Otto Scheel (1876–1954): Eine biographische Studie zu Lutherforschung, Landeshistoriographie und deutsch-dänischen Beziehungen 9783666557767, 9783525557761

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Otto Scheel (1876–1954): Eine biographische Studie zu Lutherforschung, Landeshistoriographie und deutsch-dänischen Beziehungen
 9783666557767, 9783525557761

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Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte

Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Siegfried Hermle und Harry Oelke Reihe B: Darstellungen Band 61

Vandenhoeck & Ruprecht

Carsten Mish

Otto Scheel (1876–1954) Eine biographische Studie zu Lutherforschung, Landeshistoriographie und deutsch-dänischen Beziehungen

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 3 Abbildungen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-140X ISBN 978-3-525-55776-1 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck und Bindung: Hubert & Co GmbH & Co. KG, Robert-Bosch-Breite 6, 37079 Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Otto Scheel – (k)ein Fall für die Biographie? . . . . . . . . . . 1.2. Quellen, Forschungsstand und Aufbau der Arbeit . . . . . . .

9 9 18

2.

Kulturprotestantismus im Kaiserreich . . . . . . . 2.1. Nordschleswig – Halle – Kiel . . . . . . . . . 2.1.1. Kindheit und Jugend . . . . . . . . . . 2.1.2. Akademische Qualifikation . . . . . . . 2.1.3. Theologisches Forschungsfeld . . . . . 2.2. Professor im ,Tübinger Idyll‘ . . . . . . . . . 2.2.1. Gelehrtenleben am Österberg . . . . . 2.2.2. Theologisches Forschungsfeld . . . . . 2.3. Ende der ,Idylle‘ – die Weltkriegsjahre . . . . 2.3.1. Politisches Denken und Kriegserlebnis 2.3.2. Theologisches Forschungsfeld . . . . .

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3.

Positionswechsel in der Weimarer Republik . . . . . 3.1. Vom Kirchen- zum Landeshistoriker . . . . . . 3.1.1. Kriegsende, Weimar und Versailles . . . 3.1.2. Nordschleswigfrage und Kieler Berufung 3.2. Zwischen Mäßigung und Konfrontation . . . . 3.2.1. Grenz- und Minderheitenpolitik . . . . . 3.2.2. Historisches Forschungsfeld . . . . . . . 3.2.3. Theologisches Forschungsfeld . . . . . .

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4.

Mobilmachung im Nationalsozialismus . . . . . . 4.1. Die ,Friedensjahre‘ . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1. Weimars Ende und NS-Diktatur . . . . 4.1.2. Historisches Forschungsfeld . . . . . . 4.1.3. Theologisches Forschungsfeld . . . . . 4.2. Der Zweite Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1. Politisches Denken und Kriegserlebnis 4.2.2. Werbung im besetzten Dänemark . . . 4.2.3. Historisches Forschungsfeld . . . . . .

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6

Inhalt

5.

Sinnstiftungsversuche in der Nachkriegszeit . 5.1. Rückzug nach Schleswig(-Holstein) . . . 5.1.1. ,Stunde Null‘ . . . . . . . . . . . . 5.1.2. Anwalt schleswigscher Belange . . 5.1.3. Historisches Forschungsfeld . . . 5.2. Memoria und Vergessen . . . . . . . . .

6.

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311

7.

Quellen- und Literaturverzeichnis 7.1. Quellen . . . . . . . . . . . . 7.1.1. Ungedruckte Quellen . 7.1.2. Gedruckte Quellen . . 7.2. Literatur . . . . . . . . . . . .

8.

Ergänzungen zur Bibliographie Otto Scheels . . . . . . . . . . . . 365

9.

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367

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10. Personenregister / Biogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371

Vorwort Den langen Weg von erster Projektidee bis Drucklegung einer Doktorarbeit meistert niemand allein und ohne Hilfe. Denjenigen, die mich dabei begleitet und unterstützt haben, möchte ich an dieser Stelle Dank sagen. Nach dem Ersten Staatsexamen wäre ich nicht vom eigentlich geplanten Referendariat Richtung Promotion ,abgebogen‘ ohne das Zutun meiner Doktorväter, Christoph Cornelißen und Olaf Mörke. Sie schufen die Basis für vier spannende Jahre als Mitarbeiter am Historischen Seminar der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel, in denen sie das Kunststück bewerkstelligten, Förderung und Freiräume so auszutarieren, dass mir weder das eine noch das andere fehlte. Zudem konnte ich stets auf Birgit Aschmann bauen, die meinen Weg durch die Universität vom ersten Semester bis Abschluss der Promotion begleitet hat. Ihr danke ich nicht nur als akademischer Lehrerin, sondern auch als guter Freundin für unzählige heitere Stunden am heimischen Küchentisch. Neben den Anregungen meiner Kieler Betreuenden profitierte ich bei der Sondierung viel versprechender Pfade durch das biographische Dickicht von der Hilfsbereitschaft jener, die sich bereits vor mir mit Otto Scheel beschäftigt hatten. Dies gilt vor allem für Karl-Heinz Fix und Hans-Christian Petersen, die mir wertvolle Hinweise für die Kartierung meines Weges durch die Archivlandschaft gaben. Stellvertretend für das dabei von mir geschundene Archivpersonal sei an dieser Stelle Frau Jutta Weber von der Staatsbibliothek zu Berlin genannt. Ihr dankte das Schicksal dafür, dem ihr unbekannten Kieler Doktoranden einen unverzeichneten Nachlass zugänglich gemacht zu haben damit, samt Besucher und diversen Kartons in einem der kleinsten Fahrstühle Berlins stecken zu bleiben. Für Abwechslung auf den Archivreisen sorgten neben derlei Episoden Freunde und Verwandte, die mir vor Ort Obdach gewährten: Henning Lorenzen, Jan Kusber und Julia Röttjer, Svenja und Dieter Schmid sowie Hartmut und Marianne Klatt sorgten für warme Betten, volle Teller, gute Tropfen und ,scheelfreie‘ Gespräche. Ganz und gar im Zeichen Otto Scheels stand hingegen der Austausch mit Jürgen Rohweder und Wolfgang Rabl, die mir aus ganz persönlicher Perspektive über Ihren Großvater bzw. Großonkel sowie familiäre Hintergründe berichteten. Obwohl der Blick des Forschers notwendiger Weise ein gänzlich anderer sein muss als der des Anverwandten, gaben sie mir in großer Offenheit Auskunft und stellten private Unterlagen zur Verfügung. Hierfür bin ich ihnen sehr verbunden. Nach Abschluss der Recherchen und Fertigstellung des Manuskripts haben sich Tatiana Niemsch, Henning Schröder und Uwe Stock als gute Freunde liebenwerter Weise bereit erklärt, meinen orthographischen und stilistischen

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Vorwort

Schwächen nachzuspüren. Dafür den weiteren Weg zur Publikation frei gemacht zu haben danke ich ebenso herzlich der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte, zumal Siegfried Hermle und Harry Oelke als Herausgeber der Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte nie die Geduld mit mir verloren, wenn berufliche und familiäre Verpflichtungen die Formatierung des Manuskripts ,wieder einmal‘ verzögerten. Wenn hier kein weiterer Aufschub notwendig war, so ist dies nicht zuletzt der tatkräftigen Hilfe von Sascha Borck geschuldet. Der für mich steinigste Teil meines Promotionsweges lag indes zwischen Recherchen und Drucklegung – die Schreibphase. Ohne die grenzenlose Geduld und den Zuspruch meiner damaligen Freundin und heutigen Frau Christine, die auf unzähligen Fahrradtourkilometern am Nord-Ostsee-Kanal meine Anfechtungen therapierte, hätte ich die Arbeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zehn Tage vor Geburt unseres ersten Nachwuchses im Prüfungsamt einreichen können. Wo sie während der Schwangerschaft diese unglaubliche Energie hernahm, wird mir für immer ein Rätsel bleiben. Wenn ich Christine und unseren mittlerweile zwei Kindern, Hendrik und Inga, diese Arbeit nicht zueignen kann, so nur deswegen, weil es mit meinen Eltern Personen gibt, die den Weg zur Promotion noch deutlich länger begleitet haben. Für ihre Selbstlosigkeit fehlen mir auch nach längerem Überlegen die Worte, und so widme ich ihnen dieses Buch in sprachloser Dankbarkeit. Ahrensburg, im Juli 2015

1. Einleitung 1.1. Otto Scheel – (k)ein Fall für die Biographie? In den Mittagsstunden des Buß- und Bettages 1954 fand sich eine große Trauergemeinde in der Kapelle des Kieler Friedhofs Eichhof ein, um dem am vorhergehenden Sonntag im Alter von 78 Jahren verstorbenen Emeritus Otto Scheel die letzte Ehre zu erweisen. Mit den Klängen von „O Welt, ich muß dich lassen“ begann die vom Kurator der Christian-Albrechts-Universität ausgerichtete Trauerfeier, in deren Mittelpunkt die Predigt des Theologieprofessors Martin Redeker stand1. Dieser würdigte Scheel mit Verweis auf seine Lutherstudien als einen der „Großen der Kirchen-Historiker der ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts“2. Dessen Wechsel vom kirchenhistorischen Ordinariat in Tübingen auf eine landesgeschichtliche Professur in Kiel im Jahre 1924 beschrieb er als „neuen Abschnitt seines Gelehrten-Lebens“, in dem „feinsinniges Verständnis für das nördliche Nachbarvolk“ seiner Arbeit förderlich gewesen sei. Der doppelten Meriten des Heimgegangenen sowohl in der Kirchen- als auch in der Landeshistorie gedachte ebenfalls der Universitätsrektor. Er verwies auf Scheels vier Ehrendoktorwürden und die besondere Ausrichtung seines Lehrstuhls als Ordinariat für schleswig-holsteinische Landesgeschichte, Reformationsgeschichte und nordische Geschichte, das seinerzeit „eigens für ihn“ geschaffen worden sei, den „unerschrockenen Kämpfer für seine Überzeugung“. Zum Abschluss der Trauerfeier würdigte nach dem Grußwort des Dekans der Philosophischen Fakultät noch einmal der Professor für Landesgeschichte, Alexander Scharff, das Œuvre seines 1945 emeritierten Vorgängers. Dieses habe „in einem weiten Bogen“ von der Erforschung Haithabus über die deutsch-dänischen Beziehungen „bis in die jüngste Vergangenheit“ hineingereicht. Auf die der akademischen Würdigung verpflichtete Gedenkstunde folgte am Nachmittag eine weitere Totenfeier in Haddeby bei Schleswig, wo der Verstorbene auf eigenen Wunsch in unmittelbarer Nähe zur Ausgrabungsstätte Haithabu beigesetzt wurde. Zwar betonte auch hier der Haddebyer Pastor zunächst die wissenschaftlichen Leistungen des Dahingeschiedenen und hob hervor, wie sich bei ihm „kritisches Denken“3 mit „einem sicheren 1 Vgl. Programmentwurf des Kieler Universitätskurators für die Trauerfeier Otto Scheels (LASH Schleswig, Abt. 399.170, Nr. 67). 2 „Unerschrockener Kämpfer für seine Überzeugung. Trauerfeier für Professor Otto Scheel“, in: FLT, 19. 11. 1954. Alle nachfolgenden Zitate des Absatzes finden sich ebenfalls dort. 3 „Abschied von Professor D. Dr. Scheel“, in: SLN, 19. 11. 1954. Alle nachfolgenden Zitate des

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Einleitung

Gefühl für Gerechtigkeit“ gepaart habe. Ihr Gepräge erhielt die Trauerveranstaltung jedoch durch Repräsentanten aus Politik, Heimatverbandswesen und Minderheitenorganisationen. Die politische Ebene war neben den Spitzen des Schleswiger Magistrats durch den Vorsitzenden der Landtagsfraktion des Schleswig-Holstein-Blocks vertreten, der mit Scheel seinen Landesvorsitzenden zu Grabe trug. Mit den Vorsitzenden von Grenzfriedensbund und Schleswig-Holsteinischem Heimatbund befanden sich ebenfalls Vertreter der wichtigsten Heimatverbände unter den Trauergästen. Für die deutsche Minderheit in Nordschleswig war der Vorsitzende des Bundes der deutschen Nordschleswiger aus Scheels Geburtsort Tondern angereist. Letzterer erwies dem Verstorbenen die Reverenz, indem er stellvertretend für die Minderheit gelobte, man werde Scheel nie vergessen, wie auch er seine Heimat nie vergessen habe. Für das Haddebyer Trauergefolge stand somit weniger der verdiente Wissenschaftler als der Homo politicus im Mittelpunkt, dessen Verdienste um die deutsch-dänischen Beziehungen es zu würdigen galt. Dass hiervon beide Nationalitäten dies- und jenseits der Grenze profitiert hatten, stand für die Versammelten außer Zweifel. Zum Abschluss der Trauerfeier wurde auf dem Grab ein Kranz mit der Inschrift niedergelegt: „Möge von diesem Leben der Wunsch zu einem aufrichtigen und wahrhaftigen Zusammenleben der Menschen und Völker ausgehen!“ Otto Scheels Leben aus der Perspektive der Trauernden Revue passieren zu lassen, soll nicht nur dem Zweck dienen, die außerordentliche Wertschätzung seiner Person zum Zeitpunkt des Todes zu illustrieren. Der frühe Gang ans Grab des Protagonisten der vorliegenden Untersuchung ist ebenso der schlichten Notwendigkeit geschuldet, einleitend die wichtigsten Wegmarken einer Vita abzustecken, deren nähere Kenntnis vorauszusetzen nicht möglich ist. Allen lobenden Worten, Ehrerbietungen und Versprechen des würdigen Andenkens zum Trotz ist Otto Scheel heute weitgehend vergessen. Darüber hinaus sind die für Trauerfeiern charakteristischen Positivbilanzen von wissenschaftlichen Untersuchungen, sofern sie Scheel berücksichtigten, nur in Teilen bestätigt worden. Bis in die 1990er Jahre ergaben eine Reihe von Verweisen in der Forschungsliteratur ein ähnliches Bild wie das der Trauerredner des Buß- und Bettages 1954. Bei Scheel schien es sich demnach um einen liberaltheologisch orientierten Kirchenhistoriker gehandelt zu haben, der nach dem Wechsel auf die Kieler Landesgeschichtsprofessur deeskalierend auf den deutsch-dänischen Nationalitätenkonflikt einzuwirken suchte. Im Anschluss daran förderten dementgegen verschiedene Studien vor allem mit Blick auf die NS-Zeit erste Hinweise zu Tage, wonach Scheel als Wissenschaftler wie Wissenschaftsorganisator völkischen Theoremen huldigte, sich den braunen Machthabern andiente und in Dänemark während der Besatzungszeit des Absatzes sowie die weiteren Angaben zum Ablauf der Trauerfeier in Haddeby finden sich ebenfalls dort.

Otto Scheel – (k)ein Fall für die Biographie?

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Zweiten Weltkriegs das Okkupationsregime zu stützten suchte. Besonders klare Worte fanden in diesem Zusammenhang Hartmut Lehmann und Helmut Heiber. Während Ersterer seine Synopse der Scheel’schen Lutherdeutung in den 1930er Jahren mit „Luther als Kronzeuge für Hitler“4 betitelte, urteilte Letzterer, der Ordinarius für Landesgeschichte sei ein „fröhlicher Marschierer in den braunen Reihen“5 gewesen. Zum Befund weitgehender Vergessenheit ist demnach der wissenschaftlicher wie politischer Umstrittenheit hinzuzufügen – ist Otto Scheel damit überhaupt ein Fall für die Biographie? Falls ja, mit welchen Erkenntniszielen gilt es sich dann seiner Person zu nähern? In Anbetracht von biographischem Ausgangsbefund und Forschungsstand erscheint es lohnenswert, den vorgestellten Lebensweg vordringlich mit Blick auf vier Themenkomplexe zu untersuchen. Erstens gilt es in theologiegeschichtlicher Perspektive Scheels Gang aus dem liberaltheologischen Lager, dem ihn ältere Studien zurechnen, in die Reihen der NS-affinen Universitätstheologen genauer zu beleuchten, auf den jüngere Untersuchungsergebnisse hindeuten. Ursachen, Umstände und Folgen dieses Weges zu erhellen, wirft nicht nur ein Schlaglicht auf die Genese des kulturprotestantischen Gelehrtenmilieus im wilhelminischen Deutschland, dessen diffuse Binnenstruktur biographische Sondierungen besonders lohnenswert erscheinen lässt6. Des Weiteren können über die Erschließung von Scheels akademischtheologischem Werdegang Bausteine zur Untersuchung von Lutherforschung sowie Positionierung evangelischer Kirchenhistoriker zwischen der Weimarer Republik und dem ,Dritten Reich‘ beigesteuert werden. Besonders Letztere galt der Forschung noch vor wenigen Jahren als „nur in Ansätzen erforschte Größe“7. Zu einer Revision dieses Diktums gibt die Publikationstätigkeit zur Thematik in der letzten Dekade keinerlei Anlass8. Zweitens bedürfen die ausschlaggebenden Faktoren für Scheels fachfremde Bestallung als Professor für Landesgeschichte sowie seine damit verbundene Betätigung besonderer Aufmerksamkeit. Zwar wird die Berufung auf das Kieler Ordinariat stets mit seinem Engagement in der Nordschleswigfrage in Verbindung gebracht, genauere Kenntnisse liegen jedoch ebenso wenig vor wie hinsichtlich seines Profils als Forscher. Eine kritische Vermessung ist hier besonders im Hinblick darauf notwendig, mit welchem historiographischen Programm er sich zu etablieren suchte. Antworten auf diese Fragen zu formulieren bietet sich nicht nur deswegen an, weil so die Geschichte der schleswig-holsteinischen Landeshistoriographie erhellt werden kann, welche 4 Lehmann, Kronzeuge, 413. 5 Heiber, Universität, Teil 2, Bd. 2, 386. 6 Vgl. Graf, Kulturprotestantismus, 231–238; ders., Begriffsgeschichte, 22 f.; und H binger, Kulturprotestantismus, 4–6. Als Beispiele biographischer Annäherungen an den Kulturprotestantismus sei verwiesen auf Bauer, Kulturprotestantismus; und Crystall, Frenssen. 7 Oelke, Problembestimmung, 12. 8 Zu den wenigen seit Oelkes Urteil erschienenen Studien zählen unter anderem Dingel, Instrumentalisierung; und Schendel, Kirchenhistoriker.

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Einleitung

trotz des merklichen Aufschwungs der letzten Jahre noch in großen Teilen ungeschrieben ist9. Davon abgesehen können mit Scheels Wirken als Ordinarius für Landesgeschichte seine Berührungspunkte mit dem völkischen Wissenschaftsbetrieb in den Fokus gerückt werden, auf die von der Forschung verschiedentlich verwiesen wurde, ohne sie genauer in Augenschein zu nehmen. Dies erscheint insofern lohnenswert, als einerseits die Landeshistoriographie generell im Ruf steht, als Hochburg der Volksgeschichte einer Ideologisierung historischer Wissenschaft im Sinne des Nationalsozialismus Vorschub geleistet zu haben, andererseits jedoch ihre Disziplingeschichte nur unzureichend erforscht ist10. Eine biographische Annäherung an Scheel kann folglich nicht nur mit Blick auf die Genese der historischen Landesforschung an der Kieler Universität eine Wissenslücke schließen helfen,11 sondern darüber hinaus weitere Mosaiksteine zur allgemeinen Disziplingeschichte beitragen. Vor dem Hintergrund der verschiedentlich angedeuteten Dänemark-Bezüge wird drittens Scheels Positionierung im deutsch-dänischen Beziehungsgeflecht einen Untersuchungsschwerpunkt bilden, vor allem mit Blick auf die Grenzziehung im Norden Schleswig-Holsteins sowie den Umgang mit den nationalen Minderheiten beiderseits der Demarkationslinie. Die Zeremonien bei der Trauerfeier in Haddeby belegen, dass Scheel sich aus Sicht seiner schleswig-holsteinischen Landsleute um gute nachbarschaftliche Kontakte gen Norden in mehrfacher Weise verdient gemacht zu haben schien, was ältere Forschungsergebnisse bestätigen. Neuere Untersuchungen verweisen dementgegen auf seine Vernetzung in einem latent revanchistischen Wissenschaftsbetrieb sowie den propagandistischen Einsatz im besetzten Dänemark während des Zweiten Weltkrieges. Aufgrund dieses Widerspruchs wird zu eruieren sein, mit welchen Mitteln und Zielen Scheel inner- wie außerakademischen Einfluss auf das deutsch-dänische Verhältnis zu nehmen suchte, wie dieses Engagement aufgenommen wurde und welche Ergebnisse es zeitigte. Mit diesen Interventionsversuchen stehen neben historiographischen zugleich Aspekte der Universitäts- und Landesgeschichte im Fokus. Viertens und letztens erscheint eine politische Einordnung Scheels notwendig. Der genauere Blick auf sein politisches Koordinatensystem ist zum einen unverzichtbar, weil Homo academicus und Homo politicus kaum zu trennen sind. Wissenschaft und Politik können prinzipiell nicht als separate 9 Als erste Arbeit mit dezidiertem Fokus auf die Geschichte der schleswig-holsteinischen Landeshistoriographie ist zu nennen Jessen-Klingenberg, Geschichtsschreibung. Zu den Arbeiten jüngster Zeit, welche vom neuerlichen Forschungsinteresse an der schleswig-holsteinischen Historiographiegeschichte zeugen, zählen unter anderem Auge / Gçllnitz, Hansegeschichte; dies., Zeitschriften; Cordes, Regionalgeschichte; und Gçllnitz, Umbruch. 10 Vgl. Wallraff, Landesgeschichte, 246–248; Werner, Landesgeschichtsforschung, 160; und ders., Begrenzung, 303–305, 311. 11 Zum aktuellen Stand der Aufarbeitung der NS-Zeit an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel siehe Auge / Gçllnitz, Christian-Albrechts-Universität, 48 f.

Otto Scheel – (k)ein Fall für die Biographie?

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oder gar konträre Sphären im Sinne ,objektiver Wissenschaft‘ versus ,ideologisierte Politik‘ verstanden werden12. Die Untersuchung historiographischer Deutungsmuster wirft somit zwangsläufig die Frage nach den politischen Überzeugungen des Urhebers auf. Zum anderen umspannt Scheels Lebenslauf das gesamte „deutsche ,Zeitalter der Extreme‘“13 und damit eine Phase vielfältigster gesellschaftspolitischer Krisen und Umwälzungen. Da dies eine ganze Reihe von Umbruchserfahrungen und Neuorientierungen unausweichlich machte, stellt sich umso drängender die Frage nach Scheels politischer Verortung und seinem daraus erwachsenden Handeln beim „Durchgang durch wechselnde Strukturen“14. Über diese aus dem biographisch-historiographischen Befund abgeleiteten Erkenntnisziele sind einige Vorüberlegungen zur Theorie lebensgeschichtlicher Forschung notwendig, will man sich nicht auf das Credo verlassen, dass jedes Menschenleben eine Erzählung verdient, „wenn sich nur der Erzähler Rechenschaft giebt [sic!], was er erreichen will“15. Zwar ist wiederholt festgestellt worden, dass es der Biographik an einer geschlossenen theoretischen Grundlage fehle, Letztere mithin „unverändert unbefriedigend“16 oder gar ein „Labyrinth mit zahlreichen […] Ein- und Ausgängen“17 sei. Dessen ungeachtet hat sich in der Fachdiskussion ein relativ fester Kern von Voraussetzungen und Annahmen herausgeschält, denen Rechnung zu tragen disziplinübergreifend Gemeingut von Arbeiten mit biographischem Fokus geworden ist18. Die wichtigsten dieser Charakteristika sollen im Folgenden unter Berücksichtigung der damit verbundenen Konjunkturen des Genres systematisiert werden. Dies dient dem doppelten Zweck, methodisch-theoretische Ausgangsbedingungen für eine Biographie Scheels auszuloten und damit gleichzeitig die Grundlagen zu skizzieren, aus denen sich der Zuschnitt der vorliegenden Ausarbeitung ableitet. Wäre kurz nach Otto Scheels Tod der Plan gefasst worden, sein Leben biographisch zu verarbeiten, hätte wegen des Vorhabens kaum Klärungsbedarf bestanden. Die Biographik erlebte in den Nachkriegsjahrzehnten eine Phase des „erneuerten Historismus“19 und blieb einem Genie- und Individualitätsideal verpflichtet, dessen Dominanz zunächst unangefochten war20. So besaß auch nach 1945 das Diktum Wilhelm Diltheys noch Zugkraft, dass 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Vgl. Ash, Wissenschaft, 33, 50. Wehler, Gesellschaftsgeschichte, 985. Niethammer, Kommentar, 92. Werner, Biographie, 115. Petersen, „Ostforscher“-Biographien, 829. Klein, Handbuch, XIII. Vgl. Fetz, Leben, 8. H hner, Biographik, 4. Vgl. Klein, Einleitung, 9–11; und Rauh-K hne, Individuum, 218 f. Besonders während des Lamprechtschen Methodenstreites und in der Zwischenkriegszeit war an der traditionellen Biographik bereits massiv Kritik geübt worden, siehe H hner, Biographik, 187–198.

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Einleitung

„der historische Mensch, an dessen Dasein dauernde Wirkungen geknüpft sind, […] in höherem Sinne würdig“21 sei, Gegenstand einer Biographie zu sein22. Dass Scheel im Urteil seiner Zeitgenossen als eine solche Person galt, belegt neben dem Ablauf der Trauerfeierlichkeiten unter anderem der an ihn herangetragene Wunsch, seine Memoiren zu veröffentlichen23. Mit Blick auf die Ausgestaltung einer Biographie hätte sich zwischen den auf Wahrung ehrenvollen Andenkens bedachten Trauergästen und den potentiellen Autoren ebenfalls kein Graben auftun müssen, weil eine Scheels Ausnahmeleistungen betonende Darstellung den gängigen Konventionen voll entsprochen hätte. Würdigung, nicht Reflexion war bis weit in die Nachkriegszeit prinzipielles Anliegen des biographischen Genres, dessen Verwandtschaftsgrad mit der Festschrift oder dem Nekrolog oftmals höher war als mit analytischen Facharbeiten24. Eine derartige Scheel-Biographie wäre einige Jahrzehnte später in Fachkreisen kaum mehr konkurrenzfähig gewesen. Zum einen entwickelte sich die Historiographiegeschichte vom Medium positiver Selbstvergewisserung zu einem Instrument kritischer Analyse25. Zum anderen schlug mit dem Aufkommen der Sozialgeschichte das historiographische Pendel zu Ungunsten der Biographie aus. Warnenden Worten aus der Zunft zum Trotz26 galt sie bald nach fachinterner Mehrheitsmeinung als „atavistischer Wurmfortsatz veralteter Disziplintradition“27 und der Versuch, sich mit einer Biographie wissenschaftlich zu qualifizieren, als Garant des akademischen Karrieretodes. Es dürfte mitnichten ein Zufall sein, dass die wenigen sehr erfolgreichen Biographien dieser Jahre keine Qualifikationsschriften waren28. Das vielzitierte „Unbehagen an der wissenschaftlichen Biographie“29 ist jedoch Episode geblieben. Im angelsächsischen Raum war es ohnehin nie so ausgeprägt wie unter deutschen und französischen Historikern, und auf dem populären Buchmarkt spielte es praktisch keine Rolle30. In der Fachwelt 21 Dilthey, Aufbau, 249. 22 Vgl. Schweiger, ,Biographiewürdigkeit‘, 33; und Winkelbauer, Plutarch, 38. 23 Vgl. Schreiben des Deutschen Schul- und Sprachvereins für Nordschleswig an Scheel vom 23. 3. 1954 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 69). 24 Vgl. Kaiser, Griewank, 12. 25 Grundlegend hierfür war die 1968 erschienene Studie von Georg Iggers (vgl. Iggers, Conception), deren erste deutsche Auflage 1971 unter dem Titel „Deutsche Geschichtswissenschaft. Eine Kritik der traditionellen Geschichtsauffassung von Herder bis zur Gegenwart“ erschien. Die Dichotomie Affirmation versus Kritik geht zurück auf Blanke, Typen, 197–201. 26 Vgl. Schieder, Strukturen, 157–194; und Schulze, Biographie, 508–518. 27 L ssig, Biographie, 540. 28 Vgl. Blair, Biografie, 38; und Rauh-K hne, Individuum, 217. Auf großes Interesse traf in jenen Jahren etwa Lothar Galls Bismarck-Biographie, vgl. Gall, Bismarck. 29 Szçllçsi-Janze, Haber, 9. 30 Vgl. Rauh-K hne, Individuum, 218. 1982 erschienen weltweit über 10.000 Biographien, siehe Klein, Einleitung, 1. Als Indikator für die bis heute auch in Deutschland ungebrochene Beliebtheit der Biographie auf dem allgemeinen Buchmarkt sei an dieser Stelle angemerkt, dass zum 90. Geburtstag von Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker allein vier Lebensbe-

Otto Scheel – (k)ein Fall für die Biographie?

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konnte die Biographie ihren Status als historiographisches Schmuddelkind im Zuge der Kritik an der Anonymität der Sozialgeschichtsschreibung abstreifen. Befördert wurde die Rehabilitierung ebenfalls durch den Aufschwung der Wissenschafts- und Historiographiegeschichte31. Gerade im Zuge der verstärkten Auseinandersetzung mit der eigenen Disziplingeschichte hat sich die Zahl der vorgelegten Historikerbiographien deutlich erhöht. Bezeichnend für die neue Wertschätzung des Genres ist dabei neben quantitativen Aspekten die Tatsache, dass eine breite Mehrheit dieser Arbeiten als Qualifikationsschriften verfasst wurde32. Die Trendwende spiegelt sich ebenfalls in der Theoriediskussion. War noch vor wenigen Jahren in einem entsprechenden Einführungswerk die Rede davon, zwischen Historikern und Biographen habe „der Himmel Zwietracht gesät“33, so ist heute an gleicher Stelle von einem „biographischen Boom in der Historie“34 die Rede. Zwischenzeitlich hat die Konjunktur derartige Ausmaße angenommen, dass gar ein „biographical turn“35 als nächster großer Paradigmenwechsel möglich schien. Die Rückkehr der Biographie hat sich dabei nicht als Revanchefeldzug gegen die Strukturgeschichte vollzogen. Vielmehr ist es angebracht, von Synthese anstatt von Konkurrenz zu sprechen, da sich im Vergleich zur eingangs skizzierten traditionellen biographischen Forschung die Grundlagen des Genres in mehrfacher Hinsicht gewandelt haben. Vier Punkte erscheinen dabei mit Blick auf die vorliegende Arbeit besonders erwähnenswert. Erstens ist es zu einer grundlegenden Neubewertung des Kriteriums der Biographiewürdigkeit gekommen. Mit dem Aufkommen der Mikro- und Alltagsgeschichte haben Historiker sozialgeschichtlicher Schule das Potential der Biographie entdeckt, über die Untersuchung von Einzelpersonen bisher weitestgehend unbeachtete Gesellschaftsgruppen zu erschließen. Mit dieser Aneignung des biographischen Zugangs durch eine Forschungsrichtung, welche aufgrund ihres Interesses an den Leben einfacher Menschen als „Geschichte von unten“36 firmierte, fiel die Beschränkung auf ,große Namen‘ bei der Suche nach geeigneten Untersuchungsobjekten37. In der Historiographiegeschichte hat sich im Zuge dieses Vorzeichenwechsels die Erkenntnis Bahn gebrochen, dass die „Breite der Normalhistoriker und ihre im Alltag der Wissenschaft

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schreibungen erschienen – die Neuauflage seiner Autobiographie nicht mitgerechnet, siehe „Oberster Bürger im imaginären Ältestenrat“, in: Süddeutsche Zeitung, 22. 3. 2010. Vgl. Bçdeker, Biographie, 16; L ssig, Biographie, 542; und Szçllçsi-Janze, Lebens-Geschichte, 20–22, 29–32. Als kleine Auswahl in chronologischer Reihenfolge nach Erscheinungsdatum: Hertfelder, Schnabel; Cornelißen, Ritter; Etzem ller, Conze; Eckel, Rothfels; M hle, Aubin; Kaiser, Griewank; Dunkhase, Conze; und Berg, Müller. Raulff, Leben, 55. Pyta, Geschichtswissenschaft, 331. L ssig, Biographical Turn, 147. Ehalt, Geschichte, 11. Vgl. Gestrich, Biographieforschung, 5–28; und Schweiger, ,Biographiewürdigkeit‘, 34 f.

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Einleitung

nicht weniger einflussreiche Geschichtsschreibung und -vermittlung“38 bisher kaum Beachtung gefunden hat. Konsequenzen sind daraus für die Forschungspraxis bis dato jedoch kaum gezogen worden. Eine Auseinandersetzung mit Otto Scheel bietet sich demnach aus biographietheoretischer Perspektive schon deswegen an, um jenen wenig beachteten Wissenschaftsbetrieb zu untersuchen, der hinter der Erschließung ,großer‘ Namen weit zurücksteht39. Zweitens bleibt festzuhalten, dass es im Zuge des Brückenschlags zur Sozialgeschichte zu einem Signum moderner Biographik geworden ist, den Protagonisten nicht bloß als Forschungsobjekt zu betrachten, sondern gleichzeitig als analytische Sonde zur Erfassung überindividueller Prozesse zu nutzen40. Bei dieser doppelten Indienststellung hat der Instrumentalcharakter mitunter so stark im Vordergrund gestanden, dass die biographische Erschließung selbst nach Auskunft der Autoren kein Desiderat der Forschung darstellte, sondern sich nur unter der Maßgabe eines Erkenntniszieles jenseits des Personalen rechtfertigen ließ41. Diesen neu entdeckten Möglichkeiten haben ebenfalls die Biographen profilierter Individuen Rechnung getragen. Als Beispiele können jene Historikerbiographien angeführt werden, deren Gegenstand eminente Größen der Disziplin sind. Neben der Erschließung ihrer Protagonisten haben sie dazu beigetragen, das von Lutz Raphael als „Historikerfeld“42 bezeichnete Ensemble institutioneller und kollektiver Rahmenbedingungen des Faches zu erhellen. Über das eigentliche Untersuchungsobjekt hinausführende Fragestellungen zu bearbeiten ist folglich zu einer Conditio sine qua non der Biographik neuen Zuschnitts geworden. Dieser Tatsache soll und kann im Rahmen der vorliegenden Studie Rechnung getragen werden. Welche Ansatzpunkte Scheels Vita hier bietet, ist bereits eingangs beschrieben worden. Über die Erschließung seiner Person können zum einen Entwicklungen im Forschungsfeld sowohl der theologischen als auch historischen Disziplin beleuchtet werden. Zum anderen macht sein politisches Engagement ihn zur Untersuchung der Interventionsversuche akademischer Kreise in den deutsch-dänischen Beziehungen interessant. Für die gegenwärtige Biographik ist drittens prägend, dass unter dem Eindruck strukturgeschichtlicher Ansätze das Konzept der autonomen Persönlichkeit verworfen wurde, dem die traditionelle Biographik zumeist hul38 Speitkamp, Landesgeschichte, 8. 39 Vgl. Raphael, Geschichtswissenschaft, 15 f. Als grober Indikator für die Konzentration auf eminente Fachgrößen kann angeführt werden, dass bis auf Karl Griewank alle Protagonisten neuerer Historikerbiographien über die Einträge einschlägiger Fachlexika zu finden sind, vgl. Bruch / M ller, Historikerlexikon. 40 Vgl. Runge, Biographik, 115; und Rauh-K hne, Individuum, 215 f. 41 Vgl. Frie, Marwitz, 28. Pionierarbeit auf diesem Gebiet leistete Carlo Ginzburg, vgl. Ginzburg, formaggio. Die erste deutsche Ausgabe erschien drei Jahre später unter dem Titel „Der Käse und die Würmer. Die Welt eines Müllers um 1600”. 42 Raphael, Geschichtswissenschaft, 17.

Otto Scheel – (k)ein Fall für die Biographie?

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digte. Infolgedessen trennte sich das Genre von der Vorstellung in sich konsequenter Werdegänge, die als exklusives Ergebnis folgerichtigen Handelns der untersuchten Person dargestellt werden konnten43. Stattdessen gilt es als gesichert, dass die Entfaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten eines Menschen bereits durch dessen Sozialisation im Kindesalter mitbestimmt werden, und später politische, wirtschaftliche sowie soziale Einflüsse hinzutreten44. Mit dem Verdikt, dass einen Lebenslauf ohne diese Faktoren zu ergründen dem Versuch gleiche, „eine Metro-Strecke zu erklären, ohne das Streckennetz in Rechnung zu stellen“45, prägte Pierre Bourdieu ein Zitat, das in der Biographietheorie kanonischen Status erreicht hat. Heute gilt es daher als Grundvoraussetzung biographischer Forschung, im Sinne einer breiten Kontextualisierung das Leben eines Menschen nicht mehr losgelöst von seiner Ausgangssituation und den daran anschließenden, wechselnden und vom Individuum oft wenig bis gar nicht beeinflussbaren lebensgeschichtlichen Rahmenbedingungen zu betrachten. Dies gilt es ebenfalls zu berücksichtigen. In die Untersuchung der vier skizzierten Themenkomplexe wird deshalb eine Reihe von familiären, lokal-, ereignis- und disziplingeschichtlichen Details einfließen, um dem Risiko zu begegnen, Scheel aus sich selbst heraus zu erklären46. Zu guter Letzt verdient ein vierter Punkt Erwähnung. Die Suche nach den vielfältigen Möglichkeiten lebensgeschichtlicher Einflussfaktoren hat die Einsicht befördert, dass es nicht nur dem Lebenslauf des Biographierten zumeist an Linearität fehlt, sondern ebenfalls dem Wissensdurst des Biographen. Insbesondere mit Blick auf die Lebensbeschreibungen von Wissenschaftlern ist Letzterer zumeist selektiv. In Anbetracht dessen kann nicht der Anspruch erhoben werden, mit einer Akademikerbiographie ,die‘ Geschichte der Hauptperson in allen ihren Lebensbezügen zu schreiben47. Das geschärfte Bewusstsein, weder ein abschließendes personales Gesamtbild liefern zu können noch zu wollen, spiegelt sich in dem Trend, wissenschaftliche Biographien als ,biographische Studien‘ zu apostrophieren oder durch die Wahl des jeweiligen Titels den Fokus deutlich herauszustellen48. Auch diesem Vorzeichenwechsel ist Rechnung zu tragen, woraus sich nicht zuletzt die Entscheidung ableitet, der vorliegenden Ausarbeitung den gewählten Titel zu 43 Mit dem Modernismus wurde das bürgerliche Konzept des in sich selbst geschlossenen Individuums in der Literatur schon deutlich früher ad acta gelegt, siehe Bçdeker, Biographie, 19–24; und Rauh-K hne, Individuum, 225. 44 Vgl. Schneewind, Sozialisation, 256–260; und Hurrelmann, Sozialisationstheorie, 127–186. 45 Bourdieu, Illusion, 80. Kernthesen des Beitrages waren zuvor bereits auf französisch erschienen, vgl. ders., L’illusion, 69–72. Zur zentralen Rolle Bourdieus als Bezugspunkt der modernen Biographik siehe Klein / Schnicke, Historischer Abriss, 260 f. 46 Vgl. Pyta, Geschichtswissenschaft, 333; und Winkelbauer, Plutarch, 42. 47 Vgl. Rohlfes, Personengeschichte, 313 f. 48 Vgl. Herbert, Best; Nottmeier, Harnack; und Petersen, Bevölkerungsökonomie. Eduard Mühle schließt die Einleitung seiner Aubin-Biographie mit dem Hinweis, seine Studie erhebe nicht den Anspruch, eine Gesamtbiographie darzustellen, siehe M hle, Aubin, 12.

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geben. Die folgenden Ausführungen lassen deshalb – dies sei in aller Deutlichkeit betont – allenfalls in Ansätzen Schlüsse über den Privatmann Scheel zu, über den die zur Verfügung stehenden Materialien ohnehin nur sehr begrenzt Auskunft geben. Von diesen vergleichsweise wenigen Details haben wiederum nur solche Berücksichtigung gefunden, welche zur Untersuchung der im Fokus stehenden wissenschaftlichen wie politischen Bezüge von Relevanz sind. Kurz zusammengefasst leitet sich aus den vier systematisierten prägenden Tendenzen der Biographik für den Zuschnitt dieser Studie ab, dass keine Arbeit nach dem Prinzip ,Scheel for Scheel’s sake‘ verfertigt werden soll, die im Ergebnis eine sich selbst genügende biographische ,histoire totale‘ des Protagonisten darstellt. Ziel ist vielmehr, ein Gelehrtenleben aus dem breiten Spektrum jenseits der traditionell in den Fokus gerückten schulbildenden Größen näher zu betrachten. Dabei soll der biographische Zugang gleichzeitig als Arbeitsmittel eingesetzt werden, um jenseits des Personalen übergeordneten Fragen aus dem Bereich der Wissenschafts- und Historiographie- sowie der allgemeinen Geschichte nachzugehen. Parallel zur biographischen Erschließung Scheels ist die Ausarbeitung folglich darauf ausgerichtet, „Felder entlang einer Lebenslinie zu erhellen“49.

1.2. Quellen, Forschungsstand und Aufbau der Arbeit Historische Erkenntnisse können nur dort gewonnen werden, wo die Überlieferung eine zur Beantwortung der jeweiligen Fragen notwendige ,kritische Masse‘ erreicht. Was die Akkumulation dieser Menge anbelangt, sind zunächst Scheels eigene Arbeiten zu nennen. Dankenswerter Weise wurde anlässlich seines 75. Geburtstages ein Schriftenverzeichnis angefertigt, so dass der allergrößte Teil nicht erst bibliographisch erfasst werden musste50. Darüber hinaus kann das publizierte Material insofern ergänzt werden, als Scheel über weite Strecken seines Lebens mit umfangreicher Rednertätigkeit seinen Interpretationen und Deutungsangeboten zusätzlich Gehör zu verschaffen suchte. Berichte und Zusammenfassungen von Reden, die in ihrer thesenhaften Verdichtung und rhetorischen Zuspitzung vielfach schärfere Konturen haben als die Schriftform, stellen somit einen zusätzlichen Fundus dar. Für eine Analyse stehen prinzipiell Beiträge aus zwei Disziplinen zur Verfügung, die jeweils mit einem bestimmten thematischen Schwerpunkt in Augenschein genommen werden sollen, ohne damit die restlichen Schriften komplett auszuschließen. Für die theologische Wissenschaft werden Scheels Beiträge zur Lutherforschung im Mittelpunkt stehen. Zwar hatte seine Dissertation über 49 Kaiser, Griewank, 42. 50 Vgl. B lck, Bibliographie. Ergänzungen zur Bibliographie Bülcks finden sich auf S. 365.

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die Christologie Augustins systematischen Charakter, Dreh- und Angelpunkt seiner theologischen Forschungsarbeit waren jedoch kirchengeschichtliche Beiträge zum Wittenberger Reformator. Was die Geschichtswissenschaft betrifft, liegt dem Zuschnitt seiner Kieler Professur entsprechend das Augenmerk auf den Schriften zur Landes- beziehungsweise deutsch-dänischen und deutsch-nordischen Geschichte. Wichtigster archivarischer Bezugspunkt ist der im Landesarchiv Schleswig-Holstein verwahrte Nachlass. Der Wert des Bestandes für die Forschung ist jedoch insofern stark limitiert, als Scheels Haus 1944 infolge eines Bombenangriffes vollkommen ausbrannte, weshalb das eingelagerte Material fast ausschließlich das letzte Jahrzehnt seines Lebens abdeckt. Besondere Erwähnung verdient hier die von Scheel in der unmittelbaren Nachkriegszeit begonnene, unvollendet gebliebene Familiengeschichte mit eingearbeiteter Autobiographie. Über den im Landesarchiv befindlichen Teil hinaus konnten in Privatbesitz befindliche Abschnitte des Originalmanuskriptes ausfindig gemacht werden. Zusammen stellen beide Teile nicht nur eine wichtige Quelle für den ansonsten nur schwer erschließbaren familiären Hintergrund sowie Kindheit und Jugend dar, sondern sind ebenfalls ein interessantes Untersuchungsobjekt mit Blick auf die retrospektive lebensgeschichtliche Sinnstiftung ihres Autors. Ebenso wie bei der Lektüre der autobiographischen Familiengeschichte gilt es im Umgang mit den übrigen Schleswiger Materialien in Rechnung zu stellen, dass sich Scheel um die Betreuung seines Nachlasses genauso Gedanken machte wie um die Frage, inwieweit es mit Blick auf bestimmte Sachverhalte sinnvoll sei, „der Nachwelt ein Dokument zu liefern“51. Ob er diese Schritte „in Erwartung eines Biographen“52 unternahm, mag dahingestellt sein. An der Erkenntnis, nicht vor einer gänzlich zufälligen Überlieferungssituation zu stehen, ändert dies nichts. Von einem systematisch purgierten Nachlass zu sprechen erscheint indes nicht angebracht, da sich trotz der Sorge Scheels um seine schriftlichen Hinterlassenschaften im Schleswiger Bestand einige Akten finden, die weniger vorteilhafte Schlaglichter auf seine Aktivitäten im Zweiten Weltkrieg werfen. Da abgesehen von jenen Verweisen und der Familienchronik die großen Lücken im Nachlass nur wenige Aussagen über die Zeit bis in den Zweiten Weltkrieg zulassen, ist eine umso intensivere Suche nach ergänzenden Überlieferungen notwendig gewesen, um bei der Erschließung seines Gelehrtenlebens nicht auf eine Werksanalyse beschränkt zu bleiben. Für den theologiegeschichtlichen Zusammenhang waren dabei insbesondere Materialien des Archivs des Vereins für Reformationsgeschichte, des Verlages J.C.B. 51 Schreiben Scheels an den Universitätskurator der Christiana Albertina vom 26. 6. 1946 (LASH Schleswig, Abt. 399.170, Nr. 80). Im konkreten Fall ging es um eine Initiative zur Verlegung der Christian-Albrechts-Universität von Kiel nach Schleswig, siehe hierzu S. 272–275. 52 L ssig, Biographie, 547.

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Mohr (Paul Siebeck) sowie der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz von großem Wert. Mit Blick auf Scheels Weg als Landeshistoriker konnten wichtige Bestände vor allem im Landesarchiv Schleswig-Holstein, im Archiv der Hansestadt Lübeck sowie in den Dependancen des Bundesarchivs in Berlin und Koblenz ausfindig gemacht werden. Speziell für den deutsch-dänischen Kontext erwiesen sich in erster Linie die Besuche des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes, des Landsarkivet for Sønderjylland sowie des Kopenhagener Rigsarkivet als überaus gewinnbringend. Neben Hinweisen bezüglich Scheels institutioneller Vernetzung stand bei den Archivrecherchen im Vordergrund, Korrespondenzen ausfindig zu machen. Als besonders reicher Fund stellte sich in diesem Zusammenhang der unverzeichnete Nachlass Hans von Schuberts heraus, Scheels kirchenhistorischen Lehrers und engen Vertrauten bis zu dessen Tod in den frühen 1930er Jahren. Was hinsichtlich der Theologie für von Schubert gilt, kann mit Blick auf die Geschichtswissenschaft über den Kieler und später Berliner Mittelalter-Ordinarius Fritz Rörig gesagt werden, dessen Schriftverkehr mit Scheel sich von den 1920er Jahren bis in die bundesrepublikanische Nachkriegszeit erstreckte. Wollte man auch für die deutsch-dänischen Zusammenhänge eine Person nennen, deren erhalten gebliebene Korrespondenz von besonderem Wert für die vorliegende Untersuchung war, ist Ernst Schröder zu nennen. Als Pressefunktionär der deutschen Minderheit in Nordschleswig stand er mit Scheel seit dessen Kieler Berufung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges in engem Kontakt. Was bisherige Forschungsergebnisse zu Scheel anbelangt, können – wie bereits erwähnt – grob zwei Phasen unterschieden werden. In der ersten Phase, zeitlich anzusetzen bis in die frühen 1990er Jahre, wurden fast ausschließlich Hinweise auf seinen Lebensweg im Kaiserreich und in der Weimarer Republik zu Tage gefördert. Der einzige spezielle Scheel-Beitrag, welcher dabei entstand, widmete sich dem deutsch-dänischen Kontext. Bei der Untersuchung eines Einzelaspektes von dessen politischen Interventionsversuchen nach der Kieler Berufung firmierte Scheel dort als Stimme der Mäßigung im deutschdänischen Nationalitätenkonflikt53. Im Zuge der Untersuchung verschiedener Aspekte der Nordschleswigfrage in der Zwischenkriegszeit attestierten weitere Autoren Scheel Deeskalationsbemühungen, ohne en detail auf sein Wirken einzugehen. Im Ganzen überwogen daher positive Töne, und das Bild des um Verständigung Bemühten, welches von den Trauergästen gezeichnet worden war, fand seine Bestätigung durch die Fachwissenschaft54. Schriften theologischer Provenienz mit Verweisen auf Scheel, die in besagtem Zeitraum entstanden, waren ebenfalls mit den Deutungsmustern vom Begräbnistag kompatibel, wobei sie durchweg kaum mehr als punktuelle 53 Vgl. Jessen-Klingenberg, Nord-Locarno, 309–339. 54 Vgl. Becker-Christensen, mindretal, Bd. 1, 154 f.; Bd. 2, 117–130; Rietzler, Nordmark, 340 f.; Schwensen, Schleswig-Holsteiner-Bund, 318–324; und Fink, Sønderjylland, 69–71.

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Verweise enthielten. Neben Belobigungen seiner Biographie des Wittenberger Reformators sind in diesem Zusammenhang Ausführungen zum Lutherjubiläum des Kriegsjahres 1917 erwähnenswert55. Dort firmierte Scheel als namhafter Vertreter liberaler Theologie, der sich entgegen dem vorherrschenden Zeitgeist einer nationalistischen Vereinnahmung des Reformators verweigert habe56. Scheels Betätigungen in der Geschichtswissenschaft blieben derweil weitestgehend unbeleuchtet. Historische Überblicke anlässlich universitärer Festveranstaltungen in Kiel schrieben ihm lediglich pauschal zu, ein eminenter Forscher gewesen zu sein57. Bemerkenswert sind die Beiträge weniger aufgrund prägnanter historiographiegeschichtlicher Erkenntnisse, sondern deswegen, weil sie mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen den Versuch unternahmen, die Jahre nach der Weimarer Republik zumindest andeutungsweise einzubeziehen. Während dabei einerseits angedeutet wurde, Scheel sei 1933 gezwungen worden, das Rektorat niederzulegen, hieß es andererseits, er habe auf der Kieler Universitätswoche 1937 „die Entwicklung der Universität zur ,nationalsozialistischen Grenzlandhochschule‘“58 gepriesen. Genauere, wenngleich keineswegs abschließende Ergebnisse mit Blick auf Scheels Funktionen und Aktivitäten in der NS-Zeit hat erst eine ab den frühen 1990er Jahren anzusetzende zweite Forschungsphase zu Tage gefördert. Am dichtesten ist dabei der Befund für den Bereich der Theologie. Neben der eingangs erwähnten Arbeit zu Scheels Lutherverständnis in den 1930er Jahren liegen hier zwei Überblicksaufsätze vor. Zusammen bestätigen die Publikationen zum einen den früheren Befund von Scheels liberaltheologischer Herkunft, unterstreichen aber zum anderen die Affirmation nationalsozialistischer Programmatik in seinen späteren Lutherstudien. Eine Erklärung für diese markante Verschiebung vermögen sie indes nicht zu liefern, zumal Scheels kirchenhistorische Schriften aus den Jahren vor 1933 ebenso wie seine Position im theologischen Forschungsfeld nach wie vor weitgehend unbeachtet geblieben sind59. Mit Blick auf die Betätigung als Historiker im Nationalsozialismus haben verschiedene Untersuchungen zur Volksgeschichte sowie dessen Institutionalisierung und politischer Indienststellung Hinweise darauf geliefert, dass Scheel bereits zu Zeiten der Weimarer Republik in dieser völkisch inspirierten und latent revanchistischen Forschungsrichtung vernetzt war. Die entsprechenden Studien sind dabei vor allem auf ihn aufmerksam geworden, weil er zur dritten Hauptredaktion des „Handwörterbuches des Grenz- und Aus55 Vgl. Bornkamm, Luther, 133; Brecht, Luther, Bd. 1, 9; Grimm, Luther, 113 f.; und zur M hlen, Erforschung, 52 f. 56 Vgl. Maron, Luther, 201–204; und Kupisch, Landeskirchen, 97, 121. 57 Vgl. Jordan, Geschichtswissenschaft, 83–85; und Scharff, Universität Kiel, 145–147. 58 Ebd., 147. 59 Vgl. Fix / Graf, Nachlaß, 211; Fix, Scheel, 99; und Lehmann, Kronzeuge, 427.

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landdeutschtums“ gehörte60. Trotz der Vielzahl punktueller Befunde liegen für diesen Bereich jedoch keine genaueren Kenntnisse vor, da an speziellen Publikationen nur die wenig belastbaren Arbeiten Eric Kurlanders verfügbar sind, in denen beklagenswerter Weise der Drang zur ,histoire scandaleuse‘ maßgeblich die Feder geführt hat61. Eine genaue Untersuchung von Scheels Wirken als Allgemeinhistoriker steht daher weiterhin aus, zumal abseits des Vernetzungsaspektes seine Schriften bis dato keiner umfassenderen Sichtung unterzogen worden sind. Hinweise auf Scheels Position im nationalen Gegensatz zwischen Deutschland und Dänemark während der NS-Zeit hat die neuere Forschung ebenfalls liefern können. Hier ist in erster Linie eine Reihe von Arbeiten zu erwähnen, die sich unter anderem dem von Scheel geleiteten Deutschen Wissenschaftlichen Institut im besetzten Kopenhagen widmen. Sie lassen keinerlei Zweifel daran zu, dass es sich bei dem Institut um eine Propagandaeinrichtung der Okkupationsmacht handelte62. Wie dieser Befund zu dem von früheren Forschungsarbeiten gezeichneten Bild Scheels als Stimme der Verständigung passt, vermögen die Untersuchungen jedoch nicht zu erklären. Außerdem gehen sie nicht darauf ein, worin genau die Aktivitäten des Kieler Ordinarius im besetzten Nachbarland bestanden. Ebenso wie für Scheels Rolle im kirchen- und allgemeinhistorischen Forschungsfeld kann somit hinsichtlich des deutsch-dänischen Kontextes festgehalten werden, dass Hinweise in neueren Arbeiten die bis dato dominierende Positivbilanz deutlich eingetrübt haben, dass darüber hinaus jedoch nach wie vor beträchtliche Kenntnislücken bestehen, die es auszufüllen gilt. Abschließend bedarf es einiger Anmerkungen hinsichtlich Aufbau und Gliederung der vorliegenden Studie, denn mit der kritischen Reflexion des Konstruktionscharakters menschlicher Werdegänge haben sich die Biographen den Spiegel vorgehalten. Jede Lebensbeschreibung stellt gleichfalls eine Konstruktion dar. Dies betrifft nicht zuletzt die Darstellungsform der Biographie, welche so nahe wie keine andere historiographische Gattung der erzählenden Literatur verwandt ist63. Deren chronologischer Aufbau verleiht dem Erzählten eine Kohärenz, die in der Wahrnehmung des Lesers schnell 60 Vgl. Diedrichsen-Heide, Institut, 39, 45 f.; Fahlbusch, Stiftung, 72 f., 138; ders., Wissenschaft, 194, 210; Haar, Historiker, 298–302; Oberkrome, Geschichte, 109 f.; und ders., Volksgeschichte, 177 f. 61 Vgl. Kurlander, Nordic Prophet, sowie eine übersetzte Kurzfassung dieses Aufsatzes als Handbuchartikel, Kurlander, Scheel. Als Beispiele für Kurlanders Hang zu unsachlicher Dramatisierung sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass er Scheel ohne klare Belege einer „,Blut-und-Boden‘-Kampagne“ (Kurlander, Scheel, 615) im Kaiserreich bezichtigt und Details einer „letzten flammenden Rede“ (Kurlander, Scheel, 619) desselben kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges vorzutragen vermag, indem er indirekt aus einer Quelle zitiert, die über jene Rede keinerlei Informationen enthält. 62 Vgl. Hausmann, Musen, 195–199; Jakubowski-Tiessen, Kulturpolitik, 132–138; und Nordlien, Træk, 69–81. 63 Vgl. Pyta, Geschichtswissenschaft, 335.

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teleologische Züge bekommen kann. Eine Biographie läuft folglich Gefahr durch ihre narrative Struktur von selbst einen roten Faden in das Leben des Protagonisten hineinzuspinnen. Jenes Grundsatzproblem war bereits Thema von Johann Gustav Droysens Historik-Vorlesungen, in denen er die Tendenz erzählender Geschichtsschreibung aufzeigte, dem Leser allzu leicht Vollkommenheit zu suggerieren64. Als die literaturwissenschaftlich geprägte Narrativitätsdebatte die Geschichtswissenschaft erfasste, erfuhr Droysens Kritik dahingehend eine radikale Zuspitzung, dass ausgehend von der gleichartigen narrativen Struktur die Grenze zwischen faktualem und fiktionalem Erzählen beziehungsweise Roman und Biographie von einigen Kritikern eingerissen wurde65. Diese vollkommene Nivellierung der Unterschiede zwischen künstlerischer und wissenschaftlicher Textproduktion ist zwar von der Historikerzunft nicht zuletzt mit Verweis auf das ,Vetorecht der Quelle‘ zurückgewiesen worden, für die historische Biographik aber trotzdem nicht ohne Folgen geblieben66. Während die warnenden Worte Droysens ob der Fallstricke narrativer Darstellung praktisch keinen Einfluss auf das Genre gehabt hatten, können unter dem Eindruck der jüngeren Debatten narrative Strukturen nicht mehr als naturgegebene, ,unschuldige‘ Setzungen betrachtet werden. Damit steht die Frage im Raum, welche Alternativen zur chronologischen Gliederungsform in Erwägung gezogen werden könnten67. Lebens- und Werksbeschreibungen aus dem künstlerischen Bereich haben die Techniken diskontinuierlichen Erzählens zum Teil entschlossen aufgegriffen und die Chronologie vollkommen hinter sich gelassen. Die Gefahr statt einer Biographie einen Bildungsroman vorzulegen, ist mit diesem Zugang zwar effektiv gebannt. Erkauft ist dies jedoch um den Preis, dass dem Rezipienten ein kaleidoskopartiger Aufbau ohne effektive Leserführung zugemutet wird und das Werk keinen Anfangs- und Endpunkt hat. So reizvoll dies in literaturästhetischer Hinsicht sein mag, für die Untersuchung einer übergeordneten Fragestellung entstehen daraus unüberwindliche Hindernisse. Insofern kann es kaum verwundern, dass gegenüber der Experimentierfreudigkeit im Segment künstlerischer Lebensbeschreibungen eine massive Beharrungskraft im Bereich der wissenschaftshistorischen Biographik besteht68. 64 Vgl. Winkelbauer, Plutarch, 9. 65 Vgl. H hner, Biographik, 251 f.; und N nning, Fiktionalität, 22 f.. Im Bereich der Belletristik war der Bruch mit den klassischen Darstellungsformen bereits in der Zwischenkriegszeit mit der Literatur des Modernismus vollzogen worden, siehe Bçdeker, Biographie, 39–42. 66 Vgl. Jordan, Theorien, 193–195. Zum Begriff des Vetorechts der Quelle vgl. Koselleck, Standortbindung, 17–46. 67 Vgl. Fetz, Leben, 18, 23; und L ssig, Biographie, 548 f. 68 Als Beispiel sei hier auf L szl Föld nyis Monographie über Heinrich von Kleist verwiesen, deren knapp 100, alphabetisch sortierte Abschnitte jeweils nach einem zentralen Begriff aus Kleists Werk benannt sind, vgl. Fçld nyi, Kleist.

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Hier ist von der diachronen Perspektive nur vereinzelt in der Form Abschied genommen worden, die durchgehend chronologische Gliederung in Teilen durch eine thematische zu ersetzen69. Dieses Modell bietet nicht nur den Vorteil, zumindest partiell mit der narrativen Linearität zu brechen, sondern ermöglicht außerdem einen systematischeren Fokus auf Einzelaspekte des untersuchten Lebens beziehungsweise der Fragestellung. Es bringt jedoch gleichzeitig zwei gewichtige Nachteile mit sich. Erstens kann die Grobgliederung in thematische Blöcke Wiederholungen verursachen und so den Leser strapazieren. Zweitens birgt sie die Gefahr, Interdependenzen aus dem Auge zu verlieren, weil aus lebensgeschichtlicher Perspektive zusammengehörende oder sich gegenseitig bedingende Aspekte künstlich getrennt werden.Einen Königsweg stellt der thematische Aufbau folglich ebenfalls nicht dar70. Für die vorliegende Arbeit leitet sich aus der Abwägung von Vor- und Nachteilen der verschiedenen Gliederungsmodelle ab, dass der Chronologie die Präferenz vor dem thematischen Ordnungsprinzip gegeben werden soll. Hierfür ist neben den bereits erwähnten Vorzügen hinsichtlich Lesbarkeit und Kontextualisierungspotential ein weiterer Gesichtspunkt ausschlaggebend, der sich aus den oben geschilderten theoretisch-methodischen Grundlagen des Genres ableitet. Trotz berechtigter Kritik an erzählenden Darstellungsformen darf nicht übersehen werden, dass eine Biographie nicht in erster Linie deswegen zum Bildungsroman wird, weil sie chronologisch aufgebaut ist. Ursache hierfür ist primär die Überzeugung des Autors, mit dem auf ein bestimmtes Ziel zulaufenden Lebensweg einer Ausnahmepersönlichkeit konfrontiert zu sein, den es mit derselben Alternativlosigkeit darzustellen gilt. Wichtiger als die narrative Struktur ist folglich das der Arbeit zugrunde liegende Individualitätskonzept. Da sich die moderne Biographik vom Modell linearer Erfolgsgeschichten verabschiedet hat und stattdessen biographische Kohärenz gezielt in Frage stellt, hat die vielbeschworene Gefahr teleologischer Verzeichnungen einen Gutteil ihres Schreckens verloren. Mit diesem Plädoyer für die Chronologie sollen deren Unzulänglichkeiten abseits der Narrativitätsproblematik jedoch ebenso wenig kleingeredet werden wie der Nutzen des thematischen Zugangs. Letzterer ermöglicht durch den Fokus auf Einzelaspekte eine analytische Stringenz, die eine durchgehend diachrone Perspektive nicht bieten kann. Soll von diesem Potential Gebrauch gemacht werden können, kann sich die Entscheidung zwischen den beiden Gliederungsoptionen weniger als ein Entweder-oder denn als Frage der Gewichtung darstellen. Die Präferenz für die Chronologie ist daher im Rahmen der vorliegenden Studie nicht universal, sondern drückt sich vor allem in der Einteilung der vier Hauptkapitel aus. Sie decken das Kaiserreich und den Ersten Weltkrieg (Kapitel 2), die Weimarer Republik (Kapitel 3), das NS-Re69 Vgl. Frie, Marwitz; und M hle, Aubin. 70 Dieser Vorbehalte finden sich in Rezensionen von Fries und Mühles Arbeiten, vgl. Beer, Rezension; Herrmann, Rezension; und Tr per, Rezension.

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gime und den Zweiten Weltkrieg (Kapitel 4) sowie die Nachkriegzeit (Kapitel 5) ab. Innerhalb dieser vier Blöcke wird die chronologische Ordnung in vielen Unterabschnitten zugunsten eines thematischen Fokus aufgebrochen. Dies gilt insbesondere für die Bereiche Theologie und Geschichtswissenschaft, welche in den vier abgesteckten Zeiträumen in eigenen Unterkapiteln als thematische Längsschnitte beleuchtet werden. Eine Trennung bietet sich hier an, weil die Schnittpunkte zwischen den beiden Gelehrtenleben begrenzt sind und mit Separierung ein der Lesbarkeit abträgliches Hin- und Herspringen vermieden werden kann. Ausnahmen von der getrennten Betrachtung in entsprechend bezeichneten Abschnitten („Theologisches Forschungsfeld“ und „Historisches Forschungsfeld“) werden nur am Anfang und Ende von Scheels akademischem Lebensweg gemacht. Wegen ihres geringen Umfangs werden dort profan- beziehungsweise kirchenhistorische Betätigungen im Kapitel zum jeweils anderen Themenfeld mit behandelt. Generell kombinieren alle Abschnitte zum theologischen wie historischen Forschungsfeld Werks- und Umfeldanalyse, nehmen also sowohl Scheels eigene Arbeiten wie auch seine Vernetzung und Position im Wissenschaftsbetrieb in den Blick. Dabei werden weder implizite noch explizite politische Kommentare zum Ausschlusskriterium erhoben. Publikationen aufgrund jenes Merkmals bei der Untersuchung von Scheels wissenschaftlichem Wirken nach eigenem Ermessen auszusortieren, würde mehr über den Biographen als über die Schriften aussagen. Das symbiotische Verhältnis von Wissenschaft und Politik macht vielmehr bei der Analyse von Scheels akademischem Schaffen die Inklusion von Beiträgen erforderlich, denen nach heutigen Maßstäben kein wissenschaftlicher Anspruch mehr attestiert werden könnte. Aus demselben Grund werden Ausschnitte aus Scheels theologischem und historischem Œuvre, soweit sie politische Kommentare enthalten, in den Kapiteln Berücksichtigung finden, die sich statt seiner akademischen Betätigung primär politischen Bezügen widmen. Diese Abschnitte zeichnen sich wie die zu Theologie und Geschichtswissenschaft durch einen thematischen Fokus aus und können in zwei Gruppen eingeteilt werden. Zur Ersteren gehören jene, die sich Scheels politischem Denken und Handeln im Zeichen der beiden Weltkriege („Politisches Denken und Kriegserlebnis“) sowie der politischen Zäsuren von 1918 („Kriegsende, Weimar und Versailles“), 1933 („Ende der Republik und NS-Diktatur“) und 1945 („Stunde Null“) widmen. Hier werden zusätzlich biographische Informationen eingefügt, um zu spiegeln, wie sich politische und gesellschaftliche Verwerfungen auf Scheel auswirkten. Zur zweiten Gruppe sind die Unterkapitel zu rechnen, in denen besonders prominente Aspekte seines politischen Engagements nach 1918 („Nordschleswigfrage und Kieler Berufung“ sowie „Grenz- und Minderheitenpolitik“), Ausbruch des Zweiten Weltkrieges („Werbung im besetzten Dänemark“) und 1945 („Anwalt schleswigscher Belange“) beleuchtet werden. Grundsätzliches Gliederungsprinzip der Arbeit ist folglich ein chronologisches Gerüst mit thematischen Längsschnitten zur Analyse akademischer

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und politischer Zusammenhänge als den bereits benannten zentralen Bezugsgrößen. In diese Grobstruktur werden eine Reihe weiterer Unterkapitel eingefügt, die sicherstellen sollen, dass bei der biographischen Annäherung an Scheel über die Phase aktiven Engagements in Fach- und weiterer Öffentlichkeit nicht vor- und nachgelagerte Entwicklungen in Vergessenheit geraten. Bezogen auf Erstere wird in den Eingangskapiteln („Kindheit und Jugend“ sowie „Akademische Qualifikation“) Scheels gesellschaftliche, familiäre und akademische Sozialisation in den Blick genommen. Dem entgegengesetzten Ende der Lebenslinie Scheels widmet sich das Schlusskapitel („Memoria und Vergessen“). Dort wird der Frage nachgegangen, von wem sein Andenken auf welche Art und Weise gepflegt wurde und wann er aus welchen Gründen entgegen aller Beteuerungen bei den Trauerfeierlichkeiten am Buß- und Bettag 1954 in Vergessenheit geriet.

2. Kulturprotestantismus im Kaiserreich 2.1. Nordschleswig – Halle – Kiel 2.1.1. Kindheit und Jugend Von seinem Geburtsort in weite Ferne zu schweifen brauchte Otto Scheel nicht, als er sich in der von ihm verfassten autobiographischen Familiengeschichte daran machte, das „Jugendland der Eltern“1 zu beschreiben. Sowohl seine Mutter als auch sein Vater wurden 1847 im dänisch verwalteten Herzogtum Schleswig geboren, dessen Geschichte im 19. Jahrhundert vom Streit um nationale Zugehörigkeiten geprägt war2. Binnen Jahresfrist nach der Geburt von Scheels Eltern schlug der Gegensatz zwischen deutsch und dänisch gesinnten Bevölkerungsteilen3 im europäischen Epochenjahr 1848 in eine gewaltsame Auseinandersetzung um, welche als Schleswig-Holstein-Frage jenseits der Landesgrenzen gleichzeitig zur „Stunde der Wahrheit“4 für die Frankfurter Paulskirchenversammlung werden sollte. Dänemark konnte zwar unter diplomatischem Beistand Großbritanniens, Frankreichs und Russlands mit militärischen Mitteln die Hoheit über Schleswig-Holstein wiederherstellen, vermochte aber in den Folgejahren nicht, die nationale Büchse der Pandora wieder zu schließen – im Gegenteil. Mit einer repressiven Danisierungspolitik im Schleswiger Landesteil schürte Kopenhagen das Nationalitätenproblem und manövrierte sich so weit ins außenpolitische Abseits, dass 1864 Schleswig-Holstein für Dänemark verloren ging und drei Jahre später preußische Provinz wurde. Schon in den 1870er Jahren begannen die neuen Landesherren die Fehler ihrer Vorgänger zu wiederholen, indem sie nun ihrerseits versuchten, die dänisch gesinnte Bevölkerungsmehrheit im Norden Schleswigs sukzessive ,einzudeutschen‘. Kurz nachdem Otto Scheel dort das Abitur abgelegt hatte, erreichte diese Germanisierungspolitik unter dem Oberpräsidenten Ernst Matthias von Köller ihren

1 LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 15. 2 Vgl. Ahnentafel der Familie Scheel (StAFL Flensburg, XII St.T, 299, Bd. 8). 3 Da nationale Zugehörigkeiten eine Frage individuellen Bekenntnisses sind, ist es in der Literatur zur Geschichte des deutsch-dänischen Gegensatzes in und um Schleswig-Holstein üblich geworden, von entsprechend ,gesinnten‘ Bevölkerungsteilen zu sprechen, um dadurch den arbiträren Charakter nationaler Identitäten deutlich herauszustellen. Dieses Verfahren findet ebenfalls in der vorliegenden Ausarbeitung Anwendung. Vgl. hierzu Schultz Hansen, Schleswiger, 339–351. 4 Winkler, Weg, 108.

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Höhepunkt und machte die ,Köllerpolitik‘ zu einem stehenden Begriff in der Landesgeschichte, der seinem Namensgeber zu zweifelhafter Ehre gereicht5. Aus diesem kurzen Blick auf die Geschichte Schleswig-Holsteins ist erstens ersichtlich, dass Scheels Eltern bis ins junge Erwachsenenalter unter dänischer Herrschaft lebten, und dies in einer Zeit sich zuspitzender nationaler Auseinandersetzungen. Zweitens kann aus dem Gang der politischen Ereignisse abgeleitet werden, dass sich dieser Konflikt in der Kindheit und Jugend Otto Scheels nahtlos fortsetzte, allerdings unter umgekehrten machtpolitischen Vorzeichen, da inzwischen Schleswig-Holstein nicht mehr von Kopenhagen, sondern von Berlin aus regiert wurde. In Anbetracht dessen wird bei der Beleuchtung von familiärem Hintergrund und jugendlicher Lebenswelt ein besonderes Augenmerk darauf zu richten sein, wie das deutsch-dänische Mitund Gegeneinander Otto Scheels Familie, sein weiteres Umfeld und ihn selbst bis zum Abitur geprägt haben. Als Herkunftsort der Träger des Familiennamens ist Lübeck der geographisch am weitesten von Nordschleswig entfernte genealogische Referenzpunkt. Dort arbeiteten die Vorfahren väterlicherseits seit dem 18. Jahrhundert als Schiffszimmermänner, Heringspacker, Fährleute und Schiffsführer. Anfang der 1840er Jahre siedelte Nicolai Joachim Heinrich Scheel, selbst von Beruf Kapitän, wegen der Heirat mit einer ortsansässigen Schifferstochter nach Flensburg über, wo im Juni 1847 Otto Scheels Vater zur Welt kam, der auf den Namen Georg Friedrich getauft wurde6. In der Schleswig-Holsteinischen Erhebung von 1848 sympathisierte die Familie mit der Provisorischen Regierung in Kiel7, während ein großer Teil der Bevölkerung Flensburgs sich zum Kopenhagener Königshaus beziehungsweise zum dänischen Gesamtstaat bekannte. Noch bei den Wahlen zum Reichstag des Norddeutschen Bundes 1867 gab es in der Stadt eine knappe Majorität dänischer Stimmen8. Für Georg Friedrich Scheel blieb diese Konstellation nach späteren Angaben seiner Frau nicht folgenlos. Sie hielt fest, ihrem Ehemann sei in den 1850er Jahren der Besuch des städtischen Gymnasiums in seiner Geburtsstadt nicht zuletzt deswegen verwehrt worden, weil „unter den aufregenden politischen Verhältnissen schwerlich Kindern aus deutschen Familien“9 die Tore der Schule offen gestanden hätten. Dieses Urteil findet sich insofern bestätigt, als er im Anschluss an seine grundständige Schulausbildung zunächst als Hauslehrer arbeitete. Erst 1866 wechselte er an das Flensburger Gymnasium 5 Vgl. Schultz Hansen, Demokratie, 448–456, 478–481; und Vosgerau / Lubowitz, Dänemark, 275–284, 309–312. Speziell zur Köllerpolitik vgl. Rasmussen, Köllerperioden; und Sievers, Köllerpolitik. 6 Vgl. Kraack, Bürgerbuch, Nr. 10452, 447; Stammtafel der Familie Scheel und Bestätigung des Pfarramtes Lübeck-Schlutup vom 18. 7. 1939 (Privatbesitz). 7 Vgl. Familienalbum von Otto Scheels Mutter, 5 (Privatbesitz). 8 Vgl. Henningsen, Danmark, 33 f.; Rasmussen, Preussen, 56–58; und Vosgerau / Lubowitz, Dänemark, 286. 9 Familienalbum von Otto Scheels Mutter, 7 (Privatbesitz).

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und erwarb dort im Sommer 1870 die Hochschulreife, um sich direkt im Anschluss als Freiwilliger im Deutsch-Französischen Krieg zu melden10. Nach Auskunft Otto Scheels hatte dieser nationale Enthusiasmus jedoch keine danophoben Züge. Ihm zufolge sprach sein Vater fließend dänisch und trat darüber hinaus während des Theologiestudiums in Kiel und Leipzig einer skandinavischen Vereinigung bei11. Ersteres kann aufgrund der späteren beruflichen Anstellung als Pfarrer in einer Gemeinde mit dänischer Kirchensprache als gesichert gelten. Für die Version Otto Scheels spricht zudem der familiäre Hintergrund seiner Mutter, die Georg Friedrich Scheel schon vor der Gymnasialzeit kennengelernt hatte, als er auf dem Hof seiner künftigen Schwiegereltern als Hauslehrer tätig gewesen war. Die Familie von Anne Christine Petersen war, so ihr eigenes Urteil, „ein altes nordschleswigsches Geschlecht“12, das seit dem späten 17. Jahrhundert in der Region Landwirtschaft betrieb13. Anfang des 19. Jahrhunderts besaßen die Petersens mehrere Höfe im Kirchspiel Dalby, einer kleinen Landgemeinde im fast rein dänischsprachigen Norden des Herzogtums Schleswig, unmittelbar vor den Toren der bereits zu Dänemark gehörenden Stadt Kolding. Laut Scheels Memoiren wurde spätestens seit der Übergabe des Familienbesitzes an seinen Großvater Jörgen Clausen-Petersen im Hause zumeist Dänisch gesprochen, weshalb es Erstsprache seiner Mutter gewesen sei14. Diesen Befund bestätigt indirekt das von Christine Petersen verfasste Familienalbum. Zwar entstanden die Aufzeichnungen erst ab 1908 in deutscher Sprache, der dafür verwendete Band ist jedoch mit einer dänischen Widmung versehen, derzufolge das Büchlein ursprünglich 1868 in Dalby als persönliches Gedichtealbum Anne Christine Petersens angeschafft wurde15. Da allenfalls bedingt eine Verbindung zwischen nationalem Bekenntnis und sprachlichen Präferenzen hergestellt werden kann, ist mit Blick auf das Elternhaus von Scheels Mutter neben der Frage des alltäglichen Sprachgebrauchs ein weiterer Faktor von Bedeutung. Infolge des Deutsch-Dänischen Krieges kam es vor der Abtretung Schleswigs und Holsteins zu einer Grenzkorrektur, bei der im Austausch für eine Reihe königlich dänischer Enklaven Randgebiete des historischen Herzogtums Schleswig an Dänemark übergeben 10 Vgl. autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Anschluß an den werdenden deutschen Nationalstaat und Abschluß der Gymnasialzeit“, 47, Kapitel „Gymnasiast in Flensburg“, 31 f. (Privatbesitz). 11 Vgl. autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Dorf- und Sprachgemeinschaft“, 56 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 17); Kapitel „Des Vaters Universitätsjahre“, 10, 129 (Privatbesitz). 12 Familienalbum von Otto Scheels Mutter, unpaginierter zweiter Teil (Privatbesitz). 13 Vgl. autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Des Vaters Universitätsjahre“, 26 f., Kapitel „Gymnasiast in Flensburg“, 31 (Privatbesitz). 14 Vgl. autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Der großelterliche Hof“, 1–3, Kapitel „Die Mutter auf dem Wege zum Dienst im schleswigschen Pfarrhause“, 97–100 (Privatbesitz); und Schultz Hansen, Hjemmetyskheden, 139. 15 Vgl. Familienalbum von Otto Scheels Mutter, Titelseite (Privatbesitz).

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wurden. Zu Letzteren gehörten unter anderem acht Kirchspiele südlich von Kolding, darunter Dalby. So wurden die Petersens samt ihren Höfen nicht dem späteren Deutschen Kaiserreich, sondern Dänemark zugeschlagen16. Nach Aussage Scheels fügte sein Großvater sich „der Entscheidung des Jahres 1864 loyal“17, und dies mit aller Konsequenz. Statt einer deutschen habe er eine nationalkonservative dänische Zeitung bezogen, 1870 einen Sieg Frankreichs erhofft und selbst Postkarten in deutscher Sprache missbilligt. Überhaupt hätten sowohl er als auch seine Söhne auf die Hochzeitspläne der Tochter mit dem vormaligen Hauslehrer aus Flensburg mit Vorbehalten reagiert, so dass die Zustimmung zur Eheschließung nur zögerlich erfolgt sei. Ob die dänische Orientierung der Petersens derart prononciert war, erscheint allerdings insofern ein Stück weit fraglich, als es dann nur schwer nachvollziehbar wäre, wieso ein deutscher Muttersprachler als Hauslehrer auf dem eigenen Hof angestellt war. Dessen ungeachtet bleibt festzuhalten, dass sich die nationalen Präferenzen mütter- und väterlicher Linie allem Anschein nach deutlich unterschieden. Otto Scheel wurde demnach keineswegs in ein danophobes, deutschnationales Elternhaus, sondern vielmehr in eines an der Schnittstelle zwischen den Nationalitäten hineingeboren, als er am 8. März 1876 in Tondern zur Welt kam18. In gewisser Weise hatten Scheels Eltern dem Leben im Übergangsbereich zweier Nationalitäten von vornherein Rechnung getragen, indem sie den deutschen Vornamen ihrer Kinder jeweils typisch skandinavische an die Seite stellten. So lautete der volle Name des Erstgeborenen nicht einfach Otto, sondern Jörgen Otto Einar Immanuel, und einer seiner jüngeren Brüder hieß Hermann Max Aage Wilhelm. Im Ganzen waren es sechs Geschwister. Während Otto Scheel selbst, sein ältester Bruder Axel und die erste Schwester, Olga, noch in Tondern zur Welt kamen, wurden die drei jüngeren, Johannes, Marie und Hermann, in Abel geboren19. Tondern wurde Wohnsitz, weil Scheels Vater dort im Anschluss an sein theologisches Examen das Amt eines Diakons übernommen hatte20. Die junge Familie blieb allerdings nur etwa drei Jahre in der Stadt, bis Georg Friedrich Scheel eine besser besoldete Pfarrstelle übernahm, womit der Umzug in das nur wenige Kilometer nördlich gelegene Abel anstand21. Aufgrund der räumlichen Nähe blieb Tondern auch nach dem 16 Vgl. K hl, Minderheit, 123; und Rheinheimer, Grenzen, 8, 39. 17 Autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Der großelterliche Hof“, 25 (Privatbesitz). 18 Vgl. autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Anschluß an den werdenden deutschen Nationalstaat und Abschluß der Gymnasialzeit“, 45, Kapitel „Der großelterliche Hof“, 25 f., 31, Kapitel „Des Vaters Universitätsjahre“, 29 f., 68–70 (Privatbesitz). 19 Vgl. Stammtafel der Familie Scheel (Privatbesitz). 20 Vgl. autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „In der nordschleswigschen Kleinstadt Tondern“, 1, 14 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 16); Kapitel „Des Vaters Universitätsjahre“, 190 (Privatbesitz); und Provinzial-Handbuch, Jg. 3, 482. 21 Vgl. Brederek, Verzeichnis, Nr. 1290, 82. 1880 erhielt der Diakon in Tondern ein Salär von 2499 Mark, der Pastor zu Abel hingegen 4048 Mark, siehe Provinzial-Handbuch, Jg. 4, 348.

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Wechsel ins Pastorat der kleinen Landgemeinde wichtiger Bezugspunkt. Otto Scheel hielt in seinen Memoiren fest, er könne sich seine Jugend ohne den regen Kontakt mit der Stadt nicht vorstellen22. Allzu mondän war die 40 Kilometer westlich von Flensburg in der NordseeKüstenmarsch gelegene Kreisstadt nicht. Als Scheels Vater sein Amt als Diakon antrat, hatte der Hauptort des größten Kreises der Provinz SchleswigHolstein 3.400 Einwohner, während es die angeschlossenen Landgemeinden zusammen auf eine Bevölkerungszahl von fast 50.000 Menschen brachten23. Im ohnehin industriearmen Schleswig-Holstein stand der Kreis Tondern in puncto Beschäftigungsverhältnisse im produzierenden Gewerbe in Scheels Geburtsjahr an drittletzter Stelle. Laut Regierungsstatistik gab es in Betrieben mit mehr als fünf Angestellten im ganzen Kreis weniger als 50 Arbeitsplätze, womit die Industrie im Vergleich zum Agrarsektor kaum Bedeutung hatte24. Tondern war in erster Linie lokales Handelszentrum und Sitz der Verwaltung einer Region, die wie viele andere ländliche Gebiete von der rasanten Entwicklung der urbanen Zentren im Kaiserreich weitestgehend abgekoppelt war. Während Scheels Kindheit veränderte sich das Wirtschaftsgefüge ebenso wenig wie die Einwohnerzahl substantiell anstieg. Das Herauswachsen Tonderns über seinen Altstadtkern stellte die Verwaltung erst Anfang des 20. Jahrhunderts vor die Notwendigkeit, städteplanerisch aktiv zu werden25. Neben dem, was je nach Blickwinkel als hoffnungsloser Provinzialismus oder ländliche Gemütlichkeit gedeutet werden kann, zeichnete sich Tondern vor allem durch eines aus – seine deutsch gesinnte Bevölkerungsmehrheit. In den Wahlen zum konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes betrug der Stimmenanteil dänisch gesinnter Parteien weniger als 20 % und halbierte sich noch einmal mit den Reichstagswahlen von 1874. Zwischen 1864 und 1912 existierte kein dänischer Verein in der Stadt. In den unmittelbar angrenzenden Landgemeinden nördlich, östlich und westlich der Stadt verhielt es sich genau andersherum. Hier gab es von der preußischen Annexion bis zur Volksabstimmung 1920 in allen Wahlen klare dänische Mehrheiten. Der Weg von Tondern in das kaum fünf Kilometer entfernte Kirchspiel Abel markierte demzufolge den Übergang von einer deutschen Lebenswelt in die der dänischen Bevölkerungsmehrheit Nordschleswigs26. Es entbehrt daher nicht einer gewissen Logik, dass nach Aussage Scheels im Gegensatz zu Tondern in Abel der deutschen Sprache nur eine untergeordnete Rolle im täglichen Leben zukam. Nur mit wenigen im Dorf habe er auf Deutsch verkehrt, die Verkehrssprache sei Dänisch in einem nordschleswigschen Dialekt gewesen, das so genannte Sønderjysk. Auch im Elternhaus, also im 22 Vgl. autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „In der nordschleswigschen Kleinstadt Tondern“, 40 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 16). 23 Vgl. Oldekop, Topographie, Kapitel X, 3; und Provinzial-Handbuch, Jg. 4, 10. 24 Vgl. Hansen Nielsen, Industriens Vej, 69 f.. 25 Vgl. Christiansen / Haase, Nystaden, 3–5. 26 Vgl. Becker-Christensen, Byen, 34; und Henningsen, Danmark, 57.

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Pastorat samt angeschlossenem Pfarrhof, wurde Scheel zufolge nicht ausschließlich Deutsch gesprochen. Demnach beschäftigten seine Eltern zum einen aus Dänemark stammendes Personal, zum anderen brachte seine Mutter den Kindern einen Fundus dänischer Lieder bei. So hätten seine jüngeren Geschwister unter dem Einfluss der Mutter und des Kindermädchens angefangen, auch familienintern mit Eltern und älteren Geschwistern Dänisch zu sprechen27. Neben der Vorherrschaft des Dänischen im Dorfalltag und seiner Präsenz im Elternhaus war es ebenfalls die Sprache, in der Scheels schulische Unterrichtung begann, denn Schulsprache in Abel war Anfang der 1880er Jahre noch mehrheitlich Dänisch. In den unteren Jahrgangsstufen der Volksschule erfolgte erst mit der Schulsprachverordnung von 1888 eine Umstellung auf mehrheitlich deutschsprachigen Unterricht28. Der Besuch der öffentlichen Dorfschule erstreckte sich aber nur über etwa ein Jahr. Danach richtete sein Vater nach Scheels eigenen Angaben im Pfarrhaus eine deutsche Privatschule ein. Der Kontakt zu den dänischen Kindern im Dorf sei jedoch erhalten geblieben, und wegen des dänischsprachigen Personals auf dem Pfarrhof habe man auch dort weiterhin deren Sprache gesprochen. Autobiographische Familiengeschichte und Hintergrundinformationen zu den Sprachverhältnissen in Abel stützen daher gleichermaßen den Befund, dass Scheel zweisprachig aufwuchs29. Dementsprechend habe sein Elternhaus, so Scheel, auf egalitäre Umgangsformen im Kontakt mit dänischen Nachbarn geachtet, die bereits in Tondern als Freunde im Haus zu Gast gewesen seien30. Dieser offene Umgang mit der anderen Nationalität bestimmte nach seinem eigenen Bekunden auch das Zusammenleben in Abel, welches er retrospektiv mit Worten wie „Kameradschaft“31 oder „Gemeinschaft“32 zu beschreiben suchte. Zwar sei das Dorf „national gemischt“33 beziehungsweise „national gespalten“34 gewesen, scharfe Gegensätze zwischen der kleinen deutschen Gruppe und der breiten

27 Vgl. autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Knabenjahre in Abel“, 33 f., 43–45 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 17); und Kapitel „Gymnasiast in Flensburg“, 14 (Privatbesitz). 28 Vgl. autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Erziehung und Unterricht“, 35 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 17); und Hoffmann, Nationalitätenproblem, 252 f. 29 Vgl. autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Erziehung und Unterricht“, 49, 55 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 17). 30 Vgl. autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Im Pastorat zu Abel“, 1 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 16). 31 Autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Knabenjahre in Abel“, 34 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 17). 32 Ebd., 36. 33 Ebd., 43. 34 Ebd., 41.

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dänischen Mehrheit habe es jedoch nicht gegeben35. Allzu tief können die Gräben zwischen den Nationalitäten in der Tat nicht gewesen sein, denn mit Georg Friedrich Scheel trat ein Deutscher das Pfarramt in einem Sprengel an, dessen amtliche Kirchensprache ebenso wie die der Mehrheit seiner gut 1.000 Einwohner Dänisch war. In einer vom Nationalitätenkampf zerrissenen Gemeinde wäre sicherlich nicht ein Vertreter der kleinen Minderheit zum Pastor gewählt worden. Bei der Tonderaner Küstenmarsch handelte es sich ohnehin um keinen Brennpunkt des deutsch-dänischen Gegensatzes. Zentren der nationalen Agitation in Nordschleswig waren von Anfang an die an der wesentlich dichter besiedelten Ostseeküste liegenden Städte36. Genau dorthin zog Scheel im Alter von 12 Jahren. Ursache hierfür war der frühe Tod seines Vaters, der schon seit geraumer Zeit an Lungentuberkulose gelitten hatte. In den Abeler Jahren verschlechterte sich sein Gesundheitszustand zusehends, und im Oktober 1887 erlag er der Krankheit im Alter von nur 40 Jahren37. Seine Familie, die wegen der Kosten für die krankheitsbedingten Kuraufenthalte keine nennenswerten Rücklagen hatte bilden können, geriet durch den frühen Tod in finanzielle Schwierigkeiten, zumal mit der Vakanz der Pfarrstelle eine baldige Räumung des Pastorats anstand. So musste ein Großteil der Hausbibliothek an ein Antiquariat verkauft werden, bevor die Familie im Herbst 1888 Abel in Richtung Hadersleben verließ38. Hier war das deutsch-dänische Verhältnis ein vollkommen anderes als in Scheels vorheriger Lebenswelt. Hatte es in Tondern und Abel klare, unveränderte Mehrheitsverhältnisse gegeben, traf auf Hadersleben Gegenteiliges zu. Die nördlichste Kreisstadt der Provinz Schleswig-Holstein, dessen Umgebung fast rein dänischsprachig war, galt einst als Hochburg der dänischen Bewegung. Hier war 1838 die erste dänischsprachige Zeitung im Herzogtum erschienen, und während der Erhebung von 1848 hatten die dänisch gesinnten Bürger eine Anerkennung der Kieler Provisorischen Regierung in ihrem Ort verhindert. Seit der Abtretung an Preußen sank die Einwohnerzahl jedoch wegen politisch wie wirtschaftlich motivierter Abwanderung zuungunsten der dänisch gesinnten Haderslebener. Hatten 1867 bei den Wahlen zum Reichstag des Norddeutschen Bundes noch fast 50 % der Bewohner für dänische Parteien gestimmt, so waren es beim Urnengang zwanzig Jahre später kaum 30 %. Stadtverwaltung und Gewerbe befanden sich ohnehin traditionell in deutscher Hand. Zudem beheimatete Hadersleben seit 1888 eine preußische Garnison. Mit der Stationierung des rund 500 Mann starken 2. Bataillons des Infanterie35 Vgl. autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Im Pastorat zu Abel“, 3 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 16), 36 Vgl. Schultz Hansen, Nationalitetskamp, 98–101; ders., Demokratie, 441–444; und Provinzial-Handbuch, Jg. 4, 100, 348. 37 Vgl. ebd., 8; autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Anschluß an den werdenden deutschen Nationalstaat und Abschluß der Gymnasialzeit“, 43 (Privatbesitz). 38 Vgl. autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Knabenjahre in Abel“, 4, 8, Kapitel „Erziehung und Unterricht“, 26 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 17).

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Regiments von Manstein bekam die keine 8000 Einwohner zählende Stadt noch markantere deutsche beziehungsweise preußische Züge39. Das im Gegensatz zu Tondern oder Abel unruhigere deutsch-dänische Verhältnis spitzte sich in demselben Jahr, in dem Otto Scheels Familie in Hadersleben ansässig wurde, durch einen besonders drastischen danophoben Verwaltungsakt weiter zu. Ende 1888 erließ die preußische Unterrichtsverwaltung eine Verordnung, die ungeachtet der jeweiligen lokalen Sprachverhältnisse den Unterricht auf Dänisch in ganz Nordschleswig so gut wie abschaffte. Besonders im Kreis Hadersleben resultierte hieraus ein massiver Zulauf zur dänischen Bewegung. In der Stadt Hadersleben wiederum fühlte sich die deutsche Oberschicht durch dieses Erstarken herausgefordert, wovon die auf Konfrontation setzenden deutschen Kreise profitierten, welche ihre Stadt als wichtiges Zentrum im Kampf gegen eine vermeintliche dänische Unterwanderung Nordschleswigs betrachteten. So gingen von Hadersleben die ersten Initiativen zur Gründung des späteren Deutschen Vereins für das nördliche Schleswig aus, dem wichtigsten Exponenten danophoben Vereinsnationalismus im Lande, der reichsweit für eine rigorose Eindeutschungspolitik im Schleswiger Landesteil warb40. Für Scheels Mutter dürften bei der Wohnortwahl in erster Linie zwei Faktoren ausschlaggebend gewesen sein. Zum einen lag die Stadt nur etwa 20 Kilometer vom Grundbesitz ihrer Familie auf der anderen Seite der deutschdänischen Grenze entfernt, zum anderen gab es in Hadersleben mit dem Gymnasium Johanneum eine weiterführende öffentliche Schule, die ihr ältester Sohn Otto besuchen konnte, ohne dass den familiären Finanzen dadurch allzu starke Belastungen entstanden. Ende September absolvierte er die Aufnahmeprüfung in Lesen, Schreiben und Rechnen so erfolgreich, dass er statt in die Sexta umgehend in die Quarta eingeschult wurde41. Der Unterrichtsbeginn am königlich preußischen Gymnasium verband sich mit dem Eintritt in eine Institution, deren Loyalität in der deutsch-dänischen Frage keinerlei Zweifel unterlag. Otto Scheel dürfte den nationalen Bekenntnisübungen das erste Mal kaum zwei Wochen nach Schulbeginn am 18. Oktober beigewohnt haben, als das Johanneum mit Morgenandacht und Gedenkrede den Geburtstag des im Juni verstorbenen Friedrichs III. beging42. Das Dreikaiserjahr erweiterte den patriotischen Festkalender des Gymnasiums nicht unerheblich, denn fortan wiederholte sich das beschriebene Zeremoniell stets an den Geburts- und Sterbedaten sowohl Friedrichs III. als auch Wilhelms I. Höhepunkt des monarchischen Festkultes war jedoch der Ge39 Vgl. Fangel / Madsen / Røjskjær, Geschichte, 18–20, 25; Fangel, Haderslev, 154; ders., Konjunkturen 131–133; Provinzial-Handbuch, Jg. 5, 90, 111; und Schultz Hansen, Demokratie, 435, 443. 40 Vgl. Fangel, Haderslev, 449; Hoffmann, Nationalitätenproblem, 253 f.; und Vosgerau / Lubowitz, Dänemark, 309 f. 41 Vgl. Programm des Kçniglichen Gymnasiums (1890), 36. 42 Vgl. ebd., (1889), 14.

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burtstag Wilhelms II., an dem die Schule zugunsten einer großen Festveranstaltung mit geladenen Gästen, Chor und Ansprachen ausfiel. Zu den fünf jedes Jahr abgehaltenen Feierstunden monarchischer Ehrerbietung gesellte sich im Laufe von Scheels Haderslebener Gymnasialzeit ein bunter Strauß weiterer Feier- und Gedenkstunden, unter anderem zu Ehren von Auguste Viktoria, Feldmarschall Moltke und Theodor Körner43.Bis zum Ende seiner Schulzeit war Scheel so mindestens vierzig Mal auf Kaiserhaus und preußischdeutsche Heroen eingeschworen worden. Besonderen Eindruck hinterließ, wie aus späteren Äußerungen Scheels deutlich wird, ein Besuch in Friedrichsruh. Dort nahm er am Empfang einer Abordnung seiner Schule durch Bismarck teil44. Die Erziehung zu nationaler Gefolgsamkeit bekam zudem am Ende von Scheels erstem Schuljahr mit dem neuen Direktor Adolf Ostendorf zusätzliche Schubkraft45. Letzterer legte kurz nach Amtsantritt in einer Programmschrift über die Schulreform seine Unterrichtsmaximen nieder, wonach die gerade erfolgte Abschaffung des lateinischen Aufsatzes zu verstehen war als „das Herunterholen der alten Flagge, welche die Oberhoheit einer fremden Kultur über die unsere verkörperte“46. Über der Schule müsse vielmehr „die nationale Flagge wehen“, denn es gelte „Männer heranzubilden, die […] gerüstet und befähigt zur Mitarbeit an den großen Aufgaben des neuen Reiches“ seien. Ostendorf suchte zu diesem Zweck gezielt die Verbindung mit dem vor Ort stationierten Militär. Er verlegte schulische Sportwettkämpfe auf den Exerzierplatz des Infanteriebataillons, schickte seine Schüler zum Schwimmunterricht in die Militärbadeanstalt und ließ Unterricht ausfallen, um seinen Schützlingen die Gelegenheit zu geben, Manöverübungen beizuwohnen47. Mit Blick auf die langfristige Wirkung dieser Exerzitien auf Scheel ist bezeichnend, dass ihm als Primaner in der Korrespondenz mit einem Schulfreund die Beförderung eines Offiziers der in Hadersleben stationierten Infanterie als wichtige Neuigkeit erschien48. Ausgehend von dem in der Oberstufe präferierten Lehrwerk49 fehlte es auch im Geschichtsunterricht nicht an Begeisterung für das preußisch-deutsche Militär. Im „Grundriss der allgemeinen Geschichte für die oberen Klassen von Gymnasien und Realschulen“ von Rudolf Dietsch und Gustav Richter gehör43 Vgl. ebd., (1890), 32; (1891), 23; und (1892), 13. 44 Scheel berichtet von der persönlichen Begegnung mit Bismarck in seiner Autobiographie, siehe Autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Des Vaters Universitätsjahre“, 128 (Privatbesitz). Zum Bericht der Schule siehe Programm des Kçniglichen Gymnasiums (1895), 10 f. 45 Vgl. Favrholdt, Haderslev, 337. 46 Ostendorf, Schulreform, 7. Die beiden folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 47 Vgl. Programme des Kçniglichen Gymnasiums (1890), 32; (1891), 22 f.; und (1892), 11. 48 Vgl. Schreiben Scheels an Thomas Matthiesen vom 22. 12. 1894 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 73). 49 Vgl. Programm des Kçniglichen Gymnasiums (1895), 8.

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ten Waffengänge zum Standardrepertoire. Besonders bei Darstellung der Reichseinigung trat an die Stelle der sonst dominierenden politischen Ereignis- eine veritable Operationsgeschichte. So fehlten für den Deutsch-Französischen Krieg neben Schlachten, Truppenstärken und Marschwegen ebenfalls nicht Angaben zu gegnerischen Kriegsgefangenen sowie erbeutetem Kriegsmaterial, waren die als „schlagfertig“50 beschriebenen deutschen Truppen doch nur auf „mangelnde Kampfbereitschaft“51 von französischer Seite getroffen. Ebenso wie militärische Tapferkeit waren im Dietsch-Richter auch politisches Geschick und gesundes Rechtsempfinden in erster Linie deutsche Tugenden. So hatte dem Lehrwerk zufolge Wilhelm I. schon lange an dem Plan gearbeitet, Deutschland unter Preußen zu vereinen, als der dänische König „vom Pöbel gedrängt“52 den Krieg von 1864 heraufbeschwor. Dass nach der „glänzende[n] Erstürmung der Düppeler Schanzen“ nicht in gegenseitigem Einvernehmen der Frieden wiederhergestellt werden konnte, galt als alleinige Schuld Kopenhagens. Die „Hartnäckigkeit der Dänen“, so lasen die Haderslebener Primaner, habe jeden Ausgleich in Sachen Schleswig-Holsteins unmöglich gemacht. In der Erziehung zum Glauben an politisch-militärische wie moralischsittliche Überlegenheit blieb wenig Raum für Fingerspitzengefühl gegenüber der dänischen gesinnten Bevölkerung. Zwei Jahre nach Ostendorfs Amtsantritt bestand der Dänischunterricht zwischen Sexta und Prima nicht mehr aus 14 obligatorischen, sondern 6 fakultativen Stunden53. Neben der ostentativen Herabstufung des Dänischen als Unterrichtsfach beteiligte sich das Gymnasium an deutschen Machtdemonstrationen. So nahm die Schule an der Einweihungszeremonie einer Statue Kaiser Wilhelms II. teil, die 1890 in Hadersleben auf Betreiben der deutschen Oberschicht aufgestellt wurde, und unternahm eine Reihe von Schulausflügen nach Düppel, wo Dänemark 1864 die entscheidende militärische Niederlage erlitten hatte54. Von dänischer Seite konnte dies nur als Herausforderung verstanden werden, was für das Verhältnis der Gymnasiasten zu den übrigen Schülern der Stadt nicht folgenlos blieb. Während Scheel das deutsch-dänische Zusammenleben an der Westküste als einträchtig beschrieben hatte, kam er mit Blick auf die Haderslebener Zeit später nicht umhin einzugestehen, dass die Schüler des Johanneums auf dem Hin- und Rückweg zum Unterricht den nationalen Gegensatz am eigenen Leibe zu spüren bekamen. Hänseleien und Schlägereien mit dänisch gesinnten Schülern waren demnach in Otto Scheels Gymnasialjahren keine Ausnahmeerscheinung55. Am deutlichsten trug die Schule ihr nationales und latent danophobes 50 51 52 53 54 55

Dietsch, Grundriss, 141. Ebd., 144. Ebd., 134. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Vgl. Programme des Kçniglichen Gymnasiums (1890), 1; und (1892), 1. Vgl. ebd., (1889), 14; (1891), 23; und (1892), 13. Vgl. Achelis, Nordschleswig, 48 f.

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Profil anlässlich der zentralen Feierlichkeit des wilhelminischen Deutschlands zur Schau, dem Sedantag. Wie im Schulprogramm nachzulesen, wurde dieser üblicherweise „festlich begangen, in Gemeinschaft mit den übrigen Schulen der Stadt, unter reicher Teilnahme der Einwohner von Stadt und Land“56. Zum Standardrepertoire gehörte dabei neben einer schulinternen Ansprache der Umzug auf den nahe gelegenen Hügel Böghoved. Dieser war schon vor der preußischen Annexion Schauplatz politischer Kundgebungen der deutschen Bewegung gewesen – stets „zum großen Ärger der Dänen“57, wie die nationalistische Pamphletistik nicht ohne Häme festhielt. Für Otto Scheel kann die Teilnahme an jenen provokativen Machtritualen spätestens gegen Ende seiner Schulzeit kaum mehr eine Pflichtübung dargestellt haben. Als er im September 1894 zum letzten Mal mit seiner Schule den Sedantag beging, war er dazu auserkoren worden, die dazugehörige Festansprache in der Aula zu halten58. Dass er aus Sicht seiner Lehrer nicht zu den Zweiflern an einem harten Kurs gegenüber der dänischen Bevölkerung gehörte, geht ebenfalls aus einigen Anmerkungen Scheels aus den Tagen nach dem Abitur hervor, welches er Ostern 1895 als Primus von vieren ablegte59. Kurz bevor er im Anschluss daran Hadersleben verließ, absolvierte Scheel eine Reihe von Abschiedsbesuchen, von denen er in seiner Privatkorrespondenz berichtete. Bei August Sach, der ihn in den letzten Schuljahren in Geschichte unterrichtet hatte60, blieb er eineinhalb Stunden, weil dieser unter anderem von „polnischen und dänischen Angriffen“61 zu sprechen begann, weshalb Scheel nach eigenem Bekunden „mit dem besten Willen nicht gehen konnte“. Der ebenfalls besuchte Oberlehrer Schröder erkannte in seinem ehemaligen Schüler gar einen potentiellen Agitatoren für den Deutschen Verein für das nördliche Schleswig. Er schenkte Scheel zum Abschied Jahresbericht und Satzung und bat ihn, an seinem Studienort nach Möglichkeit neue Mitglieder für die Vereinigung zu werben62, welche Thomas Nipperdey in seiner deutschen Geschichte als „eine Art Speerspitze ,hakatistischer‘ Propaganda, eine Nationalisten-Lobby“63 beschrieb. Ob Scheel dem Wunsch seines Mentors nachgekommen ist, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Dessen ungeachtet besteht jedoch wenig Anlass, in Zweifel zu ziehen, dass er seine nordschleswigsche Heimat im festen Glauben an einen nationalen Wertekanon und deutsche Überlegenheit verließ, als er wenige Tage später die Eisenbahn Richtung Halle bestieg, um dort das Theologiestudium aufzunehmen. 56 57 58 59 60 61

Programm des Kçniglichen Gymnasiums (1889), 14. Baudissin, Schleswig-Holstein, 130. Vgl. Programm des Kçniglichen Gymnasiums (1895), 11. Vgl. ebd., 13. Vgl. ebd., (1893), 2; (1894), 4; und (1895), 4. Schreiben Scheels an Thomas Matthiesen vom 18. 4. 1895 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 73). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 62 Vgl. ebd. 63 Nipperdey, Geschichte, 282.

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2.1.2. Akademische Qualifikation Scheel konnte nach dem Abitur umgehend das Studium aufnehmen, weil er, wie später in seiner universitären Personalakte vermerkt, ausgemustert worden war64. Einen allzu schmächtigen Eindruck dürfte er bei der ärztlichen Untersuchung allerdings nicht gemacht haben. Nach eigenem Bekunden entstammte er „einem Geschlecht hohen Wuchses“65 und trug am Haderslebener Gymnasium den Spitzname „der Dicke“66, weil er mit 14 Jahren bereits 75 Kilogramm auf die Waage brachte. Fotos aus späteren Tagen bestätigen Ersteres und lassen Letzteres ebenfalls sehr glaubhaft erscheinen. Bei der Entscheidung des Militärs, ihn für untauglich zu befinden, dürfte neben dem eigenen gesundheitlichen Zustand höchstwahrscheinlich der frühe Tod seines Vaters an Tuberkulose eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. Als Alternative zum Theologiestudium hatte Scheel seinen Memoiren zufolge in Erwägung gezogen, zur See zu fahren, weil er als Kind eine „fast leidenschaftliche Hinneigung zum Wasser“67 verspürt habe. Dies dürfte ihm nicht zuletzt das Schicksal seines jüngeren Bruders Axel verleidet haben, der bereits als Jugendlicher Seemann geworden war. Etwa ein Jahr vor Scheels Abitur erhielt die Familie das letzte Mal von ihm Nachricht, in der Stammtafel findet sich der Vermerk „auf See geblieben 1895“68. Statt an die ältere, maritime Familientradition anzuknüpfen, fiel so die Entscheidung für die jüngere, theologische. Hierzu war er als Abiturient ohnehin besser qualifiziert. Beim Haderslebener Johanneum handelte es sich zudem um eine ausgesprochene Theologen- und Medizinerschule. Von den 47 Abiturienten, die während der sechseinhalb Jahre von Scheels Gymnasialzeit die Hochschulreife erwarben, entschieden sich über 80 % für einen dieser beiden Studiengänge69. Nicht nur bei der Entscheidung für die Theologie, sondern auch der für Halle als Studienort ging Scheel den Weg der Tradition. Carl Matthiesen, der gut zehn Jahre vor Scheel in Hadersleben das Abitur ablegte, hielt in seinen Lebenserinnerungen fest, zu seiner Zeit sei für aus Schleswig-Holstein stammende Theologiestudenten „die Suite Leipzig-Erlangen-Kiel seit langem recht üblich“70 gewesen, kurz darauf jedoch Leipzig durch Halle abgelöst worden. Diesem

64 Vgl. Personalbogen Otto Scheels (UAT T bingen, 126, Nr. 573). 65 Autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Erziehung und Unterricht“, 25 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 17). 66 Ebd., 26. 67 Autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Knabenjahre in Abel“, 63 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 17). 68 Stammtafel der Familie Scheel (Privatbesitz). 69 Vgl. Carstens, Abiturienten, 84–86. 70 Matthiesen, Leben, 39.

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Modell entsprechend beschloss Scheel bereits Monate vor dem Abitur, das Studium in Erlangen oder Halle aufzunehmen71. Als er sich zum Sommersemester 1895 in Halle einschrieb, befand sich seine Wunschdisziplin in einem Zustand der Gärung. Seit Gründung des Kaiserreiches stritt die akademische Theologenzunft mit zunehmender Verbissenheit um die Frage, ob es legitim sei, sich den Inhalten der eigenen Disziplin ,voraussetzungslos‘ unter Anwendung des historisch-kritischen Methodenapparates der Geschichtswissenschaften zu nähern. Während den als ,Moderne‘ oder ,Liberale‘ bezeichneten Befürwortern nicht weniger als der Ausverkauf des Glaubens vorgeworfen wurde, mussten sich die als ,Konfessionelle‘ oder ,Positive‘ titulierten Gegner die Anschuldigung gefallen lassen, sie würden die Freiheit der Forschung beschneiden und dadurch die universitäre Theologie zu einer Legitimationswissenschaft herabstufen. Der Methodenstreit wurde nicht zuletzt deswegen mit unerbittlicher Härte ausgefochten, weil ihm die Grundsatzfrage nach dem Verhältnis von protestantischer Tradition und gesellschaftlicher Moderne zugrunde lag. Aus Sicht der vorwiegend im Lager des konservativen Luthertums beheimateten positiven Theologen stellte das Festhalten an einer nicht zu relativierenden Glaubenssubstanz die einzige Möglichkeit dar, einer Entsittlichung der modernen Kultur und dem Bedeutungsverlust des Christentums zu begegnen. Eine große Zahl liberaler Theologen betrachtete es hingegen als Sackgasse, in scharfer Abgrenzung zur gesellschaftlichen Moderne Ritus und Bekenntnis in traditioneller Form zu bekräftigen. Zahlreiche Anhänger dieser Richtung setzen vielmehr auf eine mit dem Begriff des Kulturprotestantismus verknüpfte Synthese zwischen religiösen Werten und moderner Kultur, um dem Protestantismus eine gesellschaftlich relevante Position zu sichern72. Den darauf fußenden Gegensatz zwischen „liberalen Geschichtstheologen“73 und „konservativen Kirchentheologen“ dürfte Scheel an der FriedrichsUniversität nicht so stark wahrgenommen haben, wie es an vielen anderen Hochschulen der Fall gewesen wäre. In Halle fiel der fakultätsinterne Grabenkrieg wegen der starken Tradition der Vermittlungstheologie, deren Vertreter einen Mittelweg zwischen theologischem Liberalismus und Konfessionalismus zu steuern suchten, weniger heftig aus. Mit dem Alttestamentler Emil Kautzsch, dem Neutestamentler Erich Haupt sowie dem Ordinarius für Praktische Theologie Willibald Beyschlag unterstützen gleich drei Ordinarien diese Richtung74. Bei Haupt und Kautzsch absolvierte Scheel in den vier

71 Vgl. Schreiben Scheels an Thomas Matthiesen vom 22. 12. 1894 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 73). 72 Vgl. Graf, Theologie, 16–19, 70–80; Stenglein-Hektor, Religionsforschung, 21–25; und Wolfes, Theologie, 311. 73 Graf, Vorwort, 9. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 74 Vgl. M hling, Vermittlungstheologie, 1032; Schenk / Meyer, Studien, 79, 87; und Stephan, Fakultät, 87, 112, 180.

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Hallenser Semestern etwa die Hälfte seiner Veranstaltungen75. Er folgte damit den Studienempfehlungen der Fakultät, die „möglichst umfassende Durcharbeitung der heiligen Schrift“76 durch eine „gewissenhafte Benutzung grade [sic!] der ersten Semester“77 auf eine sichere Grundlage zu stellen. Insbesondere Vorlesungen und Übungen bei Haupt und Beyschlag erhielten ihr Profil weniger ob deren Positionierung im innerprotestantischen Meinungsstreit als durch ihr Engagement im Evangelischen Bund zur Wahrung deutsch-protestantischer Interessen. Während Beyschlag zu den Mitbegründern der in Halle beheimateten Vereinigung gehörte, saß Haupt 10 Jahre in deren Zentralvorstand78. Wichtigstes Anliegen der 1886 gegründeten Organisation, die bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges etwa 500.000 Mitglieder zählte, war die Sammlung der deutschen Protestanten zur vereinten Bekämpfung des vermeintlich steigenden Einflusses der Katholiken im öffentlichen Leben. Scheel dürfte spätestens mit Studienbeginn über seine Hallenser Lehrer mit dem Bund in Kontakt gekommen sein, den er als Privatdozent in Kiel selbst unterstützen sollte79. Exponierten Vertretern positiver beziehungsweise liberaler Richtungen begegnete Scheel hingegen in den Veranstaltungen des Systematikers Martin Kähler sowie des Kirchenhistorikers Friedrich Loofs. Kähler genoss einen weit über Halle hinausreichenden Ruf als dezidierter Vertreter positiver Theologie. Drei Jahre vor Scheels Studienbeginn hatte er in der viel beachteten Schrift „Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche biblische Christus“ dargelegt, der mit historisch-kritischer Methode erforschte historische Jesus sei mit dem geschichtlichen der biblischen Überlieferung nicht in Einklang zu bringen. Seiner Ansicht nach flossen historischer Jesus und Glaube „wie Öl und Wasser auseinander“80. Seine wenig kompromissbereite Haltung im Methodenstreit trug er nicht zuletzt dadurch zu Tage, bereits seinen an der Vermittlungstheologie orientierten Fakultätskollegen als entschiedener Gegner gegenüberzustehen81. Friedrich Loofs, dessen kirchenhistorisches Arbeitsgebiet der Natur seines Untersuchungsgegenstandes entsprechend das Hauptschlachtfeld im Methodenstreit darstellte, war dementgegen ein entschiedener Verfechter historisch–kritischer Forschung82. Obwohl selbst nach eigener Einschätzung kein radikaler Vertreter des theologischen Liberalismus, erklärte er dennoch angesichts seiner Zuordnung zum liberalen Flügel durch die positiv orientierte 75 76 77 78 79

Vgl. Anmelde-Buch Otto Scheels (UAH Halle, Rep. 39, Nr. 160). Universit t Halle-Wittenberg, Anweisung, 6. Ebd., 11. Vgl. Schenk / Meyer, Studien, 78 f.; und Stephan, Fakultät, 88, 112. Vgl. Fleischmann-Bisten / Grote, Protestanten, 9 f., 24; und M ller-Dreier, Konfession, 42–46, 80. 80 K hler, Jesus, 51. 81 Vgl. K hler, Kähler, 725 f.; und Knauß, Kähler, 925–930. 82 Vgl. Sames, Pflichtbewusstsein, 32.

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Theologenschaft, er habe sich „nie gewünscht, von dieser Seite anders eingeschätzt zu werden“83. So gehörte Loofs zum Gründerkreis der liberalprotestantischen Zeitschrift „Die Christliche Welt“ (ChW), welche sich als „Evangelisches Gemeindeblatt für Gebildete aller Stände“84 um eben jene Vermittlungsleistung zwischen moderner Lebenswelt und Christentum bemühte, welche Signum kulturprotestantisch orientierter Gelehrter war. Vom Engagement Loofs in dieser Richtung zeugen ebenfalls mehrere Predigtbände, häufige Rednertätigkeit und eine Vielzahl außeruniversitärer Ämter85. Da die Hallenser Fakultät ihren Neuankömmlingen nahelegte, Veranstaltungen zur Kirchengeschichte von Anfang an zu besuchen, jene aus dem Bereich der Praktischen und Systematischen Theologie hingegen eher in die zweite Hälfte des Studiums zu legen, kann es kaum überraschen, dass Scheel in seinen vier Semestern an der Friedrichs-Universität Kähler nur zweimal, Loofs hingegen fünfmal hörte86. Für Scheels Sympathie mit dem – ob nun gewollt oder ungewollt – vermittlungstheologisch-liberalen Schwerpunkt seines Studiums spricht jedoch nicht nur sein zweijähriger Aufenthalt in Halle, den er sicherlich früher beendet hätte, falls er mit der dortigen theologischen Ausrichtung grundsätzlich unzufrieden gewesen wäre. Insbesondere Loofs, der sich in der Dogmengeschichtsschreibung mit einem bis 1968 neu aufgelegten Leitfaden einen Namen machte, hinterließ bei Scheel bleibende Eindrücke. Nach der Promotion dankte Scheel seinem Hallenser Lehrer ausdrücklich für die Anregungen, welche ihm dessen Arbeiten gebracht hätten. Seine Qualifikationsarbeit beschrieb er als „eine Ergänzung beziehungsweise Weiterführung“87 von Loofs Gedanken. Scheels späteres Hauptforschungsgebiet war zudem mit Loofs zweitem Schwerpunkt deckungsgleich, der wegen seiner Arbeiten zur Rechtfertigungslehre als „Mitbegründer der modernen Lutherforschung“88 bezeichnet worden ist. Noch ein Vierteljahrhundert später tauschten die beiden sich über diese Thematik aus89. Dass für Scheel nicht nur die thematischen Präferenzen von Loofs, sondern auch dessen theologiepolitische Standpunkte prägend waren, zeigte sich beim Abschied von der Friedrichs-Universität. Anstatt neben Halle auch in Erlangen zu studieren, wie nach dem Abitur noch erwogen und bei schleswig-holsteinischen Theologen seinerzeit üblich, ging Scheel direkt nach Kiel. Er ließ damit genau die Hochschule aus, deren 83 Loofs, Loofs, 156 f. 84 So der Untertitel der Zeitschrift von 1898 bis 1920. 85 Vgl. Graf, Theologie, 84–88; Schmidt–Rost, Christliche Welt, 246–250. Loofs verließ zwar später den engeren Kreis um die ChW, doch erst nachdem Scheel Halle bereits verlassen hatte, siehe Loofs, Loofs, 157. 86 Vgl. Anmelde-Buch Otto Scheels (UAH Halle, Rep. 39, Nr. 160); und Universit t HalleWittenberg, Anweisung, 8 f. 87 Schreiben Scheels an Friedrich Loofs vom 4. 5. 1901 (UBH Halle, Yi 19, IX, S 2736). 88 Steck, Loofs, 515. 89 Vgl. Schreiben Scheels an Friedrich Loofs vom 17. 1. 1921 (UBH Halle, Yi 19, IX, S 2748).

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theologische Fakultät als Hochburg des konfessionellen Luthertums vornehmlich von Vertretern positiver Orientierung geprägt war90. Zwar waren in Kiel durch den Neutestamentler Ferdinand Mühlau und den Alttestamentler August Klostermann die beiden bibelwissenschaftlichen Lehrstühle auch mit positiven Theologen besetzt, die für Scheels weiteres Studium zentralen Lehrstühle für Systematische und Praktische Theologie hingegen nicht, ebenso wenig das kirchengeschichtliche Ordinariat. Letzteres bekleidete an der Christiana Albertina Hans von Schubert, während als Systematiker Friedrich August Berthold Nitzsch unterrichtete und in der Praktischen Theologie Otto Baumgarten lehrte91. Nimmt man zu den dreien noch den außerordentlichen Professor für Systematik, Arthur Titius, hinzu, so ist die Reihe von Scheels Kieler Lehrern komplett. Bei Mühlau und Klostermann besuchte er keine einzige Veranstaltung, was auch für Nitzsch’ Nachfolger aus den Reihen der positiven Theologen, Erich Schaeder, gilt92. Scheel studierte somit in Kiel ganz gezielt ausschließlich bei akademischen Lehrern, die der liberaltheologischen Richtung zugeordnet werden können. Dementsprechend schrieb er im Jahr seiner Promotion an von Schubert, er verdanke ihm, Titius und Baumgarten „die Grundrichtung […] theologischen Denkens“93. Insbesondere mit Blick auf den letztgenannten war dies vielsagend, weil Otto Baumgarten zu den entschiedensten Verfechtern eines liberalen Protestantismus gehörte und nach eigenem Bekunden eine „scharfe Kämpferstellung“94 gegen die Orthodoxie einnahm. Seiner akademischen Karriere waren mehrere Jahre im Kirchendienst vorausgegangen, weshalb sich für ihn umso drängender die Frage stellte, wie eine Brücke zwischen Glaubenspraxis und moderner Kultur geschlagen werden konnte. Es nimmt daher nicht wunder, dass Baumgarten als persönlicher Freund von Loofs schnell zum engen Kreis um die ChW gehörte und zeitlebens an dem kulturprotestantischen Blatt mitarbeitete95. Außerdem fungierte er als Mitherausgeber der „Zeitschrift für Praktische Theologie“, die unter seiner Ägide den programmatischen Namen „Evangelische Freiheit“ erhalten und das „führende Organ der liberalen Praktischen Theologie in Deutschland“96 werden sollte. Am theologischen Parteienstreit, der vorwiegend in den Sparten dieser wie 90 Vgl. Graf, Theologie, 70. 91 Vgl. Alwast, Baumgarten, 34 f.; und Provinzial-Handbuch, Jg. 6, 66. 92 Ihre Namen finden sich nicht in der Scheels Dissertation vorangestellten Vita, in der er alle Theologen auflistete, deren Veranstaltungen er besucht hatte, siehe Scheel, Anschauung (1900), III. Bei dem genannten Werk handelt es sich um die Fassung der Dissertation für das Promotionsverfahren, der Scheel im Folgejahr eine erweiterte Version für den Buchmarkt folgen ließ. 93 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 30. 12. 1900 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Kiel 1892–1906 M–Z). 94 Baumgarten, Lebensgeschichte, 99. 95 Vgl. Alwast, Geschichte, 111–113; Bassi, Baumgarten, 31, 398; Schelander, Theologie, 313; und Schmidt-Rost, Freund, 57 f. 96 Brakelmann, Krieg, 12.

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einer Unzahl weiterer Periodika ausgetragen wurde, nahm Hans von Schubert keinen regen Anteil wie sein Studienfreund Baumgarten, obgleich dieser in seinen Memoiren eine „weitgehende Übereinstimmung der letzten religiösen und wissenschaftlichen Ziele“97 konstatierte. Als promovierter Historiker hatte von Schubert erst relativ spät den Weg zur Theologie gefunden, was sich in seinen Arbeiten als Ordinarius für Kirchengeschichte deutlich niederschlug. Seine Studien beschäftigten sich weniger mit dogmenhistorischen Aspekten als mit der Schnittstelle zwischen Kirchen- und allgemeiner Geschichte98. In einer postum veröffentlichten Lebensskizze findet sich das Urteil, er sei „zeitlebens ein Schüler der Rankeschen Historie“99 geblieben, was eine größtmögliche methodisch-theoretische Distanz zur positiven Theologie bedingte. Wie prägend dieses liberaltheologisch-kulturprotestantische Umfeld war, zeigt Scheels Engagement im Kieler Akademisch-Theologischen Verein. Zwar trat er der studentischen Vereinigung erst in seinem letzten Studiensemester bei. Deren Sitzungen hatte er allem Anschein nach schon vorher besucht, denn er wurde mit Aufnahme sogleich zum Vorsitzenden gewählt100. Auf Basis der Thesen eines einführenden Referenten pflegten die Mitglieder eine breite Palette von Fragen sowohl dogmatischer („Über die Trinitätslehre“)101 als auch historischer („Über Glaubwürdigkeit und Ursprung des Johannes-Evangeliums“)102 und allgemein ethischer Natur („Über die Notlüge“)103 zu diskutieren.Scheel machte es sich bei diesem Procedere zu eigen, mit seinen Thesen weithin unangezweifelte Lehrmeinungen gezielt herauszufordern, etwa indem er das Staatskirchensystem zur Disposition stellte oder das Duell als christlich-ethisch legitim beurteilte. Dass sich die Theologie als akademische Disziplin nicht nur in Gegenwartsfragen, sondern auch bei historischen Betrachtungen keinerlei ideologische Beschränkungen auferlegen dürfe, stellte er dabei deutlich heraus. Als die Vereinsmitglieder im Anschluss an eines seiner Referate über die Entwicklung der Christologie das Verhältnis von Frömmigkeit und Objektivität diskutierten, insistierte Scheel, dass subjektiver Glaube und historische Objektivität nicht voneinander abhängig seien104. Scheels Christologiereferat, das er nach dem Examen im Sommer 1899 hielt, war zugleich ein Stück weit Werkstattbericht seiner Dissertation, deren 97 98 99 100 101

Baumgarten, Lebensgeschichte, 99. Vgl. Fix, Universitätstheologie, 52 f.; und Moeller, von Schubert, 51 f. Holborn, von Schubert, XVII. Vgl. Andersen, Verein, 36, 43. Protokollbuch des Akademisch-Theologischen Vereins zu Kiel, Nr. VIII, Protokolle der Sitzungen vom 14. 12. 1898 (UBK Kiel, Cod. MS. K.B. 499). 102 Protokollbuch des Akademisch-Theologischen Vereins zu Kiel, Nr. VII, Protokolle der Sitzungen vom 19. 7. 1897 (Ebd.) 103 Protokollbuch des Akademisch-Theologischen Vereins zu Kiel, Nr. VIII, Protokolle der Sitzungen vom 11. 1. 1899 (Ebd.). 104 Vgl. Protokolle der Sitzungen vom 10. 7. 1899, 30. 10. 1899 und 6. 11. 1899 (Ebd.).

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Richtungsgeber von Schubert und Loofs waren. Nach eigenem Bekunden erhielt Scheel durch von Schubert die Anregung, sich mit einer Augustinstudie zu promovieren105. Möglicherweise ging der Themenvorschlag auf seine Teilnahme an einer kirchengeschichtlichen Übung seines Lehrers von Schubert zurück, die sich in Scheels zweitem Kieler Semester dem Kirchenvater gewidmet hatte106. Den inhaltlichen Schwerpunkt verdankte die Studie indes weniger Scheels Kieler denn seinem Hallenser Lehrer im Bereich der Kirchengeschichte. Friedrich Loofs hatte erst kurz vor Scheels Examen in einem Überblicksartikel die Entwicklung von Augustins religiöser Gedankenwelt beleuchtet und dabei herausgestellt, dass sie weniger durch die Bekehrung zum Christentum als durch den Neuplatonismus „den entscheidenden Aufschwung“107 erfahren habe. Loofs Ergebnisse bildeten den Ausgangspunkt für die Untersuchung Scheels, der später selbst in einer Sammelbesprechung die „Kontinuität der Forschung“108 explizit herausstellte. Eigentliches Thema seiner Promotion war die Christologie Augustins, welche Scheel in Anknüpfung an die genetische Vorgehensweise seines Hallenser Lehrers unter besonderer Berücksichtigung ihrer Entwicklung untersuchte. Dabei ließ er sich, wie er einleitend klar herausstellte, nicht von einem „lediglich biographisch-antiquarischem Interesse“109 leiten. Ziel der Studie sollte vielmehr sein herauszuarbeiten, „ob Augustin etwas Originelles geboten hat, welches ihn über seine Vorgänger emporhebt oder ob er nur reproduziert hat, was andere vor ihm ausgesprochen haben.“110 Die Arbeit hatte folglich mit Blick auf ihr dogmatisches Thema keinerlei affirmativen Charakter, sondern war auf die kritische Erforschung einer ergebnisoffenen Fragestellung ausgerichtet. Dementsprechend unterzog Scheel vor der eigentlichen Analyse sein Quellenkorpus, die Schriften Augustins, einer genauen Sichtung. Dabei kam er zu dem Schluss, dass dessen bis dato von der Forschung vor allem herangezogenen „Confessiones“ für die Christologie des jungen Augustin keine Aussagekraft haben könnten und ihre Darstellung anhand früherer Schriften zu korrigieren sei111. Dieser Aufgabe widmete er sich im anschließenden Analyseteil, indem er mit einem Höchstmaß an philologischer Akribie die Äußerungen Augustins über Person wie Werk Christi zusammentrug und miteinander verglich. Das darauf basierende Gesamturteil fiel vernichtend aus. Scheel kam zum dem Schluss, Augustin sei „nicht eine eigentlich schöpferische Natur“112 gewesen, sondern habe „ganz auf den Schultern“ 105 106 107 108 109 110 111

Vgl. Scheel, Anschauung (1901), VII. Vgl. Verzeichnis der Vorlesungen (Winterhalbjahr 1897/1898), 3. Loofs, Augustin, 266. Scheel, Dogmengeschichte, 340. Scheel, Anschauung (1901), 5. Ebd., 3 f. Vgl. ebd., 9 f. Scheels kritischer Blick auf die Zuverlässigkeit von Augustins „Confessiones“ ist von der späteren Forschung mehrheitlich bestätigt worden, vgl. Frederiksen, Confessiones. 112 Scheel, Anschauung (1901), 464. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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neuplatonischer Lehrer gestanden und deshalb mit seiner Christologie „keine wirklich neuen Momente in die christliche Theologie eingeführt“113. Mit seiner Dissertation lieferte er die bis dato umfangreichste Studie zu der Thematik, deren Ergebnisse über Jahrzehnte das Urteil der Augustin-Forschung über dessen Christologie prägen sollten114. Unabhängig von der relativen Langlebigkeit seiner Argumentation war für Scheels weiteren Weg von größerer Bedeutung, dass er sich mit der Arbeit im akademisch-theologischen Meinungsstreit seiner Tage eindeutig positioniere. Die Arbeit war dem Zuschnitt nach gleichermaßen Beispiel wie Plädoyer für die Öffnung der akademischen Theologie für den Historismus und eine von dogmatischer Zensur freie Forschungspraxis. So wurde die Dissertation zur Zufriedenheit des Verfassers von Ferdinand Kattenbusch in der Theologischen Literaturzeitung besprochen, dem wichtigsten Rezensionsorgan der Zunft, dessen theologiepolitische Ausrichtung der Scheels entsprach115. An anderer Stelle blieb den Rezensenten das akademische Herkommen des Schreibers ebenfalls nicht verborgen, wobei insbesondere die Nähe zu Loofs unübersehbar schien116. Für Leser der Studie bestanden folglich kaum Zweifel ob der Grundrichtung theologischen Denkens des Autors. Wer die Schrift zur Hand nahm, konnte schnell ersehen, dass der Verfasser seine akademische Laufbahn als Anhänger der liberaltheologischen Richtung antrat.

2.1.3. Theologisches Forschungsfeld Dass er nach der Promotion nicht ins Pfarramt wechseln würde, dürfte sowohl Scheel als auch seinen Lehrern bereits klar gewesen sein, bevor er am Reformationstag 1900 seine Dissertation verteidigte und daraufhin den Licentiatengrad in Theologie verliehen bekam. Höchstwahrscheinlich auf Empfehlung Baumgartens habilitierte sich Scheel nur zwei Tage später mit derselben Arbeit in Systematischer Theologie117. Seine Lehrer waren aller Voraussicht nach ebenfalls nicht unbeteiligt bei der anschließenden Beantragung eines Privatdozentenstipendiums, das Scheel in den folgenden Jahren die wirtschaftliche Existenz sicherte. Bis zu seinem Tübinger Ruf blieb Scheel auf diese Förderung angewiesen. Die Ministerialbürokratie versüßte ihm gegen Ende seiner Kieler 113 Scheel, Anschauung (1901), 465. 114 Vgl. Geerlings, Christus, 5 f.; und Kany, Trinitätsdenken, 210 f. 115 Vgl. Fix / Graf, Nachlaß, 180 f.; Graf, Theologie, 85; Kattenbusch, Rezension; und Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 9. 4. 1903 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Kiel 1892–1906 M–Z). 116 Vgl. Orr, Rezension, 159; und N.N., Rezension, 387. 117 Vgl. Scheel, Anschauung (1900), I; und Volbehr / Weyl, Professoren, 22. Baumgarten legte Hermann Mulert wenige Jahre später mit Verweis auf das Beispiel Scheels die direkte Habilitation nahe, siehe Schreiben Otto Baumgartens an Hermann Mulert vom 6. 12. 1906 (UAL Leipzig, NL Hermann Mulert, III/2).

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Otto Scheel, um 1900 (Privatbesitz Dr. Wolfgang Rabl)

Zeit die ökonomisch prekäre Stellung lediglich damit, ihn durch die Ernennung zum Titularprofessor wenigstens mit dem symbolischen Kapital der Professorenwürde auszustatten118. 118 Vgl. Benachrichtigung des Kultusministeriums an den Kieler Universitätskurator, vom 18. 11. 1901 (GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 76 Va Sekt. 9 Tit. IV, Nr. 13, Bd. 2); und Schreiben Scheels an Friedrich Althoff vom 18. 1. 1906 (GStA PK Berlin, NL Friedrich Althoff, Nr. 161, Bd. 1, Bl. 45).

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Neben diesen inneruniversitären Weichenstellungen führten seine Kieler Lehrer Scheel ebenfalls in liberaltheologische Netzwerke ein. Hierzu gehörte nicht zuletzt die Wahl des passenden Verlagshauses. Um 1900 hatten sich die Positionen im theologischen Richtungsstreit so weit verhärtet, dass kaum ein Verlag mehr einen ,frontenübergreifenden‘ Autorenkreis vorweisen konnte. So war es bezeichnend, dass von Schubert wegen der Drucklegung von Scheels Dissertation Kontakt mit dem Verlag J.C.B. Mohr aufnahm. Unter der Leitung von Paul Siebeck avancierte das Unternehmen in jenen Jahren zum „repräsentative[n] Verlag des deutschsprachigen Kulturprotestantismus“119. Siebeck betrieb gezielt Verlagspolitik, indem er in erster Linie Autoren zu verpflichten suchte, die in Abgrenzung zu positiven Theologenkreisen für den Umbau ihrer Disziplin in Richtung einer historischen Kulturwissenschaft einstanden120. Von seinem Mentor über den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen informiert, bekundete Scheel nicht nur erwartungsgemäß Dank, sondern äußerte ebenfalls große Freude, gerade dort verlegt zu werden121. Gegenüber Paul Siebeck bezeichnete er die Klausel des Verlagsvertrages, auch zukünftige Werke zuerst dem Verlagshaus anzubieten, als „Selbstverständlichkeit“122, da es ohnehin sein Wunsch gewesen sei, „mit Ihnen und Ihrem Verlag in Verbindung treten zu dürfen“. Zum Gutteil war die bei J.C.B. Mohr präferierte Theologenschaft identisch mit dem Kreis um die ChW, auf deren Herausgabe Paul Siebeck bezeichnenderweise nur sehr ungern verzichtet hatte123. Einer der wichtigsten Namen sowohl im Verlagsprogramm als auch im Umfeld der Zeitschrift war der Otto Baumgartens. Es liegt daher nahe anzunehmen, dass parallel zu von Schuberts Bemühungen bei dem Tübinger Verlag Scheel unter der Ägide von Baumgarten Zutritt zum Netzwerk um die ChW suchte, indem er sich im Jahr seiner Promotion zu deren etwa 5.000 Abonnenten gesellte124. Wenige Jahre später gab sich der innere Zirkel um die Zeitschrift eine festere Organisationsform mit der Gründung der Vereinigung der Freunde der Christlichen Welt, die als „exklusiver ,Bund‘ liberaler Reformtheologen“125 nie mehr als ein Drittel der Subskribenten umfasste. Das Obmannsamt der Vereinigung in SchleswigHolstein übernahm Otto Baumgarten, und auch Scheel trat den ,Freunden‘ alsbald bei126. 119 Conrad, Lexikonpolitik, 195. 120 Vgl. H binger, Kulturprotestantismus, 190–196. 121 Vgl.Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 27. 8. 1900 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Kiel 1892–1906 M–Z). 122 Schreiben Scheels an Paul Siebeck vom 24. 8. 1900 (VMS T bingen, Karton 139). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 123 Vgl. Conrad, Lexikonpolitik, 201 f. 124 Vgl. Schmidt-Rost, Welt, 251; und Schreiben Scheels an Martin Rade vom 23. 5. 1911 (UBM Marburg, Ms. 839). 125 H binger, Kulturprotestantismus, 52. 126 Vgl. Mitteilung Nr. 7 vom 1. 10. 1904, in: Schwçbel, Freunde, 28; Rathje, Welt, 123–125; und Schreiben Scheels an Martin Rade vom 14. 8. 1905 (UBM Marburg, Ms. 839).

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Nicht nur hinsichtlich seiner akademischen Positionsbestimmung war der Schulterschluss mit dem Kreis um das führende kulturprotestantische Periodikum symptomatisch, sondern ein Stück weit auch mit Blick auf Scheels Ansichten in der Nordschleswig-Frage. Sowohl Baumgarten als auch der Herausgeber der ChW, Martin Rade, waren Mitinitiatoren des EvangelischSozialen Kongresses, welcher sich der Frage widmete, wie von protestantischer Warte mit den drängenden sozialen Problemen der Gegenwart umzugehen sei127. Beide befürworteten einen Politikstil christlich-sozialer Verantwortung, mit dem obrigkeitsstaatliche Zwangsmaßnahmen gegen schwächere Glieder der Gesellschaft inkompatibel waren. Hatte sich Otto Baumgarten deshalb 1896/1897 mit den streikenden Hafenarbeitern in Hamburg solidarisch erklärt, öffnete Martin Rade aus demselben Grund die Spalten der ChW für kritische Beiträge zur preußischen Minderheitenpolitik. Sowohl zur Abschaffung des dänischen Unterrichts in den nordschleswigschen Volksschulen als auch zur Ausweisung vermeintlicher Staatsfeinde dänischer Gesinnung erschienen in der Zeitschrift noch vor der Jahrhundertwende Artikel, deren anonyme Verfasser hart mit der Eindeutschungspolitik ins Gericht gingen128. Ob Scheel in seinen Kieler Privatdozentenjahren mit den politischen Ansichten seiner Lehrer offen sympathisierte, lässt sich mit letzter Sicherheit nicht festmachen, da er zu dieser Zeit nie selbst das Wort in Sachen Nordschleswig ergriff. Größeren Anstoß scheint er an den kritischen Stimmen in der ChW jedoch nicht genommen zu haben, denn andernfalls hätte er sicherlich weder das Blatt abonniert noch wäre er der Vereinigung der Freunde der ChW beigetreten. Konnte mit Blick auf den Abiturienten Scheel nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, ob er an seinen Studienorten Werbung für den Deutschen Verein für das nördliche Schleswig machte, so liegt es hinsichtlich des Privatdozenten Scheel deshalb in weiter Ferne ihn als Befürworter radikaler Germanisierungspolitik einzuordnen. Aus der Korrespondenz der Kieler Dozentenjahre lässt sich eher herauslesen, dass er den politischen Friktionen in seiner Heimat mit der bei Akademikern nicht unüblichen Attitüde distanzierter Überheblichkeit begegnete. Von einem der regelmäßigen Besuche bei seiner Familie in Hadersleben zurückgekehrt, bemerkte er beispielsweise zum Verbot einer dänischen Zeitung süffisant, Nordschleswig habe „wieder eine kleine Aufregung“129. Die oft wochenlangen Aufenthalte bei seiner Familie dienten ihm zudem als Versuchsballon, um die Haltung der konservativen ländlichen Geistlichkeit gegenüber den liberalen akademischen Theologen an der Kieler Universität auszuloten130. An dem damit verbundenen Gefühl der Überlegenheit lässt die Pri127 Vgl. Pollmann, Kongreß, 645 f. 128 Vgl. Bassi, Baumgarten, 59–62, 110 f.; Leppien, Rade, 26–28; Nagel, Krieg, 195–198; und Ruddies, Kulturluthertum, 403 f. 129 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 10. 8. 1903 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Kiel 1892–1906 M–Z). 130 Vgl. Schreiben Scheels an Paul Siebeck vom 21. 8. 1902 (VMS T bingen, Karton 161).

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vatkorrespondenz kaum Zweifel. Als ihm etwa vom Haderslebener Propst der Vorwurf gemacht wurde, die universitäre Theologie in Kiel habe es sich zum Ziel gemacht, die Kirche zu untergraben, tat er dies als Randnotiz mit dem Hinweis ab, es herrsche im Norden eine „etwas bittere Stimmung“131. Diese Einschätzung ging keineswegs fehl. Ein erheblicher Teil der Geistlichen in Schleswig-Holstein stand der ChW und ihren Kieler Anhängern bestenfalls reserviert gegenüber. Der Generalsuperintendent von Schleswig, Theodor Kaftan, bezeichnete das Blatt 1901 als „Omnibus für alle Nichtorthodoxen“132. Aus seinem Munde war dies fast noch schmeichelhaft, denn kaum zwei Jahre später war die ChW aus seiner Sicht „zur Hexenküche geworden, in der alles, was ,modern‘ ist, sein Wassersüppchen kocht“133. Die scharfen Worte des leitenden Geistlichen im Schleswiger Landesteil gingen auf den Bruch mit Otto Baumgarten zurück, der wiederum eine Art provinzieller Niederschlag des Methodenstreits in der Theologie war134. Baumgarten forderte gleich in der ersten Auflage der umgewidmeten Zeitschrift für Praktische Theologie unter der Formel „Befreiung der Christenheit aus der Knechtung unter das Urchristentum und die Reformationstheologie“135 die kritische Sichtung reformatorischer Lehrsätze zugunsten einer gegenwartsbezogenen und kulturoffenen Religiosität. Wie er später in seiner Rektoratsrede festhielt, betrachtete er die akademische Theologie „dazu berufen, der Kirche die volle Gegenwart des Kulturlebens und die Pflicht des gleichzeitigen Fortschreitens mit ihr vor Augen zu halten“136. Dagegen machte Kaftan und mit ihm die konservative Pastorenschaft im Lande schon vor Baumgartens Amtsantritt als Rektor mobil. Auf einer Pastoralkonferenz in Flensburg im Mai 1902 fiel bereits die Entscheidung, eine offizielle Beschwerde gegen den vermeintlichen Agitator einzureichen, durch dessen kulturprotestantische Agenda Grundfeste protestantischer Religiosität zur Disposition gestellt zu sein schienen137. In dieser überaus angespannten Lage referierte Scheel kurz nach der Flensburger Tagung auf einer theologischen Konferenz in Kiel über Luthers Stellung zur Heiligen Schrift. Was er seinen Zuhörern präsentierte, war ähnlich seiner Augustin-Promotion eine historisch-genetische Studie, die der Entwicklung von Luthers Schriftverständnis nachging. Am Ende dieser Ausführungen stand ein deutliches Fragezeichen hinsichtlich des für die konservativen Lutheraner sakrosankten Sola scriptura-Prinzips. Scheel kam zu dem Schluss, dass das Schriftverständnis des Wittenberger Reformators 131 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 30. 12. 1902 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Kiel 1892–1906 M–Z). 132 Schreiben Theodor Kaftans an Julius Kaftan vom 2. 11. 1901, in: Gçbell, Kirche, 242. 133 Schreiben Theodor Kaftans an Julius Kaftan vom 21. 5. 1903, in: Ebd., 280. 134 Vgl. Alwast, Geschichte, 172–175; Bassi, Baumgarten, 66–68; und Ramm, Kaftan, 265 f. 135 Baumgarten, Chronik (1901), 36. 136 Baumgarten, Voraussetzungslosigkeit, 16. 137 Vgl. Bassi, Baumgarten, 69 f.

