Ovid, Heilmittel gegen die Liebe. Die Pflege des weiblichen Gesichtes [Zweite, neu bearbeitete Auflage, Reprint 2022] 9783112650721

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Ovid, Heilmittel gegen die Liebe. Die Pflege des weiblichen Gesichtes [Zweite, neu bearbeitete Auflage, Reprint 2022]
 9783112650721

Table of contents :
Inhalt
Heilmittel gegen die Liebe
Einführung
Heilmittel gegen die Liebe
Erläuterungen
Register
Die Pflege des weiblichen Gesichtes
Einführung
Die Pflege des weiblichen Gesichtes
Erläuterungen
Register
Tafelverzcichnis

Citation preview

SCHRIFTEN UND QUELLEN DER ALTEN WELT HERAUSGEGEBEN VOM Z E N T R A L I N S T I T U T FÜR A L T E UND

GESCHICHTE

ARCHÄOLOGIE

DER A K A D E M I E DER WISSENSCHAFTEN DER DDR

BAND 9

OVID HEILMITTEL G E G E N DIE LIEBE DIE PFLEGE DES WEIBLICHEN GESICHTES LATEINISCH UND DEUTSCH VON

F R I E D R I C H WALTER L E N Z

Mit 9 Tafeln

Zweite, neu bearbeitete Auflage

AK A D EM I E - V E R L A G - B E R L I N 1973

Redaktor der Reihe: Günther Christian Hansen Gutachter dieses Bandes: Wilhelm Hartke f und Johannes Irmscher Redaktion dieses Bandes: Hadwig Helms und Gerhard Perl

Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 Copyright i960 by Akademie-Verlag Lizenznummer: 202 • 100/306/73 Offsetnachdruck und buchbinderische Verarbeitung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer", 582 Bad Langensalza/DDR Bestellnummer: 750 703 6 (2066/9) • LSV 0886 Printed in GDR EVP 10,50

i. Der bestrafte Eros. Wandgemälde aus Pompeji.

Meinem Freunde HANS STEINTHAL Haec tibi donavi, ponto seiunctus et aura, Vincula sed semper pectora nostra ligant. Heu quantos casus crudeles vidimus ambo: Integra sit nobis tempus in omne fides. 1914—1966 In memoriam wiederum gewidmet 1968

INHALT Heilmittel gegen die Liebe Einführung

}

Beigaben

13

Uberlieferung und Ausgaben

15

Abkürzungen

22

Heilmittel gegen die Liebe

24

Erläuterungen

78

Register

101 Die Pflege des weiblichen Gesichtes

Einführung

106

Überlieferung und Ausgaben

110

Abkürzungen

m

Die Pflege des weiblichen Gesichtes

112

Erläuterungen

120

Register

130 Tafeln

Tafelverzcichnis Tafel 2—9

13 z

HEILMITTEL GEGEN DIE LIEBE

EINFÜHRUNG Vielleicht hat es etwas Mißliches, mit einem negativen Urteil zu beginnen. Man beschwört dadurch die Gefahr herauf, den Leser von vornherein gegen das Werk einzunehmen, das man ihm vorlegt, aber ich nehme dieses Risiko in Kauf. Ich erinnere mich, daß Wilamowitz in einem seiner schillernden Aperçus, wie er sie bisweilen hinzuwerfen liebte, zu uns Mitgliedern des Berliner philologischen Seminars sagte: „Die 'Remedia' sind ein matter Aufguß auf die Teeblätter, aus denen der Gewürztrank der 'Ars' bereitet worden ist." Dieses Urteil ist ebenso richtig wie falsch. Es ist richtig, wenn der Leser mit frischer Erinnerung an die geistreich und witzig formulierten und glänzend vorgetragenen Frivolitäten der 'Ars' oberflächlich und rasch über die Worte des Dichters hingleitet, um zu sehen, was er sagt; es erweist sich als falsch, wenn er beginnt zu fragen, was der Dichter sagen will und oft nur zwischen den Zeilen andeutet, wo der Leser es nach seinem Wunsche finden soll. Das Gedicht oder, wie wir sagen sollten, wenn wir an die vom Dichter gewählte Form denken, das elegische Lehrgedicht über die Heilmittel gegen die Liebe hat innerhalb des Ovidischen Gesamtwerkes etwas Mehrdeutiges. Wir sind nicht in der Lage, den vom Dichter gewählten Titel des Werkes, auf den er im ersten Verse Bezug nimmt, mit Sicherheit zu ermitteln, denn die in den Handschriften am Anfang und Ende gegebenen Titel und Unterschriften weisen von der karolingischen Zeit ab durch die Jahrhunderte des Mittelalters bis in die Renaissance im einzelnen eine Fülle von Variationen auf, die sich auf drei Typen zurückführen lassen. Der erste und seltenste begegnet in der ältesten Handschrift, die noch in das 9. Jahrhundert gehört. In ihr wird das Gedicht einfach ohne jeden Hinweis auf die Liebe Remedia („Heilmittel") genannt, in den anderen erscheint das entscheidende Wort entweder im Plural oder weit häufiger im Singular in der Form De retnediis oder remedio amoris. Wenn der Dichter aber den göttlichen Knaben Amor am Anfang den Titel des kleinen Buches lesen und ihn sofort den Schluß ziehen läßt, daß Krieg gegen ihn im Werke ist, so liegt die Annahme sehr nahe, daß in dem Originaltitel ein Hinweis auf die Liebe enthalten war. Die unbestimmte Angabe „Heilmittel" hat dem Dichter schwerlich genügt. In diesem Falle haben wir der ältesten uns erhaltenen Handschrift den Glauben zu versagen. Diese Erwägung berechtigt aber nicht zu dem Schluß, daß in der wesentlich älteren Vorlage, aus der die karolingische Handschrift abgeschrieben ist, dieselbe Auslassung vorausgesetzt werden muß. Bei den Titeln und Unterschriften ist damit zu rechnen, daß Redaktor und Schreiber sich Freiheiten erlauben. 1*

Heilmittel gegen die Liebe

4

Die Frage, warum Ovid die 'Remedia' geschrieben hat, ist oft gestellt worden. Die oberflächlichste Antwort, er habe das frühere Werk über die Liebeskunst widerrufen, also eine Art von Palinodie schreiben wollen, um dem unliebsamen Eindruck und dem Aufsehen, das die 'Liebeskunst' erregt hatte, entgegenzutreten, hätte nie gegeben werden sollen. Warum würde sonst der Dichter in dem einleitenden Gespräch mit dem um eine Beeinträchtigung seines Machtbereiches besorgten Gott den schmeichelnd kosenden Knaben (blanduspuer) beruhigen und ihm versichern, daß er nicht wie Diomedes gegen die Liebesgöttin brutal kämpfe, sondern auf etwas ganz anderes hinziele und nur bemüht sei, unglücklich liebenden Männern und Frauen Erleichterung zu bringen? Aber auch diese Einschränkung ist nicht oder wenigstens nicht allein das Entscheidende. Ein Gespräch zwischen einem Gott und einem Menschen, in dem es sich um die Machtsphäre des Gottes und seine Taten innerhalb dieser Sphäre handelt, — wer denkt dabei nicht sofort an den einen hellenistischen Dichter Kallimachos, der in seinem berühmtesten Werke, den 'Aitia', die Technik dieses Gespräches aufs feinste ausgestaltet hat? Wenn Ovid mit einem nicht zu überhörenden Hinweis auf Kallimachos beginnt, so gibt er dem Leser damit deutlich zu verstehen, daß er auch in diesem Werke noch als sein Jünger angesehen zu werden wünscht. Aber er nennt doch Kallimachos einen Nichtfeind der Liebe (oder Amors) und warnt den unglücklichen Liebenden, die anderen Liebesdichter und ihn zu lesen (75 7 ff.). Ist das nicht ein Widerspruch? Nur scheinbar, denn er geht weiter und fügt hinzu: „Lies auch meine Gedichte nicht" (766). Wer diese Warnung ernst nimmt, mißversteht den Dichter an dieser Stelle und mißversteht damit das ganze Werk. Wenn er 758 sagt, er verwerfe pietätlos sein eigenes Talent, so sollte doch diese Feststellung schon genügen, um den Leser vor der Annahme zu bewahren, daß der Dichter wirklich meint, was er zu sagen scheint, ganz abgesehen davon, daß er durch die Ablehnung des Vergleichs mit Diomedes sofort am Anfang alles getan hat, um diesem Mißverständnis vorzubeugen. Was er vielmehr dem Leser zu verstehen gibt, zwischen den Zeilen, ist dies: Tue was du willst und gehe bis zum Äußersten, du kommst doch nicht von der Liebe los. Du mußt dir darüber klar sein, daß selbst der beste Seelenarzt dir nur Sedativs geben kann. Im ganzen gibt er den unglücklich Liebenden 42 praecepia (Weisungen). Mehr als ein Drittel, sechzehn, hat er aus dem Gedicht über die Liebeskunst heraus entwickelt, und zwar so, daß er die dort gegebenen Ratschläge in ihr Gegenteil verkehrt und sie in Warnungen verwandelt. E r hätte es schwer noch deutlicher machen können, daß er nicht ernst genommen werden will. Dabei setzt er alle drei Bücher der 'Liebeskunst' als bekannt voraus 1 , nicht nur die beiden ersten, denen er, wahrscheinlich durch den großen Erfolg des Gedichtes veranlaßt, das dritte erst später hinzufügte. Zur leichteren Übersicht stelle ich die Ziffern der scherzhaft kontrastierenden Versgruppen und der Übereinstimmungen nebeneinander. 1

Auf die chronologische Frage komme ich in den Einzelerläuterungen zurück, vgl. u. S. 82 zu 15 j f.

Einfuhrung Remedia

Ars

2,233 f. 3 1,612 34 her Wortlaut angleicher Versstelle) 70 7i 81 85 92 121 I$I 174 17$ 195 219 249—290 286 287 }IO 311—330 323 $27 328 331—340 341—356 55°

3.564 2.744 2,339 2,342 2,340 2,181 f. 1,357 2,513 2,179. 263 2,652 1,409—414 2,99 ff1,634 2,99 1,610 2,641 ff. 2,662 2,657 ff. 2,660 3,261—328. 349—352 3,209—250 3,258

5

Remedia

Art

351—354 354 386 396 407 411 413 489—512 505—508 5io 543—548 597 606 627 633 683—692 704 732 751—756 757—766 769 787—794 J 788 795—810

\

805 811

3,209—213 3,212 i,3i 3,338 3,769; 2,679 3,807 f. 2,727 f. 1,611 ff.; 2,515 ff. 2,523—527 3,606 2,445; 3,579- 593 f1,53» 3,38 1,491 f. 1,279 f. 1,612 ff. 620; 3,673ff.677 1,30 2,439 ff1,89 ff. 3,329—346 3.591 f. 2,732 2,415—424; 1,525 f. 589—600; 3,761—766 1,237 $,748

Wie wenig ernst der Dichter es im Grunde meint, und wie er mit leichtem Spiel souverän über dem Stoff steht, den er behandelt, zeigt ein Blick auf die Mythen, die er zur Belehrung unglücklich Liebender heranzieht. Wieder ist nicht entscheidend, was er sagt — es sind bekannte Dinge, an die ein gebildeter Römer nicht in ihren Einzelheiten erinnert zu werden brauchte —, sondern nur darauf kommt es an, wie er es sagt. Am charakteristischsten ist die Erzählung von Agamemnon und Chryseis. Wenn er den alten Vater des geraubten Mädchens 471 mit fast schnöder Frivolität anredet und ihm klarmacht, daß sein Weinen um die entehrte Tochter im Grunde eine Torheit ist, durch die er ihr gar keinen Dienst erweise, sondern daß es sehr gut für sie sei, das Bett des Atriden zu teilen, und für diesen sehr gut, sie dort zu haben, so sollte jeder wissen, welche Maßstäbe er an das Gedicht nicht zu legen hat. Vom Standpunkte strenger und geschlossener Komposition hat man es vielleicht nicht mit Unrecht beanstandet1, daß der Dichter die Geschichte von Agamemnon, Achilleus 1

Über einige andere Fälle lockerer Anordnung und Verteilung verwandter oder eigentlich zusammengehöriger Argumente auf verschiedene Partien des Gedichtes vgl. W. Kraus in dem Artikel Ovidius Naso, RE 18, 2,1957.

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Heilmittel gegen die Liebe

und den beiden Mädchen auf zwei weit voneinander getrennte Partien des Werkes verteilt hat. Wenn das ein Defekt ist, so hat er durch die frivole Lässigkeit, mit der er auch an der zweiten Stelle erzählt, dafür gesorgt, daß man den Mangel beim Lesen vergißt, denn er zieht 779fr. mit der direkten Anrede an die Leser „glaubt mir" die persönliche Konsequenz: „Ich hätte mich ihrer bestimmt ebensowenig enthalten wie Agamemnon, so töricht wäre ich nicht gewesen." Und wenn er es auch nicht unmittelbar sagt, so müssen wir in seinem Sinne hinzudenken: „Auch ich hätte wie Agamemnon bei einem leblosen Gegenstande, der mit den ewigen Göttern nichts zu tun hat, bedenkenlos einen falschen Eid geleistet." Wer will, mag das wenig moralisch nennen, nur soll er sich vor Augen halten, daß er mit diesem Urteil dem Dichter nicht gerecht wird; ein matter Aufguß auf die würzigen Teeblätter der 'Ars' ist es jedenfalls nicht. Die gleiche lächelnde Frivolität spricht aus der direkten Anrede an Menelaos 773 ff.: „Du hast gar keinen Grund zur Klage, im Gegenteil, recht ist dir geschehen. Warum bist du ohne die Gattin weggereist, und noch dazu auf sehr lange Zeit (oder, wenn wir der Lesart laetus den Vorzug geben, ganz vergnügt)? Erst nachdem ein anderer sie hat, wird dir klar, was du gehabt hast." Wer kein Empfinden dafür hat, was die unheroisch gewordene und entgötterte Welt des Mythos dem einer Ubergangszeit angehörenden Dichter noch bedeuten konnte, der sollte ihn ebensowenig lesen wie die Erzählungen Voltaires. An einer anderen Stelle (45 8) nennt der Dichter Helena die oibalische (u. S. 88) Kebse. So kann man sie zweifellos nicht sehr gut bezeichnen, wenn man sich auch in anderer Weise an die berühmte Frivolität Goethes (Faust II 65 21 ff.) erinnert fühlt, aber warum tut er es? Will er die Phantasie des Lesers in eine falsche Richtung lenken? Er will Altes auf neue Weise erzählen, indem er es durch kleine raffiniert angebrachte Striche leise, aber deutlich umformt. Wenn er gesagt hätte, Oinone würde Paris bis in das hohe Alter behalten haben, wenn sie nicht vor Helena hätte weichen müssen, so wäre das nichts gewesen als die erneute Feststellung einer längst bekannten Tatsache. Wenn er aber sagt: „wenn ihr nicht von der Kebse Leid angetan worden wäre", indem er das Verbum laedere gebraucht, das „körperlich und seelisch verletzen" zugleich bedeuten kann, so kann und soll der Leser sich vorstellen, daß Paris beide Frauen gleichzeitig bei sich hatte und dadurch über den größeren Vorzügen der zweiten die Neigung für die erste vergaß und vielleicht mit Vergnügen zusah, wenn es zwischen den zwei Frauen zu schwierigen Szenen kam. Man darf nicht vergessen, daß das Rezept, zu dessen Illustrierung die Geschichte berührt wird, lautet (441): „Ich erteile die Weisung, daß ihr zu gleicher Zeit zwei oder noch besser, wenn ihr das leisten könnt, eine größere Zahl von Freundinnen habt." Wenn ihr das tut, lauft ihr nicht Gefahr, euch an eine tragisch zu verlieren. Ich sagte soeben, daß der Leser nach des Dichters Willen die Dinge nicht nur so ansehen kann, sondern auch soll. Das läßt sich ganz deutlich greifen, wenn es auch meines Wissens bisher nicht genügend beachtet worden ist. Der Dichter spricht hier nur von dem egoistischen Standpunkte des Mannes aus, der nicht danach fragt, wie sein Handeln seelisch auf die Frau wirken muß, die dazu bestimmt ist, verdrängt zu

Einführung

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werden. Das Motiv läßt sich tragisch und frivol lasziv gestalten. Wir brauchen nur an die schmerzlichen Überlegungen der alternden Deianeira in den Trachinierinnen des Sophokles zu denken, die sich angstvoll vorstellt, wie Herakles die schöne junge Kebse Iole in das Ehebett holen und wie es ihr selbst dann gehen wird. Nicht um einer tragischen, sondern um einer pikanten Wirkung willen malt Ovid mit den bewußt zweideutig gewählten Worten „sie wurde in einem Teil des Bettes aufgenommen" (456) eine Szene, die so klingen kann, als ob Kallirhoe gleichzeitig mit Alphesiboia in Alkmeons Bett gelegen habe, damit er sich von ihrer Überlegenheit überzeugen konnte. Das ist die Sehweise des modernen — ich meine das natürlich in dem Sinne, daß Ovid ein Kind seiner Zeit war und sein wollte — Dichters, der das ihm angeborene Talent an den und durch die hellenistischen Dichter geformt hat, vor deren Lektüre er scheinbar warnt. Wir würden den Dichter falsch beurteilen, wenn wir glaubten, daß er das ganze Werk auf diesen Ton gestimmt hat. Es gibt in dem Gedicht zwei kurze Szenen, die Vorläufer der großen, mehr episch stilisierten pathetischen Seelengemälde in den 'Metamorphosen' sind und zugleich daran erinnern, daß Ovid als elegischer Dichter in der früheren Liebesbriefsammlung 'Heroiden' die Möglichkeiten, die in der Seele einer liebenden Frau liegen, bis zum Letzten erforscht und künstlerisch gestaltet hat, die Kirke- (263—288) und die Phyllisszene (591—606). Auf beide müssen wir einen Blick werfen, um die weite Spanne zu ermessen, die sie von den bisher erwähnten trennt, und um zu sehen, wie der Dichter sich ausdrücken konnte, wenn er auf die Dinge nicht mit lässig spielender und raffinierter Frivolität zu blicken wünschte. Beide Szenen, die sich von allen anderen so stark unterscheiden und sich aus dem ganzen Gedicht herausheben, haben nichts Gemeinsames oder Vergleichbares. In der Phyllisszene ist der Mann, von dem die Entscheidung in dem Handeln des Mädchens abhängt, nicht anwesend. Sicherlich ist es aber kein Zufall, daß der Dichter sich auch in ihnen der direkten Anrede an die beiden Frauen bedient, an Kirke am Anfang (263) mit nachdrücklicher Wiederholung der Anrede Omnia fecisti (alles tatest du) am Beginn zweier aufeinander folgender Distichen (265 und 267) und an Phyllis am Ende (605)1, aber Zweck und Wirkung sind ganz verschieden von denen der Anreden an Chryses und Menelaos. In diesen Fällen ist es schadenfroher Spott über das törichte Verhalten der beiden Männer und ihr Mißgeschick, bei Kirke soll das Pathos der folgenden an Odysseus gerichteten Worte gesteigert werden: du mächtigste aller Zauberinnen, warst einem stärkeren Zauber verfallen, gegen den du machtlos warst und den du mit unwirksamen Mitteln zu bekämpfen versuchtest. Kirkes Worte sind von ihr als Anrede an Odysseus gemeint, werden aber, da er sich mit höchster dramatischer Kontrastwirkung völlig schweigend verhält und nur entscheidend handelt, fast zu einem ins Leere gerichteten Monolog. 1 Das ist übrigens, -wie beiläufig bemerkt sei, ein sicherer Beweis dafür, daß die in einigen jüngeren Handschriften erscheinende direkte Anrede an den Wald Non fksses (du hättest nicht zu weinen brauchen) nach der ersten an Phyllis im vorhergehenden Verse stilwidrig ist.

Heilmittel gegen die Liebe

8

Die einzigartige Prägnanz des die Liebestragödie eigentlich abschließenden Verses 285 „Sie war noch dabei zu sprechen, mit dem Lösen des Schiffes1 war Odysseus beschäftigt", vierzehn Worte statt der fünf lateinischen, läßt sich in keiner modernen Sprache zum Ausdruck bringen, wenn man nicht auf vollständige Sätze verzichtet. Es bleibt nur noch kurz zu sagen, daß sie Zweckwidriges tat und es mit unwirksamen Mitteln versuchte. In der Phyllisszene wird stärkste dramatische Wirkung mit ganz anderen Mitteln erreicht. Hier ist Ovid etwas gelungen, dem sich nur einige der in glühenden Farben gemalten leidenschaftlich bewegten mythologischen Szenen des Peter Paul Rubens an die Seite stellen lassen. Während des ganzen Vorganges wird nichts gesprochen, abgesehen von dem einen aus zwei Worten bestehenden, übrigens durch Kallimachos inspirierten, Aufschrei wilder Verzweiflung: „Treuloser Demophoon", dessen Wirkung so sehr dadurch gesteigert wird, daß er allein steht, und dem einen Wort Viderit, durch das sie ihm die Schuld gibt. Der ganze Rest ist Landschaftsdarstellung und dramatische Handlung in der Form der elegischen Erzählung, in der nur die für den entscheidenden Vorgang bedeutungsvollen Phasen hervorgehoben oder angedeutet werden. Daß Phyllis ihrem Leben durch Erhängen ein Ende macht, wird nur durch symbolische Handlungen ausgedrückt. Auch über ihren Seelenzustand wird direkt nichts ausgesagt. An die Stelle der Beschreibung tritt der Vergleich mit einer Mänade, die dem Gotte Dionysos orgiastisch dient. Man darf aber nicht überhören, daß der Dichter, um die dramatische Spannung nicht zu stark ins Tragische hinaufzusteigern, auch diese Szene am Anfang und Ende mit einen: Unterton leiser Frivolität untermalt hat; am Anfang, wenn er sagt: „Gewiß ist die Ursache ihres gewaltsamen Endes, sie war unbegleitet", so heißt das, in die Sprache des Gedichtes übersetzt: sie hätte sich, als sie sich verlassen glaubte, mit einem anderen trösten sollen; und am Ende, wenn er, sie mitleidig und vielleicht ganz leise spöttisch anredend, wünscht: „Ich wollte, du wärest damals nicht allein gewesen." Um das ernste Bild legt sich ein leichter Rahmen. Es gibt noch eine ganz anders stilisierte Stelle, die in ihrer Art nicht weniger ernst ist, obwohl der Dichter sich absichtlich eines leichten Tones bedient. Hier meint er es darum ernst, weil er seine eigene Sache verteidigt und sich mit Kritikern seiner Werke auseinandersetzt, die ihm nach seiner Meinung nicht Gerechtigkeit haben zuteil werden lassen. 357 kündigt er etwas Neues an: „Jetzt werde ich dir offen heraussagen, was ich anrate, wenn das Venuswerk schon mitten im Gange ist. Scham hält mich zurück, vieles davon auszusprechen, aber du wirst, was ich unterdrücke, leicht selbst von dir aus ergänzen." Dann unterbricht er sich mit den Worten (361): „Unlängst haben nämlich einige an meinen kleinen Büchern herumgepflückt, weil meine Muse nach ihrem Urteil zu frivol ist." Dann folgt die bis zum Ende des ersten Teiles (396)1 reichende Rechtfertigung. Er enthüllt in der Form eines 1

B s interessiert den Dichter nicht, daß Odysseus zu Kirke mit seinen Gefährten gekommen ist und daher mehr als ein Schiff hat. Ihm kommt es nur auf die menschliche Tragödie an. Daher darf man flauem nicht durch „Schiffe" übersetzen, wie Eberle es getan hat.

Einfuhrung

9

Exkurses einen der Hauptzwecke, der ihn zur Abfassung des Gedichtes veranlaßt hat. ®Wie weit ist er von einer Palinodie entfernt I Wenn er von „einigen" Kritikern oder besser Krittlern spricht, so wählt er ein Pronomen (quidam), das zeigt, daß er ganz bestimmte Personen meint, über die er nichts Näheres sagen will. Gegen Ende dieser Auseinandersetzung (391) verengert er das Ziel seiner Gegenangriffe, indem er vom Plural in den Singular hinüberwechselt: „Du bist zu voreilig; wenn ich am Leben bleibe, wirst du dich noch mehr über mich ärgern." Entweder wendet er sich gegen den Führer der ihn kritisierenden Gruppe, oder er hat diesen bisher unter dem Plural versteckt. Diese Gruppe oder dieser eine sind Dichter, denen der schnelle Erfolg und die Anerkennung, die Ovid fand, versagt blieben und die ihre Erfolglosigkeit dadurch zu verstecken suchten, daß sie sich mit dem Deckmantel moralischer Entrüstung umgaben, die allein schon deswegen übel angebracht ist, weil der Dichter nur mit Libertinen, nicht mit verheirateten Frauen zu tun haben will. Thais, nicht Andromache interessiert ihn. Nicht nur ihre Erfolglosigkeit suchen seine Gegner auf die Weise zu verdecken, sondern auch ihr geringes Können, wie er mit stolzer Verachtung sagt (394). Ihm macht diese Dichtungsweise Freude und verhilft ihm zu ständig wachsendem Ruhme, während sie sich noch am Fuße des Hügels oder Musenberges befinden und ihr Pferd (oder Pegasus) schon anfängt zu keuchen2. Im stolzen Gefühle des bisher auf dem Gebiete elegischer Dichtung Geleisteten wagt er sich die Stellung anzuweisen, die der des größten epischen Dichters Vergil entspricht8. Wenn er das offen erklärt, so ist es nicht nur eine Abrechnung mit dem Gegner, sondern bedeutet zugleich ein Bekenntnis: Mehr kann ich für die Dichtungsgattung der erotischen Elegie nicht leisten. Die 'Remedia' bedeuten also einen vorläufigen Abschluß, und daher gewinnt dieser sogenannte Exkurs für den Dichter und für den Leser zentrale Bedeutung. Dieses Bekenntnis muß zu derselben Zeit konzipiert worden sein, zu der er im fünfzehnten Gedicht des dritten Buches den Schlußstrich unter die Sammlung der Liebeselegien ('Amores') zog, nachdem er im ersten Gedicht dieses Buches bereits von dem künstlerischen Konflikt, den er innerlich durchkämpfen mußte, Zeugnis abgelegt hatte. Auch in den 'Remedia' spricht er es ganz deutlich aus, daß er sich in seinem Geiste mit vielen Gedichten trägt (392). Die beiden großen Werke, das epische der 'Metamorphosen' und das elegische der 'Fasti', beginnen sich zu kristallisieren. Mit keinem Worte deutet er dagegen darauf hin, daß er die bisher veröffentlichten erotischen Dichtungen mißbilligt oder gar verwirft. Dazu stimmt genau, was o.S. 4 über Vers 5 f. zu sagen war.

1

E s ist verständlich, aber nicht gerechtfertigt, daß eine große Zahl von Handschriften, nicht die ältesten und die •wirklich alte Vorlagen reproduzierenden Handschriften, hier ein zweites Buch beginnen lassen. Ovid selbst spricht im ersten Verse nur von dem vorliegenden libellus. Aber auch davon abgesehen, 399 setzt, ohne ein neues Proömium, nach einem verbindenden Distichon (397 f.) genau da an, w o der Dichter 358 abgebrochen hat. 2 E s wird deutlich, daß nur die alte, auch durch Hildebert bezeugte Lesart vesler equus dem Sinne gerecht wird; nosttr ist entweder die bekannte Verschreibung oder beruht auf Mißverständnis. 3 Über den Wortlaut des Verses 396 s. u. S. 87.

