Ovid, Heilmittel gegen die Liebe. Die Pflege des weiblichen Gesichtes: Lateinisch und Deutsch [Reprint 2022 ed.] 9783112650622

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Ovid, Heilmittel gegen die Liebe. Die Pflege des weiblichen Gesichtes: Lateinisch und Deutsch [Reprint 2022 ed.]
 9783112650622

Table of contents :
INHALT
HEILMITTEL GEGEN DIE LIEBE
EINFÜHRUNG
HEILMITTEL GEGEN DIE LIEBE
ERLÄUTERUNGEN
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DIE PFLEGE DES WEIBLICHEN GESICHTES
EINFÜHRUNG
DIE PFLEGE DES WEIBLICHEN GESICHTES
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TAFELVERZEICHNIS

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SCHRIFTEN UND QUELLEN DER ALTEN WELT HERAUSGEGEBEN VON DER SEKTION FÜR ALTERTUMSWISSENSCHAFT BEI DER D E U T S C H E N A K A D E M I E DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN

BAND 9

A K A D E M I E - V E R L A G • B E R L I N i960

OVID H E I L M I T T E L G E G E N DIE L I E B E DIE P F L E G E DES W E I B L I C H E N GESICHTES

LATEINISCH UND

DEUTSCH

VON

F R I E D R I C H WALTER LENZ

Mit 9 Tafeln

A K A D E M I E - V E R L A G • B E R L I N i960

Redaktor der Reihe: Johannes Irmscher Gutachter dieses Bandes: Wilhelm Hartke und Johannes Irmscher Redaktor dieses Bandes: Gerhard Perl

Copyright i960 by Akademie-Verlag GmbH, Berlin Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 1 , Leipziger Str. 3/4 Lizenz-Nr.: 202 • 100/75/60 Gesamtherstellung: Druckhaus „Maxim Gorki", Altenburg Bestellnummer: 2066/9 Printed in Germany ES 7M

i. Der bestrafte Eros. Wandgemälde aus Pompeji.

Meinem Freunde HANS STEINTHAL Haec tibi donavi, ponto seiunctus et aura, Vincula sed semper pectora nostra ligant. Heu quantos casus crudeles vidimus ambo: Integra sit nobis tempus in omne fides. 1914—1960

INHALT

Heilmittel gegen die Liebe Einführung

j

Beigaben

xj

Uberlieferung und Ausgaben

15

Abkür2ungen

20

Heilmittel gegen die Liebe

22

Erläuterungen

72

Register

95 Die Pflege des weiblichen Gesichtes

Einführung

100

Uberlieferung und Ausgaben

Abkürzungen

. 104

105

Die Pflege des weiblichen Gesichtes

106

Erläuterungen

114

Register

125 Tafeln

Tafelverzeichnis Tafel 2—9

127

HEILMITTEL GEGEN DIE LIEBE

EINFÜHRUNG Vielleicht hat es etwas Mißliches, mit einem negativen Urteil zu beginnen. Man beschwört dadurch die Gefahr herauf, den Leser von vornherein gegen das Werk einzunehmen, das man ihm vorlegt, aber ich nehme dieses Risiko in Kauf. Ich erinnere mich, daß Wilamowitz in einem seiner schillernden Aperçus, wie er sie bisweilen hinzuwerfen liebte, zu uns Mitgliedern des Berliner philologischen Seminars sagte: „Die 'Remedia' sind ein matter Aufguß auf die Teeblätter, aus denen der Gewürztrank der 'Ars' bereitet worden ist." Dieses Urteil ist ebenso richtig wie falsch. Es ist richtig, wenn der Leser mit frischer Erinnerung an die geistreich und witzig formulierten und glänzend vorgetragenen Frivolitäten der 'Ars' oberflächlich und rasch über die Worte des Dichters hingleitet, um zu sehen, was er sagt; es erweist sich als falsch, wenn er beginnt zu fragen, was der Dichter sagen will und oft nur zwischen den Zeilen andeutet, wo der Leser es nach seinem Wunsche finden soll. Das Gedicht oder, wie wir sagen sollten, wenn wir an die vom Dichter gewählte Form denken, das elegische Lehrgedicht über die Heilmittel gegen die Liebe hat innerhalb des Ovidischen Gesamtwerkes etwas Mehrdeutiges. Wir sind nicht in der Lage, den vom Dichter gewählten Titel des Werkes, auf den er im ersten Verse Bezug nimmt, mit Sicherheit zu ermitteln, denn die in den Handschriften am Anfang und Ende gegebenen Titel und Unterschriften weisen von der karolingischen Zeit ab durch die Jahrhunderte des Mittelalters bis in die Renaissance im einzelnen eine Fülle von Variationen auf, die sich auf drei Typen zurückführen lassen. Der erste und seltenste begegnet in der ältesten Handschrift, die noch in das 9. Jahrhundert gehört. In ihr wird das Gedicht einfach ohne jeden Hinweis auf die Liebe Remedia („Heilmittel") genannt, in den anderen erscheint das entscheidende Wort entweder im Plural oder weit häufiger im Singular in der Form De remediis oder remedio amoris. Wenn der Dichter aber den göttlichen Knaben Amor am Anfang den Titel des kleinen Buches lesen und ihn sofort den Schluß ziehen läßt, daß Krieg gegen ihn im Werke ist, so liegt die Annahme sehr nahe, daß in dem Originaltitel ein Hinweis auf die Liebe enthalten war. Die unbestimmte Angabe „Heilmittel" hat dem Dichter schwerlich genügt. In diesem Falle haben wir der ältesten uns erhaltenen Handschrift den Glauben zu versagen. Diese Erwägung berechtigt aber nicht zu dem Schluß, daß in der wesentlich älteren Vorlage, aus der die karolingische Handschrift abgeschrieben ist, dieselbe Auslassung vorausgesetzt werden muß. Bei den Titeln und Unterschriften ist damit zu rechnen, daß Redaktor und Schreiber sich Freiheiten erlauben. 1*

4

H e i l m i t t e l g e g e n die L i e b e

Die Frage, warum Ovid die 'Remedia' geschrieben hat, ist oft gestellt worden. Die oberflächlichste Antwort, er habe das frühere Werk über die Liebeskunst widerrufen, also eine Art von Palinodie schreiben wollen, um dem unliebsamen Eindruck und dem Aufsehen, das die 'Liebeskunst' erregt hatte, entgegenzutreten, hätte nie gegeben werden sollen. Warum würde sonst der Dichter in dem einleitenden Gespräch mit dem um eine Beeinträchtigung seines Machtbereiches besorgten Gott den schmeichelnd kosenden Knaben (blandus puer) beruhigen und ihm versichern, daß er nicht wie Diomedes gegen die Liebesgöttin brutal kämpfe, sondern auf etwas ganz anderes hinziele und nur bemüht sei, unglücklich liebenden Männern und Frauen Erleichterung zu bringen? Aber auch diese Einschränkung ist nicht oder wenigstens nicht allein das Entscheidende. Ein Gespräch zwischen einem Gott und einem Menschen, in dem es sich um die Machtsphäre des Gottes und seine Taten innerhalb dieser Sphäre handelt, — wer denkt dabei nicht sofort an den einen hellenistischen Dichter Kallimachos, der in seinem berühmtesten Werke, den 'Aitia', die Technik dieses Gespräches aufs feinste ausgestaltet hat? Wenn Ovid mit einem nicht zu überhörenden Hinweis auf Kallimachos beginnt, so gibt er dem Leser damit deutlich zu verstehen, daß er auch in diesem Werke noch als sein Jünger angesehen zu werden wünscht. Aber er nennt doch Kallimachos einen Nichtfeind der Liebe (oder Amors) und warnt den unglücklichen Liebenden, die anderen Liebesdichter und ihn zu lesen (757ff.). Ist das nicht ein Widerspruch? Nur scheinbar, denn er geht weiter und fügt hinzu: „Lies auch meine Gedichte nicht" (766). Wer diese Warnung ernst nimmt, mißversteht den Dichter an dieser Stelle und mißversteht damit das ganze Werk. Wenn er 758 sagt, er verwerfe pietätlos sein eigenes Talent, so sollte doch diese Feststellung schon genügen, um den Leser vor der Annahme zu bewahren, daß der Dichter wirklich meint, was er zu sagen scheint, ganz abgesehen davon, daß er durch die Ablehnung des Vergleichs mit Diomedes sofort am Anfang alles getan hat, um diesem Mißverständnis vorzubeugen. Was er vielmehr dem Leser zu verstehen gibt, zwischen den Zeilen, ist dies: Tue was du willst und gehe bis zum Äußersten, du kommst doch nicht von der Liebe los. Du mußt dir darüber klar sein, daß selbst der beste Seelenarzt dir nur Sedativs geben kann. Im ganzen gibt er den unglücklich Liebenden 42 praecepta (Weisungen). Mehr als ein Drittel, sechzehn, hat er aus dem Gedicht über die Liebeskunst heraus entwickelt, und zwar so, daß er die dort gegebenen Ratschläge in ihr Gegenteil verkehrt und sie in Warnungen verwandelt. Er hätte es schwer noch deutlicher machen können, daß er nicht ernst genommen werden will. Dabei setzt er alle drei Bücher der 'Liebeskunst' als bekannt v o r a u s n i c h t nur die beiden ersten, denen er, wahrscheinlich durch den großen Erfolg des Gedichtes veranlaßt, das dritte erst später hinzufügte. Zur leichteren Übersicht stelle ich die Ziffern der scherzhaft kontrastierenden Versgruppen und der Übereinstimmungen nebeneinander. 1 Auf die chronologische Frage komme ich in den Einzelerläuterungen zurück, vgl. u. S. 76 zu 15 5 f.

Einfühlung

Remedia

Ars 2,233f. 3 1,612 34 (gleicher W o r d a u t an gleicher Versstelle) 3»564 7° 2,744 71 81 2,339 2,342 85 2,340 92 121 2 , 1 8 1 f. 131 1,357 174 2,513 2 , 1 7 9 . 263 »75 2,652 195 219 1,409—414 2,99fr. 249—290 286

287

310 311-330 323

327

328

331-340 341-356 350

1,634

2,99 1,610 2,641fr. 2,662 2 , 6 5 7 ff. 2,660 3,261—328. 349-352 3,209-250

3,258

Remedia 351-354 354 386 396 407 411 413 489-512 505-508 510 543-548 597 606 627 633

683—692 704 732 751-756 757-766 769 1 787-794 / 788 795-810 805 811

5 Ars 3,209—213 3,212 i,3i 3,338 3,769; 2,679 3,8o7f. 2,727f. 1 , 6 1 1 ff.; 2 , 5 1 5 f r . 2,523-527 3,606 2,445 5 3.579- 593fi,53i 3.38 l,49lf. 1 , 2 7 9 f. 1 , 6 1 2 f r . 6 2 0 ; 3,673fr. 6 7 7 1.3° 2,439fr. 1,89fr. 3. 3 2 9 - 3 4 6 3.5'9if2,732

2,415-424; 1,525f. 589-600; 3,761-766 1,237

3,748

Wie wenig ernst der Dichter es im Grunde meint, und wie er mit leichtem Spiel souverän über dem Stoff steht, den er behandelt, 2eigt ein Blick auf die Mythen, die er zur Belehrung unglücklich Liebender heranzieht. Wieder ist nicht entscheidend, was er sagt — es sind bekannte Dinge, an die ein gebildeter Römer nicht in ihren Einzelheiten erinnert zu werden brauchte —, sondern nur darauf kommt es an, wie er es sagt. Am charakteristischsten ist die Erzählung von Agamemnon und Chrysels. Wenn er den alten Vater des geraubten Mädchens 471 mit fast schnöder Frivolität anredet und ihm klarmacht, daß sein Weinen um die entehrte Tochter im Grunde eine Torheit ist, durch die er ihr gar keinen Dienst erweise, sondern daß es sehr gut für sie sei, das Bett des Atriden zu teilen, und für diesen sehr gut, sie dort zu haben, so sollte jeder wissen, welche Maßstäbe er an das Gedicht nicht zu legen hat. Vom Standpunkte strenger'und geschlossener Komposition hat man es vielleicht nicht mit Unrecht beanstandetdaß der Dichter die Geschichte von Agamemnon, Achilleus und den beiden Mädchen auf zwei weit voneinander getrennte Partien des Werkes verteilt hat. Wenn das ein Defekt ist, so hat er durch die frivole Lässigkeit, mit der er auch an der zweiten Stelle erzählt, dafür gesorgt, daß man den Mangel beim Lesen 1 Über einige andere Fälle lockerer Anordnung und Verteilung verwandter oder eigentlich zusammengehöriger Argumente auf verschiedene Partien des Gedichtes vgl. W . Kraus in dem Artikel Ovidius Naso, R E 18, 2, 1937.

6

Heilmittel gegen die Liebe

vergißt, denn er zieht 779 fr. mit der direkten Anrede an die Leser „glaubt mir" die persönliche Konsequenz: „Ich hätte mich ihrer bestimmt ebensowenig enthalten wie Agamemnon, so töricht wäre ich nicht gewesen." Und wenn er es auch nicht unmittelbar sagt, so müssen wir in seinem Sinne hinzudenken: „Auch ich hätte wie Agamemnon bei einem leblosen Gegenstande, der mit den ewigen Göttern nichts zu tun hat, bedenkenlos einen falschen Eid geleistet." Wer will, mag das wenig moralisch nennen, nur soll er sich vor Augen halten, daß er mit diesem Urteil dem Dichter nicht gerecht wird; ein matter Aufguß auf die würzigen Teeblätter der 'Ars' ist es jedenfalls nicht. Die gleiche lächelnde Frivolität spricht aus der direkten Anrede an Menelaos 773 ff.: „Du hast gar keinen Grund zur Klage, im Gegenteil, recht ist dir geschehen. Warum bist du ohne die Gattin weggereist, und noch dazu auf sehr lange Zeit (oder, wenn wir der Lesart laetus den Vorzug geben, ganz vergnügt)? Erst nachdem ein anderer sie hat, wird dir klar, was du gehabt hast." Wer kein Empfinden dafür hat, was die unheroisch gewordene und entgötterte Welt des Mythos dem einer Ubergangszeit angehörenden Dichter noch bedeuten konnte, der sollte ihn ebensowenig lesen wie die Erzählungen Voltaires. An einer anderen Stelle (458) nennt der Dichter Helena die oibalische (u. S. 83) Kebse. So kann man sie zweifellos nicht sehr gut bezeichnen, wenn man sich auch in anderer Weise an die berühmte Frivolität Goethes (Faust II 6521 ff.) erinnert fühlt, aber warum tut er es? Will er die Phantasie des Lesers in eine falsche Richtung lenken ? Er will Altes auf neue Weise erzählen, indem er es durch kleine raffiniert angebrachte Striche leise, aber deutlich umformt. Wenn er gesagt hätte, Oinone würde Paris bis in das hohe Alter behalten haben, wenn sie nicht vor Helena hätte weichen müssen, so wäre das nichts gewesen als die erneute Feststellung einer längst bekannten Tatsache. Wenn er aber sagt: „wenn ihr nicht von der Kebse Leid angetan worden wäre", indem er das Verbum laedere gebraucht, das „körperlich und seelisch verletzen" zugleich bedeuten kann, so kann und soll der Leser sich vorstellen, daß Paris beide Frauen gleichzeitig bei sich hatte und dadurch über den größeren Vorzügen der zweiten die Neigung für die erste vergaß und vielleicht mit Vergnügen zusah, wenn es zwischen den zwei Frauen zu schwierigen Szenen kam. Man darf nicht vergessen, daß das Rezept, zu dessen Illustrierung die Geschichte berührt wird, lautet (441): „Ich erteile die Weisung, daß ihr zu gleicher Zeit zwei oder noch besser, wenn ihr das leisten könnt, eine größere Zahl von Freundinnen habt." Wenn ihr das tut, lauft ihr nicht Gefahr, euch an eine tragisch zu verlieren. Ich sagte soeben, daß der Leser nach des Dichters Willen die Dinge nicht nur so ansehen kann, sondern auch soll. Das läßt sich ganz deutlich greifen, wenn es auch meines Wissens bisher nicht genügend beachtet worden ist. Der Dichter spricht hier nur von dem egoistischen Standpunkte des Mannes aus, der nicht danach fragt, wie sein Handeln seelisch auf die Frau wirken muß, die dazu bestimmt ist, verdrängt zu werden. Das Motiv läßt sich tragisch und frivol lasziv gestalten. Wir brauchen nur an die schmerzlichen Überlegungen der alternden Deianeira in den Trachinierinnen des Sophokles zu denken, die sich angstvoll vorstellt, wie Herakles die schöne junge Kebse Iole in das Ehebett holen und wie es ihr selbst dann gehen wird. Nicht um

Einführung

7

einet tragischen, sondern um einer pikanten Wirkung willen malt Ovid mit den bewußt zweideutig gewählten Worten „sie wurde in einem Teil des Bettes aufgenommen" (456) eine Szene, die so klingen kann, als ob Kallirhoe gleichzeitig mit Alphesiboia in Alkmeons Bett gelegen habe, damit er sich von ihrer Überlegenheit überzeugen konnte. Das ist die Sehweise des modernen — ich meine das natürlich in dem Sinne, daß Ovid ein Kind seiner Zeit war und sein wollte — Dichters, der das ihm angeborene Talent an den und durch die hellenistischen Dichter geformt hat, vor deren Lektüre er scheinbar warnt. Wir würden den Dichter falsch beurteilen, wenn wir glaubten, daß er das ganze Werk auf diesen Ton gestimmt hat. Es gibt in dem Gedicht zwei kurze Szenen, die Vorläufer der großen, mehr episch stilisierten pathetischen Seelengemälde in den 'Metamorphosen' sind und zugleich daran erinnern, daß Ovid als elegischer Dichter in der früheren Liebesbriefsammlung 'Heroiden' die Möglichkeiten, die in der Seele einer liebenden Frau liegen, bis zum Letzten erforscht und künstlerisch gestaltet hat, die Kirke- (263—288) und diePhyllisszene (591—606). Auf beide müssen wir einen Blick werfen, um die weite Spanne zu ermessen, die sie von den bisher erwähnten trennt, und um zu sehen, wie der Dichter sich ausdrücken konnte, wenn er auf die Dinge nicht mit lässig spielender und raffinierter Frivolität zu blicken wünschte. Beide Szenen, die sich von allen anderen so stark unterscheiden und sich aus dem ganzen Gedicht herausheben, haben nichts Gemeinsames oder Vergleichbares. In der Phyllisszene ist der Mann, von dem die Entscheidung in dem Handeln des Mädchens abhängt, nicht anwesend. Sicherlich ist es aber kein Zufall, daß der Dichter sich auch in ihnen der direkten Anrede an die beiden Frauen bedient, an Kirke am Anfang (263) mit nachdrücklicher Wiederholung der Anrede Omnia fecisti (alles tatest du) am Beginn zweier aufeinander folgender Distichen (265 und 267) und an Phyllis am Ende ( 6 0 5 ) a b e r Zweck und Wirkung sind ganz verschieden von denen der Anreden an Chryses und Menelaos. In diesen Fällen ist es schadenfroher Spott über das törichte Verhalten der beiden Männer und ihr Mißgeschick, bei Kirke soll das Pathos der folgenden an Odysseus gerichteten Worte gesteigert werden: du mächtigste aller Zauberinnen, warst einem stärkeren Zauber verfallen, gegen den du machtlos warst und den du mit unwirksamen Mitteln zu bekämpfen versuchtest. Kirkes Worte sind von ihr als Anrede an Odysseus gemeint, werden aber, da er sich mit höchster dramatischer Kontrastwirkung völlig schweigend verhält und nur entscheidend handelt, fast zu einem ins Leere gerichteten Monolog. Die einzigartige Prägnanz des die Liebestragödie eigentlich abschließenden Verses 285 „Sie war noch dabei zu sprechen, mit dem Lösen des Schiffes2 war Odysseus 1 Das ist übrigens, wie beiläufig bemerkt sei, ein sicherer Beweis dafür, daß die in einigen jüngeren Handschriften erscheinende direkte Anrede an den Wald Notiflesses(du hättest nicht zu weinen brauchen) nach der ersten an Phyllis im vorhergehenden Verse stilwidrig ist. 2

Es interessiert den Dichter nicht, daß Odysseus zu Kirke mit seinen Gefährten gekommen ist und daher mehr als ein Schiff hat. Ihm kommt es nur auf die menschliche Tragödie an. Daher darf man navem nicht durch „Schiffe" übersetzen, wie Eberle es getan hat.