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zeitlebens eine Doppelseitigkeit von relativ freier Deutung versus an Biblizismus grenzende Worttreue ausgemacht habe. „Fast möchte man das Paradoxon auszusprechen wagen“138, so sein Urteil, „dass in den Widersprüchen die Einheitlichkeit zu erblicken sei“. Scheel sah die „geniale Natur“139 Luthers durch diesen Befund nicht in Frage gestellt, verwehrte sich jedoch mit Nachdruck dagegen, dessen „mittelalterliche Elemente“140 und Widersprüchlichkeiten auszublenden. Vielmehr sei der Reformator „abzurücken von den Kämpfen der Gegenwart und sein Bild zu verstehen in der zeitgeschichtlichen Größe, aber auch in der zeitgeschichtlichen Beschränkung“. Sein Plädoyer für eine kritische Forschung, durch deren Ergebnisse er das Ansehen des Reformators in keiner Weise beschädigt sah, verband Scheel mit einer deutlichen Spitze gegen die Widersacher seines Lehrers Baumgarten. In einer kurzen Zusammenfassung protestantischer Fehlinterpretationen von Luthers Schriftverständnis bezeichnete er als die „extremen Lutheraner“141 jene, die fälschlicherweise einzelne Worte Luthers zum Maßstab des Ganzen gemacht hätten, „ein Verfahren, das hier und dort in unserer Landeskirche immer noch geübt wird“. Während Generalsuperintendent Kaftan den Vortrag in einer späteren Publikation mit der Bemerkung abtat, dessen „moderne Fragestellung“142 passe generell nicht zu Luther, fanden Scheels Ausführungen im eigenen Lager so großen Anklang, dass er auf vielseitiges Drängen das Manuskript Paul Siebeck anbot. Auf die Versicherung Baumgartens, der Vortrag sei allgemeinverständlich und könne von den Lesern der ChW problemlos verstanden werden, stimmte Scheels Verleger dem Druck zu143. Siebeck reihte den Beitrag in die „Sammlung gemeinverständlicher Vorträge und Schriften aus dem Gebiet der Theologie und Religionsgeschichte“ ein, welche gleichsam Visitenkarte für seine Verlagspolitik war und bereits Schriften wie Ernst Troeltschs „Die wissenschaftliche Lage und die Anforderungen an die Theologie“ enthielt. Diese Platzierung entsprach ganz dem Anliegen Scheels, klar Position zu beziehen. In einer Selbstanzeige der Schrift in der ChW stellte er heraus, es sei ihm in dem zugrunde liegenden Vortrag vor allem darauf angekommen „das Lutheranisieren […] als unangemessen zurückzuweisen“144. Waren die Adressaten dieses Lutherbeitrages schon durch den Verteiler der ChW in erster Linie die eigenen Parteigänger, so wandte sich Scheel über das 138 139 140 141 142

Scheel, Stellung, 76. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Ebd., 74. Ebd., 75. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Ebd., 74. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Kaftan, Theologie, 84. Kaftan legte den von ihm als ,moderne Theologen‘ geschmähten Anhängern der historisch-kritischen Forschung in der an Polemik reichen Schrift unter anderem nahe, sie sollten auf die Selbstbezeichnung als Theologen am besten verzichten, siehe ebd., 83. 143 Vgl. Briefwechsel Scheels mit Paul Siebeck im Juli 1902 (VMS T bingen, Karton 161). 144 Scheel, Stellung, 1095.

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Schleswig-Holsteinische Kirchenblatt an die Baumgarten weniger wohlgesonnene Pastorenschaft. In einem zweiteiligen Artikel unter der Überschrift „Zum Thema: Theologie und Kirche“ argumentierte er, Spannungen zwischen wissenschaftlich arbeitenden und in der praktischen Seelsorge eingebundenen Theologen ließen sich zum Teil auf deren unterschiedliche Aufgaben zurückführen. Der Wissenschaftler müsse „von vornherein kritischer und radikaler sein“145, sei doch Ziel seiner Arbeit, „Wahrheit und Wirklichkeit rückhaltlos nachzugehen“. Dementgegen habe der praktische Theologe als „Seelsorger und Pädagog [sic!]“ aus „Rücksicht auf die Unmündigen“ darauf zu achten, „alles möglichst zu vermeiden, was ängstliche und besorgte Gemüter beunruhigen könnte“. Den Interessenkonflikt sah Scheel zusätzlich durch das stete Fortschreiten der Wissenschaft vertieft, mit dem die in der Seelsorge eingebundenen Geistlichen nicht Schritt halten könnten. Im Meinungsstreit von wissenschaftlichen und praktischen Theologen stünden sich daher stets „die grade [sic!] gegenwärtigen theologischen Fragestellungen und diejenigen einer […] überwundenen Epoche“146 gegenüber. Mit diesen diplomatischen Worten war Scheels verständnisvolles Eingehen auf die abwehrende Haltung eines beträchtlichen Teils der Geistlichen indes an ihr Ende gekommen. Im zweiten Teil des Artikels fuhr er mit der deutlichen Warnung fort, es müsse „bald ins Hintertreffen“147 geraten, wer sich der neueren Forschung verschließe. Als deren wichtigstes Signum bezeichnete er den „Einfluss der historischen Denkweise“, denn für ihn hatte die moderne historische Wissenschaft „die alte Dogmatik und die alte dogmatische Methode innerhalb der theologischen Geschichtsbetrachtung“ gänzlich unmöglich gemacht. Zwischen dem alten dogmatischen und dem neuen historisch-kritischen Forschungsansatz sah Scheel keinerlei Vermittlungsmöglichkeit. Als einzige gangbare Lösung bezeichnete er die „bedingungslose Anerkennung […] der Berechtigung und Eigenart der historischen Methode mit ihren Grundsätzen der Kritik, Analogie und Korrelation“. Von der konservativen Pastorenschaft, die inzwischen ihre Petition gegen Baumgarten eingereicht hatte, konnte diese Stellungnahme schwerlich als Vermittlungsversuch verstanden werden, weil sie aller anfänglichen Mäßigung zum Trotz im Kern dogmatischer Standortgebundenheit in der theologischen Forschung die Existenzberechtigung absprach148. Dass dies Scheels Absicht war, geht aus seiner Korrespondenz hervor. Wohl unter dem Eindruck der Angriffe auf seinen alten Studienfreund Baumgarten begrüßte der sonst in kirchlichen Fragen zurückhaltende von Schubert den Artikel im SchleswigHolsteinischen Kirchenblatt. Scheel dankte seinem Lehrer für dessen „herz-

145 146 147 148

Scheel, Thema I, 219. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Ebd., 220. Scheel, Thema II, 225. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Vgl. Bassi, Baumgarten, 68–71.

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liche Zustimmung“149 und teilte ihm mit, er habe sich bei der Abfassung des Artikels davon leiten lassen, wie er – von Schubert – und Baumgarten ihn aufnehmen würden. Die zentralen Bemerkungen über die „definitive Auflösung der altdogmatischen Position“ habe er weder unterdrücken können noch wollen. Aus Scheels Perspektive waren sie so selbstverständlich, dass nur „Heissporne und Ignoranten“ daran Anstoß nehmen konnten. Für das, was Baumgarten in seiner Rektoratsrede als Voraussetzungslosigkeit theologischer Forschung bezeichnet hatte, suchte Scheel auch im dezidiert antikatholischen Evangelischen Bund eine Lanze zu brechen. Nicht nur seine Hallenser Lehrer, sondern auch Baumgarten unterstützte die Organisation, und so engagierte sich dort ebenfalls Scheel, unter anderem indem er vor den Mitgliedern der Kieler Ortsgruppe einen Vortrag hielt zur Frage „Wie erhalten wir das geistige Erbe der Reformation in den Kämpfen der Gegenwart?“150 ,Kampf‘ stand im Titel nicht zufällig im Plural. Der seinen Zuhörern wohl offensichtliche war jener gegen das ,politische Rom‘. Scheel ließ es in seinen Ausführungen nicht an Tiraden gegen die vermeintliche Unterwanderung des Deutschen Reiches durch den „ultramontanisierten politischen Katholizismus“151 fehlen und verwies auf die „dringende Aufgabe einer energischen und unermüdlichen Abwehr“152. Der für Scheel ebenso wichtige Kampf war jedoch der in den eigenen Reihen um „Deutung und Anwendung des durch die Reformation uns überlieferten Christentums“153. Scheel verwahrte sich gegen die „bedingungslose Verteidigung eines einmal unter ganz bestimmten, konkreten Verhältnissen in die Erscheinung getretenen geistigen Gutes“154. Das „geistige Erbe der Reformation“ verpflichte den Protestantismus nicht zum starren Traditionsprinzip, sondern vielmehr dazu, „mit der geschichtlichen Vergangenheit abzurechnen“. Gerade dies sei die „Großtat“ Luthers gewesen, der selbst noch „mit der Anschauung des Mittelalters verkettet“ gewesen sei und daher „der nachfolgenden Zeit noch ungelöste, von ihm selbst nicht gelöste Aufgaben“ hinterlassen habe. Als Sachwalter des ,geistigen Erbes‘ der Reformation kamen dieser Argumentation folgend nur die Befürworter historisch-kritischer Forschung, nicht jedoch deren Gegner in Frage. An ihnen übte Scheel in seinen weiteren Ausführungen massive Kritik. Er bemängelte, „ein Teil der Konfessionellen“155 verweigere sich der Arbeit des Evangelischen Bundes, „um nicht mit dem theologischen Gegner zusammenarbeiten zu müssen“. So werde bereits verschiedentlich geäußert, „daß der orthodoxe Protestant dem gläubigen Ka149 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 30. 12. 1902 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Kiel 1892–1906 M–Z). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 150 Graf, Theologie, 45. 151 Scheel, Erbe, 16. 152 Ebd., 22. 153 Ebd., 1. 154 Ebd., 7. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 155 Ebd., 23. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort

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tholiken näher stehe als dem nichtorthodoxen Protestanten“. Angesichts dessen gelte es „mit aller Energie die Strömungen zurückzuweisen, die innerhalb unserer eigenen Reihen sich nicht als widerstandsfähig gegen ultramontanen Geist erweisen“156. Am Ende von Scheels Vortrag waren im protestantischen Lager damit die Rollen unmissverständlich verteilt: auf der einen Seite standen liberale Kulturprotestanten als Verteidiger des ,geistigen Erbes‘ der Reformation, auf der anderen konservativ-konfessionelle Kreise als fünfte Kolonne der ,Ultramontanen‘. Dass infolge der Auseinandersetzungen mit den innerprotestantischen Gegnern sein Mentor Baumgarten das Obmannsamt in der Vereinigung der Freunde der Christlichen Welt niederlegte, bedauerte Scheel außerordentlich, wie er dem Herausgeber der ChW, Martin Rade, schrieb. Die Freunde der ChW im Norden dürften, so sein Urteil, nur einen Gegner kennen – die Orthodoxie157. Scheels vertraulicher Kontakt mit dem Mann im organisatorischen Zentrum des kulturprotestantischen Netzwerkes um die ChW und den Verlag J.C.B. Mohr ging höchstwahrscheinlich auf die Jahrestreffen der Freunde der ChW zurück, und Rade war von dem jungen Kieler Privatdozenten offensichtlich angetan. Als Mitherausgeber von Luthers Werken in der Braunschweiger Ausgabe vermittelte er zwischen dem Verleger und Scheel einen Vertrag über die Betreuung von zwei Ergänzungsbänden der dritten Neuauflage, die als Berliner Ausgabe erschien158. Scheel hatte sich neben seiner theologischen Positionierung noch in anderer Hinsicht für die Aufgabe qualifiziert. Erstens hatte seine Abhandlung „Luthers Stellung zur Heiligen Schrift“ einige Beachtung in der Fachwelt erfahren und ihrem Autor großes Lob für seine dogmenhistorische Analyse von Luthers Schriftverständnis eingebracht159. Zweitens besaß Scheel Editionserfahrung. Nach der Promotion hatte er eine kommentierte Ausgabe von Augustins Enchiridion herausgegeben, einer Erbauungsschrift aus dem Spätwerk des Kirchenvaters160. Anders als bei den auf Bedürfnisse wissenschaftlicher Forschung zugeschnittenen Erlanger und Weimarer Ausgaben handelte es sich bei der Braunschweiger beziehungsweise Berliner um eine ,Volksausgabe‘. Dies ließ bereits der offizielle Titel „Luthers Werke für das christliche Haus“ erkennen. Scheel musste die auf Latein abgefassten Lutherschriften für die Ergänzungsbände daher nicht nur übersetzen, sondern ebenfalls in allgemeinver156 Ebd., 24. 157 Vgl. Schreiben Scheels an Martin Rade vom 9. 4. 1905 und 8. 5. 1905 (UBM Marburg, Ms. 839). Rade wies die Mitglieder der Vereinigung mit der spitzfindigen Bemerkung auf die Umstände von Baumgartens Rücktritt hin, Letzterer sei nicht aus ,prinzipiellen‘, sondern ,provinziellen‘ Gründen aus dem Amt geschieden, siehe Mitteilung Nr. 10 vom 20. 4. 1905, in: Schwçbel, Freunde, 41. 158 Vgl. H binger, Kulturprotestantismus, 196; Schreiben Scheels an Martin Rade vom Mai 1905 (UBM Marburg, Ms. 839); W rffel, Lexikon, 267. 159 Vgl. Eger, Rezension; Kçhler, Rezension (1903). 160 Vgl. Scheel, Enchiridion. Zum Enchiridion siehe Drecoll, Chronologie, 259.

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ständliche Form übertragen161. Aufwendiger als die sprachliche Gestaltung erwies sich indes die Abfassung eines Kommentars zu „De votis monasticis iudicium“. Luthers Schrift über die Mönchsgelübde war von dem Dominikanermönch Heinrich Denifle zum Ausgangspunkt seiner 1904 erschienenen Untersuchung „Luther und Luthertum in der ersten Entwicklung“ gemacht worden. Der katholische Kirchenhistoriker trat darin mit „einer der schärfsten Verurteilungen Luthers seit Jahrhunderten“162 hervor, die den Reformator als moralisch verkommenen Exponenten geistig-religiösen Tiefstands darstellte163. Gerade als Parteigänger des Evangelischen Bundes sah Scheel es als seine Pflicht an, den Fehdehandschuh aufzunehmen. Gegenüber Rade echauffierte er sich, Denifle habe Luther zum „Meister an Unwissenheit und Verleumdungskünstelei“164 gestempelt, was eine Stellungnahme von protestantischer Seite unumgänglich mache. Zu diesem Zweck stellte Scheel weit über die eigentliche Editionsarbeit hinausreichende Untersuchungen an und fügte der Schrift einen Anmerkungsapparat bei, der das zu erwartende Maß an Kommentierung in einer Ausgabe für den gebildeten Laien schlichtweg sprengte. Nicht weniger als 200 Seiten widmete er der Demontage Denifles165. Sein hoffnungsvoller Vermerk im Vorwort des ersten Ergänzungsbandes, jene Erläuterungen dürften vielleicht auch der Theologenzunft „nicht ganz gleichgültig“166 sein, erwies sich keineswegs als unberechtigt. In den Besprechungen der Berliner Ausgabe stellten die Rezensenten führender protestantischer Blätter vor allem Scheels ausführlichen Kommentar zu „De votis monasticis iudicium“ heraus, den sie als „eine sehr gelehrte Kontroversschrift gegen Denifle“167 lobten, die mit dessen Polemik „gründlich Abrechnung“168 halte. Da von katholischer Seite Gegenstimmen nicht ausblieben, entfachte sich um den Kommentar eine Debatte, die bis in den Rezensionsteil der Historischen Zeitschrift nicht unbeachtet blieb. Auf diese Weise machte Scheels Mitarbeit an der Berliner Ausgabe ihn als Experten für den Wittenberger Reformator nicht nur innerhalb der theologischen Fachwelt, sondern auch darüber hinaus bekannt169. Neben den Spezialgebieten der Augustin- und Lutherforschung verdient als drittes Feld fachlicher Profilierung in den Kieler Jahren die Dogmengeschichte des Protestantismus Erwähnung. Scheel las als Privatdozent sowohl über 161 162 163 164 165 166 167 168 169

Vgl. Beyer, Lutherausgaben, 5–7. Brecht, Erforschung, 2; Vgl. Lohse, Einführung, 149 f.; und Kçhler, Denifle, 490–493. Schreiben Scheels an Martin Rade vom 25. 8. 1905 (UBM Marburg, Ms. 839). Vgl. Scheel, Luthers Werke, Ergänzungsband II, 3–202. Scheel, Luthers Werke, Ergänzungsband I, VI. Friedensburg, Neu-Erscheinungen, 205 f. Bossert, Rezension, 416. Vgl. Grabmann, Lebensideal; ders., Lebensideal (Schluß); R. H. / M. H., Reformation; und Paulus, Mönchsgelübde.

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„Dogmengeschichte“170 als auch „Geschichte der protestantischen Theologie“171 und „Geschichte der Dogmatik von Albrecht Ritschl bis zur Gegenwart“172. Aus diesen Vorlesungen und der direkten Beteiligung an der kirchenpolitischen Auseinandersetzung mit dem konservativ-konfessionellen Lager dürfte Scheels Plan erwachsen sein, eine Gesamtdarstellung der positiven Theologie vorzulegen. Als Vorarbeit zu diesem Projekt verfasste er einen zweiteiligen Aufsatz über „Die Tauflehre in der modernen positiven, lutherischen Dogmatik“, der in einer erweiterten Version zusätzlich als eigenständige Publikation bei J.C.B. Mohr erschien173. Scheel argumentierte in der Abhandlung, die altlutherische Tauflehre sei zwar bereits in sich widersprüchlich, aber wenigstens noch uniform gewesen. Die neuere positive Dogmatik habe hingegen keine gemeinsame Position mehr finden können, wie auf die „moderne Situation“174, die Herausforderung der Dogmatik durch die Anwendung historischer Forschungsmethoden, zu reagieren gewesen sei. Deshalb könne man inzwischen „stärkere Richtungsdifferenzen“ bei der Auslegung der Tauflehre im positiv-konfessionellen Lager ausmachen. Die penible Rekonstruktion dieser dogmatischen Unstimmigkeiten im Hauptteil der Untersuchung war gleichzeitig Anklage einer Theologenschaft, die es aus Sicht Scheels versäumt hatte, für ihn unhaltbar gewordene Bekenntnisformeln zu revidieren und damit den Weg für einen modernitätsoffenen Protestantismus frei zu machen. Etwas anderes als eine solche kritische Bestandsaufnahme von liberaltheologischer Warte konnten zumindest fachlich versierte Leser der Monographie nicht erwartet haben. Schon die Widmung zu Ehren von Baumgarten, Titius und von Schubert machte die Stoßrichtung unverkennbar175. Weil auch in Scheels Augustin- und Lutherstudien Fragen der Dogmatik eine zentrale Rolle spielten, sahen sowohl von Schubert als auch Baumgarten die Zukunft ihres Schülers in der Systematischen Theologie. Von Schubert hatte Scheel daher geraten, die Veröffentlichung seiner Abhandlung über die Tauflehre möglichst zu beschleunigen, weil er ihm Chancen auf die Professur des verstorbenen Hallenser Systematikers Max Reischle ausrechnete. Als im Folgejahr in Kiel die Neubesetzung des systematischen Ordinariats von Titius anstand, der einen Ruf nach Göttingen erhalten hatte, zählte Scheel für von Schubert ebenfalls zum Kreis der potentiellen Nachfolger176. Baumgarten, der 170 171 172 173

Verzeichnis der Vorlesungen (Sommerhalbjahr 1902), 4. Ebd., (Sommerhalbjahr 1903), 4. Ebd., (Winterhalbjahr 1904/1905), 4. Vgl. Scheel, Tauflehre; ders., Behandlung. Zu den Plänen einer Gesamtdarstellung siehe ebd., V sowie Schreiben Scheels an Martin Rade vom 25. 8. 1905 (UBM Marburg, Ms. 839). 174 Scheel, Tauflehre, 274. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 175 Vgl. Scheel, Behandlung, III. 176 Vgl. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 17. 8. 1906 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St); Schreiben Scheels an Paul Siebeck vom 17. 12. 1905 (VMS T bingen, Karton 204); und Volbehr / Weyl, Dozenten, 9.

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Scheels Tauflehre in einer Anzeige dafür lobte, „Einblick in die namenlose Konfusion der altlutherischen und modernen positiven Tauflehre“177 geboten zu haben, bemühte sich zudem, das Profil Scheels als Dogmatiker zu schärfen. Gelegenheit hierzu bot die vom Verlag J.C.B. Mohr ins Auge gefasste Neuauflage vom „Lehrbuch der evangelischen Dogmatik“, das von Scheels verstorbenem Kieler Lehrer in Systematischer Theologie, Nitzsch, verfasst worden war. Nach Rücksprache mit Baumgarten, der ebenfalls die Verhandlungen mit Nitzschs Witwe führte, fragte Siebeck bei Scheel an, ob er die Bearbeitung übernehmen könne. Dieser willigte ein und unterschrieb im Sommer 1905 den Verlagsvertrag178. Wie dem ehrgeizigen Plan, ausgehend von der Tauflehre-Untersuchung eine Geschichte der positiven Theologie vorzulegen, blieb dem Projekt Dogmatik-Lehrbuch ebenfalls kein Erfolg beschieden. Als die Arbeit an den Ergänzungsbänden der Lutherausgabe beendet war, konnte Scheel auf drängendes Bitten seines Verlegers im Frühjahr 1906 lediglich in Aussicht stellen, sich ab Sommer dem Manuskript zu widmen. Er sei, wie Scheel Siebeck versicherte, darauf eingestellt, das Lehrbuch voranzutreiben und mit Lehrverpflichtungen „möglichst wenig behelligt zu werden“179. Bis zur Neuauflage des Lehrbuches – durch einen anderen Bearbeiter – sollten jedoch noch sechs weitere Jahre vergehen. Statt die Muße zur Arbeit in der Dogmatik zu finden und sich damit in Systematischer Theologie weiter profilieren zu können, erhielt Scheel im Sommer 1906 einen Ruf als Kirchenhistoriker an die Eberhard-Karls-Universität Tübingen180.

2.2. Professor im ,Tübinger Idyll‘ 2.2.1. Gelehrtenleben am Österberg Scheels Wechsel von der Förde an den Neckar war durch die Vakanz der dortigen außerordentlichen Professur für Kirchengeschichte ins Rollen gekommen. Deren bisheriger Inhaber, Karl Holl, hatte im April den Ruf auf eine ordentliche Professur in Berlin erhalten. Seinem Berliner Kollegen Adolf von Harnack wusste er bereits Anfang Mai mitzuteilen, Scheel gehöre zur engeren Auswahl für seine Nachfolge, die Fakultät sei in der Neubesetzungsfrage aber noch nicht ganz entschieden181. Zwei Monate später war in der Frage Einigkeit 177 Baumgarten, Rezension, 55. 178 Vgl. Briefwechsel Scheels mit Paul Siebeck im Juni/Juli 1905 (VMS T bingen, Karton 204). 179 Schreiben Scheels an Paul Siebeck vom 10. 3. 1906 (VMS T bingen, Karton 202). Zu den Nachfragen Siebecks siehe die dortigen Schreiben vom 6. 3. 1906 und 8. 3. 1906. 180 Die dritte Auflage bearbeitete schließlich Horst Stephan, vgl. Nitzsch, Lehrbuch. 181 Vgl. Schreiben Karl Holls an Adolf von Harnack vom 3. 5. 1906, in: Karpp, Holl, Nr. 26, 45–48;

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hergestellt und Scheel stand auf Platz eins der von den Tübinger Theologen ausgearbeiteten Berufungsliste. Die Fakultät sah Scheel durch seine vier „größeren Publikationen“182 ausgewiesen: die Promotion über Augustin, den Beitrag über Luthers Stellung zur Heiligen Schrift, die Ergänzungsbände zur Berliner Luther-Ausgabe und den Überblick zur Behandlung der Tauflehre in der modernen positiven Theologie. Seine Habilitation in der Systematischen Theologie betrachtete man keineswegs als Hindernis, weil zum einen seine Schriften „streng historisch gearbeitet“ schienen und er zum anderen Lehrerfahrung in weiten Teilen der historischen Theologie besaß. Dass er noch nie Kirchengeschichte gelesen hatte, fiel für die Tübinger kaum ins Gewicht, galt Scheel ihnen doch als in allen wichtigen Epochen der Kirchengeschichte ausgewiesen und „Mann von starker Arbeitskraft“. Der Senat bestätigte unter Berufung auf das Fakultätsgutachten gegenüber dem württembergischen Unterrichtsministerium noch einmal, dass vor allem Scheels Arbeitskraft und Lehrerfahrung ihn als geeigneten Kandidaten erscheinen ließen183. Die Universität erhielt daher Anfang August die Anweisung, mit Scheel in Verhandlung zu treten184. Da der Wunschkandidat nicht auf einer etatisierten Stelle saß, sondern vielmehr auf die Alimentierung durch ein ebenso unsicheres wie bescheidenes Privatdozentenstipendium angewiesen war, sah sich die Tübinger Universität mit keinen unbotmäßigen Forderungen konfrontiert. Seine unsichere Stellung machte es Scheel ebenfalls unmöglich, der Empfehlung von Schuberts zu folgen, die Tübinger Berufung bis zur Klärung der Nachfolge von Titius in Kiel herauszuzögern185. Nach kurzer Rücksprache über kleine Nachbesserungen bei Gehalt und Pensionsanrechnung186 telegraphierte Scheel keine zehn Tage nach Beginn der Verhandlungen „Nehme Berufung dankend an. Brieflich näheres“187. Sowohl mit Blick auf die städtische Struktur als auch die damit verbundene Bedeutung der jeweiligen Universität hätte der Unterschied zwischen Kiel und Tübingen kaum größer sein können. Scheel war in Kiel Zeuge eines Jahrzehnts

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Nachricht des Dekans der evangelisch-theologischen Fakultät an den Kanzler der Universität Tübingen vom 30. 4. 1906 (UAT T bingen, 119, Nr. 34). Berufungsliste der evangelisch-theologischen Fakultät vom 28. 6. 1906 (UAT T bingen, 126, Nr. 573). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Vgl. Schreiben des Senats der Universität Tübingen an das Ministerium des Kirchen- und Schulwesens vom 19. 7. 1906 (UAT T bingen, 126, Nr. 573). Vgl. Schreiben des Ministerium des Kirchen- und Schulwesens an den König von Württemberg vom 7. 8. 1906 (HStAS Stuttgart, E 14 Bü 1608, Nr. 2216); und Schreiben des Ministerium des Kirchen- und Schulwesens an die Universität Tübingen vom 10. 8. 1906 (UAT T bingen, 119, Nr. 34). Vgl. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 17. 8. 1906 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). Vgl. Schreiben der Universität Tübingen an das Ministerium des Kirchen- und Schulwesens vom 13. 8. 1906 (UAT T bingen, 119, Nr. 34); und Schreiben des Ministerium des Kirchenund Schulwesens an die Universität Tübingen vom 20. 8. 1906 (UAT T bingen, 162, Nr. 42). Telegramm Scheels vom 18. 8. 1906 (UAT T bingen, 119, Nr. 34).

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gewesen, das in der Stadtgeschichte zur Phase explosionsartigen Wachstums infolge massiver Flottenrüstung gehörte. Hatte die Stadt kurz vor seiner Ankunft als Student etwa 85.000 Bewohner gezählt, so war diese Zahl bis zu Scheels Weggang mit über 163.000 auf fast das Doppelte angewachsen188. Während sich am Ostufer der Förde Werften aneinanderreihten, entstanden am Westufer Kommandobehörden, Kasernen und Wohngebäude für die Angehörigen der Soldaten und Werftarbeiter. Verglichen mit dem Militär und der Rüstungsindustrie spielte die Universität nur eine sehr untergeordnete Rolle für das städtische Profil. Selbst in den besonders stark frequentierten Sommersemestern zählte sie in Scheels Kieler Jahren nie mehr als maximal 1.200 Immatrikulierte, die der Großstadt kaum ein studentisches Gepräge geben konnten189. War in Kiel das universitäre Leben nur eine Randerscheinung im Alltag einer Marinemetropole, so verhielt es sich in Tübingen genau anders herum. Im Jahr vor Scheels Amtsantritt zählte die Stadt knapp 17.000 Einwohner, während an der Eberhard-Karls-Universität über 1.700 Studierende immatrikuliert waren190. Für die kleinste deutsche Universitätsstadt, in der Anfang des 20. Jahrhunderts die Industrialisierung noch in den Kinderschuhen steckte, waren Hochschule und Studenten wichtigster Wirtschaftszweig. Die höchste Studentendichte aller deutschen Universitätsstädte brachte Tübingen den Ruf als ,Universitätsdorf‘ ein, in dem die Interessen von Senat und Magistrat ab den späten 1890er Jahren nicht zuletzt deswegen oftmals deckungsgleich waren, weil sich eine Vielzahl von Professoren an der Gemeindeverwaltung beteiligte. So war man nicht ohne Grund in der städtischen Verwaltung dazu übergegangen, den Titel ,Universitätsstadt‘ im offiziellen Schriftverkehr zu führen. Vom geschäftigeren Stuttgart trennte die akademische Beschaulichkeit eine mindestens eineinhalbstündige Schnellzugfahrt, die viele mit dem großstädtischen Leben verbundene potentielle Beunruhigungen aus dem Städtchen am Neckar fernhielt191. Scheel fiel die Gewöhnung an diese neue Umgebung sichtlich schwer. Schon bei seiner Ankunft musste er mit Erschrecken feststellen, dass ihm Tübingen nicht nur kleiner erschien, als er ohnehin schon vermutet hatte, sondern zu allem Überfluss auch noch teurer war als seine alte Wirkungsstätte192. Doch nicht nur weil Kiel aus Scheels Perspektive „nicht leicht zu übertreffen“193 war,

Vgl. Statistisches Landesamt, Beiträge, 14. Vgl. Jensen, Kiel, 22–24, 48–52; und Statistisches Landesamt, Beiträge, 65. Vgl. Biastoch, Studenten, 260. Vgl. Jens / Jens, Universität, 312; Paletschek, Erfindung, 34 f., 41–44; und Th mmel, Universität, 83. 192 Vgl. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 9. 10. 1906 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 193 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 6. 11. 1906 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Von

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schrieb er dem inzwischen nach Heidelberg übergesiedelten von Schubert, ihm wolle das Tübinger Leben „nicht ganz behagen“. Wie sich bald herausstellen sollte, wog neben den äußeren Lebensumständen für ihn genauso schwer, dass er mit dem Wechsel in die Neckarstadt zum ersten Mal in seinem Leben Preußen hatte verlassen müssen. Genau genommen waren die vier Studiensemester in Halle sein bis dato einziger Aufenthalt außerhalb der Provinz Schleswig-Holstein gewesen. Es war daher wohl nicht nur Rhetorik, was Scheel dem preußischen Kultusministerium schrieb, als er die Behörde über die Annahme des Rufes nach Tübingen unterrichtete. Scheel hatte der Berliner Zentralbehörde seinerzeit mitgeteilt, er scheide „nicht leichten Herzens aus der Heimatprovinz und dem heimischen preußischen Staat“194 und hoffe, „dass mein jetziger Fortgang nicht dauernd mich von der Rückkehr nach Preußen ausschließt“. In Tübingen angekommen äußerte Scheel auch gegenüber von Schubert, er entdecke öfters sein „preußisches Herz“195 und fühle sich deshalb nicht „recht heimatlich“196. Ein halbes Jahr nach seiner Ankunft war er schließlich überzeugt, dass er „nie recht warm in Tbg. werde“197, woran nicht die Kleinstadt, sondern vor allem die Menschen schuld seien, welche sich von denen in Preußen unterschieden. Scheel klagte über „Tübinger Frost“ und vertraute seinem einstigen Mentor an, er wolle nicht gern auf Dauer dort bleiben. Der wenig vorteilhafte Eindruck, den Scheel in den ersten Monaten von Tübingen gewonnen hatte, hielt relativ lange. Erst fünf Jahr später war er sich ganz sicher, „so mit den württembergischen Verhältnissen ausgesöhnt [zu sein], dass der Wunsch, norddeutsche Umgebung um mich zu haben, nicht grade lebendig ist. Vor allem nicht schleswig-holsteinische“198. Da Scheel einen Besuch Baumgartens in Tübingen und dessen Berichte über die Zustände in Schleswig-Holstein zum Anlass genommen hatte, so abfällig über die einst hoch gehaltene Heimatprovinz zu urteilen, liegt es nahe, dass kirchenpolitische Fragen ausschlaggebend waren. In der Tat war just zum Zeitpunkt des Besuchs ein Streit um die vermeintlichen Irrlehren des BaumgartenSchülers Wilhelm Heydorn entbrannt, den Generalsuperintendent Kaftan zum Anlass für einen erneuten Großangriff auf die liberale Theologie nutzte199. Für Scheel, der zur selben Zeit wegen eines ähnlichen Falles in Opposi-

194 195 196 197 198 199

Schubert hatte zeitgleich mit Scheels Ruf nach Tübingen eine Professur in Heidelberg erhalten, siehe Fix, Universitätstheologie, 52. Schreiben Scheels an Friedrich Althoff vom 20. 8. 1906 (GStA PK Berlin, NL Friedrich Althoff, Nr. 161, Bd. 1). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 6. 11. 1906 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 6. 12. 1906 (Ebd.). Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 10. 6. 1907 (Ebd.). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 27. 8. 1911 (Ebd.). Vgl. Hering, Heydorn; und Kaftan, Zeitbetrachtung.

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tion zum Evangelischen Oberkirchenrat in Berlin geraten war, stand nach einem bald darauf folgenden Besuch in Schleswig-Holstein fest, „in welch sauberer Luft man in Württemberg lebt. In Schl.-Holst. ist es alles andere wie erquicklich“200. So war ihm „der Gedanke nicht mehr gräulich, in Tbg. bleiben zu müssen“. Ein gutes weiteres Jahrzehnt später hatte sich Scheel in der Universitätsstadt am Neckar schließlich so eingelebt, dass er die anstehende Rückkehr nach Kiel mit dem klagenden Hinweis kommentierte, ihm werde sein „Idyll“201 geraubt. Scheels Wandlung vom überzeugten Preußen und schleswig-holsteinischen Lokalpatrioten zum Wahlwürttemberger dürfte keineswegs nur der Enttäuschung über die kirchenpolitischen Verhältnisse in Preußen und speziell in Schleswig-Holstein geschuldet gewesen sein. Eine genauso entscheidende Rolle spielte die Überwindung des ,Tübinger Frosts‘, wobei die bereits seit Scheels Promotion bestehende Verbindung zum ortsansässigen Verlag J.C.B. Mohr von erheblicher Bedeutung war. Im Jahr der Berufung stieg Paul Siebecks Sohn Oskar, den nur vier Jahre Altersunterschied vom neuen Extraordinarius für Kirchen- und Dogmengeschichte trennten, in den Familienbetrieb ein. Zwischen ihm, seinem jüngeren Bruder Werner und Scheel entwickelte sich im Laufe der Jahre eine enge Freundschaft. Scheel war oft und gern gesehener Gast sowohl bei den Brüdern als auch ihrem Vater. Als Paul Siebeck starb, schrieb Scheel den Nachruf für die Tübinger Lokalzeitung. Oskar Siebeck bat ihn außerdem um die Abfassung eines weiteren Nekrologes, und Scheel bot seinerseits den mit ihm eng befreundeten Söhnen des verstorbenen Verlegers einen Privatkredit für die Sicherstellung des Geschäftsbetriebes an202. Die Bedeutung der Siebecks für Scheels Integration in der Kleinstadt am Neckar erschöpfte sich keineswegs in persönlicher Freundschaft. Paul Siebeck leitete nicht nur das renommierteste Verlagsunternehmen der Stadt, sondern gehörte darüber hinaus zu den bekanntesten städtischen Honoratioren. Neben einer Vielzahl weiterer Ämter machte er sich vor allem mit seinem Engagement in der Museumsgesellschaft einen Namen als Kulturförderer. Am Österberg, seit Ende des 19. Jahrhunderts mit den repräsentativen Domizilen von Studentenverbindungen und Professoren bebaut, zählte kaum ein Haus so viele Besucher wie das seinige. Der Verleger organisierte Musikabende und Gesellschaften, die seine Villa zu einem wichtigen Treffpunkt der akademischbildungsbürgerlichen Elite machten. Zutritt zum Haus der hoch angesehenen Verlegerfamilie bedeutete gleichzeitig privilegierten Zugang zur gehobenen Gesellschaft, die sich zu einem Gutteil aus der am Österberg ansässigen 200 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 27. 12. 1911. (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 201 Schreiben Scheels an Hans Lietzmann vom 2. 1. 1924, in: Aland, Glanz, Nr. 507, 477. 202 Vgl. Knappenberger-Jans, Verlagspolitik, 25, 49; Scheel, Siebeck; Schreiben Oskar Siebecks an Scheel vom 21. 5. 1921 (VMS T bingen, Karton 400); und Schreiben Scheels an Werner Siebeck vom 29. 12. 1924 (VMS T bingen, Karton 419).

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Professorenschaft rekrutierte. So heirateten zwei der vier Söhne Paul Siebecks, Werner und Richard, Professorentöchter aus dem Freundeskreis ihres Vaters203. Wie engmaschig das sich daraus ergebende Netzwerk in einer Kleinstadt wie Tübingen war, lässt sich daran ablesen, dass Richard Siebecks Schwiegervater ebenfalls Professor an der evangelisch-theologischen Fakultät und für Scheel der wichtigste fakultätsinterne Ansprechpartner „in theologicis“204 war. Neben der Vielzahl an Kontakten, die ihm das enge freundschaftliche Verhältnis zu den Siebecks einbrachte, kam Scheels Ansehen im Kreise der städtischen Honoratioren zugute, dass er sich – dem Vorbild der Verlegerfamilie folgend – in öffentlicher Kulturförderung betätigte. Ebenso wie Paul Siebeck ließ er sich in den Vorstand der Museumsgesellschaft wählen und betreute über viele Jahre dessen Theaterreferat205. Darüber hinaus stellte er sich, wie schon seinerzeit in Kiel, als gelehrter Redner zur Verfügung. Das Tübinger Bildungsbürgertum hatte bei einer Vielzahl von Veranstaltungen Gelegenheit, seinen Ausführungen zu folgen. So sprach Scheel bei einer Reformationsfeier in der Museumsgesellschaft über „Das katholische Lutherbild“206, auf einer Abendveranstaltung des Akademischen Missions- und Gustav-Adolf-Vereins über „Sinn der Mission“207 und im Rahmen einer „Vorlesung für Gebildete aller Stände“ des Vereins Frauenbildung – Frauenstudium über „Kirchliche Gegenwartsfragen“208. Durch sein breit gefächertes Engagement wurde Scheel im Laufe der Jahre zu einer festen Größe im Tübinger Kulturleben. Für Scheels erfolgreiche gesellschaftliche Etablierung dürfte schließlich nicht ohne Bedeutung gewesen sein, dass er einige Jahre nach seiner Berufung den nach damaligen Konventionen für einen Professor fragwürdigen Junggesellenstatus hinter sich ließ. Hieran war Hans von Schubert tatkräftig beteiligt. Bei der Hochzeit seiner Tochter hatte er nicht nur das Gespräch mit Scheel über dessen Junggesellenleben gesucht, sondern ihn vorsorglich neben seiner Nichte Eugenie an der Tafel platziert. Wie sich bald herausstellen sollte, verfehlten Gespräch und Sitzordnung ihre Wirkung nicht, denn Scheel gestand seinem Mentor kurze Zeit später, er habe in ihn „einen Stachel hineingesenkt, der sitzen geblieben ist“209. Gut vier Monate später konnte von Schubert zur Verlobung gratulieren und bot ob der zukünftigen verwandt203 Vgl. Knappenberger-Jans, Verlagspolitik, 21 f.; Paletschek, Erfindung, 35, 181; und R hle, Verlag, 142. 204 Schreiben Scheels an Martin Rade vom 20. 5. 1909 (UBM Marburg, Ms. 839). Es handelte sich um den ordentlichen Professor für Kirchen- und Dogmengeschichte, Karl Müller. 205 Vgl. „Aus Stadt und Amt, in: TüC, 27. 7. 1918. 206 „Aus Stadt und Amt“, in: TüC, 11. 11. 1912. 207 „Aus Stadt und Amt“, in: TüC, 8. 11. 1911. 208 „Aus Stadt und Amt“, in: TüC, 8. 10. 1912. 209 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 24. 4. 1909 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St).

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schaftlichen Beziehung Scheel die Onkelschaft an. Dieser schrieb fortan nicht mehr an den „lieben Professor“ von Schubert, sondern seinen „Onkel Hans“210. Die Familie von Eugenie Karoline Köppern, Scheels acht Jahre jüngerer Verlobten, lebte in Hagen, wo ihr Vater mit den stattlichen Gewinnen aus einem im Ruhrgebiet angesiedelten Eisenverarbeitungsbetrieb die repräsentative Unternehmervilla Haus Ruhreck erstanden hatte. Scheels Schwiegermutter in spe stammte aus den Niederlanden und war eine geborene Baroness van Heerdt, einem Adelsgeschlecht aus Geldern, dessen Wurzeln sich bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen ließen211. Für die Heirat ihrer Tochter mit dem Tübinger Extraordinarius im März 1910 reiste unter anderem Otto Baumgarten nach Hagen, der auf persönlichen Wunsch Scheels die kirchliche Trauung vornahm. Anschließend zog die gut situierte Industriellentochter zu ihrem Ehemann nach Tübingen, der dort parallel zur Verlobung mit dem Bau eines Hauses begonnen hatte. Mit dem Bezug der eigenen vier Wände in direkter Nachbarschaft der Siebecks hatte Scheel auch nach außen für jedermann sichtbar seinen festen Platz in der illustren Gesellschaft am Österberg. Aus der Ehe ging eine Tochter hervor, Helga, die im November 1919 zur Welt kam212. Anders als die gesellschaftliche Etablierung fiel Scheel der Start an der Eberhard-Karls-Universität weniger schwer. Von den sieben Professoren der evangelisch-theologischen Fakultät hatte die ChW in einer Richtungsstatistik im Jahr vor Scheels Berufung sechs dem nichtpositiven Lager zugeordnet213. Bei einer grundsätzlich anderen Zusammensetzung wäre es sicherlich nie zu einer Berufung Scheels gekommen, der durch akademisches Herkommen und Publikationen als Anhänger der liberaltheologischen Richtung ausgewiesen war. Einziger Vertreter dezidiert positiver Theologie war bei Scheels Ankunft Adolf Schlatter. Der Neutestamentler galt als einer der konservativsten Theologen seiner Zeit und sah sich des Öfteren mit dem Vorwurf konfrontiert, Advokat eines rigiden Biblizismus zu sein. Die sich daraus ergebenden fachlichen Differenzen innerhalb des Lehrkörpers verursachten jedoch keine unüberwindlichen persönlichen Disharmonien. So waren Schlatter und Scheels Vorgänger auf dem kirchengeschichtlichen Extraordinariat, Karl Holl, eng befreundet. Auch für Scheel gestaltete sich der Umgang mit seinem 210 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 29. 8. 1909 (Ebd.). 211 Vgl. Centraal Bureau, Adelsboek, 423 f., 444 f.; und Geburtsurkunde von Eugenie Caroline Köppern (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 6996). 212 Vgl. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 14. 11. 1909 und 27. 1. 1920 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St); Schreiben Scheels an Werner Siebeck vom 14. 11. 1924 (VMS T bingen, Karton 414); und Stammtafel der Familie Scheel (Privatbesitz) 213 Vgl. „Eine Richtungsstatistik der theologischen Universitätsdozenten“, in: Chronik der Christlichen Welt 15.18 (1905), 220. Bei den sechs handelte es sich um Paul Buder, Johannes Gottschick, Julius Grill, Theodor Häring, Karl Holl und Karl Müller.

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theologisch positiv orientierten Kollegen allem Anschein nach unkompliziert, denn er beteiligte sich unter anderem gemeinsam mit Schlatter an der Abhaltung von theologischen Ferienkursen214. Dafür dass Scheels neue akademische Wirkungsstätte nicht Teil jenes ,Tübinger Frostes‘ war, der ihn so lange mit der Stadt am Neckar hadern ließ, spricht ebenfalls sein Verhältnis zur theologischen Studentenschaft, welche zahlenmäßig diejenige Kiels weit übertraf. Die Eberhard-Karls-Universität war eine traditionelle Theologenhochburg, deren Quote bei der Ausbildung evangelischer Geistlicher gegen 1900 den Reichsdurchschnitt um das Dreifache überstieg. Waren in Scheels letztem Kieler Semester an der dortigen Universität nur 37 Studierende der evangelischen Theologie immatrikuliert gewesen, so lag deren Anzahl zur gleichen Zeit in Tübingen um mehr als das Achtfache höher und betrug 324215. In Anbetracht dessen müssen die jeweils etwa 30 Teilnehmer seiner Veranstaltungen im ersten Tübinger Semester auf Scheel wie ein Massenansturm gewirkt haben, der ihn umso mehr gefreut haben dürfte, als die Studentenschaft offenbar von Anfang an große Sympathien für ihren neuen Lehrer hegte. Noch vor seiner Antrittsvorlesung bestätigte ihm der Ordinarius für Praktische Theologie, Johannes Gottschick, die Studenten hörten ihn sehr gerne, was Scheel bereits aus dem Beifall im Kolleg geschlossen hatte216. Die überaus positive Aufnahme von Seiten der Studierenden bestätigt ein Blick auf seine Hörerlisten. In den folgenden Semestern nahm das Interesse an Scheels kirchengeschichtlicher Vorlesung stetig zu und in nicht wenigen Vorkriegssemestern überstieg die Hörerzahl in Tübingen die Gesamtanzahl der Theologiestudenten in Kiel. Am größten war der Andrang im Wintersemester 1912/1913 bei seiner ersten Luthervorlesung. Mit über 90 Studierenden wollte ein so großer Personenkreis der Veranstaltung beiwohnen, dass Scheel ins Audimax umziehen musste217. Auch außerhalb des Hörsaals schätzten die Studenten den Extraordinarius und luden ihn zu Feiern auf die zahlreichen Tübinger Verbindungshäuser ein. Hiervon wusste der spätere Theologieprofessor Paul Althaus zu berichten, der zeitgleich mit Scheels Berufung sein Studium in Tübingen begann und den frisch berufenen Extraordinarius als Tischnachbarn bei einer Abendveranstaltung der Schwarzburgverbindung Nicaria erlebte. Scheels „sonniges, heiteres Wesen“218, so schrieb Althaus später seinen Eltern, habe „Leben in die ganze Ecke [gebracht], wo er saß“. 214 Vgl. Conrad, Lehrstühle, 10–12; Stupperich, Briefe, 169; und „Aus Stadt und Amt, in: TüC, 3. 10. 1913. 215 Vgl. Biastoch, Studenten, 263; und Statistisches Landesamt, Beiträge, 65. 216 Vgl. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 6. 11. 1906 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 217 Vgl. Hörerlisten Scheels Wintersemester 1906/1907 bis Wintersemester 1912/1913 (UAT T bingen, 51, Nr. 566); und Vorlesungs-Verzeichnis (Winterhalbjahr 1912/1913), 20. 218 Schreiben Paul Althaus’ an seine Eltern vom 25. 7. 1907, in: Jasper, Theologiestudium, 333. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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Scheel urteilte Jahre später selbst, seine von Anfang an so gute „Stellung in der Studentenschaft“219 sei im Laufe der Zeit immer fester geworden. Die Umstände seiner Rückkehr nach Kiel sprechen keineswegs gegen diese Einschätzung. Als er 1924 das für ihn zum ,Idyll‘ gewordene Tübingen wieder verließ, richtete die Studentenschaft für ihn eine Abschiedsfeier mit aus, was beim Weggang eines Professors aus der Neckarstadt nicht üblich war220. 2.2.2. Theologisches Forschungsfeld Wie bereits von der evangelisch-theologischen Fakultät in ihrem Gutachten festgehalten, besaß Scheel aus seiner Kieler Privatdozentenzeit sowohl Qualifikationen als Kirchen- und Dogmenhistoriker wie als Systematiker. Die Bestallung in Tübingen beendete die fachwissenschaftliche Zweigleisigkeit, denn anders als das Privatdozentenstipendium legte das Extraordinariat Scheels Aufgabengebiet fest. Der nunmehr klaren Denomination trug Scheel in seiner Antrittsvorlesung Rechnung, deren thematischer Schwerpunkt seinem künftigen Hauptforschungsgebiet entstammte. Als sich Ende November 1906 Professoren und Studenten im Festsaal der Eberhard-Karls-Universität versammelten, referierte Scheel über „Individualismus und Gemeinschaftsleben in der Auseinandersetzung Luthers mit Karlstadt 1524/1525“221. Ausgangspunkt für die Erörterungen waren zum einen seine umfangreichen eigenen Studien zur Lutherschrift „Wider die himmlischen Propheten“, welche er für die Berliner Ausgabe ediert hatte222, zum anderen die gerade erschienene Karlstadt-Biographie Hermann Barges223. Scheel führte seinem Publikum aus, ein genaues Studium der Lutherschrift zeige die Erregung und Hast, mit der sie verfasst worden sei. An einer „ruhigen Vergegenwärtigung und Prüfung seiner Argumente“224 habe es der Reformator in der Abhandlung so sehr fehlen lassen, „dass der unbeteiligte Beobachter jedenfalls mit Vorsicht ihren Auslassungen folgen wird“. Nach Ansicht Scheels konnte man Luther trotz aller erdenklichen Entschuldigungsgründe den Vorwurf nicht ersparen, er habe „über Gebühr unbillig den Kampf geführt“225. Ungeachtet dessen sah Scheel den Reformator sachlich im Recht. Denn 219 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 1. 1. 1913 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 220 Vgl. „Stadt und Amt“, in: TüC, 29. 3. 1924; und Kotowski, Universität, 82. 221 „Aus Stadt und Amt, in: TüC, 30. 11. 1906. 222 Die von Scheel angefertigte Edition der Lutherschrift findet sich in: Scheel, Luthers Werke, Ergänzungsband I, 1–183. 223 Vgl. Barge, Karlstadt. 224 Scheel, Individualismus, 354. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Der Text der Druckausgabe ist allem Anschein nach nahezu identisch mit dem Vortrag. Er beginnt mit einer direkten Anrede des Tübinger Publikums und ist nur mit einem Minimum an Fußnoten versehen. 225 Ebd., 356.

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Karlstadt habe „in Verkennung des sittlichen Wertes größerer Organisationen“226 einem individualisierten, mythischen Frömmigkeitstypus gehuldigt, der es im Gegensatz zu dem Luthers an „sittlicher Selbstzucht und Verantwortungsbewußtsein“ für die „Unselbständigeren“ habe fehlen lassen. An dieser Stelle setze seine Kritik am sehr positiven Karlstadt-Bild Barges ein. Scheel kreidete ihm an, seinen Helden in Verkennung von dessen Defiziten als Advokaten einer freieren Religiosität gezeichnet zu haben, wodurch im Gegenzug Luther die Rolle des autoritären Dogmatikers zufiele. Scheel griff diese Rollenverteilung als „große Ungerechtigkeit“227 an und verwehrte sich mit Nachdruck dagegen, den Wittenberger Reformator „zum opportunistischen Reaktionär zu stempeln und den hart angefochtenen Karlstadt mit einer Gloriole zu umgeben“228. Die Ausfälle Luthers gegen einen seiner schärfsten innerprotestantischen Gegner dürften zwar nicht beschwiegen werden, aber dessen ungeachtet fälle Luther „das richtigere sittlichere und religiöse Urteil“229. Scheel unterzog somit „Wider die himmlischen Propheten“ einer kritischen Musterung, verband das daraus resultierende scharfe Urteil jedoch mit einer Verteidigung Luthers und dessen Vorstellungen von religiösem Gemeinschaftsleben. Auf diese Weise legte er den Zuhörern offen, dass sein Verständnis von akademischer Theologie einerseits die Anwendung historischkritischer Methodik voraussetzte, andererseits aber weder die Substanz evangelischer Kirchlichkeit noch Luthers Integrität in Zweifel zog. Dies entsprach genau der Linie, die Scheel auch als Kieler Privatdozent vertreten hatte. Seine Antrittsvorlesung erfüllte damit den traditionellen Zweck des Gradmessers zur Standortbestimmung des neu Berufenen. Mit Blick auf die Verteidigung Luthers unterschieden sich die Ausführungen jedoch insofern von Scheels vorherigen Abhandlungen, als er sehr viel prononcierter als bisher die Grenzen der für ihn akzeptablen Lutherkritik herausstellte. Seine klaren Worte entgegen Barges Äußerungen über das vermeintlich reaktionäre Potential des Reformators zeigten, dass Scheel trotz genauer Erforschung von Leben und Werk Luthers dessen Leistungen nicht grundsätzlich zur Disposition gestellt sehen wollte. Die bei Barge aufgeworfene Frage nach Luthers Progressivität besaß dabei nicht in erster Linie wegen dessen Karlstadt-Biographie brennende Aktualität. In ihrer öffentlichen Wirksamkeit stand Letztere weit hinter den Thesen Ernst Troeltschs zurück, einem der bekanntesten kulturprotestantischen Gelehrten seiner Zeit und Vertreter der Religionsgeschichtlichen Schule, die im Kaiserreich als „theologische Linke“230 des Protestantismus galt. Der in Heidelberg lehrende Sys226 227 228 229 230

Ebd., 371. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Ebd., 361. Ebd., 373. Ebd., 375. Graf, Theologie, 90.

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tematiker hielt im Frühjahr 1906 auf dem Stuttgarter Historikertag in Vertretung Max Webers einen viel beachteten Vortrag über „Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt“231, in dem er Luthers Position zwischen Mittelalter und Neuzeit vermaß232. Troeltsch führte in Stuttgart aus, der „alte, echte Protestantismus des Luthertums“233 könne nicht mit der „Anbahnung der modernen Welt“234 gleichgesetzt werden. Von diesem „Altprotestantismus“235 wollte Troeltsch den „Neuprotestantismus“ scharf geschieden wissen, denn seiner Ansicht nach hatte „erst der große Befreiungskampf des endenden 17. und 18. Jahrhunderts das Mittelalter beendet“236. Einen Hauptgrund für diese zeitliche Verschiebung sah Troeltsch in Luthers „konservativem Respekt vor aller Obrigkeit“237. Durch dessen prägenden Einfluss sei das Luthertum sehr viel stärker als der Calvinismus „dem Absolutismus förderlich, im Übrigen aber wesentlich konservativ und politisch apathisch“238 gewesen. Troeltsch stellte damit das im Deutschland des 19. Jahrhundert kanonisierte Bild des Reformators als Wegbereiter moderner Staatlichkeit und Vorreiter der Meinungsund Gewissensfreiheit grundsätzlich in Frage. Für ihn stand fest, in Fragen politischer Ethik habe der Wittenberger Reformator nicht die Tür zu einer neuen Zeit aufgestoßen239. Durch die schnelle Drucklegung des Vortrages hatte die Aufsehen erregende Rede von Troeltsch bereits weite Verbreitung gefunden, als Scheel ein halbes Jahr später seine Antrittsvorlesung hielt240. Die Ausführungen zur Auseinandersetzung zwischen Luther und Karlstadt hatten daher den Charakter eines Kommentars hinsichtlich der wohl bekannten Position von Troeltsch. Die Verteidigung Luthers gegen Barge konnte von Scheels Zuhörern folglich kaum anders denn als gleichzeitige Absage an Troeltsch verstanden werden, der Luthers Progressivität ebenfalls in Zweifel gezogen hatte. Gegenüber seinem ehemaligen Lehrer Loofs, der Troeltschs Stuttgarter Vortrag zum Anlass genommen hatte, seine Hallenser Rektoratsrede über „Luthers Stellung zum Mittelalter und zur Neuzeit“241 zu halten, brachte Scheel dies klar zum Ausdruck. Er sei nicht imstande, ließ Scheel seinen Mentor wissen, sich

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Troeltsch, Bedeutung. Vgl. Graf / Ruddies, Historismus. Troeltsch, Bedeutung, 14. Ebd., 28. Ebd., 15. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Ebd., 28. Ebd., 23. Ebd., 35. Vgl. Bornkamm, Luther, 107–110; und Mostert, Luther, 578. Zum national-heroischen Lutherbild im 19. Jahrhundert vgl. Lehmann, Nationalheld. 240 Vgl. Rendtorff, Bedeutung, 185. 241 Loofs, Stellung, 5.

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Troeltschs Beurteilung Luthers und seiner „historischen Stellung“242 zu Eigen zu machen. Der Heidelberger Systematiker unterschätze die Bedeutung des inhaltlich Neuen bei Luther, das ihn „gründlich“ vom Mittelalter scheide. Für ihn – Scheel – bestehe keinerlei Zweifel an Luthers Rang als „Bahnbrecher der neuen Zeit“. Wie Troeltsch zu seinen vermeintlichen Fehlurteilen gelangt war, suchte Scheel mit unzureichendem Quellenstudium zu erklären. Er schrieb Loofs, sich nicht des Eindrucks erwehren zu können, Troeltsch habe „Luthers Schriften nicht ausreichend auf sich einwirken lassen“. Mit der Tübinger Antrittsvorlesung grenzte sich Scheel daher nicht nur zum wiederholten Male nach ,rechts‘ vom konfessionellen Luthertum, sondern mit Blick auf sein Lutherbild auch vom ,linken‘ Flügel im eigenen liberalprotestantischen Lager ab. Trotz jener potentiellen Sollbruchstelle in den eigenen Reihen überwog in der Folgezeit theologiepolitische Loyalität. Dies belegt das weiterhin kollegiale Verhältnis von Scheel zu Troeltsch, der ebenfalls ein enger Freund der Verlegerfamilie Siebeck und Mitglied in der Vereinigung der Freunde der ChW war243. Scheels konträre Position mit Bezug auf Luthers politische Ethik und deren politischer Langzeitwirkung hinderte ihn daher weder daran, den Heidelberger Systematiker positiv zu rezensieren244, noch sich anerkennend über ihn gegenüber dessen Fakultätskollegen von Schubert zu äußern245. Scheel und Troeltsch verband zudem die gemeinsame Arbeit an einem publizistischen Großprojekt. Hierbei handelte es sich um „Die Religion in Geschichte und Gegenwart“ (RGG). Kurz nach der Jahrhundertwende hatte Paul Siebeck in enger Zusammenarbeit mit Rade an dem Plan zu arbeiten begonnen, ein umfassendes lexikalisches Nachschlagewerk in Angriff zu nehmen, dessen Zielgruppe nicht primär die akademische Theologenschaft, sondern in erster Linie bildungsbürgerliche Kreise darstellten. Als religiöses Universallexikon für den gebildeten Laien sollte das Kompendium der theologiepolitischen Linie seines kulturprotestantischen Verlegers verpflichtet sein, weshalb sich die Mitarbeiter für das Projekt vor allem aus dem Umkreis der ChW rekrutierten246. Scheel war bereits zu Kieler Zeiten in den ersten vertraulichen Entwürfen als Teilredakteur eingeplant. Bei J.C.B. Mohr ohnehin für die Neufassung eines Dogmatik-Lehrbuches unter Vertrag, war ihm mit der Betreuung der Abteilung Ethik ebenfalls ein Feld der Systematischen Theologie zugedacht worden. Rade unterrichtete ihn Anfang 1906 über die

242 Schreiben Scheels an Friedrich Loofs vom 25. 8. 1907 (UBH Halle, Yi 19, IX, S 2742). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 243 Vgl. R hle, Verlag, 142. 244 Vgl. Scheel, Rezension Hinneberg. Zu Scheels anerkennender Rezension von Troeltschs Beitrag zu Paul Hinnebergs „Die Kultur der Gegenwart“ siehe Fix/Graf, Nachlaß, 190 f. 245 Vgl. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 25. 7. 1909 und 11. 7. 1914 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 246 Vgl. Conrad, Lexikonpolitik, 238–241; und Stenglein-Hektor, Religionsforschung, 44.

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Pläne, seine Arbeit als Teilredakteur nahm Scheel jedoch erst im Anschluss an den Wechsel nach Tübingen in vollem Umfang auf247. Dort sah er seinen Zuständigkeitsbereich bald massiv ausgeweitet, weil er zusätzlich in die Hauptredaktion einbezogen wurde zur Mitbearbeitung der extrem umfangreichen Abteilung Kirchengeschichte, deren eigentlicher Betreuer Walther Köhler mit seinen Aufgaben in Verzug geraten war. Als dieser Ende 1908 im Streit von dem Großprojekt schied, das zu diesem Zeitpunkt kurz vor dem kompletten Zusammenbruch stand, teilte die Hauptredaktion Köhlers Abteilung und übertrug mit den Bereichen Dogmengeschichte und Symbolik das größte Segment an Scheel248. Die Verwaltung der Köhlerschen Konkursmasse hatte zu diesem Zeitpunkt schon zu so vielen Streitigkeiten geführt, dass Scheel sich bei Rade beschwerte, er könne nicht der „Sündenbock“249 für Köhler sein, und indirekt damit drohte, Mitarbeit und Redaktion niederzulegen. Besonders die Auseinandersetzungen mit dem ebenfalls in die Hauptredaktion berufenen Alttestamentler Hermann Gunkel führten schließlich dazu, dass Scheel diese Drohung zumindest teilweise wahrmachte. Im April 1909 teilte er Gunkel mit, er habe beschlossen, sich „zwar lautlos, aber faktisch“250 von weiterer Autorenschaft zurückzuziehen und diesen Entschluss ab den Artikeln des Lexikons mit dem Anfangsbuchstaben B in die Tat umgesetzt. Zwar fänden sich unter B noch eine ganze Reihe von Beiträgen mit seinem Namen, doch den habe Köhler seinerzeit dorthin gesetzt. Kaum einer der Artikel stamme aus seiner – Scheels – Feder. Offensichtlich blieb Scheel bei dem Entschluss, an dem Projekt nur noch als Redakteur, nicht jedoch als Autor mitzuarbeiten. Als Gunkel einige Monate später versuchte, ihn erneut als Beiträger zu gewinnen, antwortete er ausweichend251. Die Hauptredaktion ging daher in der Korrespondenz mit Scheel dazu über, seinen Namen mit einem Fragezeichen zu versehen, sofern er in den Artikellisten im Feld Autor zu finden war252. Damit war das Ende der Eskalation indes noch nicht erreicht. Scheel erwog zu einem späteren Zeitpunkt wegen weiterer Querelen innerhalb der Hauptredaktion die Mitarbeit ganz einzustellen, sah hiervon jedoch ab, weil er, wie er selbst sagte, das Unternehmen nicht gefährden wolle253. Aufgrund seiner engen persönlichen Verbindung zu Siebeck, der ohnehin schon 247 Vgl. Planungsentwurf für die Religion in Geschichte und Gegenwart (VMS T bingen, Karton Karton Diverses RGG1); und Schreiben Scheels an Martin Rade vom 24. 2. 1906 (UBM Marburg, Ms. 839). 248 Vgl. Conrad, Lexikonpolitik, 272–275; und Schreiben Friedrich Michael Schieles an Scheel vom 2. 3. 1909 (VMS T bingen, Karton 271). 249 Schreiben Scheels an Martin Rade vom 29. 11. 1908 (UBM Marburg, Ms. 839). 250 Schreiben Scheels an Hermann Gunkel vom 9. 4. 1909 (UBH Halle, Yi 33, I, S 13). 251 Vgl. Schreiben Scheels an Hermann Gunkel vom 14. 10. 1909 (UBH Halle, Yi 33, I, S 16) und 16. 12. 1909 (UBH Halle, Yi 33, I, S 17). 252 Vgl. Artikelliste der Teilredaktion Dogmengeschichte vom 4. 12. 1909 (VMS T bingen, Karton 271). 253 Vgl. Schreiben Scheels an Hermann Gunkel vom 20. 1. 1911 (UBH Halle, Yi 33, I, S 18).

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vergeblich auf Scheels Neufassung des Dogmatik-Lehrbuches von Nitzsch wartete, erscheint diese Erklärung durchaus plausibel. Von der in seiner vertraulichen Privatkorrespondenz als „Sklavendienst“254 bezeichneten Arbeit an der RGG vermochte sich Scheel daher nicht gänzlich freizumachen. Mit Blick auf die wenigen Lexikonartikel des ersten RGG-Bandes, die unzweifelhaft von ihm selbst verfasst wurden, erscheint zweierlei bemerkenswert. Erstens verfasste Scheel einige biographische Beiträge zu den frühmittelalterlichen hamburgisch-bremischen Bischöfen255. Vorlagen hierfür waren die Arbeiten Hans von Schuberts, der sich federführend an der Gründung des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte (VSHKG) beteiligt und umfangreiche Forschungen zu eben jener Thematik angestellt hatte256. Scheel selbst war dem Verein im Jahr seines Examens beigetreten257 und ging zeitgleich mit der Abfassung der Lexikonartikel seinem Lehrer beim Korrekturlesen von dessen Monographie über die frühe Kirchengeschichte Schleswig-Holsteins zur Hand258. In den Beiträgen, welche streng genommen Scheels erste landeshistorische Arbeiten darstellten, attestierte er den Bischöfen, nicht bloß Sendboten des christlichen Glaubens, sondern ebenfalls Sachwalter von latent gefährdeten deutschen Interessen an der Nordgrenze des Reiches gewesen zu sein. Die 947 gegründeten Bistümer Schleswig, Ripen und Aarhus stellten für Scheel daher nicht nur Missionszentren dar, sie firmierten vielmehr als „deutsche Vorposten im Dänenreich“259, dessen Bewohner als Teil der „national selbständig werdenden nordischen Völker“260 begonnen hätten, kirchlich wie politisch eigene Wege zu gehen. Die frühmittelalterliche Missionsarbeit erhielt somit eine dezidiert nationalpolitische Dimension, wodurch potentiellen Gegenspielern des Episkopats gleichzeitig die Rolle als Feinde Deutschlands zufiel. Die den bremisch-hamburgischen Einfluss beschränkende Ostseeherrschaft Knuts des Großen erschien Scheel etwa als „eine der deutschen Kirche und dem Deutschtum im Norden gefahrdrohende Kombination“261. In den RGG-Artikeln zum frühmittelalterlichen Episkopat vermengten sich damit kirchenhistorische Analyse und nationale Deutung auf eine Art und Weise, wie es in Scheels bisherigen Arbeiten an keiner Stelle vorgekommen war. Dass er ausgerechnet bei dieser Thematik große Probleme hatte, sachliche Distanz zu wahren, erscheint unter Berücksichtigung seines biographi254 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 27. 12. 1911 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 255 Vgl. Scheel, Adalbert; ders., Adaldag; ders., Adam; und ders., Anskar. 256 Vgl. Schilling, Hans von Schubert, 22–27. 257 Vgl. N.N., Mitglieder-Ergänzungsliste, 138. 258 Vgl. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 10. 6. 1907 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 259 Scheel, Adaldag, 145. 260 Scheel, Adalbert, 143. 261 Ebd., 141.

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schen Hintergrundes wenig erstaunlich. Sehr viel bemerkenswerter war dementgegen seine Grundannahme, die ,nordischen Völker‘ seien erst im ausgehenden Frühmittelalter von Deutschland unabhängig geworden, denn dies implizierte, es habe vor dem ins Frühmittelalter zurückdatierten nationalen Gegensatz eine Phase wesentlich engerer Verbindung mit dem Süden gegeben. Auch wenn er diesen Punkt nicht weiter ausführte, ließen derlei Andeutungen erkennen, dass er trotz klarer nationaler Präferenzen besondere historische Verbindungen zwischen Deutschen und Dänen sah. Von nationalen Überformungen gänzlich unberührt setzte sich Scheel in der RGG zweitens mit Luther auseinander und äußerte sich in diesem Zusammenhang zu den seiner Meinung nach zeitgemäßen Formen evangelischlutherischer Glaubenspraxis. Anlass zu beidem gab ihm ein längerer Beitrag zur Dogmengeschichte des Abendmahls262. Die Ausführungen waren mit Blick auf Luther deshalb instruktiv, weil sie aufs Neue zeigten, wie Scheel die kritische Erforschung von Leben und Werk des Wittenberger Reformators von der unerschütterlichen Überzeugung dessen bahnbrechender Bedeutung abkoppelte. Letztere unterstrich er in der Einleitung des Abschnittes über die Abendmahlslehren der Reformationszeit schon dadurch, dass er die Reformation als „Reformation Luthers“263 apostrophierte. Weiterhin führte er aus, Luthers Verständnis des Christentums habe „eine völlige Umkehr des katholischen Religionsbegriffes bedeutet“ und sein Auftreten sei „epochemachend“ gewesen. War damit die Rolle Luthers als Wegbereiter eines neuen Zeitalters christlicher Religiosität unmissverständlich gekennzeichnet, konnte Scheel im Folgenden zu einer kleinteiligeren Kritik an dessen Abendmahlslehre übergehen, die er wegen der vermeintlichen Beibehaltung von Versatzstücken katholischer Tradition als defizitär kennzeichnete. Scheel urteilte, Luther habe einem „paulinisch interpretierten Biblizismus“ gehuldigt und sei deswegen nicht imstande gewesen, „das seinem geistig-ethischen Religionsbegriff widersprechende sakramentale Motiv“264 gänzlich aus der Abendmahlslehre zu tilgen. Das Beharren des Reformators auf der Realpräsenz von Christi Leib und Blut beim Abendmahl kennzeichnete er als „unterevangelische[s] Moment in der A[bendmahl].slehre Luthers“265 und positionierte sich damit abermals in größtmöglicher Distanz zum konfessionellen Luthertum. Im Folgenden äußerte er sich zur Frage, wie der gegenwärtige evangelischlutherische Protestantismus mit Luthers Abendmahlslehre umgehen solle. Weil sich das ,unterevangelische Moment‘ für Scheel „weder mit dem reformatorischen religiösen Christentumsverständnis noch mit der wissenschaft262 Vgl. Scheel, Abendmahl. Zur gegenwärtigen Sicht auf Luthers Abendmahlslehre vgl. Wendebourg, Taufe und Abendmahl. 263 Ebd., 70. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 264 Ebd., 71 265 Ebd., 74.

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lichen Situation der Gegenwart“266 vertrug, stellte er am Ende des Artikels heraus, die geschichtliche Entwicklung des Abendmahls weise „zwingend auf einen Neubau“. Wenn Scheel damit die Notwendigkeit einer neuen Interpretation der Abendmahlslehre implizierte, so redete er zugleich jenem modernitätsoffenen Protestantismus das Wort, für den die RGG als „Kompendium kulturprotestantischer Geschichts- und Gesellschaftsdeutung“267 nach dem Willen ihrer Initiatoren werben sollte. Sein Beitrag zur lutherischen Tauflehre fügte sich demnach nahtlos in das Gesamtkonzept des Lexikons ein. Die klare Loyalitätsbekundung dürfte Scheel nicht schwer gefallen sein, denn seit der Tübinger Berufung festigte sich zusehends seine Einbindung in das kulturprotestantische Netzwerk um den Verlag J.C.B. Mohr und die Vereinigung der Freunde der ChW. Nicht nur für den regen Austausch mit der ortsansässigen Verlegerfamilie bot die Neckarstadt unvergleichlich bessere Möglichkeiten als Kiel, sondern auch für den Kontakt zum Sympathisantenkreis um die ChW, weil in Südwestdeutschland deren Hochburg lag. Hier war die Vereinigung der Freunde der ChW so zahlreich vertreten, dass sie zusätzlich zu den reichsweiten Jahrestreffen der gesamten Vereinigung alljährlich eine spezielle Tagung für deren Mitglieder in Süddeutschland und der Schweiz anberaumte268. Scheel machte von diesem Doppelangebot regen Gebrauch. Sowohl an den Tagungen der Gesamtvereinigung als auch der süddeutschen Fraktion nahm er regelmäßig teil, hielt dort Vorträge und bestritt darüber hinaus in Stuttgart für die Freunde der ChW einen kirchengeschichtlichen Vorlesungszyklus269. Welchen Stellenwert er diesen Verbindungen beimaß, zeigte nicht nur das Verhalten gegenüber Troeltsch und das Festhalten am zunehmend ungeliebten Projekt RGG, sondern auch der Schulterschluss mit den Professoren um die ChW im so genannten ,Fall Jatho‘. Seit 1905 war der in Köln tätige Pfarrer wegen seines umstrittenen Umgangs mit den Bekenntnisformeln in der seelsorgerischen Praxis immer wieder in Konflikt mit seinen kirchlichen Vorgesetzten geraten. 1911 eröffnete der Evangelische Oberkirchenrat schließlich auf Basis des zwei Jahre zuvor erlassenen Irrlehregesetzes ein Verfahren gegen den Geistlichen, der sich vor einem Spruchkollegium verantworten musste. Die erste Anwendung des Irrlehregesetzes in Preußen sorgte im liberaltheologischen Leserkreis der ChW für helle Aufregung und blankes Entsetzen270. Gut einen Monat nachdem das Kollegium entschieden hatte, Jathos Lehren 266 267 268 269

Ebd., 78. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Conrad, Lexikonpolitik, 326. Vgl. Schwçbel, Freunde, 505 f. Vgl. „Stadt und Amt“, in: TüC, 6. 12. 1913; Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 12.4.12 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). Auf einer Tagung der Gesamtvereinigung referierte Scheel 1908 über „Die moderne Religionspsychologie“, vgl. Scheel, Religionspsychologie. Speziell zu diesem Vortrag siehe Fix/Graf, Nachlaß, 181–183. 270 Vgl. „Weiteres zum Fall Jatho“, in: CCW 21.22 (1911), 263–265; und Rathje, Welt, 179–189.

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seien mit dem Pastorenamt unvereinbar, erschien in der ChW eine Professorenerklärung. Deren 37 Unterzeichner warnten mit Verweis auf das Urteil vor der „Erschütterung des auf die ständige Fühlungnahme zwischen Glauben und Wissenschaft angewiesenen Protestantismus“271 und gaben der Hoffnung Ausdruck, das Spruchkollegium möge nie wieder zusammentreten. Neben Baumgarten, Rade und Troeltsch stand auch Scheels Name unter der Erklärung. Möglicherweise kam Scheel diese Loyalität teuer zu stehen. Wenige Monate nach Publikation der Erklärung ergab sich durch den Weggang Carl Mirbts aus Marburg eine Vakanz des dortigen kirchenhistorischen Ordinariats. Für die Nachfolge Mirbt schlug die Fakultät, der unter anderem Martin Rade angehörte, an dritter Stelle Scheel vor – hinter Karl Holl und Hans von Schubert. Das preußische Kultusministerium ignorierte jedoch die Listung der Marburger vollständig und berief stattdessen im Folgejahr Heinrich Böhmer272. Auf der Suche nach einer Erklärung für die eigenwillige Berufungspolitik stellte Rades Fakultätskollege Adolf Jülicher in einer Streitschrift die Vermutung an, Scheel sei nicht berufen worden, weil das Kultusministerium „über den Fall Jatho die Notwendigkeit erkannt habe, die destruktiven Elemente von seinen Universitäten fernzuhalten“273. Sollte Jülicher damit Recht behalten haben, so kostete Scheels Protest gegen die konservative Kirchenpolitik Preußens ihm die Chance, auf eine ordentliche Professur berufen zu werden. Für das Marburger Ordinariat hatte Scheel sich nicht zuletzt durch seine neuerlichen Beiträge zur Lutherforschung empfohlen, der er sich seit dem Ausscheiden aus dem Autorenkreis der RGG wieder verstärkt widmen konnte. Die Arbeit am Siebeck’schen Mammutprojekt hatte ihn in Tübingen bis dato so sehr in Anspruch genommen, dass er nach seiner Antrittsvorlesung keinen einzigen Aufsatz, geschweige denn ein selbständiges Werk zu dieser Thematik verfasst hatte274. Dabei bestand zu neuerlicher Forschung in mehrfacher Hinsicht Anlass. Zum einen hatte ein Ordensbruder des inzwischen verstorbenen Denifle seinen unvollendet gebliebenen Lutherstudien einen zweiten Band mit reichhaltigem Quellenmaterial hinzugefügt, zum anderen war der Autograph von Luthers Römerbriefvorlesung wiederentdeckt und als Edition der Forschung zugänglich gemacht worden275. Kurz nachdem Scheel Gunkel seinen Teilrückzug aus dem Lexikonprojekt bekanntgegeben hatte, begann er mit dem Studium der Edition von Luthers Römerbriefkommentar. Daraus erwuchs ein fast 170 Seiten starker Aufsatz über „Die Entwicklung Luthers bis zum Abschluß der Vorlesung über den 271 „Erklärung“, in: ChW 25.31 (1911), 742. 272 Vgl. Schreiben Martin Rades an Adolf von Harnack vom 31. 3. 1912, in: Jantsch, Briefwechsel, Nr. 505, 692–694. 273 J licher, Entmündigung, 53. 274 Vgl. B lck, Bibliographie, 159 f. 275 Vgl. Zur M hlen, Erforschung, 54–56.

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Römerbrief“276, den der Verein für Reformationsgeschichte (VRG) in einem Jubiläumsband seiner wichtigsten Schriftenreihe veröffentlichte. Für die Platzierung dürfte von Schubert verantwortlich gewesen sein, der sowohl Vorstand als auch Redaktionsausschuss des renommierten Vereins angehörte, dem Scheel spätestens zu Beginn seiner Tübinger Jahre selbst beigetreten war277. Während der Arbeit an dem Aufsatz bereiteten Denifles Ausführungen Scheel nicht mehr Kopfzerbrechen als die seiner protestantischen Forscherkollegen. Denifle hatte seine Kritik vor allem mit vermeintlichen Ungereimtheiten in Luthers Selbstaussagen und frühen Schriften untermauert, und Scheel musste feststellen, wie unkritisch auf protestantischer Seite mit eben diesen Quellen umgegangen worden war. Einen besonders eklatanten Fall stellte aus seiner Sicht die Lutherbiographie Julius Köstlins dar, die, 1875 erschienen und nach dessen Tod von Gustav Kawerau in überarbeiteter Fassung 1903 neu aufgelegt, weithin als die Referenzbiographie des Reformators galt. Was der ehemalige und amtierende Vorsitzende des Vereins für Reformationsgeschichte erarbeitet hatten, war von Scheel seinerzeit noch als „ausgereifte und wohl kaum zu überbietende Leistung“278 rezensiert worden. In Anbetracht seiner jüngsten Forschungsergebnisse sah Scheel nun „Köstlins Nimbus […] sehr verringert“279. Schwere Fehler machte Scheel auch in den Untersuchungen August Wilhelm Hunzingers aus, dessen viel beachtete Untersuchungen zum Einfluss des Neuplatonismus auf Luther er bereits 1906 überaus kritisch rezensiert hatte280. Die neue protestantische Forschung, so sein Resümee, habe sich fälschlicherweise von Hunzinger dirigieren lassen, auf den selbst Loofs „völlig reingefallen“281 sei. Scheel hoffte mit seiner Schrift die „Hypnose Hunzinger“282 beseitigen zu können, der es nach seinem Ermessen ebenso wie Köstlin und Kawerau an der notwendigen Sorgfalt im Umgang mit den Quellen hatte fehlen lassen. In dem umfänglichen Aufsatz ging er daher von dem Befund aus, dass „weniger denn je ein einigermaßen einhelliges Urteil über die Entwicklung des jungen Luthers“283 bestehe, weil die „Zuverlässigkeit des überlieferten Bildes“ 276 Scheel, Entwicklung. 277 Vgl. Moeller, Hans von Schubert, 48. Scheels Mitgliedschaft ab spätestens 1908 belegen die Archivalien des Vereins, siehe Verzeichnis der Mitglieder des Vereins für Reformations-Geschichte nebst Bericht über die Tätigkeit des Vereins in den 25 Jahren von 1883–1908 (AVRG Mainz, Karton 5.2). 278 Scheel, Rezension Köstlin, 2069. Zu Köstlin und Kawerau vgl. Dingel, Köstlin und Koch, Kawerau. 279 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 27. 1. 1910 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 280 Vgl. Scheel, Rezension Hunzinger. 281 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 14. 11. 1909 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 282 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 27. 1. 1910 (Ebd.). 283 Scheel, Entwicklung, 63. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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durch neue Quellenfunde und Forschungsergebnisse zunehmend in Zweifel gezogen werde. Neben der Wiederentdeckung der Römerbriefvorlesung betonte Scheel insbesondere die Rolle Denifles, durch dessen Arbeiten „trotz aller Gehässigkeiten und Entstellungen […] die Frage nach dem Entwicklungsgang und dem Werden der reformatorischen Erkenntnis neues Leben“284 erhalten habe. Dieser widmete sich Scheel, indem er mit Luthers Selbstaussagen, seinen Randbemerkungen zu Augustin und Petrus Lombardus sowie den Psalmenund Römerbriefvorlesungen das Gros des Quellenmaterials zum jungen Luther in den Blick nahm. Dabei ging er mit den Forschungsergebnissen seiner protestantischen Fachkollegen nicht weniger hart ins Gericht als mit Denifle, dem er bei der Untersuchung von Luthers Selbstzeugnissen attestierte, dessen Wortlaut oftmals verdreht und ihm fremde Gedanken unterstellt zu haben285. Bei der anschließenden Erforschung der Randbemerkungen des Reformators hielt er mit spitzer Feder fest, es läge „an Köstlins und anderer Benutzung der Randbemerkungen, daß sie unergiebiger werden, als sie wirklich sind.“286 Im Abschnitt zur Psalmenvorlesung traf es Hunzinger, dem Scheel vorwarf, er habe „fälschlich Neuplatonismus in die Psalmenvorlesung hineingetragen.“287 Lediglich das Kapitel zum Römerbrief-Kommentar war weitestgehend frei von akademischen Seitenhieben und widmete sich den „katholischen und nominalistischen Rückstände[n]“288 der Vorlesung. Am Ende seiner ebenso breiten wie akribischen Quellenstudie kam Scheel erstens zu dem Schluss, generelle Zweifel an den Selbstaussagen Luthers seien trotz deren Widersprüchlichkeiten unberechtigt. Der „spätere Luther“289 habe sich zwar bei einigen Zeitangaben geirrt, aber, so sein Fazit, „in der Hauptsache hat ihn sein Gedächtnis nicht im Stich gelassen“. Mit dieser Feststellung suchte er die Forschung aus der doppelten Umklammerung durch die von ihm scharf kritisierten katholischen und protestantischen Verzeichnungen zu befreien, von denen seiner Ansicht nach die Zuverlässigkeit des Quellenmaterials ebenso wie die Glaubwürdigkeit des Reformators fälschlicherweise erschüttert worden waren. Hatte Scheel damit bei seiner ersten zentralen Schlussfolgerung wieder einmal die historisch-kritische Methodik zur Verteidigung Luthers verwandt, so verfuhr er bei der zweiten ebenso. Trotz der Hinweise auf ,katholische Rückstände‘ in Luthers Lehren betonte er mit aller Deutlichkeit, der Reformator habe mit den Grundlagen des Katholizismus gebrochen. Aus seiner Perspektive hatte Luther sich lediglich zu Eigen gemacht „was der Katholizismus ihm bieten konnte, […] ohne doch je die Selbständigkeit und Originalität des eigenen religiösen Genius zu verleug284 285 286 287 288 289

Ebd., 65. Vgl. ebd., 75, 92. Ebd., 126. Ebd., 171. Ebd., 195. Ebd., 173. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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nen“290. So konnten am Ende der Ausführungen für Scheel keinerlei Zweifel an Luthers herausragender Rolle als „Begründer einer neuen Epoche in der Geschichte des Christentums“291 bestehen, wie es auch in seinen vorangegangenen Arbeiten stets der Fall gewesen war. Dass Scheel sich in der Folge auf eben jene frühen Jahre Luthers spezialisierte, war nicht nur der Tatsache geschuldet, dass ihm ein knappes Jahr nach dem Erscheinen der Schrift die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität anlässlich der Jubelfeier ihres 100-jährigen Bestehens unter anderem wegen seiner „wertvolle[n] Studien über Luther“292 die theologische Ehrendoktorwürde verlieh293. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits den Plan gefasst, aus seinen umfangreichen Quellenexzerpten zu Luthers Entwicklung eine kompakte Quellensammlung für den universitären Seminargebrauch zu konzipieren294. Bevor diese Publikation fertig gestellt werden konnte, erhielt die ohnehin rege Forschungsdiskussion um Luthers Entwicklungsgang zusätzlich neue Nahrung durch eine weitere Arbeit aus katholischer Feder. Anfang 1911 erschien der erste von insgesamt drei Bänden der Lutherbiographie des Jesuiten Hartmann Grisar295. Der Autor hatte sich auf die Fahne geschrieben, „eine Psychologie Luthers in Verbindung mit seiner Geschichte zu schreiben“296 und dabei keinesfalls aufgrund konfessioneller Voreingenommenheit „die unbeugsamen Tatsachen der Vergangenheit zu verschieben“. Diesem Vorsatz vermochte Grisar nur bedingt treu zu bleiben. Obwohl er sich explizit von Denifle distanzierte, dessen polemischen Ton vermied und eine Reihe von negativen katholischen Lutherlegenden falsifizierte, zeichnete er den Wittenberger Reformator trotzdem als Person, die aufgrund psychischer Defekte und sittlicher Defizite, nicht aber aus religiöser Überzeugung mit dem Katholizismus gebrochen hatte. Entgegen seinen Bekundungen stand das von ihm entworfene Psychogramm damit in der Tradition katholischer Lutherpolemik, die bereits im 16. Jahrhundert geistige Erkrankung und moralische Perversion zu ihren bevorzugten Erklärungsansätzen erkoren hatte297. Entsprechend fiel Scheels Urteil über das Werk aus, welches er gleich nach Publikation in Augenschein nahm. Gegenüber seinen Vertrauten gab er der Enttäuschung über Grisar Ausdruck, von dem er sich mehr erwartet hatte, und beklagte dessen „Entstellungen des Wortlautes“298 vieler Quellenzitate. Für Scheel stand daher sehr schnell fest, Grisars Beweisführung ähnele an vielen 290 291 292 293 294 295 296 297 298

Ebd., 204. Ebd., 206. Schmidt, Jahrhundertfeier, 126. Vgl. Nachweis der Promotionen an der Friedrich-Wilhelms-Universität 1910/1911 (GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 76 Va Sekt. 2 Tit. VI, Nr. 1, Bd. 17). Vgl. Schreiben Scheels an Friedrich Loofs vom 29. 10. 1910 (UBH Halle, Yi 19, IX, S 2743). Vgl. Grisar, Luther. Ebd., VIII. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Vgl. Brecht, Erforschung, 5–7; Stayer, Luther, 14; und zur M hlen, Erforschung, 55 f. Schreiben Scheels an Martin Rade vom 18. 3. 1911 (UBM Marburg, Ms. 839).

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Stellen der Denifles. Während er auf Bitten Rades mit der Arbeit an Repliken für die ChW sowie die ZThK zu arbeiten begann, echauffierte er sich zusehends über die Causa Grisar, was nicht nur an der intensiven Auseinandersetzung mit dem Machwerk des jesuitischen Lutherbiographen lag299. Was Scheel mindestens genauso empörte und zu einer Stellungnahme reizte, war der reißende Absatz des Werkes und seine zum Teil positive Aufnahme durch die protestantische Presse300. Im Privaten teilte er mit, ihm liege umso mehr daran, Grisar bloßzustellen und dessen „Fälschungen gleichkommende Textbehandlung“301 aufzuzeigen, je größer die Reklame für dessen Lutherbuch sei. Gerade wegen des Lobes der ersten Rezensenten müsse er „die ganze Jämmerlichkeit und Gewissenlosigkeit Grisars an den Pranger stellen“302. Die Antwort auf den von ihm in seiner Privatkorrespondenz als „Fälscher“303 bezeichneten Grisar beschäftigte Scheel über mehrere Jahre und band zusammen mit der Arbeit zur Fertigstellung der RGG den größten Teil seiner Arbeitskraft. Die Auseinandersetzung mit Grisar nötigte ihn, sich noch intensiver in das Quellenmaterial zum jungen Luther einzuarbeiten, als er es seit den Arbeiten am Jubiläumsbeitrag für den VRG ohnehin schon getan hatte. Als erstes machte er sich an die Überarbeitung der bereits erwähnten Quellensammlung. Diese befand sich bei Erscheinen von Grisars Lutherband offenbar schon im Druck, denn Scheel presste zwei Dokumente, die er mit Blick auf Grisars Darstellung für besonders zentral hielt, in eine lange Fußnote am Ende des Vorwortes304. Letzterem fügte er außerdem ein gesondertes Register aller enthaltenen Quellen bei, die auch Grisar verwendet hatte. Die „Dokumente zu Luthers Entwicklung bis 1519“ waren damit nicht nur handliches Quellenheft für das kirchenhistorische Seminar, sondern ebenfalls praktische Hilfe zur Überprüfung der Aussagen des katholischen Lutherbiographen. Entsprechend zahlreich waren die positiven Rückmeldungen protestantischer Kirchenhistoriker an den Verlag J.C.B. Mohr305, und der ehemalige Redakteur der Abteilung Kirchengeschichte der RGG, Walther Köhler, urteilte in der HZ, mit Blick auf Grisar sei die Publikation „zur rechten Zeit“306 erfolgt. Darüber hinaus verfasste Scheel eine Vielzahl von Rezensionen, deren oberstes Ziel stets darin bestand, Grisar in möglichst große Nähe zum ver299 Vgl. ebd.; und Schreiben Scheels an den Verlag J.C.B. Mohr vom 18. 3. 1911 (VMS T bingen, Karton 315). 300 Zu den vielen positiven Stimmen von protestantischer Seite vgl. Herdersche Verlagsbuchhandlung, Luther. 301 Schreiben Scheels an Martin Rade vom 23. 5. 1911 (UBM Marburg, Ms. 839). 302 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 27. 8. 1911 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 303 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 27. 12. 1911 (Ebd.). 304 Vgl. Scheel, Dokumente, IX–X. Ein Register der bei Denifle verwendeten Quellenstücke war aller Voraussicht nach ohnehin vorgesehen. 305 Vgl. Schreiben Paul Siebecks an Scheel vom 14. 11. 1911 (VMS T bingen, Karton 315). 306 Kçhler, Rezension (1913), 664.

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femten Denifle zu rücken. Dabei folgte er zumeist dem gleichen argumentativen Muster. Eingangs stellte er zunächst den großen buchhändlerischen Erfolg und die positive Aufnahme des Werkes heraus. So schrieb er etwa, Grisar habe einen „großen Käuferkreis“307 finden und „reiche Ernte der Anerkennung einheimsen“308 können. Als Grund hierfür führte Scheel jedoch weniger die Inhalte des Buches, sondern vielmehr Grisars programmatischen Anspruch an, frei von konfessionellen Vorurteilen zu sein. Ebenso verwies er auf die viel moderatere Wortwahl Grisars im direkten Vergleich zu Denifle. Gerade weil dessen Ausfälle „noch in frischer Erinnerung“309 seien, habe dies „ein günstiges Vorurteil“310 zugunsten Grisars bewirkt. Waren somit etwaige lobende Worte über das Werk als Vorschusslorbeeren abgewertet, machte sich Scheel im Folgenden daran, die eigentlichen Ausführungen als Karikatur der vom Autor selbst eingeforderten vorurteilsfreien Forschung darzustellen. Dies zumindest punktuell nachzuweisen, erwies sich als nicht allzu schwierig, da Grisar in der Tat die von ihm verwendeten Quellen mehrheitlich zum Nachteil des Reformators ausgelegt hatte. So fiel es Scheel nicht schwer, Belege anzuführen für sein Verdikt, man begegne bei Grisar einem „unkritischen Verhör, das aufgrund einer vorgefaßten Meinung Suggestivfragen stellt“311 und einer „kaum zu übertreffende[n] Flüchtigkeit […] in der analytisch-kritischen Bearbeitung des Quellenmaterials“312. Aus diesen mutmaßlich denunziatorischen Absichten Grisars leitete Scheel anschließend dessen geistige Verwandtschaft mit Denifle ab. Luther werde bei Grisar lediglich „langsamer schuldig“313, weshalb man Letzterem gegenüber nicht ungerecht werde, „wenn man ihn einen temperierten und maskierten Denifle nennt.“314 Damit war der Kreis geschlossen und Grisar neben Denifle gestellt. Weil kaum ein anderer protestantischer Kirchenhistoriker so früh so entschieden Stellung bezog, wurde auf den Mitteilungsseiten des Archivs für Reformationsgeschichte (ARG) eine seiner Rezensionen herausgestellt als „die vernichtendste Kritik des voluminösen Werkes [von Grisar]“315. Zu guter Letzt trug Scheel die Auseinandersetzung mit Grisar in weiteren Publikationen aus, so etwa in dem auf Wunsch Rades verfassten Beitrag für die ZThK. Dort setzte er sich in dem zweiteiligen Aufsatz „Ausschnitte aus dem Leben des jungen Luther“316 mit einigen wichtigen Stationen in dessen Leben 307 308 309 310 311 312 313 314 315

Scheel, Grisars Lutherbiographie (ChW), 537 Scheel, Grisars Lutherbiographie (ThR), 74. Scheel, Methode, 127. Scheel, Grisars Lutherbiographie (Deutsch-Evangelisch), 386. Ebd., 389. Scheel, Grisars Lutherbiographie (ThR), 86. Scheel, Methode, 144. Scheel, Grisars Lutherbiographie (ChW), 543. N.N., Mitteilungen, 374. Zur anfangs eher zögerlichen Kritik der protestantischen Kirchenhistoriker an Grisar siehe Brecht, Erforschung, 13–15. 316 Scheel, Ausschnitte I; ders., Ausschnitte II.

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en detail auseinander, die Grisar seiner Meinung nach besonders eklatant verzeichnet hatte. Hierzu gehörten unter anderem Luthers Romreise von 1508 und die Frage nach Zeit und Ort der reformatorischen Erkenntnis. Letzterem widmete Scheel besondere Aufmerksamkeit, denn von Grisar war das entscheidende Durchbruchserlebnis kurzerhand auf die Kloake des Wittenberger Klosters verlegt worden317. Um dessen Theorie mit Blick auf die in doppelter Hinsicht anrüchige Lokalität zu widerlegen, füllte Scheel mehr als zehn Seiten mit Erörterungen über die Lage der Aborte des Klosters im 16. Jahrhundert sowie die Herkunft des Terminus ,Kloake‘ in den von Grisar zitierten Quellen318. Der mit aller Ernsthaftigkeit in einer der renommiertesten theologischen Fachzeitschriften ausgetragene Streit veranschaulichte erstens, welche Energien die als ehrabschneidend empfundenen Äußerungen Grisars bei Scheel freigesetzt hatten. Zweitens offenbarte das pikante Lokalitätsproblem in besonders eklatanter Weise, was Scheel bereits bei seinen Studien zur Römerbriefvorlesung hatte feststellen müssen und später durch die zum Teil überraschend positiven Reaktionen auf Grisar bestätigt fand: Die protestantische Lutherforschung bewegte sich selbst hinsichtlich zentraler Fragen zu Leben und Wirken des Reformators auf sehr unsicherem Terrain, weil sie es versäumt hatte, die zur Verfügung stehenden Quellenmaterialien systematisch zu erforschen. Sie war gegenüber der katholischen Forschung schlechterdings ins Hintertreffen geraten und eine neue Lutherbiographie deshalb dringliches Desiderat der Forschung. Drittens war die Diskussion um den Ort des reformatorischen Erlebnisses Ausweis für die Expertise, welche Scheel sich im Laufe der Auseinandersetzung mit Grisar erworben hatte. Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass Scheel zeitgleich mit seinem akademisch-publizistischen Feldzug gegen den katholischen Lutherbiographen im Wintersemester 1912/ 1913 seine erste, überaus gut besuchte Luthervorlesung hielt319. Dieser große Publikumserfolg spielte möglicherweise neben den drei genannten Faktoren eine Rolle bei Scheels Entschluss, seine umfangreichen Studien zum jungen Luther in monographischer Form abzuschließen. Ein gutes Jahr nach Beendigung der Vorlesung hatte er bereits die Mansfelder Kinderzeit Luthers und den Aufenthalt in Magdeburg weitestgehend erschlossen und war zuversichtlich, noch im selben Jahr eine bis 1512 reichende Biographie vorlegen zu können. Die vorlesungsfreie Zeit nach dem Sommersemester 1914 wollte Scheel daher für abschließende Recherchen in Erfurt über Luthers Studien- und Klosterjahre nutzen320. Dass das in Theologen317 Vgl. Grisar, Luther, 324. Grisar blieb nicht ohne Nachahmer. Kurz vor dem Luther-Jubiläum 1983 legte der prominente Reformationshistoriker Heiko A. Obermann eine Biographie des Reformators vor, in der er die Ortswahl wieder aufgriff. Siehe Oberman, Luther, 163–166. 318 Vgl. Scheel, Ausschnitte II, 547–558. 319 Zum großen Andrang bei Scheels erster Luthervorlesung siehe S. 63. 320 Vgl. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 26. 9. 1913, 10. 3. 1914 und 11. 7. 1914 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St).

Ende der ,Idylle‘ – die Weltkriegsjahre

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kreisen bereits angekündigte Werk321 nicht planmäßig erschien, kann in Anbetracht der politischen Ereignisse jenes Sommers und ihrer immensen Tragweite kaum überraschen. Der später als ,Urkatastrophe‘ apostrophierte Erste Weltkrieg sollte auch für Scheel zu einer tiefgreifenden Zäsur werden322.

2.3. Ende der ,Idylle‘ – die Weltkriegsjahre 2.3.1. Politisches Denken und Kriegserlebnis Scheel besuchte gerade zusammen mit seiner Frau deren Familie in Hagen, als er die Nachricht von Mobilmachung und Ausbruch des Krieges erhielt. Die Frage, durch wessen Verschulden die Kriegsmaschinerie in Gang gesetzt worden war, sah er klar beantwortet. Von seiner Warte hatten die Kriegsgegner dem Deutschen Reich „das Schwert in die Hand gedrückt“323, weshalb es sich bei dem Waffengang um einen „gewissenlos aufgedrungenen Kampf“ handelte, so sein Urteil gegenüber von Schubert. Besonders Großbritannien, dessen Kabinett er mit Verweis auf die Blockade der Seehandelswege als „Regierung der Piraten“ bezeichnete, hatte seiner Ansicht nach gegen Deutschland Intrigen geschmiedet und galt ihm als Hauptschuldiger. War damit für Scheel die Kriegsschuldfrage ebenso kurz wie einseitig beantwortet, so rangen einige seiner engen Vertrauten aus dem Kreis um die ChW umso schwerer mit etwaigen Schuldzuweisungen. Otto Baumgarten beispielsweise attestierte den von Scheel als gewissenlose Freibeuter gescholtenen Briten in einem Zeitungsartikel, durch den rasanten Machtzuwachs Deutschlands auf fatale Weise in den Krieg hineingetrieben worden zu sein, womit er indirekt eine Mitschuld des Deutschen Reiches zugestand324. Martin Rade ging in der ChW noch einen erheblichen Schritt weiter. Er brandmarkte den Kriegsausbruch als „Bankerott [sic!] der Christenheit“325 und entzog damit jeglichen Schuldzuweisungen auf nationaler Ebene von vornherein die Grundlage. Während insbesondere bei Rade der theologische Blickwinkel auf die Ereignisse ein Gutheißen der Kriegshandlungen unmöglich machte, verhielt es sich bei Scheel genau anders herum. Ihm erschien der Kampf gerade deswegen als gerechtfertigt, weil er der gewaltsamen Durchsetzung nationaler Interessen eine religiöse Dimension beimaß. Seiner Ansicht nach stand fest, dass es sich 321 Vgl. Scheel, Lutherforschung, 687. 322 Bei der oft gebrauchten Formel von der ,Urkatastrophe‘ handelt es sich um eine Übersetzung aus dem Englischen, die sich im Original findet in Kennan, Decline, 3. 323 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 30. 8. 1914 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 324 Vgl. Brakelmann, Krieg, 20–22. 325 Rade, Bankerott, 849.

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bei dem Krieg „um mehr handelt als nationale Fragen“326. Die Deutschen könnten sicher sein, „innerhalb der militia Christi zu stehen“. Das kaiserliche Heer sei nicht nur für das Deutsche Reich, sondern „zugleich als ,Aufgebot Gottes‘ ins Feld gezogen“, dessen Niederlage auch eine „Niederlage des Reiches Gottes und ein Sieg des Heidentums“ wäre. Mit dieser Vermengung nationaler und religiöser Motivik fügte sich Scheel nahtlos in jenen breiten Strom innerhalb des deutschen Protestantismus ein, der in den Geschehnissen des Sommers 1914 eine erneute göttliche Intervention in die Geschicke des deutschen Volkes zu erblicken vermochte, wie man sie bereits 1870/71 erlebt zu haben glaubte327. Gleichzeitig entfernte Scheel sich mit der heilsgeschichtlichen Deutung des Waffenganges von langjährigen Weggefährten wie Rade und Baumgarten, die sich im Gegensatz zu ihm der nationalprotestantischen Kriegseuphorie weitgehend verweigerten. Am siegreichen Ausgang des vermeintlich durch höhere Hand gelenkten Krieges hegte Scheel keinerlei Zweifel, auch nicht nachdem der SchlieffenPlan gescheitert und aus dem schnellen Bewegungs- ein Stellungskrieg geworden war. In dem Szenario, welches er Anfang 1915 im Privaten entwarf, fiel die Bilanz eindeutig zugunsten Berlins aus. Während das Deutsche Reich an der Westfront seiner Ansicht nach „das Heft in der Hand“328 hatte, sah er an der Ostfront „die Stoßkraft Rußlands […] aufs schwerste erschüttert“. Aus militärischer Perspektive sei Deutschland daher „ganz gewiß nicht zu werfen“. Dasselbe galt für die britische Seeblockade. Die von Baumgarten ihm gegenüber geäußerten Befürchtungen, man könne binnen Jahresfrist zu einem „Hungerfrieden“ gezwungen werden, hielt er für unbegründet. Zwar blieb auch für Scheel die „wirksame Auseinandersetzung mit England […] das große Rätsel dieses Krieges“, eine wirkliche Gefahr sah er darin jedoch nicht, weil Friedensverhandlungen mit England zu erwarten seien, sobald London einsehe, dass man Deutschland nicht aushungern könne. „Zum Pessimismus“, so Scheels Fazit, „ist wirklich nirgends Anlaß […]. Das größere Deutschland scheint im Werden“. Den Machtbereich dieses ,größeren Deutschlands‘ hatte Scheel bereits kurz nach Kriegsbeginn ansatzweise in seiner Privatkorrespondenz abgesteckt. So sollte im Westen mit Ländereien an der Maas sowie einem Korridor zum Ärmelkanal der größte Teil Belgiens annektiert und im Osten „Russland […] genötigt werden, seine Zukunft in Asien zu suchen“329. Im Gegensatz zu diesen massiven Expansionsplänen auf dem europäischen Kontinent machte er zu möglichen kolonialen Zugewinnen bezeichnenderweise keinerlei Angaben. 326 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 30. 8. 1914 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 327 Vgl. Becker, Euphorien, 32–36; Greschat, Krieg, 47 f.; und Mommsen, Umdeutung, 250–254. 328 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 23. 1. 1915 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 329 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 8. 2. 1915 Ebd. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort.

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Um „Weltmacht“ sein zu können, so präzisierte Scheel, müsse Deutschland von Außereuropa wirtschaftlich unabhängig sein und „Menschen ,produzieren‘ können“, was er durch Gewinne in Übersee nicht gewährleistet sah. Es gelte vielmehr zu gewinnen „was uns vor der Tür liegt“, weshalb „Bauernland an Deutschlands Ostgrenze“ die einzig richtige Parole sei. In wirtschaftlicher Hinsicht hielt er zudem die Schaffung eines „geschlossenen Wirtschaftsgebiet [s] von der Elbmündung bis an den Euphrat“ für notwendig, um gegen jegliche Seeblockaden gefeit zu sein. „Die Geschichte“, so stand für ihn fest, „weist uns auf den Osten und auf geschlossenes Wirtschaftsgebiet“. Scheel gehörte damit zu den Befürwortern jener expansiven Mitteleuropa-Konzeptionen, die sich unter dem Eindruck der britischen Seeblockade seit dem Kriegsausbruch großen Zuspruchs erfreuten330. Wie sehr er von der Notwendigkeit der Expansion gerade Richtung Osten überzeugt war, lässt sich daran ablesen, dass ihm die Möglichkeit eines Separatfriedens mit dem Zarenreich nicht als Chance, sondern ganz im Gegenteil als existentielle Bedrohung erschien, sofern damit der Verzicht auf große Gebietsgewinne verbunden war. Scheel sprach in diesem Zusammenhang von der Befürchtung, ein solcher Verständigungsfrieden werde Deutschland um seine „Zukunftsaussichten“ bringen. Von der Erzwingung eines Siegfriedens im Osten mit massiven territorialen Zuwächsen durfte das Deutsche Reich seiner Ansicht nach „nur von schwerer Not bedrängt“331 abweichen, die er nicht gegeben sah. Nicht nur in dieser Sorge um einen zu milden Frieden mit dem Zarenreich, sondern auch hinsichtlich Belgiens entsprach Scheels Programmatik der so genannten Seeberg-Adresse, welche der gleichnamige Berliner Theologe im Juni 1915 veröffentlichte und deren radikaler Forderungskatalog in Intellektuellenkreisen auf lebhaften Widerstand stieß. In Anbetracht dessen bedarf es keiner weiteren Erläuterung, wieso er anders als Baumgarten, Rade oder Troeltsch die von Hans Delbrück veröffentlichte Gegenerklärung nicht unterzeichnete332. Scheels Kriegszielprogrammatik schied ihn nicht nur von vielen seiner bisherigen theologischen Weggefährten, sondern ebenfalls von der Mehrheit der Tübinger Professorenschaft, da die Lehrenden an der Eberhard-KarlsUniversität eher gemäßigte Positionen vertraten. Zu den wenigen Gleichgesinnten gehörte der deutschbaltische Historiker Johannes Haller. Letzterer produzierte sich nicht nur in Tübingen als öffentlicher Redner, sondern warb darüber hinaus als Mitglied des Baltischen Vertrauensrates reichsweit für massive Gebietsforderungen gen Osten, in erster Linie in Form der Annexion

330 Vgl. Mommsen, Mitteleuropaidee, 11–14. 331 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 8. 2. 1915 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 332 Vgl. Delbr ck, Differenzen, 169–172; Seeberg, Seeberg-Adresse, 128–130; und UngernSternberg, Wissenschaftler, 173 f.

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Liv-, Est- und Kurlands333. Scheel erinnerte sich noch Jahrzehnte später daran, wie einig er und Haller sich gewesen waren, als sie nach Kriegsausbruch gemeinsam „auf dem Österberg das deutsche Schicksal erörterten“334. Gedanken über den eigenen Beitrag zum deutschen Sieg machte sich Scheel im Haus seiner Schwiegereltern in Westfalen bereits vor dem Austausch mit Haller. Im festen Glauben, nicht durch Mitverschulden Berlins, sondern durch gegnerische Intrigen in einen gottgewollten Krieg hineingeraten zu sein, dessen Ausgang Deutschlands Weltmachtstellung zementieren musste, hatte er sich in Hagen sofort dem dortigen Bezirkskommando zur Verfügung gestellt. Die Militärs fanden jedoch unmittelbar nach Kriegsbeginn keinerlei Verwendung für den seinerzeit ausgemusterten Theologieprofessor. Die „Untauglichkeit für die Waffen“335 empfand Scheel als besonders schmerzlich, da er überzeugt war, die zum Kriegsdienst eingezogenen Angehörigen und Freunde – unter ihnen seine Brüder Johannes und Hermann – stünden vor „weltgeschichtlichen Taten“. Nach dem Besuch eines vor Antwerpen verwundeten Vetters schrieb er Paul Siebeck, dessen mit Scheel befreundeter Sohn Oskar vor Metz schwere Granatverletzungen erlitten hatte, er würde von solchen Wutanfällen überkommen, dass er sicherlich noch ein „brauchbarer Kämpfer“336 wäre, falls die Schlachten noch mit den Fäusten ausgetragen würden. Derlei martialischen Parolen zum Trotz von einer militärischen Indienststellung ausgeschlossen, erwog Scheel, sich freiwillig für den zivilen Verwaltungsdienst im besetzten Belgien zu melden. Ausgehend von seinen Annexionsphantasien war er sicher, dort würde wegen der bevorstehenden Aufgaben besonders ausgesuchtes Personal benötigt. Da dieses Vorhaben ebenfalls scheiterte, bot er den Geistlichen in Hagen Hilfe bei der Betreuung der Verwundeten an und schrieb sich darüber hinaus auf die Fahne, als Redner „den Geist des Alten Testaments zu wecken“337. Als Publikum dienten ihm dabei die in der Villa seiner Schwiegereltern einquartierten Soldaten. In deren Reihen scheinen sich allerdings nur wenige Interessierte gefunden zu haben, denn Scheel klagte, er müsse vor kaum einer Handvoll Leuten sprechen338. Die Vortragstätigkeit war somit in der Hauptsache Beschäftigungstherapie eines Kriegsbegeisterten, für den sich zu seiner großen Enttäuschung innerhalb des militärischen Apparates keine reguläre Verwendung hatte finden lassen. Erst 333 Vgl. Jansen, Professoren, 109; Paletschek, Hochschullehrer, 90, 105; und „Städtischer Hilfsausschuß“, in: TüC, 25. 8. 1914. 334 Schreiben Scheels an Johannes Haller vom 12. 12. 1933 (BArch Koblenz, N 1035, Nr. 19). 335 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 30. 8. 1914 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 336 Knappenberger-Jans, Verlagspolitik, 26; und Schreiben Scheels an Paul Siebeck vom 12. 9. 1914 und Antwort Paul Siebecks an Scheel vom 16. 9. 1914 (VMS T bingen, Karton 360). 337 Schreiben Scheels an Paul Siebeck vom 12. 9. 1914 (VMS T bingen, Karton 360). 338 Vgl. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 30. 8. 1914 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St).

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in Tübingen traf Scheels Rednertätigkeit auf einen erheblich größeren Zuhörerkreis. Dort war die Aula der Eberhard-Karls-Universität bis auf den letzten Platz gefüllt, als er Anfang 1915 im Rahmen einer Reihe universitärer Kriegsvorträge über das Thema „Dänemark und Wir“339 sprach. Eingedenk seiner strategisch bedeutsamen Lage am Übergang zwischen Ost- und Nordsee hatte Kopenhagen, keiner Kriegspartei durch Bündnisverträge unmittelbar verpflichtet, seine Neutralität erklärt. Der sonst durch die britische Seeblockade schwer beeinträchtigte Außenhandel des Kaiserreiches konnte daher mit dem nördlichen Anrainerstaat relativ ungehindert weiterlaufen, und selbst der deutschen Forderung nach einer Verminung des Großen Belts kam die dänische Regierung unverzüglich nach340. Trotz der für Berlin vorteilhaften Politik Kopenhagens war Scheel aufgrund der Berichte seiner Familie aus Hadersleben überzeugt, Dänemark wünsche jenseits der „offiziellen Welt“341 den deutschen Gegnern schon wegen der Nordschleswig-Frage den Sieg. Er sah darin ein „erhebliches Maß an politischer Unreife“ und eine totale Verkennung sowohl der Situation Dänemarks als auch der Absichten Deutschlands. Dies dürfte der Grund für seinen Entschluss gewesen sein, vor dem Tübinger Publikum die für eine Kriegsvorlesungsreihe eigentlich abseitige Thematik zum Gegenstand seines Vortrages zu machen und damit erstmals in größerem Umfang seine Vorstellungen von den Beziehungen mit dem Nachbarstaat im Norden offenzulegen. Was er in seinen RGG-Beiträgen zu den frühmittelalterlichen hamburgischbremischen Bischöfen mit Bezug auf alte deutsch-dänische Verbundenheiten nur angedeutet hatte342, stellte er nun bezeichnenderweise in den Mittelpunkt. Nicht Rivalität, sondern Zusammengehörigkeit bildete das Leitmotiv seiner Ausführungen. Die Bedeutung der unterschiedlichen Nationalität als Scheidegrenze suchte Scheel dabei systematisch abzuschwächen, indem er von Deutschen und Dänen als „national Getrennten“343 sprach, die sich „der gleichen übernationalen und überzeitlichen Güter“344 erfreuten. Bei den wirkmächtigen Klammern jenseits des Nationalen handelte es sich ihm zufolge zum einen um gemeinsame germanische Wurzeln. Darüber hinaus waren für Scheel die beiden Nationen zum anderen eng miteinander verbunden durch das evangelisch-lutherische Bekenntnis, welches Dänemark „restlos aufgenommen und bis in die Gegenwart treu gepflegt“345 habe. Wie er seinen Zuhörern im Hauptteil der Rede entwickelte, korrespondierte mit 339 „Dänemark und wir“, in: TüC, 12. 2. 1915; und Scheel, Dänemark. Zum sonstigen Programm des Vortragszyklus siehe „Kriegs-Vorträge der Tübinger Universität“, in: TüC, 12. 1. 1915. 340 Vgl. Bohn, Dänemark, 422. 341 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 30. 8. 1914 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 342 Siehe hierzu S. 69f. 343 Scheel, Dänemark, 5. 344 Ebd., 32. 345 Ebd., 5.

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dieser vermeintlich engen Zusammengehörigkeit durch kollektives Germanen- und Luthertum eine Interessengemeinschaft in der gegenwärtigen Kriegssituation. Seiner Argumentation folgend hatte erstens der russische Panslawismus, bei dem er „unter kultureller und völkischer Maske die rohen Machtinstinkte des Moskowitertums“346 zu erblicken vermochte, eine „schroffe Wendung gegen den ,Germanismus‘ genommen“. Daher solle nicht nur Deutschland als Hauptmacht unter den germanischen Völkern geschlagen und der Einflussbereich Russlands bis an die Elbe ausgedehnt, sondern gleichfalls das germanische Dänemark zur Erlangung der Ostseeherrschaft kontrolliert werden. Das „deutsch-russische Ostseeproblem“347 müsse daher zwangsläufig zu einem „dänisch-russischen Problem“ führen. Neben antigermanischem Panslawismus zeichnete Scheel zweitens Großbritanniens Außenpolitik als latente Bedrohung für die dänische Souveränität. Hierfür suchte er einen historischen Beweis zu geben, indem er auf den britischen Überraschungsangriff auf Kopenhagen und die Kaperung der dänischen Flotte 1807 verwies, denen keine Kriegserklärung vorangegangen war348. Der Angriff „im tiefsten Frieden“349 habe die auf dem Wiener Kongress vollendete „Lähmung“ Dänemarks durch Großbritannien vorbereitet, das seither entgegen aller anders lautenden Bekundungen im Ostseeraum „eine verkleinerte Wiedergabe der britischen Mittelmeerstellung“ anstrebe. Kopenhagen solle „Gibraltar der Ostsee“, Bornholm „nordisches Malta“ werden. Entgegen jenen „britische[n] und panslawistische[n] Phantasien“ war nach Scheels Lesart Deutschlands Interesse an einem neutralen und unabhängigen Dänemark groß, ermöglichte doch der Kaiser-Wilhelm-Kanal auch ohne Zugriff auf die dänischen Seewege eine „dauernde Rochadestellung“350 zwischen Nord- und Ostsee. Wieso die aus seiner Sicht vorgezeichnete Allianz zwischen Deutschen und Dänen bei Kriegsausbruch dennoch ausgeblieben war, suchte Scheel damit zu erklären, London habe der dänischen Regierung mit der Aussicht auf Wiedergewinnung Schleswigs ein „narkotisierende[s] Gift“351 verabreicht. Die Schuld des „Raubritters der Meere“352 an den deutsch-dänischen Verstimmungen wurzelte für Scheel indes wesentlich tiefer. Schon am Beginn des Konfliktes um die nationale Zugehörigkeit Schleswigs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sah er die britische Diplomatie am Werk. Erst die Schwächung Dänemarks durch Großbritannien in den Napoleonischen Kriegen habe in Kopenhagen „eine wirksame nationale Reaktion gegen alles Auslän-

346 347 348 349 350 351 352

Ebd., 6. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Ebd., 7. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Vgl. Simms, Britain, 193–195. Scheel, Dänemark, 9. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Ebd., 12. Ebd., 11. Ebd., 12.

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dische“353 möglich gemacht, welche sich in erster Linie gegen die mit Dänemark so eng verbundenen Deutschen gerichtet habe und Ursache des Konfliktes um Schleswig-Holstein geworden sei. Scheel führte nicht nur den Krieg von 1864, sondern auch das Scheitern der anschließenden Verhandlungen um einen Verbleib Nordschleswigs bei Dänemark auf jene Unnachgiebigkeit Kopenhagens zurück, die mit der „Schmach“354 von 1807 angeblich die Briten angefacht hatten. Aus seiner Perspektive hatte dieselbe nationalistische Entrüstung es Dänemark zudem unmöglich gemacht anzuerkennen, dass das Deutsche Reich durch seine „gepresste internationale Lage“355 ab den 1870er Jahren zu einer rigideren Handhabung der Minderheitenfrage gezwungen gewesen sei, um seine Grenzen zu schützen. Für die fatale Wirkung der Köllerpolitik auf die deutschdänischen Beziehungen erschien Großbritannien damit in doppelter Hinsicht verantwortlich. Einerseits hatte es durch seine Beteiligung an der „Einkreisung Deutschlands“ die Zwangsmaßnahmen gegen die dänisch gesinnten Nordschleswiger mit provoziert, andererseits trug es die Verantwortung für die vermeintlich überzogene Reaktion Kopenhagens auf die danophobe Politik in Schleswig-Holstein. Nach Scheels Lesart waren folglich im Falle Deutschlands und Dänemarks die guten Beziehungen zwischen zwei germanisch-protestantischen Brüdervölkern weniger durch eigenes Verschulden als britische Intrigen auf verhängnisvolle Weise zum Entgleisen gebracht und langfristig geschädigt worden. Dieser Logik folgend schien ein siegreicher Krieg vor allem gegen Großbritannien für beide Staaten einen Ausweg aus der vorgeblich unnatürlichen Gegnerschaft zu bieten, zumal Scheel ohnehin sicher war, in dänischen Intellektuellenkreisen bestehe der Wunsch, „die abgerissenen Fäden zu knüpfen“356. In seinem Vortrag verklärte er den Waffengang daher zum „Schöpfer Krieg“357, dessen „Frucht“358 eine Wende in den vergifteten deutschdänischen Beziehungen sein könne. Dementsprechend empfand er es als gerechtfertigt, die dänisch gesinnten Nordschleswiger zum Dienst im kaiserlichen Heer einzuziehen359: Wenn Dänemark „die Gut- und Blutlast für die Weltaufgaben der germanischen Vormacht“360 mittrage, so sei dies „ein Gewinn, kein Verlust“, denn es schaffe „den fruchtbaren Boden, auf dem eine unzerstörbare Gemeinschaft beider sich zu bilden vermag.“

353 354 355 356 357 358 359

Ebd., 16. Ebd., 9. Ebd., 26. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Ebd., 28. Ebd., 30. Ebd., 31. Im Ersten Weltkrieg kämpften circa 30.000 dänisch gesinnte Nordschleswiger für das Deutsche Reich, von denen etwa 6.000 fielen, siehe Schultz Hansen, Nationalitetskamp, 240. 360 Scheel, Dänemark , 32. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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Scheel fesselte die Auseinandersetzung mit der deutsch-dänischen beziehungsweise Ostseefrage so sehr, dass er in Erwägung zog, ein Buch darüber zu schreiben, und noch Monate später hielt er über die Thematik weitere Vorträge361. Die Selbstmobilisierung als öffentlicher Redner währte somit schon ein gutes Jahr, als ihn im Spätsommer 1915 der Bescheid erreichte, sich erneut der Musterung zu stellen362. Die Aussicht, doch noch in Uniform Dienst zu leisten, betrachtete er mit derselben Begeisterung wie unmittelbar nach Kriegsausbruch. Seinem Verleger Paul Siebeck schrieb er kurz nach Erhalt des Musterungsbescheids, es bleibe „für uns und die späteren Geschlechter etwas Großes, dass die volle Wehrfähigkeit des Volkes ausgenutzt und jeder unter das Pflichtgebot gestellt wurde“363. Scheel sah darin weniger die verzweifelte Mobilisierung aller Kräfte als eine Erprobung „ethischen Sozialismus“. Deutschland sei schließlich „kein Frankreich, das seine Söhne auf die Schlachtbank führt“. Die erbetene Verwendung als Feldprediger oder Militärseelsorger, mit der er als Armeeangehöriger gezählt hätte, schlug die Musterungsbehörde jedoch mit Hinweis auf seine fehlende Eignung als Reserveoffizier aus. Scheel wurde lediglich für eine zivil-militärische Betätigung geeignet befunden, weshalb ihm die Betreuung des Stadtpfarramtes an der Eberhardskirche in Tübingen und gleichzeitig die Seelsorge in zwei örtlichen Reservelazaretten übertragen wurde364. Diesen neuen Dienstpflichten widmete sich Scheel allem Anschein nach nicht mit allzu großer Sorgfalt. Der einzige hauptamtliche Lazarettseelsorger in Tübingen bat ein Dreivierteljahr später um die Bestellung eines zweiten Geistlichen ohne weitere Obliegenheiten und führte dafür gegenüber seinen Vorgesetzten als Begründung an, Scheels seelsorgerische Arbeit lasse sowohl in der Eberhardsgemeinde als auch bei den Reservelazaretten zu wünschen übrig365. Die mangelnde Motivation, pastoralen Verpflichtungen nachzukommen, ging wahrscheinlich auf Scheels Unzufriedenheit zurück, mit geistlicher Fürsorge in der Etappe nicht die Aufgabe zugeteilt bekommen zu haben, die er sich bei seiner Musterung als Verwendung vorgestellt hatte. Während er einerseits versuchte, mit Verweis auf universitäre Aufgaben die Betreuung der Eberhardsgemeinde oder der Reservelazarette abzugeben, bot er sich andererseits für die Abhaltung von theologischen Ferienkursen und

361 Vgl. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 8. 2. 1915 und 20.9.15 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 362 Vgl. Schreiben Scheels an Paul Siebeck vom 16. 9. 1915 (VMS T bingen, Karton 366). 363 Schreiben Scheels an Paul Siebeck vom 26. 9. 1915 (Ebd.). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 364 Vgl. Korrespondenz des Evangelischen Konsistoriums Stuttgart mit dem Ministerium des Kirchen- und Schulwesens und Scheel vom Oktober und November 1915 (LkAS Stuttgart, A 127 S 89, Nr. 1–8). 365 Vgl. Schreiben des Lazarettgeistlichen Faber an das Evangelische Dekanatsamt Tübingen vom 7. 6. 1916 und 5. 7. 1916 (LkAS Stuttgart, A 26, Nr. 873).

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Feldgottesdiensten der Armeeabteilung von Strantz in deren Verfügungsraum an der Westfront an366. Trotz der Querelen um seine Amtsführung mit dem Charlottenkreuz für Verwundetenpflege ausgezeichnet367, wechselte Scheel im Oktober 1916 zum Kriegspresseamt in die Reichshauptstadt. Möglicherweise warb Oskar Siebeck, der dort seit Ende 1915 tätig war, für seinen Tübinger Freund. Die Berliner Zensurbehörde jedenfalls forderte Scheel mit der Begründung an, er gelte intern als Experte für die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in Dänemark368. Dementsprechend fand er in der Auslandsabteilung Verwendung, wo er die dänische Presse auszuwerten hatte. Anstatt wie erhofft direkt dem großen Hauptquartier zuarbeiten zu dürfen, erschöpfte sich seine Tätigkeit darin, seinen unmittelbaren Vorgesetzten Referate über Tageszeitungen in Dänemark halten zu müssen. Der Dienst in Berlin blieb daher Episode, und Scheel kehrte, mit den Arbeitsbedingungen sichtlich unzufrieden, noch vor Ende des Jahres nach Tübingen zurück369. Hier war inzwischen die Stelle eines zweiten hauptamtlichen Lazarettgeistlichen ausgelobt worden, die er ungeachtet aller vorherigen Ärgernisse schon deshalb gerne übernommen haben dürfte, weil er dadurch den dienstlichen Status eines Militärpfarrers bekam und offiziell als Armeeangehöriger galt370. Zusätzliche Attraktivität erhielt die vormals ungeliebte seelsorgerische Aufgabe durch die Möglichkeit, den Lazarettdienst in Tübingen mit Betreuungsaufgaben an der Front zu verbinden. Noch vor Jahresende konnte Scheel den seinerzeit abgesagten Besuch bei der Armeeabteilung von Strantz nachholen, und bis Kriegsende reiste er noch mehrfach zu verschiedenen Frontabschnitten im Westen, um dort Feldgottesdienste zu feiern, Erbauungsreden zu halten und theologische Kurse anzubieten371. Obwohl diese Aufenthalte an der Front maximal 14 Tage dauerten, die Scheel in Anbetracht seiner Aufgaben weder mit der Waffe in der Hand noch in den vordersten Schützengräben verbrachte, stellte er in seiner Korrespondenz das Erleben unmittelbaren Kriegsgeschehens deutlich heraus. Gegenüber von Schubert erschienen ihm vor allem dramatische Momente berichtenswert, etwa wie er „bis in Gewehrschußweite“372 des Gegners gekommen oder unter 366 Vgl. Schreiben Scheels an das Evangelische Konsistorium Stuttgart vom 2. 8. 1916, 24. 8. 1916 und 29. 8. 1916 (LkAS Stuttgart, A 127 S 89, Nr. 9–11). 367 Vgl. Personalbogen Otto Scheels (UAT T bingen, 126, Nr. 573). 368 Vgl. Creutz, Pressepolitik, 102–112; Knappenberger-Jans, Verlagspolitik, 26; und Schreiben des Kriegspresseamts an das Ministerium des Kirchen- und Schulwesens vom 21. 9. 1916 (UAT T bingen, 126, Nr. 573). 369 Vgl. Schreiben Scheels an Friedrich Loofs vom 7. 1. 1917 (UBH Halle, Yi 19, IX, S 2745). 370 Vgl. Schreiben der Evangelischen Feldpropstei an das Württembergische Kriegsministerium vom 28. 12. 1916 (LkAS Stuttgart, A 26, Nr. 873). 371 Vgl. Schreiben Scheels an die Evangelische Feldpropstei vom 15. 1. 1917 (LkAS Stuttgart, A 26, Nr. 873); und Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 27. 12. 1917 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 372 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 10. 1. 1917 (Ebd.).

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Granatfeuer geraten sei. Bezeichnenderweise charakterisierte Scheel diese drastischen Grenzerfahrungen keineswegs als Bedrohungsmomente, sondern zeigte sich – zumindest im Nachhinein – dankbar für „tiefe Eindrücke“373 und „lebendige Anschauungen“, die er gewonnen habe. Auch an anderer Stelle verwies er auf seine punktuellen Frontaufenthalte in einer Art und Weise, die von Selbstinszenierung nicht frei war. So meldete er sich beispielsweise von einer Sitzung des VRG per Feldpostkarte ab, auf der er vermerkte, er sei „durch Kriegsdienst verhindert“374. Der Tübinger Philosophischen Fakultät stellte er den Dankesgruß für seine Ehrenpromotion zum Lutherjubiläum 1917 in derselben Form zu und entschuldigte seine späte Reaktion auf die Ehrung damit, man habe ihn „ins Feld gerufen“375. Ungeachtet des Stolzes auf das zur Schau getragene Fronterlebnis kam Scheel nicht umhin, in der zweiten Kriegshälfte eine Reihe von Krisenzeichen festzustellen. Dies betraf erstens die militärische Stärke des deutschen Heeres. Schon auf dem Höhepunkt des Kampfes an der Somme und um Verdun hatte er befürchtet, es könne die Kraft für einen starken Gegenangriff fehlen, und nach dem Ende dieser beiden Materialschlachten stand für ihn fest, Deutschland werde bis zu seinem Tode unter den erlittenen Verlusten leiden376. Zweitens machten sich an der ,Heimatfront‘ die Folgen der anhaltenden Seeblockade bemerkbar. Hatte Scheel Anfang 1915 noch an deren Wirkungslosigkeit geglaubt, beschlich ihn zwei Jahre später die Angst, Deutschland könne womöglich wirtschaftlich nicht mehr so lange aushalten, bis der uneingeschränkte U-Boot-Krieg England zu einem Frieden zwinge. Insbesondere die schwierige Ernährungslage traf Scheels Familie direkt. Wegen der unzureichenden Verpflegung erholte sich seine Frau nur schleppend von mehreren Erkrankungen, und möglicherweise erlag sein Bruder Hermann aus demselben Grund einem schweren Organleiden377. Neben den eigenen militärischen Verlusten und der defizitären Lebensmittelversorgung machte Scheel drittens die Verlässlichkeit der Bündnispartner des Deutschen Reiches zu schaffen. Weder auf Österreich-Ungarn noch auf das Osmanische Reich glaubte er große Hoffnungen setzten zu können, zumal ohnehin beide auf deutsche Waffenhilfe angewiesen waren. So befand sich Deutschland nach Scheels Ansicht spätestens ab 1917 nicht zuletzt deswegen in einer überaus schwierigen Lage, weil „in Österreich fast alles drunter und drüber geht und die Türkei scheints [sic!] ganz matt geworden ist“378. 373 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 9. 3. 1917 (Ebd.). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 374 Postkarte Scheels an den VRG vom 24. 6. 1917 (AVRG Mainz, Karton 3.2). 375 Postkarte Scheels an die Philosophische Fakultät der Universität Tübingen vom 3. 12. 1917 (UAT T bingen, 131, Nr. 67b, Nr. 8). 376 Vgl. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 10. 7. 1916 und 10. 1. 1917 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 377 Vgl. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 9. 3. 1917 und 11. 9. 1917 (Ebd.). 378 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 8. 7. 1917 (AVRG Mainz, Karton 3.2).

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Einen Verständigungsfrieden mit den Kriegsgegnern hielt Scheel trotzdem für keinen gangbaren Weg. Dies zeigte sich nach dem Sturz des russischen Zaren, mit dem die Möglichkeit eines schnellen Separatfriedens an der Ostfront im Raum stand. Wie kurz nach Kriegsausbruch zog Scheel die Aussicht auf massive territoriale Gewinne einem schnellen Friedensschluss vor und unterschrieb eine Denkschrift seines Österberg-Bekannten Haller, welche die „Befreiung der ehemals deutschen Ostseeprovinzen vom russischen Joch“379 und ihre „Wiedervereinigung mit dem Deutschen Reiche“ zur Vorbedingung eines Friedens deklarierte. Von der Notwendigkeit überzeugt, Deutschland müsse bis zur Erzwingung eines Siegfriedens weiterkämpfen, stand er zudem der Friedensresolution des Reichstages vom Sommer 1917 mit fassungslosem Entsetzen gegenüber. Scheels Ansicht nach hatten die zustimmenden Parlamentarier „in Wochen gewaltigster Spannungen das Ansehen der Reichsregierung erschüttert“380 und mit der Idee eines annexions- und entschädigungslosen Friedens ein Programm beworben, welches gleichbedeutend damit sei, „daß wir auf eine Zukunft verzichten wollen“. Es bleibe daher nur zu hoffen, so Scheel, dass „wir stark genug sind – im Inneren wie an den Fronten – der bösen Formel zu wehren“. Angesichts dieses vernichtenden Urteils konnte es wenig überraschen, seinen Namen unter einer neuerlichen Erklärung Hallers zu finden, die sich explizit gegen die Friedensresolution richtete381. Noch zu Beginn der letzten deutschen Großoffensive an der Westfront im Frühjahr 1918 hoffte Scheel auf einen entscheidenden militärischen Sieg, der es Berlin ermöglichen würde, die Friedensbedingungen zu diktieren. Im April 1918 rief er in einer persönlichen Zeitungsannonce zur Zeichnung der VIII. Kriegsanleihe mit der Begründung auf, es gelte „Deutschland den allgemeinen Frieden und die Weltgeltung zu erkämpfen“382. Erst nach Zusammenbruch der Westfront und dem damit verbundenen allgemeinen Rückzug kam er zu der Überzeugung, dass auch mit eisernem Durchhaltewillen der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei383.

379 Denkschrift an den Reichskanzler vom März 1917 samt Unterschriftenliste (BArch Koblenz, N 1035, Nr. 3). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Zur Denkschrift siehe Demm, Rußland, 301. 380 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 8. 7. 1917 (AVRG Mainz, Karton 3.2). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 381 Vgl. „Erklärung gegen die Reichstagsmehrheit“, in: Tägliche Rundschau, 6. 10. 1917; Paletschek, Hochschullehrer, 88 f. 382 „Stadt und Amt“, in: TüC, 12. 4. 1918. 383 Vgl. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 9. 10. 1918 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St).

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2.3.2. Theologisches Forschungsfeld Da Scheel nach Beginn der Kampfhandlungen außer gelegentlichen Auftritten als öffentlicher Redner zunächst keine unmittelbar kriegsrelevante Verwendung zukam, fand er sich zunächst damit ab, „daß auch bürgerliche Arbeit in Kriegszeiten ein Dienst am Vaterland ist“384. Dementsprechend konzentrierte er sich neben Rednertätigkeit auf Fertigstellung seines Lutherbuches, wozu nach Kriegsausbruch nicht zuletzt deswegen besonders viel Zeit zur Verfügung stand, weil bereits im ersten Kriegssemester 75 % der Studentenschaft der Eberhard-Karls-Universität Militärdienst leisteten. Im weiteren Verlauf des Krieges stieg dieser Anteil auf fast 90 % an, womit die Tübinger Quote der Studenten im Fronteinsatz die höchste im ganzen Deutschen Reich war385. Scheel wusste die sich daraus ergebenden Freiräume für seine Forschungsarbeit wohl zu nutzen und konnte bis Ende des Jahres mit einem fertigen Manuskript für einen ersten Band aufwarten. Das Werk reichte jedoch nicht, wie ursprünglich vorgesehen, bis 1512, sondern endete bereits mit Luthers Eintritt ins Kloster 1505. Dies erwies sich als erster Stolperstein für eine schnelle Veröffentlichung, da Paul Siebeck mit der Drucklegung nicht vor Fertigstellung des Skripts für den Folgeband mit den fehlenden sieben Klosterjahren beginnen wollte. Wie er Baumgarten mitteilte, befürchtete er, vielleicht in schlechter Erinnerung an das gescheiterte Projekt Dogmatiklehrbuch und die Querelen um die RGG, Scheel könne ihm den zweiten Band schuldig bleiben386. Dessen Enttäuschung über die Hinhaltetaktik des mit ihm eng befreundeten Verlegers war so groß, dass von Schubert für ihn beim VRG sondierte, ob der Verein im Falle des endgültigen Scheiterns der Verlagsverhandlungen das Werk in seine eigene Schriftenreihe aufnehmen könne387. Der Redaktionsausschuss erklärte sich mit dem Anliegen wohl nicht zuletzt deshalb einverstanden, weil zeitgleich Theodor Brieger, Mitbegründer und -herausgeber der Zeitschrift für Kirchengeschichte (ZKG), Scheels Aufnahme in den Vorstand des VRG anregte mit dem Hinweis, Letzterer habe sich „unter allen Jüngeren […] um Luther am meisten verdient gemacht“388. Auch diese Eingabe fand Zustimmung, so dass Scheel einige Monate später seinem Mentor von Schubert in das Leitungsgremium nachfolgte389. Von dem alternativen Publikationsangebot brauchte Scheel indes keinen 384 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 30. 8. 1914 (Ebd.). 385 Vgl. Schmid, Studentenschaft, 8. 386 Vgl. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 27. 12. 1914 und 23. 1. 1915 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 387 Vgl. Protokoll der Sitzung des Redaktionsausschusses vom 19.3.15 (AVRG Mainz, Karton 1.4) 388 Schreiben Theodor Briegers an Gustav Kawerau vom 18. 3. 1915 (Ebd.). 389 Vgl. Protokoll der Generalversammlung vom 24. 9. 1915 (Ebd.).; Protokoll der Vorstandssitzung vom 19. 3. 1915 (AVRG Mainz, Karton 2.7).