IO

Heilmittel gegen die Liebe

Bereits in dem vorhergehenden Teile wünscht Ovid den Leser an Vergil zu erinnern, auch wenn er ihn nicht nennt, und zu zeigen, daß er auf dem beschränkten Räume, den er in seinem einen Buche dafür aussparen kann, in einer-elegischen Dichtung etwas zu sagen vermag, was im Kleinen den Vergleich mit den Hirtengedichten Vergils und seinem Lehrgedicht über den Landbau nicht zu scheuen braucht. Der unglückliche Liebende soll sich dem Landleben widmen. Wenn er das mit Hingebung tut, wird er keine Zeit und Lust mehr haben, an seine Leidenschaft zu denken (i 69—212). Es ist nicht überraschend zu sehen, daß die Absicht, an Vergil zu erinnern, von einem Leser richtig verstanden wurde. Er machte in seinem Exemplar zu Vers 185 eine Anmerkung, in der er auf die 'Bücolica' hinwies. Die Folge war, daß das von Vergil 9, jo gebrauchte Wort taxos in den Text des ovidischen Verses eindrang und in einigen Handschriften das originale fumos (Rauchschwaden) offenbar in früher Zeit 1 verdrängte. Wenn man diesen Abschnitt über die Schönheiten und Vorzüge des Landlebens liest und sich an dem Wohlklang der Sprache und der Lieblichkeit der Bilder freut, so fühlt man sich leicht versucht, ihn isoliert auf sich wirken zu lassen und ästhetisch zu genießen. Das ist natürlich das gute Recht jedes Lesers, und der Dichter hat alles getan, um die Gedanken und Gefühle des Lesenden in diese Richtung zu lenken. Die Liebe zum Lande, die irgendwo auch im Herzen des überfeinertsten Großstadtrömers eine lebendig wirkende Kraft geblieben ist, wird hier in dem Dichter übermächtig und bricht durch. Er versenkt sich in hingebende und liebevolle Kleinmalerei und vergißt beinahe den eigentlichen Zweck, den er mit diesem Rate verfolgt, sonst würde er sich nicht immer wieder zu seinem Hauptgegenstand zurückrufen. In schneller Folge und buntem Wechsel reihen sich aneinander Landbau (169—174), Obstbaumzucht (175 — 176), die Wasserläufe (177), die grasenden Schafherden. (178), die Ziegen (179—180), der musizierende Hirt mit seinen Hunden (181 — 182), die um ihr verirrtes Kalb bangende Kuh (184), die Bienen (185—186), die Jahreszeiten und ihre Erträge (187—188), die Ernten (Trauben, Kräuter, Getreide: 189—192), Gartenbau und Bewässerung (193 — 194), das Pfropfen (195 — 196). Nach einem Hinweis auf die heilsame Wirkung dieses Tuns (197—198) folgen Jagd (199—204) mit erneuter Betonung der wohltätigen Folgen (gesunder Schlaf 205—206), Vogel- und Fischfang (207—210). Diese Bilderfolge schließt der Dichter mit der Bemerkung ab (211 bis 212): „Entweder durch diese oder durch andere Dinge, bis du das Lieben verlernst, mußt du dich selbst, ohne daß du es merkst, täuschen." Vielleicht sollen wir einmal das von ihm gewählte Verbum decipere im wörtlichsten Sinne nehmen und uns an das erinnern, was ich o. S. 4 über die Warnung vor den Dichtern und über Ovids Selbstverurteilung gesagt habe. Beides scheint im Einklang miteinander zu stehen: Was ich dir rate, ist gut und zweckmäßig, es wird dir auch über Manches hinweghelfen, aber du sollst dir darüber klar sein, es ist und bleibt doch nur eine Täuschung. Der Seelenarzt tritt mit dem Anspruch auf, daß er helfen und heilen 1 Diese Annahme wird durch die Handschrift P nahegelegt, die eine alte Vorlage wiedergibt. Ich habe das in einer im Jahre 1957 erschienenen Untersuchung gezeigt, vgl. u. S. 18 Anm. 1.

Einführung

II

kann, aber dem, der Ohren hat zu hören, läßt er keinen Zweifel, daß seine Kunst ihre Grenzen hat, wenn sie es mit einem übermächtigen Gegner zu tun hat. Darin liegt die unausgesprochene Warnung: Nimm mich nicht zu ernst. Da er als Arzt und als Dichter zu dem Leser spricht, stellt er sein Werk mit zweifachem Recht unter den Schutz Apollos (75 ff.) und erinnert an den Gott bei jeder passenden Gelegenheit. Er erinnert nicht nur an ihn, sondern redet ihn direkt an, indem er einige der in Götterhymnen üblichen Formeln anklingen läßt, mit denen die Taten eines G.ottes für die leidende Menschheit gepriesen werden. Dazu gehört auch die anaphorische Anrede „Dich" und „Du" am Anfang der Verse 7$ und 77. Hätte Ovid sich auf diese Äußerlichkeiten der Formelsprache beschränkt, so würde er nicht mehr zustande gebracht haben, als was jeder dichtende Laie mit einigem Bemühen auch geleistet hätte. Damit hätte ein hellenistischer und ein römischer Dichter, der sich nicht nur als Schüler der hellenistischen Dichter fühlt, sondern es ist, die Aufgabe, die er sich gestellt hat, nur unzulänglich erfüllt. Er hat auf den Bau des ganzen Proömiums1 große Sorgfalt verwendet und, um sich der Sprache der Architektur zu bedienen, eine dreiteilige Eingangshalle geschaffen, zu der der sehr kurze Epilog (811 — 814) in einem nicht sehr harmonisch wirkenden Gegensatz steht. Vielleicht ist er absichtlich so verfahren und hat gewollt, daß das Gedicht ohne längeres Nachwort für sich selbst spricht. Auch in den 'Metamorphosen', die fünfzehn Bücher umfassen, ist das persönliche Schlußwort im Verhältnis zu der Länge des Werkes sehr kurz. Den ersten Teil bildet das bereits charakterisierte Zwiegespräch mit Amor (1—40), den zweiten die Ankündigung des Themas und die Selbstvorstellung des Dichters zuerst (43) durch den Hinweis auf die vorausgehende 'Liebeskunst' und am Ende (71 f.) durch den Namen Naso. Der dritte, kürzeste Teil (75—78) enthält die ebenfalls schon besprochene Anrufung des heilenden Beschützers der Dichtkunst durch den die Rolle des Seelenarztes und öffentlichen Befreiers aus der Sklaverei (73 f., Überleitung vom zweiten zum dritten Teil) für sich fordernden Dichter. Auch hier wird man gut daran tun, den Ausdruck Publicus adsertor nicht zu ernst zu nehmen und sich vorzustellen, daß Ovid ihn, als er das Gedicht zum ersten Male vorlas und dadurch öffentlich bekannt machte, mit einem Lächeln leiser Skepsis ausgesprochen hat. Ich weise nur beiläufig darauf hin, daß dieser dritte Teil genauso lang oder vielmehr kurz ist wie der Epilog. In diesem wiederholt er im letzten Verse das entscheidende Verbum sanare (gesund machen) aus dem Proömium (43) und greift auch sonst noch auf eines der dort gebrauchten Bilder zurück. Er läßt nämlich in anderer Form den Vergleich mit dem Schiffer (70), der, wie er 577 f. ergänzend bemerkt, ohne einen zuverlässigen Steuermann ein unbekanntes Meer zu durchfahren hat, noch einmal anklingen und bittet um Bekränzung des müden Schiffes, das er sicher in den Hafen gebracht hat. Ich komme darauf in den Erläuterungen zu 811 —814 zurück. Ein Dichtwerk, das sich den Anschein gibt, einem bestimmten praktischen Zwecke zu dienen, und ein Lehrgedicht sein will, läßt sich nicht ohne gelehrte Studien ge1

Vgl. jetzt auch U. Fleischer, Antike und Abendland 6 (1957) 58.

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Heilmittel gegen die Liebe

stalten. Die Beschaffung des zu verarbeitenden Materials 'hat mit' einer künstlerischen Formung sehr wenig zu tun. Es ist längst gesehen worden, daß Ovid sich nicht damit begnügt hat, seine eigenen Erfahrungen auf dem unerschöpflichen Gebiete der Beziehungen zwischen den beiden Geschlechtern und die sich in Rom in Fülle darbietenden Beobachtungen an anderen als einzige Quelle zugrundezulegen und mit mythologischen Beispielen zu verbrämen. Es wäre eine Sünde wider den Geist seines großen hellenistischen Lehrers Kallimachos'gewesen. Ein Österreichischer Gelehrter hat vor rund fünfzig Jahren über diesen Aspekt der 'Remedia' dasBedeutendste gesagt, was in unserem Jahrhundert über sie überhaupt ermittelt worden ist1, denn die sachliche Würdigung, die Hermann Frankel ihnen in seinem Buche über Ovid hat zuteil werden lassen2, und die geistvoll witzige Behandlung durch den englischen Gelehrten L. P. Wilkinson3 lassen sich mit Prinz' eindringenden Einzeluntersuchungen nicht vergleichen4, und von den kurzen zusammenfassenden Bemerkungen in Handbüchern und Literaturgeschichten sehe ich hier füglich ab. Prinz hat eingehend nachgewiesen, wieviel Ovid im einzelnen Catull, Vergil, Horaz, Tibull und Properz verdankt und wie er das übernommen und umgeformt hat, was er für'seinen Zweck gebrauchen konnte. Er hat sich auch nicht gescheut, auf seine eigenen erotischen Dichtungen zurückzugreifen, und dort Gesagtes noch einmal zu sagen oder zu variieren. Es ist gut und wichtig, daß wir diese Quellen kennen und nachweisen können, aus denen er sich Anregung geholt hat, aber entscheidend ist es nicht. Ich habe schon einmal betont, daß es nicht so sehr darauf ankommt, was er sagt, sondern darauf, wie er es sagt. Das bleibt sein persönliches Eigentum. Prinz hat sicherlich recht, wenn er die o. S. j f . gewürdigte Kirkeszene auf das Didobuch in Vergils 'Aeneis' zurückführt, aber was sie durch Ovid geworden ist, habe ich versucht zu zeigen. Auch das hat Prinz richtig betont, daß Ovid auf das Lehrgedicht des Lukrez 'Uber die Natur der Dinge' zurückgegriffen hat. Durch Ciceros Bemühungen um das nachgelassene Werk war Lukrez bereits in Ovids Zeit zu einem verehrungswürdigen Klassiker geworden. Um dem Leser den Vergleich zu erleichtern, gebe ich anschließend S. 13 f. die vor allen anderen in Betracht kommenden Stellen aus Lukrez in deutscher Ubersetzung wieder®. Es ist eine bis heute nicht entschiedene und mit unseren Mitteln vielleicht nicht endgültig zu entscheidende Streitfrage geblieben, ob Ovid auch die seelentherapeutische Literatur der Griechen, besonders das Werk des stoischen Philosophen Chrysippos, im Original gelesen oder ob er sich mit den Niederschlägen begnügt hat, die __

1

Karl Prinz, Untersuchungen zu Ovids Remedia amoris, Wiener Studien }6 (1914) 36—83 und

J9 (1917) 9*—:»«• 259—290.

.

.

Hermann Frankel, Ovid. A Poet Between Two Worlds,Berkeley and Los Angeles 1945,67—72. 3 L. P. Wilkinson, Ovid Recalled, Cambridge .1955, 135—143. 1 Das gilt auch für die Gesamtwürdigung durch Salvatore D'Elia, Ovidio, Napoli 1959, 216 ff.; über die Med. fac. 214 f. • '' ' 8 Die Stellen aus Vergil und den anderen obengenannten Dichten? sind z. T. in den Erläuterungen herangezogen worden; für andere verweise ich auf meine u..S. 17 genannte Ausgabe. 8

Einführung

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es in den in Rom beliebten und weit verbreiteten Trostbüchern ('Consolationes') fand. Max Pohlenz hat die schlagenden Übereinstimmungen zwischen Ovid und Ciceros 'Tusculanae disputationes' (Gespräche in Tusculum) 4 , 7 4 f. — ich gebe auch diese Stelle u. S. 14L in Übersetzung wieder — auf Chrysippos' 'Therapeutikos' als gemeinsame Quelle zurückgeführt 1 , während Prinz, nicht in allem überzeugend, widersprochen hat. Daß sich im zweiten Teile, besonders gegen Ende, die straffe Komposition des ersten zuweilen bedenklich lockert und der Dichter sich Wiederholungen erlaubt hat, die wir als unnötig zu empfinden geneigt sind, habe ich u. S. 79 f. in den Erläuterungen zu den Versen 49—70 erwähnt. In diesen Fällen kann man sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, daß der Dichter sich nicht die erforderliche Zeit und Ruhe zur Ausarbeitung genommen hat, um schneller fertig zu werden.

BEIGABEN L u k r e z 4, 1052—1072 (zu vergleichen mit Remedia 441 ff., 81 f., 91 f.) Wem nun der Venus Geschosse im Herzen die Wunde geschlagen, mag ihn ein Knabe treffen, dessen Glieder denen des Weibes gleichen, oder ein Weib, das aus seinem ganzen Leibe der Liebe Ströme entsendet, l055 den zieht es hin zu dem, der ihn verwundet, und er verlangt nach enger Vereinigung, und er wünscht aus seinem Leibe das Feuchte mit starkem Druck in den Leib des anderen zu senken, denn das stumme Begehren verheißt ihm lustvolle Wonne. Dies ist Venus für uns, daher stammt der Name des Amor, daher drang zum ersten Male ins HerzIMOder süße Tropfen der Venus, ihm folgte erkältende Sorge. Denn mag auch fern sein, dem deine Liebe gilt, so sind doch seine Bilder dir gegenwärtig, und des Namens Klang tönt süß dir im Ohre. Aber das richtige ist, die Bilder zu verscheuchen und entschlossen von sich zu weisen, was die Liebe nährend fördert, und den Verstand auf anderes zu lenken, l065 die angesammelte Feuchtigkeit in beliebige andere Leiber zu senken und nicht, durch eine Liebe gebannt, zurückzuhalten und für sich dadurch nur Sorge und sicheren Schmerz aufzusparen; denn nährst du das Geschwür, so gewinnt es an Stärke durch Säumen, von Tag zu Tag nimmt das Rasen zu, und ärger wird die Pein, 10,0 wenn du nicht auf die erste Wunde durch neue Eingriffe einwirkst und nicht zuvor für sie Heilung suchst in wahlloser Liebe, die auf der Straße du findest, oder der Seele Bewegungen nicht in andere Richtung hinüberzulenken vermagst. L u k r e z 4, 1 1 4 1 — 1 1 9 1 (zu vergleichen mit Remedia 311—330 und 351—356) Dies sind die Leiden, die seitat in wahrhaft und grenzenlos glücklicher Liebe sich finden, doch ist sie unglücklich und ausweglos, so kannst du die Leiden greifen, auch wenn in die Augen kein Licht fällt, nicht zu zählen sind sie; besser ist es daher, im voraus wachsam zu sein, ll45 wie ich es gelehrt, und dich vor Verlockung zu hüten. Denn den Weg zu vermeiden, der uns in die Schlingen der Liebe geraten läßt, ist nicht so schwer, wie, einmal im Netze verfangen, den Ausweg zu finden und die stark geknoteten Bande der Venus zu sprengen. Und doch kannst du, selbst verstrickt und an freier Bewegung der Füße gehindert, U50dem Feinde entrinnen, wenn du dir nicht selbst hindernd im Weg 1

M. Pohlenz, De Ovidi carminibus amatoriis, Universitätsprogramm Göttingen 1913, 20 Anm. 3 (im folgenden zitiert: Programm). Zum besseren Verständnis seiner knappen Bemerkungen verweise ich auf seine Untersuchung: Das dritte und vierte Buch der Tusculanen, Hermes 41 ((906) 321—353.

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Heilmittel gegen die Liebe

stehst und hinweggehst über alle Fehler der Seele oder dann auch des Leibes derer, die du begehrst und dir zu eigen -wünschest. Denn so machen es die Menschen fast immer, blind vor Begierde, und schreiben ihnen Vorzüge zu, die in Wirklichkeit s'ie nicht haben. U55 Daher sehen wir häufig, daß mißgestaltete und häßlich anzusehende Mädchen Entzücken erregen und sich im Glänze hoher Ehren sonnen. Dann lachen über die einen die anderen und raten zur Versöhnung der Venus, da sie mit schimpflicher Liebe geschlagen seien, und die armen Toren beachten oft nicht, wie ganz schlimm es mitihnfcn selbst steht. 1160 Istsie schwarz, so nennt er sie honigfarben; die Unsaubere und Schmutzige heißt schlicht; hat sie blaugraue Augen, so ist sie ein Abbild der Pallas; die Sehnige und Hölzerne heißt Gazelle. Ist winzig wie ein Zwerg sie, so nennt man sie eine der Chariten, einen Inbegriff witzigen Geistes; ist sie groß oder gar riesig, so hat sie erstaunliche Würde; stammelt sie und kann nicht richtig sprechen, so stößt sie leise mit der Zunge an; ist sie stumm, so heißt sie verschämt. ll66 Die vom verzehrenden Feuer der Leidenschaft Erfüllte, Gehässige, Schwatzhafte hat den milden Glanz einer Leuchte. Zum zarten Liebling wird sie, wenn sie vor Schwund nicht leben kann; gertenhaft schlank ist sie, wenn sie am Husten fast schon gestorben. Aber die Üppige und die mit zu vollem Busen ist die Iacchus säugende Ceres. Stumpfnasig heißt sie weiblicher Silen und Satyr, mit aufgeworfenen Lippen Kußmund. 1170 Was sonst noch von dieser Art, es führte zu weit, wollt' ich versuchen, davon zu sprechen. Aber nehmen wir einmal an, es gebe ein Mädchen mit unermeßbar schönem Gesichte, und allen seinen Gliedern entströme der Venus Gewalt, so wisse, es gibt auch noch andre, und wir haben bisher auch ohne sie gelebt. Sie tut, wir wissen es, genau dasselbe, wie es jede Häßliche auch tut. u 7 s Sie räuchert sich erbärmlich mit widrig duftenden Spezereien, und schon von ferne meiden ihre Mägde sie und kichern verstohlen darüber. Doch tränenüberströmt bedeckt der ausgesperrte Liebhaber die Türschwelle oft mit Blumen und Kranzgewinden, und netzt die Pfosten der Stolzen mit Majoransalbe und küßt inbrünstig die Flügel der Tür, der Arme. 1IS0 Ist er aber einmal eingelassen und schlägt ihm bei seinem Eintritt auch nur ein Dufthauch entgegen, so mag er wohl nac h Vorwänden suchen, um mit Anstand sich wieder zu entfernen, und sein lange überlegtes, den Tiefen der Brust entströmtes Klagelied mag nutzlos vertan sein, und er mag sich dort ^feihen der Torheit, denn er erkennt, daß er ihr mehr des Wertes beigemessen hat als einem Sterblichen einzuräumen geziemend ist. 1185 Dies ist unseren Liebesgöttinnen nicht unbekannt: so kommt es, daß sie mit Fleiß ihr Tun hinter dem Schauplatz vor den Männern verbergen, die zu halten sie wünschen, gekettet an sie in der Liebe. Nichtiges Tun, denn dein Geist befähigt dich, alles ans Licht zu ziehen und allen Lächerlichkeiten auf die Spur zu kommen, U90 und wenn sie, davon abgesehen, angenehmen Gemütes ist und dich durch ihr Wesen nicht abstößt, so magst du wiederum über Menschlichkeiten hinwegsehen und ihnen Zugeständnisse machen. Es ist amüsant zu sehen, mit welcher leichten Geschicklichkeit Ovid die Euphemismen, mit denen bei Lukrez die blinden Liebhaber ihre mit Mängeln behafteten Mädchen ausstatten, seinem Zwecke entsprechend umdreht und die Vorzüge in Fehler verwandelt. Man soll sich auch darüber Rechenschaft ablegen, daß Lukrez durch seine Schlußwendung die ganze von Bitterkeit nicht freie Satire plötzlich in eine höhere Sphäre hebt, wenn er Menschliches menschlich sieht. Dieser versöhnende Ausklang findet sich bei Ovid nicht. Wie hätte er ihn, selbst wenn er Lukrez' Gefühl teilte, in diesem Gedicht verwenden können? C i c e r o , T u s c u l a n a e disputation.es ( G e s p r ä c h e in T u s c u l u m ) 4, 74 f . Das von Cicero nach Chrysippos zusammenhängend Vorgetragene ist bei Ovid über das ganze Gedicht so verteilt, daß folgende Stellen zum Vergleich heranzuziehen sind: 299 ff. (Geringfügigkeit), 401 ff. (Leichtigkeit der Abhilfe auf anderem Wege), 13 5 ff. und 5 5 9 ff. (Ablenkung auf andere Tätigkeiten), 213 ff. (Ortswechsel), 441 ff. (neue Liebesaffäre).

Einfühlung

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Wer also davon (von den Liebesqualen) gequält ist, muß sich der Anwendung des folgenden Heilungsverfahrens unterziehen. Man muß ihm klar vor Augen führen, wie geringfügig, wie verächtlich, ja wie nichtig gerade der Gegenstand seines Begehrens ist; er muß erkennen, wie leicht er auf. anderem Wege oder auf andere Weise an das Ziel seiner Wünsche gelangen kann oder daß er sie überhaupt nicht zu beachten braucht. Zuweilen muß man ihn auch ablenken auf andere Interessen, Betätigungen, die ihn ganz in Anspruch nehmen, Angelegenheiten, denen er seine ganze Fürsorge zuzuwenden hat, und Tätigkeiten, denen er seine ganze Zeit widmen muß; endlich muß der ihn Behandelnde oft für Ortswechsel sorgen wie bei einem Kranken, der seine volle Gesundheit sonst nicht wiedererlangt. (7$) Manche raten auch an, die alte Liebe durch eine neue, wie einen Nagel durch einen anderen, auszutreiben. Besonders wichtig ist aber, daß man ihn warnend auf die verhängnisvolle Stärke der Liebesraserei hinweist; denn unter allen Störungen des seelischen Gleichgewichtes gibt es wirklich keine, die heftiger wäre. Denn es ist und bleibt wahr: selbst wenn wir von Anklagen gegen gewisse Dinge absehen wollen und sie beiseite lassen — ich meine Unzucht jeder Art, Verfuhrung, Ehebruch und schamlose Akte (alles dieses verdient wegen seiner Gemeinheit die schwersten Anklagen) —, so ist schon an sich jede Störung des Verstandes in der Liebe schimpflich.

ÜBERLIEFERUNG UND AUSGABEN Bis heute ist weder die Textgeschichte der 'Remedia' systematisch erforscht noch ist das Buch über die Geschichte der Ovidausgaben seit der Renaissance geschrieben worden, obwohl wir beides dringend brauchen. Die erste Ausgabe der Werke wurde von Francesco Puteolano aus Parma besorgt und von Balthasar Azzoguidi im Jahre 1471 in Bologna gedruckt. Sie enthält außer den zweifellos authentischen Gedichten auch Zweifelhaftes und Unechtes, darunter das mittelalterliche ebenso witzige wie indezente Gedicht 'De pulice' (Der Floh), eine der glänzendsten Pornographien in lateinischer Sprache, die sich vom Mittelalter bis in die Zeit des Humanismus ungewöhnlich großer Beliebtheit erfreute1. Die Ausgabe (ß), von der nur sehr wenige Exemplare ganz unbeschädigt erhalten geblieben sind, steht einer Renaissancehandschrift der Vaticanischen Bibliothek, dem Urbinas lat. 347, so nahe, daß man in ihr sogar die Drückvorlage hat erkennen wollen. Diese Annahme, an deren Richtigkeit ich nach vergleichender Prüfung des Textes verschiedener Dichtungen gezweifelt habe, läßt sich schwerlich aufrechterhalten, nachdem jetzt mindestens zwei andere Handschriften, ein Harleianus im Britischen Museum (H) und ein Oxoniensis (O), als Angehörige derselben Gruppe bekannt geworden sind; zu ihnen treten noch, wenn auch mehr sporadisch, mehrere andere Handschriften des 15. Jahrhunderts. Sie lassen alle die Spuren der Beschäftigung eines oder mehrerer Renaissancegelehrter mit dem Text des Gedichtes erkennen. Der nicht zu identifizierende Redaktor, der auf Grund dieser Bemühungen einen Text herstellte, war bestrebt, einen möglichst geglätteten und lesbaren Text zu bieten. Dabei scheute er sich nicht, gelegentlich bei Vorgängern im 13. Jahrhundert Anleihen zu machen. Wenn man bedenkt, wie 1

Der Text, der fast völlig unzugänglich geworden war, und die bisher kaum bekannte Überlieferung sind jetzt kritisch und exegetisch behandelt von F. W. Lenz, De Pulice Libellus, Maia N.S Fase. IV, 14 (1962), 299—}}j.

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Heilmittel gegen die Liebe

skrupellos der Ovidtext im 13. Jahrhundert umgestaltet wurde, so ist man nicht überrascht zu erkennen, daß vieles von dem, was man bisher den Renaissancegelehrten zuschreiben wollte, in Wirklichkeit rund zwei Jahrhunderte älter ist und in manchen Fällen auf noch viel frühere Zeit zurückgeht. Auch die 1477 in Parma erschienene Ausgabe ist eine charakteristische Vertreterin dieser Textform. Ich habe im kritischen Apparat gelegentlich auf diese Zusammenhänge aufmerksam gemacht. Von dieser Renaissancegruppe, die ich kurz Ren. genannt habe, darf der moderne Textkritiker nie ausgehen, sondern darf sie nur zu Kontrollzwecken verwerten. Die zweite Gesamtausgabe (p) erschien in Rom kurz nach der ersten (1471/72). Für sie ist Johannes Andreas, Bischof von Aleria, verantwortlich. Sie ist dem Papst Paul II. gewidmet. Gedruckt ist sie von Pannartz und Sweynsheim, den bekannten Schülern Gutenbergs. Als eine ihrer Quellen glaube ich die Handschrift 36, 2 der Laurenziana in Florenz (15. Jahrhundert) erkannt zu haben. Gewisse drucktechnische Einzelheiten im Texte der 'Amores' machen den Schluß, der unsicher bleibt, wenn man ihn nur aus den Lesarten zieht, unabweisbar1. Da die Geschichte der von der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert für den Text und die Erklärung der 'Remedia' geleisteten Arbeit nicht gut von der Geschichte der gesamten gelehrten Beschäftigung mit Ovid isoliert werden kann, ist es ratsamer, darauf in einem der Bände einzugehen, der eine der großen Dichtungen Ovids enthalten wird. Hier genügt es, einige der Namen zu nennen, deren Trägern wir für immer bewundernd verpflichtet bleiben, auch wenn wir im einzelnen mit ihnen nicht in allen Fällen übereinstimmen: Ciofano, Poliziano undNavagero, Moltzer (Micyllus), Muret und Scaliger, D. und N. Heinsius, der unerreichte und unerreichbare Höhepunkt der gesamten Ovidforschung, Burman, Bentley, Madvig, Merkel, Riese, Magnus, Ehwald, Housman, Owen und Slater. Damit ist das erste Drittel des 20. Jahrhunderts erreicht. Den ersten ernstlichen Versuch einer neuen kritischen Grundlegung des Textes der Liebesgedichte hat zu Beginn des Jahrhunderts S. Tafel in seiner Dissertation unternommen, die sich weit über das Durchschnittsniveau heraushebt2, obwohl sie durch die Wiederentdeckung der Handschrift Y (s.u. S. 18 f.) starker Modifizierung bedarf. Sein Tod im ersten Weltkrieg verhinderte den Ausbau und die Vertiefung der erreichten Ergebnisse. Das von ihm verarbeitete Material und viele seiner Erkenntnisse behalten ihren Wert, obwohl heute kaum jemand mehr an die Richtigkeit einer seiner Hauptthesen glaubt. Er versuchte nämlich zu zeigen, daß die älteste erhaltene Handschrift der 'Ars' und 'Remedia', der Regius 7311 der Pariser Nationalbibliothek (R), der dem 9. Jahrhundert angehört und in karolingischer Minuskel geschrieben ist, aus einer alten Vorlage kopiert ist, die sich in Spanien aus dem Alter1 F. W. Lenz, Parerga Ovidiana, Rendiconti Accademia dei Lincei, C1 d. sc. morali, storiche e filo logiche, ser. 6, vol. 13 (1937), fasc. 5—10 (Rom 1938), über diese Frage S. 370—385. 2 Die Überlieferungsgeschichte von Ovids Carolina amatoria. Verfolgt bis zum 1 1 . Jahrhundert, Diss. München 1909 (Tübingen 1910).