8

H e i l m i t t e l g e g e n die L i e b e

beschäftigt", vierzehn Worte statt der fünf lateinischen, läßt sich in keiner modernen Sprache zum Ausdruck bringen, wenn man nicht auf vollständige Sätze verzichtet. Es bleibt nur noch kurz zu sagen, daß sie Zweckwidriges tat und es mit unwirksamen Mitteln versuchte. In der Phyllisszene wird stärkste dramatische Wirkung mit ganz anderen Mitteln erreicht. Hier ist Ovid etwas gelungen, dem sich nur einige der in glühenden Farben gemalten leidenschaftlich bewegten mythologischen Szenen des Peter Paul Rubens an die Seite stellen lassen. Während des ganzen Vorganges wird nichts gesprochen, abgesehen von dem einen aus zwei Worten bestehenden, übrigens durch Kallimachos inspirierten, Aufschrei wilder Verzweiflung: „Treuloser Demophoon", dessen Wirkung so sehr dadurch gesteigert wird, daß er allein steht, und dem einen Wort Viderit, durch das sie ihm die Schuld gibt. Der ganze Rest ist Landschaftsdarstellung und dramatische Handlung in der Form der elegischen Erzählung, in der nur die für den entscheidenden Vorgang bedeutungsvollen Phasen hervorgehoben oder angedeutet werden. Daß Phyllis ihrem Leben durch Erhängen ein Ende macht, wird nur durch symbolische Handlungen ausgedrückt. Auch über ihren Seelenzustand wird direkt nichts ausgesagt. An die Stelle der Beschreibung tritt der Vergleich mit einer Mänade, die dem Gotte Dionysos orgiastisch dient. Man darf aber nicht überhören, daß der Dichter, um die dramatische Spannung nicht zu stark ins Tragische hinaufzusteigern, auch diese Szene am Anfang und Ende mit einem Unterton leiser Frivolität untermalt hat; am Anfang, wenn er sagt: „Gewiß ist die Ursache ihres gewaltsamen Endes, sie war unbegleitet", so heißt das, in die Sprache des Gedichtes übersetzt: sie hätte sich, als sie sich verlassen glaubte, mit einem anderen trösten sollen; und am Ende, wenn er, sie mitleidig und vielleicht ganz leise spöttisch anredend, wünscht: „Ich wollte, du wärest damals nicht allein gewesen." Um das ernste Bild legt sich ein leichter Rahmen. Es gibt noch eine ganz anders stilisierte Stelle, die in ihrer Art nicht weniger ernst ist, obwohl der Dichter sich absichtlich eines leichten Tones bedient. Hier meint er es darum ernst, weil er seine eigene Sache verteidigt und sich mit Kritikern seiner Werke auseinandersetzt, die ihm nach seiner Meinung nicht Gerechtigkeit haben zuteil werden lassen. 357 kündigt er etwas Neues an: „Jetzt werde ich dir offen heraussagen, was ich anrate, wenn das Venuswerk schon mitten im Gange ist. Scham hält mich zurück, vieles davon auszusprechen, aber du wirst, was ich unterdrücke, leicht selbst von dir aus ergänzen." Dann unterbricht er sich mit den Worten (361): „Unlängst haben nämlich einige an meinen kleinen Büchern herumgepflückt, weil meine Muse nach ihrem Urteil zu frivol ist." Dann folgt die bis zum Ende des ersten Teiles (396)1 reichende Rechtfertigung. Er enthüllt in der Form eines Exkurses einen der Hauptzwecke, der ihn zur Abfassung des Gedichtes veranlaßt 1 Es ist verständlich, aber nicht gerechtfertigt, daß eine große Zahl von Handschriften, nicht die ältesten und die wirklich alte Vorlagen reproduzierenden Handschriften, hier ein zweites Buch beginnen lassen. Ovid selbst spricht im ersten Verse nur von dem vorliegenden libellus. Aber auch davon abgesehen, 399 setzt, ohne ein neues Proömium, nach einem verbindenden Distichon (397f.) genau da an, wo der Dichter 358 abgebrochen hat.

Einführung

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hat. Wie weit ist er von einer Palinodie entfernt! Wenn er von „einigen" Kritikern oder besser Krittlern spricht, so wählt er ein Pronomen (quidam), das zeigt, daß er ganz bestimmte Personen meint, über die er nichts Näheres sagen will. Gegen Ende dieser Auseinandersetzung (391) verengert er das Ziel seiner Gegenangriffe, indem er vom Plural in den Singular hinüberwechselt: „ D u bist zu voreilig; wenn ich am Leben bleibe, wirst du dich noch mehr über mich ärgern." Entweder wendet er sich gegen den Führer der ihn kritisierenden Gruppe, oder er hat diesen bisher unter dem Plural versteckt. Diese Gruppe oder dieser eine sind Dichter, denen der schnelle Erfolg und die Anerkennung, die Ovid fand, versagt blieben und die ihre Erfolglosigkeit dadurch zu verstecken suchten, daß sie sich mit dem Deckmantel moralischer Entrüstung umgaben, die allein schon deswegen übel angebracht ist, weil der Dichter nur mit Libertinen, nicht mit verheirateten Frauen zu tun haben will. Thai's, nicht Andromache interessiert ihn. Nicht nur ihre Erfolglosigkeit suchen seine Gegner auf diese Weise zu verdecken, sondern auch ihr geringes Können, wie er mit stolzer Verachtung sagt (394). Ihm macht diese Dichtungsweise Freude und verhilft ihm zu ständig wachsendem Ruhme, während sie sich noch am Fuße des Hügels oder Musenberges befinden und ihr Pferd (oder Pegasus) schon anfängt zu keuchen 1 . Im stolzen Gefühle des bisher auf dem Gebiete elegischer Dichtung Geleisteten wagt er sich die Stellung anzuweisen, die der des größten epischen Dichters Vergil entspricht 2 . Wenn er das offen erklärt, so ist es nicht nur eine Abrechnung mit dem Gegner, sondern bedeutet zugleich ein Bekenntnis: Mehr kann ich für die Dichtungsgattung der erotischen Elegie nicht leisten. Die 'Remedia' bedeuten also einen vorläufigen Abschluß, und daher gewinnt dieser sogenannte Exkurs für den Dichter und für den Leser zentrale Bedeutung. Dieses Bekenntnis muß zu derselben Zeit konzipiert worden sein, zu der er im fünfzehnten Gedicht des dritten Buches den Schlußstrich unter die Sammlung der Liebeselegien ('Amores') zog, nachdem er im ersten Gedicht dieses Buches bereits von dem künstlerischen Konflikt, den er innerlich durchkämpfen mußte, Zeugnis abgelegt hatte. Auch in den 'Remedia' spricht er es ganz deutlich aus, daß er sich in seinem Geiste mit vielen Gedichten trägt (392). Die beiden großen Werke, das epische der 'Metamorphosen' und das elegische der 'Fasti', beginnen sich zu kristallisieren. Mit keinem Worte deutet er dagegen darauf hin, daß er die bisher veröffentlichten erotischen Dichtungen mißbilligt oder gar verwirft. Dazu stimmt genau, was o. S. 4 über Vers 5 f. zu sagen war. Bereits in dem vorhergehenden Teile wünscht Ovid den Leser an Vergil zu erinnern, auch wenn er ihn nicht nennt, und zu zeigen, daß er auf dem beschränkten Räume, den er in seinem einen Buche dafür aussparen kann, in einer elegischen Dichtung etwas zu sagen vermag, was im Kleinen den Vergleich mit den Hirtengedichten Vergils und seinem Lehrgedicht über den Landbau nicht zu scheuen braucht. Der unglücklich Liebende soll sich dem Landleben widmen. Wenn er das 1 Es wird deutlich, daß nur die alte, auch durch Hildebert bezeugte Lesart vester equus dem Sinne gerecht wird; noster ist entweder die bekannte Verschreibung oder beruht auf Mißverständnis. 8 Uber den Wortlaut des Verses 396 s. u. S. 81.

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H e i l m i t t e l g e g e n die L i e b e

mit Hingebung tut, wird er keine Zeit und Lust mehr haben, an seine Leidenschaft zu denken (169—212). Es ist nicht überraschend zu sehen, daß die Absicht, an Vergil zu erinnern, von einem Leser richtig verstanden wurde. Er machte in seinem Exemplar zu Vers 185 eine Anmerkung, in der er auf die 'Bucolica' hinwies. Die Folge war, daß das von Vergil 9, 30 gebrauchte Wort taxos in den Text des ovidischen Verses eindrang und in einigen Handschriften das originale fumos (Rauchschwaden) offenbar in früher Z e i t 1 verdrängte. Wenn man diesen Abschnitt über die Schönheiten und Vorzüge des Landlebens liest und sich an dem Wohlklang der Sprache und der Lieblichkeit der Bilder freut, so fühlt man sich leicht versucht, ihn isoliert auf sich wirken zu lassen und ästhetisch zu genießen. Das ist natürlich das gute Recht jedes Lesers, und der Dichter hat alles getan, um die Gedanken und Gefühle des Lesenden in diese Richtung zu lenken. Die Liebe zum Lande, die irgendwo auch im Herzen des überfeinertsten Großstadtrömers eine lebendig wirkende Kraft geblieben ist, wird hier in dem Dichter übermächtig und bricht durch. Er versenkt sich in hingebende und liebevolle Kleinmalerei und vergißt beinahe den eigentlichen Zweck, den er mit diesem Rate verfolgt, sonst würde er sich nicht immer wieder zu seinem Hauptgegenstand zurückrufen. In schneller Folge und buntem Wechsel reihen sich aneinander Landbau (169—174), Obstbaumzucht (175—176), die Wasserläufe (177), die grasenden Schafherden (178), die Ziegen (179 bis 180), der musizierende Hirt mit seinen Hunden (181—182), die um ihr verirrtes Kalb bangende K u h (184), die Bienen (185—186), die Jahreszeiten und ihre Erträge (187—188), die Ernten (Trauben, Kräuter, Getreide: 189—192), Gartenbau und Bewässerung (193 —194), das Pfropfen (195—196). Nach einem Hinweis auf die heilsame Wirkung dieses Tuns (197—198) folgen Jagd (199—204) mit erneuter Betonung der wohltätigen Folgen (gesunder Schlaf 205 —206), Vogel- und Fischfang (207—210). Diese Bilderfolge schließt der Dichter mit der Bemerkung ab (211 bis 212): „Entweder durch diese oder durch andere Dinge, bis du das Lieben verlernst, mußt du dich selbst, ohne daß du es merkst, täuschen." Vielleicht sollen wir einmal das von ihm gewählte Verbum decipere im wörtlichsten Sinne nehmen und uns an das erinnern, was ich o. S. 4 über die Warnung vor den Dichtern und über Ovids Selbstverurteilung gesagt habe. Beides scheint im Einklang miteinander zu stehen: Was ich dir rate, ist gut und zweckmäßig, es wird dir auch über Manches hinweghelfen, aber du sollst dir darüber klar sein, es ist und bleibt doch nur eine Täuschung. Der Seelenarzt tritt mit dem Anspruch auf, daß er helfen und heilen kann, aber dem, der Ohren hat zu hören, läßt er keinen Zweifel, daß seine Kunst ihre Grenzen hat, wenn sie es mit einem übermächtigen Gegner zu tun hat. Darin liegt unausgesprochene Warnung: Nimm mich nicht zu ernst. Da er als Arzt und als Dichter zu dem Leser spricht, stellt er sein Werk mit zweifachem Recht unter den Schutz Apollos (75 ff.) und erinnert an den Gott bei jeder passenden Gelegenheit. Er erinnert nicht nur an ihn, sondern redet ihn direkt an, 1 Diese Annahme wird durch die Handschrift P nahegelegt, die eine alte Vorlage wiedergibt. Ich habe das in einer im Jahre 1957 erschienenen Untersuchung gezeigt, vgl. u. S. 18 Anm. 1.

Einführung

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indem er einige der in Götterhymnen üblichen Formeln anklingen läßt, mit denen die Taten eines Gottes für die leidende Menschheit gepriesen werden. Dazu gehört auch die anaphorische Anrede „Dich" und „ D u " am Anfang der Verse 75 und 77. Hätte Ovid sich auf diese Äußerlichkeiten der Formelsprache beschränkt, so würde er nicht mehr zustande gebracht haben, als was jeder dichtende Laie mit einigem Bemühen auch geleistet hätte. Damit hätte ein hellenistischer und ein römischer Dichter, der sich nicht nur als Schüler der hellenistischen Dichter fühlt, sondern es ist, die Aufgabe, die er sich gestellt hat, nur unzulänglich erfüllt. Er hat auf den Bau des ganzen Proömiums1 große Sorgfalt verwendet und, um sich der Sprache der Architektur zu bedienen, eine dreiteilige Eingangshalle geschaffen, zu der der sehr kurze Epilog (811—814) i n einem nicht sehr harmonisch wirkenden Gegensatz steht. Vielleicht ist er absichtlich so verfahren und hat gewollt, daß das Gedicht ohne längeres Nachwort für sich selbst spricht. Auch in den 'Metamorphosen', die fünfzehn Bücher umfassen, ist das persönliche Schlußwort im Verhältnis zu der Länge des Werkes sehr kurz. Den ersten Teil bildet das bereits charakterisierte Zwiegespräch mit Amor (1—40), den zweiten die Ankündigung des Themas und die Selbstvorstellung des Dichters zuerst (4}) durch den Hinweis auf die vorausgehende 'Liebeskunst' und am Ende (71 f.) durch den Namen Naso. Der dritte, kürzeste Teil (75 —78) enthält die ebenfalls schon besprochene Anrufung des heilenden Beschützers der Dichtkunst durch den die Rolle des Seelenarztes und öffentlichen Befreiers aus der Sklaverei (73 f., Überleitung vom zweiten zum dritten Teil) für sich fordernden Dichter. Auch hier wird man gut daran tun, den Ausdruck Pablicus adsertor nicht zu ernst zu nehmen und sich vorzustellen, daß Ovid ihn, als er das Gedicht zum ersten Male vorlas und dadurch öffentlich bekannt machte, mit einem Lächeln leiser Skepsis ausgesprochen hat. Ich weise nur beiläufig darauf hin, daß dieser dritte Teil genauso lang oder vielmehr kurz ist wie der Epilog. In diesem wiederholt er im letzten Verse das entscheidende Verbum sanare (gesund machen) aus dem Proömium (43) und greift auch sonst noch auf eines der dort gebrauchten Bilder zurück. Er läßt nämlich in anderer Form den Vergleich mit dem Schiffer (70), der, wie er 5 77 f. ergänzend bemerkt, ohne einen zuverlässigen Steuermann ein unbekanntes Meer zu durchfahren hat, noch einmal anklingen und bittet um Bekränzung des müden Schiffes, das er sicher in den Hafen gebracht hat. Ich komme darauf in den Erläuterungen zu 811—814 zurück. Ein Dichtwerk, das sich den Anschein gibt, einem bestimmten praktischen Zwecke zu dienen, und ein Lehrgedicht sein will, läßt sich nicht ohne gelehrte Studien gestalten. Die Beschaffung des zu verarbeitenden Materials hat mit seiner künstlerischen Formung sehr wenig zu tun. Es ist längst gesehen worden, daß Ovid sich nicht damit begnügt hat, seine eigenen Erfahrungen auf dem unerschöpflichen Gebiete der Beziehungen zwischen den beiden Geschlechtern und die sich in Rom in Fülle darbietenden Beobachtungen an anderen als einzige Quelle zugrunde zu legen und mit mythologischen Beispielen zu verbrämen. Es wäre eine Sünde wider den 1

Vgl. jetzt auch U. Fleischer, Antike und Abendland 6 (1957) 58.

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Geist seines großen hellenistischen Lehrers Kallimachos gewesen. Ein österreichischer Gelehrter hat vor rund vierzig Jahren über diesen Aspekt der 'Remedia' das Bedeutendste gesagt, was in unserem Jahrhundert über sie überhaupt ermittelt worden ist 1 , denn die sachliche Würdigung, die Hermann Frankel ihnen in seinem Buche über Ovid hat 2uteil werden lassen2, und die geistvoll witzige Behandlung durch den englischen Gelehrten L. P. Wilkinson3 lassen sich mit Prinz' eindringenden Einzeluntersuchungen nicht vergleichen, und von den kurzen zusammenfassenden Bemerkungen in Handbüchern und Literaturgeschichten sehe ich hier füglich ab. Prinz hat eingehend nachgewiesen, wieviel Ovid im einzelnen Catull, Vergil, Horaz, Tibull und Properz verdankt und wie er das übernommen und umgeformt hat, was er für seinen Zweck gebrauchen konnte. Er hat sich auch nicht gescheut, auf seine eigenen erotischen Dichtungen zurückzugreifen und dort Gesagtes noch einmal zu sagen oder zu variieren. Es ist gut und wichtig, daß wir diese Quellen kennen und nachweisen können, aus denen er sich Anregung geholt hat, aber entscheidend ist es nicht. Ich habe schon einmal betont, daß es nicht so sehr darauf ankommt, was er sagt, sondern darauf, wie er es sagt. Das bleibt sein persönliches Eigentum. Prinz hat sicherlich recht, wenn er die o. S. 7 gewürdigte Kirkeszene auf das Didobuch in Vergils' Aeneis' zurückführt, aber was sie durch Ovid geworden ist, habe ich versucht zu zeigen. Auch das hat Prinz richtig betont, daß Ovid auf das Lehrgedicht des Lukrez 'Über die Natur der Dinge' zurückgegriffen hat. Durch Ciceros Bemühungen um das nachgelassene Werk war Lukrez bereits in Ovids Zeit zu einem verehrungswürdigen Klassiker geworden. Um dem Leser den Vergleich zu erleichtern, gebe ich anschließend S. 13 f. die vor allen anderen in Betracht kommenden Stellen aus Lukrez in deutscher Übersetzung wieder4. Es ist eine bis heute nicht entschiedene und mit unseren Mitteln vielleicht nicht endgültig zu entscheidende Streitfrage geblieben, ob Ovid auch die seelentherapeutische Literatur der Griechen, besonders das Werk des stoischen Philosophen Chrysippos, im Original gelesen oder ob er sich mit den Niederschlägen begnügt hat, die es in den in Rom beliebten und weit verbreiteten Trostbüchern ('Consolationes') fand. Max Pohlenz hat die schlagenden Übereinstimmungen zwischen Ovid und Ciceros 'Tusculanae disputationes' (Gespräche inTusculum) 4,74f. — ich gebe auch diese Stelle u. S. 15 in Übersetzung wieder — auf Chrysippos' 'Therapeutikos' als 1 Karl Prinz, Untersuchungen zu Ovids Remedia amoris, Wiener Studien 36 (1914) 36—83 und 39 (1917) 91 — 1 2 1 . 259—290. 2 Hermann Frankel, Ovid. A Poet Between T w o Worlds, Berkeley and Los Angeles 1945» 6 7 - 7 2 . 8 L . P. Wilkinson, Ovid Recalled, Cambridge 1955, 135 — 143. (Soeben schickt mir Salvatore D'Elia in liebenswürdiger Weise sein neues Buch: Ovidio, Napoli 1959. Ich kann leider nur noch daraufhinweisen. Die Remedia werden 216—226, De med. fac. 2 1 4 — 2 1 5 behandelt.) 4 Die Stellen aus Vergil und den anderen oben genannten Dichtern müssen, wenn sie nicht in den Erläuterungen zum Vergleich herangezogen werden, einer umfassenden kritischen Ausgabe des Gedichtes vorbehalten bleiben, die im'Corpus Scriptorum Latinorum Paravianum' erscheinen wird.