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Gebrauch zu machen, da Paul Siebeck gegen das Versprechen, möglichst bald das Manuskript für den zweiten Band zu bekommen, mit dem Druck begann. Dieser Lösung erwuchs ein weiteres Hindernis durch Scheels Nachmusterung und der folgenden Indienststellung, die es ihm unmöglich machte, in dem bisherigen Umfang sowohl an den Korrekturen der Druckfahnen des ersten Bandes wie auch dem Manuskript des zweiten zu arbeiten390. Von dieser Mehrfachbelastung machte Scheel die Publikation von Band eins nur kurze Zeit frei. Entgegen Siebecks Befürchtungen, es seien „zu viele ,sichere Abnehmer‘ weggeschossen“391, verkauften sich die 1.500 Exemplare so schnell, dass eine Neuauflage notwendig wurde und Scheel wieder parallel an beiden Bänden arbeiten musste. Verlag und Autor gelang es nur mit knapper Not, noch rechtzeitig zum 400-jährigen Reformationsjubiläum kurz nach der Zweitauflage von Band eins ebenfalls den Folgeband in den Buchhandel zu geben392. Nicht nur mit Blick auf die ursprüngliche Planung aus den Vorkriegsjahren, sondern auch hinsichtlich der Modalitäten ihrer Fertigstellung handelte es sich bei den beiden Bänden somit de facto um ein zusammenhängendes Werk. Scheel teilte demgemäß seinen Lesern im zweiten Band mit, er habe das gleiche „Verfahren“393 wie im ersten angewandt, weil beide zueinander gehörten. Kennzeichnend für dieses Verfahren war erstens, dass Scheel nicht beabsichtigte, eine auf Aspekte religiösen beziehungsweise theologischen Denkens beschränkte Untersuchung zum jungen Luther vorzulegen, sondern darüber hinaus „in die Welt des heranwachsenden Martin Luther einzuführen und festzustellen, was sie ihm mitgab.“394 Statt einer strikt dogmengeschichtlichen Fokussierung auf Luthers Theologie galt seine Aufmerksamkeit „auch dem Leben des werdenden Reformators in der Welt, in der zu wirken, und im Rahmen der Einrichtungen, die zu reformieren und neu zu gestalten seine Aufgabe wurde“395. Was Scheel des Weiteren mit den pathetischen Worten beschrieb, man müsse „den seelischen Kämpfer auf dem Schauplatz seiner Tage sehen“, lief somit auf einen biographischen Ansatz hinaus, der Luthers Lebenswelt und deren vielfältigen Einflüssen auf seine Entwicklung einen hohen Stellenwert einräumte. Der Autor erweiterte deshalb sein Untersuchungsmaterial über die Selbstzeugnisse des Reformators hinaus durch eine Vielzahl kontextueller Quellen, die bis dato von der Forschung weitestgehend außer Acht gelassen worden waren. Hierzu zählten selbst so unkonventionelle 390 Vgl. Verlagsvertrag für Luther I vom 14. 6. 1915 sowie Schreiben Paul Scheels an Siebeck vom 18. 9. 1915 und 15. 11. 1915 (VMS T bingen, Karton 366). 391 Schreiben Paul Siebecks an Otto Scheel vom 17. 11. 1915 (Ebd.). 392 Vgl. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 16. 9. 1917 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St); und Schreiben Scheels an den Verlag J.C.B. Mohr vom 19. 8. 1917 und 19. 10. 1917 (VMS T bingen, Karton 379). 393 Scheel, Luther, Bd. 2 (1917), III. 394 Scheel, Luther, Bd. 1 (1916), V. 395 Scheel, Luther, Bd. 2 (1917), IV. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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Materialien wie Stadtpläne, zu deren Beschaffung Scheel erheblichen Aufwand betrieb396. Die biographischen Standards seiner Zeit, denen zufolge man die Gedankenwelt des Protagonisten und seine gestalterischen Kräfte oftmals losgelöst von externen Bedingungsfaktoren zu betrachten pflegte, ließ er damit ein gutes Stück hinter sich. Zudem stand mit der erklärten Absicht, nach dem zu suchen, was Luther ,mitgegeben‘ worden war, die Frage nach den katholischen Erbteilen des Reformators im Raum. Dies brachte bereits der Untertitel des Werkes „Vom Katholizismus zur Reformation“ deutlich zum Ausdruck. Signum von Scheels Vorgehensweise war zweitens, dass er unter dem Eindruck seiner früheren Forschungsergebnisse außerordentlich starke Vorbehalte gegenüber dem bisherigen Umgang mit den zur Verfügung stehenden Quellen formulierte. Deren Überprüfung sei gerade für die frühen Jahre Luthers „kaum oder nur schüchtern“397 erfolgt, das „Vertrauen zum Wortlaut der alten Texte […] merkwürdig groß“ gewesen. Dies galt seiner Ansicht nach sowohl für die Selbstzeugnisse Luthers als auch für dessen früheste Lebensbeschreibungen, die Scheel nur in Anführungszeichen als Biographien bezeichnete, welche eine Reihe von „Legenden“ in die Welt gesetzt hätten. Da die jüngere Forschung somit in doppelter Hinsicht bei der Zuverlässigkeitsprüfung ihrer Quellen versagt zu haben schien, fällte Scheel gleich auf der ersten Seite der Einleitung das klare Urteil, eine „allen wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Biographie Luthers“ besäße man bisher nicht. Bestenfalls sei es zu „einigen kritischen Anläufen“ gekommen, nie jedoch zu einer „zusammenhängenden und durchgreifenden kritischen Verarbeitung des Stoffes“. Hieraus ergaben sich für Scheel praktische Folgen hinsichtlich der Ausrichtung seines Werkes. Da er sicher war, seine potentiellen Quellen nicht „ohne kritische Erörterungen unbedenklich und mit der Sicherheit des Selbstverständlichen“398 verwenden zu können und auch den Befunden der Literatur misstraute, verbot sich für ihn eine „bloß und kurz erzählende Darstellung von selbst“. Scheel wollte sich nicht mit einer „schlichten, gleichmäßig fortschreitenden Erzählung“399 begnügen, die an bisherige Ergebnisse anschloss, sondern seine Studie des frühen Lebensweges von Luther vielmehr auf einer umfassenden Überprüfung sowohl der Quellen als auch der bisherigen Darstellungen gründen. Welche zentrale Bedeutung er dieser Generalinventur beimaß, verdeutlichte der Autor mit der programmatischen Erklärung, man müsse „Schutt wegräumen und Wege neu aushauen“. Für Scheels Vorhaben war drittens kennzeichnend, dass er ähnlich wie in 396 Vgl. Schreiben Scheels an Hans Lietzmann vom 5. 12. 1920 (IfNTT M nster, NL Hans Lietzmann). 397 Scheel, Luther, Bd. 1 (1916), V. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 398 Scheel, Luther, Bd. 2 (1917), III. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 399 Scheel, Luther, Bd. 1 (1916), VI. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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seinen bisherigen Lutherarbeiten von vornherein ausschloss, eine systematische Erforschung des Werdegangs des Wittenberger Reformators könne negative Auswirkungen auf das Luther-Bild der Nachwelt haben. Dies zeigte sich besonders deutlich bei seinen einführenden Bemerkungen zu den lutherischen Selbstzeugnissen, deren Begutachtung er keinesfalls beiseite geschoben sehen wollte, da er selbst beklagte, man habe ihre Zuverlässigkeit nicht ausreichend geprüft. Gleichzeitig gab er jedoch der Überzeugung Ausdruck, „die Persönlichkeit des Reformators“400 werde dadurch nur gewinnen. Zum „Fabulator“ konnte in seinen Augen nicht Luther werden, sondern nur „der grimme Kritiker seiner Person und seines Werks“. Wie Scheel diesen methodisch-theoretischen Dreischritt praktisch umsetzte, verdeutlicht besonders instruktiv das erste Unterkapitel des zweiten Bandes, welches sich unter dem Titel „Probejahr und Profeß“ Luthers frühester Klosterzeit bis zur Ablegung des Ordensgelübdes widmet. Anstatt beim bisherigen Forschungsstand oder etwaigen Selbstaussagen des Reformators anzusetzen, zog Scheel die Konstitutionen der Augustiner-Eremiten heran, um losgelöst von der Person Luthers die Rahmenbedingungen des Lebens als Novize zu eruieren. Anhand der Regularien des Ordens stellte er das hohe Maß an Disziplin und Kontrolle heraus, mit denen sich jeder Neuankömmling nach dem Übertritt ins Kloster konfrontiert sah. Der Anschaulichkeit halber zeichnete er den Ablauf eines Klostertages mit allen Obliegenheiten eines Novizen nach. Dieser kontextuelle Befund diente Scheel als Korrektiv bei der anschließenden Überprüfung der widersprüchlichen Theorien über Luthers frühes Klosterleben, der er sich in dem Unterkapitel vornehmlich widmete401. Konfessioneller Schwarzweißmalerei erteilte er dabei eine deutliche Absage. So verwarf er das von der katholischen Lutherpolemik seit dem 16. Jahrhundert entwickelte und zuletzt von Denifle wie Grisar bediente Klischee, Luther sei im Kloster als notorischer Querulant mit gestörter Psyche aufgefallen. Scheel argumentierte, gemäß den Konstitutionen wäre ein so veranlagter Kandidat nie zur Profess zugelassen worden402. Ebenso hart ging er mit lang gepflegten protestantischen Überzeugungen ins Gericht. Hierzu gehörte unter anderem die über Jahrhunderte immer wieder aufgegriffene Erzählung, derzufolge die vom wahren Christentum abgekommenen Ordensbrüder dem Neuankömmling jegliches Studium der Bibel unmöglich gemacht und ihn schikaniert hätten. Ebenso wie gegen das negative katholische Psychogramm des Reformators führte Scheel auch hier die Regularien der Augustinereremiten ins Feld, die eine ausgiebige Lektüre der Heiligen Schrift und umfangreiche seelsorgerische Betreuung der Neuankömmlinge ausdrücklich vorschrieben403. 400 401 402 403

Scheel, Luther, Bd. 2 (1917), IV. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Vgl. ebd., 1–4, 17–22. Vgl. ebd., 7. Vgl. ebd., 9 f., 20.

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Neben jener indirekten Beweisführung mit Hilfe von Kontextquellen rückte Scheel bei der Auseinandersetzung mit den immer wieder als Legenden abgestempelten Sensationsgeschichten systematisch die Frage methodischer Zuverlässigkeit ihrer Urheber in den Mittelpunkt. Dies bedingte vornehmlich ein Urteil hinsichtlich der Tischreden Luthers, weil Autoren beider konfessionellen Lager sich oftmals auf Belegstellen aus diesen beriefen. Scheels Ankündigung, eine genaue Kontrolle jener Verweise werde nicht zum Nachteil Luthers ausfallen, wurde bei seiner Überprüfung voll eingelöst. Dies gelang ihm in erster Linie, weil es sich bei den Tischreden um die überlieferungstechnisch schwierigste Tranche lutherischer Hinterlassenschaften handelt404. Wo immer auf Letztere zur Untermauerung von sensationellen Geschichten aus der Novizenzeit zurückgegriffen wurde, stellte Scheel den genuin lutherischen Ursprung der Worte beziehungsweise deren Interpretation in Frage. Die von Scheel gescholtenen Biographen hatten sich nach seiner Lesart folglich entweder nicht auf ,echte‘ Lutherzitate berufen und damit einer „reichlich flüchtigen Beobachtung der Überlieferung“405 schuldig gemacht, oder Luthers Worte waren von ihnen dahingehend verfälscht worden, dass sie „Andeutungen des Reformators vergröberten und ihre Fantasie spielen ließen“. An Luther selbst konnte bei diesem Vorgehen schwerlich der Vorwurf hängenbleiben, er habe die Nachwelt gezielt zu täuschen versucht. Im Ergebnis vermochte Scheel mit diesem Verfahren sämtliche dramatischen Erzählungen katholischer wie protestantischer Provenienz über die Novizenzeit des Reformators als falsch darzustellen, ohne dass Letzterer dabei selbst in die Schusslinie geriet. Im Vergleich dazu leistete er über die Beleuchtung von Luthers Umfeld hinaus jedoch verhältnismäßig wenig Aufbauarbeit in dem Sinne, dass er mit seinen Ausführungen neue Erkenntnisse zu Tage förderte. Was er in seinen einleitenden Worten nicht ohne Emphase als ,neuen Weg‘ beschrieben hatte, den es durch Wegräumen des ,Schutts‘ älterer Darstellungen ,auszuhauen‘ galt, war daher eine gänzlich unspektakuläre monastische Probezeit, an deren Ende ein viel versprechender Novize zu seiner großen Freude als vollwertiges Mitglied in die ihn treu umsorgende Kongregation aufgenommen wurde406. Wenn Luther in Scheels Darstellung ohne jedwede Außergewöhnlichkeiten Eingang in die Ordensgemeinschaft fand, entsprach dies ganz und gar dem Bild, welches er im vorangegangenen Band vom Werdegang des Reformators gezeichnet hatte. Hier war die Neigung zur Entdramatisierung von dessen Lebenslauf ebenfalls nicht zu übersehen. Von den Mansfelder Kindertagen, in denen Luther eine „normale und kirchlich korrekte, dem Ungewöhnlichen fernbleibende Entwicklung“407 genommen habe, bis zum Studium an der 404 405 406 407

Vgl. Beyer, Tischreden, 347 f. Scheel, Luther, Bd. 2 (1917), 9. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Vgl. ebd., 28. Scheel, Luther, Bd. 1 (1916), 25.

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Erfurter Artistenfakultät, währenddessen „die ,Kirchlichkeit‘ des Studenten Luther weniger problematisch als selbstverständlich“408 gewesen sei, schrieb Scheel alle negativen wie positiven Normabweichungen aus dem Leben Luthers heraus, dem dadurch die Rolle eines unspektakulären Durchschnittskatholiken zufiel. Der Gang ins Kloster erfolgte demnach ohne jede Vorankündigung „wider das eigne [sic!] Erwarten“409, weshalb das letzte Kapitel des ersten Bandes die Überschrift „Die Katastrophe“ trug. Scheels Luther hatte somit auf dem in der Titulatur seines Werkes beschriebenen Weg vom Katholizismus zur Reformation bis zu seiner Aufnahme in den Orden der Augustiner-Eremiten noch keinen entscheidenden Schritt getan. Erst in den Einwänden von Hans Luther anlässlich der Primiz seines Sohnes im Jahre 1507 sah Scheel einen „Stachel“410, der Luthers Vertrauen in die Gnade Gottes ins Wanken brachte und damit „die Axt an die Wurzel des alten Gottesgedankens“411 legte. Ungeachtet dessen bemühte Scheel sich im Folgenden nach Kräften herauszustellen, Luther sei weiterhin treuer Gefolgsmann sowohl seines Ordens als auch der katholischen Kirche geblieben und seine sonstige Entwicklung ebenfalls vollkommen normal verlaufen. Er habe deshalb „ohne Reformprogramm im schlichten mönchischen Gehorsam“412 die Bibelprofessur in Wittenberg übernommen, wo ihm im Winter oder Frühjahr 1513 schließlich gelungen sei, „die Frucht [zu] pflücken, die im unermüdlichen Ringen […] herangereift war“413. Welche Folgen die neue Sicht auf Röm. 1,17 für sein Verhältnis zur Amtskirche haben sollte, habe der Reformator jedoch zu diesem Zeitpunkt noch in keinster Weise absehen können, da er immer noch der Überzeugung gewesen sei, die Grenzen der rechten katholischen Lehre nicht überschritten zu haben414. Die zweibändige Lutherstudie war folglich nicht nur ein quellengesättigter historiographischer Vernichtungsschlag gegen die uferlose Legendenbildung um den Reformator, sondern gleichzeitig ein vehementes Plädoyer für dessen ,Verkettung‘ mit dem Mittelalter, wie Scheel es seinerzeit bereits als Privatdozent ausgedrückt hatte. Was er ebenfalls seit den Kieler Tagen stets betonte, nämlich dass der akribische Nachweis von Luthers Verwurzelung im Katholizismus der Größe seiner Leistung keinerlei Abbruch tat, kam dabei klar zum Ausdruck. So bezeichnete er das reformatorische Durchbruchserlebnis als nicht weniger denn „die Stunde, die über ihn und die abendländische Geschichte entschied“415. Scheel untermauerte somit hinsichtlich Luthers his408 409 410 411 412 413 414

Ebd., 217. Ebd., 235. Scheel, Luther, Bd. 2 (1917), 58. Ebd., 154. Ebd., 318. Ebd., 321. Vgl. ebd., 330. Zum heutigen Stand der Diskussion um den reformatorischen Durchbruch siehe Lohse, Luther, 169–174. 415 Scheel, Luther, Bd. 2 (1917), 321.

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torischer Stellung seine bisherigen Positionen und tat auch im Kollegenkreis kund, er sei durch die Arbeiten am Lutherbuch „fester denn je überzeugt, dass Luthers Anschauung von der iustitia dei den Katholizismus in jeder Form, auch in der augustinischen, zerbrochen hat“416. Von der zur Schicksalsstunde des Abendlandes erhobenen reformatorischen Entdeckung Parallelen zur Dramatik der gegenwärtigen Situation zu ziehen, suchte Scheel nach Kräften zu vermeiden. Explizite Stellungnahmen zum Kriegsgeschehen fanden sich nur in den Vorworten seines Werkes, nicht jedoch im Hauptteil, wo Signalwörter wie ,Krieg‘, ,deutsch‘ und ,national‘ fast nirgends auftauchten. Nur an einer einzigen Stelle, im Zusammenhang mit Luthers Romreise, nahm Scheel zu möglichen nationalen Empfindungen Luthers aufgrund der Fremdheitserfahrungen in Italien Stellung, und dies eher mit Skepsis. Zwar war er sich sicher, der Reformator habe „Gegensätze deutschen und italienischen Wesens“417 empfunden, doch deutete er dies nicht als Zeichen ausgeprägter nationaler Identität. „Ein nationales Bewusstsein im eigentlichen Sinne“, so urteilte Scheel über das Ergebnis der Romreise, „wurde noch nicht geweckt“. Innerhalb der Vorworte räumte er der Kriegslage ebenfalls keine allzu prominente Stellung ein und beschränkte seine Kommentare auf einen Absatz hinter den akademischen Danksagungen, wobei er in der Neuauflage des ersten Bandes auch darauf verzichtete418. Die somit quantitativ sehr begrenzten Referenzen zeichneten sich durch eine merkliche Diskrepanz zwischen Scheels persönlichen Stellungnahmen und seinen Deutungsangeboten hinsichtlich des lutherischen Erbes aus. Wie mit Blick auf Scheels eisernen Durchhaltewillen nicht anders zu erwarten, nahm er für sich und seine Landsleute im Vorwort des ersten Bandes in Anspruch, man stehe „fester und willensstärker denn je zu unserem Volk und Reich“419 und nehme „in herbem Stolz und gehaltener Freude […] Leid und Glück dieser Monate hin“. Nicht minder entschlossen klang die trotzig-pathetische Ankündigung im Folgeband, man feiere das Reformationsjubiläum 1917 „geschützt durch den feldgrauen Wall unseres starken, erprobten Heeres und durch die Kraft unserer kühnen jungen Flotte“420. Ungeachtet der eigenen Loyalitätsbekundungen erteilte Scheel einer Nationalisierung der Feierlichkeit in dem Werk jedoch eine Absage. Schon bei der Abfassung des ersten Vorwortes hatte er der Befürchtung Ausdruck gegeben, der Kriegsausbruch habe den Protestantismus gespalten und werde die 400-Jahrfeier des Thesenanschlags beeinträchtigen. Ein mögliches Ausbleiben von Jubelfeiern im Lager der Kriegsgegner empfand er als großes Defizit, wolle 416 417 418 419 420

Schreiben Scheels an Friedrich Loofs vom 12. 9. 1917 (UBH Halle, Yi 19, IX, S 2746). Scheel, Luther, Bd. 2 (1917), 296. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Vgl. Scheel, Luther, Bd. 1 (1917), VI–VIII. Scheel, Luther, Bd. 1 (1916), VIII. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Scheel, Luther, Bd. 2 (1917), V.

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man doch an die „übernationalen und überweltlichen Güter erinnern, die uns durch Martin Luther beschert wurden.“421 An dem Grundsatz, mit dem Reformationsjubiläum keinen nationalen Feiertag begehen zu wollen, hatte sich auch bis zur Niederschrift des Vorworts von Band zwei nichts geändert. Zwar stellte er hier eine Analogie zwischen konfessionellen und nationalen Bekenntnissen her, indem er den Verzicht auf größere Lutherfeiern in Frankreich und Großbritannien mit dem Hinweis kommentierte, es seien „Glassplitter des Chauvinismus […] dem französischen und angelsächsischen Protestantismus ins Auge gedrungen“422. Davon abgesehen betonte er aber weiterhin den ,übernationalen‘ Charakter des Jubiläums der Reformation, „die keine nationalen Schranken kennt und das Evangelium des Apostels der Heiden allen Völkern erkämpft hat.“423 Unmittelbarer Anlass zu jenen klaren Worten dürfte die Jubiläumsliteratur des Jahres 1917 gewesen sein, deren markantestes Signum die nationalistische Vereinnahmung sowohl Luthers als auch der Reformation darstellte. Vielen, wenn auch nicht allen Autoren war in dem Bemühen, der Erinnerung an die Ereignisse von 1517 einen auf die Kriegsgegenwart bezogenen Anstrich zu geben, deren religiös-theologische Dimension zu einem Gutteil verlorengegangen424. Scheel war sich dessen bei der Fertigstellung seiner Lutherbände durchaus bewusst. Bereits im Frühjahr 1917 hatte er im ersten Abschnitt einer mehrteiligen Rezension der Jubiläumsliteratur festgestellt, Letztere lasse viel stärker als zu früheren runden Jahrestagen „starke nationale Klänge hören“425. Lobenswert erschienen ihm vor allem die Werke jener Autoren, die sich diesem Trend nicht angeschlossen hatten. Als „schöne Gabe“426 bezeichnete er etwa die Jubiläumsmonographie Martin Rades, dem er zu Gute hielt, er habe die nationale Dimension „geflissentlich zurückgedrängt“427 und stattdessen „den religiösen Charakter des Reformators scharf herausarbeitet“. Eine Publikation des Evangelischen Bundes lobte er in ganz ähnlicher Weise dafür, dass sie „den Lesern zur Besinnung darauf helfen will, daß sie nicht nur Deutsche, sondern evangelische Deutsche sind“428. Wenig Vorteilhaftes vermochte Scheel hingegen an den Werken jener Autoren zu finden, die Luther vornehmlich als deutschen Nationalhelden zeichneten. An ihnen bemängelte er, „der deutsche, lachende, singende, dreinschlagende Held“429 werde „auf Kosten des Büßers und Reformators gefeiert“. Auch den verschiedentlich 421 422 423 424 425 426 427 428 429

Scheel, Luther, Bd. 1 (1916), VII. Scheel, Luther, Bd. 2 (1917), V. Ebd., VI. Vgl. Albrecht, Kriegstheologie, 488–492; Basse, Geschichtsverständnis, 57–66; Greschat, Reformationsjubiläum, 421–424; und Maron, Luther, 190. Scheel, Reformationsjubiläum, 8.4, 167. Scheel, Reformationsjubiläum, 8.9, 419. Ebd., 420. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Ebd., 421. Scheel, Reformationsjubiläum, 8.10, 467. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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unternommenen Versuchen, Luthers Werk mit einer vorgeblich germanischen Abstammung in Verbindung zu bringen, erteilte er eine klare Absage. Scheel hielt den Verfechtern jener Theorie vor, der Boden, auf dem sie sich bewegten, sei „schwankend“430, denn sie verbänden „Rasse und Religion zu eng miteinander“. Bei genauer Hinsicht stellte Scheel das vermeintlich deutsche Wesen von Luther und Reformation jedoch nicht so strikt in Abrede, wie dies auf den ersten Blick der Fall zu sein schien. Trotz der harschen Kritik am nationalen Pathos eines erheblichen Teils der Jubiläumsliteratur und der augenfälligen Zurückhaltung in seinen Lutherbänden betonte er in der Einleitung des ersten Teils der Sammelrezension ausdrücklich, es sei „ganz gewiß sachlich berechtigt“431, vom „deutschen Luther“ zu sprechen, ihn gar als „Deutschlands Nationalheros“ zu würdigen. Wie er weiter ausführte, hielt er diesen Darstellungsmodus in Anbetracht der 400-Jahrfeier lediglich für wenig angebracht, weil es zur Betonung der „weltgeschichtlichen Wirkung und Stellung der Persönlichkeit des Reformators“432 gerade in Anbetracht der „äußeren Beschränkung“ des Krieges nicht opportun sei, „die nationalen Beziehungen und Leistungen […] so augenfällig in den Vordergrund zu rücken“. Scheels Widerspruch gegen eine allzu starke Betonung des mutmaßlich Deutschen an Reformator und Reformation war folglich weniger eine Frage prinzipieller Überzeugung als situativer Strategie, weil schrille nationale Töne dem vermeintlichen Lutherboykott im Lager der Kriegsgegner in die Hände zu spielen drohten. Welche Schwierigkeiten es ihm selbst bereitete, die nationale Dimension aus seinen Publikationen herauszuhalten und Luther ,von den Kämpfen der Gegenwart abzurücken‘, wie er es als Privatdozent einst selbst gefordert hatte, belegt ein Zeitungsartikel, in dem er unmittelbar vor dem Reformationstag für ein breiteres Publikum über die Bedeutung Luthers und der Reformation schrieb. Hier sprach Scheel von der „deutschen Reformation“433 als einer Leistung des „deutschen Reformators“ und machte vor allem Calvinisten und Anglikaner für das Ausbleiben von Reformationsfeierlichkeiten in Frankreich und Großbritannien verantwortlich. Mit der Betonung des vermeintlich deutschen Charakters und der Konstruktion einer Dichotomie ,calvinistischwestlich‘ versus ,lutherisch-deutsch‘ setzte Scheel hier genau jene Akzente, die er sowohl in seiner Lutherbiographie weitestgehend vermieden als auch in der Sammelrezension verschiedentlich verurteilt hatte. Es erscheint daher nicht unproblematisch, ihn allzu entschieden den wenigen Stimmen der Mäßigung im Reformationsjubiläum des Kriegsjahres 1917 zuzurechnen434. 430 431 432 433 434

Scheel, Reformationsjubiläum, 8.12, 560. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Scheel, Reformationsjubiläum, 8.4, 167. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Ebd., 168. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Scheel, Bedeutung (1917). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. So geschehen bei Albrecht, Kriegstheologie, 492; Kupisch, Landeskirchen, 97, 121; und Maron, Luther, 204 f.

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Für die Aufnahme seiner Lutherbiographie im akademischen Umfeld erwies es sich in jedem Fall als Vorteil, dass Scheel nationale Vereinnahmungen aus dem Werk herausgehalten und statt mit Pathos durch akribische Quellenarbeit zu bestechen versucht hatte. Selbst Otto Baumgarten, der als entschiedener Gegner eines Siegfriedens mit seinem Schüler politisch uneins war und einem radikal nationalisierten Lutherbild schwerlich uneingeschränkt zugestimmt hätte, konnte mit „großer Genugtuung“435 Scheels Werk studieren. Bereits nach Erscheinen des ersten Bandes teilte eine ganze Reihe gewichtiger Rezensenten Baumgartens positiven Eindruck. Der Herausgeber der ZKG, Bernhard Bess, schrieb von einer „epochemachenden Lutherbiographie“436. Ernst Troeltsch sprach in der HZ von einem „wirklichen großen Fortschritt in der Erforschung der Reformation“437, und der renommierte Lutherbiograph und VRG-Vorsitzende Gustav Kawerau attestierte dem Werk in der ThLZ, eine „die Lutherforschung […] auf Schritt und Tritt fördernde Arbeit“438 zu sein. In diesen und praktisch allen weiteren Besprechungen der beiden Bände hoben die Kritiker vor allem zwei Punkte hervor. Erstens lobten sie Scheels Ansatz einer breiten Kontextualisierung, mit dem es ihm gelungen sei, das Umfeld des Reformators en detail zu durchleuchten. Scheel hatte nach ihrer Meinung nicht nur ein Bild „der persönlichen, häuslichen und sozialen Verhältnisse, in welchen Luther aufgewachsen ist, sondern […] eine umfassende Schilderung deutschen Bildungswesens am Ausgang des Mittelalters“439 gegeben und dadurch Luther „in einem von keiner Seite bisher erreichten Maße in das Klosterleben und die Theologie seiner Zeit hineingestellt und verständlich gemacht“440. Als Verdienst stellten die Rezensenten zweitens die kritische Durchsicht der mannigfaltigen Lutherlegenden heraus. Ihrer Ansicht nach war es Scheel gelungen, seit dem 16. Jahrhundert kursierende Sensationsgeschichten protestantischen wie katholischen Ursprungs zu falsifizieren und so „die schon früh üppig ins Kraut geschossene Lutherlegende mit fester Hand zu entwurzeln“441. Da er in diesem Zuge Grisars und Denifles Lutherpolemik ins Visier genommen hatte, schien es nach Publikation des zweiten Bandes möglich festzuhalten, dass „endgültig der Bann gebrochen ist, der seit Denifles Luther immer noch auf der protestantischen Forschung lag“442. Wie hoch es Scheel angerechnet wurde, pünktlich zum 400-jährigen Reformationsjubiläum den schärfsten Kritikern Luthers mit einer Biographie 435 Baumgarten, Chronik (1916), 36. Zu Baumgartens Engagement für einen Frieden der Verständigung vgl. Brakelmann, Krieg; und Bassi, Baumgarten. 436 Bess, Rezension (1916), 585. 437 Troeltsch, Rezension, 304. 438 Kawerau, Rezension, 252. 439 Baur, Rezension, 704. 440 Titius, Rezension, 411. 441 Bess, Rezension (1918), 524. 442 Friedensburg, Neuerscheinungen, 118.

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entgegengetreten zu sein, lässt sich nicht nur aus den Rezensionen seines Werks ablesen. Den besonderen Dank, den man Scheel dafür schuldig zu sein glaubte, „in wissenschaftlichem Gewand auftretenden Verunglimpfungen Luthers von katholischer Seite“443 begegnet zu sein, führte auch der Dekan der Philosophischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen in seinem Vorschlag an, Scheel anlässlich der Feierstunde zum Reformationstag die philosophische Ehrendoktorwürde zu verleihen. Die Auszeichnung galt daher, wie in dem Diplom zu lesen stand, „dem warmherzigen und unparteiischen Darsteller von Luthers Leben“444. Mit der Fertigstellung des zweiten Bandes war die Studie gemäß den ursprünglichen Vorkriegsplanungen eigentlich abgeschlossen, da Scheel seinerzeit angekündigt hatte, lediglich die frühen Lebensabschnitte Luthers bis zum Jahr 1512 erforschen zu wollen. Wegen des großen akademischen wie buchhändlerischen Erfolges von Band eins stellte er seinen Lesern jedoch bereits im Vorwort des Folgebandes in Aussicht, sich in einem dritten Band der Entwicklung Luthers „von der Reformation zum Protestantismus“ und in einem vierten und letzten dessen Lebensende zuzuwenden445. Nicht nur der Absatz von fast 1.800 Exemplaren des zweiten Bandes in weniger als drei Monaten446 ließen diesen Plan vielversprechend erscheinen, sondern auch die positiven Reaktionen der Fachwelt auf die Ankündigung, es werde zwei weitere Lutherbände aus Scheels Feder geben. So wurde 1918 in einer Rezension des zweiten Bandes der Wunsch ausgesprochen, es möge „ein baldiger Friede den Verf. in den Stand setzen, zur Ausführung dieses Vorhabens zu schreiten“447. Das Kriegsende ließ nach Veröffentlichung der Besprechung zwar in der Tat nicht mehr lange auf sich warten. Dessen Folgen sollten jedoch entgegen der Hoffnungen des Rezensenten für Scheels weiteres Engagement in der Lutherforschung gänzlich andere sein.

443 Schreiben des Dekans der Philosophischen Fakultät der Universität Tübingen an die Fakultätsmitglieder vom 15. 10. 1917 (UAT T bingen, 131, Nr. 67b). 444 Ausfertigung des Ehrendiploms (UAT T bingen, 132, Nr. 62–1917,2). 445 Vgl. Scheel, Luther, Bd. 2 (1917), V. 446 Vgl. Absatzaufstellung der Erstauflage des zweiten Lutherbandes vom 28. 7. 1927 (VMS T bingen, Karton 431). 447 Friedensburg, Neuerscheinungen, 119.

3. Positionswechsel in der Weimarer Republik 3.1. Vom Kirchen- zum Landeshistoriker 3.1.1. Kriegsende, Weimar und Versailles Da Scheel sich bis Sommer 1918 der Hoffnung hingegeben hatte, es könne trotz diverser Krisenzeichen bei Anspannung aller Kräfte doch noch ein Siegfrieden erzwungen werden, traf ihn im Herbst die Erkenntnis umso härter, dass eine deutsche Kriegsniederlage unmittelbar bevorstand. Zu lange zu siegesgewiss, klagte er über „Wochen furchtbarster Spannungen und bedrohlichster Aussichten“1. „Bismarcks Werk“ sah er außen- wie innenpolitisch „vollständig zertrümmert“, wie auch dem „blödesten Auge“ deutlich sein müsse. „Infernalischer Haß der Feinde“ und „schwere Gärung unter den Massen“ ließen ihn gar daran zweifeln, ob „über dem letzten Kapitel des Weltkrieges nicht bloß die Überschrift: Finis Germaniae“ stehe, oder „die letzten Tage der Apokalypse angebrochen wären“. Entsprechend diesen Untergangsvisionen wählte er das Thema für den Vortrag, den er am 6. November in der Tübinger Stiftskirche hielt. Scheel referierte über „Die nationale Not und die Gerechtigkeit Gottes“2. Während drei Tage später in Berlin mit Ausrufung der Republik das Kaiserreich unterging, erlebte Stuttgart zeitgleich das Ende der württembergischen Monarchie. Ebenso wie in der Reichshauptstadt vollzog sich hier der Machttransfer vom alten Regime auf die Übergangsgewalten in relativ geordneten Formen3. Was auf die Hauptstadt Württembergs zutraf, galt erst recht für das beschauliche Tübingen. In der Kleinstadt am Neckar bildete sich auf Anweisung aus Stuttgart am 10. November ein Soldatenrat, zu dessen weiterer Instruktion tags darauf ein Vertreter der provisorischen Regierung aus Stuttgart anreiste. Der Emissär schwor den Rat auf Gehorsam gegenüber Reichskanzler Ebert ein und beraumte zur Vermeidung jedweder Konfrontation mit den Spitzen der alten Ordnung eine gemeinsame Sitzung der Soldatenvertreter mit Bürgermeister und Stadtverordneten an. Ebenso wie die anschließende Volksversammlung verlief diese Unterredung, wie die Lokalzeitung zu berichten wusste, „in größter Ruhe und Ordnung“4. In den 1 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 31. 10. 1918 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 2 „Vorträge in der Stiftskirche“, in: TüC, 6. 11. 1918. 3 Vgl. Sauer, Württemberg, 74–77. 4 „Soldaten- und Arbeiter-Rat in Tübingen“, in: TüC, 12. 11. 1918.

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folgenden Tagen und Wochen tat der Soldatenrat seinen Teil, diesen Zustand zu erhalten. Die Uniformierten sahen beispielsweise von harten Strafen gegen Plünderer ab, die am Tübinger Güterbahnhof versuchten, Heereseigentum von Zügen zu stehlen, und wiesen auf Wunsch der Bürgerschaft Soldaten anderer Truppenteile aus der Stadt, die sich als Agitatoren betätigt hatten5. Scheels düstere Erwartungen aus den Wochen unmittelbar vor der politischen Wende und dem Waffenstillstand hellten sich dadurch nicht auf. Was sich im Tübinger Lokalblatt las wie das Protokoll eines friedlich geregelten Machttransfers, in dessen Folge der Soldatenrat die Stadt mit ruhiger Hand zu regieren suchte, kam aus Scheels Perspektive dem Zusammenbruch öffentlicher Ordnung gleich. In seiner Privatkorrespondenz schrieb er mit Erschütterung, es würden „bis in den frühen Morgen Orgien gefeiert, trotz Polizeistunde und Not des Vaterlandes“6. Ein positiveres Bild von der Lage nach der Machtübergabe an den örtlichen Soldatenrat war von Scheel kaum zu erwarten, galt ihm die Bildung eines Soldatenrates doch als klarer Beleg, die Truppen seien „zuchtlos“7 und die Kasernen „Lotterstuben“8 geworden. Die Situation auf Reichsebene sah Scheel nicht weniger negativ. Auch den Berliner Arbeiter- und Soldatenräten sprach er jegliche Legitimität ab mit dem verächtlichen Kommentar, das neue Regierungssystem sei eine „Diktatur der Soldaten und Arbeiter“9. Was für ihn am schwersten wog war indes nicht, dass die Räte aus seiner Perspektive die Macht usurpierten und bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung versagten. Als schlimmste Folge der neuen Machtverhältnisse galt ihm der Umschwung hin zu einer vermeintlich radikal sozialistischen Politik, welche „die internationale Phrase jedem Nationalgefühl überordnet und so systematisch das nationale Element zerreibt“10. Diese scheinbar planmäßige Unterminierung des nationalen Zusammenhaltes durch den linken Flügel im politischen Spektrum empfand Scheel als solche Schmach, dass er von Schubert anvertraute, er beneide jeden, „der die Augen hat schließen dürfen, ehe er Deutschland durch die Feinde und das eigene Volk zertrümmert werden sah“11. In die Verteufelung der neuen politisch Verantwortlichen zu Totengräbern des Deutschen Reiches, die sich nahtlos an seinen Zorn über die Friedensresolution von 1917 anschloss, mischten sich antisemitische Stereotype. So schrieb Scheel hinsichtlich eines möglichen kommunistischen Umsturzes, 5 Vgl. „Der Soldatenrat gibt bekannt“, in: TüC, 13. 11. 1918; und „Aufruf an Eltern, Erzieher und Lehrmeister“, in: TüC, 22. 11. 1918. 6 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 4. 12. 1918 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 7 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 15. 11. 1918 (Ebd.). 8 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 8. 1. 1919 (Ebd.). 9 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 15. 11. 1918 (AVRG Mainz, Karton 3.2). 10 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 11. 12. 1918 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 11 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 3. 12. 1918 (Ebd.).

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Deutschland werde „der Übergang zum jüdischen und roten Internationalismus“12 zugemutet. Mit Blick auf die Verhältnisse in Württemberg führte er die vorgeblich desaströse Bildungspolitik darauf zurück, der neue Kultusminister, Berthold Heymann, sei Jude13. Noch bis Anfang der 1920er Jahre zeigte sich Scheel überzeugt, Menschen jüdischen Glaubens gehörten zu den maßgeblichen Unterstützern und Profiteuren des Untergangs des Kaiserreiches. Einen geplanten Familienurlaub sagte er deshalb mit der Begründung ab, er habe Nachricht erhalten, am Zielort hielten sich „Revolutionsgewinnler und Schieber, Juden und Judengenossen“14 auf. Kurz danach verschwanden die antisemitischen Tiraden aus seiner Korrespondenz genauso unvermittelt, wie sie Ende 1918 dort Eingang gefunden hatten. Nicht nur dies deutet darauf hin, dass Wut und Entsetzen über die Folgen der Kriegsniederlage wenn nicht einzige Ursache, so doch wichtiger Katalysator jener drastischen Ausbrüche waren, denen Scheel nur im Privaten, nie jedoch im öffentlichem Raum Ausdruck verlieh. Auch eine andere Episode spricht dagegen, von Scheel das Bild eines entschiedenen Antisemiten zu zeichnen. Im Folgejahr auf den abgesagten Urlaub verurteilte er einen Brief des völkischen Schutz- und Trutzbundes Flensburg wegen dessen scharfer antijüdischer Kommentare als „trauriges Dokument deutschen politischen Unverstandes“15. So schwierig sich die Einordnung der antisemitischen Ausfälle aus den unmittelbaren Nachkriegsjahren gestaltet, so leicht fällt es, die Linie von radikal antibolschewistischem Denken zu dementsprechendem aktiven Handeln zu ziehen. Von einem geradezu pathologischen Hass der Linken gegen das ,nationale Element‘ überzeugt, sagte Scheel hinsichtlich der weiteren politischen Entwicklung voraus, im Falle einer längeren Regierung der Sozialisten werde es eine „deutsche Freiheit“16 nicht mehr geben und das Land binnen Monaten „wirtschaftlich und politisch tot sein“. Für ihn stand daher fest, das Bürgertum müsse sich „ohne Parteidifferenzen“17 zusammentun, um in den Wahlen zur Nationalversammlung einen Sieg der radikalen Linken mit vereinten Kräften zu verhindern. Jedwede Differenzen sollten „vor der Grundfrage verschwinden, ob wir einen Staat wollen mit demokratischer Verfassung, liberalem Wirtschaftsrecht und sozialer Verpflichtung, oder die 12 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 15. 11. 1918 (Ebd.). 13 Vgl. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 12. 12. 1918. Zur Person Heymanns vgl. Raberg, Biographisches Handbuch, 353 f. 14 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 27. 4. 1921 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 15 Schreiben Scheels an Johannes Schmidt-Wodder vom 9. 7. 1922 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 71). 16 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 11. 12. 1918 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 17 Ebd., Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 15. 11. 1918 (Ebd.). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort.

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sozialistisch-kommunistische Republik“. Letzterer räumte er zu seinem Leidwesen vor allem deswegen große Erfolgschancen ein, weil durch die Vergabe des Wahlrechts an die „Unmündigen von 20 zu 25 Jahren“ auch jene stimmberechtigt seien, die „nichts zu verlieren haben und darum allen Experimenten zugänglich sind“. Scheel zog aus dieser seiner Ansicht nach denkbar ungünstigen Konstellation den Schluss, er müsse selbst tätig werden. Von Schubert teilte er noch im November mit, er werde sich „in den nächsten Wochen und Monaten […] in die Politik stürzen“. Den ersten Schritt hierzu tat er mit dem Engagement im Tübinger Bürgerrat, der auf Initiative der Fortschrittlichen Volkspartei nur wenige Tage nach dem örtlichen Soldatenrat gebildet wurde18. Scheel gehörte zu den 16 Mitgliedern des Gremiums, dessen Hauptaufgabe nach der programmatischen Erklärung auf dessen konstituierender Sitzung darin bestehen sollte, „Kontrollorgan in allen die bürgerl. Interessen betreffenden Fragen“19 zu sein. Worin diese bestanden, teilte der Bürgerrat den Einwohnern der Stadt in einem Aufruf mit, der eindringlich vor den Gefahren des Bolschewismus warnte und die möglichst rasche Einberufung einer Nationalversammlung forderte20. Entsprechend jener Agenda wollte das Gremium vor allem gegenüber dem Soldatenrat als Kontrollinstanz dienen, was den aufbegehrenden Uniformierten nicht verborgen blieb. Bereits Anfang Dezember entsandte der Soldatenrat einen Vertreter zur Sitzung des Bürgerrates, um dort eine eindringliche „Warnung vor dem alten Geist“21 vorzubringen, wie im Protokollbuch festgehalten. Scheel und seine Mitstreiter ließen sich von derlei Einwänden nicht beirren. In geschlossener Runde hielten sie ausdrücklich fest, was mit Zeitungsaufrufen gegen den Bolschewismus und für die Nationalversammlung nur indirekt zum Ausdruck kam. Der Bürgerrat sollte weiterarbeiten, „bis eine geordnete Regierung die Räte alle überflüssig macht“, um dadurch „die Interessen der Bürgerschaft gegen Gewalttaten des A[rbeiter].R[ates]. u[nd]. S[oldaten].R[ates]. zu schützen“. Das Gremium stellte seine Sitzungen daher erst im März 1919 ein, nachdem die Gefahr einer kommunistischen Räterepublik mit den Ergebnissen der Wahlen zu den verfassungsgebenden Versammlungen sowohl auf Reichsebene wie auch in Württemberg gebannt schien. Parallel zur Arbeit im Bürgerrat beteiligte sich Scheel im Vorfeld dieser Wahlen an der Werbung für das bürgerlich-liberale Lager, indem er vor dem Urnengang zur Beschickung der württembergischen verfassungsgebenden Landesversammlung das Wort für die DDP ergriff. Scheel ließ seinen Namen 18 19 20 21

Vgl. „Bürgerversammlung“, in: TüC, 14. 11. 1918 „Lustnau“, in: TüC, 23. 11. 1918 Vgl. „Mitbürger, Soldaten!“, in: TüC, 23. 11. 1918. Protokollbuch des Bürgerrats, Protokoll der Sitzung vom 9. 12. 1918 (StATÜ, A 150, Nr. 266). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort.

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zusammen mit denen anderer prominenter Unterstützer unter die Wahlaufrufe für die neu gegründete Partei setzen und hielt eine ganze Reihe von Wahlkampfreden22. Dabei habe er, wie er im Privaten mitteilte, „die Front nur gegen links genommen, d. h. gegen Sozialisten aller Schattierungen“23. Dem Erfolg dieses Engagements spielte in die Hände, dass Tübingen als Universitätsstadt ohne nennenswerte Industrie traditionell eine liberale Hochburg und schwieriges Terrain für die Linke war. So konnte sich die DDP und mit ihr Scheel am Ende des Wahltages über einen Stimmenanteil von fast 40 % in der Kleinstadt am Neckar freuen24. Als drittes zentrales Betätigungsfeld engagierte sich Scheel in Fragen der Hochschulpolitik. Ebenso wie die meisten seiner Standeskollegen war er Ende 1918 fest überzeugt, das Universitätswesen habe von den neuen Regierenden nichts Gutes zu erwarten. Seiner Ansicht nach plante das neu besetzte Kultusressort in Stuttgart, die bestehende Universitätsverfassung vollkommen umzugestalten und in diesem Zuge neben der Beseitigung der theologischen Fakultäten eine massive Beschneidung der akademischen Selbstverwaltung durchzusetzen. Mit Blick auf die Zukunft orakelte er deshalb, in der Universität werde demnächst „jeder Arbeitersekretär als Universitätsprofessor auftreten können“25, und sie solle „zu einer sozialdemokratischen Rednerschule gemacht werden“. Für die Sicherung der theologischen Fakultäten setzte sich Scheel sowohl inner- als auch außeruniversitär ein. Dem Großen Senat der Eberhard-KarlsUniversität arbeitete er zu, indem er eine Denkschrift zum Erhalt der theologischen Fakultäten verfasste, mit der das Leitungsgremium beim zuständigen Ministerium um Bestandsschutz warb. Es entbehrte nicht einer bitteren Ironie, dass in Reaktion auf die Eingabe ausgerechnet jener Kultusminister Heymann der Tübinger Universität seine volle Rückendeckung zusagte, der zuvor Zielscheibe von Scheels antisemitischen Ausfällen geworden war26. Den Erhalt der theologischen Fakultäten bewarb bis zu jener Zusicherung ebenfalls der Evangelisch-volkskirchliche Ausschuß, welcher im Dezember 1918 ins Leben gerufen worden war, um im Zuge der anstehenden Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche Letztere durch Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen. Dessen Arbeit förderte Scheel ebenfalls, unter anderem durch 22 Vgl. „Geistige Arbeiter“, in: TüC, 10. 1. 1919. 23 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 12. 1. 1919 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 24 Vgl. Biastoch, Studenten, 20; und Schmid, Studentenschaft, 38. 25 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 12. 12. 1918 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 26 Vgl. „Der Große Senat der Universität“, in: TüC, 14. 2. 1919; Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 8. 1. 1919 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St); und Protokollbuch des Großen Senats, Protokolle der Sitzungen vom 23. 1. 1919, 1. 2. 1919 und 27. 2. 1919 (UAT T bingen, 47, Nr. 39). Die Universität Tübingen besaß seit einer Reform ihrer Verfassung im Jahr 1912 zur Vereinfachung der Verwaltungsabläufe einen Großen und einen Kleinen Senat, siehe Paletschek, Erfindung, 175–177.

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Eintritt in den Vorstand, abermalige Rednertätigkeit und Kandidatur bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Landeskirchenversammlung27. Scheel arbeitete jedoch nicht nur gezielt daran, die befürchtete Umgestaltung der Eberhard-Karls-Universität zur linken Kaderschmiede zur verhindern, sondern bemühte sich gleichzeitig darum, im universitären Umfeld für den entschiedenen Kampf gegen die politische Linke zu werben. Dabei lief er offene Türen ein, weil in Tübingen ebenso wie an anderen Universitätsstandorten die Vorbehalte gegen sozialistische beziehungsweise kommunistische Ideen sowohl auf Seiten Studierender wie auch Lehrender erheblich waren28. Dies zeigte sich im April 1919, als Scheel im Bericht über eine Versammlung der Vertreter sämtlicher deutscher Universitäten in Berlin darum bat, den in der Hauptstadt gefassten Beschluss zu bestätigen, die Studentenschaft „gegen die Anarchie des Bolschewismus zu den Waffen zu rufen“29. Neben den Studierenden sagte gleichfalls der Rektor der Eberhard-KarlsUniversität hierfür Unterstützung zu, und so rückten in den folgenden Tagen 350 Tübinger Studenten zur Bekämpfung der Münchener Räterepublik aus. Zwar hatte die Versammlung in Berlin ebenso wie die in Tübingen erklärt, mit dem Kampf gegen den Bolschewismus gehe keine prinzipielle Opposition gegenüber dem neuen Staatswesen einher, doch entgegen dieser Verlautbarung hingen gerade im akademischen Umfeld Antikommunismus und Republikferne oftmals eng zusammen. Hiervon legten die Begleitumstände der Gründung des Verbandes deutscher Hochschulen (VDH) Anfang 1920 Zeugnis ab, der Scheel ebenso wie dem Berliner Treffen als Vertreter der Eberhard-Karls-Universität beiwohnte30. Der erste Vorsitzende der universitären Interessenvertretung, Rudolf Schenck, beklagte gleich in seiner Antrittsrede, die „stetigen unparteiischen Gewalten des alten Staates“31 seien durch „Parteiherrschaft“ ersetzt, auf deren „Auswüchse“ geschlossen zu reagieren wichtige Aufgabe der neu gegründeten Dachorganisation sein müsse. Damit wies er dem Verband ganz offen eine Kontrollfunktion gegenüber der als unzuverlässig gescholtenen Weimarer Republik zu. Dem VDH ist daher attestiert worden, „nicht in einem positiven Sinne republiktragend“32 gewesen zu sein. Wie sich herausstellte, bereitete die von Anfang an reaktionäre Pro27 Vgl. „Der Evangelisch-volkskirchliche Ausschuß“, in: TüC, 8. 1. 1919; „Evangelisch-volkskirchlicher Ausschuß“, in: TüC 18. 12. 1918; „Reusten“, in: TüC, 26. 4. 1919; und Niederschrift des Bezirkswahlausschusses I über die Wahlen zur Landeskirchenversammlung vom 4. 6. 1919 (LkAS Stuttgart, A 26, Nr. 356). 28 Vgl. Langewiesche, Eberhard-Karls-Universität, 358–375; und Schmid, Studentenschaft, 63. Eine knappe Zusammenfassung des politischen Klimas an den deutschen Universitäten der Zwischenkriegszeit bietet Gr ttner, Universitäten, 67–72. 29 „Universität“, in: TüC, 16. 4. 1919. 30 Vgl. Oberdçrfer, Verband, 70 f.; und Protokollbuch des Großen Senats, Protokolle der Sitzungen vom 20. 12. 1919 und 31. 1. 1920 (UAT T bingen, 47, Nr. 39). 31 Verband der deutschen Hochschulen, Hauptergebnisse, 25 f. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 32 Bauer, Geschichte, 18.

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grammatik Scheel keinerlei Unbehagen. Er engagierte sich im Anschluss an den Gründungsakt in einer Reihe von Ausschüssen, unter anderem zu Schulsowie Wirtschaftsfragen, und fünf Jahre später sollte er selbst das Amt des Vorsitzenden übernehmen33. In seiner Privatkorrespondenz ging Scheel ebenfalls deutlich auf Distanz zur parlamentarischen Demokratie, deren Durchsetzung er in den unmittelbaren Nachkriegsmonaten aus Furcht vor einem kommunistischen Rätesystem noch vehement unterstützt hatte. Nachdem mit der Niederschlagung diverser kommunistischer Aufstände in der ersten Jahreshälfte 1919 und dem Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung diese Gefahr gebannt schien, zeigte sich mit aller Deutlichkeit, wie sehr für Scheel das Bekenntnis zur Republik ein notwendiges Übel gewesen war, um dem befürchteten politischgesellschaftlichen Totalumsturz von links vorzubeugen. Sein Urteil über das politische System von Weimar und deren Vertreter fiel keinen Deut positiver aus als das über die Arbeiter- und Soldatenräte oder die provisorischen Kabinette in Berlin und Stuttgart. Scheel bezeichnete die Regierenden als „Narren und Charlatane“34 und führte Klage über die „Enge und Blödigkeit der Demokratie“35, die ein politisch unmündiges Volk emanzipiert habe. Sein parteipolitisches Engagement für die DDP stellte er gänzlich ein, und als es Ende 1919 der DVP gelang, mit erheblicher Verzögerung auch in Württemberg Fuß zu fassen, tauschte Scheel umgehend das Parteibuch. Der Seitenwechsel innerhalb des liberalen Lagers war nicht nur hinsichtlich seiner politischen Präferenzen symptomatisch. Besondere Bedeutung kam ihm auch deswegen zu, weil Scheel über seine DVP-Mitgliedschaft Gustav Stresemann kennen und schätzen lernte. Trotz der Sympathien für den Vorsitzenden fand Scheels Engagement für die Partei, deren Zentralausschuss er für kurze Zeit als Vertreter Württembergs angehörte, binnen Jahresfrist nach Eintritt ein Ende36. Über den Vorsitz im Tübinger Ortsverein hinaus wollte er sich nicht mehr weiter parteipolitisch oder gar parlamentarisch betätigen, galt ihm doch die politische Bühne der zur „Stilübung von Weimar“37 herabgewürdigten Republik als „Arena der Subalternen“38. Neben mangelndem Vertrauen in die persönliche Integrität der allermeisten Weimarer Staatsmänner und die politische Mündigkeit breiterer Bevölkerungsschichten erhielt Scheels Skepsis gegenüber der jungen Republik 33 34 35 36

Vgl. Verband der deutschen Hochschulen, Organisation, 4; und ders., Mitteilungen, 107. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 26. 10. 1919 (AVRG Mainz, Karton 3.2). Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 7. 12. 1919 (Ebd.). Vgl. Anlage 2 zur Tagesordnung der Sitzung des Zentralvorstandes der DVP vom 5. 10. 1920 (BArch Berlin, R 45 II, Nr. 335); Schreiben Scheels an Hans Lietzmann vom 5. 12. 1920 (IfNTT M nster, NL Hans Lietzmann); und Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 12. 12. 1920 (AVRG Mainz, Karton 3.2). Zum späten Start der DVP in Württemberg siehe Richter, Deutsche Volkspartei 37 f.; und Sauer, Württemberg, 78. 37 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 14. 2. 1921 (AVRG Mainz, Karton 3.2). 38 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 18. 11. 1921 (Ebd.).

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weitere Nahrung dadurch, wie er die Schuld für die dramatischen Kriegsfolgen verteilte. Wie viele seiner Zeitgenossen sah auch er diese nicht als Hypothek wilhelminischer Großmachtpolitik, sondern kreidete sie der jungen Republik an. Abgesehen von der galoppierenden Inflation, die er „der Regierung eines Erzbergers und Scheidemann und wie das Gelichter alles heißt“39 anlastete, galt dies insbesondere für die außenpolitischen Konsequenzen der Kriegsniederlage. Hatte er kurz vor Kriegsende noch auf Wilsons 14 Punkte gehofft und die Idee eines Völkerbundes als „nicht ganz utopisch“40 bezeichnet, zeigte er sich nach der Abdankung Wilhelms II. und der Unterzeichnung des Waffenstillstands schnell überzeugt, die Deutschen würden „Sklaven Europas und der Welt“41 und das Ausland werde bestimmen, „ob und wie viel Butter wir aufs Brot streichen dürfen“. Bereits in jenen an Pessimismus kaum zu übertreffenden Zukunftsvisionen des ausgehenden Jahres 1918 machte Scheel neben den Kriegsgegnern nicht das alte Regime, sondern die neuen Übergangsgewalten für die erwartete außenpolitische Knebelung verantwortlich. Ebenso wie er mit Blick auf die Innenpolitik zu dem Schluss gekommen war, Arbeiterund Soldatenräte unterminierten gezielt den nationalen Zusammenhalt, bestand für ihn in außenpolitischer Hinsicht keinerlei Zweifel, dass sie mit den Feinden des Reiches paktierten. So wusste er zu berichten, es seien „in Saarbrücken die Franzosen als Befreier von den A[rbeiter] u[nd] S[oldaten] Räten begrüßt“ worden, und Letztere hätten ebenfalls Gebiete im Osten des Reiches „den Polen ausgeliefert“. Die Bekanntgabe der Friedensbedingungen von Versailles erwies sich als wenig geeignet, Scheels Schreckensvorstellungen abzumildern. Im Einklang mit der allgemeinen Hysterie jener Tage stand für ihn nach Unterzeichnung fest, Deutschland werde „in den nächsten hundert und mehr Jahren nichts bedeuten“42 und „lediglich Helot Europas“ sein. Hierfür gab Scheel, abgesehen von den Siegermächten, abermals den amtierenden Regierungsvertretern die Schuld, nicht ihren Vorgängern aus der Kaiserzeit. Obwohl ihm einerseits die Situation so aussichtslos erschien, dass auch „der sog. starke Mann, nach dem viele Ausschau halten,“43 gegen den vorgeblichen Diktatfrieden kaum etwas hätte unternehmen können, war er andererseits trotzdem überzeugt, zu nachgiebiges Auftreten der ersten Weimarer Politiker mache die Lage noch schlimmer. Walther Rathenau etwa bezeichnete er wegen seiner Verhand-

39 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 25. 12. 1919 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 40 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 31. 10. 1918 (Ebd.). 41 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 3. 12. 1918 (Ebd.). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Zu Wilsons 14 Punkten vgl. Waechter, Vierzehn Punkte, 949–951. 42 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 7. 12. 1919 (AVRG Mainz, Karton 3.2). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 43 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 28. 7. 1921 (Ebd.).

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lungsstrategie über die Reparationsleistungen als den „Charlatan Rathenau“44. Falls aus dessen Unterhandlungen mit den Siegermächten etwas Positives für Deutschland herauskomme, geschehe dies nicht wegen, sondern trotz Rathenau, polemisierte Scheel. Wie sehr die immer größer werdende Skepsis gegenüber der Republik mit der festen Überzeugung zusammenhing, aus Berlin sei keine wirkungsvolle Unterstützung im Kampf gegen den vermeintlichen Gewaltfrieden zu erwarten, verdeutlicht ein Blick auf die Häufigkeit von Scheels Wortmeldungen zur Innen- wie Außenpolitik. Vor der Veröffentlichung der Friedensbedingungen hatte Scheel lediglich einen Aufruf des Reichverbandes der Kolonialdeutschen zur Rückgabe überseeischer Gebiete unterzeichnet und sich ansonsten dem bereits geschilderten Engagement für Bürgerrat, DDP und Universität gewidmet45. Nach Bekanntgabe der Versailler Forderungen nahm die Anzahl von Scheels Beiträgen zu außenpolitischen Angelegenheiten rasant zu, während zeitgleich seine vormalige Bejahung der Republik in Skepsis umschlug. Im öffentlichen Raum tat Scheel sich nun dadurch hervor, dass er keine Gelegenheit ausließ, in Wort und Schrift gegen den Versailler Vertrag und seine Folgeerscheinungen zu Felde zu ziehen, und dieses breit gefächerte Engagement machte ihn für den Rest seiner Tübinger Zeit zu einem der in der Öffentlichkeit präsentesten Professoren46. Als Grundmotiv bediente sich Scheel in der übergroßen Mehrheit seiner Beiträge einer ausgesprochenen Schwarzweißmalerei zwischen Schuldlosigkeit auf deutscher und perfider Brutalität auf alliierter Seite. Schon in seiner ersten öffentlichen Rede gegen die Annahme des Versailler Vertrages stellte er heraus, Deutschland sei mit falschen Versprechungen auf einen moderaten Frieden in Einklang mit den 14 Punkten Wilsons „schmählich getäuscht“47 und „schamlos betrogen“ worden. Der alliierte Forderungskatalog galt ihm als „das raffinierte, grausame, teuflische, satanische Dokument, das Deutschlands Ende besiegeln soll“. Die Annahme des Versailler Vertrages bedeutete für ihn „nichts geringeres, als die Unterzeichnung unseres Todesurteils“. Wegen der geographischen Nähe zu Tübingen, dem Verlust Elsaß-Lothringens und dem Besatzungszustand am Rhein entwickelte sich in der Folgezeit Frankreich zum vorrangigen Ziel seiner Tiraden. Mit Blick auf die Behandlung deutscher Kriegsgefangener geißelte er französische „Barbarei und tierische Rohheit“48, und nach der Hinrichtung Schlageters beschuldigte er Paris, mit der „kalten Grausamkeit eines Sadisten“49 vorzugehen. Auf einer Pfalz- und Rheinkundgebung wiederum firmierte Frankreich als „jenes 44 45 46 47 48 49

Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 4. 12. 1921 (Ebd.). Vgl. „Aufruf!“, in: TüC, 30. 1. 1919. Vgl. Kotowski, Universität, 81. „Gegen den Gewaltfrieden“, in: TüC, 15. 5. 1919. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. „Protestversammlung gegen Misshandlung der Kriegsgefangenen“, in: TüC, 27. 2. 1920. „Schlageter“, in: TüC, 18.6.23. Zur Biographie Schlageters sowie seiner posthumen Vereinnahmung vgl. Zwicker, „Nationale Märtyrer“.

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herrschsüchtige und gewalttätige Volk im Westen, das, Gott sei’s geklagt, unser Nachbar sein muß“50. Deutschland fiel der Logik dieser Argumentation folgend die Rolle des wehrlosen Opfers zu. Dies suchte Scheel durch theatralische Umschreibungen nach Kräften zu untermalen, etwa indem er den Versailler Frieden als „Vergewaltigung einer Kultur- und Weltmacht“51 brandmarkte, die Deutschen als ein „in Sklavenketten schmachtendes Volk“52 bezeichnete und speziell die Pfälzer wegen der französischen Besatzung zum „Märtyrervolk“53 stilisierte. Die an pathetischen Wendungen nie armen Wortmeldungen Scheels zeichneten sich des Weiteren dadurch aus, mit Blick auf eine mögliche Revision der Friedensregelungen keinerlei Hoffnungen auf Berlin zu setzen. Im Einklang mit seinem Misstrauen gegenüber der Weimarer Republik stellte Scheel den Zuhörern niemals in Aussicht, staatliche Stellen würden früher oder später rettend eingreifen – im Gegenteil. Er klagte vielmehr, in Deutschland rolle eine „internationale Welle“54, welche die „national Denkenden“ zu einer Minderheit gemacht und so das politische Leben der Gegenwart „tief hinein vergiftet“ habe. Scheels Strategie im Kampf gegen Versailles beruhte nicht darauf, um breite Unterstützung etwaiger staatlicher Bemühungen zu werben, sondern er appellierte stattdessen für ein Wiederbeleben des aus seiner Sicht abhanden gekommenen „vaterländische[n] Empfinden[s]“55, weil dies „erste Voraussetzung für Deutschlands freie und große Zukunft“ sei. Nach seiner Überzeugung sollte das „Bekenntnis zu unseren nationalen Gütern […] im Dunkel der Gegenwart über den deutschen Landen leuchten“56. Dass jene ,Lande‘ keineswegs an den deutschen Grenzen der Nachkriegszeit endeten, betonte Scheel mit dem Hinweis, „nationale Arbeit“ beschränke sich „nicht mehr auf das Haus, in dem wir selbst wohnen und das wir neu einzurichten genötigt worden sind. Sie greift darüber hinaus und sammelt auch, was außerhalb des Neubaus an deutschen Männern und Frauen lebt“. Scheels Beschwörung kollektiven Deutschtums lag die Vorstellung zugrunde, in Anbetracht der Bestimmungen des Versailler Vertrages ließe sich nur aus der „Erinnerung an unsere einstige Größe […] die Kraft zum Weiterleben gewinnen“57. Dabei sollten sich seiner Ansicht nach deutsch Gesinnte „Der Pfalz- und Rheintag“, in: TüC, 3. 3. 1924. „Gegen den Gewaltfrieden“, in: TüC, 15. 5. 1919. „Elsaß-Lothringer Hilfsbund“, in: TüC, 26. 2. 1924. „Der Pfalz- und Rheintag“, in: TüC, 3. 3. 1924. „Nationaler Studentendienst“, in: TüC, 1. 7. 1919. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 55 „Vom nationalen Studentenbund“, in: TüC, 10. 6. 1920. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 56 „Die Sonnenwendfeier der Tübinger Studentenschaft“, in: TüC, 22. 6. 1920. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 57 „Gegen den Gewaltfrieden“, in: TüC, 15. 5. 1919.

50 51 52 53 54

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dies- und jenseits der Reichsgrenzen gegenseitig Hilfestellung leisten. Der Bevölkerung im Deutschen Reich fiel die Aufgabe zu, das „Auslanddeutschtum“58 so lange zu unterstützen, bis eines Tages „der entschlossene und brennende Wunsch der Wiedervereinigung alle Widerstände überwindet“. Andererseits erwartete Scheel, eine „starke Anspannung des nationalen Bewusstseins“ bei den deutsch gesinnten Minderheiten im Ausland werde „gesundend auf unser Volk in seinen engen Grenzen zurückwirken“. In Übereinstimmung mit dieser Aufgabenverteilung formulierte Scheel zeitgleich mit dem Beginn seiner öffentlichen Agitation gegen den Versailler Vertrag im Privaten, er werde sich „in den Dienst der Irredenta stellen und außerhalb der Reichsgrenzen das deutsche Nationalgefühl aufzupeitschen suchen“59. Mit Blick auf seinen biographischen Hintergrund konnte es wenig überraschen, dass er dieses Engagement auf den deutsch-dänischen Grenzraum konzentrierte. 3.1.2. Nordschleswigfrage und Kieler Berufung Bereits unmittelbar nach Kriegsende stand für Scheel fest, die nördlichen Teile Schleswig-Holsteins würden ebenso wie andere Gebiete an der Peripherie des Deutschen Reiches verloren gehen. Von nationaler Gegenwehr, Grenzkampf und entschlossenem Irredentismus war zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs die Rede. Fest davon überzeugt, in Deutschland sei die öffentliche Ordnung zusammengebrochen und das neue Regime arbeite einer systematischen Zersetzung nationalen Zusammenhalts entgegen, erschien es ihm logisch, die deutsch gesinnte Bevölkerung in den Grenzregionen werde sich gerne von Deutschland lösen60. Einmal mehr lud er damit alle Schuld für die schwierige Lage nach Ende des Krieges auf die Schultern der neuen Regierung. Neben deren Versagen sah Scheel insbesondere in Nordschleswig den Ablösungsprozess durch jenes gemeinsame germanische Erbe erleichtert, welches er bereits im Ersten Weltkrieg Deutschen und Dänen zugeschrieben und als feste Klammer jenseits des Nationalen beschworen hatte. Für Scheel bot sich gerade unter der Obhut vom „germanischen Staatswesen“61 des nördlichen Nachbarn für die deutschen Nordschleswiger eine Möglichkeit, „die geistigen Güter zu pflegen, die im alten Deutschland ihre Seelen füllten, und für die im gegenwärtigen Deutschland nicht mehr gebürgt wird“62. Etwaige vertrauliche Meldungen aus Nordschleswig über einen massiven deutschen Zulauf zur dänischen Bewegung verurteilte er daher um die Jahreswende 1918/1919 nicht 58 „Nationaler Studentendienst“, in: TüC, 1. 7. 1919. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 59 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 19. 5. 1919 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 60 Vgl. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 15. 11. 1918 (Ebd.). 61 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 1. 4. 1919 (Ebd.). 62 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 11. 12. 1918 (Ebd.).

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etwa als nationalen Verrat, sondern äußerte vielmehr Verständnis für Parteinahmen zugunsten Dänemarks. Erst nachdem sich Scheel mit Bekanntgabe der Bedingungen des Versailler Vertrages außenpolitischen Fragen zuwandte, schlug seine Meinung in Sachen Nordschleswig um. Die Versailler Bestimmungen legten mit Bezug auf Schleswig in den Artikeln 109–114 fest, im nördlichsten Teil des Herzogtums, der 1. Zone, solle en bloc über die Zugehörigkeit zu Deutschland oder Dänemark abgestimmt werden. Da hier die dänisch gesinnte Bevölkerung die deutsche zahlenmäßig um ein Mehrfaches übertraf, konnte von vornherein mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass das Plebiszit mit einem dänischen Sieg enden würde. Sehr viel unklarer war hingegen der Ausgang der Volksabstimmung in der südlich anschließenden 2. Zone, zu der Flensburg gehörte. Zwar machten in diesem Gebiet deutsch Gesinnte die erdrückende Mehrheit der Bevölkerung aus, doch anders als in der 1. Zone sollte hier gemeindeweise über die nationale Zugehörigkeit entschieden werden63. Scheel betrachtete diese Abstimmungsmodalitäten als glatten Betrug und zog bereits in seiner ersten flammenden Rede gegen den Versailler Vertrag mit der Parole ins Feld, das Selbstbestimmungsrecht der Völker diene lediglich als „moralisches Mäntelchen“64. Von der Situation in Schleswig zeichnete er seinen Zuhörern nun ein vollkommen anderes Bild als jenes, das er noch unmittelbar vorher im Privaten entworfen hatte. Mit Bezug auf mögliche Gebietsabtretungen an Dänemark war nicht mehr vom segensreichen Asyl der deutsch gesinnten Nordschleswiger im germanischen Nachbarstaat die Rede, sondern davon, dass ein „ganz deutsches Gebiet wie das Herzogtum Schleswig“ Deutschland „entrissen“ werden solle. Im Gegensatz zur öffentlichen Entrüstung und den damit verbundenen Mobilisierungsversuchen zeigte sich Scheel im Austausch mit seinen Vertrauten jedoch weiterhin überzeugt, mit Blick auf die deutschen Erfolgsaussichten in beiden Zonen sei „alles vergeblich“65. Trotz dieses pessimistischen Urteils mochte er sich nicht der aus Flensburg an ihn herangetragenen Bitte entziehen, vor den Abstimmungen nach Schleswig-Holstein zu kommen, um sich an der „,aufklärenden‘ Arbeit“ zu beteiligen. Wer genau ihn darum bat, die deutsche Propagandaarbeit zu unterstützen, hielt er nicht fest, doch es spricht einiges dafür, dass der Flensburger Oberbürgermeister, Hermann Todsen, die Rekrutierung Scheels veranlasste. Er war einer der führenden Köpfe im Deutschen Ausschuß für das Herzogtum Schleswig, der bereits Ende 1918 mit dem Ziel gegründet wurde, etwaigen Gebietsabtretungen an Dänemark entgegenzuwirken. In der Ab-

63 Vgl. Wulf, Revolution, 521–523. Der Wortlaut der Artikel 109–114 findet sich im ReichsGesetzblatt (1919), 879–888. 64 „Gegen den Gewaltfrieden“, in: TüC, 15. 5. 1919. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 65 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 25. 1. 1920 (AVRG Mainz, Karton 3.2). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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stimmungszeit bildete der Ausschuss deshalb eine der wichtigsten organisatorischen Plattformen der deutschen Bewegung in Schleswig66. Scheel reiste während der Plebiszite zweimal in den Norden. Zunächst machte er sich einige Tage vor der ersten Abstimmung auf den Weg zu seinem Geburtsort Tondern in der 1. Zone. Für seine Reiseplanung dürfte entscheidend gewesen sein, dass er den Modalitäten der Abstimmung entsprechend dort wahlberechtigt war. Rednertätigkeit und Stimmabgabe konnte er daher miteinander verbinden. Nach dem Wahltag, an dem am 10. Februar 1920 nahezu 75 % der Stimmen für Dänemark abgegeben worden waren, kehrte er nach Tübingen zurück. Dort verfasste er, wie bereits vor der Abreise versprochen, für die Tübinger Lokalzeitung einen Erlebnisbericht, um sich rechtzeitig vor der nächsten Abstimmung auf den Weg in die 2. Zone zu machen. Am Tag des dortigen Plebiszits, dem 14. März, votierten knapp über 80 % der Wahlberechtigten für einen Verbleib beim Deutschen Reich. Entsprechend diesen Abstimmungsergebnissen übernahm Dänemark im Sommer 1920 die Hoheitsgewalt über die 1. Zone, während die 2. Zone unter deutscher Verwaltung blieb67. Wie Scheel auf seinen beiden Reisen nach Schleswig für eine Stimmabgabe zugunsten Deutschlands zu werben suchte, lässt sich zu einem Gutteil aus dem Beitrag für die Tübinger Presse erschließen, der unter dem Titel „Eine Reise zur Abstimmung in der ersten Zone Nordschleswigs“ noch vor seiner zweiten Fahrt gen Norden in den Druck ging68. Einige Monate später veröffentlichte Scheel den Artikel in erweiterter Form als eigenständige Schrift69. Die Art und Weise wie er hier über seinen Aufenthalt in der 1. Zone, die dortige Abstimmung und deren Folgen schrieb, fügte sich nahtlos in seine bisherigen Angriffe gegen den Versailler Frieden ein, bestach durch eine an Einseitigkeit kaum zu übertreffende Darstellung und war von der ersten bis zur letzten Zeile überladen mit nationalistischer Pathetik. Von möglichen Auflösungserscheinungen im eigenen Lager, deretwegen Scheel noch kurz vor der Abstimmung jegliche Werbeversuche für Deutschland als vollkommen aussichtslos bezeichnet hatte, war in der Schrift keine Rede mehr. Ihr Autor wusste vielmehr zu berichten, er habe in SchleswigHolstein bereits auf dem Weg nach Tondern „tief in die Seele eines treuen Volkes“70 blicken dürfen, von dem „in wehmutsvoller Ergriffenheit und doch in ungebeugter Festigkeit“71 den zur Abstimmung Anreisenden „freundliche 66 Vgl. Lehmann, Ausschuß, 14–20, 63; Schwensen, Schleswig-Holsteiner-Bund, 43 f. 67 Vgl. „Herr Prof. Dr. Scheel“, in: TüC, 6. 2. 1920; Becker-Christensen, Mindretal, Bd. 1, 26–28; und Vosgerau / Lubowitz, Dänemark, 316. 68 Vgl. Otto Scheel: Eine Reise zur Abstimmung in der ersten Zone Nordschleswigs, in: TüC, 25. 2. 1920, 28. 2. 1920 und 1. 3. 1920. 69 Vgl. Verlagsvertrag für „Eine Reise zur Abstimmung in der ersten Zone Nordschleswigs“ vom 19. 7. 1920 (VMS T bingen, Karton 394). 70 Scheel, Reise, 6. 71 Ebd., 7. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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und tapfere Worte“ zugerufen worden seien. Was für die Bevölkerung südlich der 1. Zone galt, traf umso mehr auf die deutsch gesinnte Minorität im eigentlichen Abstimmungsgebiet zu. Dieser vermochte Scheel zu attestieren, sie hätte „warm und stark sprudelnde Bekenntnisse zum deutschen Leben“72 abgelegt, und „Gewalt des nationalen Willens“ wie „Zuversicht des nationalen Glaubens“ seien ergreifend gewesen. Die germanische Brüderschaft zwischen Deutschen und Dänen spielte nur noch insofern eine Rolle, als Dänemark sich mit dem Vorwurf konfrontiert sah, selbige verraten zu haben, weil es wegen einer möglichen Grenzrevision statt zu direkten Verhandlungen mit Deutschland in Unterredungen mit dessen „Erbfeind“73 Frankreich eingetreten sei. Dieses Bild hinterhältigen Betrugs untermalte Scheel unter anderem mit Berichten von „Machenschaften dänischer Wahlumtriebe“74, denen zufolge mit kriminellen Mitteln die für Deutschland Votierenden an der Stimmabgabe gehindert worden seien. Zudem zog er eine Linie von den Bestrebungen der sogenannten Eiderdänen im 19. Jahrhundert, die Schleswigs Danisierung anvisiert hatten75, zur gegenwärtigen Politik Kopenhagens. Scheel zufolge lebte der „alte eiderdänische Chauvinismus“76 in der Form wieder auf, dass alle Deutschen in der 1. Zone durch Zwangsmaßnahmen zu Dänen gemacht werden sollten. Dabei unterstellte er dem Nachbarland mit einer Rücksichtslosigkeit vorzugehen, wie sie zu Zeiten des Kaiserreichs von Preußen gegenüber seiner dänischen Minderheit „selbst in den schlimmsten Tagen des Oberpräsidiums Köller“77 nicht aufgebracht worden sei. Abstimmungsmodus und Grenzziehung verhöhnte Scheel als „Karikatur“78 sowie „moderne Verschleierung gewaltsamen Landerwerbs“. Das en bloc durchgeführte Plebiszit verglich er mit Blick auf die im Abstimmungsgebiet lebenden deutsch Gesinnten mit einer Vergewaltigung, in deren Ergebnis eine Grenze festgesetzt worden sei, die nur als „Zerrbild nationaler Gerechtigkeit“79 bezeichnet werden könne. Scheel spielte hier auf jene Stimmbezirke vor allem im Süden der 1. Zone an, in denen ungeachtet des klaren dänischen Gesamtsieges deutsche Mehrheiten zustande gekommen waren. Dies galt insbesondere für Tondern, wo die dänische Bewegung mit nur 23 % der Stimmen ihr zweitschlechtestes Ergebnis eingefahren hatte. Noch weniger Erfolg war ihr lediglich im direkt südlich angrenzenden Wahlbezirk beschieden, der die 72 73 74 75 76 77 78 79

Ebd., 11. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Ebd., 13. Ebd., 6. Der Fluss Eider bildet einen Teil der südlichen Begrenzung des historischen Herzogtums Schleswig. Zur dänischen ,Eiderpolitik‘ in der Mitte des 19. Jahrhunderts siehe Hansen, Demokratie, 436 f. Scheel, Reise, 15. Ebd., 23. Ebd., 13. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Ebd., 26.

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Stadt mit der bei Deutschland verbliebenen 2. Zone verband80. Dieser Sachverhalt spielte all jenen in die Hände, die von deutscher Seite gegen die neue Grenze zu polemisieren suchten. So erklärte auch Scheel, an der Abtretung Tonderns verkörpere sich „alles Unrecht der ersten Anwendung des modernen Selbstbestimmungsrechtes der Völker“81. Seine in die Form eines Reiseberichts gehüllte Agitationsschrift erschöpfte sich nicht in Vorwürfen. Ende und Ausblick bildeten vielmehr eine Kampfansage an Dänemark. Scheel zufolge hatte das Land mit der Beteiligung am „Erdrosselungsfrieden von Versailles“82 nicht nur „den Unfrieden der Versöhnung vorgezogen“83, sondern sich mit der Annexion seiner Geburtsstadt „einen Pfahl ins eigene Fleisch gebohrt“. Tonderns deutsch gesinnte Bevölkerungsmehrheit, so seine Prophezeiung, werde „den aufgezwungenen Kampf annehmen und durchhalten“84. Die Ausfälle gegen Versailles und Dänemark schlossen daher mit der unverhohlenen Drohung, man blicke von südlich der neuen Grenze auf Tonderns Einwohnerschaft als „vorgeschobenen Posten“85. Scheels danophober Revisionismus erfreute sich großer Beliebtheit. Der deutschnationalen Erbauungsliteratur der Folgejahre galt er als „Leuchterscheinung“86 und „rednerisch die glänzendste Begabung beider Zonen“, und Johannes Schmidt-Wodder, den die deutsche Minderheit in der abgetretenen 1. Zone als ihren Vertreter ins dänische Parlament wählte, suchte Scheel für weiteres Engagement zu gewinnen87. Auch die schleswig-holsteinische DVP war auf die rhetorischen Talente ihres Parteikollegen aus Württemberg aufmerksam geworden und fragte bei ihm an, ob er im Norden bei den Wahlen zum preußischen Landtag Unterstützung leisten könne88. Entgegen der Ankündigung, er werde sich den Aufgaben in Schleswig-Holstein nicht entziehen, erteilte er den Anfragen nach der Abstimmung jedoch reihenweise Absagen. Schmidt-Wodder sah sich daher bereits 1921 gezwungen, Scheel wegen seines erlahmenden Interesses an das Versprechen zu erinnern, „jedes Jahr einmal den Pfahl im Fleische Dänemarks um[zu]kehren“89. Erst im Juni 1922 hielt Scheel bei den Nordmarktagen in Flensburg seine erste Rede im Grenzgebiet seit der Abstimmung in der 2. Zone. Hierfür musste ihn der Folketing-Abgeordnete der deutschen Minderheit mit aktuellen Informatio80 81 82 83 84 85 86 87

Vgl. Fink, Sønderjylland, 23. Scheel, Reise, 32. Ebd., 12. Ebd., 32. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Ebd., 31. Ebd., 32. Thorn, Teilung, 111. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Vgl. Schreiben Scheels an Johannes Schmidt-Wodder vom 20. 9. 1920 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 135). Zur Vita Schmidt-Wodders vgl. Lubowitz, Schmidt. 88 Vgl. Schreiben Scheels an von Schubert vom 20. 11. 1920 und 14. 2. 1921 (AVRG Mainz, Karton 3.2). 89 Schreiben Johannes Schmidt-Wodders an Scheel vom 6. 10. 1921 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 71).

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nen versorgen, weil Scheel selbst zugab, er stehe „nicht in enger Fühlung mit der jüngsten Entwicklung in Nordschleswig“90. In Schleswig-Holstein waren derlei Ermüdungserscheinungen nicht sichtbar geworden. Hier trat an Stelle des 1918 gegründeten Deutschen Ausschusses der Schleswig-Holsteiner-Bund (SHB), welcher innerhalb weniger Jahre mehrere tausend Mitglieder zählte und unter dem Vorsitz des Flensburger Oberbürgermeisters publizistisch wie politisch gegen Dänemark zu Felde zog. Zudem unterstützte der preußische Staat durch Einrichtung eines 100-Millionen Fonds eine breite Palette von Maßnahmen, die in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht als förderlich in der Auseinandersetzung mit dem nördlichen Nachbarn galten91. Für die politischen Akteure stand dabei fest, nicht nur wegen der als ungerecht empfundenen Grenzziehung in Notwehr zu handeln. Was die planmäßige nationale Aufbauarbeit ebenso notwendig zu machen schien, war die feste Überzeugung, Kopenhagen sei politisch in der Offensive und versuche südlich der neuen Grenze den Anschluss weiterer Gebiete vorzubereiten. Bei der Zuteilung der 14.5 Millionen Mark aus dem 100-Millionen Fonds, die für kulturelle Zwecke vorgesehen waren, stand daher bereits bei den ersten Besprechungen Ende 1920 im Vordergrund, durch den Einsatz der Gelder „Menschen heranzubilden, die die geistige Kraft haben, dem Vordrängen des Dänentums Widerstand zu leisten“92. Der Kieler Universität wies die preußische Ministerialbürokratie im Kampf gegen den vermeintlichen „Ansturm des Dänentums“93 als potentielle „Führerin des Abwehrkampfes“ 750.000 Mark aus dem Kulturbudget des Fonds zu. Rektor Ernst Sellin hatte persönlich um Gelder für die Hochschule gebeten, als deren Vertreter er an den Flensburger Verhandlungen teilnahm. Bei den Feiern zum ersten Jahrestag der Abstimmung in der 2. Zone bekundete er öffentlich, die Christiana Albertina werde „auf der Wacht sein […] als Vorkämpferin für das Deutschtum“94. Grundsätzlicher Widerspruch gegen eine derartige Indienststellung der Hochschule stand daher nicht auf der Tagesordnung, als im April 1922 in Kiel die Beratungen darüber begannen, wie genau die der Universität zugewiesenen Grenzkampf-Fördermittel zu verwenden seien. Die Hochschulleitung konnte dabei keineswegs autonom entscheiden, wie bereits der Ort der Verhandlungen, das Oberpräsidium, verdeutlichte. Neben dem dortigen Hausherrn, dem Sozialdemokraten Heinrich Kürbis, nahmen weitere Vertreter der Provinzialregierung sowie der Bevollmächtigte Schleswig-Holsteins beim Reichsrat, Anton Schifferer, an dem Treffen teil. Abgese90 Schreiben Scheels an Johannes Schmidt-Wodder vom 23. 5. 1922 (Ebd.). 91 Vgl. Bessler-Worbs, Kulturpolitik, 82, 120–122; Lehmann, Ausschuß, 301; und Schwensen, Schleswig-Holsteiner-Bund, 77–82. 92 Aufzeichnung des Ministerialdirektors Behrendt über die Besprechung in Flensburg am 29. und 30. November [19]20, in: ADAP, Bd. IV, Nr. 63, 118. 93 Bericht des Ministeriums des Innern über die Verteilung der 14.5 Millionen Mark für kulturelle Zwecke vom 16. 1. 1921 (PAAA Berlin, R 81200). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 94 „Die Feier in Flensburg“, in: Eisenbahn-Zeitung, 15. 3. 1921.

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hen von dem Spitzenfunktionär der schleswig-holsteinischen DVP war des Weiteren der Gutsbesitzer Paul von Hedemann-Heespen zugegen, der als einer der besten Kenner schleswig-holsteinischer Landesgeschichte galt95. Eingangs stellten die Regierungsvertreter die Rolle der „Grenzuniversität“96 Kiel als „Hochburg deutscher Kultur“ besonders heraus, für die Sellins Rektornachfolger Georg Jacob aus Sorge vor den „unerschöpflichen Mitteln hinter der dänischen Propaganda“ weitere Finanzhilfen erbat. Bei der folgenden Diskussion um den universitären Beitrag warben vor allem Schifferer und Hedemann-Heespen für einen Ausbau historischer Forschung und Einrichtung eines Lehrstuhls für Landesgeschichte. Möglicherweise hatte Schifferer schon zu diesem Zeitpunkt seinen Tübinger Parteifreund als potentiellen Kandidaten im Auge, dessen Berufung er später nach Kräften unterstützte. Hedemann-Heespen suchte indes beim Oberpräsidium seinen Vertrauten Otto Brandt in Vorschlag zu bringen, der seit 1920 den universitären Lehrauftrag für Landesgeschichte bekleidete97. Die Pläne des Rektors sahen gänzlich anders aus. Er hatte bereits vor dem Treffen die Regierung der Provinz unter Verweis auf den großen Erfolg der Universitätswochen in Flensburg und Lübeck ersucht, Gelder für eine Ausweitung des Vortragswesens bereitzustellen, um der „dänischen Propaganda“98 wirkungsvoller begegnen zu können. Unmittelbar nach der Zusammenkunft im Oberpräsidium richtete er über den Universitätskurator dem preußischen Kultusministerium aus, man ziehe die Förderung von Vorträgen, Ausstellungen, Universitätswochen und Publikationen der Einrichtung neuer Professuren vor99. Bei der überaus verhaltenen Reaktion auf das von dritter Seite beworbene landeshistorische Ordinariat spielte nicht nur Uneinigkeit über die richtige Strategie im Kampf gegen die vermeintliche dänische Propaganda eine Rolle, sondern ebenfalls die Furcht der Universitätsleitung, der Einfluss Externer könne sich über Etat- auf Personalfragen ausweiten. Dies zeigte sich einige Wochen später, als dem Rektorat eine Denkschrift des Oberpräsidenten mit dem Titel „Die dänische Gefahr und ihre Abwehr“ vorgelegt wurde, in der Kürbis mit Nachdruck eine Landesgeschichtsprofessur

95 Vgl. Anwesenheitsliste der Besprechung vom 3. 4. 1922 im Oberpräsidium (LASH Schleswig, Abt. 301, Nr. 5681). 96 Niederschrift über die Besprechung betr. Bereitstellung von Mitteln zur Förderung des Deutschtums in Nordschleswig vom 3. 4. 1922 (LASH Schleswig, Abt. 309, Nr. 22917). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 97 Vgl. Schreiben Oberpräsidialrat Thons an Hedemann-Heespen vom 26. 5. 1926 (GDN DeutschNienhof, Nr. 53); und Schreiben August Frickenhaus an Anton Schifferer vom 2. 1. 1923 (LASH Schleswig, Abt. 399.70, Nr. 400). Zur Person Brandts vgl. J rgensen, Otto Brandt, 267–274. 98 Schreiben des Rektors an das Regierungspräsidium vom 27. 3. 1922 (LASH Schleswig, Abt. 309, Nr. 22917). 99 Vgl. Schreiben des Rektors an den Kurator von Anfang April 1922 (GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 76 Va Sekt. 9 Tit. I, Nr. 1, Bd. 1).

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forderte, ohne vorher noch einmal die Universität gehört zu haben100. Jacob führte gegenüber der Berliner Kultusbehörde nicht nur offen Klage, mit der Universität habe es keine weitere Rücksprache wegen der Geschichtsprofessur gegeben, die der Hochschule „im Dänenkampf“101 lange nicht so wichtig sei wie ein Ordinariat für niederdeutsche Sprache. Er machte darüber „schwerwiegende Bedenken wissenschaftlicher Art“ geltend gegen die Besetzung des historischen Lehrstuhls durch einen von „außerhalb der Universität stehenden Antragstellern in Aussicht genommene[n] Mann“. In der festen Annahme, der außeruniversitäre Berater des Oberpräsidiums in der Besetzungsfrage sei Hedemann-Heespen, suchte Rektor Jacob diesen als politisch unzuverlässig zu diskreditieren. Er schrieb der Kultusbehörde, Hedemann-Heespen sei „dänischer Adel“, und eine Besetzung nach dessen Wünschen würde in Kopenhagen „mit Freude begrüßt“. Nicht zuletzt wegen dieses massiven Widerstands der Universitätsleitung gegen das landeshistorische Ordinariat vermochten die Ministerialbeamten der Kultusbehörde der Idee einer Berufung Scheels zunächst herzlich wenig abzugewinnen. Dessen Name brachte in Berlin erstmals der SHB-Vorsitzende Todsen ins Gespräch, kurz nachdem Scheel im Sommer 1922 in Flensburg erneut als Redner in Erscheinung getreten und in den Beirat der Nachfolgeorganisation des Deutschen Ausschusses gewählt worden war102. Der Flensburger Oberbürgermeister stattete der preußischen Kultusbehörde im Anschluss daran einen persönlichen Besuch ab, bei dem er unterstrich, Scheel habe sich während des Abstimmungskampfes große Verdienste erworben und sei bestens geeignet, „die dem Inhaber der Professur ausserhalb seiner engen Universitätstätigkeit obliegenden öffentlichen Aufgaben zu erfüllen“103. Für das Ministerium handelte es sich dabei – noch – um einen „mehr als abenteuerliche[n] Vorschlag“, der sich von selbst erledigte, hatte doch der Rektor der Christiana Albertina „in aller Form gebeten, von der Errichtung der Professur Abstand zu nehmen“. Die Sicht der Berliner Zentralbehörden auf die Berufungsangelegenheit in Kiel sollte sich indes bald ändern. Todsen stand mit seinem Votum für Scheel keineswegs allein auf weiter Flur, sondern erhielt bald politische Rückendeckung von der Provinzialregierung. Diese hatte sich keineswegs, wie von Rektor Jacob vermutet, durch Hedemann-Heespen für Brandt erwärmen lassen. Das Oberpräsidium kam vielmehr in einer vertraulichen Sitzung kurz 100 Vgl. Denkschrift des Oberpräsidenten vom 3. 5. 1922 (LASH Schleswig, Abt. 301, Nr. 5679). 101 Schreiben des Rektors an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 13. 5. 1922 (GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 76 Va Sekt. 9 Tit. I, Nr. 1, Bd. 1). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 102 Vgl. „Über die Wurzeln unseres deutschen Nationalbewußtseins“, in: FLN, 19. 6. 1922; und Schwensen, Schleswig-Holsteiner-Bund, 128. 103 Aktenvermerk des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 20. 7. 1922 (GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 76 Va Sekt. 9 Tit. IV, Nr. 1, Bd. 19). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort.

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nach Todsens Berliner Vorstoß zu dem Schluss, Scheel sei „der beste Mann für das beste Werk“104 wenn es gelte, für die Landesgeschichtsprofessur „eine Persönlichkeit zu gewinnen, von der man unschätzbare Hilfe für die nationalen Aufgaben der Provinz erwarten dürfe“, schließlich habe er „im Abstimmungskampf Großes“ geleistet. Oberpräsident Kürbis’ dementsprechende Intervention beim Kultusministerium verfehlte ihre Wirkung nicht. Dieses strich entgegen den erklärten Wünschen der Kieler Universitätsleitung das bereits bewilligte Ordinariat für niederdeutsche Sprache aus dem Haushaltsplan, um jenes für Landesgeschichte zu finanzieren105. So begannen kaum sechs Wochen, nachdem Todsens Personalvorschlag in Berlin noch als Abstrusität ad acta gelegt worden war, die Berufungsverhandlungen mit Scheel. Letzterer wusste aller Wahrscheinlichkeit nach seit seinem Flensburger Aufenthalt von den Plänen Todsens und seiner Mitstreiter. Angesichts fehlender landeshistorischer Qualifikation war er sich zudem von vornherein bewusst, dass es sich keinesfalls um eine reguläre Berufungsangelegenheit handelte, sondern durchweg politische Erwägungen den Ausschlag gaben. Schon vor den Berliner Unterhandlungen stand für ihn fest, die Professur müsse „nicht bloß der gelehrten Forschung dienen, sondern den kulturellen und nationalen Aufgaben der Provinz gewidmet sein“106. Der Lehrstuhlinhaber sollte nach Scheels Meinung daher seinen Beitrag dazu leisten, „Mittelschleswig gegen Dänemark zu schützen und den Willen gegen Dänemark und die neue Grenze wach zu halten“107. Vom Kultusministerium bekam Scheel diese Sicht der Dinge bei Beginn der Verhandlungen in Berlin bestätigt. Dort legten ihm die Ministerialvertreter offen, das Ordinariat solle „nicht wie eine normale Professur behandelt werden“108, man wolle vielmehr „den Nachdruck auf die politische beziehungsweise nationale Seite legen“, weshalb nur er als geeigneter Kandidat in Betracht käme. So klar wie die Dinge im Oberpräsidium und Kultusministerium lagen, so unsicher war sich Scheel, ob er das Angebot annehmen sollte. Da seine Begeisterung für die Auseinandersetzung um Schleswig bald nach den Volksabstimmungen deutlich nachgelassen hatte, versuchte er zunächst, der Entscheidung durch ein Übereinkommen mit Kiel und Berlin auszuweichen, von Tübingen aus die Nationalpropaganda in Schleswig-Holstein zu unterstüt-

104 Niederschrift über die Besprechung im Oberpräsidium zu Kiel über die Verwendung besonderer Mittel im Gebiet des ehemaligen Herzogtums Schleswig vom 5. 8. 1922. (LASH Schleswig, Abt. 301, Nr. 5681). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 105 Vgl. Anmeldung des Ministeriums für Wissenschaft, Kultur und Volksbildung für den Staatshaushalt 1923 vom 25. 8. 1922 (GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 76 Va Sekt. 9 Tit. IV, Nr. 1, Bd. 19). 106 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 2. 7. 1922 (AVRG Mainz, Karton 3.2). 107 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 24. 7. 1922 (Ebd.). 108 Schreiben Scheels an Oberpräsidialrat Thon vom 5. 9. 1922 (LASH Schleswig, Abt. 301, Nr. 5683). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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zen109. Als dieser Plan auf Ablehnung stieß110, stellte er zwei Vorbedingungen dafür, den Wechsel an die Förde ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Erstens bestand er darauf, die Professur müsse so zugeschnitten werden, dass die Annahme des Rufes durch ihn als Theologen wissenschaftlich zu rechtfertigen sei. Zweitens machte er eine zufriedenstellende Lösung der Wohnungsfrage zur Vorbedingung. Als Begründung für seine Haltung gab Scheel an, es bedeute „kein geringes Opfer“111, wenn er in Tübingen eine der „ersten kirchengeschichtlichen Professuren des Reichs“ räume, um im Austausch dafür „eine Nebenprofessur in Kiel zu übernehmen“. Der ersten Forderung konnte relativ leicht entsprochen werden, da die Professur ohnehin für ihn „zurechtgeschnitten“112 wurde, wie Scheel es selbst ausdrückte. Zusätzlich zum Ordinariat für Landesgeschichte erteilte die Kultusbehörde einen gesonderten Lehrauftrag für „Reformationsgeschichte und Geschichte der nordeuropäischen Staaten“113. Die Unterbringungsklausel stellte dagegen ein erhebliches Problem dar. Zwar hatte das Oberpräsidium sofort nach Erhalt von Scheels Bedingungen mit der Suche nach einer adäquaten Bleibe für ihren Wunschkandidaten begonnen114, doch insbesondere die galoppierende Inflation der Jahre 1922/1923 machte es schwierig, eine finanziell überschaubare Lösung zu finden115. Die Besetzungsfrage entwickelte sich daher zur Hängepartie. In Kieler Universitätskreisen erfuhr man erst lange nach Beginn der Verhandlungen mit Scheel von den Plänen hinsichtlich der Professur für Landesgeschichte. Wie schlecht die Informationslage an der Christiana Albertina war, lässt sich am Versuch des Dekans der Philosophischen Fakultät ablesen, ein Vierteljahr nach der politischen Entscheidung für Scheel durch Eingabe an das Kultusministerium sicherzustellen, dass den universitären Gremien wie sonst üblich „rechtzeitig Gelegenheit gegeben werde, sich über die Besetzungsfrage zu äußern“116. Erst Monate später verfügte der Nachfolger des resoluten Rektors Jacob, Werner Wedemeyer, über sehr viel genauere Kenntnisse hinsichtlich der Causa Scheel, dessen Wechsel nach Kiel er ebenso ablehnte wie sein Amtsvorgänger. Im Wissen um den Stillstand in der Beru109 Vgl. Schreiben Scheels an Johannes Schmidt-Wodder vom 28. 7. 1922 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 71). 110 Vgl. Schreiben Scheels an Johannes Schmidt-Wodder vom 24. 9. 1922 (Ebd.). 111 Schreiben Scheels an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 22. 9. 1922 (LASH Schleswig, Abt. 301, Nr. 5683). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 112 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 2. 10. 1923 (AVRG Mainz, Karton 3.2). 113 Ernennungsurkunde vom 12. 4. 1924 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 6996). 114 Vgl. Schreiben Oberpräsidialrat Thons an John Spiering Immobilien vom 23. 9. 1922 (LASH Schleswig, Abt. 301, Nr. 5683). 115 Vgl. Schreiben Scheels an Johannes Schmidt-Wodder vom 18. 10. 1922 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 71). 116 Schreiben des Dekans der Philosophischen Fakultät an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 20. 12. 1922 (GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 76 Va Sekt. 9 Tit. IV, Nr. 1, Bd. 19).

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fungssache versuchte er das Kultusministerium davon zu überzeugen, dem neuen Universitätskurator quasi als Antrittsgeschenk die zugunsten Scheels gestrichene Professur für niederdeutsche Sprache mitzugeben, womit das Ordinariat für Landesgeschichte nicht mehr finanzierbar gewesen wäre. Dass dieser Schachzug in keiner Weise mit Sympathien für Dänemark zusammenhing, die Wedemeyer ebenso fremd waren wie Jacob, bewies sein Urteil über Brandt. Dem Lehrbeauftragten für Landesgeschichte sprach er als Alternativkandidat zu Scheel jegliche Eignung ab, weil er mit einer Dänin verheiratet war117. Aller Voraussicht nach war diese familiäre Verbindung zusammen mit seiner ausbleibenden Beteiligung am Grenzkampf der Grund dafür, dass die Provinzialregierung Brandt trotz der Werbeversuche Hedemann-Heespens nie als ernsthaften Kandidaten in Betracht zog118. In Anbetracht der Unbeugsamkeit sowohl des Oberpräsidiums als auch der Berliner Kultusbehörde gegenüber den Wünschen der Universität dürfte allen Beteiligten klar gewesen sein, dass es nur um die Wahrung der Form ging, als der Philosophischen Fakultät fast ein Jahr nach der politischen Entscheidung zugunsten Scheels die Aufforderung zuging, einen Berufungsvorschlag über die Besetzung einer Professur für Landesgeschichte vorzulegen119. Die Fakultät fügte sich in ihr Schicksal und sandte dem Ministerium daher nicht wie sonst üblich eine Berufungsliste, sondern lediglich ein eineinhalbseitiges Schreiben, das Scheel empfahl. Das ungewöhnliche Plädoyer für einen in der Landesgeschichte nicht ausgewiesenen Lutherforscher rechtfertigte die Fakultät mit dem Hinweis, es lägen für das zu vertretende Gebiet von dem Kandidaten zwar keinerlei Veröffentlichungen vor, doch dafür bringe er neben methodischen Grundkenntnissen und Fremdsprachenexpertise „als Landeskind eine enge Vertrautheit mit den Aufgaben der Landesgeschichte und vor allen Dingen eine warme Liebe zur Heimat und ihrer Vergangenheit mit“120. Nur eine kleine Minderheit in der Fakultät begehrte gegen diese Berufungsfarce auf, und so kam Dekan Otto Toeplitz nicht umhin, dem preußischen Kultusministerium ebenfalls ein von fünf Ordinarien unterschriebenes Separatvotum zuzustellen. Deren Unterzeichner wandten ein, Scheels Kandidatur gehe „ursprünglich nicht von der Fakultät, sondern von politisch interessierten Persönlichkeiten der Provinz aus, welche in Professor Scheel einen Führer im Kampfe gegen dänische Propaganda zu gewinnen hoffen“121. 117 Vgl. Schreiben des Rektors an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 2. 4. 1923 (Ebd.). Bei dem neuen Kurator handelte es sich um Erich Wende, siehe Asmussen, Findbuch, IV. 118 Zu Brandt und seiner Zurückhaltung im Grenzkampf siehe Jessen-Klingenberg, Geschichtsschreibung, 176–178. 119 Vgl. Schreiben des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an den Kurator der Universität Kiel vom 21. 6. 1923 (GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 76 Va Sekt. 9 Tit. IV, Nr. 1, Bd. 19). 120 Berufungsvorschlag der Philosophischen Fakultät vom 2. 8. 1923 (Ebd.). 121 Separatvotum vom 2. 8. 1923 (Ebd.). Bei den fünf Fakultätsmitgliedern, die gegen Scheels

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Die fünf Opponierenden vermochten sich zudem der Erklärung ihrer Fakultätskollegen nicht anzuschließen, wonach Heimatliebe mangelnde fachliche Qualifikation ausgleichen könne. Bei aller Würdigung der Leistungen des Kandidaten als Lutherforscher sprachen sie ihm die Eignung ab, ein landeshistorisches Ordinariat bekleiden zu können. Der zum Ärger jener machtlosen Fakultätsminorität von der Politik protegierte Scheel hatte derweil mehrere Reisen nach Schleswig-Holstein unternommen, um sich, wie bereits zu Beginn der Berufungsverhandlungen geplant, „nochmals gründlich im Lande umzusehen“122. Im Zuge dessen kam sein zwischenzeitlich erlahmtes Engagement in der Auseinandersetzung mit dem Nachbarn im Norden wieder in Schwung, und dies auf den ersten Blick mit den gleichen Parolen wie 1920. So führte Scheel seinen Kieler Zuhörern im Herbst 1922 aus, die „Aufgabe des Grenzlandes, Kulturaustauschbrücke zu sein“123, trete „weit zurück hinter der des Kampfes um das nationale Gewissen und die Selbsterhaltung“. Um die „deutsche Irredenta“124 in Nordschleswig zu pflegen, empfahl er daher, man solle aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker „eine Waffe schmieden“. Die drastischen Worte sorgten vorübergehend für einige Unruhe bei Oberpräsident Kürbis und seinen sozialdemokratischen Parteikollegen, führten aber zu keinem Richtungswechsel in der Berufungssache, nicht zuletzt weil Schmidt-Wodder die Wogen im Gespräch mit dem Oberpräsidenten zu glätten suchte125. Ungeachtet derartiger Irritationen unterschied sich Scheels martialische Rhetorik in einem wichtigen Punkt von den Tiraden aus der Abstimmungszeit. Im deutlichen Unterschied zu früheren nationalen Mobilisierungsbemühungen trat er nun für einen respektvolleren Umgang mit dem vermeintlichen dänischen Gegner ein. Was 1922 in Kiel nur zaghaft in der Formel Ausdruck fand, es dürften „Ehre und Würde“126 in der nationalen Auseinandersetzung nicht vergessen werden, brachte Scheel im März 1923 sehr viel deutlicher zum Ausdruck, als er anlässlich der 175-Jahrfeier der SchleswigHolsteinischen Erhebung von 1848 in Flensburg sprach. Zwar forderte er seine Zuhörer zunächst auf, den einstigen Aufstand gegen Kopenhagen „in Tagen

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Berufung aufbegehrten, handelte es sich um Eduard Fraenkel, Arthur Haseloff, Felix Jacoby, Christian Jensen und Friedrich Kauffmann. Schreiben Scheels an Johannes Schmidt-Wodder vom 28. 7. 1922 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 71). „Die Wurzeln unseres deutschen Nationalgefühls“, in: KNN, 31. 10. 1922. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. „Die Wurzeln unseres deutschen Nationalgefühls“, in: KiZ, 29. 10. 1922. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Vgl. Schreiben Johannes Schmidt-Wodders an Scheel vom 27. 11. 1922; und Schreiben Oberpräsidialrat Thons an Johannes Schmidt-Wodder vom 10. 12. 1922 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 71). „Die Wurzeln unseres deutschen Nationalgefühls“, in: KNN, 31. 10. 1922.

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neuer nationaler Not als heiliges Vermächtnis“127 anzunehmen, doch gleichzeitig versäumte er nicht, auf die Achtung der 1848er vor den dänischen Rechten im „völkisch gemischten“ Schleswig hinzuweisen. Bei der hier implizierten Kategorie ethnisch-germanischer Verbundenheit handelte es sich um eben jenes „Übernationale“128, welches er ein halbes Jahr später den Flensburgern als „Schranke“ im Wettstreit mit den dänisch gesinnten Schleswigern aufzuzeigen suchte. Das Motiv kollektiven Germanentums war damit nicht mehr wie im Zuge des Abstimmungskampfes, als Scheel Dänemark Verrat vorgeworfen hatte, Werkzeug der Diffamierung, sondern Hilfsmittel, um einer weiteren Entgrenzung des Konfliktes entgegenzuwirken. Den Förderern von Scheels Berufung waren diese feinen Unterschiede entweder verborgen geblieben oder gänzlich gleichgültig, zumal Scheel unbeschadet seiner neuerlichen Aufrufe zur Achtung der Gegenseite nach wie vor entschieden gegen den Status quo von 1920 agitierte. In jedem Fall taten seine Unterstützer ihr Möglichstes, um die öffentliche Breitenwirkung ihres Wunschkandidaten zu erhöhen. Im Anschluss an die Flensburger Rede anlässlich des Jubiläums von 1848 stellte beispielsweise der SHB die kostenlose Verteilung von 80.000 Druckexemplaren der Ausführungen sicher129. Finanzielle Schützenhilfe leistete dabei das Oberpräsidium, welches Scheel ebenfalls in einem anderen geförderten Erbauungsband zu Wort kommen ließ, wo er zum wiederholten Male die dänische Herrschaft über das „deutsche Tondern“130 anprangerte. Gegen die immer wieder anhand seiner Geburtsstadt exemplifizierte, vermeintlich „Hohn sprechende Teilung“131 zog Scheel ebenfalls im staatlich geförderten Schleswig-Holsteinischen Jahrbuch zu Felde. Neben stetig wachsender Popularität und Hofierung durch die Politik weichten die Zeitumstände des Krisenjahres 1923 Scheels anfängliche Skepsis gegenüber einem Wechsel nach Kiel auf. In Schleswig-Holstein ging in Anbetracht von Ruhrbesetzung und Inflation die Angst um, das Land könnte wegen der strategischen Bedeutung des Kaiser-Wilhelm-Kanals durch diplomatische Winkelzüge Dänemarks vom Deutschen Reich abgetrennt werden. Selbst auf Seiten der Provinzverwaltung nahm man die Gerüchte um einen möglichen Kanalstaat so ernst, dass sich die bei Deutschland verbliebene dänische Minderheit wegen einer massiven Welle von Hausdurchsuchungen

127 „Schleswig-Holsteins deutsche Selbstbestimmung“, in: FLN, 23. 3. 1923. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 128 „Nationales und Übernationales“, in: FLN, 22. 9. 1923. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 129 Vgl. Schreiben der Grenzmittelstelle an das Oberpräsidium vom 14. 3. 1923 (LASH Schleswig, Abt. 301, Nr. 5687); und Scheel, Schleswig-Holsteinische Erhebung. 130 Scheel, Schleswig-Holstein und Deutschland, 11. 131 Scheel, Nordfrieslands Zerstückelung, 71.

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in die ,Köllerzeit‘ zurückversetzt sah132. Scheel erlebte die um sich greifende Hysterie bei seinen Reisen in den Norden hautnah, und er ließ sich von ihr anstecken. Nach Tübingen zurückgekehrt, wusste er zu berichten, die dänische Propaganda arbeite „so frech und dreist wie nie“133, und das Land laufe Gefahr, durch die Internationalisierung des Kaiser-Wilhelm-Kanals ein „Staat Panama“ zu werden. Derlei „abnorme Zustände“, orakelte Scheel mit Blick auf den Kieler Ruf, könnten durchaus „einen abnormen Entschluß rechtfertigen“. Noch in anderer Hinsicht scheint die politische Großwetterlage den überaus zähen Entscheidungsprozess Scheels beeinflusst zu haben. Als er im Herbst 1923 zu erneuten Verhandlungen wegen der Landesgeschichtsprofessur nach Berlin aufbrach, hatte der ihm aus seiner kurzen aktiven Zeit in der DVP bekannte Gustav Stresemann die Ämter des Reichskanzlers und Außenministers übernommen. Scheel bat ihn um eine Unterredung in Sachen der Kieler Professur. Seinem Verhältnis zum Weimarer Staat entsprechend dankte er Stresemann in der schriftlichen Bitte um Audienz eingangs dafür, das „Opfer“134 der Kanzlerschaft gebracht zu haben, um „zu retten, was noch zu retten sein konnte“. Von der Aussprache mit seinem Parteikollegen erhoffte er sich durch dessen Urteil über „die Lage in der Provinz [Schleswig-Holstein] beziehungsweise das gegenwärtige deutsch-dänische Problem“ Hilfe bei der endgültigen Entscheidung für oder gegen den Wechsel nach Kiel. Ob die Begegnung mit Stresemann stattfand ist nicht anderweitig belegt, aber das doppelt unterstrichene „ja“ auf Scheels schriftlicher Anfrage legt ein Zusammentreffen nahe. Dafür, dass der neue Reichkanzler die Entscheidungsfindung erleichterte, spricht jedenfalls, dass das ebenfalls von ihm geleitete Auswärtige Amt Scheel nach dem Wechsel an die Förde ein Zusatzgehalt zahlte135. Von den Berliner Unterredungen zurückgekehrt, teilte er jedenfalls nach wenigen Tagen Bedenkzeit dem Kultusministerium mit, er wäre nun bereit, den Ruf nach Kiel anzunehmen, sofern eine adäquate Wohnung bereitgestellt würde136. Dieses letzte Hindernis räumte Anton Schifferer aus dem Weg, der zur selben Zeit den Vorsitz der Schleswig-Holsteinische Universitätsgesellschaft (SHUG) übernahm137. Er bot dem Oberpräsidium an, über die der Christiana Albertina angegliederte Fördergesellschaft den Kredit für ein Haus 132 Vgl. „Neuer Köllerkurs in Südschleswig“, in: DSL, 20. 3. 1923; und Kardel, Grenzlandmelodie, 28–31. 1948 erfolgte die Umbenennung des Kaiser-Wilhelm-Kanals in Nord-Ostsee-Kanal. 133 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 2. 10. 1923 (AVRG Mainz, Karton 3.2). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 134 Schreiben Scheels an Reichskanzler Stresemann vom 15. 10. 1923 (BArch Berlin, R 43 I, Nr. 385). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 135 Vgl. Schreiben Carl Petersens an Anton Schifferer vom 19. 7. 1929 (LASH Schleswig, Abt. 399.70, Nr. 411). 136 Vgl. Schreiben Scheels an Hans Lietzmann vom 2. 11. 1923 (IfNTT M nster, NL Hans Lietzmann); und Schreiben Scheels an Johannes Schmidt-Wodder vom 3. 11. 1923 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 71). 137 Vgl. Jessen-Klingenberg, Zeit der Weimarer Republik, 23–28.

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abzusichern. Diesen Lösungsvorschlag nahm die Provinzialregierung offensichtlich dankbar an, denn Scheel bezog in Kiel just die Immobilie, zu deren finanzieller Absicherung Schifferer sich bereit erklärt hatte138. Über die Lösung der leidigen Wohnungsfrage informiert, sagte Scheel definitiv zu. Während die Tübinger Lokalzeitung ihren Lesern so kurz vor Weihnachten „mit Bedauern“139 den Weggang des in Tübingen beliebten Gelehrten kundtat, frohlockte die Neue Tondernsche Zeitung, mit Scheel komme ein „Bundesgenosse im Kampf um die deutsch schleswig-holsteinische Heimat“140 nach Kiel.

3.2. Zwischen Mäßigung und Konfrontation 3.2.1. Grenz- und Minderheitenpolitik Entsprechend den Umständen seiner Berufung und im Wissen um die Erwartungen, welche Kultusministerium, Oberpräsidium und SHB damit verknüpften, betrachtete Scheel sein neues Ordinariat zunächst weniger als akademische Herausforderung denn politisches Mandat. Hieraus machte er keinen Hehl, wie aus dem Briefwechsel mit Ernst Schröder hervorgeht, dem Leiter des Flensburger Korrespondenzbüros Nordschleswig141. Bei Ankunft in Kiel bat Scheel den wichtigsten deutschen Pressefunktionär im Grenzgebiet, er möge ihm den notwendigen Rückhalt in der Zeitungswelt verschaffen. Gelänge dies nicht, so Scheels Befürchtung, könne er „genötigt werden, grade das zu tun, was nicht meine eigentliche Aufgabe sein sollte: nämlich einige gelehrte Aufsätze zur schleswig-holsteinischen Landesgeschichte zu schreiben“142. Symptomatisch für diese Amtsauffassung war ebenfalls, dass Scheels Wunsch, nach offizieller Bestallung zum 1. April 1924 möglichst bald zu seiner neuen Wirkungsstätte umzuziehen, nicht etwa mit dem Beginn des Vorlesungsbetriebes zusammenhing. Der frisch Berufene bat ganz im Gegenteil darum, seine Lehrtätigkeit später aufnehmen zu dürfen. Was ihn zum raschen Wechsel an die Förde motivierte, waren nicht universitäre Verpflichtungen, sondern Hinweise, die Minderheitenfrage sei „in Bewegung gekommen“143. Seit der Abtretung der 1. Zone an Dänemark stellte sich beiderseits der 138 Vgl. Schreiben Anton Schifferers an Oberpräsidialrat Thon vom 14. 11. 1923 (LASH Schleswig, Abt. 399.70, Nr. 445); und Schreiben Scheels an den Kurator der Universität Kiel vom 5. 3. 1924 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 6996). 139 „Stadt und Amt“, in: TüC, 12. 12. 1923. 140 „Prof. Scheel kommt nach Kiel“, in: Neue Tondernsche Zeitung, 18. 12. 1923. 141 Vgl. Bessler-Worbs, Kulturpolitik, 111. 142 Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 28. 4. 1924 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 1). 143 Schreiben Scheels an die Hochschulabteilung des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 12. 4. 1924 (GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 76 Va Sekt. 9 Tit. IV, Nr. 1, Bd. 19).

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neuen Grenze die Frage, wie mit den jeweiligen nationalen Minoritäten zu verfahren sei. Abgesehen von der Grundsatzfrage, aufgrund welcher Kriterien der Minderheitenstatus zuerkannt werden sollte, spielte die Schulfrage eine fundamentale Rolle. Nach mehrfach gescheiterten bilateralen Gesprächen ging Dänemark in Vorleistung und dekretierte bis 1923 ein eigenes Regelwerk. Mit Blick auf das Unterrichtsproblem verpflichtete es die lokalen Schulkommissionen, ab festgelegten deutschen Mindestanteilen an der Gesamtschülerzahl separate Unterrichtung prinzipiell zuzugestehen, während unterhalb jener Margen vor Ort nach eigenem Ermessen verfahren werden sollte. Die deutsche Minderheit lehnte diese Bestimmungen vor allem deswegen ab, weil sie abseits ihrer Hochburgen Diskriminierungen durch mehrheitlich dänisch besetzte Schulkommissionen fürchtete144. Als zeitgleich mit Scheels Bestallung die Frage nach einer Regelung für die dänische Minderheit zum erneuten Mal virulent wurde, stellte sich bald heraus, dass in Schleswig-Holstein keine Einigkeit hinsichtlich des einzuschlagenden Kurses herrschte. Der Riss ging mitten durch den SHB als wichtigste Grenzorganisation. Ein Flügel um Schmidt-Wodder forderte unter dem Schlagwort ,kulturelle Autonomie‘, ein Privatschulwesen zuzugestehen, das von staatlichem Zugriff weitestgehend frei sein sollte. Die Logik hinter einer solchen Regelung war die, den Druck auf Kopenhagen zu erhöhen, der deutschen Minorität dieselben Rechte zukommen zu lassen. Aus Sorge um massiven Zulauf zur dänischen Bewegung lehnte eine im grenznahen Flensburger Raum beheimatete Fraktion um Todsen derlei Entgegenkommen ab und bestand auf stärkere Kontrolle des Schulwesens der Minderheit145. Nicht zuletzt wegen Scheels öffentlichen Aufrufen, in der Grenzauseinandersetzung die Rechte der dänisch gesinnten Schleswiger zu achten, waren sowohl Schmidt-Wodder als auch dessen enger Vertrauter Ernst Schröder sicher, dass er für sie Partei ergreifen würde. Auf Scheels Bitte, zu weiteren Verhandlungen hinzugezogen zu werden, zögerten sie daher nicht, seine Aufnahme in die beiden maßgeblichen Ausschüsse zu unterstützen146. Hierbei handelte es sich zum einen um die fünfzehnköpfige Kommission des SHB, der trotz interner Querelen den Behörden das Feld nicht allein überlassen wollte. Zum anderen setzte die Provinzialverwaltung ein zehn Mitglieder umfassen-

144 Vgl. Biehl, Minderheitenschulrecht, 12–14; und Kçlln, Minderheitenschulrecht, 21–25, 47 f. Im Anhang der letztgenannten Schrift findet sich auf den Seiten 114–120 der Originaltext des dänischen Schulgesetzes. 145 Vgl. „Kulturelle Autonomie, ihr Wesen und die politische Aufgabe ihrer Gestaltung“, in: SH, 29. 9. 1924; Becker-Christensen, Mindretal, Bd. 2, 90–95; und Schwensen, SchleswigHolsteiner-Bund, 286–289. 146 Vgl. Schreiben Ernst Schröders an Scheel vom 2. 5. 1924 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 1); und Schreiben Johannes Schmidt-Wodders an Ernst Schröder vom 14. 8. 1924 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 3). Zu Ernst Schröders eher moderater Haltung gegenüber Dänemark siehe Johannsen, Jahrzehnte, 40.

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des Gremium ein, welches die Interessen Schleswig-Holsteins gegenüber den zuständigen preußischen Ministerien vertrat147. Entsprechend den Erwartungen setzte sich Scheel in beiden Ausschüssen entschieden für kulturelle Autonomie ein, was er auf einer Tagung zu Erziehungsfragen dahingehend begründete, auch im Nationalstaat dürfe das Volkstum „seine Geltung beanspruchen“148. Wie er bald feststellte, stieß dieses Konzept in Berlin jedoch auf sehr viel entschiedeneren Widerstand als in Schleswig-Holstein. Hier gelang es der von ihm unterstützten Fraktion in der Fünfzehnerkommission des SHB, gegen alle internen Widerstände das Privatschulwesen in den offiziellen Verbandsempfehlungen zu verankern. Das Bemühen Scheels und seiner Verbündeten, über die provinziale Zehnerkommission die zuständigen Ministerien in der Hauptstadt ebenfalls für derlei Zugeständnisse zu erwärmen, scheiterte hingegen an deren Furcht, eine allzu liberale Regelung im Norden könnte mit Blick auf die Minderheitenfrage in Preußens östlichen Landesteilen Zugzwang schaffen. Bereits nach wenigen Monaten intensiver Verhandlungen stand für Scheel fest: „Berlin will nicht, wie Schleswig-Holstein will“149. Das bis in die ersten Monate des Jahres 1926 andauernde Tauziehen war insofern erhellend, als es einen Gradmesser hinsichtlich seiner Vorstellungen von den deutsch-dänischen Beziehungen darstellte. Auf unzähligen Kommissionssitzungen in Kiel, Flensburg und Berlin bekundete Scheel einerseits seinen festen Wunsch, den eigenen mahnenden Worten zur Achtung der dänisch gesinnten Schleswiger mögen gesetzgeberische Taten folgen. Andererseits trat im Streit um die Minderheitengesetzgebung offen zu Tage, dass sich seine Motive hierfür keineswegs in nationalpolitisch uneigennütziger Germanophilie erschöpften. In Übereinstimmung mit Schmidt-Wodder spielte für Scheel eine entscheidende Rolle, welche Gesetzgebung mit Blick auf die Lage der deutsch Gesinnten im abgetretenen Nordschleswig am dienlichsten erschien. Dementsprechend erwähnte er in der heißen Endphase der Verhandlungen bei einem öffentlichen Vortrag über „Minderheitenfrage und Volkstum“150 mit keinem Wort die dänische Minorität. Den „völkische[n] Sinn des Kampfes um die Minderheitenschule“ leitete er vielmehr aus der Notwendigkeit ab, ohne Hilfe des Staates „außerhalb unserer Grenzen das deutsche Gewissen […] pflegen und vertiefen“ zu können, wofür die „Befreiung der Erziehung von fremdem Volkswillen“ elementar wichtig schien. Nach Veröffentlichung des Minderheitenerlasses für Schleswig-Holstein setzte sich 147 Vgl. „Schleswig-Holstein und das Minderheitenrecht“, in: SH, 3. 11. 1924. 148 Scheel, Vom spätmittelalterlichen zum modernen Staat, 14. 149 Schwensen, Schleswig-Holsteiner-Bund, 293–299; Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 12. 12. 1924 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St); und Schreiben Scheels an Werner Siebeck vom 14. 11. 1924 (VMS T bingen, Karton 414). Das Zitat findet sich im Schreiben Scheels an von Schubert. 150 „Schleswig-Holstein-Woche“, in: SLN, 2. 12. 1925. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort.

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Scheel daher auf einer Kundgebung des SHB nicht mit den Folgen für die Betroffenen im eigenen Land auseinander, sondern sinnierte über mögliche Rückwirkungen auf das nationale Bekenntnis der deutschen Minorität nördlich der Grenze151. Parallel zum Einsatz für eine moderate Minderheitengesetzgebung ging zudem Scheels Betätigung als öffentlicher Redner weiter. Einige Monate nach Beginn der Verhandlungen nutzte er einen Auftritt auf dem Schleswig-Holsteinischen Universitätstag, um den Zuhörern die „zähe geduldige Bewahrung unseres Volkstums“152 durch Zeiten politischer Machtlosigkeit ans Herz zu legen. Dass es hierbei um die Frontstellung gegen Dänemark ging, dürfte seinen Zuhörern ebenso klar gewesen sein wie jenen bei einer Kundgebung des SHB, auf der in seiner Rede Preußen als Schleswig-Holsteins „Befreier vom fremden Joch“153 firmierte. Scheel wegen seiner Haltung in der Minderheitenfrage allzu entschieden den Stimmen der Mäßigung zuzurechnen lässt ebenfalls der Bericht über einen „Großkampftag“154 in Pinneberg fragwürdig erscheinen. Nach dessen Abschluss teilte die Presse mit, man habe den Professor für Landesgeschichte als „ganz schwere Kanone aufgefahren“. Einen Widerspruch zwischen derlei agitatorischen Auftritten und dem Bemühen um eine verhältnismäßig moderate Minderheitenpolitik vermochte Scheel nicht zu entdecken. Bereits die Fünfzehnerkommission des SHB hatte in ihren Leitsätzen festgehalten, dass „der kulturelle Kampf des Deutschtums mit dem Dänentum erfolgreich nur im Wege des freien Wettbewerbs der beiden Kulturen ausgefochten werden kann“155. Dieser Linie pflichtete Scheel voll und ganz bei, wie sich besonders deutlich in der Korrespondenz mit dem Kopenhagener Historiker Aage Friis zeigte. Seinen politisch ebenfalls gut vernetzten dänischen Kollegen bat er mit Blick auf die rechtliche Besserstellung der Minoritäten um Zusammenarbeit mit dem Ziel, dass „die Spannung gemildert werden und der Kampf zu einem sauberen und ehrlichen Volkstumskampf gemacht werden soll“156. Hier offenbarte sich vollends, dass Scheels Ablehnung einer restriktiven Minderheitengesetzgebung nicht allein auf den Glauben an kollektives Germanentum zurückging, sondern genauso auf die Suche nach effektiveren Strategien in einer nationalen Auseinandersetzung, deren Notwendigkeit trotz Achtung der vermeintlich stammverwandten Gegenseite für ihn keinerlei Zweifeln unterlag. Den in der Frage des Minderheitenerlasses letztlich entscheidungsbefugten 151 152 153 154

Vgl. „Schleswig-Holsteiner-Kundgebung in Berlin“, FLN, 19. 4. 1926. „Schleswig-Holsteinischer Universitätstag“, in: KiZ, 3. 11. 1924. „Kundgebung des Schleswig-Holsteiner-Bundes in Berlin“, in: KiZ, 19. 1. 1925. „Großkampftag in Pinneberg“, in: Landbote für Schleswig-Holstein, 21. 2. 1925. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 155 Schleswig-Holsteiner-Bund, Regelung, 13. 156 Schreiben Scheels an Aage Friis vom 26. 2. 1926 (RA Kopenhagen, Nr. 5424, Nr. 38). Zu Friis und seiner Verbindung zu Scheel aufgrund der Forschung zur Nordschleswigfrage siehe S. 144f.

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preußischen Ministerien war dies entweder nicht aufgegangen, oder die Strategie eines primär auf kultureller Ebene ausgefochtenen Grenzkampfes nicht überzeugend beziehungsweise erfolgversprechend genug. Scheel und seine Mitstreiter vermochten jedenfalls nicht die Berliner Verweigerungshaltung aufzubrechen, obwohl sie sich zwischenzeitlich aufgrund positiver Äußerungen Stresemanns zur Idee kultureller Autonomie durchaus Chancen darauf ausrechneten157. Umso größer fiel die Enttäuschung aus, als im Februar 1926 ein Minderheitenerlass dekretiert wurde, der nicht dem Privatschulensystem die Präferenz gab, sondern der öffentlichen Minderheitenschule unter direkter staatlicher Aufsicht. Scheel zögerte nicht, zusammen mit anderen Mitgliedern der von der schleswig-holsteinischen Provinzialverwaltung eingesetzten Zehnerkommission öffentlich gegen die Regelung zu protestieren158. Nachdem das eineinhalbjährige, überaus zeit- und nervenaufreibende Engagement in der Minderheitenfrage mit einer herben Niederlage geendet hatte, stand für Scheel der Entschluss fest, von weiteren politischen Betätigungen konsequent abzusehen und sich nur noch akademischen Aufgaben zu widmen. Zukünftig für die Wissenschaft „endlich wieder freie Bahn zu haben“159, blieb indes frommer Wunsch. Bereits wenige Monate nach dem Debakel in der Minderheitenfrage erhielt er einen veritablen Hilferuf von Schmidt-Wodder. Letzterer hatte die Nachricht erhalten, eine radikale Fraktion innerhalb des Schleswigschen Wählervereins, der politischen Plattform der deutschen Minderheit, arbeite darauf hin, die Forderung nach der alten Grenze entlang der Königsau ins Wahlprogramm aufzunehmen. Als Lobbyist der Minorität im dänischen Parlament um die Verhinderung derlei aggressiver Signale gegenüber Kopenhagen bemüht, erbat sich Schmidt-Wodder Beistand gegen die Radikalrevisionisten in Nordschleswig. Scheel kam der Bitte nach und legte mit seiner Intervention abermals Zeugnis davon ab, dass er nur auf den ersten Blick zu den Befürwortern einer vermeintlich nachgiebigen Linie zählte160. Zwar ergriff er ab Herbst 1926 auf einer Reihe von Zusammenkünften des Schleswigschen Wählervereins entschieden das Wort gegen die KönigsauParole. Wie er in diesem Zusammenhang erklärte, verbot sich für ihn jedoch nicht aus prinzipiellen Gründen, offiziell Anspruch auf Rückgabe der gesamten 1. Zone zu erheben, sondern nur weil aus seiner Sicht Deutschland die Mittel fehlten, den notwendigen „nationalen und staatlichen Ernst“161 hinter 157 Vgl. Schreiben Harboe Kardels an Karl Georg Bruns vom 28. 5. 1925 (ADVN Apenrade, N X, Nr. 2.3.4). Zur Minderheitenpolitik der Ära Stresemann vgl. Schot, Nation. 158 Vgl. „Schleswig-Holsteins Kritik“, in: SLN, 15. 2. 1926. Der Wortlaut des Erlasses findet sich in Kçlln, Minderheitenschulrecht, 120–122. 159 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 8. 4. 1926 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 160 Vgl. Becker-Christensen, Mindretal, Bd. 2, 114–117; und Schreiben Johannes SchmidtWodders an Scheel vom 8. 9. 1926 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 71). 161 Protokoll der Vereinstagung des Schleswigschen Wählervereins vom 1. 10. 1926 in Tingleff

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eine solche Forderung zu stellen. Stattdessen warb er dafür, „langsam aber sicher über Locarno und mit Mitteln, die einem waffenlosen Volk allein zur Verfügung stehen, das wieder zu gewinnen, was uns zu Unrecht genommen wurde“. Scheel hatte keinerlei Einwände dagegen, „daß jeder Deutsche den Wunsch zu erkennen gibt, daß er los will vom dänischen Staat“162, nur sollten diese Bekundungen nicht den ohnehin engen Spielraum Berlins einschränken. Noch deutlicher als an jenen Ausführungen über Mittel und Möglichkeiten deutscher Außenpolitik ließ sich an seinen Äußerungen über deren Ziele ablesen, wie sehr die Aufrufe zu taktvollerem Agieren dem geschuldet waren, was er für strategische Notwendigkeit hielt. Scheel lehnte die Königsau-Parole auch deswegen ab, weil es sich dabei für ihn um eine „historische Forderung“163 handelte, mit der „unsere Deutschen im Osten, in Österreich, in Tirol […] nichts zu tun haben wollen“. So erfuhren die Nordschleswiger von ihrem Kieler Gast, sie sollten offiziell von der Grenzforderung nicht zuletzt deswegen absehen, weil es nicht allein gelte, durch den Ersten Weltkrieg verlorene Gebiete zurückzugewinnen, sondern „überall viel mehr, namentlich nach dem Osten hin“164. In Umlauf gekommene Gerüchte, er und Schmidt-Wodder verhandelten mit Kopenhagen über eine moderate Grenzrevision, in deren Folge der größte Teil der 1. Zone bei Dänemark bliebe, bezeichnete er daher als keines Kommentars wert165. Die klaren Worte Scheels verfehlten ihre Wirkung nicht. Bereits nach seinem ersten Einsatz dankte Schmidt-Wodder ihm für „wirksame Unterstützung“166, und auch von einer weiteren Zusammenkunft wusste Ernst Schröder zu berichten, es sei „verhältnismäßig gut gelaufen“. Bis zum Sommer 1927 beruhigten sich die Verhältnisse so weit, dass Scheel von Schmidt-Wodder Nachricht erhielt, man sei in Nordschleswig „in vernünftige Bahnen zurückzukehren geneigt“167. Unter den führenden Köpfen der Königsau-Bewegung wertete man dies als bittere Niederlage. Ihnen galt Scheels Eingreifen als Teil der „verderblichen Tätigkeit der Pazifisten beiderseits der neuen Grenze“168,

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(LAfS Apenrade, Det tyske mindretals arkiver, Schleswigscher Wählerverein, Nr. 27). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Bericht von der Kreiswählervereinsversammlung vom 16. 3. 1927 in Hadersleben (Ebd.). Protokoll der Vereinstagung des Schleswigschen Wählervereins vom 1. 10. 1926 in Tingleff (Ebd.). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Bericht von der Kreiswählervereinsversammlung vom 16. 3. 1927 in Hadersleben (Ebd.). Vgl. ebd. Zum Gerücht möglicher Separatverhandlungen mit Kopenhagen siehe Schreiben Scheels an Anton Schifferer vom 5. 3. 1927 (LASH Schleswig, Abt. 399.70, Nr. 414); und Schreiben Johannes Schmidt-Wodders an Scheel vom 21. 2. 1927 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 71). Schreiben Johannes Schmidt-Wodders an Scheel vom 4. 10. 1926 (Ebd.). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Schreiben Ernst Schröders an Johannes Schmidt-Wodder vom 17. 3. 1927 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 72). Schreiben von Christian Raben, Schleswigscher Wählerverein Hadersleben, an den Kreisverein

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obwohl er ebenso wenig wie in der Minderheitenrechtsfrage ein Ende der Konfrontation mit Dänemark gefordert hatte. Die Hardliner im Schleswigschen Wählerverein betrachteten Scheels und Schmidt-Wodders Strategien dessen ungeachtet als kontraproduktive Konzepte, die ebenfalls die Wirksamkeit des SHB zu lähmen schienen, durfte man doch ihrer Ansicht nach dort „nicht mehr von der Wiedergewinnung des verlorenen Landes sprechen […], sondern nach Scheel-Schmidtschen Rezept nur von Kulturautonomie und Minderheitenrechten“. Letztere giftige Bemerkung von Seiten der Königsau-Fraktion bezog sich auf Entwicklungen innerhalb des SHB, welche Scheel ebenso wie die Schützenhilfe für Schmidt-Wodder daran hinderten, den geplanten Rückzug aus der Politik ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Im SHB sammelte sich im Anschluss an die Veröffentlichung des Minderheitenerlasses die Opposition gegen den Vorsitzenden Todsen, der sich dem Vorwurf ausgesetzt sah, entgegen den Verbandsbeschlüssen hinter den Kulissen die preußischen Zentralbehörden in der Minderheitenschulfrage unterstützt zu haben. Mit der erfolgreichen Palastrevolution gegen den Flensburger Oberbürgermeister stand die Frage nach einem geeigneten Nachfolger für das Amt des Vorsitzenden des SHB im Raum. Scheel war ursprünglich nur als einfaches Mitglied im neuen Vorstand vorgesehen. Als im Laufe der nächsten Monate jedoch ein Wunschkandidat nach dem anderen absagte, der letzte direkt vor einer bereits einberufenen Landesversammlung, willigte er entgegen vorheriger Absage kurzfristig in die Übernahme des Amtes ein169. Aus der Not, als „Lückenbüßer […] und nur ungern“170 den politisch exponierten Vorsitz übernommen zu haben, suchte Scheel eine Tugend zu machen, indem er ein weiteres Mal zugunsten der Fraktion um Schmidt-Wodder Partei ergriff. Bei den zentralen Thesen seiner Antrittsrede handelte es sich daher um jene Standpunkte, die er bereits in der Minderheitenrechtsfrage sowie der Auseinandersetzung mit der Königsau-Fraktion vertreten hatte. Ausgehend von der Grundannahme einer momentanen politischen Handlungsbeschränkung Deutschlands stellte er erneut heraus, der SHB müsse „Volkstumsarbeit und nicht Staatsarbeit“ leisten, um das nationale Bekenntnis über die Durststrecke staatlicher Ohnmacht hinweg zu pflegen. Dementsprechend hätte der Bund keinerlei „Sonderpolitik“ am Auswärtigen Amt vorbei zu leisten, sondern sollte allenfalls „tastende Schritte tun“ und sich ansonsten „einordnen in die großen Linien unserer verantwortlichen deutApenrade vom 1. 10. 1927 (LAfS Apenrade, Det tyske mindretals arkiver, Schleswigscher Wählerverein, Nr. 27). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 169 Vgl. Schreiben Ernst Schröders an das preußische Ministerium des Innern vom 7. 8. 1926 (GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 77 Tit. 4030, Nr. 158); Protokoll der Landesversammlung des SHB vom 26. 10. 1926 (LASH Schleswig, Abt. 417, Nr. 17); und Schwensen, SchleswigHolsteiner-Bund, 315–317. 170 „Schleswig-Holsteiner-Bund und Volkstumsarbeit. Die Programmrede Prof. Scheels“, in: FLN, 26. 10. 1926. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort.

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schen Außenpolitik“. Hinsichtlich des Umgangs mit den Kontrahenten im Kampf um Schleswig forderte Scheel zum wiederholten Mal den respektvollen Umgang mit dem vermeintlichen Gegner. Seiner Ansicht nach durfte die Arbeit des SHB nicht darauf hinauslaufen, „den Eindruck zu erwecken, daß wir zwar für deutsche Rechte kämpfen, aber kein Verständnis hätten für die Rechte eines anderen Volkstums“. Für ihn hatte die Organisation vielmehr „in voller Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Ritterlichkeit die Aufgabe zu Ende zu führen“. Zudem betonte er, man dürfe über die bestehenden Gegensätze die „große germanische Gemeinschaft an den Ufern der Ostsee“ ebenso wenig aus den Augen verlieren wie die „höhere[n] Zusammenhänge von Kultur, Geist und Seele“. Was für die besseren Kenner von Scheels Positionen keine große Überraschung sein konnte, stellte als Antrittsverlautbarung für einen Vorsitzenden des als Grenzkampforganisation gegründeten SHB ein absolutes Novum dar. Der neue Gesamtvorstand sprach von einer „Programmrede im wahrsten Sinne des Wortes“171, deren weite Verbreitung sichergestellt werden müsse. Einem internen Bericht zufolge hielt die Spitze des SHB es ebenfalls für angemessen, von einer „Linksorientierung“172 des Bundes zu sprechen, wurde doch nach eigener Einschätzung das neue Haupt selbst in Kreisen der Sozialdemokratie als „Verständigungspolitiker“ angesehen. Damit übereinstimmend bezeichnete die Presse in Schleswig-Holstein Scheels Worte als „zukunftsweisend“173 und vermochte von einer „neuen Phase in der Arbeit des Bundes“174 zu berichten. Dem erwartungsfrohen Urteil schloss sich die dänische Grenzpresse an, welche Scheel attestierte, seine Rede enthalte „gute Ansätze zum menschlichen Verständnis des Gegners“175. Selbst in weiter entfernten dänischen Zeitungen blieb die Rede nicht ohne Echo, und auch hier überwogen anerkennende Töne wegen der Ankündigung des neuen Vorsitzenden, die Bundesarbeit in ruhigere Bahnen zu lenken176. Die positiven Reaktionen beiderseits der Grenze sprachen Bände hinsichtlich des Verhärtungsgrades, der in der Grenz- und Minderheitenfrage erreicht worden war, denn der neue SHB-Vorsitzende machte Furore, obwohl er keineswegs von einem möglichen Ende der deutsch-dänischen Konfron171 Rundschreiben Nr. 41 an die Ortsgruppen des SHB vom 25. 10. 1926 (BArch Berlin, R 8043, Nr. 1375. 172 Bericht über die Landesversammlung des SHB vom 26.10.26 (StAFL Flensburg, XII Hs, Nr. 1511, Bd. 8). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 173 „Der neue Kurs des Schleswig-Holsteiner-Bundes. Prof. Dr. Scheels Programmrede in Neumünster“, in: SLN, 26. 10. 1926. 174 „Schleswig-Holsteiner-Bund und Volkstumsarbeit. Die Programmrede Prof. Scheels“, in: FLN, 26. 10. 1926. 175 „Ein gegnerisches Programm“, in: DSL, 27. 10. 1926; N.N., Dagbog, 374; und Petersen, Sønderjylland, 300. Das Zitat findet sich in dem erstgenannten Artikel. 176 Vgl. „Dänische Stimmen zur Landesversammlung des Schleswig-Holsteiner-Bundes“, in: SLN, 29. 10. 1926; und Schleswig-Holsteinischer Grenzbericht für den Oktober 1926 von der Reichszentrale für Heimatdienst (BArch Berlin, R1501, Nr. 113405).

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tation sprach. Bei dem, was der Bundesvorstand und die Presse als ,neuen Kurs‘ zu feiern gewillt waren, standen ebenso wie bei Scheels Interventionen in der Minderheitenrechts- beziehungsweise Königsau-Frage genau genommen nur die Mittel der nationalen Auseinandersetzung zur Disposition, nicht aber deren Berechtigung und die zu verfolgenden, revisionistischen Ziele. In diesen letztlich entscheidenden Punkten hielt sich der neue Vorsitzende bezeichnenderweise bedeckt und blieb seinen Zuhörern eine schlüssige Erklärung schuldig, worin genau die Aufgabe bestand, die es nunmehr ,aufrichtig‘, ,ehrlich‘ und ,ritterlich‘ zu Ende zu führen galt. Auf der einen Seite machte dieser Verzicht auf Festlegung klarer politischer beziehungsweise territorialer Forderungen es besonders dänischen Stimmen leichter, Scheel eine moderate Haltung zuzuschreiben. Andererseits weckte jene Unbestimmtheit, besonders in Verbindung mit der Einforderung eines respektvollen Umgangs mit den angeblich stammverwandten Kontrahenten, erhebliches Misstrauen und wachsenden Widerstand bei den deutschen Verfechtern eines kompromisslosen Grenzkampfes. Zu den Scheel ohnehin nicht wohl gesonnenen Vertretern der Königsau-Fraktion nördlich der Grenze gesellten sich bald nach seinem Amtsantritt Kräfte von weiter südlich, die, so Scheel gegenüber Friis, begannen ihn „einen Pazifisten zu schelten“177. Vor allem im grenznahen Flensburg kam es zu Unmutsbekundungen über den neuen SHB-Vorsitzenden und seinen als zu nachgiebig empfundenen Kurs. Wie dieser Schifferer zu berichten wusste, erschien dortigen Kreisen seine Weigerung, „mit gezücktem Dolch dem dänischen Volk entgegen zu treten“178, als nicht weniger denn „nationaler Verrat“. Scheels Gegner dürfte ebenfalls nicht besänftigt haben, dass er im Folgejahr als Herausgeber eines neuen Periodikums mit dem Namen Deutsch-Nordische Zeitschrift (DNZ) in Erscheinung trat, in dessen erster Ausgabe er einleitend den „germanischen Elementen der Ostseewelt“179 huldigte, welche von Osten her durch „nichtgermanische Völker“ bedroht seien. Die Beiträge der sechs erschienenen Ausgaben suchten dementsprechend in erster Linie die enge kulturelle Verbundenheit zwischen Deutschen und Skandinaviern zu untermauern und deren vermeintlich kollektives Germanentum von mutmaßlich fremdartigen Einflüssen abzugrenzen. Besonders deutlich trat dies in den Nachrichtenrubriken „Der nordische Beobachter“ sowie „Der deutsche Beobachter“ zutage, in denen etwa „Vorstöße des französischen Geistes nach Schweden“180 moniert oder deutschen Dramatikern wegen „Amerikanisierung“181 ein „Mangel an Ursprünglichkeit“ angekreidet wurde. Dem uneingeweihten Leser blieb ob derart einseitiger Werbung für 177 Schreiben Scheels an Aage Friis vom 23. 12. 1926 (RA Kopenhagen, Nr. 5424, Nr. 38). 178 Schreiben Scheels an Anton Schifferer vom 27. 12. 1926 (LASH Schleswig, Abt. 399.70, Nr. 406). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 179 Scheel, Einleitung, 1. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 180 Waschnitius, Der Nordische Beobachter, 63. 181 Fromme, Der Deutsche Beobachter, 78 f. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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deutsch-nordischen Pangermanismus verborgen, dass hinter dem Unternehmen nicht allein Scheel stand, sondern ebenfalls Schmidt-Wodder, Schröder und Schifferer. Letzterer stellte als Vorsitzender der SHUG die Finanzierung sicher. Seine Motivation hierzu war in nationalpolitischer Hinsicht ebenso wenig selbstlos wie die vorangegangenen Interventionsversuche des DNZ-Herausgebers in der Grenz- und Minderheitenfrage. Wie Scheel stand Schifferer dem Gedanken nahe, die Auseinandersetzung mit Dänemark müsse wegen der machtpolitischen Beschränkungen Deutschlands vor allem auf kultureller Ebene ausgetragen werden. Wurde von Scheels Widersachern die DNZ als erneute Anbiederung an Kopenhagen verstanden, entpuppte sie sich folglich beim Blick hinter die Kulissen als Versuch, nicht nur kulturelle Kontakte zu intensivieren, sondern gleichzeitig die pro-dänische Phalanx der Skandinavier in der Nordschleswigfrage aufzubrechen182. Das dazu bemühte Konzept übernationaler Verbundenheit ,germanischer Ostseevölker‘ barg jedoch nicht nur die Gefahr, in Deutschland als Defaitismus interpretiert zu werden, sondern erwies sich auch in Dänemark als potentielles Risiko, in schweres Fahrwasser zu geraten. Dies bekam der nördlich der Grenze für einen SHB-Vorsitzenden erstaunlich positiv beurteilte Scheel auf einer Reise in die skandinavischen Hauptstädte zu spüren, die er im Herbst 1927 zusammen mit Schifferer unternahm. Ziel des Unternehmens sollte sein, für die Teilnahme an einem Deutsch-Nordischen Universitätstag in Kiel zu werben, den Schifferer federführend mit organisierte. Aufgrund seiner exzellenten politischen Kontakte nach Berlin bemühte Schifferer sich für das Unternehmen mit Erfolg um Rückendeckung des Auswärtigen Amtes, das die diplomatischen Vertretungen im Norden anwies, den beiden Reisenden vor Ort Schützenhilfe zu leisten. In Kopenhagen fand deshalb ein geselliger Abend mit geladenen dänischen Gästen aus Wissenschaft, Politik und Presse in der deutschen Gesandtschaft statt183. Hier zeigte sich, wie schnell die dänische Aufgeschlossenheit gegenüber dem als Advokat der Mäßigung eingestuften Scheel an ein Ende kommen konnte, sofern dieser den Akzent zu sehr auf germanische Visionen legte. Wie der deutsche Gesandte an das Auswärtige Amt Bericht erstattete, rief Scheel bei der Abendveranstaltung „Misstrauen“184 und „Verstimmung“ hervor, weil er in einer Ansprache versuchte, „historisch die Gemeinsamkeiten der germanischen Völker beziehungsweise der Ostseenationen abzuleiten“ und dabei 182 Vgl. Aktenvermerk des Reichsinnenministeriums betreffend Mittel für die Volkstumsarbeit in Schleswig-Holstein vom 7. 2. 1928 (BArch Berlin, R 1501, Nr. 3467); Jessen-Klingenberg, Nord-Locarno, 312–316; Schreiben Ernst Schröders an das Reichsinnenministerium vom 6. 9. 1927 (LASH Schleswig, Abt. 309, Nr. 35300); und Schreiben Johannes Schmidt-Wodders an Scheel vom 1. 11. 1927 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 71). 183 Vgl. Schreiben des Auswärtigen Amtes an die Gesandtschaft vom 1. 9. 1927 (PAAA Berlin, Gesandtschaft Kopenhagen, Nr. 41). 184 Bericht Ulrich von Hassells vom 14. 10. 1927 (PAAA Berlin, R 81201). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort.