Einführung

tum gerettet hatte und dann, noch einmal abgeschrieben, dadurch auch indirekt zum Stammvater des Vulgattextes wurde. Dieser wird für uns durch eine große Zahl von Handschriften des 13.—15. Jahrhunderts repräsentiert, von denen viele sich zu Sondergruppen zusammenfassen lassen. Neben ihnen steht, zwar getrennt, aber von ihren charakteristischen Eigentümlichkeiten nicht frei und daher mit Vorsicht zu gebrauchen, die Handschrift des 11. Jahrhunderts 150, früher B. 1.6.5, des Eton College (E). Aus dem von Tafel für eine Ausgabe der Liebesdichtungen zusammengetragenen noch ganz unfertigen Material stellte sein Lehrer F. Vollmer einen sehr unvollständigen und provisorischen, von Irrtümern nicht freien (vgl. z. B. Erl. zu 396) kritischen Apparat zu den 'Remedia' zusammen, ergänzte ihn in sehr unsystematischer Weise, soweit es bei der Abschnürung Deutschlands durch den Krieg möglich war, und fügte sehr nützliche kritisch-exegetische Anmerkungen hinzu1. Seitdem ist nur einmal2 von H. Bornecque im Jahre 1930 der Versuch einer kritischen Ausgabe gemacht worden3. Der Text befriedigt nicht gleichmäßig, die französische Übersetzung ist nützlich und gut zu lesen, die erklärenden, fast nur auf Sachliches und Mythologisches beschränkten Anmerkungen sind trotz ihrer Knappheit förderlich, der kritische Apparat ist ganz unzulänglich und leider nicht frei von Fehlern. Nicht einmal ein Ansatz, das reiche Material der Pariser Nationalbibliothek aufzuarbeiten oder wenigstens zu sichten, um von anderen Bibliotheken zu schweigen, ist gemacht worden. So hat er sich, um nur ein Beispiel zu geben, die sogleich zu erwähnende Handschrift P entgehen lassen. Populäre Ausgaben, die seit dem ersten Weltkrieg erschienen sind, und Ausgaben, deren wissenschaftliche Fundierung für den Durchschnittsleser nicht zu erkennen ist, zähle ich nicht auf. Dagegen ist auf zwei wissenschaftliche Ausgaben der letzten Jahre hinzuweisen. Die eine stammt von E. J. Kenney und ist 1961 4 in der Sammlung 'Oxford Classical Texts' erschienen. Sie enthält die 'Amores', 'Medicamina', 'Ars' und 'Remedia'. Die andere stammt von mir und ist, obwohl sie im wesentlichen bereits vor Kenney's Ausgabe abgeschlossen war, erst 1965 im 'Corpus Scriptorum Latinorum Paravianum' erschienen, weil die Resultate der Prüfung der 1964 wiederentdeckten Handschrift Berlin Hamilton 471 (Y,s.u. S. 18 f.) einzuarbeiten waren. Auf diesen beiden Ausgaben beruht die hier in zweiter Auflage vorliegende Ausgabe. Der lateinische Text der Liebesgedichte Ovids ist der karolingischen Zeit in einem Zustande bekannt geworden, den man gelinde gesagt als nicht gut bezeichnen muß. Einer der besten Kenner römischer Dichtung und zugleich einer der scharfsinnigsten Handschriftenbeurteiler und Textkritiker, zugleich der erklärte Gegner deutscher Ovidforscher — nicht anders steht er zu deutschen Juvenal- und Lucanforschern —, 1

F. Vollmer, Kritischer Apparat zu Ovids Remedia, Hermes 52 (1917) 453—469. Die Ausgabe des ungarischen Gelehrten G. Némethy (Budapest 1921) ist unkritisch und beschränkt sich auf nützliche, aber von Trivialitäten nicht immer.freie Sacherklärung in lateinischer Sprache. 3 Les Remèdes à l'amour, éd. et trad. par H. Bornecque, Paris 1930 (Collection Budé). 4 In verbesserter Form 1965. 2

2 Lenz: Orid, Heilmittel

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Heilmittel gegen die Liebe

der im Jahre 1936 verstorbene Cambridger Professor und lyrische Dichter A. E. Housman, hat über die Verfassung des Textes ein resigniert vernichtendes Urteil offen ausgesprochen und sich dadurch abhalten lassen, sich an die Gestaltung eines Textes zu wagen. Wenn ein dem Dichter kongenialer Kritiker wie N. Heinsius, dessen Verstandesschärfe ebenso groß ist wie seine Intuitionskraft — es hat damit nichts zu tun, daß er sich häufig zu unnötigen Vermutungen verleiten läßt, — eine bestimmte Handschrift als „praestantissimus" (besonders hochstehend) bezeichnet, so hätte das eigentlich ausreichen sollen, die Herausgeber des 19. und 20. Jahrhunderts zur Wiederidentifizierung und Untersuchung der Handschrift aufzufordern. Die Kennzeichnung als „Puteaneus" (nach dem humanistischen Sammler Claude Du Puits) wäre ein sicherer Wegweiser gewesen. Es handelt sich um den Parisinus lat. 8460 der Nationalbibliothek (P), eine Pergamenthandschrift, deren Remediatext zwar erst dem frühen ij. Jahrhundert angehört und seine Spuren erkennen läßt, die aber neben R und dem, wie o. S. 17 gesagt ist, ganz andersartigen E einer der wichtigsten Textzeugen ist, denn sie beruht auf zwei alten Vorlagen, die neben die Vorlage von R und neben die alte Handschrift zu stellen sind, aus denen E und der Vulgattext abzuleiten sind; zwei Vorlagen deswegen, weil der Schreiber von P, der zugleich erster Korrektor war, und die zweite verbessernde und glossierende Hand Handschriften zu Rate gezogen haben, die auf verschiedene alte Exemplare zurückgeführt werden müssen1. Dieses bisher gültige Bild wird ganz wesentlich bereichert durch die Wiederentdeckung der Handschrift Berlin Hamilton 471, die ich mit ihrem Entdecker H. Boese und F. Munari Y nenne2. Die Sammlung des Herzogs Alexander von Hamilton wurde 1882 von der Preußischen Regierung in London erworben und der Königlichen Bibliothek in Berlin überwiesen. In dem fast völlig verschwundenen Versteigerungskatalog wird die Ovidhandschrift 471, die auf 69 Blättern die 'Ars', 'Remedia' und 'Amores' enthält, aus unerklärlichen Gründen dem 14. Jahrhundert zugeschrieben. Daher blieb sie über 80 Jahre unbeachtet. Bei einer Neukatalogisierung der Sammlung, stellte Helmut Boese sofort fest, daß die Handschrift spätestens dem 11. Jahrhundert angehört. Vielleicht ist sie noch älter. Es ist vorläufig ungeklärt, wo und wie der Herzog von Hamilton sie erworben hat. Sie ist italienischen Ursprungs. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und auch noch später war die Handschrift in Neapel, denn der Humanist und Staatsmann Giov. Pontano hat sie gehabt und viele

1

Für die Einzelheiten vgl. F . W . Lenz, Der Praestantissimus Puteaneus der Remedia Ovids, Studi.

Italiani di filologia classica 29 (1957) 1—30, und ein paar modifizierende Bemerkungen by E . J . Kenney, ebd. jo (1958) 1 7 2 — 1 7 4 . 8

FrancoMunari, II Codice Hamilton 471 di Ovidio (Note eDiscussioni Erudite a cura di Augusto

Campana) 9, Roma 1965, Edizioni di Storia e Letteratura; vgl. G . Perl, Qvids Amores im Codex Berolinensis Hamilton 471 (Y), Philologus n o (1966), 268-276; weiterhin H. Boese, Die lateinischen Handschriften der Sammlung Hamilton zu Berlin, Wiesbaden 1966.

Einfuhrung

Eintragungen gemacht, wie Augusto Campana in Rom (Vaticanische Bibliothek) und der unlängst verstorbene B. L. Ullman, früher in Chapel Hill, North Carolina, gesehen haben, vgl. Anhang 1 in Munaris Buch S. 73 ff. Y ist ein primärer Textzeuge und steht R, E und P an Wert mindestens gleich. Er ist von keinem abhängig, ebenso wenig wie sie von ihm, aber er ist mit allen verwandt, und zwar so, daß die Verwandtschaft sich nicht durch ein Stemma illustrieren läßt. Von Anfang an bis ins 15., vielleicht 16. Jahrhundert haben Korrektoren und Verschlechterer an Y gearbeitet. Ihre Bemerkungen werden hier in der Regel als Y c zusammengefaßt, nur in einzelnen Fällen ist genauer geschieden. Da ich Y nicht im Original sehen und die verschiedenen Tinten prüfen konnte, hat Dr. G. Perl vom Institut für griechisch-römische Altertumskunde bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin mit nie ermüdender Bereitwilligkeit und Hingabe jede meiner Fragen beantwortet und meine Zweifel geklärt. Es ist eine Freude für mich, ihm an dieser Stelle zu danken. Besondere Aufmerksamkeit hat er den Stellen zugewendet, an denen meine Kollation mit der Munaris in dem oben erwähnten Buch nicht übereinstimmt. Ich bin derselben Meinung wie Munari, daß die Bedeutung von Y durch die ersten Prüfungen noch längst nicht erschöpfend herausgestellt ist, und hoffe, daß es allmählich gelingen wird, das eine oder andere der vielen Rätsel — auf eines habe ich in der Einführung in die zweisprachige Ausgabe der 'Ars' hingewiesen — die die Handschrift uns aufgibt, zu lösen. Ob es möglich sein wird, auch die vorkarolingische Geschichte des Textes der drei Dichtungen in helleres Licht zu rücken, läßt sich heute noch nicht übersehen. Die alte Vorlage des Regius ist mindestens einmal ausgeschrieben worden, denn es gibt in der Pariser Nationalbibliothek eine Florilegienhandschrift des io./ii. Jahrhunderts (T = Parisinus lat. 8069)1, die 38 Verse der 'Remedia' enthält und sich zu R so verhält, daß sie ihn nicht voraussetzt, sondern auf die gleiche Vorlage weist. 1 Jüngere Florilegienhandschriften des 13. Jahrhunderts bringen dem Texte wenig Gewinn, obwohl sich selbst in ihnen der durch R und Y repräsentierte Text stellenweise nachweisen läßt. Auch die Zitate in den Werken des Vincenz von Beauvais (Mitte des 13. Jahrhunderts) sind unergiebig. Er hat anscheinend neben einer vollständigen Handschrift ein Florilegium benutzt. Die spärlichen Zitate oder Anspielungen in mittelalterlicher Literatur ergeben, mit der einen S. 9 Anm. 2 erwähnten Ausnahme Hildeberts, für den Text nichts Wesentliches, nur 524 wird in den 'Carmina Burana' mit einer Wortstellung angeführt, die ich bisher in keiner Handschrift gefunden habe. Für das Compendium des padovanischen Humanisten Geremia da Montagnone, der zuerst im 14. Jahrhundert Kenntnis der 'Remedia' zeigt, ist die Frage nach dem benutzten Texte noch ungeklärt, und solange es keine moderne kritische Ausgabe des Compendiums gibt, läßt sich kaum zu einer sicheren Entscheidung kommen. Die handschriftliche Überlieferung des Compendiums ist deswegen nicht ganz einfach, weil der Bestand in den Handschriften schwankt und die Frage, ob es sich um Auslassungen oder authentische oder fremde Zusätze handelt, nur durch eine systematische Prüfung beantwortet werden kann. Aus dem pseudo-ovidischen mittelalterlichen Gedicht 'De remedio amoris' ist für den Text nichts zu gewinnen; vgl. meine vorläufigen Ausführungen in K. Langoschs Mittellateinischem Jahrbuch 2, 1965 (Selbstverlag) S. 131-144. Eine kritische Ausgabe mit umfassenden handschriftlichen Untersuchungen wird von Dr. Erich Thiel in Darmstadt vorbereitet.

2*

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Heilmittel gegen die Liebe

Nachdem Tafeis spanische Hypothese heutzutage fast einstimmig für unbeweisbar und unwahrscheinlich erklärt worden ist, muß die Frage von neuem gestellt werden, wo das Exemplar, das dann, wie gesagt, mehrfach kopiert wurde, zu suchen ist, mit anderen Worten, wem wir die Erhaltung der 'Ars', der 'Remedia' und, da der jetzt verstümmelte Regius R ursprünglich auch die 'Amores' enthielt, und Y sie ohne die Verluste des alten Puteaneus (Parisinus latinus 8242) vollständig enthält, auch dieser Liebeselegien zu verdanken haben. Diese Frage läßt sich nicht mit Sicherheit beantworten, aber mir scheint jetzt, daß gewisse Schreibversehen in R sich am leichtesten erklären lassen, wenn wir eine Vorlage voraussetzen, die in der beneventanischen Schrift des Klosters Monte Cassino, natürlich ohne Worttrennung (scriptum contìnua) geschrieben war und in der Bibliothek ein nicht mehr gut erhaltenes Exemplar des Altertums ersetzen sollte. Die einzelnen Stellen kann ich hier nicht besprechen. Daß übrigens auch E in beneventanischer Schrift geschrieben ist und ebenso wie Y P Reste von scriptura contìnua erkennen läßt, sei nur beiläufig bemerkt. Der Apparat dieser Ausgabe ist nicht vollständig. Er ist so ausgewählt, daß er die Grundlage zeigt, auf der der Text hergestellt ist, und die Beziehungen von R, Y, P und E sowie das Verhalten der jüngeren Handschriften o und e, deutlich macht1. Schreibversehen und offenkundige Fehler sind in der Regel auch bei den genannten Handschriften unberücksichtigt geblieben, ferner etliche Fälle abweichender Wortstellung. Einzelne der unter dem Zeichen o zusammengefaßten Handschriften mußten an bestimmten Stellen aus folgenden Gründen individueller angeführt werden : es gibt nämlich Stellen, an denen der richtige Wortlaut nur ihnen verdankt wird (vgl. z. B. 612), und es gibt andere, an denen er nur in R oder Y oder P oder E und in einer oder zwei jungen Handschriften, unversehrt oder leicht entstellt, nachweisbar ist (vgl. z. B. 476). Eine Handschrift der Pariser Nationalbibliothek (Parisinus lat. 7575), deren Text von nichtsnutzigen Änderungen jeder Art und Sinnlosigkeiten wimmelt, läßt immer wieder den Text durchschimmern, der in R vorliegt, obwohl sich nicht erweisen läßt, daß sie aus R selbst abgeschrieben ist. In diesen und ähnlichen Fällen habe ich sie individueller berücksichtigt. Um Verwirrung zu vermeiden, habe ich die Sigla beibehalten, die in der umfassenden Ausgabe des 'Corpus Paravianum' verwendet worden sind. Nur im Falle der Handschrift P, die erstens ein Puteaneus und zweitens ein Parisinus ist, und dort P 0 heißt, habe ich eine Änderung für zweckmäßig gehalten. Die von Kenney für sie in unverständlicher Weise gewählte Bezeichnung K habe ich nicht für zweckmäßig gehalten. Die Handschriften, die durch die gleiche Sigle, 2. B. L oder P, gekennzeichnet werden, habe ich nicht mehr durch Indexziffern, sondern durch Indexbuchstaben, z. B. a b usw., unterschieden.

1

Diese Bezeichnung schließt um der Kürze willen auch Handschriften ein, die noch dem Ende des zwölften oder Anfang des 13. Jahrhunderts angehören. Sie sind nur in einigen Fällen individueller behandelt worden.

Einführung

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Um mich nicht beeinflussen zu lassen, habe ich keine andere deutsche Ubersetzung benutzt1, aber es darf nicht ungesagt bleiben und ist eine mit Freude erfüllte Pflicht der Dankbarkeit zu erklären, daß mein verstorbener Freund Hans Steinthal in Frankfurt (Main) die Ubersetzung für die erste Auflage durchgesehen und mit feinem Stilgefühl viele gute Vorschläge gemacht hat, die sich als sehr förderlich erwiesen haben. 1 Im Jahre 1959 erschien in Zürich P. Ovidius Naso, Heilmittel gegen die Liebe. Gesichtspflege. Übertragung, Einfuhrung und Anmerkungen von J . Eberle. Die Übersetzung ist in Distichen abgefaßt. Sie gibt dem Laien eine Vorstellung von dem Geist, dem Witz und der Anmut des Originals, bietet aber keinen lateinischen Text und geht auf wissenschaftliche Probleme nicht ein.

Heilmittel gegen die Liebe

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ABKÜRZUNGEN

R Y

= Etonensis 150 (B. 1. 6.5), 11. Jahrhundert = Parisinus (Nationalbibliothek) lat. 8460, Anfang des 13. Jahrhunderts, der „Puteaneus praestantissimus" (K bei Kenney); vgl. o. S. 18 Anm. 1 = Parisinus lat. 73x1, 9. Jahrhundert, der Regius = Berlin Hamilton 471, spätestens 11. Jahrhundert

A D F Ha L La Lb M

= = = = = = = =

Ma Mb N Oa Ob

= = = = =

Pa Pb Pc

= = =

Pd Pe Ren.

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E P

Plantinianus D. 68 (Antwerpen) Diuionensis 497, 13. Jahrhundert Francofurtanus, Ms. Barth. 110 Holkhamicus 322, jetzt Londiniensis Mus. Brit. Add. 49368 Lipsiensis (Leipzig), Stadtbibliothek Rep. I 20. 7 (X bei Kenney) Leidensis, B.P.L. (Universitätsbibliothek) 179 Leidensis, B.P.L. (Universitätsbibliothek) 138 die verlorene sogenannte alte Handschrift Angelo Polizianos aus dem Florentiner Kloster San Marco. Sie ist zu rekonstruieren aus der erhaltenen Originalkollation Polizianos in seinem Exemplar der Ausgabe von Parma 1477 (jetzt in der Bodleiana in Oxford) und aus verschiedenen Abschriften: F.W.Lenz, Parerga Ovidiana (o. S. 16 Anm. 1) 320-356 München, Bayerische Staatsbibliothek Clm. 14809 Mutinensis (Modena), Bibliotheca Estensis lat. 157, vgl. zu 476 Neapolitanus (Neapel, Nationalbibliothek) IV F 12 (Burbonicus 260) Oxoniensis Bodleianus Canonicianus class. lat. 15, ein Farnesianus Oxoniensis Bodleianus, Auct. F. 4. 24; vgl. F. W. Len2, Eranos 51 (1953) 70 ff. Parisinus lat. 7993, der „alter Regius Heinsii" Parisinus lat. 8245, ein Puteaneus; vgl. F. W. Lenz, Eranos 51 (195 3) 81 Parisinus lat. 7997; die Hs., ein Sarravianus, ist trotz ihrer Jugend (Ende des 15., vielleicht erst Anfang des 16. Jahrhunderts) wichtig, weil sie häufig ein wesentlich älteres Original durchschimmern läßt Parisinus lat. 8048, ein Puteaneus Parisinus lat. 7575 Gruppe von Renaissancehandschriften; zu ihnen gehören: H = Harleianus (Mus. Brit.) 2565 O = Oxoniensis Bodleianus Auct. F. 1. 18 U = Urbinas (Vaticanische Bibliothek) lat. 347 die Ausgaben ß und rc, s.S. 15 f.; andere Handschriften, z. B. der Laurentianus 36, 2 treten gelegentlich hinzu. Ren. bedeutet nicht, daß alle Handschriften der Gruppe die angeführte Lesart haben, sondern nur die Mehrzahl. Individuelle Abweichungen werden in der Regel nicht angeführt.

Einführung Ta V Va Vb X

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Turonensis 879, 13. Jahrhundert Vaticanus lat. 3270 (zugleich die bekannte Handschrift des Tibull) Vaticanus lat. 1599 Vaticanus lat. 3149; vgl. F. W. Lenz, Eranos 53 (1955) 65 eine oder mehrere nicht identifizierte Handschriften, die Heinsius benutzt hat. Ist die Handschrift seitdem verschwunden oder verloren, aber mit Namen bekannt, so ist der Name in runden Klammern hinzugefügt. altes Florilegium von 38 Versen im Parisinus lat. 8069, IO./II. Jahrhundert, einem Colbertinus, früher Thuaneus (p6 bei Kenney) Florilegium des 12. Jahrhunderts, vertreten durch: a = Atrebaticus (Arras) 64 (früher 65) n = Parisinus lat. 17903 aus der Bibliothek von Notre Dame (p3 bei Kenney) p = Parisinus lat. 7647, ein Thuaneus (px bei Kenney) Florilegium im Berolinensis Phillippicus 1827 Mehrzahl der Handschriften aus dem 12. —14. Jahrhundert jüngere Handschriften alle Handschriften oder alle außer den individuell genannten

Der Exponent (i-s-s. 4. hinter einer Handschriftensigle bezeichnet die Hand der Korrektur. c = Korrektor. 1' = vel, dient in den Handschriften zur Bezeichnung einer Variante. ß 7t p

= erste Ausgabe, Bologna 1471 = Ausgabe Parma 1477 = Ausgabe Rom 1471/72

Born. Btl. Ci. Ehw. Hei. Hou. Jtir. Ken. Madv. Merk. Mu. Pol. Ri. Seal. Vo.

= Bornecque = Bentley = Ciofano = Ehwald = Heinsius = Housman = Juret - Kenney = Madvig = Merkel = Muret = Poliziano = Riese = Scaliger = Vollmer

ausp. ausrad. a. Ras. Hs., Hss. Rd. a.Z. verb.

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auspunktiert ausradiert auf Rasur Handschriften) am Rand über der Zeile verbessert Rasur, rf = Rasur von zwei Buchstaben hinzugefügt ausgelassen umgestellt Verderbnis Ergänzung (bzw. Fehlen eines Buchstaben oder einer Silbe)

P.OVIDI NASONIS R E M E D I A AMORIS

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Legerat huius Amor titulum nomenque libelli : „Bella mihi, video, bella parantur" ait. „Parce tuum vatem sceleris damnare, Cupido, Tradita qui totiens te duce signa tuli. Non ego Tydides, a quo tua saucia mater In liquidum rediit aethera Martis equis. Saepe tepent alii iuvenes, ego semper amavi, Et si, quid faciam nunc quoque, quaeris, amo. Quin etiam docui, qua posses arte parari, Et, quod nunc ratio est, impetus ante fuitl Nec te, blande puer, nec nostras prodimus artes, Nec nova praeteritum Musa retexit opus. Si quis amat quod amare iuvat, feliciter ardens Gaudeat et vento naviget ille suo; At si quis male fert indignae regna puellae, Ne pereat, nostrae sentiat artis opem. Cur aliquis laqueo collum nodatus amator A trabe sublimi triste pependit onus? Cur aliquis rigido fodit sua pectora ferro? Invidiam caedis, pacis amator, habes. Qui, nisi desierit, misero periturus amore est, Desinat, et nulli funeris auctor eris. Et puer es, nec te quicquam nisi ludere oportet: Lude, decent annos mollia regna tuos. Nam poteras uti nudis ad bella sagittis, Sed tua mortifero sanguine tela carent. Vitricus et gladiis et acuta dimicet hasta Et victor multa caede cruentus eat:

9/10 > R Y ( + Y« Rd.) 9 possis Y 4 c 5 10 qu(a)e Y« 5 13 amans Ehw. gardens P 2 ardet CO 17 nudatus R E ? nudatos Y (verb. Y e ) | amator] ab arto Hei. 19 fodit 0 , V V , fodiatw | pectora] uiscere P —aP2 (Hei.) 20 habes] habet o, z«'¡sehen beiden schwanken P { habens Y habe Y c P c 21 est > P 5 (+P S ) 23 En, Nam, At, Sed, Tu o 5 24 animos o 25 Non oder Nec o | nudis] longis E £ nudis 1' longis oder longis 1' nudis 5 26 calent Palmer madent Ehw.