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gemeinsame Quelle 2urückgeführt1, während Prinz, nicht in allem überzeugend, widersprochen hat. Daß sich im zweiten Teile, besonders gegen Ende, die straffe Komposition des ersten zuweilen bedenklich lockert und der Dichter sich Wiederholungen erlaubt hat, die wir als unnötig zu empfinden geneigt sind, habe ich u. S. 73 f. in den Erläuterungen zu den Versen 49—70 erwähnt. In diesen Fällen kann man sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, daß der Dichter sich nicht die erforderliche Zeit und Ruhe zur Ausarbeitung genommen hat, um schneller fertig zu werden.

BEIGABEN L u k r e z 4, 1052—1072 (zu vergleichen mit Remedia 441 ff-, 81 f., 91 f.) Wem nun der Venus Geschosse im Herzen die Wunde geschlagen, mag ihn ein Knabe treffen, dessen Glieder denen des Weibes gleichen, oder ein Weib, das aus seinem ganzen Leibe der Liebe Ströme entsendet, 1055 den zieht es hin zu dem, der ihn verwundet, und er verlangt nach enger Vereinigung, und er wünscht aus seinem Leibe das Feuchte mit starkem Druck in den Leib des anderen zu senken, denn das stumme Begehren verheißt ihm lustvolle Wonne. Dies ist Venus für uns, daher stammt der Name des Amor, daher drang zum ersten Male ins Herz 1 0 , 0 der süße Tropfen der Venus, ihm folgte erkältende Sorge. Denn mag auch fern sein, dem deine Liebe gilt, so sind doch seine Bilder dir gegenwärtig, und des Namens Klang tönt süß dir im Ohre. Aber das richtige ist, die Bilder zu verscheuchen und entschlossen von sich zu weisen, was die Liebe nährend fördert, und den Verstand auf anderes zu lenken, 1065 die angesammelte Feuchtigkeit in beliebige andere Leiber zu senken und nicht, durch eine Liebe gebannt, zurückzuhalten und für sich dadurch nur Sorge und sicheren Schmerz aufzusparen; denn nährst du das Geschwür, so gewinnt es an Stärke durch Säumen, von Tag zu Tag nimmt das Rasen zu, und ärger wird die Pein, 1070 wenn du nicht auf die erste Wunde durch neue Eingriffe einwirkst und nicht zuvor für sie Heilung suchst in wahlloser Liebe, die auf der Straße du findest, oder der Seele Bewegungen nicht in andere Richtung hinüberzulenken vermagst. L u k r e z 4 , 1 1 4 1 —1191 (zu vergleichen mit Remedia 311—330 und 351—356) Dies sind die Leiden, die selbst in wahrhaft und grenzenlos glücklicher Liebe sich finden, doch ist sie unglücklich und ausweglos, so kannst du die Leiden greifen, auch wenn in die Augen kein Licht fällt, nicht zu zählen sind sie; besser ist es daher, im voraus wachsam zu sein, 1 1 4 5 wie ich es gelehrt, und dich vor Verlockung zu hüten. Denn den Weg zu vermeiden, der uns in die Schlingen der Liebe geraten läßt, ist nicht so schwer, wie, einmal im 1 M. Pohlenz, De Ovidi carminibus amatoriis, Universitätsprogramm Göttingen 1913 20 Anm. 3 (im folgenden zitiert: Programm). Zum besseren Verständnis seiner knappen Bemerkungen verweise ich auf seine Untersuchung: Das dritte und vierte Buch der Tusculanen, Hermes 41 (1906) 321—355.

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Heilmittel gegen die Liebe

Netze verfangen, den Ausweg zu finden und die stark geknoteten Bande der Venus zu sprengen. Und doch kannst du, selbst verstrickt und an freier Bewegung der Füße gehindert, 1150 dem Feinde entrinnen, wenn du dir nicht selbst hindernd im Weg stehst und hinweggehst über alle Fehler der Seele oder dann auch des Leibes derer, die du begehrst und dir zu eigen wünschest. Denn so machen es die Menschen fast immer, blind vor Begierde, und schreiben ihnen Vorzüge zu, die in Wirklichkeit sie nicht haben. 1155 Daher sehen wir häufig, daß mißgestaltete und häßlich anzusehende Mädchen Entzücken erregen und sich im Glänze hoher Ehren sonnen. Dann lachen über die einen die anderen und raten zur Versöhnung der Venus, da sie mit schimpflicher Liebe geschlagen seien, und die armen Toren beachten oft nicht, wie ganz schlimm es mit ihnen selbst steht. 11,0 Ist sie schwarz, so nennt er sie honigfarben; die Unsaubere und Schmutzige heißt schlicht; hat sie blaugraue Augen, so ist sie ein Abbild der Pallas; die Sehnige und Hölzerne heißt Gazelle. Ist winzig wie ein Zwerg sie, so nennt man sie eine der Chariten, einen Inbegriff witzigen Geistes; ist sie groß oder gar riesig, so hat sie erstaunliche Würde; stammelt sie und kann nicht richtig sprechen, so stößt sie leise mit der Zunge an; ist sie stumm, so heißt sie verschämt. 1165 Die vom verzehrenden Feuer der Leidenschaft Erfüllte, Gehässige, Schwatzhafte hat den milden Glanz einer Leuchte. Zum zarten Liebling wird sie, wenn sie vor Schwund nicht leben kann; gertenhaft schlank ist sie, wenn sie am Husten fast schon gestorben. Aber die Üppige und die mit zu vollem Busen ist die Iacchus säugende Ceres. Stumpfnasig heißt sie weiblicher Silen und Satyr, mit aufgeworfenen Lippen Kußmund. 1170 Was sonst noch von dieser Art, es führte zu weit, wollt' ich versuchen, davon zu sprechen. Aber nehmen wir einmal an, es gebe ein Mädchen mit unmeßbar schönem Gesichte, und allen seinen Gliedern entströme der Venus Gewalt, so wisse, es gibt auch noch andre, und wir haben bisher auch ohne sie gelebt. Sie tut, wir wissen es, genau dasselbe, wie es jede Häßliche auch tut. 1175 Sie räuchert sich erbärmlich mit widrig duftenden Spezereien, und schon von ferne meiden ihre Mägde sie und kichern verstohlen darüber. Doch tränenüberströmt bedeckt der ausgesperrte Liebhaber die Türschwelle oft mit Blumen und Kranzgewinden und netzt die Pfosten der Stolzen mit Majoransalbe und küßt inbrünstig die Flügel der Tür, der Arme. 1180 Ist er aber einmal eingelassen und schlägt ihm bei seinem Eintritt auch nur ein Dufthauch entgegen, so mag er wohl nach Vorwänden suchen, um mit Anstand sich wieder zu entfernen, und sein lange überlegtes, den Tiefen der Brust entströmtes Klagelied mag nutzlos vertan sein, und er mag sich dort zeihen der Torheit, denn er erkennt, daß er ihr mehr des Wertes beigemessen hat, als einem Sterblichen einzuräumen geziemend ist. 1185 Dies ist unseren Liebesgöttinnen nicht unbekannt: so kommt es, daß sie mit Fleiß ihr Tun hinter dem Schauplatz vor den Männern verbergen, die zu halten sie wünschen, gekettet an sie in der Liebe. Nichtiges Tun, denn dein Geist befähigt dich, alles ans Licht zu ziehen und allen Lächerlichkeiten auf die Spur zu kommen, 1190 und wenn sie, davon abgesehen, angenehmen Gemütes ist und dich durch ihr Wesen nicht abstößt, so magst du wiederum über Menschlichkeiten hinwegsehen und ihnen Zugeständnisse machen. Es ist amüsant zu sehen, mit welcher leichten Geschicklichkeit Ovid die Euphemismen, mit denen bei Lukrez die blinden Liebhaber ihre mit Mängeln behafteten Mädchen ausstatten, seinem Zwecke entsprechend umdreht und die Vorzüge in Fehler verwandelt. Man soll sich auch darüber Rechenschaft ablegen, daß Lukrez durch seine Schlußwendung die ganze von Bitterkeit nicht freie Satire plötzlich in eine höhere Sphäre hebt, wenn er Menschliches menschlich sieht. Dieser versöhnende Ausklang findet sich bei Ovid nicht. Wie hätte er ihn, selbst wenn er Lukrez' Gefühl teilte, in diesem Gedicht verwenden können?

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C i c e r o , T u s c u l a n a e d i s p u t a t i o n e s ( G e s p r ä c h e in T u s c u l u m ) 4,74 f. Das von Cicero nach Chrysippos zusammenhängend Vorgetragene ist bei Ovid über das ganze Gedicht so verteilt, daß folgende Stellen zum Vergleich heranzuziehen sind: 299ff. (Geringfügigkeit), 401 ff. (Leichtigkeit der Abhilfe auf anderem Wege), 135ff. und 559fr. (Ablenkung auf andere Tätigkeiten), 213 fr. (Ortswechsel), 441 ff. (neue Liebesaffäre). Wer also davon (von den Liebesqualen) gequält ist, muß sich der Anwendung des folgenden Heilungsverfahrens unterziehen. Man muß ihm klar vor Augen führen, wie geringfügig, wie verächtlich, ja wie nichtig gerade der Gegenstand seines Begehrens ist; er muß erkennen, wie leicht er auf anderem Wege oder auf andere Weise an das Ziel seiner Wünsche gelangen kann oder daß er sie überhaupt nicht zu beachten braucht. Zuweilen muß man ihn auch ablenken auf andere Interessen, Betätigungen, die ihn ganz in Anspruch nehmen, Angelegenheiten, denen er seine ganze Fürsorge zuzuwenden hat, und Tätigkeiten, denen er seine ganze Zeit widmen muß; endlich muß der ihn Behandelnde oft für Ortswechsel sorgen wie bei einem Kranken, der seine volle Gesundheit sonst nicht wiedererlangt. (75) Manche raten auch an, die alte Liebe durch eine neue, wie einen Nagel durch einen anderen, auszutreiben. Besonders wichtig ist aber, daß man ihn warnend auf die verhängnisvolle Stärke der Liebesraserei hinweist; denn unter allen Störungen des seelischen Gleichgewichtes gibt es wirklich keine, die heftiger wäre. Denn es ist und bleibt wahr: selbst wenn wir von Anklagen gegen gewisse Dinge absehen wollen und sie beiseite lassen — ich meine Unzucht jeder Art, Verführung, Ehebruch und schamlose Akte (alles dieses verdient wegen seiner Gemeinheit die schwersten Anklagen) —, so ist schon an sich jede Störung des Verstandes in der Liebe schimpflich.

ÜBERLIEFERUNG UND A U S G A B E N Bis heute ist weder die Textgeschichte der 'Remedia' systematisch erforscht, noch ist das Buch über die Geschichte der Ovidausgaben seit der Renaissance geschrieben worden, obwohl wir beides dringend brauchen. Die erste Ausgabe der Werke wurde von Francesco Puteolano aus Parma besorgt und von Balthasar Azzoguidi im Jahre 1471 in Bologna gedruckt. Sie enthält außer den zweifellos authentischen Gedichten auch Zweifelhaftes und Unechtes, darunter das mittelalterliche ebenso witzige wie indezente Gedicht 'De pulice' (Der Floh), eine der glänzendsten Pornographien in lateinischer Sprache, die sich vom Mittelalter bis in die Zeit des Humanismus ungewöhnlich großer Beliebtheit erfreute. Die Ausgabe (ß), von der nur sehr wenige Exemplare ganz unbeschädigt erhalten geblieben sind, steht einer Renaissancehandschrift der Vaticanischen Bibliothek, dem Urbinas lat. 347, so nahe, daß man in ihr sogar die Druckvorlage hat erkennen wollen. Diese Annahme, an deren Richtigkeit ich nach vergleichender Prüfung des Textes verschiedener Dichtungen gezweifelt habe, läßt sich schwerlich aufrechterhalten, nachdem jetzt mindestens zwei andere Handschriften, ein Harleianus im Britischen Museum (H) und ein Oxoniensis (0), als Angehörige derselben Gruppe bekannt geworden sind; zu ihnen treten noch, wenn auch mehr sporadisch, mehrere andere Handschriften des 15. Jahrhunderts. Sie alle lassen die Spuren der Beschäftigung eines oder mehrerer Renaissancegelehrter mit dem Text des Gedichtes erkennen. Der nicht zu identifizierende Redaktor, der

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auf Grund dieser Bemühungen einen Text herstellte, war bestrebt, einen möglichst geglätteten und lesbaren Text zu bieten. Dabei scheute er sich nicht, gelegentlich bei Vorgängern im 13. Jahrhundert Anleihen zu machen. Wenn man bedenkt, wie skrupellos der Ovidtext im 13. Jahrhundert umgestaltet wurde, so ist man nicht überrascht zu erkennen, daß vieles von dem, was man bisher den Renaissancegelehrten zuschreiben wollte, in Wirklichkeit rund zwei Jahrhunderte älter ist. Auch die 1477 in Parma erschienene Ausgabe ist eine charakteristische Vertreterin dieser Textform. Ich habe im kritischen Apparat gelegentlich auf diese Zusammenhänge aufmerksam gemacht. Von dieser Renaissancegruppe, die ich kurz Ren. genannt habe, darf der moderne Textkritiker nie ausgehen, sondern darf sie nur zu Kontrollzwecken verwerten. Die zweite Gesamtausgabe (p) erschien in Rom kurz nach der ersten (1471/72). Für sie ist Johannes Andreas, Bischof von Aleria, verantwortlich. Sie ist dem Papst Paul II. gewidmet. Gedruckt ist sie von Pannartz und Sweynsheim, den bekannten Schülern Gutenbergs. Als eine ihrer Quellen glaube ich die Handschrift 36, 2 der Laurenziana in Florenz (15. Jahrhundert) erkannt zu haben. Gewisse drucktechnische Einzelheiten im Texte der 'Amores' machen den Schluß, der unsicher bleibt, wenn man ihn nur aus den Lesarten zieht, unabweisbar1. Da die Geschichte der von der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert für den Text und die Erklärung der 'Remedia' geleisteten Arbeit nicht gut von der Geschichte der gesamten gelehrten Beschäftigung mit Ovid isoliert werden kann, ist es ratsamer, darauf in einem der Bände einzugehen, der eine der großen Dichtungen Ovids enthalten wird. Hier genügt es, einige der Namen zu nennen, deren Trägern wir für immer bewundernd verpflichtet bleiben, auch wenn wir im einzelnen mit ihnen nicht in allen Fällen übereinstimmen: Ciofano, Poliziano und Navagero, Moltzer (Micyllus), Muret und Scaliger, N. Heinsius, der unerreichte und unerreichbare Höhepunkt der gesamten Ovidforschung, Bentley, Merkel und Ehwald. Mit diesem ist das erste Viertel des 20. Jahrhunderts erreicht. Den ersten ernstlichen Versuch einer kritischen Grundlegung des Textes hat zu Beginn des Jahrhunderts S. Tafel in seiner Dissertation unternommen, die sich weit über das Durchschnittsniveau heraushebt2. Sein Tod im ersten Weltkrieg verhinderte den Ausbau und die Vertiefung der erreichten Ergebnisse. Das von ihm verarbeitete Material und viele seiner Erkenntnisse behalten ihren Wert, obwohl heute kaum jemand mehr an die Richtigkeit einer seiner Hauptthesen glaubt. Er versuchte nämlich zu zeigen, daß die älteste erhaltene Handschrift der 'Ars' und 'Remedia', der Regius 7311 der Pariser Nationalbibliothek (R), der dem 9. Jahrhundert angehört und in karolingischer Minuskel geschrieben ist, aus einer alten 1

F. W. Lenz, Parerga Ovidiana, Rendiconti Accademia dei Lincei, CI. d. se. morali, storiche e filologiche, ser. 6, voi. 13 (1937), fase. 5—10 (Rom 1938), über diese Frage S. 3 7 0 - 3 8 5 . 2 Die Überlieferungsgeschichte von Ovids Carmina amatoria. Verfolgt bis zum 1 1 . Jahrhundert, Diss. München 1909 (Tübingen 1910). Eine neue umfassende Untersuchung ist von dem Engländer E. J. Kenney angekündigt.

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Vorlage kopiert ist, die sich in Spanien aus dem Altertum gerettet hat und dann, noch einmal abgeschrieben, dadurch auch indirekt zum Stammvater des Vulgattextes geworden ist. Dieser wird für uns durch eine große Zahl von Handschriften des 13.—15. Jahrhunderts repräsentiert, von denen viele sich zu Sondergruppen zusammenfassen lassen. Neben ihnen steht, zwar getrennt, aber von ihren charakteristischen Eigentümlichkeiten nicht frei und daher mit Vorsicht zu gebrauchen, die Handschrift des 11. Jahrhunderts 150, früher B. 1. 6.5 des Eton College (E). Aus dem von Tafel für eine Ausgabe der Liebesdichtungen zusammengetragenen noch ganz unfertigen Material stellte sein Lehrer F. Vollmer einen sehr unvollständigen und provisorischen, von Irrtümern nicht freien (vgl. z. B. Erl. zu 396) kritischen Apparat zu den 'Remedia' zusammen, ergänzte ihn in sehr unsystematischer Weise, soweit es bei der Abschnürung Deutschlands durch den Krieg möglich war, und fügte sehr nützliche kritisch-exegetische Anmerkungen hinzu1. Seitdem ist nur einmal2 von H.Bornecque im Jahre 1930 der Versuch einer kritischen Ausgabe gemacht worden8. Der Text befriedigt nicht gleichmäßig, die französische Ubersetzung ist nützlich und gut zu lesen, die erklärenden, fast nur auf Sachliches und Mythologisches beschränkten Anmerkungen sind trotz ihrer Knappheit förderlich, der kritische Apparat ist ganz unzulänglich und leider nicht frei von Fehlern. Nicht einmal ein Ansatz, das reiche Material der Pariser Nationalbibliothek aufzuarbeiten oder wenigstens zu sichten, um von anderen Bibliotheken zu schweigen, ist gemacht worden. Der lateinische Text der Liebesgedichte Ovids ist der karolingischen Zeit in einem Zustande bekannt geworden, den man gelinde gesagt als nicht gut bezeichnen muß. Einer der besten Kenner römischer Dichtung und zugleich einer der scharfsinnigsten Handschriftenbeurteiler und Textkritiker, zugleich der erklärte Gegner deutscher Ovidforscher — nicht anders steht er zu deutschen Juvenal- und Lucanforschern —, der im Jahre 1936 verstorbene Cambridger Professor und lyrische Dichter A. E. Housman, hat über die Verfassung des Textes ein resigniert vernichtendes Urteil offen ausgesprochen und sich dadurch abhalten lassen, sich an die Gestaltung eines Textes zu wagen. Wenn ein dem Dichter kongenialer Kritiker wie N. Heinsius, dessen Verstandesschärfe ebenso groß ist wie seine Intuitionskraft — es hat damit nichts zu tun, daß er sich häufig zu unnötigen Vermutungen verleiten läßt —, eine bestimmte Handschrift als „praestantissimus" (besonders hochstehend) bezeichnet, so hätte das eigentlich ausreichen sollen, die Herausgeber des 19. und 20. Jahrhunderts zur Wiederidentifizierung und Untersuchung der Handschrift aufzufordern. Die Kennzeichnung als „Puteaneus" (nach dem humanistischen Sammler Claude Du Puits) wäre ein sicherer Wegweiser gewesen. Es handelt sich um den Parisinus lät. 8460 1

F. Vollmer, Kritischer Apparat zu Ovids Remedia, Hermes 52 (1917) 453—469. Die Ausgabe des ungarischen Gelehrten G. Némethy (Budapest 1921) ist unkritisch •und beschränkt sich auf nützliche, aber von Trivialitäten nicht immer freie Sacherklärung in lateinischer Sprache. 3 Les Remèdes à l'amour, éd. et trad. par H. Bornecque, Paris 1930 (Collection Budé). 2