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die „überlegene große deutsche Kulturnation allzu stark in den Vordergrund“ stellte. Wegen der überaus negativen Wirkung derartiger Ausführungen auf die Gäste empfahl von Hassell der Gesandtschaft in Stockholm, dort nach Möglichkeit Schifferer den Vortritt als Redner zu lassen185. Letzterer hielt ebenfalls in seinem Reisetagebuch fest, Scheel habe „wieder stark den germanischen Gedanken und die Zusammengehörigkeit der germanischen Welt an der Ostsee“186 betont und damit „offenbar allerlei Porzellan zerschlagen“. Von dänischer Seite bestätigten dies nicht nur Zeitungskommentare des folgenden Tages, die einer Annährung unter Berufung auf kollektives Germanentum aus Sorge um Kopenhagens Souveränität eine klare Absage erteilten187. Auch der in die Gesandtschaft eingeladene Friis warnte seinen Kieler Historikerkollegen am Folgetag bei einem privaten Treffen ausdrücklich vor weiteren Ausführungen über germanische Zusammenhänge zwischen Deutschland und Dänemark188. Für Scheel selbst war dies vollkommen unverständlich. Er suchte in seinen Reiseaufzeichnungen die allergischen Reaktionen auf die für ihn evidenten „Stammeszusammenhänge“189 dahingehend zu erklären, die Dänen stünden „sehr stark unter dem Eindruck der kleinen Volkszahl und der überströmenden deutschen Kulturkraft“. Für den Erfolg des Werbeunternehmens erwiesen sich trotz der atmosphärischen Störungen in Kopenhagen letzten Endes nicht die skandinavischen Nachbarn als größter Bremsklotz, sondern die Opposition im eigenen Lande. Neben der Abendveranstaltung in der Gesandtschaft und privaten Treffen mit dänischen Gelehrten hatte Scheel auch einigen Zeitungen Interviews gegeben, in denen die Journalisten sich vor allem an seinem Standpunkt zur Grenz- und Minderheitenfrage interessiert zeigten. Dabei vermied er konkretere Stellungnahmen zur Grenze von 1920 und formulierte – eine generelle Kritik am Vertrag von Versailles ausgenommen – keinerlei direkte Revisionsforderungen. Zudem beteuerte er erneut sein Eintreten für die kulturelle Autonomie der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein190. Dort brachten derlei Verlautbarungen die ohnehin gespannte Stimmung in 185 Vgl. Schreiben Ulrich von Hassells an die deutsche Gesandtschaft in Stockholm vom 12. 10. 1927 (RA Kopenhagen, H ndskriftsamlingen XVI, Auswärtiges Amt, Nr. 318). 186 Reisetagebuch Schifferers, als Anlage enthalten in Jessen-Klingenberg, Nord-Locarno, 324. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 187 Vgl. „Kiel-København“, in: BT, 12. 10. 1927; und „Kiel-København“, in: Nationaltidende, 12. 11. 1927. Zu den verhaltenen dänischen Pressereaktionen siehe ebenfalls „Deutschland und Dänemark“, in: Frankfurter Zeitung, 14. 10. 1927; und Bericht von Hassells vom 14. 10. 1927 (PAAA Berlin, Gesandtschaft Kopenhagen, Nr. 41). 188 Vgl. Reisetagebuch Schifferers, als Anlage enthalten in Jessen-Klingenberg, Nord-Locarno, 323. 189 Reisebericht Scheels, als Anlage enthalten in Jessen-Klingenberg, Nord-Locarno, 337. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 190 Vgl. „Kieleruniversitetet og den danske grænse“, in: København, 12. 10. 1927; und „Professor Scheel om et nærmere tysk-dansk Samarbejde paa Trods af Nationalitetskampen“, in: Hejmdal, 12. 10. 1927.

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den Kreisen der Befürworter einer aggressiveren Gangart zum Überkochen, zumal die Presse bereits mit der Formulierung eines neuen Locarno hantierte191. Nach Abschluss der Reise erwartete Scheel und Schifferer daher bei der Heimkehr kein allzu warmer Empfang. Letzterer berichtete von Hassell, er und sein Kompagnon seien mit einer „ganz maßlosen Hetze“192 von Seiten derjenigen konfrontiert worden, welche die nordische Reise und den Universitätstag als Fortsetzung jenes verräterischen Anbiederungskurses interpretierten, den Scheel bereits im SHB und mit der DNZ zu propagieren schien. Wie wenig derlei Anschuldigungen den eigentlichen Zielen der beiden gerecht wurden, brachte Schmidt-Wodder auf den Punkt, der es als „Entgleisung“193 brandmarkte, „den Leuten, die den Plan Scheel-Schifferer begrüßen, den Mantel des Pazifismus oder der weichen Nachgiebigkeit umzuhängen“. Scheels Probleme nach der Reise beschränkten sich indes nicht darauf, durch den Versuch, Germanophilie und Grenzkampf zusammenzuführen, beiderseits der Grenze politisch in Misskredit geraten zu sein. Seine Situation verschärfte sich zusätzlich durch das, was bald darauf als ,Süderbraruper Affäre‘ für erhebliches Aufsehen in Schleswig-Holstein sorgen sollte. Entgegen ausdrücklicher Warnungen seiner Vertrauten hatte er seit Sommer 1926 nach und nach einen Betrag von mindestens 150.000 Mark aus seinem Privatvermögen einem ihm weitestgehend Unbekannten anvertraut, der zugesichert hatte, mit dem Geld die Übernahme einer Druckerei in Süderbrarup durch dänische Investoren verhindern zu wollen. Der Unternehmer Klein-Roden entpuppte sich jedoch als Hochstapler, die investierten Gelder gingen fast komplett verloren und Scheel musste sich gegenüber der Staatsanwaltschaft wegen seiner Verwicklungen in die Machenschaften seines als Betrüger verhafteten Geschäftspartners erklären194. Von Seiten seiner Gegner wurde zudem gezielt das Gerücht gestreut, er habe mit dem Einstieg in die Süderbraruper Druckerei fraglos grenzpolitische Ziele verfolgt. Dies erhöhte das allgemeine Interesse an der ohnehin schon Aufsehen erregenden Affäre zusätzlich, weil auf dänischer Seite vielfach die Überzeugung herrschte, Scheel habe in Süderbrarup nicht eigenes Geld verbrannt, sondern Mittel aus geheimen Grenzkampffonds. Sein privates Missgeschick wurde so zum hand-

191 Vgl. „Politik und Wissenschaft. Ein geistig-kulturelles „Nord-Locarno“?“, in: FLN, 17. 10. 1927; und „Vor einem deutsch-dänischen Locarno?“, in: KNN, 23. 10. 1927. 192 Schreiben Anton Schifferers an Ulrich von Hassell vom 29. 11. 1927 (PAAA Berlin, Gesandtschaft Kopenhagen, Nr. 41). Zur weiteren Kritik deutschnationaler Kreise an der Unternehmung siehe Jessen-Klingenberg, Nord-Locarno, 318 f. 193 Schreiben Johannes Schmidt-Wodders an Graf Kielmannsegg vom 4. 1. 1928 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 267). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 194 Vgl. Schreiben Fritz Rörigs an Arnold. O. Meyer vom 19. 11. 1927 (AHL L beck, NL Fritz Rörig, Nr. 52); Schreiben Ernst Schröders an Scheel vom 8. 9. 1926 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 1); und Schreiben Anton Schifferers an Ulrich von Hassell vom 22. 11. 1927 (RA Kopenhagen, H ndskriftsamlingen XVI, Auswärtiges Amt, Nr. 318).

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festen Politskandal, in den seine Unterstützter hineingezogen zu werden drohten195. Politisch massiv unter Druck geraten, finanziell erheblich geschädigt und persönlich in aller Öffentlichkeit bloßgestellt, erlitt Scheel kurz nach der Rückkehr von der Werbereise einen physischen Zusammenbruch. Der Direktor an der Medizinischen Klinik der Christiana Albertina attestierte ihm eine „deutliche nervöse Störung des Herzens und der Gefäße“196 und empfahl zur Wiederherstellung seiner empfindlich angeschlagenen Gesundheit einen mindestens halbjährigen Kuraufenthalt, der sobald wie möglich angetreten werden sollte. Dieser Aufforderung kam der Patient in Anbetracht der Umstände nur allzu gern nach und verließ Anfang November Kiel so fluchtartig, dass er die Universitätsleitung von seinem krankheitsbedingten Ausfall erst nach Ankunft in Süddeutschland in Kenntnis setzte197. In Kiel waren seine bisherigen politischen Weggefährten alles andere als böse darum, den durch die Süderbraruper Affäre in Verruf Geratenen loszuwerden. Nicht nur der dänischen Minderheitenpresse schien es bemerkenswert, wie rasch Scheel fallengelassen und an der SHB-Spitze ersetzt wurde198. Auch sein Kieler Historikerkollege Brandt kam nicht umhin, es als „Übel“199 zu bezeichnen, dass „dieselben Leute, die bisher Scheel verhimmelt haben, nun im Unglück über ihn herfallen und ihn preisgeben“. Dass diese Urteile keineswegs fehlgingen, zeigten die Umstände von Scheels Rückkehr nach Kiel, die sich Anfang 1929 ankündigte. Wohl nicht zuletzt weil der Prozess gegen Klein-Roden noch nicht abgeschlossen war und Scheels Name in diesem Zusammenhang immer wieder in der Presse auftauchte200, rief die Aussicht auf seine baldige Heimkehr bei den einstigen Förderern alles andere als Begeisterung hervor. Um mögliche negative Rückwirkungen auf die deutsche Grenzarbeit in Nordschleswig zu verhindern, nahm Schröder ihm bereits bei einem Besuch in Süddeutschland das Versprechen ab, sich auf die „historischen Arbeitsfelder“201 zu beschränken. Damit übereinstimmend hielt auch Schmidt195 Vgl. Bericht des Kurators der Universität Kiel an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 29. 11. 1927 (GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 76 Va Sekt. 9 Tit. IV, Nr. 1, Bd. 21); Bericht des schleswig-holsteinischen Regierungspräsidiums an das preußische Ministerium des Innern vom 23. 11. 1927 (Ebd.); und Schreiben der Landeskriminalpolizeistelle Flensburg an die dortige Grenzmittelstelle vom 15. 11. 1927 (LASH Schleswig, Abt. 309, Nr. 35280). 196 Gutachten Prof. Dr. Alfred Schittenhelms vom 3. 1. 1927 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 6996). 197 Vgl. Vermerk des Kurators der Christiana Albertina vom 11. 11. 1927 (Ebd.). 198 Vgl. „Die neue schleswig-holsteinische Erhebung“, in: DSL, 12. 11. 1927; und „Man lässt Professor Scheel fallen“, in: DSL, 18. 11. 1927. 199 Schreiben Otto Brandts an Hermann Oncken vom 2. 2. 1928 (StAOL Oldenburg, 271–14, Nr. 55). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 200 Vgl. „Der Betrugsprozeß gegen Klein-Roden“, in: SLN, 2. 5. 1930; und „Der Betrugsprozeß Klein-Roden“, in: FLN, 2. 5. 1930. 201 Memoiren Ernst Schöders, Bd. 13, 82 (StAFL Flensburg, XII Hs, Nr. 1766, Bd. 1).

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Wodder nach Scheels Ankunft in Kiel fest, eine „Weiterführung seiner alten Tätigkeit kann und darf nicht in Frage kommen“202. Die Provinzialverwaltung bemühte sich ebenfalls um politische Abstinenz ihres ehemaligen Proteg s, dessen Berufung zum Zwecke nationaler Erbauungsarbeit sie so entschieden gefördert hatte. Über den Landeshauptmann suchte sie mit der Presse ein Übereinkommen zu treffen, demzufolge die Berichterstattung über Scheel im Austausch dafür eingestellt werden sollte, dass an selbigen die Aufforderung erging, „sich in Zukunft nicht mehr politisch zu betätigen“203. Das Regierungspräsidium ging noch einen erheblichen Schritt weiter. Als zeitgleich mit Scheels Rückkehr seine Berufung auf eine kirchenhistorische Professur in Halle im Raum stand, erhielt das preußische Kultusministerium Nachricht aus Kiel, es liege „im dringenden Interesse sowohl Scheels persönlich als auch der Provinz Schleswig-Holstein, dass er sich nicht nur von politischer Betätigung in Kiel fernhalte, sondern überhaupt fortgehe“204. Man möge daher „alles aufbieten“, um den Wechsel nach Halle sicherzustellen, da andernfalls zum Schaden Scheels und der Provinz die Süderbraruper Affäre wieder auf die Titelseiten zurückzukehren drohe. Den Versuch, den als politischen Risikofaktor Eingestuften an die Saale abzuschieben, hätte sich die Provinzialverwaltung indes sparen können, da Scheel dem Kultusministerium bereits zu verstehen gegeben hatte, er wolle in Schleswig-Holstein nicht das Feld räumen205. So blieb dort den um Scheels Beschränkung auf akademische Geschäfte bemühten Kreisen nichts weiter übrig, als ihn nach Kräften von politischen Betätigungen fernzuhalten. Dies gelang allem Anschein nach sehr gut. Anderthalb Jahre nach seiner Rückkehr berichtete die Kieler Geschäftsstelle der Reichszentrale für Heimatdienst dem Berliner Hauptsitz, Scheel habe trotz verschiedener Versuche seinerseits „weder in der Grenzarbeit, noch in der Heimatbewegung nach der Ihnen ja bekannten Affäre Fuß gefasst“206. Aus Sicht der Kieler Dependance galt es daher als äußerst unwahrscheinlich, dass er „in den nächsten Jahren wieder eine größere Rolle hier in der Provinz spielen wird“. Bezogen auf außeruniversitäre Initiativen sollte sich diese Einschätzung bewahrheiten. Scheels politische Karriere, deretwegen er eigentlich an die Förde gewechselt war, erholte sich in der Tat nicht von dem schweren Schlag des Jahres 1927. Bis in

202 Schreiben Johannes Schmidt-Wodders an Johannes Tonnesen vom 3. 8. 1929 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 267). 203 Aktenvermerk des Rektors der Christiana Albertina über die Korrespondenz mit dem Landeshauptmann in Sachen Scheels vom 28. 2. 1929 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 1189). 204 Aktenvermerk des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 6. 7. 1929 (GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 76 Va, Nr. 10194). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 205 Vgl. Schreiben Scheels an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 11. 6. 1929 (Ebd.). 206 Bericht der Reichszentrale für Heimatdienst Kiel an die Zentrale in Berlin vom 5. 1. 1931 (StAFL Flensburg, XII Hs, Nr. 1511, Bd. 8). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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die Nachkriegszeit befasste er sich nur noch im Rahmen akademisch angebundener Projekte mit Grenz- und Minderheitenfragen.

3.2.2. Historisches Forschungsfeld Ebenso wie Scheel in der politischen Arena versuchte, durch die Kombination der Ideen nationaler Konkurrenz und übernationaler germanischer Gemeinschaft besondere Akzente zu setzen, schrieb er sich in der historischen Forschung auf die Fahnen, eigene Wege zu gehen. Symptomatisch hierfür war, dass er ungeachtet des Vorsatzes, vor allem politisch und nicht akademisch wirken zu wollen, innerhalb eines guten Jahres nach seiner Berufung zwei neue Forschungsinstitutionen ins Leben rief. Parallel zu den im Lande bestehenden Einrichtungen erfolgte unter Scheels Ägide die Gründung des Baltischen Historischen Forschungsinstituts (BHF) und der Baltischen Kommission (BK). Mittel für Ersteres hatte das Oberpräsidium bereits im Zuge der Berufungsverhandlungen in Aussicht gestellt, weshalb der Provinzialausschuss nach Scheels Ankunft in Kiel die Etatisierung eines jährlichen Budgets beschloss. Mit Hilfe dieser Gelder konnte Scheel zum Herbst 1924 im Ostflügel des Kieler Schlosses das BHF einrichten, wo ihm mit Assistent, Sekretariat, Hilfskräften und hauseigener Bibliothek de facto ein persönliches Historisches Seminar im Kleinformat zur Verfügung stand207. Die Konstituierung der BK erfolgte im Sommer des Folgejahres. Anders als beim BHF handelte es sich hierbei nicht um eine feste Einrichtung, sondern ein zwei- bis dreimal jährlich unter dem Vorsitz Scheels im BHF tagendes Gremium. Dessen knapp 30 Mitglieder hatten vor allem über die Vergabe von Forschungsgeldern zu entscheiden, welche neben dem BHF vor allem die von Schifferer geleitete SHUG zur Verfügung stellte, in deren Schriftenreihen alle von der BK geförderten Publikationen erschienen208. Die Scheel’schen Neugründungen zeichneten sich durch zweierlei aus. In forschungsstrategischer Hinsicht war erstens bemerkenswert, dass es sich bei der BK um keine reine Historikerkommission handelte. Zwar stellten die Geschichtsforscher den größten Teil des Gremiums, doch davon abgesehen wurden ebenfalls Vertreter aus diversen anderen Fachbereichen zu Mitgliedern berufen, unter anderem Germanisten, Nordisten, Geographen und Anthropologen209. Mit dieser Aufstellung verband sich das Ziel, eine neue Form interdisziplinärer Landesforschung in Kiel zu etablieren. Wie in einer kurz nach Gründung herausgegebenen Denkschrift zu lesen, hatte die BK „den 207 Vgl. Finanzplan des Provinzialausschusses vom 7. 10. 1924 (LASH Schleswig, Abt. 301, Nr. 3669); und Bericht Scheels über die Einrichtung des BHF vom 14. 5. 1925 (LASH Schleswig, Abt. 371, Nr. 881). 208 Vgl. Scheel, Tätigkeitsbericht, 95–97. 209 Vgl. N.N., Mitgliederverzeichnis, 77.

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modernen Forschungsmethoden entsprechend“210 nicht Vorlieb zu nehmen, „nur mit dem von den bisherigen historischen Kommissionen fast ausschliesslich gepflegten Gebiet, der politischen Geschichte des Landes, sondern über die Sprach- und Vorgeschichte hinweg bis zur Raum- und Erdgeschichte vorzudringen“. Das Gremium verschrieb sich mit dieser programmatischen Abkehr von etatistischen Kategorien dem wichtigsten volksgeschichtlichen Paradigma. Was Scheel in der politischen Arena im Kampf um die Minderheitenschulverordnung propagierte und bald darauf als SHB-Vorsitzender unter der Formel subsumierte, es gelte ,Volkstumsarbeit und nicht Staatsarbeit‘ zu leisten, schlug sich somit auch bei seiner Positionierung als Landeshistoriker nieder. Davon abgesehen gedachte Scheel seinen Neugründungen zweitens in politischer Hinsicht eine besondere Funktion im deutsch-skandinavischen Beziehungsgeflecht zu. In Anlehnung an das Konzept ethnisch-kultureller Verbundenheit vermeintlich germanischer Nationen im Ostseeraum hatte Scheel bereits vor dem Umzug nach Kiel geplant, dort einen „Brennpunkt der Erforschung der Welt der Ostseevölker“211 zu schaffen. Hierauf ging der Zusatz ,Baltisch‘ bei der Namensgebung für Institut und Kommission zurück. Des Weiteren wusste ein Emissär des Auswärtigen Amtes zu berichten, nachdem er Ende 1924 auf Einladung der SHUG den Kieler Universitätstag besuchte hatte, der „Angliederung eines baltischen Instituts“212 an die Christiana Albertina liege der Plan zugrunde, „den Standpunkt Schleswig-Holsteins in der nordschleswigschen Frage den Ostseeländern nahezubringen“. Dies war aller Voraussicht nach auch der Grund für die massive finanzielle Förderung von Seiten der Provinzialverwaltung, die das BHF zu den „kulturpolitische[n] Maßnahmen im Grenzgebiet der Provinz“213 zählte. Wie bei Scheels direkten politischen Interventionsversuchen stand folglich bei der Ausrichtung jener beiden wissenschaftlichen Einrichtungen die Idee Pate, sowohl kollektivem Germanentum als auch nationalen Interessen verpflichtet zu sein. Gegenüber den Mitgliedern der BK schwieg er sich auf der konstituierenden Sitzung über derlei Zusammenhänge zwar aus. Gleichwohl dürfte seinen Zuhörern kein Geheimnis geblieben sein, dass der neuen Einrichtung besondere Aufgaben zugedacht waren, beschrieb der zukünftige Vorsitzende in seinen einleitenden Worten das Baltikum doch als jenes Gebiet, welches für Kiel als „nordische Grenzlanduniversität“214 kennzeichnend sei. Während der neu Berufene sich mit Hilfe der eifrigsten Förderer seiner 210 Denkschrift ,Die Baltische Kommission‘ vom November 1925 (AHL L beck, NL Johannes Kretzschmar, Nr. I/3). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 211 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 29. 2. 1924 (AVRG Mainz, Karton 3.2). 212 Aufzeichnung über den Besuch des Kieler Universitätstages vom 4. 11. 1924 (PAAA Berlin, R 81200). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 213 Bericht einer Rundreise von Ministerialvertretern vom 3. 7. 1925 (SHLB Kiel, Cc 19, C–D). 214 Protokoll der konstituierenden Sitzung der BK vom 8. 6. 1925 (AHL L beck, NL Johannes Kretzschmar, Nr. I/3).

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Berufung ein eigenes Forschungsnetzwerk schuf, übte sich die Leitung der bis dato wichtigsten Institution landeshistorischer Forschung außerhalb der Kieler Universität in Selbstzerfleischung. In der Gesellschaft für SchleswigHolsteinischen Geschichte (GSHG) standen sich zwei verfeindete Lager gegenüber. Hierbei handelte es sich zum einen um die Kieler Fraktion, deren wichtigster Exponent GSHG-Schriftführer und Landesbibliothekar Volquart Pauls war, und zum anderen um jene Partei, die sich um Hedemann-Heespen scharte215. Spätestens mit der Nachricht von der möglichen Einrichtung eines Lehrstuhls für Landesgeschichte war der Streit zwischen den beiden Gruppierungen um Macht und Einfluss über die Gesellschaft hinaus eskaliert. So hatte der bereits erwähnte universitäre Lehrbeauftragte für Landesgeschichte, Otto Brandt, als Wunschkandidat Hedemann-Heespens für den Fall einer Berufung von Pauls angekündigt, er werde „einen ungeheuren Knall hervorrufen und Kiel verlassen“216. Scheel verhielt sich neutral in der Auseinandersetzung, über die ihn der ehemalige GSHG-Schriftführer Arnold O. Meyer genauestens informierte. In den Vorstand der Geschichtsgesellschaft trat er erst ein, nachdem es ihm gelungen war, mit Pauls, Brandt und Hedemann-Heespen die wichtigsten Köpfe der verfeindeten Fraktionen in der BK an einen Tisch zu holen217. Dieser Schritt half ebenso wenig wie sein Angebot, zwischen den Streithähnen zu vermitteln, die Vorbehalte insbesondere der Kieler Fraktion gegen seine Neugründungen aufzuweichen. Obwohl Meyer den Kieler Schriftführer der GSHG eindrücklich vor „Ressortpatriotismus“218 warnte, erblickte dieser in der BK in erster Linie einen unliebsamen Konkurrenten219. Nicht viel anders verhielt es sich bei den Lübecker und Hamburger Archivleitern, Hans Nirrnheim und Johannes Kretzschmar, die, ebenfalls in die BK berufen, dort in erster Linie den Hansischen Geschichtsverein (HGV) vertraten. Für sie stand von Beginn an fest, die BK dürfe Hamburg und Lübeck „nicht ins Gehege kommen“220. Wie groß auch hier die Sorge vor einem neuen Rivalen war, zeigte sich in aller Deutlichkeit, als mit Scheels Zusammenbruch seine Kieler Gründungen vor dem Aus zu stehen schienen. In dieser Situation bekannte Kretzschmar, er habe wegen der Ausdehnung des Arbeitsfeldes auf den 215 Vgl. „Die Gesellschaft für schleswig-holsteinische Geschichte“, in: SLN, 15. 9. 1923; und Gesellschaft f r Schleswig-Holsteinische Geschichte, Mitglieder. Zu den Biographien von Pauls bzw. Hedemann-Heespen siehe Cordes, Regionalgeschichte, 29–32, 33–41. 216 Schreiben Otto Brandts an Paul von Hedemann-Heespen vom 15. 5. 1922 (GDN DeutschNienhof, Nr. 53). 217 Vgl. Eintrag im Protokollbuch der GSHG vom 17. 11. 1925 (LASH Schleswig, Abt. 397, Nr. 2); und Schreiben Scheels an Arnold O. Meyer vom 30. 8. 1924 (SUBG Gçttingen, A. O. Meyer 425, Nr. 2). 218 Schreiben Meyers an den Vorsitzenden der GSHG vom 10. 9. 1925 (SHLB Kiel, Cc 19, A–B). 219 Vgl. Aktennotiz des GSHG-Vorsitzenden vom 19. 11. 1925 (Ebd.); und Schreiben Karl Alnors an Paul von Hedemann-Heespen vom 2. 6. 1924 (GDN Deutsch-Nienhof, Nr. 53). 220 Schreiben Johannes Kretzschmars an Hans Nirrnheim vom 30. 11. 1925 (StAHH Hamburg, 622–2/44, Nr. 21).

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baltischen Raum die BK als „Konkurrenzinstitut“221 nie gebilligt und für nichts anderes gehalten als „eine von Scheels überspannten Ideen, die an Großmannssucht streifen“. Was die Bedenken der Vertreter von GSHG und HGV betraf, bestätigten sie sich auf ganzer Linie. Entgegen der ursprünglichen Pläne spielte der baltische Raum eine allenfalls untergeordnete Rolle als Betätigungsfeld der BK, die auf diesem Gebiet nach ihrer ersten Publikation fast gar nicht mehr in Erscheinung trat222. Im Gegensatz zur offiziellen Zielsetzung, methodisch innovative, interdisziplinäre Studien zu Nordeuropa auf den Weg zu bringen, veröffentlichte ihre Schriftenreihe stattdessen diverse Werke vor allem zur schleswigholsteinischen Geschichte, deren Fokus nicht selten ein konventionell politikbeziehungsweise wirtschaftsgeschichtlicher war. Hierzu zählte unter anderem Scheels erste längere landeshistorische Abhandlung, eine ideengeschichtliche Arbeit über den jungen Friedrich Christoph Dahlmann. Mit dem Fokus auf die politischen Konzeptionen eines ,großen Gelehrten‘ war er Lichtjahre von dem entfernt, was sich die BK in methodisch-theoretischer Hinsicht auf die Fahnen geschrieben hatte223. Verfehlte das Gremium damit zum Gutteil seine Ziele, so ergaben sich durch die Publikationen zur Landes- und Hansegeschichte Konkurrenzen zu HGVund GSHG. Für Letztere wogen diese besonders schwer, weil sie bis Ende der 1920er Jahre jährlich nur noch geringfügig höhere öffentliche Mittel als das BHF zugewiesen bekam. Zusammen mit den über die SHUG in die Kassen der BK geleiteten Geldern verfügte Scheel damit über einen größeren Etat als die alteingesessene Geschichtsgesellschaft. Aller Voraussicht nach kam es darüber nur deshalb nicht zum Bruch, weil Scheel die mit der Leitung der GSHG betraute Kieler Fraktion unterstützte, als Hedemann-Heespen in der BK gegen diese mobil machte und deshalb im Streit aus dem Gremium schied224. Seine Mittlerposition in den Flügelkämpfen der GSHG gab Scheel indessen nicht nur auf, weil der Gutsbesitzer aus Deutsch-Nienhof die Auseinandersetzung in die BK hineintrug, sondern ebenfalls wegen der Verschlechterung der Beziehungen zu dessen Proteg Brandt. Das anfangs trotz der Konkurrenz um den Lehrstuhl gute Verhältnis zwischen Brandt und Scheel kühlte sich wegen einer fachlichen Kontroverse ab225. Scheel hatte in seiner Abhandlung 221 Schreiben Kretzschmars an Rörig vom 19. 2. 1929 (AHL L beck, NL Johannes Kretzschmar, Nr. I/3). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 222 Vgl. Credner, Landschaft. 223 Vgl. Gehrcke, Mommsen; Jessen, Lornsens Briefe; Rçrig, Einkaufsbüchlein; ders., Beiträge; und Scheel, Dahlmann (1926). 224 Vgl. Protokoll der Sitzung der BK vom 3. 7. 1926 (AHL L beck, NL Johannes Kretzschmar, Nr. I/3); Rundschreiben an die Mitglieder der BK vom 27. 8. 1926 (AHL L beck, NL Fritz Rörig, Nr. 36); und Finanzvorlagen der Kommission für Kunst, Wissenschaft und Denkmalspflege des Provinzialausschusses 1927–1929 (GDN Deutsch-Nienhof, Nr. 54). 225 Zu Brandts anfangs positivem Urteil über Scheel siehe das Schreiben Otto Brandts an Aage Friis vom 16. 1. 1925 sowie das Schreiben Aage Friis’ an Otto Brandt vom 13. 8. 1925 (RA Kopenhagen, Nr. 5424, Nr. 6).

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über Dahlmann herauszustellen gesucht, dass dieser „Vater und Schöpfer“226 der deutschen Nationalbewegung in Schleswig-Holstein gewesen sei. Von Brandt hingegen war unmittelbar zuvor in einer Monographie über ländliche Adelswelten die vollkommen gegensätzliche These aufgestellt worden, die Aristokratie habe als „Wegweiser für Dahlmann“227 gedient. Der daraufhin in der Fachpublizistik über mehrere Jahre ausgetragene Streit228 manövrierte den als Parteigänger Hedemann-Heespens ohnehin schon isolierten Brandt noch weiter ins Abseits. Keine eineinhalb Jahre nachdem er mit durchaus positiven Erwartungen in die BK eingetreten war, sehnte er daher seinen Weggang aus Kiel herbei229. Hinsichtlich Scheels weiterer publizistischer Betätigung als Historiker stellte die Auseinandersetzung mit Brandt insofern Weichen, als er sich wegen der andauernden Diskussion im Verlauf der nächsten Jahre immer wieder mit der Rolle Kieler Professoren für die deutsche Nationalbewegung beschäftigte. In seinen frühen Arbeiten mit dezidiert historischem Fokus, deren Anzahl wegen seiner zeitraubenden politischen Mandate überschaubar blieb, kam der These von den Lehrenden der Christiana Albertina als nationalpolitischen Taktgebern daher eine tragende Rolle zu. So widmete er selbst in einem Aufsatz über die Genese des deutschen Standpunktes in der Nordschleswigfrage Dahlmann mehrere Seiten, obwohl dieser, wie Scheel eingestehen musste, die besonderen Gegebenheiten der deutsch-dänischen Grenzregion weitestgehend ignoriert hatte230. Ganz im Mittelpunkt stand der vermeintlich deutsche Beruf des Lehrpersonals der Christiana Albertina in den historischen Überblicken der Universitätsgeschichte, die er anlässlich eines Besuches von Reichspräsident Hindenburg beziehungsweise für ein Sammelwerk über das deutsche Hochschulwesen verfasste. Dort hielt Scheel fest, Professoren wie Dahlmann, Droysen und Falck hätten mit ihren Arbeiten zur Rechtsstellung SchleswigHolsteins die „lebensvollen und starken nationalpolitischen Ideen […] von der Kieler Universität ins Land hinein- und weit darüber hinausgetragen“231 und seien deshalb „Schöpfer und Träger der die nationale Entwicklung der Herzogtümer bestimmenden Ideen“232 gewesen. Damit lieferte er eine historiographische Unterfütterung für jene Stilisierung der Christiana Albertina zur Verteidigerin nationaler deutscher Interessen, welche in Universitäts226 Scheel, Dahlmann (1925), 58. Scheels Arbeit erschien ebenfalls in der Schriftenreihe der BK, siehe Fußnote 223. 227 Brandt, Geistesleben, 274. 228 Vgl. Scheel, Rezension (1926); Brandt, Vorgeschichte; und Jessen-Klingenberg, Geschichtsschreibung, 181 f. 229 Vgl. Schreiben Otto Brandts an Aage Friis vom 9. 1. 1927 und 22. 2. 1927 (RA Kopenhagen, Nr. 5424, Nr. 6). 230 Vgl. Scheel, Nordschleswig, 3–7. 231 Scheel, Bedeutung (1927), 20. 232 Scheel, Christian-Albrechts-Universität, 260.

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kreisen besonders seit Kriegsende virulent geworden war. Insofern kann es kaum überraschen, dass der Senat ihn als Festredner beim Besuch Hindenburgs bestellte, um, wie der Rektor es in seinen Begrüßungsworten ausdrückte, mit Blick auf die Universität deren „ruhmreiche Vergangenheit im Sinne der Pflege des nationalen Lebens“233 Revue passieren zu lassen. Dass Scheel trotz derartiger nationaler Indienststellungen in seinen historischen Arbeiten ebenso wenig aggressiver Danophobie das Wort zu reden bereit war wie in der politischen Arena, stellte er nicht nur dadurch unter Beweis, dass er in seinen Schriften auf Verunglimpfungen der Nachbarn im Norden verzichtete. Darüber hinaus nahm er gegen jene Forschungspraxis Stellung, die Mitte der 1920er Jahre mit ähnlich provokanter Schwarzweißmalerei arbeitete wie zu Zeiten der Abstimmung. Anlass hierzu bot im Frühjahr 1925 der öffentlichkeitswirksame Eklat wegen einer vom Auswärtigen Amt initiierten Publikation zum Artikel V des Prager Friedens von 1866. In besagtem Artikel war nach dem Sieg Preußens über Österreich festgehalten worden, dass „die Bevölkerungen der nördlichen Distrikte von Schleswig, wenn sie durch freie Abstimmung den Wunsch zu erkennen geben, mit Dänemark vereinigt zu werden, an Dänemark abgetreten werden sollen“234. Die Diskussion um Vorgeschichte, Auslegung und Umsetzung jener Bestimmung war folglich ein Politikum ersten Ranges, insbesondere nach dem Plebiszit von 1920. Das Auswärtige Amt hatte daher die Herausgabe der Aktenedition „Bismarck und die Nordschleswigsche Frage 1864–1879“235 in Auftrag gegeben. In Dänemark fand der Band keine positive Aufnahme. An der Spitze der Kritiker stand Aage Friis, der als Geschichtsprofessor an der Kopenhagener Universität und langjähriger Berater des Außenministeriums in nordschleswigschen Fragen die Herausgabe der dänischen Aktensammlung zum Artikel V besorgte236. Er erblickte in dem deutschen Band weniger eine wissenschaftliche Dokumentation als ein „politisches Weißbuch“237, nicht zuletzt, weil die Auswahl der Aktenstücke zuungunsten Kopenhagens erfolgt und die dänische Forschung komplett ignoriert worden sei. Zum Schrecken der Berliner Diplomaten bekam Friis Unterstützung aus Kiel. Für dortige grenzpolitische Kreise entwickelte sich der Band so zu einer schweren Hypothek, weil er dänischen Klagen über die Einseitigkeit deutscher Forschung reichlich Munition lieferte. Scheels enger Vertrauter Schifferer forderte nicht weniger 233 Ansprache des Rektors der Christiana Albertina anlässlich des Besuches von Reichspräsident Hindenburg im Mai 1927 und Schreiben des Rektors an Scheel vom 17. 5. 1927 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 1306). 234 Friedensvertrag von Prag 1866, in: Mesmer, Friedensverträge, 32. Zum Prager Frieden von 1866 siehe außerdem Schultz Hansen, Demokratie, 476–478; und Wulf, Revolution, 521. 235 Platzhoff / Rheindorf / Tiedje, Bismarck. 236 Zur Person Friis’ siehe Hørby / Ilsøe, Historie, 459 f.; und Leppien, Rade, 58. 237 „Det tyske Udenrigsministeriums Publikation om Pragfredens Artikel V.s Historie“, in: Hejmdal, 10. 2. 1925.

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als die Einstampfung des Werkes, was bei dessen Berliner Auftraggebern für helle Aufregung sorgte238. In den Protest stimmte ebenfalls der neue Ordinarius für Landesgeschichte ein. Er übte wenige Tage nach Friis’ erstem Verriss in einem öffentlichen Vortrag über den Artikel V Kritik an der Edition und lieferte sich im Anschluss eine von den Kieler Zeitungen wohl dokumentierte Kontroverse mit den gescholtenen Herausgebern239. Gleichzeitig nahm er Kontakt mit Friis auf, der ihn daraufhin zu einer gemeinsamen Besprechung einlud und zusagte, bis dahin nicht weiter in der Öffentlichkeit zu der Aktenedition Stellung zu nehmen, die dem Auswärtigen Amt so unangenehme Schlagzeilen bescherte. Wegen dieser Zusage von dänischer Seite, bis auf weiteres Stillschweigen zu bewahren, leistete das Außenressort Scheel trotz seiner öffentlichkeitswirksamen Beanstandung gerne Schützenhilfe bei der Vorbereitung des Kopenhagen-Besuches. Von der deutschen Gesandtschaft in der dänischen Hauptstadt erhielt er bereitwillig logistische Unterstützung für seine Reise, welche aus Sicht des Auswärtigen Amtes überaus erfolgreich verlief240. Wie Friis über das Zusammentreffen festhielt, machte Scheel auf ihn einen sehr viel diplomatischeren Eindruck als er aufgrund von dessen Rednertätigkeit in Deutschland erwartet hatte. In puncto Aktenedition kamen die beiden so schnell überein, Friis werde von weiterer öffentlichkeitswirksamer Polemik absehen und Scheel im Gegenzug eine deutsche Ergänzungspublikation auf den Weg bringen241. Die deutschen Diplomaten zeigten sich mit diesem Resultat überaus zufrieden. Das Auswärtige Amt dankte Scheel ausdrücklich dafür, dass es ihm gelungen sei, „die Angelegenheit der Aktenpublikation auf ein so glattes Eis zu bringen“242, und die Gesandtschaft in Kopenhagen empfahl, „in dänischen und Schleswig’schen Dingen auch weiterhin mit Professor Scheel Fühlung zu halten“243. Die Arbeit an einer neuen Edition legten sie daher nur allzu gerne in Scheels Hände. Dieser brachte das Projekt über die BK auf den Weg, in deren Schriftenreihe die Bände später erschienen und die sich damit einmal mehr von ihrer Agenda verabschiedete, mit inno238 Vgl. Schreiben Ministerialdirektor Heilbron an Legationsrat Meyer vom 27. 2. 1925 (PAAA Berlin, R 65188). 239 Vgl. „Die deutsche Aktenpublikation über den Paragraphen V des Prager Friedens“, in: KiZ, 1. 3. 1925; und „Die Geschichte des Artikels V des Prager Friedens“, in: KiZ, 13. 2. 1925. 240 Vgl. Schreiben des Auswärtigen Amtes an die Gesandtschaft Kopenhagen vom 27. 3. 1925 und Schreiben des Auswärtigen Amtes an Scheel vom 24. 3. 1925 (PAAA Berlin, R 65188); und Korrespondenz Friis’ mit Scheel vom Februar und März 1925 (RA Kopenhagen, Nr. 5424, Nr. 38). 241 Vgl. Schreiben der SHUG an Schifferer vom 18. 4. 1925 (LASH Schleswig, Abt. 399.70, Nr. 401); Schreiben Scheels an das Auswärtige Amt vom 12. 4. 1925 (PAAA Berlin, R 65188); und Aufzeichnungen Friis’ über ein Treffen mit Scheel vom April 1925 (RA Kopenhagen, Nr. 5424, Nr. 38). Zu Friis’ positivem Urteil über Scheel siehe ebenfalls das Ende April 1925 abgefasste Vorwort in Friis, spørgsmaal. 242 Schreiben des Auswärtigen Amtes an Scheel vom 14. 4. 1925 (PAAA Berlin, R 65188). 243 Schreiben der Gesandtschaft Kopenhagen an das Auswärtige Amt vom 11. 4. 1925 (Ebd.).

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vativen Arbeiten jenseits konventioneller Kommissionstätigkeit hervorzutreten244. An dem Streit um den Artikel V hatte sich Scheel so schnell als Experte beteiligen können, weil er sich mit der Thematik ohnehin im Rahmen eines anderen Projektes befasste, in dessen weiteren Verlauf sich abermals die Trennlinie zu denjenigen Historikern herauskristallisierte, die zur historiographischen Untermauerung der deutschen Position in der Schleswigfrage vor allem auf Diffamierung Dänemarks setzten. Bereits seit 1922 arbeitete der auf Wunsch des Auswärtigen Amtes vom Schuldienst freigestellte Kieler Historiker Karl Alnor, wegen seiner Radikalität in grenzpolitischen Kreisen das „feurige Karlchen“245 genannt, an einem umfassenden Nachschlagewerk zur Geschichte der Auseinandersetzung um Schleswig246. Für den Autor stand dabei von vornherein fest, keine für die deutsche Position unvorteilhaften Informationen zu publizieren. In einer Denkschrift mit dem vielsagenden Titel „Die Aufgaben der deutschen Wissenschaft in der schleswigschen Frage“ hielt er ausdrücklich fest, es gelte im Zweifelsfall „auf die Veröffentlichung solcher wissenschaftlicher Erkenntnisse zu verzichten, die den nationalen Interessen schädlich sind oder werden können“247. Das „Handbuch zur schleswigschen Frage“ war demzufolge als historisches Nachschlagewerk zur Unterstützung des politischen Grenzkampfes konzipiert. Gegen diese Ausrichtung formulierte Scheel zunächst keine Bedenken, sondern stellte vielmehr einen, wie er selbst sagte, „guten Konnex“248 zu Alnor her und trat in den Arbeitsausschuss ein, der die Fertigstellung des Handbuches unterstützen sollte249. In diesem Zusammenhang begannen Scheels Studien zum Artikel V, dessen Geschichte er im ersten Band des Handbuches behandeln sollte. Kernstück des mehrbändigen Werkes war der zweite Band zur Schleswigfrage zwischen 1914 und 1920, den Alnor allein bearbeitete und der als erstes in den Druck ging. Die erste Lieferung dieses Bandes beurteilte Scheel, zwischenzeitlich zum Mitherausgeber aufgestiegen, Anfang 1926 in einem Gutachten gegenüber den preußischen Behörden noch durchweg positiv und empfahl die Drucklegung. Aus seiner Perspektive hatte der Autor einen Beweis erbracht von der „Überlegenheit und freiheitlichen Haltung der preußischen und Reichsregierung“250. 244 Vgl. Aktennotiz zur Besprechung im Auswärtigen Amt wegen der Aktenedition vom 23. 9. 1925 und Schreiben Scheels an das Auswärtige Amt vom 7. 12. 1925 (PAAA Berlin, R 65189); und H hnsen, Ursprung. 245 Memoiren Ernst Schöders, Bd. 13, 77 (StAFL Flensburg, XII Hs, Nr. 1766, Bd. 1). 246 Vgl. Schreiben des Auswärtigen Amtes an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 2. 11. 1922 (LASH Schleswig, Abt. 301, Nr. 5685); und Jessen-Klingenberg, Alnor, 101–104. 247 Denkschrift Karl Alnors von Ende 1923 (LASH Schleswig, Abt. 301, Nr. 5690). 248 Schreiben Ernst Schröders an Scheel vom 8. 2. 1924 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 1). 249 Vgl. Schreiben Ernst Schröders an Schmidt-Wodder vom 2. 8. 1924 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 72). 250 „Die Gliederung des Handbuches“, in: Grenzschau 2.9/10 (1926), ohne Seitenzählung; und

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Da Alnor sich in den folgenden Lieferungen jedoch zunehmend in Tiraden gegen die dänische Haltung im Ersten Weltkrieg erging, rückte Scheel bald darauf von dem Projekt ab. Als er auf seiner Nordland-Reise in Kopenhagen mit dem Historiker Vilhelm la Cour zusammentraf, der neben Friis eine Schlüsselrolle in der dänischen Schleswigforschung einnahm, klagte er offen über die Unlenkbarkeit Alnors, war bereits aus dem Redaktionskomitee des Handbuches ausgetreten und hatte die Herausgeberschaft niedergelegt251. Besonders entsetzte Scheel, dass Alnor in einer der letzten Lieferungen des zweiten Bandes die Politik Hans Peter Hanssens, des Reichstagsabgeordneten der dänischen Minderheit zur Zeit des Ersten Weltkrieges, unter der Überschrift „Der Landesverrat“252 subsumierte. Nicht nur gegenüber Friis und la Cour, sondern auch dem Autor selbst artikulierte er deutlichen Widerspruch, woraufhin das einstmals so gute Verhältnis zwischen den beiden endgültig in die Brüche ging253. Der erste Band des Handbuches, für den Scheel mit seinen Ausführungen zum Artikel V als wichtigster Beiträger eingeplant war, sollte nie fertig gestellt werden. Die Umstände des Abschieds von dem Projekt hatten in Verbindung mit dem Eklat um die Aktenedition auf seine Beurteilung durch die dänischen Historiker denselben Effekt wie seine politischen Interventionsversuche auf die Diagnosen der dänischen Presse. Ebenso wie den Redakteuren galt Scheel nun auch den Geschichtsforschern als Stimme der Mäßigung, ungeachtet seiner verschiedentlichen Beiträge zur vorgeblichen nationalen Sendung der Christiana Albertina und der anfänglichen Beteiligung am Alnor’schen Handbuch. Symptomatisch hierfür war nicht nur der bereits erwähnte überraschend positive Eindruck von Friis, der festhielt, Scheel sei ein „besonnen und ruhig urteilender Mann“254. Ebenso deutlich ließ sich dessen steigendes Renommee an der günstigen Wendung von la Cours Urteil ablesen. Auf dänischer Seite im Grenzkampf aktiv, hatte er seinerzeit als Herausgeber der Zeitschrift Grænsevagten (Die Grenzwacht) Scheel ob der Abhandlung „Eine Reise zur Abstimmung in der ersten Zone Nordschleswigs“ das Urteil ausgestellt, es handle sich bei dem Autor um einen Zugereisten, der Dänemarks Politik „auf die Goldwaage“255 gelegt habe. Bald nach la Cours erstem Zu-

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Gutachten Scheels an das preußische Innenministerium vom 24. 4. 1926 (LASH Schleswig, Abt. 399.70, Nr. 469). Das Zitat findet sich im Gutachten. Vgl. la Cour, Døre, 132. Zur Person la Cours siehe Johnsen, Dannevirkemænd, 21–23, 68 f.; und Rasmussen, Preussen, 88. Alnor, Handbuch, 761. Zu den genauen Erscheinungsterminen der einzelnen Lieferungen siehe ebd., 907. Vgl. Schreiben Alnors an Scheel vom 19. 5. 1930 und Antwort desselben vom 3. 5. 1930 (LBK Kiel, Cb 70, B 17); Aufzeichnungen Friis’ über ein Treffen mit Scheel vom Januar 1929 und Schreiben Scheels an Aage Friis vom 9. 12. 1929 (RA Kopenhagen, Nr. 5424, Nr. 38); und Schreiben Scheels an Vilhelm la Cour vom 31. 12. 1929 (RA Kopenhagen, Nr. 6813, Nr. 12). Schreiben Aage Friis’ an Otto Brandt vom 15. 4. 1925 (RA Kopenhagen, Nr. 5424, Nr. 38). la Cour, Rezension, 388.

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sammentreffen mit dem Gescholtenen brachte das Blatt hingegen einen Artikel, der Scheel in ein sehr positives Licht rückte, vor allem mit Blick auf seine Intervention in Sachen der Aktenedition zum Artikel V. Die vormals scharf kritisierte Schrift von 1920 suchte Grænsevagten nun dahingehend zu entschuldigen, sie zeuge von der „Leidenschaft des Augenblicks“256. Trotz der anerkennenden Worte seiner akademischen Ansprechpartner nördlich der Grenze gab es handfeste Gründe daran zu zweifeln, Scheel steuere historiographisch ausschließlich einen deutsch-dänischen Annäherungskurs. Im Gegensatz zur publikumswirksamen Kritik an der Aktenedition zum Artikel V vollzogen sich die damit verbundenen Schritte weitestgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit, und anders als seinen Abschied vom Alnor’schen Handbuch beschwieg Scheel sie ebenfalls in seiner privaten Korrespondenz gen Norden. So blieb seinen dänischen Kontakten möglicherweise ein ganzes Stück weit verborgen, wie sich der so positiv beurteilte neue Kieler Landeshistoriker im Netzwerk dezidiert revisionistischer Volks- und Grenzlandforschung einbrachte. Zugang zu entsprechenden Zirkeln fand er bald nach seiner Ankunft in Kiel aller Voraussicht nach über Alnor und den Ordinarius für Neuere Geschichte, Friedrich Wolters. Beide besaßen zum damaligen Zeitpunkt Verbindungen zur Mittelstelle für zwischeneuropäische Fragen. Diese war 1923 gegründet worden, um all diejenigen Forscher miteinander in Kontakt zu bringen, die sich der akademischen Unterstützung des politischen Kampfes um jene Gebiete verschrieben hatten, welche ihrer Ansicht nach an das Deutsche Reich angegliedert werden sollten257. Alnor und Wolters hatten dementsprechend als Emissäre für Nordschleswig an den interdisziplinären Tagungen der Organisation teilgenommen. Während Ersterer bei einer Zusammenkunft in Marktredwitz die Gelegenheit nutzte, über die Arbeiten am „Handbuch zur schleswigschen Frage“258 zu referieren, hatte Letzterer in Bautzen kraft seines Amtes als Schriftführer der SHUG über deren Beitrag zur „Schaffung eines wissenschaftlichen Rüstzeuges zur Verteidigung der nördlichen Grenzprovinz“259 Bericht erstattet. Scheel stieß spätestens im Frühjahr 1925 zu dem Kreis im Rahmen einer in Lübeck abgehaltenen Tagung, deren thematischen Schwerpunkt der „schleswigsche Problemkreis“260 bildete. Da die Konferenz zeitlich unmittelbar mit der Auseinandersetzung um die Aktenedition zum Artikel V zusammenfiel, machte der neue Kieler Ordinarius dessen Geschichte zum Thema seines 256 Schçning-Jepsen, Førere, 195. 257 Vgl. Haar, Historiker, 26. 258 Tagesordnung der volkspolitischen Tagung zu Marktredwitz vom 22.–24. 9. 1923 (PAAA Berlin, R 60380). 259 Protokoll der Tagung für Deutschtumspflege in Bautzen vom 25.–27. 9. 1924 (PAAA Berlin, R 60381). 260 Programm der Tagung zur Deutschtumspflege in Lübeck vom 2.–4. 3. 1925 (GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 77 Tit. 856, Nr. 298).

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Vortrages. Was er hierzu vortrug, wäre seinem zunehmend gutem Leumund in Dänemark sicherlich nicht zugute gekommen, wenn es dort bekannt geworden wäre. Scheel erklärte den in Lübeck Versammelten, Dänemark sei ohne Anspruch auf Erfüllung des Artikels V gewesen, da es sich um eine bilaterale preußisch-österreichische Abmachung gehandelt habe. Zudem seien die Verhandlungen bezüglich seiner Umsetzung allein an Kopenhagen gescheitert. Die dortigen Politiker hätten schlichtweg nicht eingesehen, dass „Preußen der freiwillig Bietende war, Dänemark also seine Forderungen nicht überspannen durfte“261. In der Folge besuchte Scheel eine ganze Reihe weiterer Tagungen, auf denen die Teilnehmer in ganz ähnlicher Weise wie in Lübeck für Nordschleswig die möglichen Ansatzpunkte einer akademischen Unterminierung ausländischer Besitzansprüche ausloteten. Im Herbst 1925 stand dabei in Marienburg beispielsweise Westpreußen im Mittelpunkt, während ein halbes Jahr später in Meersburg Südtirol in den Fokus rückte262. Mit einem eigenen Vortrag trat der Gast aus Kiel erst im Frühjahr 1927 wieder in Erscheinung, als in Emden mit der „Friesenfrage“ wieder ein Thema mit schleswig-holsteinischen Bezügen auf der Tagesordnung stand. Hier stellte er mit Blick auf die Entwicklung der politischen Stellung der Friesen zu Dänemark heraus, man dürfe Erstere trotz dahingehender dänischer Bestrebungen keinesfalls als nationale Minderheit anerkennen, schließlich ließe sich historisch betrachtet „kaum de[r] Begriff ,Volkstum‘ auf den nordfriesischen Stamm anwenden“263. Abgesehen davon, dass Scheels Vorwürfe gegen Kopenhagen auf der Schleswig-Holstein- ebenso wie auf der Friesen-Tagung seine Bereitschaft zu wissenschaftlicher Konfrontation mit dem nördlichen Nachbarn deutlich unter Beweis stellten, waren seine Beiträge noch in einem anderen Punkt aufschlussreich, nämlich hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Argumentationsgrundlage. Hatte er in Lübeck die dänische Position aus primär politikgeschichtlicher Perspektive zu untergraben gesucht, stand in Emden mit den Ausführungen zur friesischen Ethnogenese ein ganz anderer Bezugspunkt im Zentrum seiner Beweisführung. Bei dem Vortrag handelte es sich damit um einen seiner ersten Beiträge, in dem er selbst mit jenem volkshistorischen Zugang operierte, dessen Anwendung er mit der BK in Kiel institutionell Vorschub zu leisten versuchte, der aber trotzdem in seinen bisherigen landesgeschichtlichen Schriften kaum zur Geltung gekommen war. Scheel beteiligte sich darüber hinaus an der Gründung der Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung, die Ende 1926 mit dem Ziel ins Leben gerufen wurde, die Zusammenarbeit der Adepten des neuen For261 Protokoll der Tagung für Deutschtumspflege zu Lübeck vom 2.–4. 3. 1925 (PAAA Berlin, R 60381). 262 Vgl. Protokoll der Tagung in Marienburg vom 10.–12. 10. 1925 und Teilnehmerliste der Tagung in Meersburg vom 12.–14. 4. 1926 (PAAA Berlin, R 60382). 263 Protokoll der Tagung in Emden vom 7.–9. 3. 1927 (PAAA Berlin, R 60385).

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schungsansatzes zu verbessern. Sie fungierte als Nachfolgeorganisation der Mittelstelle, mit der sie sowohl personell wie auch mit Blick auf ihre strategische Ausrichtung weitestgehend deckungsgleich war264. Obgleich die neue Dachorganisation in einer Selbstbeschreibung für sich in Anspruch nahm, „rein wissenschaftlich“265 zu arbeiten und lediglich „Abwehr tendenziöser gegnerischer Propagandatätigkeit“ betreiben zu wollen, war ihr Arbeitsprogramm demnach auf die wissenschaftliche Flankierung deutscher Gebietsforderungen abgestimmt. Zum wichtigsten Vorhaben der Stiftung avancierte ein zu diesem Zeitpunkt noch unter dem Titel „Handwörterbuch des deutschen Volkstums“ geführtes Projekt, dessen vornehmliches Ziel nach Ansicht seiner beiden ersten Hauptredakteure zu sein hatte, hieb- und stichfestes Material für die Verhandlungen mit den Siegermächten über mögliche territoriale Revisionen bereitzustellen266. Hier suchte sich Scheel nach Kräften einzubringen und stellte damit unter Beweis, dass bei seinem Bruch mit Alnors „Handbuch zur schleswigschen Frage“ grundsätzliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit des deutsch-dänischen Grenzkampfes keine Rolle gespielt hatten. Anfang 1927, kaum ein Vierteljahr nach Gründung der Stiftung, saß er bereits im Redaktionskomitee des Handwörterbuches und betreute dort die Teilredaktion „Norddeutscher Volks- und Kulturboden (Schleswig-Holstein; die Hanse in ihrer Bedeutung für die Ausbreitung des Deutschtums und die gesamte Friesenfrage einschließlich der Westfriesen)“267. Seine Beteiligung währte allerdings kürzer als geplant. Wegen seines Zusammenbruches infolge der ,Süderbraruper Affäre‘268 musste er bereits Ende desselben Jahres die Weiterführung der Teilredaktion abgeben. Zum Nachfolger bestimmte er seinen Kieler Kollegen Carl Petersen, der ihn während des Erholungsurlaubes ebenfalls in der Lehre vertrat269. Für Scheels fachliches Ansehen in Dänemark erwies sich als vorteilhaft, dass die Vorgänge um Tagungsbetrieb, Stiftung und Handwörterbuch hinter verschlossenen Türen abliefen. Seinem bereits vor dem eineinhalbjährigen Zwangsurlaub respektablen Ruf in Fachkreisen nördlich der Grenze leistete zudem Vorschub, dass er sich bei Rückkehr nach Kiel ein weiteres Standbein in der Historie auf einem Gebiet schuf, welches Anknüpfungspunkte zu den 264 Vgl. Fahlbusch, Deutschland, 63–71; Protokoll der Stiftungsgründung vom 26. 11. 1926 (PAAA Berlin, R 60383). 265 Stiftung f r deutsche Volks- und Kulturbodenforschung Leipzig, Tagungen, IX. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 266 Zu den Ursprüngen des Handbuch-Projektes siehe Fahlbusch, Deutschland, 130 f.; und Oberkrome, Geschichte, 107–109. 267 Aktenvermerk über die Redaktionssitzung des Handbuches vom 13.2.27 und Übersicht über die Teilredaktionen vom 8. 5. 1927 (BArch Berlin, R57neu, Nr. 224). 268 Siehe hierzu S. 136f. 269 Vgl. Unterlagen der Teilredaktion Petersen vom Januar 1929 (BArch Berlin, R 173, Nr. 122); Schreiben Petersens an Fritz Hähnsen vom 23. 5. 1928 (StAFL Flensburg, XII Hs, Nr. 1511, Bd. 8); und Volbehr / Weyl, Dozenten, 195.

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nordischen Nachbarn bot. Hierbei handelte es sich um die Erforschung der Wikingerzeit, speziell Haithabus. Genau genommen hatte Scheel bereits vor den turbulenten Ereignissen des Spätherbsts 1927 erste Schritte unternommen, in Arbeitsgemeinschaft zwischen Historikern und Archäologen die Erforschung frühmittelalterlicher Wehranlagen voranzutreiben. Unter seiner Ägide erfolgte im April 1927 im BHF die Einrichtung der Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der nord- und ostdeutschen vor- und frühgeschichtlichen Wall- und Wehranlagen, deren stellvertretenden Vorsitz er übernahm270. Die Neugründung führte seinerzeit jedoch weniger zur Intensivierung der Forschungsarbeit als zu handfestem Streit mit der GSHG, speziell ihrem Schriftführer Pauls. Letzterer verweigerte seine Mitarbeit an der Scheel’schen Initiative, weil diese zum wiederholten Male in das Arbeitsgebiet der GSHG vorstieß, die ihrerseits schon vorher mit erheblichem finanziellen Aufwand die Erfassung der Wehranlagen Nordelbiens in Angriff genommen hatte271. Bei Rückkehr nach Kiel durch die verordnete Zwangsabstinenz von politischen Geschäften mit neuen Freiräumen ausgestattet, griff Scheel den Plan erneut auf. Sein bisheriger Vertreter in der Lehre wusste Schifferer im Sommer 1929 zu berichten, der Heimgekehrte sei „fieberhaft tätig“272, um die bereits kurz vor seinem Zusammenbruch initiierten frühgeschichtlichen Arbeiten in Gang zu bringen. Tatsächlich gelang es Scheel trotz leerer Kassen in Zeiten der Weltwirtschaftskrise, die Anschubfinanzierung für eine erste Probegrabung im Ringwall von Haithabu zu sichern. In Kooperation mit dem neuen Direktor des Kieler Museums für Vaterländische Altertümer, Gustav Schwantes, konnten im Sommer 1930 die Arbeiten vor Ort beginnen, an die sich in den folgenden Jahren weitere Grabungen anschlossen273. Wie eng Scheels Engagement in der Haithabu-Forschung mit seinen Vorstellungen einer Zusammengehörigkeit der ,Ostseevölker‘ verknüpft war, zeigte sich in aller Deutlichkeit, als er kurz nach Beginn der Ausgrabungen zusammen mit Schwantes zum Baltischen Archäologenkongress nach Riga reiste. Von Interesse war dabei weniger Scheels eigentlicher Vortrag über die Quellen zu Haithabu, der auf einer kurz zuvor von ihm veröffentlichen Edition beruhte274. Wesentlich aufschlussreicher erwiesen sich die Dankesworte, die er zum Ende des Kongresses im Namen aller Teilnehmer an die Gastgeber 270 Vgl. Protokoll der Besprechung in den Räumen des Baltischen Historischen Forschungsinstituts Kiel vom 19. 4. 1927 (AHL L beck, Verein für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde). 271 Vgl. Kassenbericht der GSHG von 1926 und Schreiben Pauls’ an Scheel vom 9. 4. 1927 (LBK Kiel, Cc 19, A–B). 272 Schreiben Petersens an Schifferer vom 19. 7. 1929 (LASH Schleswig, Abt. 399.70, Nr. 411). 273 Vgl. Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 15. 1. 1930 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 1); Antrag Scheels an die Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der nord- und ostdeutschen vor- und frühgeschichtlichen Wall- und Wehranlagen vom 27. 2. 1930 (LASH Schleswig, Abt. 399.70, Nr. 422); Scheel, Ausgrabungen, 222; und ders., Vorgeschichte, 82–85. 274 Vgl. Paulsen / Scheel, Quellen; und Scheel, Quellengruppen.

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richtete. Hier beschrieb er die Ostsee als „Weltmeer“275, an dessen Ufern die Menschen „eine übernationale Gemeinschaft gegründet haben, die mit der des Mittelmeeres sich messen darf“. Wenn Scheel diese ausnahmsweise einmal nicht als ,germanisch‘ apostrophierte, so war dies aller Voraussicht nach der Anwesenheit einer polnischen Delegation geschuldet, die es nicht zu brüskieren galt. In seinen folgenden Schriften zu Haithabu bemühte er sich nach Kräften, neben der Bedeutung der Wikingersiedlung vor allem eine spezifisch germanische Verbundenheit der Ostseeanrainer historisch unter Beweis zu stellen. Was Erstere betraf, sprachen bereits einige seiner Aufsatztitel Bände. Hier firmierte Haithabu als „Problem des Ostseeraumes“276 oder gar „Schicksalsstätte des Nordens“277. Zwar sah Scheel sich genötigt, in Anbetracht der ersten Grabungsbefunde einzugestehen, Haithabu sei dem äußeren Erscheinungsbild nach den Städten des Mittelmeeres nicht ebenbürtig gewesen. Als wirtschaftliches und militärstrategisches Zentrum hingegen konnte die Siedlung aus seiner Perspektive allemal dem mediterranen Vergleich standhalten, weshalb er sie mit Vorliebe als „Korinth“278 beziehungsweise „Gibraltar“279 des Nordens beschrieb. Dabei stand für den Autor außer Zweifel, dass die überragende Stellung jenes „Brennpunkt[es] des Ostseeraumes“280 Zeugnis ablegte von der engen Verknüpfung eines germanischen Kulturkreises, hatte sich seiner Ansicht nach doch in Haithabu „die Welt der heidnischen Nordgermanen“ zu „strahlender Größe“ erhoben. Noch in anderer Hinsicht galt die Siedlung Scheel sowohl als Schrittmacher wie Zeugnis germanischer Gemeinschaft. Wie er seinen Lesern darlegte, hatte von dort nicht nur die wirtschaftliche und militärische Vernetzung der Nordgermanen wichtige Impulse erfahren, sondern ebenfalls die kulturelle. Als zentraler Knotenpunkt war Haithabu demnach wichtiges Zentrum für die Bekehrung der Nordgermanen und daraus resultierend der „Angliederung des nordeuropäischen Raumes an das Abendland“281 gewesen, wohingegen die weiter östlich gelegenen Gebiete unter den Einfluss von Byzanz geraten seien. Obwohl den aufmerksamen Lesern der Haithabu-Schriften kaum verborgen bleiben konnte, dass dem Autor pangermanische Visionen die Feder führten, blieben auf dänischer Seite jene allergischen Reaktionen aus, die derartige Bekenntnisse Scheels einige Jahre zuvor auf dem politischen Parkett verursacht hatten. Die Presse der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein druckte ganze Artikelserien über die Grabungen, in denen ihrem Initiator 275 276 277 278 279 280 281

Ebd., 32. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Scheel, Haithabu als Problem. Scheel, Haithabu, eine Schicksalsstätte. Scheel, Haithabu als Problem, 84 Scheel, Haithabu, eine Schicksalsstätte, 31. Ebd., 26. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Scheel, Haithabu in der Kirchengeschichte, 282.

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breiter Raum zur Verfügung stand, zentrale Thesen seiner Aufsätze über die ,Schicksalsstätte des Nordens‘ publikumswirksam an den Mann zu bringen282. Nicht weniger aufgeschlossen zeigten sich Gelehrtenkreise in Kopenhagen. Auf Einladung Scheels an das dortige Nationalmuseum besuchte eine Delegation dänischer Forscher die Ausgrabungsstätte und ließ sich vor Ort von ihrem Gastgeber über die Bedeutung Haithabus instruieren. Allzu große Zurückhaltung scheint dieser hier nicht geübt zu haben. La Cour, einer der Besucher, erinnerte sich noch ein Vierteljahrhundert später bei der Niederschrift seiner Memoiren daran, wie Scheel seinerzeit eine „anregende, aber kühne Rede über Haithabus welthistorische Bedeutung“283 gehalten hatte. Nach der erfolgreichen Kontaktaufnahme mit Kopenhagen blieben auch Gegeneinladungen nicht aus, so etwa von der deutsch-dänischen Kulturvereinigung Selskab af 1916 (Gesellschaft von 1916), der Scheel bereits zu Beginn der Grabungen mitgeteilt hatte, er wolle Haithabu zu einem „Wallfahrtsort“284 nordischer Gelehrter machen. Der dänische Germanist Carl Roos, Vorsitzender der Gesellschaft, begrüßte den Kieler Gast daher anlässlich seines Haithabu-Vortrages in Kopenhagen als den „auf der Brücke zwischen Deutschland und dem Norden Geborenen“285. Historiographisch leistete Scheel dieser Stilisierung nicht nur mit seinen Arbeiten über die Wikingerzeit Vorschub, in denen er den Nachweis über eine Jahrtausende zurückreichende gemeinsame Geschichte zu bringen suchte. Kurz nach Grabungsbeginn legte er unter dem Titel „Der Deutsche Nordschleswigs“ eine Schrift vor, die ebenfalls mit Blick auf die jüngere Vergangenheit die enge Verbundenheit zwischen den Nationalitäten in der unmittelbaren Grenzregion herausstellte. Zwar fehlte auch hier nicht der Hinweis, seit dem Plebiszit von 1920 seien die deutsch gesinnten Bewohner im abgetretenen Nordschleswig „Außenposten des deutschen Volkes“286, doch gerade zum Ende der Schrift suchte Scheel der deutschen Minderheit in Dänemark eine besondere Vermittlungsfunktion zuzuweisen. Scheel attestierte ihren Angehörigen, sie zeichne eine „seelische Verbindung des Deutschen und Nordischen“ und damit eine besondere Empfindsamkeit für die „Völker des Nordens“ aus, die allesamt „Gruppen der großen germanischen Völkerfamilie“ seien. So gebe es unter den deutsch gesinnten Nordschleswigern viele, „in 282 Vgl. „Die ersten Funde! An der Ausgrabungsstätte – Gespräch mit Prof. Dr. Scheel“, in: DSL, 1. 9. 1930; und „Hafen und Handelsbeziehungen Haithabus“, in: DSL, 29. 3. 1931, 31. 3. 1931, 1. 4. 1931. 283 La Cour, Døre, 137; und Schreiben Scheels an Vilhelm la Cour vom 30. 7. 1930 (RA Kopenhagen, Nr. 6813, Nr. 12). 284 Schreiben Scheels an Karl Larsen vom 28. 9. 1930 (DKB Kopenhagen, NKS 4630, I). Zur Selskab af 1916 siehe D ring Jørgensen, Larsen, 244 f. 285 „Die Ausgrabungen in Haithabu und was sie erzählen“, in: Korrespondenzbüro Nordschleswig, 3. 2. 1932. 286 Scheel, Deutsche Nordschleswigs (1931), 115, 118 f. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort.

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deren Herzen auch nordische Laute mitschwingen“, selbst wenn diese nicht der „cantus firmus ihres Lebens“ seien. Aus Scheels Perspektive besaß die deutsche Minorität daher die Gabe, „mit der Treue zum eigenen Volkstum […] die Aufgeschlossenheit gegen ein fremdes Volkstum zu verbinden“. Abgesehen von jener Stilisierung der Minderheitenangehörigen zu Brückenbauern zwischen Deutschland und Dänemark zeichnete sich die Schrift des Weiteren dadurch aus, dass ihr Autor sich bei seiner Beweisführung in erster Linie geographischer, siedlungsgeschichtlicher und sprachhistorischer Merkmale bediente, um die enge Verwobenheit zwischen den Nationalitäten in der Grenzregion zu belegen. Anstatt wie in seinen frühen landesgeschichtlichen Untersuchungen zu den Kieler Professoren oder dem Artikel V des Prager Friedens primär auf staatsrechtliche Sachverhalte abzuheben, bediente er sich damit wie auf der Friesentagung und in seinen Wikingerschriften jenes volkshistorischen Zugangs, dem sich neben der BK die Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung verschrieben hatte. In deren Deutschen Heften wurde der Aufsatz über die vermeintlich besonderen Qualitäten der deutsch gesinnten Nordschleswiger kurz nach seiner Erstveröffentlichung erneut abgedruckt287. Ungeachtet der versöhnlichen Note jener Publikation belegen die Umstände von Scheels neuerlichem Kontakt zur Stiftung nach seinem Erholungsurlaub, dass er nach wie vor im wissenschaftlichen Betrieb ebenso wenig wie auf politischem Parkett bereit war, zugunsten pangermanischer Annäherung als wohl berechtigt angesehene nationale Interessen zurückzustellen. Als die Abhandlung in den Deutschen Heften in den Druck ging, war er bereits wieder an dem dezidiert revisionistischen Handwörterbuch-Projekt beteiligt, welches mittlerweile von dessen Planern als „Handwörterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums“ etikettiert wurde. Zwar behielt Petersen nach Scheels Rückkehr die schleswig-holsteinische Teilredaktion, doch er fand bald einen anderen Weg, seinen Vorgänger auf dem Redaktionsposten wieder in das Projekt einzubinden. Während dessen Abwesenheit war bereits die erste Hauptredaktion an internen Querelen und logistischen Schwierigkeiten gescheitert, und wenige Monate nach Scheels Ankunft in Kiel kam die Arbeit wegen neuer Streitigkeiten ein zweites Mal zum Erliegen288. Nach monatelangem Stillstand stellte sich Petersen im Herbst 1930 an die Spitze der rebellierenden Teilredakteure und erzwang den Rückzug der zweiten Hauptredaktion. Während die Verhandlungen mit dem eigentlich vorgesehenen Nachfolger, dem Hermannstädter Professor Rudolf Spek, scheiterten, erklärten sich die Teilredakteure auf einer Konferenz in Graz für Petersen. Der wiederum knüpfte an eine Übernahme der Hauptredaktion die Bedingung,

287 Vgl. Scheel, Deutsche Nordschleswigs (1931/1932). Zu den Deutschen Heften siehe Oberkrome, Volksgeschichte, 122–125. 288 Vgl. Fahlbusch, Deutschland, 131–136.

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Scheel ebenfalls hinzuzuziehen. Der Verwaltungsrat der Stiftung stimmte dem zu, und so zog die Zentrale des Großprojektes in die Räume des BHF ein289. Anders als ihren Vorgängern gelang es Petersen und Scheel, die Drucklegung des Mammutprojektes auf den Weg zu bringen, an dem mehr als 800 Wissenschaftler aus einem Dutzend Disziplinen mitarbeiteten. Im Zuge dessen setzten sie an Stelle des bis dato dominierenden geographischen Fokus einen volkshistorischen durch290. Dabei folgten sie allerdings nicht einer redaktionellen Strategie, die bei Übernahme der Hauptredaktion bereits feststand. Am Anfang hatte für die Kieler noch höchste Priorität, möglichst schnell das vorhandene Material zu publizieren und Vereinheitlichungsmaßnahmen auf das Nötigste zu beschränken. Ausweis dessen war zum einen die Übereinkunft mit dem Deutschen Auslands-Institut, die von der dortigen Teilredaktion gesammelten Materialien zu Außereuropa in einem gesonderten Band vorab zu veröffentlichen, weil hier die Arbeiten besonders weit fortgeschritten waren291. Von der Konzentration auf baldige Drucklegung des krisengeschüttelten Projektes zeugten zum anderen die ersten Kieler Richtlinien für die Gestaltung der zentralen regionalen Hauptartikel. Die Anweisungen bezogen sich lediglich auf Gliederungsaspekte. Von wesentlich zeitaufwändigeren inhaltlichen Vorgaben sah die neue Hauptredaktion zunächst ab, sollte die Vereinheitlichung doch „bei dem fortgeschrittenen Stand der Arbeiten mit größter Beschleunigung durchgeführt werden“292. Möglicherweise spielte für den zwischen Ende 1931 und Anfang 1932 erfolgenden Kurswechsel eine entscheidende Rolle, dass es Scheel gelang, in Berlin feste Zusagen über eine längerfristigere Finanzierung des Handwörterbuches zu erwirken293. Jedenfalls formulierten die neuen Verantwortlichen erst im Anschluss daran neue Vertrags- und Arbeitsrichtlinien, in denen sie sich gegenüber den Teilredaktionen ausdrücklich das Recht zu „eingehende[r] redaktionelle[r] Bearbeitung“294 vorbehielten. In der Folge hatte nicht mehr schnellstmögliche Drucklegung Priorität, sondern inhaltlich stringente Ausrichtung auf die historische Dimension des vermeintlichen Daseinskampfes ,deutschen Volkstums‘, besonders in den seit den Pariser Vorortverträgen strittigen Grenzgebieten. Dementsprechend erhielten die Teilredaktionen Anweisung, in das Gliederungsschema der regionalen Hauptartikel den neuen Punkt „Politische Entwicklung seit 1918 und rechtliche, wirtschaftliche, be289 Vgl. Schreiben Scheels an Johannes Schmidt-Wodder vom 3. 2. 1931 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 71); und Protokolle der Sitzungen des Verwaltungsrates vom 13. 10. 1930 und 3. 11. 1930 (PAAA Berlin, R 60352). Zur Person Speks siehe Taylor, Who’s who, 189. 290 Vgl. Oberkrome, Geschichte, 109 f. 291 Vgl. Protokoll der Besprechung der Hauptredaktion mit der Teilredaktion Deutsches AuslandInstitut vom 10. 4. 1931 (BArch Berlin, R57neu, Nr. 227). 292 Rundschreiben Nr. 6 der Hauptredaktion an die Teilredaktionen vom 5. 9. 1931 (Ebd.). 293 Vgl. Schreiben der Hauptredaktion an Petersen vom 31. 8. 1931 (BArch Berlin, R 173, Nr. 146). 294 Vertrags- und Arbeitsrichtlinien vom Januar 1932 (BArch Berlin, R57neu, Nr. 228).

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völkerungspolitische und kulturelle Gegenwartslage“295 einzufügen. Hierzu ergingen klare inhaltliche Vorgaben. Der neue Punkt war vor allem dort zu berücksichtigen, „wo eine dt. Volksgruppe durch die Friedensdiktate und staatl. Neubildungen unter veränderten polit. Bedingungen in ein anderes Staatswesen eingegangen ist“. Berücksichtigung finden sollte vor allem „die Geschichte der Abstimmungen und Abwehrkämpfe, sowie die Darstellung der eigenen und fremdnationalen politischen Organisationen“, wobei es galt „die historische, geographische, wirtschaftliche und kulturelle Einheit des abgetrennten Gebiets mit dem dt. Volks- und Kulturboden besonders hervorzuheben“. Der Artikel zu Schleswig-Holstein wurde zwar nie veröffentlicht, weil das Handwörterbuch ein Torso blieb, doch den Kieler Planungen zufolge sollte er in vier Blöcke aufgegliedert werden. Einleitend war ein historischer Überblick „Schleswig-Holstein (bis 1918)“296 vorgesehen, an den sich als zweiter Teil „Die Abstimmung und Teilung im Herzogtum Schleswig“ anschloss, während der dritte und vierte Abschnitt für „Das abgetrennte Nordschleswig“ beziehungsweise „Mittelschleswig nach der Teilung von 1920“ reserviert waren. An der Frontstellung gegen den nördlichen Nachbarn ließen die redaktionellen Notizen dabei keinen Zweifel. Mit Blick auf die Behandlung der dänischen Minderheit im vierten Teil hieß es beispielsweise kurz und knapp: „Nur als Gegenspieler. Gegenbild“. Die neuen Hauptredakteure beließen es mit ihren Änderungswünschen indessen nicht bei der Einfügung des neuen Gliederungspunktes in den Beiträgen zu strittigen Grenzgebieten. Um die regionalen Hauptartikel insgesamt stärker auf die Beleuchtung der seit 1918 eingetretenen Entwicklungen abzustellen, verordneten sie den Teilredaktionen im Sommer 1932 ein vollkommen neues Gliederungsschema. Dieses warf das auf schnelle Fertigstellung ausgerichtete Modell vom Herbst 1931 über den Haufen und machte massive Umstrukturierungen notwendig. So wurde die Zahl der vorgesehenen Unterpunkte in den regionalen Hauptartikeln halbiert und die Teilredaktionen angewiesen, in den vollkommen neu zugeschnittenen Unterkapiteln auch bei denjenigen Gebieten die Entwicklungen seit Weltkriegsende einzuflechten, die von den Pariser Friedensregelungen gar nicht direkt betroffen waren297. Der Verlag des Handwörterbuches hatte somit allen Grund, das neue Werk damit anzupreisen, es diene sowohl „dem Selbsterhaltungskampf des deut-

295 Schreiben der Hauptredaktion an die Teilredaktionen vom 11. 4. 1932 (Ebd.). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 296 Entwurf für die neue Planung des Artikels zu Schleswig-Holstein von Anfang 1933 (BArch Berlin, R 173, Nr. 166). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 297 Vgl. Schreiben der Hauptredaktion an die Teilredaktionen vom 24. 6. 1932 (BArch Berlin, R57neu, Nr. 228).

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schen Volkstums im Ausland“298 als auch „in den alten und neuen Grenzgebieten des deutschen Vaterlandes“. Zu jener revisionistischen Agenda bekannten sich die Mitarbeiter der Hauptredaktion im Vorwort der ersten Lieferung des ersten Bandes ganz offen. Dort stellten sie heraus, die Neuerscheinung solle dazu beitragen „Wesen und Formen deutschen Lebens […] überall im europäischen und außereuropäischen Raum zu erkennen, wo Deutschtum im Kampf um die Bewahrung seiner Art und Sitte […] steht“299, und „eine Hilfe im Kampf für das Recht an unsern ringsum bedrohten Grenzen sein“. Wegen des redaktionellen Kurswechsels konnten sie sich jedoch nicht, wie ursprünglich in Aussicht gestellt, bereits im Sommer 1932 mit diesen Worten an ihren Leserkreis wenden. Hierzu hatten sie erst im Mai 1933 Gelegenheit, als die neuen Machthaber in Berlin bereits mit brachialer Gewalt gegen die vermeintlichen Feinde des ,Deutschtums‘ innerhalb der Reichsgrenzen zu Felde zogen300.

3.2.3. Theologisches Forschungsfeld Nicht erst der Wechsel nach Kiel und die Beteiligung an Großprojekten wie dem „Handwörterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums“ zeitigten Folgen für Scheels Betätigung als Kirchenhistoriker. Da er sich bereits unmittelbar nach Zusammenbruch des Kaiserreiches mit großer Energie gänzlich anderen Aufgabenfeldern als dem akademisch-theologischen zugewandt hatte, kam seine literarische Produktion auf diesem Gebiet, von einigen Rezensionen abgesehen, bis auf weiteres zum Erliegen. Erst zwei Jahre nach Kriegsende trat der viel gerühmte Lutherforscher wieder publizistisch im Bereich der Theologie in Erscheinung mit einem schmalen Festschriftbeitrag, der aller Voraussicht nach bereits vor Kriegsende fertig gestellt war301. Den ersten beiden Bänden seiner Lutherbiographie alsbald den in Aussicht gestellten dritten folgen zu lassen, erwies sich indes als unmöglich. Lediglich eine Neuauflage des vergriffenen ersten Bandes konnte ein weiteres Jahr später in den Buchhandel gegeben werden302. 298 Werbebroschüre für das Handwörterbuch vom Sommer 1932 (Ebd.). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 299 Petersen / Ruth / Scheel / Schwalm, Handwörterbuch, Bd. 1, V. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 300 Vgl. Hauptredaktion des Handwçrterbuches des Grenz- und Auslanddeutschtums, Handwörterbuch, 172 f. Zu den genauen Erscheinungsterminen der einzelnen Lieferungen siehe Petersen / Ruth / Scheel / Schwalm, Handwörterbuch, Bd.1, VIII. 301 Vgl. Scheel, Taulers Mystik. Der runde Geburtstag des Geehrten fiel auf den September 1918 und somit dürfte der Band für diesen Termin geplant gewesen sein. 302 Vgl. Schreiben der Verlages J. C. B. Mohr an Scheel vom 30. 6. 1921 (VMS Tübingen, Karton 400).

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Der Zuwachs an Seiten entfiel dabei fast ausschließlich auf den Anmerkungsapparat, wo der Autor die Gelegenheit nutze, ausgiebig zur Polemik Alphons V. Müllers gegen sein Werk Stellung zu nehmen. Dieser hatte die Bloßstellung des Tübinger Kirchenhistorikers geradezu zum Gliederungsprinzip seiner Arbeit „Luthers Werdegang bis zum Turmerlebnis“ erhoben, in der mehrere Abschnitte die Überschrift „Irrtümer Scheels“303 trugen. Abgesehen von den Versuchen, die böswilligen Attacken des konvertierten Dominikaners zu parieren, dessen Urteil im eklatanten Gegensatz zum Gros der Theologenzunft stand, wartete die nunmehr dritte Auflage des ersten Lutherbandes hinsichtlich der eigentlichen Thematik mit keinen nennenswerten Neuerungen auf304. Aufschlussreicher mit Blick auf die Frage, ob und wenn ja wie sich die massiven politischen Umwälzungen auf Scheels theologische Deutungsmuster auswirkten, war das Vorwort. Hier verurteilte er nicht nur ähnlich den vorangegangenen Auflagen, wie 1917 „dem Protestantismus des Westens angehörende Forscher […] Schalen ihrer Schmähungen über den Wittenberger Mönch ausgossen“305. Auch mit Blick auf die Situation des Jahres 1921 zog er Parallelen zwischen dem Umgang der nunmehrigen westlichen Siegermächte mit dem lutherischen Erbe und ihrer Politik gegenüber Deutschland. Ansatzpunkt hierfür bot ihm die 400-Jahrfeier des für die Reformation so bedeutsamen Reichstages zu Worms, die am Ort des Geschehens infolge der Versailler Friedensregelung unter französischer Besatzung stattfand. Scheel deutete diesen Umstand dahingehend, es habe „der Korse über den Wittenberger“ triumphiert und verquickte damit religiöse und nationale Motivik aufs Engste miteinander. Von seiner Absicht, genau diese Verbindung herzustellen, zeugte ebenfalls der pathetische Aufruf am Ende des Vorwortes, „Wittenbergs Söhne“ müssten „in der Nachfolge des Reformators“ ihren Weg gehen, bis sich vor ihnen wie einst vor dem „Gefangenen auf der Wartburg“ der Rauch auflöse. Kaum einem Leser dürfte verborgen geblieben sein, dass mit derlei Formulierungen analog zum Durchhaltewillen in Fragen lutherischer Frömmigkeit auch jene in politischen Belangen beschworen werden sollte. Argumentierte Scheel im Vorwort des neu aufgelegten Bandes in erster Linie aufgrund der aktuellen Situation für eine enge Verknüpfung lutherischen und nationalen Bekenntnisses, so suchte er jene Verbindung in einem zeitgleich publizierten Aufsatz zusätzlich dadurch zu schlagen, dass er sie auf Luthers eigenes Denken und Handeln zurückführte. Die entsprechende Schrift trug mit „Die weltgeschichtliche Bedeutung der Wittenberger Reformation“ fast denselben Titel wie jener Beitrag aus dem Reformationsjubiläumsjahr 1917, in dem es Scheel am wenigsten gelungen war, nationales Pathos 303 M ller, Luthers Werdegang, VII–VIII. Zur Person Müllers vgl. Tapp, Müller, 1113–1115. 304 Vgl. Scheel, Luther, Bd. 1 (1921), 322–329. 305 Ebd., IV. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort.

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und Lutherdeutung zu trennen306. Dass er vier Jahre später gerade an diese Ausführungen und nicht an seine verschiedentlichen Plädoyers anknüpfte, dem Reformator kein allzu starkes nationales Empfinden zu attestieren, markierte eine klare Akzentverschiebung. Scheel verwies in der Publikation zwar noch auf seinen damaligen Befund, die Jubiläumsliteratur des Jahres 1917 sei mitunter auf „Irrwege“307 geraten. Entsprechende Schlüsse für seine eigene Darstellung zog er daraus nicht, wie sich im Folgenden zeigte. Unter Verweis auf einen Jubiläumsbeitrag seines Mentors von Schubert, der seinerzeit Luther zum Vorgänger Bismarcks stilisiert hatte, attestierte er dem Reformator enge Verbundenheit mit „seinem deutschen Volk“308. Diesem ,deutschen Empfinden‘ verlieh Scheel zum einen latent xenophobe Züge. Seiner Interpretation zufolge war sich Luther vor allem „am Gegensatz gegen die Welschen mit ihrer macchiavellistischen Politik und die Wenden mit ihrer Unkultur“ seiner nationalen Zugehörigkeit bewusst geworden. Neben den Ausfällen gegen Deutschlands westliche und östliche Nachbarn zeichnete sich die nationale Vereinnahmung zum anderen dadurch aus, dass Scheel sie auf eine göttliche Intervention zurückführte, mit der sich seiner Ansicht nach besondere Aufträge des Reformators in Deutschland verbanden. Luther hatte demnach nicht aus freien Stücken sein nationales Bekenntnis abgelegt, sondern weil „Gott ihn unter die Deutschen gestellt und ihm dort Aufgaben gegeben hat“. Noch prägnanter als in den wenigen Publikationen der frühen 1920er Jahre, deren Adressatenkreis sich vornehmlich aus der akademischen Theologenschaft rekrutierte, trat in Scheels Äußerungen gegenüber einem breiteren Publikum hervor, wie die Krisenerfahrungen seit Ende 1918 es ihm erschwerten, seinem Credo aus Privatdozententagen treu zu bleiben, man müsse Luther ,von den Kämpfen der Gegenwart abrücken‘. Symptomatisch hierfür war sein Engagement in der Luther-Gesellschaft. Diese war Ende September 1918 in Wittenberg ins Leben gerufen worden, um im Gegensatz zum wissenschaftlich ausgerichteten VRG auf eine „mehr volkstümliche Art“309 das Wissen um Person und Werk des Reformators zu mehren. Dass dabei die nationale Dimension eine entscheidende Rolle spielen würde, deutete Rudolf Eucken, einer der Hauptinitiatoren, bereits in seiner Rede auf der Gründungsversammlung an. Weil zu diesem Zeitpunkt die Kriegsniederlage bereits absehbar war, verwies er mit Blick auf die Aufgaben der Gesellschaft darauf, es müsse wieder der „echte Luthergeist“310 zur Wirkung gebracht werden, denn so könne der Wittenberger Reformator „abermals ein Erretter für uns Deutsche werden“. Wie sehr derlei Gegenwartsbezüge das Profil der Gesellschaft 306 Siehe hierzu S. 98. 307 Scheel, Bedeutung (1921), 374. 308 Ebd., 375. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Zur Schrift von Schuberts siehe Maron, Luther, 193, 200. 309 N.N., Luthergesellschaft, 30. 310 Eucken, Luthergesellschaft, 8. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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bestimmten, zeigte sich ebenfalls auf der ersten Jahresversammlung 1919. Anstatt theologischen Fragen widmeten sich die Festvorträge den Themen „Luther und die geistige Erneuerung des deutschen Volkes“ sowie „Luther und der deutsche Staatsgedanke“311. Wenn Scheel für die Gesellschaft das Wort nahm, legte er den Akzent ebenfalls entschieden auf derlei nationale Zusammenhänge. Luther firmierte gleichsam als „Apostel des Herrn und Prophet der Deutschen“312, der bei Achtung fremder Nationen „seine apostolische Sendung […] fest mit seinem deutschen Beruf verknüpfen konnte“313. Jeglichen Theorien, der Reformator sei mit seinen Lehren zum „Zerstörer der deutschen Einheit“314 geworden und habe zur politischen Lähmung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation beigetragen, erteilte er eine klare Absage. Ausgehend von diesem historischen Befund zog Scheel systematisch Parallelen zur Nachkriegssituation. In einem Beitrag verglich er zu diesem Zweck die zum Luthertum in Konkurrenz stehenden christlichen Bekenntnisse mit den außenpolitischen Hypotheken des Deutschen Reiches. Die „Schandbestimmungen des Vertrages von Versailles“315 galten folglich als Schlag des Calvinismus gegen das lutherische Bekenntnis, und den Verlust von Preußens östlichen Provinzen an Polen vermochte er als „neue Gegenreformation“316 zu bezeichnen. An anderer Stelle bewerkstelligte er den Bogenschlag, indem er die Bedeutung des Wormser Reichstages für Luther mit der des Versailler Vertrages für Deutschland gleichsetzte. Beide sah Scheel „nach dem Willen einer gewissenlosen Übermacht in Schande und Schmach, in die Erniedrigung der eigenen Ehre hineingestoßen“317. Seinem Publikum meinte er damit unter Beweis stellen zu können, es seien „Reformation und Nation, religiöses und nationales Erleben […] wiederum jedem sichtbar miteinander verknüpft […] nicht anders als in den Tagen der Reformation selbst“318. Aus jener konsequenten nationalen Inanspruchnahme leitete Scheel Handlungsanweisungen für die Gegenwart ab. Ihm zufolge konnte der von seinem ,deutschen Beruf‘ beseelte Luther den Deutschen als Vorbild dienen, in schwersten Krisen nicht zu verzagen. Hierzu bediente er sich zum einen des Bildes vom geduldig wartenden Gefangenen auf der Wartburg, welches ebenfalls im Vorwort der Neuauflage des ersten Lutherbandes zum Einsatz kam319. Zum anderen stilisierte er Luthers Auftritt auf dem Wormser Reichstag zum Ausweis opferbereiter Standfestigkeit. So konnte er seinem Publikum mit 311 312 313 314 315 316 317 318 319

D fel, Voraussetzungen, 98 f. Scheel, Bedeutung (1922), 7. Ebd., 12. „Deutsche Luthergesellschaft“, in: Lübecker Neueste Nachrichten, 5. 9. 1921. Scheel, Stellung, 46. Ebd., 34. Scheel, Bedeutung (1922), 27. Ebd., 5. Vgl. ebd., 27.

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auf den Weg geben, die Tat des „Helden von Worms“320 müsse mit Blick auf die Kriegsfolgen „heute jeder deutsche evangelische Christ in seiner Person wiederholen“. Die Luther-Gesellschaft pries daher nicht ohne Grund die Ausführungen des Tübinger Kirchenhistorikers mit dem Hinweis, er zeige, „daß Luther noch heute das rettende Vermächtnis des deutschen Volkes sei“321. Im Kreise derjenigen Gelehrten, dis bis in den Ersten Weltkrieg hinein zu Scheels engen akademischen Vertrauten gezählt hatten, stieß der Appell auf wenig Begeisterung, statt der theologischen Existenz Luthers nun in erster Linie seinem vermeintlich deutschen Wesen und seiner politischen Sendung für die Gegenwart nachzugehen. Martin Rade, der bei einem von Scheels oben erwähnten Vorträgen für die Luther-Gesellschaft zugegen war, zeigte sich geradezu entsetzt davon, wie der Redner Luther zum deutschen Helden erhob und gegen Calvinismus und Katholizismus polemisierte. In seiner privaten Korrespondenz hielt er nach dem Auftritt fest, er habe Scheel bis dato geschätzt und dieser sei nicht ohne Meriten. In Anbetracht des Gehörten kam er jedoch nicht umhin festzustellen, sein langjähriger Vertrauter sei „kein feiner Geist“322, sondern vielmehr ein „plumper Geselle“. Nicht nur die Verbindung zu Rade, sondern auch jene zu Baumgarten kühlte sich in den Nachkriegsjahren merklich ab. Letzterer bekannte sich nach 1918 ausdrücklich zu Vernunftrepublikanismus sowie Pazifismus und lehnte dementsprechend eine Inszenierung des Wittenberger Reformators als nationale Gallionsfigur mit aller Entschiedenheit ab. Der Vorkriegs-Kritik Troeltschs folgend beanstandete er ganz im Gegenteil Luthers politische Kommentare als defizitär und realitätsfern323. Zwischen ihm und seinem ehemaligen Proteg taten sich folglich nur schwer zu überbrückende Gräben auf. Dies mag erklären, wieso Scheel im Zuge der Kieler Berufung Nachricht erhielt, Baumgarten versuche mit allen Mitteln, seine Bestallung zu verhindern324. Bei Übersiedlung an die Förde gab er sich daher entschlossen, „Zähne zu zeigen“325 gegenüber dem alten Mentor, den er seinerzeit persönlich gebeten hatte, seine Ehe einzusegnen. Zurück in Kiel nahm ihr Verhältnis so massiven Schaden, dass der vormalige Lehrer bei der Abfassung seiner Memoiren des einst so viel versprechenden Schülers nur noch in verbittertem Ton 320 Scheel, Stellung, 55. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 321 N.N.: Anzeige, 48. 322 Schreiben Rades an Adolf von Harnack vom 17. 9. 1921, in: Jantsch, Briefwechsel, Nr. 587, 770. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Bei dem Vortrag, den Rade gehört hatte, handelte es sich um „Die Stellung der Kirchen der deutschen Reformation im Protestantismus der Gegenwart“, vgl. Scheel, Stellung. 323 Vgl. Bassi, Baumgarten, 269–273. 324 Vgl. Schreiben Scheels an Johannes Schmidt-Wodder vom 30. 11. 1922 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 71); und Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 2. 2. 1923 (AVRG Mainz, Karton 3.2). 325 Schreiben Scheels an Hans Lietzmann vom 2. 1. 1924, in: Aland, Glanz, Nr. 507, 478.

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als desjenigen gedachte, der ihn aus seinem Amt als Universitätsprediger verdrängte326. Zeitgleich mit den Zwistigkeiten Baumgartens mit Scheel verabschiedete sich Letzterer ebenfalls aus dem Kreis um die ChW. Anders als die Publikationen der Luther-Gesellschaft huldigte das Periodikum nur sehr bedingt den ,deutschen Qualitäten‘ des Wittenberger Reformators und bot seinen Lesern statt nationalen Durchhalteparolen oftmals differenziertere Beiträge. Scheel kommentierte diese Ausrichtung mit dem Kommentar, nach Aufschlagen der ChW habe man „in wenigen Minuten ein Gallenleiden“327. Von der Lektüre nahm er ebenso Abstand wie von der weiteren Teilnahme an den Treffen der Freunde der ChW, zu deren regen Besuchern er vor dem Krieg gezählt hatte. Stein des Anstoßes, auch formal alle Drähte zu dem kulturprotestantischen Zirkel um die Zeitschrift zu kappen, wurde kurz nach der Kieler Berufung ein Artikel in der ChW, dessen Autor kritisch zur deutschen Schleswig-Politik Stellung nahm328. Scheel begnügte sich wegen des „skandalös leichtfertigen Artikels“329 nicht damit, einfach nur aus dem Kreis der Freunde der ChW auszutreten. Er suchte darüber hinaus weitere Mitglieder zu demselben Schritt zu bewegen und gegen Rade als Herausgeber der ChW mobil zu machen. Aus seiner Sicht entsprach die Publikation des Beitrages einem Angriff „mit vergiftetem Dolch von hinten“330. Scheel ging mit seinem markanten Positionswechsel im akademischtheologischen Feld in vielerlei Hinsicht einen ähnlichen Weg wie der wirkmächtigste Lutherforscher jener Jahre. Karl Holl hatte 1917 ebenfalls zu den Gegenstimmen eines nationalisierten Reformationsgedenkens gehört, war dann jedoch zu Kriegsende mit der Beteiligung an der Gründung der Luthergesellschaft und der fast zeitgleichen Trennung von den Freunden der ChW von moderaten Positionen abgerückt331. Hiervon zeugten seine 1921 erstmals in einem Band zusammengeführten Lutherbeiträge. Die dort gesammelten Schriften brachten ihrem Autor in der Kirchengeschichtsschreibung den Platz als Wegbereiter einer Rückbesinnung auf die Theologie des Reformators ein, die später als Lutherrenaissance firmierte332. Dessen ungeachtet erwiesen sich die weithin gelobten und publizistisch extrem erfolgreichen „Gesammelten Aufsätze zur Kirchengeschichte“ bei näherem Hinse326 Vgl. Baumgarten, Lebensgeschichte, 124; und Schreiben Scheels an Werner Siebeck vom 14. 11. 1924 (VMS T bingen, Karton 414). 327 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 18. 11. 1921 (AVRG Mainz, Karton 3.2). 328 Vgl. Seefeldt, Deutscher sowie Rade, Nachwort. Martin Rade nahm als Herausgeber der ChW zu den Angriffen der deutschnationalen Presse auf Seefeldts Artikel Stellung. 329 Schreiben Scheels an Hans Lietzmann vom 25. 8. 1924 (IfNTT M nster, NL Hans Lietzmann). 330 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 26. 7. 1924 (AVRG Mainz, Karton 3.2). 331 Vgl. Maron, Luther, 205; und Wallmann, Holl, 26–31. Holl trat 1925 in der Luther-Gesellschaft die Nachfolge des Gründungsvorsitzenden Rudolf Eucken an, siehe D fel, LutherGesellschaft, 48. 332 Vgl. Wiebel, Genese, 81–83; und Assel, Aufbruch, 17–22.

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hen als keineswegs frei von nationalen Konstruktionen und politischen Gegenwartsbezügen. So hatte beispielsweise aus Holls Sicht Luther eine spezifisch deutsche Form staatlicher Ordnung antizipiert, die sich scharf von jener im anglo-amerikanischen Raum schied, weil dort andere protestantische Gruppen dominierten333. Des Weiteren vermochte er aus der lutherischen Lehre eine Abneigung gegen außenpolitische Machtentfaltung herauszulesen, England hingegen einen „religiös begründete[n] imperialistische[n] Drang“334 zu attestierten. Daraus habe London die Befugnis abgeleitet, „den Besiegten wie einen Verbrecher zu behandeln“335, und im Weltkrieg dementsprechend agiert. Mit derartigen Bogenschlägen zog Holl unter Berufung auf Luther kaum weniger entschieden gegen die Siegermächte zu Felde als Scheel336. In Anbetracht dessen nahm es nicht wunder, dass Holl den politischen Interventionsversuchen seines einstigen Nachfolgers auf dem Tübinger Extraordinariat mit großer Sympathie gegenüberstand. Wegen der sich daraus ergebenden Verzögerungen bei der Arbeit am dritten Lutherband suchte er Scheel zu beruhigen, es sei „wichtiger, für eine verständige Gestaltung unseres politischen Lebens tätig zu sein als Lutherbände zu schreiben“337. Dass Holl keinen unliebsamen Konkurrenten aus der Bahn werfen wollte, zeigte sich, als Scheel nach dem Studium von dessen gesammelten Aufsätzen zur Kirchengeschichte in Erwägung zog, wegen deren Qualität seine Lutherbiographie unvollendet zu lassen. Holl ermahnte ihn daraufhin, er dürfe „keine[n] Torso hinterlasse[n]“338. Das Vertrauensverhältnis zwischen den beiden Lutherforschern dokumentierte ebenfalls ihre Rücksprache bezüglich der Kieler Berufung. Wie Scheel nach Holls plötzlichem Tod 1926 festhielt, hatte dieser seine Entscheidung mitbestimmt, denn er war als einer seiner wenigen theologischen Ansprechpartner nicht gegen den Wechsel an die Förde gewesen339. Ganz im Gegensatz dazu habe ihm von Schubert die Rückkehr an die Christiana Albertina „ziemlich übel“340 genommen. Für Letzteren wie für weite Teile der universitären Theologenschaft dürfte die Annahme des Kieler Rufes schon deswegen schwer nachvollziehbar gewesen sein, weil Scheels akademisches Renommee als Kirchenhistoriker trotz verringerter Produktivität in den ersten Nachkriegsjahren stetig zunahm und 333 334 335 336 337 338 339 340

Vgl. Holl, Kulturbedeutung, 466 f. Holl, Luther, 498. Holl, Luther, 499. Zur strukturellen Anfälligkeit der Lutherdeutung Holls für nationale Vereinnahmungen siehe Hamm, Rückert, 280; Kupisch, Landeskirchen, 122 f.; und Stayer, Luther, 46 f. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 27. 10. 1920 (AVRG Mainz, Karton 3.2). Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 26. 1. 1922 (Ebd.). Zu Scheels überaus positivem Urteil über Holls „Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte“ vgl. Scheel, Rezension (1922). Vgl. Schreiben Scheels an Hans Lietzmann vom 27. 5. 1926, in: Aland, Glanz, Nr. 548, 515. Schreiben Scheels an Hans Lietzmann vom 2. 1. 1924, in: Ebd., Nr. 507, 477.

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sich ihm fachintern glänzende Perspektiven boten. Ausdruck dessen war nicht nur die Verleihung einer weiteren Ehrendoktorwürde durch die Universität Oslo wegen seiner Verdienste um die Lutherforschung341. Neben der dritten Auszeichnung dieser Art erhielt er zwei Rufe auf andere Lehrstühle für Kirchengeschichte, bevor die Kieler Frage akut wurde. Kurz nach Kriegsende trat das preußische Kultusministerium zunächst wegen der Übernahme des Ordinariats an der Bonner Universität mit ihm in Kontakt. Scheel widerrief jedoch im allerletzten Moment die bereits ausgehandelten Übernahmemodaliäten, weil die Tübinger evangelisch-theologische Fakultät seine Ernennung zum persönlichen Ordinarius erwirkte342. Zwei Jahre später entwickelte sich die Nachfolge Adolf von Harnacks in Berlin zu einem ähnlichen Tauziehen. Zwischen der Kultusbehörde und dem Zweitplatzierten Scheel, der durch die Absage Hans Lietzmanns zum Zuge kam, entspannen sich monatelange Verhandlungen, bei denen es am Ende wie in Kiel um die Wohnungsfrage ging. Da diese nicht gelöst werden konnte und das württembergische Unterrichtsministerium den Verbleib am Neckar finanziell honorierte, blieb dieser zweite preußische Abwerbungsversuch ebenfalls erfolglos343. Mit dem Ruf nach Berlin schlug Scheel einen der angesehensten Lehrstühle seines Faches aus, was mit Sicherheit die Verwunderung darüber zusätzlich erhöhte, dass er keine zweieinhalb Jahre später nicht nur die Universität, sondern gleich noch die Disziplin zu tauschen bereit war. Einen gänzlichen Rückzug aus seinem bisherigen Arbeitsgebiet erwog der Betroffene aber keineswegs, was bereits daran abzulesen war, dass er in den Berufungsverhandlungen auf die zusätzliche Erteilung eines Lehrauftrages für Reformationsgeschichte bestand. Ganz im Gegenteil ging er davon aus, die aus seiner Sicht als „wissenschaftliche Sinekure“344 eingerichtete Professur werde ihm neben politischen Aufgaben die nötigen Freiräume sichern, um weiterhin als Kirchenhistoriker zu arbeiten. Mit dem Umzug nach Kiel legte er weder den stellvertretenden Vorsitz im VRG nieder, den er seit Ende 1918 bekleidete, noch schied er aus der Preußischen Kommission für die Geschichte der Reformation und Gegenreformation, in die er zeitgleich berufen worden war. Auf 341 Vgl. Andresen, Doctores, 326. Zeitgleich mit Scheel erhielten Ernst Troeltsch und Walther Köhler die Auszeichnung. 342 Vgl. Berufungsvereinbarung Scheels mit dem preußischen Kultusministerium vom 6. 2. 1919 (GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 76 Va Sekt. 3 Tit. IV, Nr. 36, Bd. 8); Absagetelegramm Scheels vom 24. 2. 1919 (GStA PK Berlin, VI. HA, NL C. H. Becker, Nr. 3859); und Schreiben der evangelisch-theologischen Fakultät an das Akademische Rektoramt vom 7. 1. 1919 und Benachrichtigung des Ministeriums des Kirchen- und Schulwesens und das Akademische Rektoramt vom 8. 3. 1919 (UAT T bingen, 162, Nr. 42). 343 Vgl. Berufungsliste für die Nachfolge Adolf von Harnacks vom 11. 3. 1921 (GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 76 Va Sekt. 2 Tit. IV, Nr. 44, Bd. 8); Schreiben Scheels an Adolf von Harnack vom 31. 12. 1921 (StBB Berlin, NL Adolf von Harnack); Schreiben des Ministeriums des Kirchen- und Schulwesens an Scheel vom 19. 7. 1921 (UAT T bingen, 126, Nr. 573); und Schreiben Scheels an Adolf Jülicher vom 9. 12. 1921 (UBM Marburg, Ms. 695, Nr. 993). 344 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 2. 10. 1923 (AVRG Mainz, Karton 3.2).

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Bitten Holls leitete Scheel seit 1919 deren prosopographische Abteilung zur Erstellung eines umfassenden biographischen Lexikons der Reformationszeit. Das ambitionierte Großprojekt zog daher ebenfalls mit nach Kiel um345. Die Hoffnungen auf ungestörte theologische Forschungsarbeit an der neuen Wirkungsstätte erwiesen sich indes als trügerisch. Neben seinen vielfältigen politischen Betätigungen und der notwendigen Einarbeitung in sein neues Arbeitsfeld blieb für das bisherige noch weniger Zeit als in dem ohnehin nur mäßig produktiven Zeitfenster seit Kriegsende. Zwar gelang es ihm, den wichtigsten Verpflichtungen gegenüber dem VRG nachzukommen346, doch davon abgesehen legte Scheel in den vier Jahren nach dem Wechsel gen Kiel nur einen einzigen kirchenhistorischen Aufsatz vor, von längeren Abhandlungen wie beispielsweise dem dritten Lutherband ganz zu schweigen347. Nicht nur die Muße für eigene Publikationen fehlte, sondern ebenfalls der nötige Freiraum, um die Arbeiten der prosopographischen Abteilung der Preußischen Kommission für die Geschichte der Reformation und Gegenreformation entscheidend voranzubringen. Innerhalb der Kommission kam daher Kritik an Scheels Betrauung mit dem Projekt auf. Wenn sich daraus bis auf weiteres keine Konsequenzen ergaben, war dies vor allem der Intervention von Schuberts geschuldet, der den langsamen Fortschritt mit den vielen Verpflichtungen des Leiters zu entschuldigen suchte348. Wie infolge der dreifachen Belastung als Grenzpolitiker, Landeshistoriker und Kirchengeschichtlicher sein Stern in der theologischen Gelehrtenwelt zu sinken begann, zeigte sich in diesen Jahren ebenfalls am Verlauf einiger Berufungsverfahren. Als es beispielsweise nach dem Tod Holls im Frühjahr 1926 dessen Berliner Lehrstuhl neu zu besetzen galt, standen einer Berufung Scheels, an der fünf Jahre zuvor bei der Nachfolge Harnacks noch so großes Interesse bestanden hatte, in erster Linie seine außertheologischen Verpflichtungen im Weg349. Nach langen Beratungen ließ die Fakultät schließlich das Ministerium wissen, sie habe „mit lebhaftem Bedauern“350 von seiner Listung Abstand genommen wegen der „mannigfaltigen praktischen Aufgaben, die […] Scheels Hauptinteresse in Anspruch nehmen“. Ganz ähnliche Bedenken beschäftigten die Fachkollegen in Halle, wo bald darauf die Professur Erich Seebergs vakant wurde, weil dieser Holls Nachfolge antrat. Die Erstplatzierung Scheels verknüpften sie mit der Erwartung, er müsse „ganz 345 Vgl. Scheel, Instruktion; N.N., Unternehmungen, 254; und Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 26. 2.1919 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 346 Vgl. Fix, Scheel, 84 f. 347 Vgl. B lck, Bibliographie, 170 f. 348 Vgl. Schreiben Friedrich Schmidt-Otts an von Schubert vom 13. 4. 1926 und 20. 4. 1926 (AVRG Mainz, Karton 2.2). 349 Vgl. Schreiben Harnacks an Lietzmann vom 27. 7. 1926, in: Aland, Glanz, Nr. 556, 524. 350 Schreiben der Theologischen Fakultät der Universität Berlin an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 4. 8. 1926 (GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 76 Va Sekt. 2 Tit. IV, Nr. 44, Bd. 8). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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oder doch mit seiner Hauptkraft wieder zur theologischen Forschungs- und Lehrarbeit“351 zurückkehren. Nachdem der Wunschkandidat ablehnte, zu diesen Konditionen an die Saale zu wechseln, kam er dort zwei Jahre später bei der Wiederbesetzung der Professur Johannes Fickers ebenfalls nicht mehr in Betracht. Wenn in dem Verfahren schließlich doch noch ein Ruf an ihn erging, so dürfte dies vor allem den flehenden Bitten des Kieler Oberpräsidiums an das Kultusministerium im Zusammenhang der ,Süderbraruper Affäre‘352 geschuldet gewesen sein. Die Hallenser Fakultät jedenfalls weigerte sich selbst auf direkte Nachfrage aus Berlin, den nun auch noch gesundheitlich schwer Angeschlagenen auf die Liste zu setzen353. Trotz der negativen Auswirkungen auf Scheels Berufungschancen erwiesen sich der Zusammenbruch des Winters 1927 und die anschließende Beurlaubung als alles andere denn kontraproduktiv hinsichtlich seiner Profilierung als Kirchenhistoriker. Mit dem fluchtartigen Abschied aus Kiel streifte er all jene Verpflichtungen ab, die ihn in den vergangenen Jahren daran gehindert hatten, seine Lutherstudien fortzusetzen. Hierfür bot die Zeitspanne bis zur Wiederaufnahme seiner Lehrtätigkeit eineinhalb Jahre später große Freiräume, weil Scheel bereits Anfang 1928 nach mehrwöchigem Kuraufenthalt körperlich weitestgehend wiederhergestellt war. Wie er seinen engsten Vertrauten mitteilte, sollte die weitere Verlängerung seines Erholungsurlaubes in erster Linie der psychischen Genesung dienen. Nach einhelliger Meinung der Ärzte des Betroffenen hatte unter der jahrelangen Dreifachbelastung sein Nervenkostüm mehr gelitten als die Physis354. Scheel beschrieb den Abschied von der in Kiel angehäuften Ämtermasse als „starke innere Befreiung“355 und wandte sich ostentativ den jahrelang vernachlässigten kirchenhistorischen Studien zu. Nach eigener Auskunft rieten ihm auch seine Doktoren, zur seelischen Beruhigung Zuflucht in jenen Arbeiten zu suchen, und hatten sie daher „als Medizin“356 verordnet. Als Vorarbeiten für den dritten Lutherband machte er sich zunächst daran, erweiterte Neuauflagen der „Dokumente zu Luthers Entwicklung“ sowie des zweiten Teils von dessen Biographie auf den Weg zu bringen. Erstere konnten Anfang 1929 in den Druck gehen und waren bei Erscheinen die erste selbstständige 351 Schreiben der Theologischen Fakultät der Universität Halle an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 15. 2. 1927 (GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 76 Va Sekt. 8 Tit. IV, Nr. 31, Bd. 8). 352 Siehe hierzu S. 136f. 353 Vgl. Schreiben des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an den Kurator der Universität Halle vom 27. 3. 1929 (GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 76 Va, Nr. 10194); und Schreiben der Theologischen Fakultät der Universität Halle an den dortigen Kurator vom 6. 5. 1929 (Ebd.). 354 Vgl. Schreiben Scheels an Anton Schifferer vom 21. 2. 1928 (LASH Schleswig, Abt. 399.70, Nr. 406). 355 Schreiben Scheels an von Schubert vom 2. 5. 1928 (StBB Berlin, NL Hans Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St). 356 Schreiben Scheels an den Kurator der Universität Kiel vom 21. 10. 1928 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 6996).

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theologische Veröffentlichung ihres Bearbeiters seit der Neuauflage des ersten Lutherbandes von 1921357. Den ehrgeizigen Plan, die überarbeitete Fassung des zweiten ebenfalls vor der Rückkehr nach Kiel im Manuskript fertigzustellen, vermochte Scheel indessen nicht umzusetzen. Hierbei erwiesen sich weniger die Bedenken im Hause J.C.B. Mohr wegen der Konkurrenz durch Holls „Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte“ als Hindernis denn vielmehr die Akribie, mit der Scheel auf der Suche nach neuen Materialien diverse Archive durchstöberte358. Bei Rückkehr an die Förde zum Sommer 1929 machte der zwischenzeitlich Genesene keine Anstalten, die auf der Suche nach einem inneren Ort der Ruhe wiederentdeckten kirchenhistorischen Arbeiten zurückzufahren. Dies lässt sich schon an seinen Lehrankündigungen ablesen. Hatte Scheel bis zu seinem Zusammenbruch keine einzige theologische Vorlesung in Kiel gehalten, war von ihm für den Fall einer Rückkehr zum Wintersemester 1928 als Thema „Martin Luther“ ins Auge gefasst worden359. Nachdem dieses Angebot wegen der weiteren Verlängerung seines Urlaubes entfiel, las er im folgenden Winter über „Deutsche Reformationsgeschichte bis zum Augsburger Religionsfrieden“360. Nach Abschluss der Vorlesung meditierte er gar über eine mögliche Rückkehr in die Kirchengeschichte, nachdem er vertrauliche Anfragen erhalten hatte, ob er einen Ruf nach Bonn annähme361. Scheel teilte daraufhin mit, er fühle sich mit Kiel „nicht verheiratet“362, könne sich aber momentan in Sachen Bonn nicht entscheiden. Einen Berliner Ruf würde er hingegen „innerhalb einer Sekunde annehmen“. Nicht nur die Lehrtätigkeit und potentielles Interesse an einem theologischen Ordinariat deuteten darauf hin, dass Scheel wieder verstärkt in der Theologie Fuß fassen wollte, sondern ebenfalls seine konsequente Arbeit an der Neuauflage des zweiten Lutherbandes. Das bei Ankunft in Kiel noch unvollendete Manuskript ließ er parallel zur Reformationsvorlesung dem Verlag J.C.B. Mohr zukommen, und so konnte die Fachwelt im Frühsommer 1930 den Band in Augenschein nehmen363. Scheel hatte zu diesem Zeitpunkt bereits mit dem Hause Siebeck Einigkeit über die Planung für den dritten Band hergestellt, der sich wegen der Masse des Materials auf eine Darstellung von Luthers weiterem Lebensweg beschränken 357 Vgl. Schreiben Scheels an Erich Seeberg vom 31. 1. 1929 (BArch Koblenz, N 1248, Nr. 32). 358 Vgl. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 25. 5. 1928 und 7. 2. 1929 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton Heidelberg 1906–1931 Sch–St); und Schreiben Oskar Siebecks an Scheel vom 18. 7. 1928 und Antwort desselben vom 22. 7. 1928 (VMS T bingen, Karton 438). 359 Personal- und Vorlesungsverzeichnis der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel für das Wintersemester 1928/1929, 65. 360 Personal- und Vorlesungsverzeichnis der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel für das Wintersemester 1929/1930, 69. 361 Vgl. Schreiben Scheels an Hans Lietzmann vom 22. 5. 1930, in: Aland, Glanz, Nr. 669, 607. 362 Schreiben Scheels an Erich Seeberg vom 22. 3. 1930 (BArch Koblenz, N 1248, Nr. 32). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 363 Vgl. Schreiben Scheels an Hans Lietzmann vom 27. 12. 1929 und 29. 1. 1930 (IfNTT M nster, NL Hans Lietzmann).

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Positionswechsel in der Weimarer Republik

sollte, ohne ausführliche Detailuntersuchungen wie in den vorangegangenen Werken anzustellen364. Mit Blick auf Scheels publizistische Tätigkeit im Bereich der Theologie, die zwischenzeitlich fast gänzlich zum Erliegen gekommen war, machte sich seit seinem Erholungsurlaub jedoch nicht nur insofern eine Veränderung bemerkbar, als sie sprunghaft zunahm. Neben diesem rein quantitativen Befund zeichneten sich die neuerlichen Veröffentlichungen zu Luther durch eine entscheidende qualitative Veränderung aus. In den Schriften der ersten Nachkriegsjahre hatte Scheel praktisch keine Gelegenheit ausgelassen, Luther zum deutschen Helden zu stilisieren und plakative Linien zur politischen Situation der Gegenwart zu ziehen, um zur moralischen Erbauung im Kampf gegen das vermeintliche Versailler Diktat beizutragen. Diese stramm nationalistischen Töne fehlten nun. Nutzte der Autor 1921 das Vorwort der Neuauflage des ersten Lutherbandes noch für eine scharfe verbale Attacke gegen Frankreich, enthielt selbiges im zweiten Band von 1930 nur noch insofern eine politische Note, als Scheel die lutherischen Lehren zum gemeinsamen geistigen Erbe des baltischen Raumes erhob365. Auf den mehr als 200 zusätzlichen Seiten griff er an keiner Stelle die Frage nach möglichen nationalen Empfindungen des Reformators auf. Stattdessen widmete er mehrere neue Unterkapitel Aspekten, die er auf Basis neuen Quellenmaterials noch detaillierter ausgearbeitet hatte. Hierzu zählten unter anderem Fastenregeln, Luthers Anfechtungen und seine Erfahrungen mit mystischen Praktiken. Seine Anmerkungen zu Letzteren belegten besonders eindrücklich, dass er sich seinen Quellen wieder mehr aus philologischer denn nationaler Perspektive genähert hatte. Im eklatanten Widerspruch zur Praxis der frühen 1920er Jahre, aus den lutherischen Lehren einen nationalen Gegensatz Deutschlands zu den Westmächten herauszulesen, betonte Scheel die lutherische Rezeption ,romanischer‘ Mystiker wie Bonaventura, Gerson oder Mauburnus366. Diese Interpretation war nicht nur inkompatibel mit einer Verklärung des Reformators zum Exponenten vermeintlich deutschen Wesens, sondern widersprach ebenfalls der vorherrschenden Forschungsmeinung in Deutschland. Derzufolge stand Luther in erster Linie unter dem Einfluss derjenigen Mystiker, die man unter dem Stichwort ,Deutsche Mystik‘ zu subsumieren pflegte367. Wenn Scheel diesen Dissens zum Anlass nahm, seine abweichende Meinung in einem Forschungsbericht dahingehend zu unterstreichen, Luther habe mit Blick auf die ,romanische‘ Mystik „jahrelang

364 Vgl. Schreiben Scheels an Oskar Siebeck vom 17. 6. 1930 und Antwort desselben vom 26. 6. 1930 (VMS T bingen, Karton 453). 365 Vgl. Scheel, Martin Luther, Bd. 1 (1921), IV; und ders., Martin Luther, Bd. 2 (1930), VI. 366 Vgl. ebd., 220. 367 Zur Kritik der modernen Forschung an der Begriffsbildung ,Deutsche Mystik‘ und ,Romanische Mystik‘ siehe Leppin, Mystik, 96 f.

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in ihrem Bann gestanden“368, war dies ein weiterer Beleg dafür, dass er wieder Anschluss an kirchenhistorische Forschung jenseits des Nationalen suchte. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des letztgenannten Beitrages im September 1930 hatte Scheels persönliche kirchenhistorische Renaissance jedoch bereits ihren Zenit erreicht. Im selben Monat begannen die Ausgrabungen in Haithabu, die Scheel wieder verstärkt auf profanhistorische Bahnen führten. Zudem probte kurz darauf Petersen im Handwörterbuch-Projekt der Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung den Aufstand gegen die Hauptredaktion, in dessen Folge die Leitung des Mammutunternehmens an ihn und Scheel überging. Wegen dieser beiden Verpflichtungen stellte Ende des Jahres der vorher noch in Erwägung gezogene Wechsel nach Bonn, zu dem das Kultusministerium zwischenzeitlich ein konkretes Angebot gemacht hatte, für den Kieler Wunschkandidaten keine Option mehr da369. Auch publizistisch schlug sich die verstärkte Einbindung in außertheologische Unternehmungen bald nieder. Die im Sommer noch zeitnah geplanten Arbeiten am dritten Lutherband waren ein halbes Jahr später bereits in so weite Ferne gerückt, dass Scheel dessen Fertigstellung ohne eine erneute Beurlaubung zunehmend für unrealistisch hielt370. Im Folgejahr kam aus arbeitsökonomischer Sicht erschwerend hinzu, dass er nach dem Tod Hans von Schuberts zusätzlich den Vorsitz des VRG übernahm371. Durch Haithabu-Forschung, Handwörterbuch und VRG-Vorsitz mehrfach anderweitig belastet, brach seine kirchenhistoriographische Produktion erneut ein. Die Verleihung einer weiteren Ehrendoktorwürde wegen seiner Verdienste um die Lutherforschung durch die Universität Amsterdam verdankte sich daher nicht der Publikation eines weiteren Lutherbandes, sondern weiter zurückliegender Meriten372. Erst 1934 legte Scheel eine neue Monographie über den Wittenberger Reformator vor, und diese unterschied sich fundamental von seinem bisherigen Opus magnum.

368 Scheel, Luther im Kloster, 348. 369 Vgl. Schreiben Scheels an Erich Seeberg vom 29. 11. 1930 (BArch Koblenz, N 1248, Nr. 32). 370 Vgl. Schreiben Scheels an Arnold O. Meyer vom 19. 12. 1930 (SUBG Gçttingen, A. O. Meyer 425, Nr. 11). 371 Vgl. Fix, Scheel, 86. 372 Vgl. „De Gemeente-Universiteit van Amsterdam verleent Eere-doctoraten“, in: De Standaard, 26. 4. 1932.

4. Mobilmachung im Nationalsozialismus 4.1. Die ,Friedensjahre‘ 4.1.1. Weimars Ende und NS-Diktatur Nicht nur in den ersten Nachkriegsjahren machte Scheel aus seiner Abneigung gegen die von ihm als ,Stilübung von Weimar‘ desavouierte Republik keinen Hehl. Auch nach dem Wechsel an die Förde blieb seine Haltung gegenüber dem neuen Staatswesen distanziert. Selbst die Phase relativer politischer und ökonomischer Stabilisierung des Deutschen Reiches nach 1923 vermochte seine Vorbehalte gegenüber der neuen Ordnung nicht aufzuweichen. Nur widerwillig ergriff der frisch Berufene auf Bitten des schleswig-holsteinischen Oberpräsidenten bei der Kieler Verfassungsfeier 1924 das Wort1, würdigte dabei aber nicht das staatsrechtliche Fundament der Weimarer Republik, sondern stellte vielmehr die Notwendigkeit heraus, in der Tradition des Kaiserreiches das nationale Bekenntnis zu pflegen2. Noch deutlicher als mit der öffentlichen Verweigerung, dem Feiertag der Verfassung einen dezidiert republikanischen Charakter zu geben, bekundete er im Privaten sein anhaltendes Misstrauen gegenüber der parlamentarischen Demokratie. Mit dem Parteiensystem sah er „Bonzentum“3 und „Mittelmäßigkeit“ Tür und Tor geöffnet. Selbst der DVP, die ihn nach wie vor zu ihren Mitgliedern zählte, bescheinigte er, nur über „wenig Köpfe“ in ihren Fraktionen und Verbänden zu verfügen. Eigene parlamentarische Arbeit schloss er nach wie vor aus und lehnte die Option einer Landtagskandidatur mit dem verächtlichen Kommentar ab, er sei „geistig noch so frisch“4, dass er glaube, sich „einem Parlament […] fernhalten zu dürfen“. Als wenige Jahre später mit der Weltwirtschaftskrise die ,Goldenen Zwanziger‘ an ein Ende kamen und die junge Republik in schweres Fahrwasser geriet, erhielt sein beständiger Argwohn zusätzlichen Auftrieb. Stein des Anstoßes waren dabei zunächst die negativen Folgen des konjunkturellen Niederganges für die Kulturressorts. Aus Scheels Perspektive fielen die Kürzungen viel zu drastisch aus und drohten zu einem ernsthaften Hindernis bei der wissenschaftlichen Unterstützung des Kampfes gegen den Versailler 1 Vgl. Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 2. 8. 1924 (AVRG Mainz, Karton 3.2). 2 Vgl. „Die Verfassungsfeier in Kiel“, in: KiZ, 12. 8. 1924. 3 Schreiben Scheels an Hans von Schubert vom 2. 2. 1925 (AVRG Mainz, Karton 3.2). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 4 Schreiben Scheels an Hans Lietzmann vom 31. 8. 1924 (IfNTT M nster, NL Hans Lietzmann). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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Vertrag zu werden, den er nach wie vor als „Banditen-Diktat“5 bezeichnete, das Deutschland zu einer „europäischen Kolonie“6 und dessen Einwohner zu „Heloten“ gemacht habe. Den Regierenden warf er entsprechend vor, sie lieferten mit der Unterfinanzierung kulturpolitisch wichtiger Projekte „unseren Feinden freiwillig neue Argumente“. Noch schwerer als die Sorge um eine Beeinträchtigung des außenpolitischen Kampfes gegen die als ungerecht empfundene Friedensregelung wog die Zuspitzung der innenpolitischen Situation. Als im Sommer 1932 das Maß an politisch motivierter Gewalt im Umfeld der Reichstagswahl bürgerkriegsähnliche Zustände annahm und eine geordnete Regierungsbildung in weite Ferne gerückt schien, betrachtete Scheel die von Anfang an ungeliebte Republik als gescheitert. Ihm zufolge hatten nun endgültig die schon lange beklagten „Orgien des Parteiwesens eine Regierung mit Parteien unmöglich gemacht“7. Dieser Logik folgend beschränkte er sich nicht mehr auf polemische Kommentare, sondern plädierte zur Behebung der Krise für eine Aufhebung der Repräsentativdemokratie. Dies schien ihm umso nötiger, als er sich sicher gab, mit den seit 1930 regierenden Präsidialkabinetten Brünings beziehungsweise von Papens seien „die Methoden des parlamentarischen Regierens nicht überwunden“8. Im Privaten gab er daher der Hoffnung Ausdruck, Hindenburg möge sich entschließen, „die heiligen Grundsätze der Demokratie zu suspendieren“9, also „den Reichstag […] nach Hause zu schicken und dann den Geboten des Notstandsrechts zu folgen“. Wie Scheel in seiner Korrespondenz mitteilte, plädierte er deswegen für eine autoritäre Staatsführung durch den Reichspräsidenten, dessen Wiederwahl er öffentlich unterstützt hatte10, weil er sich davon eine Beruhigung der politischen Verhältnisse erhoffte, die wiederum eine bürgerliche Regierung ermöglichen würde. Letztere war im Krisensommer 1932 durch den Ausgang der Reichstagswahl unmöglich geworden. Schon rein rechnerisch konnten keine Mehrheiten mehr zustande kommen, ohne die radikalen Kräfte eines Flügels des Parteienspektrums einzubinden11. Auf der Linken handelte es sich dabei aus Scheels Sicht um einen altbekannten Gegner. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg hatte er mit aller Entschlossenheit gegen Befürworter sozialistischer Reformen mobil gemacht, die seiner Ansicht nach systematisch 5 Schreiben Scheels an Arnold O. Meyer vom 19. 12. 1930 (SUBG Gçttingen, A. O. Meyer 425, Nr. 11). 6 Schreiben Scheels an Johannes Schmidt-Wodder vom 5. 4. 1930 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 71). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 7 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 26. 8. 1932 (AHL L beck, NL Fritz Rörig, Nr. 57). 8 Schreiben Ernst Schröders an Scheel vom 27. 8. 1932 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 1). 9 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 26. 8. 1932 (AHL L beck, NL Fritz Rörig, Nr. 57). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Zur politischen Situation des Sommers 1932 siehe Blasius, Weimars Ende, 60–88. 10 Vgl. „Aufruf zur Wiederwahl Hindenburgs!“, in: KNN, 8. 4. 1932 und 10. 4. 1932. 11 Vgl. Falter / Lindenberger / Schumann, Wahlen, 44.

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den nationalen Zusammenhalt unterminierten12. Was die radikale Rechte betraf, fehlten derlei langjährige ,Erfahrungswerte‘ wegen des kometenhaften Aufstiegs der NSDAP seit den Novemberwahlen von 1930. Selbst politisch im rechtsliberalen Lager beheimatet, hatte Scheel Anfang 1931 kurzfristig die Kontaktaufnahme mit NSDAP-Funktionären in Erwägung gezogen, wenn auch primär aus akademischen und nicht politischen Beweggründen. Um die Chancen eines Mitarbeiters an der Weimarer Ausgabe auf eine Professur zu verbessern, korrespondierte Scheel mit Erich Seeberg über die Möglichkeit, Kontakt zu einem aus Kiel stammenden, aber mittlerweile in Braunschweig als NSDAP-Minister bestallten Juristen herzustellen. Dieser sollte wiederum in Thüringen bei seinem Parteikameraden Wilhelm Frick vorsprechen, der als Innen- und Bildungsminister über das fragliche Ordinariat zu befinden hatte. Scheel sah von dem Plan jedoch ab, denn er hegte „gewisse Bedenken, gerade nationalsozialistische Minister in Bewegung zu setzen“13. Wie aus seiner Privatkorrespondenz ersichtlich, bereitete dem Kieler Landeshistoriker mit Blick auf die Partei am äußersten rechten Rand vor allem zweierlei Sorgen. Zum einen fürchtete er, unter NSDAP-Regierung könne die von ihm so vehement befürwortete, freizügigere Behandlung der Minderheitenfrage unmöglich werden. Das Programm der braunen Partei sah keinerlei Spielraum für nationale Minderheiten vor, sondern forderte vielmehr, allen nicht als ,Volksgenossen‘ geltenden Teilen der Bevölkerung die staatsbürgerlichen Rechte zu entziehen und ihr Aufenthaltsrecht auf Gast-Status unter „Fremdengesetzgebung“14 zu reduzieren. Der Weg zu der von Scheel in den 1920er Jahren favorisierten Lösung, der dänischen Minderheit unter Beibehaltung deutscher Staatsbürgerschaft besondere Minderheitenrechte zuzugestehen, schien demnach verbaut. Sowohl gegenüber dänischen wie deutschen Ansprechpartnern gab er daher seinen Befürchtungen Ausdruck, dass „die Entwicklung zum sogen[annten] totalen Staat hin alles zerschlägt, was wir aufgebaut haben, und alles verhindert, was wir für erstrebenswert halten“15. Neben der Minderheitenproblematik schreckten ihn des Weiteren die wirtschaftspolitischen Forderungen der NSDAP ab. Die zur Massenbewegung angeschwollene Partei hatte mit Verstaatlichung beziehungsweise Zerschlagung von Großbetrieben, entschädigungsloser Enteignung und Bodenreform 12 Siehe hierzu S. 102–106. 13 Schreiben Scheels an Erich Seeberg vom 31. 1. 1931 (BArch Koblenz, N 1248, Nr. 32). Bei dem Kieler Bekannten handelte es sich um Anton Franzen. Zur Person Franzens vgl. Henning, Franzen, 186 f. 14 Feder, Programm, 8. 15 Schreiben Ernst Schröders an Scheel vom 7. 7. 1932 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 1); und Schreiben Scheels an Vilhelm la Cour vom 9. 1. 1932 (RA Kopenhagen, Nr. 6813, Nr. 12). Das Zitat findet sich im Schreiben Scheels an Schröder, gegenüber la Cour formulierte Scheel fast wortgleich.

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typische Kernforderungen einer sozialistischen Agenda ins Programm aufgenommen und damit offensiv Wahlkampf betrieben16. Scheel fürchtete deshalb, die Hitlerpartei könne sich nach einem Wahlsieg als fünfte Kolonne der von ihm verhassten Linken erweisen. Nach einem Wahlaufruf der NSDAP in Schleswig-Holstein echauffierte er sich beispielsweise, „stärkere sozialistische Superlative“17 seien kaum mehr möglich. Ganz ähnlich fiel die Reaktion auf ein Kieler NS-Flugblatt aus. Dies bezeichnete Scheel als „nach Sprache und Inhalt so ungeheuerlich, dass man kaum noch Worte findet, um es zu charakterisieren“18. Seiner Ansicht nach trat in dem Pamphlet der „sozialistisch-kommunistische Pferdefuß der nationalsozialistischen Bewegung“ so deutlich hervor, „dass auch der dümmste ,Bürger‘ es merken müsste“. Zu weniger kritischen Diagnosen dürften ihn ebenfalls nicht die Erfahrungen motiviert haben, welche man seit den frühen 1930er Jahren mit den NS-Adepten an der Christiana Albertina machte. Hier erwiesen sich die Studierenden besonders früh anfällig für NS-Parolen. Kiel war 1927 eine der ersten deutschen Hochschulen, an der ein Mitglied des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) den Vorsitz der Studentenschaft übernommen hatte, und bald darauf waren NSDStB und Freie Kieler Studentenschaft (FKSt) dazu übergegangen, durch gemeinsame Aktionen von sich Reden zu machen19. Von der Tragweite des Problems konnte sich Scheel im Sommer 1931 einen eigenen Eindruck machen, als er die Festrede anlässlich der Weihe des Gefallenendenkmals der Universität hielt. Rektor August Skalweit hatte zu diesem Anlass den Vertretern des NSDStB das Versprechen abgenommen, im Anzug zu erscheinen sowie von politischen Bekundungen Abstand zu nehmen20. Die Abmachung blieb gegenstandslos, wie sich nach der Festrede zeigte, in welcher der Vortragende mit kaum zu überbietender Pathetik das Ehrenmal als „geweihte Stätte“21 pries, die „das weihevolle Geheimnis des Heldentodes predigt und zu heldenhafter Nachfolge aufruft“. Anstatt es bei den vom Rektor genehmigten Gedenkworten bewenden zu lassen, skandierten die halb uniformiert erschienenen Mitglieder des NSDStB Heil-Rufe und ,Deutschland erwache‘. Diese Störung der Feier wurde für die Presse abermals zum Anlass, die Respektlosigkeit der NS-Studentenorganisation zu thematisieren22. Nur wenige Tage nach dem Eklat erreichte die 16 Vgl. Feder, Programm, 9. Zum Wahlkampf der NSDAP mit dezidiert antikapitalistischer Stoßrichtung vgl. Lau, Wahlkämpfe; und Tijok, Gestaltung. 17 Schreiben Ernst Schröders an Scheel vom 25. 7. 1932 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 1). 18 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 26. 8. 1932 (AHL L beck, NL Fritz Rörig, Nr. 57). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 19 Vgl. Gr ttner, Studenten, 21; Rietzler, Kampf, 332–338; und Wieben, Studenten, 24–26. 20 Vgl. Hofmann, Christian-Albrechts-Universität, 80. 21 „Einweihung des Universitäts-Ehrenmals“, in: KiZ, 28. 6. 1931. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 22 Vgl. „Wer hat die Ehrenmal-Weihe der Universität gestört“, in: KiZ, 30. 6. 1931; und Hill, Ehrenmal, 152–155.

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Agitation eine neue Eskalationsstufe, als ein Mitglied des NSDStB die Zuhörer eines Vortrages bei der Demokratischen Studentengruppe mit einer Tränengasbombe attackierte und mehrere Besucher verletzte23. Scheel war zu diesem Zeitpunkt schon deswegen nicht mehr auf die Rolle eines Zuschauers beschränkt, weil er Anfang 1931 in den Senat gewählt und dadurch Mitglied jenes Gremiums geworden war, das sich von Amts wegen mit der Frage befasste, mit welcher Strategie die Universitätsleitung auf Grenzüberschreitungen der braunen Studierenden reagieren sollte24. Rektor Skalweit setzte dabei auf klare Signale, wer der Herr im Hause war. Bei der Ehrenmalsweihe ließ er demonstrativ nicht schwarz-weiß-rot flaggen, setzte im Senat eine Verlängerung des universitären Uniformverbots durch und hielt Ende 1932 auf einer Zusammenkunft der preußischen Rektoren seine Amtskollegen an, gegenüber den „unruhigen Elementen […] rücksichtlose Schärfe“25 zu zeigen. Noch Anfang Februar 1933 lehnte er mit aller Entschiedenheit einen Forderungskatalog von NSDStB und FKSt ab, woraufhin deren Störaktionen eine dreitägige Schließung der Universität nötig machten26. Gegenüber den offiziell verlautbarten Zielen der NS-Bewegung ohnehin misstrauisch, gehörte Scheel zu den entschiedenen Befürwortern des Kurses von Skalweit. Hiervon zeugte die Wahlentscheidung des Konsistoriums der Kieler Universität, das sich am Vortag von Skalweits flammendem Appell auf der Rektorenkonferenz mit der Notwendigkeit konfrontiert sah, einen Nachfolger für ihren resoluten Rektor zu bestimmen, weil seine zweite Amtszeit im März 1933 endete. Für die schwierige Aufgabe entschied man sich für Scheel, der bereits im Jahr zuvor bei Skalweits Wiederwahl der einzige Kandidat gewesen war, welcher außer dem Amtsinhaber eine substantielle Zahl an Stimmen erhalten hatte27. Dass er mit Blick auf den hochschulpolitischen Kurs gegenüber den rechten Unruhestiftern nicht mit einem Gegenentwurf zur Strategie der Härte seines Vorgängers punktete, hielt Letzterer in seinen Me-

23 Vgl. „Tränengasbombe in der Seeburg“, in: Schleswig-Holsteinische Volkszeitung, 1. 7. 1931. 24 Vgl. Schreiben des Dekans der Philosophischen Fakultät an den Rektor der Universität Kiel vom 19. 2. 1931 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 1284). 25 Nachricht des Rektors der Universität Kiel an den Lehrkörper vom 28. 6. 1932 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 18); Protokoll der preußischen amtlichen Rektorenkonferenz vom 15. 12. 1932 (BArch Berlin, R 8088, Nr. 235); und Notiz des Rektors vom 25. 6. 1931 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 1348). Das Zitat findet sich im Protokoll der preußischen amtlichen Rektorenkonferenz. 26 Vgl. „Der Konflikt zwischen Rektor und Studentenschaft der Kieler Universität“, in: KNN, 12. 2. 1933; Heiber, Universität (Bd. 1), 75 f.; und Senatsprotokoll der Sitzung vom 10. 2. 1933 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 1231). 27 Vgl. Niederschrift über die Wahl des Rektors der Christian-Albrechts-Universität für das Jahr 1932/33 vom 9. 12. 1931 und Niederschrift über die Wahl des Rektors der Christian-AlbrechtsUniversität für das Jahr 1933/34 vom 14. 12. 1932 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 1551). 1931 erhielt Scheel 17 von 87, 1932 44 von 77 Stimmen.

