Ovid, Heilmittel gegen die Liebe. Die Pflege des weiblichen Gesichtes [Zweite, neu bearbeitete Auflage, Reprint 2022] 9783112650585

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Ovid, Heilmittel gegen die Liebe. Die Pflege des weiblichen Gesichtes [Zweite, neu bearbeitete Auflage, Reprint 2022]
 9783112650585

Table of contents :
INHALT
HEILMITTEL GEGEN DIE LIEBE
EINFÜHRUNG
BEIGABEN
Heilmittel gegen die Liebe
ERLÄUTERUNGEN
REGISTER
DIE PFLEGE DES WEIBLICHEN GESICHTES
EINFÜHRUNG
Die Pflege des weiblichen Gesichtes
ERLÄUTERUNGEN
REGISTER
Tafeln
TAFEL VERZEICHNIS
Tafel 2—9

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FRIEDRICH WALTER LENZ OVID H E I L M I T T E L GEGEN DIE DIE PFLEGE DES WEIBLICHEN

LIEBE GESICHTES

SCHRIFTEN UND QUELLEN DER ALTEN WELT HERAUSGEGEBEN VON DER S E K T I O N FÜR

ALTERTUMSWISSENSCHAFT

BEI DER D E U T S C H E N A K A D E M I E DER ZU B E R L I N

BAND 9

WISSENSCHAFTEN

OVID H E I L M I T T E L G E G E N DIE LIEBE DIE PFLEGE DES W E I B L I C H E N GESICHTES LATEINISCH UND DEUTSCH VON

F R I E D R I C H WALTER L E N Z

Mit 9 Tafeln

Zweite, neu bearbeitete Auflage

AKADEMIE-VERL AG-BERLIN 19 6 9

Redaktor der Reihe: Johannes Irmscher Gutachter dieses Bandes: Wilhelm Hartke f und Johannes Irmscher Redaktion dieses Bandes: Hadwig Helms und Gerhard Perl

Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 Copyright i960 by Akademie-Verlag GmbH Lizenznummer: 202 • 100/235/70 Offsetdruck und buchbinderische Verarbeitung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer", 582 Bad Langensalza Bestellnummer: 2066/9 • ES 7 M

i. Der bestrafte Eros. Wandgemälde aus Pompeji.

Meinem Freunde HANS S T E I N T H A L Haec tibi donavi, ponto seiunctus et aura, Vincula sed semper pectora nostra ligant. Heu quantos casus crudeles vidimus ambo: Integra sit nobis tempus in omne fides. 1914—1966 In memoriam wiederum gewidmet 1968

INHALT Heilmittel gegen die Liebe Einführung

j

Beigaben

13

Überlieferung und Ausgaben

15

Abkürzungen

22

Heilmittel gegen die Liebe

24

Erläuterungen

78

Register

101 Die Pflege des weiblichen Gesichtes

Einführung

106

Überlieferung und Ausgaben

110

Abkürzungen

m

Die Pflege des weiblichen Gesichtes

112

Erläuterungen

120

Register

130 Tafeln

Tafelverzeichnis Tafel 2—9

132

HEILMITTEL GEGEN DIE LIEBE

EINFÜHRUNG Vielleicht hat es etwas Mißliches, mit einem negativen Urteil zu beginnen. Man beschwört dadurch die Gefahr herauf, den Leser von vornherein gegen das Werk einzunehmen, das man ihm vorlegt, aber ich nehme dieses Risiko in Kauf. Ich erinnere mich, daß Wilamowitz in einem seiner schillernden Aperçus, wie er sie bisweilen hinzuwerfen liebte, zu uns Mitgliedern des Berliner philologischen Seminars sagte: „Die 'Remedia' sind ein matter Aufguß auf die Teeblätter, aus denen der Gewürztrank der 'Ars' bereitet worden ist." Dieses Urteil ist ebenso richtig wie falsch. Es ist richtig, wenn der Leser mit frischer Erinnerung an die geistreich und witzig formulierten und glänzend vorgetragenen Frivolitäten der 'Ars' oberflächlich und rasch über die Worte des Dichters hingleitet, um zu sehen, was er sagt; es erweist sich als falsch, wenn er beginnt zu fragen, was der Dichter sagen will und oft nur zwischen den Zeilen andeutet, wo der Leser es nach seinem Wunsche finden soll. Das Gedicht oder, wie wir sagen sollten, wenn wir an die vom Dichter gewählte Form denken, das elegische Lehrgedicht über die Heilmittel gegen die Liebe hat innerhalb des Ovidischen Gesamtwerkes etwas Mehrdeutiges. Wir sind nicht in der Lage, den vom Dichter gewählten Titel des Werkes, auf den er im ersten Verse Bezug nimmt, mit Sicherheit zu ermitteln, denn die in den Handschriften am Anfang und Ende gegebenen Titel und Unterschriften weisen von der karolingischen Zeit ab durch die Jahrhunderte des Mittelalters bis in die Renaissance im einzelnen eine Fülle von Variationen auf, die sich auf drei Typen zurückführen lassen. Der erste und seltenste begegnet in der ältesten Handschrift, die noch in das 9. Jahrhundert gehört. In ihr wird das Gedicht einfach ohne jeden Hinweis auf die Liebe Remedia („Heilmittel") genannt, in den anderen erscheint das entscheidende Wort entweder im Plural oder weit häufiger im Singular in der Form De remediis oder remedio amoris. Wenn der Dichter aber den göttlichen Knaben Amor am Anfang den Titel des kleinen Buches lesen und ihn sofort den Schluß ziehen läßt, daß Krieg gegen ihn im Werke ist, so liegt die Annahme sehr nahe, daß in dem Originaltitel ein Hinweis auf die Liebe enthalten war. Die unbestimmte Angabe „Heilmittel" hat dem Dichter schwerlich genügt. In diesem Falle haben wir der ältesten uns erhaltenen Handschrift den Glauben zu versagen. Diese Erwägung berechtigt aber nicht zu dem Schluß, daß in der wesentlich älteren Vorlage, aus der die karolingische Handschrift abgeschrieben ist, dieselbe Auslassung vorausgesetzt werden muß. Bei den Titeln und Unterschriften ist damit zu rechnen, daß Redaktor und Schreiber sich Freiheiten erlauben. 1*

Heilmittel gegen die Liebe

4

Die Frage, warum Ovid die 'Remedia' geschrieben hat, ist oft gestellt worden. Die oberflächlichste Antwort, er habe das frühere Werk über die Liebeskunst widerrufen, also eine Art von Palinodie schreiben wollen, um dem unliebsamen Eindruck und dem Aufsehen, das die 'Liebeskunst' erregt hatte, entgegenzutreten, hätte nie gegeben werden sollen. Warum würde sonst der Dichter in dem einleitenden Gespräch mit dem um eine Beeinträchtigung seines Machtbereiches besorgten Gott den schmeichelnd kosenden Knaben (blanduspuer) beruhigen und ihm versichern, daß er nicht wie Diomedes gegen die Liebesgöttin brutal kämpfe, sondern auf etwas ganz anderes hinziele und nur bemüht sei, unglücklich liebenden Männern und Frauen Erleichterung zu bringen? Aber auch diese Einschränkung ist nicht oder wenigstens nicht allein das Entscheidende. Ein Gespräch zwischen einem Gott und einem Menschen, in dem es sich um die Machtsphäre des Gottes und seine Taten innerhalb dieser Sphäre handelt, — wer denkt dabei nicht sofort an den einen hellenistischen Dichter Kallimachos, der in seinem berühmtesten Werke, den 'Aitia', die Technik dieses Gespräches aufs feinste ausgestaltet hat? Wenn Ovid mit einem nicht zu überhörenden Hinweis auf Kallimachos beginnt, so gibt er dem Leser damit deutlich zu verstehen, daß er auch in diesem Werke noch als sein Jünger angesehen zu werden wünscht. Aber er nennt doch Kallimachos einen Nichtfeind der Liebe (oder Amors) und warnt den unglücklichen Liebenden, die anderen Liebesdichter und ihn zu lesen (757 ff.). Ist das nicht ein Widerspruch? Nur scheinbar, denn er geht weiter und fügt hinzu: „Lies auch meine Gedichte nicht" (766). Wer diese Warnung ernst nimmt, mißversteht den Dichter an dieser Stelle und mißversteht damit das ganze Werk. Wenn er 75 8 sagt, er verwerfe pietätlos sein eigenes Talent, so sollte doch diese Feststellung schon genügen, um den Leser vor der Annahme zu bewahren, daß der Dichter wirklich meint, was -er zu sagen scheint, ganz abgesehen davon, daß er durch die Ablehnung des Vergleichs mit Diomedes sofort am Anfang alles getan hat, um diesem Mißverständnis vorzubeugen. Was er vielmehr dem Leser zu verstehen gibt, zwischen den Zeilen, ist dies: Tue was du willst und gehe bis zum Äußersten, du kommst doch nicht von der Liebe los. Du mußt dir darüber klar sein, daß selbst der beste Seelenarzt dir nur Sedativs geben kann. Im ganzen gibt er den unglücklich Liebenden 42 praecepta (Weisungen). Mehr als ein Drittel, sechzehn, hat er aus dem Gedicht über die Liebeskunst heraus entwickelt, und zwar so, daß er die dort gegebenen Ratschläge in ihr Gegenteil verkehrt und sie in Warnungen verwandelt. Er hätte es schwer noch deutlicher machen können, daß er nicht ernst genommen werden will. Dabei setzt er alle drei Bücher der 'Liebeskunst' als bekannt voraus 1 , nicht nur die beiden ersten, denen er, wahrscheinlich durch den großen Erfolg des Gedichtes veranlaßt, das dritte erst später hinzufügte. Zur leichteren Übersicht stelle ich die Ziffern der scherzhaft kontrastierenden Versgruppen und der Übereinstimmungen nebeneinander. 1

Auf die chronologische Frage komme ich in den Einzelerläuterungen zurück, vgl. u. S. 82

zu 155 f.

Einführung Remedia

Ars

5 Ars

Remedia

2,233 £ 3 1,612 34 her Wortlaut an gleicher Versstelle)

351—354 354

3,209—213 3,212

1.31 3.338

386

3.564

396 407

2 >744

411

3.807 f-

2.339 2,342

4i3

2,727 f-

85

489—512

1,611

92

2,340

505—508

2,523—527

121

2,181

131 174 175 195

1.357 2.513

7° 7i 81

f.

3,769;

510

3,606

543—548 597

2.679 ff.; 2,5:5 ff.

263

606

2,652

627

633

249—290

1,409—414 2,99 ff-

2,445; 3,579- 593 fI .53 I 3.38 1,491 f. 1,279 f.

683—692

1,612 ff. 620; 3,673 ff. 677

286

1.634

704

287

2.99

732

310

1,610

751—756

311—330

2,641

323 327

2,662

769

1

2,657 ff.

787—794

J

328

2,660

788

2,732

331—340

3,261—328.

795—810

2 , 4 1 5 — 4 2 4 ; 1,525 f . 589—600;

219

2,179.

ff.

2.439 ff1,89 fr. 3,329—346

757—766

349—352

3.591 f.

3,761—766

341—356

3,209—250

805

1,237

350

3,258

81:

3,748

Wie wenig ernst der Dichter es im Grunde meint, und wie er mit leichtem Spiel souverän über dem Stoff steht, den er behandelt, zeigt ein Blick auf die Mythen, die er zur Belehrung unglücklich Liebender heranzieht. Wieder ist nicht entscheidend, was er sagt — es sind bekannte Dinge, an die ein gebildeter Römer nicht in ihren Einzelheiten erinnert zu werden brauchte — , sondern nur darauf kommt es an, wie er es sagt. A m charakteristischsten ist die Erzählung von Agamemnon und Chryseis. Wenn er den alten Vater des geraubten Mädchens 471 mit fast schnöder Frivolität anredet und ihm klarmacht, daß sein Weinen um die entehrte Tochter im Grunde eine Torheit ist, durch die er ihr gar keinen Dienst erweise, sondern daß es sehr gut für sie sei, das Bett des Atriden zu teilen, und für diesen sehr gut, sie dort zu haben, so sollte jeder wissen, welche Maßstäbe er an das Gedicht n i c h t zu legen hat. V o m Standpunkte strenger und geschlossener Komposition hat man es vielleicht nicht mit Unrecht beanstandet 1 , daß der Dichter die Geschichte von Agamemnon, Achilleus 1 Über einige andere Fälle lockerer Anordnung und Verteilung verwandter oder eigentlich zusammengehöriger Argumente auf verschiedene Partien des Gedichtes vgl. W. Kraus in dem Artikel Ovidius Naso, RE 18, 2 , 1 9 3 7 .

6

Heilmittel gegen die Liebe

und den beiden Mädchen auf zwei weit voneinander getrennte Partien des Werkes verteilt hat. Wenn das ein Defekt ist, so hat er durch die frivole Lässigkeit, mit der er auch an der zweiten Stelle erzählt, dafür gesorgt, daß man den Mangel beim Lesen vergißt, denn er zieht 779fr. mit der direkten Anrede an die Leser „glaubt mir" die persönliche Konsequenz: „Ich hätte mich ihrer bestimmt ebensowenig enthalten wie Agamemnon, so töricht wäre ich nicht gewesen." Und wenn er es auch nicht unmittelbar sagt, so müssen wir in seinem Sinne hinzudenken: „Auch ich hätte wie Agamemnon bei einem leblosen Gegenstande, der mit den ewigen Göttern nichts zu tun hat, bedenkenlos einen falschen Eid geleistet." Wer will, mag das wenig moralisch nennen, nur soll er sich vor Augen halten, daß er mit diesem Urteil dem Dichter nicht gerecht wird; ein matter Aufguß auf die würzigen Teeblätter der 'Ars' ist es jedenfalls nicht. Die gleiche lächelnde Frivolität spricht aus der direkten Anrede an Menelaos 77}ff.: „ D u hast gar keinen Grund zur Klage, im Gegenteil, recht ist dir geschehen. Warum bist du ohne die Gattin weggereist, und noch dazu auf sehr lange Zeit (oder, wenn wir der Lesart laetus den Vorzug geben, ganz vergnügt)? Erst nachdem ein anderer sie hat, wird dir klar, was du gehabt hast." Wer kein Empfinden dafür hat, was die unheroisch gewordene und entgötterte Welt des Mythos dem einer Übergangszeit angehörenden Dichter noch bedeuten konnte, der sollte ihn ebensowenig lesen wie die Erzählungen Voltaires. An einer anderen Stelle (45 8) nennt der Dichter Helena die oibalische (u. S. 88) Kebse. So kann man sie zweifellos nicht sehr gut bezeichnen, wenn man sich auch in anderer Weise an die berühmte Frivolität Goethes (Faust II 65211?.) erinnert fühlt, aber warum tut er es? Will er die Phantasie des Lesers in eine falsche Richtung lenken? Er will Altes auf neue Weise erzählen, indem er es durch kleine raffiniert angebrachte Striche leise, aber deutlich umformt. Wenn er gesagt hätte, Oinone würde Paris bis in das hohe Alter behalten haben, wenn sie nicht vor Helena hätte weichen müssen, so wäre das nichts gewesen als die erneute Feststellung einer längst bekannten Tatsache. Wenn er aber sagt: „wenn ihr nicht von der Kebse Leid angetan worden wäre", indem er das Verbum laedere gebraucht, das „körperlich und seelisch verletzen" zugleich bedeuten kann, so kann und soll der Leser sich vorstellen, daß Paris beide Frauen gleichzeitig bei sich hatte und dadurch über den größeren Vorzügen der zweiten die Neigung für die erste vergaß und vielleicht mit Vergnügen zusah, wenn es zwischen den zwei Frauen zu schwierigen Szenen kam. Man darf nicht vergessen, daß das Rezept, zu dessen Illustrierung die Geschichte berührt wird, lautet (441): „Ich erteile die Weisung, daß ihr zu gleicher Zeit zwei oder noch besser, wenn ihr das leisten könnt, eine größere Zahl von Freundinnen habt." Wenn ihr das tut, lauft ihr nicht Gefahr, euch an eine tragisch zu verlieren. Ich sagte soeben, daß der Leser nach des Dichters Willen die Dinge nicht nur so ansehen kann, sondern auch soll. Das läßt sich ganz deutlich greifen, wenn es auch meines Wissens bisher nicht genügend beachtet worden ist. Der Dichter spricht hier nur von dem egoistischen Standpunkte des Mannes aus, der nicht danach fragt, wie sein Handeln seelisch auf die Frau wirken muß, die dazu bestimmt ist, verdrängt zu

Einführung

7

werden. Das Motiv läßt sich tragisch und frivol lasziv gestalten. Wir brauchen nur an die schmerzlichen Überlegungen der alternden Deianeira in den Trachinierinnen des Sophokles zu denken, die sich angstvoll vorstellt, wie Herakles die schöne junge Kebse Iole in das Ehebett holen und wie es ihr selbst dann gehen wird. Nicht um einer tragischen, sondern um einer pikanten Wirkung willen malt Ovid mit den bewußt zweideutig gewählten Worten „sie wurde in einem Teil des Bettes aufgenommen" (456) eine Szene, die so klingen kann, als ob Kallirhoe gleichzeitig mit Alphesiboia in Alkmeons Bett gelegen habe, damit er sich von ihrer Überlegenheit überzeugen konnte. Das ist die Sehweise des modernen — ich meine das natürlich in dem Sinne, daß Ovid ein Kind seiner Zeit war und sein wollte — Dichters, der das ihm angeborene Talent an den und durch die hellenistischen Dichter geformt hat, vor deren Lektüre er scheinbar warnt. Wir würden den Dichter falsch beurteilen, wenn wir glaubten, daß er das ganze Werk auf diesen Ton gestimmt hat. Es gibt in dem Gedicht zwei kurze Szenen, die Vorläufer der großen, mehr episch stilisierten pathetischen Seelengemälde in den 'Metamorphosen' sind und zugleich daran erinnern, daß Ovid als elegischer Dichter in der früheren Liebesbriefsammlung 'Heroiden' die Möglichkeiten, die in der Seele einer liebenden Frau liegen, bis zum Letzten erforscht und künstlerisch gestaltet hat, die Kirke- (263 — 288) und die Phyllisszene (591—606). Auf beide müssen wir einen Blick werfen, um die weite Spanne zu ermessen, die sie von den bisher erwähnten trennt, und um zu sehen, wie der Dichter sich ausdrücken konnte, wenn er auf die Dinge nicht mit lässig spielender und raffinierter Frivolität zu blicken wünschte. Beide Szenen, die sich von allen anderen so stark unterscheiden und sich aus dem ganzen Gedicht herausheben, haben nichts Gemeinsames oder Vergleichbares. In der Phyllisszene ist der Mann, von dem die Entscheidung in dem Handeln des Mädchens abhängt, nicht anwesend. Sicherlich ist es aber kein Zufall, daß der Dichter sich auch in ihnen der direkten Anrede an die beiden Frauen bedient, an Kirke am Anfang (263) mit nachdrücklicher Wiederholung der Anrede Omnia fecisti (alles tatest du) am Beginn zweier aufeinander folgender Distichen (265 und 267) und an Phyllis am Ende (605)1, aber Zweck und Wirkung sind ganz verschieden von denen der Anreden an Chryses und Menelaos. In diesen Fällen ist es schadenfroher Spott über das törichte Verhalten der beiden Männer und ihr Mißgeschick, bei Kirke soll das Pathos der folgenden an Odysseus gerichteten Worte gesteigert werden: du mächtigste aller Zauberinnen, warst einem stärkeren Zauber verfallen, gegen den du machtlos warst und den du mit unwirksamen Mitteln zu bekämpfen versuchtest. Kirkes Worte sind von ihr als Anrede an Odysseus gemeint, werden aber, da er sich mit höchster dramatischer Kontrastwirkung völlig schweigend verhält und nur entscheidend handelt, fast zu einem ins Leere gerichteten Monolog. 1

Das ist übrigens, wie beiläufig bemerkt sei, ein sicherer Beweis dafür, daß die in einigen jüngeren Handschriften erscheinende direkte Anrede an den Wald Non flesses (du hättest nicht zu weinen brauchen) nach der ersten an Phyllis im vorhergehenden Verse stilwidrig ist.

8

Heilmittel gegen die Liebe

Die einzigartige Prägnanz des die Liebestragödie eigentlich abschließenden Verses 285 „Sie war noch dabei zu sprechen, mit dem Lösen des Schiffes 1 war Odysseus beschäftigt", vierzehn Worte statt der fünf lateinischen, läßt sich in keiner modernen Sprache zum Ausdruck bringen, wenn man nicht auf vollständige Sätze verzichtet. Es bleibt nur noch kurz zu sagen, daß sie Zweckwidriges tat und es mit unwirksamen Mitteln versuchte. In der Phyllisszene wird stärkste dramatische Wirkung mit ganz anderen Mitteln erreicht. Hier ist Ovid etwas gelungen, dem sich nur einige der in glühenden Farben gemalten leidenschaftlich bewegten mythologischen Szenen des Peter Paul Rubens an die Seite stellen lassen. Während des ganzen Vorganges wird nichts gesprochen, abgesehen von dem einen aus zwei Worten bestehenden, übrigens durch Kallimachos inspirierten, Aufschrei wilder Verzweiflung: „Treuloser Demophoon", dessen Wirkung so sehr dadurch gesteigert wird, daß er allein steht, und dem einen Wort Viderit, durch das sie ihm die Schuld gibt. Der ganze Rest ist Landschaftsdarstellung und dramatische Handlung in der Form der elegischen Erzählung, in der nur die für den entscheidenden Vorgang bedeutungsvollen Phasen hervorgehoben oder angedeutet werden. Daß Phyllis ihrem Leben durch Erhängen ein Ende macht, wird nur durch symbolische Handlungen ausgedrückt. Auch über ihren Seelenzustand wird direkt nichts ausgesagt. A n die Stelle der Beschreibung tritt der Vergleich mit einer Mänade, die dem Gotte Dionysos orgiastisch dient. Man darf aber nicht überhören, daß der Dichter, um die dramatische Spannung nicht zu stark ins Tragische hinaufzusteigern, auch diese Szene am Anfang und Ende mit einem Unterton leiser Frivolität untermalt hat; am Anfang, wenn er sagt: „ G e w i ß ist die Ursache ihres gewaltsamen Endes, sie war unbegleitet", so heißt das, in die Sprache des Gedichtes übersetzt: sie hätte sich, als sie sich verlassen glaubte, mit einem anderen trösten sollen; und am Ende, wenn er, sie mitleidig und vielleicht ganz leise spöttisch anredend, wünscht: „Ich wollte, du wärest damals nicht allein gewesen." Um das ernste Bild legt sich ein leichter Rahmen. Es gibt noch eine ganz anders stilisierte Stelle, die in ihrer Art nicht weniger ernst ist, obwohl der Dichter sich absichtlich eines leichten Tones bedient. Hier meint er es darum ernst, weil er seine eigene Sache verteidigt und sich mit Kritikern seiner Werke auseinandersetzt, die ihm nach seiner Meinung nicht Gerechtigkeit haben zuteil werden lassen. 357 kündigt er etwas Neues an: „Jetzt werde ich dir offen heraussagen, was ich anrate, wenn das Venuswerk schon mitten im Gange ist. Scham hält mich zurück, vieles davon auszusprechen, aber du wirst, was ich unterdrücke, leicht selbst von dir aus ergänzen." Dann unterbricht er sich mit den Worten (561): „Unlängst haben nämlich einige an meinen kleinen Büchern herumgepflückt, weil meine Muse nach ihrem Urteil zu frivol ist." Dann folgt die bis zum Ende des ersten Teiles (396)1 reichende Rechtfertigung. Er enthüllt in der Form eines 1 Es interessiert den Dichter nicht, daß Odysseus zu Kirke mit seinen Gefährten gekommen ist und daher mehr als ein Schiff hat. Ihm kommt es nur auf die menschliche Tragödie an. Daher darf man navem nicht durch „Schiffe" übersetzen, wie Eberle es getan hat.