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Lau-, Ovid, Heilmittel

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der Nationalbibliothek (P), eine Pergamenthandschrift, deren Remediatext 2war erst dem frühen ij. Jahrhundert angehört und seine Spuren erkennen läßt, die aber neben R und dem, wie o. S. 17 gesagt ist, ganz andersartigen E der wichtigste Textzeuge ist, denn sie beruht auf zwei alten Vorlagen, die neben die Vorlage von R und neben die alte Handschrift zu stellen sind, aus denen E und der Vulgattext abzuleiten sind; zwei Vorlagen deswegen, weil der Schreiber von P, der zugleich erster Korrektor war, und die zweite verbessernde und glossierende Hand Handschriften zu Rate gezogen haben, die auf verschiedene alte Exemplare zurückgeführt werden müssen1. Die alte Vorlage des Regius ist mindestens einmal ausgeschrieben worden, denn es gibt in der Pariser Nationalbibliothek eine Florilegienhandschrift des 10./11. Jahrhunderts (T = Parisinus lat. 8069)2, die 38 Verse der 'Remedia' enthält und sich zuR so verhält, daß sie ihn nicht voraussetzt, sondern auf die gleiche Vorlage weist. Nachdem Tafeis spanische Hypothese heutzutage fast einstimmig für unbeweisbar und unwahrscheinlich erklärt worden ist, muß die Frage von neuem gestellt werden, wo das Exemplar, das dann, wie gesagt, mehrfach kopiert wurde, zu suchen ist, mit anderen Worten, wem wir die Erhaltung der 'Ars', der 'Remedia' und, da der jetzt verstümmelte Regius R ursprünglich auch die 'Amores' enthielt, auch diese Liebeselegien zu verdanken haben. Diese Frage läßt sich nicht mit Sicherheit beantworten, aber mir scheint jetzt, daß gewisse Schreibversehen in R sich am leichtesten erklären lassen, wenn wir eine Vorlage voraussetzen, die in der beneventanischen Schrift des Klosters Monte Cassino, natürlich ohne Worttrennung (scriptum continua) geschrieben war und in der Bibliothek ein nicht mehr gut erhaltenes Exemplar des Altertums ersetzen sollte. Die einzelnen Stellen kann ich hier nicht besprechen. Daß übrigens auch E in beneventanischer Schrift geschrieben ist und ebenso wie P Reste von scriptum continua erkennen läßt, sei nur beiläufig bemerkt. Der Apparat dieser Ausgabe ist nicht vollständig. Er ist so ausgewählt, daß er die Grundlage zeigt, auf der der Text hergestellt ist, und die Beziehungen von R, P und E 1

Für die Einzelheiten vgl. F. W. Lenz, Der Praestantissimus Puteaneus der Remedia Ovids, Studi Italiani di filologia classica 29 (1957) 1—30, und E. J . Kenney, ebd. 30 (1958) 172-174. 2 Jüngere Florilegienhandschriften des 13. Jahrhunderts bringen dem Texte keinen Gewinn, obwohl sich selbst in ihnen der durch R repräsentierte Text in vereinzelten Spuren nachweisen läßt. Auch die Zitate in den Werken des Vincenz von Beauvais (Mitte des 13. Jahrhunderts) sind unergiebig. Er hat anscheinend neben einer vollständigen Handschrift ein Florilegium benutzt. Die spärlichen Zitate oder Anspielungen in mittelalterlicher Literatur ergeben, mit der einen S. 9 Anm. 1 erwähnten Ausnahme Hildeberts, für den Text nichts Wesentliches, nur 324 wird in den 'Carmina Burana' mit einer Wortstellung angeführt, die ich bisher in keiner Handschrift gefunden habe. Für das Compendium des padovanischen Humanisten Geremia da Montagnone, der zuerst im 14. Jahrhundert Kenntnis der 'Remedia' zeigt, ist die Frage nach dem benutzten Texte noch ungeklärt, und solange es keine moderne kritische Ausgabe des Compendiums gibt, läßt sich kaum zu einer sicheren Entscheidung kommen. Die handschrifdiche Überlieferung des Compendiums ist deswegen nicht ganz einfach, weil der Bestand in den Handschriften schwankt und die Frage, ob es sich um Auslassungen oder authentische oder fremde Zusätze handelt, nur durch eine systemaüsche Prüfung beantwortet werden kann.

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sowie das Verhalten der jüngeren Handschriften deutlich macht1. Schreibversehen und offenkundige Fehler sind in der Regel auch bei den genannten Handschriften unberücksichtigt geblieben, ferner etliche Fälle abweichender Wortstellung. Einzelne der unter dem Zeichen £ ( = jüngere) zusammengefaßten Handschriften mußten an bestimmten Stellen aus folgenden Gründen individueller angeführt werden: es gibt nämlich Stellen, an denen der richtige Wortlaut nur ihnen verdankt wird (vgl. z. B. 612), und es gibt andere, an denen er nur in R oder P oder E und in einer oder zwei jungen Handschriften, unversehrt oder leicht entstellt, nachweisbar ist (vgl. z. B. 476). Eine Handschrift der Pariser Nationalbibliothek (Parisinus lat. 7575), deren Text von nichtsnutzigen Änderungen jeder Art und Sinnlosigkeiten wimmelt, läßt immer wieder den Text durchschimmern, der in R vorliegt, obwohl sich nicht erweisen läßt, daß sie aus R selbst abgeschrieben ist. In diesen und ähnlichen Fällen habe ich sie individueller berücksichtigt. Um Verwirrung zu vermeiden, habe ich die Sigla beibehalten, die in der umfassenden Ausgabe des 'Corpus Paravianum' verwendet werden. Nur im Falle der Handschrift P, die dort P 0 heißt, habe ich eine Änderung für zweckmäßig gehalten. Um mich nicht beeinflussen zu lassen, habe ich keine andere deutsche Übersetzung benutzt2, aber es darf nicht ungesagt bleiben und ist eine mit Freude erfüllte Pflicht der Dankbarkeit zu erklären, daß mein Freund Hans Steinthal in Frankfurt (Main) die Übersetzung durchgesehen und mit feinem Stilgefühl viele gute Vorschläge gemacht hat, die sich als sehr förderlich erwiesen haben. 1 Diese Bezeichnung schließt um der Kürze willen auch Handschriften ein, die noch dem Ende des zwölften oder Anfang des 13. Jahrhunderts angehören. Sie sind nur in einigen Fällen individueller behandelt worden. 2 Während der Drucklegung erschien: P. Ovidius Naso, Heilmittel gegen die Liebe. Gesichtspflege. Übertragung, Einführung und Anmerkungen von J . Eberle, Zürich 1959.— Die Übersetzung (ohne lateinischen Text) ist in Distichen. Ich konnte die Veröffentlichung gerade noch an einigen Stellen einsehen, aber im einzelnen nicht mehr auf sie eingehen.

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Heilmittel gegen die Liebe

ABKÜRZUNGEN £ = Etonensis 150 (B. 6.5), 11. Jahrhundert P = Parisinus (Nationalbibliothek) lat. 8460, Anfang des 13. Jahrhunderts, der „Puteaneus praestantissimus"; vgl. o. S. 18 Anm. 1 R = Parisinus lat. 7311, 9. Jahrhundert, der Regius F = Francofurtanus, Ms. Barth. 110 H x = Holkhamicus 322, jetzt Londiniensis Mus. Brit. Add. 49 368 L = Lipsiensis (Leipzig), Stadtbibliothek Rep. I. 2°. 7 L 4 = Leidensis, B. P. L. (Universitätsbibliothek) 179 L 6 = Leidensis, B. P. L. (Universitätsbibliothek) 138 M = die verlorene sogenannte alte Handschrift Angelo Polizianos aus dem Florentiner Kloster San Marco. Sie ist zu rekonstruieren aus der erhaltenen Originalkollation Polizianos in seinem Exemplar der Ausgabe von Parma 1477 (jetzt in der Bodleiana in Oxford) und aus verschiedenen Abschriften: F. W. Lenz,ParergaOvidiana(o. S. 16 Anm. 1) 320—356 Mx = München, Bayerische Staatsbibliothek Clm. 14809 Mg = Mutinensis (Modena), Bibliotheca Estensis lat. 157 N = Neapolitanus (Neapel, Nationalbibliothek) IV F 12 (Burbonicus 260) 0 a = Oxoniensis Bodleianus Canonicianus class. lat. 15, ein Farnesianus 0 4 = Oxoniensis Bodleianus Auct. F. 4. 24; vgl. F.W.Lenz, Eranos j i (1953) 70ff. P 2 = Parisinus lat. 8245, ein Puteaneus; vgl. F. W. Lenz, Eranos 51 (1953) 81 P 3 = Parisinus lat. 7993, der „alter Regius Heinsii" P 6 = Parisinus lat. 7575 P 7 = Parisinus lat. 7997; die Hs., ein Sarravianus, ist trotz ihrer Jugend (Ende des 15., vielleicht erst Anfang des 16. Jahrhunderts) wichtig, weil sie häufig ein wesentlich älteres Original durchschimmern läßt P 8 = Parisinus lat. 8048, ein Puteaneus Ren. = Gruppe von Renaissancehandschriften; zu ihnen gehören: H = Harleianus (Mus. Brit.) 2565 0 = Oxoniensis Bodleianus Auct. F. 1. 18 U = Urbinas (Vaticanische Bibliothek) lat. 347 die Ausgaben ß und 7t, s. S. 15f.; andere Handschriften, z. B. der Laurentianus 36,2 treten gelegentlich hinzu. Ren. bedeutet nicht, daß alle Handschriften der Gruppe die angeführte Lesart haben, sondern nur die Mehrzahl. Individuelle Abweichungen werden in der Regel nicht angeführt. V = Vaticanus lat. 3270 (zugleich die bekannte Handschrift des Tibull) V a = Vaticanus lat. 1599 V 5 = Vaticanus lat. 3149; vgl. F. W. Lenz, Eranos 53 (1955) 65 X = eine oder mehrere nicht identifizierte Handschriften, die Heinsius benutzt hat. Ist die Handschrift seitdem verschwunden oder verloren, aber mit Namen bekannt, so ist der Name in runden Klammern hinzugefügt

Einführung

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T = altes Florilegium von 58 Versen im Parisinus lat. 8069, IO./II. Jahrhundert, einem Colbertinus, früher Thuaneus Flor. = Florilegium des 12. Jahrhunderts, vertreten durch: a = Atrebaticus (Arras) 64 (früher 65) n = Parisinus lat. 17903 (aus der Bibliothek von Notre Dame) p = Parisinus lat. 7647, ein Thuaneus b2 = Florilegium im Berolinensis Phillippicus 1827 g = jüngere Handschriften £ . = wenige jüngere Handschriften (» = alle Handschriften oder alle außer den individuell genannten Der Exponent hinter einer Handschriftensigle bezeichnet die Hand der Korrektur. 1' = vel, dient in den Handschriften zur Bezeichnung einer Variante. ß = erste Ausgabe, Bologna 1471 7c = Ausgabe Parma 1477 p = Ausgabe Rom 1471/72 Born. = Btl. = Ct. = Ehw. Hei. = Hou. = Jur. = Madv. = Merk. Mu. = Pol. Ri. Seal. Vo. = -

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Bornecque Bentley Gofano Ehwald Heinsius Housman Juret Madvig Merkel Muret Poliziano Riese Scaliger Vollmer

a. Ras. auf Rasur Hs.,Hss. = Handschriften) Rd. — am Rande ü. Z. = über der Zeile verb. — verbessert / = Rasur, # = Rasur von zwei Buchstaben + = hinzugefügt > = ausgelassen ^ = umgestellt •)• = Verderbnis (...) = Ergänzung (bzw. Fehlen eines Buchstabens oder einer Silbe)

P. OVIDI NASONIS REMEDIA AMORIS

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Legerat huius Amor titulum nomenque libelli: „Bella mihi, video, bella parantur" ait. „Parce tuum vatem sceleris damnare, Cupido, Tradita qui totiens te duce signa tuli. Non ego Tydides, a quo tua saucia mater In liquidum rediit aethera Martis equis. Saepe tepent alii iuvenes, ego semper amavi, Et si, quid faciam nunc quoque, quaeris, amo. Quin etiam docui, qua posses arte parari, Et quod nunc ratio est, impetus ante fuit. Nec te, blande puer, nec nostras prodimus artes, Nec nova praeteritum Musa retexit opus. Si quis amat quod amare iuvat, feliciter ardens Gaudeat et vento naviget ille suo; At si quis male fert indignae regna puellae, Ne pereat, nostrae sentiat artis opem. Cur aliquis laqueo collum nodatus amator A trabe sublimi triste pependit onus? Cur aliquis rigido fodit sua pectora ferro? Invidiam caedis, pacis amator, habes. Qui, nisi desierit, misero periturus amore est, Desinat, et nulli funeris auctor eris. Et puer es, nec te quicquam nisi ludere oportet: Lude, decent annos mollia regna tuos. Nam poteras uti nudis ad bella sagittis, Sed tua mortifero sanguine tela carent. Vitricus et gladiis et acuta dimicet hasta Et victor multa caede cruentus eat:

9/10 > R 9 possis g 10 qu(a)e C, 13 amans Ehw. \ ardens P2 (mit V) ardet co 17 nudatus ER? | amator] ab arto Hei. 19 fodit 0 2 VV 2 (miti') fodiatw | pectora] uiscere P, -a P2 (Hei.) 20 habes] habet %w. beiden schwanken P ? 23 En, Nam, At, Sed, Tu g 24 animos g 25 Non oder Nec £ | nudis] longis E f nudis 1' longis oder longis 1' nudis ? 26 calent Palmer madent Ehw.

PUBLIUS OVIDIUS NASO HEILMITTEL GEGEN DIE LIEBE Amor hatte den Titel und Namen dieses kleinen Buches gelesen: „Krieg ist", sagte er, „gegen mich im Werk, ich sehe es, Krieg." 3 „Lasse Milde walten, Cupido, und sprich nicht deinen Künder einer Sünde schuldig, unter deiner Führung habe ich ja so viele Male die mir anvertraute Fahne getragen. 5 Ich bin nicht des Tydeus Sohn, von dem verwundet deine Mutter mit des Mars Gespann in die reinen Bezirke des klaren Himmels zurückkehrte. 7 Oft sind andere in ihren jungen Jahren lau, ich habe stets geliebt, und fragst du mich, was ich auch jetzt noch tue: ich liebe. 9 Ich habe doch sogar die Kunst gelehrt, durch die du zu gewinnen bist, so ist jetzt planvolles Werk, was zuvor nur blinde Regung war. "Nicht dich, du zärtlich schmeichelnder Knabe, verrate ich noch meine eigenen Künste, keine neue Muse trennt das Gewebe meines früheren Werkes wieder auf. 13 Wenn jemand liebt, was zu lieben ihn beseligt, so möge er seiner glücklichen Leidenschaft froh sein und in seinem Schifflein mit günstigem Winde einherfahrenl 15 Wenn jemand aber unter der Zwangsherrschaft eines Mädchens leidet, das seiner nicht wert ist, so möge er, damit es nicht um ihn geschehen sei, die wohltuende Hilfe an sich erfahren, die meine Kunst ihm bringt. 17 Warum mußte ein Liebender, den Hals in der Schlinge eines Strickes, an einem hohen Balken hängen, eine traurige Last? 19 Warum mußte ein anderer seine Brust mit hartem Stahle zerwühlen? Die Erbitterung über die Gewalttat trifft dich, Freund des Friedens. 21 Wer in Gefahr ist, an unglücklicher Liebe zugrundezugehen, wenn er ihr nicht ein Ende macht, der mache ein Ende: so wirst du nicht schuld sein, daß jemand zu Grabe getragen wird. 23 Du bist ein Knabe, und nichts als Spielen ist dir angemessen: Spiele, eine milde Herrschaft ziemt sich für deine Jahre. 25 Der entblößten Pfeile könntest du dich ja für ernste Kriege bedienen, aber deine Geschosse bleiben von todbringendem Blute unberührt. 27 Lasse deinen Stiefvater mit Schwertern und spitzer Lanze kämpfen und triefend vom Blute der Erschlagenen siegreich ein-

Heilmittel gegen die Liebe

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Tu cole maternas, tuto quibus utimur, artes, Et quarum vitio nulla fit orba parens. Effice nocturna frangatur ianua rixa, Et tegat ornatas multa corona fores. Fac coeant furtim iuvenes timidaeque puellae Verbaque dent cauto qualibet arte viro, 86 Et modo blanditias, rigido modo iurgia posti Dicat et exclusus flebile cantei amans. His lacrimis contentus eris sine crimine mortis: Non tua fax avidos digna subire rogos." Haec ego; movit Amor gemmatas aureus alas 40 Et mihi „Propositum perfice" dixit „opus". so

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Ad mea, decepti iuvenes, praecepta venite, Quos suus ex omni parte fefellit amor. Discite sanari per quem didicistis amare: Una manus vobis vulnus opemque feret. Terra salutares herbas eademque nocentes Nutrit, et urticae proxima saepe rosa est. Vulnus in Herculeo quae quondam fecerat hoste, Vulneris auxilium Pelias hasta tulit. Sed quaecumque viris, vobis quoque dicta, puellae, Credite: diversis partibus arma damus. E quibus ad vestros siquid non pertinet usus, Attamen exemplo multa docere potest. Utile propositum est saevas extinguere flammas Nec servum vitii pectus habere sui. Vixisset Phyllis, si me foret usa magistro, Et per quod noviens, saepius isset iter. Nec moriens Dido summa vidisset ab arce Dardanias vento vela dedisse rates. Nec dolor armasset contra sua viscera matrem, Quae socii damno sanguinis ulta virum est. Arte mea Tereus, quamvis Philomela placeret, Per facinus fieri non meruisset avis. Da mihi Pasiphaen: iam tauri ponet amorem; Da Phaedram: Phaedrae turpis abibit amor. Redde Parim nobis: Helenen Menelaus habebit,

29 tute g 30 Ex £ 34 cauto] capto £ (manche schwanken zs>. beiden) 37 sine funere E (T crimine E' oder > ». Z.) ? 38 Nec Eg 45 salutíferas P 2 $ 47 > E | (h)erculeo PR (achillee// R 2 ». Z.) achilleo g | quae] quod ? | hosti ? 54 uitiis g | sili Psbj tui RT tuum P q Fior. suumEg 61 philomena P? 65 parim ER2 e par//R | helenam g

Vers 29—65 29

hergehen. Du übe deiner Mutter Künste aus, deren wir uns ungefährdet bedienen, durch ihre Schuld verliert keine Mutter ihr Kind. 31 Lasse im nächtlichen Streit die Tür aufgebrochen werden und vieler Kränze Schmuck ihre Flügel bedecken; 33 lasse die jungen Männer und die furchtsamen Mädchen sich verstohlen zur Vereinigung zusammenfinden und den mißtrauischen Mann auf jede Weise listig täuschen; 35lasse den ausgesperrten Liebhaber den unnachgiebigen Türpfosten bald mit schmeichelnden, bald mit schmähenden Worten bedenken und traurige Weisen singen. 37 An diesen Tränen wirst du Genüge finden, und kein Todesfall wird dir zur Last gelegt werden, deine Fackel ist zu gut dafür, unter den gierigen Scheiterhaufen gelegt zu werden." 39 So sprach ich, und es bewegte der goldene Liebesgott seine mit kostbaren Steinen besetzten Schwingen und erwiderte: „Vollende das Werk, das du dir vorgenommen hast." 41

Kommet her zu mir und empfanget meine Weisungen, ihr getäuschten jungen Männer, die ihre eigene Liebe auf jede Weise betrogen hat. 43 Gesundung sollt ihr lernen durch den, dessen Schüler in der Liebe ihr wäret. Dieselbe Hand, der ihr eure Wunde verdankt, wird euch Hilfe bringen. 46 Die Erde nährt heilsame Kräuter und dieselbe Erde auch schädliche, und der Nessel ganz nahe ist oft die Rose. 47 Der auf dem Pelion gewachsene Speer, der Herkules' feindlichem Sohne die Wunde geschlagen hatte, brachte der Wunde Heilung. 49 Aber was ich den Männern sage, soll auch für euch gelten, ihr Mädchen, seid dessen sicher, beiden Parteien lege ich Waffen in die Hände. 51 Wenn etwas davon eurem Gebrauche nicht frommt, so vermag es doch, durch sein Beispiel viel zu lehren. 53 Ein nutzbringender Vorsatz ist es, das versehrende Feuer zu löschen und nicht das Herz der eigenen Schwäche dienstbar sein zu lassen. 55 Am Leben wäre Phyllis geblieben, wenn sie mich zum Lehrer gehabt hätte, und den sie neunmal gewandelt, sie wäre den Weg noch häufiger gegangen. 57 Nicht hätte Dido sterbend von der Höhe ihrer Burg gesehen, wie die dardanischen Schiffe die Segel dem Winde boten, 59noch hätte der Schmerz die Waffe gegen die Frucht ihres Leibes der Mutter in die Hand gegeben, als sie, dem verwandten Blute Leid antuend, rächend den Gatten traf. 61 Durch meine Kunst hätte Tereus, wie sehr Philomela ihm auch gefallen mochte, es nicht verschuldet, wegen seiner Untat zum Vogel zu werden. 63Gib mir Pasiphae: sie wird, nicht lange wird es dauern, sich von der Leidenschaft für den Stier befreien, gib mir Phaidra: Phaidras schmähliche Leidenschaft wird schwinden. 65 Vertraue Paris mir an: seine Helena wird Menelaos behalten, und

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Nec manibus Danais Pergama vieta cadent. Inpia si nostros legisset Scylla libellos, Haesisset capiti purpura, Nise, tuo. Me duce damnosas, homines, conpescite curas, Rectaque cum sociis me duce navis eat. Naso legendus erat tum, cum didicistis amare: Idem nunc vobis Naso legendus erit. Publicus adsertor dominis subpressa levabo Pectora: vindictae quisque favete suae! T e precor incipiens, adsit tua laurea nobis, Carminis et medicae, Phoebe, repertor opis. T u pariter vati, pariter succurre medenti, Utraque tutelae subdita cura tuae est. D u m licet et modici tangunt praecordia motus, Si piget, in primo limine siste pedem. Obprime, dum nova sunt, subiti mala semina morbi, Et tuus incipiens ire resistet equus. Nam mora dat vires, teneras mora percoquit uvas Et validas segetes, quod fuit herba, facit. Quae praebet latas arbor spatiantibus umbras, Quo posita est primum tempore, virga fuit. T u m poterai manibus summa tellure revelli, Nunc stat in inmensum viribus acta suis. Quale sit id quod amas, celeri circumspice mente Et tua laesuro subtrahe colla iugo. Principiis obsta: sero medicina paratur, Cum mala per longas convaluere moras. Sed propera nec te venturas differ in horas : Qui non est hodie, eras minus aptus erit. Verba dat omnis amor reperitque alimenta morando : Optima vindictae proxima quaeque dies. Flumina pauca vides de magnis fontibus orta, Plurima collectis multiplicantur aquis. Si cito sensisses, quantum peccare parares, Non tegeres vultus cortice, Myrrha, tuos.