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moiren fest. Skalweit schrieb dort, sein Nachfolger sei einer der „Hauptstreiter im Kampf gegen den Hitlerismus“28 gewesen. Nachdem Scheel Anfang März die Amtsgeschäfte übernommen hatte, sollte sich jedoch bald zeigen, dass er die Linie seines Vorgängers nicht fortsetzte, dem er in den tumultartigen Unruhen des Vormonats noch gegen die aufbegehrende studentische Rechte zur Seite gestanden hatte29. Als es Ende des Monats zur erneuten Machtprobe an der Kieler Universität kam, befand sich der neue Rektor gerade zu Besprechungen in Berlin. Im Rektorat trugen in jenen Tagen sowohl der NSDStB mit Rückendeckung der NSDAP-Kreisleitung als auch die FKSt ihre neuerlichen Forderungen vor, deren radikaler Antisemitismus und unverhohlene Gewaltdrohungen alles Bisherige bei weitem übertrafen30. Noch vor Scheels Rückkehr aus der Hauptstadt folgten den Worten ab dem 1. April Taten. An diesem Tag begannen die studentischen Anhänger der NS-Bewegung in Kiel mit der Vertreibung derjenigen Universitätsangehörigen, die ihnen als Juden oder politisch missliebig galten31. Bei Ankunft in Kiel mit dem Zusammenbruch der Ordnung an der Christiana Albertina konfrontiert, verhielt sich Scheel entgegen seiner Fama als Kämpfernatur weitestgehend passiv. Anstatt gegen die braunen Gewalttäter mobil zu machen, beließ er es dabei, NSDStB und NSDAP den Eingang ihres Schreibens zu bestätigen und selbiges an das Kultusministerium weiterzuleiten. Dabei enthielt er sich jedweden Kommentars mit dem Hinweis, die an ihn herangetragenen Forderungen unterlägen „nicht der alleinigen Zuständigkeit des Rektors“32. Für die studentische Rechte kam dies einem Freifahrtsschein gleich, ihre selbsterklärten Gegner mit systematischem Terror zu überziehen. Scheel nutzte derweil die erstbeste Gelegenheit, um sich des Amtes ohne Rücktritt zu entledigen. Als Ende April ein Ministerialdekret an allen Universitäten im Reich Neuwahlen sämtlicher Hochschulleitungen verfügte, kandidierte er nicht wieder und schied so aus dem Amt, bevor die Vorlesungen seines ersten Rektoratssemesters überhaupt begonnen hatten33. 28 Zitiert nach Heiber, Universität (Bd. 1), 265. 29 Vgl. Rundschreiben des Rektors an den Lehrkörper der Universität vom 16. 2. 1933 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 19); und Übereinkunft der Hochschulleitung mit der FKSt vom 13. 2. 1933 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 1231). 30 Vgl. Schreiben des NSDStB und der Kreisleitung der NSDAP an den Rektor vom 29. 3. 1933 sowie Schreiben des Universitätssekretariats an den Rektor vom 30. 3. 1933 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 1092); und Schreiben des Ferienvorsitzenden der FKSt an den Rektor vom 2. 4. 1933 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 1232). 31 Eine Auflistung der Vertriebenen samt Kurzbiographien bietet Uhlig, Wissenschaftler. 32 Schreiben des Rektors an den NSDStB vom 4. 4. 1933 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 1092); und Schreiben des Rektors an das Ministerium für Wissenschaft, Kultur und Volksbildung vom 4. 4. 1933 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 1232). Die zitierte Formulierung findet sich in beiden Schreiben. 33 Vgl. Niederschrift über die 24. außeramtliche Deutsche Rektorenkonferenz vom 12. April 1933 (BArch Berlin, R 8088, Nr. 235); und Schreiben des Rektors an die Mitglieder des Konsistoriums vom 25. 4. 1933 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 1551).

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Skalweit, der wegen seiner unnachgiebigen Haltung zur selben Zeit seine Werke aus der Universitätsbibliothek aussortiert sah und bald darauf zwangsversetzt wurde, gedachte der nachgiebigen Amtsführung Scheels in seinen Lebenserinnerungen mit dem wenig schmeichelhaften Hinweis, dieser sei als Rektor „weiches Wachs“34 in den Händen der Nationalsozialisten gewesen. Was er Jahrzehnte später im Wissen um die Folgen der NS-Herrschaft niederschrieb, stellte freilich nicht in Rechnung, dass im April 1933 eine Reihe von Faktoren seinem Nachfolger massiv erschwerten, mit derselben Standfestigkeit aufzutreten wie noch wenige Monate zuvor. Nicht nur die politische Großwetterlage stellte sich zu diesem Zeitpunkt gänzlich anders dar, sondern es hatten sich zudem Teile des Lehrkörpers mit der sogenannten „nationalen Studentenschaft“35 solidarisiert. Des Weiteren lagen Scheel Anfang April eine Reihe von Zeitungsartikeln über die Verhaftung einiger Amtskollegen vor36, und die studentische Rechte in Kiel unternahm einen Versuch, das Rektorat unter ihre Kontrolle zu bringen und den Hausherrn festzusetzen37. Mit weniger zeitlichem Abstand zum Geschehen und wohlwollenderer Berücksichtigung der Begleitumstände zugunsten des so schnell aus dem Amt Geschiedenen konnte das Urteil über dessen Amtszeit gänzlich anders als bei Skalweit aussehen. Drei Jahre nach den turbulenten Ereignissen des Frühjahrs 1933 war beispielsweise in der dänischen grenzpolitischen Zeitschrift Grænsevagten zu lesen, Scheel sei von den Nationalsozialisten zugunsten eines eigenen Parteigängers aus dem Rektorenamt verdrängt worden38. Mochte in dieser Frage interpretatorischer Spielraum bestehen, so stellte es dennoch eine eklatante Fehlinterpretation dar, dem kurzzeitigen Rektor 1936 noch eine Gegnerschaft zu den neuen Machthabern im Deutschen Reich zu attestieren oder ihn gar zu den Opfern der NS-Diktatur zu zählen. Zwar hatte er durchaus in den stürmischen Apriltagen 1933 die ganz besonderen Belastungen des Amtes in seiner Korrespondenz offengelegt39 und aus seiner Verzichtserklärung auf eine erneute Kandidatur erst im Nachhinein den Passus

34 Zitiert nach Heiber, Universität (Bd. 1), 265. Zum Schicksal Skalweits siehe „Universitätsbibliothek unter der Lupe“, in: KiZ, 23. 4. 1933; und Uhlig, Wissenschaftler, 72 f. 35 Dozentenerklärung vom 28. 2. 1933 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 1420). Unter der Erklärung finden sich die Namen Aichel, Becksmann, Buddenbrock, Dold, Loeffler, Menzel, Petersen, Reibisch J., Rosenmund, Schröder Rob., Tornier, Wesle, Wolf, Wolff, Wüst und Zahn. 36 Vgl. Zeitungsartikel aus der Deutsche Allgemeine Zeitung mit Sichtvermerk Scheels vom 5. 4. 1933 (LASH Schleswig, Abt. 47, 1551). 37 Vgl. Schreiben Hermann Freeses an Scheel vom 25. 2. 1947 und Antwort desselben vom 4. 3. 1947 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 74). Freese, seinerzeit Studentenschaftsführer, bat Scheel um eine Zeugenaussage zur Besetzung, um diese bei der Klage gegen sein Berufsverbot einzusetzen. Dass sich der Vorfall zugetragen hat, kann somit als gesichert gelten, die genauen Umstände – wie von Freese und Scheel geschildert – hingegen nicht. 38 Vgl. N.N., Nordslesvig, 243 f. 39 Vgl. Schreiben Scheels an Aage Friis vom 3. 4. 1933 (RA Kopenhagen, Nr. 5424, Nr. 38).

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gestrichen, die Entscheidung begründe sich „in der gegenwärtigen Lage“40. Als er einige Wochen nach Abschied vom Rektorenamt Erich Seeberg schrieb, er habe „arge Wochen“41 hinter sich, mischten sich in die klagenden Worte über seine Amtszeit jedoch bereits Töne, die auf eine massive Erosion seiner kritischen Haltung gegenüber den Nationalsozialisten hindeuteten. Scheel sah zu diesem Zeitpunkt schon einen seiner maßgeblichen Vorbehalte weitestgehend zerstreut, nämlich die Befürchtung, die NSDAP könne sich nach Regierungsantritt als trojanisches Pferd des Sozialismus erweisen. Statt umfangreicher Verstaatlichungsmaßnahmen erlebte er die schärfsten Repressionen gegen die politische Linke, zu denen es in Deutschland jemals gekommen war. Im Mai 1933 sah er daher nicht weniger erreicht als „eine verheißungsvolle Belebung und Kräftigung des nationalen Willens und die Zertrümmerung – so darf man doch wohl heute sagen – des Marxismus“. Der Freude darüber, dass sich die Sorge um den ,sozialistisch-kommunistischen Pferdefuß‘ der NS-Bewegung als unbegründet erwies, taten allem Anschein nach Diskriminierungsgesetze und gewaltsame Übergriffe keinen Abbruch. Zur Judenverfolgung nahm Scheel, soweit aus den erhaltenen Archivalien rekonstruierbar, nur ein einziges Mal Stellung, und dies auch nur indirekt. Anlass hierfür war, dass Ende 1933 ein Bekannter von ihm Opfer der antisemitischen Maßnahmen des NS-Regimes wurde. Hajo Holborn, der seit dem Tode Hans von Schuberts 1931 die Herausgabe von dessen unvollendet gebliebenen Werk über Lazarus Spengler besorgte, galt nach den Kriterien der neuen Machthaber als ,jüdisch versippt‘ und war aus dem Hochschuldienst entlassen worden42. Scheel zeigte sich mit dem Betroffenen, dem er seinerzeit die Spengler-Bearbeitung vermittelt hatte43, insoweit solidarisch, als er ihm „eine sichere Grundlage für seine Familie und seine Arbeit“44 wünschte. Kritik an den rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen, die Holborn in Bedrängnis brachten und ihn die Flucht ins Ausland erwägen ließen, übte er trotzdem mit keinem Wort. Stattdessen schrieb er einen Monat später an Schmidt-Wodder mit unverhohlener Begeisterung, die Umwälzungen würden „politische und geistige Genesung bringen und die Voraussetzung neuer und froher Entfaltung deutschen Lebens schaffen“45. Wenn Scheel sich Ende 1933 ausgerechnet gegenüber dem Folketing-Abgeordneten der deutschen Minderheit derartig begeistert äußern konnte, 40 Entwurf der Verzichtserklärung Scheels auf eine erneute Kandidatur vom 27. 4. 1933 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 1551). 41 Schreiben Scheels an Erich Seeberg vom 17. 5. 1933 (BArch Koblenz, N 1248, Nr. 32). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 42 Zu Holborn und dessen Schicksal vgl. Rothfels, Holborn. 43 Vgl. Schreiben Scheels an den Vorstand des VRG vom 16. 12. 1931 (AVRG Mainz, Karton 2.3). 44 Schreiben Scheels an Bertha von Schubert vom 29. 11. 1933 (StBB Berlin, NL Hans von Schubert, Karton „Heidelberg 1906–1931 Sch–St“). 45 Schreiben Scheels an Johannes Schmidt-Wodder vom 29. 12. 1933 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 71).

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zeugte dies nicht nur von einer grundsätzlichen Befürwortung des neuen Regimes. Da Schmidt-Wodder seinerzeit ein enger Verbündeter im Kampf um die Minderheitenverordnung gewesen war, belegten Scheels lobende Worte ihm gegenüber, dass er ebenfalls seine Bedenken wegen einer möglichen Vergiftung der deutsch-dänischen Beziehungen durch die Hitlerpartei fallengelassen hatte. Grund hierfür dürfte aller Voraussicht nach das Verhalten der NS-Führung im so genannten Ostersturm gewesen sein. Unter dieser Bezeichnung firmierte eine Hetzkampagne gegen die Grenze von 1920, welche nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler nationalsozialistische Kreise in Schleswig-Holstein entfachten46. Anders als erwartet blieb die Rückendeckung durch Berlin aus, von wo aus man die Parteikader im Grenzraum zur Ordnung rief und demonstrativ vor deutscher wie dänischer Presse die „Verbundenheit mit den Völkern des Nordens“47 betonte. Nicht zuletzt weil derlei pangermanische Töne den Vorstellungen Scheels entsprachen, dürften sich seine vormaligen Sorgen um eine danophobe Minderheitenpolitik des ,totalen Staates‘ verflüchtigt haben. Als dieser Anfang 1934 mit dem „Gesetz über den Neuaufbau des Reichs“48 durch Abschaffung der ohnehin schon weitestgehend ausgehöhlten Föderalstruktur zementiert wurde, bereitete dies Scheel keinerlei Bauschmerzen mehr. Im Privaten kommentierte er den neuerlichen Schritt zur Gleichschaltung mit den Worten „Zu neuen Ufern ruft ein neuer Tag“49. Entsprechend derlei erwartungsfrohen Urteilen schwanden die einstigen Vorbehalte gegen eine allzu enge Tuchfühlung mit der NS-Bewegung. Organisatorisch tat Scheel hier 1934 den ersten Schritt mit der Aufnahme in die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt50. Wenn er im Folgejahr bei einer Sondierung des Rektorats bezüglich NSDAP-Mitgliedschaften der Lehrenden die Frage nach Parteizugehörigkeit noch verneinte51, besaß diese Aussage insofern nur bedingt Aussagekraft, als die Hitlerpartei wegen des Mitgliederansturms zum 1. Mai 1933 eine Aufnahmesperre verhängt hatte52. Nach deren Aufhebung im Frühjahr 1937 trat Scheel alsbald der Partei bei, deren Verwaltungsapparat seine Mitgliedschaft auf den Tag zurückdatierte, von dem an der Weg zum schnellen Parteieintritt verbaut gewesen war53. Dass sich der Erwerb des Parteibuches primär aus organisatorischen und nicht ideologischen Gründen verzögerte, untermauert nicht nur, wie Scheel 46 Zu den Hintergründen des Ostersturms vgl. Hopp, P skeblæsten. 47 Zeitungsartikel „Deutschland und Dänemark“ vom 13. 4. 1933, in: Hopp / Mogensen, Ostersturm, Nr. 44, 126. 48 Gesetz über den Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934, in: Reichsgesetzblatt (1934), 75. 49 Schreiben Scheels an Johannes Haller vom 4. 2. 1934 (BArch Koblenz, N 1035, Nr. 19). 50 Vgl. Entnazifierungsakte Scheels (LASH Schleswig, Abt. 460). 51 Vgl. Rundschreiben des Rektors der Universität Kiel an den Lehrkörper vom 13. 9. 1935 und Antwort Scheels auf selbiges vom 15. 9. 1935 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 2025). 52 Vgl. Wetzel, NSDAP, 75–79. 53 Vgl. NSDAP-Mitgliedsausweis Scheels (BArch Berlin, ehem. BDC, 3200/T0023).

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sich bald nach seinem Rektorat im Privaten von den vermeintlichen Leistungen der neuen Machthaber tief beeindruckt zeigte. Ab 1934 begann er auch offen in Wort und Schrift für das neue politische System zu werben, beispielsweise im Vorwort seines Bismarck-Buches, dessen Veröffentlichung auf die Vorarbeiten zu seiner nie gehaltenen Rektoratsrede zurückging54. Wie Scheel dort der NS-Bewegung die Reverenz erwies, deren Anhänger unmittelbar dafür verantwortlich waren, dass er seine Antrittsrede nie gehalten hatte, war symptomatisch für die vollkommene Umkehr seiner einstmals kritischen Einstellung gegenüber dem Nationalsozialismus. Mit Blick auf die innenpolitischen Umwälzungen des verflossenen Jahres hielt er fest, die „deutsche national-sozialistische Revolution“55 habe jahrhundertealte Probleme der innenpolitischen Organisation gelöst, und gab gleichzeitig der Hoffnung Ausdruck, „Deutschlands Führer und Volkskanzler“ möge ebenfalls die ungelösten außenpolitischen Probleme aufgreifen. Auf diesem Gebiet hielt Scheel spätestens mit den Ereignissen des Jahres 1938 die Erfolge für evident, was den Zuhörern seiner Vorträge anlässlich historischer Gedenktage des deutsch-dänischen Nationalitätenkonflikts nicht verborgen blieb. Fernab seiner eigentlichen Vortragsthemen ließ er sich nicht nehmen, die aktuelle Außenpolitik zu kommentieren und etwa den Ausgang der Sudetenkrise als „Befreiungstat des Führers“56 zu preisen. Schon lange bevor die neuen Hausherren in der Reichskanzlei aus Scheels Perspektive auch außenpolitisch reüssierten, bekam sein offen affirmatives Verhältnis zur NS-Diktatur noch eindeutigere Qualitäten. Hatte er zunächst nur als Privatperson seine politischen Überzeugungen kundgetan, beteiligte er sich seit 1935 zusätzlich an der Propagandaarbeit mehrerer NS-Organisationen. Sowohl die schleswig-holsteinische Gauleitung als auch die NS-Kulturgemeinde und der Nationalsozialistische Lehrerbund griffen auf den Landeshistoriker als Schulungsredner zurück. Diese Tätigkeit führte ihn gleichzeitig weit über die Gefilde der Provinz hinaus. Unter anderem bekundete das Gauschulungsamt Danzig mehrfach Interesse an seinen Auftritten57. Wenn seine Fama kurz vor Kriegsbeginn bis in die Stadt unter Völkerbundsmandat reichte, so war dies der Tatsache geschuldet, dass mittlerweile die Zentralstellen des braunen Propagandaapparates auf den umtriebigen 54 Vgl. Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 8. 4. 1933 und 1. 9. 1933 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 1). 55 Scheel, Bismarcks Wille, V. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 56 „Kiel gedachte der schleswig-holsteinischen Erhebung“, in: KNN, 24. 3. 1938; „Oeversee ist erfüllt!“, in: FLN, 6. 2. 1939; und Scheel, Gefecht, 6. Das Zitat findet sich sowohl in der Druckversion der Oeversee-Rede als auch dem dazugehörigen Zeitungsartikel. 57 Vgl. „Eine bedeutsame Gautagung der NS-Kulturgemeinde“, in: NR, 8. 6. 1936; Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 26. 12. 1935 (AHL L beck, NL Fritz Rörig, Nr. 57); Schreiben Scheels an Wilhelm Koppe vom 24. 1. 1939 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1564); und Schreiben Scheels an das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 2. 4. 1938 (BArch Berlin, R 4901, Nr. 2842).

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Professor aufmerksam geworden waren und sich seiner annahmen. 1937 überprüfte das Kulturpolitische Archiv im Amt Rosenberg Scheels ,Zuverlässigkeit‘ mit dem Ergebnis, er sei „in politischer und weltanschaulicher Hinsicht bestens empfohlen“58 und gehöre „zu den besten Rednern des Gaues Schleswig-Holstein“59. Im Folgejahr setzte die Reichspropagandaleitung der NSDAP seinen Namen auf die Positivliste derjenigen Redner, „gegen die keinerlei Bedenken bestehen“60, und empfahl ihn als möglichen Kandidaten für das Vortragswesen des Volksbildungswerkes der Deutschen Arbeitsfront. Aus Sicht des bei der Reichsorganisationsleitung der NSDAP angesiedelten Hauptschulungsamtes wiederum erschöpften sich seine potentiellen Einsatzmöglichkeiten nicht in Erbauungsvorträgen. Im Frühsommer 1939 erhielt Scheel von dort eine Einladung, an der Planung der NSDAP-Schulungsbriefe des Jahres 1940/1941 mitzuwirken, wozu für Ende August eine Tagung in Stuttgart anberaumt wurde61. Der Eingeladene plante die Teilnahme fest ein62, brauchte die Reise jedoch nicht mehr anzutreten, da die Gastgeber aufgrund des unmittelbar bevorstehenden Kriegsausbruches die Konferenz vertagten63.

4.1.2. Historisches Forschungsfeld Geriet Scheel in seiner Funktion als Rektor der Christiana Albertina in den ersten Monaten nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler massiv unter Druck, so schien seine Position im institutionellen Gefüge der schleswig-holsteinischen Landesgeschichtsforschung zur selben Zeit gesichert. Ende März 1933 beging die GSHG ihren 100-jährigen Geburtstag, und obwohl der Ordinarius für Landesgeschichte mit dem BHF und der BK die schärfsten Konkurrenten der alteingesessenen Gesellschaft ins Leben gerufen hatte, bestellte die GSHG-Spitze ihn als Festredner64. Als Jubiläumsgabe legte er zudem im Auftrag des Vorstands die Probeausgabe einer breit angelegten Geschichte Schleswig-Holsteins vor, deren Herausgeberschaft die GSHG bereits Jahre zuvor ihm und Landesbibliothekar Pauls anvertraut hatte. Pünktlich zum 100-jährigen Geburtstag sollte eigent58 Schreiben des Kulturpolitischen Archivs an die Deutsche Arbeitsfront vom 22. 11. 1937 (BArch Berlin, NS 15, Nr. 81a, Bl. 84). 59 Schreiben des Kulturpolitischen Archivs an den hauseigenen Veranstaltungsdienst vom 26. 5. 1937 (BArch Berlin, NS 15, Nr. 27, Bl. 36). Zur Funktion des Kulturpolitischen Archivs als politische Überprüfungsstelle siehe Bollmus, Amt Rosenberg, 107. 60 Schreiben der Reichspropagandaleitung an die Deutsche Arbeitsfront vom 27. 9. 1938 (BArch Berlin, NS 15, Nr. 42, Bl. 50). Scheels Name findet sich in der Liste auf Bl. 52. 61 Vgl. Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 7. 7. 1939 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 2). 62 Vgl. Schreiben Scheels an Albert Brackmann vom 25. 7. 1939 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1294). 63 Vgl. Rundschreiben des Amtes für Schulungsbriefe an die Gauschulungsämter vom 19. 7. 1939 und 26. 8. 1939 (BArch Berlin, NS 22, Nr. 1130). 64 Vgl. „Hundertjahrfeier der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte“, in: KNN, 21. 3. 1933. Zu den übrigen Beiträgen zur Jubelfeier siehe Cordes, Regionalgeschichte, 65–77.

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lich als erste Lieferung ein Band zur Frühgeschichte erscheinen, doch da der vorgesehene Bearbeiter ausfiel, sprang in letzter Minute Scheel ein. Im Frühjahr 1933 schrieb er in einer mehrwöchigen Gewaltaktion eine kompakte Monographie nieder, welche den GSHG-Mitgliedern wenige Wochen nach dem Festtag zuging65. Die Beiträge zum Jubiläum waren insofern instruktiv, als sich der Autor abseits festlicher Rhetorik mit theoretischen Grundsatzfragen historischer Landesforschung auseinandersetzte. Dies galt insbesondere für die Festrede. Ob ihres programmatischen Charakters erschienen die Ausführungen kurze Zeit später in den Deutschen Heften der Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung. Ein Stück weit lässt sich bereits an diesem Druckort ablesen, welchen historiographischen Zugang der Autor favorisierte. Ausgehend von dem Befund, Landesgeschichtsschreibung bedeute weder „partikulare Enge“66 noch die Beschränkung auf rechtliche Zusammenhänge, übte er Kritik daran, „mit welchem geringen Verständnis deutsche politische Historiker auf Volksleistungen und Schöpfungen des Volksgeistes haben blicken können“67. Hier Abhilfe zu schaffen, sah er in erster Linie die Landeshistoriographie berufen. Nur sie könne „den großen deutschen Volksstrom erkennen“68 und damit Kräften „von nicht geringerer Schicksalswucht als das Werk der Fürsten und Diplomaten, der Stände und Vertretungen“ nachspüren. Handelte es sich bei den in den Deutschen Heften zu Papier gebrachten Überlegungen um ein vehementes theoretisches Plädoyer zugunsten des volksgeschichtlichen Paradigmas, lieferte Scheel mit der Probeausgabe der neuen Landesgeschichte instruktives Anschauungsmaterial, wie der von ihm beworbene Zugriff in der Praxis umgesetzt werden konnte. Mit dem „Schleswig-Holstein in der europäischen und deutschen Geschichte“ betitelten Werk legte er einen Abriss von der Ur- und Frühgeschichte bis zur Einverleibung der Herzogtümer durch Preußen vor. Dass das Überblickswerk damit weit in jene Abschnitte der Landesgeschichte hineinreichte, die wegen des Fehlens schriftlicher Überlieferung eigentlich rein archäologisches Arbeitsgebiet darstellten, spielte für den Autor keine Rolle. Scheel setzte vielmehr gezielt bei der ersten Besiedlung an. Ausgehend von dem Befund, SchleswigHolstein habe zum „Ursitz der Germanen“69 gehört, deren Erbe Deutsche und Dänen angetreten hätten, schrieb er im Folgenden eine Landesgeschichte, deren Fokus die Entwicklung deutscher Einflüsse beziehungsweise das ,deutsche Volkstum‘ bildete. Politische Entwicklungen stellten dabei allenfalls bedingt ein strukturge65 Vgl. Schreiben Scheels an Erich Seeberg vom 17. 5. 1933 (BArch Berlin, N 1248, Nr. 32); und Schreiben Pauls’ an Arnold O. Meyer vom 11. 1. 1933 (LASH Schleswig, Abt. 397, Nr. 52). 66 Scheel, Allgemeine Geschichte, 117. 67 Ebd., 123. 68 Ebd., 124. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 69 Scheel, Schleswig-Holstein in der europäischen und deutschen Geschichte, 2.

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bendes Element dar und wurden zumeist daraufhin beleuchtet, inwiefern sie Aussagen über die Durchsetzungskraft vorgeblich deutscher Bevölkerungsteile zuzulassen schienen. Die Sachsenzüge Karls des Großen firmierten dieser Logik folgend als Schwächung der „Volkskraft Nordelbiens“70 gegenüber der slawischen Bevölkerung im Osten des Landes. Mit der Kolonisation von deren Siedlungsgebieten im 12. Jahrhundert hatte die „deutsche Volkskraft“71 aus Scheels Perspektive hingegen eine Leistung vollbracht, zu der Dänemark nicht fähig gewesen wäre. Aufgrund dieser Kräfteverteilung galt es ihm gleichsam als gesichert, dass der „unaufhaltsam gewachsene und zugleich verdichtete deutsche Volksboden“72 Schleswig-Holstein auch unter dänischer Herrschaft fest an Deutschland band. Wie wenig Bedeutung Scheel den staatlichen Rahmenbedingungen für den Gang der Ereignisse beimaß, zeigte ebenfalls seine scharfe Ablehnung der Theorie, in den beiden Herzogtümern habe sich im Laufe der Jahrhunderte dänischer Herrschaft ein starkes Eigenbewusstsein herausgebildet und eine Gegenbewegung wider die preußische Annexion gespeist. Derartigen Partikularismen erteilte er eine klare Absage mit dem Hinweis, das „staatliche Gerüst“73 sei nur ein „Notbau“ gewesen, das „alles Bestimmende“ hingegen sei, „daß Deutschland da war in seinem Volk“. Verglichen mit Scheels bisherigen Annäherungen an den volkshistorischen Zugriff markierten diese Ausführungen eine signifikante Verschiebung. Zwar hatte er bereits seit den späten 1920er Jahren verschiedentlich die Schwerpunkte seiner Studien von politikgeschichtlichen Aspekten wegverlagert. Die explizite Absage an die Wirkmächtigkeit staatlicher Strukturen als ,Notbauten‘, denen gegenüber Kräfte des ,Volkstums‘ obsiegten, hatte sich jedoch bis dato in seinem historiographischen Koordinatensystem nicht derart prägnant Bahn gebrochen. Abgesehen von methodisch-theoretischen Aspekten markierte das GSHGJubiläum ebenfalls einen Einschnitt, weil die demonstrativ zur Schau gestellte Eintracht mit den Spitzen der Geschichtsgesellschaft bald an ein Ende kam. In den Reihen der GSHG hatte man die mehrfachen Vorstöße des Ordinarius für Landesgeschichte und seiner Neugründungen in das eigene Arbeitsgebiet keineswegs vergessen. Dies zeigte sich wenige Monate, nachdem die neuen Machthaber in Berlin den schleswig-holsteinischen Oberpräsidenten Thon aus dem Amt entfernten, der unter seinem Vorgänger Kürbis zu den Unterstützern von Scheels Berufung nach Kiel gezählt hatte74. Während Letzterer infolgedessen seinen privilegierten Zugang zur Spitze der Provinizialverwaltung und damit den Geldgebern des BHF verlor, erkannte GSHG-Schriftführer 70 71 72 73 74

Ebd., 4. Ebd., 12. Ebd., 42. Ebd., 85. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Vgl. Wulf, Revolution, 542. Scheel widmete Thon nach dessen Tod im Jahr 1939 einen Nachruf und gedachte insbesondere dessen Engagements in der Nordschleswig-Frage, vgl. Scheel, Dr. Thon, 4. Zu Beteiligung Thons an Scheels Berufung siehe S. 119f.

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Pauls in der Neubesetzung des Oberpräsidiums eine Möglichkeit, zugunsten der Geschichtsgesellschaft eine Neuordnung der Zuständigkeiten im Bereich historischer Forschung anzuregen. Im Juli 1933 ließ er Hinrich Lohse, in Personalunion Oberpräsident und Gauleiter75, eine „Denkschrift über die notwendige Zusammenfassung der landes- und volkskundlichen Forschung in Schleswig-Holstein“76 zukommen. Kernpunkt des Memorandums war die Empfehlung zur Gründung eines „Instituts für schleswig-holsteinische Landes- und Volkskunde“77, welches ohne Mehrkosten für den Staat als Dachorganisation durch klare Abgrenzung der Aufgaben aller bestehenden Institutionen Überschneidungen der Arbeitsgebiete verhindern sollte. Wenn Pauls in diesem Zusammenhang darauf verwies, BK und BHF untersuchten „den ganzen Raum des Ostseegebietes und die Geschichte der baltischen Welt“78, konnten kaum Zweifel daran bestehen, dass Schleswig-Holstein in dem projektierten Institut Betätigungsfeld der GSHG zu sein hatte. Blieb diese frühe Initiative zur Wiederherstellung des Monopols der Geschichtsgesellschaft wirkungslos, so hatte Pauls eineinhalb Jahre später mehr Erfolg. Ende 1934 ging das Oberpräsidium der Frage nach, inwiefern es zur weiteren Finanzierung des BHF verpflichtet sei, und bat zur Klärung der Frage allem Anschein nach Pauls um Stellungnahme. Dieser legte Anfang 1935 ein umfangreiches Dossier vor, demzufolge das BHF keinen Anspruch auf einen dauerhaften Etat besäße. Zudem warf er dem Institut vor, den größten Teil der zugewiesenen Gelder für Verwaltungsaufgaben verbraucht und Forschung nur insofern betrieben zu haben, als ein kleinerer Teil der Mittel den Schriften der BK zugute gekommen sei. Pauls legte daher „aus Gründen einer rationellen Finanzwirtschaft“79 der Provinzialverwaltung nahe, bei einer Neuregelung der Mittelvergabe „von dem Zustande vor der Errichtung des Baltischen Instituts auszugehen“. Die Empfänger des Gutachtens griffen diese Argumentation auf und teilten Scheel mit, das Land werde statt dem BHF zukünftig nur noch die GSHG fördern80. Bald darauf setzte das Oberpräsidium die durch den Wegfall der BHF-Gelder ohnehin stark eingeschränkte BK ebenfalls finanziell schachmatt, indem es nach Übernahme der SHUG die bis dato von dort

75 Zur Person Lohses vgl. Danker, Oberpräsidium. 76 Denkschrift über die notwendige Zusammenfassung der landes- und volkskundlichen Forschung in Schleswig-Holstein (LASH Schleswig, Abt. 301, Nr. 5510). Ebenso wie das folgende Dokument ist die Denkschrift von Pauls an den schleswig-holsteinischen Oberpräsidenten gerichtet und auf den 12. 7. 1933 datiert. 77 Skizze für ein Institut für schleswig-holsteinische Landes- und Volkskunde (LASH Schleswig, Abt. 397, Nr. 365). 78 Denkschrift über die notwendige Zusammenfassung der landes- und volkskundlichen Forschung in Schleswig-Holstein (LASH Schleswig, Abt. 301, Nr. 5510). 79 Schreiben Pauls’ an das Oberpräsidium vom Januar 1935 (LASH Schleswig, Abt. 397, Nr. 143). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 80 Vgl. Schreiben des Oberpräsidiums an Scheel vom 17. 1. 1935 (LASH Schleswig, Abt. 397, Nr. 143).

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geflossenen Mittel kappte81. Ende 1935 hörten die Scheel’schen Neugründungen damit de facto auf zu existieren. Ihrem Urheber überließ die Landesverwaltung lediglich einige der alten BHF-Räumlichkeiten im Kieler Schloss, welche zum Teil die Hauptredaktion des „Handwörterbuches des Grenz- und Auslanddeutschtums“ nutzte82. Wenn es dort über die Begleichung der Licht- und Telefonkosten in den gemeinsam genutzten Örtlichkeiten zu Spannungen kam, so war dies Ausweis dessen, dass auch Scheels Beteiligung an diesem Großprojekt weniger als ein Jahr nach Fertigstellung des ersten Bandes unter keinem allzu guten Stern mehr stand83. Den Querelen folgten alsbald weitere Unstimmigkeiten über die Abrechnung von Dienstreisen. Hier sah sich Scheel mit dem Vorwurf konfrontiert, Fahrten in Angelegenheiten des Handwörterbuches mit anderweitigen Verpflichtungen verbunden und dadurch zusätzliche Kosten verursacht zu haben. Nach genauer Prüfung der Spesenaufstellungen erwiesen sich die Anschuldigungen zwar weitgehend als unbegründet84. Fernab der Schuldfrage belegten der Verdacht und die penible Überprüfung durch seine Kollegen jedoch ebenso wie der Zwist um die Nebenkosten der Räumlichkeiten im Kieler Schloss, wie sehr Scheels Verbindung zu den übrigen Mitredakteuren zwischenzeitlich Schaden genommen haben musste. Die entscheidende Rolle dürfte dabei das Verhältnis Scheel-Petersen gespielt haben. Die beiden übrigen Hauptredaktionsmitglieder, Hermann Ruth und Hans Schwalm, waren ursprünglich als Redaktionsassistenten zu dem Projekt gestoßen und konnten kaum derartige atmosphärische Störungen heraufbeschwören, solange die beiden Kieler Historiker an einem Strang zogen. Dass sie im Zweifelsfall für Petersen Partei ergreifen würden, war insofern abzusehen, als sie mit ihm gemeinsam seit 1933 zu den entschiedensten NS-Propagandisten im Universitätsumfeld gehörten. In dem von der NSStudentenschaft eingerichteten Haus Buchenhagen in Kiel-Kitzeberg organisierten die drei zusammen federführend die Schulungsarbeit im Sinne der braunen Machthaber85. Aller Voraussicht nach kam es zwischen den beiden Hauptverantwortlichen des Handwörterbuches wegen der Arbeit innerhalb der schleswig-holsteinischen Teilredaktion zum Bruch, die Scheel einst zusammen mit der Vertretung 81 Zur Übernahme der SHUG durch das Oberpräsidium siehe Jessen-Klingenberg, Die Schleswig-Holsteinische Universitäts-Gesellschaft, 81–83. 82 Vgl. Schreiben Ernst Schröders an Scheel vom 5. 11. 1935 und 9. 11. 1935 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 1.). 83 Vgl. Aktenvermerk zur Besprechung der Hauptredaktion vom 29. 6. 1936 (BArch Koblenz, R 173, Nr. 146). 84 Vgl. Protokoll der Besprechung der Hauptredaktion vom 14. 12. 1936 (BArch Koblenz, R 173, Nr. 149) und Protokoll der Besprechung der Hauptredaktion vom 12. 2. 1937 (BArch Koblenz, R 173, Nr. 146). 85 Vgl. Prahl, Hochschulen, 35; und Schreiben Otto Beckers an Otto Brandt vom 24. 4. 1934 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 46).

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seiner Professur Petersen übertragen hatte. Dieser war auf der Suche nach potentiellen Autoren vor allem bei Karl Alnor fündig geworden86, der sich mit dem Ordinarius für Landesgeschichte wegen des „Handbuchs zur schleswigschen Frage“ überworfen hatte. Da Petersen auch nach Scheels Rückkehr die Teilredaktion weiterführte87, hielt er an einer intensiven Mitarbeit Alnors fest. Diese Konstellation erwies sich in mehrfacher Hinsicht als konfliktträchtig, als nach dem Abschluss der Reorganisationsphase des Mammutprojektes mit Druckbeginn die Arbeit in den mit Bezug auf Schleswig-Holstein relevanten Artikeln zunahm. Erstens strich Petersen auf der Suche nach möglichem Kürzungspotential in der ihm unterstellten Teilredaktion fast alle der Scheel zugewiesenen Beiträge, unter anderem den zu Haithabu88. Dies konnte kaum zur Verbesserung des Arbeitsklimas in der Hauptredaktion beitragen, zumal der Betroffene zweitens in die Redaktionsgeschäfte Petersens einzugreifen und Einfluss auf die Gestaltung einiger für den Grenzkampf relevanter Artikel zu nehmen suchte, so etwa im Falle der Beiträge zu Flensburg und Nordschleswig89. Sofern sich aus diesen Überschneidungen noch nicht genug Zündstoff ergab, dürfte sein Übriges getan haben, dass drittens Scheel und Alnor erneut aneinandergerieten. Die vormals fachliche Auseinandersetzung gipfelte dabei in so schweren persönlichen Beleidigungen, dass Scheel selbst gegenüber Dritten erklärte, für ihn persönlich sei eine Zusammenarbeit mit dem Kontrahenten vollkommen ausgeschlossen, und Alnors Mitarbeit müsse generell „Schranken“90 haben. Dass Petersen die entsprechenden Konsequenzen für dessen Beteiligung am Handwörterbuch nicht zu ziehen bereit war91, konnte für das persönliche Verhältnis der beiden Hauptredakteure nicht folgenlos bleiben. Der Kleinkrieg um Finanzen, wohl mehr Folge denn Ursache der Streitigkeiten um Kompetenzen und Loyalitäten, brachte Anfang 1937 das Fass zum Überlaufen. Kurz nachdem sich Scheel ein weiteres Mal dem ostentativen Vertrauensentzug seiner Redaktionskollegen ausgesetzt sah, teilte er im Privaten dem Kieler Neuzeit-Ordinarius Otto Becker mit, er werde sein Amt beim 86 Vgl. Stichwortliste der Subredaktion Petersen von 1929 (BArch Koblenz, R 173, Nr. 121). 87 Vgl. Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung vom 30. 4. 1930 (PAAA Berlin, R 60351). 88 Vgl. Auflistung der regionalen Nebenartikel – Teilredaktion Petersen – Schleswig-Holstein von 1933 (BArch Koblenz, R 173, Nr. 148). Von den Scheel zugewiesenen Artikeln erschien lediglich ein achtzeiliger Kurzbeitrag zu Friedrich C. Dahlmann mit der Verfasserangabe „HR“, vgl. N.N.: Friedrich Christoph Dahlmann. 89 Vgl. Protokoll der Besprechung der Hauptredaktion vom 20. 3. 1936 (BArch Koblenz, R 173, Nr. 146); und Schreiben Ernst Schröders an Scheel vom 11. 6. 1935 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 1). 90 Schreiben Scheels an Johannes Schmidt-Wodder vom 26. 6. 1936 und 4. 7. 1936 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 71). Das Zitat findet sich im letzten Schreiben. 91 Petersen plante Alnor bis zu dessen Tod 1940 als Autor für Kernbestandteile der Artikel seiner Teilredaktion ein, siehe Schreiben Carl Petersens an Fritz Hähnsen vom 17. 10. 1940 (StAFL Flensburg, XII Hs, Nr. 1511, Bd. 8).

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Handwörterbuch aufgeben. Wie kräftezehrend die Auseinandersetzungen in der Redaktion gewesen waren, konnte der Empfänger aus dem Brief unschwer herauslesen. Scheel schrieb, das Ausscheiden werde ihm nicht nur zeitlich, sondern „auch innerlich eine Entlastung sein“92. Das bis zur gemeinsamen Redaktionsarbeit innige Verhältnis zu Petersen erholte sich nach seinem Abschied nicht wieder und die verbliebene Hauptredaktion strafte Scheel in den folgenden Jahren mit konsequenter Nichtachtung. Als das Mammutprojekt zwei Jahre später nach Berlin übersiedelte, erfuhr er hiervon nur über Dritte, während jeder der mehreren hundert Autoren schriftlich Nachricht erhielt93. Während mit dem Ende von BHF und BK ebenso wie mit dem Abschied vom Handwörterbuch Scheels Netzwerk in den Jahren nach 1933 merklich schrumpfte, ergaben sich an anderer Stelle neue Anknüpfungsmöglichkeiten. Dies betraf zum einen die Nordostdeutsche Forschungsgemeinschaft (NOFG), welche Ende 1933 als eine der Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften ins Leben gerufen wurde, die seit 1931 das Erbe der zwischenzeitlich handlungsunfähig gewordenen Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung antraten94. Zwar beabsichtigten die Initiatoren der NOFG, ihre Arbeit auf die Untermauerung deutscher Gebietsansprüche im Osten des Reiches zu konzentrieren, und hielten bei der Gründungstagung fest, dass „an eine Miteinbeziehung der deutsch-skandinavischen Grenzprobleme in die Arbeitssphäre der neuen Forschungsgemeinschaft von vornherein nicht gedacht ist“95. Diese Entscheidung hielt allerdings nicht lange vor. Bereits Anfang 1935 fiel in den Berliner Leitungskreisen der NOFG der Beschluss, die „im Norden noch bestehende Lücke zu schließen, namentlich um die schleswig-holsteinische Forschung in ihrem schweren Kampf tatkräftig unterstützen zu können“96. Vertraulich um Stellungnahme gebeten, welcher vor Ort tätige Historiker am ehesten als Mitarbeiter in Frage käme, empfahl der kurz zuvor von Kiel nach Berlin übergesiedelte Mediävist Rörig seinen ehemaligen Kollegen Scheel. Im Laufe der weiteren Verhandlungen stellte sich indes heraus, dass die schleswig-holsteinische Provinzialverwaltung dessen Kandidatur ablehnte und stattdessen auf einer Einbeziehung von Pauls bestand. Letzterer sprach wegen der Erweiterung des Arbeitsgebietes der NOFG auf Schleswig-Holstein offenbar erneut beim Oberpräsidium vor. Die Behörde verlangte von der Führungsriege des Forschungsverbundes nicht nur Pauls’ Einbeziehung, sondern ebenfalls eine Zusicherung, der GSHG keine Konkurrenz zu ma92 Schreiben Scheels an Otto Becker vom 14. 3. 1937 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 24). 93 Vgl. Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 17. 2. 1939 und 9. 3. 1939 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57). 94 Vgl. Fahlbusch, Deutschland, 92–96; und ders., Wissenschaft, 65 f. 95 Bericht über die Gründungstagung der nordostdeutschen Forschungsgemeinschaft vom 20. 12. 1933 (BArch Koblenz, R 153, Nr. 1270). 96 Schreiben Albert Brackmanns an die Vorstandmitglieder vom 26. 3. 1935 (Ebd.).

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chen97. Da sich die Kontaktaufnahme mit der schleswig-holsteinischen Forschung immer weiter hinauszuzögern drohte, stimmte die Leitung der NOFG den Forderungen schließlich zu. Zum 1. April 1936 traten als neue Gebietsvertreter Pauls für Nordschleswig und Rörig für den Ostseeraum in den Vorstand der NOFG ein, die sich fortan nicht mehr Nordostdeutsche, sondern Nord- und Ostdeutsche Forschungsgemeinschaft nannte98. Auf den ersten Blick institutionell ein weiteres Mal ausgebootet, gelang es Scheel, auf einer im Mai von NOFG und GSHG gemeinsam anberaumten Tagung in Flensburg die Gewichte entscheidend zu seinen Gunsten zu verschieben. Die NOFG-Funktionäre führten den dort versammelten Geschichtsforschern aus, die Wissenschaft habe „zur Unterstützung des Lebenskampfes des deutschen Volkes Waffen zu schmieden“99 und müsse „politisch ausgerichtet sein“. Schleswig-Holsteins Historikern kam nach ihren Vorstellungen dabei eine Doppelaufgabe zu. Einerseits sollten sie sich „mit den Dänen als Gegner in Nordschleswig auseinandersetzen“, andererseits die nordischen Nachbarn „für die wissenschaftliche Ostseearbeit gegen Polen gewinnen“. Da jene eigentümliche Dialektik zwischen Konfrontation und Zusammenarbeit Scheels Aktivitäten seit seiner Kieler Berufung bestimmte, konnte er hinsichtlich des zweiten Punktes als einziger den Berliner Gästen konkretere Angebote machen. Dabei verwies er auf die Bemühungen des von ihm gegründeten BHF als auch die Möglichkeiten, welche die Erforschung der Wikingerzeit für eine wissenschaftliche Kontaktaufnahme mit den skandinavischen Staaten bot. Für die NOFG-Leitung stand deshalb im Anschluss an die Flensburger Tagung einwandfrei fest, trotz Pauls’ Vorstandsposten in Schleswig-Holstein vor allem auf „die aktive Unterstützung der überragenden Persönlichkeit Scheels“100 zu bauen, weil dieser für die anvisierten Aufgaben im skandinavischen Raum sehr viel geeigneter schien. Dass Pauls nicht nur in Flensburg keinerlei praktische Vorschläge machte, wie der Beitrag Schleswig-Holsteins zur Brückenbildung nach Norden aussehen könnte, sondern noch Monate später betonte, Hoffnungen auf nordische Schützenhilfe gegen Polen seien aussichtslos, konnte die NOFG-Funktionäre in ihrem Entschluss nur bestärken. Die Berliner führten daher bereits wenige Monate nach der Flensburger

97 Vgl. Schreiben Fritz Rörigs an Albert Brackmann vom 28. 3. 1935; Schreiben Albert Brackmanns an Hans Steinacher vom 3. 3. 1936 und an den schleswig-holsteinische Oberpräsidenten vom 31. 3. 1936 (BArch Koblenz, R 153, Nr. 1270). 98 Vgl. Schreiben Albert Brackmanns an Rörig und an den schleswig-holsteinischen Oberpräsidenten vom 31. 3. 1936 (LASH Schleswig, Abt. 301, 4069). 99 Schreiben Albert Brackmanns an das Auswärtige Amt samt Bericht der Flensburger Tagung vom 1. 7. 1936 (PAAA Berlin, R 60275). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 100 Schreiben Albert Brackmanns an Hermann Aubin vom 5. 6. 1936 (BArch Berlin, R153, Nr. 1329).

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Tagung beim schleswig-holsteinischen Oberpräsidium Klage, die Eingliederung der Provinz in die Arbeit der NOFG sei wegen Pauls nicht gelungen101. Nicht zuletzt wegen der aus ihrer Sicht negativen Verhandlungsergebnisse mit Pauls beließen es die Leiter des Forschungsverbundes nicht dabei, Scheel für „wertvolle Anregungen über die Möglichkeiten eines breitangelegten wissenschaftlichen Vorstoßes […] zugunsten des deutschen Einflusses im ganzen Ostseeraum“102 zu danken, sondern nutzen die erstbeste Gelegenheit, ihn in ihre diesbezügliche Arbeit einzubinden. Anlass hierzu bot die Herausgabe einer neuen Zeitschrift, deren Titel Programm war. Benannt nach einer sagenumwobenen Wikingerfestung in Pommern, sollte die Jomsburg in Nordeuropa als Gegengründung zum polnischen Peridodikum Baltic and Scandinavian Countries für enge wissenschaftliche Kooperation mit Berlin unter Ausschluss Warschaus werben103. Anstatt mit Pauls den Gebietsvertreter für den deutsch-dänischen Grenzraum hinzuzuziehen, traten die Initiatoren aus dem Umfeld der NOFG an den Ordinarius für Landesgeschichte heran, der ihnen als geeigneterer Verbindungsmann gen Norden erschien. Zum Ärger des übergangenen GSHG-Schriftführers avancierte er zum Mitherausgeber des neuen Periodikums, dessen erstes Heft im Sommer 1937 erschien104. Wenn Scheel zeitgleich mit der Auslieferung der Jomsburg-Erstausgabe im Rahmen einer Universitätswoche mit der Verdienstmedaille der Christiana Albertina ausgezeichnet wurde, stellte dies ein deutliches Indiz dafür dar, dass er ebenfalls vor Ort trotz des privilegierten Zugangs der GSHG zum gleichgeschalteten Oberpräsidium nicht ins Hintertreffen geraten war105. Von den vermeintlichen Errungenschaften des NS-Regimes zunehmend beeindruckt, pflegte er ungeachtet der Umstände seines Rektorats den Kontakt zu seinen linientreuen Nachfolgern. Bereits der ihm folgende Lothar Wolf stimmte Ende 1933 seiner Bestellung zum universitären Festredner anlässlich eines Lutherjubiläums zu, und der anschließende Amtsinhaber griff ebenfalls auf Scheels Expertise zurück106. Georg Dahm zog ihn beispielsweise zu Rate, als es an die Neuordnung der zwischenzeitlich gleichgeschalteten SHUG ging, die zum Zankapfel zwischen Universität, Gauleitung und NS-Kulturorganisationen geworden war. Zudem sprang Scheel bei einer anderen Gelegenheit 101 Vgl. Schreiben Pauls’ an Albert Brackmann vom 13. 8. 1936 und Schreiben Albert Brackmanns an Vizepräsident Schow vom 8. 9. 1936 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1328); und Schreiben Hermann Aubins an Albert Brackmann vom 19. 5. 1936 und Antwortschreiben desselben vom 5. 6. 1936 (BArch Berlin, R153, Nr. 1329). 102 Schreiben Albert Brackmanns an Scheel vom 23. 5. 1936 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1328). 103 Vgl. Wçllhaf, Jomsburg 308–309. Zur Geschichte der historischen Jomsburg vgl. Krause / Mohr, Jomsburg. 104 Vgl. Schreiben Fritz Rörigs an Wilhelm Koppe vom 25. 11. 1936 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 53); Schreiben Albert Brackmanns an Hermann Aubin vom 30. 3. 1937 (BArch Koblenz, N 1179, Nr. 43); und Schreiben Ernst Schröders an Scheel vom 27. 2. 1937 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 2). 105 Vgl. „Eröffnungsfeier in der Universität“, in: KNN, 14. 6. 1937. 106 Zu Scheels Kieler Universitätsbeitrag zum Lutherjubiläum 1933 siehe S. 205f.

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kurzfristig als Redner ein und befreite Dahm aus der peinlichen Bedrängnis, bei einer von ihm anberaumten Tagung ohne Vortragenden dazustehen107. Besonders intensiv gestaltete sich die Zusammenarbeit zwischen Scheel und seinen Nachfolgern ab dem Frühjahr 1937, als Paul Ritterbusch die Leitungsfunktion an der Kieler Universität übernahm. Gegenüber Rörig lobte Scheel den Juristen in höchsten Tönen und schrieb, dessen Rektorat mache „Epoche in der Geschichte unserer Universität“108. Die besondere Wertschätzung beruhte offenbar auf Gegenseitigkeit, denn Ritterbusch verkehrte auch privat im Hause Scheel109. Für dessen Betätigung als Historiker war das engere Vertrauensverhältnis zu den Rektoren vor allem deshalb von Relevanz, weil sich insbesondere Dahm und Ritterbusch auf die Fahnen geschrieben hatten, an der Förde eine NSMusteruniversität aufzubauen, an welcher der Wissenschaftsbetrieb gänzlich anderen Maximen als den bis dato üblichen unterliegen sollte110. Dahm erklärte bereits kurz nach Amtsübernahme, die Christiana Albertina müsse einen besonderen Beitrag zum „geistigen Umbau leisten“111, sollte „das Wort von der politischen Universität keine leere Redensart bleiben“. Ganz ähnlich äußerte sich Ritterbusch, der später wegen seiner einschlägigen Qualitäten als Wissenschaftsorganisator im Dienste des NS-Regimes die Leitung des sogenannten Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften übernahm. Wie er in seiner Rektoratsrede betonte, war es das Ziel seiner Amtsführung, einem durch „westlichen Individualismus, Liberalismus und Rationalismus“112 in Vergessenheit geratenen „deutschen Geist“ zum erneuten Durchbruch zu verhelfen. Auf diese Weise sollte der „Auflösungsprozess des 19. Jahrhunderts“ rückgängig gemacht werden, durch den sowohl die Wissenschaft „ihre ursprüngliche und eigentümliche Idee aufgegeben“ als auch „das deutsche Volk sein ursprüngliches und eigentliches Wesen verloren“ hätten. Ritterbusch propagierte mit derlei Ausführungen ein in hohem Maße politisiertes, NS-affines Wissenschaftsverständnis, das mit den tradierten Postulaten akademischer Objektivität systematisch brach und stattdessen die Existenz einer spezifisch ,deutschen Volklichkeit‘ zum theoretischen Ausgangspunkt der Forschungspraxis machte. In historiographischer Perspektive ergaben sich aus dieser strategischen Ausrichtung substantielle Schnittmen107 Vgl. Schreiben Ernst Schröders an Scheel vom 16. 12. 1935 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 1); und Schreiben Georg Dahms an Scheel vom 4. 6. 1936 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 1261). 108 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 15. 6. 1937 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57). 109 Vgl. Schreiben Ernst Schröders an Scheel vom 23. 12. 1937 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 2). 110 Biographische Daten und Eckpunkte der Karrieren Dahms und Ritterbuschs unter dem NSRegime finden sich in Eckert, Dahm, 131–150; Gr ttner, Lexikon, 37, 140; und Hausmann, Geisteswissenschaft, 30–47. 111 Dahm, Kiel, 1. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 112 „Rektoratsübergabe an der Kieler Universität“, in: NR, 24. 4. 1937. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort.

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gen mit dem Paradigma der Volksgeschichte, dem sich Scheel in seinen historischen Arbeiten stark angenähert hatte. Welche Konsequenzen sich aus dieser Konstellation für dessen historische Deutungsangebote ergaben, zeigte sich in aller Klarheit, als die rektoralen Mobilisierungsversuche mit der Universitätswoche im Sommer 1937 konkrete Formen annahmen. Wie Ritterbusch zur Eröffnung ausführte, sollte die Veranstaltung zum einen unter Beweis stellen, dass „Universität und Wissenschaft nicht unpolitisch zu sein brauchen“113, und zum anderen das „für die Gegenwart verpflichtende Erbe“ der Kieler Hochschule herausstellen. Scheel fiel in der Festwoche die Aufgabe zu, zum ersten Mal seit dem Untergang der Weimarer Republik wieder über die Leistungen der Christiana Albertina als Landesuniversität zu referieren. Zwar konzentrierte er sich dabei wie in seinen ersten Wortmeldungen als Ordinarius auf die Mobilisierungsversuche der Kieler Professoren im frühen 19. Jahrhundert, allen voran Dahlmann. Die Sichtweise auf dessen Wirken war aber eine gänzlich andere als Mitte der 1920er Jahre. Hatte Scheels Interesse einst Dahlmanns intensiven Studien der Landesrechte und seiner Werbung für eine staatsrechtliche Bindung an Deutschland gegolten, teilte er seinem Publikum nun mit, „dass dieser Recke weder […] in parlamentarischen Institutionen lebte […] noch vom Staatspatriotismus sich bestimmen ließ“114. Als „Anfang und Ende“ von Dahlmanns politischen Bestrebungen galt nunmehr dessen Bemühen, „dem Volkstum sein eigenes, unverjährbares Recht [zu] erstreiten“. Der vormals zum Verfassungspatrioten stilisierte Rechtshistoriker firmierte damit als völkischer Vordenker. Den von Ritterbusch zur Eröffnung der Universitätswoche eingeforderten Bogenschlag von der universitären Vergangenheit in die Gegenwart wusste Scheel ebenfalls zu bewerkstelligen, indem er dem NSRegime attestierte, Wegbereiter jener Entfaltung ,deutschen Volkstums‘ zu sein, für welches Kieler Professoren nach seiner Lesart bereits mehr als hundert Jahre zuvor gestritten hatten. Von Dahlmann, der „Deutschland schon als Volk zu sehen glaubte, aber keine Führung erlebte“115, führte ihm zufolge eine direkte Linie „in die mächtige Gegenwart, wo Führung und Volk Wirklichkeit geworden sind“. Mit diesen Ausführungen entsprach Scheel voll und ganz den Zielvorhaben des Rektors, der ihn bald darauf in ein weiteres Projekt einband, mit dem die politische Mobilisierung der Christiana Albertina für die neuen Machthaber vorangetrieben wurde. Hierbei handelte es sich um die Neuauflage der Kieler Blätter. Nach den Plänen Ritterbuschs sollte die Anfang des 19. Jahrhunderts von einem Professorenkreis um Dahlmann herausgegebene Schriftenreihe116 113 „Woche der Universität Kiel“, in: KNN, 12./13. 6. 1937. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 114 Scheel, Leistung, 18 f. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 115 Ebd., 25. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 116 Zu den ursprünglichen Kieler Blättern vgl. Vogel, Kieler Blätter.

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mit dem Ziel wieder aufgelegt werden, „auf dem Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung eine politische Wissenschaft im richtigen Sinne [zu] vertreten“117. Aus Sicht der Universitätsleitung schien Scheel hierfür als Beiträger prädestiniert. Ritterbusch rekrutierte ihn für das zweite Heft, um einen historischen Beitrag zu dem fächerübergreifenden Periodikum beizusteuern, und gab seinem Schreiben die redaktionelle Anweisung bei, es käme darauf an, „dass der Charakter der politischen Universität und der politischen Wissenschaft am Beispiel der Universität herausgearbeitet würde“118. Scheel lieferte daraufhin einen Beitrag, der sich mit der Frage auseinandersetzte, inwieweit das Studium in Kiel maßgebend für die politische Orientierung Uwe Jens Lornsens gewesen sei. Letzterer hatte 1830 in seiner Schrift „Ueber das Verfassungswerk in Schleswigholstein“ die weitestgehende Unabhängigkeit der Herzogtümer von Dänemark gefordert und gehörte deshalb zu den Ikonen der deutschen Nationalbewegung im Norden119. Wie bereits im Titel der Abhandlung angedeutet, waren von Lornsen seinerzeit ausschließlich staatsrechtliche Forderungen erhoben worden. Dies hinderte Scheel nicht daran, dem Juristen ebenso wie dessen Lehrer Dahlmann zu attestieren, für beide habe die Verfassung lediglich „im Dienste der völkischen Eigentümlichkeit gestanden“. Möglichen Erwägungen, Lornsen sei als Student mit Konzeptionen universalen Rechts in Berührung gekommen und deshalb „im Banne der politischen Ideenwelt Frankreichs“ gewesen, lehnte er vehement ab, hatten die Kieler Semester den Protagonisten doch „mit dem volklichen Erlebnisgut des deutschen Freiheitskrieges erfüllt“120. Die Scheel’sche Lesart des Werdegangs von Lornsen untermauerte damit gleichermaßen die Stilisierung der Christiana Albertina zum intellektuellen Zentrum einer völkischen Neuordnung als auch die des Protagonisten zu einem ihrer Vordenker. Dementsprechend bot der Autor seine Ausführungen im Vortragsprogramm der SHUG unter dem Titel „Uwe Jens Lornsen als volksdeutscher Politiker“121 an. Neben der Autorenschaft in den Kieler Blättern, zu deren Mitherausgebern er zwei Jahre später avancierte, wurde Scheel unter Vermittlung Ritterbuschs ebenfalls für die wissenschaftliche Leitung des im Januar 1938 gegründeten Instituts für Volks- und Landesforschung (IVL) auserkoren. Die schleswigholsteinische Gauleitung, von der hierzu die Initiative ausging, hatte allem Anschein nach zunächst andere Personalpläne. Erst eine persönliche Rücksprache des Gauleiters Lohse mit dem Rektor der Christiana Albertina, an die das neue Institut angegliedert werden sollte, machte den Weg frei für die

117 Schreiben Paul Ritterbuschs an das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda vom 27. 5. 1938 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 1728). 118 Schreiben Paul Ritterbuschs an Scheel vom 26. 1. 1938 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 1728). 119 Zu Person und Werk Lornsens und deren späterer Verklärung vgl. Jensen, Lornsen. 120 Scheel, deutsche Universität, 103, 111, 123. 121 Vortragsprogramm der SHUG 1938/1939 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1330).

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Besetzung des Leitungspostens mit dem Ordinarius für Landesgeschichte122. Favorit Lohses dürfte aller Voraussicht nach Pauls gewesen sein, schließlich hatte er bereits Jahre zuvor beim Oberpräsidium die Zusammenfassung der Forschung unter einem Dach angeregt und zu diesem Zweck die Gründung eines übergeordneten Instituts mit ganz ähnlichem Namen vorgeschlagen. Für das Interesse der politischen Führung an seiner Beteiligung an prominenter Stelle sprach ebenfalls, dass ihm mit der Abteilung Landesgeschichte eines des zentralen Ressorts des fächerübergreifenden IVL anvertraut wurde123. Im ohnehin gestörten Verhältnis Scheel-Pauls entfaltete diese Konstellation geradezu vernichtende Wirkung. Hieran vermochte auch die programmatische Erklärung des wissenschaftlichen Leiters auf der ersten Arbeitssitzung nichts zu ändern, auf der er bezüglich Aufgaben und Organisation des IVL herausstellte, es solle „enge Zusammenarbeit“124 und „kameradschaftlichen Zusammenschluss“ fördern. Noch vor Erscheinen des ersten Bandes einer der IVL-Schriftenreihen kam es zum offenen Streit, weil sich Pauls durch die Eigenmächtigkeit Scheels von deren Planung ausgeschlossen sah. Die monatelangen Querelen verschlimmerten sich zudem durch den Verdacht des Institutsleiters, aus Rache vom GSHG-Schriftführer nicht mehr in vollem Umfang über die Arbeiten an der Geschichte Schleswig-Holsteins beteiligt zu werden, für die er 1933 das Probeheft geliefert hatte. Die erste Jahrestagung des IVL begann daher nicht, wie in den Zeitungen zu lesen, mit einem Zeugnis „vielseitiger und fruchtbarer Arbeit“125, sondern mit einem handfesten Eklat. Bei der Eröffnung einer begleitenden Ausstellung auf die neueste Lieferung der Landesgeschichte angesprochen, von der er scheinbar nichts wusste, erlitt Scheel einen heftigen Wutanfall und erging sich in verbalen Attacken gegen Pauls126. Seine Beteiligung am IVL war nicht nur wegen des daraus resultierenden Bruchs mit dem GSHG-Schriftführer von Bedeutung, sondern in erster Linie deshalb, weil die Initiatoren des Instituts von den dort eingebundenen Gelehrten die systematische Ausrichtung ihres Schaffens auf politische Maßgaben einforderten. Hieran ließ Gauleiter Lohse in seiner Eröffnungsrede keinerlei Zweifel und betonte gegenüber seinen Zuhörern in aller Deutlichkeit, die Forschungsarbeit am IVL müsse „gegenwartsnah“127 und „von dem Geist völkisch-politischer Wissenschaftspflege getragen sein“. Scheel befand sich 122 Vgl. Schreiben des schleswig-holsteinischen Oberpräsidiums an das Reichs- und Preußische Ministerium des Innern vom 8. 1. 1938 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1328). 123 Vgl. Diedrichsen-Heide, Institut, 38–42; Hoffmann, Institut (1938), 214. 124 Protokoll der ersten Arbeitssitzung des IVL vom 8. 2. 1938 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 1158). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 125 „Heimatbetonte Kulturarbeit in Schleswig-Holstein. Erste Jahrestagung des Instituts für Volksund Landesforschung an der Universität Kiel“, in: KNN, 23. 1. 1939. 126 Vgl. Korrespondenz Scheel-Pauls der Monate Mai 1938 bis Januar 1939 (LASH Schleswig, Abt. 397, Nr. 365). 127 Zitiert nach Hoffmann, Jahresbericht, 86. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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mit Blick auf derlei Zielvorgaben nicht nur in seiner Funktion als wissenschaftlicher Leiter in besonders exponierter Position, sondern ebenfalls als Mitherausgeber sämtlicher Schriftenreihen. Die von ihm verfassten Vorworte für zwei der drei institutseigenen Publikationsreihen entsprachen dabei voll und ganz den Vorgaben der Gauleitung128. Sowohl im ersten Band der „Schriften zur Volksforschung“ als auch der „Schriften zur politischen Geschichte und Rassenkunde Schleswig-Holsteins“ fehlte es weder an politischen Bekenntnissen zum NS-Regime noch an Betonung der historischen Wirkmächtigkeit der Bezugsgröße ,deutsches Volk‘. Den Lesern der erstgenannten Reihe etwa teilte Scheel mit, über dem ersten Band leuchte „die stolze Freude […], dass Schleswig-Holstein ein mit eigenen Aufgaben betrauter Gau des nationalsozialistischen großdeutschen Reiches und Volkes geworden ist“129. Weniger den neuen Machthabern, dafür umso mehr völkisch inspirierten Vorstellungen deutscher Gestaltungskraft huldigte er im Geleitwort der zweitgenannten Publikationsreihe. Dort unterbreitete er dem Leserkreis, die Schriften widmeten sich dem „vollen Leben des germanisch-deutschen Menschen“130 und „der aus ihm aufsteigenden und über ihn hinströmenden, großen politischen Geschichte unseres Raumes“. Sofern es sich bei den Veröffentlichungen in den IVL-Reihen um Werke handelte, die unter Scheels Ägide entstanden, griffen auch dort Gegenwartsnähe und völkische Bezüge ineinander und spielten eine prominente Rolle für die interpretatorische Gesamtaussage der betreffenden Schriften. Besonders markante Beispiele hierfür lieferten die von Alexander Scharff vorgelegte Edition „Uwe Jens Lornsen. Politische Briefe“ sowie die Dissertation Harald Thuraus „Die Anfänge eines deutschen nationalpolitischen Bewusstseins in Schleswig-Holstein“. Während Letzterer bei Scheel promovierte, war bei Ersterem die enge Bindung an den wissenschaftlichen Leiter des IVL daran ablesbar, dass er dessen Aufsatz über Lornsen in den Kieler Blättern als maßgeblich für seine Arbeit kennzeichnete131. Thurau schlug den Bogen vom Untersuchungsgegenstand zur Gegenwart gleich in den ersten Zeilen seiner Einleitung. Ausgehend von der Feststellung, man erlebe derzeit die „Wucht und die Kraft unseres Volkes“, beschrieb er als Ziel seiner Arbeit, den Beginn des „dornenvollen Weges“ zu untersuchen, der dem Wunsch nach „völkisch-deutscher Einheit“ vorangegangen sei. Ihm zufolge war es ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert zum „Ringen von weltbürgerlich-kulturellen Gedanken und nationalpolitischen Ideen“ gekommen, welches zunächst unentschieden blieb, denn „der Begriff des Volkes war noch nicht stark genug in Erscheinung getreten“132. Nach dieser Lesart stellte der 128 In der dritten Publikationsreihe mit dem Titel „Politische Schriften Schleswig-Holsteins“ erschien nur ein Band ohne Vorwort der Herausgeber. 129 Scheel, Geleitwort (Andresen), V. 130 Scheel, Geleitwort (Rautenberg), o.S. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 131 Vgl. Thurau, Anfänge, 88; Scharff, Lornsen, XXIII. 132 Thurau, Anfänge, Einleitung und 63.

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bald darauf folgende Zulauf zur deutschen Nationalbewegung in SchleswigHolstein nicht das Ergebnis einer liberalen Verfassungs-, sondern einer völkischen Erweckungskampagne dar. An deren Anfang platzierte Thurau ebenso wie sein Doktorvater das Wirken Dahlmanns. Dem Autor zufolge war es Letzterer, der die Gewichte entscheidend verschob, nachdem er in den Befreiungskriegen die „letzten Reste eines ihm noch anhafteten [sic!] Weltbürgertums“133 hinter sich gelassen habe. Bei dem, was Thurau in seiner Qualifikationsarbeit als Ursprünge des ,deutschen nationalpolitischen Bewusstseins‘ herausarbeitete, handelte es sich damit um jene völkisch inspirierte Gegnerschaft zu kosmopolitischen Vorstellungen, der die Anhänger des Nationalsozialismus huldigten. Scharff blieb in seiner Lornsen-Briefsammlung derartige Gegenwartsbezüge ebenfalls nicht schuldig, da es sich keineswegs um eine Quellenedition im herkömmlichen Sinne handelte. Er bediente sich vielmehr Korrespondenzen, welche erst wenige Jahre zuvor ediert worden waren134. Dieses Quellenmaterial bearbeitete er in der Schriftenreihe des IVL insofern weiter, als er Ausschnitte aus all jenen Briefen zusammenstellte, die seiner Ansicht nach für die politische Gesinnung Lornsens Aussagekraft besaßen – daher der Untertitel der Werkes. Dass sich mit diesem Verfahren die Absicht verband, ein ganz bestimmtes Bild des Protagonisten zu zeichnen, zeigte die knapp 20-seitige Einleitung, welche Scharff den Briefausschnitten beifügte. Sie stellte weniger eine allgemeine Einführung denn einen Interpretationsleitfaden dar. Scharff zufolge ließ sich aus den Briefen mit Blick auf Lornsens politisches Denken klar herauslesen, „wie wenig es zu tun hat mit westlichen demokratisch-liberalen Ideen und Revolutionsgedanken französischer Prägung“. Er hielt es ganz im Gegenteil für evident, Lornsen schildere in seiner Korrespondenz „die Welt der jungen völkischen Bewegung“ und sei „weit entfernt von jenem liberalistischen Denken, für das die Schicksale der Völker durch Konstruktion von Verfassungen, Parlamentsdebatten und Mehrheitsbeschlüssen entschieden werden“135. Scharff folgte damit unübersehbar der Lornsen-Deutung Scheels und versah ebenso wie Thurau die deutsche Nationalbewegung im Schleswig-Holstein des 19. Jahrhunderts mit einem völkischen, anti-demokratischen Anstrich, der den braunen Machthabern zu historischer Legitimation verhalf. Abgesehen von seiner gezielten Förderung einschlägiger Werke zog Scheel allem Anschein nach in Erwägung, selbst zu dieser Thematik in den Schriftenreihen des IVL das Wort zu ergreifen. Im Umschlag von Scharffs Publikation fand sich die Werbung für eine Reihe weiterer Veröffentlichungen, die dem Schema der Lornsen-Edition folgend „in unserer gewaltigen Gegenwart [uns] im unablässigen Einsatz für die Schaffung einer großen deutschen 133 Ebd., 76. 134 Vgl. Jessen, Lornsens Briefe; Pauls, Lornsens Briefe. 135 Scharff, Briefe, V–VI, XV.

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Volksgemeinschaft stärken“136 sollten. Der wissenschaftliche Leiter des IVL bereitete demzufolge eine Dahlmann-Ausgabe mit dem Titel „Politische Erstlingsschrift und Schriften zur Verfassungsfrage“ vor. Ebenso wie das von Ritterbusch angekündigte Werk über Karl Theodor Welcker, wie Dahlmann einer der ursprünglichen Mitherausgeber der Kieler Blätter, kam der von Scheel projektierte Band aber über die Planungsphase nicht hinaus. Scheels einziger eigener Beitrag innerhalb des IVL blieb der Vortrag „Landesgeschichte als politische Wissenschaft“, den er auf der ersten Jahrestagung des Instituts hielt. Ähnlich wie auf dem 100-jährigen Geburtstag der GSHG knapp sechs Jahre zuvor nahm Scheel die Feierstunde zum Anlass, über theoretische Grundlagen der landeshistorischen Disziplin zu sprechen. Parallelen zwischen den beiden Vorträgen bestanden noch insofern, als er wiederum methodische Innovation anmahnte und in Erinnerung rief, Landesgeschichte sei lange „vor der etatistischen und territorialistischen Mauer“137 stehen geblieben. Was seinerzeit bei der GSHG wichtigste Aussage zur Ausrichtung des Faches gewesen war, stellte auf dem Jahrestreffen des IVL nicht mehr als eine Eingangsbemerkung dar, von der ausgehend Scheel das im Vortragstitel angedeutete Konzept einer politischen Wissenschaft entwickelte. Grundlage dessen bildete die Annahme, es sei mit den Befreiungskriegen zur „Offenbarung einer neuen, der ursprünglichen Wirklichkeit der Schöpfung Volk“138 gekommen, der sich alle wissenschaftliche Arbeit, dem Vorbild des Kreises um Dahlmann folgend, dienbar zu machen habe. Diese Rückbindung der Forschung an die „verpflichtende Urwirklichkeit“139 stellte Scheel zufolge den Kern politischer Wissenschaft dar. Ausgehend vom Befund, Forschung müsse „aufbauende[n] und schaffende[n] Gehorsam“140 gegen jenen „Urgrund“ leisten, griff er im Folgenden die tradierten wissenschaftlichen Objektivitätspostulate scharf an. Seiner Ansicht nach handelte es sich dabei um nicht mehr als das „aus der Not des Zerfalls und der Auflösung destillierte Surrogat des Rationalen“141. Die in seinem Sinne politische Wissenschaft sah Scheel daher berufen, „pseudowissenschaftliche und ,neutrale‘ Geschichtsschreibung auf den Boden der geschichtlichen Wahrheit und Wirklichkeit zurückzuführen“142. Geschichtswissenschaft war dieser Argumentation folgend „nur dann objektiv, wenn sie

136 Ebd., Werbeseite im Umschlag. 137 Manuskript des Vortrages Landesgeschichte als politische Wissenschaft, 13 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 27). 138 Ebd., 14. 139 Ebd., 19. 140 Ebd., 21. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 141 Ebd., 24. 142 Ebd., 29. Die NS-Presse lobte Scheel ausdrücklich für seine Angriffe auf das Ideal einer unpolitischen Wissenschaft, siehe „Politische Wissenschaft in Schleswig-Holstein“, in: NR, 23. 1. 1939.

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politisch ist“143. In diesem Zusammenhang stellte Scheel mit Blick auf die für ihn alles entscheidende Bezugsgröße fest, „Wirklichkeit und Wahrheit“ sei unter den gegebenen Umständen das „politische Volk des dritten Reichs“. Damit war der Bogen in die Gegenwart geschlagen, den der Vortragende mit dem Hinweis schloss, es könne „keine objektive und darum politische Geschichtswissenschaft unter uns geben, als die im nationalsozialistischen großdeutschen Volk ruhende“. Das von Scheel präsentierte Konzept einer ,Landesgeschichte als politische Wissenschaft‘ war folglich eine vehemente Fürsprache zugunsten eines völkisch inspirierten Wissenschaftsbetriebes, der sich rückhaltlos dem Nationalsozialismus verpflichtete. Im direkten Vergleich der Festreden von 1933 und 1939 lassen sich damit besonders instruktiv die massiven Verschiebungen seines historiographischen Koordinatensystems zugunsten der neuen Machthaber ablesen. Wenn das bekenntnishafte Referat mit der pathetischen Beschwörung endete, Deutschland sei ein „mächtige[r], lebensstarke[r]“144 Baum, dessen Wurzeln „in die Tiefen der germanischen Erde“ reichten, verwies der Vortragende zum Abschluss auf jene Abschnitte der Frühgeschichte, die neben der Landes- und Universitätshistorie des 19. Jahrhunderts zu seinem zweiten bevorzugten historiographischen Sujet avancierten. Mit dem Untergang der Weimarer Republik war Scheels Publikationstätigkeit zu Haithabu beziehungsweise den Wikingern zunächst ganz zum Erliegen gekommen. Ab der zweiten Hälfte der 1930er Jahre publizierte er jedoch eine ganze Reihe von Abhandlungen zur Frühgeschichte, und auch in seinem Lehrangebot tauchten nun erstmals Kurse zu Themen wie „Probleme der Wikingzeit“145 oder „Die Frühgeschichte des Nordens bis zum Ausgang der Wikingzeit“146 auf. Der äußere Anstoß hierzu kam aller Voraussicht nach von der Nordischen Gesellschaft (NG), welche nach ihrer Gleichschaltung unter der Ägide des Außenpolitischen Amtes der NSDAP und dem Vorsitz Gauleiter Lohses germanische Verbundenheit zwischen Deutschen und Skandinaviern zu propagieren suchte. Wohl nicht zuletzt wegen Scheels in dieser Richtung argumentierender Haithabu-Schriften warb Fred Domes, Leiter der Kulturabteilung der NG, ihn 1935 als Beiträger für einen Sammelband. Zunächst stand die Kooperation allem Anschein nach unter keinem guten Stern. Der Kieler Ordinarius bemühte sich vergebens, aus dem Vertrag mit Domes wieder entlassen zu werden. Im Nachhinein betrachtete er dies als glücklichen Umstand, weil ihm die Arbeit solche Freude bereitete, dass er beschloss, den Aufsatz für die NG als Ausgangspunkt für eine Monographie zu nutzen. So143 Manuskript des Vortrages Landesgeschichte als politische Wissenschaft, 25 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 27). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 144 Ebd., 29. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 145 Personal- und Vorlesungsverzeichnis der Christian-Albrechts-Universit t zu Kiel, Wintersemester 1936/1937, 55. 146 Personal- und Vorlesungsverzeichnis der Christian-Albrechts-Universit t zu Kiel, Sommersemester 1938, 54.

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wohl für Scheels Wikingerbuch als auch fast sämtliche Folgeartikel zu der Thematik diente der NG-Aufsatz als Blaupause147. Ebenso wie bei den Schriften zur jüngeren Landesgeschichte manifestierten sich hier im direkten Vergleich zu den Deutungsmustern der Werke aus den Weimarer Jahren handfeste Veränderungen. Von grundlegender Bedeutung waren dabei Fragen der Periodisierung. Hatte Scheel in seinen früheren Schriften zu Haithabu die traditionelle Lesart nie in Frage gestellt, derzufolge sich die Wikingerzüge auf das Frühmittelalter beschränkten, wartete er dementgegen im Beitrag für die NG mit einer veritablen Alternativchronologie auf. Nun galt die Wikingerzeit als nur eine von vielen Wanderungen germanischer Völkerschaften und Teil einer Bewegung, die sich bis in antike römische Quellen zurückverfolgen ließ. „Wikingart“148 hatte es demnach schon gegeben, „lange bevor die Wikingzeit der Geschichtsschreibung anhebt“. Auf dem baltischen Historikertag in Riga, wo Scheel kurz nach Erscheinen des Aufsatzes dessen wesentliche Inhalte noch einmal zusammenfasste, vermochte er die Sachsenzüge der Spätantike als Kriege der „sächsischen Wikinger“149 zu bezeichnen, obwohl es sich dabei, wie er selbst zugab, um einen terminologischen Anachronismus handelte. Der chronologischen und – wie am Beispiel der Sachsen ersichtlich – einhergehenden geographischen Ausweitung dessen, was als ,Wikingart‘ firmierte, kam deswegen tragende Bedeutung zu, weil Scheel damit die Vorfahren der Deutschen und Skandinavier noch näher zusammenrückte, als er es bis dato mit seinen Äußerungen zu kollektivem Germanentum ohnehin schon getan hatte. Nicht weniger bedeutend war ein zweiter Punkt. Anders als in den Haithabu-Studien der ausgehenden Weimarer Zeit spekulierte er im Aufsatz für die NG offen über die Möglichkeiten einer skandinavisch-deutschen Reichsbildung. Wie er seinen Lesern ausführte, war Letztere unter dem Dänenkönig Göttrik zum Greifen nahe gewesen, weil dieser entschlossen daraufhin gearbeitet habe, seine Herrschaft im Kampf gegen Karl den Großen bis weit in das Gebiet des späteren Deutschlands hinein auszudehnen. Ausgeblieben sei der Erfolg lediglich, weil ein Attentäter den „weitblickenden und zum großen Kampf entschlossenen und befähigten Führer“150 ermordet habe. Insbesondere diese Alternativgeschichte eines durch energische Führung politisch geeinten Germaniens erfreute sich großer Beliebtheit. Scheel lieferte für die Zeitschrift Germanen-Erbe, dem amtlichen Organ des Reichsbundes für deutsche Vorgeschichte, eine gesonderte Fassung seiner Göttrik-Deutung, 147 Vgl. „Der Aufbau der Reichsorganisation „Nordische Gesellschaft“, in: Lübecker Volksbote, 1. 6. 1934; Jessen, Nordische Gesellschaft, 674; und Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 26. 12. 1935 (AHL L beck, NL Fritz Rörig, Nr. 57). 148 Scheel, Kolonialgründungen, 112. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 149 Scheel, Nord- und Ostseeraum in spätgermanischer Zeit, 101. Zur gängigen Chronologie der Wikingerzeit vgl. Brather, Wikingerzeit, 79–81. 150 Scheel, Kolonialgründungen, 123. Zum historischen Hintergrund des Konfliktes zwischen Karl dem Großen und Göttrik siehe Witt, Früh- und Hochmittelalter, 74.

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die bald darauf von der NG für ihre Mitglieder anlässlich einer Haithabu-Fahrt ein weiteres Mal aufgelegt wurde151. Neben der bis dato nie direkt gestellten Frage einer möglichen pangermanischen Herrschaftsbildung ging mit der vollkommenen Uminterpretation dessen, was zeitlich und geographisch unter dem Begriff der Wikinger zu fassen war, eine weitere markante Verschiebung einher. In seinen Schriften bis Anfang der 1930er Jahre hatte sich Scheel in erster Linie darauf verlegt, Haithabu als ,Korinth‘ beziehungsweise ,Gibraltar des Nordens‘ zu stilisieren und den Nachweis einer engen Vernetzung der Germanen im Ostseeraum während der historischen Wikingerzeit zu führen. Im Beitrag für den Sammelband der NG waren diese germanophilen Ostseeschwärmereien nur noch Teilbaustein eines größeren Gesamtpanoramas, dessen vordringliches Ziel darin bestand, die „gewaltige Volkskraft der Germanen“152 im neu definierten Wikingerzeitalter in Gänze abzubilden. Zu diesem Zweck spannte Scheel einen Bogen von den Angriffen germanischer Stämme auf das spätantike Römerreich über die Besiedlung Englands bis zu den eigentlichen Wikingerzügen ab dem späten 8. Jahrhundert, die seiner Lesart folgend alle Ausdrucksformen einer zeitlosen Gestaltungskraft darstellten, die den Germanen zu eigen war. An deren Überlegenheit gegenüber den Bevölkerungsgruppen, mit denen sie in Kontakt kamen, ließen seine Ausführungen keinerlei Zweifel zu. Besonders eklatant trat dies bei der Beschreibung ihrer Züge Richtung Osteuropa hervor. Die dort lebenden Menschen beschrieb Scheel als die „wirtschaftlich und geistig auf tiefer Stufe“153 stehenden und „aus eigener Kraft zur Staatsbildung nicht fähigen Slawen“154, denen nur die „staatsbildende Kraft“ der Wikinger ermöglicht habe, großflächigere Herrschaften auszubilden. Dem damit abgesteckten interpretatorischen Rahmen blieb Scheel treu, als er im Herbst 1938 mit „Die Wikinger. Der Aufbruch des Nordens“ das während der Arbeit am Aufsatz für die NG in Aussicht gestellte Buch vorlegte. Bereits die einleitenden Worte des Auftaktkapitels waren mit Blick auf die Gesamtaussage bezeichnend. Hier stellte er in unmissverständlicher Weise heraus, die Germanen seien „Weltvolk“155 und ihre Leistung „Weltgeschichte“. Aus Sicht des Verlages brachte der Autor damit die Quintessenz des Werkes auf den Punkt, welches ein breiteres Publikum auch jenseits der Fachwissenschaft ansprechen sollte und deshalb über keinen Fußnotenapparat verfügte. Die prägnante Formel diente als Überschrift für Auszüge der populärwissenschaftlichen Monographie, welche vom Verlag zu Werbezwecken veröffentlicht wurden156. 151 152 153 154 155 156

Vgl. Scheel, Göttrik, sowie ders., Haithabu. Welthandelsplatz. Scheel, Kolonialgründungen, 112. Ebd., 142. Ebd., 156. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Scheel, Wikinger, 7. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Vgl. Scheel, Germanen, 363–368.

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Entsprechend der These von den ,Weltleistungen‘ eines ,Weltvolkes‘ bildete einzig markantes Novum im Vergleich zur Vorlage in Aufsatzform die weitere Zuspitzung der Thesen germanischer Superiorität. Vor allem mit Blick auf die Bedeutung wikingischer Präsenzen in Osteuropa erhielt der arrogante Kulturchauvinismus gegenüber der dort ansässigen Bevölkerung latent rassistische Züge, weil Scheel den Germanen attestierte, unter anderem ihres Blutes wegen den Slawen überlegen gewesen zu sein. Seiner neuen Lesart folgend „richteten nordisches Blut und nordischer Geist die slawische Welt auf und öffneten ihr das Tor zur Weltgeschichte“157. Aufgrund dieser vermeintlich rassisch bedingten Überlegenheit zog Scheel den Schluss, es gebe „gen Osten“158 eine „Bürde und Verantwortung germanischer Sendung“. Wenn diese nach Meinung des Autors mit dem Ausgang der Wikingerzeit auf Ostkolonisation, Hanse und Deutschen Orden übergegangen war, schuf er damit sogleich Anknüpfungspunkte für alle jene, die an hoch- und spätmittelalterlichen Beispielen den Beweis germanischer Gestaltungskraft zu führen suchten. Wie sich nach Erscheinen des Bandes herausstellte, trafen derlei Ausführungen den Geschmack des anvisierten Leserkreises. Obwohl erst im Herbst in die Buchläden gegeben, legte der Verlag das Werk noch im selben Jahr ein zweites Mal auf, um alle Kaufinteressenten bedienen zu können. Gemessen an den Absatzzahlen entwickelte sich der Band ob seiner gezielten Vermarktung auch außerhalb der Fachwelt zu Scheels zweiterfolgreichster Publikation. Bis kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges ließen sich fast 8.000 Exemplare verkaufen159. Scheel bot zudem im Rahmen des SHUG-Vortragsprogrammes unter dem Titel „Die Wiking-Leistung im politischen Aufbau Europas“160 ein Referat zum Besten, dessen Themenschwerpunkt exakt dem seines Werkes entsprach. Dass Buchabsatz und Vortragstätigkeit eine Breitenwirkung auch über Schleswig-Holstein hinaus nicht verfehlten, zeigte eine Einladung der Gesellschaft zum Studium Osteuropas nach Berlin, wo er im Sommer 1939 über „Gegenwartsbedeutung der Wikingerzüge für die Staatenbildung in Osteuropa“161 referierte. Dort bekräftigte er ein weiteres Mal, Germanen und nicht Slawen seien „Kulturbringer“ in den weiter östlichen gelegenen Teilen des europäischen Kontinents gewesen. Im eklatanten Gegensatz zu jener Rhetorik germanischer Verbundenheit und Sendung nahmen die in den Weimarer Jahren intensivierten akademischen Kontakte Scheels in den Norden seit Machtantritt der Nationalsozialisten eine konfliktreiche Entwicklung. Besonders in Dänemark schürte der

157 Scheel, Wikinger, 310. 158 Ebd., 354. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 159 Vgl. Schreiben des Hohenstaufen Verlages an Scheel vom 2. 3. 1945 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 21). 160 Vortragsprogramm der SHUG 1938/1939 (LASH Schleswig, Abt. 47, 1253). 161 „Die Wikinger als Staatenbilder“, in: Frankfurter Zeitung, 4. 7. 1939. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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Ostersturm 1933162 die Sorge sowohl um Anerkennung der Grenze als auch den Status der dänischen Minderheit südlich davon. Infolge dessen demonstrierte nicht nur die Bevölkerung Dänemarks durch massenhaften Eintritt in verschiedene Grenzorganisationen Rückhalt für Kopenhagens Interessen in der Grenz- und Minderheitenfrage163. Auch innerhalb der Wissenschaft schlossen sich die Reihen gegenüber Deutschland, das unter seinen neuen Machthabern wieder verstärkt als Bedrohung wahrgenommen wurde. Scheel bekam dies bereits Ende 1933 auf einer Skandinavienreise deutlich zu spüren. Nach Kiel zurückgekehrt, wusste er zu berichten, aus Solidarität mit den dänischen Nachbarn rückten „freundlich gesinnte Kreise“164 von deutschen Kontakten ab. Unter den dänischen Wissenschaftlern verschaffte die Enttäuschung wegen der neuerlichen Grenzagitation einer zahlenmäßig kleinen Gruppe von Radikalrevisionisten Zulauf, die schon bei der Volksabstimmung von 1920 in Anlehnung an Maximalforderungen des 19. Jahrhunderts vergeblich eine Annexion ganz Schleswigs anvisiert hatten. Zu den neuerlichen Befürwortern einer solchen Grenzziehung gehörte unter anderem der Scheel gut bekannte la Cour. Seit 1934 unterstütze er die Herausgabe einer Grenzkampfschrift durch den Tonderaner Seminarlehrer Claus Eskildsen, die schließlich im Sommer 1936 unter dem Titel „Dansk Grænselære“ (Dänische Grenzlehre) erschien. In dem Werk, das binnen Jahresfrist mit zwei Neudrucken eine Auflagenstärke von 12.000 Exemplaren erreichte165, suchte dessen Autor den Nachweis zu führen, im Süden Schleswigs verlaufe eine „Blutsgrenze des Nordens“166, die Dänen und Deutsche scharf voneinander trenne. Eskildsens Ausführungen kamen somit einem Plädoyer für die Angliederung des 1920 bei Deutschland verbliebenen Teil Schleswigs an Dänemark gleich, auch wenn er dies an keiner Stelle offen aussprach. Auf deutscher Seite führte dies zu scharfen Gegenreaktionen, und zu den ersten, die sich zu Wort meldeten, gehörte allen pangermanischen Erklärungen zum Trotz Scheel. Noch im Sommer 1936 fiel der Beschluss, als Antwort auf Eskildsen über den SHB eine neue Flugschriftenreihe aufzulegen, für die er einen Beitrag liefern sollte167. Lange vor dessen Fertigstellung trat Scheel zudem als Redner gegen die Ausführungen des Tonderaner Seminarlehrers in Erscheinung, indem er über das Vortragsprogramm der SHUG ein Referat mit dem vielsagenden Titel „Warum und wie weit wurde Schleswig dänisch?“ 162 Siehe hierzu S. 179. 163 Vgl. Becker-Christensen, Fra „mod hinanden“, 327–330; Noack, Mindretal, Bd. 2, 480 f.; und Rasmussen, Preussen, 140 f. 164 Schreiben Scheels an Johannes Haller vom 21. 11. 1933 (BArch Koblenz, N 1035, Nr. 19). 165 Vgl. Johnsen, Dannevirkemænd, 386–391. Zur Person Eskildsens vgl. Fanø, Eskildsen, 207–219. 166 Eskildsen, Grænselære, 48. 167 Vgl. Schreiben Ernst Schröders an Scheel vom 15. 7. 1936 und Antwort desselben vom 18. 7. 1936 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 2).

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anbot. Scheel hielt ihn unter anderem im Rahmen einer Flensburger Universitätswoche168, wo seine Ausführungen den dortigen dänischen Generalkonsul veranlassten, Kopenhagen Bericht zu erstatten. Ihm zufolge handelte es sich bei dem historischen Vortrag um „ausgemachte grenzpolitische Propaganda“169, deren Polemik lediglich durch „glättende Bemerkungen“ gegen Ende Abmilderung erfuhr, in denen der Vortragende auf gemeinsame germanische Erbteile verwiesen habe. Der Blick auf die im Frühjahr des Folgejahres anonym veröffentliche SHB-Flugschrift „Schleswig urdänisches Land?“ konnte diesen Eindruck nur bestätigen. Der rhetorischen Titelfrage entsprechend führte Scheel dort aus, die Zeichen dänischer Siedlung in Schleswig seien ebenso spät wie schwach und Eskildsens Beweismaterial „Blendwerk“170. Die wenig diplomatischen Ausführungen, denen auch die Referenzen auf den gemeinsamen „germanischen Mutterboden“171 die Schärfe nicht nehmen konnten, endeten mit der unverhohlenen Kampfansage, es könne der „Gegenstoß nicht ausbleiben“172, wenn „Schleswigs deutscher Volksboden“ in Bedrohung gerate. Hatte sich unter den veränderten politischen Rahmenbedingungen seit 1933 der akademische Kontakt nach Norden ohnehin schwierig erwiesen, kam mit Blick auf Scheel nun erschwerend hinzu, dass sein Leumund in Dänemark wegen der scharfen Agitation gegen Eskildsen massiven Schaden nahm. Bereits vor der Veröffentlichung von „Schleswig urdänisches Land?“ traf Scheel, wie er selbst sagte, von Seiten der dänischen Presse „fast jede Woche eine Kanonade“173. Das Erscheinen seiner Kampfschrift konnte dabei kaum zu atmosphärischen Verbesserungen beitragen, zumal nördlich der Grenze trotz der offiziell verschwiegenen Autorenschaft schnell durchsickerte, dass der Kieler Ordinarius für Landesgeschichte die Feder geschwungen hatte. In der von la Cour herausgegebenen Grænsevagten bestanden in dieser Hinsicht keinerlei Zweifel, als dort in einer Vorstellung der Schrift deren „unglaubliche Perfidie“174 angeklagt wurde. Für den Schaden, den die Beteiligung an der Kampagne gegen Eskildsen Scheels akademischem Renommee zufügte, war ebenfalls die Reaktion des dänischen Nationalmuseums bezeichnend, als er bald darauf bat, an einer dort organisierten Tagung zu frühgeschichtlichen Stätten teilnehmen zu dürfen. Dieselbe Institution, welche Ende der 1920er Jahre seine Einladung nach Haithabu dankend angenommen und eine Dele-

168 Vgl. Vortragsprogramm der SHUG 1936/1937 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1330). 169 Kopie des Berichts des dänischen Generalkonsuls in Flensburg an das dänische Außenministerium vom 20. 10. 1936 (RA Kopenhagen, Nr. 5424, Nr. 38). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 170 Scheel, Schleswig, 49. 171 Ebd., 79. 172 Ebd., 80. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 173 Schreiben Scheels an Otto Becker vom 14. 3. 1937 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 24). 174 N.N., Prof. Scheel, 206.

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gation entsandt hatte175, erteilte ihm nun eine Absage mit dem Hinweis, es handele sich um keine Tagung, an der die Teilnahme von „aussernordischen Fachgenossen“176 vorgesehen sei. Auf deutscher Seite blieb die Erkenntnis nicht lange aus, dass die neuerliche Zuspitzung des Historikerstreits um deutsch-dänische Gebietsansprüche Scheel als gute Visitenkarte nördlich der Grenze zunehmend unbrauchbar machte. Entsprechende Schlüsse zog die NOFG, welche nach ihrer Flensburger Tagung in dem Kieler Ordinarius noch den optimalen Kandidaten erkannt hatte, um in Dänemark Unterstützung für antipolnische ,Ostseearbeit‘ einzuwerben. Seit Beginn der Causa Eskildsen über die Vorgänge in SchleswigHolstein informiert, kam die Leitung des Forschungsverbundes zu dem Schluss, Scheel solle nicht primär in Dänemark versuchen, wissenschaftliche Kontakte anzubahnen und Mitarbeiter für die Jomsburg zu gewinnen. Seit Ende 1936 liefen stattdessen Planungen für eine Werbereise, deren Ziel, von einer Stippvisite in Kopenhagen abgesehen, Schweden war177. Scheels Bericht von der im Mai des Folgejahres absolvierten Fahrt schien dieser Strategie Recht zu geben. Den dänischen Abstecher beschrieb er in wenigen dürren Worten als „ergebnislos“178. Mit den ins Auge gefassten Wissenschaftlern waren keine Treffen zustande gekommen, und die deutschen Vertreter in der dänischen Hauptstadt hatten ihm seine eigene Erfahrung bestätigt, „dass es zur Zeit schwer ist, in eine fruchtbare Aussprache mit den dänischen Forschern zu kommen“. An diesem Zustand änderte sich in der Folgezeit nichts Wesentliches. Die Chancen einer wissenschaftlichen Kooperation beurteilte Scheel ein Jahr nach der Visite in Kopenhagen noch genauso trübe und teilte im Privaten mit, gegenüber dänischen Kollegen verhalte er sich „seit längerem sehr spröde“179. Als er auf einer Tagung der NOFG Anfang 1939 über den Zustand deutschdänischer Wissenschaftskontakte Bericht erstattete, fiel sein Rapport ähnlich desolat aus. Seine einstmals guten Verbindungen gen Norden waren zu diesem Zeitpunkt weitestgehend abgerissen180. Friis, zu dem er seit längerem keinen brieflichen Austausch mehr pflegte, begegnete er zum vorerst letzten Mal im Herbst 1938 auf dem Züricher Historikertag. Bereits im Vorfeld hatte er in 175 Siehe hierzu S. 153. 176 Schreiben des Nationalmuseums Kopenhagen an Scheel vom 14. 5. 1937 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1481). 177 Vgl. Schreiben Ernst Schröders an die NOFG vom 25. 6. 1936 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1328); Schreiben der NOFG an Scheel vom 15. 4. 1937 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1481); und Schreiben des Reichs- und Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an die Universität Kiel vom 19. 5. 1937 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 6996). 178 Bericht der Schwedenreise Scheels vom Juni 1937 (PAAA Berlin, R 60281). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 179 Schreiben Scheels an Hans Friedrich Blunck vom 14. 4. 1938 (LBK Kiel, Cb 92). 180 Vgl. Aufzeichnungen der Danziger Tagung der NOFG vom März 1939 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1564).

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diesem Zusammenhang gewettert, der „Demokrat Friis“181 habe in der Schweiz nichts weiter im Sinn als „Gift zu spritzen und die internationale Atmosphäre zu unseren Ungunsten zu verstänkern“. Von der Atmosphäre vertrauensvoller Zusammenarbeit, die in den 1920er Jahren den Eklat um die deutsche Aktenedition zum Artikel V des Prager Friedens zu entschärfen geholfen hatte182, war nichts geblieben, als die beiden in Zürich aufeinandertrafen. Scheel griff Friis’ Vortrag über Dänemarks Neutralität nach 1864 scharf an und brüstete sich im Nachhinein, die Neutralitätsthese des dänischen Historikers zum Zusammenbruch gebracht zu haben183. Zu den wenigen skandinavischen Gelehrten, die Ende der 1930er Jahre noch mit ihm in Kontakt standen, gehörte la Cour. Der Briefwechsel zwischen zwei der wichtigsten Akteure im Streit um die Schrift Eskildsens zeugte indes weniger vom Bemühen gegenseitigen Verstehens als von der tiefen Verbitterung Scheels über die Haltung skandinavischer Wissenschaftler, mit denen seiner Ansicht nach kein akademischer Austausch mehr möglich war, weil sie überkommenen politischen Normen anhingen. La Cour erreichten mit den Briefen aus Kiel fortwährend Klagen, etwa dass man „die politische Grundanschauung des dänischen Volkes als diktatorisch bezeichnen könnte“184 und der skandinavische Norden „sehr viel abhängiger von der westeuropäischen und angelsächsischen Begriffsdiktatur [sei] als er selbst es weiß“185. Als sich die beiden Historiker im Frühjahr 1939 noch einmal in Kopenhagen trafen, geriet la Cours Memoiren zufolge der fachliche Dialog über Haithabu schnell zum politischen Streitgespräch. Einem allerletzten Versuch Scheels, ihn zu einer Gastvorlesung in Kiel zu überreden, erteilte la Cour nach eigenem Bekunden eine Absage mit dem Hinweis, weitere Planungen erübrigten sich, da in einem Jahr ohnehin Krieg sei. Wenn der Gast aus Kiel daraufhin tatsächlich – wie in la Cours Lebenserinnerungen festgehalten – entgegnete, es werde keinen Krieg geben, weil Hitler ihn nicht wolle, hatte er die Zeichen der Zeit ungleich schlechter erkannt als sein dänischer Gastgeber186.

4.1.3. Theologisches Forschungsfeld Nachdem in den letzten Jahren der Weimarer Republik Scheels eigene kirchenhistorische Arbeit weitestgehend zum Erliegen gekommen war, meldete er sich nach Machtübernahme der Nationalsozialisten relativ rasch wieder in Sachen Luther zu Wort. Ursache hierfür waren allerdings weniger die verän181 Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 16. 8. 1938 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 2). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 182 Siehe hierzu S. 144 f. 183 Vgl. Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 3. 9. 1938 (Ebd.). Zu Scheels Widerspruch gegen Friis siehe International Committee of Historical Sciences, Bulletin, 353. 184 Schreiben Scheels an Vilhelm la Cour vom 22. 8. 1938 (RA Kopenhagen, NL la Cour, Nr. 12). 185 Schreiben Scheels an Vilhelm la Cour vom 11. 3. 1939 (Ebd.). 186 Vgl. la Cour, Døre, 253.

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derten politischen Rahmenbedingungen oder neuerliches Interesse am einstigen Hauptbetätigungsfeld denn der reformatorische Jubiläumskalender. Nach den 400-Jahrfeiern des Thesenanschlags sowie des Wormser Reichstages in den Jahren 1917 beziehungsweise 1921 stand im November 1933 mit dem 450-jährigen Geburtstag des Reformators ein weiterer runder Gedenktag an. Für die universitäre Jubelfeier an der Christiana Albertina brachte im Spätsommer der Dekan der Theologischen Fakultät, Walter Bülck, den unlängst aus dem Rektorenamt geschiedenen Ordinarius für Landesgeschichte als Festredner in Vorschlag187. Zwar machten sich die Kieler Zeitungen nicht die Mühe, über die Ankündigung seiner Festrede hinaus darüber zu berichten, was Scheel mit Plazet des Rektors unter dem Titel „Evangelium, Kirche und Volk bei Luther“ am 10. November in der Universitätsaula vortrug. Da er seine Ausführungen in den folgenden Tagen auf einer Reihe weiterer Lutherfeiern in Nordschleswig wiederholte, brachte aber die dortige deutschsprachige Tageszeitung entsprechende Zusammenfassungen188. Demnach gliederte sich der Beitrag in zwei Teile, die sich deutlich voneinander unterschieden. Ersterer setzte dort an, wo Scheels kirchenhistorische Studien Anfang der 1930er Jahre zum Stillstand gekommen waren, also bei Luthers theologischer Gedankenwelt unter gezielter Ausklammerung nationaler Bezüge. Wie die Presse berichtete, widmete er sich eingangs „längeren theologischen Betrachtungen“189 über die Äußerungen des Reformators zu Gnade, Sünde und Offenbarung sowie seinem „inneren Kampf […] mit der katholischen Vorstellungswelt“. Im anschließenden Abschnitt trat jedoch klar zu Tage, dass sich der Referent keineswegs auf die theologische Existenz seines Protagonisten zu beschränken gedachte. Stattdessen setzte sich Scheel eingehend mit den vorgeblichen ,deutschen Qualitäten‘ Luthers auseinander, denen er sich bereits in den Jahren unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg intensiv gewidmet hatte. An ihrem Vorhandensein ließ der zweite Teil seines Vortrages keinerlei Zweifel zu, was die Presse mit dem Hinweis quittierte, es sei die Bedeutung Luthers für „sein deutsches Volk“190 herausgestellt worden. Was der Vortragende den Zeitungsberichten zufolge über Luthers Bibelübersetzung zu berichten wusste, bestätigte dies voll und ganz. Demnach hätte der Reformator nicht bloß den Text ins Deutsche übertragen, sondern einer spezifisch deutschen Religiosität Vorschub geleistet, indem er im Zuge des 187 Vgl. Alwast, Theologische Fakultät, 93, 101–104; und Schreiben des Rektors der Universität Kiel an den Dekan der Theologischen Fakultät vom 19. 8. 1933 und Antwort desselben vom 6. 10. 1933 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 1369). Zur Begehung des Lutherjubiläums 1933 an anderen Universitäten vgl. Br uer, Lutherjubiläum. 188 Vgl. „Hochschulnachrichten“, in: KiZ, 10. 11. 1933. Das Manuskript der Rede ist nicht überliefert. 189 „Die Luther-Feierstunde im Stadttheater“, in: Nordschleswigsche Tageszeitung, 14. 11. 1933. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 190 „Evangelium, Kirche und Volk in der Reformation Luthers“, in: Nordschleswigsche Tageszeitung, 15. 11. 1933.

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philologischen Transfers eine „Umformung des Fremdenguts zu Eigengut, zu Volksgut“191 vorgenommen habe. Nicht zuletzt wegen dieser Leistung galt es Scheel als unzweifelhaft, Luther sei bis in die Gegenwart „deutsches Schicksal“192. Wie aus seiner Korrespondenz mit Schmidt-Wodder über die Auftritte in Nordschleswig ersichtlich, schloss der Jubiläumsvortrag bewusst mit jenem Bogenschlag von den vermeintlichen Verdiensten des Reformators um ,seine Deutschen‘ zur Situation des Jahres 1933. Scheel zufolge war diese plakative Linienführung voll und ganz berechtigt, handelte es sich für ihn bei der „große[n] Bewegung unserer Tage“193 doch um „die mächtigste und breiteste seit der Reformation“, durch die „wie gegenwärtig das Volk bis in die Tiefe aufgewühlt wurde“. Nicht nur in Nordschleswig traf die theologisch untermalte, im Kern aber politische und gegenwartsnahe Luthererinnerung auf großen Zuspruch, wie Scheel dem Vertreter der deutschen Minderheit im Folketing mitteilte. Auch der Verleger Siebeck, welcher Ende Dezember seinen alten Tübinger Bekannten in Kiel besuchte, äußerte nach Durchsicht des Manuskriptes reges Interesse an einer Veröffentlichung. Scheel konnte dieses Angebot nur deshalb nicht sofort annehmen, weil ebenfalls der Rektor der Christiana Albertiana danach verlangte, die Gedenkrede in einer universitätseigenen Schriftenreihe zu platzieren194. Noch während der Autor seine viel gefragte Rede für den Druck vorbereitete, der letztlich weder über J.C.B. Mohr noch die Kieler Universität, sondern den VRG erfolgte, erreichte ihn eine weitere Nachfrage. Hanns Lilje, der den Vortrag des Kieler Ordinarius bei dessen Besuch der deutschen Gemeinde in Stockholm gehört hatte, bat um einen kurzen Beitrag zu Luthers Bibelübersetzung für die von ihm herausgegebene Zeitschrift „Die Furche“. Scheel fertigte daher parallel zwei Schriften an, zwischen denen sich erhebliche Schnittmengen ergaben195. An den beiden Elaboraten ließ sich noch deutlicher als an dem zugrunde gelegten Vortrag erkennen, wie stark sich im Vergleich zu den späten Weimarer Jahren die Schwerpunkte von Scheels Lutherdeutung erneut von theologischen Aspekten wegbewegten. Besonders in dem Aufsatz für Liljes Periodikum „Die Furche“, bei dem die geringe vorgegebene Seitenzahl eine thesenhafte Verdichtung nötig machte, spielten Fragen evangelischer Fröm191 „Die Luther-Feierstunde im Stadttheater“, in: Nordschleswigsche Tageszeitung, 14. 11. 1933. 192 „Evangelium, Kirche und Volk in der Reformation Luthers“, in: Nordschleswigsche Tageszeitung, 15. 11. 1933. 193 Schreiben Scheels an Johannes Schmidt-Wodder vom 29. 12. 1933 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 71). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 194 Vgl. Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 19. 12. 1933 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 1); und Schreiben Scheels an den Verlag J.C.B. Mohr vom 2. 1. 1934 (VMS T bingen, Karton 479). 195 Vgl. „Luthersonntag“, in: Deutsches Gemeindeblatt. Organ der deutschen St. Gertruds Gemeinde in Stockholm 8.11 (1933), 1; und Schreiben Scheels an den Verlag J.C.B. Mohr vom 11. 5. 1934 (VMS T bingen, Karton 479). Zu Liljes Herausgebertätigkeit siehe Oelke, Lilje, 224–231.

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migkeit nur eine untergeordnete Rolle. Der Autor hielt es ganz im Gegenteil für opportun herauszustellen, bei der Untersuchung Luthers sei neben dem „Gehorsam gegen das von Gott bestimmte Gewissen“196 dessen „Dienst an seinem Deutschland“ im direkten Vergleich „nicht weniger bedeutsam“. In der Langfassung, welche der VRG als kompakte Monographie veröffentlichte, fiel die Gewichtsverteilung zwar weniger zuungunsten der Theologie aus. Hier betonte Scheel, „im tiefsten und letzten Grund“197 hätten „Fragen der deutschen Nation“ eine weniger bedeutende Rolle gespielt als das Evangelium. Ungeachtet dessen konnten bei der Lektüre des Textes kaum Zweifel an der angeblich nationalen Sendung des Protagonisten aufkommen, da es an anderer Stelle wiederum hieß, der Reformator habe den „Auftrag an sein Deutschland […] aufs nachdrücklichste zu erkennen gegeben“198. Wenn Scheel im Zusammenhang mit diesem Auftrag in beiden Schriften davon sprach, Gottesdienst sei für Luther „Volksdienst“199 an den Menschen gewesen, denen er sich „bluthaft“200 verbunden gefühlt habe, artikulierte er zugleich eine Präferenz für jene ethnisch-biologisch gefasste Bezugsgröße ,Volk‘, wie dies bis dato in seinen Arbeiten zur Reformationsgeschichte nicht der Fall gewesen war. Hierbei handelte es sich keineswegs nur um rhetorische Versatzstücke. In markantem Unterschied zu seinen früheren ,nationalen‘ Deutungsangeboten stellte die systematische Betonung der Affinität Luthers zu völkischen Theoremen vielmehr ein zentrales Strukturmerkmal der beiden Publikationen dar. Während in dem Furche-Aufsatz – dem Wunsch des Herausgebers entsprechend – die Bibelübersetzung als „Dienst an der Seele des eigenen Volkes“201 im Vordergrund stand, suchte er in der VRG-Schrift darüber hinaus anhand anderer Beispiele zu beweisen, Luther sei Vordenker völkischer Ordnungsvorstellungen gewesen. Zum einen bediente er sich dabei dessen, was er als die Auffassungen des Reformators von einer angemessenen weltlichen Rechtsordnung darstellte. Letzteren habe gegen die Juristen aufgebracht, dass diese mit der Hinwendung zum bürgerlichen römischen Recht die „volksgemäßen Ordnungen“202 als das „aus dem Volksboden gewachsene[n] Leben“ gefährdet hätten. Luther habe jenes „rationale Gebilde des Naturrechts“203 abgelehnt und sei zum „Anwalt des Volksrechtes gegen das gemeine Recht und andere universale Autoritäten“ geworden. Neben diesen Ausführungen zur vorgeblichen lutherischen 196 197 198 199 200 201 202 203

Scheel, Bekenntnis, 268. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Scheel, Evangelium, 3. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Ebd., 22. Scheel, Bekenntnis, 268; und ders., Evangelium, 3. Die Formulierung findet sich in beiden Schriften. Scheel, Bekenntnis, 269; und ders., Evangelium, 26. Die Formulierung findet sich in beiden Schriften. Scheel, Bekenntnis, 271. Scheel, Evangelium, 51. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Ebd., 54. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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Rechtslehre ließ sich die völkische Akzentuierung zum anderen daran ablesen, wie der Autor die Ansichten des Reformators bezüglich des Verhältnisses von Staat und Volk beschrieb. Nach Scheels Lesart hatte Luther als Deutschland nicht „das mittelalterliche Imperium“204 vor Augen gestanden, sondern „das von Gott so ungemein begnadete und zur Entfaltung seines ,Wesens‘ und seiner ,Gestalt‘ im eigenen Reich bestimmte deutsche Volk“. In der Wittenberger Pfarrkirche habe er daher gepredigt, die „letzte und höchste Verantwortung“205 sei „die Verantwortung vor dem Leben und Los des Volkes, zu dem man gehört“. Abgesehen von jener planmäßigen Hervorhebung der vermeintlichen ,Volksbezogenheit‘ Luthers stachen eine Reihe von Kommentaren heraus, welche für zeitgenössische Leser unmittelbare Gegenwartsrelevanz besaßen. Dies betraf unter anderem, was Scheel zufolge vom Reformator über die politische Verfasstheit Deutschlands ausgesagt worden war. Wie in der VRGFassung zu lesen, hatte er angeblich die weitgehende Dezentralisierung der Macht als „welsche Tyrannei“206 und „Gebrechen des Territorialismus“ wahrgenommen und entschieden Klage geführt über „die Vielherrschaft im Reich, die die Kraft der Deutschen schwäche“207. In Anbetracht dessen, dass bei Abfassung jener Zeilen das föderale System der Weimarer Republik von den braunen Machthabern just ausgelöscht worden war, stellten derlei Ausführungen dem NS-Regime indirekt das Zeugnis aus, lutherische Vorstellungen von einer zentralisierten Reichsgewalt in die Tat umgesetzt zu haben. Darüber hinaus hatte Scheel mit Blick auf Fragen der Machtverteilung im öffentlichen Raum bereits bei seiner Interpretation von Luthers Rechtsverständnis vorweggenommen, Letzterer habe nicht auf egalitäre Strukturen gesetzt, sondern vielmehr auf „die schöpferische Weisheit begnadeter Personen, die den Umständen ihrer Zeit, ihres Amtes und ihres Landes gemäß Recht schaffen“208. Ausgehend von diesem Befund folgerte er im Anschluss an seine Ausführungen zur Reichsverfassung, der Reformator habe „vor dem ,Instinkt‘ des Genius […] das ,Barettlein‘ gezogen wissen wollen und die ,Klüglinge‘ […] und Regelgebundenen […] in ihre Schranken und auf ihren bescheidenen Platz gewiesen“209. Scheels Auslegung zufolge gab es für Luther vor dem Handeln eines solchen Genius „keine Berufung auf die Regel, […] kein Einspruchsrecht der Juristen, des Regiments und der Polizei“210. Zwar schränkte er im Weiteren den Wirkungsbereich des Genius dahingehend ein, Luthers „ganz religiös bestimmte Ansicht vom Heros“211 sei nicht politisch und un204 205 206 207 208 209 210 211

Ebd., 59. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Ebd., 62. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Ebd., 59. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Ebd., 60. Ebd., 56. Ebd., 69. Ebd., 70. Ebd., 80. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort.

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terscheide sich vom „Führergedanken unserer Tage“. Diese auf den ersten Blick klare Absage an eine politische Aktualisierung versteckte er jedoch zum einen in den Endnoten und relativierte sie zum anderen mit dem anschließenden Hinweis, die Heros-Deutung des Reformators stelle zwar keine politische Theorie im engeren Sinne dar, könne aber „politische Dienste leisten“. Damit war die Absage an den auf politischem statt religiösem Feld agierenden Genius weitgehend ausgehöhlt. Die Scheel’schen Ausführungen über die Heros-Konzeptionen Luthers erwiesen sich somit auf den zweiten Blick als keineswegs inkompatibel mit dem, was ihr Autor als den ,Führergedanken unserer Tage‘ bezeichnete212. Kaum übersehbare Aktualität besaß ebenfalls, was der Kieler Ordinarius zwischen den Zeilen über das Verhältnis Luthers zum Judentum zu Papier brachte. Hatte Scheel bis dato diese Frage in seinen Schriften nie genauer untersucht, wusste er seinem Publikum nun mitzuteilen, der Reformator habe bei seiner Bibelübersetzung „bewusst und entschieden von jeder rabbinischen und jüdischen Übersetzung und Auslegung Abstand“213 genommen. Beim Buch Moses sei etwa Ziel gewesen „alle Hebraismen so gründlich [zu] entfernen, dass die Juden sagen müssten, es sei ein neuer Moses“214. Die im Folgenden angeführten Beispiele ließen dabei keinerlei Zweifel zu, dass der Fassung Luthers eine höhere Dignität denn dem Originaltext zuerkannt wurde, hatte Letzterem doch Scheel zufolge das „Stilgefühl der Saga“215 die Feder geführt. Mit Blick auf eine Psalmenübersetzung vermeinte Scheel beispielsweise erkannt zu haben, der Reformator habe aus der „müden Lebensbetrachtung“216 des Psalmisten ein „tapferes und frohes Bekenntnis zum Wert der Arbeit“ gemacht und damit die „schaffensfrohe, tatendurstige deutsche Seele mit der sinngebenden Macht des Glaubens“ gefüllt. Dass er mit derlei Schwarzweißmalerei nicht nur Luthers Antijudaismus217 scharf akzentuierte, sondern gleichzeitig Ressentiments gegen die seit 1933 massiv unter Druck geratene jüdische Bevölkerung des Deutschen Reiches schürte, konnte dem Autor schwerlich verborgen geblieben sein, als er Anfang 1934 über den Manuskripten der beiden Publikationen saß. Der Aufnahme des unter den Auspizien des VRG veröffentlichten Bandes in der Fachwelt tat letztgenannter Punkt ebenso wenig Abbruch wie die Tatsache, dass im Kern statt theologischen Aspekten Luthers vermeintliche Affinität zu völkischen Vergesellschaftungsformen und autoritären Regierungsstilen herausgestellt wurde. In Fachkreisen galt dies viel weniger als Malus denn großes Verdienst, wie ein Blick in die Rezensionsspalten führender Periodika 212 213 214 215 216 217

Vgl. Lehmann, Kronzeuge, 418 f. Scheel, Bekenntnis, 271. Scheel, Evangelium, 45. Ebd. Ebd., 47. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Eine Synopse zum weiten und schwierigen Feld des Verhältnisses Luthers zum Judentum bietet Kirn, Luther.

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zeigt. In der ZKG etwa lobte Peter Meinhold den Band wegen seiner „treffende [n] Beobachtungen“218, unter anderem hinsichtlich der „Bedeutung von Luthers schöpferischen sprachlichen Arbeiten“. Den Lesern der HZ wiederum teilte Walther Köhler mit, das Werk besteche durch „programmatische Ausführungen in Auseinandersetzung mit dem derzeitigen Forschungsstand“219. Besonders überschwänglich fiel das Lob Heinrich Hermelinks in der ThR aus, wo zu lesen stand, Scheels Arbeit fessele „mit ihrer sicheren Führung durch viele Einzelfragen“220. Am Schluss der Besprechung folgte dementsprechend der Appell, die Publikation solle „in Massen unter Studenten, Lehrern und Juristen“221 verbreitet werden, schließlich sei sie „das Beste der Art, was wir zur Zeit über Luther haben“. Im direkten Vergleich zu derlei positiven Urteilen fiel die Kritik an der neu akzentuierten Lutherdeutung verhalten aus. Den einzigen, zumindest in der Fachwelt publikumswirksamen Widerspruch formulierte Paul Althaus in der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Kirchenzeitung. Ausgehend vom oben erwähnten Beispiel der Psalmenübersetzung betonte er im eklatanten Gegensatz zu Scheels Lesart, man könne eine Unterscheidung in „orientalischjüdische und die nordisch-germanische Schätzung der Arbeit“222 nicht vornehmen und entzog damit der Theorie von der Bibelübersetzung Luthers als völkischer Adaptionsleistung die Grundlage. Mit deutlicher Spitze gegen den Kieler Ordinarius, der beim Reformator das ,Stilgefühl der Saga‘ hatte ausmachen können, hielt er fest, auch in den isländischen Sagas manifestiere sich keine übermäßige Arbeitsfreude. Scheel nahm diese Kritik zum Anlass, sich an seinen akademischen Opponenten zu wenden und ihm mitzuteilen, er sei alles andere als „sturmreif geschossen“223 und könne Althaus ohne Probleme „etwas unter Flankenfeuer nehmen“. Dies sei lediglich noch nicht geschehen, weil er sich noch nicht sicher sei, wo er wegen der zu erwartenden Aufmerksamkeit am besten das Wort ergreifen solle. Trotz dieser vollmundigen Ankündigungen wartete der Empfänger des Briefes vergeblich auf eine Stellungnahme. Auch nachdem er seine Kritik in einem weiteren Beitrag unterstrichen hatte, blieb das angekündigte Kieler ,Sperrfeuer‘ aus224. Wenn Scheel selbst eine Replik auf die neuerliche Beanstandung von Althaus schuldig blieb, war dies nur ein Symptom unter vielen dafür, dass er trotz seiner Beiträge anlässlich des Lutherjubiläums 1933 keine schwerpunktmäßige Rückkehr zu kirchenhistorischer Arbeit ins Auge fasste. Neben dem liegen gelassenen Fehdehandschuh in Sachen Althaus kam dies auch in seiner 218 219 220 221 222 223

Meinhold, Literatur, 668. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Kçhler, Reformation, 426. Hermelink, Lutherforschung, 77. Ebd., 78. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Althaus, Beitrag, 917. Schreiben Scheels an Paul Althaus vom 8. 10. 1934 (Universit tsarchiv Erlangen, G1/30). Das folgende Zitat finden sich ebenfalls dort. 224 Vgl. Althaus, Nachwort, 207 f.

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Amtsführung als Vorsitzender des VRG zum Ausdruck. Zwar kam Scheel durch regelmäßige Anberaumung von Vorstandssitzungen und teilweise redaktionelle Mitbetreuung des Publikationsprogramms den wichtigsten Obliegenheiten nach und hielt damit die Vereinsarbeit am Laufen. Darüber hinaus war sein Beitrag zur konzeptionellen Ausrichtung des VRG jedoch mehr als überschaubar225. Die vielleicht einzige, eindeutig auf ihn zurückzuführende Initiative stellte im Frühjahr 1934 der Versuch dar, die zentrale Schriftenreihe des Vereins „aktueller“226 und „gegenwartsbezogener“ zu gestalten, wie Scheel sich gegenüber dem zweiten Vorsitzenden, Heinrich Bornkamm, ausdrückte. Dem Anliegen blieb allerdings – abgesehen von seiner eigenen Schrift „Evangelium, Kirche und Volk bei Luther“ – kein Erfolg beschieden. Die übergroße Mehrheit der Beiträge in den „Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte“ widmete sich statt gegenwartsbezogenen Aktualisierungen der quellennahen Erschließung kirchenhistorischer Detailfragen. Fünf Jahre nach den ersten Planungen mit Bornkamm gestand Scheel daher ein, er stehe im VRG „so ziemlich allein“227, wenn er Untersuchungen aus rein historisch-theologischer Perspektive für „im Grunde […] überflüssig“ halte. Blieb sein Versuch, der Publikationstätigkeit des Vereins in Richtung seiner neuen Lutherdeutung ein klareres Profil zu geben, weitestgehend erfolglos, hatte Scheel im Anschluss daran an der langfristig entscheidendsten Weichenstellung seiner Amtszeit nur bedingt Anteil. Nicht auf seinen, sondern auf Vorschlag Bornkamms wurde Gerhard Ritter Anfang 1938 in den Vorstand des VRG gewählt und in Verbindung damit die grundsätzliche Neugestaltung des ARG in Angriff genommen228. Was die Mitarbeit des Vorsitzenden an den damit einhergehenden Vorbereitungen anbelangte, instruierte Bornkamm seinen Wunschkandidaten, sich keine allzu großen Hoffnungen zu machen. Ritter erfuhr von seinem wichtigsten Fürsprecher, er werde sich mit Blick auf Scheel wegen dessen anderweitiger Verpflichtungen „ganz darauf einrichten müssen, eine wirkliche Mitarbeit nicht zu finden“229. Bornkamm und Ritter zogen nicht nur die Fäden bei der Neuausrichtung des ARG, sondern intervenierten darüber hinaus gemeinsam an anderer Stelle, wo sich gleichfalls zeigte, dass Scheel längst nicht mehr zu den treibenden Kräften der reformationshistorischen Forschung gehörte. Hierbei handelte es sich um die Arbeiten der prosopographischen Abteilung der 225 Vgl. Fix, Scheel, 86–89. 226 Schreiben Scheels an Heinrich Bornkamm vom 28. 5. 1934 (AVRG Mainz, Karton 2.3). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 227 Schreiben Scheels an Gerhard Ritter vom 11. 4. 1939 (BArch Koblenz, N 1166, Nr. 487b). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Eine Auflistung aller Schriften, die unter Scheels Vorsitz vom VRG veröffentlicht wurden, findet sich in Schorn-Sch tte, 125 Jahre, 270 f., 278 f., 312–329. 228 Vgl. Cornelißen, Herausgeber, 170–178. 229 Schreiben Heinrich Bornkamms an Gerhard Ritter vom 5. 5. 1938 (AVRG Mainz, Karton 2.3).

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Preußischen Kommission für die Geschichte der Reformation und Gegenreformation. Bereits wenige Jahre nach Übersiedlung des Großprojekts gen Kiel hatte es Kritik am langsamen Fortgang des Unternehmens unter Scheels Leitung gegeben. Mehr als zehn Jahre später stand eine Publikation des biographischen Materials immer noch aus, und so stellte sich umso drängender die Frage, wie sich eine Weiterfinanzierung gegenüber dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung rechtfertigen ließe230. Zeitgleich mit den Vorbereitungen für die Neugestaltung des ARG kam es deshalb zu einer Reihe von Besprechungen, zu denen unter anderem Bornkamm und Ritter als Sachverständige hinzugezogen wurden. Unter ihrer Vermittlung erklärte sich Scheel schließlich bereit, das Projekt aus der Hand zu geben und stattdessen den Marburger Pfarrer Wilhelm Maurer damit zu betrauen, aus dem vorliegenden Material ein wesentlich kürzeres biographisches Lexikon der Reformationszeit zu destillieren. Dieser wenig rühmliche Abschied von der fast zwei Jahrzehnte unter seiner Leitung befindlichen prosopographischen Abteilung belegte nicht weniger deutlich als die passive Amtsführung im VRG, wie sich der Kieler Ordinarius zusehends aus der akademischen Theologie verabschiedete231. In Anbetracht dessen war es bezeichnend, dass sich Scheel nach vierjähriger Pause im Herbst 1938 keineswegs aus freien Stücken wieder zu Luther äußerte. Den Anstoß hierzu gaben vielmehr Berliner Ministerialvertreter. Wahrscheinlich aus Sorge um mögliche politische Verwicklungen schlugen sie den Wunsch des Kieler Ordinarius aus, auf dem Internationalen Historikertag in Zürich über deutsch-dänische Zusammenhänge sprechen zu dürfen. Stattdessen legten sie ihn im Einklang mit seinen alternativen Themenvorschlägen darauf fest, vor dem Publikum in der Schweiz über den Wittenberger Reformator zu referieren. Scheel bedauerte dies sehr, sah er sich durch die ministerielle Vorgabe doch der Möglichkeit beraubt, auf den Vortrag seines dänischen Kollegen Aage Friis zu antworten, der angekündigt hatte, er werde den Nachweis führen, Dänemark habe nach dem Krieg von 1864 keine Revanchegedanken gehegt232. Was den um sein Wunschthema Gebrachten anbelangte, ging aus dessen Vorbereitungen für das Züricher Luther-Referat ein kurzer Beitrag für eine Festschrift zu Ehren Hans Friedrich Bluncks hervor, die noch in den Druck 230 Vgl. Schreiben der Preußischen Kommission für die Geschichte der Reformation und Gegenreformation an das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 19. 5. 1937 (BArch Berlin, R 4901, Nr. 14093). Zur Vorgeschichte der prosopographischen Abteilung unter Scheel siehe S. 164f. 231 Vgl. Schreiben der Preußischen Kommission für die Geschichte der Reformation und Gegenreformation an das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 12. 7. 1938 und Schreiben Wilhelm Maurers an selbige Kommission vom 31. 12. 1938 (BArch Berlin, R 4901, Nr. 14093); und Griewank, Biographie, 111. 232 Vgl. Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 16. 8. 1938 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 2). Zum Treffen von Scheel und Friis in Zürich siehe S. 203f.

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ging, bevor ihr Autor auf dem Kongress hinter das Rednerpult trat. Der anlässlich des runden Geburtstages des ersten Präsidenten der Reichsschrifttumskammer verfasste Aufsatz nahm bereits Ausschnitte dessen vorweg, was Scheel kurz darauf in der Schweiz vortrug. Wenn er diese Ausführungen mit „Der Heros in Luthers Auffassung von Leben und Geschichte“233 überschrieb, so schlug er damit schon im Titel den Bogen zu jenen Überlegungen hinsichtlich eines regelbrechenden Genius, die er anlässlich des Lutherjubiläums fünf Jahre zuvor angestellt hatte. Gegenüber dem, was von Scheel zum 450. Geburtstag des Reformators zu Papier gebracht worden war, zeichnete sich dabei eine entscheidende Veränderung ab. Die markante Verschiebung verlor auch dadurch nicht an Konturen, dass er ganze Passagen aus den publizierten Verschriftlichungen seiner Rede von 1933 übernahm. Dessen ungeachtet blieb deutlich erkennbar, wie der Autor die theologische Positionsbestimmung Luthers noch sehr viel konsequenter in den Hintergrund rückte, als er es in den vorangegangenen Schriften ohnehin getan hatte. Einem unbedarften Leser vermochte der Festschrift-Beitrag keine eindeutige Antwort zu geben, ob es sich bei dem Protagonisten überhaupt um einen Theologen handelte, geschweige denn, worin dessen zentrale Glaubensgrundsätze bestanden hätten. Wenn Fragen protestantischer Religiosität derart unbeleuchtet blieben, war dies mit Blick auf die vermeintliche Heros-Deutung Luthers von erheblicher Bedeutung, weil Scheel bis dato betont hatte, Letzterer sei primär eine religiöse Figur gewesen. In diesem entscheidenden Punkt lagen die Akzente nun vollkommen anders, da nicht nur religiöse Bezugspunkte fehlten, sondern ebenfalls die einschränkenden Formulierungen, mit denen sich der Kieler Ordinarius zumindest vordergründig gegen eine Gleichsetzung der lutherischen HerosInterpretation mit dem Führerprinzip der NS-Herrschaft verwahrt hatte234. Seiner neuerlichen Abhandlung stellte er zudem Überlegungen zur politischen Lage im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation voran, die mit dem Fazit endeten, zu Zeiten Luthers habe „Führerlosigkeit und Auslieferung ganz Deutschlands an reichsfremde Gewalten“235 gedroht. Mit der direkten Überleitung von dieser düsteren Vision zur vorgeblichen Heros-Deutung Luthers suggerierte er genau jene politische Auslegung, die er zuvor nur mit Einschränkungen gutgeheißen hatte. In Zürich spitzte Scheel seine Interpretation der lutherischen Heros-Deutung weiter zu. Anders als in dem Beitrag zur Blunck-Festschrift beschränkte er sich allerdings nicht darauf, diese eine Detailfrage weiter auszuführen, sondern versuchte, ähnlich wie in der VRG-Schrift „Evangelium, Kirche und Volk bei Luther“ die Heros-Frage in ein breites Panorama der vermeintlich 233 Scheel, Heros. Der Geehrte feierte am 3. September 1938 seinen fünfzigsten Geburtstag, vgl. Klee, Kulturlexikon, 55 f. 234 Vgl. Lehmann, Kronzeuge, 420. 235 Scheel, Heros, 119.

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völkischen Orientierung des Reformators einzubetten. Von dieser Absicht zeugte bereits der programmatische Vortragstitel „Der Volksgedanke bei Luther“236. Hatten sich aus dieser Art der Darstellung bereits zu Beginn der NS-Herrschaft kaum übersehbare Gegenwartsbezüge zugunsten der neuen Machthaber ergeben, stand das in der Schweiz gehaltene Referat dem in nichts nach. Dies war selbst an der ,entschärften‘ Version des Vortrages klar abzulesen, welche 1940 in der HZ erschien237. Wie in dem Beitrag zu Ehren Bluncks griff Scheel intensiv auf seine früheren Ausführungen zurück, um die „bluthafte Verbundenheit“238 des Reformators mit dem deutschen ,Volk‘ unter Beweis zu stellen. Die vermeintlich völkische Bedeutung von dessen Bibelübersetzung fand ebenso Erwähnung wie die vorgebliche Präferenz des Reformators für ein deutsches Volksrecht239. Für das Publikum in Zürich erweiterte er das argumentative Arsenal darüber hinaus mit einer Reihe von Bemerkungen, die das Bild von Luther als völkischen Vordenker noch deutlicher mit politischen Gegenwartsfragen in Verbindung brachten. So führte er mit Blick auf die Lutherbibel aus, der Übersetzer habe sich unter anderem vom deutschen Dialekt im Sudetenland anregen lassen, und sprach in diesem Zusammenhang von dem „unsterbliche[n] Verdienst, den die Sudetendeutschen ihrem deutschen Volk im 16. Jahrhundert und damit für alle Zeiten erwiesen haben“240. Da der Internationale Historikertag unmittelbar mit der Sudetenkrise zusammenfiel, kam dieses Urteil über Luthers vermeintliche Inspirationsquellen einer Stellungnahme zugunsten der territorialen Forderungen Berlins gleich. Nicht weniger direkt als zu Fragen der Außenpolitik nahm Scheel in seinen Ausführungen zu Aspekten der Innenpolitik Stellung. Hier wusste er seinem Publikum mitzuteilen, der Reformator habe mit der Frage der „leiblichen Gesundheit kommender Geschlechter“241 das „Problem einer eugenischen Gesetzgebung“ vorweggenommen und dafür plädiert, „Gebrechliche“ sollten an der Fortpflanzung gehindert werden. Ähnlich wie in der Sudetenfrage attestierte er damit dem NS-Regime auch hinsichtlich der Zwangssterilisation körperlich und geistig behinderter Menschen, eine bereits von Luther vorgedachte Programmatik in die Tat umzusetzen. Ebenso fiel zugunsten der neuen Machthaber aus, was Scheel in Zürich bezüglich der Heros-Deutung des Reformators referierte. Hatte er in dem Beitrag für die Blunck-Festschrift die Beschränkung des regelbrechenden Genius auf den religiösen Bereich bereits de facto aufgehoben, bestand die 236 Scheel, Volksgedanke. 237 Zur nur indirekten Überlieferung der Züricher Rede in Form des HZ-Beitrages und den daraus sich ergebenden Unterschieden siehe Cornelißen, Ritter, 254 f. 238 Scheel, Volksgedanke, 486. 239 Vgl. ebd., 490 f. 240 Ebd., 487. Zum Hintergrund der Sudetenkrise vgl. L dicke, Griff. 241 Scheel, Volksgedanke, 492. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Zur Thematik Zwangssterilisation unter dem NS-Regime vgl. Bock, Zwangssterilisation.

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weitere Verschärfung darin, dass er eine politische Deutung nicht bloß nahelegte, sondern explizit bekräftigte. Bereits in der Hinleitung zu dem Abschnitt, der sich dem Heros-Motiv widmete, bereitete er dieser Lesart den Boden. Demnach hatte Luther Deutschland mit einem „weidlichen Hengst“242 verglichen und „sehnsüchtig“ nach einem „passenden Reiter“ Ausschau gehalten, durch den „geschlossene Führung“ gesichert werden sollte. In den anschließenden Ausführungen über die Heros-Deutung des Reformators, die in weiten Teilen dem Festschriftbeitrag zu Ehren Bluncks sehr nahe kamen, unterstrich Scheel die politische Funktion des Genius dann ausdrücklich. Im eklatanten Gegensatz zu dem, was er wenige Jahre zuvor im literarischen Nachklang des Lutherjubiläums postuliert hatte, hielt er nun fest, Luther habe hinsichtlich seiner Äußerungen zum Heros „eine Beschränkung auf das religiöse und kirchliche Gebiet […] nicht im Sinn gehabt“243, und eine solche vorzunehmen sei unzulässig. An dieser Verschiebung zeigte sich nicht minder deutlich als an den übrigen Züricher Ausführungen, dass der Kieler Ordinarius seit 1933/1934 einen weiteren, entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einer voll politisierten, völkischen Lutherdeutung mit klar affirmativem Verhältnis zum NS-System gegangen war244. Die Reaktionen darauf fielen denkbar unterschiedlich aus. Den schärfsten, publikumswirksamsten und folgenreichsten Widerspruch erntete der Vortragende direkt im Anschluss an sein Referat von Gerhard Ritter, der auf dem Historikerkongress zur deutschen Delegation gehörte. Er betonte im Unterschied zu Scheel, der lutherische Heros sei als „religiöser Prophet“245 zu verstehen und lasse sich nicht auf den politischen Bereich übertragen. Aus der fachlichen Kontroverse entwickelte sich im Laufe der folgenden Monate eine politische Auseinandersetzung, unter deren Folgen ausschließlich Ritter zu leiden hatte. Vom Präsidenten des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands, Walter Frank, wegen vermeintlich „reichsschädigendem Auftreten“246 beim Erziehungsministerium denunziert, belegte ihn die Berliner Behörde mit einem Reiseverbot ins Ausland247. Für die gemeinsame Vorstandsarbeit der beiden Kontrahenten im VRG blieben direkte negative Folgen zwar aus, weil sich Heinrich Bornkamm um Vermittlung bemühte. Ihr persönliches Verhältnis nahm jedoch irreparablen Schaden, was sich unter anderem daran zeigte, dass Scheel seinem Verleger Siebeck mit Verweis auf die

242 243 244 245 246

Scheel, Volksgedanke, 492. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Ebd., 495. Vgl. Lehmann, Kronzeuge, 422. International Committee of Historical Sciences, Bulletin, 360 f. Schreiben Walter Franks an das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 28. 9. 1938 (BArch Berlin, R 4901, Nr. 2842). 247 Zu den Folgen des Züricher Eklats für Ritter siehe Cornelißen, Ritter, 255–261; und Heiber, Walter Frank, 747–760.

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Züricher Vorgänge davon abriet, Ritter als Autor für ein Buchprojekt heranzuziehen248. Mit Blick auf die Rezeption des Vortrages war der Eklat um Ritter nicht nur hinsichtlich dessen Widerspruchs von Interesse, sondern ebenfalls wegen des ungemein schnellen Entschlusses seitens Walter Franks, gegen Ritter vorzugehen. Wie aus Franks verleumderischen Bericht an das Erziehungsministerium ersichtlich, sah er sich vor allem deswegen zu einer scharfen Attacke auf Ritter berufen, weil Scheels Vortrag seiner Meinung nach das „neue Deutschland“249 repräsentierte, gegen das eine „dreiste Kundgebung“ der „liberalen Opposition“ stattgefunden hatte. Der Sichtweise, dass das Referat des Kieler Ordinarius mit seiner völkisch-politischen Akzentuierung prototypisch für eine neue Form der Historiographie sei, pflichteten ebenfalls eine Reihe derjenigen in Zürich anwesenden Historiker bei, die zu Franks Hetzbrief eigene Berichte zum Vorfall beisteuerten. Besonders klare Worte fand in diesem Zusammenhang Franks späterer Nachfolger an der Spitze des Reichsinstituts, Karl R. Ganzer. Er schrieb in seinem Rapport mit deutlich spürbarer Emphase, das Publikum habe mit dem Luthervortrag „eine Art der Geschichtsschreibung erlebt, […] die in ihrem Wesen (natürlich nicht in jeder einzelnen kleinen Formulierung) als nationalsozialistisch bezeichnet werden kann“250. Zu einem ganz ähnlichen Schluss kam Anfang 1939 der Schreiber einer Zusammenfassung über den Historikerkongress für die NS-Monatshefte. Seiner Darstellung zufolge war die Züricher Tagung aufs Ganze gesehen ein „Triumph der Mittelmäßigkeit“251, bei dem lediglich Scheel „in das Neuland nationalsozialistischer Fragestellung“252 vorgedrungen sei. Der ob seines historiographischen Zugriffs zum Vorreiter einer nationalsozialistisch inspirierten Forschung Erhobene stand derlei überschwänglichen und politisch eindeutigen Lobeshymnen keinesfalls ablehnend gegenüber. Nach Kenntnisnahme der Darstellung in den NS-Monatsheften stellte er in seiner Privatkorrespondenz heraus, es sei „sehr schön, dass grade Kiel sich hervorgetan hat“253. Dass sein Züricher Referat ihm nicht zuletzt wegen des Eklats um Ritters Widerspruch Aufmerksamkeit und Zuspruch hoher politischer Stellen bescherte, war Scheel schon vorher bewusst gewesen. Bereits Anfang Dezember 1938 teilte er im Privaten mit, der Vortrag scheine Folgen zu haben, „die mich persönlich betreffen, d. h. zu einem Fortgang von Kiel führen 248 Vgl. Cornelißen, Herausgeber, 176 f.; und Schreiben Scheels an den Verlag J.C.B. Mohr vom 13. 2. 1939 (VMS T bingen, Karton 495). 249 Schreiben Walter Franks an das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 28. 9. 1938 (BArch Berlin, R 4901, Nr. 2842). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 250 Bericht Karl R. Ganzers über die Diskussion nach Scheels Vortrag vom 12. 9. 1938 (Ebd.). 251 Schmidt, Bericht, 73. 252 Ebd., 74. 253 Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 19. 1. 1939 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 2).