PUBLIUS OVIDIUS N A S O HEILMITTEL G E G E N DIE LIEBE Amor hatte den Titel und Namen dieses kleinen Buches gelesen: „Krieg ist", sagte er, „gegen mich im Werk, ich sehe es, Krieg." 3 „Lasse Milde walten, Cupido, und sprich nicht deinen Künder einer Sünde schuldig, unter deiner Führung habe ich ja so viele Male die mir anvertraute Fahne getragen. 6 Ich bin nicht desTydeus Sohn, von dem verwundet deine Mutter mit des Mars Gespann in die reinen Bezirke des klaren Himmels zurückkehrte. 7 Oft sind .andere in ihren jungen Jahren lau, ich habe stets geliebt, und fragst du mich, was ich auch jetzt noch tue: ich liebe. 9Ich habe doch sogar die Kunst gelehrt, durch die du zu gewinnen bist, so ist jetzt planvolles Werk, was zuvor nur blinde Regung war. "Weder dich, du zärtlich schmeichelnder Knabe, verrate ich noch meine eigenen Künste, keine neue Muse trennt das Gewebe meines früheren Werkes wieder auf. 13Wenn jemand liebt, was zu lieben ihn beseligt, so möge er seiner glücklichen Leidenschaft froh sein und in seinem Schifflein mit günstigem Winde einherfahren. 18Wenn jemand aber unter der Zwangsherrschaft eines Mädchens leidet, das seiner nicht wert ist, so möge er, damit es nicht um ihn geschehen sei, die wohltuende Hilfe an sich erfahren, die meine Kunst ihm bringt. "Warum mußte ein Liebender, den Hals in der Schlinge eines Strickes, an einem hohen Balken hängen, eine traurige Last? "Warum mußte einer seine Brust mit hartem Stahle zerwühlen? Die Erbitterung über die Gewalttat trifft dich, Freund des Friedens. 21Wer in Gefahr ist, an unglücklicher Liebe zugrundezugehen, wenn, er ihr nicht ein Ende macht, der mache ein Ende: so wirst du nicht schuld sein, daß jemand zu Grabe getragen wird. 23 Du bist ein Knabe, und nichts als Spielen ist dir angemessen: Spiele, eine milde Herrschaft ziemt sich für deine Jahre. 26Der entblößten Pfeile könntest du dich ja für ernste Kriege bedienen, aber deine Geschosse bleiben von todbringendem Blute unberührt. "Lasse deinen Stiefvater mit Schwertern und spitzer Lanze kämpfen und triefend vom Blute der Erschlagenen siegreich ein-

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Tu cole maternas, tuto quibus utimur, artes Et quarum vitio nulla fit orba parens. Effice nocturna frangatur ianua rixa Et tegat ornatas multa corona fores. Fac coeant furtim iuvenes timidaeque puellae Verbaque dent cauto qualibet arte viro, Et modo blanditias rigido, modo iurgia, posti Dicat et exclusus flebile cantet amans. His lacrimis contentus eris sine crimine mortis : Non tua fax ávidos digna subire rogos." Haec ego; movit Amor gemmatas aureus alas Et mihi „Propositum perfice" dixit „opus". Ad mea, decepti iuvenes, praecepta venite, Quos suus ex omni parte fefellit amor. Discite sanari per quem didicistis amare : Una manus vobis vulnus opemque feret. Terra salutares herbas eademque nocentes Nutrit, et urticae próxima saepe rosa est. Vulnus in Hercúleo quae quondam fecerat hoste, Vulneris auxilium Pelias hasta tulit. Sed, quaecumque viris, vobis quoque dicta, puellae, Credite: diversis partibus arma damus. E quibus ad vestros si quid non pertinet usus, Attamen exemplo multa docere potest. Utile propositum est saevas extinguere flammas Nec servum vitii pectus habere sui. Vixisset Phyllis, si me foret usa magistro, Et per quod novies, saepius isset iter. Nec moriens Dido summa vidisset ab arce Dardanias vento vela dedisse rates, Nec dolor armasset contra sua viscera matrem, Quae socii damno sanguinis ulta virum est. Arte mea Tereus, quamvis Philomela placeret, Per facinus fieri non meruissét avis. Da mihi Pasiphaen: iam tauri ponet amorem; Da Phaedram: Phaedrae turpis abibit amor.

29 tute o 30 Ex o 34 cauto] capto o (manche schwanken z>". beiden) | quamlibet {mit cauto verbunden) Hei. Luck (Gnomon }S, 196}, 261) 37 sine funere E (l'crimine E 1 oder E 2 ü. Z.) 5 38 Nec E o 45 salutíferas P o 4 7 > E | in (h)erculeo R (achillee//R 2 ü.Z.) Y P achilleo Y c o | quae] quod5 | hostem Y hosti Y c 5 54 uitiis o | sui Y mìe es scheint P a b x tui R Y c T t u u m Y " Po F suum E o 61 philomena P o

Vers 29—64 hergehen. 29Du übe deiner Mutter Künste aus, deren wir uns ungefährdet bedienen; durch ihre Schuld verliert keine Mutter ihr Kind. 31Laß im nächtlichen Streit die Tür aufgebrochen werden und vieler Kränze Schmuck ihre Flügel bedecken; 33laß die jungen Männer und die furchtsamen Mädchen sich verstohlen zur Vereinigung zusammenfinden und den mißtrauischen Mann auf jede Weise listig täuschen; ^laß den ausgesperrten Liebhaber den unnachgiebigen Türpfosten bald mit schmeichelnden, bald mit schmähenden Worten bedenken und traurige Weisen singen. 37 An diesen Tränen wirst du Genüge finden, und kein Todesfall wird dir zur Last gelegt werden; deine Fackel ist zu gut dafür, unter den gierigen Scheiterhaufen gelegt zu werden." 39So sprach ich, und es bewegte der goldene Liebesgott seine mit kostbaren Steinen besetzten Schwingen und erwiderte: „Vollende das Werk, das du dir vorgenommen hast." 41

Kommet her zu mir und empfanget meine Weisungen, ihr getäuschten jungen Männer, die ihre eigene Liebe auf jede Weise betrogen hat. "Gesundung sollt ihr lernen durch den, dessen Schüler in der Liebe ihr wart. Dieselbe Hand, der ihr eure Wunde verdankt, wird euch Hilfe bringen. 4BDie Erde nährt heilsame Kräuter und dieselbe Erde auch schädliche, und der Nessel ganz nahe ist oft die Rose. 4, Der auf dem Pelion gewachsene Speer, der Herkules' feindlichem Sohne die Wunde geschlagen hatte, brachte der Wunde Heilung. 49Aber was ich den Männern sage, soll auch für euch gelten, ihr Mädchen, seid dessen sicher, beiden Parteien lege ich Waffen in die Hände. 61Wenn etwas davon eurem Gebrauche nicht frommt, so vermag es doch durch sein Beispiel viel zu lehren. S3Ein nutzbringender Vorsatz ist es, das versehrende Feuer zu löschen und nicht das Herz der eigenen Schwäche dienstbar sein zu lassen. 6SAm Leben wäre Phyllis geblieben, wenn sie mich zum Lehrer gehabt hätte, und den sie neunmal gewandelt, sie wäre den Weg noch häufiger gegangen. "Nicht hätte Dido sterbend von der Höhe ihrer Burg gesehen, wie die dardanischen Schiffe die Segel dem Winde boten, 89noch hätte der Schmerz die Waffe gegen die Frucht ihres Leibes der Mutter in die Hand gegeben, als sit, dem verwandten Blute Leid antuend, als Rächerin den Gatten traf. 61 Durch meine Kunst hätte Tereus, wie sehr Philomela ihm auch gefallen mochte, es nicht verschuldet, wegen seiner Untat zum Vogel zu werden. 43 Gib mir Pasiphae: sie wird, nicht lange wird es dauern, sich von der Leidenschaft für den Stier befreien; gib mir Phaidra: Phaidras schmähliche Leidenschaft wird schwinden.

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Redde Parin nobis : Helenen Menelaus habebit, Nec manibus Danais Pergama vieta cadent. Inpia si nostros legisset Scylla libellos, Haesisset capiti purpura, Nise, tuo. Me duce damnosas, homines, conpescite curas, Rectaque cum sociis me duce navis eat. Naso legendus erat tum, cum didicistis amare : Idem nunc vobis Naso legendus erit. Publicus adsertor dominis subpressa levabo Pectora : vindictae quisque favete suae. Te precor incipiens, adsit tua laurea nobis, Carminis et medicae, Phoebe, repertor opis. Tu pariter vati, pariter succurre medenti, Utraque tutelae subdita cura tuae est. Dum licet et modici tangunt praecordia motus, Si piget, in primo limine siste pedem. Obprime, dum nova sunt, subiti mala semina morbi, Et tuus incipiens ire resistet equus. Nam mora dat vires, teneras mora percoquit uvas Et validas segetes, quod fuit herba, facit. Quae praebet latas arbor spatiantibus umbras, Quo posita est primum tempore, virga fuit. Tum poterai manibus summa tellure revelli, Nunc stat in inmensum viribus acta suis. Quale sit id quod amas, celeri circumspice mente Et tua laesuro subtrahe colla iugo. Principiis obsta: sero medicina paratur, Cum mala per longas convaluere moras. Sed propera nec te venturas differ in horas : Qui non est hodie, eras minus aptus erit. Verba dat omnis amor reperitque alimenta morando : Optima vindictae proxima quaeque dies.

65 parin R 2 Y Y c E ç pari P ç parim Y o ç par// R | helenam o ç 66 danaum P o ç (-is P 2 ) | çadent] forent o 71 tune P o 73 dominis R Y dominiE P dampnis Pa Vb uit(c)iis Y c Rd. o 74 faueto E o 75 incipiens] o vates o 78 tuae est Y c P o ç tuae T a tua est R Y E 1 tua E 80 limite ç 82 resistet R Y E P ! o -at Y c Po F 84 quod] qu(a)e R Y E ç 85 potantibus E 86 primo P 2 Ma o (z- T. ~ w posita est) 87 Tune P D o 88 acta] aucta Y c o ç (manche schwanken beiden) ipsa E 92 male R Y ç (verb. Ye) 93 profer P (differ P1) Hei. 95 amor] amans Y c 2 c Rd. (1') P (P) o > E morandi Y

Vers 65—96 65Vertraue

Paris mir an: seine Helena wird Menelaos behalten, und Pergamon wird nicht, durch der Danaer Hände überwältigt, fallen. 67Wenn Skylla, die den Vater nicht ehrte, meine kleinen Bücher gelesen hätte, würde die Purpurlocke auf deinem Haupte geblieben sein, Nisos. 69Unter meiner Leitung bezähmt, ihr Menschen, die verderblichen Leidenschaften, und gerade nehme das Schiff mit seinen eng verbundenen Insassen unter meiner Leitung seinen Kurs. 71Naso mußtet ihr lesen, als ihr das Lieben erlerntet; denselben Naso müßt ihr auch jetzt lesen. "Euch allen das Ende der Knechtschaft zu bringen, ist mein Amt: ich werde den von harten Herren unterdrückten Herzen Erleichterung geben, ihr alle sollt die Wohltat der befreienden Berührung andächtig aufnehmen. 76An

dich richte ich beginnend mein Gebet, nahe sei mir helfend dein Lorbeer, des Gesanges und der Heilkunst Erfinder, Phoibos. " D u leiste Beistand gleichermaßen dem Dichter und dem Heilbringer, beider sorgendes Wirken ist unter deinen Schutz gestellt. "Solange es möglich ist und nur leichte Erregung dein Herz berührt, hemme, wenn du Widerstreben fühlst, den Fuß sogleich auf der Schwelle. 81Vernichte mit starkem Druck die verhängnisvollen Keime der Krankheit, die dich unerwartet angefallen hat, und dein Roß, das sich zu vollem Laufe anschickt, wird, du wirst es sehen, zum Stehen kommen. MDenn Warten gibt Stärke, Warten bringt die jungen Trauben zur Reife und wandelt, was nur sprossender Keim war, zu kraftvoller Saat. ^Der Baum, der den sich Ergehenden weit ausladenden Schatten spendet, war zu der Zeit, da er gesetzt wurde, ein schwaches Reis. 87Damals war es leicht, ihn mit den Händen aus der Oberfläche des Erdbodens zu reißen, jetzt steht er fest, durch eigene Kraft in unermeßliche Höhe hinaufgetrieben. 89Mit schnellem Auffassen betrachte von allen Seiten, welcher Art der Gegenstand deiner Liebe ist, und entziehe deinen Hals dem Joche, das dich zu verletzen droht. 91Steh stark gegen den Anfang, zu spät wird ein Heilmittel-bereitet, wenn das Übel durch lange Verzögerung Stärke gewonnen hat. 93Nein, handle schnell und vertröste dich nicht auf kommende Stunden; wer heute nicht bereit ist, wird es morgen noch weniger sein. 95Jede Liebe hält zum Narren und findet neue Nahrung durch Verschleppung, der gegenwärtige Tag ist jedesmal der beste, sich frei zu machen.

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Flumina pauca vides de magnis fontibus orta, Plurima collectis multiplicantur aquis. Si cito sensisses, quantum peccare parares, Non tegeres vultus cortice, Myrrha, tuos. Vidi ego, quod fuerat primo sanabile, vulnus Dilatum longae damna tulisse morae. Sed, quia delectat Veneris decerpere fructum, Dicimus adsidue „Cras quoque fiet idem". Interea tacitae serpunt in viscera flammae, Et mala radices altius arbor agit. Si tamen auxilii perierunt tempora primi Et vetus in capto pectore sedit amor, Maius opus superest; sed non, quia serior aegro Advocor, ille mihi destituendus erit. Quam laesus fuerat, partem Poeantius heros Certa debuerat praesecuisse manu. Post tamen hic multos sanatus creditur annos Supremam bellis imposuisse manum. Qui modo nascentis properabam pellere morbos, Admoveo tardam nunc tibi lentus opem. Aut nova, si possis, sedare incendia temptes Aut ubi per vires procubuere suas. Cum furor in cursu est, currenti cede furori: Difficiles aditus impetus omnis habet. Stultus, ab oblico qui, cum descendere possit, Pugnat in adversas ire natator aquas. Impatiens animus nec adhuc tractabilis arte Respuit atque odio verba monentis habet. Adgrediar melius tum, cum sua vulnera tangi Iam sinet et veris vocibus aptus erit. Quis matrem, nisi mentis inops, in funere nati Fiere vetet? non hoc illa monenda loco est.

97 pauca R Y E P parua P 2 (!') magna o F | magnis de ~ E de paruis oder parois de o ç parais e n p 99 parasses oder parabas o 101 ego > ç | primum ç 102 lente E 103 fructum R Y P OgÇ p floremP2ü. Z. O a fructus E o flores o ß 105 placide X 111 Quam R Y Y " ç Quale sus P (Quam lesus P 2 ) Qua R Y ( + Y 4 Rii.) $ 4 (hinter 192 E P, andere hinter 198) 190 Deligit P F Colligit Y E o 191 colligit % 192 uertit c, uersatEo

Vers 161—192 warum Aigisthos zum Buhler geworden ist? Mit Händen zu greifen ist der Grund: er saß müßig herum. 163Andere standen in unabsehbarem Kampfe vor Ilion, ganz Griechenland hatte seine Streitkräfte dorthin überführt. 185Wollte er sich dem Kriegshandwerk widmen, Argos führte keinen Krieg; wollte er vor den Schranken des Gerichtes auftreten, es gab dort keinen Rechtsstreit. 167Was er konnte, um dort nicht ganz müßig zu sein, das tat er: er verliebte sich: So kommt der gefährliche Knabe, so bleibt er. 169Auch

das Land bringt dem Herzen Freude und die Hingabe an seine Bebauung: Vor dieser Fürsorge kann keine Qual des Herzens bestehen. 171Heiß die gezähmten Stiere ihren Hals unter des Joches Last beugen, damit die gekrümmte Pflugschar den harten Boden versehre. 173Bedecke mit umgepflügter Erde der Ceres Samenkörner, die der Acker dir mit großem Nutzen wiedergeben soll. 17SBetrachte die sich unter dem Gewicht der Früchte biegenden Aste, so daß der Baum die Last der Äpfel, die er hervorgebracht, kaum tragen kann. "'Betrachte die mit lieblichem Murmeln dahingleitenden Bäche, betrachte die Schafe, die die fruchtbaren Kräuter abgrasen. 179Sieh, wie die Ziegen Klippen suchen und steil abstürzende Felsen, bald werden sie ihren Böcklein volle Euter zurückbringen. 181Der Hirt spielt auf ungleichem Rohre seine Weisen, und nicht fehlt es an Begleitern: da sind die Hunde, eine pflichteifrige Schar. 183Dort hinten rauscht mit tiefem Ton der Hochwald, und die Mutter klagt, daß ihr Kalb fern bleibt. 186Oder sieh, wie die Schwärme der Bienen vor den dichten Rauchwolken fliehen, so daß die herausgenommenen Waben das runde Geflecht der Körbe von seiner Bürde befreien. 187Früchte schenkt der Herbst; lieblich anzuschauen mit seinen Ernten ist der Sommer; der Frühling spendet Blumen; durch wärmendes Feuer wird der Winter leichter zu ertragen. 189Zu bestimmter Zeit des Jahres liest der Landmann die reifen Trauben, und unter dem Tritt des nackten Fußes strömt der Saft. 191Zu bestimmter Zeit des Jahres schneidet er die Kräuter ab und bindet sie zusammen und fegt den kahl geschorenen Boden mit weitzahniger Harke. 193Mit eigener Hand kannst du

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Ipse potes riguis plantam deponere in hortis, Ipse potes rivos ducere lenis aquae. Venerit insitio: fac ramum ramus adoptet Stetque peregrinis arbor operta comis. Cum semel haec animum coepit muleere voluptas, Debilibus pinnis inritus exit Amor. Vel tu venandi Studium cole : saepe recessit Turpiter a Phoebi vieta sorore Venus. Nunc leporem pronunci catulo sectare sagaci, Nunc tua frondosis retia tende iugis ; Aut pavidos terre varia formidine cervos, Aut cadat adversa cuspide fossus aper. Nocte fatigatum somnus, non cura puellae, Excipit et pingui membra quiete levat. Lenius est Studium, Studium tarnen, alite capta Aut lino aut calamis praemia parva sequi, Vel, quae piscis edax avido male devoret ore, Abdere supremis aera recurva eibis. Aut his aut aliis, donec dediscis amare, Ipse tibi furtim deeipiendus eris. T u tantum, quamvis firmis retinebere vinclis, I proeul et longas carpere perge vias. Flebis, et occurret desertae nomen amicae, Stabit et in media pes tibi saepe via. Sed quanto minus ire voles, magis ire memento: Perfer et invitos currere coge pedes. Nec pluvias opta, nec te peregrina morentur Sabbata nec damnis Allia nota suis; Nec quot transieris, sed quot tibi, quaere, supersint Milia, nec, maneas ut prope, finge moras. Tempora nec numera nec crebro respice Romam, Sed fuge : tutus adhuc Parthus ab hoste fuga est.

193 plantas P a 194 lenis] laetusX (Lincolnimsis) 201 pronum] paruumX | sagaci] sequaci § fugaci F 202 tua] in Ren. 204 auersa Y c 206 pingui R Y P ! { {manche mit 1') dulei E P o F leni § 207 Studium2 > R Y studeas Y c U. Z. Studium (studeas ausp.) Y 4 il. Z. prodest Y 3 Rd. o 209 deuorat c, n 210 supremis (in verschiedenen Schreibweisen) R Y E P o sub primis X sub paruis Btl. 211 desistis i | amore g 213 tantum] tarnen et P o tandem o tarnen i Hei. {vgl. Luck, Gnomon }St 1963,260) 220 Allia Pol. alia q Ren.-Ausgaben aleaw 222 ut] aut Y c nec P 2 o (Y c ü. Z. ausrad.?)

Vers 193—"4 eine Pflanze im wohl bewässerten Garten setzen, mit eigener Hand kannst du das Bett sanft fließender Wasser ziehen. 195Die Zeit des Pfropfens ist da: laß Ast mit Ast eins werden und den Baum prangen mit Laub, das nicht seines war. 197Hat die Freude an diesen Werken erst einmal begonnen, auf dich lindernd einzuwirken, so entschwindet Amor mit kraftlosen Flügeln erfolglos. 199

Oder widme dich mit Eifer der Jagd: schon oft hat Venus vor des Phoibos siegreicher Schwester schmachvoll das Feld geräumt. 201 Spüre heute mit scharf witterndem Hunde dem vorwärtsstürzenden Hasen nach, oder spanne ein anderes Mal deine Netze aus auf belaubten Bergjochen; 203setz mit allen möglichen Ängsten die furchtsamen Hirsche in Schrecken, oder fälle den Eber mit geradem Stoße deines Speeres. 205Dann nimmt dich Ermüdeten nachts der Schlaf in seine Arme, nicht quält dich die Leidenschaft für ein Mädchen, und erquickt deine Glieder durch heilsame Ruhe. 207Es ist eine harmlosere Beschäftigung, aber doch eine Beschäftigung, gegeringerer Beute nachzugehen und einen Vogel mit dem Netze oder den Leimruten zu fangen 209oder unter einem Köder den gekrümmten Bronzehaken zu verstecken, den der nach Nahrung lüsterne Fisch mit gierigem Maule zu seinem Verderben verschlukken soll. 2u Durch diese oder ähnliche Mittel mußt du, bis du das Lieben verlernst, dich selbst täuschen, ohne daß du es merkst. 213

Geh nur, magst du auch durch noch so feste Bande zurückgehalten werden, in die Ferne und schreite weit aus, um lange Wegstrecken hinter dich zu bringen. 216Du wirst Tränen vergießen, und der Name der verlassenen Freundin wird dir in den Sinn kommen, und mitten auf dem Wege wird dein Fuß oft nicht weitergehen. a 7 Doch je weniger du wirst gehen wollen, desto mehr sei darauf bedacht zu gehen und zwinge die Füße gegen ihren Willen zu laufen. 219Wünsche dir nicht Regengüsse, und laß dich nicht durch den Sabbat der Fremdlinge aufhalten noch durch den Alliatag, der durch seine Katastrophe berüchtigt ist. 221Frage nicht, wie viele Meilen du durchschritten hast, sondern wie viele dir noch fehlen, und erfinde keine Vorwände zum Verweilen, damit du in der Nähe bleibest. 223Zähle die Stunden der Tage nicht und blicke nicht wieder und wieder nach Rom zurück, sondern flieh; noch immer ist der Parther sicher vor dem Feinde durch Flucht.

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Dura aliquis praecepfa vocet mea; dura fatemur Esse, sed ut valeas, multa dolenda feres. Saepe bibi sucos, quamvis invitus, amaros Aeger, et oranti mensa negata mihi. Ut corpus redimas, ferrum patieris et ignes, Arida nec sitiens ora levabis aqua: Ut valeas animo, quicquam tolerare negabis? At pretium pars haec corpore maius habet. Sed tamen est artis tristissima ianua nostrae, Et labor est unus tempora prima pati. Adspicis ut prensos urant iuga prima iuvencos Et nova velocem cingula laedat equom? Forsitan a Laribus patriis exire pigebit, Sed tamen exibis, deinde redire voles. Nec te Lar patrius, sed amor revocabit amicae, Praetendens culpae splendida verba tuae. Cum semel exieris, centum solacia curae Et rus et comites et via longa dabit. Nec satis esse putes discedere: lentus abesto, Dum perdat vires sitque sine igne cinis. Quod nisi firmata properaris mente reverti, Inferet arma tibi saeva rebellis Amor. Quicquid et afueris, avidus sitiensque redibis, Et spatium damno cesserit omne tuo. Viderit, Haemoniae si quis mala pabula terrae Et magicas artes posse iuvare putat. Tsta veneficii vetus est via; noster Apollo Innocuam sacro Carmine monstrat opem. Me duce non tumulo prodire iubebitur umbra, Non anus infami Carmine rumpet humum; Non seges ex aliis alios transibit in agros, Nec subito Phoebi pallidus orbis erit. Ut solet, aequoreas ibit Tiberinus in undas, Ut solet, in niveis Luna vehetur equis.

225uoceto 228mihi + e s t Y c P 2 o i 7 229ignemY 230 leuabis § Ren.a lauabis R Y E P np 235 prensos R Y E P 5 pressos o F | urant] l(a)edant oder-unt o 236 l(a)edit Y (verb.Y-) 240 Praetendes R Y -is M , 242 dabunt P (verb. P 2 ) o 243 letus E 245 Sed, Quid, Si, Nec 247 Quic(d)quid et a(b)fueris (ab fuerit P) R Y (liber et: si ?, ausrad.; ad- Y c RJ.) P o Quid quod abfiieris E Quic(d)quid eras (erat) fueris Y* Rd. o 249 Viderit] Fallitur o 253 uidebitur 255 exibit P

Vers 225—258

^Hart mag mancher meine Weisungen nennen; hart sind sie, ich gebe es zu, aber um der Gesundung willen wirst du vieles, was schmerzen muß, willig ertragen. ^'Oft habe ich mit dem größten Widerwillen bittere Säfte getrunken, wenn ich krank war, und trotz meiner Bitten verweigerte man mir Nahrung. 229Um körperliche Gesundheit wiederzuerlangen, wirst du Schneiden und Brennen ertragen und deinem ausgetrockneten Munde nicht durch Wasser Erleichterung gestatten; 231um an der Seele gesund zu sein, willst du dich weigern zu ertragen, was es auch sein mag, da doch dieser Teil einen größeren Wert hat als der Körper? 233Aber es ist wahr, die Tür, die zu meiner Kunst führt, zu durchschreiten, ist die traurigste Aufgabe, und die einzige schwere Prüfung ist, die erste Zeit zu überstehen. 235Siehst du, wie das zum ersten Male aufgelegte Joch die zur Arbeit gezwungenen Jungstiere brennt und wie der ungewohnte Gurt das schnelle Pferd schmerzt? ««^Vielleicht wird es dir widerstreben, den heimischen Herd zu verlassen, und doch wirst du ihn verlassen: dann wirst du begehren zurückzukehren. 239Nicht der heimische Herd, sondern das Liebesverlangen nach der Freundin wird dich zurückrufen, deinen Fehler mit schönen Worten bemäntelnd. 241Hast du ihn einmal verlassen, so wirst du reichen Trost für deine Leidenschaft im Anblick des Landes, bei den Begleitern und an dem langen Wege finden. 243 Denke nicht, daß bloßes Weggehen genügt: du mußt deine Abwesenheit weit ausdehnen, bis der Brand seine Stärke verliert und kein Funken mehr in der Asche ist. 246Wenn du nicht eine .starke Anstrengung machst, gefestigten Sinnes zurückzukehren, wird Amor sich empörend seine grausamen Waffen von neuem gegen dich richten. 247Dann wird deine ganze Abwesenheit nutzlos gewesen sein: verlangend und durstend wirst du wiederkehren, und die ganze Zeitspanne wird zu deinem Schaden vertan sein. 249

Wenn jemand sich dem Glauben hingibt, daß die unheilvollen Kräuter des haimonischen Bodens und Zauberkünste helfen können, so ist es seine Sache. ^Das ist der alte Weg, Zaubertränke zu bereiten; Apollo, dem ich diene, weist in geheiligtem Gedicht unschädliche Hilfe. ""Vertraue dich meiner Führung an: kein Schatten wird aus dem Grabhügel heraufbeschworen werden, kein altes Weib wird durch lästerliche Formel den Erdboden spalten. ^Keine Saat wird von dem einen Feld auf das andere hinüberwandern, und nicht wird plötzlich des Phoibos Rund bleich sein. "'Wie stets wird der Tiber seinen Weg zu den Wogen des Meeres nehmen, wie stets wird Luna in ihrem mit schneeweißen Pferden

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Nulla recantatas deponent pectora curas, Nec fugiet vivo sulphure victus amor. Quid te Phasiacae iuverunt gramina terrae, Cum cuperes patria, Colchi, manere domo? Quid tibi profuerunt, Circe, Perseides herbae, Cum sua Neritias abstulit aura rates? Omnia fecisti, ne callidus hospes abiret: Ille dedit certae lintea plena fugae. Omnia fecisti, ne te ferus ureret ignis : Longus et invito pectore sedit amor. Vertere tu poteras homines in mille figuras, Non poteras animi vertere iura tui. Diceris his etiam, cum iam discedere vellet, Dulichium verbis detinuisse ducem : „Non ego, quod primo, memini, sperare solebam, Iam precor, ut coniunx tu meus esse velis, Et tamen, ut coniunx essem tua, digna videbar, Quod dea, quod magni filia Solis eram. Ne properes, oro; spatium pro munere posco: Quid minus optari per mea vota potest? Et freta mota vides et debes ilia timere: Utilior velis postmodo ventus erit. Quae tibi causa fugae? non hie nova Troia resurgit, Non aliquis socios Rhesus ad arma vocat. Hie amor et pax est, in qua male vulneror una, Totaque sub regno terra futura tuo est." Illa loquebatur, navem solvebat Ulixes : Inrita cum velis verba tulere noti. Ardet et adsuetas Circe decurrit ad artes, Nec tamen est illis adtenuatus amor.. Ergo, quisquis opem nostra tibi poscis ab arte, Deme veneficiis carminibusque fidem. Si te causa potens domina retinebit in Urbe, Accipe, consilium quod sit in Urbe meum:

263 profuerunt R Y -rant E P o -rintY c ? 264 sua R Y c M a P a c, sibi(?) Y tibi E P D o 268 et] in E T a 5 at 5 | mansit P (1' sedit P 2 ) 5 269 tu] quae Ren. 273 primum P (primo P2) 5 281 Quid E | resurget Y 5 282 resus E 1 U. Z. (1') P rursus R Y E o vitlletcht Non Rhesus socios rursus Lrnz 283 et R Y P o hie E P 2 o 284 Tutaque Btl. (vgl. Erl.) 286 uotis P (1' uelis P 2 a. Z.) 287 decurrit] tendebat Ren. 291 domin(a)e o

Vers 259—292 bespannten Wagen einherfahren. 259Kein Herz wird sich durch die Zauberkraft der Formeln von seiner Leidenschaft befreien, und nicht wird das Liebesverlangen, durch natürlichen Schwefel besiegt, die Flucht ergreifen. 2S1Was halfen dir die Pflanzen des phasischen Landes, als du danach verlangtest, im Vaterhause zu bleiben, kolchisches Mädchen? 2 oder ~ o 318 uere R Y c (-ae Y) E P uerum Y c o 319 quam] quod P 320 Et P Nec w(P2) | uere R Y C (-aeY)P 5 uerumEo 321 necP 2 et R Y c E P o > Y | erantY (verb. Y c ) | quam] qu(a)eY c (verb. Y c 2 ) o | poscit] posset o | amantem] amari P 2 (als Glosse mit -i-) o 322 Hec P hie P 2 il. Z. (1') Hinc o nach 322 Triste ueneficium solet inter dulcía poní Vt lateat uicium proximitate boni $ (interpoliertes Distichon: Pentameter = Ars 2, 66z Et — boni)

Vers 293—}2z

ist. 293Der beste Weg, sich frei zu machen, ist, daß man die Bande zerreißt, die die Brust verletzen, und daß man des Schmerzes für immer Herr wird. 296Wenn jemand so große Kraft des Willens hat, so werde auch ich ihm Bewunderung zollen und sagen: „Er bedarf meiner Weisungen nicht." 297Du, der du nur schwer verlernst zu lieben, was du liebst, es nicht kannst und wünschest, du könntest es, mußt bei mir in die Lehre gehen. 299Immer von neuem rufe dir das Tun des schändlichen Mädchens zurück und stelle dir allen Schaden, den du erlitten, vor Augen. ^„Dieses hat sie sich angeeignet und jenes und ist mit dem Raub nicht zufrieden. So weit hat sie es in ihrer Gier nach mehr gebracht, daß mein Haus verkauft werden mußte. 303So schwor sie mir, so täuschte sie mich, als sie schwor. Wie oft sah sie es gleichgültig mit an, daß ich vor ihrer Tür lag! ^Sie wählt sich andere für ihre Neigung, von mir sich lieben zu lassen ist ihr ein Greuel; der reisende Händler, schlimm, genießt die Nächte, die sie mir nicht gönnt." ^'Laß dieses verbitternd auf dein ganzes Fühlen einwirken, dieses rufe dir zurück, aus diesen Keimen laß deinen Widerwillen wachsen. ''"Ich wünschte auch, du könntest dich beredt darüber aussprechen: laß deinem Ingrimm nur den Lauf, dann werden die Worte von selbst kommen. 311Vor

nicht langer Zeit war mein Begehren an einem Mädchen hängen geblieben, die Neigung zu ihr sagte meinem Herzen nicht zu. 313Ich, der kranke Podaleirios, suchte mich nach meinem eigenen Rezepte zu heilen, und, ich gestehe es zu meiner Schande, ich, der Arzt, war gründlich krank. 316Es nützte, daß mein Denken ständig um die Fehler meiner Freundin kreiste, und dies oft zu tun, erwies sich als heilsam für mich. 317„Wie schlecht geformt", so pflegte ich zu sagen, „sind die Beine meines Mädchens." Um die Wahrheit zu gestehen, sie waren es nicht. 319„Die Arme meines Mädchens, wie wenig wohlgestaltet sind siel" Um die Wahrheit zu gestehen, sie waren es doch. ^„Wie winzig ist siel" Sie war es nicht. „Wieviel verlangt sie von ihrem Liebhaberl" Dies wurde für mich der wichtigste Grund meines Überdrusses. ^Fehler

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Et mala sunt vicina bonis; etrore sub ilio Pro vitio virtus crimina saepe tulit. Qua potes, in peius dotes deflecte puellae Iudiciumque brevi limite falle tuum. Turgida, si piena est, si fusca est, nigra vocetur; In gracili macies crimen habere potest. Et poterit dici petulans, quae rustica non est, Et poterit dici rustica, si qua proba est. Quin etiam, quacumque caret tua femina dote, Hanc moveat, biandis usque precare sonis. Exige uti cantet, si qua est sine voce puella; Fac saltet, nescit si qua movere manum. Barbara sermone est: fac tecum multa loquatur; Non didicit chordas tangere: poscelyram. Durius incedit: fac inambulet; omne papillae Pectus habent: vitium fascia nulla tegat. Si male dentata est, narra, quod rideat, illi; Mollibus est oculis : quod fleat ilia, refer. Proderit et subito, cum se non finxerit ulli, Ad dominam celeres mane tulisse gradus. Auferimur cultu: gemmis auroque teguntur Omnia; pars minima est ipsa puella sui. Saepe, ubi sit, quod ames, inter tam multa, requiras : Decipit hac oculos aegide dives Amor. Improvisus ades: deprendes tutus inermem; Infelix vitiis excidet illa suis. Non tamen huic nimium praecepto credere tutum est: Fallit enim multos forma sine arte decens. Tum quoque, compositis sua cum linit ora venenis, Ad dominae vultus — nec pudor obstet — eas.

324 Virtus pro uitio ~ Carmina Burana 20 III, ) (11,39 Hllka-Schumanri) 325 Qua R Y P P , Quam Y c ('über u, nicht Uber a) E o 329 quae] si P 5 quia F 331 tua dote puella Ren. 333 Exigito cantet Hei. | uti Y E (und die Hss. des Seal, und Jur.) ut R P M a quae ( ?) Y c (ausrad.) quod Y c2 ( ?) a. Ras. o vel („zum Beispiel") Lenz 334 > P ( + P 2 Rd.) | manum R Y X (Lineolniensis) manus E pedem P 2 (l'manum P 2 Rd.) o pedes g 337 Durius R Y P 2 o Duriter E P o | fac inambulet R Y face inambulet die Hs. des Seal, fac (ut 5) ambulet Y c E F o ; 338 uitium] tumid(a)e P e 5 (z. T. Ren.) 339 illi R Y ilia Y c E P o ipsa P 2 (1') o 343 Auferimus R Y (»erb. Y e ) 344 femina sepe sui F 345 ames R Y o amas E P o 346 hoc R P 2 ( ?) 347 deprendas Ren. 348 decidet 5 350 multos Y c P o multas R Y E 351 Tunc P o | cum positis P (con-P2) | sua cum linit F Vb sua cum linet E o Ren. cumlinietY e o suacollinetP cum linit R Y P 2 il. Z. (collinitet cum collinet Y4 5 cum collinit P e Ri.

Vers 523—352

liegen nahe bei Vorzügen: das verkennen wir, und so richtet sich der Tadel oft gegen die gute Eigenschaft, nicht gegen den Fehler. 325Wo du es kannst, verkehre die Vorzüge des Mädchens in Nachteile und verfälsche dein Urteil um eines Haares Breite. ^'Aufgeschwollen nenne sie, wenn sie üppig ist; ist sie dunkel, nenne sie schwarz. Ist sie schlank, so kannst du sie der Magerkeit zeihen. 329Dreist mag genannt werden, die nicht tölpelhaft, und tölpelhaft, die rechtschaffen ist. 331Gehe noch weiter und bitte deine Freundin dringend in schmeichelndem Tone, die Vorzüge spielen zu lassen, die sie von Natur nicht hat. 333Fordre von dem Mädchen, daß es singe, wenn es keine Stimme hat; laß eine tanzen, die ihre Hand nicht graziös zu bewegen weiß. 336Ist ihre Sprechweise ungebildet, laß sie mit dir viel sprechen; hat sie nicht gelernt, die Saiten zu handhaben, fordre Leierspiel. 337Hat sie einen zu harten Gang? Laß sie spazieren gehen; bedecken die Warzen die Brust ganz, so soll kein Band den Fehler verhüllen. 339Wenn ihre Zähne in schlechtem Zustande sind, erzähle ihr etwas, worüber sie lachen muß; hat sie schwache Augen? Berichte ihr, was die Tränen hervortreibt. 341Es wird auch zweckdienlich sein, daß du am Morgen, wenn sie sich für keinen zurechtgemacht hat, unerwartet deine schnellen Schritte zu deiner Herrin lenkst. 343Wir lassen uns durch Schönheitspflege hinreißen: durch kostbare Steine und Gold wird alles verdeckt; was sie selbst ist, ist das wenigste an ihr. 345Oft magst du unter so vielem Künstlichen vergeblich suchen, wo das eigentlich ist, was du lieben kannst: Das ist die Ägis des Reichtums, mit der Amor die Augen täuscht. 347Stelle dich unvorhergesehen ein: du, selbst gesichert, wirst sie waffenlos überraschen; durch ihre eigenen Mängel, vom Glück verraten, wird sie zu Fall kommen. 349Doch ist es nicht gefahrlos, dieser Vorschrift zu sehr zu vertrauen, denn ungekünstelte Wohlgestalt täuscht viele Männer. M1Auch dann solltest du, ohne hemmende Scheu, deiner Herrin vor Augen treten, wenn sie ihr Gesicht mit Salbenmixturen bestreicht.

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Pyxidas invenies et rerum mille colores Et fluere in tepidos oesypa lapsa sinus. in a t u a s redolent, Phineu, medicamina mensas : Non semel hinc stomacho nausea facta meo est. Nunc tibi, quae medio Veneris praestemus in usu, Eloquar: ex omni est parte fugandus Amor. Multa quidem ex illis pudor est mihi dicere, sed tu Ingenio verbis concipe plura meis. Nuper enim nostros quidam carpsere libellos, Quorum censura Musa proterva mea est. Dummodo sic placeam, dum toto canter in orbe, Quod volet, impugnent unus et alter opus. Ingenium magni livor detractat Homeri; Quisquis es, ex ilio, Zoile, nomen habes. Et tua sacrilegae laniarunt carmina linguae, Pertulit hue victos quo duce Troia deos. Summa petit livor, perflant altissima venti, Summa petunt dextra fulmina missa Iovis. At tu, quicumque es, quem nostra licentia laedit, Si sapis, ad numeros exige quidque suos. Fortia Maeonio gaudent pede bella referri: Deliciis illic quis locus esse potest? Grande sonant tragici: tragicos decet ira cothurnos; Usibus e mediis soccus habendus erit. Liber in adversos hostes stringatur iambus, Seu celer, extremum seu trahat ille pedem. Blanda pharetratos Elegeia cantet Amores Et levis arbitrio ludat amica suo. Callimachi numeris non est dicendus Achilles, Cydippe non est oris, Homere, tui. Quis feret Andromaches peragentem Thaida partes? Peccat, in Andromache Thaida quisquis agat.

356 hiñe] est ( > am Ende) Rett. 357 medios... usus P (verb. P1) ç m e d i o . . . usum Y (usu 358 est > E P ( 4 P 2 ) o 361 quidam nostros ~ E P 364 Quod R Y P o QuiY c E o Quo oder Qua ç | impugnent T a Pol. im(n)pugnetfa>| alter et alter D 370 iouis] manu M 372 quidque (que// R) R Y ç qu(a)eque E P o quodque Y c P c ç 375 sonent E (Vo., vgl. ¡jj stringatur) 376 Vsibus e mediis R Y (U aus Verb., e a. Ras. Y c ) Versibus e mediis P 2 (1') o Versibus e modicis P Versibus in mediis E o 378 trahit E 380 ludat Y E P o laudat R plaudat ç 383 ferat ç 384 andromachen (oder -è) E P | si quis E P ç | agit M

Vers $55—384

Büchsen wirst du finden und ungezählte farbige Dinge und wirst sehen, wie der herunterträufelnde Ysop in ihren warmen Busen fließt. ^Diese Mittel strömen einen Geruch aus wie deine Mahlzeiten, Phineus: Mehr als einmal wandelte dadurch meinen Magen der Brechreiz an. 353

Jetzt will ich dir offen sagen, was wir tun sollen, wenn das Spiel der Venus den Höhepunkt erreicht hat: Auf allen Seiten muß Amor in die Flucht geschlagen werden. ^Schamgefühl hält mich zurück, vieles davon auszusprechen, aber du sollst mit deiner Vorstellungskraft mehr erfassen, als meine Worte sagen. 357

^Denn vor kurzem haben gewisse Leute meine kleinen Bücher zerpflückt, nach ihrem gestrengen Urteil ist meine Muse zu ausgelassen. M3Wenn ich nur so gefalle, wenn ich nur in der ganzen Welt gesungen werde, mag dieser oder jener das Werk, das er will, ruhig angreifen. 365Das Genie des großen Homer zieht blasser Neid herunter: Wer du auch sein magst, Zoilos, deinen Namen hast du nur durch ihn. ^'Zungen, das Heilige schändend, haben auch deine Gedichte zerstückelt, unter dessen Führung Troia seine besiegten Götter hierher hinübergebracht hat. 369Was am höchsten ragt, sucht sich Mißgunst zum Ziel, über die höchsten Gipfel fegen die Winde; was am höchsten ragt, suchen die von Jupiters Hand gesandten Blitze. 371Aber du, wer du auch sein magst, den meine zu große Freiheit verletzt, wenn du einsichtig bist, miß jedes Ding nach seinem eigenen Maßstab. 373Kriege, der Schauplatz der Tapferkeit, wöllen in maionischem Versmaß besungen werden: ist dort Raum für süßen Genuß? 37SPathetisch ist der Ton der tragischen Dichter, dem tragischen Kothurn ist Leidenschaft angemessen; des komischen Dichters leichter Schuh muß dem Alltagsleben vorbehalten bleiben, aus dem er stammt. 377Der freie Iambus soll gegen einen Feind gezückt werden, gleichgültig, ob er schnell dahingleitet oder lahm den letzten Fuß nachzieht. 379 Die schmeichelnde Elegie soll Liebesgedjchte singen, die mit dem Köcher bewehrt sind, und gern gesehen leicht dahinspielen, wie es ihr gefällt: 381In des Kallimachos Maßen darf von Achilleus nichts ausgesagt werden, Kydippe ist kein Gegenstand für deinen Mund, Homer. 383Wer wird es geduldig mitansehen, daß Thais die Rolle der Andromache spielt? Eine Sünde begeht, wer Thais

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Thais in arte mea est: lascivia libera nostra est; Nil mihi cum vitta: Thais in arte mea est. Si mea materiae respondet Musa iocosae, Vicimus, et falsi criminis acta rea est. Rumpere, Livor edax: magnum iam nomen habemus, Maius erit, tantum, quo pede coepit, eat. Sed nimium properas : vivam modo, plura dolebis, Et capiunt animi carmina multa mei. Nam iuvat et studium famae mihi crevit honore; Principio clivi vester anhelat equos. Tantum se nobis elegi debere fatentur, Quantum Vergilio nobile debet opus. Hactenus invidiae respondimus : adtrahe lora Fortius et gyro curre, poeta, tuo. Ergo, ubi concubitus et opus iuvenale petetur Et prope promissae tempora noctis erunt, Gaudia ne dominae, pieno si corpore sumes, Te capiant, ineas quamlibet ante velim; Quamlibet invenias, in qua tua prima voluptas Desinat: a prima proxima segnis erit. Sustentata venus gratissima: frigore soles, Sole iuvant umbrae, grata fit unda siti. Et pudet et dicam : Venerem quoque iunge figura, Qua minime iungi quamque decere putas. Nec labor efficere est: rarae sibi vera fatentur, Et nihil est, quod se dedecuisse putent.

386 cum uitta R 2 Y D M a g cum uita R $ cum uicta Y c cum uittis P cum uitio N cum inuita est E (in uit(c ?) ta est E 1 ». Z., -i- nupta E 2 (?) tt. Z.) cum nupta o cum casta 5 uittata est P 2 ii. Z. (1') 388 Vincimus P 5 391 docebo P (verb. PE) 392 capiunt R Y P , capient w(Y c ) | animi E F 2 il. Z. (1') 5 anni R Y E 2 ti. Z. (1') P (P 2 schwankend, vgl. Lenz, Studi Italiani 29, 19J7, 6. t i ) o I multa] magna M plura o 393 crescit Y c E P 2 o | honori ? honestae X (Patavinus) 394 uester R Y E P Hildebert noster Y c P 2 o | anhelet Y 396 opus] opos kennt Mu. aus Ci., daher epos alte Konjektur 397 beginnt das zweite Buch fa), ausgenommen R Y und ursprünglich auch E P 398 Fortiter E P (verb. P 2 ) 399 pete ? -ri P l D -ris Y c E P 2 Rd. o | figura R 1 (fri- R ) Y E 2 P a -ram E P o -ras Y c / en. 408 Qua] Quam R (-m ausrad.) P (aber parte P2//.Z.) M Quas Y c (s ausrad.) Ren. | quaqae Y c (quamque oder quasque Y ?) o quasue Ren. | putes 5 Ren. 409 rare sibi P a rare tibi P rara est ibi R Y raro tibi E o rara est quae . . . fatetur Y c 410 quo R Y (quod Y°) | pudet P 2 ü. Z. (!') putant ?

Vers 385—410

spielt, wenn es um Andromache geht. 386Thais herrscht in meiner Kunst, mein ist die freie Ungebundenheit, nichts habe ich mit der Haarbinde der ehrbaren Frau zu schaffen, Thais herrscht in meiner Kunst. 387Wenn meine Muse ein offenes Ohr hat für scherzhafte Stoffe, so habe ich das Spiel gewonnen, und sie wird einer Schuld geziehen, die nicht ihre ist. 389Brich in Stücke, gieriger Neid, groß ist schon mein Name, größer wird er sein, wenn er nur weiterschreitet, wie er begonnen hat. 391Aber du hast es zu eilig: laß mich nur am Leben bleiben, und du wirst noch größeren Schmerz fühlen, schon jetzt birgt mein Geist in sich viele Gedichte. 393Das Verlangen nach Ruhm ist mein Entzücken und ist gewachsen mit verehrender Anerkennung, euer Pferd keucht schon zu Beginn des Anstiegs. 39BDie elegischen Gedichte bekennen, daß sie mir so viel verdanken, wie dem Vergil das edle Werk verdankt. "'Dies genügt als Antwort für den Neid. Zieh die Zügel fester an, Dichter, und bewege dich in dem Kreise deiner eigenen Bahn. 399 So höre denn: Wenn du engste Vereinigung suchst und das Werk jugendlicher Lust und wenn die Stunde der dir versprochenen Nacht nahe ist, 401damit das Vergnügen an der Geliebten nicht ganz Besitz von dir ergreife, wenn du es mit ungeschwächtem Körper nimmst, solltest du dich zuvor mit einer anderen für das Gute zusammenfinden, gleichgültig wer sie ist. ^Finde dir eine andere, bei der deine erste Lust sich ganz befriedigen kann: ist der ersten Genüge geschehen, so wird die nächste nur mäßig sein. 408 Zu lange unterdrücktes Begehren steigert das Lustgefühl übermäßig: bei Kälte sind die Strahlen der Sonne, in der Sonne ist der Schatten erfreulich, Durst macht das Wasser willkommen. "'Ich schäme mich und muß es doch sagen: wähle für den Liebesakt eine Stellung, in der nach deiner Meinung die Vereinigung für jedes Mädchen am wenigsten vorteilhaft ist. 409Es ist nicht schwer, dies ins Werk zu setzen: nur selten gestehen die Frauen sich die Wahrheit ein, und es gibt nichts, wovon sie glauben, es habe ihnen ein unvorteilhaftes Aussehen gegeben. 411Dann ist

Lenz: Ovid. Heilmiitel

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Tunc etiam iubeo totas aperire fenestras Turpiaque admisso membra notare die. At simul ad metas venit finita voluptas Lassaque cum tota corpora mente iacent, Dum piget, et malis nullam tetigisse puellam Tacturusque tibi non videare diu, Tunc animo signa, quodcumque in corpore mendum est, Luminaque in vitiis illius usque tene.

Forsitan haec aliquis — nam sunt quoque — parva vocabit, Sed, quae non prosunt singula, multa iuvant. Parva necat morsu spatiosum vipera taurum; A cane non magno saepe tenetur aper. Tu tantum numero pugna praeceptaque in unum Contrahe: de multis grandis acervus erit. 425 Sed quoniam totidem mores totidemque figurae, Non sunt iudiciis omnia danda meis. Quo tua non possunt offendi pectora facto, Forsitan hoc alio iudice crimen erit. Ille quod obscenas in aperto corpore partes 430 Viderat, in cursu qui fuit, haesit amor; Ille quod a Veneris rebus surgente puella Vidit in inmundo signa pudenda toro. Luditis, o si quos potuerunt ista movere: Adflarant tepidae pectora vestra faces. 435 Adtrahet ille puer contentos fortius arcus: Saucia maiorem turba petetis opem. Quid, qui clam latuit reddente obscena puella Et vidit, quae mos ipse videre vetat? Di melius, quam nos moneamus talia quemquam; 440 Ut prosint, non sunt expedienda tarnen. 420

414 toto corpore membra 5 415 malis nullam R Y E P nullam malis odir malles nullam ( Y C P : ) oder nullam malles o 416 t i b i . . . diu R Y P o diu . . . tibi M ; dium . . . tibi E 417 qu(a)ecumque . . . menda (mende 5) est Y c ». Z. (ausrad. Y 4 ) o 419 hoc P 2 (1') P c 424 magnus P (grandis P £ ) 425 quoniam] quia sunt Ren. | mores totidem ~ P 5 426 indiciis Ren. 431 quod > R autemR 2 tf. Z . 433 moueie] iuuare M a Ren. 434Ad(f)flarunt Y o {eraagemaert) 435contemptos Y c § contemptus R (contentos R s ) N contentus Y P c 437 Quid qui clam Y c V { Quid quidam E Quid quiddam Y Quidquid clam R Y Quid quod clam o Quod quidam P (qui clam P 2 ) P c I latui ? 438 uidi R Y (-it Y 0 ) 5 | quod E | mox ipse R (-a R 2 ) Y 440 expedienda R Y P 2 M o -riendaYcEPo

Vers 411—440 mein dringender Rat, daß du die Fenster ganz öffnest und das helle Licht des Tages auf die Teile fallen läßt, die man lieber nicht nennt. 413Aber sobald die Lust an das Ziel ihrer Wünsche gekommen ist, die Leiber schlaff daliegen und Mattigkeit den Sinn beherrscht, 415während du übersättigt bist und kein Mädchen berühren magst und dir einbildest, du werdest lange Zeit keines berühren, 417dann präge dir jeden Fehler ein, der sich an ihrem Körper findet, und halte deine Augen fest auf ihre Mängel gerichtet. "»Vielleicht wird mancher dies unerheblich nennen, das ist es auch, aber was einzeln nicht nützt, erweist sich in seiner Vielzahl als hilfreich. 421Eine kleine Viper tötet durch ihren Biß einen riesigen Stier. Von einem nicht großen Hunde wird ein Eber oft festgehalten. 423Laß nur die Zahl deinen Helfer im Kampfe sein, und fasse die Vorschriften in eins zusammen: aus vielem wird ein großer Haufen entstehen. 425Aber da es ebenso viele Weisen wie Erscheinungsformen gibt, darfst du dich nicht blind auf mein Urteil verlassen. 427Woran du keinen Anstoß nehmen kannst, das wird vielleicht in den Augen eines anderen ein Grund zum Tadel sein. 429Der eine wurde kalt, weil er am entblößten Körper die bewußten Teile erblickt hatte: der Strom der Leidenschaft, der im Begriffe war hervorzubrechen, geriet ins Stocken; 431der andere, weil er auf beschmutztem Lager Spuren sah, deren er sich schämte, als das Mädchen sich nach getanem Venuswerk erhob. 433Bei euch ist es nur ein leichtes Spiel, wenn schon so etwas auf euch Eindruck machen konnte, nur gelinde hatte die Fackel eure Herzen angeweht. 435 Straffer anziehen wird der gefährliche Knabe den gespannten Bogen, und verwundet werdet ihr alle um wirksamere Hilfe bitten. 437 Stellt euch vor, daß einer im Versteck dabeistand, als das Mädchen einem peinlichen Bedürfnis nachgab, und daß er sah, was die gute Sitte zu sehen verpönt. 439 Mögen die Götter mich davor bewahren, daß ich jemandem so etwas anrate. Es m ag helfen, aber man soll sich seiner doch nicht bedienen.

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Hortor et, ut pariter binas habeatis amicas : Fortior est, plures si quis habere potest. Secta bipertito cum mens discurrit utroque, Alterius vires subtrahit alter amor. Grandia per multos tenuantur flumina rivos, f Haesaque seducto stipite fiamma périt. Non satis una tenet ceratas ancora puppes, Nec satis est liquidis unieus hamus aquis. Qui sibi iam pridem solacia bina paravit, Iam pridem summa victor in Arce fuit. At tibi, qui fueris dominae male creditus uni, Nunc saltern novus est inveniendus amor. Pasiphaes Minos in Procride perdidit ignes, Cessit ab Idaea coniuge vieta prior. Amphilochi frater ne Phegida semper amaret, Callirhoe fecit parte recepta tori. Et Parin Oenone summos tenuisset ad annos, Si non Oebalia paelice laesa foret. Coniugis Odrysio placuisset forma tyranno, Sed melior clausae forma sororis erat. Quid moror exemplis, quorum me turba fatigat? Successore novo vincitur omnis amor. Fortius e multis mater desiderat unum Quam quem flens clamat: „Tu mihi solus eras!" Et, ne forte putes nova me tibi condere iura — Atque utinam inventi gloria nostra foret! — Vidit id Atrides : quid enim non ille videret, Cuius in arbitrio Graecia tota fuit? Marte suo captam Chryseida victor amabat, At senior stulte flebat ubique pater.

