgt, unterscheidet sich, wie es in der Fußnote weiter heißt, von der gemeinen Klasse, die ihre Kunst bis zur Pedanterie studirt haben, und bey denen man durch ihr ganzes Spiel den Riccoboni und S. Albin [sic] hervorriecht – beyde brave Männer, die aber zu wenig über das Wesen der Kunst nachgedacht haben, um nicht Pedanten zu werden, ihre meisten Regeln sind völlig unbrauchbar, und machen aus der Schauspielkunst ein steifes Marionettenspiel, aber keine Nachbildung der Natur, von der diese Kunst doch ein Spiegel sein soll.« (SBH: 62)

Dass die Orientierung an Riccobonis Ideal des kalten Schauspielers zu ›puppenhaftem‹ Spiel führe, ist in der Theaterpublizistik des 18. Jahrhunderts ein gängiger Vorwurf.857 Wenn hier auch R8mond de Sainte Albine, der üblicherweise einfach als Vertreter des Modells vom ›heißen Schauspieler‹ gesehen wurde, als ›Pedant‹ bezeichnet wird, überrascht dies dagegen, spricht aber für die Sachkunde Schinks: Entgegen der gängigen Meinung war R8mond durchaus der Meinung, dass auch der gerührte Schauspieler seinen Verstand gebrauchen und Regeln beachten müsse.858 Die zitierte Fußnote ist auch insofern aufschlussreich für Schinks Position, als sich hier – allerdings fast nur hier – ›Karikaturen‹ von Schauspielkunst finden:859 Daher sind auch die meisten der Schauspieler die vor zehn Jahren so groß waren – jetzt so wenig, und das aus keinem andern Grunde, als weil sie durch Riccoboni und S. Albin verleitet Grimasse für Ausdruck der Leidenschaft nehmen, und sich einen König nicht anders vorstellen, als einen Mann der mit wellenförmiger Aktion[860] seinen Mitspielern unter der Nase herumfährt und die Luft mit scharfen Thönen durchsägt. Exempla sunt odiasa, und ich müßte hier berühmte Namen nennen. (SBH: 62)

Wie in Garricks Essay und Churchills Rosciad wird eine für überlebt erachtete, wenngleich noch verbreitete Schauspielkunst attackiert. Doch wird sie nicht namentlich exemplifiziert – insofern ist diese Passage eher mit Fieldings Spott auf die ›barocke‹ Schauspielkunst des anonymen Claudius-Darstellers zu ver857 So heißt es im Theater-Journal für Deutschland, St. 14 (1780), 17, Riccoboni biete »sehr gute Regeln für die Stellungen, aber der sich völlig darnach richten wollte, würde aussehen wie eine Drahtpuppe« (zit. nach Heßelmann: Gereinigtes Theater, 338). 858 Siehe Heßelmann: Gereinigtes Theater, 352. 859 Lediglich dem – namentlich nicht genannten – Darsteller des Geistes wird vorgeworfen, sein Verkörperungsbild habe an einen »Knecht Ruprecht« (SBH: 28) erinnert. Es geht um das Dekorum: Für einen Geist schicke sich »schlechterdings keine Aktion« (SBH: 29). 860 Vgl. das Zeugnis des Schauspielers Brandes, wonach er 1756 als Schauspielanfänger von einem Ballettmeister angewiesen wurde, mit den Armen »eine Schlangenlinie, oder auch wellenförmige Bewegung« zu beschreiben (Brandes: Lebensgeschichte 1, 169); Heßelmann (Gereinigtes Theater, 299) sieht hier den Einfluss von Hogarths »Line of Beauty« (vgl. Anm. 787).

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gleichen.861 Vor allem aber verweist die Formulierung vom ›Durchsägen der Luft‹ auf Hamlets Schauspieler-Vergatterung, die wiederum auf Quintilians Kritik an übertriebener Gestikulation zurückgreift.862 Insgesamt geht es bei Schink nicht um durchweg missglückte, sondern (wie bei Lichtenberg) um überwiegend gelungene Schauspielkunst, die allerdings (anders als bei diesem) noch zu perfektionieren ist, um dem Ideal vollkommener ästhetischer Illusion im Sinne des aufgeführten Dramas näherzukommen. Ironischerweise besteht Schinks Haupteinwand gegen Brockmanns Verkörperung nach der ersten Geister-Szene in der allzu perfekten Darstellung von Hamlets Narrheit: Mit dem folgenden Akt fängt Hamlet an den Gecken zu spielen, und diese Scene[863] sind unstreitig Brockmanns Triumph. […] Spielend wirft er uns hier aus einer Leidenschaft in die andre, jede Art des Ausdrucks steht im zu Gebot, seine Nüancen sind fein und eines so großen Künstlers, wie er, würdig. […] Nur eins dünkt mich Herr Brockmann in diesen Scenen vergessen zu haben, nemlich, daß er den Narren nur macht, sich nur wahnwitzig stellt, nicht ist, und eben deswegen, […] oft aus dieser Mummerey der Narrheit herausgehn, und durch all den angenommnen Wahnwitz, der stärkere Affect, seine tiefe innige Schwermuth, sein Unwille und Abscheu gegen den König und die Königin über seine Maskerade siegen, und der närrische, launige Ton sehr oft in Bitterkeit und Wehmuth ausarten muß […]. […] Eine nähre Zergliederung dieser Scenen wird das beweisen. (SBH: 35)

Brockmann führt diese »Zergliederung« gemäß dem oben beschriebenen Schema am Leitfaden der Figurenrede durch. Um zu erweisen, wo Hamlet sich närrisch stellt und wo er ›aus der Rolle fällt‹, ist dabei mitunter ein noch höherer Kommentierungsaufwand nötig, bis hin zur Ausformulierung regelrechter ›Subtexte‹. Wenn Hamlet etwa zu Ophelia sagt: »Es war eine Zeit, wo ich euch liebte« (SBH: 49), wird dies durch folgende Paraphrase erläutert: »ich liebte euch ehmals, denn ich kannte euch und euer Geschlecht noch nicht genug – hielte es auch für etwas bessers, als ihr seyd; jetzt denk’ ich anders.« (SBH: 50) Nach der Analyse von Hamlets zweiter Begegnung mit dem Geist bricht Schink die »Zergliederung« allerdings ab, »[d]a jeder aufmerksame Leser, jeder aufmerksame Schauspieler ohne meine Angabe sehen wird, wo Hamlet auch in den folgenden Scenen seinem angenommnen Karakter treu bleibt, oder nicht« (SBH: 65). Vorausgesetzt ist offensichtlich, dass Leser und Schauspieler sich daraufhin ›ausmalen‹ können, wie ein Darsteller des Hamlet mit zwingender Folgerichtigkeit zu agieren hat. Diese Zielbestimmung des Textes macht noch einmal deutlich, warum jener kreative Freiraum in der Erfindung mimischer 861 Dort allerdings ironisch verpackt in das Lob des einfältigen Partridge, siehe I.1.4. 862 Siehe II.1. 863 Muss m. E. »Scenen« heißen – siehe den Schluss der Passage.

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Zeichen, dem Lichtenbergs eigentliches Interesse gilt, bei Schink trotz seiner einleitenden Floskel vom »Zug des Genies, den er seinem Hamlet einwebte« (SBH: 8), nur ausnahmsweise in den Blick gerät.864 Damit entfällt nämlich die Aufgabe, solche Züge aufzuspüren und dem Leser ›vor Augen zu stellen‹. Enargeia wird vor allem vom Dramentext her gedacht und immer wieder durch die Beschreibung der Wirkung auf den Leser konkretisiert. Erzielt die Verkörperung einen entsprechenden Effekt, muss sie nicht eigens kenntlich gemacht werden – versäumt sie es, ist das Nicht-Zustandekommen beschreibender Enargeia nur folgerichtig.

7.

Zusammenfassung

Das anonyme Epicedium auf Richard Burbage von 1619 (II.2) erinnert explizit an die enge Verbindung frühneuzeitlicher Schauspielkunst mit rhetorischer actio-Lehre und betont das beiden gemeinsame Wirkungsziel des movere, dem auch die bildende Kunst verpflichtet ist. Entsprechend wird aus der Tradition philostratischer Kunstbeschreibung der Kunstgriff der intermedialen Metalepse übernommen, um die Leistung des Künstlers sinnfällig zu machen, Betrachter oder Zuschauer die Grenze zwischen ästhetischer Illusion und wirklicher Täuschung vergessen zu lassen. Eine medienspezifische Pointe liegt darin, dass der nunmehr tote Schauspieler gerade das Sterben seiner Figuren besonders ›lebendig‹ gestaltet hat – überhaupt wird Enargeia hier mit vividness gleichgesetzt. Außerdem lobt das Gedicht Burbage für seine Wandlungsfähigkeit im Sinn des Proteus-Ideals und belegt sie durch einen knappen Rollenkatalog, der die Figuren durch jeweils ein Adjektiv charakterisiert und antithetisch gegeneinandersetzt. Die ›Magie‹ von Burbages Rezitation schließlich wird durch eine allegorische Szene überhöht, die auf die medienkombinatorische Gattung des Totentanzes anspielt und damit implizit wieder die bildende Kunst ins Spiel bringt. Alle drei Züge – täuschende ›Lebendigkeit‹, proteische Wandlungsfähigkeit und ›bezaubernde‹ Rezitation – bezeichnen allerdings weniger die Fähigkeit eines bestimmten als die des vollkommenen Schauspielers; insofern wird Burbage denn auch mehrfach, insbesondere am Schluss des Gedichtes, mit Roscius verglichen. Ähnliches gilt in Charles Churchills Rosciad von 1761 (II.4) für Garrick, der am Schluss sogar buchstäblich Roscius’ Platz einnehmen darf, eingeladen von Shakespeares selbst – auch hier verbinden sich Allegorie und laudatio. Doch gehört das Gedicht vor allem in die Tradition der Verssatire und nimmt die Schwächen schlechter Schauspieler aufs Korn, indem es Abweichungen ihres 864 Erinnert sei an Brockmanns Kreuzschlagen beim ersten Anblick des Geistes.

Zusammenfassung

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Darstellungsstils von vorherrschenden Darstellungsidealen herausstellt. Die Hervorhebung spezifischer Elemente von actio einerseits und der Rückgriff auf herabsetzende Schemata für Physis und Bewegung andererseits zeigen eine deutliche Nähe zur graphischen Karikatur, die um die Jahrhundertmitte in England populär wurde und sich unter anderem gegen Sänger der italienischen Oper richtete. Ein entsprechendes Verfahren lässt sich schon früher in publizistischer Prosa beobachten, hier vertreten durch Garricks Essay on Acting von 1744, der die Macbeth-Verkörperung des Konkurrenten James Quinn ›karikiert‹ (II.3). Eine Brücke zwischen literarischen und graphischen Karikaturen von Schauspielkunst stellten Schauspieler-›Karikaturen‹ auf der Bühne dar, wie sie insbesondere Samuel Foote schuf,865 aber auch Garrick selbst. Die Leistung guter Schauspieler dagegen wird zunächst weiterhin – besonders deutlich in der Rosciad – vor allem über allegorische Strukturen und über die hyperbolische Darstellung überwältigender Publikumswirkung vermittelt. Im Unterschied zur Burbage-Elegie wird dabei auf einzelne Rollen eingegangen und die Verkörperung als ideale Verwirklichung des Rollenbildes verstanden; mit welchen Mitteln sie zustande kam, bleibt jedoch offen. Dagegen zeichnet Garricks Essay on Acting immerhin für eine Macbeth-Szene ein positives ›Gegenbild‹ zur missglückten Darstellung Quinns, das als Beschreibung von Garricks eigener Verkörperung gelten kann. Die Beschreibung wird bezeichnenderweise parallelisiert mit dem Entwurf der Gestaltung eines Moments in einer Komödienrolle, der durch die Diskrepanz von körpersprachlichen Zeichen charakterisiert ist und insofern wiederum Strukturelemente von Karikatur aufweist. Hintergrund ist Garricks schauspielhistorische Leistung, den rhetorischen und statischen Darstellungsstil der klassizistischen Tragödientradition aufzubrechen durch den vergleichsweise dynamischen, wirklichkeitsnahen und visuellen Schauspielstil der Komödie. Diesem Aspekt gilt auch das besondere Augenmerk von Lichtenbergs Briefen aus England von 1775–1778 (II.5), die Garrick in mehreren Komödienrollen vorstellen; die eingehende Beschreibung mimischer Aktion entspricht nicht der satirischen Porträtkarikatur (auf deren Verfahren er allerdings für die Diffamierung von Opernsängern zurückgreift), sondern den zuspitzenden und genau beobachtenden Character-Karikaturen William Hogarths. Diesen Künstler stellt Lichtenberg denn auch als großen Beobachter des Alltagslebens mit Garrick auf eine Stufe – und beide sogar mit William Shakespeare. Dabei wird jedoch das allegorisierend-hyperbolische Verfahren Churchills weitgehend aufgegeben; 865 Lichtenberg verstand Foote mit seinen Farcen auch als Vorbild für literarische Karikaturen bzw. Parodien, wie ein Eintrag in sein Londoner Notizbuch D zeigt: »Ein Foote unter den Schriftstellern fehlt noch. Ich meine ein Mann, der ihre Fehler durch lächerliche Nachahmungen ins Licht zu setzen sucht. Lavater könte vortrefflich gebraucht werden.« (Lichtenberg in England 1, 235).

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Enargeia, Allegorie und Karikatur

stattdessen dient (analog zu einem Garrick-Porträt Gainsboroughs) das ›Schema‹ des Gentleman bzw. des galant homme als Ausgangspunkt für das ›Schauspielerporträt‹ Garricks. Darin wird dessen Wirkung auf das Publikum in einer Weise gefasst, die sich mit Fischer-Lichte als ›starke Präsenz‹ fassen lässt; stellenweise wird dieser Aspekt aber auch in Bezug auf Verkörperungen thematisiert. Grundsätzlich sind die Briefe aus England gekennzeichnet durch den Wechsel zwischen ›Schauspielerporträts‹ und ›Rollenporträts‹, wobei der Vergleich mit ›Gegenbildern‹ anderer Schauspieler und der Bezug auf graphische Bilder die Vorstellungskraft der Leser unterstützen; für Erholung von der imaginativen Anstrengung sorgt das Prinzip der Abschweifung. Ein besonders wirkungsvolles Mittel, Schauspieler- und Rollenporträt zu vermitteln, ist der Einsatz von Anekdoten, die einerseits den ›Charakter‹ des Schauspielers thematisieren und andererseits die Spannung zwischen ästhetischer Illusion und mimischem Kalkül exponieren. Lichtenbergs Rollenporträt Garricks als Hamlet wird nicht nur mit Unterbrechungen dargeboten, es ist auch selektiv, bezogen auf szenische Höhepunkte der Darstellung und auf Aspekte, die den Autor besonders interessieren, wie Monolog-Gestaltung und Kostüm. ›Zergliederungen‹ wie Schinks Monographie Ueber Brockmanns Hamlet von 1778 dagegen (II.6) haben den Anspruch, ein zusammenhängendes ›Bild‹ der Rolle zu zeichnen, bezogen auf das mentale Rollenbild des Rezensenten, das mit dem mentalen Verkörperungsbild des Dramatikers gleichgesetzt wird. Wenn das Verkörperungsbild des Beschreibers diesem Vor-Bild weitgehend entspricht, ist stellenweise unklar, ob die tatsächliche oder eine ideale Verkörperung beschrieben wird, zumal die individuelle Physis des Mimen nicht in den Blick kommt; deutlich und anschaulich sind vor allem Abweichungen. Da es in Schinks Text letztlich nicht um die Enargeia von Schauspielkunst geht, sondern um die des Dramentextes, ist dies jedoch unerheblich. Allerdings bemüht sich Schink in anderen Mimen-Ekphrasen, etwa in seiner Beschreibung Schröders als Lear, durchaus zu zeigen, wie im Einzelnen die ›Feinheiten‹ »dieses mimischen Meisterwerks« der Rolle entsprachen.866 Damit wird das von Erika Fischer-Lichte angesprochene Problem virulent, wie sich der »kontinuierliche Fluß der schauspielerischen Aktion« zur ›Zerlegung‹ »in eine Abfolge von Momenten« enargeisch auswirkt.867 Dies soll im folgenden Kapitel eigens thematisiert werden – allerdings am Beispiel eines späteren, wesentlich umfangreicheren Textes und im Kontext einer neuen geistesgeschichtlichen Konstellation am Ende des 18. Jahrhunderts. 866 Schink: Schröders Charakteristik, 46ff., hier 46, siehe Fischer-Lichte: Geschichte des deutschen Theaters, 134. 867 Fischer-Lichte: Geschichte des deutschen Theater, 136, siehe Einf. 5).

III

Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹. Enargische Vermittlungsstrategien zwischen sensualistischer Detailbeobachtung und Gesamtdeutung in Böttigers Entwickelung des Ifflandischen Spiels (1796)

1.

»Flick- und Lappenwerk«: Tieck und Goethe kritisieren Böttiger im Zeichen der Autonomieästhetik

Karl August Böttigers 1796 erschienene Monographie Entwickelung des Ifflandischen Spiels in vierzehn Darstellungen auf dem Weimarischen Hoftheater im Aprilmonath 1796 (fortan: Entwickelung) ist mit ihren 407 Oktav-Seiten die bis dahin umfangreichste aller Mimen-Ekphrasen.868 Den meisten Raum beanspruchen Rollenporträts von dreizehn Verkörperungen, die August Wilhelm Iffland bei seinem Weimarer Gastspiel vom 28. März bis 25. April 1796 präsentiert hat.869 Ihnen ist jeweils ein Kapitel gewidmet; nur das fünfte beschreibt, wie Iffland eine Rolle zweimal in deutlich unterschiedlicher Weise interpretiert hat, so dass Böttiger insgesamt auf »vierzehn Darstellungen« kommt. Gerahmt werden die Rollenporträts durch einen mit vierzehn Seiten eher kurzen programmatischen Vorbericht und eine dreißigseitige Nachschrift, die ein Schauspielerporträt Ifflands entwirft. Die Entwickelung hat den öffentlichen Spott Tiecks provoziert und einen knappen Verriss Goethes im Briefwechsel mit Schiller. Die Kritik gilt vor allem den von Böttiger beschriebenen ›Feinheiten‹ in Ifflands Spiel und ist, insbesondere bei Goethe, in einer Weise formuliert, die autonomieästhetische Vorstellungen indiziert und traditionelle Ekphrasis überhaupt als fragwürdig erscheinen lässt. 868 Siehe Gerlach: Wortführer der Bürgerkultur, 30, zur Entstehung ebd. 30f. 869 Zu Iffland als Schauspieler ist (trotz der Vernachlässigung seiner Berliner Zeit und einer gewissen Neigung zu Überhöhungen) immer noch hilfreich Kliewer: Iffland, darin 65–78 speziell zum Weimarer Gaststpiel von 1796. Einen schnellen Zugang zu Ifflands Verständnis von Schauspielkunst bieten seine Briefe über die Schauspielkunst (1781/82) und vor allem seine Fragmente über Menschendarstellung auf den deutschen Bühnen (1785), die Alexander Kosˇeninas neu herausgegeben und mit einem hilfreichen Nachwort versehen hat (Iffland: Beiträge zur Schauspielkunst, Nachw. 93–104; siehe auch Kosˇenina: Iffland). Gerda Baumbachs Analyse der Fragmente (Baumbach: Schauspieler, 31–56) arbeitet vor allem Ifflands Tendenz heraus, den Schauspieler als »Menschendarsteller« mit künstlerischem Anspruch zu nobilitieren und gegen andere Bühnenakteure abzugrenzen.

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

In Tiecks Komödie oder Burleske Der gestiefelte Kater von 1797870 findet sich die erste mir bekannte Parodie auf eine Mimen-Ekphrasis.871 Das Spiel im Spiel dieser Meta-Komödie872 wird nämlich von Handwerkern kommentiert, unter denen sich ein Bötticher873 besonders hervortut: Ich bewundre nur immer das Spiel des Katers. – An solchen Kleinigkeiten erkennt man den großen und geübten Schauspieler ; so oft er zum Beispiel das Kaninchen aus der Tasche nahm, hob er es jederzeit bei den Ohren, es stand ihm nicht vorgeschrieben; haben Sie wohl bemerkt, wie es der König sogleich an den Leib packte? Aber man hält diese Tiere bei den Ohren, weil sie es dort am besten vertragen können. Das nenn ich den Meister.874

Während der Fischer heimlich meint: »Man sollte ihn selbst dafür bei den Ohren nehmen«, zeigt sich der Müller beeindruckt: »Sie gehen sehr gründlich.« »Ich schmeichle mir nur ein klein wenig Kenner zu sein«, entgegnet der Bötticher, »das ist freilich mit Ihnen allen nicht der Fall und darum muß man es Ihnen ein wenig entwickeln.«875 Tieck unterstellt Böttiger also eine ähnlich schwärmerische Grundhaltung gegenüber seinem Beschreibungsgegenstand, wie Voß sie Lichtenberg vorwirft (II.1). Die Schwärmerei äußert sich exemplarisch im Aufspüren einer jener mimischen ›Feinheiten‹, wie sie Erika Fischer-Lichte zufolge typisch sind für deutsche Mimen-Ekphrasen des 18. Jahrhunderts (Einf. 5, II.6).876 Das in der deutschen Literaturwissenschaft wohl meist zitierte Beispiel stammt aus dem 13. Stück von Lessings Hamburgischer Dramaturgie und bezieht sich auf Sophie Hensels Verkörperung der sterbenden Sara Sampson.877 Vorangestellt ist eine Beobachtung, die auch in einem medizinischen Lehrwerk stehen könnte: »Es ist eine Bemerkung an Sterbenden, daß sie mit den Fingern 870 In die Tradition der englischen Burleske stellt die Komödie Paulsell: Tieck’s Kater. Das Vorbild des Aristophanes scheint gerade auch der »lustige Literaturkritiker auf der Bühne« zu indizieren (Stockhammer : Literaturkritiker), doch wird inzwischen eine indirekte Vermittlung über die englische Dramatik (vor allem Ben Jonson) angenommen (Scherer : Tiecks Dramen, 465). 871 Die als Reaktionen auf Churchills Rosciad entstandenen Verssatiren (siehe Broich: MockHeroic Poem, 212; hier II.4.2) würde ich nicht als Parodien, sondern als Kontrafakturen einstufen, die sich nicht gegen die Form, sondern gegen den Inhalt der Vorlage richten oder auch ohne kritische Absicht das erfolgreiche Muster auf andere Schauspieler anwenden (siehe Verweyen/Witting: Kontrafaktur, bes. 337). 872 Siehe zu diesem Aspekt Landfester: Tiecks Kater. 873 Eig. ›Böttcher‹ = Küfer, Gefäßhersteller. Zum Verhältnis von Parodiertem und Parodisten siehe Richter : Tieck und Böttiger. 874 Tieck: Der gestiefelte Kater, 40 (Zwischenakt zwischen 2. u. 3. Akt). 875 Tieck: Der gestiefelte Kater, 40. 876 Siehe speziell zu Iffland Fischer-Lichte: Geschichte des deutschen Theaters, 135f. 877 Lessings Regiebemerkungen zu Saras Sterben, seine Beschreibung und ihre literaturwissenschaftliche Rezeption werden analysiert in Detken: Regiebemerkungen des 18. Jahrhunderts, 157–163.

»Flick- und Lappenwerk«

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an ihren Kleidern oder Betten zu rupfen anfangen.« In diesem Fall ist es jedoch eine Schauspielerin, welche die Natur beobachtet und anwendet: »Diese Bemerkung machte sie sich auf die glücklichste Art zu Nutze; in dem Augenblicke, da die Seele von ihr wich, äußert sich auf einmal, aber nur in den Fingern des erstarrten Armes, ein gelinder Spasmus; sie kniff den Rock, der um ein weniges erhoben ward und gleich wieder sank.«878 Bezeichnend ist, dass der Dramatiker Lessing das Sterben seiner Heldin relativ vage ausgeführt hat, und als Zuschauer, wie er ausdrücklich schreibt, von Hensels mimischem »Zug außerordentlich überrascht« wurde;879 dennoch rühmt er als Kritiker diese Feinheit, weil sie dazu beiträgt, das im Text angelegte »Phantasma der natürlichen Gestalt« (Heeg) den Zuschauern nahezubringen. Tiecks Parodie trifft auch die Grundstruktur von Lessings Beschreibung: In beiden Fällen ist die Feinheit »nicht vorgeschrieben«, jedoch empirisch begründbar und soll die Glaubwürdigkeit der Verkörperung erhöhen. In Tiecks Komödie jedoch wird die ›Feinheit‹ von einem besserwisserischen Kunst-Connaisseur, der in Wahrheit ein schlichter Handwerker ist, eher er- als gefunden.880 Zudem mag der Gegenstand seiner Bewunderung zwar ein überzeugender Kater-Darsteller sein, doch lässt sich mit einem solchen ›Rollenfach‹ schwerlich viel Ehre einlegen, zumal noch nicht einmal sicher ist, ob hier ein Schauspieler einen Kater darstellt oder ein Kater als Schauspieler auftritt. Jedenfalls folgt Tieck hier einem bewährten karikaturistischen Muster, dem Tiervergleich (II.1), um nicht nur Böttiger, sondern auch Iffland zu verspotten.881 Auch Goethe beklagt bereits in einem Brief an Schiller vom 14. November 1796 die literarische »Ohnmacht des Verfassers« der Entwickelung. Iffland je-

878 LFA 6: 251. 879 LFA 6: 251. 880 Tieck kehrt im Gestiefelten Kater die Spiel-im-Spiel-Situation von Shakespeares Sommernachtstraum um, in dem sich Handwerker als Schauspieler blamieren, und überlässt das Amüsement der drameninternen adligen Zuschauer den realen Zuschauern oder Lesern. 881 Im Vorbericht zum ersten Band von Ludwig Tieck’s Schriften (1828) erzählt der Autor, wie er und seine Freunde bei der Lektüre von Böttigers Entwickelung »erstaunten, daß alle diese Kleinigkeiten, diese Nebensachen, die höchstens einen kleinen epigrammatischen Witz aussprechen konnten, so hoch angeschlagen, ja für das Wesen der Kunst ausgegeben wurden. Alle meine Erinnerungen, was ich zu verschiedenen Zeiten im Parterre, in den Logen, oder den Salons gehört hatte, erwachten wieder, und so entstand und ward in einigen heitern Stunden dieser Kater ausgeführt.« (Tieck: Schriften 1, V–XLIV, hier XVI). Raymond Immerwahr, der an diese Stelle erinnert (Immerwahr : Kater, 195), weist auch darauf hin, dass Böttiger im zweiten Kapitel der Entwickelung formuliert, die Figur Peters des Großen in Joseph Marius von Babos Historiendrama Die Strelitzen spiele doch eigentlich nur »die Rolle eines bald murrenden bald schmeichelnden Katers.« (Immerwahr : Iffland in the Role of Tieck’s Kater, 196, ebenso Schmidt-Funke: Böttiger, 139). Obwohl es sich hier nur um das Rollenbild handelt, gegen das Böttiger Ifflands Verkörperungsbild herausstreicht, scheint mir die These, dass diese Stelle Tieck zu seiner Grundidee angeregt haben könnte, gut zu seiner Entstehungsgeschichte zu passen.

284

Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

doch wird von ihm gerade nicht kritisiert, sondern gegen seinen Verehrer in Schutz genommen: Ein solches Flick- und Lappenwerk ist nicht leicht erschienen. Wenn Künstler und Kunstwerke sich nicht immer, wie die Bleimännchen, wieder von selbst auf die Beine stellten, so müßten sie durch solche Freunde für ewig mit dem Kopf in den Quark gepflanzt werden.882

Wie Schiller sah Goethe den Schauspieler Iffland (im Gegensatz zum Dramatiker) als großen Künstler, dessen Gastspiel einen wichtigen Impuls für die Entwicklung des Weimarer Hoftheaters gegeben hatte.883 Im Brief an Schiller geht es jedoch, wie die Formulierung »Künstler und Kunstwerke« zeigt, um Grundsätzlicheres: Am Beispiel von Böttigers Mimen-Ekphrasis werden Kunstbeschreibungen kritisiert, die ihren Gegenstand zu »Flick- und Lappenwerk« machen, statt ihn als ›Ganzes‹ zu würdigen. Dahinter steht zum einen Goethes Überzeugung, dass der Transfer eines Artefakts in ein anderes, das einer anderen ›Kunst‹ mit medialen Eigengesetzlichkeiten angehört, immer bis zu einem gewissen Grad ein »Flick- und Lappenwerk« bleiben muss. Davon war Goethe seit seiner Lektüre von Lessings Laokoon im Sommer 1766 überzeugt;884 sie bedeutete für ihn insbesondere, wie Ernst Osterkamp in seinem Standardwerk über Goethes Bildbeschreibungen formuliert, »daß Wort und Sprache die optische Einmaligkeit, Simultaneität und innere Vielfalt von Werken der bildenden Kunst nicht erreichen«.885 Dazu kommt eine zweite Voraussetzung: Spätestens seit seiner Italienreise (1786–88) verstand Goethe die Kategorie des ›Ganzen‹ als zentrales Definiens für Kunstwerke.886 Der Zusammenhang beider Prämissen lässt sich verdeutlichen durch einen Blick auf die ästhetische Theorie von Karl Philipp Moritz, mit dem Goethe in Rom Freundschaft schloss und dessen dort entstandenen Schrift Die bildende Nachahmung des Schönen (1788) er 1789 beifällig rezensierte und noch in seiner Italienischen Reise zitierte; sie gilt inzwischen (neben Kants Kritik der Urteilskraft) als zentraler Bezugstext der Weimarer Autonomieästhetik.887 Moritz beeinflusste aber auch die Frühromantiker, mit seinen Berliner Vorlesungen etwa den jungen Tieck.888 Noch näher an den hier interessierenden Zusam882 883 884 885 886 887

GMA 8.1, 270. Siehe Sharpe: National Repertoire; ferner Kapitel IV.4.1. Siehe Osterkamp: Goethes Beschäftigung mit den Künsten, bes. 5. Osterkamp: Im Buchstabenbilde, 1; zum »Lakoon-Problem« siehe Einf. 2. Siehe Osterkamp: Goethes Beschäftigung mit den Künsten, 12f.; 16. Über die bildende Nachahmung des Schönen in: MFA 2, 958–991; Goethes Rezension in: GMA 18:256–260. Zum Einfluss auf Goethe siehe Dörr : Reminiscenzien, 131–140; Costazza: Schönheit und Nützlichkeit, 16–26. 888 Siehe Günzel: König der Romantik, 49f., 71f. Hubert: Moritz und die Anfänge der Romantik, bes. 25–34, 171–193.

»Flick- und Lappenwerk«

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menhang führt bereits mit seiner Überschrift der parallel zur Bildenden Nachahmung entstandene Essay In wie fern Kunstwerke beschrieben werden können?, auf den im Folgenden als Kunstbeschreibungs-Essay referiert wird.889 Ähnlich wie Goethe dem Schauspielkunst-Beschreiber Böttiger vorwirft, ein »Flick- und Lappenwerk« geschaffen zu haben, formuliert Moritz, Winckelmanns berühmte Kunstbeschreibung des Apollo vom Belvedere in seiner Geschichte der Kunst des Alterthums von 1764890 mache aus der Figur »eine Komposition aus Bruchstücken, indem sie ihm eine Stirn des Jupiters, Augen der Juno, u. s. w. zuschreibt; wodurch die Einheit der erhabenen Bildung entweihet, und ihr wohltätiger Eindruck zerstört wird«. (MW 1: 1003)891 Der Vorwurf trifft nicht nur Winckelmanns passagenweise tatsächlich centohafte Vergleichstechnik.892 Vielmehr »zerreißt« seine Beschreibung nach Moritz’ Überzeugung grundsätzlich »das Ganze dieses Kunstwerks« und »hat daher auch der Betrachtung dieses erhabenen Kunstwerks weit mehr geschadet, als genutzt, weil sie den Blick vom Ganzen abgezogen, und auf das Einzelne geheftet hat, welches doch bei der nähern Betrachtung immer mehr verschwinden, und in das Ganze sich verlieren soll.« (MW 1: 1002f.) Es geht also speziell um Lessings Postulat vom ›bequemen Verhältnis‹ zwischen Zeichen und Bezeichnetem, das durch die Übertragung ›nebeneinander‹ in ›nacheinander‹ geordnete Zeichen besonders nachhaltig verletzt wird (Einf. 2). Doch kritisiert Moritz die Winckelmann’sche Beschreibung eben auch, weil es sich bei ihrem Gegenstand um ein »Kunstwerk« handelt und ein jedes Kunstwerk nach seiner Überzeugung nur im »Ganzen« bzw. als »Einheit« verstanden werden kann.893 Das gilt nicht nur für mehr oder weniger simultan 889 MFA 2: 992–1003. »Der zwischen Oktober 1788 und Januar 1789 in der Monats-Schrift der Akademie der Künste erstveröffentlichte, dann unter dem Titel Die Signatur des Schönen in den Aufsatzsammlungen Die Große Loge (Berlin 1793) und Launen und Phantasien (Berlin 1796) nachgedruckte Aufsatz setzt sich« nach Überzeugung von Albert Meier »mit Problemen auseinander, die ins Zentrum der Weimarer Kunstphilosophie führen und formuliert Überlegungen, deren Radikalität nach vor wie nicht ausreichend gewürdigt ist.« (Meier : Moritz, 191; ähnlich urteilt Pfotenhauer : Signatur des Schönen, 68). Meier bietet eine prägnante Zusammenfassung der Moritz’schen Ästhetik von seinem vorrömischen Aufsatz Versuch einer Vereinigung aller schönen Künste und Wissenschaften unter dem Begriff des ›in sich selbst Vollendeten‹ (1785) bis zum Kunstbeschreibungs-Essay. 890 In dieser Arbeit zitiert nach Pfotenhauer u. a.: Frühklassizismus, 165f. 891 Den Nukleus des Aufsatzes bilden die Texte Signatur des Schönen: Bei der Betrachtung des Apollo von Belvedere (MFA 2: 745) und Apollo in Belvedere (MFA 2: 753f.) aus den Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1786 bis 1788 (MFA 2: 411–848). 892 »Eine Stirn des Jupiters, die mit der Göttinn der Weisheit schwanger ist, und Augenbranen [sic], die durch ihr Winken ihren Willen erklären: Augen der Königinn der Göttinnen mit Großheit gewölbet, und ein Mund, welcher denjenigen bildet, der dem geliebten Branchus die Wollüste eingeflößet.« (Pfotenhauer u. a.: Frühklassizismus, 166). 893 Zum Begriff des Ganzen bei Moritz siehe Menz: Moritzens Bildende Nachahmung, 68–81; Costazza: Schönheit und Nützlichkeit, 134–150.

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

rezipierbare Werke der bildenden Kunst, sondern ausdrücklich auch für »die Schönheiten eines Gedichts« und den »Gang einer vortrefflichen Musik« (MW 1: 1003). Damit ist offenbar aufgeführte Musik gemeint, und analog dazu war auch ein Drama aus der Sicht von Moritz, Goethe und Tieck auf seine Aufführung hin angelegt.894 Schauspielkunst bildete also nicht etwa einen Medientransfer, der gegen die autonomieästhetische Forderung der Gattungsreinheit verstoßen hätte, sondern hatte sich als Bestandteil des ›Ganzen‹ einer Medienkombination zu erweisen.895 Der Essay schließt mit der Forderung: »Wenn über Werke der bildenden Künste, und überhaupt über Kunstwerke etwas Würdiges gesagt werden soll, so muß es keine bloße Beschreibung derselben nach ihren einzelnen Teilen sein, sondern es muß uns einen nähern Aufschluß über das Ganze und die Notwendigkeit seiner Teile geben.« (MW 1: 1003)896 In dieser Allgemeinheit bezeichnet Moritz’ Formulierung sowohl die Haltung Goethes wie Tiecks gegenüber der Kunstbeschreibung, ja sie kennzeichnet überhaupt die Haltung wichtiger Autoren, die üblicherweise der ›Weimarer Klassik‹ oder der Romantik zugeordnet werden. So erweisen sich Klassik/Klassizismus und Romantik in der Opposition zur sensualistisch-aufklärerischen Tradition von Mimen-Ekphrasis einmal mehr, um den Titel eines wichtigen Forschungsberichts von Sabine Schneider aufzugreifen, als »zwei Konfigurationen der einen ästhetischen Moderne«.897 Auch die von Moritz angedeuteten Lösungsstrategien für die Herausforderung einer Kunstbeschreibung, die sich am ›Ganzen‹ bzw. der ›Einheit‹ eines Kunstwerks orientiert, gelten grundsätzlich für Goethe wie für Tieck. Allerdings lassen sich die Antworten auf die Frage, worin ›das Ganze‹ und die ›Notwendigkeit‹ der ›Teile‹ konkret bestehen, dann doch unterschiedlichen Tendenzen zuordnen, die als ›klassisch‹ oder ›klassizistisch‹ und ›romantisch‹ verstanden werden können.898 Teil IV wird sowohl (im erneuten Rückgriff auf den KunstbeschreibungsEssay) Moritz’ Lösungsoptionen vorstellen als auch einige Lösungsversuche von autonomieästhetisch orientierten Autoren, wobei besonders in den letzten Kapiteln nach ›typisch romantischen‹ Zügen zu fragen ist. Zunächst aber soll die Berechtigung von Tiecks und Goethes Kritik an Böttigers Entwickelung überprüft werden. Meine These ist, dass Böttiger zwar 894 Siehe für Moritz die Parallelisierung zwischen Schauspieler, Geschichtsschreiber und bildendem Künstler im Kunstbeschreibungs-Essay (MFA 2: 993, dazu eingehend IV.1); für die Dramatiker und Theaterpraktiker Goethe und Tieck dürfte sich ein Nachweis erübrigen. 895 Begrifflichkeit nach Rajewski: Intermedialität, 26; siehe Einf. 3. 896 Hervorhebung im Original. 897 Schneider: Klassizismus und Romantik, 86 (Hervorhebung im Original); siehe auch Meier: Klassik – Romantik, 9–11. 898 Für Versuche einer Neukonturierung dieser Begriffe siehe Lauer : Klassik als Epoche; Wiedemann: Berliner Klassik (dazu mehr in IV.4); Stockinger: Ganze Romantik?

Böttigers Zielbestimmung: analytische Funktion und Memorialfunktion

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durchaus die aufklärerisch-sensualistische Tradition des Aufspürens mimischer ›Feinheiten‹ fortsetzt, sich jedoch des Problems der »Zerstückelung« durchaus bewusst ist und insbesondere versucht, sowohl seine ›Rollenporträts‹ als auch seine gesamte Monographie zu einer ›Einheit‹ zu formen, deren Teile enargeisch zusammenwirken.899 Außerdem soll gezeigt werden, dass dieses ›Gesamtbild‹ des ›Kunstwerks‹ Iffland bevorzugt mit Analogien zur bildenden Kunst arbeitet und stellenweise auf Kunstbeschreibungen rekurriert.

2.

Böttigers Zielbestimmung: analytische Funktion und Memorialfunktion

Die Eingangssätze von Böttigers Vorbericht scheinen zunächst die Kritik von Goethe, Tieck und auch von Fischer-Lichte zu bestätigen: Schon Engel klagt zu Anfange seiner Mimik mit Recht darüber, dass Sulzers Wunsch, einzelne Scenen und Darstellungen auf dem Theater kritisch beleuchtet zu sehen, bis auf einige Versuche, bis jetzt unerfüllt geblieben sey.[900] Ich weiss nicht, ob durch das, was seit der Herausgabe jenes vortrefflichen Werkes im Felde der Theaterkritik gearbeitet und geschrieben worden ist, dieser Klage durch mehrere, ganz ins Einzelne gehende Zergliederungen gewisser Rollen, wie sie dieser oder jener berühmte Schauspieler wirklich darstellt, abgeholfen wurde. Allein darin glaube ich wenigstens alle Liebhaber des Theaters auf meiner Seite zu haben, daß wir dergleichen einzelner Beleuchtungen und tiefer eindringender Zergliederungen nicht genug haben können. (BEIS: IIIf.)901

Böttiger stellt sich explizit in die Tradition jener »Zergliederungen«, die das Gros der Mimen-Ekphrasen ausmachten (siehe II.6), und scheint sich dementsprechend vor allem für deren analytische Funktion (»kritische Beleuchtung«) zu interessieren. Auch lässt die Formulierung »einzelne Scenen und Darstellungen« eher eine Aneinanderreihung mimischer ›Feinheiten‹ erwarten als die Würdigung der ›Einheit‹ einer Verkörperung. Allerdings deutet Böttiger an, dass ein besonderes Verdienst seiner Monographie in ihrer Ausführlichkeit liegen könnte: »Eine sorgfältig ausgearbeitete Monographie ist dem Naturforscher mehr werth, als ein ganzes Natursystem mit neuen Kunstwörtern und alten

899 Explizit wird Goethes Kritik im Brief an Schiller von Alexander Kosˇenina zurückgewiesen (Kosˇenina: Kommentar, 717). 900 Die betreffende Stelle findet sich allerdings erst am Ende des 6. Briefes (Engel: Schriften 7, 40f.) unter Bezug auf den Artikel Gebehrden in Sulzer : Allgemeine Theorie 1, 427–430, bes. 427. 901 Die Sigle BEIS steht fortan für Böttigers Entwickelung des Ifflandischen Spiels (1769).

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

Gemeinplätzen verbrämt«, heißt es im Anschluss (BEIS: IIIf.).902 Der Verweis auf die Wissensordnung der Naturwissenschaften bestätigt Fischer-Lichtes These, dass das besondere Interesse für Schauspielkunst in der Aufklärung verstanden werden muss im Zusammenhang mit »jenen Wissenschaften, die sich in besonderer Weise die Erforschung der menschlichen Natur zum Ziel gesetzt haben: Anthropologie, Ethnologie, Psychologie und Physiologie.«903 Böttigers Bevorzugung der Empirie gegenüber der ›Regel‹ und der Verweis auf Johann Jakob Engels Ideen zu einer Mimik von 1785–86 passen insofern besonders gut zusammen, als die systematische Klassifikation körpersprachlicher Zeichen dort vor allem zur übersichtlichen Präsentation eines reichen, sich auf Empirie berufenden Materials dient. Hinweise auf spezifische Verkörperungen großer Mimen sind allerdings selten; Böttiger will Engel in dieser Hinsicht ergänzen, um dessen Beobachtungen zu bestätigen und zu ›verfeinern‹. Insofern spricht er auch die Evidenzfunktion der Mimen-Ekphrasis an. Dazu kommt jedoch (anders als etwa in Schinks Brockmann-Studie) die Memorialfunktion: »Aber es ist auch ausserdem in mehr als Einer Rücksicht billig und verdienstlich, den vollkommnern Darstellungen der Schauspielkunst ein bleibenderes Denkmahl zu stiften, als der schnell vorüber hallende Beyfall der berauschten Menge, oder die nur allzu bald sich verwischenden Eindrücke im Gedächtnisse des aufmerksamern Zuschauers gewähren können.« (BEIS: IVf.) Dieser Aspekt ist Böttiger so wichtig, dass er ihn durch ein (leicht modifiziertes) Zitat aus Ifflands Fragmenten über Menschendarstellung unterstreicht: Alles was ein Meisterwerk dem Schauspieler verschaffen kann, dauert gewöhnlich nicht so lange als die Erschöpfung, welche dadurch bey ihm veranlasst wird. Welche Werke schuf Eckhof oft mit Verschwendung aller Seelenkräfte! Keine Leinewand hat sie uns aufbehalten. Kaum erinnert man sich noch der unschätzbaren Augenblicke, wo er in dem Zeitraum zweyer Stunden eine Kraft die andere verdrängen, ein Feuer das andere verzehren hiess, und selbst in den Ruhepunkten der Natur uns es verbarg, dass die Maschine die Gewalt der Seele nicht ausdauern konnte. Er ist nun nicht mehr – und alles was denen, die seine Werke zurück rufen möchten, langsam traurig über die Disteln auf seinem Grabe entgegen hallt, ist – Er war da! (BEIS: Vf.)904 902 Dies ist allerdings eher im Sinne von Sulzer als von Engel gesprochen, der sich gegenüber Sulzers Forderung distanziert (Engel: Schriften 7, 41). 903 Fischer-Lichte: Geschichte des deutschen Theaters, 139; zuvor wurde die These bereits formuliert in Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 2, 177–182 und weitergeführt in Koˇsenina: Anthropologie und Schauspielkunst, bes. 1–28; speziell zu Engel siehe Franz: Von der Ausdruckssemiotik zur Physiologie. 904 Der Beginn dieser Passage lautet bei Iffland (am Anfang des siebten Abschnitts der Fragmente über Menschendarstellung): »Freunde, Ruf, Ehre – Alles was ein Meisterwerk dem Schauspieler verschaffen kann, dauert gewöhnlich nicht so lange als die Erschöpfung, welche dadurch bey ihm veranlaßt wird.//Aus einer Häufung von Staatsaktionen, aus Versen, deren Barbarey alle Harmonie verscheuchte – schuf Ekhof oft mit Verschwendung aller Seelenkräte, grosse Werke.« (Iffland: Beiträge zur Schauspielkunst, 63, meine Unter-

Böttigers Zielbestimmung: analytische Funktion und Memorialfunktion

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Böttiger kommentiert: So urtheilt der Künstler, dessen Kunst vielleicht selbst das lebendigstse und dauerhafteste Denkmahl auf Eckhof, den Meister und Vorbildner seiner jüngern Kunstgenossen, genannt werden kann. Und wie soll auch einem so schnell vorüber gehenden, nur in der veränderlichen Mannigfaltigkeit und in der stets wechselnden Aufeinanderfolge gegründeten Kunstwerke ein dauerhafteres Andenken gestiftet werden? (BEIS: VIf.)

Die Passage wurde so ausführlich zitiert, weil sie eine genauere Einordnung der Entwickelung in den Kontext von Goethes und Schillers Weimarer Theaterprojekt ermöglicht. Die zweimalige Formulierung vom »Denkmahl« für Schauspielkunst macht es nämlich recht wahrscheinlich, dass die oxymoronische Formulierung vom »lebend Denkmal« im zwei Jahre später entstandenen Wallenstein-Prolog (Einf., Kap. 1) eine Anspielung auf Böttigers Entwickelung des Ifflandischen Spiels ist,905 zumal sich spätere Verse des Prologs meiner Meinung nach auf Iffland beziehen könnten.906 In diesem Fall ist Schillers Behauptung, ein solches ›Denkmal‹ ließe sich allein »im Gefühl der Würdigsten und Besten/ […] erbaun«,907 auch eine Kritik an Böttiger, von dessen Monographie Schiller ja erstmals durch Goethes oben zitiertes Verdikt erfahren hatte. Außerdem bezeugt die Passage, dass um 1796 zwar im Kontext der Theaterreformen von Gotha,908 Mannheim909 und Weimar ein starkes Bedürfnis bestand,

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streichung). Kürzung und Umstellung akzentuieren den (Meister-)›Werk‹-Charakter von Ekhofs Schauspielkunst. SSW 2: 271, V. 46, siehe Einf. 1. Allerdings hat auch Böttiger das Oxmoron vom ›lebenden Denkmal‹ eines Verstorbenen nicht erfunden. In Sophie von La Roches Geschichte des Fräulein von Sternheim beispielsweise (1771) heißt es, Zustand, Einrichtung und Verwaltung eines von der Protagonistin besuchten Schlosses seien »lebende Denkmale des Geschmacks, der Einsichten, und der edeln Denkungsart des vormaligen Besitzers, der […] seine letzten Tage auf diesem angenehmen Landsitz verlebte.« (La Roche: Sternheim, 85). Die Pointe von Böttigers Formulierung liegt jedoch darin, dass dieses ›Denkmal‹ nicht nur lebendig wirkt, sondern tatsächlich lebt; Schiller nimmt diese Idee wieder etwas zurück, indem er sie ins »Gefühl der Würdigsten und Besten« verlegt (SSW 2: 271, V. 45). »Ein edler Meister stand auf diesem Platz,/ Euch in die heitern Höhen seiner Kunst/ Durch seinen Schöpfergenius entzückend./ […]/Ein großes Muster weckt Nacheiferung/ Und gibt dem Urteil höhere Gesetze.« (SSW 2, 270, V. 15ff., 22f.) Dieser »Meister« kann sich »seines Namens Ewigkeit« offensichtlich so gewiss sein, dass dieser Name nicht genannt werden muss. Herbert G. Göpfert meint allerdings, dass es sich um Friedrich Ludwig Schröder handle, »der in Weimar als Gast aufgetreten war und sich in einem Brief vom 20. 2. 1798 bereit erklärt hatte, den Wallenstein zu spielen« (Komm. SSW 2, 1237). Meiner Meinung nach kann sich die Bemerkung ebenso auf Iffland beziehen, Schillers Freund aus Mannheimer Tagen, mit dessen Gastspiel im April 1796 für Goethe eine neue Periode in der Geschichte der Weimarer Bühne begann (GFA 1.18: 842.), und der auch als Berliner Theaterleiter teilweise an das Weimarer Theaterexperiment anschloss (siehe IV.4.1). SSW 2: 271, V. 45. Siehe Sosulski: Ekhof and the Reform. Am Mannheimer Nationaltheater, wo Schiller und Iffland zusammenwirkten, initiierte der

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

die allmählich erst zu Würden kommende ›Schauspielkunst‹ zu ›verewigen‹,910 dass jedoch die Mittel ihrer optimalen Verwirklichung fraglich waren. Böttiger nennt zwei: Er verweist auf die Tatsache, dass der Stil großer Schauspieler durch Nachahmung jüngerer Kollegen tradiert werden kann, und scheint durch die zitierte Iffland-Formulierung »Keine Leinewand hat sie uns aufbehalten« anzudeuten, der Begriff des »Denkmahl« verweise auf bildende Kunst als bestes ›Speichermedium‹. Tatsächlich nennt Böttiger sogar zwei graphische Darstellungen von Schauspielkunst, deren zweite bereits mehrfach in dieser Arbeit thematisiert wurde: »Le Kain als Orasman,[911] Garrick als Richard III. befindet sich in jeder namhaften Kupferstichsammlung.« (BEIS: VII) Doch folgt die erstaunliche Behauptung, es sei »schon in dem Wesen der Schauspielkunst selbst die Bedingung gegründet, warum die vollkommenste Darstellung auf der Bühne gerade am wenigsten der Gegenstand der bildenden Künste werden kann.« (BEIS: VIII) Vor dem Hintergrund der von Lichtenberg behaupteten Korrespondenzen zwischen Hogarth und Garrick ist das eine überraschende These, welche die systematische Stellung der Schauspielkunst im Sinne der Paragone uminterpretiert: Poesie und bildende Kunst streiten sich um ihre dritte ›Schwester‹. Allerdings bleibt Böttiger eine Begründung seiner Behauptung schuldig und kommt auf eine paragonale Funktion von Mimen-Ekphrasis in der gesamten Entwickelung nicht mehr zu sprechen. Im Vorbericht greift er sogar unmittelbar nach der eben zitierten Behauptung zu Metaphern aus dem Bereich der bildenden Kunst, um sein Darstellungsideal anzudeuten: Eine getreue, den Künstler bis in seine feinsten Schattierungen und Farbengebungen verfolgende Beschreibung und Beurtheilung ist vielleicht das einzige Mittel, dem Schöpfer einer so schnell verwelkenden Genussblüthe wenigstens einige Gerechtigkeit Intendant Dalberg regelmäßige Debatten über Schauspielkunst (1781/82), die protokolliert wurden (siehe Martersteig: Protokolle); parallel verfasste Iffland seine Briefe über die Schauspielkunst (wieder in Iffland: Beiträge zur Schauspielkunst, 7–25) und etwas später seine Fragmente über Menschendarstellung auf den deutschen Bühnen (ebd. 27–92, siehe das Nachwort von Alexander Kosˇenina ebd. 93–104 sowie Kliewer : Iffland, 51–64), auf die sich Böttiger in der Entwickelung immer wieder beruft. 910 Die von Böttiger zitierte Iffland-Passage thematisiert ja auch, dass die »Maschine« von Ekhofs Körper den (im Sinne des Modells vom ›heißen Schauspieler‹ interpretierten) Strapazen seines Berufes auf die Dauer nicht gewachsen war (er starb 1778 im Alter von 58 Jahren) und spricht mit dem Bild der »Disteln auf seinem Grab« das Thema der immer noch prekären gesellschaftlichen Stellung des Schauspielerstandes an. Dass Schauspielern allerdings bis ins 19. Jahrhundert hinein ein christliches Begräbnis verweiget worden sein soll, dürfte eher ins Reich der Legende gehören (vgl. Schmitt: Schauspieler und Theaterbetrieb, 88–91); Ekhof jedenfalls wurde feierlich begraben und erhielt eine Grabplatte mit Inschrift (ebd. 90). 911 Gebräuchlichere Schreibung: Lekain (eig. Henri Louis Cain). Vor-Bild ist ein Ölgemälde von Simon-Bernard Lenoir (abgebildet in Howarth: French Theatre, 553, Nr. 637, Nachweis ebd. 686), das Lekain in der Rolle des tugendsamen mohammedanischen Herrschers in Voltaires bis heute erfolgreichstem Drama Zaide (1732) zeigt.

Böttigers Zielbestimmung: analytische Funktion und Memorialfunktion

291

widerfahren zu lassen, und so viel davon aufzubewahren, als dem todten Buchstaben möglich ist. (BEIS: VIIIf.)

Hier wird die Schauspielkunst selbst mit Malerei verglichen, deren ›Feinheiten‹ es beschreibend zu ›verfolgen‹ gelte. Gerade diese Haltung aber ist nach Ansicht von Karl Philipp Moritz der sicherste Garant für das Scheitern einer Kunstbeschreibung (III.1). Auch Böttigers Schauspielkunst-Beschreibungen wären, wenn sie sich tatsächlich an dieser Maxime orientieren würden, nichts weiter als eine »Zergliederung« des Schinck’schen Typus (II.6), die sich allein durch ihren Umfang auszeichnen würde. Doch lässt sich diesem ersten Eindruck eine Fußnote am Ende des ersten Kapitels entgegenhalten, das Ifflands Verkörperung des Grafen Wodmar in Otto Heinrich Gemmingen-Hornbergs Schauspiel Der teutsche Hausvater oder Die Familie (1780) beschreibt: »Wie vieles liesse sich noch von diesem Hausvater anführen und zergliedern! Aber der Zweck, dem Leser ein anschauliches Bild von allen, selbst den feinsten Darstellungskünsten zu geben, würde durch die weitläufigste Zergliederung gerade am meisten verfehlt werden.« (BEIS: 30f.) Der im Vorbericht herausgestellte Wert des empiristischen Sammelns von ›Feinheiten‹ wird hier also grundsätzlich relativiert, und zwar im Sinn des rhetorischen Ekphrasis-Modells, das dem Leser »ein anschauliches Bild« vor Augen stellen will. Dieses mentale Verkörperungsbild des Lesers bezieht sich bei Böttiger nicht nur (wie teilweise bei Lichtenberg) auf die Erscheinung des Schauspielers in einem bestimmten Moment oder einer bestimmten Szene, sondern auf die gesamte, sich über den Verlauf des Dramas hinziehende Rollengestaltung. So hat er durchaus ›das Ganze‹ im Blick – wie aber versucht er es in der Folge seines Textes zu ›entwickeln‹? Eine Antwort lässt sich in einer Passage aus dem Anfang des ersten Kapitels finden. Zunächst führt Böttiger die Verkörperung und das mentale Verkörperungsbild des Zuschauers auf das mentale Rollenbild des lesenden Schauspielers zurück: »Was er uns darstellt, ist die getreue Copie des Bildes, das ihm die Phantasie, gewöhnlich schon beym ersten Lesen der Rolle, schöpferisch vorzeichnete.« (BEIS: 4) Dann wird diesen mentalen Bildern eine wichtige Eigenschaft graphischer Bilder zugeschrieben: Bestimmtheit. So vorbereitet, kann eine Differenzierung aus dem Bereich der bildenden Kunst übernommen werden: Hier gaukelt kein schwankendes Traumbild, keine dunstige Nebelfigur. Das Bild kann im Fortgange des Stücks bis ins fleissigste Detail ausgemahlt und durch Licht und Schatten zum vollendeten Gemählde erhoben werden. Aber die ersten festen Umrisse der Grundzeichnung stehen im ersten wie im letzten Moment unwandelbar da. An der Richtigkeit dieser Zeichnung wird man den grossen, an dem Reichthum der Ausführung den vollendeten Künstler erkennen. (BEIS: 4f.)

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

Die Verwendung von Analogien zur bildenden Kunst in Texten über Schauspielkunst kann 1796, wie die bisher interpretierten Texte gezeigt haben, auf eine lange Tradition zurück blicken.912 Neu aber ist es, die »Entwickelung« des Verkörperungsbildes auf der Bühne gleichzusetzen mit der Entstehung eines Gemäldes von der Vorzeichnung bis hin zur Ausführung letzter Details. Was die ›Zeichnung‹ betrifft, geht Böttiger im ersten Kapitel von der These aus, ein großer Schauspieler beherrsche »die Kunst, mit dem ersten Eintritt die ganze Personalität seiner Rolle in so scharfen und bestimmten Umrissen darzustellen, dass der Zuschauer nun schon fürs ganze Stück weiss, wie er seinen Mann zu nehmen habe.« (BEIS: 3)913 Anders als ein Barockschauspieler, dessen erster Auftritt sich an einem hoch konventionalisierten Code orientieren kann,914 muss ein deutscher Schauspieler um 1800 Zeichen finden, die empirisch einleuchtend sind und dennoch so deutlich wie ein Umriss, der sich im Folgenden noch ›verfeinern‹ lässt. So also versteht Böttiger den Zusammenhang zwischen ›Entwickelung‹ und Einheit einer Bühnenrolle – wie aber gestaltet er beschreibend die Entwickelung der jeweiligen Rollenverkörperung? Folgt er einfach besagtem Schema oder führt er noch weitere Elemente ein? Wie viel Sorgfalt gilt dabei der enargeischen Gestaltung? Und wie versucht er, aus seinen (tatsächlich nicht vierzehn, sondern) dreizehn Rollenbeschreibungen ein Gesamtbild des Ifflandischen Spiels zu ›entwickeln‹? Dies sind die Leitfragen der folgenden Kapitel.

3.

Böttigers Leitmetapher ›Umriss‹

In Böttigers grundlegender Analogie bildet der erste Auftritt den ›Umriss‹, der in weiteren Auftritten ›schattiert‹ wird. Dementsprechend wird er in allen Rollenporträts relativ früh thematisiert, einige beginnen sogar mit seiner Beschreibung. Dabei ist meist eine Zweiteilung zu beobachten: Zuerst werden Maske und Kostüm als weitgehend konstante Bestandteile der »Erscheinung« diskutiert (3.1), dann Sprach- und Bewegungszeichen als Bestandteile der »Tätigkeit des Schauspielers« präsentiert (3.2).915 Vorgeschaltet sind mitunter die Thematisierung eines Gesamteindrucks (3.3) und die Einleitung mancher 912 Böttiger selbst zitiert aus Wilhelm Meisters Lehrjahren das Lob für Serlos »geistreiche Art, mit der er die feinern Schattirungen der Rollen mit der grössten Leichtigkeit ausdruckte« (BEIS: 53, siehe FGA 9: 641, Goethe spricht allerdings von »feinsten Schattierungen« [meine Hervorhebung]). 913 Hervorhebung im Original; ähnliche Formulierungen BEIS: 353. 914 Siehe Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters 2, 56. 915 Mein Beschreibungsvokabular mimischer Zeichen orientiert sich an Fischer-Lichtes Semiotik des Theaters; zur Systematik siehe I.5.2.

Böttigers Leitmetapher ›Umriss‹

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Kapitel durch Motti (3.4), die beide gewissermaßen noch weitere ›Umrisse‹ bilden.

3.1

Maske und Kostüm

»Ich fange meine Musterung wieder mit dem Geringsten und Unbedeutendsten an, mit der Maske« (BEIS: 144): Es mag ein gewisser Trotz mitschwingen in dieser Formulierung, die das Rollenporträt von Iffland als eifersüchtigem Ehemann Treumund im Nachspiel Die Eheliche Probe des Reichsfreiherrn von Dalberg eröffnet. Bereits im Vorbericht nämlich verwahrt sich Böttiger gerade in Bezug auf »die genaue Anführung des Costums und der Maske« gegen den möglichen »Vorwurf der allzu grossen Weitschweifigkeit« und rechtfertigt sich durch die Substitutionsfunktion von Mimen-Ekphrasis: Allein ich kann mich von der Überzeugung nicht abbringen lassen, dass den Lesern, die den Künstler in dieser Rolle nicht selbst spielen sahen, durch diese sorgfältige Bezeichnung der Aussenseite allein etwas von dem Totaleindruck mitgetheilt werden könne, den der Künstler bey seinem ersten Eintritt sogleich zu erwecken, und dann durchs ganze Stück mit bewundernswürdiger Harmonie zu erhalten wusste. (BEIS: XIf.)

Im ersten Kapitel, das Gemmingen-Hornbergs Hausvater gilt, wird der Zusammenhang zwischen Maske/Kostüm und »Totaleindruck« folgendermaßen bezeichnet: Die bloss weisse Stirn und die etwas eingefallen schattirten [sic] Schläfe zeigten den Mann, der oft der Konvenienz opfern, die Genüsse der Tafel und die eingeschlossene Luft in Zimmern dem frischen Aufathmen in der freyen Natur vorziehen muss, kurz eine gewisse Zartheit, die ich vornehme Kränklichkeit nennen möchte. Sein Anzug, ein einfaches pfirsichblüthfarbnes Atlasskleid ohne Gold mit einfacher weißer Tour, bewies Geschmack ohne Eitelkeit und kleinmeisterische Eroberungssucht. Alles passte zu einem edeln Vater, der nie mit sich, stets mit dem Glücke seiner Kinder beschäftigt ist. (BEIS: 6f.)

Die Beschreibung des ›Totaleindruckes‹ wird hier schrittweise ausgeweitet: Zunächst ›zeigt‹ die Maske einen Zug der Figur, die sie mit anderen ihres Standes teilt; sodann ›beweist‹ das Kostüm zunächst, dass sich die Figur von negativen Vertretern dieses Standes abhebt, ›passt‹ schließlich aber auch ›zu‹ menschlichen Qualitäten, die sich nicht unmittelbar aus der Kleidung erschließen lassen (jedoch ebenfalls einem bürgerlichen Wertekanon entsprechen).

294

Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

Im Anschluss hebt Böttiger hervor, wie selten und wichtig eine derart sorgfältige Gestaltung von Maske und Kostüm sei,916 und lobt unter Berufung auf Lessing und den Schauspieler und Theaterreformer Friedrich Ludwig Schröder sogar die festen »Charaktermasken« der Antike und der Commedia dell’arte: Sie hätten den Vorteil, dass die Zuschauer sofort und auch aus der Ferne das jeweilige Rollenfach erkennten (BEIS: 7ff.). Dass auch Kostüm und Schminkmaske in dieser Weise funktionieren können, zeigt Böttiger am Beispiel Ifflands als Commissar Wallmann in seinem eigenen Schauspiel Die Aussteuer (1796):917 Eine pechschwarze, knapp einfrisirte Beutelperrücke [sic] auf einem durchaus brünett gehaltenen Gesichte, an dem beym feurigen Augenspiel unter den schwarzen Augenbraunen gleichsam eine beständige elektrische Ausströmung bemerkbar war, verbunden mit einer blenden weissen langen Atlasweste, die ringsum mit schwarzen Spitzen eingefasst war, und zum schwarzen Pedal und dunkelblauen Rocke im richtigsten Verhältnis stand, gab sogleych beym ersten Anblick den bestimmten Charakter eines schwarzen, cholerischen, keifenden, beissenden und doch gutmüthigen Mannes, mit einem Worte, eines wahren bourru bienfaisant.[918] Man ist auf der Stelle so lebhaft davon überzeugt, dass dieser originelle Polterer gerade so ausgesehen haben müsse, dass ein anderer Schauspieler, der nach Iffland diese Rolle spielte, und nicht gerade eben dieses Costum wählte, schon dadurch, wenigstens beym Eintritt, Gunst und Glauben verlieren würde. (BEIS: 232f.)

Dass die ›schwarze‹ Gemütsstimmung, die dem Rollenfach des polternden Alten entspricht,919 über die dominant eingesetzte schwarze Farbe evoziert wird, ließe sich gewiss auch knapper formulieren, doch nutzt Böttiger die Gelegenheit, möglichst viele Details von Maske und Kostüm ›vor Augen zu stellen‹. Dagegen beschränkt er sich im Fall von Dalbergs (bereits erwähntem) Nachspiel Die Eheliche Probe auf einen einzigen Aspekt: Die Perrücke [sic] des Herrn Doctor Treumund war gewiss mit Absicht und Bedeutung gerade so frisirt und aufgesetzt, dass man in dem vorstehenden und mit einer gewissen Stoßkraft drohenden Toup8e sogleich eine leise Andeutung des peinigenden Eifersuchtsfiebers erhielt, das dieser Stirne heute mancherley Gefahren drohen und, mehr als ein Gewitterwölkchen, sehr warm machen würde. Wenigstens kam gerade diese 916 Als Berliner Theaterleiter sollte er sie in großem Stil einführen, siehe Gerlach: Berliner Theaterkostüm. 917 Iffland: Dramatische Werke 9. Ich würde dieses Stück eher als Komödie verstehen, orientiere mich aber generell bei der dramatischen Gattungszuordnung an den Angaben der Verfasser. 918 Titel einer Komödie von Goldoni, die 1771 mit großem Erfolg in Versailles uraufgeführt wurde (siehe Diebold: Rollenfach, 110f.); 1785 erschien eine deutsche Übersetzung mit dem Titel Der gutherzige Murrkopf (Goldoni: Murrkopf). Iffland selbst setzte die Komödie als Berliner Theaterdirektor auf den Spielplan (mit dem Titel Der gutherzige Polterer (siehe Gerlach: Experimentaltheater, 285–289). 919 Siehe Diebold: Rollenfach, 107–109.

Böttigers Leitmetapher ›Umriss‹

295

vorwärts strebende Frisur bey einigen sehr stössigen Scenen gegen das Ende des Stücks dem Totaleindruck sehr zu Hülfe, und keine andere Kopf- und Haarumgebung hätte dem Spiele der Augenbraunen und der Stirnhaut solche Fülle gegeben, als diese. (BEIS: 144f.)

Wiederum wird das Interesse für ›Feinheiten‹ verteidigt durch den Hinweis auf eine Autorität: »Garrick drückte in seiner Forcerolle des Sir John Brute vorzüglich durch den verschiedenen Stand der Perücke die verschiedenen Grade der Betrunkenheit aus«.920 (BEIS: 145f.) Zur Autorität Garricks kommt in der anschließenden Fußnote noch die Lichtenbergs und Hogarths: »S. Lichtenberg im Deutschen Museum, 1776. S. 939. Auch in der Erklärung der Hogarthischen Caricaturen [!] finden sich lehrreiche Bemerkungen darüber.« (BEIS: 146) Bezeichnenderweise unterstellt Böttiger der Lichtenbergischen PerückenDarstellung in den Briefen ein größeres Bestreben, ›Entwickelung‹ zu vermitteln, als sich dies bei genauer Lektüre erhärten lässt: Lichtenbergs Beschreibung der Perücke ist nur einer unter vielen ›Feinheiten‹ in der zweiten von insgesamt drei Passagen zu John Brute und zeigt nicht mehrere »Grade der Betrunkenheit«, sondern einen Extremzustand im Kontrast zur anfänglichen Nüchternheit: Vom Anfange sitzt die Perücke noch gerade, und man sieht das Gesicht voll und rund. Nun kommt er äußerst betrunken nach Haus, da sieht es aus wie der Mond ein paar Tage vor dem letzten Viertel; fast die Hälfte ist von der Perücke bedeckt; der Teil, den man noch sieht, ist zwar etwas blutig und glänzt von Schweiß, ist aber dafür äußerst freundlich, so daß er den Verlust des anderen wieder ersetzt. (LBE: 344)

Vergleichbar sind aber Lichtenbergs und Böttigers Verfahren, das Zeichen der vorstehenden bzw. verrutschten Perücke nach karikaturistischem Muster auf ein Schema zu beziehen, nämlich das des wörtlich genommenen ›Gehörnten‹ bzw. das des Mondes.921

3.2

Der erste Auftritt

Die Bewegungszeichen des ersten Auftritts charakterisieren die Figur nach Böttigers Überzeugung mit ähnlicher Deutlichkeit wie Kostüm und Maske; dennoch warnt er im ersten Rollenporträt unter Verweis auf Ifflands Fragmente über Menschendarstellung vor einem missverstandenen ›starken Auftritt‹ bzw. »Auftreten«: 920 Im Haupttext beruft sich der Altphilologe Böttiger anschließend auf »die Theatermasken der Alten, an welchen allezeit die Perrücken gleich mit befestigt waren« (BEIS: 146). 921 Bei Lichtenberg erzeugt die Überblendung des rötlichen Schimmers mit dem von einer Schlägerei herrührenden Blut noch zusätzliche Komik, während Böttigers Einführung der Gewittermetaphorik etwas gesucht wirkt.

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

»Mehrenteils bemerkte ich,« wir hören hier den Meister über seine eigene Kunst sprechen, »dass selbst das Wort Auftreten den irrigen Begriff veranlasste, zu Folge dessen die Schauspieler oft in möglichster Gravität und Spannung auftreten. […]« Es ist nicht zu sagen, wie sehr dieser affectirte Auftritt noch immer auf unsern Bühnen spukt, und wie groß der Nachtheil ist, der für den Schauspieler selbst aus dieser anmassenden, die erwartungsvollste Spannung erregenden Ankündigung bey dem Zuschauer entsteht. Wer Vorbereitung verräth, hemmt die Täuschung. (BEIS: 2f.)922

So tritt Iffland in der hier diskutierten Rolle als adliger deutscher Hausvater, übereinstimmend mit den Zeichen von Maske und Kostüm, gerade nur so ruhig und gelassen ein, wie man es bey einem Hofmanne von dieser Politur erwarten musste. An ein feierliches ceremoniöses Auftreten war hier gar nicht zu denken. Diese Ruhe und Mässigung dauerte auch noch in den folgenden Scenen und überhaupt so lange fort, bis gewaltigere Erschütterungen zwar die künstliche Apathie des Hofmannes auflösten, aber doch immer noch den Anstand und die durch feinere Erziehung uns zur Natur gewordene Fassung und Gleichmütigkeit zurück liessen, bis auch diese durch noch heftigere Reitzungen, aber auch nur auf wenige Augenblicke, verloren gingen. (BEIS: 11f.)

Böttiger gibt hier bereits eine raffende Zusammenfassung der gesamten Rollenentwicklung am Leitfaden des Darstellungsideals »Anstand«, das schon für Lichtenbergs Porträt von »Garrick als Garrick« bestimmend war (II.5.5). Wie weit dieses Ideal auch Böttiger über die einzelne Rolle hinaus interessiert, wird später zu fragen sein (III.8.1). Auf die Beschreibung der Hausvater-Rolle bezogen, bleibt festzuhalten, dass Böttiger bereits in der Körpersprache von Ifflands erstem Auftritt »Anstand« ausmacht und als »Umriss« der späteren Rollenentwicklung betrachtet, von der sich die »Schattirungen« umso effektvoller abheben können. Durch welche Zeichen dies im Einzelnen geschieht, bleibt allerdings vorerst offen. Genauer beschreibt Böttiger, wie im ersten Dialog der Ehelichen Probe »der erste Stachel der Eifersucht […] in die Brust des feurig liebenden Ehemanns gesenkt« wird (BEIS: 148): Er stutzt auf einmal, als sein Freund die zudringliche, ihm unerwartete Frage thut: Haben Sie Ihre Frau je auf die Probe gestellt? In der nun schon sichtbaren Verlegenheit und dem stockend ausgesprochenen: Was – ich antworten würde? in der komischernsthaften Versicherung: Der Discurs erhitzt mich! und in dem auf der Stelle gefassten Entschlusse zu einer vorgeblichen Reise, drückte sich die Entstehung der Leidenschaft sogleich in fein nüancirten Fortschritten aus. (BEIS: 149)

922 Siehe Iffland: Beiträge zur Schauspielkunst, 67f. (Abschnitt 8). Die deutsche Theaterwissenschaft hat die Kategorie des Auftritts kürzlich wiederentdeckt (Matzke/Ott/Roselt: Auftritte).

Böttigers Leitmetapher ›Umriss‹

297

Zunächst werden hier vor allem paralinguistische und angedeutete mimische Zeichen angesprochen (das Stocken), zusammenfassend interpretiert (»Verlegenheit«) und in ihrer Wirkung vorgestellt (›komisch-ernsthaft‹). Konkreter noch wird anschließend ein Bewegungszeichen benannt, das wiederum für einen Blick auf die weitere Rollenentwicklung genutzt wird: »Dabey trat auch schon der komische Gest ein, der dem Doctor bey mehrern Situationen in diesem Stücke gute Hülfe leistete, und mit der zunehmenden Heftigkeit der Leidenschaft immer häufiger und stärker wurde, das Benagen des Nagels.« (BEIS: 149)

3.3

Gesamteindruck

Mitunter ist der Beschreibung von konstanten Zeichen und erstem Auftritt eine einleitende Passage vorangestellt, die den Gesamteindruck der Rolle ›umreißt‹, so etwa gleich zu Beginn des dreizehnten Rollenporträts, das Iffland als Licentiat Wanner in seinem rührenden Lustspiel Der Herbsttag923 vorstellt: Der Character dieses alten ehrlichen Sonderlings, muss auf jedem Theater den Theil der Zuschauer elektrisiren, die sich als Männer und Greise noch so gern an den Erinnerungen ihres frohen und freyen Burschenlebens auf der Universität ergetzen, und es allen, die Ohren dazu haben, wiederholen, dass sie einst auch in Arkadien waren. Aber nicht bloss diese mussten heute in dem wackern Wanner ihren alten, treuen Dutzbruder erkennen und lieben; auch alle übrigen Zuschauer, deren Herz den Eindrücken der nie veraltenden Jugendfreundschaft nicht ganz verschlossen war, mussten über das Meisterspiel Ifflands, womit er uns diesen ächt Deutschen Charakter vergegenwärtigte, in laute Freude ausbrechen. (BEIS: 330f.)

Eingeleitet durch eine knappe Charakterisierung, wird hier eine bestimmte Wirkung auf das Publikum behauptet (›Elektrisierung‹, »laute Freude«) und auf Identifikationsangebote zurückgeführt, die allerdings bereits in der Rolle selbst angelegt und durch den Schauspieler lediglich ›vergegenwärtigt‹ sein könnten. Im Folgenden macht Böttiger jedoch klar, dass die Wirkung des Spiels nicht zuletzt darauf beruht, dass der Schauspieler Iffland vom Dramatiker Iffland etwas abweicht: Denn er spielt ihn nicht allein mit unsäglicher Holdseligkeit, sondern er weiss ihm auch noch mit der ihm eigenen Feinheit ein individuelles Interesse dadurch zu geben, dass er dem bloss jovialischen Lebemann einen veredelnden Anstrich von feiner Lebensart und ächter Empfindsamkeit aufträgt. Freylich verliert der Character etwas von den scharfen Ecken, die ihm in der Zeichnung des Dichters geblieben sind. Aber wer nähme 923 Iffland: Dramatische Werke 6. Da in allen Bänden dieser Ausgabe jedes Drama eine eigene Seitenzählung hat, erübrigt sich eine Seitenangabe.

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

nicht gern den hier geleisteten Ersatz dafür an, Fröhlichkeit mit heiterer Grazie und gereifter Erfahrung? (BEIS: 331f.)

Die Auffassung der Rolle als »Zeichnung des Dichters«, die vom Leser oder Schauspieler auszuführen ist, fand sich schon in Schinks ›zergliederndem‹ Rollenporträt (II.6). Wurde dort jedoch streng im Sinne des Literaturtheaters darauf geachtet, dass die Verkörperung sich innerhalb der ›vorgezeichneten‹ Konturen hielt, betont Böttiger (wie weitere Beispiele zeigen werden) immer wieder das Recht des Schauspielers, vom Text abzuweichen, keineswegs nur, wenn Schauspieler und Dichter identisch sind. Die ›Umrisse‹ der Figur, die bisher mit Blick auf Publikumswirkung und Texttreue gezogen wurden, werden nun ›schattiert‹ durch eine Charakterisierung der Figur, die tiefer in das Stück hineinführt: »Licentiat Wanner ist noch mit ganzer Seele Student, wenn es auf Frischheit des Lebens und offene Genussfähigkeit ankommt. […] Allein er ist durch bestimmte, praktische Geschäfte reifer, männlicher geworden.« (BEIS: 352) Von seinem »Hagestolzenstand« sei ihm »ausser der holdseligen Galanterie, die alle Junggesellen […] gegen das zweyte Geschlecht beobachten, und einer kleinen Anwandlung von Misstrauen, fast gar nichts angeflogen.« (BEIS: 335) Von dieser charakterisierenden ›Vorzeichnung‹ wiederum leitet Böttiger zur Darstellung der ersten Szene über, die ihrerseits weitere ›Schattierungen‹ vorbereitet: »So denkt Wanner, und so spielt ihn Iffland.// Die erste Szene gab uns, wie immer, den ganzen Mann mit den bestimmtesten Umrissen.« (BEIS: 335) Erzähltechnisch lässt sich der Beginn des eben diskutierten dreizehnten Kapitels so beschreiben, dass der Autor als homodiegetischer Erzähler auftritt, der Iffland in der Rolle des Licentiaten Wanner gesehen hatte und die außerordentliche Wirkung der Verkörperung nun souverän zu generalisieren vermag. Eine weitere Erzähl- und Beglaubigungsinstanz wird ein Kapitel zuvor eingeführt, um sich Ifflands Verkörperung seiner Paraderolle als Franz Moor anzunähern: Iffland erhielt den Morgen nach der Vorstellung folgendes Billet von einer Dame, das mir von ungefähr in die Hände gefallen ist. Ich benutze die mir ertheilte Erlaubnis es auch hier mittheilen zu dürfen, da ich den Eindruck, den dieser Franz Moor auch auf mich machte, nicht deutlicher auszudrücken vermag. (BEIS: 290f.)

Im Schutze dieser Konstruktion kann Böttiger Kritik an Schillers Tragödie artikulieren – »ich hasse das Stück«, gesteht die Schreiberin (BEIS: 291) – und sogar Kritik an Ifflands Spiel in den ersten Akten andeuten. Allerdings schiebt auch die »Dame« intradiegetische Sprecher vor, von denen sie sich distanziert, ohne deren Urteil wirklich in Frage zu stellen:

Böttigers Leitmetapher ›Umriss‹

299

In den ersten drey Acten konnt’ ich mich selbst über Ihr Spiel nicht ganz entscheiden. Er lässt das Pasquill auf die Menschennatur fallen, hörte ich Stimmen um und neben mir. Es waren Geschmacksmäkler, denen Sie zu wenig Innigkeit der Bosheit zu spielen schienen. Ich mochte nicht absprechen, und wärmte mich dankbar an den einzelnen Strahlen Ihres Spiels. (BEIS: 291)

Mit diesem Lavieren kontrastiert wirkungsvoll der anschließende Ausbruch von Bewunderung: Aber wie vermöchte ich die niederschmetternde, furchtbare Allgewalt desselben in den zwey letzten Acten zu beschreiben? Welche Blicke in die Tiefe des menschlichen Geistes und in die Geheimnisse der Menschendarstellung haben Sie uns thun lassen! Das Gespenst Ihres Spiels wird mich noch lange verfolgen. Welcher Teufel stand Ihnen zur Copie? (BEIS: 291f.)

Damit endet der Brief besagter »Dame« – Böttiger ergreift wieder das Wort, versichert, dass die hier ausgedrückte Empfindung »mehr oder weniger der ganzen Versammlung eigen« gewesen sei (BEIS: 292), und macht sich daran, das von seiner Gewährsfrau für unbeschreibbar Erklärte zu beschreiben und zu erklären.

3.4

Einstimmung durch Motti

Der eben zitierten Einleitungspassage des Franz-Moor-Kapitels ist – direkt unter der sachlichen Kapitelüberschrift924 – ein graphisch abgesetztes Zitat vorangestellt: Rien n’est plus difficile, que dÞtre [sic] naturel dans un rile qui n’est pas. (Encyclop8die, Art. Declamation) (BEIS: 290)925

Es fungiert als Motto, das bereits das vernichtende Urteil der »Dame« über Die Räuber präludiert und die Aufmerksamkeit der Leser auf die Frage lenkt, wie der Schauspieler besagte Herausforderung gemeistert habe. Insofern es sich um ein grundsätzliches Problem von Schauspielkunst handelt, wird die analytische Funktion von Ekphrasis akzentuiert. Andererseits wird Spannung erzeugt auf die spezifische ›Schattierung‹ dieser Verkörperung angesichts dieser spezifischen Rolle, was der enargeischen Wirkung zugute kommt. Ähnlich verhält es sich mit den übrigen der insgesamt sechs Motti: Zwei 924 Die Überschrift verzeichnet, wie in allen Kapiteln Aufführungsdatum, Drama und Rolle ohne beschreibenden oder interpretierenden Hinweis: »XII./ Den 16. Aprill./ DIE RÄUBER VON SCHILLER./—IFFLAND ALS FRANZ MOOR—« (BEIS: 290). 925 Siehe Edm8 FranÅois Mallets Artikel D8clamation in Diderot: Encyclop8die 1, 680–692, hier 684: »Rien n’est plus difficile que d’Þtre naturel dans uns rile qui ne l’est pas.«

300

Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

Zitate aus Ifflands Fragmenten über Menschendarstellung bereiten auf eine Beschreibung Ifflands als »edler Mann« (BEIS: 1) bzw. als Verkörperung der »Gutmüthigkeit« vor (BEIS: 196). Ein Zitat aus den gerade erst erschienenen Lehrjahren erhebt Iffland zum realen Gegenstück des fiktiven Vollblutschauspielers Serlo, für den vielleicht Friedrich Ludwig Schröder Pate gestanden hat;926 die Leser dürfen gespannt sein, wie Iffland gerade in der Rolle des Staatschirurgus Rechtler diesem Ideal gerecht wird: »Eine heitere Laune, eine gemässigte Lebhaftigkeit, ein bestimmtes Gefühl des Schicklichen bey einer grossen Gabe der Nachahmung, musste man an ihm, wie er aufs Theater trat, wie er den Mund öffnete, bewundern. Die innere Behaglichkeit seines Daseyns schien sich über alle Zuhörer auszubreiten, und die geistreiche Art, mit der er die feinern Schattierungen der Rollen mit der grössten Leichtigkeit ausdruckte, erweckte um so viel mehr Freude, als er die Kunst zu verbergen wusste, die er sich durch eine anhaltende Übung zu eigen gemacht hatte.« Wilh. Meisters Lehrjahre, Th. II. (BEIS: 53)927

Bemerkenswert ist, dass auch hier die Wirkung des ersten Auftritts hervorgehoben und die Metapher von den »feinern Schattirungen« gebraucht wird. Dagegen verweist Ekhofs Definition »Die Schauspielkunst ist belebte Bildnerey« (BEIS: 246), die der Beschreibung Ifflands als Hohepriester in Kotzebues Tragödie Die Sonnenjungfrau vorangestellt ist, auf die Plastik statt auf die Graphik und lässt dementsprechend eine gänzlich andere Gestaltung dieser Rolle erwarten (siehe II.2.5). Auch das folgende Zitat bezieht sich auf bildende Kunst – es ist allerdings das einzige Motto, das den Bezug zur Schauspielkunst nicht explizit selbst herstellt: »Schlaffe Leerheit auf der niedrigsten Stufe; das eigentliche moralische Nichts und wieder Nichts!« (Lichtenberg, in der Erklärung der Spieler auf dem 6ten Blatt im Leben des Liederlichen, 259) (BEIS: 165)928

Umso gespannter dürfen die Leser sein, wie sich Iffland in seiner Komödie Der Spieler zur Hogarth-Figur verwandelt (siehe III.7.3).

926 Siehe FGA 9: 1427 (Komm.). 927 Siehe FGA 9: 614. 928 Siehe LSB 3: 883.

Böttigers Leitmetapher der »Vertheilung von Licht und Schatten«

4.

301

Böttigers Leitmetapher der »Vertheilung von Licht und Schatten«

Dass Iffland als Graf Wodmar in den ersten Szenen des Deutschen Hausvater mit »Ruhe und Mässigung« (BEIS: 10, siehe III.3.2) auftrat, gefiel nicht allen Zuschauern: »Wirklich fehlte es auch hier nicht an solchen, die bemerkt haben wollten, daß Wodmar anfänglich zu kalt, zu langsam und zu affectlos gespielt worden sey. Wer erinnert sich hierbey nicht an den ehrlichen Partridge in Fieldings Tom Jones, der über Garrick urtheilte, so natürlich dazustehen, sey gar keine Kunst?« (BEIS: 13) Inwiefern es eben doch eine Kunst war, begründet Böttiger mit dem Gesamtverlauf der Darstellung und verdeutlicht diesen Aspekt durch kunstkritische Terminologie: Ifflands »grosse Kunst« habe bestanden »in der verständigen Vertheilung von Licht und Schatten, und in den meisterhaft motifirten Gradationen des innern Kampfes bey den erschütterndsten Situationen von außen.« (BEIS: 15f.) Die Vorstellung von einer ausgewogenen Verteilung des Lichtes auf einer Bildfläche wird also übertragen auf die gesamte »Enwickelung« einer Rolle.929 Diese Metapher hält Böttiger auch im zwölften Kapitel jenen »Geschmacksmäkler[n]« entgegen, die an Iffland als Franz Moor zunächst »Innigkeit der Bosheit« vermissen (BEIS: 291) und damit sogar seine Gewährsfrau verunsichern; er dagegen lobt die »gehaltene Ökonomie seines Spiels und die kluge, schon oft bewunderte Aussparung des Lichtes auf einige […] Hauptpartien« (BEIS: 292) und spricht etwas später noch einmal von »Ifflands haushälterischer Vertheilung des Lichts und Schattens« (BEIS: 297). Die Vorstellung, man müsse mit schauspielerischen Effekten ›haushalten‹, ist vor allem an der Wirkung orientiert: Dauernde Anspannung der Zuschauer führe nur zu Erschöpfung, am wirksamsten sei die »Gradation« einer Emotion. Allerdings hat der Schauspieler auch durchaus das Recht, seine Kräfte einzuteilen,930 sofern dies der ›Ökonomie‹ der Effekterregung nicht abträglich ist. Insofern stellt Böttiger im Fall des Franz Moor zunächst die rhetorische Frage, ob Iffland wirklich in jenen Fehler gefallen sey, den Engel mit seinem gewöhnlichen Scharfsinn als die Klippe der Schauspieler andeutet, die alle ihre Kräfte auf gewisse Haupteffecte aufsparen, nehmlich: ob er aus Furcht, sein Feuer in voraus zu ver929 Sie kann sich auch auf das Ganze eines Stückes und grundsätzliche Regieentscheidungen beziehen: So heißt es zu Ifflands Komödie Herbsttag (1792): »Es ist gewiss, dass die ganze Schilderung von der rührenden Abschiedscene […] zwar eine rührende Situation mit warmem Colorit vorträgt, und in so fern, wenn sie der Schauspieler […] vom Herzen wegspricht […], ihre Wirkung auf die Versammlung kaum verfehlen kann: allein diese Tiraden […] schwächen als zu stark beleuchtete Nebenfiguren das Interesse der Hauptgruppe. […] [E]r ließ daher diese ganze Stelle ohne alle Rücksicht gegen seine eigene Dichterergiessung weg.« (BEIS: 345ff.). 930 Siehe z. B. BEIS: 202.

302

Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

schwenden, wirklich in allen vorher gehenden Scenen matt geblieben, bloss um einige Hauptscenen mit desto grösserem Nachdruck heraus zu heben? Eine solche periodisch wechselnde Kälte und Gleichgültigkeit verdirbt natürlich alle Einheit des Spiels und wird durch die Überraschung des plötzlichen Aufbrausens, durch diess Wetterleuchten aus der Finsternis, sehr schlecht vergütet. (BEIS: 298f.)

Im Fall von Ifflands Verkörperung des Franz Moor sei dies aber nicht der Fall gewesen, denn »die ihm Anfangs gegebene Kälte« passe »sehr gut zu seiner übrigen Verstellung, und sie wäre nur dann fehlerhaft, wenn uns der Künstler nicht bey mehrern Gelegenheiten die in seinem Innern kochende und tobende Leidenschaft hätte durchschimmern lassen.« (BEIS: 299)931 Diese Behauptung wird anschließend »bis auf die geringste Schattirung« belegt (BEIS: 300). Noch einmal zusammengefasst: Böttiger ergänzt die Leitmetapher von ›Umriss und Schattierung‹, die sich vor allem auf die Vergabe von charakterisierenden Zeichen im Laufe des Spiels bezieht, durch die Metapher der ›Verteilung von Licht und Schatten‹, die sich vor allem auf Affektdramaturgie bezieht. Die Vorstellung von ›Umriss und Schattierung‹ kann sich auf verschiedene Aspekte eines fertigen graphischen Bildes beziehen, aber auch (und so verwendet sie Böttiger meistens) auf verschiedene Phasen der Entstehung eines Bildes: Insofern wird die bildende Kunst (wie in Lichtenbergs Formulierung »Dieses waren wieder ein paar Pinselstriche an seinem Porträt«; LBE: 340) als Prozess gefasst und so der Schauspielkunst angeglichen. Die ›Verteilung von Licht und Schatten‹ scheint sich dagegen, mit Lessing gesprochen, vor allem auf die Gesamtheit »neben einander geordnete[r] Zeichen«932 zu beziehen und akzentuiert deshalb, mit Moritz gesprochen, »das Ganze dieses Kunstwerks« (MW 1: 1002), das heißt der jeweiligen Verkörperung. Allerdings kann »Vertheilung« (BEIS: 16, 297) nicht nur ein Ergebnis, sondern auch einen Prozess bezeichnen; insofern ist der Zusammenhang mit den tatsächlich »auf einander folgende[n] Zeichen«933 der Rollen-»Enwickelung« immer noch gewahrt. Wie schlägt sich nun die zweite Leitmetapher der ›Verteilung von Licht und Schatten‹ in der Struktur von Böttigers ›Rollenporträts‹ nieder? Auch wenn sich diese überwiegend am Verlauf des jeweiligen Dramas orientieren, werden die ›im Licht‹ liegenden Stellen, die das Auge auf einem Gemälde ja ebenfalls zuerst bemerken würde, mitunter vorgezogen und die ›im Schatten liegenden‹ summarisch behandelt, teilweise auch gar nicht besprochen. Im Fall des ›polternden Alten‹ Wallmann beispielsweise (siehe III.3.1) werden zunächst dessen Auftrittsszene und »eine andere hochkomische Scene« (BEIS: 235) vor(an)gestellt, 931 Auch das ›Durchschimmernlassen‹ einer Farbe ist ja eine Metapher aus dem Bereich der bildenden Kunst. 932 LFA 5.2: 116; siehe Einf. 2. 933 LFA 6, 116.

Böttigers Leitmetapher ›Schattierungen‹ – zwei Fallbeispiele

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beide im ersten Akt; dann aber springt Böttiger zu »jener Scene, welche unter allen die lächerlichste Wirkung hervorbrachte« (BEIS: 236), und das ist »im 5ten Act, der 5te Auftritt« (BEIS: 237). Nachdem dieser Auftritt ausführlich beschrieben ist, stellt Böttiger fest: »Auch die Scenen mit dem Amtmanne waren reich an komischen Situationen« (BEIS: 241), bespricht dann aber nur eine dieser Szenen.934 Insgesamt lässt sich feststhalten, dass beide aus der bildenden Kunst bzw. ihrer Analyse entlehnten Leitmetaphern dazu beitragen, den Aspekt des ›Ganzen‹ präsent zu halten; nun ist zu fragen, wie mimische ›Feinheiten‹ angeschlossen und ausgeführt werden. Das soll anhand zweier Fallbeispiele geschehen.

5.

Böttigers Leitmetapher ›Schattierungen‹ – zwei Fallbeispiele

5.1

Das Milchglas des Lauschenden

Eingangs (III.1) wurde zitiert, wie Tiecks »BÖTTCHER« in wortreiches Entzücken darüber ausbricht, dass der Darsteller des Katers das erbeutete Kaninchen an den Ohren hielt. Im zehnten Kapitel der Entwickelung,935 das Iffland als bekehrten Junggesellen in seiner Komödie Die Hagestolzen beschreibt,936 findet sich eine Fußnote, aus der die Sorge spricht, die vorangegangene Beschreibungssequenz könne ähnlich lächerlich wirken: Quel bruit pour une aummelette [sic]! Als wenn andere Schauspieler nicht auch das Glas Milch eben so nähmen und wiederwegsetzten! – Freylich wohl. Aber fürs erste muss ich leider gestehen, dass, so natürlich auch gerade die hier bemerkte Art, das Milchglas ins Gebärdenspiel zu ziehen, aussehen mag, diess doch auf zwey namhaften Theatern anders, und gewiss nicht besser, gespielt wurde. Und dann kann man, wie schon erinnert worden, auf diese kleinen Hülfsmittel, die Action zu beleben, nicht aufmerksam genug machen. Es ist eine sehr bekannte Bemerkung, dass in dem edlern Lustspiele die Personen aus den gebildeten Kreisen überhaupt schon darum mit den Geberden sparsam seyn müssen, weil es die gute Lebensart zum Gesetz gemacht hat, im Umgang und Gespräch mit andern so wenig zu gesticuliren als möglich. Nun bringt aber die Beobachtung dieser Regel nur allzu leicht Monotonie und verhasste Steifheit in die Action selbst der besten Schauspieler. Sie müssen also auf diese gering scheinenden 934 Ein weiteres prägnantes Beispiel für diese Vorgehensweise findet sich gleich im ersten Kapitel: »Richtig und mahlerisch schön waren die Stellungen in den heftigern Entdeckungsscenen. Alle Schattirungen des Ausdrucks von Bewunderung, Erstaunen, Schrecken, Entsetzen ging er bey der Erkennungsscene von Lottchen durch.« (BEIS: 28f.) Allein die letztgenannte Szene wird nun genauer beschrieben. 935 Fälschlicherweise als Kapitel IX gezählt (BEIS: 197). 936 Iffland: Dramatische Werke 9.

304

Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

äussern Lösemittel ihrer Gebundenheit einen höhern Werth legen, als der Zuschauer, der diess alles für blossen Zufall hält, glauben will. (BEIS: 221f.)

Stilistisch mag das Zitat eher geeignet sein, Tiecks Spott zu bestätigen als zu entkräften. Dennoch stellt diese Fußnote keine gesuchte Apologie zügelloser Detailmanie dar. Sie belegt vielmehr, dass Böttigers Beobachtungen mimischer ›Feinheiten‹ auf Verbesserungen der aktuellen Theaterpraxis zielen und die Leser zu kompetenteren Zuschauern machen wollen. Bezeichend ist, dass er vergleichend auf die Erinnerungen an weitere Darstellungen der Rolle zurückgreifen kann, die er ins Verhältnis zu aktuellen Darstellungsidealen setzt. An der hier kommentierten Passage selbst und an ihrer Einbettung in den Haupttext lässt sich exemplarisch zeigen, wie Böttiger die Beobachtung von ›Feinheiten‹ mit der Analyse der gesamten Rollengestaltung verbindet und weitere übergeordnete Gesichtspunkte einbringt. In den (eher lustspielhaften) ersten drei Akten von Ifflands empfindsamen Lustspiel Die Hagestolzen lernt Hofrat Reinhold, die Intrigen seiner bei ihm wohnenden Schwester und seines Kammerdieners zu durchschauen, und wirft das Gaunerpärchen schließlich aus dem Haus. Für die letzten beiden (eher empfindsamen) Akte wechselt die Szenerie aufs Land zu Reinholds Pächter und dessen Schwägerin Margarethe, einer Unschuld vom Lande, die der Hofrat schließlich heiratet. Böttiger bewertet diese Akte zwar als »rührend und schön«, aber doch auch als »Scenen aus einer reinen Idyllenwelt«; insbesondere »die schnelle Verbindung des Hofraths mit einem armen Bauernmädchen« sei »nach unsern fest bestehenden, conventionellen Begriffen« allzu »romanesk und unwahrscheinlich« (BEIS: 214). Aber durch Ifflands meisterhafte Darstellung auf dem Theater selbst wurde der allmähliche Übergang zu diesem Enschluss so fein nüancirt, dass alle Unwahrscheinlichkeit völlig wegfiel, und ein jeder, der Iffland den Dichter von Iffland dem Schauspieler so erläutert und gerechtfertigt sah, vollkommen überzeugt seyn musste, dass er in des Hofraths Lage gerade so und nicht anders gehandelt haben würde. (BEIS: 214ff.)

Diese Behauptung wird belegt, indem Böttiger stellvertretend zwei Szenen bespricht, in denen Ifflands »Mienen-und Augenspiel« besonders »[m]eisterhaft und bis zu den kleinsten Schattirungen treffend ausgeführt« gewesen sei (BEIS: 216). Hier geht es um den dritten Auftritt des vierten Akts: Margarethe singt ein Liedchen über Zufriedenheit und Liebe, die viel wichtiger seien als »Geld und Gut«, und rührt damit den lauschenden Hofrath zutiefst.937 »Alle Zuschauer wurden durch die schon oft gepriesene Kunst, die Worte des Mitunterredners durch das beredeste Mienenspiel gleichsam zu verdoppeln, zur Bewunderung hingerissen« (BEIS: 216f.), behauptet Böttiger. Gepriesen hat er diese Kunst 937 Siehe Iffland: Werke 6, 110–114.

Böttigers Leitmetapher ›Schattierungen‹ – zwei Fallbeispiele

305

insbesondere938 in seiner Besprechung des elften Auftritts von Dalbergs Nachspiel Die eheliche Probe: Als Treumund, der seine Frau belauscht, habe Iffland »in dem Mienen- und Geberdenspiel des Eifersüchtigen jedes Wort, das Mariane zu Lindholm spricht, jede ihrer freundlichen Zusicherungen und Liebkosungen, wie in einem Hohlspiegel mit wahren und doch verstärkten Zügen zurück geworfen« (BEIS: 157). Ohne komische Verzerrung dagegen, vielmehr als Bild seelischer Übereinstimmung funktioniert das Wechselspiel von Wort und Mimik bei Hagestolz und Bauernmädchen. Entsprechend greift Böttiger zu einer Metapher aus einem mit dem »Hohlspiegel« verglichen höheren Register, und fragt, »ob die Worte der singenden Margarethe nur Commentar, oder eine Abschrift von dem wären, was wir auf dem Gesichte des Schauspielers mit dem Griffel der mimischen Darstellung angeschrieben lasen?« (BEIS: 216) Deutlicher als an diesen Formulierungen lässt sich kaum zeigen, wie sehr Theater um 1800 auch noch im stummen Spiel unter dem Vorzeichen des Paradigmas vom ›Literaturtheater‹ steht. Bevor jedoch das mimische Wechselspiel nachbuchstabiert wird, verweist der Altphilologe Böttiger auf eine Analogie zur antiken Bühne: Auf den alten Römischen Theatern wurde das, was der eine Schauspieler sprach, von dem andern durch die Pantomime ausgedrückt und zurück gespiegelt. Bey den Griechen war diess [sic] das Geschäft des Chors. Der Zuschauer empfing dadurch einen doppelten Genuss. Sie hörten [sic], was der recitirende Schauspieler sagte, und sahen zugleich, wie das Gesagte wirkte und im stummen Spiel zurück gegeben wurde. (BEIS: 217ff.)

Auch wenn die beigegebene Fußnote mit antiquarischer Gelehrsamkeit prunkt und »eine eigene Abhandlung« zu diesem Thema ankündigt (BEIS: 217) – der gelehrte Hinweis im Haupttext ist durchaus funktional. Er verdeutlicht nämlich im theatergeschichtlichen Vergleich das enargeische Potenzial des Wechselspiels von verbalem und mimischem Zeichen, das strukturell einer bewährten ekphrastischen Strategie entspricht, nämlich der Einführung eines intradiegetischen Zuschauers (I.2.1.2). Erinnert sei in diesem Zusammenhang an Böttigers Behauptung, der Iffland-Zuschauer werde im Gegensatz zum Iffland-Leser davon »überzeugt […], dass er in des Hofraths Lage gerade so und nicht anders gehandelt haben würde.« (BEIS: 214ff.) Dementsprechend orientiert sich auch die anschließend ausgeführte Beschreibung von Ifflands Spiel mit dem Requisit des Glases Milch an den »sichtbare[n] Rührungen« (BEIS: 219), die von den Versen des Liedes ausgelöst werden:

938 Weitere Beispiele: BEIS: 237, 262.

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

Er setzte es […] an die Lippen, als die stille Ruhe und Zufriedenheit einflössenden Worte: Und sing’ mit dankbarem Gemüth Mein Morgen- und mein Abendlied, auch seinem Herzen sanftere Empfindungen eingehaucht haben. Mit sanft bittendem Tone fordert er zur Fortsetzung des süssen Gesanges auf: Weiter mein Kind. Aber wie wehe und bange wird ihm ums Herz, als im zweyten Vers seine eigene Lage so treffend geschildert wird: »Je mehr er hat, je mehr er will! Nie schweigen seine Klagen still.« Die Milch scheint plötzlich ein Thränen- und Wermuthstrank geworden zu seyn. Mit zitternder Hand setzt er das Glas auf den Tisch […]. (BEIS: 228f.)

Die Entsprechung wird durch Wortwiederholung (›sanft‹) sinnfällig gemacht, und der stellenweise Übergang zur erlebten Rede (»Aber wie wehe«; »so treffend«) deutet an, dass sich die ›Rührungen‹ auch auf die Zuschauer und den Beschreibenden übertragen haben.

5.2

Das Entsetzen des Phantasierenden

Solche ›Schattierungen‹ der Beschreibungstechnik sind im Einzelnen kaum innovativ, zumal im Vergleich zu Lichtenbergs differenzierter Beschreibungskunst. Böttiger hat auch gar nicht den Ehrgeiz, sein Vorbild zu übertreffen: »Lichtenbergs Schilderungen von Garricks Darstellungen im Hamlet sind bekannt, und bleiben ein unerreichbares Muster für jeden, der solche Streifereyen ins Gebiet der Schauspielkunst wagen wollte.« (BEIS: 308) Wohl aber geht es ihm darum, die (nicht allein) diesem Vorbild abgeschauten Techniken so einzusetzen, dass sie einer Schauspielkunst gerecht werden, die sich gegen Ende des Jahrhunderts angesichts vergleichsweise naturalistischer Tendenzen auch von Garricks Darstellungsweise in einigen ›Schattierungen‹ unterscheidet. Dies gilt sogar für die Rolle des Franz Moor, die Schiller teilweise nach dem Vorbild von Garricks Paraderolle Richard III. konzipiert hat. Böttiger vergleicht Ifflands Verkörperung allerdings vor allem mit Garricks Hamlet-Verkörperung (aufgrund von Lichtenbergs Beschreibung) und gesteht zu, dass Garricks Spiel (wie das seines französischen Pendants Le Kain als Ninias)939 »im richtigsten Verhältnis zu dem edlern Charakter« seiner Rolle (BEIS: 308f.) 939 Siehe II.5.7 Böttiger setzt seine eben zitierte Fußnote mit einem zweiten Verweis auf eine Mimen-Ekphrasis fort: »Die Theaterüberlieferung von Le Kains Spiel in der Rolle des Ninias, wodurch Voltaire bekanntlich in einen so großen Paroxymus gerieth, findet man am besten in den Costumes et Annales des grands Theatres de Paris, Ann8e 1786. n. XXVII.« Diese Stelle ist eine der wenigen Verweise in einer deutschen Mimen-Ekphrasis auf französische Mimen-Ekphrasis; prägend für die deutsche Entwicklung ist die im letzten Kapitel verfolgte englische Tradition. Selbst Böttiger verweist nur auf die Beschreibung des Ninias, zitiert aber aus Churchills Rosciad (siehe II.2.5).

Böttigers Leitmetapher ›Schattierungen‹ – zwei Fallbeispiele

307

und zu der vom Dichter gegebenen Situation noch gewaltsamer und, wenn ich mich so ausdrücken darf, tragischer gewesen ist: allein in Absicht auf Wahrheit und getreue Schattirungen lässt sich kaum etwas vollendeteres denken, als Ifflands Spiel in den verschiedenen Schreckensscenen, die Schillers Phantasie so reichlich mit allem, was die menschliche Natur empören und aus ihren Fugen reissen kann, ausgestattet hat. (BEIS: 309).

Die »Schreckensscenen« der Räuber ähneln strukturell zwar den Geisterszenen in Hamlet, Macbeth und Richard III., doch lässt Schiller im Einklang mit Lloyds 1760 erhobener Forderung den Geist nicht auftreten (siehe I.1.4)940 und setzt ganz auf die sprachliche Evokation von Phantasiebildern. Iffland folgt ihm darin, und Böttiger lenkt die Aufmerksamkeit darauf, wie sich die Wirkung der Halluzination mimisch auswirkt: Die Spitze, oder der Kranz des ganzen Spiels im Monolog, wo er über den Brudermord brütet, bleibt, nach der allgemeinen Empfindung der Versammlung zu urtheilen, das Erblicken des Phantoms, das seine zerrüttete Phantasie schafft.[941] Nach der fürchterlichen Pause, wo der Schreck allen Lebensgeistern still zu stehen befohlen hatte, trat die Furcht ein. Iffland dachte gewiss hier nicht an Engels Schilderung des Furchtsamen, der, den Körper noch immer gegen die Schrecksgestalt gewendet, oft mehrere Schritte rückwärts taumelt, weil er den gefürchteten Gegenstand gern im Auge behalten und sich gegen ihn schützen will; und doch war es gerade diess Rückwärtsschreiten mit unverwandt starrendem Auge und vorgehaltenen Armen, was seinem Geberdenspiel die höchste Täuschung und Kraft gab. (BEIS: 309f.)

Es sei daran erinnert, dass Schink 1778 Brockmanns Darstellung der Furcht in der Hamlet-Geist-Szene kritisiert hatte unter Hinweis auf eben jene Naturgesetzlichkeit des reflexartige Zurückweichens aus Furcht, aufgrund derer Engels 1785 eine graphische Darstellung korrigieren sollte (II.6). Hier dagegen geht es nicht um Korrektur, sondern um den Nachweis der Übereinstimmung zwischen Beobachtung und Darstellung: Die Paraphrase von Engels Formulierung kann die Beschreibung der mimischen ›Schattierung‹ ersetzen; die Versicherung, dass Iffland nicht an Engel gedacht habe, verankert die verbale wie die mimische Darstellung in einer Gesetzlichkeit, die aus empirischen Befunden abgeleitet wurde. Vor dem Hintergrund der hier festgestellten Übereinstimmung jedoch arbeitet Böttiger »eine eigene Feinheit« heraus: Die rechte Hand ist weiter vorgehalten als die linke, die in einem spitzen Winkel mehr hinterwärts gebogen ist und gleichsam zum Succurs der rechten im Hinterhalt steht. 940 Böttiger zitiert Lloyds Verstraktat mehrfach (BEIS: 35, 296, 353). 941 Es handelt sich um den Monolog, der Szene II.1 einleitet (SSW 1: 521ff.), besonders ab den Worten: »Und wie ich nun werde zu Werk gehen müssen, diese süße, friedliche Eintracht der Seele mit ihrem Leibe zu stören? Welche Gattung von Empfindnissen ich werde wählen müssen?« (SSW 1: 522).

308

Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

Auf einmal berührt er ganz unwillkührlich mit der linken sich selbst in der Seite. Diess giebt ihm plötzlich, wie durch einen elektrischen Schlag, die Vorstellung, als packe ihn eine zweyte Schreckgestalt hinten im Rücken. Er schaudert aufs neue zusammen, dreht sich im Huy um, weil er sich gegen das Gespenst im Rücken sichern will, und – verschwindet. (BEIS: 310f.)

Hier geht es nicht um die Übereinstimmung mit einem mimischen Naturgesetz, aufgrund dessen auch andere Schauspieler in einer vergleichbaren Szene ähnlich agieren könnten oder gar müssten, sondern um eine originelle Erfindung Ifflands, die seiner Verkörperung ein spezifisches Gepräge gibt.942 Gleichwohl behauptet eine Fußnote (nach den Worten »dreht sich im Huy um«), dass Iffland hier eine Lösung für ein grundsätzliches Problem gefunden habe: Gerade diess Umdrehen ist die Hauptschwierigkeit bey jenem Rückwärtsschreiten, worüber Engel am angef. Orte keine befriedigende Auskunft giebt. Ein schnelles Umdrehen, ohne eine Veranlassung von hinten, wäre bey der Lähmung durch die Furcht unnatürlich geblieben; und doch wäre es auch lächerlich gewesen, wenn er bloß rückwärts schreitend abgegangen wäre. (BEIS: 311)

Das Problem stellt sich für alle ähnlich aufgebauten Szenen; Ifflands Darstellung bietet zwar keine kopierbare Musterlösung, beweist aber, dass es prinzipiell lösbar ist, und versetzt die Leser in die Lage, bei künftigen Theaterbesuchen zu prüfen, ob und wie es gelöst wurde. Böttiger verknüpft also nicht nur die Beschreibung des ›Ganzen‹ einer Rollenverkörperung mit der Beschreibung ihrer ›Schattierungen‹, sondern auch die Beschreibung des Besonderen mit der Erläuterung des Regelhaften; den Übergang zwischen beidem bietet die Behandlung von Elementen Ifflandscher Schauspielkunst als exemplarisch im Sinne der Evidenz-Funktion. Nun können grundsätzliche Reflexionen zur Schauspielkunst und gelehrte Abschweifungen die enargeische Wirkung des Rollenporträts mitunter beeinträchtigen, insbesondere, wenn ausschweifende Fußnoten mehr Platz einnehmen als der Haupttext. Andererseits tragen auch Fußnoten mitunter dazu bei, eher diskursive Partien enargeisch zu illustrieren. So schließt das Franz Moor-Kapitel mit drei943 »Regeln« in Bezug auf den Einsatz von Pausen, die Iffland durchgehend beachtet habe, wobei sie »dem fertigen Meister freylich nicht mehr als Regeln gegenwärtig zu seyn brauchten« (BEIS: 327). Die dritte lautet: Beym schreckhaften Zusammenfahren, welches sehr oft mit den Pausen im tragischen Spiel verbunden zu seyn pflegt, und wenigstens in der Darstellung des Franz Moor fast immer dem starren Entsetzen vorausgehen muß, beobachtete Iffland durchaus die physiologische Regel: daß das Zittern in den untern Theilen des Körpers, und be942 Dies wird bereits hervorgehoben in: Fischer-Lichte: Geschichte des deutschen Theaters, 135f. 943 Böttiger kündigt irrtümlich nur zwei an (BEIS: 321).

Böttigers Leitmetapher ›Schattierungen‹ – zwei Fallbeispiele

309

sonders in den Knieen anfängt, und sich von da erst durch den [sic] Rückgrat den obern Gliedmassen, den Armen, dem Halse und den Lippen mittheilt. (BEIS: 327f.)

Diese durchaus phänomennah formulierte Regel wird durch eine Fußnote zusätzlich veranschaulicht und gleichzeitig in ihrer Gültigkeit bestätigt: Ich kann diess nicht besser beschreiben, als mit den Worten des beredtesten Geberdenmahlers, Lichtenbergs, wo er das Entsetzen des Liederlichen schildert, der jetzt ins Fleetgefängnis gebracht ist, und eine Furie hinter sich stehen hat. S. 293. »Worte sind noch nicht da. Statt ihrer aber läuft eine Welle beredter Zuckungen von unten bis oben hin. Die auf das Knie gestützte Hand hebt sich mit großer Bedeutung, und ihr folgt der Fuß sympathetisch, so wie der aufgerollten Stirnhaut die Augenlieder und die Achseln nachziehen. Der Strom geht aufwärts.« (BEIS: 328f., vgl. Abb. 11).

Typischerweise lässt es sich der Altphilologe Böttiger nicht nehmen, noch folgende Anmerkung anzuschließen: Diess hat schon Homer in dem mehrmals wiederkommenden Vers ausgedruckt: – – ihm erzitterten unten die Glieder. z. B. Ilias III. 34. Odyss. XVIII.87. (BEIS: 327f.)

Was Tieck als gelehrte Überinterpretation verspotten würde,944 bildet aus Sicht dieser Studie ein Beispiel dafür, dass ›sprechende‹ Details vor allem der Mimik in Spätantike wie 18. Jahrhundert als wichtiges Vehikel von Enargeia gesehen wurden. In diesem Fall wird ein solches Detail empirisch fundiert und in bildender Kunst (Hogarth) und Schauspielkunst als Mittel gewürdigt, die Darstellung eines Affektes überzeugend und bewegend zu gestalten. Am Schluss der Fußnote (und gleichzeitig am Schluss des Franz Moor-Kapitels) wechselt Böttiger noch einmal zurück vom Exemplarischen zum Regelhaften: Von Garrick, dem seine Gegner nachsagten, dass seine ganze Kunst in Zusammenfahren und Pausen bestände, hat sich auf dem Englischen Theater eine Tradition über diess Geberdenspiel (starts) erhalten, worin diese wellenförmige Bewegung von unten herauf als Grundregel angenommen wird. (BEIS: 329)945

944 Siehe noch seine Böttiger-Parodie in der späten Erzählung Die Vogelscheuche (1835): »Magister Ubique« hat eine Kunstausstellung aus Gewerbeschildern organisiert und ergeht sich beispielsweise in wilden Spekulationen über die tieferen Bedeutungen der gemalten Brezel an einem Bäckerladen (Tieck: Vogelscheuche, 514–530). 945 Die Kritik an Garrick wohl nach Churchills Rosciad (CR: 1036:32, siehe II.4.1); woher Böttiger die Information nimmt, dass sich starts nur in der beschriebenen Form vollzögen, konnte ich nicht ermitteln.

310

6.

Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

Böttigers ambivalente Haltung zu ›malerischer‹ Schauspielkunst

Wie bereits zitiert, stellt Böttiger dem elften Kapitel über Iffland als Oberpriester in Kotzebues Schauspiel Die Sonnen-Jungfrau Conrad Ekhofs Definition voran, Schauspielkunst sei »belebte Bildnerey« (BEIS: 247). Anschließend, im ersten Satz des Haupttextes, ›umreißt‹ er den Eindruck von Ifflands Verkörperung folgendermaßen: »Hoherpriesterlicher Anstand, mit der sanften Milde eines fühlenden Greises verschmolzen, war die Hauptidee seiner Rolle; mahlerische Repräsentation, durch die leidenschaftlichste Geberdensprache belebt, der Hauptcharakter seines heutigen Spiels.« (BEIS: 247f.) Die Metaphern beziehen sich in diesem Fall also nicht auf Graphik, sondern auf Plastik und Malerei, und stehen nicht für die inhaltliche Struktur einer Rollenentwicklung, sondern für die Gesamtwirkung. Das Ekhof-Zitat meint allerdings die Gesamtwirkung jeder richtig verstandenen Schauspielkunst, der Eröffnungssatz dagegen die einer speziellen Verkörperung. Zu prüfen ist nun, worin die im elften Kapitel behandelten Gemeinsamkeiten zwischen bildender Kunst und Verkörperung bestehen, ob sie aus Böttigers Sicht eher ein Ideal oder einen Spezialfall von Schauspielkunst bezeichnen und wie sie sich auf seine ekphrastische Darstellungsweise auswirken. Zunächst soll allerdings kurz zurückgegangen werden auf die Quelle des Mottos, um das zeitgenössische Verständnis von ›malerischer‹ Schauspielkunst besser zu verstehen und vor diesem Hintergrund Böttigers Ausführungen zu profilieren.

6.1

Das Übertragbarkeits- und das Nachahmungsmodell ›malerischer‹ Schauspielkunst

1796, also im selben Jahr wie die Entwickelung des Ifflandischen Spiels, war ein Buch mit dem Titel Blicke in das Gebiet[946] der Künste und der praktischen Philosophie erschienen, anonym verfasst von dem unter anderem mit Goethe und Schiller befreundeten Autor und Kritiker Friedrich Rochlitz (1769–1842).947 Es enthält fiktive Bruchstücke aus den Briefen Eduards an Ferdinand, auf einer Reise durch einige Provinzen Deutschlands im Jahr 1795 geschrieben, in denen sich unter anderem ein kurzes Kapitel über den Portraitmahler Graf und etwas ausführlichere Reflexionen über Mahlerey in der Schauspielkunst finden.948 Der Briefschreiber Eduard hat in Berlin eine Vorstellung von Schillers Fiesco mit 946 Nicht »in das Gebiete«, wie Böttiger irrtümlich zitiert (BEIS: 247). 947 Heute vor allem als Musikschriftsteller bekannt, siehe Ehinger: Rochlitz. 948 Rochlitz: Künste und Philosophie, 207–210, 148–243.

Böttigers ambivalente Haltung zu ›malerischer‹ Schauspielkunst

311

Ferdinand Fleck (1757–1801) in der Titelrolle gesehen und kann aus eigener Erfahrung die Beobachtung seines Freundes bestätigen, »es gehöre zum Tone, zu behaupten: er spiele mahlerisch«. Eduard hält dies, bezogen auf Fleck, für eine nichtssagende Floskel, überlegt dann aber grundsätzlich, »was Mahlerey in der Mimik heißt«.949 Zwei Möglichkeiten werden diskutiert, zunächst: Soll der Ausdruck: dieser Schauspieler spielt mahlerisch – so viel heißen, als: Er spielt so, daß jede seiner Gesten, Stellungen und Bewegungen in der bildenden Kunst würdig dargestellt werden könnten [sic]: so wäre das freylich das höchste Lob, das man einem solchen Künstler beylegen könnte, und zwar recht eigentlich nach meinen Ideen hiervon, denen ich noch immer treu bin, und für die ich Dir jetzt eine gewaltige Autorität – die des großen Eckhof – anführen kann, nach denen nehmlich die Schauspielkunst der höchste Gipfel der bildenden Kunst ist, die ihren Figuren Leben und Bedeutung giebt: also belebte Bildnerey.950

Beim ›Malerischen‹ der Schauspielkunst handelt es sich also um einen Modebegriff, der lobend gemeint, inhaltlich jedoch unbestimmt ist. Rochlitz’ Auslegungsvorschlag und Ekhofs951 Definition sind zwar bestimmter, stehen aber in einem Spannungsverhältnis: Rochlitz geht von der Schauspielkunst aus, die sich dann besonders auszeichne, wenn sie sich zur Übertragung in die bewegungslose Kunst eigne; Ekhof geht von der bildenden Kunst aus, mit der verglichen Schauspielkunst grundsätzlich eine höhere (man könnte sagen: enargeische) Qualität aufweise, nämlich die der ›Lebendigkeit‹.952 Rochlitz führt dieses Begriffsverständnis – im Folgenden kurz als ›Übertragbarkeitsmodell malerischer Schauspielkunst‹ bezeichnet – jedoch nicht weiter und diskutiert stattdessen ein zweites: Ihm zufolge »mahlt […] der Mimiker, wenn er die körperlichen Bewegungen Anderer, oder die Gegenstände überhaupt, die auf seine Seele würken, […] darstellt, kopiert, nachmacht.«953 Mit diesem ›Nachahmungsmodell malerischer Schauspielkunst‹ – so die Bezeichnung im Folgenden – schließt er ausdrücklich an Engels Kategorie der ›malenden Gesten‹ an,954 von denen dieser allerdings eher abrät.955 Zusammen mit den ›ausdrückenden Gesten‹ bilden sie die Klasse der ›bedeutenden Gesten‹; den Unterschied beider Untergruppen formuliert Engel im 8. Brief des ersten Teils seiner Mimik so: »Malerei ist […] jede sinnliche Darstellung der Sache selbst, welche die Seele denkt; Ausdruck jede sinnliche Darstellung der Fassung, der 949 Rochlitz: Künste und Philosophie, 218. 950 Rochlitz: Künste und Philosophie, 219. 951 Die Schreibung des Namens variiert, heute wird in der Regel die Variante mit einfachem »k« bevorzugt. 952 Siehe die Zusammenfassung der intermedialen Aspekte von Enargeia zu Beginn von II.1. 953 Rochlitz: Künste und Philosophie, 220. 954 Siehe Rochlitz: Künste und Philosophie, 222. 955 Siehe Heeg: Phantasma der natürlichen Gestalt, 303–345.

312

Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

Gesinnung, womit sie sie denkt; des ganzen Zustandes, worein sie durch ihr Denken versetzt wird.«956 Dass aber die Grenze zwischen ›Malerei‹ und ›Ausdruck‹ so scharf nicht zu ziehen ist, zeigt sich an einer Unterkategorie der ausdrückenden Gesten: »Analoge Gesten«, so Engel, »sind nachahmend; nicht das Object des Denkens, aber die Fassung, die Wirkungen, die Veränderungen der Seele malend«.957 Engels Beispiele sind ein gleichförmiger Gang als Ausdruck einer gleichförmigen Gedankenfolge und ein Stocken im Gang als Zeichen einer Denkstockung.958 Rochlitz nun legt zwar großen Wert darauf, ›Malerei‹ sorgsam von ›Ausdruck‹ abzugrenzen,959 führt aber selbst, um die Entstehung malender Gesten durch »Sympathie« zu illustrieren, mehrere Beispiele an, die man nach Engel zu den ›analogen Gesten‹ zählen müsste: Du gehest am Ufer eines sanft dahinfließenden Gewässers, und Dein Geist wird so heiter, wie dessen Spiegelfläche; Du hörst von vollem Orchestre ein lang gehaltnes und gut exekutirtes Crescendo, und Du erhebst Dich allmählich gleichfalls von Deinem Sitze; Du schreitest langsam, ohne auf deinen Gang zu achten, ein schnellerer Fußgänger holt Dich ein, gehet schneller vor Dir hin, und Du schreitest nun gleichfalls wackerer darauf los, wenn Du dich nicht absichtlich zurückhälst u.s.w.960

6.2

›Malerische‹ Schauspielkunst und ›Seelenmalerei‹

Böttiger setzt andere Akzente: Zwar beruft auch er sich vom ersten Satz seiner Entwickelung an auf Engels Mimik, interessiert sich aber nicht weiter für Unterschiede zwischen ›Ausdruck‹ und ›Malerei‹ in der Schauspielkunst und bezeichnet Iffland sogar zweifach als »Seelenmaler« (BEIS: 166, 200).961 Sogar seine Formulierung von Ifflands »mahlerische[r] Repräsentation« zu Beginn des Oberpriester-Kapitels wird durch die Bemerkung modifiziert, diese sei »durch die leidenschaftlichste Geberdensprache belebt« (BEIS: 246).962 Eine Seite weiter wird allerdings deutlich, dass diese Belebung durch den Ausdruck eher Böttigers Ideal entspricht als Ifflands tatsächlicher Verkörperung: Auch hatte es Iffland offenbar bey seinem heutigen Spiele bloss darauf angelegt, uns seine Stärke in mahlerischen Stellungen und Geberden, seine Kenntniss der theatralischen Drapperie, und seine Einsichten in dem Gebrauch des Faltenwurfs bey langen

956 957 958 959 960 961 962

Engel: Schriften 7, 46. Engel: Schriften 7, 57 (9. Brief). Siehe Engel: Schriften 7, 57f. Rochlitz: Künste und Philosophie, 221f. Rochlitz: Künste und Philosophie, 225. Siehe auch die Anwendung dieses Begriffs auf Laurence Sterne (BEIS: 245f.). Meine Hervorhebung.

Böttigers ambivalente Haltung zu ›malerischer‹ Schauspielkunst

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Gewändern in einer Rolle zu zeigen, wobey es weniger auf den Ausdruck der Empfindung, als auf die Schönheit der Action ankäme. (BEIS: 248f.)

Es geht also bei dieser speziellen Verkörperung um ›malerisches‹ Spiel im Sinne des Übertragbarkeitsmodells und deshalb weniger um Bewegungen als um Stellungen, weniger um »Ausdruck« als um Schönheit. Die zurückhaltende Formulierung (»bloss«) zeigt, dass dies für Böttiger im Gegensatz zu Rochlitz alles andere als »das höchste Lob« ist, das man einem Schauspieler spenden kann. Immerhin versucht Böttiger, die ›malerische‹ Grundhaltung von der Rolle her zu rechtfertigen: Es handle sich um einen alten Inka-Priester,963 »der bey allen öffentlichen Festen vor dem Hofe und Volke die Würde eines Standes handhaben muss, der nur durch sinnliche Täuschung und heiliges Blendwerk herrscht«, und dazu gehörten eben auch »ein majestätischer Gang, ein Ehrfurcht einflössender Anstand, und die gemessenste Eurythmie in Worten und Geberden« (BEIS: 248). Damit aber wird grundsätzlich eine zweite Spielebene unterstellt und als Gaukelspiel abgewertet – man darf annehmen, dass die Wirkung der Rollenfigur auf die abergläubischen Zuschauerfiguren nicht dieselbe sein sollte wie die der Rollenverkörperung auf die realen Zuschauer. Als ersten Bereich mimischer Zeichen und mit besonderer Ausführlichkeit behandelt Böttiger nun das Kostüm: Durch das Obergewand werde »alles Zackige, Spitzwinklige, und, wenn ich dieses Wort gebrauchen darf, Quirrlichte der Extremitäten, so weit es nötig war, abgeründet« (BEIS: 230). Kenntnisreich erläutert Böttiger die materiellen Grundlage dieser Wirkung und kontrastiert sie mit der Wirkung des sichtbar werdenden Untergewandes: Der Stoff dazu war aus guten Gründen weder Tafft noch Atlass, sondern ein feiner wollener Zeug, ein Serge, der die weichsten Falten giebt, ohne steif bauschende Massen und zu weiche Nachgiebigkeit. Ein Flügel dieses Obergewandes lag gewöhnlich auf dem rechten Unterarm leicht und leise so auf, dass er bald nur am äussersten Ende von den sanft einwärts gebogenen Fingern gehalten, bald aber auch bey einem leidenschaftlichen Gestus ganz abgeworfen, und dadurch dem Mantel ein enger-anschliessendes, rings umfliessendes Ansehen gegeben wurde, welches besonders bey den Worten: Ich will den Priester ablegen! den höchsten Gipfel des mahlerischen Ausdrucks hervorbrachte, weil er nun wirklich bloss im Untergewande da zu stehen und von allem priesterlichen Pomp entkleidet zu sein schien. (BEIS: 230f.)

Der hier beschriebene ›malerische‹ Effekt ist also der einer besonderen Geste im Gegensatz zum Übertragbarkeitsmodell malerischer Schauspielkunst, das für jede Geste der malerischen Darstellung gilt. Zudem geht es um den Ausdruck 963 »Die Sonnenjunfgrau und ihre Fortsetzung Die Spanier in Peru (1796) sind Bearbeitungen des Cora-Alonzo-Stoffes, der erstmals in Jean-FranÅois Marmontels sentimentalem Roman Les Incas. Ou la Desctruction de l’Empire du P8rou (1777) in Erscheinung tritt.« (Klemm: Sonnen-Jungfrau, 198f.)

314

Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

einer Leidenschaft, die nicht auf eine veranschaulichende Intention der Rollenfigur rückführbar ist und deshalb auch nicht auf das Nachahmungsmodell malerischer Schauspielkunst. Allerdings besteht zu diesem eine gewisse Affinität, insofern hier, wenngleich aus Sicht der Rollenfigur unwillkürlich, das Ritual des Ausziehens einer Kleidung nachgeahmt wird, das in der Wirklichkeit wie im Drama und in der bildenden Kunst oft das ›Ablegen‹ einer gesellschaftlichen Funktion symbolisiert.964 ›Abgelegt‹ wird in diesem Fall aber ausgerechnet die Funktion des Priesteramtes, die im inneren Kommunikationssystem des Dramas effekthaschende ›Malerei‹ im Sinn des Übertragbarkeitsmodells erfordert. Auf diesen Aspekt von Ifflands bzw. des Oberpriesters ›Malerei‹ bezieht sich denn auch ein ebenso konsequentes wie pikantes Kompliment: Kurz, was der berühmten Lady Hamilton ihr Schleier ist, durch dessen mannigfaltigen Umwurf sie dem erstaunten Zuschauer die zierlichsten Formen der Antike vorzaubert, das war, so weit die eingeschränktere Bestimmung des Mantels diese Vergleichung erlaubt, das hohepriesterliche Oberkleid dem verständigen Schauspieler ; und ein geschickter Zeichner würde in Iffland dem Oberpriester vielleicht nicht weniger Stoff finden, als Rehberg in den Stellungen der Hamilton, oder einige Berliner Künstler neulich im angestaunten Pas-de-deux der Zauberin Vigano. (BEIS: 252f.).

Konsequent ist der Vergleich, weil die berühmten »Attitüden«, mit denen Emma Hamilton (1765–1805), die Frau des englischen Botschafters in Neapel William Hamilton, antike Kunstwerke vor allem aus dessen berühmter Antikensammlung nachstellte,965 »belebte Bildnerey« im wörtlichsten Sinn waren. Die so begonnene enargeische Wirkungskette wurde durch die konturbetonten Zeichnungen Friedrich Rehbergs (Abb. 25) fortgesetzt,966 die wiederum Attitüdendarstellungen in weiteren europäischen Ländern anregen sollten, in Deutschland etwa, ab 1808, von Henriette Hendel-Schütz. Bezeichnenderweise wurde sie von Johann Jacob Engel ausgebildet; die Rolle Hamiltons als pygmalionischer Kommentator der Darbietungen übernahm kein anderer als Böttiger.967

964 Man vergleiche die Redensart ›seinen Beruf an den Nagel hängen‹; siehe auch Ren8 Sternkes Beobachtungen zum Zusammenhang zwischen Kostüm und Identität in späteren Verkörperungen Ifflands (Sternke: Distinktionsverlust, bes. 33f.). 965 Zunächst als dessen Geliebte; siehe umfassend Ittershagen: Lady Hamiltons Attitüden. Zum geistesgeschichtlichen Hintergrund siehe Holmström: Monodrama, attitudes, tableaux vivants; Langen: Attitüde und Tableau; Baum: Attitüden. 966 Verbreitet durch das 1794 erschienene Stichwerk Lady Hamilton’s Attitudes, das Böttiger 1795 rezensierte (Böttiger : Tischbein, Hamilton, Rehberg). 967 Meine Angaben folgen Baum: Attitüden; siehe auch Saur8: Land der Griechen mit dem Körper, 132.

Böttigers ambivalente Haltung zu ›malerischer‹ Schauspielkunst

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Abb. 25: Friedrich Rehberg: Lady Hamilton’s Attitudes, Pl. 6: The Muse of Dance (1794; Kupferstich von Thomas Piroli nach Rehbergs Zeichnung)968

Pikant ist der Vergleich insofern, als die Attitüden-Kunst zunächst klar weiblich kodiert war.969 Böttigers Hinweis auf die von Hamilton entblößten »zierlichsten Formen der Antike« spielt unmissverständlich auf den voyeuristischen Aspekt dieser Darbietungen an, den auch eine wohl etwas später entstandene Karikatur von Thomas Rowlandson thematisiert (Abb. 26): Aus dem Spiel mit dem Schleier auf Rehbergs Tafel 6 (Abb. 25) wird hier eine krude Entschleierung.970 Außerdem verweist der Begriff »vorzaubert« auf die »Zauberin Vigano«. 968 Zur Interpretation dieses Stichs siehe Ittershagen: Lady Hamiltons Attitüden, 95ff. 969 Siehe dazu Baum: Attitüden, 256. Erst ab 1808 trat mit dem Freiherrn Anton von Seckendorff alias Patrick Peale ein männlicher Attitüdenkünstlers auf (ebd.). 970 Zur Entstehung siehe George: Prints and Drawings 7, Nr. 9571. Eine eingehende Interpretation der Karikatur bietet Ittershagen: Lady Hamiltons Attitüden, 9–12, 14.

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

Abb. 26: Thomas Rowlandson: Lady Hxxxxxxx’s Attitudes (Radierung, ca. 1800)

Gemeint ist die Wiener Ballett-Tänzerin Josefa Maria Vigank (1769–1821), die, wie sich die Schriftstellerin Caroline Pichler (1769–1844) in ihren posthum veröffentlichten Denkwürdigkeiten aus meinem Leben erinnert, »eine neue Art von pantomimischen [sic] Tanz, mit ganz neuer Art sich zu kleiden« schuf: Die römischen und andern steifen Costumes, die Reifröcke etc. etc. verschwanden vom Theater; die Natur wurde aufs treu’ste nachgeahmt; fleischfarbe Tricots umhüllten Arme und Beine, die Tänzer und Tänzerinnen waren kaum bekleidet; ja in dem sogenannten rosenfarben Pas de deux hatte Madame Vigano über der Tricot, der ihren ganzen Leib umgab, nichts an, als drei bis vier flatternde Röckchen von Krepp, immer Eins kürzer wie das Andere, und alle zusammen mit einem Gürtel von dunkelbraunem

Böttigers ambivalente Haltung zu ›malerischer‹ Schauspielkunst

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Band um die Mitte des Leibes festgebunden. Eigentlich also war dies Band das einzige Kleidungsstück, das sie bedeckte, denn der Krepp verhüllte nichts […].971

Mit den »Berliner Künstler[n]« spielt Böttiger namentlich auf Johann Gottfried Schadow an, der bei einem Gastspiel Bewegungsskizzen der Tänzerin und ihres Ehemanns schuf.972 Obwohl die auf dieser Grundlage entstandenen Radierungen ebenso Goethes Gefallen fanden wie die Darstellungen der Hamilton, was Böttiger sicherlich bekannt war,973 kontrastiert er hier das Schema der ›nackten‹ »Zauberin« ähnlich augenfällig mit dem Darstellungsziel vom hohepriesterlichen »Anstand« wie Cicero das Schema eines Purpur tragenden Griechen mit dem eines römischen Statthalters (siehe I.2.1.10). Das vermeintliche Lob ist also näher besehen eine verbale Karikatur und bestätigt Günther Heegs These, der »Siegeszug des Malerischen« in der Schauspielkunst habe »mit der Übertragung der melodramatischen Gebärde von der Frau auf den Mann begonnen«.974 Allerdings nimmt Böttiger seinen Spott wieder etwas zurück, indem er Ifflands Wirkung »in den zwey Scenen des feierlichen Verhörs« mit jener »frommen Würde« vergleicht, »die an die begeis terten Erzählungen erinnert, womit uns Reisende die schönen Seligsprechungen des schönen Papstes Pius VI. vom Balcon der Peterskirche herab zu schildern pflegen« (BEIS: 260f.) Dieses Schema dürfte positiver konnotiert gewesen sein als das eines Heidenpriesters, wenngleich ein protestantischer Aufklärer auch hier »sinnliche Täuschung und heiliges Blendwerk« assoziiert haben mag.975 Allerdings verweist Böttiger gegen Anfang seiner Ausführungen zu Ifflands Kostüm auch auf ein Vorbild, dessen Dignität außer Frage stand: Quintilians Vorschriften zum würdigen Tragen der Toga durch den Redner.976 Auch Böttigers 971 Pichler : Denkwürdigkeiten 1, 207f. 972 Siehe Badstübner-Gröger u. a.: Schadow, 168–175 (Nr. 427–453). Zu Böttiger und Schadow siehe Wiedemann: Böttiger trifft Schadow. 973 Siehe die berühmte Beschreibung in der Italienischen Reise (GMA 15: 257f.), allerdings hat sich Goethe nach seiner Sizilienreise auch skeptischer geäußert (ebd. 400f.). Positiv jedenfalls seine Äußerung zu Josefa Maria Vigank wie zu den Radierungen nach Schadow im Brief an Johann Friedrich Unger vom 28. 3. 1797 (GWA 4. 12: 78–80). 974 Heeg: Phantasma der natürlichen Gestalt, 372–410, hier 399; die ersten deutschen Melodramen hatten allesamt weibliche Heldinnen (ebd. 358–78). Noch auf Graffs Gemälde August Wilhelm Iffland als Pygmalion von 1800 (Abb. 1, siehe Einf. 5) meint Heeg einen »Hauch von ›Charleys Tante‹« auszumachen (ebd. 410). 975 Es sei nur darauf verwiesen, dass Kleists Novelle Das Erdbeben in Chili (1807) wie Kotzebues Sonnenjungfrau auf Jean-FranÅois Marmorntels Roman Les Incas. Ou la Destruction de l’Empire du P8rou (1777) beruht, den Schauplatz jedoch verlegt und die Inka-Priesterschaft kurzerhand durch die ebenso kritisch gesehene katholische Kirche ersetzt (siehe Klemm: Sonnen-Jungfrau, 198f.). 976 »Diess Obergewand, oder dieser Mantel, vertrat also hier völlig die Stelle des Römischen Staatskleides, der Toga. Kenner des Alterthums wissen an [sic] ihrem Quintilian, (XI.5.159– 169) wie sorgfältig die Römischen Redner jede Falte und Lage dieses Gewandes berechnet und für den Wurf desselben eigene Kunstregeln erfunden hatten.« (Anm. BEIS: 251f.).

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

Anmerkungen zur Gestik orientieren sich an Kapitel 11.3 der Institutio, also jenem Teil von Quintilians actio-Lehre, der die wichtigste Grundlage für Schauspiellehren im Sinn des ›kalten Schauspielers‹ bildet;977 Leitbegriff ist das Dekorum, dem der hohepriestliche »Anstand« entspricht. Dazu kommt der Verweis auf die klassizistische französische Schauspielkunst, prägnant dargestellt bei »Herault-Sechelles, der ohngefähr alles gesammelt hatte, was die Franzosen über die Geberdensprache wissen« und sich am »Spiele der Clairon, des St. Prix und La Rive« orientiert. (BEIS: 431f.)978 Im Sinne dieser Leitvorstellung formuliert Böttiger sogar »einige Nebenbemerkungen« (BEIS: 275), die teilweise schon an Goethes Regeln für Schauspieler von 1803 gemahnen.979 So heißt es etwa: »Der sanft gehobene Arm fiel nie mit Heftigkeit nieder« (BEIS: 279); »eine Beugung oder Verdrehung der Handwurzel« sei durchgängig vermieden worden (BEIS: 280) und jede Bewegung habe im Ellbogen begonnen (BEIS: 281).980 Deutlich im Sinn des Übertragbarkeitsmodells malerischer Schauspielkunst und noch ganz in der Tradition barocker Theaterpraxis ist die Bemerkung, Iffland habe »die dem Beschauer alter Kunstwerke und Gemälde wohl bekannte, heut zu Tage aber selbst von den bildenden Künstlern nur allzu oft vernachlässigte Gegeneinandersetzung der Hände und Füsse, wodurch allein Präcision mit Anmuth verbunden erreicht werden kann, verständig beobachtet« (BEIS: 285).981 Böttiger geht sogar so weit, von einer »mahlerischen Declamation« zu sprechen, welche die malerische »Pantomime« ergänze (BEIS: 272). Damit ist nicht etwa die »künstlich geregelte[ ] und schön cadencirte[ ] Prachtdeclamation der Französischen Schaubühne« (BEIS: 387) gemeint, sondern eine Sprechweise, die sich am Ideal der Natürlichkeit orientiert und dennoch ästhetische Leitkriterien berücksichtigt. Ein Beispiel bietet die erste Szene, in der der Priester dem aus Liebeskummer in eine Höhle geflohenen Feldherrn Rolla ins Gewissen redet. Dabei kamen die Worte: In eine Höhle, dreymal vor. Der gewöhnliche Schauspieler glaubt hier bey jeder Wiederholung die Stimme mehr zu heben und beym dritten Mal den stärksten Ton darauf legen zu müssen. Nicht also der Meister einer richtigen Decla977 Siehe z.B. »Die Arme dürfen in der Ordnung nicht über den schon von Quintilian bestimmten Normalwinkel empor steigen.« (BEIS: 283; siehe Quint. inst. 11.3.112–113, dazu MaierEichhorn: Gestikulation, 110–114). 978 Gemeint sind die erst 1795 erschienenen R8flexions sur la D8clamation des 1794 guilloutinierten Anwalts, Revolutionärs und großen Redners Marie-Jean H8rault [de] S8chelles (geb. 1759); siehe Barnett: Art of Gesture, 486f. 979 FGA 18: 857–882, v. a. §44–65. Zu einem systematischen Regelkatalog wurden sie allerdings erst 1824 von Eckermann zusammengestellt, siehe Komm. FGA 18: 1315 und Borchmeyer : Saat von Göthe gesäet. Siehe auch III.3.3. 980 Hervorhebungen im Original. 981 Siehe Barnett: Art of Gesture, 109f.

Böttigers ambivalente Haltung zu ›malerischer‹ Schauspielkunst

319

mation. Er weiss es, dass eine jede Tirade ein gleichsam um sich selbst sich windender Kreis seyn müsse, und dass, um dies nun auch in Stimme und Ton darzustellen, die dritte Wiederholung, als Schluss, mit gesunkener, aber desto tiefer hervor geathmeter Innigkeit hinzittern, hinsterben müsse. So ründet sich das Ganze, und so wurde auch hier das erschüttende Final: »Du begräbst dich – in einer Höhle,« mit einem leisen Hinschwinden der Stimme vorgetragen. Es versteht sich, dass dabey nicht auf die Höhle gewiesen wurde, welches in der That bey der häufigen Wiederholung der überflüssigste und langweiligste Fingerzeig gewesen wäre. Hand und Miene deuteten auf Du, den entadelten, durch Liebeszauber entnervten Rolla. (BEIS: 257ff.)

›Malerische Deklamation‹ entsteht hier also nicht aus einer illustrierenden Verdoppelung des Gesagten, sondern aus einer der Linearität entgegenarbeitenden Wiederholungsstruktur, die durch die geometrische Form des Kreises veranschaulicht wird – ›malerisch‹ bedeutet also soviel wie wohlgeformt und in sich geschlossen. Doch ist auch das Prinzip der Steigerung durchaus mit der Leitvorstellung vom Malerischen verträglich. Dies zeigt ein Blick auf die letzte Szene, in der Rolla die zum Tode verurteilte Cora (und hochherzigerweise auch deren Geliebten) gewaltsam zu befreien versucht, schließlich aber zusammen mit seinem Vater, dem Oberpriester, demütig den König (»Ynka«) Ataliba um Gnade anfleht: Der Kranz jedes successiv wirkenden Kunstwerkes ist das allmähliche Steigen bis ans Ende. Wirklich übertraf auch diessmal die Pantomime des Oberpriesters im letzten Auftritte, wo er vor Rolla zittert, da dieser mit wildem Aufruhr herein stürzt, alles Vorhergehende an Wahrheit und Mannigfaltigkeit, und öffnete zum Erstaunen der Versammlung, die gewiss glauben musste, dass im vorherigen schon alle Kunst erschöpft worden sey, eine neue Gallerie von mahlerischen Stellungen und theatralischen Tableaus. Das vorwärts gebeugte Hinstreben nach dem unsinnig Tobenden mit den sehnsuchtsvoll ausgestreckten Armen, die demüthig flehende Stellung gegen den Ynka, und endlich das völlige Niedersinken, um einen Kuss auf Atalibas Hand zu drücken, diess waren drey Stellungen, wovon eine jede durch die Hand eines zeichnenden Künstlers gegriffen und zur dauernden Beschauung aufgestellt zu werden verdient hätte. (BEIS: 278f.)

Diese Darstellung entspricht weitgehend dem Übertragbarkeitsmodell malerischer Schauspielkunst: Die zeitliche Abfolge von »Stellungen« wird imaginär in eine Folge von graphischen Bildern übersetzt.982 Zwischen Raum- und Zeitkunst vermittelt dabei das sprachliche Bild der Gemäldegalerie, die man nicht mit einem Blick erfassen kann, sondern durchschreiten muss. Allerdings ist zu be982 Eine Fußnote verweist sogar auf Illustrationen, die, obwohl sie nicht genau dieser Szene gelten, die Phantasie der Leser unterstützen sollen: »Im Theaterkalender vom Jahr 1792 befinden sich n. V. und VI. auch zwey Scenen abgebildet, wo der Oberpriester sich seinem Sohne zu erkennen giebt, und wo er in der Priesterversammlung Gericht hält. Der Leser, das das Büchelchen zur Hand hat, schlage nach, und denke den dort abgebildeten Oberpriester dem unsrigen gegenüber.« (BEIS: 279)

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

achten, dass die von Diderot übernommene Kategorie der tableaux vivants sich lediglich auf inhaltliche und affektive Höhepunkte des Dramas bezieht, bevorzugt am Ende einer Szene oder, wie hier, des Dramas.983

6.3

Relativierung ›malerischer‹ Schauspielkunst mit Diderot

Dass Böttiger die Übertragbarkeit aller Szenen eines Dramas (oder einer Verkörperung) für nicht theatergerecht hält, unterstreicht er im letzten Kapitel denn auch gezielt unter Verweis auf Diderot. Die Behauptung, dass Oesers Titelvignette von Goethes Egmont, die den träumenden Helden auf dem Bauch liegend zeigt,984 als Vorbild für die schauspielerische Gestaltung völlig ungeeignet wäre, wird durch eine programmatische Fußnote unterstrichen: Denn übrigens bleibt es ein treffender, und auch auf diese Kupfer anwendbarer Ausspruch Diderots: »On n’a point fait et l’on ne fera jamais un morceau de peinture supportable d’aprHs une scene theatrale, et c’est, ce me semble, une des plus cruelles satyres de nos acteurs, de nos decorations et peut-Þtre de nos po[tes. Essais sur la peinture, p. 146. Wenigstens darf D’Alemberts Behauptung: Tout ce qui est beau dans la peinture, doit Þtre beau sur le theatre, Encyclop8die Art. Declamation, nicht ohne große Einschränkung angenommen werden.« (BEIS: 369f.)985

Obwohl Diderot nur von der Übertragbarkeit der Bühnendarstellung in graphische Bilder spricht, nimmt Böttiger dies als Beleg, auch die Möglichkeit einer Übertragung in die Gegenrichtung zwar nicht völlig zu negieren, doch zu relativieren. Bezeichnend ist, in welcher Weise die einzige Analogisierung zwischen Ifflands Verkörperung und namentlich genannten Gemälden vorgenommen wird: In höchster Verzweiflung bedeckt der Oberpriester »mit beiden Händen das ganze Gesicht. Der Schmerz hat den Grad erreicht, wo sein sichtbarer Ausdruck entweder widerlich und beleidigend, oder der Darstellung unerreichbar seyn müsste. Verhüllung ist mehr als Darstellung. Sie lässt der 983 Siehe Böttigers Wortgebrauch bei der Besprechung der Inszenierung des Schlusses von Szene II.9 aus Goethes Egmont: »Die schöne, mahlerische, von der Angelica Kaufmann selbst so zart angegebene Situation, wo Clärchen vor Egmont auf einem Schemel kniet, und, ihre Arme an seinen Schooss schmiegend, eine Welt voll Seligkeit aus seinen Blicken saugt, bildete auch hier in der Ausführung ein schönes Tableau […].« (BEIS: 354f.; vgl. die Abbildung auf http://www.museum-digital.de/goethehaus/pdf/publicinfo.php?oges=1401 & lang=en [22. 6. 2017]). Auch Ifflands Inszenierung der Schluss-Szene des Deutschen Hausvaters wird als in diesem Sinne ›malerisch‹ beschrieben (BEIS: 28–39). 984 Die Titelvignette von Adam Friedrich Oeser zum 5. Band von Goethes Schriften (1788 findet sich unter anderen Bildzeugnissen in Assel/Jäger : Egmont, o. S. 985 Zitat aus Essais sur la peinture in Diderot: Œuvres 14, 388; das Zitat aus dem Encyclop8dieArtikel (nicht von D’Alembert, sondern von Edm8 FranÅois Mallet) lautet korrekt: »Tout ce qui seroit beau en peintre, doit Þtre beau sur le th8atre.« (Diderot: Encyclop8die 1, 685).

Böttigers ambivalente Haltung zu ›malerischer‹ Schauspielkunst

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Phantasie das Feld des Unendlichen offen.« (BEIS: 266f.) Böttiger verweist hier auf »Timanthes mit seinem Agamemnon« (BEIS: 266f.) und damit gewissermaßen auf ein graphisches Leerstellen-Prinzip, das Quintilian als visuelle Entsprechung für den Umstand anführte, dass »auch in der Rede manche Dinge verdeckt werden« müssen: Sowie es Timanthes, glaube ich, aus Kythnos in seinem Bild gemacht hat, mit dem er Colotes von Teos besiegte. Als er nämlich beim Opfer der Iphigenie den Calchas traurig, den Odysseus noch trauriger gemalt hatte, hatte er dem Menelaus einen so großen Ausdruck des Schmerzes gegeben, wie es seine Kunst nur vermochte. Da aber die Gefühlsäußerungen bereits alle verwendet waren, konnte er nichts finden, womit er den Gesichtsausdruck des Vaters würdig darstellen konnte. Er verhüllte deshalb dessen Haupt und überließ dem Geist eines jeden, den Schmerz hinreichend einzuschätzen. Ist es nicht ähnlich mit den Worten des Sallust: ›Denn über Karthago zu schweigen, halte ich für besser, als kurz darüber zu sprechen.‹. (Inst. 2.13.13–14: 225, 227.).986

Obwohl dieses Gemälde nur als verbales Bild in den Beschreibungen von Quintilian, Plinius und Valerius Maximus greifbar war987 (oder vielleicht gerade deshalb), wurde es zu einem wichtigen Bezugspunkt für »discussions of vivid description« in der Renaissance.988 Indem Böttiger diese Tradition aufruft, bezieht er sich also auch auf die Frage nach der Übertragbarkeit von Malerei in Text – und in diesem Fall von malerischer Schauspielkunst in Beschreibung. Insofern ist es aufschlussreich, wie Böttigers Beschreibung nach der eben zitierten Timanthes-Referenz fortgesetzt wird. Es beginnt ein neuer Absatz, der einen Sprung an eine später Stelle der Aufführung markiert: »Schön wurde die Stufenfolge der Leidenschaft in der Scene gezeichnet, wo der Oberpriester auf Xairos Frage das fürchterliche Wort Tod! über die unglücklichen Schlachtopfer aussprechen muss. (V. Aufz. I. Auftritt).« (BEIS: 267) Hier wird Schauspielkunst wieder im Sinne eines sukzessiv wirkenden Kunstwerks verstanden; dennoch verweist die Formulierung »gezeichnet« auf bildende Kunst, und im folgenden Satz könnte mit »Künstler« nicht nur ein Schauspieler, sondern auch ein bildender Künstler gemeint sein: 986 »[U]t fecit Timanthes, opinor, Cythnius in ea tabula, qua Coloten Teium vicit. nam cum in Iphigeniae immolatione pinxisset tristem Calchantem, tristiorem Ulixen, addidisset Menelao quem summum poterat ars efficere maerorem: consumptis adfectibus non reperiens, quo digne modo patris vultum posset exprimere, velavit eius caput et suo cuique animo dedit aestimandum. nonne huic simile est Sallustianum: ›nam de Carthagine tacere satius puto quam parum dicere‹?«. (1, 224, 226). Die entsprechende rhetorische Figur ist die Aposiopese oder reticentia, d. h. »der Abbruch eines begonnenen Gedankens oder einer begonnenen Gedankenkette«; in diesem Fall markiert er die »Unausdrückbarkeit der Situation« und wird damit zum »Mittel der Gedanken-Emphase« (Lausberg: Literarische Rhetorik, 136, §411). 987 Quint. Inst. Orat. 2.13.13–14 (s. o.); Plin. Hist. Nat. 35.73; Val. Max. 8.11. 988 Van Eck: Rhetoric and Visual Arts, 29.

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

»Auch der mittelmässigste Künstler wird hier einen Kampf der Empfindungen mit der eisernen Nothwendigkeit der Amtspflicht auszudrücken suchen.« (BEIS: 267) Es folgt eine Aneinanderreihung von Affekten nach Art von Diderots Beschreibung der Garrick’schen mimischen ›Nummernrevue‹ (siehe I.1.4): Aber eine so richtige, auf den Seelenzustand des Oberpriesters so psychologisch genau berechnete Abstufung von Unwillen gegen den Blutdurst der Mitpriester zur Verachtung, von der Verachtung zum Entsetzen über die Folgen des Bluturtheils, vom Entsetzen zum wehmüthigsten Mitleid, und nun erst, nachdem sich all diese Empfindungen durch die feinsten Übergänge und Zwischenschattirungen ausgedrückt haben, das halb gebrochne, und doch nicht unmännliche Todeswort selbst ausgesprochen, diese Darstellung war Ifflands ganz würdig. (BEIS: 267f.)

Wie Diderot gibt Böttiger lediglich an, welche Affekte der Schauspieler ausdrückt, und überlässt es dem Leser, das Wie zu ergänzen; in diesem Fall ist noch nicht einmal klar, ob sich die Affekte vor allem im Gesicht oder auch in der Haltung manifestieren. Doch thematisiert Böttiger auch das Problem des Übergangs von einem Affekt zum anderen und bringt dabei wieder seine Leitmetapher der ›Schattierung‹ ins Spiel. Statt diese jedoch zu erläutern, wendet er sich nun der Deklamation zu: Sehr fein war dabey der Umstand beobachtet, dass es einem Menschen in dieser Stimmung oder Beklemmung eine fast unmögliche Aufgabe seyn würde, in einem Monosyllabon zu sprechen. Dem Franzosen kommt in solchen Fällen sein Artikel zu Statten: la mort. Iffland half sich dadurch, dass er durch ein leiser vorgestossenes Ach! dem einsylbigen, und doch so bedeutenden Wörtchen Tod! die nöthige Haltung verschaffte. (BEIS: 268f.)

Wie Böttiger die »Stufenfolge der Leidenschaft in der Scene gezeichnet« hat, wird also im Hinblick auf visuelle Zeichen gar nicht ausgeführt, wohl aber auf einen Aspekt ›malerischer Deklamation‹. ›Malerisch‹ ist sie jedoch nicht etwa im Sinn eines (laut-)malenden Zeichens, sondern eher eines analogen Zeichens für »Beklemmung«. Insgesamt lässt sich festhalten, dass Böttiger durchaus bemüht ist, Ifflands Inszenierung von Kotzebues Sonnenjungfrau positive Seiten abzugewinnen, obwohl sie zu seinem Leidwesen »weniger auf den Ausdruck der Empfindung, als auf die Schönheit der Action« (BEIS: 249) zielt. Er bezieht sich dabei insbesondere auf das Übertragbarkeitsmodell malerischer Schauspielkunst, das er mit Vorstellungen von Dekorum und Biens8ance zu verbinden sucht. Andererseits bindet Böttiger gelungene schauspielerische ›Malerei‹ durchgehend an Affektausdruck (womit er Engels Trennung von ›malenden‹ und ›ausdrückenden‹ Gesten ignoriert), reserviert insbesondere szenische tableaux für wenige affektive Höhepunkte und führt ergänzend die Kategorie der ›malerischen Deklamation‹ ein. Nicht zuletzt gibt sein Einsatz fragwürdiger lobender Vergleiche

Böttigers ambivalente Haltung zu ›malerischer‹ Schauspielkunst

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nicht undeutlich zu verstehen, dass Böttiger die gesamte Verkörperung bzw. Inszenierung doch eher für eine outrierte Stilübung hält. Unmissverständlich zeigt sich seine Grundeinstellung zu mimischer ›Malerei‹ noch einmal in einer Passage aus dem anschließenden Kapitel zu Iffland als Franz Moor in Szene II.1 der Räuber : Der Intrigant ›malt sich aus‹, wie sein Vater auf die »Seelenfurien« reagieren wird, die auf ihn gehetzt werden sollen, und produziert dabei selbst entsprechende Affektzeichen: Mahlerisch und bis auf die geringste Schattirung wahr erblickten wir im krampfhaften Zucken der Hände, und in der rückwärts gebogenen Stellung das Schrecken. Er schien die eiskalte Umarmung dieses Giganten in seinem Innersten zu ertasten.[989] Aber wie fein wusste das richtige Urtheil des Künstlers hier die Mahlerey im Mienen- und Geberdenspiel, wofür wir diesen Ausdruck des Schreckens nur halten durften, gegen den Ausdruck des selbstempfundenen Schreckens in einem der letzten Auftritte des Stücks abzustufen! (BEIS: 299)

Entscheidend jedoch, so erläutert eine Fußnote, ist weniger die Differenzierung des vorgestellten gegenüber dem tatsächlich erfahrenen Schrecken als die enargeische Übertragung des Affektausdrucks: Es treten hier wirklich alle die Bedingungen ein, unter welchen selbst Engel, der scharfte Beurtheiler jener französisirenden Aftermimik, die man gemeinhin die mahlerische Geberdensprache nennt, die Mahlerey gestattet. Es war Zusammensetzung eigentlicher Mahlerey mit dem Ausdruck der Empfindung, die die Idee des Schreckens in dem schreckhaften Bösewicht erregte. Also doch nicht blosse, reine Mahlerey. Diese ist in der wahren Menschendarstellung fast eben so wenig gedenkbar, als die kleinliche Kunst des mahlerischen Ausdrucks beym Sylbenmasse in der Naturpoesie […]. (BEIS: 300f.)

So zielen denn auch jene regelhaften »Anmerkungen«, die das OberpriesterKapitel beschließen, nicht mehr auf die fragwürdige ›Malerei‹ des Heidenpriesters, sondern auf ein Ideal von »Zierlichkeit und Grazie« (BEIS: 237), das er bezeichnenderweise unter Verweis auf »Lichtenbergs Worte von Garrick« illustriert: »Es schleudert und schleppt und schleift nichts an ihm, und da, wo andere Schauspieler sich noch einen Spielraum von sechs und mehr Zollen zu beiden Seiten des Schönen erlauben, da trifft er es mit bewundernswürdiger Sicherheit und Festigkeit auf ein Haar.« (BEIS: 286, siehe LBE: 331) Allerdings geht es Lichtenberg, wie insbesondere der Vergleich mit der Marionettenhaftigkeit der übrigen Schauspieler verdeutlicht, nicht um ein Ideal statuenhafter, sondern bewegter Grazie (siehe II.5.5). Dies gilt auch für Böttiger ; gleich in der ersten ›Anmerkung‹ formuliert er »die Regel: Die Geberde der Rede, so oft es sich nur thun lassen will, vorausgehen zu lassen« (BEIS: 277) und thematisiert damit 989 Siehe Franz’ Worte: »(Auffahrend) Schreck! – Was kann der Schreck nicht? – Was kann Vernunft, Religion wider dieses Giganten eiskalte Umarmung?« (SSW I: 522).

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

nicht Gleichzeitigkeit, sondern Aufeinanderfolge. Begründet wird dies durch die Beobachtung, »dass der Ausdruck durch die Geberde der leidenschaftlichen Sprache selbst gewissermaßen zuvoreile« (BEIS: 276),990 und exemplifiziert wird es an Beispielen, die nicht aus der Kunst entlehnt sind, sondern aus dem Leben gegriffen, und das heißt für an Gestik Interessierte nicht selten aus Italien:991 »Noch ehe der Italiäner sein amazzare [992] ausspricht, hat er schon den Gestus des Messerstichs gemacht, und die Feige, eine bekannte Spottgeberde im Neapolitanischen, ist schon mit den Fingern fertig, ehe das ihr zur Begleitung gegebene Schimpfwort ausgestoßen ist.« (BEIS: 276f.) Allerdings tendieren diese Beispiele in ihrer Verbindung von Aggressivität und Anschaulichkeit durchaus zur Karikatur. Wie das folgende Kapitel zeigt, bedeutet diese für Böttigers Auffassung von Schauspielkunst einen weit wichtigeren Bezugspunkt als der Höhenkamm von Werken der Malerei und Plastik.

7.

Böttigers Weiterführung der Leitvorstellung »Caricatur«

7.1

Ablehnung der ›Thersites-Technik‹

Die erste Rolle, die der Debütant Iffland 1777 bei der »Saylerischen oder vielmehr Hofschauspieler-Gesellschaft in Gotha« übernahm, war, wie Böttiger in seiner Nachschrift erzählt, eine Judenrolle, was damals hieß: eine komische Rolle.993 So habe man ihm denn auch »[i]n Caricaturrollen und komischen Alten […] damals den meisten Erfolg« versprochen (BEIS: 380). »Caricaturrollen« bezeichneten im deutschen Sprachraum ein Fach, für das man sich vor allem aufgrund »grotesker Nachahmungskunst«994 qualifizierte, ganz im Sinn des antiken Mimos/Mimus-Begriffs.995 Auch Böttiger spricht in diesem Zusammenhang von Ifflands »seltene[r] Kunstfertigkeit in der Mimik« und berichtet:

990 Hervorhebung im Original. 991 So heißt es im neunten Brief von Engels Mimik, »daß eine Mimik, von einem denkenden Manne in Italien geschrieben, ein sehr vorzügliches Werk werden könnte. […] [D]ie Güte der Beobachtungen hängt nie allein von einem hellsehenden Auge, sie hängt gleich sehr von der Wahrheit, Kraft, Mannichfaltigkeit der Objecte ab, die sich so einem Auge darbieten.« Auch deutsche Schauspieler könnten von italienischer Gestikulation lernen. (Engel: Schriften 7, 56). 992 Moderne Schreibung: ammazzare = ›umbringen‹ (koll.). 993 Siehe Diebold: Rollenfach, 10; siehe auch Bayerdörffer : Judenrollen. Ifflands Antrittsrolle war die des Israel in Engels Lustspiel Der Diamant (siehe die Zeittafel in: Iffland: Laufbahn, 164). Zu Ifflands (differenzierteren) Darstellungen jüdischer Rollen in seiner Berliner Zeit siehe Fischer: Ifflands jüdische Rollen. 994 Diebold: Rollenfach, 33. 995 Noch einmal sei die Zedler-Definition von »MIMI« zitiert: »eine gewisse Art von Comö-

Böttigers Weiterführung der Leitvorstellung »Caricatur«

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Iffland pflegt bisweilen noch jetzt in einem Kreise vertrauter Freunde seine mimische Kunst durch Darstellung einer ganzen Gallerie von Hamburgischen Judengesichtern, wie er sie einst auf dem Jungfernsteig vor sich vorüber gehen sah, oder des andächtelnden Mienenspiels einer Mannheimer Bettlerin, die mit jedem Augenblicke gröber und zudringlicher wird, auf eine Weise zu beurkunden, die allen Anwesenden die hellen Freudenthränen auspresst.« (BEIS: 381)

Der Begriff ›Karikatur‹ scheint um 1796 aber vor allem negativ besetzt gewesen zu sein, formuliert Böttiger doch zu Beginn seines Rollenporträts von Iffland als Franz Moor :996 Dieser verachtet die Hülfe der Caricatur da, wo er durch innere Kraft auslangen kann. Darum hatte sich auch Iffland mit gutem Bedacht durch Costum und Maske nicht verhässlicht. Andere Schauspieler commentiren die Worte des Dichters: »Warum musste mir die Natur diese Bürde von Hässlichkeit aufladen?« dadurch, dass sie schielen, oder im Judascostum der rothen Haare und buschigen Augenbraunen erscheinen. (BEIS: 293)

»Caricatur« meint hier also jenes Verfahren, eine Figur durch Hässlichkeit zu denunzieren, das wesentlich älter ist als der im 16. Jahrhundert geprägte Begriff: Das antike Paradebeispiel ist Thersites (I.1), in Mittelalter und früher Neuzeit wurde vor allem Judas durch die hier angegebenen Merkmale bezeichnet, und zwar in der bildenden Kunst997 ebenso wie (Böttigers Hinweis belegt es) auf der Bühne. Auch Schiller, der Franz sogar mit einem Buckel versieht, steht also noch (wie Shakespeare mit seiner Gestaltung Richards III.) in dieser Darstellungstradition, und Böttiger gesteht durchaus zu, dass er das Verwachsene und Verschrobene im Character des Franz Moor sehr gut mit seiner körperlichen Verkrüppelung in Verbindung gedacht [sic] habe, und dass sie besonders in den Liebhaberanträgen bey Amalien eine starke Wirkung thun. Allein Iffland glaubte dieses äussern Zusatzes von Hässlichkeit völlig entbehren zu können, und der verständigere Zuschauer wird ihm diess gern als ein Verdienst anrechnen. Denn ist nicht überhaupt Spott über körperliche Missgestaltung des Dichters und Schauspielers unwürdig, der sich besserer Hülfsmittel bewusst ist? (BEIS: 294)

Wie die folgende Fußnote belegt, schließt Böttiger hier an jene Tradition englischer Karikatur-Kritik an, die im letzten Teil vorgestellt wurde (II.1, II.4.3): Oder soll der Homerische Thersites der ewige Schutzbrief dieser Ungezogenheiten seyn? Wie wahr sagt Churchill in seiner trefflichen Rosciade von Foote und seinen dianten, welche allerhand Leuten ihre Posituren und Reden so lebhafft nachmachen konten, daß es nicht genugsam zu bewundern war.« (Zedler 21, 162, siehe Einf. 5). 996 Die Beschreibung beginnt, wie oben (III.3.3) erläutert, mit dem Brief einer anonymen »Dame«, der ihren Gesamteindruck formuliert und einer kurzen Stellungnahme Böttigers; darauf folgt die hier zitierte Passage. 997 Siehe Jursch: Bild des Judas.