Der Zweite Weltkrieg

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könnten“254. Worin genau die mögliche neue Verwendung bestehen sollte, behielt er für sich. Die nur vage angedeuteten Pläne scheinen sich indes bald zerschlagen zu haben, da Scheel sie an keiner anderen Stelle mehr erwähnte und in Kiel blieb. Erst zweieinhalb Jahre später sollte er die Fördestadt mit besonderem Auftrag aus Berlin für längere Zeit verlassen, wofür keineswegs seine Lutherdeutung, sondern vielmehr die politische Großwetterlage verantwortlich war.

4.2. Der Zweite Weltkrieg 4.2.1. Politisches Denken und Kriegserlebnis Als sich im Sommer 1939 die Hinweise auf einen baldigen Kriegsausbruch verdichteten, bestand für Scheel keinerlei Interpretationsbedarf wer die Schuld daran trug, dass deutsch-polnische Grenzstreitigkeiten Anlass eines bewaffneten Konfliktes zu werden schienen. Am Vorabend des Angriffes auf Polen schrieb er in seiner Privatkorrespondenz, nicht mehr als einen „Hoffnungsschimmer“255 auf Frieden zu haben, lastete dies aber in keiner Weise Berlin an. Stattdessen setzte er „in unsere Führung […] volles Vertrauen“. Verantwortlich für die Eskalation waren aus seiner Sicht der östliche Nachbar sowie die Westmächte. Galt ihm Ersterer als „Amokläufer“, giftete er über Letztere, es handele sich um „Demokraten, von denen man schon grundsätzlich tiefe Erkenntnisse nicht erwarten darf“. Vor allem England, das von ihm bereits 1914 zum Hauptschuldigen am Waffengang erklärt worden war256, hatte sich aus seiner Sicht erneut am Frieden versündigt, indem es „in hysterischer Weise“ Garantieerklärungen für Warschau abgegeben habe, deretwegen ein Ausweg aus der Krise praktisch unmöglich sei. Damit übereinstimmend bezeichnete er wenige Tage später den Kriegsausbruch hinsichtlich Englands vermeintlicher Hauptverantwortung als „das neue Verbrechen des Blutsaugers der Welt und Friedensstörers überall auf Erden“257. Der Verlauf des ersten Kriegsjahres erwies sich in keiner Weise geeignet, Scheels Vertrauen in die eigene Regierung sowie die militärische Stärke Deutschlands zu untergraben. Als sich nach der schnellen Besetzung Polens, Dänemarks, Norwegens und der Beneluxländer ebenfalls ein rascher Sieg gegen Frankreich anbahnte, hielt er für sicher, der Krieg werde „angesichts der ungeheuren deutschen Erfolge“258 kaum länger als ein Jahr dauern, und 254 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 6. 12. 1938 (AHL L beck, NL Fritz Rörig, Nr. 57). 255 Schreiben Scheels an Erich Seeberg vom 31. 8. 1939 (BArch Koblenz, N 1248, Nr. 32). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 256 Siehe hierzu S. 79, 84f. 257 Schreiben Scheels an Albert Brackmann vom 9. 9. 1939 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1294). 258 Schreiben Scheels an Gerhard Ritter vom 5. 6. 1940 (AVRG Mainz, Stehordner ARG III 1940–1941). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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frohlockte, über dem Frühsommer 1940 liege „der ganze Glanz des Aufstiegs Deutschlands zum führenden Volk Europas“. Die Ankündigungen Winston Churchills, London werde unter allen Umständen den Krieg gegen das Deutsche Reich fortsetzen, tat er als „Prahlereien oder Windbeuteleien“259 aus einem Land ab, welches nicht mehr als eine „europäische Randerscheinung“ sei. Nach Besetzung von Paris und französischem Waffenstillstandsgesuch hielt Scheel es für möglich, den Krieg noch vor Jahresfrist mit einem Sieg gegen England zu beenden. Anlass zu derartigen Hoffnungen gaben ihm die Verlautbarungen Hitlers, von dem er in unumwundener Begeisterung schrieb, er habe den Krieg bis dato „kraftvoll und vernichtend“260 geführt und werde „auch das Wort wahr machen, dass England keine Insel mehr ist“. Scheels Zuversicht tat keinerlei Abbruch, dass die vollmundigen Berliner Versprechungen mit Blick auf die Niederwerfung Englands und baldigen Frieden unerfüllt blieben und stattdessen der Kreis deutscher Kriegsgegner wuchs. Dies zeigte sich in aller Deutlichkeit, als im Sommer des Folgejahres der Überfall auf die Sowjetunion begann. Der Kieler Ordinarius betrachtete die Eröffnung einer weiteren Front ohne Bedenken. Nach eigener Auskunft „unter dem Eindruck des russischen Angriffes auf Deutschland und Europa“261 stehend, begrüßte er das Ende des Hitler-Stalin-Paktes und gab sich bereits wenige Wochen nach Beginn des Unternehmens Barbarossa überzeugt, der sowjetische militärische Widerstand werde im Herbst zusammenbrechen262. Weder das Steckenbleiben des Vormarsches bei Leningrad und Moskau noch der Kriegseintritt der Vereinigten Staaten vermochten jenen Optimismus zu brechen. Als er Ende des Jahres im Privaten seine Sicht der Kriegslage schilderte, hielt er fest, das kommende Jahr werde „absolut sicher die Niederwerfung des Bolschewismus in Europa […] bringen“263, selbst wenn „der hinkende Bison Roosevelt ein Millionenheer ausrüstet“. Der Kampf müsse daher „kompromisslos zu Ende geführt werden“. Falls ihn bis dahin eine der alliierten Bomben auf Kiel träfe, könne er „mit der Gewissheit des deutschen Sieges aus dem Leben scheiden“. Obwohl der weitere Kriegsverlauf die Erwartungen Lügen strafte und dadurch gekennzeichnet war, dass die Wehrmacht an der Ostfront in die Defensive geriet und britisch-amerikanische Bombenangriffe auf das Deutsche Reich massiv zunahmen, rückte Scheel von seinen Bekundungen absoluter Siegesgewissheit und eisernen Durchhaltewillens nicht ab. Die Zuspitzung der militärischen Lage leistete keinerlei Zweifeln Vorschub, sondern schürte den 259 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 11. 6. 1940 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 260 Schreiben Scheels an Broder Grandt vom 22. 6. 1940 (LBK Kiel, Ca-Scheel, Otto 613). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 261 Schreiben Scheels an Wilhelm Koppe vom 7. 7. 1941 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1254). 262 Vgl. Schreiben Scheels an Otto Becker vom 13. 8. 1941 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 29). 263 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 29. 12. 1941 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort.

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Hass auf die Feinde. Besonders drastisch fiel seine Wortwahl mit Blick auf England aus. Wenige Tage, nachdem Lübeck Opfer eines der ersten großflächigen Städtebombardements geworden war, geißelte er den Kriegsgegner als „Auswurf des arischen Kontinents“264. Zweifel am deutschen Sieg weckten die alliierten Erfolge im Luftkrieg aber ebenso wenig wie die der Roten Armee an der Ostfront. Zeitgleich mit dem Untergang der 6. Armee im Kessel von Stalingrad durch Rörig über den um sich greifenden Pessimismus in dessen Bekanntenkreis informiert, gab er seiner Verwunderung darüber Ausdruck, wie „unter einsichtsvollen Menschen die Lage so verzagt angeschaut werden könnte“265. Ihm galt im Januar 1943 der Sieg nach wie vor als so sicher, dass er vermelden konnte, er habe „mit echter Freude die wiederum vom Führer gegebene Erklärung vernommen, dass dieser Krieg kompromisslos beendet werden müsse“. Mit Blick auf mögliche Kriegsziele hielt der von Englands Hauptschuld am Waffengang überzeugte Scheel bereits kurz nach Beginn des Angriffes auf Polen fest, es gelte Europa von London als dem „verbrecherischen Vampir“266 zu befreien. Die militärische Auseinandersetzung vermochte er als einen „europäischen Befreiungskrieg“ zu begreifen, von dem er sich nicht allein für Deutschland, sondern darüber hinaus „für uns und durch uns für Europa Grosses“ erhoffte, damit der Kontinent „endlich in Frieden leben und in Wohlfahrt schaffen“ könne. Ausgehend von dieser Verbrämung des Angriffskrieges zu einem treuhänderischen Akt im Dienste Europas verzichtete er in der Folge auf eine Formulierung explizit nationaler Kriegsziele, wie noch im Ersten Weltkrieg der Fall. Gleichwohl stellte er klar heraus, die neue Ordnung des Kontinents müsse mit einer deutschen Hegemonie verbunden sein. Gegenüber Ritter sprach er beispielsweise im Sommer 1940 davon, als Ergebnis des Sieges müsse Deutschland „das Schwergewicht der germanischen, Europa neu ordnenden Welt“267 sein. Abgesehen von dem grundsätzlichen Ziel der Etablierung einer europäischen Pax Germanica unter Ausschaltung Englands besaß die Scheel vorschwebende Nachkriegsordnung nur hinsichtlich Nord- und Osteuropas einigermaßen klare Konturen. Was Skandinavien anbetraf, spielten abermals seine Vorstellungen von kollektivem Germanentum eine entscheidende Rolle. Nicht zuletzt wegen vermeintlicher gemeinsamer germanischer Wurzeln sah der Kieler Ordinarius es als unbedingt notwendig an, es müsse nach dem siegreichem Kriegsende Skandinavien eng mit Deutschland verbunden wer264 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 2. 4. 1942 (Ebd.). Der erste Großangriff auf Lübeck erfolgte in der Nacht vom 28. zum 29. 3. 1942, vgl. Wilde, Bomber. 265 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 4. 1. 1943 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 266 Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 15. 9. 1939 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 2). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 267 Schreiben Scheels an Gerhard Ritter vom 5. 6. 1940 (AVRG Mainz, Stehordner ARG III 1940–1941).

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den. Soweit aus seiner Privatkorrespondenz rekonstruierbar, schwebten ihm dabei keine ausgedehnten deutschen Annexionen beziehungsweise die Inkorporierung ganzer skandinavischer Länder ins Deutsche Reich vor. Weiterhin formal unabhängig, sollten die nordischen Nachbarn allem Anschein nach über ein engmaschiges Vertragssystem in militärischen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Belangen fest an Deutschland gebunden werden. Auf diesem Wege hoffte Scheel, den vermeintlich schädlichen Einfluss westlich-demokratischer Prägung auf den Norden brechen zu können, der aus seiner Sicht bereits vor Kriegsausbruch eine Zusammenarbeit auf akademischem Gebiet so gut wie unmöglich gemacht hatte268. Während den nordeuropäischen Staaten zumindest de jure eine eigene Staatlichkeit erhalten bleiben sollte, sahen seine Pläne für die besetzten Territorien im Osten Europas gänzlich anders aus. Mit der Begründung, die dortige Bevölkerung sei „durch das langjährige kommunistische Verbrechen […] vollständig um politisches und wirtschaftliches Denken gebracht“269, visierte Scheel den Aufbau einer Zivilverwaltung an, deren Spitze samt und sonders aus Deutschland abzuordnen war. Wenn er damit die Erwartung verband, Osteuropa werde „endlich für Europa in den ersten Anfängen dienstbar gemacht“, und darüber spekulierte, inwieweit kriegsbedingte Versorgungsengpässe aus dortigen Quellen zu decken seien, sprach daraus die Absicht, die betroffenen Gebiete auf den Status von Rohstofflieferanten zu degradieren. In genau diese Richtung deuteten Formulierungen wie etwa die, mit Beginn der Ernte würden „die osteuropäischen Gebiete ihr Füllhorn über Europa ausschütten“270. Von den Visionen aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, durch massive Gebietserweiterungen Richtung Osten eine von Seeseite blockadesichere deutsche Großmacht aufzurichten271, unterschied sich diese Kriegszielprogrammatik nur unwesentlich. Was seinen eigenen Beitrag zur Durchsetzung dieser Agenda anbelangte, stellte sich anders als bei Ausbruch des vorangegangenen Krieges die Frage nach möglichem Militärdienst aus Altersgründen nicht mehr. Die Universitätsverwaltung beschäftigte im Herbst 1940 nicht eine mögliche Einberufung des Ordinarius für Landesgeschichte, sondern dessen Emeritierung, die nach geltendem Beamtenrecht zum kommenden Sommersemester hätte erfolgen müssen. Rektor Ritterbusch intervenierte jedoch mit Erfolg zugunsten einer Aufschiebung, und der Betroffene wurde ebenso wie eine Reihe weiterer 268 Vgl. Schreiben Scheels an Johannes Schmidt-Wodder vom 1. 3. 1943 und 24. 3. 1943 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 10). Zur Verschlechterung von Scheels Kontakten zur sowie seiner Kritik an der dänischen Gelehrtenwelt in den letzten Friedensjahren siehe S. 202–204. 269 Schreiben Scheels an Otto Becker vom 13. 8. 1941 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 29). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 270 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 4. 1. 1943 (AHL Lübeck, NL Rörig, Nr. 57). Zu Scheels Vorstellungen einer wirtschaftlichen Ausbeutung speziell der Ukraine siehe das Schreiben an Otto Becker vom 25. 8. 1942 (Ebd.). 271 Siehe hierzu S. 80f.

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Professoren aufgrund der kriegsbedingten Personalengpässe im Lehrkörper nicht aus dem aktiven Dienst entlassen272. Zusätzlich zu seinen eigenen Unterrichtsverpflichtungen wurde er mit einer Reihe von Vertretungen beauftragt, unter anderem einer Vorlesung über mittelalterliche Geschichte, weil der eigentliche Lehrstuhlinhaber, Konrad Schünemann, im Frankreichfeldzug gefallen war. Darüber hinaus aktivierte die Hamburger Universität den von der Emeritierung Zurückgestellten, der dort im ersten Trimester 1941 eine Neuzeit-Vorlesung hielt273. Die Stopfung von Löchern im akademischen Lehrbetrieb stellte indes nur eine Nebenbeschäftigung Scheels dar, für den übergeordnete Stellen bereits wenige Tage nach Kriegsausbruch eine andere Verwendung ersannen, bei der sein Alter keine Rolle spielte. Von den verschiedenen Propagandainstanzen des NS-Regimes zu Friedenszeiten als rhetorisch begabt und ,politisch einwandfrei‘ eingestuft, erhielt er binnen Monatsfrist nach Kriegsausbruch eine telegraphische Abordnung als öffentlicher Redner nach Süddeutschland274. Den Vorträgen im Raum Baden folgten eine ganze Reihe weiterer Auftritte im Sudetenland sowie im Protektorat Böhmen und Mähren. Erst zweieinhalb Monate nach Abreise kehrte Scheel an die Förde zurück. Dort berichtete er seinen Vertrauten, er habe so oft das Wort ergriffen, dass er Gefahr laufe, sich „zu einer Grammophonplatte“275 zu entwickeln. Die Abkommandierung kurz nach dem Angriff auf Polen stellte lediglich den Auftakt einer den ganzen Krieg hindurch währenden Rednertätigkeit dar, welche Scheel in praktisch jeden Winkel des Deutschen Reiches und darüber hinaus führte. Ein Jahr nach seinem Aufbruch gen Süddeutschland hatte er unter anderem in Berlin, Brandenburg, Hamburg, Thüringen und Österreich Station gemacht276. Zu einem der wichtigsten Auftraggeber avancierte dabei die NG, welche ihn in Absprache mit den jeweiligen regionalen Stellen der NSDAP in diverse Dependancen der Organisation bestellte. In der hauseigenen Monatsschrift „Der Norden“ fanden sich bis in deren letzte Ausgaben aus dem Jahr 1944 Hinweise auf die Vortragsreisen des Kieler Professors277. Neben der NG entwickelte sich alsbald das Militär zum zweiten bedeutsamen Interessenten. Als Vermittler fungierte dabei die Christiana Albertina. Im Frühjahr 1940 traten Kommandostellen der in Kiel stationierten Truppen an 272 Vgl. Schreiben des Rektors der CAU 13. 9. 1940 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 2051). 273 Vgl. Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 23. 11. 1940 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57); und Schreiben des Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an Scheel vom 13. 1. 1941 (StAHH Hamburg, 361–6, Nr. 32). 274 Vgl. Schreiben Scheels an Albert Brackmann vom 9. 9. 1939 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1294); und Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 19. 11. 1939 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 15). 275 Ebd. 276 Vgl. „Von Monat zu Monat“, in: DN 17 (1940), 118, 154, 161; und Schreiben Scheels an den Kurator der Universität Kiel vom 19. 2. 1940 und 13. 4. 1940 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 6996). 277 Vgl. „Von Monat zu Monat“, in: DN 21 (1944), 115.

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die Universitätsleitung zwecks Einrichtung eines Vortragsdienstes zur „geistigen Wehrbetreuung“278 heran, woraufhin Rektor Ritterbusch den Namen des Ordinarius für Landesgeschichte auf die Liste der potentiellen Referenten setzte279. Allem Anschein nach fanden die Militärs großen Gefallen an dessen Fertigkeiten. Noch im selben Jahr forderten sie ihn für Vortragsreisen zu den im besetzten Dänemark und Norwegen stationierten Soldaten an. Besonders den deutschen Verbänden im nördlichen Nachbarland stattete er im Laufe der folgenden Jahre immer wieder Besuche ab280. Darüber hinaus führte ihn die Truppenbetreuung in andere deutsche Besatzungsgebiete. Hierzu gehörten die Niederlande, Polen und Frankreich, wo er unmittelbar vor der alliierten Landung in der Normandie zu deutschen Truppen am Atlantikwall sprach281. Die Referate schienen ihr jeweiliges Publikum in der gewünschten Weise zu erreichen. Bereits nach Rückkehr von seiner ersten Kriegsvortragsreise berichtete Scheel, der Beifall sei „z. T. frenetisch“282 gewesen. Ganz Ähnliches wusste er von den Anfängen seiner Tätigkeit in der Truppenbetreuung zu berichten. Demnach war ihm von den anwesenden Offizieren das Lob zuteil geworden, seine Rede sei viel besser gewesen als das sonst übliche Unterhaltungsprogramm283. Dass es sich hierbei nicht nur um professorale Selbstbeweihräucherung handelte, sondern der Referent seine Zuhörer tatsächlich anzusprechen wusste, stellte nicht nur das rege Interesse von NG und Militär an seinen Vorträgen unter Beweis. Scheel erfuhr darüber hinaus eine Reihe öffentlicher Belobigungen, welche seine Publikumswirksamkeit zusätzlich unterstrichen. Nachdem er beispielsweise im Auftrag des BrandenburgKontors der NG und der NSDAP-Kreisleitung Potsdam auf einer Großkundgebung vor circa 2.000 Personen gesprochen hatte, empfing ihn der brandenburgische Gauleiter und Oberpräsident284. Darüber hinaus berichtete wiederholt der Völkische Beobachter über den Kieler Professor, der den Lesern als „wandernder Scholarch“285 angepriesen und bei Vorstellung des Programms der NG besonders empfohlen wurde. 278 Schreiben des Führungsstabes Ic der Luftwaffe an den Rektor der Universität Kiel vom 25. 4. 1940 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 2131). 279 Vgl. Antwortschreiben des Rektors der Universität Kiel an den Führungsstab Ic der Luftwaffe vom 11. 6. 1940 (Ebd.). 280 Vgl. Schreiben des Führungsstabes Ic der Luftwaffe an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 3. 12. 1940 und 26. 12. 1940 (Ebd.); Urlaubsantrag Scheels vom 3. 3. 1941 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 6996); und Notiz Scheels über Einnahmen im Jahr 1944, undatiert (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 21). 281 Vgl. Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 11. 9. 1940 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57); und Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 6. 5. 1944 und 14. 6. 1944 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 15). 282 Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 19. 11. 1939 (Ebd.). 283 Vgl. Schreiben Scheels an Broder Grandt vom 22. 6. 1940 (LBK Kiel, Ca-Scheel, Otto 613). 284 Vgl. „Von Monat zu Monat“, in: DN 17 (1940), 214. 285 „In Berlin traf ein: Prof. D. Dr. Otto Scheel“, in: Völkischer Beobachter, Berliner Ausgabe, 7. 7. 1940; und „Mittler von Volk zu Volk. Die Winterarbeit der Nordischen Gesellschaft, in: Völ-

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Wichtigstes Sujet von Scheels Referaten sowohl vor Zivilisten als auch Militärs blieb dabei von Anfang an bis Kriegsende England. Symptomatisch für diese Schwerpunktsetzung waren nicht bloß die Monatsberichte in der NGHauspostille „Der Norden“, welche mit Blick auf die rege Vortragstätigkeit des Kieler Ordinarius in den allermeisten Fällen auf Referate mit England-Bezügen verwies286. Das Vortragsprogramm der SHUG legte ebenfalls Zeugnis von einer Konzentration auf diese Thematik ab. Wie aus dem mehrere Monate vor Kriegsausbruch erarbeiteten Katalog für das Wintersemester 1939/1940 ersichtlich wird, hatte Scheel zu diesem Zeitpunkt in erster Linie Referate angeboten, die mit Themen wie „Arminius, der Schöpfer der germanischen Weltgeschichte“ und „Russland und Polen als germanische Schöpfungen“ seinen Germanienstudien entsprangen287. Für den folgenden Winter offerierte er eine vollkommen andere Zusammenstellung. Mit den Referatstiteln „England und die Ostsee“, „England und die Freiheit der Meere“ sowie „Aufstieg und Niedergang des zweiten englischen Weltreiches“ lag das Hauptaugenmerk auf Londons Rolle im Konzert der Großmächte288. Wie aus den Presseberichten über Scheels Auftritte abzulesen, gehörte die bereits erwähnte und auch im öffentlichen Raum gern benutzte Formel von London als ,Randerscheinung Europas‘ dabei zu den vergleichsweise harmlosen Waffen in seinem rhetorischen Arsenal. Um den Zuhörern die vorgebliche Heimtücke der englischen Außenpolitik möglichst drastisch vor Augen zu führen, schreckte er nicht davor zurück, den Kriegsgegner als „Giftmischer“289 zu bezeichnen, dessen „beutegierige, aber unschöpferische Politik“290 die europäischen Nationen gegeneinander ausspiele und zum wiederholten Male in einen Krieg gestürzt habe. Seiner Lesart folgend handelte es sich bei England um eine Macht, die mit „brutaler Gewalt“291 und „unverschämten Methoden“ ihre eigenen Interessen durchsetzte, weshalb ein Verständigungsfrieden gänzlich ausgeschlossen schien. In diesem Punkt bekräftigte der Redner damit in aller Offenheit, was er im Privaten ausführte, nämlich die Überzeugung, der Krieg müsse kompromisslos zu Ende geführt werden. Dazu zog er mit Vorliebe das berühmte Zitat Catos über die Notwendigkeit der Zerstörung Karthagos heran und urteilte in Analogiebildung,

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kischer Beobachter, Norddeutsche Ausgabe, 4. 10. 1940. Das Zitat findet sich in der Berliner Ausgabe des Völkischen Beobachters. Vgl. „Von Monat zu Monat“, in: DN 17 (1940), 118, 154, 186, 214, 398; 18 (1941), 345; 19 (1942), 67; 20 (1943), 43, 302; und 21 (1944), 115. Vortragsverzeichnis der SHUG für 1939/1940 (ASHUG Kiel, Ordner Generalia ab 1939). Vortragsverzeichnis der SHUG für 1940/1941 (Ebd.). „Lübeck und die Hanse als Begründer deutscher Seeherrschaft“, in: Lübecker Volksbote, 10. 1. 1940. „Das Meer im politischen Schicksal Deutschlands“, in: NR, 21. 3. 1940. „Der Geist lebendiger Wissenschaft“, in: KNN, 11. 1. 1943. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Vgl. ebenfalls den Artikel „Gewaltig ist das Meer!“, in: Holsteiner Courier, 21. 3. 1940. Zu Catos Satz über Karthago siehe Kudla, Lexikon, 204.

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Deutschland müsse zur Besiegung seines Hauptkontrahenten „die englische Insel selbst treffen“. Neben der Überzeugung von Deutschlands Schuldlosigkeit am neuerlichen Waffengang dürften Scheels verbale Attacken gegen England ebenfalls seinem persönlichen Erleben der Kriegsjahre geschuldet gewesen sein. Zwar wurde er, wie bereits erwähnt, altersbedingt nicht mehr eingezogen, und dem beredten Schweigen in seiner Korrespondenz nach zu urteilen blieb ebenfalls die im Ersten Weltkrieg deutlich herausgestellte Fronterfahrung aus. Unberührt blieben der Kieler Ordinarius und seine Familie vom Krieg deswegen jedoch nicht. Mit Blick auf den Militärdienst war Scheel zumindest indirekt von der Mobilmachung betroffen, da seine einzige Tochter im Frühjahr 1940 einen Marineoffizier heiratete, der in der U-Bootwaffe Dienst tat. Die Sorge um den Schwiegersohn, von dem er sehr wohl wusste, dass er vor allem bei der Jagd auf Konvois nach England sein Leben riskierte, dürfte keineswegs zur Abmilderung seiner latenten Anglophobie beigetragen haben292. Aller Voraussicht nach wurde Scheels England-Feindbild ebenfalls durch den Luftkrieg geprägt, mit dessen Folgen er sich unmittelbar konfrontiert sah. Kiel rückte als strategisch wichtiger Werft- und Marinestandort am Ausgang des Kaiser-Wilhelm-Kanals schnell ins Fadenkreuz der anfangs englischen, später anglo-amerikanischen Bomberverbände293. Binnen Jahresfrist nach Kriegsbeginn kam es zu ersten Luftangriffen auf die Fördestadt, die sich für den anfangs nur in seinen Arbeitsabläufen gestörten Landeshistoriker294 sehr bald zu einer massiven Bedrohung entwickelten. Als im Frühjahr 1941 sein erster Enkel zur Welt kam, berichtete Scheel, der Neugeborene habe „unter dem Krachen britischer Brand- und heulender Sprengbomben den ersten Tag seines Lebens vollendet“295. Mit Blick auf das Herkunftsland der tödlichen Fracht verband er die Schilderung der dramatischen Geburtsumstände mit dem Wunsch, dass das Kind „mit einem noch viel stärkeren Grimm gegen das politische England aufwachse, als er mich durch mein Leben begleitet hat“. Was Ehefrau, Tochter und Enkel anbelangte, konnte die akute Gefahr für Leib und Leben durch die Evakuierung in die benachbarte Kleinstadt Plön minimiert werden. Scheels einzig verbliebene Schwester Marie hatte dorthin geheiratet und nahm sich der Verwandten an296. Das in Kiel in der Beseler Allee 292 Vgl. Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 30. 7. 1941 und 25. 8. 1942 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57); und Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 30. 3. 1940 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 15). Zum militärischen Werdegang von Scheels Schwiegersohn, Hellmut Rohweder, siehe Busch / Rçll, Ritterkreuzträger, 395 f. 293 Vgl. Jensen, Kriegsschauplatz, 8 f.; und Wulf, Zustimmung, 585 f. 294 Vgl. Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 2. 9. 1940 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 15). 295 Schreiben Scheels an Otto Becker vom 29. 4. 1941 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 29). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 296 Vgl. Schreiben Scheels an das Kuratorium der Universität Kiel vom 17. 7. 1941 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 6996); und Stammtafel der Familie Scheel (Privatbesitz).

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befindliche Haus des Landesgeschichtsprofessors ließ sich indes nicht dem Zugriff der alliierten Luftangriffe entziehen. Bei der Geburt des Enkels 1941 infolge naher Bombeneinschläge bereits weitestgehend fensterlos297, nahm es bis zum Frühjahr 1943 so massiven Schaden, dass mehrwöchige Instandsetzungsarbeiten notwendig wurden, um es wieder halbwegs herzurichten. Die Mitteilung des einzig verbliebenen Bewohners, man habe die Beschädigungen „einigermaßen mit Erfolg“298 beseitigen können, sollte eine der letzten positiven Nachrichten über den heimischen Besitzstand bleiben. Am 4. Januar 1944 flogen britische und amerikanische Bomberverbände einen der schwersten Luftangriffe auf den Kriegsmarinestandort Kiel. Wie Scheel später in seinen Memoiren festhielt, suchte er im Keller des Hauptgebäudes der Christiana Albertina Schutz, als die Sirenen zu heulen begannen. Bei Entwarnung eine Stunde später fand er weite Teile der unmittelbaren Umgebung in Trümmer gelegt. Zu den Totalverlusten gehörte das Gebäude des Historischen Seminars im nahe gelegenen Schwanenweg, mit dem nicht nur seine Arbeitsstätte, sondern auch seine gesamte Korrespondenz in Flammen aufging299. Der schwerste Schlag erwartete ihn allerdings, nachdem er sich vom brennenden Seminargebäude einen Weg durch das schwer getroffene Universitätsviertel zu seinem Haus gebahnt hatte. Dort stand er wenige Minuten später, so Scheels eigene Worte, „vor dem Grabe meiner Habe“300. Von Brandbomben direkt getroffen, brannte die Villa lichterloh, und Löscharbeiten waren wegen Wassermangels unmöglich. Ihm blieb daher nichts weiter übrig, als tatenlos zuzusehen, wie sein gesamtes privates Hab und Gut inklusive der eigenen Bibliothek und der allermeisten Manuskripte verbrannte. Nur einige Kleinigkeiten konnte der auf Heimatbesuch befindliche Schwiegersohn aus dem Feuer retten301. Was Scheel nach dem Krieg in seiner autobiographischen Familiengeschichte unter der vielsagenden Überschrift „Vernichtung einer Lebensarbeit“302 minutiös beschrieb, war gleichsam traumatischer persönlicher Verlust wie Katalysator weiterer Radikalisierung. Hiervon legen die Briefe aus den Wochen nach der Katastrophe des 4. Januar Zeugnis ab. Die Art und Weise wie Scheel jetzt über Deutschlands Kriegsgegner schrieb, stellte alle vorherigen Invektiven in den Schatten. Unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse geißelte er den Bombenkrieg als „Luftterror der Insel- und Kolonialbestien“303. 297 Vgl. Schreiben Scheels an Otto Becker vom 29. 4. 1941 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 29). 298 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 29. 4. 1943 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57). 299 Vgl. autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Vernichtung einer Lebensarbeit“, 12–15, 70 (Privatbesitz). Zum städtischen Gesamtschadensbild des Angriffs vom 4. 1. 1944 siehe Boelck, Kiel, 49. 300 Autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Vernichtung einer Lebensarbeit“, 72 (Privatbesitz). 301 Vgl. ebd., 78–81, 84. 302 Ebd. 303 Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 24. 1. 1944 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 15).

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Die Schärfe seiner Tiraden unterstrich zusätzlich, dass Scheel mit Begrifflichkeiten operierte, die seinen Verwünschungen latent rassistischen Charakter verliehen. Hinsichtlich der Auseinandersetzung mit Großbritannien und den USA sprach er nun vom Kampf gegen das „anglo-amerikanische Untermenschentum“304 beziehungsweise das „ungeistige und bis zum Untermenschentum fortschreitende USAmerika [sic!]“305. Wenn Scheel in einem dieser Briefe zu dem Schluss kam, man müsse der „semitischen Demokratie“306 entgegentreten, so tauchten damit nicht zum ersten Mal jene antisemitischen Stereotype wieder auf, die ihm bereits nach der Kriegsniederlage im Ersten Weltkrieg dienlich gewesen waren, um die Schuld an der krisenhaften Zuspitzung der Zeitumstände eindeutig zuweisen zu können. Bereits seit 1941 bediente sich Scheel der Theorie einer vermeintlich jüdischen Weltverschwörung, um den Schulterschluss im Lager von Deutschlands Kriegsgegnern zu erklären. Auf den letzten Seiten der Neuauflage seiner Monographie über das British Empire beschrieb er beispielsweise, wie die „anglo-jüdische Hochfinanz“307 mit dem „jüdischen Bolschewismus“308 gegen Deutschland koaliere. Im Umfeld des Kriegseintritts der USA orakelte er zudem im Privaten, man sei sich „in der angelsächsischen und jüdischen Welt“309 dessen Folgen nicht bewusst. Nach der traumatischen Verlusterfahrung des Januars 1944 radikalisierten sich jene antisemitischen Tiraden weiter und schlugen zum Teil in drastische Rachephantasien selbst gegenüber dem neutralen Ausland um. Scheel sah dort nun ebenfalls jüdische Komplotte gegen das Deutsche Reich. Als beispielsweise Rörig ihm im Herbst desselben Jahres von der Verweigerung seiner schwedischen Kontaktleute schrieb, zugunsten Deutschlands Stellung zu beziehen, führte Scheel als Erklärung an, die betreffenden Personen seien „liberalistisch und jüdisch versippt oder gar Bastarde und vollblütige Juden“310. In seinen Weihnachtsgrüßen an den alten Kieler Vertrauten riet er, dieser möge seine schwedische Korrespondenz als Beweismaterial für die Zeit aufheben, „wenn die verjudeten nordgermanischen Feinde Europas endlich von uns aufs Korn genommen werden können“311. Dass Scheel zur Jahreswende 1944/1945 noch meinte, Ratschläge für die Zeit nach dem deutschen Sieg verteilen zu müssen, war nicht der einzige Hinweis, für wie unmöglich er zu diesem Zeitpunkt einen anderen Ausgang der Kampfhandlungen hielt. Vom Unvermögen beziehungsweise Unwillen, sich mit der absehbaren Kriegsniederlage auseinanderzusetzen, zeugte 304 305 306 307 308 309 310 311

Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 30. 3. 1944 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57). Schreiben Scheels an Walter Matthes vom 28. 2. 1944 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 70). Ebd. Scheel, Aufstieg, 4. Auflage, 145. Ausführlich zu dieser Monographie siehe S. 245–248. Ebd., 146. Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 29. 12. 1941 (AHL Lübeck, NL Rörig, Nr. 57). Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 4. 10. 1944 (Ebd.). Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 24. 12. 1944 (Ebd.).

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ebenfalls eine Episode, die sich zur selben Zeit zutrug. Der Kieler Universitätsrektor wandte sich in den letzten Novembertagen an den Ordinarius für Landesgeschichte mit der Bitte um einen Vortrag über England, legte ihm dabei jedoch zwischen den Zeilen nahe, er könne sein Referat den gegebenen Umständen entsprechend anpassen312. Scheel erklärte sich umgehend bereit, einen Redebeitrag zu liefern. Mit dem dezenten Hinweis auf dessen mögliche Inhalte wusste er indessen nichts anzufangen und antwortete, die „augenblickliche Lage“313 nötige ihn „in keinster Weise, das sr. Zt. Ausgeführte auch nur leicht zu ändern“. Erst Ende März schien ihm die Lage so unsicher, dass er die Einladung Rörigs zu einem Gastsemester an der Christiana Albertina unter den Vorbehalt stellte, man wisse „heute kaum, was der nächste Tag bringen kann“314. 4.2.2. Werbung im besetzten Dänemark Abgesehen von unzähligen Vortragsreisen zur Festigung der zivilen wie militärischen Moral erwuchs Scheel im Kriegsverlauf ein besonderes Aufgabenfeld durch die Okkupation Dänemarks. Auf internationalem Parkett als Präventivmaßnahme gegen eine drohende britische Landung auf dem Kontinent dargestellt, folgte dem weitestgehend kampflosen Einmarsch ins nördliche Nachbarland nicht die Installation einer direkten Besatzungsherrschaft, wie zeitgleich in Norwegen geschehen. Den Schein einer neutralen Schutzbesetzung wahrend, blieb ein dänisches Kabinett im Amt, über das der zum Bevollmächtigten des Deutschen Reichs erhobene Kopenhagener Gesandte, C cil von Renthe-Fink, lediglich informell Aufsicht führte315. Dennoch wurden hinter den Kulissen Pläne geschmiedet, die auf eine langfristige Suspendierung der dänischen Souveränität hinausliefen. Hitler selbst orakelte den Tagebuchaufzeichnungen Alfred Rosenbergs zufolge anlässlich des Einmarsches, es werde „aus dem heutigen Tage das Großgermanische Reich entstehen“316. Kaum zurückhaltender fiel der Geheimbericht Renthe-Finks über die zukünftigen deutsch-dänischen Beziehungen aus, den er zwei Monate später an das Auswärtige Amt kabelte. Sein Entwurf für eine „praktische Einbeziehung Dänemarks in den großdeutschen Raum“317 sprach zwar an keiner Stelle von Annexion, zielte in der Substanz aber in diese Richtung, da 312 Vgl. Schreiben des Rektors der Universität Kiel an Scheel vom 21. 11. 1944 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 54). 313 Schreiben Scheels an den Rektor der Universität Kiel vom 26. 11. 1944 (Ebd.). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 314 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 28. 3. 1945 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 56). 315 Vgl. Bundg rd Christensen / Lund / Wium Olesen / Sørensen, Danmak, 91–109; und Lammers, Besatzungspolitik, 136–139. 316 Seraphim, Tagebuch, 104. 317 Geheimbericht des Gesandten und Bevollmächtigten des Deutschen Reiches in Kopenhagen an das Auswärtige Amt vom 22. 6. 1940, in: ADAP, Serie D, Nr. 532, 566 f., hier 566.

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Kopenhagen auf absehbare Zeit weder wirtschaftlich und militärisch, noch innen- und außenpolitisch Handlungsspielraum unabhängig von Berlin behalten sollte. Im Einklang mit derlei weit gesteckten Zielen begann die nach Einmarsch ins nördliche Nachbarland neu geschaffene Kultur- und Informationsabteilung der deutschen Gesandtschaft in Kopenhagen Methoden zu ersinnen, „Dänemark nicht nur machtpolitisch an uns zu binden, sondern auch durch alle Mittel der Propaganda eine dauernde, für uns günstige Einstellung zu erzielen“318. Zu diesem Zweck schien es den Propagandastrategen am wichtigsten, die besonders prominente Besorgnis seitens der Dänen zu zerstreuen, sie könnten „als ganze Nation aufgesogen werden“. Um derlei Ängsten und daraus resultierenden Verweigerungshaltungen gegenüber den Besatzern zu begegnen, schwebte ihnen neben der Aktivierung von Presse und Rundfunk gleichfalls die der Wissenschaft vor. Nach Ansicht der Planer in der neuen Abteilung der Gesandtschaft boten sich akademische Kanäle besonders an, um die Gegenseitigkeit des deutsch-dänischen Austausches unter Beweis zu stellen. Ausdrückliche Erwähnung fanden in diesem Zusammenhang die Universitäten Hamburg und Kiel wegen ihrer schon bestehenden Kontakte nach Dänemark. Zu einer der ersten geplanten Maßnahmen so genannter „Aktivpropaganda“ im Aktionsplan für 1940 gehörte eine Buchausstellung unter maßgeblicher Beteiligung der Kieler Hochschule. Abgesehen von Exponaten stellte die Christiana Albertina für das Rahmenprogramm der Ende des Jahres in Kopenhagen und Aarhus gastierenden Bücherschau einige Redner, zu denen neben Adolf Jürgensen aus der Universitätsbibliothek und Gerhard Fricke aus dem Germanistischen Seminar auch Scheel zählte319. Die deutsche Gesandtschaft in der dänischen Hauptstadt hatte sich bereits im Sommer um seine Beteiligung an einer Festveranstaltung bemüht, der er jedoch aus Zeitmangel infolge seiner vielen Vortragsreisen ferngeblieben war320. Bei der neuerlichen Anfrage konnte diese logistische Klippe umschifft werden. Zu der vom Auswärtigen Amt zusammen mit dem Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda organisierten Veranstaltung steuerte der ob seiner rhetorischen Qualitäten viel Gefragte das Referat „Die deutsch-dänischen Kulturbeziehungen“ bei321. Was Scheel den Zuhörern in Kopenhagen und Aarhus vortrug, entsprach der zentralen Maxime des Aktionsplans der Kultur- und Informationsabtei318 Aktionsplan der Kultur- und Informationsabteilung vom 23. 5. 1940 und diesbezügliche Aufzeichnung des Auswärtigen Amts vom 13. 7. 1940 (PAAA Berlin, R 66808). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Zur Einrichtung und Bedeutung der Kultur- und Informationsabteilung für Zensur und Propaganda im besetzten Dänemark siehe Longerich, Propagandisten, 211–213; und Moll, Propaganda, 215–218. 319 Vgl. „En stor tysk Bog-Udstilling paa Charlottenborg“, in: BT, 16. 11. 1940. 320 Vgl. Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 23. 6. 1940 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57). 321 Vgl. Wochenbericht Nr. 43 des Dänemark-Kontors der Nordischen Gesellschaft an das Auswärtige Amt vom 18. 11. 1940 (PAAA Berlin, R 61309).

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lung, durch die Besatzung geschürten Befürchtungen vor deutscher Fremdbestimmung entgegenzuwirken. Zentralen Bezugspunkt seiner Argumentation bildete die Theorie von Deutschen und Dänen als Teil einer germanischen beziehungsweise nordischen Völkerfamilie, deren enge Verbundenheit er eingangs als „geschichtliche und rassische Tatsache“322 bezeichnete. Ausgehend von diesem Befund vermochte der Vortragende das von ihm entfaltete Panorama deutscher Einflüsse auf das dänische Geistesleben dahingehend zu deuten, diese hätten das Nachbarland nicht „volklich überfremdet oder gar vergewaltigt“. Wegen der aus seiner Sicht evidenten Zusammengehörigkeit bezeichnete er sie ganz im Gegenteil als „Befreiung zur arteigenen Volklichkeit und geschichtlichen Sonderprägung“. Seiner Logik folgend hatten die Dänen von ihrem vermeintlichen deutschen Brudervolk nichts zu befürchten, weshalb Scheel an sein Publikum appellierte, Dänemark solle „in den Spuren einer großen Vergangenheit die reichen Kräfte, die die Schöpfung ihm mitgegeben hat, dem neuen Europa dienstbar machen“. Am Ende der germanischen Beschwörungsformeln stand damit die unmissverständliche Forderung nach Anerkennung deutscher Hegemonie. Was die Reaktionen seiner dänischen Zuhörer anbelangte, zog der Kieler Ordinarius in den mit halbjähriger Verspätung verfassten Berichten an seine Auftraggeber eine auffallend positive Bilanz, deren Tenor im direkten Vergleich zu den letzten Einschätzungen der deutsch-dänischen Beziehungen aus der Vorkriegszeit unterschiedlicher kaum sein konnte. Demnach hatte er in Kopenhagen und Aarhus einen „sehr starken Eindruck“323 gemacht, war mit „lebhaftem Beifall“324 bedacht worden und erlebte im Anschluss an die Referate Sympathiebekundungen, die „über das Maß internationaler Höflichkeit zum Teil beträchtlich hinausgingen“. Mit weniger zeitlichem Abstand zum Geschehen fiel die Bilanz hingegen vollkommen anders aus und entsprach eher seinen Beurteilungen aus den späten 1930er Jahren. Unmittelbar nach dem Vortrag in Kopenhagen teilte Scheel im Privaten mit, man werde in Dänemark „erst umlernen, wenn die neue politische Ordnung Europas eine unumstößliche Tatsache geworden ist“325. Die Erfahrungen in Aarhus schienen dies zu bestätigen. Bald darauf zu einer Tagung der NOFG nach Stralsund geladen, attestierte er weiteren Werbeversuchen keine großen Erfolgschancen. Seiner Ansicht nach war „die Zurückhaltung, ja Ablehnung gegenüber dem Reich in der dänischen Öffentlichkeit, namentlich in der Intelligenz, allge-

322 Manuskript der Rede für die Buchausstellung in Kopenhagen (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 9). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Ausschnitte der Rede erschienen ebenfalls im Schleswig-Holsteiner, vgl. Scheel, Deutsch-dänische Wechselbeziehungen. 323 Bericht Scheels über den Vortrag in Aarhus vom 25. 5. 1941 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 1). 324 Bericht Scheels über den Vortrag in Kopenhagen vom 26. 6. 1941 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 6996). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 325 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 23. 11. 1940 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57).

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mein“, und nur die dänischen Nationalsozialisten brächten „dem großgermanischen Gedanken […] wirklich Verständnis entgegen“326. Wenn Scheel wenige Monate später seine Erlebnisse im besetzten Dänemark in ein gänzlich anderes Licht rückte, dürfte dies nicht allein der Tatsache geschuldet gewesen sein, dass er sich vom just begonnenen Angriff auf die Sowjetunion einen Umschwung der Stimmung im besetzten Nachbarland erhoffte327. Aller Voraussicht nach übte er sich deswegen in Zweckoptimismus, weil er in der Zwischenzeit die Präsidentschaft des neu eingerichteten Deutschen Wissenschaftlichen Instituts (DWI) in Kopenhagen übernommen hatte. Bei der Einrichtung handelte es sich um eine von insgesamt 16 dieser Art, welche das Auswärtige Amt ab 1940 in den wichtigsten Städten des besetzten beziehungsweise verbündeten Europa errichtete. Handlungsleitend für das Außenressort war dabei die Überzeugung, Deutschland dürfe auch an der ,geistigen Front‘ nicht ins Hintertreffen geraten328. Auf einer Tagung im Sommer 1942 erläuterten die Vertreter des Auswärtigen Amtes den DWIPräsidenten, die Aufgabe ihrer Institute bestehe im „bewussten Einsatz der Geisteskräfte des deutschen Volkes zur Beeinflussung der geistigen Schichten der anderen Völker und darüber hinaus zur Erringung der geistigen Führung in Europa“329. Entgegen Nomenklatur und Außendarstellung als wissenschaftliche Institutionen handelte es sich folglich um Werbestellen des NSRegimes, die unter dem Deckmantel kulturellen Austausches politische Ziele verfolgten. Als potentiellen Kandidaten für die Leitung der Dependance in Kopenhagen fassten die zuständigen Stellen frühzeitig Scheel ins Auge. Bereits auf der Stralsunder Tagung berichtete er der NOFG-Leitung im Vertrauen von Plänen, ein Institut in der dänischen Hauptstadt zu errichten330. Sein Bekanntheitsgrad in Dänemark und die nicht erst seit Kriegsbeginn unter Beweis gestellte politische ,Zuverlässigkeit‘ wogen offenbar schwerer als die Befürchtung, das Engagement des Kieler Professors in Sachen Nordschleswigs könne zum Hemmschuh werden. Was dessen Zukunft anging, hatte Scheel vor seinen Reisen zu den Bücherausstellungen klare Anweisungen erhalten, im besetzten Dänemark Grenzfragen nicht zu erörtern, und aus Sicht des Auswärtigen Amtes hatte sich das Problem damit allem Anschein nach erledigt331. 326 Bericht über die Arbeitszusammenkunft der Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft in Stralsund vom 2. 2. 1941 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1586). 327 Vgl. Schreiben Scheels an Gerhard Ritter vom 30. 6. 1941 (AVRG Mainz, Stehordner ARG IV 1941–1943); und Schreiben Scheels an Wilhelm Koppe vom 7. 7. 1941 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1254). 328 Vgl. Hausmann, Musen, 22–24; und Michels, Institut, 48–56. 329 Bericht über die Tagung der Präsidenten der Kulturinstitute des Auswärtigen Amts vom 28. und 29. September (BArch Berlin, R 51, Nr. 62). 330 Vgl. Notizen zur Stralsunder Tagung vom 2. 1. 1941 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1586). 331 Vgl. Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 13. 10. 1940 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 15).

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Otto Scheel (rechts) in den Räumen des DWI, undatiert (Det Kongelige Bibliotek, Kopenhagen, DH003757)

In den Verhandlungen um Übernahme des Kopenhagener Amtes erwies sich das Interesse an seiner Person als so groß, dass seine Verhandlungspartner im Außenressort ihm das DWI auf den Leib schneiderten. Da der Wunschkandidat sich nicht bereit erklärte, dauerhaft aus Kiel fortzugehen, bekam das Institut zusätzlich zum Präsidenten einen eigentlich gar nicht vorgesehenen Direktor, der durch ständige Anwesenheit vor Ort den reibungslosen Ablauf der Dienstgeschäfte sicherstellen sollte. Bei der Besetzung dieses Postens fiel die Wahl auf Fred Domes, den Scheel bekannten, vormaligen Leiter der Kultursparte in der NG332. Möglicherweise handelte es sich bei dieser Personalentscheidung um einen Beschwichtigungsversuch des Auswärtigen Amtes gegenüber der NG. Aus Sorge, deren Aktivitäten in Kopenhagen könnten die Wirkung des DWI schmälern, hatte das Außenressort kurz zuvor eine Reise des NG-Vormannes und schleswig-holsteinischen Gauleiters Lohse in die dänische Hauptstadt unterbunden und dadurch einen schweren Konflikt mit der Organisation unter Schirmherrschaft Alfred Rosenbergs provoziert333. Unabhängig von derlei Querelen erwies sich die Arbeitsteilung an der In332 Vgl. Schreiben Scheels an Otto Becker vom 29. 4. 1941 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 29); und Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 26. 4. 1941 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 15). Zu Scheels vormaligem Kontakt zu Domes siehe S. 197. 333 Vgl. Aufzeichnung der Kulturpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes vom 9. 4. 1941 sowie Aktennotiz vom 12. 4. 1941 (PAAA Berlin, R 61308).

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Otto Scheel (1. v.l.) empfängt am DWI König Christian X. (3. v.l.) in Begleitung von C cil von Renthe-Fink (4. v.l.), 8. 5. 1941 (Det Kongelige Bibliotek, Kopenhagen, DH003758)

stitutsspitze als folgenschwer für Scheels Betätigung am DWI, zu dessen feierlicher Eröffnung Anfang Mai 1941 er einen neuerlichen Aufruf beisteuerte, Dänemark möge sich zum Nutzen Europas und seiner selbst „verdienstvoll zeigen“334 in „der neuen Epoche, die Europa endlich eine natürliche Ordnung schafft“. Zwar ermöglichte die Einsetzung eines stets anwesenden Direktors dem Präsidenten, weitestgehend unbehelligt von administrativen Aufgaben zu bleiben. Diese waren alles andere als gering, da akademische Kontaktpflege nur eine Facette der Institutsarbeit darstellte, welches gleichzeitig mit Sprachkursen, Ausstellungen, Film- und Musikabenden sowie Autorenlesungen die Bewohner Kopenhagens umwarb335. Was die Zusammenarbeit von 334 „Den højtidelige Indvielse af Det tyske videnskabelige Institut i København“, in: BT, 5. 5. 1941. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Eine ausführliche Darstellung der Eröffnungsfeier bietet Hausmann, Musen, 193 f. sowie der Bericht Nr. 8 des Dänemark-Kontors der NG an die Deutsche Gesandtschaft Kopenhagen vom 10. 5. 1941 (PAAA Berlin, R 61309). 335 Vgl. „Von Monat zu Monat“, in: DN 17 (1941), 379; 18 (1942), 252; und Jakubowski-Tiessen, Kulturpolitik, 135.

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Scheel und Domes betraf, zeigte sich jedoch sehr bald, dass es über die präsidiale Weisungsbefugnis zu schweren Differenzen kam. Der nur temporär im DWI anwesende Kieler Ordinarius wetterte bereits im Sommer wegen der Eigenmächtigkeit des ihm unterstellten Direktors, er lehne es ab, „ein vergoldetes Götzenbild einer von Herrn Dr. Domes verwalteten Einrichtung der Gesandtschaft und des Auswärtigen Amts [zu] sein“336. Bis Ende des Jahres spitzte sich der Konflikt so weit zu, dass er seinem Kontrahenten zum Vorwurf machte, er habe „wissenschaftlich, menschlich und moralisch versagt“337. Wenn sich Scheel derart über den DWI-Direktor echauffierte, war dies nicht bloß Zeichen für handfesten Unfrieden innerhalb des Instituts, sondern ebenfalls dafür, dass er trotz seiner regen Reisetätigkeit von und nach Deutschland keineswegs gewillt war, die Werbearbeit in Dänemark aus der Hand zu geben. Dies galt insbesondere für die Anbahnung von Kontakten zur dänischen Gelehrtenwelt, für die er Domes noch vor der Eröffnung des DWI die Eignung mit dem Hinweis absprach, er sei nicht als „wissenschaftliche Persönlichkeit“338 ausgewiesen. Zumindest in diesem Bereich verhielt sich Scheel nicht passiv, sondern tat unmittelbar nach Institutseröffnung erste Schritte, deutsche Wissenschaftler nach Kopenhagen zu holen, um über Einladungen zu deren Vorträgen dänische Kollegen ins DWI zu bekommen. Besonders augenfällig hierfür waren seine Bemühungen um Gastvorträge von Personen aus dem Umfeld der Christiana Albertina339. Die Voraussetzungen dafür, über DWI-Veranstaltungen den akademischen Brückenschlag zu dänischen Wissenschaftlern zu bewerkstelligen, erwiesen sich indes alles andere als günstig. Unter dem Eindruck der Besetzung Dänemarks hatte die Philosophische Fakultät der Universität Kopenhagen ihre Mitglieder bereits Ende 1940 angewiesen, deutsche Einladungen mit Zurückhaltung zu behandeln. Zwar kamen Rektor und Dekane der Einladung zur Eröffnungsfeier des DWI nach. Der Anfrage, ob die Zeremonie in den Räumlichkeiten der Hochschule stattfinden könne, erteilten sie jedoch eine Absage340. Den frisch berufenen Präsidenten hinderte dies nicht daran, keine zehn Tage nach der Einweihung als ersten deutschen Gastdozenten einen Kieler Wissenschaftler in Kopenhagen willkommen zu heißen. Hierbei handelte es sich um Andreas Predöhl, den Leiter des an die Christiana Albertina angegliederten Instituts für Weltwirtschaft. Auf Einladung Scheels sprach der 336 Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 29. 6. 1941 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 15). 337 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 29. 12. 1941 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57). 338 Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 26. 4. 1941 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 15). 339 Namenslisten der deutschen Gastreferenten während Scheels Amtszeit finden sich bei Hausmann, Musen, 202 f. sowie Jakubowski-Tiessen, Kulturpolitik, 135 f. Die aus den unmittelbaren DWI-Archivalien nur sehr bedingt rekonstruierbare Kieler Verbindung bleibt dort allerdings weitgehend unerwähnt, da beide Autoren Scheel eine initiativlose Amtsführung attestieren. 340 Vgl. Lammers, Beziehungen, 84; und Thomsen, Københavns Universitet, 194.

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Volkswirt, dessen Institut seit Kriegsausbruch mit reger Gutachtentätigkeit zu ,Großraumfragen‘ den Expansionsphantasien der NS-Machthaber zuarbeitete, über „Wesen und Aufgaben des Instituts für Weltwirtschaft mit besonderem Hinblick auf den Norden“341. Scheel und sein Besucher aus Deutschland trafen unmittelbar nach der Zusammenkunft Arrangements für mindestens eine weitere Visite im DWI mit einem Beitrag zum Themenfeld „Stabilisierung der Weltwirtschaft“. Zur Umsetzung dieses Plans kam es jedoch nicht mehr, da Predöhl durch Krankheit und Übernahme des Universitätsrektorats sowohl gesundheitlich als auch zeitlich nicht mehr in der Lage war, während der Präsidentschaft seines Kieler Kollegen erneut die Reise gen Kopenhagen anzutreten342. Den Weg von der Christiana Albertina in die besetzte dänische Hauptstadt fanden neben dem renommierten Volkswirt ebenfalls zwei ausgewiesene Naturwissenschaftler. Im September 1941 besuchte der Lehrstuhlinhaber für Theoretische Physik, Albrecht Unsöld, das Institut, wo er an einer naturwissenschaftlichen Arbeitstagung teilnahm. Ein Jahr später folgte ihm der Geologe Karl Gripp. Bei einer Arktischen Arbeitswoche der unter Scheels Ägide gebildeten Arktischen Abteilung des DWI sprach er über Moränenlandschaften343. Besonders letztere Veranstaltung bewerteten einige der deutschen Teilnehmer als großen Erfolg, da sowohl dänische als auch schwedische und norwegische Fachkollegen der Einladung folgten. Diese positiven Eindrücke hinsichtlich wissenschaftlicher Kooperationen wogen offenbar schwerer als die ebenfalls konstatierte, ablehnende Haltung der dänischen Wissenschaftler mit Blick auf politische Belange. Ausdruck dessen war, dass für die Veröffentlichung der Tagungsbeiträge die einzige Schriftenreihe des DWI Kopenhagen unter der Herausgeberschaft Hans Frebolds, des Leiters der Arktischen Abteilung, aus der Taufe gehoben wurde344. Auch Scheel betrachtete die Arktische Arbeitswoche als einen der erfolgreichsten akademischen Annäherungsversuche seiner Amtszeit. Auf einer Tagung der DWI-Präsidenten un341 Vgl. Schreiben Andreas Predöhls an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 28. 5. 1941 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 6913). Zur Rolle des Instituts für Weltwirtschaft im Zweiten Weltkrieg vgl. Petersen, Expertisen. 342 Vgl. Schreiben Predöhls an Scheel vom 20. 5. 1942 und Antwort desselben vom 23. 5. 1942 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 2071); und Schreiben des Auswärtigen Amtes an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 31. 8. 1942 (BArch Berlin, R 4901, Nr. 2753). 343 Vgl. Schreiben des Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an Unsöld vom 11. 9. 1941 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 2071); Reisebericht Dänemark von unbekannter Hand an das Auswärtige Amt vom 5. 1. 1942 (RA Kopenhagen, H ndskriftsamlingen XVI, Auswärtiges Amt, Nr. 231); und Aktenvermerk der Kieler Universitätsverwaltung vom September 1942 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 2070). Zu den akademischen Viten Gripps und Unsölds siehe Volbehr / Weyl, Dozenten, 169 f., 173. 344 Vgl. Berichte Albert Defants, Otto Lacmans und Otto Steinböcks vom Oktober 1942 (BArch Berlin, R 4901, Nr. 2753); N.N., Nordpolargebiet, 2; und Frebold, Hans (Hg.): Veröffentlichungen des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts zu Kopenhagen. Reihe 1, Arktis, 12 Bde. Berlin 1942–1943.

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mittelbar danach beschrieb er die Zusammenkunft der Polarforscher als gelungene Kontaktaufnahme mit dänischen Universitätskreisen, die sich ansonsten „sehr ablehnend“345 verhielten. Besonders deutlich manifestierten sich die von Scheel monierten dänischen Vorbehalte gegenüber deutschen Gastdozenten dann, wenn bei ihren Besuchen statt natur- geisteswissenschaftliche Themen auf der Agenda standen, welche besonders großen Spielraum für weltanschaulich gebundene Interpretationen boten. Hiervon zeugte der Besuch eines anderen Kieler Bekannten, der zum Zeitpunkt der Arktistagung bereits ein halbes Jahr zurücklag. Dabei handelte es sich um Scheels engen Vertrauten Rörig. Seit Sommer 1941 tauschten sich die beiden über einen Vortrag des Hanseforschers in Kopenhagen aus346. Für den Hausherren im DWI stand dabei fest, sein Wunschkandidat solle die vorgeblich deutsche Aufbauleistung der Hanse zum Fokus seines Referates machen, beziehungsweise „die Eigentümlichkeit grade der hansischen Kolonisation und ihre Wirkung auf Wohlfahrt und Kultur der nordischen Länder schildern“347. Derlei Regieanweisungen ließen kaum Zweifel daran, dass Rörig mit seinem Vortrag eine Untermauerung dafür liefern sollte, Deutschlands gegenwärtiges Hegemonialstreben sei historisch berechtigt. Weniger sicher als mit Blick auf die einzuschlagende Argumentationslinie gab sich Scheel bei der Frage nach dem zu erwartenden Interesse der potentiellen dänischen Zuhörer. Bei der Planung des Kopenhagenbesuches teilte er dem Referenten mit, er wisse nicht genau, wen er sinnvoller Weise einladen könne. Vor allem mit Blick auf die Historiker gab er sich überzeugt, sie würden nicht erscheinen, was er damit kommentierte, sie seien „zu alt oder zu verjudet“348. Was Rörig schließlich vor einem sehr überschaubaren Zuhörerkreis unter dem Titel „Hanse, Ostseeraum und Skandinavien“ vortrug, entsprach ganz den skizzierten Wünschen des Gastgebers. Nach Hause zurückgekehrt, erhielt er von Scheel Nachricht, er habe im DWI den besten Vortrag des Winters gehalten, der unbedingt in Dänemark verbreitet werden müsse349. Dies erwies sich jedoch als schwieriges Unterfangen, weil es nicht gelang, mit einem dänischen Verlag handelseinig zu werden. Wie Scheel selbst eingestand, war die Stimmung gegenüber den kulturellen Multiplikatoren der deutschen Besatzer so schlecht, dass sich keines der in Frage kommenden Häuser traute, ein deutsches Manuskript zu drucken350. Bis bei Auflegung der Arktischen Reihe Frebolds die Grundsatzentscheidung fiel, dieses Problem durch Verlagerung der DWI-Publikationen nach Deutschland zu lösen, hatte Rörig sich bereits 345 Bericht über die Tagung der Präsidenten der Kulturinstitute des Auswärtigen Amts vom 28. und 29. September (BArch Berlin, R 51, Nr. 62). 346 Vgl. Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 30. 7. 1941 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57). 347 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 11. 11. 1941 (Ebd.). 348 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 17. 11. 1941 (Ebd.). 349 Vgl. Schreiben Scheels an Rörig vom 2. 4. 1942 und Antwort desselben vom 7. 4. 1942 (Ebd.). 350 Vgl. Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 11. 6. 1942 (Ebd.).

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nach einem alternativen Veröffentlichungsweg umgeschaut. Die Drucklegung seines Referats erfolgte nicht über das DWI, sondern einen Sammelband des Reichsinstituts für Seegeltungsforschung im deutschen Seegeltungswerk, bei dem bereits der Name dessen Schriften als Werbeträger im besetzten Nachbarland disqualifizierte351. Weite Verbreitung dürfte in Dänemark daher nicht gefunden haben, wie Rörig die spätmittelalterliche Ostsee als „hansischdeutsches Meer“352 beschrieb, an dem „in einem festeren Gefüge von Reich und Volk […] hansisches Erbgut wieder lebendige, gestaltende Kraft“353 werde. Was Scheels Bemühungen um Rekrutierung deutscher Referenten und deren Vernetzung mit der dänischen Wissenschaft anbetraf, sah er sich im Laufe des Jahres 1942 mit einem weiteren Hindernis konfrontiert. Symptomatisch hierfür waren seine Versuche, mit Otto Becker einen weiteren Bekannten aus dem Historischen Seminar der Christiana Albertina ins DWI zu holen. Noch vor Rörigs Kopenhagenreise hatte sich der Ordinarius für Neuere Geschichte auf Anfrage Scheels bereit erklärt, in der dänischen Hauptstadt über „Die japanische Revolution und die Grundlagen des neuen Japan“ zu sprechen – ein Thema, welches ebenfalls geeignet schien, in Dänemark die angestrebte Vormachtstellung der Achsenmächte zu legitimieren. Den für November 1942 fest eingeplanten und von allen beteiligten Stellen genehmigten Besuch musste Scheel zu seinem großen Missvergnügen kurzfristig absagen354. Schuld daran war die angespannte Devisenlage, welche zur Folge hatte, dass Vortragsreisen ins Ausland immer öfter Sparzwängen zum Opfer fielen. Der düpierte DWI-Präsident unternahm bis zu seiner Ablösung Ende März 1943 eine Reihe von Anläufen, die notwendigen Gelder für Beckers Vortrag loszueisen, doch blieben diese samt und sonders erfolglos355. Neben den mangels Valuta ab der Jahreswende 1942/1943 stark eingeschränkten Werbeversuchen mithilfe deutscher Gastwissenschaftler, an denen die Christiana Albertina prominenten Anteil hatte, bemühte sich Scheel ebenfalls um die Intensivierung direkter persönlicher Kontakte in die dänische Gelehrtenwelt. Wissenschaftler im besetzten Nachbarland auf diesem Wege zu engerer Kooperation zu bewegen, gestaltete sich jedoch nicht einfa351 Vgl. Schreiben Fritz Rörigs an den Verlag Karl W. Hiersemann vom 27. 7. 1942 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 20). 352 Rçrig, Hanse, 141. 353 Ebd., 151. 354 Vgl. Schreiben Scheels an Otto Becker vom 31. 1. 1942 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 30); Schreiben des Auswärtigen Amtes an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 31. 8. 1942 (BArch Berlin, R 4901, Nr. 2753); und Schreiben des Rektors der Universität Kiel an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 30. 10. 1942 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 2070). Zu Beckers Japan-Interessen siehe Historiker in der Praxis, Das Historische Seminar, 7. 355 Vgl. Schreiben Scheels an Otto Becker vom 17. 11. 1942 und 27. 2. 1943 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 30); und Schreiben Otto Beckers an den Rektor der Kieler Universität vom 3. 2. 1943 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 2070).

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cher als die Organisation des nur sehr mäßig in Anspruch genommenen Vortragsangebotes im neu eingerichteten Institut. Wie aus der bereits erwähnten, drastischen Polemik über die dänischen Historiker in seiner Korrespondenz mit Rörig zu schließen, stieß Scheel insbesondere bei seinen unmittelbaren Fachkollegen auf so gut wie keine Bereitschaft zu wissenschaftlicher Zusammenarbeit. Während der Zeit am DWI stand von seinen engeren dänischen Bekannten lediglich noch der vor dem Krieg als ,Demokrat‘ gescholtene Aage Friis mit ihm in Kontakt, und dies allem Anschein nach nur kurz in schriftlicher Form, um die Erlaubnis zu Archivrecherchen in Kiel zu erlangen. Nachdem ein Radiobeitrag des NeuzeitEmeritus der deutschen Zensur zum Opfer gefallen war, setzte dieser im Januar 1942 zum letzten Mal ein Schreiben an den DWI-Präsidenten auf, in dem er höflich, aber bestimmt den Abbruch der Beziehungen ankündigte356. Mit Scheels anderem krisenerprobten Gesprächspartner in der dänischen Historikerzunft kam nach dem letzten Treffen vor Kriegsausbruch gar nicht erst ein neuerlicher Austausch zustande. Wegen seiner Haltung nach den Ereignissen des April 1940 fiel la Cour als Ansprechpartner von vornherein aus. Der Herausgeber von Grænsevagten reagierte auf die Besetzung seines Heimatlandes mit einer Vortrags- und Publikationstätigkeit, die sich so deutlich gegen jedwede Kooperation mit den Besatzern aussprach, dass er im Jahr der DWI-Eröffnung das erste Mal inhaftiert wurde und später nach Schweden fliehen musste357. Was andere Vertreter der historischen Forschung in Dänemark anbelangte, konnte sich Scheel ebenfalls keine allzu großen Hoffnungen machen, da Dänemarks Nationalsozialistische Arbeiterpartei seit längerem die vorherrschende historisch-kritische Forschungsrichtung im Land als unnational und materialistisch angegriffen hatte358. Von den ins Kreuzfeuer der braunen Kritik geratenen Fachvertretern wie Friis’ Nachfolger an der Universität Kopenhagen, Erik Arup, war daher kein allzu positives Echo auf eine Einladung durch den Hausherrn des DWI zu erwarten, wie dieser selbst eingestand359. Besonders deutlich manifestierte sich die Abneigung auf dem dänischen Historikertag. In seinen Aufzeichnungen über die Veranstaltung hielt Scheel fest, man habe das in Deutschland propagierte Modell der Geschichtswissenschaft als politische Wissenschaft in einer ganzen Reihe von Beiträgen „entweder ex cathedra verscheucht oder mit billigem Spott lächerlich ge-

356 Vgl. Schreiben Aage Friis’ an Scheel vom 3. 9. 1941 und Januar 1942 (RA Kopenhagen, Nr. 5424, Nr. 38). Ob das Schreiben vom Januar an Scheel abgeschickt wurde, erscheint fraglich, da es mit einem entsprechenden Vermerk versehen ist. In jedem Fall handelt es sich um die letzte erhaltene Korrespondenz zwischen den beiden. 357 Vgl. Engberg, Vilhelm la Cour, 280; und Lundbak, Vilhelm la Cour, 307. 358 Vgl. Lauridsen, Nazisme, 77. 359 Vgl. Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 29. 1. 1942 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57).

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macht“360. In Anbetracht dessen wertete der DWI-Präsident es sicherlich nicht als persönliches Versagen, bis Abgabe des Amtes keinen einzigen dänischen Historiker durch persönliche Vermittlung zu einer Kooperation mit vorzeigbarem Ergebnis bewegt haben zu können. Genauso schwieriges Terrain wie bei den Historikern erwartete Scheel auf dem Weg zu möglichen Kooperationen mit dänischen Theologen. Sein Renommee als Kirchenhistoriker erwies sich zur Anbahnung direkter Kontakte insofern wenig hilfreich, als ausgerechnet die Vertreter jener Teildisziplin in den Reihen der akademischen Kollaborationsgegner besonders prominente Plätze einnahmen. Unmittelbar nach der Besetzung gehörte der Inhaber einer der beiden kirchenhistorischen Ordinariate der Kopenhagener Universität, Hal Koch, zu den Gründern von Dansk Ungdomssamvirke (Dänische Jugendzusammenarbeit), einer Organisation, die sich in dezidierter Gegnerschaft zur Ideologie der Besatzer demokratischer Jugenderziehung verschrieb. Im folgenden Wintersemester hielt Koch eine Reihe von außerplanmäßigen Vorträgen, in denen er mit besonderem Nachdruck den Erhalt der nationalen Eigenständigkeit Dänemarks einforderte361. Kaum weniger deutlich positionierte sich sein akademischer Lehrer Jens Nørregaard, der den zweiten kirchenhistorischen Lehrstuhl bekleidete. Der im Herbst 1942 zum Rektor der Universität gewählte Theologe zeigte sich im Umgang mit dem DWI deutlich weniger diplomatisch als sein Vorgänger, der trotz Ablehnung der Gastgeberrolle bei Institutseröffnung wenigstens noch der Feierstunde beigewohnt hatte. Nørregaard hingegen verweigerte selbst derlei Höflichkeitsgesten gegenüber dem DWI und seinen Vertretern. Mit Blick auf die theologische Wissenschaft konnte Scheel am Ende seiner Amtszeit daher ebenso wenig auf Brückenschläge zu dänischen Kollegen verweisen wie hinsichtlich der historischen362. Trotz ausgebliebener Erfolge in seinen eigenen Disziplinen bemühte sich der DWI-Präsident keineswegs vergebens darum, in Dänemarks Gelehrtenwelt Ansprechpartner zu finden. Selbst innerhalb der Kopenhagener Universität, deren Haltung er bereits vor Nørregaards Rektorwahl als „besonders unerfreulich“363 beklagte, blieb die Suche nach Kooperationswilligen nicht ergebnislos. Mindestens zwei Ordinarien zeigten Interesse an einer persönlichen Verbindung mit Scheel. Hierbei handelte es sich zum einen um den Germanisten Carl Roos, zum anderen um den Kulturgeographen Gudmund Hatt. Beide galten nach dem Krieg wegen ihrer Beziehungen zu den deutschen

360 Aufzeichnung Scheels über den Historikertag in Aarhus vom 18. 7. 1942 (BArch Berlin, R 4901, Nr. 2844). 361 Vgl. Grane, Det teologiske Fakultet, 504–508, 515; Poulsen, Hal Koch, 311; und RoslyngJensen, Danskerne, 120–122. 362 Vgl. Jakubowski-Tiessen, Kulturpolitik, 137; und Thomsen, Københavns Universitet, 202. 363 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 20. 10. 1942 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57).

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Besatzern als kulturelle Kollaborateure und mussten sich wegen Fraternisierung mit dem Feind verantworten364. Was Roos betraf, waren er und Scheel sich erstmals Anfang der 1930er Jahre begegnet, als der Kieler Ordinarius in der dänischen Hauptstadt über Haithabu referiert hatte365. Spätestens Ende des Jahrzehnts kamen die beiden über den gemeinsamen Kontakt zur NG wieder ins Gespräch, bevor sie sich anlässlich der deutschen Buchausstellung Ende 1940 in Kopenhagen erneut begegneten. Mit Blick auf Roos, der Anfang 1941 vor einer studentischen Gruppe dänischer Nationalsozialisten über Dänemarks vermeintliche Schuld gegenüber Deutschland referierte, konnte Scheel somit eher auf Kooperationsbereitschaft hoffen als bei den meisten seiner historischen beziehungsweise theologischen Fachkollegen366. Wenige Monate nach Amtseinführung traf sich der DWI-Präsident mit dem Germanisten zu einem Arbeitsfrühstück. Dabei erklärte dieser sich prinzipiell bereit, einen Beitrag für die von Scheel mit herausgegebene Zeitschrift Jomsburg zu liefern. Des Weiteren sagte er zu, einen geeigneten Übersetzer für ein Gedicht Valdemar Rørdams ausfindig zu machen, dessen Publikation in Deutschland Scheel wegen der enthaltenen politischen Bekenntnisse für opportun hielt. Möglicherweise arrangierten die beiden bei dieser Gelegenheit ebenfalls jene Gastvorlesung an der Christiana Albertina, bei der Roos über das dänische Goethebild sprach367. Nach Besuch in der Fördestadt und Benennung eines passenden Übersetzers trat der umworbene Germanist jedoch den geordneten Rückzug von der Zusammenarbeit mit dem Hausherrn im DWI an. Ob er tatsächlich die Verbindung zu Scheel wie in seinen Memoiren behauptet deswegen kappte, weil Letzterer ihn als Gewährsmann dafür angab, die dänische Kultur beruhe auf deutschen Wurzeln, sei dahingestellt. In jedem Fall blieb er seinem Bekannten aus Kiel den projektierten Jomsburg-Artikel schuldig und schlug ebenfalls eine Offerte aus, an einer breit angelegten europäischen Wissenschaftsgeschichte mitzuwirken368. Im Gegensatz zu dem relativ schnell vorsichtig gewordenen Germanisten löste Gudmund Hatt die Arbeitsverbindung zum Präsidenten des DWI nicht nach wenigen Monaten auf. Bereits vor Eröffnung des Instituts hatte der Kulturgeograph sich dem ihm bis dato unbekannten Scheel durch Übersen364 Vgl. Lund, „At opretholde Sindets Neutralitet“, 242–293; Øhrgaard, Forsvarsven, 442–477; ders., Roos, 61–78. Einen konzisen Überblick zur sogenannten ,kulturellen Kollaboration‘ bietet Hertel, Kulturel kollaboration, 293–295. 365 Siehe S. 153. 366 Vgl. „Tysk Digting fra Nietzsche til nu“, in: BT, 12. 11. 1940; Schreiben Fred Domes’ an Carl Roos vom 15. 10. 1938 (DKB Kopenhagen, NKS 2574, I A 2); und Lammers, Beziehungen, 82 f. 367 Vgl. Schreiben Scheels an Wilhelm Koppe vom 5. 8. 1941 und 4. 9. 1941 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1254). Zu Rørdams Betätigung in der Besatzungszeit siehe Hertel, Rørdam, 312; und Lauridsen, Nazisme, 537. 368 Vgl. Schreiben Scheels an Wilhelm Koppe vom 15. 9. 1941 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1254); Roos, Indhøstningens Tid, 235–237; und Øhrgaard, Forsvarsven, 454 f.

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dung seiner Schrift „Kampen om Magten. Geopolitiske strejflys“369 (Der Kampf um die Macht. Geopolitische Streiflichter) empfohlen, in der er unumwunden eine Anerkennung deutscher Hegemonie über Europa forderte370. Insofern war es wenig verwunderlich, dass Scheel in seinem neuen Amt den Kontakt zum Verfasser suchte und ihm schrieb, er kenne „kein Buch eines Kopenhagener Universitätslehrers, das so offen dem großen europäischen Umbruch ins Auge sieht“371. Hatt steckte allem Anschein nach in den Monaten nach DWI-Einweihung bis zum Hals in Arbeit. Obwohl die beiden mehrfach Kontakt miteinander aufnahmen und Scheel sich unter anderem um Einladung seines vielversprechenden dänischen Kollegen zu einer Tagung der deutschen geographischen Gesellschaft bemühte, versagte sich dieser aus terminlichen Gründen konkreten Zusagen372. Dass es sich hierbei nicht um den Versuch handelte, unliebsamen Offerten taktvoll auszuweichen, zeigte sich ab Sommer 1942. Mit größeren zeitlichen Freiräumen ausgestattet, begab sich der Kulturgeograph auf Vermittlung des DWI-Präsidenten im Auftrag des Reichserziehungsministeriums auf eine Vortragsreise nach Deutschland, wo er in Greifswald, Leipzig und Kiel aus seinem Œuvre vortrug. Die Rundtour verlief offenbar zur allseitigen Zufriedenheit der Beteiligten. Nach Rückkehr gen Dänemark kam der mit der Ehrenmitgliedschaft der Pommerschen Geographischen Gesellschaft ausstaffierte Referent erneut mit Scheel zusammen, um Pläne für die weitere Zusammenarbeit zu schmieden373. Am Ende der Unterredungen stand im Herbst die Entscheidung, das von Hatt wenige Jahre vor Kriegsbeginn verfasste Werk „Landbrug i Danmarks oldtid“374 (Landwirtschaft in Dänemarks Vorzeit) ins Deutsche übersetzen zu lassen. Um die Finanzierung trotz angespannter Devisenlage sicherzustellen, schaltete der DWI-Präsident die SHUG im heimischen Kiel ein und erwirkte auf diesem Wege sehr rasch eine Genehmigung beim Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Da sich die Initiatoren des Vorhabens ebenfalls mit Nachdruck um die Übersetzung bemühten, lag vor Ende des Jahres neben den notwendigen Genehmigungen und Geldern das fertige Manuskript vor375. Nach dessen Übergabe an die zuständigen Ministerialstellen kam das Projekt trotzdem zum Stillstand. Auf Bitten des wenig erfreuten Hatt stellte Scheel zwar Nachforschungen an, weswegen jedwede 369 370 371 372

Hatt, Kampen. Vgl. Lund, Sindets Neutralitet, 248–254. Schreiben Scheels an Gudmund Hatt vom 27. 1. 1941 (RA Kopenhagen, Nr. 7256, Nr. 12). Vgl. Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 25. 11. 1941 und 29. 1. 1942 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57); und Schreiben Scheels an Gudmund Hatt vom 24. 2. 1942 (RA Kopenhagen, Nr. 7256, Nr. 12). 373 Vgl. Schreiben des Rektors der Universität Greifswald vom 3. 11. 1942 sowie Schreiben Werner Jorns an Scheel vom 4. 8. 1942 (Ebd.). 374 Hatt, Landbrug. 375 Vgl. Schreiben der SHUG an Gudmund Hatt vom 23. 11. 1942 und Schreiben Joachim Blüthgens an Gudmund Hatt vom 30. 12. 1942 (RA Kopenhagen, Nr. 7256, Nr. 12).

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Nachrichten an die Initiatoren ausblieben, doch änderte dies nichts daran, dass der Band auf Deutsch nie erschien. Für die Zusammenarbeit des dänischen Kulturgeographen mit dem Hausherrn im DWI erwies sich dieser Rückschlag als wenig förderlich. Allem Anschein nach blieben weitere gemeinsame Planungen aus376. Zu welchem Hemmschuh die übergeordneten eigenen Stellen bei den ohnehin bestenfalls punktuell erfolgreichen Werbeversuchen in Dänemark werden konnten, bekam Scheel schon vorher zu seinem Leidwesen zu spüren. Stein des Anstoßes waren dabei die gemeinsamen Planungen mit dem Schriftsteller Thorvald Knudsen. Politisch im Umfeld der dänischen Nationalsozialisten beheimatet, diente sich dieser seit April 1940 besonders entschieden den deutschen Besatzern an377. Nach Eröffnung des DWI lud der Kieler Ordinarius ihn daher relativ schnell zu einem Treffen in seinen neuen Dienstsitz ein. Von dieser Zusammenkunft wusste er zu berichten, er habe mit seinem Gast eine „sehr fruchtbare, längere Aussprache“378 gehabt. Ebenso wie den Germanisten Roos suchte Scheel Knudsen als Beiträger für die Jomsburg zu werben. Im Laufe weiterer Treffen gewann er einen so positiven Eindruck von dem Schriftsteller, dass er ihn gar als Mitherausgeber in Vorschlag brachte, da er seiner Meinung nach vollauf verstanden hatte, „welche Dienste Dänemark dem von Deutschland oder den Achsenmächten geführten neuen Europa leisten kann“379. Seine Einschätzung ging insofern nicht ganz fehl, als Knudsen im Gegensatz zu Roos den in Aussicht gestellten Aufsatz nicht schuldig blieb, sondern bis Oktober bei der Schriftleitung des Periodikums in Berlin ein Manuskript über „Die Grundlagen der öffentlichen Meinungsbildung in Dänemark“ einreichte380. Von den Empfängern im Ganzen als „sachlich und instruktiv“381 beurteilt, schloss sich Scheel nach eigener Durchsicht dem Votum an382. Trotz des zweifachen Plazets erschienen die Ausführungen jedoch nie in der Jomsburg, weil das Auswärtige Amt sein Veto gegen die Drucklegung des Beitrages einlegte383. Zwar brach Knudsen die Verbindung zum DWI deswegen nicht ab, doch zu so konkreten Ergebnissen wie im Falle der Jomsburg führte der Kontakt nie wieder. Für das Einvernehmen zwischen Außenressort und Scheel dürfte dies keineswegs zuträglich

376 Vgl. Schreiben Scheels an Gudmund Hatt vom 10. 2. 1943 und Schreiben Joachim Blüthgens an Gudmund Hatt vom 14. 2. 1943 (Ebd.). 377 Vgl. Lauridsen, Nazisme, 511 f.; und Lundbak, Thorvald Knudsen, 208. 378 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 30. 7. 1941 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57). 379 Schreiben Scheels an Albert Brackmann vom 30. 8. 1941 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1254). 380 Vgl. Schreiben Wilhelm Koppes an Scheel vom 18. 10. 1941 (Ebd.). 381 Schreiben Wilhelm Koppes an Scheel vom 15.11.941 (Ebd.). 382 Vgl. Schreiben Scheels an Wilhelm Koppe vom 18. 11. 1941 (Ebd.). 383 Vgl. Schreiben Wilhelm Koppes an Scheel vom 13. 2. 1942 (Ebd.).

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gewesen sein, zumal Letzterer sich ohnehin mit dem von Berlin bestimmten Institutsdirektor Domes überworfen hatte384. Dass atmosphärische Störungen im eigenen Lager neben den bereits genannten Schwierigkeiten in Kopenhagen eine erhebliche Rolle bei der Ablösung des vormaligen Wunschkandidaten des Auswärtigen Amtes spielten, trat Ende 1942 offen zu Tage. Bei Scheel hatte sich zu diesem Zeitpunkt ohnehin eine gewisse Amtsmüdigkeit eingestellt. Durch dänische Verweigerung, Devisenmangel sowie Behinderung übergeordneter Stellen bei seinen Werbeversuchen nur sehr bedingt erfolgreich und zudem in einen ständigen Kleinkrieg mit Domes verwickelt, äußerte er im November in seiner Privatkorrespondenz den Wunsch, seinen Posten mit Ablauf der Beurlaubung zu Ende März 1943 niederlegen und sich wieder eigener wissenschaftlicher Arbeit widmen zu können385. In den folgenden Wochen kam erschwerend hinzu, dass der DWI-Präsident meinte, einer institutsinternen Intrige gegen seine Person auf die Schliche gekommen zu sein. Bei deren Drahtzieher handelte es sich seiner Einschätzung nach um Hans Frebold, den Leiter der Arktischen Abteilung, welche der Kieler Ordinarius einst selbst aus der Taufe gehoben hatte386. Der vermeintliche Verrat am Hausherren ließ nicht nur den schwelenden Konflikt um die Machtverteilung innerhalb des Instituts eskalieren. Nach Scheels eigenem Bekunden hatte er ebenfalls zur Folge, dass es zwischen ihm und der für das DWI vor Ort zuständigen Kulturabteilung der Gesandtschaft Kopenhagen zu einem „recht heftigen Zusammenstoß“387 kam, allem Anschein weil diese sich weigerte, zugunsten des in die Defensive geratenen DWI-Präsidenten in den Streit einzugreifen388. Das Zerwürfnis mit den kulturpolitischen Strategen des Außenressorts führte ganz im Gegenteil dazu, dass das Auswärtige Amt von dem einst heiß umworbenen Kandidaten für den Kopenhagener Leitungsposten abrückte. Anfang Februar 1943 stellte die Berliner Zentrale dem für Scheel zuständigen Reichserziehungsministerium ein Schreiben zu mit „sachlichen Einwendungen gegen die Fortführung der Tätigkeit des Professors Scheel-Kiel als Präsident des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts in Kopenhagen“389. Die angeschriebene Behörde sah daraufhin von einer Verlängerung der Ende März regulär auslaufenden Beurlaubung des Betroffenen ab und stellte damit die Weichen für seine Ablösung. Ohnehin an einer Rückkehr an die Förde inter384 Vgl. Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 28. 7. 1942 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 15). 385 Vgl. Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 21. 11. 1942 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57). 386 Vgl. Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 23. 12. 1942 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 15). 387 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 4. 1. 1943 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57). 388 Vgl. Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 12. 6. 1943 (Ebd.). 389 Antwortschreiben des Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an das Auswärtige Amt vom 20. 2. 1943 (RA Kopenhagen, Nr. 5135, Nr. 3).

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essiert, nahm Scheel diese Nachricht relativ gelassen auf. Wie der Überbringer aus den Reihen der deutschen Gesandtschaft notierte, verwies der scheidende DWI-Präsident auf seine Kieler Aufgaben, vergaß jedoch nicht noch einmal zu betonen, dass „aus dem Kreise seiner Mitarbeiter, insbesondere von Herrn Prof. Frebold gegen ihn geschossen worden sei“390. Trotz der Niederlage im institutsinternen Grabenkrieg verließ der ein Stück weit zu seiner eigenen Erleichterung vom Auswärtigen Amt Geschasste das DWI weder durch die Hintertür noch für immer. Hierfür zeichneten in erster Linie sein Amtsnachfolger, Otto Höfler, sowie der neue Reichsbevollmächtigte in Dänemark, Werner Best, verantwortlich. War Ersterer dem Vorgänger als einem alten Bekannten aus seiner Zeit an der Christiana Albertina wohl gesonnen, der wie er selbst reges Interesse an der Germanenforschung besaß391, gewann Letzterer bei einem persönlichen Treffen mit Scheel einen überaus positiven Eindruck von ihm392. Best und Höfler entließen den Gründungspräsidenten nicht nur mit einer Abschiedsfeier aus seinem Amt. Darüber hinaus hielten sie weiterhin mit ihm Kontakt, woraus im Folgejahr längere Besuche des Kieler Ordinarius am DWI erwuchsen393. Hierbei handelte es sich jedoch um Forschungsaufenthalte, deren unmittelbarer Zweck nicht mehr darin bestand, Kontakte in die dänische Gelehrtenwelt aufzubauen. Was seine diesbezüglichen Verbindungen anbelangte, kam der ehemalige DWI-Präsident beim erneuten Aufbruch gen Kopenhagen nicht umhin einzugestehen, es handele sich bestenfalls noch um „einige dünne Fäden“394.

4.2.3. Historisches Forschungsfeld Erwuchsen Scheel nach Kriegsausbruch durch rege Reisetätigkeit als öffentlicher Redner in den eigenen Reihen und Werber im besetzten Dänemark zusätzliche Betätigungsfelder, sah er sich gleichzeitig historiographisch vor neue Aufgaben gestellt. Ausschlaggebend hierfür war das von ihm in den letzten Friedensjahren mit Nachdruck propagierte wie exemplifizierte Konzept einer voll politisierten Wissenschaft mit dezidiert affirmativem Verhältnis zum NS-Regime. Deretwegen sah der Kieler Ordinarius nach Beginn der Kampfhandlungen die Wissenschaft erst recht gegenüber den braunen 390 Aufzeichnung der Gesandtschaft Kopenhagen für den Reichsbevollmächtigten vom 10. 3. 1943 (PAAA Berlin, Gesandtschaft Kopenhagen, Nr. 168). 391 Vgl. Volbehr / Weyl, Dozenten, 170. Zu Höflers Germanenforschung vgl. Hirschbiegel, Kontinuitätstheorie. 392 Vgl. Tagebucheintrag Werner Bests vom 17. 11. 1942 (RA Kopenhagen, Nr. 5135, Nr. 4). 393 Vgl. Schreiben Scheels an Johannes Papritz vom 2. 2. 1944 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1711); Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 25. 5. 1943 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 15); Kostenaufstellung des DWI vom September 1943 (PAAA Berlin, R 64334); und Tagebucheintrag Werner Bests vom 15. 5. 1943 (RA Kopenhagen, Nr. 5135, Nr. 4). 394 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 4. 10. 1944 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57).

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Machthabern in der Pflicht. Binnen Monatsfrist nach dem Angriff auf Polen schrieb er in seiner Privatkorrespondenz, das „nationalsozialistische Reich“395 fordere mit Recht eine politische historische Wissenschaft, und diese dürfe in Anbetracht der gegebenen Situation „vollends nicht auf verklungene Vergangenheit sich beschränken, sondern muss bis in die Gegenwart geführt werden und mit den lebendigen Zielen der Gegenwart vertraut bleiben“. Entsprechend diesem Credo verlegte Scheel die thematischen Schwerpunkte seiner eigenen Arbeiten auf Betrachtungen zu den beiden Ländern, deren Verhältnis zu Deutschland bei seinen kriegsbedingten Dienstgeschäften außerhalb Kiels im Vordergrund stand: England und Dänemark. Bereits kurz bevor der deutsche Angriff auf Polen den europäischen Flächenbrand auslöste, äußerte er sich, allem Anschein nach unter dem Eindruck der sich zuspitzenden Spannungslage, öffentlich zur Genese von Londons Europapolitik. Auf der im Juli 1939 abgehaltenen Kieler Universitätswoche sprach Scheel in vollkommener Abwendung von seinen landes- beziehungsweise kirchenhistorischen Fachgebieten über „Englands Überfall auf Kopenhagen 1807“396. Der Schwerpunkt seines Vortrages lag damit auf genau jener Episode aus den Napoleonischen Kriegen, die ihm bereits im Ersten Weltkrieg als vermeintlich historischer Beweis für Londons außenpolitische Perfidität dienlich gewesen war397. Zeitgleich mit dem Referat begann er an einem Aufsatz zum Thema „Das Meer im politischen Schicksal Europas“ zu arbeiten, dessen Fokus auf dem Vergleich von Deutschlands und Englands maritimen Traditionen lag. Veröffentlicht wurde der Beitrag im Folgejahr im unter der Ägide des Oberkommandos der Wehrmacht herausgegebenen „Jahrbuch für Deutschlands Seeinteressen“. Im einleitenden Teil des Aufsatzes wartete Scheel mit einer vehementen Unterstreichung jener vorgeblich germanischen Seefahrertradition auf, die er bereits in seinem Wikingerbuch deutlich herausgestellt hatte. Seeherrschaft war nach seiner Auslegung „wesentliches Element der Stärke germanischer Geschichte“398 vom Altertum bis zum Ausgang des Mittelalters gewesen, mit dem die „Hanse als deutsche Seemacht“399 zum letzten Exponenten germanischer maritimer Machtentfaltung aufgestiegen sei. Die „natürlichen und völkischen Voraussetzungen einer starken Seegeltung“400 habe Deutschland zu Beginn der Neuzeit jedoch mangels politischer Führung nicht ausschöpfen können und damit „einer großen Zukunft […] auf der See und durch die See den Weg verlegt“.

395 Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom Oktober 1939 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 15). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 396 Christian-Albrechts-Universit t zu Kiel, Woche der Universität, 9. 397 Siehe hierzu S. 84. 398 Scheel, Das Meer, 46. 399 Ebd., 57. 400 Ebd., 63. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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Was der Verfasser als „Unstern“401 deutscher Geschichte bezeichnete, hatte seiner Lesart zufolge den Aufstieg Englands zur Seemacht ermöglicht, das bis zur Zeit der Tudor-Könige reine Landmacht und trotz Insellage an einer starken Flotte uninteressiert gewesen sei. Im Anschluss an die deutsche maritime Selbstbeschneidung hätten des Weiteren Spanien, die Niederlande und Frankreich durch politisch wie militärisch unnötige Niederlagen gegen England zum Aufstieg von dessen Seemacht beigetragen. Dass London spätestens mit den Napoleonischen Kriegen einen Hegemonialstatus zu See zu erreichen vermochte, war daher aus Scheels Sicht keineswegs auf eigene Stärke zurückzuführen, sondern auf „schwere Versäumnisse und Gebrechen des Festlands“402. Diese Argumentation lief darauf hinaus, Englands Präsenz auf den Meeren als widernatürlichen Sonderfall zu klassifizieren, dessen Beendigung weniger den Anfang von etwas grundsätzlich Neuem als die Rückkehr zu einem von der Geschichte vorgezeichneten Weg darstellte. Wenn der Autor dabei mit dem Hinweis schloss, Deutschland sei „durch das Blut seines Volkes und die Lage seines Bodens auf die See hingewiesen wie kein anderes Land in Europa“403, ließ dies keinerlei interpretatorischen Spielraum, wem er die historische Berechtigung zuschrieb, die Nachfolge des zum maritimen Emporkömmling gestempelten Englands anzutreten. Trotz der scharfen Zurückweisung jeglicher Seemachtansprüche Londons zugunsten Berlins zeigte sich Scheel sehr unzufrieden, als sein noch vor dem Krieg begonnenes Machwerk Anfang 1940 veröffentlicht wurde. Seit Beginn der Kampfhandlungen unentwegt als öffentlicher Redner unterwegs, hatten ihm Zeit und Gelegenheit gefehlt, das Manuskript vor Publikation erneut in Augenschein zu nehmen. Nach Drucklegung erschien ihm der Aufsatz zu seinem Leidwesen daher „für die gegenwärtige Lage […] zu ruhig“404. Die Überzeugung, nicht den für die Zeitumstände angemessenen Ton getroffen zu haben, spielte möglicherweise mit in die Entscheidung hinein, aus dem Fundus diverser Anti-England-Vorträge ein Buch zu destillieren. Mit der Niederschrift von „Aufstieg und Niedergang der englischen See- und Weltmacht“ begann er zeitgleich zur Veröffentlichung seines Aufsatzes im „Jahrbuch für Deutschlands Seeinteressen“405. Auf Letzteren griff der Verfasser vor allem in den ersten Kapiteln zurück, wo er sich wiederum mit den allgemeinen Voraussetzungen für die Entfaltung starker Seemacht auseinandersetzte. Die Ausführungen aus dem „Jahrbuch für Deutschlands Seeinteressen“ zum Teil wortwörtlich übernehmend, suchte er unter Verweis auf vorgebliche germanische Seefahrertradition erneut den Beweis zu führen, nicht England, sondern Deutschland sei historisch be401 402 403 404 405

Ebd., 77. Ebd., 58. Ebd., 77. Schreiben Scheels an Hans Friedrich Blunck vom 12. 2. 1940 (LBK Kiel, Cb 92). Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 12. 2. 1940 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 15).

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trachtet zur Seeherrschaft prädestiniert. Den aus seiner Sicht widernatürlichen konjunkturellen Verlauf maritimer Machtentfaltung ab dem späten 15. Jahrhundert vermochte er als „das Unerwartete und Befremdliche“406 zu skizzieren, in dessen Folge eine „Randerscheinung Europas“407 das „Erstgeburtsrecht des Festlands“408 in Besitz genommen habe. Den eigentlichen Schwerpunkt der Ausarbeitung bildete eine Untersuchung der Strategie, mit der es England gelungen sei, trotz vermeintlich schlechter Voraussetzungen einen Hegemonialstatus zu Wasser durchzusetzen. Während Scheel diese Frage im Jahrbuch mit Verweis auf schwere Fehler der potentiellen Konkurrenten abgetan und sich darauf beschränkt hatte, Londons Stärke zur See als Glücksfall darzustellen, wartete er nun mit einer Theorie auf, die England ein noch ungünstigeres Zeugnis ausstellte. Demnach hatte das Land keineswegs auf Unzulänglichkeiten anderer europäischer Mächte vertraut, um das ihm nicht zustehende maritime Machtpotential zu erhalten. Scheels Interpretation folgend war von London ganz gezielt die Bildung einer Vormacht auf dem Festland verhindert worden, die „mit Erfolg den Kampf um die Freiheit der Meere führen könnte“409. Zu diesem Zweck sei Englands Außenpolitik seit Jahrhunderten darauf ausgerichtet gewesen, Europa in einem instabilen Mächtegleichgewicht zu halten, welches dem Kontinent eine „Kette von Koalitionskriegen“410 beschert habe. Was Scheel seinen Lesern in dem zentralen Kapitel „Die Gleichgewichtsformel“411 präsentierte, las sich wie eine Verschwörungstheorie, derzufolge alle großen europäischen Kriege der vergangenen Jahrhunderte auf ein Intrigenspiel Londons zurückgingen. Genau dies suchte der Autor in der Folge zu untermauern, wobei er insbesondere darauf abhob, wie England versucht habe, den „volksdeutschen Raum“412 daran zu hindern, seine „Berufung zur See“ wahrzunehmen. Hierin sah er die Ursache des Ersten wie des Zweiten Weltkrieges, der ebenfalls als „Koalitionskrieg“413 firmierte. Damit war der Bogen in die Gegenwart geschlagen, von der Scheel schrieb, es gelte „der Periode des Gleichgewichts von britischen Gnaden ein Ende zu bereiten und dies unselige Kapitel der neueren europäischen Geschichte zu beschließen“. Die Aufrichtung einer Hegemonie der als „Rückgrat des Festlandes“414 bezeichneten Achsenmächte stellte demzufolge eine historische Notwendigkeit

406 407 408 409 410 411 412 413 414

Scheel, Aufstieg, 22. Ebd., 17. Ebd., 43. Ebd. Ebd., 44. Ebd., 41. Ebd., 90. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Ebd., 45. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Ebd., 135.

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dar, um den Kontinent vom „Alpdruck der britischen Koalitionskriege“415 zu befreien. In nicht weniger düsteren Farben als die Strategien zum Erhalt maritimer Vorherrschaft schilderte der Autor, wie England seiner Ansicht nach die Suprematie zur See ausübte. Ihm zufolge benutzte es die Hegemonie seit den Tagen Elisabeths II. statt zur Durchsetzung internationaler Seerechtsstandards zur Aufrechterhaltung einer maritimen Despotie. Bei der Beschreibung von Londons Flottenpräsenzen griff er mit Vorliebe auf Vokabeln wie „Piraterie“416 oder „Seeraub“ zurück und bezeichnete die Engländer als „Wegelagerer“417. Schlussstein einer Kette vorgeblich historischer Beweise für Englands Freibeuterqualitäten, in der die Seeblockade des Ersten Weltkrieges einen prominenten Platz einnahm, bildete der Vertrag von Versailles. Nach Scheels Dafürhalten hatte London in den Friedensverhandlungen die Fixierung eines internationalen Seerechts gezielt blockiert und zugunsten des eigenen Vorteils „völkerrechtliche Bindungen verschachert“418. Zur Untermauerung des letzten Punktes berief er sich auf das Urteil Hermann Harris Aalls, eines norwegischen NS-Sympathisanten, über dessen anglophobe Schriften zu Seerechtsfragen er zeitgleich mit dem Englandbuch einen Aufsatz für die Jomsburg verfasste419. Im Einklang mit den Ausführungen des nach Kriegsende als Kollaborateur verurteilten Norwegers galt es Scheel unzweifelhaft, die Befriedung der Meere setze eine Brechung von Englands Seeherrschaft voraus. Für ihn besaß der Waffengang mit Blick auf den Seeverkehr daher den Charakter eines „europäischen Befreiungskrieges“420, welchen die Achsenmächte unter Deutschlands Führung nicht nur im eigenen Interesse ausfochten. Auch in diesem Punkt paarte sich die kaum zu überbietende historiographische Schwarzweißmalerei des Verfassers folglich mit jener Gegenwartsnähe, die er unmittelbar nach Kriegsbeginn eingefordert hatte. Im Einklang mit seiner Tätigkeit als öffentlicher Redner gegen England verzichtete Scheel bei der Publikation des Bandes auf einen Fußnotenapparat, wohl um ebenso wie im Falle seines Wikingerbuches aus den Vorkriegsjahren ein breiteres Publikum anzusprechen. Diese Strategie ging auf. Als Ende September 1940 der durch verschiedene Vorabdrucke intensiv beworbene Band421 in den Buchhandel ging, erfreute er sich großen Zuspruchs beim deutschen Publikum, wohl nicht zuletzt weil zu diesem Zeitpunkt die Niederwerfung Englands zum Greifen nahe schien. Noch vor Ende des Jahres 415 416 417 418 419

Ebd., 134. Ebd., 29. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Ebd., 45. Ebd., 30. Vgl. ebd., 105; und ders., Der Norweger Hermann Harris Aall. Zu Person und Werk Aalls vgl. Dahl, Hermann Harris Aall, 148. 420 Scheel, Aufstieg, 119. 421 Vgl. Scheel, Aufstieg (DN); ders., Die Rheinlandmündungslandschaft.

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brachte der Verlag drei Auflagen mit mehreren zehntausend Exemplaren auf den Markt und bereitete die Drucklegung einer vierten vor422. Als diese im Sommer 1941 erschien, erreichte die zwischenzeitlich in die NS-Bibliographie aufgenommene und vom Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda empfohlene Schrift eine Auflagenstärke von 90.000 Stück423. Aus Sicht Berlins besaß das Werk allem Anschein nach so einschlägige Qualitäten, dass eine Übersetzung ins Niederländische in Angriff genommen wurde424. Obwohl der Autor dies zunächst ablehnte, weil seiner Ansicht nach die deutsche Sprache „in allen germanisch sprechenden Ländern müsste verstanden werden“425, lag bis Sommer 1943 eine fremdsprachliche Ausgabe für die Niederlande vor426. Veränderungen an dem Manuskript, das in den ersten drei deutschen Auflagen unbearbeitet blieb, nahm der Verfasser in der vierten deutschen sowie der übersetzten Version nur insofern vor, als er auf den letzten Seiten eine Reihe von Verweisen auf das aktuelle Kriegsgeschehen einfügte. Ein qualitativer Unterschied zur Urversion bestand dabei vor allem mit Blick auf eine Reihe antisemitischer Tiraden, derer sich Scheel bei Abfassung des ersten Manuskripts im Laufe des Jahres 1940 noch enthalten hatte. An der interpretatorischen Gesamtaussage des Werkes, England müsse aufgrund der langen Geschichte seiner Verfehlungen zugunsten einer deutschen Hegemonie als Machtfaktor ausgeschaltet werden, änderten diese drastischen Ausfälle nichts427. Wenn Scheel die Aktualisierung des Manuskripts in aller Eile an seinem Dienstsitz im Kopenhagener DWI vornahm, zeigte sich nicht nur daran, wie ihm seit Beginn der umfangreichen Werbetätigkeit in der besetzten dänischen Hauptstadt die Zeit für weitere Arbeiten über den Kriegsgegner im Westen fehlte. Symptomatisch hierfür war ebenfalls, dass er keine Zeit fand, ein anderes England-Buchprojekt fertigzustellen, für das er sich im Laufe des Jahres 1940 verpflichtet hatte. Hierbei handelte es sich um einen Beitrag zum sogenannten Kriegseinsatz der Deutschen Geisteswissenschaften, den mit dem Kieler Universitätsrektor Ritterbusch ein Scheel bestens vertrauter Akademiker koordinierte. Zur historischen Sparte des Unternehmens sollte er in der Reihe „Die Westmächte und die europäische Ordnung“ einen Band über „England und die skandinavische Frage“ beisteuern. Trotz des publizistischen 422 Vgl. Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 8. 11. 1940 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 15); und Schreiben Johannes Scheels an Schmidt-Wodder vom 4. 1. 1941 (LASH Schleswig, Abt. 399.71, Nr. 191). 423 Vgl. Werbe- und Beratungsamt f r das Deutsche Schrifttum beim Reichsministerium f r Volksaufkl rung und Propaganda, Jahresschau, 9; und Scheel, Aufstieg, 4. Auflage, 1 f. 424 Vgl. Schreiben Scheels an Wilhelm Koppe vom 11. 11. 1941 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1254). 425 Schreiben Scheels an Otto Becker vom 30. 8. 1941 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 30). 426 Vgl. Scheel, Opkomst. 427 Vgl. Scheel, Aufstieg, 4. Auflage, 145–148; und ders., Opkomst, 279–285. Entsprechende Zitate finden sich in der zusammenhängenden Betrachtung von Scheels antisemitischen Ausbrüchen im Laufe des Zweiten Weltkrieges, siehe S. 226.

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Erfolges von „Aufstieg und Niedergang der englischen See- und Weltmacht“ kam der Band über das Planungsstadium jedoch nicht hinaus428. Den Kieler Landeshistoriker für eine Abhandlung über Londons Nordeuropapolitik einzuplanen, besaß nicht nur insofern eine gewisse Logik, als er qua Amt den Ruf eines ausgesprochenen Skandinavienexperten besaß. Darüber hinaus spielte bei der Wahl von Person und Thema aller Wahrscheinlichkeit nach eine maßgebliche Rolle, dass Scheel im März 1940 eine kompakte Monographie über die politischen und militärischen Zusammenhänge des Deutsch-Dänischen Krieges von 1864 vorlegte. Deren Publikation erfolgte sowohl vor der ersten fachübergreifenden Tagung des Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften als auch der gesonderten Zusammenkunft beteiligter Historiker. Da England in dem Band neben den eigentlich im Fokus stehenden deutsch-dänischen Beziehungen eine prominente Rolle spielte, dürfte das Werk für die Betrauung Scheels mit dem oben genannten Projekt im Rahmen der Aktion Ritterbusch nicht unbedeutend gewesen sein429. Die unter dem Titel „Dannewerk und Düppel auf politischem und strategischem Hintergrund“ veröffentlichte Schrift war ursprünglich als Beitrag zu einer im Herbst 1939 geplanten Geschichtstagung gedacht, welche der 75 Jahre zurückliegenden dänischen Abtretung Schleswigs und Holsteins gedenken sollte. Infolge des Kriegsausbruches fiel die Konferenz jedoch aus, und Scheel arbeitete statt einem Referat eine knapp 80-seitige Abhandlung aus. Bereits während der Niederschrift teilte er mit Blick auf Englands Rolle im Krieg von 1864 im Privaten mit, er habe hinter dem deutsch-dänischen Waffengang die „Teufelsfratze“430 des „Satans Europas“ entdeckt. Am Vorwort nahm Scheel daher bis kurz vor Drucklegung immer wieder Änderungen vor, um Englands vermeintliches Intrigenspiel deutlich herauszustellen431. Letzteres hatte der Argumentation seiner Abhandlung folgend darin bestanden, nicht auf Verständigung zwischen den Kriegsparteien hinzuarbeiten, sondern zu versuchen, mittels der Schleswig-Holstein-Frage einen großen europäischen Krieg heraufzubeschwören. Von dieser Auseinandersetzung habe sich London eine gegenseitige Neutralisierung der Mächte auf dem Festland und damit eine Sicherung seiner Ostsee-Vormacht erhofft. Das Inselreich firmierte damit als der eigentliche Brandstifter im Jahr 1864, von dem Scheel den Bogen zur neuerlichen Kriegssituation schlug, indem er feststellte, anders als gegenwärtig habe London damals keine willfährigen Helfer gefunden432. England die Rolle des notorischen Kriegstreibers zuzuschreiben, erwies sich nicht nur mit Blick auf die Legitimation des neuerlichen Waffenganges als 428 Vgl. Hausmann, Geisteswissenschaft, 156. 429 Vgl. Dietze, Bericht, 397 f.; Hausmann, Geisteswissenschaft, 157; und N.N., Dannewerk, 33 f. 430 Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 11. 9. 1939 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 2). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 431 Vgl. Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 28. 9. 1939 (Ebd.); und Schreiben Ernst Scheels an Schröder vom 13. 2. 1940 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 15). 432 Vgl. Scheel, Dannewerk, 3, 8 f., 19, 40.

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opportun, sondern auch, weil Scheel hinsichtlich des deutsch-dänischen Verhältnisses im 19. Jahrhundert auffallend darum bemüht war, den nationalen Gegensatz so weich wie nur irgend möglich zu zeichnen. Die vorgeblichen diplomatischen Winkelzüge eines missgünstigen Dritten kamen dabei gerade recht, um zu erklären, wie es 1864 zum Kriegsausbruch kommen konnte. Mit Dänemark jedenfalls ging die Schrift auffallend milde ins Gericht und vermied jene schrillen Töne, die im Streit um Eskildsens „Dansk Grænselære“ in den letzten Vorkriegsjahren zu erheblichen Störungen im Umgang mit dänischen Kollegen geführt hatten433. Von schuldhaftem Verhalten seitens des nördlichen Nachbarn war in der Schrift nur insofern die Rede, als Scheel einer als klein, aber sehr energisch beschriebenen eiderdänischen Bewegung anlastete, mit ihren Forderungen nach einer Danisierung Schleswigs den von einer breiteren Öffentlichkeit nicht gewollten Deutsch-Dänischen Krieg heraufbeschworen zu haben. Der Lesart, Dänemark sei von einer radikalen Minderheit auf politische Abwege geführt worden, leistete er weiterhin mit der Behauptung Vorschub, Kopenhagens Königshaus habe sich nur unter dem Druck der Eiderdänen auf eine Konfrontation mit dem Deutschen Bund eingelassen434. Noch deutlicher als bei der Beleuchtung politischer Hintergründe des Krieges trat in den Ausführungen über die damit verbundenen militärischen Operationen zu Tage, wie sehr sich der Autor bemühte, den Waffengang als historische Entgleisung zu zeichnen. Selbst bei der Analyse bewaffneter Konfrontation suchte Scheel verbindende Elemente zwischen den Belligerenten aufzuzeigen, beispielsweise indem er Operationen als „ritterlich geführt“435 bezeichnete und auf gute Behandlung von Zivilisten und verwundeten Gegnern verwies. Darüber hinaus attestierte er nicht nur den eigenen, sondern gleichfalls den dänischen Soldaten Mut und Opferbereitschaft. Im Zusammenhang mit der Erstürmung der Düppeler Schanzen hob er etwa einen „tapferen Gegenstoß“436 dänischer Verteidiger hervor, die zeitweise die angreifenden Preußen in „harte Bedrängnis“437 gebracht hätten. Mit derlei Respektsbezeugungen schlug der Autor auch hier überaus versöhnliche Töne an. Was er damit bezweckte, zeigte sich am Ende der Schrift. Da seine Ausführungen über den Krieg Dänemark weder politisch noch militärisch desavouierten, vermochte Scheel abschließend dem Wunsch Ausdruck zu verleihen, eines Tages möge von Deutschen und Dänen als den „volklich Geschiedenen, aber aus gleicher Wurzel und gleichem Erdreich aufgestiegenen Völkern“438 der Schlacht von Düppel ein ähnliches Monument gesetzt 433 434 435 436 437 438

Zum Streit um Eskildsens „Grenzlehre“ und Scheels Beteiligung daran siehe S. 201f. Vgl. Scheel, Dannewerk, 11, 15. Ebd., 43. Ebd., 51. Ebd., 67. Ebd., 73 .

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werden wie der von Lund. Zu deren 200-jährigem Jubiläum im Jahre 1876 hatten die einstigen Gegner Dänemark und Schweden am Ort des Geschehens ein Ehrenmal eingeweiht, dessen Inschrift allen Gefallenen als „Völkern vom selben Stamm“439 gedachte. Der Autor suchte mit der Abhandlung folglich gezielt den Topos der Urverbundenheit zwischen Deutschen und Dänen zu bedienen, die nur durch historische Fehlentwicklungen in den Hintergrund getreten sei. Welche Gegenwartsrelevanz diese interpretatorische Leitlinie in Zeiten einer bewaffneten Auseinandersetzung besaß, in der Dänemarks Neutralität erhebliche strategische Bedeutung zukam, bedurfte kaum weiterer Erörterung. Dass Scheel mit Blick auf Kopenhagen ebenso wie hinsichtlich Londons den deutschen Waffengang historiographisch ins rechte Licht zu rücken suchte, zeigte sich noch deutlicher, als binnen Monatsfrist nach Publikation des Bandes die Wehrmacht ins nördliche Nachbarland einmarschierte. Mit einem neuerlichen Tiefpunkt in den bilateralen Beziehungen konfrontiert, rückte der Kieler Ordinarius die langfristigen Ursachen der vermeintlich widernatürlichen Entgleisung deutsch-dänischer Beziehungen systematisch in den Fokus seiner folgenden Studien. Noch vor Übernahme der DWI-Präsidentschaft stellte er einen entsprechenden Beitrag für die Jomsburg in Aussicht, in dem er ausgehend von der These germanischer Verbundenheit den vermeintlich historischen Wurzeln deutsch-dänischer Entzweiung auf den Grund gehen wollte440. Wegen seiner neuen Dienstverpflichtungen in Kopenhagen konnte er die Abhandlung, welche gleichzeitig als Vorlage für seinen Eröffnungsbeitrag zur Kieler Universitätswoche 1941 diente, jedoch erst nach mehrmonatiger Verzögerung bei der Schriftleitung der Jomsburg abliefern441. Bereits der Titel des Aufsatzes war bezeichnend, da Scheel mit der Überschrift „Stromkenterung in den deutsch-dänischen Beziehungen“ das Motiv einer auf Abwege geratenen bilateralen Beziehung unübersehbar in den Mittelpunkt stellte. Was dabei nach seiner Lesart Ausnahme beziehungsweise Normalzustand darstellte, entwickelte er in den einleitenden Bemerkungen in ebenso deutlichen Formen. Bei den von ihm eingestandenen „Spannungen“442 handelte es sich demnach um Sonderentwicklungen, die gegenüber einer „rassischen und kulturellen Verbundenheit aus gemeingermanischer Wurzel“443 weniger ins Gewicht fielen. Deren größere Bedeutung stellte er heraus, indem er sie als „erste Grundtatsache“ im deutsch-dänischen Beziehungsgeflecht bezeichnete. 439 Wahlçç / Larsson, Slaget, 87. 440 Vgl. Schreiben Wilhelm Koppes an Scheel vom 12. 3. 1941 und Antwortschreiben desselben vom 24. 3. 1941 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1254). 441 Vgl. „Die Kieler Universitätswoche eröffnet“, in: KNN 15. 7. 1941; und Schreiben Scheels an Wilhelm Koppe vom 7. 7. 1941 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1254). Zu Scheels Vorträgen auf den Bücherausstellungen im besetzten Dänemark im Winter 1940/1941 siehe S. 228f. 442 Scheel, Stromkenterung, 151. 443 Ebd., 152. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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Den eigentlichen Schwerpunkt der Ausführungen bildete im Anschluss die Frage nach den historischen Wurzeln deutsch-dänischer Zwietracht, wobei er einen maßgeblichen Faktor im Wirken N.F.S. Grundtvigs ausmachte. Dieser gehörte zu den bekanntesten dänischen Geistesgrößen des 19. Jahrhunderts und genoss neben seinem theologischen Wirken vor allem als Begründer der Volkshochschulbewegung nicht nur in Dänemark großes Ansehen als Pädagoge444. Scheel argumentierte, der in seinem Heimatland zum Nationalerzieher Avancierte sei in jüngeren Jahren noch ganz von der Gedankenwelt pangermanischer Verbundenheit erfüllt gewesen. Später habe er jedoch einer deutsch-dänischen Entfremdung Vorschub geleistet, weil er mit Hinwendung zum Skandinavismus „dänische Volklichkeit mitsamt ihrer germanischen Wurzel aus der Gemeinschaft Germaniens herausnahm und eine Kluft zwischen dem Norden und dem Süden aufriß“445. Das vermeintliche Verschulden Grundtvigs fügte sich lückenlos in die vorherigen Ausführungen über Englands Intrigenspiel ein, weil Scheel mehrere Forschungsreisen des dänischen Pädagogen ins Inselreich als Grund für dessen Sinneswandel anführte. Nach den dortigen Besuchen hatte Grundtvig demnach nicht mehr „das wahre Gesicht der englischen Seemacht“446 zu erkennen vermocht, sondern fortan den Schulterschluss mit London beworben und dadurch „die Wege zum Süden gesperrt und die gen Westen führenden Wege weit geöffnet“447. Dieser Interpretation folgend waren dänische Vorbehalte gegen Deutschland substanzlos, weil das Königreich sich auf einem historischen Abweg befand, auf den es nur geraten konnte, weil im 19. Jahrhundert ausgerechnet ein gegen den südlichen Nachbarn aufgestachelter Pädagoge zum wichtigsten Bildungsreformer aufgestiegen war. Scheel klagte in diesem Zusammenhang über „tief eingewurzelte Fehlurteile“448, gab aber der Hoffnung Ausdruck, die Stromkenterung scheine „den Tiefstand erreicht zu haben“449. Wenn er in diesem Zusammenhang auf die Kooperation der dänischen Regierung mit der deutschen Besatzungsmacht sowie dänische Kriegsfreiwillige an der Ostfront verwies, legte dies überdeutlich Zeugnis davon ab, welche politische Linie er mit seiner Studie zu legitimieren suchte. Was Scheel über Grundtvig und dessen angeblich fatale Wirkung im deutsch-dänischen Beziehungsgeflecht auf wenigen gedrängten Seiten ausführte, sollte nur Auftakt zu einem größeren Buchprojekt sein. Bereits vor Erscheinen des Jomsburg-Beitrages stellte der Kopenhagener DWI-Präsident Planungen für einen eigenen Band in der neu gegründeten NOFG-Schriften-

444 Zu Person und Werk Grundtvigs vgl. Brugge, N.F.S. Grundtvig; und Allchin, N.F.S. Grundtvig. 445 Scheel, Stromkenterung, 156. 446 Ebd., 154. 447 Ebd., 160. 448 Ebd., 163. 449 Ebd., 162.

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reihe „Das Reich und Nordeuropa“ an, zu deren Herausgeberkreis er zählte450. Dem Unternehmen war allerdings nicht mehr Erfolg beschieden als der zeitgleich in Arbeit befindlichen Monographie im Rahmen der Reihe „Die Westmächte und die europäische Ordnung“ des Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften. Ebenso wie „England und die skandinavische Frage“ gehörte der mit dem Arbeitstitel „Grundtvig, Dänemark und Germanien“ versehene Band zu den Vorhaben Scheels, die dem regen Pendelverkehr zwischen Kiel und Kopenhagen zum Opfer fielen451. Einen weiteren Anlauf sollte Scheel noch unternehmen, die geschichtlichen Hintergründe für die Entzweiung der vermeintlich naturgegebenen germanischen Gemeinschaft zwischen Deutschen und Dänen zu beleuchten. Eigentlich war er bereits wenige Monate nach der Entlassung als DWI-Präsident mit seinem Amtsnachfolger Höfler und dem Reichsbevollmächtigten Best überein gekommen, für ein Forschungsprojekt nach Kopenhagen zurückzukehren. An die Verwirklichung des Plans ging er aber erst heran, als die Bombenangriffe auf Kiel mit der Zerstörung seines eigenen Hauses, der Universitätsbibliothek sowie des Historischen Seminars weitere Arbeiten in der Fördestadt unmöglich machten452. Im Spätsommer 1944 kehrte er deshalb in die dänische Hauptstadt zurück, wo die Arbeit an dem Vorhaben schnell voranschritt. Noch kurz vor Kriegsende korrespondierte er mit dem zwischenzeitlich eingezogenen Höfler über Möglichkeiten der Drucklegung453. Das Ziel des Projektes bestand darin, die Neuauflage einer Abhandlung des norwegischen Historikers Peter Munch samt kritischer Einleitung zu besorgen. Letzterer hatte im Umfeld des Krimkrieges unter dem viel sagenden Titel „Der Pangermanismus. Eine Schrift für Deutschland und die nordischen Reiche gegen den dänischen Skandinavismus und das Russenthum [sic!]“ entschieden zugunsten einer engen Gemeinschaft Dänemarks mit dem Deutschen Bund Stellung bezogen454. Dass eine Neuauflage des Werkes ob der währenden Zeitumstände opportun schien und mit klarer politischer Stoßrichtung erfolgte, stellte Scheel in seiner Korrespondenz deutlich heraus. Dort schrieb er vom Versuch, „endlich der nationalliberalen und anglophilen skandinavistischen Verschleierung der historischen und politischen Wirk450 Vgl. Entwurf einer Verlagsankündigung für die Schriftenreihe „Das Reich und Nordeuropa“ von 1941 (BArch Berlin, R 153, Nr. 320); und Schreiben Scheels an Wilhelm Koppe vom 29. 7. 1941 und Antwort desselben vom 1. 8. 1941 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1254). 451 Vgl. Schreiben Scheels an Wilhelm Koppe vom 13. 2. 1942 und 15. 2. 1942 (Ebd.). 452 Vgl. Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 25. 5. 1943 und 24. 1. 1944 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 15); und Schreiben Scheels an die Nordische Gesellschaft vom 30. 3. 1944 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 64). 453 Vgl. Vermerk der Visumabteilung bei der dänischen Polizeibehörde vom 23. 8. 1944 (RA Kopenhagen, Rigspolitichefen, Tilsynet med Udlændige, Nr. 2233); und Schreiben Höflers an Scheel vom 24. 3. 1945 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 64). 454 Zu Person und Werk Peter Andreas Munchs vgl. Hanschmidt, Panslawismus; und Dahl, Peter Andreas Munch.

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lichkeit der nordgermanischen Welt […] entgegenzutreten“455, und bezeichnete Munchs Schrift als „das geisteswissenschaftliche und kulturpolitische Seitenstück zu den Germanischen Legionen der Waffen-SS“. Zwar blieb die Publikation in den Wirren der letzten Kriegsmonate aus, doch zumindest einen Teil des Niedergeschriebenen nahm Scheel bei Abreise aus Kopenhagen mit nach Deutschland. In diesen erhalten gebliebenen Abschnitten der Einleitung erhob er Munch zum Kronzeugen all dessen, was er in seinen vorherigen Schriften über pangermanische deutsch-dänische Verbundenheit ausgeführt hatte, um eine Parteinahme Kopenhagens zugunsten des gegenwärtigen deutschen Kriegseinsatzes historisch zu rechtfertigen. Seine Ausführungen attestierten der „vom Wissen der Wehrhaftigkeit beseelten Forschung“456 des Norwegers, es handele sich um eine „Rüstkammer“, die darauf ausgerichtet sei, „im Wege liegenden Schutt beiseite zu räumen und für den germanischen Bau der Zukunft Quadern [sic!] zu behauen und zurecht zu legen“. Einwände gegen die Denkschrift tat Scheel als „ungebührlich“ ab, weil seiner Lesart folgend dessen Autor erfüllt gewesen war von „banger Sorge um die Zukunft Germaniens und Europas“. Dass nach seinem Dafürhalten Munchs Grundgedanke eines germanischen Zusammenschlusses unter deutscher Führerschaft zur Abwehr russischer Expansionsgelüste keine Verirrung darstellte, sondern unmittelbare Gegenwartsrelevanz besaß, stellte er unmissverständlich heraus. Gleich in den ersten Zeilen seiner Einleitung hielt er fest, der Name des Norwegers werde noch präsenter sein als zu dessen Lebzeiten, „wenn der deutsche und europäische Freiheitskampf bestanden ist“. Die in Scheels Schriften mit England- beziehungsweise DänemarkSchwerpunkt omnipräsenten Verweise auf eine verheißungsvolle Zukunft Germaniens bildeten ebenfalls den Abschluss der einzigen beiden im engeren Sinne landeshistorischen Abhandlungen, welche er während des Zweiten Weltkrieges veröffentlichte. Sofern man von einer Reihe kurzer Zeitungsartikel zur Gründungsgeschichte seiner Geburtsstadt Tondern absieht457, handelte es sich dabei um zwei Beiträge zur Kieler Universitätsgeschichte, welche er zu beiden Festschriften anlässlich der 275-Jahrfeier der Christiana Albertina 1940 beisteuerte. Bezeichnenderweise hatte der seit Kriegsbeginn ständig auf Achse befindliche Scheel keineswegs aus freien Stücken zur Feder gegriffen. Nur auf Drängen des vorbereitenden Ausschusses übernahm der anderweitig voll Ausgelastete die Abfassung des historischen Überblicks im universitätseigenen Jubelband, gegen die er sich anfangs mit Verweis auf seine mannigfaltigen Verpflichtungen gesträubt hatte. Der mehr oder weniger 455 Schreiben Scheels an das Auswärtige Amt vom 28. 6. 1944 (PAAA Berlin, R 64394 m). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 456 Manuskript „Munch“ (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 22). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 457 Vgl. Scheel, Kaupang; ders., Kleine Beiträge (1943); ders., Kleine Beiträge (1944); und ders., Stadtrecht.

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zwangsweisen Rekrutierung entsprechend destillierte er aus seinen dortigen Ausführungen einen Aufsatz für die zweite Festgabe, die unter der Ägide des Kieler Oberbürgermeisters herausgegeben wurde458. Besonders beim Überblick über die Universitätsgeschichte griff der von Zeitnot geplagte Scheel massiv auf seine Ausführungen zur Universitätswoche 1937 zurück, in denen er eine Reihe Kieler Professoren des frühen 19. Jahrhunderts, allen voran den Historiker Dahlmann, zu völkischen Propheten gestempelt hatte459. 1940 lag der Schwerpunkt erneut auf den Jahren nach den Napoleonischen Kriegen, die der Verfasser als „Edelstein im Diadem unserer Landesuniversität“460 glorifizierte, weil die Christiana Albertina in jenen Jahren „ihre große deutsche Aufgabe aufgriff und vollendete“461. Einen neuen Akzent setzte die Abhandlung lediglich mit dem Hinweis, neben den Ordinarien hätten ebenfalls Studierende an der Entwicklung der Universität zum völkischen Zentrum mitgewirkt462. Hiervon legte Scheel zufolge ein von Kieler Studenten ausgearbeiteter Verfassungsentwurf für die Allgemeine Deutsche Burschenschaft aus dem Jahre 1818 Zeugnis ab, dem er sich eingehender in seinem Beitrag für die städtische Festschrift zum Universitätsjubiläum widmete. Diese Beweisführung war insofern überraschend, als er bei Erläuterung des Entwurfes nicht umhin kam zuzugeben, dass es um das Verfassungsmodell zu massiven Streitigkeiten innerhalb der Studentenschaft an der Förde gekommen war. Scheel schob die Zerwürfnisse allerdings als unwichtige Zwistigkeiten um „Sonderfragen“463 beiseite und behauptete stattdessen unter Berufung auf die den Paragraphen vorangestellte Einleitung, der Entwurf zeuge vom „neuen volksdeutschen Erlebnis“464 und belege „eine Gemeinschaft des Geistes und politischen Strebens“465. Die Beiträge zum Jubiläum der Christiana Albertina stellten somit ein weiteres Mal das historiographische Bestreben ihres Autors unter Beweis, Verfassungsforderungen bei der Schilderung der jungen Nationalbewegung gezielt kleinzureden und an ihrer statt völkische Überzeugungen zum wichtigsten Motor deutscher Einigung zu stilisieren. Blieb die Produktivität in Sachen landeshistorischer Forschung seit Kriegsbeginn überschaubar, vermochte Scheel wegen seiner ständigen Abwesenheiten von Kiel ebenfalls nicht der Arbeit des IVL entscheidende Impulse zu geben. Symptomatisch hierfür war ein fast drei Jahre nach Beginn der 458 Vgl. Protokolle der Besprechungen für die Vorbereitung zur 275-Jahrfeier der Kieler Universität vom Januar und Februar 1940 (LASH Schleswig, Abt. 399.96, Nr. 136); und Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 2. 9. 1940 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 15). 459 Zu Scheels Ausführungen anlässlich der Universitätswoche 1937 siehe S. 191. 460 Scheel, Landesuniversität, 24. 461 Ebd., 16. 462 Vgl. ebd., 20–22. 463 Scheel, Kieler Entwurf, 212. 464 Ebd., 211. 465 Ebd., 212.

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Kampfhandlungen veröffentlichter Tätigkeitsbericht des Instituts. Trotz seiner zentralen Position als wissenschaftlicher Leiter fand der Ordinarius für Landesgeschichte dort an keiner Stelle Erwähnung466. Auch in den Bänden der Schriftenreihen des IVL, die während des Zweiten Weltkriegs erschienen, fanden sich fast keine Verweise auf seine Beteiligung an der Arbeit des Instituts. Lediglich bei einer Dissertation über die deutsche Kolonie im mittelalterlichen Stockholm fungierte Scheel als Berichterstatter und leitete deren Druck über das IVL in die Wege467. Für seine Position im institutionellen Gefüge schleswig-holsteinischer Landesgeschichtsforschung zeitigte dies zunächst keine Folgen. Zur Fußangel entwickelte sich die weitestgehende Passivität in Kieler Gefilden erst, als sich dem GSHG-Schriftführer Pauls eine Gelegenheit bot, diese zum Politikum zu machen. Der mit Scheel seit den späten 1930er Jahren Verfeindete468 hatte kurz nach Kriegsbeginn einen nicht unerheblichen Tiefschlag einstecken müssen. Die NOFG löste ihn als Vorstandsmitglied ausgerechnet zugunsten seines Intimfeindes ab, den sie ohnehin lieber als Gebietsvertreter für SchleswigHolstein berufen hätte469. In Anbetracht dessen war es wenig überraschend, dass Pauls kurze Zeit später die ihm gebotene Steilvorlage nutzte, seinem Konkurrenten die Schmach mit gleicher Münze heimzuzahlen. Kaum ein halbes Jahr nach seinem NOFG-Ausschluss erhielt der GSHGSchriftführer einen Brief vom Verleger Wachholtz, in dem der Absender über das „Sorgenkind“470 in den hauseigenen Publikationsreihen klagte, die mehrbändige Geschichte Schleswig-Holsteins, welche unter der Ägide der Geschichtsgesellschaft von Scheel und Pauls betreut wurde. Noch bevor der Empfänger seinen Mitherausgeber kontaktierte, leitete er die Beschwerde an das schleswig-holsteinische Oberpräsidium mit dem Hinweis weiter, man müsse dem viel belasteten Ordinarius für Landesgeschichte notfalls den Rücktritt von seinen Verpflichtungen nahelegen, um die Fertigstellung des Unternehmens zu sichern471. Dies war nur der erste Diskreditierungsversuch des Landesbibliothekars. Nach einem guten halben Jahr wenig kollegialen Briefwechsels mit Scheel, der auf die Forderung nach schnellstmöglicher Niederschrift der von ihm übernommenen Abschnitte teils unwirsch, teils ausweichend reagierte472, sandte Pauls erneut einen Brief an das Oberpräsi466 Vgl. Hoffmann, Institut (1942). 467 Vgl. Weinauge, Bevölkerung, Prüfungsvermerke des Dekanats und Lebenslauf des Autors, beide ohne Seitenzählung. 468 Zu Pauls’ Berufung in den Vorstand der NOFG sowie seinen langjährigen Streitigkeiten mit Scheel siehe S. 187–189. 469 Vgl. Schreiben Albert Brackmanns an Gottfried E. Hoffmann und Volquart Pauls vom 7. 3. 1941 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1273). 470 Schreiben des Wachholtz Verlages an Volquart Pauls vom 4. 12. 1941 (LASH Schleswig, Abt. 397, Nr. 365). 471 Vgl. Schreiben Volquart Pauls’ an Vizepräsident Schow vom 16. 12. 1941 (Ebd.). 472 Vgl. Schreiben Scheels an Ernst Schröder vom 6. 1. 1942 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 15); Schreiben Scheels an Wilhelm Koppe vom 15. 2. 1942 (BArch Berlin, R 153,

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dium. Die von Scheel angeführten Gründe für etwaige Verzögerungen griff er darin als „geradezu lächerlich“473 an und forderte nun unverblümt die „völlige Lösung von Prof. Scheel“, um eine „ersprießliche Zusammenarbeit“ bei Verfertigung der opulenten Landesgeschichte zu garantieren. Für derlei Denunziationen erwies sich die Provinzialverwaltung aus mehreren Gründen empfänglich. Zum einen hatte sie seinerzeit die Bestallung von Pauls in der NOFG eifrig betrieben und sich gleichzeitig der von Scheel widersetzt. Auf den Vorstandswechsel nach Kriegsbeginn, der zu Ungunsten des eigenen Kandidaten ausgerechnet den offen Abgelehnten beförderte, hatte das Oberpräsidium mit einem geharnischten Brief an die NOFG-Leitung reagiert474. Für Kritik an Scheel dürfte sie darüber hinaus deshalb ein offenes Ohr gehabt haben, weil dieser bei Eskalation des Streits um die Fortführung der mehrbändigen Landesgeschichte noch als Präsident des DWI Kopenhagen amtierte. Just wegen der Eröffnung dieses Instituts war das Auswärtige Amt mit dem schleswig-holsteinischen Oberpräsidenten in dessen Funktion als Vorsitzender der NG über Kreuz geraten und hatte eine vom ihm geplante Kopenhagenreise unterbunden475. Zum Vorteil Scheels wirkte sich jene Düpierung sicherlich nicht aus, als bei dessen Stellvertreter die Brandbriefe des GSHG-Schriftführers aufliefen. Wohl nicht zuletzt wegen derlei Vorbelastungen schoss Letzterer mit seiner Intrige ein gutes Stück über das eigentliche Ziel hinaus, den Ordinarius für Landesgeschichte durch gezielte Denunziation als Beiträger und Mitherausgeber auszuschalten. Keine sechs Wochen nachdem er der Provinzialverwaltung seine Forderung unterbreitet hatte, vermochte er im Privaten nicht bloß zu vermelden, seinem Wunsch werde von Seiten der Politik entsprochen. Allem Anschein nach brachten seine scharfen Angriffe ebenfalls mit Blick auf die wissenschaftliche Leitung des wenig aktiven IVL den Stein zu Ungunsten des Amtsinhabers ins Rollen. Pauls jedenfalls wusste bereits zum Zeitpunkt von Scheels zwangsweisem Ausscheiden beim Großprojekt GSHG-Landesgeschichte zu berichten, dies könne „der Anfang sein für seine Ausschaltung auch bei dem Institut“476. Mit dieser Einschätzung sollte er Recht behalten. Indem der geschasste Ordinarius für Landesgeschichte monatelang auf eine Stellungnahme zu seiner Entlassung als Mitarbeiter an der mehrbändigen Landesgeschichte warten

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Nr. 1254); und Briefwechsel Pauls-Scheel vom Januar bis Juni 1942 (LASH Schleswig, Abt. 397, Nr. 365). Schreiben Volquart Pauls’ an Vizepräsident Schow vom 14. 7. 1942 (Ebd.). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Vgl. Schreiben Vizepräsident Schows an Albert Brackmann vom 30. 4. 1941 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1273). Zu den Streitigkeiten zwischen dem Auswärtigen Amt und der Nordischen Gesellschaft im Umfeld der Eröffnung des Kopenhagener DWI siehe S. 231. Schreiben Volquart Pauls’ an Herbert Jankuhn vom 5. 9. 1942 (LASH Schleswig, Abt. 397, Nr. 365).

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ließ477, verspielte er den letzten Kredit beim Oberpräsidium. Letzteres hatte seinerzeit den Leitungsposten im IVL ohnehin nur auf Drängen des Universitätsrektors an ihn vergeben. Als Antwort auf seine reichlich verspätet übermittelten Verteidigungsversuche erhielt er deshalb Ende 1942 ein gepfeffertes Schreiben von der Spitze der Provinzialverwaltung, die ihm vorwarf, „auch auf anderen Gebieten“478 seine Pflichten verletzt zu haben. Welche Konsequenzen daraus für Scheel erwuchsen, teilte ihm der Oberpräsident in einem gesonderten Schreiben mit, welches nicht erhalten blieb, doch aller Voraussicht nach drehte es sich um die Kontrolle des IVL. Bereits Anfang des folgenden Jahres erhielt die NOFG-Leitung Kunde aus Kiel, ihr schleswigholsteinischer Vertrauensmann habe sein Amt als wissenschaftlicher Leiter niedergelegt479. Wie aus der Korrespondenz des Betroffenen ersichtlich, wusste er sehr bald um die zentrale Rolle, welche Pauls bei seiner Ablösung gespielt hatte. Eine Verstrickung des GSHG-Schriftführers in seinen wenig rühmlichen Abschied von dem Leitungsposten lag schon deswegen nahe, weil dieser rasch zum Nachfolger an der Spitze der Einrichtung avancierte, welche fortan den Namen Provinzialinstitut für Volks- und Landesforschung trug480. Wenn Scheels Reaktionen darauf sich in abfälligen Kommentaren gegenüber der NOFG-Leitung und dem Austritt aus der GSHG erschöpften, so dokumentierte dies kaum entschlossene Gegenwehr. Derlei wenig zielführende Gegenmaßnahmen unterstrichen nur zusätzlich, wie sehr Scheels Einfluss in Kieler Gefilden wegen kriegsbedingter anderweitiger Verpflichtungen zu schwinden begonnen hatte481. Was für die Landesgeschichte galt, traf erst Recht auf die Kirchenhistorie zu. An eigenen publizistischen Erzeugnissen bewerkstelligte Scheel während des Krieges lediglich die Veröffentlichung seines Luther-Referates vom Züricher Historikertag 1938, und auch in wissenschaftsorganisatorischer Hinsicht tat er sich nicht hervor. Zwar übernahm er im Oktober 1939 mit dem Vorsitz im VSHKG eine weitere Leitungsfunktion482, füllte diese aber de facto nie aus. Erst mehr als ein halbes Jahr nach seiner Wahl schaffte es der oft fernab von Kiel Beschäftigte, die Vereinsmitglieder über seinen Amtsantritt in Kenntnis zu setzen483. Die kommissarische Geschäftsführung hatte er zu diesem Zeitpunkt 477 Vgl. Schreiben Scheels an Vizepräsident Schow vom 29. 10. 1942 (Ebd.). 478 Schreiben Vizepräsident Schows an Scheel vom 23. 12. 1942 (Ebd.). 479 Vgl. Schreiben Gottfried E. Hoffmanns an die NOFG vom 4. 2. 1943 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1150). 480 Vgl. Diedrichsen-Heide, Institut, 52; und Organigramm des Provinzialinstituts für Volksund Landesforschung (LBK Kiel, Cb 39, Nr. 58). 481 Vgl. Schreiben Scheels an Johannes Papritz vom 1. 3. 1943 (BArch Berlin, R 153, Nr. 1150); und Schreiben Scheels an Volquart Pauls vom 30. 7. 1943 (LAfS Apenrade, NL Ernst Schröder, Nr. 15). 482 Vgl. Protokoll der Vorstandssitzung des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte vom 4. 10. 1939 (LASH Schleswig, Abt. 399.99, Nr. 131). 483 Vgl. Rundschreiben Scheels an die Mitglieder des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte vom 23. 4. 1940 (LASH Schleswig, Abt. 399.1, Nr. 44).

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bereits an einen Vertreter abgegeben, der bis Kriegsende an seiner statt schaltete und waltete484. In Sachen des VRG ähnlich pragmatisch zu verfahren, vermochte sich der Kieler Ordinarius nicht durchzuringen. Dies hing möglicherweise damit zusammen, dass er nicht zugunsten des federführenden ARG-Herausgebers Gerhard Ritter das Feld räumen wollte, zu dem sein Verhältnis seit dem Züricher Eklat dauerhaft belastet war485. Hierfür sprach, dass Scheel gegenüber Letzterem selbst nach Übernahme der DWI-Präsidentschaft mit Nachdruck betonte, er bleibe für alle Belange des VRG erreichbar486. Entscheidende Anstöße für die Vereinsarbeit vermochte der schon vor Kriegsausbruch mehr reagierende denn agierende Vorsitzende allerdings nicht zu geben. Zwar orakelte er im Sommer 1940, dem VRG stelle sich „die nordeuropäische sowohl wie die westeuropäische Aufgabe […] immer fordernder“487, und auf der Vorstandssitzung des Folgejahres erklärte er, er wolle kraft seines Kopenhagener Amtes „dänische Stellen für das Archiv […] interessieren“488. Diese Pläne verliefen jedoch genauso im Sande wie sein Versuch der Vorkriegsjahre, in das hauseigene Publikationsprogramm mehr ,Gegenwartsnähe‘ hineinzutragen. Der einzige dänische Beiträger zu Kriegszeiten wandte sich ohne Beteiligung Scheels bereits vor dessen Wechsel zum DWI an den VRG489. Bezeichnenderweise blieb die Vorstandssitzung, auf welcher der Kieler Ordinarius seine fruchtlos gebliebene dänische Initiative ankündigte, gleichzeitig die letzte, an der er persönlich teilnahm. In der Folge beschränkte sich seine Amtsführung gänzlich auf die schriftliche Abwicklung von Sachfragen wie Papierbeschaffung und Beantragung finanzieller Förderungen. Die Intervalle zwischen den Briefwechseln mit Gerhard Ritter und Heinrich Bornkamm als den wichtigsten Vorstandsmitgliedern wurden dabei im weiteren Verlauf des Krieges immer länger. Ende 1944 besaßen die beiden beispielsweise keine gesicherten Informationen, ob der anderweitig eingespannte Vorsitzende Anfang des Jahres bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft einen Förderungsantrag für das ARG eingereicht hatte490. Wenn 484 Vgl. Neuausfertigung der Vollmacht Scheels für Landesarchivrat Dr. Hahn vom 21. 4. 1944 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 68). 485 Siehe hierzu S. 215 f. 486 Vgl. Schreiben Scheels an Gerhard Ritter vom 28. 4. 1941 (AVRG Mainz, Stehordner ARG IV 1941–1943). Zur Auseinandersetzung zwischen Scheel und Ritter auf dem Historikertag in Zürich und deren Folgen siehe S. 215–217. 487 Schreiben Scheels an Gerhard Ritter vom 5. 6. 1940 (AVRG Mainz, Stehordner ARG III 1940–1941). 488 Protokoll der Vorstandssitzung des VRG vom 18. 10. 1941 (AVRG Mainz, Karton 5.2). 489 Vgl. Schreiben Gerhard Ritters an Heinrich Bornkamm vom 26. 4. 1940 (AVRG Mainz, Karton 2.3). Bei dem dänischen Beiträger handelte es sich um den Archivar im Reichsarchiv Björn Kornerup, der einen Überblick zur skandinavischen Reformationsforschung lieferte, vgl. Kornerup, Reformationshistorie. 490 Vgl. Schreiben Gerhard Ritters an Heinrich Bornkamm vom 23. 10. 1944 und Antwort desselben vom 29. 11. 1944 (AVRG Mainz, Karton 2.3); und Fix, Scheel, 96.