Einführung

9

Exkurses einen der Hauptzwecke, der ihn zur Abfassung des Gedichtes veranlaßt hat. Wie weit ist er von einer Palinodie entfernt! Wenn er von „einigen" Kritikern oder besser Krittlern spricht, so wählt er ein Pronomen (quidam), das zeigt, daß er ganz bestimmte Personen meint, über die er nichts Näheres sagen will. Gegen Ende dieser Auseinandersetzung (391) verengert er das Ziel seiner Gegenangriffe, indem er vom Plural in den Singular hinüberwechselt: „ D u bist zu voreilig; wenn ich am Leben bleibe, wirst du dich noch mehr über mich ärgern." Entweder wendet er sich gegen den Führer der ihn kritisierenden Gruppe, oder er hat diesen bisher unter dem Plural versteckt. Diese Gruppe oder dieser eine sind Dichter, denen der schnelle Erfolg und die Anerkennung, die Ovid fand, versagt blieben und die ihre Erfolglosigkeit dadurch zu verstecken suchten, daß sie sich mit dem Deckmantel moralischer Entrüstung umgaben, die allein schon deswegen übel angebracht ist, weil der Dichter nur mit Libertinen, nicht mit verheirateten Frauen zu tun haben will. Thais, nicht Andromache interessiert ihn. Nicht nur ihre Erfolglosigkeit suchen seine Gegner auf die Weise zu verdecken, sondern auch ihr geringes Können, wie er mit stolzer Verachtung sagt (594). Ihm macht diese Dichtungsweise Freude und verhilft ihm zu ständig wachsendem Ruhme, während sie sich noch am Fuße des Hügels oder Musenberges befinden und ihr Pferd (oder Pegasus) schon anfängt zu keuchen2. Im stolzen Gefühle des bisher auf dem Gebiete elegischer Dichtung Geleisteten wagt er sich die Stellung anzuweisen, die der des größten epischen Dichters Vergil entspricht3. Wenn er das offen erklärt, so ist es nicht nur eine Abrechnung mit dem Gegner, sondern bedeutet zugleich ein Bekenntnis: Mehr kann ich für die Dichtungsgattung der erotischen Elegie nicht leisten. Die 'Remedia' bedeuten also einen vorläufigen Abschluß, und daher gewinnt dieser sogenannte Exkurs für den Dichter und für den Leser zentrale Bedeutung. Dieses Bekenntnis muß zu derselben Zeit konzipiert worden sein, zu der er im fünfzehnten Gedicht des dritten Buches den Schlußstrich unter die Sammlung der Liebeselegien ('Amores') zog, nachdem er im ersten Gedicht dieses Buches bereits von dem künstlerischen Konflikt, den er innerlich durchkämpfen mußte, Zeugnis abgelegt hatte. Auch in den 'Remedia' spricht er es ganz deutlich aus, daß er sich in seinem Geiste mit vielen Gedichten trägt (392). Die beiden großen Werke, das epische der 'Metamorphosen' und das elegische der Tasti', beginnen sich zu kristallisieren. Mit keinem Worte deutet er dagegen darauf hin, daß er die bisher veröffentlichten erotischen Dichtungen mißbilligt oder gar verwirft. Dazu stimmt genau, was o.S. 4 über Vers 5 f. zu sagen war.

1

E s ist verständlich, aber nicht gerechtfertigt, daß eine große Zahl von Handschriften, nicht die

ältesten und die wirklich alte Vorlagen reproduzierenden Handschriften, hier ein zweites Buch beginnen lassen. Ovid selbst spricht im ersten Verse nur von dem vorliegenden libellus. Aber auch davon abgesehen, 599 setzt, ohne ein neues Proömium, nach einem verbindenden Distichon (397 f.) genau da an, w o der Dichter 558 abgebrochen hat. 2

E s wird deutlich, daß nur die alte, auch durch Hildebert bezeugte Lesart vesler equus dem Sinne

gerecht wird; tiosier ist entweder die bekannte Verschreibung oder beruht auf Mißverständnis. 3

Über den Wortlaut des Verses 396 s. u. S. 87.

10

Heilmittel gegen die Liebe

Bereits in dem vorhergehenden Teile wünscht Ovid den Leser an Vergil zu erinnern, auch wenn er ihn nicht nennt, und zu zeigen, daß er auf dem beschränkten Räume, den er in seinem einen Buche dafür aussparen kann, in einer elegischen Dichtung etwas zu sagen vermag, was im Kleinen den Vergleich mit den Hirtengedichten Vergils und seinem Lehrgedicht über den Landbau nicht zu scheuen braucht. Der unglückliche Liebende soll sich dem Landleben widmen. Wenn er das mit Hingebung tut, wird er keine Zeit und Lust mehr haben, an seine Leidenschaft zu denken (169—212). Es ist nicht überraschend zu sehen, daß die Absicht, an Vergil zu erinnern, von einem Leser richtig verstanden wurde. Er machte in seinem Exemplar zu Vers 185 eine Anmerkung, in der er auf die 'Bucolica' hinwies. Die Folge war, daß das von Vergil 9, 30 gebrauchte Wort taxos in den Text des ovidischen Verses eindrang und in einigen Handschriften das originale fumos (Rauchschwaden) offenbar in früher Zeit 1 verdrängte. Wenn man diesen Abschnitt über die Schönheiten und Vorzüge des Landlebens liest und sich an dem Wohlklang der Sprache und der Lieblichkeit der Bilder freut, so fühlt man sich leicht versucht, ihn isoliert auf sich wirken zu lassen und ästhetisch zu genießen. Das ist natürlich das gute Recht jedes Lesers, und der Dichter hat alles getan, um die Gedanken und Gefühle des Lesenden in diese Richtung zu lenken. Die Liebe zum Lande, die irgendwo auch im Herzen des überfeinertsten Großstadtrömers eine lebendig wirkende Kraft geblieben ist, wird hier in dem Dichter übermächtig und bricht durch. Er versenkt sich in hingebende und liebevolle Kleinmalerei und vergißt beinahe den eigentlichen Zweck, den er mit diesem Rate verfolgt, sonst würde er sich nicht immer wieder zu seinem Hauptgegenstand zurückrufen. In schneller Folge und buntem Wechsel reihen sich aneinander Landbau (169—174), Obstbaumzucht (175 — 176), die Wasserläufe (177), die grasenden Schafherden (178), die Ziegen (179—180), der musizierende Hirt mit seinen Hunden (181 — 182), die um ihr verirrtes Kalb bangende Kuh (184), die Bienen (185 — 186), die Jahreszeiten und ihre Erträge (187—188), die Ernten (Trauben, Kräuter, Getreide: 189—192), Gartenbau und Bewässerung (193 — 194), das Pfropfen (195 — 196). Nach einem Hinweis auf die heilsame Wirkung dieses Tuns (197—198) folgen Jagd (199—204) mit erneuter Betonung der wohltätigen Folgen (gesunder Schlaf 205 — 206), Vogel- und Fischfang (207—210). Diese Bilderfolge schließt der Dichter mit der Bemerkung ab (211 bis 212): „Entweder durch diese oder durch andere Dinge, bis du das Lieben verlernst, mußt du dich selbst, ohne daß du es merkst, täuschen." Vielleicht sollen wir einmal das von ihm gewählte Verbum decipere im wörtlichsten Sinne nehmen und uns an das erinnern, was ich o. S. 4 über die Warnung vor den Dichtern und über Ovids Selbstverurteilung gesagt habe. Beides scheint im Einklang miteinander zu stehen: Was ich dir rate, ist gut und zweckmäßig, es wird dir auch über Manches hinweghelfen, aber du sollst dir darüber klar sein, es ist und bleibt doch nur eine Täuschung. Der Seelenarzt tritt mit dem Anspruch auf, daß er helfen und heilen 1

Diese Annahme wird durch die Handschrift P nahegelegt, die eine alte Vorlage wiedergibt. Ich

habe das in einer im Jahre 1957 erschienenen Untersuchung gezeigt, vgl. u. S. 18 Anm. 1.

Einfuhrung

II

kann, aber dem, der Ohren hat zu hören, läßt er keinen Zweifel, daß seine Kunst ihre Grenzen hat, wenn sie es mit einem übermächtigen Gegner zu tun hat. Darin liegt die unausgesprochene Warnung: Nimm mich nicht zu ernst. Da er als Arzt und als Dichter zu dem Leser spricht, stellt er sein Werk mit zweifachem Recht unter den Schutz Apollos (75 ff.) und erinnert an den Gott bei jeder passenden Gelegenheit. Er erinnert nicht nur an ihn, sondern redet ihn direkt an, indem er einige der in Götterhymnen üblichen Formeln anklingen läßt, mit denen die Taten eines Gottes für die leidende Menschheit gepriesen werden. Dazu gehört auch die anaphorische Anrede „Dich" und „ D u " am Anfang der Verse 75 und 77. Hätte Ovid sich auf diese Äußerlichkeiten der Formelsprache beschränkt, so würde er nicht mehr zustande gebracht haben, als was jeder dichtende Laie mit einigem Bemühen auch geleistet hätte. Damit hätte ein hellenistischer und ein römischer Dichter, der sich nicht nur als Schüler der hellenistischen Dichter fühlt, sondern es ist, die Aufgabe, die er sich gestellt hat, nur unzulänglich erfüllt. Er hat auf den Bau des ganzen Proömiums1 große Sorgfalt verwendet und, um sich der Sprache der Architektur zu bedienen, eine dreiteilige Eingangshalle geschaffen, zu der der sehr kurze Epilog (811 — 814) i n einem nicht sehr harmonisch wirkenden Gegensatz steht. Vielleicht ist er absichtlich so verfahren und hat gewollt, daß das Gedicht ohne längeres Nachwort für sich selbst spricht. Auch in den 'Metamorphosen', die fünfzehn Bücher umfassen, ist das persönliche Schlußwort im Verhältnis zu der Länge des Werkes sehr kurz. Den ersten Teil bildet das bereits charakterisierte Zwiegespräch mit Amor (1—40), den zweiten die Ankündigung des Themas und die Selbstvorstellung des Dichters zuerst (43) durch den Hinweis auf die vorausgehende 'Liebeskunst' und am Ende (71 f.) durch den Namen Naso. Der dritte, kürzeste Teil (75 —78) enthält die ebenfalls schon besprochene Anrufung des heilenden Beschützers der Dichtkunst durch den die Rolle des Seelenarztes und öffentlichen Befreiers aus der Sklaverei (73 f., Überleitung vom zweiten zum dritten Teil) für sich fordernden Dichter. Auch hier wird man gut daran tun, den Ausdruck Püblicus adsertor nicht zu ernst zu nehmen und sich vorzustellen, daß Ovid ihn, als er das Gedicht zum ersten Male vorlas und dadurch öffentlich bekannt machte, mit einem Lächeln leiser Skepsis ausgesprochen hat. Ich weise nur beiläufig darauf hin, daß dieser dritte Teil genauso lang oder vielmehr kurz ist wie der Epilog. In diesem wiederholt er im letzten Verse das entscheidende Verbum sanare (gesund machen) aus dem Proömium (43) und greift auch sonst noch auf eines der dort gebrauchten Bilder zurück. Er läßt nämlich in anderer Form den Vergleich mit dem Schiffer (70), der, wie er 5 77 f. ergänzend bemerkt, ohne einen zuverlässigen Steuermann ein unbekanntes Meer zu durchfahren hat, noch einmal anklingen und bittet um Bekränzung des müden Schiffes, das er sicher in den Hafen gebracht hat. Ich komme darauf in den Erläuterungen zu 811 — 814 zurück. Ein Dichtwerk, das sich den Anschein gibt, einem bestimmten praktischen Zwecke zu dienen, und ein Lehrgedicht sein will, läßt sich nicht ohne gelehrte Studien ge1

Vgl. jetzt auch U. Fleischer, Antike und Abendland 6 (1957) 58.

Heilmittel gegen die Liebe

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stalten. Die Beschaffung des zu verarbeitenden Materials hat mit einer künstlerischen Formung sehr wenig zu tun. Es ist längst gesehen worden, daß Ovid sich nicht damit begnügt hat, seine eigenen Erfahrungen auf dem unerschöpflichen Gebiete der Beziehungen zwischen den beiden Geschlechtern und die sich in Rom in Fülle darbietenden Beobachtungen an anderen als einzige Quelle zugrundezulegen und mit mythologischen Beispielen zu verbrämen. Es wäre eine Sünde wider den Geist seines großen hellenistischen Lehrers Kallimachos gewesen.. Ein österreichischer Gelehrter hat vor rund fünfzig Jahren über diesen Aspekt der 'Remedia' das Bedeutendste gesagt, was in unserem Jahrhundert über sie überhaupt ermittelt worden ist 1 , denn die sachliche Würdigung, die Hermann Fränkel ihnen in seinem Buche über Ovid hat zuteil werden lassen®, und die geistvoll witzige Behandlung durch den englischen Gelehrten L. P. Wilkinson 3 lassen sich mit Prinz' eindringenden Einzeluntersuchungen nicht vergleichen4, und von den kurzen zusammenfassenden Bemerkungen in Handbüchern und Literaturgeschichten sehe ich hier füglich ab. Prinz hat eingehend nachgewiesen, wieviel Ovid im einzelnen Catull, Vergil, Horaz, Tibull und Properz verdankt und wie er das übernommen und umgeformt hat, was er für seinen Zweck gebrauchen konnte. E r hat sich auch nicht gescheut, auf seine eigenen erotischen Dichtungen zurückzugreifen, und dort Gesagtes noch einmal zu sagen oder zu variieren. Es ist gut und wichtig, daß wir diese Quellen kennen und nachweisen können, aus denen er sich Anregung geholt hat, aber entscheidend ist es nicht. Ich habe schon einmal betont, daß es nicht so sehr darauf ankommt, was er sagt, sondern darauf, wie er es sagt. Das bleibt sein persönliches Eigentum. Prinz hat sicherlich recht, wenn er die o. S. -¡£. gewürdigte Kirkeszene auf das Didobuch in Vergils 'Aeneis' zurückführt, aber was sie durch Ovid geworden ist, habe ich versucht zu zeigen. Auch das hat Prinz richtig betont, daß Ovid auf das Lehrgedicht des Lukrez 'Über die Natur der Dinge' zurückgegriffen hat. Durch Ciceros Bemühungen um das nachgelassene Werk war Lukrez bereits in Ovids Zeit zu einem verehrungswürdigen Klassiker geworden. Um dem Leser den Vergleich zu erleichtern, gebe ich anschließend S. 13 f. die vor allen anderen in Betracht kommenden Stellen aus Lukrez in deutscher Übersetzung wieder6. Es ist eine bis heute nicht entschiedene und mit unseren Mitteln vielleicht nicht endgültig zu entscheidende Streitfrage geblieben, ob Ovid auch die seelentherapeutische Literatur der Griechen, besonders das Werk des stoischen Philosophen Chrysippos, im Original gelesen oder ob er sich mit den Niederschlägen begnügt hat, die 1

Karl Prinz, Untersuchungen zu Ovids Remedia amoris, Wiener Studien 36 (1914) 36—83 und

39 (1917) 9 1 — 1 2 1 . 259—290. 2 Hermann Frankel, Ovid. A Poet Between T w o Worlds,Berkeley and Los Angeles 1 9 4 5 , 6 7 — 7 2 . 3

L . P. Wilkinson, Ovid Recalled, Cambridge 1955, 1 3 5 — 1 4 3 .

4

Das gilt auch für die Gesamtwürdigung durch Salvatore D'Elia, Ovidio, Napoli 1959, 216 ff.;

über die Med. fac. 2 1 4 f. 5

Die Stellen aus Vergil und den anderen obengenannten Dichtern sind z. T . in den Erläute-

rungen herangezogen -worden; für andere verweise ich auf meine u. S. 17 genannte Ausgabe.

Einführung

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es in den in R o m beliebten und weit verbreiteten Trostbüchern ('Consolationes') fand. M a x Pohlenz hat die schlagenden Ubereinstimmungen zwischen O v i d und Ciceros 'Tusculanae disputationes' (Gespräche in Tusculum) 4, 74 f. — ich gebe auch diese Stelle u. S. 1 4 f. in Übersetzung wieder — auf Chrysippos' 'Therapeutikos'als gemeinsame Quelle zurückgeführt 1 , während Prinz, nicht in allem überzeugend, widersprochen hat. Daß sich im zweiten Teile, besonders gegen Ende, die straffe Komposition des ersten zuweilen bedenklich lockert und der Dichter sich Wiederholungen erlaubt hat, die wir als unnötig zu empfinden geneigt sind, habe ich u. S. 79 f. in den Erläuterungen zu den Versen 4 9 — 7 0 erwähnt. In diesen Fällen kann man sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, daß der Dichter sich nicht die erforderliche Zeit und Ruhe zur Ausarbeitung genommen hat, um schneller fertig zu werden.

BEIGABEN L u k r e z 4, 1052—1072 (zu vergleichen mit Remedia 441 ff., 81 f., 91 f.) Wem nun der Venus Geschosse im Herzen die Wunde geschlagen, mag ihn ein Knabe treffen, dessen Glieder denen des Weibes gleichen, oder ein Weib, das aus seinem ganzen Leibe der Liebe Ströme entsendet, 1055 den zieht es hin zu dem, der ihn verwundet, und er verlangt nach enger Vereinigung, und er wünscht aus seinem Leibe das Feuchte mit starkem Druck in den Leib des anderen zu senken, denn das stumme Begehren verheißt ihm lustvolle Wonne. Dies ist Venus für uns, daher stammt der Name des Amor, daher drang zum ersten Male ins Herz 10,0 der süße Tropfen der Venus, ihm folgte erkältende Sorge. Denn mag auch fern sein, dem deine Liebe gilt, so sind doch seine Bilder dir gegenwärtig, und des Namens Klang tönt süß dir im Ohre. Aber das richtige ist, die Bilder zu verscheuchen und entschlossen von sich zu weisen, was die Liebe nährend fördert, und den Verstand auf anderes zu lenken, 1085 die angesammelte Feuchtigkeit in beliebige andere Leiber zu senken und nicht, durch e i n e Liebe gebannt, zurückzuhalten und für sich dadurch nur Sorge und sicheren Schmerz aufzusparen; denn nährst du das Geschwür, so gewinnt es an Stärke durch Säumen, von Tag zu Tag nimmt das Rasen zu, und ärger wird die Pein, 1070 wenn du nicht auf die erste Wunde durch neue Eingriffe einwirkst und nicht zuvor für sie Heilung suchst in wahlloser Liebe, die auf der Straße du findest, oder der Seele Bewegungen nicht in andere Richtung hinüberzulenken vermagst. L u k r e z 4, 1 1 4 1 — 1 1 9 t (zu vergleichen mit Remedia 311—330 und 351—356) Dies sind die Leiden, die selbst in wahrhaft und grenzenlos glücklicher Liebe sich finden, doch ist sie unglücklich und ausweglos, so kannst du die Leiden greifen, auch wenn in die Augen kein Licht fallt, nicht zu zählen sind sie; besser ist es daher, im voraus wachsam zu sein, 1 1 4 5 wie ich es gelehrt, und dich vor Verlockung zu hüten. Denn den Weg zu vermeiden, der uns in die Schlingen der Liebe geraten läßt, ist nicht so schwer, wie, einmal im Netze verfangen, den Ausweg zu finden und die stark geknoteten Bande der Venus zu sprengen. Und doch kannst du, selbst verstrickt und an freier Bewegung der Füße gehindert, 1150 dem Feinde entrinnen, wenn du dir nicht selbst hindernd im Weg 1

M. Pohlenz, De Ovidi carminibus amatoriis, Universitätsprogramm Göttingen 1913, 20 Anm. 3 (im folgenden zitiert: Programm). Zum besseren Verständnis seiner knappen Bemerkungen verweise ich auf seine Untersuchung: Das dritte und vierte Buch der Tusculanen, Hermes 41 (1*906) 321—355.