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

Nachäffern, die ihr Unvermögen hinter die Darstellung körperlicher Gebrechen verstecken: His strokes of humour and his bursts of sport Are all contain’d in this one word, Distort. (BEIS: 294f.)998

Andererseits will Böttiger, der ab 1798 englische Karikaturen insbesondere von James Gillray kommentieren sollte,999 den Begriff »Caricatur« auch offenhalten für eine positive Verwendung: Selbst der klügere Harlekin schämt sich dieses Mittels, Gelächter zu erregen.1000 […] Ja sogar der eigentliche Caricaturzeichner, so bald er sich selbst zu ehren versteht, missbraucht natürliche Gebrechen nie dazu, um Gelächter dadurch zu erregen, und führt sie nur dann ein, wenn sittliche Unarten dadurch noch hässlicher und ungereimter werden. So macht sich Hogarth über den Naturfehler des einäugigen Schätzchens, das seinem Helden Rakewell (auf dem fünften Blatte des Liederlichen) angetraut wird, nur darum lustig, weil das Lächerliche nicht im Naturfehler liegt, sondern in der ganzen Aufführung der unverkennbaren Närrin. S. Lichtenbergs Erläuterungen, Th. III. (BEIS: 295f., siehe Abb. 27)

Tatsächlich urteilt Lichtenberg, dass die Braut trotz ihrer Einäugigkeit »nicht so übel« aussehe; ihre Torheit bestehe darin, ihren Makel »durch ein Paar beigeklebte Schönheitspflästerchen« ausgleichen zu wollen, mit genau gegenteiliger Wirkung.1001 Gewagter ist allerdings Böttigers nun folgende Argumentation in Bezug auf Shakespeares Rollenkonzeption: Ja Shakespeare selbst hätte sich nie erlaubt, seinen Richard so widrig zu verunstalten, wenn nicht die moralische Hässlichkeit dieses Ungeheuers dadurch noch mehr hervor gehoben worden wäre. Merkwürdig ist es, dass auch Garrick, wenn er diese Rolle spielte, die körperliche Hässlichkeit so viel als möglich zu mindern suchte. Aber die Caricatur-liebenden Engländer wussten ihm diese Feinheit nicht immer anzurechnen, und setzten den Schauspieler Sandford, der von Natur bucklig und verkrüppelt war, in dieser Rolle über Garrick. (264ff.)

Der letzte Satz verdeutlicht noch einmal, wie gerne »Caricatur« (zumal die zeitgenössische englische Porträt- und Pressekarikatur) sich der ›ThersitesTechnik‹ bediente. Dagegen gab es aber auch jene Tradition charakterisierender Bildsatire, deren Inbegriff schon für Lichtenberg Hogarth darstellt. Während Lichtenberg jedoch, Hogarth folgend, versuchte, dessen »modern moral sub998 Böttiger zitiert auch die folgenden vier Verse, insgesamt CR 399–404: 14. 999 Siehe Deuling: Karikatur und Kommentar. 1000 Gemeint ist jener Harlekin, der in Justus Mösers Harlekin oder Vertheidigung des Groteske-Komischen von 1761 gegen seine Vertreibung von der Bühne aufbegehrt und eine Lanze bricht für Karikatur als »Erkenntnismedium« (Arburg: Kunst-Wissenschaft, 73f., hier 73). 1001 LSB 3: 872.

Böttigers Weiterführung der Leitvorstellung »Caricatur«

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Abb. 27: William Hogarth: A Rake’s Progress Pl. 5, Detail (Kupferstich, 1735)

jects« kategorisch vom Begriff ›Karikatur‹ abzugrenzen, ist dieser in Böttigers Augen »der eigentliche Caricaturzeichner«; bereits zitiert wurde, dass er einmal sogar von Lichtenbergs »Erklärung der Hogarthischen Caricaturen« spricht (BEIS: 146). So lässt sich meine Einführung des Begriffes ›Character-Karikatur‹ (II.1) auch wirkungsgeschichtlich stützen. Noch zu zeigen ist, dass dieser Begriff auch Böttigers Verständnis einiger Iffland’scher Verkörperungen erhellen kann (III.7.3). Um diesen Aspekt jedoch deutlicher profilieren zu können, soll zunächst (III.7.2) kurz gezeigt werden, wie Böttiger missglückte Schauspielkunst durch spöttische Karikaturen im Stil Churchills (II.4.2) lächerlich macht.

7.2

Spöttische Karikaturen missglückter Schauspielkunst

Besonders wirkungsvoll ist der Kontrast zwischen mimischem Ideal und tatsächlichem Spiel im Kontext der im zwölften Kapitel thematisierten ›malerischen‹ Schauspielkunst (III.2.5). Der diametrale Gegensatz zum malerischen Gesamteindruck, für den der Kontrapost steht, seien jene Fehler, die »der witzige

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

Churchill an einigen berühmten Schauspielern seiner Zeit in London ausgestellt hat« (BEIS: 285). Sie sind Böttiger eine eigene Fußnote wert, in der er behauptet: […] [D]ie witzigen Verse Churchills in seiner Rosciade von Jackson, der durchaus mit der linken Hand und dem linken Fuß immer in Uneinigkeit lebte: V. 432ff.[1002] When to enforce some very tender part, The right hand sleeps by instinct on the heart, His soul, of every other thought bereft, Is anxious only where to place the left. – One leg, as if suspicious of his brother, Desirious seems to run away from the other. Und von Mossop: V. 873[1003] The right hand labours and the left lies still For he resolved on scripture-ground to go, What the right does, the left hand shall not know. sind noch jetzt in jedes Englischen Theaterliebhabers Munde. Ein Deutscher Churchill würde wegen der Belege auf heimischem Grund und Boden kaum verlegen seyn dürfen. (BEIS: 285f.)

Was für Churchills Leserschaft Porträtkarikaturen waren, wird von Böttiger umfunktioniert zu Anschauungs- und Schulungsmaterial für den noch auszubildenden Geschmack des deutschen Publikums; zudem dient die verbale Karikatur nunmehr als Gegen-Bild zu Ifflands Verkörperung. Ähnlich verhält es sich mit einer Passage, in der Ifflands sparsam-natürliche Deklamation mit routinierter Effekthascherei kontrastiert wird: Er declamirt weder heftig noch bitter, als er dem Egoisten Wachtel sein Löbchen auf den Weg mitgiebt, und spricht selbst die sentimentalischen Schlussworte des ganzen Acts: »Es ist traurig, wenn Blüthen und Blätter so hindorren am Fusse des Stammes!« nur mit einem geringen, kaum fühlbaren Anfluge von Pathos aus. Bey beiden Veranlassungen hörte ich an einem anderen Orte den Liebling des Publicums seine ganze Tonleiter aborgeln, und – wie sichs nach einem solchen Ohrenschmause gebührt – mit rauschendem, wenn auch nicht vollem Beyfall bedeckt, abtreten. (BEIS: 202f.)

Angesichts von Böttigers häufigen Bezugnahmen auf Lichtenberg dürfte es kein Zufall sein, dass die Formulierung ›eine Tonleiter aborgeln‹ analog zu Lichtenbergs ›eine Arie abgurgeln‹ gebildet ist (LBE: 364), mit der dieser die Koloraturarie der Sängerin Catarina Gabrieli karikiert (II.5.2): Der hier verspottete Rezitationsstil erscheint Böttiger als ebenso obsolet wie Lichtenberg die italienische Oper samt den dazugehörigen Enthusiasten. Bezeichnend ist allerdings auch, dass Böttiger den Namen des Kritisierten verschweigt, weil es ihm nicht 1002 Vgl. CR 431–434, 439: 15. 1003 Vgl. CR 878ff.: 28.

Böttigers Weiterführung der Leitvorstellung »Caricatur«

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um eine Person geht, sondern um ein Symptom.1004 Das noch zu bildende Idealpublikum wird einer feineren Darbietung nicht ›rauschenden‹, sondern ›vollen‹ Beifall spenden. Um die Erziehung des Publikums geht es auch am Anfang der bereits behandelten Passage (III.2.5), die beschreibt, wie sich Ifflands Franz Moor in Szene II.1 der Räuber das Grauen seines Vaters ausmalt. Konkret gilt es, den Vorwurf einiger Zuschauer zu widerlegen, Iffland habe in den ersten drei Akten »zu wenig Innigkeit der Bosheit« ausgedrückt (BEIS: 291, siehe III.3.3, III.3.4). Der Vorwurf wurde bis zu diesem Punkt der Beschreibung recht ernst genommen – nun aber macht Böttiger ihn in karikaturistischer Manier lächerlich: Wer hier noch Innigkeit und Wahrheit des Ausdrucks vermisst hätte, der müsste Gesichter-schneidende Grimasse und convulsivische Missgeberdung für wahren Abdruck der Leidenschaft, und brüllende, oder röchelnde Unnatur für Declamationsfülle halten. Mahlerisch und bis auf die geringste Schattirung wahr erblickten wir im krampfhaften Zucken der Hände, und in der rückwärts gebogenen Stellung das Schrecken. (BEIS: 300)

So drastisch das hier eingesetzte Schema eines epileptischen Anfalls aber auch scheint –1005 zu beachten ist, dass Iffland mit seinem »krampfhaftem Zucken der Hände« durchaus extreme gestische Zeichen einsetzt und der Unterschied dieser Darstellungsweise zur unfreiwillig karikaturhaften Übertreibung sich erst in der anschließenden Beschreibung erweisen muss. Wie fein aber auch in den Beschreibungen selbst die Grenze zwischen spöttischer Karikatur und bewundernder Beschreibung sein kann, zeigt folgendes Beispiel: In Szene V.1 der Räuber wird Franz Moor zunächst durch einen Albtraum in seinem atheistischen Immoralismus erschüttert; Schillers Vorbild für diese Szene war auch hier Szene 5.3 aus Shakespeares Richard III. Ifflands Vorbild scheint, zumindest was 1004 In vergleichbarer Weise karikiert Iffland selbst in seinen Briefen über die Schauspielkunst von 1781/82 den überkommenen Deklamationsstil: »Gäbe es einen Schauspielerkatechismus; so würde ich auf die Frage: was ist eine Tirade? antworten, der Schauspieler tritt vor – sagt im tiefen beschwörenden Ton sechs Worte, schlägt mit der Hand auf die Brust (so gewaltig) daß menschenfreundliche Christen ein Geschwür befürchten, er legt den Kopf zurück, schiebt den rechten Fus vor, bleibt so in haltender Stellung eine Minute stehen, sagt dann (nach Beschaffenheit der Umstände, laut oder ersterbend) noch sechs Worte, eine kleine Pause, bis endlich die Pointe der Tirade dem Publikum ins Gesicht geworfen wird, worauf der Held hastig in eine Ecke des Theaters geht, wo er das Dix an der Stirne von seiner Gröse verschnauft.« (Iffland: Beiträge zur Schauspielkunst, 10f.). 1005 Noch deutlicher im ›Gegen-Bild‹ zu Ifflands Gestaltung von Franz’ eigenem Schrecken im Schlussakt: »Der Schauspieler durch Routine hat höchstens Einen wahren Ausdruck des Schreckens, wenn er überhaupt durch Affectation und Manier den Spiegel der Natur in sich noch nicht zerbrochen hat. Will er weiter gehn, so entstehen nur allzu oft ekelhafte Verzuckungen eines Wahnsinnigen, und Convulsionen, wie beym Veitstanze.« (BEIS: 307).

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

die Handhaltung betrifft, der Kupferstich nach Hogarths berühmtem GarrickGemälde zu sein (Abb. 3): Mit grausend aufwärts gekehrtem, anfänglich glühend funkelndem, dann versteinert starrendem Blick, mit gehobener, dann unbeweglich eingewurzelter Stellung, wobey die rechte hoch vorwärts strebende Hand Trutz, die linke krampfhaft gegen die Brust gesenkte Schutz anzukündigen schien, rief er : »Rächet denn droben über den Sternen einer?« (BEIS: 316)

Böttiger verweist allerdings nicht auf den Kupferstich, sondern auf eine Textpassage, die in Unterkapitel II.5.2 als typisches Beispiel spöttischer Karikatur auf missglückte Schauspielkunst angeführt wurde: Ich wüsste diesen Blick nicht besser abzumahlen, als durch die zwey schönen Verse von Churchill in der Rosciade, V. 325. As if with Heaven he warr’d, his eager eyes Planted their batteries against the skies. (BEIS: 316)

Damit aber verkehrt Böttiger Churchills karikaturistische Intention: Wenn Charles Holland einen Heroen darstellt, der auch im Affekt sein Dekorum wahren sollte, wirkt der Vergleich seines Blicks mit gegen den Himmel gerichteten Geschützen komisch. Die Figur des Franz Moor dagegen, auch wenn Iffland sie nicht als hässlichen Judas präsentiert, ist immer noch so weit vom klassischen Heldenfach entfernt, dass der Vergleich gerade in seiner Inkongruenz zwischen »batteries« und »skies« die Hybris der Rollenfigur sinnfällig macht und nicht die Unfähigkeit eines Schauspielers. Böttigers Uminterpretation von Churchills Karikatur ist der wohl prägnanteste Beleg für meine These, dass die karikierende Darstellung missglückter Schauspielkunst im 18. Jahrhundert auch der Darstellung gelungener Schauspielkunst vorarbeitete (II.1). Vor allem gilt dies natürlich, auch im Fall Böttigers, für Rollen, die komisch angelegt sind. Zu zeigen ist, dass es hier trotz aller Abgrenzungsbemühungen zwischen Porträtkarikatur und Hogarth’scher Character-Karikatur ein Kontinuum gibt, und zwar sowohl in Ifflands Darstellung, die allerdings immer von Böttiger vermittelt ist, als auch in dessen ekphrastischen Mitteln.

7.3

›Caricaturen-Rollen‹ und ›Character-Karikaturen‹

Böttiger eröffnet das Kapitel über »IFFLAND ALS STABSCHIRURGUS RECHTLER« (BEIS: 53) in dessen eigenem Drama Scheinverdienst1006 mit einer Anekdote: Bei der Mannheimer Erstaufführung habe Iffland die dankbare Rolle 1006 Iffland: Dramatische Werke 15.

Böttigers Weiterführung der Leitvorstellung »Caricatur«

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des pedantischen Rechtler dem Publikumsliebling Johann David Beil (1754– 1794) überlassen, von dem sie »mit der ihm eigenthümlichen Laune und Ausgelassenheit« gespielt worden sei (BEIS: 54). Erst nach Beils Tod habe der Autor die Rolle übernommen und zu aller Überraschung grundlegend neu interpretiert: Auch hier in Weimar […] musste jedermann über die edle Vornehmheit erstaunen, mit welcher es Iffland heute bald dahin zu bringen wusste, dass wir den Stabschirurgus Rechtler bey allen seinen kleinen Pedantereyen und lächerlichen Originalitäten nicht belachten, oder als Spassmacher betrachteten, sondern als einen leibhaften Schutzengel ansahen, der der Seefeldischen Familie im Costum eines Biedermannes aus der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts erschienen sey. (BEIS: 54f.)

Böttiger begründet diese ernsthaftere Rollenauffassung zum einen mit der Funktion Rechtlers als Retter einer Familie, die wegen zweier von der Mutter verwöhnter Söhne in Schwierigkeiten geraten ist; insbesondere der bisweilen anzustimmende »Straf- und Busspredigtton« (BEIS: 73) klänge aus dem Mund einer komischen Figur nicht überzeugend. Allerdings ist Böttiger der Meinung, dass der Dramatiker Iffland die Rolle durchaus etwas komischer angelegt habe als der Schauspieler, und belegt dies durch dessen Entscheidung, eine auf komische Wirkung zielende Regieanweisung »dem zarten Kunstgefühl auf[zu]opfern« (BEIS: 57). Zum anderen wirke eine komische Rollengestaltung grundsätzlich oberflächlicher als eine ernsthafte1007 und störe »die Zaubertäuschung« ästhetischer Illusion, indem sie »unartiges Auflachen« provoziere (BEIS: 69). Was Böttiger hier beobachtet, hat Iffland selbst noch in seinen Briefen über die Schauspielkunst von 1781 als »Veredelung der Karrikaturen« bezeichnet: »Der wahren Natur nichts benehmen, und doch im Ganzen eine gewisse Grazie, eine Rundung des Spiels beibehalten, welche die niedrigste Karrikatur liebenswürdig macht; – wahrlich das ist eine sehr feine Gränze.«1008 Böttiger geht einen Schritt weiter und fordert, der Schauspieler dürfe keine »Porträtfiguren« schaffen (BEIS: 65), sondern müsse idealisieren: Das Kunststück des grossen Meisters besteht allezeit darin, dass er wirklich nur die Gattung spielt, und doch durch gewisse, klug angebrachte Eigenheiten dem Zuschauer nur ein bestimmtes Individuum zu geben scheint. Der untrügliche Probierstein dieser Darstellung ist, wenn fast jeder Zuschauer in seiner Bekanntschaft ein anderes Original zu dieser Kopie aufzufinden glaubt. Hier schafft also der Schauspieler sich selbst ein aus vielen einzeln bemerkten Zügen und Ähnlichkeiten kunstreich zusammen gesetztes

1007 »Der lustige Spassmacher ist nach dem ersten Auflachen der Menge vergessen. Wer erinnert sich noch an die Narrenkappe, wenn ihre Schellen ausgeklingelt haben?« (BEIS: 55). 1008 Iffland: Beiträge zur Schauspielkunst, 10.

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

und veredeltes Bild, mit einem Worte, ein Ideal. Wer dies vermag, ist Schauspieler vom ersten Rang, ist schöpferisches Genie, ist selbsterzeugender Dichter. (BEIS: 63f.)

Hier klingen, zumal am Ende, klassizistische Topoi an, insbesondere die Anekdote von Zeuxis, der eine Helena malen soll und sie aus Zügen der fünf schönsten Frauen von Krotona zusammensetzt.1009 Doch ist eine so verstandene Idealisierung für die Rezipienten klar zu erkennen: In der Kunst offenbart sich eine Vollkommenheit, die ›nicht von dieser Welt‹ ist. Bei der Verkörperung des biedermännischen Rechtler dagegen geht es weder um Vollkommenheit noch um eine erkennbare Idealisierung; vielmehr sollen »Züge[ ] und Ähnlichkeiten« kombiniert werden, die für eine Figur als Vertreter einer »Gattung« so typisch sind, dass sie das Publikum im Hier und Jetzt an lebende Exemplare der »Gattung« erinnern. Böttiger berichtet, dass in Weimar tatsächlich mehrere Zuschauer geäußert hätten, »gerade so habe sich von oben der berühmte Kaltschmidt in Jena getragen und gekleidet, und fast ein jeder wollte einen solchen Stabschirurgus oder Regimentsfeldscher schon irgendwo gesehen oder gekannt haben.« (BEIS: 63)1010 Der Begriff »Gattung« im Kontext menschlicher Gesellschaft meint hier den Berufsstand; als damit verbunden werden typische Charaktereigenschaften angenommen. In diesem Sinn präsentiert Lichtenbergs Vorschlag zu einem Orbus pictus für deutsche dramatische Schriftsteller, Romanen-Dichter und Schauspieler von 1780 typische Züge männlicher und weiblicher Bedienter, die es den genannten Künstlern erleichtern sollen, ihre Dienerfiguren »mehr zu individualisieren«.1011 Der Begriff ›individualisieren‹ bezieht sich darauf, dass besagte Züge nicht nur für einen bestimmten Diener gelten, sondern aus der aufmerksamen »Beobachtung der geringern Klasse von Menschen« stammen;1012 insofern ist er mit dem, was Böttiger ›idealisieren‹ nennt, identisch. Böttigers Abhängigkeit von Lichtenberg wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass dieser seine Beobachtungen zur Individualisierung von Bedienten durch Kupferstiche von Daniel Chodowiecki ergänzt und jener dem Bericht vom Wiedererkennungseffekt der Rechtler-Verkörperung auf das Weimarer Publikum diese Fußnote folgen lässt: Der Leser erinnert sich hierbey vielleicht an Lichtenbergs wahre Bemerkung in seiner Beschreibung Hogarthischer Kupferstiche, wo vom Pfarrer die Rede ist, der den Eh1009 Cic. inv. 2.1. Auf die Anekdote spielt beispielsweise Anton Raphael Mengs in seinen Gedanken über die Schönheit und über den Geschmack in der Natur von 1762 an (Boehm/ Miller : Klassizismus 2, 207, siehe den Kommentar ebd. 648f.), zur weiteren Wirkung siehe Barrasch: Bild, 624. 1010 Auch Ifflands Verkörperung des eifersüchtigen Ehemanns in Die Eheliche Probe soll einen solchen vermeintlichen Wiedererkennungseffekt ausgelöst haben (BEIS: 147). 1011 LSB 3: 377–403, hier 382. 1012 LSB 3: 383.

Böttigers Weiterführung der Leitvorstellung »Caricatur«

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renmann Rakewell mit seinem alten Liebchen traut, und über welchen Gilpins Urteil angeführt wird: Jedermann, der diesen Pfarrer ansähe, glaube, er habe irgendwo ein solches Gesicht und eine solche Perrücke [sic] gesehen, könne sich aber nicht gleich besinnen, wo? Da setzt Lichtenberg hinzu: Es ist unmöglich, unsern grossen Künstler mit so wenigen Worten mehr zu loben. (BEIS: 63; siehe Abb. 27).1013

Bezeichnenderweise spricht Böttiger in diesem Kontext nicht von Lichtenbergs »Erklärung der Hogarthischen Caricaturen« (BEIS: 146) oder von Hogarth als »eigentliche[m] Caricaturzeichner« (BEIS: 295). Dagegen bezeichnet er wenig später Samuel Footes Personenimitationen, deren Verurteilung durch Churchill er zustimmt, als »Nachäffungs-Caricaturen« (BEIS: 67). Zwar will er solche Darstellungen nicht völlig vom Theater verbannt sehen und weist darauf hin, dass bereits Aristophanes »in seinem eigenen Stücke, die Ritter, ohne Maske den Demagogen Kleos« gespielt und selbst Garrick und Iffland »sich durch diese Mimik zuerst bekannt gemacht« hätten (BEIS: 66); doch dies seien Ausnahmen. Vier Seiten weiter lobt er an Ifflands Verkörperung des Wundarztes jene Stellen, an denen »Äusserungen der Selbstgenügsamkeit und Zufriedenheit mit sich und seinem Stande, durch die feinste Grazie des Schauspielers zu einer liebenswürdigen Schwäche gemacht, nicht in geckenhafte Caricatur verzeichnet wurden.« (BEIS: 70) Wenn er, wiederum eine halbe Seite weiter, formuliert, Iffland habe Rechtlers Äußerungen »aus einer Burleske, in die es so leicht hinüber gespielt werden kann, [in] eine Sternische Episode« verwandelt (BEIS: 71), übernimmt er sogar Fieldings Gleichsetzung von ›Burleske‹ und Karikatur als Gattungen des Niedrigkomischen in Literatur und Kunst (II.3.1). Auf der positiven Seite wird hier statt Fieldings Romanen Sternes Prosa eingesetzt,1014 und angesichts des obigen Zitates kann man davon ausgehen, dass Hogarth weiterhin die Stelle der hochkomischen Kunst vertritt. Vor diesem Hintergrund ist folgende Formulierung aus Böttigers Nachschrift zu verstehen: »Diderots Ausspruch: Je ne saurois supporter les caricatures, soit en beau, soit en laid: car la bont8 et la mechancet8 peuvent Þtre egalement outr8es, ist der Text, worüber jede seiner Darstellungen, auch wenn er die Rolle eines Wallen oder Wallmann zu spielen hätte, einen vollständigen Kommentar lieferte.« (BEIS: 386f.)1015 Diderot kritisiert im Namen der Natürlichkeit sowohl übertrieben komische als auch übertrieben idealische Darstellungen – dass letztere im Bereich der Schauspielkunst gewissermaßen zu ›unfreiwilligen Ka1013 Siehe LSB 3, 875; Lichtenberg bezieht sich (siehe ebd. 666 und Kommentarband, 329) auf den 1768 in zweiter Auflage erschienenen Essay on Prints des englischen Geistlichen, Reiseschriftstellers und Zeichners William Gilpin (1724–1804), den er in deutscher Übersetzung besaß (Gilpin: Abhandlung von Kupferstichen). 1014 Dass Swift auch im deutschen Sprachraum als Inbegriff des Satirikes galt, zeigt Kämmerer : Satire und Satiretheorie, 56–77, bes. 56–60. 1015 Aus De la Po8sie dramatique von 1758 (Diderot: Œuvres 10, 323–427, hier 398).

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

rikaturen‹ werden können, hat Böttiger, wie gezeigt, im Fall von Ifflands Verkörperung des Sonnenpriesters durch inkongruente Vergleiche angedeutet (III.2.5). Dass die komische Verkörperung einer Rollenfigur jedoch durchaus Anleihen bei karikaturistischen Verfahren machen darf, soll nun anhand der Figur des Comissär Wallmann gezeigt werden, die in der eben zitierten DiderotReferenz angeführt ist.1016 Entscheidend ist, dass Böttiger selbst zur Beschreibung von Ifflands Leistung verbale Karikaturen schafft, und zwar nicht als Kritik an misslungener, sondern als Äquivalent zu gelungener Schauspielkunst. Es wurde bereits zitiert (III.3), dass Böttiger einleitend den ›Umriss‹ der Rollenfigur als den »eines schwarzen, cholerischen, keifenden, beissenden und doch gutmüthigen Mannes« vorstellt und auf das Rollenfach des ›gutmütigen Polterers‹ zurückführt (BEIS: 232f.) In seiner Beschreibung geht es allerdings weit mehr ums ›Poltern‹ als um die Gutmütigkeit. Als »Scene, welche unter allen die lächerlichste Wirkung hervorbrachte,« (BEIS: 236) stellt Böttiger den fünften Auftritt des 5. Aktes vor, in dem Wallmann von der Erzieherin Jungfer Jacobe Schmalheim durch die permanente Verzögerung einer Geheimnispreisgabe gequält wird.1017 Böttiger bemüht zunächst den Unsagbarkeitstopos: »Seine komische, mit jeder ihrer Zögerungen, jedem Rückfall in Jüngferlichkeit und Verschämtheit, sichtbar steigende Ungeduld wurde mit einer Wahrheit gegeben, die die sorgfältigste Zergliederung nie erreichen würde.« An die Stelle einer »Zergliederung« setzt er denn auch einen ›karikaturistischen‹ Vergleich: »Es waren, wenn ich mich so ausdrücken darf, alle Geste eines Menschen, der den andern von der im Halse steckenden Rede, wie von einer schweren Geburt, zu entbinden sucht.« (BEIS: 237) Der Vergleich ist umso inkongruent-komischer, als Wallmanns Gesprächspartnerin sich immer wieder ihrer Jungfräulichkeit rühmt. Eine Fußnote nutzt das Schema der ›schweren Geburt‹ allerdings auch, um eine verwandte mimische Komikstrategie aus dem Repertoire der italienischen Bühne zu beschreiben: »Man erinnert sich dabey an jenen Buffone in einer Italiänischen Oper, der einen Stotterer, der ein gewisses schwer auszusprechendes Wort durchaus nicht zur Welt bringen kann, endlich aus Verzweiflung mit vorwärts gebogenem Kopf so heftig in den Magen stösst, dass dem andern die Angstgeburt mit einem lauten Schrey zum Hals heraus fährt.« (BEIS: 237)1018 Im Haupttext erläutert Böttiger die Gesamtcharakterisierung der Gestik durch Beispiele, veranschaulicht diese wiederum durch karikaturistisch eingesetzte

1016 Zur zweiten dort angeführten Figur des einfältigen Dieners Wallen siehe II.7.3. 1017 Iffland: Dramatische Werke, 136–152. 1018 Allerdings schließt Böttiger die Behauptung an: »Diese kann zugleich auch als Beyspiel dienen, wie sich das hochkomische Spiel noch immer von dem eigentlichen Lazzo im Possenspiel unterscheidet.« (BEIS: 237f.) Worin der Unterschied bestehen soll, bleibt aber im Dunkeln.

Böttigers Weiterführung der Leitvorstellung »Caricatur«

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Schemata aus anderen Bereichen und nimmt abschließend wieder seine Leitmetapher auf: Bald ergriff er ihre Hand, oder zerrte an dem Ärmel ihres Kleides, bald hielt er den Hut unter, als wenn er die Beichte damit auffangen wollte, bald neigte er das Ohr so nahe hin, dass er fast ihre Nasenspitze berührte, und einmal streckte er den gebogenen Finger gegen ihren Mund, als wollte er eine Gräthe, oder sonst etwas, was ihr im Halse sitzen geblieben wäre, heraus holen. Das leibhafte Bild einer Geburtszange! (BEIS: 237ff.)

Für einen weiteren mimischen Zug bringt Böttiger sogar explizit den Begriff ›Karikatur‹ ins Spiel, wenngleich in ostentativer Abgrenzung: Übrigens besteht der lächerlichste und doch dabey natürlichste Gest während des ganzen Spiels immer in einem neuen kräftigen Verpuhsten und Ausathmen, wenn einmal eine volle Lage abgefeuert ist, und in dem gleich folgenden Wiedereinathmen und Anlaufnehmen, wenn ein neuer Angriff gemacht werden soll. Dies gewaltige Abäschern[1019] und Zerarbeiten ist die hohe Würze des Spiels. Aber eben diess nicht bis zur Possenreissenden Grimasse zu übertreiben, wo doch der Abweg zur Caricatur so leicht ist, und mitten unter diesen Explosionen die gutherzige Bonhommie, die der Dichter so fein in diesen Character verwebt hat, immer zur rechten Zeit wieder hervor treten zu lassen, diess ist die Probe eines Meisters in seiner Kunst. (BEIS: 236)

Wodurch genau Iffland jenen Grad der Übertreibung vermeidet, mit der seine Darstellung die offensichtlich doch recht feine Grenze zur ›Karikatur‹ überschreiten würde, verrät Böttiger jedoch nicht. Allerdings mildert er in einer Hinsicht selbst seine auf drastische Komik berechnete Darstellungsstrategie, nämlich durch interne Fokalisierung der Rollenfigur, die, im Anschluss an das Bild der »Geburtszange«, Wallmanns Ungeduld nachvollziehbar macht: Aber alles diess hilft nichts. Die Perle der alten Jungfern, Mamsell Jacobe, fühlt immer neue Beängstigungen und Besorgnisse wegen ihrer Ehre. Das wird zu toll! Er möchte platzen vor Verdruss und Ungeduld. Er muss Luft schöpfen; er knüpft sich die Weste auf, rückt die Halsbinde und stampft mit dem Fusse, als wenn er alle Zweifel seines Plagegeistes auf einmal zu Boden treten wollte. (BEIS: 239)

Noch deutlicher mischen sich verbale Karikatur und Einfühlung in der Beschreibung des eifersüchtigen Ehemanns, der, wie bereits zitiert, nach dem Vorbild Garricks und Hogarths schon durch das permanent präsente Zeichen seiner ›gehörnten Perücke‹ charakterisiert ist (III.3.1). Treumund hat sich versteckt, um zu belauschen, ob der von ihm instruierte Lindhelm seine Frau in Versuchung zu führen vermag. Der geängstige Ehemann kann nicht so zahm im Cabinet stecken bleiben. Auf die Gefahr von Marianen ertappt zu werden, kommt er vorher noch verschiedene Mal zu 1019 D. h. Sichabmühen.

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

Lindhelmen heraus gesprungen. Beym zweyten Rückzug in seinen Angstkäfig sieht er schon die Stühle und Tische nicht mehr, und rennt den einen Stuhl beynahe über den Haufen. Beym dritten Ausfalle hat ihn [sic] die Angst die Kehle halb zugeschnürt. Die Frage: Sind Sie in Ihrer Rolle fest? kann er nur heiser und gebrochen aussprechen. Es ist als wenn er in den Tod gehen solle, als ihm Lindhelm zuruft: Man kommt! Aber beym Rückzug ergreift ihn ein plötzlicher Heroismus. Er schleicht nicht, aber er läuft auch nichts ins Cabinet. Nein, er marschirt mit tactmässigem Aufschreiten, wie ein Soldat, der das Kanonenfieber überwunden hat, und mit betäubter Entschlossenheit den mörderischen Feuerschlünden entgegen rückt. So etwas will gesehen sein. Keine Beschreibung kann einer solchen Bravour Gerechtigkeit widerfahren lassen.« (BEIS: 154f.)

Auf der Ebene des Beschriebenen werden hier die komischen Mittel tatsächlich dosiert, denn Iffland deutet mit dem Über-den-Stuhl-Stolpern zwar ein Slapstick-Element an, führt es aber nicht aus; auf der Ebene der Beschreibung wirkt der Vergleich Treumunds mit einem Soldaten zwar inkongruent-komisch, verdeutlicht aber doch auch den inneren ›Kampf‹ der Figur. Bezeichnenderweise bleibt unklar, ob sich die abschließend gerühmte »Bravour« auf den »Heroismus« der Rollenfigur bezieht oder auf die Kunst des Schauspielers, Komik mit Psychologisierung zu verbinden. Von solch humoristisch-einfühlender Milderung der karikaturistischen Darstellungsweise kann allerdings bei Ifflands Verkörperung des skrupellosen Falschspielers Posert in seinem Schauspiel Der Spieler keine Rede sein. Wie bereits zitiert, stellt Böttiger dem Kapitel als Motto ein Zitat aus Lichtenbergs »Erklärung der Spieler auf dem 6ten Blatt im Leben des Liederlichen« voran: »Schlaffe Leerheit auf der niedrigsten Stufe; das eigentliche moralische Nichts und wieder Nichts!« (BEIS: 165) Bevor Böttiger diesen konkreten intertextuellinterpikturellen Bezug weiter ausführt, verweist er, die »Maske dieses Spieldämons« analysierend (BEIS: 174), auf eine weitere Korrespondenz zwischen Ifflands und Hogarths Darstellungsweise: »Über dem linken Auge verklebte ein schwarzes Pflaster den Platz, wo vordem das Auge selbst gestanden hatte. Diese Einäugigkeit, die auch Hogarth in seinen Caricaturen oft so treffend anzubringen weiss, bedarf bey einem falschen Spieler, der zuweilen sehr unsanfte Denkzettel erhält […]; kaum eines deutenden Commentars.« (BEIS: 175) Bei Hogarth wie bei Iffland ist das verhässlichende Zeichen nicht ein quasi-allegorisches Attribut, sondern aus den Lebensumständen der Figur erklärbar ; dennoch ist die herabsetzende Tendenz hier so eindeutig, dass Hogarth als Karikaturist angesprochen wird. Zwei Sätze weiter1020 leitet Böttiger über zum im Motto angesprochenen sechsten Blatt aus A Rake’s Progress (Abb. 28): 1020 Dazwischen wird eine Nebenwirkung der Einäugigkeit erläutert, welche die in der Zeit verlaufende mimische von der graphischen Karikatur unterscheidet: »Sie verhässlichte, ohne doch den Muskeln ihr Spiel zu rauben, und gab dem gierigen Blicke des unbedeckten

Böttigers Weiterführung der Leitvorstellung »Caricatur«

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Mit diesem dicken, flachen Kopfe stand die übrige Körpermasse, der breitschultrige Rücken, der wohl genährte Bauch, die feisten Lenden, die fleischigen, gut ausgepolsterten Arme und Waden, im richtigsten Ebenmasse. In Hogarths Leben eines Liederlichen finden wir auf dem sechsten Blatte eine fürchterlich wahre Spielszene abgebildet. Könnte man den Kerl, der dort an der grässlichen Tafelrunde das Geld allein einstreicht, so gut im vollen Gesicht sehen, als man hier nur seinen breiten Schmeerrücken gegen die Stuhllehne gekehrt erblickt; so wäre es der leibhaftige Posert, wie wir ihn durch Ifflands Meisterspiel kennen lernten. (BEIS: 177)

Abb. 28: William Hogarth: A Rake’s Progress Pl. 6, Detail (Kupferstich, 1735)

Es ist bemerkenswert, dass im Anschluss an die Diskussion der Gesichtsmimik eine graphische Darstellung angeführt wird, die eben diese Mimik ausspart: Ähnlich wie Quintilian auf die evokative Kraft von Ciceros verbaler ›VerresKarikatur‹ vertraut (I.1.1), setzt Böttiger offensichtlich auf das intermediale Zusammenspiel seiner Beschreibung mit den von Hogarth angedeuteten KörAuges, wenn sich in seiner schwimmenden Mattigkeit bisweilen doch die Harpye Habsucht blicken liess, desto mehr Ausdruck.« (BEIS: 175f.) Die Fußnote gibt ein Beispiel und veranschaulicht es durch einen Topos aus dem Zwischenbereich von Fabel und (Bild-)Satire: »So entstand dadurch zum Beyspiel gleich in der ersten Scene, wo er der hinaus gehenden jungen Frau mit dem Behagen einer Katze nachsieht, die eine Maus laufen lässt, um sie nach Belieben wieder zu packen, […] ein sehr bedeutendes Spiel.« (BEIS: 176).

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

permerkmalen in der Imagination der Leser. Der Kupferstich verwandelt sich dabei konjunktivisch in ein ›lebendes Bild‹, das sich im nächsten Augenblick bewegen könnte. Dazu kommt der intertextuelle Bezug auf die Ausführliche Erklärung: »Und was Lichtenberg über das gemästete und behägliche Aussehen jenes Spielers mit dem ihm eigenen Scharfblick bemerkt, ist Wort für Wort auch auf unsern Posert anwendbar«, behauptet Böttiger und ergänzt das Zitat in einer Fußnote: Sein Geld von der Speckhand eines gemästeten, sorglosen Patrons, wie hier, langsam und mit heimlicher, stiller Behäglichkeit streichen zu sehen, ist nicht auszuhalten. Es ist wirklich an dem, obgleich nicht gleich zu erklären, dass im Spielen an die Wohlbeleibtheit zu verlieren, etwas höchst kränkendes für die Magerkeit, oder selbst schon für die Mittelfülle hat. (BEIS: 177)1021

Lichtenberg zeigt den siegreichen Spieler aus der Sicht eines an der Wand lehnenden Verlierers, der ingrimmig an seinen Fingernägeln kaut;1022 schließlich wird zwar auch der traditionsreiche, nicht nur für graphische Komik einschlägige Kontrast von Dick und Dünn einbezogen,1023 die Verlierer-Perspektive aber nicht aufgegeben. Auch im Kontext von Böttigers Beschreibung wird Posert aus der Sicht einer anderen Figur gezeigt: Es geht um seine Wirkung auf die Hauptfigur, den verarmten Adligen Fritz von Wallenfeld, der sein Heil im Spiel sucht und dem der Falschspieler als »der versuchende Satan« erscheint (BEIS: 180).1024 Vor allem aber geht es um die Wirkung auf die Zuschauer, die nach 1021 Siehe LSB 3, 887f. 1022 Diese Perspektivierung aus der Sicht eines erfolglosen Spielers ist zwar im Fall des Mannes an der Wand ziemlich spekulativ (»Gehen etwa seine Augen auf den schweren zweisitzigen Herrn am Tische, der das Geld einstreicht, und mischt sich nicht Neid in die angehende Verzweiflung?«, LSB 3, 887), strukturell aber von Hogarth vorgegeben: Dem Dicken gegenüber zieht sich sein zappelnder Gegenspieler verzweifelt den Hut ins Gesicht; im Rücken des Dicken (und vom Betrachter aus vor diesem) reckt der Rake eine geballte Faust gen Himmel (siehe Abb. 28). 1023 Man denke an Don Quichote und Sancho Pansa; für Beispiele in der graphischen Karikatur siehe Langemeyer u. a.: Bild als Waffe, 49, 56, 59, 61. 1024 Anhand der karikaturistisch-allegorischen Leitmetapher vom Teufel, die schon in der Formulierung von der »Maske dieses Spieldämons« anklingt (BEIS: 174), gibt Böttiger eine Übersicht über die Entwicklung der Rolle: »Posert tritt in diesem Stücke überhaupt nur dreymal auf. Das erste Mal als der versuchende Satan, der sich aber gar nicht die Mühe nimmt, den Pferdefuss zu verbergen, und wirklich abgewiesen wird. Das zweyte Mal siegt er durch sein Phlegma und das Zusammentreffen der Umstände, oder, mit andern Worten, der Teufel holt die Seele, die sich ihm verschrieben hat. Das dritte Mal empfängt er, wie billig, sein Urtheil mit dem Vorgefühl höllischer Angst, die seiner wartet.« (BEIS: 180) In der dritten Szene verlässt den ›Teufel‹ also seine Kaltblütigkeit – der Kommentar »wie billig« stellt jedoch klar, dass jedes Mitleid unangebracht wäre. Ergänzt sei, dass Böttiger auch im Hinblick auf die nicht von Iffland gespielte Figur des Herzogs Alba in Egmont (II.19) zu einer Metapher greift, die in der politischen Karikatur eine große Karriere machen sollte (siehe Langemeyer u. a.: Bild als Waffe, 238–249); auch hier geht es vor allem

Böttigers ›Gesamtbild‹ »des Ifflandischen Spiels«

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Böttigers Ansicht dann doch verlangt, diesem »moralische[n] Nichts und wieder Nichts!« ein wenig individuellen Ausdruck zu gönnen: »[D]iese furchtbare Kälte wäre doch weder im gemeinen Leben, noch auf dem Theater auszuhalten, wenn ihm nicht ein gewisser Humor, wär’ es am Ende auch nur plumpe, seiner ganzen Organisation angemessene Spaßhaftigkeit und Selbstbehäglichkeit, beygemischt wäre.« (BEIS: 178) Zu den »Stellen«, an denen »der verruchte Humor des frechen Buben von Ifflands Spiel so gemischt« worden sei, »dass aus dem verworfensten Nichts doch immer noch etwas Menschliches hervor blickte«, zählt Böttiger etwa »die ruchlosen Frömmeleyen, als: Wer flucht denn so schrecklich? […] oder ein mit gefalteten Händen gesprochenes Nun das ist gottlos! wobey dem Kenner der Footischen Farcen die methodistischen Himmelsblümchen der wackern Mstrs Cole, einer Kupplerin, sogleich beyfallen.« (BEIS: 187) Wenn sogar die antimethodistische Farce The Minor (1760) des für seine »Nachäffungs-Caricaturen« (BEIS: 67) gescholtenen Samuel Foote einbezogen wird, ist der Gegensatz zwischen seriös charakterisierender Komik und unseriöser Karikatur/Posse vollends obsolet geworden.

8.

Böttigers ›Gesamtbild‹ »des Ifflandischen Spiels«

Bisher ging es darum aufzuzeigen, dass Böttigers dreizehn Rollenporträts zwar voller mimischer ›Feinheiten‹ stecken, aber dennoch in mehrfacher Hinsicht an ›Einheit‹ interessiert sind: Er ist überzeugt, dass Ifflands Verkörperungen nach dem Schema von ›Umriss‹ und ›Schattierungen‹ durchgeführt sind und dabei das Prinzip der ökonomischen ›Verteilung von Licht und Schatten‹ beachten; entsprechend ist der Aufbau seiner Mimen-Ekphrasen gestaltet. Für die Orientierung am ›Ganzen‹ von Meisterwerken der bildenden Kunst liegen die Dinge komplizierter, da Böttiger eher an ›Ausdruck‹ als an ›Schönheit‹ interessiert ist, ›malerische‹ Gesten im Sinne Engels überflüssig findet und Schauspielkunst für wesentlich konsekutiv hält. Doch glaubt er durchaus in gewissen Grenzen an das Prinzip körpersprachlichen Dekorums und an eine Steigerung des Gefühlsausdrucks durch die Orientierung an graphischen Verfahren. So konnte gezeigt werden, dass sich Iffland nach Böttigers Überzeugung vor allem in komischen Rollen am Vorbild der (Character-)Karikatur orientiert und dass der Beschrei-

um die Wirkung auf das Opfer, mit dem sich das Publikum identifizieren soll: »Göthe dachte sich wahrscheinlich diese Unterredung mehr als eine politische Conversation, bey welcher Egmont eigentlich nur ein einziges Mal in Hitze gerät und auffährt. Iffland legte tiefere Empfindung und alle die Bitterkeit hinein, die wir selbst gegen Alba, diese von Vansen so treffend gezeichnete, langfüßige, schmallbeinige Kreuzspinne, empfinden mussten.« (BEIS: 358f.)

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

bende dementsprechend selbst Parallelen insbesondere zu Hogarth zieht sowie stellenweise selbst verbale Karikaturen liefert. Um diese Grundtendenzen der Darstellung zu belegen, wurden Beispiele aus mehreren Kapiteln herangezogen. Damit sollte auch deutlich geworden sein, dass die Strategien, mit denen die ›Einheit‹ der jeweiligen Rollenporträts dargestellt wird, Analogien und Korrespondenzen in den anderen Kapiteln besitzen. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass Böttiger sich auch bemüht, ein über die Einzeldarstellungen hinausgehendes ›Gesamtbild‹ »des Ifflandischen Spiels« zu schaffen, indem er mehrere Rollenporträts explizit miteinander verknüpft. Zudem endet sein Buch mit einer (stellenweise bereits in die Analyse einbezogenen) Nachschrift, die noch einmal wichtige Aspekte von Ifflands Spiel aufgreift und mit biographischen Informationen verbindet. Zu fragen ist, welche Elemente auf diese Weise herausgearbeitet werden und wie weit das Bemühen erkennbar wird, auch das ›Gesamtbild‹ enargeisch zu gestalten.

8.1

Verknüpfungen, »Beylagen« und Induktionen

Böttiger beendet schon sein zweites Rollenporträt von Iffland als Peter der Große durch einen ausführlichen Vergleich mit der vorherigen Darstellung: Im Deutschen Hausvater war Iffland der Graf Wodmar : in den Strelitzen spielte er den Czar. Sein Spiel im Hausvater berührte alle auch noch so leise tönende [sic] Saiten unserer Seele, und alles war Einklang. Als Czar setzte er durch überwundene Schwierigkeiten, durch Darstellung eines fantastischen, aber durch sein Mienen- und Geberdenspiel wirklich verkörperten Wesens in Erstaunen, und alles rauschte Beyfall. Wodmar war fürs Herz; Peter für den prüfenden Verstand, für den zergliedernden Scharfsinn gespielt. (BEIS: 48f.)

Die Formulierung, Iffland habe die erste Rolle nicht ›gespielt‹, sondern sei Wodmar ›gewesen‹, rekurriert auf die Rahmung des ersten Kapitels: Diesem ist als Motto die These aus Ifflands Fragmenten über Menschendarstellung vorangestellt, »Das sicherste Mittel ein edler Mann zu scheinen, ist, wenn man sich die Mühe giebt, es zu seyn« (BEIS: 1);1025 beendet wird es mit der Feststellung: »Wahrlich eine so edle Darstellung setzt in dem Schauspieler selbst einen sehr edeln Mann voraus! Auch gehört sie seit vielen Jahren zu seinen beliebtesten, mit immer neuem Beyfall gesehenen Rollen.« (BEIS: 30) Hier wird das Image-Ideal des Schauspielers (I.3.3) beschworen: Iffland als ›edler Mann‹ diente als leuchtendes Beispiel angesichts der noch immer verbreiteten Vorurteile von der Unehrbarkeit des Schauspielerstandes.1026 1025 Siehe Iffland: Beiträge zur Schauspielkunst, 57. 1026 Siehe Baumbach: Schauspieler, 49f. und zum sozialgeschichtlichen Hintergrund das Ka-

Böttigers ›Gesamtbild‹ »des Ifflandischen Spiels«

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Was Böttiger damit nicht meint, arbeitet er in einer Beylage zum ersten Kapitel heraus, die sich der Frage widmet: Wo findet man den feinen Anstand? (BEIS: 31–37). Üblicherweise war damit ein Ideal höfischen Gebarens gemeint, das, wie anhand von Lichtenbergs Porträt Garricks »als Garrick« gezeigt wurde, letztlich auf das Modell der galante conduite zurückgeht (II.5.4). Böttiger reagiert auf Erwartungen, deutsche Schauspieler sollten in ›Anstandsrollen‹ fähig sein, dieses Ideal zu verkörpern. Obwohl er im Rollenporträt selbst behauptet, Iffland habe diese Forderung erfüllt,1027 bezweifelt er deren Berechtigung in der Beylage, die sich speziell auf die englische Variante galanter Conduite, das Gentleman-Ideal, bezieht: Sogar Garrick »konnte den Mann von feinem Anstand in einigen seiner bewunderten Rollen kaum erreichen« (BEIS: 35f.), behauptet Böttiger im Gegensatz zu Lichtenberg, und wartet mit einer überraschenden Erklärung auf: »Wir haben in unserer Seele eine Vorstellung vom Benehmen des wahren Gentleman, und wundern uns, daß wir ihn auf der Schaubühne nicht dargestellt finden, ohne zu bedenken, daß er gar nicht in der Welt ist.« (BEIS: 36) Es handle sich also um ein Phantom, an das im Grunde lediglich die Franzosen glaubten; diese sollten aber keineswegs »die herrschenden Tonangeber seyn« (BEIS: 37). Dementsprechend heißt es schon im Rollenporträt des Hausvaters, das Besondere der verkörperten Rolle bestehe nicht in ihrem »feinen Anstand«, sondern »in der zarten und reinen Empfindsamkeit, in dem tiefen und nie falsch ansprechenden Gefühl, das aus jener seinem Stande und seiner Lebensart angemessenen Ruhe und Gelassenheit milde und wohltätig wärmend hervor schimmerte, in der Mischung von feinem Weltton und herzlichem Wohlwollen« (BEIS: 15f.). Wird durch eine solche Verkörperung der Adel den Werten des Bürgertums angenähert, so wird durch die Gleichsetzung von Rollen- und Schauspielercharakter im Sinn des Image-Ideals Iffland moralisch aufgewertet.1028 Dennoch wäre angesichts von Böttigers Vergleich der Verkörperungen Wodmars und Peters des Großen durchaus denkbar, dass die Erfüllung des Proteus-Ideals (I.3), das die zweite Verkörperung leistet, als künstlerische Leistung zumindest gleichwertig wäre. Wenigstens in Bezug auf diese Rolle jedoch ist Böttigers Präferenz klar (siehe I.3): pitel Der Komödiant zwischen sozialer Verachtung und Anerkennung in Hesselmann: Gereinigtes Theater?, 254–265. 1027 »In jeder Bewegung war Grazie und jenes unnennbare Etwas, das, ein unveräusserliches Eigenthum des ersten Standes, nie von dem anhaltend sitzenden Geschäftsmann, nie von dem Gelehrten errungen werden kann.« (BEIS: 10). 1028 Dies findet seine Entsprechung in der Handlung des Stückes: Wodmar gibt seinen Widerstand gegen die Heirat seines Sohnes mit einer Bürgerlichen auf, als er erfährt, dass sie schwanger ist.

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

Den Hausvater seh’ ich zum zehnten Mal mit wachsendem Vergnügen; die zweyte Vorstellung vom Czar ist für mich die letzte. Als Czar lieh ihm die Kunst Kothurne, und Breite wurde Höhe. Als Wodmar hatte die Natur die Toilette des Grafen gemacht, und die Kunst war kaum hinter dem Schleier sichtbar. (BEIS: 49)

Hier geht es allerdings nicht um Korrespondenzen zwischen dem Charakter von Rolle und Schauspieler, sondern auch um dessen Physis. So hieß es im ersten Rollenporträt ausdrücklich: Man muss […] eingestehen, dass auch die Natur den Schauspieler gerade zu dieser Rolle vorzüglich ausgestattet hatte. Die ganze etwas untersetzte aber dabey ausgebildete und ausgearbeitete Figur, das volle Gesicht und Unterkinn, alles trägt dazu bey, uns in diesem Graf Wodmar jene genährte und gesparte Hoftaille nicht vermissen zu lassen […]. (BEIS: 9)

Zum Bild Peters des Großen passt diese Physis weniger, worauf sich die Formulierung »Breite wurde Höhe« (BEIS: 49) bezieht. Ihrer Erläuterung widmet Böttiger wiederum eine Beylage zum zweiten Kapitel, die Ifflands Verkörperung des Zaren denn doch in eine große Tradition einordnet: »Auch Garrick war bekanntlich nichts weniger, als eine heroische Kothurnenfigur. Seine Figur, sagt Lichtenberg in jener meisterhaften Porträtschilderung, ist eher zu den kleinen als zu den mittlern zu rechnen.« (BEIS: 50) Auch Churchills Entgegnung auf den Einwand, Garrick sei zu klein für Heldenrollen,1029 führt Böttiger an und versucht sich sogar an einer freien Übersetzung: »Auch die Statur, da ist er viel zu klein. Ein Held muss stämmig, wie ein Eichbaum, seyn.« – Und der Beweis hierzu, geschwind sag’ an. »Ist ja vom ersten Bataillon der Flügelmann!« (BEIS: 51)

Als weitere Exempel berühmter Schauspieler, die für Heldenrollen scheinbar zu klein gewesen seien, führt Böttiger Le Kain und Ekhof an (BEIS: 52). Nicht thematisiert wird allerdings, dass die »Breite« von Ifflands Physis ihn von seinen schlanken Vorgängern unterscheidet. Grundsätzlich ist nun doch festzuhalten, dass für Böttiger auch die Erfüllung des Proteus-Ideals durchaus zum ›Gesamtbild‹ Ifflands gehört. Dass er die Zaren-Verkörperung ablehnt, dürfte wesentlich zusammenhängen mit seiner Geringschätzung für diese »in los gebundene, unmotifirte [sic] Scenen aus einander fallendende Haupt- und Staatsaction, die ein Kenner sehr passend mit einem blinden Kuhspiel verglich,

1029 »One finds out,– ›He’s of stature somewhat low,–/ ›Your Hero always should be tall you know. –/ ›True nat’ral greatness all consists in height.‹/ Produce your voucher, Critic – ›Seargeant KYTE.‹« (CR V. 1027–1032: 32), siehe II.4.3.

Böttigers ›Gesamtbild‹ »des Ifflandischen Spiels«

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und in der der Czar doch eigentlich nur die Rolle eines bald murrenden bald schmeichelnden Katers spielt.« (BEIS: 39) Iffland wird jedoch nicht nur in gegensätzlichen Verkörperungen verglichen, sondern einmal auch in zwei Verkörperungen einer Rolle: Am 5. und 22. April 1796 trat er in Weimar als Leutnant Wallen in Schröders Bearbeitung von John Fletchers jakobitischer Komödie Rule a Wife and Have a Wife auf.1030 Böttiger bespricht beide Auftritte im fünften Kapitel. Zunächst erläutert er, dass sich die Rolle des einfältig-prahlerischen Dieners Michael Perez trotz dessen spanischen Namens im Original mit angelsächsischen Nationalstereotypen verbindet, und zwar in einer Weise, die wiederum nicht zu Ifflands »Breite« passt: Die Irishmen auf dem Englischen Theater sind gewöhnlich Hungerleider und dürre Windhunde. Von dieser Seite konnte und wollte ihn Iffland nicht nehmen. Er gab ihm eine gewisse körperliche Behäglichkeit, die es erklärbar machte, warum das süsse Männchen so glatt und wohl genährt aussähe, und suchte im Spiele selbst bey jeder Gelegenheit darauf hinzudeuten. […] Mit kluger Berechnung […] ass er, während er sich auf der Promenade erlustigte, Zuckerwerk und Macaronen aus der Tasche, wo ein anderer vielleicht den Raufbold sergeantenmäßig gespielt, und mit dem Stock in der Luft herum gefuchtelt hätte. (BEIS: 104f.)

Doch Iffland verfährt nicht nur mit dem Neben-, sondern auch mit dem Sprechtext sehr frei: Viele Veränderungen waren offenbare Verbesserungen. In der Scene, wo der Held so weit zur Selbsterkenntnis gelangt, dass er seine niedrige Abkunft eingesteht, sagt er nach dem Schröderschen Text: Jedermann weiss, dass mein Vater ein Uhrmacher ist. Hier setzte Iffland statt des Uhrmachers, der ein grosser Künstler und dabey ein sehr angesehener Mann seyn kann, einen Knopfmacher. (BEIS: 111f.)

Böttiger nimmt Ifflands Improvisationskünste in dieser Rolle zum Anlass, »über das Extemporiren noch einige allgemeine Bemerkungen abzuziehn« (BEIS: 112).1031 Derartige induktiv-normative Passagen, die in der bisherigen Analyse 1030 Die Komödie wurde 1624 uraufgeführt und im Jahr 1696 gründlich von Francis Beaumont überarbeitet (Fletcher/Beaumont: Dramatic Works 6, 501–605; zur Entstehung Komm. ebd. 485–500). Diese Fassung war Grundlage für die Aufführungen des 18. Jahrhunderts und auch für Schröders Überarbeitung (Schröder : Dramatische Werke 2, 319–384); zu deren Entstehung und Bearbeitungsprinzipien siehe Tiecks Einleitung ebd. XI–XIV und vor allem Pfenninger: Schröder als Bearbeiter englischer Dramen, 81–91. 1031 Im Gegensatz zu Schröder, der es unter dem Vorzeichen von Literaturtheater und diszipliniertem Probenspiel weitestgehend verbot (siehe Anm. BEIS: 108), verteidigt Böttiger das Stegreifspiel wenigstens für Dramen, bei denen »der Dichter selbst mit grosser Sorgfalt zu Werke ging und das Mehr oder Weniger genau abwog, so wie überhaupt in jeder ernsthaften und höher gehaltenen Rolle« (BEIS: 114). Im Fall der Fletcher/Schröder’schen Komödie sei dies augenscheinlich der Fall: »Hier hat der Dichter gleichsam nur die Sceneneintheilungen gegeben und die ersten Außenlinien gezogen, deren Ausführungen aber dem verständigen Schauspieler völlig überlassen.« (BEIS: 116) Auch dürfe das Ex-

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

bereits mehrfach begegnet sind, bilden ein weiteres Strukturelement der Entwickelung, das ›Rollenporträt‹ und ›Gesamtbild‹ verknüpft. Zu Beginn der Beschreibung von Ifflands zweitem Auftreten als Leutnant Waller thematisiert Böttiger zudem »die schon so oft untersuchte Frage: Darf und muß man es dem Schauspieler zum Verdienst anrechnen, wenn er bey jeder wiederholten Vorstellung desselben Stücks immer neu zu seyn, und die Zuschauer durch Abwechslungen, oder vorher noch nicht angebrachte Feinheiten zu überraschen sucht?« (BEIS: 129f.) Referiert wird Engels Überzeugung, »dass es für den mimischen Ausdruck gewisser Affecte und Empfindungen eben so wenig Synonymen im Mienen- und Geberdenspiel, als in der Sprache, gebe« (BEIS: 130),1032 was zur Vorstellung von einer idealen ›Inszenierung‹ führt. Böttiger dagegen berücksichtigt bereits Elemente der für die Theaterwissenschaft zentralen Kategorie ›Aufführung‹ (I.5.3), wenn er behauptet, dass einen »genievollen Schauspieler […] die seiner leisen Berührung nie entgehende Zurückwirkung der Mitschauspieler und der Zuschauer […] bey jeder neuen Vorstellung anders stimmen und zu andern Mitteln greifen lassen müsse.« (BEIS: 132f.)1033 Gestattet sein müssten zumindest »Freiheyten des Nebenspiels, was die Engländer bye-play nennen« (BEIS: 132). Angesichts der komischen Rolle Wallers kann Böttiger diese Überlegungen wieder zwanglos an das Thema der Improvisation anschließen: »Hatte Iffland schon bey der ersten Vorstellung sehr vieles aus dem Stegreif hinzu gesetzt, was dem leichtfüssigen und leichtzüngigen Abenteurer volle Haltung und Individualität gab: so blieb heute in mehrern Stellen fast kein Wort so, wie es vorgeschrieben stand« (BEIS: 135). Dabei achtet Böttiger besonders auf die Abänderungen solcher Stellen, die bereits in der ersten Aufführung dem Text gegenüber Variationen darstellten, wie etwa die Ersetzung des väterlichen Uhrmacherberufes durch den des Knopfmachers: »Heute wurde aus dem Knopfmacher ein Pastetenbäcker ; und man musste dieser Wahl durchaus den Vorzug einräumen, da die Naschhaftigkeit des glatten Männchens, der [sic] so viel auf Küche und Keller hält, nun erst durch den Stammbaum ganz erklärt wird.« (BEIS: 137) Der Vergleich zwischen den Verkörperungen zweier Rollen Ifflands am Ende des zweiten Kapitels folgte dem Prinzip des Kontrastes und veranschaulichte seine Leistung im Verhältnis zum Image-Ideal wie zum Proteus-Ideal von Schauspielkunst; der Vergleich zweier Verkörperungen einer Rolle folgt dagegen dem Prinzip der Steigerung: Iffland improvisiert sich gewissermaßen seine Rolle immer mehr auf den fülligen Leib. Deutlich wird dabei aber auch, dass temporieren kein Notbehelf für schlampiges Auswendiglernen sein und müsse stets auf das Stichwort für den Bühnenpartner zusteueren. 1032 Siehe Engel: Werke 7, 3–30 (26. Brief). 1033 Böttiger exemplifiziert dies auch an Garrick (BEIS: 133).

Böttigers ›Gesamtbild‹ »des Ifflandischen Spiels«

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Ifflands Leistung über das Modell der ›Verkörperung‹ von Literatur hinausreicht: Böttiger spekuliert sogar, dass es diesem Künstler allenfalls nicht sehr sauer werden dürfte, einen Wettkampf mit den gepriesenen Buffonen der Italiäner einzugehen, die bey der zwanzigsten Vorstellung einer gewöhnlich den ganzen Winter durch gegebenen Oper immer durch neue Lazzi und Anspielungen die abgestumpfteste Schaulust der Musikfreunde zu schärfen und zu kirren wissen. (BEIS: 179)

Das elfte Kapitel über Iffland als ›polternder‹ Comissar Wallmann (siehe III.3.1, III.4) macht aus der Verknüpfung eine Einleitung: Die Aufmerksamkeit der Zuschauer war auf diese Rolle im voraus sehr gespannt. Was sie bis jetzt an Ifflanden gesehen hatten, liess hier etwas ganz vorzügliches erwarten. Die lebhafteste und dabey doch durch die nüchterne Kunst geregelte Gewandtheit; die nimmer stille Gelenksamkeit, die von der äussersten Fingerspitze bis zur kleinen Fusszehe zuckt, greift, stampft, springt, ohne doch in Grimassen und lächerliche Verzuckungen auszuarten; die blitzschnelle, den Gedanken selbst gleichsam vorauseilende Zungenfertigkeit, die nur beym treuesten Gedächtniss und der sichersten Beherrschung seiner Rolle möglich ist; und die kunstreiche Modulation der Stimme, ohne welche diess endlose Fortrollen der Rede nichts als Dohlengeschwätz und Windmühlengeklapper gewesen wäre: alle diese Fertigkeiten hatte Iffland in früheren Rollen einzeln schon hinlänglich bewiesen; und so konnte man sich ohngefähr schon die Wirkungen denken, die heute ihre Vereinigung auf Einem Punkte in Wallmanns Rolle hervorbingen müsse. (BEIS: 230f.)

Es handelt sich hier um ein additives ›Gesamtbild‹ insbesondere jener Eigenschaften, die Ifflands in komischen Rollen auszeichnen. Wie in Shakespeares Laudatio für Garrick am Ende der Rosciad werden, unabhängig von spezifischen Verkörperungen, die wichtigsten Qualitäten aneinandergereiht und mit superlativischen Wendungen gepriesen (II.4.1).1034 Doch im Gegensatz zu jener Laudatio ist diese Passage perspektiviert durch ein Publikum, das sich an die einzelnen Elemente erinnert und eine konkrete Zusammenführung erwartet. Zudem geht es in dieser Aufzählung zwar nicht um Verkörperung, wohl aber um lebhafte Körperlichkeit. Schon die Substantive »Gelenksamkeit« und »Zungenfertigkeit« verbinden Körperteile mit Aktionen; dazu kommt die konkrete Nennung weiterer Körperteile und die Häufung aktionsbetonter Verben. Die karikaturistischen Schemata von »Dohlengeschwätz« und »Windmühlenge1034 Die Passage sei noch einmal zum unmittelbaren Vergleich zitiert: »›If manly sense; if Nature link’d with Art;/ ›If thorough knowledge of the Human Heart;/ ›If Pow’rs of acting vast and unconfin’d;/ ›If fewest Faults with greatest Beauties join’d;/ ›If strong expression, and strange powers which lie/ ›Within the magic circle of the Eye;/ ›If feelings which few hearts, like his, can know,/ ›And which no face so well as His can show,/ ›Deserve the Pref ’rence; – Garrick! take the Chair,/ ›Nor quit it – ’till thou place an Equal there.‹ (CR V. 1077–1090: 34).

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

klapper« dienen zwar als Gegen-Bilder, insofern sie eine mögliche Übertreibung veranschaulichen, die Iffland gerade vermeide, tragen aber dennoch zur Enargeia dieser Passage bei.

8.2

Die »Nachschrift«

Im Unterschied zur eben vorgestellten Charakteristik der Iffland’schen Schauspielkunst vom Anfang des elften Kapitels setzt Böttigers Nachschrift mit dem Zitat einer »Anzeige« ein (BEIS: 377), die durch eine eher abstrakte Panegyrik geprägt ist: »Man bleibt in der Tat zweifelhaft, heisst es hier unter andern, ob man den seltenen Umfang und die vielseitige, stets neue Mannigfaltigkeit, oder die reine Zartheit, Innigkeit und Wahrheit seines Spiels mehr bewundern soll. Durch den schönen Bund und reinen Zusammenklang dieser Eigenschaften ist er mit Recht ein Liebling der Deutschen Bühne. Die höchste Kunst wird in ihm und durch ihn die lebendigste Natur. Man sieht schon aus der flüchtigen Aufzählung der Stücke, in deren jedem er eine Hauptrolle spielte, dass er fast jede Saite des dramatischen Polychords mit geübter Hand berührte. Jeder entlockte er reine Naturtöne. Jeder horchten wir mit immer neuem Genusse, und huldigtem dem Künstler, der nie der Natur ungetreu wird, und in keinem Momente sich selbst und die Kunst vergisst.« (BEIS: 377f.)

Drei Hauptaspekte lassen sich erkennen: Vielseitigkeit, ›Natürlichkeit‹ und intensive, vor allem rührende Wirkung. Diese Qualitäten werden teils explizit, teils über musikalische Metaphern vermittelt. Die Bildlichkeit zielt jedoch weniger auf Anschaulichkeit als auf die Suggestion einer angenehm-harmonischen Gesamtwirkung von Böttigers ›Spiel‹.1035 Der Begriff »Naturtöne« und die Herausstellung des ›Horchens‹ als Rezeptionshaltung lassen allerdings die Thematisierung von Deklamation vermuten. Körperlichkeit jedoch wird so wenig thematisiert wie Komik. Es handelt sich um ein Zitat aus der Rezension Iffland auf dem Weimarischen Theater. Weimar den 28. April 1796, die im Mai 1796 anonym im Journal des Luxus und der Moden erschien.1036 Der Verfasser ist unbekannt; nicht auszuschließen, dass es sich um Böttiger selbst handelt. Jedenfalls soll die Nachschrift »eine weitläufigere und mit Belegen versehene Auseinandersetzung« zur zitierten Kurzcharakterisierung liefern (BEIS: 377). In gewisser Weise gilt also auch hier das Strukturprinzip von ›Umriss‹ und ›Schattierung‹. Zunächst knüpft Böttiger an das Stichwort »Natur« an, um zu einer kurzen 1035 Grundlegend ist die Vorstellung der ›Reinheit‹; sie verbindet die Formulierungen vom »schönen Bund und reinen Zusammenklang« und von den »reinen Naturtöne[n]«. 1036 Anonym: Iffland auf dem Theater.

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biographischen Charakterisierung (BEIS: 378–383) überzuleiten: »Iffland hatte von der Natur selbst einen unverkennbaren und unwiderstehlichen Beruf zur Menschendarstellung als Schauspieler erhalten. Auch er musste einen harten Kampf mit den Vorurtheilen kämpfen, die von allen Seiten der Wahl dieses einst so verrufenen Standes entgegen gestellt wurden.« (BEIS: 378) Seine Anfänge werden in dieser Hinsicht mit denen Lessings verglichen, der wesentlich zur Etablierung des Literaturtheaters beigetragen hat – nunmehr, so die Implikation, sind wir in einer Zeit, die nicht nur hinweg ist über die Vorurteile gegen das Theater überhaupt, sondern auch gegenüber Schauspielern. Erwähnt wird auch Ifflands Kindheitsfreundschaft mit Karl Philipp Moritz, eine Anspielung auf dessen autobiographischen Roman Anton Reiser (1785–1790). Moritz konfrontiert darin die Naturbegabung des Freundes mit der eskapistisch begründeten Theaterleidenschaft der Hauptfigur, und auch Böttiger arbeitet Ifflands »wahre Anlage zur mimischen Darstellung« kontrastiv zu der fehlenden von Moritz heraus (BEIS: 380). Böttiger äußert die Hoffnung, auch Iffland werde dereinst seine »Jugendgeschichte« schreiben, deutet selbst Anekdotisches aber nur an.1037 Vergleichsweise ausführlich behandelt er Ifflands Anfänge in Gotha ab 1777 – in Kapitel III.7.1 wurde bereits zitiert, dass dieser in einer Judenrolle debütierte und vor Freunden gerne Kostproben seines Talents zur ›karikaturistischen‹ Imitation bestimmter Persönlichkeiten gab. Zu solcher Nachahmung realer Personen kommt die bereits im Vorbericht (siehe III.2.1) angedeutete imitatio der Spielweise des berühmtesten Gothaer Schauspielers: Er copirte den ernsthaften Eckhof bald mit so grosser Vollkommenheit und Ergreifen aller seiner Eigenheiten, dass dieser nicht selten im vollen Ernste darüber entrüstet wurde. Aber der feurige Jüngling fand leicht Mittel, ihn zu besänftigen, und erbte von dem nur zu bald entschlafenen Meister, ausser der Lorenzdose und dem Stocke, die ihm als ein Vermächtnis zu Theil wurden, noch manche andere bewunderte Eigenschaft der Eckhofischen Darstellungskunst. Die Flamme, die Eckhofs Vorbild entzündet und angefacht hatte, mässigte und unterhielt Gotters sanft leitende Freundschaft. (BEIS: 382)

Sonst lehnt Böttiger die Imitation anderer Schauspieler als ›Nachäffung‹ ab; hier wird sie im Sinn von Vorbildhaftigkeit positiv uminterpretiert und schließlich zu einer regelrechten Thronfolge stilisiert. Eine explizite Allegorisierung vermeidet Böttiger jedoch und verweist stattdessen auf zwei Gedichte von Friedrich Wilhelm Gotter (1746–97) und Christian Jacob Wagenseil (1756–1839), die das »bedeutungsvolle Vermächtnis« der ›Herrschaftsinsignien‹ feiern. (BEIS: 382)1038 1037 Ifflands autobiographische Skizze Meine theatralische Laufbahn erschien zwei Jahre später, 1798, als erster Band seiner dramatischen Werke. 1038 Gotter: An Iffland bei Ueberreichung einer Doses aus Eckhof ’s Nachlaß. Den 22. Julius 1778

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Damit enden die biographischen Mitteilungen bereits; Ifflands Mannheimer Zeit (Oktober 1779 – Juli 1796) bleibt unerwähnt. Allerdings wird noch, weiterhin im Perfekt, ein Fazit der dargestellten Umstände und Einflüsse gezogen, und zwar in der sonst vermiedenen Form der Allegorie: Wahrheit, nicht Schimmer, wurde das hohe, nur von wenigen erreichte Ziel seiner Bestrebungen. Alle Schönsprecherey duch declamatorische Emphasen und Modulation, alles Gezierte und Verkünstelte, wurde und blieb ihm, als Manier, unausstehlich. So wurde es ihm möglich, die höchste Kunst zum reichsten Spiegel der Natur zu erheben. Die einfache Naturschönheit bedarf weder der Schminke noch des Flitterstaats einer eroberungssüchtigen Buhlerin. Je weniger sie es darauf anzulegen scheint, zu gefallen, desto sicherer gefällt sie. (BEIS: 382f.)

Ähnlich wie in Churchills Rosciad wird hier ›Natürlichkeit‹ im Sinn des celareartem-Prinzips verstanden und gegen einen ›künstlichen‹ Schauspielstil abgegrenzt,1039 in diesem Fall den des französischen Klassizismus. Positiv gewendet, kommt Böttiger im Folgenden (BEIS: 383–387) auf das in den Rollenporträts immer wieder betonte Prinzip des ›ökonomischen Spiels‹ zurück (III.2.3). Dabei sind zwei Neuakzentuierungen festzuhalten: Zum einen wird betont, dass Ifflands »sorgfältigste Abwägung des Kunstaufwandes zu dem, was jedesmal der Rolle unentbehrlich nöthig ist«, nicht nur dem Natürlichkeitsideal geschuldet ist, sondern auch »das Geheimnis« darstelle, wodurch er »bey nur mäßigen Mitteln so naturgemäß und so vielseitig spielt.« (BEIS: 383)1040 Da zuvor seine Begabung zur Nachahmung hervorgehoben wurde, dürfte hiermit Ifflands Physis und wohl auch seine »Stimme von unbeträchtlichem Gehalt« gemeint sein.1041 Zum anderen wird betont, dass sich die »Vertheilung von Licht und Schatten« (BEIS: 383f.) nicht einfach an einer offensichtlichen Struktur der Rollenvorgabe orientiere, sondern an dessen kluger Interpretation: »Oft lässt er eine Stelle fallen, wo man ihn gewiss erwartet hatte, und überrascht durch Hervorhebung einer andern, die man ohne den Lichtstrahl, den der Künstler darauf zu leiten versteht, kaum im Halbdunkel erblickt haben würde.« (BEIS: 384) Veranschaulicht wird das Ökonomie-Prinzip durch eine als Fußnote mitgeteilte Anekdote, die Böttiger von Iffland selbst gehört haben will; sie stellt eine (Kunz: Leben zweier Schauspieler, 186); Wagenseil: Auf Iffland, als er mir Eckhof ’s Stock zeigte (ebd.). 1039 Zum celare-artem Prinzip bei Churchill siehe das Lob auf Kitty Clive (CR: 685–694, II.4.4), besonders den Vers »She pleas’d by hiding all attempts to please« (CR: 692); zu Churchills Ablehnung des (indirekt stark französisch geprägten) Stils der Restaurationsbühne siehe die Beispiele in II.4.3. 1040 Hervorhebung im Original. 1041 Iffland: Laufbahn, 30; in der Nachschrift heißt es später explizit: »Sein Organ hat nicht den grössten Umfang, und es kann ihm sogar der Fall begegnen, dass bey der heftigern Declamation in der Höhe zuweilen die Stimme versagt.« (BEIS: 398)

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nachträgliche Ergänzung zum knappen biographischen Abriss dar : »Ein alter Französischer Tanzmeister« (BEIS: 384) habe ihm gerade nicht das Tanzen beigebracht (das traditionell als wichtige Komponente galanter Conduite galt), sondern, »wie man mit wenigem haushälterisch seyn« könne (BEIS: 385): Er liess ihn über die Stube hingehen, und rief ihn plötzlich an. Iffland drehte sich mit ganzem Leibe gegen den Rufer. Wozu dieser Aufwand von körperlicher Wendung? sagte der andere. Er liess ihn wieder aufmarschieren, rief wieder, und der Lehrling drehte diesmal nur den Kopf. Noch immer zu viel Überfluss! rief der bewegungskarge Lehrmeister. Zum dritten Mal drehte Iffland nur die Augen gegen die Stimme des Rufenden. (BEIS: 384f.)

Vergleicht man dieses Beispiel mit Stellen aus Lichtenbergs Briefen, in denen Überraschung gestaltet wird, so entspricht sie weit mehr dem mimimalistischen Spiel Westons, der als Abel Drugger »erst mit den Augen zu leben und zu untersuchen anfängt, und dann den Kopf langsam dreht usw« (LBE: 328, siehe II.5.3), als der Ausdrucksintensität von Garricks überrascht herumwirbelndem Hamlet (I.2). Doch wird im Fortgang der Tanzmeister-Anekdote klar, dass es nicht darum geht, intensive mimische Zeichen zu unterdrücken, sondern »Abstufungen des Schreckens« (BEIS: 385) zu beachten: Der Lehrer demonstriert, dass ein Rockzipfel, der Feuer fängt, einen sparsameren Ausdruck erfordert als die Nachricht vom Tod des Vaters. Die Anekdote verdeutlicht aber nicht nur einen Grundzug von Ifflands Schauspielkunst, sondern auch die Forderung an den Schauspieler, »Selbstkenntnis« und »Beobachtungsgabe« zu kultivieren, die er in höchstem Maß erfülle (BEIS: 386).1042 Böttiger wendet sich nun einem weiteren in der »Anzeige« thematisierten Aspekt zu: Ifflands Vielseitigkeit (BEIS: 387f.). Sie werde ermöglicht durch die Grundtendenz deutscher und englischer Schauspielkunst, komische wie tragische Rollen an den »reinen Eingebungen der Natur« zu orientieren (BEIS: 388). Als Gewährsmann wird Diderot genannt, der unfreiwillige »caricatures« in beiden Bereichen ablehnt,1043 gerade in Frankreich jedoch verlange man vom Tragöden wie vom Komödianten ein solches Maß an Stilisierung, dass man schon die Frage, »ob ein vortrefflicher tragischer Schauspieler auch im Komischen gross seyn könne« (BEIS: 387), als lächerlich empfinde. Doch obwohl sich der in englisch-deutscher Schauspieltradition stehende Iffland in tragischen und komischen Rollen auszeichne, hält Böttiger explizit fest, dass er keineswegs vollkommen dem Proteus-Ideal entspreche: Doch ist nur eine Stimme darüber, dass ihm die humoristischen Rollen in Lustspielen vor allen anderen gelingen, die bloßen Heldenrollen aber im ernsten Drama oder im 1042 Dies entspricht Ifflands eigener Forderung in seinen Briefen über Schauspielkunst von 1781/82, siehe Iffland: Beiträge zur Schauspielkunst, 7f. 1043 BEIS: 386f., siehe III.7.7.3.

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Trauerspiele, wofern sich ihnen nicht ein Zusatz von Intrigue oder Laune beymischt, seinem Spiele am fernsten liegen. Der boshafte Franz Moor erschien uns lebendiger, als der hochherzige Egmont und der alles überwältigende Czrar Peter. (BEIS: 388)

Vor dem Hintergrund der Rollenporträts und unter Berufung auf ein einhelliges Urteil des Weimarer Publikums werden also die angesprochenen Rollenporträts genutzt, um Ifflands Schauspielkunst gegenüber dem Rollenfachrepertoire zu profilieren. Was mit »humoristischen Rollen im Lustspiel« gemeint ist, wird im Folgenden noch einmal erläutert (BEIS: 388–393): Es sind solche Rollen, die sich besonders gut mit jenem Konzept vertragen, das ich als ›Charakter-Karikatur‹ bezeichne.1044 Ausdrücklich verweist Böttiger (BEIS: 391ff.) auf die Verkörperungen des schrulligen Stabschirurgus Rechtler (siehe III.3.4, III.7.3), des großsprecherischen Leutnant Wallen (III.8.1) und des eifersüchtigen Ehemannes Treumund (III.3.1, III.5.1, III.7.3). Wallen dient zudem als Beispiel für Böttigers Improvisationsgabe, von der er sich aber ebenso wenig zur Übertreibung verführen lasse wie durch das Talent zum »mahlerischen Ausdruck«, das er im Sonnenpriester demonstriert habe (BEIS: 396f., hier 396). Speziell geht Böttiger dann auf ein Element der actio ein, das in der einleitenden »Anzeige« zwar nicht explizit genannt, wohl aber durch die musikalische Bildlichkeit evoziert wurde: die Deklamation (BEIS: 398–402). »[R]eine Naturtöne« (BEIS: 378) fordern vom Sprecher »Interpunktion des Gefühls, nicht der Grammatik« (BEIS: 400). Zu vermeiden sind aber auch Effekte, die auf übertriebener Kontrastwirkungen beruhen: Er weiß, dass die wahre Intonation des Affects nicht in der Erhebung und dem lauten, schreyenden Hinauftreiben der Stimme, sondern im Accent, in dem längern oder kürzern Verweilen auf der Sylbe, im Nachdruck des Tons, nicht der Stimme bestehe, und übt diese Wissenschaft als Meister aus. Kurz, sein ganzes Geheimnis ist, überall seine eigene Stimme zu sprechen, oder wie es die Französische Kunstsprache ausdrückt, die Stimme in der Mitte zu fassen. (BEIS: 399)

Böttiger bündelt hier Beobachtungen und Forderungen, die er vielerorts in den Rollenbeschreibungen formuliert und teilweise an konkreten Textpassagen exemplifiziert hatte. So wird gleich in der ersten Rolle Ifflands ökonomisch-natürliche Sprechweise unter Berufung auf diesen selbst folgendermaßen veranschaulicht: Ein Beyspiel, dessen sich der Künstler selbst in einer Unterredung über diesen Gegenstand bediente, wird vielleicht auch hier die Sache deutlich machen. Die Sentenz im 1044 Böttiger schließt dabei explizit an Lichtenberg an: »Die Kunst, durch eine Menge von kleinen Gleichungen, wie es Lichtenberg sehr treffend mit einem astronomischen Kunstausdrucke nennt, die Handlung eines mittlern Menschen zur Wahrheit und Bestimmtheit des Individuums zu verbessern, steht ihm in seinen schönsten Rollen im komischen Fache vollkommen zu Gebote.« (BEIS: 388f., siehe LBE: 340; II.5.8).

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Gespräche Wodmars mit seinem Sohne: Groß seyn, mein Sohn, ist – nur das ganz seyn, was man seyn soll, würde vor Zuhörern, die überall stärker erschüttert sein wollen, mit folgenden Accenten vorgetragen werden: Griß seyn, mein Sohn – ist – nur das g/nz seyn, was man seyn sjll. Aber diese Accentuation ist schon Manier und also fehlerhaft. Wie viel lieber wird der gute Schauspieler diese ganze Sentzen nur durch einen Hauptton heben, und, in der Mitte nur durch einen kaum merkbaren Halt unterbrochen, schneller bis zum Ruhepunkt auf soll ablaufen lassen.« (BEIS: 14.)

Die Kombination aus wörtlichem Zitat und französischen Akzentzeichen gibt eine recht genaue Vorstellung – von einer falschen Deklamation. Die richtige dagegen wird geliefert durch eine präzise Beschreibung der Sprechtechnik. In diesem Fall geht es um Tonhöhe und Timing; weitere, ebenfalls bereits in den Beschreibungen behandelte Kunstgriffe einer »Interpunction des Gefühls« sind »Schleifung, Stärke oder Schwäche ganzer Sätze und einzelner Wörter, das leisere Anhalten beim Aufdämmern eines neuen Gedankens, und endlich das Geheimniss der größeren Pause selbst« (BEIS: 400). Diese Aufmerksamkeit auf sprechtechnische ›Feinheiten‹ steht in der Tradition von Lichtenbergs berühmter Formulierung, Garrick als Hamlet habe seine ersten Worte angesichts des väterlichen Geistes »nicht mit dem Anfange, sondern mit dem Ende eines Odemzugs« (LBE: 335) gesprochen. Böttiger allerdings unterstreicht bei dieser Gelegenheit noch einmal die mimische Ahnenreihe Ekhof-Iffland und verweist ein weiteres Mal auf ein Rollenporträt der Entwickelung: Was die Franzosen einst an ihrem Le Kain so sehr bewunderten, und was alle Verehrer des großen Eckhof noch jetzt mit Begeisterung als eine Eigenheit seines Spiels rühmen, die besonders im höhern Affect des tragischen Spiels den Zuhörer tief ergriff und erschütterte, der verbissene Ton mit der gebrochenen Stimme und dem aus der Tiefe herauf schallenden und doch kaum laut werdenden Anklang, ist aus Eckhofs Schule selbst ein Eigenthum Ifflands geworden. Als Franz Moor wurde er bloß dadurch einigemal über alle Beschreibung ergreifend und Schauder erregend. (BEIS: 401)

Ebenfalls in den Rollenporträts vorbereitet, jedoch nicht in der »Anzeige« angesprochen sind Ifflands Empfänglichkeit für Stimmungen des Publikums (BEIS: 401f.) und seine Fähigkeit, ›feinen Anstand‹ darzustellen (BEIS: 402f.). Was diesen angeht, vertritt Böttiger allerdings eine Position, die seine selbst Garrick einschließende Relativierung dieses Ideals in der ersten Beylage (III.8.1) vollkommen ignoriert: »Der Schauspieler muss sich in den feinsten Zirkeln gebildet haben« (BEIS: 402f.), fordert Böttiger nun, beruft sich dabei auf Lichtenbergs Garrick-Porträt1045 und Wilhelm Meisters Lehrjahre und beklagt zwar, dass »die 1045 Vgl. »Garrick besuchte die Courtage zu St. James so gut, wie die Garküchen von St. Gile’s« (BEIS: 403) und »Der Mensch lag seinem beobachtenden Geiste offen, von dem ausgebildeten und ausgekünstelten in den Sälen von S. James’ an, bis zu den Wilden in den Garküchen von S. Giles« (LBE: 333).

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Scheidewand, die selbst unsre begünstigtern Schauspieler und Schauspielerinnen von den erlesenern Kreisen unserer Gesellschaften ausschliesst, noch immer mit unerbittlicher Strenge vorgezogen bleibt.« (BEIS: 403) Gerade deshalb jedoch bedarf es offensichtlich eines Gegenbeispiels: Iffland wusste sich früh schon Respect und Ausnahme von jener Regel zu verschaffen. Daher hat auch sein Anstand und jede seiner Verbeugungen und Bewegungen jene feine Ungezwungenheit, Anmuth und Zuversicht, die nur allein in der grossen Welt erlangt wird, und die kein Studium, keine Anstrengung ersetzen kann. Darum sieht man ihn nur gern kommen, wenn er aufs Theater tritt, und man möchte, wenn er so neben den andern da steht, und mit einer erquickenden Festigkeit und Selbstständigkeit spricht und handelt, mit aller bescheidenen Einschränkung auf ihn die Worte in der Odyssee vom Tiresias anwenden: – Ihm gewährte die Göttin, Dass er allein wahrnehme, die andern sind flatternde Schatten. (BEIS: 403f.)1046

Unverkennbar variiert dieses ›Schlussbild‹ Lichtenbergs Evokation von Garricks Präsenz (siehe II.5.5); das abschließende Homer-Zitat ist gewissermaßen die antiquarische Version der Formulierung, Garrick bewege sich »unter den übrigen Schauspielern, wie ein Mensch unter Marionetten.« (LBE: 331). Allerdings hat die Gleichsetzung Ifflands mit einem Seher noch weitere Implikationen: Er wird abschließend zum großen Lehrer der Schauspielkunst stilisiert (BEIS: 403– 407), der »nicht bloss durch sein Beyspiel, sondern auch durch Vorlesungen und Proben, und überhau pt bei jeder Gelegenheit« (BEIS: 402f.) darauf hinwirkt, dass »seine Mitschauspieler« eben nicht »immer nur Schatten bl[ei]ben.« (BEIS: 404). Diesem Ziel sieht sich auch Böttigers Buch verpflichtet, das von Anfang an Zitate aus Ifflands Schriften zur Schauspielkunst einbezieht.

9.

Fazit

Auch wenn Tiecks Spott auf Böttigers enthusiastisch-pedantischem Stil nachvollziehbar ist und sich der Autor selbst von den Iffland-Huldigungen seiner Entwickelung später sogar distanziert hat,1047 wurde hoffentlich deutlich, dass Goethes Formulierung vom »Flick- und Lappenwerk« diesem Buch in keiner Weise gerecht wird: Die Rollenporträts vermitteln zwischen Einzelbeobachtungen und dem Ganzen der Verkörperung gemäß den graphischen Grundschemata von ›Umriss‹ und ›Schattierung‹ bzw. ›Verteilung von Licht und Schatten‹, ohne den konsekutiven Aspekt des Bühnengeschehens zu vernach1046 Hom. Od. 10, V. 494f. 1047 Siehe Sondermann: Böttiger, 191.

Fazit

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lässigen. Außerdem vermitteln sie zwischen den einzelnen Rollenporträts und dem insgesamt zu ›entwickelnden‹ ›Gesamtbild‹ durch explizite Verknüpfungen, ›Beilagen‹ und induktiv-präskriptive Passagen sowie durch eine Nachschrift, die noch einmal wesentliche Grundzüge von Ifflands »Spiel« aufgreift, zuspitzt und biographisch ergänzt. Dabei soll nicht behauptet werden, dass es sich bei der Entwickelung des Ifflandischen Spiels um ein sorgsam durchkomponiertes Werk handle – zu offensichtlich sind Flüchtigkeiten wie die falsche Zählung der Vorstellungen und Widersprüchlichkeiten wie Böttigers Relativierung schauspielerischen ›Anstands‹ in der ersten Beilage und dessen Rühmung in der Nachschrift. Böttigers Behauptung, wonach er »hingerissen von den frisch empfangenen Eindrücken, nach jeder Vorstellung meine Bemerkungen aufs Papier warf« (BEIS: XIV), mag im Sinne des Unmittelbarkeits-Ideals zugespitzt sein, dürfte angesichts seiner journalistischen Massenproduktion jedoch einige Wahrscheinlichkeit haben.1048 Gerade deshalb aber bezeugen jene Strukturelemente, die zwischen den Beobachtungen von ›Feinheiten‹ und der Darstellung eines ›Ganzen‹ vermitteln, dass Böttiger nicht nur einer empiristischen Tradition des Sammelns und einer aufklärerischen Didaxe verhaftet ist, sondern durchaus auch von Ganzheitsvorstellungen beeinflusst, an denen sich seine Darstellungsweise ausrichtet, sei es indirekt über Goethe, dem er als Berater in altphilologischen Fragen diente,1049 sei es durch eigene Moritz-Lektüre. Jedenfalls unterscheidet sich die am ›Ganzen‹ orientierte Entwickelung klar von der offen-essayistischen, dem Witz-Prinzip folgenden Struktur der Lichtenberg’schen Briefe und macht es möglich, nicht nur Höhepunkte der Darstellung, sondern ›Entwicklungen‹ ganzer Verkörperungen nachzuvollziehen. Böttigers Darstellungsweise unterscheidet sich aber auch von ›Zergliederungen‹ / la Schink, die von einer idealen Verkörperung ausgehen und dem Schauspieler seine Abweichungen davon vorrechnen, ohne wirklich eine enargeische Gesamtdarstellung anzustreben. Böttiger dagegen geht von mehreren in gleicher Weise berechtigten Interpretationen aus, die auch durch die Physis des jeweiligen Schauspielers beeinflusst sind, und zeigt sich neugierig auf originelle Einfälle und neue Interpretationsansätze. Hierin stimmt er grundsätzlich mit Lichtenberg überein, betont aber noch stärker, dass ein guter Schauspieler schlechte oder mäßige Dramen sogar verbessern könne. Böttigers Entwickelung bedeutet einen Höhepunkt der Gattung Mimen-Ekphrasis nicht nur in der Materialfülle, sondern auch in der Zielsetzung. Sie bedeutet aber auch einen Endpunkt: Derart ehrgeizige Porträts eines schau1048 Siehe Sondermann: Böttiger, bes. 52–186, 195; Funcke: Böttiger, 40–84. 1049 Böttigers Verhältnis zu Goethe (und am Rande auch Schiller) ist umfassend dargestellt in Sondermann: Böttiger, 187–214; siehe auch Funcke: Böttiger, 23–29.

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Die ›Feinheiten‹ und die ›Einheit‹

spielerischen Spiels sollte es im deutschen Sprachraum lange nicht mehr geben. Warum das so war, deutete sich bereits in den Stellungnahmen Goethes und Tiecks an. Zu fragen ist nun, ob dieser fundamentalen Kritik auch Gegenentwürfe entsprachen, das heißt kürzere Mimen-Ekphrasen, die versuchten, das ›Ganze‹ des mimischen Kunstwerks auf anderem Wege zu vermitteln. Dieser Frage geht das folgende Kapitel unter anderem anhand von Texten Goethes und Tiecks nach; Ausgangspunkt ist der bereits zu Beginn dieses Kapitels herangezogene Kunstbeschreibungs-Essay von Moritz.

IV

Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes? Bemühungen um neue enargische Strategien im Zeichen der Autonomieästhetik

1.

›Strukturanalytisch‹, ›poetisch‹, ›konfigurierend‹: Optionen ›einheitlicher‹ Kunstbeschreibung nach Karl Philipp Moritz

In Kapitel I.1 wurden Tiecks und vor allem Goethes Kritik an Böttigers Beschreibungstechnik, die angeblich über unwesentlichen Details das Ganze vergisst, vor dem Hintergrund von Moritz’ Kunstbeschreibungs-Essay erläutert: Die detaillierende Beschreibung eines Kunstwerks, so dort der (an Winckelmanns Apollo-Beschreibung exemplifizierte) Hauptvorwurf, zerreiße grundsätzlich dessen ›Einheit‹; zudem sieht Moritz bei der Beschreibung eines Werkes der bildenden Kunst das Prinzip der Mediumsadäquatheit verletzt.1050 Dennoch verwirft er keineswegs die Möglichkeit einer Kunstbeschreibung, die einen Eindruck vom ›Ganzen‹ des Kunstwerks vermittelt. Helmut Pfotenhauer hat sogar aufgezeigt, dass er dafür drei Strategien andeutet. Sie sollen hier kurz vorgestellt werden, um einen Spielraum aufzuzeigen, der aus meiner Sicht auch für Mimen-Ekphrasen gelten sollte, die sich unter autonomieästhetischem Vorzeichen von der Orientierung an mimischen ›Feinheiten‹ absetzen. Eine erste Strategie nennt Pfotenhauer die »strukturierte Analyse des Werkaufbaus«; sie soll hier kurz als ›strukturanalytisch‹ bezeichnet werden.1051 Wie mir scheint, ergibt sie sich am direktesten aus Moritz’ Forderung, die Beschreibung solle »einen nähern Aufschluß über das Ganze und die Notwendigkeit seiner Teile geben« (MFA 2: 1003). Pfotenhauer exemplifiziert diese Strategie anhand von Moritz’ Versuch im dritten Teil der Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1786 und 1788 (erschienen 1793), »Michelangelos Jüngstes Gericht gemäß dem Rhythmus des Steigens und Fallens, fast ohne ikonologische Bedeutungsangabe, zu vergegenwärtigen.«1052 Die Frage ist allerdings, wie weit sich 1050 Bzw. Lessings Postulat vom ›bequemen Verhältnis‹ zwischen Zeichen und Bezeichnetem, siehe Einf. 2. 1051 Pfotenhauer : Signatur des Schönen, 72. 1052 MFA 2: 668–670; Pfotenhauer : Signatur des Schönen, 72–75f., hier 72. Zu Moritz’ Ver-

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

dieses Ziel der ›Vergegenwärtigung‹ – bzw. der Enargeia – mit dem AnalyseCharakter dieser Strategie verträgt. Immerhin konnte die Untersuchung bislang zeigen, dass die analytische Funktion von Ekphrasis (I.4.4) nicht notwendig auf Kosten der Enargeia gehen muss, ja sie sogar steigern kann; im Fall Böttigers war die Bilanz allerdings gemischt. Eine zweite Strategie formuliert Pfotenhauer so: »Die Beschreibung […] müßte im Idealfall mit dem Beschriebenen ganz eins werden, die Beschreibungssprache also poetisierend selbst zur Kunst werden, um dem Wert der anderen Kunstform ganz nahe zu kommen.«1053 Pfotenhauer stützt seine Zusammenfassung durch kein Zitat, dürfte sich aber wohl auf folgendes Postulat im Kunstbeschreibungs-Essay beziehen: »Bei der Beschreibung des Schönen durch Worte, müssen […] die Worte, mit der Spur, die sie in der Einbildungskraft zurücklassen, zusammengenommen, selbst das Schöne sein.« (MFA 2: 999) Das Verhältnis zwischen Text und Kunstwerk ist dabei ein sehr indirektes, eher durch analoge Verhältnisse gekennzeichnet als durch explizite Referenz: Die echten Werke der Dichtkunst sind daher auch die einzige wahre Beschreibung durch Worte von dem Schönen in den Werken der bildenden Kunst, welches immer nur mittelbar durch Worte beschrieben werden kann, die oft erst einen sehr weiten Umweg nehmen, und manchmal eine Welt von Verhältnissen in sich begreifen müssen, ehe sie auf dem Grunde unseres Wesens dasselbe Bild vollenden können, das von außen auf einmal vor unserem Auge steht. (MFA 2: 999)

Genau genommen ist sogar unklar, ob hier überhaupt von poetischen Texten über spezifische Kunstwerke die Rede ist oder von solchen, die auf ihre Weise das Schöne in einem vergleichbaren Gegenstand thematisieren. Noch zweifelhafter wird dies angesichts der anschließenden Formulierung: Man könnte in diesem Sinne sagen: das vollkommenste Gedicht sei, seinem Urheber unbewußt, zugleich die vollkommenste Beschreibung des höchsten Meisterstücks der bildenden Kunst, so wie dies wiederum die Verkörperung [!] oder verwirklichte Darstellung des Meisterwerks der Phantasie; – wenn wir nur einen Augenblick auf den Grund unsers Wesens schauen, und dort die Spur uns erklären könnten, welche nach Lesung des Homer dieselbe Empfindung des Schönen in uns zurückläßt, die der Anblick des höchsten Kunstwerks unmittelbar in uns erweckt. (MFA 2: 999)

Meiner Ansicht nach bezieht sich diese Passage nicht auf zwei hypothetische Werke, sondern sehr konkret auf die Beschreibung des zürnenden Apollo in der fahren der Kunstbeschreibung in den Reisen eines Deutschen in Italien siehe auch Sedlarz: Moritz’ Italienreise, 200–238, bes. zu Michelangelo 214–227. 1053 Pfotenhauer : Signatur des Schönen, 75f.; Meier formuliert, es gehe darum, »im poetischen Gelingen ein sprachliches Abbild der dinglichen Schönheit zu liefern.« (Meier : Moritz, 193) In Braungart: Leibhafter Sinn, 119 werden ›strukturanalytische‹ und ›poetische‹ Beschreibung dagegen gleichgesetzt.

›Strukturanalytisch‹, ›poetisch‹, ›konfigurierend‹

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Ilias1054 und auf den Belveder’schen Apollo, von dem Winckelmann im ersten Satz der Beschreibung in seiner Geschichte der Kunst des Alterthums von 1764 behauptet, er sei »das höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Alterthums, welche der Zerstörung derselben entgangen sind«, und im dritten Satz: »Dieser Apollo übertrifft alle andere Bilder desselben so weit, als der Apollo des Homerus den, welchen die folgenden Dichter malen.«1055 Vor diesem Hintergrund kritisiert Moritz mit Winckelmanns Beschreibung einen medialen Zwitter, der angesichts der höchsten Kunstleistung in beiden Bereichen überflüssig ist. Dennoch scheint mir die Ausgangsmetapher von der »Spur« des Schönen in der Einbildungskraft des Rezipienten durchaus die Möglichkeit einer ›poetischen Beschreibung‹ zu eröffnen, die eigenen ästhetischen Gesetzen folgt. So sind gerade Moritz’ Texte über den Belveder’schen Apollo keineswegs ›strukturierte Analysen des Werkaufbaus‹, sondern ›Betrachtungen‹, die höchst frei und assoziativ auf die Gegenwart des Originals reagieren.1056 Zudem weist Pfotenhauer zurecht darauf hin, dass Moritz in seinen Berliner Vorlesungen über den Styl die Lessing’sche Dichotomie von simultaner ›Malerei‹ und sukzessiver Poesie relativiert: »Die poetischen Figuren, wie die Metapher jedoch verdichten das sonst nacheinander Ausgesagte zur Andeutung des Ganzen im Augenblick«.1057 Besonders prägnant zeigt sich dieser Ansatz in der sechsten Vorlesung Über ein Gemälde von Goethe (MFA 2: 911–918).1058 Es geht hier um eine Passage

1054 Hom. Il. 1, V. 44–49. 1055 Zit. nach Bernauer u. a.: Frühklassizismus, 165f., hier 165. Dass es hier um die ApolloStatue geht, sieht auch Meier, schlägt als poetisches Äquivalent aber »z. B. Schillers Nänie« vor (Meier : Moritz, 194). 1056 Bei der Betrachtung des Apollo von Belvedere (MFA 2: 745) entwickelt Moritz eine autonomieästhetische Symboltheorie, die sich implizit gegen Winckelmanns Allegorie- Begriff wendet – was sie mit der betrachteten Figur zu tun haben soll, bleibt offen. Zu Beginn von Apollo in Belvedere schwärmt er davon, wie schön es sei, »die Statüen in Belvedere des Abends bei Fackelschein zu betrachten« (MFA 2: 753f., hier 753). Dabei geht es nicht nur um den Verlebendigungseffekt dieser damals beliebten Rezeptionsstrategie von Statuen, sondern um die genussvoll erlebte Spannung zwischen ›Ganzem‹ und Detail: Im Fackelschein werden die »allerfeinsten Erhöhungen […] sichtbar« (ebd.), jedoch in organischerer Weise als in Winckelmanns Beschreibung, die anschließend kritisiert wird. In einem ebenfalls mit Apollo in Belvedere überschriebenen dritten Text schließlich räsoniert Moritz über die Vollkommenheit der künstlerischen Darstellung eines Silen im Vergleich zu der eines Apollo – ohne beide konkret zu vergleichen. (MFA 2: 769f.). 1057 Pfotenhauer : Signatur des Schönen, 76. 1058 Erstdruck in der Märzausgabe der Deutschen Monatsschrift 1792, 243–250; nach Blumenthal: Moritz und Goethes Werther, 42 ist der Aufsatz jedoch bereits 1789 entstanden (siehe Komm. MFA 2: 1272), d. h. etwa parallel zum Kunstbeschreibungs-Essay, dessen zweite Fassung wiederum 1793 erschien (siehe Pfotenhauer : Signatur des Schönen, 68; explizit auf die Gemälde-Vorlesung verweist Pfotenhauer in seinem Kommentar zum Kunstbeschreibungsessay (Pfotenhauer/Sprengel: Klassik und Klassizismus, 753f.).

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

aus Werthers Brief vom 10. Mai; ihre Charakterisierung als »Gemälde« motiviert Moritz durch den Hinweis auf folgende »Vorbereitung« des Briefschreibers Werther : »Ich könnte jetzt nicht zeichnen, nicht einen Strich, und bin nie ein größerer Maler gewesen, als in diesen Augenblicken.« (MFA 2: 911).1059 Allerdings lässt sich der Titel auch als Infragestellung der in Lessings Laokoon postulierten Grenzen der Malerei und Poesie deuten.1060 Albert Meier hat jedoch darauf hingewiesen,1061 dass am Schluss des vierzehnten Laokoon-Kapitels der Modebegriff ›poetische Gemälde‹ nicht etwa abgelehnt wird, sondern uminterpretiert: Ein poetisches Gemälde ist nicht notwendig das, was in ein materielles Gemälde zu verwandeln ist; sondern jeder Zug, jede Verbindung mehrerer Züge, durch die uns der Dichter seinen Gegenstand so sinnlich macht, daß wir uns dieses Gegenstandes deutlicher bewußt werden, als seine Worte, heißt malerisch, heißt Gemälde. (LFA 5.2: 113).

Zu ergänzen ist, dass Lessing in der anschließenden Fußnote sogar explizit an die Kategorie der Enargeia erinnert: »Was wir poetische Gemälde nennen, nannten die Alten Phantasieen, wie man sich aus dem Longin[1062] erinnern wird. Und was wir die Illusion, das Täuschende dieser Gemälde heißen, hieß bei ihnen die Enargie [sic].« (LFA 5.2: 113f.) Die »Verbindung mehrerer Züge«, die für sich »sinnlich« sind, ist denn auch trotz allen kunstkritischen Vokabulars das enargeische Element, das Moritz in seiner Schlussbetrachtung am stärksten betont: Jeder einzelne Zug in dem Gemälde tritt mit lebendigen Farben, im frischen Glanze hervor ; und die Folge der Worte selber hat eine Art von Zauberkraft, weil der folgende Eindruck den vorhergehenden niemals stört oder verdrängt, sondern vielmehr mit ihm eins wird, so daß zuletzt alles ineinandersteht und der Eindruck eines Gemäldes wirklich in der Seele hervorgebracht wird. (MFA 2: 917f.)

Nicht erst am Ende des Leseprozesses bildet sich der Eindruck eines ›Ganzen‹, sondern von Anfang an. Allerdings wird er beim Weiterlesen vertieft und bereichert wie der Blick eines Betrachters, der über die Einzelheiten eines Gemäldes schweift. Entsprechend ist die Analyse nach visuellen Kategorien gegliedert: »Umriß«, »Niedersenkung«, »Erhebung«, »Großer Umriß«; lediglich der abschließende Begriff »Vollendung« bringt eine zeitliche Perspektive ein (MFA 2: 912f.).

1059 1060 1061 1062

Schon angesichts der Chronologie ist also nicht anzunehmen, dass Positionen des Kunstwerks-Essays durch die ›Gemälde‹-Analyse zurückgenommen würden. Siehe GFA 8: 15. So bei Pickerodt: Das »poetische Gemählde«, 1364. Siehe MFA 2: 1272 (Komm.). Gemeint ist wohl die in Analogie zur klassischen Ekphrasis-Definition gebildete Phantaseia-Definition aus der Schrift Vom Erhabenen des (Pseudo-) Longinos (Long. sublim. 15.1; siehe Webb: Ekphrasis, Imagination, 96).

›Strukturanalytisch‹, ›poetisch‹, ›konfigurierend‹

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Besonders bemerkenswert ist der Begriff ›Umriss‹,1063 da Moritz ihn in seinem Kunstbeschreibungsaufsatz noch konsequent auf die bildende Kunst bezieht, verbunden mit der Behauptung einer unüberbrückbaren medialen Differenz zur Wortkunst: »Umrisse vereinigen, Worte können nur auseinander sondern; sie schneiden in die sanfteren Krümmungen der Konturen viel zu scharf ein, als daß diese nicht darunter leiden sollten.« (MFA 2: 1002) Dagegen wird der Begriff in der Gemälde-Vorlesung, wie später dann in Böttigers Entwickelung (III.3) metaphorisch verwendet und kann aus etlichen ›Worten‹ bestehen. Hier lauten sie: »Wenn das liebe Tal um mich dampft, und die hohe Sonne an der Oberfläche der undurchdringlichen Finsternis meines Waldes ruht« (MFA 2: 912). Moritz erläutert: Es wäre unmalerischer gewesen, wenn der erste Umriß weggelassen wäre und der Dichter gleich angefangen hätte: »wenn ich im hohen Grase am fallenden Bache liege u. s. w.« Das Bild muß aus der Ferne der Einbildungskraft und Empfindung immer näher kommen und nicht umgekehrt aus der Nähe sich entfernen. (MFA 2: 314)

Es geht hier in einem sehr wörtlichen Sinn um ›Erzählperspektive‹; in filmanalytischen Termini könnte man von einer ›Totale‹ (und vielleicht einem establishing shot) sprechen, aus der anschließend ›herangezoomt‹ wird. Wichtig ist aber, dass es hier gleichzeitig um »Empfindung« geht, die durch die Vorstellung der Landschaft ausgelöst wurde und deren Thematisierung wiederum die Evokation der Landschaft fördert: »[J]e tiefer sich die Darstellung niedersenkt, jemehr das Bild sich im Kleinen ausmalt, desto inniger und lebhafter wird die Empfindung, die dann gleichsam aus ihrem Mittelpunkt sich wieder erhebt« (MFA 2: 912).1064 Vergleicht man diese Modellanalyse eines ›poetischen Gemäldes‹ (und die Passage selbst) mit den klassischen Merkmalen enargeischer Beschreibungskunst (I.2.1), so fällt auf, dass es hier zwar nicht um eine handlungsintensive Szene geht, dass die Wahrnehmung aber ebenfalls stark an Emotionen gebunden und kontrastreich ›dramatisiert‹ ist. In moderner Begrifflichkeit könnte man von »Ikonizität zweiter Ordnung« sprechen, verstanden als sprachliche »Abbildung von Wahrnehmungsvorgängen und Bewußtseinsprozessen«.1065 Auf die Analyse eines realen Gemäldes bezogen wäre nach einem Überblick über Sujet und Bildaufbau von einer höchst subjektiven Auswahl und Anordnung der Bildelemente auszugehen, orientiert an der Wirkung des ›Schönen‹ im Bild. 1063 Zur Aufschlusskraft dieses Begriffs für Text-Bild-Beziehungen in Klassik und Romantik siehe Oesterle: Konjunktur des Umrisses. 1064 Hervorhebungen im Original. 1065 Müller : Neue Gedichte, 303.

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

Obwohl sich Moritz, wie Pfotenhauer festhält, »viel eher als Dilettant denn als Dichter versteht«,1066 entspricht seine Beschreibung von Michelangelos Jüngstem Gericht meines Erachtens auch diesen Kriterien und verbindet insofern beide von Pfotenhauer identifizierte Strategien. Im Übrigen ist der Begriff ›poetisch‹ hier in der ganzen Vieldeutigkeit seines Gebrauchs im 18. Jahrhundert1067 zu verstehen: Das »vollkommenste Gedicht« (MFA 2: 999) kann ein Gedicht im modernen Sinn sein, aber auch eine Passage aus einem Versepos wie die Apollo-Passage der Ilias oder ein ›poetisches Gemälde‹ in Prosa wie die Werther-Passage. Allerdings wird sich zeigen, dass aus Sicht autonomieästhetisch orientierter Autoren speziell die Lyrik geeignet ist, eine ganzheitliche Vorstellung von Schauspielkunst zu vermitteln. Neben dem ›strukturanalytischen‹ und dem ›poetischen‹ identifiziert Pfotenhauer noch ein drittes »Verfahren, um das Sprechen über Kunstwerke diesen kunstbewußt anzunähern«, nämlich das »der ästhetischen Konfiguration«: Moritz […] montiert häufig die einzelnen Textpassagen so zusammen, daß sie durch ihre Konstellation, in welcher sie mit den benachbarten stehen, zusätzliche Aussagequalitäten aufsaugen. Es sind dies zumeist Konfrontationen von Licht und Schatten, vom Schönen der Kunst und dem Häßlichen des notdürftigen Alltagslebens, die die Werke in ihrer Eigentümlichkeit heben und ihnen eine fast überirdische Aura verleihen, aber auch das Prekäre, das mühsam dem Leben Abgerungene nicht verschweigen.1068

Dahinter steht Moritz’ Auffassung, das Kunstschöne sei einerseits vom Chaos und Leid des realen Lebens strikt zu trennen, diesem andererseits aber auch abgerungen und verkläre es wiederum.1069 Illustrieren lässt sich dies durch jene beiden überraschenden Beispiele für vollkommene Kunstwerke, mit denen Moritz seinen Kunstbeschreibungs-Essay einleitet: das Kleid, in das Philomele, ihrer Zunge beraubt, »die gräßliche Erzählung« von ihrer Vergewaltigung und Verstümmelung einwebte (MFA 2: 992),1070 und die Rede, mit der Lucretias Vater Virginius »durch die Beschreibung der jammervollen Scene« von deren Vergewaltigung die Römer bewegt, »das Joch der Knechtschaft von sich abzuschütteln« (MFA 2: 993), wobei am stärksten enargeisch die Tatsache wirkt, dass er selbst von »seiner eignen, unschuldigen Tochter Blut bespritzt« ist (MFA 2: 992). Als paradigmatische ›Kunstwerke‹ gelten hier also ein graphisches Text-Textil, und eine ekphrastische Rede, die beide nicht beschrieben, sondern thematisiert werden, und das programmatisch: 1066 1067 1068 1069 1070

Pfotenhauer : Signatur, 76. Weimar : Poesie, bes. 97. Pfotenhauer : Signatur, 76. Siehe Schneider : Sprache des Schönen, bes. 256–267. Siehe Ovid: Met. 6, 424–673, dazu Pfotenhauer : Signatur, 68f., 77.

›Strukturanalytisch‹, ›poetisch‹, ›konfigurierend‹

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Aber wer kann dem Vater, wer dem Gatten nacherzählen? – wer so rührend PHILOMENES Unglück schildern, als das Tuch, worin sie selbst es würkte?// Daß sie es in dies Tuch würkte, macht ja selbst den rührendsten Zug in der Schilderung ihrer Leiden aus.// Und die Beschreibung durch Worte muß sich hier begnügen, das bloß anzudeuten, was durch sein Dasein selber mehr als Worte sagt. (MFA 2: 993)

Doch handelt es sich keineswegs um rhetorische Fragen, die sich nur mit einem »Niemand!« beantworten ließen: Die anschließende Passage postuliert, dass enargeisches Sprechen über Kunstwerke durchaus möglich ist – oder doch zumindest über den »Schmerz des VIRGINIUS«, den sowohl ein Schauspieler wie ein Bildhauer oder Geschichtsschreiber nach Maßgabe ihrer medialen Mittel darstellen könnten. Da es jedoch laut Überschrift grundsätzlich um die Frage geht, In wie fern Kunstwerke beschrieben werden können, darf man durchaus annehmen, dass die folgenden Überlegungen zu intermedialer Enargeia auch für die Beschreibung spezifischer Kunstwerke gelten: Wer den Schmerz des VIRGINIUS würdig beschreiben wollte, müßte entweder, wie der Schauspieler, streben, auf eine Zeitlang, durch ein künstliches Vergessen seiner selbst, und durch das darstellende Mitgefühl fremder Leiden, so viel möglich, selbst wieder dieser VIRGINIUS zu sein.// Oder er müßte, wie der bildende Künstler, einem der fliehenden Momente Dauer geben, welcher deswegen am stärksten die Seele erschütterte, weil in allem, was in ihm auf einmal sich dem Auge darstellt, immer eines durch das andre, so wie das Ganze durch sich selber, redend und bedeutend wird. Der Geschichtsschreiber hebt, durch die einfache Erzählung des Vorhergehenden und Nachfolgenden, einen solchen Moment heraus; durch die simple Erwähnung der Umstände, welche die Begebenheiten veranlaßten; durch die Beschreibung des Eindrucks, welcher der Anblick dieser Scene auf die Gemüter machte, und der wichtigen Folgen, welche dieser Eindruck nach sich zog. (MFA 2: 993)

Dass hier Geschichtsschreibung die Poesie vertritt, scheint mir ein indirekter Verweis auf jene Passage zu sein, in der Plutarch das Diktum des Simonides diskutiert (Einf. 4);1071 dessen Beobachtungen zum enargeischen Potenzial der Schwesterkünste werden gewissermaßen auf den neuesten Stand gebracht nach Maßgabe des Laokoon (insbesondere der Lehre vom ›fruchtbaren Augenblick‹)1072 und verbunden mit der autonomieästhetischen Leitvorstellung vom Zusammenhang des ›Ganzen‹. Die Schauspielkunst wird den Schwesterkünsten gleichgestellt und in der Textabfolge sogar vorangestellt. Allerdings wird nicht diskutiert, wie sie in ihren darstellerischen Mitteln erscheint, sondern aus welcher Grundhaltung heraus sie funktioniert, nämlich der des ›heißen Schauspielers‹. Berücksichtigt man 1071 Aus dem Stoff ergibt es sich nicht zwingend, da er auch von Ovid gestaltet wurde (Ov. Fast. 2, V. 725–852). 1072 Siehe Wolf: »Fruchtbarer Augenblick« – »prägnanter Moment«.

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

jedoch, dass es grundsätzlich darum geht, den »Schmerz des VIRGINIUS« darzustellen, und außerdem, dass auch für die Darstellung des bildenden Künstlers und des Geschichtsschreibers das Wirkungsmoment herausgestellt wird (der erschütterndste Moment; die szenische Wirkung), sowie schließlich, dass im Fall von Goethes ›poetischem Gemälde‹ ein ähnliches »Vergessen seiner selbst« vorausgesetzt wird,1073 so ist es durchaus möglich, dass Moritz auch die Grundhaltung des bildenden Künstlers und Geschichtsschreibers in Selbstaffizierung nach Quintilian’schem Modell (I.1.2) sieht, die allerdings vom beschreibenden Kunstwerk selbst ausgehen kann. Damit ist allerdings nur etwas über die Grundhaltung des beschreibenden Künstlers gesagt – wie aber drückt sie sich im Text aus? Der Hinweis auf die »einfache Erzählung des Vorhergehenden und Nachfolgenden« der Begebenheiten könnte, auf die Beschreibung eines Kunstwerks bezogen, die Integration des dargestellten Moments in die zugrunde liegende Geschichte meinen; ›Eindruck‹ und ›Folgen‹ jedoch müssten sich auf die Rezeption des Werkes selbst beziehen. Bei Philostrat geschieht dies punktuell durch den Kunstgriff der intermedialen Metalepse (I.2.3), die mitunter auch in Mimen-Ekphrasen begegnet (II.2.2) – im Rahmen einer ›ästhetischen Konstellation‹ jedoch müsste sie noch wesentlich ausführlicher thematisiert und motiviert werden. Eben dies geschieht in Goethes Elegie Euphrosyne von 1798: Wie das nächste Kapitel (IV.2) zeigt, wird darin die ›Kunst‹ einer verstorbenen Schauspielerin in einer Weise evoziert, die sich insgesamt als ›ästhetische Konfiguration‹ lesen lässt – bezeichnenderweise geht es dabei, wie in Moritz’ beiden mythologischen Beispielen, um eine junge Frau. Die Elegie lässt sich aber auch als ›poetische Beschreibung‹ ihrer Schauspielkunst verstehen, deren Wirkung auch über die von Moritz beschworene »Zauberkraft« in der »Folge der Worte« (MFA 2: 315) evoziert wird oder, allgemeiner und noch einmal mit Lessing gesprochen, durch die »Verbindung mehrerer Züge, durch die uns der Dichter seinen Gegenstand so sinnlich macht, daß wir uns dieses Gegenstandes deutlicher bewußt werden, als seine Worte« (LFA 5.2: 113) – durch forciert ›poetische‹ Mittel also. 1073 Dabei unterscheidet Moritz bezeichnenderweise nicht zwischen Goethe und dem fiktiven Briefschreiber Werther: »Denn das siehet ein jeder wohl ein, daß der Dichter, als er sein Gemälde entwarf, nicht an Umriß, Niedersenkung, Erhebung oder Vollendung dachte, sondern daß nur durch das Bestreben, treu und wahr seine Empfindung auszusprechen, jener Umriß, jenes harmonische Fallen und Steigen und jene reizende Vollendung sich bildete.« (MFA 2: 914) »In den Augenblicken, wo eine solche Beschreibung glücken soll, muß das einzelne Selbstbewusstsein, sich gleichsam in das Mitbewußtsein des großen Ganzen der Natur verlieren, wovon das denkende und empfindende Organ durchströmt wird.« (MFA 2: 917) Die Diskrepanzen zwischen Goethes Werther-Konzeption und Moritz’ Interpretation der Passage werden herausgearbeitet in Pickerodt: Das »poetische Gemählde«; allerdings geht es meiner Meinung nach zu weit, wenn er urteilt, dass Werther nicht nur als Maler versage, sondern auch in seinen Briefen durchgehend als Dichter scheitere.

Symbolische Allegorie der enargeischen Wirkungskette

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Die beiden darauf folgenden Kapitel diskutieren Texte, in denen das Verfahren der ›strukturierten Analyse des Werkaufbaus‹ dominiert, und zwar zunächst einen von Goethe redigierten Aufsatz Wilhelm von Humboldts aus dem Jahr 1799 (IV.3), dann einige (meist etwas später entstandene) Theaterkritiken der »Berliner Klassik« (IV.4). Da dieses (noch zu diskutierende) kulturgeschichtliche Bezugsfeld nicht etwa mit ›Klassizismus‹ gleichzusetzen ist, sondern spätaufklärerische, klassizistische und romantische Tendenzen verbindet, erlaubt das Kapitel einerseits zu zeigen, dass sich die im letzten Teil beschriebenen Versuche Böttigers, zwischen ›Feinheiten‹ und ›Einheit‹ zu vermitteln, auch mit strukturanalytischen Ansätzen verbinden konnten, und erfüllt andererseits eine Brückenfunktion zum letzten Kapitel (IV.5), das nach spezifisch ›romantischen‹ Lösungsversuchen für die Herausforderung einer ›ganzheitlichen‹ Mimen-Ekphrasis fragt. Leitfrage aller Kapitel ist, wie Enargeia verstanden und vermittelt wird.

2.

Symbolische Allegorie der enargeischen Wirkungskette: Goethes Elegie Euphrosyne (1798) als ›poetische‹ und ›konfigurierende‹ Mimen-Ekphrasis

2.1

Die Andeutung ›ästhetischer Konfiguration‹ im Paratext

Als Goethe in seinem Brief an Schiller am 14. November 1796 über Böttigers »Flick- und Lappenwerk« spottete, stand er mit dem Weimarer Gymnasialdirektor, Altphilologen und Journalisten offiziell noch auf freundschaftlichem Fuß.1074 Während seiner dritten Schweiz-Reise im folgenden Jahr ließ sich Goethe von ihm brieflich über den Zustand der Weimarer Bühne auf dem Laufenden halten und erzählte ihm in einem Brief aus Zürich vom 25. Oktober 1797 sogar von seinen Schmerz angesichts des Todes der Schauspielerin Christiane Becker-Neumann, die am 22. Juni im Alter von erst neunzehn Jahren gestorben war : Das gute Zeugnis, das Sie unserm Theater geben, hat mich sehr beruhigt, denn ich leugne nicht, daß der Tod der Becker mir sehr schmerzlich war. Sie war mir in mehr als Einem Sinne lieb. Wenn sich manchmal in mir die abgestorbne Lust für’s Theater zu arbeiten wieder regte, so hatte ich sie gewiß vor Augen, und meine Mädchen und Frauen bildeten sich nach ihr und ihren Eigenschaften. Es kann größere Talente geben, aber für mich kein anmuthigeres. Die Nachricht von ihrem Tode hatte ich lange erwartet, sie überraschte mich in den formlosen Gebirgen. Liebende haben Tränen und 1074 Siehe Sondermann: Böttiger, 190–194.

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

Dichter Rhythmen zur Ehre der Todten, ich wünschte, daß mir etwas zu ihrem Andenken gelänge.1075

Die »wichtigen Folgen« (MFA 2: 993) des ›Kunstwerks‹ Christiane BeckerNeumann werden hier also als Enargeia in einer intermedialen Wirkungskette thematisiert: Das mentale Bild der lebenden Schauspielerin regt den Dramatiker dazu an, Mädchen- und Frauenrollen zu ›bilden‹, ein Begriff, der bei Goethe oft auch ›bildenden Kunst‹ impliziert; entsprechend wurde die Qualität der ›Anmut‹ im zeitgenössischen Diskurs gerne (insbesondere weiblichen) Plastiken zugeschrieben. Dieser ›Wirkungskette‹ muss nunmehr ein neues Glied hinzugefügt werden: Becker-Neumanns Tod verlangt im Sinne der Memorialfunktion nach einem sie ehrenden Gedicht, synekdochisch durch »Rhythmen« bezeichnet und auf die Strategie der ›poetischen Kunstbeschreibung‹ verweisend. Dieser Verweis wird unterstrichen durch den Kontrast der gliedernden »Rhythmen« zu den »formlosen Gebirgen«.1076 Tatsächlich ›gelingt‹ Goethe ›zum Andenken‹ BeckerNeumanns ein Gedicht in Distichen, das am 12. Juli 1798 fertiggestellt und unter dem Titel Euphrosyne mit der Gattungsbezeichnung Elegie in Schillers MusenAlmanach für 1799 erstmals gedruckt wird.1077 Im Gegensatz zum antikisierenden Metrum und zur mythologisierenden Überschrift – Euphrosyne bezeichnet eine der Grazien und bedeutet ›Heiterkeit‹ –1078 steht die Widmung: »Zum Andenken einer jungen, talentvollen, für das Theater zu früh gestorbenen Schauspielerin in Weimar, Madame Becker, geborene Neumann.«1079 Damit deutet sich hier bereits eine ›ästhetische Konfiguration‹ an, die »vom Schönen der Kunst und dem Häßlichen des notdürftigen Alltagslebens« handelt.1080 Wie also werden »Euphrosyne« und »Madame Becker«, antikische Stilisierung und biographische Erinnerung aufeinander bezogen und poetisch zu enargeischer Wirkung gesteigert? Dies ist die Leitfrage des folgenden Close Reading (IV.2.2, 2.3). Abschließend (IV.2.4) werden die Beobachtungen zusammenfassend aus der Perspektive von Goethes Symbol-Begriff interpretiert und auf die Moritz’sche Autonomieästhetik zurückbezogen (IV.2.4). Zunächst aber sei das Gedicht in voller Länge nach der Erstveröffentlichung von 1799 zitiert (GMA 4.1: 906–911): 1075 WA 4.12, 343–346, hier 345. 1076 Sie entsprechen den »von [Heinrich] Meyer aus Italien mitgebrachten eigenen Arbeiten und sonstige[n] Akquisitonen«, mit denen sich Goethe, wie er in einem Brief an Cotta vom 17. 10. 1797 formuliert, nach den »Winterszenen des Gotthardts, die nur noch durch Mineralogie belebt werden können«, beschäftigt: So seien die beiden Klassizisten »von dem Formlosesten zu dem Geformtesten übergegangen.« (MA 4.2: 746f.) 1077 MA 4.1: 906–911; meine Interpretation folgt dieser und nicht der für die Neuen Schriften von 1800 metrisch überarbeiteten Fassung (MA 6.1: 9–14). 1078 Siehe Bloch: Euphrosyne. 1079 WA 4.1, Komm. 1233. 1080 Pfotenhauer : Signatur, 76.

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Symbolische Allegorie der enargeischen Wirkungskette

Euphrosyne Elegie Auch von des höchsten Gebirgs beeisten zackigen Gipfeln Schwindet Purpur und Glanz scheidender Sonne hinweg, Lange decket Nacht schon das Tal und die Pfade des Wandrers, Der am tosenden Strom, auf zu der Hütte sich sehnt, Zu dem Ziele des Tags, der stillen hirtlichen Wohnung, Und der göttliche Schlaf eilet gefällig voraus, Dieser holde Geselle des Reisenden. Daß er auch heute, Segnend, kränze das Haupt mir mit dem heiligen Mohn! Aber was leuchtet mir dort vom Felsen glänzend herüber? Und erhellet den Duft schäumender Ströme so hold? Strahlt die Sonne vielleicht durch heimliche Spalten und Klüfte? Denn kein irdischer Glanz ist es der wandelnde dort. Näher wälzt sich die Wolke! sie glühet. Ich staune dem Wunder! Wird der rosige Strahl nicht ein bewegtes Gebild? Welche Göttin nahet sich mir? und welche der Musen Suchet den treuen Freund, selbst in dem grausen Geklüft? Schöne Göttin! enthülle dich mir, und täusche, verschwindend, Nicht den begeisterten Sinn, nicht das gerührte Gemüt. Nenne, wenn du es darfst, vor einem Sterblichen deinen Göttlichen Namen, wo nicht, rege bedeutend mich auf, Daß ich fühle, welche du seist von den ewigen Töchtern Zeus, und der Dichter sogleich preise dich würdig im Lied. »Kennst du mich Guter nicht mehr? und käme diese Gestalt dir, Die du doch sonst geliebt, schon als ein fremdes Gebild? Zwar der Erde gehör ich nicht mehr und trauernd entschwang sich Schon der schauernde Geist jugendlich frohem Genuß, Aber ich hoffte mein Bild noch fest in des Freundes Erinnrung Eingeschrieben, und noch schön durch die Liebe verklärt. Ja schon sagt mir gerührt dein Blick, mir sagt es die Träne, Euphrosyne, sie ist noch von dem Freund gekannt. Sie! die Scheidende zieht durch Wälder und grause Gebirge, Sucht den wandernden Mann, ach! in der Ferne noch auf. Sucht den Lehrer, den Freund, den Vater, und blicket noch einmal Nach dem leichten Gerüst irdischer Freuden zurück. Laß mich der Tage gedenken, da du das Kind mich dem Spiele Jener täuschenden Kunst reizender Musen geweiht. Laß mich der Stunde gedenken und jedes kleineren Umstands. Ach! wer ruft nicht so gern unwiderbringliches an! Jenes süße Gedränge der leichtesten irdischen Tage, Ach! wer schätzt ihn genug diesen vereilenden Wert. Klein erscheinet es nun, doch ach! nicht kleinlich dem Herzen; Macht die Liebe, die Kunst jegliches Kleine doch groß. Denkst du der Stunde noch wohl, wie auf dem Brettergerüste,

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

Du mich der höheren Kunst ernstere Stufen geführt? Knabe schien ich, ein rührendes Kind, du nanntest mich Arthur, Und belebtest in mir brittisches Dichtergebild, Drohtest mit grimmiger Glut den armen Augen, und wandtest Selbst den tränenden Blick, innig getäuschet hinweg, Ach! da warst du so hold und schütztest ein trauriges Leben, Das die verwegene Flucht endlich dem Knaben entriß. Freundlich faßtest du mich den gestürzten, und trugst mich von dannen, Und ich heuchelte lang, dir an dem Busen, den Tod, Endlich schlug ich das Aug auf und sah dich, Geliebter, in ernste, Stille Betrachtung versenkt, über den Liebling geneigt. Kindlich strebt ich empor, und küßte dir dankbar die Hände, Reichte, zum reinen Kuß, dir den gefälligen Mund. Fragte: warum so ernst mein Vater? und hab ich gefehlet, O! so zeige mir an, wie mir das bessre gelingt. Keine Mühe verdrießt mich bei dir, und alles und jedes Wiederholt’ ich so gern, wenn du mich leitest und lehrst. Aber du faßtest mich ernst und drücktest mich fester im Arme, Und es schauderte mir tief in dem Busen das Herz. Nein, mein liebliches Kind, so riefst du, alles und jedes Wie du es heute gezeigt, zeig es auch morgen der Stadt. Rühre sie alle wie du mich rührst, und es fließen zum Beifall Dir von dem trockensten Aug’ herrliche Tränen herab. Aber am tiefsten trafst du doch mich, den Freund, der im Arm dich Hält, den selber der Schein früherer Leiche geschreckt. Ach! Natur wie sicher und groß in allem erscheinst du, Himmel und Erde befolgt ewiges, festes Gesetz, Jahre folgen auf Jahre, dem Frühling reichet der Sommer Und dem reichlichen Herbst, traulich, der Winter die Hand. Felsen stehen gegründet, es stürzt das ewige Wasser Sich aus bewölkter Kluft, schäumend und brausend hinab, Grünet die Fichte doch fort und selbst die entlaubten Gebüsche Hegen, im Winter schon, heimlich, die Knospen am Zweig. Alles entsteht und vergeht gesetzlich, doch über des Menschen Leben, den köstlichsten Schatz, herrschet ein schwankendes Los. Nicht dem blühenden nickt der willig scheidende Vater, Seinem trefflichen Sohn, freundlich vom Rande der Gruft; Nicht der jüngere schließt dem älteren immer das Auge, Das sich willig gesenkt, kräftig dem schwächeren zu. Öfter ach! verkehrt das Geschick die Ordnung der Tage Hülflos klaget ein Greis Kinder und Enkel umsonst, Steht, ein beschädigter Stamm, dem rings zerschmetterte Zweige Um die Seiten umher strömende Schloßen gestreckt. Und so, liebliches Kind, durchdrang mich die tiefe Betrachtung, Als du zur Leiche verstellt über die Arme mir hingst; Aber freudig seh ich dich nun, in dem Glanze der Jugend,

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Vielgeliebtes Geschöpf, wieder am Herzen belebt. Springe fröhlich dahin, verstellter Knabe, das Mädchen Wächst zur Freude der Welt, mir zum Entzücken heran. Immer strebe so fort, und deine natürlichen Gaben Bilde bei jeglichem Schritt steigenden Lebens, die Kunst. Sei mir lange zur Lust und eh’ mein Auge sich schließet, Wünsch ich dein schönes Talent glücklich vollendet zu sehn. Also sprachst du, und nie vergaß ich der wichtigen Stunde, Deutend entwickelt ich mich an dem erhabenen Wort. O! wie sprach ich so gerne zum Volke die rührenden Reden, Die du, voller Gehalt, kindlichen Lippen vertraut, O wie! bildet ich mich an deinen Augen und suchte Dich im tiefen Gedräng staunender Hörer heraus. Doch dort wirst du nun sein und sitzen, und nimmer bewegt sich Euphrosyne hervor, dir zu erheitern den Blick. Du vernimmst sie nicht mehr die Töne des wachsenden Zöglings, Die du zu liebendem Schmerz frühe, so frühe! gestimmt, Andere kommen und gehn, es werden dir andre gefallen, Selbst dem großen Talent, drängt sich ein größeres nach. Aber du vergesse mich nicht! wenn eine dir jemals Sich im verworrnen Geschäft heiter entgegen bewegt, Deinem Winke sich fügt, an deinem Lächeln sich freuet, Und am Platze sich nur, den du bestimmtest, gefällt, Wenn sie Fleiß nicht spart noch Mühe, wenn sie die Kräfte, Selbst bis zur Pforte des Grabs, freudiges Opfer dir bringt, Dann gedenkest du mein, du guter, und rufest, auch spät noch: Euphrosyne, sie ist wieder erstanden vor mir! Vieles sagt ich noch gern, doch ach! die Scheidende weilt nicht Wie sie wollte, mich führt, streng, ein gebietender Gott. Lebe wohl schon zieht michs dahin in schwankendem Eilen, Einen Wunsch nur vernimm, freundlich gewähre mir ihn: Laß nicht ungerühmt mich zu den Schatten hinabgehn! Nur die Muse gewährt einiges Leben dem Tod. Denn gestaltlos schweben umher in Persefoneias Reiche, massenweis, Schatten vom Namen getrennt. Wen der Dichter aber gerühmt der wandelt, gestaltet, Einzeln, gesellet, dem Chor aller Heroen sich zu. Freudig tret ich einher, von deinem Liede verkündet, Und der Göttin Blick weilet gefällig auf mir. Mild empfängt sie mich dann und nennt mich, es winken die hohen Göttlichen Frauen mich an, immer die nächsten am Thron. Penelopeia redet zu mir, die treuste der Weiber, Auch Euadne, gelehnt auf den geliebten Gemahl. Jüngere nahen sich dann, zu früh herunter gesandte, Und beklagen mit mir unser gemeines Geschick. Wenn Antigone kommt, die schwesterlichste der Seelen,

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Und Polyxena trüb noch von dem bräutlichen Tod; Seh ich als Schwestern sie an, und trete würdig zu ihnen, Denn der tragischen Kunst holde Geschöpfe sind sie. Bildete doch ein Dichter auch mich! und seine Gesänge, Ja sie vollenden an mir, was mir das Leben versagt. Also sprach sie und noch bewegte der liebliche Mund sich Weiter zu reden, allein schwirrend versagte der Ton. Denn aus dem Purpurgewölk, dem schwebenden, immer bewegten, Trat der herrliche Gott Hermes gelassen hervor, Mild erhob er den Stab und deutete, wallend verschlangen Wachsende Wolken, im Zug, beide Gestalten vor mir. Tiefer liegt die Nacht um mich her, die stürzenden Wasser Brausen gewaltiger nun, neben dem schlüpfrigen Pfad, Unbezwingliche Trauer befällt mich, entkräftender Jammer, Und ein moosiger Fels stützet den sinkenden nur. Wehmut reißt durch die Saiten der Brust, die nächtlichen Tränen Fließen, und über dem Wald kündet der Morgen sich an.

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Die Vision als ›poetisches‹ »Gebild«

Das Gedicht wird, mit Moritz gesprochen, durch den »Umriß« einer Landschaft eröffnet (MFA 2: 912f.); es handelt sich um die schon in Goethes Brief erwähnten ›formlosen Gebirge‹: Auch von des höchsten Gebirgs beeisten zackigen Gipfeln Schwindet Purpur und Glanz scheidender Sonne hinweg, Lange decket Nacht schon das Tal und die Pfade des Wandrers, Der am tosenden Strom, auf zu der Hütte sich sehnt, Zu dem Ziele des Tags, der stillen hirtlichen Wohnung, (GE V. 1–5: 906).1081

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Der Eindruck der ›Formlosigkeit‹ wird vor allem über die abnehmende Beleuchtung vermittelt. Umso eindrücklicher wirkt bei einbrechender Nacht der akustisch-formlose Eindruck des ›tosenden Stroms‹1082 auf den im dritten Vers genannten ›Wanderer‹, der sich durch diese Landschaft bewegt. Es kommt also ein narratives Element in die Elegie, allerdings im ›dramatischen‹ Präsens. Mit dem vierten Vers wird die Außensicht auf die Landschaft abgelöst durch interne Fokalisierung. Sie thematisiert eine imaginäre Bewegung im Raum und gliedert ihn: Der Wanderer strebt nach oben, hinaus aus dem dunklen Tal, hin zu einer 1081 Die Sigle GE steht im Folgenden für Goethes Euphrosyne, gefolgt von der Verszahl und (nach Doppelpunkt) der Seitenzahl in GMA 4.1: 906–911. 1082 Paradoxerweise versinnlicht durch das eine Klangbeziehung ›formende‹ Mittel der Assonanz.

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Symbolische Allegorie der enargeischen Wirkungskette

Hütte, die (wenn auch auf der naturnahen Stufe der Viehzucht) für menschliche Kultur steht. Der Gegensatz zwischen Natur und Kultur wird durch den Kontrast der Adjektive ›tosend‹ und ›still‹ unterstrichen. Es folgt eine Passage, welche die Innensicht des Wanderers in antikisierend-allegorisierender Weise fortführt: Und der göttliche Schlaf eilet gefällig voraus, Dieser holde Geselle des Reisenden. Daß er auch heute, Segnend, kränze das Haupt mir mit dem heiligen Mohn! (GE 6–8: 906)

Erst das »mir« des achten Verses lässt erkennen, dass ›der Wanderer‹ bzw. ›der Reisende‹ identisch ist mit der Sprechinstanz des Gedichts. Das Ich drückt nicht nur den Wunsch aus, sich auszuruhen, sondern auch zu schlafen und – wie der Mohn andeutet – zu träumen.1083 Die Adjektive ›göttlich‹, ›gefällig‹ und ›hold‹ nehmen Assoziationen des Gedichttitels auf und bereiten vor auf eine Verbindung zwischen dem Gegenstand des Gedichtes und dem Bewusstseinszustand des Schlafes; in diesem Zusammenhang ist zu ergänzen, dass Euphrosyne in der Antike mitunter auch als Tochter der Nacht (Nyx) oder als Beiname für diese verstanden wurde.1084 Etwas unklar erscheint, wieso der Schlaf als ständiger Reisegefährte bezeichnet wird: als Ausgleich zu den verstörenden Eindrücken der Natur? Ungewiss ist auch, was sein ›Vorauseilen‹ bedeuten soll: Beginnt der Wanderer bereits zu träumen? Die folgenden Verse jedenfalls könnten durchaus den Beginn eines Traumes gestalten: Aber was leuchtet mir dort vom Felsen glänzend herüber? Und erhellet den Duft schäumender Ströme so hold? Strahlt die Sonne vielleicht durch heimliche Spalten und Klüfte? Denn kein irdischer Glanz ist es der wandelnde dort. (GE V. 9–12: 906)

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Dafür, dass es sich um eine Traumvision handelt, sprechen die adverbiale Wiederaufnahme des Adjektivs »hold« (V. 7, 10) und die Wiederholung der »mir«-Konstruktion (V. 8, 9), die beide eingeführt wurden im Zusammenhang mit der Thematisierung des Schlafes. Zudem handelt es sich um einen nicht ›irdischen Glanz‹, eine Formulierung, welche an die vom ›göttlichen Schlaf‹ anschließt. In den folgenden Versen wird die Vision explizit als »Wunder« bezeichnet, das Motiv des ›Göttlichen‹ wird in mehrfacher lexikalischer Variation zum Hauptthema gesteigert und der Erzählmonolog wandelt sich zur Anrufung:

1083 Ein zeitnahes Beispiel für den Einsatz dieses Symbols in der bildenden Kunst ist Philipp Otto Runges Allegorie Die Nacht aus seinem Jahreszeiten-Zyklus von 1803 (abgebildet in Hofmann: Runge, 190, Komm. ebd. 203). 1084 Siehe Bloch: Euphrosyne.

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

Näher wälzt sich die Wolke! sie glühet. Ich staune dem Wunder! Wird der rosige Strahl nicht ein bewegtes Gebild? Welche Göttin nahet sich mir? und welche der Musen Suchet den treuen Freund, selbst in dem grausen Geklüft? Schöne Göttin! enthülle dich mir, und täusche, verschwindend, Nicht den begeisterten Sinn, nicht das gerührte Gemüt. Nenne, wenn du es darfst, vor einem Sterblichen deinen Göttlichen Namen, wo nicht, rege bedeutend mich auf, Daß ich fühle, welche du seist von den ewigen Töchtern Zeus, und der Dichter sogleich preise dich würdig im Lied. (GE 13–22: 906f.)

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Noch bevor die Erscheinung als »Göttin« apostrophiert wird, wird sie als »bewegtes Gebild« bezeichnet. Es mag an diesem Punkt der Lektüre noch etwas weit hergeholt erscheinen, diese Formulierung auf die Vorstellung von Schauspielkunst als »belebte Bildnerey«, d. h. Skulptur, zu beziehen (BEIS: 246, siehe III.2.5); unverkennbar aber ist die Formulierung »bewegtes Gebild« durch ›poetische‹ Mittel hervorgehoben: Sie steht in Parallele zu den Fügungen »in dem grausen Geklüft« und »das gerührte Gemüt«, die ebenfalls ein Adjektiv und ein substantivischen Derivat mit dem Präfix ›ge‹ kombinieren1085 und ebenfalls das ›Gebilde‹ je eines Distichons abschließen. Semantisch gesehen entspricht die Opposition »Geklüft« und »Gebild« dem Gegensatzpaar von den ›formlosen‹ Gebirgen und dem ›Bilden‹ weiblicher Rollen in Goethes Brief an Böttiger. Zum Pol der poetischen Formung gehören auch die Wendungen »das gerührte Gemüt« und der »begeisterte Sinn« als traditionelle Topoi des inspirierten Dichters. Insofern die »Göttin« explizit als eine der »Musen« angesprochen wird, ist die Anspielung auf den Musenanruf und damit die Thematisierung des ›Poetischen‹ noch deutlicher als etwa zu Beginn der Elegie auf Richard Burbage (II.2.1). Andererseits geht es nicht um die Gestaltung einer dichterischen Vision mit Hilfe Kalliopes, sondern um ein »Lied« auf eine der Musen, die sich erst noch zu erkennen geben muss. Dies kann geschehen, indem sie das ›Gefühl‹ des Dichters ›aufregt‹ oder indem sie ihm ihren »Namen« verrät. Dessen explizite Thematisierung lenkt den Blick noch einmal zurück auf die paratextuelle Spannung zwischen expliziter Namensnennung in der Widmung und mythologischer Anspielung im Titel – wobei offensichtlich die Grazien, zu denen Euphrosyne gehört, mit den Musen zusammengedacht werden, gehören doch diese wie jene zu »den ewigen Töchtern/ Zeus«. Ein Musenanruf wird üblicherweise nicht durch eine explizite Musenantwort erwidert, sein Erfolg jedoch durch die Existenz des anschließenden Gedichts (bzw. Epos) beglaubigt. Hier dagegen antwortet die Angerufene mit einer Rede, 1085 Genau genommen handelt es sich bei ›Gebild‹ um die verkürzte Form des Zirkumfixderivats ›Gebilde‹; die Synkopierung gleicht die Substantive phonetisch einander an.

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Symbolische Allegorie der enargeischen Wirkungskette

die 118 von insgesamt 152 Versen umfasst. Zu Beginn spricht sie den wandernden Dichter in einer Weise an, welche die ehrfürchtige Distanz durch Vertraulichkeit ersetzt: »Kennst du mich Guter nicht mehr? und käme diese Gestalt dir, Die du doch sonst geliebt, schon als ein fremdes Gebild?[«] (GE V. 23f.: 907)

Auf sich selbst bezogen, greift die Sprecherin das Stichwort »Gebild« auf, doch ist es nicht ›bewegt‹, sondern ›fremd‹ und steht in Opposition zur ›geliebten Gestalt‹ – und im Folgenden auch zum ›Genuß‹ des Lebens: Zwar der Erde gehör ich nicht mehr und trauernd entschwang sich Schon der schauernde Geist jugendlich frohem Genuß, Aber ich hoffte mein Bild noch fest in des Freundes Erinnrung Eingeschrieben, und noch schön durch die Liebe verklärt. (GE 25–28: 907)

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Die Formulierung vom ›Bild‹ der Sprecherin, das »in des Freundes Erinnrung/ Eingeschrieben« ist, aktualisiert jenen Zusammenhang zwischen graphischem, verbalem und mentalem Bild, der für enargeische Kunstbeschreibungen in der Tradition Philostrats konstitutiv ist und auch den Beginn der Burbage-Elegie prägt (II.2.1). Während dort jedoch zunächst ein bildender Künstler beschworen wird, der die Erinnerung an die Verstorbene oder die Gefühle des Hinterbliebenen besser darstellen könnte, und dann der Mime selbst, erzeugt hier das erzählte Ich den mimischen Ausdruck, wenn auch in den Worten der Sprecherin zum ›Du‹ geworden: Ja schon sagt mir gerührt dein Blick, mir sagt es die Träne, Euphrosyne, sie ist noch von dem Freund gekannt. (GE V. 29f.: 907.)

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Die Träne steht hier allerdings nicht nur für die Trauer, sondern für das freudige Wiedererkennen der Erscheinung oder, mit einem wichtigen Begriff der aristotelischen Tragödientheorie, für die Anagnorisis.1086 Sie gipfelt traditionell in der Nennung des Namens. Hier ist es allerdings der ›göttliche Name‹, den schon die Überschrift nennt, nicht der bürgerliche Name der Schauspielerin. Dennoch leiten die folgenden Verse von der allegorischen Situation zu biographischen Erinnerungen über, welche den Weimarer Theaterleiter Goethe und die als Zwölfjährige in sein Ensemble Aufgenommene verbinden:

1086 Siehe das elfte Kapitel der Poetik; dazu Fuhrmann: Dichtungstheorie, 37f. Die Anagnorisis markiert beispielsweise einen affektiven Höhepunkt in den Iphigenie-Dramen von Euripides, Racine und Goethe.

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

Sie! die Scheidende zieht durch Wälder und grause Gebirge, Sucht den wandernden Mann, ach! in der Ferne noch auf. Sucht den Lehrer, den Freund, den Vater, und blicket noch einmal Nach dem leichten Gerüst irdischer Freuden zurück. Laß mich der Tage gedenken, da du das Kind mich dem Spiele Jener täuschenden Kunst reizender Musen geweiht. Laß mich der Stunde gedenken und jedes kleineren Umstands. Ach! wer ruft nicht so gern unwiderbringliches an! Jenes süße Gedränge der leichtesten irdischen Tage, Ach! wer schätzt ihn genug diesen vereilenden Wert. Klein erscheinet es nun, doch ach! nicht kleinlich dem Herzen; Macht die Liebe, die Kunst jegliches Kleine doch groß. (GE 31–42: 907)

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Auch dieser Rückblick ist in allegorisierender Weise stilisiert: Die ›ungeformten‹, in diesem Fall sogar »grause[n] Gebirge« kontrastieren mit dem ›leichten Gerüst irdischer Freuden‹. Diese Formulierung wiederum meint zum einen die Theaterbühne,1087 die als »täuschende[ ] Kunst reizender Musen« bezeichnet wird (wobei die »Musen« auf die Sprecherin zurückverweisen). Zum anderen steht sie, im Sinn der barocken theatrum-mundi-Allegorie, auch für das »süße Gedränge der leichtesten irdischen Tage«,1088 deren Verlust die Verstorbene beklagt. Peter Andr8-Alt hat gezeigt, dass diese Allegorie im 18. Jahrhundert vor allem seit dem Sturm und Drang eine Neudeutung erfährt, »die nun ganz im Zeichen der Genieästhetik und ihrer bevorzugten literarischen Gattung, des Dramas steht.«1089 An die Stelle des christlichen Heilstheaters tritt etwa bei Herder »ein pantheistisch interpretierbares Naturtheater«;1090 für Lenz ist das Theater »ein Spielraum der Individualität, ein Exerzierfeld, auf dem sich der Mensch erproben darf, um im Leben als vollendeter Charakter auftreten zu können«.1091 Im Folgenden wird sich zeigen, dass die Elegie des ›klassischen‹ Goethe auf beide Aktualisierungstendenzen zurückgreift und auch auf jenes Modell, das bereits im Sturm und Drang für ein solches ›Welttheater‹ stand: die Dramen Shakespeares.

1087 Siehe Vers 43: »auf dem Brettergerüste«. 1088 Man beachte die Wiederaufnahme des Adjektivs ›leicht‹ (34, 39), dessen Bedeutung zwischen ›unbeschwert‹ und ›vergänglich‹ changiert und zugleich auf die ›Transitorik‹ der Bühnenkunst verweist (siehe Einf. 1). 1089 Alt: Begriffsbilder, 519–538, hier 520. 1090 Alt: Begriffsbilder, 522; entwickelt wird diese Neudeutung in Herders Shakespear-Aufsatz von 1773. 1091 Alt: Begriffsbilder, 527; entwickelt wird diese Vorstellung in Lenz’ Rezension Über Götz von Berlichingen (Lenz: Werke 2: 637–641) und seinen Anmerkungen übers Theater (ebd. 641–671), beide von 1774.

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Symbolische Allegorie der enargeischen Wirkungskette

2.3

Die symbolische ›Konfiguration‹ von Allegorie und Anekdote

Die Aufforderungen der monologisierenden Erscheinung zum gemeinsamen Gedenken nehmen in den nächsten Versen den Charakter ekphrastischer Imaginationssignale an (I.2.1.1), die ein Rollenporträt einleiten: Christiane spielt den gefangenen Königssohn Arthur in Shakespeares King John (bzw. König Johann), dessen deutsche Uraufführung Goethe besorgt hatte.1092 Denkst du der Stunde noch wohl, wie auf dem Brettergerüste, Du mich der höheren Kunst ernstere Stufen geführt? Knabe schien ich, ein rührendes Kind, du nanntest mich Arthur, Und belebtest in mir brittisches Dichtergebild, (GE V. 43–46: 907)

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Im ersten Distichon ist dieses Porträt verbunden mit der Geschichte der jungen Schauspielerin: Die Übernahme einer Tragödienrolle (die im Gegensatz zur bisherigen Kennzeichnung des Theaters als Vermittlerin »irdischer Freuden« und »Kunst reizender Musen« steht) wird zum ›Bildungs-Erlebnis‹, das künstlerische Fortentwicklung und charakterliche Reifung bewirkt. Im zweiten Distichon wird der Aspekt intermedialer Enargeia weitergeführt: Der Begriff »Dichtergebild« verweist zurück auf die oben analysierte Kennzeichnung der Erscheinung im Gebirge als »bewegtes Gebild« (V. 14). Hier steht er für Shakespeares mentales Rollenbild; das durch Christianes Verkörperung und Goethes Inszenierung enargeisch ›belebt‹ wird. So vorbereitet, springt die Erzählung zu einem affektiven Höhepunkt der Tragödie in der ersten Szene des vierten Aktes: Der Knappe Hubert, gespielt von Goethe, soll auf Befehl König Johanns dessen Neffen Arthur blenden. Das fällt ihm sehr schwer, da ihn der Knabe als »Freund« und »Vater« anspricht (wie zuvor der Geist den Wanderer). Ich zitiere die Szene nach der von Goethe verwendeten Übertragung Johann Joachim Eschenburgs: Hubert. Seine Reden dringen mir ans Herz. (Er zeigt ihm ein Papier.) Lies hier, junger Arthur – (beyseite) Was wollt ihr, alberne Thränen? die ihr die mitleidlose Härte niederdrückt! Ich muß es kurz machen; sonst vertröpfelt mein Vorsatz in weibischen Thränen aus meinen Augen. – Könnt Ihrs nicht lesen? ist es nicht schön geschrieben?1093 […] Arthur. O! rette mich, Hubert! rette mich! Meine Augen sind schon aus, schon von den grimmigen Blicken dieser blutdürstigen Leute.1094

1092 Siehe Miller : Euphrosyne. 1093 Shakespeare: Schauspiele 15, 103. 1094 Shakespeare: Schauspiele 15, 105.

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

Allerdings steht in der Elegie nicht die schauspielerische Gestaltung der Szene durch Christiane im Fokus, sondern die Reaktion Huberts – bzw. des Mitspielers Goethe, den die Erscheinung auf der Gegenwartsebene der Erzählung weiterhin in der zweiten Person anspricht: Drohtest mit grimmiger Glut den armen Augen, und wandtest Selbst den tränenden Blick, innig getäuschet hinweg, (GE 948f.: 907)

Vergleicht man die Verse mit der aufgeführten Passage, fällt allerdings auf, dass Hubert im Drama seine Tränen unterdrücken muss, weil er Mitleid mit dem Gefangenen hat, nicht aber, weil er durch irgend etwas »innig getäuscht« würde. Diese Formulierung kann sich nur auf den Mitspieler Goethe beziehen, der sich von der dargestellten Situation hinreißen lässt. Die Einfühlung des Mitspielers steigert sich bei der Darstellung von Szene 4.3 zum Aus-der-Rolle-Fallen: Hubert findet Arthur, der sich bei einem missglückten Fluchtversuch zu Tode gestürzt hat, und trägt ihn fort: Ach! da warst du so hold und schütztest ein trauriges Leben, Das die verwegene Flucht endlich dem Knaben entriß. 50 Freundlich faßtest du mich den gestürzten, und trugst mich von dannen, Und ich heuchelte lang, dir an dem Busen, den Tod, Endlich schlug ich das Aug auf und sah dich, Geliebter, in ernste, Stille Betrachtung versenkt, über den Liebling geneigt. (GE 49–54: 908)

Wie in der Burbage-Elegie wird hier das Sterben so ›lebendig‹ verkörpert bzw. ›geheuchelt‹, dass ästhetische und tatsächliche Illusion für Publikum wie Mitspieler verschwimmen (II.2.2). In diesem Fall sind Publikum und Mitspieler identisch, denn es handelt sich, wie spätestens aus den folgenden Versen erhellt, nicht um eine Vorstellung, sondern um eine Probe. Zudem wird die Wirkung nicht im Sinn einer intermedialen Metalepse von der Erzählinstanz formuliert, sondern von der sich erinnernden Schauspielerin. Diese missversteht in der szenisch vergegenwärtigten Probensituation die Reaktion des Theaterleiters als Kritik: Kindlich strebt ich empor, und küßte dir dankbar die Hände, Reichte, zum reinen Kuß, dir den gefälligen Mund. Fragte: warum so ernst mein Vater? und hab ich gefehlet, O! so zeige mir an, wie mir das bessre gelingt. Keine Mühe verdrießt mich bei dir, und alles und jedes Wiederholt’ ich so gern, wenn du mich leitest und lehrst. Aber du faßtest mich ernst und drücktest mich fester im Arme, Und es schauderte mir tief in dem Busen das Herz. Nein, mein liebliches Kind, so riefst du, alles und jedes

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Symbolische Allegorie der enargeischen Wirkungskette

Wie du es heute gezeigt, zeig es auch morgen der Stadt. Rühre sie alle wie du mich rührst, und es fließen zum Beifall Dir von dem trockensten Aug’ herrliche Tränen herab. Aber am tiefsten trafst du doch mich, den Freund, der im Arm dich Hält, den selber der Schein früherer Leiche geschreckt. (GE 50–68: 908)

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Was es mit dem »Schein früherer Leiche« auf sich hat,1095 erschließt sich textimmanent nicht, wohl aber über eine Anekdote aus den erst 1862 erschienenen Erinnerungen des Weimarer Schauspielers Anton Genast: Bei der Hauptprobe zeigte Christiane nicht genug Entsetzen vor dem glühenden Eisen; ungeduldig hierüber riß Goethe dem Darsteller des Hubert das Eisen aus der Hand und stürzte mit solch grimmigem Blick auf das Mädchen zu, daß dieses entsetzt und zitternd zurückwich und ohnmächtig zu Boden sank. Erschrocken kniete nun Goethe zu ihr nieder, nahm sie in seine Arme und rief nach Wasser. Als sie die Augen wieder aufschlug, lächelte sie ihm zu, küßte seine Hand und bot ihm dann den Mund; eine schöne und rührende Offenbarung der väterlichen und kindlichen Neigung beider zueinander.1096

Goethe verbindet das Geschehen also mit der späteren Szene, tilgt weitgehend das Moment der Ohnmacht (bis auf besagte Formulierung vom »Schein früherer Leiche«) und vertauscht die ›Rolle‹ der Getäuschten mit der des Getäuschten. Beibehalten wird dagegen die ausdrucksvolle Körpersprache, welche im vollen Wortsinn die Zu-Neigung beider ausdrückt – im Gedicht jedoch gewissermaßen als Kippfigur aus ›geheuchelter‹ Rollenverkörperung und unverstelltem Ausdruck. Zudem geht es offenbar darum, den »Schein« einer kindlichen »Leiche« nicht durch eine Ohnmacht zu motivieren, sondern durch die intuitive Vollkommenheit, mit der Christiane spielte. Damit wird zum einen ihr Talent hervorgehoben, das seine Wirkung auf das Publikum nicht verfehlte, zum anderen das Motiv der enargeischen Wirkungskette fortgesetzt. Der Mitspieler erläutert nämlich nun über achtzehn Verse hinweg (V. 68–86), welch »tiefe Betrachtung« (V. 82) ihn bei »[s]tille[r] Betrachtung« (V. 54) der Schein-Toten ergriffen hatte: In der Natur »entsteht und vergeht [alles] gesetzlich« (V. 77), wie das ›Welttheater‹ der Natur in den Versen 69–76 veranschaulicht, nicht jedoch notwendigerweise im Leben des Menschen.

1095 Siehe Miller : Euphrosyne; Paulin: Art and Immortality, 67f. 1096 Genast: Aus dem Tagebuche, 83, siehe GM A 6.1: 880.

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

Öfter ach! verkehrt das Geschick die Ordnung der Tage Hülflos klaget ein Greis Kinder und Enkel umsonst, Steht, ein beschädigter Stamm, dem rings zerschmetterte Zweige Um die Seiten umher strömende Schloßen gestreckt. (GE V. 83–86: 909)1097

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Es handelt sich hier um eine Anspielung auf die Poems of Ossian, eine durchgreifenden Bearbeitung gälischer Poesie durch den Schotten James Macpherson, die bis weit in die Romantik hinein das europäische Lesepublikum faszinierte.1098 Goethes Verse variieren ein Gleichnis aus dem sechzehnten der Fragments of Ancient Poetry (1760).1099 Der greise Barde Ossian reagiert auf die Frage, wie sein Sohn Oscar umgekommen sei.1100 Zunächst spricht er von Oscars jähem Tod in Naturbildern. In ähnlicher Metaphorik kontrastiert er damit sein eigenes ›Dahinvegetieren‹: »I, like an ancient oak on Morven, I moulder alone in my place. The blast hath lopped my branches away ; and I tremble at the wings of the north. Prince of the warriors, Oscur, my son! shall I see thee no more!«1101 Doch selbst wenn einem zeitgenössischen Leser diese Referenz entgangen ein sollte, war doch die nach emblematischem Muster funktionierende Ausdeutung des sprachlichen Bildes explizit genug: Die einleitende Formulierung von der verkehrten »Ordnung der Tage« erfüllt die Funktion des Mottos, die Auslegung und didaktische Anwendung wird im Anschluss geliefert, ausdrücklich adressiert an das fragende Mädchen: Und so, liebliches Kind, durchdrang mich die tiefe Betrachtung, Als du zur Leiche verstellt über die Arme mir hingst; Aber freudig seh ich dich nun, in dem Glanze der Jugend, Vielgeliebtes Geschöpf, wieder am Herzen belebt. Springe fröhlich dahin, verstellter Knabe, das Mädchen Wächst zur Freude der Welt, mir zum Entzücken heran. Immer strebe so fort, und deine natürlichen Gaben

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1097 Hier sieht auch Wolf Gerhard Schmidt (Homer des Nordens Bd. 2, 794, Anm. 446) eine Ossian-Reminiszenz. 1098 Die immer noch gängige Verurteilung ossianischer Poesie als »Fälschung« ist nicht zu halten: James Macpherson (1736–1796) ging durchaus von mündlichen und schriftlichen Quellen aus, die er allerdings für korrupt hielt und durchgreifend überarbeitete (siehe Stafford: Macpherson; Gaskill: Ossian Revisited). Die deutsche Ossian-Rezeption ist umfassend aufgearbeitet und dokumentiert in Schmidt: Ossian. Zum Einfluss Ossians auf die Euphrosyne-Elegie, der hier nur knapp behandelt werden kann, siehe eingehend Singer : Euphrosyne und die Poems of Ossian. 1099 Die Fragments of Ancient Poetry, Collected in the Highlands of Scotland, and Translated from the Gaelic or Erse Language erschienen 1760 in Edinburgh und wurden von Howard Gaskill neu ediert in Macpherson: Poems of Ossian, 1–31. 1100 Dies die spätere und gängige Schreibung der Namen, hier eigentlich noch »Oscian« und »Oscur«. 1101 Macpherson: Poems of Ossian, 16.