441 habeamus E 444 subtrahet P (verb. P 2 ) A 446 Haesaque R Y Cassaque R 2 II. Z. Sectaqui Y c 5 Letaque M Totaque P (1' letal' lesa P2«f. Z.) Laesaqueo c, Magnus Ken. Magnaque E o Altaque, Cunctaque, Multaque 5 Saevaque Merk. Sparsaque oder Fissaque Lenz I seducto R £ de- E g subY o di- P o 450 Arce] urbe M (vgl. Erl.) 451 tibi] tu 5 ] fueris R Y P o fueras E P 2 o 453 procride P progride P e X (Patavinus) prognideYEP 2 o progng deperdidit R 455 Antilochi oder Antigoni 5 | Phegida Antonius Volseus (fast richtig R Y E ) phillida verschieden geschrieben Y c P o 1' flaga( ?)da P 2 Rd. 1' ¡5 (?) phec( ?)ida dahinter P 2 oder P 3 456 Calliope o 457 parin oenone (-§ R) R Y pari so enonen E paris oenonen P (-ne P2) paris oenonen oder -nem o | ad]in P.S-Rf«. 462 amans ? 463 FortiusRY c (ForitusY)E Parcius Y c Ä , Z P o 464 Quam quem Quam que; E Quam que R (quem quoque R 2 ü. Z.) Y o Quam quae P (qui P 2 ü. Z.) Quam qui P c Quam cui Hei. | clamat] dicit P a F 465 prodere 5 tradereP 2 «.Z. (1') § |iussa ? 467 id E o ut R Y P 5 et R 2 469 amauit P (-bat P 2 ü. Z.) § 470 parens P (patei P 2 II. Z.) q

Vers 441—470 Ich rate euch auch, gleichzeitig zwei Freundinnen zu haben; in noch stärkerer Stellung ist, wer noch mehr haben kann. 443 Wenn der auf zwei sich richtende Sinn sich nach beiden Seiten teilt, entzieht die Leidenschaft für die eine der für die andere die Kraft. 445 Mächtige Ströme werden durch viele Rinnsale abgeschwächt, und in ihrer Gewalt gebrochen erstirbt die Flamme, wenn die Holzklötze gesondert werden. 447 Nicht genug hält nur ein Anker das mit Wachs gedichtete Schiff, und nicht genügt ein Haken in strömenden Fluten. 449Wer schon seit langem für einen zwiefachen Trost vorgesorgt hat, der ist schon seit langem siegreich oben auf der Spitze des Kapitols. 451Aber du, der du dich, nicht zu deinem Heile, nur einer Geliebten anvertraut hast, solltest wenigstens jetzt eine neue Liebelei anzetteln. 453Seine Leidenschaft für Pasiphae verlor Minos durch die Vereinigung mit Prokris; von Idaia, der zweiten Frau, aus dem Felde geschlagen, mußte die erste weichen. 456 Daß des Amphilochos Bruder nicht immer für die Tochter des Phegeus erglühte, bewirkte Kallirhoe, die in einem Teile des Bettes aufgenommen wurde. 487 Den Paris hätte Oinone bis in die spätesten Jahre behalten, wäre ihr nicht von der oibalischen Nebenfrau ein Leid angetan worden. 459 Die schöne Gestalt seiner Frau hätte dem odrysischen Herrschet auch weiter gefallen, aber noch vorzüglicher war die Schönheit ihrer Schwester, die er in sicheren Gewahrsam gebracht hatte. 461Was halte ich mich mit Beispielen auf, deren gedrängte Fülle mich ermüdet? Jede Liebe wird überwunden, wenn ein neuer Gegenstand an ihre Stelle tritt. 463 Mit stärkerem Herzen entbehrt eine Mutter von vielen Söhnen einen als die, welche unter Tränen ausrufen muß: „ D u warst mein Einziger!" 465 Damit du nicht etwa denkst, ich wolle neue Satzungen für dich festlegen — ich "wünschte, ich könnte den Ruhm der Erfindung für mich in Anspruch nehmen —, 467erinnere ich dich an den Atriden; er sah es, denn was hätte ihm entgehen können, unter dessen Oberherrschaft ganz Griechenland stand? 469Unter seiner Führung war Chrysei's gefangengenommen worden, und er, der Sieger, war von Liebe zu ihr erfüllt, aber ihr betagter Vater vergoß

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Quid lacrimas, odiose senex? bene convenit illis, Officio natam laedis, inepte, tuo. Quam postquam reddi Calchas ope tutus Achilli Iusserat, et patria est ilia recepta domo, „Est" ait Atrides „illius proxima forma Et, si prima sinat syllaba, nomen idem. Hanc mihi, si sapiat, per se concedat Achilles; Si minus, imperium sentiet ille meum. Quod si quis vestrum factum hoc accusat, Achivi, Est aliquid valida sceptra tenere manu. Nam si rex ego sum, nec mecum dormiat ulla, In mea Thersites regna licebit eat." Dixit et hanc habuit solacia magna prioris, Et posita est cura cura repulsa nova. Ergo adsume novas auctore Agamemnone flammas, Ut tuus in bivio distineatur amor. Quaeris ubi invenias? Artes tu perlege nostras: Plena puellarum iam tibi navis erit.

Quod si quid praecepta valent mea, si quid Apollo Utile mortales perdocet ore meo, Quamvis infelix media torreberis Aetna, Frigidior dominae fac videare tuae. Et sanum simula, ne, si quid forte dolebis, Sentiat, et ride, cum tibi flendus eris. 4»5 Non ego te iubeo medias abrumpere curas, Non sunt imperii tam fera iussa mei. Quod non est, simula positosque imitare furores: Sic facies vere, quod meditatus eris. 490

471 contigit Ren. | illi Y c 5 Ren. 472 tuam P 2 U.Z. (tuo P?) o 473 achilli O a (Hei.) achillis to (R2 Y c ) achilles R Y 474 patris E ? | patria... domo] patrio . . . sinu F 2 (1') 475 Est ait atrides illius E o Atrides ait est illius R Y o Atrides ait illius est iam (iam wisp.) P 476 sy(i)llaba R Y H a M b X (Lincolniensis) littera 10 (Yc) | idem + est P o 477 concedat R Y P o -det E o 478 sentiat R {verb. R2) e, 479 accuset ? incusat ? Ren. 481 dormiet c, ( ulla R Y (vor Verb.) it. Z. (1') M (?) ilia Y {nach Rad.)to • 484 pqsita est cura R Y H a prior est curaY c P (cura durchstrichen und darüber posita P 2 ) M o prior est posita E o | repulsa] sepultaX {Lincolniensis) 485 flammas] curas P (amores P 2 ti. Z., flammas P 2 Rd.) D 486 distineatur die Hs. des Seal, destineatur R Y detineatur a. Z. N Reti. 6 2 5 a ] e P (aP-) F e, et E ( f ) 630 posses . . . erat E 632 multam P 2 Rd. (1') Ren. Ken. 634 u i s a . . . equa E H a Ti Reti. 641 illa] ipse Ren. 642 suo R 2 (He».) 643 f i n i t i . . . amoris] - t o . . . -ri P 2 il. Z. (1') | reddis] qu(a)eris Y c o 644 querenda] dolenda o dolendo E 645 sic + te E (TC, verb. Pol.) 646 Vt R Y P 2 (1*)o D u r p R ' Y ' i / . Z . E P o | defluatP 2 647desisse]doluisseY c Rd. asiens, eine der als Dodekanes zusammengefaßten Inseln) bezeichnete Dichter ist Philitas. Auf ihn spielt Ovid ohne Namensnennung auch Tristien 1, 6, 2 und Ex Ponto 3, i , 57 f. an. In den 'Remedia' verkehrt er den Ars 3, 329 ff. gegebenen Rat in sein Gegenteil. An beiden Stellen stehen die hellenistischen Dichter voran, dann folgen Anakreon und Sappho in der 'Ars', Sappho und Anakreon in den 'Remedia'. Da Anakreons Name im elegischen Versmaß nicht unterzubringen war, mußte an seine Stelle ein Hinweis auf die Heimatinsel Teos treten, deren Name in den meisten Handschriften schlimm entstellt ist. Will Ovid durch die Anordnung der Dichter7

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namen andeuten, daß die hellenistischen Dichter ihm für sein Künstlertum wesentlicher sind als die hellenischen Lyriker? Menander, der in der Ars 3, 332 auf Sappho folgt, ist in den 'Remedia' nicht berücksichtigt. Die Zeugnisse über Philitas und die Fragmente seiner Dichtungen sind gesammelt und interpretiert in der sehr nützlichen Dissertation von Adalbert Nowacki, Philitae Coi fragmenta poetica, Münster 1927. Zur Ergänzung verweise ich auf Paola d'Angelo Capra, Fileta poeta d'amore ?, Annali della Facoltà di Lettere e Filosofia dell'Università di Cagliari 16 (1949) mit der besonders eingehenden Rezension von L. Alfonsi, Aegyptus 29 (1949) 144—161. 763—766 Die Dichter der römischen Liebeselegie sind ohne Rücksicht auf die Chronologie genannt. An erster Stelle steht Tibull, dem Ovid sich nach seinem Selbstzeugnis persönlich und menschlich am engsten verbunden gefühlt hat (Amores 3,9), dann folgt Properz, der nur durch den Namen der Frauengestalt gekennzeichnet ist, um die fast seine gesamte Dichtung kreist, erst dann wird der Schöpfer der „subjektiven" erotischen Elegie genannt, Cornelius Gallus, den wir nur indirekt kennen, da Augustus dafür sorgte, daß die Erinnerung an den des Hochverrates beschuldigten Mann, der sich einem politischen Prozeß durch Selbstmord entzog, ausgelöscht wurde. Zuletzt nennt Ovid sich selbst („meine Gedichte"). In der Ars 3, 333—340 verfahrt er anders: Properz, Gallus, Tibull, Varrò (Atacinus), Vergil und er selbst. Vergil hat er sich in den'Remedia'bereits 395 f. gegenübergestellt (vgl. o. S. 87). Wenn er übrigens in der 'Ars' von der 'Aeneis'sagtQuo nulluni Latio clarius extat opus, so sehe ich in diesen Worten eine Bestätigung für die Richtigkeit der Lesart opus in Vers 396. 767 ff. Die Ausfuhrungen über den Nebenbuhler sind bereits 543 f. angebahnt, dort aber nicht ausgeführt. 771 f. Ovid setzt die Bekanntschaft des Lesers mit dem achten Heroidenbrief voraus, den er Hermione, die Tochter des Menelaos und der Helena, an Orestes schreiben läßt. Der Rivale ist Neoptolemos (Pyrrhos), der Sohn des Achilleus. 773—776 Die Anrede an Menelaos, der seine Ehe leichtsinnig gefährdet, ist o. S. 6 besprochen; dort habe ich auch auf die Varianten lentus und laetus hingewiesen.777 f. Wieder ist auf einen der Heroidenbriefe zu verweise:., den dritten, den Briseis an Achilleus schreibt. Der pleisthenische Mann, dem Briseis Freude bereitet, ist Agamemnon, Sohn des Atreus und Enkelsohn des Pleisthenes. 779 In diesem Verse liegt anscheinend der interessante Fall vor, daß die richtige Wortstellung nur in E erhalten geblieben, aber in R Y P umgeändert ist. Gehören die Worte mihi credile zu dem vorhergehenden Necfrustra flebat (nämlich Achilleus) oder zu dem folgenden feci/ Atriies? Ich ziehe jetzt mit den anderen Herausgebern die erste Möglichkeit vor, und zwar aus folgendem Grunde: daß Agamemnon Briseis, entgegen seiner Versicherung, im Bett gehabt hat, ist eine stark betonte Behauptung. Damit sie den nötigen Nachdruck erhält, ist das Verb feci! an den Anfang gestellt und braucht nicht durch eine folgende Aufforderung, dem Behauptenden zu glauben, noch mehr hervorgehoben zu werden. Dagegen bedarf die Tatsache, daß ein Krieger wie Achilleus nicht ohne Grund um eine verlorene Bettsklavin, die sich leicht ersetzen ließe, weint, einer verstärkenden Versicherung. Aus den dre< Wortanfangen mit /lassen sich nach keiner Seite Schlüsse ziehen. 783 tangere in der Bedeutung „ein Mädchen geschlechtlich berühren" ist in der lateinischen Literatur ebenso selten wie rpaveiv in der griechischen. Kaibel kennt in seiner o. S. 8; genannten Ausgabe der. Epigramme Philodems in seinem Kommentar zu II = Anthologia Palatina 1 2 , 1 7 3 , 3 nur Sophokles, Trachinierinnen 565 und außer der Stelle in den 'Remedia' noch Terenz, Adelphoe 686 (ebenso Heauton timoroumenos 819); intactus ist etwas weniger ungewöhnlich. 784 Im neunten Buch der Ilias schwört Agamemnon nicht bei seinem Szepter, wohl aber tut es Achilleus in der Streitszene im ersten Buch (234). Entweder hat der Dichter sich nicht die Mühe gemacht, die beiden Stellen in seinen Rollen zu suchen, und sich, diesmal mit Unrecht, auf sein Gedächtnis verlassen, oder er hat sich, wenn er das wagen durfte, die Freiheit genommen zu ändern, weil er die leicht-

Erläuterungen

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fertige Bemerkung „Ein Eid bei einem leblosen Stück Holz oder Elfenbein ist ktin Eid bei den Göttern, also gefahrlos" nicht entbehren wollte. Rechnete er darauf, daß seine Hörer und Leser sich der beiden Szenen bei Homer nicht so genau erinnern würden? Vielleicht war ihm diese Erwägung auch gleichgültig. Der Vers ist eine Variation von s 19, die fast einer Wiederholung gleichkommt.

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Der besonders schwer zu befolgende Rat, einem bisher gefürchteten Nebenbuhler Küsse zu geben 794 und ihn nicht nur zu grüßen, mag einem nichtitalienischen Leser seltsam scheinen. Er ist es nicht, wenn man weiß, daß Freunde und gute Bekannte sich, auch bei Begegnungen in der Öffentlichkeit, auf die Backen küssen. Ovid meint daher: betrachte deinen schlimmsten Feind als guten Freund. In seiner Beschreibung der Zwiebeln beruft Plinius, Naturgeschichte 19, 93—95 ¡¡ich auf Catos land- 797 f. wirtschaftliches Buch 8,2, in dem die megarische Zwiebel am meisten gerühmt wird. Megara ist eine am Übergang von Mittelgriechenland zum Peloponnes liegende wichtige Handelsstadt und starke Konkurrentin Athens. Als besonders gut nennt Plinius auch die von der Krim kommende Zwiebel und gleich nach dieser an Güte die afrikanische — sie meint Ovid mit der Bezeichnung libysch — und die apulische. Daunus ist ein legendärer König, nach dem die am Adriatischen Meere liegende Landschaft Apulien Daunia genannt wurde. Naturgeschichte 20, 105 bezeichnet Plinius die megarische Zwiebel als besonders starkes Mittel zur Reizung des Geschlechtstriebes. Die Rauke erwähnt Plinius öfters, an drei Stellen mit dem Zusatz, daß sie den Geschlechtstrieb steigere, 799 19,154 und 20,19 (hier mit Berufung auf Diokles), 10,182 mit besonderer Betonung ihrer Wirkung auf den Mann. Über die Raute als Mittel zur Schärfung der Sehkraft vgl. Plinius, Naturgeschichte 20,134, der be- 801 merkt, daß Steinschneider und Maler sich ihrer bedienen. Das Schwanken der Handschriften zwischen Et und Vt ist an sich zwar geringfügig, aber von ty- 806 pischer Bedeutung und verdient daher hier ein paar Worte. Et bedeutet „und dadurch" oder „und infolgedessen". Vt scheint mir von einem Grammatiker eingeführt zu sein, der pedantisch auf strenge Logik bedacht war. So würde ein Scholiast glossieren. Die Uberlieferung ist von Vollmer," Hermes 52 (1917) 469 richtig beurteilt worden. Er hätte noch 807 hinzufügen können, daß die Interpolation Ignem ventus alit durch das originale alit in 808 nicht nur entlarvt wird, sondern inspiriert ist. In den zwei Distichen des Epilogs läßt der Dichter noch einmal zwei Motive anklingen, die in dem 811—814 ganzen Gedicht wichtig sind. Er erinnert an das Bild von dem Steuermann, der das Schiff sicher in den Hafen bringt (vgl. 70 und 577), in dem es nach glücklich vollendeter Fahrt bekränzt, aber nicht als ausgedient aufs Land gezogen, sondern für eine neue Fahrt wieder bereitgemacht wird. Wir denken noch einmal an den Vers 392 mit seiner Ankündigung der schon in Arbeit befindlichen großen Dichtungen. Darüber hinaus erinnert er an seine zweifache Funktion als Seelenarzt und als Dichter, der sein medizinisches Können und seine schöpferische Kunst dem einen Gott verdankt, unter dessen Schutz er steht. Das entscheidende Wort sanati steht nicht zufällig im letzten Vers. Wenn er sich mit den Worten sacer poeta eines so oder ähnlich oft gebrauchten Ausdruckes bedient, so hat er sich wiederum in diesem Gedicht nicht allzu ernst genommen, und auch der Leser sollte es nicht tun. Wenn V . Pöschl, Horaz und die Politik (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl. 1956,4) 15 bei Horaz mit Recht von einer „Erneuerung der griechischen Vogstellung von der Gottnähe des Dichters und der lucrezischen des Dichters als Erlösers und Befreiers gesprochen hat und fast von einer „Religion des Dichtertums" reden möchte, so ist Ovid mit diesen Vorstellungen und Gefühlswerten natürlich ganz vertraut, und der Epilog der 'Metamorphosen' zeigt, wie er sich ausdrücken konnte, wenn er es ernst meinte. Die Gottnähe und die Aufgabe des 8

Lenz: Ovid, Heilmittel

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Heilmittel gegen die Liebe

Dichters als Erlöser haben wir auch in den 'Remedia' gefunden, aber der Inhalt des Werkes und die Formgebung stehen in einem Gegensatz zueinander, dessen der Dichter sich sehr wohl bewußt ist und den er absichtlich nicht vermieden hat. Der Abstand, der Ovid als Dichter einer Übergangszeit von der Generation des Vergil und Horaz trennt, wird in diesen vier Versen in stärkster Konzentrierung spürbar. Wenn der Dichter, der das Ende seines Werkes glücklich erreicht hat, sich als einen Seefahrer sieht, der in den schützenden Hafen gelangt, so ist dieser Vergleich eine Art Prototyp geworden für die vielen Stoßseufzer, die mittelalterliche Schreiber nach glücklicher Beendigung ihrer Abschriften dem Pergament anvertraut haben. Diese Bekenntnisse, unter denen gerade der Vergleich mit dem Seefahrer häufig ist, hat W. Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter, }. Aufl. Leipzig 1896, 278 ff. genauer besprochen. O b die Schreiber sich der Ovidstelle erinnert haben oder einer von selbst auf den Vergleich verfallen ist, der dann in den verseniedenen Schreibschulen populär wurde, ist natürlich nicht mit Sicherheit zu sagen.

NACHTRÄGE Zu 249 Außer Ewalds erklärender Ausgabe der Metamorphosen ist natürlich jetzt auch die neue Bearbeitung durch M. von Albrecht (Zürich/Dublin 1966) zu vcrglcichcn. Zu 29; fuit ist so zu verstehen wie der griechische gnomischc Aorist. Daher besteht kein Grund, die an sich gute Konjektur von Heinsius sui aufzunehmen. Zu 317 ff. Die Elegie Amores I,J habe ich jetzt in einer Sonderuntcrsuchung behandelt, vgl. Das Altertum 13 (1967) 164—175. Sie ist erst während der Drucklegung dieser Erläuterungen erschienen. Zu 419 Owen's Kommentar ist vor kurzem bei A.M. Hakkert in Amsterdam photomcchanisch reproduziert worden und daher wieder leicht zugänglich.

REGISTER Alter (aetas) 45 Ammons- (Ammoniacus) 94 (s. Salz) Antlitz s. Gesicht Arm (lacertus) 75 Athos 30 Attisch 82 (s. Honig) Baum (arbor) 6 Beschwörungslitanei (cantus) 39 Bleiweiß (cerussa) 73 Boden (bumus) 3. 74 Bohne (fabafi 70 Brauch (lex) 25 Brombeerbusch (rubus) 4 Bürde (onus) 22 Ceres (Gaben der) 3 f. Dach (tectum) 7 Drittel Pfund (Mens) 86 Edelstein (gemma) 20 Ei (ovum) 55 Elfenbein (ebur) 10 Erde (terra) 8 Erve (ervum) J J Erzbecken (aes) 41 Eselin (asella) 58

Gewicht (pondus) 76. 79. 86 Glieder (artus) 51 Gold (aurum) 7 Gram (dolor) 48 Gras (gramen) 37 Grund (causa) 48 Gummi 87 Haar (capillus) 19; (coma) 29 Hals (eollum) 21 Hand (manus) 20. 36. 93; (dexlra) 64 Hirsch (cervus) 59 Höhlung s. Sieb Honig (mel) 66. 82. 90 Horn (cormi) 59 Illyrisch 74 (s. Boden) Indien 10 Iris 74 Iunonisch 33 (s. Pfau) Kessel (aenum) 9 Kleidung (vestis) 18 Körper (corpus) 18. 70. 81. 8j Kräuter (herbae) 35 Kunstfertigkeit (ars) 36

Farbe (color) 98 Fenchel (marath (r) us) 91. 92 Flecken (macula) 78 Frucht (pomum) 5 Fülle (opes) 6 Fürsorge (cura) 1. 23; (tutela) 43

Land (rus) 12. 29 Liebe (amor) z-j. 35. 45. j o Libysch 53 (s. Siedler) Loch s. Sieb Luft (aura) 57 Luna 42 Lupine 69

Gerste (bordeum) 53. 56. 95 Gesicht (facies) 1.44; (os) jz. 78. 98; (vultus) 46. 67. 97

Mädchen (puella) 1. 17. 43; (virgo) 32 Marmor 8. 64 Marsisch 39 (s. Beschwörungslitanei)

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Heilmittel gegen die Liebe

Ilion (Troia) 16} Iros 747 Iuno vgl. 711 f. Iuppiter $70 Kalchas (oberster Priester der Griechen vor Troia) 47$ Kaienden 56: Kallimachos 381. 7J9. 760 Kallirhoe 456 Kaphereus 735 Kapitol 450 Kirke 263.287; vgl. Perselsche Kräuter und Sol Kleopatra (erste Frau des Königs Phineus) vgl. 454

Knossische Königin (Pasiphae) 745 Koischer Dichter (Philitas) 760 Kolchisches Mädchen (aus dem Lande Kolchis am Schwarzen Meer: Medea) 262 Kreta 77} Kydippe 382 Laodameia 724 Lar (Schutzgottheiten des Hauses und übertragen von Herd und Haus gebraucht) 237. 239. 302

Lethaeus (Vergessen bringend) 551, s. Amor Libysche Gestade 797 Li vor (Neid) 389 Lotophagen (gastfreundliche Völkerschaft an der kleinen Syrte in Nordafrika. Sie gaben dem Fremden Lotos zu essen und hielten ihn dadurch bei sich fest: Homer, Odyssee 9,8 2 ff.) 789

Luna (Mondgöttin) 25 8 Machaon (Adj. Machaonius; Arzt im griechischen Heere vor Troia) 546 Maionisches Versmaß (Hexameter; Maionia Landschaft im kleinasiatischen Lydien, der Heimat Homers) 373 Mars (Kriegsgott) 6.153.469; vgl. 27.160 Medea vgl. 59; s. Kolchisches Mädchen; vgl. Phasisches Land Megara 798 Meleager vgl. 721 Menelaos 65. 773

Minerva vgl. 711 f. Minos 45 3 Muse 12. 362. 387. 609 Myrrha 100 Naso (Beiname Ovids) 71. 72. 558; vgl. 813 (sacer poeta); vgl. mea carmina 766 Nauplios vgl. 736 Neoptolemos vgl. 772 Neptun (Meeresgott) 743 Neritische Schiffe (des Odysseus; Neritos Insel im Ionischen Meer unter seiner Herrschaft) 264

Nise'is (Skylla, Tochter des Nisos) 737 Nisos 68 Odrysischer Herrscher (Tereus; Odrysier: thrakische Völkerschaft) 459 Odysseus (Ulixes) 285; vgl. 265; vgl. Dulichisch und Neritisch Oibalische Nebenfrau (Helena; ihr Großvater Oibalos, spartanischer König) 458 Oinone 457 Orestes (Sohn Agamemnons, Rächer seines Vaters und Mörder seiner Mutter) 589. 771 Palamedes vgl. 736 Palinurus (Steuermann des Aeneas) >77 Paris 6j. 457. 573. 7 1 1 . 775 Parther 155. 224; Adj. 157 Pasiphae 63. 453; vgl. Knossische Königin Pelion (Adj. Pelias: Speer des Achilleus vom Pclion) 48 Penelope (die Frau des Odysseus) vgl. 12 Penthesilea (die Königin der Amazonen) 676 Pergamon (Troia) 66 Perseische Kräuter (Persa Mutter der Kirke) 263 Phaidra 64. 743 Phasisches Land (Phasis Grenzfluß zwischen Kleinasien und Kolchis, dem Lande der Medea) 261 Phegis (Alphesiboia, Tochter des Phegeus) 455 Philitas s. Koischer Dichter Philoktetes s. Poias Philomela 61; vgl. 460 Phineus 355; vgl. 454 Phoibos 76. 200. 256 (Sonne). 585 (Tag). 704. 705. 706

Register Phyllis 55. 591. 606. 607; vgl. SithonischesMädchen Pleisthenes' Nachkomme (Agamemnon) 778 Podaleirios (Sohn des Asklepios, Bruder des Machaon, Arzt) 313 Poias' Sohn (Philoktetes) i n Prokris 453 Prokne vgl. 459 Properz vgl. 764 Puteal 561 Pylades 589 Rhesos 282 Rom 223; vgl. 291. 292 Sabbat 220 Sappho 761 Sirenen (Vögel mit Mädchengesichtern, die durch ihre Stimmen die vorüberfahrenden Schiffer ins Verderben locken: Homer, Odyssee 12, 52 ff.) 789 Sithonisches Mädchen (Phyllis) 605 Skylla (Tochter des Nisos) 67 (vgl. Niseis) Sols Tochter (Kirke) 276; vgl. Phoibos

IOJ

Syrten (zwei gefahrliche Sandbänke an der afrikanischen Küste) 739 Teische Muse (Anakreon) 762 Telephos vgl. 47 Tereus 61; vgl. Odrysischer Herrscher Thais 383. 384. 38;. 386 Thersites (einer der Griechen vor Troia, wegen seiner Häßlichkeit und seiner Verleumdungssucht berüchtigt und verachtet) 482 Thestias (Althaia, Tochtes des Thestios) 721 Tiber (Fluß) 257 Tibull 763 Troia 281. 368; vgl. Troianischer Krieg 1 1 4 ; vgl. Ilion und Pergamon Tydide (Sohn des Tydeus, Diomedes) j Tyrische Purpurschnecke 708 Venus 103.143.159.200. 357.405.407.431.712. 800. 802. 805; vgl. 5. 29 (Mutter Amors); vgl. Appias Vergil 396; vgl. 367 f. Zoälos 366

DIE PFLEGE DES WEIBLICHEN GESICHTES

EINFÜHRUNG Im dritten Buch der 'Ars' widmet Ovid einen Abschnitt von 29 Distichen den Toilettenkünsten und Schönheitsmitteln der Frauen (193 — 250). Dabei gedenkt er in einer kurzen Bemerkung seines früheren Gedichtes, das er über diesen Gegenstand geschrieben hat. 20 5—208 sagt er: Est mihi, quo dixi vestrae medicamina formae, parvus, sed cura grande, libellus, opus', hinc quoque praesidium laesae petitote figurae, non est pro vestris ars mea rebus iners. (Ich habe ein Büchlein, klein, aber durch meine Fürsorge ein gewichtiges Werk, in dem ich gesprochen habe von den Mitteln zur Pflege eurer Wohlgestalt; auch aus ihm sollt ihr Rat holen, um beeinträchtigter Schönheit aufzuhelfen, nicht ist für eure Belange meine Kunst untätig.) Wenn daher in den Titeln der Handschriften vom elften Jahrhundert ab das Wort libellus erscheint, so könnten die Redaktoren sich mit Recht auf die eigenen Worte des Dichters berufen. Damit ist aber nicht gesagt, daß der Dichter sich dieser Bezeichnung auch in dem Originaltitel bedient hat. In den 'Remedia' (Vers 1) ist er nicht anders verfahren, und doch wird libellus weder in dem Titel der Handschrift R (9. Jahrhundert) noch in einem der späteren gebraucht. Ob der Originaltitel Medtcamina faciei oder Medicamina faciei femineae1 war, läßt sich nicht mit Sicherheit entscheiden. Die älteste Handschrift hat Libellus de medicamine faciei femineae. Für sie ist U. von Wilamowitz-Moellendorff nachdrücklich eingetreten2. De medicamine scheint mir jetzt für Ovids Zeit aus sprachlichen' Gründen unmöglich. Kenney hat vor dem Text den von Ehwald vorgeschlagenen Titel gewählt, billigt aber im Apparat den zu Heinsius' Zeit bevorzugten Titel Medicamina faciei. S. G. Owens Vorschlag3 De medicamine formae beruht in anderer Weise auf Ars 3, 205 (s. o.). Wenn Ovid sagt Est mihi libellus, so dürfen wir aus diesem Selbstzeugnis schließen, daß das Gedicht bereits veröffentlicht und bekannt war. Mit dieser selbstverständlichen Schlußfolgerung hat E. Martini4 natürlich recht; auch das hat er richtig hervorgehoben, daß das Gedicht demselben literarischen Genos der Lehrdichtung angehört wie die 'Ars', so wesensverschieden es ist, aber Martini hat nicht genügend beachtet, daß der Hinweis sich erst im dritten Buch findet. Bei der Besprechung der chronologischen Frage (zu Remedia 155 f., o. S. 82) hätte ich daran erinnern können, 1

Diese Kombinierung mehrerer Fassungen hat Ehwald in der Teubnerausgabe, Leipzig 1888, X X X I vorgenommen. 2 Liber Nucis, in: Commentationes philologae in honorem Th. Mommseni, Berlin 1877,391. 3 Gassical Review 3 (1889) 212. 4 Einleitung zu Ovid, Brünn 1933 (Schriften d. Philos. Pak. d. Dt. Univ. in Prag 12), 27.