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stehst und hinweggehst über alle Fehler der Seele oder dann auch des Leibes derer, die du begehrst und dir zu eigen wünschest. Denn so machen es die Menschen fast immer, blind vor Begierde, und schreiben ihnen Vorzüge zu, die in Wirklichkeit sie nicht haben. U 5 5 Daher sehen wir häufig, daß mißgestaltete und häßlich anzusehende Mädchen Entzücken erregen und sich im Glänze hoher Ehren sonnen. Dann lachen über die einen die anderen und raten zur Versöhnung der Venus, da sie mit schimpflicher Liebe geschlagen seien, und die armen Toren beachten oft nicht, wie ganz schlimm es mit ihnen selbst steht. 1 1 6 0 Ist sie schwarz, so nennt er sie honigfarben; die Unsaubere und Schmutzige heißt schlicht; hat sie blaugraue Augen, so ist sie ein Abbild der Pallas; die Sehnige und Hölzerne heißt Gazelle. Ist winzig wie ein Zwerg sie, so nennt man sie eine der Chariten, einen Inbegriff witzigen Geistes; ist sie groß oder gar riesig, so hat sie erstaunliche Würde; stammelt sie und kann nicht richtig sprechen, so stößt sie leise mit der Zunge an; ist sie stumm, so heißt sie verschämt. 1165 Die vom verzehrenden Feuer der Leidenschaft Erfüllte, Gehässige, Schwatzhafte hat den milden Glanz einer Leuchte. Zum zarten Liebling wird sie, wenn sie vor Schwund nicht leben kann; gertenhaft schlank ist sie, wenn sie am Husten fast schon gestorben. Aber die Üppige und die mit zu vollem Busen ist die Iacchus säugende Ceres. Stumpfnasig heißt sie weiblicher Silen und Satyr, mit aufgeworfenen Lippen Kußmund. 1 1 7 0 Was sonst noch von dieser Art, es führte zu weit, wollt* ich versuchen, davon zu sprechen. Aber nehmen wir einmal an, es gebe ein Mädchen mit unermeßbar schönem Gesichte, und allen seinen Gliedern entströme der Venus Gewalt, so wisse, es gibt auch noch andre, und wir haben bisher auch ohne sie gelebt. Sie tut, wir wissen es, genau dasselbe, wie es jede Häßliche auch tut. l l 7 5 S i e räuchert sich erbärmlich mit widrig duftenden Spezereien, und schon von ferne meiden ihre Mägde sie und kichern verstohlen darüber. Doch tränenüberströmt bedeckt der ausgesperrte Liebhaber die Türschwelle oft mit Blumen und Kranzgewinden, und netzt die Pfosten der Stolzen mit Majoransalbe und küßt inbrünstig die Flügel der Tür, der Arme. 1 1 8 0 Ist er aber einmal eingelassen und schlägt ihm bei seinem Eintritt auch nur ein Dufthauch entgegen, so mag er wohl nac h Vorwänden suchen, um mit Anstand sich wieder zu entfernen, und sein lange überlegtes, den Tiefen der Brust entströmtes Klagelied mag nutzlos vertan sein, und er mag sich dort zeihen der Torheit, denn er erkennt, daß er ihr mehr des Wertes beigemessen hat als einem Sterblichen einzuräumen geziemend ist. 1 1 8 5 Dies ist unseren Liebesgöttinnen nicht unbekannt: so kommt es, daß sie mit Fleiß ihr Tun hinter dem Schauplatz vor den Männern verbergen, die zu halten sie wünschen, gekettet an sie in der Liebe. Nichtiges Tun, denn dein Geist befähigt dich, alles ans Licht zu ziehen und allen Lächerlichkeiten auf die Spur zu kommen, 1 1 9 0 und wenn sie, davon abgesehen, angenehmen Gemütes ist und dich durch ihr Wesen nicht abstößt, so magst du wiederum über Menschlichkeiten hinwegsehen und ihnen Zugeständnisse machen. E s ist amüsant zu sehen, mit welcher leichten Geschicklichkeit Ovid die Euphemismen, mit denen bei Lukrez die blinden Liebhaber ihre mit Mängeln behafteten Mädchen ausstatten, seinem Zwecke entsprechend umdreht und die Vorzüge in Fehler verwandelt. Man soll sich' auch darüber Rechenschaft ablegen, daß Lukrez durch seine Schlußwendung die ganze von Bitterkeit nicht freie Satire plötzlich in eine höhere Sphäre hebt, wenn er Menschliches menschlich sieht. Dieser versöhnende Ausklang findet sich bei Ovid nicht. Wie hätte er ihn, selbst wenn er Lukrez' Gefühl teilte, in diesem Gedicht verwenden können? C i c e r o , T u s c u l a n a e d i s p u t a t i o n e s ( G e s p r ä c h e in T u s c u l u m ) 4 , 74 f . Das von Cicero nach Chrysippos zusammenhängend Vorgetragene ist bei Ovid über das ganze Gedicht so verteilt, daß folgende Stellen zum Vergleich heranzuziehen sind: 299 ff. (Geringfügigkeit), 401 ff. (Leichtigkeit der Abhilfe auf anderem Wege), 13 5 ff. und 5 5 9 ff. (Ablenkung auf andere Tätigkeiten), 2 1 } ff. (Ortswechsel), 441 ff. (neue Liebesaffäre).

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Wer also davon (von den Liebesqualen) gequält ist, muß sich der Anwendung des folgenden Heilungsverfahrens unterziehen. Man muß ihm klar vor Augen führen, wie geringfügig, wie verächtlich, ja wie nichtig gerade der Gegenstand seines Begehrens ist; er muß erkennen, wie leicht er auf. anderem Wege oder auf andere Weise an das Ziel seiner Wünsche gelangen kann oder daß er sie überhaupt nicht zu beachten braucht. Zuweilen muß man ihn auch ablenken auf andere Interessen, Betätigungen, die ihn ganz in Anspruch nehmen, Angelegenheiten, denen er seine ganze Fürsorge zuzuwenden hat, und Tätigkeiten, denen er seine ganze Zeit widmen muß; endlich muß der ihn Behandelnde oft für Ortswechsel sorgen wie bei einem Kranken, der seine volle Gesundheit sonst nicht wiedererlangt. (75) Manche raten auch an, die alte Liebe durch eine neue, wie einen Nagel durch einen anderen, auszutreiben. Besonders wichtig ist aber, daß man ihn warnend auf die verhängnisvolle Stärke der Liebesraserei hinweist; denn unter allen Störungen des seelischen Gleichgewichtes gibt es wirklich keine, die heftiger wäre. Denn es ist und bleibt wahr: selbst wenn wir von Anklagen gegen gewisse Dinge absehen wollen und sie beiseite lassen — ich meine Unzucht jeder Art, Verfuhrung, Ehebruch und schamlose Akte (alles dieses verdient wegen seiner Gemeinheit die schwersten Anklagen) — , so ist schon an sich jede Störung des Verstandes in der Liebe schimpflich.

Ü B E R L I E F E R U N G UND A U S G A B E N Bis heute ist weder die Textgeschichte der 'Remedia' systematisch erforscht noch ist das Buch über die Geschichte der Ovidausgaben seit der Renaissance geschrieben worden, obwohl wir beides dringend brauchen. Die erste Ausgabe der Werke wurde von Francesco Puteolano aus Parma besorgt und von Balthasar Azzoguidi im Jahre 1471 in Bologna gedruckt. Sie enthält außer den zweifellos authentischen Gedichten auch Zweifelhaftes und Unechtes, darunter das mittelalterliche ebenso witzige wie indezente Gedicht 'De pulice' (Der Floh), eine der glänzendsten Pornographien in lateinischer Sprache, die sich vom Mittelalter bis in die Zeit des Humanismus ungewöhnlich großer Beliebtheit erfreute1. Die Ausgabe (ß), von der nur sehr wenige Exemplare ganz unbeschädigt erhalten geblieben sind, steht einer Renaissancehandschrift der Vaticanischen Bibliothek, dem Urbinas lat. 347, so nahe, daß man in ihr sogar die Drückvorlage hat erkennen wollen. Diese Annahme, an deren Richtigkeit ich nach vergleichender Prüfung des Textes verschiedener Dichtungen gezweifelt habe, läßt sich schwerlich aufrechterhalten, nachdem jetzt mindestens zwei andere Handschriften, ein Harleianus im Britischen Museum (H) und ein Oxoniensis (O), als Angehörige derselben Gruppe bekannt geworden sind; zu ihnen treten noch, wenn auch mehr sporadisch, mehrere andere Handschriften des 15. Jahrhunderts. Sie lassen alle die Spuren der Beschäftigung eines oder mehrerer Renaissancegelehrter mit dem Text des Gedichtes erkennen. Der nicht zu identifizierende Redaktor, der auf Grund dieser Bemühungen einen Text herstellte, war bestrebt, einen möglichst geglätteten und lesbaren Text zu bieten. Dabei scheute er sich nicht, gelegentlich bei Vorgängern im 13. Jahrhundert Anleihen zu machen. Wenn man bedenkt, wie 1

Der Text, der fast völlig unzugänglich geworden war, und die bisher kaum bekannte Überliefe-

rung sind jetzt kritisch und exegetisch behandelt von F . W. Lenz, De Pulice Libellus, Maia N . S Fase. I V , 14 (1962), 299—333.

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Heilmittel gegen die Liebe

skrupellos der Ovidtext im 13. Jahrhundert umgestaltet wurde, so ist man nicht überrascht zu erkennen, daß vieles von dem, was man bisher den Renaissancegelehrten zuschreiben wollte, in Wirklichkeit rund zwei Jahrhunderte älter ist und in manchen Fällen auf noch viel frühere Zeit zurückgeht. Auch die 1477 in Parma erschienene Ausgabe ist eine charakteristische Vertreterin dieser Textform. Ich habe im kritischen Apparat gelegentlich auf diese Zusammenhänge aufmerksam gemacht. Von dieser Renaissancegruppe, die ich kurz Ren. genannt habe, darf der moderne Textkritiker nie ausgehen, sondern darf sie nur zu Kontrollzwecken verwerten. Die zweite Gesamtausgabe (p) erschien in Rom kurz nach der ersten (1471/72). Für sie ist Johannes Andreas, Bischof von Aleria, verantwortlich. Sie ist dem Papst Paul II. gewidmet. Gedruckt ist sie von Pannartz und Sweynsheim, den bekannten Schülern Gutenbergs. Als eine ihrer Quellen glaube ich die Handschrift 36, 2 der Laurenziana in Florenz (15. Jahrhundert) erkannt zu haben. Gewisse drucktechnische Einzelheiten im Texte der 'Amores' machen den Schluß, der unsicher bleibt, wenn man ihn nur aus den Lesarten zieht, unabweisbar1. Da die Geschichte der von der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert für den Text und die Erklärung der 'Remedia' geleisteten Arbeit nicht gut von der Geschichte der gesamten gelehrten Beschäftigung mit Ovid isoliert werden kann, ist es ratsamer, darauf in einem der Bände einzugehen, der eine der großen Dichtungen Ovids enthalten wird. Hier genügt es, einige der Namen zu nennen, deren Trägern wir für immer bewundernd verpflichtet bleiben, auch wenn wir im einzelnen mit ihnen nicht in allen Fällen übereinstimmen: Ciofano, Poliziano undNavagero, Moltzer (Micyllus), Muret und Scaliger, D. und N. Heinsius, der unerreichte und unerreichbare Höhepunkt der gesamten Ovidforschung, Burman, Bentley, Madvig, Merkel, Riese, Magnus, Ehwald, Housman, Owen und Slater. Damit ist das erste Drittel des 20. Jahrhunderts erreicht. Den ersten ernstlichen Versuch einer neuen kritischen Grundlegung des Textes der Liebesgedichte hat zu Beginn des Jahrhunderts S. Tafel in seiner Dissertation unternommen, die sich weit über das Durchschnittsniveau heraushebt2, obwohl sie durch die Wiederentdeckung der Handschrift Y (s.u. S. 18 f.) starker Modifizierung bedarf. Sein Tod im ersten Weltkrieg verhinderte den Ausbau und die Vertiefung der erreichten Ergebnisse. Das von ihm verarbeitete Material und viele seiner Erkenntnisse behalten ihren Wert, obwohl heute kaum jemand mehr an die Richtigkeit einer seiner Hauptthesen glaubt. Er versuchte nämlich zu zeigen, daß die älteste erhaltene Handschrift der 'Ars' und 'Remedia', der Regius 7311 der Pariser Nationalbibliothek (R), der dem 9. Jahrhundert angehört und in karolingischer Minuskel geschrieben ist, aus einer alten Vorlage kopiert ist, die sich in Spanien aus dem Alter1 F. W. Lenz, Parerga Ovidiana, Rendiconti Accademia dei Lin^ei, C1 d. sc. morali, storiche e filologiche, ser. 6, vol. 13 (1937), fasc. 5—10 (Rom 1938), über diese Frage S. 370—385. 2 Die Überlieferungsgeschichte von Ovids Carmina amatoria. Verfolgt bis zum 1 1 . Jahrhundert, Diss. München 1909 (Tübingen 1910).

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tum gerettet hatte und dann, noch einmal abgeschrieben, dadurch auch indirekt zum Stammvater des Vulgattextes wurde. Dieser wird für uns durch eine große Zahl von Handschriften des 13.—15. Jahrhunderts repräsentiert, von denen viele sich zu Sondergruppen zusammenfassen lassen. Neben ihnen steht, zwar getrennt, aber von ihren charakteristischen Eigentümlichkeiten nicht frei und daher mit Vorsicht zu gebrauchen, die Handschrift des 11. Jahrhunderts 150, früher B. 1. 6.j, des Eton College (E). Aus dem von Tafel für eine Ausgabe der Liebesdichtungen zusammengetragenen noch ganz unfertigen Material stellte sein Lehrer F. Vollmer einen sehr unvollständigen und provisorischen, von Irrtümern nicht freien (vgl. z. B. Erl. zu 396) kritischen Apparat zu den 'Remedia' zusammen, ergänzte ihn in sehr unsystematischer Weise, soweit es bei der Abschnürung Deutschlands durch den Krieg möglich war, und fügte sehr nützliche kritisch-exegetische Anmerkungen hinzu1. Seitdem ist nur einmal2 von H. Bornecque im Jahre 1930 der Versuch einer kritischen Ausgabe gemacht worden3. Der Text befriedigt nicht gleichmäßig, die französische Übersetzung ist nützlich und gut zu lesen, die erklärenden, fast nur auf Sachliches und Mythologisches beschränkten Anmerkungen sind trotz ihrer Knappheit förderlich, der kritische Apparat ist ganz unzulänglich und leider nicht frei von Fehlern. Nicht einmal ein Ansatz, das reiche Material der Pariser Nationalbibliothek aufzuarbeiten oder wenigstens zu sichten, um von anderen Bibliotheken zu schweigen, ist gemacht worden. So hat er sich, um nur ein Beispiel zu geben, die sogleich zu erwähnende Handschrift P entgehen lassen. Populäre Ausgaben, die seit dem ersten Weltkrieg erschienen sind, und Ausgaben, deren wissenschaftliche Fundierung für den Durchschnittsleser nicht zu erkennen ist, zähle ich nicht auf. Dagegen ist auf zwei wissenschaftliche Ausgaben der letzten Jahre hinzuweisen. Die eine stammtvonE. J. Kenneyundist 1961 4 in der Sammlung 'Oxford Classical Texts' erschienen. Sie enthält die 'Amores', 'Medicamina', 'Ars' und 'Remedia'. Die andere stammt von mir und ist, obwohl sie im wesentlichen bereits vor Kenney's Ausgabe abgeschlossen war, erst 1965 im 'Corpus Scriptorum Latinorum Paravianum' erschienen, weil die Resultate der Prüfung der 1964 wiederentdeckten Handschrift Berlin Hamilton 471 (Y, s.u. S. 18 f.) einzuarbeiten waren. Auf diesen beiden Ausgaben beruht die hier in zweiter Auflage vorliegende Ausgabe. Der lateinische Text der Liebesgedichte Ovids ist der karolingischen Zeit in einem Zustande bekannt geworden, den man gelinde gesagt als nicht gut bezeichnen muß. Einer der besten Kenner römischer Dichtung und zugleich einer der scharfsinnigsten Handschriftenbeurteiler und Textkritiker, zugleich der erklärte Gegner deutscher Ovidforscher — nicht anders steht er zu deutschen Juvenal- und Lucanforschern —, 1

F. Vollmer, Kritischer Apparat zu Ovids Remedia, Hermes 52 (1917) 45}—469. Die Ausgabe des ungarischen Gelehrten G. Némethy (Budapest 1921) ist unkritisch und beschränkt sich auf nützliche, aber von Trivialitäten nicht immer, freie Sacherklärung in lateinischer Sprache. 3 Les Remèdes à l'amour, éd. et trad. par H. Bornecque, Paris 1930 (Collection Budé). 4 Ir( yerbesserter Form 1965. 2

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der im Jahre 1936 verstorbene Cambridger Professor und lyrische Dichter A. E. Housman, hat über die Verfassung des Textes ein resigniert vernichtendes Urteil offen ausgesprochen und sich dadurch abhalten lassen, sich an die Gestaltung eines Textes 2u wagen. Wenn ein dem Dichter kongenialer Kritiker wie N. Heinsius, dessen Verstandesschärfe ebenso groß ist wie seine Intuitionskraft — es hat damit nichts zu tun, daß er sich häufig zu unnötigen Vermutungen verleiten läßt, — eine bestimmte Handschrift als „praestantissimus" (besonders hochstehend) bezeichnet, so hätte das eigentlich ausreichen sollen, die Herausgeber des 19. und 20. Jahrhunderts zur Wiederidentifizierung und Untersuchung der Handschrift aufzufordern. Die Kennzeichnung als „Puteaneus" (nach dem humanistischen Sammler Claude Du Puits) wäre ein sicherer Wegweiser gewesen. Es handelt sich um den Parisinus lat. 8460 der . Nationalbibliothek (P), eine Pergamenthandschrift, deren Remediatext zwar erst dem frühen 13. Jahrhundert angehört und seine Spuren erkennen läßt, die aber neben R und dem, wie o. S. 17 gesagt ist, ganz andersartigen E einer der wichtigsten Textzeugen ist, denn sie beruht auf zwei alten Vorlagen, die neben die Vorlage von R und neben die alte Handschrift zu stellen sind, aus denen E und der Vulgattext abzuleiten sind; zwei Vorlagen deswegen, weil der Schreiber von P, der zugleich erster Korrektor war, und die zweite verbessernde und glossierende Hand Handschriften zu Rate gezogen haben, die auf verschiedene alte Exemplare zurückgeführt werden müssen1. Dieses bisher gültige Bild wird ganz wesentlich bereichert durch die Wiederentdeckung der Handschrift Berlin Hamilton 471, die ich mit ihrem Entdecker H. Boese und F. Munari Y nenne2. Die Sammlung des Herzogs Alexander von Hamilton wurde 1882 von der Preußischen Regierung in London erworben und der Königlichen Bibliothek in Berlin überwiesen. In dem fast völlig verschwundenen Versteigerungskatalog wird die Ovidhandschrift 471, die auf 69 Blättern die 'Ars', 'Remedia' und 'Amores' enthält, aus unerklärlichen Gründen dem 14. Jahrhundert zugeschrieben. Daher blieb sie über 80 Jahre unbeachtet. Bei einer Neukatalogisierung der Sammlung stellte Helmut Boese sofort fest, daß die Handschrift spätestens dem 11. Jahrhundert angehört. Vielleicht ist sie noch älter. Es ist vorläufig ungeklärt, wo und wie der Herzog von Hamilton sie erworben hat. Sie ist italienischen Ursprungs. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und auch noch später war die Handschrift in Neapel, denn der Humanist und Staatsmann Giov. Pontano hat sie gehabt und viele

1

Für die Einzelheiten v g l . F . W . Lenz, D e r Praestantissimus Puteaneus der Remedia O v i d s , Studi

Italiani di f i l o l o g i a classica 29 (1957) 1 — 3 0 , und ein paar modifizierende Bemerkungen by E . J. K e n ney, ebd. 30 (1958) 1 7 2 — 1 7 4 . 2

Franco Munari, II Codice Hamilton 471 di O v i d i o (Note e Discussioni Erudite a cura di A u g u s t o

Campana) 9, Roma 1965, Edizioni di Storia e Letteratura; v g l . G . Perl, Q v i d s Amores im C o d e x Berolinensis Hamilton 471 (Y), Philologus 110 (1966), 268-276; weiterhin H . Boese, D i e lateinischen Handschriften der Sammlung Hamilton zu Berlin, Wiesbaden 1966.

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Eintragungen gemacht, wie Augusto Campana in Rom (Vaticanische Bibliothek) und der unlängst verstorbene B. Li Ullman, früher in Chapel Hill, North Carolina, gesehen haben, vgl. Anhang 1 in Munaris Buch S. 73 ff. Y ist ein primärer Textzeuge und steht R, E und P an Wert mindestens gleich. Er ist von keinem abhängig, ebenso wenig wie sie von ihm, aber er ist mit allen verwandt, und zwar so, daß die Verwandtschaft sich nicht durch ein Stemma illustrieren läßt. Von Anfang an bis ins 15., vielleicht 16. Jahrhundert haben Korrektoren und Verschlechterer an Y gearbeitet. Ihre Bemerkungen werden hier in der Regel als Y c zusammengefaßt, nur in einzelnen Fällen ist genauer geschieden. Da ich Y nicht im Original sehen und die verschiedenen Tinten prüfen konnte, hat Dr. G. Perl vom Institut für griechisch-römische Altertumskunde bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin mit nie ermüdender Bereitwilligkeit und Hingabe jede meiner Fragen beantwortet und meine Zweifel geklärt. Es ist eine Freude für mich, ihm an dieser Stelle zu danken. Besondere Aufmerksamkeit hat er den Stellen zugewendet, an denen meine Kollation mit der Munaris in dem oben erwähnten Buch nicht übereinstimmt. Ich bin derselben Meinung wie Munari, daß die Bedeutung von Y durch die ersten Prüfungen noch längst nicht erschöpfend herausgestellt ist, und hoffe, daß es allmählich gelingen wird, das eine oder andere der vielen Rätsel — auf eines habe ich in der Einführung in die zweisprachige Ausgabe der 'Ars' hingewiesen — die die Handschrift uns aufgibt, zu lösen. Ob es möglich sein wird, auch die vorkarolingische Geschichte des Textes der drei Dichtungen in helleres Licht zu rücken, läßt sich heute noch nicht übersehen. Die alte Vorlage des Regius ist mindestens einmal ausgeschrieben-worden, denn es gibt in der Pariser Nationalbibliothek eine Florilegienhandschrift des io./ii. Jahrhunderts (T = Parisinus lat. 8069)1, die 38 Verse der 'Remedia' enthält und sich zu R so verhält, daß sie ihn nicht voraussetzt, sondern auf die gleiche Vorlage weist. 1

Jüngere Florilegienhandschriften des 1 3 . Jahrhunderts bringen dem Texte wenig Gewinn, obwohl sich selbst in ihnen der durch R und Y repräsentierte Text stellenweise nachweisen läßt. Auch die Zitate in den Werken des Vincenz von Beauvais (Mitte des 15. Jahrhunderts) sind unergiebig. E r hat anscheinend neben einer vollständigen Handschrift ein Florilegium benutzt. Die spärlichen Zitate oder Anspielungen in mittelalterlicher Literatur ergeben, mit der einen S. 9 Anm. 2 erwähnten Ausnahme Hildeberts, für den Text nichts Wesentliches, nur 324 wird in den 'Carmina Burana' mit einer Wortstellung angeführt, die ich bisher in keiner Handschrift gefunden habe. Für das Compendium des padovanischen Humanisten Geremia da Montagnone, der zuerst im 14. Jahrhundert Kenntnis der 'Remedia' zeigt, ist die Frage nach dem benutzten Texte noch ungeklärt, und solange es keine moderne kritische Ausgabe des Compendiums gibt, läßt sich kaum zu einer sicheren Entscheidung kommen. Die handschriftliche Überlieferung des Compendiums ist deswegen nicht ganz einfach, weil der Bestand in den Handschriften schwankt und die Frage, ob es sich um Auslassungen oder authentische oder fremde Zusätze handelt, nur durch eine systematische Prüfung beantwortet werden kann. Aus dem pseudo-ovidischen mittelalterlichen Gedicht 'De remedio amoris' ist für den Text nichts zu gewinnen; vgl. meine vorläufigen Ausführungen in K . Langoschs Mittellateinischem Jahrbuch 2, 1965 (Selbstverlag) S. 1 3 1 - 1 4 4 . Eine kritische Ausgabe mit umfassenden handschriftlichen Untersuchungen wird von Dr. Erich Thiel in Darmstadt vorbereitet. 2*