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Symbolische Allegorie der enargeischen Wirkungskette

Bilde bei jeglichem Schritt steigenden Lebens, die Kunst. Sei mir lange zur Lust und eh’ mein Auge sich schließet, Wünsch ich dein schönes Talent glücklich vollendet zu sehn. (GE V. 87–96: 909)

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Der die Passage beschließende Wunsch hat angesichts von Christianes frühem Tod, der den erzählenden Rückblick ja erst motiviert, die Qualität tragischer Ironie.1102 Innerhalb der hier erzählten Geschichte jedoch verdeutlicht die Auslegung der »tiefe[n] Betrachtung« vor allem, was mit der Formulierung gemeint war, Goethe habe in einer bedeutungsvollen »Stunde« seine Schülerin »der höheren Kunst ernstere Stufen geführt« (V. 44). Im Anschluss wird das Motiv der enargeischen Wirkungskette weitergeführt: Also sprachst du, und nie vergaß ich der wichtigen Stunde, Deutend entwickelt ich mich an dem erhabenen Wort. O! wie sprach ich so gerne zum Volke die rührenden Reden, Die du, voller Gehalt, kindlichen Lippen vertraut, (GE V. 97–100: 909)

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Die Schauspielerin wird also aufgrund der erzählten ›tiefen Betrachtung‹ fähig, Theaterreden zu sprechen, die der Dichter wiederum eigens im Hinblick auf sie geschrieben hat.1103 Das Thema ihrer gegenseitigen Beeinflussung wird in den nächsten Versen fortgeführt, nunmehr jedoch unter dem Vorzeichen des unwiederbringlichen Verlustes: O wie! bildet ich mich an deinen Augen und suchte Dich im tiefen Gedräng staunender Hörer heraus. Doch dort wirst du nun sein und sitzen, und nimmer bewegt sich Euphrosyne hervor, dir zu erheitern den Blick. Du vernimmst sie nicht mehr die Töne des wachsenden Zöglings, Die du zu liebendem Schmerz frühe, so frühe! gestimmt, (GE V. 101–106: 909)

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1102 Auch die Figuration des über die scheinbar Tote nachsinnenden ›Vaters‹ bekommt eine weitere Dimension: Sie wird gewissermaßen zur prophetischen Vision einer Piet/, bei der die Geschlechterrollen vertauscht sind. 1103 Noch als Dreizehnjährige spricht Christiane am 31. 12. 1791 einen Epilog zum Singspiel Die Eifersucht auf der Probe, der gleichzeitig ein Neujahrswunsch ist und in den Eingangsversen das Motiv rührender Kindlichkeit thematisiert (GMA 4.1: 196f., Komm. 988). Am 15. 10.1793 deklamiert sie (inzwischen als verheiratete »Madame Becker«) einen Prolog zu Goldonis Schauspiel Der Krieg, in dem das Thema des Stücks auf den aktuellen Krieg gegen Frankreich bezogen wird (ebd. 200f., Komm. 990). Am 6. 10. 1794 schließlich lässt Goethe sie in einem Prolog zu Ifflands Lustspiel Alte und neue Zeit reflektieren über das Verhältnis ihrer Knabenrolle zu ihrer Entwicklung von der dem Publikum wohlbekannten »kleine[n] Christel« (V. 13) zur verheirateten Frau und jungen Mutter – durchaus im Sinn einer ›ästhetischen Konfiguration‹ (ebd. 202f., Komm. 990f.).

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

Die enargeische Wechselwirkung überträgt sich in eine Interaktion, die Sinne und Emotionen jeweils in dialektischer Spannung zeigt: Die Schauspielerin ›bildet sich‹ an den Augen des Lehrers, die ihre Leistung würdigen; er sieht sie nicht nur, sondern ›vernimmt‹ auch die »Töne« ihrer Deklamation. Sie wiederum vermag den zuschauenden Dichter »zu erheitern«, weil sie durch die Erfahrung von »liebendem Schmerz« gegangen ist. Dabei sind Sinne und Empfindungen nicht nur metaphorisch vermittelt, die Formulierungen haben auch einen schauspieltheoretischen Hintergrund. So ist es zwar um 1800 eine beliebte Metapher zu sagen, jemand sei auf eine Grundempfindung hin »gestimmt« worden wie ein Instrument,1104 es ist aber ebenso ein Rückgriff auf die sich auch in manchen Ekphrasen manifestierende Vorstellung, für die Rezitation sei es entscheidend, den richtigen »Ton« einer Passage zu finden, der von einem bestimmten Affekt bzw. einer Empfindung abhänge.1105 Auch die Überzeugung, dass sich Emotionen am machtvollsten über den Ausdruck der Augen vermitteln lassen,1106 lässt sich durch Zitate aus den hier behandelten Ekphrasen belegen.1107 In Goethes Elegie wird dieses Motiv allerdings in einer Weise leitmotivisch aufgeladen, die weit über diese Vorstellung hinausgeht: Die Augen und der Blick stehen für Zuneigung und zugleich – das Wortspiel ist kaum zu vermeiden – für die Kostbarkeit des vergänglichen Augenblicks: angefangen mit dem gerührten Blick des Wanderers, der die Gestalt erkennt (V. 29), über die fiktive Bedrohung der Augen Arthurs und den durch diese Situation gerührten Blick des Mitspielers (V. 47f.), über die wieder geöffneten Auge der scheinbar Toten (V. 33), die weinenden Augen der gerührten Zuschauer (V. 66) und das Auge, das der Überlebende dem Toten schließt (V. 81) bis schließlich zu seinem im Sterben sich schließenden Auge, das der visionäre Mentor imaginiert (V. 95). Doch sind es gerade nicht die Augen der Mimin und ihr Einsatz auf der Bühne, die hier thematisiert werden: In der Passage, die zum Aus-der-Rolle-Fallen führt, sind sie ja geschlossen. Und obwohl auch in den hier zitierten Versen auf sehr persönliche Weise das Verhältnis zwischen Goethe und Christiane gestaltet wird, wird diese wiederum (die Überschrift eingerechnet zum dritten Mal) »Euphrosyne« genannt. Genauer gesagt: Die Erscheinung nennt sich selbst so, in 1104 Siehe Wellbery : Stimmung, 706f. 1105 Siehe beispielsweise Anmerkung 278 in Kapitel II.6. oder Böttigers Formulierung vom »sanft bittendem Tone« Ifflands als gerührter Junggeselle (BEIS: 229; III.5.2) sowie seine Behauptung, dieser wisse, »dass die wahre Intonation des Affects […] im Nachdruck des Tons, nicht der Stimme bestehe« (BEIS: 399; III.8.2). 1106 Siehe Roach: Player’s Passion, 23–57; Till: Rhetorik und Schauspielkunst, 65; 80. 1107 Erinnert sei nur an die Formulierung der Burbage-Elegie, dieser habe »a sad lover, with so true an eye« gespielt, dass man geglaubt habe, er wolle tatsächlich sterben (AFB: 19: 182; II.2.2), und an das Lob des Theaterrichters Shakespeare in der Rosciad für die geheimnisvollen Kräfte in Garricks »magic circle of the Eye« (CR V. 1082: 34).

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Symbolische Allegorie der enargeischen Wirkungskette

der dritten Person. Die Formulierung »nimmer bewegt sich/ Euphrosyne hervor, dir zu erheitern den Blick« (V. 103f.) macht deutlich, dass sie den Namen in Bezug auf den Lehrer führt und für ihn die ›Heiterkeit‹ verkörpert, wenngleich eine durch das Bewusstsein von »liebendem Schmerz« menschlich vertiefte. Diese Spannung zwischen dem individuellen und exemplarischen Status der Figur Euphrosyne prägt auch die folgenden Verse: Andere kommen und gehn, es werden dir andre gefallen, Selbst dem großen Talent, drängt sich ein größeres nach. Aber du vergesse mich nicht! wenn eine dir jemals Sich im verworrnen Geschäft heiter entgegen bewegt, Deinem Winke sich fügt, an deinem Lächeln sich freuet, Und am Platze sich nur, den du bestimmtest, gefällt, Wenn sie Fleiß nicht spart noch Mühe, wenn sie die Kräfte, Selbst bis zur Pforte des Grabs, freudiges Opfer dir bringt, Dann gedenkest du mein, du guter, und rufest, auch spät noch: Euphrosyne, sie ist wieder erstanden vor mir! (GE V. 107–116: 909f.)

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Die Aufforderung der Verstorbenen, sie nicht zu vergessen, gründet sich nicht etwa auf ihre Individualität, sondern auf ihre Ersetzbarkeit: Wer heiter, gelehrig und aufopferungsvoll ist (nicht zu vergessen weiblich und jung), verkörpert den Typus ›Euphrosyne‹ wieder neu.1108 Anders als bei Burbage und Garrick, die das Ideal des Roscius als Inbegriff vollkommener Schauspielkunst wiederbeleben (II.2.2, II.2.3, II.4.1), ist hier noch nicht einmal außerordentliches »Talent« entscheidend. Trotzdem richtet der Geist einen Wunsch an den Dichter, der an die Vorstellung einer enargeischen Wechselwirkung zwischen beiden anschließt: Vieles sagt ich noch gern, doch ach! die Scheidende weilt nicht Wie sie wollte, mich führt, streng, ein gebietender Gott. Lebe wohl schon zieht michs dahin in schwankendem Eilen, Einen Wunsch nur vernimm, freundlich gewähre mir ihn: Laß nicht ungerühmt mich zu den Schatten hinabgehn! Nur die Muse gewährt einiges Leben dem Tod. (GE V. 117–121: 910)

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Hier ist daran zu erinnern, dass der Wanderer, als ihm die Erscheinung noch ›ungeformt‹ begegnete, wissen wollte, »welche der Musen« (V. 15) ihn hier aufsuche – nunmehr bittet sie, die zugleich Mimin und eine der Grazien ist, um 1108 Die Formulierung »wieder erstanden« (GE 116: 910) hat allerdings auch christliche Implikationen, wie das Bild der scheinbar Toten in den Armen des Sinnenden die Darstellungstradition der Piet# variieren mag. Angesichts des dominierenden Bezugs auf griechische Mythologie handelt es sich hier jedoch nur um ein Moment der feierlichen Überhöhung.

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die Hilfe einer dem Dichter zugehörigen Muse. Davon abgesehen, ist die Vorstellung des Nachruhms im dichterischen Lob schon seit Homers Zeiten topisch, doch wird sie im Folgenden in einer Weise begründet, die trotz aller antiken Einkleidung durchaus ungriechisch ist: Denn gestaltlos schweben umher in Persefoneias Reiche, massenweis, Schatten vom Namen getrennt. Wen der Dichter aber gerühmt der wandelt, gestaltet, Einzeln, gesellet, dem Chor aller Heroen sich zu. Freudig tret ich einher, von deinem Liede verkündet, Und der Göttin Blick weilet gefällig auf mir. Mild empfängt sie mich dann und nennt mich, es winken die hohen Göttlichen Frauen mich an, immer die nächsten am Thron. Penelopeia redet zu mir, die treuste der Weiber, Auch Euadne, gelehnt auf den geliebten Gemahl. Jüngere nahen sich dann, zu früh herunter gesandte, Und beklagen mit mir unser gemeines Geschick. Wenn Antigone kommt, die schwesterlichste der Seelen, Und Polyxena trüb noch von dem bräutlichen Tod; Seh ich als Schwestern sie an, und trete würdig zu ihnen, Denn der tragischen Kunst holde Geschöpfe sind sie. Bildete doch ein Dichter auch mich! und seine Gesänge, Ja sie vollenden an mir, was mir das Leben versagt. (GE V. 123–140: 910)

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Zwar handelt es sich, wie Rosemarie Haas festhält, bei den Motiven »nächtliche Totenbeschwörung; Bitte der verstorbenen Person, ihrer rühmend zu gedenken; Katalog mythologischer Frauen« um »geläufige Topoi antiker Hadesdarstellungen, die sich sämtlich von der Nekyia der ›Odyssee‹ herleiten.«1109 Doch entscheidend für den Eintritt in den Hades war nach griechischer Vorstellung nicht die Rühmung, sondern die Bestattung. Das zeigt gerade der Vergleich zur Odyssee: Es leuchtet zwar ein, dass Haas Goethes Vers »Laß nicht ungerühmt mich zu den Schatten hinabgehn!« als Variante von Elpenors Bitte an Odysseus (Od. 11, 72) versteht, die in der Goethe wohlvertrauten Übersetzung von Johann Heinrich Voß (1793) lautet: »Laß nicht unbeweinet und unbegraben mich liegen«.1110 Doch ist die religiöse Vorstellung eine andere: Die Tränen begleiten die Bestattungszeremonie, können sie aber nicht ersetzen. Andernfalls müsste Elpenor Odysseus ja nicht auffordern, zur Insel Aia zu fahren, um seinen Leib zu bestatten (Od. 11, V. 66–78). Die Problematik ist etwa für die Antigone des 1109 Haas: Goethes Euphrosyne, 208 – in diesem Zusammenhang wird überzeugend die These widerlegt, Goethe habe sich hier an Properz’ Elegie IV.7 orientiert (Maaß: Goethes Elegien, 282). 1110 Siehe Haas: Goethes Euphrosyne, 30f.

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Sophokles zentral, an die Goethes Katalog von Heroinen ja erinnert. Auch die Rühmung durch das dichterische Wort kann nach antiker Überzeugung zwar das Weiterleben der Erinnerung im Diesseits verbürgen,1111 nicht aber den Zutritt zur Unterwelt. Für die Euphrosyne-Elegie gilt dagegen Max Kommerells Beobachtung, dass hier »ein neuer, ein goethischer Hades erscheint: ein Hades, in dem sich das Namenlose von der verewigten Gestalt unterscheidet, und in dem sich Euphrosyne durch ihren Beruf zur Familie der tragischen Heldinnen und Helden zählen darf.«1112 Ich habe bereits andernorts nachgewiesen, dass Goethe auch an dieser Stelle auf die Poems of Ossian anspielt, in denen die Geister der (meist jung) gefallenen Krieger nur dann überhaupt weiterexistieren können, wenn sie ein Barde besingt.1113 Allerdings gehört zum Wesen und ästhetischen Reiz der ossianischen Geister gerade das ›Ungeformte‹, und auch für den Gesang des Barden ist der ›Ton‹ wehmütiger Klage entscheidend, nicht die Formung – bildhaft drückt sich das aus in Ossians Blindheit und im häufigen Vergleich seiner Seele mit einer Äolsharfe, formal in Macphersons rhythmisierter Prosa.1114 Hier dagegen hat der Dichter bereits die Lebende ›gebildet‹ (V. 139) im Doppelsinn von Erziehung und skulpturaler Formung und sorgt nun durch sein ›Lied‹ dafür, dass Euphrosyne sich von den ›gestaltlosen‹ »Schatten« (V. 123f.) unterscheidet, so dass sie, ihrem Namen entsprechend »freudig« ›einhertreten‹ kann (V. 127); die Anerkennung durch Persephones »Blick« schließt die Motivreihe der Augen und Blicke ab. Auffallend ist allerdings, dass »der tragischen Kunst holde Geschöpfe« (V. 138), das heißt Heldinnen der griechischen Tragödie, eine ›Gestalt‹ in ihren »Chor« aufnehmen (V. 126), die eben keine Rollenfigur ist, sondern eine in einer Elegie bedichtete Schauspielerin bzw. eine der unsterblichen Grazien. Allenfalls mag man an die gleichnamige Figur in Miltons Maskenspiel Comus denken; aus dem 18. Jahrhundert sind einige graphische Bilder englischer Schauspielerinnen in dieser Rolle erhalten.1115 Naheliegender jedoch ist der Bezug auf die Rolle der Euphrosine [sic] aus Carl Friedrich Henslers Zauberoper Das Petermännchen, in 1111 Auch auf diesen »frühgriechischen, in der Tradition vielfach wiederholten Gedanken« weist Haas hin (Haas: Goethes Euphrosyne, 35f.). 1112 Kommerell: Gedanken über Gedichte, 177. Nicht in diese Familie scheint »Penelopeia« zu gehören, was Haas als weiteren Beleg für die Beziehung der Elegie zur Odyssee wertet (Haas: Goethes Euphrosyne, 28). Immerhin sei darauf hingewiesen, dass nach Benjamin Hederichs Mythologischem Lexikon von 1770 (Sp. 1937), Aischylos und Euripides Penelope-Tragödien geschrieben haben, die verloren gegangen sind. – Mathias Mayer geht noch einen Schritt weiter als Kommerell und interpretiert diesen Hades als »Schattenreich der Literatur« (Mayer: Goethes Euphrosyne, 159). Das scheint mir einleuchtend und mit meiner nachfolgenden Argumentation durchaus vereinbar. 1113 Singer : Euphrosyne und die Poems of Ossian, bes. 69–80. 1114 Siehe Singer : Ossian, 26–28. 1115 Siehe Lennox-Boyd: Mezzotints, 113 und Wood: Shock of the Real, 57.

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der Goethe sie am 13. Mai 1797 das letzte Mal gesehen hatte.1116 Diese Euphrosine ist nicht die Tochter der Mnemosyne, sondern die Pflegetochter des höchst nordischen Peterweibchens, einer zauberkundigen Untoten. Aus verzweifelter Liebe stürzt sie sich von einem Felsen ins Meer. ›Erfreut‹ hat zwar auch sie durch ihren Liebreiz, doch ihr eigenes Schicksal spricht vom ersten Auftritt an ihrem Namen Hohn. Bedenkt man nun, dass Goethes Elegie ›Euphrosynes‹ »freudiges Opfer« ihrer »Kräfte/ Selbst bis zur Pforte des Grabs« rühmt (V. 113f.) und dass Christiane erst neunzehnjährig starb, weil sie nach der Geburt ihres zweiten Kindes umgehend wieder ihre strapaziöse Bühnenarbeit aufnehmen musste, lässt sich die Formulierung »was mir das Leben versagt« (V. 140.) auf die Rollenfigur wie auf das Leben Christiane Becker-Neumanns beziehen. Mit diesen Worten endet Euphrosynes Monolog – unfreiwillig und in einer szenischen Gestaltung, die das Gewaltsame ihres zu frühen Todes noch einmal symbolisiert. In dieser Hinsicht ist sie durchaus vergleichbar mit der TotentanzSzene der Burbage-Elegie; andererseits fällt im Kontrast zu deren Drastik die ›Gelassenheit‹ ins Auge, mit der die ›Gestalt‹ des Hermes mit einer statuenhaft ›geformten‹ Geste Euphrosynes ›Auftritt‹ abschließt: Also sprach sie und noch bewegte der liebliche Mund sich Weiter zu reden, allein schwirrend versagte der Ton. Denn aus dem Purpurgewölk, dem schwebenden, immer bewegten, Trat der herrliche Gott Hermes gelassen hervor, Mild erhob er den Stab und deutete, wallend verschlangen Wachsende Wolken, im Zug, beide Gestalten vor mir. (GE V. 161–166: 910f.)

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Der Wechsel von »Gestalten« zu »Wolken« signalisiert, dass alle stilisierende Formung nicht vermag, die in der ›tiefen Betrachtung‹ formulierte Erschütterung zu transzendieren. So schließt die Elegie wieder mit ossianischer Bildlichkeit1117 und den im Brief an Böttiger erwähnten »Tränen« des »Liebende[n]«. Sie gehören allerdings der Nacht zu; das Gedicht endet mit dem Anbruch des die Konturen formenden Tages: Tiefer liegt die Nacht um mich her, die stürzenden Wasser Brausen gewaltiger nun, neben dem schlüpfrigen Pfad, Unbezwingliche Trauer befällt mich, entkräftender Jammer, Und ein moosiger Fels stützet den sinkenden nur. Wehmut reißt durch die Saiten der Brust, die nächtlichen Tränen Fließen, und über dem Wald kündet der Morgen sich an. (GE V. 149–152: 911)

1116 Siehe FGA 6.1 (Komm.), 879. 1117 Siehe Singer : Euphrosyne und die Poems of Ossian, 80.

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Symbolische Allegorie der enargeischen Wirkungskette

2.4

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Mimen-Ekphrasis oder monumentales Symbol?

Dass Goethe bereits in der Überschrift seiner Euphrosyne-Elegie eine verstorbene Schauspielerin auf die Grazie des ›Frohsinns‹ bezieht und im Verlauf des Gedichtes auf die allegorische Tradition des theatrum mundi-Modells zurückgreift, ist eine Bestätigung für Peter-Andr8 Alts These, wonach die Allegorie im 18. Jahrhundert zwar in der Theorie überwiegend abgelehnt wurde, in der Dichtungspraxis jedoch besonders die Personifikationsallegorie oft auftauchte, wenngleich in neuen Funktionen.1118 Dennoch mag dieses Verfahren gerade bei Goethe doch etwas erstaunen, wenn man weiß, dass er im Anschluss an Moritz die traditionelle rationalistische Allegorik ablehnte und ganz besonders die Winckelmann’sche Allegorienlehre, die der Idealvorstellung eines autonomen, aus seinen internen Bezügen heraus verständlichen Kunstwerks zuwiderlief.1119 Dieser Zusammenhang lässt sich konkretisieren: Eben zu jener Zeit, als Goethe im eingangs zitierten Brief an Böttiger seinen Schmerz über Becker-Neumanns Tod bekundet, nämlich im Spätherbst 1797, entwarf Goethe in der Schweiz zusammen mit dem Maler Johann Heinrich Meyer, einem wichtigen klassizistischen Mitstreiter, den Aufsatz Über die Gegenstände der bildenden Kunst. In diesem Entwurf heißt es: Nun gibt es aber auch Kunstwerke, die durch Verstand, Witz, Galanterie[1120] brillieren, wohin wir auch alle allegorischen rechnen; von diesen läßt sich am wenigsten Gutes erwarten, weil sie […] das Interesse an der Darstellung selbst zerstören und den Geist gleichsam in sich selbst zurücktreiben und seinen Augen das, was wirklich dargestellt ist, entziehen. Das Allegorische unterscheidet sich vom Symbolischen, daß dieses indirekt, jenes direkt bezeichnet.1121

Diese Entgegensetzung von Allegorie und Symbol hat Goethe später im Rückblick auf eine Kontroverse mit dem ›Allegoriker‹ Schiller vom August desselben Jahres in einer berühmten Formulierung zugespitzt: Es ist ein großer Unterschied, ob der Dichter zum Allgemeinen das Besondere sucht, oder im Besonderen das Allgemeine schaut. Aus jener Art entsteht Allegorie, wo das Besondere nur als Beispiel, als Exempel des Allgemeinen gilt; die letztere aber ist eigentlich die Natur der Poesie, sie spricht ein Besonderes aus, ohne ans Allgemeine zu denken oder darauf hinzuweisen. Wer nun dieses Besondere lebendig faßt, erhält zugleich das Allgemeine mit, ohne es gewahr zu werden, oder erst spät.1122 1118 Alt: Begriffsbilder, siehe besonders das Fazit 624–631. 1119 Siehe Sørensen: Symbol und Symbolismus, 41–54 (zu Winckelmann), 71–85 (zu Moritz). 1120 ›Galanterie‹ dürfte hier als Inbegriff des Geistreich-Gekünstelten im Gegensatz zum ›Natürlichen‹ zu verstehen sein. 1121 GFA 18: 441–444, hier 443. 1122 GMA 17: 767 (Maximen und Reflexionen Nr. 279).

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

Dass es sich hier jedoch um eine sehr idealtypische Konstruktion handelt, zeigt ein Brief Goethes an Meyer vom 13. März 1791, auf den Bengt Algot Sørensen hinweist. Goethe lobt darin eine Zeichnung Meyers mit den Worten: »Was die Erfindung betrifft so haben Sie dünkt mich die glückliche Linie getroffen worüber die Allegorie nicht hinaus gehen sollte. Es sind alles bedeutende Figuren, sie bedeuten aber nicht mehr als sie zeigen und ich darf wohl sagen nicht mehr als sie sind.«1123 Auch im Aufsatz Über die Gegenstände der bildenden Kunst, der von Meyer ausgeführt wurde und 1798 anonym in Goethes klassizistischer Programmschrift Propyläen erschien,1124 sind die Ablehnung der Allegorie und auch die Abgrenzung zum Symbol deutlich zurückhaltender formuliert als im Entwurf. So lässt die Formulierung »Allegorien überschreiten […] schon als solche, die Grenzen der Kunst, und sind nur in dem Falle zu dulden, wenn sie richtig und treffend sind«, Ausnahmen zu: Als statthaft gelten solche Allegorien, »welche, unter der Außenseite des poetischen, historischen oder symbolischen Bildes, eine wichtige, tiefe Wahrheit verbergen, die der Verstand erst dann entdeckt, nachdem der befriedigte Sinn nichts mehr zu erwarten hat.«1125 Von einer antiken Amor- und Psyche-Gruppe heißt es sogar, sie sei »Allegorie und Simbol [sic] zugleich«.1126 Sørensen geht so weit zu behaupten, »Symbol« meine in Meyers Aufsatz »letzten Endes nichts anderes als eine innerhalb der Grenzen der Kunst bleibende, den Gesetzen der Kunst folgende Form der Allegorie«.1127 Nun scheint es mir etwas müßig, darüber zu spekulieren, wie weit Goethes Allegoriebegriff sich damals von dem im Propyläen-Aufsatz formulierten unterschieden haben mag. Für das Verständnis der Euphrosyne genügt es festzuhalten, dass Goethe den Aufsatz redigiert und in dieser Form herausgegeben hat – und zu zeigen, dass die poetische Behandlung Christianes in seiner Elegie ebenfalls ›Allegorie und Symbol zugleich‹ ist, wenn man als Kriterium die von Sørensen herausgearbeiteten drei »Hauptzüge von Goethes Symbolbegriff in und nach der klassischen Zeit« heranzieht, nämlich (1) »Gestaltsymbol«, (2) »repräsentatives Symbol« und (3) »emotionales Symbol«.1128 Symbolisiert wird dabei jeweils ein Teil der enargeischen Wirkungskette. Zum ersten ›Hauptzug‹: Mit »Gestaltsymbol« meint Sørensen jenes »in sich 1123 FGA 30: 569–572, hier 572, siehe dazu Sørensen: Symbol und Symbolismus, 109. 1124 Abgedruckt in Pfotenhauer/Sprengel: Klassik und Klassizismus, 162–207, Komm. 626– 648, zur Entstehungsgeschichte 626–628. 1125 Pfotenhauer/Sprengel: Klassik und Klassizismus, 174. 1126 Pfotenhauer/Sprengel: Klassik und Klassizismus, 176. 1127 Sørensen: Symbol und Symbolismus, 108–112, hier 111. 1128 So die Überschrift eines Teilkapitels in Sørensen: Symbol und Symbolismus, 112–128, hier 112. Dass Sørensen diese drei ›Züge‹ jeweils als »Symbole« bezeichnet, erklärt sich wohl daraus, dass sie an verschiedenen Stellen von Goethes Werk jeweils als signifikant für das Symbol herausgestellt werden. Der Lesbarkeit zuliebe verzichte ich auf eine Korrektur dieser begrifflichen Unschärfe.

Symbolische Allegorie der enargeischen Wirkungskette

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selbst ruhende, sich selbst aussprechende Symbol«, dessen »Wesensbestimmung« Moritz, Goethe und Meyer anhand der griechischen Plastik aufgegangen sei. »Dieser Symbolbegriff deckt sich daher vor allem mit dem Wesen der klassischen, bildenden Kunst«,1129 wird jedoch schon bei Moritz auch auf die übrigen Künste bezogen. Im Gegenstände-Aufsatz heißt es unter der Überschrift Symbolische Darstellungen: »Der große Zyklus der zwölf obersten Gottheiten, und die kleinere der Musen, der Grazien, Horen, Parzen u.s.w. greifen alle, wie Räder eines Uhrwerks, zum Zwecke eines vollendeten Ganzen in einander ; sie umfassen, füllen und begrenzen auch, wie es scheint, das ganze Gebiet der Kunst im Charakteristischen, im idealische Erhabenen, im Gefälligen, Reizenden und Schönen.«1130 Wenn nun die Schauspielerin als eine der Grazien erscheint (zunächst auch als eine der Musen angesprochen wird) und schließlich von Hermes als eine der »zwölf obersten Gottheiten« mit ›plastischer‹ Geste ins Totenreich zurückgeholt wird, findet eine Übertragung in den Bereich der Dichtung statt, bei der jedoch der Bezug zur bildenden Kunst präsent bleibt durch die Begriffe »Gestalt« und »Gebild«. Der Begriff »Gestaltsymbol« trifft hier also sehr wörtlich zu. Vor diesem Hintergrund dürfte meine Vermutung, dass sich der Begriff »bewegtes Gebild« auf geläufige Vorstellungen von Schauspielkunst als lebende Skulptur bezieht (Einf. 4 und 5, III.6.1), augenfällig geworden sein. Wenn allerdings die Tote darum bittet, als dichterische Figur »gestaltet« zu werden (V. 125), um nicht mehr »gestaltlos« durch die Unterwelt zu schweben (V. 123), bedeutet dies, dass die Formulierung ›bewegtes Gebild‹ zu Beginn nicht nur ein Hinweis auf Schauspielkunst ist, sondern dass auch die Erscheinung im Gebirg eigentlich »gestaltlos« ist und sich erst »in des Freundes Erinnrung« (V. 27) zur »Gestalt« und zum »Gebild« formt.1131 Dementsprechend drückt sie sich im Gegensatz zu Merkurs Geste durch Worte aus, welche enargeisch die ›bildende‹ Erinnerung heraufbeschwören. Zum zweiten ›Hauptzug‹: Nach Sørensens Rekonstruktion von Goethes ›repräsentativem Symbolbegriff‹ ist »[d]as Neue an Goethes Symbolbegriff […] die Zwischenstellung des Symbols zwischen der Individualität und der Idealität, seine Verbindungs- und Vermittlungsfunktion zwischen diesen beiden Polen.«1132 Zwischen Becker-Neumanns Individualität und dem Ideal ›Euphro1129 Sørensen: Symbol und Symbolismus, 112. 1130 Pfotenhauer/Sprengel: Klassik und Klassizismus, 181, siehe die Entwurfsfassung GFA 18: 442. 1131 Perzeptuelles Bild und mentales Bild (als Erinnerung und Einbildung) wirken hier also bereits in einer für den Dichter bezeichnenden Weise zusammen. 1132 Sørensen: Symbol und Symbolismus, 103; auf Sørensens Rekonstruktion von Goethes ›repräsentativem Symbolbegriff‹ wurde bereits in Kapitel II.3 verwiesen, als es darum ging, Barraschs Kategorie des ›ontologisch-poetologischen‹ Bildes zu ersetzen durch die prägnantere Formulierung ›repräsentatives Bild‹.

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syne‹ vermittelt insbesondere die Namensbedeutung ›Heiterkeit‹; Name und Übersetzung werden enggeführt in Vers 103f: »nimmer bewegt sich/ Euphrosyne hervor, dir zu erheitern den Blick«. Vorbereitet wird sie durch die zweimalige Apostrophierung der jungen Darstellerin durch den Theaterleiter als »liebliches Kind« (V. 63, 87), die mit dem abschließenden Blick auf den »liebliche[n] Mund« der Erscheinung korrespondiert (V. 141). Doch nicht allein Christianes Kindlichkeit ›erfreut‹ den Mentor, sondern auch der Kontrast zwischen Person und Rollenfigur im Zeichen des Androgynen: »Springe fröhlich dahin, verstellter Knabe, das Mädchen/ Wächst zur Freude der Welt, mir zum Entzücken heran.« (V. 91f.) Schließlich deutet sich die Erscheinung selbst als Konkretisierung eines Typus, der »im verworrnen Geschäft« des Theaters »heiter« und erheiternd wirkt (V. 110). Zum dritten ›Hauptzug‹ im Sinne des ›emotionalen Symbols‹: Nach Goethes Überzeugung gibt es ein »tiefes Gefühl, das, wenn es rein und natürlich ist, mit den besten und höchsten Gegenständen koinzidieren und sie allenfalls symbolisch machen wird«.1133 Die Anekdote vom Hubert-Darsteller Goethe, der angesichts des ›geheuchelten Todes‹ (V. 52) eines ›verstellten Knaben‹ (V. 91) in seinen Armen tief gerührt aus der Rolle fällt, erweist sich vor diesem Hintergrund als »emotionales Symbol«, das in der anschließenden Rede gedeutet wird. Diese Deutung wird für die Schauspielerin zum ›Bildungserlebnis‹ und für den Dichter zur Anregung, ihr, die ihn so tief gerührt hat, jene »rührende[n] Reden« (V. 99) in den Mund zu legen, an denen sich ihre gereifte Künstlerschaft bewähren kann. Der tatsächlich eingetretene frühe Tod Christianes gibt dem Symbol allerdings noch eine tiefere Gültigkeit,1134 die auf der ersten Erzählebene symbolisiert ist durch die Begegnung zwischen dem Wanderer und dem Geist. Auch hierbei wird die Rührung des Wanderers herausgestellt, bildet doch erst sie die Voraussetzung dafür, den Geist zu erkennen (V. 29f.). Die ›Erscheinung‹ selbst lässt sich, wie gezeigt, als Traum deuten. Das entspricht bemerkenswert genau einem von Moritz in seiner Götterlehre von 1791 formulierten Gedanken, 1133 FGA 18: 433; siehe auch Goethes damals nur wenige Monate zurück liegenden Versuch, Schiller zu überzeugen, dass ein solches Gefühl auf eine symbolische Qualität bestimmter Gegenstände verweise; dieser musste als Kantianer jedoch die von Goethe geschilderte Reaktion im Sinne einer Projektion verstehen (Sørensen: Symbol und Symbolismus, 105– 107; Alt: Begriffsbilder, 606ff.). 1134 Meine Argumentation folgt hier der durch die Erzählung vorgegebenen Logik, ohne über die tatsächlichen Geschehnisse zu spekulieren. Dass Goethe in einer späteren Probe aus der Rolle gefallen ist als jener, bei der Christiane in Ohnmacht fiel, wie Vers 68 behauptet, widerspricht ja, wie gezeigt, Genasts Behauptung, sie sei bei der Hauptprobe ohnmächtig geworden. Zudem steht dahin, ob die Anekdote von Goethes Aus-der-Rolle-Fallen nicht frei erfunden und die Erfindung bereits Teil des Symbolisierungsprozesses ist. Unbeschadet dieser biographischen Unklarheiten kommt es mir aber darauf an zu zeigen, dass die Elegie von einem ›symbolischen Erlebnis‹ erzählt.

Symbolische Allegorie der enargeischen Wirkungskette

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der auch Jean Paul und die Spätromantik tief beeinflussen sollte: »[D]a die ganze Religion der Alten eine Religion der Phantasie und nicht des Verstandes war, so ist auch ihre Götterlehre ein schöner Traum, der zwar viel Bedeutung und Zusammenhang in sich hat, […] von dem man aber die Genauigkeit und Bestimmtheit der Ideen im wachenden Zustand nicht fordern muß.«1135 In dieser Hinsicht parallelisiert Moritz das ›Ganze‹ des Traumes, der Mythologie und der Dichtung,1136 unter diesem Vorzeichen verschmilzt Goethe in der symbolischallegorischen Konstruktion seines Gedichtes Biographie und Mythologie, Erzähltext und Szene, Ossian und Shakespeare. Wichtiger jedoch als diese Übereinstimmung mit Moritz’ Götterlehre ist angesichts der Ausgangsüberlegungen dieses Kapitels (IV.1) die Übereinstimmung mit seinen Andeutungen zur ›konfigurierenden‹ und ›poetischen‹ Kunstbeschreibung. Wie das Gedicht jene ›ästhetische Konfiguration‹, die sich schon paratextuell in der Spannung zwischen mythologisierender Überschrift und kommentierendem Hinweis auf Christiane Becker-Neumann abzeichnete, symbolisch verdichtete, wurde im Close Reading entfaltet und in meiner Anmerkungen zur repräsentativen und emotionalen Symbolisierung der allegorischen und anekdotischen Elemente zusammengefasst. Zum Aspekt des ›Poetischen‹ sei noch einmal Moritz‹ Formulierung zitiert, »die Folge der Worte selber« habe »eine Art von Zauberkraft, weil der folgende Eindruck den vorhergehenden niemals stört oder verdrängt, sondern vielmehr mit ihm eins wird«. (MFA 2: 315) Mein Close Reading dürfte trotz seiner Fokussierung auf semantische Aspekte auch gezeigt haben, wie gezielt in der Elegie zentrale Begriffe hervorgehoben werden durch Wiederholungen, grammatische Parallelstrukturen und die Platzierung an metrisch exponierten Stellen. Aber auch die narrative Struktur dieses Erzählgedichts ist betont kunstvoll und lässt sich verstehen als dreifache Staffelung in extradiegetische Ebene (der erzählende Wanderer im Gebirge und die Erscheinung), intradiegetische Ebene (die ArthurAnekdote, erzählt von der Erscheinung) und metadiegetische Ebene (die »tiefe Betrachtung«, erzählt vom getäuschten Mitspieler, identisch mit dem auf erster Ebene zuhörenden Wanderer). Andererseits sind die Erzählungen der zweiten und dritten Ebene in einen Dialog auf der jeweils höheren Ebene eingebunden, so dass man im Verhältnis von erster und zweiter Ebene auch von einem ›Spiel im Spiel‹ sprechen könnte (weshalb in meiner Analyse erzähl- und dramenanalytisches Vokabular verbunden wird). Dass diese Struktur nicht verwirrt, sondern beim Lesen »alles ineinandersteht« (MFA 2: 315), verdankt sich der 1135 Moritz: Götterlehre, 18; siehe Sørensen: Symbol und Symbolismus, 26f. Bezeichnenderweise mündet der einleitende Essay Gesichtspunkt für die mythologischen Dichtungen in Goethes Gedicht Meine Göttin, das nichts anders darstellt als eine spielerische Allegorie der Phantasie (ebd. 1–12, hier 9–12; auch MFA 2: 1049–1055, hier 1053ff.). 1136 Sørensen: Symbol und Symbolismus, 84.

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

durchgehenden Konzentration auf zwei Figuren und der klaren Markierung von Übergängen zwischen den Zeitebenen durch Einleitungsformeln wie »Denkst du der Stunde noch wohl« (V. 43), die teilweise die ekphrastische Funktion des Imaginationssignals erfüllen (I.2.1.1),1137 sowie Endformeln wie »Also sprachst du« (V. 97) und »Also sprach sie« (V. 141),1138 die jeweils zu Beginn eines Distichons stehen. Wie weit aber repräsentiert diese Elegie eigentlich die historische Christiane Becker-Neumann und deren Schauspielkunst? Eva Horn geht so weit zu behaupten: »Euphrosyne ist antike Grazie und Rolle einer Zauberoper, Allegorie schöner Kunst und Name für einen harten Berufsalltag, aber eines ist sie nicht: die Betrauerte, die tote Schauspielerin Christiane Becker.«1139 Dass die »Auslöschung des Individuellen und Kontingenten […] konstitutiv [ist] für die Struktur von Monumentalisierung, die Goethe hier vorführt«,1140 trifft gewiss in recht buchstäblicher Weise zu für jenes Denkmal, das Goethe für die Schauspielerin auf dem Rosenhügel, am Rande des Weimarer Parks aufstellen ließ: Es trägt nur die Aufschrift Euphrosyne und zeigt ein Relief tanzender Horen, darüber Masken mit einem krönenden Pinienzapfen (Abb. 29).1141 Für die Elegie jedoch ist hervorzuheben, dass als Bestandteil der ›ästhetischen Konstellation‹ durchaus biographische Elemente eingesetzt werden. Was allerdings Becker-Neumanns Schauspielkunst angeht, erfährt man lediglich, dass sie mit großer Natürlichkeit einen Knaben und dessen Tod verkörpern konnte und immer, ob sie nun spielte oder Bühnenreden sprach, rührend und anmutig wirkte. Doch soll die Strategie der ›poetischen Kunstbeschreibung‹ ja gar nicht das Was und Wie eines Kunstwerks thematisieren, sondern mit sprachlichen Mitteln eine Wirkung hervorbringen, die der des beschriebenen Kunstwerkes entspricht. In diesem Gedicht lässt sich dieser Anspruch strukturell nachweisen: Der Eindruck von Becker-Neumanns Schauspielkunst wird konsequent im Sinn einer enargeischen Wirkungskette gestaltet, so dass auch die dichterische Gestaltung der Elegie selbst zu deren Ausdruck wird; entsprechend wird der unermüdliche Einsatz dieser Schauspielerin im Sinn der ästhetischen Konstellation zum Teil einer Erzählung, die sie mit dem Sprecher des Gedichtes verbindet. 1137 Bezeichnenderweise wird die Eingangsformel der Anekdote präludiert durch die Formeln »Laß mich der Tage gedenken« (V. 35) und »Laß mich der Stunde gedenken« (V. 37), bevor der Angesprochene direkt eingeladen wird, an der Vergegenwärtigung des symbolisch aufgeladenen Geschehens teilzuhaben. 1138 Die bereits erwähnte zweimalige Anrede »liebliches Kind« markiert den Anfang des Monologs im Monolog und das Ende der darin vorgetragenen »tiefe[n] Betrachtung« (V. 62). 1139 Horn: Trauer-Theater, 105. 1140 Horn: Trauer-Theater, 104. 1141 Es befindet sich heute auf dem Alten Friedhof, eine Kopie wurde 1912 am Horn, nördlich von Goethes Gartenhaus, aufgestellt (siehe Biedrzynski: Euphrosyne-Denkmal, 82).

Der Schauspieler als Bild der »Harmonie«

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Abb. 29: Anonym: Denkmal der Christiane Becker-Neumann vom Gothaer Bildhauer Döll (Steindruck, o. J.)

Mehr Einsichten in das Wie eines mimischen Kunstwerks lässt jedoch die Strategie der ›strukturierten Analyse‹ erwarten, um die es in den drei nächsten Kapiteln gehen wird.

3.

Der Schauspieler als Bild der »Harmonie«: Humboldts Briefe Ueber die gegenwärtige Französische tragische Bühne (1799) als ›strukturanalytische‹ Mimen-Ekphrasis

3.1

Verschiedene Extensionen des ›mimischen Kunstwerks‹

Der Text, der im Folgenden probeweise als Beispiel für die ›strukturierte Analyse‹ eines mimischen ›Kunstwerks‹ gelesen werden soll, wurde wie Meyers Aufsatz Über die Gegenstände der bildenden Kunst in den Propyläen veröffentlicht, in diesem Fall 1799 und aufgrund von Briefen Humboldts, die Goethe überarbeitet hatte. Allerdings stellt sich schon angesichts des Titels Ueber die

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

gegenwärtige Französische tragische Bühne, ergänzt um die summarische Datumsangabe »Paris im August 1799« (HFB: 377),1142 die Frage, um welches Kunstwerk es eigentlich geht. Immerhin heißt es im Widerspruch zu dieser Titelgebung im zweiten Absatz: Freilich aber ist die Französische tragische Bühne jetzt eigentlich wenig; was ich hier sage, habe ich bloss von einem einzigen Schauspieler abstrahiert, von Talma.// Was die übrigen betrifft, so kann man nur bei einigen die Vorzüge dieses Mannes in sehr mässigem Grade, bei andern, was in ihm vielleicht Element eines Fehlers genannt werden könnte, in Karrikatur sehen. (HFB: 378)

Während besagte Schauspieler also unfreiwillige ›mimische Karikaturen‹ produzieren, möchte Humboldt am Beispiel von FranÅois-Joseph Talma (1763– 1826)1143 eine ›idealisierte‹ Darstellung französischer (tragischer) Schauspielkunst entwickeln; mit Max Weber könnte man auch von einer ›idealtypischen‹ Darstellung sprechen.1144 Letztlich geht es, wie der erste Textabschnitt erkennen lässt, um Einsichten in »Schauspielkunst« überhaupt,1145 konkret aber um die Einsicht in Beschränkungen deutscher Schauspielkunst: Ich bin weit entfernt zu behaupten, dass die hiesigen Schauspieler, auch die bessern, mehr und etwas Höheres wären, als unsere guten, oder wenigstens als diese seyn würden, wenn bei uns diese Kunst mehr begünstigt wäre; aber die Mimik ist hier mit den bildenden Künsten in genauere Verbindung gebracht. Wenn sie bei uns nur zur Einbildungskraft, zur Empfindung spricht, so gewährt sie auch hier dem blossen Auge einen grössern Reiz. Da man in dem Französischen Schauspieler zugleich den Mahler, den Bildhauer und den pantomischem Tänzer vereinigt sieht, da auch derjenige Theil seines Spiels, der an sich nicht bedeutend ist, künstlerische Harmonie und Schönheit besitzt; so glaubt man einen engern Bund aller Künste zu erblicken und ahndet eine, vielleicht minder grosse und tiefe, aber gewiss eine ästhetische Stimmung. (HFB: 377)

Die systematische Zwischenstellung von Schauspielkunst zwischen Wortkunst und bildender Kunst (siehe Einf. 2) wird hier insofern mit Nationalstilen korreliert, als die französische eine stärkere Affinität zur bildenden Kunst haben soll. Bildende Kunst wird jedoch nicht als Mimesis begriffen, sondern als Manifestation von »Harmonie und Schönheit«, Begriffen also, die sich in der Autonomieästhetik mit der Vorstellung von einem ›Ganzen‹ verbinden. 1142 Die Sigle HFB steht im Folgenden für Humboldts von Goethe redigierten Text Ueber die gegenwärtige Französische tragische Bühne. Aus Briefen (1799), zit. nach: Humboldt: Schriften 2, 377–400. 1143 Zur Biographie siehe Augustin-Thierry : Talma; Fazio: Talma. 1144 Siehe Weber : »Objektivität« sowie die Zusammenfassung des Aufsatzes in Novak: Humboldt as Literary Critic, 53–57. 1145 Der erste Satz des (durch Gedankenstrich und das rückbezügliche ›besonders‹ als ›Auszug‹ markierten) Textes lautet: »– Besonders über die Schauspielkunst hatte ich Ursache viel zu denken und es ist mir über sie manches neue Licht aufgegangen.« (HFB: 377)

Der Schauspieler als Bild der »Harmonie«

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Doch geht es hier nicht nur um die kontrastive Betrachtung von Nationalstilen; vielmehr hat der (wie er hier genannt werden soll) ›Tragöden-Aufsatz‹ auch eine didaktische Tendenz, die der von Böttigers Entwickelung durchaus vergleichbar ist: Ein deutscher Schauspieler in Paris würde nach Humboldts Überzeugung »gezwungen werden hier über seine Kunst nachzudenken, zu reflectiren, da er hier deutlichere Spuren des Kunstfleisses, als bei uns entdecken müsste.« (HFB: 378). An seiner Stelle entwickelt der Text selbst Ideen, wie sich die deutsche Schauspielkunst durch eine selektive Übernahme von Elementen der französischen fortentwickeln könnte. Diese Ideen flossen bekanntlich in die Praxis der Weimarer Bühne ein, wovon insbesondere Goethes Regeln für Schauspieler zeugen.1146 Die Charakterisierung französischer Schauspielkunst hat hier also eine analytische Funktion, für diese wiederum hat die MimenEkphrasis von Talmas Schauspielkunst Evidenzfunktion. Die Frage ist, welche ekphrastische Strategie sich aus dieser Perspektivierung ergibt.

3.2

Der ›Umriss‹ des Schauspielerporträts

Auf die drei einleitenden Absätze folgt ein ausführliches ›Schauspielerporträt‹ Talmas, das von spezifischen Rollen absieht (HFB: 378–380). Im Gegensatz zu Böttiger, der Iffland als Erben Ekhofs präsentiert (III.3, III.8.2), betont Humboldt die Neuartigkeit von Talmas Schauspielkunst: Talma [1763–1826] ist erst seit 11 bis 12 Jahren auf dem Theater, er hat le Kain [1728– 1778] nicht mehr gesehen, und niemand zum Muster nehmen können. Er spielt jetzt, und schon seit der Revolution, sehr oft, da man die alten Stücke selten giebt, Rollen, die vor ihm nie gespielt worden sind, und die er neu hat schaffen müssen. Er hatte also einige Freiheit und nähere Veranlassung, sich einen eignen Stil zu bilden, und ob es gleich für den, der die ältern und besten französischen Schauspieler nicht mehr gesehen hat, bedenklich ist eine solche Behauptung zu wagen; so glaube ich doch mit Grunde sagen zu können, dass die Französische Schauspielkunst durch ihn eine Erweiterung gewonnen hat. (HFB: 378)1147

Hier geht es gewissermaßen um die Entelechie eines bereits in der Eingangspassage erwähnten Stilmerkmals französischer Schauspielkunst: »In der malerischen Schönheit der Stellungen und Bewegungen kann er nicht leicht von jemandem übertroffen worden seyn, da ihn für diesen Theil der Kunst schon die 1146 FGA 18: 857–882; siehe dazu Fischer-Lichte: Geschichte des deutschen Theaters, 149–154; Heeg: Phantasma der natürlichen Gestalt, 411–415 (zu Humboldt) und 416–443 (zum Weimarer Theaterprojekt). 1147 Für französische Zeugnisse zu Talma als Wegbereiter eines neuen Darstellungsstils siehe Howarth: Revolutionary Theatre, 346–351.

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

Natur so sehr begünstig hat.« (HFB: 378) Diese Behauptung leitet über zu einer eingehenden Beschreibung von Talmas Physis: Zwar ist er eher klein, als gross, und so geht ihm etwas allerdings für den Ausdruck der Würde verloren; allein sonst ist er eine der wohlgebildetsten und harmonischsten Gestalten, die man sehen kann. Sein Gesicht ist zugleich von feinem und kraftvollen Ausdruck, ein kleines rundliches Oval, eine kleine, an der Stirn etwas eingebogene, aber fein geschnittene Nase, schwarze, feurige Augen, sehr ausgearbeitete und ausdruckvolle Wangenzüge, besonders um den Mund herum. Sein Wuchs ist schlank und fein, die Arme, auf die es beim Heldencostüme, wo man sie oft nackt sieht, sehr ankommt, gut gebildet, die Lenden, Schenkel und Füsse von musterhafter Schönheit. (HFB: 278f.)

Die Darstellung ähnelt Lichtenbergs Beschreibung Garricks »als Garrick« (II.5.5) nicht nur darin, dass auch hier der Darsteller eigentlich zu klein für das tragische Rollenfach ist, sondern auch darin, dass es zunächst um den Gesamteindruck von Körperlichkeit geht. Doch wird dieser weder im Sinne ›starker Präsenz‹ entworfen noch im Hinblick auf ein soziales Bewegungs- und Verhaltensideal, sondern auf die im zweiten Einleitungsabsatz genannte Kategorie der ›Harmonie‹ hin. Auch die Beschreibung von Gesicht, »Wuchs« und Extremitäten orientiert sich an ästhetischen Leitvorstellungen, wobei die Formulierungen »Oval«, ›wohlgebildet‹/›gut gebildet‹, ›fein geschnitten‹ und ›sehr ausgearbeitet‹ auf die bildende Kunst verweisen, insbesondere auf die Plastik. Damit kontrastiert allerdings die Doppelformel ›schwarz und feurig‹. Sie gilt den Augen und damit jenem Aspekt der Mimik, in dem sich auch für Humboldt die enargeische Wirkung von actio konzentriert. Die Formulierung hält also bewusst, dass es sich bei aller Wohlgebildetheit doch um ein ›Kunstwerk‹ aus Fleisch und Blut handelt. Dazu trägt auch die Erwähnung von Talmas nackten Armen bei, die besonders im »Heldencostüme« zur Geltung kämen. Hintergrund ist das seit Lekain gewachsene Interesse der französischen Bühne an historisch glaubhafter Kostümierung; insbesondere antikisierende Kostüme sorgten dafür, dass Schauspieler mehr Haut zeigten.1148 Dies galt auch für Schauspielerinnen und fand außerhalb der Bühne seine Entsprechung im costume / la greque, dessen Freizügigkeit ein beliebtes Thema der Karikatur war.1149 Insgesamt belegt die Beschreibung von Talmas Physis deren Eignung, »malerische Schönheit der Stellungen und Bewegungen« auszudrücken; ihr folgt die 1148 Zur Entwicklung des französischen Bühnenkostüms Ende im 18. Jahrhundert bis in die Romantik siehe Howarth: French Theatre, 517–533 und Roy : Revolutionary Theatre, 397– 408 (zu Talma 398–401). Die traditionelle Kostümierung, bei der auch die Arme antiker Helden bedeckt waren, entspricht ungefähr der Darstellung auf der in Kapitel II.3.1 analysierten englischen Karikatur von Händel-Sängern (Abb. 10). 1149 Dazu Jöhnk: Karikaturen zur Nacktmode.

Der Schauspieler als Bild der »Harmonie«

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Thematisierung seiner damit harmonisierenden Imagination, wobei das Stichwort des Kostüms wieder aufgenommen wird: Mit dieser Gestalt verbindet er offenbar eine sehr malerische Einbildungskraft. Er hat, wie seine Kunst überhaupt, so insbesondere das Costüme sehr sorgfältig und nach den besten Hülfsmitteln studirt. Er zeichnet selbst, und man sieht ihm an, dass jede Situation, die er sich denkt, auch vor seiner Phantasie als malerische Gestalt dasteht. Auf dem Theater ist jede seiner Bewegungen schön und harmonisch, sein Anstand durchaus edel und graziös. Er mag sitzen, stehen, niederknien, so wird es der Maler immer wert finden diese Stellungen zu studiren. (HFB: 379)1150

Auch hier ist der Kontrast zu Lichtenberg erhellend, der Garrick als großen Beobachter und Erfinder deutlicher, empirisch stimmiger mimischer Zeichen charakterisiert (II.5.3), und auch zu Böttiger, der ihm darin in Bezug auf Iffland folgt und eben jene Vorstellung vom ›Malerischen‹ in Kostüm und Bewegungen kritisiert, welche die Schauspielkunst der Attitüdenkunst einer Lady Hamilton annähere (III6.2). Es sei daran erinnert, dass auch Böttiger diese Tendenz einmal mit nationalen Schauspielstilen in Verbindung bringt: Iffland als Franz Moor, der sich das Erschrecken seines Vaters ›ausmalt‹, droht »jener französischen Aftermimik, die man gemeinhin die mahlerische Geberdensprache nennt«, zu verfallen, leistet dann aber doch eine »Zusammensetzung eigentlicher Mahlerey«, das heißt malererisch-imitativer Körpersprache im Sinne Engels, »mit dem Ausdruck der Empfindung« (BEIS: 300). Humboldt dagegen zeigt sich von der französischen Vorstellung malerischer actio gerade deshalb fasziniert, weil sie anscheinend auf eine Motivierung durch Nachahmung oder Gefühlsausdruck verzichtet, allein orientiert an ästhetischen Leitvorstellungen, die er wiederum durch die Doppelformel »schön und harmonisch« andeutet. Die damit korrespondierende Doppelformel »edel und graziös« interpretiert zudem die gesellschaftlich konnotierte Kategorie des ›Anstands‹, die Böttiger mit bürgerlicher Ethik zu vermitteln sucht (III.3.2, III.8.1), in forciert ästhetisierender Weise. Die Vorstellung von malerischer Schauspielkunst im Sinn des Übertragbarkeitsmodells (III.6.1) wird allerdings im Folgenden ein wenig modifiziert, wobei wiederum das Thema der Überlegenheit Talmas gegenüber durchschnittlicher französischer Schauspielkunst aufgegriffen wird: »Wenn man bei andern Schauspielern wohl hie und da einzeln ein schönes Gemälde, wie man es hier nennt, bemerkt, so zeigt sein Spiel eine ununterbrochene Folge derselben, einen harmonischen Rhythmus aller Bewegungen, wodurch denn das Ganze wieder zur Natur zurückkehrt, aus der diese Art zu spielen, einzeln genommen, schlechterdings heraustritt.« (HFB: 379) Zwar lässt sich diese Formulierung 1150 Tatsächlich orientierte sich Talma besonders an Jaques Louis David, siehe Heeg: Phantasma der natürlichen Gestalt, 414f.; Duvignaud: L’Acteur, 134; Wildenstein: Talma et les peintres.

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

einerseits als die vollkommene Verwirklichung des Ideals sehen, ein Schauspieler möge so spielen, »daß jede seiner Gesten, Stellungen und Bewegungen in der bildenden Kunst würdig dargestellt werden könnten«,1151 doch gestaltet Talma seine ›Bilder‹ in so geradezu filmischer Weise differenziert und verbindet sie so eng, dass es Probleme bereiten dürfte, ein ›still‹ zu isolieren. Stattdessen kommt mit dem Begriff »Rhythmus« eine Kategorie der ›Zeitkunst‹ Musik ins Spiel, die allerdings noch immer der Leitvorstellung von einem ›gegliederten‹ Ganzen entspricht. Anschließend wird der Vergleich zwischen Talma und seinen französischen Kollegen fortgeführt, zunächst noch als eine Präzisierung des bisher Gesagten: In diesem Theil der Kunst mag indess Talma seine Vorgänger nur erreicht oder übertroffen haben, eigen ist wohl sein Studium des Costüme, in welchem er unstreitig unübertrefbar [sic] ist, so wie auch dass er dasjenige, was die übrigen vielleicht nur als blossen Anstand und Heldenwürde angesehen haben, auf eine ächt künstlerische Weise, als schöne und mahlerische Natur, behandelt.(HFB: 379)

Dann jedoch geraten Aspekte in den Blick, die vom Ideal visueller Schönheit abführen: Worin er aber vorzüglich um einige Schritte weiter gegangen zu seyn scheint, ist die Wahrheit und Stärke des Ausdrucks. Man sieht, dass er nicht, wie es sonst die Art der Schauspieler ist, welche die meisten ihrer Rollen durch Tradition empfangen, nur andre Schauspieler, sondern dass er die Natur selbst studirt hat, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass ihm die Begebenheiten der Revolution hierzu einen reichen Stoff angeboten haben.// Sein Minenspiel ist erstaunlich ausdrucksvoll, seine Gebehrden natürlich und minder regelmässig abgemessen. Er lässt den Zuschauer nie kalt, sondern reisst ihn hin und erschüttert ihn. Das bloss Rührende würde ihm, glaube ich, weniger gelingen. (HFB: 379)

Zum ersten Mal ist hier nicht von harmonischer Schönheit und einer daraus resultierender »ästhetischen Stimmung« die Rede (HFB: 377), sondern von ›starkem‹ »Ausdruck« und affektiver Wirkung; die Formulierung »minder regelmässig« nimmt sogar eine potenziell mit ›Schönheit‹ verbundene Kategorie zurück. Zwar wird Talmas »Ausdruck« abgegrenzt von der Kategorie des ›Rührenden‹, die damals für deutsche Theaterbesucher wichtig war und etwa in der Szene zwischen Ifflands Hagestolzen und dem singenden Naturkind zum Ausdruck kommt (III.5.1). Dennoch lässt Humboldt trotz seines Hinweises auf die Französische Revolution keinen Zweifel, dass Talma in diesem Fall nicht eine inhärente Tendenz französischer Bühnenkunst vorantreibt, sondern deren Zeichencode mit realistischer Tendenz relativiert:

1151 Rochlitz: Künste und Philosophie, 219 (meine Hervorhebung); siehe III.2.5.

Der Schauspieler als Bild der »Harmonie«

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Er nimmt sich mehr Freiheiten, als es die Französische Bühne sonst erlaubt. Er spricht wirklich mit den Personen des Stücks, nicht, wie es hier noch meistentheils geschieht, mit den Zuschauern. Er thut, wenn es Gelegenheit giebt, einige Schritte gegen den Hintergrund des Theaters und zeigt den Zuschauern den Rücken, er hält nie, wie andre, in einzelnen Gemälden, auch wenn ihn der Beifall des Publikums unterbricht, so statuenhaft inne, mit Einem Wort er ist bei weitem ungebundener und natürlicher. (379f.)

Hier wird der Bezug zur bildenden Kunst modifiziert: Schauspielkunst kann und soll zwar mimische ›Gemälde‹ liefern; bei zu langer Unbeweglichkeit jedoch wirkt sie »statuenhaft«, und das heißt hier : starr. Noch bemerkenswerter ist ein zweiter Aspekt dieser Passage: Es werden Elemente der Abkehr von der üblichen Zuschauerorientierung als Ausweis ›natürlichen Spiels‹ gerühmt, die Goethe in Paragraph 39 seiner sonst so deutlich von Humboldts Tragöden-Aufsatz geprägten Regeln für Schauspieler als Beispiel »mißverstandener Natürlichkeit« anprangert. Die Darsteller sollten gerade nicht »untereinander spielen, als wenn kein Dritter dabei wäre; sie sollen nie im Profil spielen, noch den Zuschauern den Rücken zuwenden.«1152 Dieses Verbot ist jedoch vor dem Hintergrund einer deutschen Bühnenpraxis zu verstehen, in der sich schon längst die Grundvorstellung einer imaginären ›Vierten Wand‹ durchgesetzt hatte, durch welche der Zuschauer in das Leben von Zeitgenossen blickt.1153 Lichtenbergs Beschreibung der Hamlet-Geist-Szene zeigt zudem, dass derartige Bühnenzeichen auch in England schon längst eingesetzt wurden,1154 und tatsächlich diskutiert Humboldt nun das Gerücht, dass Talma »sich nach der Englischen Bühne gebildet habe«, weist es aber unter Berufung auf dessen eigenes Zeugnis zurück: Zwar ist er grösstentheils in England erzogen worden, doch da er sich damals noch nicht zum Schauspieler bestimmte, so hat er, wie ich ihn selbst bedauern hörte, das dortige Theater nicht benutzen können. Seinen eigentlichen Schauspielunterricht hat er in der 8cole dramatique, die es hier ehmals vor der Revolution gab, erhalten, und sein besonderer Lehrer ist Dugazon gewesen, ein guter komischer Schauspieler, der auch sonst viel Theaterkenntnis besitzen soll. (HFB: 380)

Nicht ein anderer Nationalstil also soll Talmas ›realistische‹ Tendenz gefördert haben, sondern der Einfluss des komödiantischen Stils. Dennoch ist die für Garrick und Iffland so charakteristische Verbindung von tragischem und ko-

1152 GFA 18: 871; siehe Fischer-Lichte: Geschichte des deutschen Theaters, 150f. 1153 Siehe Lehmann: Blick durch die Wand. Allerdings macht auch Goethe eine Konzession, die erkennen lässt, dass manches empfindsame Lustspiel oder bürgerliche Trauerspiel die von ihm abgelehnten gestischen Zeichen als bedeutungstragende Elemente einsetzt: »Geschieht es um des Charakteristischen oder um der Notwendigkeit willen, so geschehe es mit Vorsicht und Anmut.« (GFA 18: 871). 1154 »Auf einmal, da Hamlet eben ziemlich tief im Theater, etwas zur Linken, geht und den Rücken nach der Versammlung kehrt […]« (LBE: 335).

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

mödiantischem Repertoire in Frankreich noch nicht vorstellbar, wie ein nun folgender Katalog von Talmas »gewöhnlichen Rollen« verdeutlicht.1155 Anschließend handelt ein einziger Satz den Aspekt der Rezitation ab, ausgehend von Talmas Stimme: »Sein Organ, das vielleicht keinen sehr grossen Umfang hat, weiss er sehr geschickt zu brauchen, und an sich hat es einen unendlich tragischen Ton, der unmittelbar das Innerste ergreift.« (HFB: 380) Obwohl mit dem Stichwort »geschickt« kurz der Aspekt der Technik angesprochen ist, geht es vor allem um den »Ton« und dessen Wirkung. Dieser Begriff ist auch für Lichtenberg, Schink und Böttiger zentral, doch arbeiten sie heraus, wie Garrick, Brockmann und Iffland den jeweils zu einer Szene oder auch nur Textpassage passenden ›Ton‹ gestalten; hier dagegen wird von einem in der Stimme selbst liegenden Grundton gesprochen, dessen Wirkung sogar der intensivsten Wirkung seines gesamten Spiels entspricht: Talma’s Stärke überhaupt liegt wohl in dem Ausdruck der hochtragischen, finstern und melancholischen Momente, wo der Geist und die Leidenschaft über sich selbst brüten, und die letztere noch verhalten ist. Wenigstens hat er auf mich in diesen Stellen einen grössern Eindruck gemacht, als in denen, wo die Leidenschaft in Heftigkeit ausbricht, ob er gleich auch da nicht allein das nöthige Feuer besitzt, sondern sich immer mit Weisheit mässigt und beherrscht. Ob ihm das bloß Zärtliche und Rührende gut gelingen würde? möchte ich nicht sagen. (HFB: 381)

Zum ersten Mal wird hier die affektive Wirkung von Talmas Spiel auf den Beschreibenden thematisiert, ohne jedoch die analysierende Grundhaltung aufzugeben: Es wird abgewogen und abschließend noch einmal darüber spekuliert, wie Talma wohl den Erwartungen eines auf Rührung erpichten deutschen Publikums entsprechen würde. Diese reflektierende Distanz gegenüber dem eigenen »Eindruck« entspricht der »Weisheit« des Schauspielers, der sein »Feuer« wohldosiert einsetzt und damit dem Ideal des ›kalten Schauspielers‹ zu entsprechen scheint. Damit beendet Humboldts dieses recht ausführliche ›Schauspielerporträt‹. Rückblickend lässt sich festhalten, dass die ›strukturierte Analyse‹ des ›Kunstwerks‹ Talma vor allem über Gegensätze funktioniert. Da ist zunächst der Gegensatz zwischen deutscher und französischer Schauspielkunst, vor allem in Bezug auf die ›malerische‹ Tendenz der letzteren. Im Hinblick auf diese Tendenz wiederum wird Talma in einem Verhältnis der Überbietung gegenüber seinen französischen Kollegen gesehen – ein zweiter, wenn auch gradueller Gegensatz, der vor allem im Hinblick auf Talmas Physis und seine künstlerische Imagina1155 HFB: 380. Talmas erbitterter Gegner Julien-Louis Geoffroy wirft ihm denn auch in einer Othello-Kritik vor, Deklamation und Gestik unter dem Vorwand von Natürlichkeit dem mimischen Repertoire der Komödie anzunähern (Geoffroy : Litt8rature dramatique, 220f.).

Der Schauspieler als Bild der »Harmonie«

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tion ausgeführt ist. In der Beschreibung der Physis wird gewissermaßen die oxymoronische Struktur von Ekhofs Diktum »Die Schauspielkunst ist belebte Bildnerey« (BEIS: 246) entfaltet: einerseits durch Formulierungen, die auf künstlerische Formung verweisen, andererseits durch Hinweise auf den lebendigen Körper. Eine Annäherung an ›natürliche‹ actio stellt dagegen die Schnelligkeit dar, mit der Talma seine malerischen Posen aufeinander folgen lässt. Hier wird Talma in einem Verhältnis der Absetzung gegen seine französischen Kollegen gesehen; noch deutlicher zeigt sich das darin, dass er stärker als diese das innere Kommunikationssystem des Dramas und den mimetischen Aspekt von Schauspielkunst berücksichtigt.1156 In Bezug auf die affektive Gestaltung seines Spiels schließlich wird er graduell gegen die Gestaltung heftiger Ausbrüche von Leidenschaft abgesetzt und grundsätzlich gegen die Gestaltung des ›Rührenden‹. Die Gegensätze sind jedoch nicht als effektvolle Kontraste gestaltet wie in antiker Beschreibungskunst (I.2.1.6) oder etwa in Lichtenbergs Formulierung, Garrick bewege sich »unter den übrigen Schauspielern, wie ein Mensch unter Marionetten.« (LBE: 331) Vielmehr überwiegt ein diskursiver, abwägender Duktus, für den stellvertretend die Formulierung stehen kann: »Worin er aber vorzüglich um einige Schritte weiter gegangen zu seyn scheint, ist […]« (HFB: 379). Insofern hat dieses Schauspielerporträts nicht die enargeische Wirkung einer Szene, sondern lässt sich weit präziser als bei Böttiger über die Analogie der Umrisslinie charakterisieren, die eine Gestalt von ihrem Hintergrund abhebt: deutlich, aber bei weitem nicht so intensiv, wie dies etwa durch Farb- oder Helldunkel-Kontrast geschehen könnte.

3.3

Blasse Porträts ›finsterer‹ Rollenverkörperungen

Lichtenberg bereitet sein Porträt von Garrick »als Garrick« durch ›Rollenporträts‹ vor, die er im Rahmen seines ›Schauspielerporträts‹ teilweise weiterführt; Böttiger präsentiert sein ›Schauspielerporträt‹ Ifflands sogar erst in der Nachschrift und fasst darin Grundaspekte der vorangegangenen Rollenporträts zusammen; auf einige nimmt er noch einmal explizit Bezug. Dagegen steht in Humboldts Tragöden-Aufsatz das Schauspielerporträt gleich nach der knappen programmatischen Einleitung, thematisiert keine Rollengestaltung näher und bleibt auch dann noch betont summarisch, wenn gegen Schluss Talmas Wirkung in der Gestaltung jener »finstern […] Momente, wo der Geist und die Leidenschaft über sich selber brütet«, thematisiert wird (HFB: 380). Erst dann folgt ein ›Rollenporträt‹. 1156 Meine Terminologie folgt hier Pfister : Das Drama, 20–22.

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

Zunächst und ohne Überleitung vom ›Schauspielerporträt‹, stellt Humboldt das Drama vor, dem die Rolle entstammt: »Ich habe erst hier ein sehr sonderbares Stück kennen lernen, Abufar von Ducis.[1157] Theils des Mangels an Handlung, theils der Entwicklung wegen, ist es kaum eine Tragödie zu nennen; aber es mangelt ihm nicht an tragischem Stoff.« (HFB: 381) ›Untragisch‹ ist das Stück, insofern es gut ausgeht, wie die anschließende Inhaltsangabe erkennen lässt: Pharan, Sohn des »Anführers einer Arabischen Horde«, verliebt sich in seine vermeintliche Schwester, flieht, kehrt zurück, will nochmals fliehen und hat das Glück, dass sein Vater von seiner Leidenschaft erfährt und ihm eröffnen kann, seine Geliebte sei ein Adoptivkind. Nach einer abschließenden Charakterisierung des Dramas setzt das eigentliche Rollenporträt ein: Talma spielt die Rolle des Pharan, des entflohnen und zurückkehrenden Sohnes, und sie gelingt ihm vortrefflich. Er weiss die fürchterliche und schwarze Stimmung, welche der Seele die hoffnungslose Verzweiflung einer von Göttern und Menschen gemissbilligten Leidenschaft, das Verlassen eines geliebten und, nach den Sitten seines Volks, beinah göttlich verehrten Vaters, und der Entschluss zu einer Flucht in die Wüste, bei der er sich jeden Gedanken an die Rückkehr abschneidet, einflösst, auf eine solche Art zu schildern, dass man sich ganz in diese Lage versetzt und in die Empfindung mit fortgerissen fühlt. (W II: 381)

Thematisierung und Motivierung der ›Grundstimmung‹, dazu die Andeutung der Wirkung – das ist alles. Immerhin macht ein vergleichender Blick auf die Adjektive deutlich, dass Pharans »schwarze Stimmung« ein Beispiel für jene »finstern und melancholischen Momente« ist, in deren Darstellung Talmas besondere Stärke besteht (HFB: 381). Das Wie der Darstellung aber bleibt undeutlicher als im vorhergehenden Schauspielerporträt. Auch die Leistung von Talmas Mitspielerin wird in höchst allgemeinen Wendungen gewürdigt: Er wird auch hier sehr gut durch die Schauspielerin, welche Zulima spielt, unterstützt. Mlle Vanhove besitzt ein vorzügliches tragisches Talent, das besonders in einigen Rollen eine bewundernswürdige Wirkung hervorbringt. Am besten finde ich sie in Cassandra in Lemerciers Agamemnon, einer Rolle, die ihr auch ganz eigenthümlich angehört, da bisher auf der Französischen Bühne keine ähnliche vorhanden war. (HFB: 381)

Nur wenig konkreter wird Humboldt im anschließenden zweiten Rollenporträt Talmas: »Mit grossem Vergnügen habe ich neulich auch Talma im Cid gesehen. Er hatte, was viel sagen will, Würde genug, um das Gigantische dieses Stücks nicht lächerlich erscheinen zu lassen. Die Scene, wo er zwischen Liebe und Ehre kämpft, die Scene, wo er in Chimes Haus tritt, und andere spielt er meisterhaft.« 1157 Jean FranÅois Ducis (1733–1816) war vor allem als Übersetzer und Bearbeiter von Shakespeare-Dramen bekannt; sein 1795 uraufgeführte Drama Abufar ou la famille arabe verdankt seinen Erfolg vor allem Talma (siehe Golder : Ducis, bes. xi–xvi; 217).

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(HFB: 381f.) ›Vortrefflich‹, ›vorzüglich‹, ›bewunderungswürdig‹, ›am besten‹, ›meisterhaft‹: Mit derartigen Wertungen spart schon Böttiger keineswegs, wie Tiecks Parodie im Gestiefelten Kater unterstreicht (III.1). Doch setzt er sie im Sinn einer quod-erat-demonstrandum-Struktur an den Anfang und Schluss langer Detailschilderungen,1158 während sie bei Humboldt an Stelle einer Beschreibung des Wie stehen. Immerhin wird in Bezug auf den Cid die schon bei Böttiger beliebte Behauptung bemüht, dass eine außerordentliche Verkörperung ein eigentlich unspielbares Stück rettet1159 – wie dies geschah, ist jedoch alleine durch das Stichwort »Würde« angedeutet. Humboldts Rollenporträts haben offensichtlich nur die Funktion, Talmas außerordentlichen Rang zu belegen, nicht aber, ihn evident zu machen. Auch sonstige Funktionen von Ekphrasis (siehe I.4) scheinen hier keine Rolle zu spielen.

3.4

Nationalstil und Karikatur

Umso bemerkenswerter ist, dass Humboldt im Folgenden zwar auf eine abstraktere Ebene wechselt, dabei aber Enargeia thematisiert: Es ist äusserst schwer, bei einer so schnell vorübergehenden Kunst, wie die Mimik ist, Vergleichungen zwischen zwei verschiedenen Stilen anzustellen, wenn man den einen unmittelbar vor sich hat und den anderen bloss im Gedächtniss trägt. Wie man in einer Gallerie von dem Bilde eines Meisters zu dem eines andern übergeht, so habe ich oft gewünscht, mich in wenig Minuten von hier auf ein Deutsches oder Englisches Theater versetzen zu können.// Die Französische Bühne hat indess doch einige sehr auffallende Eigenthümlichkeiten, und ich glaube nicht zu irren, wenn ich folgende Züge charakteristisch an ihr nenne. (HFB: 382)

Allerdings geht es hier nicht um die Enargeia der Beschreibung, sondern der Schauspielkunst (hier : »Mimik«). ›Vor Augen‹ hat Humboldt in Paris ›die‹ französische Schauspielkunst, und zwar, wie es scheint, deutlicher in ihren allgemeinen ›Zügen‹ als in konkreten Verkörperungen. Die Erinnerung an ›die‹ deutsche Schauspielkunst scheint immerhin deutlich genug zu sein, um wie1158 So heißt es gleich zu Beginn des ersten Kapitels über Iffland als Graf Wodmar, zu den Dingen, die »uns schon beym ersten Eintritt« (BEIS: 1) verrieten, »ob wir es mit einem Meister oder Gesellen […] in der Schauspielkunst zu thun haben« (BEIS: 1f.), gehöre eine zurückhaltende »Art des Auftretens« (BEIS: 2) im Hinblick auf »die Gradiation für das, was noch kommen soll« (BEIS: 3); nach Verfolgung dieses Aspekts spricht Böttiger zusammenfassend von den »meisterhaft motifirten Gradationen des innern Kampfes« (BEIS: 16). 1159 Siehe etwa Böttigers Urteil über Ifflands Leistung als Peter der Große in Babos Strelitzen (BEIS 39–52; III.8.1).

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

derum den Hintergrund einer Typologie abzugeben. Im Vordergrund tritt nicht mehr Talma auf, wohl aber ›der‹ französische Tragöde, dessen actio zwar immer noch mit hoher Abstraktion beschrieben wird, jedoch deutlich konkreter als die Talmas: Der französische tragische Schauspieler hat durchaus einen mehr leidenschaftlichen Ausdruck, als der Deutsche. Er spielt, wenn ich so sagen darf, mehr die Leidenschaft, als den Charakter, hält den Zuschauer mehr bei dem augenblicklichen Zustand seines Gemüths fest, lässt ihn weniger in das Innere seiner Seele und das Ganze seiner Empfindungsart schauen. Daher ist in verschiedenen Rollen weniger Abwechslung und weniger Individualität. Man könnte ein Bild eines tragischen Helden im Allgemeinen entwerfen, und würde in einzelnen Rollen dasselbe Bild, mit ziemlicher Vollständigkeit, wiederfinden. (HFB: 382)

Die letzte Formulierung mag eine nachträgliche Erklärung für die ›Blässe‹ der vorherigen ›Rollenporträts‹ liefern: Wenn die konkrete Verkörperung so wenig Spezifisches hat, reicht es tatsächlich aus, ein ›Bild‹ typischer ›Züge‹ zu entwerfen. Der Begriff ›Bild‹ ist hier offensichtlich vor allem im Sinn von ›Modell‹ oder ›Schema‹ zu verstehen;1160 andererseits ist auch der Bezug zur bildenden 1160 Wie weit an diesem ›Bild‹ auch Nationalstereotypen beteiligt sind, hat Ruth Florack herausgearbeitet: Die von Humboldt durchaus treffend beobachteten Unterschiede der nationalen Schauspiel(er)stile werden von ihm nicht kulturhistorisch erklärt, sondern unter Rückgriff auf das Konzept vom »Nationalcharakter«, das »seit der Frühen Neuzeit zur Beschreibung – und längst auch zur Erklärung – kultureller Differenzen etabliert ist. Lebhaftigkeit, Sinnlichkeit und Geschmack der Franzosen prägen demnach die französische Literatur, das Publikum und folglich auch den Schauspieler als Mittler zwischen beiden. Herz, Seele, Charakter scheint Humboldt eher in Deutschland zu finden, wo das Theater seine Zeichensprache allerdings noch vervollkommnen müsse. Also bedarf ›Tiefe‹ einer passenden ›Oberfläche‹, um sich dem Zuschauer mitzuteilen; wo ›Oberflächlichen‹Kunst dagegen – wie in Frankreich – ›Tiefe‹ ersetzt, scheint ein Fortschritt des Dramas im Sinne einer ›idealischen Darstellung der Menschheit‹ erschwert.« (Florack: Tiefsinnige Deutsche, frivole Franzosen, 721f., hier 722, siehe auch Humboldts aus derselben Zeit stammendes Manuskript Über den französischen Nationalcharakter ebd. 729f.). Noch deutlicher wird die Kontinuität (bei entgegengesetzter Bewertung) im Vergleich zu Ifflands apodiktischer Warnung in den Fragmenten über Menschendarstellung von 1785: »Der deutsche Schauspieler darf nichts von der Art des französischen haben, dieser, nichts von jenem.// Die Franzosen geben Vorstellungen.// Die Deutschen, Darstellungen.// Ihre Gemälde der Leidenschaften sind prächtig.// Unsere, wahr.« (Iffland: Beiträge zur Schauspielkunst, 59). Günther Heeg sieht die unterschiedliche Entwicklung der französischen und deutschen Schauspielkunst vor einem konfessionellen Hintergrund: »In Frankreich werden die Tableaus der Leinwand zum Modell der Theatertableaus, und die Gestalt des Schauspielers orientiert sich an der Malerei und am Malerischen. Der protestantische Norden Deutschlands dagegen, von wo die neue Schauspielkunst in Deutschland ihren Ausgang nimmt, ist, anders als das katholische Frankreich, ungleich stärker von der Tradition der Bilder- und Körperfeindlichkeit geprägt. Diese mentalitätsgeschichtliche Differenz ist neben dem Fehlen von Institutionen wie der Acad8mie royale de peinture et de sculpture […] der Grund, daß es in dieser Zeit in Deutschland keine große Malerei gibt, von der Impulse für das Theater ausgehen könnten« (Heeg:

Der Schauspieler als Bild der »Harmonie«

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Kunst weiterhin präsent, hat Humboldt doch wenige Sätze vorher den Wunsch formuliert, französische und englische Schauspielkunst vergleichen zu können wie Bilder in einer Galerie. Die Frage ist allerdings, ob Humboldt im Folgenden tatsächlich versucht das »Bild eines tragischen Helden[darstellers] im Allgemeinen« zu »entwerfen«. Dies scheint zunächst der Fall zu sein, beschreibt Humboldt doch nun1161 den ersten Auftritt ›des‹ französischen Tragöden: Bei seinem ersten Hereintreten sieht man es dem Schauspieler an, dass er von Leidenschaften bestürmt, mit schrecklichen Ereignissen im Kampf seyn werde. Der Ausdruck der Leidenschaft selbst ist weit mehr der physische der Natur, als der höhere und idealische. Die Leidenschaft ist vorzüglich von der Seite des Erliegens unter einer fremden Gewalt genommen, und es ist vergessen, dass sie auf der andern Seite, in edlen und grossen Individuen, aus einer Tiefe herstammt, die wir selbst nicht ergründen können […]. (HFB: 382f.)

Es folgt im Wesentlichen eine Zusammenfassung von Schillers Anthropologie tragischer Affekte (HFB: 383),1162 die den Weimarer Freunden zugesagt haben dürfte, jedoch wenig zum ›Bild‹ ›des‹ französischen Tragöden beiträgt. Verheißungsvoller scheint in dieser Hinsicht die Ankündigung: »Was ich bei den hiesigen Schauspielern Naturausdruck von Leidenschaft nenne, kann ich Ihnen durch einige Beispiele deutlich machen.« (HFB: 383) Doch von FranÅoise Clarien, genannt Racourt (1753–1815), wird nun zwar behauptet, dass sie »unstreitig am meisten die Reste der ehmaligen grossen Talente« zeige und besonders stark im Ausdruck von ».me« sei; doch führt Humboldt nicht etwa aus, was er damit meint, sondern führt »manches Anstössige« in ihrem Spiel vor Augen: Plötzliche und rasch veränderte Beugungen der Stimme, abgebrochne Bewegungen der Arme, ein uns wenigstens oft widriges Werfen des Kopfs, ein affectirter Gang, und besonders ein Ton der Stimme, der nur Ton des heftig geäusserten Affects, nicht der einer tief empfundenen Leidenschaft ist, kurz wenn man es stark ausdrücken soll: wie man es bei schlechten Schauspielern sieht, ein stolzes und anmaassliches Wesen, das unmittelbar ans Gemeine gränzt. (HFB: 383)

Diese Passage bietet die präziseste Beschreibung von actio im gesamten Tragöden-Aufsatz; offensichtlich ist für Humboldt wie für Churchill vor allem missglückte Schauspielkunst beschreibbar, und zwar eher in übersteigerten Phantasma der natürlichen Gestalt, 157–166, hier 158, zu Humboldt 166–172). Angesichts der bisher besprochenen Text-Bildbezüge lässt sich der Befund modifizieren: Das deutsche Theater orientierte sich teilweise durchaus an Vorbildern der bildenden Kunst, allerdings vor allem an englischen, die ebenfalls stark am ›Ausdruck‹ interessiert war und eine größere Affinität zu Genremalerei und Karikatur hatten als zur Historienmalerei. 1161 Ich übergehe einen kurzen überleitenden Absatz zwischen dem letzten und dem folgenden Zitat (HFB: 382). 1162 Siehe Alt: Schiller 2, 85–92.

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

Einzelelementen als in Bezug auf eine Rolle (II.4.2). Doch exemplifiziert diese Beschreibung tatsächlich auch den »Naturausdruck von Leidenschaft« auf der französischen tragischen Bühne? Immerhin heißt es ja in der Einleitung, man sehe bei einigen von Talmas Kollegen, »was in ihm vielleicht Element eines Fehlers genannt werden könnte, in Karrikatur« (HFB: 378). Und an die ›Karikatur‹ der Racour schließt sich die Bemerkung an: »Ich bescheide mich, dass Clairon und Dumnesil noch weniger in diese Fehler verfallen sind; aber Gattung und Stil müssen im Ganzen immer dieselben gewesen sein.« (HFB: 383f.) Nach diesem Ausflug in die letzte Generation großer Tragödinnen (die genannten Antipodinnen verkörperten für Diderot exemplarisch den Gegensatz von Reflexions- und Gefühlsschauspielerin)1163 kommt Humboldt noch einmal auf Talma zu sprechen: Dieser sei zwar in allem natürlicher und freier, aber auch in ihm ist der Naturausdruck der Leidenschaft stärker, als wir es wenigstens immer wünschen. Die Arbeit seines Gemüths zeigt sich oft für uns zu stark in seinen Athemzügen und seinen Stellungen; seine Gesichtszüge verrathen ganz eigentliches Leiden, und wenn Homers Helden sich nicht scheuen zu weinen, so scheut der Französische Schauspieler sich nicht die physische Leidenschaft zu zeigen, sollte auch das Erliegen unter derselben ins Unmännliche übergehen. Ja er hütet sich sogar nicht immer vor unmännlichen Verzerrungen des Gesichts. (HFB: 384f.)

Bezeichnend für Humboldts systematisches Interesse ist, dass die Passage von Talma wieder zu ›dem‹ französischen Schauspieler übergeht. Dessen Tendenz zur forcierten Darstellung des Leidens wiederum wird im Plural ein wenig modifiziert: Doch sind bei den guten Schauspielern die Schattirungen natürlich sehr fein, und es fehlt da nur die letzte Vollendung der innern Harmonie der Empfindung. Die Wirkung ist nur nicht so geistig, als man wünschte, sie setzt unser Gemüth nicht in eine so energische und fruchtbare Bewegung. (HFB: 385)

Dies ist die einzige Stelle des Tragöden-Aufsatzes, an der die in zeitgenössischen Kunstbeschreibungen und Mimen-Ekphrasen so beliebte Metapher der ›Schattierung‹ aufgenommen wird (III.2, III.5). Sie bezeichnet hier jedoch nur eine individualisierende Gegentendenz zur forcierten Affektdarstellung und leitet gerade keine Darstellung mimischer ›Feinheiten‹ ein. Dass diese nicht interessieren, hängt mit der rezeptionsästhetischen Haltung zusammen, die Humboldts Formulierung ausdrückt, »unser Gemüth« solle in eine »energische und fruchtbare Bewegung« gesetzt werden. Sie korrespondiert mit der Thematisierung von »Einbildungskraft« und »ästhetische[r] Stimmung« bereits im zweiten Abschnitt des Textes (HFB: 377, siehe IV.3.1) und entspricht 1163 Siehe Heeg: Phantasma der natürlichen Gestalt, 105–110.

Der Schauspieler als Bild der »Harmonie«

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der rezeptionsästhetischen Ausrichtung von Humboldts gesamter Ästhetik, die Jürgen Kost im Anschluss an Cora Lee Nollendorfs rekonstruiert hat.1164 Im letzten Teil des Tragöden-Aufsatzes geht es in sehr grundsätzlicher Weise um die Anwendung dieses Ansatzes auf Schauspielkunst in kulturvergleichender deutsch-französischer Perspektive. Dabei versucht Humboldt kaum mehr, Enargeia zu erzeugen, thematisiert sie aber in sehr spezifischer Weise und nutzt dabei die Vieldeutigkeit des ›Bild‹-Begriffs. Der Nachvollzug seiner Argumentation ist geeignet, die Eigenheiten autonomieästhetisch geprägter Mimen-Ekphrasis besser zu verstehen, und zwar nicht nur in Bezug auf eher ›klassizistische‹, sondern auch auf eher ›romantische‹ Texte. Nicht sinnvoll ist es jedoch, das Close Reading des Tragöden-Absatzes für dessen letzte Einheit linear fortzusetzen, da dessen Argumentationsgang, dem Briefgenre entsprechend, recht assoziativ verläuft.

3.5

Rezeptionsästhetik des mimischen ›Bildes‹

Als Humboldts wichtigste ästhetische Programmschrift (für manche sogar als wichtigste Programmschrift der ›Weimarer Klassik‹)1165 gilt seine Abhandlung Über Göthes »Hermann und Dorothea«, die im Januar 1799 erschien.1166 Darin wird Kunst im Allgemeinen (einschließlich Dichtkunst) definiert als »die Fertigkeit, die Einbildungskraft nach Gesetzen productiv zu machen«.1167 Zu diesem Zweck habe sie »[d]as Wirkliche in ein Bild zu verwandeln«.1168 Dieses ›Bild‹ soll gerade nicht mimetisch abbildend sein, sondern »idealisch«, und das heißt: »fern der Wirklichkeit, der Realität geradezu entgegengesetzt.«1169 Dies gilt auch für die Poesie: Dadurch, dass der Dichter seinen Gegenstand, selbst wenn er ihn unmittelbar aus der Natur entlehnt, doch immer von neuem durch seine Einbildungskraft erzeugt, wird die Gestalt bestimmt, die er demselben über seine wirkliche Beschaffenheit oder auch ausser derselben giebt. Denn er tilgt nun jeden Zug in ihm aus, der nur in Zufälligkeiten seinen Grund hat, macht jeden von dem andern und das Ganze nur von sich selbst 1164 Kost: Humboldt, 278–293; Nollendorfs: Aesthetics of Reception, siehe auch Müller-Vollmer: Poesie und Einbildungskraft, 39–77. 1165 Siehe die Beispiele für Vertreter dieser Bewertung bei Kost: Humboldt, 278f. Kost selbst betont dagegen die Unterschiede zu Goethe und Schiller, die eher produktions- als rezeptionsorientiert gedacht hätten (279ff.s). Dazu mehr am Schluss dieses Teilkapitels. Den Tragöden-Aufsatz diskutiert Kost nicht. 1166 Humboldt: Werke 2, 113–323, zur Entstehungsgeschichte ebd. 402–405 (Komm.). 1167 Humboldt: Werke 2, 127 (Hervorhebung im Original). 1168 Humboldt: Werke 2, 126 (Hervorhebung im Original). 1169 Humboldt: Werke 2, 128 (Hervorhebungen im Original).

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

abhängig; und die Einheit, die dadurch in ihm herrschend wird, ist dennoch keine Einheit des Begriffs, sondern durchaus nur eine Einheit der Form.1170

Es geht hier also nicht um Idealisierung im Sinne platonischer Wesensschau, sondern um eine Anverwandlung an die Einbildungskraft des Dichters, für die der Begriff »Gestalt« steht, hier verstanden als Produkt von Gestaltungskraft, das wiederum vom Leser umgestaltet wird. Dementsprechend heißt es auch im Tragöden-Aufsatz: »Bei allem Kunstgenuss macht die Einbildungskraft allein die Unkosten, es ist nie das Kunstwerk selbst und allein, das uns entzückt, es ist das Bild, das wir, durch dieselbe begeistert, vielleicht ebenso sehr in dasselbe hinein, als aus ihm heraussehen.« (HFB: 389) Welche Konsequenzen hat dieser Ansatz nun speziell für das ›mimische Kunstwerk‹? Humboldt postuliert im Tragöden-Aufsatz eine Unterteilung von Kunstwerken, die zunächst an die Unterscheidung von ›natürlichen‹ und ›künstlichen‹ Zeichen erinnert: »Nun zerfallen alle darstellenden Künste in zwei Klassen, solche, wo die Einbildungskraft den Gegenstand selbst, ganz oder zum Theil, bilden muss, und solche, die ihn selbst unmittelbar hinstellen und wo sie nur gleichsam das Idealische darin mithervorzubringen hilft.« (HFB: 389) Doch während Lessing ›natürliche‹ Zeichen auf die bildende Kunst und ›künstliche‹ auf die Poesie beschränkt sehen will und letztlich der Poesie die höhere Vollkommenheit zuspricht, weil ihre Illusion rezipientenseitig größere Hindernisse überwinden muss,1171 demonstriert Humboldt seine Unterscheidung an Malerei und Plastik und zieht sehr eigene Schlüsse daraus: »Die letztern, glaube ich mit Sicherheit behaupten zu können,« (nämlich die Künste, die ihren Gegenstand »unmittelbar hinstellen«), »müssen einen weit höhern Grad der Vollkommenheit besitzen, um einen gleich starken Eindruck zu machen. Von einem Gemälde und einer Statue z. B., die mittelmässig sind, wird doch das erstere noch mehr interessiren, weil es uns doch wenigstens das Geschäft auferlegt, uns die dargestellte Scene [!], die dort nur in Umrissen und Farben gezeichnet ist, wirklich vorzustellen.« (HFB: 389f.) Unter diesem Gesichtspunkt hat der Schauspieler noch höhere Ansprüche zu erfüllen, weil das Kunstwerk seines Körpers nicht nur dreidimensional ist, sondern sogar lebendig und damit gleichzeitig ›Kunst‹ und ein Teil der ›Natur‹: »Die [mittelmäßige oder schlechte] Statue lässt uns durchaus kalt, und ist uns dann nicht mehr, als der rohe Stein.// Der schlechte Schauspieler geräth sogar in Gefahr, uns Ekel zu erregen, und je reizbarer der Zuschauer gegen die rohe Wirklichkeit ist, desto mehr muss sich jener auf der Linie der Kunst halten.« (HFB: 390) An dieser Stelle verbindet Humboldt seinen systematischen Ansatz mit der kulturvergleichenden Perspektive des Tragöden-Aufsatzes: 1170 Humboldt: Werke 2, 129. 1171 Siehe Wellbery : Lessing’s Laocoon.

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Die Franzosen nun besitzen nicht nur diese Reizbarkeit in hohem Grade, sondern sie suchen auch in der Kunst weniger die hoch idealisirte Natur, als nur die Kunstmanier, die Regelmässigkeit, Zierlichkeit und Symmetrie, die den Künstler verräth. Sie nennen daher die letzte Linie natürlich, von der man nicht tiefer herabsteigen dürfte, ohne, ihren Begriffen nach, dem Kunstcharakter zu schaden – eine Linie, die wir ganz anders bestimmen würden. (HFB: 390)

Kurz zuvor hatte Humboldt eine weitere mediale Besonderheit von Schauspielkunst hervorgehoben: Sie sei »die Kunst der Kunst, nicht die Darstellung der Natur, sondern die Darstellung einer andern vorhergegangenen künstlerischen Darstellung.« (HFB: 388) Diese Akzentuierung setzt sich deutlich ab vom Modell der ›Verkörperung‹ einer Rolle, bei dem es darum geht, das »Phantasma der natürlichen Gestalt« vor Augen zu stellen.1172 Gerade die Herausarbeitung von ›Feinheiten‹ in den Mimen-Ekphrasen Lichtenbergs, Schinks und Böttigers orientiert sich ja an dieser Leitvorstellung, wobei es entweder um die Verkörperung von Shakespeare-Rollen geht oder von im weitesten Sinne ›realistischer‹ Dramatik. Für Humboldt dagegen ist die wichtigste Referenzgröße des Schauspielers gerade nicht die Natur, sondern das Drama,1173 und sein Beispiel sind Adaptionen des in Frankreich besonders beliebten Orestie-Stoffes:1174 »Man darf nicht fragen: könnte Agamemnon, könnte Clytemnestra diese Bewegungen machen? sondern: könnte es der Agamemnon, der diese Gesinnungen äussert, diese Worte sagt?« (HFB: 389) Kennzeichnend für das gleichzeitige Repertoire der deutschen Bühne ist dagegen, dass Ifflands Weimarer Gastspiel nicht eine antike oder klassizistische Tragödie enthielt.1175 Zudem spielte Iffland damals nur in Prosadramen – den ›malerischen‹ Charakter französischer Schauspielkunst dagegen sieht Humboldt nicht zuletzt im Verhältnis zur Versdeklamation begründet: In dem Gebehrdenspiel ist der Französische Schauspieler, wie schon oben bemerkt worden, mehr malend, als der Deutsche, der nur fast ausdrückende Geberden kennt […].[1176] // Es sind nicht die häufigen Gesten der mittäglichen Völker,[1177] aber es sind 1172 Siehe Heeg: Phantasma der natürlichen Gestalt, bes. 415. 1173 »[…][D]as Natürliche oder Unnatürliche seines Spiels darf […] nicht mehr durch eine unmittelbare Vergleichung mit der Natur, sondern durch eine mittelbare mit der Behandlung derselben durch den Dichter beurtheilt werden.« (HFB: 389). 1174 Dagegen führt Diderot im Premier Entretien über den Fils Naturel die überzeugend gespielte Verzweiflung einer Klytemnästra über die Opferung Iphigenies als Musterbeispiel für »v8ritable dignit8« im Gegensatz zu veräußerlichter »d8cence« an (Diderot: Œuvres 10, 93). 1175 Iffland hatte einige Stücke vorgeschlagen, die letzte Entscheidung über den Spielplan jedoch Goethe überlassen (siehe Kliewer : Iffland, 67). 1176 Humboldt bezieht sich hier auf die Unterscheidung zwischen ›malenden‹ und ›ausdrückenden Gesten‹ in Engels Mimik (siehe III.2.5). 1177 Für diese stand damals besonders die auch bei Böttiger angesprochene Gestik der Italiener (BEIS: 276f., siehe III.2.5).

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zum Theil, der Zahl und der Art nach, von dem Sinn der Rede wenigstens nicht nothwendig hervorgebrachte Bewegungen. Es scheint vielmehr, als müsse der Rhythmus und die Cadence der Verse zugleich durch eine eben solche Folge von Bewegungen begleitet werden, die nur da, wo der Sinn mehr Gewicht bekommt, eigentlich bedeutend werden. (HFB: 385)

Erstaunlicherweise ›malt‹ französische Schauspielkunst also, indem sie Aspekte der Sprache hervorhebt, die nicht mit ihrer Sinndimension, sondern ihrer ›musikalischen‹ Gliederung in der Zeit zusammenhängen. Ein anderer Aspekt des Malerischen dagegen, der bereits im ›Schauspielerporträt‹ Talmas angesprochen wurde, wirkt dem transitorischen Charakter des Spiels entgegen: In dieses mischt sich nun aber vornhemlich das Bestreben nach malerischen Bewegungen, das überall auf der Bühne herrschend ist, daher sieht man auch oft Attitüden[1178] verlängern, die bei uns schneller wechslen würden. So geht der Schauspieler, nach einer bedeutenden Scene, mit einer gleichsam verlängerten Gebehrde von der Bühne ab, da wir es nicht billigen würden, wenn sich jemand z. B. mit aufgehobenen Armen entfernen und, bis er vor dem Zuschauer verschwindet, so bleiben wollte. (HFB: 386)

Erinnert sei daran, dass auch Garrick das Mittel der pause einsetzte, es aber (nach Churchills Urteil und Lichtenbergs Beschreibung) – psychologisch motivierte und meist mit umso jäheren Bewegungen (start) kontrastierte.1179 Iffland verdichtete mitunter ganze Szenen zu einem tableau, das aber, Diderot folgend, ›rührende‹ Handlungshöhepunkte markierte und auch die übrigen Schauspieler mit einbezog (III.6.2, III.6.5). Das Abgehen eines einzelnen Schauspielers mit aufgehobenen Armen dagegen wäre englischen wie deutschen Zuschauern um 1800 als ›unnatürlich‹ erschienen. Humboldt jedoch billigt die ›malerische‹ Tendenz französischer Schauspielkunst sehr weitgehend, da sie seinem Ideal einer Schauspielkunst, welche die Einbildungskraft der Zuschauer anregt, deutlich mehr entspricht als die deutsche. Dies gilt auch für die deutsche Theaterpraxis und Dramatik: »Wie unendlich mehr ist aber von dieser Seite an unserm Schauspiel zu vermissen! Man hat oft geklagt, dass es auf unsrer Bühne an edlem, freiem und graziösem Anstand fehle,« – eine Kategorie, die Lichtenberg und Iffland jeweils im Sinn des Verkörperungs-Ideals zu interpretieren versuchten– »allein, was ich hier meyne, ist noch mehr und etwas andres.// Es geschieht bei unsrer Tragödie überhaupt nicht genug für das Auge, nicht in ästhetischer, und noch weniger in sinnlicher Rücksicht.« (HFB: 393) Mit dem Aspekt des ›Sinnlichen‹ meint Humboldt »Decoration, Costüme und, wenn der Schauspielkunst eine eigne Erziehung gewidmet würde, vor allem die Bildung 1178 Zur Attitüdenkunst siehe III.2.5. 1179 Siehe I.2.1.6, II.4.1.

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des Körpers selbst« (HFB: 393). Entscheidend ist aber, dass das Auge ›ästhetisch‹ befriedigt wird: Wir verlangen ja von einer guten malerischen Composition, dass die verschiednen Gruppen, auch nur als Massen und Formen und ohne Rücksicht auf den Sinn der Darstellung betrachtet, in angenehmen Verhältnissen stehen und gefällige Umrisse bilden sollen. Die gleiche Forderung ergeht an die rhythmischen Verhältnisse der Perioden bei dem Dichter und selbst dem Prosaiker, und sogar von einer Reihe nacheinander erregter Empfindungen wollen wir noch, dass sie, wie eine Reihe zusammenstimmender Töne, eine harmonische Folge ausmache. Es giebt mit einem Worte eine eigne Energie unsrer Einbildungskraft, vermöge welcher sie bloss mit leeren Formen spielt, und die blossen Theile des Raumes und der Zeit in gefälligen Verhältnissen aneinander zu reihen strebt, und dies rein ästhetische Bedürfniss unsrer Phantasie fordert bei jedem Werke Befriedigung, das irgend einen Anspruch auf Kunst zu machen wagt. (HFB: 393)

An die Stelle von Lessings Forderung nach einem ›bequemen Verhältnis‹ zwischen Zeichensystem und Bezeichnetem (Einf. 2) rückt hier also die Forderung nach »gefälligen Verhältnissen« in den Raum- wie in den Zeitkünsten ungeachtet ihres Verweischarakters. Für die Zeitkünste steht dabei eher die Musik mit ihrer ›harmonischen Folge‹ von ›zusammenstimmenden Tönen‹ als die Poesie, die hier zwar thematisiert, aber konsequent unter musikalischem Vorzeichen gesehen wird, soll es in ihr doch um eine »Reihe nacheinander erregter Empfindungen« gehen. Die Begriffe »Composition« und ›Harmonie‹ lassen sich damit auf Malerei, Musik und Dichtung übertragen – ganz besonders aber auf Schauspielkunst,1180 zumal sich im Schauspieler nach französischem Verständnis »das Talent des Musikers und des Malers« verbindet (HFB: 390). Wie oben gezeigt, kann dies so weit gehen, dass Gebärden, welche die zeitliche Gliederung der Versdeklamation markieren, ›malerisch‹ genannt werden. Trotz dieser Vorzüge allerdings gibt nach Humboldts Überzeugung »die Französische Schauspielkunst ein weniger hohes und idealisches Bild von dem Menschencharakter, als das ist, nach dem wir bei uns streben« (HFB: 387). »Bild« ist hier offensichtlich im Sinn eines ›repräsentativen Bildes‹ zu verstehen (siehe I.3.1), als ›Vor-Bild‹ im utopisch-humanistischen Sinn – dieses Verständnis hatte sich ja schon gezeigt in der Kritik an der zu passiven und damit Autonomie relativierenden Auffassung von Affekten durch ›den‹ französischen Schauspieler (III.4.3).1181 Nun geht Humboldt einen Schritt weiter und entwirft das »Ideal eines Schauspielers«, der die Vorzüge deutscher und französischer Schauspielkunst verbindet: 1180 Auch der Begriff »Umrisse« deutet, wie das Beiwort ›gefällig‹ verdeutlicht, weniger auf eine Größe hin, die eine ›Gestalt‹ abgrenzt, als auf eine, die dazu dient ›Formen‹ harmonisch zueinander ins Verhältnis zu setzen. 1181 Siehe das Kapitel Humboldts Konzeption des Individuums in Kost: Humboldt, 129–164.

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Er soll den handelnden Menschen, und zwar in seiner ganzen Persönlichkeit darstellen, und wenn gleich in der Natur gewiss nicht alle Stellungen und Bewegungen selbst des am meisten idealisch gebildeten Menschen immer edel und graziös sind, so ist der Schauspieler dafür Künstler, dass er sich diese Ungleichheiten der Natur nicht zu Schulden kommen lassen soll. Da er als Künstler die Natur durch eigne Mittel nachahmt, so ist er verbunden, was er hinzufügt, vollkommen künstlerisch zu verarbeiten, und in durchgängige Harmonie zu bringen. (HFB: 390)

Diese Forderung ist (wie bereits der zweite Absatz des Tragöden-Aufsatzes andeutete) an ›den‹ deutschen Schauspieler gerichtet, denn obwohl Talma eine für französische Verhältnisse bemerkenswert ›realistische Schauspielkunst bietet, ist »an eine eigentliche Verschmelzung des Menschen mit dem Künstler im Schauspieler […] in Frankreich nicht zu denken« (HFB: 396), jedenfalls solange die französische Tragödienproduktion nicht »zur Kraft und Wahrheit der Natur, zu einer seelenvollen und idealischen Darstellung der Menschheit« gekommen ist (HFB: 396f.). Wie aber kann der deutsche Schauspieler Humboldts »Ideal« gerecht werden? Humboldt empfiehlt ihm die Orientierung an einer weiteren ›Schwesterkunst‹: Keine Kunst ist der Schauspielkunst in gewisser Rücksicht so nahe verwandt, als der Tanz. Wie nun der gute Tänzer sich nie begnügt, einzelne Schönheiten zu zeigen, sondern nach Schönheit und Harmonie im Ganzen strebt, wie er nie einzelne edle und graziöse Bewegungen, sondern einen Körper zeigen will, der sich nicht anders, als edel und graziös zu bewegen vermag, wie er den Zuschauer endlich dahin bringt, nichts als die innere organische Kraft zu bewundern, die sich in tausend mannigfaltigen Gestalten entwickelt, und alle beherrscht, und in allen ästhetisch harmonisch erscheint; so muss der Schauspieler die Einbildungskraft seines Zuschauers allein auf die Seele versammlen, die ihn belebt, und die zugleich aus seiner Stimme, seinen Minen und Gebehrden hervorstralt.« (HFB: 394)

Tatsächlich sollte Goethe in seinen Regeln für Schauspieler teilweise sehr konkret die Orientierung an tänzerischer Praxis nahelegen.1182 Prinzipiell war dies gewiss im Sinne Humboldts, der ja, wie zitiert, das ›sinnliche‹ Element der Schauspielkunst nicht zuletzt durch körperliches Training fördern wollte. In der hier 1182 So empfiehlt er als »schöne nachdenkende Stellung […]: wenn ich die Brust und den ganzen Körper gerade herausgekehrt, in der vierten Tanzstellung verbleibe, meinen Kopf etwas auf die Seite neige, mit den Augen auf die Erde starre und beide Arme hängen lasse« (FGA 18: 874; §43). Goethes Anregung, der Schauspieler möge »in seinen Gedanken das Theater in verschiedene Räume teilen, welche man zum Versuch auf dem Papier durch rhombische Flächen vorstellen kann« (FGA 18: 881f.; §87), sollte, verzerrt durch ein Pamphlet des im Unfrieden aus Goethes Ensemble geschiedenen Carl Wilhelm Reinhold (siehe Reinhold: Saat von Goethe gesäet; dazu Borchmeyer : Goethes »Regeln für Schauspieler«), in Gerhard Hauptmanns Ratten eingehen: Zu Beginn des dritten Aktes lässt der klassizistische Theaterdirektor Hassenreuther seine Schauspielschüler tatsächlich über ein mit Kreide auf den Boden gemaltes Schachbrett schreiten (Hauptmann: Die Ratten, 49).

Der Schauspieler als Bild der »Harmonie«

409

zitierten Passage jedoch geht es gar nicht primär, wie beim Tänzer, um den Ausdruck des schönen Körpers, sondern in Analogie dazu um den harmonischen Ausdruck einer »Seele«. Auch dieser aber muss sich am Körper des Schauspielers zeigen, was durchaus eine Herausforderung ist: Wie könnte aber der Schauspieler darstellen, was seinem Wesen nach nicht darstellbar ist? Freilich kann er uns nur die Aeusserungen zeigen, aber es giebt unläugbar eine Stimmung im Menschen, wo, in der engsten Verbindung aller Empfindungen und Gesinnungen, jeder sein individuelles Wesen ganz und rein fühlt. Wenn sich der Schauspieler in diese Stimmung versetzt, wenn er Stimme, Mine, Gebehrde allein nur aus ihr abfliessen lässt, so erregt er dieselbe Stimmung in uns, und es entsteht, nun wirklich, was bei jedem grossen Kunsteffect der Fall ist, dass der Zuschauer mehr sieht, als der Künstler unmittelbar darzustellen vermag. (HFB: 394)

Diese Empfehlung rekurriert zwar auf das Quintilian’sche Modell der Selbstaffizierung, die sich unmittelbar körperlich zeigt und wie eine Ansteckung auf die Zuschauer überträgt. Doch anders als im Modell des ›heißen Schauspielers‹ geht es hier gerade nicht darum, sich einem bestimmten Affekt hinzugeben, der mit einer bestimmten Szene zusammenhängt (I.1.2). Vielmehr soll der Schauspieler sich in einen Zustand versetzen, in dem er seine »Seele« bzw. »sein individuelles Wesen ganz und rein fühlt«. Humboldt behauptet, dass es einen solchen Zustand »unläugbar« gebe; wie sich der Schauspieler jedoch planmäßig in ihn hineinversetzen kann, bleibt offen. Blickt man jedoch aus der Perspektive des von Goethe redigierten TragödenAufsatzes zurück auf seine ein Jahr zuvor erschienene Euphrosyne-Elegie, so lässt sich diese als Entstehungsgeschichte einer solchen »Stimmung« lesen, und zwar im vollen Wortsinn: Die junge Schauspielerin entwickelt sich »an dem erhabenen Wort« des gerührten Mentors (GE V. 98: 909), das sie »zu liebendem Schmerz frühe, so frühe gestimmt« hat (GE V. 106: 909).1183 Das Gedicht präsentiert Euphrosyne bzw. Christiane als ›Kunstwerk‹, das zugleich für »Gestalt« und »Seele« steht – und ist selbst in »Rhythmen« gestaltet, die man im Sinne Humboldts als ›malerisch‹ bezeichnen kann. Konkret orientieren sich Goethes Distichen am metrischen Vorbild der Homer-Übertragungen und Idyllen von Johann Heinrich Voß.1184 Dieser ist der einzige, den Humboldt im TragödienAufsatz von seiner Kritik, der deutschen Dichtung fehle es allzu oft an »Harmonie und Rhythmus« (HFB: 392), ausdrücklich ausnimmt. Und ähnlich, wie Humboldt eine ›Ästhetisierung‹ der deutschen Schauspielkunst fordert, erhofft er sich »eine Revolution« der deutschen Dichtung durch das Vorbild von Voß (HFB: 393), dessen Hexameteridylle Luise ursprünglich auch der Ausgangs1183 Meine Hervorhebung. 1184 Siehe Häntzschel: Voß, 249–257.

410

Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

punkt für Humboldts große ästhetische Programmschrift war, bevor Goethes Hermann und Dorothea erschien.1185

3.6

Mimen-Ekphrasis oder ästhetische Abhandlung?

Auf die von Moritz angedeuteten Strategien für gelungene Kunstbeschreibung bezogen (III.3.1), lässt sich also festhalten, dass das Ziel, einen Eindruck vom ›Ganzen‹ eines ›mimischen Kunstwerks‹ zu vermitteln, auch nach Humboldts Kriterien besser durch einen Text verwirklicht wird, der die Strategie der ›poetischen Kunstbeschreibung‹ verfolgt, als in seiner eigenen ›strukturierten Analyse des Werkaufbaus.‹ Allerdings ist im Fall des Tragöden-Aufsatzes das ›mimische Kunstwerk‹ als Objekt der Beschreibung mehrschichtig und seine ekphrastische Funktion widersprüchlich: Insofern sich in Talma die ›malerische‹ Tendenz französischer Schauspielkunst verdichtet, bereitet sein Schauspielerporträt (weit mehr als die eher blassen Rollenporträts) die idealtypische Darstellung ›des‹ französischen Tragöden vor, der wiederum als Kontrastfolie zu ›dem‹ deutschen Schauspieler dient. Insofern jedoch Talma ›natürlicher‹ spielt als ›der‹ französische Tragöde (d. h. seine ›Attitüden‹ schneller ineinander übergehen lässt und stärker auf das interne Kommunikationssystem achtet), deutet sich in ihm auch die Möglichkeit einer Verbindung beider Stile an. Doch kann diese nach Humboldts Überzeugung nur von deutschen Schauspielern geleistet werden – an diesem Punkt verliert die Beschreibung Talmas ihre Evidenzfunktion. Allerdings mag man sich fragen, wie weit der Tragöden-Aufsatz tatsächlich als Versuch einer strukturanalytischen Mimen-Ekphrasis gelten kann, denn es wurde ja herausgestellt, dass es zwar einerseits heißt, die darin präsentierten Beobachtungen seien »bloss von einem einzigen Schauspieler abstrahiert, von Talma« (HFB: 378), dass andererseits aber die Abstraktion zunehmend wichtiger wird als das Modell. Dass der Text hier dennoch so ausführlich als strukturanalytische Mimen-Ekphrasis interpretiert wurde, hat drei Gründe: Erstens orientiert sich Humboldts Aufsatz an ästhetischen Prämissen, die mit Moritz’ Vorstellungen vom ›Ganzen‹ eines Kunstwerks besonders deutlich übereinstimmen. Die ›Kontur‹ des Kunstwerks wird nach außen bestimmt durch Abgrenzung zur »Natur« und Stilisierung, nach innen durch Organisation gemäß den Kriterien der Geschlossenheit und Ausgewogenheit der Teile, für die Begriffe wie ›Harmonie‹, ›Komposition‹ und ›Schönheit‹ stehen. Zweitens überträgt Humboldt diese autonomieästhetischen Forderungen mit bis dahin beispielloser Konsequenz auf Schauspielkunst und verbindet sie mit 1185 Siehe Humboldt: Werke 2, 402f. (Komm.).

Der Schauspieler als Bild der »Harmonie«

411

dem Postulat einer Form von Enargeia (hier : »Energie«), die zwar wie die klassische rhetorische Ekphrasis auf imaginative Ergänzung setzt (I.1), aber nicht auf täuschende Wirklichkeitssimulation zielt, sondern auf den ›ästhetischen‹ Selbstgenuss des Rezipienten. Vor diesem Hintergrund wird besser verständlich, warum Goethe und Tieck, die besagte ›Ganzheits‹-Prämissen weitgehend teilen, so vehement die Entwickelung des Ifflandischen Spiels ablehnen, obwohl Böttiger, wie gezeigt, durchaus versucht, die ›Feinheiten‹ einer Verkörperung mit dem Ganzen der Rolle zu vermitteln und letztlich auch ein ›Gesamtbild‹ des Schauspielers zu schaffen: Böttigers allzu genaue Ausführung lässt nicht genügend Raum für die Vorstellungskraft des Rezipienten, zumal wenn naturalistische statt abstrahierende Merkmale von Ifflands Schauspielkunst dargestellt werden, die Tieck verspottet und Goethe geflissentlich übersieht.1186 Im Kontrast zur Struktur von Böttigers Monographie stehen nun – drittens – die Mikro-Ekphrasen des Tragöden-Aufsatzes, die (selbst wenn man den Text insgesamt nur unter Vorbehalt als Makro-Ekphrasis einstufen mag) durchaus exemplarisch zeigen, wie die ›ganzheitlich-strukturierte Analyse‹ eines mimischen Kunstwerks verfährt: Entscheidend sind nicht ›Feinheiten‹ einzelner Rollen, sondern Stilzüge, welche die ›Kunst‹ des Schauspielers insgesamt auszeichnen. Dabei interessiert weniger, wie weit sie den jeweiligen Künstler von anderen unterscheiden, als die Frage, ob sie autonomieästhetischen Forderungen entsprechen. Demgemäß haben Humboldts Rollenporträts vor allem die Funktion, solche Züge zu belegen, und werden nur dort einigermaßen konkret, wo sie Verstöße gegen autonomieästhetische Prämissen karikieren.1187 Im Zentrum des Interesses aber steht das ›Schauspielerporträt‹, das körperliche und geistige Voraussetzungen für die Erfüllung von ›Ganzheit‹ sichtet und seine ›Kontur‹ vor allem aus der systematischen Grenzstellung des ›lebenden Kunstwerks‹ Schauspieler zieht: zwischen Leben und Kunst, zwischen bildender Kunst, Tanz und Musik. Freilich: Wie repräsentativ Humboldts Tragöden-Aufsatz für autonomieästhetisch orientierte Mimen-Ekphrasis ist, muss auf breiterer Materialbasis vorgeführt werden. Im folgenden Kapitel (III.3.4) geschieht dies anhand von Theaterkritiken auf Vorstellungen Ifflands und seines Ensembles aus der Zeit seines Wirkens als Direktor des Berliner Nationaltheaters, die dem kulturellen Umfeld der »Berliner Klassik« zuzuordnen sind.1188 1186 Siehe Fischer-Lichte: Geschichte des deutschen Theaters, 149. 1187 Strukturell ist dies mit Churchill vergleichbar, der in seiner Rosciad ebenfalls sehr viel anschaulicher missglückte Schauspielkunst ›karikiert‹ als gelungene lobt – nur dass bei ihm der satirische Tadel dominiert (II.4.2, II.4.4). 1188 Eine Alternative wäre die Untersuchung von Johannes Schulzes kleiner Schrift Ueber Iffland’s Spiel auf dem Weimarischen Hof-Theater im September 1810 und von Ludwig Wielands Zeitschriftenartikel Ueber Iffland’s Darstellungen in Weimar, im December 1812,

412

4.

Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

›Strukturanalytische‹ Theaterkritiken der ›Berliner Klassik‹ auf Iffland und sein Ensemble am Berliner Nationaltheater

Die in diesem Kapitel zu sichtenden Quellen wurden 2007 von Klaus Gerlach unter dem Titel Eine Experimentalpoetik. Texte zum Berliner Nationaltheater herausgegeben als Band 13 der Reihe Berliner Klassik. Eine Großstadtkultur um 1800. Der Reihentitel verweist auf ein gleichnamiges Forschungsprojekt, das von Claus Wiedemann angestoßen wurde. Die Begriffsprägung »Berliner Klassik«1189 begründet Wiedemann im ausdrücklichen Verweis auf die »Doppelsemantik des heutigen Klassikbegriffs«: Er verweist einerseits »auf Formen und Ideen, die nachhaltig gewirkt haben oder noch wirken« – in dieser Hinsicht sei Berlin um 1800 so ›klassisch‹ wie Weimar. Andererseits erinnert er an die damals dominante »kulturkritische Bedeutung, die im Klassischen einen an der Vorbildlichkeit der griechisch-römischen Antike orientierten Normanspruch sieht«. Nicht gemeint ist Klassik hier als Abgrenzung gegen Romantik: Im »Ensemble markanter Innovationen […], das dem Anspruch historischer Nachhaltigkeit standhält«, finden sich »Langhans’ und Schadows Umdeutung des höfischen in einen bürgerlichen Klassizismus« sowie »Tiecks und Wackenroders Grundlegung der deutschen Romantik« ebenso wie »Moritz’ Grundlegung der modernen ›Autonomieästhetik‹« und »Ifflands Projekt eines Nationaltheaters für ein integrales Stadtpublikum«.1190 Um also die Vergleichbarkeit mit den im Umfeld der »Weimarer Klassik« entstandenen Texten des vorigen Kapitels (III.3) zu gewährleisten, gehe ich im Folgenden von einem Goethe-Aufsatz aus, an den eine Berliner Theaterkritik explizit anschließt, beziehe weitere Kritiken auf dem Weimarer Projekt verpflichtete Inszenierungen ein und weite dann den Blick auf Mischformen zwischen ›Humboldt’scher‹ und ›Böttiger’scher‹ Darstellungsweise.

4.1

Aufführungsrezensionen und Rollenporträts

Es wurde bereits betont, dass Goethes Kritik an der Entwickelung des Ifflandischen Spiels dem Beschreiber galt und gerade nicht dem Beschriebenen (III.1). In seinem auf den 15. Februar 1802 datierten Aufsatz Weimarisches Hoftheater von 18021191 erklärt Goethe das Gastspiel von 1796 sogar zum Beginn der ersten wobei (wie zu zeigen wäre) erstere eher wie Humboldts Aufsatz, letztere eher wie Böttigers Monographie verfährt. Die Entscheidung für Texte aus dem Umfeld der Berliner Klassik erleichtert jedoch den thematischen Übergang zu romantischen Mimen-Ekphrasen. 1189 Siehe auch Burdorf: Berliner Klassik. 1190 Wiedemann: Berliner Klassik, o.S. 1191 Erschienen im Journal des Luxus und der Moden 17 (1802), 136–148, hier zitiert nach GFA 18: 842–850.

›Strukturanalytische‹ Theaterkritiken der ›Berliner Klassik‹

413

›Periode‹ seines Theaterexperiments:1192 Iffland habe gezeigt, wie überholt ein die damalige Bühne beherrschender »falsch verstandener Konversationston so wie ein unrichtiger Begriff von Natürlichkeit« gewesen seien dank der »Weisheit, womit dieser vortreffliche Künstler seine Rollen von einander sondert, aus einer jeden ein Ganzes zu machen weiß und sich, sowohl ins Edle als ins Gemeine, und immer kunstmäßig und schön, zu maskieren versteht«.1193 Die Ablehnung von Böttigers Buch dürfte nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass darin gerade »Feinheiten« gerühmt werden, die im Dienst von »Natürlichkeit« im Sinn des ›Phantasmas der natürlichen Gestalt‹ standen. Als der Weimarer Theaterdirektor diesen Bericht schrieb, war Iffland bereits seit über fünf Jahren Direktor des Berliner Nationaltheaters und ein verlässlicher Verbündeter, der nicht nur die Versdramen Goethes und Schillers nach Berlin brachte, sondern teilweise auch deren Bühnenästhetik.1194 Das galt besonders augenfällig für August Wilhelm Schlegels mit antiken Versmaßen experimentierendes Schauspiel Ion, das am 2. 1. 1802 in Weimar und am 15. 5. 1802 in Berlin auf die Bühne kam. Goethe hatte dieses Drama mit besonderer Sorgfalt inszeniert, da er hoffte, auch Autoren, die heute zur ›Frühromantik‹ gezählt werden, für sein Theaterprojekt zu gewinnen.1195 Umso empfindlicher traf ihn Böttigers Vorhaben, eine Rezension im Journal des Luxus und der Moden zu veröffentlichen, die zwar kaum Goethes Inszenierung, aber doch recht spöttisch Schlegels Umgang mit dem Mythos kritisierte.1196 Der Theaterdirektor intervenierte mit massiven Drohungen bei Friedrich Justin Bertuch, dem Herausgeber des Journals, und erreichte die Publikation einer positiven Rezension. Auch sein eigener Aufsatz Weimarisches Hoftheater betont die Modellhaftigkeit dieser Inszenierung, wobei der Bezug zu Humboldts Forderung, nach dem Vorbild französischer Aufführungen »das Auge« ästhetisch zu befriedigen (HFB: 393; siehe III.3.5), offensichtlich ist: Hatte man in den Brüdern [1197] sich dem Römischen Lustspiele genähert, so war hier eine Annäherung an das Griechische Trauerspiel der Zweck. Von dem sinnlichen Teile desselben konnte man sich die beste Wirkung versprechen, denn in den sechs Personen war die größte Mannigfaltigkeit dargestellt. […] Für bedeutende, abwechselnde Kleidung war gesorgt und das durch das ganze Stück sich gleichbleibende Theater 1192 1193 1194 1195

GFA 18: 842. GFA 18: 843. Siehe Frick: Klassische Präsenzen. GFA 18: 1309 (Komm.). Zu Drama und Aufführung siehe Reichard: Schlegels Ion; unter dem Aspekt einer »›Romantisierung‹ der Antike« wird das Schauspiel untersucht in Osdrowski: ›Romantische‹ Dramatik, 179–199. 1196 GFA 18: 1310 (Komm.), siehe zu den Hintergründen Sondermann: Böttiger, 200f. 1197 Gemeint ist Goethes erfolgreiche Inszenierung von Terenz’ Komödie Die Brüder (in der Übersetzung von Friedrich Hildebrand Einsiedel) am 26. 10. 1801, bei der Halbmasken eingesetzt wurden (siehe Fischer-Lichte: Geschichte des deutschen Theaters, 154; 158).

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

zweckmäßig ausgeschmückt. […] [D]a in dem Stücke die Figuren in mannigfaltigen Verhältnissen auftreten, so wechselten durchaus die Gruppen dem Auge gefällig ab und die Schauspieler leisteten die schwere Pflicht um so mehr mit Bequemlichkeit, als sie, durch die Aufführung der französischen Trauerspiele,[1198] an ruhige Haltung und schickliche Stellung innerhalb des Theaterraums gewöhnt waren.1199

Ende Mai 1802 erschien in den Annalen des Nationaltheaters eine anonyme Rezension von Ifflands Berliner Ion-Inszenierung, eingekleidet in die Form eines Briefes »an S. in Brelau«.1200 Gleich zu Anfang wendet sich der Autor explizit gegen Böttigers Rezension, deren Unterdrückung bekannt geworden war und kontrovers diskutiert wurde,1201 und lobt Goethes Aufsatz Weimarisches Hoftheater : Er habe ihn so auf das Drama eingestimmt, dass er mit einem »mehr als gewöhnlich empfänglichen Sinn für das Schöne« ins Theater gegangen sei. Das entspricht dem Wirkungsziel der »ästhetische[n] Stimmung« (HFB: 377), und auch die Wirkung der Inszenierung und das Wirkungsziel der Rezension werden im Sinne von Humboldts Ästhetik formuliert: Meine Erwartung wurde reichlich belohnt; ich habe einen seltnen Genuß gehabt, den ich Ihnen in seiner ganzen Fülle mittheilen möchte, wenn es mir möglich wäre, Ihnen ein treues Gemälde meiner Empfindungen während der Anschauung dieses Kunstwerks zu geben. Es war nicht die Rührung, die jede lebhafte Darstellung einer, dem gemeinen Leben nachgebildeten, ansprechenden Situation so leicht erregen kann, nicht der Rausch eines von einem interessanten Gemählde erhitzten Geblüts, […] es war […]eine tiefe innige Empfindung des Schönen in allen seinen Gestalten, […] und, indem das Herz von der Kraft der Dichtung erwärmt, sich dem reinmenschlichen wohlwollend aufschloß, wallte in dem Gemüht eine Sehnsucht nach dem Höhern und Unendlichen, nach Befriedigung strebend, die ihm die wunderbare Erscheinung des Göttlichen völlig gewährt. Eine Stimmung wie diese, war freylich nicht geschickt der Kritik Raum zu geben, aber doch sicher die beste oder vielmehr die einzige, um hinterher die besonnene Prüfung auf die richtige Ansicht und ihr wahres Maaß und Ziel zu führen.1202

1198 Gemeint sind die Aufführungen seiner Übersetzungen von Voltaires Mahomet (1800, wohl unter dem Einfluss Humboldts) und Tancred (1801), siehe Borchmeyer: Weimarer ›Neoklassizismus‹, Heeg: Phantasma der natürlichen Gestalt, 422–425. 1199 GFA 18: 845f. 1200 Erschienen in den Annalen des Nationaltheaters Nr. XXI am 22. Mai 1802 und Nr. XXII am 29. Mai, zit. nach Gerlach: Experimentaltheater, 151–157, hier 151. 1201 »Ion ist auf unserer Bühne erschienen. Sie haben ohne Zweifel schon manches über ihn gelesen, denn dafür sorgt die Zeitung für die elegante Welt; auch davon werden Sie vielleicht gehört haben, daß er vor Böttchers Augen nicht Gnade gefunden, und daß der gelehrte Mann im heiligen Eifer ihm eine Kritik zugedacht haben soll, die – wer wollte nicht an Böttcher glauben – seinen Unwerth ohnfehlbar darthun muß.« (Gerlach: Experimentalpoetik, 151). 1202 Gerlach: Experimentalpoetik, 151, 153.

›Strukturanalytische‹ Theaterkritiken der ›Berliner Klassik‹

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Was die Wirkung der Aufführung betrifft, ist daran zu erinnern, dass Humboldt »Rührung« bzw. das »bloss Rührende« (HFB: 379) als typisches Wirkungsziel der zeitgenössischen deutschen Bühne versteht, dem Talma nicht entsprechen könne, weil er als französischer Tragöde heftigere Leidenschaften erregen wolle (III.3.2). Doch auch der deutsche Schauspieler sollte nicht Rührung anstreben, sondern ein ›Bild‹ dessen bieten, was der Berliner Rezensent als das ›Reinmenschliche‹ bezeichnet (siehe III.3.5). Was die Voraussetzungen der Rezension betrifft, wird hier wie bei Churchill und Lichtenberg die Diskrepanz zwischen emotionalem Zuschauererlebnis und reflektierender Versprachlichung angesprochen (II.4.1, II.5.1). Da es jedoch nicht mehr darum geht, intensive Emotionen zu vermitteln, sondern die »Anschauung dieses Kunstwerks«, der Inszenierung nämlich, hat sich der Abstand zwischen Rezeption und Reflexion verringert und das Schreiben lässt sich als nachträgliche »besonnene Prüfung« verstehen. Geprüft wird zunächst das Drama; der Berliner Rezensent ist überzeugt, dass im Ion-Mythos »das menschliche Gemüth rein und ganz sich ausspricht, und das [sic] alles Wollen und Wünschen, Ahnen und Hoffen, Widerstreben und Beginnen in dem Menschen, wie er ewig ist und bleiben wird, hier in den bestimmtesten Bildern redet«; Schlegels Dramatisierung zeige den Mythos »in seiner lieblichsten Gestalt«.1203 Da das Schauspiel kaum noch bekannt ist, sei hier die Inhaltsangabe der Rezension zitiert: Ion, eine Frucht der Liebe Apolls zu Creusen wird von seiner Mutter ausgesetzt, und wunderbar errettet am Tempel zu Delphi gefunden, wo er im heiligen Dienst seines Gottes bis zu seinem sechzehnten Jahre aufwächst. Creusa war indeß mit dem Xuthus vermählt, aber die rächende Gottheit bestraft ihre unmütterliche That an dem erstgebohrnen Sohn mit einer kinderlosen Ehe. Beide gehen das Delphische Orakel über ihr Schicksal zu befragen. Xuthus, den Sohn wünschend, deutet den Spruch des Orakels zu rasch und glaubt in Ion den wirklichen Sohn, die Frucht einer ehemaligen heimlichen Umarmung zu finden. Creusa, jetzt zwiefach gefoltert, da ihr Gemahl einen Sohn besitzt, der nicht der ihrige […] ist, wird […] beredet, den Knaben durch Gift aus dem Wege zu räumen. Aber der Gott rettet durch ein Wunder den Sohn und in dem frommen harmlosen Ion erwacht jetzt auf einmal der Zorn über diesen Frevel, und mit rächendem Pfeil verfolgt er die von allen Furien des Gewissens geplagte Creusa. Doch eben der Gott, der ihm das Leben rettete, bewahrt ihn durch die Stimme der Priesterin vor dem Verbrechen des Muttermordes […].1204

Der Rezensent bescheinigt Schlegels Drama »Mannigfaltigkeit und Fülle in der gesetzmäßigen Einheit«1205 und in der Verssprache »Zauber des Wohllauts ohne überladenen Schmuck«; das Bühnenbild sei »treu und geschmackvoll«, die 1203 Gerlach: Experimentalpoetik, 153. 1204 Gerlach: Experimentalpoetik, 153f. 1205 Gerlach: Experimentalpoetik, 154.

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

Dekoration »angemessen und gewählt«.1206 Bezeichnenderweise werden dann erst die Leistungen der Darsteller gewürdigt, allen voran die Verkörperung der Titelrolle durch die auch von Goethe sehr geschätzte Friederike BethmannUnzelmann (1760–1815):1207 Alles führte uns in eine neue Welt und verkündete uns die Bekanntschaft mit edleren Gestalten, unter denen Ion vor allen hervorleuchtete und gleich bei seiner ersten Erscheinung durch seine liebliche Anmuth mit ihm befreundete. Nie hat Madame Unzelmann ihr Genie und ihre Künstlergröße so untrüglich documentirt als durch diese Darstellung, ein Fest für die Phantasie und für das Herz, ein Ideal, vor dem die Bewunderung anbetet und die Liebe huldigt. Ihre gracieuse Gestalt, der bekannte Zauber ihrer Accente, die Anmuth ihrer Bewegungen mußte schon hinreichen, uns ein schönes und treues Bild von Ion zu geben, und jedermann würde in dieser Vereinigung auf den ersten Blick den Götterknaben erkannt haben. Aber eine geistvolle Künstlerin wie Madame Unzelmann, begnügt sich nicht damit, die Worte des Dichters, so wie sie da liegen, mit Wohllaut und Präzision auszusprechen und mit anständigen, glänzenden Gesten zu begleiten; auch was der Dichter nicht so handgreiflich ausdrückte, kaum andeuten kann, entsiegelt sich ihrem Geist und erscheint in himmlischer Harmonie vor unsern Augen.1208

Zunächst werden hier Rolle und Verkörperung (beides ist kaum zu unterscheiden) graduell gegen die Mitspieler abgesetzt, die ebenfalls ›edlere Gestalten‹ repräsentieren. Die visuelle Metapher des ›Hervorleuchtens‹ korrespondiert mit der Formulierung von der »ersten Erscheinung« für den ersten Auftritt, zugleich die visuelle Dimension des ›schönen Scheins‹ betonend und auf die göttliche Herkunft der Figur anspielend. Dass die Zuschauerreaktion als ›Befreunden‹ bezeichnet wird, ist an sich vereinbar mit herkömmlicher Rührungsästhetik, zugrunde liegt jedoch das ästhetische Ideal der ›lieblichen Anmut‹. Die folgende Darstellung ist im Grunde kein ›Rollenporträt‹, sondern ein ›Schauspielerinnenporträt‹: Physis (»Gestalt«), Sprechkunst und Bewe1206 Gerlach: Experimentalpoetik, 155. 1207 In Weimarisches Hoftheater erinnert er an Unzelmanns Weimarer Gastspiel vom 21.9.1. 10. 1801: »Indessen hatte Mad. Unzelmann durch ihre Gegenwart, an jene Ifflandische Zeit wieder erinnert. Der Geist, in welchem diese treffliche Schauspielerin die einzelnen Rollen bearbeitet und sich für jede umzuschaffen weiß, die Besonnenheit ihres Spiels, ihre durchaus schickliche und anständige Gegenwart auf den Bretern [sic], die reizende Weise wie sie, als eine Person von ausgebildeter Lebensart, die Mitspielenden durch passende Attentionen, zu beleben weiß, ihre klare Rezitation, ihre energische und doch gemäßigte Deklamation; kurz das Ganze was Natur an ihr und was sie für die Kunst getan, war dem Weimarischen Theater eine wünschenswerte Erscheinung, deren Wirkung noch fortdauert […].« (FGA 18: 844) – Zur Biographie Unzelmanns, die mit Rücksicht auf ihre geschiedene erste Ehe mit dem Schauspieler Karl Unzelmann meist als Friederike Bethmann-Unzelmann bezeichnet wird, siehe Laskus: Bethmann-Unzelmann, 14–34, zu ihrer Spielweise ebd. 35–80. Siehe auch Unterkapitel 5.3 dieses Interpretationsteils. 1208 Gerlach: Experimentalpoetik, 155.

›Strukturanalytische‹ Theaterkritiken der ›Berliner Klassik‹

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gungskultur der Schauspielerin entsprechen grundsätzlich ästhetischen Idealen; in der Rolle des »Götterknaben« kommt dies lediglich besonders vollendet zum Ausdruck. Statt zu beschreiben, allegorisiert der Text sogar und lässt »Bewunderung« und »Liebe« jenes »Ideal« ›anbeten‹ bzw. ihm ›huldigen‹, das die Künstlerin »für die Phantasie und das Herz« aufgestellt hat. Der Einsatz solcher Personifikationsallegorien steht in der Tradition humanistischer Huldigungstopik (II.2.3), die etwa noch in Churchills Rosciad die Beschreibung gelungener Schauspielkunst ergänzten und teilweise ersetzten (II.4.4); von einer symbolisch vertieften Allegorie wie in Goethes Euphrosyne kann hier jedoch keine Rede sein. Bei aller Abstraktion lässt immerhin der letzte Satz dieser Passage erwarten, dass nun ausgeführt werde, was genau die »geistvolle Künstlerin« an dieser Rolle »entsiegelt«, um es – eine autonomieästhetische Anverwandlung der EnargeiaFormel – »in himmlischer Harmonie vor unsern Augen«, erscheinen zu lassen. Die Antwort gibt zunächst ein einziger Satz: »Die zarte Verschmelzung aller Empfindungen, die Einheit in der höchsten Mannigfaltigkeit, das kindliche Gemüth des frommen Knaben und der Stolz des Göttersohnes, die rasche menschliche Leidenschaft und die ruhige Würde der höhern Macht, alles gab sie uns in idealischer Vollendung.«1209 Wiederum dominieren klassizistisch-autonomieästhetische Formeln (›Einheit in der Mannigfaltigkeit‹, ›idealische Vollendung‹), doch manifestieren sie sich immerhin in spezifischen polaren Charaktereigenschaften der Figur, die auf ihre göttlich-menschliche Abkunft zurückzuführen sind. Zudem verdeutlicht der Begriff »Verschmelzung aller Empfindungen«, dass Unzelmann trotz des in der Inhaltsangabe angedeuteten Umschlags von ›Frömmigkeit‹ zu »Zorn« bemüht ist,1210 die polaren Eigenschaften als ›Teile‹ eines charakterlichen ›Ganzen‹ glaubhaft zu machen. Der implizite Bezug auf das Ideal des ›ganzen Menschen‹ in der Lesart der Weimarer Klassik erhellt aus der Nähe zu Humboldts oben zitierter Formulierung, »an eine eigentliche Verschmelzung des Menschen mit dem Künstler im Schauspieler« sei »in Frankreich nicht zu denken« (HFB: 396). Statt aber nun auszuführen, wie diese Darstellungsziele erreicht wurden, lobt der Rezensent noch einmal grundsätzlich die Kreativität der Schauspielerin: »Man ist es von dieser Künstlerin schon gewohnt, daß sie uns in jeder neuen Rolle mit neuen Zügen ihres Genies überrascht, aber bei ihrer Darstellung des Ion wurde auch die kühnste Erwartung übertroffen.«1211 Wiederum also wird die Erwartung auf ein ›Rollenporträt‹ geweckt – und wiederum nur teilweise erfüllt:

1209 Gerlach: Experimentalpoetik, 155. 1210 »[…] [I]n dem frommen harmlosen Ion erwacht jetzt auf einmal der Zorn über diesen Frevel« (Gerlach: Experimentalpoetik, 154). 1211 Gerlach: Experimentalpoetik, 155.

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

Ich kann Ihnen nicht alle diese Züge herausheben, aber auch von dem einen, wo Ion im zweiten Akt von dem Tempel Apollos Abschied nimmt, und in dieser wehmütigen Stimmung dem Xuthus seine innersten Bitten und Wünsche anvertraut,[1212] sollte ich Ihnen lieber kein Wort sagen, denn wie sollte ich Ihnen das Zarte und Kindliche des Ausdrucks in diesen Bitten, diese Welt von Tönen in diesem Abschied diese himmlische Musik ihrer Accente beschreiben. Dem Dichter sei es überlassen, die Künstlerin, die seinem Ion das schöne Leben gab, würdiger zu preisen.1213

›Wehmütige Stimmung‹, ›Zartheit und Kindlichkeit des Ausdrucks‹, ›himmlische Musik‹ der Deklamation – das sind immerhin Andeutungen der erzielten Wirkung. Doch statt konkreter zu werden, bemüht der Rezensent zunächst den Unsagbarkeitstopos und weicht dann auf eine Konstruktion aus, die sich sehr genau auf Moritz’ Lösungsstrategien für das Problem ›ganzheitlicher‹ Kunstbeschreibung beziehen lässt: Die ›strukturierte Analyse des Werkaufbaus‹ müsste an dieser Stelle in eine ›poetische Kunstbeschreibung‹ übergehen. Dass diese Ekphrasis vom Dramatiker zu schaffen sei, weil die Schauspielerin der von ihm geschaffenen Rolle »das schöne Leben gab«, ist im Sinn jener enargeischen Wirkungskette gedacht, die auch Goethes Euphrosyne-Elegie strukturell prägt (III.3.2). Übrigens bekommt in beiden Fällen die enargeisch-idealisierende Leistung der Schauspielkunst eine androgyne Note, da eine Knabenrolle von einer Schauspielerin verkörpert wird.1214 Keineswegs anschaulicher wird anschließend die Leistung der Schauspielerin Johanna Henriette Rosine Meyer (1772–1849)1215 gewürdigt: Madame Meyer war Creusa. Sie kennen Ihre Talente für dieses Fach, den Reichthum ihrer den Antiken nachgebildeten Stellungen und ihre dazu so geeignete schöne Gestalt; Sie wissen, wie gern sie sich auf dem hohen Kothurn bewegt und ihre Kräfte übt. Bei solchem Talent und solcher Liebe mußte Creusa trefflich dargestellt werden, und ich gestehe Ihnen, daß ich sie für ihre vorzüglichste Rolle in diesem Fache halte. Meisterhaft war der Ausdruck der Angst und des Schreckens in ihre [sic] Geberde und Bewegungen, wie sie von ihrem Gewissen gejagt und vom Ion verfolgt über die Bühne flieht, und mit tiefer Empfindung trug sie den langen Monolog im vierten Akt vor, der, um ihn von Anfang bis zu Ende mit aller Wahrheit des Ausdrucks und doch mit Anmuth des Tons durchzuführen, wohl eine zu schwere Aufgabe seyn dürfte.1216

Im Gegensatz zu Unzelmann wird Meyer als typische Tragödin charakterisiert, die sich für dieses Fach (ähnlich wie Talma, siehe III.3.2) durch ihre Physis und 1212 Ion 2.1 (ASSW 2: 77–88). 1213 Gerlach: Experimentalpoetik, 156. 1214 Allerdings wird der junge Prinz in Shakespeares King John von einem Mädchen verkörpert, Ion dagegen von einer Einundvierzigjährigen. 1215 So hieß sie damals nach ihrem zweiten Ehemann; ihr Geburtsname war Schüler, nach ihrem ersten Ehemann hieß sie bis 1797 Eunike. Nach ihren letzten beiden Ehemännern wird sie meist als Johanna Hendel-Schütz bezeichnet (Hansen: Hendel-Schütz). 1216 Gerlach: Experimentalpoetik, 156.

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die Orientierung an bildender Kunst im Sinne des Übertragbarkeitsmodells mimischer Malerei empfiehlt, wobei deutlich auf ihre Attitüden-Kunst in der Tradition Lady Hamiltons angespielt wird (III.2.5).1217 Immerhin hebt der Rezensent ihre Leistung in einer bestimmten Szene hervor, doch dürften sich die dargestellte Affektwirkung (›Angst und Schrecken‹) und ihre konkrete Darstellung (›meisterhaft‹) schwerlich in allgemeinere Formulierungen kleiden lassen. Dass die Rezitation eines Monologs nicht durchweg ästhetischen Kriterien genügte, wird zart angedeutet, letztlich aber der Überlänge dieser Passage angelastet. Im Vergleich zu dieser abstrakten Würdigung von Meyers Leistung wirken die Adjektive, welche anschließend die Elemente von Ifflands Spiel im Allgemeinen und dieser Verkörperung im Besonderen rühmen, geradezu sensualistisch: Was Iffland in der Darstellung des edlen, männlichen Xuthus leistet, wie gehalten und kunstvoll sein geistvolles Spiel, wie sicher und kraftvoll seine Deklamation, wie königlich sein Anstand und wie vollendet, mit einem Wort, das Ganze war, was er gab, das darf ich Ihnen, der Sie so vertraut mit seiner großen Kunst sind, nicht sagen. Aber jedem, der noch an seinem Beruf zum Priester Melpomenes hartnäckig zweifelt, möchte ich zurufen, den Xuthus von ihm zu sehen, und wenn er dann noch in seinem Zweifel beharren will, meinethalben an die ganze Kunst zu zweifeln [sic].1218

Dennoch ist bezeichnend, dass es hier um Grundqualitäten von Ifflands Spiel geht, die sich der Briefpartner aus eigener Erinnerung an frühere Verkörperungen Ifflands ergänzen kann. Deutlich wird allerdings, dass Iffland im Gegensatz zu Henriette Meyer gerade nicht als typischer Vertreter des tragischen Rollenfachs gilt. Dass seine Verkörperung des Xuthus ihn auch als solchen ausweise, wird jedoch nicht belegt, sondern behauptet, und zwar wiederum unter Rückgriff auf eine Personifikationsallegorie (»Priester Melpomenes«). Mit der Aufforderung, die Zweifler sollten selbst ins Theater gehen und sich durch Ifflands Leistung überzeugen lassen, entzieht sich der Rezensent schließlich der Substitutionsfunktion und der Evidenzfunktion von Mimen-Ekphrasis (I.4). Trotz aller Unterstützung des Weimarer Theaterexperiments trat Iffland jedoch weiterhin in den erfolgreichen komischen und rührenden Rollen nicht zuletzt seiner eigenen Stücke auf und erhielt Kritiken, welche die sensualistischdetailfreudige Beschreibungstradition fortführten. So liest sich etwa die Rezension des (mit dem Homer-Übersetzer nicht verwandten) Julius von Voß (1768–1832) über Iffland als Hofrath Reinhold in seinem Lustspiel Die Hagestolzen wie eine geraffte Rekapitulation von Böttigers entsprechendem Rollen1217 Auch ihre Attitüden wurden 1810 als Stichfolge verewigt (Peroux: Pantomische Stellungen, siehe Baum: Attitüden). 1218 Gerlach: Experimentalpoetik, 156.

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porträt1219 wenn nicht sogar seiner Monographie: Wie bei Böttiger wird in dieser Dichtung der Schauspieler über den Dramatiker Iffland gestellt,1220 der erste Auftritt im Sinn eines ›Umrisses‹ der Rolle verstanden,1221 eine ›malerische Stellung‹ im Sinn von Diderots auf Rührung zielender tableau-Lehre interpretiert1222 und die planmäßige Steigerung von Affektdarstellung hervorgehoben.1223 Der Vergleich mit der Verkörperung derselben Rolle durch einen anderen Schauspieler (in diesem Fall Ferdinand Fleck) erinnert besonders an Lichtenberg, findet sich gelegentlich aber ebenfalls bei Böttiger ; hier wird er wiederum von Kunstmetaphorik unterstützt: »Mit nicht minderem Genie der Zeichnung, aber viel vollendeterem Kolorit steht Iffland da.«1224 Andere Kritiken bewegen sich zwischen sensualistischer und autonomieästhetischer Orientierung. So heißt es in einer anonymen Kritik der Vossischen Zeitung vom 3. Februar 1803 über Ifflands Verkörperung des Hohepriesters in Kotzebues Sonnenjungfrau (siehe III.2.5): Die Darstellung des Oberpriesters war ungleich; der ersten Scene mangelte zarter Antheil und Würde des Alters, wenn schon Hr. Iffland an Menschenwürde es nicht fehlen ließ. Der Vortrag war etwas manierirt. Die Scene mit Rolla an Cora’s Grabe hub lebendig, kräftig und geistvoll an, fiel in der Mitte und endete gewöhnlich; der Ton wechselte zwischen Greisesschwäche und mittlerem Mannesalter.1225

›Feinheiten‹ werden hier zwar nicht diskutiert, doch differenziert der Kritiker zwischen Deklamation und Gesamteindruck und betrachtet die Verkörperung nicht als quasi simultanes ›Kunstwerk‹, sondern beschreibt den Ablauf sowohl bezogen auf das Drama wie auf eine spezielle Szene.1226 Und in einer Kritik von 1219 Gerlach: Experimentalpoetik, 273–275, siehe BEIS: 197–229; III.5.1. 1220 »Was der Dichter so glücklich erfand, supplirt noch glücklicher der Schauspieler.« (Gerlach: Experimentalpoetik, 273). 1221 »Im ersten Auftreten giebt er sich gleich als den fehlbaren, aber durch die Umstände in eine ihm fremde, kalte Beklommenheit gepreßten Mann. […] Wer das Stück zum Erstenmale sieht, ahnt aus Ifflands ganzer Haltung sicher schon gleich seinen Zustand.« (Gerlach: Experimentalpoetik, 273). 1222 »Unendlich malerisch ist die Stellung, wo er des Pachters häusliches Glück betrachtet, und grade an seiner Armuth einen Maasstab derselben findet.« (Gerlach: Experimentalpoetik, 273). 1223 »Am anziehendsten ist die Gradation, wo mit der Liebe auch Freiheit des Gemüths über ihn kommt, und er nun den Standpunkt findet, wohin er längst gehört hätte.« (Gerlach: Experimentalpoetik, 274f.) 1224 Gerlach: Experimentalpoetik, 273. 1225 Gerlach: Experimentalpoetik, 215–218, hier 217. 1226 Dass der Autor weder ein erklärter Anhänger ›naturalistischer‹ noch ›klassizistischer‹ Bühnenkunst ist, verdeutlichen die einleitenden Bemerkungen zu Drama und Inszenierung: Die Sonnenjungfrau wird als Drama »mit kleinen Fehlern und großen Vorzügen« gewürdigt, wobei die Prosaform als Vorzug gilt: »Der Vers führt mehrentheils weiter als die Sache es fordert«. Der Inszenierung wird »Anstrengung, Zusammenhang, Anstand und Aufwand« bescheinigt, die »Vergnügen« machten, obwohl sie einen auf »Ideal und For-

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Ifflands Inszenierung der Goethe’schen Iphigenie, verfasst von dem führenden Berliner Kritiker Garlieb Markel (1769–1850) und erschienen am 30. Dezember 1802 in der Haude- und Spenerschen Zeitung, wird die Leistung des Schauspielers zwar in nur einem Satz charakterisiert, aber doch immerhin mit dem Hinweis auf ›Feinheiten‹, welche die Darstellung psychologisch vertiefen: »Iffland ließ uns im Thoas den schmucklos-edeln, kraftvollen Mann erblicken, und verdiente vorzüglich dadurch Bewunderung, daß er, ohne irgendwo Rauheit zu zeigen, überall anzudeuten wußte, daß sein großherziges Betragen ein mühsam erkämpfter Sieg über angestammte Rauhheit sei.«1227

4.2

A. F. Bernhardis Schauspielerporträt Ueber Ifflands mimische Darstellungen (1799)

Eine Mittelstellung zwischen sensualistischer und autonomieästhetischer Orientierung nimmt auch ein programmatisch anspruchsvolles Schauspielerporträt ein, das im Archiv der Zeit und des Geschmacks unter dem Titel Ueber Ifflands mimische Darstellungen publiziert wurde.1228 Es erschien im Januar 1799, also noch vor Entstehung des Tragöden-Aufsatzes, stammt aber von einem guten Bekannten Humboldts, dem Gymnasiallehrer, Altphilologen und bedeutenden Sprachforscher August Ferdinand Bernhardi (1769–1820).1229 Der Text beginnt mit einer Reflexion über Notwendigkeit und Problematik von MimenEkphrasen, die schon deshalb in extenso zitiert werden muss, weil sie diese Gattung mit bis dahin beispielloser Prägnanz auf ihre medialen Voraussetzungen hin befragt: Es ist schon oft bemerkt und bedauert, daß die Darstellungen der mimischen Kunst eine so kurze Dauer haben, daß sie sich so genau an die Individualität des einzelnen Künstlers anschließen, daß sie nur durch ihn leben, und mit ihm vergehen; aber eben so sehr ist es zu bedauern, daß das Bestreben, diese Kunstwerke durch eine Beschreibung festzuhalten, unendlichen Schwierigkeiten unterworfen ist. Es ist schon sehr schwer, ein Gemählde zu beschreiben, welches doch nur einen Moment auffaßt und darstellt; fast unmöglich eine Musik zu charakterisieren, welche doch unter eine musikalische Tendenz subsummirt werden kann; und doch sind für Beschreibungen von Kunstwerken beider Arten, eine Menge Kunstwörter da, welche die Elemente und die Composition auf das Genaueste bestimmen. Wie schwierig muß es nun nicht seyn, derung idealischer Darstellung« hoffenden Zuschauer enttäuschen müssten (Gerlach: Experimentalpoetik, 215). 1227 Gerlach: Experimentalpoetik, 145ff., hier 147 (Hervorhebungen im Original). 1228 Gerlach: Experimentalpoetik, 37–47. 1229 Eine biographische Skizze und eine Würdigung seiner Leistung als Linguist bietet WildSchedlbauer : Einleitung; sein Wirken als Kritiker und Literaturtheoretiker untersucht Klin: Bernhardi.

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die Darstellungen eines Schauspielers, welche aus Deklamation, also aus einer Art Musik, aus Mimik, oder einer Reihe verrauschender Gemählde, bestehen, aufzufassen und darzustellen, besonders da keine Kunstwörter da sind, welche den Verstandesstoff subsummiren, und die Beschreibung aufklären und verkürzen. Es sind hier so viele Irrthümer möglich, ja unvermeidlich; man übersieht so vieles und oft grade das Feinste und Gedachteste; und rechnet dann wieder etwas als Kunst an, was der Zufall oder eine Laune des Genius herbeiführten: daß das einzige Mittel Festigkeit und Sicherheit in seinem Urtheile einigermaßen zu erhalten, eine anhaltende Beschäftigung mit dem Gegenstande desselben bleibt; und dann wieder eine unterbrochene, öftere und bei verschiedenen Stimmungen unternommene Betrachtung desselben.1230

Bernhardi leitet zunächst in bekannter Weise aus der Flüchtigkeit von Schauspielkunst die Memorialfunktion der Mimen-Ekphrasis ab. Vertraut ist auch die Formulierung der Schwierigkeit, sie richtig ›aufzufassen‹, und die Empfehlung an den Beschreibenden, durch »anhaltende Beschäftigung mit dem Gegenstände« ein sicheres Urteil zu gewinnen.1231 Bemerkenswert erscheint aber (etwa im Vergleich mit Lessing, siehe Einf. 2), dass Bernhardi Schauspielkunst nicht zwischen den ›Schwesterkünsten‹ verortet, sondern zwischen bildender Kunst und Musik, die er auf Deklamation bezieht.1232 Neu ist auch die explizite Thematisierung kunst- und musikästhetischer Fachterminologie. Zwar wirkt erstere de facto in Mimen-Ekphrasen hinein, wenn von ›Schattierungen‹ oder ›Kolorit‹ die Rede ist, doch ist der Gebrauch derartiger »Kunstwörter« nicht standardisiert, sondern wird vom jeweiligen Verfasser in metaphorischer Eigenwilligkeit verwendet; Ähnliches gilt für die Kategorie ›Ton‹. Die Formulierung, man solle mit Hilfe der »Kunstwörter […] den Verstandesstoff subsummiren, und die Beschreibung aufklären«, verrät, dass Bernhardi neben der Memorialfunktion auch die analytische Funktion von Mimen-Ekphrasis wichtig ist. Ausdrücklich grenzt er seinen Versuch jedoch von Kritiken ab, die einen Schauspieler über seine Leistungen und Fehler aufklären:1233 Diese hätten lediglich dann Sinn, wenn ihr Gegenstand »nur Approximation an den Künstler« sei und unreflektiert arbeite.1234 Wenn aber der Schauspieler Künstler ist, wenn ihm ein deutliches Bewußtsein seiner Kräfte und ihrer Sphäre, der Mittel zur Darstellung und ihrer Anwendung vorschwebt, und ihn während seines Spiels begleitet; wenn er die Tendenz, zu der er sie vereinigen; 1230 Gerlach: Experimentalpoetik, 37. 1231 Erinnert sei daran, dass Lichtenberg seine anhaltende und wiederholte Beschäftigung mit Garrick als Voraussetzung seiner Kompetenz hervorhebt (II.5.1 und auch Schink zur »oft wiederholten Beschauung« (SBH: 5) und kritischen Reflexion einer Verkörperung rät (II.6). 1232 Ähnlich argumentiert dann auch Humboldt (IV.3.5). 1233 Gemeint dürften »Zergliederungen« vom Typ der Schink’schen Brockmann-Monographie sein (II.6). 1234 Gerlach: Experimentalpoetik, 37.

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die Einheit, welche er produciren, das Bild, welches er darstellen, den Effekt, welchen er hervorbringen will; ermessen, erkannt, verstanden und gefühlt hat; dann spielt der Kritiker gegen den Künstler eine subordinirte Rolle […]; und muß sich begnügen, bloßer Referent zu sein. Er sorge, daß er […] die Principien, nach welchen der Künstler verfährt; […] seinen Lesern in einer leichten, verständlichen Darstellung vortrage; er mache aufmerksam, wie sie mit den Ursätzen der Kunst […] zusammenhängen […]; aber er vergesse nie, daß sein Urtheil, welches er nur in der Form des Verstandes ausspricht, von dem Künstler in der Form des Bildes schon ausgesprochen ist.1235

Zweimal wird hier der Begriff ›Bild‹ verwendet: Er steht zunächst als einer von vier Platzhaltern für das ›Ganze‹ der mimischen Darstellung, das sich auf »Principien« zurückführen und deshalb verbalisieren lässt, dann aber auch für das, was an ihr gerade nicht verbalisierbar ist. Bernhardi wendet sich nun am Beispiel Ifflands ausführlich dem ersten Aspekt zu, wird aber schließlich auch auf den zweiten Aspekt zurückkommen. Um das ›Ganze‹ von Schauspielkunst und insbesondere von Ifflands Schauspielkunst auf seine Bestandteile zurückzuführen, greift der Sprachwissenschaftler Bernhardi auf linguistische Kategorien zurück und konkretisiert die bisher eher vage Redeweise von einer »Grammatik der Schauspielkunst«:1236 Der Schauspieler besitze dann »die größte produktive Fertigkeit« im Gebrauch seiner Mittel, »wenn er nicht blos die Gebehrden,[1237] sondern auch die Deklamation als Sprache, und also jede einzelne Gebehrde und Aeußerung des Redeorgans als ein Wort ansieht.« Das bedeutet allerdings ein Absehen vom zu Beginn des Aufsatzes vorausgesetzten Verständnis, Deklamation sei »Musik«, die den musikalischen Theil der Worte ohne Rücksicht auf die subsummirten Begriffe« zum Ausdruck bringe.1238 Auf Iffland bezogen, wird die linguistische Metaphorik weitergeführt: Sein Spiel dokumentiere auf das Bestimmteste, daß er die einzelnen Gebehrden und die Deklamation, weder als müßige Begleiterinnen der Worte, noch als Dienerinnen des Bedürfnisses und der Verdeutlichung der Begriffe, noch als melismatische Verzierungen einer Musik braucht; sondern, daß er sich ein Wörterbuch entworfen hat, vermitteltst dessen er sie als expressive Zeichen innerer Emotionen betrachtet, und daher ihre Zahl, Gränzen und Synonymität kennt, und sie in seinen Darstellungen bedingt anwendet.1239

Die Korrelation von Emotionen und Gebärden scheint in der Tradition von Le Brun und Engel zu stehen. Während es bei Le Brun jedoch einen vollkommenen und bei Engel zumindest einen prototypischen Ausdruck für jede Emotion gibt, 1235 Gerlach: Experimentalpoetik, 38. 1236 Bender : »Grammatik« der Schauspielkunst, bes. 15f. 1237 Der Begriff »Gebehrde« umfasst in Bernhardis Verständnis auch »Mienenspiel, Schminke und Kleidung – mit einem Worte – die Masque« (Gerlach: Experimentalpoetik, 39). 1238 Gerlach: Experimentalpoetik, 39 (Hervorhebungen im Original). 1239 Gerlach: Experimentalpoetik, 40.

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betont Bernhardi die »Synonymität« mehrerer Gesten oder deklamatorischer Elemente und geht davon aus, dass Iffland sich ein individuelles »Wörterbuch« geschaffen hat. Die Voraussetzung dafür ist Nachahmungsgabe, weshalb Bernhardi im Hinblick auf die »Willkühr und die Fertigkeit, mit welcher er jedes einzelne Element producirt«, doch wieder auf die Analogie der bildenden Kunst als Inbegriff ikonischer Zeichenverwendung1240 zurückgreift: »Es ist die Fertigkeit des Mahlers mit Pinsel und Farben umzugehen, die Habilität des Bildhauers mit Meißel und Marmor zu handthieren – es ist nicht poetischer Geist, aber unerläßliche Bedingung der Aeußerung desselben.« Bereits in dieser Hinsicht unterscheide Iffland sich gründlich von den »vielen sogenannten Schauspielern«, die »weit unter die Handwerker zu setzen« seien.1241 Um die Verbindung der Einzelelemente zu verdeutlichen, kommt Bernhardi wieder auf seine linguistische Begrifflichkeit zurück und versucht den »Principien« von Ifflands »Grammatik« auf die Spur zu kommen.1242 Seiner Meinung nach orientiert sich der Künstler an einer Größe, die hier »unter dem Nahmen Stände« gefasst wird,1243 jedoch in einer weiten Bedeutung, die recht genau mit Bourdieus Habitus-Konzept übereinstimmt.1244 Diesem »Regulativ der Ifflandschen Darstellungen« habe sich die Darstellung von »Emotionen der Seele, von der leisesten Affektation an, bis zum höchsten Sturme der Leidenschaften unterzuordnen, und sie in jener Form sich brechen und spiegeln zu lassen.« Zu beachten ist, dass Bernhardi mit Blick auf die konkrete Verkörperung vom linguistischen Modell zu Metaphorik aus dem Bereich der Optik wechselt; von dieser geht er wiederum zu einer inzwischen vertrauten Metapher aus dem Bereich der bildenden Kunst über : »Diese reinen Formen der Ifflandischen Darstellung […] sind die Skizze, welche zum Bilde ausgemahlt wird, sie geben 1240 1241 1242 1243 1244

Verstanden im Sinne von Peirce, siehe II.3. Gerlach: Experimentalpoetik, 40. Gerlach: Experimentalpoetik, 40 (meine Hervorhebung). Gerlach: Experimentalpoetik, 41. »Die Umgebung in welcher ein Mensch gewöhnlicher Weise lebt, seine täglichen Beschäftigungen, seine Erziehung, seine Gesellschaft, und das aus diesen entstehende, allgemein angenommene, selten überschrittene Maaß seiner Kenntnisse und äußern Bildung, alles dies drückt sich auf eine, für uns in den meisten Fällen freilich unbegreifliche Weise, durch gewiße Aeußerlichkeiten in den Gebehrden und in der Sprache ab. Diese Aeußerlichkeiten theilt nun das Individuum mit jedem seiner Genossenschaft, und sie können daher von dem mimischen Künstler zur Charakteristik dieser oder jener Klasse aufgefaßt und gebraucht werden.« (Gerlach: Experimentalpoetik, 40f.) Man vergleiche dies insbesondere mit dem in Bourdieus Werk Sozialer Sinn entwickelten Konzept, das von Martina King so zusammengefasst wird: »[D]em Habitus ist ein unbewusstes Moment konstitutiv : Klassenspezifische Handlungsmuster und Werte werden unbewusst, im Sinn von Prägung, inkorporiert und bilden quasi den motivierenden ›Bodensatz‹ im Individuum, zwischen klassenspezifischer Disposition und einzelner Handlung, zwischen Unbewusstem und Bewussten.« (King: Pilger und Prophet, 65).