66 danaum £ | cadent] forent £ 71 tunc P ç 73 dominis R domini E P dampnis P3V5 uitiis Ç 74 faueto E ç 75 incipiens] o uates £ 78 tua E (verb. E1) R f 80 limite ? 82 resistet ERP 2 ç -at P ç 84 quod] que E R ç 85 potantibus E 86 primo $ (manche »or posita est) 87 Tunc P £ 88 acta] aucta e, (manche schwanken beiden) 92 male Rç 93 profer P ('differ P 2 ;, Hei. 95 amor] amans P 2 (mit 1') E 97 pauca EPR parua P 2 (mit Y) magna ç \ magnis de E de parais oder parais de ç parais e Fior. 99 parabas oder parasses £

V e r s 66—100

Pergamon wird nicht, durch der Danaer Hände überwältigt, fallen. 67Wenn Skylla, die den Vater nicht ehrte, meine kleinen Bücher gelesen hätte, würde die Purpurlocke auf deinem Haupte geblieben sein, Nisos. 69Unter meiner Leitung bezähmt, ihr Menschen, die verderblichen Leidenschaften, und gerade nehme das Schiff mit seinen eng verbundenen Insassen unter meiner Leitung seinen Kurs. 71Naso mußtet ihr lesen, als ihr das Lieben erlerntet; denselben Naso müßt ihr auch jetzt lesen. 73Euch allen das Ende der Knechtschaft zu bringen, ist mein Amt: ich werde den von harten Herren unterdrückten Herzen Erleichterung geben, ihr alle sollt die Wohltat der befreienden Berührung andächtig aufnehmen. 75 An dich richte ich beginnend mein Gebet, nahe sei mir helfend dein Lorbeer, des Gesanges und der Heilkunst Erfinder, Phoibos, du. 77 Leiste Beistand gleichermaßen dem Dichter und dem Heilbringer, beider sorgendes Wirken ist unter deinen Schutz gestellt. 79 Solange

es möglich ist und nur leichte Erregung dein Herz berührt, hemme, wenn du Widerstreben fühlst, den Fuß sogleich auf der Schwelle.81 Vernichte mit starkem Druck die verhängnisvollen Keime der Krankheit, die dich unerwartet angefallen hat, und dein Roß, das sich zu vollem Laufe anschickt, wird, du wirst es sehen, zum Stehen kommen. 83 Denn Warten gibt Stärke, Warten bringt die jungen Trauben zur Reife und wandelt, was nur sprossender Keim war, zu kraftvoller Saat. 85Der Baum, der den sich Ergehenden weit ausladenden Schatten spendet, war zu der Zeit, da er gesetzt wurde, ein schwaches Reis. 87Damals war es leicht, ihn mit den Händen aus der Oberfläche des Erdbodens zu reißen, jetzt steht er fest, durch eigene Kraft in unermeßliche Höhe hinaufgetrieben. 89Mit schnellem Auffassen betrachte von allen Seiten, welcher Art der Gegenstand deiner Liebe ist, und entziehe deinen Hals dem Joche, das dich zu verletzen droht. 91Stehe stark gegen den Anfang, zu spät wird ein Heilmittel bereitet, wenn das Übel durch lange Verzögerung Stärke gewonnen hat. 93Nein, handle schnell und vertröste dich nicht auf kommende Stunden; wer heute nicht bereit ist, wird es morgen nocht weniger sein. 95Jede Liebe hält zum Narren ünd findet neue Nahrung durch Verschleppung, der gegenwärtige Tag ist jedesmal der beste, sich frei zu machen. 97Wenige Flüsse siehst du sich aus großen Quellen bilden, die meisten werden ein Vielfaches ihrer selbst, indem sie die Wasser in sich sammeln. "Hättest du schnell erfaßt, Myrrha, wie große Schuld du auf dich laden wolltest, so würdest du nicht dein Gesicht

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Vidi ego, quod fuerat primo sanabile vulnus, Dilatum longae damna tulisse morae. Sed quia delectat Veneris decerpere fructum, Dicimus adsidue „Cras quoque fiet idem". Interea tacitae serpunt in viscera flammae, Et mala radices altius arbor agii. Si tarnen auxilii perierunt tempora primi Et vetus in capto pectore sedit amor, Maius opus superest; sed non, quia serior aegro Advocor, ille mihi destituendus erit. Quam laesus fuerat partem Poeantius heros, Certa debuerat praesecuisse manu. Post tamen hic multos sanatus ereditar annos Supremam bellis inposuisse manum. Qui modo nascentis properabam pellere morbos, Admoveo tardam nunc tibi lentus opem. Aut nova, si possis, sedare incendia temptes, Aut ubi per vires procubuere suas. Cum furor in cursu est, currenti cede furori: Difficiles aditus inpetus omnis habet. Stultus, ab oblico qui cum descendere possit, Pugnat in adversas ire natator aquas. Inpatiens animus nec adhuc tractabilis arte Respuit atque odio verba monentis habet. Adgrediar melius tum, cum sua vulnera tangi Iam sinet et veris vocibus aptus erit. Quis matrem, nisi mentis inops, in funere nati Fiere vetet? non hoc illa monenda loco est. Cum dederit lacrimas animumque inpleverit aegrum, Ille dolor verbis emoderandus erit. Temporis ars medicina fere est: data tempore prosunt Et data non apto tempore vina nocent. Quin etiam accendas vitia inritesque vetando, Temporibus si non adgrediare suis.

101 ego > ? | primum ? 102 lentae E 103 fructum PR0 2 2 e p florem 0 2 P 2 ». Z. fructusEg flores £ 105 placidaeX 111 QuamR ? Quale sus P QuamlesusP 2 Qua co (P* ü. Z. mit Y) \ parte P 2 c 112 Certa debuerat P (Y Ieri P 2 ü. Z.) Caetera debuerat R Debuerat celeri oder ~ g 318 uere E P R uerum g 319 quam] quod P 320 Et P Nec co (P 2J | uere P R ? uerum E g 321 zusätzlich hinter 317 E ' Rd. | nec P 2 et E P R g I poscit] posset g | amantem] amari P 2 (Glosse mit -l) g 322 Hec P (V hic P 2 ii. Z.) Hinc g nach 322 Triste ueneficium solet inter dulcia poni Vt lateat uicium proximitate boni ? (interpoliertes Distichon: Pentameter = Ars 2,662 Et — boni,) 324 Virtus pro uitio ~ Carmina Bur ana 20 III, ) (Ii, Hilka-Schumann) 325 Qua P R P S Quam E g 329 quae] si P f 331 tua dote puella Ren. 333 Exigito cantet Hei. | uti E (und die Hss. des Seal, und Jur.) ut PR quod g Exige vel („zum Beispiel") Lenz 334 manum R X (Lincolniensis) pedem P (V manum P 2 Rd.) E g pedes C 337 Durius P 2 R g Duriter E P g I fac inambulet R face inambulet die Hs. des Seal, fac (fac ut c) ambulet E P g 338 uitium] tumid(a)e ? (z- T. Ren.) 339 illiR i l l a E P g ipsa P 2 (mit l'J g 343 AuferimusR 344 femina sepe sui Fior. 345 ames R g a m a s E P g 346 hoc PfVJR

Vets 314—346 eigenen Rezepte zu heilen, und, ich gestehe es zu meiner Schande, ich, der Arzt, war gründlich krank. 316 Es nützte, daß mein Denken ständig um die Fehler meiner Freundin kreiste, und dies oft zu tun, erwies sich als heilsam für mich. 317 „Wie schlecht geformt", so pflegte ich zu sagen, „sind die Beine meines Mädchens." Um die Wahrheit zu gestehen, sie waren es nicht. 319 „Die Arme meines Mädchens, wie wenig wohlgestaltet sind sie!" Um die Wahrheit zu gestehen, sie waren es doch. 321 „Wie winzig ist sie!" Sie war es nicht. „Wieviel verlangt sie von ihrem Liebhaber!" Dies wurde für mich der wichtigste Grund meines Überdrusses. 323 Fehler liegen nahe bei Vorzügen: das verkennen wir, und so richtet sich der Tadel oft gegen die gute Eigenschaft, nicht gegen den Fehler. 325 Wo du es kannst, verkehre die Vorzüge des Mädchens in Nachteile und verfäl$che dein Urteil um eines Haares Breite. 327 Aufgeschwollen nenne sie, wenn sie üppig ist; ist sie dunkel, nenne sie schwarz. Ist sie schlank, so kannst du sie der Magerkeit zeihen. 329 Dreist mag genannt werden, die nicht tölpelhaft, und tölpelhaft, die rechtschaffen ist. 331 Gehe noch weiter und bitte deine Freundin dringend in schmeichelndem Tone, die Vorzüge spielen zu lassen, die sie von Natur nicht hat. 333 Fordre von dem Mädchen, daß es singe, wenn es keine Stimme hat; lasse eine tanzen, die ihre Hand nicht graziös zu bewegen weiß. 335Ist ihre Sprechweise ungebildet? Lasse sie mit dir viel sprechen; hat sie nicht gelernt, die Saiten zu handhaben, fordre Leierspiel. 337Hat sie einen zu harten Gang? Lasse sie spazieren gehen; bedecken die Warzen die Brust ganz, so soll kein Band den Fehler verhüllen. 339Wenn ihre Zähne in schlechtem Zustande sind, erzähle ihr etwas, worüber sie lachen muß; hat sie schwache Augen? Berichte ihr, was die Tränen hervortreibt. ^ E s wird auch zweckdienlich sein, daß du am Morgen, wenn sie sich für keinen zurechtgemacht hat, unerwartet deine schnellen Schritte zu deiner Herrin lenkst. 343Wir lassen uns durch Schönheitspflege hinreißen: durch kostbare Steine und Gold wird alles verdeckt; was sie selbst ist, ist das wenigste an ihr. 345 Oft magst du unter so vielem Künstlichen vergeblich suchen, was das eigentlich ist, was du lieben kannst: Das ist die Ägis des Reichtums, mit der Amor die Augen täuscht. 347Stelle dich unvorhergesehen

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Inprovisus ades: deprendes tutus inermem; Infelix vitiis excidet illa suis. Non tamen huic nimium praecepto credere tutum est: 350 Fallit enim multos forma sine arte decens. Tum quoque, conpositis sua cum linit ora venenis, Ad dominae vultus — nec pudor obstet — eas. Pyxidas invenies et rerum mille colores, Et fluere in tepidos oesypa lapsa sinus. 355 Illa tuas redolent, Phineu, medicamina mensas: Non semel hinc stomacho nausea facta meo est.

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Nunc tibi, quae medio Veneris praestemus in usu, Eloquar: ex omni est parte fugandus Amor. Multa quidem ex illis pudor est mihi dicere, sed tu Ingenio verbis concipe plura meis.

Nuper enim nostros quidam carpsere libellos, Quorum censura Musa proterva mea est. Dummodo sic placeam, dum toto canter in orbe, Quod volet inpugne(n)t unus et alter opus. 865 Ingenium magni livor detractat Homeri: Quisquís es, ex ilio, Zoile, nomen habes. Et tua sacrilegae laniarunt carmina linguae, Pertulit hue victos quo duce Troia déos. Summa petit livor, perflant altissima venti, 370 Summa petunt dextra fulmina missa Iovis. At tu, quicumque es, quem nostra licentia laedit, Si sapis, ad números exige quidque suos. Fortia Maeonio gaudent pede bella referri: Deliciis illic quis locus esse potest? 375 Grande sonant tragici: trágicos decet ira coturnos; Usibus e mediis soccus habendus erit. Liber in adversos hostes stringatur iambus, Seu celer, extremum seu trahat ille pedem. Blanda pharetratos Elegeia cantet Amores 380 Et levis arbitrio ludat amica suo. 347 deprendas Ren. 348 decidet e 350 multos P g multas E R 351 Tunc Pg | cum positis P (COTÌ-V ) | sua cum linitFVB sua cum linet E g Ren. cum liniet g sua collinetP cum linit RP 2 ii. Z. (coUmteX getilgt) cum collinet ? cum collinit Ri. 356 hinc] est (> am Ende) Ren. 357 medios . . . usus P (verb. P'J e 358 est > E P f + P ' J g 361 quidam nostros ~ E P 364 Quod PR £ Qui E g Quo oder Qua ? | impugne(n)t Pol. 368 Protulit E c 370 iouis] manu M 372 quidque R ('-que//,) c qu(a)eque E P g 375 sonentE (Vo., vgl. 377 stringatur) 376 Vsibus e mediis R Versibus e mediis P» (mit 1") g emodicisP Versibus in mediis E g 378 trahitEg' 380 laudatR plaudit? 2

V e r s 347—380

ein: du, selbst gesichert, wirst sie waffenlos überraschen; durch ihre eigenen Mängel, vom Glück verraten, wird sie zu Fall kommen. 349Doch ist es nicht gefahrlos, dieser Vorschrift zu sehr zu vertrauen, denn ungekünstelte Wohlgestalt täuscht viele Männer. 851 Auch dann solltest du, ohne hemmende Scheu, deiner Herrin vor Augen treten, wenn sie ihr Gesicht mit Salbenmixturen bestreicht. 8B3Büchsen wirst du finden und ungezählte farbige Dinge und wirst sehen, wie der herunterträufelnde Ysop in ihren warmen Busen fließt. 365Diese Mittel strömen einen Geruch aus wie deine Mahlzeiten, Phineus: Mehr als einmal wandelte dadurch meinen Magen der Brechreiz an. 857 Jetzt

will ich dir offen sagen, was wir tun sollen, wenn das Spiel der Venus den Höhepunkt erreicht hat: Auf allen Seiten muß Amor in die Flucht geschlagen werden. 359 Schamgefühl hält mich zurück, vieles davon auszusprechen, aber du sollst mit deiner Vorstellungskraft mehr erfassen, als meine Worte sagen. 861 Denn

vor kurzem haben gewisse Leute meine kleinen Bücher zerpflückt, nach ihrem gestrengen Urteil ist meine Muse zu ausgelassen. 363 Wenn ich nur so gefalle, wenn ich nur in der ganzen Welt gesungen werde, mag dieser oder jener das Werk, das er will, ruhig angreifen. 365Das Genie des großen Homer zieht blasser Neid herunter: Wer du auch sein magst, Zoilos, deinen Namen hast du nur durch ihn. 367 Zungen, das Heilige schändend, haben auch deine Gedichte zerstückelt, unter dessen Führung Troia seine besiegten Götter hierher hinübergebracht hat. 369 Was am höchsten ragt, sucht sich Mißgunst zum Ziel, über die höchsten Gipfel fegen die Winde; was am höchsten ragt, suchen die von Jupiters Hand gesandten Blitze. 371 Aber du, wer du auch sein magst, den meine zu große Freiheit verletzt, wenn du einsichtig bist, miß jedes Ding nach seinem eigenen Maßstab. 373Kriege, der Schauplatz der Tapferkeit, wollen in maionischem Versmaß besungen werden: ist dort Raum für süßen Genuß? 375Pathetisch ist der Ton der tragischen Dichter, dem tragischen Kothurn ist Leidenschaft angemessen; des komischen Dichters leichter Schuh muß dem Alltagsleben vorbehalten bleiben, aus dem er stammt. 377 Der freie Iambus soll gegen einen Feind gezückt werden, gleichgültig, ob er schnell dahingleitet oder lahm den letzten Fuß nachzieht. 379 Die schmeichelnde Elegie soll Liebesgedichte singen, die mit dem Köcher bewehrt sind, und gern gesehen leicht dahinspielen,

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Calümachi numeris non est dicendus Achilles, Cydippe non est oris, Homere, tui. Quis feret Andromaches peragentem Thaida partes? Peccat, in Andromache Thaida quisquis agat. 385 Thais in arte mea est: lascivia libera nostra est; Nil mihi cum vitta: Thais in arte mea est. Si mea materiae respondet Musa iocosae, Vicimus, et falsi criminis acta rea est. Rumpere, Livor edax: magnum iam nomen habemus, 390 Maius erit, tantum, quo pede coepit, eat. Sed nimium properas: vivam modo, plura dolebis, Et capiunt animi carmina multa mei. Nam iuvat et Studium famae mihi crevit honore: Principio clivi vester anhelat equos. 395 Tantum se nobis elegi debere fatentur, Quantum Vergilio nobile debet opus. Hactenus invidiae respondimus: adtrahe lora Fortius et gyro curre, poeta, tuo. Ergo ubi concubitus et opus iuvenale petetur, 4oo Et prope promissae tempora noctis erunt, Gaudia ne dominae, pieno si corpore sumes, Te capiant, ineas quamlibet ante velim. Quamlibet invenias, in qua tua prima voluptas Desinat: a prima proxima segnis erit. 405 Sustentata venus gratissima: frigore soles, Sole iuvant umbrae, grata fit unda siti.

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Et pudet et dicam: Venerem quoque iunge figura, Qua minime iungi quamque decere putas. Nec labor efficere est; rarae sibi vera fatentur, Et nihil est, quod se dedecuisse putent.