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Nachdem Tafeis spanische Hypothese heutzutage fast einstimmig für unbeweisbar und unwahrscheinlich erklärt worden ist, muß die Frage von neuem gestellt werden, wo das Exemplar, das dann, wie gesagt, mehrfach kopiert wurde, zu suchen ist, mit anderen Worten, wem wir die Erhaltung der 'Ars', der 'Remedia' und, da der jetzt verstümmelte Regius R ursprünglich auch die 'Amores' enthielt, und Y sie ohne die Verluste des alten Puteaneus (Parisinus latinus 8 242) vollständig enthält, auch dieser Liebeselegien zu verdanken haben. Diese Frage läßt sich nicht mit Sicherheit beantworten, aber mir scheint jetzt, daß gewisse Schreibversehen in R sich am leichtesten erklären lassen, wenn wir eine Vorlage voraussetzen, die in der beneventanischen Schrift des Klosters Monte Cassino, natürlich ohne Worttrennung (.scriptum continua) geschrieben war und in der Bibliothek ein nicht mehr gut erhaltenes Exemplar des Altertums ersetzen sollte. Die einzelnen Stellen kann ich hier nicht besprechen. Daß übrigens auch E in beneventanischer Schrift geschrieben ist und ebenso wie Y P Reste von scriptum continua erkennen läßt, sei nur beiläufig bemerkt. Der Apparat dieser Ausgabe ist nicht vollständig. Er ist so ausgewählt, daß er die Grundlage zeigt, auf der der Text hergestellt ist, und die Beziehungen von R, Y, P und E sowie das Verhalten der jüngeren Handschriften o und c, deutlich macht1. Schreibversehen und offenkundige Fehler sind in der Regel auch bei den genannten Handschriften unberücksichtigt geblieben, ferner etliche Fälle abweichender Wortstellung. Einzelne der unter dem Zeichen o zusammengefaßten Handschriften mußten an bestimmten Stellen aus folgenden Gründen individueller angeführt werden: es gibt nämlich Stellen, an denen der richtige Wortlaut nur ihnen verdankt wird (vgl. z. B. 612), und es gibt andere, an denen er nur in R oder Y oder P oder E und in einer oder zwei jungen Handschriften, unversehrt oder leicht entstellt, nachweisbar ist (vgl. z. B. 476). Eine Handschrift der Pariser Nationalbibliothek (Parisinus lat. 7575), deren Text von nichtsnutzigen Änderungen jeder Art und Sinnlosigkeiten wimmelt, läßt immer wieder den Text durchschimmern, der in R vorliegt, obwohl sich nicht erweisen läßt, daß sie aus. R selbst abgeschrieben ist. In diesen und ähnlichen Fällen habe ich sie individueller berücksichtigt. Um Verwirrung zu vermeiden, habe ich die Sigla beibehalten, die in der umfassenden Ausgäbe des 'Corpus Paravianum' verwendet worden sind. Nur im Falle der Handschrift P, die erstens ein Puteaneus und zweitens ein Parisinus ist, und dort P 0 heißt, habe ich eine Änderung für zweckmäßig gehalten. Die von Kenney für sie in unverständlicher Weise gewählte Bezeichnung K habe ich nicht für zweckmäßig gehalten. Die Handschriften, die durch die gleiche Sigle, z. B. L oder P, gekennzeichnet werden, habe ich nicht mehr durch Indexziffern, sondern durch Indexbuchstaben, z. B. a b usw., unterschieden.

1

Diese Bezeichnung schließt um der Kürze willen auch Handschriften ein, die noch dem Ende des zwölften oder Anfang des 13. Jahrhunderts angehören. Sie sind nur in einigen Fällen individueller behandelt worden.

Einführung

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Um mich nicht beeinflussen zu lassen, habe ich keine andere deutsche Ubersetzung benutzt1, aber es darf nicht ungesagt bleiben und ist eine mit Freude erfüllte Pflicht der Dankbarkeit zu erklären, daß mein verstorbener Freund Hans Steinthal in Frankfurt (Main) die Übersetzung für die erste Auflage durchgesehen und mit feinem Stilgefühl viele gute Vorschläge gemacht hat, die sich als sehr förderlich erwiesen haben. 1

Im Jahre 1959 erschien in Zürich P. Ovidius Naso, Heilmittel gegen die Liebe. Gesichtspflege. Übertragung, Einfuhrung und Anmerkungen von J . Eberle. Die Übersetzung ist in Distichen abgefaßt. Sie gibt dem Laien eine Vorstellung von dem Geist, dem Witz und der Anmut des Originals, bietet aber keinen lateinischen Text und geht auf wissenschaftliche Probleme nicht ein.

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Heilmittel gegen die Liebe

ABKÜRZUNGEN E P R Y

= Etonensis 150 (B. 1. 6.5), 1 1 . Jahrhundert = Parisinus (Nationalbibliothek) lat. 8460, Anfang des 13. Jahrhunderts, der „Puteaneus praestantissimus" ( K bei Kenney); vgl. o. S. 18 Anm. 1 = Parisinus lat. 7 3 1 1 , 9. Jahrhundert, der Regius = Berlin Hamilton 471, spätestens 1 1 . Jahrhundert

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Plantinianus D. 68 (Antwerpen) Diuionensis 497, 13. Jahrhundert Francofurtanus, Ms. Barth. 1 1 0 Holkhamicus 322, jetzt Londiniensis Mus. Brit. Add. 49368 Lipsiensis (Leipzig), Stadtbibliothek Rep. I 20. 7 (X bei Kenney) Leidensis, B.P.L. (Universitätsbibliothek) 179 Leidensis, B.P.L. (Universitätsbibliothek) 138 die verlorene sogenannte alte Handschrift Angelo Polizianos aus dem Florentiner Kloster San Marco. Sie ist zu rekonstruieren aus der erhaltenen Originalkollation Polizianos in seinem Exemplar der Ausgabe von Parma 1477 (jetzt in der Bodleiana in Oxford) und aus verschiedenen Abschriften: F. W. Lenz, Parerga Ovidiana (o. S. 16 Anm. 1) 320—356 München, Bayerische Staatsbibliothek Clm. 14809 Mutinensis (Modena), Bibliotheca Estensis lat. 157, v g l . zu 476 Neapolitanus (Neapel, Nationalbibliothek) I V F 12 (Burbonicus 260) Oxoniensis Bodleianus Canonicianus class. lat. 15, ein Farnesianus Oxoniensis Bodleianus Auct. F. 4. 24; vgl. F . W . L e n z , Eranos 51 (1953) 70 fr. Parisinus lat. 7993, der „alter Regius Heinsii" Parisinus lat. 8245, ein Puteaneus; vgl. F. W. Lenz, Eranos 51 (1953) 81 Parisinus lat. 7997; die Hs., ein Sarravianus, ist trotz ihrer Jugend (Ende des 15., vielleicht erst Anfang des 16. Jahrhunderts) wichtig, weil sie häufig ein wesentlich älteres Original durchschimmern läßt Parisinus lat. 8048, ein Puteaneus Parisinus lat. 7575 Gruppe von Renaissancehandschriften; zu ihnen gehören: H = Harleianus (Mus. Brit.) 2565 O = Oxoniensis Bodleianus Auct. F. 1. 18 U = Urbinas (Vaticanische Bibliothek) lat. 347 die Ausgaben ß und 7U, s. S. 15 f.; andere Handschriften, z. B. der Laurentianus 36, 2 treten gelegentlich hinzu. Ren. bedeutet nicht, daß alle Handschriften der Gruppe die angeführte Lesart haben, sondern nur die Mehrzahl. Individuelle Abweichungen werden in der Regel nicht angeführt.

Einfuhrung Ta V Va Vb X

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Turonensis 879, 13. Jahrhundert Vaticanus lat. 3270 (zugleich die bekannte Handschrift des Tibull) Vaticanus lat. 1599 Vaticanus lat. 3149; vgl. F. W. Lenz, Eranos 53 (1955) 65 eine oder mehrere nicht identifizierte Handschriften, die Heinsius benutzt hat. Ist die Handschrift seitdem verschwunden oder verloren, aber mit Namen bekannt, so ist der Name in runden Klammern hinzugefügt. altes Florilegium von 38 Versen im Parisinus lat. 8069, IO./II. Jahrhundert, einem Colbertinus, früher Thuaneus (p6 bei Kenney) Florilegium des 12. Jahrhunderts, vertreten durch: a = Atrebaticus (Arras) 64 (früher 65) n = Parisinus lat. 17903 aus der Bibliothek von Notre Dame (p3 bei Kenney) p = Parisinus lat. 7647, ein Thuaneus (px bei Kenney) Florilegium im Berolinensis Phillippicus 1827 Mehrzahl der Handschriften aus dem 12.—14. Jahrhundert jüngere Handschriften alle Handschriften oder alle außer den individuell genannten

Der Exponent (1-2.3,4. hutter einer Handschriftensigle bezeichnet die Hand der Korrektur. c = Korrektor. 1' = vel, dient in den Handschriften zur Bezeichnung einer Variante. ß 7t p

= erste Ausgabe, Bologna 1471 = Ausgabe Parma 1477 = Ausgabe Rom 1471/72

Born. Btl. Ci. Ehw. Hei. Hou. Jur. Ken. Madv. Merk. Mu. Pol. Ri. Seal. Vo.

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Bornecque Bentley Ciofano Ehwald Heinsius Housman Juret Kenney Madvig Merkel Muret Poliziano Riese Scaliger Vollmer

ausp. ausrad. a. Ras. Hs., Hss. Rd. u.Z. verb.

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= auspunktiert = ausradiert = auf Rasur = Handschriften) = am Rand = über der Zeile = verbessert — Rasur, rf = Rasur von zwei Buchstaben = hinzugefügt - ausgelassen = umgestellt = Verderbnis = Ergänzung (bzw. Fehlen eines Buchstaben oder einer Silbe)

P.OVIDI NASONIS REMEDIA AMORIS

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Legerat huius Amor titulum nomenque libelli : „Bella mihi, video, bella parantur" ait. „Parce tuum vatem sceleris damnare, Cupido, Tradita qui totiens te duce signa tuli. Non ego Tydides, a quo tua saucia mater In liquidum rediit aethera Martis equis. Saepe tepent alii iuvenes, ego semper amavi, Et si, quid faciam nunc quoque, quaeris, amo. Quin etiam docui, qua posses arte parari, Et, quod nunc ratio est, impetus ante fuit. Nec te, blande puer, nec nostras prodimus artes, Nec nova praeteritum Musa retexit opus. Si quis amat quod amare iuvat, feliciter ardens Gaudeat et vento naviget ille suo; At si quis male fert indignae regna puellae, Ne pereat, nostrae sentiat artis opem. Cur aliquis laqueo collum nodatus amator A trabe sublimi triste pependit onus? Cur aliquis rigido fodit sua pectora ferro? Invidiam caedis, pacis amator, habes. Qui, nisi desierit, misero periturus amore est, Desinat, et nulli funeris auctor eris. Et puer es, nec te quicquam nisi ludere oportet: Lude, decent annos mollia regna tuos., Nam poteras uti nudis ad bella sagittis, Sed tua mortifero sanguine tela carent. Vitricus et gladiis et acuta dimicet hasta Et victor multa caede cruentus eat:

9/10 > R Y ( + Y 1 Rd.) 9 possis Y 4c § 10 qu(a)e Y 1 . |l'ardens P 2 ardet to 17 nudatus R E 5 nudatos Y {verb. Y c ) | amator] ab arto Hei. 19 fodit O a V V a fodiat P ? (+P 2 ) 23 En, Nam, At, Sed, Tu o 5 24 animos o 25 Non oder Nec o I nudis] longis E 5 nudis 1' longis oder longis 1' nudis 5 26 calent Palmer madent Ehm.

PUBLIUS OVIDIUS N A S O HEILMITTEL GEGEN DIE LIEBE Amor hatte den Titel und Namen dieses kleinen Buches gelesen: „Krieg ist", sagte er, „gegen mich im Werk, ich sehe es, Krieg." '„Lasse Milde walten, Cupido, und sprich nicht deinen Künder einer Sünde schuldig, unter deiner Führung habe ich ja so viele Male die mir anvertraute Fahne getragen.6 Ich bin nicht desTydeus Sohn, von dem verwundet deine Mutter mit des Mars Gespann in die reinen Bezirke des klaren Himmels zurückkehrte. 7 Oft sind andere in ihren jungen Jahren lau, ich habe stets geliebt, und fragst du mich, was ich auch jetzt noch tue: ich liebe. 'Ich habe doch sogar die Kunst gelehrt, durch die du zu gewinnen bist, so ist jetzt planvolles Werk, was zuvor nur blinde Regung war. u Weder dich, du zärtlich schmeichelnder Knabe, verrate ich noch meine eigenen Künste, keine neue Muse trennt das Gewebe meines früheren Werkes wieder auf. 13Wenn jemand liebt, was zu lieben ihn beseligt, so möge er seiner glücklichen Leidenschaft froh sein und in seinem Schifflein mit günstigem Winde einherfahren. "Wenn jemand aber unter der Zwangsherrschaft eines Mädchens leidet, das seiner nicht wert ist, s'o möge er, damit es nicht um ihn geschehen sei, die wohltuende Hilfe an sich erfahren, die meine Kunst ihm bringt. "Warum mußte ein Liebender, den Hals in der Schlinge eines Strickes, an einem hohen Balken hängen, eine traurige Last? "Warum mußte einer seine Brust mit hartem Stahle zerwühlen? Die Erbitterung über die Gewalttat trifft dich, Freund des Friedens. a Wer in Gefahr ist, an unglücklicher Liebe zugrundezugehen, wenn er ihr nicht ein Ende macht, der mache ein Ende: so wirst du nicht schuld sein, daß jemand zu Grabe getragen wird. i3 Du bist ein Knabe, und nichts als Spielen ist dir angemessen: Spiele, eine milde Herrschaft ziemt sich für deine Jahre. MDer entblößten Pfeile könntest du dich ja für ernste Kriege bedienen, aber deine Geschosse bleiben von todbringendem Blute unberührt. 27Lasse deinen Stiefvater mit Schwertern und spitzer Lanze kämpfen und triefend vom Blute der Erschlagenen siegreich ein-

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Tu cole maternas, tuto quibus utimur, artes Et quarum vitio nulla fit orba parens. Effice nocturna frangatur ianua rixa Et tegat ornatas multa corona fores. Fac coeant furtim iuvenes timidaeque puellae Verbaque dent cauto qualibet arte viro, Et modo blandidas rigido, modo iurgia, posti Dicat et exclusus flebile cantet amans. His lacrimis contèntus eris sine crimine mortis : Non tua fax ávidos digna subire rogos." Haec ego; movit Amor gemmatas aureus alas Et mihi „Propositum perfice" dixit „opus". Ad mea, decepti iuvenes, praecepta venite, Quos suus ex omni parte fefellit amor. Discite sanari per quem didicistis amare: Una manus vobis vulnus opemque feret. Terra salutares herbas eademque nocentes Nutrit, et urticae próxima saepe rosa est. Vulnus in Hercúleo quae quondam fecerat hoste, Vulneris auxilium Pelias hasta tulit. Sed, quaecumque viris, vobis quoque dicta, puellae, Credite: diversis partibus arma damus. E quibus ad vestros si quid non pertinet usus, Attamen exemplo multa docere potest. Utile propositum est saevas extinguere flammas Nec servum vitii pectus habere sui. Vixisset Phyllis, si me foret usa magistro, Et per quod novies, saepius isset iter. Nec moriens Dido summa vidisset ab arce Dardanias vento vela dedisse rates, Nec dolor armasset contra sua viscera matrem, Quae sodi damno sanguinis ulta virum est. Arte mea Tereus, quamvis Philomela piacerei, Per facinus fieri non meruisset avis. Da mihi Pasiphaen: iam tauri ponet amorem; Da Phaedram : Phaedrae turpis abibit amor.

29 tute o 30 Ex o 34 cauto] capto o (manche schwanken z>". beiden) \ quamlibet (mit cauto verbunden) Hei. Luck (Gnomon }S, 196), 261) 37 sinefunereE (1* crimine E 1 oder E 2 tí. Z.)$ 38 Nec E o 45 salutíferas P o 47 > E | in (h)erculeo R (achillee// R 2 ii. Z.) Y P achilleo Y c o | quae] quod 5 | hostem Y hosti Y c § 54 uitiis o | sui Y me es scheint P a b x tui RY C T tuum Y « Po F suum E o 61 philomena P o

Vers 29—64 hergehen. 29Du übe deiner Mutter Künste aus, deren wir uns ungefährdet bedienen; durch ihre Schuld verliert keine Mutter ihr Kind. 31Laß im nächtlichen Streit die Tür aufgebrochen werden und vieler Kränze Schmuck ihre Flügel bedecken; 33laß die jungen Männer und die furchtsamen Mädchen sich verstohlen zur Vereinigung zusammenfinden und den mißtrauischen Mann auf jede Weise listig täuschen; ^laß den ausgesperrten Liebhaber den unnachgiebigen Türpfosten bald mit schmeichelnden, bald mit schmähenden Worten bedenken und traurige Weisen singen. 37 An diesen Tränen wirst du Genüge finden, und kein Todesfall wird dir zur Last gelegt werden; deine Fackel ist zu gut dafür, unter den gierigen Scheiterhaufen gelegt zu werden." 39So sprach ich, und es bewegte der goldene Liebesgott seine mit kostbaren Steinen besetzten Schwingen und erwiderte: „Vollende das Werk, das du dir vorgenommen hast." 41

Kommet her zu mir und empfanget meine Weisungen, ihr getäuschten jungen Männer, die ihre eigene Liebe auf jede Weise betrogen hat. 43 Gesundung sollt ihr lernen durch den, dessen Schüler in der Liebe ihr wart. Dieselbe Hand, der ihr eure Wunde verdankt, wird euch Hilfe bringen. 46Die Erde nährt heilsame Kräuter und dieselbe Erde auch schädliche, und der Nessel ganz nahe ist oft die Rose. 47Der auf dem Pelion gewachsene Speer, der Herkules' feindlichem Sohne die Wunde geschlagen hatte, brachte der Wunde Heilung. 49Aber was ich den Männern sage, soll auch für euch gelton, ihr Mädchen, seid dessen sicher, beiden Parteien lege ich Waffen in die Hände. "Wenn etwas davon eurem Gebrauche nicht frommt, so vermag es doch durch sein Beispiel viel zu lehren. S3Ein nutzbringender Vorsatz ist es, das versehrende Feuer zu löschen und nicht das Herz der eigenen Schwäche dienstbar sein zu lassen. 55Am Leben wäre Phyllis geblieben, wenn sie mich zum Lehrer gehabt hätte, und den sie neunmal gewandelt, sie wäre den Weg noch häufiger gegangen. S7Nicht hätte Dido sterbend von der Höhe ihrer Burg gesehen, wie die dardanischen Schiffe die Segel dem Winde boten, 69noch hätte der Schmerz die Waffe gegen die Frucht ihres Leibes der Mutter in die Hand gegeben, als sie, dem verwandten Blute Leid antuend, als Rächerin den Gatten traf. 61 Durch meine Kunst hätte Tereus, wie sehr Philomela ihm auch gefallen mochte, es nicht verschuldet, wegen seiner Untat zum Vogel zu werden. 63Gib mir Pasiphae: sie wird, nicht lange wird es dauern, sich von der Leidenschaft für den Stier befreien; gib mir Phaidra: Phaidras schmähliche Leidenschaft wird schwinden.

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Redde Parin nobis : Helenen Menelaus habebit, Nec manibus Danais Pergama vieta cadent. Inpia si nostros legisset Scylla libellos, Haesisset capiti purpura, Nise, tuo. Me duce damnosas, homines, conpescite curas, Rectaque cum sociis me duce navis eat. Naso legendus erat tum, cum didicistis amare : Idem nunc vobis Naso legendus erit. Publicus adsertor dominis subpressa levabo Pectora: vindictae quisque favete suae. Te precor incipiens, adsit tua laurea nobis, Carminis et medicae, Phoebe, repertor opis. Tu pariter vati, pariter succurre medenti, Utraque tutelae subdita cura tuae est. Dum licet et modici tangunt praecordia motus, Si piget, in primo limine siste pedem. Obprime, dum nova sunt, subiti mala semina morbi, Et tuus incipiens ire resistet equus. Nam mora dat vires, teneras mora percoquit uvas Et validas segetes, quod fuit herba, facit. Quae praebet latas arbor spatiantibus umbras, Quo posita est primum tempore, virga fuit. Tum poterai manibus summa tellure revelli, Nunc stat in inmensum viribus acta suis. Quale sit id quod amas, celeri circumspice mente Et tua laesuro subtrahe colla iugo. Principiis obsta: sero medicina paratur, Cum mala per longas convaluere moras. Sed propera nec te venturas differ in horas : Qui non est hodie, eras minus aptus erit. Verba dat omnis amor reperitque alimenta morando : Optima vindictae proxima quaeque dies.