Einführung

daß das diitte Buch der 'Ars' jünger ist als die beiden ersten. Es läßt sich also nur mit Sicherheit sagen, daß die 'Medicaminafaciei' vor Ars, Buch 3 anzusetzen sind, während das zeitliche Verhältnis zu Ars, Buch 1 und 2 nicht absolut festgelegt werden kann. Dazu stimmt, daß eine andere Stelle der 'Ars', an der Ovid über Körperpflege (cultus) spricht und die auffallende Berührungen mit den'Medicamina faciei' aufweist, ebenfalls im dritten Buche steht (101 ff., ich führe die Einzelheiten in den Erläuterungen an). Der kurze Hinweis Remedia 341 ff. (o. S. 44 f.) lehrt, daß Ovid an Kosmetik ein wirkliches Interesse gehabt hat. Der nicht ganz unwichtige Unterschied ist, daß er sich weder in der 'Ars' noch in den 'Remedia' an die verheirateten Frauen der Gesellschaft wenden darf und will. Ich erinnere an den ausdrücklichen Vorbehalt, dem wir in den Remedia 386 begegnet sind, während wir in den 'Medicamina' trotz der ausdrücklichen Anrede an die puellae in Vers 1 einem Hinweise auf die positive Stellung der nupta zu dem hier behandelten Gegenstande begegnen (Vers 26). Er rechnet also auf einen weiteren Leserkreis, aber diese Beobachtung gestattet schwerlich, irgendwelche chronologischen Schlüsse über die Beziehungen zwischen Ars, Buch 1 und 2 und 'Medicamina' zu ziehen. Die bis zu fast wörtlicher Übereinstimmung gehende Ähnlichkeit zwischen Medicamina 32 und 33 und Ars 1, 624 und 627 (vgl. die Erläuterungen u. S. 122 f.) erklärt sich am leichtesten durch die Annahme, daß der Dichter an beiden Werken gleichzeitig gearbeitet hat, und ist für die oben aus Buch 3 angeführte Bemerkung über das Vorliegen des Gedichtes bedeutungslos. Ich glaube ebensowenig wie W. Kraus1, daß sich durch den Vergleich dieser und der anderen in den Erläuterungen erwähnten Übereinstimmungen die Priorität der Ars, Buch 1 und 2 mit Sicherheit erweisen läßt, wie M. Pohlenz2 behauptet. Wenn Kraus für die entgegengesetzte Annahme eintritt und zur Stützung seiner Annahme, daß die 'Medicamina' Ovids erster Versuch in der Lehrdichtung sind, sich auf „den primitiveren Charakter des Werkchens" beruft, so ist das nur ein Argument subjektiven Empfindens, bei dem er zwei Dichtungen miteinander vergleicht, die sich im Grunde nicht vergleichen lassen; denn die Tatsache, daß auch die 'Ars' sich den Anschein einer Lehrdichtung gibt, ist keine für die Ermittlung zeitlicher Beziehungen geeignete Grundlage. Auch aus einer anderen, an sich richtigen Beobachtung lassen sich keine chronologischen Schlüsse ziehen. Es ist nämlich hervorgehoben worden, z. B. von Hermann Fränkel, Ovid 204, Anm. 4, daß der Dichter in den Medicamina 18—22 von der mit kostbarem Gold besetzten Kleidung und teurem Juwelenschmuck spricht, während er Ars 3, 129 ff. und 169 ff. den Mädchen abrät, davon übertriebenen Gebrauch zu machen, aber wenn man sich an Remedia 343 f. erinnert, so wird man auf diesen Gegensatz kaum zu großen Wert legen. 1

RE18,2,1953. * De Ovidi carminibus amatorüs, Universitätsprogramm Göttingen 1913, 23. Auf die nicht sehr erfreuliche Polemik zwischen Th. Birt und M. Pohlenz, Berl. philol. Wochenschr. 33 (1913) 1223 ff. und 1499 ff., die durch Pohlenz' Programm veranlaßt wurde, gehe ich hier nicht im einzelnen ein. Auf einiges wird in den Erläuterungen zurückzukommen sein.

io8

Die Pflege des weiblichen Gesichtes

Warum es den Dichter gereizt hat, auch auf diesem Gebiet als Sachverständiger und Berater der römischen Damen aufzutreten, die diese Mittel reichlich gebrauchten, ist eine Frage, die jeder nach seinem Belieben beantworten kann1. Nur eines sollte man, wenn man darüber nachdenkt, berücksichtigen, daß das Interesse Ovids an diesen uns wenig poetisch dünkenden Dingen weder isoliert noch auf ihn beschränkt ist. Wir haben nämlich in der Naturgeschichte des Plinius (30, 3}) eine merkwürdige Notiz: „Den verschiedenen Arten der Halsbräune (anginae) läßt sich sehr schnell abhelfen durch Gänsegalle mit dem Safte der Essiggurke und Honig, dazu dem Hirn einer Nachteule und der Asche einer Schwalbe, getrunken in (aus) warmem Wasser. Der Gewährsmann für dieses Heilmittel ist der Dichter Ovid." Es läßt sich schwer denken, daß er in den 'Medicamina' eine Gelegenheit gefunden hat, dieses Rezept mitzuteilen, und ebensowenig kann man sich vorstellen, wo und wie er es sonst verwendet hat. Daß es versifiziert war, ist wahrscheinlich. Andererseits sehe ich keinen Grund, das Zeugnis des Plinius als unglaubwürdig zu verwerfen. Wir dürfen vielleicht sogar noch einen Schritt weiter gehen. Ein vom Ende des zwölften Jahrhunderts ab bis in die Renaissance in Handschriften häufig begegnendes Gedicht enthält ein Rezept gegen Taubheit. Sein Titel ist 'De medicamine aurium' oder 'surdi'. Es gehört zu den vielen Gedichten, die im Mittelalter aus den verschiedensten Gründen unter dem Namen Ovids verbreitet wurden und sich in der Regel großer Beliebtheit erfreuten. Ich habe dieses Gedicht vor kurzem neu herausgegeben2. Der Unbekannte, der es zuerst unter den Namen Ovid stellte, wird sich der Pliniusstelle erinnert haben. Sie bot ihm eine willkommene Stütze, denn sie beweist, daß Ovid für pharmazeutische und verwandte Dinge ein ungewöhnliches Interesse gehabt hat. Aber das ist nicht alles. Wenn wir die Handschriften prüfen und ordnen, die das Gedicht enthalten, und wenn wir das Gedicht selbst interpretieren, so zeigt sich, daß es im Mittelalter ein Rezeptbuch in Versen gegeben hat, in dem nicht nur das Gedicht über die Heilung der Taubheit einen Platz gefunden hatte, sondern auch Ovids 'Medicamina' oder vielmehr die fünfzig Distichen, die sich aus dem Altertum gerettet hatten. Ich habe diese Fragen in der erwähnten Neuausgabe ausführlich behandelt und wiederhole daher die Einzelheiten nicht. Und schließlich, ist es nicht die gleiche Neigung, rein gegenständliche Beobachtung der umgebenden Natur wie auch immer poetisch zu formen, die Ovid dazu trieb, als er nicht wußte, was er mit seiner Zeit in Tomis anfangen sollte, die Fische des Schwarzen Meeres in einem lehrhaften Gedichte zu beschreiben, dessen teilweisem Verlust wir ebensowenig schmerzlich nachtrauern wie dem des größten Teiles der 'Medicamina'? Ob das Bruchstück, das uns unter dem Titel 'Haliéutica' erhalten ist, mit dem ovidischen Gedicht identisch ist oder nicht, ist eine immer wieder erörterte Streitfrage. Die Mehrzahl der modernen Forscher neigt dazu, sie negativ zu beantworten8. 1

Man vergleiche die ebenso hübsch wie phantasievoll geschriebene Darstellung in L. P. Wilkinson's o. S. 12 Anm. } erwähntem Buche, S. 118—120. 8 Ovidiana. Recherches sur Ovide. Publiées à l'occasion du bimillénaire de la naissance du poète par N. I. Herescu, Paris 1958, $26—540. * Vgl. die Praefatio meiner zweiten Ausgabe, Torino 19J7 (Corpus Paravianum).

Einfühlung

Ovid ist, wie ich schon sagte, nicht der einzige Dichter, der sich in vollem Wissen um sein Formtalent zur Gestaltung eines Stoffes verlocken ließ, der mindestens etwas spröde genannt werden muß. Schwerlich wird jemand geneigt sein zu glauben, daß der Dichter sich der Mühe der Rezeptsammlung selbst unterzogen hat. Eine vermutlich umfangreiche kosmetische Literatur in griechischer Sprache, von der das Brauchbarste vielleicht in lateinischen Ubersetzungen vorlag, vielleicht auch umgearbeitet und römischen Bedürfnissen angepaßt war, wird ihn dieserArbeit überhoben haben1. Nur jemand, der wußte, daß die Worte sich ihm unter der Feder zu Versen fügten, konnte wagen, an eine Aufgabe dieser Art heranzugehen, bei der die Gefahr groß war, daß nichts herauskommen würde als ein versifiziertes Handbuch. In den ersten fünfundzwanzig Distichen hat er sie mit Geschicklichkeit und Erfolg vermieden, aber sobald er sich nach dem Proömium dem eigentlichen Gegenstande zuwendet, werden die wirklichen Schwierigkeiten deutlich. Aber wenn andere seiner Zeitgenossen oder der vorhergehenden Generation Gedichte über die Künste des Färbens und der Töpferei und über Brett- oder Würfelspiele schrieben, warum sollte er sich nicht an das Thema Kosmetik wagen, zumal es ihn von dem Gebiete nicht hinwegführte, das ihm zu dieser Zeit für sein Dichten das wesentlichste war? Auf Grund des kurzen Bruchstücks, das uns erhalten ist, können wir nicht urteilen, aber maii fühlt sich versucht, sich auszumalen, daß er sich die Gelegenheit nicht hat entgehen lassen, geistvolle Bemerkungen zu machen oder auf seine Weise Geschichten einzuflechten. Daß er sich als Kind einer Zeit fühlt, die auf nicht zurechtgemachte Frauen mit Geringschätzigkeit sieht und sie, ohne es sich einzugestehen, in einem versteckten Winkel des Herzens doch bewundert, spricht er ix f. sehr deutlich aus. Der Aufbau der hundert Verse, die wir haben, stellt alle Herausgeber und Erklärer vor die größten Schwierigkeiten. Man braucht nur die Ausgaben des 19. und 20. Jahrhunderts anzusehen, um zu erkennen, welcher Art diese Schwierigkeiten sind. Einstimmigkeit besteht nur in der Überzeugung, daß nicht der Dichter selbst nach Vers ioo abgebrochen hat und daß fünfzig Verse Proömium und fünfzig Verse Ausführung in einem undenkbaren Mißverhältnis zueinander ständen, abgesehen davon, daß sie kein Werk bilden würden, das der Dichter selbst als Ubellus bezeichnen könnte. Aber die Unsicherheit der Herausgeber beginnt bereits im Proömium, denn kein Herumreden hilft über die Tatsache hinweg, daß zwischen einzelnen Distichen— ich weise in den Erläuterungen darauf hin — der Zusammenhang fehlt. Kein Interpretationsversuch kann ihn herstellen. In einem Falle dieser Art ist es zum mindesten sehr gewagt, durch Änderung eines überlieferten Wortes eine Verbindung finden zu wollen (vgl. zu 27). Daher wird die Frage unausweichlich, ob ein ursprünglich zusammenhängender Text durch Versausfall lückenhaft geworden, ob er durch unauthentische Zusätze (Interpolation) entstellt worden ist oder ob wir etwas vor uns haben, was ursprünglich überhaupt nicht zusammengehört hat, mit anderen Worten, ob wir nur eine Sammlung von Exzerpten aus dem Gedicht vor uns haben. Jede 1

Vgl. über Werke dieser Att H. Usener, Rheinisches Museum 28 (1873) 412—417 = Kleine Schriften, 3. Bd., Leipzig u. Berlin 1914, 31—36.

IIO

Die Pflege des weiblichen Gesichtes

dieser Annahmen ist mit mehr oder weniger starken Argumenten verteidigt worden, beweisen läßt sich keine. ÜBERLIEFERUNG UND

AUSGABEN

In dieser Verfassung befand der Text sich bereits im elften Jahrhundert, wie die von Wilamowitz im Jahre 1873 wiedergefundene und im Jahre 1877 bekannt gemachte Handschrift San Marco 223 (M) zeigt, die er in der Laurentiana in Florenz entdeckt hatte. Sie enthält Ovids 'Metamorphosen' und 'Tristien', aber ein Teil der alten Blätter ist im 14. und 15. Jahrhundert ersetzt worden, entweder weil sie unleserlich geworden oder durch Auflösung der Quaternionen verlorengegangen waren. Die Rückseite des letzten Blattes der 'Metamorphosen' (34X23 cm) ist in kleinen, an sich nicht undeutlich geschriebenen Buchstaben in mehreren Kolumnen von dem Text der Elegie 'Nux' (Der Nußbaum) und der 'Medicamina' bedeckt, aber die rötlichbraune Tinte ist jetzt an mehreren Stellen so stark verblaßt, daß nicht mehr alles ganz sicher gelesen werden kann. Dieser Prozeß muß schon früh eingesetzt haben, denn besonders am Anfang der 'Nux' sind einzelne Worte oder Buchstaben nachgezogen worden. Neben dieser Handschrift steht eine große Zahl jüngerer. In ihnen ist das Gedicht entweder unmittelbar vor oder hinter dem mittelalterlichen Gedicht 'De medicamine aurium' enthalten, oder andere ovidische und pseudo-ovidische Stücke sind dazwischengeschoben. In anderen jüngeren Handschriften erscheinen die beiden 'Medicamina' isoliert. Nach der Wiederentdeckung von M war eine neue kritische Ausgabe des Gedichtes ein unabweisbares Bedürfnis, denn Wilamowitz hat sich nur um die 'Tristien' und die 'Nux' gekümmert. Dieser Aufgabe unterzog sich unter W. Harteis und C. Schenkls Leitung ein junger österreichischer Gelehrter, Anton Kunz, dessen Wiener Dissertation, P. Ovidii Nasonis Libellus De medicamine faciei, im Jahre 1881 erschien. Diese ungewöhnlich sorgfältige, für den Text und die Erklärung grundlegende Arbeit ist trotz einiger Ungenauigkeiten und Unvollständigkeiten in den Angaben über einzelne Handschriften auch heute noch unentbehrlich.

Einführung

III

ABKÜRZUNGEN M

= Laurentianus San Marco 223, 11. Jahrhundert

A C G H L N R S U V o §

~ t

= = = = =

am Rande Zusatz Auslassung Umstellung Verderbnis

MEDICAMINA FACIEI F E M I N E A E

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28

Discite, quae faciem commendet cura, puellae, Et quo sit vobis forma tuenda modo. Cultus humum sterilem Cerealia pendere iussit Muñera, mordaces interiere rubi; Cultus et in pomis sucos emendat acerbos, Fissaque adoptivas accipit arbor opes. Culta placent: auro sublimia tecta linuntur, Nigra sub imposito marmore terra latet. Vellera saepe eadem Tyrio medicantur aeno; Sectile deliciis India praebet ebur. Forsitan antiquae Tatio sub rege Sabinae Maluerunt quam se rura paterna coli, Cum matrona, premens altum rubicunda sedile, Adsiduo durum pollice nebat opus Ipsaque claudebat, quos filia paverat, agnos, Ipsa dabat virgas caesaque ligna foco. A t vestrae matres teñeras peperere puellas : Vultis inaurata corpora veste tegi, Vultis odoratos positu variare capillos, Conspicuam gemmis vultis habere manum. Induitis collo lapides Oriente petitos Et quantos onus est aure tulisse duos. Nec tamen indignum : sit vobis cura placendi, Cum comptos habeant saecula vestra viros. Feminea vestri potiuntur lege mariti, Et vix, ad cultus, nupta, quod addat, h a b e t . . .

1 commendai q 2 forma g (vgl. Erl.) cuta to 3 sterilem] quondam 5 ß 4 Semina 5 5 amaros 5 ß (vgl. Remedia 227) 12 Maluerunt V -rant 5 Q -rint Gl (vgl. Erl.) 14 Assidue Q | Assiduum duro H 16 focis 5 ß 19 Vultus M | adornatos 5 ß | positu G o -to L -tos M g 20 Conspicuas... manus o ß g 21 oriente] stridente M (-ti i) o tridente L 5 | petitos M o paratos 5 repertos 5 22 A t oder O 5 | quantos (h)onus est M o fc. T. quanto und bonus) oder quantum est anulos oder quantum decus est oder quantus honor est 5 quantos oneri est//«'. 23 Non ; Q Hei. I indignum + est 5 indignor Hei. | s i . . . placendi est 5 24 uestra M o ß q nostra o 25 potianturA poliuntur Hei.

DIE PFLEGE D E S W E I B L I C H E N GESICHTES Lernt, welche Fürsorge das Gesicht empfehlenswert macht, ihr Mädchen, und auf welche Weise die Wohlgestalt zu bewahren ist ('vielleicht: es wiederherzustellen ist). 3Pflege hat den unfruchtbaren Boden genötigt, die Gaben der Ceres durch Ertrag aufzuwiegen, die stechenden Brombeerbüsche sind dahingegangen. sPflege verbessert auch in Früchten herbe Säfte, und gespalten empfängt der Baum fremde Fülle zu eigen. 7Gepflegtes wirkt gefällig: mit Vergoldung werden ragende Dächer bedeckt, die schwarze Erde ist verborgen unter daraufgelegtem Marmor. 'Dieselben Wollvliese werden oft in Kesseln mit tyrischem Farbstoff behandelt, geschnittenes Elfenbein liefert Indien für Verfeinerung. "Vielleicht zogen unter König Tatius die Sabinerinnen der alten Zeit die Pflege der von den Vätern ererbten Ländereien der eigenen Pflege vor, 13als die Frau, von der Sonne rotbraun gebrannt, auf hohem Sitze mit rastlosem Daumen an harter Spinnarbeit sich mühte, 15selbst die Lämmer, die ihre Tochter geweidet hatte, in der Hürde einschloß und selbst Reisig und Holzscheite dem Herde übergab. "Aber eure Mütter haben zarte Mädchen geboren: Ihr wollt eure Körper mit goldbestickter Kleidung bedeckt sehen, 19ihr wollt eure wohlriechenden Haare in verschiedener Anordnung tragen, ihr wollt, daß eure Hand durch kostbare Steine Aufmerksamkeit erregt. 21Ihr legt um euren Hals Steine, die aus dem Osten geholt sind und so groß, daß es eine Bürde ist, im Ohre zwei zu tragen. 23Das ist kein Grund zur Entrüstung: seid darauf bedacht zu gefallen, denn die Männer eurer Zeit lieben es, sich zu schmücken. 25Den weiblichen Brauch machen eure Gatten sich zu eigen, und kaum etwas findet die Anvermählte, was sie der Pflege hinzufügen könnte.

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Die Pflege des weiblichen Gesichtes

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f Pro se quaeque parent et quos venerentur amores, Refert: munditia crimina nulla merent. Rure latent finguntque comas; licet arduus illas Celet Atho, cultas altus habebit Atho. Est etiam placuisse sibi quaecumque voluptas, Virginibus cordi grataque forma sua est. Laudatas homini volucris Iunonia pennas Explicat et forma muta superbii avis. Sic potius f vos urget amor quam fortibus herbis, Quas maga terribili subsecat arte manus. Nec vos graminibu? nec mixto crédité suco Nec temptate nocens virus amantis equae. Nec mediae Marsis finduntur cantibus angues Nec redit in fontes unda supina suos; Et, quamvis aliquis Temesaea removerit aera, Numquam Luna suis excutietur equis. Prima sit in vobis morum tutela, puellae : Ingenio facies conciliante placet. Certus amor morum est, formam populabitur aetas, Et placitus rugis vultus aratus erit. Tempus erit, quo vos spéculum vidisse pigebit, Et veniet rugis altera causa dolor. Sufficit et longum probitas perdurât in aevum, Perque suos annos hinc bene pendet amor . i . „Die age, cum teneros somnus dimiserit artus, Candida quo possint ora nitere modo." „Hordea, quae Libyci ratibus misere coloni, Exue de palea tegminibusque suis. Par ervi mensura decem madefiat ab ovis, Sed cumulent libras hordea nuda duas. Haec ubi ventosas fuerint siccata per auras, Lenta iube scabra frangat asella mola.

27 Pro M o Per ç Q | quique oder quisque ç | p a t e n t . . . uenerentur M o paret . . . ueneretur und p a r a t . . . ueneratur ç in allen möglichen Kombinationen \ quos et ~ ç q (Po.) | uenetur ç ß uenantur (aber parent) H 28 Pr(a)efert oder Perfert ç | munditiae Hei. | merent M (?) H meret o> m A 30 atho Paris, lat. ijoy athos u) | cultas M o -tosoß -tus o Q | altus o q altos o ß saltus M A o I athos (l'atros Rd.) A 31 cuicumque H Mar., Po. schwankt 33 pinnas ? 34 muta M (?) ç Q multa o ß 35 Sic o Si M ç | nos urget M o uos turget L Ç nos urget H uos uret Q uos tanget Aid. IJIJ nos uret Hei. Merk. Birt Mozley consurget C. Schenk! Kunz Po. Born. uiuescet Lenz -Ar* 2> I 0 1 ) 36 manu H 39 mediae — angues zitiert Charisius (vgl. Erl.) | findantur o scinduntur o 41 temeseia mouerit H 44 facies V çg faciles M ( ï ) ç facilis ç facile ç I placet R V ç q placent M ç/3 45 Comptus ç 46 placidus o 47 pudebit H 50 durât ç 51 Die age M o Discite o Ergo age Mie. 52 possunt ç

Vers 27—58 27

.. .jede sich zurechtmacht und welche Art der Liebe sie pflegt (?), darauf kommt es an, wegen der Neigung, sich zu putzen, verdienen sie keinen Tadel. 29Auf dem Lande sind sie verborgen und machen sich die Haare mit sorgfältiger Kunst; mag der ragende Athos sie verbergen, gepflegt wird der hohe Athos sie bei sich haben. 31Es ist auch ein Vergnügen, es sei, wie es wolle, sich selbst zu gefallen, den jungen Mädchen liegt ihre Wohlgestalt am Herzen und ist ihnen lieb. 33Gelobt vom Menschen entfaltet der Juno geflügeltes Tier seine Federn* und in seiner Schönheit spreizt sich stumm der Vogel. 35So drängt euch die Liebe eher als durch starke Kräuter, die die Hand der Zauberin mit schrecklicher Kunstfertigkeit an der Wurzel abschneidet. 37Weder sollt ihr Gräsern trauen noch zusammengebrautem Safte, noch sollt ihr es mit dem schädlichen Schleim einer brünstigen Stute versuchen. 39Weder werden durch marsische Beschwörungslitaneien Schlangen in der Mitte gespalten, noch kehrt aufwärtsflutend das strömende Wasser zu seiner Quelle zurück. "Und mag man auch die Erzbecken von Temesa beiseite legen, so wird Luna doch niemals aus ihrem mit Pferden bespannten Wagen herausgedrängt werden. 43Eure erste Fürsorge gelte den Sitten, Mädchen: Wenn die Wesensart gewinnend ist, gefällt das Gesicht. 45Beständig ist die Liebe zur Persönlichkeit, Schönheit wird das Alter verwüsten, und ein einnehmendes Gesicht wird von Runzeln durchpflügt sein. 47Eine Zeit wird kommen, da ihr Widerwillen fühlen werdet, in einen Spiegel zu blicken, und sich ein zweiter Grund für. Runzeln einstellen wird, der Gram. 49Rechtschaffenheit genügt und dauert an für eine lange Zeitspanne, und die ihr zugemessenen Jahre hindurch hängt fest an ihr die Liebe.