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jenen Darstellungen eine allgemeine Individualität; und in ihnen erblicken wir, mit einfachem aber reinen Vergnügen, die menschliche Natur, und sehen einen uns verwandten Stoff in einer fremdartigen Form.«1245 Die letzte Formulierung könnte von Humboldt stammen. Dieser allerdings hätte die ›Ausmalung‹ der ›Skizze‹ an die Phantasie der Zuschauer delegiert – Bernhardi zufolge muss der Schauspieler noch eine über »Stand« und »Emotionen der Seele« hinausgehende Individualität darstellen. Im Fall einer überzeugend ausgeführten Rolle könne er sich dabei an den Vorgaben des Dichters orientieren; wenn dieser jedoch »ein sehr flaches, allgemeines Bild gezeichnet« habe, könne man erleben, wie Iffland »durch eine selbstgeschaffene Individualität und deren consequente Beobachtung, die flachste Zeichnung zu individualisren verstehe«.1246 In diesem Zusammenhang fügt Bernhardi erstmals ein Rollenporträt ein und exemplifiziert seine These an der Verkörperung des Treumund in Dalbergs Nachspiel Die Eheliche Probe, »in welcher die rasche, abgebrochne Sprache, die kurzen, abgerissenen Bewegungen und der bornirte Sinn, welches alles Iffland nur bei Veranlaßung dieser Rolle darstellt, ein Bild geben, von dem sich der Verfasser dieses kunstlosen Produkts nichts träumen ließ.«1247 Jene Eifersucht und Seelenpein, die Böttigers Porträt dieser Rolle anhand der Perücke (III.3.1), des Mienenspiels beim Belauschen (III.5.2) und des ›heldenmütigen‹ Marschierens veranschaulicht, kommen hier zwar nicht in den Blick; dennoch zeigt das Zitat, dass Bernhardi trotz seines Grundinteresses am Zusammenhang mimischer Worte und grammatischer Prinzipien durchaus an ›Feinheiten‹ realistischer Darstellungskunst interessiert ist. Zumal für Iffland seien »jene künstlich herbeigeführten willkührlichen und so sehr expressiven Details seiner Darstellung, welche man metaphorisch-psychologische Epigramme nennen könnte«, überaus bezeichnend.1248 Als Beispiel nennt Bernhardi, dass Iffland »als Hetmann im Benjowski,[1249] während er auf der Bank schläft und Kudrin sein Liedchen spielt, den Takt dazu mit dem Fuße angiebt.« Dies sei »als Feinheit psychologischer Art angerechnet« worden, »nun hätte aber auch die dramatische Feinheit bemerkt werden müssen, nehmlich die Andeutung des leisen Schlummers und die Vorbereitung zur folgenden Belauschung.« Damit ist die 1245 1246 1247 1248 1249

Gerlach: Experimentalpoetik, 41. Gerlach: Experimentalpoetik, 42. Gerlach: Experimentalpoetik, 43. Gerlach: Experimentalpoetik, 43. Es handelt sich um die Figur des Kosaken Hetman in Kotzebues Geschichtsdrama Graf Benjowksi oder die Verschwörung auf Kamtschatka (1795), der am Schluss des vierten Aufzugs (keine Szeneneinteilung) ziemlich betrunken zum Zeugen des Stelldicheins zweier Gefangener wird, mit Serenade und Fluchtplan (Kotzebue: Graf Benjowksy, 100– 105, siehe Sternke: Distinktionsverlust, 65).

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›Feinheit‹ wieder mit dem ›Ganzen‹ des szenischen Ablaufs vermittelt, und Bernhardi warnt denn auch grundsätzlich davor, über derartige »Einzelheiten […] unverständiger Weise das Ganze […] zu vergessen.«1250 Beim nochmaligen Nachdenken über die ›Grammatik‹ von Ifflands Schauspielkunst kommt Bernhardi zum Schluss, dieser Künstler müsse »noch ein drittes Regulativ haben, vermittelst dessen er in die einzelnen Theile der Rolle Einheit bringt, und dies muß in etwas der gegebenen Rolle Individuellem, und da eine mimische Darstellung successiv ist, in etwas Wechselndem bestehen.«1251 Es besteht in jener Affektdramaturgie, die bereits Böttiger als die ›ökonomische‹ »Vertheilung von Licht und Schatten« bezeichnet hat (III.2.3): Denn den höchsten Grad der Emotion, betrachtet nun Iffland zugleich als den höchsten Grad der mimischen Darstellung; auf ihn wendet er das bedingt größte Maaß seiner physischen und darstellenden Kräfte; dadurch treten nun andere, einzelne Parthien der Rolle in den Schatten und erscheinen nun, vermittelst dieser mimischen Optik, als Stuffen und Vorbereitungen zu jener glänzenden Parthie, oder als sanfte, beruhigende Nachklänge eines verrauschten Sturmes.1252

Anders als Böttiger in den entsprechenden Passagen wechselt Bernhardi schließlich von ›optischer‹ zu akustischer Metaphorik und erinnert damit an den deklamatorischen Anteil des mimischen ›Bildes‹. Exemplifiziert wird seine These durch die Angabe einer Folge von Haupteffekten, die an Diderots Nacherzählung von Garricks mimischer Nummernrevue und entsprechende Passagen bei Böttiger erinnert (I.1.3; III.2.5): So steigt in dem Stück: das Gewissen,–[1253] der Affekt vom Gram zur Unruhe, zur Angst, zur Verzweiflung, zum Wahnsinn, zum Tode. Hier fällt nun freilich die höchste Emotion mit dem Schlusse zusammen; aber dies ist nur zufällig; denn in dem Glücklichen[l1254] liegt die Culmination der mimischen Darstellung, in der Entdeckung der Treulosigkeit des Freundes; und senkt sich von da bis zum Schluss der Ruhe zu.1255

1250 Gerlach: Experimentalpoetik, 43. Ich übergehe Bernhardis Ausführungen zur Frage, wie Iffland eine Rolle, deren »Bild durch disharmonische Züge zerstört und vernichtet« ist, rettet, indem er deren »Albernheit oder Inconsequenz« entweder »übertüncht« oder »eine Beziehung hinein[legt], welche er selbst erfindet« (Gerlach: Experimentalpoetik, 44). 1251 Gerlach: Experimentalpoetik, 45. 1252 Gerlach: Experimentalpoetik, 45f. 1253 Iffland spielte in diesem von ihm verfassten »bürgerlichen Trauerspiel« (Uraufführung 1796) einen Erbschleicher, der von seinem Gewissen und einer Erpresserin in den Wahnsinn und schließlich in den Tod getrieben wird (Iffland: Dramatische Werke 7); siehe Salehi: Iffland, 311–315; Kosˇenina: Gewissen. 1254 Über das anonyme fünfaktige Schauspiel Der Glückliche ließ sich lediglich in Erfahrung bringen, dass es zwischen dem 15. 10. 1798 und dem 9. 4. 1799 fünfmal am Nationaltheater aufgeführt wurde (siehe http://berlinerklassik.bbaw.de/BK/theater/?selected=1). 1255 Gerlach: Experimentalpoetik, 46.

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Bernhardi geht es jedoch nicht um einen schnellen Wechsel von Affektausdrücken innerhalb von Sekunden, sondern um ›Verlaufskurven‹ von Hauptaffekten über ein ganzes Drama hinweg; entsprechend fehlen jene ›vom…zum‹-Formulierungen, welche die Übergänge markieren. Bernhardi hält diese Affektdramaturgie für geboten, weil »alle unsere Stücke, die bessern nicht ausgeschlossen, so gearbeitet sind, daß sie nicht die ganze Seele, sondern nur eine einzelne Stelle derselben berühren wollen«.1256 In dieser Formulierung klingt eine Kritik an, die der Tendenz seines Freundes Humboldt entspricht, das ›Ganze‹ nicht nur in einer rhetorisch zweckmäßigen Ordnung des ›Kunstwerks‹ zu sehen, sondern in der Beachtung ›angenehmer Verhältnisse‹, die beim Rezipienten das ›Ganze‹ der ›Seelenkräfte‹ anregt (IV.3.5). Bernhardi deutet an, der Schauspieler müsse »in gewissen dramatischen Produkten, z. B. in vielen Shakespeareschen Kunstwerken, nach ganz anderen Principien Einheit aufsuchen und darstellen«.1257 Da diese aber auf der deutschen Bühne noch die Ausnahme darstellen, schließt sein Aufsatz mit einem Rollenporträt, das zeigen soll, wie Iffland auch »secundaire Parthien« zu einem Ganzen gestaltet,1258 in diesem Fall die des Haushofmeisters Constant in seinem eigenen Schauspiel Selbstbeherrschung (1800): Das Bild ist ein Bedienter höherer Art, welcher sich viele Veruntreuungen und Cabalen zu Schulden kommen ließ, die ihm unter der Regierung des verschwenderischen, leider jetzt verstorbenen Herrn gutgethan wurden. Der leise podagrische Schritt, das rothe Gesicht, und der wohlgenährte Körper zeigten sehr fein unter einem sinnlichen Bilde, die Art der Oekonomie, welche herrschte, als der ersehnte selige Herr noch lebte. Kleidung und Worte der Rolle zeigten nur natürlich, daß der Mensch nicht zur niedern Klasse der Bedienten gehöre; aber die abgerechnet, so zeigte eine gewisse Fertigkeit, Feinheit und Schnelligkeit der Gebehrde und Deklamation die feinere Welt, in deren Nähe er gelebt hatte, und die Demuth der Gestikulation und Unterwürftikgeit in Mienen und Sprache, nebst der Lebhaftigkeit im Detail beider, welche alle Augenblicke die Gränze der erlaubten feinern Beweglichkeit überschritt, wies auf die Sphäre hin, zu der er gehörte.1259

Ganz im Sinn des Grundmodells vom ›Literaturtheater‹ verweist hier das dreimal gebrauchte Verb ›zeigen‹ auf eine Lesbarkeit der mimischen Zeichen, die in ihren konstanten Aspekten recht konkret angeführt werden. Es geht hier offensichtlich um den Habitus bzw. »Stand« der Figur als Regulativ der Darstellung; er ist in diesem Fall als eine Mischung zwischen galanter Conduite und domestikenhafter Beflissenheit gestaltet und durch Anzeichen früherer Ver1256 1257 1258 1259

Gerlach: Experimentalpoetik, 46. Gerlach: Experimentalpoetik, 47. Gerlach: Experimentalpoetik, 46. Gerlach: Experimentalpoetik, 47.

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wöhnung ›individualisiert‹.1260 Wenn Bernhardi auf den letzten Aspekt bezogen formuliert, die mimischen Zeichen wirkten zusammen in »einem sinnlichen Bilde«, ist dies also durchaus in Analogie zu einem sprachlichen Bild zu sehen. Doch das von Iffland produzierte »Bild« des »Bediente[n] höherer Art« insgesamt ist, um in Bernhardis Text eine Evidenzfunktion zu erfüllen, angewiesen auf die Ergänzung eines Lesers, der Ifflands Spiel kennt, oder auf den Besuch der Vorstellung: »Und nun denke man sich, oder sehe lieber die Darstellung dieser reinen Formen, in welche sich die Individualität der Rolle bricht und spiegelt, mit Ifflandischer Präcision und Consequenz vorgetragen; und man wird einräumen müssen, daß diese subordinirte Rolle, zu den vollendetsten Ifflandischen Darstellungen gehöre.«1261 Die Skepsis gegenüber der Möglichkeit, durch Beschreibung ein Verkörperungs-Bild zu evozieren, wird abschließend in einer Metaphorik artikuliert, die auf bildende Kunst verweist: Hier brechen wir ab. Wir fühlen es, daß wir nur die äußersten, rohsten Linien der Ifflandischen Darstellung gezogen haben, und wissen es, daß es der Sprache nicht möglich ist, jene mannigfaltigen Beziehungen, jene feineren Nüancen, jene Verschmelzungen der Töne und Gebehrden festzuhalten, jenes geistige Band aufzufassen, vermittelst dessen alles Selbstständigkeit erhält und alles dienend erscheint. Was wir gegeben haben ist das körperliche, zahlähnliche, extensive der Ifflandischen Darstellungen, die geistige, qualitative Intension kann nur durch unbegränzte Worte, durch Poesie wiedergegeben werden.1262

Das ist mehr als ein konventionell-vorbeugender Bescheidenheitstopos: Bernhardi enthält sich in seinen Theaterkritiken tatsächlich des Versuchs, das ›Bild‹ einer Verkörperung enargeisch ›nachzuzeichnen‹.1263 Für die hier zitierte Passage lässt sich allerdings festhalten, dass er offensichtlich schwankt, ob es »der Sprache« generell nicht möglich ist, eine solche Enargeia zu entwickeln, oder nur der diskursiven Prosa – schließlich verweist er auf die Möglichkeit der ›poetischen Kunstbeschreibung‹, fügt allerdings noch an: »Aber diese würde nur der verstehen, welcher schon die Kunst jener Darstellungen ahndete.«1264 Wie Eugen Klin gezeigt hat, findet Bernhardi Beispiele einer solchen »lyrische[n] Darstellung der Eindrücke von dem betreffenden Kunstwerk« außer in der Antike nur noch bei Wackenroder, Tieck und A. W. Schlegel.1265 Sein Ideal ist jedoch – mit den im Anschluss an Moritz gewonnenen Kategorien – die gegenseitige Er1260 Vgl. Lichtenbergs Porträt Garricks als verkleideter Adliger in Farquhars Beaux Stratagem (II.5.6). 1261 Gerlach: Experimentalpoetik, 47. 1262 Gerlach: Experimentalpoetik, 47. 1263 Siehe Gerlach: Experimentalpoetik, 121–124, bes. 124; 201–204; bes. 201. 1264 Gerlach: Experimentalpoetik, 47. 1265 Klin: Bernhardi, 122 (Klins Formulierung).

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gänzung von ›poetischer Kunstbeschreibung‹ und ›strukturierter Analyse des Werkaufbaus‹,1266 die er selbst sich nicht zutraut.

5.

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5.1

Tiecks Kritiken als ›strukturanalytische‹ Mimen-Ekphrasen?

Zu Beginn des vorigen Kapitels (III.3.4) wurde hervorgehoben, dass der von Claus Wiedemann als ›Berliner Klassik‹ bezeichnete Forschungsgegenstand auch kulturelle Phänomene einschließt, die heute der Romantik zugerechnet werden. Dass sich selbst die Grenze zur Spätaufklärung nicht immer säuberlich ziehen lässt, zeigt Wiedemanns Hinweis, zum »Ensemble markanter Innovationen« mit ›klassisch‹-nachhaltiger Wirkung gehöre auch die Berliner Haskala1267 – und eine Formulierung in Gerlachs Essay Theater und Diskurs, der seine Anthologie von Theaterkritiken einleitet: Er spricht vom »zwischen Aufklärung und Romantik oszillierende[n] Gymnasiallehrer August Ferdinand Bernhardi«.1268 Ähnlich ließe sich auch Bernhardis Schüler (und späterer Schwager) Ludwig Tieck charakterisieren, solange er seinen Lehrer beim Verfassen anonymer Trivialromane unterstützte (ab 1790) und als Herausgeber der von Friedrich Nicolai verlegten Straußenfeder-Reihe »in die Rolle des rationalistischen Unterhaltungsschriftstellers« schlüpfte (1795–1798).1269 Der Gestiefelte Kater von 1797 allerdings signalisierte Tiecks Bruch mit einer Aufklärung, für welche aus seiner Sicht die von ihm parodierten rührenden Familiendramen ebenso standen wie Ifflands an ihnen orientierte Schauspielkunst und deren Entwickelung durch »Böttiger« (III.1).1270 Mit seiner Reaktualisierung des Märchendramas und der Spiel-im-Spiel-Struktur, überhaupt seiner anti-illusionistischen »Dramaturgie der Unterbrechung«1271 und seiner parodistischen Tendenz gilt dieses Lustspiel als ein Hauptwerk der deutschen Frühromantik.1272 Im Folgenden nun sollen Texte aus den Jahren 1817 und 1825 darauf hin befragt werden, ob der mittlerweile zum »König der Romantik« avancierte Tieck als 1266 Ähnlich Klin: Bernhardi, 123. 1267 Gerlach: Experimentalpoetik, 47. 1268 Gerlach: Experimentalpoetik, 11–33, hier 11. Bernhardis Verhältnis zu den Romantikern wird eingehend dargestellt in Klin: Bernhardi. 1269 Günzel: Tieck, 132; zum jungen Tieck zwischen Spätaufklärung und Frühromantik siehe Bong: Texttaumel; Frank: Tiecks Epochalität, 136–138. 1270 Zur kritischen Intention des Gestiefelten Katers siehe Ribbat: Poesie und Polemik; Strobel: Theaterkritiker, 402f. 1271 Scherer : [Tiecks] Dramen, 465. 1272 Siehe Schulz: Deutsche Literatur, 255; 530–533.

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Theaterkritiker Strategien entwickelte, die versuchen, das ›Ganze‹ des mimischen Kunstwerks auf eine spezifische ›strukturanalytische‹ Weise zu evozieren. Grundlage sind Tiecks Bemerkungen, Einfälle und Grillen über das Deutsche Theater auf einer Reise in den Monaten Mai und Juni des Jahres 1825 (TKS 4: 1– 343). Sie gehen zurück auf eine Reise mit Wolff August von Lüttichau, dem Intendanten des Dresdner Hoftheaters, für das der zum Hofrat beförderte Tieck seit dem 1. Januar 1825 als Dramaturg wirkte.1273 Angefügt ist ein Anhang. Ueber das englische Theater. Zum Theil aus Briefen vom Jahre 1817 (TKS 4: 315–368), der auf Tiecks London-Aufenthalt im Sommer dieses Jahres zurückgeht. Ich beginne mit den früheren Texten zum englischen Theater und wähle der besseren Vergleichbarkeit wegen Tiecks Rollenporträts der großen Antipoden Charles Kemble (1775–1854) und Edmund Kean (1787–1833) als Hamlet. Zu Beginn des Porträts von Charles Kemble als Hamlet (TKS 4: 335ff.) wird das ›Ganze‹ der Hamlet-Rolle diskutiert:1274 »Dem Talente wird es kaum möglich sein, in diesem vieldeutigen Charakter, der fast alle Seiten der Menschheit entfaltet, der die verschiedensten Empfindungen in so mannichfaltigen Situationen ausspricht, ganz zu verfehlen.« (TKS 4: 335) Im Gegensatz zu Lichtenberg, der Widersprüchlichkeiten der Rolle nicht thematisiert, und zu Schink, der eine knappe ›Zergliederung‹ von Hamlets Charakter liefert und dessen Verrücktheit als konsequente Verstellung begreift (II.6), geht der Romantiker Tieck also von der ›Mehrdeutigkeit‹ dieser Rolle aus. Die harmonische ›Einheit‹ eines Charakters ist darin schwer zu finden, dafür aber die Totalität menschlicher Möglichkeiten, insbesondere menschlicher Emotionen. Diese Totalität in das ›Ganze‹ eines mimischen Kunstwerks zu überführen, könnte nun als nahezu unlösbare Aufgabe erscheinen; Tieck jedoch scheint die Ausgangslage positiv zu wenden dahingehend, dass ein begabter Schauspieler wenigstens einen Teil des potenziellen ›Ganzen‹ realisieren könne. Diesen Gedanken wendet der folgende Satz auf Kembles Verkörperung an: »Der melancholisch Klagende, der edle Leidende war es vorzüglich, welchen Kemble zeigte; er weinte viel und zu oft, sprach manche Scenen, z. B. die mit den Schauspielern, vortrefflich, und ging und geberdete sich als Mann von Anstand.« (TKS 4: 335) Kembles Leistung wird also zum einen auf die Hervorhebung einer ›Seite‹ von Hamlets Charakter bezogen (die übrigens ziemlich genau Schinks »Zergliederung« von Hamlets »Karakter« entspricht),1275 zum anderen auf das von Böttiger so ausführlich diskutierte gesellschaftliche und mimische Darstellungsideal des ›Anstands‹ (siehe II.5.5, III.8.1). Der Hinweis, Kemble weine 1273 Siehe Strobel: Der Theaterkritiker [Tieck], 403–405. 1274 Ich übergehe Tiecks einleitende Bemerkung, Kemble habe die Rolle wohl »in seiner Jugend mit ganz anderer Kraft«, aber gleicher Tendenz gespielt (TKS 4: 335). 1275 Siehe SBH: 9.

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»zu oft«, signalisiert allerdings, dass Tieck die Herausarbeitung dieser ›Seite‹ Hamlets für übertrieben hält; im Folgenden wird klar, dass er sie auch eintönig findet: »Aber, wie immer, war fast gar kein Unterschied zwischen den leichteren und schwereren Theilen des Gedichtes, Prosa und Vers konnte man wieder nirgend unterscheiden« (ebd.). Offensichtlich erwartet Tieck zwar nicht, dass der Schauspieler den ganzen Reichtum der Rolle ausschöpft, wohl aber, dass er zumindest zwischen eher ›tragischen‹ und eher lustspielhaften Passagen differenziert, zumal letztere von Shakespeare oft durch den Einsatz von Prosa gekennzeichnet sind. Doch auch innerhalb des tragischen Registers ist Kemble für Tiecks Geschmack zu rührend und zu wenig pathetisch: »Die großen, leidenschaftlichen Scenen erschienen fast unbedeutend, wenigstens war der Auftritt mit dem Geist ganz ohne Wirkung.« (TKS 4: 335) Kembles Gestaltung der berühmten Hamlet-Geist-Szene ist mit dem Hinweis auf ihre Wirkungslosigkeit bereits abgetan; stattdessen folgen nun zwei Beispiele für ›Feinheiten‹ der Rollengestaltung, die ebenfalls dem Künstler nicht zum Lob gereichen. Das erste betrifft die Darstellung jenes Monologs, bei dessen Beschreibung sich Lichtenberg bezeichnenderweise auf die visuelle Seite der Darstellung konzentriert hatte (II.5.8). Ganz anders Tieck: Bei solchen Stellen, wie beim Anfang des ersten Monologs: O, that this too, too solid flesh would melt! verweilte Kemble auf dem O, vielfach tremulirend, einige Sekunden. (TKS 4: 335)

Das zweite Beispiel dagegen scheint zunächst eine lobende Tendenz zu haben: Beim rauhen Pyrrhus, wenn Hamlet sagt: If it live in your memory, begin at this line: let me see, let me see! The rugged Pyrrhus, like the Hyrcanian beast, – ’tis not so; it begins with Pyrrhus. – – war wieder ein allgemeiner Aufruhr des Beifalls im Hause, weil dieses Suchen nach dem Anfang, diese Vergeßlichkeit auf eine so natürliche Weise ausgesprochen wurde. (TKS 4: 336)

Allerdings kennzeichnet Tieck die Qualität des Spiels an dieser Stelle nur durch den pauschalen Hinweis auf das Darstellungsideal der Natürlichkeit und beglaubigt sie durch die Reaktion eines offensichtlich voreingenommenen Publikums.1276 Im nächsten Satz entpuppt sich dieses Lob als bloßer Ausgangspunkt für ein vernichtendes Urteil über die Grundtendenz von Kembles Deklamation, die offensichtlich den wichtigsten Aspekt seiner actio darstellt: »Und in der That, wenn man lange Zeit einen langsamen, gleichmäßig klagenden Rhythmus vernimmt, regelmäßig von bedeutenden Pausen unterbrochen, beständig stark 1276 Wenn schon »wieder ein allgemeiner Aufruhr« losbricht, erscheint dies angesichts der bisher negativen Tendenz von Tiecks Darstellung als gänzlich unangemessen.

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herausgehobene Accente, so überrascht es ungemein, wieder einmal ganz den Ton der Natur und die Weise des gewöhnlichen Gesprächs zu vernehmen.« (TKS 4: 3) Es handelt sich hier um eine grundsätzliche Kritik an Kembles Spiel, zu dem der Rest des Textes nichts Neues zu sagen hat.1277 Tieck bekräftigt diese Kritik sogar in einer Rezension von Kembles Abschiedsvorstellung in der Paraderolle des Coriolan: Mit einem Worte, Kemble war mehr Deklamator, als Schauspieler, und so viel man ihm zugestehen muß, so ist es doch wohl unleugbar, daß Shakespeare sich jede dieser Rollen ganz anders gedacht hat, daß er keine einzige so ermüdend langsam hat sprechen lassen, daß in allen mehr Humor, Bizzarerie und eine ganz eigenthümliche Wahrheit und Natur vorherrschen mußte. (TKS 4: 343)

Die von Tieck herausgestellte ›Totalität‹ der Hamlet-Rolle gilt also nach Tiecks Überzeugung bis zu einem gewissen Grad für alle Rollen Shakespeares, sogar für eine so düstere wie die des kompromisslosen aristokratischen Helden Coriolan. Tiecks Rollenporträt von Kean als Hamlet (TKS 4: 349–353) geht vom Vergleich mit Garrick aus, den ihm das Urteil des englischen Publikums nahelegt, und thematisiert zunächst knapp die Physis: »Kean ist ein kleiner, fein gebauter Mann, von rascher Beweglichkeit und mit braunen, geistreichen und ausdrucksvollen Augen. Viele, die Garrick noch gekannt haben, wollen behaupten, Kean sehe diesem ähnlich; selbst Garrick’s Witwe, welche noch lebt (1817),[1278] soll dieser Behauptung beistimmen […].« (TKS 4: 349) So selektiv die Auswahl der Eigenschaften ist, spricht diese knappe Charakterisierung doch die traditionell als wichtigstes Mittel mimischer Affekterregung geltenden Augen an, und mit Keans »Beweglichkeit« eine Eigenschaft, die Garrick auch nach Churchills und Lichtenbergs Urteil besonders auszeichnete, zumal gegenüber dem deklamatorischen Stil besonders der älteren Kollegen. In Zweifel zieht Tieck jedoch, dass Garricks Witwe dem Urteil zustimme, wonach »Kean auch in der Manier Garrick’s spiele, und ihn in vielen Rollen noch übertreffe, wie viele von Kean’s Bewunderern hier behaupten wollen.« (TKS 4: 349f.) Das nun folgende Rollenporträt ist eine exemplarische Widerlegung besagten Fehlurteils. Lediglich für einen Teilaspekt der Rolle hat Tieck Lob übrig, allerdings ein sehr pauschal formuliertes, dem sogleich ein vernichtendes Urteil folgt: »Alles Heitere, alle witzigen Einfälle, die beißenden, bitteren Stellen wurden von ihm im besten Tone des Lustspiels gegeben. Mit dem tragischen Theil seiner Rolle 1277 Tieck diskutiert eine inszenatorische Feinheit in der Schluss-Szene, die jedoch nichts über Kembles actio verrät (TKS 4: 336), tadelt recht pauschal das Spiel der Ophelia-Darstellerin (TKS 4: 336f.) und mokiert sich schließlich über eine burleske Einlage des Totengräbers in der Friedhof-Szene, die auch das mangelnde Gespür des Spielleiters Kemble für Shakespeare erweise (TKS 4: 337). 1278 Die verdeutlichende Datierung ist im Original eingefügt.

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wusste er eigentlich nichts anzufangen.« (TKS 4: 350). Das ist geradezu eine Umkehrung der Kritik an Kemble, die denn auch im Folgenden als Folie dient für die Charakterisierung von Keans actio: Seine Recitation ist der Kemble’s ganz entgegengesetzt. Er spricht Alles rasch, oft eilig, sodaß die Würde des Gegenstandes darunter leidet. Bei den Accenten und Pausen verfährt er noch willkürlicher und gewaltsamer, als Kemble, auch legt er oft durch stummes Spiel oder Anhalten und dergleichen Künste einen anderen Sinn in den Vers, als man gemeinhin in diesem erblicken kann. Sein Starren, Auffahren (starts), Herumdrehen, eine Rede, die er scheint fallen zu lassen, plötzlich mit der größten Kraft wieder aufnehmend, rasch abgehend, langsam, doch unvermuthet wiederkehrend, – an all diesen epigrammatischen Ueberraschungen hat sein Spiel den größten Überfluß, er ist unerschöpflich in Erfindungen, seine Rolle auf diese Weise in tausend kleine pikante Bonmots, tragisch oder komisch, zu zerstückeln, und diese geistreiche Art, seine ihm zugetheilte Aufgabe gewissermaßen ganz umzuarbeiten, ist es auch wol, was ihm die Gunst des großen Publikums, vorzüglich der Damen, gewonnen hat. Wird man also bei ihm auch nicht, wie dies bei Kemble der Fall ist, bis zur Ermüdung aufgehalten, so wird man dafür unaufhörlich hintergangen und um den Eindruck, um das Gefühl, welches man zu Recht erwarten kann, wie durch eine geschickten Taschenspieler betrogen. (TKS 4: 350)

Kemble und Kean werden also verglichen, um zwei gleichermaßen willkürliche Abweichungen von der »Würde« insbesondere der Hamlet-Rolle zu verdeutlichen. Die Rolle besitzt bei aller im Kemble-Porträt beschworenen Vieldeutigkeit offensichtlich doch eine ›Ganzheit‹, die in bestimmten Szenen zur Erwartung eines bestimmten ›Eindrucks‹ oder ›Gefühls‹ berechtigt; Abweichungen hiervon sieht Tieck als ›Zerstückelung‹. Wie Bernhardi vergleicht Tieck die ›Feinheiten‹ des Künstlers mit ›Epigrammen‹1279 und sogar mit »Bonmots«, bezieht sich dabei aber deutlicher auf das Isolierte dieser Textsorten. Im Gegensatz zu Kembles deklamatorischem Stil steht Keans bereits hervorgehobene »Beweglichkeit«; der Begriff »starts« verweist zusätzlich auf dessen Kontrastierung schneller und langsamer Aktionen, die bereits Churchill gegen den Vorwurf verteidigen musste, ›unnatürliche‹ Effekthaschereien zu sein (II.4.1). Im Fall Keans richtet sich der Vorwurf weniger gegen die Unnatürlichkeit als gegen die Missachtung der durch das Schau-Spiel vorgegebenen Regeln: Kean ist nicht nur ein »Taschenspieler«, sondern auch ein Falsch-Spieler, seine Verkörperung ist »ein Spiel mit dem Spiel, und der Dichter, vorzüglich Shakespeare, wird auf diesem Wege noch weit mehr, als auf jenem deklamirenden, vernichtet.« (TKS 4: 351) Diese Vorwürfe werden nun in Bezug auf Kean am Beispiel einer berühmten Szene exemplifiziert. Allerdings beginnt die Beschreibung mit einem Lob: 1279 Gerlach: Experimentalpoetik, 43, siehe III.3.4.

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Wenn er nach dem berühmten Monolog, vom Könige und Polonius behorcht, mit Ophelien spricht, so fällt er nicht in den Fehler so mancher Schauspieler, die diese Szene ganz sentimental und weichlich nehmen, er ist vielleicht eher zu bitter und scharf; die Worte to a nunnery, go! die er zweimal nach einer langen Zwischenrede zu sagen hat, indem er Ophelien schon früher denselben Rath zweimal mit anderen Worten gegeben hat, accentuirt er immer schärfer, zuletzt stark drohend, befehlend, fast schreiend, mit dem Ausdruck bestimmter Grausamkeit in der Stimme, Miene und Haltung, worauf er bald abgeht, schon den Drücker der Thüre ergreift, als er inne hält, stehen bleibt, den schmerzlichsten, fast thränenden Blick zurückwirft, so in einer Pause verweilt, dann ganz langsam, so zu sagen schleichend zurückkommt, Opheliens Hand ergreift, mit einem tief geholten Seufzer dieser einen verweilenden Kuß aufdrückt, und sogleich noch stürmischer, als zuvor, aus der Thüre hinausstürzt, die er gewaltsam hinter sich zuwirft. (TKS 4: 351)

Auf einen Leser, der an die Detailschärfe sensualistischer Mimen-Ekphrasen gewöhnt ist, mag die Passage auch im weiteren Verlauf kaum besonders abwertend wirken: Nicht nur wird Keans Spiel positiv abgesetzt gegen eine sentimentale Interpretation dieser Szene; auch die Kritik, dass sein Spiel zu sehr der entgegengesetzten Tendenz entspricht, ist behutsam (»vielleicht eher«) formuliert. Dass sich der »Ausdruck bestimmter Grausamkeit« zugleich in »Stimme, Miene und Haltung« ausdrückt, entspricht zudem durchaus der Grundforderung ›ganzheitlicher‹ actio. Die Dynamik der sich steigernden, abbrechenden und wieder einsetzenden Aktionen wird in diesem langen Satz syntaktisch und rhythmisch mit einer Raffinesse nachgeahmt, die fast an Lichtenbergs Ekphrasis der Hamlet-Geist-Szene heranreicht. Wie Lichtenberg auch lässt Tieck die Passage in die Reaktion des begeisterten Publikums münden – allerdings mit neuer Pointe: »Der schallendste Beifall des ganzen Hauses belohnte diese ausgerechnete Künstelei des Lieblings.« (TKS 4: 354) Diese kalkulierte Antiklimax lässt die Aneinanderreihung der vielfältigen mimischen Zeichen rückblickend als Karikatur erscheinen, die ungefähr analog zu Churchills epigrammartiger Zusammendrängung mimischer Zeichen verfährt (II.4.2). Von Beginn an unzweifelhaft bleibt dagegen die karikaturistische Tendenz der an- und abschließenden Kritik an der Verkörperung des Geistes. Nach bewährtem Muster werden nämlich Übertreibung und Vergleich mit einem negativ besetzten Schema kombiniert:1280 Man erlebe ein »torkelnde[s] Gespenst, das weder steht noch geht, wie aus der schlechtesten Taverne herkommend sich beträgt, […] undeutlich und albern spricht« (TKS 4: 352)1281 1280 Siehe II.1, II.3.2, II.5.2. 1281 Tieck kontrastiert die für England typische Geringschätzung und Vernachlässigung dieser Rolle mit der deutschen Praxis: Selbst auf Provinzbühnen sei der Geist »nirgend so ganz ohne Anstand und Haltung über die Bühne gewackelt« (TKS 4: 352), und namentlich Schröder habe »auf diese Rolle ein langes Studium gewendet« (TKS 4: 353). Keans Leis-

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Mit Churchills Rosciad sind Tiecks Beschreibungen englischer Schauspielkunst auch insofern vergleichbar, als sich darin keine Darstellung gelungener Schauspielkunst findet, die auch nur annähernd so konkret wäre wie die eben zitierte Szenenbeschreibung. Besonders deutlich zeigt sich an einem Moment in Kembles Coriolan-Verkörperung, die Tieck denn doch begeisterte: Am größten und erschütterndsten war der Schluß; man kann ihn ohne Uebertreibung erhaben nennen. Wenn Coriolan ausruft: Hear’st thou, Mars? und Ausidius sagt: Name not the god, thou boy of tears. – so war der Schrei: Ha! den Coriolan in höchster Wuth ausstößt, furchtbar ; unbeschreiblich die Kraft und der Ton der Rede, sowie das Geberdenspiel: (TKS 4: 338)1282

Auf den Doppelpunkt folgt das Zitat von Coriolans Rede, aber konsequenterweise keine Beschreibung von Kembles als »unbeschreiblich« gerühmter actio. Dann wird der Unsagbarkeitstopos in vertrauter Weise untermauert durch den Hinweis auf die Flüchtigkeit von Schauspielkunst, wobei auch der DenkmalTopos nicht fehlen darf: »[…] [K]ein Denkmal kann der Bewunderer diesen entflohenen Erscheinungen setzen, weil keine Worte genügen, und keine Bezeichnungen das kenntlich und deutlich charakterisiren können, was der hingerissene Zuschauer gehört hat.« (TKS 4: 339)1283 Abschließend soll geprüft werden, ob das bisher Beobachtete auch für Tiecks Beschreibung deutscher Schauspielkunst im Jahr 1825 gilt. Ich gehe wiederum von der Verkörperung einer Shakespeare-Rolle aus, die Tieck ausdrücklich gegen die bei Kemble und vor allem bei Kean kritisierte Manier ausspielt: »Dies ist die wahre Art, den einzigen Dichter zu verherrlichen und sich seinem Geiste nahe zu stellen, nicht aber jenes Jagen nach willkürlichen Lesarten, die die Engländer auf einige Zeit so sehr von der Bahn des Richtigen und Schönen entfernt hat.« (TKS 4: 36) Es geht um eine Lear-Aufführung im Wiener Burgtheater am 20. Mai 1825 (TKS 4: 33–37); Tieck konzentriert sich weitgehend auf die »Darstellung« des Hauptdarstellers Heinrich Anschütz (1785–1865),1284 die man »fast eine vollendete im höchsten Styl nennen« könne (TKS 4: 33). Zunächst wird die Leistung des Schauspielers in den ersten drei Akten zusamtung wird mit beredtem Schweigen abgestraft, abgesehen von der Erwähnung eines durch den Gespenster-Darsteller provozierten unfreiwilligen Slapstick-Moments (TKS 4: 352). 1282 Siehe Cor. 5.5, V. 100. 1283 Siehe Einf. 1, III.2. Tiecks anschließender Satz erscheint geradezu als auf Schillers Verse im Wallenstein-Prolog, wenn auch mit resignativerer Tendenz: »Darum ist es billig, daß der lauteste Beifall wenigstens unmittelbar den Künstler, wenn auch nur schwach, belohne, weil er nichts aus seiner Hervorbringung in den nächsten Augenblick hinüber retten kann.« (TKS 4: 339). 1284 Siehe Anonym: Anschütz; Martersteig: Deutsches Theater, 313f.

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mengefasst: Darin »war der Eigensinn, der herrische Zorn und die Schwäche des Königs trefflich charakterisirt. Erschütternd war der Schmerz und die Verzweiflung des Greises, und wahrhaft erhaben das Anwachsen des Wahnsinns.« (TKS 4: 34) Tieck nennt also zunächst Charakteristika der Figur, dann Affekte und kennzeichnet deren Wirkung auf die Zuschauer gemäß dem Wirkungsmodell des Erhabenen.1285 Konkreter wird der Kritiker nur, was kleinere technische Mängel des Darstellers betrifft: Er kritisiert eine ungenügende Ausbildung der Stimme, die allerdings für »alle neueren Schauspieler« charakteristisch sei und ihre Rezitation mitunter unschön und ungleichmäßig mache (TKS 4: 34),1286 und findet, »sein Geberdenspiel noch etwas zu gleichförmig und reißend, wodurch auch hier zuweilen etwas Uebereiltes sichtbar wird, was den Adel der Darstellung schwächt.« (TKS 4: 35) Doch warnt er davor, »über diese kleine Makel die hinreissende Großheit, das Erschütternde und die mächtige Furchtbarkeit« zu übersehen, »die dem trefflichen Schauspieler in den Scenen des Fluchs und der Raserei so poetisch zu Gebote stehen.« (TKS 4: 35) Den Höhepunkt der schauspielerischen Leistung aber sieht Tieck in der Gestaltung des Dramenendes, obwohl es zu seinem Befremden vom Wiener Bearbeiter in ein happy ending verwandelt wurde (siehe TKS 4: 34).1287 Zunächst thematisiert er die Fähigkeit des Schauspielers, ein mentales Rollenbild und daraus folgend ein Verkörperungsbild zu schaffen, das dem besonderen Charakter eines Shakespeare’schen Dramas gerecht werde: Es erfordert eine seltene schaffende Phantasie, um die sonderbaren Forderungen des Dichters in Wirklichkeit zu sehen, ihn zu erklären, und für alle jene kühnen Uebergänge in Stimme, Geberde und Stellung einen poetischen Zusammenhang zu finden, und dabei doch alle bizarren Unterbrechungen, alle Annäherungen an das Komische und Lächerliche in ihrer eigenen Kraft stehen zu lassen. (TKS 4: 35)

Auch hier geht es ›ums Ganze‹, allerdings in einem romantischen Verständnis, das nicht auf durchgängige ›Harmonie‹ und strikte Gattungstrennung besteht, sondern Brüche, Widersprüche und eine Ästhetik des Grotesken als Reichtum versteht.1288 Als nächstes thematisiert Tieck das mentale Dramenbild ›des‹ Le1285 Siehe Heininger : Erhaben, zur romantischen Auffassung ebd. 295f., speziell zu Tiecks Auffassung Bong: Poetologische Inversionen, 44–58 und Preisler : Gesellige Kritik, 46–56. 1286 »[…] [D]arum hört man oft, auch von den allerbesten, heisere und ohnmächtige Töne; sie übereilen sich in der Heftigkeit des Einsatzes, und machen sich dadurch ein wahres Anwachsen und Steigern bis zum höchsten Punkt, und zur wahren letzten Kraft der Stimme schwer, oft unmöglich« (TKS 4: 34.). 1287 »Darüber hinsehen muß man wol [sic], daß die gutmüthigen Wiener durchaus nicht den alten, mehr als lebenssatten König wollen sterben, und noch weniger die zarte Kordelia umbringen lassen […]; indessen hat der Bearbeiter es so milde eingerichtet, daß so wenige Schönheiten des Dichters, als nur immer möglich, dadurch verloren gehen.« (TKS 4: 34) 1288 Siehe zu Tiecks Verständnis von ›Ganzheit‹ Preisler : Gesellige Kritik, 90f. Stefan Scherer erinnert im Zusammenhang mit Tiecks frühromantischer Dramatik an dessen Ausspruch

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sers, was vor allem bedeutet: das des leidenschaftlichen Shakespeare-Lesers und -interpreten Tieck. Dieses wird mit dem Verkörperungsbild des Zuschauers konfrontiert, darin grundsätzlich dem Beginn von Schinks Rollenporträt Brockmanns vergleichbar, doch mit einer gänzlich anderen Pointe: »Wer mit dem Dichter innigst vertraut ist, immer und immer wieder diese Scenen seiner Phantasie vorgeführt hat und jedes Wort auswendig weiß, für einen solchen gibt es kein größeres Entzücken, als von einem wahren Schauspieler sich Vieles in einem neuen Lichte vorstellen, gewissermaßen ganz neu erklären zu lassen, überrascht zu werden durch große poetische Wahrheit, die ganz nahe und in der Sache selber liegt.« (TKS 4: 35f.) Die Kreativität des Schauspielers wird auch von Bernhardi betont; deutliche Neuansätze in der Rolleninterpretation diskutiert er jedoch nur in Bezug auf ›flache‹ oder widersprüchlich gestalteten Rollen. Für Tieck dagegen gibt es sogar bei einer ›großen‹ Rolle wie dem Lear einen Spielraum für Neuakzentuierungen, die gleichwohl, anders als Keans Einfälle, ›im Geist‹ des Dichters sind: »Dies ist die wahre Art, den einzigen Dichter zu verherrlichen und sich seinem Geiste nahe zu stellen, nicht aber jenes Jagen nach willkürlichen neuen Lesarten, das die Engländer auf einige Zeit so von der Bahn des Richtigen und Schönen entfernt hat.« (TKS 4: 36) Worin aber besteht die Neuheit von Anschütz’ Interpretation? Diese Darstellung der erschöpften Raserei, die nun in einen schwärmerischen Wahnsinn übergegangen ist, hatte mich durch ihre Neuheit und Wahrheit so tief ergriffen, wie es mir wol [sic] nur in meiner früheren Jugend begegnet ist. Unbeschreiblich schön war das Erwachen des Greises und das allmälige Wiedererkennen Kordelia’s. Hier und in den letzten Scenen ward das Kindische, ganz hingegebene Alberne, und in diesem die tiefste Rührung, der erhabenste Schmerz und die erschütterndste Freude mit solchen Farben gemalt, daß keine Worte demjenigen, der das Schauspiel selber nicht sah, eine Anschauung oder Ahnung von dieser wundervollen Malerei geben können. (TKS 4: 36)

Im Mittelpunkt stehen wiederum Affekte und ihre Wirkungen. Sie sind teils substantivisch, teils adjektivisch formuliert.1289 Insgesamt wird auf Produktions- wie Rezeptionsseite eine große Bandbreite von Affekten angeführt, was sich in einer Liste verdeutlichen lässt, die ihre adjektivischen Formen verwendet: Anschütz’ Lear ist ›erschöpft‹, ›rasend‹, ›schwärmerisch‹, ›wahnsinnig‹, ›kindisch‹, ›hingegeben‹, ›albern‹, ›gerührt‹, ›erhaben‹, ›schmerzvoll‹, ›freudig‹ gegenüber Rudolf Köpke, zum Romantischen gehöre, »daß der Leser in die entgegengesetztesten Regionen des Gefühls, der Leidenschaft, der Phantasiewelt in raschem Wechsel eingeführt werden solle« (Köpke: Tieck 1, 265; Scherer : Tiecks Dramen, 464). Verwiesen sei außerdem auf Novalis’ Formulierung: »Die Poesie schaltet und waltet mit Schmerz und Kitzel – mit Lust und Unlust – Irrtum und Wahrheit – Gesundheit und Krankheit« (Novalis 2, 535, Aufz. 42). 1289 Wobei manche Adjektive intensiviert werden durch Adverbien (»[u]nbeschreiblich schön«) und Superlative (»tiefste Rührung«).

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und wirkt ›ergreifend‹, ›neu‹, ›wahr‹, ›schön‹, ›erschütternd‹, ›erhaben‹,1290 ›wundervoll.‹ Für die dargestellten Affekte wird nun aber im Unterschied zu Diderot (II.1.3), Böttiger (III.2.5) und Bernhardi (III.3.4) gerade keine klare emotionale (substantivisch geprägte) ›Verlaufskurve‹ beschrieben. Vielmehr werden adjektivische und substantivische Benennungen kombiniert, um Emotionen zu präzisieren (›erschöpfte Raserei‹, ›schwärmerischer Wahnsinn‹, das ›hingegebene Alberne‹ usw.) oder mit ihrer Wirkung zu verbinden (»der erhabenste Schmerz«, »die erschütterndste Freude«); zudem impliziert die Formulierung »in diesem« eine Verbindung eher gegensätzlicher Emotionen und Wirkungen. Auch hier also wirkt ein mehr spannungsvolles als harmonisches ›Ganzes‹ auf den Rezipienten. Die Erzählinstanz fasst ihre Reaktion zuerst als ›Ergriffenheit‹ und vergleicht sie mit Eindrücken der »früheren Jugend«, in der nach romantischer Auffassung die Seele am empfänglichsten ist.1291 Dann aber wird die emotionale Wirkung zurückgenommen und in das überführt, was Humboldt eine »ästhetische Stimmung« nennt (HFB: 377; III.3.1): Das Spiel des Künstlers ist »[u]nbeschreiblich schön« und gleicht einer »wundervollen Malerei«. Allerdings geht diese Formulierung wiederum mit dem Gebrauch des Unsagbarkeitstopos einher : Mit welchen mimischen Mitteln Anschütz seine Affektdarstellungen so emotionalisierend und doch so ›schön‹ gestaltet, kann der romantische Beschreiber so wenig ›nachmalen‹ wie der klassizistische, während die Kritik an ›Makeln‹ auch für ihn konkreter formulierbar ist.1292

1290 Da dieses Adjektiv sowohl auf eine Eigenschaft des Gegenstandes als auch auf eine Wirkungsdisposition verweist, wird es hier doppelt angeführt. 1291 Zum aufklärerischen und romantischen Kindheitskonzept siehe Ewers: Kindheitsbild; theatralische Initialerlebnisse sind für Tiecks (von Rudolf Köpke aufgezeichnete) Erinnerungen ebenso zentral wie schon für Ifflands Autobiographie (Köpke 1, 29–34; Iffland: Theatralische Laufbahn, 5–14). – Im vorliegenden Zitat korrespondiert der Hinweis auf Tiecks Jugend-Eindrücke mit der Rede vom ›Kindischen‹ Lears, zumal dieser Ausdruck noch nicht so negativ gefärbt war wie heute. 1292 Den Abstand zur ›sensualistischen‹ Mimen-Ekphrasis verdeutlicht schlagend der Vergleich mit Johann Friedrich Schinks minutiöser ›Zergliederung‹ von Friedrich Ludwig Schröders Gestaltung des Lear’schen Finales am 17. 7. 1778, die von Erika Fischer-Lichte als Musterbeispiel eines »Rollenporträts« angeführt wird (Schink: Zeitgenossen 3, 46–48; Fischer-Lichte: Geschichte des deutschen Theaters, 134.). Wenn Hermann Hettner trotzdem noch 1853 formuliert, dass Tieck in den Dramaturgischen Blättern die Leistung von Schauspielern »zergliedert« (Hettner : Tieck als Kritiker, 357), scheint mir dies zu bestätigen, dass er dennoch keine Strategie für die Darstellung des mimischen ›Ganzen‹ gefunden hat; auch Hettner betont im Übrigen, es wirke besonders »vernichtend, wenn Tieck das Schlechte und das Mittelmäßige verhöhnt und geißelt« (ebd.).

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5.2

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Bildgedicht und musikalische Ekphrasis als romantische Ausprägungen ›poetischer Kunstbeschreibung‹

Die Antwort auf die Frage nach genuin romantischen Mimen-Ekphrasen der Variante ›analytische Kunstbeschreibung‹ fällt also weitgehend negativ aus.1293 Allerdings bezeichnet Tieck die Qualität des Lear-Darstellers Anschütz ausdrücklich als ›poetisch‹ und deutet damit zumindest die Möglichkeit einer weiterführbaren enargeischen Wirkungskette an:1294 Damit bleibt die Frage nach ›poetischen Kunstbeschreibungen‹ bzw. ›ästhetischen Konfigurationen‹ romantischer Prägung. Um es vorwegzunehmen: Im Bereich der Mimen-Ekphrasis findet sich in dieser Hinsicht wenig und jedenfalls kein Text vom Rang der Goethe’schen Euphrosyne. Doch legte immerhin August Wilhelm Schlegel eine Reihe von Gedichten auf Schauspielerinnen vor, die im letzten Unterkapitel (5.3) exemplarisch auf enargeische Strategien hin überprüft werden sollen. Zunächst aber und als Folie für diese Interpretation gilt es zu zeigen, dass die poetische Kunstbeschreibung der Romantik in Bezug auf die traditionellen Schwesterkünste durchaus innovativ war, insbesondere im Bereich des Bildgedichtes und der poetischen Verwandlung überkommener Musiktraditionen in ›absolute‹ Musik. Obwohl sich diese Tendenzen um 1800 nur sehr dosiert auf Mimen-Ekphrasen auswirkten, sollen Grundzüge dieser poetischen Kunstbeschreibungen mit einer gewissen Ausführlichkeit herausgearbeitet werden, um die Plausibilisierung folgender These vorzubereiten: Die um 1800 in Bildgedicht und musikalischer Ekphrasis der Romantik entwickelten Strategien wurden um 1900 von Dichtern wie Hofmannsthal (Kap. IV) und Rilke (Kap. V) aufgegriffen und für Mimen-Ekphrasis fruchtbar gemacht. Karl Pestalozzi hat ausdrücklich den Bogen geschlagen von Moritz’ Kunstbeschreibungs-Essay (III.1, III.3.1) zur Erneuerung des Bildgedichtes um 1800, die von Johann Heinrich Wackenroder und August Wilhelm Schlegel ausging: »Das Bildgedicht tritt um 1800 mit dem Anspruch auf und behält ihn bei, etwas am Bild zu erfassen, was sich der Prosabeschreibung entzieht, als deren Alternative respektive Ergänzung. Dieses ›etwas‹ hat verschiedene Aspekte«.1295 Der erste und zweite dieser Aspekte entsprechen den Kategorien der ›poetischen Kunstbeschreibung‹ und der ›ästhetischen Konstellation‹: 1293 Hier wurde der Nachweis nur für Tieck erbracht – ich habe jedoch auch bei anderen der Romantik zugerechneten Theaterkritikern keine Gegenbeispiele gefunden (siehe etwa die Texte von Brentano in Jacobs: Deutsche Schauspielkunst, 137–144; 188–193; 368–374 sowie die Kritik von A.W. Schlegel in Gerlach: Experimentalpoetik, 81–85). 1294 Wie bereits zitiert, spricht Tieck von den Qualitäten, »die dem trefflichen Schauspieler in den Scenen des Fluchs und der Raserei so poetisch zu Gebote stehen«, und vom »poetischen Zusammenhang« in den Übergängen zwischen mimischen Zeichen (TKS 4: 35). 1295 Pestalozzi: Bildgedicht, 591, zu Moritz 570f.

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1. Es ist das »Ganze« eines Bildes. Dieses wird in den strukturierten Gedichtformen der Bildgedichte repräsentiert, wie immer diese aussehen, Sonett, freie Rhythmen, gereimte Vierzeiler. 2. Dieses »Etwas« ist die Abhebung der Kunst von der Alltagsrealität, die im lyrischen Sprechen ihr Äquivalent hat, denn Lyrik hat ihr Wesen darin, vom Alltäglichen abweichendes Sprechen zu sein, das anderen Regulierungen unterliegt. Dieses, wie Goethe sagt, »höhere Sprechen« unterstützt die Sakralisierung der Kunst.1296

›Poetisch‹ wäre in diesem Zusammenhang also gleichbedeutend mit ›in Gedichtform‹ und ›in gehobener Sprache‹. Die Versprachlichung von Unsichtbarem (»Verborgenes, Psychisches«) und die Thematisierung der »Wirkung auf den Betrachter«, die Pestalozzi als weitere »Aspekte« nennt,1297 sind dagegen auch Elemente enargeischer Kunstbeschreibung in Prosa, etwa bei Philostrat und Winckelmann. Dies wurde bereits im vierten Kapitel der Einführung gezeigt und eben dort wurde August Wilhelm Schlegels Gedicht Der neue Pygmalion. An Iffland vorgestellt, das sich als Mimen-Ekphrasis verstehen lässt wie auch als poetisches Pendant zu Anton Graffs Gemälde Iffland als Pygmalion (Abb. 1). Da es ein Jahr vor diesem Bild publiziert wurde, handelt es sich hier zwar nicht um eine Kunstbeschreibung; dennoch kann der Vergleich mit einem Bildgedicht aus Schlegels Kunstgespräch Die Gemählde, das ebenfalls 1799 im Athenäum erschien, verdeutlichen, wie sehr Schlegels ›poetische Beschreibung‹ von Schauspielkunst und seine ›poetischen Beschreibungen‹ bildender Kunst strukturell einander ähneln: Der neue Pygmalion An Iffland. Sonnett. Sinds Träume, die dem Sinn vorüberwallten, Und die ein Morgenlüftchen mit sich rafft? Und seh’ ich wirklich: welch ein Zauber schafft, Daß Hellas Wunder neu sich mir entfalten?

1296 Pestalozzi: Bildgedicht, 591. 1297 Nämlich als Aspekt 3 und 5 (Pestalozzi: Bildgedicht, 591). Ansonsten wird angeführt, ein Bildgedicht könne [4] »sich zum Anwalt machen der geschichtlichen oder individuellen Herkunft, die im Bild steckt«, [6] die »Überwindung der Differenz zwischen einem historischen Bildgehalt und unserem Bewußtseinsstand« fördern; mitunter sogar [7] »in Analogie zu Bilddarstellungen verfahren, gewissermaßen mit der Sprache malen« und [8] das l’art pour l’art-Prinzip veranschaulichen (ebd.). Diese Aspekte werden hier nicht diskutiert, weil sie sich nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Modifizierungsaufwand auf Mimen-Ekphrasis übertragen lassen. Allerdings kommt Aspekt [7] in dieser Arbeit immer wieder ins Spiel, wenn der Begriff Enargeia diskutiert wird.

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Er ists, der Bildner redender Gestalten, Sein Feuerblick, sein Gang, der Arme Kraft, Die Denkerstirn, die tiefe Leidenschaft, Die mächtig ringt das Höchste festzuhalten Was zürnst du noch dem Werke deiner Hand, Dem Spiegel deiner schöpferischen Seele, Als ob ihm Leben zur Vollendung fehle?

5

10

Die hohe Kunst, der sich dein Geist verband, Schon fühlst du sie von deiner Glut erwarmen; Sie steigt herab und ruht in deinen Armen.1298 Die Himmelfahrt der Jungfrau. Wie ist mir? Wonne blitzt von Gottes Throne, Und hat mit süßen Banden mich umschlungen. Mein Sehnen ist die Himmel durchgedrungen: Ich seh’ den Vater bey dem theuern Sohne. Hinan! hinan! auf daß ich bey euch wohne, Vom Zug der Liebe leicht emporgeschwungen! Ihr Heil’gen, die ihr treu mit mir gerungen, Glaubt, liebet, hofft, und einst empfaht die Krone! – Und wie sie so auf Wolk’ und Duft entschwindet, Umlächeln sie des Himmels jüngste Söhne; Schon weichen unter ihrem Fuß die Sonnen.

5

10

Im Lichte wird ein neues Licht entzündet, So strahlt die Braut, verklärt in reiner Schöne, Und ruht nun liebend an der Liebe Bronnen.1299

Auch im zweiten Sonett, das sich auf Guido Renis Himmelfahrt Mariä bezieht,1300 spricht in der ersten Strophe ein Ich von einer glückseligen Vision (die sich hier allerdings nicht auf eine Wiedergeburt der Antike richtet, sondern auf eine 1298 Wie im vierten Kapitel der Einführung zitiere ich hier nach der Erstveröffentlichung in Schillers Musenalmanach für das Jahr 1799, 144, weil ich die Lesart des ersten Verses in Böckings ansonsten verwendeter Ausgabe der Sämmtlichen Werke von 1848 für ein Missverständnis halte: »Sinds Träume, die dem Sinn vorüber walten« (ASSW 1: 350). Ansonsten sind beide Fassungen bis auf einen später eingefügten Apostroph (»Er ist’s«, V. 5) identisch. 1299 Schlegel: Die Gemählde, 113f. 1300 Dieser Zusammenhang wird jedenfalls im rahmenden Gespräch hergestellt (Schlegel: Die Gemählde, 115). Allerdings zeigt dieses Gemälde, das sich heute in der Münchner Pinakothek befindet (siehe ebd. 154 [Komm.]), lediglich die von Engeln getragene Jungfrau, nicht aber Gottvater, Sohn und die Heiligen: Somit würden nur die Terzette eine eigentliche Beschreibung liefern, beide Quartette dagegen eine vom Bild angeregte Vision.

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katholischen Glaubensvorstellung). Auch hier folgt eine intermediale Metalepse (»Ihr Heil’gen«, V. 7), wenngleich schon in der ersten Strophe und nur in dieser,1301 und auch hier schließlich wird das dargestellte Geschehen erst in den Terzetten gestaltet.1302 Allerdings lassen sich die in beiden Gedichten verwendeten Strategien auch in Prosa-Ekphrasen einsetzen – was also leistet speziell die Gedichtform? Meines Erachtens gilt für beide Sonette, was Andreas Borgstedt als Grundmerkmal von Schlegels Gemäldesonetten herausgearbeitet hat: »Die betonte Tektonik des Sonetts wird einer Dialektik von Subjekt und Objekt und von Empfindung und Mythologie dienstbar gemacht. Das Sonett fügt sich so entschieden in das konzeptionelle Feld der frühromantischen Reflexion ein.«1303 Die Unterstützung des gedanklichen Aufbaus durch die »Tektonik« der strophischen Gliederung, steht letztlich noch in der epigrammatischen Tradition des Sonetts.1304 Meiner Ansicht nach unterstützen sogar die Reime diese Tendenz,1305 sind die Reimwörter doch auch selbst in den Quartetten weniger klang- als bedeutungstragend.1306 Dies ist insofern bemerkenswert, als Borgstedt darauf hinweist, dass Schlegel sowohl durch seine breit angelegte Publikation von Sonetten seit den 1790er Jahren als auch durch seine Spekulationen über Urpoesie in den Berliner Ästhetik-Vorlesungen (1798–1803) eine Aufwertung des Reimes propagierte: Die ästhetische Grundlegung von Metrik und Reim, die über das Konzept des Zeitmaßes vorgenommen wird, beschreibt Silbenmaß und Klangmomente gemeinsam als ursprüngliche und damit als wesentliche poetische Phänomene. Bei Schlegel dient dies auch dazu, die auf die Nachahmung der antiken Prosodie gerichteten Bemühungen des Klassizismus des 18. Jahrhunderts etwa bei Klopstock zu relativieren und die klanglichen Elemente der modernen Sprachen und Literaturen aufzuwerten.1307 1301 Zudem erscheint sie weniger als Kunstgriff, da sie an die religiöse Praxis des Gebetes vor einem Andachtsbild anschließt. 1302 Diesem Schema folgen auch die vorhergehenden Sonette Die heiligen drey Könige, Die heilige Familie, Johannes in der Wüste und Mater dolorosa (Schlegel: Die Gemählde, 108– 113). 1303 Borgstedt: Topik des Sonetts, 436. 1304 Siehe zu dieser Borgstedt: Topik des Sonetts, 211–268. 1305 Borgstedt sieht dagegen eher ein Gleichgewicht zwischen »lyrisch-klanglichen« und »tektonisch-argumentativen Momenten« und spricht insbesondere den meist ohne mehrfache Reime gestalteten Terzetten einen stärker »reflektierenden Gestus« zu als den Quartetten (Borgstedt: Topik des Sonetts, 436). 1306 Im ersten Quartett des Iffland-Sonettes handelt es sich ausschließlich um Verben, welche die Prozesshaftigkeit und Flüchtigkeit der Vision unterstreichen, im zweiten sind drei Reimwörter Substantive, deren erstes gleich die konkrete Sichtbarkeit plastischer und mimischer Erscheinung signalisiert: »Gestalten«. Die Quartett-Reime des HimmelfahrtsSonetts kontrastieren sichtbare Zeichen des Heiligen (»Throne«; »Sohne«, »Krone«) mit Partizipformen, die Sehen und Glauben als dynamisches Erlebnis verbinden (»umschlungen«, »durchdrungen«, »emporgeschwungen«, »gerungen«). 1307 Borgstedt: Topik des Sonetts, 430f.

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Borgstedt zitiert in diesem Zusammenhang eine Notiz aus den Vorlesungsmanuskripten von 1801/1802: »Daher liegt im Reime das romantische Prinzip, welches das entgegengesetzte des plastischen Isolirens ist. Allgemeines Verschmelzen, hinüber und herüber ziehen, Aussichten ins Unendliche«.1308 Vergleicht man jedoch Schlegels Iffland-Sonett und Goethes Euphrosyne-Elegie, so fällt auf, dass sich die soeben (und in Einf. 4) herausgearbeiteten inhaltlichen und strukturellen Elemente dieses Sonetts (Beschwörung einer Vision, intermediale Metalepse, Thematisierung der Wirkung, klare Entsprechung von Gedankenführung und formaler Gliederung) auch in Goethes ›plastisch isolierenden‹ Distichen auf Christiane Becker-Neumann finden lassen. Sogar die Hervorhebung eines zentralen Begriffs wie »Gestalten« in Vers 5 durch den Reim hat ihre Entsprechung in Goethes Exponierung des Begriffes »Gebild« durch Metrik und parallele Wortbildungen (IV.2.2).1309 Umso mehr jedoch treffen die Stichworte »Allgemeines Verschmelzen, hinüber und herüber ziehen, Aussichten ins Unendliche« auf Tiecks 1802 entstandene Gedichte über die Musik zu, deren größten Teil wiederum Sonette ausmachen. Borgstedt demonstriert anhand des Sonetts Gesang, wie »die frühromantischen Bemühungen um eine Zusammenführung der Künste im Sonett« ergänzt werden konnten, wenn die Klanglichkeit des ›Klinggedichts‹ forciert wurde. Zum Verständnis des Gedichts muss man wissen, dass es »vom häuslichen Gesang altitalienischer Vokalmusik durch die drei Töchter des Grafen von Finckenstein in Ziebingen« angeregt wurde; die Namen Una und Clara stehen für zwei davon.1310 Gesang Wenn du erhebst den lichten Ton zum Singen, Una den tiefen goldnen Klang drein gießet, Von Clara’s Zaubermund ein Feuer fließet, Seh ich die Himmelsgeister lieblich ringen. Bald wollen die Gespielen dich bezwingen, Von deiner Süße wird ihr Zorn versüßet, Doch wie der lichte Ton wie Morgen grüßet, Muß ihn das klingende Meer in Wellen schlingen.

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1308 Schlegel: Vorlesungen über Ästhetik 1, 439, siehe Borgstedt: Topik des Sonetts, 431; Meier : Klassik – Romantik, 102f. 1309 Eine Frontstellung zwischen Weimarer Klassik und Frühromantik lässt sich an diesem Punkt auch insofern nicht erkennen, als Goethe selbst sich trotz anfänglicher Vorbehalte gegen den Reimzwang dem Sonett zuwandte und zu dem Schluss kam: »In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister« (FGA 2: 838f., V. 13). 1310 Borgstedt: Topik des Sonetts, 443. Die dritte war Tiecks spätere Lebensgefährtin Henriette von Finckenstein.

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Bald schwimmt er oben wieder wie die Blume, Die Wogen kämpfen, und er wird ein Strahlen, Er zuckt wie Liebesblitze in den Wellen,

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Krystalle leuchten freundlich, in den hellen Spiegeln muß sich dein herrlich Bildnis malen, Maria steht gekrönt im Heiligtume.1311

»Die Quartettreime sind einander als Assonanz angenähert,« beobachtet Borgstedt, »zahlreiche Klangeffekte begleiten eine Sprache, die die Musik nachzubilden sucht, noch ein Holperer wie ›das klingende Meer in Wellen schlingen‹ fließt in seiner Lautbildung dahin und macht die Worte selbst zum klingenden Ornament.«1312 Dieser Befund lässt sich ergänzen: Nicht nur Lautlichkeit erzeugt den Eindruck eines ›allgemeinen Verschmelzens‹, sondern auch sprachliche Bildlichkeit. In dieser Hinsicht greift Tieck zwar auf Elemente Schlegel’scher Gemäldesonette zurück – auch hier wird im ersten Quartett eine Vision beschworen und auch hier endet das Gedicht mit einer ›gemalten‹ Marienkrönung –, entgrenzt sie aber in stark assoziativer und synästhetischer Weise. Dabei lassen sich zwei fast durchgängige Bildfelder unterscheiden: eine im ersten Vers beginnende Licht-Metaphorik, die den Höreindruck in visuelle Eindrücke verwandelt, und eine im zweiten Vers einsetzende Wasser-Metaphorik, die sowohl das zeitliche ›Verfließen‹ der Musik ausdrückt wie das ›Zusammenfließen‹ der Stimmen. Es bedarf einiger Aufmerksamkeit, um angesichts dieser Bilderdichte präsent zu halten, dass es hier um den Gesang dreier Schwestern geht und dass sich die affektive Wirkung ihres Gesanges mit den Gefühlen des Sprechers für eine dieser Schwestern verbindet, die durchgehend angesprochen ist. Wenn sich deren Antlitz schließlich im zur Ruhe gekommenen ›Wasser‹ der Musik spiegelt und emphatisch mit dem Gemälde einer gekrönten Maria verglichen wird, mag man dies als Beispiel für ›Kunstreligion‹ einordnen oder als ans Blasphemische grenzende Hyperbolik – unverkennbar ist jedenfalls, dass hier auch die bildende Kunst mit Poesie und Musik verbunden wird. Entwickelt wurde die hier zu beobachtende ›Musikalisierung‹ der Sprache allerdings nicht in frühromantischer Lyrik, sondern in metaphorisch und klanglich hochdeterminierten Prosatexten, die – ganz im Sinne des romantischen Verständnisses von Kritik als Poesie – zwischen Erzählung und narrativem Essay oszillieren. Die wichtigsten Texte wurden von Carl Dahlhaus zusammengestellt im Kapitel Metaphysik der Instrumentalmusik seiner mit Michael Zimmermann herausgegebenen Anthologie Musik – zur Sprache gebracht: 1311 TFA 7: 148. Zu Tiecks Musikgedichten und seiner »Wortmusik« siehe auch Lubkoll: Musik, 276–279. 1312 Borgstedt: Topik des Sonetts, 444; zur Reim-Poetik des jungen Tieck siehe Brummack: Poetologische und kritische Schriften, 336f.

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Musikästhetische Texte aus drei Jahrhunderten (1984). Dahlhaus’ Kommentare ziehen eine Summe aus seinen vorangegangenen Forschungen zur romantischen Musikästhetik, insbesondere aus seiner im selben Jahr publizierten einflussreichen Studie Die Idee der absoluten Musik.1313 Auch Christine Lubkolls Untersuchung Mythos Musik: Poetische Entwürfe des Musikalischen in der Literatur um 1800 beschränkt sich auf Prosa, und zwar überwiegend auf Erzähltexte.1314 Ich werde mich im Folgenden auf das von Dahlhaus vorgestellte Korpus und den Aspekt der ›Bildlichkeit‹ konzentrieren, um deren sich zaghaft andeutende Relevanz für Mimen-Ekphrasis aufzuzeigen. Zum Inbegriff der Instrumentalmusik als ›reiner Musik‹ wurde in der Romantik die Symphonie. Dazu musste sie allerdings von ihrer Funktion als Theatermusik gelöst werden. Die Phantasien über die Kunst, mit denen Tieck nach Dahlhaus’ Urteil »der musikästhetischen Intuition seines Freundes Wackenroder eine Darstellung gab, in der sie das Denken und die Empfindungen einer ganzen Epoche zu beeinflussen oder gar zu beherrschen vermochte«,1315 spielt Symphonie und Drama in dem von Tieck allein stammenden Aufsatz Symphonien sogar explizit gegeneinander aus: Diese Symphonien können ein so buntes, mannigfaltiges, verworrenes und schön entwickeltes Drama darstellen, wie es uns der Dichter nimmermehr geben kann; denn sie enthüllen in räthselhaftester Sprache das Räthselhafteste; sie hängen von keinen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit ab, sie brauchen sich an keine Geschichte und an keine Charaktere zu schließen, sie bleiben in einer rein-poetischen Welt. Dadurch vermeiden sie alle Mittel, uns hinzureißen und zu entzücken, die Sache ist vom Anfange bis zu Ende ihr Gegenstand: der Zweck selbst ist in jedem Momente gegenwärtig, und beginnt und endigt das Kunstwerk.1316

Eine Symphonie bildet also ein ästhetisches ›Ganzes‹, das (ähnlich wie Shakespeares Hamlet in Tiecks Charakterisierung) höchste Mannigfaltigkeit besitzt, dabei aber radikal autonom gedacht ist gegenüber durchgehenden Wirkungsintentionen und sogar gegenüber bestimmten Inhalten. Angesichts einer solchen Bestimmung müsste sich Moritz’ Frage, in wie fern Kunstwerke beschrieben 1313 Siehe außerdem Dahlhaus’ spätere Studie Klassische und romantische Musikästhetik. Als wichtige Musik- und Literaturwissenschaft vermittelnde Arbeit ist außerdem Stegbauer : Akustik der Seele zu nennen. 1314 Behandelt werden von Wackenroder : Das merkwürdige musikalische Leben des Tonkünstlers Joseph Berlinger; von Brentano: Der Sänger ; von Brentano und Görres: Wunderbare Geschichte von BOGS dem Uhrmacher ; von Kleist: Die Heilige Cäcilie oder Die Gewalt der Musik; von Hoffmann: Kreisleriana. 1315 Dahlhaus/Zimmermann: Musik zur Sprache gebracht, 187; im Einzelnen informiert über Entstehung und Autorschaft der Phantasien Silvio Viettos Kommentar zu Wackenroder : Sämtliche Werke 1, 368–374. 1316 Wackenroder : Sämtliche Werke 1, 244. Aus dem von Tieck verfassten Essay Symphonien (ebd.).

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werden können, eigentlich noch radikaler stellen. Umso bemerkenswerter ist, wie Tieck fortfährt: »Und dennoch schwimmen in den Tönen oft so individuellanschauliche Bilder, so daß uns diese Kunst, möcht’ ich sagen, durch Auge und Ohr zugleich gefangen nimmt.«1317 Die Musik selbst erzeugt also auf synästhetische Weise mentale Bilder, die der Dichter nur aufzugreifen braucht. Bereits Jean Paul und Wackenroder haben diesen Vorgang mit dem Blick auf ziehende Wolken verglichen, die gleichfalls nichts darstellen oder lehren, gerade deshalb aber die Phantasie anregen.1318 In diesen Zusammenhang gehört auch Humboldts in Kapitel IV.3.5 vorgestellte Forderung, Kunstwerke sollten ausgerichtet sein auf jene »eigne Energie unsrer Einbildungskraft, vermöge welcher sie bloss mit leeren Formen spielt, und die blossen Theile des Raumes und der Zeit in gefälligen Verhältnissen aneinander zu reihen strebt.« (HFB: 393) Nun ist zu zeigen, wie sich das romantische ›Spiel mit den leeren Formen‹ der Musik im Sinn einer enargeischen Wirkungskette metaphorisch manifestiert.1319 In Tiecks Text liest sich das (unmittelbar an das letzte Zitat anschließend) so: Oft siehst Du Syrenen auf dem holden Meeresspiegel schwimmen, die mit den süßesten Tönen zu Dir hinsingen; dann wandelst du wieder durch einen schönen, sonnglänzenden Wald, durch dunkle Grotten, die mit abentheuerlichen Bildern ausgeschmückt sind; unterirdische Gewässer klingen in Dein Ohr, seltsame Lichter gehn an dir vorüber.1320 1317 Wackenroder : Sämtliche Werke 1, 244. 1318 Im 19. Hundposttag von Jean Pauls Hesperus (1795) heißt es über Horizon, der im Freien einer Symphonie von Carl Stamitz lauscht: »Nichts rührte ihn unter einer Musik allezeit mehr, als in die laufenden Wolken zu sehen.« (Richter : Werke 1, 775, siehe Dahlhaus/ Zimmermann: Musik zur Sprache gebracht, 176). Hier verbindet eine Figur also ganz konkret die akustische und die optische Rezeption abstrakter Formen, um die Gefühlswirkung zu verstärken. Wackenroder geht in seiner ›Phantasie‹ Das Wunder der Tonkunst (Wackenroder : Sämtliche Werke 1, 205–208) einen Schritt weiter, wenn er »Wolkengestalten« als Metapher für den Eindruck von Musik einsetzt: » – Und wie? Werden hier [in der Musik] Fragen uns beantwortet? Werden Geheimnisse uns offenbart? – Ach nein! aber statt aller Antwort und Offenbarung werden uns luftige, schöne Wolkengestalten gezeigt, deren Anblick uns beruhigt, wir wissen nicht wie; – mit kühner Sicherheit wandeln wir durch das unbekannte Land hindurch, – wir begrüßen und umarmen fremde Geisterwesen, die wir nicht kennen, als Freunde […].« (Wackenroder: Sämtliche Werke, 206). Die Anregung der Phantasie durch Wolken galt schon in der Renaissance als Hinweis auf den schöpferischen Anteil des Kunstrezipienten, so dass die Analogie zwischen einer gewissermaßen abstrakten Naturkunst und absoluter Musik nahelag (siehe Gombrich: Art and Illusion, 181–202). 1319 Humboldt deutet eine solche Wirkung zwar nicht am Beispiel von Musik an, wohl aber anlässlich der Lektüre von Goethes schwer zu deutendem, kreativ mit Bildmotiven spielenden Märchen, über das er an Schiller schreibt, es versetzte »die Phantasie in eine so bewegliche, oft wechselnde Szene, in einen so bunten, schimmernden und magischen Kreis, daß ich mich nicht erinnere, in einem deutschen Schriftsteller sonst etwas gelesen zu haben, das dem gleichkäme« (Humboldt/Schiller I: 222, siehe Kost: Humboldt, 282). 1320 Wackenroder : Sämtliche Werke 1, 244.

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Für die Metaphorik dieser Passage sind dieselben Bildfelder konstitutiv wie für das oben analysierte spätere Sonett Gesang: das Bildfeld des Wassers, das bereits in der einleitenden Formulierung vom ›Schwimmen‹ der Bilder in den Tönen anklang, sowie das Bildfeld des Lichtes. Beide bringen allerdings in assoziativer Weise Bilder hervor, die nicht in ihnen aufgehen: das Bild der Sirenen, deren Gesang die magische Wirkung der Musik impliziert, und das Bild des von der Sonne beschienenen Waldes. Diesem hellen Lichteindruck ist die Dunkelheit der Grotten entgegengesetzt, die allerdings noch immer hell genug erscheinen, ›abenteuerliche Bilder‹ zu zeigen. Diese Formulierung verweist nach dem Prinzip der mise en abyme auf das hier ausgeführte Thema der durch die Musik erzeugten mentalen Bilder, die in sprachliche Bilder übersetzt sind, und verweist damit auf das Prinzip der enargeischen Wirkungskette. Dass sich das Bildfeld des Wassers nicht nur in Tiecks von Vokalmusik angeregtem Sonett mit dem Motiv des Singens verbindet, sondern auch in einem Text, der von Instrumentalmusik handelt, ist im Hinblick auf Mimen-Ekphrasis von besonderem Interesse, nämlich für die Evokation von Deklamation. Bereits in der Spätantike ist das Bild vom ›Redefluss‹ (flumen orationis, flumen verborum) ein Topos für Beredsamkeit,1321 und noch, wenn Churchill über die Rezitation Arthur Murpheys spottet: »His voice, in one dull deep unvaried sound,/ Seems to break forth from caverns under ground« (CR: 567), ist als positives Gegenbild ein Fluss zu denken, der sich unbehindert im Freien bewegt.1322 Selbst Böttiger, der normalerweise nicht zu kühnen sprachlichen Bildern neigt, gewinnt diesem Topos eine bemerkenswerte Variante ab, wenn er beschreibt, wie Iffland als Egmont gegenüber Wilhelm von Oranien die Greuel eines Aufstandes ›ausmalt‹.1323 Die Passage beginnt mit dem Zitat von Egmonts Rede, an die eine Beschreibung von Ifflands Sprechtechnik anschließt: »Ruhig sieht der Soldat wohl im Felde seinen Cameraden hinfallen: aber den Fluss herunter werden dir die Leichen der Bürger, der Kinder, der Jungfrauen entgegen schwimmen, dass du mit Entsetzen da stehst, und nicht mehr weisst, wessen Sache du verheidigst, da die zu Grunde gehen, für deren Freyheit du die Waffen ergreifst.« Hier durchlief die Stimme im steigenden, immer heftiger rollenden Affect den ganzen Umfang der ihr zu Gebote stehenden Töne. Wir erblickten in ihrem daher rauschenden, unaufhaltsam fortbrausenden Strome selbst die Leichen der Bürger, der Kinder, der Jungfrauen. (BEIS: 360f.) 1321 Siehe Curtius: Europäische Literatur, 361. 1322 Siehe II.4.2 (dort konzentriert sich meine Interpretation allerdings auf das in den nächsten Versen folgende Wortspiel mit »chest«). Der Romantiker Tieck dagegen kann das Bildmotiv des Wassers in der Tiefe positiv wenden: »unterirdische Gewässer klingen in dein Ohr«. 1323 Goethe: Egmont 1.10, siehe SW 3: 676. Böttiger spricht ausdrücklich vom »schreckbare[n] Gemählde von den Mordscenen des Kriegs« (BEIS: 359) und vom »schauderhafte[n] Gemählde« der Rede (BEIS: 360).

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Böttiger verbindet also den Topos vom ›Redefluss‹ mit dem im Text thematisierten Fluss, um die enargeische Wirkung der Deklamation zu evozieren; so wird es ihm möglich, die Rede selbst nicht nur als sichtbar machend, sondern als synästhetisch sichtbar vorzustellen. Immerhin sind der optische Eindruck des Stromes und der akustische Eindruck einer Rede durch die Grundvorstellung einer linearen Bewegung verbunden. Synästhetisch kühner ist daher das von Tieck komplementär gebrauchte Bildfeld des Lichts für Klangeindrücke. Eine besonders Variante dieser Licht-Metaphorik findet sich in E.T.A. Hoffmanns Erzählung Don Juan, die 1812 entstand1324 und in die Phantasiestücken in Callot’s Manier von 1814 aufgenommen wurde. Beschrieben wird der erste Eindruck des Gesanges von Donna Anna in der ersten Szene einer fiktiven Aufführung von Mozarts Don Giovanni: »Und nun – welche Stimme! Non sperar se non m’uccidi. – Durch den Sturm der Instrumente leuchteten, wie glühende Blitze, die aus ätherischem Metall gegossenen Töne!«1325 Einen Sturm als Bildspender für Orchestermusik zu verwenden, war vergleichsweise naheliegend, insofern die instrumentale Imitation eines Sturms einen beliebten Operneffekt darstellte.1326 Ungewöhnlicher ist es, den stummen optischen Eindruck von Blitzen für menschlichen Gesang zu verwenden, zumal dieses Bild ja gerade nicht den Eindruck des Fließens vermittelt.1327 Noch kühner wird die Metapher durch den Zusatz, diese »Blitze« bzw. »Töne« seien ›aus ätherischem Metall gegossen‹. Aus der Perspektive dieser Studie erscheint nun besonders bemerkenswert, dass die Licht-Metaphorik bereits vorbereitet ist in der Beschreibung der körperlichen Erscheinung Annas beziehungsweise ihrer Darstellerin bei ihrem ersten Auftreten: Da stürzte Don Juan heraus; hinter ihm Donna Anna, bei dem Mantel den Frevler festhaltend. Welches Ansehn! Sie könnte höher, schlanker gewachsen, majestätischer im Gange sein; aber welch ein Kopf! – Augen, aus denen Liebe, Zorn, Haß, Verzweiflung, wie aus Einem Brennpunkt eine Strahlenpyramide blitzender Funken werfen, die, wie griechisches Feuer, unauslöschlich das Innerste durchbrennen! des dunklen Haares aufgelöste Flechten wallen in Wellenringen den Nacken hinab. Das weiße

1324 Hoffmann: Sämtliche Werke 1, 695–79, zur Entstehungsgeschichte siehe ebd. 1300f. 1325 Hoffmann: Sämtliche Werke 2.1: 84f. »Hoffe nicht, es sei denn, du tötest mich, [daß ich dich je entkommen lasse]« (ebd. 686 [Komm.], siehe Mozart: Don Giovanni I.1). 1326 Zum Beispiel zu Beginn der Ouvertüre zur Oper Iphig8nie en Tauride des von Hoffmann bewunderten Gluck. 1327 Immerhin findet sich auch in Tiecks oben vorgestelltem Sonett Gesang der Vers »Er [der Ton] zuckt wie Liebesblitze in den Wellen«. Dieses Bild stellt aber nur einen späten Moment (V. 11) in der langen metaphorischen Entwicklung der Lichtmetaphorik dar, die gleichermaßen den Klangeindruck wie die Liebesekstase des Sprechenden vermittelt.

Romantische Mimen-Ekphrasis?

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Nachtkleid enthüllt verräterisch nie gefahrlos belauschte Reize. Von der entsetzlichen Tat umkrallt, zuckt das Herz in gewaltsamen Schlägen.1328

Obwohl Hoffmann diverse Aspekte der Körperlichkeit benennt, werden doch ganz besonders die Augen hervorgehoben, deren traditionell als zentral verstandene Bedeutung für mimischen Affektausdruck und Affektübertragung immer wieder in dieser Arbeit deutlich wurde. Vier intensive, teilweise widersprüchliche Affekte werden asyndetisch aneinandergereiht – die metaphorische Behauptung, dass sie alle wie eine »Strahlenpyramide« aus dem »Einen Brennpunkt« der Augen kämen, entgrenzt die Körperlichkeit in geradezu grotesker Weise, und der anschließende Vergleich mit einem ›griechischen Feuer‹ löst sich vollends von der Funktion, Aussehen und Affekte der Darstellerin zu veranschaulichen; stattdessen wird in einer superlativischen Wendung die Wirkung auf den Sprecher beziehungsweise auf die Zuschauer thematisiert. Erst dann wendet sich die Beschreibung wieder der Darstellerin zu: Im Vergleich des aufgelösten Haares mit »Wellenringen« kommt kurz das Bildfeld des Wassers ins Spiel, das in Tiecks musikalischen Ekphrasen das Bildfeld des Lichtes ergänzt. Hier unterstützt es den Eindruck der ›Auflösung‹ konkreter Körperlichkeit durch heftige Affekte. Zur ›Auflösung‹ der Haare kommt die ›Enthüllung‹ von Annas weiblichen Reizen (bzw. denen ihrer Darstellerin), wobei das Kostüm metaphorisch zum Komplizen des ›verräterischen‹ Don Giovanni wird. Damit einhergehend wird der Zuschauer nicht nur zum Mitleidenden, sondern auch zum Voyeur, für den ebenfalls gilt, dass er diese Sängerin (und diese Oper) nicht ›gefahrlos belauscht‹.1329 Die Auflösung körperlicher Konturen unter dem Vorzeichen extremer Affekte und ihrer Wirkung zeigt sich schließlich auch in der Doppeldeutigkeit der Formulierung vom »in gewaltsamen Schlägen« zuckenden Herzen: Einerseits liegt es nahe anzunehmen, dass das Herz der Darstellerin gemeint ist, zumal sein heftiges Schlagen durch das »weiße Nachtkleid« sichtbar sein könnte. Andererseits aber wäre dann das Possessivpronomen ›ihr‹ zu erwarten – sein Fehlen erlaubt es, »das Herz« auch auf den Zuschauer zu beziehen. Wie Tieck bedient sich Hoffmann also einer Metaphorik, die nicht etwas konkret Sichtbares veranschaulicht, sondern etwas Nicht-Sichtbares evoziert; anders als Tieck jedoch evoziert er so nicht allein akustische Eindrücke, sondern transformiert auch die Erscheinung der Sängerin in einer Weise, die der Vorstellung ›malerischer Mimik‹ oder ›belebter Plastik‹ geradezu entgegengesetzt ist. Dies gilt zumal, wenn sich die Metaphorik im Sinn des Übertragbarkeitsmodells (III.2.5) an antiken Kunstwerken orientiert; mit ihnen verglichen ist 1328 Hoffmann: Werke 2.1, 84. 1329 Es kann hier nur darauf verwiesen werden, dass das hier angelegte Motiv in der weiteren Erzählung fortgeführt wird, indem der Ich-Erzähler vermeintlich der Sängerin begegnet, tatsächlich aber ihrem Geist – die körperliche ›Auflösung‹ vollendet sich in ihrem Sterben.

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

Hoffmanns Darstellung tatsächlich in Callot’s Manier gehalten.1330 Die sich hier andeutenden Möglichkeiten einer prononciert romantischen Mimen-Ekphrasis wurden allerdings in Texten auf nicht-fiktionale Bühnenkünstler1331 kaum weiterentwickelt –1332 im Folgenden soll geprüft werden, ob Schlegels Schauspielerinnen-Gedichte Züge solcher ›poetischer Kunstbeschreibung‹ zeigen.

5.3

A.W. Schlegels Schauspielerinnen-Gedichte als ›poetische‹ Mimen-Ekphrasen

Nicht von ungefähr gelten gleich vier von Schlegels Schauspielerinnengedichten der 1760 geborenen Friederike Bethmann, die seit ihrer zweiten Heirat im Jahr 1805 Friederike Unzelmann hieß und fortan, wie in der Sekundärliteratur üblich, als Bethmann-Unzelmann bezeichnet wird. Sie genoss, wie bereits im Zusammenhang mit der Rezension der Berliner Ion-Aufführung erwähnt (IV.4.1), das Wohlwollen Goethes, dessen Stilprinzipien sie teilweise aufnahm, aber auch die Verehrung der Berliner Romantiker um ihre Freundin Rahel Varnhagen; ja sie wurde sogar als »Schauspielerin der Romantik« gepriesen.1333 Ob dieses Urteil gerechtfertig ist, hat Irmgard Laskus 1927 untersucht, gestützt auf eine Fülle prosaischer Mimen-Ekphasen, die sich im bisher skizzierten Feld zwischen 1330 Siehe Hoffmanns der Sammlung vorangestellten Essay Jaques Callot, der mit den Worten schließt: »Könnte ein Dichter oder Schriftsteller, dem die Gestalten des gewöhnlichen Lebens in seinem innern romantischen Geisterreiche erscheinen, und der sie nun in dem Schimmer, von dem sie dort umflossen, wie in einem fremden wunderlichen Putze darstellt, sich nicht wenigstens mit diesem Meister entschuldigen und sagen: Er habe in Callot’s Manier arbeiten wollen?« (Hoffmann: Werke II.1: 17f., hier 18, zur Bedeutung des Titels siehe Hartmut Steineckes Kommentar ebd. 581–595, 606–609). Nach Auskunft seines Verlegers Carl Friedrich Kunz hatte Hoffmann ursprünglich den Titel Bilder nach Hogarth erwogen (siehe 585f.). Dass er ihn verwarf, mag auch damit zu tun haben, dass Hogarths Figuren nur mit einer gewissen Mühe in einem »romantischen Geisterreiche« vorstellbar sind. 1331 Hoffmann hatte mit Elisabeth (eig. Eva Maria) Röckel, welche die Partie in der Bamberger Don Giovanni-Inszenierung vom Oktober 1810 sang, durchaus ein konkretes Vorbild vor Augen, verlieh seiner Figur aber auch Züge der Geliebten Julia Mark, die viele seiner frühen Frauenfiguren inspirierte (siehe Hoffmann: Sämtliche Werke 2.1, 674ff. [Komm.]). 1332 Am nächsten kommt der Hoffmann’schen »Manier« vielleicht eine Formulierung Heinrich Heines am Ende des sechsten Briefes Über die französische Bühne von 1837, die sich auf Edmund Kean bezieht: »Da gabs Modulationen in seiner Stimme, die ein ganzes Schreckenleben offenbarten, da gab es Lichter in seinem Auge, die einwärts alle Finsternisse einer Titanenseele beleuchteten, da gab es Plötzlichkeiten in der Bewegung der Hand, des Fußes, des Kopfes, die mehr sagten als ein vierbändiger Kommentar von Franz Horn.« (Heine: Werke 3: 273) Ansonsten bewegt sich die »Manier« des mit diesem Satz abgeschlossenen Vergleichs von Fr8d8ric Lema%tre und Kean (ebd. 272f.) etwa zwischen den ekphrastischen Mitteln Lichtenbergs (II.4) und Tiecks (IV.5.1). 1333 Laskus: Bethmann-Unzelmann, 3.

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Romantische Mimen-Ekphrasis?

sensualistischer Detailbeschreibung und klassizistischer oder romantischer Ganzheits-Beschwörung bewegen, und auf Aufführungsskizzen der Gebrüder Henschel. Laskus kommt zu dem Schluss, daß man einen eigentlichen schauspielerischen »Stil« bei der B.-U. kaum nachweisen kann, wenn man darunter eine feste Einordnung in eine der bestehenden Stilrichtungen versteht. […] Will man aber die schauspielerische Eigenart der B.-U. als ein Kompositum ansehen, das nach verschiedenen Richtungen hin verwurzelt ist, so kann man ausgehen von der Hauptquelle ihrer Kunst, dem romantischen Individualitätsprinzip. Dazu kommt eine starke Betonung des Gefühls, intensives Erfassen und Erleben – parallel dazu ein Zug zur Reflexion und zu ironisierender, blitzender Geistreichigkeit. Das alles sind Merkmale, die durchaus auf eine enge Verwandtschaft mit dem Lebensgefühl der Romantiker hinweisen. Dem steht gegenüber das von Weimar kommende klassizistische Moment, die Prinzipien von Größe und Harmonie, die Möglichkeit einer Stilisierung des Spiels.1334

Hier soll es allerdings weniger um Bethmann-Unzelmanns Stil gehen, als um die Frage, wie weit dieser mit dezidiert ›poetischen‹ Mitteln, vielleicht sogar mit romantischer Profilierung, evoziert wird (Entsprechendes gilt für Gedichte auf die Schauspielerinnen Sophie Müller und Henriette Hendel-Schütz sowie die junge Attitüden-Künstlerin Ida Brun). Als Ausgangspunkt kann Schlegels wohl aus dem Jahr 1800 stammendes Widmungsgedicht An Friederike Unzelmann bei Uebersendung meiner Gedichte1335 dienen, das explizit das Verhältnis von Schauspielkunst und Lyrik thematisiert und sich gleich eingangs implizit von Schiller absetzt: Der Dichter will zur fernen Nachwelt dringen, Doch auf den todten Blättern schläft sein Lied, Bis eine seelenvolle Stimm’ es weckt Und freundlich in der Hörer engem Kreiße Für ihn um einen stillen Beifall wirbt. Der Bühne Kunst glänzt vor der Mitwelt Augen, Die Zauber einer fremden Welt umstrahlen Den Augenblick des Jubels, der Entzückung, Und tausend hingeriß’ne Herzen glüh’n. Doch ach! sie lebt nur in des Künstlers Leben, Und sein unsterblich Werk stirbt hin mit ihm. Die Nachwelt muß die schönen Wunder glauben, Die sie nicht sah; kein Bild, kein schildernd Wort Vermag des Lebens zarten Hauch zu faßen, Die mächt’ge hochbeseelte Gegenwart. (ASSW 1: 240, V. 1–15)

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1334 Laskus: Bethmann-Unzelmann, 80. 1335 In diesem Jahr erschienen jedenfalls Schlegels Gedichte; das Widmungsgedicht selbst wurde erstmals 1846 in der hier zitierten Ausgabe von Böcking veröffentlicht.

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

Deutlich variiert dieser Beginn die berühmte, ebenfalls in Blankversen formulierte Klage aus Schillers Wallenstein-Prolog, dem Mimen flechte »die Nachwelt keine Kränze« (SSW 2: 277, V. 41; siehe Einf. 1). Anders als bei Schiller jedoch wird ein doppelter Wirkungsbereich der Adressatin angesprochen: Zunächst ist es ihre »seelenvolle Stimm’«, die »freundlich in der Hörer engem Kreiße/ […] um einen stillen Beifall wirbt« (V. 3f.) – es könnte sich um eine Lesung der berühmten Rezitatorin im Salon handeln, zumal ein »Lied« (V. 2) ›geweckt‹ wird, kein Drama oder ›dramatisches Gedicht‹.1336 Dann erst wird der Wirkungsbereich ausgedehnt zur großen Bühne vor »tausend« Zuschauern (V. 9); damit einhergehend ist, wenn auch vage, von ›Bühnenkunst‹ im umfassenderen Sinn die Rede und von den durch sie erregten intensiven Reaktionen ›Jubel‹ und ›Entzückung‹ (V. 8). Noch bedeutsamer ist ein weiterer Unterschied zu Schillers Versen: Schlegel spricht das Modell der enargeischen Wirkungskette an. Schauspielkunst ›verlebendigt‹ das Werk des Dichters (konkret die Titelrolle von Schlegels Ion, siehe III.3.4), der deshalb, wie in Goethes Euphrosyne, verpflichtet ist, die Kette in die Zukunft hinein zu erweitern: Drum ist des Dichters Pflicht, davon zu zeugen, Denn er allein entflammt die Phantasie, Daß sich in ihr Gestalten frisch bewegen Von nie geseh’nen Dingen: und so weckt er In fernen ungebor nen Menschenaltern Zuschauer noch dem Liebling der Thalia. (ASSW 1: 240, V. 16–21)

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Diese Formulierung entspricht strukturell recht genau der zu Beginn dieses Intepretationsteils (IV.1.1) diskutierten Vorstellung von Karl Philipp Moritz, Kunstwerke ließen sich »immer nur mittelbar durch Worte« der »Dichtkunst« ›beschreiben‹, die »manchmal eine Welt von Verhältnissen in sich begreifen müssen, ehe sie auf dem Grund ihres Wesens dasselbe Bild vollenden können, das von außen auf einmal vor unseren Augen steht« (MFA 2:999); eine romantische Akzentuierung mag man in Schlegels Betonung der schöpferischen »Phantasie« (V. 17) sehen. Damit ist der enargeische Anspruch von MimenEkphrasis in ehrgeiziger Weise formuliert – umso erstaunlicher wirkt das folgende Bekenntnis: Beschämt biet’ ich dir diese Lieder an, Wovon sich keins noch an dein Lob gewagt. (ASSW 1: 241, V. 22f.)

1336 Zu Bethmann-Unzelmanns Deklamationskunst siehe Laskus: Bethmann-Unzelmann, 76.

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Romantische Mimen-Ekphrasis?

Doch erweisen sich diese Verse im Folgenden gewissermaßen als retardierendes Moment vor einem abschließenden Musenanruf, der – nach einem schon in der Funeral Elegy und noch in der Euphrosyne wirkenden Muster – wiederum der Schauspielerin gilt: Wenn ich es leis’ und schüchtern wohl versuchte, Nahmst du die Huldigung, die dir gebührt, Des abgedrungenen Gefühls Tribut, Wohlwollend auf wie eine freie Gabe. Wär’ dieß ganz deiner würdig mir gelungen, So hätt’ ich wohl den schönsten Sieg errungen: Denn aller Gunst ist sicher das Gedicht, Das deinen Geist in holder Bildung spricht; Der Grazien Geheimniß wird’s entfalten, Und sichtbar eine Muse drinnen walten. (ASSW 1: 241, V. 24–33)

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Dass die letzten sechs Verse gereimt sind1337 (und die Verse 30–32 von ›g‹Alliterationen geprägt), hat Signalcharakter : Es geht hier ausdrücklich um ›poetische Beschreibung‹ als »Gedicht« (V. 30). Die Formulierung, dass es »deinen Geist in holder Bildung spricht« (V. 31), ist grammatisch doppeldeutig: Es könnte heißen, dass sich der »Geist« der Schauspielerin mit der in vielen Kritiken gerühmten körperlichen ›Bildung‹ Unzelmanns verbindet und das Gedicht beidem gerecht werden soll; »in holder Bildung« könnte sich aber auch adverbial auf die Weise beziehen, in der das Gedicht über ihren »Geist« »spricht«. In beiden Fällen übernimmt die Lyrik einen Aspekt von actio, der in den Eingangsversen herausgehoben wurde: Es »spricht« die Schauspielerin, deren »seelenvolle Stimm« das Werk des Dichters sprach. Allerdings scheint zumindest dieses Gedicht eher in allgemeinen Wendungen wie »[d]er Grazien Geheimnis« (V. 32) ›sprechen‹ zu wollen als konkret zu beschreiben oder metaphorisch zu evozieren. Metaphorik, die die »Phantasie« der Leser entflammt (V. 17), scheint dagegen zentral zu sein für das Gedicht Das Feenkind. An die Schauspielerin Friederike Bethmann, das in Schegels Gedichten direkt vor dem eben besprochenen Widmungsgedicht steht (ASSW 1: 235–239).1338 Gleichzeitig verweist der Gedichttitel auf jene mimische Verwandlungsfähigkeit, die in Kapitel II.3.3 als 1337 Wichtigstes Vorbild für diesen Wechsel vom Blank- zum Reimvers an bedeutsamen Stellen dramatischer Versrede ist Shakespeare, dem hierin etwa Schiller in seinen historischen Dramen nacheifert (z. B. am Ende von Szene I.7 in Wallensteins Tod, V. 660–664, SSW 2: 430). 1338 Dem Inhaltsverzeichnis zufolge erschien es 1801, ein Jahr nach dem Widmungsgedicht (ASSW 1: IX), und muss, wenn die Apostrophierung in der Überschrift kein Versehen ist, sogar nach 1805, dem Jahr der Heirat mit Heinrich Eduard Bethmann, entstanden sein.

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

›Proteus-Ideal‹ charakterisiert wurde. Dass Schlegel nicht den topischen Vergleich mit der antiken Sagengestalt wählt, sondern mit einem märchenhaften »Feenkind«, verweist auf die grazile Gestalt der Schauspielerin: Ich kannt’ ein seltsam Feenkind Es war so klein und zart, Und wechselte wie Luft und Wind Gestalt und Sinnesart. Dem Feenkinde nur gefällt Was Spiel ist bunt und kraus; So zog es durch die weite Welt Auf Zaubereien aus. Es schien ein feiner Knabe bald, Und bald ein zierlich Weib; Nun knapp umschließt, nun frei umwallt Gewand den schlanken Leib. (ASSW 1: 235, V. 1–8)

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Nicht nur um die »Gestalt« der Mimin geht es also, deren Wandlungsfähigkeit durch die Kontrastierung von engem Männer- und weitem Frauenkostüm veranschaulicht wird, sondern auch um ihre »Sinnesart«, die in der kindlichen Freude am Rollenwechsel eher dem Bild einer Komödiantin entspricht als dem einer Tragödin. Dazu gehört eine gewisse Freude am Schmuck, die aber eher eine an der Verkleidung ist: Bald wählt sie Edelstein und Gold, Der Stickereien Pracht, Das Reichste, was die Erde zollt, Scheint nur für sie gemacht. Doch giebt ihr nichts der fremde Glanz, Er leiht den Reiz von ihr : Ihr Haar ist der Juwelen Kranz, Ihr Arm der Spange Zier.

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Bald, wie die Blumen auf der Au, Thut sie auf Schmuck Verzicht; Und es beschämt der Augen Blau Nur dasa Vergissmeinnicht. (ASSW 1: 235f., V. 14–24)

Obwohl immerhin die Schönheit konkreter Körperpartien – Haare, Arme, Augen – hervorgehoben wird, erscheint das Lob zunächst eher geistreich als anschaulich. Immerhin wird deutlich, dass der »Reiz« dieser Mimim nicht in raffiniertem Geschmack, sondern im Eindruck von Natürlichkeit bestanden haben soll. Für zeitgenössische Leser waren die Verse zudem eine Anspielung

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Romantische Mimen-Ekphrasis?

darauf, dass Bethmann-Unzelmann großen »Wert auf Wirkung durch ein geschmackvolles Kostüm« legte und »in Toilettenfragen tonangebend in der Hauptsadt war«, man ihr aber auch nachrühmte, »daß sie sich mit dem zur Rolle gehörenden Gewand nicht nur behängte, sondern daß der Körper sich vollkommen mit ihm verband, daß es geradezu mitspielte und die Bewegungen unterstrich«.1339 Auf diese Andeutungen der Gesamtwirkung von »Gestalt und Sinnesart« Bethmann-Unzelmanns folgt eine Strophe, die einen weiteren Vorzug des sprachlichen Bildes vom »Feenkind« gegenüber dem von Proteus ausspielt: Ein Feenkind kann nicht nur sich, sondern auch andere verwandeln. Verwandelt und verwandelnd eilt Sie weit durch Zeit und Raum. Erfreut, betrübt, verwundet, heilt, Und wie, das weiß man kaum. (ASSW 1: 235f., V. 25–28)

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Die Verwandlung anderer besteht in der Erzeugung positiver wie negativer Affekte und sogar körperlicher Verwundungen, die ihrerseits Metaphern für gesteigerte Affekte sein könnten. Beziehen sich also diese Wirkungen allein auf die Mitspieler oder auch auf das Publikum? Und steht die Beteuerung »Und wie, das weiß man kaum« einer Nennung konkreter mimischer Mittel entgegen? Diese Fragen sind an den Rollenkatalog zu richten, zu dem die Strophe überleitet: Jetzt hoch an Sinn und edlem Blut Winkt sie, ein Rittersweib, Vom Helmbusch ihren Knappen Muth, Und fällt des Feindes Leib. Als Alpenhirtin scherzt und singt Sie munter bei der Müh, Und in ihr kleines Hüttchen dringt Der Liebe Kummer nie; Der jetzo sie in irrem Wahn Durch Hain und Wildnis treibt: Sie sieht nicht den Geliebten nahn, Sie fragt noch, wo er bleibt. Im Wunderland als Wilde dann, Mit hüpfend leichtem Tritt, Neckt sie den eifersücht’gen Mann Und alle Männer mit. 1339 Laskus: Bethmann-Unzelmann, 79.

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456 Ist jetzt des Helden liebend Herz, Der kühn um Nachruhm wirbt; Und flieht als Freiheit himmelwärts, Da er für Freiheit stirbt. Sie wohnt als fromme Königin Im Kerker, still und groß; Und jeder stürzte willig hin Für sie zum Todeslooß. (ASSW 1: 236f., V. 26–48)

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Zunächst ist festzuhalten, dass hier (anders als etwa in der Burbage-Elegy) keine Namen von Rollenfiguren oder Dramen genannt werden, sondern Typen, die auf ein weites Repertoire hinweisen: »Rittersweib« (V. 30), »Alpenhirtin« (V. 33), »Wilde« (V. 41), »fromme Königin« (V. 49) und sogar Allegorie der »Freiheit« (V. 48). Dass die »fromme Königin« die Titelheldin von Schillers Tragödie Maria Stuart meint und sich die »Freiheit« auf Kärchen bezieht, von der Egmont im Kerker träumt, mag immerhin auch ein heutiger Leser erraten.1340 Nahe liegt die Vermutung, dass sich hinter dem »Rittersweib« die Titelrolle der Jungfrau von Orleans verbirgt; diese Rolle vergab Iffland allerdings trotz Schillers Fürsprache nie an Bethmann-Unzelmann, und die Verse spielen wohl auf die Titelrolle in Kotzebues Johanna von Montfaucon an, die sie vierzigmal verkörperte.1341 Doch funktioniert die Beschreibung bis zu einem gewissen Grad auch ohne Kenntnis der Rollen, da Grundzüge der Handlung kurz erzählt werden, und zwar mit besonderem Augenmerk auf die ›Verwandlung‹ männlicher Figuren: Sie werden zum Kampf angestachelt (V. 30ff.) und sogar zum Opfertod (V. 45–48; 51f.), aber auch eifersüchtig gemacht (V. 41–44) oder in der Schlacht getötet (V. 32). Wenn es allerdings heißt, als »Wilde« habe sie nicht nur einen, sondern »gleich alle Männer mit« (V. 44) entzückt und zur Eifersucht getrieben, mag dies auch auf die Reaktion männlicher Zuschauer anspielen, und im Fall der Beteuerung, jeder würde willig für die gefangene Maria Stuart sterben (V. 52), ist dies unzweifelhaft, da es in der Tragödie ja allein auf Mortimer zutrifft. Im Gegensatz zu diesen Rollen scheinen die beiden Strophen über die »Alpenhirtin« von einer ›Verwandlung‹ der Figur selbst zu berichten: Ein heiterunschuldiges Naturkind erfährt schließlich doch »[d]er Liebe Kummer« (V. 36), der sich zu »irrem Wahn« steigert (V. 37). Diese Interpretation liegt jedenfalls nahe, weil hier erstmals ein Satz zwei Strophen (und gleichzeitig die beiden gegensätzlichen Szenen) umfasst und sich das »sie« des Nebensatzes (V. 37) anscheinend auf die »Alpenhirtin« (V. 33) zurückbezieht. Doch beziehen sich die 1340 Bethmann-Unzelmanns Berliner Rollen sind aufgelistet in Laskus: Bethmann-Unzelmann, 86–99. 1341 Vgl. Laskus: Bethmann-Unzelmann, 30f.; 93.

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Verse 37–40 auf eine Adlige, eine Paraderolle Bethmann-Unzelmanns: die Titelfigur des Singspiels Nina oder Wahnsinn aus Liebe nach der 1786 uraufgeführten Oper in einem Akt Nina, ou la folle par amour. Nachdem Ninas Geliebter Holm im Duell mit seinem Rivalen gefallen zu sein scheint, wartet sie jeden Morgen im Garten auf ihn, doch als er tatsächlich zurückkehrt, erkennt sie ihn zunächst nicht; es bedarf erst der Heilkraft seines Kusses.1342 Das »sie« der Verse 34, 37 und 39f- bezieht sich also auf das »Feenkind«, das flugs zwischen zwei völlig gegensätzlichen Rollen wechselt. Was das konkrete mimische Spiel angeht, werden einige Aktionen – vom Zuwinken bis zum Wohnen im Kerker – teils nur angegeben, teils adverbial mit Blick auf ihren Eindruck charakterisiert, wenn auch recht stereotyp: Das Winken der ritterlichen Kämpferin ist »hoch an Sinn und edlem Mut« (V. 29), das Singen und Umherspringen der Hirtin »munter bei der Müh« (V. 34), das Wohnen im Kerker »still und groß« (V. 50). Am deutlichsten auf konkrete Aktion bezogen ist die Charakterisierung des Neckens »[m]it hüpfend leichtem Tritt« (V. 42) – gemeint dürfte Bethmann-Unzelmanns Paraderolle der lebhaften Inderin Gurly in Kotzebues Lustspiel Die Indianer in England sein, die mit ihrer entwaffnenden, zutiefst unbritischen Unbefangenheit die Männerwelt bezaubert.1343 Da diese »Wilde« nur zwei Strophen nach der »Alpenhirtin« erwähnt wird, die trotz aller Arbeit »scherzt und singt« (V. 33), dominiert diesen Rollenkatalog der Eindruck von einer »Kindlich-Naiven«,1344 entsprechend der Leitmetapher vom »Feenkind«. Die darauf folgenden Rollen der Freiheitsheldin und der »fromme[n] Königin« (V. 49) werden wiederum recht allgemein charakterisiert – entscheidend bleibt der Eindruck des schnellen Wechsels zwischen gegensätzlichen Charakteren und ›Sinnesarten‹. Dies gilt sogar für die Darstellung einer Rollenfigur (wohl Ophelia),1345 die sich zu Tode grämt: Jüngst kam sie, gramzerrüttet ganz, Bald trug man dann den Sarg, Der unter Blumen, unterm Kranz Das blühn’de Leben barg.

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1342 Eine Analyse der Quellen zu Unzelmanns Verkörperung (ohne Schlegels Gedicht) bietet Laskus: Bethmann-Unzelmann, 36–41. 1343 Siehe zu dieser 1789 uraufgeführten, überaus erfolgreichen Komödie Maurer: Kotzebue, 135–142. 1344 »Gurly ist die erste Rolle der nach ihr geschaffenen großen Reihe der ›Kindlich-Naiven‹, der Charakter eines Naturkindes von einer solchen Harmlosigkeit, daß es schon an unglaubliche Einfalt grenzt.« (Laskus: Bethmann-Unzelmann, 68) Im Gegensatz zu diesem harschen Urteil arbeitet Tom Kindt zutreffend heraus, »dass Gurlis Verhalten in ihrem unverbildeten, aber keineswegs kindischen Blick auf Menschen und Dinge gründet« was das Publikum sehr wohl erkannt und goutiert hat (226ff., hier 227). 1345 Vgl. Laskus: Bethmann-Unzelmann, 41–44.

458 Ach, soll’s unwiderruflich sein? So bangte mir das Herz. Zu schaudervoll ist dieser Schein, Zu grausam dieser Scherz.

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Doch ist umsonst mit Feenmacht Die Holde nicht begabt: In frischer Jugend morgen lacht, Die heute ihr begrabt. (ASSW 1: 237., V. 53–64)

Erstmals wird hier explizit das »Ich« des Gedichtanfangs wiederaufgenommen, um das in der Burbage-Elegie (II.2.2) wie in Goethes Euphrosyne (IV.2.3) umspielte Paradox des lebendig dargestellten Todes in seiner Wirkung auf den Sprecher zu vergegenwärtigen. Doch dies ist keine Trauerelegie, sondern ein Widmungsgedicht, und so siegt hier die »frische[] Jugend« (V.63). Damit wendet sich der Sprecher der Künstlerin jenseits der Bühne zu und würdigt ihre menschlichen Qualitäten: Dem Wechsel, der sie sonst erfreut, Setzt sie wohl selbst ein Ziel: Ein leichter Wink von ihr zerstreut Der Bühne Gaukelspiel. Klug, sittig, edel, schlingt sie nun Der Freundschaft zartes Band. Das, sag ich, ist ihr wahres Thun, Das Ruh hat und Bestand. (ASSW 1: 237., V. 65–72)

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Hier ist die ›schöne Seele‹ angesprochen, die im 18. Jahrhundert »als Ideal authentischer Kommunikation im Gegensatz zur ›Scheinwelt‹ des höfisch orientierten Lebens« gefeiert wurde.1346 Mit der Zuordnung Bethmann-Unzelmanns zu diesem Ideal könnte das Gedicht sinnfällig-feierlich enden – doch wäre dann nicht allein »[d]er Bühne Gaukelspiel« (V. 68) abgebrochen, sondern auch das gereimte Feenmärchen und auch der Dichter gewissermaßen aus der Rolle gefallen. Um dies zu verhindern, muss er seinerseits als Zauberer agieren und die Umgebung Bethmann-Unzelmanns märchenhaft ›verwandeln‹: Doch unter Zutraun, unter Scherz, Fällt oftmals nebenbei Doch der Gedanke mir aufs Herz An ihre Zauberei.

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1346 Falkenhagen: Galants hommes und schöne Seelen, 452.

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Romantische Mimen-Ekphrasis?

Die feinen Thierchen um sie her Bestärken mich darin: Sie sind nicht da von ungefähr, Das hat geheimen Sinn.

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Wenn in dem Ringe wunderlich Ihr schöner Cacadu Sich wiegt und ruft mit Namen sich: Jaquout! Jaquout! ihr zu; Wenn ihr das Möpschen ins Gesicht Aus schlauen Augen gafft; Und mit der Pfote bittend spricht, Und eifersüchtig klafft, Wenn unter der behenden Last Das Roß sich stolzer hebt; Und jeden ihrer Blicke faßt Und ihr zu dienen strebt; Dann denk’ ich: immer gleich gesinnt Sind sie, verwandelt, noch, Und tragen um das Feenkind Verschmähter Wünsche Joch. Drum hüte sich wer sie nur sieht! Mit einem Blicke bloß Weiß er nicht mehr wie ihm geschieht, Und kommt wohl nimmer los. (AWSS 1: 238, V. 73–99)

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Offenbar wird auf den Mythos der männerverwandelnden Kirke angespielt, womit sich der Verdacht bestätigt, dass sich die Formulierungen »Und alle Männer mit« (V. 44) sowie »Und jeder stürzte willig hin« (V. 51) nicht zuletzt auf die männlichen Zuschauer beziehen. Doch sind diese Formulierungen weit entfernt von jener Frivolität, mit der etwa Lichtenberg angesichts eines Porträts der Komödiantin Frances Abington »von dieser leichten Hexe« (LBE: 362) spricht (II. 5.6) – und noch deutlich genug vom zwar scherzhaften, doch auch verliebt-verletzten Ton in Goethes Spätrokoko-Gedicht Lilis Park von 1775,1347 obwohl dieses eine wichtige Anregung gewesen sein dürfte; dies zeigen die possierlichen Tierschilderungen ebenso wie die Wendung von der Warnung anderer zum persönlichen Bekenntnis:1348 1347 GFA 1, 293–296; besonders bezeichnend 293, V. 9f. »Wie hieß die Fee? – Lili? – Fragt nicht nach ihr!/Kennt ihr sie nicht, so danket Gott dafür«. 1348 GFA 1, 294, V. 45f. »›Ihr sagtet: ich! Wie? Wer?‹/Gut denn, ihr Herrn, g’radaus: Ich bin der Bär!«

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Doch warn’ ich vor Verzauberung, Und bin verzaubert schon? Stimmt sie des ernsten Liedes Schwung Nicht zum Romanzenton? So leg’ ich ihr zu Füßen dar Die leichte Melodie, Die meines Liedes Inhalt war, Und meine Muse, sie. (AWSS 1: 239, V. 101–108)

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Doch handelt es sich eben nicht um das Bekenntnis einer hoffnungslosen Liebe, sondern erneut um ein Spiel mit dem Motiv der enargeischen Wirkungskette. Entsprechend lässt die letzte Strophe keinen Zweifel daran, dass das vorhergegangene Spiel mit der Fiktion der verwandelten Tiere keine wirkliche Bosheit, sondern eine Variante der Huldigung war. Erstaunlich ist allerdings die Formulierung, die Schauspielerin bzw. das Feenkind habe »[d]es ernsten Liedes Schwung« zum »Romanzenton« umgestimmt (V. 103f.). Als ›ernstes Lied‹ lässt sich der Anfang des Gedichtes schwerlich charakterisieren; vielmehr versucht sich Schlegel im Ton der anakreontisch geprägten komischen Romanze: Auch wenn er sich der Chevy Chase-Strophe (kreuzgereimte vier- und dreihebige Jambenverse mit männlichem Reim) bedient, die ursprünglich eher für einen kriegerischen Tonfall reserviert war, deuten darauf die märchenhafte Eröffnungsformel »Ich kannt’«, das volksliedhaft verkürzte Adjektiv »seltsam« (vor »Feenkind«, V. 1) sowie die Doppelformeln »klein und zart« (V. 2), »bunt und kraus« (V. 6).1349 Die Formulierung kann sich also nur auf die beiden Strophen (V. 65–72) beziehen, die auf die Thematisierung der Totendarstellung folgen und beteuern, in Wahrheit sei das »Feenkind« »[k]lug, sittig, edel« (V. 69). Hier zeigt sich ein mit dem Proteus-Ideal verbundenes Dilemma: Einerseits stellte die Wandelbarkeit von Miminnen seit der Frühen Neuzeit und Mimen ein Faszinosum dar, andererseits erweckte es unter dem Vorzeichen bürgerlicher Aufklärungsmoral und empfindsamer Authentizitätserwartungen den Verdacht, wer in so unterschiedliche Rollen schlüpfen könne, habe keinen Charakter und gebe allenfalls einen erfolgreichen Höfling oder eine höfische Intrigantin ab, niemals jedoch einen Biedermann oder eine brave Bürgerin.1350 Deshalb war es 1349 Zum Übergang von der komischen Romanze zur ernsthaften Kunstballade siehe Singer : Gleim und Bürger als Balladendichter. Die Nähe von Schlegels Feenkind zur komischen Romanze ließe sich demonstrieren anhand der 1774 von Christian Caius Lorenz Hirschfeld herausgegebenen Sammlung Romanzen der Deutschen; siehe z. B. Daniel Schiebelers Rübenzahl mit folgender Eingangsstrophe: »Ihr lieben Freunde, hört einmal/ Was ich zu sagen habe./ Mein Lied ertönt vom Rübenzahl,/ Ich hört es schon als Knabe.« (53–59, hier 53). 1350 Vgl. Rothe: Lesen und Zuschauen, 170–174.

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auch für Böttiger wichtig zu betonen, die Darstellung einer besonders edlen Rollenfigur setze »selbst einen sehr edeln Mann voraus« (BEIS: 30; siehe III.8.1). Im Fall Bethmann-Unzelmanns kann Schlegels oben vorgestelltes Zueigungsgedicht deren Musterhaftigkeit problemlos behaupten, da es zunächst auf ihre seelenvolle Stimm’« (V. 3) abhebt, um dann nur vage von »schönen Wunder[n]« (V. 12) auf der Bühne zu sprechen. Die Metapher vom »Feenkind« rückt die potenziell verdächtige Wandlungsfähigkeit der Mimin zwar in ein positives Licht, stellt jedoch die Künstlerin außerhalb der Gesellschaft – und bringt im Übrigen mit sich, dass ihre Leistung in tragischen Rollen schwächer herausgearbeitet wird. Der Wechsel zum Tonfall »[d]es ernsten Liedes« wiederum entfaltet keinen wirklichen »Schwung« (V. 102) und muss mit Hilfe einer scherzhaften Verwandlung von Bethmann-Unzelmanns »Thierchen« (V. 77) wieder relativiert werden. Auch dieser Scherz aber kann seriöserweise nicht das letzte Wort sein – am Schluss muss das »Feenkind« wie im Widmungsgedicht zur »Muse« werden (V. 108), ob das nun metaphorisch stimmig ist oder nicht. Die im Feenkind implizit erwähnte Titelrolle des Singspiels Nina oder Wahnsinn aus Liebe hat Schlegel nochmals in einem Sechszeiler thematisiert: An Friederike Unzelmann als Nina Von des Grames Träumereien, Von verlornen Schwärmereien, Nina, wurdest du geheilt. Doch du hast die zarten Schmerzen Und den Wahn bethörter Herzen Allen Hörern mitgetheilt. (ASWS 1: 243, V. 1–6)

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Das Gedicht lässt sich als Epigramm charakterisieren, das die Struktur des Schweifreims für eine antithetische Pointierung nutzt: Die ersten drei Verse fassen die Rollenentwicklungim Sinn einer psychischen Heilung zusammen, die zweiten kontrastieren diese Entwicklung mit der Affizierung des Publikums gemäß dem Topos der Ansteckung durch Schauspielkunst.1351 Eine zusätzliche Pointe liegt darin, dass sich die »Schmerzen« der Figur in Phantasiebildern äußern, die als destruktiv gekennzeichnet sind: Wenn sich solcher »Wahn bethörter Herzen« den »Hörern« (man beachte die ö-Assonanz) ›mitteilt‹, mag das die ästhetische Illusion, die durch die Aufführung dieses Dramas vermittelt wird, in etwas zweifelhaftem Licht erscheinen lassen, doch bleibt die schauspielerische Leistung, die eine solche Illusion hervorbringt, bewundernswert, und das Epigramm ist wiederum ein Lobgedicht auf das ›Ganze‹ der Rollengestaltung und 1351 Man vergleiche Churchills Verse über Maria Cibbers Verkörperung der Alicia in Rowes Jane Shore (CR V. 787–792: 25f.; siehe II.4.4.).

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ihre Wirkung. Dass es aber als poetische Beschreibung im Sinne von Moritz mit lyrischen Mitteln »dasselbe Bild vollenden« sollte, »das von außen auf einmal vor unseren Augen steht«, ist kaum anzunehmen. Auch das Gedicht Die Schauspielerin Friederike Unzelmann an das Publikum, als sie am Schluß des Schauspiels herausgerufen wird (ASSW 1: 242) spricht nicht über Unzelmanns actio. Stattdessen lässt es die Schauspielerin sprechen und verwandelt gewissermaßen die Leser in Zuhörer. Es handelt sich nämlich um eine ihr in den Mund gelegte Rede, deren wesentliche Aussage bereits in den ersten vier Versen vorgebracht wird: Geht in Frieden nur nach Haus, Denn ich komme nicht heraus. Schreit ihr doch bei jedem Plunder, Immer gleich: heraus! heraus! (ASSW 1: 242, V. 1–4)

Die übrigen dreizehn Verse variieren dieses Thema unter Beschränkung auf die beiden vorgegebenen Reime: Tobt nicht oft das ganze Haus, Wie ein schwangrer Berg, o Wunder! Und es kommt nur eine Maus. Wer so willig kommt heraus, Käme wahrlich bald herunter. Drum, und machtet ihr’s noch bunter, Gieng’ es drüber auch und drunter, Bräch’ mit Krachen ein das Haus Von dem tollen Saus und Braus: Heute regt sich keine Maus. Meine Herrn, es wird nichts draus; Geht in Frieden, geht nach Haus! Lampenputzer, lösch’ nur aus. (ASSW 1: 242, V. 5–17)

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Außer mit den Reimen wird hier in witziger Weise mit Gegensätzen gespielt: Das Publikum möchte seine Verehrung ausdrücken für jenes »Ideal, vor dem die Bewunderung anbetet und die Liebe huldigt«1352 und das auch in Schlegels Zueignungsgedicht verklärt wird, tut dies aber in einer höchst unkultivierten Weise, die von zeitgenössischen Kritikern immer wieder getadelt wird.1353 Die Schauspielerin verweigert sich diesem Ansinnen, das sie als degradierend empfindet: »Wer so willig kommt heraus,/ Käme wahrlich bald herunter.« 1352 Gerlach: Experimentalpoetik, 155, siehe III.3.4. 1353 Siehe Heßelmann: Gereinigtes Theater?, 405–410; Iffland: Beiträge zur Schauspielkunst, 63–66.

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(V. 8f.) Sie verweigert sich nicht zuletzt einem männlichen Blick, der weniger dem ›mimischen Kunstwerk‹ gilt als der attraktiven Frau, und entsprechende Phantasien weckt: »Meine Herrn, es wird nichts draus« (V. 15)1354 Traditionell (und noch weit bis ins 20. Jahrhundert hinein) füllten Schauspielerinnen jenseits der Bühne ja oft genug die ›Rolle‹ der Prostituierten aus, und auch wo dies nicht der Fall war, entkamen sie entsprechenden misogynen Vorurteilen schwer. Erinnert sei an Lichtenbergs Porträt von Frances Abbington (II.5.5), das ihrer erotischen Wirkung auf wie jenseits der Bühne gilt, und verwiesen sei auf die diesem Thema gewidmeten Epigramme des Leopold Friedrich Günther von Göckingk (1748–1828).1355 Das Gedicht lässt sich also Moritz’ Modell einer Kunstbeschreibung als ›ästhetischer Konstellation‹ zurechnen. Allerdings verweigert sich die Darstellerin dem Ritual des Beifalls und des Herausrufens nicht etwa in gehobener Diktion, sondern in einem betont burlesken, spielerischen Tonfall. Metrum und Wortwahl verweisen auf die Schlussrede des Puck im Sommernachtstraum, den Schlegel ins Deutsche übertragen hatte; die Nähe zur Metapher vom »Feenkind« ist offensichtlich. Doch selbst Shakespeares Puck – oder auch dessen jeweiliger Darsteller, der halb aus der Rolle heraustritt – ist deutlich höflicher als die Sprecherin dieser Verse, will er doch die Zuschauer zum Applaus animieren, den die umjubelte Unzelmann abwehrt.1356 In Schlegels Gedicht ist die Sprechsituation zudem paradox: Da die Schauspielerin eben nicht mehr auf die Bühne herauskommt, kann das adressierte Publikum sie gar nicht hören. Es handelt sich also um eine Selbstvergewisserung, bei der sie von den Lesern gewissermaßen belauscht wird.1357 Diese richtet sich gegen ein öffentliches »Image« der Schauspielerin, das sie vorgeblich idealisiert, tatsächlich aber zum Objekt der Publikumsphantasie degradiert. Für die lesende »Nachwelt« wird der »Liebling der Thalia« durch diese ›ästhetische Konstellation‹ zwar weder im Hinblick auf ihre Erscheinung noch auf eine konkrete Verkörperung anschaulich (den Puck hat sie nie gespielt), wohl aber im Hinblick auf eine Eigenheit, die ihr immerhin einige Kritiker bei der 1354 Vgl. den voyeuristischen Blick des intradiegetischen Erzählers auf die Darstellerin der Donna Anna in Hoffmanns Don Juan-Erzählung (III.5.2). 1355 Z. B. Auf eine verbuhlte Schauspielerin, die schlecht agirte: »Nie will auf dem Theater ihr Spiel jemand gefallen,/ Doch hinter den Coulissen, sagt man, gefällt es allen.« (Goeckingk: Gedichte 3, 237, siehe auch ebd. 255, 262.) 1356 »Nun gute Nacht! Das Spiel zu enden,/ Begrüßt uns mit gewognen Händen! (ab)« (Shakspeare’s [sic] dramatische Werke 3: 259). Schlegels Reimreihe auf »Haus« im Unzelmann-Gedicht könnte durch die vorangegangene Rede Oberons angeregt sein, der den Palast des königlischen Paares für deren Hochzeitsnacht vorbereitet: »Elfen, sprengt durchs ganze Haus/ Tropfen heilgen Wiesenthau’s!« (ebd. 258). 1357 Denkbar wäre allenfalls, dass ihre Stimme durch den Vorhang dringt; dagegen spricht aber der Lärm des Publikums.

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Darstellung des Naturkindes Gurly ankreideten: Diese Rolle »könne gar nicht die Aufgabe einer Schauspielerin sein, der Witz und Spott beständig um die Lippen schwebten«.1358 Zudem verweist die ungehaltene Rede einer ungehaltenen Schauspielerin auf einen gewissen rebellischen Geist, der sie einmal tatsächlich in Bedrängnis bringen sollte: Als ihre Tochter, die ebenfalls in Ifflands Esemble spielt, am 17. 12. 1809 von einer Gruppe junger Offiziere im Publikum durch laute Missfallenskundgebungen gedemütigt wird, nimmt BethmannUnzelmann, selbst in Alltagskleidung, diese an die Hand, tritt mit ihr auf die Bühne und liest dem Publikum die Leviten. Ihre Weigerung, jemals wieder im Berliner Nationaltheater aufzutreten, muss sie allerdings trotz heftigem Widerstand schließlich zurücknehmen und sich bei den Zuschauern entschuldigen.1359 Weitere ›Loblieder‹ auf Bethmann-Unzelmann bietet Schlegels Sammlung nicht, jedoch drei Gedichte auf Kolleginnen. Das erste richtet sich An Sophia Müller, Schauspielerin des k.k. Hoftheaters in Wien, während ihrer Anwesenheit in Berlin/ im Sommer 1827.1360 Es besteht aus zwei Teilen; der erste spricht sie Als Julia an (ASWS 1: 295), der zweite Als Gabriele, in dem Schauspiele Val8rie von Scribe (ASWS 1: 296). Das erste Teilgedicht beginnt mit einer Variation auf das Thema der enargeischen Wirkungskette: Dem Genius des großen Britten War ich begeistert nachgeschritten, Da lockt’ ich auf die deutsche Flur Ein Echo seiner Worte nur. Du hast den Worten Seel’ und Leben, Der Seel’ ein sichtbar Bild gegeben: Des Dichters zarte Julia Steht hingezaubert vor uns da. (ASSW 1: 295, V. 1–8)

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Zwischen den Dichter und die Mimin schiebt sich hier also gewissermaßen der Nach-Dichter Schlegel, der sein Werk jedoch als bloßes »Echo« (V.4) des Originals abtut. Müllers Verkörperung dagegen wird als ›Beseelung‹, ›Belebung‹ (V.5) und – in einem zweiten Schritt – als ›Bebilderung‹ begriffen (V.6). Wie Müllers Verkörperungsbild aussah, deutet das Adjektiv ›zart‹ an (V.7); die nächste Strophe führt die Beschreibung des Eindrucks weiter : 1358 Lakus: Bethmann-Unzelmann, 70. Diese Tendenz äußerte sich insbesondere in der spontanen Produktion karikaturistischer Mimen-Ekphrasen auf Kolleginnen und verstärkte sich unter dem Einfluss ihrer geistreichen Freundin Rahel Varnhagen (ebd., 28). 1359 Siehe zu diesem Theaterskandal Emde: Schauspielerinen, 291–296. 1360 Eigentlich Sophie Müller (1803–1830); die aus Mannheim stammende Schauspielerin kam schon früh nach Wien und wurde auf zahlreichen Tourneen umjubelt; ihr früher Tod löste große Anteilnahme aus (Anonym: Müller).

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Sittsame Würd’ und edle Sitte Begleiten dich bei jedem Tritte, Und fordern stille Huldigung Bei feuriger Begeisterung. (ASSW 1: 295, V. 9–12)

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Diese Charakterisierung passt allerdings eher auf die Tugendheldin eines bürgerlichen Rührstücks als auf die leidenschaftlich liebende Julia;1361 einzig die Formulierung »[b]ei feuriger Begeisterung« deutet das Thema des Dramas an, bezieht sich aber wohl nicht auf die Verkörperung, sondern auf die Publikumsreaktion. Ist also womöglich die Vermittlung eines Bildes von weiblicher ›Zartheit‹ und ›Sittsamkeit‹ weniger eine besondere Qualität der Julia-Verkörperung als der Schauspielerin im Sinne des Image-Ideals (II.3.3)? Dagegen spricht die Versicherung der vorigen Strophe, dies sei »[d]es Dichters zarte Julia«. Die Schlussstrophe allerdings stellt eine über die Rolle hinausgehende grundsätzliche Frage im Sinne einer ›ästhetischen Konstellation‹: Was ist dir lieber? – Beifallswellen, Die rauschend an die Bühne schwellen? Wie? oder was die Brust nur hegt, Und unvergeßlich in sich trägt? (ASSW 1: 295, V. 13–16)

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Es ist die Frage nach der angemessenen Reaktion des Publikums auf ein ›mimisches Kunstwerk‹. Vor dem Hintergrund des Spottgedichtes auf den »tollen Saus und Braus« der Unzelmann-Verehrer und angesichts der soeben betonten ›Sittsamkeit‹ kann die Antwort nicht zweifelhaft sein. Die Formel »was die Brust nur hegt« verweist auf den Totalitätsanspruch autonomieästhetischer Rezeptionsästhetik, den, allerdings mit unterschiedlicher Akzentuierung, auch die hier behandelten Texte Humboldts und Tiecks formulieren. Entspricht der erste Teil des Gedichtes auf Sophia Müller thematisch dem fingierten Monolog Unzelmanns, die sich den »Beifallswellen« verweigert, so variiert der zweite Teil das Thema des Unzelmann-Epigramms:

1361 So schreibt Schlegel 1797 in Ueber Shakespeares Romeo und Julia: »In Juliens Hingebung ist noch eine göttliche Freiheit sichtbar. Zürnet nicht mit ihr, daß sie so leicht gewonnen wird: sie ist so jung und ungekünstelt, sie weiß von keiner andern Unschuld, als ohne Falsch dem Rufe ihres innersten Herzens zu folgen.« (ASSW 7: 79). In diesem Sinn zitiert auch Heine in seiner Schrift Shakespeares Mädchen und Frauen (1838) aus der Balkonszene in Schlegels Übertragung: »Sonst färbte Mädchenröthe meine Wangen/ Um das, was du vorhin mich sagen hörtest./ Gern hielt’ ich streng auf Sitte, möchte gern/ Verläugnen, was ich sprach: doch weg mit Förmlichkeit!« (Heine: Werke 10, 113, nach: Shakspeare’s [sic] Werke 9, 213).

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Als Gabriele, in dem Schauspiele Val8rie von Scribe. Seelenvolle Gabriele! Dir erlosch der Augen Licht, Doch der Spiegel deiner Seele In den holden Zügen nicht.

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Willst du heiter gleich erscheinen, Lächelt milde gleich dein Mund: Andre müßen um dich weinen, Andern wird die Wehmuth kund; Wenn die irren Sterne schweben In der Wimpern Schattenkranz, Und empor sich schmachtend heben – Ach umsonst! – zum Himmelsglanz. (ASSW 1: 296, V. 1–28)

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Wieder wird die Rollenvorgabe mit der Publikumsreaktion kontrastiert, hier in doppelter Weise: Die von Sophia Müller verkörperte Figur will heiter erscheinen, vermittelt aber doch ihr Leid und rührt zu Tränen; sie ist blind, und doch fungieren ihre »holden Züge« und vor allem »die irren Sterne« ihrer Augen als »Spiegel« ihrer »Seele« für die Zuschauer. Ihr Anblick wird denn auch im Vergleich zu Schlegels bisherigen Schauspielerinnen-Gedichten mit recht hoher Anschaulichkeit vermittelt. Enargeisch wirken vor allem, der Eingangspointe entsprechend, Kontraste, hier unterstützt durch Metaphorik: Das mimische Zeichen des »milde« lächelnde Mundes steht im Gegensatz zum »schmachtend« nach oben gerichteten Auge; die wie »Sterne« scheinenden Augen heben sich ab von »der Wimpern Schattenkranz« und strahlen sternengleich, obwohl sie den »Himmelsglanz« nicht sehen. Doch deutet sich hier auch eine Tendenz zur Entgrenzung der dargestellten Körperlichkeit an, wie sie später E.T.A. Hoffmanns mit seinem Bild der aus den Augen schießenden »Strahlenpyramide« ins Extrem treiben sollte (siehe III.5.2). Die übrigen drei Strophen nehmen noch einmal den eingangs thematisierten Kontrast zwischen blinder Rollenfigur und sehendem Publikum auf: Euch dem Zauber zu entwinden, Schlößt ihr auch die Augen zu: Vor dem Bilde dieser Blinden Fände doch das Herz nicht Ruh. Denn der Stimme Silberlaute Drängen durch den nächt’gen Flor, Und von ihren Lippen thaute Wonn’ und Schmerz in euer Ohr.

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Nur den Blinden und den Tauben Ward der Sicherheit Gewinn. Wollt ihr meiner Warnung glauben: Blicket nicht, noch horchet hin! (ASSW 1: 296, V. 29–41)

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Dass die Zuschauer Augen und Ohren verschließen müssten, um dem »Zauber« von Müllers Spiel zu entgehen (V. 29f.), ist zwar eine für Panegyrik typische Hyperbel, wie sie vergleichbar auch in der Burbage-Elegie eingesetzt wird (II.2.3). Dennoch lenkt das stufenweise vorgetragene Gedankenexperiment die Aufmerksamkeit auf Müllers Deklamation. Wiederum werden Gegensätze formuliert, in diesem Fall jedoch auch metaphorisch miteinander vermittelt: Wenn »der Stimme Silberlaute« (V. 33) durch das Dunkel dringen (V. 34), wird einerseits der Klang als visueller Eindruck gefasst, andererseits harmoniert das Bild des ›Silbers‹ mit der Nacht-Metaphorik, so dass insgesamt ein stimmiges synästhetisches Bild entsteht. »Wonn’ und Schmerz« (V. 36) bilden ohnehin spätestens seit der Empfindsamkeit eher eine reizvolle Ergänzung als einen scharfen Kontrast,1362 und dass sie metaphorisch-metonymisch von den »Lippen« der Sprecherin ›tauen‹ (V. 35), vollendet den Eindruck einer rührenden Wirkung. Eine weniger affektive als (im Sinne Humboldts) »ästhetische Wirkung« weiblicher Schauspielkunst wird in Schlegels Gedicht An Frau Händel=Schütz thematisiert. Die Schauspielerin hatte in der Berliner Inszenierung seines Ion (damals unter dem Namen Johanna Henriette Rosine Meyer) die Creusa gespielt und war in der oben vorgestellten Rezension für »den Reichthum ihrer den Antiken nachgebildeten Stellungen und ihre dazu so geeignete schöne Gestalt« gerühmt worden (siehe IV.4.1).1363 Dieser Eindruck steht auch buchstäblich im Mittelpunkt des Gedichts, wird nämlich in der dritten von insgesamt fünf Strophen thematisiert: An Frau Händel=Schütz, früher Schauspielerin des königl. Theaters in Berlin. Auf der Überfahrt von Finnland nach Schweden, beim Zusammentreffen an einem Ankerplatz. Es tobten Aeols wilde Horden; Der alte grämliche Neptun War abhold unsrer Fahrt geworden: Das Schifflein mußt’ am Anker ruhn. Da, sieh! auf Alands wüsten Klippen Verschlagen, fanden wir die Kunst. 1362 Siehe Schmidt: Ossian 1, 116–132. 1363 Gerlach: Experimentalpoetik, 156.

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Die Suada wohnt auf ihren Lippen, Sie prangt mit aller Musen Gunst. Aus ihres Schleiers reichen Falten Entsteigen, folgsam ihrem Ruf, Die hohen himmlichen Gestalten, Die Meißel oder Pinsel schuf. Du führst des Südens Götterbilder In Odins riesenhaftes Reich; Die rauhen Lüfte werden milder, Die starren Felsen werden weich.

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Schon führt die rasche Fahrt dich weiter? Leb’ wohl! dich leit’ ein guter Stern! Du machst des Lebens Wechsel heiter, Und die Natur vergilt dir’s gern. (SSW 1: 293f., V. 1–20)

Neu gegenüber obigem Zitat aus der Ion-Rezension ist der Hinweis auf den Einsatz des Kostüms. Zwar wurde bereits in Böttigers Besprechung von Ifflands Darstellung des Sonnenpriesters deutlich, dass das Spiel mit dem Faltenwurf ein wichtiges Mittel von Schauspielkunst ist, die klassischer Kunst nacheifert (III.2.5). Im Vergleich von Ifflands Mantel mit dem Schleier der Lady Hamilton wurde sogar die Formulierung gebraucht, dass sie »durch dessen mannigfaltigen Umwurf […] dem erstaunten Zuschauer die zierlichsten Formen der Antike vorzaubert« (BEIS: 252f.).1364 Dabei schwingt allerdings ein erotischer Unterton mit; in Schlegels Gedicht dagegen geht es nicht um zwar klassische, aber doch deutlich weibliche »Formen«, sondern um die enargeische Wiederbelebung der »hohen himmlischen Gestalten« in antiken und antikisierenden Dramen, aber auch als gefeierte pantomische Solokünstlerin, die 1809 von Joseph Nicolaus Peroux in einer Kupferstich-Mappe graphisch verewigt wurde.1365 Doch ist der Schleier zugleich ein Symbol für die dichterisch gestaltete Erinnerung an diese

1364 Meine Hervorhebung. 1365 Peroux: Pantomische Stellungen. Um 1808 huldigte Clemens Brentanto der Attitüdenkünstlerin in Stammbuchversen, die ebenfalls die Motive Schleier und Zauberei kombinieren: »Wie Aphrodite einst mit göttlicher Gewalt/ In Galatheas kalten Marmorbusen/ Des Lebens holde Flamme senkte, und/ Die Liebliche das Licht des Tages grüßte;/ So weißt Du, Zauberin, zum höhern Leben,/ Vom ird’schen, engen, uns empor zu heben./ Die Gegenwart, die ängstliche, entflieht,/ Von der Vergangenheit seh’ ich den Schleier fallen,/ Die heil’ge Vorwelt zeigt sich mir enthüllt,/ Und magische Gestalten seh’ ich wallen,/ Wie Isis ernst, und Psyche schön und mild. – / Dir ward, fürwahr, das höchste Los gegeben;/ Durch Dich erhält die Mythe Leben,/ Das Schöne, Große aller Zeiten/ Läßt Du dem Auge still vorübergleiten.« (Brentano: Werke 1, 205, Komm.).

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Verkörperungen und Attitüden,1366 denn schon die Überschrift informiert ja darüber, dass Hendel-Schütz (so die übliche Schreibung), als Schlegel sie zufällig auf einem Ankerplatz in Finnland trifft, sich bereits von der Bühne verabschiedet hat. Nicht zuletzt trägt der Schleier aber auch zur Verklärung und Erhöhung der Schauspielerin bei, ›verkörpert‹ diese doch inmitten des ›Nordens‹ die südliche Antike und inmitten wilder Natur die heitere »Kunst«, die schließlich sogar die Elemente besänftigt. So ist eine spezifisch klassizistische Enargeia das eigentliche Thema dieses panegyrisch-allegorisierenden Gedichts; dessen eigene Enargeia jedoch beschränkt sich auf die Metaphorik des Zaubermantels. Streng genommen sind damit (außer dem Sonett auf Iffland als Pygmalion) alle lyrischen Thematisierungen von Schauspielkunst bei August Wilhelm Schlegel vorgestellt. Einen deutlich ehrgeizigeren Versuch, Verkörperungen ›vor Augen zu führen‹, stellt jedoch ein Gedicht dar, das einer Darstellerin an der Grenze von Attitüden- und Tanzkunst gilt. Angesichts der eben wieder deutlich gewordenen Nähe solcher Darstellungen zu klassizistischer Bühnenkunst um 1800 soll abschließend dieses Gedicht (ASSW 1: 254–257) analysiert werden. Es richtet sich An Ida Brun (1792–1811),1367 die in einer »Anm. von 1806«, eine Oktavseite lang, vorgestellt wird: Die jüngste Tochter der allgemein geschätzten Dichterin Friederike Brun; ein liebenswürdiges Mädchen von noch nicht vierzehn Jahren, welche unvergleichliche Anlagen besitzt, im idealischen Tanze etwas in der That Vollendetes zu leisten. […] Mlle Brun beschränkt sich nicht bloß auf mimische Plastik oder die Kunst ausdrucksloser und zugleich malerisch schöner Stellungen […]. Sie legt dramatischen Zusammenhang in ihre Darstellungen und entfaltet nach einander die verschiedenen Grade der Empfindung und Leidenschaft, ihren Wechsel und ihre Uebergänge. Doch ist es wiederum nicht bloße Pantomime, sondern alle ihre Bewegungen sind musikalisch, das heißt, sie verhalten sich zum bloß natürlichen Geberdenspiel, wie das Schweben der Stimme im Gesange zur gewöhnlichen Rede. Auch läßt sie sich von Musik begleiten, jedoch mehr um Ton und Stimmung derselben anzugeben, als sich an ein bestimmtes Zeitmaaß zu fesseln. Wenn der Ausdruck einen gewissen Gipfel erreicht hat, so verweilt sie einige Augenblicke darin, und läßt an dem ruhenden Gemälde die veredelte Wahrheit der Geberde, die Schönheit der Stellung und den gelungenen Faltenwurf der Gewänder betrachten. […] Eine frühe Reise nach Italien in einem Alter, wo gewöhnliche Kinder noch keinen Blick und keine Seele für die Wunderwerke der bildenden Kunst haben, hat diesen herrlichen Keim zuerst angeregt, und die Leitung einer für alles Gute und Schöne empfänglichen Mutter gewährt ihm fortdauernd eine günstige 1366 Vgl. die letzten vier Strophen von Goethes allegorisierendem Gedicht Zueignung aus dem Jahr 1787 (GFA 1: 9–12, hier 11f., V. 81–112). 1367 Siehe Hoff: Ikonographie des Weiblichen, bes. 488–492; die Analyse zeitgenössischer Berichte über Ida Bruns Darbietungen mit Hilfe von Foucaults Begriff der »Hysterisierung« scheint mir allerdings fragwürdig.

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Entwickelung. Der Verfasser folgenden Gedichtes, der in Genf öfters Gelegenheit hatte zu bewundern, was er zu schildern versucht hat, schätzt sich glücklich über diese Lieblingstochter der Grazien ein Wort huldigender Weihe sprechen zu dürfen. (ASSW 1: 254)

Die »Anmerkung« verbindet das klassizistische Interesse an Möglichkeiten, ästhetische Ideale der Antike in die Gegenwart zu holen, zum einen mit dem Modell der Belebung von Kunst; dass die Darstellung noch nicht vierzehn Jahr ist, gibt den Darstellungen außer ›Leben‹ auch den Reiz der Jugend und lässt zudem auf zukünftige »Entwickelung« und etwas »Vollendetes« hoffen.1368 Zum anderen geht es um ›Intermedialität‹, die sich im ›Medium‹ des Körpers vollzieht: Ida Bruns Darstellungen orientieren sich an antiker Kunst und bewegen sich insofern zwischen intermedialem Bezug und Medienwechsel;1369 sie werden von Musik begleitet und stellen insofern eine Medienkombination dar, jedoch nicht im Sinn einer streng gegliederten Zeitkunst, sondern einer ›musikalischen‹ Wirkungsaffinität. Zudem sind sie ›dramatisch‹ im Sinn einer affektiven Dramaturgie, welche die einzelnen ›Bilder‹ verbindet. Allerdings ist es eine ›pantomimische‹ Dramaturgie ohne Text – Literatur kommt hier zunächst nur insofern zur Sprache, als die Mutter der Künstlerin eine »für alles Gute und Schöne empfängliche« Dichterin ist, welche die »Entwickelung« ihrer Tochter entsprechend fördert. Schließlich thematisiert der »Verfasser« eine doppelte Zielsetzung für das folgende Gedicht: Es soll als ›Schilderung‹ die in der Anmerkung angedeuteten Qualitäten von Ida Bruns Tanz veranschaulichen, gehört als »Wort huldigender Weihe« aber auch in die Reihe der Lobgedichte auf Unzelmann, Müller und Hendel-Schütz. Das Gedicht besteht aus zwölf Schweifreimstrophen mit deutlichen Anklängen an Schiller’sche Gedankenlyrik.1370 Die erste Strophe thematisiert »Leben«, das sich als Bewegung äußert und zugleich ästhetische Ideale versinnlicht: Solch ein zephyrleichtes Leben Solcher Anmuth Gang und Schweben Sah mein trunknes Auge nie. Jede Welle der Bewegung 1368 Ida Brun wurde von ihrer Mutter und deren Freundin Madame de Sta[l, selbst Attitüdendarstellerin, ausgebildet; Friederike Brun legt darüber Rechenschaft ab in ihrer autobiographischen Erziehungsschrift Idas ästhetische Entwicklung (1824); siehe dazu Hoff: Entdeckung der Zwischenräume, 226–232 mit dem Fazit: »Ida selbst ist das Kunstwerk, mehrfach geschaffen von ihrer Mutter« (231). 1369 Zu Irina O. Rajewskis Nomenklatur siehe Einf. 3. 1370 Vgl. beispielsweise das metrisch identische Gedicht Die Antiken zu Paris, das, allerdings mit politisch-antifranzösischer Tendenz, ebenfalls das Thema einer Wiedergeburt der Antike thematisiert und mit den Versen endet: »Der allein besitzt die Musen,/ Der sie trägt im warmen Busen,/ Dem Vandalen sind sie Stein.« (SSW 1 10–13: 213). Zu Schillers Einfluss auf Schlegels Lyrik siehe Wulf: Schlegel als Lyriker, 67.

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Zaubert hin in süße Regung, Alles athmet Harmonie. (ASSW 1: 255, V. 1–6)

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Hier wird eine »ästhetische Stimmung« im Sinne Humboldts beschrieben (HFB: 377). Die »Harmonie« der Darstellung wirkt ausdrücklich auf das »Auge« der Sprechinstanz (V. 3); dennoch geht es (wieder mit Humboldt gesprochen) nicht um »Massen und Formen« einer »guten malerischen Composition«, sondern um »eine harmonische Folge« in Zeit und Raum (HFB: 393). Metaphorisch wird der »Anmuth Gang und Schweben« (V. 2) mit dem – gleich im ersten Vers mythologisch umschriebenen – Lufthauch und der Welle verglichen, Naturbildern also. Doch soll sich der Eindruck von »Bewegung« und »Harmonie« auch klanglich vermitteln, vor allem über Vokalreihen, dominiert von ›e‹ (»Jede Welle der Bewegung«, V. 4) und ›a‹ (»Alles athmet Harmonie«, V. 6). Die Urheberin dieser Eindrücke wird in der zweiten Strophe apostrophiert: Wie du spendest deine Kränze Als die Muse froher Tänze, Wie dein holdes Fest beginnt: Säh’ ich nicht der Wonne Zähren Deiner Mutter Blick verklären, Wähnt’ ich dich ein Götterkind. (ASSW 1: 255, V. 7–12)

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Bestens bekannt ist inzwischen die panegyrische Erhebung der Schauspielerin zur Göttin oder Muse, die im Fall der Verkörperung mythologischer Rollen besonders naheliegt. In dieser Strophe nun scheint Ida ihre Darbietung tatsächlich durch die Verkörperung einer Kränze verteilenden Muse zu eröffnen. Die mimisch sich äußernde Rührung der stolzen Mutter verhindert zwar (so die hyperbolische Fiktion) das Umschlagen ästhetischer Illusion in tatsächliche Täuschung, beglaubigt aber noch einmal die in der ersten Strophe behauptete emotionalisierende Wirkung der Darbietung. Die nächsten beiden Strophen wenden sich wieder von der konkreten Darstellung ab und überführen sie in mythologische Bilder, die den intermedialen Aspekt herausstellen: In der zarten Bildung Schleier Welcher Ton von Phöbus Leier Hat den hohen Geist gehaucht? Wo, auf blüh’nder Flur geboren, Haben weihend milde Horen Dich in Morgenroth getaucht? Was Pygmalion errungen, Als der schöne Stein, bezwungen,

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

Ward beseelt auf seinen Ruf, Kehrt sich um: denn festgehalten Seh’ im Flug ich die Gestalten, Die der Griechen Meißel schuf. (ASSW 1: 255, V. 13–24)

Die Strophen gestalten auf unterschiedliche Weise den Vorgang der ›Belebung‹ von Kunst. Die vierte greift dabei auf die in diesem Zusammenhang schon topische Figur des umgekehrten Pygmalion-Mythos zurück (siehe Einf. 5) und spitzt sie paradox zu in der Formulierung, die Darstellerin habe die griechischen Antiken »festgehalten/ […] im Flug« (V. 22f.). Ungewöhnlicher ist die zu Beginn der dritten Strophe entwickelte Vorstellung, wonach der »zarten Bildung« (V. 13) ein »Ton von Phöbus Leier« (V. 14) ihren »Geist« eingehaucht habe. Man mag hier an den in der Romantik beliebten Mythos der ägyptischen Memnon-Statue denken, die vom Strahl der aufgehenden Sonne (Phöbus Apollo ist ja nicht nur Musenführer, sondern auch Sonnengott) zum Klingen gebracht wird, und tatsächlich würde dies mit dem die Strophe beschließenden Bild der Morgenröte korrespondieren, in welche die »Bildung« von den »Horen […] getaucht« wird (V. 17f.).1371 Allerdings wird hier keine Statue belebt, sondern »der zarten Bildung Schleier« – der Körper und das Gewand – sind metaphorisch eins geworden. Zudem vollzieht sich die ›Geburt‹ nicht in der ägyptischen Wüste, sondern »auf blühn’der Flur« (V. 16). Insgesamt verbindet die dritte Strophe also diverse Bildfelder in stark assoziativer Weise, um zu versinnlichen, wie die Musikbegleitung »Ton und Stimmung« von Ida Bruns Tanz vorgibt (ASSW 1: 254). Im Vergleich dazu ist die Bildlichkeit der vierten Strophe, die dem ›plastischen‹ Aspekt von Bruns Darbietung gilt, selbst von plastischer Deutlichkeit. Sie leitet über zu vier Strophen, welche die von Brun verkörperten mythologischen Figuren in intensiven und jeweils charakteristischen Bewegungsabläufen zeigen. Dabei wird, wie in der zweiten Strophe, die Darstellerin durchgehend angesprochen: Nimm den Bogen und die Pfeile, Und, Dianen gleich, enteile, Stolzen Muthes in den Hain. Willst du mit der Aegis[1372] schrecken, Mit dem Helm die Stirne decken, Wirst du Jovis Tochter sein.

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1371 Siehe V. 32–37 in Brentanos Gedicht Nachklänge Beethovenscher Musik von 1814 (Brentano: Werke 1, 309) und den Komm. ebd. 1111f. 1372 Das Ziegenfellschild mit dem Haupt der Medusa, ein Attribut der Athene.

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Romantische Mimen-Ekphrasis?

Streue Rosen, sei Aurore; Trag das Körbchen, Kanephore,[1373] Zu des Feierzuges Pracht. Gieß sie aus, die Opferschale; Hülle nun dich ein, Vestale, Die den ew’gen Heerd bewacht. Fliegen laß dein Haar, Bacchante, Gürte dich, und Atalante Siegst du in beschwingem Lauf. Bald, allein ein Chor von Musen, Schwellt den jungfräulichen Busen Fülle der Begeistrung auf. Dich, Althäa, sah mit Schaudern Ich, nach langem Kampf und Zaudern Den verhängnisvollen Brand Schleudern in die Todesgluten Und verzweiflend dann verbluten, Auf dich selbst den Dolch gewandt. (ASSW 1: 256f., V. 25–48)

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In den Apostrophen zeichnet sich eine Entwicklung von der Darstellung zur ›Verwandlung‹ bzw. vom Als ob-Bewusstsein zum Evokations-Effekt ab: Zunächst wird die Tänzerin noch explizit aufgefordert, durch ihre Aktionen die mythologischen Figuren zu imitieren: »Dianen gleich, enteile« (V. 26); »Streue Rosen, sei Aurore« (V.31);1374 ab Vers 32 aber werden die Apposition unverbunden beigeordnet (»Trag das Körbchen, Kanephore«), so dass sie zumeist doppeldeutig sind: »Fliegen laß dein Haar, Bachchante« (V. 37) kann beispielsweise ergänzt werden zu ›als Bacchante‹, aber auch zu ›du Bacchante‹.1375 Inhaltlich reicht der Figurenreigen von kriegerischen Gottheiten (Strophe 5, V. 25–30) über die sanfte Göttin der Morgenröte und eine keusche Vestalin (Strophe 6, V. 31–36) zur wilden Bacchantin, flinken Jägerin und Verkörperung sämtlicher Musen (Strophe 7, V. 37–42).1376 Die achte Strophe schließlich ist die einzige, die alleine einer Figur gewidmet ist und einen längeren szenischen 1373 Korbträgerin, besonders bei Kulthandlungen, beliebtes Motiv der antiken Kunst. 1374 In den Versen wird dasselbe durch eine implizite ›Wenn, dann‹-Konstruktion geleistet. 1375 In den beiden folgenden Fällen fordert die Grammatik allerdings die Ergänzung durch »als«: »Gürte dich, und Atalante/ Siegst du« (V. 37f.); »Bald, allein ein Chor von Musen« (V. 40); anders jedoch wieder im letzten Beispiel: »Dich, Althäa, sah mit Schaudern/ Ich« (V. 43f.). 1376 Die Figuren bestätigen Constanze Baums These, dass die Attitüdenkunst nicht einfach zeitgenössische Geschlechtsstereotypen affirmierte, sondern in der Vielzahl weiblicher Rollen zumindest die Möglichkeit der visionären Erweiterung eines engen Rollenverständnisses aufscheinen ließ (Baum: Attitüden, zu Ida Brun ebd. 260).

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

Ablauf beschreibt: Althäa zürnt ihrem Sohn Meleager, denn dieser hatte ihre Brüder getötet, weil sie der Jägerin Atalante den Siegespreis für die Erlegung des kaledonischen Ebers verweigerten (Ida Bruns Atalante-Verkörperung V. 38f. hat also Expositionsfunktion). Nach heftigem innerem Kampf entscheidet sich Althäa, ein Holzscheit ins Feuer zu werfen und damit, einer Voraussage der Parzen gemäß, ihren Sohn zu töten; schließlich nimmt sie sich das Leben.1377 Die Verkörperung der zwischen Mutter- und Bruderliebe Zerrissenen ist so überzeugend, dass der Sprecher sich wiederum explizit der dreizehnjährigen Darstellerin zuwendet: Sag, welch Ahnden hat die Thaten Wilder Rache dir verrathen, Und der Seele tiefsten Schmerz? Noch an deiner Jugend Schwelle Sahst du schon der Leiden Welle Stürmen durch ein menschlich Herz? (ASSW 1: 256f., V. 49–55)

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Wie in Goethes Euphrosyne provoziert also der Kontrast zwischen kindlicher Darstellerin und dargestellter Tragik die Frage nach den psychischen Voraussetzungen mimischer Darstellung im Sinne der ästhetischen Konstellation. Wie Goethe (und auch Moritz) geht Schlegel dabei bis zu einem gewissen Grad vom Modell des ›heißen Schauspielers‹ aus,1378 wonach die Darstellung von Leid eine entsprechende Erfahrung oder zumindest »Ahndung« voraussetzt.1379 In der Euphrosyne-Elegie wird eine solche Disposition der Darstellerin sogar noch durch die Rede des Mitspielers verstärkt und führt zu einem ›Bildungserlebnis‹, das sie menschlich und künstlerisch reifen lässt. Allerdings vertieft in dieser Erzählung die »Ahndung« von menschlicher Vergänglichkeit die Liebe zu ihrem Mentor, und beide können diese Erfahrung für ihre Bühnenarbeit produktiv machen. Schlegel dagegen hat bereits in seiner vorangestellten Anmerkung 1377 Und zwar in sämtlichen antiken Versionen des Stoffes, indem sie sich erhängt (siehe Krauss/Uthemann: Was Bilder erzählen, 61). Eine Erdolchung dürfte sich jedoch pantomimisch wesentlich einfacher und eindrücklicher gestalten lassen. 1378 Es sei an Moritz’ Formulierung erinnert, ein Darsteller des Virginius müsse versuchen, »durch ein künstliches Vergessen seiner selbst, und durch das darstellende Mitgefühl fremder Leiden, so viel möglich, selbst wieder dieser VIRGINIUS zu sein« (MFA 2: 993; siehe IV.1). 1379 Die Verse nehmen eine oben nicht zitierte Passage der »Anm. von 1806« auf (bzw. werden durch sie erläutert): »Bloß festliche Handlungen weiß sie mit der höchsten Anmuth zu umkleiden, die aber auch bei der erschütterndsten Kühnheit und Tiefe im Ausdruck tragischer Leidenschaften sie nie verläßt. Ihre Kunst ist über ihre Jahre, ein solches Ahndungsvermögen in dem zartesten jungfräulichen Gemüthe muß durchaus als eine genialische Eingebung eingesehen werden.« (ASSW 1: 254). Auch Friederike Brun hat immer wieder beteuert, ihre Tochter habe ihre Darstellungen vor allem aus der Intuition heraus geschaffen (siehe Hoff: Ikonographie des Weiblichen, 490f.).