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sich aus dieser weitestgehend passiven Amtsführung in Anbetracht der ohnehin bestehenden Spannungen im inneren Vorstand keine greifbaren Folgen ergaben, dürfte dies vor allem den Zeitumständen der letzten Kriegsphase geschuldet gewesen sein. Dass lediglich die chaotischen äußeren Verhältnisse ähnliche personelle Konsequenzen wie im Bereich der Landesgeschichte verhinderten, sollte sich in aller Deutlichkeit bei Wiederaufnahme der Vereinsarbeit nach Kriegsende zeigen.

5. Sinnstiftungsversuche in der Nachkriegszeit 5.1. Rückzug nach Schleswig(-Holstein) 5.1.1. ,Stunde Null‘ Im Gegensatz zu 1918, als Scheel am Tübinger Österberg der deutschen Niederlage und ihren Folgen in zumindest äußerlich geordneten Verhältnissen harren konnte, durchlebte er das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Folgejahre unter weniger komfortablen Umständen. Ende April vom Kopenhagener DWI abgereist, verbrachte Scheel wegen Ausbombung seines Hauses nicht nur die letzten Tage vor der bedingungslosen Kapitulation im Haithabumuseum der Stadt Schleswig1. Die zu Notwohnungen umfunktionierten Räumlichkeiten blieben auch danach über lange Zeit wichtiger Anlaufpunkt, weil er sich hier ein Arbeitszimmer einrichten konnte. Erst nach acht Jahren Pendelverkehr von dort zur familiären Behelfsunterkunft in der Nähe Kiels erhielten seine Frau und er wieder eine feste Bleibe in der Landeshauptstadt. Im Vergleich zur im Krieg zerstörten Stadtvilla handelte es sich nach Scheels Einschätzung dabei jedoch um nicht mehr als eine „Hundehütte […] mit eigenem Telefon“2. Nicht nur hinsichtlich der lange Zeit prekären Wohnverhältnisse teilte er das Schicksal vieler seiner Landsleute. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren machten sich zusätzlich Hunger und Krankheit zum Teil drastisch bemerkbar. Dies galt insbesondere für die kalte Jahreszeit. Nach dem fast gänzlich im Krankenhaus verbrachten ersten Friedenswinter befand sich der Kieler Ordinarius in einem derart schlechten gesundheitlichen Zustand, dass er sich vor die Notwendigkeit gestellt sah, sowohl mit seinen Memoiren zu beginnen als auch für die Betreuung seines Nachlasses Sorge zu tragen. Massiv unterernährt, war es wohl zu einem Gutteil den Lebensmittelsendungen von Freunden und Bekannten zu verdanken, dass seine schriftlichen Hinterlassenschaften nicht so schnell wie befürchtet in fremde Hand gingen3. Ungeachtet dessen besserten sich aus der Sicht des Betroffenen seine Lebensverhältnisse über 1 Vgl. autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „In der nordschleswigschen Kleinstadt Tondern“, 11 (Privatbesitz); und Schreiben Scheels an den Kurator der Universität Kiel vom 4. 4. 1945 (LASH Schleswig, Abt. 47, 6996). 2 Schreiben Scheels an Otto Becker vom 3. 9. 1953 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 46). 3 Vgl. Schreiben Scheels an Oscar Behrens vom 3. 9. 1946 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 32); Schreiben Paul Selks an Scheel vom 22. 9. 1946 und 28. 10. 1946 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 46); Schreiben Scheels an Thomas O. Achelis vom 4. 7. 1946 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 64); und Schreiben Scheels an Paul Selk vom 28. 7. 1946 (LBK Kiel, Cf 3, 56:2, 01–20).

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Jahre hinweg nicht entscheidend. Noch im Frühjahr 1949 teilte er im Privaten mit, aufgrund der äußeren Umstände würde er, falls er keine Familie hätte, „gerne diesem Leben Valet sagen“4. Entsprechend den krisenhaften Lebensumständen fielen Scheels Diagnosen der Großwetterlage nach Ende des Zweiten Weltkrieges aus, den er in seinen Memoiren die „schwerste Kulturkatastrophe der abendländischen Menschheit“5 nannte. Als der briefliche Austausch mit seinen engeren Vertrauten ab Anfang 1946 wieder in Gang kam, schrieb er, man habe das „furchtbare Schlusskapitel“6 der Geschichte des Deutschen Reiches erlebt, dessen „Rolle in der Weltgeschichte […] ausgespielt“7 sei und das künftig den Platz unter Europas Nationen angewiesen bekäme. Die Wiedereinsetzung einer deutschen Zentralregierung erschien ihm nicht nur auf absehbare Zeit unwahrscheinlich, sondern insgesamt fraglich8. Glich diese Zukunftsvision einer dauerhaften Fremdbestimmung durch die Siegermächte auf den ersten Blick jenen düsteren Prognosen aus den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, unterschied sie sich in einem entscheidenden Punkt. Während Scheel seinerzeit die Nachkriegsordnung gemäß dem Frieden von Versailles als Vergewaltigung gebrandmarkt und die Deutschen zum Märtyrervolk stilisiert hatte, enthielt er sich nun derlei verbalen Angriffen auf die Okkupationsmächte. Stattdessen stellte er heraus, das besiegte und besetzte Land besitze keinerlei Anspruch auf eine „den edlen Gedanken und Kräften unserer Vergangenheit entsprechende Stellung und Zukunft“9. Wenn der Absender als Begründung für derlei Einschätzungen anführte, das „moralische Ansehen“10 Deutschlands sei „von Verbrechern und Geistesgestörten verwirtschaftet worden“, verwies er nicht nur auf die Schandtaten des NS-Regimes, von denen er auch sonst lediglich in verklausulierter Form als einer „schwer verständlichen Wirklichkeit“11 schrieb. Mit der oben genannten Zuschreibung von Verantwortlichkeiten äußerte er sich darüber hinaus zur Frage nach den Schuldigen im eigenen Land in einer Art und Weise, welche die breite Mehrheit der Bevölkerung von jeglicher Beteiligung freisprach. Ähnliche Formulierungen fanden sich in einer ganzen Reihe weiterer privater Briefe. An anderer Stelle teilte er beispielsweise mit, eine „gewis-

4 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 22. 4. 1949 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57). 5 Autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Vernichtung einer Lebensarbeit“, 67 (Privatbesitz). 6 Schreiben Scheels an Otto Becker vom 17. 3. 1946 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 34). 7 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 1. 1. 1947 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 56). 8 Vgl. Schreiben Scheels an Thomas O. Achelis vom 4. 7. 1946 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 64). 9 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom Februar 1946 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57). 10 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 5. 6. 1947 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 56). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 11 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom Februar 1946 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57).

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senlose Bande von Abenteurern, Verbrechern und korrupten Leuten“12 habe „das deutsche Volk in den Abgrund gestürzt“. Der Tenor solcher Aussagen entsprach genau dem, was er ebenfalls in seinen autobiographischen Aufzeichnungen mit Referenzen auf „verhängnisvolle Jahre des Nationalsozialismus“13 zu implizieren suchte. NS-Diktatur und Krieg hatten dieser Lesart folgend Deutschland wie ein Schicksalsschlag getroffen, für den lediglich eine kleine Gruppe verantwortlich zeichnete. Besonders augenfällig für die apologetische Tendenz der Scheel’schen Ursachenforschung waren seine Äußerungen über Hitler. Der vormals von ihm ob seines vermeintlichen politischen wie militärischen Genius bewunderte ,Führer‘ firmierte in der Nachkriegszeit als Inbegriff des Bösen, dessem „neronisch verbrecherischen und kranken Hirn“14 der Antrieb für alle Verfehlungen der vergangenen zwölf Jahre entsprungen zu sein schien. Zur Untermalung des Bildes vom diabolischen Verführer der Massen bediente sich der Kieler Ordinarius unter anderem des Vergleichs mit dem Rattenfänger von Hameln. Ebenso wie dessen unwissende Opfer der populären Sage nach mit voller Absicht ins Verderben geführt worden waren, hatte der Diktator demnach die von ihm hintergangenen Deutschen wissentlich und willentlich ins Elend gestürzt15. Mit dem Topos des eng begrenzten Täterkreises um Hitler als dämonischem Strippenzieher folgte Scheel einer argumentativen Strategie, die sich bei Auseinandersetzung mit der NS-Herrschaft und ihren dramatischen Folgen nicht nur in den unmittelbaren Nachkriegsjahren großer Beliebtheit erfreute16. Entsprechend fielen die wenigen direkten Äußerungen über sein persönliches Verhalten während der NS-Diktatur aus. An keiner Stelle zeugten sie auch nur im Ansatz vom Versuch kritischer Reflexion der eigenen Rolle. Letztere stellte Scheel als gänzlich unbedeutend dar und bediente sich dabei Formulierungen wie etwa der, er habe sich ganz in seine vier Wände zurückgezogen und den neuen Regierenden das Feld überlassen. Etwas anderes, so seine Argumentation, sei ihm wie den meisten anderen ohnehin nicht möglich gewesen, schließlich habe er „weder am Hebel der Macht noch eines maßgebenden Einflusses“17 gesessen, und jegliche Form der Kritik hätte unweigerlich schwere Repressalien nach sich gezogen18. 12 Schreiben Scheels an H. Balcke vom 13. 4. 1947 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 32). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 13 Autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Im Pastorat zu Abel“, 62 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 16). 14 Autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Die Mutter auf dem Weg zum Dienst im schleswigschen Pfarrhause“, 92 (Privatbesitz). 15 Vgl. Schreiben Scheels an Thomas O. Achelis vom 12. 1. 1947 (LASH Schleswig, Abt. 399.1, Nr. 44). 16 Aus der uferlosen Literatur zum apologetischen Umgang mit der NS-Vergangenheit sei an dieser Stelle verwiesen auf Frei, Vergangenheitspolitik; und Schildt, Umgang, 19–54. 17 Autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Vernichtung einer Lebensarbeit“, 9 (Privatbesitz).

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Die Frage, ob er als Kirchen- beziehungsweise Landeshistoriker in irgendeiner Form dem NS-Regime zugearbeitet haben könnte, verneinte er nicht weniger deutlich. Seiner eigenen Darstellung nach hatte er bei akademischen Betätigungen vielmehr in Gegnerschaft zum neuen System gestanden, weil von ihm die Korrumpierung wissenschaftlicher Standards zugunsten einer Legitimation des NS-Regimes stets abgelehnt worden sei. Mit Blick auf die Tätigkeit wissenschaftlicher Vereine klagte Scheel über den „Einbruch des Nazismus“19 und nahm für sich in Anspruch, die damit verbundene „Verfälschung des wissenschaftlichen Dienstes“ niemals unterstützt zu haben. In dem Bestreben, die eigene Arbeit während der NS-Jahre als Ausweis ,sauberer‘ Wissenschaft zu deklarieren, die sich von jedweder Form braun eingefärbter Propaganda trennscharf unterscheide, vermochte er sich gar als Leidtragenden amtlicher Schikane darzustellen. Als Beleg hierfür diente ihm das Ende der BK gegen Mitte der 1930er Jahre. Wenngleich dabei der Konkurrenzkampf mit der GSHG in Person von Pauls ursächlich gewesen war, behauptete Scheel gegenüber Dritten, die von ihm ins Leben gerufene Einrichtung sei „ein Opfer der Nat.[ional]Sozialisten [geworden], die es natürlich nicht ertrugen, dass eine von ihnen unabhängige wissenschaftliche Kommission bestünde“20. Die Legende vom drangsalierten Verteidiger unkorrumpierter Wissenschaft streute Scheel nicht nur im Privaten, sondern trug sie ebenfalls gegenüber den britischen Besatzungsbehörden zur eigenen Entlastung vor, als sein Entnazifizierungsverfahren anlief. Letzteres geschah allem Anschein nach unmittelbar im Anschluss an das Kriegsende. Bereits Ende Mai füllte der Landesgeschichtsordinarius den von der britischen Militärverwaltung vorgelegten Fragebogen aus. Wie aus den dortigen Ausführungen ersichtlich, versuchte Scheel Funktionen und Aktivitäten während der NS-Zeit zu seinen Gunsten ins rechte Licht zu rücken, indem er akademisches Renommee und vermeintliche Wissenschaftlichkeit seiner Betätigungen systematisch in den Vordergrund stellte. So ergänzte er beispielsweise unter der Auflistung seiner beruflichen Positionen die Ehrendoktorwürden der Universitäten Berlin, Oslo und Amsterdam, obwohl danach gar nicht gefragt worden war. Bei den Auskünften über Auslandsreisen bediente er sich eines ähnlichen Kunstgriffes. Hier subsumierte er seine Redner- und Werbetätigkeit im In- und Ausland unter „Vorträge u. wissenschaftl. Forschung“21 beziehungsweise „Wehr-

18 Vgl. Schreiben Scheels an Harald Skalberg vom 12. 6. 1947 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 46). 19 Schreiben Scheels an Wilhelm Jensen vom 27. 12. 1945 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 68). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 20 Schreiben Scheels an Karl Jordan vom 14. 8. 1950 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 39). 21 Entnazifizierungsakte Scheels (LASH Schleswig, Abt. 460). Neben der Unterschrift findet sich die Datumsangabe 25.5.45. Außer dem Fragebogen enthält die Akte keine weiteren Dokumente. Zur britischen Besatzungsherrschaft in Schleswig-Holstein vgl. J rgensen, Briten.

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machtbetreuung (wissenschaftliche Vorträge)“, was gleichermaßen die dahinter stehenden politischen Zweckmäßigkeiten kaschierte. Noch deutlicher als derlei Akzentuierungen des Akademischen zeugten seine abschließenden Bemerkungen im Feld für besondere Anmerkungen von dem Bestreben, das Bild des unpolitischen beziehungsweise politisch unbelasteten Professors zu zeichnen, der keinen Pakt mit den braunen Machthabern eingegangen war. Ganz im Gegenteil vermochte Scheel ähnlich wie in seiner Privatkorrespondenz von „Beschränkung in beruflicher Freiheit“22 zu berichten und berief sich erstens darauf, man habe ihn im Frühjahr 1933 „genötigt, das Rektorat der Universität niederzulegen“. Als zweiten Beweis führte er ins Feld, zehn Jahre später „auf Weisung des Gauleiters“ an der Spitze des IVL abgelöst worden zu sein. Beide Angaben waren prinzipiell nicht falsch, vermittelten bei isolierter Betrachtung jedoch ein vollkommen unzutreffendes Bild von der Gesamtheit seiner Betätigungen in den NS-Jahren23. Aus Sicht unkundiger Leser des Fragebogens konnten beide Angaben indes nur dazu geeignet sein, der Argumentation des Schreibers beizupflichten, dieser sei als unkorrumpierter Wissenschaftler Opfer nationalsozialistischer Repressalien geworden. Um dieser Lesart Nachdruck zu verleihen, deutete Scheel zu guter Letzt an, auch politisch mit dem NS-Regime über Kreuz geraten zu sein. Ganz im Gegensatz zu seinen Memoiren, in denen er ausdrücklich betonte, jeglicher Widerstand sei unmöglich gewesen, teilte er den britischen Besatzungsbehörden mit, man habe ihn im Spätsommer 1944 „wegen Äußerungen über die Kriegslage u. Propaganda vor die Gestapo zitiert“24. Die entsprechenden amtlichen Aufforderungen fügte er dem Fragebogen an und bewahrte sie nach Rücksendung sorgfältig auf, so dass sie nach seinem Tode ins Archiv gelangten. Demnach wurde der Kieler Ordinarius tatsächlich von der Gestapo einbestellt25. Ob allerdings der im Fragebogen angeführte Grund hierzu den Anlass gab, teilen die beiden Schriftstücke nicht mit. Insofern ist allzu offenkundige Systemkritik als maßgebliches Motiv für die Vorladung zumindest mit einem Fragezeichen zu versehen, zumal Scheel bereits kurze Zeit später in offiziellem Auftrag ans DWI nach Kopenhagen zurückkehrte und noch Ende 1944 Pläne für die Zeit nach dem ,Endsieg‘ schmiedete. Letzteres konnten die schwerlich über derlei Hintergrundwissen verfügenden Auswerter des Fragebogens nicht wissen, und so dürfte sich auch der Verweis auf die Gestapo zu Gunsten Scheels ausgewirkt haben. Dies schien in der Tat der Fall zu sein. Obwohl weder der weitere Ablauf des 22 Entnazifizierungsakte Scheels (LASH Schleswig, Abt. 460). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 23 Zu den Umständen von Scheels Ausscheiden aus dem Rektorat und seiner Ablösung als wissenschaftlicher Leiter des IVL siehe S. 176f. bzw. S. 257f. 24 Entnazifizierungsakte Scheels (LASH Schleswig, Abt. 460). 25 Vgl. Vorladungen der Geheimen Staatspolizei vom 2. 8. 1944 und 8. 8. 1944 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 37).

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Entnazifizierungsverfahrens noch die daraus resultierende Einstufung des Befragten archivarischen Niederschlag fanden, kam das Procedere allem Anschein nach binnen weniger Monate zu einem für den Betroffenen positiven Abschluss. Die britische Besatzungsmacht jedenfalls zeigte im Umgang mit ihm keineswegs Berührungsängste, sondern suchte spätestens im Herbst nach Kriegsende gezielt den Kontakt, um Kenntnislücken betreffend der Landesgeschichte zu schließen, welche für den Neuaufbau politischer Ordnung einige Relevanz besaßen. Dies betraf unter anderem Entstehung und Bedeutung der schleswig-holsteinischen Flagge, über die Scheel im Auftrag der Militärverwaltung ein Dossier anfertigte26. Im Anschluss daran griffen die Briten noch des Öfteren auf die Expertise des Landeshistorikers zurück. Ein halbes Jahr später teilte dieser im Privaten mit, von Seiten der Besatzungsmacht benötige man „wieder einmal Auskünfte“27, und auch gegen Ende der 1940er Jahre erreichten ihn noch Anfragen von britischer Seite28. Ob für die Vertreter Londons nicht ins Gewicht fiel, dass Scheel während des Krieges die ,geistige Mobilmachung‘ gegen England zu einem seiner Hauptgeschäfte gemacht hatte, lässt sich nicht zweifelsfrei beantworten. Letzteres erscheint jedoch außerordentlich fraglich, und wahrscheinlich ist eine andere Erklärung eher zutreffend. Da in der britischen Besatzungszone Zensur von vornherein als kein allzu probates Mittel betrachtet wurde, den demokratischen Umerziehungsprozess zu fördern, verfuhren die Besatzer hier bei Klassifizierung und Konfiszierung NS-affiner Literatur verhältnismäßig zurückhaltend. Ende 1945 sah eine erste Liste auszusondernder Titel die relativ überschaubare Menge von circa 1.000 Werken für die Entfernung aus öffentlichen Bibliotheken vor, und auf ihr fanden sich keine Schriften Scheels29. Das rege Interesse der Briten an seinem Fachwissen könnte demnach schlicht und ergreifend auf ihrem Unwissen über dessen anglophobe Publizistik beruht haben. In der Sowjetischen Besatzungszone wäre seine Rekrutierung demnach sehr viel unwahrscheinlicher gewesen. Im Zuge einer rigiden Politik systematischer Purgierung sämtlicher Bücherbestände stellte die dortige Okkupationsmacht eine mehr als zehnmal so lange ,schwarze Liste‘ zusammen. Bereits auf der ersten, vorläufigen Ausgabe fand sich „Aufstieg und Niedergang der englischen See- und Weltmacht“, Scheels auflagenstarke historische Agitationsschrift aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges30. 26 Vgl. Schreiben Scheels an Captain Foley vom 1. 10. 1945 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 36). Das Dossier selbst ist nicht erhalten geblieben. 27 Schreiben Scheels an Paul Selk vom 30. 3. 1946 (LBK Kiel, Cf 3, 56:2, 01–20). 28 Vgl. Schreiben Scheels an Spencer Chapman vom 3. 7. 1948 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 33). 29 Vgl. Clemens, Kulturpolitik, 111–126; und List of Books purged from Public Libraries in the British Zone, List No. 1. (The National Archives Kew, FO 1049, Nr. 59). 30 Vgl. Deutsche Verwaltung f r Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone, Liste, 355; Mix, Buch, 119–123; und Welsh, Zentralverwaltung, 235 f. Ausführlich zu Scheels anglophoben Schriften aus der Kriegszeit siehe S. 244–249.

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In Anbetracht der dortigen Verteufelung Englands als Kriegstreiber seit Anbeginn der Neuzeit war nicht nur das ausgeprägte Interesse der britischen Militäradministration an Expertisen des Autors bemerkenswert, sondern ebenfalls die Selbstverständlichkeit, mit der sie geliefert wurden. An der Reaktion Scheels auf die erste britische Anfrage weniger als ein halbes Jahr nach Kriegsende ließ sich deutlich ablesen, dass er sich keinesfalls mit Widerwillen in den Dienst der Siegermacht stellte. Ganz im Gegenteil hob er in seinem Antwortschreiben hervor, er sei „gern bereit, auch weiterhin […] Auskünfte über Fragen der schleswig-holsteinischen Vergangenheit und Gegenwart zu geben“31. Wie ernst dies gemeint war, zeigte sich einige Monate später, als der gefragte Landesgeschichtsexperte eine erneute Bitte um Auskünfte wegen seiner schlechten gesundheitlichen Konstitution erst mit erheblicher Verspätung beantworten konnte. Selbst in seiner Privatkorrespondenz bedauerte der Betroffene außerordentlich, der britischen Militärregierung eine rasche Antwort schuldig geblieben zu sein32. Wenn Scheel selbst gegenüber Dritten im privaten Austausch eingestand, er stehe bereitwillig im Dienst der Besatzungsverwaltung, war dies nur ein Symptom dafür, dass sein Verhalten nicht gänzlich auf der Opportunitätserwägung beruhte, mit der Siegermacht auf gutem Fuß zu stehen. Wie aus Äußerungen im persönlichen Schriftverkehr ersichtlich, spielte für den Stimmungsumschwung zugunsten Londons neben der Wahrung des eigenen Vorteils zugleich die Überzeugung eine gewichtige Rolle, Europa beziehungsweise das Abendland bedürften des Schutzes vor Gefahren aus dem Osten. Während des Krieges hatte der Kieler Ordinarius verschiedentlich darauf verwiesen, diese Aufgabe falle Deutschland zu, und Berlins Feldzügen attestiert, sie dienten neben eigenen Interessen gleichsam dem Wohl des ganzen Kontinents. Nach der bedingungslosen Kapitulation betonte er, „Führungsmacht“33 zur „Rettung Europas als eines ,abendländischen‘ Kontinents“ könne nur noch Großbritannien mit Hilfe der Vereinigten Staaten sein. Als zentrale Aufgabe Londons galt ihm daher in den Nachkriegsjahren, „die […] europäischen Aufgaben mit schöpferischer Kraft aufzugreifen“34. Zwar entbehrte es nicht einer großen Ironie, das im Krieg ob seines Bündnisses mit der Sowjetunion als Verräter Europas verteufelte Inselreich zu dessen Verteidiger zu stilisieren. Welche Zugkraft dem zum Trotz das auf den Kopf gestellte England-Bild für Scheels politische Orientierungsversuche nach dem totalen Zusammenbruch besaß, zeigte sich neben Äußerungen im vertraulichen Briefwechsel in seiner autobiographischen Familiengeschichte. Selbst in den für die eigene Nachkommenschaft bestimmten Privataufzeich31 Schreiben Scheels an Captain Foley vom 1. 10. 1945 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 36). 32 Vgl. Schreiben Scheels an Paul Selk vom 30. 3. 1946 (LBK Kiel, Cf 3, 56:2, 01–20). 33 Schreiben Scheels an Otto Becker vom 17. 3. 1946 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 34). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 34 Schreiben Scheels an Thomas O. Achelis vom 29. 1. 1947 (LASH Schleswig, Abt. 399.1, Nr. 44).

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nungen rückte Scheel von anglophoben Tiraden ab, und dies sogar bei Schilderung jenes Bombenangriffes, dem das Historische Seminar und sein eigenes Haus zum Opfer gefallen waren. Anders als im Krieg sprach er nicht mehr vom ,Luftterror der Insel- und Kolonialbestien‘, sondern urteilte ganz im Gegenteil, die seinerzeit weit verbreitete „Entrüstung über ,Terrorangriffe‘ und völkerrechtswidrige Kriegsführung“35 könne als „ganz unangebracht und unbegründet“ angesehen werden. Bei Kiel habe es sich schließlich um einen strategisch wichtigen Marine- und Rüstungsstandort gehandelt, an dem mit schweren Luftangriffen in jedem Fall zu rechnen gewesen sei. Nicht weniger bezeichnend als derlei private Bekenntnisse waren die Überlegungen Scheels zur Ausrichtung des Universitätsbetriebes, welche er der schleswig-holsteinischen Provinzialverwaltung zukommen ließ. Obwohl der Lehrstuhlinhaber insbesondere seit Kriegsausbruch den historischen Beweis zu führen versucht hatte, England sei für die Entgleisung der deutschnordischen Beziehungen verantwortlich, gab er der Verwaltung im Juni 1945 „neue Erwägungen“36 zur Landesgeschichtsprofessur anheim, mit denen er seine eigene Schwerpunktsetzung konterkarierte. In schärfstem Gegensatz zu dem von ihm forcierten, dezidiert anglophoben Zuschnitt der zurückliegenden Jahre riet er den Behördenvertretern, es müssten „die neuen Aufgaben, die auf die Führung des europäischen Kontinents und die Sicherung der abendländischen Kultur durch England hinweisen, […] auch in dieser dem Norden besonders zugewandten Professur einen Ausdruck finden“. Im darauf folgenden Jahr vermochte er der Landesregierung gar zu vermelden, die gesamte Christiana Albertina zeichne traditionell eine „englische Linie“37 aus, welche auf der Überzeugung fuße, „daß England Vorbild der Völker des Festlandes und Führer eines kommenden Vereins der europäischen Staaten sei“. Derart offensive Werbung zugunsten einer pro-britischen Linie wäre von einem nur widerwillig mit den Besatzern Kooperierenden ebenso wenig zu erwarten gewesen wie der vollkommen neue Blick auf die Frage nach Berechtigung des alliierten Luftkrieges. Der Umschwung vom zutiefst negativen Großbritannien-Bild zur offenen Bejahung von dessen Vormachtstellung in Europa gehörte folglich genauso zu den zentralen Bezugspunkten in Scheels neuem Koordinatensystem wie die strikte Ablehnung jeglicher Form von Verantwortung für die Geschehnisse in den Jahren des Nationalsozialismus. Im Gegensatz zu den äußeren Lebensumständen nach Kriegsende, die der Landesgeschichtsordinarius über Jahre als schwere Belastung und Existenzbedrohung beschrieb, gab er an keiner Stelle zu erkennen, dass ihn die Abkehr von seinen bis dato zentralen politischen Orientierungsmarken in eine tiefere 35 Autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Vernichtung einer Lebensarbeit“, 2 (Privatbesitz). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 36 Schreiben Scheels an das Oberpräsidium vom 28. 6. 1945 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 1). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 37 Denkschrift zur Standortfrage der Christian-Albrechts-Universität vom 1. 7. 1946, 22 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 20). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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Sinnkrise gestürzt hätte. Abgesehen von dem Bestreben, gegenüber Dritten in moralischer wie rechtlicher Hinsicht keinerlei Angriffsfläche zu bieten, dürfte dies vor allem den Grund gehabt haben, dass die Hinwendung zu einer anderen Referenzgröße katalysierende Wirkung für die Absetzbewegung von Nationalsozialismus und Hegemonialphantasien entfaltete. Auf diesen neuen Bezugspunkt stieß Scheel bei der Suche nach Erbteilen in der deutschen Geschichte, welche die seiner Ansicht nach nur verführte Bevölkerung anfällig für braune Sirenenrufe gemacht hatten. Wo er dabei fündig beziehungsweise nicht fündig wurde, erleichterte ihm die Neubestimmung der eigenen Position ganz erheblich. In seiner Privatkorrespondenz lud er die Schuld für die katastrophalen Folgen des Nationalsozialismus zwar ausschließlich ab bei den „Sadisten, die der Rattenfänger von Braunau um sich scharte“38. Darüber hinaus identifizierte er jedoch verschiedentlich tiefere Ursachen für deren Erfolg. In diesem Zusammenhang benannte er eine Empfänglichkeit für „Eitelkeit und Prahlsucht“, welche ihm zufolge bereits Bismarck nach der Gründung des Deutschen Reiches als maßgebliches Hindernis auf dem Weg zu „echter politischer Größe“ erkannt hatte. Besondere Bedeutung erhielt dieser Erklärungsansatz dadurch, dass sein Urheber die fatalen charakterlichen Schwächen nicht den Deutschen per se zuschrieb, sondern geographische Unterschiede auszumachen vermochte. Seiner Meinung nach waren die folgenschweren Defizite „vor allem in Ostelbien zu Hause“, nicht aber in Schleswig-Holstein, genauer gesagt im Schleswiger Landesteil. Dort glaubte Scheel in seiner Jugend allenfalls in Ansätzen die „bösen Wirkungen dieser Veranlagung“ erlebt zu haben, nach eigenem Bekunden aber schon zu jenem Zeitpunkt „mit ernster Sorge“39. Was im brieflichen Austausch nur am Rande Erwähnung fand, stellte für die zeitgleich in Arbeit befindliche autobiographische Familiengeschichte ein Strukturprinzip dar. Bei jeder erdenklichen Gelegenheit zeichnete der Autor einen deutlichen Unterschied zwischen den Charaktereigenschaften der gebürtigen Schleswiger und den Wesenszügen der nach preußischer Annexion ins Land gekommenen Beamten und Militärs. Letzte firmierten als Träger von „preussische[m] oder wohl richtiger ostelbische[m] Kastengeist“40, den angeblich „eitle Prahlsucht, überhebliche Herrschsucht und durch Rücksichten nicht gedämpfte Selbstbespiegelung“41 ausmachten. Mit Blick auf die alteingesessene Bevölkerung entwarf Scheel ein vollkommen anderes Bild. Das vermeintlich autoritäre Gebaren der aus Preußen Eingewanderten, welche ihm 38 Schreiben Scheels an Otto Becker vom 17. 3. 1946 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 34). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 39 Schreiben Scheels an den Dekan der Philosophischen Fakultät vom 18. 3. 1946 (APFK Kiel, Ordner 4b). 40 Autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Knabenjahre in Abel“, 31 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 17). 41 Autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Die Mutter auf dem Weg zum Dienst im schleswigschen Pfarrhause“, 69 (Privatbesitz).

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zufolge später den braunen Machthabern den Weg zu ebnen halfen, lehnten die Altschleswiger demnach ab. Ihnen galten anmaßende Verhaltensnormen als „nicht nordschleswigsche Art“42 und waren „Naturell und Haltung […] ebenso fremd wie die verstiegene und doch menschlich und social [sic!] so inhaltlose und unwahrhaftige Höflichkeit des Ostens“43. Um den Gegensatz zwischen Schleswig und den preußischen Ostprovinzen als Hort NS-affinen Herrenmenschentums hervorzuheben, unterstrich Scheel des Weiteren, „preußische vaterländische Gefühle“44 hätten die „alten schleswigschen Familien“ auf keinen Fall empfunden. In diesem Zusammenhang kam er explizit auf seine eigene Familie zu sprechen und behauptete, weder sein Elternhaus noch er selbst hätten jemals eine preußische Flagge besessen. Erschien Letzteres wegen seiner eindeutigen preußischen Bekenntnisse spätestens seit Privatdozentenzeiten fraglich45, zeigte sich spätestens an seinen Äußerungen über die eigene Gymnasialzeit, wie mit der schleswigschen Heimatregion gleichsam die eigene Vita ins rechte Licht gerückt werden sollte. Obwohl seit Sextanertagen von seinen Lehrern unentwegt zum Glauben an Preußens und damit Deutschlands Überlegenheit erzogen46, schrieb Scheel nieder, die Leitung des Haderslebener Johanneums sei noch zu seiner Schulzeit „einer allzu lebhaften ,Verpreußung‘ nicht ohne Erfolg mit passiver Resistenz“47 begegnet. Bei Abfassung der Memoiren führte folglich der Wunsch die Feder, mit Schleswig-Holsteins nördlichem Landesteil gleichsam das eigene Herkommen möglichst weit von allem abzurücken, was nationaler Hybris und Nationalsozialismus den Boden bereitet zu haben schien. Um Schleswig als neuen, durch die Entgleisungen der jüngsten Geschichte unbelasteten identifikatorischen Bezugspunkt vereinnahmen zu können, begnügte sich Scheel nicht mit anti-preußischer Schwarzweißmalerei. Mit Blick auf die Idealisierung seiner eigenen Heimatregion war ebenfalls das beredte Schweigen symptomatisch, mit dem er deren Bedeutung in der deutschen Geschichte bedachte. Während er insbesondere in der Zwischenkriegszeit kaum eine Gelegenheit ausgelassen hatte, Schleswig-Holstein zum deutschen Bollwerk in der Auseinandersetzung mit Dänemark zu stilisieren, spielten derlei nationale Zuweisungen bei Abfassung der autobiographischen Familiengeschichte keinerlei Rolle mehr. Scheel stand mit dieser markanten Kehrtwende keineswegs alleine da. Unter anderem im Kreis um den GSHG42 Autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Der großelterliche Hof“, 34 (Ebd.). 43 Autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Knabenjahre in Abel“, 38 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 17). 44 Autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Anschluß an den werdenden deutschen Nationalstaat und Abschluß der Gymnasialzeit“, 32–35 (Privatbesitz). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 45 Siehe hierzu S. 59. 46 Siehe hierzu S. 34–37. 47 Autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Anschluß an den werdenden deutschen Nationalstaat und Abschluß der Gymnasialzeit“, 342 (Privatbesitz). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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Schriftführer Pauls kursierten ähnliche Parolen48. Anders als sein Intimfeind rückte der Emeritus für Landesgeschichte von derlei partikularistischen Losungen jedoch nicht wieder ab, sondern ging vielmehr einen entscheidenden Schritt weiter, indem er die Solidarität zwischen den Schleswiger und Holsteiner Landesteilen in Frage stellte. Im privaten Briefverkehr vermochte Scheel beispielsweise Klage zu führen, Holsteiner hätten Schleswiger noch nie verstanden und es sei „leichter […] in Berlin etwas für Schleswig zu erreichen als in Kiel oder Holstein“49. Wenn damit neben preußischen und deutschen Traditionslinien selbst die vormals sakrosankte Urverbundenheit der Schleswig-Holsteiner in Zweifel gezogen wurde50, offenbarte sich in aller Deutlichkeit, wie der Schreiber Zuflucht in einer geographisch eng begrenzten schleswigschen Regionalidentität suchte.

5.1.2. Anwalt schleswigscher Belange Betrachtet man Scheels Lebensweg in den verbliebenen neun Jahren nach der bedingungslosen Kapitulation, war der ostentative Rückbezug auf ein idealisiertes Schleswig nicht nur für seine Verarbeitung von NS-Herrschaft und Kriegsniederlage konstitutiv. Er spielte darüber hinaus noch in mehrfacher Hinsicht eine entscheidende Rolle, und dies unter anderem mit Blick auf verschiedene Versuche seinerseits, zugunsten schleswigscher Interessen im öffentlichen Raum zu intervenieren. Anlass hierzu gab zunächst der vermeintliche Gegensatz innerhalb Schleswig-Holsteins zwischen den beiden Landesteilen. Von der Benachteiligung seiner neu entdeckten Heimatregion durch die im holsteinischen Kiel ansässige Administration überzeugt, engagierte sich Scheel mehrfach in Streitfragen, welche Konkurrenzen zwischen Holstein und Schleswig geschuldet waren. Eine erste Gelegenheit hierzu bot sich unmittelbar nach Kriegsende und hing mit der Frage nach dem zukünftigen Standort der Universität zusammen. Im Laufe des Jahres 1944 hatten massive Bombenschäden an den Gebäuden der Christiana Albertina die Aufrechterhaltung eines auch nur halbwegs geordneten Lehr- und Forschungsbetriebes in Kiel unmöglich gemacht. Um Menschen und Material den unentwegten Fliegerangriffen nicht weiter auszusetzen, begann die dezentrale Evakuierung an geeignete Standorte außerhalb der Fördestadt. Einen der wichtigsten Ausweichsitze bildete die in der Stadt Schleswig angesiedelte Landesheil- und Pflegeanstalt, in deren Räumlichkeiten große Teile der Universitätskliniken unterkamen. Weil als letzter Kriegsrektor der Mediziner Ernst Holzlöhner die Geschicke der Hochschule 48 Vgl. Jessen-Klingenberg, Rückzug, 138–143. 49 Schreiben Scheels an Oscar Behrens vom 10. 9. 1946 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 32). 50 Vgl. Schreiben Scheels an Thomas O. Achelis vom 29. 1. 1947, (LASH Schleswig, Abt. 399.1, Nr. 44).

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lenkte, verlegte zudem kurz vor Ende der Kampfhandlungen das Rektorat samt Verwaltung seinen Sitz dorthin51. Wie Scheel nach einem Gespräch mit Holzlöhner zu berichten wusste, plante dieser zum Sommersemester 1945 eine „Notuniversität“52 in der Kleinstadt an der Schlei aufzubauen und spekulierte darauf, diese könnte wegen der fast vollständigen Zerstörung des Kieler Universitätsviertels „später eine Dauereinrichtung werden“. Dem Plan stand Scheel schon zu diesem Zeitpunkt keineswegs ablehnend gegenüber. Für das erste geplante Semester am neuen Standort lud er Fritz Rörig zu einem Gastaufenthalt ein. Dem Versuch, den ehemaligen Kieler Mittelalter-Ordinarius nach Schleswig zu holen, blieb genauso wenig Erfolg beschieden wie dem gesamten Unterfangen, am wichtigsten Ausweichsitz einen akademischen Vollbetrieb auf die Beine zu stellen. Entgegen der hochtrabenden Pläne wurden Forschung und Lehre dort nicht mehr planmäßig ausgebaut, sondern die Christiana Albertina schloss bei Kriegsende ihre Pforten und das Sommersemester fiel aus. Als ein halbes Jahr später die feierliche Wiedereröffnung anstand, lud die inzwischen neu besetzte Universitätsleitung in die Gebäude eines vormaligen Kieler Rüstungsbetriebes, den die britische Besatzungsmacht der ausgebombten Hochschule überantwortet hatte. Auf den ersten Blick schien sich damit die Standortfrage erledigt zu haben53. Trotz der begonnenen Rückverlegung nach Kiel blieben indes Zweifel, ob in der schwer kriegszerstörten Fördestadt ein halbwegs geordneter Universitätsbetrieb möglich sein würde. Zum Zeitpunkt der Wiedereröffnungszeremonie fehlte es in den zugewiesenen Werkhallen an praktisch jeglicher Ausstattung, und so konnten dort nur die allerwenigsten Veranstaltungen stattfinden. Nicht weniger drückend als der Mangel an geeigneten Unterrichtsstätten machte sich der an Wohnraum bemerkbar. Zur notdürftigen Beherbergung von Lehrenden und Studierenden dienten einige im Hafen liegende Schiffe, auf denen zugleich unterrichtet werden musste, um das Fehlen entsprechender universitärer Räumlichkeiten auch nur ansatzweise ausgleichen zu können54. Was in Kiel am meisten fehlte, stand in Schleswig zumindest theoretisch in ausreichendem Maße zur Verfügung. Die Stadt hatte keine schweren Schäden durch Bombardements davongetragen, und seit Kriegsende lag der nahegelegene Seefliegerhorst zum großen Teil brach55. Für die Idee, den von den britischen Besatzern kaum in Beschlag genommenen Militärstützpunkt zum 51 Jaeger, Baugeschichte, 167 f. sowie die beigefügte Skizze der Bombenschäden auf dem Universitätsgelände; und Hofmann, Christian-Albrechts-Universität, 114 f. 52 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 28. 3. 1945 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 53 Zur Wiederaufnahme des Lehr- und Forschungsbetriebes in Kiel vgl. Cornelissen, Wiedereröffnung, 125–141; und J rgensen, Wiedereröffnung, 545–567. 54 Vgl. ebd., 555–562; und ders., Schleswig-Holstein, 598 f. 55 Vgl. Tessin, Verbände, Bd. 16, Teil 2, 217; und Zapf, Flugplätze, 263 f.

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neuen Universitätssitz zu machen, setzte sich insbesondere Schleswigs Bürgermeister Hermann Clausen ein. Noch während des ersten Nachkriegssemesters wandte er sich an den Ministerpräsidenten und schlug vor, die in Kiel nur schwer zu beherbergende Landesuniversität dauerhaft an ihren vormaligen Ausweichsitz zu verlegen. Zu den entschiedensten Verfechtern dieses Vorhabens gehörte alsbald Scheel, von dem der Schleswiger Stadtchronist Theo Christiansen noch vier Jahrzehnte später schrieb, er habe seinerzeit für Clausens Vorstoß „die ,Munition‘ […] geliefert“56. Diese Einschätzung ging keineswegs fehl. Vom Bürgermeister um Hilfe gebeten sagte der Landeshistoriker umgehend seine Unterstützung zu und stellte in Aussicht, beim Ministerpräsidenten vorstellig zu werden. Auch Clausen gedachte Scheels in seinen Memoiren daher als eines „starken Bundesgenossen“57. Was im Wissen um den Verbleib der Universität in Kiel leicht als von vornherein zum Scheitern verurteilte Initiative anmutet, stellte für die Zeitgenossen keinesfalls ein wahnwitziges Unterfangen dar. Dies belegt die Antwort der Kieler Stadtverwaltung, welche den Vorstoß offenbar als ernstzunehmende Bedrohung empfand. Im Wissen um die bittere universitäre Notlage in der Landeshauptstadt startete der dortige Magistrat eine groß angelegte Pressekampagne gegen den Verlegungsplan, welche Oberbürgermeister Andreas Gayk mit dem programmatischen Aufruf „Die Universität muß in Kiel bleiben!“58 eröffnete. Im Schleswiger Landesteil konterten dort angesiedelte Zeitungen mit ausführlichen Artikeln über die prekären Zustände an der Christiana Albertina und verwiesen ihrerseits mit Nachdruck auf die Vorzüge der Kleinstadt an der Schlei59. Wie die Reaktion auf den von Scheel in Aussicht gestellten, persönlichen Interventionsversuch bei Ministerpräsident Theodor Steltzer erkennen ließ, brachte die Standortfrage nicht nur den provinzialen Blätterwald zum Rauschen. Steltzer gab in seiner Antwort an Scheel zwar deutlich zu verstehen, prinzipiell den Verbleib der Hochschule in der Landeshauptstadt vorzuziehen. Dessen ungeachtet bekannte er, die momentanen Verhältnisse vor Ort seien aus seiner Sicht „derart, dass sie meines Erachtens die Existenz der Universität in Kiel ernsthaft gefährden“60. Die Offerte Scheels, eine ausführliche Stellungnahme zum bereits eingetroffenen Memorandum der Schleswiger Stadtverwaltung anzufertigen, beschied der Ministerpräsident daher nicht mit höflicher Ablehnung, sondern unterstrich ganz im Gegenteil, die zusätzliche 56 Christiansen, Schleswig, 66. 57 Clausen, Aufbau, 237; und Schreiben Hermann Clausens an Scheel vom 6. 3. 1946 sowie Schreiben des Schleswiger Kulturamts an Scheel vom 10. 3. 1946 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 62). 58 „Die Universität muß in Kiel bleiben!“, in: Schleswig-Holsteinische Volkszeitung, 20. 4. 1946. 59 Vgl. „Um den Sitz unserer Landesuniversität“, in: FLN, 18. 5. 1946; und Clausen, Erinnerungen, 237 f. 60 Schreiben Theodor Steltzers an Scheel vom 31. 3. 1946 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 62). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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Expertise werde ihm in der schwierigen Frage „sehr wesentlich sein“. Der Universitätskurator bekräftigte dies kurz darauf mit der erneuten Bitte um „gutachtliche Äusserung“61. Von der Wichtigkeit der Aufgabe überzeugt, brach Scheel eine Kur ab, um die Abfassung in Angriff zu nehmen. Abgesehen von gesundheitlichen Problemen trug jedoch vor allem zur Verzögerung bei, dass er nach eigenem Bekunden „mit vollem Bedacht […] aus dem Gutachten eine Denkschrift“62 machte. Diesen Schritt begründete der Verfasser mit dem Ziel, neben der Landesverwaltung „zugleich der Nachwelt ein Dokument zu liefern, aus dem der künftige Historiker der Christian-Albrechts-Universität erkennen mag, um was es ging, als es galt, die Universität zu neuer Arbeit zu befähigen“. Dementsprechend handelte es sich bei der von ihm verfassten „Denkschrift zur Standortfrage der Christian-Albrechts-Universität“63 nicht um eine knappe Erwägung des sachlich-logistischen Für und Wider mit Blick auf Kiel und Schleswig. Bezüglich der „äußeren Fragen und Erwägungen“ verwies Scheel sowohl am Anfang als auch am Ende seiner Ausführungen auf das Memorandum des Schleswiger Magistrats, dem er wärmstens beipflichtete64. Das eigentliche Kernstück der Denkschrift bildete eine Abhandlung über die Geschichte des Universitätswesens im Allgemeinen wie die der Christiana Albertina im Speziellen. Hinsichtlich des Kieler Standorts bemühte sich Scheel, unter Zuhilfenahme historischer Argumente den Verbleib der Universität in der Landeshauptstadt zu verhindern. Mit Blick auf die Entwicklung der Hochschule sah sich die Kieler Stadtverwaltung dem Vorwurf ausgesetzt, sie habe sich seit Universitätsgründung kaum um deren Fortentwicklung bemüht. Frage man nach den Verdiensten der Stadt um die Christiana Albertina, so sein Urteil, müsse „das Ergebnis doch recht mager bleiben“65. Im Kontext der allgemeinen Universitätsgeschichte stellte Scheel weiterhin anheim, es gebe keinen Grund, „die Landeshauptstadt zum natürlichen Sitz der Universität zu erklären“66, wobei er sich auf die Beispiele Tübingens, Jenas und Göttingens berief. Besonders ausführlich widmete er sich zudem der Theorie, die fatale historische Entwicklung weg von einer „geschlossenen Lebensform […] der Graduierten aller Grade und Scholaren“67 hin zu „Zerreißung, Zer-

61 Schreiben August W. Fehlings an Scheel vom 11. 4. 1946 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 62). Zu den Kuratoren der Kieler Universität vgl. Asmussen, Findbuch, IV. 62 Schreiben Scheels an August W. Fehling vom 26. 6. 1946 (LASH Schleswig, Abt. 399.170, Nr. 80). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 63 Denkschrift zur Standortfrage der Christian-Albrechts-Universität vom 1. 7. 1946, 1 (LASH SCHLESWIG, Abt. 399.67, Nr. 20). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 64 Vgl. ebd., 1, 18–23. 65 Ebd., 9. 66 Ebd., 3. 67 Ebd., 11.

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stückelung und Isolierung“68 habe sich in der Fördestadt aufgrund der räumlichen Gegebenheiten besonders stark ausgeprägt. Was als gewichtiges Argument gegen Kiel ins Feld geführt wurde, firmierte gleichzeitig als entscheidender Vorteil Schleswigs. Scheel hob ausdrücklich hervor, die Werbung für eine Universitätsstadt auf dem Gelände eines ehemaligen Seefliegerhorstes lasse eingehendes Verständnis für die „Lebensgemeinschaft einer Universität“69 erkennen. Im Zusammenhang mit der vermeintlich besseren Eignung des potentiellen Standortes, traditionellen Voraussetzungen einer florierenden Hochschule zu genügen, berief sich der Verfasser zugleich auf besondere Qualitäten der schleswigschen Region. Scheel verwies auf „aus ihr dem heranwachsenden Akademiker entgegenströmende Kräfte“70 und argumentierte, es gebe im ganzen Land keine „tiefer zurückführende und zugleich zentralere Geschichtslandschaft als die Schleswiger“. Nicht zuletzt deswegen konnte aus seiner Perspektive für die Christiana Albertina „nicht leicht ein würdigerer Ort gefunden werden“. Das mit so viel Verve vorgetragene, primär historisch argumentierende Plädoyer erreichte seine Empfänger, als im Sommer 1946 Erfolg und Einfluss der Schleswig-Fraktion ihren Zenit erreichten. Just am Tag der Absendung gen Kiel reiste eine Senatskommission der Christiana Albertina nach Schleswig. Die Diskussionen um deren zukünftigen Standort waren mittlerweile so ernst geworden, dass die Universitätsleitung den als potentiellen neuen Sitz vorgeschlagenen Seefliegerhorst in Augenschein nahm71. Nach der Ortsbegehung schlug die Stimmung aber allem Anschein nach sehr bald zugunsten Kiels um. Scheel jedenfalls war binnen Monatsfrist kein gefragter Sachverständiger mehr und bemühte sich vergebens um eine Audienz beim Ministerpräsidenten72. Was er anfangs noch für ein logistisches Problem hielt, das seinem Optimismus mit Blick auf Schleswigs Chancen keinen Abbruch tat, wich in der Folgezeit der Erkenntnis, auf verlorenem Posten zu stehen73. Im Laufe des Herbstes gestand er schließlich offen ein, er halte inzwischen „jeden Versuch, Schl.[eswig] zur Universitätsstadt zu machen, für aussichtslos“74. Trotz der herben Niederlage bei dem Versuch, den nördlichen Landesteil durch Umsiedlung der Christiana Albertina zu stärken, stellte Scheel sein Engagement zugunsten Schleswigs in der Folge keineswegs ein. Im Jahr darauf ließ er sich für eine ganz ähnliche Kampagne anwerben, bei der es wiederum um eine Standortfrage ging und sich abermals Kiel und Schleswig als Kon68 69 70 71

Ebd., 12. Ebd., 10. Ebd., 20. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. Vgl. Schreiben Scheels an August W. Fehling vom 5. 7. 1946 (LASH Schleswig, Abt. 399.170, Nr. 80). 72 Vgl. Schreiben Scheels an einen unbekannten Empfänger vom 7. 8. 1946 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 46). 73 Vgl. Schreiben Scheels an Oscar Behrens vom 3. 9. 1946 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 32). 74 Schreiben Scheels an Paul Selk vom 11. 10. 1946 (LBK Kiel, Cf 3, 56:2, 01–20).

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kurrenten begegneten. Streitobjekt in der Neuauflage des Städteduells war in diesem Fall die Landesbibliothek. Deren ausgelagerte Bestände hatten die massiven Bombardements auf Kiel zwar fast ohne Verluste überstanden, doch ebenso wie für die Universität fehlten für diese Einrichtung in der kriegszerstörten Landeshauptstadt Räumlichkeiten. Die Möglichkeit einer Verlegung nach Schleswig stand daher im Raum, zumal Teile der mit der Bibliothek verbundenen Museumsbestände ohnehin ins dortige Schloss übersiedelten75. Scheel rechnete dem Unterfangen nach Scheitern des Universitätsumzuges zunächst keine großen Chancen aus. Als sich aber im darauffolgenden Jahr die Hinweise auf einen Verbleib der Landesbibliothek in Kiel zu verdichten schienen und der Schleswiger Bürgermeister erneut um seine Hilfe bat, sprang er abermals in die Bresche76. Schützenhilfe leistete ihm dabei Olaf Klose, der Ende des Krieges als kommissarischer Leiter der Universitätsbibliothek bereits deren Umsiedlung in den schleswigschen Raum betrieben hatte. In enger Absprache mit Letzterem, der selbst ein Gutachten zur Standortfrage anfertigte, machte sich Scheel Ende des Jahres daran, seine Gedanken zum Verbleib der Landesbibliothek zwecks Vorlage bei den zuständigen Stellen zu Papier zu bringen77. Im direkten Vergleich zur Stellungnahme betreffs Umsiedlung der Christiana Albertina bemühte er sich sehr viel weniger, seine Enttäuschung über die vermeintliche Bevorteilung des Holsteiner Landesteils zu kaschieren. Möglicherweise spielte dabei die Ansicht eine Rolle, im zurückliegenden Falle nicht den rechten Ton getroffen zu haben. Gegenüber Klose gestand Scheel jedenfalls während der Abfassung ein, seine letzte Eingabe habe bei den politisch Verantwortlichen keinen allzu starken Eindruck gemacht78. In der neuerlichen Stellungnahme setzte er daher nicht allein auf historische oder logistische Argumente, sondern gab an verschiedenen Stellen seiner Überzeugung Ausdruck, die Belange des nördlichen Teils Schleswig-Holsteins würden außer Acht gelassen. Die explizite Forderung, es müsse „auf Schleswig Rücksicht genommen werden“79, denn es könne „als Land beanspruchen, ein den Umständen gemäßes Zentrum zu besitzen“, gehörte dabei zu den weicheren Formulierungen. An anderer Stelle gewann die Empörung des Verfassers, der von Schleswig als „Land meiner Geburt“ sprach, sehr viel klarere Konturen. Dort bezeichnete er den Verbleib der Landesbibliothek in Kiel als „unbillig 75 Vgl. Lagler, Landesbibliothek, 45–49. 76 Vgl. Schreiben Scheels an Thomas O. Achelis vom 23. 10. 1946 (LASH Schleswig, Abt. 399.1, Nr. 44); Schreiben Hermann Clausens an Scheel vom 2. 8. 1947 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 62). 77 Vgl. Lohmeier, Olaf Klose, 10 f.; Schmidt-K nsem ller, Universitätsbibliothek, 254; und Schreiben Scheels an Olaf Klose vom 3. 12. 1947 und 8. 12. 1947 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 62). 78 Vgl. Schreiben Scheels an Olaf Klose vom 9. 11. 1947 (Ebd.). 79 Gutachten Scheels zum Standort der schleswig-holsteinischen Landesbibliothek (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 20). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort.

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empfundene Maßnahme“ und beanstandete, derlei „Zentralismus“ wecke „unerwünschte Verstimmung oder gar Bitterkeit“. Nicht weniger unmissverständlich drückte er sich aus, wenn er offen über die Tendenz klagte, den Schleswiger Landesteil „zum Aschenbrödel zu machen und überwiegend in Holstein und das heißt vornehmlich in Kiel die geistig produktiven Kräfte zu konzentrieren“. Schien bei Absendung der Denkschrift zur Universitäts-Standortfrage das Rennen zwischen der Landeshauptstadt und Schleswig noch prinzipiell offen gewesen zu sein, war dies bei Fertigstellung des Gutachtens zur Lokalisierung der Landesbibliothek offenbar nicht mehr der Fall. Noch bevor der Schleswiger Magistrat die Expertisen abschickte, gestand Klose gegenüber Scheel ein, er rechne dem Unternehmen keinerlei Erfolgschancen aus80. Hiermit sollte er Recht behalten, da die bereits getroffene Entscheidung für den Verbleib der Christiana Albertina in der Landeshauptstadt gegen eine Abwanderung der Landesbibliothek sprach. Klose gab dies später offen zu, als er selbst zum Leiter der nicht nach Schleswig umgesiedelten Einrichtung aufstieg. Seinem Mitstreiter im Kampf für die Verlegung fiel diese Einsicht deutlich schwerer. Er echauffierte sich noch Monate nach dem abermals gescheiterten Interventionsversuch, die Landesbibliothek wäre in Schleswig besser aufgehoben gewesen81. Wenngleich sich in den fruchtlosen Initiativen eine scharfe Opposition gegen die angebliche Bevorzugung Holsteins abzeichnete, stand nicht bei allen Unternehmungen Scheels im selbst erklärten Dienste Schleswigs die vermeintliche Konkurrenz zwischen den beiden Landesteilen im Mittelpunkt. Das vehemente Eintreten für schleswigsche Belange konnte sich ebenfalls in Formen vollziehen, die auf einen Einsatz zugunsten ganz Schleswig-Holsteins hinausliefen. Als Voraussetzung hierfür mussten lediglich die vermeintlichen Interessen beider Landesteile dieselben sein. Bei keinem Thema schien dies mehr der Fall zu sein als bei der Frage, was mit den ins Land gekommenen Flüchtlingen geschehen sollte82. Von wenigen Ballungsräumen abgesehen den Kampfhandlungen weitgehend entzogen, nach dem Vormarsch der Roten Armee gen Westen auf dem Seeweg immer noch erreichbar und bis kurz vor Kriegsende nicht von fremden Truppen besetzt, erlebte Schleswig-Holstein einen besonders starken Zustrom an Flüchtlingen. Hatte die Bevölkerung bei der letzten Volkszählung 80 Vgl. Schreiben Olaf Kloses an Scheel vom 6. 2. 1948 sowie Schreiben des Schleswiger Kulturamts an Scheel vom 24. 2. 1948 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 62). 81 Vgl. Lagler, Landesbibliothek, 51; Schreiben Scheels an Thomas O. Achelis vom 26. 5. 1948 (LASH Schleswig, Abt. 399.1, Nr. 44); und Schreiben Olaf Kloses an Scheel vom 9. 4. 1949 und 27. 4. 1949 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 40) 82 In Anbetracht des nach wie vor uneinheitlichen Vokabulars zur Bezeichnung der Migrationsbewegungen in Folge des Zweiten Weltkrieges werden im Folgenden die Begrifflichkeiten ,Vertriebener‘ und ,Flüchtling‘ synonym verwandt. Zur terminologischen Problematik vgl. Beer, Flüchtlinge, 145–167.

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vor Kriegsausbruch im Mai 1939 knapp 1,6 Millionen Menschen betragen, belief sich diese Zahl im Oktober 1946 auf annähernd 2,6 Millionen83. Da die stark zerstörte Landeshauptstadt wegen der dort ohnehin akuten Wohnungsnot nur sehr wenige Flüchtlinge aufnehmen konnte, fiel der Bevölkerungsanstieg in den weniger dicht besiedelten Landkreisen umso stärker aus. Zuwächse von unter 70 % stellten hier die Ausnahme dar. In den meisten Fällen war der Vertriebenenanteil im ersten Friedensjahr deutlich höher, so dass die Zahl der Flüchtlinge vielerorts annähernd jener der Vorkriegsbewohner entsprach. Nirgends sonst in den westlichen Besatzungszonen ergaben die amtlichen Erhebungen einen derartigen Proporz, und erst mit jahrelanger Verzögerung vermochten Integrations- und Umsiedlungsmaßnahmen die dramatischen Folgen der erdrutschartigen demographischen Veränderung mit Blick auf Unterkunft, Verpflegung und Beschäftigung abzumildern84. Aufgrund der besonders drückenden Umstände in Schleswig-Holstein konnten die Vertriebenen ebenso wenig wie in anderen Teilen Deutschlands auf die vorbehaltlose Solidarität ihrer Landsleute hoffen. Stattdessen trafen sie vielerorts auf glatte Ablehnung und wussten später zu berichten, sie seien als „Pollackenvolk“85 verunglimpft und von der eingesessenen Bevölkerung ausgegrenzt worden86. Besonders deutlich artikulierte sich die Abneigung gegen die Neuankömmlinge im Schleswiger Landesteil. Ungeachtet der schweren Zerrüttungen im deutsch-dänischen Verhältnis kam es hier ab Sommer 1945 über nationale Gegensätze hinweg zu einer planmäßigen Zusammenarbeit zwischen deutsch und dänisch gesinnten Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Medien. Mit dem erklärten Ziel, eine Entfernung sämtlicher Flüchtlinge zu erreichen, setzten sie gemeinsam mehrere Petitionen an die britische Militärregierung auf87. In den vielstimmigen Chor der schleswig-holsteinischen Flüchtlingsgegner stimmte Scheel ein. Durch Einquartierung ostpreußischer Flüchtlinge in der eigenen Notunterkunft direkt betroffen, ließ er sowohl im privaten Briefverkehr als auch in seiner autobiographischen Familiengeschichte kein gutes Haar an den aus den Ostgebieten des Deutschen Reiches Geflohenen. Sofern er auf sie zu sprechen kam, spielte ihr Schicksal keine Rolle, beklagenswert erschienen lediglich die Folgen ihrer Ankunft für Schleswig-Holstein. Mit Blick 83 Vgl. Carstens, Flüchtlingsproblem, 8. 84 Vgl. Gietzelt, Schleswig-Holstein, 12–16; J rgensen, Schleswig-Holstein, 642; und Statistisches Landesamt Schleswig-Holstein, Flüchtlingsgeschehen, 19, 82. Den höchsten Flüchtlingsanteil aller Besatzungszonen verzeichnete das spätere Mecklenburg-Vorpommern. 85 Kr nicke, „Pollackenvolk, 38. 86 Vgl. Jessen-Klingenberg, Urteile, 84 f., 93–95. Verschiedene Formen der Flüchtlingsausgrenzung in Schleswig-Holstein beleuchten die Beiträge in Herrmann / Pohl, Flüchtlinge. Für einen gesamtdeutschen Überblick sei aus der Fülle an Literatur verwiesen auf Kossert, Heimat. 87 Vgl. Klatt, Minderheit, 114 f; ders., Flygtningene 32–36; und Noack, grænsespørgsm l, 110–118.

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auf die Flüchtlinge war bereits seine Wortwahl bezeichnend. Scheel monierte nicht bloß eine „maßlose“88 beziehungsweise „grauenhafte Überfüllung“89. Verschiedentlich bediente er sich mit Begriffen wie „Überflutung“90 oder „Überschwemmung“91 gar eines Vokabulars, welches deren Eintreffen in die Nähe einer Naturkatastrophe rückte und jeglicher Empathie entbehrte. Durch massive Flüchtlingspräsenz potenzierte wirtschaftliche und soziale Notlagen spielten als Motivation für diese Abneigung eine keineswegs unbedeutende, nicht aber die wichtigste Rolle. Scheel trieb neben den prekären Lebensumständen vor allem die Sorge um, Schleswig und seine Bevölkerung könnten durch den Zustrom aus Deutschlands östlichen Provinzen ausgerechnet von jenen Menschen überfremdet werden, deren vermeintliche Affinität zu Kastengeist und Herrenmenschentum er zur maßgeblichen Ursache für den Aufstieg des Nationalsozialismus erklärt hatte. Da nach seinem Dafürhalten die Schleswiger gegen derlei Charakterschwächen bis dato weitestgehend immun gewesen waren, schien seiner neu entdeckten Heimatregion nicht weniger als der Verlust ihrer angeblich so vorteilhaften Eigenart zu drohen. Dementsprechend warnte er ausdrücklich, das ,Ostelbiertum‘ wolle „auf einem Boden Auferstehung feiern, auf dem es nie heimisch gewesen ist, den es aber als neuen Kolonialboden für sich in Anspruch nimmt“92. Den Neuankömmlingen fiel dieser Lesart folgend die Rolle einer veritablen Bedrohung zu, der es mit offensiven Mitteln zu begegnen galt. Von diesem geradezu feindseligen Blick auf die Flüchtlinge zeugten ebenfalls Kommentare wie die, sie bauten „Nester ostelbischen Geistes“93 und verursachten in Schleswig eine „Katastrophe des Volksbodens“94. Wie tief die Abneigung gegen die Vertriebenen saß, zeigte sich unter anderem daran, wie Scheel auf den massiven Zulauf zur dänischen Bewegung in Schleswig reagierte, welche nach Kriegsende einen phänomenalen Aufschwung nahm. Betrug die Zahl der in dänischen Vereinen Organisierten zum Zeitpunkt der Kapitulation des Deutschen Reiches kaum 2.000, stieg sie bis Ende 1947 auf 75.000 an. Bei der im selben Jahr abgehaltenen Landtagswahl entfielen fast 100.000 Stimmen auf die politische Vertretung der dänischen 88 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 4. 12. 1949 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57). 89 Schreiben Scheels an Erwin Stiefel vom 21. 7. 1947 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 46). Zur langjährigen Einquartierung der Flüchtlinge in Scheels eigenen vier Wänden siehe Schreiben Scheels an das Rektorat der Universität Kiel vom 17. 2. 1953 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 58). 90 Autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Erziehung und Unterricht“, 34 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 17). 91 Schreiben Scheels an Paul Selk vom 23. 6. 1946 (LBK Kiel, Cf 3, 56:2, 01–20). 92 Autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „In der nordschleswigschen Kleinstadt Tondern“, 12 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 16). Zu Scheels Ursachenforschung zu NS-Anfälligkeit und vermeintlicher Schleswiger NS-Resistenz siehe S. 269f. 93 Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 12. 10. 1946 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57). 94 Autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Anschluß an den werdenden deutschen Nationalstaat und Abschluß der Gymnasialzeit“, 38 (Privatbesitz).

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Minderheit. Aufgrund der extrem ungleichen Verteilung zwischen den Schleswiger und Holsteiner Landesteilen bedeutete dies im grenznahen Flensburg, dass 44 % der Wähler für dänische Kandidaten votierten. Eine Grenzrevision schien deswegen alles andere als ausgeschlossen95. Scheel, der bereits vor dem Urnengang mit Erstaunen die „geschickte und beharrliche Arbeit“96 von dänischer Seite beobachtete, bedauerte zwar die mangelnde Verfügbarkeit seiner Kampfschrift „Schleswig urdänisches Land?“ aus der Zwischenkriegszeit und gab noch Jahre später seiner Überzeugung Ausdruck, in Schleswig laufe eine „dänische Kulturoffensive“97. Im Gegensatz zu anderen Landeshistorikern wie Volquart Pauls nahm er diese Diagnose jedoch nicht zum Anlass, wie nach dem Ersten Weltkrieg zwecks nationaler Erbauung aktiv zu werden und solidarisierte sich ebenfalls nicht mit politischen Bestrebungen, die dänische Minderheit in ihren Rechten zu beschneiden98. Wie er im vertraulichen Briefverkehr zugab, spielten potentielle ,Abwehrmaßnahmen‘ für ihn deswegen eine untergeordnete Rolle, weil er die Hauptursache des zehntausendfachen Bekenntnisses zur dänischen Minderheit nicht in deren Eigenwerbung sah. Auch wirtschaftlicher und sozialer Not sowie moralischer Diskreditierung Deutschlands kam seiner Ansicht nach nicht die entscheidende Bedeutung zu. Bei Analyse des Wahlausgangs hielt Scheel ausdrücklich fest, ausschlaggebend sei in erster Linie die Furcht der Einheimischen vor den Flüchtlingen als „Trägern des uns so unsympathischen ostelbischen Geistes“99. Der massive Zulauf zur dänischen Bewegung erschien demzufolge als „eine starke und auch verständliche Reaktion gegen diese nicht nur physische, sondern auch geistige Überfremdung unseres Landes“. Dass ihm die Präsenz der Vertriebenen als größere Gefahr galt als eine Stärkung dänischen Einflusses, zeigten ebenfalls seine Kontakte zu namhaften dänisch gesinnten Persönlichkeiten, die sich unmittelbar an der bereits erwähnten Petitionsbewegung beteiligten, um die Vertriebenen aus Schleswig zu entfernen. Hierzu zählte unter anderem der Redakteur Tage Jessen. Ihn traf Scheel zusammen mit weiteren Repräsentanten der dänischen Minderheit in den unmittelbaren Nachkriegsjahren bei regelmäßigen Zusammenkünften im Hause Hans P. Johannsens, der seinerseits zu den führenden Vertretern der deutschen Minderheit in Nordschleswig zählte100. Mit einem anderen dänisch 95 Vgl. Becker-Christensen, Fra „mod hinanden“, 366; Noack, Grenzstreit, 26–29; und ders., Grænsespørgsm l, 174–190. 96 Schreiben Scheels an Peter Mahler vom 15. 4. 1947 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 42). 97 Schreiben Scheels an Friedrich Schönemann vom 26. 8. 1953 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 46). 98 Als Beispiel für latent danophobes Engagement eines Landeshistorikers nach dem Zweiten Weltkrieg sei exemplarisch verwiesen auf Pauls, „Südschleswig“. Zu den Versuchen insbesondere der Landesregierung Lübke, der dänischen Minderheit mit politischen Druck zu begegnen, vgl. Bohn, Nachbarschaft, 59–76; Feddersen, Grenzlandpolitik; und Struck, Politik. 99 Schreiben Scheels an Peter Mahler vom 2. 5. 1947 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 42). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 100 Vgl. Joergensen, Journalister, 168; Johannsen, Jahrzehnte, 42; Klatt, Flygtningene, 33–39;

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orientierten Unterstützer der Anti-Flüchtlingskampagne hatte Scheel bei seinen Versuchen, Christiana Albertina und Landesbibliothek nach Schleswig umzusiedeln, eng zusammengearbeitet – dem Schleswiger Bürgermeister Clausen. Wenn Letzterer in seinen Memoiren festhielt, sein eifriger Helfer habe den „scharfen unsachlichen Kampf der deutschen Seite […] gegen die starke dänische Bewegung“101 nicht gebilligt, belegte dies zusätzlich, wie Scheel dem Zulauf zur dänischen Minderheit im Gegensatz zur Flüchtlingspräsenz mit relativer Gelassenheit begegnete102. In deutschen grenzpolitischen Kreisen kam Ende der 1940er Jahre deshalb gar das Gerücht auf, Scheel habe sich der Fraktion innerhalb der dänischen Minderheit angeschlossen, welche eine Angliederung ganz Schleswigs an Dänemark betrieb. Zwar entbehrte dies nach Aussage des Betroffenen jeglicher Grundlage. Dass allerdings überhaupt das Wort die Runde machte, der seinerzeit als Grenzkämpfer um Nordschleswig berufene Landeshistoriker habe womöglich ,die Seite gewechselt‘, sprach bereits Bände über dessen allergische Reaktion auf die Flüchtlingspräsenz103. Dies zeigte sich erneut bei der folgenden Landtagswahl vom Sommer 1950. Da im Vorjahr die unabhängigen Wahlkreiskandidaten der Flüchtlinge 7 von 23 schleswig-holsteinischen Sitzen im Bonner Parlament gewonnen hatten, war vor dem regionalen Urnengang mit dem Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) eine ,Flüchtlingspartei‘ ins Leben gerufen worden104. Wegen dieser Neugründung und nicht möglicher dänischer Erfolge blickte Scheel „mit grosser Sorge“105 dem Wahltermin entgegen. Als Anhänger des bürgerlich-konservativen Wahlblocks fürchtete er, der BHE könne der amtierenden SPD-Regierung als Mehrheitsbeschaffer dienen und auf diesem Wege die politischen Interventionsmöglichkeiten der Flüchtlinge multiplizieren. Mit Blick auf eine Koalitionsregierung orakelte er daher, man käme „in die Traufe […], wenn sie aus SPD und BHE bestünde“106. Zwar sollte sich die persönliche Schreckensvision nicht erfüllen. Ungeachtet dessen stellte der Wahlausgang aber die Weichen dafür, dass Scheel noch einmal parteipolitisch aktiv wurde107. Da der BHE mit einem Stimmenanteil von 23,4 % zu einer der stärksten

101 102 103 104 105 106 107

und Schreiben Scheels an Morten Kamphövener vom 9. 6. 1949 und 17. 12. 1950 (LAfS Apenrade, NL Morten Kamphövener, Nr. 38/-44). Clausen, Aufbau, 212. Vgl. Noack, Grænsespørgsm l, 112–117, 226 f. Vgl. Schreiben Scheels an Thomas O. Achelis vom 1. 9. 1949 (LASH Schleswig, Abt. 399.1, Nr. 44); und Schreiben Scheels an Harald Thurau vom 11. 12. 1949 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 47). Vgl. Hausmann, Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten, Bd. 3. 237–239; Rott, Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten, 24–26; und Xylander, Flüchtlinge, 252–254. Schreiben Scheels Paul Bertheau vom 1. 7. 1950 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 32). Schreiben Scheels an Otto Becker vom 1. 7. 1950 (Ebd.). Vgl. Maletzke / Volquartz, Landtag, 65.

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politischen Kräfte im Land avancierte, ohne den eine Regierungsbildung kaum möglich schien, saßen dessen Vertreter bald nach der Landtagswahl von 1950 zusammen mit denen des bürgerlichen Wahlblocks am Kabinettstisch. In den Reihen derer, die wie Scheel eine Überfremdung des Landes fürchteten, führte diese Konstellation zu dem Entschluss, eine ,Einheimischenpartei‘ zu gründen, welche als Schleswig-Holsteinische Gemeinschaft (SHG) firmierte108. Worin deren wichtigster Programmpunkt bestand, trug die Überschrift „Gegenzug in Schleswig-Holstein“109 des Gründungsmanifests nicht weniger deutlich zur Schau wie die Titelwahl „Unser Land“110 für das hauseigene Nachrichtenblatt. Weniger alerte Zeitgenossen konnten dort schwarz auf weiß lesen, die SHG fordere „den Führungsanspruch der Schleswig-Holsteiner in Schleswig-Holstein“, zu denen nur solche Vertriebene zu zählen seien, die „ein inneres Verhältnis zu diesem Land, zu seinen Menschen und zu seiner Geschichte“ hätten. Scheel stieß zu der neu gegründeten politischen Plattform renitenter Flüchtlingsgegner, nachdem diese vor der Landtagswahl 1954 zusammen mit dem Landesverband der Deutschen Partei ein Wahlbündnis geschlossen hatte. Die Spitzenfunktionäre der dadurch entstandenen Koalition mit dem viel sagenden Namen Schleswig-Holstein-Block (SHBl) waren allem Anschein nach von selbst auf den weithin bekannten Emeritus aufmerksam geworden, als sie sich auf die Suche nach potentiellen Kandidaten für ihre Landtagsfraktion machten. Allzu diskret gingen sie dabei nicht vor. Zu den Ausgewählten zu gehören erfuhr Scheel nicht etwa von ihnen, sondern seinem Schwiegersohn, der ihn drei Tage vor der ersten Landesversammlung des SHBl darauf aufmerksam machte, er solle laut Zeitungsmeldungen auf Platz eins von dessen Landesliste gesetzt werden111. Zwar lehnte der mittlerweile 78-Jährige die bei Erfolg mit mehrjähriger parlamentarischer Arbeit verbundene Spitzenposition ab, entzog sich aber nicht kategorisch dem überstürzten Gesuch, Unterstützung für den gerade aus der Taufe gehobenen SHBl zu leisten. Hierfür spielte die Überzeugung, den vermeintlichen Interessen der neu entdeckten Heimatregion verpflichtet zu sein, eine tragende Rolle. Wie er kurze Zeit später im Privaten mitteilte, ließ er sich vor allem deshalb zur Rückkehr in die politische Arena überreden, weil man ihn wegen seiner „Verbundenheit mit der Heimat“112 gebeten hatte, sich zur Verfügung zu stellen. Wie genau dies geschehen sollte, handelten er und die Spitzen von SHG und Landesverband der Deutschen Partei aus. Statt für 108 Vgl. Sch fer, Gemeinschaft, 95; und Statistisches Landesamt, Beiträge, 78. 109 „Gegenzug in Schleswig-Holstein“, in: FLN, 20. 11. 1950. 110 „Landesversammlung der S.H.G.“, in: Unser Land. Landesnachrichtenblatt der SchleswigHolsteinischen Gemeinschaft, 31. 1. 1952. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 111 Vgl. Schreiben Scheels an Franz K. Hecht vom 20. 6. 1954 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 38); und Sch fer, Gemeinschaft, 174 f. 112 Schreiben Scheels an Lorenz Christensen vom 5. 7. 1954 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 68).

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den Landtag zu kandidieren, sollte er demnach Erster Vorsitzender des SHBl mit rein repräsentativer Funktion werden. Die Landesversammlung befürwortete diese Lösung einstimmig, und so avancierte Scheel zur Gallionsfigur des Bündnisses, welches bald darauf unter Berufung auf seinen Namen um Spenden für den kommenden Wahlkampf bat113. Das zeitgleich verabschiedete Grundsatzprogramm unter dem Banner „Recht und Gerechtigkeit für Land und Leute in Schleswig-Holstein“114 enthielt sich ähnlich scharfer Töne wie die Verlautbarungen der SHG, ließ aber trotzdem keinerlei Zweifel an dem programmatischen Ziel, eine vermeintliche Überfremdung des Landes durch Vertriebene verhindern zu wollen. Die Agenda widmete sich dem Verhältnis von Einheimischen und Flüchtlingen keineswegs mit dem Anliegen der Integrationsförderung, wie dies auf den ersten Blick der Fall zu sein schien. Die Ablehnung einer „politische[n] Aufspaltung in Einheimische und Vertriebene“ knüpfte sich beispielsweise an die Einschränkung, sie beziehe sich auf die Mitarbeit „aller heimatbewußten Menschen“. Allenfalls bei oberflächlicher Betrachtung von Vorteil für die Flüchtlinge war ebenfalls die Forderung nach einer grundsätzlichen Gleichberechtigung bei Ämter- und Landvergabe. Auch fast zehn Jahre nach Kriegsende wirtschaftlich und sozial deutlich schlechter gestellt als die ,Alteingesessenen‘, kam ihnen eine solche Regelung keinesfalls zu Gute. Solidarität mit den Vertriebenen war im SHBl folglich nicht mehr als ein Lippenbekenntnis, hinter dem sich eine entschiedene Interessenpolitik zugunsten der gebürtigen Schleswig-Holsteiner verbarg115. Wie sehr Scheel eine reservierte Flüchtlingspolitik guthieß, stellte er in einem Wahlaufruf zugunsten des SHBl unter Beweis, der allem Anschein nach am Tag des Urnengangs im Radio gesendet werden sollte. Ebenso wie im Grundsatzprogramm knüpfte er hier die Anerkennung der aus den verlorenen Ostgebieten des Deutschen Reiches Kommenden als ,vollwertige‘ SchleswigHolsteiner an die Bedingung, ein wie auch immer geartetes Heimatbewusstsein unter Beweis zu stellen. Der Erste Vorsitzende fand in diesem Zusammenhang unmissverständliche Worte, wenn er den Hörern mitteilte, seine Partei erwarte, dass die Flüchtlinge „sich den folglichen [sic!] und geistigen Kräften der neuen Heimat aufschließen, vornehmlich die mit volksnahen Ämtern in Verwaltung und Schule Betrauten“116. Verständnis für deren schwierige Situation kam allenfalls in dem Halbsatz zum Ausdruck, sie seien 113 Vgl. „Prof. Dr. Scheel erster Vorsitzender des SHB“, in: FLN, 24. 6. 1954; Rundschreiben des Landesvorstandes der SHG an die Mitglieder vom Juli 1954 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 102); und Sch fer, Gemeinschaft, 177. 114 Grundsatzprogramm des Schleswig-Holstein-Blocks vom 23. 6. 1954 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 102). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 115 Zu den Zielen des SHBl vgl. ebenfalls „Ziele des ,Schleswig-Holstein-Blocks‘“, in: FLN, 25. 6. 1954. 116 Vorlage einer Radioansprache Scheels (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 102). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort.

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die „vom Schicksal schwer Geschlagenen“. Ausführliche und mehrfache Erwähnung fanden hingegen die Bürden des „über das Maß schwer belasteten Landes“ sowie die Notwendigkeit, dessen Eigentümlichkeit zu bewahren. Ob der regionalpatriotische Wahlkampfaufruf mit deutlicher Spitze gegen die Vertriebenen tatsächlich über den Äther ging, muss indes mit einem Fragezeichen versehen werden. Bereits einen Monat vor der Wahl erkrankte der Erste Vorsitzende des SHBl so ernsthaft, dass er außer den Vorstandssitzungen seiner Partei ebenfalls sämtliche anderen auswärtigen Termine abzusagen genötigt war und bald darauf ins Krankenhaus kam. Unmittelbar vor dem Urnengang, der dem SHBl mit 5,5 % der Wählerstimmen den Einzug in den Landtag brachte, teilte er in seiner Privatkorrespondenz mit, er habe sich mit dem Wahlkampf praktisch nicht mehr auseinandergesetzt117. Nicht nur mit Blick auf seine Aktivitäten im SHBl blieb dies eine der letzten Wortmeldungen Scheels. Die Hoffnung, das Krankenlager möglichst bald wieder verlassen zu können, sollte sich nicht mehr erfüllen118.

5.1.3. Historisches Forschungsfeld Nicht nur mit Blick auf Scheels politische Neuorientierung und das daraus erwachsende Engagement, sondern ebenfalls hinsichtlich seiner Position im akademischen Feld und der eigenen Forschungsarbeit hatte die bedingungslose Kapitulation entscheidende Weichenstellungen zur Folge. Dies betraf zu allererst seine Position als Inhaber des Lehrstuhls für Landesgeschichte, dessen zukünftige Ausrichtung auf Großbritanniens Führungsrolle in Europa er keine zwei Monate nach Kriegsende anregte. Scheel erörterte dem Oberpräsidium deshalb mögliche Bedingungsfaktoren für die strategische Ausrichtung des Ordinariats, weil er seine Emeritierung beantragte und damit die Frage nach ausschlaggebenden Gesichtspunkten für eine mögliche Neubesetzung im Raume stand. Für die Adressaten dürfte das Gesuch nicht allzu überraschend gewesen sein, selbst wenn man von den dramatischen Zeitumständen als naheliegende Erklärung für den Rückzug aus dem aktiven Dienst absah. Mit 69 Jahren hatte Scheel das übliche Entpflichtungsalter bereits überschritten. Im aktiven Dienst befand er sich nur noch, weil seinerzeit die kurz nach Kriegsausbruch anstehende, reguläre Emeritierung auf Wunsch von Universitätsrektor Rit-

117 Vgl. Schreiben Scheels an Erwin Balzer vom 19. 8. 1954 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 68); Schreiben Scheels an den Landesvorstand des SHBl vom 5. 8. 1954 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 102); Schreiben Scheels an Friedrich Pauly vom 7. 9. 1954 (LASH Schleswig, Abt. 399.77, Nr. 26); und Statistisches Landesamt, Beiträge, 78. 118 Vgl. Schreiben Scheels an Friedrich Christensen vom 13. 9. 1954 (LASH Schleswig, Abt. 399.1, Nr. 44).

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terbusch ob der besonderen Lage zurückgestellt worden war119. Aus beamtenrechtlicher Sicht holte der scheidende Landeshistoriker folglich einen überfälligen Schritt nach, was dieser in seinem Antrag zu unterstreichen suchte, indem er als Begründung ausschließlich auf die mehrjährige Überschreitung der Altergrenze verwies. Ganz ähnlich bemühte sich die Universitätsleitung in ihrer Stellungnahme, den Vorgang als rein verwaltungstechnischen Akt darzustellen, und unterstrich, sie befürworte das Gesuch „im Hinblick auf die dankenswerten Verdienste Professor Scheels auf das Wärmste“120. Trotz Altersargument und Plazet der Hochschule geriet das Verfahren zunächst ins Stocken. Verantwortlich hierfür war der von der britischen Besatzungsmacht kommissarisch eingesetzte Oberpräsident, Otto Hoevermann. Dessen unerwartetes Veto blieb Scheel deswegen im Gedächtnis, weil der neue Kopf der Landesverwaltung nur nach persönlicher Rücksprache mit dem Antragsteller grünes Licht für dessen Entpflichtung gab121. Erst dem jetzt folgenden zweiten Gesuch wurde von amtlicher Seite stattgegeben. Der Ordinarius für Landesgeschichte erhielt daher mit einiger Verspätung seine Emeritierungsurkunde und das Verabschiedungsschreiben des Dekans der Philosophischen Fakultät, der ihm im Namen des gesamten Lehrkörpers für „langjährige und verdienstvolle Arbeit […] im Geiste sachlicher Hingabe und Objektivität“122 seinen Dank aussprach. Wie Scheel in seinem neuerlichen Antrag festhielt, bat Hoevermann bei ihrem Treffen um Rückstellung der Entpflichtung aus „Rücksicht auf die nordischen Fragen, und besonders auf Dänemark“123. Was genau er sich in diesem Zusammenhang von dem um Aufschub Gebetenen erhoffte, führte dieser nicht näher aus. Möglicherweise spielten Scheels Kommentare im Emeritierungsgesuch eine Rolle, die sich auf die Einbeziehung Englands in das Aufgabenfeld seiner Professur bezogen. Der neue Oberpräsident bemühte sich im Sommer 1945 um schnelle Wiederaufnahme des bei Kriegsende zum Erliegen gekommenen Universitätsbetriebes. Ein Gelehrter, der sein Ordinariat auf die Kooperation mit dem einstigen Kriegsgegner ausgerichtet wissen wollte, konnte dabei nur dienlich sein, war doch im Sommer 1945 absehbar, dass Forschung und Lehre bis auf weiteres unter Kontrolle der britischen Militäradministration stehen würden. Diese Lesart erscheint umso wahrscheinlicher, als Hoevermann wegen seiner NS-Vergangenheit massiv in öffentlicher Kritik stand und dringend auf vorzeigbare Erfolge gegenüber der

119 Vgl. Schreiben des Rektor an den Universitätskurator vom 13. 9. 1940 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 2051). 120 Schreiben des Rektors an den Universitätskurator vom 3. 7. 1945 (APFK Kiel, Ordner 4b). 121 Vgl. Schreiben Scheels an Otto Becker vom 3. 8. 1953 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 46). 122 Schreiben des Dekans der Philosophischen Fakultät an Scheel vom 15. 8. 1945 (APFK Kiel, Ordner 4b). 123 Schreiben Scheels an das Oberpräsidium vom 6. 8. 1945 (LASH Schleswig, Abt. 47, Nr. 6996).

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Besatzungsmacht angewiesen war, um seinen politischen Gegnern das Wasser abzugraben124. In jedem Fall dokumentierten die Umstände der durch einen abgelehnten Halteversuch verzögerten Emeritierung, dass Scheel ungeachtet seiner Verstrickung in die akademische Mobilisierung zugunsten des NS-Regimes nicht gezwungen gewesen wäre, seine als Lehrstuhlinhaber zentrale Stellung in der Landesgeschichtsforschung aufzugeben. Was für ihn galt, traf auf eine ganze Reihe potentiell belasteter Akademiker zu, die im Sommer 1945 nicht das Feld räumten. Bereits wenige Monate nach ihrer Wiedereröffnung stand die Kieler Universität deshalb über die Landesgrenzen hinaus im Ruf, besonders nachsichtig mit NS-affinen Wissenschaftlern zu verfahren. Aus dem sowjetisch besetzten Sektor Berlins schrieb Scheels alter Vertrauter Rörig mit einiger Verwunderung, was er über die personelle Kontinuität an der Christiana Albertina höre, komme ihm „fast wie ein Märchen vor“125. Der seinerzeit fachfremd berufene Kirchenhistoriker verabschiedete sich indes nicht nur freiwillig von seinem Kieler Lehrstuhl. Bald darauf erklärte er ebenfalls aus eigenen Stücken den Rücktritt vom Vorsitz des VRG. Im Sommer 1946 über Pläne informiert, den Verein neu zu begründen, legte er das Leitungsamt mit Verweis auf seinen Gesundheitszustand nieder und betraute Bornkamm als zweiten Vorsitzenden mit der kommissarischen Vereinsführung126. Neben schlechter körperlicher Verfassung dürfte Scheel ebenfalls zu einer möglichst raschen Nachfolgeregelung angehalten haben, dass sein langjähriger Streit mit dem anderen potentiellen Kandidaten für den Vorsitz erneut eskalierte. Gerhard Ritter hatte in einem Kurzbeitrag über das Verhalten deutscher Professoren im ,Dritten Reich‘ daran erinnert, wie Scheel seinerzeit 1938 auf dem Historikerkongress in Zürich „den Reformator in bedenkliche Nähe des Revolutionärs Adolf Hitler rückte“127. Der damit öffentlich als NS-Sympathisant Gescholtene gab einen geharnischten Brief an den Autor des Beitrages in die Post, wenige Wochen bevor er die Übernahme des Vorsitzes durch Bornkamm anregte. Da er sich zudem im Austausch mit seinem Wunschnachfolger in aller Form gegen eine Kandidatur Ritters aussprach, dürfte er zweifelsohne als persönlichen Erfolg verbucht haben, dass Bornkamm trotz anfänglicher Vorbehalte das Amt erhielt128. Bei näherer Hinsicht besaß Scheel jedoch nicht annährend so viel Spielraum, wie dies bei seiner Emeritierung der Fall war. Noch bevor er seinen Amtsverzicht offiziell machte, konferierten Bornkamm und Ritter als die seit den 1930er Jahren eigentlich treibenden Kräfte im Verein über die Vor124 Vgl. J rgensen, Wiedereröffnung, 553; Martens, Berufung, 192–198; und von Seggern, Demokraten, 195–197. 125 Schreiben Fritz Rörigs an Scheel vom 31. 1. 1946 (LASH Schleswig, 399.67, Nr. 56). 126 Vgl. Fix, Scheel, 96–99. 127 Ritter, Professor, 23. Zum Züricher Kongress siehe S. 212–217. 128 Vgl. Schreiben Scheels an Heinrich Bornkamm vom 26. 11. 1946 (AVRG Mainz, Karton 2.3); und Schreiben Scheels an Gerhard Ritter vom 13. 7. 1946 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 45).

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standsfrage. Obwohl Ersterer fälschlicherweise annahm, Scheel sei nicht Mitglied der NSDAP gewesen, hielt er fest, besser als dessen Verbleib im Amt sei „ein neuer Vorsitzender, der weniger politisch belastet ist“129. Dieses Urteil fiel noch relativ milde im Vergleich zu dem Ritters aus. Der wegen seiner jüngsten Äußerungen zum Züricher Lutherreferat vom Vorsitzenden scharf angegriffene ARG-Herausgeber hielt in seiner Antwort an Bornkamm fest, Scheel sei „ganz unmöglich geworden“130 und erklärte weitere Zusammenarbeit für ausgeschlossen. Die Verzichtserklärung aus Kiel ging demnach gerade noch rechtzeitig ein, um einen vereinsinternen Machtkampf zu verhindern, den der Vorsitzende aller Voraussicht nach nicht für sich hätte entscheiden können. Die Umstände des Rücktritts von der VRG-Leitung spiegelten in mancherlei Hinsicht das wider, was sich im VSHKG zutrug. Zwar machte der Vorstand keine politischen Bedenken gegen den Vorsitzenden geltend, zeigte sich wegen dessen Passivität aber ebenso wenig an seinem Verbleib im Amt interessiert. Als die Wiederbelebung des Vereins in Angriff genommen werden sollte, fühlte einer der Initiatoren sich beim Rückblick auf Scheels Amtsführung an einen General des Dreißigjährigen Krieges erinnert, der als ,Heerverderber‘ in die Geschichte eingegangen war131, und forderte unverblümt, der Landeshistoriker dürfe „mit dem Verein nach dessen Neuerstehen nicht wieder dauernd zu tun haben“132. Bei seinen Mitstreitern erntete er regen Zuspruch. Um den missliebig gewordenen Vorsitzenden möglichst geräuschlos aus dem Amt zu befördern, zogen die Neubegründer des Vereins in Erwägung, stillschweigend davon auszugehen, die Leitungsposition sei vakant. Dieser Kunstgriff blieb ihnen erspart, da Scheel sich von selbst bereit erklärte, Platz für einen Nachfolger zu machen, was man ihm mit seiner Duldung im weiteren Vorstand dankte. Ähnlich wie im VRG legte er damit im VSHKG formal aus eigenem Antrieb den Vorsitz nieder, kam aber de facto lediglich einer zwangsweisen Ablösung zuvor133. Wie es infolge dieser Verschiebungen seit Kriegsende um Scheels Position im akademischen Feld bestellt war, zeigte sich eindrücklich, als ein halbes Jahrzehnt später sein 75. Geburtstag anstand. Während in der breiteren schleswig-holsteinischen Öffentlichkeit eine Reihe von Artikeln die Ver-

129 Schreiben Heinrich Bornkamms an Gerhard Ritter vom 31. 7. 1946 (AVRG Mainz, Karton 4). 130 Schreiben Gerhard Ritters an Heinrich Bornkamm vom 7. 9. 1946 (Ebd.). 131 Bei dem Heerführer handelte es sich um Matthias Gallas, vgl. hierzu Rebitsch, Matthias Gallas. 132 Schreiben Otto Kählers an Eduard Völkel vom 30. 8. 1945 (LASH Schleswig, Abt. 399.99, Nr. 131). 133 Vgl. Schreiben Scheels an Thomas O. Achelis vom 5. 3. 1947 (LASH Schleswig, Abt. 399.1, Nr. 44); Schreiben des VSHKG an Scheel vom 21. 9. 1947 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 68); und Schreiben Eduard Völkels an Otto Kähler vom 23. 5. 1946 und Antwort desselben vom 28. 5. 1946 (LASH Schleswig, Abt. 399.99, Nr. 131).

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dienste des Jubilars um Heimat und Wissenschaft in höchsten Tönen lobten134, fielen die Reaktionen der Fachwelt auf das für Festschriften prädestinierte Ereignis relativ verhalten aus. Während der VRG Scheels altem Mentor und Vorgänger im Leitungsamt, Hans von Schubert, zu ähnlichem Anlass einen Jubelband zugeeignet hatte135, enthielt man sich nun ähnlicher akademischer Ehrungen. Selbst eine kurze Notiz in den eigenen Publikationen blieb aus, und so beschränkte sich der Beitrag des Vereins auf ein persönliches Glückwunschschreiben des neuen Vorsitzenden. Von der renommiertesten deutschen Vereinigung für Reformationsgeschichte mit weitestgehender Nichtachtung gestraft zu werden, empfand Scheel als schweren Affront. Dem Absender der Gratulation gab er dies in seinem Antwortschreiben deutlich zu erkennen, in dem er mutmaßte, Ritter sei für „Vernebelungen“136 und „Schweigen“ verantwortlich. Wenn sich der VSHKG anlässlich des Geburtstages erkenntlicher zeigte, verdankte sich dies direkter Intervention aus dem Umfeld des Jubilars. Der ehemalige Geschäftsführer des IVL, mit Scheel trotz dessen unerquicklichen Abschieds von der Einrichtung bis in die Nachkriegszeit in persönlichem Kontakt, hielt mit dem neuen Vorsitzenden mehrfach Rücksprache, wie eine Ehrung durch den Verein erfolgen könne137. Die von ihm ins Spiel gebrachte Festschrift nahm der VSHKG jedoch ebenfalls nicht in Angriff, sondern beschränkte sich darauf, Scheel einen regulär erscheinenden Band der hauseigenen Schriftenreihe zu widmen. Abgesehen von dem entsprechenden Hinweis auf der Titelseite, den Grußworten des Vorsitzenden und einer Bibliographie des Geehrten handelte es sich bei der ,Festgabe‘ deshalb um einen gewöhnlichen Zeitschriftenband inklusive Vereinsmitteilungen und Überblick über das neuere Schrifttum. Den traditionellen Konventionen akademischer Ehrerweisung genügte dieses Procedere nur in Ansätzen und legte somit wie die Inaktivität des VRG Zeugnis davon ab, wie tief Scheels Stern in theologischen Forschungskreisen zwischenzeitlich gesunken war138. Im Gegensatz zur Kirchengeschichte ging aus den Reihen der Profanhistoriker eine erfolgreiche Initiative zur Erstellung einer ,regulären‘ Festschrift hervor. Federführend bei deren Herausgabe wirkte mit Harald Thurau abermals ein alter Bekannter aus dem IVL, der seinerzeit bei Scheel promoviert 134 Vgl. „Aus heimdeutschen Geschlecht“, in: DNSL, 24. 2. 1951; „Dienst an Heimat und Wissenschaft“, in: KN, 7. 3. 1951; „Gütiger Mensch und großer Wissenschaftler“, in: SLN, 6. 3. 1951; „Otto Scheel zum Gruß“, in: DNSL, 3. 3. 1951; und Kleyser, Scheel, 77 f. 135 Vgl. Friedensburg / Scheel, Festschrift. 136 Schreiben Scheels an Heinrich Bornkamm vom 7. 3. 1951 (AVRG Mainz, Karton 5.2). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 137 Vgl. Diedrichsen-Heide, Institut, 39; Schreiben Gottfried E. Hoffmanns an Scheel vom 30. 12. 1947, 12. 6. 1948 und 17. 6. 1949 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 38); und Schreiben Gottfried E. Hoffmanns an Peter Meinhold vom 18. 7. 1950 (LASH Schleswig, Abt. 399.96, Nr. 173). Zu Scheels Ablösung als wissenschaftlicher Leiter des IVL siehe S. 257f. 138 Vgl. Schriften des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte, 2. Reihe, 10.2 (1950).

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hatte139. Der mit dem Untertitel „Deutsche und nordische Geschichte“ versehene Band besaß indessen auch einen Schönheitsfehler. Von den mehr als zwei Dutzend Beiträgern stammten fast alle aus dem engeren schleswig-holsteinischen Umfeld des Geehrten. Neben akademischen Bekannten aus der Christiana Albertina wie Otto Höfler, Otto Becker oder Alexander Scharff gehörten hierzu eine Reihe von Personen aus dem Kreis der deutschen Minderheit in Nordschleswig, unter anderem Johannes Schmidt-Wodder und Hans P. Johannsen. Von außerhalb dieser beiden Wirkungskreise stammte lediglich ein einziger Beitrag aus schwedischer Hand140. Selbst der Herausgeber sah sich ob dieses eng umgrenzten Feldes gezwungen, in seinem einleitenden Grußwort Stellung zu nehmen141. Als Erklärung suchte er ins Feld zu führen, der ohnehin große Umfang des Bandes habe die Aufnahme weiterer Artikel unmöglich gemacht. Zudem hätten eine Reihe potentieller Autoren den Krieg nicht überlebt, und wiederum andere befänden sich in Notlagen und könnten deshalb nichts beisteuern. Mit derlei Ausflüchten ließ sich nur notdürftig kaschieren, dass der Name des Geehrten allenfalls begrenzte Zugkraft in weiteren Fachkreisen besaß, wenn sich abseits auf Schleswig-Holstein bezogener Kontakte fast keine Beiträger fanden. Wie sich nach Übergabe des Bandes zeigte, vermochte dies den Geehrten kaum anzufechten. Er störte sich zumindest nach außen keineswegs am primär regionalen Charakter der Ehrenbezeugung. Da er nach dem Zusammenbruch des Jahres 1945 ohnehin seine schleswigsche Herkunft als neuen identifikatorischen Bezugspunkt entdeckt hatte, drückte er nach Durchsicht der Festschrift ganz im Gegenteil seine Freude darüber aus, „welch‘ geistige Kraft in Südschleswig vereinigt werden kann“142. Über welchen Einfluss Scheel vor Ort in akademischen Belangen trotz des begrenzten Renommees jenseits der Kieler Gefilde verfügte, offenbarte sich zeitgleich mit dem runden Geburtstag, als der Stein zur Wiederbesetzung des landeshistorischen Ordinariats ins Rollen kam. Da es sich bei dem Lehrstuhl eigentlich um eine künftig wegfallende Stelle handelte, war von einer Neubesetzung in den unmittelbaren Nachkriegsjahren zunächst abgesehen und ab 1949 lediglich entsprechende Lehraufträge vergeben worden. Einen davon bekleidete Alexander Scharff, der seit den 1930er Jahren zu landesgeschichtlichen Themen arbeitete. Dem ehemaligen Lehrstuhlinhaber war er nicht zuletzt deswegen vertraut, weil er zu den Schriftenreihen des IVL seinerzeit eine Edition der Briefe Uwe Jens Lornsens beigesteuert hatte143. Im Wissen um derlei Verbindungen erkannten die Professoren für Neuzeit und Mittelalter, 139 140 141 142

Siehe hierzu S. 194. Vgl. Thurau, Festschrift. Zu Thuraus von Scheels betreuter Promotion siehe S. 194f. Vgl. ebd., Vorwort, 5. Schreiben Scheels an Thomas O. Achelis vom 10. 3. 1952 (LASH Schleswig, Abt. 399.1, Nr. 44). 143 Vgl. Bericht der Philosophischen Fakultät für das Amtsjahr 1949/1950 (APFK Kiel, Ordner 16); und Tagesordnung für die Sitzung der Philosophischen Fakultät vom 27. 11. 1948 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 39). Zu Scharffs Lornsen-Edition siehe S. 194f.

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Otto Becker und Karl Jordan, in Scheel frühzeitig einen potentiellen Verbündeten zur Unterstützung von Scharffs Bestallung. Bereits Monate vor Beginn des Berufungsverfahrens hielten sie ihn über ihre Bemühungen auf dem Laufenden, den Wunschkandidaten zu positionieren. Der ins Vertrauen gezogene Emeritus sagte dabei seine volle Unterstützung spätestens zu, nachdem er von Becker Kunde erhalten hatte, der Prähistoriker Herbert Jankuhn rechne sich ob seiner Expertise als Ausgräber Haithabus Chancen aus. Scheel echauffierte sich hierüber wegen dessen ostpreußischer Herkunft und stellte fest, Scharff besitze als gebürtiger Flensburger „intimere Kenntnis des Grenzlandes“144. Wie sich Anfang 1951 in den ersten Sitzungen der Berufungskommission offenbarte, handelte es sich bei Jankuhn mitnichten um dessen schärfsten Konkurrenten. Gegen Scharff machte vielmehr eine Gruppe um den Nordisten Hans Kuhn mobil. Sie brachte als Gegenkandidaten zur bereits öffentlich kolportierten Berufung des momentanen Lehrbeauftragten den an der Universität Hamburg tätigen Deutschbalten Paul Johansen in Vorschlag145. Den dadurch entstandenen Riss innerhalb des Gremiums vermochten weder Aussprachen noch Kompromissvorschläge wie etwa der zu schlichten, beide Aspiranten primo loco zu benennen und dadurch die Entscheidung in die Hände des Kultusministeriums zu legen. Am Ende von fast eineinhalb Jahren erbitterten Grabenkrieges stand daher eine Kampfabstimmung, in der die Johansen-Fraktion mit 13 gegen 10 Stimmen bei 7 Enthaltungen durchsetzte, ihren Favoriten offiziell als Wunschkandidaten der Fakultät zu benennen146. Scheel selbst saß zwar nicht in der Kommission, erhielt von ihr wegen der massiven Differenzen jedoch bald die Bitte, zur Personaldebatte um seine Nachfolge Stellung zu nehmen147. Dem Wunsch kam er nur zu gern nach und nutzte die Gelegenheit für ein vehementes Plädoyer zugunsten von Scharff. Dabei stellte er neben fachwissenschaftlichen Erwägungen abermals dessen vermeintlich besondere Eignung aufgrund seines schleswigschen Herkommens in den Vordergrund. Scharff – so seine Argumentation – überzeuge nicht nur mit „solider und selbständiger Forschung“148 sowie „geistesgeschichtliche[m] Weitblick“, sondern sei darüber hinaus „als Landeskind […] auch mit den aktuellen Problemen des ehemaligen Herzogtums Schleswig vertraut“. 144 Schreiben Scheels an Karl Jordan vom 14. 8. 1950 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 39). Zur Vita Jankuhns vgl. Steuer, Jankuhn, 447–529. 145 Vgl. Schreiben Karl Jordans an Scheel vom 3. 2. 1951 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 54). 146 Vgl. Schreiben Karl Jordans an Scheel vom 30. 7. 1951 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 39); und Aktenvermerk des Universitätskurators über die Wiederbesetzung des Lehrstuhls für Schleswig-Holsteinische und Nordische Geschichte sowie Berufungsvorschlag der Philosophischen Fakultät vom 24. 7. 1952 (LASH Schleswig, Abt. 811, Nr. 12392). 147 Vgl. Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 24. 2. 1952 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57). 148 Stellungnahme Scheels zur Besetzung des Lehrstuhls für Schleswig-Holsteinische und Nordische Geschichte vom 2. 6. 1951 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 54). Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort.

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Johansen konnte als Deutschbalte demnach kein geeigneter Kandidat sein, was Scheel deutlich herausstellte. Abgesehen von fachlichen Bedenken machte er gegen den zweiten Anwärter geltend, er könne nicht beurteilen, ob dieser „eine in eigenem Erleben wurzelnde Anschauung von unserem Lande hat“. Der Emeritus stärkte nicht nur die Position der Scharff-Fraktion innerhalb der Kommission. Bald nach Absendung seiner Stellungnahme begann er ebenso wie seine Mitstreiter auf anderem Wege die Berufung des gemeinsamen Favoriten notfalls gegen das Berufungsgremium sicherzustellen. Während Becker dabei auf Eingaben an den Universitätskurator setzte149, wandte sich Scheel an den ehemaligen Flensburger Oberbürgermeister Kracht, der mittlerweile als Chef der Staatskanzlei privilegierten Zugang zur unmittelbaren politischen Entscheidungsebene besaß. Über diesen Verbindungsmann erreichte Scheel, dass seine Sicht der Dinge sowohl dem Kultusminister als auch dem Ministerpräsidenten vorgetragen wurde. Derlei Interventionsversuche verfehlten ihre Wirkung allem Anschein nach nicht. Bereits vor der entscheidenden Abstimmung in der Berufungskommission erhielt Scheel von Kracht vertraulich Nachricht, Ministerpräsident Lübke setze sich „durchaus“150 für Scharff ein, doch sei man bestrebt, „den Anschein eines Druckes von aussen auf die Fakultät zu vermeiden“. Mit dieser Einschätzung sollte Scheels Kontaktmann Recht behalten. Zwar schickte sich der Emeritus nach dem finalen Abstimmungserfolg der Johansen-Fraktion an, parallel zu Beckers Sondervotum ein weiteres Mal zugunsten Scharffs bei den übergeordneten Stellen seine Autorität in die Waagschale zu werfen. Die erneute Offensive kam aber über die Planungsphase nicht mehr hinaus, da er alsbald Nachricht aus dem Kultusministerium erhielt, es stehe eine Entscheidung in seinem Sinne an. Binnen Monatsfrist nach der diskreten Entwarnung erfolgte entgegen dem Fakultätsvotum die Ernennung des Wunschkandidaten der Kommissionsminderheit151. Davon, dass Scheel hieran nicht unerheblichen Anteil hatte, war nicht zuletzt Scharff selbst überzeugt. Kaum eine Woche nach seiner offiziellen Ernennung schrieb er seinem Amtsvorgänger, es sei ihm „ein Herzensanliegen […] für freundliches Verständnis, für Güte und Hilfsbereitschaft aufrichtig zu danken“152. Becker teilte allem Anschein nach dieses Urteil. Als es ein knappes Jahr später über seine eigene Nachfolge ebenfalls zu schweren Verwerfungen in149 Vgl. Schreiben Scheels an Otto Becker vom 14. 10. 1951 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 44); und Schreiben Otto Beckers an den Universitätskurator vom 14. 10. 1951 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 65). 150 Schreiben Ernst Krachts an Scheel vom 19. 6. 1952 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 40). Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 151 Vgl. Übersicht der 1952/1953 vorgenommenen Berufungen in der Philosophischen Fakultät vom 13. 4. 1953 (APFK Kiel, Ordner 16); Schreiben Scheels an Otto Becker vom 31. 7. 1952 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 32); und Schreiben des Kultusministeriums an Scheel vom 15. 8. 1952 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 44). 152 Schreiben Alexander Scharffs an Scheel vom 1. 10. 1952 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 46).

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nerhalb der Fakultät kam, holte er abermals seinen alten Vertrauten ins Boot. Anlass hierzu gab ihm die Entscheidung der Berufungskommission, an erster Stelle für die Neubesetzung seines Lehrstuhls Golo Mann vorzuschlagen. Der schwer erkrankt aus dem Amt scheidende Becker lehnte die Nominierung des in die USA Emigrierten rundheraus ab, was er in seinem Sondervotum deutlich zum Ausdruck brachte153. Vom Emeritus für Landesgeschichte erbat er eine ähnlich energische Stellungnahme154, die ihm nicht zuletzt deswegen wichtig erschien, weil dessen Stimme nach seinem Dafürhalten als „Autorität der Tradition“155 über besonderen Einfluss verfügte. Dies war allem Anschein nach der Fall. Wie im Falle Scharffs gelang es Scheel erneut, über seinen Verbindungsmann Kracht direkten Kontakt zum Bildungsministerium herzustellen. Dort erhielt er Gelegenheit zu einer Aussprache just mit dem Ministerialbeamten, der dem Kultusminister bei Vorlage der Berufungsangelegenheit deutlich von einer Entscheidung zugunsten Manns abriet. Neben den vorliegenden Sondervoten und kritischen externen Fachmeinungen dürfte demnach auch die Meinung des ehemaligen Ordinarius für Landesgeschichte nicht ohne Gewicht gewesen sein, als der zweitplazierte Karl-Dietrich Erdmann den Vorzug vor dem eigentlichen Wunschkandidaten der Fakultät erhielt156. Wenn Scheel trotz des überregionalen Bedeutungsverlustes in den heimischen Gefilden wissenschaftspolitisch zu reüssieren vermochte, spiegelte dies wider, wie sich nach Kriegsende die Schwerpunkte seiner eigenen historiographischen Produktion veränderten. In der überschaubaren Zahl an Arbeiten, welche er nach mehr als fünfjähriger Schaffenspause in den letzten Lebensjahren veröffentlichte, spielte der vormals zentrale Topos deutscher beziehungsweise germanischer Machtentfaltung keine Rolle mehr. Wichtigster Gegenstand im Spätwerk des Emeritus bildeten vielmehr kleinteiligere Fragen der schleswig-holsteinischen Geschichte, und hier speziell solche mit Bezug auf den als identifikatorischen Bezugspunkt neu entdeckten Schleswiger Landesteil. Von der Verschiebung zeugten bereits die Themenvorschläge, mit denen Scheel Anfang der 1950er Jahre aufwartete, als er seine umfängliche Vortragstätigkeit wieder aufnahm. Kurz vor Kriegsende hatte er der SHUG mit 153 Vgl. Berufungsvorschlag der Philosophischen Fakultät vom 27. 7. 1953 sowie Sondervotum Otto Beckers (APFK Kiel, Ordner 7); En Detail zu den vorliegenden externen Gutachten in der Berufungsangelegenheit Golo Mann siehe Lahme, Golo Mann, 213–218. 154 Vgl. Schreiben Otto Beckers an Scheel vom 31. 7. 1953 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 59); und Schreiben Scheels an Alexander Scharff vom 31. 7. 1953 (LASH Schleswig, Abt. 399.110, Nr. 414). 155 Schreiben Otto Beckers an Scheel 12. 8. 1953 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 59). 156 Vgl. Schreiben Scheels an Otto Becker vom 3. 8. 1953 (BArch Koblenz, N 1078, Nr. 46); Schreiben Scheels an Ernst Kracht vom 15. 8. 1953 und 26. 8. 1953 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 40); und Aktenvermerk Ministerialdirektor Kocks vom 22. 8. 1953 (LASH Schleswig, Abt. 811, Nr. 12305).

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„Deutschland, England und die Niederlande“ oder „Bismarcks grossdeutsche Politik“ noch durchweg Referate feilgeboten, deren Fokus auf europäischen Großmachtfragen lag157. Wer nun in das Vortragsprogramm blickte, fand dort neben dem Namen des emeritierten Landeshistorikers gänzlich andere Themen. Mit Titeln wie „Tondern zwischen Wiking- und Hansezeit“, „Christiansfeld und Nordschleswig“ oder „Der deutsche Sprachantrag in der Schleswiger Ständeversammlung in dänischer Legende“ standen durchweg lokalbeziehungsweise regionalgeschichtliche Zusammenhänge im Mittelpunkt158. Mit diesen neuen Sujets entwickelte sich Scheel zu einem Redner, den neben der universitätseigenen Vortragsgesellschaft ebenfalls die nach 1945 neu konstituierten Heimat- und Grenzorganisationen engagierten, unter anderem der Schleswig-Holsteinische Heimatbund und der Grenzfriedensbund159. Da Letzterem seinem Namen entsprechend das Ziel zugrunde lag, ein Wiederaufflammen des scharfen Grenzkampfes der Zwischenkriegszeit zu verhindern, deutete schon die Zusammenarbeit an, dass mit den skizzierten thematischen Verschiebungen in interpretatorischer Hinsicht gemäßigte Töne verbunden waren. Ein genauerer Blick auf Scheels Nachkriegspublikationen, deren Titel sich zum Teil wortwörtlich mit denen seiner Vorträge decken, deutet in dieselbe Richtung. Nur in einem Fall nahm der Autor Anleihen bei seinen Veröffentlichungen aus der Zeit vor 1945. Hierbei handelte es sich um die gegen Kriegsende veröffentlichte Serie von kleinen Beiträgen zur Frühgeschichte seiner Geburtsstadt Tondern. Zwei äußere Gründe dürften dabei ausschlaggebend gewesen sein. Zum einen hatten die bei der Arbeit an jenen Artikeln entstandenen Aufzeichnungen im Gegensatz zu fast allen anderen Arbeitsunterlagen den Krieg überstanden und boten sich als ein möglicher Startpunkt an. Zum anderen war Rörig auf die Tondern-Artikel aufmerksam geworden und offerierte, einen entsprechenden Aufsatz in den Hansischen Geschichtsblättern zu platzieren, was der Adressat dankend annahm. Die deutsche Volksgruppe in Nordschleswig schlug zudem eine selbständige Veröffentlichung vor, nachdem Scheel dort mehrere Vorträge zur Thematik gehalten hatte160. „Tondern zwischen Wiking- und Hansezeit“161 erschien daher in unterschiedlicher Länge an zwei Publikationsorten. 157 Vortragsverzeichnis der SHUG 1943/1944 (ASHUG Kiel, Ordner VV Belegexemplare SHUG). 158 Vortragsverzeichnisse der SHUG 1945/1946–1948/1949 (StAFL Flensburg, XII V UG, Nr. 1); und Vortragsverzeichnisse der SHUG 1950/1951–1954/1955 (ASHUG Kiel, Ordner VV Belegexemplare SHUG). 159 Vgl. Eysholdt, Spannungsfeld 15–20; N.N.: Wir veranstalten, 7; und Schreiben des SHHB an Scheel vom 8. 10. 1951 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 43). 160 Vgl. Schreiben Stehrs an die SHUG vom 24. 4. 1952 (ADVN Apenrade, N 22, Nr. 3.2.12); Schreiben Fritz Rörigs an Scheel vom 20. 10. 1949 sowie Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 20. 1. 1952 (AHL L beck, NL Rörig, Nr. 57); und Schreiben Scheels an Fritz Rörig vom 5. 6. 1947 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 56). 161 Scheel, Tondern (Aufsatz); und Scheel, Tondern (Monografie).

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Mit Blick auf die eigentliche Kernaussage, der Ort habe bei Verleihung des Lübschen Stadtrechts 1243 bereits mehr als 150 Jahre als Handelsplatz existiert, betrat der Verfasser kein Neuland, sondern wiederholte lediglich den Befund aus Kriegszeiten. Ungeachtet dessen setzte die Schrift jedoch insofern vollkommen neue Akzente, als sie die Frage nach vermeintlich deutschen und dänischen Anteilen am frühen Tondern in ein gänzlich anderes Licht rückte. Anlässlich des 700-jährigen Stadtjubiläums 1943 war Scheel noch nach Kräften bemüht gewesen, seinen Geburtsort als „das deutsche Tondern“162 darzustellen und dänische Einflüsse wenn nicht offen zu bestreiten, so doch kleinzureden. Seine Beweisführung hatte er dabei für so stichhaltig befunden, dass er über Theorien eines prägenden dänischen Einflusses schrieb, sie lösten sich „in Nebelschwaden auf“163. In den Publikationen der Nachkriegszeit suchte er sich von derlei nationalen Zuschreibungen weitestgehend abzusetzen. Scheel behauptete nun, ihn befriedige weder die eine noch die andere Lösung und schrieb in diesem Zusammenhang von „Irrtümer[n] der deutschen und dänischen Forschung“164. Statt wie vormals den vermeintlich deutschen Charakter zu betonen, verwies er darauf, der Handelsplatz am Ort der späteren Stadtgründung sei von Anfang an zweisprachig gewesen, und gestand zu, in den ersten Jahrhunderten hätten dort dänische Mundarten im Alltagsverkehr eine größere Rolle gespielt als das Niederdeutsche165. Lediglich in den Schlussausführungen beider Artikel tauchten einige wenige Kommentare auf, die als Spitze gewertet werden konnten. Hier schrieb der Verfasser beispielsweise mit Blick auf die Theorie, der Ort sei eine rein dänische Gründung gewesen, es müsse „seine Pflöcke zurückstecken […], wer Tondern als eine seit alters dänische Stadt meint schildern zu dürfen“166. Scheels Befürchtung, diese Bemerkungen könnten einer „ersprießlichen Zeitungspolemik“167 Vorschub leisten, erwies sich indes als unbegründet. In der dänischen Grenzpresse trafen die im Ganzen diplomatisch gehaltenen Ausführungen auf ein sehr positives Echo und wurden ausdrücklich dafür gelobt, sehr viel überzeugender zu sein als viele der stark national verengten Untersuchungen vorangegangener Zeiten168. Schrieb der Verfasser den deutsch-dänischen Gegensatz weitgehend aus der Geschichte seiner Geburtsstadt heraus, handelte es sich dabei um ein Strukturprinzip, dem er in seinen übrigen Nachkriegsschriften treu blieb. Besonders augenfällig zeugten von diesem Bemühen seine Abhandlungen über die schleswigsche Ständeversammlung. 1836 auf Geheiß des Königs von Däne162 163 164 165 166 167 168

Scheel, Stadtrecht, 93. Scheel, Beiträge II, 25. Scheel, Tondern (Monografie), 5. Vgl. ebd., 12; und ders., Tondern (Aufsatz), 78. Ebd., 83 sowie wortgleich in ders., Tondern (Monografie), 24. Schreiben Scheels an Franz K. Hecht vom 25. 7. 1952 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 38). Vgl. Hvidtfeldt, Rezension, 277.

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mark erstmals zusammengetreten, prägten schnell leidenschaftliche Debatten um die Sprachenfrage in Verwaltung, Justiz und Schulwesen die Diskussionen des Gremiums. Auf diese Weise entwickelte es sich innerhalb kurzer Zeit zum wichtigen politischen Forum des aufkeimenden Nationalitätenkonfliktes im Schleswiger Landesteil169. Was Scheel in mehreren Publikationen zu vermitteln suchte, lief auf das Gegenteil hinaus. Er argumentierte, vor allem in den ersten Jahren der Ständeversammlung habe es eine erhebliche Anzahl an Deputierten gegeben, die weder deutscher- noch dänischerseits nationalstaatlichen Ideologien gehuldigt hätten. Maßstab des Handelns der Mitglieder jener Mittelpartei sei vielmehr ein konservatives Schleswigertum gewesen, dessen vorrangiges Ziel darin bestanden habe, im Widerstreit nationaler Ansprüche die Sonderstellung des Landes als autonomen Bestandteil des dänischen Gesamtstaates zu erhalten. Die schleswigsche Ständeversammlung firmierte damit nicht als Katalysator, sondern Deeskalationsinstanz in einem Nationalitätenkonflikt, der nach Scheels Lesart von außen ins Land hineingetragen worden war. Zur Untermauerung dessen bediente er sich Formulierungen wie etwa der, Schleswigs Eigenleben sei statt von der eigenen Bevölkerung „vom deutschen Süden oder dänischen Norden“170 bedroht worden. Dass er mit solchen Interpretationen die Tätigkeit der Ständeversammlung in ein gänzlich anderes Licht rückte, war dem Autor bewusst. Einen der entsprechenden Beiträge, in denen er das Gremium als Vermittlungsinstanz darstellte, betitelte er in Anspielung auf das seiner Meinung nach falsche Bild nationaler Konfrontation mit „Eine Fehldeutung und Legende aus dem beginnenden Nationalitätenkampf im Herzogtum Schleswig“171. Eine zentrale Rolle bei der Scheel’schen Beweisführung spielten die bereits erwähnten Debatten um die Sprachenfrage in Schleswigs Behörden, Gerichten und Klassenzimmern. Was der späteren Forschung als Ausweis des sich zuspitzenden nationalen Gegensatzes galt, vermochte Scheel in anderer Art zu deuten. Er kam nach Studium der Sitzungsprotokolle zu dem Schluss, in der Auseinandersetzung um amtliche Sprachfestlegungen habe sich gegenseitige Toleranz offenbart, da in den ersten Sitzungsjahren von keiner Seite Maximalforderungen gestellt worden seien. Dies galt seiner Ansicht nach insbesondere für die Mittelpartei der konservativen Schleswiger, denen er attestierte, sie wollten „weder ,danisieren‘ noch ,germanisieren‘“172. Dass diese Lesart auf einer einseitigen Auslegung der schriftlichen Zeugnisse beruhte, musste der Autor indirekt selbst eingestehen. Bei der Schilderung des Sprachdebatten-Verlaufs kam er etwa nicht umhin zu erwähnen, wie sogar ein Antrag zu Fall gebracht wurde, in der Ständeversammlung selbst Dänisch 169 170 171 172

Vgl. Hoffmann, Absolutismus, 44 f.; und Schultz Hansen, Demokratie, 434 f. Scheel, Ständetagungen, 113. Scheel, Fehldeutung. Ebd., 103.

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sprechen zu dürfen173. Dieser Vorgang konnte kaum dazu gereichen, die vermeintliche Toleranz vieler Abgeordneter unter Beweis zu stellen. Fragt man nach den Motiven für die historiographischen Versuche, Schleswigs Geschichte zu entnationalisieren, lagen diese nicht allein darin begründet, die neu entdeckte Heimat möglichst weit von allem Negativen abzurücken, womit die übersteigerte Nationalstaatsidee gerade nach dem Zweiten Weltkrieg in Verbindung gebracht wurde. Ebenso wie in seiner autobiographischen Familiengeschichte suchte Scheel mit der überaus vorteilhaften Darstellung Schleswigs zugleich sein eigenes Herkommen in ein positives Licht zu rücken. Noch sehr viel deutlicher als an den Beiträgen zu seinem Geburtsort war dies an jenen zur Ständeversammlung abzulesen. Hier widmete er besondere Aufmerksamkeit der politischen Linie des Deputierten Andreas Petersen, der als Urgroßvater mütterlicherseits zu seinen direkten Vorfahren zählte und über zwei Wahlperioden in dem Gremium gesessen hatte174. Scheel ging in seinen Abhandlungen über die Ständeversammlung en detail auf Petersens Position in den umfänglichen Sprachdebatten ein. Dort hatte Letzterer insofern eine nicht unbedeutende Rolle gespielt, als von ihm der Antrag gestellt worden war, in den dänischsprachigen Landschulen Nordschleswigs deutschen Sprachunterricht einzuführen. Ihn deshalb nationalpolitisch dem deutschen Lager zuzuschlagen, lehnte Scheel rundheraus ab und beklagte, dahingehende Stimmen hätten „bis heute teilweise aus trüben Quellen sich unterrichtet“175 und den „viel gescholtenen und missdeuteten bescheidenen Antrag“ gänzlich fehlinterpretiert. Um den Beweis anzutreten, sein Vorfahr sei kein deutscher Nationalist gewesen, verwies er zum einen darauf, dieser habe zeitgleich mit seinem deutschen Sprachantrag einen anderen zur Einführung der dänischen Gerichts- und Verwaltungssprache in Nordschleswig unterstützt. Zum anderen führte er ins Feld, Petersen sei Teil jener Minderheit in der Ständeversammlung gewesen, die Kopenhagen bei Umsetzung eben jenes Antrages zugunsten der dänischen Sprache unterstützt habe176. Im Zusammenhang mit der ausführlichen Analyse derlei Stellungnahmen seines Urgroßvaters sprach sich der Verfasser gleichzeitig vehement dagegen aus, Petersen statt der deutschen der dänischen Nationalbewegung zuzurechnen. Die damit vorgenommene, doppelte Abgrenzung gegen nationalistische Kreise beider Seiten ermöglichte es Scheel, seinen Ahnen jener Mittelpartei konservativer Schleswiger in der Ständeversammlung zuzurechnen, der er attestierte, für Ausgleich im nationalen Gegensatz sowie Erhalt der 173 Vgl. ebd., 114; und ders., Siebengestirn, 143 f. 174 Vgl. Lange, Sitzplan, 86; und Schultz Hansen, Hjemmetyskheden, 195, 309. 175 Scheel, Ständetagungen, 113 f. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Zu Petersens Sprachantrag siehe Schultz Hansen, Hjemmetyskheden, 153 f., dessen Sichtweise auf Petersen allerdings stark von der Lektüre der Schriften Scheels geprägt zu sein scheint. 176 Vgl. Scheel, Siebengestirn, 144; und ders., Ständetagungen, 115.

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historischen Sonderstellung des Landes zwischen Deutschland und Dänemark gekämpft zu haben. Dabei bediente er sich unter anderem Formulierungen wie der, Petersen sei „Schleswiger nicht nur durch Geburt und Wohnort, sondern auch politisch“177 gewesen, und Nationalisten beider Couleur hätten ihn in der Ständeversammlung als Anhänger der Mittelpartei „flankiert“. Der historiographische Bogenschlag von Schleswigs politischer Elite zum eigenen Urahn war damit vollzogen und beiden das vorteilhafte Zeugnis ausgestellt, zu den entschiedenen Gegnern nationaler Hybris gehört zu haben. Dass Scheel darum bemüht war, mit seinen Abhandlungen über die Ständeversammlung gerade mit Blick auf seinen familiären Hintergrund exakt jenes Bildes zu entwerfen, zeigte sich ebenfalls im Privaten. Durch die Bombenangriffe auf Kiel um fast sämtliche Arbeitsmaterialien gebracht, hatte er nach Kriegsende zwecks Materialbeschaffung Kontakt zu dänisch gesinnten Gelehrten und Journalisten aufgenommen. Im Zuge dessen kam es zu einem regen Meinungsaustausch über seine Forschungsergebnisse unter anderem mit denjenigen, die er bei den bereits erwähnten privaten Zusammenkünften deutscher und dänischer Minderheitenfunktionäre im Hause Hans P. Johannsens traf178. Dabei betonte Scheel mit Nachdruck, die bisherige Forschung habe den Antrag seines Urgroßvaters auf Deutschunterricht in mehrheitlich dänischsprachigen Gebieten „maßlos verzeichnet“179. Andreas Petersen firmierte dementsprechend auch hier nicht als Deutscher oder Däne, sondern Schleswiger, der nationalen Monopolansprüchen in seiner Heimat mit Ablehnung begegnet war180. Wie eng der historiographische Rückzug nach Schleswig mit Formen familien- und damit letztlich autobiographischer Selbstvergewisserung verzahnt war, beleuchtete zu guter Letzt ein kumulativ publizierter Aufsatz aus der Feder des emeritierten Landeshistorikers. Anders als den Beiträgen zu Tondern sowie zur schleswigschen Ständeversammlung fehlte es der Schrift insofern an aktueller Brisanz, als statt des deutsch-dänischen nationalen Gegensatzes pietistische Frömmigkeit im Mittelpunkt stand. Dessen ungeachtet legte der Zuschnitt der Publikation nicht weniger Zeugnis von der Strategie ihres Autors ab, in der historischen Betrachtung Familie und neu entdeckte Heimat auf das engste zu verklammern. Bereits die Betitelung sprach in dieser Hinsicht Bände. Mit der Wahl von „Pietismus, Christiansfeld und Dalbyhof“ als Überschrift verknüpfte Scheel einen zentralen Referenzpunkt des nordschleswigschen Pietismus mit der 177 Scheel, Fehldeutung, 102. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 178 Siehe S. 280. 179 Schreiben Scheels an Morten Kamphövener vom 2. 9. 1952 (LAfS Apenrade, NL Morten Kamphövener, Nr. 38/-44). 180 Vgl. Schreiben Scheels an Poul Kürstein vom 30. 12. 1946 und 29. 1. 1947 (DCfS Flensburg, P 122, Breve 1946–1972); und Schreiben Scheels an Morten Kamphövener vom 28. 6. 1949, 17. 9. 1949 und 2. 9. 1952 (LAfS Apenrade, NL Morten Kamphövener, Nr. 38/-44).

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Geschichte seiner eigenen Vorfahren. Bei Ersterem handelte es sich um Christiansfeld. Die Gründung des kleinen Ortes ging auf die Ansiedlung einer Herrnhuter Brüdergemeinde im späten 18. Jahrhundert zurück, für die der dänische König Christian VII. ein Privileg vergeben hatte181. Im nicht weit davon in nördlicher Richtung entfernten Kirchspiel Dalby wiederum hatten Scheels Vorfahren mehrere Bauernstellen besessen. Hierzu gehörte unter anderem jener Hof aus dem Aufsatztitel, dessen Bezeichnung sich an die örtliche Kirchengemeinde anlehnte. Christiansfeld und Dalbyhof zu kombinieren machte folglich nur mit Blick auf eine Verbindung zwischen Brüdergemeinde und Scheel’scher Familiengeschichte Sinn182. Entsprechend erklärte der Verfasser einleitend, er wolle „an Generationen eines alteingesessenen nordschleswigschen Geschlechtes zu erkennen geben, wie stark und ununterbrochen […] die pietistische Verkündigung hat widerhallen können“183. Bei genauerer Hinsicht gelang dies allerdings nur in Maßen. Lediglich eine überschaubare Seitenzahl der beiden in Druck gegangenen Aufsatzteile widmete sich pietistischen Einflüssen auf Scheels Vorfahren, in erster Linie in Erziehungsfragen184. Weite Teile der beiden Schriften nahmen hingegen entweder nur Christiansfeld oder Dalbyhof in den Blick. Im ersten Teil fand sich beispielsweise eine Schilderung der Gründungsgeschichte Christiansfelds ohne Familienbezüge, im zweiten ein Exkurs über die wirtschaftliche Entwicklung des Dalbyer Besitzes ohne erkennbare Verbindung zum Pietismus185. Die gemeinsame Betrachtung entbehrte demnach aus quellentechnischer Perspektive einer soliden Grundlage und verdankte sich in erster Linie dem Wunsch des Autors, seine eigene Familiengeschichte mit der Historie Schleswigs zusammenzufügen. Dies blieb schon den zeitgenössischen Lesern nicht verborgen. Der von Scheel so erfolgreich bei Neubesetzung der Landesgeschichtsprofessur protegierte Alexander Scharff186, welcher den ersten Teil des Aufsatzes von seinem Mentor als Sonderdruck erhielt, fand hierfür salomonische Worte. Der neue Ordinarius für Landesgeschichte dankte seinem Vorgänger für die Gabe mit dem Hinweis, Letzterer würde in seinem Aufsatz „Forschung, Familientradition und persönliches Erleben miteinander verbinden“187. Sowohl in Anbetracht der Vielzahl an enthaltenen familiengeschichtlichen Details als auch mit Blick auf mögliche Kommentare der Zeitumstände wäre es in doppelter Hinsicht interessant gewesen, wenn Scheel noch Gelegenheit gefunden hätte, den mehrteiligen Aufsatz abzuschließen. Am Ende des zwei181 182 183 184 185 186 187

Vgl. Petersen, Christiansfeld, 8–12; und Thyssen, Christiansfeld, 152. Zu Scheels Vorfahren aus Dalby siehe S. 29. Scheel, Pietismus (I), 200. Vgl. ebd., 225; und ders., Pietismus (II), 59, 74 f. Vgl. Scheel, Pietismus (I), 205–224; und ders., Pietismus (II), 61–71. Zur Vergabe der Professur für Landesgeschichte an Alexander Scharff siehe S. 289–291. Schreiben Alexander Scharffs an Scheel vom 22. 1. 1953 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 46).

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ten und letzten publizierten Abschnitts hatte er lediglich das Jahr 1807 und damit weder die Geschichte seiner unmittelbaren Vorfahren noch die der Hochphase des nationalen Gegensatzes erreicht. Da noch seine Mutter das Mädchenpensionat der Christiansfelder Herrnhuter besucht hatte188, wäre der bereits angekündigte Abschluss der Trilogie189 mit ziemlicher Sicherheit mindestens bis in die 1860er Jahre vorgestoßen. Das Werk sollte indes ein Torso bleiben. Keine zwei Monate nach Veröffentlichung des zweiten Teils starb Scheel am 13. November 1954 in Kiel.

5.2. Memoria und Vergessen Wie bereits im Einleitungsteil beschrieben, brachten anlässlich der Trauerfeierlichkeiten eine ganze Reihe von schleswig-holsteinischen Vertretern aus Wissenschaft, Politik, Heimatverbandswesen und Minderheitenorganisation ihre außerordentliche Wertschätzung für den Verstorbenen zum Ausdruck. Sowohl aufgrund seiner akademischen wie auch seiner außeruniversitären Aktivitäten lobten durchweg alle Trauerredner Scheel als Ausnahmepersönlichkeit, und nicht wenige brachten dabei ihre Überzeugung zum Ausdruck, der Heimgegangene könne beziehungsweise solle auch nach seinem Tode nicht vergessen werden. Ein Stück weit dürfte dieser Tenor zweifelsohne den Konventionen einer jeden Totenfeier geschuldet gewesen sein, positiv bewertete Lebensleistungen in den Mittelpunkt zu stellen. Dem unbenommen scheint es bei genauerem Blick auf die regionale Presselandschaft mitnichten angebracht, die Äußerungen samt und sonders als Balsam für die Trauernden abzutun190. Praktisch alle größeren Zeitungen in Schleswig-Holstein berichteten ihren Lesern über den Tod des Landesgeschichtsemeritus. In den Kieler Nachrichten fiel der Nachruf dabei noch vergleichsweise nüchtern aus, wenn es dort hieß, der Verstorbene habe einen Ruf als Lutherforscher besessen, „in Lebendigkeit und großer Tatkraft“191 die Landesgeschichte erforscht und sich zudem „Fragen des Grenzlandkampfes“ gewidmet. Die im Schleswiger Landesteil erscheinenden Blätter begnügten sich nicht mit derlei biographischen Skizzierungen. Sie versuchten sich in ihren Vorstellungen des Scheel’schen Lebensweges zusätzlich an einer Charakterisierung seiner Persönlichkeit und schlugen dabei Töne an, die den Superlativen der Trauerfeierlichkeiten in nichts nachstanden. Bezeichnend hierfür waren die einleitenden Worte der 188 Vgl. Autobiographische Familiengeschichte Otto Scheels, Kapitel „Jugendland der Eltern“, 19 (LASH Schleswig, Abt. 399.67, Nr. 15). 189 Vgl. Scheel, Pietismus (II), 82. 190 Zu den Trauerfeierlichkeiten siehe S. 9f. 191 „Prof. D. Dr. Otto Scheel †“, in: KN, 15. 11. 1954. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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Schleswiger Nachrichten. Dort fand sich nach der eigentlichen Todesnachricht der Kommentar, es sei „der Schmerz […] noch zu frisch, um eine Würdigung […] zu versuchen“192, aber in jedem Fall wäre „einer der universalen Geister der wissenschaftlichen Welt […] von uns gegangen“. Ganz ähnlich urteilte das Flensburger Tageblatt, welches Scheels „universalen Charakter“193 herausstellte. Nachdrücklich verwies die Zeitung darauf, der Heimgegangene sei nicht bloß „ein stiller Stubengelehrter“ gewesen, sondern habe sich als „aktive Natur“ ebenfalls mit gegenwartsnahen Fragen beschäftigt. Dass es hierüber manches Mal zu Auseinandersetzungen gekommen sei, könne nicht überraschen, denn „großes Format wird selten widerspruchslos ertragen“. Wie stark gerade im Norden Schleswig-Holsteins die Berichterstattung über den Todesfall statt Informationsvermittlung posthume Ehrerbietung in den Vordergrund stellte, zeigte eine Reihe weiterer Artikel, welche die Schleswiger Nachrichten in den folgenden Tagen schalteten. Das Blatt präsentierte seiner Leserschaft etwa den Beitrag „Sternstunden im Leben Otto Scheels“194, der das Zusammentreffen mit Bismarck zu Gymnasialzeiten sowie die Begegnung mit Hindenburg bei dessen Kiel-Besuch 1927 ins Gedächtnis rief. Wenn es dazu einleitend hieß, auch die Treffen mit dem Verstorbenen selbst hätten stets „tiefen Nachhall“ hinterlassen, so wurden hier mit eindeutiger Absicht Parallelen zwischen Letzterem und den beiden genannten Staatsmännern gezogen. Dies untermauerte wenige Tage später ein weiterer Artikel mit der Abbildung einer Bronzebüste Scheels, welche ein Jahr vor seinem Tod angefertigt worden war. Anstelle eines Fotos die exklusive Darstellungsform einer Metallplastik zu verwenden, um der Leserschaft einen optischen Eindruck des Geehrten zu verschaffen, zeugte abermals von der Intention, Scheel als herausragende Persönlichkeit zu inszenieren195. Was für die Presse im Schleswiger Landesteil galt, traf ebenso auf die Zeitung der deutschen Minderheit in Nordschleswig zu. Wie dem Nordschleswiger zu entnehmen, war die Todesnachricht dort als so wichtig eingestuft worden, dass man sie über Radio verbreitet hatte196. Bei der nachträglichen Mitteilung in Papierform verlegte sich das Blatt auf ähnlich emphatische Formen wie die deutsche Presse südlich der Grenze. Die Neuigkeit wurde demnach „nicht ohne Bewegung aufgenommen“, hatte der Verstorbene doch zur Zeit der als „Schicksalsstunde“ apostrophierten Abstimmung von 1920 ein „so schönes Bekenntnis der Treue“ abgelegt. Die Wahrung seines Andenkens galt daher als selbstverständlich, „vor allem in dem Lande seiner Geburt, das er mit so großer Liebe umfasste“. 192 „Prof. D. Dr. Otto Scheel †“, in: SLN, 15. 11. 1954. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 193 „Prof. D. Dr. Otto Scheel †“, in: FLT, 15. 11. 1954. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 194 „Sternstunden im Leben Otto Scheels“, in: SLN, 19. 11. 1954. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Zum Hintergrund der persönlichen Begegnungen Scheels mit Bismarck und Hindenburg siehe S. 35 bzw. 143f. 195 Vgl. „Rösslers Scheel-Büste“, in: SLN, 25. 11. 1954. 196 „Prof. Dr. Otto Scheel †“, in: DNSL, 15. 11. 1954. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort.

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Die Berichterstattung in der Tageszeitung der deutschen Minorität untermauerte nicht nur den Befund, dass gerade im unmittelbaren Grenzraum die deutsch gesinnten Redaktionen Scheel große Achtung zollten und unmittelbar nach dessen Tod die Verklärung zur wissenschaftlichen wie politischen Lichtgestalt betrieben. Noch in anderer Hinsicht waren die Meldungen des Nordschleswigers bemerkenswert. Im Gegensatz zu den übrigen Blättern setzte sich die Zeitung mit den dänischen Reaktionen auf das Ableben des Landeshistorikers auseinander. Als Ergebnis der damit verbundenen Presseschau vermochte das Blatt zu vermelden, Scheels inner- wie außerakademische Bemühungen um das deutsch-dänische Verhältnis hätten „auch dem Gegner Respekt ab[ge]nötigt“197. Der entsprechende Beitrag erhielt die vielsagende Überschrift „Für Ritterlichkeit“ und wurde damit zum weiteren Baustein einer Memoria uneingeschränkter Ehrerbietung. Mochte die Zeitung der deutschen Minderheit auch mit allzu durchschaubaren Absichten den Pressespiegel zusammengestellt haben, änderte dies wenig daran, dass bei den dänisch gesinnten Redaktionen beiderseits der Grenze positive Töne überwogen. Flensborg Avis etwa urteilte, mit Scheels Tod verlöre Deutschland bei der wissenschaftlichen Erforschung der schleswigschen Frage „einen seiner besten Repräsentanten“198 und übte hinsichtlich dessen politischen Engagements zwischen Berlin und Kopenhagen vornehme Zurückhaltung. Andere Blätter stellten dem Heimgegangenen ebenfalls mit Blick auf diese heikle Frage ein vorteilhaftes Zeugnis aus. Bei genauerem Hinsehen war dies allerdings nicht in jedem Fall das Ergebnis unvoreingenommener Berichterstattung. Dies galt für mindestens zwei der Scheel besonders geneigten Artikel, wie sich aufgrund der Autorenangaben rekonstruieren lässt. Mit Morten Kamphövener und Tage Jessen griffen in der Jydske Tidende und in der Südschleswigschen Heimatzeitung zwei Redakteure zur Feder, für die der Verstorbene alles andere als eine unbekannte Person darstellte. Beide waren in den ersten Nachkriegsjahren ebenso wie Scheel bei den informellen Treffen deutscher und dänischer Minderheitenfunktionäre im Hause Hans P. Johannsens zugegen gewesen, und zwischen ihnen und dem Emeritus für Landesgeschichte hatte es durchaus Schnittpunkte gegeben. Zumindest Jessen teilte dessen ausgesprochene Abneigung gegen die Flüchtlinge aus den Ostgebieten199. Was Kamphövener betraf, stand dieser mit Scheel privat in Kontakt und half ihm bei der Materialbeschaffung für seine letzten historischen Arbeiten200. Diese Konstellation blieb nicht ohne Auswirkungen auf das Bild, 197 „Für Ritterlichkeit. Dänische Stimmen zum Tode Professor Scheels“, in: DNSL, 18. 11. 1954. 198 „Professor Dr. Otto Scheel, Kiel, død“, in: Flensborg Avis, 15. 11. 1954. 199 Zu den informellen Treffen im Hause Hans P. Johannsens sowie Scheels Kontakten zu Jessen und Kamphövener siehe S. 280f. 200 Vgl. Schreiben Scheels an Morten Kamphövener vom 9. 6. 1949 (LAfS Apenrade, NL Morten Kamphövener, Nr. 38/-44).