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„Sage nun, wenn der Schlaf die zarten Glieder freigegeben hat, aufweiche Weise das Gesicht schimmernd strahlen kann." ^ E n t kleide Gerste, die libysche Siedler auf Schiffen geschickt haben, ihrer Spreu und Umhüllung. S5Eine gleiche Menge Erve soll von zehn Eiern befeuchtet werden, aber die enthülste Gerste soll sich auf zwei Pfund belaufen. 57Wenn dies an windbewegter Luft getrocknet ist, laß eine langsame Eselin es auf räuhflächigem

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Die Pflege des weiblichen Gesichtes

Et quae prima cadent vivaci cornua cervo Contere in haec (solidi sexta fac assis eat), Iamque, ubi pulvereae fuerint confusa farinae, Protinus innumeris omnia cerne cavis. Adice narcissi bis sex sine cortice bulbos, Strenua quos puro marmore dextra terat, Sextantemque terat bulbi cum semine Tusco; Huc novies tanto plus tibi mellis eat. Quaecumque adficiet tali medicamine vultum, Fulgebit speculo levior Illa suo. Nec tu pallentes dubita torrere lupinos Et simul f instantis corpora f frige fere. Utraque sex habeant aequo discrimine libras, Utraque da nigris comminuenda molis. Nec cerussa tibi nec nitri spuma rubentis Desit et Illyrica quae venit iris humo. Da validis iuvenum pariter subigenda lacertis, Sed iustum tritis uncia pondus erit. Addito de querulo volucrum medicamina nido: Ore fugant maculas : halcyonea vocant. Pondere, si quaeris, quo sim contentus in illis : Quod trahit in partes uncia sexta duas. Ut coeant apteque lini per corpora possint, Adice de flavis Attica mella favis. Quamvis tura deos irataque numina placent, Non tamen accensis omnia danda focis. Tus ubi miscueris radenti corpora nitro, Ponderibus iustis fac sit utrumque triens. 59cadentMoß caduntog cadant 5 60 in h(a)ec M o g in hac U ß in hoc o et hue//«', [solidi Hei. solida co | fac M o face o {vgl. zu Remedia })7 und S. G. Owen, Classical Quarterly )i, 19)7, ß); über die Interpunktion vgl. Erl. 61 Namque ? ß 63 narcissi] phateisis U ß I bullös M o ß 64 quas o ß (M unsicher) | puro ] Pario Hei. 65 terat U 5 ß Q trahat M (th- ?) o trahit H | bulbi Lenz bulli M gum(m)ito cummi Kemiey | tuso Mar. 6 6 E t U ß 67 affecerit M 5 inficiet Hei. 68 illa (il verschwunden) M o ipsa o ß Q 70 instantis M o -tes q inflantisAfar.il/«. -tes Hei. ] frige fere M ( ?, nicht fexe) frigifere oder frugifere o (z- T. zwei Uxorie) finge sere U ß frange fabae Mar. frige fabas Hei. 71 habeat U 5 ß 72 Lectaque o Q 73 tibi] quidem 5 76 tritis g tristisMo 77 Addito V Additaci (vgl. Erl.) \ de o Q (M unsicher) d a o ß qu(a)e 5 Adice et e e, Additaque c D. Hei. 80 Quos U ß | trahit septa (c über p) Laur. 91 sup. 26 secta Seal. 81 apteque ] simul atque U ß 85 ibi M c, \ radenti M o radendi oder radianti o rodenti erwägt Kunz 1 tuberà U ß | uitro o ß Q 86 utrimque Hei. | trahens o ß

Vers 59—86 Mühlsteine zerreiben. 59Und die Hörner, die zuerst von einem Hirsch fallen werden, der die Kraft zu langer Lebensdauer hat, zerreibe in dieses Gemisch hinein (laß es den sechsten Teil eines ganzen Pfundes sein), 61und sobald es nun mit dem staubartigen Mehl vermischt ist, laß alles sofort durch die unzähligen Höhlungen eines Siebes hindurchgehen. 63Füge zweimal sechs rindenlose Narzissuszwiebeln hinzu, die deine eifrige rechte Hand mit reinem Marmor zerreiben soll, 68und zwar soll sie ein Sechstel Pfund Zwiebel mit tuskischem Spelt zerreiben, dazu soll neunmal soviel mehr Honig mithineingehen. S7Jede, die ihr Gesicht mit einem Mittel dieser Art behandelt, wird glatter strahlen als ihr Spiegel. 69Zögere

auch nicht, blaßgelbe Lupinen zu rösten, und gleichzeitig röste (?) . . . 71Jedes von beiden soll ein Gewicht von genau sechs Pfund haben, jedes von beiden überantworte zum Zerkleinern schwarzem Mühlstein. 73Weder soll Bleiweiß noch der Schaum roten Natrons dir fehlen und die Iriswurzel, die von illyrischem Boden kommt. 7SGib es den starken Armen junger Männer gleichmäßig zu bearbeiten, aber wenn es zerrieben ist, wird das richtige Gewicht nur eine Unze sein. "Füge aus dem Neste klagender Vögel ein Mittel hinzu: es vertreibt Flecken aus dem Gesicht, Meerschaum nennt man es. 7®Wenn du fragst, von welchem Gewichte ich bei den Bestandteilen befriedigt bin, so wisse: von dem, das die sechste Unze in zwei Teile auseinanderzieht. 81Damit sie sich durchdringen und in der richtigen Weise über die Körper gestrichen werden können, füge aus gelben Waben attischen Honig hinzu. 83Mag auch Weihrauch die Götter und die zornigen höheren Mächte besänftigen, sollte doch nicht alles den angezündeten Altären gespendet werden. MWenn du Weihrauch mit dem die Körper glatt reibenden Natron mischst, laß jedes von beiden mit seinem richtigen Gewicht ein Drittel Pfund sein. 87Füge hinzu

Lenz: Ovid, Heilmittel

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Parte minus quarta dereptum cortice gummi Et modicum e murris pinguibus adde cubum. Haec ubi contrieris, per densa foramina cerne; Pulvis ab infuso melle premendus erit. Profuit et marathos bene olentibus addere murris — Quinqué parent marathi scripula, murra novem — Arentisque rosae quantum manus una prehendat Cumque Ammoniaco mascula tura sale. Hordea quem faciunt, illis adfunde cremorem; Aequent expensas cum sale tura rosas. Tempore sint parvo molli licet inlita vultu, Haerebit toto nullus in ore color. Vidi, quae gelida madefacta papavera lympha Contereret, teneris inlineretque genis . . . "

87 d . . eptum M dereptum H (?) Hei. Merk. u. a. direptum o 88 e o (M verblaßt) est $ > o ß g | cubum 5 cibum M (ciunsicher) o 89 contriueris o contriris Hei. Merk. 91 marathrosam/92 marathri Af;>. 92 parentMo paranto ttahant Mu. | scripula M o scty- Q scruoß 93 prehendat o g (M unsicher) - d i t o ß 94 armeniaco c, Q 95 qu(a)e o ß.g | infunde $ß 97 s i n t . . . molli G Merk. u. a. sint . . . mollis N s i t . . . mollis M (s unsicher) o ß Born, s i t . . . s c molli o Q Kunz ' • • • molli oder mollis $ s i s . . . molles (mollis Ehm.)... uultus Hei. Eh». 98 nullus o ß (M unsicher) multus H 5 p 100 teneras... genas U ß

Vers 87—100 von der Rinde losgerissenes Gummi, ein Pfund, dem ein Viertel fehlt, und einen kleinen Würfel fetter Myrrhe. "'Sobald du dieses zerrieben hast, siebe es durch dichte Löcher; der Staub soll durch darauf gegossenen Honig gebunden werden. 91Es hat sich auch als nützlich erwiesen, Fenchel zu der wohlduftenden Myrrhe hinzuzufügen — fünf Scripula soll der Fenchel liefern, die Myrrhe neun — 93und von trockenen Rosenblättern so viel, wie eine Hand fassen kann, und mit Ammonssalz männlichen Weihrauch. 9BGieß zu ihnen den Schleim, den Gerste liefert, hinzu; die ausgewogenen Rosenblätter soll mit dem Salz der Weihrauch aufwiegen. 97Mag dieses Mittel auch nur während einer kleinen Zeitspanne auf das weiche Gesicht gestrichen werden, so wird doch auf dem Antlitz keine Farbe bleiben. "Ich habe ein Mädchen geseheii, das Mohn, der in eiskaltem klarem Wasser angefeuchtet war, zerrieb und auf die zarten Wangen strich..."

ERLÄUTERUNGEN 1 Ais }, 105 Cura dabit faciem;facies neglecta peribit wirkt wie ein Zitat des Anfangs der 'Medicamina'. 2 Alle Herausgeber und Erklärer stimmen darin überein, daß cura fehlerhaft sein muß, weil die Wiederholung stilwidrig wäre. Die Frage ist, ob es durch Verlesung eines anderen, paläographisch ähnlichen Wortes entstanden oder ob es aus Vers 1 mechanisch wiederholt worden ist. Die vorgeschlagenen Emendationsversuche sind je nach der auf diese Frage gegebenen Antwort verschieden ausgefallen. forma (vgl. Ars 3, 205 vestrae medicaminaformae)findetsich in sehr wenigen Renaissancehandschriften; aura ( = Liebreiz, Anmut) hat Kunz vermutet, aber nicht in den Text gesetzt, und causa hat Ehwald in seinen Text aufgenommen. Damit meint er: wie ihr eure Sache behaupten müßt. Heinsius hat radikaler eingegriffen, denn sein Vorschlag ora lintnia hat die Änderung von sit in stnl zur Folge. Diese Konjekturen haben, so verschieden sie sind, das eine gemeinsam, daß sie ein von fadem verschiedenes Subjekt einfuhren. Damit stellen sie sich in Gegensatz zu dem zu Vers 1 angeführten Verse der 'Ars', in dem wir cura .factem, facies haben. Wenn das Zitat aus den 'Medicamina' ist, so sollte die Emendation andere Wege gehen. Das habe ich versucht, indem ich tumda als Rest von restituenda ansehe, dessen erste zwei Silben durch das falsch wiederholte cura verdrängt worden sind: und auf welche Weies es (das Gesicht) von euch wiederhergestellt werden muß (denn ihr dürft es nicht vernachlässigen: Ars 3, 105). Wann ist das der Fall? Am Morgen, wie der Dichter in den Remedia 341 ff. sehr deutlich zeigt, oder nach dem Liebesakt, vgl. Ovid, Fasti 3,16 turbatas restituitque comas. Da aber mit der Möglichkeit zu rechnen ist, daß die Itali ältere uns nicht mehr bekannte Quellen gehabt und nicht selbständig emendiert haben, habe ich mich jetzt entschlossen, forma in den Text zu setzen, obwohl es vielleicht nur eine Notlösung ist. f. Cultus (Pflege) ist das entscheidende Wort, das sozusagen die Handlung in Bewegung setzt und daher an der ersten Stelle des Verses steht; vgl. Ars 3,101 f. Ordiar a cultux cultis bene Uber ab uvis Provenit, et culto statsegesalta solo. Die Gaben der Ceres sind die Samenkörner, die dem Boden anvertraut werden und die er durch Ertrag aufwiegen muß. In den Remedia 174 gebraucht der Dichter dafür den Ausdruck „mit vielen Zinsen (eigentlich: Wucher) zurückgeben." Es ist nicht überraschend, daß Muntra in einzelnen Handschriften durch Semina erklärt worden ist, vgl. Remedia 173. — Das Beiwort mordax (beißend) gebraucht Ovid auch sonst von stechenden Pflanzen, z. B. der Nessel (Urtica) Ars 2, 417. 6 Ars 2,652 Firmaque adoptivasarbor babebit opes, vgl. Remedia 195 f. 8 Vgl. Amores 1,8,104 Impia stA dulei melle venena latent und Fasti 2,72 posita stA nive terra tatet. 9 Vgl. zu Remedia 707 f. f. Amores i, 8, 39 f. Forsitan tnmundae Tatio regnante Sabinae Noluerunt (oderNoluerint) babilespluribusesse viris. Ars 3,107 Corpora si veteres tum sie colrnrepuellae. Mit Ausnahme Merkels, der für Maluerant eingetreten ist, haben die neueren Herausgeber sich für den grammatisch korrekten Konjunktiv Maluerint entschieden. Ich bin überzeugt, daß das hier und Amores 1, 8,40 ursprünglich Geschriebene in den meisten Handschriften und Ausgaben verdunkelt ist. Wenn die Varianten -erint und -tränt und wie hier noch durch die Handschrift V -erunt mit verkürztem « zur Wahl stehen, so darf man mit Sicherheit

Erläuterungen

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schließen, daß Oviel Maluerunt und Noluerunt geschrieben hat und daß dielndikative aus prosodischen und grammatischen Gründen durch die Konjunktive ersetzt worden sind. Das Auftauchen des Plusquamperfekts ist in solchen Fällen typisch, und der Vokal a in der Silbe -erant spricht für ursprüngliches u. Einer der charakteristischsten Fälle bei Ovid ist Amores 3, 5, 2 Terruirunt (richtig) und Terruerant. Es darf allerdings nicht verschwiegen werden, daß aus anderen Gründen gewisse Zweifel an der Echtheit dieses Gedichtes bestehen. Aber dazu kommt als ganz eindeutiger Fall Remedia 263 profuerunt und projuerant und ganz sinnlos profuerint, ferner Fasti 1, 592 Contigermt, Contigerant und Contigerint und andere Stellen in den Heroiden. Uber den Indikativ nach forsilan vgl. o. S. 88 zu Remedia 419. — Über den sabinischen König Tatius vgl. Livius 1 , 1 0 ff. Daß aus der oben angeführten Stelle der Amores 1 , 8 , 59 die Worte Tatio regnanie in einigen jüngeren Handschriften an die Stelle von Tatio sub rege getreten sind, ist nicht überraschend. Vgl. Heroiden 13, 32 Nee libet aurala Corpora veste legi.

x8

odoratos... eapillos: Amores 3,1, 7; Metamorphosen 2,412 Neepositu variare comas.

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Metamorphosen 7, 266 Adicit extremo lapides Orientepetitos.

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Amores i, 10, 53 Nec tarnen indignum est.

2j

Vgl. als Gegenstück die zu Vers 1 1 aus den 'Amores' angeführte Stelle. — Die Herausgeber schwan- 24 ken mit Recht zwischen vestra iura) und nostra (tira). Beide Lesarten lassen sich verteidigen, nostra kann um der Gleichförmigkeit mit 23 willen und um zu 25 einen leichteren Übergang zu bilden, in vestra geändert sein, aber ebenso möglich ist es, daß der Dichter zu den puellae nur als Lehrer spricht und sich den Anschein gibt, persönlich unbeteiligt zu sein. Ob der Alliteration 24 vestra viros und 25 vestri eine über das Zufallige hinausgehende Bedeutung zukommt, ist schwer zu sagen. Der von Heinsius gemachte und auch von einigen neueren Herausgebern (weder Kunz noch Eh- 25 wald) gebilligte Vorschlag, potiuntur durch poliuntur zu ersetzen, bringt nicht nur nach 24 eine Tautologie hinein, sondern zerstört die halb komische halb satirische Wirkung: dessen, was für die Frauen unumstößlicher Brauch — Gesetz sagt der Dichter absichtlich — ist, bemächtigen sich eure Männer; „sich bemächtigen" ist absichtlich stark pointiert. Das Distichon läßt sich nicht herstellen und entzieht sich daher dem Verständnis. Zwischen 26 und 27 27 f ist kein Zusammenhang, und kejne Interpretation ist in der Lage, eine Verbindung aufzuzeigen. Darin haben Ehwald, Bursians Jahresbericht 43 (1885. II) 185 und Pohlenz in seinem Göttinger Programm (o. S. 107 Anm. 2) 21 f. und Berl. philol. Wochenschr. 33 (1913) 1499 recht. Birt, Berl. philol. Wochenschr. 33 (1913) 1223 ff. und 1501 ist es nicht gelungen, einen Zusammenhang überzeugend nachzuweisen. Wie groß die von Ehwald in der Teubnerausgabe (Leipzig 1888, X X X I ) angenommene Lücke ist, läßt sich nicht sagen. Kunz ist nicht ganz konsequent verfahren, da er zwischen 26 und 27 einerseits und 28 und 29 andererseits Lücken ansetzt und durch Asterisci kennzeichnet, aber das Distichon 27 f. als Interpolation ausscheidet. Der Sinn einer Interpolation an dieser Stelle ist nicht zu erkennen. Bornecque setzt nach 26 eine Lücke an, scheidet 27 f. aus und setzt nach 28 merent vor der schließenden Klammer mehrere Punkte. J . H. Mozley (The Art of Love and Other Poems, Loeb Classical Library, London 1929) schreibt ohne Lücke mit Postgate Cui (Pohlenz ist, ohne sich an Postgate zu erinnern, auf denselben Gedanken gekommen) statt des unverständlichen Pro und gewinnt dadurch ein dem folgenden quos entsprechendes Fragepronomen („für wen"), das durch Refert nahegelegt wird; außerdem ändert er das unbefriedigende venerentur mit Heinsius und Merkel, ohne sie zu nennen, in venentur, das durch uenetur in einigen jüngeren Handschriften bereits zum Teil vorweggenommen ist: „und welchen Arten der Liebe sie nachjagen". Auch Ehwald ist Heinsius* und Merkels Vorschlag gefolgt, ändert aber Pro ...et quos in Quo. ..et quo; das soll wohl heißen: womit sie sich für jeden (cuique) bereit machen und womit sie den verschiedenen Arten der Liebe nachjagen. Da sich aber die Lücke zwischen 26 und 27 nicht füllen läßt, ist mit diesen Konjekturen

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der zweite Schritt vor dem ersten getan. Dieser Schwierigkeit ist nur Heinsius entgangen durch eine Konjektur, die die Annahme einer Lücke unnötig macht. Er schreibt nämlich Pro(iri) ..., nec quo venelur amores (Darum soll jede sich schmücken, und es kommt nicht darauf a n , . . . ) , aber Heinsius selbst bemerkt mit Recht, daß dieser Versuch ihn nicht befriedige. Die Einführung des unpoetischen proin, das Ovid nicht gebraucht hat, wäre in dem Teile des Gedichtes, der die Rezepte enthält, vielleicht unbedenklich, in dem ganz anders stilisierten Proömium ist sie ganz undenkbar. Daß se parare mit se ornare fast gleichbedeutend ist, hat Heinsius bemerkt, und Pohlenz, Programm 21 hat gut Properz 2,24,47 f. Dura est, quae mullis simulatumfingit amorem, Et se plusrnisiquapararepotest und Cicero, Pro Milone 28 dum se uxor, ut fit, eomparat verglichen. Eine andere Schwierigkeit steckt in dem Verbum merent. M ist nicht mehr sicher lesbar, aber ich habe mich in Florenz überzeugt, daß Kunz recht hat, wenn er annimmt, daß es ursprünglich in der Handschrift gestanden hat. Dann steht das Zeugnis des unzuverlässigen Helmstadiensis nicht allein. Der in fast allen anderen Handschriften stehende Singular meret ist nur brauchbar, wenn man munditia mit Heinsius in mimdities ändert. Singulär ist mihi in der Antwerpener Handschrift, dem Codex Moreti. Es bedeutet: Reinlichkeit oder Neigung sich zu putzen ist für mich (in meinen Augen) kein Anlaß zum Tadel. Auch in diesem Falle ist mundities oder munditiae unvermeidlich. Heinsius hat sich schließlich für munditiae... merent entschieden. Wenn wir ihm nicht folgen und an dem Ablativ munditia festhalten, so ist quaeque (jede Frau) Subjekt, und damit wird der Gegensatz zu der direkten Anrede von Vers 17 bis Vers 25 (euer und ihr) noch stärker fühlbar. Der Verdacht, daß zwischen 26 und 27 überhaupt keine Lücke anzunehmen ist, sondern daß Exzerpte, die von verschiedenen Stellen genommen sind, schlecht aneinandergereiht sind, verstärkt sich. Ob zwischen zS und 29 ein Zusammenhang erkennbar ist, wird sofort zu fragen sein. 29 f. Auf den ersten Blick sieht es in der Tat so aus, als ob ein verbindender Gedanke nachweisbar wäre. In 28 ist munditia das entscheidende Wort. Die Neigung zur munditia macht sich geltend, wo immer sie sein'mögen, irgendwo auf dem Lande oder tief in den Bergen. Auch hier findet sich wie in 27 f. keine direkte Anrede mehr, statt ihrer erscheint das Demonstrativpronomen illas. Trotzdem scheint vor 29 etwas zu fehlen, denn der Hinweis, daß sie sich für einen oder mehrere Männer schmücken und der Liebe nachjagen, wenn venentur richtig ist, bleibt völlig unbeachtet, die Verb" latent und celet betonen vielmehr abrupt das Gegenteil. 30 Ich. glaube, daß in der Namensform Atbo, die sich im Paris. lat. 6707 findet, die Bezeichnung erhalten ist, die der Dichter für den Berg gebraucht hat, mit dem der östlichste der drei Finger der Halbinsel Chalkidike in das Ägäische Meer abfällt. Zu dieser Annahme berechtigt die handschriftliche Überlieferung Ex Ponto 1 , 5 , 22. Hier ist Atho nur in der alten, noch der karolingischen Zeit angehörenden Hamburger Handschrift erhalten, während es in den anderen durch Atbos ersetzt ist. 31 Birt hat, um einen engen Zusammenhang mit dem Vorhergehenden zu zeigen, die Worte so paraphrasiert: „Denn es ist schon ein Vergnügen, sich selbst zu gefallen." Dagegen hat Pohlenz Einspruch erhoben und betont, etiam (auch) beweist, daß von dem Vergnügen, sich selbst zu gefallen, vorher nicht die Rede gewesen ist. Daraufhin hat Birt seinen Standpunkt etwas modifiziert. Er ergänzt „denn" für den Sinn und übersetzt: „Denn auch sich selbst zu gefallen ist ein Vergnügen." Damit scheint er etiam im Sinne von „sogar" zu verstehen, und dann ist der Zusammenhang nicht unterbrochen. — Vgl. Heroiden 16, 151 . . .est... placuisse voluptas. 32 Der Vers stimmt fast wörtlich mit Ars 1,624 überein, nur daß hier curat statt cordi gebraucht ist. 33 f. Der Sinn und Zweck dieses Distichons ist zweifelhaft und infolge der Unsicherheit des Wortlautes noch umstrittener, muta und multa sind beide möglich; daß übrigens multa... avis Amores 3, j , 4 an gleicher Versstelle erscheint, ist wohl nur Zufall. Die Parallelstelle Amores 2, 6,5 5 Explieat ipsa suas ales lunonia pinnas ist nur als solche interessant und hat für die eigentliche Interpretation keinen Wert. Der Vogel der Juno ist der Pfau, vgl. Metamorphosen i , 722 und 15, 38;. Die erste entscheidende

Erläuterungen

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Frage ist, wie das Partizipium laudatas zu verstehen ist. Bedeutet es: der Pfau entfaltet die Federn seines Schweifes, die dann vom Menschen gelobt werden? Dann wäre es prolcptisch gebraucht. Das ist Birts Auffassung. Oder ist es zu verstehen: wenn sie vom Menschen gelobt werden, zeigt der Pfau sie? In diesem Falle will der Vogel, daß man seiner Eitelkeit schmeichelt, genau wie selbst das noch unberührte junge Mädchen sich seiner Schönheit freut und Komplimente darüber gern hört. Der zweiten Auffassung gibt Pohlenz den Vorzug, aber in keinem der beiden Fälle darf man von einem ernstlichen Abbrechen des Gedankens zwischen 31 f. und 33 f. sprechen. Der französische Übersetzer Bornecque und der engliche Übersetzer Mozley neigen ebenfalls dieser Auffassung zu. Ihre Anhänger berufen sich nicht ohne Berechtigung auf Ars 1, 623 f. und 627 f. Delectant etiam castus praeconia formae: Virginibus curae grataque forma sua est, (Es freut auch ehrbare Frauen der Preis ihrer Schönheit: reinen jungen Mädchen ist ihre Wohlgestalt ein Gegenstand der Fürsorge und lieb.) Denn warum fühlen Juno und Pallas sich noch jetzt beschämt, daß der Urteilsspruch des Paris in den phrygischen Wäldern nicht zu ihren Gunsten ausfiel? Laudatas ostendit avis Iunonia pitmas; Si tacitus specles, ¡IIa recondit opes. (Gelobt stellt seine Federn der Juno Vogel zur Schau; wenn man schweigend hinsieht, verbirgt er seine Pracht.) An dieser Stelle ist Birts proleptische Auffassung nicht möglich, aber das schließt die Richtigkeit seiner Erklärung für die'Medicamina' nicht ohne weiteres aus, selbst wenn man mit Pohlenz annimmt, daß die Verse zuerst für die 'Ars' geschrieben und nicht gleichzeitig in zwei Dichtungen verschieden gewendet sind. Birt hat mit Recht gesagt, daß man zunächst nicht Parallelstellen als identisch behandeln, sondern daß man jede für sich ansehen soll. Aber tacitus läßt nur die Erklärung zu, daß der Vogel Lob erwartet und wünscht. Damit stehen wir vor der Hauptschwierigkeit: muta oder multa? muta ist die Hauptüberliefcrung, und wenn das bedeutsam ist, dürfen wir dann sagen, daß es durch die Parallelstelle gestützfwird? Nicht ohne weiteres, denn muta avis (der stumme Vogel, oder vielmehr: und stumm spreizt sich der Vogel) und der schweigende Betrachter haben ja gar nichts miteinander zu tun. Die Herausgeber und Erklärer haben sich zum Teil für muta, zum Teil für multa entschieden, aber die multa den Vorzug geben, interpretieren auf ganz verschiedene Weise, forma muta superbit avis bedeutet „wegen seiner Schönheit spreizt sich stumm der Vogel", muta macht es notwendig, das ganze Distichon auf den Pfau zu beziehen, der also zuerst volucris Iunonia und dann mit wiederholender und nicht sehr geschickt wirkender Variation avis genannt wird, während multa einer doppelten Auslegung fähig ist. Es kann nämlich als mancher Vogel verstanden werden, und so hat Mozley übersetzt (many a bird). In diesem Falle hätten wir in dem Distichon zuerst den Pfau und dann andere Vögel. Um dieser Schwierigkeit zu entgehen, ist Birt, der für multa eintritt, auf den-Ausweg verfallen, es mit superbit zu verbinden (vgl. Remedia 632 multum incitat)-. der Vogel spreizt sich gewaltig. Ich zweifle, ob ihm viele auf diesem Wege folgen werden. Nach Abwägen aller dieser Möglichkeiten läßt sich, furchte ich, über ein non liquet nicht hinauskommen, und wenn es sich, wie Pohlenz geneigt ist anzunehmen, wiederum um ein Exzerpt handeln sollte, ist der Versuch, einen Zusammenhang zu erkennen, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Tatsache ist jedenfalls, daß zwischen 34 und 35 keine Verbindung besteht. Pohlenz hat das nachdrücklich betont. Natürlich hat es nicht an Versuchen gefehlt, der Entscheidung zwischen muta und multa durch Konjekturen auszuweichen: stulta Moltzer (ich wundere mich, daß anscheinend niemand bruta vorgeschlagen hat; das Adjektiv hat Ovid zwar nicht gebraucht, spielt aber Fasti 2, 717 damit); laeta D. Heinsius, lauta oder cauda culta N. Heinsius,/