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Romantische Mimen-Ekphrasis?

klargestellt, dass er Bruns Darbietungen lediglich als von außen kommender Bewunderer erleben durfte. So bleibt dem »Ich« des Gedichtes nur, die Hoffnung auf eine Bewältigung des in der Kunst wirksamen Ahnungsvermögens durch die Kunst zu formulieren: Nein, dir trübe nichts die Seele! Sei, was Unglücksel’ge quäle, Nur im Bilde dir bewußt! Immer mögst du nur sie spielen Jene Dolche, welche zielen Nach der gramzerrißnen Brust. In des Tanzes Melodieen Laß den ird’schen Druck entfliehen Deinem schöpferischen Sinn. Was die Götter dir gegeben, Pfleg’ im schuldlos heitern Leben, Deines Glückes Bildnerin. (ASSW 1: 257, V. 55–66)

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Bruns Darstellungskunst wird zunächst als ein ›Bild‹ menschlichen Leides gefasst (V. 56), das Bewusstheit von diesem Leid zwar voraussetzt, aber nicht notwendigerweise außerhalb der Bühne die »Seele« des Mädchens beschweren muss. Die letzte Strophe revidiert diese Auffassung und schreibt der Kunst sogar eine therapeutische Funktion zu, die jenen »ird’schen Druck entfliehen« lässt (V. 62), der offensichtlich von »schöpferische[m] Sinn« untrennbar ist (V. 63). Allerdings wird die Darstellung an dieser Stelle nicht mehr als ›Bild‹ verstanden, sondern als Musik und Tanz – die Affinität des ›idealischen Tanzes‹ zur bildenden Kunst dagegen liefert nun die Schlussmetapher für die Vision eines glücklich gestalteten Lebens. Fassen wir zusammen: Die Nennung oder gar Beschreibung von actio spielt in Schlegels Schauspielerinnen-Gedichten eine sehr geringe Rolle – andeutungsweise blitzt sie in einigen Gesten des Rollenkatalogs von Das Feenkind auf, aber selbst diese sind bezeichnenderweise weniger deutlich beschrieben als die Körpersprache der angeblich von Bethmann-Unzelmann verzauberten Haustiere. Das ist durchaus gewollt, heißt es doch über die Verwandlungsgabe des ›Feenkinds‹: »Und wie, das weiß man kaum.« (V. 28). Doch gilt es hier ja vor allem zu fragen, welcher poetischer Mittel sich Schlegels Gedichte im Sinne ›poetische Kunstbeschreibungen‹ nach Moritz (IV.1) bedienen. Es sind vor allem drei. Das in den Schlussversen des Widmungsgedicht auf Bethmann-Unzelmann ausgestellte Mittel des Reimes dient im Gedicht Die Schauspielerin Friederike Unzelmann an das Publikum dazu, eine fingierte spielerisch-übermütigen Rede

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

Unzelmanns zu evozieren, die im Kontrast zum in einigen Rollen betonten Ideal klassischer Anmut steht. Es verbindet sich also mit einer bestimmten Stilhaltung, einem lyrischen Tonfall, der von Gedicht zu Gedicht recht variabel ist: Im Feenkind wird er explizit als »Romanzenton« (V. 104) bezeichnet und in kreuzgereimten Chevy-Chase-Strophen realisiert. In den Gedichten An Friederike Unzelmann als Nina und An Frau Händel=Schütz unterstützt der Reim, ähnlich wie in Schlegels Gemälde-Sonetten, vor allem die gedankliche Struktur. Das Gedicht An Sophia Müller kombiniert im ersten Teil Paarreime mit Parataktik, entsprechend dem Eindruck von »[d]es Dichters zarte[r] Julia« (V. 7); der zweite Teil verbindet Kreuzreime und Assonanz-Effekte mit eher hypotaktischen Fügungen, um in dialektischer Gedankenführung die Wirkung einer komplizierter angelegten Verkörperung zu gestalten. Die Schweifreimstrophen des Gedichtes An Ida Brun schließlich stehen teilweise im Dienst dialektischer Gedankenführung, sollen aber auch, vor allem in den Eingangsstrophen, den Eindruck ›anmutiger‹, ›wellenartiger‹ Bewegung erzeugen und im ›Rollenkatalog‹ des Mittelteils den Eindruck einer raschen Abfolge gegensätzlicher ›Gestalten‹ unterstützen. Dieser Eindruck wird lautlich unterstützt, wobei vor allem die Vokalität »Harmonie« evozieren soll. Ein zweites typisch (obwohl natürlich nicht exklusiv) ›poetisches‹ Mittel, die Metaphorik, wird vor allem im Gedicht Das Feenkind bemüht, um BethmannUnzelmanns Wandlungsfähigkeit zu beschwören, ohne sie dem Eindruck der Charakterlosigkeit auszusetzen – da Schlegel aber auch der realen Künstlerin im Berliner Bürgertum huldigen will, wird das Bild erst aufgegeben, dann uminterpretiert und schließlich nochmals zurückgenommen – eine Strategie, die abwechslungsreich, doch nur bedingt anschaulich wirkt. Auch in den Gedichten An Friederike Unzelmann als Nina und in der allegorisierenden Grundkonstruktion des Gedichtes auf Hendel-Schütz wird Metaphorik eher geistreich denn veranschaulichend eingesetzt; letzteres akzentuiert immerhin das Motiv des Schleiers in origineller Weise neu: Es thematisiert sowohl mimische Verlebendigung als auch die Erinnerung daran und andeutungsweise ihre dichterischen Vergegenwärtigung. Der zweite Teil des Gedichtes An Sophia Müller überführt den auch im Nina-Gedicht bemühten Topos einer emotional ›ansteckenden‹ Verkörperung in eine Metaphorik, die vor allem in der Thematisierung von Augen und Stimme die entgrenzenden Tendenz musikalischer romantischer Ekphrasis ahnen lässt. Ähnlich verhält es sich mit der dritten Strophe des Gedichts An Ida Brun, welche die ›musikalische‹ Wirkung ihres darstellenden Tanzes evoziert; die folgende Strophe gestaltet dagegen unter Rückgriff auf den Pygmalion-Mythos die ›plastische‹ Seite ihrer Darstellung. Drittens fällt vor allem der Einsatz von Apostrophen auf. Sie werden, außer im Feenkind, in allen hier behandelten Gedichten eingesetzt, jedoch in unterschiedlicher Funktion: Teilweise thematisieren sie, wie im Widmungsgedicht,

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Fazit

die Bekanntschaft der Künstlerin mit dem ihr huldigenden Sprecher, teilweise richten sie sich aber auch an sie in einer bestimmten Rolle, deren Wirkung auf das Publikum thematisiert wird. Im Gedicht An Ida Brun werden beide Möglichkeiten genutzt, um das Verhältnis der Darstellerin zu ihren Darstellungen zu thematisieren: erst als Verwandlung von Bruns anmutiger Erscheinung in anmutige Gestalten, dann als Spannung zwischen dem Mädchen und den von ihr verkörperten tragischer Frauenfiguren. Der letzte Aspekt steht also im Dienst von Moritz’ Strategie der ›ästhetischen Konstellation‹, die einmal mehr nicht eigenständig, sondern in Verbindung mit ›poetischer Beschreibung‹ auftritt. Grundlegend ist sie allerdings für das Gedicht Die Schauspielerin Friederike Unzelmann an das Publikum, als sie am Schluß des Schauspiels herausgerufen wird, das im Hinblick auf die Figur der Apostrophe einen Sonderfall darstellt: Hier wird die Künstlerin nicht angesprochen, sondern apostrophiert selbst das Publikum, dem sie sich entzieht.

6.

Fazit

Im Gesamtrückblick auf autonomieästhetisch inspirierte Experimente mit Mimen-Ekphrasis lässt sich festhalten: Strukturanalytische Mimen-Ekphrasen klären vor allem die Voraussetzungen für die mimische Erfüllung der jeweiligen Vorstellung von ›Einheit‹, sei es – wie bei Humboldt – in Bezug auf jene »Energie unsrer Einbildungskraft, vermöge welcher sie bloss mit leeren Formen spielt« (HFB: 393), sei es – wie bei Tieck – im Sinn einer spannungsvollen Totalität des Werkes, für die exemplarisch Shakespeares Dramen stehen. Im Mittelpunkt des Interesses steht deshalb das Schauspielerporträt, und auch in Rollenporträts geht es vor allem darum, Konstanten der jeweiligen Schauspielkunst herauszuarbeiten. Eine gewisse Anschaulichkeit wird dabei erreicht durch die Einführung von Begriffen aus dem Beschreibungsvokabular der Bezugskünste Musik, Tanz und bildende Kunst – im Hinblick auf letztere kann die Spannung zum lebenden Körper des Schauspielers enargeisch ergiebig sein. In Bezug auf Rollenporträts dagegen scheint die in Moritz’ Winckelmann-Kritik und Tiecks Böttiger-Parodie artikulierte Sorge groß, die Einheit des Eindrucks könne durch zu große Einlässlichkeit zerstört werden: Regelmäßig wird der Unsagbarkeitstopos eingesetzt oder die Aufgabe der Beschreibung sogar ausdrücklich an ›den Dichter‹ delegiert. Lediglich im Fall misslungener Schauspielkunst lässt sich über das bewährte Mittel der mimischen Karikatur vor Augen führen, wie der jeweilige Schauspieler an der Aufgabe scheiterte, das ›Ganze‹ eines mimischen Kunstwerks zu schaffen. Etwas enargeischer ist die Wirkung der Strategie ›poetische Kunstbeschreibung‹, insbesondere in Kombination mit ›ästhetischer Konfiguration‹. Hierbei

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Mimen-Ekphrasis des Ganzen als Ganzes?

ist vor allem die Wirkung sprachlicher Bildlichkeit hervorzuheben, sei es in der symbolisierenden Vertiefung von Anekdote und Allegorie bei Goethe, sei es in romantischen Ansätzen einer entgrenzenden Metaphorik, die actio und Wirkung aufeinander bezieht. Dazu kommen der prononcierte Einsatz metrischer und klanglicher Mittel und das virtuose Spiel mit Apostrophen. Damit aus solchen Ansätzen jedoch eine neue Form von Mimen-Ekphrasis wird, bedarf es eines Theaters, das über die stilisierende Tendenz des Weimarer Bühnenexperiments noch deutlich hinausgeht und die Vorstellung der ›Verkörperung‹ einer literarischen ›Rolle‹ im Sinne des Literaturtheaters grundsätzlich in Frage stellt. Diese Voraussetzungen sind erst um 1900 gegeben.

V

Poetische Mimen-Ekphrasis im Zeichen von ›nervöser Enargeia‹ und anti-literarischem Theater. Hofmannsthals Trauerelegien auf Friedrich Mitterwurzer (1898) und Josef Kainz (1910)

1.

Die Elegie Zum Gedächtnis des Schauspielers Mitterwurzer als Gegenmodell zur Mimen-Ekphrasis der Verkörperung1380

1.1

›Nervöse Enargeia‹, anti-literarisches Theater und die Schauspielkunst Mitterwurzers

Bereits in der Einführung wurde auf die Beobachtung von Helmut Pfotenhauer, Wolfgang Riedel und Sabine Schneider hingewiesen, wonach sich in der europäischen Literatur um 1900 vielfältige »kreative Sprachanstrengungen im Spannungsfeld von Bild und Sprache« verzeichnen lassen (Einf. 4, 6).1381 Die Herausgeber bezeichnen diese Tendenz im Titel ihres Sammelbandes als Poetik der Evidenz (2005). Ich verstehe diese »Evidenz« als ›moderne‹ Ausprägung von Enargeia, wobei die Modernität in Bezug auf psychologische »Nervenkunst« liegt: Nervöse Enargeia, wie ich sie nennen möchte, soll den Lesern einen »prekäre[n] Schwellenzustand zwischen Bild und Bedeutung, Visuellem und Symbolischem« vermitteln1382 und verwischt deshalb insbesondere die Grenzen zwischen graphischen, perzeptuellen, mentalen und sprachlichen Bildern.1383 Diese These gilt es nun zu erläutern und im Hinblick auf Mimen-Ekphrasis zu pointieren. Obwohl der Sammelband Poetik der Evidenz keine Beiträge zum Theater bietet, finden sich im Vorwort Formulierungen wie »Textdramen der Sichtbar-

1380 Einige Grundgedanken dieses Kapitels wurden bereits skizziert in Singer : Absenz als Präsenz von Schauspielkunst, vereinzelt sind Formulierungen wörtlich übernommen. 1381 Pfotenhauer/Riedel/Schneider : Poetik der Evidenz, IX. 1382 Pfotenhauer/Riedel/Schneider : Poetik der Evidenz, IX (meine Hervorhebung). 1383 Sabine Schneider nennt als Leitfragen des Bild-Diskurses um 1900: »Was verbindet die Bildmagie eines ›primitiven‹ Denkens mit sinnesphysiologischen Halluzinationen, was haben psychopathologische Phänomene der ›Abspaltung‹ mit den stummen Bildern des Kinos gemein? Welche untergründigen Beziehungen gibt es zwischen der Metapher und der visuellen Logik des Traums? Und wie lassen sich Bildphänomene in der Literatur umsetzen?« (Schneider : Verheißung der Bilder, 4).

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Poetische Mimen-Ekphrasis im Zeichen von ›nervöser Enargeia‹

keit« und »ein auf der Bühne des Textes inszeniertes Sprachdrama«.1384 Dabei geht es allerdings nicht, wie im antiken Enargeia-Modell, darum, eine handlungsintensive ›Szene‹ vor Augen zu stellen. Insofern ist verständlich, dass Sabine Schneider in der Einleitung ihrer den Sammelband ergänzenden und für das Thema maßgeblichen Habilitationsschrift Die Verheißung der Bilder (2006) ausdrücklich klarstellt, bei der Rede von ›Bildern‹ in den von ihr untersuchten Texten gehe es »nicht um Ekphrasis und auch nicht um die Frage der Erzeugung von Sichtbarkeit durch Literatur – etwa im Sinn der rhetorischen Enargeia.«1385 Wenn Schneider jedoch von »ekphrastischen Beschreibungen im Sinne des Mimesisgebots« spricht,1386 verengt sie Ekphrasis und Enargeia auf das Ziel, möglichst präzise visuelle Vorstellungen zu erzeugen. Dagegen ist daran zu erinnern, dass rhetorische Ekphrasis vor allem, in Analogie zu einer Theateraufführung, Emotionen wecken soll, und sich dabei nicht nur ›mimetischer‹, sondern auch suggestiver Verfahren bedient, von Imaginationssignalen und diskreten Empathiesignalen der Erzählinstanz über die Einführung eines intradiegetischen Publikums bis zur intermedialen Metalepse, von der Hervorhebung handlungsintensiver Gegenstände bis zum Einsatz synästhetischer Metaphorik (siehe I.2). Bezeichnend für Schneiders Verständnis moderner literarischer Evidenz ist, dass sie im Anschluss an die soeben zitierte Abgrenzung von traditioneller Ekphrasis und Enargeia die oben zitierten Theater-Metaphern aus dem Vorwort des Evidenz-Sammelbandes wiederholt: Es sind literarische Sprachspiele (im Sinne Wittgensteins), Textdramen der Sichtbarkeit, literarische Inszenierungen, die den Einbruch der Bilder in die Sprache als Entäußerung der Sprache ans andere Medium inszenieren. Die topische Rede von der Sprachkrise der Moderne erweist sich in diesen Texten als ein (zeichen-)lustvolles Spiel mit den Grenzen der Sprache, als auf der Bühne des Textes inszeniertes Sprachdrama.1387

Wenn der Text also nicht nur als ›Drama‹, sondern auch als ›Bühne‹ gedacht wird, ist das Grundmodell durchaus vergleichbar mit der klassischen Formel, Enargeia solle ›aus Hörern (oder Lesern) Zuschauer machen‹ (Einf. 4). Zudem müsste man Schneiders Satz nicht allzu eingreifend ändern, damit er als Charakterisierung von Philostrats Eikones dienen könnte (siehe I.2.2.1-I.2.2.5). Unterschiede zwischen philostratischer und moderner Enargeia liegen vor allem im seit dem 18. Jahrhundert geschärften Bewusstsein für die medialen Eigen1384 1385 1386 1387

Pfotenhauer/Riedel/Schneider : Poetik der Evidenz, IX. Schneider: Verheißung der Bilder, 6. Schneider: Verheißung der Bilder, 22. Schneider: Verheißung der Bilder, 6 (meine Hervorhebungen). Kapitel IV trägt sogar die Überschrift Die farbige Entrückung der Sprache: Textdramen der Sichtbarkeit (171).

Die Elegie Zum Gedächtnis des Schauspielers Mitterwurzer

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gesetzlichkeiten der ›Schwesterkünste‹, noch gesteigert durch die hier angesprochene »Sprachkrise«, und in der gewachsenen Aufmerksamkeit für psychologische Phänomene, die sich um 1900 bevorzugt mit dem Schlagwort ›Nervosität‹ verbindet.1388 Nun könnte man sich fragen, ob Schneiders Umschreibung moderner sprachlicher Bildlichkeit bzw. ›poetischer Evidenz‹ durch Theatermetaphern nicht einfach anschließt an einen seit Ende des 20. Jahrhunderts beobachtbaren literaturwissenschaftlichen Trend, Textstrategien in Leitbegriffen wie ›Performativität‹ oder ›Theatralität‹ zu fassen, deren Bezug zum tatsächlichen Theater eher lose ist.1389 Doch zeigt Schneiders Studie durchaus konkrete Bezüge zwischen ›Bildern‹ als »Textdramen der Sichtbarkeit« und ›Bildern‹ auf der realen Bühne. Zum einen nämlich bietet sie eine Analyse von Hofmannsthals lyrischem Drama Der Tod des Tizian1390 und mündet in eine Interpretation seiner Elektra, da dieses Drama »die unterschiedlichen Bildvorstellungen enggeführt, die als Verheißung der Bilder die Literatur um 1900 geprägt haben«.1391 Dabei wird auch Hofmannsthals Zusammenarbeit mit Max Reinhardt und Gertrud Eysoldt für die Uraufführung von 1903 thematisiert; zu ergänzen ist, dass Eysoldts Darstellung von Elektras »namenlose[m] Tanz« in der SchlussSzene1392 die Schauspielerin schlagartig berühmt machte und die Aufführung insgesamt als Meilenstein in der Durchsetzung eines anti-literarischen Theaters galt, das Visualität und Körperlichkeit in den Mittelpunkt stellte.1393 Zum anderen lässt sich ein etwas versteckterer Bezug zum Theater auch am Ausgangspunkt von Schneiders Überlegungen finden: Sie entwickelt ihre Vorstellungen von literarischer Bildlichkeit um 1900 an Hofmannsthals berühmtem ›Chandos-Brief‹ von 1902, und geht dabei auch auf eine Rezension von 1895 ein, die in mancher Hinsicht als dessen Vorstufe gilt: Eine Monographie. »Friedrich Mitterwurzer« von Eugen Guglia.1394 Darin findet sich insbesondere die Formel vom zeittypischen »tiefen Ekel vor den Worten: denn die Worte haben sich vor

1388 Radkau: Zeitalter der Nervosität; Ellenberger: Entdeckung des Unbewussten, bes. 162– 256; Sprengel: 1870–1900, 89–98. 1389 Zur Performativität als Kategorie der Textanalyse siehe Bachmann-Medick: Cultural Turns, 121–127, zur Theatralität Neumann/Pross/Wildgruber : Szenographien und de Mazza/Pornschlegel: Inszenierte Welt. 1390 Schneider: Verheißung der Bilder, 171–202. 1391 Schneider: Verheißung der Bilder, 8; die Elektra-Interpretation in Kap. V.3 (342–368), siehe auch 29–36 und Rutsch: Sprachlichkeit des Leibes, 215–225. 1392 HSW 7: 110. 1393 Fischer-Lichte: Fremde Körper, siehe auch die Theaterkritiken in Jaron/Möhrmann/ Müller : Berlin – Theater der Jahrhundertwende, 531–542. 1394 Schneider: Verheißung der Bilder, 15f.; siehe außerdem ebd. 103; zur Bedeutung von Ein Brief (so der eigentliche Titel des ›Chandos-Briefs‹) für Hofmannsthals Poetik des Körpers siehe Rutsch: Leiblichkeit der Sprache, 60–89; zu Eine Monographie ebd. 250–259.

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Poetische Mimen-Ekphrasis im Zeichen von ›nervöser Enargeia‹

die Dinge gestellt.« (HM: 479)1395 Als Inbegriff sinnentleerter Worte wird das Literaturtheater angegriffen samt jenen Schauspielern, die sich als »Interpreten des Dichters« verstehen – den Burgschauspieler Friedrich Mitterwurzer dagegen (1844–1897) lobt Hofmannsthal in provokativer Umwertung herkömmlicher Diffamierungen dieses Berufsstands als »Gaukler, Virtuosen und Mätzchenmacher« (HM: 482). Eigentlicher Gegenstand des Textes ist eine monographische Darstellung von Mitterwurzers Schauspielkunst durch den Historiker Eugen Guglia (1857–1919). Ähnlich wie Goethe die »Ohnmacht des Verfassers« Böttiger gegenüber der Schauspielkunst Ifflands verspottete,1396 macht sich Hofmannsthals rund hundert Jahre später im Eingangssatz seiner Rezension lustig über den Gegensatz zwischen dem »Professor« und dem »lebenden Schauspieler« (HM: 479); sein Text schließt mit der Formulierung: »ein Professor notiert die Veränderungen seines Gesichtes und die Verschwiegenheiten seiner Stimme wie Siege des Sulla oder Entwürfe des Palladio.« (HM: 483) Anders als Goethe jedoch liefert Hofmannsthal im selben Text ein Schauspielerporträt Mitterwurzers, das sich als Gegenentwurf verstehen lässt zur traditionellen, am Ideal der Rollen-›Verkörperung‹ orientierten Mimen-Ekphrasis, der Guglia verpflichtet ist.1397 Dass die Vorstellung von ›Bildern‹ in jenem weiten Wortverständnis, das Sabine Schneider ansetzt, auch die Schauspieltheorie beeinflusste, zeigt die im Jahr 1900 erschienene Schrift Der Schauspieler, verfasst vom Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter Max Martersteig (1855–1926), den Reinhart MeyerKalkus als einen »der Ahnväter der Theaterwissenschaft in Deutschland« bezeichnet.1398 Martersteig zufolge beginnt die Arbeit des Schauspielers damit, die »unter der Bewußtseinsschwelle schlummernden Bilder und Kräfte einer Vorstellungsreihe« zu aktivieren,1399 um »das, was da als schwarze Buchstaben auf dem Papiere liegt,« – seine Rolle also – »in ein farbiges, vielgestaltiges, leben-

1395 Die Sigle HM steht fortan für Hofmannsthals Rezension der Mitterwurzer-Monographie, zitiert nach HRuA: 479–481, siehe Schneider: Verheißung der Bilder 15, Anm. 26. 1396 MA 8.1, 270, siehe III.1. 1397 »Verkörperung« wird hier, wohlgemerkt, durchgehend im Sinn der Rollen-Aktualisierung durch einen Körper verstanden und nicht im Sinn seiner Mitte des 20. Jahrhunderts erfolgten Uminterpretation als embodiment im Anschluss an Merleau-Pontys Lehre vom Primat des chair (siehe Fischer-Lichte: [Art.] Verkörperung, 381 unter Hinweis auf Csjrdas: Embodiment and Experience sowie Merleau-Ponty : Das Sichtbare und das Unsichtbare). 1398 Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste, 254. Zu Martersteiges Schrift siehe die Einleitung zu Auszügen daraus in Roselt: Schauspieltheorien, 208–212. Martersteigs (immer noch lesenswertes) theaterhistorisches Hauptwerk ist Das deutsche Theater im 19. Jahrhundert (1904). – Über Hofmannsthal und die Theaterreform um 1900 informiert Junge: Text in Bewegung, 23–35, speziell zum Stellenwert des Schauspielers ebd. 35–42. 1399 Martersteig: Der Schauspieler, 35; zur Einordnung seiner Theorie: Roselt: Schauspieltheorien, 208–212.

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diges Bild« seiner Phantasie zu überführen.1400 Diesen Vorgang versteht Martersteig unter ausdrücklicher Berufung auf damals aktuelle Forschungen als »Hypnose«, das heißt als »Zustand, in welchem durch eine äußerliche Veranlassung, also unwillkürlich, die ganze Aufmerksamkeit des Individuums auf eine bestimmte Vorstellung gelenkt worden ist, während andere Vorstellungsreihen des Cerebralsystems in zwangsweise Unthätigkeit versetzt sind und in derselben verharren.«1401 Dass die Verkörperung einer Rolle eine wenigstens »partielle« oder »ästhetische Hypnose« erfordert, untermauert Martersteig durch das Zeugnis Friedrich Mitterwurzers, der ihm gegenüber geäußert habe: Ich versenke mich mit aller Sammlung in die darzustellende Dichtung. Wirkt sie überhaupt auf mich ein, so befällt mich bald ein eigener Zustand, in dem ich die Gestalten, namentlich aber die, welche ich darstellen möchte, leibhaft, greifbar, bestimmt in allen ihren beschriebenen und nicht beschriebenen Lebensäußerungen nicht vor mir sehe, sondern in mir. Was ich sein soll, und wie ich es sein soll, das steht in seinen wesentlichen Formen, erfüllt von seinem gesamten Gefühlsinhalt, eigentlich mit einem Schlage vor meiner Seele. Daran merke ich auch, daß ich die Rolle spielen kann. Treten dieser Zustand und dieses Erleben nicht ein, so wird gewöhnlich nie etwas aus der Rolle; alle Anstrengung des Verstandes kommt ihr nicht bei. Und da ich jenen Zustand und seine Wirkung nicht erzwingen kann, so wird, falls man die Rolle von mir erzwingt, meine Leistung eine matte und unsichere sein.1402

Die Nähe zu Quintilians wirkungsmächtigem Modell der Selbstaffizierung eines Redners durch die Enargeia einer gezielt hervorgerufenen ›Phantasie‹ (I.1.2) ist offensichtlich; dass es hier jedoch um ›nervöse Enargeia‹ geht, zeigt die Betonung des spontanen Auftretens eines solchen Rollenbildes, das sich begünstigen, aber nicht erzwingen lasse.1403 Die berühmtesten Beispiele für die Faszination, die gerade dieser Zusammenhang zwischen künstlerischer Kreativität und aus dem ›Unbewussten‹ kommenden ›Bildern‹ um 1900 ausübte, sind wahrscheinlich die Ratten-Epiphanie von Hofmannsthals Lord Chandos (1902),1404 Freuds 1400 Martersteig: Der Schauspieler, 40f. Wichtigstes Referenzwerk ist Wilhelm Wundts Hypnotismus und Suggestion (Leipzig 1893); Martersteig beruft sich aber auch auf Alfred Lehmanns Hypnose und die damit verwandten normalen Zustände (Leipzig 1890) und August Forels Der Hypnotismus (Stuttgart 1889), siehe Martersteig: Der Schauspieler, 28. 1401 Martersteig: Der Schauspieler, 27 (Hervorhebung im Original). 1402 Martersteig: Der Schauspieler, 46 (Hervorhebungen im Original). 1403 Martersteig betont diesen Aspekt wiederholt und illustriert ihn einmal unter Verweis auf die Ungleichmäßigkeit von Mitterwurzers Autosuggestion und darstellerischer Intensität (Der Schauspieler, 53f.). 1404 »Da, wie ich im tiefen, aufgeworfenen Ackerboden Schritt reite, nichts Schlimmeres in meiner Nähe als eine aufgescheuchte Wachtelbrut und in der Ferne über den welligen Feldern die große sinkende Sonne, tut sich in meinem Innern plötzlicher dieser Keller auf, erfüllt mit dem Todeskampf dieses Volks von Ratten.« (HSW 31: 50f.) Zur Analyse der räumlich-körperlichen Voraussetzungen dieser Epiphanie Rutsch: Leiblichkeit der Sprache, 72–75.

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Aufsatz Der Dichter und das Phantasieren (1908)1405 und die Madeleine-Passage im ersten Kapitel von Prousts Recherche (1913).1406 Martersteig betont allerdings noch einen weiteren Aspekt: »Der Schauspieler, der uns einen vollen moralischen Abscheu vor seinem ›Franz Moor‹ erweckt und nebenbei noch die Bewunderung seiner technischen Qualitäten, hat wohl die Hälfte, aber die zweite Hälfte seiner Aufgabe zuerst gelöst, die wichtigere aber wäre, daß uns die Wesenheit eines Charakters zunächst vollständig mit in ihren Wirbel zöge, daß wir sie mit erlebten.«1407 Diese am Beispiel einer Rollenverkörperung entwickelte (und dem rhetorischen Wirkungsziel des movere entsprechende) Befund wird umgehend verallgemeinert: »[N]icht nur die intuitive Entstehung des Kunstwerks beruht auf einer ästhetischen Hypnose, auch die freilich so seltene tiefe Wirkung desselben, die nicht mit dem allzeit bereiten Verstand Stellung zum Dargestellten nimmt, oder doch im Augenblick nicht zu nehmen vermag, beruht auf einer ästhetischen Hypnose.« Allerdings scheint eine solch radikal irrationale Rezeption Martersteig denn doch nicht ganz geheuer, denn er versichert umgehend: »Sie ist ja kein Beweis für die Güte des Kunstwerks, sagen wir einer Schauspielvorstellung, aber sie ist ein Beweis für die Intensität desselben.«1408 Für Hofmannsthal dagegen ist eine solche Wirkungsweise, wie Bettina Rutsch nachgewiesen hat, in ihrer körperzentrierten Verbindung von Imagination und Einfühlung sogar Vorbild für die gelingende Wirkung von Literatur : »Die Schrift unterbricht nicht den physischen Fluß – sofern allerdings die sie Produzierenden oder Rezipierenden ihrer eigenen leiblich-situativen Einmaligkeit gewärtig sind.«1409 So heißt es im Gespräch über 1405 1406 1407 1408 1409

Freud: Gesammelte Werke 7, 213–223. Proust: Recherche, 44f. Martersteig: Der Schauspieler, 44f. (Hervorhebungen im Original). Martersteig: Der Schauspieler, 45. Rutsch: Leiblichkeit der Sprache, 287. Die Studie bedeutet einen wesentlichen Erkenntnisfortschritt im Hinblick auf Hofmannsthals Sprachskepsis einerseits und seine Zuwendung zu Theaterreform, Pantomime und Tanz andererseits. Ausgehend vom ›Chandos-Brief‹ weist Rutsch nach, dass Hofmannsthal nicht etwa aus radikaler Sprachskepsis zu wortfernen Darstellungsformen flieht, ohne den Gegensatz zwischen beiden aufheben zu können, sondern folgendes Lösungsmodell entwickelt: »Um […] aus der (sprachlichen) Isolation in einen kommunikativen Welt-Kontext zurückkehren zu können, muß das moderne Individuum sich in paradoxer Form neu orientieren, indem es zum einen die ihm durch seinen und andere Körper gesetzten Grenzen wiederum wahr-nimmt und zum anderen in dieser seiner Zugehörigkeit zur Welt der Körper die einzige Chance zur neuerlichen kommunikativen Grenzüberschreitung erfaßt.« (ebd. 288) »Die Sehnsucht nach einer Sprache, welche der Körperwelt verbunden bleibt, anstatt von ihr abgelöst ein Eigenleben zu entfalten,« mache Hofmannsthal »in höchsten Maße empfänglich für den Ausdruck der tänzerisch-gebärdenhaft mit ihrem Körper oder verbalsprachlich aus der Mitte ihres Körpers heraus sprechenden Individuen« (ebd. 208f.). Rutsch zeigt dies anhand von Texten wie dem Dialog Furcht über die Tanzkunst (ebd. 225–236, siehe HSW 31: 45–55) und dem Essay Über die Pantomime (ebd. 236–249, siehe HRuA: 502–505), aber

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Gedichte (1903) mit Bezug auf das Tieropfer als Grundfigur symbolischer Handlung, sofern sich der Opfernde mit dem Opfer identifiziert: »Das ist die Wurzel aller Poesie: wie durchsichtig im Großen: denn was ist klarer, als daß sich mein Fühlen in Hamlet auflöst, solange Hamlet auf der Bühne steht und mich hypnotisiert? Aber wie durchsichtig auch im Kleinen: faßt mich, für eines Gedankenblitzes Dauer, nicht das Gefieder jener Schwäne [aus Hebbels Gedicht Sie sehn sich nicht wieder] so gut wie Hamlets Haut?«.1410 Um eben diese Intensität speziell der schauspielerischen Leistung geht es Hofmannsthal bereits 1895, wenn er Mitterwurzers Leistung als »Erlebnis« feiert und die »Monographie« von »Professor« Guglia als diesem unangemessen verspottet. Hofmannsthal entwickelt aber auch als Teil seiner Rezension ein Schauspielerporträt Mitterwurzers, das diese Wirkung mit Hilfe ungewöhnlicher sprachlicher Bildlichkeit zu evozieren sucht. Anders als Martersteig, der letztlich noch immer dem Modell des Literaturtheaters und der Verkörperung verpflichtet ist (auch wenn er sie »Transfiguration« nennt),1411 sieht er dabei programmatisch vom Bezug auf bestimmte Rollen ab. In Hofmannsthals poetischem Nachruf auf den zwei Jahre später verstorbenen Mitterwurzer (1897) werden dagegen bestimmte Rollen erwähnt, jedoch nur als Momente eines Gesamt-›Erlebnisses‹, dessen Darstellung ich im Sinn ›nervöser Enargeia‹ interpretieren und mit einem dreizehn Jahre später entstandenen poetischen Nachruf auf Josef Kainz (1910) vergleichen werde (V.3–6). Zunächst jedoch ist zu zeigen, wie Eugen Guglia selbst, von dem Hofmannsthal sich so ostentativ absetzt, seine umfangreiche Mimen-Ekphrasis ins Verhältnis zu seinem historiographischen Schaffen setzt, wie sich diese zu den bislang herausgearbeiteten Strategien von Mimen-Ekphrasis verhält und welche Merkmale von Mitterwurzers Schauspielkunst darin herausgearbeitet werden auch anhand der hier zu untersuchenden Mitterwurzer-Ekphrasen (ebd. 250–259). Nicht thematisiert wird allerdings die Frage, wie Hofmannsthal versucht, die »Sprachlichkeit des Leibes« der beschriebenen Tänzer und Mimen in die »Leiblichkeit der Sprache« seiner Beschreibungen zu übersetzen. – Angesichts von Rutschs Monographie sind insbesondere Thiemer : Hofmannsthals Ballettdichtungen; Schäfer : Die Kunst der »mimischen« Mittel; Mauser : Bild und Gebärde; Chelius-Göbbels: Formen mittelbarer Darstellung; Schwalbe: Sprache und Gebärde; Austin: Phänomenologie der Gebärde weitgehend überholt (siehe ebd. 13–43). Rutschs 1998 publizierte Dissertationsschrift ist bestens kompatibel mit der Interpretation des Chandos-Briefes in Georg Braungarts 1995 erschienener Studie Leibhafter Sinn. Der andere Diskurs der Moderne (219–230), wie auch mit Brandstetter : TanzLektüren aus demselben Jahr (siehe darin bes. 49–57; 279–282); beide werden von Rutsch allerdings nicht mehr berücksichtigt. Junge: Text in Bewegung schließt ausdrücklich an Rutsch an (26, Anm. 46) und setzt sich »mit der theoretisch-phänomenologischen Fokussierung Hofmannsthals von Pantomime, Tanz, Film« sowie von Szenarien für diese Gattungen auseinander (ebd. 8). Immer noch hilfreich für den theatergeschichtlichen Hintergrund ist zudem Kindermann: Hofmannsthal und die Schauspielkunst. 1410 HSW 31, 74–86 hier 81, siehe Hebbel: Werke 3, 46. 1411 Martersteig: Der Schauspieler, 6.

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(V.2). Es gilt zu belegen, dass es eine bemerkenswerte Kontinuität zwischen dem Grundverständnis der Gattung Mimen-Ekphrasis bei Böttiger und Guglia gibt, was noch einmal die zeitliche Lücke zwischen den im letzten und im aktuellen Teil meiner Arbeit untersuchten Texten rechtfertigt. Vor allem aber lässt sich vor diesem Hintergrund Hofmannsthals Kritik an traditioneller Mimen-Ekphrasis besser verstehen (V.3), und es lassen sich die innovativen Schreibstrategien seiner Mitterwurzer-Ekphrasen kontrastiv deutlicher herausarbeiten.

1.2

Der Verlebendiger und die »Schatten«: Eugen Guglias Mitterwurzer-Monographie und die Kontinuität der Mimen-Ekphrasis im 19. Jahrhundert

1.2.1 Vorwort »Ein merkwürdiger Mensch, den ich sehen und hören kann, der vor meinen Augen lebt und wirkt und schafft, der ist mir doch lieber als alle die berühmten Schatten, die mein Geschichtsbewußtsein mir heraufbeschwören kann.« (GM: VIII)1412 Mit diesen Worten begründet Eugen Guglia, der bis dahin vor allem mit popularhistorischen Schriften etwa über Die konservativen Elemente Frankreichs am Vorabend der Revolution (1890) oder eine Geschichte der Stadt Wien (1892) hervorgetreten war,1413 die Unternehmung einer Monographie des 50jährigen Schauspielers Friedrich Mitterwurzer im Jahre 1895. Er kontrastiert also die allenfalls virtuelle Präsenz von Vergangenheit, die ein Historiker simulieren kann, mit der ›starken Präsenz‹ eines Schauspielers, die ein Zuschauer erlebt. Mit ›starker Präsenz‹ (siehe I.5.3 und II.5.5) meint Erika Fischer-Lichte »die Beherrschung des Raumes durch den Akteur und die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf ihn«:1414 Ihr Beispiel ist Gustav Gründgens; in dieser Arbeit wurde das Konzept auch auf Lichtenbergs Garrick-›Porträt‹ bezogen.1415 Mitterwurzer formuliert: »Ein merkwürdiger Mensch, den ich sehen und hören kann, der vor meinen Augen lebt und wirkt und schafft, der ist mir doch lieber als alle die berühmten Schatten, die mein Geschichtsbewußtsein mir heraufbeschwören kann.« (GM: VIII) Allerdings ist zu beachten, dass sich die Formulierung nicht unbedingt auf einen Schauspieler beziehen muss. Guglia, dessen Vorwort durchgehend als 1412 Die Sigle GM steht im Folgenden für Guglia: Mitterwurzer ; Seitenzahl hier in römischen Ziffern, weil im separat paginierten Vorwort. 1413 Für beide wird in seiner Mitterwurzer-Monographie geworben. 1414 Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, 166; genau genommen spricht sie vom ›starken Konzept von Präsenz‹. 1415 Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, 164f.

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Zwiesprache mit seinen Lesern im vertraulichen Plauderton gestaltet ist,1416 führt sogar einen möglichen Einwand an gegen die Thematisierung eines Schauspielers: »Aber, werdet ihr vielleicht sagen, wenn Du schon durchaus etwas vom lebendigen Leben willst, warum hältst Du Dich an seinen bloßen Schein? […] [W]arum das Auge auf die hölzerne Bretterbude gerichtet, wo auch nur wieder Schattenbilder auf- und niedergehen, wo auch so oft wieder nur ein Vergangenes sich spiegelt?…« (GM: VIII) Hier wird Schauspielkunst als etwas Absentes kritisiert und zwar, wie sich an der Formulierung ›Schattenbilder‹ zeigen lässt, im mehrfachen Sinn: Gemeint ist zunächst das ›Schattentheater‹ des Platonischen Höhlengleichnisses, welches die Wirklichkeit als scheinhaft entlarvt, so dass Mimesis als Schein des Scheines diffamiert werden kann.1417 In diesem Fall geht es um die Mimesis des Literaturtheaters und das ›Verkörperungs‹-Modell, demzufolge ein Schauspieler – mit Goethes prägnanter Formulierung – »in gewissen Rollen seine Individualität unkenntlich zu machen« hat.1418 Aus diesem Grund wurde Schauspielkunst ja im 18. Jahrhundert nicht selten als parasitär und unschöpferisch kritisiert, weshalb besonders Lichtenberg, Böttiger und Tieck das schöpferische Moment der kongenialen oder gar verbessernden Rolleninterpretation hervorhoben. Die Metapher »Schattenbilder« verweist aber auch, ebenso wie die oben zitierten Formulierung Guglias von den »berühmten Schatten« seines Geschichtsbewusstseins, auf jene Schemen, die nach antiker Vorstellung die Unterwelt bevölkern (siehe IV.2.3). Hier geht es also nicht um die Verflüchtigung des Darstellers in der Darstellung, sondern um die Nachträglichkeit des Dargestellten selbst: Auch ein Darsteller des König Philipp verkörpert ja einen »berühmten Schatten«, der Schillers »Geschichtsbewußtsein« entsprungen ist – und selbst Schiller’sche Gegenwartsdramen wie Kabale und Liebe sind 1895 historisch geworden. Guglia entkräftet beide Aspekte des Einwands mit der Behauptung, Mitterwurzer sei ein radikaler Vergegenwärtiger, sein Spiel intensivierte ›Präsenz‹: »Eben auf diesen Brettern spricht er sein Sein und Leben aus […]. Auch den Schemen der Vergangenheit haucht er den Odem seiner Seele ein – sie sind nicht mehr von einst, wenn er ihre Gestalt annimmt, sie sind von heute, meine Zeitgenossen, meine Mitlebenden. So wird Gewesenes zum Gegenwärtigen, der Schein zum Sein« (GM: IX). Doch lässt sich der fiktive Einwand noch in anderer, wiederum wohlvertrauter Weise verstehen: ›Schattenhaft‹ ist Schauspielkunst 1416 Bezeichnend sind bereits die Widmung »Den Schönen am St. Wolfgangsee« (GM: V) und der erste Satz: »Der kleine Kreis von treuen Lesern, dessen ich mich rühmen darf, wird erstaunen und dann vielleicht die Achsel zucken und lächeln, wenn er den Titel dieser Schrift liest und meinen Namen darunter sieht.« (GM: VII). 1417 Plat. rep. 10 (595–607a); dazu Scholz: Bild, 624–626; Bredekamp: Theorie des Bildakts, 36–43. 1418 GFA 1: 843.

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auch, insofern sie transitorisch und im Moment des Beschreibens vergangen ist – selbst dann, wenn der Künstler noch lebt, radikal aber, wenn er gestorben ist. Diesen Aspekt spricht Guglia indirekt gleich im ersten Abschnitt an, wenn er die fiktive Frage formuliert: »Werden seine [des Historikers] Augen nicht zu stumpf sein für wahrhaftiges Schauen, seine Hand nicht zu ungelenk, um etwas zu zeichnen, was nicht in todtenstarrer Ruhe, für immer abgeschlossen, vor ihm liegt, sondern das noch die volle Beweglichkeit des Lebens hat und mit dem wechselnden Tageslicht selber Gestalt und Züge verändert?« (GM: VII). Hofmannsthals oben zitierte Wendung »ein Professor notiert die Veränderungen seines Gesichtes und die Verschwiegenheiten seiner Stimme wie Siege des Sulla« (HM: 483) spitzt diesen Einwand nur noch ein wenig zu. Guglia beruft sich dagegen auf seine langjährige Vertrautheit mit der Kunst dieses Schauspielers und auf deren intensive enargeische Wirkung: Ich habe Mitterwurzer von 1874 bis heute in mehr als siebzig Rollen gesehen und von dem größten Theil derselben werde ich berichten. Einige von den Eindrücken, die ich zu schildern unternehme, sind freilich sehr alt – zehn, fünfzehn, zwanzig Jahre. Aber fürchtet nicht, daß mir das Gedächtniß dabei einen Streich spielen könnte. Denn einmal liegen doch meist Aufzeichnungen, die gleich damals nach der Vorstellung von mir gemacht worden sind, zu Grunde, und dann brauche ich nur den Text einer Mitterwurzer-Rolle, die ich einmal gesehen, laut vor mich hin zu sagen und es wird der alte Eindruck wieder ganz neu und frisch in mir ; jeder einzelne Zug steht vor mir, jede Geberde, ich vernehme den Tonfall seiner Stimme: in mir baue ich Alles wieder auf. (GM: IXf.)

Wie er seine Vision vor dem geistigen Auge der Leser aufbauen will, wird eher vage formuliert: »Ich verspreche Euch viel bunte Bilder, lustige und traurige, große und kleine, schreckliche und ergötzliche – wie nur der gute Peter Squenz seinem König sie versprach« (GM: IX). Die Vielfalt der hier versammelten Rollenporträts soll also einen abwechslungsreichen Eindruck von Mitterwurzers Kunst verschaffen. Dabei wird die Enargeia der Aufführung bzw. Verkörperung mit der von Guglias Mimen-Ekphrasen gleichgesetzt: ein hoher Anspruch, allerdings ironisiert durch den Hinweis auf den kläglich scheiternden Laienspielleiter im Sommernachtstraum. Der Begriff »Bilder« meint aber auch eine Absetzung von Mimen-Ekphrasen im Zusammenhang stark wertender Theaterkritiken: Ich will vor Allem beschreiben, was ich gesehen habe. Die Kritik des Tages spendet dem Schauspieler Lob und Tadel; wie er aber eigentlich gewesen ist, darauf geht sie fast niemals ein, sie hat nicht die Muße dazu. Und so kommt es, dass wir von den großen Gestalten, die die Eckhof, Schröder, Eßlair, Fleck, Ludwig Devrient, Seydelmann, Dawison der deutschen Bühne gaben, höchstens die allgemeinen Umrisse und wenige allgemeine Züge kennen – auch diese sind uns meist mehr durch Zufall, als mit Absicht überliefert worden. (GM: IX)

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Guglia greift den für Mimen-Ekphrasen topischen Terminus ›Umriss‹ auf, was vermuten lässt, dass er selbst genauere »Züge«, wenn nicht gar ›Schattierungen‹ der verkörperten »großen Gestalten« beschreiben möchte. In welchem Sinn dies geschehen soll, verdeutlicht die anschließende Fußnote: Ich weiß wohl, daß es da Ausnahmen gibt; Lessing und Tieck schildern zuweilen auch die Leistungen der Schauspieler so lebhaft, daß wir eine Vorstellung von ihnen haben können, und die Lady Macbeth der berühmten Siddons können wir Dank der Aufzeichnungen der Boadens und Campbell von Scene zu Scene verfolgen. Aber das sind doch Alles nur Ausnahmen. Die künstlerische Persönlichkeit eines Schauspielers von Allen Seiten zu beschreiben, hat meines Wissens noch nie Jemand unternommen; unsere Schauspieler-Biographien (Uhde, Rötscher, Wurzbach u. A.) geben doch immer nur Geschichte des äußeren Lebens. (GM: IX)

Guglia bekennt sich also zur Technik der Beschreibung mimischer ›Feinheiten‹, wie sie sich punktuell in Lessings Hamburgischer Dramaturgie und (allerdings präziser im Bereich karikaturistischer Kritik, siehe V.5.1) in Tiecks Theaterkritiken findet; außerdem schätzt er die eingehenden Rollenbeschreibung in den Siddons-Biographien von James Boaden (1827) und Thomas Campbell (1834).1419 Böttigers Entwickelung jedoch scheint ihm ebenso unbekannt zu sein wie Lichtenbergs Briefe aus England. Allerdings geht der Umfang von Guglias Monographie noch deutlich über das Projekt hinaus, die während eines LondonBesuches oder anlässlich eines Gastspiels gesehenen Verkörperungen zu beschreiben: Von Mitterwurzers Verkörperung MoliHres in Gutzkows Urbild des Tartüffe im September 1874 (GM: 24–26) bis zu seiner Verkörperung von Schillers Philipp im Oktober 1895 (GM: 135–140) sollen die wichtigsten »Schöpfungen« des Schauspielers (GM: 99) vorgestellt werden. Zunächst aber bietet Guglia unter der Überschrift Allgemeines ein ›Schauspielerporträt‹, das in die Abschnitte Aueßere Erscheinung (GM: 3f.), Persönlichkeit (GM: 4–10) und Aueßeres Leben. Rollengebiet (GM: 10–19) gegliedert ist.

1.2.2 Schauspielerporträt Der Abschnitt Aeußere Erscheinung stellt diese von Anfang an als Teil seiner reichen »schauspielerischen Mittel« vor (GM: 3). Thematisiert werden in überlegter Abfolge der körperliche Gesamteindruck, der Gang, das Gesicht und vor allem das Auge, schließlich »Organ« und Deklamation. Anders als Lichtenbergs Garrick-Porträt, das Präsenz im Rückgriff auf das Schema galanter 1419 Boaden: Siddons 2, 132–146; Campbell zitiert Siddons Remarks on the Character of Lady Macbeth (Campbell: Siddons 2, 10–34), eine Mischung aus Rollen-›Zergliederung‹ und Anweisung zu einer ›idealen‹ Verkörperung in der Tradition von Garricks MacbethAnalyse (siehe II.3.2).

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Conduite evoziert, oder als Humboldts Talma-Porträt, das statuenhaften Umriss mit lebendigem Körper kontrastiert, orientiert sich Guglias Mitterwurzer-Porträt an keinem Körperschema. Sein Augenmerk gilt von Anfang an Gegensätzen und Kontinuitäten der ›Erscheinung‹ im Alltag und auf der Bühne, wobei vor allem der Umfang des Rollenrepertoires von Interesse ist: Er ist ein großer und starker Mann, mit breiter Brust und breitem Rücken. Sein Gang ist nicht immer gleich, auf der Straße gewöhnlich aufrecht, mit in die Höhe gerichtetem Haupt und Blick, auf der Bühne häufig etwas vorwärts geneigt, wie zum Sprunge ausholend; diese Haltung nimmt er auch oft an, wenn er stille steht; es ist, als wolle er sich auf etwas stürzen. Doch kann er auch kerzengerade und hölzern dastehen und kann sich klein, dünn und geschmeidig machen. (GM: 3)

Entsprechend heißt es, Mitterwurzers Gesicht habe »etwas sehr Anziehendes, wenn er es nicht gerade zur Grimasse verzieht, was er auch außerhalb der Bühne zuweilen thut.« (GM: 3) Einen besonderen Akzent setzt Gulia, indem er das Aussehen des Endzwanzigers mit dem aktuellen des Endvierzigers vergleicht: »[S]ein Scheitel ist stark gelichtet, die Frische der Jugend aus dem Antlitz gewichen, aber ist noch immer eine stattliche Erscheinung, seine Bewegungen sind noch immer rasch und jugendlich; auf der Bühne kann er noch Männer in den Zwanziger Jahren glaubhaft darstellen. Und heute wie vor zwanzig Jahren fesselt sein unendlich ausdrucksvolles Auge […].« (GM: 3) Der Hinweis auf dieses »sein machtvollstes schauspielerisches Mittel« ist topisch, wird in diesem Fall allerdings im Hinblick auf Mitterwurzers Repertoire konkretisiert: »es vermag mit durchdringender Schärfe den Andern zu durchblicken; es vermag im Affekt zu leuchten wie weißglühendes Metall; es vermag in weltabgewandter Ruhe ferne Höhen und Tiefen zu schauen.« (GM: 3) Noch konkreter und ausführlicher wird die Eignung von Mitterwurzers ›ziemlich kräftigem Organ‹ für sein Rollenrepertoire beschrieben: Es bleibt so ziemlich in allen Lagen verständlich; nur wenn es überlaut wird – etwa im Befehl des Feldherrn an seine Krieger im Getümmel der Schlacht – läßt es die einzelnen Worte nicht mehr deutlich vernehmen, die Consonanten gehen dann gleichsam in einem wüsten Gewoge von Vocalen unter. Für scharfe Auseinandersetzung, eindringliche Rede, Spott und Sarkasmus ist dieses Organ vorzüglich geeignet; es kann durch Dehnen und Zerren der Worte, durch plötzlichen Uebergang aus einer Höhenlage in die andere komische Effecte hervorbringen, wobei es durch eine ungemeine Zungenfertigkeit unterstützt wird. Aber nicht minder vermag es große Leidenschaften auszudrücken, besonders eine starke innerliche, halb unterdrückte Bewegung: Stammeln und Lallen, unheimliches Flüstern, ein zitterndes Hervorpressen, ja Herauswürgen der Worte der Worte deutet sie überzeugend und ergreifend an. (GM: 4)

Bemerkenswert an dieser Passage ist aber nicht nur der präzise Bezug auf Rollenfächer und typische dramatische Höhepunkte, sondern auch die Vielfalt der thematisierten Aspekte von Sprechtechnik: Deutlichkeit, Lautstärke, Tonhöhe,

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Sprechtempo und Einsatz paralinguistischer Effekte. Vereinzelt werden sie zwar auch in Ekphrasen des 18. Jahrhunderts thematisiert,1420 doch die Spannweite und Präzision dieser Zusammenschau ist nur verständlich angesichts eines Ende des 19. Jahrhunderts deutlich gewachsenen Interesses an Phonetik und »Sprechkunst«, das sich unter anderem in den Anfängen systematischer »Sprecherziehung« niederschlägt.1421 Das Publikum zeigte sich allerdings nicht nur fasziniert von technischer Brillanz, sondern auch vom Umschlag in den scheinbar kunstlosen ›Naturlaut‹ an affektiven Höhepunkten; besonders berühmt war der sogenannte »Wolterschrei«, eine Spezialität der Burgschauspielerin Charlotte Wolter.1422 Auch Guglia kommt auf diesen Aspekt zu sprechen und greift dabei zum ersten Mal in dieser Passage zu auffallender Metaphorik: »Zuletzt wohnt ihm auch noch die Kraft inne, für einen Augenblick wenigstens auch das Furchtbarste und Aeußerste zu bezeichnen; die Stimme vermag zum Donner anzuschwellen, das Wort sich wie ein Blitz in einem wilden Aufschrei zu entladen.« (GM: 4) Verglichen mit E.T.A. Hoffmanns Evokation des ersten Einsatzes der Donna Anna in Don Giovanni allerdings – »Durch den Sturm der Instrumente leuchteten, wie glühende Blitze, die aus ätherischem Metall gegossenen Töne!« –1423 wirkt Guglias Bildlichkeit eher konventionell. Und in unmetaphorischer Nüchternheit wird anschließend festgestellt, Mitterwurzer seien »für lyrische Declamation […] die Töne versagt. Die poetische Rede gliedert er nie nach ästhetischen, immer nach psychologischen Motiven, jeder Satz, jedes Wort erscheint als der Ausdruck eines innerlichen Processes.« Die Aussprache des immerhin in Sachsen Aufgewachsenen schließlich sei »die auf deutschen Bühnen allgemein übliche, etwas norddeutsch gefärbt« (GM: 4). Ausführlicher noch wird Mitterwurzers Persönlichkeit vorgestellt (GM: 4– 10). Thematisch wird die Darstellung dominiert durch die Dualität von Privatmann und Bühnenkünstler, wobei es bereits im Vorwort hieß, daß er auf der Bühne sein eigentliches »Sein und Leben« ausspreche (GM: IX). Umgekehrt trügen Schauspieler im Allgemeinen »ohne es immer zu wissen und zu wollen, […] auch außerhalb der Bühne eine Maske« (GM: 4). Dieser Befund wird zunächst unter Rückgriff auf ein längeres Nietzsche-Zitat aus der Fröhlichen 1420 Das berühmteste Beispiel ist sicher Lichtenbergs Beobachtung, Garrick habe den Geist seines Vaters »nicht mit dem Anfange, sondern mit dem Ende eines Odemzugs und bebender Stimme« angesprochen (LBE: 335), erinnert sei zudem an Churchills Karikatur von Arthur Murphys Rezitation (CR V. 567–570: 19, siehe II.4.2) und Böttigers Erläuterungen zu Ifflands unaffektiertem Sprechen (BEIS: 399f., siehe III.8.2). 1421 Siehe Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste, zur Phonetik bes. 73–125, zur Sprecherziehung 128–130; sowie Nöther : Als Halbgott sprechen, 129–202; Göttert: Geschichte der Stimme, 391–398. 1422 Siehe Vogel: Die Furie und das Gesetz, 330–338, Bab: Kränze dem Mimen, 257. 1423 Hoffmann: Werke 2.1: 84f., siehe IV.5.2.

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Wissenschaft problematisiert: Schauspielkunst verlange »Falschheit mit gutem Gewissen«, und eine solche Veranlagung finde sich vor allem »bei Familien des niedern Volkes« und bei Juden (GM: 5).1424 Ohne sich von der sozialen Überheblichkeit und der antisemitischen Tendenz dieses Verdammungsurteils zu distanzieren, weist Guglia darauf hin, dass Mitterwurzer »nun freilich kein Jude« sei und sein Vater, ein berühmter Wagner-Sänger in Dresden, zwar aus einer Tiroler Bauernfamilie stamme, »die Tiroler Bauern waren aber nie leibeigen« (GM: 5). Gleichwohl fände sich bei Mitterwurzer einiges »von dem, was Nietzsche da als Charaktermerkmale des Schauspielers hinstellt […]. Er hat selbst einmal die ›Feuerfresser, Gaukler, Schlangenmenschen und Schwerttänzer‹ seine ›Collegen‹ genannt, und wir werden später sehen, wie das Groteskkomische, das Gaukler- und Clownhafte einen Hauptzug seiner schauspielerischen Persönlichkeit bildet.« Und Guglia psychologisiert: »Sein Vater starb im Irrenhaus, auch seine Mutter soll zuletzt gestörten Geistes gewesen sein; so wäre er denn von beiden Eltern ›hereditär belastet‹, man wird das nicht vergessen dürfen und ihm zu Gute rechnen.« (GM: 6) Andererseits relativiert Guglia die hier angedeutete künstlerische Exzentrik aus eigener Erfahrung: Mitterwurzer sei ihm »bei den wenigen Begegnungen, die ich mit ihm hatte, einfach in Rede und Wesen« erschienen, keineswegs als Selbstdarsteller, sondern »als stiller Beobachter und Hörer, der den Gast gern in’s helle Licht setzt«, auch keineswegs launisch, sondern »immer gleich freundlich und heiter« (GM: 7) Auch im Mitterwurzers »stark prononcirten kirchlichen Frömmigkeit« kann Guglia bei »dem Sohn und Enkel eines Tirolers« nichts Ungewöhnliches erkennen (GM: 6). Allerdings sei Mitterwurzer »kein gelehrter Schauspieler« sondern in starkem Maße angewiesen auf »Inspiration«. Ähnlich wie später Martersteig illustriert Guglia diese Behauptung durch eine Selbstaussage des Schauspielers: »›Eines Tages‹, so erzählte er im vorigen Jahre einem Journalisten, der ihn interviewte, ›eines Tages, ich entsinne mich noch genau, es war ein Mittwoch, sitze ich in Milwaukee beim Essen, allein. Plötzlich steht der Mephisto vor mir, unwillkührlich und doch so plastisch; jetzt ›hatte‹ ich ihn und seitdem spiele ich ihn wieder.‹« (GM: 8) Auch in dieser Hinsicht ist Guglia allerdings bemüht, den Eindruck des Unbürgerlichen zu relativieren: »Aber so leicht wird ihm nicht Alles gegeben, er kennt auch treue, ausdauernde Arbeit.« (GM: 8) Dazu passt denn auch, dass er sich angeblich nicht zur »Moderne«, das heißt dem Naturalismus, bekennen will, obwohl er »mehrere ihrer Gestalten zuerst auf der Bühne in ihrem Geist verkörpert hat« (GM: 8). 1424 Es handelt sich um Aphorismus 361: »Vom Problem des Schauspielers« (Nietzsche: Werke 2, 234f.). Zu Nietzsches Schauspieler-Kritik siehe Meyhöfer : Motiv des Schauspielers, 74– 92.

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Trotz dieser beruhigenden Beteuerungen schließt das Kapitel über Mitterwurzers Persönlichkeit mit dem Eindruck, um die »Gestalt dieses Künstlers« bleibe »etwas Geheimnisvolles […] gebreitet. Ich wüßte in der Geschichte des deutschen Schauspieles keinen Typus, nach dem sie gebildet ist.« (GM: 9) Nur eine fiktionale spätromantische Schauspieler-Figur fällt ihm ein: »der Larkens in Möricke’s [sic] ›Maler Nolten‹« (GM: 10). Das dritte Kapitel mit dem Titel Aeußeres Leben. Rollengebiet (GM: 10–19) nennt als wichtigsten künstlerischen Einfluss »seine Mutter Anna Herold, aus Basel gebürtig, die seit 1829 am Dresdner Hoftheater spielte […] – eine Schülerin Tiecks« (GM: 10) und schildert sodann Mitterwurzers »Lehr- und Wanderjahre« (GM: 11) bis zu seinem Engagement am Burgtheater, das er zweimal freiwillig verließ, um zweimal wieder engagiert zu werden. Zitiert werden von Mitterwurzer erzählte Anekdoten eher unterhaltsamer als erhellender Natur, und gewissenhaft werden sämtliche Rollen aufgelistet. Dass Guglia die erste »Charakterrolle« Mitterwurzers, den jüdischen Schulmeister in Salomon Mosenthals Deborah (1848), ausführlich vorstellt, ohne zu wissen, wie er sie verkörperte (GM: 12f.), ist bezeichnend für seine Orientierung am Modell des ›Literaturtheaters‹, die auch seine Rollenporträts prägt.

1.2.3 Rollenporträts und »Schlußwort« Guglias ›Rollenporträts‹ orientieren sich aber nicht nur im Allgemeinen am Grundmodell der ›Verkörperung‹ als Rolleninterpretation, sondern setzen auch im Besonderen die Tradition der sensualistischen Mimen-Ekphrasis fort. Das zeigt sich besonders deutlich im Vergleich des Kapitels Franz Moor (Gesehen im Mai und im November 1876) (GM: 74–78) mit dem dreizehnten Kapitel von Böttigers Entwickelung (BEIS: 290–327);1425 die Kontinuität dieser Tradition zwischen Böttiger und Guglia können die von Monty Jacobs zusammengestellten Mimen-Ekphrasen zu dieser Rolle belegen.1426 Guglias Rollenporträts sind allerdings gedrängter als die Böttigers; auf eine kunstvolle Perspektivierung, vergleichbar derer durch das Billet einer Zuschauerin an Iffland, verzichtet er. Stattdessen nutzt er im ersten Satz das (auch im weiteren Verlauf von Böttigers Kapitel thematisierte) Verhältnis zwischen Franz’ Selbstbeschreibung und der Maske des Schauspielers, um einen ersten Gesamteindruck der Rolle zu vermitteln: »So häßlich, wie sich Franz Moor in dem Monolog des ersten Actes selber macht; war dieser nicht; doch lag etwas Verkommenes und Wirres in dem sehr jugendlichen Antlitz mit der niederen 1425 Dort fälschlich als zwölftes Kapitel gezählt; zur Interpretation siehe III.3.3, III.3.4, III.5.2, III.6.3 und III.7.1. 1426 Jacobs: Deutsche Schauspielkunst, 99–129.

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Stirn und dem schlichten blonden Haar.« (GM: 74f.) Das Augenmerk der direkt anschließenden Besprechung der ersten Szene gilt zum einen der auch für Böttiger wichtigen Frage, ob die Verstellung des Intriganten nur auf den Vater oder auch auf das Publikum glaubhaft wirkt, zum anderen wird das Stichwort ›jugendlich‹ aufgenommen: »In dem ersten Gespräch mit dem Vater ließ er sehr deutlich merken, wie er darauf lauere, welche Wirkung sein Brief und seine Reden über den Bruder auf Jenen hätten; das um den Hals fallen [sic] und Weinen aber machte er recht natürlich, beinahe kindisch« (GM: 75). Der Eindruck bestätigt sich zwei Sätze weiter bei der Besprechung des Monologs: Darin »erscheint er vor Allem selbstgefällig wie ein Knabe, dem ein Experiment geglückt ist. Aus dem berühmten: ›Ich habe große Rechte, über die Natur ungehalten zu sein‹ spricht kein Titanentrotz, sondern ein kindisches Bössein, ein Schmollen beinahe, das dann bei dem ›Nein, nein, ich thue ihr Unrecht‹ wieder in fröhliche Selbstgefälligkeit übergeht.« (GM: 75) Wie Lichtenberg und Böttiger begreift Guglia die Verkörperung der Rolle also als ›Interpretation‹, die sich im Vergleich mit anderen tatsächlichen oder möglichen Interpretationen deutlicher herausarbeiten lässt. Nach weiteren Anmerkungen zur Auffassung bestimmter Textstellen in Szene I.3 vergleicht Guglia den ersten mit dem zweiten Monolog von Franz: Hätten sich in jenem »blos die Resultate einer unreifen und frevelhaften Reflexion« gezeigt, so offenbare sich in diesem, »daß wir es hier mit einer mentalen Abnormität zu thun haben, die beinahe schon in’s Irrenhaus gehört […] Eine entartete Phantasie gesellt sich zu seiner verkehrten Reflexion, eine Phantasie, die sich an eingebildeten Greueln weidet wie an wirklichen.« (GM: 75f.) Das Stichwort »Irrenhaus« fiel bereits im Schauspielerporträt bezogen auf die ›hereditäre Belastung‹ Mitterwurzers, und auch die Formulierung ›mentale Abnormität‹ verweist auf ein spezifisch ›modernes‹ Interesse an psychischen Devianzen; den medizingeschichtlichen Hintergrund stellt die Hinwendung zur dynamischen Psychologie dar, der auch Martersteigs Hypnose-Theorie verpflichtet ist.1427 Noch deutlicher wird dieser Bezug in den Formulierungen, mit denen Guglia beschreibt, wie Franz im letzten Akt durch alle Phasen einer entsetzlichen Todesangst hindurch bis in den Wahnsinn und bis zur Selbstvernichtung getrieben wird. Wie Mitterwurzer diesen Prozeß darstellt, erscheint derselbe nicht so sehr als Folge von Gewissensbissen über die begangenen Greuelthaten, denn vielmehr als die Wirkung einer krankhaft überreizten Phantasie, die das ohnedies anormale und durch Excesse vollends zerstörte Nervensystem dieses frühreifen Unholds völlig zerstört. (HG: 77)

1427 Siehe Ellenberger : Entdeckung des Unbewussten, bes. 162–256; Sprengel: 1870–1900, 89– 98.

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Doch so ›modern‹ Guglias Vokabular hier ist, so vertraut ist die Sorgfalt, mit der die körpersprachliche Umsetzung beider Visions-Szenen beschrieben wird. Im Fall des für Böttiger so zentralen »Furien«-Monologs liest sich das so: »Da, wo er den Jammer anruft, die Reue, die Selbstanklage – sieht er sie gleichsam schon vor sich und begrüßt sie mit erhobenen Armen, leuchtenden Blicken, zitterndem Auflachen« (HG: 76). Und für den letzten Akt wird die enargeisch-ansteckende Qualität der Körpersprache nicht nur hervorgehoben, sondern auch durch die andeutungsweise Ausführung des Phantasiebildes veranschaulicht: Den Traum vom jüngsten Gericht erzählt er nicht blos, er träumt ihn noch einmal und läßt uns ihn mitträumen; das ›Gnade, Gnade jedem Sünder, nur Du allein bist verdammt‹ ruft er, obwohl am ganzen Körper zitternd, doch mit erhobenem Arm und donnernder Stimme, seine Augen leuchten, als wäre er selbst die rächende Gottheit und rufe das Urtheil über die Gräber der Auferstanden hin. (GM: 77)

Die Beschreibung exemplifiziert das im ›Schauspielerporträt‹ hervorgehobene Vermögen von Mitterwurzers Stimme, »zum Donner anzuschwellen« (GM: 4); andererseits wird durch den Gegensatz zum Zittern des ganzen Körpers die Widersprüchlichkeit dieses Charakters angedeutet. Entsprechend kommt Guglia im folgenden Satz auf den Zug des ›Kindischen‹ zurück: »In grellem Contrast damit erscheint in dem hilflosen sich Anklammern an Daniel, in seinen Bitten und Schmeichelreden, in seinem mehr blödsinnigen als frevelhaften Gebet wieder ganz der kindische Junge, der sich noch vor Gespenstern fürchtet« (GM: 77). Als Ergebnis der Analyse von Guglias Rollenporträt Mitterwurzers als Franz Moor lässt sich festhalten: Guglia deutet zwar gewissermaßen eine ›nervöse Verkörperung‹ an, sein Text aber weist keine ›nervöse Enargeia‹ auf, sondern verbleibt in den Bahnen der ekphrastischen Strategien eines Lichtenberg oder Böttiger, das heißt, es geht vor allem um die ›Interpretation‹ des Rollentextes als Ganzes wie in einzelnen Szenen durch eloquentia corporis. Selbst die im enargeischen Monolog evozierte Vision des Jüngsten Gerichts ist nur kurz angedeutet und durch eine ›als ob‹-Formulierung eingeleitet; die für das Vorwort so wichtige ›Präsenz‹ Mitterwurzers wird kaum thematisiert. Dieser Befund soll im Folgenden gestützt werden durch einen kurzen Blick auf die Beschreibung zweier weiterer »Schöpfungen« des Schauspielers,1428 die die auch in Hofmannsthals Mitterwurzer-Elegie angesprochen werden, und auf Guglias Schlusswort. Eine Passage aus Guglias Porträt von Mitterwurzer als König Philipp in Don Carlos, einer seiner berühmtesten Verkörperungen,1429 kann illustrieren, was 1428 Guglia gibt dem dritten Teil seiner Rollenporträts den Titel Die neuesten Schöpfungen (GM: XIV, 99). 1429 So ist Peter Altenbergs Prosasammlung Was der Tag mir zuträgt »[d]em Andenken an

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Hofmannsthals Formulierung meint, der Historiker notiere sich »die Verschwiegenheiten seiner Stimme wie Siege des Sulla« (HM: 483): »Langsam öffnet er die Lippen, langsam und ruhig kommen die Worte aus seinem Mund; sie enthüllen uns nichts, er bleibt verschlossen, bleibt ein Geheimniß. Aber es ist nicht die finstere Verschlossenheit, das finstere Geheimniß menschenhassender Tyranne, seine Ruhe ist beinahe eine milde Ruhe, sein Schweigen ein sinnendes Schweigen« (GM: 136). Hier geht es um Mitterwurzers Deklamation einschließlich seines Schweigens, das Mitterwurzer – um eine Formulierung von Markus Wirtz aufzugreifen – nicht als ›verletzendes‹, sondern als ›gesammeltes Schweigen‹ gestaltet.1430 Diese Gestaltung wird als Hinweis auf sein Verständnis der Rolle gedeutet, das wiederum abgesetzt wird gegen herkömmliche ›Interpretationen‹ dieser Rolle. Und auch Guglia vertritt die Auffassung, dass der Schauspieler den Dramatiker unter Umständen sogar ›verbessern‹ kann: »Die Antwort der Königin macht ihn nicht eigentlich ›betreten‹, wie der Dichter vorschreibt, der Darsteller corrigirt hier den Dichter, er zeigt uns besser, was in seinem Philipp in diesem Augenblick vorgeht, als jenes ›betreten‹: er bereut, seine Fassung aufgegeben, die ruhige königliche Würde verleugnet zu haben, das ist Alles.« (GM: 139) Am Ende der Rezension wird sogar die Meinung zitiert, Mitterwurzer »habe das Kunststück zu Stande gebracht, den König Philipp Schiller’s treu nachzusprechen und ihn doch dem Bilde, das die neue Geschichtsschreibung von diesem Fürsten uns gibt, nahezubringen« (GM: 240). Der Historiker Guglia pflichtet dem nicht nur bei, sondern geht sogar noch weiter und kontrastiert, wie schon im Vorwort, ›Historie‹ und ›Leben‹: [E]r hat uns dieses Bild erst recht verständlich gemacht. Denn die Geschichtsschreiber können nur fragmentarische Züge zusammentragen; das Leben, das einst diese alle verband zu einer Einheit, das können sie uns höchstens – wenn sie selber Künstler sind, wie Ranke einer war – ahnen machen, vergegenwärtigen können sie es uns nicht. Wenn man es auch wüßte, das Geheimniß – wer vermöchte es auszusprechen: mit diesem Dichterwort klagt der hohe Meister selbst über die Beschränkungen seiner Kunst. Mehr vermag schon der bildende Künstler, der Maler. Aber nur auf der Bühne erscheint Fleisch und Blut, und wenn der Schauspieler selbst ein Dichter ist, mit tiefdringenden, weitschauenden, sonnenhaften und nächtigen Augen, so wird er uns das Geheimnis enthüllen, er wird es uns aussprechen können. Dieses ist hier geschehen… (GM: 140)1431

Schließlich sei noch eine Passage angeführt, in der die Verkörperung einer gänzlich anders gearteten Rolle, nämlich des Monsters Caliban aus Shakespeares Friedrich Mitterwurzer als »König Philipp« gewidmet (Altenberg: Was der Tag, o. S.), für weitere Belege siehe GM: 140. 1430 Siehe Wirtz: Verletzung des Schweigens. 1431 Auch Guglia hatte über den von ihm zitierten Ranke bereits 1893 eine Monographie verfasst.

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Sturm, mit der einer ähnlichen Rolle verglichen wird: »Hier führt er ein Wesen vor, das noch ein paar Stufen tiefer steht als der Galomir in [Grillparzers] ›Weh dem, der lügt‹, denn es fehlte ihm auch das menschliche Aussehen: ein zottiges Unthier, das nicht geht, sondern kriecht und springt, nicht spricht, sondern heult und bellt; wer ihm zu nahe kommt, nach dem schnappt er mit den Zähnen.« (GM: 80)1432 Dem erstaunlichen Rollenspektrum Mitterwurzers, das sich durch die Verkörperungen Calibans und Philipps andeuten lässt, gilt denn auch das Hauptaugenmerk des Schlussworts: »Es ist eine Stufenleiter, die aus der trüben Dämmerung halb thierischen Lebens bis in die sublimste Region des Geistigen führt und aus den Abgründen der Hölle hinauf zu den heiligen Büßern um Gottes Thron. Dazwischen liegt in bunter Mannigfaltigkeit das Menschenwesen« (GM: 142). Damit schließe Mitterwurzer an die Tradition »der großen Schauspieler an der Wende des 18. und 19. Jahrhunderts« an: »Iffland, Fleck, Ludwig Devrient, sie waren Alle im Tragischen so gut Meister, wie im Niedrig-Komischen« (GM: 143). Auch auf den Aspekt der Wirkung kommt Guglia noch einmal zu sprechen, nimmt den Aspekt der ›Präsenz‹ jedoch zurück: Er hat Momente, wo er das große Publicum bewegt und mit fortreißt […]. Aber vor Allem ist er doch ein Schauspieler für die, die das Allerfeinste Gehör haben und den spähendsten Blick und eine Art Witterung für die zarten Declinationen der Seele, die sich nur in Athemzügen und leisen Zuckungen der Muskeln verrathen – ein Schauspieler für Lebenskünstler, für Wissende – für uns! Die Hälfte von dem, was er in einer Rolle empfindet und sinnt und thut, ist für die Masse der Zuhörer verloren, sie sehen es nicht, sie hören es nicht… Ist’s nicht dasselbe aber mit allen großen Hervorbringungen unserer Tage? Ist’s nicht dasselbe mit den Offenbarungen Zarathustra’s, mit dem »Triumph des Todes«?… (GM: 143)

So wird schließlich der Schauspieler-Verächter Nietzsche in bemüht Nietzscheanischem Tonfall mit dem Schauspieler Mitterwurzer (und Gabriele D’Annunzio)1433 auf eine Stufe gestellt, eingebunden in eine Argumentation, welche im Namen moderner Feinnervigkeit nicht anderes rechtfertigt als die sensualistische Aufmerksamkeit der vorigen Jahrhundertwende für mimische ›Feinheiten‹.

1432 Zur Verkörperung dieser Rolle GM: 53f., wiederum mit Verweis auf Caliban. 1433 D’Annunzios Roman Il Trionfo della Morte erschien 1894.

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Kreative Allegorie und Evidenzfunktion: Das Schauspielerporträt Mitterwurzers in Hofmannsthals Guglia-Rezension (1895)

»Ein Professor schreibt ein Buch über einen lebenden Schauspieler. Es scheint, daß der Schauspieler ein Erlebnis für den Professor geworden ist, und wohl auch für einige andere Leute« (HM: 480): Die Antithese zwischen ›Professor‹ und mimischem »Erlebnis«, die Hofmannsthals Guglia-Rezension eröffnet, wird, ihren konkreten Anlass rasch hinter sich lassend, zu einer Kulturkritik ausgeweitet, die in einem ersten Schritt sinnentleerte »Worte« als »Lügen« anprangert (HM: 479) und in einem zweiten »Gesinnungen« (GM: 480) gegen das ›Leben‹ ausspielt.1434 Beide Argumentationsschritte werden allegorisch verdichtet; die erste Allegorie lautet: »Die unendlich komplexen Lügen der Zeit, die dumpfen Lügen der Tradition, die Lügen der Ämter, die Lügen der einzelnen, die Lügen der Wissenschaften, alles das sitzt wie Myriaden tödlicher Fliegen auf unserem armen Leben.« (HM: 479) Die zweite gilt den »Gesinnungen«, die nicht anderes seien als »ein gespenstischer Zusammenhang von ungefühlten Worten«, und nähert sich wenigstens im Bereich des Bildspenders dem Rezensionsgegenstand wieder an: Wenn die Menschen schwach geworden sind und die Worte sehr stark, so siegt der gespenstische Zusammenhang der Worte über die naive Redekraft des Menschen. Sie reden dann fortwährend wie in »Rollen«, in Scheingefühlen, scheinhaften Meinungen, scheinhaften Gesinnungen. Sie bringen es geradezu dahin, bei ihren eigenen Erlebnissen fortwährend abwesend zu sein. Der schlechte Schauspieler, der mit der Situation ein abgekartetes Spiel spielt, weil er ihre Einzigkeit nicht begreift, ist das Symbol davon. (HM: 480)

Einmal mehr wird hier also die theatrum mundi-Allegorie1435 reaktiviert: Das Reden der Menschen, ursprünglich ›naiver‹ Ausdruck des Lebens, hat sich zur ›Rolle‹ verselbstständigt, ohne Autor oder Bedeutung. Und einmal mehr verweist die Allegorie auch auf das reale Theater : So sitzen sie in den Theatern und schauen sich selber an, denn in jeder Zeit wird genau so Theater gespielt, wie gelebt wird: in wesenhaften wesenhaft, in scheinhaften scheinhaft. So entstehen diese Pseudo-Schauspieler, die den Schein des Scheins spielen, nicht etwa das beiläufige Gedächtnisbild des inneren Erlebnisses, sondern etwas von außen her Angeflogenes, ein konventionelles Zeichen. Ihre Gebärden fließen als eine Begleitung zu ihren Worten hin, ganz wie im Leben unser scheinbares Tun. (HM: 480)

1434 Zur Interpretation der Rezension im Kontext von Hofmannsthals Sprach- und Kulturkritik siehe grundlegend Rutsch: Leiblichkeit der Sprache, 60–89; siehe außerdem Junge: Text in Bewegung, 38–42. 1435 Zu ihrer Aktualisierung im 18. Jahrhundert siehe IV.2.3, IV.2.4.

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Gegen Ende der Rezension spricht Hofmannsthal noch konkreter von Schauspielern, die sich als »Interpreten des Dichters, Sprecher, gebildete Mitmenschen und Gottweißwas für ekelhaftes, wesenloses Zeug« verstehen (HM: 482). Allerdings impliziert die Formulierung vom ›schlechten Schauspieler‹ oder »Pseudo-Schauspieler« auch, dass es einen ›guten Schauspieler‹ geben mag. In diesem Punkt unterscheidet sich Hofmannsthal von Nietzsche, an dessen zivilisationskritische Umdeutung der Welttheater-Allegorie er sonst anschließt: Für Nietzsche nämlich kann der ›gute Schauspieler‹ nur ein besonders vollendeter Heuchler sein, eine Auffassung, um die sich sein Verehrer Guglia, wie im letzten Kapitel gezeigt, argumentativ eher herummogelt, um den Schauspieler schließlich sogar mit Nietzsche auf eine Stufe zu stellen. Hofmannsthal dagegen rühmt Mitterwurzer offensiv als großen Schauspieler, der die Scheinhaftigkeit des realen Theaters durchbreche und es so den Zuschauern ermögliche, sich auch der Befangenheit in ihren »Scheingefühlen, scheinhaften Meinungen, scheinhaften Gesinnungen« bewusst zu werden (HM: 480).1436 Insofern ist die Darstellung seines »Triumphes« (HM: 480) zugleich Schauspielerporträt und Fortsetzung der Welttheater-Allegorie und besitzt Evidenzfunktion für die Möglichkeit von echtem »Erlebnis« wie für die Möglichkeit eines anti-literarischen Theaters. Für diese Darstellung ist sprachliche Bildlichkeit zentral, eine Bildlichkeit allerdings, die nicht einfach die Welttheaterallegorie weiterentwickelt, sondern die Durchbrechung der theatralischen Scheinhaftigkeit in ungewöhnlicher Metaphorik evozieren will. Mitterwurzers »Triumph« hat nach Hofmannsthals Überzeugung eine doppelte »Facette« (HM: 481): seine Leistung als Rezitator, der »die naive Redekraft des Menschen« (HM: 489) wiederherstellt, und sein Selbstverständnis als »Gaukler« (HM: 481f.). Was den ersten Aspekt angeht, wertet Hofmannsthal den von Guglia als Unfähigkeit für ›lyrische Deklamation‹ eingeordneten Befund, dass Mitterwurzer die Rede »nie nach ästhetischen, immer nach psychologischen Motiven« gliedert und bei ihm »jeder Satz, jedes Wort […] als der Ausdruck eines innerlichen Processes« erscheint (HM: 4), radikal auf: Denn für gewöhnlich stehen nicht die Worte in der Gewalt der Menschen, sondern die Menschen in der Gewalt der Worte. Die Worte geben sich nicht her, sondern spinnen alles Leben von den Menschen ab […]. Wenn wir den Mund aufmachen, reden immer zehntausend Tote mit. Der Mitterwurzer hat seine Beredsamkeit das Schweigen gelehrt. Er hat die zehntausend Toten totgetreten, und wenn er redet, redet nur er. (HM: 480)

Die Wirkung dieser Rede wird in Metaphern vermittelt, welche die Allegorie vom lügenumschwirrten Kadaver des ›Lebens‹ umkehrt: 1436 Hofmannsthals Absetzung gegen Nietzsches Verurteilung des Schauspielers betonen Ohl: Totengedächtnis und Selbstreflexion, 218ff. und Rieckmann: Die Signifikanz des Schauspielers.

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In seinem Mund werden die Worte auf einmal wieder etwas ganz Elementares, der letzte eindringlichste Ausdruck des Leibes, Waffen wie die Zähne und die Nägel, Lockungen wie das Lächeln und die Blicke, reine sinnliche Offenbarungen des inneren Zustandes. In seiner Beredsamkeit kommt die Seele hervor, wie ein Leibliches, und macht vor uns Erlebnisse durch. Wenn er Feuer und Wasser redet, spüren wir »es« sich wärmen, und »es« sich netzen. Da wissen wir endlich, warum wir ins Theater gegangen sind. (HM: 480f.)

Die überaus dichte und bezugreiche Bildlichkeit dieser Passage ist zweistufig gegliedert. Zunächst werden die von Mitterwurzer gesprochenen Worte als »Ausdruck des Leibes« gefasst; Deklamation erscheint also als eloquentia corporis, da sie aus dem Körper heraus entsteht. Allerdings wird anfangs gerade nicht der Körper eines ›Menschendarstellers‹ evoziert, sondern der eines unzivilisierten Menschen, dessen »Zähne« und »Nägel« noch »Waffen« sind. Insofern hat die Deklamation eine bedrohliche Wirkung, die den Theaterkontext übersteigt. Doch gehen vom ›Leib‹ der gesprochenen Worte auch »Lockungen« aus, für die nicht mehr Körperteile stehen, sondern mimische Zeichen: »das Lächeln und die Blicke«. Diese wiederum können sowohl auf der Bühne wie in realen Verführungssituationen als »Offenbarungen des inneren Zustandes« bzw. der »Seele« gelten. Mit dieser Formulierung ist der metaphorische Zweischritt abgeschlossen: Die Worte wirken wie ein »Ausdruck des Leibes« (1), der wiederum für »die Seele« steht (2). Die Formulierung, die Seele mache »wie ein Leibliches […] vor uns Erlebnisse durch«, verweist auf den zweiten Satz der Rezension zurück, wonach »der Schauspieler ein Erlebnis für den Professor geworden ist und wohl auch für einige andere Leute.« (GM: 478) Entsprechend meint das unter der Hand eingeführte »wir« dieser Passage nicht nur die Leserschaft, sondern auch das Publikum Mitterwurzers; der letzte Satz der Passage macht dies explizit. Als metaphorische Versinnlichung schauspielerischer ›Präsenz‹ im Sinne einer starken Wirkung auf das Publikum ist denn auch die Bildlichkeit des vorletzten Satzes zu verstehen, die Topoi für göttliche Verkündigung und prophetische Rede (›aus dem Feuer reden‹)1437 verbinden mit der emphatischen Deutung von »es«-Formulierungen im Sinne eines seelischen Geschehens jenseits des rationalen Zugriffs, das schon lange vor Freuds Kanonisierung in Das Ich und das Es (1923) beliebt war.1438 1437 Siehe 2 Mo 3,2–4; 19,16; Ps. 50,3; Jes 66,15; Apg. 2,3. 1438 So heißt es 1900 bei Martersteig: »Die Haupteigenschaft des künstlerischen Zeugungsmomentes werden wir immer in seiner Triebartigkeit sehen müssen. Wie oft ist es vom Künstler betont, behauptet und umschrieben worden, daß nicht sein ›Ich‹ beim Entstehen einer Situation in ihm arbeite, sondern ein von seinem Bewußtsein scheinbar gelöstes ›Es‹.« (Der Schauspieler, 33) Freud selbst erläutert, dass er den Begriff ›das Es‹, von dem Psychiater Georg Groddeck übernommen habe; dieser wiederum sei »wohl dem Beispiel Nietzsches gefolgt, bei dem dieser grammatikalische Ausdruck für das Unpersönliche und sozusagen Naturnotwendige in unserem Wesen durchaus gebräuchlich ist.« (Freud: Ge-

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Auch die anschließende Metaphorik zielt darauf ab, die außerordentliche Wirkung von Mitterwurzers Deklamation zu evozieren, und greift dafür noch einmal auf das Bild von den »zehntausend Toten« zurück. Dennoch wird der ›hohe Ton‹ der vorigen Passage plötzlich aufgegeben: Wir sind beiläufig bereit zu glauben, daß der Mitterwurzer einem Hund, eine einfache, kurze Geschichte ganz gut so erzählen kann, daß der davon seinen Eindruck bekommt. Wir aber und die zehntausend Toten könnten lang reden, bevor ein Hund sich nach uns umdreht. Und den »Struwwelpeter« können wir gar nicht laut vorlesen, dabei kommt unsere Unzulänglichkeit elend an den Tag, und das Hohle und Spitze unserer Worte, die ihre kindische Kraft verloren haben. Er aber kanns. (HM: 481)

Dieser Stil ist kolloquial1439 und spielt sogar ins Burleske, wenn der Hund, der auf einer elementaren Stufe kreatürlicher Verbundenheit Mitterwurzers »Geschichte« versteht, zu jenem sprichwörtlichen Hund wird, der sich üblicherweise nach irgendetwas Langweiligem ›nicht umdreht‹, in diesem Fall aber nach den »zehntausend Toten«. Konkret spielt Hofmannsthal darauf an, dass Mitterwurzer als Tierfreund bekannt war und in seinen letzten Jahren gerne als Märchenerzähler auftrat.1440 Dazu passt, dass als Paradebeispiel eines zu rezitierenden Textes keine ›Hochliteratur‹ genannt wird, sondern ein Kinderbuch mit drolligen Reimen und bunten Bildern. Daraus vorzulesen, ist eigentlich anspruchslose Elternpflicht – Hofmannsthal stellt sie angesichts der verlorenen ›kindischen Kraft‹ der Worte und der verlorenen ›naiven Redekraft der Menschen‹ als Aufgabe hin, die nur ein Mitterwurzer lösen kann. Eine ähnliche Umwertung von vermeintlicher Hoch- und Trivialkultur liegt vor, wenn Hofmannsthal als zweite »Facette seines Triumphes« (HM: 481) anführt, Mitterwurzer begreife »sich selber als Gaukler« (HM: 481). Dies dürfte sich auf Guglias bereits zitierte Mitteilung beziehen, Mitterwurzer habe »die ›Feuerfresser, Gaukler, Schlangenmenschen und Schwerttänzer‹ seine ›Collegen‹ genannt«. Guglia kommentiert dies (wie schon zitiert) mit der Bemerkung, dass »das Groteskkomische, das Gaukler- und Clownhafte einen Hauptzug seiner schauspielerischen Persönlichkeit« bilde (GM: 6); sein Versprechen aber, dies im Verlauf der Monographie zu exemplifizieren, wird nicht eingelöst. Hofmannsthal wiederum interpretiert Mitterwurzers Selbstverständnis als »Gaukler« im Sinne einer »Unterwürfigkeit und Ausdrucksfähigkeit des Leibes«, die sammelte Werke 13, 251, Anm. 2; siehe Art. ›Es‹ in Laplanche/Pontalis: Vokabular der Psychoanalyse 1: 147–150, hier 147). 1439 Man beachte etwa die vertrauliche Formulierung »der Mitterwurzer«, den adverbialen Gebrauch von »beiläufig«, »ganz gut«, »elend« und »lang« (statt »lange«) und das auf den »Hund« bezügliche Relativpronomen »der« statt »dieser«. Es handelt sich um die Stillage eines ›beiläufig‹-gepflegten, österreichisch gefärbten Konversationsstils, wie Hofmannsthal ihn insbesondere in seinen Lustspielen und Briefen verwendet. 1440 Siehe HSW 1: 352 (Komm.).

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darauf ziele, »das Bewußtsein zuhörender Leute zu betrügen und ihr Gemüt zu unterjochen« (HM: 482). Damit scheint das Modell des ›kalten Schauspielers‹ angesprochen, das sich im 19. Jahrhundert besonders im Typus des viel bewunderten und vielgeschmähten Virtuosen ›verkörperte‹. Tatsächlich blieb Mitterwurzer der Vorwurf des ›Virtuosentums‹ nicht erspart, das sich in schlechten Rollen womöglich besser bewähre als in dichterisch wertvollen;1441 der folgende Abschnitt kehrt denn auch explizit diesen Vorwurf um und spricht bewundernd von seinem »bewußten Virtuosentum« (HM: 482). Zu beachten ist allerdings, dass Hofmannsthal bei Mitterwurzer eine »von jenseits des Bewußtseins gelenkte Unterwürfigkeit und Ausdrucksfähigkeit des Leibes« unterstellt (HM: 482)1442 – insofern dient die Charakterisierung als »Gaukler« und ›Virtuose‹ zwar der Abgrenzung gegen Schauspieler, die sich als »Interpreten des Dichters« verstehen (ebd.), impliziert aber gerade nicht durchgehende Verstandeskontrolle. Vielmehr wird die »tiefe Einsicht des Künstlers in sein Material«, die beim Schauspieler wie beim Gaukler »ein Wissen um sich selbst« ist, wiederum als »Erlebnis« verstanden: [W]ahrhaftig ist es ein Erlebnis, denn es ist ein Wissen in allen Gliedern, ein inneres Wissen, und, wie jedes tiefe Wissen um sich selbst, den Worten und Begriffen völlig, völlig entzogen. Es ist tief und alles durchdringend, wie in allen Männern immerfort das Wissen, daß sie Männer, und in den Frauen, daß sie Frauen sind. Wenn einer es hat, hat er seinen Schwerpunkt, seine Gebärden werden wahr, und er begreift die Einzigkeit der Situationen. (HM: 481)

Dass dieses Wissen sich nicht nur auf die Herrschaft über den »Leib« bezieht, sondern auch auf Gedächtnis und Imagination, folgt im Umkehrschluss aus der bereits zitierten Formulierung, »Pseudo-Schauspieler« würden »den Schein des Scheins spielen, nicht etwa das beiläufige Gedächtnisbild des inneren Erlebnisses« (HM: 480). Wie aber wirkt sich das ›Wissen‹ des ›Gauklers‹ »um sich selbst« (HM: 481) auf seine Gestaltung der ›Rolle‹ aus? Hofmannsthal fasst dieses Verhältnis in ein Bild, das wiederum die Welttheater-Allegorie ins Spiel bringt und ihr eine überraschende Pointe abgewinnt: »Unsere Schauspieler sind wie wir : sie tragen ihre Rollen wie sehr beängstigende Kleider, offenbar gestohlene Kleider. Der Mitterwurzer geht herum, und in seinen Augen ist eine solche grenzenlose Willkür, daß es ganz möglich ist, er wird die Rolle im nächsten Augenblick wegwerfen, wie einen lästigen Fetzen.« (HM: 482) Auf die glaubwürdige ›Verkörperung‹ und überzeugende ›Interpretation‹ der Rolle kann sich die Aufmerksamkeit also nicht richten, wohl aber auf das, was man mit Fischer-Lichte 1441 Siehe Yates: Harbingers of Change, 198; zum Phänomen des schauspielerischen Virtuosentums im 19. Jahrhundert Roselt: Einführung, 30–34. 1442 Meine Hervorhebung.

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›Präsenz‹ nennen könnte und was im Kontext der Lebensphilosophie »Erlebnis« heißt: Er hat uns nach und nach dazu gebracht, ihn fortwährend anzusehen, auch wenn er schweigt und die andern reden. […] Er hat eine ganze Atmosphäre um sich geschaffen. Er hat uns ziemlich den Geschmack an den andern Schauspielern verdorben: denn neben dem einen wahren Komödianten werden die falschen unerträglich. Er ist das Erlebnis aller Welt. Der Starken und Schwachen, der Dummen und Feinen; das geistreiche Erlebnis der Geistreichen, das Nervöse der Nervösen. Die Journalisten deuten ihn nicht aus, und ein Professor notiert die Veränderungen seines Gesichtes und die Verschwiegenheiten seiner Stimme wie Siege des Sulla oder Entwürfe des Palladio. (HM: 482f.)

1.4

Entgrenzte Bildlichkeit und Präsentation von Absenz: Zum Gedächtnis des Schauspielers Mitterwurzer (1898)

Eugen Guglias Mitterwurzer-Monographie thematisiert die Spannung zwischen der üblichen Beschäftigung des Historikers mit den »Schatten« der Vergangenheit und der »Gegenwart« des Rollen-Verlebendigers Mitterwurzer, ohne jedoch diese Präsenz-Wirkung beschreibend zu evozieren. Hofmannsthals Guglia-Rezension beginnt mit der Entgegensetzung von »Professor« und »lebende[m] Schauspieler«, um im Horizont der zeitgenössischen »Lebensphilosophie« auszuführen, inwiefern Mitterwurzers »Erlebnis« seiner selbst (HM: 481) zum »Erlebnis aller Welt« werden konnte (HM: 483). Das im Dienst dieser Argumentation stehende Schauspielerporträt steigert die Antithetik zur paradoxen Formulierung, Mitterwurzer habe »die zehntausend Toten totgetreten« (HM: 480), die ansonsten die formelhafte Sprache der Gegenwart und die theatralische Scheinhaftigkeit der Kultur beherrschten. Rund zwei Jahre später, am 17. Februar 1897, starb Mitterwurzer überraschend im Alter von 53 Jahren; bis heute ist ungeklärt, ob die Todesursache ein Unfall1443 oder Suizid war.1444 In Hofmannsthals Anfang 1898 entstandener Elegie Zum Gedächtnis eines großen Bühnenkünstlers, die seit 1904 den Titel Zum Gedächtnis des Schauspielers Mitterwurzer trug,1445 wird zwar ebenfalls die von Mitterwurzer vermittelte

1443 David: Mitterwurzer, 29. 1444 Anonym: Mitterwurzer, 1451f. 1445 Entstehung im Frühjahr 1898; erstmals veröffentlicht 1. Mai 1898 in der Wiener Rundschau 3 (1898), 454f., dann in Bruno Cassirers Halbmonatsschrift Das Theater 1 (1904) H. 8, 114–117, dann in den Gesammelten Gedichten von 1907, 25f. Dies ist die Textgrundlage für HSW 1: 82f., der ich folge; zur Entstehungsgeschichte siehe ebd. Komm. 348f., Varianten 349–351.

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»Gewalt des Lebens« gefeiert (HGM V. 54),1446 jedoch so mit der Tatsache seines plötzlichen Todes kontrastiert, dass die Memorialfunktion von Mimen-Ekphrasis zugleich beschworen und bestritten wird. Dabei werden zwei Strukturmerkmale, die bereits für das Schauspielerporträt der Rezension konstitutiv waren, aufgegriffen und forciert: die Entgegensetzung von Mitterwurzer und einem ›wir‹, das Sprechinstanz und Bühnenpublikum umfasst, sowie der Einsatz einer ›modernen‹ Bildlichkeit, die vor dem Hintergrund traditioneller sprachlicher Bilder die Erwartung von ›Anschaulichkeit‹ produktiv aufbricht, um, mit Sabine Schneider formuliert, »Markierungen von medialen Schwellen« zu setzen.1447 Dies soll im Folgenden belegt werden durch ein (auch weitere ›poetische‹ Mittel beachtendes) Close Reading sowie durch die Einbeziehung von Prätexten und rezeptionsgeschichtlichen Kon-Texten, die einerseits Hofmannsthals Spiel mit traditioneller Topik verdeutlichen und andererseits der Annäherung an den Wissenshorizont von Hofmannsthals ersten Lesern dienen. Zunächst das Gedicht in voller Länge nach der kritischen Hofmannsthal-Ausgabe (HSW 1: 82f.): ZUM GEDÄCHTNIS DES SCHAUSPIELERS MITTERWURZER Er losch auf einmal aus so wie ein Licht. Wir trugen alle wie von einem Blitz Den Widerschein als Blässe im Gesicht. Er fiel: da fielen alle Puppen hin, In deren Adern er sein Lebensblut Gegossen hatte, lautlos starben sie, Und wo er lag, da lag ein Haufen Leichen, Wüst hingestreckt: das Knie von einem Säufer In eines Königs Aug gedrückt, Don Philipp, Mit Caliban als Alp um seinen Hals Und jeder tot. Da wußten wir, wer uns gestorben war : Der Zauberer, der große, große Gaukler! Und aus den Häusern traten wir heraus Und fingen an zu reden, wer er war. War aber war er, und wer war er nicht?

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Er kroch von einer Larve in die andre, Sprang aus des Vaters in des Sohnes Leib Und tauschte wie Gewänder die Gestalten. 1446 Die Sigle HGM steht im Folgenden für Hofmannsthals Gedicht auf Mitterwurzer, gefolgt von der Versangabe, zitiert nach HSW 1: 82f. 1447 Schneider: Verheißung der Bilder, 3. Siehe bereits Renner : »Zauberschrift der Bilder«, 76: »Was macht nun die Kunst ›lebendig‹? Wie Nietzsche sucht Hofmannsthal die Antwort in einer Form von De(kon)struktion […] stereotyper Rhetorik, insbesondere der Metaphern, Symbole und Allegorien.«

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Mit Schwertern, die er kreisen ließ so schnell, Daß niemand ihre Klinge funkeln sah, Hieb er sich selbst in Stücke: Jago war Vielleicht das eine, und die andre Hälfte Gab einen süßen Narren oder Träumer. Sein ganzer Leib war wie der Zauberschleier, In dessen Falten alle Dinge wohnen: Er holte Tiere aus sich selbst hervor : Das Schaf, den Löwen, einen dummen Teufel Und einen schrecklichen, und den und jenen, Und dich und mich. Sein ganzer Leib war glühend Von innerlichem Schicksal durch und durch, Wie Kohle glühend, und er lebte drin Und sah auf uns, die wir in Häusern wohnen, Mit jenem undurchdringlich fremden Blick Des Salamanders, der im Feuer wohnt. Er war ein wilder König. Um die Hüften Trug er wie bunte Muscheln aufgereiht Die Wahrheit und die Lüge von uns allen. In seinen Augen flogen unsre Träume Vorüber, wie von Scharen wilder Vögel Das Spiegelbild in einem tiefen Wasser. Hier trat er her, auf eben diesen Fleck, Wo ich jetzt steh, und wie im Tritonshorn Der Lärm des Meeres eingefangen ist, So war in ihm die Stimme alles Lebens: Er wurde groß. Er war der ganze Wald, Er war das Land, durch das die Straßen laufen. Mit Augen wie die Kinder saßen wir Und sahn an ihm hinauf wie an den Hängen Von einem großen Berg: in seinem Mund War eine Bucht, drin brandete das Meer. Denn in ihm war etwas, das viele Türen Aufschloß und viele Räume überflog: Gewalt des Lebens, diese war in ihm. Und über ihn bekam der Tod Gewalt! Blies aus die Augen, deren innrer Kern Bedeckt war mit geheimnisvollen Zeichen, Erwürgte in der Kehle tausend Stimmen Und tötete den Leib, der Glied für Glied Beladen war mit ungebornem Leben. Hier stand er. Wann kommt einer, der ihm gleicht? Ein Geist, der uns das Labyrinth der Brust Bevölkert mit verständlichen Gestalten,

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Erschließt aufs neu zu schauerlicher Lust? Die er uns gab, wir konnten sie nicht halten Und starren nun bei seines Namens Klang Hinab den Abgrund, der sie uns verschlang.

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1.4.1 »Er fiel«: Todesmetaphorik Das Gedicht besteht aus fünfhebigen Jambenversen und ist in acht Abschnitte ungleicher Länge gegliedert. Der erste ist mit drei Versen am kürzesten und könnte aufgrund seiner Reimstruktur auch die erste Strophe eines Terzinengedichts darstellen, eine Erwartung, die gerade beim Verfasser der Terzinen Über Vergänglichkeit (1894) und der Ballade des äußeren Lebens (1894?) einige Wahrscheinlichkeit besitzt: Er losch auf einmal aus so wie ein Licht. Wir trugen alle wie von einem Blitz Den Widerschein als Blässe im Gesicht. (HGM V. 1–3)

Das sprachliche Bild vom Verlöschen des ›Lebenslichtes‹ ist topisch, geradezu trivial, wird aber durch die Einfügung des »so« in die ›Wie‹-Konstruktion aktualisiert. Der Blitz als zweiter Bildspender für Mitterwurzers überraschendem Tod verstärkt einerseits den Eindruck gewaltsamer Plötzlichkeit, steht als Aufscheinen eines Lichteindruckes aber auch im Widerspruch zum visuellen Eindruck eines verlöschenden Lichtes. Vor allem aber vermittelt dieses zweite Bild die schockartige Wirkung der Nachricht von diesem Tod, die sich im mimischen Zeichen plötzlicher Blässe ausdrückt. Dass diese Blässe nicht von innen, sondern metaphorisch von außen kommt, deutet auf die Wirkung jenes Schauspielers hin, von dem Guglia formuliert, ein von ihm gesprochenes Wort vermöge sich »wie ein Blitz in einem wilden Aufschrei zu entladen« (GM: 4). Das ›wir‹, auf das sich die Wirkung des Blitzes bezieht, könnte in sehr konkreter Weise Mitterwurzers Publikum meinen: Hofmannsthal bezeichnete sein Gedicht in einem Brief als »Prolog«; es wurde wahrscheinlich, wie die späteren Schauspielergedichte, für eine Gedächtnisveranstaltung verfasst, die allerdings in diesem Fall möglicherweise nicht zustande kam.1448 Da die erste Veröffentlichung des Gedichtes in der Wiener Rundschau ohne Mitterwurzers Namen auskam, dürfte das ›wir‹ zudem eine Leserschaft meinen, die wusste, um wen es ging, weil sie Mitterwurzer im Burgtheater ›erlebt‹ hatte. Der zweite Abschnitt überführt das vermeintliche Terzinengedicht in einen klassischen Blankvers-Prolog: 1448 Siehe HSW 1: 348 (Komm.).

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Er fiel: da fielen alle Puppen hin, In deren Adern er sein Lebensblut Gegossen hatte, lautlos starben sie, Und wo er lag, da lag ein Haufen Leichen, Wüst hingestreckt: das Knie von einem Säufer In eines Königs Aug gedrückt, Don Philipp, Mit Caliban als Alp um seinen Hals Und jeder tot. (HGM V. 4–11)

Julius Bab sieht als Prätext für diese Passage den Rollenkatalog der anonymen Elegy auf Richard Burbage von 1610 (II.2.2),1449 der hier noch einmal zitiert sei: He’s gone, and with him what a world are dead, Which he reviv’d, to be revived so No more; young Hamlet, old Hieronimo, Kind Lear, the grieved Moor, and more beside, That liv’d in him, have now forever died. (AFB V. 12–16: 182)

Tatsächlich könnte der Renaissance-Spezialist Hofmannsthal den Text in Clement Mansfield Inglebys 1881 erschienener Anthologie Shakespeare. The Man and the Book. Being a Collection of Occasional Papers On the Bard and His Writings gefunden haben. Wie in der Elegie werden gegensätzliche Rollen aufgeführt und ihre Verkörperung unter das Paradox des nunmehr toten Verlebendigers gestellt. Hofmannsthal verdichtet diese Paradoxie zum Bild der herabgefallenen, starr daliegenden Puppen. Puppen-Metaphorik hat in Bezug auf Schauspielkunst eine reiche und spannungsvolle Tradition:1450 Den einen Spannungspol bezeichnet puppenhafte Steifheit als ›Gegenbild‹ für natürliche Bewegungen auf der Bühne, die im Idealfall ›Präsenz‹ vermitteln sollen – erinnert sei insbesondere an Lichtenbergs Formulierung, Garrick bewege sich »unter den übrigen Schauspielern, wie ein Mensch unter Marionetten« (LBE: 331, siehe II.5.5). Den anderen Pol bezeichnet Diderots unheimliches Bild, die Clairon mache sich zur ›Seele einer großen Künstlerpuppe‹; mit dieser ist ihr mentales Rollenbild ebenso gemeint wie ihr vollkommen willfähriger Körper auf der Bühne (siehe I.1.4). Hofmannsthal unterstellt Mitterwurzer in seiner GugliaRezension eine ähnliche, allerdings »von jenseits des Bewußtseins gelenkte 1449 Siehe Bab: Kränze dem Mimen, 16; in Eugene Webers Kommentar (HSW 1: 351f.) fehlt dieser Hinweis, obwohl darin erwähnt wird, das sich Bab im Besitz eines entstehungsgeschichtlich wichtigen Typoskriptes befand (ebd. 349), was die Vermutung erlaubt, dass er über ›Insiderinformationen‹ verfügte. Babs Vermutung lässt sich außerdem erhärten durch die (noch zu analysierenden) Verse 55–60 und durch die Eingangspassage seines lyrischen Nachrufes auf Kainz, die ebenfalls auf die Elegy rekurrieren (V. 2.3). 1450 Siehe Florack: Spiel-Automaten.

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Unterwürfigkeit und Ausdrucksfähigkeit des Leibes« (HM: 482) und gestaltet hier eine Variante der Metapher vom Schauspieler als Puppenspieler mit dem eigenen Körper. Bezeichnend ist auch der Unterschied zwischen der Formulierung, die Clairon habe ihre Puppe ›beseelt‹, und der Vorstellung, Mitterwurzer habe in die Puppen seiner Rollen »sein Lebensblut/ [g]egossen«, verweist diese doch konkret auf die (verlorene) Präsenz eines lebenden Körpers. Entsprechend werden die Puppen auch als »ein Haufen Leichen« bezeichnet (HGM V. 7). Das Bild steht nicht einfach für Mitterwurzers Rollen-Darstellungen (wie ich sie angesichts von Hofmannsthals Ablehnung des ›Verkörperungs‹-Modells nennen möchte), sondern für die Erinnerung daran, die Darstellungen assoziativ aufeinander bezieht. Vergleicht man die hier angeführten Rollen mit denen des Prätextes, so fällt auf, dass die Elegy durchgehend Rollennamen nennt, wogegen im Mitterwurzer-Gedicht zunächst allgemein von »einem Säufer« und einem ›König‹ die Rede ist und dann erst von Mitterwurzers berühmten Darstellungen des Don Philipp und des Caliban. Eugene Weber hat vorgeschlagen, den »Säufer« als Anspielung auf die Rolle des Harry Crapton in Gerhart Hauptmanns Kollege Crapton zu verstehen.1451 Dagegen möchte ich daran erinnern, dass nicht nur Don Philipp ein König ist, sondern auch der unterwürfige Caliban durch intensiven Branntweingenuss zum ›Säufer‹ wird. Ich meine, dass es sich hier gar nicht um einen Katalog von vier Rollen handelt, sondern um die Konstellation zweier Rollen-Darstellungen, deren Erinnerungsbild im zweiten Zugriff gewissermaßen ›schärfer gestellt‹ wird. Die Doppelung von ›König‹ und »Don Philipp« bildet das Zentrum einer chiastischen Figur, welche die Umklammerung durch den ›Säufer‹ bzw. durch ›Caliban‹ ikonisch nachbildet, unterstützt durch Enjambements.1452 Warum gerade diese beiden Darstellungen zu einem so drastischen Bild zusammengeführt werden, kann ein Blick auf Rollenporträts von Eugen Guglia und Jakob Julius David erhellen: Guglia betont, Mitterwurzers Caliban zeige seinem »Herrn gegenüber, der ihn mit seiner Zauberkunst gebändigt,« zunächst »blöde Furcht« und Unterwürfigkeit, mit dem »Branntwein im Leibe« jedoch (GM: 80) werde »ingrimmiger Trotz« in ihm wach (GM: 81), und David beobachtet an ihm »im Rausch eine Ungeschlachtheit sonder Beispiel; eine Sinnlichkeit, die niemals befriedigt ward, der aber überhaupt nicht genug zu tun ist. Und dennoch ging es von der Gestalt wie eine geheime Lockung aus. Man verstand die Besorgnisse Prosperos um Miranden, verstand sie nicht allein von der animalischen Kraft und Ueberlegenheit aus.«1453 Dass andererseits auch der von Mit1451 HSW 1: 351 (Komm.); bei Guglia findet sich keine Beschreibung dieser Verkörperung. 1452 Grammatisch gesehen, interpretiere ich »Don Philipp/ mit Caliban als Alp um seinen Hals« (HGM V. 9f.) also nicht als beigeordnetes Glied der Aufzählung, sondern als Apposition zu »das Knie von einem Säufer/ In eines Königs Aug gedrückt« (HGM V. 8f.). 1453 David: Mitterwurzer, 54.

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terwurzer dargestellte Don Philipp gewissermaßen einen »Alp um seinen Hals« trug, erhellt aus Guglias Beschreibung: »Auf eine so geartete Natur wirken nun alle Zweifel der Eifersucht. Vergebens versucht er, sie abzuschütteln, sie fassen ihn immer wieder – es ist ein furchtbares Ringen. […] [W]ie von Furien gejagt, ergreift er die Glocke und läutet, läutet wie in entsetzlicher Todes- und Gespensterfurcht.« (GM: 137f.) 1.4.2 »Wer aber war er?« Metaphorische Deutungen Der dritte Abschnitt greift wieder auf die im ersten etablierte Konstellation ›erwir‹ zurück: Da wußten wir, wer uns gestorben war : Der Zauberer, der große, große Gaukler! Und aus den Häusern traten wir heraus Und fingen an zu reden, wer er war. War aber war er, und wer war er nicht? (HGM V. 12–16)

Die ›Häuser‹, in denen »wir« üblicherweise wohnen, bilden einen Gegenbereich zum Jahrmarkt, der hier noch wesentlich deutlicher evoziert wird als durch die nur punktuelle Charakterisierung Mitterwurzers als »Gaukler« in der GugliaRezension. Im Gedicht nämlich schließt der Begriff »Gaukler« an das Bild des Puppenspielers an und verbindet sich mit dem des ›Zauberers‹. Gerade diese unmittelbare Nebeneinanderstellung zweier ähnlicher, doch keineswegs deckungsgleicher Bildspender zeigt aber auch an, dass es hier nicht darum geht, Mitterwurzers Wirkung in ein abschließendes Bild zu überführen.1454 Vielmehr wird die Behauptung, angesichts des Todes von Mitterwurzer habe die Erinnerung an die Darstellungen von »Säufer« und ›König‹ beziehungsweise Caliban und Don Philipp zum Wissen geführt, »wer uns gestorben war«, in geradezu musikalischem Spiel mit dem Wortmaterial variiert und semantisch umgekehrt in den Formulierungen, »wer er war./ Wer aber war er, und wer war er nicht?« Diese Frage bildet – um eine Formulierung einzusetzen, die Sabine Schneider für Hofmannsthals Beschreibung eines Gemäldes gefunden hat – »Sog und Leerstelle einer nicht erreichbaren Einlösung für ein Textbegehren«, das »die Herstellung von Bedeutung durch eine gleitende Semiose« gestaltet.1455 Formal lässt sich das an den das Gedicht durchziehenden »war«-Formulierungen aufzeigen,

1454 Sie ist vergleichbar mit der Doppelung der visuellen Bilder »Licht« und »Blitz« in den Eingangsversen, die, wie gezeigt, einander nicht nur steigern, sondern partiell aufheben. 1455 Schneider: Verheißung der Bilder, 23; es geht um die Beschreibung von Giorgiones (oder Tizians) Gemälde Concerto Campestre in Hofmannsthals Sommerreise (HSW XXXII: 30f.).

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die immer neue vorläufige Antworten auf die Frage, »wer er war«, suggerieren.1456 Der vierte Abschnitt – es ist mit neunzehn Versen der längste – versucht die Frage zunächst wiederum in Bezug auf die von Mitterwurzer übernommenen Rollen zu beantworten. Dabei geht es zunächst um seine grundsätzliche Haltung diesen Rollen gegenüber : Er kroch von einer Larve in die andre, Sprang aus des Vaters in des Sohnes Leib Und tauschte wie Gewänder die Gestalten. (HGM V. 17–19)

Die bereits in der Guglia-Rezension verwendete Kleider-Metapher thematisiert hier nicht das mögliche Ausziehen des Rollen-Gewandes, also das kalkuliertvirtuose Spiel mit der Rolle, sondern das Sich-Umziehen, das heißt Mitterwurzers Wandlungsfähigkeit. Die beiden vorangehenden Verse gestalten diese Fähigkeit in einigermaßen irritierenden Bildern: Zwar bezeichnet man als »Larve« bisweilen auch die Maske eines Schauspielers, die metonymisch für seine Rolle steht – das Verb ›kriechen‹ jedoch verweist auf die zoologische Bedeutung, und diese wird ins Surreale gewendet durch die Vorstellung des Kriechens in mehrere Larven statt des Auskriechens aus einer. Vollends scheint das ›Springen‹ aus dem Leib des Vaters in den des Sohnes die Ordnung der Natur umzukehren;1457 auch wenn Hofmannsthal hier konkret darauf anspielt, dass Mitterwurzer nicht selten innerhalb weniger Jahre im selben Stück die Rolle des Sohnes und des Vaters spielte.1458 Die Bilder evozieren also WidernatürlichUnheimliches, und dieser Eindruck steigert sich in den nun folgenden Versen: Mit Schwertern, die er kreisen ließ so schnell, Daß niemand ihre Klinge funkeln sah, Hieb er sich selbst in Stücke: Jago war Vielleicht das eine, und die andre Hälfte Gab einen süßen Narren oder Träumer. (HGM V. 21–25)

Instruktiv scheint mir hier der Vergleich mit Lichtenbergs Formulierung: »[Garrick als Hamlet] zieht mit einer Geschwindigkeit, die einen schaudern macht, den Degen gegen sie« (LBE: 335f.), in der ebenfalls die Präsenz des 1456 »Er war« (HGM V. 36; 46f.); »Sein ganzer Leib war« (HGM V. 25; 30); »So war in ihm« (HGM V. 45); »in seinem Mund/ War« (HGM V. 50f.); »Denn in ihm war« (HGM V. 52). 1457 Tatsächlich hat Hofmannsthals zunächst »sprang von des Sohnes in des Vaters Leib« geschrieben (siehe HSW 1: 350) und damit sowohl die natürliche Folge der Lebensalter berücksichtigt als auch die Tatsache, dass junge Schauspieler eher ältere Menschen spielen als umgekehrt. 1458 So im Hamlet, den Räubern und Don Carlos, siehe Komm. HSW 1: 352.

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Schauspielers (in diesem Fall über die bloße ›Verkörperung‹ der Hamlet-Rolle hinaus) gestaltet wird (I.5.3). Hofmannsthal ist einerseits konkreter, denn die Schnelligkeit des Degenziehens muss nicht über die emotionale Wirkung der Aktion erschlossen werden, sondern wird vor Augen geführt durch einen konkreten optischen Eindruck, genauer : das Ausbleiben eines eigentlich zu erwartenden Eindrucks. Andererseits wird die Aktion des Schwerter-Kreisenlassens keiner bestimmten Rolle zugeordnet, sondern steht, wie die vorangegangenen Metaphern, für den Rollenwechsel überhaupt und verweist wiederum auf Jahrmarkts-Darbietungen. Auch die Formulierung »hieb er sich selbst in Stücke« lässt an Zauberkunststücke denken; dennoch suggeriert die Gewalttätigkeit des Bildes auch das Unheimliche eines solchen Umgangs mit dem in der Mitterwurzer-Rezension thematisierten künstlerischen »Material« seiner selbst (HM: 481). Dazu passt die Nennung des zerstörerischen Jago als erstem Beispiel einer Rolle; »die andere Hälfte« des Repertoires dagegen verweist auf Darstellungen von milderer Wirkung, und das Stichwort »Träumer« leitet über zu einer Passage, die mit eher ›zauberischen‹ als ›gauklerischen‹ Bildern aufwartet: Sein ganzer Leib war wie der Zauberschleier, In dessen Falten alle Dinge wohnen: Er holte Tiere aus sich selbst hervor : Das Schaf, den Löwen, einen dummen Teufel Und einen schrecklichen, und den und jenen, Und dich und mich. […] (HGM V. 25–30)

Auch hier lässt sich die Bildlichkeit genauer fassen durch den Vergleich mit einer metaphorisch verwandten Passage aus einer früheren Mimen-Ekphrasis, nämlich Schlegels Versen über Henriette Hendel-Schütz: »Aus ihres Schleiers reichen Falten/ Entsteigen, folgsam ihrem Ruf,/ Die hohen himmlischen Gestalten,/ Die Meißel oder Pinsel schuf« (SSW I: 293, V.9–12, siehe IV.5.3). In beiden Gedichten verweist die Schleier-Metapher auf die mimisch-enargeische Vergegenwärtigung nicht nur bestimmter Rollen, sondern einer imaginären Welt: der antiken Mythologie im Fall von Hendel-Schütz, im Fall Mitterwurzers der ganzen Welt (»alle Dinge«) in märchenhafter Verklärung. Während Schlegel jedoch konkret auf die »Falten« der von Unzelmann getragenen Gewänder anspielt und mit dem Hinweis auf »Meißel oder Pinsel« weitere künstlerische Formen visueller Vergegenwärtigung einbezieht, verwandelt Hofmannsthals Bild den »Leib« des Schauspielers selbst in einen »Zauberschleier«, der ohne visuelle Verbindungselemente die Phantasie der Zuschauer beherrscht. Zwar mag die Formulierung »einen dummen Teufel/ Und einen schrecklichen« durchaus auf be-

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stimmte Rollen anspielen,1459 doch ist jedenfalls mir nicht bekannt, dass Mitterwurzer Tiere dargestellt hätte. Dass er jedoch als Märchenerzähler auftrat und als Tierfreund galt, motivierte schon in der Guglia-Rezension die märchenhafte Vermutung, Mitterwurzer könne einem Hund eine Geschichte begreiflich machen. Hier wird das Publikum in anderer Weise mit Tieren analogisiert: Diese stehen am Anfang der Liste von ›Dingen‹, die aus dem »Zauberschleier« geholt werden, am Ende aber holt der Zauberer überraschenderweise »dich und mich« hervor. Damit wird erstmals der Anteil des Zuschauers am Zustandekommen des phantasmagorischen mimischen ›Bildes‹ thematisiert; zudem geht es um jene Möglichkeit zur Identifikation, die Mitterwurzer, wie es in der Schlusspassage der Guglia-Rezension heißt, als »Erlebnis aller Welt« den verschiedensten Zuschauern bietet. Damit könnte eine Verbindung zwischen dem Erleben von Schauspieler und Publikum angedeutet sein; doch im selben Vers, der diese intensive Wirkung auf das Publikum thematisiert, wird die Perspektive wiederum auf den »Leib« des Mimen gelenkt, und davon ausgehend eine Allegorie entwickelt, die das ›er‹ und das ›wir‹ in starkem Kontrast setzt: […] Sein ganzer Leib war glühend Von innerlichem Schicksal durch und durch, Wie Kohle glühend, und er lebte drin Und sah auf uns, die wir in Häusern wohnen, Mit jenem undurchdringlich fremden Blick Des Salamanders, der im Feuer wohnt. (HGM V. 30–35)

Durch das Bild des Feuers wird wiederum eine (scheinbare) Gefährdung des Leibes nahegelegt; in diesem Fall kommt sie nicht aus der äußere Anforderung, die verschiedensten Rollen zu spielen, sondern geht »[v]on innerlichem Schicksal« aus. Der Singular zeigt an, dass es hier nicht um die Schicksale der Rollenfiguren geht, in die sich der Schauspieler einfühlt, sondern um das, was die Guglia-Rezension Mitterwurzers »Wissen um sich selbst […] in allen Gliedern« (HM: 481) nennt. Für die Häuserbewohner wäre ein solches Wissen bzw. »Erlebnis« (HM: 481) des eigenen Selbst bedrohlich, für den ›Feuersalamander‹ Mitterwurzer jedoch bedeutet sie die einzig ihm angemessene Lebensweise. Ansatzweise lässt sich diese Konstellation übrigens durch ein Zitat von David biographisch fundieren: Er sprach selber davon, fast wie mit einem Neid, daß sich die anderen Häuser bauten und Sammlungen anlegten. Er aber sei nur glücklich in einem Hotelzimmer, den Koffer zur Hand, damit er gleich packen und sich zu neuer Fahrt bereiten könne. Selbst in 1459 Nämlich auf die des Mephisto (GM: 82–85) und die des Teufels in Hans Sachs’ Fastnachtsspiel Der Teufel und das alte Weib (GM: 124) siehe HSW 1: 352 (Komm.).

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Wien hielt er sich gern ein Zimmer – auch noch während seiner letzten Wirksamkeit hier – im Gasthof, damit ihm mindestens die Illusion der Ungebundenheit […] verbleibe, an der er so hing.1460

Auf Mitterwurzers Reisefreudigkeit mag auch die im fünften Abschnitt ausgeführte Allegorie anspielen, die das Verhältnis zwischen Schauspieler und Publikum wiederum neu akzentuiert: Er war ein wilder König. Um die Hüften Trug er wie bunte Muscheln aufgereiht Die Wahrheit und die Lüge von uns allen. In seinen Augen flogen unsre Träume Vorüber, wie von Scharen wilder Vögel Das Spiegelbild in einem tiefen Wasser. (HGM V. 36–41)

Hubert Ohl sieht in den Versen 36ff. eine Anspielung auf Mitterwurzers Interpretation des Lear,1461 eine Rolle, die er kurz vor seinem Tod noch gespielt hat.1462 Doch dürften das Adjektiv ›wild‹ und die »[u]m die Hüften« getragenen »bunte[n] Muscheln« eher auf einen ›Wilden‹ aus Afrika oder der Südsee deuten – entsprechende mentale Erinnerungsbilder und Stereotypen konnte Hofmannsthal bei seinen Lesern schon angesichts der am Jahrhundertende äußerst populären Völkerschauen voraussetzen.1463 Wichtig ist jedoch, dass es sich hier nicht nur um eine Metapher handelt, die Mitterwurzers Fremdheit und ›Wildheit‹ im Gegensatz zu den ›Häuserbewohnern‹ evoziert, sondern auch um eine Allegorie, welche eine Beziehung zwischen beiden Seiten schafft über das Attribut der Muscheln, die für »[d]ie Wahrheit und die Lüge von uns allen« stehen. Die Metaphorik der zweiten Hälfte dieses Abschnitts erscheint recht eigenständig, da sie allein ›die Augen‹ Mitterwurzers thematisiert, ohne das Bild des ›wilden Königs‹ weiterzuführen. Das Adjektiv wird jedoch wieder aufgenommen im Bild der ›wilden Vögel‹, Zugvögel also, die für die »Träume« des mit ›wir‹ bezeichneten Publikums stehen. Somit bezeichnet die ›Wildheit‹ des Schauspielers nicht nur dessen Anderssein, sondern ein Verbundensein mit ›innerlichen‹ irrationalen Schichten, die ›wir‹ zumindest in unseren Träumen erleben können. Allerdings sind diese Träume flüchtig und bedürfen der ›Spiegelung‹ im ›Wahrheit und Lüge‹ verbindenden Erlebnis radikaler schauspielerischer Präsenz. Dies ist ausgedrückt (und durch die Teilung des sechsversigen Abschnitts 1460 David: Mitterwurzer, 9. 1461 Ohl: Totengedächtnis, 231. 1462 Erstmals auf einem Kölner Gastspiel im Winter 1896 (siehe Guglia: [Art.] Mitterwurzer, 426), also nach Entstehen von Guglias Monographie (siehe GM: 144); eine Beschreibung dieser Verkörperung war nicht zu ermitteln. 1463 Siehe Goldmann: Völkerausstellungen um 1900.

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in eine ›Spiegelachse‹ ikonisch nachgestaltet) im Bild von der Spiegelung der Traum-Vögel im »tiefen Wasser« von Mitterwurzers Augen – jener Augen also, die noch im vorigen Abschnitt einen »undurchdringlich fremden« Salamanderblick auf die Häuserbewohner warf (HGM V. 34).1464 Der sechste Abschnitt des Gedichts gestaltet eine solche ›Spiegelung‹ von Träumen des ›wir‹ in der Präsenz des Schauspielers: Hier trat er her, auf eben diesen Fleck, Wo ich jetzt steh, und wie im Tritonshorn Der Lärm des Meeres eingefangen ist, So war in ihm die Stimme alles Lebens: Er wurde groß. Er war der ganze Wald, Er war das Land, durch das die Straßen laufen. Mit Augen wie die Kinder saßen wir Und sahn an ihm hinauf wie an den Hängen Von einem großen Berg: in seinem Mund War eine Bucht, drin brandete das Meer. (HGM V. 42–51)

Die Passage variiert die im vierten Abschnitt gestaltete Vision vom »Zauberschleier« des Leibes, »[i]n dessen Falten alle Dinge wohnen« (HGM V. 25f.). Dem Bild vom Schleier entspricht hier das vom »Tritonshorn«, das noch einmal an die »Muscheln« des ›wilden Königs‹ (HGM V. 36f.) anschließt (und ihn in einen Meeresgottes verwandelt), vor allem aber das Element der Rezitation bzw. der »Stimme« anspricht. Deren Erwähnung voran geht allerdings die Erinnerung an den ›Auftritt‹ Mitterwurzers, verbunden mit der Sprechsituation des Gedichtes: Die ›Sprechinstanz‹ ist als ›Sprecher‹ zu denken, der auf der Bühne des Wiener Burgtheaters steht. Auch die erinnerte Darbietung Mitterwurzers wird (im Unterschied zur »Zauberschleier«-Passage) als Rezeptionssituation konturiert: »Mit Augen wie die Kinder saßen wir/ Und sahn an ihm hinauf«. Das Hinaufschauen mag der realen Rezeption des Publikums im Parterre entsprechen, verstärkt allerdings durch die imaginäre Sicht aus staunenden ›Kinderaugen‹. Beides erklärt allerdings nicht die Entgrenzung des Leibes zur Weltlandschaft; sie ist zurückzuführen auf die Überhöhung von Mitterwurzers Stimme zur »Stimme alles Lebens«.

1464 Anlässlich der Anekdote vom Mitgefühl des Redners Crassus mit seiner Muräne im Chandos-Brief (SWS 31: 53f.) weist Rutsch darauf hin, dass »Motive wie Teich, Brunnen, mit Wasser gefüllter Trog etc. im Werk Hofmannsthals durchgängig für das Ich beziehungsweise Selbst, seine Rätselhaftigkeit und Problematik« stehen (Rutsch: Leiblichkeit der Sprache, 84).

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1.4.3 »Und tötete den Leib«: Lebens-Metaphorik und Totentanz-Tradition Damit ist das schon für die Guglia-Rezension zentrale Stichwort »Leben« wieder aufgegriffen, das zu Beginn des siebten Abschnitts an Stelle der Formulierung vom »innerlichen Schicksal« für das Geheimnis von Mitterwurzers Wirkung steht: Denn in ihm war etwas, das viele Türen Aufschloß und viele Räume überflog: Gewalt des Lebens, diese war in ihm. (HGM V. 52–54)

Die Metaphorik verweist zurück auf die ›Häuser‹, in denen das Publikum wohnt (HGM V. 14; 33), aber auch auf die Zugvögel seiner »Träume« (HGM V. 39f.). In der Gleichsetzung der Fähigkeit zur imaginativen Verwandlung der Welt mit »Gewalt des Lebens« scheint die Reihe von Antworten auf die Frage, »wer er war« (HGM V. 15), zu einem gewissen formelhaften Abschluss zu kommen. Doch wird der heiteren Bildlichkeit dieser Verse zugleich eine Reihe drastischer Metaphern entgegengesetzt, die an die Tatsache seines Todes erinnern: Und über ihn bekam der Tod Gewalt! Blies aus die Augen, deren innrer Kern Bedeckt war mit geheimnisvollen Zeichen, Erwürgte in der Kehle tausend Stimmen Und tötete den Leib, der Glied für Glied Beladen war mit ungebornem Leben. (HGM V. 55–60)

Im Gegensatz zum »Leben«, das als überpersönliches Prinzip begriffen ist,1465 wird der Tod in drastischer Bildlichkeit als Akteur vorgestellt, der Mitterwurzer sein Leben nimmt. Nochmals klingt hier die Burbage-Elegie an, die im Sinn der Totentanz-Tradition den heimtückischen Angriff auf die »enchanting tongue« (AFB V. 37: 182) des Schauspielers ausmalt (II.2.3).1466 Hier sind es »Augen«, »Kehle« und die ›Glieder‹ des ›Leibes‹, die attackiert werden. Die Aufeinanderfolge dieser Wörter lässt erstmals ansatzweise das ›Bild‹ eines von oben nach unten präsentierten Körpers aufkommen; andererseits sind diese Elemente wiederum metaphorisch in einer Weise »beladen«, durch die sie mit einer dem dargestellten Vorgang entsprechenden Gewaltsamkeit separiert werden. Bemerkenswert ist, dass Mitterwurzers Augen noch einmal metaphorisch trans1465 Herbert Schnädelbach betont, dass im Kontext der Lebensphilosophie »mit ›Leben‹ gar nicht primär etwas Biologisches gemeint ist. In Wahrheit ist ›Leben‹ ein kultureller Kampfbegriff und eine Parole, die den Aufbruch zu neuen Ufern signalisieren soll.« (Schnädelbach: Philosophie in Deutschland, 172) 1466 »He therefore first made seizure on his tongue;/ Then on the rest« (AFB V. 41).

516

Poetische Mimen-Ekphrasis im Zeichen von ›nervöser Enargeia‹

formiert werden: Während sie als ›fremder Blick‹ des Salamanders (HGM V. 34) und auch als spiegelndes Wasser undurchdringlich erschienen, ist nun von einem ›innren Kern‹ die Rede, der sogar »Zeichen« aufweist, wenn auch ›geheimnisvolle‹. Da diese Zeichen allerdings auf den ›innren Kern‹ einer Frucht geschrieben sind (wohl des ›Augapfels‹), mögen sie erst in jenem Moment sichtbar werden, da der Tod, wie es in kühner Katachrese heißt, die Augen ›ausbläst‹ (bzw. das ›Augenlicht‹). Auch die Bilder von den erwürgten ›tausend Stimmen‹1467 und des auf den Gliedern lastenden ›ungebornen Lebens‹ verweisen angesichts von Mitterwurzers imaginiertem Sterben auf die ›belebende‹ Wandlungsfähigkeit seiner Rezitation und eloquentia corporis. 1.4.4 »Hier stand er«: Absenz und poetische Enargeia Der letzte Abschnitt verweist wiederum auf die intendierte Vortragssituation an Mitterwurzers Wirkungsstätte: Hier stand er. Wann kommt einer, der ihm gleicht? Ein Geist, der uns das Labyrinth der Brust Bevölkert mit verständlichen Gestalten, Erschließt aufs neu zu schauerlicher Lust? Die er uns gab, wir konnten sie nicht halten Und starren nun bei seines Namens Klang Hinab den Abgrund, der sie uns verschlang. (HGM V. 61–67)

Die rhetorische Frage, wer dem Verstorbenen ebenbürtig sei, ist ein Topos der Funeralrhetorik,1468 doch die auf Mitterwurzers Rollendarstellungen bezogene Formulierung »Die er uns gab, wir konnten sie nicht halten« könnte auch bedeuten, dass es vergebens sei, seine Schauspielkunst enargeisch in einem Gedicht festhalten zu wollen. Gerade in dieser Strophe aber wird gleich in doppelter Weise die Leistung von Poesie ausgestellt: durch die Rückkehr zum in der zweiten Strophe aufgegebenen Reim und durch vergleichsweise explizites Zitieren. Die rhetorische Frage nach einem ebenbürtigen Nachfolger wird zwar noch in einem reimlosen Vers gestellt, dann aber bilden ein Kreuz- und ein 1467 Vor dem Hintergrund der Guglia-Rezension handelt es sich um eine weitere Umkehrung der paradoxen Wendung, Mitterwurzers Rede habe »die zehntausend Toten totgetreten.« (HM: 480) 1468 Ein Beispiel aus der Zeit der Burbage-Elegie sind die von Lord Herbert of Cherbury verfassten Verse des Epitaphium Gulielmi Herbert de Swansea qui sine prole obiit August. 1609: »Live endless here […]/ […]/ While they which knew, or but have heard of thee,/ Must never hope thy like again can be« (V. 6; 8f., zit. nach Howarth: Minor Poets, 15). Im vorliegenden Fall könnte es sich auch, wie Yates annimmt, um eine Anspielung auf Hamlets Vers über seinen Vater handeln: »I shall not look upon his like again« (Hamlet I.1; siehe Yates: Harbingers of Change, 94).

Die Elegie Josef Kainz zum Gedächtnis

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Paarreim eine verkürzte Stanze, wie sie am prominentesten in Goethes Marienbader Elegie eingesetzt wird. Ob man die Passage gewissermaßen als metrische Anspielung auf dieses Gedicht lesen kann, sei dahingestellt – eindeutig aber stammt das Bild vom »Labyrinth der Brust« aus Goethes Gedicht An den Mond. Durch dieses Labyrinth ›wandelt‹ bekanntlich, »Was vom Menschen nicht gewußt,/ Oder nicht bedacht«.1469 In Hofmannsthals Gedicht waren das »unsre Träume« (HGM V. 39), die erst im »Spiegelbild« (HGM V. 41) von Mitterwurzers Augen erlebbar wurden; diesem Grundgedanken entsprechen die im vierten und sechsten Abschnitt ausgeführten Phantasmagorien, die zwar von Mitterwurzers Darstellung ausgehen, jedoch der imaginativen Mitarbeit des Publikums bedürfen. Während in diesen Strophen jedoch die Bilder kaum mit konkreten Rollen verbunden waren, heißt es in der letzten Strophe explizit, Mitterwurzer habe die Imagination »[b]evölkert mit verständlichen Gestalten«. Das scheint dem in der Rezension so vehement abgelehnten Verkörperungs-Ideal denn doch einigermaßen nahezukommen. Andererseits sind es gerade diese »Gestalten«, welche Erinnerung und Elegie selbst »nicht halten« können. Wohl aber kann der Text den mit der Rollen-Belebung verbundenen, für Mitterwurzer typischen Eindruck »schauerlicher Lust« »aufs neu« wachrufen: durch eine Metaphorik, die nicht nur Bilder des Lebens und des Todes miteinander konfrontiert, sondern auch Topoi zerstört und zu neuen Konstellationen formt.

2.

Die Elegie Josef Kainz zum Gedächtnis (1910) als ›musikalische Ekphrasis‹ der Stimme

2.1

›Vergeistigung‹ durch »Stimme«

Das Verhältnis von Hofmannsthals Mitterwurzer-Ekphrasen zu Guglias Mitterwurzer-Monographie und der damit verbundenen ekphrastischen Tradition lässt sich formelhaft zuspitzen: Es geht nicht mehr um ›Verkörperung‹, sondern um ›Verwandlung‹, nämlich um die Verwandlung des Körpers in wechselnde Rollenfiguren, um die Verwandlung der Zuschauer in staunende Kinder und die Verwandlung der Alltagswelt in eine Wunderwelt. In dieser Kraft zur Verwandlung manifestiert sich »Gewalt des Lebens« (HGM V. 54); ihr entsprechend verwandelt das Gedicht gewohnte Topoi und ›springt‹ gewissermaßen ›von einem Bild ins andere‹. In Hofmannsthals Elegie auf Josef Kainz (1858–1910)1470 1469 GWA I: 80; siehe HSW 1: 352 (Komm.). 1470 Zu Leben und Werk von Josef Gottfried Ignaz Kainz – so der vollständige Name – liegt mit Judith Eisermanns 2010 publizierter Dissertationsschrift von 2010 (Eisermann: Kainz) eine auf breiter Materialbasis argumentierende, theatergeschichtlich wie literaturwissen-

518

Poetische Mimen-Ekphrasis im Zeichen von ›nervöser Enargeia‹

dagegen – ich übergehe das fast durchweg allegorische und kaum ekphrastische Gedicht auf den Schauspieler Hermann Müller von 1899 –1471 heißt es: O wie das Leben um ihn rang und niemals Ihn ganz verstricken konnte ins Geheimnis Wollüstiger Verwandlung! Wie er blieb! (HKG V. 47f.)1472

Nicht als Verwandler seiner selbst und anderer wird Kainz gefeiert, sondern als »Vergeistiger« (HKG V. 63). Sinnliches Äquivalent der ›Vergeistigung‹ ist Kainz’ »Stimme, die wir nie/ Vergessen werden« (HKG V. 44f.): Das Wort »Stimme« wird im ersten wie im letzten Vers genannt und dazwischen zweimal an zentraler Stelle (HKG V. 9; 44). Zwar rühmt auch Hofmannsthal in seiner Guglia-Rezension eigens die »Gewalt über die Worte« (HM: 480) des Rezitators Mitterwurzer und feiert deren Wirkung auch in seiner Elegie, doch allein im Hinblick auf die enargeische Wirkung des Vortrags, ohne seine »Stimme« zu erwähnen. Zudem wird in der Kainz-Elegie, wie zu zeigen ist, der Eindruck von Kainz’ Stimme und Sprechweise sowohl mit bildlichen wie mit klanglichen Mitteln so forciert nachgeahmt, dass sie sich nur mit musikalischen Ekphrasen der Romantik vergleichen lässt (IV.5.3).1473 Nicht von ungefähr : Nach Reinhart MeyerKalkus bestand Kainz’ »wesentliche Leistung« als Rezitator »in der Musikalisierung der Sprechkünste.«1474 Meyer-Kalkus kann sich auf eine Reihe zeitge-

1471

1472 1473 1474

schaftlich profunde Studie vor, angesichts derer die Monographien Richter: Kainz (1931) und Wiegler: Kainz (1941) überholt sind. Siehe HSW 1: 89f. Hofmannsthal nimmt das biographische Faktum von Müllers Suizid zum Anlass für eine neuerliche Aktualisierung der Welttheater-Allegorie: Auf der realen Bühne war Müller »so stark« und »[s]ein Leib […] so begabt,/ Sich zu verwandeln, daß es schien, kein Netz/ Vermöchte ihn zu fangen« (V. 5ff.), eine Anspielung auf den ProteusMythos; »[d]ie fürchterliche Bühne Wirklichkeit« dagegen (V. 35) habe er nicht ertragen. Besonders deutlich wird die Allegorisierung im Bild vom abgeworfenen Mantel, der nicht mehr, wie die weggeworfenen »Kleider« in der Guglia-Rezension oder die schnell vertauschten »Gewänder« der Mitterwurzer-Elegie, für das überlegene Verhältnis des Schauspielers zu seinen Rollen steht, sondern ein Bild für Müllers Suizid ist, angesichts dessen auch »[d]ie nun in nichts zerfallenden Gestalten« gleichgültig werden (V. 52). Die Sigle HKG steht im Folgenden für Hofmannsthals Gedicht Josef Kainz zum Gedächtnis, gefolgt von der Verszahl, zitiert nach HSW 1: 108ff. Dieser Aspekt wurde teilweise bereits vorgestellt in Singer : »O hätt’ ich seine Stimme«. Siehe die materialreiche und rezitationsgeschichtlich präzise Analyse in Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste, 251–263, hier 256. Matthias Nöther relativiert Meyer-Kalkus’ Aussage allerdings in seiner nicht weniger fundierten Analyse von Kainz’ Sprechtechnik (Nöther : Als Halbgott sprechen, 258–271): »Die Musikalisierung wurde eher von Kainz’ Nachfolgern geleistet, meist Angehörigen der Reinhardt-Bühne, wo die Wortzentriertheit des Theaters aufgehoben wurde.« (ebd. 263) Doch scheint mir die Differenz eher eine des Wortgebrauchs als der Sache zu sein: Meyer-Kalkus versteht unter »Musikalisierung« gewissermaßen deklamatorische ›Programmmusik‹, Nöther dagegen ›absolute Musik‹, die sich in der Rezitation Alexander Moissis ankündigt und letztlich in den »Lautgedichten Hugo Balls [….] vom Text zu emanzipieren vermag.« (ebd. 265) Übereinstimmen dürften

Die Elegie Josef Kainz zum Gedächtnis

519

nössischer Zeugnisse stützen. So wurde Kainz von Alfred Kerr als der »Sprechsänger mit dem Stimmreiz« charakterisiert,1475 und nach Hermann Bahr übte seine Rezitation »unmittelbar musikalische Wirkungen aus. Das ist keine Rede mehr, das ist wie die Symphonie eines ungeheuren Orchesters.«1476 Matthias Nöther hat ausdrücklich die Brücke geschlagen von dieser Formulierung zu Wackenroder und Tieck: Für sie wie für den Programmatiker der ›Wiener Moderne‹ sei »Symphonie« die »Metapher für einen empfundenen unermesslichen Reichtum an Klängen und die durch sie geweckten Assoziationen«.1477 Der ›Neuromantiker‹ Hofmannsthal1478 schließt in seiner poetischen Mimen-Ekphrasis jedoch nicht nur an die von Tieck und Wackenroder erprobten Mittel metaphorischer und klanglicher Evokation an, sondern arbeitet in Spannung dazu (und im Gegensatz zu seinen Mitterwurzer-Ekphrasen) auch die körperliche Erscheinung und ›Präsenz‹ von Kainz heraus – wie ebenfalls zu zeigen sein wird.

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1478

Meyer-Kalkus und Nöther in der Analyse, Kainz habe sich ausgezeichnet durch »die Raffinesse, mit der er die größtmögliche Zahl an stimmlichen Parametern – nicht mehr nur Stimmgebung, sondern auch z. B. Lautstärke und Sprechtempo – in der größtmöglichen Zahl von Nuancen – statt bloß klangorientiertem Sprechen eine Palette vom kräftigem Deklamieren bis zu fast unhörbaren Flüstern – zur Vergegenwärtigung des überlieferten Textes nutzte« (ebd. 263). Trotzdem ist festzuhalten, dass in manchen zeitgenössischen Rezeptionszeugnissen das Erstaunen über den Abstand vom gewohnten sinnorientierten Sprechen überwiegt und der Eindruck erweckt wird, Kainz habe die Verständlichkeit dem Klang geopfert. Derartige Zeugnisse werden im Folgenden privilegiert, weil auch Hofmannsthals Elegie den Akzent auf den musikalischen Charakter von Kainz’ Rezitation bzw. »Stimme« legt. Zum Vortragskünstler Josef Kainz siehe außerdem Eisermann: Kainz, 281–301, speziell zum Aspekt der ›singenden Deklamation‹ 291–295. Kerr : Das Mimenreich, 370, siehe Meyer-Kalkus: Sprechkünste und Stimme, 252. Bahr: PremiHren, 296; siehe Meyer-Kalkus: Sprechkünste und Stimme, 258f. Nöther: Als Halbgott sprechen, 262. Allerdings betont Nöther, dass »die ›echten‹ Romantiker« Tieck und Wackenroder »Symphonie« noch nicht im Sinn der »historischen Hauptgattung absoluter Instrumentalmusik« verstanden hätten (ebd.). Dem würde ich zustimmen, aber mit Carl Dahlhaus und Hanna Stegbauer behaupten, dass sie eben diesem Verständnis der Hochromantik den Boden bereiteten durch die programmatische Loslösung der Symphonie vom Drama (siehe IV.5.3; Stegbauer: Akustik der Seele, 103–116). Die ›neuromantische‹ Affinität beider gerade im Hinblick auf die Musikalisierung der Sprache interpretiert Julius Bab im Sinne eines preußisch-österreichischen Dualismus: »Tatsächlich ist die Kunst des Wieners Kainz, über den Naturalismus hinweg, schon dem gleich, was man am Jahrhundertende ›neue Romantik‹ nennen sollte und was der Wiener Hofmannsthal am reinsten zum Ausdruck gebracht hat. In der Kainzschen Stimme lag schon lange vorher die ganze Musik der Hofmannsthalschen Verse, dieser schwermütigsehnsüchtige Klang. Dem durchaus norddeutschen Naturalismus aber, der mit Brahms ins Deutsche Theater einzog, war Kainz zuinnerst fremd.« (Bab: Kränze dem Mimen, 291). Nicht zuletzt in diesem Gegensatz sieht Bab einen Grund dafür, dass Kainz 1899 vom Deutschen Theater in Berlin ans Wiener Burgtheater wechselte, als Nachfolger Mitterwurzers. – Zur (Selbst-)Etikettierung anti-naturalistischer Autoren als ›Neuromantiker‹, die mit bewussten Rückgriffen auf romantische Literatur einherging, siehe Sprengel: 1870–1900, 100–103.

520 2.2

Poetische Mimen-Ekphrasis im Zeichen von ›nervöser Enargeia‹

Dialektische Struktur und Verklammerungselemente

Anders als die Mitterwurzer-Elegie, deren kaleidoskopische Bildlichkeit meine Analyse in einem linearen Close Reading folgte, weist die Kainz-Elegie eine klare dialektische Struktur auf. Die ersten vier Abschnitte lassen sich schematisch als Wechsel von Klage und Frage kennzeichnen: Klage um den Verlust des Schauspielers, Frage nach seinem Wesen mit vorläufigen Anwortversuchen.1479 Beide Reaktionen werden zu Beginn des fünften Abschnitts explizit zurückgenommen: »Ich klage nicht um dich. Ich weiß jetzt, wer du warst« (HKG V. 62). Der Rest dieses Abschnitts deutet dieses Wissen an in einem enigmatischen Gleichnis. Ganz am Schluss steht ein einzelner Vers, ein Nach-Ruf im vollen Wortsinn: »O Stimme! Seele! aufgeflogene!« (HKG V. 72) Er führt drei Elemente zusammen, die über die dialektische Gliederung hinweg dem Gedicht Kohärenz geben: Da ist erstens das Thema der »Stimme«, das zwar vor allem in den FrageAbschnitten thematisiert, jedoch bereits im ersten Vers angesprochen wird. Da ist zweitens der Gebrauch der Interjektion »O«, die das Gedicht und den zweiten Abschnitt eröffnet, dann aber vor allem im zweiten Frage-Abschnitt nicht weniger als achtzehnmal eingesetzt wird. Und da ist drittens das Bild des Vogels, das nach dem ersten in allen Abschnitten auftritt und nicht nur für die »Seele« des Verstorbenen steht, sondern auch für seine Stimme – und sogar, wie zu zeigen sein wird, für seine körperliche Erscheinung. Ich werde im Folgenden dem Gedicht nicht streng linear folgen, sondern zunächst die ›Klage‹-, dann die ›Frage‹-Abschnitte und schließlich die Synthese im Schluss-Bild analysieren.1480 Dennoch handelt es sich auch hier um ein Close Reading, das die – in diesem Fall wesentlich kohärentere – Bildlichkeit herausarbeitet, wiederum mit besonderer Aufmerksamkeit für die Vergegenwärtigung von Präsenz (und unter gelegentlicher Heranziehung von Prätexten und weiteren Rezeptionszeugnissen). Noch größeres Gewicht aber wird auf jene Mittel gelegt, die – so meine These – die »Stimme« des Sprechers lenken, um die des ›Sprechsängers‹ Kainz zu e-vocieren. Mir ist bewusst, dass dies eine recht weit-

1479 Im vierten Abschnitt findet sich zwar nur eine ausformulierte Frage, die explizit durch Fragezeichen markiert ist, nämlich »O Wesen,/ Wer warest du? […]« (HKG 34f.). Zum einen jedoch ist sie so platziert, dass sie zwei vorhergehenden Ausrufe syntaktisch zu einem Abschluss bringt, zum anderen wird der Vers folgendermaßen zu ende geführt: »O Schweifender! O Fremdling?« Das Fragezeichen nach dem zweiten Ausruf signalisiert also, dass auch die auf die ausformulierte Frage folgenden »O-Ausrufe« als von ihr abhängig zu verstehen sind. 1480 Gleichwohl ist es mitunter erforderlich, auch die Aufeinanderfolge der Abschnitte zu berücksichtigen und auf Querverbindungen und Fortentwicklungen hinzuweisen.

521

Die Elegie Josef Kainz zum Gedächtnis

gehende These ist; entsprechend wird ihre Plausibilisierung stellenweise eine recht tief gehende Formanalyse erfordern. Zunächst jedoch wiederum das ganze Gedicht nach der kritischen Ausgabe (HSW 1: 108–110): JOSEF KAINZ ZUM GEDÄCHTNIS O hätt ich seine Stimme, hier um ihn Zu klagen! Seinen königlichen Anstand, Mit meiner Klage dazustehn vor euch! Dann wahrlich wäre diese Stunde groß Und Glanz und Königtum auf mir, und mehr Als Trauer : denn dem Tun der Könige Ist Herrlichkeit und Jubel beigemengt Auch wo sie klagen und ein Totenfest begehn. O seine Stimme, daß sie unter uns Die Flügel schlüge! – Woher tönte sie? Woher drang dies an unser Ohr? Wer sprach Mit solcher Zunge? Welcher Fürst und Dämon Sprach da zu uns? Wer sprach von diesen Brettern Herab? Wer redete da aus dem Leib Des Jünglings Romeo, wer aus dem Leib Des unglückseligen Richard Plantagenet Oder des Tasso? Wer? Ein Unverwandelter in viel Verwandlungen, Ein niebezauberter Bezauberer, Ein Ungerührter, der uns rührte, einer, Der fern war, da wir meinten, er sei nah, Ein Fremdling über allen Fremdlingen, Einsamer über allen Einsamen, Ein Bote aller Boten namenlos Und Bote eines namenlosen Herrn. Er ist an uns vorüber. Seine Seele War eine allzu schnelle Seele und Sein Aug glich allzu sehr dem Aug des Vogels. Dies Haus hat ihn gehabt – doch hielt es ihn? Wir haben ihn gehabt – er fiel dahin Wie unsre eigne Jugend uns entfällt, Grausam und prangend gleich dem Wassersturz. O Unrast! O Geheimnis, offenkundiges Geheimnis menschlicher Natur! O Wesen, Wer warest du? O Schweifender! O Fremdling? O nächtlicher Gespräche Einsamkeit Mit deinen höchst zufälligen Genossen! O starrend tiefe Herzenseinsamkeit!

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Poetische Mimen-Ekphrasis im Zeichen von ›nervöser Enargeia‹

O ruheloser Geist! Geist ohne Schlaf! O Geist! O Stimme! Wundervolles Licht! Wie du hinliefest, weißes Licht, und rings Ins Dunkel aus den Worten die Paläste Hinbautest, drin für eines Herzschlags Frist Wir mit dir wohnten – Stimme, die wir nie Vergessen werden – o Geschick – o Ende – Geheimnisvolles Leben! Dunkler Tod! O wie das Leben um ihn rang und nie Ihn ganz verstricken konnte ins Geheimnis Wollüstiger Verwandlung! Wie er blieb! Wie königlich er standhielt! Wie er schmal, Gleich einem Knaben, stand! O kleine Hand Voll Kraft, o kleines Haupt auf feinen Schultern, O vogelhaftes Auge, das verschmähte, Jung oder alt zu sein, schlafloses Aug, O Aug des Sperbers, der auch vor der Sonne Den Blick nicht niederschlägt, o kühnes Aug, Das beiderlei Abgrund gemessen hat, Des Lebens wie des Todes – Aug des Boten! O Bote aller Boten, Geist! Du Geist! Dein Bleiben unter uns war ein Verschmähen, Fortwollender! Enteilter! Aufgeflogener! Ich klage nicht um dich. Ich weiß jetzt, wer du warst, Schauspieler ohne Maske du, Vergeistiger, Du bist empor und wo mein Auge dich Nicht sieht, dort kreisest du, dem Sperber gleich, Dem Unzerstörbaren, und hälst in Fängen Den Spiegel, der ein weißes Licht herabwirft, Weißer als Licht der Sterne: dieses Lichtes Bote und Träger bist du immerdar, Und als des Schwebend-Unzerstörbaren Gedenken wir des Geistes, der du bist.

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O Stimme! Seele! aufgeflogene!

2.3

Klage und »Anstand«

Auch in der Kainz-Elegie greift Hofmannsthal auf die Burbage-Elegy zurück, in diesem Fall gleich in den Eingangsversen, welche die Eröffnungspassage des fast 300 Jahre älteren Gedichtes anklingen lassen. Hier beide zum Vergleich: Some skilfull limner help me; if not so, Some sad tragedian help’t express my woe.

Die Elegie Josef Kainz zum Gedächtnis

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But O he’s gone, that could both best; both limn And act my grief; and ’tis for only him That I invoke this strange assistance to it, And on the point invoke himself to do it; For none but Tully, Tully’s praise can tell, And as he could, no man could act so well. (AFB V. 4–8: 182) O hätt ich seine Stimme, hier um ihn Zu klagen! Seinen königlichen Anstand, Mit meiner Klage dazustehn vor euch! Dann wahrlich wäre diese Stunde groß Und Glanz und Königtum auf mir, und mehr Als Trauer : denn dem Tun der Könige Ist Herrlichkeit und Jubel beigemengt Auch wo sie klagen und ein Totenfest begehn. (HKG V. 1–8)1481

Übernommen wird die ausdrückliche Zielbestimmung, der Text solle ›Leid darstellen‹ bzw. »klagen«, und die metaleptische Eingangspointe, wonach der Verstorbene, über den es zu sprechen gilt, dies selbst am besten vermöchte. Deutlich zurückgenommen ist aber der intermediale Charakter dieser Metalepse, und zwar nicht nur, insofern die Schwesterkunst Malerei unerwähnt bleibt, sondern vor allem, weil sich der Dichter hier von Anfang an als Sprecher präsentiert, der vor einem ausdrücklich adressierten Publikum steht und seine »Stimme« benutzt. Wichtiger als die Eingangs-Metalepse ist für das folgende Gedicht die Sentenz, dass nur Cicero (bzw. »Tully«) Ciceros Lob verkünden könne. In diesem Fall ist, anders als im Fall der Mitterwurzer-Elegie, verbürgt, dass das Gedicht tatsächlich für eine Vortragssituation geschrieben wurde, nämlich für eine Trauerfeier am 22. Oktober 1910 im Deutschen Theater zu Berlin, wo Kainz von 1883 bis 1889 und von 1892 bis 1899 gewirkt hatte. Dass Hofmannsthal das Gedicht tatsächlich selbst vortrug, erscheint allerdings recht unwahrscheinlich.1482 Entscheidend ist aber, dass Stimme und Gedicht hier zusammengedacht werden. Doch obwohl zunächst das Thema der »Stimme« genannt (und gleich zu Beginn des zweiten Abschnitts aufgegriffen) wird, wendet sich die Sprechinstanz zunächst einem anderen Aspekt zu: Kainz’ körperlicher Präsenz. Wie schon in Lichtenbergs Schauspielerporträt Garricks (II.5.5) und in Böttigers programmatischer erster Rollenbeschreibung Ifflands nebst Beylage (III.8.1) wird dabei 1481 Diese Sigle steht im Folgenden für Hofmannsthals Gedicht Josef Kainz zum Gedächtnis, zit. nach HSW 1: 108ff. 1482 Siehe SW I: 420; leider ist es mir nicht gelungen, Dokumente zu ermitteln, die die Frage nach dem tatsächlichen Sprecher klären.

524

Poetische Mimen-Ekphrasis im Zeichen von ›nervöser Enargeia‹

das Wirkungsideal des Anstands herangezogen, von dem sich sogar das Rollenfach des ›Anstandsspielers‹ herleitet.1483 Es verweist auf die Körperkultur des Adels, und tatsächlich findet sich im zweiten Vers der Manuskriptfassung dieses Gedichts die Formulierung vom »adligen Anstand« (HSW I: 422). Dass Hofmannsthal sich schließlich für die Formulierung vom »königlichen Anstand« (HKG V. 2) entschieden hat, arbeitet der Thematisierung von »Glanz und Königtum« (HKG V. 5) vor, die über die Anspielung auf spezifische Rollen hinaus auf höfische Festkultur zielt und unter diesem Vorzeichen die Aufgabe des Epicediums von der lamentatio zur laudatio verschiebt: »denn dem Tun der König/ Ist Herrlichkeit und Jubel beigemengt/ Auch wo sie klagen und ein Totenfest begehn« (HKG V. 6ff.). Diese Entwicklung spiegelt sich im Zusammenspiel von Metrum und Syntax: Das Gedicht beginnt lebhaft ›klagend‹ mit einem schroffen Zeilensprung (»um ihn/ Zu klagen«, HKG V. 1f.), gefolgt von einer weichen Fügung, um schließlich an einem Satzende, das mit dem Versende zusammenfällt, zum ›Stehen‹ zu kommen: »Seinen königlichen Anstand,/ Mit seiner Klage dazustehn vor euch!« (HKG V. 2f.) Dennoch ist dieser Satz ein Ausruf, grammatisch trotz des eingeschobenen Ausrufezeichens im zweiten Vers immer noch abhängig von der Eingangsformulierung »O hätt‹ ich«. Deshalb lenkt die grammatische NachStellung des Objekts »vor euch« einen starken Akzent beziehungsweise eine Hebung der Stimme auf diese Worte, die das Publikum apostrophieren und seine reale Kopräsenz mit dem Sprecher des Gedichtes auf die erinnerte des ›königlich‹ dastehenden Kainz beziehen. Dagegen folgt nun ein Aussagesatz. Zwar erstreckt er sich, vier Enjambements erfordernd, über fünf Verse, wird jedoch durch ein fünffaches »und« stabilisiert. An die Stelle des emphatischen »O« tritt die Einleitung durch ein feierliches »Dann wahrlich« (HKG V. 4), und die Passage endet in einem auf sechs Hebungen erweiterten Vers, der zur Verlangsamung des Sprechtempos einlädt und sogar als ›barocker‹ Alexandriner verstanden werden kann: »Auch wo sie klagen und ein Totenfest begehn« (HKG V. 8). Von Kainz ist nicht mehr direkt die Rede, doch die Weiterführung des Adjektivs ›königlich‹ in den ebenfalls dreisilbigen Substantiven »Königtum« und »Könige« unterstützt die Erinnerung an seinen Anstand auch lautlich. Der dritte Abschnitt, nur um einen Vers kürzer als der erste, zeigt insgesamt ebenfalls eine Bewegung vom Ton der »Klage« zu Formulierungen, die Repräsentation suggerieren. Er beginnt unruhig mit zwei Enjambements, entsprechend der ›Flüchtigkeit‹ von Mitterwurzers »Seele«, bevor wiederum Satz- und Versende zusammenfallen:

1483 Zum Fortbestehen dieses Rollenfaches im 19. Jahrhundert siehe Doerry : Rollenfach, 29.

Die Elegie Josef Kainz zum Gedächtnis

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Er ist an uns vorüber. Seine Seele War eine allzu schnelle Seele und Sein Aug glich allzu sehr dem Aug des Vogels. (HKG V. 26ff.)

Ein Gegengewicht zur gewissermaßen ›flatternden‹ Verteilung der drei Hauptsätze über die drei Verse bildet die Wiederholung der Substantive »Seele« und »Aug«, letztere sogar in einem Vers. Bemerkenswert ist, dass im Vergleich mit dem »Vogel« nicht (wie in Vers 10) die ›schnellen‹ »Flügel« thematisiert werden, sondern das »Aug«. Und obwohl die Topik des ›Seelenvogels‹ eine assoziative Verbindung von ›schneller Seele‹ und »Vogel« provoziert, gilt der Vergleich, genau besehen, gar nicht der Seele, sondern dem tatsächlichen Auge von Kainz. Wiederum wird die Klage also durch ein Moment der Erinnerung an seine Erscheinung ergänzt, auch wenn der Vergleich noch nicht die enargeische Prägnanz der späteren Formulierung vom »Aug des Sperbers« in Vers 55 besitzt (siehe Kapitel V.2.4). Und wiederum bereitet diese Erinnerung vor auf die Thematisierung der Vortragssituation, für die das Gedicht geschrieben wurde: Dies Haus hat ihn gehabt – doch hielt es ihn? (HKG V. 29)

Der Versuch, die flüchtige Erscheinung zu ›halten‹, drückt sich auf lautlicher Ebene aus durch die Aufnahme des (durch Verkürzung und Verdopplung hervorgehobenen) Diphtongs von »Aug« in »Haus«, gefolgt von einer dreifachen ›h‹-Alliteration. Doch ist die Frage nach dem ›Halten‹ in doppelter Hinsicht rhetorisch: Hinsichtlich der Biographie ist daran zu erinnern, dass das Deutsche Theater Kainz nicht erst durch seinen Tod verloren hatte, sondern bereits durch seinen Wechsel ans Burgtheater als Nachfolger von Friedrich Mitterwurzer 1899; denkt man die Metaphorik weiter, lässt sich ein ›schneller‹ »Vogel« nicht dauerhaft an ein »Haus« binden. Hofmannsthal steigert hier die Dichotomie der Mitterwurzer-Elegie zwischen den in »Häusern« lebenden Menschen und dem Schauspieler : Selbst ein Schauspiel-Haus kann einen mit dem »Aug des Vogels« nicht halten. Diese Metapher bedient im Übrigen ein deutlich höheres, ›königlicheres‹ Register als der Vergleich mit dem Feuersalamander oder gar dem Gaukler ; und auch die nun folgenden Bilder für Kainz’ Krebstod sind deutlich gehobener als die drastischen Vergleiche zu Beginn des Mitterwurzer-Gedichts: Wir haben ihn gehabt – er fiel dahin Wie unsre eigne Jugend uns entfällt, Grausam und prangend gleich dem Wassersturz. (HKG V. 32)

526

Poetische Mimen-Ekphrasis im Zeichen von ›nervöser Enargeia‹

Der mit 51 Jahren zwar früh, aber durchaus nicht als Jüngling verstorbene Kainz wird also zum Bild der »Jugend«,1484 deren Verlust wiederum im erhabenen Bild vom Wasserfall oder vielmehr »Wassersturz« gefasst wird, der auch auf Kainz Sprechweise anspielen mag.1485 Das durch Tonbeugung hervorgehobene Adverb ›grausam‹ bewahrt das Moment der Klage, während »prangend« auf den »königlichen Anstand« des Schauspielers zurückverweist.1486

2.4

Frage und Ausruf

Nach dem feierlich-alexandrinischen Abschluss des ersten Abschnitts setzt der zweite mit einer Variante des Gedichtanfangs (»O hätt’ ich seine Stimme, hier um ihn/ Zu klagen!«) ein, die in dreifacher Hinsicht eine Steigerung bedeutet: O seine Stimme, daß sie unter uns Die Flügel schlüge! – […] (HKG V. 9f.)