383 ferat g 384 andromachen E P $ | siquis E P $ | agitM 386 uittis P uitioN inuitaE (tE'ü.Z.) nupta E'tì.Z. $ casta? 388 Vincimus P ? 392 capiunt RP a capienti» (R*) | animi EF» ti. Z. (mit ì') e anni PRE« fi. Z. (mit l ' j $ (¡g». beiden schwankt P 2 , vgl. Lenz, Studi Italiani 29,19 JJ, 6. iS) | multa] magna Mpluta < 393 cfescit EP 2 ^ | honori ? honestae X (Patavinus) 394 uester E PR Hildebert noster w (P2) 396 opus] opos kennt Mu. aus Ci., daher e p o s alte Konjektur 3 9 7 beginnt das zweite Buch co, ausgenommen R und ursprünglich auch E P 3 9 8 F o r t i t e r E P (verb. P 2 J 399 petetur Hei., vgl. dagegen 242

401 pectore E P ('corpore P') t, \ sumas C, 402 QualibetR? 403 inuenies P 2 ? 405 frigota sole P ' c Flor. 407 Sed E | uenerem aus ueneri P ' ueneris 1' uenerem P2Rd. ueneris I figura E R ' ffriguraRJ P 3 figuramP? figuras Ren. 408 Qua/ R QuamPM Quas Ren. I quaque oder quasque g quasue Ren. \ putes C Ren. 409 fare sibi P 3 tate tibi P tara est tibi R tato tibi E $ 410 quo R | pudet P 2 ü. Z. (mit 1') putant c

Vers 381—410 wie es ihr gefällt. 381 In des Kallimachos Maßen darf von Achilleus nichts ausgesagt werden, Kydippe ist kein Gegenstand für deinen Mund, Homer. 383 Wer wird es geduldig mitansehen, daß Thais die Rolle der Andromache spielt? Eine Sünde begeht, wer Thais spielt, wenn es um Andromache geht. 385 Thais herrscht in meiner Kunst, mein ist die freie Ungebundenheit, nichts habe ich mit der Haarbinde der ehrbaren Frau zu schaffen, Thais herrscht in meiner Kunst. 387 Wenn meine Muse ein offenes Ohr hat für scherzhafte Stoffe, so habe ich das Spiel gewonnen, und sie wird einer Schuld geziehen, die nicht ihre ist. 389 Brich in Stücke, gieriger Neid, groß ist schon mein Name, größer wird er sein, wenn er nur weiterschreitet, wie er begonnen hat. 391 Aber du hast es zu eilig: lasse mich nur am Leben bleiben, und du wirst noch größeren Schmerz fühlen, schon jetzt birgt mein Geist in sich viele Gedichte. 393Das Verlangen nach Ruhm ist mein Entzücken und ist gewachsen mit verehrender Anerkennung, euer Pferd keucht schon zu Beginn des Anstiegs. 396 Die elegischen Gedichte bekennen, daß sie mir so viel verdanken, wie dem Vergil das edle Werk verdankt. 397 Dies

genügt als Antwort für den Neid. Ziehe die Zügel fester an, Dichter, und bewege dich in dem Kreise deiner eigenen Bahn. 399 So höre denn: Wenn du engste Vereinigung suchst und das Werk jugendlicher Lust und wenn die Stunde der dir versprochenen Nacht nahe ist, 401 damit das Vergnügen an der Geliebten nicht ganz Besitz von dir ergreife, wenn du es mit ungeschwächtem Körper nimmst, solltest du dich zuvor mit einer anderen für das Gute zusammenfinden, gleichgültig wer sie ist. 403 Finde dir eine andere, bei der deine erste Lust sich ganz befriedigen kann: ist der ersten Genüge geschehen, so wird die nächste nur mäßig sein. 406 Zu lange unterdrücktes Begehren steigert das Lustgefühl übermäßig: bei Kälte sind die Strahlen der Sonne, in der Sonne ist der Schatten erfreulich, Durst macht das Wasser willkommen. 407 Ich

schäme mich und muß es doch sagen: wähle für den Liebesakt eine Stellung, in der nach deiner Meinung die Vereinigung für jedes Mädchen am wenigsten vorteilhaft ist. 409 Es ist nicht schwer, dies ins Werk zu setzen: nur selten gestehen die Frauen sich die Wahrheit ein, und es gibt nichts, wovon sie glauben, es habe ihnen ein unvorteilhaftes Aussehen gegeben. 411 Dann ist

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Tunc etiam iubeo totas aperire fenestras Turpiaque admisso membra notare die. At simul ad metas venit finita voluptas, Lassaque cum tota corpora mente iacent, 415 Dum piget, et malis nullam tetigisse puellam, Tacturusque tibi non videare diu, Tunc animo signa quodcumque in corpore mendum est, Luminaque in vitiis illius usque tene. £ ß g I cubum ? cibum ?) C, 89 contriueris £ contriris Merk. 91 marathros und 92 marathri Mic. 92 patent M £ parant £ ttahant Mu. | scripula M C, scry- g scru- £ ß 93 prehendat £ g (M unsicher) -it £ ß 94 armeniaco ? p 95 qu(a)e £ ß e | infunde ? ß 97 sint... molli G Merk. Mozley sint . . . mollis N sit... mollis M ('s unsicher) £ ß Born, sit .. . molli £ Q Kunz si oder sie . . . molli oder mollis g sis . . . molles (mollis Ebw.) . . . vultus Hei. Ehw. 98 nullus £ ß (TW unsicher) multus H ; ; 100 teneras . . . genas U ß

Vers 87—100 von der Rinde losgerissenes Gummi, ein Pfund, dem ein Viertel fehlt, und einen kleinen Würfel fetter Myrrhe. 89 Sobald du dieses zerrieben hast, siebe es durch dichte Löcher; der Staub soll durch darauf gegossenen Honig gebunden werden. 91 Es hat sich auch als nützlich erwiesen, Fenchel zu der wohl duftenden Myrrhe hinzuzufügen — fünf Scripula soll der Fenchel liefern, die Myrrhe neun — 93und von trockenen Rosenblättern so viel, wie eine Hand fassen kann, und mit Ammonssalz männlichen Weihrauch. 95 Gieße zu ihnen den Schleim, den Gerste liefert, hinzu; die ausgewogenen Rosenblätter soll mit dem Salz der Weihrauch aufwiegen. 97 Mag dieses Mittel auch nur während einer kleinen Zeitspanne auf das weiche Gesicht gestrichen werden, so wird doch auf dem Antlitz keine Farbe bleiben. " I c h habe ein Mädchen gesehen, das Mohn, der in eiskaltem klarem Wasser angefeuchtet war, zerrieb und auf die zarten Wangen strich . .

Lenz: Ovid, Heilmittel

ERLÄUTERUNGEN 1 Ars 3, 105 Cura dabit faciem-, facies neglecta peribit wirkt wie ein Zitat des Anfangs der 'Medicamina'. 2 Alle Herausgeber und Erkläret stimmen darin überein, daß cura fehlerhaft sein muß, weil die Wiederholung stilwidrig wäre. Die Frage ist, ob es durch Verlesung eines anderen, paläographisch ähnlichen Wortes entstanden oder ob es aus Vers 1 mechanisch wiederholt worden ist. Die vorgeschlagenen Emendationsversuche sind je nach der auf diese Frage gegebenen Antwort verschieden ausgefallen./«-«!« (vgl. Ars 3, 205 vestrae medicamina formae) findet sich in sehr wenigen Renaissancehandschriften; aura ( = Liebreiz, Anmut) hat Kunz vermutet, aber nicht in den Text gesetzt, und causa hat Ehwald in seinen Text aufgenommen. Damit meint er: wie ihr eure Sache behaupten müßt. Heinsius hat radikaler eingegriffen, denn sein Vorschlag ora linenda hat die Änderung von sit in sint zur Folge. Diese Konjekturen haben, so verschieden sie sind, das eine gemeinsam, daß sie ein von faciem verschiedenes Subjekt einführen. Damit stellen sie sich in Gegensatz zu dem zu Vers 1 angeführten Verse der 'Ars', in dem wir cura faciem, facies haben. Wenn das Zitat aus den 'Medicamina' ist, so sollte die Emendation andere Wege gehen. Das habe ich versucht, indem ich tuenda als Rest von restituenda ansehe, dessen erste zwei Silben durch das falsch wiederholte cura verdrängt worden sind: und auf welche Weise es (das Gesicht) von euch wiederhergestellt werden muß (denn ihr dürft es nicht vernachlässigen: Ars 3, IOJ). Wann ist das der Fall? Am Morgen, wie der Dichter in den Remedia 3 41 ff. sehr deutlich zeigt, oder nach dem Liebesakt, vgl. Ovid, Fasti 3 , 1 6 turbatas restituitque comas. 3 f. Cultus (Pflege) ist das entscheidende Wort, das sozusagen die Handlung in Bewegung setzt und daher an der ersten Stelle des Verses steht; vgl. Ars 3, i o i f . Ordior a cultw. cultis bene Liber ab uvis Provenit, et culto stat seges alta solo. Die Gaben der Ceres sind die Samenkörner, die dem Boden anvertraut werden und die er durch Ertrag aufwiegen muß. In den Remedia 174 gebraucht der Dichter dafür den Ausdruck „mit vielen Zinsen (eigentlich: Wucher) zurückgeben." Es ist nicht überraschend, daß Munera in einzelnen Handschriften durch Semina erklärt worden ist, vgl. Remedia 173. — Das Beiwort mordax (beißend) gebraucht Ovid auch sonst von stechenden Pflanzen, z. B. der Nessel (Urtica) Ars 2, 417. 6 Ars 2, 652 Firmaque adoptivas arbor babebit opes, vgl. Remedia 195 f. 8 Vgl. Amores 1, 8, 104 Inpia sub dulei melle vettern latent und Fasti 2, 72 posita sub nive terra laiet. 9 Vgl. zu Remedia 707 f. 1 1 f. Amores 1, 8,3 9 f. Forsitan inmundae Tatio regnante Sabinae Noluerunt (oder noluerint) babilespluribus esse viris. Ars 3, 107 Corpora si veteres non sie coluerepuellae. Mit Ausnahme Merkels, der für Maluerant eingetreten ist, haben die neueren Herausgeber sich für den grammatisch korrekten Konjunktiv Maluerint entschieden. Ich bin überzeugt, daß das hier und Amores 1, 8, 40 ursprünglich Geschriebene in den

Erläuterungen

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meisten Handschriften und Ausgaben verdunkelt ist. Wenn die Varianten -erint und -erant und wie hier noch durch die Handschrift V-er»«/ mit verkürztem e zur Wahl stehen, so darf man mit Sicherheit schließen, daß Ovid Malmrmt und Noluerunt geschrieben hat und daß die Indikative aus prosodischen und grammatischen Gründen durch die Konjunktive ersetzt worden sind. Das Auftauchen des Plusquamperfekts ist in solchen Fällen typisch, und der Vokal a in der Silbe -erant spricht für ursprüngliches «. Einer der charakteristischsten Fälle bei Ovid ist Amores 3, 5, 2 Terruermt (richtig) und Terruerant. Es darf allerdings nicht verschwiegen werden, daß aus anderen Gründen gewisse Zweifel an der Echtheit dieses Gedichtes bestehen. Aber dazu kommt als ganz eindeutiger Fall Remedia 263. profu&rmt und profuerant und ganz sinnlos profuerint, ferner Fasti 1, 592 Contigerunt, Contigerant und Contigerint und andere Stellen in den Heroiden. Über den Indikativ nach forsitan vgl. o. S. 82 zu Remedia 419. — Über den sabinischen König Tatius vgl. Livius 1, 10 ff. Daß aus der oben angeführten Stelle der Amores 1, 8, 39 die Worte Tatio regnante in einigen jüngeren Handschriften an die Stelle von Tatio sab rege getreten sind, ist nicht überraschend. 18 Vgl. Heroiden 13, 32 Nec übet aurata corpora veste tegi. 19 odoratos . . . capii/os: Amores 3 , 1 , 7; Metamorphosen 2,412 Nec positu variare comas. 21 Metamorphosen 7, 266 Adicit extremo lapides Oriente petitos. 23 Amores i , 10, 53 Nec tarnen indigntm est. 24 Vgl. als Gegenstück die zu Vers 1 1 aus den 'Amores' angeführte Stelle. — Die Herausgeber schwanken mit Recht zwischen vestra (ürä) und nostra (nfä). Beide Lesarten lassen sich verteidigen, nostra kann um der Gleichförmigkeit mit 23 willen und um zu 25 einen leichteren Ubergang zu bilden, in vestra geändert sein, aber ebenso möglich ist es, daß der Dichter zu den puellae nur als Lehrer spricht und sich den Anschein gibt, persönlich unbeteiligt zu sein. Ob der Alliteration 24 vestra viros und 25 vestri eine über das Zufällige hinausgehende Bedeutung zukommt, ist schwer zu sagen. 27 f. Das Distichon läßt sich nicht herstellen und entzieht sich daher dem Verständnis. Zwischen 26 und 27 ist kein Zusammenhang, und keine Interpretation ist in der Lage, eine Verbindung aufzuzeigen. Darin haben Ehwald, Bursians Jahresbericht 43 (1885. II) 185 und Pohlenz in seinem Göttinger Programm (o. S. 101 Anm. 2) 2if. undBerl.philol.Wochenschr. 33 (1913) 1499 recht. Birt,Berl.philol.Wochenschr. 33 (1913) 1 2 2 3 f r . und 1501 ist es nicht gelungen, einen Zusammenhang überzeugend nachzuweisen. Wie groß die von Ehwald in der Teubnerausgabe (Leipzig 1888, X X X I ) angenommene Lücke ist, läßt sich nicht sagen. Kunz ist nicht ganz konsequent verfahren, da er zwischen 26 und 27 einerseits und 28 und 29 andererseits Lücken ansetzt und durch Asterisci kennzeichnet, aber das Distichon 27 f. als Interpolation ausscheidet. Der Sinn einer Interpolation an dieser Stelle ist nicht zu erkennen. Bornecque setzt nach 26 eine Lücke an, scheidet 27 f. aus und setzt nach 28 merent vor der schließenden Klammer mehrere Punkte. J . H. Mozley (The Art of Love and Other Poems, Loeb Classical Library, London 1929) schreibt ohne Lücke mit Postgate Cui (Pohlenz ist, ohne sich an Postgate zu erinnern, auf denselben Gedanken gekommen) statt des unverständlichen Pro und gewinnt dadurch ein dem folgenden quos entsprechendes Fragepronomen („für wen"), das durch liefert nahegelegt wird; außerdem ändert er das unbefriedigende venerentur mit Heinsius und Merkel, ohne sie zu nennen, in venentur, das durch uenetur in einigen jüngeren Handschriften bereits zum Teil vorweggenommen ist: „und welchen Arten der Liebe sie nachjagen". Auch Ehwald ist 8*

D i e P f l e g e des w e i b l i c h e n G e s i c h t e s Heinsius' und Merkels Vorschlag gefolgt, ändert aber Pro . . . et quos in Quo . . . et quo-, das soll wohl heißen: womit sie sich für jeden (cuique) bereit machen und womit sie den verschiedenen Arten der Liebe nachjagen. Da sich aber die Lücke zwischen 26 und 27 nicht füllen läßt, ist mit diesen Konjekturen der zweiteSchritt vor dem ersten getan. Dieser Schwierigkeit ist nur Heinsius entgangen durch eine Konjektur, die die Annahme einer Lücke unnötig macht. E r schreibt nämlich Pro(in) ..., nec quo venetur amores (Darum soll jede sich schmücken, und es kommt nicht darauf a n , . . . ) , aber Heinsius selbst bemerkt mit Recht, daß dieser Versuch ihn nicht befriedige. Die Einführung des unpoetischen proin, das Ovid nicht gebraucht hat, wäre in dem Teile des Gedichtes, der die Rezepte enthält, vielleicht unbedenklich, in dem ganz anders stilisierten Proömium ist sie ganz undenkbar. Daß se parare mit se ornare fast gleichbedeutend ist, hat Heinsius bemerkt, und Pohlenz, Programm 21 hat gut Properz 2, 24, 47 f. Dura est, quae multis simulatum fingit amorem, Et se plus uni siqua parare potest und Cicero, Pro Milone 28 dum se uxor, ut fit, comparat verglichen. Eine andere Schwierigkeit steckt in dem Verbum merent. M ist nicht mehr sicher lesbar, aber ich habe mich in Florenz überzeugt, daß Kunz recht hat, wenn er annimmt, daß es ursprünglich in der Handschrift gestanden hat. Dann steht das Zeugnis des unzuverlässigen Helmstadiensis nicht allein. Der in fast allen anderen Handschriften stehende Singular meret ist nur brauchbar, wenn man munditia mit Heinsius in mundities ändert. Singulär ist mihi in der Antwerpener Handschrift, dem Codex Moreti. Es bedeutet: Reinlichkeit oder Neigung sich zu putzen ist für mich (in meinen Augen) kein Anlaß zum Tadel. Auch in diesem Falle ist mundities oder munditiae unvermeidlich. Heinsius hat sich schließlich für munditiae . . . merent entschieden. Wenn wir ihm nicht folgen und an dem Ablativ munditia festhalten, so ist quaeque (jede Frau) Subjekt, und damit wird der Gegensatz zu der direkten Anrede von Vers 17 bis Vers 2 j (euer und ihr) noch stärker fühlbar. Der Verdacht, daß zwischen 26 und 27 überhaupt keine Lücke anzunehmen ist, sondern daß Exzerpte, die von verschiedenen Stellen genommen sind, schlecht aneinandergereiht sind, verstärkt sich. Ob zwischen 28 und 29 ein Zusammenhang erkennbar ist, wird sofort zu fragen sein. 29 f. Auf den ersten Blick sieht es in der Tat so aus, als ob ein verbindender Gedanke nachweisbar wäre. In 28 ist munditia das entscheidende Wort. Die Neigung zur munditia macht sich geltend, wo immer sie sein mögen, irgendwo auf dem Lande oder tief in den Bergen. Auch hier findet sich wie in 27 f. keine direkte Anrede mehr, statt ihrer erscheint das Demonstrativpronomen illas. Trotzdem scheint vor 29 etwas zu fehlen, denn der Hinweis, daß sie sich für einen oder mehrere Männer schmücken und der Liebe nachjagen, wenn venentur richtig ist, bleibt völlig unbeachtet, die Verba latent und celet betonen vielmehr abrupt das Gegenteil. 30 Ich glaube, daß in der Namensform Atho, die sich im Paris, lat. 6707 findet, die Bezeichnung erhalten ist, die der Dichter für den Berg gebraucht hat, mit dem der östlichste der drei Finger der Halbinsel Chalkidike in das Ägäische Meer abfällt. Zu dieser Annahme berechtigt die handschriftliche Überlieferung E x Ponto 1 , 5, 22. Hier ist Atho nur in der alten, noch der karolingischen Zeit angehörenden Hamburger Handschrift erhalten, während es in den anderen durch Athos ersetzt ist. 31 Birt hat, um einen engen Zusammenhang mit dem Vorhergehenden zu zeigen, die Worte so paraphrasiert: „Denn es ist schon ein Vergnügen, sich selbst zu gefallen." Dagegen hat Pohlenz Einspruch erhoben und betont, etiam (auch) beweist, daß von dem Vergnügen, sich selbst zu gefallen, vorher nicht die Rede gewesen ist. Daraufhin hat Birt seinen Standpunkt etwas modifiziert. Er ergänzt