65 parin R 2 Y Y c E ç pari P ç parim Y o ç par// R | helenam o ç 66 danaum P o ç (-is P 2 ) I cadent] forent o 71 tunc P o 73 dominis R Y domini E P dampnis P a Vb uit(c)iisY c Rd. o 74 faueto E o 75 incipiens] o vates o 78 tuae est Y c P o ç tuae T a tua est R Y E 1 tua E 80 limite ç 82 resistet R Y E P ' o -at Y c P o F 84 quod] qu(a)e R Y E ç 85 potantibus E 86 primo P 2 M a o (z- T. ~ vor posita est) 87 Tunc P D o 88 acta] aucta Y c o ç (manche schwanken 0 Z>v- beiden) ipsa E 92 male R Y ç (verb. Y ) 93 profer P (differ P 1 ) Hei. 95 amor] amans Y c Rd. (T) P 2 (!') o > E morandi Y c

Vers 65—96 85

Vertraue Paris mir an: seine Helena wird Menelaos behalten, und Pergamon wird nicht, durch der Danaer Hände überwältigt, fallen. 67Wenn Skylla, die den Vater nicht ehrte, meine kleinen Bücher gelesen hätte, würde die Purpurlocke auf deinem Haupte geblieben sein, Nisos. 69Unter meiner Leitung bezähmt, ihr Menschen, die verderblichen Leidenschaften, und gerade nehme das Schiff mit seinen eng verbundenen Insassen unter meiner Leitung seinen Kurs. 71Naso mußtet ihr lesen, als ihr das Lieben erlerntet; denselben Naso müßt ihr auch jetzt lesen. 73Euch allen das Ende der Knechtschaft zu bringen, ist mein Amt: ich werde den von harten Herren unterdrückten Herzen Erleichterung geben, ihr alle sollt die Wohltat der befreienden Berührung andächtig aufnehmen. 76

An dich richte ich beginnend mein Gebet, nahe sei mir helfend dein Lorbeer, des Gesanges und der Heilkunst Erfinder, Phoibos. 77 Du leiste Beistand gleichermaßen dem Dichter und dem Heilbringer, beider sorgendes Wirken ist unter deinen Schutz gestellt. "Solange es möglich ist und nur leichte Erregung dein Herz berührt, hemme, wenn du Widerstreben fühlst, den Fuß sogleich auf der Schwelle. "Vernichte mit starkem Druck die verhängnisvollen Keime der Krankheit, die dich unerwartet angefallen hat, und dein Roß, das sich zu vollem Laufe anschickt, wird, du wirst es sehen, zum Stehen kommen. 83Denn Warten gibt Stärke, Warten bringt die jungen Trauben zur Reife und wandelt, was nur sprossender Keim war, zu kraftvoller Saat. MDer Baum, der den sich Ergehenden weit ausladenden Schatten spendet, war zu der Zeit, da er gesetzt wurde, ein schwaches Reis. 87Damals war es leicht, ihn mit den Händen aus der Oberfläche des Erdbodens zu reißen, jetzt steht er fest, durch eigene Kraft in unermeßliche Höhe hinaufgetrieben. 89 Mit schnellem Auffassen betrachte von allen Seiten, welcher Art der Gegenstand deiner Liebe ist, und entziehe deinen Hals dem Joche, das dich zu verletzen droht. 91Steh stark gegen den Anfang, zu spät wird ein Heilmittel bereitet, wenn das Übel durch lange Verzögerung Stärke gewonnen hat. 93Nein, handle schnell und vertröste dich nicht auf kommende Stunden; wer heute nicht bereit ist, wird es morgen noch weniger sein. 95Jede Liebe hält zum Narren und findet neue Nahrung durch Verschleppung, der gegenwärtige Tag ist jedesmal der beste, sich frei zu machen.

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Flumina pauca vides de magnis fontibus orta, Plurima collectis multiplicantur aquis. Si cito sensisses, quantum peccare parares, Non tegeres vultus cortice, Myrrha, tuos.' Vidi ego, quod fuerat primo sanabile, vulnus Dilatum longae damna tulisse morae. Sed, quia delectat Veneris decerpere fructum, Dicimus adsidue „Cras quoque fiet idem". Interea tacitae serpunt in viscera flammae, Et mala radices altius arbor agit. Si tarnen auxilii perierunt tempora primi Et vetus in capto pectore sedit amor,Maius opus superest; sed non, quia serior aegro Advocor, ille mihi destituendus erit. Quam laesus fuerat, partem Poeantius heros Certa debuerat praesecuisse manu. Post tarnen hie multos sanatus creditur annos Supremam bellis imposuisse manum. Qui modo nascentis properabam pellere morbos, Admoveo tardam nunc tibi lentus opem. Aut nova, si possis, sedare incendia temptes Aut ubi per vires proeubuere suas. Cum furor in cursu est, currenti cede furori: Difficiles aditus impetus omnis habet. Stultus, ab oblico qui, cum descendere possit, Pugnat in adver sas ire natator aquas. Impatiens animus nec adhuc tractabilis arte Respuit atque odio verba monentis habet. Adgrediar melius tum, cum sua vulnera tangi Iam sinet et veris vocibus aptus erit. Quis matrem, nisi mentis inops, in funere nati Fiere vetet? non hoc illa monenda loco est.

97 pauca R Y E P parua P 2 (1*) magna o F\ magnis de ~ E de paruis oder paruis de o 5 paruis enp 99 parasses oder parabas o 101 ego > 5 | primum$ 102 lente E 103 fructum R Y P OJS p florem P 2 «. Z. O a fructusE o flores o ß 105 placide X 111 Quam R Y Y « 5 Quale sus P (Quam lesus P 2 ) Qua Cd (Y c P 2 ». Z. 1') | parte Y c (-em Y«) P 2 $ 112 Certa debuerat P (Ieri P 2 il. Z. 1') Caetera debuerat R Y Debuerat celeri w(Y c ) 115 nascentis R Y 5 -ès w(Y c ) 116 tibi] quoque o 118 Aut] haud R 2 («. Z. Glosse-, non) 119 Cum R Y o Dum E P o {gleich gut) 121 discedere o 123 animi P c | arti Bil. 125 tum R Y E 5 tunc P o 126 ueris] ueneris R Y (ueris Y c il. Z.) P c uatis Y c Ob 128 uetat o

Vers 97—128 "Wenige Flüsse siehst du sich aus großen Quellen bilden, die meisten werden ein Vielfaches ihrer selbst, indem sie die Wasser in sich sammeln. "Hättest du schnell erfaßt, Myrrha, wie große Schuld du auf dich laden wolltest, so würdest du nicht dein Gesicht mit der Rinde des Baumes decken. 101Ich habe gesehen, wie eine zuerst heilbare Wunde, da die Behandlung hingezogen wurde, durch die Verzögerung Schaden nahm. 103Aber weil es Freude macht, der Venus Frucht zu pflücken, sagen wir beständig: „Morgen wird es genausogut geschehen." 106Unterdessen fressen die verdeckten Flammen sich leise tiefer in dein Inneres, und der Baum des Unheils senkt seine Wurzeln in tiefere Schichten. 107

Ist aber die Zeit für die erste Hilfe versäumt und hat langdauernde Liebe sich in dem bezwungenen Herzen festgesetzt, 109 so bleibt ein schwereres Werk zu tun, doch darf ich, weil ich nicht rechtzeitig an die Seite des Kranken gerufen werde, ihn deswegen nicht seinem Schicksal überlassen. m D e s Poias heldenhafter Sohn hätte den Teil, an dem er verletzt worden war, mit fester Hand wegschneiden sollen. 113Geheilt erst nach vielen Jahren, so wird glaubwürdig berichtet, führte er mit seiner Hand den letzten Schlag, der dem KÜriege ein Ende machte. 116Der ich mich soeben noch beeilen wollte, die Krankheit im Entstehen schnell zu ver-: jagen, bringe dir mit vorsichtiger Langsamkeit jetzt späte Hilfe. "'Entweder, solltest du dessen fähig sein, mußt du versuchen, den Brand sogleich im Beginn einzudämmen, oder wenn er, seine eigene Kraft verbrauchend, in sich zusammengesunken ist. 119 Wenn die Raserei tobt, weiche ihrem tobenden Laufe, es ist immer mißlich, wildem Ungestüm nahe zu kommen. m Töricht ist der Schwimmer, der die Möglichkeit hat, von sanft abfallendem Grunde hinabzusteigen, und sich doch in den Kampf mit dem ihm machtvoll entgegenflutenden Wasser wirft. 123Das ungeduldige Gemüt, kunstvoller Behandlung noch unzugänglich, weist die Worte des Mahners zurück und verabscheut sie. 125Mit besserem Erfolge werde ich an ihn herantreten, wenn er endlich zuläßt, daß seine Wunden berührt werden, und wenn er aufrichtigen Worten zugänglich ist. 127Wer, wenn er nicht von Sinnen ist, darf einer Mutter die Tränen verbieten, wenn ihr Sohn ins Grab gelegt wird? Dies ist nicht der Ort für mahnenden Zuspruch. 129Wenn sie ihren

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Heilmittel gegen die Liebe

Cum dederit lacrimas animumque impleverit aegrum, Ille dolor verbis emoderandus erit. Temporis ars medicina fere est: data tempore prosunt Et data non apto tempore vina nocent. Quin etiam accendas vitia inritesque vetando, Temporibus si non adgrediare suis. Ergo ubi visus eris nostrae medicabilis arti, Fac monitis fugias otia prima meis. Haec, ut ames, faciunt; haec, ut fecere, tuentur; Haec sunt iucundi causa cibusque mali. Otia si tollas, periere Cupidinis arcus • Contemptaeque iacent et sine luce faces. Quam platanus vino gaudet, quam populus unda Et quam limosa canna palustris humo, Tam Venus otia amat: qui finem quaeris amoris — Cedit amor rebus — res age: tutus eris. Languor et inmodici sub nullo vindice somni Aleaque et multo tempora quassa mero Eripiunt omnes animo sine vulneire nervös: Adfluit incautis insidiosus Amor. Desidiam puer ille sequi solet, odit agentes: Da vacuae menti, quo teneatur, opus. Sunt fora, sunt leges, sunt, quos tuearis, amici; Vade per urbanae splendida castra togae. Vel tu sanguinei iuvenalia munera Martis Suscipe: deliciae iam tibi terga dabunt. Ecce, fugax Parthus, magni nova causa triumphi, Iam videt in campis Caesaris arma suis. Vince Cupidineas pariter Parthasque sagittas Et refer ad patrios bina tropaea deos. Ut semel Aetola Venus est a cuspide laesa, Mandat amatori bella gerenda suo. 129 expleuerit X 131 Temporis ars medicina (-ne R) fere est R Y (vorgewogen von Y4) Hei. (ars und fere P 2 il. Z.) temporibus medicina ualetto (Y4 mit aliter, P) | tempora E 133 accendas oder accendes (Yc) oder accendis und irritesque oder irritasque o in jeder Kombination 135 nostr(a)e... arti R Y P ? n o s t r a . . . arte Y e E o 137 ut 2 R Y P V b quod E P 2 ü. Z. (?) o qu(a)eY c (?)? 141 uino R Y T limo E riuo Y c U.Z. P o 143 amori L T a Ren. amandi 5 147 neruos] uires o F uire E 148 desidiosus o 151 sunt2] et Ren. 152 candida die Hs. desJttr. (Hei.)

Vers 129—160 Tränen freien Lauf gelassen und ihrem wunden Herzen Genüge getan hat, wird ihr berechtigter Schmerz sich durch Worte mäßigen lassen. 131Geschickte Wahl des richtigen Zeitpunktes ist fast ein Heilmittel: Wein, zur richtigen Zeit verabreicht, hilft; wird er zu unangebrachter Zeit verabreicht, so schadet er. 133Du könntest sogar das Unheil stärker anfachen und durch Bekämpfen reizen, wenn du nicht zu gegebener Zeit dagegen vorgehst. 1S5So

höre denn: Wenn ich finde, daß du meiner heilenden Kunst zugänglich bist, so ist mein dringender Rat, daß du zuerst das Nichtstun meidest. 137Es hat die Wirkung, daß du dich auf Liebeleien einläßt, und hat es einmal diese Wirkung gehabt, so behält es sie bei; es ist Anlaß und Nährboden des süßen Unheils. 139Kannst du das Nichtstun meistern, so ist es um Cupidos Bogen geschehen, verachtet liegt die Fackel auf dem Boden und ausgelöscht. 141Wie die Platane an den Reben ihre Freude hat, wie die Pappel am Wasser und wie das Schilfrohr am sumpfigen Boden, 143so liebt Venus das Nichtstun. Wisse, der du auf das Ende deiner Liebe bedacht bist: Liebe weicht der Tätigkeit. Sei tätig, und du wirst sicher sein. '"Erschlaffung und Übermaß an Schlaf, wenn niemand dich ruft, weil er dich braucht, Würfelspiel und Erschütterung deiner Schläfen durch zuviel Wein "'berauben den Geist, ohne zu verwunden, seiner ganzen Kraft: Hinterlistig strömt Amor in das arglose, unbewehrte Herz. 149Dem müßig Herumsitzenden pflegt dieser Knabe nachzustellen, die Tätigen verabscheut er: Fülle deinen leeren Geist mit einem Werk, das ihn festhält. 181Da

gibt es die Gerichte, da die Gesetze, da Freunde, für die du schützend eintreten kannst, suche das Lager des öffentlichen Lebens, das vom Schimmer des römischen Friedenskleides erglänzt, li8oder nimm die Pflichten des blutdurstigen Mars auf dich, die sich für die Jugend ziemen, dann wird die Lust der Sinne dir schnell den Rücken kehren. 156Jetzt ist die Zeit dafür: der im Fliehen geübte Parther, der neue Anlaß großen Triumphes, sieht Cäsars Waffen schon auf eigenen Ebenen. "'Gewinne den Sieg über Cupidos Pfeile wie über die des Parthers, und bring aus dem Felde den heimischen Göttern zwei Siegeszeichen zurück. "•Seitdem Venus durch den aitolischen Speer einmal verletzt worden ist, beauftragt sie ihren Liebhaber mit der Führung von Kriegen. 161Ihr fragt,

Lena: Ovid, Heilmittel

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Heilmittel gegen die Liebe

Quaeritis, Aegisthus quare sit factus adulter ? In promptu causa est: desidiosus erat. Pugnabant alii tardis apud Ilion armis, Transtulerat vires Graecia tota suas. Sive operam bellis vellet dare, nulla gerebat, Sive foro, vacuum litibus Argos erat. Quod potuit, ne nil illic ageretur, amavit. Sic venit ille puer, sie puer ille manet. Rura quoque oblectant animos studiumque colendi : Quaelibet huic curae cedere cura potest. Colla iube domitos oneri subponere tauros, Sauciet ut duram vomer aduncus humum. Ob rue versata Cerealia semina terra, Quae tibi cum multo fenore reddat ager. Adspice curvatos pomorum pondere ramos, Ut sua, quod peperit, vix ferat arbor onus. Adspice labentes iucundo murmure rivos, Adspice tondentes fertile gramen oves. Ecce, petunt rupes praeruptaque saxa capellae : lam referent haedis ubera piena suis. Pastor inacquali modulatur harundine carmen, Nec desunt comites, sedula turba, canes. Parte sonant alia silvae mugitibus altae, Et queritur vitulum mater abesse suum. Quid, cum compositos fugiunt examina fumos, Ut relevent dempti vimina curva favi ? Poma dat autumnus; fcrmo R Y ( + Y ' Rd.) 5 {hinter 192 E P, andere hinter 198) 190 Deligit P F ColligitY4 E o 191 colligit 5 192 uertit § uersat E o

Vers 161—192 warum Aigisthos zum Buhler geworden ist? Mit Händen zu greifen ist der Grund: er saß müßig herum. 18SAndere standen in unabsehbarem Kampfe vor Ilion, ganz Griechenland hatte seine Streitkräfte dorthin überführt. 166Wollte er sich dem Kriegshandwerk widmen, Argos führte keinen Krieg; wollte er vor den Schranken des Gerichtes auftreten, es gab dort keinen Rechtsstreit. 167Was er konnte, um dort nicht ganz müßig zu sein, das tat er: er verliebte sich: So kommt der gefährliche Knabe, so bleibt er. 169Auch

das Land bringt dem Herzen Freude und die Hingabe an seine Bebauung: Vor dieser Fürsorge kann keine Qual des Herzens bestehen. 171Heiß die gezähmten Stiere ihren Hals unter des Joches Last beugen, damit die gekrümmte Pflugschar den harten Boden versehre. "'Bedecke mit umgepflügter Erde der Ceres Samenkörner, die der Acker dir mit großem Nutzen wiedergeben soll. 17BBetrachte die sich unter dem Gewicht der Früchte biegenden Äste, so daß der Baum die Last der Äpfel, die er hervorgebracht, kaum tragen kann. "'Betrachte die mit lieblichem Murmeln dahingleitenden Bäche, betrachte die Schafe, die die fruchtbaren Kräuter abgrasen. 179Sieh, wie die Ziegen Klippen suchen und steil abstürzende Felsen, bald werden sie ihren Böcklein volle Euter zurückbringen. 181Der Hirt spielt auf ungleichem Rohre seine Weisen, und nicht fehlt es an Begleitern: da sind die Hunde, eine pflichteifrige Schar. 183Dort hinten rauscht mit tiefem Ton der Hochwald, und die Mutter klagt, daß ihr Kalb fern bleibt. 186Oder sieh, wie die Schwärme der Bienen vor den dichten Rauchwolken fliehen, so daß die herausgenommenen Waben das runde Geflecht der Körbe von seiner Bürde befreien. 187Früchte schenkt der Herbst; lieblich anzuschauen mit seinen Ernten ist der Sommer; der Frühling spendet Blumen; durch wärmendes Feuer wird der Winter leichter zu ertragen. 189Zu bestimmter Zeit des Jahres liest der Landmann die reifen Trauben, und unter dem Tritt des nackten Fußes strömt der Saft. 191Zu bestimmter Zeit des Jahres schneidet er die Kräuter ab und bindet sie zusammen und fegt den kahl geschorenen Boden mit weitzahniger Harke. 19sMit eigener Hand kannst du

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Ipse potes riguis plantam deponere in hortis, Ipse potes rivos ducere lenis aquae. Venerit insitio: fac ramum ramus adoptet Stetque peregrinis arbor operta comis. Cum semel haec animum coepit mulcere voluptas, Debilibus pinnis inritus exit Amor. Vel tu venandi Studium cole: saepe recessit Turpiter a Phoebi vieta sorore Venus. Nunc leporem pronum catulo sectare sagaci, Nunc tua frondosis retia tende iugis ; Aut pavidos terre varia formidine cervos, Aut cadat adversa cuspide fossus aper. Nocte fatigatum somnus, non cura puellae, Excipit et pingui membra quiete levat. Lenius est Studium, Studium tarnen, alite capta Aut lino aut calamis praemia parva sequi, Vel, quae piscis edax avido male devoret ore, Abdere supremis aera recurva eibis. Aut his aut aliis, donec dediscis amare, Ipse tibi furtim deeipiendus eris. Tu tantum, quamvis firmis retinebere vinclis, I proeul et longas carpere perge vias. Flebis, et occurret desertae nomen amicae, Stabit et in media pes tibi saepe via. Sed quanto minus ire voles, magis ire memento : Perfer et invitos currere coge pedes. Nec pluvias opta, nec te peregrina morentur Sabbata nec damnis Allia nota suis; Nec quot transieris, sed quot tibi, quaere, supersint Milia, nec, maneas ut prope, finge moras. Tempora nec numera nec crebro respice Romam, Sed fuge : tutus adhuc Parthus ab hoste fuga est.

193 plantas P a 194 lenis] laetusX (Lincolniensis) 201 pronum] paruumX | sagaci] sequaci ? fugaci F 202 tua] in Ren. 204 auersa Y c 206 pingui R Y P 2 $ (manche mit 1') dulei E P o F leni q 207 Studium2 > R Y studeas Y c il. Z. Studium (studeas ausp.) Y4 il. Z. prodest Y" Rd. o 209 deuotat 5 n 210 supremis (in verschiedenen Schreibweisen) R Y E P o sub primisX sub paruis Btl. 211 desistis s | amore 5 213 tantum] tarnen et P o tandem o tarnen i Hei. (vgl. huck, Gnomon } 8, 1963, 260) 220 Allia Pol. alia e, Ren.-Ausgaben aleau» 222 ut] aut Y c nec P 2 o (Y c ti. Z. ausrad.?)

Vers 193—224

eine Pflanze im wohl bewässerten Garten setzen, mit eigener Hand kannst du das Bett sanft fließender Wasser ziehen. " 5 Die Zeit des Pfropfens ist da: laß Ast mit Ast eins werden und den Baum prangen mit Laub, das nicht seines war. "'Hat die Freude an diesen Werken erst einmal begonnen, auf dich lindernd einzuwirken, so entschwindet Amor mit kraftlosen Flügeln erfolglos. "'Oder widme dich mit Eifer der Jagd: schon oft hat Venus vor des Phoibos siegreicher Schwester schmachvoll das Feld geräumt. ^Spüre heute mit scharf witterndem Hunde dem vorwärtsstürzenden Hasen nach, oder spanne ein anderes Mal deine Netze aus auf belaubten Bergjochen; 203setz mit allen möglichen Ängsten die furchtsamen Hirsche in Schrecken, oder fälle den Eber mit geradem Stoße deines Speeres. 206Dann nimmt dich Ermüdeten nachts der Schlaf in seine Arme, nicht quält dich die Leidenschaft für ein Mädchen, und erquickt deine Glieder durch heilsame Ruhe. 207Es ist eine harmlosere Beschäftigung, aber doch eine Beschäftigung, gegeringerer Beute nachzugehen und einen Vogel mit dem Netze oder den Leimruten zu fangen 209oder unter einem Köder den gekrümmten Bronzehaken zu verstecken, den der nach Nahrung lüsterne Fisch mit gierigem Maule zu seinem Verderben verschlukken soll. m Durch diese oder ähnliche Mittel mußt du, bis du das Lieben verlernst, dich selbst täuschen, ohne daß du es merkst. 213Geh

nur, magst du auch durch noch so feste Bande zurückgehalten werden, in die Ferne und schreite weit aus, um lange Wegstrecken hinter dich zu bringen. a i D u wirst Tränen vergießen, und der Name der verlassenen Freundin wird dir in den Sinn kommen, und mitten auf dem Wege wird dein Fuß oft nicht weitergehen. a7 Doch je weniger du wirst gehen wollen, desto mehr sei darauf bedacht zu gehen und zwinge die Füße gegen ihren Willen zu laufen. 219Wünsche dir nicht Regengüsse, und laß dich nicht durch den Sabbat der Fremdlinge aufhalten noch durch den Alliatag, der durch seine Katastrophe berüchtigt ist. m Frage nicht, wie viele Meilen du durchschritten hast, sondern wie viele dir noch fehlen, und erfinde keine Vorwände zum Verweilen, damit du in der Nähe bleibest. ^'Zähle die Stunden der Tage nicht und blicke nicht wieder und wieder nach Rom zurück, sondern flieh; noch immer ist der Parther sicher vor dem Feinde durch Flucht.