Syntaktisch wird das Motiv gesteigert durch das Anakoluth (»O seine Stimme, daß sie«), das die »Stimme« (und nicht mehr das ›Klagen‹) zum Hauptthema macht, lautlich durch die Verlängerung des gesamten Ausrufes um zwei Silben und die Überführung der u-Assonanz »unter uns« in die ü-Assonanz »Die Flügel schlüge« über das Enjambement hinweg, metaphorisch durch die Versinnlichung des Stimmeindrucks im Bild eines flatternden Vogels. Dieses Bild wiederum entspricht genau dem geforderten Stimmverlauf an dieser Stelle: Schon das der Periode vorangesetzte »O« erfordert ein Ansteigen der Stimme, der Doppeltrochäus »Flügel schlüge« mit seinem aufgehellten Doppelvokal ahmt das Flügelschlagen lautmalerisch nach und verwandelt gewissermaßen den Leser des Gedichts in einen Hörer der »ungemein modulationsfähigen und in der Höhe fast unbegrenzten Stimme« von Kainz.1487 Die enargeische Kraft dieses Eindrucks ist so groß, dass er eine Pause er1484 Siehe Vers 14f.: »Wer redete da aus dem Leib/ Des Jünglings Romeo [?]«. 1485 Siehe im nächsten Unterkapitel die Vergleiche von Kainz’ Sprechtechnik mit »Kaskaden« bei Karl Kraus und Stephan Zweig. 1486 Das Bemühen um eine Metaphorik, die der eingangs etablierten ›königlichen‹ Stilhöhe entspricht, kann die ursprüngliche Fassung der Verse 27ff. illustrieren: »war eine schnelle Seele. War sein Aug/ nicht eines königlichen Vogels Aug./ und prangend wie der Sturz des Dä[dalus?]« (HSW I: 423; meine Hervorhebungen; Konjektur der Editorin Eugene Weber). 1487 Falke: Kainz als Hamlet, 45; siehe auch Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste, 257. Etwas kritischer formuliert Ludwig Speidel: »[D]ie Stimme ist ein Bariton-Tenor, in der Sprechlage etwas trocken, erst in der höheren Lage Klang und Kraft gewinnend« (Speidel: Schauspieler, 286).

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fordert, markiert durch einen Gedankenstrich. So außer-ordentlich ist der vergegenwärtigte Eindruck der Stimme, die sich wie ein Vogel emporschwingen kann, dass er die Frage nach einem möglichen Ursprung jenseits der menschlichen Ordnung provoziert: […] Woher tönte sie? Woher drang dies an unser Ohr? Wer sprach Mit solcher Zunge? Welcher Fürst und Dämon Sprach da zu uns? […] (HKG V. 10–13)

Erst im dritten Vers dieser Fragenreihe wird »dies« auf eine »Zunge« zurückgeführt, die aber immer noch einem »Dämon« angehören kann – die Doppelformel »Fürst und Dämon« provoziert sogar Assoziationen an den Satan. Andererseits nimmt das Stichwort »Fürst« auch die in der Eingangspassage evozierte Vorstellung vom »königlichen Anstand« wieder auf. Die Hörer des Gedichts mögen sich an Kainz’ späte Paraderolle des Mephisto erinnert haben, der »Anstand« und Deklamationskunst verband.1488 Und tatsächlich zeigt sich in den folgenden Versen, dass die Formulierung »Fürst und Dämon« überleitet von Erklärungsversuchen für die Herkunft der »Stimme« zur Erinnerung an Rollendarstellungen. Allerdings liefern diese Erinnerungen keine Antworten, sondern machen die Frage nur noch dringender : […] Wer sprach von diesen Brettern Herab? Wer redete da aus dem Leib Des Jünglings Romeo, wer aus dem Leib Des unglückseligen Richard Plantagenet Oder des Tasso? Wer? (HKG V. 13–17)

Wie in der Mitterwurzer-Elegie lässt sich Hofmannsthal vom Rollenkatalog der Burbage-elegy – »young Hamlet, old Hieronimo,/ Kind Lear, the grieved Moor« (AFB V. 14f.: 182) – anregen. Allerdings greift er nur das erste und letzte Adjektiv dieser Reihe auf und nimmt die antithetische Struktur damit deutlich zurück, denn auch Richard II. und Tasso sind ja noch recht jung, und ›unglückselig‹ ist Romeo am Ende auch. Angesichts der in der Eingangsstrophe beschworenen ›königlichen‹ Wirkung von Kainz fällt auf, dass zwar mit Richard II. durchaus ein König genannt ist,1489 dieser jedoch erst am Schluss und im Angesicht seines Untergangs zu »königliche[m] Anstand« findet, während Tasso als Künstler entschieden gegen das Dekorum des Hofes verstößt. Hier kommt ein Moment der 1488 Siehe Eisermann: Kainz, 246–252, bes. 248; Bab: Kränze dem Mimen, 294. 1489 Kainz’ durchaus umfangreiches Repertoire in zeitgenössischen Dramen und Volksstücken (Eisermann: Kainz, 193–203; 256–271) kommt nicht in den Blick.

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Inkongruenz in die Erinnerung an Kainz’ Rollen, das nicht, wie bei Mitterwurzer, auf die Spannweite seines Repertoires verweist, sondern auf seine Vorliebe für widersprüchliche Charaktere.1490 Noch irritierender aber ist die Bildlichkeit der doppelten Frage, wer »aus dem Leib« der Rollenfiguren rede: Kainz, so die Implikation, ›verkörperte‹ seine Rollen nicht,1491 sondern entkörperte sich durch sie zur »Stimme«. Dazu passend sprechen alle drei Figuren in Blankversen, dem Metrum auch dieses Gedichtes. Dieses Metrum wiederum wird in den zuletzt zitierten Versen 11–17 in einer Weise genutzt, die schnelles Sprechen nahelegt. Denn zum einen amplifizieren diese Fragen die eine Frage, woher Kainz’ Stimme »tönte«, besitzen also eine hohe Redundanz, zum anderen drängen diese Sätze von sehr ungleicher Länge über das Versende hinaus, bis sie im letzten Vers mit einiger Gewaltsamkeit enden: Die Worte »Oder des Tasso? Wer?« (HKG V. 17) erzwingen am Versanfang eine Tonbeugung. Sie ließe sich in der Rezitation theoretisch so realisieren, dass auf der ersten Silbe von »Oder« eine umso nachdrücklichere Betonung läge, was jedoch eine sinnwidrige Kontrastierung der beiden letzten Rollen implizieren würde. So kann der Sprecher sinnvollerweise nur über die ersten drei Silben hinweghuschen bis zur umso nachdrücklicheren Betonung von »T#sso?« Die zweite Betonung auf »W8r?« bildet gewissermaßen einen Nachhall, der in die Leere des verkürzten Verses hineinhallt. Genau dieses schnelle Sprechen war aber ein häufiges Charakteristikum von Kainz’ Rezitation: Stefan Zweig berichtet im Rückblick, dass Kainz kurz vor seinem Tode den jungen Autor gebeten habe um »ein kleines Stück, womöglich in Versen und am besten mit einer jener lyrischen Kaskaden, wie er sie – einzig in der deutschen Theaterkunst – dank seiner grandiosen Sprechtechnik, ohne Atem zu holen, in einem Guß kristallen niederstürzen lassen konnte auf eine selbst atemlos lauschende Menge.«1492 Und Max Martersteig geht sogar so weit zu behaupten, Kainz habe annähernd Richard

1490 Zu seiner Darstellung des Romeo siehe Eisermann: Kainz, 120f., zu Kainz als Richard II. ebd. 235–237, zu Kainz als Tasso ebd. 251–255. 1491 Das steht in einem gewissen Wiederspruch zu Hofmannsthals Unterhaltungen über den Tasso von Goethe (1906), die durch die Erinnerung an Kainz’ gerade erlebtes Spiel motiviert sind: »Einzelne Momente, das blitzhafte Durchbrechen der nackten Seele in gewissen Gebärden hörten nicht auf, sich im Gedächtnis zu wiederholen: die Handbewegung, mit der er Antonio nach der scheinbaren Versöhnung – Tasso nun entschlossen sich zu verstellen, zu scheinen, zu trügen wie jene – zum Sitzen einlädt […]. […] [D]as Darbieten der eigenen Hand, das Ergreifen der Hand des anderen, endlich der unglaubliche Abschied von jenen, die ihn nicht mehr hören, und darauf das unglaubliche Niederbrechen.« (HW 31: 107–117, hier 107f.) In der Kainz-Elegie wird die Gestik also der Stilisierung zuliebe gezielt ausgeblendet. 1492 Zweig: Die Welt von Gestern, 130.

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Wagners Forderung erfüllte, »das Tempo sämtlichen Redens auf der Bühne gerade um das Doppelte zu beschleunigen«.1493 Auf den verkürzten sechzehnten Vers, der die Fragenreihe beendet, folgt ein verlängerter Vers, der eine Reihe von Antworten einleitet: Ein Unverwandelter in viel Verwandlungen, Ein niebezauberter Bezauberer, Ein Ungerührter, der uns rührte, einer, Der fern war, da wir meinten, er sei nah, (HKG V. 17–20)

Im ersten Vers dieser Reihe leistet nicht nur die Erweiterung um einen Versfuß dem schnellen Weitersprechen Widerstand, sondern auch die Spannung zwischen dem Metrum und den beiden Substantiven, deren letzte Silbe, metrisch gesehen, betont werden müssten: »Unverwandelt8r«, »Verwandlung8n«. Da dies bei sinngemäßem Sprechen nicht möglich ist, erzwingt die Tonbeugung zwar wiederum eine rezitatorische Verwischung des Metrums, doch wird sie in diesem Fall ausgeglichen durch die Betonung von »5n[verwandelter]« und »v&el«, die sich zwangsläufig ergibt und die antithetische Struktur des Verses hervorhebt. Entsprechend müssen im nächsten Vers – »Ein niebezauberter Bezauberer« – die beiden Hauptakzente auf »n&e« und dem zweiten »z#u« liegen (HKG V. 18), um die Betonung der »er«-Suffixe zu verhindern; auch hier wird also die inhaltliche Antithetik hervorgehoben. Das nächste Verspaar dagegen kommt ohne Tonbeugung aus und weicht mit einem angedeuteten Enjambement sogar ein wenig von der Geschlossenheit der bisherigen Verse ab, führt deren Antithetik jedoch weiter. Nachdem die metrische und syntaktische Sonderstellung dieser Verse gezeigt wurde, sei nunmehr nach ihrer Semantik gefragt. Im Gegensatz zur Frage-Passage mit ihren vielen Konkreta (»Stimme«, »Flügel«, »Ohr«, »Zunge«, »Fürst«, »Dämon«, ›Bretter‹, »Leib«, »Jüngling«) und Rollennamen dominieren hier Partizip-Perfekt-Konstruktionen und Periphrasen. Sie sind antithetisch aufgebaut und stellen Kainz in einen doppelten Gegensatz: zunächst wohl zu dem von seinen Rollen geforderten »Verwandlungen«, dann, in dreifacher Variation, zu seiner intensiven Wirkung auf das Publikum. Bis zu diesem Punkt scheint es, als ließen sich diese Antworten in der Behauptung zusammenfassen, Kainz sei ein ›kalter Schauspieler‹ gewesen. Doch werden die Aussagen in den folgenden vier Versen in einer Weise radikalisiert, die weit über den Bezug auf Schauspieltechnik hinausgehen:

1493 Martersteig: Theater im 19. Jahrhundert, 737, siehe auch Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste, 254.

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Ein Fremdling über allen Fremdlingen, Einsamer über allen Einsamen, Ein Bote aller Boten namenlos Und Bote eines namenlosen Herrn. (HKG V. 21–25)

Der Topos vom einsamen Künstler (auf den bereits die Nennung der Tasso-Rolle vorbereitet) wird im letzten Verspaar positiv gewendet: Kainz gehörte nicht in diese Welt, war aber »Bote« einer anderen. Die dreimalige Wiederholung des Begriffs und die Formulierung vom »namenlosen Herrn« provozieren die Assoziation eines Engels,1494 was der Flügel-Metapher in Vers 4 eine neue Bedeutung geben würde. Doch wird eine solche Bildlichkeit nicht weitergeführt; vielmehr ist im folgenden Klage-Abschnitt die Rede vom »Aug des Vogels« (HKG V. 108). Insofern gibt die emphatisch-enigmatische Schlussformulierung nur eine vorläufige Antwort auf die Frage, ›wer mit solcher Zunge sprach‹ (V. 11), die denn auch im übernächsten Abschnitt neu gestellt wird. Bevor dieser zweite Frage-Abschnitt analysiert wird, sei jedoch rückblickend auf ein Element der Klanglichkeit in den Versen 17–25 aufmerksam gemacht: Obwohl mit dem vierten Vers die Antithetik nach dem Schema ›Er war ein NichtX mit der scheinbaren Eigenschaft X‹ endet, setzt sich die Struktur einer Doppelung von Wortmaterial innerhalb eines Verses fort, nunmehr nach dem Schema hyperbolischer Überbietung: ›Er war der X aller Xe‹. Eine identische oder leicht variierende Wiederholung sinntragender Wörter bei wechselnder semantischer Füllung und wechselnder rhetorischer Funktion dieser Struktur ist auch ein Grundprinzip des nächsten Frage-Abschnitts.1495 Zu zeigen ist, dass auch dies auf eine Eigenart von Kainz’ Sprechen verweist. Bereits die ersten drei Verse weisen inhaltlich wie strukturell Eigenschaften des gesamten zweiten Abschnitts auf: O Unrast! O Geheimnis, offenkundiges Geheimnis menschlicher Natur! O Wesen, Wer warest du? O Schweifender! O Fremdling? (HKG V. 33–35)

Inhaltlich ist bezeichnend, dass hier die Formulierung vom »Fremdling unter allen Fremdlingen« (HKG V. 22) wieder aufgegriffen wird: Diese ›Antwort‹ auf die Frage, woher Kainz’ Stimme tönte, befriedigt also nicht. Die Frage wird neu formuliert, und zwar nicht mehr im Ausgang vom erinnerten Stimmeindruck, 1494 »Das hebräische Wort bedeutet ›Bote‹/›Gesandter‹. In den älteren Schriften des Alten Testaments ist wiederholt vom ›Engel des Herrn‹ oder vom ›Engel Gottes‹ die Rede.« (Anonym: Engel, 1880). 1495 In der Klage-Strophe, die beide Frage-Strophen verbindet, wird das Prinzip der Wiederholung, allerdings etwas dezenter, fortgeführt (HKG 26–32, siehe 2.3).

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sondern in Form einer Apostrophe des Verstorbenen: »Wer warest du?« Dass der Schauspieler in radikaler Weise »fern war, da wir meinten, er sei nah« (HKG V. 21), will die Sprechinstanz bzw. der Sprecher, stellvertretend für sein Publikum,1496 nicht akzeptieren und versucht in einer Reihe von Anrufungen, sich dessen »Geheimnis« anzunähern; diese Reihe wird fortgesetzt bis zum Ende des Abschnitts. Die Wiederholungsstruktur hat sich verdoppelt: Zum einen wird wiederum ein sinntragendes Substantiv wiederholt, zum anderen die Interjektion »O« – fünfmal in diesen drei Versen, achtzehnmal im gesamten Abschnitt. Die Wiederholung des Substantivs ist hier (und entsprechend im Folgenden) nicht in eine antithetische Struktur eingebettet, die sich auf zwei gegensätzliche Referenten bezieht, sondern unterstreicht die Wichtigkeit des Substantivs und formuliert eingehender dessen Eigenschaften: »O Geheimnis, offenkundiges/ Geheimnis menschlicher Natur!« Allerdings ist nicht ganz deutlich, auf welchen Referenten sich diese Formulierung bezieht: In welchem Verhältnis steht Kainz’ »Geheimnis« zu dem »menschlicher Natur«? Ist er, obwohl ein »Fremdling« unter den Menschen, doch die vollkommene Repräsentation ihrer »Natur«, analog zu Mitterwurzer, in dessen Augen sich »unsre Träume« spiegelten (HGM V. 39)? Und was meint die Formulierung, dieses Geheimnis sei ›offenkundig‹? Wenn der Inhalt des Geheimnisses ›offenkundig‹ im Sinn eines ›offenen Geheimnisses‹ wäre, würde es sich um ein Paradoxon handeln, und das weitere Fragen schiene unmotiviert. ›Offenkundig‹ ist also wohl nur, dass es sich um ein Geheimnis handelt. Das zu verstehen erfordert aber einen ähnlichen Interpretationsaufwand wie die Frage, worauf sich die vorausgehende Anrufung »O Unrast!« bezieht: Geht es um die »Unrast« von Kainz, dessen »schnelle Seele« und dessen ›Dahinfallen‹ in der vorausgehenden Strophe thematisiert wurden und der auch hier als »Schweifender« angesprochen wird? Oder war er die personifizierte Unrast und wird in dieser Eigenschaft angesprochen? Beides ist wohl zusammenzudenken, doch die grammatische Mehrdeutigkeit bringt den imaginativen Nachvollzug in ein gewisses Oszillieren. Zu diesem Effekt trägt noch mehr die große semantische Offenheit des »O« bei, obwohl es gar nicht als Inter-jektion im wörtlichen Sinn, das heißt als ›Dazwischengeworfenes‹ in der Satzstruktur auftritt,1497 sondern eher in der Funktion eines Modalpartikels, der in diesem Fall den nachfolgenden Ausdruck emotional färbt und auch für ihn eine Hebung der Stimme erfordert. Grundsätzlich kann das ›O‹ allerdings für eine breite Skala von Gefühlen stehen, die freudiges Erstaunen, schmerzliche Sehnsucht, Klage und fassungsloses Entset1496 Siehe die ausdrücklich aus der ›wir‹-Perspektive formulierten Verse HKG 43f. 1497 So etwa in der Burbage-Elegy : »But O he’s gone« (AFB: 3). Zur Etymologie Ehlich: Interjektionen, 19.

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zen umfasst.1498 Wie bereits gezeigt, mischt sich in der Eingangspassage des Gedichts (»O hätt’ ich seine Stimme«….) die ausdrücklich benannte Klage mit dem sehnsuchtsvollen Wunsch, der zu Beginn des zweiten Abschnitts vom Irrealis zum Potentialis gesteigert wird und im Sinne eines ekphrastischen Imaginationssignals wirkt (I.2.1.1). In den ersten drei Versen des vierten Abschnitts nun eröffnet das »O« fünf Exklamationen, die weiterhin von Bewunderung zeugen, vor allem aber von fragendem Staunen (»O Geheimnis«) und wohl auch von Mitgefühl (»O Unrast«). Dieser Eindruck kommt vor allem ins Spiel, weil das »O« nunmehr auch als Markierung des – sehr passend benannten – Vokativs erscheint und sich mit der Nähe suggerierenden Figur der Apostrophe verbindet. Nun ist auch für viele weitere Anrufungen dieses Abschnitts unklar, ob Eigenschaften und Lebensumstände von Kainz angesprochen werden oder, synekdochisch, dieser selbst. Zudem kann die ›O‹-Interjektion auch weiterhin ein ganzes Spektrum von Gefühlen ansprechen. So entsteht beim leisen wie beim lauten Lesen ein Eindruck, der sich in Analogie setzen lässt zur Erinnerung von Karl Kraus an eine Kainz-Lesung: »Ich hörte Kaskaden der Rede, zwischen die der Schauspieler, um das Seelische notdürfthig zu betonen, Interjektionen einschalten mußte, die der Text nicht enthielt.«1499 Dieser Text enthält Interjektionen, die eine Annäherung an »das Seelische« bzw. die »Seele« (HKG V. 26f.; 72) des Verstorbenen suggerieren sollen – aber eben auch an die von Kraus kritisierte und von Hofmannsthal bewunderte Sprechweise. Die hier an den ersten drei Versen herausgearbeiteten klanglichen, grammatischen und referentiellen Mehrdeutigkeiten prägen so offensichtlich auch den Rest des vierten Gedichtabschnitts, dass ich diese Ebenen im Folgenden nur noch 1498 »Diese Interjektion, die sich in fast allen indogermanischen Sprachen, lebenden wie toten, findet und sicher schon der indogermanischen Ursprache angehörte, wird teils als Ausruf oder Anruf, besonders in Verbindung mit Vokativen […], teils als Ausdruck der mannigfaltigsten Empfindungen wie der Freude, Verwunderung, Überraschung, des Erstaunens, der Rührung, der Betrübnis, Klage, Trauer und des Schmerzes gebraucht.« (Schwentner : Interjektionen, 9f.; Abkürzungen hier ausgeschrieben). Wie Konrad Ehlich gezeigt hat, gibt in der gesprochenen Sprache vor allem die tonale Struktur (fallend, eben oder fallend-steigend) Hinweise auf die ausgedrückte Emotion (Ehlich: Interjektionen, 78–81); ein Vorleser hat sich also zumindest zwischen diesen Varianten zu entscheiden. Allerdings geht Ehlich nicht auf Tonverlauf und Funktion des – immerhin erwähnten – »vokativischen oh« ein (80) und thematisiert gar nicht das »O« als Einleitung eines ganzen Satzes. Insgesamt würde ich dem ›O‹ in der oben zitierten Konstruktion, wie gesagt, die Funktion eines Abtönungspartikels zuschreiben; meiner Beobachtung nach verlangt es für den nachfolgenden Satz einen steigenden Tonverlauf und ganz am Schluss ein leichtes Absenken der Stimme. Wichtig ist mir jedoch, dass sich die Tendenz zur Anhebung der Tonhöhe auch auf nachfolgende Ausrufe auswirken kann, z. B. in Vers HKG 40. 1499 Kraus in der Breslauer Zeitung vom 24. Oktober 1897, zit. nach Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste, 255. Bewundernd schreibt dagegen Rudolph Lothar in Die Zeit vom 9. Dezember 1899: »Kainzens Interjektionen sind ganz und gar sein Eigentum« (zit. nach Wunberg: Wiener Moderne, 630ff., hier 631.)

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gelegentlich berücksichtige und den Fokus auf Semantik und Bildlichkeit richte. Die nächsten drei Verse führen das in der Anrede »O Fremdling« angeschlagene Motiv in forcierter Steigerung fort: O nächtlicher Gespräche Einsamkeit Mit deinen höchst zufälligen Genossen! O starrend tiefe Herzenseinsamkeit! O ruheloser Geist! Geist ohne Schlaf! (HKG V. 36–39)

Richard Exner deutet diese Passage überzeugend als Hinweis auf das intensive Rollenstudium, für das der ungewöhnlich gebildete Kainz berühmt war.1500 Das Oxymoron der »Gespräche Einsamkeit« lässt sich also auflösen im Sinn einer Auseinandersetzung mit dem von ihm zu verkörpernden Rollenfiguren. Mit ihnen führt er »Gespräche« in seinem »Geist«; die Wiederholung des Wortes »Geist« und die Betonung von Nacht und Schlaflosigkeit legen aber auch die Assoziation nahe, Kainz sei nunmehr »wortwörtlich ein umherirrender, ruheloser Geist«.1501 Damit ist eine Verbindung hergestellt zwischen dem Jetzt der ›Wir‹ und dem Verstorbenen, welche die Voraussetzung schafft für eine zweite explizite Vergegenwärtigung seiner »Stimme«: O Geist! O Stimme! Wundervolles Licht! Wie du hinliefest, weißes Licht, und rings Ins Dunkel aus den Worten die Paläste Hinbautest, drin für eines Herzschlags Frist Wir mit dir wohnten – Stimme, die wir nie Vergessen werden – o Geschick – o Ende – Geheimnisvolles Leben! Dunkler Tod! (HKG V. 40–46)

Die Leitmetapher der Stimme als Vogel wird hier ein paar Verse lang ersetzt durch die des Lichts, die sich punktuell schon in romantischen Mimen-Ekphrasen findet (IV. 5.2/3). Hier erhält der Bildspender Licht eine besondere Bedeutung dadurch, dass er angesprochen und als »weiß« bezeichnet wird.1502 Diese Nicht-Farbe entspricht in ihrer Abstraktion dem Charakter des nächtlich grübelnden ›Geistes‹ (beziehungsweise dem später so apostrophieren »Vergeistiger«, HKG V. 63). Sie kontrastiert aber auch mit dem in den vorigen Versen implizierten und nun explizit benannten »Dunkel«. Der Kontrast konstituiert ein sprachliches Bild für die enargeische Kraft von Kainz’ Vortrag, dessen Ei1500 Exner: Hofmannsthal, Kainz, 214; zu Kainz’ Rollenvorbereitung siehe auch Eisermann: Kainz, 128–130. 1501 Exner : Hofmannsthal, Kainz, 214. 1502 Vgl. die Formulierung »der Stimme Silberlaute« in Schlegels Gedicht auf Sophia Müller (ASWS I: 296, V. 34).

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genart sich verdeutlichen lässt im Vergleich mit der entsprechenden Passage der Mitterwurzer-Elegie: Dort wurde die durch den Vortrag angeregte Deklamation verbildlicht durch das Wachsen des Mimen, der sich schließlich zur (Tageslicht-)Landschaft entgrenzte, während die Zuschauer zu Kindern wurden; hier werden ins »Dunkel« der Imagination weiße »Paläste« gebaut, wie sie einem Darsteller von »königliche[m] Anstand« (HKG V. 2) geziemen. Lautlich wird die Kraft der ›lichten‹ Stimme vor allem über ›helle‹ ›I‹-Assonanzen evoziert, die ja bereits »Stimme« und »Licht« verbinden (HKG V. 40) und sich dann besonders verdichten zu Beginn (»hinliefest«, HKG V. 41) und zum Ende des Bildes von den nächtlichen Zauberpalästen: »drin für eines Herzschlags Frist/ Wir mit dir wohnten, Stimme, die wir nie/ Vergessen werden« (HKG V. 44ff.). Die Beteuerung des Nicht-Vergessens eröffnet bereits eine Passage, die bezeichnenderweise nur noch ein einziges betontes ›I‹ enthält: »o Geschick – o Ende –/ Geheimnisvolles Leben! Dunkler Tod!« (HKG V. 45f.) Auch die Erinnerung an die enargeische Kraft von Kainz’ Stimme kann nur »eines Herzschlags Frist« andauern, zumal ja traditionell gerade der Klangeindruck stellvertretend für die Flüchtigkeit von Schauspielkunst steht.1503 Das Bewusstsein dieser Flüchtigkeit manifestiert sich in einer Viererreihe von Ausrufen, die sich wiederum sowohl auf das »Geschick« (usw.) von Kainz beziehen können als auch auf das »Geschick« der ›wir‹, die sich ihn vergegenwärtigt haben. Die Kontrastierung von »Leben« und »Tod« im Anschluss an die Vergegenwärtigung enargeischer Deklamation hat eine Parallele im Mitterwurzer-Gedicht: »Gewalt des Lebens, diese war in ihm./ Und über ihn bekam der Tod Gewalt!« (HGM V. 54f.). Bezeichnender jedoch sind wiederum die Unterschiede: In der Kainz-Elegie werden »Leben« und »Tod« über die Adjektive ›geheimnisvoll‹ und ›dunkel‹ einander angenähert, und während die MitterwurzerElegie im Folgenden den lebenden Schauspieler mit dem zerstörenden Tod konfrontiert, wird hier der Schauspieler kontrastiert mit dem »Leben«: O wie das Leben um ihn rang und nie Ihn ganz verstricken konnte ins Geheimnis Wollüstiger Verwandlung! Wie er blieb! Wie königlich er standhielt! Wie er schmal, Gleich einem Knaben, stand! O kleine Hand Voll Kraft, o kleines Haupt auf feinen Schultern, (HKG V. 47–52)

Der eingangs beschworene ›königliche Anstand‹ wird hier zu einem ›Standhalten‹, das nicht nur Konstanz in den »Verwandlungen« des großen Repertoires 1503 Erinnert sei insbesondere an Schillers Verse »Und wie der Klang verhallet in dem Ohr,/ Verrauscht des Augenblicks geschwinde Schöpfung« (SSW 2: 271, V. 37f., siehe Einf. 1).

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meint,1504 sondern eine Haltung gegenüber dem »Leben«; dieses wird nun nicht mehr im Sinn der Lebensphilosophie gefeiert, sondern in seiner Kontingenz als Bedrohung der Persönlichkeit gesehen. Für die Persönlichkeit steht bemerkenswerterweise der Körper des Schauspielers, der erstmals in den bisher behandelten Ekphrasen Hofmannsthals nicht metaphorisch entgrenzt wird, sondern, wenigstens drei Verse lang, konkret beschrieben.1505 Dabei war Kainz, wie Julius Bab formuliert, »ein mageres kleines Männchen«, das bei seinem ersten Versuch, ans Burgtheater zu kommen (zu dem der Vater exzellente Beziehungen hatte) vom Direktor Heinrich Laube abgewiesen worden sei mit der Begründung: »einen so häßlichen Liebhaber lassen sich die Wiener nicht gefallen«.1506 Etwas vornehmer formuliert der Kritiker Ludwig Speidel, die Wiener hätten an ihm »auf den ersten Blick […] eine sinnlich einleuchtende Erscheinung« vermisst.1507 Um diesen Mangel unschädlich zu machen, besitzt Kainz ein einfaches, aber kühnes Mittel: die Aufrichtigkeit. Ich gebe mich, wie ich bin, scheint sein Auftreten zu sagen, ich bin nun einmal nicht schöner. Als Meister Heinrich in der »Versunkenen Glocke«,[1508] da er auf den Tod verwundet auf das Lager gelegt wird, entblößt er seinen mageren Hals und seine fleischlose Schulter. Dieses Vertrauen erweckt wieder Vertrauen, und man sagt sich: Was so offen gezeigt wird, kann nicht häßlich sein.1509

Freilich trage zu dieser Wirkung wesentlich Kainz’ »geistvolle Technik« bei, insbesondere seine Körperbeherrschung, die Speidel durchaus dem Ideal des Anstandsspielers entsprechend beschreibt.1510 Hofmannsthal reduziert dieses Körperideal allerdings auf das Moment des ›Dastehens‹ mit ›königlichem Anstand‹ (HKG V. 2f.) und des ›Standhaltens‹, das, wie der Exkurs zeigt, auch ein Aushalten von Zuschauererwartungen impliziert. Dynamisiert wird das Bild allerdings im Übergang der Körper-Beschreibung zur fortgeführten Vogelmetapher: O vogelhaftes Auge, das verschmähte, Jung oder alt zu sein, schlafloses Aug, O Aug des Sperbers, der auch vor der Sonne 1504 Siehe dagegen die Formulierung »Ein Unverwandelter in viel Verwandlungen« (HKG 18), die sich an den kurzen Rollenkatalog des ersten ›Frage-Abschnittes‹ anschließt. 1505 Klanglich wird das ›Standhalten‹ durch Binnenreime (›stand‹/›Hand‹, ›klein‹/›fein‹) gestaltet, die jeweils in Spannung zum Enjambement die Einheit des Verses unterstreichen. 1506 Bab: Kränze dem Mimen, 285. 1507 In einer Rezension vom 17. Oktober 1897 anlässlich eines Wiener Gastspiels des damals noch am Deutschen Theater Engagierten (Speidel: Schauspieler, 285–291, hier 285). 1508 Allegorisches Märchen- und Künstlerdrama von Gerhard Hauptmann (1896). 1509 Speidel: Schauspieler, 285f. 1510 »Kainz hat seinen Körper ganz dem Willen unterworfen, er gehorcht ihm, ohne daß ein Zwang sichtbar wird. […] Der ganze Körper, gelöst in seinen Gelenken, bewegt sich mit lebendiger Freiheit.« (Speidel: Schauspieler, 286).

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Poetische Mimen-Ekphrasis im Zeichen von ›nervöser Enargeia‹

Den Blick nicht niederschlägt, o kühnes Aug, Das beiderlei Abgrund gemessen hat, Des Lebens wie des Todes – Aug des Boten! O Bote aller Boten, Geist! Du Geist! Dein Bleiben unter uns war ein Verschmähen, Fortwollender! Enteilter! Aufgeflogener! (HKG V. 53–62)

Das Sperber-Auge lässt sich zunächst als visuelles Schema verstehen, hatte Kainz doch seit den 1890er Jarhen für zahlreiche Photographien den Ausdruck seiner schwarzen Augen durch schminkende Umrahmung hervorgehoben, oft verstärkt durch ein energisches Zusammenziehen der dunklen Brauen (vgl. Abb. 30 und 31).1511

Abb. 30: Meneer Zjeron: Accipiter nisus Abb. 31: Joseph Kainz: Selbstporträt, vielleicht als Marc [Sperber], Detail (2009) Anton (Photographie, 1890er Jahre)

Gleichzeitig ist der Sperber aber offensichtlich ein Symbol. Traditionell wird dem Adler die Eigenschaft zugeschrieben, in die Sonne schauen zu können, ein vielfältig ausgedeuteter Topos, besonders für das künstlerische Genie.1512 Der kleinere Sperber aber passt nicht nur besser zu Kainz’ Erscheinung, sondern ist auch ein altägyptisches Sonnensymbol.1513 Damit wird die gegen Ende des ersten ›Frage-Abschnitts‹ beschworene metaphysische Bildlichkeit wieder aufgenommen; ganz explizit ist der Anschluss markiert in der Wiederaufnahme der Formel »Bote aller Boten« (HKG V. 24; 60). Doch gibt es auch einen wichtigen Unterschied: Zunächst wurde Kainz als ein »Fremdling« (HKG V. 22) charak1511 Siehe auch Ferdinand Schmutzers Photographie von 1906 (http://www.fotostrada.at/ar chiv_2008/index_files/cc983120b4a7134767b00b184e1d1472-78.php [22. 7. 2017]). 1512 Siehe die Embleme in Henkel/Schöne: Emblemata, Sp. 773f.; 774f., 764f. sowie Goethes Gedicht Der Adler und die Taube (FGA 1, 146f.). 1513 Siehe Becker : Falke.

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terisiert, der eigentlich schon einer anderen Welt zugehörte und insofern »Bote eines namenlosen Herrn« (HKG V. 25) war ; hier wird er zwar im Rückblick ebenfalls als »Fortwollender« verstanden (HKG V. 61), der jedoch lange das völlige ›Enteilen‹ standhaft ›verschmähte‹ (HKG V. 60).1514 So konnte er zum Mittler werden, der die »höchst zufälligen Genossen« seiner Rollen (HKG V. 37) in Nächten »ohne Schlaf« seinem »Geist« anverwandelte (HKG V. 39) – die Erinnerung an diese Passage wird über die Formulierung »schlafloses Aug« hergestellt (HKG V. 54). Zwar hat der Tod inzwischen aus dem »Fortwollende[n]« einen »Enteilte[n]« und »Aufgeflogene[n]« gemacht, doch da er bereits im Leben ›standhalten‹ konnte, kann er auch im Tod als »Schwebend-Unzerstörbare[r]« gelten (HKG V. 70). Mit diesem Verweis habe ich allerdings schon in die fünfte und letzte Strophe ausgegriffen.

2.5

Schlussbild und Apotheose

Wie bereits im ersten Überblick herausgestellt wurde, widerruft der erste Vers der fünften Strophe die Klage- und die Frage-Haltung der vorhergehenden; der zweite fasst den vorhergegangenen Erinnerungs- und Reflexionsprozess zu einer bündigen Formel zusammen:1515 Ich klage nicht um dich. Ich weiß jetzt, wer du warst, Schauspieler ohne Maske du, Vergeistiger, (HKG V. 62f.)

Doch das ist nur die Einleitung zu einem abschließenden Bild von der Komplexität eines nicht restlos erläuterten Emblems: Du bist empor und wo mein Auge dich Nicht sieht, dort kreisest du, dem Sperber gleich, Dem Unzerstörbaren, und hältst in Fängen Den Spiegel, der ein weißes Licht herabwirft, Weißer als Licht der Sterne: dieses Lichtes Bote und Träger bist du immerdar, Und als des Schwebend-Unzerstörbaren Gedenken wir des Geistes, der du bist. (HKG V. 62–71) 1514 Siehe Exners Paraphrase von Vers 60: »Du hast es trotzdem nicht verschmäht, dich (in diesen Sperber) zu verwandeln; du hast es nicht verschmäht, in irgendeiner Form zu bleiben.« (Exner : Hofmannsthal/Kainz, 216.) 1515 Die Bedeutungsschwere dieser Verse wird metrisch unterstrichen: Vers 61 ist ein regulärer deutscher Alexandriner mit Mittelzäsur, und auch Vers 62 erfordert mit je einer Tonbeugung am Anfang und Ende eine langsame, bedeutungsschwere Rezitation.

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Poetische Mimen-Ekphrasis im Zeichen von ›nervöser Enargeia‹

Die Bildfelder ›Vogel/Sperber‹ und ›weißes Licht‹, die beide für die Wirkung von Kainz’ Stimme standen (wobei das erste auch darüber hinausreichende Denotationen besaß), werden hier in einer Weise zusammengeführt, die statt des Akustischen Visuelles anspricht, wenn auch in der Negation: Kainz’ ›Geist‹ schwebt, »wo mein Auge dich/ nicht sieht«. Das ›weiße Licht‹, das für die enargeische Kraft der Stimme stand, wird nunmehr zum Bild jenseitiger Kräfte, die nur durch die – im Wortsinn – Reflexion im »Geist« des Schauspielers ahnbar werden. Der Geist des Dichters wiederum kann das nicht sichtbare Bild als Vision imaginieren und in ein Schlussbild fassen. Die Korrespondenz zwischen dem Schauspieler und dem Dichter, der in dieser und der ersten Strophe in der ersten Person spricht, hebt auch Richard Exner hervor und paraphrasiert die Aussage »Ich weiß jetzt, wer du warst« folgendermaßen: Ich war wie du. Ich habe über dich schreiben und dich verherrlichen können, denn du und ich waren eins, als du meine oder eines anderen Dichters Zeilen sprachst und seine und meine Figuren in dir und aus dir lebten. So bist du jetzt schon dem Vergessen entrissen, denn wir gedenken des Geistes, der du bist!, und ich werde als Dichter ebenso unvergessen sein wie du heute als Schauspieler.1516

Dieser Interpretation stimme ich grundsätzlich zu – mir ging es darum, sie im Sinn intermedialer Enargeia als Ekphrasis zu interpretieren, die es auch dem Deklamator erlaubt, Kainz’ Rezitation anklingen zu lassen, gipfelnd im freigestellten Schlussvers: O Stimme! Seele! aufgeflogene! (HKG V. 72)

Wie sehr dieser Klang allerdings durch Hofmannsthals vornehmes Gehör mitgeformt ist, kann kontrastierend ein abschließender Blick auf Peter Altenbergs Gedicht Josef Kainz von 1911 zeigen: Habt ihr Wasser über Felsen donnern, krachen gehört? Hagel aufschlagen in taubeneigroßen Körnern?! Wolkenbrüche auf Dächer niedersausen?! Sturmwind durch Wälder fegen?! Felder gemäht werden vom Winde?! Seewellen an Land hingepeitscht werden?! Und die Geräusche aller übrigen entfesselten Naturkräfte?!? Seht, so war Josef Kainzens Stimme!!! So ähnlich muß Gottes Stimme getönt haben,

1516 Exner : Hofmannsthal/Kainz, 221; auf die zahlreichen zur Stützung dieser These herangezogenen Verweise auf Hofmannsthals Werk kann hier nicht eingegangen werden.

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Fazit

Als er bei Erschaffung der Welt befahl: »So und so will Ich es!!!«1517

Auch hier wird der Stimmeindruck abschließend ins Metaphysische gewendet; doch der Vergleich mit den »entfesselten Naturkräfte[n]« vermittelt einen Eindruck, der von der vergeistigten Bildlichkeit der Elegie so weit entfernt ist wie das direkte Pathos der freien Verse von den exquisiten Spannungen zwischen metrisch überaus beweglichen Blankversen und »O«-Exklamationen. Vor allem aber thematisiert Altenberg eine Dimension von Kainz’ Deklamation, von der Hofmannsthals Gedicht schweigt: die Lautstärke.

3.

Fazit

Wenn Hofmannsthals Mitterwurzer-Elegie hier als Gegenmodell zur im Zeichen des Literaturtheaters stehenden Mimen-Ekphrasis interpretiert wurde, soll das keineswegs heißen, dieses Modell hätte das alte mit eben diesem Gedicht schlagartig verdrängt. Denn einerseits gab es schon vorher (und wie gezeigt, andeutungsweise schon um 1800) Mimen-Ekphrasen, die sich ein Stück weit von der Orientierung am Literaturtheater lösten und insbesondere auf der Laut- und Bildebene neue Darstellungsstrategien für Schauspielkunst suchten. Auch Hofmannsthals zwei Rezensionen eines Gastspiels der Duse von 1892 führen diese Tradition fort, enthalten allerdings neben kühnen Metaphern für die Wirkung der Schauspielerin auch Charakterisierungen einzelner Rollen.1518 1517 Zit. nach Kainz: Brevier, 90; siehe dazu Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste, 252, Anm. 138). 1518 Eleonora Duse. Eine Wiener Theaterwoche (HRuA:469–474; siehe Komm. ebd. 665) und Eleonora Duse. Die Legende einer Wiener Woche (ebd. 475–478). Vertraut klingt eine Formulierung wie: »Die Duse spielt nicht sich, sie spielt die Gestalt des Dichters. Und wo der Dichter erlahmt und sie im Stiche läßt, spielt sie seine Puppe [!] als ein lebendiges Wesen, in dem Geiste, den er ihr nicht gegeben hat, mit der letzten Deutlichkeit des Ausdrucks, die er nicht gefunden hat, mit einheitlicher schaffender Gewalt und der Gabe der intuitiven Psychologie.« (470) Dies ist nach Hofmannsthals Ansicht erforderlich im Fall von Dumas’ Kameliendame und Sardous Feodora, zwei »Rollen des Virtuosenrepertoires« (ebd. 469); dagegen heißt es in Bezug auf Nora: »Ibsens Stücke haben keine Rollen; sie haben Menschen, lebendige Menschen, seltsame und schwerverständliche Menschen.« (471) Das ist jedoch nichts anderes als eine Neuauflage des ›Phantasmas der natürlichen Gestalt‹ (Heeg). Hofmannsthal entdeckt denn auch in der Nora-Verkörperung der Duse einen ›natürlichen‹ »Zug« (472), den man um 1800 als mimische »Feinheit« verstanden hätte, und von dem er überzeugt ist, »Ibsen würde ihn nicht zurückweisen« (473). Andererseits verweisen etliche Wendungen auf Formulierungen der Guglia-Rezension voraus, besonders deutlich am Schluss der ersten Ekphrasis: »Sie hat Gewalt über Blässe und Röte und über die Regungen des Leibes, die wir die unbewußten nennen.// Ist es ein Wunder, wenn sie Gewalt hat über unsere erstaunten Sinne und wenn die Menschen in der ganzen großen Stadt kein größeres, kein persönlicheres Ereignis wissen als die

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Poetische Mimen-Ekphrasis im Zeichen von ›nervöser Enargeia‹

Andererseits verschwand um 1900 das traditionelle Modell der Ekphrasis ebenso wenig wie das Literaturtheater. Im Gegenteil: Vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis etwa zum Ende der Weimarer Republik erfreute sich Mimen-Ekphrasis, und zwar insbesondere die am Modell der Verkörperung orientierte, großer Beliebtheit.1519 In meinen Analysen von Hofmannsthals Elegien wurden solche Texte stellenweise herangezogen, um dem Erwartungshorizont zeitgenössischer Leser näher zu kommen und Anspielungen zu plausibilisieren (auch das zweite Teilkapitel des nächsten Teils wird so verfahren). Und doch ist Hofmannsthals-Mitterwurzer-Elegie ein Gegenmodell, denn es entwickelt Bildstrategien der Guglia-Rezension, die sich explizit gegen Literaturtheater und Verkörperung richtet, konsequent weiter. Der Wechsel vom Leitparadigma der Verkörperung zu dem der Präsenz wird in beiden Texten sogar in Bildern von zunehmender Drastik vorgeführt: Die Rollen sind souverän getragene Kleider, die der Schauspieler jederzeit wechseln und sogar abwerfen oder wie Larven abstreifen kann. Andererseits entstehen sie aus der Zerstückelung von Mitterwurzers ›Selbst‹ beziehungsweise aus dem »Zauberschleier« seines Leibes. Solche Metaphern gehören in ein Bildfeld oder vielmehr ein Kaleidoskop immer neuer Bilder, die evozieren, dass Mitterwurzers grundsätzlich anders war als ›wir‹. Diese Andersartigkeit impliziert zweierlei: Zum einen eröffnete die Tatsache, dass die »Gewalt des Lebens« ungebrochen in diesem Gegenwart dieser Frau, von der niemand wußte, und die keiner ergründet…?« (474) Die zweite Rezension fasst die Wirkung der Duse in emphatische Bildlichkeit: »[D]ionysischer Festzug, Dithyrambos und Mysterium war uns die Gegenwart einer einzigen Frau« (475). 1519 Ein besonders frappierendes Beispiel ist Konrad Falkes Monographie Kainz als Hamlet. Ein Abend im Theater von 1911, die wie Schinks und Böttigers Monographien von einem Gastspiel angeregt wurde, in diesem Fall zwischen dem 29. Januar und 14. Februar 1909 im Neuen Schauspielhaus Berlin. Nicht nur liest sich das Vorwort (IX–XIV) wie eine Variation der Einleitungen von Lichtenberg, Schink und Böttiger, auch die Darstellung der HamletGeist-Szene (35f.) orientiert sich bis in die Syntax hinein an Lichtenberg, von dem es bezeichnenderweise heißt, seine »wenigen Bemerkungen« seien »so vortrefflich […], daß wir, würden sie sich mit gleicher Genauigkeit über das ganze Stück erstrecken, ein völlig klarer Bild von Garrick als Hamlet bekämen« (XII). In diesem Sinne übertrifft Falkes Mimen-Ekphrasis an »Genauigkeit« all seine deutschen Vorgänger – außerhalb der deutschen Literatur ist es nur mit Charles H. Shattucks Manuskript On Edwin Booth’s Hamlet von 1870 zu vergleichen, das jedoch erst 1951 entdeckt (Bundy : A Record of Booth’s Hamlet) und 1969 systematisch ausgewertet wurde (Shattuck: Hamlet of Booth). Anders als Shattuck ist sich Falke allerdings bewusst, dass Gründlichkeit keine enargeische Gesamtwirkung garantiert, und bettet seine Mikroekphrasen in einen Dialog zweier Theaterbesucher ein, die zwischen Rollen- und Schauspielerporträt wechseln. Weitere Beispiele: Speidel: Schauspieler ; Kerr : Das Mimenreich; Bab: Schauspieler und Schauspielkunst; Bang: Masken und Menschen. Im Verlag Schuster & Loeffler (Berlin und Leizpzig) erschien ab 1904 die von Carl Hagemann herausgegebene Reihe Das Theater mit den Bändchen Gregori: Kainz; Lothar : Sonnenthal; Stein: Matkowski; David: Mitterwurzer. Herbert Ihering war Herausgeber von Der Schauspieler : Eine Monographiensammlung. Darin erschienen seit 1920 Bab: Kayßler ; Ihering: Bassermann; Thiess: Höflich; Faktor : Moissi; Jacobs: Wegener ; Bie: Massary ; Polgar : Pallenberg.

Fazit

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Schauspieler wirkte, seinem Publikum die Möglichkeit, in der Begegnung mit ihm ein ›Erlebnis‹ gesteigerten Daseins zu erfahren, das sich insbesondere als Verwandlung der Welt durch die Imagination manifestierte. Zum anderen steht bereits die Vergegenwärtigung seiner ›lebendigen‹ und ›verwandelnden‹ Wirkung im Gedicht von Anfang an unter dem Zeichen von Mitterwurzers Tod. Schwer zu bestimmen ist, wie weit die Drastik mancher Bilder – das Knie des Säufers im Auge des Königs, die Zerstücklung des Selbst – dieser Perspektivierung geschuldet ist oder der von David hervorgehobenen Tatsache, dass er »das Häßliche nicht [scheute] in einer Zeit, die noch sehr auf das Evangelium der Schönheit […] eingeschworen war«.1520 Die Formulierung, er habe die »Gestalten« seiner Rollen »aufs Neu zu schauerlicher Lust« erweckt, zeigt jedoch, dass die Übergängigkeit beider Aspekte gewollt und enargeisch motiviert ist. Im Gedicht auf Kainz dagegen geht es, so wurde pointiert, nicht um ›Verwandlung‹, sondern um ›Vergeistigung‹. Gerade deshalb aber wird die in den Mitterwurzer-Texten gar nicht thematisierte, sondern immer schon in Bildern der Verwandlung aufgehobene Physis des Schauspielers hier angesprochen, obwohl, ja gerade weil sie alles andere als stattlich ist. Umso eindrucksvoller nämlich wirkt im Kontrast dazu das ›Standhalten‹ gegenüber der Versuchung des ›Lebens‹, ihn »ins Geheimnis/ Wollüstiger Verwandlung« (HKG V. 48f.) zu ›verstricken‹, wirkt auch sein ›königlicher Anstand‹ (HKG V. 2), vor allem aber die »aus dem Leib« (HKG V. 14) tönende »Stimme«. Dass sie mit einer metrischen und lautlichen Virtuosität evoziert wird, die sich im Bereich deutscher Ekphrasis nur mit ›poetischen Beschreibungen‹ von Musik in der Romantik vergleichen lässt, dürfte deutlich geworden sein.1521 Metaphorisch schließt an romantische Musik-Ekphrasen der Gebrauch des Bildspenders Licht für den Klangeindruck an. Dieser löst zunächst in einer Passage besonderer Eindringlichkeit der O-Evokationen kurz die Leitmetapher vom »Vogel« (später »Sperber«) ab, die nicht nur für die Stimme des Schauspielers steht, sondern auch für seinen »Leib« (HKG V. 14) und seinen »Geist« (HKG V. 59). Das Schlussbild führt beide Bilder zusammen in der metaphorischen Konfiguration des Sperbers als »dieses Lichtes/ Bote und Träger« (HKG V. 68f.). Zu Beginn dieses Kapitels wurde unter Bezugnahme auf Helmut Pfotenhauer, Wolfgang Riedel und vor allem Sabine Schneider behauptet, dass die Bemühungen um eine neue Mimen-Ekphrasis um 1900 nicht nur auf Forderungen nach einer ›Retheatralisierung des Theaters‹ reagierten, sondern auch Beiträge zu einer »Poetik der Evidenz« lieferten, die sich als ›nervöse Enargeia‹ fassen 1520 David: Mitterwurzer, 49. 1521 Erinnert sei insbesondere an Tiecks Sonett Gesang von 1802 (IV. 5.3), aber auch beispielsweise an Brentanos Nachklänge Beethovenscher Musik von 1814 (Brentano: Werke I: 308–311, siehe Komm. ebd. 1110ff.).

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Poetische Mimen-Ekphrasis im Zeichen von ›nervöser Enargeia‹

lässt. Die hier behandelten Texte belegen insbesondere Schneiders These, dass »Bilder in der literarischen Moderne« als »Markierungen von medialen Schwellen und ihrer Überschreitung in Texten« (hier : zwischen Rolle und actio, Deklamation und Evokationseffekt, mimischer Präsenz und poetischer Erinnerung) und als »Simultaneitätseffekte« auftreten.1522 Allerdings ist Schneider gegenüber zu betonen, dass derartige Bilder durchaus im Dienst von »Anschaulichkeit« stehen, wenngleich nicht mehr im Sinn realistischer Mimesis (in diesem Fall: der Physis oder der Verkörperung), und dass sie durchaus auf »das konventionelle rhetorische System der Tropen und Figuren« rekurrieren, wenngleich oftmals im Sinn der ›schöpferischen Zerstörung‹ bildlicher Topoi oder auch der musikalischen Entgrenzung einer Trope wie der exclamatio. Als einen weiteren wichtigen Bereich ›moderner Bildlichkeit‹ nennt Schneider »Umschreibungen von realen Bildern der Kunstgeschichte«1523 – was darunter zu verstehen ist und wie solche ›Umschreibungen‹ mit der Darstellung eines ›mimischen Kunstwerks‹ interagieren können, zeigt das nächste Kapitel am Beispiel Eleonora Duses.

1522 Schneider: Verheißung der Bilder, 3. 1523 Schneider: Verheißung der Bilder, 3. Als vierte Variante moderner Bildlichkeit nennt Schneider »durch Rahmungen und Stilllegung der Erzählfinalität herausgehobene Konfigurationen«. In den hier behandelten Gedichten wäre es allerdings problematisch, »Erzählfinalität« zu bestimmen.

VI

›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz. ›Bilder‹ Eleonora Duses in Lyrik, essayistischer Kunstprosa und semifiktionaler Prosa von Rainer-Maria Rilke, Hermann Bahr und Gabriele d’Annunzio

Wenn Sabine Schneider als einen wichtigen Bereich ›moderner Bildlichkeit‹ »Umschreibungen von realen Bildern der Kunstgeschichte«1524 nennt, lässt sich der an Stelle von ›Beschreibungen‹ gesetzte Begriff »Umschreibungen« auf zweierlei Weise sinnvoll betonen: ›Moderne‹ literarische Texte über Kunst umschreiben gerne das im anderen Medium Dargestellte, statt es mimetisch oder benennend zu beschreiben, und schreiben oft auch um, was auf dem graphischen Bild zu sehen ist, verändern es also oder fügen es in neue Kontexte ein, in denen es einen neuen Sinn ergibt. Was den Aspekt der Umschre&bung angeht, wurde im letzten Kapitel darauf verwiesen, dass Schneider das »Unsägliche des ›Giorgionesken‹« in Hofmannsthals Sommerreise als »geheime[n] Sog und Leerstelle einer nicht erreichbaren Einlösung« für das »Textbegehren« versteht,1525 und gezeigt, dass dieser Befund auch für die Bildlichkeit der poetischen Mitterwurzer-Ekphrasis gilt (V.1.4.2). Der Aspekt der 5mschreibung wird besonders deutlich am Beispiel der ›Mona Lisa‹ bzw. ›Gioconda‹, deren heutige Berühmtheit maßgeblich auf die Ekphrasis in Walter Paters einflussreicher, stark essayistischer Renaissance-Monographie (1873) zurückgeht.1526 Hier eine Passage daraus in Hofmannsthals (von Schneider zitierter) Übertragung aus dessen Aufsatz Über moderne englische Malerei von 1894: Das Wesen, das so rätselhaft da neben dem Wasser aufgetaucht ist und dasitzt, ist der konzentrierte Ausdruck dessen, wonach die Menschen während tausend Jahren sich zu sehnen gelernt hatten […]: die vegetative Naivetät von Griechenland, die römische Orgie, die Sehnsucht und die asketische Ehrsucht und die platonische Liebe des Mittelalters, das Wiedererwachen des Heidentums und die Sünden der Borgia. Sie ist älter als die Felsen um sie; wie ein Vampir war sie mehr als einmal schon tot und kennt das Geheimnis des Grabes; [… ] und war Leda, die Mutter der Helena, und Anna, die Mutter der Jungfrau; und all dies war ihr nur wie Schall von Leiern und Flöten und lebt 1524 Schneider: Verheißung der Bilder, 3. 1525 Schneider: Verheißung der Bilder, 23. 1526 Schneider: Verheißung der Bilder, 160–164, zur Rezeptionsgeschichte des Gemäldes siehe ebd. 149, Anm. 242.

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›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz

nur fort in der seltsamen Feinheit, die es ihren Zügen verliehen hat, und in der Farbe ihrer Hände und Augenlider.1527

Diese ›Umschreibung‹, so fasst Schneider zusammen, sei »bei aller Sinnlichkeit auffallend unanschaulich, diese Frau hat keine festen Konturen, sondern changiert zwischen palimpsestartigen Übermalungen.«1528 Es sei noch einmal daran erinnert, dass Schneider einen mimetischen Begriff von ›Anschaulichkeit‹ hat, der mir schon für das antike Enargeia-Konzept als zu eng erscheint; dennoch trifft ihr Befund zu, dass Pater eher assoziiert als beschreibt. Schneider fährt fort: Die ›Gioconda‹ erscheint selbst wie eine Verkörperung der Arbeit am kulturellen Gedächtnis, wie eine Allegorie der übereinandergelegten Schichten des kulturellen Textes. Ihre literarische Beschreibung ist eingefügt in einen Textzusammenhang, der die kulturelle Stilisierung von schwer deutbaren Symbolen als einen nie zu Ende kommenden Prozess von Zeichenbildung und Zeichendeutung im Wechselspiel zwischen Bildern und Texten weiterschreibt. Hofmannsthal nennt dies den »Zauber der Allegorie«, und gewinnt damit einer scheinbar obsoleten Gattung, der die Autonomieästhetiker um 1800 eine gedankliche Überfremdung der bildenden Kunst vorgeworfen haben, eine neue Aufgabe ab – die Lust an der unendlichen Semiose.1529

Im zweiten Teil dieser Arbeit habe ich gezeigt, wie eine auf ›Verkörperung‹ im weitesten Sinne beruhende Strukturanalogie zwischen Allegorie und Schauspielkunst sich insbesondere in frühen englischen Mimen-Ekphrasen niederschlägt, im vierten Teil, wie Goethes Euphrosyne-Elegie die Allegorie symbolisierend reaktiviert und damit gerade mit der Moritz’schen Autonomie-Ästhetik kompatibel macht, was teilweise auch für A.W. Schlegels SchauspielerinnenGedichte gilt.1530 In Hofmannsthals Mitterwurzer-Texten und in seiner KainzElegie wiederum finden sich Allegorien des von Schneider angeführten Typus, die aber durchaus auch Züge besonders wirkmächtiger – topischer – Allegorik zeigen, etwa im Rekurs auf das Welttheater-Modell, auf den Totentanz oder auf das sonnenhafte Auge des Adlers. In diesem Kapitel möchte ich nun am Beispiel von Ekphrasen auf Eleonora Duse zeigen, dass auch eine Schauspielerin, Paters ›Gioconda‹ entsprechend, zu einer »Verkörperung der Arbeit am kulturellen Gedächtnis« werden kann, bzw. an bestimmten Aspekten dieses Gedächtnisses. Wie dies gemeint ist, sei zunächst angedeutet durch eine Passage aus einer Beschreibung der Schauspielerin Foscarina in Gabriele d’Annunzios Roman 1527 HRuA: 546–552, hier 550. 1528 Schneider: Verheißung der Bilder, 161. 1529 Schneider: Verheißung der Bilder, 161f. Schneider rekurriert auf das Kapitel Lebendige Allegorien in Renner : »Zauberschrift der Bilder«, 74–86 (zu ergänzen wären die Kapitel zu Pater und der Gioconda, ebd. 227–252) und verweist als Beleg für die autonomieästhetische Allegorie-Kritik auf Moritz. 1530 Siehe II.1, II.2.3, II.4, IV.2, IV.5.3.

›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz

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Il Fuoco, der im Jahr 1900 erschien und sich kaum verhüllt auf die Beziehung zwischen dem Autor und der Duse bezieht: Sie war mit einem Male wunderschön geworden, ein dunkelnächtiges Geschöpf, das auf goldenem Amboß von Leidenschaften und Träumen gestaltet worden, ein urewiges Rätsel. […] Antigones heroische Treue, Cassandras prophetische Raserei, Phädras verzehrendes Fieber, Medeas Wildheit, das Opfer der Iphigenie, Myrrha vor dem Vater, Polyxena und Alceste angesichts des Todes, Cleopatra, veränderlich wie Wind und Flamme, Lady Macbeth, die seherische Mörderin mit den kleinen Händen, und diese weißen Lilien ganz betaut mit Blut und Tränen, Imogen, Julia, Miranda und Rosalinde, Jessica und Perdita, die süßesten Geschöpfe und die schrecklichsten und die prachtvollsten, sie alle waren in ihr, sie bewohnten ihren Körper, sie blitzten aus ihren Augen, sie atmeten aus ihrem Mund, der den Honig kannte und das Gift, den edelsteinfunkelnden Pokal und die Schale aus Baumrinde. […] Die Genien selbst der durch die Poesie geheiligten Orte schwebten über ihr und zauberten rings um sie buntwechselnde Bilder. Die staubige Ebene von Theben, das steinige Argolis, die verdorrten Myrten von Trözen, die heiligen Ölbäume von Kolonos, das fahle Gefilde von Dunsinan, Prosperos Höhle und der Ardennenwald, blutgetränkte Länder, von Schmerzen durchwühlt, und Länder, die durch einen Traum umgewandelt oder durch ein unauslöschliches Lächlen verklärt sind, – sie alle erschienen hinter ihrem Haupt, entfernten sich wieder und schwanden.1531

Wie in Paters ›Gioconda‹ sind die kulturellen Versatzstücke hier unter das Vorzeichen menschlicher »Leidenschaften« und »Sehnsüchte« gestellt und mit Stereotypen von Weiblichkeit verbunden, die in forcierter Antithetik präsentiert werden, etwa die wilde femme fatale (»Vampir«, »Helena«; »dunkelnächtiges Geschöpf«; ›Medea‹) einerseits und andererseits die »Mutter der Jungfrau« und die ›treue‹ Antigone.1532 Der Rekurs auf solche ›Verkörperungen‹ des ›Weiblichen‹ wirkt im Fall der ›Umschreibung‹ einer Schauspielerin allerdings etwas 1531 D’Annunzio: Feuer, 108f.: »Ella a un tratto era divenuta bellissima, creatura notturna foggiata dalle passioni e dai sogni su un’incudine d’oro, simulacro spirante dei fati immortali e degli enigmi eterni. […] La fedelt/ eroica di Antigone, il furore fatidico di Cassandra, la divorante febbre di Fedra, la ferocia di Medea, il sacrifizio d’Ifigenia, Mirra dinanzi al padre, Polissena e Alceste dinanzi alla morte, Cleopatra volubile come il vento e la vampa sul mondo, Lady Macbeth veggente carnifice dalle piccole mani, e i grandi gigli imperlati di rugiade e di lacrime, Imogene, Giulietta, Miranda, e Rosalinda e Jessica e Perdita, le piF dolci anime e le piF terribili e le piF magnifiche erano in lei, abitavano il suo corpo, balenavoano per le sue pupille, respiravano per la sua bocca che sapeva il miele e il veleno, la copa gemmata e la tazza di scorza. […] I genii stessi dei luoghi consacrati dalla poesia alitavano sopra di lei, la cingevano di visioni alterne. Il piano polveroso di Tebe, l’Argolide sitibonda, i mirti arsicci die Trenzene, i santi olivi di Colono, il trionfale Cidno, e la pallida campagna di Dunsinina, e la caverna di Prospero, e la selva delle Ardenne, i paesi rigati di sangue, travagliati dal dolore, trasfigurati da un sogno o rischiarati da un sorriso inestinguibile, apparivano, lontanavono, dileguavano dietro la sua testa.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 89). 1532 Zu Paters Einfluss auf D’Annunzio siehe Lorenzini: Introduzione, XXVIIf.

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›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz

weniger ›weit hergeholt‹, wenn der Text dabei, wie hier, auf einen Rollenkatalog zurückgreift oder »buntwechselnde Bilder« aus den fiktionalen Welten der dazugehörigen Dramen beschwört. Andererseits schlüpft nicht nur Paters ›Gioconda‹ vampirhaft in gegensätzliche Frauenrollen, sondern D’Annunzios Foscarina/Duse wird auch zur Metallstatue, »auf goldenem Amboß von Leidenschaften und Träumen gestaltet«, zugleich Kunst- und heidnische Kultfigur. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die ›Umschreibung‹ des ›Kunstwerks‹ Eleonora Duse bevorzugt in Bezug zu graphischen Gattungen, Stilen oder auch bestimmten Gattungen erfolgte, wobei der Übergang zu anderen ›Bild‹-Kategorien fließend ist. Dies geschah durchaus nicht beliebig, sondern unter Bezug auf einen Vorrat an ›Bildern‹ sprachlicher wie graphischer und besonders photographischer Art, die sich derart mit ihrer Person verbanden, dass man von einer ›Duse-Ikonographie‹ sprechen kann. Die hier ausgewählten Texte sind teilweise Fortschreibungen dieser Ikonographie, teilweise aber auch ›5mschreibungen‹, die nicht nur der »Lust an der unendlichen Semiose« frönen, sondern ihrem Duse-›Bild‹ auch, im Sinne ekphrastischer Evidenz-Funktion, eigene Vorstellungen von (Schauspiel-)Kunst und Künstlerschaft einschreiben. Auch ist es keineswegs so, dass das ekphrastische Ziel, die spezifische Schauspielkunst Eleonora Duses ›vor Augen zu führen‹, durchgehend hinter ihrem ›Image‹ oder der jeweiligen Funktionalisierung im Sinne der Evidenzfunktion verschwände – vielmehr war vor allem die ›lebendige Präsenz‹ der Duse eine Herausforderung, der man gerade mit Strategien ›lebendiger Kunst-Umschreibungen‹ zu begegnen suchte. Ein weiteres Anliegen dieses Interpretationsteils ist zu zeigen, wie die Möglichkeiten der ›Kunst-Umschreibung‹ im produktivem Umgang mit Möglichkeiten und Konventionen der jeweils gewählten Textgattung umgesetzt wurden, hier verstanden im Sinn der »Sammelbegriffe Epik, Lyrik und Drama oder andere[r] Klassenbildungen wie Gebrauchsliteratur, fiktionale Literatur usw.«1533 Schon Goethe hat darauf hingewiesen, dass die von ihm als »ächte Naturformen der Poesie« verstandenen Großgattungen »Epos, Lyrik und Drama« nicht an bestimmte Textformen gebunden seien, sondern vielgestaltige »Dichtweisen«: »In dem kleinsten Gedicht findet man sie oft beysammen, und sie bringen eben durch diese Vereinigung im engsten Raume das herrlichste Gebild hervor.«1534 Womöglich noch mehr als die Literatur der Romantik experimentierte die Literatur um 1900 mit gattungsüberschreitenden ›Gebilden‹, von Arno Holz’ Mittelachsenlyrik und dem modernen Prosagedicht bis zur Poetisierung des

1533 Hempfer: Gattung, 651, siehe auch Hempfer : Generische Allgemeinheitsgrade, 15f.; zu den von Hempfer unterschiedenen Verwendungsweisen des Gattungsbegriffs siehe Einf. 1. 1534 GMA 11.1.2: 194, siehe dazu Dunker : Gattungssystematiken, 13.

›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz

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Essay, als dessen bedeutendster Vertreter Hofmannsthal gilt.1535 Schneiders Beispiele für ›Kunst-Umschreibungen‹ um 1900 sind denn auch essayistische Prosatexte, obwohl das Phänomen gerade auch in der Lyrik verbreitet war und dabei sogar an die Tradition des romantischen Bildgedichts anschließen konnte (IV.5.2).1536 So bevorzugt der prominenteste Vertreter des ›umschreibenden‹ Bildgedichts um 1900, Rainer Maria Rilke, die von A. W. Schlegel wiederbelebte Sonettform, insbesondere in den Neuen Gedichten von 1907/1908.1537 Im Folgenden soll es zunächst um Prosa-Ekphrasen zwischen Theaterkritik und Essay gehen, vertreten durch Duse-Ekphrasen Hermann Bahrs, die ausgehend von einer Parodie Egon Friedells charakterisiert werden. Schon in solcher Prosa finden sich, wie in Paters ›Gioconda‹-Text, traditionell als ›lyrisch‹ empfundene Elemente wie forcierte Bildlichkeit und Ausdruck von Sprecheremotionen.1538 Rilkes Duse-Gedicht Bildnis dagegen, dem das zweite Kapitel gilt, entzieht sich, wie viele seiner Neuen Gedichte, traditionellen Konventionen der Erlebnislyrik, insbesondere der Verwendung des ›lyrischen Ich‹.1539 Umso ausgeprägter ist auch hier die Bildlichkeit, die, wie oft in den Neuen Gedichten, 1535 Zu Holz siehe Henne: Sprachliche Spur der Moderne, 46–62, zum Prosagedicht Nienhaus: Prosagedicht; Ortlieb: Poetische Prosa; Fülleborn: Prosagedicht, zum Essay Jander : Poetisierung des Essays. 1536 Die Interpretationen des Kapitels über Die Farben, die Dinge und die Wörter in Rilkes ›Neuen Gedichten‹ und den ›Briefen über C8zanne‹ (Schneider : Verheißung der Bilder, 232–282) beziehen sich nicht auf Bildgedichte, sondern auf ›Dinggedichte‹, deren Darstellung an C8zannes Bildern geschult ist. 1537 Erinnert sei insbesondere an das berühmte Sonett Archa"scher Torso Apollos (RKA 1: 513) und an die ›Umschreibung‹ von Corregios Gemälde Leda und der Schwan aus der Innensicht des verwandelten Zeus (Leda, RKA 1: 514). Keine identifizierbaren Bilder, sondern Motivund Darstellungstraditionen werden aufgegriffen in Gedichten wie Der Ölbaumgarten (RKA 1: 459), Auferstehung (RKA 1: 485) und Die Ägyptische Maria (RKA 1: 533), die auf unterschiedliche Weise die Sonettform variieren. Zu Rilkes Bildgedichten siehe Eichner: Rilkes Bildgedichte; einen Überblick über Rilkes Verhältnis zur bildenden Kunst geben Boehm: Einführung; Webb: Rilke and the Visual Arts; Büssgen: Bildende Kunst, siehe auch den Sammelband Baron: Rilke and the Visual Arts. 1538 Siehe dazu grundlegend Winko: Kodierte Gefühle. 1539 Daraus hat ein Teil der frühen Rilke-Forschung, besonders unter Bezug auf Kurt Opperts Modell des ›Dinggedichts‹ (Oppert: Dinggedicht), den Schluss gezogen, es handle sich überwiegend um ›objektive‹ Darstellungen von Gegenständen (Klatt: Rilke; Duruman: Wandel der dichterischen Sprachform). Dem stand allerdings eine Fraktion gegenüber, die gewissermaßen von verkappter Erlebnislyrik ausging (Blume: Ding und Ich; Uyttersprot: Rilkes Neue Gedichte). Inzwischen nehmen die meisten Forscher eine vermittelnde Position ein (Hamburger : Phänomenologische Struktur ; Böckmann: Strukturwandel; Müller : Rilkes Neue Gedichte; Bradley : Neue Gedichte; Bradley : Der Neuen Gedichte anderer Teil; Winko: Kodierte Gefühle, 264–275) und verstehen die ›Ding‹-bezogenen ›Neuen Gedichte‹ (die Erzählgedichte werden gern ausgeblendet) insbesondere »als Umsetzung von Gegenstandserfahrungen in Sprachstrukturen […], bei denen die Gegenstände explizit durch die Wahrnehmung konstituiert werden« (Müller: Neue Gedichte/Anderer Teil, 317).

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›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz

durchaus Emotionen vermittelt,1540 hier nicht zuletzt über intertextuelle und interpikturelle Bezüge. Das dritte Teilkapitel schließlich untersucht Duse-›Bilder‹ und ihren Bezug zu Kunst-›Umschreibungen‹ in zwei semifiktionalen Texten, nämlich Rilkes Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge und D’Annunzios Il Fuoco, und fragt nach enargeischen Möglichkeiten, die sich ergeben durch die Einbettung von Mimen-Ekphrasen (bzw. Schauspielkunst-›Umschreibungen‹) in eine Erzählung und durch die Spannung zwischen Fiktionalität und Faktualität. Der obige Vergleich einer Passage aus diesem Roman mit der GiocondaPassage aus Paters Renaissance-Buch mag zwar suggerieren, dass die Kunstbeschreibungen beider relativ geschlossen und strukturell gesehen fast schon austauschbar seien, und tatsächlich lässt sich die auf die Foscarina bezogene Beschreibung von Dürers Melancholia I in Il Fuoco sogar auf eine Anregung Paters zurückführen.1541 Doch ist zu beachten, dass die zitierte Duse-Passage mit der Formulierung: »Sie war mit einem Male wunderschön geworden« beginnt. Das hier beschriebene Bild ist nämlich Teil einer Vision der fiktiven (wenngleich nach D’Annunzios Vorbild gestalteten) Figur des Dichters Stelio ðffrena und wird durch andere ›Bilder‹, die er sich von der Schauspielerin Foscarina an anderen Punkten der Handlung macht, ergänzt oder auch konterkariert. Zudem interagiert er mit ihr auch als künstlerischer Mitstreiterin und Geliebter, beeinflusst sie und wirkt auf ihr ›Selbstbild‹ zurück. Erst in diesem Zusammenspiel von Romanhandlung und Bildern sowie im Spiel mit narrativen Techniken bildet sich ein ›Gesamtbild‹ der Foscarina, das nicht bruchlos auf die Duse übertragbar ist. Dennoch beeinflusste D’Annunzio sowohl das ›Duse-Bild‹ von Hermann Bahrs Kritiken und Essays als auch von Rilkes Bildnis-Gedicht und seiner DuseVision in den Aufzeichnungen, wobei darin der Spielraum zwischen fingierter Tagebuchaufzeichnung, Prosagedicht und rudimentärer Romanhandlung virtuos genutzt wird. Doch D’Annunzios Fuoco-Roman, der heutigen Lesern schwülstig und ideologisch befremdlich erscheinen mag,1542 seinerzeit aber Pioniere des modernen Romans wie Henry James und James Joyce beeindruckte,1543 steht noch aus einem weiteren Grund am Schluss meiner Interpretationen: Kein anderer mir bekannter Erzähltext – Prousts Recherche eingeschlossen – bietet eine vergleichbare Fülle nicht nur von Mimen-Ekphrasen, 1540 Dies zeigt Winko exemplarisch anhand einer Analyse des Gedichts Blaue Hortensie (Winko: Kodierte Gefühle, 406–410). 1541 D’Annunzio: Feuer, 393ff.; D’Annunzio: Il Fuoco, 319f. Pater bezeichnet die Gioconda als Leonardos und die Melancholia als Dürers Hauptwerk (siehe Lorenzini: Introduzione, XXVIII). 1542 Siehe Busch: Traumkitsch. 1543 Siehe Lorenzini: Introduzione, V (zu James); Eco: In Joyce c’H anche D’Annunzio.

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sondern überhaupt von Ekphrasen im Sinne von Kunstbeschreibung und Beschreibungskunst, die nach rhetorischer und ›nervöser‹ Enargeia streben. Insgesamt haben die folgenden Interpretationen etwas weniger als die des letzten Interpretationsteils den Charakter eines Close Reading und etwas mehr den eines ›Cross Reading‹, das intertextuelle und interpikturelle Bezüge aufzeigt. Im Zentrum dieser Bezüge steht immer wieder die Biographie der Schauspielerin, auf die vergleichsweise ausführlich einzugehen ist.

1.

»Statue des Erbarmens«: Kunst-Metaphern und ›lyrische‹ Elemente in essayistischen Duse-Ekphrasen am Beispiel Hermann Bahrs (1891/1903) In ihr zittert die große, allwissende Angst, die verschlossene Grüfte aufbricht, den Riegel von allen Geheimnissen schiebt und das große Lebenssiegel löst. Dieses eben ist ja auch ihre Wirkung: daß sie stets unfehlbar mit tragischem Finger an unser Tiefstes zu rühren weiß, das, uns selber fremd, stark und gefährlich in uns waltet. So hat sie auch gestern wieder die Bianka in der ›Porta chiusa‹ gespielt.[1544] Das Stück ist abscheulich: keuchend, verlogen, überzuckert, sentimental […]. Aber die Duse machte daraus eine eroische [sic] Winterlandschaft. Jede ihrer feuchten Gebärden ist ein sfumato, das an die höchsten Offenbarungen der Trecentisten gemahnt, an die verlorengegangene Kunst, alle Erscheinungen mit dem schwimmenden Zauberhauch der respirazione zu verdampfen. Che aprezza! Che grazia! Che portamento!

Diese Passage aus Egon Friedells Parodie Die Duse. Eine Theaterkritik im Stile Bahrs trifft durchaus nicht nur Stilzüge und bevorzugte Topoi Hermann Bahrs,1545 sondern ist geeignet, eine ›lyrische‹ Tendenz auch von Prosa-Ekphrasen der Jahrhundertwende auf Eleonora Duse herauszustellen. Mehr noch als für Bahr gelten sie etwa für Hofmannsthals Mimen-Ekphrasis Die Duse im Jahre 19031546 und für die hymnischen Duse-Rezensionen des ansonsten für seine virtuose Schnoddrigkeit berühmten Alfred Kerr.1547 Manche der par1544 Komödie in drei Akten (1913) von Marco Praga; eine ihrer letzten Rollen nach der Rückkehr auf die Bühne 1921. »[D]ie Rolle einer Frau, die den Betrug an ihrem Mann durch Jahre aufopfernder Mutterliebe wiedergutmacht, entsprach ihrem Gefühl und kam ihrer Darstellungsart und ihrem Alter entgegen« (Maurer: Duse, 126f.). 1545 Friedell: Duse, 157. Meine Kürzung unterschlägt allerdings Friedells Spott auf Bahrs Pose des literarischen Präzeptors, so dass hier ergänzt sei: »[…] überzuckert, sentimental, was Butti, ›il grande Butti‹, in seinen ›Avertimenti d’un dramaturgo (die unser Buschbeck doch endlich einmal herausgeben sollte) ›una commedia rosea‹ nennt.« (ebd.) 1546 HRuA: 484–489; Erstdruck am 17. 4. 1903 in der Neuen Freien Presse, Wien (siehe ebd. 665). 1547 Gesammelt in Kerr : Das Mimenreich, 264–277, siehe auch ebd. XI. Zu Kerrs Stil siehe Schöne: Neuigkeiten vom Mittelpunkt, 97–105; 116–134.

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odierten Züge sind aber auch schon für Hofmannsthals Guglia-Rezension und seine Schauspieler-Elegien charakteristisch, insbesondere a) die Zuschreibung einer außerordentlichen emotionalen Erlebnisfähigkeit an den Mimen/die Mimin, aus welcher nach dem Modell des ›heißen Schauspielers‹ und der mimischen ›Ansteckung‹ auch für das Publikum ein außergewöhnliches ›Erlebnis‹ entsteht; die Duse wurde in dieser Hinsicht gerne zur großen Leidenden stilisiert1548 und gegen Sara Bernhardt ausgespielt, die von vielen als Inbegriff einer ›kalten‹ Mimin verstanden und als unauthentisch abgewertet wurde;1549 b) die (von Friedell zur Stilblüte gesteigerte) Bemühung um ungewöhnliche sprachliche Bilder für diese Wirkung;1550 c) die Abwertung der Rolle gegenüber der schauspielerischen Präsenz.1551 Dazu kommen im Fall der Duse d) die Einbeziehung von Attributen und sprachlichen Signalen, die auf ihre italienische Herkunft und die Tatsache verweisen, dass die Duse ausschließlich in italienischer Sprache spielte;1552 e) der Vergleich ihrer Schauspielkunst mit graphischen Kunstwerken, Bildgattungen oder Stilen. Anders als im 18. und frühen 19. Jahrhundert referierten die Kritiker nicht vornehmlich auf die Antike, sondern etwa auch auf Rembrandt und Daumier1553 oder, im Sinne von (d) besonders naheliegend, auf die 1548 Hofmannsthals Duse-Rezension beginnt mit dem Satz: »Diese Frau leidet die Leiden unserer Zeit mehr als irgend ein anderes Geschöpf, und in einer großartigen Weise.« (HRuA: 485). 1549 Am plakativsten in der Formulierung: »Bei der Duse hört man die Ewigkeit rauschen, bei der Bernhardt die Kulissen wackeln.« (Kerr : Mimenreich, 299 [1903]) Eleonora Duse hatte den Vergleich selbst herausgefordert, als sie 1882 nach einem Gastspiel Sarah Bernhardts in Turin bei ihrem Prinzipal Cesare Rossi durchsetzte, Rollen der Bernhardt zu spielen (Maurer: 26–31). Gerne wurde Sarah Bernhardt auch dem Weiblichkeitsstereotyp der femme fatale zugeordnet, Eleonora Duse dagegen dem der femme fragile (siehe Balk: Theatergöttinnen, 60–188). 1550 »Diese Fürstin, welche die Menschen schöner und mitleidsvoller macht, die Seelen vertieft und die Augen in Träume flicht« (Kerr : Mimenreich, 263). »Es ist eine solche Zauberkraft in dieser Frau, daß sie den Kahn, auf dem sie fährt, zum Sinken zwingt und den Fuß auf die nackten Wellen setzt und auf uns zuschreitet.« (HRuA: 485) 1551 »Und wir fühlten die Nähe einer unnennbaren tragischen Gewalt, einer größeren Seele, beladen mit höheren Schmerzen, als die Geschöpfe, welche sie verkörpert, zu leiden fähig sind. Die Geschöpfe, welche sie vor uns verkörperte, waren nur die Sklavinnen, die zu den Füßen eines königlichen Scheiterhaufens verbrannt werden. Oben aber, zuhöchst, verzehrte sich in den gleichen Flammen der Leib einer Göttin.« (HRuA: 484) 1552 »Man denkt: – Ellida, poverina…« (Kerr: Mimenreich, 272; gemeint ist Ellida Wrangel aus Ibsens Frau vom Meer!). 1553 »Es hat etwas von einem bösen Traum, sie die Hedda Gabler spielen zu sehen. Es liegt eine Unheimlichkeit darin, die außerhalb des Stückes liegt, die grotesker, aufregender, phantastischer ist als das Stück selbst. Es liegt etwas darin, das die Romantiker aufs äußerste

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italienische Renaissance. Beliebt waren allerdings auch Vergleiche mit musikalischen Werken oder Eindrücken.1554 Im Folgenden soll speziell auf drei Duse-Ekphrasen von Hermann Bahr eingegangen werden, da er die Italienerin für den deutschsprachigen Raum entdeckte und ihren Werdegang besonders aufmerksam verfolgte und kommentierte; im Fokus steht dabei der letzte Aspekt (e). Hermann Bahr (übrigens in Begleitung von Kainz und Mitterwurzer) sah die Duse das erste Mal im März 1891 während einer Russland-Reise in St. Petersburg spielen und schrieb einen begeisterten Artikel, der am 9. Mai 1891 in der Frankfurter Zeitung erschien.1555 Bahr zufolge meldete sich daraufhin ein Wiener Theateragent und lud die Duse für 1892 ins Wiener Carlstheater ein – der Beginn ihrer Karriere im deutschen Kulturraum.1556 Ein begleitend erschienener Führer durch das Gastspiel von Eleonore Duse, der drei Auflagen erlebte, präsentierte »das ganze Repertoire der Duse dergestalt arrangiert, daß der, der [sic] italienischen Sprache Unkundige, das volle Verständnis und den vollen Genuß an dem italienisch gespielten Stücke behält.«1557 Er war mit einer einleitenden Studie von Hermann Bahr versehen; dabei handelte es sich um eine Neuauflage besagten Artikels, lediglich gekürzt um den ersten Absatz, der sich auf die Gastspielsituation in Petersburg bezieht. Bahr geht davon aus, dass die Duse »bei den Italienern heute für ihre größte Tragödin« gelte, und kontrastiert damit ihre Physis, die mit dem Begriff »Bild« gefasst wird: Man sei vor ihrem ersten Bilde, oder bei ihrer ersten Begegnung bitter enttäuscht. Sie ist klein, ein bischen [sic] plump und ihren schweren, trägen Geberden fehlt die Anmut. Ihre Augen sind groß und schön, aber wehmütig und verzagt: sie haben eine flehentliche Demut; kräftige Leidenschaft kann in ihnen nicht vermutet werden. Die Nase ist klein und stumpf, wie von einem verwunderten Pierrot. Die Wangen hängen schlaff herab,

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fasziniert hätte. Ihre bloße Anwesenheit bringt ein so sonderbares magisches Licht mitten in eine halb tragische, halb fratzenhafte Atmosphäre, daß es an gewisse kleine Blätter von Rembrandt erinnert, an gewisse kleine Bilder von Daumier.« (HRuA: 486) Allgemeiner formuliert Kerr : »Dies alles ist gezeichnet – es ist zeichnerisch unvergeßbar ; und es hat mit alledem die letzten, letzten Innigkeiten.« (Kerr : Mimenreich, 270) So insbesondere bei dem Musik-Kenner Kerr : »Sie ist ein Genius auch des Schalkhaftesten, sie lächelt wie keine… und durch ihren Mutwillen klingt ein Vergänglichkeitston, unvergänglich. […] Was ist dieser ganze Humor andres mit seiner Unterströmung, als die großen Musiker menschliche Lustigkeit gestaltet haben? Was ist ein beethovensches Scherzo? ›Das Ende vom Lied‹ nennt Robert Schumann ein lustig tolles Stück, worin es über Stock und Stein geht, bis zuletzt seltsame, leisere, verschollene Klänge sagen: das ist das Ende vom Lied.« (Kerr : Das Mimenreich, 264) Wieder abgedruckt in Bahr : Russische Reise, 116–125. Siehe Bahrs späten Rückblick Die Duse in Bahr: Kulturprofil, 310–314, bes. 310f. Anonym: Gastspiel Duse, Reklametext auf dem Buchrücken.

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ohne einen persönlichen Zug. Die Miene ist verwischt und unentschieden, als ob viele Thränen jede Besonderheit hinweggespült hätten. Nur um diesen süßen, wunden Mund ist in seltsamen Strichen ein unsäglicher Gram verbreitet, der von stürmischen Begierden, von mutigen Hoffnungen und schmerzlichem Erlebnis erzählt […]. Es ist immerhin ein Gesicht, bei dem man verweilen muß; aber schön darf man es nicht nennen, und mit dem suggestiven Profil der Bernhardt, welches wie ein arabisches Märchen ist, kann man es nicht messen.1558

Diese eingehende, vor allem mit Vergleichen und Kontrasten arbeitende Beschreibung dient als Folie, vor der ihre Fähigkeit zur »Verwandlung« auf der Bühne nur umso erstaunlicher erscheint: »Da ist sie schön. Sie ist da auch häßlich – sie ist groß und sie ist klein, sie ist jung und sie ist alt, sie ist plump wie eine lombardische Bäuerin und sie ist nervös wie eine Pariser Cocotte – sie ist, was ihre Rolle jedesmal ist.«1559 Diese Fähigkeit versteht Bahr ganz im Sinn des Proteus-Ideals1560 und des Verkörperungsmodells, das er in nicht ganz glücklicher Metaphorik beschwört.1561 Es folgt ein recht ausführlicher Rollenkatalog, in dessen Zusammenhang Bahr zu einem Vergleich mit dem Werk des zeitgenössischen symbolistischen Malers Gustave Moreau (1826–1898) greift: Als Shakespeares Kleopatra verkörpere sie »eine wilde und bestialische Wollust in asiatischem Stile: einem von jenen schauerlichen und beklemmenden Ungeheuern des Moreau vergleichbar, wie ein brünstiges Raubtier – unheimlich und gemein in ihren buhlerischen Gesten, noch zu keiner menschlich besonnenen Bewegung erwacht, sondern zwischen dumpfem Brüten und tierischer Wut.«1562 Hier geht es also (ähnlich wie in Friedells Parodie) darum, den Gesamteindruck einer Rollenverkörperung durch ein Schema aufzurufen, das in diesem Fall besonders einleuchtet, weil Moreau 1887 ein Gemälde Cl8opatre assise sur un trine 8lev8 von 1887 geschaffen hatte (Abb. 32).1563 Andererseits wurde das Werk Moreaus traditionell mit der Schauspielkunst und dem Ausstattungsstil von Sarah Bernhardt assoziiert –1564 Bahrs Vergleich impliziert also, dass sie der Konkurrentin sogar als exotische femme fatale überlegen ist. Nicht um die Fähigkeit, exotische Phantasien zu stimulieren, sondern um realistische Darstellung geht es dagegen, wenn Bahr die Photographie als Ver1558 1559 1560 1561

Bahr: Studie Duse, 3f. Bahr: Studie Duse, 4. »Ein ähnliches Verwandlungsgenie kennt die Bühne nicht.« (Bahr : Studie Duse, 4). »Bei den Anderen ist die eigene Natur immer das Erste: der Dichter giebt blos den Stoff, in welchem sie sich zeigen, an welchem sie sich offenbaren kann. Bei ihr ist es umgekehrt: sie kriecht in den Dichter hinein, verschwindet in ihm und was am Ende aus ihm wieder herauskommt, ist seine Natur und sein Geschöpf.« (Bahr : Studie Duse, 4). 1562 Bahr: Studie Duse, 5f. 1563 Siehe auch Balk: Theatergöttinnen, 68. 1564 Siehe Balk: Theatergöttinnen, 68f.; 71ff.

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Abb. 32: Gustave Moreau: Cl8op.tre, assise, demi nue, de face sur un trine trHs 8lev8 (Mischtechnik, 1887)

gleichsgröße heranzieht. Das ästhetisch noch als zweifelhaft geltende Bildmedium1565 soll nämlich ex negativo dazu dienen, den ›realistischen‹ Schauspielstil der Duse gegenüber ähnlichen Stilen zu profilieren: Wir haben auch realistische Schauspieler, aber das ist meist ein ganz anderer Realismus. Ich möchte ihn den photographischen Realismus nennen; denn, was er verrichtet, ist Photographie. Er will die Wahrheit, er will die Wirklichkeit, aber er kennt keine andere als die gegebene Wirklichkeit irgend eines Moments. […] Wenn er irgend einen Charakter unternimmt, dann zergliedert er ihn sorgsam in alle Elemente und alle Merkmale, die an ihm vorkommen, merkt er gewissenhaft an. Den Fund trägt er dann eifrig zusammen, zu einem großen Bild, in dem alle kleinen Züge untergebracht und aneinandergepaßt sind, bis sie ein verträgliches und verständiges Gefüge geben; daran darf nicht gerührt werden, sonst zerfiele es und die Arbeit müßte noch einmal beginnen. Es ist fertig, Wechsel, Wachstum und Veränderung sind ausgeschlossen. So wie es ist, wird es gleich in der ersten Szene auf die Bühne getragen und aller Verlauf dient zu nichts Anderem, als das Licht von einer nach der anderen Stelle zu rücken, und 1565 Einen Überblick über Photographiediskurse des 19. Jahrhunderts bietet Stiegler: Philologie des Auges; zur Stellung der Photographie zwischen Kunst und Technik bes. 22–24.

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langsam eine Einzelheit nach der anderen zu zeigen, aus denen das Ganze vom Anfang an zusammengesetzt ist. […] Das ist der landläufige Realismus von heute, auf den deutschen wie auf den französischen Bühnen.1566

Obwohl hier von Photographie die Rede ist, dürften Bahrs zentrale Vergleichspunkte zwischen »Bild« und Verkörperung den Lesern von Böttigers Entwickelung des Ifflandischen Spiels von 1797 recht vertraut erscheinen. So steht in beiden Fällen das graphische »Bild« für »das Ganze« der Verkörperung, das bis in die »kleinen Züge« hinein den »Charakter« der Rollenfigur vermittelt. Zwar versteht Böttiger die Verkörperung durchaus als Ablauf und steht dem Übertragbarkeitsmodell schauspielerischer Malerei skeptisch gegenüber (III.2.5); doch ist er der Überzeugung, dass die wesentlichen Züge einer Figur »gleich in der ersten Szene« sichtbar sein sollten (III.3.2), und seine Leitmetapher der ›Verteilung von Licht und Schatten‹ (III.4) entspricht recht weitgehend Bahrs Formulierung: »aller Verlauf dient zu nichts Anderem, als das Licht von einer nach der anderen Stelle zu rücken«. Was die Photographie besonders geeignet macht, diese Vorstellung zu kritisieren, ist die in diesem Bildmedium besonders auffällige Spannung zwischen Detailschärfe und Beschränkung auf einen ›Moment‹. Demgegenüber wird für den Realismus der Duse die Qualität der ›Lebendigkeit‹ herausgestrichen, die sich mit der Flüchtigkeit des Eindrucks verbindet: Sie trägt nicht von Anfang an einen psychologischen Paß ins Gesicht geschrieben. Man weiß zunächst gar nichts, wenn sie das erste Mal kommt. Man hat ein Lebendiges vor sich, an dem man manches vermutet. Diese Vermutungen werden bestätigt; dann werden sie auf einmal wieder entkräftet; und plötzlich erscheint ganz unerwartet etwas Neues, worauf gerade man am wenigsten gefaßt war – aber wenn man sich nur ein wenig zurück besinnt, dann wird es freilich deutlich, daß man es von allem Anfang an gleich hätte merken müssen.1567

Um diesen Duse’schen Realismus terminologisch von dem eines ›photographisch‹ oder ›passartig‹ spielenden realistischen Durchschnittsmimen abzugrenzen, greift Bahr nun nicht etwa zu einer Analogie aus dem Bereich der bildenden Kunst – wie dem von ihm geschätzten Impressionismus –,1568 sondern wechselt auf das Gebiet der Philosophie: »Ich möchte ein Wort gebrauchen, das 1566 Bahr: Studie Duse, 7f. 1567 Bahr: Studie Duse, 8. 1568 Siehe zu Bahrs exponierter Rolle in der psychologischen und literarischen Deutung des Impressionismus-Begriffs Sprengel: 1870–1900: 114; 116. Dass sich der Begriff auch zur Kennzeichnung eines Theaterstils um 1900 eignet, belegen die Bände acht bis zehn von Heinz Kindermanns Theatergeschichte Europas, die mit Naturalismus und Impressionismus betitelt sind. 1964 legte Jörg Eggers eine Dissertation mit dem Titel Die Verwirklichung des Impressionismus in der darstellenden Kunst durch Josef Kainz vor; seine These wird allerdings in Eisermann: Kainz, 6f. überzeugend zurückgewiesen.

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freilich nur den Hegelianern geläufig sein wird; aber es trifft das Charakteristische: die Andern spielen einen metaphysischen Realismus, der Realismus der Duse ist dialektisch.«1569 Damit wird deutlich, dass es Bahr nicht allein um ein sich in der Zeit entfaltendes Spiel zu tun ist, sondern auch um eine Rollenauffassung, die das Widersprüchliche eines ›Charakters‹ berücksichtigt und in der Austragung von Gegensätzen schließlich zu einem ›Ganzen‹ höherer Stufe gelangt – jedoch erst am Ende des Spiels. Über ein Jahrzehnt nach diesem ekphrastischen Werbetext verfasste Bahr anlässlich eines Wiener Gastspiels der Duse vom 31. bis 8. April 1903 ein weiteres Schauspielerinnenporträt mit dem schlichten Titel Die Duse.1570 Zunächst stellt er fest, das Publikum sehe »in der Duse seit zehn Jahren immer noch nur die leidende Frau, die unter dem rauhen Leben zusammenzuckt und vor Sehnsucht aufschreit. Daß sie seitdem eine andere geworden ist und an sich alles durchgemacht hat, was in dieser Zeit die ganze Kunst umgewälzt hat, das scheint es gar nicht zu ahnen.«1571 Doch auch Bahr selbst interpretiert seinen ersten Eindruck und die Tendenz, mit der er 1892 den »Ruhm« der Duse »nach Deutschland schrie«,1572 deutlich um: Nicht mehr von der Wandlungsfähigkeit und dem ›dialektischen Realismus‹ der frühen Duse ist rückblickend die Rede, sondern von der radikal authentisch wirkenden Darstellung eines einzigen Affekts: Man hatte gar nicht das Gefühl, irgendeine Gestalt der Kunst zu sehen, sondern eine entsetzlich leidende, zerquälte und vor Schmerz sinnlos gewordene Frau stieß auf der Folter Schreie einer Wut und Not aus, die sonst die Sitte, die Scham, die Achtung vor sich selbst auch in der letzten Leidenschaft noch gewaltsam erstickt. Man mochte unwillkürlich an Aurelie im Meister denken, der Serlo, über die »Entblößung ihres innersten Herzens vor dem Publikum« erbost, nachsagt, »sie werde noch ehestens ganz nackt auf das Theater treten.1573

Der frühen Duse wird also eine Darstellung des Leidens zugeschrieben, die das ›Als-Ob-Bewusstsein‹ ästhetischer Illusion derart erschüttert habe, dass sie wenigstens zu Goethes Zeiten das Gebot des Dekorum beziehungsweise der Biens8ance verletzt hätte. Es wird hier vertreten durch Serlo, der in Wilhelm Meisters Lehrjahren für den professionellen ›kalten Schauspieler‹ steht und seine Schwester tadelt, bei der das Modell des ›heißen Schauspielers‹ sich zur selbstzerstörerischen Identifikation von Bühnenrolle und eigenem Liebesleid steigert – historisches Vorbilder sind Friedrich Ludwig Schröder und seine Stief1569 Bahr: Studie Duse, 9. 1570 Erstmals erschienen im Neuen Wiener Tagblatt vom 31. 3. 1903, im Folgenden zitiert nach Bahr: Kritiken, 375–379. 1571 Bahr: Kritiken, 375. 1572 Bahr: Kritiken, 387. 1573 Bahr: Kritiken, 377; das Wilhelm Meister-Zitat in GMA 3: 354f.

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schwester Maria Magdalene Charlotte Ackermann.1574 Der Vergleich mit Aurelie ist insofern erhellend, als die Duse in sehr ähnlicher Weise von der europäischen Öffentlichkeit wahrgenommen wurde: Ihre gesundheitlichen Zusammenbrüche, die wohl tatsächlich mit einer starken Rollenidentifikation zu tun hatten,1575 aber auch mit ihrem von der Mutter ererbten Lungenleiden und den Strapazen des Tourneelebens,1576 boten ebenso Gesprächsstoff wie ihre unglücklichen Liebesbeziehungen. Besonders die 1895 begonnene Liaison mit Gabriele d’Annunzio beschäftigte die Öffentlichkeit, und als 1900 sein Liebes- und Künstlerroman Il Fuoco erschien, der von einem genialischen Dichter und einer alternden Schauspielerin erzählt, las man ihn fast ausschließlich als Schlüsselroman, empörte sich über eine zynische Bloßstellung der Duse und machte das Buch irrtümlich für den 1904 erfolgten Bruch zwischen beiden verantwortlich.1577 Mit ganz anderer Tendenz allerdings rekurriert der D’Annunzio-Bewunderer Hermann Bahr1578 in seiner Duse-Ekphrasis von 1903 auf den Roman: Er findet darin einen Beleg dafür, wie sich der künstlerische Stil der Duse seit 1891 entwickelt habe, entsprechend einem in der Zwischenzeit bei »den neuen Künstlern« erwachten Misstrauen gegen die »8motion forte« und einer neuen »Sehnsucht nach dem Stil«: Incominciavo gi/ a scolpirmi, sagt sie im Fuoco: sie fing an, sich zu meißeln. Mit ihr geschah, was Goethe in Italien geschehen ist: das Geheimnis der Form ging ihr auf, sie drang zum Stil durch. Aber die Form, der Stil sind nicht, wie die Schulmeister glauben, von den alten Meistern abzulernen, sie liegen tief in uns selbst, aus uns müssen wir sie heben.1579

Entsprechend ist die Duse-Metaphorik bereits vorbereitet durch eine Bemerkung in einem wenige Seiten vorher skizzierten biographischen Abriss, der von den Anfängen des Weltstars als Kind eine Familie fahrender Komödianten erzählt: »Sie muß traurig und störrisch gewesen sein, und am liebsten war sie mit Statuen allein, die sie stundenlang betrachten und, geheimnisvoll gebannt, ihre Haltung, ihre Gebärden verzückt nachahmen konnte.«1580 Nunmehr also, um 1900, soll diese frühe Statuen-Faszination eine entsprechende Verwandlung des Darstellungsstils zeitigen: Siehe Heeg: Phantasma der natürlichen Gestalt, 94–98. Siehe Jonas: Rilke und die Duse, 18. Siehe Maurer: Duse, 55. Siehe Gazzetti: D’Annunzio, 61–72, bes. 63f. Dieser Eindruck klingt noch 1954 bei Julius Bab nach: »Die Seele der Duse lebte von der Güte – und sie liebte den Gütelosesten aller Menschen.« (Bab: Kränze dem Mimen, 200). 1578 Siehe beispielsweise den Artikel Bahr : Bei d’Annunzio. 1579 Bahr: Kritiken, 378; siehe D’Annunzio: Feuer, 315; D’Annunzio: Il Fuoco, 256. 1580 Bahr: Kritiken, 376; Bahr stützt sich auf Luigi Rasis Duse-Biographie von 1901. 1574 1575 1576 1577

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Früher hat sie vor Schmerz aufgeschrien, jetzt ist aller Schmerz zur Güte abgeklärt, aus einer Furie des Leidens[1581] hat sie sich zur Statue des Erbarmens gemacht. Die wilden Töne sind erloschen, der Tumult verstummt; sie hat jetzt die sanfte Ruhe der Meister, und die einfachsten Mittel genügen ihr jetzt: ein Schatten auf der weißen Stirn, ein Zucken oder Huschen um den Mund, eine ganz leise fließende Flexion in der süßesten Stimme.1582

Das Bild der Statue steht für eine ›klassische‹ Zurücknahme der mimischen Mittel und für eine Dämpfung des dargestellten Affekts, der aber weiterhin dem Bereich des Tragischen zugeordnet bleibt, wenngleich mit einer gewissen christlichen Färbung (›Erbarmen‹). Nun lassen sich Bahrs Beobachtungen zum neuen Stil der Duse und sogar seine Metaphern teilweise recht konkret mit Photographien abgleichen und in einen spezifischen theatergeschichtlichen Kontext einordnen, der wiederum mit D’Annunzio zu tun hat: Die (auch in Il Fuoco thematisierte) Entstehung von D’Annunzios erstem Drama La citt/ morta (1898), dessen Hauptrolle die Duse ab 1901 spielte,1583 markierte den Beginn einer Zusammenarbeit beider Künstler, die dem Ideal eines antinaturalistischen teatro di poesia galt.1584 Im Zeichen des erstarkenden italienischen Nationalismus1585 sollte die Tradition der Renaissance und der heidnischen Antike wiederbelebt und Wagners ›nordisches‹ Musiktheater ›lateinisch‹ überboten werden. Die Idee des ›Gesamtkunstwerkes‹ wurde dabei weitgehend an die Duse delegiert, über deren Verkörperung der blinden Anna denn auch Hermann Bahr in einem am 1. April 1903 erschienenen Rollenporträt1586 schreibt: In ihr fließen die Wirkungen aller Künste zusammen. Wenn sie blind, doch alles wissend – sei cieca e nulla t’H ignoto[1587] – in die glühende Ebene starrt oder wenn sie 1581 Diese Formulierung verweist auf den Figurentypus der weiblichen ›Furie‹, die vor allem im Versdrama des 19. Jahrhunderts eine dramatische Konstante bildete (Vogel: Die Furie und das Gesetz). 1582 Bahr: Kritiken, 379. 1583 Der zeitliche Abstand erklärt sich daraus, dass D’Annunzio, der auf eine größere Anhängerschaft in Frankreich rechnete als in Italien, die Uraufführung heimlich Sarah Bernhardt anbot, die erst 1898 dafür Zeit fand (siehe Maurer: Duse, 67); dennoch investierte die Duse einen großen Teil ihres Vermögens in die Ausstattung der italienischen Uraufführung und setzte sich gegen alle Vorbehalte des Publikums auch für D’Annunzios übrige Stücke ein (siehe ebd. 66–98). 1584 Dazu grundlegend Robecchi: Teatro di poesia, speziell zu La citt/ morta 84–151; Artioli: Combattimento invisibile, 81–121; wichtig auch Erspamer: La parola a teatro sowie für die Charakterisierung der Akteure durch Körpersprache Defendi: Stage Directions. Zum theatergeschichtlichen Hintergrund siehe Brauneck: Welt als Bühne 3, 828–832. 1585 Zu den politischen Hintergründen siehe Gazzetti: D’Annunzio, 49; 54–61, 74–77. 1586 Wiederum im Neuen Wiener Tagblatt erschienen; zit. nach Bahr : Kritiken, 379f. 1587 »Du bist blind, und nichts ist dir verborgen!« Das Zitat stammt nicht aus La citt/ morta, sondern aus einer Passage in D’Annunzios Roman Il Fuoco, welche die Entstehung der Tragödie im improvisatorischen Zusammenspiel von Dichter und Mimin vorführt (D’Annunzio: Il Fuoco, 277; D’Annunzio: Feuer, 341), siehe VI.3.3.7.

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mit horchendem Finger die Wange der sanften Bianca Maria streift oder wenn sie, von Erbarmen bebend, Erbarmen mit sich selbst und allen, den bangen Fuß nach der kleinen toten Lerche auf dem Boden lenkt, immer scheint sie aus einem alten Relief zu treten, von solcher Hoheit, von solchem Wohllaut sind ihre Gebärden. Aber aus ihren süß tönenden, leise klagenden Worten strömt eine heiße Kraft, ein betäubender Zauber hervor, wie von einem Gesange vieler Stimmen in der Ferne. Und indem sie ganz still bleibt, sich kaum regt, kaum leise seufzt, nur Linie und nur Klang, gleiten über das weiße Gesicht die Leiden ihrer Seele mit solcher Macht, daß es zur magischen Bühne zu werden scheint.1588

Die Reduktion der Gestik entspricht die Dämpfung der Stimme; die angestrebte synästhetische Wirkung beider verdichtet sich in der Konzeption einer Hauptfigur, die mit »horchendem Finger« ihre Blindheit ausgleicht und diese Kompensation gestisch sichtbar macht (33; 34).

Abb. 33/34: Atelier Sciutto (Genua): Eleonora Duse als Anna in »La citt/ morta« (Postkarten aufgrund von Studiophotographien, 1901)

D’Annunzio hat die Blindheit mythologisch überhöht im Sinn des antiken Motivs vom blinden Seher beziehungsweise von der ›sehenden‹ Blinden,1589 denn 1588 Bahr: Kritiken, 379. 1589 Urbild ist der blinde Seher Teiresias; in Il Fuoco wird auch Kassandra, obwohl eigentlich nicht blind, sondern als Seherin verkannt, entsprechend aufgefasst und auf die Figur der blinden Anna bezogen (D’Annunzio: Il Fuoco, 277f.; D’Annunzio: Feuer, 342).

»Statue des Erbarmens«

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obwohl das Drama in der Gegenwart spielt, wird das Fortwirken des Mythos in Szene gesetzt durch die Situierung der Handlung in Griechenland bei der Ausgrabung einer Atridenstätte, der ›toten Stadt‹.1590 Was Anna ›einsieht‹, wird eingangs durch das Hören der Verse 781–805 aus Sophokles’ Antigone angedeutet (die Macht des Eros; Antigones Gang in den Tod), hat allerdings weniger mit antiker Mythologie zu tun als mit dem nietzscheanisch-d’annunzianischen Konzept vom (männlichen) Künstler als superuomo: Anna respektiert die Leidenschaft ihres Mannes, des Dichters Alessandro, für die sanfte Bianca Maria, und ist sogar bereit, sich ihm zuliebe das Leben zu nehmen. Bianca Maria wiederum ist bereit, auf Alessandro zugunsten ihres in inzestuöse Leidenschaft verfallenen Bruders, des Archäologen Leonardo, zu verzichten. Dieser aber befreit sich von seiner Leidenschaft, indem er Bianca Maria in einem ›PerseusBrunnen‹ ertränkt. Dass dies nicht etwa ein Verbrechen, sondern den atto puro eines weiteren Übermenschen darstellen soll, erkennt wiederum als einzige die blinde Anna, als sie in der letzten Szene zunächst den Körper, dann das nasse Haar der toten Bianca Maria berührt; das Drama endet mit ihrem verzückten Ausruf »Ah!… Vedo! Vedo!«1591 Wie die weit verbreiteten Studio-Photographien zeigen, wurde der Wille zur Beschränkung auf sparsame mimische Zeichen für feine seelische Regungen auch sichtbar im Verzicht auf Schminke und dem Tragen weiter Gewänder, die statuenhaft den Körper ›umflossen‹; beides wurde von der Duse zum Teil schon vor der Zusammenarbeit mit D’Annunzio praktiziert1592 und seitdem weitgehend durchgehalten. Obwohl also die Formel von der »Statue des Erbarmens« in Bahrs Schauspielerinnen-Porträt Die Duse von 1903 sehr nahe an einer in D’Annunzios Regieanmerkungen angelegten und in Photos verbreiteten Ikonologie der Schauspielerin ist, klingt der Text mit einer Anspielung auf gemalte ›Nachtstücke‹ aus: Diese unsäglich schamhafte und stille Kunst ruht wie ein spiegelnder Teich mit Nupharen im Monde, so rein und von solcher limpidezza, daß das Schauspiel zur Andacht wird, die uns erfühlen läßt, wie Schönheit durch ihre bloße Existenz schon ein Glück ist, das einzige Glück, für das zu leben sich verlohnt.1593 1590 D’Annunzio verarbeitet Erinnerungen an seine Griechenlandreise im Juli 1896 unter dem Eindruck der Entdeckungen Heinrich Schliemanns (Gazzetti: D’Annunzio, 73). 1591 »Gitta un grido acutissimo, in cui sembra esalarsi tutta l’anima sua.« (D’Annunzio: Teatro 1 1, 230). 1592 Siehe Maurer : Duse, 58. Ein Reflex davon ist der von Hofmannsthal 1892 gewählte Vergleich: »der Leib der Duse aber schmiegt sich an ihre Seele, wie die weichen, feuchten Gewänder, mit denen die Griechen die redende Schönheit der Statuen umhüllten, sich um die Glieder schmiegten.« (HRuA: 477) 1593 Bahr: Kritiken, 379. Erinnert sei an die Seerosen- und Wasserlilien-Gemälde des von Bahr geschätzten Claude Monet, an die Vorliebe des floralen Jugendstils für Wasserpflanzen und

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›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz

Insofern dabei auch noch botanische Gelehrsamkeit (Nupharen sind Wasserlilien), italienisches Vokabular (limpidezza heißt Klarheit) und ein hymnisches Lob auf die Wirkung der Duse hinzukommen, bietet dieser Satz eine recht weitgehende Entsprechung zur eingangs zitierten Parodie von Egon Friedell. Andererseits haben die Beispiele auch gezeigt, dass sich Bahr graphische Verweise und Analogien üblicherweise nicht, wie von der Parodie suggeriert, mit einem gelehrt-ästhetizistischen Assoziationsduktus verbinden, sondern recht gezielt die Schauspielkunst der Duse veranschaulichen: als Schema für ein Rollenbild, als Kontrastfolie für einen ›lebendigen‹ und ›dialektischen‹ Realismus und als Metapher für einen klassizistisch gedämpften Spätstil.

2.

Bildnis: Das Zusammenspiel sprachlicher und (photo-)graphischer Bildlichkeit in Rilkes Duse-Gedicht (1907)

An Texten Hermann Bahrs und ihrer Parodie konnte exemplarisch gezeigt werden, dass auch faktuale Duse-Ekphrasen in Prosa zu Metaphern neigen, deren Bildspender aus dem Bereich graphischer Gattungen stammen. Vergleichbares lässt sich zwar mitunter auch in Bezug auf andere Mimen um 1900 feststellen,1594 doch ist diese Praxis im Fall der Duse besonders ausgeprägt, zumal seit ihrer Zusammenarbeit mit D’Annunzio, die durch eine intensive Propagierung der entsprechenden Rollen in Studioaufnahmen begleitet war.1595 Allerdings stellt dieser Bezug sprachlicher auf graphische Bildlichkeit nur ein besonders auffallendes Moment solcher Ekphrasen dar. Rilkes Gedicht Bildnis dagegen signalisiert bereits mit seinem Titel, dass der gesamte Text als ›Schau-

Schwäne (Hamann/Hermand: Stilkunst um 1900, 249) und an die Beliebtheit nächtlicher Teichszenerien auch in der Lyrik um 1900 (Hermand: Jugendstil, 32–38). 1594 Insbesondere für Sarah Bernhardt, über die George Bernard Shaw spottete: »Those charming roseate effects which French painters produce by giving flesh the pretty color of strawberries and cream, and painting the shadows pink and crimson, are cunningly reproduced by Madame Bernhardt in the living picture.« (Shaw : Duse and Bernhardt, 157). Bezeichnend ist auch eine Passage aus Rudolph Lothars (d.i. Rudolf Spitzers) 1899 erschienenem Schauspielerporträt von Joseph Kainz: »Er kennt die Dynamik der kleinsten Mittel, weiß mit seiner Rhetorik zu untermalen und zu lasieren; er hat in der Rede das Geheimnis der alten Maltechnik angewendet, die ihre größte Wirkung dadurch erreichte, daß sie ihre Farben durch ein trübers Medium leuchten ließ. Solch ein Medium ist die scheinbar graue Alltagssprache, mit der Kainz seine Rollen anlegt. Sein Körper ist biegsam wie ein Botticcellischer Mädchenleib« (zit. nach Wunberg/Braakenburg: Wiener Moderne, 630ff., hier 631f.). 1595 Siehe die Illustrationen in Segantini/Mendelssohn: Duse; Maurer : Duse; Balk: Theatergöttinnen, darin auch ein Katalog, 234–239. Die Geschichte der frühen Theaterphotographie im Studio wird skizziert in Balk: Theaterfotografie, 9–58, zum ›Rollenporträt‹ 21f.

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Rilkes Bildnis

spielerinnenporträt‹ zu verstehen ist, bietet jedoch keine expliziten Bezüge auf spezifische graphische Gattungen oder Stile: Bildnis Daß von dem verzichtenden Gesichte keiner ihrer großen Schmerzen fiele, trägt sie langsam durch die Trauerspiele ihrer Züge schönen welken Strauß, wild gebunden und schon beinah lose; manchmal fällt wie eine Tuberose ein verlornes Lächeln müd heraus.

5

Und sie geht gelassen drüber hin, müde, mit den schönen blinden Händen, welche wissen, daß sie es nicht fänden,–

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und sie sagt Erdichtetes, darin Schicksal schwankt, gewolltes, irgendeines, und sie giebt ihm ihrer Seele Sinn, daß es ausbricht wie ein Ungemeines: wie das Schreien eines Steines –

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und sie läßt, mit hochgehobnem Kinn, alle diese Worte wieder fallen, ohne bleibend; denn nicht eins von allen ist der wehen Wirklichkeit gemäß, ihrem einzigen Eigentum, das sie, wie ein fußloses Gefäß, halten muß, hoch über ihren Ruhm und den Gang der Abende hinaus.1596

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Zudem wird die Dargestellte nirgends genannt – anders als etwa in den beiden Gedichten Jugend-Bildnis meines Vaters und Selbstbildnis aus dem Jahre 1906, die früher entstanden sind und in den Neuen Gedichten von 1907 veröffentlicht wurden, während Bildnis in Der Neuen Gedichte anderer Teil von 1908 erschien.1597 Angesichts dieses Befunds möchte ich zwei Fragen nachgehen: 1) Worin besteht der ›Bildnis‹-Charakter des Gedichts? Wie wird sprachliche Bildlichkeit eingesetzt, und werden auch hier graphische Bilder oder Stile thematisiert? 1596 RKA 1: 556. 1597 Jugend-Bildnis meines Vaters entstand am 14. 3. 1906 (siehe Komm. RKA 1: 944), Selbstbildnis aus dem Jahre 1906 wohl ebenfalls im Frühjahr 1906; das Gedicht Bildnis entstand am 2. 8. 1907 nach einer kürzeren ersten Fassung vom Vortrag (auf die meine Interpretation noch eingehen wird), Erstdruck in Die Neue Rundschau (Berlin), Jg. 19, H. I (1908), 145 (siehe Komm. RKA 1: 983f.). Die Jahresangabe 1907 in der Überschrift dieses Kapitels bezieht sich also auf die Entstehung.

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›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz

2) Wie erkannten zeitgenössische Leser der Neuen Gedichte, denen kein Kommentar zur Verfügung stand, dass es hier um Eleonora Duse ging? Wie weit wird das ›Erscheinungs-Bild‹ der Mimin thematisiert, wie weit auf ihr öffentliches ›Image‹ rekurriert? Auf diese – eng miteinander zusammenhängenden – Leitfragen kann ich mich umso besser konzentrieren, als die Interpretation Walter Rehms von 1949 bereits eine minutiöse Analyse der metrischen Form bietet, die Sinnbildfunktion der Darstellung herausarbeitet und die Geschichte von Rilkes Duse-Verehrung skizziert,1598 die zudem in Ilsedore B. Jonas’ Materialiensammlung Rilke und die Duse dokumentiert ist; auf beide Arbeiten werde ich dankbar zurückgreifen. Meine These ist, dass der Bezug auf graphische Bilder, insbesondere auf die populären ›Bildnisse‹ oder ›Rollenporträts‹ der Duse, durchaus zentral ist, wenn man das enargeische Potenzial des Gedichtes für zeitgenössische Leser verstehen will. Dazu kommen Anspielungen auf schauspielerische Charakteristika der Duse, die sich (ähnlich wie im Fall von Hofmannsthals Schauspielergedichten) über prosaische Mimen-Ekphrasen erschließen lassen. Im Folgenden interpretiere ich das Gedicht strophenweise.

1598 Rehm arbeitet zunächst – aktualisierend formuliert – die Ikonizität der metrischen Form heraus (siehe Nänny/Fischer : Form Miming Meaning und für Rilke speziell Müller: Neue Gedichte, 302ff.): So werde in Vers 17: »alle diese Worte wieder fallen«, die Bewegung durch eine Folge zweisilbiger Worte sinnfällig gemacht (Rehm: Rilke und die Duse, 352); generell erzeugten vor allem variable Strophenlänge, Enjambement-Einsatz und Reimstruktur den Eindruck einer vorsichtigen, gefährdeten Gesamtbewegung. Die Sinnbildstruktur versteht Rehm von der theatrum mundi-Allegorie her und blendet die ekphrastische Dimension des Gedichts so konsequent aus, dass er den dritten Vers allein auf »das Trauerspiel ihres Daseins« bezieht (349). Selbst dass Rilke das Wort »Kinn«, wie Rehm zutreffend bemerkt, sinnfällig »am Ende der Zeile« 16 und innerhalb eines Dreifachreims platziert, unterstreicht für ihn nur den »Charakter des Fallens und Fallenlassens – ein wichtiges Motiv in der Dichtung Rilkes« (352), ohne Zusammenhang mit der Erscheinung und graphischen Repräsentation der Duse. Auch Rehms vergleichende Interpretation von Hofmannsthals Schauspielergedichten und Duse-Ekphrasen sowie von Rilkes Evokation der Mimin in den Aufzeichnungen und schließlich in D’Annunzios Il Fuoco beschränken sich auf die Sinnbildfunktion und stellen dabei besonders den Modellcharakter der Duse-Figur für die Künstler-Ideale der Schauspieler heraus. Dies geschieht zum Teil durchaus überzeugend, und wie bereits im vorigen Interpretationsteil werde ich an entsprechender Stelle auf Rehms Thesen verweisen. Weitgehend irrelevant für mein Erkenntnisinteresse ist dagegen Rehms Frage, wie weit die in den genannten Texten entwickelten Künstler-Auffassungen dem tatsächlichen Selbstverständnis der Duse entsprachen; auch das biographische »Nachspiel« (393) der Begegnung zwischen Rilke und der Duse 1912 in Venedig trägt meines Erachtens kaum zum Verständnis der hier behandelten früher entstandenen Texte bei.

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Rilkes Bildnis

2.1

»Wild gebunden«: Porträtbild und Bewegung

Wie schon angedeutet, ist Bildnis in den Neuen Gedichten1599 das dritte von drei lyrischen ›Bildnissen‹; ich möcht deshalb zunächst einen kurzen Blick auf die beiden früheren werfen und fragen, wie weit in ihnen Elemente eines graphischen Porträts erkennbar werden. Hervorgehoben sind im Folgenden jeweils Benennungen der Erscheinung des Dargestellten (Fettdruck) und des Bildes als Ganzem (Unterstreichung): Jugend-Bildnis meines Vaters Im Auge Traum. Die Stirn wie in Berührung mit etwas Fernem. Um den Mund enorm viel Jugend, ungelächelte Verführung, und vor der vollen schmückenden Verschnürung der schlanken adeligen Uniform der Säbelkorb und beide Hände –, die abwarten, ruhig, zu nichts hingedrängt. Und nun fast nicht mehr sichtbar : als ob sie zuerst, die Fernes greifenden, verschwänden. Und alles andere in sich selbst verhängt und ausgelöscht, als ob wirs nicht verständen und tief aus seiner eignen Tiefe trüb –. Du schnell vergehendes Daguerreotyp In meinen langsamer vergehenden Händen.1600

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Selbstbildnis aus dem Jahre 1906 Des alten lange adligen Geschlechtes Feststehendes im Augenbogenbau. Im Blicke noch der Kindheit Angst und Blau und Demut da und dort, nicht eines Knechtes doch eines Dienenden und einer Frau. Der Mund als Mund gemacht, groß und genau, nicht überredend, aber ein Gerechtes Aussagendes. Die Stirne ohne Schlechtes und gern im Schatten stiller Niederschau. Das, als Zusammenhang, erst nur geahnt; noch nie im Leiden oder im Gelingen zusammgefaßt zu dauerndem Durchdringen, doch so, als wäre mit zerstreuten Dingen von fern ein Ernstes, Wirkliches geplant.1601

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1599 Verstanden als Gesamtheit von Neue Gedichte und Der Neuen Gedichte anderer Teil. 1600 RKA 1: 483. 1601 RKA 1: 483.

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›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz

Beide Bildnis-Gedichte beginnen mit der Beschreibung von Teilen des Gesichts, und zwar, für Porträt-Beschreibungen durchaus üblich, bei den Augen. In Jugend-Bildnis meines Vaters wird erst die Stirn einbezogen, dann geht der Blick abwärts über den Mund zum uniformierten Oberkörper und den Händen, deren Verbleichen die Materialität des Bildes – einer Daguerreotypie – zum Bewusstsein bringt. In Selbstbildnis aus dem Jahre 1906 ist der Blick unruhiger und springt vom Mund zur Stirn zurück, um mit dem Stichwort »Niederschau« wiederum eine Blickrichtung des gesamten Gesichtes nach unten anzudeuten. Dass der »Zusammenhang« zwischen diesen Einzelelementen »erst nur geahnt« sei, kann vielleicht als Aussage über das Selbstverständnis des Einunddreißigjährigen verstanden werden,1602 doch ruht die Aussage gewissermaßen auf dem Laokoon-Problem auf: Auch die Imagination des Lesers kann einen bildhaften Zusammenhang1603 der nacheinander und ohne klare Richtung genannten Teile des Gesichts ›nur ahnen‹. Vor diesem Hintergrund sei nun zunächst die erste Strophe von Rilkes Bildnis ›betrachtet‹: Daß von dem verzichtenden Gesichte keiner ihrer großen Schmerzen fiele, trägt sie langsam durch die Trauerspiele ihrer Züge schönen welken Strauß, wild gebunden und schon beinah lose; manchmal fällt wie eine Tuberose ein verlornes Lächeln müd heraus.

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Der erste Vers thematisiert wiederum das ›Gesicht‹, in diesem Fall jedoch als Ganzes und gekennzeichnet durch einen mimischen Ausdruck: ›verzichtend‹. Beide Worte sind durch angedeuteten Schlagreim formelartig verbunden,1604 so dass prägnant ein Gesamteindruck formuliert ist, der die Mehrzahl graphischer Bilder der Duse charakterisiert, zumal in der Formulierung von den »großen Schmerzen« im zweiten Vers. Irritierend ist allerdings die Formulierung, dass einige dieser Schmerzen aus dem Gesicht zu ›fallen‹ drohten. Diese Spannung wird erst im vierten Vers aufgelöst: Hier zeigt sich, dass das Bildnis mit einem umfänglichen sprachlichen Bild beginnt, einer Metapher, die gewissermaßen 1602 Siehe Leppmann: Rilke, 263f. 1603 Die Vermutung, dass es sich um ein sprachliches Gegen-Bild zum berühmten Rilke-Porträt von Paula Modersohn-Becker handle (dazu Boehm: Einführung, 22), ließ sich bislang nicht erhärten. Dagegen hat Renate Scharffenberg 2005 darauf hingewiesen, dass Rilke das Gedicht an Gudrun Uexküll geschickt hat, und zwar mit einem 1905 entstandenen Photo, das als Vor-Bild durchaus plausibel ist, denn Stirn, Brauen, Augen und Mund treten prägnant hervor, wenn auch nicht »im Schatten stiller Niederschau«, sondern den Betrachter fixierend (Scharffenberg: Rilkes Sommer in Friedelhausen, mit Wiedergabe von Photo und Handschrift, o.S.). 1604 Rehm: Rilke und die Duse, 348.

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»langsam« enthüllt wird. Verglichen werden nämlich die »Züge« der Dargestellten mit einem ›wild gebundenen Blumenstrauß‹, der »beinahe lose« ist und deshalb auseinander zu fallen droht. Hier tut sich eine Spannung auf zwischen der Vorstellung eines graphischen Bildes und dem ungewöhnlichen sprachlichen Bild.1605 Sie wird insofern erhöht, als mit den Vorstellungen vom ›Fallen‹ und ›langsamen Tragen‹ das Bildnis in ein ›bewegtes Bild‹ überführt wird (im Gegensatz zu den beiden anderen, durchgehend prädikatlosen ›Bildnis‹-Gedichten).1606 Das passt gut zur Darstellung einer Schauspielerin, als welche die Dargestellte durch das Stichwort »Trauerspiele« klar bezeichnet ist.1607 Wie aber ist das Bild des Blumenstraußes zu deuten? Zunächst einmal zeigt schon ein Blick auf die verbreitetsten Duse-Photographien ihre Vorliebe für Blumen als Requisiten, die auch in Prosa-Ekphrasen immer wieder hervorgehoben wird, besonders eindringlich von Herman Bang: Um sich zurückzurufen, wie das Leblose in ihrer Hand wie durch einen Zauberstab Leben und Spiegelbild eines Umschwungs in ihrer Seele werden kann, erinnere man sich nur der Blumen, die sie in der Szene mit Armands Vater [1608] in der Hand hielt. Sie schienen während ihres sicheren Glückes schlank – himmelstrebend, diese Blumen, schienen in der Sonne zu wachsen, bis sie, als der Zweifel kam, als die Angst kam, als die Hoffnung trog, gleichsam matt wurden; mit Stengeln, die sanken, mit Kronen, die sich neigten, entblätterten sie sich und welkten in ihrer Hand. […] Frau Duse knickte mit zwei, drei kleinen Handbewegungen, die man kaum sah, die Kronen dieser Blumen, und vor uns, vor unseren Augen schienen sie an dem Schmerz Margueritas zu sterben.1609

1605 Zwar ist es ein Topos, die Schönheit einer Frau und auch eines weiblichen Gesichtes mit der einer Blume zu vergleichen, doch Beispiele für einen Blumenstrauß als Bildspender sind mir ansonsten nicht bekannt. Im Bereich der bildenden Kunst könnte man allenfalls an Gemälde Giuseppe Arcimboldos denken. 1606 Allenfalls bringt die Bestimmung »gern« in Vers 10 von Selbst-Bildnis im Jahre 1910: »und gern im Schatten stiller Niederschau«, wenn man sie im Sinne von ›oft‹ liest, ein gewisses zeitliches Moment hinein. 1607 Darüber hinaus ist Langsamkeit, wie Winko gezeigt hat, in der Lyrik um 1900 eine verbreitete ›Basis-Metonymie‹ für Trauer (Winko: Kodierte Gefühle, 369; 371f.). 1608 In Szene 3.6 der Kameliendame (Dumas: La Dame aux cam8lias, 346–357). 1609 Bang: Masken und Menschen, 61–73, hier 68f.: »For at mindes, hvorledes det livløse i hendes Haand kan, som ved Trolddom, blive Liv og Billed-Spejl af en Skiften i hendes Sjæl, huske man blot Blomsterne, hun holdt i Scenen med Armands Fader. De syntes, under den sikre Lykke, ranke, himmelstræbende; syntes at vokse i Sol, til de, da Tvivlen kom, da Angsten kom, da Haabet veg, blev som matte; med Stængler, der sank, med Kroner, der bøjede sig, afblmstrede de og visnede i hendes Haand. […] Fru Duse bøjede med to, tre smaa Haandbevægelser, man næppe sa#, disse Blomsters Kroner, og foran os, for vore Øjne, syntes de at dø af Marguerites Smerte.« (Bang: Værker i Mindeudgave, 314–322, hier 319) Glaubt man einer Passage in D’Annunzios Il Fuoco, bediente sich Eleonora schon als Kind intuitiv dieses Mittels (VI.3.2).

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›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz

In Rilkes sprachlichem Bild allerdings verweist der ›welke Strauß‹ nicht auf eine bestimmt Rolle, sondern auf das Gesicht der damals Neunundvierzigjährigen. Damit kommt ein ›Zug‹ der Duse’schen Erscheinung in den Blick, den Hermann Bahrs Kritik von 1903 noch nicht thematisiert, D’Annunzios Il Fuoco jedoch bereits 1900 (siehe VI.3). Man muss sich dabei vergegenwärtigen, dass damals bereits von Schauspielerinnen Anfang der Dreißig erwartet wurde, ins Fach der komischen Alten zu wechseln;1610 weiterhin tragische Rollen zu spielen, war nur Berühmtheiten möglich und auch für diese eine Herausforderung. Im Fall der Duse kam dazu, dass sie es im Gegensatz zu ihrer Konkurrentin Sarah Bernhardt verschmähte, die Spuren des Alters durch Schminke zu übertünchen.1611 Umso bedeutsamer ist, dass Rilke den »Strauß« ihrer »Züge« nicht nur ›welk‹ nennt, sondern auch ›schön‹. Schwieriger zu deuten ist die Formulierung, dieser Strauß sei »wild gebunden« und drohe, einzelne »Züge« zu verlieren. Meines Erachtens geht es hier um jene andeutende Spielweise, die in Bahrs Formulierung angesprochen ist, diese Schauspielerin trage »nicht von Anfang an einen psychologischen Paß ins Gesicht geschrieben«, sondern vermittle »ein Lebendiges«, das sich in unvorhersehbarer Weise entwickle.1612 Die Bemerkung bezieht sich allerdings auf die ›frühe‹ Duse, doch auch für das Mienenspiel der späteren führt Bahr (wie ebenfalls schon zitiert) einen »Schatten auf der weißen Stirn, ein Zucken oder Huschen um den Mund« als charakteristisch an.1613 Dass die »Züge« der Duse nicht nur den Ausdruck »großer Schmerzen« vermitteln, sondern »manchmal« auch »ein verlornes Lächeln«, deutet auf eine ›dialektische‹ Affektdramaturgie hin, die in prosaischen Mimen-Ekphrasen meist anlässlich des Auftritts in Lustspielen thematisiert wird. So formuliert Alfred Kerr : »Sie hat in der Lustigkeit die verborgene Trauer, im Lächeln die Kehrseite, in der Heiterkeit den Schmerzenszug.«1614 Und auch Hermann Bahr bemüht sich in einem Rollenporträt vom 13. Januar 1905, das der Duse als durchtriebener Gastwirtin in Goldonis Komödie La Locandiera gilt, die Ko1610 1611 1612 1613

Siehe Linhardt: Weibliche Rollenfachkarrieren. Siehe Maurer: Duse, 127f. Bahr: Studie Duse, 8. Bahr: Kritiken, 379. Dieser Stilzug wird auch, wenngleich in parodistischer Übersteigerung, thematisiert in Friedells parodistischem Vergleich ihrer actio mit der (allerdings von Leonardo da Vinci und nicht den »Trecentisten« erfundenen) Technik des »sfumato«, »alle Erscheinungen mit dem schwimmenden Zauberhauch der respirazione zu verdampfen« (Friedell: Theater, 157). Die Wirkung dieses ›Unterspielens‹ beschreibt Herman Bang so: »Der erste Eindruck der Italienerin ist ein seltsames, beinahe schmerzliches Gefühl – das Gefühl der Ohnmacht, diese Kunst ganz und voll in sich aufzunehmen.« (Bang: Menschen und Masken, 61) Im Original: »Det første Indtyrk af Italienerindens Kunst er en besynderlig og næsten smertelig Følese – Følese af Afmagt til helt og fuldt at optage denne Kunst i sig.« (Bang: Værker i Mindeudgave, 314). 1614 Kerr : Mimenreich, 264.

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Rilkes Bildnis

mödiantin und die Tragödin eng aufeinander zu beziehen: »Die [Freude] des Goldoni mag vielleicht eine […] sein, […], die sich noch nicht überall vom Irdischen losgerissen hat, aber indem die Duse ihre vom Schmerze gesegneten Hände auf sie legt, fängt auch sie gleichsam tragisch zu leuchten an, und in das lockere Spiel durchtriebener Scherze fällt bisweilen ein wundersam dunkler Klang ein, wie von verweinten Nächten her.«1615 Wenn Rilke umgekehrt die Wirkung eines flüchtigen Lächelns der Duse in einem Trauerspiel mit einer »Tuberose« vergleicht – einem Agavengewächs mit weißen Blüten, die besonders nachts stark duften und zur Herstellung von Parfüm verwendet wurden –, so wird damit sogar eine erotische Wirkung des Lächelns inmitten der »Trauerspiele« angedeutet.1616 Dass gerade bei der Darstellung der Locandiera Blumen eine wesentliche Rolle spielten, bezeugt wiederum Herman Bang: »Die zwei Rosen sind ihre Waffe, und sie werden beinahe ihre Mitspieler. Sie sind ihr Köder und ihr Schild. Sie beschleunigen die Kurmacherei, und sie halten sie auf«.1617 Die Formulierung schließlich, die Schauspielerin trage ihre Züge »durch die Trauerspiele«, entspricht der auch in Friedells Parodie aufgegriffenen Tendenz vieler Ekphrasen, die jeweilige Rolle abzuwerten zugunsten der Präsenz Eleonora Duses. Diese Präsenz, so lässt sich zusammenfassen, wird mit Hilfe eines graphischen Bildes vermittelt, das den – mit der Vorstellung von einem graphischen »Bildnis« verbundenen – Gesamteindruck als gefährdet erscheinen lässt und in Spannung setzt zu verhaltenen Bewegungen; damit einhergehend werden Charakteristika ihres Aussehens und ihrer Spielweise angesprochen, die auch in zeitgenössischen Kritiken hervorgehoben sind. Die folgende Strophe führt dieses sprachliche Bild jedoch in einer Weise fort, die sich nur dann angemessen verstehen lässt, wenn darüber hinaus zeitgenössische Photographien einbezogen werden.

2.2

»Mit den schönen blinden Händen«: Beschränkung der Gestik als Steigerung der Präsenz

Und sie geht gelassen drüber hin, müde, mit den schönen blinden Händen, welche wissen, daß sie es nicht fänden,–

10

1615 Bahr: Kritiken, 381. 1616 Siehe Thiede: Agave polianthes. 1617 Bang: Masken und Menschen, 70. »De to Roser er hendes Vaaben, og de bliver næesten hendes Medspilende. De er hendes Snøre og hendes Skjold. De fremskynder Kurmageriet, og de standser det« (Bang: Værker i Mindeudgave, 320).

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›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz

Dass ein Lächeln wie eine Tuberose aus dem Strauß des Gesichtes fallen kann, ist ein ungewöhnliches, aber doch nachvollziehbares sprachliches Bild – wie aber ist es zu verstehen, dass es am Boden liegt? Und wie sind die ›schönen blinden Hände‹ zu verstehen?1618 Meiner Ansicht nach fungiert die zu Boden gefallene Blume in dieser Strophe nicht mehr als Bildträger für das Lächeln, sondern als Hinweis auf ein mimisches Moment, das auch in einem um 1900 entstandenen photographischen »Rollenporträt« des Berliner Studios Zander und Labisch verbreitet war :1619

Abb. 35: Atelier Zander und Labisch (Berlin): Eleonora Duse als Silvia Settala in »La Gioconda« (Studiophotographie, um 1900)

Das Bild zeigt die Duse als Silvia Settala im vierten und letzten Akt von D’Annunzios Tragödie La Gioconda, die am 14. 4. 1899 uraufgeführt wurde. Der Dichter hat es »ELEONORA DUSE DALLE BELLE MANI« gewidmet,1620 und die schönen Hände der von ihr dargestellten Silvia Settala, der liebenden Ehefrau 1618 Rehm geht über dieses Problem mit einer Mischung aus bloßer Paraphrase und raunender Rätselhaftigkeit hinweg (Rilke und die Duse, 349f.). 1619 Angaben nach Duse: Theatergöttinnen, 236 (Kat. Nr. 37); Balk verwendet konsequent den Terminus »Rollenporträt«; Abbildung ebd. 165, außerdem Signorelli: Duse, 123. 1620 D’Annunzio: Teatro 1, 231–339, hier 230.

Rilkes Bildnis

569

des genialischen Bildhauers Lucio Settala, werden denn auch in Regieanweisungen und Figurenrede gleichermaßen thematisiert. Dass sie hier nicht zu sehen sind, ist kein Zufall: Im dritten Akt hat Silvia eine Aussprache mit ihrer Rivalin Gioconda Dianti, deren Vorname auf die von Walter Pater zum Vampir stilisierte Mona Lisa anspielt, denn auch D’Annunzios ›Gioconda‹ ist eine femme fatale und als bevorzugtes Modell Lucio Settalas auch seine ›Muse‹. Das Gespräch mit Silvia versetzt sie in rasende Eifersucht und sie versucht, eine Statue zu zerstören, für die sie Modell gestanden hat; als Silvia die Statue retten will, werden ihre Hände zerschmettert. Das Photo entspricht weitgehend den ausführlichen Regieanweisungen, die den vierten Akt und dessen erste Szene einleiten: In einem lichtdurchfluteten Zimmer steht auf einer EtagHre die Donna dal mazzolino, die bekannte Figur des Andrea de Verrochio.[1621] […] Sie hat ihre schönen Hände noch und hält sie anmuthig ans Herz gedrückt. […] Silvia Settala erscheint auf der Schwelle, aus dem Innern des Hauses kommend; sie bleibt stehen; macht einen Schritt gegen das Fenster zu und lässt ihren unsäglich traurigen Blick in die Ferne und rings um sich her gleiten. In ihren Bewegungen liegt etwas Unfreies, das die unbestimmte Vorstellung erweckt von beschnittenen Flügeln, von einer gebrochenen Kraft, von irgend etwas Edlem, das erniedrigt, von irgend einer Harmonie, die zerstört worden. […] Lange Aermel verhüllen die händelosen Arme, die sie an den Seiten herabhängen lässt und zuweilen nach rückwärts biegt, um sie mit einer Bewegung voll schmerzlicher Scham in den Falten des Kleides zu verbergen.1622

Die Photographie kontrastiert jedoch nicht nur die schönen Hände der Statue und die verlorenen Hände Silvias, sondern auch die Blumen der ›Frau mit dem Sträußchen‹ und die Blumen, die vor Silvia auf dem Boden zerstreut liegen. Auf diese Weise wird der Beginn des vierten Aktes zusammengezogen mit seinem Ende,1623 als Silvias Tochter Beata, lange von ihrer Mutter getrennt, ihr mit so 1621 Hier habe ich Linda von Lützows irreführende Übersetzung »Madonna dal mazzolino« korrigiert. 1622 D’Annunzio: Die Gioconda (»[S]u una mensola, H la Donna dal mazzolino – la nota figura di Andrea del Verrrochio – […], le cui belli mani sono pur intatte, atteggiate di grazia verso il cuore. […] Silvia Settala appare su la soglia, venendo dall’interno; si sofferma; fa qualche passo verso la vetrate, guarda la lontananza, guarda interna a s8, con occhi infinitamente triste. V’H nella sua movenza qualche cosa di manchevole, che suscita un’imagine vaga d’ali tarpate, che d/ il sentimento vago d’una forza umilitata e tronca, d’una nobilit/ avvilita, d’un armonica rotta. […] Le maniche lunghe nascondono i moncherini, ch’ella tiene distesi giF pe’fianchi e tavolata serrati contro, un po’ in dietro, come per nasconderli nelle pieghe, con un moto doloroso di pudore.« D’Annunzio: Teatro 1 1, 316f.) 1623 Das im Studio inszenierte »Rollenporträt« (so die ausdrückliche Klassifizierung in Balk: Theatergöttinnen, 236) entspricht also, genau genommen, keinem aus dem Drama ableitbaren Moment: Nachdem die Blumen in der Schlussszene zu Boden gefallen sind, ist Silvia nie mehr allein auf der Bühne und nimmt keine starre Haltung mehr an, sondern ist auch äußerlich ›bewegt‹; am Schluss sinkt sie weinend auf die Knie.

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›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz

heftiger Freude entgegenstürmt, dass der für die Mutter gepflückten Blumenstrauß zu Boden fällt. Silvia möchte unwillkürlich ihre Tochter umarmen, beherrscht sich dann aber. Beata, verständnislos und erschrocken, sammelt die Blumen zusammen und streckt sie Silvia entgegen, die heftig weinend in die Knie bricht. »Du weinst? Du weinst?« fragt die Tochter und wirft sich der Mutter entgegen – damit endet das Drama.1624 Doris Maurer bezweifelt, »daß die sadistische Komponente in D’Annunzios Schauspiel zufällig sein soll. Vielmehr wirkt es so, als habe er die Duse eines ihrer stärksten Ausdrucksmittel berauben wollen, um die Zuschauer zu zwingen, sich nicht auf die Diva, sondern auf seine Verse zu konzentrieren.«1625 Hingegen sprechen das hier vorgestellte Studiophoto und die den vierten Akt einleitenden Regieanweisungen dafür, dass die Duse die Gelegenheit erhalten sollte, einerseits die Bedeutung ihrer belle mani und ihres (oft mit dem Requisit Blumen verbundenen) Gebärdenspiels1626 gerade durch deren Entzug nur umso bewusster zu machen und andererseits die Tendenz zur Reduktion der mimischen Mittel im Sinne einer »Statue des Erbarmens« effektvoll zu steigern.1627 Ganz in diesem Sinn schrieb auch Rilke in seinem Aufsatz August Rodin von 19021628 angesichts von dessen Skulptur Voix int8rieure (1883/84): Es fällt auf, daß die Arme fehlen. Rodin empfand sie in diesem Fall als eine zu leichte Lösung seiner Aufgabe, als etwas, was nicht zu dem Körper gehört, der sich in sich selber hüllen wollte, ohne fremde Hilfe. Man kann an die Duse denken, wie sie in einem Drama d’Annunzio’s schmerzhaft verlassen, ohne Arme zu umarmen versucht und zu halten ohne Hände. Diese Szene, in der ihr Körper eine Liebkosung lernte, die weit über ihn hinausging, gehört zu den Unvergeßlichkeiten ihres Spieles. Es vermittelt den Eindruck, daß die Arme ein Überfluß waren, ein Schmuck, eine Sache der Reichen und der Unmäßigen, die man von sich werfen konnte, um ganz arm zu sein. Nicht als hätte sie Wichtiges eingebüßt, wirkte sie in diesem Augenblick; eher wie einer, der seinen Becher verschenkt, um aus dem Bache zu trinken, wie ein Mensch, der nackt ist und 1624 D’Annunzio: Die Gioconda, 153. (»Piangi? Piangi?« D’Annunzio: Teatro 1 1, 339). 1625 Maurer: Duse, 86. Es handelt sich allerdings um ein Prosadrama; von D’Annunzios ›Versen‹ kann allenfalls im Sinne lyrischer Prosa oder in Bezug auf eine Liedeinlage in der ersten Szene des vierten Aktes gesprochen werden. 1626 Siehe dazu die Zeugnisse in Jonas: Rilke und die Duse, 14–16. 1627 Siehe auch Alfred Kerrs 1903 verfasste Ekphrasis von Eleonora Duses Gestaltung der Szene IV.1, in der Silvia Settala sich mit der Serenetta unterhält, einem zutraulichen Kind, das, wie der Name (›Sirenchen‹) verrät, ein halbmythisches Naturwesen vorstellt: »Sie liebkoste die Sirenetta, mit den Lippen, der Hände beraubt, sich sehnsüchtig anschmiegend.« Das meint nicht etwa einen tatsächlichen Körperkontakt, sondern den zärtlichen Ton und die Körpersprache der Duse. »Die Kleine fragt – sie vermißt etwas. Da spricht die Duse mit einer stillen, verschollenen Stimme, worin der Kummer der letzten Kreatur liegt: ›Ich habe keine Hände‹ – und das Merkwürdige geschieht: ihr Antlitz verfärbt sich, die Augen füllen sich langsam mit schweren, bitteren, herabfließenden Tränen.« (Kerr : Mimenreich, 266) 1628 RKA 4: 401–449.

Rilkes Bildnis

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noch ein wenige hülflos in seiner tiefen Blöße. So ist es auch bei den armlosen Bildsäulen Rodins; es fehlt nichts Notwendiges.1629

Man muss dazu wissen, dass Rilke die Duse erst 1906 in der Gioconda gesehen hatte,1630 sich also damals nur auf die Lektüre des Dramas, die Photographie1631 und eventuell auf Mimen-Ekphrasen oder mündliche Berichte stützen konnte. Die Assoziation mit der Statue ist im Übrigen vorbereitet durch D’Annunzios Einfall, auch die von Silvia gerettete Statue ihre Arme verlieren zu lassen. Lorenzo Ghaddi, der Mentor des Bildhauers, berichtet in der zweiten Szene des vierten Akts: »Sie ist noch da; ohne Arme. Er lässt sie so; er will sie nicht restauriren [sic]. So wie sie jetzt da steht, auf ihrem Piedestal, sieht sie wirklich wie ein auf einer der Kykladen ausgegrabener antiker Marmor aus. Sie hat etwas Tragisches und Geheiligtes – nachdem das göttliche Opfer an ihr vollzogen worden.«1632 Auch die Gegenwart steht im Bann des Mythos: Hier besteht das ›göttliche Opfer‹ in der Zerstörung von Silvias Händen. Es ist vergeblich, denn der Bildhauer ist von Neuem ›der Gioconda‹ verfallen, die ihn in einen neuen Schaffensrausch versetzt und damit beider Verhalten im Sinne des d’annunzianischen Geniekults rechtfertigt.1633 Rilke dagegen versteht das Weglassen der Hände als souveränen Verzicht auf gewohnte künstlerische Mittel, der eine Intensivierung des Ausdrucks zeitigt: In diesem Sinne ist auch die Formulierung in seinem Bildnis zu verstehen, die Tragödin gehe »gelassen« über die unerreichbaren Blumen hinweg. Im sprachlichen Bildzusammenhang des Gedichtes besitzt sie zwar ihre ›schönen Hände‹, doch sind diese ›blind‹ und können deshalb die zu Boden gefallenen Blumen nicht finden.1634 Damit aber verbinden sich in dieser Meta1629 RKA 4: 421. Gemeint ist die fünfte oder sechste Fassung von Rodins Plastik La M8ditation aus dem Tympanon der Höllenpforte; der neue Name geht auf einen Gedicht-Zyklus Victor Hugos zurück, für dessen Denkmal eine größere Version geschaffen wurde, in diesem Fall eine Muse darstellend (siehe Komm. RKA 4: 943; Abb. Laurent: Rodin, 94). 1630 Siehe Jonas: Rilke und die Duse, 73; 149 (Anm. 25); allerdings heißt es dort irrtümlich, die Duse habe selbst die Rolle der Gioconda gespielt. 1631 In Betracht käme allenfalls noch ein weiteres Photo, das in der Reduktion noch weiter geht und die Duse als Ganzfigur im nach links gerichteten Profil auf einer leeren Bühne zeigt, zu ihren Füßen die zerstreuten Blumen, im Hintergrund wohl, sehr verwischt, eine Andeutung der Toskana, in der das Drama spielt (vgl. Maurer: Duse, 82f., ohne Quellenangabe). 1632 D’Annunzio: Die Gioconda, 146: »ð ancora l/, senza braccia. L’ha lasciata cos&: non ha voluto restaurarla. Cos', sul piedestallo, sembra veramente un marmo antico, disseppellito in una delle Cicladi. Ha qualche cosa di sacro e di tragico, dopo la divina immolazione« (D’Annunzio: Teatro 1, 335). 1633 Silvias Schwester Francesca Doni stellt das ausdrücklich fest: »Ed H stato una sacrificio inutile come gli altri« (D’Annunzio: Teatro 1, 333). 1634 In der Erstfassung heißt es noch, in expliziterer Anspielung auf La Gioconda, »mit den schönen leeren blinden Händen« (RKA 1: 983; meine Hervorhebung). Da es einer Blinden aber sehr wohl möglich wäre, den Boden nach Blumen abzutasten, impliziert die For-

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›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz

pher die Darstellungen der Silvia (die er inzwischen selbst gesehen hatte) und die der blinden Anna aus La citt/ morta. Entsprechendes lässt sich bereits in Hofmannsthals Ekphrasis Die Duse im Jahre 1903 beobachten, wenn die Zusammenarbeit Eleonora Duses und Gabriele D’Annunzios in surrealer Bildlichkeit verdichtet wird: Sie gibt sich ihm, damit er die Möglichkeit wundervoller Ausrufe, wundervoller Gebärden schaffe. Und ihr Dichter […] taucht sie in die rote Glut des Inferno;[1635] ihre wundervollen Hände läßt er sie verlieren und am Rande des Meeres sie traurig dastehen, atemlos, wie einen großen unheimlichen Sturmvogel; und er blendet ihre Augen und läßt sie mit sehenden Händen, mit fühlendem Leib durch den Raum gleiten […].1636

2.3

»Wie das Schreien eines Steines«: ›Ausbruch‹ aus der Verkörperung

und sie sagt Erdichtetes, darin Schicksal schwankt, gewolltes, irgendeines, und sie giebt ihm ihrer Seele Sinn, daß es ausbricht wie ein Ungemeines: wie das Schreien eines Steines –

15

Dass die Tragödin im Bildzusammenhang der ersten Strophe ihre »Züge« »durch die Trauerspiele trägt«, statt Rollen daraus zu ›verkörpern‹, wurde im Sinn des auch in Friedells Parodie aufgegriffenen Topos erklärt, die Präsenz der Duse sei ungleich eindrucksvoller als ihre oft genug belanglose Rolle. In der dritten Strophe wird dieses Motiv erneut aufgegriffen: Die Rollen sind lediglich »Erdichtetes«1637 und »[G]ewolltes«, die von der Duse ›beseelt‹ werden. Auch dieser Bezug auf die ›Seelengröße‹ der Duse und die Auffassung ihres Spieles als ›Beseelung‹ ist zumal für deutsche Duse-Ekphrasen charakteristisch.1638 Variiert

1635

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mulierung von den »blinden Händen« auch in der endgültigen Fassung eine Behinderung der Hände selbst. Anspielung auf die Titelrolle von D’Annunzios Versdrama Francesca di Rimini von 1901, das die berühmte Erzählung aus Dantes Inferno V. 70–142 aufgreift. Im Zusammenhang meiner Argumentation ist entscheidend, dass Hofmannsthal die Chronologie der Dramen ignoriert und die beiden früheren Prosatragödien aufeinander folgen lässt, verbunden durch das Motiv der Hände. HRuA: 485f. Die »sehenden Hände« kompensieren in diesem Fall die bereits am Satzanfang thematisierte Blindheit der Figur, auf die Rilke mit seiner Formulierung von den »blinden Händen« erst verweisen muss. Siehe Hofmannsthals allerdings noch nicht so deutlich abwertende Formulierung, die Duse lege »sich in den Mund die Reden der erdichteten Geschöpfe« (HRuA: 485). Am programmatischsten bei Alfred Kerr, der gleich im Vorwort zu Das Mimenreich verkündet: »Abgewinkt wird abermals Bretterheroen, die sich dem Wunschbilde des Verwandlungskünstlers und ›siegreichen Meisters‹ nähern. Ich hefte den Ton auf eine letzte Durchseelung, wie sie leibhaften Ausdruck in der Duse findet. Nein, fand.// Diese Schrift

Rilkes Bildnis

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wird dieses Motiv gegenüber der ersten Strophe insofern, als mit ›sagen‹ und ›Schreien‹ nunmehr die Deklamation der Duse angesprochen ist. Deutlich konkreter wird sie allerdings in der Erstfassung des Gedichtes thematisiert:1639 und sie läßt Erdichtetes, darin eine Weile ihre Stimme stand (heiß und dunkel und bis an den Rand) wieder los. Sie hat kein Eigentum. (RKA 1: 983f.)

Konkreter sind diese Verse insofern, als sie explizit die »Stimme« der Duse ansprechen und mit den Adjektiven »heiß und dunkel« in durchaus gängiger Weise beschreiben.1640 Vage und nicht ganz stimmig erscheint dagegen die Metaphorik: Die »Stimme« ist die Flüssigkeit im Gefäß des ›Erdichteten‹, das darin »eine Weile […] stand« und nun, so ist anzunehmen, nicht mehr darin steht, so dass das Gefäß nun losgelassen werden kann. Vermittelt werden soll offensichtlich, dass die Schauspielerin die vor-geschriebenen Worte eine Weile lang mit ausdrucksvoller Stimme rezitiert, dann aber in irgendeiner Weise von dieser Rezitation ablässt.1641 Denkt man aber (was zumal im Fall der Neuen Gedichte geradezu geboten ist) auf der Bildebene weiter, ist zu fragen: Warum steht die Flüssigkeit (welche auch immer es sein mag) nicht mehr im Gefäß – ist sie verdunstet oder wurde sie ausgeschüttet? Und was geschieht mit dem losge-

sucht abermals den leuchtenden Seelenschauspieler.« (Kerr: Mimenreich, XI) Vielfach auch in Hofmannsthals Duse-Ekphrasen, so in Die Duse im Jahre 1903: »Es lebt in dieser Schauspielerin eine solche Seele, daß vor der Erhabenheit ihrer Gebärden jedes Stück, in welchem sie spielt, aus seinen Fugen geht und nur mehr sie da ist, ihre Natur, die unfähig ist, sich zu verbergen, ihre großen Regungen, die in einer unerhörten Weise leibliche Form geworden sind, ihr Gehen und Stehen, die Hoheit ihres Nackens, die Magie ihrer Hände, die wundervolle tragische Maske, gewoben aus Strahlendem und Dunklem, die ihre Seele verhüllt und verrät.« (HRuA: 485) Erinnert sei auch an die bereits zitierte Formulierung Hermann Bahrs, »über das weiße Gesicht« der Duse glitten »die Leiden ihrer Seele« (Bahr: Kritiken, 379). Wie verbreitet der Topos vom ›seelenvollen‹ Spiel der Duse war, zeigt in ironischer Brechung ein Dialog Peter Altenbergs zwischen einer jungen Frau und ›den Leuten‹: »›Ich darf keine Seele haben?! Warum aber einen Magen, eine Leber, andere Organe?!‹ // ›Wir wollen nicht philosophieren, Kind. Das sind Verstrickungen. Eine Seele?! Das gehört für Kaiserinnen oder Bettlerinnen. Ist es für Durchschnitts-Menschen?! Nun also. Bitte, bist Du vielleicht die Kaiserin Elisabeth oder die Duse?!‹« (Altenberg: Was der Tag, X). 1639 In diesem Fall folgen die Verse ohne Einschnitt auf den Vers »welche wissen, daß sie es nicht fänden«; das Gedicht hat deshalb insgesamt drei statt zwei Strophen (RKA 1: 983). 1640 So heißt es in Friedells Parodie anschließend an die eingangs (VI.1) zitierte Passage: »Ihre leicht nachgedunkelte Stimme hat die Herbe und Süßigkeit einer uralten toskanischen Traube« (Friedell: Theater, 156), Bahr selbst beschwört, wie schon zitiert, die »heiße Kraft« ihrer Stimme (Bahr : Kritiken, 379). 1641 Der Satz »Sie hat kein Eigentum« wird im Zusammenhang der nächsten Strophe analysiert.

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›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz

lassenen Gefäß des ›Erdichteten‹ – bricht es entzwei? Zudem lässt diese Version im Dunklen, was mit der Formulierung »Sie hat kein Eigentum« gemeint ist. In der endgültigen Version hat Rilke diese Unstimmigkeiten beseitigt, das sprachliche Bild ist konsequent transformiert– allerdings in der nächsten Strophe, der das folgende Teilkapitel gilt. In dieser Strophe dagegen wird die Leistung der Duse noch nicht als ›Fallenlassen‹ des ›Erdichteten‹ gefasst, sondern als ›Beseelung‹, die zu einem ›Ausbrechen‹ führt. Das Verb ist mehrdeutig; es kann zunächst das Ausbrechen von etwas meinen, insbesondere von einer Naturgewalt1642 oder eines Affekts, der die Stärke einer Naturgewalt besitzt. Dieser Aspekt ist angesprochen in der Formulierung »wie ein Ungemeines«, die im Gegensatz zum Reimwort »irgendeines« steht: Etwas Spezifisches, AußerOrdentliches und Bedeutungsvolles,1643 das nicht in einer willkürlichen Rollenfiktion, sondern in der »Seele« dieser Darstellerin liegt, kommt plötzlich und eindrucksvoll zum Ausdruck. Die zweite Vergleichsformulierung »wie das Schreien eines Steines«, eine Apposition zur ersten, steigert deren Aussage hyperbolisch und unter Rückgriff auf ein Unheil verheißendes biblisches Bild.1644 Mit der Paradoxie vom schreienden Stein ist zudem die Bedeutungskomponente des ›Ausbrechens aus‹ angesprochen. Sie bezieht sich wiederum auf das ›Erdichtete‹, doch bildet das Schreien auch einen Gegensatz zur bisherigen Charakterisierung ihres Spiels als »langsam« (V. 3), »müd«/»müde« (V. 7; 9) und »gelassen« (V. 8). Andererseits ist in der Formulierung, der »Strauß« ihrer 1642 Erinnert sei an Peter Altenbergs Vergleichsreihe der »entfesselten Naturkräfte«, die für »Josef Kainzens Stimme« stehen (Kainz: Brevier, 90, siehe V.2.5). 1643 Rilke hat eine Vorliebe dafür, das meist umgangssprachlich als Abtönungspartikel gebrauchte ›ungemein‹ mit Bedeutsamkeit aufzuladen: So heißt es im Gedicht Der Ölbaumgarten über die Nacht vor Jesu Verhaftung: »Die Nacht, die kam, war keine ungemeine,/ so gehen hunderte vorbei« (RKA 1: 459, V. 20f.). 1644 Als die Jünger dem in Jerusalem einziehenden Jesus als Messias huldigen, fordern »einige Pharisäer« von ihm, sie zurückzuweisen. Seine Entgegnung »Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien« (Luk. 19, 40) »stellt eine kaum verhüllte Androhung der Zerstörung Jerusalems dar« (Komm. Stuttgarter Erklärungsbibel, 1544) und ist inspiriert von Hab. 2, 9–11: »WEH DEM, der unrechten Gewinn macht zum Unglück seines Hauses, auf dass er sein Nest in der Höhe baue, um dem Unheil zu entrinnen! Aber dein Ratschlag wird zur Schande deines Hauses geraten; denn du hast zu viele Völker zerschlagen und damit gegen dein Leben gesündigt. Denn auch die Steine in der Mauer werden schreien, und die Sparren am Gebälk werden ihnen antworten.« Hier wiederum geht es um die Prunkbauten Nebukadnezars, die sich dagegen empören, dass sie durch Krieg und Ausplünderung finanziert wurden (ebd. 1121). Ich behaupte nicht, dass diese Bezüge im Einzelnen für das Verständnis des Gedichtes relevant wären, wohl aber dürfte Rilke damit gerechnet haben, dass der biblische Anklang an sich den meisten zeitgenössischen Lesern auffiel und dazu beitrug, der imaginierten Theateraufführung eine gewisse sakrale Aura zu verleihen (VI.3). – Wenig überzeugend finde ich Rehms Annahme, hier handle es sich um eine Steigerung des Orpheus-Motivs (Rehm: Rilke und die Duse, 351), denn in diesem Mythos stehen die weinenden Steine ja nicht für den Künstler oder eine Qualität seines Gesanges, sondern für sein Publikum.

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»Züge« (V. 4) sei »wild gebunden« (V. 5), bereits die Möglichkeit eines Auseinanderfallens angedeutet. In der dritten Strophe scheint sich die Durchbrechung des ›langsamen‹ Spiels allerdings nicht mimisch zu äußern, sondern im »Schreien« und damit in jenem Element ihrer actio, das Hermann Bahr zufolge (es sei noch einmal zitiert) vor allem für die frühe Duse charakteristisch war : »eine entsetzlich leidende, zerquälte und vor Schmerz sinnlos gewordene Frau stieß auf der Folter Schreie einer Wut und Not aus, die sonst die Sitte, die Scham, die Achtung vor sich selbst auch in der letzten Leidenschaft noch gewaltsam erstickt.«1645 Bahrs Beobachtung, dass die Mimin inzwischen ihre Mittel gedämpft habe, lässt sich durch Herman Bang bestätigen, der die von ihr vermittelte Grundhaltung 1909 so umschreibt: »Die verstanden haben, schreien nicht. Denn wozu die Schreie, die von niemandem gehört werden?«1646 Andererseits beklagt Bahr ja auch, das Publikum sehe »immer noch nur die leidende Frau, die unter dem rauhen Leben zusammenzuckt und vor Sehnsucht aufschreit.«1647 Doch selbst Alfred Kerr, der sich durchaus für die Subtilitäten im Spiel der ›spätesten Duse‹1648 begeistern kann, formuliert am 15. 11. 1906 angesichts ihrer Darstellung der Äbtissin Julie, die sich in Ernest Renans Revolutionstragödie L’Abbesse de Jouarre (1888) einem Kindheitsgeliebten in der Nacht vor seiner Exekution hingibt: Und ihr Schreien, warum ist es nicht festzuhalten: wenn am Morgen der Mann durch das Tor des Todes gegangen ist,– und sie bleiben muß. Sie schreit; ohne Rücksicht auf bürgerliche Verhältnisse. Hingestreckt ist sie, schreit… ohne die Genierlichkeit, welche das halbe Dasein kälterer Bewohnerschaften ausfüllt.// Eine Seele schreit.1649

Andererseits müssen die Verse 13–15 von Rilkes Bildnis nicht unbedingt so gelesen werden, dass sich die Seele der Duse in einem »Schreien« Ausdruck verschafft, das dem eines Steines gleicht. Sie lassen sich auch so verstehen, dass es sich um einen Ausbruch handelt, der zwar außerordentlich wie das Schreien eines Steines wirkt, jedoch sehr wohl mit nicht-deklamativen Mitteln gestaltet sein kann. In diesem Sinne beschreibt Hofmannstal, wie die Duse als Titelfigur von Ibsens Nora vor ihrem Mann tanzt und plötzlich »aus dem Fieberrhythmus der Tarantella mit einem Ruck in die Starrheit der tödlichen Angst zurückfällt, erbleicht […], der Unterkiefer fällt herab, und die gequälten Augen schreien stumm auf.«1650 Auch ein von dem Schauspieler und Regisseur Erwin Kalser 1645 Bahr: Kritiken, 377. 1646 Bang: Masken und Menschen, 64f. »De, som har forstaaet, skirger ikke. Thi til hvad Gavn er Skrigene, som høres af ingen?« (Bang: Værker i Mindeudgave, 316) 1647 Bahr: Kritiken, 375. 1648 Die späteste Duse ist die Überschrift eines Teilkapitels in Kerr : Mimenreich, 268–279. 1649 Kerr : Mimenreich, 269. 1650 HRuA: 473.