Efläuterungen

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„denn" für den Sinn und übersetzt: „Denn auch sich selbst zu gefallen ist ein Vergnügen." Damit scheint er etiam im Sinne von „sogar" zu verstehen, und dann ist der Zusammenhang nicht unterbrochen. — Vgl. Heroiden 16, 131 . . . est... placuisse voluptas. 32 Der Vers stimmt fast wörtlich mit Ars 1 , 624 überein, nur daß hier curae statt cordi gebraucht ist. 3 3 f. Der Sinn und Zweck dieses Distichons ist zweifelhaft und infolge der Unsicherheit des Wortlautes noch umstrittener, muta und multa sind beide möglich; daß übrigens multa . . . avis Amores 3, 5, 4 an gleicher Versstelle erscheint, ist wohl nur Zufall. Die Parallelstelle Amores 2, 6, 5 5 Explicat ipsa suas ales Iunonia pinnas ist nur als solche interessant und hat für die eigentliche Interpretation keinen Wert. Der Vogel der Juno ist der Pfau, vgl. Metamorphosen 1, 722 und 15, 385. Die erste entscheidende Frage ist, wie das Partizipium laudatas zu verstehen ist. Bedeutet es: der Pfau entfaltet die Federn seines Schweifes, die dann vom Menschen gelobt werden? Dann wäre es proleptisch gebraucht. Das ist Birts Auffassung. Oder ist es zu verstehen: wenn sie vom Menschen gelobt werden, zeigt der Pfau sie? In diesem Falle will der Vogel, daß man seiner Eitelkeit schmeichelt, genau wie selbst das noch unberührte junge Mädchen sich seiner Schönheit freut und Komplimente darüber gern hört. Der zweiten Auffassung gibt Pohlenz den Vorzug, aber in keinem der beiden Fälle darf man von einem ernstlichen Abbrechen des Gedankens zwischen 31 f. und 3 3 f. sprechen. Der französische Ubersetzer Bornecque und der englische Übersetzer Mozley neigen ebenfalls dieser Auffassung zu. Ihre Anhänger berufen sich nicht ohne Berechtigung auf Ars 1, 623 f. und 627 f. Delectant etiam castas praeconia formae: Virginibus curae grataque forma sua est. (Es erfreut auch ehrbare Frauen der Preis ihrer Schönheit: reinen jungen Mädchen ist ihre Wohlgestalt ein Gegenstand der Fürsorge und lieb.) Denn warum fühlen Juno und Pallas sich noch jetzt beschämt, daß der Urteilsspruch des Paris in den phrygischen Wäldern nicht zu ihren Gunsten ausfiel? Laudatas ostendit avis Iunonta pinnas; Si tacitus spectes, illa recondit opes. (Gelobt stellt seine Federn der Juno Vogel zur Schau; wenn man schweigend hinsieht, verbirgt er seine Pracht.) An dieser Stelle ist Birts proleptische Auffassung nicht möglich, aber das schließt die Richtigkeit seiner Erklärung für 'De medicamine' nicht ohne weiteres aus, selbst wenn man mit Pohlenz annimmt, daß die Verse zuerst für die 'Ars' geschrieben und nicht gleichzeitig in zwei Dichtungen verschieden gewendet sind. Birt hat mit Recht gesagt, daß man zunächst nicht Parallelstellen als identisch behandeln, sondern daß man jede für sich ansehen soll. Aber tacitus läßt nur die Erklärung zu, daß der Vogel Lob erwartet und wünscht. Damit stehen wir vor der Hauptschwierigkeit: muta oder multa") muta ist die Hauptüberlieferung, und wenn das bedeutsam ist, dürfen wir dann sagen, daß es durch die Parallelstelle gestützt wird? Nicht ohne weiteres, denn muta avis (der stumme Vogel, oder vielmehr: und stumm spreizt sich der Vogel) und der schweigende Betrachter haben ja gar nichts miteinander zu tun. Die Herausgeber und Erklärer haben sich zum Teil für muta, zum Teil für multa entschieden, aber die multa den Vorzug geben, interpretieren auf ganz verschiedene Weise, forma muta superbit avis bedeutet „wegen seiner Schönheit spreizt sich stumm der Vogel", muta macht es notwendig, das ganze Distichon auf den Pfau zu beziehen, der also zuerst volucris Iunonia und dann mit wiederholender und nicht sehr geschickt wirkender Variation avis genannt wird, während multa einer doppelten Auslegung fähig ist. Es kann nämlich als mancher Vogel verstanden werden, und so hat Mozley übersetzt (many a bird). In diesem Falle hätten wir in dem Distichon zuerst den Pfau und dann andere Vögel. Um dieser Schwierigkeit zu entgehen, ist Birt, der

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D i e P f l e g e des w e i b l i c h e n G e s i c h t e s für multa eintritt, auf den Ausweg verfallen, es mit superbit zu verbinden (vgl. Remedia 632 multum incifat): der Vogel spreizt sich gewaltig. Ich zweifle, ob ihm viele auf diesem Wege folgen werden. Nach Abwägen aller dieser Möglichkeiten läßt sich, fürchte ich, über ein non liquet nicht hinauskommen, und wenn es sich, wie Pohlenz geneigt ist anzunehmen, wiederum um ein Exzerpt handeln sollte, ist der Versuch, einen Zusammenhang zu erkennen, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Tatsache ist jedenfalls, daß zwischen 34 und 35 keine Verbindung besteht. Pohlenz hat das nachdrücklich betont. Natürlich hat es nicht an Versuchen gefehlt, der Entscheidung zwischen muta und multa durch Konjekturen auszuweichen: stulta Moltzer (ich wundere mich, daß anscheinend niemand bruta vorgeschlagen hat; das Adjektiv hat Ovid zwar nicht gebraucht, spielt aber Fasti 2, 717 damit); laeta D. Heinsius, lauta oder cauda culta N. Heinsius, formae dote oder forma culta Burman.

35—42 Ars 2, 99—102 ist so eng verwandt, daß es für die Interpretation nicht entbehrt werden kann: Fallitter, Haemonias siquis decurrit ad artes Datque quod a teneri fronte revellit equi. Non facient, ut vivat amor, Medeides berbae Mixtaque cum magicis naenia Marsa sonis. (Es täuscht sich, wer es mit Thessaliens Künsten versucht und verabreicht, was er von der Stirn eines Füllens abreißt. Nicht werden Medeas Kräuter bewirken, daß die Liebe lebt, und marsische Litaneien verbunden mit magischen Lauten.) Auf die Einzelheiten komme ich zurück. 3 5 f. Ein Bedingungssatz mit si (M) läßt sich nicht konstruieren. E r wäre vielleicht denkbar, wenn vor 35 eine Lücke angenommen wird, in der mehr gesagt war als nur, daß durch diese weiblichen Künste eher Liebe bewirkt wird als durch Zaubermittel, etwa: die Männer halten mit größerem Vergnügen und beharrlicher an euch fest, wenn durch diese Künste . . . Aber es ist müßig, darüber nachzudenken, und die Herausgeber haben nicht si ernstlich in Betracht gezogen, sondern nur sie. Dieses sie stellt aber vor eine neue Schwierigkeit, die Pohlenz, Programm 22 sehr klargemacht hat. Er hält es nämlich für unvermeidlich, bis zu Vers 23 sit vobis cura placendi zurückzugreifen, wenn man einen Zusammenhang finden will. Mit 34 besteht jedenfalls keine Verbindung. Der Dichter spricht von 3J ab, wieder als warnender Lehrer, zu den Mädchen und rät von dem Gebrauche volkstümlicher Zaubermittel dringend ab: ihr sollt nicht trauen. Daher ist jede Lesart und jede Konjektur, die in 35 statt vos die erste Person nos einführt, von vornherein unwahrscheinlich; in dieser ganzen Partie deutet nichts darauf hin, daß er sich selbst als mitbeteiligt einschließt. Ich will es dahingestellt sein lassen, ob das Verbum urgere (drängen) passend ist, aber wenn man an dem Präsens allgemein Anstoß nimmt, so ist das berechtigt, denn was wir erwarten und brauchen, ist ein Futurum. Die verschiedenen Vorschläge habe ich im Apparat angeführt und noch mit Rücksicht auf die Stelle der 'Ars' vivescet hinzugefügt, ein von dem Lehrdichter Lukrez gebrauchtes Wort; Ovid bedient sich des Kompositums reviviscere mehrere Male. Dem Sinne nach kommt es dem von C. Schenkl vorgeschlagenen und von vielen mit Beifall aufgenommenen consurget sehr nahe. Birt, der den Zusammenhang gut findet, paraphrasiert Berl. philol. Wochenschr. 33 (1913) 1501 einen Text, der zum Teil auf einem im Apparat nicht aufgeführten Vorschlage von Heinsius beruht (Htm potius nos urat amor): „so, nach derselben Methode soll uns auch das Mädchen zur Liebe zwingen". Dadurch wird der Abschnitt über die Zauberei, der zweifellos eine Einheit bildet, so geteilt, daß die ersten beiden Verse an die Männer mit Einschluß des Dichters selbst, die folgenden an die Mädchen (37 vos) gerichtet sind. 38 Ovid spielt auf das bippomanes an, einen Liebe bewirkenden Zaubertrank, der entweder aus einer von den Schamteilen einer brünstigen Stute herabtropfenden

Erläuterungen

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klebrigen, schleimigen Flüssigkeit (Vergil, Georgika 3, 280) bereitet wurde oder aus einer Verdickung, die auf der Stirn eines Füllens wachsen sollte. Das erste meint er an dieser Stelle, das zweite an der oben angeführten Stelle der 'Ars'; vgl. Plinius, Naturgeschichte 8,165. Die Worte virus amantis equae, virus als Nominativ, kehren an der gleichen Versstelle Amores 1 , 8, 8 wieder. 39 Die Marsi sind eine sabellische Völkerschaft in Mittelitalien zwischen dem Liris und Aternus in der Umgebung des Fucinersees. Sie waren wegen besonderer Kunstfertigkeit in der Schlangenbeschwörung berühmt. — Charisius zitiert in seiner Ars grammatica 1 , 1 1 4 , 3 (in der Teubnerausgabe von K . Barwick, Leipzig 1925) die Worte mediae — angues mit dem Zusatz Ovidius als Beleg für das gelegentliche Vorkommen des Masculinums unguis als Femininum. Zu der ganzen Stelle ist Metamorphosen 7, 203 ff. zu vergleichen, besonders Vipereas rumpo verbis et carminefauces, und Amores z, 1, 25 Carmine dissiliuntabruptisfaucibus angues. 40 redit in fontes . . . supina entspricht im Ausdruck genau den Worten ävto . . . Xwpoüoi am Anfang des berühmten Chorliedes in Euripides' Medea 410. 41 f. Von temesäischen Erzbecken spricht Ovid auch Metamorphosen 7, 207; 15, 707 und Fasti 5, 441. Es ist zweifelhaft, ob er auf Homer, Odyssee 1, 184 (gewöhnlich auf Cypern gedeutet) oder auf die Erzgruben bei Temesa, einer sehr alten Stadt in Bruttium in Unteritalien, anspielt. Um den Sinn der Stelle richtig zu verstehen, muß man von Metamorphosen 7, 207 ausgehen. Hier sagt die mächtige Zaubrerin Medea: Ich ziehe dich herunter, Luna, wie sehr auch die Erzbecken von Temesa deine Bedrängnis verringern mögen, d. h., mein Zauber ist stärker als die Abwehrmaßnahmen, die dir durch Zusammenschlagen von Erzbecken helfen sollen. Es ist eine Anspielung auf den Volksglauben, der eine Mondfinsternis als einen Kampf zwischen Luna und Dämonen oder Hexen auffaßte, die sie aus ihrer Bahn zu drängen oder auf die Erde herunterzuziehen suchten und die man durch Lärm verscheuchen zu können meinte. In den 'Medicamina' meint er also: Luna wird nie aus ihrer Bahn gedrängt werden, auch wenn man die tönenden Erzbecken beiseite läßt, d. h. nicht anwendet. 43—50 Ars 2 , 1 1 1 — 1 1 4 gibt der Dichter dem liebenden Manne folgenden Rat: Ut dominum teneas nec te mirere relictum, Ingenii dotes corporis adde bonis. Forma bonum fragile est, quantumque accedit ad annos, Fit minor et spatio carpitur ipsa suo. (Damit du deine Geliebte behaltest und dich nicht wunderst, wenn du verlassen bist, füge des Geistes Gaben den Vorzügen des Körpers hinzu. Schönheit ist ein gebrechliches Gut, sie wird mit zunehmenden Jahren geringer und zehrt sich durch ihre eigene Dauer auf.) 43 Daß der Übergang von 42 hart, fast abrupt ist, hat Pohlenz, Programm 22 mit Recht bemerkt, ohne daß er geneigt ist, eine Lücke anzunehmen. 50 Die Worte Perque suos annos knüpfen an die vorhergehenden longum in aevum an und schränken sie nur mit Rücksicht auf die dem amor (in geschlechtlichem Sinne) zugemessene Zeit ein. Daher ist kein Grund, Heinsius' Vorschlag Fertque suos annos: hinc — amor in Erwägung zu ziehen. 51 Der Zusammenhang bricht wiederum ab. E r wird nicht besser, wenn Merkel und Mozley sich für Discite entscheiden, das vermutlich nichts ist als eine Interpolation aus Vers 1. Aber auch der Verteidigungsversuch bei Kunz 66 ist unmöglich. E r vergleicht die unbestimmte Anrede Remedia 65 Redde und stellt damit völlig Unvereinbares nebeneinander. Moltzer hat durch Ergo age die Schwierigkeit umgangen. Die age weist eindeutig und unmißverständlich auf einen Dialog hin, der zwischen 50 und 51 gestanden haben muß. Daher hat Pohlenz recht, wenn er das Distichon durch Anführungszeichen als Rede kennzeichnet.

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D i e P f l e g e des w e i b l i c h e n G e s i c h t e s Wer spricht? Entweder ein wißbegieriges Mädchen, das den Dichter um Auskunft bittet, oder der Dichter selbst, der sich in einem Dialog von einem (göttlichen?) Sachverständigen unterrichten läßt. Ich erinnere an das, was ich o. S. 4 in der Einführung zu den 'Remedia' gesagt habe. Ich wage weder zu behaupten noch zu bestreiten, daß auch nach diesem Distichon, das heißt vor Beginn des Rezeptes, etwas ausgefallen ist. Die analoge Gestaltung der Dialogführung Amores 3, 5, 31—34 läßt diese Annahme als nicht zu fernliegend erscheinen. 54 palea tegminibusque suis ist ein Sv 81a Suoiv. Nordafrika (Libyen) war im Altertum eine der Kornkammern Italiens. 5 5 Die Erve ist eine mit der Linse verwandte Hülsenfrucht und gehört in weiterem Sinne zu den Wicken. 58 Vgl. Ars 3, 290 a scabra turpis asella mola; Fasti 6, 318 versat asella molas. 59 vivaci cornua cervo: Vergil, Ekloge 7, 30, der den Ausdruck geprägt zu haben scheint, und Ovid, Metamorphosen 3,194 vivaeis cornua cervt; vgl. Seneca, Oedipus 752. Hesiod, fr. 171 Rzach (Ausgabe der Bibliotheca Teubneriana, Leipzig 1913) bemerkt, daß die. Lebensdauer einer Krähe neun Menschenaltern, die eines Hirsches der vierfachen Lebensdauer einer Krähe gleichkomme. 60 Kunz 66 f. ist nachdrücklich dafür eingetreten, hinter Contere stärker zu interpungieren und in haec mit eat zu verbinden, und Bornecque ist ihm gefolgt. Das führt zu unnötigen Schwierigkeiten, denn da der Dichter erst 62 abschließend das Wort omnia gebraucht, so will er nicht sagen, daß in die cornua, auf die allein haec bezogen werden könnte, der sechste Teil eines Pfundes gehen soll (man fragt vergebens: wovon?), sondern daß die cornua in einer Menge von einem Sechstel Pfund in baec, das heißt in das Gemisch aus Gerste, Erven und Eiern verrieben werden sollen. Wenn solidi (Heinsius) die richtige Verbesserung des unmöglichen solidä ist, so hat Ehwald recht daran getan, die Worte fac — eat als Parenthese aufzufassen, auf die 61—66 der Rest des Rezeptes folgt. Ein As ist ein römisches Pfund. Es hat zwölf unciae und entspricht ungefähr einem Gewicht von 370 Gramm. Ein sechstel Pfund wird sextans genannt, vgl. 65. 61 pulvereae farinae ist natürlich Dativ. 62 Statt des Ablativs gebraucht der Dichter 89 variierend per densa foramina. densa spricht nicht für Merkels Vorschlag in cumeris statt innumeris. 63 f. Über die heilkräftige Wirkung der Wurzel des narcissus, die harte Stellen erweicht und Flechtenausschlag zum Verschwinden bringt, wenn sie zerrieben (contritus) wird, vgl. Plinius, Naturgeschichte 21, 129. 65 Das von einer Ausgabe in die andere übernommene trabat hängt in der Luft, weil kein Subjekt vorhanden ist. Bornecque übersetzt es überhaupt nicht, und Mozley übersetzt nicht, sondern paraphrasiert: „Let gum and Tuscan seed weigh a sixth part of a pound." trahat ist nicht einstimmig überliefert. Dazu kommt, daß gummi in M nicht steht; er hat vielmehr bulli, das von den Herausgebern ohne weiteres für eine Entstellung aus gummi gehalten wird, obwohl man sich vor Augen halten sollte, daß in Vers 87 diese Entstellung nicht erfolgt ist. Was ergibt sich, wenn wir uns auf den Standpunkt stellen, daß wir nicht von gummi auszugehen haben, sondern von bulli} bulli ist natürlich bulbi und muß attributiver Genetiv zu Sextanten sein. E r ist kollektiv zu verstehen. Das Ganze bedeutet also „zwei Unzen Zwiebel zusammen mit semen Tuscum" (etruskischem — toskanischem — Dinkel oder Spelt). Aus 64 und auch schon aus 6ö wissen wir, daß das Ganze zerrieben wird, terat erscheint nun aber auch 65 unter den Varianten. Halten wir uns an terat, so haben wir das bei trabat fehlende Subjekt dextra: Tue zweimal sechs

Erläuterungen

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Narzissenzwiebeln hinzu, die deine eifrig arbeitende Hand zerreiben soll, und zwar — nun' folgt die Gewichtsangabe wie in Vers 60 — soll sie die Zwiebeln mit Spelt so zerreiben, daß beides sich auf ein Sechstel Pfund beläuft. 64 darf also hinter ierat kein Semikolon stehen. Ob diese Ausdrucksweise sehr poetisch ist, ist eine andere Frage, die weniger wichtig ist. Was hier offenkundig zugrunde liegt, ist eine Verwechslung zwischen t'at (= terat) und that oder tat (= trabat, entweder mit oder ohne h geschrieben, h fehlt sehr häufig). Die graphische Verwechslung zwischen terat und trahat wurde durch Vers 80 begünstigt, in dem trahit ganz anders gebraucht ist. 86 ist triens (Pes) in t(i)es entstellt, gummi ist aus Vers 87 eingedrungen. 68 Um die Ausdrucksweise zu verstehen, muß man daran denken, daß die Römer nicht Spiegel aus Glas benutzten, sondern aus glatt poliertem schimmerndem Metall. 69 Da 67 f. deutlich das Ende des ersten Rezeptes bezeichnen, ist vor 69 ein Absatz, wenn nicht eine Lücke, anzunehmen. Mit keinem Worte wird darauf hingedeutet, daß das Folgende etwa noch zu dem bisher Angegebenen hinzugefügt werden soll. 70 Sicher ist nur, daß zu den in 69 genannten Lupinen eine andere Pflanze oder ihre Frucht genannt ist, aber es ist unmöglich, eine auch nur annähernde Sicherheit zu erreichen. In instantis kann der Name dieser Pflanze stecken, die vielleicht als wild (fer(a)e) bezeichnet ist, aber auch inflantis (aufblähend) ist möglich. Das mag auf die Bohne weisen. Wenn frige (röste) richtig ist, steht es der Weisung torre (69) parallel und ist synonym. Ob die Bohne, wenn es sich um sie handelt, im Genetiv oder Akkusativ genannt ist, hängt davon ab, ob corpora Objekt zu inflantis (der die Leiber aufblähenden Bohne) ist oder zu fr ige. In diesem Falle würde fabae inflantis Attribut im Genetiv zu corpora sein müssen, aber der Ausdruck corpora fabae ist wenig ansprechend, frange würde bedeuten: zerbrich, zerkrümele die Bohnen. Da aber in Vers 72 vom Zerkleinern die Rede ist, würde ich frange nicht in Erwägung ziehen. Über Möglichkeiten kommen wir nicht hinaus. 7} Bleiweiß wird zum Schminken benutzt; dem Dichter ist wichtig, daß es dem Gesicht der Frau einen schimmernden Glanz gibt; vgl. Plinius, Naturgeschichte 34, 176. Über nitrum (Natron oder Soda) handelt ausführlich Plinius, Naturgeschichte 31, 106 ff. Der Ausdruck „Schaum des roten nitrum" findet seine Erklärung durch Plinius 31, 1 1 2 f., wo er die spuma nitri oder das aphronitrum beschreibt, und 1 1 3 , wo er auch seinen color paenepurpureus erwähnt; vgl. Martial 14, 5 8 mit L. Friedlaenders Anmerkung. 74 Plinius, Naturgeschichte 21,40 rühmt die Wurzel der illyrischen Iris als besonders geeignet für die Bereitung heilender Salben. Dem römischen Illyrien entspricht das heutige Dalmatien und ein Teil Albaniens. 77 f. Die Lesart Addito in der Handschrift V ist nicht nur sehr beachtenswert, sondern wahrscheinlich richtig, obwohl man sich wenig um sie gekümmert hat. Der Imperativ entspricht dem Adice in 63 und 82 und dem adde in 88 ausgezeichnet. Dazu kommen noch die anderen Imperative 54 Exue, 60 Contere, 62 cerne. Durch Addito ändert sich die Struktur des ganzen Distichons, es wird viel prägnanter. Addito de nido medicamina: fugant maculas: vocant Halcyonea. Die letzten Worte dürfen nicht mit Ehwald und Bornecque als Parenthese aufgefaßt werden. Behalten wir Addita bei und übersetzen wir: „Ein Mittel aus dem Neste klagender Vögel hinzugefügt vertreibt Flecken aus dem Gesicht", so bricht der Zusammenhang zwischen 76 und 77 ab; Addito stellt ihn auf die natürlichste Weise her. Zu der prosodischen Frage der Verkürzung des 0 in der Senkung des Daktylus ist auf folgendes hinzuweisen: tollo Amores 3, 2, 26; ergo Heroiden 5, 59 und credö