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Dura aliquis praecepta vocet mea; dura fatemur Esse, sed ut valeas, multa dolenda feres. Saepe bibi sucos, quamvis invitus, amaros Aeger, et oranti mensa negata mihi. Ut corpus redimas, ferrum patieris et ignes, Arida nec sitiens ora levabis aqua: Ut valeas animo, quicquam tolerare negabis? At pretium pars haec corpore maius habet. Sed tamen est artis tristissima ianua nostrae, Et labor est unus tempora prima pati. Adspicis ut prensos urant iuga prima iuvencos Et nova velocem cingula laedat equom? Forsitan a Laribus patriis exire pigebit, Sed tamen exibis, deinde redire voles. Nec te Lar patrius, sed amor revocabit amicae, Praetendens culpae splendida verba tuae. Cum semel exieris, centum solacia curae Et rus et comités et via longa dabit. Nec satis esse putes discedere: lentus abesto, Dum perdat vires sitque sine igne cinis. Quod nisi firmata properaris mente revertí, Inferet arma tibi saeva rebellis Amor. Quicquid et afueris, avidus sitiensque redibis, Et spatium damno cesserit omne tuo. Viderit, Haemoniae si quis mala pabula terrae Et magicas artes posse iuvare putat. Ista veneficii vetus est via; noster Apollo Innocuam sacro carmine monstrat opem. Me duce non tumúlo prodire iubebitur umbra, Non anus infami carmine rumpet humum; Non seges ex aliis alios transibit in agros, Nec subito Phoebi pallidus orbis erit. Ut solet, aequoreas ibit Tiberinus in undas, Ut solet, in niveis Luna vehetur equis.

225 uocet o 228mihi + e s t Y c P ' o f 229ignem Y 230 leuabis § Ren. a lauabis R Y E P np 235 prensos R Y E P ; pressos o F | urant] l(a)edant oder -unt o 236 l(a)edit Y (tierb.Y2) 240 Praetendes R Y -is M, 242 dabunt P (verb. P2) o 243 letus E 245 Sed, Quid, Si, Nec 247 Quic(d)quid et a(b)fueris (abfueritP) RY {líber e.V. si?, aturad.", ad-Yc A/.) P o Quid quod abfuens E Quic(d)quid eras (erat) fueris Y 1 RJ. o 249 Viderit] Fallitili o 253 uidebitur 255 exibit P

Vers 225—2j8

^Hart mag mancher meine Weisungen nennen; hart sind sie, ich gebe es zu, aber um der Gesundung willen, wirst du vieles, was schmerzen muß, willig ertragen. m O f t habe ich mit dem größten Widerwillen bittere Säfte getrunken, wenn ich krank war, und trotz meiner Bitten verweigerte man mir Nahrung. ^'Um körperliche Gesundheit wiederzuerlangen, wirst du Schneiden und Brennen ertragen und deinem ausgetrockneten Munde nicht durch Wasser Erleichterung gestatten; 231um an der Seele gesund zu sein, willst du dich weigern zu ertragen, was es auch sein mag, da doch dieser Teil einen größeren Wert hat. als der Körper? 233Aber es ist wahr, die Tür, die zu meiner Kunst führt, zu durchschreiten, ist die traurigste Aufgabe, und die einzige schwere Prüfung ist, die erste Zeit zu überstehen. a3iSiehst du, wie das zum ersten Male aufgelegte Joch die zur Arbeit gezwungenen Jungstiere brennt und wie der ungewohnte Gurt das schnelle Pferd schmerzt? »»'Vielleicht wird es dir widerstreben, den heimischen Herd zu verlassen, und doch wirst du ihn verlassen: dann wirst dü begehren zurückzukehren. 239Nicht der heimische Herd, sondern das Liebesverlangen nach der Freundin wird dich zurückrufen, deinen Fehler mit schönen Worten bemäntelnd. 241Hast du ihn einmal verlassen, so wirst du reichen Trost für deine Leidenschaft im Anblick des Landes, bei den Begleitern und an dem langen Wege finden. 243 Denke nicht, daß bloßes Weggehen genügt: du mußt deine Abwesenheit weit ausdehnen, bis der Brand seine Stärke verliert und kein Funken mehr in der Asche ist. 246Wenn du nicht eine .starke Anstrengung machst, gefestigten Sinnes zurückzukehren, wird Amor sich empörend seine grausamen Waffen von neuem gegen dich richten. 247Dann wird deine ganze Abwesenheit nutzlos gewesen sein: verlangend und durstend wirst du wiederkehren, und die ganze Zeitspanne wird zu deinem Schaden vertan sein. 24,

Wenn jemand sich dem Glauben hingibt, daß die unheilvollen Kräuter des haimonischen Bodens und Zauberkünste helfen können, so ist es seine Sache. M1Das ist der alte Weg, Zaubertränke zu bereiten; Apollo, dem ich diene, weist in geheiligtem Gedicht unschädliche Hilfe. ^Vertraue dich meiner Führung an: kein Schatten wird aus dem Grabhügel heraufbeschworen werden, kein altes Weib wird durch lästerliche Formel den Erdboden spalten. m Keine Saat wird von dem einen Feld auf das andere hinüberwandern, und nicht wird plötzlich des Phoibos Rund bleich sein. ^'Wie stets wird der Tiber seinen Weg zu den Wogen des Meeres nehmen, wie stets wird Luna in ihrem mit schneeweißen Pferden

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Nulla recantatas deponent pectora curas, Nec fugiet vivo sulphure victus amor. Quid te Phasiacae iuverunt gramina terrae, Cum cuperes patria, Colchi, manere domo? Quid tibi profuerunt, Circe, Perseides herbae, Cum sua Neritias abstulit aura rates? Omnia fecisti, ne callidus hospes abiret : Ille dedit certae lintea plena fugae. Omnia fecisti, ne te ferus ureret ignis : Longus et invito pectore sedit amor. Vertere tu poteras homines in mille figuras, Non poteras animi vertere iura tui. Diceris his etiam, cum iam discedere vellet, Dulichium verbis detinuisse ducem: „Non ego, quod primo, memini, sperare solebam, Iam precor, ut coniunx tu meus esse velis, Et tamen, ut coniunx essem tua, digna videbar, Quod dea, quod magni filia Solis eram. Ne properes, oro; spatium pro munere posco: Quid minus optari per mea vota potest? Et freta mota vides et debes ilia timere: Utilior velis postmodo ventus erit. Quae tibi causa fugae? non hie nova Troia resurgit, Non aliquis socios Rhesus ad arma vocat. Hie amor et pax est, in qua male vulnerar una, Totaque sub regno terra futura tuo est." Illa loquebatur, navem solvebat Ulixes : Inrita cum velis verba tulere noti. Ardet et adsuetas Circe decurrit ad artes, Nec tamen est illis adtenuatus amor. Ergo, quisquis opem nostra tibi poscis ab arte, Deme veneficiis carminibusque fidem. Si te causa potens domina retinebit in Urbe, Accipe, consilium quod sit in Urbe meum:

263 profuerunt R Y -rant E P o -rintYc 5 264 sua R Yc Ma Pa 5 sibi(?) Y tibi E P D o 268 et] in E T a 5 at 5 | mansit P (1' sedit P2) 5 269 tu] quae Ren. 273 primum P (primo P2) 5 281 Quid E I resurget Y q 282 resus E 1 Ü. Z. (1') P rursus R Y E o vielleicht Non Rhesus socios rursus Lenz. 283 et R Y P o hie E P2 o 284 Tutaque Btl. (vgl. Erl.) 286 uotis P (1' uelis P2 U.Z.) 287 decurrit] tendebat Ren. 291 domin(a)e o

Vers 259—292 bespannten Wagen einherfahren. ^»Kein Herz wird sich durch die Zauberkraft der Formelti von seiner Leidenschaft befreien, und nicht wird das Liebesverlangen, durch natürlichen Schwefel besiegt, die Flucht ergreifen. ^'Was halfen dir die Pflanzen des phasischen Landes, als du danach verlangtest, im Vaterhause zu bleiben, kolchisches Mädchen? M3Was nützten dir die perseischen Kräuter, Kirke, als günstige Brise die neritischen Schiffe entführte? ^Alles tatest dü, damit der verschlagene Fremde nicht von dir ginge, er setzte die vollen Segel für unwiderrufliche Flucht. 267Alles tatest du, damit der wilde Brand dich nicht verzehrte, langandauernd setzte sich Liebe auch in widerstrebender Brust fest. ^'Verwandeln konntest du Menschen in unzählige Gestalten, unwandelbar blieb dir das Gesetz des eigenen Herzens. 271Du suchtest, so heißt es, den dulichischen Führer, als er schon abfahren wollte, sogar mit diesen Worten festzuhalten: 273„Was ich zuerst, ich weiß es noch, gern erhoffte, nicht dies ist es mehr, was ich erbitte, daß du mein Gatte sein willst, 275und doch erachtete ich mich dessen wert, deine Gattin zu sein, weil ich eine Göttin und des großen Sol Tochter bin. 277 Eile nicht davon, darum bitte ich, nur Verzug heische ich als Geschenk, was läßt sich Geringfügigeres durch meine Wünsche ersehnen? 279Du siehst, das Meer ist bewegt, und du mußt es fürchten. Günstiger wird der Wind für deine Segel später sein. 281Was ist dein Grund zur Flucht? Nicht ersteht hier ein neues Troia. Kein Rhesos ruft die Gefährten zu den Waffen. 283Hier herrscht Liebe und Frieden, in dem als einzige ich unselig verwundet werde, und das ganze Land wird deiner Herrschaft unterstehen." 28^So versuchte sie es mit Worten, Odysseus blieb dabei, das Schiff loszubinden. Mit den Segeln trugen die Winde die Worte hinweg, die zu nichts frommten. 287Kirke wird vom Brande verzehrt und nimmt Zuflucht zu den vertrauten Künsten, und doch wird ihre Leidenschaft nicht durch sie gemildert. 289Daher versage du, der du von meiner Kunst Hilfe für dich erwartest, der Zauberei und den Formeln von nun an den Glauben. 291

Wenn ein gewichtiger Grund dich in der weltgebietenden Hauptstadt zurückhält, so lerne, was mein Rat in der Hauptstadt

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Optimus ille fuit vindex, laedentia pectus Vincula qui rupit dedoluitque semel. Sed cui tantum animi est, illum mirabor et ipse Et dicam : „Monitis non eget iste meis." Tu mihi, qui, quod amas, aegre dediscis amate Nec potes et velles posse, docendus eris. Saepe refer tecum sceleratae facta puellae Et pone ante oculos omnia damna tuos : „Illud et illud habet, nec ea contenta rapina est; Sub titulum nostros misit avara Lares. Sic mihi iuravit, sic me iurata fefellit, Ante suas quotieiis passa iacere fores ! Diligit ipsa alios, a me fastidii amari, Institor, heu, noctes, quas mihi non dat, habet." Haec tibi per totos inacescant omnia sensus, Haec refer, hinc odii semina quaere tui. Atque utinam possis edam facundus in illis Esse: dole tantum, sponte disertus eris. Haeserat in quadam nuper mea cura puella; Conveniens animo non erat ilia meo. Curabar propriis aeger Podalirius herbis, Et, fateor, medicus turpiter aeger eram. Profuit adsidue vitiis insistere amicae, Idque mihi factum saepe salubre fuit. „Quam mala" dicebam „nostrae sunt crura puellae !" Nec tamen, ut vere confiteamur, erant. „Bracchia quam non sunt nostrae formosa puellae !" Et tamen, ut vere confiteamur, erant. „Quam brevis est!" nec erat, „quam multum poscit amantem !" Haec odio venit maxima causa meo.

293 fuit] sui Hei. 295 Si ? {Hei). 296 ille P (iste P2 ü. Z. 1') o 297 desistís P (dediscis P2) D 299 facta] dicta oder uetba 5 302 titulum H O ir Hei. -os E - o R Y P o -is U ß 307 inacescant] marcescant T. entstellt) E P (Glosse uanescant P2) o 308 o d i i s . . . tuis Hei. 309 possis Y c P o -es R Y E o 310 disertus] relictos P„ 315 adsiduae R Y H 318/20 > oder ~ o 318 uere R Y c (-ae Y) E P uerum Y c o 319 quam] quod P 320 Et P Nec w(P2) | uere R Y c (-ae Y) P 5 uerum E o 321 nec P2 et R Y e E P o > Y | erant Y {verb. Y 6 ß Q | cubum 5 cibum M (ci unsicher) o 89 contriueris o contriiis Hei. Merk. 91 marathros und 92 marathri Mie. 92 parent M o paranto trahant Mu. | scripula M o scry- Q scruo ß 93 prehendat oQ (Munsicher) -dit o ß 94 armeniaco 95 qu(a)e o ß g | infunde 97 s i n t . . . molli G Merk. u. a. sint . . . mollis N s i t . . . mollis M (s unsicher) o ß Born, s i t . . . molli o Q Kunz s* o^f s i e . . . molli oder mollis % s i s . . . molles (mollis Ehm.) ... uultus Hei. Ehv. 98 nullus o ß (M unsicher) multus H 100 teneras . . . genas U ß

Vets 87—100 von der Rinde losgerissenes Gummi, ein Pfund, dem ein Viertel fehlt, und einen kleinen Würfel fetter Myrrhe. 89Sobald du dieses zerrieben hast, siebe es durch dichte Löcher; der Staub soll durch darauf gegossenen Honig gebunden werden. 91Es hat sich auch als nützlich erwiesen, Fenchel zu der wohlduftenden Myrrhe hinzuzufügen — fünf Scripula soll der Fenchel liefern, die Myrrhe neun — 93und von trockenen Rosenblättern so viel, wie eine Hand fassen kann, und mit Ammonssalz männlichen Weihrauch. 98Gieß zu ihnen den Schleim, den Gerste liefert, hinzu; die ausgewogenen Rosenblätter soll mit dem Salz der Weihrauch aufwiegen. 97Mag dieses Mittel auch nur während einer kleinen Zeitspanne auf das weiche Gesicht gestrichen werden, so wird doch auf dem Antlitz keine Farbe bleiben. "Ich habe ein Mädchen gesehen, das Mohn, der in eiskaltem klarem Wasser angefeuchtet war, zerrieb und auf die zarten Wangen strich. . . "

ERLÄUTERUNGEN l Are 3, 105 Cura dabit facim\ facies ntglectaperibit wirkt wie ein Zitat des Anfangs der 'Medicamina*. z Alle Herausgeber und Erklärer stimmen darin überein, daß cura fehlerhaft sein muß, weil die Wiederholung stilwidrig wäre. Die Frage ist, ob es durch Verlesung eines anderen, paläographisch ähnlichen Wortes entstanden oder ob es aus Vers 1 mechanisch wiederholt worden ist. Die vorgeschlagenen Emendationsversuche sind je nach der auf diese Frage gegebenen Antwort verschieden ausgefallen. forma (vgl. Are 3, 205 vestrae medicamina formae) findet sich in sehr wenigen Renaissancehandschriften; aura ( = Liebreiz, Anmut) hat Kunz vermutet, aber nicht in den Text gesetzt, und causa hat Ehwald in seinen Text aufgenommen. Damit meint er: wie ihr eure Sache behaupten müßt. Heinsius hat radikaler eingegriffen, denn sein Vorschlag ora lintnda hat die Änderung von sit in sint zur Folge. Diese Konjekturen haben, so verschieden sie sind, das eine gemeinsam, daß sie ein von fadem verschiedenes Subjekt einfuhren. Damit stellen sie sich in Gegensatz zu dem zu Vers 1 angeführten Verse der 'Are', in dem wir cura faciem,facies haben. Wenn das Zitat aus den 'Medicamina' ist, so sollte die Emendation andere Wege gehen. Das habe ich versucht, indem ich tuenda als Rest von restituenda ansehe, dessen erste zwei Silben durch das falsch wiederholte cura verdrängt worden sind: und auf welche Weies es (das Gesicht) von euch wiederhergestellt werden muß (denn ihr dürft es nicht vernachlässigen: Ars 3,105). Wann ist das der Fall? Am Morgen, wie der Dichter in den Remedia 341 ff. sehr deutlich zeigt, oder nach dem Liebesakt, vgl. Ovid, Fasti 3, 16 turbatas restituitque comas. Da aber mit der Möglichkeit zu rechnen ist, daß die Itali ältere uns nicht mehr bekannte Quellen gehabt und nicht selbständig emendiert haben, habe ich mich jetzt entschlossen, forma in den Text zu setzen, obwohl es vielleicht nur eine Notlösung ist. 3 f. Cultus (Pflege) ist das entscheidende Wort, das sozusagen die Handlung in Bewegung setzt und daher an der ersten Stelle des Verses steht; vgl. Ars 3,101 f. Ordior a culiu: cultis bette Uber ab uvis Provenit, et culto statsegesalta solo. Die Gaben der Ceres sind die Samenkörner, die dem Boden anvertraut werden und die er durch Ertrag aufwiegen muß. In den Remedia 174 gebraucht der Dichter dafür den Ausdruck „mit vielen Zinsen (eigentlich: Wucher) zurückgeben." Es ist nicht überraschend, daß Munera in einzelnen Handschriften durch Semina erklärt worden ist, vgl. Remedia 173. — Das Beiwort mordax (beißend) gebraucht Ovid auch sonst von stechenden Pflanzen, z. B. der Nessel (Urtica) Ars 2, 417. 6

Ars 2 , 6 5 2 Firmaque adoptivas arbor babebit opes, vgl. Remedia

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f.

8 Vgl. Amores 1, 8,104 Impia sub dulci mclle veneria latent und Fasti 2,72 posita sub nive terra latet. 9 Vgl. zu Remedia 707 f. n f. Amores 1, 8, 39 f. Forsitan inmundae Tatio regpante Sabinae Noluermt (oder Noluerint) babilespluribusesse viris. Ars 3,107 Corpora si veteres non sie coluerepuellae. Mit Ausnahme Merkels, der für Maluerant eingetreten ist, haben die neueren Herausgeber sich für den grammatisch korrekten Konjunktiv Maluerint entschieden. Ich bin überzeugt, daß das hier und Amores 1, 8,40 ursprünglich Geschriebene in den meisten Handschriften und Ausgaben verdunkelt ist. Wenn die Varianten -erint und -erant und wie hier noch durch die Handschrift V -erunt mit verkürztem e zur Wahl stehen, so darf man mit Sicherheit

Erläuterungen

121

schließen, daß Ovid Maluirunt und Noluermt geschrieben hat und daß die Indikative aus prosodischen und grammatischen Gründen durch die Konjunktive ersetzt worden sind. Das Auftauchen des Plusquamperfekts ist in solchen Fällen typisch, und der Vokal a in der Silbe -erant spricht für ursprüngliches u. Einer der charakteristischsten Fälle bei Ovid ist Amores 3, 5, 2 Terruerunt (richtig) und Terruerant. E s darf allerdings nicht verschwiegen werden, daß aus anderen Gründen gewisse Zweifel an der Echtheit dieses Gedichtes bestehen. Aber dazu kommt als ganz eindeutiger Fall Remedia 263 profuirunt undprofuerant und ganz sinnlos profuerint, ferner Fasti 1 , 592 Contigirmt, Contigerant und Contigerint und andere Stellen in den Heroiden. Über den Indikativ nach forsitan vgl. o. S. 88 zu Remedia 419. — Uber den sabinischen König Tatius vgl. Livius 1 , 1 0 ff. Daß aus der oben angeführten Stelle der Amores 1 , 8 , 3 9 die Worte Tatio regnante in einigen jüngeren Handschriften an die Stelle von Tatio sub rege getreten sind, ist nicht überraschend. Vgl. Heroiden 13, 32 Nee übet aurata corpora veste legi. odoratos... eapillos: Amores 3,1, 7; Metamorphosen 2,412

18 Necpositu variare comas.

19

Metamorphosen 7, 266 Adicit extremo lapides Orientepetitos,

21

Amores 1, 10, 53 Nec tarnen indigmm est.

23

Vgl. als Gegenstück die zu Vers 1 1 aus den 'Amores' angeführte Stelle. — Die Herausgeber schwan- 24 ken mit Recht zwischen vestra (ura) und nostra (nra). Beide Lesarten lassen sich verteidigen, nostra kann um der Gleichförmigkeit mit 23 willen und um zu 25 einen leichteren Ubergang zu bilden, in vestra geändert sein, aber ebenso möglich ist es, daß der Dichter zu den puellae nur als Lehrer spricht und sich den Anschein gibt, persönlich unbeteiligt zu sein. Ob der Alliteration 24 vestra viros und 25 m/r; eine über das Zufallige hinausgehende Bedeutung zukommt, ist schwer zu sagen. Der von Heinsius gemachte und auch von einigen neueren Herausgebern (weder Kunz noch Eh-

2

j

wald) gebilligte Vorschlag, potimtur durch poliuntur zu ersetzen, bringt nicht nur nach 24 eine Tautologie hinein, sondern zerstört die halb komische halb satirische Wirkung: dessen, was für die Frauen unumstößlicher Brauch — Gesetz sagt der Dichter absichtlich — ist, bemächtigen sich eure Männer; „sich bemächtigen" ist absichtlich stark pointiert. Das Distichon läßt sich nicht herstellen und entzieht sich daher dem Verständnis. Zwischen 26 und 27 27 f. ist kein Zusammenhang, und kejne Interpretation ist in der Lage, eine Verbindung aufzuzeigen. Darin haben Ehwald, Bursians Jahresbericht 43 (1885. II) 185 und Pohlenz in seinem Göttinger Programm (o. S. 107 Anm. 2) 21 f. und Berl. philol. Wochenschr. 33 (1913) 1499 recht. Birt, Berl. philol. Wochenschr. 33 (1913) 1225 ff. und 1501 ist es nicht gelungen, einen Zusammenhang überzeugend nachzuweisen. Wie groß die von Ehwald in der Teubnerausgabe (Leipzig 1888, X X X I ) angenommene Lücke ist, läßt sich nicht sagen. Kunz ist nicht ganz konsequent verfahren, da er zwischen 26 und 27 einerseits und 28 und 29 andererseits Lücken ansetzt und durch Asterisci kennzeichnet, aber das Distichon 27 f. als Interpolation ausscheidet. Der Sinn einer Interpolation an dieser Stelle ist nicht zu erkennen. Bornecque setzt nach 26 eine Lücke an, scheidet 27 f. aus und setzt nach 28 merent vor der schließenden Klammer mehrere Punkte. J . H. Mozley (The Art of Love and Other Poems, Loeb Classical Library, London 1929) schreibt ohne Lücke mit Postgate Cui (Pohlenz ist, ohne sich an Postgate zu erinnern, auf denselben Gedanken gekommen) statt des unverständlichen Prt und gewinnt dadurch ein dem folgenden quos entsprechendes Fragepronomen („für wen"), das durch Refert nahegelegt wird; außerdem ändert er das unbefriedigende venerentur mit Heinsius und Merkel, ohne sie zu nennen, in vemntur, das durch uenetur in einigen jüngeren Handschriften bereits zum Teil vorweggenommen ist: „und welchen Arten der Liebe sie nachjagen". Auch Ehwald ist Heinsius' und Merkels Vorschlag gefolgt, ändert aber Pro . . . et quos in Quo . . . et quo; das soll wohl heißen: womit sie sich für jeden (cuique) bereit machen und womit sie den verschiedenen Arten der Liebe nachjagen. Da sich aber die Lücke zwischen 26 und 27 nicht füllen läßt, ist mit diesen Konjekturen