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›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz

(1883–1958) verfasstes Rollenporträt zeigt, wie die Duse einen seelischen ›Ausbruch‹ als Abbruch einer mimischen Aktion gestaltete. Es geht um die Schlussszene des ersten Aktes von Hedda Gabler, in der die Titelfigur ihrem Mann mit einer Reihe von Fragen nach nicht erfüllten Versprechen zusetzt: Da brach sie ab. Jäh. Stand auf. Ging. Ihr Aufstehen war keine Entladung. Sie nahm alles mit, was in ihr war. Es läßt sich nicht beschreiben, wie abrupt – mit welcher Gewalt sie aufstand. Und wie ganz ohne Aplomb; ohne die Kadenz, die konventionelle Schauspieler einem solchen Abgang zu geben geneigt sind. Sie verschwand, wie jemand sich knapp um eine Ecke drückt. Dahinter muß er aufschreien…1651

Obwohl der hier genannte Aufschrei noch nicht einmal die synästhetische Evokation eines mimischen Ausdrucks ist, sondern die imaginäre Ergänzung eines unterdrückten Schreis, versteht Kalser die Aktion als Ausbruch der Schauspielerin aus dem ›Erdichteten‹: Dies war einer jener Augenblicke, in denen man, was die Schauspielerin spielte, nicht mehr auf eine Dame von gesellschaftlichen Dimensionen beziehen konnte, eine Dame, die sich mit einer Heirat in wohlhabende Sicherheit hat bringen wollen und sich enttäuscht findet. Diese Schauspielerin brach durch das vom Dramatiker subtil genug auskalkulierte Gewebe psychologisch-realistischer Motivierungen hindurch und identifizierte sich jählings mit dem Impuls in der Tiefe, für den das Theaterstück nur der Oberbau ist – mit jenem Aufbäumen, jener wütenden Anarchie der Seele, jener bacchantischen Verwilderung, die sich in der Heldin dieses Stückes ihr nicht ganz zulängliches Symbol geschaffen haben.1652

Ob das Gedicht an dieser Stelle ein tatsächliches Schreien meint oder nicht, muss letztlich zwar offen bleiben – aus der Logik der Bildlichkeit heraus und vor dem Hintergrund der angeführten Zitate wurde jedoch immerhin deutlich, dass Rilkes Verse eine Transzendierung der Rollengestaltung meinen, die der von Kalser formulierten entspricht.

2.4

»Wie ein fußloses Gefäß«: Präsenz und Allegorie

und sie läßt, mit hochgehobnem Kinn, alle diese Worte wieder fallen, ohne bleibend; denn nicht eins von allen ist der wehen Wirklichkeit gemäß, ihrem einzigen Eigentum, das sie, wie ein fußloses Gefäß,

20

1651 Zit. nach Bab: Kränze dem Mimen, 203. 1652 Zit. nach Bab: Kränze dem Mimen, 203 (Hervorhebung im Original).

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halten muß, hoch über ihren Ruhm und den Gang der Abende hinaus.

Aus dem Bild vom Gefäß, das in der ersten Fassung die Stimme der Tragödin enthält und von ihr fallengelassen wird, sind hier zwei gegensätzliche Bilder geworden: 1) die »Worte«, die sie fallen lässt; 2) das ›fußlose Gefäß‹, das sie »halten muß«, damit es nicht herunterfällt. Das erste Bild scheint leicht verständlich: Es schließt an die konventionalisierte Metapher an, jemand lasse Worte achtlos fallen, und aktualisiert sie durch die Formulierung »alle diese Worte«, vor allem aber durch die Verbindung mit einem typischen Zug der Duse’schen actio, der auf rund einem Drittel der damals verbreiteten Duse-Photographien festgehalten ist: dem Emporrecken des Kinns (Abb. 33, 34).1653 Besonders eindrucksvoll zeigt sich dieser Zug in einem karikaturistischen Rollenporträt der Duse als Hedda Gabler (Abb. 36), das Olaf Gulbransson 1903 im Simplicissimus publizierte:

Abb. 36: Olaf Gulbransson: Eleonora Duse als Hedda Gabler (Zeichnung, 1903; drei von sechs Panels)

1653 Weitere Beispiele in Balk: Theatergöttinnen, 138f., 150f., 153, 155, 159, 162f., 166, 170f., 174, 178f., 182, 185. Außerdem hält Alfred Goldt in seinen Gedanken über die Duse. Zum Gastspiel im Raimund-Theater fest, die Duse liebe es, »mit entschlossen vorgestrecktem Kinn« zu agieren (in: Die Zeit [Wien] vom 9. 12. 1899, zit. nach Wunberg: Wiener Moderne, 626ff., hier 627).

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›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz

Doch auch die Formulierung vom gezielten ›Fallenlassen‹ der Worte (das nicht gleichzusetzen ist mit dem passiven Zulassen eines ›verlornen Lächelns‹ in der ersten Strophe)1654 könnte auf eine Eigenschaft ihres Spiels verweisen, die sich ebenso auf Gestik wie Rezitation erstreckte und die Hofmannsthal bereits 1892 in die Formulierung fasste: »Wie die Natur selbst unterstreicht sie Banalitäten und läßt Offenbarungen zu Boden fallen.«1655 Vor allem aber variiert das Bild vom Fallenlassen der Worte das Motiv des Abstands zur Rolle, das bereits in den Formulierungen »durch die Trauerspiele« (V. 3) und »Erdichtetes« (V. 11) angesprochen war. Dagegen gesetzt wurden, im Sinne des Topos von der großen Leidenden, das ›verzichtende Gesicht‹ (V. 1) als Ausdruck »ihrer großen Schmerzen« (V. 2) und in der dritten Strophe »ihrer Seele Sinn« (V. 13) – hier nun wird die ›wehe Wirklichkeit‹ zu »ihrem einzigen Eigentum« erklärt. Bildspender ist das ›fußlose Gefäß‹, das gehalten werden muss, um nicht herunterzufallen. Anders als in der ersten Strophe liegt die Bedrohung nicht in den ›Trauerspielen‹, sondern in der Aufführungssituation (dem »Gang der Abende«) und dem »Ruhm« des Weltstars Duse. Drastischer kommt dies in der letzten Strophe der Erstfassung zum Ausdruck: So vergeht sie, immer vor Gesichtern. Und die Menge drängt sich mit den Richtern wie ums Blutgerüst um ihren Ruhm. (RKA 1: 984; V. 15ff.)

Die Theateraufführung als Hinrichtung, der Ruhm als Schafott und die Theaterkritik als Tribunal – verglichen mit dieser Schreckensvision ist die Bildlichkeit der Endfassung nicht nur zurückgenommener, sondern auch konsequenter auf die Mimin konzentriert (während die Rezeptionssituation nur durch die Begriffe »Ruhm« und »Gang der Abende« angedeutet wird). Diese Konzentration führt dazu, dass der Text insgesamt, verglichen mit der ersten Fassung, geschlossener als Mimen-Ekphrasis erscheint: Wie gezeigt, finden sich in allen Strophen Elemente, die sich auf Eigenarten der Duse’schen actio und ›Ikonographie‹ beziehen lassen; auch das Balancieren des ›fußlosen Gefäßes‹ lässt sich als Variante jener Ausdrucksverfeinerung verstehen, die eingangs im Bild vom ›lose gebundenen Strauß‹ angedeutet ist (und die selbst Friedells Parodie in der Formulierung vom »sfumato« ihrer »Gebärden andeutet, siehe VI.1). Gleichzeitig wird aber auch ein geschlosseneres ›repräsentatives Bild‹1656 von Eleonora Duse als vorbildlicher Künstlerin entworfen,1657 das durchaus Züge einer Alle1654 1655 1656 1657

Anders Rehm: Rilke und die Duse, 352. HRuA: 471. Zu dieser Kategorie siehe II.3. Siehe auch den Schluss von Hofmannsthals Aufsatz Eleonora Duse: Die Legende einer Wiener Woche von 1892: »Die lebendigen Künstler sind wie die wunderbaren toten Leiber

Rilkes Bildnis

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gorie besitzt. Die Künstlerin erscheint zwar nicht, wie in der ersten Fassung, als Märtyrerin, jedoch als ›Verzichtende‹ (1) und Einsame (»ohne bleibend«). Wie sehr dieses ›Bild‹ Rilkes Künstler-Ideal entsprach, zeigt die oben zitierte Passage aus Rilkes erstem Rodin-Aufsatz, der auch den Bildhauer gleich im Einleitungssatz als inmitten seines Ruhmes einsamen Künstler stilisiert.1658 Zudem ist die Formel vom »einzigen Eigentum« wahrscheinlich ein unmarkiertes Zitat aus Goethes Drama Torquato Tasso, dessen Titelheld in der letzten Szene klagt: »So lockte man mir noch am letzten Tage/ Mein einzig Eigentum, mir mein Gedicht/ Mit glatten Worten ab und hielt es fest!«1659 Doch gibt es zur Vorstellung der ›ohne‹ das Drama ›bleibenden‹ Duse durchaus auch Entsprechungen in einigen prosaischen Ekphrasen, welche die Präsenz der Duse in räumlicher und zeitlicher Trennung von ihrem eigenen Spiel thematisieren. So eröffnet Julius Bab die Duse-Ekphrasis in seiner 1926 erschienen Monographie Schauspieler und Schauspielkunst mit folgender Erinnerung: Als sie die Gioconda gespielt hatte[1660] – es war in dem alten scheunenartigen Krollschen Theatersaal –, raste der Beifall der Menschen endlos fort. Der eiserne Vorhang war gefallen; aber sie standen noch immer und klatschten. Da ging die kleine Türe in dem Eisernen noch einmal auf und sie trat heraus. Wer? Ein Mensch? Ein Geist? Eine entfliehende Seele? – Ein faltig loses, helles Gewand wehte in der Zugluft – darüber stand ein Antlitz tränenüberströmt und versuchte zu lächeln. Versuchte zu lächeln, während die Hände krampfhaft ein kleines feuchtes Spitzentuch preßten. Dann neigte sich der zarte Kopf mit dem schweren Haar ein wenig, ganz sacht, grüßend nach vorn. Und dann war sie fort, verschwunden in der eisernen Wand. […] Das war die Duse, und nie habe ich sie wesenhafter gesehen als an der Schwelle zwischen Kunst und Wirklichkeit.1661

Nur wenig variiert findet sich diese Passage wieder gegen Ende des Duse-Kapitels in Babs 1954 erschienen Studie Kränze dem Mimen – in beiden Fällen zitiert Bab Rilkes Bildnis als ›poetische‹ Ergänzung dessen, was eine prosaische Beschreibung von Schauspielkunst nicht auszudrücken vermöge, und greift dabei den ›Bild‹-Begriff auf.1662 Noch weiter entfernt von der Aufführungssi-

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der Heiligen, deren Berührung von Starrkrampf erweckete und Blindheit verscheuchte.« In diesem Sinn wird die Duse parallelisiert mit Goethe, Eichendorff, Lenau, Poussin, Rubens und Böcklin. (HRuA: 488). »Rodin war einsam vor seinem Ruhme. Und der Ruhm, der kam, hat ihn vielleicht noch einsamer gemacht. Denn Ruhm ist schließlich nur die Summe aller Mißverständnisse, die sich um einen neuen Namen sammeln.« (RKA 4: 405) Tasso 5.5., V. 3265f. (GMA VI.1: 746). Gemeint ist auch hier nicht die Rolle der Gioconda, sondern der Silvia Settala, siehe oben, VI.2.2. Bab: Schauspieler und Schauspielkunst, 277–283, hier 277. Siehe Bab: Schauspieler und Schauspielkunst, 281; Bab: Kränze dem Mimen, 209f. sowie das Fazit dieses Interpretationsteils (VI.4).

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›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz

tuation präsentiert Alfred Kerr die Duse im Nachtrag zu einem Rollenporträt als Hedda Gabler : Am Abend zuvor sah ich sie in einem Theater sitzen, wo man des Herrn von Hofmannsthal ›Elektra‹ gab. Als das zu einem Viertel sophokleische Werk zu Ende war, blieb sie einen Augenblick schweigend im Hintergrund einer Loge (aber ich pfiff auf den ganzen Hofmannsthal), und ich sah ihren in sich gekehrten, tragischen Blick.// Es wurde mir wieder klar : sie ist alles was der Menschenwelt verloren ging. Sie wandelt wie ein Gleichnis.1663

Abgesehen davon, dass der Naturalist hier die Duse gegen ihren neoromantischen Verehrer Hofmannsthal ausspielt, beschwört Kerr vor allem die Präsenz der Duse und hebt gleichzeitig ihren Charakter als ›repräsentatives Bild‹ hervor, im expliziten Vergleich mit einer Gattung ›sprachlicher Bilder‹, dem Gleichnis. Zudem erinnert die Formulierung vom »in sich gekehrten, tragischen Blick« an die ikonographische Tradition einer Allegorie, der tragischen Muse.1664 Sie bleibt auch ein wichtiger Bezugspunkt der abschließend zu analysierenden Duse-Ekphrasen im Kontext zweier semifiktionaler Romane.

3.

»In dem großen Schweigen gemeißelt«: Kunstbezug und Präsenzbeschwörung in semifiktionalen Texten Rilkes und D’Annunzios (1897/1900/1910)

Die Interpretation hat gezeigt, wie in Rilkes Gedicht Bildnis sprachliche Bilder und der Rekurs auf seinerzeit verbreitete (photo)graphische Bilder zusammenwirken; diese wiederum visualisieren Elemente der Duse’schen Mimik, die teilweise auch in D’Annunzios Dramen herausgestellt werden (speziell in den Regieanweisungen), teilweise auch in prosaischen Ekphrasen. Ein Grundzug all dieser Duse-Repräsentationen ist, dass sie die Grenze zwischen Präsenz auf der Bühne und öffentlichem ›Image‹ der Schauspielerin als großer Leidender überschreiten. Dabei haben sich sprachliche Topoi (»und sie gibt ihm ihrer Seele Sinn«) und visuelle Topoi (»mit vorgestrecktem Kinn«) herausgebildet, die sich nicht selten zu allegorischen Konstellationen verdichten oder die Duse in anderer Weise zum repräsentativen Bild machen – so besonders deutlich in der letzten Strophe von Rilkes Bildnis.1665 1663 Kerr : Mimenreich, 276f. 1664 Siehe Abb. 16; 22. 1665 Als Beispiel hierfür sei eine weitere Passage aus Hofmannsthals Ekphrasis Die Duse im Jahre 1903 angeführt: »Es lebt in dieser Schauspielerin eine solche Seele, daß vor der Erhabenheit ihrer Gebärden jedes Stück, in welchem sie spielt, aus seinen Fugen geht und nur mehr sie da ist, ihre Natur, die unfähig ist, sich zu verbergen, ihre großen Regungen,

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Im Folgenden werden Duse-Ekphrasen von sehr unterschiedlichem Umfang im Rahmen zweier (wenigstens auf den ersten Blick) recht unterschiedlicher semifiktionaler Romane vorgestellt: Das ›Schauspielerinnen-Porträt‹ der Duse in Rilkes 1910 erschienenem Roman Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (fortan: Aufzeichnungen) umfasst eigentlich nur die knapp zwei Seiten lange 64. Aufzeichnung, ist allerdings motivisch und metaphorisch eng auf die vorhergehende bezogen, welche aus einer architektonischen Ekphrasis des Amphitheaters von Orange eine Vision des antiken Theaters im Gegensatz zum naturalistischen Theaters der Gegenwart entwickelt: Da diese Vorgehensweise wiederum nach meiner Überzeugung durch einen Aufsatz D’Annunzios angeregt wurde, werden beide zunächst in einem eigenen Teilkapitel vorgestellt. Maltes 64. Aufzeichnung rekurriert aber auch, in charakteristischer Umdeutung, auf eine Passage aus D’Annunzios Roman Il Fuoco von 1900, die dort nur eine von zahlreichen Mikro-Ekphrasen der Schauspielerin Foscarina darstellt, die von der Hauptfigur Stelio ðffrena im Gegensatz zum Malte der Aufzeichnungen nicht nur imaginiert wird, sondern seine Geliebte und künstlerische Muse ist. Weit vielfältiger sind auch die Bezüge von Kunst- und Schauspielkunstbeschreibungen in Il Fuoco – dennoch gibt es in beiden Romanen eine deutliche Tendenz zur Allegorisierung im weiteren wie engeren Sinn,1666 die sich teils mit der Evokation von Präsenz verbindet und sie teils konterkariert.

3.1

»Es wurde gespielt«: Amphitheater-Beschreibung als Vision antiken Theaters in einem Zeitungsessay D’Annunzios und einer ›Aufzeichnung‹ von Rilkes Malte

Am 1. August 1897 eröffnete der französische Staatspräsident das restaurierte Amphitheater in Orange; ein Artikel Gabriele d’Annunzios vom folgenden Tag mit dem beziehungsvollen Titel ›Die Wiedergeburt der Tragödie‹1667 nahm dieses Ereignis zum Anlass auszumalen, wie eine antike Antigone-Vorstellung das von harter Arbeit gedrückte Volk des Umlandes erschütterte und ihm ›jäh die Erscheinung des idealen Lebens gewährte‹.1668 Von dieser Vision ausgehend bedie in einer unerhörten Weise leibliche Form geworden sind, ihr Gehen und Stehen, die Hoheit ihres Nackens, die Magie ihrer Hände, die wundervolle tragische Maske, gewoben aus Strahlendem und Dunklem, die ihre Seele verhüllt und verrät.« (HRuA: 485) 1666 Siehe die Einleitung dieses Interpretationsteils. 1667 La Rinascenza della Tragedia, erschienen am 2. August 1897 in La Tribuna als Teil der Reihe Nella vita e nell’arte; hier zitiert nach D’Annunzio: Scritti giornalistici 2: 262–265; siehe Komm. ebd. 1578f. und Gazzetti: D’Annunzio, 79 (der Titel wird dort ungenau mit »Die Geburt der Tragödie« übersetzt). 1668 »[Essi sono l/, intenti e muti, dinnanzi a] qu’ell’apparizione subitanea della vita ideale.«

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schwört der Artikel eine ›Wiedergeburt‹ der antiken Tragödie, die nur über eine Reform der Oper erfolgen könne, so tief diese Gattung auch in den Händen kulturloser Geschäftsleute gesunken sei.1669 Der Ruhm zukünftiger Dichter werde darin bestehen, ›diese Form wieder zu ihrer primitiven Würde zurückzuführen und ihr antiken religiösen Geist einzuhauchen‹.1670 Gemeint sind die Dionysien, aus denen sich nach Nietzsches im Titel alludierter Schrift die Tragödie entwickelt hat,1671 und er orientiert sich offenkundig an Wagners Musiktheater, setzt ihm jedoch die Vision einer ›unverhofften Wiedergeburt aus lateinischem Geiste‹ entgegen, welcher, ›vom fremdländischen Nebel befreit, endlich wieder die Anzeichen des antiken Lichtes erkennt‹.1672 Vorbereitet sind diese Visionen einer antiken Aufführung und eines zukünftigen Theaters durch eine lebendige Beschreibung des Theaterbaus, in dem, damals wie heute, schweigende Bäume, Efeu, auffliegende Vögel, Granatäpfel, Oleander und vor allem ›die göttlichen Erscheinungen des Himmels das primitive Menschenwerk in ein Stück Natur zu verwandeln scheinen‹.1673 Doch so eindringlich D’Annunzio das Theater zu Orange schildert – er kennt es nicht aus eigener Anschauung.1674 Die Duse, mit der er seit zwei Jahren im Dienst seiner Theaterreform zusammenarbeitete, war immerhin eingeladen, an der Wiedereröffnung mitzuwirken, musste sich jedoch wegen eines Anfalls von Lungentuberkulose in der Schweiz behandeln lassen.1675 Der nicht zustande gekommene Auftritt hat im Text insofern eine Spur hinterlassen, als D’Annunzio, dessen Citt/ morta mit einer Lesung aus Sophokles Antigone beginnt, ausmalt, wie ›im von Marmorfragmenten übersäten Proszenium die Stimme der Antigone zu den jungfräulichen Sternen aufsteigt‹.1676 Unterstützt durch die ›geheimnisvollen Macht des Rhythmus‹,1677 vermag dieser Auftritt sogar die Gesichter des einfa-

1669 1670 1671 1672 1673 1674 1675 1676 1677

(D’Annunzio: Scritti giornalistici 2: 263). Die in einfache Anführungszeichen gesetzten Übertragungen stammen von mir. »Discesa all’ultimo grado dell’abbiezione, divenuta un’industria ignobile nelle mani fabricatori destitutiti d’ogni intelligenzia e d’ogni cultura« (D’Annunzio: Scritti giornalistici 2: 264). »Sar/ gloria dei poeti risollevare quella forma alla dignit/ primitiva, infondendole l’antico spirito religioso.« (D’Annunzio: Scritti giornalistici 2: 265). »La grande metamorfosi del rito dionisiaco« (D’Annunzio: Scritti giornalistici 2: 265); siehe auch ebd. 263: »la navit/ della Tragedia dal Ditirambo«. »[U]n impreveduto risveglio nello spirito latino che finalmente riconosce, tra la nebbia estranea di cui s’era avvolto, i Segni dell’antica luce.« (D’Annunzio: Scritti giornalistici II: 264) »[…] le divine apparenze del cielo sembrano quivi trasformare la primitiva opera degli uomini in una cosa naturale […].« (D’Annunzio: Scritti giornalistici 2: 262). In diesem Sinn lässt sich auch dieser Aufsatz als ›semi-fiktional‹ einordnen. Siehe Komm. D’Annunzio: Scritti giornalistici 2: 1578. »Qui, dal proscenio ancora ingombro di frammenti marmorei, la voce die Antigone sale verso le stelle virgniee« (D’Annunzio: Scritti giornalistici 2: 263). »[P]er il potere misterioso del ritmo« (D’Annunzio: Scritti giornalistici 2: 263).

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chen Volkes aufzuhellen.1678 Schließlich wird in einer Steigerung der Eingangsformulierung ›die erhabene Jungfrau‹ beschworen, ›die einen unsterblichen Schrei zu den Sternen schickt‹, und die evozierte Vorstellung durch eine Prosaübersetzung von Antigones Worten auf dem Weg in den Tod abgeschlossen.1679 Vor diesem Hintergrund ist es meines Erachtens zu sehen, wenn Rilke, der das Theater von Orange zwischen dem 22. September und 8. Oktober 1909 besuchte,1680 seinen fiktiven Dichter Malte Laurids Brigge im 64. Eintrag seiner Aufzeichnungen angesichts dieses Monuments ebenfalls eine Vision des antiken Theaters formulieren lässt – und im folgenden Eintrag eine Vision der Duse.1681 Besonders bezeichnend sind allerdings die Unterschiede zu D’Annunzios Artikel. Die Besichtigung des Theaters wird als sich steigerndes Erlebnis aus der Perspektive Maltes erinnert: Er tritt an einem sonnigen Nachmittag ein, sieht zuerst »die offene Muschel des Zuschauerhangs« und geht auf sie zu, wendet sich dann aber, von den Blicken einiger Touristen irritiert, um: »Oh, ich war völlig unvorbereitet. Es wurde gespielt. Ein immenses, ein übermenschliches Drama war im Gange, das Drama dieser gewaltigen Szenenwand, deren senkrechte Gliederung dreifach auftrat, dröhnend vor Größe, fast vernichtend und plötzlich maßvoll im Übermaß.«1682 Wie bei D’Annunzio wirkt der Anblick des Theaters selbst enargeisch und erzeugt den Eindruck einer antiken Vorstellung – hier allerdings nicht im allmählichen Übergang und durch Natur vermittelt, sondern jäh und kraft der metaphorisch ›dramatisierten‹ Architektur, deren Größe »fast vernichtend« wirkt; erst in einem zweiten Versuch kann sie als »maßvoll« proportioniert genossen werden. Auch im Folgenden wird die metaphorische Verwandlung der Architektur verschränkt mit moderner Bildlichkeit im Sinne Sabine Schneiders, um den affizierten Betrachter zum imaginären Zuschauer werden zu lassen: Ich ließ mich hin vor glücklicher Bestürzung. Dieses Ragende da mit der antlitzhaften Ordnung seiner Schatten, mit dem gesammelten Dunkel im Mund seiner Mitte, begrenzt, oben, von des Kranzgesimses gleichlockiger Haartracht: dies war die starke, 1678 Siehe D’Annunzio: Scritti giornalistici 2: 264. In einer ähnlichen Rolle als Kulturbringer für das einfache Volks sah sich gleichzeitig der angehende Politiker D’Annunzio, der im konservativen Wahlkreis Ortona für das italienische Parlament kandidierte (Gazzetti: D’Annunzio, 58f.). 1679 Scritti giornalistici 2: 264; siehe Soph. Ant. 806–816. 1680 In diesem Zeitraum war er in Avignon einquartiert, von wo aus er Ausflüge in die Umgebung unternahm (siehe Schnack: Rilke-Chronik, 333). 1681 Siehe Stahl: Rilke-Kommentar, 237; den Zusammenhang mit D’Annunzios Artikel hat die Forschung, soweit ich sehe, noch nicht erkannt. 1682 Rilke: Aufzeichnungen, 183; zur Raumwahrnehmung in den Aufzeichnungen siehe Arndal: »Kenntnis der Perspektive«, zur erzählten Imagination Ryan: »Hypothetisches Erzählen«.

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alles verstellende Maske, hinter der die Welt zum Gesicht zusammenschoß. Hier, in diesem großen, eingebogenen Sitzkreis herrschte ein wartendes, leeres, saugendes Dasein: alles Geschehen war drüben: Götter und Schicksal. Und von drüben kam (wenn man hoch aufsah) leicht, über den Wandgrat: der ewige Einzug der Himmel.1683

Im Gegensatz zu D’Annunzio thematisiert Rilke/Malte weder eine bestimmte Aufführung noch die Zusammensetzung des Publikums, sondern stellt die religiöse Fundierung des Ereignisses heraus und präsentiert die Rezeptionssituation der antiken Tragödie als spannungsvoll-widersprüchliches Geschehen: Die Theaterwand wird einerseits zur festen Theatermaske, die ›alles verstellt‹, andererseits macht sie die »Welt«, in der »Götter und Schicksal« wirken, zum vertrauten »Gesicht«. Von einer Stimme, die durch die Maske hindurchtönt, ist nicht die Rede, stattdessen von einem ›saugenden Dasein‹ des Publikums, welches das »Gesicht« durch die »Maske« hindurch erkennen will. Diese Metaphorik wird in einer Weise weitergeführt, die – wiederum D’Annunzio folgend, aber deutlich andere Akzente setzend – antikes und modernes Theater gegeneinander ausspielt: Diese Stunde, begreife ich jetzt, schloß mich für immer aus von unseren Theatern. Was soll ich dort. Was soll ich vor einer Szene, in der diese Wand (die Ikonwand der russischen Kirchen) abgetragen wurde, weil man nicht mehr die Kraft hat, durch ihre Härte die Handlung durchzupressen, die gasförmige, die in vollen schweren Öltropfen austritt. Nun fallen die Stücke in Brocken durch das lochige Grobsieb der Bühnen und häufen sich an und werden weggeräumt, wenn es genug ist. Es ist dieselbe ungare Wirklichkeit, die auf den Straßen liegt und in den Häusern, nur daß mehr davon dort zusammenkommt, als sonst in einen Abend geht.1684

In der sperrigen Bildlichkeit dieser Passage verbinden sich mehrere Vorstellungskomplexe aus Rilkes Theaterästhetik.1685 Zunächst sei auf eine Formulierung von Maurice Maeterlinck hingewiesen (dessen Einfluss auf Rilkes Abkehr vom naturalistischen Theater kaum überschätzt werden kann),1686 um das Bild von der Theaterwand als Maske der »Welt« zu erhellen. Zu Beginn seines Aufsatzes Menus Propos. Le th8.tre von 1890 heißt es, dass alle Kunst versuchen müsse, eigentlich Unaussprechliches indirekt1687 auszudrücken: »On dirait l’hypocrisie de l’infini. Il est le masque provisoire sous lequel nous intrigue 1683 1684 1685 1686 1687

Rilke: Aufzeichnungen, 183. Rilke: Aufzeichnungen, 183f. Siehe dazu Ritzer : Rilkes dramatische Dichtungen. Siehe Panthel: Rilke und Maeterlinck; Ritzer : Rilke und Maeterlinck. »L’art semble toujours un d8tour et ne parle jamais face / face.« Der Aufsatz erschien ursprünglich in der Zeitschrift Jeune Belgique vom September 1890, 331–336. Der Hinweis auf die Materlinck-Formulierung findet sich, allerdings ohne Bezug auf Rilkes Roman, in Ritzer : Dramatische Dichtungen, 280.

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l’innconue sans visage.«1688 Doch obwohl die Masken-Metapher auf das Theater verweist, sieht Maeterlinck das Theater als Bedrohung dieser Indirektheit und kritisiert insbesondere das Modell der Verkörperung als Aufhebung der auf die Phantasie gerichteten Indirektheit: »Quelque chose d’Hamlet est mort pour nous, le jour ku nous l’avons vu mourir sur la scHne. Le spectre d’un acteur l’a d8trin8, et nous ne pouvons plus 8carter l’usurpateur de nos rÞves.«1689 Im Gegensatz zum verkörpernden Schauspieler allerdings ist die stilisierte Festmaske bereits ein Element der Indirektheit und verweist damit auf Maeterlincks Konzept eines hochgradig stilisierenden Theaters. Die Maske als Auslöser symbolisierender Phantasietätigkeit wird aber auch in Nietzsches Geburt der Tragödie beschworen, und zwar im Zusammenspiel mit dem Chor und der ›dionysischen‹ Macht der Musik. So heißt es in einer von Rilke kommentierten Passage: »Jetzt bekommt der dithyrambische Chor die Aufgabe, die Stimmung der Zuhörer bis zu dem Grade anzuregen, daß sie, wenn der tragische Held auf der Bühne erscheint, nicht etwa den unförmlich maskirten Menschen sehen, sondern eine gleichsam aus ihrer eignen Verzückung geborene Visionsgestalt.«1690 Die Vermutung, dass es in der Orange-Passage nicht zuletzt Musik ist, die im antiken Theater die Handlung ›gasförmig‹ machen und durch die »Härte« der dramatischen Form pressen konnte, wird nahegelegt durch ein Zitat aus der 24. Aufzeichnung des Romans: Malte deutet darin den Ausdruck von Beethovens Totenmaske als »sein wissendes Gesicht. Diesen harten Knoten aus fest zusammengezogenen Sinnen. Diese unerbittliche Selbstverachtung fortwährend ausdampfen wollender Musik.«1691 Beethoven wird hier zwar als »Weltvollendeter« in einem Welt-Konzertsaal imaginiert,1692 nicht aber als Theaterkomponist, und auch die Hoffnungen, die Nietzsche zunächst in Wagners Musiktheater setzt, befremden Rilke.1693 Somit stellt sich das Problem, wie es auf dem vom Naturalismus geprägten Theater der Gegenwart gelingen kann, »eine solche Handlung auf die Bühne zu stellen, durch die ein in der Erfahrung und im Gefühl jedes Einzelnen mögliches Erlebnis angeregt wird, das in seiner Gewaltsamkeit die Menge der Zuschauer wie ein großer Griff zusammenfaßt.«1694

1688 Maeterlinck: Menus propos, 421. 1689 Maeterlinck: Menus propos, 422. 1690 Zit. nach der Wiedergabe von Rilkes 1900 entstandenen Marginalien zu Nietzsches Geburt der Tragödie, RKA 4: 161–172, hier 164; Rilkes Anmerkungen dazu (ebd.): »Sollten etwa die Tänze und Sänge wilder Völker auf dem vorbereitenden Standpunkt erstarrte Dithyramben sein, welche zum Drama nicht ausreifen konnten?« 1691 Rilke: Aufzeichnungen, 66 (meine Hervorhebung). 1692 Rilke: Aufzeichnungen, 66f. 1693 Siehe RKA IV, 170. 1694 RKA 4: 164.

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Dieses Problem erscheint umso größer, als Rilke davon überzeugt ist, »daß die großen Konflikte und Abenteuer, daß Mord und Verrat nicht mehr die eigentlichen Handlungen unseres Lebens sind,« sondern »die Seele des Menschen zum Gegenstande« der Künste werden müsse.1695 Sah Rilke zunächst in Maeterlinck ein Modell für ein neues Drama, so beurteilte er die Wirkungsmöglichkeiten von ›Seelendramen‹, auch angesichts seiner eigenen Misserfolge, zunehmend skeptischer. Im Malte wird das Problem an Henrik Ibsen exemplifiziert, den der Tagebuchschreiber als »Eigensinniger« und »Du Einsamster, Abseitiger« apostrophiert.1696 Wie ein Forscher im Labor habe Ibsen erkannt, »daß dieses fast raumlose, von den Jahrzehnten zusammengepreßte Leben« sich dort zeige, »wo unser Geschehen kocht und sich niederschlägt und die Farbe verändert, innen«, und »den ungeheueren Entschluß« gefasst, »dieses Winzige, das du selber zuerst nur durch Gläser gewahrtest, ganz allein gleich so zu vergrößern, daß es vor Tausenden sei, riesig, vor allen. Dein Theater entstand.«1697 Doch sei dieser heroische Versuch, Seelenregungen in sichtbare Bühnenhandlung zu verwandeln, allzu gewaltsam gewesen, und Ibsen habe »immer verzweifelter unter dem Sichtbaren nach den Äquivalenten« gesucht »für das innen Gesehene«, bis eine »mit Greifbarem überladene Bühne« entstanden sei, vor der er schließlich resigniert habe.1698 Im Licht dieser poetologischen Überzeugungen und Bilder lässt sich das zeitgenössische »lochige Grobsieb der Bühnen«, durch das »die Stücke in Brocken fallen«,1699 als Bild für das Unvermögen des modernen Theaters verstehen, ›apollinische‹ Mittel der Stilisierung (wie die Maske) und ›dionysische‹ Mittel der Musikalisierung (wie den Chorgesang) zu finden, welche die ›Handlung‹ zu einheitlicher, eindrucksvoller Wirkung ›verflüssigen‹. Dass es prinzipiell auch außerhalb der griechischen Kultur möglich wäre, deutet Rilke an, wenn er am Schluss seiner Marginalien zu Nietzsches Geburt der Tragödie Überlegungen »In Bezug auf Russische Dinge« anstellt und etwa »das dionysische Element« im »Chorowod« sucht, einem Reigentanz mit Vorsänger.1700 Von seinen RusslandReisen angeregt ist auch, in der 65. Aufzeichnung, der Vergleich zwischen griechischer Theaterwand und der »Ikonwand der russischen Kirchen«, die, mit Heiligenbildern bedeckt, Gemeinde und Altar trennt. In diesem Fall geht es nicht um Tanz und Musik, sondern um die direkte Präsenz des Göttlichen in (wie in

1695 1696 1697 1698 1699 1700

So heißt es in Rilkes Vortrag Maurice Maeterlinck von 1902 (RKA: 214–230), hier 219. Rilke: Aufzeichnungen, 69. Zu Rilkes Ibsen-Bild siehe Schoolfield: Rilke’s Ibsen. Rilke: Aufzeichnungen, 70. Rilke: Aufzeichnungen, 71. Rilke: Aufzeichnungen, 184. RKA 4: 170, siehe Komm. 841f. Zu Rilkes Lektüre von Nietzsches Schrift siehe Jesi: Postille di Rilke.

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der Maske) stilisierten Bildzeichen,1701 ermöglicht durch ein religiöses Gemeinschaftsritual. Gerade diese Voraussetzung aber fehlt dem modernen Theater, wie Malte in einer die 65. Aufzeichnung abschließenden Randnotiz festhält: »(Laßt uns doch aufrichtig sein: wir haben kein Theater, so wenig wir einen Gott haben: dazu gehört Gemeinsamkeit. […] Wir verdünnen fortwährend unser Verstehen, damit es reichen soll, statt zu schreien nach der Wand einer gemeinsamen Not, hinter der das Unbegreifliche Zeit hat, sich zu sammeln und anzuspannen.)«1702 Während D’Annunzio also den bewegenden Schrei einer antiken ›Antigone‹ imaginiert (ohne zu beachten, dass er von einem männlichen Mimen ausgestoßen wurde) und die Geburt eines neuen Theaters beschwört, thematisiert Rilkes Malte den von ihm vermissten und wahrscheinlich auch vergeblichen ›Schrei‹ nach einem neuen Theater. Jene Schauspielerin dagegen, deren Kunst im Bildnis-Gedicht mit dem »Schreien eines Steines« verglichen wird, tritt in der folgenden Aufzeichnung stumm auf.

3.2

»Wie eine maskige Vorderansicht«: Die Duse als Wiederbelebung des antiken und Opfer des modernen Theaters in den »Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge« (1910)

Der Befund »wir haben kein Theater« am Ende des 63. Eintrags wird im 64. Eintrag von Maltes Aufzeichnungen aufgegriffen und hypothetisch umgekehrt: Hätten wir ein Theater, stündest du dann, o Tragische, immer wieder so schmal, so bar, so ohne Gestaltvorwand vor denen, die an deinem ausgestellten Schmerz ihre eigne Neugier vergnügen? Du sahst, unsäglich Rührende, das Wirklichsein deines Leidens voraus, in Verona damals, als du, fast noch ein Kind, theaterspielend, lauter Rosen vor dich hielst wie eine maskige Vorderansicht, die dich gesteigert verbergen sollte.1703

Doch statt zu imaginieren, wie Eleonora Duse unter den Voraussetzungen eines ›wahren‹ Theaters wirken würde, stellt Malte sich einen Auftritt unter den Bedingungen der Gegenwart vor. Die Nähe zum Bildnis-Gedicht ist deutlich: Auch 1701 Siehe Maeterlincks Formulierung, die »Wirkung der Bühne« gleiche dem Versuch, »ein Gemälde ins Leben zu übertragen« (Maeterlinck: Prosa, 51, dazu Ritzer : Dramatische Dichtungen, 280). – Meine Interpretation widerspricht dem Kommentar August Stahls, dem zufolge die Bilderwand für Rilke hier vor allem »ein Zeichen für die Entrücktheit (Ferne, Abwesenheit) des Göttlichen« ist (Komm. RKA 3: 1024). Über Rilkes Verhältnis zur russischen Kunst informiert Brodsky : Rilke’s Relation to Russian Painting; speziell zur Ikonenmalerei Stahl: Znamenskaja. 1702 Rilke: Aufzeichnungen, 184 (Einklammerung im Original, um den Marginalien-Status der Passage zu markieren). 1703 Rilke: Aufzeichnungen, 184.

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hier wird die Duse als Tragödin vorgestellt, in diesem Fall nicht über das Signalwort »Trauerspiele«, sondern über ihre Apostrophierung als »Tragische«, die gerade deshalb ›unsäglich rührt‹, weil ihr ›Leiden‹ ›wirklich ist‹; und auch hier wird die Aufführungssituation des Theaters als voyeuristische Bloßstellung kritisiert. Der Formulierung vom ›Erdichteten‹, »darin/ Schicksal schwankt, gewolltes, irgendeines« (V. 12f.), entspricht die Formel »ohne Gestaltvorwand«; beide diskreditieren das Modell der Verkörperung. Die kritische Perspektive führt im zweiten Satz der Malte-Aufzeichnung zur Uminterpretation einer Passage aus D’Annunzios Il Fuoco, die von Duse-Biographen als im Kern authentisches Zeugnis der Duse verstanden wird.1704 Es geht um die Verkörperung der Julia im Jahr 1873 durch die noch unbekannte vierzehnjährige Wanderschauspielerin im Amphitheater von Verona: An einem Sonntag im Mai, in der ungeheuren Arena, in dem alten Amphitheater unter freiem Himmel, vor einer Volksmenge, die der Geschichte der Liebe und des Todes atemlos gelauscht hatte, war ich Julia selbst. Nicht der tosendste Beifall des ergriffenen Parketts, nicht der jubelndste Zuruf, kein Triumph kam jemals für mich dem Rausche und dem Vollgefühl jener großen Stunde gleich. Und als ich Romeo sagen hörte: ›Oh, sie nur lehrt den Kerzen hell zu glühn!‹… erglühte ich wirklich, verwandelte mich in Flammen. Ich hatte für mein erspartes Geld auf der Piazza delle Erbe unter der Fontana Madonna Verona einen großen Strauß Rosen gekauft. Die Rosen waren mein einziger Schmuck. Ich mischte sie unter meine Worte, meine Gesten, meine Stellungen: ich ließ eine zu Romeos Füßen niederfallen, als wir uns begegneten, ich entblätterte eine über seinem Haupte vom Balkon herunter, und alle deckten am Schlusse im Grabgewölbe seinen Leichnam. Der Duft, die Luft, das Licht versetzten mich in Entzückung. Die Worte strömten mit seltsamer Leichtigkeit von meinen Lippen, gleichsam unwillkürlich, wie im Fieberwahn; und ich hörte sie von dem unaufhörlichen Brausen meiner Adern begleitet.1705

Dieser Beginn einer drei Seiten langen Schilderung zeigt bereits deren wichtigste Charakteristika und ermöglicht einen Vergleich mit Rilkes gedrängter Adaption. Bei der Il Fuoco-Passage handelt es sich um eine Erzählung aus der Innensicht, 1704 Maurer: Duse, 14ff., siehe auch Resnevic-Signorelli: Duse, 14ff., Reinhardt: Duse, 23f. 1705 D’Annunzio: Feuer, 318. »Una domenica di maggio, nell’immensa Arena, nell’anfiteatro antico, sotto il cielo aperto, dianzi a una moltitudine di popolani che avevano respirato nella leggenda di amore e di norte, io fui Guilietta. Nessun fremito delle platee piF vibranti, nessun clamore, nessun trionfo valse mai per me l’ebrezza e la pienezza di quella grande ora. Veramente, quando udii Romeo dire: ›Ah, ella insegna alle torce ardere…‹, veramente io mi accesi, mi feci di fiammi. Avevo comprato col mio gruzzulo, nella Piazza delle Erbe, sotto la fontana die Madonna Verona, un gran fascio di rose. Le rose furono il mio solo ornamento. Le mescolai alle mie parole, ai miei gesti, ad ogni mia attitudine: ne lasciai cadere una ai piedi di Romeo quando c’incontrammo, ne sfogliai una sul suo capo di balcone, e di tutte ricopersi alla fine il suo cadavere nel sepulcro. Il profumo l’aria e la luce mi rapivano. Le parole scorrevano con una strana facilit/, quasi involontarie, come nel delirio; e le udivo accompagnate dal dal rombo continuo delle mie vene.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 258f.)

»In dem großen Schweigen gemeißelt«

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die insofern nur teilweise den Charakter einer den Eindruck von Schauspielkunst vermittelnden Mimen-Ekphrasis hat; immerhin ist mit dem Einsatz der Blumen als Requisit ein Merkmal des Duse’schen Spieles angesprochen, das sowohl auf Photos wie in Duse-Ekphrasen immer wieder thematisiert wird (VI.2.2). Komplizierter ist die Erzählperspektive bei Rilke: Einerseits zeigt er die Rosen buchstäblich aus der Außensicht (»wie eine maskige Vorderansicht«), andererseits behauptet er aus der Innensicht, die Schauspielerin habe damals »das Wirklichsein« ihres »Leidens« vorausgeahnt – eine deutliche Uminterpretation der rückblickenden Versicherung, dies sei ein Triumph gewesen, an den auch keiner der späteren herangereicht hätte. Eingebettet ist diese Formulierung aber wiederum in eine Apostrophierung der Schauspielerin durch Malte, der sie als »unsäglich Rührende« bezeichnet. Gerührt ist er jedoch weniger von ihrem erinnerten oder imaginierten Spiel als von der (unterstellten) Vorausahnung ihres Leides und der Tatsache, dass sie, »fast noch ein Kind«, versucht habe, sich hinter den Rosen zu »verbergen« – wiederum in völliger Umkehrung jener vollkommenen und beglückenden Identifikation mit der (bei Rilke nicht einmal genannten) Rolle, von der in Il Fuoco erzählt wird. Allerdings heißt es, genauer betrachtet, die Rosen hätten die junge Schauspielerin ›gesteigert verbergen‹ sollen, und zwar »wie eine maskige Vorderansicht«: Diese Formulierung verweist zurück auf das Bild der Theaterwand von Orange als »Maske, hinter der die Welt zum Gesicht zusammenschoß«, dieses Gesicht zugleich verbergend und einen ›Sog‹ im Zuschauerraum erzeugend.1706 Für die religiöse Dimension des antiken Theaters steht hier das ›Leiden‹ der Duse, das im Folgenden emphatisch überhöht wird, einhergehend mit einer Amplifizierung des Motivs vom ›gesteigerten Sich-Verbergen‹: Es ist wahr, du warst ein Schauspielerkind, und wenn die Deinen spielten, so wollten sie gesehen sein; aber du schlugst aus der Art. Dir sollte dieser Beruf werden, was für Marianna Alcoforado, ohne daß sie es ahnte, die Nonnenschaft war, eine Verkleidung, dicht und dauernd genug, um hinter ihr rückhaltlos elend zu sein, mit der Inständigkeit, mit der unsichtbare Selige selig sind. In allen Städten, wohin du kamst, beschrieben sie deine Gebärde; aber sie begriffen nicht, wie du, aussichtsloser von Tag zu Tag, immer wieder eine Dichtung vor dich hobst, ob sie dich berge. Du hieltest dein Haar, deine Hände, irgendein dichtes Ding vor die durchscheinenden Stellen. Du hauchtest die an, die durchsichtig waren; du machtest dich klein; du verstecktest dich, wie Kinder sich verstecken, und dann hattest du jenen kurzen, glücklichen Auflaut, und höchstens ein Engel hätte dich suchen dürfen.1707

1706 Rilke: Aufzeichnungen, 183. 1707 Rilke: Aufzeichnungen, 184f.

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›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz

Marianna Alccofarado (1640–1723) war eine portugiesische Nonne, der fünf leidenschaftliche Liebesbriefe an einen Adligen zugeschrieben wurden.1708 Sie gehört in die Reihe jener Frauengestalten, in denen sich für Rilke sein in Briefen wie Erzählungen und Gedichten beschworenes Ideal einer Liebe ›verkörperte‹, die sich selbst genug ist und keiner Gegenliebe bedarf.1709 Auch der Malte der Aufzeichnungen ist von diesem Ideal fasziniert und macht es zum Thema der anschließenden 66. Aufzeichnung: In den Liebenden, heißt es dort, »ist das Geheimnis heil geworden, sie schreien es im Ganzen aus wie Nachtigallen, es hat keine Teile. Sie klagen um einen; aber die ganze Natur stimmt in sie ein: es ist die Klage um einen Ewigen.«1710 Vergebliche Minne mündet also schließlich in eine (allerdings nicht christlich zu verstehende) Gottesliebe.1711 Doch geht es beim Vergleich zwischen der Schauspielerin und der Nonne nicht nur um die Fähigkeit zur ›intransitiven Liebe‹,1712 die im Fall der Duse nicht zuletzt durch den Fuoco-Roman Teil ihrer »Legende« geworden ist.1713 Es geht vor allem um die ›Unsichtbarkeit‹ ihres Leidens (der »wehen Wirklichkeit« des Bildnis-Gedichts), die sie hinter der »Dichtung«, der Rolle also, versteckt. Dieses Verstecken hat einerseits etwas Verzweifeltes, wird »aussichtsloser von Tag zu Tag«, denn es gibt immer wieder ›durchscheinende Stellen‹ – die Darstellung ihrer Versuche, ›ihr einziges Eigentum‹ zu verbergen, erinnert an die tragikomische Pantomime eines Pierrot.1714 Andererseits wird es aber auch mit der Seligkeit ›unsichtbarer Tatsächlich handelt es sich um ein literarisches fake; siehe Stahl: Rilke-Kommentar, 223. Stahl: Rilke-Kommentar, 239. Rilke: Aufzeichnungen 185f. Siehe die letzte Aufzeichnung, in der Malte (vor dem Hintergrund einer radikalen Uminterpretation des Gleichnisses vom verlorenen Sohn) zunächst die »Troubadours, die nichts mehr fürchteten als erhört zu sein«, beschwört (Rilke: Aufzeichnungen, 199), um schließlich »die lange Liebe zu Gott« zu beginnen, »die stille, ziellose Arbeit« (ebd. 201). 1712 Zu deren religiösen Implikationen siehe Schiwy : Rilke und die Religion, 23. 1713 Eine »Legende« nennt Malte bezeichnenderweise in Aufzeichnung 66 den Mythos der Byblis (Ovid: Met. 9, V. 450–665), die verzweifelt ihren Bruder liebt: »Ihres Herzens Andrang jagte sie durch die Länder auf seine Spur, und schließlich war sie am Ende der Kraft; aber so stark war ihres Wesens Bewegtheit, daß sie, hinsinkend, jenseits vom Tod als Quelle wiedererschien, eilend, als eilende Quelle.« (Rilke: Aufzeichnungen, 186) Dass hier noch das Bild der »durch alle Städte« ziehenden Duse nachwirkt, wird wahrscheinlich, wenn man weiß, dass ihre vielen Tourneen auch als Ausdruck innerer Ruhelosigkeit verstanden wurden: »Sie ist das ruhmbeladenste Geschöpf der Erde und das ruheloseste«, schreibt Hofmannsthal beispielsweise, »ihre Reisen sind Triumphzüge, und sie gleichen einer Flucht.« (HRuA: 484). 1714 Vgl. Hermann Bahrs Formulierung von 1891, die Nase der Duse sei »klein und stumpf, wie von einem verwunderten Pierrot.« (Bahr: Studie Duse, 3; VI.1). Der verzweifelte Versuch, ein Verbrechen zu verbergen, war das Hauptthema von Marchant d’ Habit, der berühmtesten Pantomime von Jean Gaspard Deburau (auch: Debureau), des ersten Pierrots (Bab: Kränze dem Mimen, 121). Zur Karriere dieser (vor allem dank Hermann Bahr) aus Frankreich importierten Kunstform auf deutschen Bühnen siehe Vollmer : Literarische Pantomime. 1708 1709 1710 1711

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Seliger‹ und einem kindlichen Versteckspiel verglichen, das sogar zu einem »kurzen, glücklichen Auflaut« führt. Jedoch wird dieses intime Glückserleben der Schauspielerin schließlich zerstört durch die bereits am Anfang dieser 64. Aufzeichnung thematisierte Aufführungssituation: »Aber, schautest du dann vorsichtig auf, so war kein Zweifel, daß sie dich die ganze Zeit gesehen hatten, alle in dem häßlichen, hohlen, äugigen Raum: dich, dich, dich und nichts anderes.«1715 Diese Kennzeichnung des Zuschauerraumes und, synekdochisch, der Zuschauer, steht im scharfen Kontrast zur »offene[n] Muschel« des antiken »Zuschauerhangs«, aus dem heraus »ein wartendes, leeres, saugendes Dasein« sich auf »Götter und Schicksal« richtete,1716 – in der Gegenwart dagegen gilt das einzige Interesse dem ›Star‹ und seiner berühmten »Gebärde«. Ähnlich wie in der dritten Strophe des Bildnis-Gedichts wird im folgenden Absatz, dem letzten der 65. Aufzeichnung, eine Möglichkeit des ›Ausbruchs‹ aus der Rolle und den Publikumserwartungen thematisiert. Dem ›Ausbrechen‹ entspricht dabei die Formel »Und es kam dich an«, die zunächst als magische Abwehrreaktion gegen den »äugigen Raum« motiviert ist: »Und es kam dich an, ihnen den Arm verkürzt entgegenzustrecken mit dem Fingerzeichen gegen den bösen Blick.«1717 Abgesehen vom ›Vor-sich-Halten‹ der Rosen als kindliche Julia ist dies die einzige mimische Aktion, die in dieser Aufzeichnung beschrieben wird. Wie die angedeutete Pantomime des ›Sich-Versteckens‹ dürfte sie aber vor allem metaphorisch zu verstehen sein: Beide Bilder vermitteln ein für Eingeweihte eben doch erahnbares Moment der Selbstbehauptung gegen die Publikumserwartung, das ungefähr dem ›Ausbrechen‹ aus dem ›Erdichteten‹ und dem ›Fallenlassen‹ der »Worte« in Bildnis entspricht. Ungefähr : denn was hier gestaltet wird, ist nicht nur ein kurzer Moment des Spiels, sondern ein länger andauernder Wechsel der Ausdrucksqualität, getragen von einer offenen Rebellion gegen die Konvention, die sogar die eigenen Mitspieler erschreckt: Es kam dich an, ihnen dein Gesicht zu entreißen, an dem sie zehrten. Es kam dich an, du selber zu sein. Deinen Mitspielern fiel der Mut; als hätte man sie mit einem Pantherweibchen zusammengesperrt, krochen sie an den Kulissen entlang und sprachen was fällig war, nur um dich nicht zu reizen. Du aber zogst sie hervor und stelltest sie hin und gingst mit ihnen um wie mit Wirklichen. Die schlappen Türen, die hingetäuschten Vorhänge, die Gegenstände ohne Hinterseite drängten dich zum Widerspruch.1718

Der Vergleich mit einem »Pantherweibchen« steht in überraschendem Kontrast zu den bisherigen Apostrophierungen als »unsäglich Rührende« und ›rück-

1715 1716 1717 1718

Rilke: Aufzeichnungen, 185. Rilke: Aufzeichnungen, 183. Rilke: Aufzeichnungen, 185. Rilke: Aufzeichnungen, 185.

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haltlos Elende‹;1719 zudem entspricht er weit eher Hermann Bahrs Charakterisierung der ›frühen Duse‹ als »Furie des Leidens« denn jener der ›späten Duse‹ als »Statue des Erbarmens«.1720 Die Aggressivität des Bildes ist mehrfach motiviert: als Gegenreaktion auf die Zuschauer-Erwartungen (wie das Bild vom »Fingerzeichen gegen den bösen Blick«), als »Widerspruch« gegen die veräußerlichte Wirklichkeitsnachahmung des Naturalismus, die hier wiederum am Bühnenbild festgemacht wird, und schließlich als Überdruss am Unvermögen der Mitspieler : Tatsächlich bemühte sich die Duse als Regisseurin um ein stimmiges Ensemblespiel,1721 verzweifelte aber oft genug an Unverständnis und Disziplinlosigkeit ihrer Mitspieler, die sich gerne darauf beschränkten zu sprechen, »was fällig war«.1722 Dass sie in der hier zitierten Passage ängstlich »an den Kulissen entlang« kriechen, hat allerdings auch mit dem Mangel an jenem Wagemut zu tun, den Künstler nach Rilkes Überzeugung brauchen, um ›sie selbst zu sein‹ und ›ihr einziges Eigentum‹ auszustellen.1723 Für die Zuschauer stellt die Verwandlung der Schauspielerin in ein rücksichtlos seine Affekte auslebendes »Pantherweibchen« bis zu einem gewissen Grade ein Faszinosum dar ; erinnert sei an die in Hofmannsthals Guglia-Rezension gebrauchte Formulierung, Mitterwurzers Deklamation verwandle die »Worte« in »Waffen wie die Zähne und die Nägel«.1724 Aus Sicht der Lebensphilosophie, der auch Rilke verpflichtet ist,1725 bedeutet ein solches Spiel einen Ausbruch des ›Lebens‹ aus der modernen Scheinwelt. Hofmannsthal veranschaulicht dies unter anderem durch eine Revitalisierung der barocken Welttheater-Metapher ;1726 Rilkes Malte folgt ihm darin in der 63. Aufzeichnung, die der Beschwörung des antiken Theaters in der 64. Aufzeichnung vorausgeht.1727

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Rilke: Aufzeichnungen, 185. Bahr: Kritiken, 379; siehe VI.1. Siehe Bang: Masken und Menschen, 70f., Bang: Værker i Mindeudgave, 320f. Siehe Maurer: Duse, 88. Siehe etwa die Verse 7ff. aus dem programmatischen Gedicht Geschrieben für Karl Grafen Lanckoron´ski: »Zerstörbar sind sie [die großen Künstler] wie die andern Wesen/ und müssen doch (sie wären nicht erlesen!)/ Gewaltigstem zugleich gewachsen sein.« (RKA 2: 410f., hier 410, V. 13ff.) HM: 480; V.1.3. Siehe Kahl: Lebensphilosophie und Ästhetik. HM: 480; V.1.3. »Aber innen und vor Dir, mein Gott, innen vor Dir, Zuschauer : sind wir nicht ohne Handlung? Wir entdecken wohl, daß wir die Rolle nicht wissen, wir suchen einen Spiegel, wir möchten abschminken und das Falsche abnehmen und wirklich sein. Aber irgendwo haftet uns noch ein Stück Verkleidung an, das wir vergessen. Eine Spur Übertreibung bleibt in unseren Augenbrauen, wir merken nicht, daß unsere Mundwinkel verbogen sind. Und so gehen wir herum, ein Gespött und eine Hälfte: weder Seiende, noch Schauspieler.« (Rilke: Aufzeichnungen, 182).

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Vor dem Hintergrund seiner Beschwörung einer antiken Aufführung dürfte es schließlich kein Zufall sein, dass der Panther das Begleittier des Dionysos ist. Das moderne Publikum schreckt allerdings, wie die Mitspieler der Duse, vor der Bedrohung durch den dionysischen Panther zurück und will ihn deshalb, wie im Zirkus, bändigen. Ein verwandtes Bild steht in der 26. Aufzeichnung für die ›Domestizierung‹ des radikal ›Eigensinnigen‹ Ibsen durch seinen »Ruhm«: »Und deine Worte führen sie mit sich in den Käfigen ihres Dünkels und zeigen sie auf den Plätzen und reizen sie ein wenig von ihrer Sicherheit aus. Alle deine schrecklichen Raubtiere.«1728 Auch das »Pantherweibchen« wird durch ihren »Ruhm« beziehungsweise durch die damit zusammenhängenden Publikumsrituale gebändigt: Du fühltest, wie den Herz sich unaufhaltsam steigerte zu einer immensen Wirklichkeit und, erschrocken, versuchtst du noch einmal die Blicke von dir abzunehmen wie lange Fäden Altweibersommers: – Aber da brachen sie schon in Beifall aus in ihrer Angst vor dem Äußersten: wie um im letzten Moment etwas von sich abzuwenden, was sie zwänge, ihr Leben zu ändern.1729

Die Bezeichnung ›Altweibersommer‹ geht auf die Spinnfäden zurück, auf denen sich junge Baldachinspinnen im Herbst durch die Luft tragen lassen; sie wurden mit dem Haar alter Frauen assoziiert.1730 Insofern mag das Bild von den »Fäden Altweibersommers« auch die Erscheinung der alternden Duse aufrufen, entsprechend dem Bild »[i]hrer Züge alten, welken Strauß« im Gedicht. Denn auch das Altern gehörte ja zur »Wirklichkeit« der Duse, da sie nicht bereit war, seine Spuren mit Schminke zu verstecken. Vor allem aber stellen die fadenartigen »Blicke« die alten Machtverhältnisse wieder her : Die Publikums-Spinnen fesseln das Raubtier, das daraufhin erschrickt statt zu schrecken. Dennoch misstraut das Publikum den feinen Fesseln, geängstigt von einem Anspruch der Kunst, der analog zur berühmten Pointe des programmatischen Bildgedichts Archa"scher Torso Apollos zu Beginn von Der Neuen Gedichte anderer Teil formuliert ist: »[…] denn da ist keine Stelle,/ Die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.«1731 Auch in diesem Bildgedicht wird die Bedrohlichkeit der Kunst bereits vorher durch das Bild vom Raubtier angedeutet: Dass die Oberfläche der Skulptur »wie Raubtierfelle« ›flimmert‹, lässt sich ebenfalls als Verweis auf Dionysos deuten und damit als Anspielung auf die nietzscheanische Dichotomie des ›Apollinischen‹ und ›Dionysischen‹, der bereits die Ekphrasis des Theaters von Orange verpflichtet 1728 1729 1730 1731

Rilke: Aufzeichnungen, 69f. Rilke: Aufzeichnungen, 185. Siehe Mackensen: Altweibersommer, bes. Sp. 352ff. RKA 1: 513; der Hinweis auf den Zusammenhang beider Stellen in Komm. RKA 3: 1026.

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ist.1732 Das zeitgenössische Publikum verweigert sich dieser Erfahrung also auch dort, wo sie durch den einzigartigen Mut einer Mimin zu erlangen wäre. Rückblickend lässt sich festhalten, dass die Duse bereits über die Metapher von der ›maskigen Vorderansicht‹ als potenzielle Wiederverkörperung des antiken Theaters aufgefasst wird, gleichzeitig aber in Abwehrhaltung gegen das gegenwärtige Theater gezeigt. Diese Abwehrhaltung verbindet sich zunächst mit dem Topos der Duse als großer Leidender, hier im Sinne von Rilkes Modell der ›intransitiven Liebe‹ gedeutet, wird dann aber punktuell durchbrochen und im Bild vom »Pantherweibchen« wiederum auf die dionysische Macht des antiken Theaters zurückbezogen. Im Kontext des Romans haben die Theater- wie die Duse-Ekphrasis Evidenzfunktion für das Bemühen des dänischen Dichters, unter den Umständen der Moderne eine Kunst zu finden, die ›das Leben ändert‹ und Authentizität ermöglicht.1733 Auch in D’Annunzios Il Fuoco werden ›Bilder‹ der Duse im Hinblick auf eine ›neue Kunst‹ entworfen, allerdings von einer Künstlerfigur aus, die ›das Leben‹ mit vitalistischer, männlich kodierter Energie lebt.

3.3

»Auf goldenem Amboß von Leidenschaften und Träumen gestaltet«: Duse-›Umschreibungen‹ in D’Annunzios Roman Il Fuoco

Die Opposition ›wahrhaftige Künstlerin – bedrohliches Publikum‹ ist konstitutiv für den Schluss von Rilkes Bildnis-Gedicht wie für die gesamte DuseEkphrasis des Malte-Romans; das spezifische Motiv des bedrohlichen Beifalls aber könnte durchaus angeregt sein vom Schluss der Julia-Erzählung in Il Fuoco: Da die Julia-Darstellerin sich allzu sehr in die Sterbeszene des letzten Aktes hineinlebte und deshalb offensichtlich ihr Spiel verlangsamte, wurde »das Publikum unruhig in der Arena, es verlangte nach dem Tod der Helden! […] Die lauten Zeichen seiner Ungeduld beschleunigten das Klopfen meines Herzens in unerträglicher Weise. Das Ende der Tragödie wurde überstürzt. […] Als ich auf Romeos Leiche niedersank, brach die Menge in der Dunkelheit in so gewaltiges Beifallsbrüllen aus, daß ich erschrak.«1734 Insofern wird die Eingangsbewertung des Verona-Erlebnisses als größter Triumph dieser Schauspielerinnen-Karriere schließlich doch ein wenig im Sinn von Rilkes Umdeutung relativiert. Auch im 1732 Siehe RKA 1: 619f.; 959 (Komm.). 1733 Zum Persönlichkeitsmodell des Romans grundlegend Stephens: Rilkes Malte; außerdem Engel: Subjektivitätsentwurf. 1734 D’Annunzio: Feuer, 320. »Il popolo s’agitva nell’Arena, chiedeva la morte […]. Il fremito della sua impazienza accelerava i battiti del mio cuore intollerabilimente. La tragedia precipitava. […] Quando ricaddi sul corpo di Romeo, la folla urlk nell’ombra con tanta violenza ch’io mi sbigottii.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 260).

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Eingangskapitel von Il Fuoco heißt es, die Forscarina scheine »in den Falten ihrer Kleider, stumm und gefaßt, die Raserei der fernen Menge zu tragen«; doch erlöse sie die Menge auch »aus deren kompakter Vertiertheit […] durch einen Schrei der Leidenschaft oder eine herzzerreißende Wehklage oder ein tödliches Schweigen«.1735 Dennoch dient die Julia-Passage des Romans nicht primär als Beleg eines grundsätzlichen Missverhältnisses zwischen Künstlerin und Publikum; vielmehr ist sie Teil einer längeren Erzählung der Foscarina, die diese Figur charakterisieren soll. Die Vorgeschichte schildert, wie das in eine Familie von Wanderschauspielern geborene Mädchen von Klein auf Not und Entbehrung kennen lernt, eine Erfahrung, die zu der Wahrhaftigkeit ihres Spiels als Tragödin beiträgt. In diesem Sinne markiert die Erzählung von der Julia-Verkörperung den Durchbruch zur großen Schauspielerin. Die Erzählung hat aber auch ein ›Nachspiel‹, das die gefährliche Seite der völligen Identifikation mit einer Rolle zeigt: Das Mädchen eilt durch Verona auf der Suche nach Julias Grab, gefolgt von ihrer besorgten Mutter, unfähig, auf deren Frage, wo sie hinwolle, zu antworten: »Meine Stimme hatte sich mit der letzten Silbe der Sterbenden verloren.«1736 Schließlich will sie sich von einer Brücke in die Etsch stürzen und wird von ihrer Mutter durch eine Umarmung daran gehindert, obwohl »ich fühlte, daß nicht in mir allein der Wunsch, zu sterben war… Ach, du Gesegnete!«1737 Die melancholische und selbstzerstörerische Seite der Foscarina1738 drückt sich schon in ihrem Namen – »die liebe Düstere« – aus;1739 ihr Geliebter, der junge Dichter Stelio ðffrena, dem sie diese Geschichte erzählt, nennt sie sogar »Perdita« und assoziiert sie immer wieder mit der Unterweltsgöttin Persephone. Er dagegen wird von der Erzählinstanz als ›Beleber‹ (»animatore«) gekennzeichnet,1740 und dementsprechend ist es sein Anblick, der die von ihrer Erzählung überwältigte Foscarina aus der Erinnerung an die Szene auf der Brücke befreit: »Sie wurde 1735 D’Annunzio: Feuer, 35: »pareva portare per lui nelle pieghe delle sue vesti raccolta e muta la frenesia delle moltitudini lontane dalla cui bestialit/ compatta ella aveva sollevato il brivido fulmineo e divino dell’arte von un silenzio di morte« (D’Annunzio: Il Fuoco, 28). 1736 D’Annunzio: Feuer, 321: »La mia voce s’era perduta con l’ultima sillaba della morente.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 261). 1737 D’Annunzio: Feuer, 321: »E io sentii che non era in me sola il desiderio di scomparire… Ah, benedetta!« (D’Annunzio: Il Fuoco, 261). 1738 Wie schon erwähnt, wird sie gegen Ende des Romans explizit mit Dürers Kupferstich Melancholia I verglichen (D’Annunzio: Feuer, 393ff.; D’Annunzio: Il Fuoco, 319f., zur Deutung siehe ebd. Komm. 440ff.). 1739 So die Übersetzung in Grimminger : Gesamtkunstwerk, 97; D’Annunzio zieht die weibliche Form der Adjektive fosco (›düster‹) und carino (›lieb‹, ›hübsch‹) zusammen. Doch dürfte der Name auch auf das venezianische Patriziergeschlecht der Foscari anspielen; zwei seiner Mitglieder sind die Titelhelden von Lord Byrons Drama The Two Foscari (1821), auf der Verdis Oper I due Foscari (1844) beruht. 1740 Zum ersten Mal D’Annunzio: Feuer, 15; D’Annunzio: Il Fuoco, 11.

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totenblaß. Ihre ganze Seele fühlte wieder die innige Umschlingung dieser Arme; die Küsse dieser Lippen, die Tränen dieser zärtlichen Liebe, die Tiefe dieses Kummers. Aber ihr Blick fiel auf den Freund, und plötzlich strömte das Blut in ihre Wangen […].«1741 Insgesamt aber bilden die Erinnerungen der Foscarina an ihre Anfänge als Wanderschauspielerin, die in der Julia-Erzählung kulminieren, und die rahmende Erzählung vom Ausflug des Paares nach Murano1742 ein eher schwaches Gegengewicht zum dominierenden Thema von Il Fuoco:1743 dem kreativen Schaffensprozess des genialen und – wie sein Name andeutet – ›zügellosen‹ Dichters ðffrena.1744 Dieser Prozess wird in zwei Etappen vorgestellt, denen zwei lange Kapitel entsprechen: Im Mittelpunkt des ersten, betitelt L’Epifania del fuoco,1745 steht eine improvisierte Ansprache des Dichters im Dogenpalast – sie basiert auf einer Rede, die D’Annunzio tatsächlich 1895 in Venedig gehalten hat, allerdings im Theater »La Fenice«.1746 Im Mittelpunkt des zweiten Teils, L’Impero del Silenzio,1747 steht der Versuch, eine ›Wiedergeburt der Tragödie‹ zu leisten durch die Oper La Vittoria dell’Uomo, die deutlich Züge von La citt/ morta trägt, und den Bau eines Freilichttheaters bei Rom, in Entsprechung zu D’Annunzios ›Theater des Apollo‹.1748 Zwar geht es auch um die Liebesbeziehung zwischen der Foscarina und Stelio, die wegen dessen Faszination durch die Sängerin Donattela Arvale und durch die verzweifelte Verlustangst der alternden Foscarina bedroht 1741 D’Annunzio: Feuer, 321: »Ella diventk pallidissimo, tutta la sua anima risentendo la stretta di quelle braccia, i baci die quelle labbra, le lacrime di quella tenerezza, la profondit/ di quella pena. Ma guardk il suo amico, e subitamente un flutto vivo di sangue si diffuse su le sue gote […].« (D’Annunzio: Il Fuoco: 261). 1742 Siehe dazu ausführlicher das Teilkapitel VI.3.3.6. 1743 Den aktuellen Forschungsstand zu Il Fuoco repräsentieren der Apparat zu Niva Lorenzinis Ausgabe des Romans von 1996 (hier verwendet in der Auflage 2011) mit umfassender Einführung (V–XLII), kommentierter Bibliographie (CXXIII–CXXV) und Stellenkommentar (325–445) sowie Angelo Pierro Cappellos Einführung Come leggere »Il fuoco« von 1997 mit einer Dokumentation wichtiger Forschungspositionen in Auszügen (90–121). 1744 »D’Annunzio hat sein Spiegelbild mit einem Lehnwort aus dem Französischen ausgestattet, dessen Bedeutung sich an das italienische ›freno‹ negativ anschließen läßt: effr8n8, wild, hemmungslos, es fehlt der Zügel, ›senza freno‹ heißt es auch im Roman.« (Grimminger: Gesamtkunstwerk, 94f.). Zum künstlerischen Schaffensprozess als zentrales Thema D’Annunzios siehe grundlegend Oliva: Poetica dell’invenzione. 1745 D’Annunzio: Il Fuoco, 3; Maria Gagliardi übersetzt Das Epiphaniasfest des Feuers (D’Annunzio: Feuer, 5) und verweist damit auf die im Kapitel beschriebenen Feierlichkeiten im Dogenpalast, die allerdings nicht am Dreikönigstag stattfinden, sondern im September. Denkbar wäre auch die Übersetzung als ›Epiphanie‹ im Sinn einer ›plötzlichen Offenbarung‹ (siehe Gazzetti: D’Annunzio, 78); in diesem Sinn soll James Joyce den Begriff hier verstanden und in seinen Ulysses übernommen haben (Eco: Joyce; relativierend allerdings Grimminger: Gesamtkunstwerk, 105). 1746 Gazzetti: D’Annunzio, 78. 1747 D’Annunzio: Il Fuoco, 127. 1748 Siehe Gazzetti: D’Annunzio, 78f.

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ist, doch wie in La citt/ morta und La Gioconda sind die Leidenschaften letztlich nur ein Stimulans für das dichterischer Genie.1749 Im Gegensatz zu den Tragödien jedoch (und zu D’Annunzios vorhergegangenen Romanen) endet dieser Roman versöhnlich: Die Foscarina findet die Kraft, dem Geliebten zu entsagen, und begibt sich auf eine Amerika-Tournee. Im Folgenden wird zu zeigen sein, wie das künstlerische und das amouröse Verhältnis der beiden Protagonisten sich auf die ›Bilder‹ von der der Schauspielerin auswirken und wie sie mit weiteren Ekphrasen des Romans interagieren. Dass sie auch zur ›Ikonographie‹ Eleonora Duses beitragen, wird in motivischen Bezügen zu Rilkes Duse-Ekphrasen besonders deutlich werden. 3.3.1 Der Dichter als enargeischer »Immaginifico« Schon auf der ersten Seite des Romans rühmt die Schauspielerin in einer rhetorischen Frage an den geliebten Dichter dessen enargeische Kraft: »Welche Seele könnte sich an einem Abend, wie heute, den Träumen verschließen, die Sie durch Ihre Worte heraufbeschwören werden?«1750 Das Paar ist in einer Gondel unterwegs zum Dogenpalast, wo Stelio eine Festrede im Saal des Großen Rates halten soll. Auch deren Wirkung wird in eine Formulierung gefasst, welche die klassische Definition der Ekphrasis als ›Rede, die das Mitgeteilte anschaulich vor Augen führt‹,1751 anklingen lässt. Doch geht es nicht nur um enargeische ›Beschreibungskunst‹, sondern vor allem um ›Kunstbeschreibung‹, bezogen auf die Bemalung des Dogenpalasts: Die Kraft, die auf der weiten Wölbung und an den hohen Wänden die Muskulatur der dargestellten Götter, Könige und Helden schwellte, die Schönheit, die der Nacktheit der dargestellten Göttinnen und Königinnen und Dirnen wie sichtbare Musik entströmte, die menschliche Kraft und Schönheit, durch Jahrhunderte der Kunst geläutert, verbanden sich harmonisch zu einem einzigen Bild, das die Berauschten mit ihren wirklichen, lebendigen Augen vor sich zu sehen meinten, von dem neuen Dichter geschaffen.1752 1749 »Sie fühlte, […] daß er sie beide nur als Werkzeuge der Kunst betrachtete, als anzuwendende Kräfte« (D’Annunzio: Feuer, 350). »Sent' che […] le considerava entrambe come puri strumenti dell’arte, come forze da adoprare« (D’Annunzio: Il Fuoco, 284). 1750 D’Annunzio: Feuer, 5: »In una sera come questa, quale anima potrebbe restar chiusa ai sogni che vi piacer/ di suscitare con le parole? Non sentite gi/ che la folla H disposta a ricevere la vostra rivelazione?« (D’Annunzio: Il Fuoco, 4). 1751 Siehe Einf. 4. 1752 D’Annunzio: Feuer, 79. »La forza che per l’ampia volta e su l’alte pareti gonfiava le musculature dei numi dei re e degli eroi effigiati, la belleza che nelle nudit/ delle iddie delle regine e delle meretrici effigiate fluiva come una mfflsica visibile, la forza e la belezza umane trasfigurate da secoli di arte si armonizzavano in un simulacro unico che gli ebri credevano avere innanzi agli occhi reale e respirante, eretto quivi dal poeta nuovo.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 64f.).

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Allerdings handelt es sich nicht um die anschauliche Beschreibung eines Kunstwerks, sondern um eine ›Umschreibung‹, die aus Paolo Veroneses Apotheose Venedigs (1583) an der Decke des Ratssaals und Tintorettos Wandgemälde Paradies (1587–90) an der Ostseite die ›Verkörperungen‹ männlicher Kraft und weiblicher Schönheit destilliert.1753 Vor allem aber gilt die Rede Tintorettos Gemälde Die Krönung der Ariadne (1578) aus dem Anticollegio ein Stockwerk höher,1754 das der Redner assoziativ mit Veroneses für alle Zuschauer sichtbarer Venedig-Apotheose und einer eigenen dichterischen Vision verbindet:1755 Indem er Tintorettos Ariadne-Figur als Venedig und seinen Bacchus als Herbst interpretiert, schafft er eine neue Allegorie, die weniger eine politische Bedeutung hat als die Aufgabe, die Atmosphäre des herbstlichen Venedigs ›vor Augen zu stellen‹. Zwischen den mentalen Bildern, welche der Dichter nach Aussage der Foscarina ›heraufbeschwört‹,1756 und den ›graphischen Bildern‹, die sich gemäß Erzählerkommentar ›zu einem einzigen Bild‹ im Geist der Zuhörer zusammenschließen, gibt es also vielfältige Übergänge, begründet durch die schöpferische und umschaffende Imagination des Dichters. Alles verwandelt sich ihm zu sprachlichen Bildern, einschließlich der Außenwelt, wobei Venedig einer solchen Disposition besonders entgegenkommt.1757 So heißt es, als die Foscarina erwähnt, dass ihn jemand als »den Bilderreichen« – »il Immaginifico« – bezeichnet hat: »Ah, die Bilder!« rief der Dichter, ganz ergriffen von befruchtender Glut der Empfindungen. –»Wie man in Venedig nur Musik empfinden kann, so kann man nur Bilder denken. Von allen Seiten strömen sie uns zahllos und mannigfaltig zu, sie sind wirklicher und lebendiger als die Menschen, die uns in den engen Gassen mit dem Ellbogen streifen. Wir können uns zu ihnen neigen, um die Tiefe ihrer verfolgenden Blicke zu erforschen, wir können die Worte, die sie zu uns sprechen werden, aus dem Schwung ihrer beredten Lippen erfahren.«1758

1753 Die christliche Dimension des Paradies-Gemäldes blendet der Ästhetizist Stelio aus. 1754 Siehe Fig. 483 in Palluchini/Rossi: Tintoretto 2, 537; Komm. ebd. 374. 1755 Der Redner fordert die Zuhörer auf, ihre Blicke zur Decke zu heben, beschreibt dann aber gerade nicht die Allegorie Venedigs, sondern eine weibliche Rückenfigur (D’Annunzio: Feuer, 52; D’Annunzio: Il Fuoco, 42, siehe Piovene: Veronese, Tafel LXII, Werkverz. 268), die er im weiteren Verlauf offensichtlich mit der ebenfalls nackten und sitzenden Ariadne auf Tintorettos Bild assoziiert (D’Annunzio: Feuer, 58; D’Annunzio: Il Fuoco, 46f.). 1756 In diesem Fall sind es »sogni«; an anderer Stelle ist beispielsweise von »imagini e musiche impetuose« (D’Annunzio: Il Fuoco, 7) und »deliziose fantasie« (ebd. 9) die Rede. 1757 Siehe zu diesem Aspekt Circeo: Romanzo veneziano. 1758 D’Annunzio: Feuer, 12: »Ah, le imagini! – esclamj il poeta, tutto invaso dal calore fecondo. – AVenezia, come non si puk sentire se non per modi musicali cos' non si puk pensare se non per imagini. Esse vengono a noi da ogni parte innumerevoli e diverse, piF reali e piF vive delle persone che ci urtano col gomito nella calle angusta. Noi possiamo chinarci a

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Das Zitat verdeutlicht, dass Bilder sich im Produktions- wie Rezeptionsprozess so innig mit Emotionen verbinden (für die nicht zuletzt der Romantitel steht), dass ein klares Ursache-Wirkungs-Verhältnis oft gar nicht auszumachen ist. Außerdem wird hier (wie bereits im Vergleich der gemalten Frauengestalten mit ›sichtbarerer Musik‹) deutlich, was Stelio, der selbst auch komponiert,1759 während seiner Rede unter Berufung auf Leonardo da Vinci formuliert: »›Die Musik darf nicht anders genannt werden, denn Schwester der Malerei.‹ – Ihre Malerei ist nicht nur stumme Poesie, sie ist auch stumme Musik.«1760 Bereits auf dem Weg zum Dogenpalast hatte er Leonardos Rat an seine Schüler zitiert, »die Flecke auf den Wänden, die Asche im Feuer, [die Wolken,] den Straßenkot und andere ähnliche Sachen zu betrachten, um darin ›Wunderbare Ersinnungen‹ und ›unendliche Dinge‹ zu finden. In derselben Weise, fügte Lionardo hinzu, werdet Ihr in dem Ton der Glocken jedes beliebige Wort und jeden Vokal hören.«1761 Die Stelle war ein Topos der Inspirationslehre, der um 1900 insbesondere das Interesse für ›hypnagoge Bilder‹ stimulierte.1762 Typisch für D’Annunzio ist die Betonung ihres synästhetischen Aspekts. Dementsprechend sind synästhetische Metaphern ein häufiges Merkmal jener Ekphrasen, die den Roman durchziehen. Formuliert werden sie überwiegend von Stelio selbst in direkter Rede oder von der Erzählinstanz, dabei meist durch ihn fokalisiert, bevorzugt in erlebter Rede – mitunter versuchen sich auch die Foscarina oder Stelios Jünger an improvisierten Ekphrasen. Objekte dieser Ekphrasen sind Venedig-Ansichten, Gemälde und Opernmusik, aber auch Windhunde. Nicht zuletzt wird die Schauspielerin thematisiert, bleibt aber, mit Ausnahme ihrer eigenen Julia-Erzählung, immer auf den Dichter und sein enargeisches Schaffen bezogen, wobei künstlerische Anregung, erotische Anziehung und Abstoßung in einem komplizierten, veränderlichen Verhältnis zueinander stehen.1763 Das führt zu sprachlichen ›Bildern‹ von der

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scrutare la profondit/ delle loro pupille seguaci e indovinar le parole ch’esse ci diranno, dalla sinuosit/ delle loro labbra eloquenti.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 9) Dies im Gegensatz zu D’Annunzio: Die Fiktion dient nicht zuletzt dazu, die Figur Affrena als Ehrenbürtigen Richard Wagners erscheinen zu lassen, dessen Sarg er am Schluss des Romans zur Barke trägt. D’Annunzio: Feuer, 77: »La musica non ha da essere chiamata altro che sorella della pittura. – La lor pittura non H soltano una poesia muta ma H anche una musica muta.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 63). D’Annunzio: Feuer, 23: »di guardare nelle macchie dei muri, nella cenere di fuco, nei nuvoli [in Gagliardis Übersetzung übergangen, hier ergänzt], nei fanghi e in altri simili luoghi per trovarvi ›invenzioni mirabilissime‹ e ›infinite cose‹. Allo stesso modo, aggiungeva Leonardo, troverete nel suono delle campane ogni nome e vocabolo che vi piacer/ d’imaginare.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 17). Schneider: Verheißung der Bilder, 330–342, bes. 339; zu Leonardo siehe Bittner : Wolken, Mauern und Schwämme. Siehe Romboli: Un’ipotesi, 94–107.

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Schauspielerin, die zwischen ästhetizistischen Männerphantasien und erkennbaren Mimen-Ekphrasen Eleonora Duses changieren. Obwohl die Schauspielerin nie in einer realen Aufführungssituation gezeigt wird, ist die Entstehung der Bilder von ihr oft an bestimmte Orte gebunden. Im Folgenden werden sechs solcher ›Szenerien‹ und die vor ihrem Hintergrund inszenierten »Textdramen der Sichtbarkeit«1764 vorgestellt. Es handelt sich allerdings gewissermaßen um Musikdramen, deren motivische Entwicklung dem Vorbild Richard Wagners verpflichtet ist: »Weißt du, was ein Motiv ist?« fragt Stelio die Foscarina und gibt die Antwort: »Eine kleine Quelle, die eine Schar von Flüssen gebären kann, ein kleines Samenkorn, das einen Kranz von Wäldern erzeugen kann, ein kleiner Funke, der endlose Ketten von Feuersbrünsten erzeugen kann«.1765 Die metaphorische Definition enthält bereits zwei für den Roman bestimmende Motive: Feuer und Wasser. Hier ist zu zeigen, welche Motive speziell die ›Bilder‹ der Schauspielerin bestimmen, wie sie aus der jeweiligen Situation heraus entstehen, zusammenspielen und gegeneinander gesetzt werden – und wie manche über den Roman hinauswirkten. Entsprechend wird es notwendig sein, vergleichsweise ausgiebig zu zitieren. 3.3.2 In der Gondel: ›Bilder‹ von der Gesprächspartnerin Im Gondel-Gespräch des Romananfangs fasst der Dichter die Wirkung der Foscarina auf ihn in ein Bild, das den Topos der Schauspielerin als belebte Statue in bezeichnender Weise abwandelt: Sie sind es, die meinen Stolz nährt und mir die Illusion gibt, als besäße ich schon alle jene Gaben, nach denen ich unablässig strebe. Zuweilen dünkt es mich, als hätten Sie die Macht, den Dingen, die meiner Seele entspringen, irgendeine göttliche Eigenschaft mitzuteilen, so daß sie meinen eigenen Augen fern und anbetungswürdig erscheinen. Sie erzeugen zuweilen in mir das religiöse Staunen jenes Bildhauers, der, nachdem er am Abend die Bildsäulen der Götter, noch warm von seiner Arbeit, und fast möchte ich sagen, noch mit dem Abdruck seines plastischen Daumens, in den Tempel gebracht hatte, sie am Morgen darauf auf ihren Piedestalen erblickte, eingehüllt in eine Wolke von Wohlgerüchen und aus allen Poren des spröden Stoffes, in dem seine vergänglichen Hände sie geformt, ihre Gotttheit ausströmend. Wenn Sie in meine Seele dringen, ist es nur, um solche Begeisterung zu entfachen.1766 1764 Pfotenhauer u. a.: Poetik der Evidenz, IX. 1765 D’Annunzio: Feuer, 349: »Sai tu che cosa sia un Motivo? Una piccola sorgente da cui puk nascere una greggia di fiumi, un piccolo seme da cui puk nascere una corona di foreste, una piccola favila da cui puk nascere una catena d’incendii senza termine«. (D’Annunzio: Il Fuoco, 283). Zur motivischen Struktur siehe Capello: Il Fuoco, 27–51 und Lorenzini: Introduzione, XXI–XXIX unter ausdrücklichem Verweis auf Wagners Leitmotiv-Technik (XXIV). 1766 D’Annunzio: Feuer, 13f.: »Voi non fate se non alimentare il mio orgoglio e darmi l’illusione

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Die mit der Arbeit eines Bildhauers verglichene Gestaltung sprachlicher Bilder vollzieht sich, diesem Bild zufolge, zunächst unabhängig von der Schauspielerin, wird unter ihrem Einfluss aber gesteigert in eine kunstreligiöse Sphäre. Doch wirkt die dichterische Enargeia auch auf sie ein und verwandelt sie in ein Objekt seiner Kunst: »Hineingezogen in diese Atmosphäre, die die Glut einer Schmiede ausströmte, fühlte sie sich fähig, alle die Verwandlungen zu erdulden, die der Beleber an ihr vollzog, um sein beständiges Bedürfnis nach Schönheit und Poesie zu sättigen. Sie fühlte, daß ihr eigenes Bild in dem dichterischen Geist der Sommergöttin glich, die in dem opalschimmernden Schrein verschlossen ruhte, und zwar so deutlich, daß es greifbar schien.«1767 Der zweite Satz verweist zurück auf ein »improvisierte[s] Gleichnis« des Dichters, das zunächst »die Stimmung wieder[gab], die rings umher in allen Erscheinungen lag«:1768 »Perdita« – sagte der Dichter, der sein ganzes Sein wie von einem geistigen Glücksrausch ergriffen fühlte, als er sah, wie seine Phantasien alles um ihn her belebten – »scheint es Ihnen nicht, als folgten wir dem Trauerzug des gestorbenen Sommers? In einer Trauerbarke ruht die Göttin des Sommers in Gold gekleidet wie eine Dogaressa […]; und der Trauerzug geleitet sie nach der Insel Murano, wo ein gebietender Geist des Feuers sie in einen opalschillernden Glasschrein betten wird, auf daß sie, in die Lagune versenkt, wenigstens durch ihre durchsichtigen Lider dem weichen Spiel der Algen zuschauen und sich einbilden kann, um den Körper noch immer das wollüstige Wogen ihres Haares zu spüren, während sie der Stunde der Auferstehung entgegenharrt.«1769 d’aver gi/ conseguito quelle virtF a cui di continuo aspiro. Mi sembra talvolta che voi abbaiate il potere di conferire non so che qualit/ divina alle cose che nascono dalla mia anima e di farle apparir lontane e adorabili ai miei ochi medesimi. Voi riproducete talvolta in me lo stupor religioso di quello statuario che, avendo trasportato la sera nel tempio i simulacri dei numi ancor caldi del suo lavoro e quasi direi attenenti ancjra al suo pollice plastico, la mattina dopo li vidi esaltati su i piedestalli e avvolti in una nube d’aromati e spiranti divinit/ da tutti i pori della materia sorda in cui egli li aveva foggiati con le sue mani periture. Voi, cara amica, non entrate nella mia anima se non a compiere simili esaltazioni.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 10). 1767 D’Annunzio: Feuer, 14f.: »Attrata in quell’atmosfera ardente come il campo d’una fucina, ella si sentiva passibile die tutte le trasfigurazioni che l’animatore volesse operare su lei per appagare il suo continuo bisogno di belezza e di poesia. Ella sentiva che l’imagine sua propria nel poetico spirito non era di natura diversa da quella della defunta Estate chiusa nell’involucro opalino, pur cos' evidente da parer tangibile.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 11). 1768 D’Annunzio: Feuer, 11: »espresso il sentimento vero diffuso in ogni apparanza d’intorno« (D’Annunzio: Il Fuoco, 8). 1769 D’Annunzio: Feuer, 10f.: »– Perdita – disse il poeta, che sentiva correre per tutto il suo essere una specie di felicit/ intellettuale vedendo propagarsi dovunque le sue animazioni – non vi sembra che noi seguitiamo il corteo dell’Estate defunta? Ella giace nella barca funebre, vestita d’oro come una dogaressa […]; e il corteo la conduce verso l’isola di Murano dove un maestro del fuoco la chiuder/ in un involucro di vetro opalino affinch8, sommersa nella laguna, ella possa almeno guardare a traverso le sue palpebre diafane i molli giochi delle alghe e illudersi di aver tuttavia intorno al corpo l’ondulazione continua della sua capellatura

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Dass diese Passage mit der Anrede der Schauspielerin als »Perdita« beginnt, erweist sich im Nachhinein als Hinweis auf eine weitere Bedeutungsebene des sprachlichen Bildes: Der Dichter betrachtet die Foscarina wie den zu Ende gehenden Sommer zugleich als schön und als (für ihn) ›verloren‹.1770 Das hat freilich auch schlicht mit der Tatsache zu tun, dass er jünger ist und ihre Schönheit, nach beider Empfinden, ihren Höhepunkt überschritten hat. Auf diese metaphorische Konstellation dürfte nicht nur zurückzuführen sein, dass Rilke das Gesicht der Duse in seinem Bildnis-Gedicht mit einem ›schönen welken Strauß‹ vergleicht, sondern auch, dass er auf dieses Gedicht zwei Venedig-Sonette folgen lässt:1771 Das erste – Venezianischer Morgen – vergleicht die Stadt mit einer »Nymphe, die den Zeus empfing«,1772 das zweite – Spätherbst in Venedig – vergleicht die sommerliche Stadt rückblickend mit einem »Köder,/ der alle aufgetauchten Tage fängt« (V. 1f.), und den Sommer mit einem »aus den Gärten« hängenden »Haufen Marionetten« (V. 4f.).1773 Das ist gewiss eine drastischere Bildlichkeit als in Stelios erlesenem Gleichnis,1774 doch beschäftigen dessen »dichterischen Geist« beziehungsweise seine männliche Libido auch weniger erlesene ›Bilder‹ von der älteren Frau, die sich in der Formulierung vom »wollüstige[n] Wogen ihres Haares« immerhin andeuten: »[E]in unreines Verlangen trieb ihn zu dieser wissenden und verzweifelten Frau, in der er die Spuren aller Wollust und aller Seelenschmerzen zu entdecken glaubte, und zu diesem

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voluttuosa aspettando l’ora di risorgere.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 7; zu einer möglichen Anregung für diese Passage ebd. 329, Anm. 3). Im Anschluss an das oben zitierten Götterstatuen-Gleichnis spricht Stelio dies explizit aus: »Und trotzdem, obwohl ich weiß, was Sie mir geben und mehr noch, was Sie mir geben könnten, betrachte ich Sie als für mich verloren, und in dem Namen, mit dem ich Sie so gerne nenne, will ich diese meine bewußte Empfindung ausdrücken und mein unendliches Bedauern…« (D’Annunzio: Feuer, 14): »Colsicch8, mentre so quel che voi mi date e piF quel che potreste darmi, io vi considero vome perduta per me, e nel nome con cui mi piace di chiamarvi io voglio esprimere questa mia consapevolezza e questo mio rammarico infiniti…« (D’Annunzio: Il Fuoco, 10). Den zyklischen Zusammenhang dieser Gedichte mit Bildnis betont Rehm: Rilke und die Duse, 358f. Fragwürdig scheint mir allerdings der von Rehm konstruierte Zusammenhang mit Don Juan. RKA 1: 575; V. 11. Darin klingt auch Stelios im Dogenpalast entfaltete Allegorie nach, welche die von Tintoretto gemalte Begegnung zwischen Ariadne und Bacchus zur Begegnung zwischen Venedig und dem Herbst uminterpretiert (VI.3.3.1). – Bei Venezianischer Morgen handelt es sich um eines der zahlreichen Experimente Rilkes mit der SonettForm: Die Terzette sind als geschlossenes Sextett zwischen die Quartette geschoben, so dass die im achten Vers genannte Struktur »von Spiegelbildern« ikonisch umgesetzt ist (siehe Komm. RKA 1: 985). Siehe D’Annunzio: Feuer, 106: »[D]ie Bäume, die über den Mauern der kleinen Gärtchen hingen, fühlten, wie die Blätter an den zum heiteren Himmel hochgereckten Zweigen starben«: »[G]li alberi, soverchiando le mura dei piccoli orti, sentivano morire le foglie su i rami alzati verso il cielo sereno« (D’Annunzio: Il Fuoco, 87). Andererseits endet das Sonett mit einer Vision vom Wiedererwachen der kriegerischen Seemacht Venedig.

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nicht mehr jungen Körper, der, erschlafft von all den Liebkosungen, ihm bisher unbekannt geblieben war.«1775 Die um 1900 so beliebten Stereotype der femme fragile und der femme fatale verschmelzen hier zu einem dekadenten erotischen Phantasiebild.1776 Die reale Foscarina in der Gondel verspricht Stelio, geängstigt vom plötzlichen Bewusstsein ihres Alters und der Gefahr, den Geliebten zu verlieren, eine Liebesnacht. Doch regt die Schauspielerin den Dichter nicht nur zu Allegorien mit erotischem Subtext an, sondern auch zur Gestaltung von Dramenfiguren, die sie auf der Bühne verkörpern wird. Damit wird, fiktional vermittelt, durchaus auch die Schauspielkunst Eleonora Duses thematisiert. In der Gondel-Episode des Anfangs wird die erste ekphrastische Passage dieser Art dadurch eingeleitet, dass die Mimin einige Verse des Dichters rezitiert: »›Ah, Perdita, wie Sie verstehen, Ihre Stimme zu beschatten!‹ – unterbrach sie der Dichter, der das Gefühl hatte, als ob eine melodische Nacht die Silben seiner Verse verdunkelte.«1777 Die Formulierung gilt sowohl der Stimme Eleonora Duses – »heiß und dunkel«, wie es in der ersten Fassung von Bildnis heißt –, wie jener der Foscarina, der ›Düsteren‹. Der Bezug auf Nacht-Metaphorik wird im Folgenden weitergetrieben, indem der Dichter fragt: Erinnern Sie sich der Szene, in der Persephone hinabsteigen will in die Unterwelt, während der Chor der Okeaniden wehklagt? Ihr Gesicht gleicht dem Ihren, wenn es sich verdüstert. Regungslos in ihrem safranfarbenen Peplon neigt sie das gekrönte Haupt nach hinten, und es ist, als ob durch ihre blutlos gewordenen Adern die Nacht rinne und sich unter dem Kinn, in den Augenhöhlen, in den Nasenflügeln verdichte und sie in eine düstere tragische Maske verwandle. Es ist Ihre Maske, Perdita. Die Erinnerung an Sie half mir die göttliche Gestalt heraufbeschwören, als ich an meinem Mysterium arbeitete. […] Und eines Abends, als ich mich in Ihrem Hause von Ihnen verabschiedete, auf der Schwelle eines Zimmers, in dem die Lampen noch nicht angezündet waren (an einem stürmischen Abend des verflossenen Herbstes, wenn Sie sich erinnern), gelang es Ihnen durch eine einzige Bewegung, in meiner Seele das Geschöpf lebendig zu machen, das bis dahin noch verborgen ruhte; und dann verschwanden Sie, ohne die plötzliche Geburt zu ahnen, die Sie herbeigeführt, im inneren Dunkel Ihrer Unterwelt. Ach, ich war sicher, Ihr Schluchzen zu hören, und dennoch durchströmte mich eine unbezähmbare Freude.1778 1775 D’Annunzio: Feuer, 35. 1776 Siehe Thomalla: Femme fragile; Carola: Die Femme fatale; zur Darstellung in der Kunst um 1900 siehe den Katalog Van Ost: Femmes fatales. 1777 D’Annunzio: Feuer, 18: » – Ah, Perdita, come sapete diffondere l’ombra su la vostra voce! – interrupe il poeta, sentendo una notte armoniosa ottenabrare le sillabe dei suoi versi.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 13). 1778 D’Annunzio: Feuer, 18: »Vi ricordate voi della scena in cui Persefone H sul punto di sprofondarsi nell’Erebo, mentre il coro delle Oceanidi geme? Il suo volto somiglia al vostro, quando s’obscura. Rigida nel suo peplo tinto di croco ella abbbandona indietro il capo coronato, e sembra che la notte fluisca nella sua carne divenuta esangue e s’addensi sotto il

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D’Annunzio hat keine Persephone-Tragödie geschrieben – die Erzählung von ihrem Zustandekommen durch das Vorbild der Schauspielerin ist eine Strategie, die der Fiktion vorbehalten ist. Innerhalb dieser Fiktion trägt sie nicht zuletzt zur allegorischen Stilisierung der Figur bei. 3.3.3 Im Dogenpalast: die Allegorisierung der Zuschauenden Trotz einer gewissen Nervosität ist Stelio entschlossen, seine Rede »ex tempore« zu halten, und schlüpft damit in die Rolle eines antiken Vortragsvirtuosen wie Philostrat.1779 Die intime Verwandlung innerer Visionen und äußerer Eindrücke zu sprachlichen Bildern wird zum öffentlichen Ereignis, und im Wechsel von Innen- und Außensicht führt der Erzähler vor, wie inventio und actio zusammenwirken. Während der Dichter seinen Auftritt hat, wird die Mimin zur Zuschauerin. Dennoch bittet er sie, sich so zu stellen, dass er sie gut sehen kann, und hofft auf die enargeische Wirkung ihrer Präsenz. Diese Hoffnung verbindet sich auf dem Weg in den Palast mit seiner Erwartung der Liebesnacht und steigert die ›unreinen‹ Züge seines Phantasiebildes von ihr : Das Bild der Foscarina leuchtete einen Augenblick vor seiner begehrlichen Seele, vergiftet durch die Kunst, wollüstigen Wissens voll, mit einem Zug von Reife und Verderbtheit um den beredten Mund, mit den fiebertrockenen Händen, die den Saft der trügerischen Früchte ausgepresst hatten, mit den Spuren der hundert Masken auf dem Gesicht, das die Gewalt der tödlichen Leidenschaften geheuchelt hatte. So stellte er sie sich in seiner Begehrlichkeit vor; und sein Herz klopfte bei dem Gedanken, daß er sie in kurzem aus der Menge auftauchen sehen würde, wie aus dem Element, das ihr untertan, und daß ihr Blick ihn in den nötigen Rausch versetzen würde.1780 mento, nel cavo degli occhi, intorno alle nari, trasfigurandola in una cupa maschera tr#gica. ð la vostra maschera, Perdita. Il ricordo di voi mi aiutk ad evocare la persona divina mentre componevo il mio Mistero. […] E una sera, nella vostra casa, congedandomi dalla soglia d’una stanza dove non erano ancjra accese le lampade (una sera agitata dello scorso autunno, se vi sovviene), riusciste col vostro solo gesto a portare in luce nella mia anima la creatura che vi giaceva ancjra inviluppata; e poi, inconsapevole di aver promessa quella subit#nea nativit/, scompariste nell’intimo buio del vostro Erebo. Ah, io era certo di udire i vostri singhiozzi, e pure correva in me un torrente infrenabile di gioia.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 14). 1779 D’Annunzio: Il Fuoco, 21. Stelio bereut kurzfristig, das »Amt eines Schmuck- und Unterhaltungsredners angenommen zu haben« (D’Annunzio: Feuer, 37): »d’aver accettato questo ufficio di oratore ornativo e dilettoso« (D’Annunzio: Feuer, 30). Dass D’Annunzio, der gerade in diesem Roman mit seinen altphilologischen Kenntnissen prunkt, die auch in der italienischen Renaissance so einflussreichen Eikones genau kannte, scheint mir außer Zweifel zu stehen. 1780 D’Annunzio: Feuer, 41: »L’imagine della Foscarina balenk al suo desiderio, avvelenata dall’arte, carica di sapere voluttuoso, col gusto della maturit/ e della corruzione nella bocca eloquente, con l’aridezza della vana febbre nelle mani che avevano spremuto il succo dei frutti ingannevoli, con i vestigi di cento maschere sul viso che aveva simulato il furore delle passioni mortali. Cos' egli la fingeva al suo desiderio; e palpitava pensando che fra

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Die hier erwähnten »trügerischen Früchte« sind Granatäpfel, das Zeichen der Proserpina.1781 Die Rollenfigur verzerrt sich ihm also unter dem Eindruck seiner Phantasie von Foscarinas »Reife und Verderbtheit« ins Fratzenhafte. Deutlich verschmilzt hier das Stereotyp der femme fatale mit dem der Schauspielkunst als lügenhafter Verstellung, die Nietzsche im 361. Aphorismus der Fröhlichen Wissenschaft explizit mit ›den Frauen‹ verbindet.1782 Ganz anders jedoch wirkt der tatsächliche Anblick der zuschauenden Schauspielerin auf den Redner : Stelio Effrena bemaß das Schweigen, in dem seine erste Silbe erzittern würde. Während das erste Wort den Weg zu seinen Lippen suchte, geleitet und gefestigt von seinem Willen gegen die instinktive Verwirrung, gewahrte er die Foscarina neben dem Geländer stehend, das die Himmelskugel umgab. Das bleiche Gesicht der Tragödin auf dem Hals, den kein Geschmeide zierte, und der reinen Form der nackten Schultern hob sich von dem Ringe mit dem Zeichen des Tierkreises ab. Stelio bewunderte das Künstlerische dieser Erscheinung. Und aus der Ferne seine anbetenden Blicke auf sie heftend, begann er mit abgemessener Langsamkeit zu sprechen, fast, als hätte er noch den Rhythmus des Ruders im Ohr.1783

Das vom Dichter bewunderte »Künstlerische dieser Erscheinung« beruht einerseits auf ›klassizistischer‹ Schlichtheit, schmucklos, aber mit entblößten Partien,1784 zum anderen auf den Hintergrund des Himmelsglobus mit den Sternkreiszeichen1785 – man vergleiche mit Alphonse Muchas Lithographie Tierkreis von 1896, die in der jüngsten Auflage der hier verwendeten kom-

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breve l’avrebbe veduta emergere dalla folla come dall’elemento a cui ell’era asservita e avrebbe attinto dallo sguardo di lei l’ebrezza necessaria.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 33). Man vergleiche die Bildphantasien in Van Os: Femmes fatales. Il Fuoco erschien als erste der romanzi del Melagrano (D’Annunzio: Il Fuoco, 1), deren weitere Bände jedoch nicht zustande kamen. Nietzsche zufolge verstellen sich ›die Frauen‹ selbst noch unter Hypnose und in der sexuellen Hingabe: »Endlich die Frauen: man denke über die ganze Geschichte der Frauen nach – müssen sie nicht zu allererst und -oberst Schauspielerinnen sein? Man höre die Ärzte, welche Frauenzimmer hypnotisiert haben; zuletzt man liebe sie – man lasse sich von ihnen ›hypnotisieren‹! Was kommt dabei heraus? Daß sie ›sich geben‹, selbst noch, wenn sie – sich geben… Das Weib ist so artistisch…« (Nietzsche: Werke 2, 235). D’Annunzio: Feuer, 48: »Stelio ðffrena misurk il silenzio in cui la sua prima sillaba avrebbe potuto tremare. Mentre la voce gli saliva alle labbra condotta e affermata dalla volont/ contro il turbamento istintivo, egli scorse la Foscarina diritta in piedi presso la ringhiera che circondava il globo celeste. Il volto palidissimo della Tragica, sul collo privo di gioielli e su la purezza delle spalle nude, levavisi nell’orbe dei segni zodiacali. Stelio ammirk l’arte di quell’apparizione. Fissando i lontani occhi adorati, egli cominck a parlare con estrema lentezza, quasi che avesse ancor nell’orechhio il ritmo del remo.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 38f.) Vgl. Humboldts Beschreibung von Talma: »Sein Wuchs ist schlank und fein, die Arme, auf die es beim Heldencostüme, wo man sie oft nackt sieht, sehr ankommt, gut gebildet, die Lenden, Schenkel und Füsse von musterhafter Schönheit« (HW 2: 278f.; IV.3.2). Ein Himmelsglobus befindet sich nicht (mehr?) im Ratssaal des Dogenpalastes, wohl aber ist die »Sala dello Scudo« einen Stock tiefer voller Landkarten und Globen.

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mentierten Ausgabe das Titelblatt von Il Fuoco schmückt, ohne dass der Zusammenhang erläutert würde. Allerdings ähnelt die dargestellte rothaarige Frauenfigur nicht der Duse, sondern Muchas Förderin Sarah Bernhardt:

Abb. 37: Alphonse Mucha: Zodiac (Lithographie, 1896)

Die ›künstlerische‹ Wahrnehmung der ›Erscheinung‹ setzt sich fort, und zwar mit allegorisierender Tendenz. So heißt es etwas später, nachdem der Redner eine kleine Stockung in der Rede glücklich überwunden und keine Scheu mehr vor dem Publikums-›Drachen‹ hat: Die Gefahr war vorüber, und er war imstande, in den Zirkel seines Traumes das ungeheure, vieläugige Fabeltier zu ziehen, dessen Brust leuchtende Schuppen bedeckten, das bewegliche, vielgliedrige Ungetüm, aus dessen Flanke, wie ein Sproß von ihm, die tragische Muse auftauchte, mit dem Haupt, das sich von dem Kreis der Gestirne abhob.1786 1786 D’Annunzio: Feuer, 52: »[…] fuor del pericolo, atto a trascinar nei cerchi del suo sogno la smisurata chimera occhiata dal busto coperto die scaglie splendide, il mostro efimero e versatile fuor del cui fianco emergeva filialmente la mfflsica tragica dal capo alzato nell’orbe delle costellazioni.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 42).

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Dieses perzeptuelle, mentale, sprachliche und graphisch inspirierte Bild fasziniert den Dichter so, dass es, wenige Seiten später, auch seine detaillierte Musterung des Publikums strukturiert; anschließend wird die allegorische Vision explizit mit seiner erotischen femme fatale-Phantasie kontrastiert: Und während er die tausend Augenblicksbilder bemerkte, bewahrte er dennoch in seiner Vision die Vorstellung von dem unübersehbaren vieläugigen Fabeltier, von der mit leuchtenden Schuppen bedeckten Brust, aus dessen Flanke die tragische Muse auftauchte, deren Haupt sich abhob aus dem Kreis der Gestirne. // Immer wieder kehrte seine Blick zurück zu der verheißenen Frau, die sich ihm zeigte, gleichsam die lebendige Stütze einer Sternenwelt. Er war ihr dankbar, daß sie diese Art und Weise gewählt hatte, um ihm so in dem Augenblick der ersten Zusammengehörigkeit zu erscheinen. Er sah jetzt nicht mehr die Geliebte einer Nacht in ihr, den in langen Liebesgluten gereiften Körper, erfahren in allen Künsten der Wollust; sondern er sah in ihr das bewundernswerte Werkzeug der neuen Kunst, die Verkünderin der großen Poesie, sie, die in ihrer wechselvollen Persönlichkeit das kommende Gedicht der Schönheit verkörpern, die den Völkern mit ihrer unvergeßlichen Stimme den Weckruf bringen sollte. Nicht des verheißenen Genusses halber, sondern wegen der Verheißung des Ruhmes verband er sich ihr jetzt. Und das Werk, das er in sich trug, formlos noch, erbebte noch einmal zu zuckendem Leben.1787

Hier kommt schließlich auch eine weiterer in der Gondel-Episode etablierte Tendenz seiner Foscarina-Bilder ins Spiel: die Schauspielerin als Vor-Bild für Rollenfiguren, die ihr auf den Leib zu schreiben sind im Zeichen des großen Projektes einer Theaterreform. Doch dringt noch im Dogenpalast ein weiteres Gegen-Bild zur ›reinen‹ Vision der Foscarina in Wahrnehmung und Phantasie des Dichters: die junge Sängerin Donatella Arvale, die in einer anschließenden konzertanten Wiederaufführung die Titelpartie einer wieder entdeckten Ariadne-Oper singen wird. ðffrena und die mit Donatella befreundete Foscarina waren auf sie bereits in der Gondel zu sprechen gekommen, kurz, aber dunkle Vorahnungen weckend.1788 Den Weg zu ihr weist, wenigstens in seinem Erleben, »die tragische Muse« selbst. Der Redner 1787 D’Annunzio: Feuer, 68f.: »E tuttavia, mentre notava i mille aspetti momentanei, egli conservava nella sua visione l’imagine totale della smisurata chimera occhiuta dal busto coperto di scaglie splendide, fuor del cui fianco emergeva la musa tragica col capo alzato nell’orbe delle costellazioni.// Il suo sguardo torneva di continuo alla donna promessa, che mostravasi a lui come il fulcro vivente d’un mondo stellare. Egli le era grato di aver scelto un tal modo per apparirgli nell’atto di quella prima communione. Egli ora non vedevo piF in lei l’amante di una notte, il corpo maturato da lunghi ardori, carico di sapere voluttuoso; ma vedeva lo strumento mirabile dell’arte novella, la divulgatrice della grande poesia, quella che doveva incarnare nella sua persona mutevole le future finzioni di belleza, quella che doveva portare ai popoli nella sua voce indimenticabile la parola risvegliatrice. Non per una promessa di piacere ma per una promessa di gloria egli ora si legeva a lei. E l’opera ch’egli nutriva entro di s8, ancjra informe, ebbe un altro sussulto.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 55). 1788 Siehe D’Annunzio: Feuer, 32; D’Annunzio: Il Fuoco, 25.

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hat gerade die Farbgewalt der venezianischen Maler mit einer Fackel verglichen, die im Stafettenlauf weitergegeben wird, und diese Fackel wiederum mit einer Blüte: Und er pflückte mit seinen Händen die bildliche Blüte in der Luft, wie von der unsichtbaren Höhe der Woge, die die heiße Seele des Fabeltieres dem Dichter, von dem es jetzt besiegt war, entgegentrug. Und seine Augen schweiften hinüber zu dem Himmelsglobus; stumm wollte er diese feurige Gabe jener Frau darbringen, die dort unten den göttlichen Sternenkreis die Tiere hütete. »Dir, Perdita!« Aber die Frau lächelte einer entfernt sitzenden Gestalt zu; sie lächelte zuwinkend.// Und diesem Lächeln folgend, traf sein Blick die Unbekannte, die ihm plötzlich aus dem Sternenkreis entgegenleuchtete.// War nicht vielleicht sie das musikalische Geschöpf, dessen Name von dem Panzer des Schiffes zurückgeworfen worden war in dem schweigenden Schatten?1789

Gemäß der hier waltenden allegorischen Bildlogik steht die Geschenk-Geste für die enargeische Wechselwirkung zwischen Malerei, Poesie und Schauspielkunst, durch Foscarinas Blick erweitert um die in Donatella verkörperte Musik. Schon ihr Name und die Fiktion, dass ihr Vater ein berühmter Bildhauer ist, weist in diese Richtung; und als Stelio sie schließlich als Sängerin erlebt, hinter dem Orchester auftauchend, erscheint sie ihm denn auch als Brunnenskulptur : Die Bogen, die um ihre weißglänzende Erscheinung sich hoben und senkten, schienen die Töne der in ihr schlummernden Musik aus ihr herauszuziehen. Als ihre Lippen sich öffneten, kannte Stelio, noch ehe der Ton gebildet war, die Reinheit und Macht ihrer Stimme; gleichsam als ob er eine kristallene Statue vor Augen hätte, aus deren Innerem er den Strahl eines lebendigen Quelles aufsteigen hörte.1790

Als der Dichter, im Hof des Dogenpalastes wartend, dieses Bild in seiner Erinnerung erneuert, erhält es eine erotische Färbung – und tritt in Kontrast zum ›unreinen‹ Phantasiebild der Älteren: Donatella Arvales Bild haftete vor seinem inneren Blick: die geschmeidige junge Gestalt mit den kräftigen, schöngeschwungenen Hüften, wie sie heraustrat aus dem 1789 D’Annunzio: Feuer, 71: »Colse egli con le sue dita l’ideal fiore nell’aria, come dalla sommit/ invisibile dell’onda che l’anima estuosa della chimera mandava verso il poeta da cui ell’era conquisa. E i suoi occhi andarano alla sfera celeste, volendo offrire mutamente quel dono igneo a colei che custodiva laggiF il divino bestiame zodiacale ›A te, Perdita!‹ Ma la donna sorrideva rivolta a una persona lontana; sorrideva accenannando.// Cos', nel seguire il filo del sorriso, egli fu condotto alla persona sconosciuta che s’illumink per lui di repente su un campo d’ombra.// Non era quella forse la creature musicale il cui nome aveva risonato contro la corazza della nave, nel silenzio e nell’ombra?« (D’Annunzio: Il Fuoco, 57). 1790 D’Annunzio: Feuer, 87: »Alzandosi e abassandosi intorno alla bianca persona, gli archi parevano trarre la nota della mfflsica occulta che era in lei. Quando le sue labbra si incurvarano, Stelio conobbe la purit/ e la forza della voce non anche modulata, quasi che egli avesse dinanzi agli occhi una statua di cristallo per entro a cui vedesse ascender8 la vena d’una fonte viva.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 71).

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klingenden Wald, inmitten der wechselnden Bewegung der Plektren, die die Töne, die in ihr noch verborgen schlummerten, herauszuziehen schienen. Und mit seltsamem Bangen, in das sich fast ein Schatten von Schrecken mischte, beschwor er das Bild der andern herauf: vergiftet durch die Kunst, beschwert durch wollüstiges Wissen, mit dem Zug von Überreife und Verderbtheit um den beredten Mund, mit den von zweckloser Glut trockenen, heißen Händen, die aus betrügerischen Früchten den Saft ausgepreßt hatten, mit den Spuren von hundert Masken in dem Gesichte, das die Wut tödlicher Leidenschaften geheuchelt hatte.1791

Die Auslöserinnen seiner Projektionen verschmelzen nun zu einem Doppelbild: Er erblickt die aus dem Palast kommende »Gestalt der Foscarina, in dem Gedränge so dicht an Donatella Arvale geschmiegt, daß sie beide zu einem weißleuchtenden Körper zu verschmelzen schienen.«1792 3.3.4 Im Haus der Foscarina: Phantasiebilder von der Gefeierten Auf der anschließenden Feier im Wohnhaus der Foscarina verwandelt sich das erotische Doppelbild der Frauen in ein Dreifachbild der Künste, als Stelios Jünger Daniele Gl/uro den Toast ausbringt: »Es sei mir gestattet, auch im Namen zahlloser Abwesender, die Dankbarkeit auszusprechen und die inbrünstige Empfindung, die die drei Personen, denen wir dieses Wunder verdanken, zu einem einzigen Bilde von Schönheit zusammenschmelzen: unsre Gastgeberin, die Tochter von Lorenzo Arvale, und der Dichter der Persephone!«1793 Die Foscarina weist das Lob »lächelnd, mit anmutigem Erschrecken« zurück,1794 weil sie nur Zuschauerin gewesen sei, doch Gl/uro bezeugt, dass die Präsenz der zuschauenden Schauspielerin nicht allein auf den Dichter gewirkt hat:

1791 D’Annunzio: Feuer, 89f.: »L’imagine di Donatella Arvale persisteva nelle sue pupille: – l’agile persona giovenile, dalle reni falcate e possenti, fuor della selva sonora, tra il moto alterno dei plettri che parevan trarre la nota della musica occulta ch’era in lei. Ed egli, con una strena angoscia su cui passava quasi un’ombra di orrore, evock l’imagine dell’altra: – avvevelenata dall’arte, carica di sapere voluttuoso, col gusto della maturit/ e della corruzione nella bocca eloquente, con l’arridezza della vana febbre nelle mani che avevano spremuto il succo dei frutti ingannevoli, con i vestigi di cento maschere sul viso che aveva simulato il furore delle passioni mortali.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 73). 1792 D’Annunzio: Feuer, 90: »la figura della Foscarina cos' stretta a quella di Donatella Arvale, nella ressa, che l’una si confondeva con l’altra in un medesimo biancheggiare.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 74). 1793 D’Annunzio: Feuer, 106: »Mi sia concesso di esprimere, anche per un gran numero di assenti, la riconoscenza e il fervore che confondono in una sola imagine di belezza le tre persone a cui dobbiamo il miracolo: la signora del convito, la figlia di Lorenzo Arvale e il poeta di Persefone.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 87). 1794 D’Annunzio: Feuer, 106: »sorridendo […] con una grazia attonita« (D’Annunzio: Il Fuoco, 87).

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Aber Ihre schweigende Gegenwart vorhin, in dem Saale des Großen Rats, dicht bei dem Himmelsglobus […] war nicht minder beredet als Stelios Worte, nicht minder musikalisch als Ariadnes Gesang. Und wieder einmal haben Sie im Schweigen Ihre eigene Statue, die nun zusammen mit dem Worte und dem Gesang in unserer Erinnerung leben wird, göttergleich gemeißelt.1795

Prompt schiebt sich dieses Bild in Stelios Phantasie vor die ›Brunnenskulptur‹ der Sängerin, zumal es sich anschließen lässt an sein eigenes GötterstatuenGleichnis in der Gondel. Da war die Statue allerdings ein Bildspender für sein Werk, das er durch den Einfluss der Foscarina als ›göttlich‹ erleben konnte; hier ist sie selbst zur Statue und zu ihrem eigenen Werk geworden. Doch ein anderer Verehrer Stelios erkennt auch, dass ihre statuenhafte Präsenz im Sinn der intermedialen Wirkungskette vor allem den Dichter inspirierte, um dessen Werk es seinen Anhängern vor allem zu tun ist: »›Es schien, als ob sie allein bei der geheimnisvollen Geburt einer neuen Gedankenwelt Beistand leisteten‹ – sagte Antimo della Bella. – ›Alles ringsum schien sich zu beseelen, um diese Gedankenwelt ins Leben zu rufen, die uns nun bald offenbart werden wird, zum Lohn dafür, daß wir sie mit so unerschütterlichem Glauben erwartet haben.‹«1796 Die demütige Antwort der Foscarina auf diese erneute Huldigung wird erst ein halbes Dutzend Seiten weiter mitgeteilt; dazwischen schiebt sich eine Vision Stelios, die umfangreichste des Romans, in der die Grundfiguren seiner Foscarina-Phantasien – ›enargeische Muse‹, Bildspenderin, Rollen-Vorbild und ambivalentes erotisches Wunschbild – einander durchdringen, steigern und um neue Aspekte ergänzt werden. Zunächst reagiert seine Imagination auf die von Antimo della Bella beschworene Musen-Funktion: Der dichterische Erwecker fühlte mit einem neuen Schauer in seinem Inneren die Zuckungen des Werkes, das er in sich trug, noch formlos, und doch schon lebenskräftig, und seine ganze Seele drängte sich mit ungestümer Gewalt, wie übermannt von lyrischer Ergriffenheit, nach der befruchtenden und belebenden Kraft, die von dem dionysischen Weibe ausströmte, zu dem die Lobeshymnen dieser begeisterten Bewunderung aufstiegen.// Sie war mit einem Male wunderschön geworden, ein dunkelnächtiges Geschöpf, das auf goldenem Amboß von Leidenschaften und Träumen gestaltet worden, ein atmendes Bildnis [simulacro] unsterblicher Götter und urewiger Rätsel. Auch wenn sie unbeweglich war, auch wenn sie schwieg, schienen ihre wun1795 D’Annunzio: Feuer, 106f.: »Ma la vostra presenza silenziosa, nella Sala del Maggior Consiglio, dianzi, presso la sfera celeste […] non era meno eloquente della parola di Stelio, n8 meno musicale del canto di Arianna. Anche una volta voi avete scolpito divinamente nel silenzio la vostra propria statua, che vive nel nostro ricordo con la parola e col canto.« (D’Annuzio: Il Fuoco, 87). 1796 D’Annunzio: Feuer, 107: »Sembrava che voi sola foste per assistere alla nascita misteriosa di un’idea nuova – disse Antimo della Bella. Tutto intorno sembrava animarsi per generare quell’idea, che presto sar/ a noi rivelata, se ci valga l’averla attesa von tanta fede.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 88).

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dervollen Töne, ihre unvergleichlichen Bewegungen um sie herum zu leben und unbestimmt zu vibrieren, wie Melodien um die Saiten, die sie sie wiederzugeben pflegen, wie Reime um das geschlossene Buch, in dem die Liebe und und der Schmerz sie aufzusuchen pflegen, um sich daran zu berauschen und Trost zu finden.1797

Im Zeichen Nietzsches wird die erotische Komponente von Stelios Phantasien ins Positive gewendet: Zwar verweist die Formulierung »ein dunkelnächtiges Geschöpf« wieder auf das Urbild und die Darstellerin der Proserpina, doch erscheint sie diesmal nicht »vergiftet durch die Kunst, wollüstigen Wissens voll,«1798 sondern – im Anschluss an ihre Erhöhung zur Statue durch Danile Gl/uro – als »auf goldenem Amboß von Leidenschaften und Träumen« geformte Statue aus Metall. Wie bei Gl/uro ist das Bild der reglos-stummen Statue verbunden mit der Erinnerung an die zuschauende Schauspielerin im Dogenpalast. Doch in diesem Fall wird die Präsenz so erinnert, dass sie Erinnerungen wachgerufen habe an Deklamation und Bewegungen der Schauspielerin. Bestimmt werden diese zwar nur durch unkonkret-superlativische Adjektive,1799 doch schließt sich ein umfangreicher Rollenkatalog an: Antigones heroische Treue, Cassandras prophetische Raserei, Phädras verzehrendes Fieber, Medeas Wildheit, das Opfer der Iphigenie, Myrrha vor dem Vater, Polyxena und Alceste angesichts des Todes, Cleopatra, veränderlich wie Wind und Flamme, Lady Macbeth, die seherische Mörderin mit den kleinen Händen, und diese weißen Lilien ganz betaut mit Blut und Tränen, Imogen, Julia, Miranda und Rosalinde, Jessica und Perdita, die süßesten Geschöpfe und die schrecklichsten und die prachtvollsten, sie alle waren in ihr, sie bewohnten ihren Körper, sie blitzten aus ihren Augen, sie atmeten aus ihrem Mund, der den Honig kannte und das Gift, den edelsteinfunkelnden Pokal und die Schale aus Baumrinde.1800 1797 D’Annunzio: Feuer, 107f.: »L’animatore, con un altro brivido, sent' sussultare entro di s8 l’opera ch’egli nutriva, ancjra informe ma gi/ vitale; e tutta la sua anima si inclink con un moto impetuoso, come investita da un soffio lirico, verso la potenza di fecondazione e di rivelazione ch’emanava dalla donna dionisica a cui saliva la lode di quegli spiriti ferventi.// Ella a un tratto era divenuta bellissima, creatura notturna foggiata dalle passioni e dai sogni su un’incudine d’oro, simulacro spirante dei fati immortali e degli enigmi eterni. Se bene ella fosse immobile, se bene ella tacesse, i suoi accenti famosi, i suoi gesti memorabili parevano vivere intorno a lei e vibrare indefinatamente come le melodie interno alle corde che sogliono ripetere, come le rime intorno al libro chiuso ove l’amore e il dolore sogliono ricercarle per inebriarse e per consolarsene.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 88) Simulacro würde ich eher als ›Götzenbild‹ übersetzen. 1798 D’Annunzio: Feuer, 41: »avvelenata dall’arte, carica di sapere voluttuosa« (D’Annunzio: Il Fuoco, 33). Zur Bedeutung Nietzsches für Il Fuoco siehe Mazzota: Nietzsche. 1799 Wörtlich übersetzt sind »accenti famosi« ›berühmte Töne‹ und »gesti memorabili« ›denkwürdige‹ oder ›unvergessliche Bewegungen‹ – die meist recht sorgfältige Übersetzerin Maria Gagilardi empfand die Epitheta offensichtlich als so beliebig, dass sie glaubte, sich der Klangwirkung zuliebe Freiheiten erlauben zu dürfen. 1800 D’Annunzio: Feuer, 108. »La fedelt/ eroica di Antigone, il furore fatidico di Cassandra, la divorante febbre di Fedra, la ferocia di Medea, il sacrifizio d’Ifigenia, Mirra dinanzi al

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Wie in Rollenkatalogen üblich, wird hier vor allem die Vielseitigkeit der Schauspielerin demonstriert.1801 Dabei geht es zum einen um die Bandbreite in der Darstellung von Charakteren und Emotionen (›süß‹ und ›schrecklich‹ »Honig« und »Gift«), zum anderen um die variable gesellschaftliche Position der Dargestellten (gekennzeichnet durch ›Edelstein‹ und »Birkenrinde«) jenseits der Ständeklausel und ohne eine Abgrenzung der Tragödin gegen die Komödiantin. Dennoch fällt auf, dass es sich sozusagen um einen Höhenkamm-Katalog handelt: Während die Duse mit ›Erdichtetem‹ von Dumas d. J. und anderen ModeDramatikern zu tun hatte und ihr Repertoire zunächst durch Ibsen zu erweitern suchte, werden der Foscarina nur klassische Heroinen und Shakespeare-Figuren zugeschrieben, verbunden durch die Rolle der Kleopatra, welche die reale Mimin tatsächlich spielte (siehe VI.1). Bemerkenswert ist, dass der Name Perdita in diesem Zusammenhang eine neue Bedeutungsschattierung erhält: Gemeint ist die Rolle einer Königstochter in Shakespeares Cymbeline, die auf Geheiß ihres Vaters ausgesetzt, von Hirten aufgezogen und schließlich wieder in ihre Rechte eingesetzt wird; anders als im Kontext der Fahrt zum Dogenpalast deutet sich damit für die ›verlorene‹ Foscarina die Aussicht auf ein glückliches Ende an. Mit der Erwähnung von »Körper«, »Augen« und »Mund« schließlich wird auch auf die actio der Darstellerin verwiesen, jedoch in einer Weise, die nicht konkrete Stilzüge hervorhebt, sondern fassungsloses Staunen über die Ausdrucksfülle ihres Körpers ausdrückt. Immerhin wird im Folgenden denn doch, im Zuge einer Variation dieses antithetischen Musters, auf die Neigung Eleonora Duses angespielt, sparsame mimische Mittel einzusetzen: So schien sich, räumlich und zeitlich unbegrenzt, die gegebene Form des Stoffes und des Lebens zu erweitern und zu verewigen; und dennoch entstanden diese unendlichen Welten unvergänglicher Schönheit einzig und allein aus einer Muskelbewegung, aus einer Andeutung, einem Wink, einem Gesichtszug, aus einem Schlagen der Augenlider, aus einer schwachen Veränderung der Farbe, einer leichten Neigung der Stirn, aus einem flüchtigen Spiel von Licht und Schatten, aus einer erstaunlich lebhaften Ausdrucksfähigkeit, die in dem gebrechlichen, schwachen Körper wohnte.1802 padre, Polissena e Alceste dinanzi alla morte, Cleopatra volubile come il vento e la vampa sul mondo, Lady Macbeth veggente carnifice dalle piccole mani, e i grandi gigli imperlati di rugiade e di lacrime, Imogene, Giulietta, Miranda, e Rosalinda e Jessica e Perdita, le piF dolci anime e le piF terribili e le piF magnifiche erano in lei, abitavano il suo corpo, balenavoano per le sue pupille, respiravano per la sua bocca che sapeva il miele e il veleno, la copa gemmata e la tazza di scorza.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 88f.) 1801 Erinnert sei an die Burbage-Elegie (II.2.2) und A. W. Schlegels Gedichte Das Feenkind und An Ida Brun (IV.5.3). 1802 D’Annunzio: Feuer, 108: »Cos' in una vastit/ senza limiti e in un tempo senza fine pareva ampliarsi e perpetuarsi il contorno della sostanza e dell’et/ umana; pur tuttavia non da altro se non dal moto di un muscolo, da un cenno, da un segno, da un lineamento, da un battito di palebre, da una tenue mutazione di colore, da una lievissima reclinazione della fronte, da un fuggevole gioco di ombre e di luci, da una fulm&nea virtF espressiva irradiata

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Erstmals in dieser langen Phantasie kommt für einen Moment körperlicher Fragilität in den Blick, doch umgehend wechselt die Passage wieder ins Allegorische und Hyperbolische und thematisiert nunmehr die durch das Spiel der Mimin evozierten fiktionalen Räume: Die Genien selbst der durch die Poesie geheiligten Orte schwebten über ihr und zauberten rings um sie buntwechselnde Bilder. Die staubige Ebene von Theben, das steinige Argolis, die verdorrten Myrten von Trözen, die heiligen Ölbäume von Kolonos, das fahle Gefilde von Dunsinan, Prosperos Höhle und der Ardennenwald, blutgetränkte Länder, von Schmerzen durchwühlt, und Länder, die durch einen Traum umgewandelt oder durch ein unauslöschliches Lächeln verklärt sind, – sie alle erschienen hinter ihrem Haupt, entfernten sich wieder und schwanden.1803

Dieser Katalog wird fortgesetzt durch eine Aufzählung realer, doch stark stereotypisierter Landschaften, welche die weltberühmte Schauspielerin auf ihren Tourneen durchreist,1804 und ihrer Bewohner, zu deren Heilsbringerin sie im Sinn einer kulturimperialistischen Mission stilisiert wird: »all die barbarischen Massen, denen sie wie eine erhabene Offenbarung des lateinischen Genius erschienen war, all die unbekannten Scharen, denen sie die göttliche Sprache Dantes gesprochen hatte, all die zahllosen menschlichen Herden, von denen auf einer Woge wirrer Hoffnungen und Ängste das Sehnen nach der Schönheit zu ihr aufgestiegen war.«1805 In einer weiteren antithetischen Wendung wird die Gabe dieser dramatischen Heilsbringerin nochmals mit ihrer Physis kontrastiert. Dazu kommt ein erstmals explizit eingebrachter biographischer Aspekt, nämlich ihre ärmliche Kindheit in einer Truppe von Wanderschauspielern: nella carne angusta e frale si generavano di continuo quei mondi infiniti d’imperitura belezza.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 89). 1803 D’Annunzio: Feuer, 109. »I genii stessi dei luoghi consacrati dalla poesia alitavano sopra di lei, la cingevano di visioni alterne. Il piano polveroso di Tebe, l’Argolide sitibonda, i mirti arsicci die Trenzene, i santi olivi di Colono, il trionfale Cidno, e la pallida campagna di Dunsinina, e la caverna di Prospero, e la selva delle Ardenne, i paesi rigati di sangue, travagliati dal dolore, trasfigurati da un sogno o rischiarati da un sorriso inestinguibile, apparivano, lontanavono, dileguavano dietro la sua testa.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 89) 1804 Etwa: »Und andere ferne Länder, neblige Gegenden, nordische Steppen, ungeheure Kontinene jenseits der Ozeane« (D’Annunzio, Feuer, 109): »E altri paesi remoti, le regioni delle brume, le lande settentrionali, i continenti immensi di l/ dagli occeani« (D’Annunzio: Feuer, 89). 1805 D’Annunzio: Feuer, 109: »tutte le folle barbariche a cui ella era apparsa come una rivelazione sovrana del genio latino, tutte le torme ignare a cui ella aveva parlato la lingua sublime di Dante, tutte le innumerevoli greggi umane ond’era salita verso di lei sopra un flutto di ansie e di speranze confuse l’aspirazione verso la Bellezza.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 89f.) Die Vision des Aufsatzes La La Rinascenza della Tragedia von der Kultivierung des einfachen Volkes in Orange unter römischer Herrschaft (VI.3.1) wird hier universalisiert.

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Da war sie, das Geschöpf aus hinfälligem Fleisch und Bein, den traurigen Gesetzen der Zeit unterworfen; und eine unermeßliche Fülle wirklichen und geträumten Lebens lastete auf ihr, erfüllte die Atmosphäre um sie herum, pulsierte mit dem Rhythmus ihres Atems. Denn nicht nur in der Welt der Dichtung hatte sie ihre Wehrufe ertönen lassen, ihre Seufzer erstickt, sondern auch in der Alltagswelt. Sie hatte leidenschaftlich geliebt, gekämpft, gelitten um sich selbst, um ihre Seele, um ihr Blut. […] Aus welchen Abgründen von Melancholie hatte sie die Erhabenheit ihrer tragischen Kunst gewonnen? […][1806] Sie war ohne Zweifel Zeuge des grausamsten Elends, der düstersten Verzweiflung gewesen; sie hatte heroische Anstrengungen gekannt und Mitleid und Entsetzen und die Schwelle des Todes. All ihr Dürsten brannte in Phädras Raserei, und in Imogens Demut zitterten all ihre Zärtlichkeiten. So machten Leben und Kunst, die unwiderrufliche Gegenwart und die endlose Gegenwart, sie tief, beseelt und geheimnisvoll; sie hoben ihre schwankenden Schicksale weit über die menschlichen Grenzen hinaus; sie machten sie zur Genossin der Tempel und der Haine.1807

Vor allem dieses ›Bild‹ hat, von Rilkes Texten bis zu Friedells Hermann BahrParodie, das ›Image‹ der Duse und ihre ekphrastischen Darstellungen geprägt, im Anschluss an das Modell vom ›heißen Schauspieler‹, aber auch anschlussfähig für Stereotype der aufopferungsvollen Frau oder für das romantische Ideal einsamer Künstlerschaft. In Stelios Phantasie bildet es nur einen Moment; und nach einem Blick auf die gegenwärtig anwesende, von seinen literarischen Jüngern gefeierte Foscarina1808 gewinnt sein Begehren wieder die Oberhand, diesmal so stark, dass es sich in einem inneren Monolog ausdrückt oder vielmehr in einer die Begehrte apostrophierenden ›inneren Ansprache‹: »Ach! ich will dich besitzen wie in einer ungeheuren Orgie; wie einen Thyrsus will ich dich schwingen; wachrütteln will ich in deinen erfahrnen Sinnen [eig. Fleisch] all die göttlichen und die ungeheuerlichen Dinge, die dich belasten, die vollendeten und die noch in dir gären und wachsen wie in heiliger Reifezeit – « so sprach der dichterische Dämon des Erweckers, und er erkannte in den Mysterien des anwesenden Weibes die 1806 Die beiden Auslassungen betreffen amplifizierende Variationen der rhetorischen Frage. 1807 D’Annunzio: Feuer, 109f.: »Ella era l/, creatura di carne caduca, soggetta alle triste leggi del tempo; e una smisurata massa di vita reale e ideale gravava su lei, si allargava intorno a lei, pulsava col ritmo di quel respiro stesso. Non nella finzione soltanto ella aveva gittato i suoi gridi e soffocato i suoi singhiozzi, ma nella vita comune. Violentemente amato, lottato, sofferto ella aveva per s8, per la sua anima, per il suo sangue. […] Da quali abissi di malinconia aveva ella tratto le sublimazioni della sua virtF tr#gica? […] Certo ella era stata testimione delle piF truci miserie, delle piF cupe ruine; ella aveva conosciuto gli sforzi eroici, la piet/, l’orrore, il limitare della morte. Tutte le sue seti riardevano nel delirio di Fedra, en ella sommessione d’Imogene ritremavano tutte le sue tenerezze. Cos' la Vita e l’Arte, il passato irrevocabile e l’eternamente presente, la facevano profonda, multanime e misteriosa: magnificavano oltre i limiti umani le sue sorti ambigue; la eguagliavano ai templi e alle foreste.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 90). 1808 »Und sie war hier, atmend unter den Augen der Dichter, die sie einzig sahen und doch verschieden.« (D’Annunzio: Feuer, 110): »Ed ella era l/, respirante, sotto gli occhi dei poeti che la vedevano una e diversa.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 90).

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überlebende Kraft des primitiven Mythus, die wiedererneute Geburt der Gottheit, die […] mit dem Umgestalten der Rhythmen Sinn und Geister der Menschen in ihrem enthusiastischen Kultus auf den Gipfel der Freude und des Schmerzes erhoben hatte.1809

Wie zu Beginn der Vision dient Nietzsches Modell vom Entstehen der Tragödie aus bacchanalischen Orgien (bei denen der Thyrsus-Stab als Zeichen des Gottes geschwungen wurde) zur Integration der unterschiedlichen ›Bilder‹ für die begehrte und beängstigende Frau und Schauspielerin, die als Reinkarnation dieses kulturellen Geschehens Ekstase und Kunst verbindet. Auch sein sexuelles Begehren kann Stelio so als Ausdruck des ›dichterischen Dämons‹ deuten und im Folgenden umso direkter sein Verlangen nach der »Überfülle meiner Liebesnacht« formulieren. Entsprechend zeigen sich, nachdem bisher alle Visionen nur in seinem ›dichterischen Geist‹ aufgestiegen waren, drastische körperliche Symptome: »Er fühlte, wie er erbleichte, dem Ersticken nahe. Die Begierde hatte ihn mit wildem Ungestüm an der Gurgel gepackt, um ihn nicht wieder loszulassen.«1810 Immerhin lockert die Begierde ihren Griff zunächst so weit, dass »die ins Unermeßliche gesteigerte Vision von Orten und von Vorgängen« zurücktritt hinter den Anblick der gegenwärtigen Foscarina, die vor einer Öffnung ihres Hauses auf das nächtliche, herbstliche Venedig sitzt oder steht. Doch auch dieser Eindruck reichert sich mit Assoziationen und Erinnerungen an: die ›nächtliche‹ Proserpina, das ›bilderreiche‹ Venedig und der Anblick der Schauspielerin vor den Sternkreiszeichen im Dogenpalast. So erscheint ihm nun das dunkelnächtige Geschöpf noch tiefer mit der von tausend grünen Gürteln umwundenen und mit ungeheurem Geschmeide geschmückten Stadt verknüpft.[1811] In der Stadt wie in der Frau erkannte er eine niemals vorher erschaute Kraft der Ausdrucksfähigkeit. Die eine wie die andere loderten in der Herbstnacht, durch die Adern wie durch die Kanäle dasselbe Fieber jagend.// Hinter Perditas Kopf leuchteten die Sterne, wiegten sich die Bäume, dunkelte tief ein Garten.1812 1809 D’Annunzio: Feuer, 110f.: »›Ah, io ti possederk come in un’orgia vasta; io ti scrollerk come un fascio di tirsi; io scoterk nella tua carne esperta tutte le cose divine e mostruoso che t’aggravano, e le cose compiute e quelle in travaglio che crescono entro di te come una stagione sacra‹ parlava il dHmone lirico dell’animatore riconoscendo nel mistero della donna presente la potenza superstite del mito primitivo, l’iniziazione rinnovellata del nume che […] col variare dei ritimi aveva sollevato i sensi e gli spiriti umani al sommo della gioia e del dolore nel suo culto entusiastico.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 90). 1810 D’Annunzio: Feuer, 111: »Egli si sentiva soffocare e impallidare. Il desiderio lo aveva preso alla gola con un impeto selvaggio, per non piF lasciarlo.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 91). 1811 Dieser Satz weist eine auffällige Verwandtschaft mit der Bildlichkeit von Rilkes Sonett Die Kurtisane auf (RKA 1: 487). 1812 D’Annunzio: Feuer, 111: »la creatura notturna riappariva ancor piF profondamente commista con la Citt/ dalle mille cinture verdi e dagli immensi monili. Nella citt/ e nella donna egli vedeva ora una forza d’espressione non mai veduta prima. L’una e l’altra ardevano nella notte d’autonno, correndo per le vene e per i canali una medesima febbre.//

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Vordergrund und Hintergrund dieses ›Bildes‹ werden im Folgenden mittels einer Luftbewegung zum Innen und Außen verräumlicht, wobei das Innere des Hauses ebenfalls zur allegorischen Überhöhung der Schauspielerin beiträgt: Von den offnen Balkonen wehten frische Himmelslüfte herein, bewegten die Flammen der Kandelaber und die Kelche der Blumen, strichen durch die Türen, blähten die Vorhänge auf und belebten das ganze alte Haus der Capello, in dem die letzte große Tochter San Marcos, die die Völker der Erde mit Ruhm bedeckt hatten, die Reliquien der republikanischen Herrlichkeit aufgespeichert hatte. Die Zimmer waren bis zum Überfluß angefüllt mit Galeonen, türkischen Schilden, Köchern aus Leder, bronzenen Helmen, samtenen Schabracken, die von jenem wunderlichen Cesare Darbes herstammten, der die Kunstkomödie [Commedia dell’Arte] gegen die Goldonische Reform hochgehalten und die Agonie der durchlauchtigsten Republik in einen Lachkrampf verwandelt hatte.1813

Dass die Foscarina, im Roman ausschließlich als Tragödin bezeichnet, hier auf den gefeierten Pantalone-Spieler Cesare Darbes (ca. 1710–1778) bezogen wird,1814 erklärt sich wohl aus der gemeinsamen Opposition gegen das Theater des Naturalismus, für das hier Goldoni steht. Obwohl die Duse durchaus auch in Goldonis Locandiera auftrat (siehe VI.2.1), lässt sich dies als symbolische Überhöhung ihres stilisierenden Stils während der Zusammenarbeit mit D’Annunzio verstehen. Eine solche Selbstmonumentalisierung durch Wohnung und Einrichtung war der historischen Duse allerdings fremd, während D’Annunzio sie zeitlebens betrieb, sobald er genügend Geld oder Kredit hatte.1815 Selbst im Roman steht der Bericht von den angehäuften ›Herrlichkeiten‹ in merkwürdigem Kontrast zur Antwort, mit welche die Foscarina nach diesem langen Exkurs in Stelios Imagination auf das ihr gespendete Lob reagiert: »›Ich verlange nichts, als dieser Idee bescheiden zu dienen‹ – sagte die Foscarina zu Scintillavano gli astri, ondeggiavano gli alberi dietro il capo di Perdita, si profondava un giardino.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 91). 1813 D’Annunzio: Feuer, 111f.: »Dai balconi aperti entravano nel cenacolo i soffi del cielo, agitavano le fiammelle dei candelabri e i calci dei fiori, passavano per le porte, facevano palpitare le tende, animavano tutta la vecchia casa dei Capello ove quell’ultima grande figliuola di San Marco, che i popoli avevano coperta di gloria e d’oro, adunava le reliquie della magnificenza republicana. I fanali dei galioni, le targhe alla turchesa, le faretre di cuioio, i caschi di bronzo, le sciablache di velluto ornavano le stanze all’estrema discendente di quel meraviglioso Cesare Darbes che aveva tenuto in vita la Comedia dell’arte contro la reforma goldoniana e mutato in una convulsione di riso l’agonia della Serenissima.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 91). 1814 Siehe D’Annunzio: Il Fuoco, 369, Anm. 2. 1815 Siehe zu diesem Muster Gazzetti: D’Annunzio, 45. Als sich die Duse und D’Annunzio Ende September 1895 das erste Mal, tatsächlich in Venedig, begegneten, wohnte sie in ihrer kleinen Wohnung im Palazzo Wolkoff, D’Annunzio dagegen im »Daniele«, einem der führenden Hotels (Maurer : Duse, 66). Im Juli 1897 mietete sie ein kleines Gartenhaus in Settigniano bei Florenz; D’Annunzio bezog auf der anderen Seite der Straße die prächtige Villa La Capponcina (ebd. 79).

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Antimo della Bella, mit leichtem Beben in der Stimme, denn Stelios Blick war dem ihren begegnet.«1816 Die sich in diesem Blick andeutende sexuelle Spannung zwischen beiden wird im Folgenden scheinbar überdeckt durch Gespräche über Wagner, der als großes Vorbild einer neuen Kunst gilt, von Stelio aber auch zum nordischen ›Barbaren‹ erklärt wird, den er aus italienischer Kulturtradition heraus überbieten möchte. Doch mündet die Diskussion in einer langen Lobpreisung und enthusiastischen Nacherzählung der Parzifal-Oper durch einen weiteren Verehrer Stelios, Baldassare Stampa, die es den Hauptfiguren von D’Annunzios Roman erlaubt, sich mit den Hauptfiguren der Oper, Parzival und Kundry, zu identifizieren und im Vorgefühl eines dionysischen Rausches einander anzunähern: »Weltverlorenen blickten sich Stelio und Perdita in die Augen; in einem Augenblick vermischten sie sich, besaßen und genossen sich und vergingen vor Wonne, wie auf einem Lager der Wollust und des Todes.«1817 Zudem bietet die Kundry-Figur, obwohl sie auf der Bühne gerade nicht durch die Schauspielerin verkörpert werden kann, ein weiteres Modell, um die widersprüchlichen Foscarina-Bilder des ›Zügellosen‹ zu integrieren: »Kundry, die wütende Versucherin, die Sklavin der Begierde, die Höllenrose, die Urteufelin, die Verfluchte, erschien jetzt am frühen Frühlingsmorgen; sie erschien demütig und bleich, im Kleide der Gralsbotin, das Haupt gebeugt, den Blick erloschen, mit rauher, abgebrochener Stimme nur das eine Wort hervorbringend: ›Dienen… dienen!‹ – «1818 Diese Formel der reuigen Sünderin wird sich im Verlauf des Romans auch die Foscarina zu eigen machen, allerdings nicht, um tatsächliche Verderbtheit abzubüßen, wie sie Stelio imaginiert, sondern um sich zu befreien aus dem Konflikt zwischen ihrer Liebe und ihrer Angst, den Geliebten zu verlieren.1819 Zunächst aber steht eine reale Begegnung aus, die beide in realer Interaktion zeigt und die Foscarina in bewegtem mimischem Ausdruck.

1816 D’Annunzio: Feuer, 112: »Io non chiedo se non di servire quell’idea, umilmente – disse la Foscarina ad Antimo della Bella, con un leggero tremito nella voce poiche ella aveva incontrato lo sguardo di Stelio.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 91f.). 1817 D’Annunzio: Feuer, 119: »Perdutamente Perdita e Stelio si guardarono negli occhi; in un battito di palebre si mescolarano, si confusero, giorono e spasimarano come su un letto di volutt/ e di norte.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 97f.). 1818 D’Annunzio: Feuer, 120: »Kundry, la tentatrice furente, la schiava del desiderio, la Rosa dell’Inferno, l’originale Perdizione, la maledetta, riappariva ora nell’alba primaverile, riappariva umile o pallida sotto la veste della mesagera, curva il capo, spenta lo sguardo, avendo nella voce rauca e rotta una sola parole: ›Servire, servire!‹« (D’Annunzio: Il Fuoco, 98f.). 1819 D’Annunzio: Feuer, 376; D’Annunzio: Il Fuoco, 305.

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›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz

3.3.5 Im Garten: die Mimik der Flehenden Als Stelio im Garten nach dem Ende der Feier auf die Einlösung des Versprechens einer Liebesnacht dringt, werden seine femme fatale-Phantasien für die Leser über eine interne Fokalisierung der Foscarina-Figur relativiert: Unter dem gierigen Blicke des [jungen] Mannes zog sich ihr Fleisch zusammen in dem Abwehren einer schmerzlichen Scham. Sein Wunsch traf sie wie eine tödliche Verwundung. Sie wußte, wieviel Herbes und Unreines in diesem plötzlichen Begehren war, und für wie tief vergiftet und verdorben er sie hielt, von Liebe beschwert, in allen Lüsten erfahren, eine umherirrende, unersättliche Versucherin. Sie erriet den dumpfen Groll, die Eifersucht, das schändliche Fieber, das sich plötzlich in dem sanften Freunde entzündet hatte, dem sie lange Zeit hindurch all ihr Bestes und Edelstes gewidmet hatte, den Wert ihrer Gaben durch ein hartnäckiges Gebot verteidigend.1820

Gegen das Bild der Verführerin wird das der leidenden, hingebungsvollen Künstlerin gesetzt, im Folgenden vertieft durch die Erinnerung an »ihr ganzes hartes und stürmisches Leben, ihr Leben voll Kampf und Schmerz, voll Irrungen und Wirrungen, voll Leidenschaft und Triumph«. Dabei sind erotische Erinnerungen durchaus bedeutsam, erscheinen aber in neuer Beleuchtung: Die Foscarina erinnert sich »des unauslöschlichen Gefühls von Freude, von Schreck und von Befreiung, das sie empfunden, als sie sich zum erstenmal dem Manne hingegeben hatte, der sie in ferner Jugendzeit betrogen hatte.«1821 Im Kontrast zu dieser Erinnerung an das Ende ihrer Jungfräulichkeit tritt ihr »das Bild der Jungfrau« Donatella Arvale vor Augen, die sie als Konkurrentin fürchtet; damit wiederum geht die Angst einher, es sei für ein dauerhaftes Glück mit Stelio »spät, zu spät!«1822 Das bisher von Stelios Projektionen bestimmte ›Gesamtbild‹ der Schauspielerin wird aber nicht nur durch deren Innensicht modifiziert, sondern auch durch den mimischen Ausdruck, den ihr die Angst verleiht: »›Oh, tun sie mir 1820 D’Annunzio: Feuer, 136 (meine Einfügung): »Sotto lo sguardo vorace del giovine, tutta la sua carne si contraeva anche una volta nella repulsa d’un pudore doloroso. Il desiderio de lui giungeva come una ferita lacerante. Ella sapeva quanto d’acre e d’impuro fosse in quella concitazione subitanea e come profondamente egli la considerasse avvelenata e corrotta, carica di amori, esperta di tutto il piacere, tenatrice errante e implacabile. Ella divinava quel rancore, quella gelosia, quella malvagia febbre che erasi accesa a un tratto nel dolce amico a cui per tanto tempo aveva votato quel ch’ella chiudeva in s8 di piF prezioso e di piF sincero preservando la bont/ di quelle offerte con un constante divieto. (D’Annunzio: Il Fuoco, 111). 1821 D’Annunzio: Feuer, 136: »Ricordk il sentimento ineffabile di gioia, die spavento e di liberazione ch’ella aveva provato nell’abbondonarsi la prima volta all’uomo che l’aveva illusa, nella lontana adolescenza.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 111) Historisches Vorbild ist der Journalist und Lebemann Martino Cafiero, siehe Maurer : Duse, 17f. 1822 D’Annunzio: Feuer, 136: »l’imagine della vergine«; »ð tardi, H troppo tardi!« (D’Annunzio: Il Fuoco, 111).

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nichts zuleide!‹// Sie flehte, weiß und zart wie der Schwanenflaum, der ihre nackten Schultern und ihre bebende Brust umsäumte.«1823 Diese Wiedergabe ihrer eloquentia corporis in einer ›dramatischen‹ Situation jenseits der Bühne ist noch recht stereotyp-petrarkistisch; die Beschreibung wird aber konkreter, nachdem der Dichter, umgehend gerührt, sie um Verzeihung gebeten und damit wiederum sie erschüttert hat: »Sie zuckte vom Kopf bis zu den Fußspitzen; sie sah ihn mit weitgeöffneten Augen an; dann senkte sie die Augenlider und blieb unbeweglich. Der Schatten unter den Wimpern wurde tiefer ; er zeichnete die sanftgeschwungene Linie der Wangen.«1824 Ihre Ausdruckskraft verwandelt Stelio wiederum in ein vibrierendes Gefäß, das von Augenblick zu Augenblick alle wechselnden Empfindungen des dunkelnächtigen Geschöpfes aufzunehmen schien. Er sah vor sich nicht mehr eine körperliche Form, undurchdringliches, dumpfes Fleisch, den schweren Kerker des Menschen, sondern eine Seele, die sich in einer Folge von Erscheinungen, ausdrucksvoll wie Musik, offenbart hatte, ein über alle Grenzen zartes und mächtiges Empfindungsvermögen, das in dieser Hülle in stetem Wechsel die keusche Hinfälligkeit der Blume schuf, und die Kraft des Marmors, und die Wucht des Blitzes, und jeden Schatten und jedes Licht.1825

Dem sonst mit den Offenbarungen seines bilderreichen ›Geistes‹ beschäftigten Dichter erscheint die Schauspielerin als »Seele«, die ihre Empfindungen körperlich mit größter Direktheit auszudrücken vermag – ein zentraler Topos der ›Duse-Ikonographie‹. Empfindungen und Ausdruck nehmen nunmehr eine Wendung, denn gerührt vom Mitleid des Geliebten und seiner Bereitschaft, seine Forderung zurückzunehmen, schöpft die Foscarina wieder Hoffnung: »Und wie die Woge des Lichtes in stummer Harmonie vom Horizonte zum Gipfel aufsteigt, so glitt die Vorstellung des Glückes um ihren Mund. Ein unbeschreibliches Lächeln verbreitete sich über ihn, ganz unbeschreiblich, so daß ihre Lippen zitterten wie Blätter im Windhauch, und ihre Zähne glänzten wie Jasmin im

1823 D’Annunzio: Feuer, 137: »– Oh, non mi fate male!// Ella supplicava, bianca e tenue come la piuma di cigno che correva interno alle sue spalle nude e al suo petto palpitante.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 112). 1824 D’Annunzio: Feuer, 137: »Ella sussoltk dal capo alle piante; spalanck gli occhi verso di lui; poi riabassk le palpebre; stette immobile. L’ombra s’accumolk sotto l’arco dei sopraccigli; segnk l’ondolazione delle gote.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 112). 1825 D’Annunzio: Feuer, 138: »divenuto una sostanza vibrante in cui tutte le mutazioni della creatura notturna parevano imprimersi d’attimo in attimo. Egli non vedeva piF dinanzi a s8 una forma corporea, una carne opaca e impenetrabile, la pesante carcere umana, ma un’anima rivelata in una successione di parvenze espressive come le melodie, una sensibilit/ oltre ogni limite delicata e possente che creava in quell’involucro a vicenda la fralezza dei fiori, il vigore del marmo, l’impeto della vampa, tutte le ombre e tutte le luci. (D’Annunzio: Il Fuoco, 113).

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Sternlicht.«1826 Im Gegensatz zur Erlesenheit dieser Vergleiche steht die drastische Beschreibung ihres Körperausdrucks, als sie auf seine erneute, diesmal jedoch dichterisch überhöhte Bitte um die Erfüllung ihres Versprechens antwortet: »Ja, ja…«// Rückhaltlos gab sie sich in dieser einen, schwachen Silbe. Ihr Lächeln erlosch; der Mund wurde schwer und gewann in dem bleichen Gesicht einen beinahe harten Umriß, als ob er von einem Durst gepeinigt würde, unersättlich und geschaffen, an sich zu ziehen, zu nehmen, zu behalten. Und der ganze Körper, der im Schmerz und im Entsetzen hinsterben zu wollen schien, richtete sich auf, als ob ihm ein neues Knochengerüst erwüchse und gewann seine fleischliche Macht zurück und wurde von einer stürmischen Flut durchwogt; er wurde von neuem begehrenswert und unrein.1827

Angesichts eines Körpers, der keine verwundbare ›Seele‹ mehr ausdrückt, sondern Begehren, packt Stelio umgehend wieder sein eigenes »Verlangen […] mit Tigerkrallen an der Gurgel«,1828 und erneut erwacht in seiner Phantasie das Bild der Persephone, diesmal verschmelzend mit der umgebenden Szenerie: Die köstlichen Früchte hingen über ihrem Haupte wie die Krone eines spendenden Königs. Und der Mythos vom Granatenbaum gewann wieder Leben, wie […] auf den abendlichen Wassern. – Wer war sie? Persephone, die Königin der Schatten? […] War sie müde oder war sie trunken von den Tränen und dem Lachen und den menschlichen Lüsten, und davon, daß sie, eines nach dem andern, alle sterblichen Dinge berührt hatte, um sie erblühen, sie vergehen zu machen? […] Welche Vergangenheit hatte sie so bleich gemacht, und so glühend und gefahrvoll? […] Das alles, und mehr noch, viel mehr, wurde traumhaft hervorgerufen durch die zarten Adern in ihren Schläfen, die sanfte Wellenlinie ihrer Wangen, ihre breiten Hüften und den tiefen, fast meeresdunklen Schatten, der das Element war, in dem dieses Antlitz lebte, wie das Auge in seinem eigenen feuchten Glanz lebt.1829 1826 D’Annunzio: Feuer, 139: »E, in quel modo che l’onda della luce sale dall’orizone al sommo con un’armonia muta, l’illusione della felicit/ sal' alla sua bocca. Un sorriso infinito vi si diffuse, infinito, cos' che le linee delle labbra vi tremolavano come le foglie nell’aura, i denti vi rilucevano come i gelsomini nel chiarore stellare« (D’Annunzio: Il Fuoco, 113f.). 1827 D’Annunzio: Feuer, 140: »S&, s&…// Perdutamente ella si donk in quella sillaba fioca. Il sorriso si spense; la bocca s’appesant', si mostrk sul pallore con un rilievo quasi duro, come se la sete la gonfiasse, valida per attirare, per prendere, per ritenere, insaziata. E tutto il corpo, ch’era parso attenuarsi nel dolore e nel terrore, si risollevk come si vi crescere di repente un’ossatura nuova, riacquistk la sua potenza carnale, fu attraversato da un’onda impetuosa; ridivenne desiderabile e impuro.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 114). 1828 D’Annunzio: Feuer, 140: »la brama lo riafferrava alla gola con gli artigli felini.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 115). 1829 D’Annunzio: Feuer, 141f.: »I frutti magnifici pendevano sul suo capo, recanti in sommo la corona d’un re donatore. Il mito del melagrano riveva nelle notte come […] su l’acqua vespertina. – Chi era ella? Persefone signora delle Ombre? […] Era ella stanca o ebra delle lacrime e delle risa e delle lussurie umane, e dell’aver toccato a una a una tutte le cose mortali per farle fiorire, per farle perire? […] Quale passato la faceva cos' smorta, cos' cocente e cos' perigliosa? […] Tanto, e piF e piF, davano al sogno le esili vene delle sue

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Endlich darf Stelio von den Früchten der Persephone kosten, begibt sich dann aber rasch in das Reich des Tages: Der erste Teil des Romans endet damit, dass Stelio sich am Morgen nach der Liebesnacht vom Lager erhebt »wie vom Bette einer Courtisane, beinahe fremd geworden, beinahe ungeduldig, angelockt von der Frische der Dämmerung, von der Freiheit des Morgens«,1830 sich zu Richard Wagners Villa rudern lässt und das Vorgefühl künftigen Schaffens genießt. Der zweite Teil erzählt von zahlreichen weiteren ambivalenten Begegnungen beider, die Anlass geben zu weiteren Variationen der im ersten Teil entfalteten Bildphantasien, zur bedeutungsschweren Einbeziehung graphischer Bilder, zu weiteren Kontrastierungen mit dem ›Bild‹ der jüngeren Sängerin und zur Besichtigung symbolisch aufgeladener Orte. Relevant für das Thema Mimen-Ekphrasis und Duse-Ikonographie erscheinen mir vor allem zwei Episoden: Die Fahrt beider nach Murano, welche die Bildlichkeit der allegorischen Phantasie vom Begräbnis des Sommers im Sarg aus muranischem Glas fortsetzt, wird meines Erachtens im Schluss-Bild vom ›fußlosen Gefäß‹ in Rilkes Bildnis aufgegriffen; die gemeinsame Arbeit von Schauspielerin und Dichter an Stelios Musikdrama veranschaulicht szenisch das Modell der enargeischen Wirkungskette.

3.3.6 Auf Murano: der Kelch der Zerbrechlichen »Erinnern Sie sich Ihrer schönen Phantasie von der entschlafenen Sommergöttin? Die Sommergöttin lag ausgestreckt in der Trauerbarke, in Gold gekleidet wie eine Dogaressa, und der Zug geleitete sie nach der Insel Murano, wo ein Meister des Feuers sie in einen opalschillernden Glasschrein schließen sollte, damit sie, in die Lagune versenkt, wenigstens dem Spiel der treibenden Algen zusehen könnte… Entsinnen Sie sich?«1831

Als die Foscarina ihren Geliebten an sein improvisiertes Gleichnis vom septemberlichen »Abend der Allegorie«1832 erinnert, befinden sich beide tatsächlich auf Murano, und die Schauspielerin wurde inzwischen in zwei neue metaphorische Bezüge zum Motiv des Glases gestellt: Zum einen beginnt die Episode mit tempie, l’ondolazione delle sue gote, la possa dei suoi fianchi, l’ombra glauca e quasi marina che era l’elemento in cui viveva quel volto come l’occhio nella sua propria umidit/.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 115f.). 1830 D’Annunzio: Feuer, 145: »come dal letto d’una cortigiana, divenuto quasi estraneo, quasi impaziente, attirato della freschezza dell’alba, dalla libertr/ del mattino.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 118). 1831 D’Annunzio: Feuer, 303f.: »Vi ricordate di quella vostra bella imaginazione su l’Estate defunta? L’Estate giaceva nella barca funebre, vestita d’oro come una dogaressa; e il corteo la conduceva all’isola di Murano dove un maestro del fuoco doveva chiuderla in un involucro di vetro opalino affinch8, sommersa nella laguna, ella potesse almeno guardare le ondulazioni delle alghe… Ve ne ricordate?« (D’Annunzio: Il Fuoco, 247). 1832 D’Annunzio: Feuer, 304: »la sera dell’Allegoria« (D’Annunzio: Il Fuoco, 247).