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D i e P f l e g e des weiblichen Gesichtes Ex Poato i, 7, j6 (in verschiedenen Handschriften durch crede verdunkelt). Wenn Properz 4, j, 77 caeditö (caedite Lievens) gewagt hat, kann man Ovid Addito zutrauen. Daß es durch Addita verdunkelt worden ist, wäre nicht überraschend. querulo, die sogenannte Enallage adiectivi, gehört logisch zu volucrum. Die Sage von Halkyone, die über den Tod ihres bei einem Schiffbruche umgekommenen Gatten Keyx untröstlich war und von Thetis aus Mitleid in einen Eisvogel verwandelt wurde, hat Ovid in den Metamorphosen 1 1 , 4ioff. erzählt. Das alcyoneum erwähnt Plinius in seiner Naturgeschichte 32, 86f. In der Beschreibung des Heilmittels gegen Ausschlag und Flecken erwähnt Plinius auch die Lupine (o. Vers 69). 79 f. Es scheint mit an der Zeit, eine von Heinsius gebilligte und von den neueren Herausgebern mit Begeisterung aufgenommene und von Kunz sogar als „palmaris" bezeichnete Konjektur Scaligers, die sich auch im Laur. 91 sup. 26 findet, aus dem Text zu entfernen und mit Burman wieder zu den Handschriften zurückzukehren. Wenn Scaliger das überlieferte sexta in secta ändert, so ist erstens zu fragen, ob das Verbum secare (zerschneiden) für die Halbierung einer Unze sehr glücklich gewählt ist, aber selbst wenn man das gelten läßt, bleibt eine zweite Frage, um die Kunz sich nicht gekümmert hat. Was ist mit in illis gemeint? Wer annimmt, daß der Dichter nur von einer halben Unze spricht, hat keine andere Möglichkeit, als es auf balcyonea zu beziehen. Ich bezweifle, daß Ovid sich dann des entfernten Demonstrativpronomens bedient haben würde, und meine daher, daß illa sich auf alle vorher genannten Ingredienzien bezieht, die natürlich viel schwerer sind als eine halbe Unze. Das habe ich durch die Ubersetzung zum Ausdruck zu bringen versucht. In diesem Falle haben wir keine Wahl, sondern müssen die von Marius Niger gegebene Erklärung des verdächtigten sexta als richtig anerkennen. Befriedigend ist bei der ganzen Mischung das Gewicht, das von der sechsten Unze in zwei Teile auseinandergezogen wird, das heißt die sechste Unze spaltet oder teilt es. Das ist der Fall, wenn das Ganze zwölf Unzen oder ein Pfund ist. Die Lupinen und Bohnen (oder was immer das zweite Ingrediens sein mag) sollen zwischen den Mühlsteinen zerkleinert werden, die von einer Eselin in Gang gehalten zu denken sind; das Bleiweiß, Soda und die Iriswurzel sollen von den starken Armen junger Männer bearbeitet werden, bis sie auf das Gewicht einer Unze reduziert sind. Diese drei Teile und dazu je sechs Pfund Lupinen und Bohnen (?) sollen sechs Unzen wiegen. Wenn Ovid, Tristien 4, io, um das Alter von neunzig Jahren zu bezeichnen, von seinem Vater sagt, er starb, als er zu neun Lustren neun andere Lustren hinzugefügt hatte, so sehe ich nicht, warum er sich hier zur Bezeichnung des halben Pfundes nicht noch etwas barocker ausgedrückt haben soll. — Der Konjunktiv trahat in V statt des Indikativs trahit ist erwägenswert. Er drückt aus, daß es die Funktion der sechsten Unze ist, das Pfund in zwei Teile zu spalten; 93 prehendat läßt sich vielleicht vergleichen. 85 Kunz 72 erinnert daran, daß nitrum als Vorläufer der Seife gebraucht wurde. Daraus ergibt sich, daß rädere hier als „glatt reiben" zu verstehen ist und nur Corpora, aber nicht das erst in der Renaissance auftauchende tubera (Beulen oder vielleicht Warzen) in Betracht kommt. Ich halte tubera in Verbindung mit dem Verbum rädere nur für eine Reminiszenz eines Renaissancelesers, der sich an Juvenal 14, 7 erinnerte, wo rädere tubera terrae nur für das Auge ähnlich aussieht, während es etwas ganz anderes bedeutet. Nicht Heinsius hat mit seiner Empfehlung von tubera recht, sondern der von ihm der Unwissenheit geziehene Ciofano. Man sollte es sich lange überlegen, bis man diesem Gelehrten einen derartigen Vorwurf macht. 87 Wenn Tacitus, Annalen 1, 35, 4 (mit Andresens erklärender Bemerkung) ein Kriterium liefert — aber dort handelt es sich um das Schwert und die Scheide —,

Erläuterungen

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so spricht der Sinn, der „losgerissen" erfordert, mehr für direptum als für dereptum. Ovid, Metamorphosen 3, 52; 10, 475; 1 1 , 29 und 15, 304 schwanken die Handschriften, aber die Stellen können hier nicht diskutiert werden. 88 Der Gebrauch von modicus im Sinne von parvus wird im Spätlatein und im Mittelalter häufig. 89 per densaforamina kehrt Metamorphosen 12, 43 8 an gleicher Versstelle wieder. 92 Wenn parent richtig ist, kann es entweder, wie Kunz 76 erklärt hat, im Sinne von faciant (ausmachen, betragen) verstanden werden, oder es bedeutet: der Fenchel soll fünf scripula liefern, das heißt für die Verwendung bereit stellen. Ein scripulum ist der vierundzwanzigste Teil einer Unze, entspricht also etwa 1, 14 Gramm. 94 Auch Vergil, Ekloge 8, 6j bezeichnet eine bestimmte Art starken Weihrauchs als männlich. — Das Hammonssalz wird nach Plinius, Naturgeschichte 31, 7 8 f. im Sande der libyschen Wüste gefunden. Es ist benannt nach dem Gott Hammon, dessen Orakel in einer Oase lag. 97 f. Das Distichon ist nicht mit Sicherheit herzustellen. Jeder Herausgeber hat versucht, die Schwierigkeit auf anderem Wege zu beseitigen. Ich fürchte, daß sich über Abwägen der verschiedenen Möglichkeiten nicht hinauskommen läßt. Sicher ist, daß die Worte des Dichters eine Empfehlung des von 83 ab beschriebenen Mittels enthalten müssen. Daraus ergibt sich, daß color nur im Sinne eines störend und häßlich wirkenden Übermaßes an Farbe im Gesicht verstanden werden kann. Sie wird nicht bleiben, sondern verschwinden, selbst wenn das Mittel nur während einer geringen Zeitspanne angewendet wird, multus statt nullus kommt also nicht in Betracht. Die beiden Stellen Amores 2 , 1 1 , 28 Quam tibi sit toto nullus in ort color und Ars 3, 74 Et perit, in nitido quifuit ort, color lassen sich nicht vergleichen. An der ersten Stelle handelt es sich um die körperliche Folge des Angstgefühls, also um Erblassen, an der zweiten um die Folgen des Alterns. Auf keinen Fall darf man Ovids Worte etwa auf Färben oder Schminken des Gesichts beziehen. Ob er in anderen, nicht erhaltenen Teilen des Gedichtes darüber gesprochen hat, können wir nicht wissen, wahrscheinlich genug ist es. Hier ist es ihm nur um Störungen auf der Haut des Gesichts zu tun. Die beste Bestätigung gibt Plinius in der Naturgeschichte 31, 116, der bei der Besprechung des nitrum ausdrücklich betont, daß es rauhe Stellen auf den Backen beseitigt. Für die Konstruktion des Verbums inlinere kann der Vers Ars 3, 211 Quem non offendat totofaex inlita vultu eine Analogie liefern. Wenn wir ihr folgen und an inlita vultu festhalten, erhebt sich die Frage nach dem Subjekt oder mit anderen Worten, ist inlita Femininum Singularis oder Neutrum Pluralis? Nach Kunz 76 ist die 67 durch Quaecumque bezeichnete puella oder femina gemeint. Das wäre schwer zu glauben, selbst wenn der Zusammenhang ununterbrochen wäre. Das ist, wie wir gesehen haben (o. zu 69) nicht der Fall. Trotzdem läßt sich inlita als Femininum fassen, wenn man vultu seines Attributes molli (vgl. aber 100 teneris genis) beraubt und zu dem stärker bezeugten mollis seine Zuflucht nimmt, indem man es als ein Mädchen mit zartem Teint versteht. Diese Auffassung hat etwas Gezwungenes. Andererseits kann man mollis auch als mollis verstehen, nur daß dann die Änderung von vultu in vultus unvermeidlich wird. Tut man das, so gibt man die Analogie der Arsstelle auf zugunsten einer an sich nicht unmöglichen Konstruktion. Will man beides nicht, so ist das am stärksten bezeugte sit unhaltbar, und es bleibt nur die Wahl zwischen sint und der Konjektur sis. Im ersten Falle wäre als Subjekt zu ergänzen haec (diese zu einem Mittel zusammengestellten Teile), wie wir es 89 als Objekt haben, und die Ausdrucksweise würde der des Verses in der 'Ars' toto

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D i e P f l e g e des w e i b l i c h e n G e s i c h t e s faex inlita vultu entsprechen, sis würde an sich gut im Einklang stehen mit den direkten Anreden, die sich von 51 ab finden, und mit den Imperativen Adice und cerne, aber ob die'Konstruktion sis molli. inlita vultu oder mollis. inlita vultus sehr empfehlenswert ist, lasse ich dahingestellt. 99 f. Die in 97f. angegebene Wirkung des Mittels markiert hier deutlich den Abschluß. Das Distichon hat dieselbe Funktion wie 6ji. Auch hier schließt der Dichter mit einer allgemeinen Bemerkung über die Wirkung, bevor er zu etwas Neuem übergeht. Daher ist jede Erklärung, die 99 f. mit den vorhergehenden Distichen zu verbinden sucht, zu verwerfen. Der neue Einsatz wird auch durch das emphatische Vidi bezeichnet, das sich ähnlich z. B. Remedia 101 findet. Wenn von dem neuen Rezept nur noch zwei Verse erhalten sind, so ist daraus zu schließen, daß der alte Archetypus je 25 Verse auf einer Seite gehabt haben muß. Wenn seine folgenden Blätter nicht mehr erhalten waren oder aus irgendeinem Grunde nicht abgeschrieben wurden, so war der Kopist so gewissenhaft, daß er das eine Distichon, das noch unten auf dem Blatte stand, nicht unterdrückte, sondern abschrieb, obwohl es, isoliert wie es ist, nicht mehr deutlich erkennen läßt, worauf der Dichter hinauswollte. Mit Sicherheit ist nur aus dem Verbum inlineret mit dem Zusatz genis zu erkennen, daß er sich noch weiter mit der Pflege des Gesichts oder der Gesichtshaut beschäftigen wollte. Vielleicht darf man mit der Bemerkung über den zerriebenen und auf die Backen gestrichenen Mohn eine Notiz des Plinius kombinieren. In der Naturgeschichte 19, 21 sagt er nämlich, daß es unter den Mohnsorten eine bestimmte gebe, die der Leinwand einen besonderen Schimmer verleihe. Die Worte praecipuum candorm sind genau das, was die Frau durch die Anwendung der von 51 ab beschriebenen Mittel zu erreichen wünscht und hofft.

Alter (aetas) 45 Ammons- (Ammoniacus) 94 (s. Salz) Antlitz s. Gesicht Arm (lacertus) 75 Athos 30 Attisch 82 (s. Honig) Baum (arbor) 6 Beschwörungslitanei (cantus) 39 Bleiweiß (cerussa) 73 Boden (humus) 3. 74 Bohne (faba)? 70 Brauch (/«c) 25 Brombeerbusch (rubus) 4 Bürde (0»«/) 22 Ceres (Gaben der) 3 f. Dach (tectum) 7 Drittel Pfund (/w/w) 86 Edelstein (gemma) 20 E i (ovum) 5 5 Elfenbein (ebur) 10 Erde (terra) 8 Erve (ervum) 5 5 Erzbecken (aes) 4t Eselin (asella) 58 Farbe (eolor) 98 Fenchel (marath(r)us) 91. 92 Flecken (macula) 78 Frucht (\pomum) 5 Fülle (/>«) 6 Fürsorge («*n») 1. 23; (tutela) 43 Gerste (bordeum) 53. 56. 95 Gesicht (Jacies) 1. 44; (OJ) 52. 78. 98; iyultus) 46. 67. 97 Gewicht (pondui) 76. 79. 86 Glieder (artui) j 1 Gold (purum) 7

Gram (dolor) 48 Gras (gramen) 37 Grund (causa) 48 Gummi 87 Haar (capillus) 19; (coma) 29 Hals (collum) 21 Hand (manus) 20. 36. 93; (dexlra) 64 Hirsch (cervus) 59 Höhlung s. Sieb Honig (zw/) 66. 82. 90 Horn (cornu) J9 Illyrisch 74 (s. Boden) Indien 10 Iris 74 Iunonisch 33 (s. Pfau) Kessel (aenus) 9 Kleidung (vettis) 18 Körper (corpus) 18. 70. 81. 85 Kräuter (herbat) 35 Kunstfertigkeit (ars) 36 Land (rus) 12. 29 Liebe (amor) 27. 35. 45. 50 Libysch 53 (s. Siedler) Loch s. Sieb Luft (aura) 57 Luna 42 Lupine 69 Mädchen (puella) 1. 17. 43; (virgo) 32 Marmor 8. 64 Marsisch 39 (s. Beschwörungslitanei) Matrone 13 Meerschaum (halcyonea) 78 Mehl (faritta) 61 Menge (mensura) 5 5 Mittel (medicameri) 67. 77 Mohn (papaver) 99 Mühlstein (mola) 58. 72 Myrrhe (murra) 88. 91. 92

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D i e P f l e g e des w e i b l i c h e n G e s i c h t e s

Narzisse 63 Natron (nitrum) 73. 85 Nest {nidus) 77 Ohr (auris) 22 Osten (Orient) 21 Persönlichkeit s. Sitten Pfau (lunonia volucris) 33 Pflege (cultus) 3. 5 (7. 12). 26 Pfund (as) 60; (/Ära) 56. 71 Putzsucht (mmditia) 28 Quelle (Jons) 40 Rechtschaffenheit (probitas) 49 Rinde (cortex) 63. 87 Rose 93. 96 Runzeln (rugae) 46. 48 Sabinerinnen 11 Saft (sucus) 5. 37 Salz (W) 94. 96 Schaum (spuma) 73 Schlaf (somnus) 51 Schlange (anguis) 39 Schleim (eremor) 95; (virus) 38 Schönheit (forma) 45 Scripulum (Gramm) 92 Sechstel Pfund (sextans) 65 Sieb (cavum: Höhlung) 62; (foramen: Loch) 89

Siedler (colonus) 53 Sitten (mores) 43. 45 Sitz (sedile) 13 Spelt (semen) 6j Spiegel (speculum) 47. 68 Spreu {paleo) 54 Staub (pulvis) 90 Stein (lapis) 21 Stute (e^«a) 38 (42) Tatius (König) 11 Temesäisch 41 (s. Erzbecken) Tuskisch 65 (s. Spelt) Tyrisch 9 (s. Kessel) Umhüllung (tegmen) 54 Unze (uncia) 76. 80 Verfeinerung (deliciae) 10 Vergnügen (voluptas) 31 Wabe (javus) 82 Wange (¿««a) 100 Wasser (lympha) 99 ; (unda) 40 Weihrauch (tus) 83. 85. 94. 96 Wesensart (ingenium) 44 Wohlgestalt (forma) 32. 34. 4 j Wollvlies (vellus) 9 Würfel («¿to) 88 Zwiebel (bulbus) 63. 65

TAFELVERZEICHNIS 1. Der bestrafte Eros. Wandgemälde aus der 'Casa del!' Amore punito' in Pompeji (Neapel, Nationalmuseum). Nach P. Ducati, Die etruskische, italo-hellenistische und römische Malerei, Wien 1941, Taf. 76. 2. Medea vor dem Kindermord. Wandgemälde aus Herkulaneum (Neapel, Nationalmuseum). Nach Denkmäler der Malerei des Altertums, hrsg. von P. Herrmann, 1. Ser. Lief. 1, München 1906, Taf. 7. 3. Pasiphae und Daidalos. Wandgemälde in der 'Casa dei Vettii' in Pompeji. Nach Denkmäler der Malerei des Altertums, hrsg. von P. Herrmann, 1. Ser. Lief. 4/5, München 1907, Taf. 38. 4. Phaidra und Hippolytos. Wandgemälde aus Herkulaneum (Neapel, Nationalmuseum). Nach L. Richardson, Pompeji. The Casa dei Dioscuri and Its Painters, Memoirs of The American. Academy in Rome 23, Rom 1955, Taf. XLIII. 5. Achill nimmt Abschied von Briseis. Wandgemälde aus der 'Casa del poeta trágico' in Pompeji (Neapel, Nationalmuseum). Nach einer Vorlage aus dem Nachilass von G. Rodenwaldt. 6. Dido von Aeneas verlassen. Wandgemälde aus Pompeji (Neapel, Nationalmuseum). Nach Denkmäler der Malerei des Altertums, hrsg. von P. Herrmann, fortgef. von R. Herbig, 2. Ser. Lief. 3, München 1942, Taf. 214. 7. Odysseus bei Kirke. Wandgemälde aus dem Hause auf dem Esquilin in Rom (Vatikanstadt, Bibliothek). Nach K. Woermann, Die antiken Odysseelandschaften vom Esquilinischen Hügel zu Rom, München 1876, Taf. 5 (Ausschnitt). 8. Frau mit Spiegel. Wandgemälde aus Stabiae (Neapel, Nationalmuseum). Nach einer Vorlage aus dem Nachlaß von G. Rodenwaldt. 9. Eroten bei der Parfümbereitung. Wandgemälde in der 'Casa dei Vettii' in Pompeji. Nach einer Vorlage des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom (Neg. 31. 2739).

Medea vor dem Kindermord. Wandgemälde aus Herkulaneum.

3- Pasiphae und Daidalos. Wandgemälde aus Pompeji.

4. Phaidra und Hippolyte«. Wandgemälde aus Herkulaneum.

S. A c h i l l n i m m t A b s c h i e d v o n B r i s c i s . W a n d g e m ä l d e a u s P o m p e j i .

6. Dido von Aeneas verlassen. Wandgemälde aus Pompeji.

7. Odysseus bei Kirke. Wandgemälde aus dem Hause auf dem Esquilin in Rom.

8. Frau mit Spiegel. Wandgemälde aus Stabiae.