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Die Pflege des weiblichen Gesichtes

der zweite Schritt vor dem ersten getan. Dieser Schwierigkeit ist nur Heinsius entgangen durch eine Konjektur, die die Annahme einer Lücke unnötig macht. Er schreibt nämlich Prolin) ..nec quo venetur amores (Darum soll jede sich schmücken, und es kommt nicht darauf a n , . . . ) , aber Heinsius selbst bemerkt mit Recht, daß dieser Versuch ihn nicht befriedige. Die Einführung des unpoetischen proin, das Ovid nicht gebraucht hat, wäre in dem Teile des Gedichtes, der die Rezepte enthält, vielleicht unbedenklich, in dem ganz anders stilisierten Proömium ist sie ganz undenkbar. Daß si fiarare mit se ornare fast gleichbedeutend ist, hat Heinsius bemerkt, und Pohlenz, Programm 21 hat g> x Properz 2,24,47 f. Dura est, quae multis simulatum fingtt amorem, Et se plus uni siqua parare polest und Cicero, Pro Milone 28 dum se uxor, utfit, comparat verglichen. Eine andere Schwierigkeit steckt in dem Verbum merent. M ist nicht mehr sicher lesbar, aber ich habe mich in Florenz überzeugt, daß Kunz recht hat, wenn er annimmt, daß es ursprünglich in der Handschrift gestanden hat. Dann steht das Zeugnis des unzuverlässigen Helmstadiensis nicht allein. Der in fast allen anderen Handschriften stehende Singular meret ist nur brauchbar, wenn man munditia mit Heinsius in mundities ändert. Singular ist mihi in der Antwerpener Handschrift, dem Codex Moreti. Es bedeutet: Reinlichkeit oder Neigung sich zu putzen ist für mich (in meinen Augen) kein Anlaß zum Tadel. Auch in diesem Falle ist mundities oder mtmditiae unvermeidlich. Heinsius hat sich schließlich für munditiae... merent entschieden. Wenn wir ihm nicht folgen und an dem Ablativ munditia festhalten, so ist quaeque (jede Frau) Subjekt, und damit wird der Gegensatz zu der direkten Anrede von Vers 17 bis Vers 25 (euer und ihr) noch stärker fühlbar. Der Verdacht, daß zwischen 26 und 27 überhaupt keine Lücke anzunehmen ist, sondern daß Exzerpte, die von verschiedenen Stellen genommen sind, schlecht aneinandergereiht sind, verstärkt sich. Ob zwischen 28 und 29 ein Zusammenhang erkennbar ist, wird sofort zu fragen sein. 2

9 £ Auf den ersten Blick sieht es in der Tat so aus, als ob ein verbindender Gedanke nachweisbar wäre. In 28 ist munditia das entscheidende Wort. Die Neigung zur munditia macht sich geltend, wo immer sie sein mögen, irgendwo auf dem Lande oder tief in den Bergen. Auch hier findet sich wie in 27 f. keine direkte Anrede mehr, statt ihrer erscheint das Demonstrativpronomen illas. Trotzdem scheint vor 29 etwas zu fehlen, denn der Hinweis, daß sie sich für einen oder mehrere Männer schmücken und der Liebe nachjagen, wenn venentur richtig ist, bleibt völlig unbeachtet, die Verbe latent und celet betonen vielmehr abrupt das Gegenteil. 30 Ich glaube, daß in der Namensform Atbo, die sich im Paris. lat. 6707 findet, die Bezeichnung erhalten ist, die der Dichter für den Berg gebraucht hat, mit dem der östlichste der drei Finger der Halbinsel Chalkidike in das Ägäische Meer abfallt. Zu dieser Annahme berechtigt die handschriftliche Überlieferung Ex Ponto 1, 5, 22. Hier ist Atho nur in der alten, noch der karolingischen Zeit angehörenden Hamburger Handschrift erhalten, während es in den anderen durch Atbos ersetzt ist. 51 Birt hat, um einen engen Zusammenhang mit dem Vorhergehenden zu zeigen, die Worte so paraphrasiert: „Denn es ist schon ein Vergnügen, sich selbst zu gefallen." Dagegen hat Pohlenz Einspruch erhoben und betont, etiam (auch) beweist, daß von dem Vergnügen, sich selbst zu gefallen, vorher nicht die Rede gewesen ist. Daraufhin hat Birt seinen Standpunkt etwas modifiziert. Er ergänzt „denn" für den Sinn und übersetzt: „Denn auch sich selbst zu gefallen ist ein Vergnügen." Damit scheint er etiam im Sinne von „sogar" zu verstehen, und dann ist der Zusammenhang nicht unterbrochen. — Vgl. Heroiden 16, 131 . ..est... placuisse voluptas. 3 2 Der Vers stimmt fast wörtlich mit Ars 1,624 überein, nur daß hier curae statt cordi gebraucht ist.

3 3 f. Der Sinn und Zweck dieses Distichons ist zweifelhaft und infolge der Unsicherheit des Wortlautes noch umstrittener, muta und multa sind beide möglich; daß übrigens multa . .. avis Amores 3, 5, 4 an gleicher Versstelle erscheint, ist wohl nur Zufall. Die Parallelstelle Amores 2, 6, 55 Explicat ipsa suas ales lunonia pinnas ist nur als solche interessant und hat für die eigentliche Interpretation keinen Wert. Der Vogel der Juno ist der Pfau, vgl. Metamorphosen 1, 722 und 15, 385. Die erste entscheidende

Erläuterungen

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Frage ist, wie das Partizipium laudatas zu verstehen ist. Bedeutet es: der Pfau entfaltet die Federn seines Schweifes, die dann vom Menschen gelobt werden? Dann wäre es proleptisch gebraucht. Das ist Birts Auffassung. Oder ist es zu verstehen: wenn sie vom Menschen gelobt werden, zeigt der Pfau sie? In diesem Falle will der Vogel, daß man seiner Eitelkeit schmeichelt, genau wie selbst das noch unberührte junge Mädchen sich seiner Schönheit freut und Komplimente darüber gern hört. Der zweiten Auffassung gibt Pohlenz den Vorzug, aber in keinem der beiden Fälle darf man von einem ernstlichen Abbrechen des Gedankens zwischen 31 f. und 33 f. sprechen. Der französische Ubersetzer Bornecque und der engliche Ubersetzer Mozley neigen ebenfalls dieser Auffassung zu. Ihre Anhänger berufen sich nicht ohne Berechtigung auf Ars 1, 623 f. und 627 f. Delectant etiam castas praeconia format\ Virginibus curat grataque forma sua est, (Es freut auch ehrbare Frauen der Preis ihrer Schönheit: reinen jungen Mädchen ist ihre Wohlgestalt ein Gegenstand der Fürsorge und lieb.) Denn warum fühlen Juno und Pallas sich noch jetzt beschämt, daß der Urteilsspruch des Paris in den phrygischen Wäldern nicht zu ihren Gunsten ausfiel? Laudatas ostendit at/is Iunonia pinnas; St tacitus spectes, illa recondit opes. (Gelobt stellt seine Federn der Juno Vogel zur Schau; wenn man schweigend hinsieht, verbirgt er seine Pracht.) An dieser Stelle ist Birts proleptische Auffassung nicht möglich, aber das schließt die Richtigkeit seiner Erklärung für die'Medicamina' nicht ohne weiteres aus, selbst wenn man mit Pohlenz annimmt, daß die Verse zuerst für die 'Ars' geschrieben und nicht gleichzeitig in zwei Dichtungen verschieden gewendet sind. Birt hat mit Recht gesagt, daß man zunächst nicht Parallelstellen als identisch behandeln, sondern daß man jede für sich ansehen soll. Aber tacitus läßt nur die Erklärung zu, daß der Vogel Lob erwartet und wünscht. Damit stehen wir vor der Hauptschwierigkeit: muta oder multa? muta ist die Hauptüberlieferung, und wenn das bedeutsam ist, dürfen wir dann sagen, daß es durch die Parallelstelle gestütztrwird? Nicht ohne weiteres, denn muta avis (der stumme Vogel, oder vielmehr: und stumm spreizt sich der Vogel) und der schweigende Betrachter haben ja gar nichts miteinander zu tun. Die Herausgeber und Erklärer haben sich zum Teil für muta, zum Teil für multa entschieden, aber die multa den Vorzug geben, interpretieren auf ganz verschiedene Weise, forma muta superbit avis bedeutet „wegen seiner Schönheit spreizt sich stumm der Vogel", muta macht es notwendig, das ganze Distichon auf den Pfau zu beziehen, der also zuerst volucris Iunonia und dann mit wiederholender und nicht sehr geschickt wirkender Variation avis genannt wird, während multa einer doppelten Auslegung fähig ist. Es kann nämlich als mancher Vogel verstanden werden, und so hat Mozley übersetzt (many a bird). In diesem Falle hätten wir in dem Distichon zuerst den Pfau und dann andere Vögel. Um dieser Schwierigkeit zu entgehen, ist Birt, der für multa eintritt, auf den" Ausweg verfallen, es mit superbit zu verbinden (vgl. Remedia 632 multum incitat): der Vogel spreizt sich gewaltig. Ich zweifle, ob ihm viele auf diesem Wege folgen werden. Nach Abwägen aller dieser Möglichkeiten läßt sich, fürchte ich, über ein non liquet nicht hinauskommen, und wenn es sich, wie Pohlenz geneigt ist anzunehmen, wiederum um ein Exzerpt handeln sollte, ist der Versuch, einen Zusammenhang zu erkennen, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Tatsache ist jedenfalls, daß zwischen 34 und 35 keine Verbindung besteht. Pohlenz hat das nachdrücklich betont. Natürlich hat es nicht an Versuchen gefehlt, der Entscheidung zwischen muta und multa durch Konjekturen auszuweichen: stulta Moltzer (ich wundere mich, daß anscheinend niemand bruta vorgeschlagen hat; das Adjektiv hat Ovid zwar nicht gebraucht, spielt aber Fasti 2, 717 damit); laeta D. Heinsius, lauta oder cauda culta N. Heinsius./orwae dote oder forma culta Burman. Ars 2,99—102 ist so eng verwandt, daß es für die Interpretation nicht entbehrt werden kann: Fallitur, " Haemonias si quis decurrit ad artes Datque quod a tenerifronte revellit equi. Nonfacient, ut vivat amof, Medeides berbae Mixtaque cum magicis nenia Marsa sonis. (Es täuscht sich, wer es mit Thessaliens Künsten versucht und verabreicht, was er von der Stirn eines Füllens abreißt. Nicht werden Medeas Kräuter bewirken, daß die Liebe lebt, und marsische Litaneien verbunden mit magischen Lauten.) Auf die Einzelheiten komme ich zurück.

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Die Pflege des weiblichen Gesichtes

5 5 f. Ein Bedingungssatz mit si (M) läßt sich nicht konstruieren. Er wäre vielleicht denkbar, wenn vor } 5 eine Lücke angenommen wird, in der mehr gesagt war als nur, daß durch diese weiblichen Künste eher Liebe bewirkt wird als durch Zaubermittel, etwa: die Männer halten mit größerem Vergnügen und beharrlicher an euch fest, wenn durch diese K ü n s t e . . . Aber es ist müßig, darüber nachzudenken, und die Herausgeber haben nicht si ernstlich in Betracht gezogen, sondern nur sie. Dieses sie stellt aber vor eine neue Schwierigkeit, die Pohlenz, Programm 22 sehr klargemacht hat. Er hält es nämlich für unvermeidlich, bis zu Vers 23 sit vobis cura placendi zurückzugreifen, wenn man einen Zusammenhang finden will. Mit 54 besteht jedenfalls keine Verbindung. Der Dichter spricht von 3 5 ab, wieder als warnender Lehrer, zu den Mädchen und rät von dem Gebrauche volkstümlicher Zaubermittel dringend ab: ihr sollt nicht trauen. Daher ist jede Lesart und jede Konjektur, die in 3 5 statt vos die erste Person nos einführt, von vornherein unwahrscheinlich; in dieser ganzen Partie deutet nichts darauf hin, daß er sich selbst als mitbeteiligt einschließt. Ich will es dahingestellt sein lassen, ob das Verbum urgere (drängen) passend ist, aber wenn man an dem Präsens allgemein Anstoß nimmt, so ist das berechtigt, denn was wir erwarten und brauchen, ist ein Futurum. Die verschiedenen Vorschläge habe ich im Apparat angeführt und noch mit Rücksicht auf die Stelle der 'Ars' viveseet hinzugefugt, ein von dem Lehrdichter Lukrez gebrauchtes Wort; Ovid bedient sich des Kompositums revhiscere mehrere Male. Dem Sinne nach kommt es dem von C. Schenkl vorgeschlagenen und von vielen mit Beifall aufgenommenen eonsurget sehr nahe. Birt, der den Zusammenhang gut findet, paraphrasiert Berl. philol. Wochenschr. 33 (1913) 1501 einen Text, der zum Teil auf einem im Apparat nicht aufgeführten Vorschlage von Heinsius beruht (Hinc potius nos urat amor): „so, nach derselben Methode soll uns auch das Mädchen zur Liebe zwingen". Dadurch wird der Abschnitt über die Zauberei, der zweifellos eine Einheit bildet, so geteilt, daß die ersten beiden Verse an die Männer mit Einschluß des Dichters selbst, die folgenden an die Mädchen (37 vos) gerichtet sind. 38 Ovid spielt auf das hippomanes an, einen Liebe bewirkenden Zaubertrank, der entweder aus einer von den Schamteilen einer brünstigen Stute herabtropfenden klebrigen, schleimigen Flüssigkeit (Vergil, Georgika 3, 280) bereitet wurde oder aus einer Verdickung, die auf der Stirn eines Füllens wachsen sollte. Das erste meint er an dieser Stelle, das zweite an der oben angeführten Stelle der 'Ars'; vgl. Plinius, Naturgeschichte 8, 165. Die Worte virus amantis equae, vitus als Nominativ, kehren an der gleichen Versstelle Amores 1, 8, 8 wieder. 39 Die Marsi sind eine sabellische Völkerschaft in Mittelitalien zwischen dem Liris und Aternus in der Umgebung des Fucinersees. Sie waren wegen besonderer Kunstfertigkeit in der Schlangenbeschwörung berühmt. — Charisius zitiert in seiner Ars grammatica 1, 114, 3 (in der Teubnerausgabe von K. Barwick, Leipzig 1925) die Worte mediae — angues mit dem Zusatz Ovidius als Beleg für das gelegentliche Vorkommen des Masculinums anguis als Femininum. Zu der ganzen Stelle ist Metamorphosen 7, 203 ff. zu vergleichen, besonders Vipereas rumpo verbis et carminefauces, und Amores 2,1,2 j Carmine dissiliunt abruptis faueibus angues. , 4° redit in fontes... supina entspricht im Ausdruck genau den Worten ava>... berühmten Chorliedes in Euripides' Medea 410.

XOIQOVUI

am Anfang des

41 f. Von temesäischen Erzbecken spricht Ovid auch Metamorphosen 7, 207; 15,707 und Fasti 5,441. Es ist zweifelhaft, ober auf Homer, Odyssee 1,184 (gewöhnlich auf Cypern gedeutet) oder auf die Erzgruben bei Temesa, einer sehr alten Stadt in Bruttium in Unteritalien, anspielt. Um den Sinn der Stelle richtig zu verstehen, muß man von Metamorphosen 7, 207 ausgehen. Hier sagt die mächtige Zauberin Medea: Ich ziehe dich herunter, Luna, wie sehr auch die Erzbecken von Temesa deine Bedrängnis verringern mögen, d. h., mein Zauber ist stärker als die Abwehrmaßnahmen, die dir durch Zusammenschlagen von Erzbecken helfen sollen. Es ist eine Anspielung auf den Volksglauben, der eine Mondfinsternis als einen Kampf zwischen Luna und Dämonen oder Hexen auffaßte, die sie aus

Erläuterungen

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ihrer Bahn zu drängen oder auf die Erde herunterzuziehen suchten und die man durch Lärm verscheuchen zu können meinte. In den 'Medicamina' meint er also: Luna wird nie aus ihrer Bahn gedrängt werden, auch wenn man die tönenden Erzbecken beiseite läßt, d. h. nicht anwendet. Ais 2,111—114 gibt der Dichter dem liebenden Manne folgenden Rat: Ut dominant temas nec te mirere 45" relictum, Ingenii dotes corporis adde bonis. Forma bonum fragile est, quantumque accedit ad armos, Fit minor et spatio carpitur ipsa suo. (Damit du deine Geliebte behaltest und dich nicht wunderst, wenn du verlassen bist, fuge des Geistes Gaben den Vorzügen des Körpers hinzu. Schönheit ist ein gebrechliches Gut, sie wird mit zunehmenden Jahren geringer und zehrt sich durch ihre eigene Dauer auf.) Daß der Übergang von 42 hart, fast abrupt ist, hat Pohlenz, Programm 22 mit Recht bemerkt, ohne 4$ daß er geneigt ist, eine Lücke anzunehmen. Die Worte Perque suos annos knüpfen an die vorhergehenden longum in aevum an und schränken sie nur 50 mit Rücksicht auf die dem amor (in geschlechtlichem Sinne) zugemessene Zeit ein. Daher ist kein Grund, Heinsius* Vorschlag Fertque suos annos: binc — amor in Erwägung zu ziehen. Der Zusammenhang bricht wiederum ab. Er wird nicht besser, wenn Merkel und Mozley sich f ü r 51 Discite entscheiden, das vermutlich nichts ist als eine Interpolation aus Vers 1. Aber auch der Verteidigungsversuch bei Kunz 66 ist unmöglich. Er vergleicht die unbestimmte Anrede Remedia 65 Redde und stellt damit völlig Unvereinbares nebeneinander. Moltzer hat durch Ergo age die Schwierigkeit umgangen. Die age weist eindeutig und unmißverständlich auf einen Dialog hin, der zwischen 50 und 51 gestanden haben muß. Daher hat Pohlenz recht, wenn er das Distichon durch Anführungszeichen als Rede kennzeichnet. Wer spricht? Entweder ein wißbegieriges Mädchen, das den Dichter um Auskunft bittet, oder der Dichter selbst, der sich in einem Dialog von einem (göttlichen?) Sachverständigen unterrichten läßt. Ich erinnere an das, was ich o. S. 4 in der Einfuhrung zu den 'Remedia' gesagt habe. Ich wage weder zu behaupten noch zu bestreiten, daß auch nach diesem Distichon, das heißt vor Beginn des Rezeptes, etwas ausgefallen ist. Die analoge Gestaltung der Dialogführung Amores 3, 5, 31—34 läßt diese Annahme als nicht zu fernliegend erscheinen. palea tegminibusque suis ist ein £v öta övolv. Nordafrika (Libyen) war im Altertum eine der Kornkam- 54 mern Italiens. Die Erve ist eine mit der Linse verwandte Hülsenfrucht und gehört in weiterem Sinne zu den Wicken. 5 5 Vgl. Ars 3, 290 a scabra turpis asella mola; Fasti 6, 318 versat asella molas.

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vtvaci cornua cervo: Vergll, Ekloge 7, 30, der den Ausdruck geprägt zu haben scheint, und Ovid, Meta- 59 morphosen 3,194 vivaeis cornua cervi; vgl. Seneca, Oedipus 752. Hesiod, fr. 171 Rzach (Ausgabe der Bibliotheca Teubneriana, Leipzig 1913) bemerkt, daß die Lebensdauer einer Krähe neup Menschenaltern, die eines Hirsches der vierfachen Lebensdauer einer Krähe gleichkomme. Kunz 66 f. ist nachdrücklich dafür eingetreten, hinter Contert stärker zu interpungieren und in baec mit 60 eat zu verbinden, und Bornecque ist ihm gefolgt. Das führt zu unnötigen Schwierigkeiten, denn da der Dichter erst 62 abschließend das Wort omnia gebraucht, so will er nicht sagen, daß in die cornua, auf die allein baec bezogen werden könnte, der sechste Teil eines Pfundes gehen soll (man fragt vergebens: wovon?), sondern daß die cornua in einer Menge von einem Sechstel Pfund in baec, das heißt in das Gemisch aus Gerste, Erven und Eiern verrieben werden sollen. Wenn solidi (Heinsius) die richtige Verbesserung des unmöglichen solida ist, so hat Ehwald recht daran getan, die Worte fac — eat als Parenthese aufzufassen, auf die 61—66 der Rest des Rezeptes folgt. Ein As ist ein römisches Pfund. Es hat zwölf unciae und entspricht ungefähr einem Gewicht von 370 Gramm. Der sechste Teil eines Pfundes wird sextans genannt, vgl. 65. pulvereae farinae ist natürlich Dativ.