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ihrer unvermittelten Frage, ob er oft an die Sängerin Donatella Arvale denke; »[u]nd ihre Stimme klang wie ein Glas, das gesprungen ist.«1833 Stelio antwortet ausweichend, die Situation ist gespannt. Sie wird aufgelöst durch einen aufdringlichen Inselbewohner, der sie zu einem nahegelegenen Schmelzofen führt. Dort phantasiert die Verzweifelte davon, sich im Feuer aufzulösen, »l’animatore« dagegen1834 möchte – wie in einem Monolog vorgeführt wird – »dem Leben der mich liebenden Wesen Gestalten in der Vollkommenheit schenken, nach der ich strebe! […] Warum, meine Freundin, warum wollen nicht Sie die bewegliche göttliche Statue meines Geistes sein […]? Warum sind wir auf dem Punkte, kleinlichen Liebesleuten zu gleichen, die jammern und sich verwünschen?«1835 Diese gegensätzlichen, für beide Figuren überaus charakteristischen FeuerPhantasien werden unterbrochen durch einen Glasbläser, der die Schauspielerin erkennt, als sie wegen der Hitze ihren Schleier in die Höhe schlägt: »›An einem Abend, gnädige Frau, haben Sie mich zum Beben und Weinen gebracht wie einen Knaben. Erlauben Sie mir, daß ich zur Erinnerung an diesen Abend, den ich bis an mein Lebensende nicht vergessen werde, Ihnen eine kleine Arbeit aus den Händen des armen Seguso anbieten darf ?‹«1836 Der Name Seguso bietet zunächst dem Connaisseur Stelio Gelegenheit, seine Begeisterung für die alte Kunst des Glasblasens zu offenbaren und »das Feuer seiner Lebenskraft durch Berührung seinen Nächsten« mitzuteilen,1837 den Handwerkern wie der Foscarina, die sich daraufhin begeistert seiner Vision des gestaltenden Feuers unterordnet: »Ja, es ist wahr, du allein verstehst zu leben,« sagte sie zu ihm, ihn zärtlich anblickend. »Alles sollst und mußt du haben. Ich will zufrieden sein, wenn ich dich leben, dich genießen sehe. Mache mit mir, was du willst!«// Sie lächelte, als sie sich selbst vernichtete. [Sie gehörte ihm] wie etwas, das man in der geschlossenen Hand hält, wie ein Ring an einem Finger, wie ein Handschuh, wie ein Kleid, wie ein Wort, das man sagen oder verschweigen, ein Wein, den man trinken oder verschütten kann.1838 1833 D’Annunzio: Feuer, 290: »La voce fu veramente come un vetro che s’incrina.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 235). 1834 D’Annunzio: Il Fuoco, 239. 1835 D’Annunzio: Feuer, 294: »Ah, poter dare alla vita delle creature che mi amano le forme della perfezione cui aspiro! […] Perch8, perch8, amica mia, non volete voi essere la divina statua mobile del mio spirito […]? PerchH siamo noi sul punto di somigliare ai piccoli amanti che si lamentano e maledicono? (D’Annunzio: Il Fuoco, 239). 1836 D’Annunzio: Feuer, 297: »Una sera, parona, Ela me ga fato tremar e pianzer come un putHlo. Me permetela che in memoria de quela sera, che no podark desmentegar fin che vivo, ghe ofra un picolo lavoro vegnuo fora de le man del povero Seguso?« (D’Annunzio: Il Fuoco, 241). 1837 D’Annunzio: Feuer, 299: »comunicato per contagio il fervore della sua vitalit/ ai prossimi« (D’Annunzio: Il Fuoco, 243). 1838 D’Annunzio: Feuer, 300. Gagliardi übersetzt »Gli appartenne« irrtümlich mit »Er gehörte ihr«: »›S', H vero, tu solo sai vivere‹ gli diceva ella guardandolo teneramente. ›Bisogna che tu abbita tutto. Io sark contenta di vederti vivere, di vederti gioire. E fa di me quel che tu

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In der geschlossenen Hand trägt sie nun das ihr geschenkte erlesene Gefäß, das, wie Stelio unter Anspielung auf seine Allegorie lobt, »der Dogaressa Foscarina würdig« ist.1839 Beschrieben wird es als »wie die geheimnisvollen Dinge in der Natur in seiner Konkavität das Leben des menschlichen Atems tragend, in seiner Durchsichtigkeit mit Wasser und Feuer wetteifernd, der violette Rand gleich den Quallen, die auf dem Meere treiben, einfach, rein, ohne anderen Schmuck, als diesen bläulichen Saum, ohne andere Glieder, als den Fuß, den Stengel und den Rand.«1840 Die Beschreibung ähnelt auffallend jener der im Dogenpalast stehenden Foscarina mit ihrem »bleichen Gesicht […] auf dem Hals, den kein Geschmeide zierte, und der reinen Form der nackten Schultern«.1841 Die Künstlerin weigert sich, ihr gläsernes Ebenbild einpacken zu lassen, zieht ihren Handschuh aus und trägt es durch Murano. Auf diesem Spaziergang ist es, dass sie den Dichter, wie eingangs zitiert, an seine Allegorie der Sommergöttin im Glassarg erinnert, an die Situation in der Gondel, aus der heraus es entstand, und daran, dass er sie damals »Perdita« nannte. Direkt anschließend heißt es: Sie selbst empfand beim Gehen die Leichtheit ihres Schrittes und in ihrem Innern etwas Dahinschwindendes, als wandle sich ihr Körper in eine leere Hülle. Das Gefühl ihrer physischen Person schien von diesem Glas abzuhängen, das sie in der Hand trug, schien nur noch vorhanden in der Unruhe, die ihr die Zerbrechlichkeit des Gegenstandes verursachte und die Furcht, ihn zur Erde fallen zu lassen, während ihre unbekleidete Hand allmählich kalt wurde, und die Adern die Farbe des bläulichen Streifens annahmen, der um den Rand des Kelches lief.1842

Auch diese Passage hat allegorische Implikationen: Die Verbindung von ›Glück und Glas‹ ist ein beliebtes emblematisches Thema1843 und steht beziehungsweise

1839 1840

1841 1842

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vuoi!‹// Sorrise annientandosi. Gli appartenne come una cosa che si tiene nel pugno, come un anello in un dito, come un guanto, come una veste, come una parola che puk esser detta o taciuta, un vino che puk esser bevuto o versato a terra.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 244). D’Annunzio: Feuer, 300: »degno della dogaressa Foscarina« (D’Annunzio: Il Fuoco, 244). D’Annunzio: Feuer, 301: »come le cose naturali misterio, recante nella sua concavit/ la vita del soffio umano, nella sua trasparenza emulo delle acque e dei cieli, simile nel suo orlo violetto alle meduse che svagano su i mari, semplice, puro, senza altro ornamento che quell’orlo marino, senz’altre membra che il suo piede il suo stelo e il suo labbro« (D’Annunzio: Il Fuoco, 245). D’Annunzio: Feuer, 48: »Il volto palidissimo […] sul collo privo di gioielli e su la purezza delle spalle nude« (D’Annunzio: Il Fuoco, 38f.). D’Annunzio: Feuer, 304: »Ella stessa camminando sentiva l’estrema leggerezza del suo passo e in s8 qualche cosa di sparente, come se il suo corpo fosse per mutarsi in una larva. Il sentimento della sua persona fisica pareva dipendere da quel vetro ch’ella portava in mano, non sussistere se non in quella inquietudine che le davano la fragilit/ dell’oggetto e il timore di lasciarlo cadere a terra mentre la sua mano nuda a poco a poco si raffreddava e le vene vi prendavano il colore dell’orlo marino che correva intorno al labbro del calice.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 247). Siehe Henkel/Schöne: Emblemata, Sp. 1397.

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balanciert im Mittelpunkt von Giovanni Bellinis Allegorie der Inconstanza oder Melancholia (ca. 1490):

Abb. 38: Giovanni Bellini: Incostanza oder Melancholia (Ölgemälde, ca. 1490)

Das Gemälde, das schon zu Lebzeiten D’Annunzios in den Gallerie dell’Accademia hing, beeinflusste möglicherweise Dürers Kupferstich Melancholia I, der in Il Fuoco ausführlich beschrieben und recht explizit auf die Foscarina bezogen wird.1844 Diese erinnert Stelio denn auch nicht nur vor, sondern auch nach der soeben zitierten Passage daran, dass er sie in der Gondel »Perdita« genannt hat –1845 die Furcht vor dem zerbrochenen Glas ist auch die Furcht, seine Liebe zu verlieren. Trotz dieser allegorisch-psychologischen Implikationen zeichnet sich die zitierte Passage (auch gegenüber der Allegorie der Sommergöttin) durch eine starke Sensualität der Körperwahrnehmung aus: Die Leichtigkeit des Schrittes steht in Spannung zur Angst vor dem Straucheln; dazu kommt die frierende 1844 D’Annunzio: Feuer, 393ff.; D’Annunzio: Il Fuoco, 319f., siehe Goffen: Bellini, 226–237; Tempestini: Bellini, 146f. 1845 Die Frage folgt unmittelbar auf die zuletzt zitierte Passage, siehe D’Annunzio: Feuer, 304.

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Hand, die allerdings umgehend ästhetisch überhöht wird, Leben und Kunst einander angleichend. Eine enargeische Vermittlung von Darstellungsqualitäten der Schauspielerin Eleonora Duse ist diese Passage allenfalls andeutungsweise – Rilkes Bildnis-Gedicht jedoch verwendet, wie gezeigt, das Motiv der Angst, einen Gegenstand fallen zu lassen, in genau dieser Weise, macht aus der frierenden Hand ›blinde Hände‹ und gibt dem Gefäß-Motiv in der Schlussstrophe eine neue allegorische Wendung: Es steht für die »wehe Wirklichkeit« der Künstlerin, die bedroht ist von ihrem »Ruhm« (siehe VI.2.1,VI.2.4).1846 In Il Fuoco durchläuft die Foscarina, das Glas in der Hand, ein weites Spektrum von Emotionen. Zunächst erzählt sie vom Elend ihrer Kindheit und schöpft aus dieser Erinnerung erstmals »ein Gefühl tatsächlicher Überlegenheit über ihn, den sie für unbesiegbar hielt.«1847 Dieses Bewusstsein verwandelt auch ihre Erscheinung: Und sie schlug den Schleier in die Stirn zurück und blickte ihren Freund mit freien Augen an. // Er erblaßte unter diesem Blick, so plötzlich war seine Erregung, so ungestüm sein Schrecken bei dem unerwarteten Anblick. Er war verwirrt, wie in unzusammenhängenden Traumzuständen, unfähig, diese seltsame Erscheinung mit den eben getanen Lebensäußerungen in Einklang zu bringen, außerstande, die Bedeutung dieser Worte auf dieselbe Frauenerscheinung zu übertragen, die ihm hier zulächelte, das zarte Glas noch zwischen ihren nackten Fingern haltend.1848

Den »Mann des Frohsinns« faszinieren nunmehr die Leidenserfahrungen dieser Künstlerin, zu deren Zeichen die blau gefrorene Hand geworden ist: »Er hätte dieses Leben leben mögen. Er beneidete dieses Los. Erschreckt betrachtete er die zarten bläulichen Adern auf dem Rücken ihrer bloßen Hand, die sich so deutlich abzeichneten, als wären keine Haut darüber gespannt, und die durchsichtigen Nägel, die um den Stiel des Kelchglases glänzten.«1849 Die Metaphorik des körperlichen Ausdrucks von Schmerzen wird im weiteren Verlauf ihrer Kind1846 ›Allegorisch‹ ist diese Passage durchaus noch im traditionellen Verständnis, da in die Bildlichkeit der letzten Verse mit »Ruhm« ein Abstraktum integriert ist; zudem wirkt die allegorische Fortuna-Tradition nach. 1847 D’Annunzio: Feuer, 307: »un sentimento di superiorit/ reale su colui ch’ella credeva invincibile« (D’Annunzio: Fuoco, 250). Gegenüber Lorenzini: Introduzione, XXXVIIIf. ist allerdings zu betonen, dass dieses Bewusstsein eher vorübergehend ist. 1848 D’Annunzio: Feuer, 306: »E sollevk il velo verso la fronte, guardk con gli occhi liberi il suo amico. // Egli impallid' sotto quello sguardo, tanto fu subitaneo il suo turbamento, fiero il su sbigottimento al’apparire dell’inatteso aspetto. Si trovk confuso come nell’incoerenza d’un sogno, incapace di collegare quella straordinaria apparizione con le recenti tracce della vita, incapace di aporre il significatio di quelle parole a quella stessa figura di donna che gli sorrideva tenendo ancjra il delicato vetro fra le dita nude.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 249). 1849 D’Annunzio: Feuer, 313: »L’umo di gioia sent' l’attrazione di tanto accumulato dolore […]. Avrebbe voluto vivere quella vita. Ebbe invidia di quella sorte. Mirava attonito nel dorso di quella mano nuda le delicate vene violacee, palesi come se la pelle non le ricoprisse, e le unghie esigue che brillavano intorno all stelo di calice.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 254f.).

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heitserzählung übertragen auf das im Roman schon mehrfach verwendete Statuenmotiv : »Ich ging des Morgens in der Frühe durch die Felder mit meinem Brot. […] Die Steinbilder waren mein Ziel. Ich ging von einer Statue zur anderen, als machte ich ihnen einen Besuch. Einige schienen mir wunderschön, und ich versuchte ihre Gesten nachzuahmen. Aber am liebsten hielt ich mich bei den Verstümmelten auf, gleichsam aus dem Instinkt heraus, sie zu trösten. Des Abends auf der Bühne, während ich spielte, mußte ich an eine oder die andere denken, und ich empfand ihre Ferne und Einsamkeit auf dem stillen Gelände unter den Sternen so tief, daß es mir war, als könnte ich nicht weiter sprechen. Das Publikum wurde ungeduldig bei den allzulangen Pausen… Zuweilen, wenn ich auf das Ende der großen Rede meines Mitspielers warten mußte, nahm ich die Stellung einer der mir am vertrautesten Statuen an und blieb regungslos in dieser Haltung, als wäre ich selbst aus Stein. Ich begann schon, mich zu meißeln…«1850

Es handelt sich um spätbarocke Statuen aus den Gärten der Villen am BrentaKanal, zu dem die Foscarina und Stelio einen unmittelbar vor der MuranoEpisode erzählten Ausflug unternommen hatten, der mit einem Nervenzusammenbruch der Schauspielerin im Labyrinth der Villa Pisani endete. Das 18. Jahrhundert, dessen Schauspielkunst sich nicht selten an antiker Plastik orientierte, hinterlässt also selbst Statuen, die das Mädchen nicht ihrer klassischen Vollkommenheit wegen beeindrucken, sondern weil sie gerade auch im Ausdruck ihrer Verstümmelung das eigene Leiden wiedererkennt und es bewältigen kann, indem sie die Haltung der Figuren reproduziert. D’Annunzio spielt hier auch auf seine Verwendung des Versehrtheitsmotivs in La citt/ morta und La Gioconda an (VI.2.2), besonders deutlich, wenn er die Foscarina berichten lässt: »Zärtlich liebte ich eine, der die Arme fehlten, mit denen sie einst einen Korb mit Früchten auf dem Kopf gehalten hatte. Aber die Hände waren an dem Korb geblieben, und ihr Anblick schmerzte mich.«1851 Auf den in diesen Dramen besonders augenfälligen Wandel im Schauspielstil der Duse bezieht sich 1850 D’Annunzio: Feuer, 314f.: »Uscivo per i campi di buon’ora col mio pane. […] Le statue erano le mie mHte. Andavo dall’una all’altra, e mi fermavo come se le visitassi. Alcune mi sembravano belissime, e io mi provavo a imitare i loro gesti. Ma rimanevo piF lungamente in compagnia con le mutilate, quasi per istinto di consolarle. La sera, sul palco, recitando, mi ricordavo di qualcuna e avevo un sentimento cos' profondo della sua lontananza e della sua solitudine nella campagna tranquilla sotto le stelle, che mi pareva di non poter piF parlare. La folla s’impazientiva per quelle pause troppo lunghe… Certe volte, quando dovevo aspettare che finisse la gran tirata dell’interlocutore, prendevo l’attitudine di qualcuna che m’era piF familiare e rimanevo immobile come se fossi anch’io di pietra. Incominciavo gi/ a scolpirmi…« (D’Annunzio: Il Fuoco, 256). 1851 D’Annunzio: Feuer, 315: »Amai teneramente una che non aveva piF le braccia, con cui un tempo reggeva su la sua testa un canestro di frutti. Ma le mani erano rimaste attaccate al canestro, e mi facevano pena.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 256).

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auch Hermann Bahr (VI.1), wenn er von ihr 1903 als »Statue des Erbarmens« spricht1852 und die Formulierung »Incominciavo gi/ a scolpirmi« zitiert.1853 Es folgt die Erzählung des Julia-Erlebnisses, auf die schon in Kapitel VI.3.2 und zu Beginn von VI.3.3. eingegangen wurde: Die Erinnerung an ihren Triumph wird überschattet von der Erinnerung an ihren Suizidversuch im Arno. Nachdem Stelio sie wieder aufgeheitert hat, schöpft sie jedoch neue Hoffnung und glaubt sich sogar fähig, ihm die Sängerin, deren Vision ihr am Abendhimmel erscheint, zu überlassen: »›Sie muß die ihre werden‹ – sagte sie mit zwingender Härte in der Stimme […]. […] ›Sprechen Sie. Ich fürchte mich nicht zu leiden.[‹]«1854 Doch als er wirklich von der Sängerin spricht, geht die Entsagung über ihre Kräfte, und ihr Körperausdruck ändert sich bedrohlich: »Ihre Finger umspannten den Stiel des Kelchglases, und die Farben des Himmels und der Wasser färbten das Glas, das in der schmerzenden Hand schwankte.«1855 Doch bevor der Kelch zerbricht, erlaubt sich D’Annunzio noch ein retardierendes Moment: Zwar zieht es die Foscarina, wie einst in Verona, in den Tod durch Ertrinken, doch wird sie plötzlich besänftigt »durch eine seltsame Erscheinung. Sie glaubte sich nicht mehr lebend. Sie staunte, das Glas in ihrer Hand leuchten zu sehen. Sie verlor das Bewußtsein des Körperlichen. Alles Geschehene war nur in der Einbildung bestehend. Sie hieß Perdita: die tote Sommergöttin ruhte auf dem Grunde der Lagune.«1856 Als aber Stelio, dem ihre Veränderungen entgehen, weiterhin seine Gefühle für die Sängerin darlegt, erwacht wieder eine lebhafte Eifersucht und vermischt sich mit einer Kindheitserinnerung: Es schien ihr, als blute sie unter den wohlgezielten und wiederholten Schlägen, wie jener Mann auf der weißen Straße in der Stadt der Bergarbeiter. […] Die Bilder dieser grauenvollen Erinnerung vermischten sich in der inneren Zusammenhanglosigkeit der Gedanken mit der qualvollen Wirklichkeit. Sie schnellte in die Höhe, entsetzt von der bestialischen Kraft, die durch ihre Adern strömte. Das Glas zerbrach in ihrer zuckenden Hand, verwundete sie, fiel in Scherben nieder zu ihren Füßen.1857 1852 Bahr: Kritiken, 379. 1853 Bahr: Kritiken, 378. Im Vergleich mit der Il Fuoco-Passage fällt allerdings eine harmonisierende Tendenz der Rezension auf: Bahr verschweigt das Motiv der Verstümmelung und parallelisiert die künstlerische Entwicklung der Duse mit Goethes Italien-Erlebnis. 1854 D’Annunzio: Feuer, 326: » – Deve esser vostra – disse, con la dureza della necissit/ nella voce […]. […] Parlate. Non ho paura di soffrire.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 265). 1855 D’Annunzio: Feuer, 328: »Le sue dita tremavano intorno allo stelo della coppa, e i colori del cielo e delle acque tingevano il vetro oscillante nella mano dolorosa.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 267). 1856 D’Annunzio: Feuer, 329: »a un’apparenza. Ella si credeva inesistente; si stupiva di vedere quel vetro splendere nella sua mano; smarriva il senso del suo corpo. Tutto quel che accadeva era imaginario. Ella si chiamava Perdita. L’Estate morta giaceva in fondo alla laguna.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 267). 1857 D’Annunzio: Feuer, 330f.: »Le sembrk di sanguinare sotto le percosse misurate e iterate,

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Dieser dionysische Ausbruch von ungezügeltem Affekt (man denke an den Versuch der Gioconda, ihre Statue zu zerstören, aber auch an die Formulierung »Es kam dich an, du selber zu sein« in Rilkes Aufzeichnungen)1858 befremdet Stelio: Er sieht »den Wahnsinn aus diesem entstellten Gesicht leuchten«1859 und ist im Übrigen »enttäuscht und voller Groll, die Schönheit dieses vollkommenen Gefäßes gewaltsam zerstört zu sehen.«1860 3.3.7 Auf imaginärer Bühne: die Rollen-Vision der Instrumentalisierten

Überraschenderweise aber bedeutet das unwillkürliche Zerbrechen des Kelchs keinen Bruch der Beziehung, sondern einen Durchbruch in der künstlerischen Zusammenarbeit zwischen Dichter und Schauspielerin. Noch auf der Rückfahrt aus Murano bittet sie ihn um Verzeihung; fortan ist »jede ihrer Handlungen ein stummes Flehen um Vergebung und Vergessen.«1861 Ihre Bemühungen führen zu einer Änderung ihres schauspielerischen Stils, die der von Hermann Bahr beobachteten Dämpfung der Mittel bei der ›späteren Duse‹ entspricht: »Es schien dann, als keimte eine neue Gabe in ihr auf. Es war etwas Schwebendes in ihr, sie sprach mit leiser Stimme, sie bewegte sich mit leichten Schritten durch das Zimmer, sie kleidete sich in weiche Stoffe, sie verschleierte mit dem Schatten der Wimpern ihre schönen Augen, die nicht wagten den Freund anzublicken.«1862 Motiviert wird diese Veränderung, freudianisch gesprochen, durch Sublimierung: Ihre Seele, erfüllt von dem Wunsche, eine neue Empfindung zu schaffen, die fähig wäre, die Leidenschaften des Naturtriebes zu besiegen, offenbarte durch wunderbare Zeichen auf ihrem Antlitz die Schwierigkeiten dieser heimlichen Aufgabe. Niemals hatte ihre höchste Kunst so seltsamen Ausdruck gefunden, noch war je der tiefe Schatten ihrer Züge so dunkel und so bedeutungsvoll erschienen.1863

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come quell’uomo su la via bianca in quella citt/ di minatori. […] Le imagini dell’atroce ricordo si confondevano con la realt/ del suo strazio, nell’incoerenza mentale. Ella s’alzk di scatto, atterrita dalla forza ferina che invadeva le sue vene. Il vetro s’infranse nella sua mano convulsa, la fer', cadde ai suoi piedi in frantumi.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 269). Rilke: Aufzeichnungen, 185. D’Annunzio: Feuer, 331; im Original mit einer Metapher aus der bildenden Kunst: »vide la figura della follia disegnarsi in quel viso scomposto« (D’Annunzio: Il Fuoco, 269). D’Annunzio: Feuer, 331: »deluso, gonfio di rancore, vedendo distrutta la belleza di uno sforzo come quella tazza perfetta.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 269). D’Annunzio: Feuer, 335: »in ogni suo atto silenziosamente implork il perdono e l’oblio.« (D’Annunzio: Fuoco, 272). D’Annunzio: Feuer, 335: »Una nuova grazia allora parve nascere in lei. Ella si fece piF leggera, parlk sommessa, si mosse per la stanza con passi delicati, si vest' de stoffe calme, velk con l’ombra dei cigli i suoi belli occhi che non osavano guardare l’amico.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 272). D’Annunzio: Feuer, 335: »La sua anima, intesa a creare un nuovo sentimento capace di vincere le violenza dell’istinto, rivelk nel suo volto con indizii stupendi la difficolt/ del

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Diese neue Ausdrucksfähigkeit steht am Anfang einer enargeischen Wirkungsund Assoziationskette: Stelio fühlt sich durch ihre ausdruckvoll verschatteten Züge an Michelangelos Grabfigur Lorenzo di Medicis in San Lorenzo erinnert, bei dem sich eine »unendliche[.] Kraft […] in dem Schatten offenbart, den der Helm auf das Gesicht des Pensieroso wirft.«1864 Die Erinnerung an Michelangelo wirkt nach, als er sie beim Rezitieren bewundert: Sie las ihm Seiten aus den Werken der größten Dichter vor. Und die erhabene Form des Werkes erschien bedeutungsvoller, nur durch die Stellung, in der sie es hielt, durch die Bewegung, mit der sie die Blätter umwandte, durch den frommen, weihevollen Ernst der Aufmerksamkeit, durch die Harmonie der Lippen, die die Schriftzeichen in klingende Noten umwandelten. Beim Lesen der Dantschen Gesänge war sie streng und edel, wie die Sibyllen, die auf dem Deckengewölbe der Sixtinischen Kapelle das Gewicht der heiligen Bücher mit der ganzen heroischen Kraft ihrer von dem Hauch der Weissagungen bewegten Körper stützen. Die Linien ihres Gebärdenspiels und selbst die kleinsten Falten ihrer Tunika erläuterten ebenso, wie die Modulationen ihrer Stimme, den göttlichen Text.1865

Unter diesem Eindruck entsteht vor Stelios innerem Auge ein Bild von Dante, in das auch Züge der Tournee-Schauspielerin Foscarina eingehen: »Stellen Sie sich Alighieri vor, schon erfüllt von seiner Vision, auf den Straßen der Verbannung, ein unermüdlicher Waller, von seiner Leidenschaft und von seinem Elend von Land zu Land getrieben, von Zufluchtsstätte zu Zufluchtsstätte«.1866 Doch trotz dieses dichterischen Vor-Bilds thematisiert D’Annunzios Schlüsselroman im Folgenden nicht etwa das auf ein Dante-Motiv zurückgehende Versdrama Francesca da Rimini, sondern La citt/ morta, hier »La Vittoria dell’Uomo« genannt.1867 Stelio benötigt deshalb eine assoziative Brücke vom Mittelalter zur

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cjmpito segreto. Mai la sur arte somma aveva trovato espressioni tanto singolari; n8 mai dall’ombra delle sue linee eran nate significazioni tanto oscure.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 272). D’Annunzio: Feuer, 335: »l’infinita potenza che s’accoglie nell’ombra prodotto dal casco sul volto del Pensieroso.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 272). D’Annunzio: Feuer, 336: »Ella gli lesse le pagine dei sovrani poeti. La forma augusta del Libro parve magnificata dalle attitudini ch’ella ebbe nel tenerlo, dai gesti ch’ella fece nel volgere i fogli, dalla gravit/ religiosa dell’attenzione, dall’armonia delle labbra che mutavano in numeri vocali i segni impressi. Leggendo le cantiche di Dante, ella fu severa e nobile come le sibille che nelle volte della Sistina sostengeno il peso dei sacri volumi con tutto l’eroismo dei loro corpi commossi dal soffio delle profezie. Le linee del suo atteggiamento e fin le minime pieghe della sua tunica, al pari delle modulazioni, dichiarano il testo divino.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 273). D’Annunzio: Feuer, 337: »Imaginate l’Alighieri, pieno gi/ della sua visione, su le vie dell’esilio, pellegrino implacabile, cacciato dalla sua passione e dalla sua miseria di terra in terra, di rifugio in rifugio« (D’Annunzio: Il Fuoco, 274). Die Vorstellung von der ruhelosen Wanderschaft wird im Folgenden ausführlich amplifiziert. Siehe zur Anwendung dieses Motives auf die Duse Anm. 1713. D’Annunzio: Il Fuoco, 280. Zur eng miteinander verwobenen Entstehungsgeschichte von

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Antike, die er ebenfalls mit Hilfe der Schauspielerin entwickelt: »Öffnen Sie dieses christliche Buch und stellen Sie sich vor, daß beim Aufschlagen die Statue eines Griechengottes Ihnen gegenüberstände. Sehen Sie nicht aus dem einen wie aus dem andern die Wolke hervorbrechen oder das Licht, Blitze oder Himmelsstürme?«1868 Sie vollzieht nicht nur diese Vision nach, sondern lebt sich überhaupt so intensiv in seine dichterischen Visionen ein, dass es ihr scheint, »als löste sie sich in dem Feuer dieses Geistes in ihre Urelemente auf und als bildete sie sich dann zu neuer Vollkommenheit um« – eine Übernahme von Stelios Vision vor dem Schmelzofen in Murano.1869 Diese innere Wandlung wirkt nach außen und lenkt seine Vorstellungen in Richtung der geplanten Tragödie: Er schauderte und erbleicht eines Tages, als er sie in das Zimmer treten sah mit ihrem stillen Schritt, auf dem Gesicht einen seltsam ruhigen Schmerz, sicher und gefaßt, als käme sie von der Weisheit Tiefen her, von dort, wo alles, was Menschen bewegt, ein Spiel der Winde scheint in dem Staub eines endlosen Weges.// »Ah, ich habe dich geschaffen, ich habe dich geschaffen!« rief er ihr zu, getäuscht durch die Intensität der Halluzination. Er glaubte seine Heldin selbst auf der Schwelle des entlegenen Zimmers erscheinen zu sehen, das angefüllt war mit den den Gräbern der Atriden entrissenen Schätzen. – »Bleib einen Augenblick stehen! Zucke nicht mit der Wimper! Halte die Augen unbeweglich wie zwei Steine! Du bist blind. Und du siehst alles, was die andern nicht sehen. Und niemand kann vor dir etwas verbergen. Und hier, in diesem Zimmer, hat der Mann, den du liebst, seine Liebe der andern offenbart, die noch angstvoll bebt.[«]1870

Die enargeische Wirkung dieser Erscheinung auf den Dichter hält jedoch nicht lange an, so dass die Anna-Darstellerin ihre Identifikation intensivieren und gleichzeitig wieder zur Allegorie der Tragödie werden muss: La citt/ morta und Il Fuoco und ihren motivischen Bezügen siehe Lorenzini: Introduzione, XI–XV. 1868 D’Annunzio: Feuer, 338: »Aprite questo libro christiano e imaginate aperta a riscontro la statua di un dio grecco. Non vedete erompere dall’uno e dall’altra la nube o la luce, i baleni o i vHnti del cielo?« (D’Annunzio: Il Fuoco, 275). 1869 D’Annunzio: Feuer, 338: »Le parve di dissolversi ne’ suoi elementi al fuoco di quell’inteletto e poi di ricompersi in perfezione« (D’Annunzio: Il Fuoco, 275). Diese Metaphorik hat die der Schmiede und der Metallstatue abgelöst; es bleibt das Motiv des Feuers. 1870 D’Annunzio: Feuer, 340f.: »Egli rabbrivid' e impallid' un giorno, vedendola entrare nella stanza col suo passo silenzioso, col volto composto in un dolore straordinariamente calmo, sicura come se venisse dalle profondit/ della Saggezza, di l/ dove tutte le agitazioni umane sembrano un gioco di vHnti nella polvere d’un cammino senza termine.// – Ah, io t’ho creata, io t’ho creata! – le gridk illuso dall’intensit/ dell’allucinazione, credendo vedere la sua eroina stessa apparir su la soglia della remota stanza occupata dai tesoro tolti ai sepolcri degli Atridi. – F8rmati un momento! Non battere le palebre! Tieni gli occhi immobili, come due pietre! Sei cieca. E vedi tutto quell che gli altri non vedono. E nessuno ti puk nasconder nulla. E qui, in questa stanza, l’uomo che tu ami ha svelato il suo amore all’altra, che ancjra ne trema.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 276f.).

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Die Szene stand vor ihm und verschwand wieder, als versänke sie in einen Strom der Poesie.// ›Was wirst du tun? Was wirst du sagen?‹// Die Schauspielerin fühlte einen Kälteschauer bis zu den Wurzeln ihrer Haare heraufkriechen. Ihre Seele vibrierte gegen die Grenzen des Körperlichen, wie eine klingende Kraft. Sie wurde blind und sehend. Die Wolke der Tragödie stieg nieder und lagerte sich über ihr Haupt.1871

Die von Stelio improvisierte Szene hat einen unverkennbaren ›Subtext‹ – er treibt sie in einer Weise weiter, die seiner Hoffnung auf ein von der Foscarina geduldetes Verhältnis zu Donatella Arvale entspricht: »Du nimmst sie [Annas Mann und dessen Geliebte] bei der Hand; und du fühlst beider Leben mit ganzer Macht zueinander streben, und du fühlst, wie sie die Blicke durch deinen reglosen Schmerz hindurch aufeinander heften, wie durch eine zerbrechliche Kristallscheibe.«1872 Damit kommt wieder das Bild des Murano-Kelches ins Spiel, der unter dem Eindruck der entsprechenden Dreieckskonstellation zerbrach. Die geläuterte Anna-Foscarina aber hält sich an das andere Leidens-Bild dieser Episode: »In ihren Augen lag die Blindheit der unsterblichen Statuen. Sie sah sich selbst in dem großen Schweigen gemeißelt; und sie fühlte den Schauer der stummen Menge, die von dieser höchsten Macht der Pose bis in die innersten Tiefen des Herzens erschüttert war.«1873 Wie die junge Foscarina das Leiden an ihrer Einsamkeit durch die Nachahmung verstümmelter Statuen überwand, lässt die alternde Schauspielerin ihre Eifersucht, mit der sie auch während dieser Zeit künstlerischer Zusammenarbeit zu kämpfen hat,1874 gewissermaßen einfrieren. Doch damit nicht genug – komplementär zu dieser Verwandlung lebendiger Affekte in Kunst stellt ihr der Dichter die Aufgabe, ihm eine Wiederbelebung der Antike zu ermöglichen: Du mußt Kassandra aus ihrem Schlaf heraufbeschwören, in deinen Händen mußt du ihre Asche zu neuem Leben erstehen fühlen, du mußt sie in deiner Hellsichtigkeit vor dir sehen. […] Deine lebendige Seele muß die antike Seele berühren, sie muß mit ihr verschmelzen zu einer einzigen Seele und einem einzigen Unglück, so daß der Irrtum

1871 D’Annunzio: Feuer, 341: »La scena gli appariva e scompariva come sommersa da un torrente di poesia. // – Che farai tu? Che dirai tu?// L’attrice sentiva il gelo nelle radici dei suoi capelli. La sua anima vibrava ai limiti del suo corpo come una forza sonora. Ella diveniva cieca e indovina. Il nembo della tragedia scendeva e si arrestava sul suo capo.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 277). 1872 D’Annunzio: Feuer, 342: »Tu li prenderai per mano; e sentirai le due vite protendersi l’una verso l’altra con tutte le forze e guardarsi fissamente a traverso il tuo dolore immobile come a traverso un cristallo che sia per rompersi.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 277). 1873 D’Annunzio: Feuer, 342: »Ella ebbe nei suoi occhi la cecit/ delle statue immortali. Ella vide s8 stesse scolpita nel gran silenzio; e sent' il fremito della folla muta, presa alle viscere dalla potenza sublime dell’attitudine.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 278). 1874 Siehe D’Annunzio: Feuer, 340; D’Annunzio: Il Fuoco, 276.

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der Zeit zerstört erscheint, und jene Einheit des Lebens sich offenbart, nach der meine Kunst mit Gewalt strebt.1875

Diese Aufgabe (die den imaginären Wiederbelebungen des Theaters von Orange entspricht; siehe VI.3.1) bewältigt die Foscarina so vollkommen, dass sie, selbst zur »Verkünderin« werdend, dem Dichter sogar beschreiben kann, wie die Augen Kassandras sich während ihrer Prophezeiungen verändern.1876 Berauscht von diesen Visionen komponiert Stelio ein »Präludium« von Wagnerianischer Wirkungsmacht: »Die Tragödie fand auf diesem klingenden Untergrund ihr vollkommenes Gleichgewicht zwischen den beiden Kräften, die sie beleben sollten, die Macht der Bühne und die Macht des Orchesters. Ein Motiv von seltener Gewalt bezeichnete in dem symphonischen Meer das Erscheinen des antiken Schicksals.«1877 Dem realen Dichter allerdings fehlte solche Kompositionsgabe, und es war die Duse, die D’Annunzios überladenen Tiraden ihre mimische Ausdruckskraft entgegensetzen musste. Dass auf deren ekphrastische Beschreibung wiederum auch die im Roman entwickelten ›Bilder‹ einwirkten, wurde hoffentlich deutlich.

4.

Fazit

»Was wir gegeben haben ist das körperliche, zahlähnliche, extensive der Ifflandischen Darstellungen, die geistige, qualitative Intension kann nur durch unbegränzte Worte, durch Poesie wiedergegeben werden«,1878 bescheidet sich August Ferdinand Bernhardi gegen Ende seines Schauspielerporträts Ueber Ifflands mimische Darstellungen von 1799 (IV. 4.2). Gegen Ende eines DusePorträts von Julius Bab aus dem Jahr 1926 wird aus dieser Möglichkeit eine konkrete Ergänzung: »Und da einer der stärksten Wortschöpfer der deutschen Generation das Bild der Duse gestaltet hat, wäre es eine schädliche Eitelkeit, eigene Prosa für die Verse Rainer Maria Rilkes setzen zu wollen«.1879 Noch in Babs Monographie Kränze dem Mimen von 1954 heißt es: 1875 D’Annunzio: Feuer, 342: »Tu devi evocare Cassandra dal suo sonno, tu devi sentir rivivere le sue ceneri nelle tue mani, tu devi averla presente nella tua veggenza. […] Bisogna che la tua anima viva tocchi l’anima antica e si confonda con quella e faccia un’anima sola e una sola sventura, cosicch8 l’errore del tempo sembri distrutto e sia manifesta quella unit/ della vita a cui tende lo sforzo della mia arte.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 278). 1876 D’Annunzio: Feuer, 345: »la rivelatrice« (D’Annunzio: Il Fuoco, 280). 1877 D’Annunzio: Feuer, 345: »La tragedia trovk su quel fulcro sonoro il suo equlibrio perfetto tra le due forze che dovevano animarla, tra la forza della scena el la forza dell’orchestra. Un motivo di straordinaria potenza segnk nel mare sinfjnico l’apparizione dell’antico Destino.« (D’Annunzio: Il Fuoco, 280). 1878 Gerlach: Experimentalpoetik, 47. 1879 Bab: Schauspieler und Schauspielkunst, 277–283, hier 281.

Fazit

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Die Gesten und Töne, durch die sie wirkte, die Wirkung und das Ganze ihrer Erscheinung und ihres Wesens hat ein deutscher Dichter so vollkommen in Verse gebracht, daß man einen Versuch, in deutscher Sprache ein Bild der Duse zu zeichnen, nicht anders abschließen kann, als indem man das »Bildnis« von Rainer Maria Rilke hersetzt.1880

Die spätere Formulierung ist noch etwas pointierter, da sie explizit Rilkes Bildnis und das von Bab gezeichneten »Bild« einander ergänzen lässt. Wie Bernhardi sieht Bab seine eigene Stärke darin, »[r]ichtig aufzufassen und getreu darzustellen«,1881 nämlich in einer Verbindung von sensualistischer Aufmerksamkeit für mimische ›Feinheiten‹ und ›strukturanalytischer Beschreibung‹, und wie Bernhardi ist er dennoch davon überzeugt, dass sich das ›Ganze‹ eines mimischen Kunstwerks nur als ›poetische Beschreibung‹ realisieren lässt.1882 Etwas kühner sind um 1900 Autoren wie Hermann Bahr : Sie trauen sich durchaus zu, ihre strukturanalytischen Beschreibungen selbst durch ›poetische‹ Einlagen zu ergänzen, eine Tendenz, die Egon Friedells eingangs zitierte Parodie auf die Spitze treibt. Mit welcher Tendenz wird nun aber gerade Eleonora Duse immer wieder zum graphischen ›Bild‹ im Sinn einer Kunst-›Umschreibung‹ gemacht? Bezeichnend scheint mir, dass Bab seine Überleitung zu Rilkes Bildnis auf die Erinnerung an jenen Moment folgen lässt, als die Schauspielerin nach einer Vorstellung der Gioconda vor der »eisernen Wand« stand (siehe VI.2.4): »Das war die Duse, und nie habe ich sie wesenhafter gesehen als an der Schwelle zwischen Kunst und Wirklichkeit.«1883 Um die Vermittlung einer solchen ›Schwellenerfahrung‹ geht es, verbunden mit dem für nervöse Enargeia typischen »prekäre[n] Schwellenzustand zwischen Bild und Bedeutung, Visuellem und Symbolischem«1884 sowie zwischen graphischen, perzeptuellen, mentalen und sprachlichen Bildern (V.1). Dabei gibt es, wie Teil VI gezeigt hat, ein weites Spektrum von Gestaltungsund Funktionalisierungsmöglichkeiten. Bei Hermann Bahr (VI.1) werden Vergleiche mit bildender Kunst zum Teil noch recht traditionell in den Dienst der Veranschaulichung stilistischer Tendenzen gestellt: Der Hinweis auf Gustav Moreau verdeutlicht, inwiefern die 1880 Bab: Kränze dem Mimen, 191–210, hier 209f. 1881 Gerlach: Experimentalpoetik, 47. 1882 Zu diesen Kategorien siehe Kap. VI.1. Übrigens urteilt Bab, Hofmannsthals MitterwurzerElegie enthalte »die schönsten Worte […], die in deutscher Sprache je der Schauspielkunst gewidmet wurden« (Bab: Kränze dem Mimen, 271); in Babs Nachlass findet sich ein Typoskript dieses Gedichts (siehe HSW 1: 349). 1883 Bab: Schauspieler und Schauspielkunst, 277, im späteren Duse-Porträt wird die entsprechende Passage abgeschlossen durch die Formulierung: »Es war ein unvergeßliches Bild im Zwielicht« (Bab: Kränze dem Mimen, 209). 1884 Pfotenhauer/Riedel/Schneider : Poetik der Evidenz, IX (meine Hervorhebung).

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›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz

Kleopatra der Duse »Wollust in asiatischem Stile«1885 vermittelt habe, die Formulierung von einer »Statue des Erbarmens«1886 veranschaulicht den neuen, sparsamen Stil der Duse. Im Hinweis auf Goethe klingt dabei noch einmal die klassizistische Auffassung ›malerischer Schauspielkunst‹ an (III.6), die bei Goethe selbst (IV.2) wie bei Humboldt (IV.3) und Schlegel (IV.5.3) mit der Vorstellung von einer Wiedergeburt der Antike einhergeht; als Dramatiker meldet D’Annunzio um 1900 einen ähnlichen Anspruch an (VI.3.1) und versucht ihn besonders deutlich in La Citt/ morta zu verwirklichen (VI.3.3.7). Wenn Bahr formuliert, die Duse scheine in der Hauptrolle dieser Tragödie »aus einem alten Relief zu treten,« stellt er sich sogar in die Tradition klassizistischer Etüdenkunst (III.6.2, IV.5.3). Allerdings wird umgehend die »heiße Kraft« ihrer Stimme dagegengesetzt, entsprechend der Behauptung, in dieser Schauspielerin flössen »die Wirkungen aller Künste zusammen.«1887 Bahrs Moreau-Vergleich anlässlich der Verkörperung von Shakespeares Kleopatra ist insofern recht eingängig, als auch der Maler gerne diese beliebte femme fatale-Figur darstellt, Bahrs Formulierung von der »Statue des Erbarmens«1888 insofern, als er die Stilisierung der Duse durch D’Annunzio aufgreift, nämlich sowohl durch die Regieanweisungen und Statuen-Vergleiche seiner für die Duse bestimmten Dramen als auch durch die in Il Fuoco erzählte Geschichte von der ›Bildung‹ der jungen Schauspielerin an verstümmelten Statuen des 18. Jahrhunderts (VI.3.6, VI.3.7). Wenn Bahr jedoch formuliert, das Spiel der Duse sei »wie ein spiegelnder Teich mit Nupharen im Monde, so rein und von solcher limpidezza, daß das Schauspiel zur Andacht wird,«1889 ist der Vergleich mit einem gemalten ›Nachtstück‹ bewusst exquisit und dient dazu, die Duse zum Gegenstand ästhetizistischer Kunstfrömmigkeit zu machen. Die Bildlichkeit von Rilkes Duse-Gedicht (V.2) geht noch entschieden weiter, indem von der Grundvorstellung eines graphischen ›Bildnisses‹ ausgehend eine Folge den Leser herausfordernder sprachlicher Bilder gestaltet wird: das Gesicht als welker Blumenstrauß, aus dem mitunter ein Lächeln fällt; die »blinden« Hände; das ›Ausbrechen‹ der gesprochenen (geschrienen?) Worte aus dem »Erdichteten« und ihr ›Fallenlassen‹, schließlich das »fußlose Gefäß« als Bild ihrer »wehen Wirklichkeit«. Diese Bildlichkeit, die wie gezeigt, auf einer vor allem durch Photos vermittelten Duse-Ikonographie rekurriert, evoziert mehr als eine Schwellenerfahrung »zwischen Kunst und Wirklichkeit«, nämlich Spannungen zwischen Schönheit und Alter, Schreiten und ängstlichem Balancieren, »Schmerzen« und »Lächeln«, Gestik und Blindheit, ›erdichtetem‹ Rol1885 1886 1887 1888 1889

Bahr: Studie Duse, 5f. Bahr: Kritiken, 379. Bahr: Kritiken, 379. Bahr: Kritiken, 379. Bahr: Kritiken, 379.

Fazit

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lentext und »Seele«, ›Ausbruch‹ und Zurücknahme, Einsamkeit und »Ruhm«. Dass den Zeitgenossen damit Eigenschaften der Duse’schen Schauspielkunst im Sinne ›starker Präsenz‹ enargeisch vermittelt wurden, kann wiederum Julius Bab bezeugen: »Diese gelösten Züge, diese blinden Hände, dies erhobene Kinn, dieser schwankende Gesang und der jäh aufspringende, anklammernde Schrei – das war es, was uns bezauberte. Und dazu ein Lächeln – herüberstrahlend wie aus einer anderen unverlorenen Welt.«1890 Allerdings neigt Babs Paraphrase etwas zur Harmonisierung der Gegensätze etwa zwischen Rollentext und »Seele« und insbesondere zwischen »Ruhm« und Einsamkeit, ein Gegensatz, der in der ersten Gedichtfassung besonders krass gestaltet ist: »Und die Menge drängt sich mit den Richtern/ wie ums Blutgerüst um ihren Ruhm«.1891 Der Vergleich vermittelt nicht den Eindruck von Schauspielkunst, sondern die Innensicht der Schauspielerin. In den Aufzeichnungen wird diese Perspektive sogar mit dem Verfassen journalistischer Duse-Ekphrasen kontrastiert: »In allen Städten, wohin du kamst, beschrieben sie deine Gebärde; aber sie begriffen nicht, wie du, aussichtsloser von Tag zu Tag, immer wieder eine Dichtung vor dich hobst, ob sie dich berge.«1892 Das Gedicht und die fingierte Aufzeichnung setzen dieser zudringlichoberflächlichen Außenperspektive eine Innensicht entgegen, die dem Leser Zugang zur heroisch leidenden »Seele« der Künstlerin gewährt, in Spannung zur oft trivialen Rolle. Derartiges ist in einer faktualen Prosa-Ekphrasis nur dann möglich, wenn der Mime dem Verfasser Einblick in sein ›Inneres‹ gewährt: Böttiger und Guglia berufen sich stellenweise auf derartige Selbstzeugnisse, die sie allerdings kaum überprüfen können.1893 Lyrik dagegen lässt sich zwar – wie Dieter Burdorf formuliert – als Gattung verstehen, »in der die Fiktionalität, die Ebene fiktiver Figuren und Handlungen, eine geringere Bedeutung hat als in Epik und Dramatik«, weil schon ihre Kürze »nur selten das Abtauchen in eine fiktive Welt erlaubt.«1894 Dennoch ist ein fiktionaler Wirklichkeitsbezug in lyrischen Texten durchaus üblich und wohl häufiger als ein dezidiert faktualer.1895 In einem Gedicht bedarf deshalb der Wechsel zwischen Außen- und Innensicht oder die Verschränkung beider Perspektiven keiner Legitimierung, im Fall einer zeitgenössischen Schauspielerin so wenig wie im Fall eines Panthers im Jardin des Plantes, Paris.1896 1890 1891 1892 1893 1894 1895 1896

Bab: Kränze dem Mimen, 282. GKA 1: 984, V. 16f., siehe VI.2.4. Rilke: Aufzeichnungen, 184f. Siehe III. 8.2; V. 1.2.2. Burdorf: Gedichtanalyse, 167. Siehe Burdorf: Gedichtanalyse, 164–170. So der Untertitel von Rilkes weit berühmterem ›Neuen Gedicht‹ Der Panther (RKA 1: 469). Grob gesagt beginnt der Text mit Innensicht (Müdigkeit des Panthers, V. 1–4), wechselt zur

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›Kunst-Umschreibung‹ und Präsenz

Noch mehr gilt dies für fiktionale Erzählwerke. Allerdings sind fingierte Tagebuch-Aufzeichnungen wie die des dänischen Dichters Malte Laurids Brigge (VI.3.1-VI.3.3) an die Perspektive des fiktiven Autors gebunden, so dass die Darstellung der Duse aus der Innensicht hier eine Besonderheit darstellt. Es handelt sich um Apostrophen, die mindestens soviel über den Sprecher aussagen wie über die imaginär Angesprochene: Malte sehnt sich nach einer neuen, wahrhaftigen und metaphysisch begründeten Kunst, und er sucht ›Verkörperungen‹ seiner Sehnsucht nach Liebe ohne Erwartung von Gegenliebe.1897 Zudem handelt es sich um eine Vision der Duse im Anschluss an die Kunst›Umschreibung‹ des Amphitheaters von Orange, das, wie in einem Artikel D’Annunzios, die Vision eines dionysisch-apollinischen Theatererlebnisses provoziert (VI.3.1). Prinzipiell unproblematisch erscheint interne Fokalisierung aus der Perspektive der dargestellten Schauspielerin, wenn es sich um einen weitgehend aus der ›Übersicht‹ oder ›Nullfokalisierung‹ erzählten Roman wie D’Annunzios Il Fuoco handelt (VI.3.3). Allerdings ist dieses Erzählwerk kein historischer Roman, sondern ein Schlüsselroman: Da sich der Autor während der Niederschrift tatsächlich in einer Liebes- und Arbeitsbeziehung mit der Duse befand, weckte das Buch die Erwartung, er gewähre authentische Einblicke in die ›Seele‹ der Mimin. Wie erwähnt, wird insbesondere der Bericht von der völligen Identifikation mit der Julia-Rolle gerne in Duse-Biographien zitiert, aber auch die Geschichte von der prägenden Wirkung einsamer Statuen beeindruckte die Leser und hinterließ Spuren in Mimen-Ekphrasen. Doch auch Motive, die aller Wahrscheinlichkeit nach erfunden sind, insbesondere die allegorisch überhöhte Episode vom zerbrechlichen, mit bloßen Fingern getragenen und schließlich zerbrochenen Kelch, wirkten weiter. Selbst in ›journalistischen‹ Duse-Ekphrasen nämlich ging es im Zeitalter der ›nervösen Enargeia‹ nicht zuletzt darum, poetisch sinnfällige Bilder für die Wirkung der Duse und die dahinter vermutete Persönlichkeit zu finden. Das Besondere an D’Annunzios Roman besteht – wie Außensicht (sein Gang und die seltene Öffnung des Blicks, V. 5–10) und kehrt zurück zur Innensicht (Wirkung des daraus folgenden Seheindrucks, V. 10–12). Genauer betrachtet sind beide Perspektiven subtil verschränkt: Dass der Blick »müde geworden« ist (V. 2), vermittelt sich auch als Außeneindruck; die Aussage, dass in der »Mitte« (V. 7) des kreisenden Ganges »betäubt ein große Wille steht« (V. 8), setzt interne Fokalisierung voraus. In ähnlicher Weise ist die erste Strophe von Bildnis zwar dominant extern fokalisiert, die Begründung des langsamen Ganges durch die Sorge, es könne die Blume eines ›Schmerzes‹ aus dem »Strauß« der »Züge« fallen (RKA: 556, V. 4), setzt aber Innensicht voraus. Die übrigen Strophen beginnen jeweils, vereinfacht gesprochen, außensichtdominiert und wechseln zur Innensicht. 1897 Nicht zu verkennen ist allerdings, dass diese Voraussetzungen auch für Rilke galten und seine spätere Begegnung mit der realen Duse prägten (siehe Jonas: Rilke und die Duse).

Fazit

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eingangs angedeutet und nunmehr durch eine zitatreiche Roman-Analyse ›vor Augen geführt‹ – in der exzessiven Thematisierung und musikalischen Durchstrukturierung derartiger ›Bilder‹, die Ekphrasen im antiken und modernen Sinn darstellen. Zudem zeigt der Roman, dass gerade ›Frauen-Bilder‹ – also ekphrastische Darstellungen der Gioconda oder der Duse – immer wieder auf ›Frauenbilder‹ im Sinne kultureller Stereotype verweisen und dass die so zustande gekommenen Phantasien ebenso von männlicher Lust wie von Furcht und Unterwerfungsansprüchen bestimmt sind. Entsprechend dient der metaphorische Rekurs auf Kunstwerke nicht nur zur Verklärung der mimischen Künstlerin, sondern macht sie auch zum Lust- wie zum Kunstobjekt aus und in der Hand des männlichen Genies: eine Machtverteilung, die bereits im Pygmalion-Mythos angelegt ist.1898

1898 Siehe dazu grundsätzlich Künzel: Geschlecht der Schauspielkunst. Ich muss eingestehen, dass dieser wichtige Aspekt in meiner Studie nur recht sporadisch thematisiert wurde.

Nachspiel mit Rückblicken. Zur Aktualität der Mimen-Ekphrasis

»Nehmt wenigstens einen Kinematographen, rettet euch das Gröbste«, fordert Alfred Kerr in einer Duse-Ekphrasis von 1906.1899 Die Formulierung impliziert, dass die Wiedergabe von Schauspielkunst im Film wenigstens teilweise der durch Texte (auch durch den eigenen) enargeisch überlegen sei. Ich halte das für plausibel und lasse meine Studie deshalb an der Schwelle zu diesem neuen Medium enden,1900 das mit wachsender technischer Vervollkommnung und künstlerischer Reife zunehmend dazu beiträgt, Mimen auch posthum ›Kränze zu flechten‹.1901 Dennoch bleibt zu betonen, dass auch der Film nur ›grob‹ vermag, 1899 Kerr : Mimenreich, 270. Eine noch präzisere Zukunftsvision hatte der Theaterkritiker Paul Schlenther bereits 1895: »Herr Edison sollte Etwas erfinden, was den Phonographen mit dem Kinetoskop zu vereinigter Wirkung brächte. Auf diese Weise würde es möglich werden, ganze Theaterszenen für Aug’ und Ohr gleichzeitig festzuhalten. Des Mimen Kunst wäre dann nicht mehr für den Augenblick geboren.« (Kritik einer Aufführung von Romeo und Julia im Deutschen Theater Berlin, Vossische Zeitung vom 12. 9. 1895, zit. nach Eisermann: Kainz, 12). 1900 Die späteste Mimen-Ekphrasis, die hier als Ganztext untersucht wurde, ist die DuseEvokation aus Rilkes 1910 veröffentlichten Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (VI.3.2, VI.3.3.); der späteste hier vorgestellte Auszug stammt aus dem Duse-Kapitel in Julius Babs Monographie Kränze dem Mimen von 1954, ist jedoch eine Variante eines Kapitels aus Schauspieler und Schauspielkunst von 1926 (VI.2.4). Die Schauspielerin selbst hat sich sehr für das Medium des Films interessiert, 1916 die Hauptrolle in der Romanverfilmung Cenere gespielt und geplant, auch ihre Paraderolle als Ibsens Frau vom Meere zu verfilmen, was durch den Krieg verhindert wurde. Andernfalls wäre es aufschlussreich gewesen, diesen Film mit Ekphrasen ihrer Bühnenverkörperung zu vergleichen; möglicherweise aber wäre die Verfilmung einem modernen Zuschauer aufgrund der geänderten Theaterkonventionen ebenso fremd wie der Cenere-Film oder die Tonaufnahme einer KainzRezitation. Mimen-Ekphrasen haben dagegen den Vorteil, Hinweise auf den zeitgenössischen Erwartungshorizont ›mitzuliefern‹. 1901 So ist Gustav Gründgens zwar einerseits Erika Fischer-Lichtes Beispiel für die ›starke Präsenz‹ eines Bühnenschauspielers (Ästhetik des Performativen, 164f.), wird andererseits aber immer noch als Filmschauspieler bewundert (Theis: Filmschauspieler Gründgens, 117–130), und obwohl Fischer-Lichte betont, dass die berühmte Faust-Verfilmung 1960 nur »einen höchst unzulänglichen Eindruck von Gründgens’ Spiel als Mephisto vermittelt« (Faszination als Wirkung, 31), hat dieses Spiel nicht nur mich tief beeindruckt, sondern

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die Besonderheit einer ›Aufführung‹ bzw. der ›Präsenz‹ von Bühnendarstellern zu vermitteln (siehe I.5.). Zudem können Mimen-Ekphrasen ja nicht nur im Dienst der Memorialfunktion stehen, sondern auch im Dienst der Transpositions-, Emotionalisierung- und Evidenzfunktion und insbesondere der analytischen Funktion. So ist diese Textgattung mittlerweile keineswegs verschwunden und hat in der Weimarer Republik sogar eine besondere Blüte erlebt. Untersuchungen zu Mimen-Ekphrasen dieses Zeitraums wären im Detail durchaus ergiebig;1902 allerdings sind grundsätzlich neue Schreibstrategien meiner Meinung nach bis heute in dieser Textgattung nicht entwickelt worden. Zudem gerieten Schauspielerleistungen seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts »in den Schatten des Diskurses«.1903 Allerdings gibt es in jüngerer Zeit, besonders unter dem Vorzeichen des ›postdramatischen Theaters‹ und des performative turn, Anzeichen für ein neues Interesse an Schauspielkunst in Theaterkritik wie Theaterwissenschaft. Anhand einer Monographie und eines Sammelbandes, die beide Diskurse einander annähern, um aktuelle Aufgaben und Erscheinungsformen von Schauauch Studierende meiner Seminare und zahlreiche Amazon-Rezensenten der Faust-DVD (siehe Amazon-Kundenrezensionen). 1902 Am Beispiel Guglias zeichnete sich ab, dass die Darstellung mimischer ›Feinheiten‹ vor dem Hintergrund einer Professionalisierung der Schauspielerausbildung, etwa im Bereich der Deklamationskunst, noch präziser wurde (V.1.2.2). Diesem Zusammenhang wäre weiter nachzugehen – hier sei nur darauf hingewiesen, dass Alfred Kerr schon 1909 den Sprechstil Albert Bassermanns phonetisch nachahmte, und zwar durchaus mit Bewunderung: »Was der Könisch hat,/ Gehördem Klück, Eliiiisabeth demm Phiiiilipp« (Kerr : Mit Schleuder und Harfe, 64.) Die Fortsetzung der Tradition poetischer Mimen-Ekphrasis andererseits ließe sich besonders deutlich anhand von Wilhelm Schmidtbonns expressionistischer Prosahymne Die Stimme Moissis aufzeigen (Böhm: Moissi, 28). Walter Hasenclevers in der Menschheitsdämmerung erschienenes Terzinengedicht Der Schauspieler. Für Ernst Deutsch (Pinthus: Menschheitsdämmerung, 134) ist geeignet, den Aspekt der modern reaktualisierten ›Allegorie‹ (V.1.3, VI) weiter zu verfolgen (nur ansatzweise thematisiert in der für den biographischen Hintergrund wichtigen Interpretation in Denkler : Gedichte der Menschheitsdämmerung, 142–153). Unter diesem Aspekt wären auch Joachim Ringelnatz’ Gedichte Über Asta Nielsen von 1927 und Asta Nielsen weiht einen Pokal von 1929 zu analysieren, die nicht dem Kinostar, sondern der Bühnenschauspielerin gelten (Ringelnatz: Gedichte, 210; 422). Ein Pendant zu D’Annunzios zuletzt untersuchten Schlüsselroman Fuoco schließlich stellt Klaus Manns Mephisto dar, der Gustav Gründgens gilt. Der satirisch-allegorische Grundzug des Romans – der Schauspieler als großer Manipulator und Opportunist (Kleinherne: Schau- und Rollenspieler, 124–140; Naumann: Gründgens, Klaus Mann und Mephisto) – überdeckt in der bisherigen Forschung – ähnlich wie D’Annunzios ästhetizistische Programmatik in Fuoco – die Tatsache, dass hier zahlreiche ekphrastische Partien begegnen, die durchaus spezifische Eigenheiten eines besonderen Mimen vorstellen, dessen Filmauftritte Klaus Mann noch im Exil faszinierten (Töteberg: Nachwort, 394f.), und dass diese in sehr spezifischer Weise der Evidenzfunktion zugute kommen (neueste Forschung: Brittnacher : Prinzessin Tabeb; Rösch: Mephisto als Schlüsselroman). 1903 Roselt: Vorwort Schauspielen heute, 9.

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spielkunst zu diskutieren, soll im Folgenden exemplarisch geprüft werden, ob hier ein neues Verständnis dieser Kunst erkennbar wird, das zu neuen Strategien von Mimen-Ekphrasis führen könnte. Die Antwort sei thesenartig vorweggenommen: Die aktuelle Situation zeichnet sich durch das Nebeneinander verschiedenster Inszenierungsstile aus, an die sich Schauspieler flexibel anpassen müssen; dementsprechend kombinieren Mimen-Ekphrasen Elemente aus verschiedenen Phasen der Tradition und stellen sie mitunter explizit in theoretische Bezüge.1904 So eignet sich die folgende stichprobenartige Untersuchung auch zur Rekapitulation von bewährten Verfahrensweisen dieser Gattung. Dies geschieht zunächst in einer detaillierten Analyse der rezenten Texte, dann in einem systematischen Vergleich dominanter Schreibstrategien um 1800, um 1900 und nach 2000. ***

Die 2009 erschienene Gebrauchsanweisung für das Theater1905 des Theaterkritikers und studierten Theaterwissenschaftlers Peter Michalzik möchte ein breites Publikum mit Grundtendenzen des deutschen Gegenwartstheaters vertraut machen. Eröffnet wird das Buch programmatisch mit einem Kapitel, das sich der Frage widmet: Was ist ein Schauspieler? Den Ausgangspunkt bildet ein ›Schauspielerporträt‹ des 1967 geborenen Joachim Meyerhoff: Von Natur aus ist er weder Verführer noch Charmeur. Einfühlung ist auch nicht seine Stärke. Er ist groß, seine Haut ist bleich und er muss einmal ziemlich ungelenk gewesen sein. Er wirkt fahrig, die ihn nur von der Bühne kennen, denken sich ihn eher als den anstrengenden Typ. Und trotzdem wird Joachim Meyerhoff geliebt.1906

Der Abgleich von Physis, Bewegungskultur und ›Präsenz‹ (auch jenseits der Bühne) mit herkömmlichen Erwartungen ist häufiger Bestandteil von Schauspielerporträts. Diskrepanzen werden unterschiedlich behandelt: Lichtenberg und Humboldt müssen zugeben, dass Garrick und Talma eher zu klein insbesondere für das Fach des Heldendarstellers sind, beeilen sich aber zu versichern, 1904 Ich behaupte nicht, dass dies bewusst geschieht, obwohl das bei Kennern der Gattung Mimen-Ekphrasis wie Jens Roselt und Hajo Kurzenberger durchaus naheliegt; vielmehr gehe ich vor allem von einer Weitergabe bewährter Darstellungstechniken insbesondere in Theaterkritiken aus. 1905 Genau genommen ist dies der Untertitel; der Haupttitel besteht bemerkenswerterweise aus zwei Sprechblasen eines Cartoons von Martin Perscheid und repräsentiert die Reaktion eines Ehepaares auf eine Theatervorstellung: Die sind ja nackt! Keine Angst, die wollen nur spielen. ›Typisch modern‹ ist nicht nur, dass Darstellerin und Darsteller nackt sind, sondern auch, dass sie ohne Requisiten vor dem Vorhang spielen. Allerdings trägt die Schauspielerin eine Krone, und beide zeigen überdeutlich ›theatralische‹ Posen des Flehens bzw. der entsetzen Abwehr, die sich auch als ›Pathosformeln‹ in der bildenden Kunst finden. 1906 Michalzik: Gebrauchsanweisung fürs Theater, 24.

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dass dieses Manko durch einen feingegliederten, durchtrainierten Körper wettgemacht werde (II.5.5, IV.3.2). Offensiver geht Hermann Bahr in seinem Duse-Porträt von 1891 vor : Er entwirft zunächst ein ›Gegenbild‹ zu den Erwartungen an eine Schauspielerin und lässt im Kontrast dazu ihre BühnenPräsenz als umso staunenswerter erscheinen (VI.1); Hofmannsthal schließlich überhöht die Spannung zwischen Kainz’ schmächtigem Körper und seiner großen Bühnenwirkung metaphorisch (V.2.4). Im Theater der Gegenwart gilt der ›imperfekte‹ Mimenkörper nicht mehr als Verlegenheit, sondern als Faszinosum: Praktiken wie Cross-Casting und Theaterprojekte mit behinderten und alten Menschen lenken die Aufmerksamkeit gezielt auf die Verletzlichkeit und Vergänglichkeit anwesender Körper.1907 Dennoch baut auch Michalzik eine Spannung zwischen Erwartung und Gesamtausdruck auf und lenkt die Aufmerksamkeit im Sinn der Image-Tendenz des Schauspielers (I.3.2) auf die Frage, warum Meyerhoff trotz scheinbar ungünstiger Voraussetzungen »geliebt« wird; deutlich wirkt dabei der Topos von Schauspielkunst als Verführungskunst nach.1908 Doch geht es nicht nur um Physis und Gesamteindruck: Die Formulierung, »Einfühlung ist auch nicht seine Stärke« macht deutlich, dass zumindest ein Teil des Publikums durchaus dem Ideal der Verkörperung anhängt, das gerne mit dem Modell des ›heißen Schauspielers‹ gleichgesetzt wird. Gegenüber solch ›konservativen‹ Erwartungen wird Meyerhoff jedoch nicht einfach zum Vertreter eines ›moderneren‹ Theaters stilisiert, sondern – wiederum ähnlich wie Bahrs Duse –1909 zum Vermittler zwischen Theaterstilen: Er ist ein Protagonist des neuen Theaters, des Ungestümen, des Bedingungslosen und Krassen, aber ihn lieben auch die, die Einfühlungstheater wollen. Meyerhoff ist einer jener Schauspieler, die die Grenzen, die im Theater seit Jahren gezogen werden, hier Gefühl, da Kunst, hier Konservatismus, dort Avantgarde, durch sein hinreißendes Spiel einreißen. Ein anderer großer Schauspieler, Sepp Bierbichler, hat vor ein paar Jahren gesagt, dass die Erneuerung des Theaters wahrscheinlich vom Schauspieler ausgehen werde. Er muss dabei an Menschen wie Joachim Meyerhoff gedacht haben.1910

Diese Vision war schon für das Theater der Jahrhundertwende bezeichnend1911 und schlägt sich in der Emphase der hier vorgestellten Mitterwurzer-, Kainz-

1907 Siehe Roselt: An den Rändern der Darstellung; Roselt: Der Schritt vom Wege. 1908 Dieser Topos wird vor allem in Bezug auf Schauspielerinnen gern aktiviert, wie Lichtenbergs Porträt von Frances Abbington (II.5.6) besonders deutlich belegt; er lässt aber auch Garrick als Archer »voll Vertrauens auf seine Waden« auftreten (II.5.6, LBE: 352). 1909 Bahr: Studie Duse, 7f., siehe VI.1. 1910 Michalzik: Gebrauchsanweisung fürs Theater, 24. 1911 Max Reinhardts Ausspruch »Das Heil kann nur vom Schauspieler kommen, denn ihm und keinem anderen gehört das Theater« stammt zwar von 1930, fasst aber im Rückblick die

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und Duse-Porträts nieder. Michalzik verfolgt diesen Aspekt allerdings nicht weiter, sondern konkretisiert sein Schauspielerporträt durch ein kurzes Rollenporträt: Der großartige Hamlet, den Meyerhoff in Zürich mit Hornbrille spielte, ist von vielen bewundert worden. Der bis hin zum berühmten Monolog unendliche Male durchgekaute Text erschien hier ganz frisch – sagen Sie doch mal, schien Meyerhoff sich ans Publikum zu wenden, was ist nun besser, ein ungerechtes Schicksal zu ertragen oder sich zu wehren? Wie sehen Sie das denn? Und wir dachten mit. Dieser Hamlet bewegte sich weit in die etwas peinliche Welt des Mitmachtheaters hinein und doch erfuhr der Zuschauer hier genau, was Denken im Theater heißen kann.1912

Auch hier begegnen vertraute Elemente von Mimen-Ekphrasis: Wie dereinst Lichtenberg in seiner Beschreibung der Hamlet-Geist-Szene steuert Michalzik die Lese-Erwartung durch uneingeschränktes Lob, wie in späteren Passagen der Briefe aus England geht er auf Einzelheiten des modernen Kostüms ein und betont die Herausforderung, Hamlets allzu berühmten To be or not to beMonolog zu aktualisieren. Vertraut ist auch, wie die Wirkung des Spiels auf das Publikum thematisiert wird, das hier mal in der dritten, mal in der ersten Person repräsentiert ist (I.2). Bei Michalzik ist es zwar die erste Person Plural, anders als bei Lichtenberg, der sich gern gegen das Durchschnittspublikum absetzt, doch ähnlich wie etwa bei Böttiger oder Guglia.1913 Die Verdeutlichung der Sprechweise durch einen explizit formulierten ›Subtext‹ findet sich auch in Schinks Rollenporträt von Brockmann als Hamlet (II.6); allerdings bezieht sie sich dort auf das innere Kommunikationssystem des Dramas, während Michalzik die Uminterpretation des Monologs zur Publikumsansprache thematisiert und statt Einfühlung ›Mitdenken‹ als spezifische Wirkung dieses Spiels identifiziert. Später wird er formulieren, Meyerhoff zeichne sich grundsätzlich dadurch aus, dass er »das Denken sicht-, hör- und miterlebbar macht. Er baut keine Innenwelten auf, er entwickelt nicht das Innenleben seiner Figuren vor uns, sondern er macht Denkbewegungen konkret.«1914 Im Zusammenhang der Hamlet-Vorstellung führt diese Spielweise dann aber doch zum Eindruck einer Verkörperung, die sich in bewährter Weise mit einer geläufigen ›Interpretation‹ der Rolle vergleichen lässt: »Meyerhoff nahm das so Grundüberzeugung einer gesamten Theaterepoche zusammen (Reinhardt: Rede über den Schauspieler, 4). 1912 Michalzik: Gebrauchsanweisung fürs Theater, 24. 1913 Für Böttigers Gebrauch des ›Wir‹ möge folgendes Zitat stehen: »Mahlerisch und bis auf die geringste Schattirung wahr erblickten wir im krampfhaften Zucken der Hände, und in der rückwärts gebogenen Stellung das Schrecken.« (BEIS: 299, siehe III.6.3) Zu Guglia siehe die Zitate in V.1.2. Hofmannsthal setzt ›wir‹ und Schauspieler typischerweise einander entgegen, z. B.: »Wenn wir den Mund aufmachen, reden immer zehntausend Tote mit. Der Mitterwurzer hat seine Beredsamkeit das Schweigen gelehrt.« (HM: 480). 1914 Michalzik: Gebrauchsanweisung für das Theater, 27.

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vollkommen ernst, dass aus dem zweifelnd gedankenschweren Melancholiker, den wir doch alle mehr oder weniger kennen, ein richtiger Denk-Maniac wurde.«1915 Damit schließt Michalzik an jene Strategie an, die für Mimen-Ekphrasen im Zeichen des Literaturtheaters grundlegend ist: Eine Verkörperung wird in Bezug zum Rollenbild des Lesers gesetzt. Nach diesem knappen Rollenporträt kehrt Michalzik wieder zum Schauspielerporträt zurück. Zunächst wird kurz Meyerhoffs Präsenz thematisiert, ausgehend von der Tatsache, dass der Schauspieler bisher noch vor keiner Kamera gestanden habe, mutmaßlich, weil er »so ganz Theater« sei.1916 Doch statt seine Präsenz über das Phänomen des anregenden Denkens hinaus zu konkretisieren, wechselt Michalzik ins Biographische und verknüpft in ebenfalls vertrauter Weise die Geschichte vom Aufstieg des Schauspielers mit weiteren Charakterisierungen: »Niemand hat ihn entdeckt, er, der nach vielen Stationen in der Provinz sehr spät bekannt wurde und seit 2005 Burgschauspieler ist. […] Er hat, anfangs um seine Angst und Scheu zu überwinden, Soloabende erarbeitet, durch die er geworden ist, was er heute ist, durch die er seine eigene Spielweise gefunden hat und die bis heute das Zentrum seiner Arbeit sind.«1917 Vom Thema dieser Abende ausgehend wird sein Spiel charakterisiert: In jedem der sechs Teile geht es um Verlust. Nicht Spiel, Spaß oder Show sind das eigentliche Thema der Arbeit von Joachim Meyerhoff, sondern der Tod. Man kann sich diesen Schauspieler vorstellen, wie er nachts, nach der Probe, auf der Bühne steht, wenn sie noch Leben atmet, das gerade da war, und es doch ganz still geworden ist. Wie er sich durch diesen leeren, zugleich gähnenden und erfüllten Raum bewegt, seine Rolle noch einmal durchspielt und durchdenkt, wie er sie ausbaut und verfeinert, Schritt für Schritt, Stein für Stein. Ihn ruft eine Mischung aus Liebe zu diesem Ort und dem handwerklichen Wunsch, die Rolle weiter zu perfektionieren. // Dieses einsame Den1915 Michalzik: Gebrauchsanweisung für das Theater, 25. 1916 »Er ist so unglaublich gegenwärtig, daß man sich nur schwer vorstellen kann, wie ein Film ihn einfangen soll« (Michalzik: Gebrauchsanweisung für das Theater, 25). 1917 Michalzik: Gebrauchsanweisung für das Theater, 25; vgl. etwa Speidels Bericht über die schwierigen Anfänge von Kainz (V.2.4). Die Erzählung der Überwindung von Eigenheiten, die dem Auftritt entgegenstehen, durch eine selbstverordnete Radikalkur hat sogar einen antiken Vorläufer : die Anekdote von Demosthenes, der mit Kieseln im Mund gegen das Donnern des Meeres ansprach, um seine Stimme zu kräftigen (Quint. inst. 11.3, 68). Außerdem sei auf Bahrs Erzählung von der einsamen Kindheit Eleonora Duses und ihrer ›Bildung‹ an Statuen hingewiesen (V.1), die wohl auf dem Erinnerungsbericht der Foscarina in D’Annunzios Fuoco beruht (VI.3.3). Inzwischen hat Meyerhoff selbst, im bisher dritten Band seiner Erinnerungen, von seiner Ausbildung an der Otto Falckenberg-Schule in München, seiner ersten Station »in der Provinz« – Kassel – und seinem ersten SoloAbend – zu Goethes »Werther« – berichtet (und bei dieser Gelegenheit ein breites Spektrum bemerkenswerter Ekphrasen geschaffen). Seine Darstellung bestätigt Michalziks Angaben; zu beachten ist allerdings, dass Meyerhoff sein Erinnerungsbuch als »Roman« tituliert und sich damit einen gewissen Freiraum für Stilisierungen und Übertreibungen sichert (Meyerhoff: Ach, diese Lücke).

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ken, Sprechen, Gehen und Lauschen ist auch das, was Jan Bosse meint, wenn er sagt, dass Meyerhoffs Theaterkunst letztlich Dialog mit den Toten sei.1918

Diese Passage erinnert weniger an sensualistische Mimen-Ekphrasen um 1800 als an poetische Ekphrasen um 1900; im hier untersuchten Korpus ist etwa an die Stilisierung von Kainz als »Einsamer über allen Einsamen« (HKG: 21) zu erinnern, den Hofmannstahl in »nächtlicher Gespräche Einsamkeit/ Mit deinen höchst zufälligen Genossen« imaginiert.1919 Die anschließende Passage erinnert an Hofmannsthals Charakterisierung Mitterwurzers, in der das Interesse der Jahrhundertwende für urwüchsig-populäre Theater- und Spektakelformen deutlich wird, einhergehend mit der Wertschätzung eines kindlich naiven Spiel-Triebs; nebenbei lässt Michalzik – wie schon Böttiger – durchblicken, dass er den Schauspieler persönlich kennt, und gewährt den Lesern einen Blick hinter die Kulissen. Trotzdem ist Meyerhoff alles andere als ein esoterischer Schauspieler, er hat eine auffällige Liebe zur Spielerei und zum Kostüm. Er kommt in irgendwelchen Verkleidungen, die er sich gerade ausgedacht hat, zur Probe, um auszutesten, wie das der Figur passt. Er begreift die Verkleidung als Möglichkeit, eine Figur und damit eine Welt zu finden.1920

Michalzik fasst seine Charakterisierung in eine Formulierung, die in ihrer aphoristischen Zuspitzung von Alfred Kerr stammen könne: »Er mag Denken, er mag Schweiß, besonders aber mag er die Verbindung von beiden.«1921 Worin das Schweißtreibende seines Spiels besteht und was mit dem eingangs angesprochenen »Ungestümen«, »Bedingungslosen« und »Krassen« seiner actio gemeint ist, lässt Michalzik allerdings ein wenig im Unklaren und deutet es lediglich an, wenn er schließlich – auch dies in bester Gattungstradition – Meyerhoffs Hamlet-Verkörperung mit der anderer Schauspieler vergleicht: Philipp Hochmair sei in dieser Rolle »energetisch genauso aufgeladen [gewesen], eine bis zum Bersten gefüllte Batterie stand da auf der Bühne und suchte sich zwischen unmöglichen Alternativen zurechtzufinden.«1922 Und wie Lichtenberg sich zutraute, Thomas Weston als Richard III. und als Abel Drugger zu entwerfen, ohne ihn in diesen Rollen gesehen zu haben (II.5.2, II.5.3), so imaginiert Michalzik Christoph Schlingensief als Hamlet: »Auch Schlingensief wäre so ein aufgedrehter Kerl gewesen. Er wäre ein Beispiel für das gewesen, was Michalzik: Gebrauchsanweisung für das Theater, 25f. HKG: 36f. Michalzik: Gebrauchsanweisung für das Theater, 27; siehe V.1.3 und V.1.4.2. Michalzik: Gebrauchsanweisung für das Theater, 27; siehe Kerrs Duse-Charakterisierung: »Sie hat in der Lustigkeit die verborgene Trauer, im Lächeln die Kehrseite, in der Heiterkeit den Schmerzenszug.« (Kerr: Mimenreich, 264; bereits zit. in V.2.1). 1922 Michalzik: Gebrauchsanweisung für das Theater, 27f.

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Meyerhoff ›Turbowichtel‹ nennt. Es gibt heute eine Menge Schauspieler in ganz unterschiedlichen Stücken, die auffallend hochgetunt sind, die Zylinderköpfe aufgebohrt, die Hüften tiefergelegt.«1923 Die Passage steht in der Tradition karikaturistisch-kontrastiver Bildlichkeit, die hier vor allem am Beispiel des Essay on Acting (II.3) und der Rosciad (II.4.2) vorgestellt wurde, doch richten sich die komischen Vergleiche so wenig gegen den hier vorgestellten Stil wie Lichtenbergs Vergleich von Westons unbeweglichem Gesicht mit dem Ausdruck eines Hundes und einer Ofenplatte (II.5.3). Vielmehr geht es abermals um eine Spielweise, die bewusst mit Gegensätzen und Übertreibungen arbeitet, wenngleich weniger, um komische Effekte zu erzielen, als um Körperlichkeit gegen ›Verkörperung‹ auszuspielen. Der Vergleich der Hamlet-Verkörperungen beendet das Meyerhoff-Porträt und leitet über zu generellen Betrachtungen über die Situation gegenwärtiger Schauspielkunst, für die diese Ekphrasis Evidenzfunktion besitzt. In diesem Zusammenhang ist nachzutragen, dass in Michalziks biographischem Exkurs der Schauspieler sogar den Zustand des Theaters verkörpert: »Der Schauspieler Joachim Meyerhoff hat sich selbst erschaffen. Auch er ist ein Kind der Krise des Theaters. Auch er arbeitet daran, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen.«1924 Das schließt an die allegorische Tradition von Mimen-Ekphrasis an, die einen Schauspieler beispielsweise zum ›Roscius‹, das heißt zum Inbegriff großer Schauspielkunst, ernennt (II.2, II.4) oder eine Schauspielerin zur Muse stilisiert (II.4.4, II.5.6, IV.2.2, IV.2.3, V.5.3). Wie gezeigt, spielt diese Verfahrensweise in den sensualistisch-beobachtenden Mimen-Ekphrasen eines Schink oder Böttiger kaum eine Rolle, wird aber in poetischen Mimen-Ekphrasen um 1800, bezogen auf die Sinnbildfunktion des Schauspielers (Einf. 7), wiederbelebt und hat besonders um 1900 Konjunktur. Wenn Michalzik den Schauspieler Meyerhoff mit dem Zustand des zeitgenössischen Theaters gleichsetzt, meint er damit vor allem die Hoffnung auf die Überwindung einer »Krise«, die er schon im Vorwort so analysiert: »Es ist die Lust, die einem abgeht, wenn man ans Theater denkt. Man erwartet nicht, das man starke Gefühle hat, dass man wirklich lachen muss, dass man richtig zum Nachdenken angeregt wird, dass man überrascht wird, dass man aus der Fassung gerät, wenn man ins Theater geht.«1925 Schauspieler wie Meyerhoff oder Bierbichler können diese Krise überwinden, so Michalziks Hoffnung, indem sie individuelle Eigenschaften, besonders ihre Verletzlichkeiten (exemplifiziert durch Meyerhoffs Soloabende) und ihre Leidenschaften (hier : Verkleidungsund Denklust) mit jenen Anforderungen verbinden, die gemäß seiner nun fol1923 Michalzik: Gebrauchsanweisung für das Theater, 28. 1924 Michalzik: Gebrauchsanweisung für das Theater, 25. 1925 Michalzik: Gebrauchsanweisung für das Theater, 15.

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genden Analyse1926 gegenwärtig an alle Theaterschauspieler gestellt werden: eine proteische Verwandlungsfähigkeit, die sich allerdings nicht mehr auf ein großes Rollenspektrum bezieht, sondern auf vielfältige Darstellungsstile des Regietheaters, und die Fähigkeit, eine Spannung zwischen ›Verkörperung‹ und physischer Präsenz aufzubauen. Letztere wird gegenwärtig vor allem durch extreme körperliche Verausgabung realisiert. Eine ähnliche Einschätzung liegt Konzeption und Einzelbeiträgen des 2011 erschienenen Tagungsbandes Schauspielen heute zugrunde, in dem die Theaterwissenschaftler Jens Roselt und Christel Weiler vor allem Kollegen, aber auch Theaterkritiker, Schauspiellehrer und Schauspieler beziehungsweise ›Akteure‹ oder ›Performer‹ zu Wort kommen lassen. Im Hinblick auf Mimen-Ekphrasis sind vor allem die Beiträge des ersten Teils von Interesse, der mit »Einbildung« überschrieben ist und explizit von Zuschauerreaktionen ausgeht: Als Zuschauer sind wir von den Menschen auf der Bühne angezogen oder abgestoßen. Wir bewundern die Akteure, die uns überraschen und enttäuschen können. […] In unserer Rolle als Zuschauer spielen Selbst- und Fremderfahrung eigentümlich ineinander. Zu bestimmten Schauspielerinnen und Schauspielern mag so über Jahre hinweg eine ganz persönliche Beziehung entstehen, die nichts mit der Privatheit von Personen zu tun haben muss. […] Diese zwischenmenschliche Relation ist konstitutiver Teil ästhetischer Erfahrung im Theater. Solchen Einbildungen, die bei Stückinterpretationen oder dramaturgischen Analysen meistens verschwiegen werden, wird anhand ausgewählter Beispiele nachgegangen. […] Ausdrücklich wird dabei das Wagnis eingegangen, die eigene Erfahrung jenseits akademischer Textformen und Argumentationsweisen zu thematisieren.1927

Im ersten Beitrag kontrastiert Roselt selbst die Flexibilität, die von Schauspielern in Bezug auf unterschiedlichste Regiestile gefordert wird, mit der Vertrautheit, die Zuschauer einem Ensemble-Schauspieler gegenüber entwickeln können.1928 Er exemplifiziert sie an Horst Lebinsky, einem Mitglied des Deutschen Theaters in Berlin, dessen Wirken er seit 1993 verfolgt hat: Lebinsky hat immer etwas Schelmisches und Doppelbödiges. Man weiß nie genau, woran man bei ihm ist, was man von ihm halten soll bzw. was er selbst von dem hält, was er macht. Er führt die Vorgaben exakt aus, ohne sich in den Vordergrund zu spielen und scheint dabei immer etwas über den Dingen zu stehen und von dort aus milde auf sich selbst, seine Kollegen, den Regisseur und uns Zuschauer hinabzusehen.1929

1926 Michalzik: Gebrauchsanweisung für das Theater, 32–53, vorbereitet durch einen eigenwillig zugespitzten Rückblick auf die Geschichte mimischer Darstellungsideale (ebd. 28– 32). 1927 Roselt/Weiler : Vorwort, 12. 1928 Ansatzweise trifft dies auch auf Guglias Mitterwurzer-Porträt zu (V.1.2.2). 1929 Roselt: Lob der Marotte, 21.

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Die Formulierung eines solchen Gesamteindrucks beziehungsweise die Spezifizierung einer Ausprägung von ›Präsenz‹ ist durchaus typisch für Schauspielerporträts; bereits Lichtenberg thematisierte »Herrn Garricks Anstand« und Beweglichkeit (LBE: 331, II.5.5). Für sich genommen steht auch die Präzision, mit der Roselt bestimmte Züge herausstellt, in bester sensualistischer Beschreibungstradition; bezeichnenderweise fällt am Anfang und Ende der folgenden Passage das Stichwort ›beobachten‹: Man beobachtet eine Fülle von kleinen Bewegungen und Zuckungen, die zu ihm zu gehören scheinen oder die er für uns macht. Allein der Versuch zu beschreiben, was er in einer Szene nur mit seinem Unterkiefer anstellt, bringt mich zur Verzweiflung, obwohl ich die DVD der Aufzeichnung anhalten, vor- und zurückspulen kann. Ob er spricht oder nicht, die untere Mundpartie ist ständig in Bewegung. Die Unterlippe wird angespannt oder überdehnt. Der Mund ist gerne halb oder ganz offen. Die Zunge mischt erkennbar mit und hat Auftritte außerhalb des Sprechdienstes. Auch die eigentlich zur Faust geballte Hand öffnet sich immer wieder und zeigt ein ganz beiläufiges Fingerspiel. Es ist faszinierend zu beobachten, wie hier scheinbar nebenbei Aufmerksamkeit erzeugt wird.1930

Konkret geht es hier um Lebinskys Verkörperung des Kaisers in Faust II, und Roselt gesteht grundsätzlich zu, dass sich Lebinskys Spiel auch in anderen Rollen »mit ein paar interpretatorischen Winkelzügen auf die dargestellte Figur beziehen« lasse.1931 Doch stellt er vor allem die hohe Eigenständigkeit dieser »Arabesken der Bewegung« heraus und kontrastiert sie namentlich mit dem Regiestil Michael Thalheimers: »Denn seine [Lebinskys] Bewegungen vollziehen sich zum großen Teil als Eigenberührungen. Und dass jemand körperlich zu sich selbst in Kontakt tritt, ist bei der statuarisch auf Posen konzentrierten Personenführung von Thalheimer absolut selten.«1932 Roselt sieht den möglichen Einwand, »dass ich hier womöglich die Marotten eines älteren Schauspielers arg stilisiere und ästhetisch hochjuble«,1933 wertet den Begriff ›Marotte‹ jedoch in ähnlicher Weise um wie Hofmannsthal, auf Mitterwurzer bezogen, den Begriff des ›Gauklers‹ (V.1). Er zeigt nämlich, dass Marotten schon im 19. Jahrhundert der Stolz virtuoser Schauspielstars wie Friedrich Haase waren,1934 und bezieht sie 1930 1931 1932 1933 1934

Roselt: Lob der Marotte, 22. Roselt: Lob der Marotte, 23. Roselt: Lob der Marotte, 22. Roselt: Lob der Marotte, 23. Allerdings hätte sich Haase wohl dagegen verwahrt, wenn das »Räuspern, das er unabhängig von der Rolle in seine Figuren einbaute« (Roselt: Lob der Marotte, 24), als ›Marotte‹ bezeichnet worden wäre. Roselt argumentiert aber, die Wortgeschichte führe »direkt an die beiden ungleichen Ursprünge des Theaters: das Heilige und das Profane. Die ›marotte‹ bezeichnet im Französischen eigentlich eine kleine Heiligenfigur der Maria, die allerdings schon im Mittelalter närrisch umgeformt wurde, als kleiner Puppenkopf auf dem Narrenzepter« (ebd. 25).

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abschließend im Sinn der Evidenzfunktion von Mimen-Ekphrasis auf die Gegenwart: Dass Marotten, »wie am Beispiel von Horst Lebinsky gezeigt, das Schelmische und Doppelbödige in die gut gestylten und durchdachten Inszenierungen des Gegenwartstheaters schleppen können, macht sie sympathisch.«1935 Auf genaue, wenngleich nicht ganz so detaillierte Beschreibung mimischer Eigenheiten setzt auch Bettina Brandl-Risis Ekphrasis zweier Schauspielerinnen in Ren8 Polleschs Stück Cappuccetto Rosso. Grundsätzlich ist das mit ›Doppelporträts‹ wie denen von Garrick und Weston in Farquhars Komödie The Beaux’ Stratagem vergleichbar (II.5.6),1936 auch wenn es bei Pollesch ausdrücklich nicht um ›Verkörperung‹ geht: Polleschs Performern läge nichts ferner, als eine Figur zu verkörpern oder auch nur in die Nähe einer solch stabilen theatralen Repräsentation zu gelangen. Stattdessen schreit Sophie Rois Sätze wie: »Ich habe meinen Zauber verloren!« oder »Ich muss mich doch jetzt hoffentlich nicht mit so einer Scheiße wie bürgerlicher Inspiration beschäftigen«, und dies in der ihr eigenen unvergleichlichen hysterischen, ironischen, heiseren Sprechweise, mit der ihr eigenen, drastisch überzogenen Körpersprache und selbstgewissen Bühnenpräsenz. Ihr Haupt-Gegenpart, Christine Groß, eine der Darstellerinnen, mit denen Pollesch bereits häufig zusammengearbeitet hat, agiert als Antagonistin in einem spezifischen Sinne: Sie kultiviert den Stil, der seit längerem als Pollesch-Sound etabliert ist – eine nicht besonders artikulierte, monotone Sprechweise, die nichts mit einfühlendem Darstellen gemein hat und üblicherweise impliziert, dass jeder Performer immense Textmengen in einem ziemlich angezogenen Sprechtempo zu bewältigen hat, so dass die Präsenz der Souffleuse auf der Bühne eine Voraussetzung des Performens ist. […] Die Virtuosität der Diva trifft auf die Virtuosität/ Imperfektion des Pollesch-Sounds.1937

Während Roselt im Fall Thalheimers offenlässt, ob der Regisseur die ›Marotten‹ Horst Lebinskys übersehen, hingenommen oder als Spannungselement einkalkuliert hat, ist der »Wechsel der Tonlagen […] das Strukturprinzip, mit dem Polleschs Aufführungen immer operieren«; die Schauspielerin Sophie Rois wird zudem im ›performten‹ Text selbst explizit thematisiert.1938 Brandl-Risis Aufsatz hat nur sehr kurz eine weitere ekphrastische ›Tonlage‹ zu bieten,1939 nämlich die 1935 Roselt: Lob der Marotte, 25. 1936 Wenn Julius Bab im Vorwort zu seiner Monographie Schauspieler und Schauspielkunst von 1926 behauptet, »das Doppelbildnis, das vergleichende Porträt« sei »eine neue Form« (Bab: Schauspieler und Schauspielkunst, 10), so gilt dies allenfalls für abgeschlossene Schauspielerporträts. 1937 Brandl-Risi: Die Virtuosen und die Imperfekten, 138. Individualisierender wird Rois’ »Antagonistin« allerdings eine Seite vorher beschrieben: »mit ihrem charakteristischen SFehler, der stets geminderten Körperspannung und abgeschalteten Stimmmodulation« (ebd. 137). 1938 Brandl-Risi: Die Virtuosen und die Imperfekten, 138. 1939 Der Aufsatz geht der Frage nach, was ›virtuose‹ Schauspielkunst in einem Theater heißen

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emphatische Thematisierung des eigenen Rezeptionserlebnisses – beziehungsweise die Rühmung von Rois’ Präsenz – im Eröffnungssatz: »Sophie Rois betritt Bert Neumanns Prater-Bühne und schon bin ich hin und weg.«1940 Anders als Roselt versäumt sie es allerdings, diesen Eindruck nachvollziehbar auf Elemente der actio zurückzuführen.1941 Konsequent greift der Theaterwissenschaftler Hajo Kurzenberger die Einladung der Herausgeber auf, subjektive Eindrücke zu formulieren, und schreibt Über Lieblingsschauspieler und das, was an ihnen nervt (so der Untertitel des Essays) vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen als Student im Berlin der 60er Jahre, langjähriger Theatergänger und Fernsehzuschauer. Dabei gerät nicht nur die actio von Schauspielern in den Blick, sondern auch »das Theater großer Professorendarsteller« im Hörsaal,1942 die Eloquenz Rudi Dutschkes und das Auftreten des Volksmusik-Stars Hansi Hinterseer. Wiederum ist Detailbeobachtung wichtig, wobei mimische ›Feinheiten‹ oft stellvertretend für den gesamten Stil von Darstellern stehen.1943 Dazu kommt zweitens die Strategie, einige Erinnerungen an ›Lieblingsschauspieler‹ durch eine Leitthese zu perspektivieren, in diesem Fall durch die »Theatermaxime ›Dezenz ist Schwäche‹, die ich erstmals 1973 aus dem Munde von Spielleiter Jürgen Flimm vernahm«.1944 Ähnlich wie Böttigers Kapitel-Motti (III.3.4) ist diese Maxime bereits paratextuell in der Überschrift vorgegeben; im Essay selbst wird sie allerdings erst nach der Darstellung diverser Schauspieler und universitärer (Selbst-)Darsteller thematisiert und auf die These zugespitzt: »Hansi Hinterseer ist die Widerlegung dieses Satzes, Joachim Meyerhoff seine Bestätigung.«1945 Die Widerlegung

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könnte, das technische Perfektion ja gerade ablehnt, und stellt diverse weitere PolleschPerformances vor. Brandl-Risi: Die Virtuosen und die Imperfekten, 137. Dass Rois »einen knielangen Bleistiftrock und eine weiße Rüschenbluse zu hochhackigen Pumps« trägt, wie es im folgenden Satz heißt, ist als Grund eher unwahrscheinlich, hat sie dies doch gemeinsam mit vielen »Frauen, die bei Pollesch in den vergangenen Jahren über die Bühne staksten«. Der »typische Rois-Sound: exaltiert, keifend, heiser, schnell« ist der Beschreibung zufolge erst nach ihrem überwältigenden ersten Auftritt zu vernehmen (Brandl-Risi: Die Virtuosen und die Imperfekten, 137). Kurzenberger : Dezenz ist Schwäche, 46. So steht »Liselotte Raus schwingend klare, betörend warme, ganz individuelle Sprechart, die Giraudoux’ dramatische Poesie etwa in Intermezzo zum Klingen brachte,« stellvertretend für ihre gesamte Schauspielkunst (Kurzenberger : Dezenz ist Schwäche, 45). Der Literaturwissenschaftler Arthur Henkel erweist sich in Vorlesungen als »Meister des Nebenbei« vor allem in der graziösen Art, sich »in sein schon in jungen Jahren schlohweißes Haar zu greifen« (ebd. 47); Kurzenberger beschreibt diese Eigenart in vier ausführlichen Sätzen. Kurzenberger : Dezenz ist Schwäche, 48. Das Motto lässt sich im Sinne der von Peter Michalzik formulierten dritten Anforderung an zeitgenössische Bühnenschauspieler gewissermaßen als Forderung nach dem »Turbowichtel« verstehen. Kurzenberger : Dezenz ist Schwäche, 48.

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arbeitet vor allem – drittens – mit der vertrauten Strategie karikaturistisch zugespitzter Bilder, die sich auch hier nicht gegen den Darsteller richtet, sondern sein Auftreten in diesem Fall als Abgrenzung gegen Darstellungskonventionen würdigt: »[D]ieser blonde männliche Engel, dieser alpine Anti-Siegfried« unterlaufe geschickt »standardisierte Gesten und Lächelrepertoire« einer »eher dröhnenden Volksmusik«1946 und markiere gerade nicht »den alpinen Draufgänger und Gaudiburschen, die ein Weltcup-Sieger durchaus zur Schau stellen könnte«.1947 Im Fall Meyerhoffs schließlich wird – viertens – das eigene Erleben als Prozess thematisiert, teilweise parallel zum Verlauf von Vorstellungen, diese aber auch überschreitend. Der Schauspieler erscheint in der Erinnerung zunächst als »großer Charmeur« in einer Reihe klassischer Rollen am Burgtheater, doch besucht Kurzenberger eigens, um angesichts der von Roselt und Weiler gestellten Aufgabe »meine ›Einbildungen‹ und Erinnerungen von diesem Schauspieler zu überprüfen«, Meyerhoffs Soloabend »Alle Toten fliegen hoch Teil II: Zuhause in der Psychiatrie«.1948 Dabei erscheinen zwei Seiten des Darstellers in zwei Stationen seines Programms: Mit seinen Zuschauern begibt sich Joachim Meyerhoff ins Gewimmel menschlicher Verrücktheiten und Absurditäten, wenn er liebevoll sein »Zuhause in der Psychiatrie« vor uns aufbaut. Das ist die eine, die erste Seite dieses Schauspielers: Er ist ein Zuneigungseuphoriker, ein Gesamtumarmer seiner Vergangenheit und seines Publikums. Doch die zweite Seite folgt sogleich: Joachim Meyerhoff stülpt sich unvermittelt eine schwarze Theater-Lockenperücke über, holt aus dem Kinderzimmeraquarium seiner Jugend zwei mächtige Messingschiffsglocken und wird im Handumdrehen in der weit ausholenden Körperlichkeit seiner überlangen, Glocken schwingenden Arme und seines schnell eingesetzten Entstellungsgebisses zum Glöckner, einem Irren seiner Jugenderinnerung […]. Vom Charmeur zum Monster oder das Monster im Charmeur wären die verkürzenden Basisformeln für sein schauspielerisches Tun.1949

Die exhibitionistische Seite, die hier – im autobiographischen Soloprogramm besonders deutlich, doch offensichtlich auch für Meyerhoffs Rollenspiel bezeichnend – zum Ausdruck kommt, wirkt auf den Zuschauer Kurzenberger durchaus zwiespältig: »Er hat meist den Charme des ewigen Lausebengels, dem man seine Angebereien und Auswüchse gerne nachsieht, weil sie so unterhaltsam sind. Aber darin lauert auch immer das Gegenteil: Meyerhoff zieht mich nämlich nicht nur an, sondern nervt mich zugleich, manchmal bis zur Pein-

1946 Kurzenberger : Dezenz ist Schwäche, 49. 1947 Kurzenberger : Dezenz ist Schwäche, 48f. 1948 Kurzenberger: Dezenz ist Schwäche, 49. Im Sammelband Schauspielen heute von Roselt und Weiler werden Titel im Fließtext durch Kapitälchen markiert; um Irritationen zu vermeiden, verwende ich stattdessen Kursivierung. 1949 Kurzenberger : Dezenz ist Schwäche, 50.

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lichkeit.«1950 Kurzenberger gesteht, dass in solchen Momenten des Genervtseins auch seine »süddeutschen Ressentiments gegenüber dem Norddeutschen mobilisiert« würden:1951 »›Das ist eine norddeutsche Großschnauze‹, sagten wir als Kinder verächtlich und bewundernd zugleich, wenn einer so selbstsicher daherkam und über eine so klare, phonetisch saubere Redekraft verfügte«.1952 Doch in der nun folgenden Beschreibung von Meyerhoffs Deklamationsstil wird das ›bewundernde‹ Element immer stärker, bis es heißt: »Und schon bin ich wieder eingenommen und fasziniert von der körperlichen Berauschung, der sich dieser Darsteller hingibt«.1953 Die Darstellung der Zuschauererfahrung als Prozess deutet sich schon bei Lichtenberg an und wird besonders deutlich von Böttiger eingesetzt, allerdings vor allem im Sinn einer Klimax, die der ›Ökonomie‹ von Ifflands Spiel folgt. So lässt er einmal im Schutz einer vorgeschobenen Brief-Fiktion durchblicken, dass Iffland als Franz Moor in den ersten Akten den Bösewicht vielleicht allzu zahm gespielt haben könnte, doch erscheint dies später als wirkungsvolle Vorbereitung des Spiels in den Schluss-Szenen; der anfängliche Vorbehalt wird korrigiert (III.3.3). Im postmodernen Theater dagegen wird die widersprüchliche Wirkung von Schauspielkunst nachgerade zu deren Gütesiegel, und aus der Sicht einer Ästhetik des Performativen erscheint ›Genervtheit‹ sogar als einer jener ›Schwellenzustände‹, die es zu erreichen gilt.1954 Von den vier herausgearbeiteten ekphrastischen Strategien Kurzenbergers – Detailbeschreibung, Perspektivierung durch eine schauspieltheoretische Leitthese, karikaturistischer Einsatz von ›Bildern‹, Darstellung des eigenen Rezeptionsprozesses – kommen vor allem die erste und dritte zum Einsatz in den Fallstudien Ulrich Matthes’ Onkel Wanja und die verkörperte Einbildung des Zuschauers des Theaterwissenschaftlers Benjamin Wihstutz und Triumph der Illusion: Das Schauspielerpaar Samuel Finzi und Wolfram Koch der Theaterkritikerin Christine Wahl. Ich konzentriere mich auf den Aspekt des ›Bild‹Einsatzes und frage, ob aktuelle Akzentuierungen dieser traditionsreichen Strategie erkennbar sind. Die Beschreibung von Matthes’ Verkörperung des Onkel Wanja in Jürgen Goschs Inszenierung von 2008 hat Evidenzfunktion für Wihstutz’ Modell einer Kurzenberger. Dezenz ist Schwäche, 50. Kurzenberger. Dezenz ist Schwäche, 50f. Kurzenberger. Dezenz ist Schwäche, 51. Kurzenberger. Dezenz ist Schwäche, 51. Es schließt sich eine eingehende Beschreibung von Meyerhoffs Motorik an, die zwischen »Theaterathletik der feinsten Art« (siehe LBE: 332) und dem Eindruck »körperliche[r] Verlegenheit« pendelt (Kurzenberger. Dezent ist Schwäche, 51). Sie wird hier ausgespart, um die Strategie der Thematisierung des eigenen Rezeptionsprozesses herauszuarbeiten. 1954 Siehe Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, 305–314; Warstat: Liminalität.

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›verkörperten Einbildung‹ des Zuschauers, die zwischen der verkörperten Figur und der Physis des Schauspielers vermittelt und oszilliert (wobei diese Reaktion sich auch körperlich ausdrückt, indem der Zuschauer beispielsweise seine Sitzhaltung ändert).1955 Die ›Einbildung‹ wird durch die Nennung mentaler ›Bilder‹ verdeutlicht, die dem ersten Auftritt des Schauspielers gelten: Als Zuschauer bemerkt man Ulrich Matthes bei seinen ersten Schritten von rechts kaum, so langsam und zögernd tritt er auf. Obwohl im Anzug gekleidet, erinnert sein Gang eher an einen Mann im Bademantel – seine Füße scheinen über den Boden zu schlurfen, ohne dass sie wirklich schlurfen – dieser Bademantel-Gang erweckt Assoziationen an Jeff Bridges’ Dude aus dem Coen-Film The Big Lebowski, und doch ist er vollkommen anders, denn Matthes’ Kombination aus Schlacksigkeit und Behäbigkeit haftet im Gegensatz zum Dude im Bademantel rein gar nichts Cooles an. Vielmehr erscheint Ulrich Matthes’ Onkel Wanja von Beginn an auf komische Weise bemitleidenswert. Sein dunkelblauer Anzug und seine alten Turnschuhe lassen an die Bekleidung von U-Bahnfahrern der Berliner Verkehrsbetriebe denken.1956

Der Vergleich mit einem »Mann im Bademantel« dürfte jedem modernen Leser so vertraut sein, wie es Ciceros Schema des verweichlichten Griechen für sein römisches Publikum war (I.2.1.10); die Zahl der Leser, die sich an Jeff Bridges’ filmische Verkörperung erinnern, ist sicherlich geringer, bei einem solchen ›Kultfilm‹ aber wohl immer noch beachtlich. Um das dritte Bild nachzuvollziehen, muss man allerdings speziell einen Berliner U-Bahn-Fahrer gesehen haben; der Vergleich verweist auf Erfahrungen des Publikums im Deutschen Theater zu Berlin (die sich hier wohl mit denen von Regisseur und Schauspieler überschneiden). Entsprechend heißt es eine Seite später : »Wenn ein Zuschauer beim dunkelblauen Anzug von Ulrich Matthes an ähnlich unmodische Anzüge der Berliner Verkehrsbetriebe denkt, hat auch diese abschweifende Phantasie einen Einfluss auf die Wahrnehmung.« Das einleitende ›Wenn‹ dieser Formulierung drückt jedoch weniger eine Bedingung aus, die eventuell auch ausbleiben kann, als eine Gesetzmäßigkeit, heißt es doch weiter : »Entscheidend scheint hier zu sein, dass das Theater dem Zuschauer einen imaginativen Austausch zwischen subjektiven Vorstellungsbildern und der Wahrnehmung des Bühnengeschehens ermöglicht.«1957 Subjektiv könnten beim Zuschauer zwar wohl auch andere Bilder entstehen, doch die Konsequenz, mit der Wihstutz jeweils ein Bild durch das folgende präzisiert, macht klar, dass es darum geht, beim Leser ein ganz bestimmtes mentales ›Gesamtbild‹ zu erzeugen; es soll evident machen, »wie sehr das Erzeugen einer Atmosphäre im Theater von den Schauspielern 1955 Siehe Wihstutz: Ulrich Matthes’ Onkel Wanja, 27–30; ausführlich entwickelt in Wihstutz: Theater der Einbildung. 1956 Wihstutz: Ulrich Matthes’ Onkel Wanja, 30. 1957 Wihstutz: Ulrich Matthes’ Onkel Wanja, 31.

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abhängt«. Die schon durch Matthes’ ersten Auftritt erzeugte Atmosphäre ist nämlich nach Wihstutz Einschätzung für die gesamte Inszenierung kennzeichnend – mit Böttiger gesprochen, bildet sie deren ›Umriss‹ (III.3.2) – und im Übrigen auch der literarischen Vorlage gemäß.1958 So belegt der Beitrag nicht zuletzt, dass auch in der vermeintlich ›postdramatischen‹ Gegenwart ›Literaturtheater‹ und ›Verkörperung‹ durchaus noch ihren Platz haben. Neue Akzente setzt allerding die an Fischer-Lichtes Ästhetik des Performativen anschließende und die ›Rolle‹ der Zuschauer zentral setzende Begrifflichkeit; davon abgesehen erinnert der Einsatz eingängiger Bild-Schemata eher an Lichtenbergs und Böttigers Ekphrasen als etwa an die herausfordernde Metaphorik von Hofmannsthals Mitterwurzer-Elegie (V.1.4). Die Theaterkritikerin Christine Wahl dagegen stellt in ihrem Beitrag heraus, wie weit der assoziative Raum ist, den die paarweise auftretenden Schauspieler Wolfram Koch und Samuel Finzi schaffen. Besonders deutlich wird dies am Beispiel von deren Auftritt als verdoppelter Bote in Dimiter Gotscheffs Inszenierung von Aischylos’ Tragödie Die Perser – wiederum am Deutschen Theater (2006) –, bei dem beide 22 Minuten lang synchron ihren Kriegsbericht ablieferten. Wahl kontrastiert die recht widersprüchlichen sprachlichen Bilder, die ihre einhellig begeisterten Kollegen für diese Darbietung fanden: »Während zum Beispiel die Frankfurter Allgemeine Zeitung zwei ›ertappte Jungs in Wollsocken‹ beschrieb, hatte der überwältigte Kritiker der Süddeutschen Zeitung in derselben Szene ›Gesänge aus dem Totenreich‹ gehört, ›nüchtern und brutal‹.«1959 Hier ist allerdings ein Unterschied zu jenen sprachlichen Bildern festzuhalten, die Wihstutz für Matthes’ ersten Auftritt anbietet: Diese gelten zunächst der Beschreibung eines Aspekts von actio und führen erst über die Einführung des Begriffs ›Atmosphäre‹ zu einer Gesamtdeutung; die von Wahl zitierten Bilder dagegen könnten zwar möglicherweise ebenfalls an Assoziationen anschließen, vermitteln aber doch eher eine komprimierte Interpretation des gesamten Auftritts. Andererseits reflektiert Wahl aber auch ihre individuelle Assoziationstätigkeit als Zuschauerin und deren Abhängigkeit von aktuellen und zufälligen Erlebnissen. Dies geschieht angesichts der »diplomatischen Lockerungsübungen«, die Finzi und Koch in ihrem pantomimischen Vorspiel zu den Persern »als Politiker-Duo« an der Rampe absolvieren,1960 getrennt durch eine als »Spiegelachse« fungierende Wand:

1958 »Jürgen Goschs Inszenierung von Onkel Wanja lebt von dieser spürbaren Atmosphäre, von einer Stimmung des Tschechowschen Müßiggangs, in dem zugleich immer auch eine zynische, ironisch-distanzierte Haltung zur Welt enthalten ist« (Wihstutz: Ulrich Matthes’ Onkel Wanja, 30). 1959 Wahl: Triumph der Illusion, 37. 1960 Wahl: Triumph der Illusion, 41.

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In der dreizehnten ausverkauften Vorstellung Anfang Januar 2007 – die politisch bewegte Öffentlichkeit debattierte gerade über das Video von Saddam Husseins Hinrichtung – schieben sich Golfkriegsassoziationen in den Vordergrund: Amerika gegen den Irak; Bush senior und Bush junior gegen Saddam. Saß man drei Monate früher in der Premiere und hatte kurz vorm Theaterbesuch einer Berliner Tageszeitung zum Beispiel die wertvolle Information »Merkel rüffelt Struck« entnommen, konnte man allerdings mühelos einen großen Koalitionskonflikt am Werke sehen. Auf jeden Fall steht Koch – die Hände wie ein Fußballspieler in der Freistoßmauer oder ein Staatspräsident auf Repräsentationstour locker vorm Hosenstall gekreuzt – auf der rechten Seite der Wand. Finzi lümmelt sich von links dagegen und verschiebt die Grenze so zu seinen Gunsten […]. Er sieht dabei – jedenfalls in der Juni-Vorstellung kurz vorm EUGipfel 2007 – wie ein Kaczynski-Zwilling aus […].1961

Schließlich konfrontiert Wahl all diese Assoziationen mit Wolfram Kochs Aussage: »Wir wollten einfach am Anfang dieses Bühnenbild einweihen, diese Wand, damit die nicht so starr dasteht«, und mit der augenzwinkernden Erläuterung des Regisseurs, der »eingedenk der Tatsache, dass Finzi die ersten Lebensjahre in Sofia und Koch in Paris verbrachte«, verrät: »Hier begegnen sich ein Bulgare und ein Franzose!«1962 All diese Bilder und Interpretationen haben nach Wahls Überzeugung ihre Berechtigung und zeigen in ihrer Vielfalt, dass »es sich bei der Finzi-Koch-Performanz eben tatsächlich um einen eigenständigen Diskurs handelt, der nicht in einem sprachlich übersetzbaren Intentions- resp. Decodierungsfeld aufgeht.«1963 ›Sprachliche Übersetzbarkeit‹ von Schauspielkunst stellt allerdings ein Grundproblem von Mimen-Ekphrasis dar ; insofern bietet sich Wahls Schlussformulierung als Ausgangspunkt an für eine systematische Einordnung der hier an modernen Mimen-Ekphrasen getroffenen Beobachtungen vor dem Hintergrund der übrigen Studie. ***

Das »Intentions- resp. Decodierungsfeld«, in dem Schauspielkunst um 1800 ›aufging‹,1964 war, wenigstens der reinen theaterreformatorischen Lehre nach, das Literaturtheater, konkret: die Rolle. Demgemäß galt als ›Intention‹ des Mimen, die des Dramatikers zu erfüllen, das heißt, dessen mentales Rollenbild zu ›verkörpern‹. Eine solche Auffassung manifestiert sich in Mimen-Ekphrasen dieser Zeit vorzugsweise als charakterisierende ›Zergliederung‹ der Rollenfigur, 1961 1962 1963 1964

Wahl: Triumph der Illusion, 42. Wahl: Triumph der Illusion, 43. Wahl: Triumph der Illusion, 43. Es sei daran erinnert, dass diese Formulierung hier großzügiger auszulegen ist als die Formulierung »um 1900«, da sich insbesondere in England die Mimen-Ekphrasis schon Mitte des 18. Jahrhunderts zu entwickeln beginnt und mit der Burbage-Elegie sogar ein Vorläufertext aus dem Jahr 1619 vorliegt, der auf die Anfänge von ›Verkörperung‹ im elisabethanischen Theaters verweist.

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die das mentale Rollenbild des Dramatikers letztlich mit der des Kritikers gleichsetzt und auf dieser Grundlage das Verkörperungsbild des Mimen beurteilt. Dabei kommt das Wie der konkreten actio oft nur dann in den Blick, wenn diese vom idealen Rollenbild abweicht. Allerdings schrieb man der Schauspielkunst noch zwei weitere ›Intentionen‹ zu, die sich als Folge des literaturabhängigen Verkörperungsmodells begreifen ließen und eng aufeinander bezogen waren: Schauspieler sollten den Zuschauern ein täuschendes »Phantasma der natürlichen Gestalt« (Günther Heeg) vor Augen führen und sie stark emotionalisieren. Beide Aspekte werden bereits in der Burbage-Elegie von 1619 mit der aus enargeischen Kunstbeschreibungen überkommenen Strategie der intermedialen Metalepse verknüpft. Allerdings kann die Einführung eines intradiegetischen Publikums in Ekphrasen, die auf die Wirkung von Schauspielkunst abheben, auch in anderer Weise realisiert und mehr oder weniger deutlich auf die Erzählinstanz bezogen werden. Auch hier jedoch bleibt es oft den Lesern überlassen, das Wie der actio aus der Tatsache der gelungenen Darstellung zu erschließen, während eine missglückte Darstellung karikaturistisch zugespitzt und damit vergleichsweise anschaulich beschrieben wird. Die ›Feinheiten‹ gelungener Darstellungen kommen erst dann in den Blick, wenn dem Schauspieler ein kreativer Freiraum im Erfinden mimischer Zeichen zugestanden wird, die zwar grundsätzlich im Sinne des Dramatikers sein sollten, jedoch auch durchaus ein schlechtes Stück ›retten‹ können. Vor diesem Hintergrund ist zunächst festzuhalten, dass in einigen der hier vorgestellten rezenten Mimen-Ekphrasen, auch wenn ihre Autoren die Paradigmen des Literaturtheaters und der Aufführung ablehnen, mimische ›Feinheiten‹ minutiös beschrieben werden. Dies geschieht allerdings nicht als Konkretisierung einer Rolle, sondern oft als Absetzung davon und jedenfalls als Hinweis auf den individuellen Stil eines Mimen; ›karikaturistische‹ Übertreibung ist in diesem Zusammenhang keine Kritik an ›unnatürlicher Spielweise‹, sondern eine Entsprechung zu positiv gewerteter mimischer Unnatürlichkeit.1965 Nun war die individuelle Spielweise und ›Präsenz‹ eines Schauspielers trotz Verkörperungs-Paradigma und Proteus-Ideal durchaus schon ein Thema mancher Ekphrasen um 1800, wenn auch typischerweise nicht in ›Rollenporträts‹, sondern in ›Schauspielerporträts‹. Hier ging es allerdings vor allem um körperliche, geistige und charakterliche Voraussetzungen für große Schauspielkunst, mitunter mit biographischen Ausgriffen; Präsenz wurde einerseits über Wirkung evoziert, andererseits über Bewegungs- und Körperschemata. 1965 Entsprechendes lässt sich um 1800 lediglich in Lichtenbergs Beschreibung des ›Komikers‹ Weston beobachten, dessen Ausdrucksreduktion aber bezeichnenderweise abgewertet wird gegenüber dem Einfallsreichtum und der proteischen Beweglichkeit des Zeichenerfinders Garrick (II.5.2, II.5.3).

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Auch in dieser Hinsicht zeigt sich eine deutliche Kontinuität, nur eben mit der Besonderheit, dass ›Präsenz‹ heute durchaus auf ein individuelles mimisches Repertoire zurückgeführt wird. Dies entspricht Fischer-Lichtes Auffassung, wonach ›starke Präsenz‹ zwar dem Zuschauer »unbegreiflich und ihn ganz ergreifend« erscheint, sich jedoch beim »Darsteller die Fähigkeit zur Präsenz der Beherrschung bestimmten Techniken und Praktiken verdankt«.1966 So gesehen, verfährt der Theaterwissenschaftler Jens Roselt aufklärerisch-entmystifizierend, wenn er am Videorekorder die »Marotten« von Horst Lebinsky analysiert. Im Gegensatz dazu betonen um 1900 entstandene ›poetische‹ Mimen-Ekphrasen (typischerweise eher Schauspieler- als Rollenporträts) den Überwältigungscharakter mimischer Präsenz, zumeist im Zeichen der Lebensphilosophie. Insofern ließe sich erwägen, im Anschluss an Fischer-Lichte nicht nur von der Evokation ›starker Präsenz‹ in diesen Texten zu sprechen, sondern sogar von der Evokation ›radikaler Präsenz‹, wird diese doch von ihr folgendermaßen definiert: »In der Präsenz des Darstellers erfährt und erlebt der Zuschauer den Darsteller und zugleich sich selbst als embodied mind, als dauernd Werdenden, die zirkulierende Energie wird von ihm als transformatorische Kraft – und in diesem Sinne als Lebens-Kraft [!] wahrgenommen.«1967 Dagegen spricht allerdings zweierlei: Erstens erleben die Zuschauer, die in den hier behandelten poetischen Mimen-Ekphrasen erwähnt werden, zwar den Körper des Darstellers als ›dauernd werdenden‹, dieses Erlebnis vollzieht sich jedoch eher auf mind bezogen, insbesondere imaginierend, als auf ihren eigenen body ; entsprechend betonen insbesondere Hofmannsthal und Rilke gerade den Gegensatz zwischen Schauspieler und Publikum.1968 Zweitens führt Fischer-Lichte als Beispiele für ›radikale Präsenz‹ nicht einzelne Schauspieler an, sondern das Werk der ›postdramatischen‹ Regisseure Jerzy Grotowski, Robert Wilson und Einar Schleef.1969 Dennoch lässt der starke Körpereinsatz, der Peter Michalzik zufolge ›postmodernen‹ Bühnendarstellern abverlangt wird, durchaus die Möglichkeit zu, dass die Kunst einiger Schauspieler in besonderem Maße geeignet ist, Zuschauern zu einem Erleben als »embodied mind« zu verhelfen. In den hier gesichteten Ekphrasen allerdings wird dieser Aspekt nicht stärker herausgehoben als in denen um 1900; körperliche Wirkung zeigt sich, wenn überhaupt, über Emotion. Dass 1966 Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, 166. Zum Präsenz-Begriff siehe I.5.3. Es sei daran erinnert, dass ›starke Präsenz‹ in meiner Arbeit eine abkürzende Redeweise für Fischer-Lichtes ›starkes Konzept von Präsenz‹ ist (ebd. 166). 1967 Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, 171. Entsprechend der Rede von ›starker Präsenz‹ steht ›radikale Präsenz‹ abkürzend für »das radikale Konzept von Präsenz« (ebd.). 1968 Siehe V.1.4.2, VI.2.4 und VI.3.2. 1969 Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, 170. Dagegen ist Fischer-Lichtes Paradebeispiel für ›starke Präsenz‹, wie erwähnt (Anm. 1901), Gustav Gründgens; sie stützt sich auf Formulierungen in Rollenporträts.

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auch das Erleben des Mimen-Körpers allenfalls in witzig-karikaturistischer Überzeichnung, nicht aber in dezidiert ›poetischer‹ Metaphorik vermittelt wird, hat sicherlich auch damit zu tun, dass es sich hier um Texte von Theaterkritikern und Theaterwissenschaftlern handelt, deren Diskurse sich zwar offensichtlich in letzter Zeit angenähert haben,1970 jedoch anders als um 1900 einen deutlichen Abstand zu ›poetischen‹ Ausdrucksformen wahren. Dennoch: In abgemilderter und theatertheoretisch abgesicherter Weise ließen sich ›poetische‹ Verfahren stellenweise durchaus erkennen. So fanden sich zwar keine Metaphernketten, welche die Präsenz eines bestimmten Schauspielers umspielen, wohl aber stellen Wahl und Wihstutz Kataloge von Assoziationen vor, die durch bestimmte Darstellungen ausgelöst werden; an die Stelle von Kunst-›Umschreibungen‹ treten dabei Erinnerungen an Kinofilme oder Nachrichtenbilder. Michalzik rekurriert zudem in seinem Meyerhoff-Porträt auf die traditionsreiche Verbindung von Mimen-Ekphrasis und Allegorie; außerdem überschreitet er punktuell die Grenze zwischen faktualer und fiktionaler Darstellung, wenn er Meyerhoff »nach der Probe« auf einsamer Bühne im »Dialog mit den Toten« imaginiert.1971 Eine lange Tradition hat es zumal, Schauspielkunst in einer performativen Schwellensituation vorzuführen (hier : auf der Bühne, aber ohne Publikum), die auf die Schwelle zwischen Leben und Tod übertragen wird. Zu erinnern ist hier beispielsweise an die symbolisierend gebrauchte Anekdote von Christiane Becker-Neumanns auf der Probe ›geheucheltem‹ Tod in einer Knabenrolle und vom Aus-der-Rolle-Fallen ihres Mitspielers Goethe (IV.2.3). Und nachzutragen ist, dass Julius Bab seiner DuseErinnerung »an der Schwelle zwischen Kunst und Wirklichkeit«1972 vor dem eisernen Theatervorhang (VI.2.4, VI.4) schließlich noch eine melancholische Pointe abgewinnt: »Sie ist durch den eisernen Vorhang gegangen, den ganz eisernen. Sie kommt nicht wieder.«1973 Eine weitere ›poetische Lizenz‹ postmoderner Mimen-Ekphrasis, die sich allerdings durch das theaterwissenschaftliche Konzept der ›Aufführung‹ legitimieren lässt (siehe I.5.3), ist die explizite Thematisierung subjektiver, gerade auch widersprüchlicher Reaktionen und biographischer Voraussetzungen beim Beschreibenden, besonders deutlich im Essay von Hajo Kurzenberger. Hier ist 1970 Das lässt sich nicht zuletzt an Beiträgen zu Theater heute studieren; bezeichnenderweise greift Wahl für ihr ›Doppel-Rollenporträt‹ von Finzi und Koch in den Persern auf einen eigenen Text für diese Zeitschrift zurück (siehe Wahl: Triumph der Illusion, 43, Anm. 1). Die Annäherung hat einerseits damit zu tun, dass Theaterkritiker wie Michalzik und Wahl Theaterwissenschaft studiert haben, andererseits damit, dass sich Theaterwissenschaftler wie Roselt und Kurzenberger wieder verstärkt mit Schauspielkunst und damit auch mit Theaterkritiken und Mimen-Ekphrasen befassen. 1971 Michalzik: Gebrauchsanweisung für das Theater, 25f. 1972 Bab: Schauspieler und Schauspielkunst, 277. 1973 Bab: Schauspieler und Schauspielkunst, 283.

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ein Unterschied auch zu poetischen Mimen-Ekphrasen um 1900 zu erkennen, die das überwältigende Erlebnis mimischer Präsenz typischerweise ungebrochen positiv und aus der ›wir‹-Perspektive gestalten. Eine bemerkenswerte Ausnahme ist Robert Walsers Text Eine Theatervorstellung von 1907.1974 Auf ihn sei abschließend hingewiesen, gewissermaßen als Kompensation dafür, dass ich trotz intensiver Suche keine Mimen-Ekphrasen von Bühnenschauspielern in zeitgenössischer Lyrik und Erzählliteratur finden konnte. Dafür ist Walsers Text sozusagen ›prä-postdramatisch‹, da er die Faszination einer »Schauspielkunst jenseits der Perfektion« vorstellt,1975 wenngleich nicht durch gezieltes Laien-Casting hervorgebracht, sondern durch eine Provinzdarstellerin der Maria Stuart: Sie hat ihren Text schlecht gelernt und benimmt sich »wie eine Kneipenkellnerin niederster Stufe«.1976 Ich dachte immer : »Wie schlecht sie doch spielt, diese Maria«, und ward im selben Moment von dem unmöglichen Spiel an Leib und Seele hingerissen. Wenn sie etwas Trauervolles sagte, lächelte sie verschmitzt und ganz unpassend dazu, ich korrigierte in Gedanken an ihren Gesichtszügen, Tönen und Bewegungen herum, und indem ich das tat, hatte ich den lebendigeren und ergreifenderen Eindruck von ihrem fehlerhaften Spiel, als ich ihn von dem tadellosen hätte haben können. Sie war mir so nah auf diese Weise, es war, als würde da oben eine Schwester, Cousine oder Freundin von mir gespielt haben, um deren Äußerungen ich Ursache gehabt hätte, ängstlich zu zittern.1977

Der Text spielt mit der Grenze von fiktionaler und faktualer Rede1978 und kann deshalb die Darstellung der Schauspielerin wie die Wirkung auf die Erzählerfigur, deren körperliche Reaktionen und libidinöse Projektionen, genüsslich vorführen.1979 So (post)modern das erscheint, so sehr steht der Text auch für Spannungen, welche die Gattung Mimen-Ekphrasis insgesamt kennzeichnen: Mimen-Ekphrasen thematisieren ›Menschendarstellung‹ zwischen Rolle, ge1974 1975 1976 1977 1978

Walser : Gesamtwerk 1, 235–241. Dies die Unterüberschrift von Roselt: Der Schritt vom Wege. Walser : Gesamtwerk 1, 236f. Walser : Gesamtwerk 1, 237. Er beruht auf einem gleichnamigen Artikel vom April 1905 in der Basler Zeitung Der Samstag (Walser: Gesamtwerk 1: 372f.) und gilt wohl der Gastvorstellung einer Wandertruppe. Namen werden schon hier nicht genannt, die Erzählinstanz wechselt erst in den letzten Sätzen vom ›man‹ zum ›ich‹, die Darstellerin der Maria wird am Schluss knapp getadelt, ohne eine Spur von Faszination erkennen zu lassen (im Gegensatz zu den ebenfalls fehlbesetzten Pagen). Der spätere, etwa dreimal so lange Text erschien im März 1907 in der Berliner Schaubühne. Dass Walser mit dem »Madretscher Stadttheater[ ]« (ebd. 235) auf das von Biel verweist (Madretsch ist »ein Vorort, resp. Stadtteil von Biel«, ebd. Komm. 393), dürften die wenigsten Leser dieser Zeitschrift gewusst haben. 1979 Diese Anmerkungen verstehen sich als Hinweis; eine gründliche Interpretation des Textes müsste unter anderem die Positionierung des Ich gegenüber anderen Mitgliedern des Publikums, die Einbettung der Maria-Darstellung in die Aufführungsbeschreibung und den Einsatz von Geschlechterstereotypen untersuchen.

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lungener oder misslungener Verkörperung und Präsenz, sie identifizieren den Mimen mit seinem Spiel oder kontrastieren ihn damit, sie erzählen von der Wechselwirkung mit dem Publikum oder von der Einsamkeit der ausgestellten Künstlerin. Sie erinnern oder simulieren Reaktionen vom Spott über das Auskosten mimischer Mittel bis zur tatsächlichen Täuschung, achten auf ›Feinheiten‹ oder auf das ›Ganze‹ und gestalten die Sprechinstanz als Repräsentanten des Publikums oder als dessen Lehrer. Dafür verwenden sie literarische Mittel zwischen vergegenwärtigender Beschreibungskunst und artistischer Kunstbeschreibung, zwischen Anekdote, Karikatur und Allegorie, zwischen Faktualität und Fiktionalität, Prosa und Vers, Poesie und Theaterwissenschaft. Es sind produktive und faszinierende Spannungen, nach wie vor.

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Literatur

707

Winckelmann, Johann Joachim: Kleine Schriften. Vorreden. Entwürfe. Hg. von Walther Rehm. Mit einer Einleitung von Hellmut Sichtermann. Berlin 1968. Winckelmann: Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Dresden 1764. Wind, Edgar : Schauspielerporträts [1930]. In: Möhrmann: Theaterwissenschaft heute, 107–128. Winner, Matthias: Ekphrasis bei Vasari. In: Boehm/Pfotenhauer : Beschreibungskunst, 259–278. Winter, Susanne: Von der Maske zur Rolle, vom Magnifico zum Familenvater. Die Fächerrezeption der Commedia dell’arte am Beispiel Pantalones. In: Detken/Schonlau: Rollenfach, 31–45. Wirtz, Markus: Die Verletzung des Schweigens. Sprachliche Abwesenheit als Seinsverweigerung und als Eröffnung von Leere. In: Anke Grutschus/Peter Krilles (Hg.): Figuren der Absenz/Figures de l’absence. Berlin 2010, 103–114. Wolf, Norbert Christian: »Fruchtbarer Augenblick« – »prägnanter Moment«. Zur medienspezifischen Funktion einer ästhetischen Kategorie in Aufklärung und Klassik (Lessing, Goethe). In: Peter-Andr8 Alt u. a. (Hg.): Prägnanter Moment. Studien zur deutschen Literatur der Aufklärung und Klassik. Festschrift für Hans-Jürgen Schings. Würzburg 2002, 373–404. Wolf, Werner : Ästhetische Illusion und Illusionsdurchbrechung in der Erzählkunst. Theorie und Geschichte mit Schwerpunkt auf illusionsstörendem englischem Erzählen. Tübingen 1993. Wolf, Werner : Shakespeare und die Entstehung ästhetischer Illusion im englischen Drama. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift N. F. 43 (1993), 279–301. Wolf, Werner : Intermedialität als neues Paradigma der Literaturwissenschaft? Plädoyer für eine literaturzentrierte Erforschung von Grenzüberschreitungen zwischen Wortkunst und anderen Medien am Beispiel von Virgina Woolfs The String Quartet. In: Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik 21 (1996), 85–116. Wolf, Werner : Illusion, ästhetische. In: Ansgar Nünning (Hg.): Metzler Lexikon Literaturund Kulturtheorie. Ansätze, Personen, Grundbegriffe. Stuttgart/Weimar 1998, 270f. Wolf, Werner : Illusionsbildung. In: Ansgar Nünning (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze, Personen, Grundbegriffe. Stuttgart/Weimar 1998, 271f. Wolf, Werner : Illusion (Aesthetic). Eingestellt am 4. 6. 2011, letzte Überarbeitung 17. 01. 2014. In: Peter Hühn u. a. (Hg.): The Living Handbook of Narratology. http:// www.lhn.uni-hamburg.de/article/illusion-aesthetic. [14. Mai 2017]. Wood, Gillen D’Arcy : The Shock of the Real. Romanticism and Visual Culture 1760–1860. New York 2001. Woods, Leigh: Garrick Claims the Stage. Acting as Social Emblem in Eighteenth-Century England. Westport/London 1984. Wulf, Erich: August Wilhelm Schlegel als Lyriker. Kapitel 1: Frühzeit. Berlin 1913. Wunberg, Gotthart (Hg.): Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910. Unter Mitarbeit von Johannes J. Braakenburg. Stuttgart 1981. Yates, William Edgar : Harbingers of Change in Theatrical Performance. Hofmannsthal’s Poems on Mitterwurzer and Kainz. In: Dorothy James/Silvia Ranawake (Hg.): Patterns of Change. German Drama and the European Tradition […]. New York u. a. 1990, 193– 206.

708

Anhang

Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Bd. 21. Halle/Leipzig 1739. Zweig, Stephan: Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers [1944]. Frankfurt/M. 61976. Zymner, Rüdiger (Hg.): Handbuch Gattungstheorie. Stuttgart 2010.

Abbildungen Abb. 1, S. 47: Anton Graff: August Wilhelm Iffland als Pygmalion bei den Worten »aber eine Seele fehlet dir ; deine Gestalt kann ihrer nicht entbehren« (Ölgemälde, 1800). Photograph: Wolfgang Pfauder. T Stiftung Preußische Schlösser und Gärten BerlinBrandenburg (GK I 2669). Abb. 2, S. 89: Valentine Green nach Johan Zoffany : Mr Garrick and Mrs Pritchard in the Tragedy of Macbeth (Mezzotinto, 1776). T The Trustees of the British Museum (1902, 1011.2295). Abb. 3, S. 131: William Hogarth (unter Mitarbeit von Charles Grignon): Mr Garrick in the Character of Richard the 3d, awakening from his troubled dram in the tent before the battle of Bosworth Field (Kupferstich, 1746). T The Trustees of the British Museum (S,2.84). Abb. 4, S. 134: James McArdell nach Benjamin Wilson: Mr Garrick in Hamlet (Kupferstich, 1754). https://commons.wikimedia.org/wiki/File:David_Garrick_in_Hamlet_ (Shakespeare,_Act_1,_Scene_4)_MET_DP860143.jpg [21. 7. 2017]. Abb. 5, S. 135: Johan Zoffany (oder Valentine Green?): Richard Powell as Hamlet (Ölgemälde, ca. 1768/69). Used by permission of the Folger Shakespeare Library under a Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 International License (Folger FPa88). Abb. 6, S. 170: Anonym: His Holiness and his Prime Minister (Kupferstich, 1729). T The Trustees of the British Museum (1857,0228.63). Abb. 7, S. 173: William Hogarth: Characters and Caricaturas (Kupferstich, 1743). https:// commons.wikimedia.org/wiki/File:William_Hogarth_-_Characters_Caricaturas_-_ Google_Art_Project.jpg [21. 7. 2017]. Abb. 8, S. 174: William Hogarth: Marriage /-la-Mode, Pl. 1: The Marriage Contract, (Kupferstich, 1743; Detail). T The Trustees of the British Museum (1857,0228.63). Abb. 9, S. 188: William Hogarth (Entwurf): Frontispiz zu Henry Fieldings Tragedy of Tragedies (1730). T The Trustees of the British Museum (Cc,1.107). Abb. 10, S. 189: Anonym: Berenstadt, Cuzzoni and Senesino (Radierung, ca. 1723). http:// commons.wikimedia.org/wiki/File:Senesino,_Cuzzoni,_Berenstadt.JPG [5. 2.14]. Abb. 11, S. 196: William Hogarth: A Rake’s Progress Pl. 7: The Prison Scene, Detail (Kupferstich 1735). https://commons.wikimedia.org/wiki/File:William_Hogarth_-_ A_Rake%27s_Progress,_Plate_7.png [5. 2. 14]. Abb. 12, S. 199: Frontispiz zu Alexander Pope: Dunciad Variorum (1729). https://en.wi kipedia.org/wiki/File:Pope_dunciad_variorum_1729.jpg [5.2.14]. Abb. 13, S. 212: William Hogarth: The Bruiser, 7. Fassung (Kupferstich, 1763). T The Trustees of the British Museum (1868, 1590).

Abbildungen

709

Abb. 14, S. 215: Joshua Reynolds: Mrs. Abington as the Comic Muse (Gemälde, 1768). Used by permission of the Folger Shakespeare Library under a Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 International License (File 20790). Abb. 15, S. 215: »Mr. Walker«: Mrs Abington, in the character of the Comic Muse (Kupferstich, 1783). T Victoria and Albert Museum, London (S.724–2012). https://collecti ons.vam.ac.uk/item/O1249462/mrs-abington-in-the-character-print-walker/ [5. 2. 14]. Abb. 16, S. 221: Joshua Reynolds: Mrs. Siddons in the Character of the Tragic Muse (Ölgemälde, 1784). https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mrs_Siddons_by_Joshua_ Reynolds.jpg [22. 7. 2017]. Abb. 17, S. 223: Caroline Watson: David Garrick delivering his Ode to Shakespeare (Kupferstich, 1783) nach dem Ölgemälde von Robert Edge Pine. https://commons.wikimedia. org/wiki/File:Garrick_Speaking_the_Jubilee_Ode_MET_DP859554.jpg [22. 7. 2017]. Abb. 18, S. 229: Niccolk Boldrini (zugeschr.): Karikatur des Laokoon, sog. »Affenlaokoon« (Holzschnitt, 1540–1550). https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/fd/Ca ricature_of_the_Laocoon_group_as_apes.jpg [22. 7. 2017]. Abb. 19, S. 231: Philip James de Loutherbourg d.J.: Mr. Weston & Dragon in »The Rival Candidates« (Aquatinta in Braun, 1775). Vorlage im Besitz des Autors. Abb. 20, S. 234: Johan Zoffany : Garrick with Burton and Palmer in »The Alchemist« (Ölgemälde, ca. 1770, Privatbesitz). http://en.wikipedia.org/wiki/File:Zoffany-Gar rick_in_The_Alchemist.jpg [27.1.14]. Abb. 21, S. 238: Valentine Green: David Garrick Esqr. . (Mezzotint, 1769) nach Thomas Gainsborough (1766). T National Gallery of Victoria (1407–3). http://www.ngv.vic.gov. au/explore/collection/work/29853/. Abb. 22, S. 250: Anonym: Mrs. Yates and Mrs. Abington in the Characters of the Tragic & Comic Muse (Weißlinienstich, ca. 1760–1770). T The Trustees of the British Museum (K.57.30). Abb. 23, S. 252: Elizabeth Judkins: Mrs. Abington (Mezzotinto, 1772) nach Sir Joshua Reynolds. In: Goodwin: British Mezzotinters, 225. Abb. 24, S. 255: Robert Sayer: Mr. Weston & Mr. Garrick in the Characters of Scrub and Archer in the Stratagam (kolorierter Kupferstich, 1770). T Victoria and Albert Museum, London (S. 435–1997). Abb. 25, S. 315: Friedrich Rehberg: Lady Hamilton’s Attitudes, Pl. 6: The Muse of Dance (Kupferstich von Thomas Piroli nach Rehbergs Zeichnung, 1794). T Victoria and Albert Museum, London (S.7434–1905). Abb. 26, S. 316: Thomas Rowlandson: Lady Hxxxxxxx’s Attitudes (Radierung mit Aquatinta, um 1800). T Trustees of the British Museum (1981,U,258). Abb. 27, S. 327: William Hogarth: A Rake’s Progress Pl. 5: Married to an Old Maid, Detail (Kupferstich, 1735). https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4b/William_ Hogarth_-_A_Rake%27s_Progress%2C_Plate_5_%28Orig%29.png [22. 7. 2017]. Abb. 28, S. 337: William Hogarth: A Rake’s Progress Pl. 6: Scene in a Gaming House, Detail (Kupferstich, 1735). https://commons.wikimedia.org/wiki/File:William_Hogarth_-_ A_Rake%27s_Progress,_Plate_6,_Scene_in_a_Gaming_House_-_Google_Art_Project. jpg [11. 4. 2017]. Abb. 29, S. 389: Anonym: Denkmal der Christiane Becker-Neumann vom Gothaer Bildhauer Döll (Steindruck, o. J., Sammlung Kippenberg). https://commons.wikimedia. org/wiki/File:ChristianeBecker-Neumann2.jpg [22. 7. 2017].

710

Anhang

Abb. 30, S. 536: Meneer Zjeron: Accipiter nisus [Sperber], Detail (Photographie, 2009). https ://commons.wikimedia.org/wiki/File :Accipiter_nisus_Meneer_Zjeroen.jpg [4. 11. 2017]. Abb. 31, S. 536: Joseph Kainz: Selbstporträt, vielleicht als Marc Anton, Detail (Photographie, 1890er Jahre). In: Mautner-Kalbeck: Kainz, o.S. (Abb. 13). Abb. 32, S. 553: Gustave Moreau: Cl8op.tre, assise, demi nue, de face sur un trine trHs 8lev8 (Mischtechnik, 1887). https://www.wikiart.org/en/gustave-moreau/cleopatra [4. 11. 2017]. Abb. 33, S. 558: Atelier Sciutto (Genua): Eleonora Duse als Anna in »Die tote Stadt« (Studiophotographie/Postkarte, 1901). Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Theatermuseums München. Abb. 34, S. 558: Atelier Sciutto (Genua): Eleonora Duse als Anna in »Die tote Stadt« (Studiophotographie, 1901). Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Theatermuseums München (Cabinetphoto, Inventar Nr. II 3105). Abb. 35, S. 568: Atelier Zander und Labisch (Berlin): Eleonora Duse als Silvia Settala in »La Gioconda« (Studiophotographie, um 1900). In: Signorelli: Eleonora Duse, 123. Abb. 36, S. 577: Olaf Gulbransson: Eleonora Duse als Hedda Gabler (Zeichnung, 1903). In: Simplicissimus 8 (1903), 226. Abb. 37, S. 606: Alphonse Mucha: Zodiac (Lithographie, 1896). http://www.wikipaintings. org/en/alphonse-mucha/zodiac-1896 [4. 2. 2014]. Abb. 38, S. 624: Giovanni Bellini: Incostanza oder Melancholia (Ölgemälde, ca. 1490, Gallerie dell’Accademia, Venedig). http://it.wikipedia.org/wiki/File:Giovanni_bellini,_ quattro_allegorie,_incostanza.jpg [5. 2. 14].

Personenregister

Abington, Frances 215f., 240, 250–252, 254, 459 Aischylos 116, 197, 381, 654 Alexander der Große 40, 189, 197, 262 Alt, Peter-Andr8 183, 383f. Anne Stuart (Queen Anne) 187 Anschütz, Heinrich 435, 437–439 Aristophanes 172, 210, 282, 333 Aristoteles 17, 36, 74–76, 138, 141, 146, 264 Bab, Julius 15, 17f., 24, 29, 58, 62f., 75f., 137, 152f., 491, 507, 519, 527, 535, 540, 556, 576, 579, 632f., 635, 639, 649, 658 Barkan, Leonard 123 Barnett, Dene 83, 91, 93, 171, 318 Barrasch, Moshe 137–141, 332, 385 Barry, Ann 250 Barry, Ann 250f. Barry, Spranger 208f., 213f., 263 Bassermann, Albert 640 Bätschman, Oskar 43f., 50 Baudelaire, Charles-Pierre 67 Becker-Neumann, Christiane Luise Amalie 363–389, 443, 658 Beil, Johann David 331 Bender, Wolfgang F. 16, 22, 64, 423 Berenstadt, Gaetano 187, 189, 227 Berlusconi, Silvio 169 Bernhardi, August Ferdinand 421–429, 433, 437f., 632f.

Bethmann-Unzelmann, Christiana Friederike Augustine-Conradine 50, 416, 450–464, 475f. Boehm, Gottfried 20, 26, 29, 332, 547, 564 Boie, Heinrich Christian 102, 225 Borgstedt, Andreas 19, 442–444 Böttiger, Karl August 51, 59, 68, 175, 281– 356, 359, 363, 370, 378, 382f., 391, 393, 396f., 399, 405, 411–414, 419f., 425f., 429f., 438, 447f., 461, 468, 477, 482, 486f., 489, 491, 493–495, 523, 540, 554, 635, 643, 645f., 650, 652, 654 Bourdieu, Pierre F8lix 424 Brandstetter, Gabriele 61f., 485 Brouwer, Adriaen 197 Brun, Friederike 469f. Brun, Ida 451, 469–477, 612 Burbage, Richard 59, 98, 172, 176–185, 205, 229, 278f., 370f., 374, 378f., 382, 456, 458, 467, 507, 515f., 522, 527, 531, 612, 655f. Carracci, Annibale 168, 173 Castiglione, Baldassare 216, 248 Chodowiecki, Daniel 150, 227, 269, 332 Churchill, Charles 14, 94, 172, 184, 195, 198–226, 236, 243, 250, 252, 263, 274– 276, 278f., 282, 306, 309, 325, 327f., 330, 333, 342, 348, 401, 406, 411, 415, 417, 432–435, 447, 461, 491 Cibber, Colley 196, 198f. Cibber, Susannah Maria 216–219

712 Cicero, Marcus Tullius 38, 75, 77, 79f., 82f., 94, 101f., 104–107, 169, 179, 184, 249, 317, 337, 523, 653 Clairon, Claire (Claire JosHphe L8ris; Künstlername Hippolyte Clairon) 95– 97, 318, 402, 507f. Clarien, FranÅoise (genannt Racourt) 401 Clive, Catherine (»Kitty«) 214–216, 219, 250, 252, 348 Clüver, Claus 30f. Coan, John 214 Cohen, Sacha Noam Baron 169 Coleridge, Samuel Taylor 35 Congreve, William 219 Cuzzoni, Francesca (verheiratet: Sandoni) 187–189 Dahlhaus, Carl 444–446, 519 Dalberg, Wolfgang Heribert, Freiherr von 290, 293f., 305, 425 D’Annunzio, Gabriele 14, 60, 497, 544– 546, 548, 556–560, 562, 565f., 568–572, 580–584, 587f., 594–632, 634, 636, 640, 644 Davies, Thomas 185, 206f., 209, 260 Delane, Dennis 194 Demosthenes 40, 78f., 138, 644 Deutsch, Ernst 640 Diderot, Denis 14, 27f., 43f., 65, 91–96, 102, 130, 146, 148, 150, 185, 216, 246f., 259, 299, 320, 322, 333f., 349, 402, 405f., 420, 426, 438, 507 Diebold, Bernhard 147, 204, 214, 242f., 294 Dieterle, Bernard 23f. Doll, Hans Peter 18, 152, 269 Drügh, Heinz 34, 70 Dubel, Sandrine 112 Ducis, Jean-FranÅois 398 Dumas der Ältere, Alexandre 66, 539, 565 Duse, Elenora 13, 15, 56, 58, 60, 63, 66f., 539f., 542–639, 642–645, 658 Eckel, Winfried 114–116, 120 Eckhof, Konrad (siehe Ekhof)

Personenregister

Ekhof, Hans Conrad Dietrich (auch Konrad Eckhof) 27, 29, 151, 288–290, 300, 310f., 342, 347f., 351, 391, 397, 488 Else, Gerald F. 53 Engel, Johann Jakob 53, 123, 150f., 273f., 287f., 301, 307f., 311f., 314, 322–324, 339, 344, 393, 405, 423, 589 Erken, Günther 18, 152, 269 Euripides 73, 75, 116, 200, 371, 381 Falconet, Ptienne-Maurice 44 Farquhar, George 203, 253, 428, 649 Fernandes, Augusto 157f. Fielding, Henry 14, 90f., 98, 103, 110, 150, 172, 186–191, 204, 209, 237, 247, 262, 268, 276, 301, 333 Finckenstein, Henriette von 443 Fischer-Lichte, Erika 18, 21f., 27f., 45f., 51f., 55, 57, 64–66, 91, 105, 110, 145f., 149, 152–164, 188, 208f., 243, 245–247, 259, 269, 273f., 280, 282, 287f., 292, 308, 391, 395, 411, 413, 438, 481f., 486, 502, 639, 652, 654, 657 Fleck, Johann Friedrich Ferdinand 311, 420, 488, 497 Foote, Samuel 189f., 209f., 256, 279, 325, 333, 339 Francius, Petrus (Peter de Frans) 83 Gabrielli, Caterina 227, 249, 257 Gainsborough, Thomas 18, 237–239, 244–246, 248, 280 Garrick, David 13, 15, 18, 26f., 51, 53f., 56, 63, 66, 68–70, 86–94, 96–110, 127– 136, 139, 143, 146, 148–151, 155, 157– 159, 161–163, 167, 175, 185–198, 200f., 203–209, 213f., 216f., 219–226, 231– 233–241, 243–245, 247–251, 253–257, 259–269, 273, 276, 278–280, 290, 295f., 301, 306, 309, 322f., 326, 330, 333, 335, 341f., 344f., 349, 351f., 378f., 392f., 395–397, 406, 422, 426, 428, 432, 486, 489, 491, 507, 510, 523, 540, 641f., 648f., 656 Gay, John 186

Personenregister

713

Gemmingen-Hornberg, Otto Heinrich von 291, 293 Gerlach, Klaus 412, 429 Ghezzi, Pier Leone 173, 210, 227 Gillray, James 175, 326 Girardi, Alexander 15 Goethe, Johann Wolfgang 14, 16, 20–24, 59, 66, 114, 129, 140f., 281, 283–287, 289, 292, 310, 317f., 320, 352–355, 357, 359, 362–391, 395, 403, 405, 408–414, 416–418, 421, 439f., 443, 446f., 450, 452, 458f., 469, 474, 478, 482, 487, 517, 528, 536, 544, 546, 555f., 579, 627, 634, 644, 658 Goldsmith, Oliver 98, 268 Gotter, Friedrich Wilhelm 347 Gottsched, Johann Christoph 22 Graff, Anton 33, 46–52, 317, 440 Green, Valentine 89, 238f. Gross, Sabine D. 34f., 76, 108f. Gründgens, Gustav 65, 163, 486, 639f., 657

Hoffmann, E[rnst] T[heodor] A[madeus] 58, 445, 448–450, 463, 466, 491 Hofmannsthal, Hugo von 58, 60, 67, 439, 479, 481–544, 547, 549f., 559, 562, 572f., 578, 580, 590, 592, 633, 642f., 645, 648, 654, 657 Hogarth, William 31, 68, 89, 129–134, 136, 143, 160, 172–175, 187–189, 195f., 198f., 203, 210–212, 224, 227, 230, 233– 237, 241f., 247f., 256, 260, 262, 264, 268, 276, 279, 290, 295, 300, 309, 326f., 330, 332f., 335–338, 340, 450 Holland, Charles 207f., 330 Homer 26, 74, 94, 107, 114–116, 168f., 309, 325, 352, 356, 376, 380, 402, 409, 419 Horaz (Quintus Horatius Flaccus) 25, 72f., 79 Horn, Eva 388 Humboldt, Wilhelm von 4, 14, 17, 65, 363, 389–415, 417, 421f., 425, 427, 438, 446, 465, 467, 471, 477, 490, 605, 634, 641

Haas, Rosemarie 380f. Haase, Friedrich 648 Hagstrum, Jean Howard 34–36 Hamilton, Lady Emma 314f., 317, 393, 419, 468 Harden, Maximilian 153 Hare, Arnold 176 Harris, James 17 Hasenclever, Georg Alexander 640 Heeg, Günther 64f., 93, 99, 146, 161, 242, 283, 311, 317, 400, 402, 405, 539, 656 Heine, Christian Johann Heinrich 66, 450, 465 Hempfer, Klaus Willi 19f., 52, 546 Hendel-Schütz, Johanne Henriette Rosine 314, 418, 451, 469f., 476, 511 Hensler, Carl Friedrich 381 Herault de S8chelles, Marie-Jean 318 Herrmann, Max 153f. Heßelmann, Peter 270 Hill, Aaron 206, 266 Hill, John 91 Hiß, Guido 145, 154, 159f., 162, 192, 270

Iffland, August Wilhelm 33, 47–50, 52f., 57, 59, 64f., 68, 158, 196, 281–353, 377f., 391, 393–397, 399f., 405f., 411–414, 419–429, 438, 440, 442f., 447, 456, 464, 468f., 482, 491, 493, 497, 523, 632, 652 Ihering, Herbert 58, 61, 540 Innes, Michael (eig. John Innes Mackintosh Stewart) 70, 97–100, 105f., 108, 129, 150f., 161, 711 Innocenti, Beth 101, 103–107 Jacobs, Monty 57, 152f., 163, 439, 493, 540 Jacobsohn, Siegfried 15 Jäger, Ludwig 39, 138, 142 Jessner, Leopold 153 Jonson, Ben 162, 200, 202, 205, 231f., 236, 282 Judkins, Elizabeth/Elisabeth 251f. Kean, Edmund 66, 430, 432–435, 437, 450 Keaton, Joseph Frank (»Buster«) 230 Kemble, Charles 430–433, 435

714 Kemble, John Philip 150 Kerr, Alfred (Alfred Kempner) 13, 58, 61, 519, 540, 549–551, 566, 570, 572f., 575, 580, 639f., 645 Kleinherne, Michael 65, 640 Klin, Eugen 421, 428f. Kortner, Fritz (Fritz Nathan Kohn) 62f. Kost, Jürgen 403, 407, 446 Kotzebue, August Friedrich Ferdinand von 300, 310, 317, 322, 420, 425, 456f. Krieger, Murray 25f., 34f. Kurzenberger, Hajo 62f., 153, 641, 650– 652, 658 Lach, Roman 68, 129–132, 236, 620, 711 Le Brun, Charles 92f., 130, 132, 137f., 423 Lekain, Henry Louis 17, 290, 392 Leonardo da Vinci 153, 173, 534f., 548, 566, 599 Lessing, Gotthold Ephraim 13, 16, 18, 22, 25–29, 34, 45f., 64, 70, 73, 85, 107, 130, 137, 151f., 244, 282–285, 294, 302, 347, 355, 357f., 362, 404, 407, 422, 489 Lloyd, Robert 86–88, 91, 93f., 96, 99, 200, 206, 274, 307 Lotman, Jurij M. 154 Loutherbourg, Philip James de/Philipp Jakob 146, 230f. Lubkoll, Christine 445 Macpherson, James 376, 381 Mann, Klaus Heinrich Thomas 640 Mann, Thomas 66 Maranta, Bartolomeo 122 Markel, Garlieb 421 Mart&nez, Mat&as (Matias Martinez) 55, 71 McArdell, James 89, 133 Meier, Albert 285f., 356–358, 443 Meyer, Johann Heinrich 20, 30, 364, 383– 385, 389, 418f., 467, 482, 491, 518f., 526, 529, 532, 539 Meyer, Johanna Henriette Rosine 418f. Meyerhoff, Joachim Philipp Maria 264f., 641–646, 650–652, 658

Personenregister

Meyer-Kalkus, Reinhart 582, 491, 518f., 526, 539 Meyhöfer, Annette 65, 67, 492 Mitchell, W[illiam] J[ohn] T[homas] 55, 137–142, 148 Möhrmann, Malte 35, 60–62 Moissi, Alexander 518, 540, 640 Moritz, Karl Philipp 14, 26, 59, 284–286, 291, 302, 347, 353–362, 364, 368, 383, 385–387, 410, 412, 418, 428, 439, 445, 452, 462f., 474f., 477, 544 Mourey, Marie Th8rHse 242 Müller, Sophie (Sophia) 451, 464–466, 470, 476 Murphy, Arthur 185, 194, 207, 491 Mussolini, Benito Amilcare Andrea 61 Neuber, Friederike Caroline 22 Nicolai, Christoph Friedrich 18, 45, 429 Nielsen, Asta Sofie Amalie 640 Nikolaos von Myrna 37, 70, 72, 113, 168 Oeser, Adam Friedrich 320 Olivier, Laurence Kerr 61 Ostade, Adriaen van 197 Osterkamp, Ernst 284, 711 Ovid (Publius Ovidius Naso) 43f., 50, 73, 75, 360f., 590 Paul, Jean (siehe Richter, Johann Paul Friedrich) Pestalozzi, Karl 49, 439f. Peter der Große 340, 399 Pfister, Manfred 55, 144, 159, 397 Pfotenhauer, Helmut 20, 26, 29, 39, 43, 57f., 285, 355–357, 360, 364, 479f., 541, 600, 633 Philostrat d. Ä. (Flavius Philostratos) 41– 43, 52, 56, 58, 61, 109, 111–125, 127f., 130, 149, 151, 166, 180f., 260, 278, 362, 371, 440, 480, 604 Pichler, Caroline 316f. Pine, Robert Edge 149, 222 Pirandello, Luigi 157f. Pitt, William, d. J. 210 Plett, Heinrich F[ranz] 55, 73

Personenregister

Plinius der Ältere (Gaius Plinius Secundus Maior) 118, 321 Plutarch 25, 36–38, 40, 73f., 112f., 165, 361 Pope, Alexander 169, 172, 186, 190f., 198–200 Powell, William 135f., 156, 160 Pritchard, Hannah 89, 219f., 235 Quin, James 88, 190, 192–195, 198, 208, 279 Quintilian (Marcus Fabius Quintilianus) 54, 62, 69, 72–85, 91, 94, 101–103, 107– 109, 112f., 138, 147, 152, 165f., 169–171, 182, 206, 249, 267, 277, 317f., 321, 337, 362, 409, 483 Racourt (siehe Clarien, FranÅoise) Rajewski, Irina O. 31–34, 36, 55, 70, 286, 470 Rehberg, Friedrich 314f. Rehm, Walter 67, 562, 568, 574, 578, 602 Reinhardt, Max 153, 481, 518, 642f. Reni, Guido 441 Reynold, Joshua 18, 215f., 220–222, 240, 248, 250–252 Riccoboni, FranÅois (Antonio Francesco) 92, 244, 276 Richter, Johann Paul Friedrich (Jean Paul) 58, 66, 387, 446 Riedel, Wolfgang 39, 479, 541, 633 Rilke, Rainer Maria (Ren8 Karl Wilhelm Josef Maria) 14, 20, 58, 60, 67, 114, 439, 543, 547f., 556, 560–581, 583–594, 597, 602, 614f., 621, 625, 628, 632–636, 639, 657 Ringelnatz, Joachim (eigentlich Hans Gustav Bötticher) 282, 640 Rochlitz, Friedrich 310–313, 394 Roscius (Quintus Roscius Gallus) 93f., 162, 177f., 181f., 184f., 200, 204, 278, 379, 646 Rosenbaum, Uwe 65 Rothe, Matthias 87, 91, 460 Rousseau, Jean-Jaques 46, 48, 50 Rowe, Nicholas 218, 461

715 Sainte Albine, Pierre R8monde de 91f., 97, 276 Sayer, Robert 254–257 Schiller, Friedrich 15–17, 19, 21f., 24, 26, 48–50, 53, 64, 161, 270, 281, 283f., 287, 289, 298, 306f., 310, 325, 329, 353, 357, 363f., 383, 386, 401, 403, 413, 435, 441, 446, 451–453, 456, 470, 487, 489, 496, 534 Schink, Johann Georg 22, 51, 269–278, 280, 288, 298, 307, 353, 396, 405, 422, 430, 437f., 540, 643, 646 Schlegel, August Wilhelm 17, 48–52, 57, 413, 415, 428, 439–444, 450–477, 511, 533, 544, 547, 612, 634 Schmidtbonn, Wilhelm 640 Schmitz-Emans, Monika 25f., 35, 58, 116 Schneider, Sabine 39, 57f., 286, 360, 479– 482, 504, 509, 541–544, 547, 583, 599, 633 Scholz, Oliver R. 80, 137–141, 207, 260, 487 Schönberger, Otto 41f., 112 Schröder, Friedrich Ludwig 51, 269, 272, 280, 289, 294, 300, 343, 434, 438, 488, 555 Schwind, Klaus 143, 147 Scribe, Augustin EugHne 464, 466 Senesino (Francesco Bernardi) 187f. Shakespeare, William 14, 46, 54, 68f., 81, 83–91, 93, 97f., 109, 111, 122–124, 127– 137, 143, 151, 157, 162, 166, 176, 179f., 183, 186, 191, 194, 200–202, 205, 207, 209f., 217, 221f., 235–240, 245–247, 251, 261f., 264, 269, 271, 274, 278f., 283, 325f., 329, 345, 372f., 378, 387, 398, 405, 418, 427, 431–433, 435–437, 445, 453, 463–465, 477, 496, 507, 545, 552, 588, 591, 594–596, 599, 611f., 627, 634, 636 Siddons, Henry 150 Siddons, Sarah 46, 150, 220–222 Siebenhaar, Klaus 67f. Simonides von Keos 25, 28, 35, 37, 50, 112, 123, 361 Sophokles 381, 559, 582 Sørensen, Bengt Algot 140f., 383–387

716

Personenregister

Spitzer, Leo 30, 560 Sterne, Laurence 268, 312, 333 Swift, Johan 186, 333 Talma, FranÅois-Joseph 56, 390–400, 402, 406, 408, 410, 415, 418, 490, 605, 641 Themistokles 121, 124 Thomas, David 176 Tieck, Johann Ludwig 14, 58f., 281–284, 286f., 303f., 309, 343, 352, 354f., 399, 411f., 428–439, 443–450, 465, 477, 487, 489, 493, 519, 541 Timanthes 321 Tizian (Tiziano Vecellio) 122, 228, 481, 509 Verres, Gaius 75, 77, 82, 101–104, 107f., 169f., 249, 337 Vigank, Josefa Maria 314–317 Villiers, George, 2. Duke of Buckingham 193 Voß, Johann Heinrich 167, 205, 282, 380, 409 Voß, Julius von 419 Wackenroder, Wilhelm Heinrich 428, 439, 445f., 519

412,

Warburg, Aby (eig. Abraham Moritz) 61, 73f., 77 Wardle, Irving 61, 163 Webb, Ruth 30, 35–38, 40f., 70–72, 76f., 101, 107f., 111–113, 150f., 168, 180, 358, 547 Weber, Eugene 507f., 526 Weber, Max 390 Wenzel, Horst 39 Weston, Thomas 158, 219, 228–232, 235, 250, 253–262, 349, 645f., 649, 656 Wiedemann, Claus 286, 317, 412, 429 Wilkes, John 196, 210f. Willems, Gottfried 53f., 166 Wilson, Benjamin 133f., 135f., 222, 239 Winckelmann, Johann Joachim 43f., 50, 285, 355, 357, 383, 440, 477 Wolf, Werner 31–35, 38, 46, 55, 76, 84f., 102, 104, 123, 125, 157, 183 Xenophon

112f., 121

Yates, Mary Ann 250f. Yates, Richard 213 Zoffany, Johann Johannes/Johan Joseph 88f., 135f., 156, 160, 175, 195, 198, 220, 233–235, 240, 263

Dank

Die ersten Anfänge dieses Projekts reichen noch in das Berliner Forschungskolloqium meines nachhaltig inspirierenden Doktorvaters Norbert Miller zurück. Dort gab mir unter anderem Roman Lach wertvolle Anregungen zu den Hintergründen von Lichtenbergs Briefen aus England, und Michael Rölcke wies mich auf Michael Innes’ Kriminalroman Hamlet, Revenge hin, der szenisch verdichtet, was »Mimen-Ekphrasis« meint. Noch in Berlin gaben mir Ernst Osterkamp und Andrea Polaschegg wichtige Hinweise zur ersten Projektskizze. In Göttingen hatte ich dann das große Glück, dass Ruth Florack mich mit der nötigen Mischung aus Geduld und konstruktiver Ungeduld betreute und Heinrich Detering mir bei konzeptionellen Herausforderungen mit gutem Rat zur Seite stand. Als Vorgesetzte ließ mir Ruth Florack großzügigen Freiraum zum Forschen, bis hin zur Unterstützung eines zweijährigen Aufenthaltes in Madison, Wisconsin. Ein Fedor-Lynen-Stipendium der Alexander von Humboldt-Stifung ist ein großes Privileg, zumal wenn man eine Programmbetreuerin wie Britta Groß hat und vor allem eine wissenschaftliche Betreuerin vor Ort wie Sabine Gross, die sich im interkulturellen Behördendschungel ebenso auskennt wie im intermerdialen Diskurs. Nach Madison gelockt hat mich Hans Adler, im fruchtbaren Dialog war ich dort u. a. mit Marc Silberman, Henning Wrage und (glücklichweise als Gast dort) Monika Schmitz-Emmans. Zurück in Göttingen, konnte ich wieder anknüpfen an den kollegialen Austausch mit Anke Detken, Karin Hoff, Anja Schonlau, Hans Graubner, Peer Trilcke, Constanze Baum und Meike Rühl, die mich großzügig in altphilologischen Fragen beriet. Mit dem Kunsthistoriker Hendrik Ziegler diskutierte ich über Karikaturen, mit dem Anglisten Ralf Haekel über frühneuzeitliches Theater ; beide nahmen auch (mit Ruth Florack, Sabine Gross und Heinrich Detering) die aufwändige Arbeit der Begutachtung auf sich. Ein schönes Abschiedsgeschenk von Göttingen war, dass aus einem Gespräch mit Tilmann Köppe über das Verhältnis von Enargeia und Showing eine Tagung entstand – unser Tagungsband Show, don’t tell: Konzepte und Strategien anschaulichen Erzählens wird hoffentlich nicht lange nach dieser Studie herauskommen.

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Dank

Ich freue mich, dass meine Habilitationsschrift in Göttingen bei Vandenhoeck & Ruprecht erscheinen kann; den Herausgeber/innen danke ich für die Aufnahme in die Palaestra-Reihe, meiner Betreuerin Susanne Köhler für Geduld und Flexibilität und wiederum der Humboldt-Stiftung für einen großzügigen Druckkostenzuschuss. Besonders danke ich meiner Frau Petra Maass für ihre liebevolle, ausdauernde Unterstützung.