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welches die beiden über ihre jeweilige Zeitungen in dänisch gesinnten Kreisen beiderseits der Grenze verbreiteten. Sowohl der Nachruf Kamphöveners in Jydske Tidende als auch der Jessens in der Südschleswigschen Heimatzeitung stellten den Lesern Scheel nicht nur als verdienten Wissenschaftler, sondern vor allem als Vermittlungsinstanz im Grenzkampf vor. Beiden diente dabei dessen Kurs als Vorsitzender des SHB in den späten 1920er Jahren als wichtiger Beleg. Während Kamphövener in diesem Zusammenhang schrieb, der Dahingeschiedene sei „Fürsprecher für eine versöhnlichere Politik“201 gegenüber der dänischen Minderheit in Deutschland gewesen, urteilte Jessen, der Verstorbene habe „dem kulturellen Wettkampf beiderseits der Grenze eine ritterliche und tolerante Note“202 gegeben. Letzterer zeigte sich von dem positiven Wirken Scheels so überzeugt, dass er sich nicht scheute, ihn seinem dänisch gesinnten Adressatenkreis als „echte[n] Sohn unser schleswigschen Heimat“ beziehungsweise „deutschen Schleswiger“ vorzustellen. Damit schrieb er dem Porträtierten genau jenes Schleswigertum fernab nationalistischer Engstirnigkeit zu, welches Scheel selbst in seinen letzten Schriften beschworen hatte. Hinsichtlich der ausgesprochenen Positivbilanz der beiden Redakteure war genauso aufschlussreich wie die Schwerpunktsetzung auf späte Weimarer Jahre, was sie über andere Auftritte des Verstorbenen auf deutsch-dänischem Parkett mitteilten. Dies betraf zum einen Scheels Engagement im Abstimmungskampf. Was im Nordschleswiger als größtes Verdienst des Verstorbenen firmierte, blieb bei Jessen gänzlich unerwähnt und fand bei Kamphövener nur in einem Halbsatz in Verbindung mit der Kieler Berufung Erwähnung203. Mit Blick auf die von deutscher Seite durchweg beschwiegenen NS-Jahre verhielt es sich anders herum. Die entsprechenden Ausführungen der beiden Redakteure erwiesen sich allerdings kaum geeignet, grundsätzliche Zweifel am Bild von Scheel als deutsch-dänischem Vermittler zu wecken, obwohl von dänischer Seite das DWI bereits in den Nürnberger Prozessen als Zentralinstitution deutscher Kulturpropaganda gekennzeichnet worden war204. Kamphövener beschränkte sich darauf, die DWI-Präsidentschaft zu erwähnen, ohne näher auf die Funktion des Instituts einzugehen205. Jessen wiederum beschwieg die Aktivitäten im besetzten Kopenhagen ebenso wie die Teilnahme am Abstimmungskampf und hielt mit Blick auf die NS-Thematik insgesamt fest, Scheel sei als Nationalliberaler „Gegner des Nazismus“206 gewesen. Über 201 „Professor Dr. Otto Scheel død“, in: Jydske Tidende, 16. 11. 1954. 202 „Professor Scheel in memoriam“, in: SHZ, 20. 11. 1954. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 203 Vgl. „Professor Dr. Otto Scheel død“, in: Jydske Tidende, 16. 11. 1954. 204 Vgl. Memorandum des dänischen Außenministeriums vom 13. 1. 1946, in: Internationaler Milit rgerichtshof N rnberg, Prozess, Dokument 901-RF, 600–693, hier 605. 205 Vgl. „Professor Dr. Otto Scheel død“, in: Jydske Tidende, 16. 11. 1954. 206 „Professor Scheel in memoriam“, in: SHZ, 20. 11. 1954. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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die zwölf Jahre des braunen Regimes urteilte er „1933–1945 mußte er schweigen“. Seine Leserschaft hatte damit noch weniger Anlass als jene seines Kollegen, die Verdienste des Verstorbenen in Frage zu stellen. Kamphövener und Jessen gaben mit ihren anerkennenden Worten eine interpretatorische Leitlinie für die dänische Memoria vor, die kurze Zeit später in der Grenzpublizistik von einem dritten Bekannten Scheels weiter untermauert wurde. Hierbei handelte es sich um den Bibliothekar Poul Kürstein, der ebenso wie Kamphövener den Dahingeschiedenen nach dem Krieg mit Literatur versorgt hatte207 und für den ersten Jahresband der Sønderjydske Aarbøger nach dem Todesfall einen Nachruf lieferte. Bereits mit der Unterüberschrift „Portræt af en Slesviger“208 (Porträt von einem Schleswiger) bediente er ähnlich wie Jessen das von Scheel selbst lancierte Stereotyp einer besonderen schleswigschen Identität jenseits des Nationalen. In seinen Ausführungen folgte er ebenfalls den beiden Redakteuren, indem er ausführlich auf die wenigen Jahre als Vorsitzender des SHB einging. Der Dahingeschiedene firmierte als „Liberaler alter Schule“, der eine „versöhnliche Politik“ betrieben habe. Hinsichtlich der knapp gehaltenen Informationen zum Abstimmungskampf von 1920 und den NS-Jahren überwogen gleichfalls positive Noten. Was Ersteren anbelangte, relativierte Kürstein den Hinweis auf Scheels „heftige agitatorische Teilnahme“ umgehend mit der Notiz, dieser habe sich dem Ergebnis des Plebiszits gebeugt. Mit Blick auf die NS-Zeit fiel seine Bilanz noch besser aus. Hier kommentierte er unter Berufung auf Scheels eigene Aussage die DWI-Präsidentschaft mit dem Hinweis, dieser sei der Abordnung ins besetzte Kopenhagen nur nachgekommen, um den Dänen einen schlimmeren Kandidaten zu ersparen. Der Porträtierte hatte allem Anschein nach diese Interpretation gezielt im Dialog mit dänischen Ansprechpartnern gestreut. Wenige Jahre nach Scheels Tod hielt ebenfalls der langjährige Deutschland-Korrespondent Jacob Kronika209 in Artikeln über den Verstorbenen fest, er habe ihn nach dem Krieg sagen hören, der Wechsel ans DWI sollte „Dänemark vor weit schlimmeren Leuten der Nazizeit bewahren“210. Kronika erwies sich noch in anderer Hinsicht als guter Leumund des Dahingeschiedenen. Er widmete sich vor allem dem in unmittelbaren Nachkriegsjahren aufgekommenen Gerücht, Scheel sei Anhänger der Idee geworden, ganz Schleswig solle an Dänemark abgetreten werden. Der weithin bekannte Journalist bekräftigte diese These und suchte sie mit der Erklärung zu untermauern, Scheel sei „ein deutscher Schleswiger

207 Vgl. Schreiben Scheels an Poul Kürstein vom 30. 12. 1946 und 29. 1. 1947 (DCfS Flensburg, P 122, Breve 1946–1972). 208 K rstein, Noter, 277 f. Die folgenden Zitate finden sich ebenfalls dort. 209 Vgl. Jespersen, Jacob Kronika, 344. 210 „Grenzland-Zweiströmigkeit. Der deutsche Schleswiger Otto Scheel“, in: SHZ, 22. 3. 1958. Eine ganz ähnliche Formulierung findet sich in Kronika, „Zweiströmigkeit“, 310.

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mit Grenzland-Zweiströmigkeit“211 gewesen, dem letzten Endes nationale Machtphantasien ferngelegen hätten. Die bereits in Jessens und Kürsteins Nachrufen fassbare Zuschreibung einer schleswigschen Identität stand daher im Mittelpunkt von Kronikas Betrachtungen. Besonders interessant erscheint gerade Kronikas Lesart, weil sie aller Voraussicht nach auch der Lektüre von Scheels letzten historischen Arbeiten geschuldet war, in denen die Idealisierung Schleswigs und seiner Bewohner den zentralen Schwerpunkt bildete. Kronika griff in seiner Beweisführung mit den Sprachanträgen von Scheels Urgroßvater und vermeintlichen Verbindungen zum Christiansfelder Pietismus auf Details zurück, die er höchstwahrscheinlich aus den Publikationen des Dahingeschiedenen extrahierte212. Seine Ausführungen zeigen daher, wie Scheel nicht nur über persönliche Kontakte, sondern ebenfalls mit seinen späten Schriften der positiven Memoria in dänisch gesinnten Kreisen Vorschub leistete. Dass darüber hinaus der von Kronika eifrig gestreuten Fama von Unterstützung einer Grenzverschiebung zugunsten Dänemarks als drittem Faktor für positive Würdigung eine entscheidende Rolle zukam, zeigte das Verhalten la Cours. Der Scheel über Jahrzehnte bekannte Historiker hatte an sich handfeste Gründe, einer markanten Positivdarstellung des Verstorbenen gegenüber skeptisch zu sein. Im Sommer 1939 hatte er sich mit dem Kieler Ordinarius im Streit über Hitlers Außenpolitik entzweit213. Nach Kriegsende besorgte er zudem die Herausgabe eines der ersten Sammelwerke mit Informationen über die Besatzungszeit, in dem das DWI als „reine politische Propagandainstitution“214 firmierte und einige von Scheels damaligen Kontaktleuten wie Gudmund Hatt oder Carl Roos als „traurige Ausnahmen“215 gescholten wurden, die ihre nationalen Pflichten verletzt hätten. Entsprechend dieser Ausgangsbedingungen war in Grænsevagten zunächst kein Nachruf erschienen. Zwar hielt la Cour in seinen kurz nach Scheels Tod veröffentlichten Memoiren fest, der Verstorbene sei „wie fast alle Deutschen verwirrt worden von der hitlerischen Propaganda“216, verband die Apologetik aber mit dem Hinweis, zumindest ein anderer dänischer Ansprechpartner des Dahingeschiedenen hätte diesen „verflucht“. In diesem Zusammenhang erwähnte er den Namen des Kopenhagener Neuzeit-Emeritus Aage Friis, dessen bis in die frühen 1920er Jahre zurückreichender Kontakt zum Verstorbenen während der DWI-Präsidentschaft abgerissen war217. 211 „Grenzland-Zweiströmigkeit. Der deutsche Schleswiger Otto Scheel. Fortsetzung und Schluß“, in: SHZ, 25. 3. 1958. 212 Vgl. „Der Tag der Nordschleswiger“, in: SHZ, 10. 2. 1958; und „Grenzland-Zweiströmigkeit. Der deutsche Schleswiger Otto Scheel“, in: SHZ, 22. 3. 1958. 213 Zu Scheels Entzweiung mit la Cour siehe S. 204. 214 Fenger, propaganda, 377–380. 215 Lundsgaard, Universitetet, 530 f. 216 La Cour, Døre, 254. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. 217 Zum Abbruch der Verbindung zwischen Scheel und Friis siehe S. 237.

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Erst nachdem Kronika mit seinen Artikeln über Scheels vermeintlichen Zuspruch zur Abtretung Schleswigs hervorgetreten war, zeigte sich la Cour an einem Beitrag in Grænsevagten interessiert. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren hatte er selbst zu den Gallionsfiguren der zwischenzeitlich längst gescheiterten Bewegung zugunsten einer Angliederung Schleswigs an Dänemark gehört218. Nach Lektüre des ersten Kronika-Artikels wandte er sich daher an dessen Autor und bat ihn, für seine Zeitschrift einen Beitrag über Scheel zu liefern219. Dieser kam der Bitte nach, und so veröffentlichte Grænsevagten drei Jahre nach Scheels Tod den von dänischer Seite letzten ausführlicheren Beitrag über den Kieler Landesgeschichtsprofessor. Dabei setzte Kronika exakt dieselben Akzente wie in seinen bereits erwähnten Beiträgen. Scheel firmierte hier ebenfalls als „deutscher Schleswiger mit Grenzland-Zweiströmigkeit“220, für den nationale Zugehörigkeit zweitrangig gewesen sei, weshalb er sich nach dem Krieg für dänische Staatlichkeit in Schleswig ausgesprochen habe. La Cour ließ es des Weiteren zu, dass Kronika Scheel als „Föderalisten und Liberalen“221 darstellte sowie erneut dessen Eigenaussage zum Besten gab, die Übernahme der DWI-Präsidentschaft habe Dänemark vor Schlimmerem schützen sollen222. Selbst in dem dänischen Periodikum, dessen Chefredakteur zu den wohl best informierten Personen über die weniger rühmlichen Facetten des Porträtierten gehörte, wurde Scheel damit in überaus wohlwollenden Formen gewürdigt. Was die deutsche Memoria im Anschluss an die Nachrufe der regionalen Tagespresse anbelangt, zeichnete sich alsbald eine auffällige Zweiteilung ab. Während auf der einen Seite vor allem in Publikationsorganen mit Bezug zur Grenz- und Minderheitenfrage in den Folgejahren eine Reihe von Artikeln erschienen, fielen auf der anderen Seite in profan- und kirchenhistorischen Fachkreisen die Würdigungen des Dahingeschiedenen spärlich aus. Nach Scheels Tod setzte sich damit nahtlos fort, was bereits anlässlich seines 75. Geburtstages deutlich erkennbar geworden war, als der Umfang überregionaler akademischer Ehrung der durch das unmittelbare Umfeld bei weitem nachgestanden hatte. Besonders eindrucksvoll war das beredte Schweigen in der theologischen Wissenschaft. Hier fand sich nicht ein einziges Fachblatt, welches den Verstorbenen mit einem Nekrolog bedachte. Selbst der VRG verweigerte sich dem traditionellen Mindestmaß akademischer Totenehrung und sah von jeglicher Berichterstattung anlässlich des Heimgangs seines langjährigen zweiten beziehungsweise ersten Vorsitzenden ab223. Mochten in diesem Fall die ver218 Vgl. Noack, Grænsespørgsm l, 53–60. 219 Schreiben Vilhelm la Cours an Jacob Kronika vom 1. 3. 1958 sowie Schreiben Jacob Kronikas an Poul Kürstein vom 20. 3. 1958 (DCfS Flensburg, P 29, Nr. 61). 220 Kronika, »Zweiströmigkeit«, 156. 221 Ebd., 155. 222 Vgl. ebd., 153. 223 Vgl. Fix / Graf, Nachlaß, 173.

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einsinternen Querelen zwischen Ritter und Scheel eine Rolle gespielt haben, lässt sich mit Blick auf andere renommierte Periodika nur mutmaßen, worin die Ursachen dafür lagen, notizlos an dem Todesfall vorüberzugehen. Neben Scheels unsteter Produktivität in seiner ursprünglichen Kerndisziplin und dem damit verbundenen innerfachlichen Bedeutungsverlust dürfte sicherlich relevant gewesen sein, dass die NS-affine Lutherdeutung seines Spätwerkes schwerlich zu posthumen Lobeshymnen reizte. In diesem Fall wäre es ihm wie Erich Seeberg ergangen, von dem die Forschung vor allem wegen dessen Arbeiten im ,Dritten Reich‘ festhielt, sein Name scheine in der Kirchengeschichte „mit einer damnatio memoriae belegt“224. Argumente dagegen, mit Blick auf Scheels Andenken in theologischen Fachkreisen zu demselben Schluss zu kommen, finden sich nur wenige. Einzig der VSHKG gedachte seines früheren Vorsitzenden gut zwei Jahre nach dessen Ableben mit einem Vortrag auf seiner Jahreshauptversammlung. Bezeichnenderweise standen aber nicht seine theologischen Leistungen im Mittelpunkt, sondern das Thema „Otto Scheel und Nordschleswig“225. Im Bereich der Profangeschichte fiel die Memoria nur bedingt üppiger aus. Zwar veröffentlichte hier mit der HZ eines der publizistischen Flaggschiffe einen Nachruf, und auch in der ZSHG als dem renommiertesten Organ schleswig-holsteinischer Landesgeschichtsschreibung fand sich ein Nekrolog. Bei genauerer Hinsicht schmälerten indes zwei Faktoren das Gewicht der entsprechenden Artikel. Zum einen dürfte der Beitrag in der letztgenannten Zeitschrift nur deshalb möglich gewesen sein, weil ein halbes Jahr vor Scheel dessen Intimfeind Pauls verstorben war und daher nicht mehr verhindern konnte, dass die von ihm über Jahrzehnte betreute Zeitschrift seinen Rivalen würdigte226. Zum anderen handelte es sich bei den Verfassern der beiden Nachrufe um ein und dieselbe Person, Scheels Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Landesgeschichte, Alexander Scharff. Von einem überregionalen Echo in Fachkreisen konnte daher allenfalls in Ansätzen die Rede sein. Was Scharff mit seinen in weiten Teilen bis in den Wortlaut identischen Nekrologen mitzuteilen suchte, zeichnete sich durch das Bemühen aus, seinem Proteg bei der eigenen Berufung eine über jeden Zweifel erhabene Lebensleistung zu attestieren. Dies galt sowohl für Betätigungen inner- wie außerhalb der Universität. Was Erstere anbelangte, pries Scharff den Verstorbenen als „Forscher von universalem Rang […], der Unvergängliches geleistet und gewirkt hat“227. Mit Blick auf die deutsch-dänischen Beziehungen wiederum beschrieb er als dessen Maxime „Wahrung des Eigenen und Anerkennung des Fremden, Liebe zum eigenen Volk und Achtung vor dem 224 Kaufmann, »Anpassung«, 122. 225 Einladungsschreiben des VSHKG zur Kieler Jahreshauptversammlung vom Februar 1957 (LASH Schleswig, Abt. 399.96, Nr. 173). 226 Vgl. Klose, Gesellschaft 15. 227 Scharff, Otto Scheel †, 436; und ders., Prof. D. Dr. Otto Scheel, 11.

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Nachbarvolk“228. Ein qualitativer Unterschied zwischen den Nekrologen bestand nur insofern, als Scharff in der ZSHG genauer auf Scheels Nachkriegsschriften einging. In diesem Zusammenhang hielt er fest, der Dahingeschiedene habe als „wahres Verhängnis für die Entwicklung der Schleswig-Frage“229 nationalistische Alleinansprüche erkannt und sei deshalb vom „Nationalstaatsgedanken des 19. Jahrhunderts“ immer weiter abgerückt. Ebenso wie die dänische bediente sich somit die deutsche Seite Scheels publizistischer Idealisierung eines Schleswigertums zur Untermauerung einer positiven Memoria. Wenn der Verfasser abschließend auf einen Beitrag hinwies, der nach seinem Dafürhalten „lebendig und mit persönlicher Wärme“230 über den Porträtierten berichtete, handelte es sich dabei um einen jener Scheel’schen Gedenkartikel, welche der Grenz- und Minderheitenpublizistik entstammten. Dort erschienen sowohl die meisten als auch umfangreichsten Ausführungen zur Erinnerung an den Verstorbenen. Mindestens ein halbes Dutzend Mal berichteten innerhalb des ersten Jahrzehnts nach seinem Tod entsprechende Blätter ausführlich über ihn. Was Scharff mit dem Hinweis auf ,persönliche Wärme‘ über die ersten dieser Publikationen andeutete, traf ebenfalls auf alle folgenden zu. Im Vergleich zu den von ihm vorgelegten makellosen Positivbilanzen in HZ und ZSHG bestachen sie durch eine noch glanzvollere Inszenierung des Dahingeschiedenen. Dies betraf zum einen die Darstellung seiner intellektuellen Kapazitäten. Anders als in der Tagespresse und den Nachrufen Scharffs, wo Verweise auf Ämter, Schriften und Ehrungen zur deren Untermauerung dienten, beschränkten sich die Autoren nicht auf derlei greifbare Größen. Sie bedienten sich darüber hinaus anekdotenhafter und emotionaler Zuschreibungen, um zu veranschaulichen, über welche herausragenden geistigen Fähigkeiten der Verstorbene verfügt habe. Hierzu kam unter anderem das von besonders wohlwollenden Biographen seit jeher gern verwendete Motiv früher Zeichen zum Einsatz. Schon die Spielkameraden im Kleinkindesalter hatten demnach ob der außerordentlichen Begabungen Scheels festgestellt: „Otto wird einmal Professor“231. Mit Blick auf die spätere Forschungs- und Lehrtätigkeit wiederum fanden sich in den Artikeln eine Reihe von Verweisen, in denen persönliche Erlebnisse der Untermalung dienten. Dort stand beispielsweise zu lesen, wie der als „Meister“232 apostrophierte Scheel „anregend wie wenige […] mit suggestiver Kraft“233 auf sein akademisches Umfeld gewirkt habe. Für kritische Kommentare ließen solch emphatische Ausführungen über intellektuelle und wissenschaftliche Brillanz keinen Spielraum. 228 229 230 231 232 233

Scharff, Otto Scheel †, 437; und ders., Prof. D. Dr. Otto Scheel, 13. Ebd., 15. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort. Ebd., 16. Christiansen, Otto Scheel, 66. Degn, Otto Scheel †, 29. Achelis, Otto Scheel (1960), 52.

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Ganz Ähnliches galt für die Schilderung seines Engagements in den deutsch-dänischen Beziehungen, welches entsprechend den thematischen Präferenzen der Publikationen bei allen Artikeln im Vordergrund stand. Der Schwerpunkt lag dabei allerdings nicht wie in den dänischen Beiträgen auf den späteren Weimarer Jahren. Wie in den Nachrufen der grenznahen deutschen Tagespresse standen vielmehr die als „Sturmeswehen“234 bezeichneten Ereignisse um die Volksabstimmung von 1920 und der anschließende Wechsel an die Förde im Fokus. Die Autoren betonten dabei mit großer Eindringlichkeit das persönliche Erleben von Scheels Auftritten als nationalem Erbauungsredner, welche ihrer Ansicht nach dessen engste Verbundenheit mit Nordschleswig unter Beweis gestellt hatten. An einigen Stellen erweckten die euphorischen Berichte gar den Eindruck, der Verstorbene sei einer Vorbestimmung gefolgt. So hieß es etwa, Scheel habe mit Teilnahme am Abstimmungskampf und Annahme der Kieler Professur „die Sendung erkannt, die ihm als deutschen Nordschleswiger auferlegt war“235. Derlei Zuschreibungen schicksalhafter Verbundenheit unterstrichen mit besonderem Nachdruck, dass hier die Scheel’sche Memoria einer differenzierteren Betrachtung entzogen blieb. Mit Blick auf den Abstimmungskampf als zentralen Fokuspunkt war ebenfalls bezeichnend, wie die Reaktionen der Autoren auf die Gedenkartikel in dänischen Periodika ausfielen. Zwar verwiesen sie verschiedentlich auf die dortigen positiven Würdigungen Scheels und stellten ihm selbst das Zeugnis aus, aufgrund seiner Sozialisation am Schnittpunkt zweier nationaler Kulturen über ein besonderes Gespür für die ,andere Seite‘ verfügt zu haben. In diesem Zusammenhang bedienten sie sich des Terminus vom „Grenzlandmenschen“236, um jene besondere Qualität zu beschreiben. Ungeachtet dessen formulierten sie jedoch scharfen Widerspruch gegen die von dänischer Seite lancierte These, der Verstorbene habe nach dem Zweiten Weltkrieg eine Grenzverlagerung Richtung Süden gutgeheißen237. Mit Blick auf entsprechende Hinweise in den Artikeln Kronikas und Kürsteins war die Rede von „mit dänischen Augen gesehenen Skizzen“238, denen nur insoweit zugestimmt werden könne, als Scheel dort als „deutscher Schleswiger“ vorgestellt werde. An derlei allergischen Reaktionen zeigte sich ein weiteres Mal in aller Deutlichkeit, dass Scheel zur Lichtgestalt stilisiert werden sollte, deren nationale Loyalität keinerlei Zweifeln unterliegen durfte, egal wie groß sein Verständnis für die ,Gegenseite‘ gewesen sein mochte. Die hagiographischen Züge der Memoria in deutsch gesinnten Grenz234 Kardel, Professor D. Dr. Otto Scheel, 330 235 Achelis, Nordschleswig, 30. 236 Achelis, Gedenken 357; Christiansen, Otto Scheel, 65 f.; und Kardel, Professor D. Dr. Otto Scheel, 330. Der Terminus ,Grenzlandmensch‘ findet sich sowohl bei Achelis als auch bei Christiansen. 237 Vgl. Achelis, Otto Scheel (1956), 36; und ders., Otto Scheel (1960), 55. 238 Christiansen, Otto Scheel, 70. Das folgende Zitat findet sich ebenfalls dort.

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kreisen konnten indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in quantitativer Hinsicht bei der Veröffentlichung von Gedenkartikeln ein Jahrzehnt nach Scheels Tod zu einem massiven Einbruch kam. War bis dato beinahe jährlich an den Verstorbenen erinnert worden, dauerte es nun fast weitere zehn Jahre, bevor erneut – und zum letzten Mal – in der Grenz- und Minderheitenpublizistik ein Beitrag erschien, der seinen Namen im Titel führte. Bezeichnenderweise stand in dem entsprechenden Artikel nicht mehr ausschließlich das Andenken Scheels im Mittelpunkt. Der dahingeschiedene Emeritus für Landesgeschichte wurde nicht mehr um seiner selbst Willen porträtiert, sondern im Zuge einer Vorstellung wichtiger Tonderaner Historiker239. Wie schnell sich der Wechsel von Memoria zu Vergessen vollzog, zeigt neben dem Ausbleiben weiterer Gedenkartikel die Berücksichtigung von Scheels Person im „Schleswig-Holsteinischen Biographischen Lexikon“. Als 1962 eine erste Probeveröffentlichung mit nur 41 Biographien erfolgte, hatte Thomas O. Achelis als umtriebigster Verfasser Scheel’scher Memorialliteratur noch einen Artikel beigesteuert und dem Verstorbenen auf diese Weise einen besonders prominenten Platz sichern können240. Bei Erscheinungsbeginn des eigentlichen Mammutwerkes acht Jahre später sahen die Herausgeber jedoch davon ab, den Beitrag des mittlerweile verstorbenen Achelis in die Liste der rund 150 Biographien des ersten Bandes aufzunehmen und sorgten ebenfalls nicht für entsprechenden Ersatz. Scheel blieb daher auch in allen folgenden Bänden unberücksichtigt241. Fragt man nach den Ursachen dieses rapiden Umschwungs, scheinen zwei Erklärungsansätze am plausibelsten. Zum einen handelte es sich bei den Verfassern der Scheel’schen Erinnerungsartikel fast ausschließlich um Personen, die deswegen mit so großer Emphase von seiner Intervention im Abstimmungskampf berichteten, weil sie es selbst erlebt hatten. Aufgrund dieses biographischen Zusammenhanges handelte es sich um einen Kreis von Autoren, deren Geburtsdaten zum Teil deutlich vor der Jahrhundertwende lagen und die dementsprechend in den 1960er Jahren selbst fortgeschrittenen Alters waren. Dies galt nicht nur für den bereits erwähnten Thomas O. Achelis, der 1967 im Alter von 79 Jahren verstarb. Denselben Geburtstag beging Harboe Kardel in dem Jahr, als er Anfang der 1970er Jahre den oben genannten, letzten Artikel über Scheel als Tonderaner Historiker veröffentlichte242. Das Ende der publizistischen Erinnerung dürfte somit zu einem Gutteil der schlichten Tatsache geschuldet gewesen sein, dass altersbedingt die bisher dazu prädestinierten Autoren ausfielen. Wenn sich hierfür wie im Falle des biographischen Lexikons kein passender Ersatz fand, deutete sich damit der zweite, nicht minder wahrscheinliche 239 240 241 242

Vgl. Kardel, Historiker, 240 f. Vgl. Achelis, Jörgen Otto Einar Emmanuel Scheel, 91–96. Vgl. Klose, Vorwort, Bd. 1, 3. Vgl. Hansen, Kardel, 5; und Hoffmann, Thomas Otto Achelis, 9.

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Grund an, weswegen Scheel im Anschluss an eine umfängliche Memoria ab Mitte der 1960er Jahre schnell in Vergessenheit geriet. Kein halbes Jahr nach seinem Tod bekräftigten im März 1955 die Bonn-Kopenhagener Erklärungen das freie Bekenntnis zur deutschen beziehungsweise dänischen Minderheit und entzogen irredentistischen Bestrebungen jedwede politische Unterstützung durch die Erklärung, Minoritätenfragen seien innere Angelegenheiten. Im deutsch-dänischen Grenzraum stellten diese Festlegungen den beiderseitigen Umgang auf eine neue Grundlage und läuteten damit eine Entspannung des mehr als 100-jährigen nationalen Gegensatzes ein243. Je mehr sich die Erfolge dieses Weges abzeichneten, desto weniger attraktiv musste es erscheinen, im öffentlichen Raum an Exponenten der vormaligen Ära zu erinnern, deren Namen im Zusammenhang mit Phasen scharfer Konfrontation standen. Neben dem Abtritt der Abstimmungsgeneration dürfte dies der entscheidende Faktor dafür gewesen sein, dass die Scheel’sche Memoria ein gutes Jahrzehnt nach seinem Tod selbst in jenen Grenz- und Minderheitenkreisen endete, wo das Gedenken an seine Person als selbstverständlich gegolten hatte.

243 Vgl. K hl, Bonn-Kopenhagener Erklärungen, 39–49 sowie die Beiträge in K hl / Bohn, Modell.

6. Zusammenfassung Gilt es abschließend zentrale Ergebnisse zu bündeln, kann festgehalten werden, dass Scheel zunächst in doppelter Hinsicht an der Schnittstelle zweier Nationalkulturen aufwuchs. Dies galt zum einen für den familiären Hintergrund, da er einem deutsch-dänischen Elternhaus ohne klare nationale Präferenzen entstammte. Zum anderen bestimmte die frühe Kindheit in Nordschleswigs ländlichem Westen ein gesellschaftliches Umfeld, in dem sich zum damaligen Zeitpunkt deutsch und dänisch gesinnte Bevölkerungsteile noch nicht in derart scharfer Konfrontation gegenüberstanden, wie es anderswo bereits der Fall war. Zu letzteren Orten gehörte mit Hadersleben jenes städtische Zentrum, in das Scheels Familie nach dem frühen Tod seines Vaters umzog. Den Bruch mit den vormaligen Verhältnissen markierte dort zusätzlich der Eintritt ins königlich-preußische Gymnasium, wo er in den folgenden Jahren systematisch zum Glauben an Preußens beziehungsweise Deutschlands Gloria erzogen wurde. Diese Bekenntnisübungen gingen an Scheel alles andere als spurlos vorüber, so dass er als überzeugter Anhänger eines Wertekanons deutscher Überlegenheit das Abitur ablegte. Als Student positionierte er sich in der zeitgenössischen disziplinären Fundamentalauseinandersetzung zwischen liberaler und konfessioneller Theologenschaft sehr bald im erstgenannten Lager. Bei seinen wichtigsten Lehrern sowohl in Halle als auch in Kiel handelte es sich mit Friedrich Loofs, Hans von Schubert und Otto Baumgarten durchweg um vehemente Befürworter historisch-kritischer theologischer Forschung, welche nicht kirchliche Legitimationswissenschaft sein wollte. Darüber hinaus gehörten Loofs und Baumgarten zu den namhaften Größen jener kulturprotestantischen Kreise, die eine Brücke zwischen Glaubenspraxis und moderner Kultur zu schlagen suchten. Von Scheels Prägung durch diese Mentoren legten Studienort- und Kurswahl sowie Diskussionsbeiträge im Kieler Akademisch-Theologischen Verein Zeugnis ab, und mit dem Zuschnitt seiner Promotion bekannte er sich nicht weniger deutlich zu ihren methodisch-theoretischen Maximen. Seine weitere theologische Laufbahn entwickelte sich zu einem Musterstück kulturprotestantischer Netzwerkbildung. Auf der einen Seite führten die universitären Lehrer ihn in die Zirkel um das Verlagshaus J.C.B. Mohr sowie die Christliche Welt (ChW) ein und stellten sicher, dass ihr Schüler an einer Reihe prestigeträchtiger Projekte beteiligt wurde, allen voran die Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG). Auf der anderen Seite dankte Scheel seinen Proteg s diese Förderung nicht nur durch Beistand in der Konfrontation mit Exponenten konfessioneller Orthodoxie, wovon in den Kieler Privatdozentenjahren die Teilnahme am Streit mit der konservativen schleswig-holstei-

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nischen Geistlichkeit, nach dem Wechsel gen Tübingen die entschiedene Stellungnahme im Fall Jatho zeugten. Abgesehen vom engen theologiepolitischen Schulterschluss stellte er ebenfalls in anderen Zusammenhängen seine Solidarität unter Beweis. Symptomatisch hierfür war neben dem Festhalten am krisengeschüttelten Großprojekt RGG sein kollegiales Verhalten gegenüber Vertretern der theologischen ,Linken‘ wie Ernst Troeltsch, mit denen er wegen seiner Ansicht nach ungerechtfertigter Kritik an Luther fachlich über Kreuz lag. Das Beispiel Scheels unterstreicht somit, wie sehr das Zusammengehörigkeitsgefühl im Kampf gegen theologische Orthodoxie dem kulturprotestantischen Gelehrtenmilieu trotz zum Teil erheblicher Meinungsverschiedenheiten Kohärenz verlieh. In der Forschung avancierten bald Studien zum Wittenberger Reformator zu seinem zentralen Betätigungsfeld. Diese zeichneten sich vor allem durch zweierlei aus. Einerseits verschrieb er sich wie seine Mentoren einem historisch-kritischen Forschungsansatz jenseits konfessionalistischer Schranken, weshalb er sich nicht scheute, Luthers Stellung zur Heiligen Schrift als widersprüchlich oder seine Abendmahlslehre gar als ,unterevangelisch‘ zu kennzeichnen. Andererseits verband sich die scheinbar voraussetzungslose Annäherung an Person und Werk des Reformators mit der Grundannahme, dessen Integrität und historische Leistung sei unerschütterlich. Ungeachtet aller Detailkritik firmierte Luther stets als ,geniale Natur‘ und ,Bahnbrecher der neuen Zeit‘. Dieser strukturelle Widerspruch markierte zwar eine Scheidemarke zu kritischeren Stimmen im kulturprotestantischen Lager. Gleichzeitig prädestinierte er Scheel aber dafür, sich als gewichtige Stimme gegen zeitgenössische katholische Lutherpolemiken einen Namen zu machen. Zudem erklärt die eigentümliche Dialektik, wieso der als Endprodukt jener langjährigen Auseinandersetzung entstandenen, im Laufe des Ersten Weltkrieges publizierten Lutherbiographie so großer Erfolg beschert war. Durch akribisches Studium breit gefächerter Quellen schien das Werk größtmögliche Sachlichkeit zu gewährleisten, zeichnete dabei aber nirgends ein nur in Ansätzen negatives Bild des Biographierten. Langfristig erwies sich für die Rezeption des Werkes zudem als großer Vorteil, dass Scheel darauf verzichtete, dem Trend vieler Kriegspublikationen folgend Reformation und Reformator national zu vereinnahmen. Wie schwer ihm dies fiel, unterstreichen jedoch Passagen in anderen Veröffentlichungen des Jahres 1917, aus denen klar hervorgeht, dass Scheels nationale Lutherdeutung der Nachkriegszeit weniger einen Bruch als eine Akzentuierung früherer ,Erbteile‘ darstellte. Hierfür sprechen ebenfalls seine Reaktionen auf die politischen Geschehnisse seit August 1914. In der festen Überzeugung, Deutschland sei am Kriegsausbruch unschuldig, ziehe als ,Aufgebot Gottes‘ ins Feld und werde den Sieg davontragen, machte Scheel keinerlei Bedenken gegen den Waffengang geltend. Im Gegenteil suchte er ungeachtet seiner Untauglichkeit für den Militärdienst, einer möglichst frontnahen Verwendung zugeteilt zu werden. Gleichzeitig ver-

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schrieb er sich einer annexionistischen Kriegszielprogrammatik, an der er allen Krisenzeichen zum Trotz bis zum Sommer 1918 festhielt. Von Vertrauten im kulturprotestantischen Netzwerk setzte sich Scheel damit sehr viel prägnanter ab, als er es mit seiner strukturell apologetischen Lutherdeutung vor dem Krieg getan hatte. Mit dem Insistieren auf einem Siegfrieden, der Deutschlands Weltmachtstellung zementieren sollte, traten gegenüber einer Reihe seiner bisherigen theologischen Weggefährten politische Differenzen zu Tage, die sich nicht mehr durch Gemeinsamkeiten im innerfachlichen Positionsstreit überbrücken ließen. Im Zuge der kriegsbedingten Tätigkeit als öffentlicher Redner präzisierte er zudem seine Grundvorstellungen vom deutsch-dänischen Verhältnis, zu dem er sich bis dato nur beiläufig geäußert hatte. Dabei entwarf er das Bild zweier Nationalitäten, deren momentane nationale Gegensätze nicht mehr als eine Etappe sein konnten, weil aufgrund kollektiven Germanentums der Weg hin zu enger Kooperation historisch vorgezeichnet schien. Diese Formel nationaler Konkurrenz und germanischer Verbundenheit blieb Taktgeber für Scheels Auffassung der deutsch-dänischen Beziehungen, wobei die Superiorität der deutschen Seite nie ernsthaft zur Disposition stand. Lediglich als seine Kriegszielphantasie von Deutschland als germanischer Weltmacht im November 1918 zerbrach, gab sich Scheel wenige Monate überzeugt, die deutsch gesinnten Bewohner seiner Heimatprovinz sollten sich politisch dem vermeintlichen germanischen Brudervolk im Norden zuwenden. Diese Sicht der Dinge blieb Episode und dokumentierte statt langfristiger Abkehr von Berlins Führungsansprüchen im deutsch-dänischen Verhältnis vielmehr, welche Schockzustände der Umbruch bei den im Kaiserreich sozialisierten Gelehrtengenerationen auslösen konnte. Als mit den Versailler Friedensbestimmungen tatsächlich eine Regelung der deutsch-dänischen Grenzfrage nach Kopenhagener Wünschen anstand, lehnte Scheel diese rundheraus ab und machte gegen die Friedensregelung mobil. Insbesondere während des Plebiszits in Schleswig polemisierte er dabei gegen vermeintliche dänische Expansionsgelüste und bediente sich einer aggressiv nationalistischen Rhetorik, in der kollektives Germanentum nur noch insofern eine Rolle spielte, als er dem nördlichen Nachbarland mit Verweis darauf Verrat ankreidete. Hier zeigte sich in aller Deutlichkeit, dass Scheels pangermanische Visionen untrennbar mit einem deutschen Führungsanspruch verbunden waren. Obwohl das wortgewaltige Engagement nach Abschluss der Volksabstimmung schnell erlahmte, sicherten die danophoben Tiraden dem Tübinger Ordinarius eine Favoritenposition, als auf der Suche nach geeigneten Mitteln für den Grenzkampf eine Professur für Landesgeschichte von Seiten der Politik aus der Taufe gehoben wurde. Formierte sich hiergegen an der nur bedingt am Entscheidungsprozess beteiligten Christiana Albertina Widerstand, war dies keineswegs grundsätzlichen Zweifeln an Berechtigung und Notwendigkeit der Beteiligung am ,Dänenkampf‘ geschuldet. Wie an den universitären Interventionsversuchen im Berufungsverfahren ersichtlich, unter-

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stützten bis ins Rektorat eine Vielzahl Kieler Professoren die politische Indienststellung ihrer Hochschule in der Auseinandersetzung mit dem nördlichen Nachbarn. Neben Bedenken hinsichtlich Scheels fachlicher Eignung und Sorgen um Einbrüche in die universitäre Selbstverwaltung trieb die Gegner seiner Berufung bezeichnenderweise der Gedanke um, eine anderweitige Verwendung der betreffenden Haushaltsmittel stelle effektivere akademische Schützenhilfe zur Abwehr vermeintlicher dänischer Expansionsgelüste sicher. Die genauen Umstände von Scheels Ruf an die Förde belegen somit nicht nur, dass die institutionelle Verankerung der Landesgeschichte an der Christiana Albertina mit klarer Stoßrichtung gegen Dänemark erfolgte. An dem langwierigen Verfahren lässt sich ebenfalls ablesen, welche Ausmaße die danophobe Hysterie im Schleswig-Holstein der Nachkriegszeit auch in universitären Kreisen annahm. Für den lang umworbenen Gelehrten stand im Wissen um die politische Motivation seiner Berufung eine Betätigung als Landeshistoriker an zweiter Stelle. Bei Ankunft in Kiel engagierte er sich zunächst primär in der Grenzund Minderheitenpolitik. Dabei war von erheblicher Bedeutung, dass sich seine Position im Vergleich zu den Tiraden der Abstimmungszeit gemäßigt hatte. Anstatt radikaler Konfrontation plädierte Scheel nun unter neuerlichem Verweis auf kollektives Germanentum für einen respektvolleren Umgang mit dem vermeintlichen dänischen Gegner. Seine Kritik bezog sich indes nur auf die Mittel der Auseinandersetzung, nicht aber deren Berechtigung und Sinnhaftigkeit. Beim Scheel’schen Eingreifen im Konflikt um die Minderheitengesetzgebung, im Streit mit der Königsau-Fraktion und in der Kontroverse um den Kurs des Schleswig-Holsteiner-Bundes trat dies unmissverständlich zu Tage. In keinem Fall wartete er mit einem konkreten Plan auf, wie der nationale Gegensatz effektiv beizulegen sei, sondern bemühte sich lediglich, dessen ,Ritterlichkeit‘ sicherzustellen, wie er sich selbst ausdrückte. Wenn er deswegen in der Tagespresse beiderseits der Grenze zum Brückenbauer stilisiert und gleichzeitig von radikalen Deutschnationalen als Verräter angegriffen wurde, lässt sich daran besonders instruktiv ablesen, wie das widersprüchliche Verhältnis von Mäßigung und Konfrontation zu eklatanten Fehleinschätzungen führte. Das oftmals ,zu weiche‘ Bild von Scheel beförderte aller Voraussicht nach jene nur schwerlich aufrecht zu erhaltenden Urteile, welche seinen politischen Manövern deeskalierende Wirkung bescheinigen. Gegen diese Lesart spricht neben den oben geschilderten Zusammenhängen das Misstrauen, mit dem Scheels germanophilen Schwärmereien in Dänemark nicht zuletzt deswegen begegnet wurde, weil sie teils offen, teils in verdeckter Form eine deutsche Vorrangstellung implizierten. Zu keinem Anlass offenbarte sich dies deutlicher als auf der Nordland-Reise 1927, nach dessen Abschluss die Süderbraruper Affäre Scheels politische Laufbahn beendete und ihn auf akademische Handlungsfelder beschränkte. Was sein neues, landesgeschichtliches Aufgabengebiet anbelangte, zeichnete sich Scheels historiographisches Programm ebenfalls durch wider-

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sprüchliche gemäßigte und konfrontative Züge aus. Einerseits bemühte er sich verschiedentlich, scharfer Danophobie entgegenzuwirken, Kontakte zu Fachkollegen nördlich der Grenze herzustellen und in einigen seiner Studien vorgeblich ,gemeingermanische‘ Elemente herauszuarbeiten. Von diesen Zügen seiner historischen Betätigung zeugen die Vermittlungsleistung beim Streit um die deutsche Aktenedition zum Artikel V des Prager Friedens, der Ausstieg aus dem „Handbuch der schleswigschen Frage“ sowie das Engagement in der Haithabu-Forschung. Scheel zum Exponenten einer mit Blick auf das deutsch-dänische Verhältnis vermittelnden Landesgeschichtsforschung zu erheben, verbieten andererseits nicht nur seine Arbeiten über die Vergangenheit der Christiana Albertina, mit deren Stilisierung zum deutschen Bollwerk er eine historische Legitimation für die akademische Beteiligung am Grenzkampf lieferte. Zweifel scheinen des Weiteren mit Blick auf seine Aktivitäten im Netzwerk der Volkstums- und Grenzlandforschung angebracht, wo er sich gleich nach Wechsel gen Kiel intensiv engagierte. Von seinem ersten Tagungsbeitrag bis zur Konzeption des Schleswig-Holstein-Artikels im „Handwörterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums“ blieb roter Faden seiner Beteiligung die wissenschaftliche Untermauerung deutscher Forderungen nach Rückgabe Nordschleswigs. Trotz der maßvolleren Aspekte seines Engagements fügt sich Kiel damit in die Liste der Hochschulstandorte ein, an denen nach dem Ersten Weltkrieg die Institutionalisierung der Landesgeschichte einen Forschungsbetrieb beförderte, der sich mit klarem politischen Impetus gegen die Versailler Friedensregelungen richtete. Für letzteren Befund spricht ebenfalls, dass sich Scheel in methodischtheoretischer Hinsicht jenem volkshistorischen Paradigma zuwandte, welches in dem oben genannten, dezidiert revisionistischen Netzwerk den wichtigsten fachlichen Bezugspunkt bildete. Gleich nach Ankunft an der Förde rief er mit dem Baltischen Historischen Forschungsinstitut (BHF) und der Baltischen Kommission (BK) zwei Einrichtungen ins Leben, deren Gründung sich mit der programmatischen Erklärung verband, historische Forschung jenseits etatistischer Kategorien betreiben zu wollen. Zwar lösten weder die Publikationen der BK diesen Anspruch ein, noch gelang es deren Initiator, in seinen ersten landeshistorischen Arbeiten von einem traditionellen, politikgeschichtlichen Zugang Abstand zu gewinnen. Einige Jahre nach der Berufung machte sich jedoch in seinem Œuvre die Verschiebung hin zu einem volkshistorischen Zugang deutlich bemerkbar. An dessen Beginn standen seine Ausführungen zur ,Friesenfrage‘, denen wenige Jahre später auf dem Jubiläum der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte ein entschiedenes Plädoyer zugunsten des neuen Ansatzes folgte. Sieht man von ersten Startschwierigkeiten ab, kann daher festgehalten werden, dass mit Etablierung der Landesgeschichte unter Scheels Ägide ein deutlicher Impuls zugunsten volkshistorischer Innovation einherging, der aller Voraussicht nach auf seine Einbindung in die oben genannten Forschungsnetzwerke zurückging. Sein Beispiel untermauert demnach den

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allgemeinen Forschungsbefund zur landeshistorischen Disziplin als früher Hochburg der Volksgeschichte. Hinsichtlich Scheels kirchenhistorischen Profils in den Weimarer Jahren kann wie für die Grenz- und Minderheitenpolitik sowie die Geschichtswissenschaft von widersprüchlichen Momenten der Konfrontation und Mäßigung gesprochen werden, selbst wenn Erstere deutlich überwog. Zeitgleich mit seiner politischen Agitation gegen den als ungerecht empfundenen Versailler Vertrag hielt in Scheels kirchenhistorische Publikationen eine konsequente nationale Inanspruchnahme Luthers Einzug. Statt dessen theologischer Existenz betonte er nun jene vermeintlich deutschen Qualitäten des Reformators, die er zum Reformationsjubiläum 1917 zwar noch aus seiner Lutherbiographie herausgehalten, aber an anderer Stelle bereits bejaht hatte. Mit der konsequenten Stilisierung des Reformators zum deutschen Helden brach Scheel außerdem mit den aus seiner Sicht unnationalen Zirkeln um die ChW, von denen wichtige Exponenten ebenfalls schon zu Kriegszeiten als Befürworter eines Verständigungsfriedens vollkommen andere Wege als er selbst gegangen waren. Seine Positionierung nach 1918 illustriert damit, wie das kulturprotestantische Gelehrtenmilieu in der Weimarer Republik entlang von Sollbruchstellen auseinanderbrach, die sich bereits im Ersten Weltkrieg abgezeichnet hatten und infolge der Niederlage lediglich schärfer hervortraten. Der Blick auf Scheel beleuchtet indes nicht nur exemplarisch den Bedeutungsverlust des Kulturprotestantismus nach Untergang des Kaiserreiches. Wenn enge Verknüpfung nationaler und religiöser Motivik in der Lutherforschung seinem fachlichen Renommee keinen nennenswerten Abbruch tat und er weiterhin mit Rufen und Ehrendoktorwürden bedacht wurde, wirft dies zugleich ein Schlaglicht auf die Positionierung der Kirchengeschichtsschreibung. Bezeichnenderweise blieben nur aufgrund Scheels geringer Produktivität ab den späten 1920er Jahren weitere Rufe aus, und dies ausgerechnet, als er wieder Abstand von einem konfrontativen Bild des Reformators gewann. Hieran ist deutlich abzulesen, dass die gegenwartsnahe Vereinnahmung Luthers in weiten Teilen kirchenhistorischer Fachkreise ,salonfähig‘ gewesen sein muss. Diesen Befund erhärten die Reaktionen auf Scheels Lutherdeutung der NS-Zeit, mit der seine Versuche der späten Weimarer Jahre, wieder Anschluss an quellenkritische Forschung jenseits nationaler Vereinnahmung zu finden, an ein schnelles Ende kamen. Fragt man nach Scheels Reaktionen auf das Ende der Weimarer Republik, gilt es in Rechnung zu stellen, dass er unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkrieges den ,Sturz in die Politik‘ zugunsten eines republikanischen Staatswesens nur aus Furcht vor einem kommunistischen Umsturz getan hatte. Als diese Gefahr gebannt schien, rückte er von jeglichem Engagement ab und dokumentierte stattdessen wie viele seiner Standesgenossen in verächtlichen Kommentaren die Ferne zur Repräsentativdemokratie, der er innenwie außenpolitisches Versagen vorwarf. Den Nationalsozialisten begegnete der Kieler Ordinarius in den letzten Jahren der Republik zwar nicht weniger

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ablehnend, wovon private Kommentare und die Beteiligung an der Auseinandersetzung mit der rechten Studentenschaft in Kiel Zeugnis ablegen. Hierfür waren jedoch weniger grundsätzliche ideologische Differenzen ausschlaggebend als vielmehr die Furcht, eine NS-geführte Regierung könne sich womöglich einer sozialistischen Agenda verschreiben und das ganze Land in ähnliches Chaos stürzen wie die NS-Studentenschaft die Kieler Universität. Als sich diese Sorgen bald nach Regierungsantritt Adolf Hitlers als unbegründet zu erweisen schienen, zeigte sich Scheel beeindruckt von der braunen Bewegung und ihrer radikal antikommunistischen Agenda, welche aus seiner Sicht eine Stärkung des in Weimarer Zeit untergrabenen nationalen Zusammenhaltes und Deutschlands Wiederaufstieg bewirkte. Ob er ebenfalls dem brachialen Antisemitismus der neuen Machthaber beipflichtete, lässt sich indes nicht zweifelsfrei feststellen. Zwar sprechen sowohl einige antisemitische Kommentare aus der unmittelbaren Folgezeit des Ersten Weltkrieges als auch eine Reihe von Verweisen in seinen Schriften aus der NS-Zeit dafür, doch äußerte er zumindest in einem Fall Mitleid mit dem Betroffenen. An seiner Haltung gegenüber der neuen Regierung änderte dies allerdings nichts, denn sie schlug binnen weniger Monate in euphorische Begeisterung um. Der vorzeitige Abschied von seinem tumultösen Kieler Rektorat im Frühjahr 1933 kann daher schwerlich als Akt politischer Opposition gewertet werden, zumal sich Scheel bald darauf öffentlich zugunsten des neuen Regimes aussprach und aktiv innerhalb des NS-Propagandaapparates betätigte. Dabei erwarb er sich aus Sicht der zuständigen Stellen so umfangreiche Meriten, dass er kurz vor Kriegsausbruch für die Konzeption der NSDAP-Schulungsbriefe des Jahres 1940/1941 angeworben wurde. Für die Positionierung als Landeshistoriker ergaben sich aus dem Meinungsumschwung einschneidende Konsequenzen, zumal er bald zum engeren Kreis um seine Rektornachfolger gehörte, welche sich akademische Mobilisierung zugunsten der NS-Diktatur auf die Fahnen schrieben. Sowohl Scheels eigene als auch die von ihm geförderten Arbeiten zeichneten sich in der Folge dadurch aus, dass sie den von ihm favorisierten volkshistorischen Zugang einsetzten, um den braunen Machthabern zu historischer Legitimation zu verhelfen. In Arbeiten zur Rolle der Christiana Albertina für die Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts kam dies besonders zum Ausdruck. Dort firmierte die Hochschule nicht mehr wie in den Arbeiten der 1920er Jahre als Zentrum einer liberalen Verfassungskampagne, sondern als Ausgangspunkt einer völkischen Erweckungsbewegung, deren Programmatik jener der NSBewegung entsprochen habe. Bei diesem Zuschnitt handelte es sich um keine zufällige Kombination aus fachlicher Methode und ideologischer Überzeugung, sondern um ein klares historiographisches Programm. Dies stellte Scheel als wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Volks- und Landesforschung (IVL) in seinem programmatischen Vortrag „Landesgeschichte als politische Wissenschaft“ mit unmissverständlicher Deutlichkeit unter Beweis, indem er die Kombination von volkshistorischem Ansatz und dezidierter

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Affirmation des NS-Regimes zur Richtlinie für die Forschung erhob. Im weiteren disziplingeschichtlichen Kontext stützt der Scheel’sche Befund damit die Forschungsthese, Landeshistoriographie habe im Allgemeinen als Hochburg der Volksgeschichte einer Indienststellung historischer Wissenschaft zugunsten des Nationalsozialismus Vorschub geleistet. Darüber hinaus zeigt der nähere Blick auf seine Person, dass sich an der Förde die Tektonik des historischen Forschungsfeldes im ,Dritten Reich‘ keineswegs nur aufgrund ideologischer Gegensätze verschob. Von dieser Warte ließen sich weder der Untergang von Scheels BHF und BK, noch sein Abschied vom „Handwörterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums“ oder seine Ablösung an der IVLSpitze erklären, wo politische Differenzen keine entscheidende Rolle spielten. Scheels Karriereweg liefert somit ein instruktives Beispiel dafür, in wie starkem Maße gerade in den NS-Jahren persönliche Animositäten und Verteilungskämpfe den Wissenschaftsbetrieb prägten, weil mit anderen politischen Entscheidungsträgern und neuen finanziellen Töpfen das eingespielte System ins Wanken geriet. Nimmt man seine Betätigung als Kirchenhistoriker im Nationalsozialismus in den Fokus, zeitigten Begeisterung für das neue politische System und Hinwendung zu NS-affinen Interpretationsmustern ebenfalls sichtbare Folgen. Den kurzzeitigen Versuchen der späten Weimarer Jahre, Luthers theologische Existenz wieder in den Mittelpunkt seiner Studien zu rücken, folgte ab 1933 dessen neuerliche gegenwartsnahe Vereinnahmung. Anders als nach dem Ersten Weltkrieg zeichnete Scheel den Reformator jedoch nicht mehr als nationalen Helden, sondern stellte ihn, seinem historiographischen Programm in der Profangeschichte folgend, als völkischen Vordenker zentraler Bestandteile der NS-Agenda dar. Besonders drastische Züge bekam sein neuerliches Lutherbild dabei durch eine Vielzahl von Kommentaren, die den Lesern nahelegten, der Reformator habe rassistischen und antisemitischen Denkfiguren gehuldigt. Abgesehen von diesen einschlägigen Charakteristika seiner eigenen Schriften suchte Scheel ebenfalls als Vorsitzender des Vereins für Reformationsgeschichte, in dessen Publikationsprogramm mehr ,Gegenwartsnähe‘ sicherzustellen. Zwar scheiterte letztere Initiative, weil dem Trend der Weimarer Zeit folgend sein Engagement in der akademischen Theologie immer weiter abnahm und er nicht mehr zu den treibenden Kräften im Fachkreis der Kirchenhistoriker gehörte. Dessen ungeachtet kam gerade Scheels neuerlicher Lutherdeutung sowohl wegen der positiven Aufnahme seiner Monographie von 1934 als auch wegen des Eklats auf dem Züricher Historikertag erhebliche Aufmerksamkeit zu. Hinsichtlich der kirchenhistorischen Disziplin im ,Dritten Reich‘ lässt sich daher ebenso wie für die landeshistorische festhalten, dass der Kieler Ordinarius zur Aktivierung im Dienste der NS-Diktatur beitrug. Zugleich legt die mehr als überschaubare fachinterne Kritik an seinem Lutherbild nahe, dass die Kirchengeschichtsschreibung in den NS-Jahren nicht weniger anfällig für völkische Vereinnahmungen war als bereits in der Weimarer Republik für nationale.

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Mit Blick auf Scheels Position im deutsch-dänischen Wissenschaftskontakt erwiesen sich seine historisch-politischen Denkmuster und daraus erwachsende Initiativen als schwere Belastung. Hatte bis dato das Wechselspiel zwischen Mäßigung und Konfrontation einem Austausch nicht prinzipiell im Wege gestanden, bildeten seine zunehmend feindselige Haltung gegenüber demokratischen Strukturen und sein Bekenntnis zum Konzept politischer Wissenschaft einen schwer zu überbrückenden Graben zu den Fachkollegen im Norden. Besonders die Frühgeschichtsforschung zu Haithabu verlor ihre Brückenfunktion, weil hier die ohnehin schon problematische Germanophilie des Kieler Ordinarius in den 1930er Jahren eine Zuspitzung hin zu latent rassistischen Großmachtphantasien mit klaren Gegenwartsbezügen erfuhr. Erschwerend kam hinzu, dass er nach 1933 in der Schleswigfrage erneut in aller Schärfe gegen Dänemark Stellung bezog. Seine einstmals intensiven akademischen Kontakte gen Norden waren daher zum Gutteil abgerissen, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Vergleicht man Scheels Denken und Handeln während des neuerlichen Waffenganges mit dem im vorangegangenen, zeichnen sich zum einen große Parallelen, zum anderen deutliche Unterschiede ab. Was Erstere anbetrifft, sind vor allem radikale Kriegszielprogrammatik und eiserner Durchhaltewillen zu nennen. Wie im Ersten Weltkrieg phantasierte er über die Errichtung eines großgermanischen Einflussbereiches unter deutscher Führung und versteifte sich darauf, die Kampfhandlungen müssten kompromisslos zu Ende geführt werden. Militärische Niederlagen taten seinen Überzeugungen dabei ebenso wenig Abbruch wie die drastischen Folgen des Bombenkrieges, der ihn um seine gesamte Habe brachte. Im eklatanten Gegensatz zum Ersten Weltkrieg beschränkte er sich indessen nicht mehr darauf, als öffentlicher Redner in Erscheinung zu treten und sich ansonsten seiner bisherigen Forschungsarbeit zu widmen. Entsprechend dem Konzept politischer Wissenschaft mit dezidiert affirmativem Verhältnis zum Nationalsozialismus suchte Scheel ebenfalls in seiner Betätigung als Akademiker zugunsten der braunen Machthaber mobil zu machen. Insbesondere England traf dabei der historiographische Bannstrahl des Kieler Ordinarius, der den historischen Beweis zu führen versuchte, Deutschland sei Treuhänder Europas im Kampf gegen ein kriegstreiberisches Inselreich. Wenn sich in diese Schwarzweißmalerei im Kriegsverlauf zum Teil radikal antisemitische Töne mischten, die alle vorherigen Andeutungen in Scheels Schriften bei weitem in den Schatten stellten, illustriert sein Beispiel besonders anschaulich, welche Radikalisierungsdynamik die in den NS-Jahren forcierte Politisierung des Wissenschaftsbetriebes gerade unter Kriegsbedingungen barg. Neben der Diskreditierung Englands entwickelte sich zum zweiten Fokus seiner politisch motivierten Indienststellung die Werbung im besetzten Dänemark. Scheel suchte dort nicht nur in Wort und Schrift den Gedanken zu propagieren, die Geschichte der deutsch-dänischen Beziehungen weise den Weg zur Anerkennung deutscher Suprematie. Als Präsident des Deutschen

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Wissenschaftlichen Instituts (DWI) Kopenhagen bemühte er sich des Weiteren, mit Hilfe deutscher Gastdozenten und gezielter persönlicher Kontaktaufnahme in der dänischen Gelehrtenwelt Multiplikatoren für großgermanische Visionen zu finden. An den damit verbundenen Scheel’schen Aktivitäten lässt sich vor allem zweierlei ablesen. Erstens bleibt festzuhalten, dass er sich keinesfalls als einziger Wissenschaftler mit Kieler Bezügen im Nachbarland betätigte. Die Christiana Albertina galt als Rekrutierungspool für Werbeträger und Scheel aktivierte zu DWI-Zeiten vor allem Bekannte aus der Fördestadt als Gastdozenten. Der Kieler Universität kam demnach eine Vorreiterrolle bei den Versuchen zu, im okkupierten Dänemark unter Ausnutzung akademischer Kanäle die Stimmung zugunsten der aggressiven NS-Außenpolitik zu beeinflussen. Was die Ergebnisse dieser Bemühungen angeht, unterstreicht der Blick auf Scheels DWI-Präsidentschaft zweitens, dass neben finanziellen Engpässen und internen Querelen nennenswerte Erfolge primär wegen dänischer Verweigerung ausblieben. Selbst die nach dem Krieg als Kollaborateure Verurteilten arbeiteten nur bedingt mit dem Kieler Ordinarius zusammen, und bisherige Ansprechpartner wandten sich von ihm ab. Seine Werbeversuche gerieten so zum Musterbeispiel für das aufgrund der Realitäten des Krieges vorprogrammierte Scheitern des DWI und veranschaulichen zudem, wie bereits in den ,Friedensjahren‘ des NS-Regimes unter Spannung geratene wissenschaftliche Auslandsbeziehungen im Krieg zerrissen. Stand es um seine akademischen Kontakte gen Norden bei dessen Ausbruch ohnehin schon schlecht, herrschte gegen Ende fast vollständige Funkstille. Mit Blick auf die Untersuchungsergebnisse über Scheels Funktionen und Aktivitäten im ,Dritten Reich‘ bleibt abschließend festzuhalten, dass an der wissentlichen und willentlichen Indienststellung zugunsten der NS-Diktatur keinerlei Zweifel bestehen können. Seine Betätigung als Kirchen- und Landeshistoriker spricht hier eine nicht weniger deutliche Sprache als das geplante Mitwirken an den NSDAP-Schulungsbriefen, die Propagierung radikaler Anglophobie und der Einsatz als kulturpolitischer Werber im besetzten Dänemark. Fragt man nach den Ursachen dieser vielfachen Verstrickungen, erscheint es kaum möglich, lediglich von opportunistischer Anpassung zu sprechen. Der Fall Scheels ist vielmehr ein instruktives Beispiel dafür, wie potentielle Anknüpfungspunkte selbst eminente Vertreter einer ethisch besonders fundierten Wissenschaft wie der Theologie anfällig dafür machten, dem braunen Regime zuzuarbeiten. Als Anti-Kommunist, Germanophiler, Anhänger deutscher Großmachtphantasien und möglicherweise auch als Vertreter antisemitischer Stereotype war Scheel ideologisch von vornherein in mehrfacher Hinsicht anschlussfähig. Zudem hatte er sich bereits vor 1933 ein Verständnis von Wissenschaft als Dienst an der Nation beziehungsweise am ,Volk‘ zu eigen gemacht, das der akademischen Mobilmachung zugunsten des Nationalsozialismus den Weg ebnete. Ob seiner Einsatzbereitschaft Grenzen gesteckt waren und wenn ja wo diese bestanden, lässt sich im Gegensatz zur Frage nach Motiven ungleich schwerer beantworten. Während einerseits

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Scheels Engagement und Wortmeldungen bis in die letzte Kriegsphase den Eindruck erwecken, er habe sich rückhaltlos dem NS-Regime verschrieben, gibt es andererseits keinerlei Hinweise darauf, dass er um dessen genozidale Praktiken gewusst, geschweige denn sie gutgeheißen hätte. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass er mit seinem Handeln zur Legitimation und Stabilisierung des Systems beigetragen hat, in dem diese Verbrechen begangen wurden. In der ,Stunde Null‘ mit den katastrophalen Folgen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft konfrontiert, begrenzte Scheel den Kreis der Verantwortlichen auf Hitler samt seiner Entourage und sah wie das Gros seiner Zeitgenossen von einer kritischen Reflexion der eigenen Rolle ab. Trotz mannigfaltiger inner- wie außerakademischer Mobilisierungsversuche zugunsten des NS-Staates stellte er sich als gänzlich unpolitischen Wissenschaftler dar, der wegen seiner unnachgiebigen Haltung in Gegensatz zu den braunen Machthabern geraten sei. Zur Untermauerung dieser Fama berief er sich vor allem auf die Niederlegung des Rektorats der Kieler Universität und auf die Ablösung an der IVL-Leitung. Obwohl in beiden Fällen ideologische Differenzen keinerlei Rolle gespielt hatten, vermochte Scheel sie mit Erfolg als Ausweis seiner oppositionellen Haltung darzustellen. So bestritt er ohne erkennbare Probleme sein Entnazifizierungsverfahren. Wie am Ablauf seiner zeitgleichen Emeritierung ersichtlich, nötigten ihn seine Aktivitäten im ,Dritten Reich‘ ebenfalls nicht, sein Ordinariat aufzugeben. Die Provinzialverwaltung bemühte sich im Gegenteil darum, Scheel zur Rücknahme des Gesuches um Emeritierung zu bewegen, und noch bis kurz vor seinem Tod stellte der Emeritus durch erfolgreiche Interventionen in Berufungsverfahren seinen Einfluss auf die Geschicke der Christiana Albertina unter Beweis. Im Kontext Kieler Universitätsgeschichte bestätigt Scheels Beispiel damit die bald nach Kriegsende in Umlauf gekommene Parole und spätere Forschungsthese, auf der Hochschule an der Förde habe man besonders großzügig über etwaige Verstrickungen der NS-Zeit hinweggesehen. Dass er sich trotz vormals radikal anglophober Agitation als Experte in landeshistorischen Fragen für die britische Okkupationsmacht betätigen konnte, legt zudem nahe, bei der Suche nach Erklärungen für jene Kontinuitäten neben den Entlastungsstrategien der Betroffenen Londons Kulturpolitik im besetzten Schleswig-Holstein stärker zu berücksichtigen. Bereitwillige Zusammenarbeit mit den Besatzern und Werbung für deren europäische Vormachtstellung fiel Scheel neben etwaigen Opportunitätserwägungen auch deswegen verhältnismäßig leicht, weil ihm die Hinwendung zu einer neuen Referenzgröße den Abschied von lang gehegten deutschen beziehungsweise germanischen Hegemonialphantasien erleichterte. Bei diesem identifikatorischen Bezugspunkt handelte es sich um den Schleswiger Landesteil, dessen Bevölkerung er im Privaten besondere Resistenz gegen nationale Hybris und braune Sirenenrufe attestierte. Diese Verklärung Schleswigs schlug sich ebenfalls historiographisch nieder. Im überregionalen Wissen-

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schaftsbetrieb aus allen Ämtern geschieden und relativ bedeutungslos geworden, suchte der Emeritus in seinen letzten Schriften systematisch den deutsch-dänischen Gegensatz aus der Geschichte des Landesteils im Allgemeinen sowie der seiner Familie im Speziellen herauszuschreiben. Seiner neuen Lesart folgend war der Nationalitätenkonflikt von außen ins Land hineingetragen worden, dessen Bewohner, seine Vorfahren eingeschlossen, eine schleswigsche Eigenidentität gepflegt hätten. Diese Interpretation jenseits nationaler Kategorien rückte mit dem Landesteil das eigene Herkommen von allen Entgleisungen der deutschen Geschichte ab. Welche Bedeutung die idealisierte Heimatregion als Fluchtpunkt für Scheel besaß, zeigt eine Reihe von Versuchen, zugunsten vermeintlicher Interessen Schleswigs im öffentlichen Raum aktiv zu werden, so etwa im Streit um Verlegung der Christiana Albertina oder im Kampf gegen eine vorgebliche Überfremdung durch Flüchtlinge. Hierbei kam es verschiedentlich zur Zusammenarbeit mit Vertretern der dänischen Minderheit, was dem Gerücht Vorschub leistete, er sei ,übergelaufen‘. Insgesamt betrachtet bietet der Rückzug des Emeritus nach Schleswig damit ein beeindruckendes Beispiel biographischer Rekonstruktion nach 1945. Die Neuerfindung als Schleswiger gab nicht nur die Richtschnur seines historisch-politischen Denkens und Handelns in den verbleibenden Lebensjahren vor, sondern spielte ebenfalls eine entscheidende Rolle für das Bild, welches posthum von Scheel gezeichnet wurde. Dies galt insbesondere für dänische Stimmen. Anders als in der kirchen- wie profanhistorischen Fachwelt, die an seinem Tod weitestgehend notizlos vorüberging, traf die Nachricht in dänisch gesinnten Kreisen auf ein breites Echo. In Nachrufen und später veröffentlichten Lebensskizzen wurde dabei vor allem deswegen auffallend positiv Bilanz gezogen, weil sich die Autoren in erster Linie von Eindrücken aus der Nachkriegszeit leiten ließen. Scheel firmierte dementsprechend nicht als deutscher Grenzkämpfer, sondern als toleranter Schleswiger, den nicht zuletzt seine vermeintliche Unterstützung einer Grenzverschiebung zugunsten Dänemarks nach dem Zweiten Weltkrieg auswies. Letzterer Punkt schied die dänische Memoria scharf von der deutsch gesinnter Kreise. Zwar attestierte man Scheel auch hier großes Verständnis gegenüber dänischen Interessen. Sein nationales, deutsches Bekenntnis durfte deswegen jedoch nicht zur Disposition stehen, weil der zentrale Fokus deutscher Erinnerung auf seinem Engagement im Abstimmungskampf lag. Das wohlwollende Gedenken in beiden nationalen Lagern beruhte folglich auf unterschiedlichen Akzentuierungen, welche Scheel in der nach wie vor nicht abschließend geregelten deutsch-dänischen Frage im jeweils eigenen Interesse vereinnahmten. Dieser Zusammenhang dürfte als Hauptgrund dafür zu nennen sein, warum gerade die auf deutscher Seite anfangs umfängliche Memoria entgegen allen dahingehenden Bekundungen nicht lange überdauern konnte. Mit dem Abtritt der Abstimmungsgeneration und dem beschleunigten Ende fruchtloser nationaler Konfrontation im Zuge der Bonn-Kopenhagener Erklärungen bald nach

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Scheels Tod verlor er als Exponent der vormaligen Ära seine identitätsstiftende Vorbildfunktion. In diesem Sinne kann sein Vergessen dies- und jenseits der Grenze als Wegmarke der deutsch-dänischen Erfolgsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg gewertet werden. Wenn sich in der konträren Memoria auf dänischer und deutscher Seite zudem das Unvermögen ausdrückt, den ,ganzen Scheel‘ einordnen zu können, wirft dies zu guter Letzt ein Schlaglicht darauf, wie schwierig es ist, mit Blick auf seine Person eine Reihe von Widersprüchen aufzulösen. Schreiber von Nachrufen und Gedenkartikeln waren dabei nicht die ersten, welche das Problem durch einseitige Betrachtungsweisen zu umschiffen suchten. Ganz ähnlich verfuhren bereits einige von Scheels Zeitgenossen in der Weimarer Republik, als sich sein Chargieren zwischen Mäßigung und Konfrontation sowohl als Grenz- und Minderheitenpolitiker wie auch als Kirchen- und Landeshistoriker einer in sich schlüssigen Gesamterklärung entzog. Hier saß unter anderem Martin Rade, der bis in den Ersten Weltkrieg hinein zu Scheels Vertrauten gehört hatte, dem Fehler auf, einen Einzelaspekt zum Maßstab des Ganzen zu machen, als er ihm wegen der nationalistischen Vereinnahmung Luthers das Attest ausstellte, doch kein ,feiner Geist‘, sondern lediglich ein ,plumper Geselle‘ zu sein. Mit diesem Urteil wurde Rade seinem einstigen Weggefährten allenfalls in Teilen gerecht und verschloss sich ebenso wie später die Schöpfer von dessen Memoria der Erkenntnis, dass sich nicht zwangsweise alle Facetten eines Individuums zu einem kohärenten Gesamtbild zusammenfügen lassen. Scheels Werdegang und dessen unterschiedliche Deutungsversuche von Seiten Dritter bieten damit in biographietheoretischer Hinsicht ein instruktives Beispiel dafür, dass die retrospektive Betrachtung eines Lebensweges diesen nicht durch Verkürzungen widerspruchsfreier machen sollte, als er tatsächlich gewesen zu sein scheint.

7. Quellen- und Literaturverzeichnis 7.1. Quellen 7.1.1. Ungedruckte Quellen Archiv der deutschen Volksgruppe Nordschleswig, Apenrade N 10 (NL Harboe Kardel). N 22 (NL Rudolf Stehr).

Archiv der Hansestadt Lübeck NL Fritz Rörig. NL Johannes Kretzschmar. Verein für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde.

Archiv der Philosophischen Fakultät an der Universität Kiel Ordner 4b, Ordner 7, Ordner 16.

Archiv der Schleswig-Holsteinischen Universitätsgesellschaft, Kiel Ordner Generalia ab 1939, Ordner VV Belegexemplare SHUG.

Archiv des Vereins für Reformationsgeschichte, Mainz Karton 1.4, Karton 2.2, Karton 2.3, Karton 2.7, Karton 3.2, Karton 4, Karton 5.2, Stehordner ARG III 1940–1941, Stehordner ARG IV 1941–1943.

Bundesarchiv, Koblenz N 1035 (NL Johannes Haller). N 1078 (NL Otto Becker). N 1166 (NL Gerhard Ritter).

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Quellen- und Literaturverzeichnis

N 1179 (NL Hermann Aubin). N 1248 (NL Erich Seeberg).

Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde NS 15 (Der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Führung der NSDAP). NS 22 (Reichsorganisationsleiter der NSDAP). Personendossiers des ehemaligen Berlin Document Center. R 43 I (Reichskanzlei). R 45 II (Deutsche Volkspartei). R 51 (Deutsche Akademie). R 57neu (Deutsches Ausland-Institut). R 153 (Publikationsstelle Dahlem). R 173 (Handwörterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums). R 1501 (Reichsinnenministerium). R 4901 (Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung). R 8043 (Deutsche Stiftung). R 8088 (Reichsverband der Deutschen Hochschulen).

Dansk Centralbibliotek for Sydslesvig, Flensburg P 29 (NL Jacob Kronika). P 122 (NL Poul Kürstein).

Det Kongelige Bibliotek, Kopenhagen NKS 2574 (NL Carl Roos). NKS 4630 (NL Karl Larsen).

Familienalbum von Otto Scheels Mutter und Stammtafeln, beides in Privatbesitz Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium). I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern). VI. HA, NL C. H. Becker. VI. HA, NL Friedrich Althoff.

Quellen

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Hauptstaatsarchiv Stuttgart E 14 Bü 1608 (Königliches Kabinett II, Departement des Kirchen- und Schulwesens, Universität: Lehrer).

Institut für neutestamentliche Textforschung, Münster NL Hans Lietzmann.

Landesarchiv Schleswig-Holstein, Schleswig Abt. 47 (Christian-Albrechts-Universität Kiel). Abt. 301 (Oberpräsidium). Abt. 309 (Regierung zu Schleswig). Abt. 371 (Provinzialverband der Provinz Schleswig-Holstein). Abt. 397 (Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte). Abt. 399.1 (NL Thomas O. Achelis). Abt. 399.67 (NL Otto Scheel). Abt. 399.70 (NL Anton Schifferer). Abt. 399.71 (NL Johannes Schmidt-Wodder). Abt. 399.77 (NL Friedrich Pauly). Abt. 399.96 (NL Gottfried E. Hoffmann). Abt. 399.99 (NL Otto Kähler). Abt. 399.110 (NL Alexander Scharff). Abt. 399.170 (NL August W. Fehling). Abt. 417 (Schleswig-Holsteiner-Bund). Abt. 460 (Entnazifizierungsakten). Abt. 811 (Kultusministerium).

Landeskirchliches Archiv Stuttgart A 26 (Allgemeine Kirchenakten). A 127 (Personalakten).

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Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin Gesandtschaft Kopenhagen. R 60275, R 60281, R 61308–61309, R 64334, R 64394 m, R 66808 (Kulturpolitische Abteilung). R 60351–60352, R 60381–60383, R 60385, R 65188–65189 (Kulturabteilung). R 81200–81201 (Politische Abteilung).

Rigsarkivet, Kopenhagen H ndskriftsamlingen XVI, Auswärtiges Amt. Nr. 5135 (NL Werner Best). Nr. 5424 (NL Aage Friis). Nr. 6813 (NL Vilhelm la Cour). Nr. 7256 (NL Gudmund Hatt). Rigspolitichefen, Tilsynet med Udlændige.

Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek, Kiel Ca (Autographen). Cb 39 (NL Volquart Pauls). Cb 70 (NL Karl Alnor). Cb 92 (NL Hans Friedrich Blunck). Cc 19 (NL Ludwig Ahlmann). Cf 3 (NL Paul Selk).

Staatsarchiv Hamburg 361–6 (Hochschulwesen, Dozenten- und Personalakten). 622–2/44 (NL Hans Nirrnheim).

Quellen

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz NL Adolf von Harnack. NL Hans von Schubert.

Stadtarchiv Flensburg XII Hs, Nr. 1511 (NL Fritz Hähnsen). XII Hs, Nr. 1766 (NL Ernst Schöder). XII St.T (Handschriften/Stammtafeln). XII V UG (Universitätsgesellschaft, Sektion Flensburg).

Stadtarchiv Tübingen A 150 (Flattich-Registratur).

The National Archives, Kew FO 1049 (Control Office for Germany and Austria and Foreign Office: Control Commission for Germany).

Universitätsarchiv Erlangen G1/30 (NL Paul Althaus).

Universitätsarchiv Halle Rep. 39 (Exmatrikel).

Universitätsarchiv Leipzig NL Hermann Mulert.

Universitätsarchiv Tübingen 47 (Großer Senat, Protokolle).

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51 (Akademisches Rektoramt, Hörerlisten). 119 (Kanzler II). 126 (Akademisches Rektoramt, Personalakten des Lehrkörpers I). 131 (Philosophische Fakultät IV). 132 (Selekt Doktor- und Lizentiatendiplome I). 162 (Evangelisch-theologische Fakultät IV).

Universitätsbibliothek Halle Yi 19 (NL Friedrich Loofs). Yi 33 (NL Hermann Gunkel).

Universitätsbibliothek Kiel Cod. MS. K.B. (Übrige Kieler Handschriften).

Universitätsbibliothek Marburg Ms. 695 (NL Adolf Jülicher). Ms. 839 (NL Martin Rade).

Verlagsarchiv J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen Karton 139, Karton 161, Karton 202, Karton 204, Karton 271, Karton 315, Karton 360, Karton 366, Karton 379, Karton 394, Karton 400, Karton 414, Karton 419, Karton 431, Karton 438, Karton 453, Karton 479, Karton 495, Karton Diverses RGG1.

7.1.2. Gedruckte Quellen Zeitungsartikel sind zugunsten einer besseren Übersicht im Folgenden nicht einzeln aufgeführt, sondern lediglich die Namen der Blätter, aus denen Beiträge Verwendung gefunden haben. Achelis, Thomas O.: Jörgen Otto Einar Emmanuel Scheel, in: Gesellschaft für SchleswigHolsteinische Geschichte (Hg.): Schleswig-Holsteinische Biographien. Vorarbeiten zum Schleswig-Holsteinischen Biographischen Lexikon. Neumünster 1962, 91–96. –: Otto Scheel und Nordschleswig, in: Deutscher Volkskalender Nordschleswig, Jg. 1956, 24–37. –: Otto Scheel und Nordschleswig, in: Die Heimat 67 (1960), 46–56. –: Zum Gedenken an Professor D. Dr. Otto Scheel, in: Die Heimat 71 (1964), 356–357.

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Literatur

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Wilde, Lutz: Bomber gegen Lübeck. Eine Dokumentation der Zerstörungen in Lübecks Altstadt beim Luftangriff im März 1942. Lübeck 1999. Winkler, Heinrich A.: Der lange Weg nach Westen, Bd. 1: Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik. München 42002. Winkelbauer, Thomas: Plutarch, Sueton und die Folgen. Konturen und Konjunkturen der historischen Biographie, in: Ders. (Hg.): Vom Lebenslauf zur Biographie. Geschichte, Quellen und Probleme der historischen Biographik und Autobiographik. Waidhofen 2000, 9–46. Witt, Jann M.: Früh- und Hochmittelalter – Die Entstehung Schleswig-Holsteins, in: Witt, Jann M. / Vosgerau, Heiko (Hg.): Schleswig-Holstein von den Ursprüngen bis zur Gegenwart. Eine Landesgeschichte. Hamburg 2002, 71–110. Wçllhaf, Jörg: Jomsburg – Völker und Staaten im Osten und Norden Europas, in: Fahlbusch, Michael / Haar, Ingo (Hg.): Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen. München 2008, 307–312. Wolfes, Matthias: Liberale Theologie, II. Kirchengeschichtlich, in: RGG4, Bd. 5. Tübingen 2008. W rffel, Reinhard: Lexikon deutscher Verlage. 1071 Verlage von A–Z von 1545–1945 und 2800 Signete. Berlin 2000. Wulf, Peter: Revolution, schwache Demokratie und Sieg in der „Nordmark“ – SchleswigHolstein in der Zeit der Weimarer Republik, in: Lange, Ulrich (Hg.): Geschichte Schleswig-Holsteins. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Neumünster 1996, 513–552. –: Zustimmung, Mitmachen, Verfolgung und Widerstand – Schleswig-Holstein in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Lange, Ulrich (Hg.): Geschichte Schleswig-Holsteins. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Neumünster 1996, 553–589. Xylander, Maren von: Flüchtlinge im Armenhaus. Studien zu Schleswig-Holstein 1945–1948. Neumünster 2010. Zapf, Jürgen: Flugplätze der Luftwaffe 1934–45 und was davon übrig blieb, Bd. 6. Zweibrücken 2008. zur M hlen, Karl-Heinz: Zur Erforschung des „jungen Luther“ seit 1876, in: LuJ 50 (1983), 48–125. Zwicker, Stefan: „Nationale Märtyrer“. Albert Leo Schlageter und Julius Fucˇ k. Heldenkult, Propaganda und Erinnerungskultur (Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart). Paderborn 2006.

8. Ergänzungen zur Bibliographie Otto Scheels Das nachstehende Publikationsverzeichnis vervollständigt die von Rudolf Bülck angefertigte Scheel-Bibliographie. Scheel, Otto: Das Siebengestirn der schleswigschen Ständeversammlung, in: N.N. (Hg.): Rastloses Schaffen. Festschrift für Dr. Friedrich Lammert. Stuttgart 1954, 140–149. Scheel, Otto: Die neuen Ausgrabungen in Haithabu, in: Forschungen und Fortschritte 7 (1931), 222–223. Scheel, Otto: Dr. Siebeck †, in: TüC, 25. 11. 1920. Scheel, Otto: Eine Fehldeutung und Legende aus dem beginnenden Nationalitätenkampf im Herzogtum Schleswig, in: Martin Göhring / Alexander Scharff (Hg.): Geschichtliche Kräfte und Entscheidungen. Festschrift zum 65. Geburtstage von Otto Becker. Wiesbaden 1954, 99–149. Scheel, Otto: Pietismus, Christiansfeld und Dalbyhof (I), in: Schriften des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte, 2. Reihe, 11 (1952), 199–227. Scheel, Otto: Pietismus, Christiansfeld und Dalbyhof (II), in: Schriften des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte, 2. Reihe, 12 (1954), 59–82. Scheel, Otto: Tondern zwischen Wiking- und Hansezeit, in: Hansische Geschichtsblätter 71 (1952), 77–83. Scheel, Otto: Tondern zwischen Wiking- und Hansezeit. Tondern 1952. Scheel, Otto: Vom spätmittelalterlichen zum modernen Staat, in: Arbeitsamt der FichteGesellschaft (Hg.): Volkstum und Staat. Die Verhandlungen der ersten Tagung für deutsche Nationalerziehung veranstaltet von der Fichte-Gesellschaft in Hamburg vom 3. bis 5. Oktober 1924. Hamburg 1924, 10–14.

Der von Rudolf Bülck für das Jahr 1900 verzeichnete Aufsatz „Verwendung der Hauptreformationsschriften Luthers in dem Unterrichte höherer Schulen“ stammt nicht aus der Feder Otto Scheels.

9. Abkürzungsverzeichnis ADAP ADVN AHL APFK ARG ASHUG AVRG BArch BBKL BHE BHF BK BT CCW ChW DCfS DKB DLZ DN DNSL DNZ DSL DWI FKSt FLN FLT GDN GSHG GStA PK GV GWU HGV HStAS HZ IfNTT IVL KB KiZ

Akten zur deutschen auswärtigen Politik Archiv der deutschen Volksgruppe Nordschleswig Archiv der Hansestadt Lübeck Archiv der Philosophischen Fakultät der Universität Kiel Archiv für Reformationsgeschichte Archiv der Schleswig-Holsteinischen Universitätsgesellschaft Archiv des Vereins für Reformationsgeschichte Bundesarchiv Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten Baltisches Historisches Forschungsinstitut Baltische Kommission Berlingske Tidende Chronik der Christlichen Welt Die Christliche Welt Dansk Centralbibliotek for Sydslesvig Det Kongelige Bibliotek Deutsche Literaturzeitung Der Norden Der Nordschleswiger Deutsch-Nordische Zeitschrift Der Schleswiger Deutsches Wissenschaftliches Institut Freie Kieler Studentenschaft Flensburger Nachrichten Flensburger Tageblatt Gutsarchiv Deutsch-Nienhof Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Grænsevagten Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Hansischer Geschichtsverein Hauptstaatsarchiv Stuttgart Historische Zeitschrift Institut für neutestamentliche Textforschung Institut für Volks- und Landesforschung Kieler Blätter Kieler Zeitung

368 KN KNN LAfS LASH LkAS LuJ NG NL NOFG NR NSDStB PAAA RA RGG SH SHB SHBl SHG SHHBl SHLB SHUG SHZ SLN StAFL StAHH StAOL StATÜ StBB SUBG SøA TüC ThLZ ThR TRE UAH UAL UAT UBH UBK UBM VDH VMS VRG VSHKG

9. Abkürzungsverzeichnis

Kieler Nachrichten Kieler Neueste Nachrichten Landsarkivet for Sønderjylland Landesarchiv Schleswig-Holstein Landeskirchliches Archiv Stuttgart Lutherjahrbuch Nordische Gesellschaft Nachlass Nordostdeutsche / Nord- und ostdeutsche Forschungsgemeinschaft Nordische Rundschau Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Rigsarkivet Die Religion in Geschichte und Gegenwart Der Schleswigholsteiner / Schleswig-Holsteiner Schleswig-Holsteiner-Bund Schleswig-Holstein-Block Schleswig-Holsteinische Gemeinschaft Schleswig-Holsteinische Hochschulblätter Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Schleswig-Holsteinische Universitätsgesellschaft Südschleswigsche Heimatzeitung Schleswiger Nachrichten Stadtarchiv Flensburg Staatsarchiv Hamburg Staatsarchiv Oldenburg Stadtarchiv Tübingen Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Sønderjydske Aarbøger Tübinger Chronik Theologische Literaturzeitung Theologische Rundschau Theologische Realenzyklopädie Universitätsarchiv Halle Universitätsarchiv Leipzig Universitätsarchiv Tübingen Universitätsbibliothek Halle Universitätsbibliothek Kiel Universitätsbibliothek Marburg Verband deutscher Hochschulen Verlagsarchiv J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Verein für Reformationsgeschichte Verein für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte

9. Abkürzungsverzeichnis

ZfG ZKG ZSHG ZThK

369

Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte Zeitschrift für Theologie und Kirche

10. Personenregister / Biogramme Auf kursiv gesetzten Seiten ist die jeweilige Person nur im Anmerkungsapparat erwähnt. Aall, Herman Harris 247 * 22. 9. 1871 Nesseby (Finnmark), † 27. 12. 1957 Jurist und Rechtsphilosoph, 1900 Staatsexamen, 1913 Promotion, 1933 Eintritt in die neu gegründete faschistische norwegische Partei Nasjonal Samling, 1947 Verurteilung zu 15 Jahren Haft wegen Kollaboration während der deutschen Besatzungszeit 1940–1945. Achelis, Thomas Otto 261–263, 267, 271, 276 f., 281, 287, 289, 307–309 * 23. 12. 1887 Bremen, † 14. 7. 1967 Kiel Lehrer und Historiker, 1913 Promotion in Jena, Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg, nach Verwundung 1916–1924 Studienrat am deutschen Gymnasium in Hadersleben, 1935 Übersiedlung nach Rendsburg, Lehrer an der dortigen Herderschule. Alnor, Karl 141, 146–148, 150, 186 *7. 2. 1891 Kiel, † 8. 6. 1940 Frankreich (gefallen) Lehrer, Historiker und politischer Schriftsteller; 1914 Promotion, Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg, 1919–1933 Lehrer, Mitherausgeber des „Handbuches zur Schleswigschen Frage“, 1933 Professur für Deutsche Geschichte, Methodik des Geschichtsunterrichts und Grenzlandkunde an der Kieler Hochschule für Lehrerbildung. Althaus, Paul 63, 210 * 4.2.1888 Obershagen (Celle), † 18.5.1966 Erlangen Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 20. Barge, Hermann 64–66 * 2. 6. 1870 Leipzig, † 1941 Lehrer und Kirchenhistoriker, Oberstudiendirektor und Professur für Theologie in Leipzig. Baumgarten, Otto 42 f., 45, 47–53, 55 f., 59, 62, 72, 79–81, 90, 99, 161 f., 311 * 29. 1. 1858 München, † 21. 3. 1934 Kiel Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 30. Becker, Otto 185–187, 202, 218, 220, 224 f., 231, 236, 248, 261 f., 267, 269, 281, 285, 289–292 * 17. 7. 1885 Malchow (Mecklenburg), † 17. 5. 1955 Kiel 1912–1914 Lektor an der Kaiserlichen Staatshochschule Okayama (Japan), während des Ersten Weltkrieges in japanischer Kriegsgefangenschaft, 1920 Privatsekretär Carl Friedrich von Siemens’, 1920–1927 Geschäftsführer des Stifterverbandes der deutschen Wissenschaft, 1931–1953 Professur für Neuere Geschichte an der Universität Kiel. Bess, Bernhard 99 * 19. 5. 1863 Nentershausen, † 13. 12. 1939 Berlin Bibliothekar und Kirchenhistoriker, 1890 Habilitation in Marburg, seit 1891 Mitherausgeber der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“, 1902 Bibliothekar in Halle, 1910 Bibliothekar an der Staatsbibliothek Berlin.

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10. Personenregister / Biogramme

Best, Werner 243, 253 * 10. 7. 1903 Darmstadt, † 23. 6. 1989 Mülheim an der Ruhr Politiker, Jurastudium, 1929 Gerichtsassessor, 1930 Eintritt in die NSDAP, 1931 Eintritt in die SS, ab 1933 in diversen Funktionen am Aufbau des NS-Polizeiapparates beteiligt, 1942–1945 Reichsbevollmächtigter im besetzten Dänemark, 1945 Verhaftung in Dänemark, Prozess und Inhaftierung bis 1951, danach Abschiebung in die BRD, dort energischer Einsatz für eine Generalamnestie aller NS-Täter. Beyschlag, Willibald 39 f. * 5. 9. 1823 Frankfurt am Main, † 25. 10. 1900 Halle/Saale 1856 Hofprediger in Karlsruhe, 1860 Professur in Halle, Mitbegründer der „Evangelischen Blätter“ und des Evangelischen Bundes. Bornkamm, Heinrich 211 f., 215, 259, 286–288 * 26. 6. 1901 Wuitz, † 21. 7. 1977 Heidelberg Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 42. Brandt, Otto 117 f., 121, 137, 141–143, 147, 185 * 26. 8. 1892 Heidelberg, † 16. 1. 1935 Erlangen Landeshistoriker, 1919 Habilitation in Kiel, 1920 Privatdozent ebenda, 1928 Ordinarius in Erlangen, 1931 Mitglied der Königlich Dänischen Akademie für vaterländische Geschichte und Sprache. Brieger, Theodor 90 * 4. 6. 1842 Greifswald, † 9. 6. 1915 Leipzig 1868 Hilfsgeistlicher auf Rügen, 1876 Professur in Halle, Mitgründer und Mitherausgeber der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ sowie der „Beiträge zur sächsischen Kirchengeschichte“. Churchill, Winston 218 * 30. 11. 1874 Woodstock (England), † 24. 1. 1965 London Politiker, 1893–1900 Soldat und Kriegsberichterstatter, 1900 Wahl ins Unterhaus, ab 1905 verschiedene Ministerämter in mehreren Kabinetten, u. a. 1911–1915 sowie 1939–1940 Marineminister, 1940–1945 sowie 1951–1955 Premierminister, 1953 Nobelpreis für Literatur. Christian X. 232 * 26. 9. 1870 Schloss Charlottenlund, † 20. 4. 1947 Kopenhagen 1912–1947 König von Dänemark. Christiansen, Theo 273, 307 f. * 3. 6. 1909 Berlin, † 31. 7. 2000 Schleswig Historiker, 1937 Promotion, 1938 wissenschaftlicher Angestellter der Stadt Schleswig, 1944–1950 in russischer Kriegsgefangenschaft, danach Wiedereinstieg in den kommunalen Dienst der Stadt Schleswig, unter anderem als Chef der Kulturverwaltung und Leiter des Städtischen Museums. Clausen, Hermann 273, 276, 281 * 24. 7. 1885 Eggebek, † 12. 4. 1962 Schleswig Politiker, ab 1920 Stadtverordneter, Stadtrat und Mitglied des Magistrats der Stadt Schleswig, 1945–1948 zunächst ernannter, dann gewählter Bürgermeister von Schleswig, 1948 Wechsel von der SPD zum SSW (politische Plattform der dänischen Minderheit in Deutschland), 1950–1955 SSW-Vorsitzender.

10. Personenregister / Biogramme

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Dahlmann, Friedrich Christoph 142 f., 186, 191 f., 195 f., 255 * 13. 5. 1785 Wismar, † 5. 12. 1860 Bonn Historiker und Politiker, 1810 Promotion, 1811 Habilitation, 1812 Professur in Kiel, 1829 Professur in Göttingen, 1837 Amtsenthebung und Verbannung als Mitglied der Göttinger Sieben, 1842 Professur in Bonn, 1848/1849 Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung und dort Mitglied des Verfassungsausschusses. Delbr ck, Hans 81 * 11. 11. 1848 Bergen auf Rügen, † 14. 7. 1929 Berlin Historiker und Politiker, 1874–1879 Erzieher des Sohns von Kronprinz Friedrich Wilhelm, 1896 Nachfolger auf Treitschkes Lehrstuhl, 1882–1885 freikonservatives Mitglied im Preußischen Abgeordnetenhaus sowie 1884–1890 Mitglied des Reichstages, zusammen mit Treitschke Herausgeber der „Preußischen Jahrbücher“. Denifle, Heinrich 54, 72–77, 93, 99 * 16. 1. 1846 Imst (Tirol), † 10. 6. 1905 München Dominikaner und Kirchenhistoriker, 1861 Eintritt in den Dominikanerorden, Dozent im Hausstudium Graz, 1893 Unterarchivar im päpstlichen Archiv, Mitgründer des „Archivs für Literatur- und Kirchengeschichte des Mittelalters“. Domes, (Al)fred 197, 231, 233, 239, 242 * 29. 4. 1901 Troppau, Österreich-Ungarn, † 11. 5. 1984 Bonn Publizist, Studium der Germanistik und Kunstgeschichte in Wien, Kopenhagen und Kiel, 1927/1928 Dozent an der der Universität Kiel, 1928 Leiter der Kulturabteilung im Reichskontor der Nordischen Gesellschaft, 1931 Lektor an der Universität Aarhus, 1940 Blockleiter der Ortsgruppe Kopenhagen der NSDAP/AO, 1941–1943 Direktor des DWI Kopenhagen. Erzberger, Matthias 108 * 20. 9. 1875 Buttenhausen, † 26. 8. 1921 Bad Grießbach Politiker, 1899 Mitbegründer der christlichen Gewerkschaft in Mainz, 1903–1918 Reichstagsmitglied des Zentrums, 1918 Bevollmächtigter der Reichsregierung und Leiter der Waffenstillstandskommission, Unterzeichner des Waffenstillstandes von Compi gne, 1919 Reichsfinanzminister und Vizekanzler, 1921 von der Organisation Consul ermordet. Eucken, Rudolf 159, 162 * 5. 1. 1846 Aurich, † 15. 9. 1926 Jena Lehrer in Husum, Berlin und Frankfurt a.M., Ordinarius der Philosophie und Pädagogik in Basel, 1874–1920 Professur in Jena, Mitglied der schwedischen Akademie der Wissenschaften, 1908 Nobelpreis für Literatur, regte die Gründung der Luthergesellschaft 1918 in Wittenberg an. Fraenkel, Eduard 122 * 17. 3. 1888 Berlin, † 5. 10. 1970 Oxford Altphilologe, 1912 Promotion, 1920 außerplanmäßiger Professur für Klassische Philologie in Berlin, ab 1923 Ordinarius in Kiel, 1934 Emigration nach England, 1935–1953 Professur in Oxford, Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Ehrendoktor der Freien Universität Berlin. Frick, Wilhelm 173 * 12. 3. 1877 Alsenz, † 16. 10. 1946 Nürnberg

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10. Personenregister / Biogramme

Politiker, 1897–1900 Jurastudium, ab 1900 bayerischer Staatsdienst, 1923 Beteiligung am Hitler-Putsch, 1925 Eintritt in die NSDAP, 1930 als Staatsminister für Inneres und Volksbildung im Land Thüringen erster NSDAP-Minister, 1933–1943 Reichsminister des Innern, 1946 Verurteilung zum Tode im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess und Hinrichtung. Friis, Aage 128, 133, 135, 142–145, 147, 177, 203 f., 212, 237, 304 f. * 16. 8. 1870 Halskov, † 5. 10. 1949 Hellerup Historiker und Politiker, 1913–1935 Professur für Geschichte an der Universität Kopenhagen, 1932/33 Rektor ebenda, Mitbegründer der Partei Det Radikale Venstre, Berater des dänischen Außenministeriums in der Nordschleswig-Frage. Gayk, Andreas 273 * 11. 10. 1893 Gaarden bei Kiel, † 1. 10. 1954 Kiel Politiker, 1911 Eintritt in die SPD, Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1919 Mitglied des Kieler Arbeiter- und Soldatenrates, 1927 Stadtverordneter in Kiel, 1950–1954 Kieler Oberbürgermeister. Grisar, Hartmann 75–78, 93, 99 * 22. 9. 1845 Koblenz, † 25. 2. 1932 Innsbruck Jesuit und Kirchenhistoriker 1868 Priesterweihe und Eintritt in den Jesuitenorden, 1871 Professur in Innsbruck, umfangreiche Forschungsaufenthalte in Rom und Deutschland, 1925 Jesuitenkolleg Innsbruck, Mitbegründer der „Zeitschrift für Katholische Theologie“. Gunkel, Hermann 68, 72 * 23. 5. 1862 Springe, † 11. 3. 1932 Halle/Saale Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 94. Haller, Johannes 81 f., 89, 179, 201 * 16. 10. 1865 Keinis auf Dagö (Russisch Estland), † 24. 12. 1947 Tübingen Historiker, 1891 Promotion, 1892–1897 am Deutschen Historischen Institut in Rom, 1902 Professur in Marburg, 1904 Direktor des Archäologischen Instituts, Professuren in Gießen und Tübingen, Hauptwerk „Epochen der deutschen Geschichte“. Hanssen, Hans Peter 147 * 21. 2. 1862 Nørremølle bei Satrup im Sundewitt, † 27. 5. 1936 Apenrade Politiker und Journalist, 1888 Sekretär des Nordschleswigschen Wählervereins, 1896 Redakteur der Zeitung „Hejmdal“, 1896–1908 Abgeordneter der dänischen Minderheit im Preußischen Landtag, 1906–1919 Abgeordneter der dänischen Minderheit im Reichstag, 1919–1920 Mitglied der dänischen Regierung, 1924–1926 Abgeordneter im Folketing. Harnack, Adolf von 56, 72, 161, 164 f. * 7. 5. 1851 Dorpat (Livland), † 10. 6. 1930 Heidelberg Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 99 f. Haseloff, Arthur 122 * 28. 11. 1872 Berlin, † 30. 1. 1955 Kiel Kunsthistoriker, 1905–1915 Sekretär der kunstgeschichtlichen Abteilung des Preußischen Historischen Instituts in Rom, Dozent in Halle und Berlin, ab 1920 Professur für Kunstgeschichte in Kiel und Direktor der Kieler Kunsthalle, Vorsitzender des Schleswig-Holsteinischen Kunstvereins, 1927/28 Rektor der Universität Kiel, 1932 bis 1934

10. Personenregister / Biogramme

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kommissarischer Direktor des Kunsthistorischen Instituts in Florenz, bis 1955 Dozent in Kiel. Hatt, Gudmund 238–241, 304 * 31. 10. 1884 Vildbjerg, † 27. 1. 1960 Frederiksberg Archäologe und Kulturgeograph, 1914 Promotion, 1919 Unterinspektor am Nationalmuseum Kopenhagen, 1929–1945 Professur für Kulturgeographie an der Universität Kopenhagen, nach Kriegsende Entzug des Lehrstuhls wegen Kollaboration während der deutschen Besatzungszeit 1940–1945. Haupt, Karl Friedrich Erich 39 f. * 8. 7. 1841 Stralsund, † 19. 2. 1910 Halle/Saale Theologe, 1861 Gymnasiallehrer, 1878 ordentliche Professur an der Universität Kiel, 1888 Rektor in Greifswald, 1902 Rektor in Halle, Mitglied der Generalsynode der evangelischen Landeskirche in Preußen, Vorsitzender des „Gustav-Adolf-Vereins“ in der Kirchenprovinz Sachsen, Vorstandsmitglied des Evangelischer Bundes, Herausgeber der ”Deutsch-evangelischen Blätter“. Hedemann-Heespen, Paul von 117 f., 121, 141–143 * 8. 2. 1869 Gut Deutsch-Nienhof bei Kiel, † 22. 2. 1937 ebenda Landeshistoriker, Fideikommissherr auf Deutsch Nienhof und Pohlsee, 1908 erster Vorsitzender des Schleswig-Holsteinischen Vereins für Heimatschutz, Mitbegründer der Zeitschrift „Nordelbingen“, 1926 Veröffentlichung seines Hauptwerkes „Die Herzogtümer Schleswig-Holstein und die Neuzeit“, 1927 Mitglied der Königlich dänischen Gesellschaft für vaterländische Gesellschaft und Sprache. Hermelink, Heinrich August 210 * 30. 12. 1877 Mulki bei Bangalore, † 11. 2. 1958 München Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 108. Heydorn, Heinrich Wilhelm Karl Eduard 59 * 4. 9. 1873 Neustadt in Holstein, † 27. 12. 1958 Hamburg Geistlicher, 1898–1902 Militärdienst, 1905 Ordination zum Pfarrer in Schönkirchen/ Holstein, 1913 Eintritt in den Monistenbund, 1921 Amtsenthebung, nach weiteren Studien in Hamburg Arbeit als Heilpraktiker und Hilfslehrer. Heymann, Berthold 103, 105 * 28. 2. 1870 Posen, † 6. 9. 1939 Zürich SPD-Politiker, 1897 Journalist, 1901–1919 Chefredakteur des SPD-Wochenblattes „Der Wahre Jacob“, 1903 bis 1908 Parteivorsitzender der SPD Stuttgart, 1918 verschiedene Ministerposten in der württembergischen Regierung, bis 1933 Abgeordneter der SPD im württembergischen Landtag und Mitglied des württembergischen Staatsgerichtshofes, nach der Machtergreifung Emigration in die Schweiz. Hindenburg, Paul von 143 f., 172, 300 * 2. 10. 1847 Posen, † 2. 8. 1934 Gut Neudeck (Ostpreußen) Militär und Politiker, ab 1859 Offizierskarriere in der preußischen Armee, 1911 Pensionierung im Generalrang, 1914 Reaktivierung nach Kriegsausbruch, 1916 Übernahme der Obersten Heeresleitung zusammen mit Erich Ludendorff, 1919 erneuter Ruhestand, 1925–1934 Reichspräsident. Hitler, Adolf 11, 179, 181, 204, 218, 227, 263, 286, 304, 317, 321 * 20. 4. 1889 Braunau am Inn, † 30. 4. 1945 Berlin

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10. Personenregister / Biogramme

Politiker, 1914–1918 Militärdienst, 1919 Eintritt in die spätere NSDAP, 1923 gescheiterter Putsch-Versuch gegen die Weimarer Republik, 1923–1924 Inhaftierung, 1933 Ernennung zum Reichskanzler und Errichtung der NS-Diktatur, 1934 „Führer und Reichskanzler“ nach Tod des Reichspräsidenten von Hindenburg, Suizid bei Ende des Zweiten Weltkriegs. Hoevermann, Otto 285 * 11. 11. 1888 Bonn, † 13. 12. 1953 Rengsdorf/Neuwied Jurist und Politiker, 1920 Landrat des saarländischen Restkreises St. Wendel-Baumholder, 1933 Amtsenthebung, 1939 Leiter der Allgemeinen Abteilung im schleswig-holsteinischen Oberpräsidium, Mai 1945 Ernennung zum kommissarischen Oberpräsidenten Schleswig-Holsteins durch die britische Besatzungsmacht, November 1945 Absetzung, 1946 Pensionierung. Holl, Karl 56, 62, 72, 162 f., 165, 167 * 15. 5. 1866 Tübingen, † 23. 5. 1926 Berlin Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 114. Hunzinger, August Reinhold Emil Wilhelm 73 f. * 27. 3. 1871 Dreilützow, † 13. 11. 1920 Hamburg Theologe, 1900 Hilfsprediger am Güstrower Dom, 1901 Hilfsgeistlicher für die innere Mission in Rostock, 1907 außerordentliche Professur der Theologie an der Universität Leipzig, 1909 ordentliche Professur an der Universität Erlangen, 1911 Hauptpastor an der St. Michaeliskirche in Hamburg. Jacob, Georg 117 f., 120 f. * 26. 5. 1862 Königsberg, † 4. 7. 1937 Begründer der modernen Turkologie in Deutschland, 1911 Lehrstuhl für Orientalistik an der Universität Kiel, 1922/23 Rektor ebenda, Übersetzer und Herausgeber moderner türkischer Literatur wie der „Türkischen Bibliothek“. Jacoby, Felix 122 * 19. 3. 1876 Magdeburg, † 10. 11. 1959 Berlin Altphilologe, 1900 Promotion, 1903 Privatdozent in Breslau, 1906 außerordentliche Professur in Kiel, 1907 Ordinarius für Klassische Philologie in Kiel, ab 1920 Herausgabe von ”Die Fragmente der griechischen Historiker”, 1934 Beurlaubung und anschließend Emeritierung, 1939 Emigration nach England, nach dem Krieg Ehrendoktor der Universität Kiel. Jankuhn, Herbert 257, 290 * 8. 8. 1905 Angerburg, Ostpreußen, † 30. 4. 1990 Göttingen Prähistoriker, 1931 Promotion in Berlin, ab 1931 Leitung der Grabungen in Haithabu im Auftrag des Kieler Museums vaterländischer Alterthümer [sic!], 1935 Habilitation, Dozentenstelle für Europäische Vorgeschichte an der Universität Kiel, 1937 Eintritt in die SS, 1938 Mitglied des SS-Ahnenerbe, 1938–1944 Direktor des Kieler Museums vorgeschichtlicher Altertümer, 1945 Verhaftung, 1948 Haftentlassung. Jatho, Carl Wilhelm 71 f., 312 * 25. 9. 1851 Kassel, † 1. 3. 1913 Köln Geistlicher, 1874 Religionslehrer in Aachen, 1876 Pfarrer der evangelischen Gemeinde in Bukarest, 1891 Pfarrer der Christuskirche in Köln, Pantheismus-Vorwürfe, 1911 Amtsenthebung und Ruhestand.

10. Personenregister / Biogramme

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Jessen, Tage 280, 301–304 * 5. 9. 1898, † 22. 8. 1975 Redakteur und Politiker, Jurastudium in Kopenhagen, Redakteur der ”Flensborg Avis”, 1930 Vorsitzender der Flensburger Abteilung des Schleswigschen Vereins (kultureller Dachverband der dänischen Minderheit in Deutschland), 1940–1945 Mitglied im Gemeinschaftsrat des Südschleswigschen Vereins, nach dem Zweiten Weltkrieg Chefredakteur der ”Südschleswigschen Heimatzeitung”. Johannsen, Hans Peter 280, 289, 297, 301 * 22. 6. 1908 Tingleff, Nordschleswig, † 19. 3. 1981 Kollund, Dänemark Bibliothekar, Autor und Politiker, 1932 Promotion, 1934 Leitung der Zentrale der deutschen Nordmarkbüchereien und der Städtischen Öffentlichen Bücherei Flensburg, 1950 Mitbegründer des Grenzfriedensbundes, 1953–1961 Schriftleiter der „Grenzfriedenshefte“, 1961–1977 Vorsitzender des Grenzfriedensbundes. Jordan, Karl 264, 290 * 26. 7. 1907 Cottbus, † 27. 2. 1984 Kiel Historiker, 1930 Promotion in Göttingen, 1932–1939 Mitarbeiter der Monumenta Germaniae Historica; 1938 Habilitation in Halle, 1941 außerordentliche Professur, ab 1943 ordentliche Professur für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Kiel, 1975 Emeritierung. J licher, Adolf 72, 164 * 26.1.1857 Falkenberg bei Berlin, † 2.8.1938 Marburg Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 125. Kaftan, Theodor Christian Heinrich 49 f., 59 * 18.3.1847 Loit bei Apenrade, † 26.11.1932 Baden-Baden Theologe, 1873–1880 Pastor der dänischen Kirchengemeinde in Apenrade, Regierungsund Schulrat in Schleswig, Propst in Tondern, 1886 Generalsuperintendent für Schleswig, 1917 als Emeritus Pfarrer der ev.-luth. Kirchengemeinde Baden-Baden. K hler, Karl Martin August 40 f., 287 * 6.1.1835 Neuhausen bei Königsberg, † 7.9.1912 Freudenstadt Theologe, Mitgründer und erster Studieninspektor des Schlesischen Konvikts, Extraordinarius in Bonn und Halle, 1878 ordentlicher Lehrstuhl für Systematische Theologie und Neues Testament in Halle, Lehrer Karl Barths. Kamphçvener, Morten 281, 297, 301–303 * 6. 9. 1889 Stepping, Nordschleswig, † 8. 8. 1982 Redakteur, Mitarbeiter bei einer Anzahl nordschleswigscher dänischer Zeitungen, ab 1929 bei der Jydske Tidende, dort 1936–1945 Nordschleswig-Spezialist, 1945–1961 politischer Redakteur. Kardel, Harboe 129, 308 f. * 25. 11. 1893 Nortorf, † 6. 11.1982 Apenrade Lehrer, Publizist und Politiker, Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg, 1926 Promotion, 1927–1929 Leiter der Tageszeitung „Neue Tondernsche Zeitung“ (Tondern), 1934 Chefredakteur der „Nordschleswigschen Zeitung“ (Apenrade), Ortsgruppenleiter der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei Nordschleswig (NSDAP-N), nach Ende des Zweiten Weltkriegs Internierung, anschließend Lehrer. Kattenbusch, Ferdinand Friedrich Wilhelm 45 * 3.10.1851 Kettwig/Ruhr, † 28.12.1935 Halle/Saale

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10. Personenregister / Biogramme

Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 131. Kautzsch, Emil Friedrich 39 * 4. 9.1841 Plauen, † 7.5.1910 Halle/Saale Theologe, 1871 Ordinarius in Basel, 1888–1908 Inhaber des Lehrstuhl für Altes Testament in Halle, Gründer des interkonfessionellen Deutschen Vereins zur Erforschung Palästinas, Mitherausgeber der „Theologischen Studien und Kritiken“. Kawerau, Gustav 73, 90, 99 * 25.2.1847 Bunzlau, † 1.12.1918 Berlin Theologe, 1886 bis 1894 ordentliche Professur für Praktische Theologie an der Universität Kiel, 1901 Vorsitzender des Vereins für Reformationsgeschichte, 1905 Leiter der Kommission der Weimarer Ausgabe, Mitglied des preußischen Evangelischen Oberkirchenrates, Mitherausgeber des „Jahrbuchs für Brandenburgische Kirchengeschichte“. Koch, Hal 238 * 6. 5. 1904 Hellerup, † 10. 8. 1963 Hundested-Grenaafærgen Theologe und Kirchenhistoriker, 1932 Promotion, 1937 Professur für Kirchengeschichte an der Universität Kopenhagen, 1940–1946 Vorsitzender von Dansk Ungdomssamvirke (Dänische Jugendzusammenarbeit), Initiator und Direktor des 1957 gestifteten des Instituts für Dänische Kirchengeschichte. Klose, Olaf 276 f. * 13. 1. 1903 Bad Doberan, † 22. 3. 1987 Kunsthistoriker und Bibliothekar, 1929 Promotion in Leipzig, danach Tätigkeit als Bibliothekar in Kiel, Berlin, Marburg und Kopenhagen, 1949–1970 Direktor der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek, Schriftführer der GSHG und Mitherausgeber der „Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte“. Klostermann, August 42 * 16.5.1837 Steinhude, † 11.2.1915 Kiel Theologe, 1868 ordentliche Professur der Theologie an der Universität Kiel, 1885/86 und 1898/99 Rektor ebenda. Knudsen, Thorvald 241 * 17. 9. 1895, † 18. 2. 1983 Verfasser und Publizist, 1932 Mitglied von Danmarks National Socialistiske Parti (DNSP) und Redakteur des Parteiblatts „Kampen“ („Der Kampf“), Verfasser von Beiträgen für die Zeitschrift „Der Norden“ der Nordischen Gesellschaft, nach Ende des Zweiten Weltkriegs Inhaftierung wegen pro-deutscher Propagandaaktivität. Kçhler, Walther 68, 76, 164, 210 * 27. 12. 1870 Elberfeld, † 18. 2. 1946 Heidelberg Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 142. Kçller, Ernst-Matthias von 27 f., 114 * 8.7.1841 Gut Kantreck, Cammin, † 11.12.1928 Stettin Politiker, 1881 bis 1888 Reichstagsmitglied der Deutschkonservativen Partei, 1897–1901 Oberpräsident der Provinz Schleswig-Holstein, danach Staatssekretär im Ministerium für Elsass-Lothringen, 1908 Mitglied im Preußischen Herrenhaus. Kçstlin, Julius 73 f. * 17.5.1826 Stuttgart, † 12.5.1902 Halle/Saale

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Theologe und Kirchenhistoriker, 1855 Extraordinarius in Göttingen, 1860 Lehrstuhl für Systematische Theologie in Breslau, 1870 Wechsel an die Universität Halle, 1883 Mitbegründer und Vorstandsmitglied des ”Vereins für Reformationsgeschichte”, Herausgeber der „Zeitschrift für theologische Studien und Kritiken“. Kracht, Ernst 291 f. * 15. 4. 1890 Neumünster, † 5. 2. 1983 Flensburg Politiker, 1919–1932 Landrat des Kreises Norderdithmarschen, 1933 Eintritt in die NSDAP, 1933–1936 Landrat des Kreises Süderdithmarschen, 1936 Ernennung zum Flensburger Oberbürgermeister durch Gauleiter Lohse; 1937 Eintritt in die SS, 1945–1948 Verhaftung und Internierung, 1950–1958 Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei der Landesregierung von Schleswig-Holstein. Kronika, Jacob 303–305, 308 * 8. 1. 1897 Broager, † 3.5. 1982 Kopenhagen Journalist und Publizist, 1919–1931 Journalist und Redakteur der dänischgesinnten, deutsch geschriebenen Presse in Südschleswig, 1932 bis Kriegsende Korrespondent für verschiedene dänische Zeitungen in Berlin, später in der Bundeshauptstadt Bonn, 1960–1964 Chefredakteur von „Flensborg Avis“. K rbis, Heinrich 116 f., 119, 122, 183 * 9.1.1873 Mühlhausen/Thüringen, † 25.8.1951 Hamburg SPD-Politiker, 1918 Mitglied des Kieler Arbeiter- und Soldatenrats sowie Delegierter zum Reichsrätekongress, von März 1919 bis Juli 1932 Oberpräsident von Schleswig-Holstein, durch Reichskanzler Franz von Papen in den Ruhestand versetzt. K rstein, Poul 297, 303–305, 308 * 1919, † 1973 Bibliothekar und Historiker, Leiter der Studienabteilung der Dänischen Zentralbibliothek Schleswig. la Cour, Vilhelm 147, 153, 173, 201 f., 204, 237, 304 f. * 23. 12. 1883 Kongens Lyngby, † 22. 6. 1974 Birkerød Lehrer, Historiker, Politiker und Redakteur, 1918–1970 Redakteur von Grænsevagten (Die Grenzwacht), 1927 Dissertation, 1940 Gegner der deutschen Besatzungsherrschaft in Dänemark, daher zeitweilige Inhaftierung und 1944 Flucht nach Schweden, nach dem Zweiten Weltkrieg Aktivist für einen Anschluss Südschleswigs an Dänemark. Lietzmann, Hans 60, 92, 107, 124, 161–165, 167, 171 * 2.3.1875 Düsseldorf, † 25.6.1942 Locarno Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 157. Lilje, Hanns 206 * 20. 8. 1899 Hannover, † 6. 1. 1977 ebenda Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 157. Lohse, Hinrich 184, 192 f., 197, 231 * 2. 9. 1896 Mühlenbarbek, Kreis Steinburg, † 25. 2. 1964 ebenda Politiker, 1923 Eintritt in die NSDAP, 1925–1945 Gauleiter in Schleswig-Holstein, 1933–1945 Oberpräsident der Provinz Schleswig-Holstein, 1934–1945 Vorsitzender der Nordischen Gesellschaft, 1941–1944 Reichskommissar für das Ostland, 1945 Verhaftung, 1948 Verurteilung zu 10 Jahren Haft, 1951 vorzeitige Haftentlassung. Loofs, Friedrich 40–42, 44 f., 66 f., 73, 75, 87, 96, 311 * 19. 6. 1858 Hildesheim, † 13. 1. 1928 Halle/Saale

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10. Personenregister / Biogramme

Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 160. Lornsen, Uwe Jens 192, 194 f., 289 * 18. 11. 1793 Keitum (Sylt), † 12. 2. 1838 Collonge-Bellerive (Genfersee) Jurist und Politiker, 1820 Staatsexamen, 1822 Beamter in der Schleswig-Holstein-Lauenburgischen Kanzlei in Kopenhagen,1830 Landvogt auf Sylt, kurz darauf Amtsenthebung und Verurteilung zu Festungshaft wegen der Flugschrift ”Über das Verfassungswerk in Schleswigholstein”, 1833–37 Exil in Rio de Janeiro. L bke, Friedrich Wilhelm 280, 291 * 25. 8. 1887 Enkhausen, Sauerland, † 16. 10. 1954 Augaard bei Flensburg Politiker, im Ersten Weltkrieg Dienst bei der 1. U-Boot-Flottille, danach Landwirt und Funktionsträger in Bauernvereinen, im Zweiten Weltkrieg Dienst im besetzten Dänemark, 1945 Mitbegründer der CDU in Schleswig-Holstein, 1946–1951 Landrat des Kreises Flensburg-Land, 1951–1954 Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Meinhold, Peter 210, 288 * 20.9.1907 Berlin, † 2.10.1981 Kiel Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 169. Meyer, Arnold Oskar 136, 141, 169, 172, 182 * 20. 10. 1877 Breslau, † 3. 6. 1944 Berlin Historiker, 1900 Promotion in Breslau, 1908 Habilitation ebenda, 1910 Privatdozent und Universitätsarchivar an der Universität Rostock, 1915 ordentliche Professur an der Universität Kiel, Schriftführer der GSHG, ab 1922 Professuren in Göttingen, München und zuletzt Berlin, in der NS-Zeit Sachverständigenbeirat des NS-Reichsinstituts für Geschichte des Neuen Deutschlands. Mirbt, Carl Theodor 72 * 21.7.1860 Gnadenfrei, Schlesien, † 27.9.1929 Göttingen Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 175. M hlau, Heinrich Ferdinand 42 * 20. 6. 1839 Dresden, † 18. 9. 1914 Wernigerode/Harz Theologe, 1869 Dr. habil. in Leipzig, 1870 Professur der exegetischen Theologie in Dorpat, 1895–1909 ordentliche Professur in Kiel. M ller, Karl 61 f. * 3.9.1852 Langenburg, † 10.2.1940 Tübingen Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 180. Nipperdey, Thomas 37 * 27.10.1927 Köln, † 14.6.1992 München Historiker, 1962 bis 1971 Lehrstuhlvertretungen und Professuren in Gießen, Karlsruhe und Berlin, ab 1971 Professur in München, Träger des Bundesverdienstkreuzes, des Bayrischen Verdienstordens und des Deutschen Historikerpreises. Nitzsch, Friedrich August Berthold 42, 56, 69 * 19.2.1832 Bonn, † 21.12.1898 Kiel Theologe, 1855 Hilfslehrer am Berliner Gymnasium zum Grauen Kloster, 1866 Promotion in Greifswald, 1868 Professur für Theologie in Gießen, 1872 Professur in Kiel, 1889/90 Rektor ebenda. Nørregaard, Jens 238 * 16. 5. 1887 Rye bei Roskilde, † 26. 7. 1953 Frederiksberg

10. Personenregister / Biogramme

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Theologe und Kirchenhistoriker, 1914–1922 Lehrtätigkeit an kirchlichen Schulen, 1920 Promotion, 1923 Professur für Kirchen- und Dogmengeschichte an der Universität Kopenhagen, 1942–1948 Rektor ebenda. Ostendorf, Adolf 35 f. * 2. 8. 1845 Volmarstein in Wetter (Ruhr), † 1911 Lehrer, 1870 an der Domschule in Schleswig, Ostern 1889–27. 3. 1895 Rektor des Johanneums in Hadersleben, danach Direktor der Waisen- und Schulanstalt in Bunzlau (Schlesien). Pauls, Volquart 141, 151, 181 f., 184, 187–189, 193, 256–258, 264, 271, 280, 306 * 23. 1. 1884 Kating, Nordfriesland, † 9. 5. 1954 Kiel Landeshistoriker und Bibliothekar, 1919 Landesbibliothekar, 1921–1951 Schriftführer der GSHG, Herausgeber der „Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte“, ab 1933 Mitherausgeber der „Geschichte Schleswig-Holsteins“, 1939–1948 Honorarprofessur für Schleswig-Holsteinische Geschichte an der Universität Kiel, 1940–1948 Direktor der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek. Petersen, Andreas 296 f. * 1792 Dalby, Dänemark, † 1870 Landwirt und Politiker, 1836 Mitglied der Schleswigschen Ständeversammlung als Abgeordneter der kleineren Landbesitzer des 2. Distrikts, Urgroßvater Otto Scheels. Petersen, Carl 124, 150 f., 154 f., 169, 185–187 * 5. 3. 1885 Hvidding, Nordschleswig, † 26. 2. 1942 Berlin Historiker, 1911 Promotion in Berlin, 1922 Habilitation in Kiel, 1927 außerordentliche Professur für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Kiel, Mitherausgeber des „Handbuch zur schleswigschen Frage“ sowie des „Handwörterbuch des Grenzund Auslanddeutschtums“, 1939 außerplanmäßige Professur an der Universität Greifswald. Rade, Martin 47 f., 53–55, 61, 67 f., 72, 75–77, 79–81, 97, 161 f., 323 * 4.4.1857 Rennersdorf, † 9.4.1940 Frankfurt am Main Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 200. Rathenau, Walther 108 f. * 29.9.1867 Berlin, † 24.6.1922 Berlin-Grunewald Industrieller und Politiker, Sachverständiger für Reparationsfragen während der Waffenstillstandsverhandlungen am Ende des Ersten Weltkrieges, 1921 Minister für Wiederaufbau, 1922 Außenminister, 1922 von der Organisation Consul ermordet. Redeker, Martin 9 * 21.10.1900 Bielefeld, † 14.5.1970 Kiel Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 203. Reischle, Max 55 * 18. 6. 1858 Wien, † 11. 12. 1905 Tübingen Theologe, 1887 Promotion, 1892 ordentliche Professur für praktische Theologie in Gießen, 1895 ordentliche Professur für Systematische Theologie in Göttingen, 1897 ordentliche Professur in Halle, Begründer des Begriffs der Religionspädagogik. Renthe-Fink, C cil von 227, 232 * 27. 1. 1885 Breslau, † 22. 8. 1964 München

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10. Personenregister / Biogramme

Diplomat, 1913 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1936 deutscher Gesandter in Dänemark, vom deutschen Einmarsch im April 1940 bis zur Ablösung durch Werner Best im November 1942 Reichsbevollmächtigter im besetzten Dänemark. Ritschl, Albrecht 55 * 25.3.1822 Berlin, † 20.3.1889 Göttingen Theologe, 1846–1852 Privatdozent für Alte Kirchengeschichte in Bonn, 1852–1864 außerordentliche Professur in Bonn, 1864–1889 ordentliche Professur für Dogmatik und Kirchen- und Dogmengeschichten in Göttingen. Ritter, Gerhard 211 f., 215–217, 219, 230, 259, 286–288, 306 * 6.4.1888 Sooden, Hessen, † 1.7.1967 Freiburg im Breisgau Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 208. Ritterbusch, Paul 190–192, 196, 220, 222, 248 f., 284 f. * 25.3.1900 Werdau bei Torgau, † 26.4.1945 Dübener Heide Rechtswissenschaftler und Wissenschaftsfunktionär, 1925 juristische Promotion in Leipzig, 1933 ordentliche Professur in Königsberg, 1935–1941 ordentliche Professur für Verfassung, Verwaltung, Völkerrecht und Rechtsphilosophie in Kiel, 1940–1944 im Reichsministerium für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung, dort Obmann für den als „Aktion Ritterbusch“ bekannt gewordenen „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“, Suizid bei Kriegsende. Rçrig, Fritz 20, 136, 142, 172, 174, 180, 187–190, 198, 217–222, 224–229, 233, 235–238, 240–243, 262, 272, 279, 286, 290, 293 * 2.10.1882 St. Blasien, † 29.4.1952 Berlin Historiker, 1906 Promotion in Leipzig, 1911–1918 im Staatsarchiv Lübeck, 1918–1923 außerordentliche Professur in Leipzig, 1923–1935 ordentliche Professur für mittelalterliche und neuere Geschichte in Kiel, 1935–1945 und ab 1946 ordentliche Professur an der Universität Berlin, 1948 Leiter der Berliner Dienststelle der Monumenta Germaniae Historica. Roos, Carl 153, 238 f., 241, 304 * 8. 10. 1884 Hadersleben, † 4. 1. 1962 Frederiksberg Germanist, 1927–1950 Professur für deutsche Literatur an der Universität Kopenhagen, 1945 Verweis der Universität Kopenhagen wegen seines Verhaltens während der deutschen Besatzungszeit in Dänemark 1940–1945. (Delano) Roosevelt, Franklin 218 *30. 1. 1882 Hyde Park (New York), † 12. 4. 1945 Warm Springs (Georgia) Politiker, 1900–1907 Studium, 1910 Wahl in den Senat des Staates New York, 1913–1920 Unterstaatssekretär im Marineministerium, 1920 Vizepräsidentschaftskandidat, 1928 Wahl zum Gouverneur von New York, 1933–1945 Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Rørdam, Valdemar 239 * 23. 9. 1872, Dalby, Dänemark, † 13. 7. 1946 Insel Thurø Dichter und Schriftsteller, 1937 Verleihung der Holberg-Medaille, 1937 und 1938 nominiert für den Literaturnobelpreis, nach Ende des Zweiten Weltkriegs Rückzug ins Private nach scharfer Kritik an seiner pro-deutschen Haltung während der Besatzungszeit. Sach, August 37 * 28. 1. 1837 Kesdorf, Ostholstein, † 27.12.1929 Lübeck

10. Personenregister / Biogramme

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Lehrer, schleswig-holsteinischer Landeshistoriker und Mitarbeiter der Allgemeinen Deutschen Biographie, 1862 Lehrer an der russischen Gesandtschaft in Kopenhagen, 1864 Lehrer an der Domschule in Schleswig, Ostern 1889–1.4.1906 Gymnasialprofessor am Johanneum in Hadersleben. Schaeder, Erich 42 * 22.12.1861 Clausthal, † 18.2.1936 Berlin Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 213. Scharff, Alexander 9, 194 f., 289–292, 298, 306 f. * 2.7.1904 Calbe/Saale, † 27.3.1985 Kiel Historiker, 1928 Promotion in München, 1939–1944 Zivillehrer an der Marineschule Mürwik, 1944 dort außerordentliche Professur, ab 1946 an der Universität Kiel, 1957–1972 dort ordentliche Professur für Schleswig-Holsteinische und Nordische Geschichte. Scheel, Anne Christine, geb. Petersen 29 * 9. 3. 1847 Dalby, Dänemark, † 22. 11. 1921 Hadersleben Mutter von Otto Scheel, ab 1861 Unterricht bei den Herrenhutern in Christiansfeld, 1875 Heirat mit Georg Friedrich Scheel. Scheel, Georg Friedrich 28–30, 33 * 1. 6. 1847 Flensburg, † 16. 10. 1887 Abel bei Tondern Vater von Otto Scheel, 1870 Freiwilliger im Deutsch-Französischen Krieg, Theologiestudium, 1875 Diakon in Tondern und Heirat mit Anne Christine Petersen, 1879 Pastor in Abel bei Tondern. Scheel, Eugenie Caroline, geb. Köppern 61 f. * 12. 4. 1884 Hagen, † 21. 5. 1969 Kiel Ehefrau von Otto Scheel, 1910 Heirat, 1919 Geburt der Tochter Helga. Scheel, Helga 62, 224 * 16. 11. 1919 Tübingen, † 18. 4. 1971 Kiel Tochter von Otto Scheel, 1940 Heirat mit Hellmut Rohwedder. Scheidemann, Philipp 108 * 26.7.1865 Kassel, † 29.11.1939 Kopenhagen SPD-Politiker, 1903–1933 Reichstagsabgeordneter, Ausrufung der Republik am 9. November 1918, 1919 Reichskanzler der Weimarer Republik, 1933 Exil. Schenck, Rudolf 106 * 11.3.1870 Halle/Saale, † 28.3.1965 Münster Chemiker, 1906 Lehrstuhl für physikalische Chemie in Aachen, 1915 Lehrstuhl für Chemie an der Universität Münster, 1920–1925 Gründungsvorsitzender des Verbands der Deutschen Hochschulen (VDH), 1929/30 Rektor der Universität Münster, 1935 emeritiert, 1936 Direktor des „Staatlichen Forschungsinstituts für Metallchemie“ in Marburg, 1936–1941 Vorsitzender der Deutschen Bunsen-Gesellschaft für Physikalische Chemie. Schifferer, Anton 116 f., 124 f., 130, 133–136, 139, 144 f., 151, 166 * 12.9.1871 Kiel, † 20.7.1943 Charlottenhof bei Kiel Politiker, 1908–1918 national-liberaler Abgeordneter im preußischen Abgeordnetenhaus, ab 1919 Mitglied der DVP, 1921–1933 Bevollmächtigter der Provinz Schleswig-Holstein beim Reichsrat, 1930–1932 DVP-Reichstagsabgeordneter, 1933–1943 preußischer Staatsrat.

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10. Personenregister / Biogramme

Schlageter, Albert Leo 109 * 12.8.1894 Schönau im Schwarzwald, † 26.5.1923 Düsseldorf Freikorpssoldat, 1914–1918 Teilnahme am Ersten Weltkrieg als Freiwilliger, 1919 Beginn eines Theologiestudiums in Freiburg (Br.), 1919–23 als Freikorpsmitglied u. a. am Grenzschutz Ost, Kapp-Putsch und Ruhrkampf beteiligt, 1923 nach einem Sabotageakt im Ruhrgebiet verhaftet und von den französischen Besatzungstruppen hingerichtet. Schlatter, Adolf von 62 f. * 16.8.1852 St. Gallen, † 19.5.1938 Tübingen Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 217. Schmidt-Wodder, Johannes 103, 115 f., 120, 122, 124, 126 f., 129–131, 134, 136, 138, 146, 155, 161, 172, 178 f., 186, 206, 220, 248, 289 * 9.6.1869 Tondern, † 13.11.1959 Tørsbøl, Nordschleswig Geistlicher und Politiker, Pastor in Wodder bei Hadersleben seit 1896, 1920–1939 Abgeordneter der Schleswigschen Partei im Folketing, 1927–1933 Mitherausgeber von ”Nation und Staat. Deutsche Zeitschrift für das europäische Minoritätenproblem”, Gründer des Vereines für deutsche Friedensarbeit in der Nordmark. Schow, Wilhelm 189, 256–258 * 15. 10. 1896 Neustadt in Holstein, † 16. 1. 1946 Schleswig Jurist und Politiker, 1929 Regierungsrat der Regierung in Schleswig, 1933 Eintritt in die NSDAP, 1938–1945 Landeshauptmann in Schleswig-Holstein, mit der ständigen Vertretung des Oberpräsidenten Hinrich Lohse beauftragt, 1946 Suizid. Schrçder, Ernst 20, 125 f., 130 f., 134, 136 f., 146, 151, 172–174, 180 f., 185 f., 189 f., 201, 203 f., 206, 212, 216, 219, 221 f., 224 f., 230 f., 233, 242–245, 248 f., 253, 255 f., 258 * 1. 10. 1889 Hadersleben , † 4. 4. 1951 Flensburg Redakteur, Journalist und Politiker, 1912 Redakteur der „Schleswigschen Grenzpost“, 1918–1920 Teilnahme am Abstimmungskampf um Nordschleswig, 1922 Leiter des Korrespondenzbüros Nordschleswig, 1932 Vorsitzender des Wohlfahrts- und Schulvereins Nordschleswig, im selben Jahr Vorsitzender der „Nordschleswigschen Zeitung“, 1937 Hauptschriftleiter des „Schleswig-Holsteiners“. Schubert, Hans von 20, 42–45, 47–49, 51 f., 55, 57–64, 67, 69, 71–73, 76, 78–83, 86–91, 101–105, 107–109, 111 f., 115, 119 f., 124, 127, 129, 140, 159, 161–167, 169, 171, 178, 288, 311 * 12.12.1859 Dresden, † 6.5.1931 Heidelberg Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 229. Seeberg, Erich 165, 167, 169, 173, 178, 182, 217, 306 * 8. 10. 1888 Dorpat, † 26. 2. 1945 Ahrenshoop (Pommern) Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 234 f. Seeberg, Reinhold 81 * 5.4.1859 Pörrafer, Livland, † 23.10.1935 Ahrenshoop Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 235. Sellin, Ernst 116 f. * 26.5.1867 Alt Schwerin, † 1.1.1946 Epichnellen, Thüringen Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 236. Skalweit, August 174–177 * 21. 8. 1879 Hannover, † 12. 3. 1960 Bad Homburg

10. Personenregister / Biogramme

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Volkswirt, 1905 Promotion, 1910 als Privatdozent für Staatswissenschaft an der Universität Berlin, 1916–1919 Referent im Kriegsernährungsamt und im Reichswirtschaftsministerium, 1923 ordentliche Professur für Volkswirtschaft an der Universität Kiel, 1933 Rektor ebenda, aber Niederlegung des Rektorats und Zwangsversetzung nach Frankfurt a.M aus politischen Motiven. Steltzer, Theodor 273 * 17. 12. 1885 Trittau, † 27. 10. 1967 München Politiker, 1920 Landrat des Kreises Flensburg, 1933 Amtsenthebung, Verbindungen zum Kreisauer Kreis, nach dem Attentat auf Hitler vom 20. 7. 1944 verhaftet und zum Tode verurteilt, 1945 Ernennung zum Oberpräsidenten der Provinz Schleswig-Holstein, 1946 Ernennung zum ersten schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten. Stresemann, Gustav 107, 124, 129 * 10.5.1878 Berlin, † 3.10.1929 ebenda Politiker, 1914–1918 national-liberaler Reichstagsabgeordneter, gründete 1918 die Deutsche Volkspartei, 1923 Reichskanzler, 1923–1929 Reichsaußenminister, 1926 Friedensnobelpreis gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen Aristide Briand. Siebeck, Oskar 60, 87, 167 f. * 29. 7. 1880 Tübingen, † 24. 2. 1936 Berlin Verleger, Sohn von Paul Siebeck, 1904 Promotion, 1906 Eintritt in den väterlichen Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), 1920 Übernahme des Verlages gemeinsam mit seinem Bruder Werner, Spezialisierung auf Theologie, Philosophie, Nationalökonomie und Jura, 1936 Suizid. Siebeck, Paul 47 f., 50, 55 f., 60 f., 67 f., 76, 82, 86, 90 f. * 7. 3. 1855 Tübingen, † 20. 11. 1920 Heilbronn Verleger, 1880 Aufbau des geisteswissenschaftlichen Verlags J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Mitbegründer des Deutschen Verlegervereins, Initiator von Großprojekten wie der „Religion in Geschichte und Gegenwart“. Siebeck, Richard 61 * 10. 4. 1883 Freiburg im Breisgau, † 15. 5. 1965 Heidelberg Mediziner, Sohn von Paul Siebeck, Medizinstudium, 1908 Assistent an der Heidelberger Medizinischen Klinik, 1912 Privatdozent ebendort, ab 1924 Lehrstuhlinhaber für innere Medizin in Bonn, später in Berlin und Heidelberg. Siebeck, Werner 60–62, 127, 162 * 14. 3. 1891 Freiburg im Breisgau, † 10. 9. 1934 Verleger, Sohn von Paul Siebeck, 1914 Eintritt in den väterlichen Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), 1920 Übernahme des Verlages gemeinsam mit seinem Bruder Oskar. Spek, Rudolf 154 f. * 4. 7. 1893 Hermannstadt/Siebenbürgen, † 4. 4. 1953 Va˘ca˘res¸ti Volksforscher und Publizist, 1921–1927 Redakteur in Sibiu (Hermannstadt), 1927–1948 Leiter des dortigen Brukenthal-Museums, verstorben in Haft. Thurau, Harald 194 f., 281, 288 f. * 16. 5. 1910 Hamburg, † 7. 11. 1977 Schleswig Historiker, 1939 Promotion. Titius, Arthur 42, 55, 57 * 28.7.1864 Sensburg, Masuren, † 7.9.1936 Berlin Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 260.

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10. Personenregister / Biogramme

Todsen, Hermann 112, 118 f., 126, 131 * 2.4.1864 Grahlenstein, Gelting, † 8.1.1946 Flensburg Politiker, 1899–1930 Oberbürgermeister der Stadt Flensburg, 1899–1918 Mitglied des Preußischen Herrenhauses, nach dem Ersten Weltkrieg Sachverständiger für die Schleswigfrage der deutschen Friedensdelegation in Versailles. Toeplitz, Otto 121 * 1.8.1881 Breslau, † 15.2.1940 Jerusalem Mathematiker, ab 1907 Privatdozent in Göttingen, 1913 außerordentliche Professur in Kiel, 1928 Universität Bonn. Troeltsch, Ernst 50, 65–67, 71 f., 81, 99, 161, 164, 312 * 17.2.1865 Haunstetten, † 1.2.1923 Berlin Zur Biographie siehe Braun/Grünziger, 261. Weber, Max 66 * 21.4.1864 Erfurt, † 14.6.1920 München Soziologe, 1893 Professur in Berlin, 1894 Lehrstuhl in Freiburg, 1896 Professur in Heidelberg, Mitgründer des Nationalsozialen Vereins, ab 1904 Rentier und Publizist, Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, 1919 Lehrstuhl an der Universität München, Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, eines seiner bekanntesten Werke „Die protestantische Ethik und der ,Geist‘ des Kapitalismus“. Wedemeyer, Werner 120 f. * 17.10.1870 Hameln, † 23.5.1934 Kiel Rechtswissenschaftler, 1908–1933 ordentliche Professur in Kiel, 1923/25 Rektor ebenda, 1933 aus politischen Motiven zur Niederlegung seiner Professur gezwungen.