61

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Die Pflege des weiblichen Gesichtes

6z Statt des Ablativs gebtaucht der Dichter 89 variierend per densa foramina. densa spricht nicht für Merkels Vorschlag in cumeris statt itmumeris. 63 f. Über die heilkräftige Wirkung der Wurzel des narcissus, die harte Stellen erweicht und Flechtenausschlag zum Verschwinden bringt, wenn sie zerrieben (contritus) wird, vgl. Plinius, Naturgeschichte 21, 129. 65 Das von einer Ausgabe in die andere übernommene trahat hängt in der Luft, weil kein Subjekt vorhanden ist. Bornecque übersetzt es überhaupt nicht, und Mozley übersetzt nicht, sondern paraphrasiert: „Let gum and Tuscan seed weigh a sixth part of a pound." trahat ist nicht einstimmig überliefert. Dazu kommt, daß gummi in M nicht steht; er hat vielmehr bulli, das von den Herausgebern ohne weiteres für eine Entstellung aus gummi gehalten wird, obwohl man sich vor Augen halten sollte, daß in Vers 87 diese Entstellung nicht erfolgt ist. Was ergibt sich, wenn wir uns auf den Standpunkt stellen, daß wir nicht von gummi auszugehen haben, sondern von bulli} bulli ist natürlich bulbi und muß attributiver Genetiv zu Sextanten sein. Er ist kollektiv zu verstehen. Das Ganze bedeutet also „zwei Unzen Zwiebel zusammen mit semen Tuscum" (etruskischem — toskanischem — Dinkel oder Spelt). Aus 64 und auch schon aus 60 wissen wir, daß das Ganze zerrieben wird, terat erscheint nun aber auch 65 unter den Varianten. Halten wir uns an terat, so haben wir das bei trahat fehlende Subjekt dextra: Tu zweimal sechs Narzissenzwiebeln hinzu, die eine eifrig arbeitende Hand zerreiben soll, und zwar — nun folgt die Gewichtsangabe wie in Vers 60 — soll sie die Zwiebeln mit Spelt so zerreiben, daß beides sich auf ein Sechstel Pfund beläuft. 64 darf also hinter terat kein Semikolon stehen. Ob diese Ausdrucksweise sehr poetisch ist, ist eine andere Frage, die weniger wichtig ist. Was hier offenkundig zugrunde liegt, ist eine Verwechslung zwischen t'at (= terat) und that oder tat mit Abkürzung für ra darüber ( = trahat, entweder mit oder ohne h geschrieben, b fehlt sehr häufig). Die graphische Verwechslung zwischen terat und trahat wurde durch Vers 80 begünstigt, in dem trahit ganz anders gebraucht ist. 86 ist triens (tles) in t(b)es mit Abkürzung für ra darüber entstellt, gummi ist aus Vers 87 eingedrungen. 68 Um die Ausdrucksweise zu verstehen, muß man daran denken, daß die Römer nicht Spiegel aus Glas benutzten, sondern aus glatt poliertem schimmerndem Metall. 69 Da 67 f. deutlich das Ende des ersten Rezeptes bezeichnen, ist vor 69 ein Absatz, wenn nicht eine Lücke, anzunehmen. Mit keinem Worte wird darauf hingedeutet, daß das Folgende etwa noch zu dem bisher Angegebenen hinzugefügt werdön soll. 70 Sicher ist nur, daß zu den in 69 genannten Lupinen eine andere Pflanze oder ihre Frucht genannt ist, aber es ist unmöglich, eine auch nur annähernde Sicherheit zu erreichen. In instantis kann der Name dieser Pflanze stecken, die vielleicht als wild {fer(a)e) bezeichnet ist, aber auch inflantis (aufblähend) ist möglich. Das mag auf die Bohne weisen. Wenn frige (röste) richtig ist, steht es der Weisung torre (69) parallel und ist synonym. Ob die Bohne, wenn es sich um sie handelt, *m Genetiv oder Akkusativ genannt ist, hängt davon ab, ob corpora Objekt zu inflantis (der die Leiber aufblähenden Bohne) ist oder zu frige. In diesem Falle würde fabae inflantis Attribut im Genetiv zu corpora sein müssen, aber der Ausdruck corpora fabae ist wenig ansprechend, fränge würde bedeuten: zerbrich, zerkrümele die Bohnen. Da aber in Vers 72 vom Zerkleinern die Rede ist, würde ichfrange nicht in Erwägung ziehen. Uber Möglichkeiten kommen wir nicht hinaus. 73 Bleiweiß wird zum Schminken benutzt; dem Dichter ist wichtig, daß es dem Gesicht der Frau einen schimmernden Glanz gibt; vgl. Plinius, Naturgeschichte 34, 176. Über nitrum (Natron oder Soda) handelt ausführlich Plinius, Naturgeschichte 31, 106 ff. Der Ausdruck „Schaum des roten nitrum" findet seine Erklärung durch Plinius 31,112 f., wo er die spuma nitri oder das aphronitrum beschreibt, und 113, wo er auch seinen colorpaenepurpureus erwähnt; vgl. Martial 14, 58 mit L. Friedlaenders Anmerkung.

Erläuterungen

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Plinius, Naturgeschichte 21, 40 rühmt die Wurzel der illyrischen Iris als besonders geeignet für die 74 Bereitung heilender Salben. Dem römischen Illyrien entspricht das heutige Dalmatien und ein Teil Albaniens. Die Lesart Addito in der Handschrift V ist nicht nur sehr beachtenswert, sondern wahrscheinlich 77 f. richtig, obwohl man sich wenig um sie gekümmert hat. Der Imperativ entspricht dem Adice in 63 und 82 und dem adde in 88 ausgezeichnet. Dazu kommen noch die anderen Imperative 54 Exue, 60 Contere, 62 cerne. Durch Addito ändert sich die Struktur des ganzen Distichons, es wird viel prägnanter. Addito de tiido medicamina: fugant maculas: vocant Halcyonea. Die letzten Worte dürfen nicht mit Ehwald und Bornecque als Parenthese aufgefaßt werden. Behalten wir Addila bei und übersetzen wir: „ E i n Mittel aus dem Neste klagender Vögel hinzugefügt vertreibt Flecken aus dem Gesicht", so bricht der Zusammenhang zwischen 76 und 77 ab; Addito stellt ihn auf die natürlichste Weise Her. Z u der prosodischen Frage der Verkürzung des 0 in der Senkung des Daktylus ist auf folgendes hinzuweisen: tollo Amores 3, 2, 26; ergo Heroiden 5, 59 und credo E x Ponto 1 , 7, 56 (in verschiedenen Handschriften durch crede verdunkelt). Wenn Properz 4, 5, 77 caedito (caedite Lievens) gewagt hat, kann man Ovid Addito zutrauen. Daß es durch Addita verdunkelt worden ist, wäre nicht überraschend. querulo, die sogenannte Enallage adiectivi, gehört logisch zu volucrum. Die Sage von Halkyone, die über den Tod ihres bei einem Schiffbruche umgekommenen Gatten Keyx untröstlich war und von Thetis aus Mitleid in einen Eisvogel verwandelt wurde, hat Ovid in den Metamorphosen 1 1 , 4 1 0 ff. erzählt. Das alcyoneum erwähnt Plinius in seiner Naturgeschichte 32, 86 f. In der Beschreibung des Heilmittels gegen Ausschlag und Flecken erwähnt Plinius auch die Lupine (o. Vers 69). E s scheint mir an der Zeit, eine von Heinsius gebilligte und von den neueren Herausgebern mit Be- 79 f. geisterung aufgenommene und von Kunz sogar als „paln^iris" bezeichnete Konjektur Scaligers, die sich auch im Laur. 91 sup. 26 findet, aus dem Text zu entfernen und mit Burman wieder zu den Handschriften zurückzukehren. Wenn Scaliger das überlieferte sexta in secta ändert, so ist erstens zu fragen, ob das Verbum secare (zerschneiden) für die Halbierung einer Unze sehr glücklich gewählt ist, aber selbst wenn man das gelten läßt, bleibt eine zweite Frage, um die Kunz sich nicht gekümmert hat. Was ist mit in Ulis gemeint? Wer annimmt, daß der Dichter nur von einer halben Unze spricht, hat keine andere Möglichkeit, als es auf halcyonea zu beziehen. Ich bezweifle, daß Ovid sich dann des entfernten Demonstrativpronomens bedient haben würde, und meine daher, daß illa sich auf alle vorher genannten Ingredienzien bezieht, die natürlich viel schwerer sind als eine halbe Unze. Das habe ich durch die Ubersetzung zum Ausdruck zu bringen versucht. In diesem Falle haben wir keine Wahl, sondern müssen die von Marius Niger gegebene Erklärung des verdächtigten sexta als richtig anerkennen. Befriedigend ist bei der ganzen Mischung das Gewicht, das von der sechsten Unze in zwei Teile aueinandergezogen wird, das heißt die sechste Unze spaltet oder teilt es. Das ist der Fall, wenn das Ganze zwölf Unzen oder ein Pfund ist. Die Lupinen und Bohnen (oder was immer das zweite Ingrediens sein mag) sollen zwischen den Mühlsteinen zerkleinert werden, die von einer Eselin in Gang gehalten zu denken sind; das Blei weiß, Soda und die Iriswurzel sollen von den starken Armen junger Männer bearbeitet werden, bis sie auf das Gewicht einer Unze reduziert sind. Diese drei Teile und dazu je sechs Pfund Lupinen und Bohnen (?) sollen sechs Unzen wiegen. Wenn Ovid, Tristien 4, 10, 77 f., um das Alter von neunzig Jahren zu bezeichnen, von seinem Vater sagt, er starb, als er zu neun Lustren neun andere Lustren hinzugefügt hatte, so sehe ich nicht, warum er sich hier zur Bezeichnung des halben Pfundes nicht noch etwas barocker ausgedrückt haben soll. — Der Konjunktiv trabat in V statt des Indikativs trahit ist erwägenswert. E r drückt aus, daß es die Funktion der sechsten Unze ist, das Pfund in zwei Teile zu spalten; 93 prehendat läßt sich vielleicht vergleichen.Kunz 72 erinnert daran, daß nitrum als Vorläufer der Seife gebraucht wurde. Daraus ergibt sich, daß 85 rädere hier als „glatt reiben" zu verstehen ist und nur corpora, aber nicht das erst in der Renaissance auftauchende tubera (Beulen oder vielleicht Warzen) in Betracht kommt. Ich halte tubera in Verbin-

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Die Pflege des weiblichen Gesichtes

dung mit dem Verbum rädere nur für eine Reminiszenz eines Renaissancelesers, der sich an Juvenal 14, 7 erinnerte, wo rädere tubera terrae nur für das Auge ähnlich aussieht, während es etwas ganz anderes bedeutet. Nicht Heinsius hat mit seiner Empfehlung von tubera recht, sondern der von ihm der Unwissenheit geziehene Ciofano. Man sollte es sich lange überlegen, bis man diesem Gelehrten einen derartigen Vorwurf macht. 87 Wenn Tacitus, Annalen 1 , 3 5 , 4 (mit Andresens erklärender Bemerkung) wirklich ein Kriterium liefert — aber dort handelt es sich um das Schwert und die Scheide —, so könnte der Sinn, der „losgerissen" erfordert, mehr für direptum als iva derepium sprechen. Ovid, Metamorphosen 3, 52; 10,475; 1 1 , 29 und 15, 304 schwanken die Handschriften, aber die Stellen können hier nicht diskutiert werden. 88 Der Gebrauch von modicus im Sinne von parvus wird im Spätlatein und im Mittelalter häufig. 89 ptrdensaforamina kehrt Metamorphosen 12,438 an gleicher Versstelle wieder. 92 Wennparent richtig ist, kann es entweder, wie Kunz 76 erklärt hat, im Sinne von faciant (ausmachen, betragen) verstanden werden, oder es bedeutet: der Fenchel soll fünf scripula liefern, das heißt für die Verwendung bereit stellen. Ein scripulum ist der vierundzwanzigste Teil einer Unze, entspricht also etwa 1, 14 Gramm. 94 Auch Vergil, Ekloge 8, 65 bezeichnet eine bestimmte Art starken Weihrauchs als männlich. — Das Hammonssalz wird nach Plinius, Naturgeschichte 31, 78 f. im Sande der libyschen Wüste gefunden. Es ist benannt nach dem Gott Hammon, dessen Orakel in einer Oase lag. 97 f. Das Distichon ist nicht mit Sicherheit herzustellen. Jeder Herausgeber hat versucht, die Schwierigkeit auf anderem Wege zu beseitigen. Ich fürchte, daß sich über Abwägen der verschiedenen Möglichkeiten nicht hinauskommen läßt. Sicher ist, daß die Worte des Dichters eine Empfehlung des von 83 ab beschriebenen Mittels enthalten müssen. Daraus ergibt sich, daß color nur im Sinne eines störend und häßlich wirkenden Ubermaßes an Farbe im Gesicht verstanden werden kann. Sie wird nicht bleiben, sondern verschwinden, selbst wenn das Mittel nur während einer geringen Zeitspanne angewendet wird, multus statt nullus kommt also nicht in Betracht. Die beiden Stellen Amores 2, 1 1 , liQuam tibi Sit toto nullus in ore color und Ars 3, 74 Et perit, in nitido quifuit ore, color lassen sich nicht vergleichen. An der ersten Stelle handelt es sich um die körperliche Folge des Angstgefühls, also um Erblassen, an der zweiten um die Folgen des Alterns. Auf keinen Fall darf man Ovids Worte etwa auf Färben oder Schminken des Gesichts beziehen. Ob er in anderen, nicht erhaltenen Teilen des Gedichtes darüber gesprochen hat, können wir nicht wissen, wahrscheinlich genug ist es. Hier ist es ihm nur um Störungen auf der Haut des Gesichts zu tun. Die beste Bestätigung gibt Plinius in der Naturgeschichte 3 1 , 1 1 6 , der bei der Besprechung des nitrum ausdrücklich betont, daß es rauhe Stellen auf den Backen beseitigt. Für die Konstruktion des Verbums inlinere kann der Vers Ars, 3, zw Quem non offendat totofaex inlita vultu eine Analogie liefern. Wenn wir ihr folgen und an inlita vultu festhalten, erhebt sich die Frage nach dem Subjekt oder mit anderen Worten, ist inlita Femininum Singularis oder Neutrum Pluralis? Nach Kunz 76 ist die 67 AmüiQuaecumque bezeichnete puella oietfemina gemeint. Das wäre schwer zu glauben, selbst wenn der Zusammenhang ununterbrochen wäre. Das ist, wie wir gesehen haben (o. zu 69) nicht der Fall. Trotzdem läßt sich inlita als Femininum fassen, wenn man vultu seines Attributes molli (vgl. aber 100 teneris genis) beraubt und zu dem stärker bezeugten mollis seine Zuflucht nimmt, indem man es als ein Mädchen mit zartem Teint versteht. Diese Auffassung hat etwas Gezwungenes. Andererseits kann man mollis auch als mollis verstehen, nur daß dann die Änderung von vultu in vultus unvermeidlich wird. Tut man das, so gibt man die Analogie der Arsstelle auf zugunsten einer an sich nicht unmöglichen Konstruktion. Will man beides nicht, so ist das am stärksten bezeugte sit unhaltbar, und es bleibt nur die Wahl zwischen sint und der Konjektur «V. Im ersten Falle wäre als Subjekt zu ergänzen haec (diese zu einem Mittel zusammengestellten Teile), wie wir es 89 als Objekt haben, und die Ausdrucksweise würde der des Verses in der 'Ars' toto faex

Erläuterungen

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inlita vultu entsprechen, sis würde an sich gut im Einklang stehen mit den direkten Anreden, die sich von 51 ab finden, und mit den Imperativen Adice und cerne, aber ob die Konstruktion sis molli. inlita vultu oder mollis. inlita vultus sehr empfehlenswert ist, lasse ich dahingestellt. Die in 97 f. angegebene Wirkung des Mittels markiert hier deudich den Abschluß. Das Distichon hat 99 f. dieselbe Funktion wie 67 f. Auch hier schließt der Dichter mit einer allgemeinen Bemerkung über die Wirkung, bevor er zu etwas Neuem übergeht. Daher ist jede Erklärung, die 99 f. mit den vorhergehenden Distichen zu verbinden sucht, zu verwerfen. Der neue Einsatz wird auch durch das emphatische Vidi bezeichnet, das sich ähnlich z. B. Remedia 101 findet. Wenn von dem neuen Rezept nur noch zwei Verse erhalten sind, so ist daraus zu schließen, daß der alte Archetypus je 25 Verse auf einer Seite gehabt haben muß. Wenn seine folgenden Blätter nicht meht erhalten waren oder aus irgendeinem Grunde nicht abgeschrieben wurden, so war der Kopist so gewissenhaft, daß er das eine Distichon, das noch unten auf dem Blatte stand, nicht unterdrückte, sondern abschrieb, obwohl es, isoliert wie es ist, nicht mehr deutlich erkennen läßt, worauf der Dichter hinauswollte. Mit Sicherheit ist nur aus dem Verbum inlimret mit dem Zusatz genis zu erkennen, daß er sich noch weiter mit der Pflege des Gesichts oder der Gesichtshaut beschäftigen wollte. Vielleicht darf man mit der Bemerkung über den zerriebenen und auf die Backen gestrichenen Mohn eine Notiz des Plinius kombinieren. In der Naturgeschichte 19, 21 sagt er nämlich, daß es unter den Mohnsorten eine bestimmte gebe, die der Leinwand einen besonderen Schimmer verleihe. Die Worte praecipuum candorem sind genau das, was die Frau durch die Anwendung der von 51 ab beschriebenen Mittel zu erreichen wünscht und hofft.

REGISTER Alter (aetas) 45 Ammons- (Ammoniacus) 94 (s. Salz) Antlitz s. Gesicht Arm (lacertus) 75 Athos 30 Attisch 82 (s. Honig) Baum (arbor) 6 Beschwörungslitanei (cantus) 39 Bleiweiß (cerussa) 73 Boden (bumus) 3. 74 Bohne (faba)? 70 Brauch (lex) 25 Brombeerbusch (rubus) 4 Bürde (onus) 22 Ceres (Gaben d«*r) 3 f. Dach (tectum) 7 Drittel Pfund (triens) 86 Edelstein (gemma) 20 Ei (ovum) 55 Elfenbein (ebur) 10 Erdefterra) 8 Erve (ervum) 55 Erzbecken (aes) 41 Eselin (asella) 58

Gewicht (ponius) 76. 79. 86 Glieder (artus) 51 Gold (aurum) 7 Gram (dolor) 48 Gras (gramen) 37 Grund (causa) 48 Gummi 87 Haat (capillas) 19; (coma) 29 Hals (collum) 21 Hand (manus) 20/36. 93; (dextra) 64 Hirsch (cervus) 59 Höhlung s. Sieb Honig (mel) 66. 82. 90 Horn (cornu) 59 Illyrisch 74 (s. Boden) Indien 10 Iris 74 Iunonisch 33 (s. Pfau) Kessel (aenum) 9 Kleidung (vestís) 18 Körper (corpus) 18. 70. 81. 8j Kräuter (herbat) 35 Kunstfertigkeit (ars) 36

Farbe (color) 98 Fenchel (maratb(r)us) 91. 92 Flecken (macula) 78 Frucht (pomum) 5 Fülle (opes) 6 Fürsorge (cura) 1. 23; (tutela) 43

Land (rus) 12. 29 Liebe (amor) 27. 35. 45. 50 Libysch 53 (s. Siedler) Loch s. Sieb Luft (aura) 57 Luna 42 Lupine 69

Gerste (bordeum) 53. 56. 95 Gesicht (facies) 1. 44; (os) 52. 78. 98; (vultus) 46. 67. 97

Mädchen (puella) 1. 17. 43; (virgo) 32 Marmor 8. 64 Marsisch 39 (s. Beschwörungslitanei)

Register Matrone 13 Meerschaum '(balcyonea) 78 Mehl (farina) 61 Menge (mensura) 5 5 Mittel (medicamen) 67. 77 Mohn (papaver) 99 Mühlstein fmola) 58. 72 Myrrhe (murra) 88. 91. 92 Narzisse 63 Natron (nitrum) 73. 85 Nest (nidus) 77 Ohr (auris) 22 Osten (Orient) 21 Persönlichkeit s. Sitten Pfau (Iunonia volucr's) 33 Pflege(cultus) 3. 5. (7.12). 26 Pfund (.wj 60; (libra) 56. 71 Putzsucht (munditia) 28

Schönheit (forma) 45 Scripulum (Gramm) 92 Sechstel Pfund (sextans) 65 Sieb (eavum: Höhlung) 62; ('Joramen: Loch) 89 Siedler fcolonus) 53 Sitten ("mores) 43. 45 Sitz (stdik) 13 Spelt Csemen) 65 . Spiegel Cspeculum) 47. 68 Spreu fpaiea) 54 Staub (pulvis) 90 Stein (lapis) 21 Stute ("ejwaJ 38. (42) Tatius (König) 11 Temesäisch 41 (s. Erzbecken) Tuskisch 65 (s. Spelt) Tyrisch 9 (s. Kessel)

Umhüllung (tegmen) 54 Unze (uncia) 76. 80

Quelle (font) 40 Rechtschaffenheit (probitas) 49 Rinde (cortex) 63. 87 Rose 93. 96 Runzeln (rugae) 46, 48 Sabinerinnen 1 1 Sait(sucus) 5. 37 Salz (sal) 94. 96 Schaum (spuma) 73 Schlaf (somnus) 51 Schlange (anguis) 39 Schleim (cremor) 95; (virus) 38

Verfeinerung (deliciae) 10 Vergnügen (voluptas) 31 Wabe (favus) 82 Wange (gena) 100 Wasser (lympha) 99; (mda) 40 Weihrauch(tus) 83. 85. 94. 96 Wesensart (ingenium) 44 Wohlgestalt (forma) 32. 34. 45 Wollvlies (vellus) 9 Würfel (cubus) 88 Zwiebel (bulbus) 63. 65

TAFEL VERZEICHNIS 1. Der bestrafte Eros. Wandgemälde aus der 'Casa dell' Amore punito' in Pompeji (Neapel, Nationalmuseum). Nach P. Ducati, Die etruskische, italo-hellenistische und römische Malerei, Wien 1941, Taf. 76. 2. Medea vor dem Kindermord. Wandgemälde aus Herkulaneum (Neapel, Nationalmuseum). Nach Denkmäler der Malerei des Altertums, hrsg. von P. Herrmann, 1. Ser. Lief. 1, München 1906, Taf. 7. 3. Pasiphae und Daidalos. Wandgemälde in der'Casa dei Vettii'in Pompeji. Nach Denkmäler der Malerei des Altertums, hrsg. von P. Herrmann, 1. Ser. Lief. 4/5, München 1907, Taf. 38. 4. Phaidra und Hippolytos. Wandgemälde aus Herkulaneum (Neapel, Nationalmuseum). Nach L. Richardson, Pompeji. The Casa dei Dioscuri and Its Painters, Memoirs of The American Academy in Rome 23, Rom 1955, Taf. XLIII. 5. Achill nimmt Abschied von Briseis. Wandgemälde aus der'Casa dei poeta tragico'in Pompeji Neapel, Nationalmuseum). Nach einer Vorlage aus dem Nachlaß von G. Rodenwaldt. 6. Dido von Aeneas verlassen. Wandgemälde aus Pompeji (Neapel, Nationalmuseum). Nach Denkmäler der Maleret des Altertums, hrsg. von P. Herrmann, fortgef. von R. Herbig, 2. Ser. Lief. 3, München 1942, Taf. 214. 7. Odysseus bei Kirke. Wandgemälde aus dem Hause auf dem Esquilin in Rom (Vatikanstadt, Bibliothek). Nach K. Woermann, Die antiken Odysseelandschaften vom Esquilinischen Hügel zu Rom, München 1876, Taf. 5 (Ausschnitt). 8. Frau mit Spiegel. Wandgemälde aus Stabiae (Neapel, Nationalmuseum). Nach einer Vorlage aus dem Nachlaß von G. Rodenwaldt. 9. Eroten bei der Parfümbereitung. Wandgemälde in der 'Casa dei Vettii' in Pompeji. Nach einer Vorlage des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom (Neg. 31. 2739).

2. Medea vor dem Kindermord. Wandgemälde aus Herkulaneum.

3. Pasiphae und Daidalos. Wandgemälde aus Pompeji.

4- Phaidra und Hippolytos. Wandgemälde aus Herkulaneum.

5. Achill nimmt Abschied von Brisé is. Wandgemälde aus Pompeji.

6. Dido von Aeneas verlassen. Wandgemälde aus Pompeji.

Odysseus bei Kitke. Wandgemälde aus dem Hause auf dem Esquilin in Rom.

8. Frau mit Spiegel. Wandgemälde aus Stabiae.