Ernst von Dryander: Eine biographische Studie [Reprint 2012 ed.] 3110148145, 9783110148145

Die seit 1925 erscheinenden Arbeiten zur Kirchengeschichte bilden eine der traditionsreichsten historischen Buchreihen i

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German Pages 452 Year 1995

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Ernst von Dryander: Eine biographische Studie [Reprint 2012 ed.]
 3110148145, 9783110148145

Table of contents :
VORWORT
1. EINLEITUNG
1.1. Vergegenwärtigung
1.2. Zugänge zur Fragestellung
1.3. Methodologische Anstöße
2. WERDEN DER PERSÖNLICHKEIT
2.1. Herkunft
2.2. Lehr- und Wanderjahre
2.3. Stationen im Pfarramt
2.4. Berliner Luft – Nähe zu Bismarck
3. SEELSORGE UND PÄDAGOGIK AUF DER KANZEL – DER PREDIGER DRYANDER
3.1. Das Predigtwerk
3.2. Der Prediger und die Predigt
3.3. Auf der Schwelle zur ‘modernen Predigt’
3.4. Außergottesdienstliche Wortverkündigung
4. IN DER KIRCHENLEITUNG
4.1. Aufstieg in der Kirche
4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan
5. IN DER NÄHE DES THRONES
5.1. Aufschwung zum “Hoflumen”
5.2. Im Sog des Hofes – Dryander und der Königsmechanismus
5.3. Im Dienst von ‘Thron und Altar’ – eine Zwischenbilanz
6. ZEIT DER “VATERLÄNDISCHEN NOT”
6.1. Mission und Vaterland
6.2. Der Geist von 1914
6.3. Evangelische Rede im Krieg
6.4. Auslandskorrespondenz
6.5. An den Fronten
6.6. “Wehrlos – Ehrlos” – Zusammenbruch der Monarchie
6.7. Abschluß des kirchenpolitischen Wirkens
6.8. Berlin – Doorn – Potsdam
7. SCHLUSSWORT
LITERATURVERZEICHNIS
A. Quellen
B. Sekundärliteratur
ANHANG
A. Personenregister
B. Sachregister
C. Zeittafel
ABBILDUNGSNACHWEIS

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Bernd Andresen Ernst von Dryander

w DE

G

Arbeiten zur Kirchengeschichte Begründet von

Karl Hollt und Hans Lietzmannt Herausgegeben von

Christoph Markschies, Joachim Mehlhausen und Gerhard Müller Band 63

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1995

Bernd Andresen

Ernst von Dryander Eine biographische Studie

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1995

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Andresen, Bernd: Ernst von Dryander : eine biographische Studie / Bernd Andresen. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1995 (Arbeiten zur Kirchengeschichte ; Bd. 63) Zugl.: Kiel, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-11-014814-5 NE: GT

Copyright 1995 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin

VORWORT Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1994 von der Theologischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Inauguraldissertation angenommen. Für die Druckfassung der Arbeit wurden nur unwesentliche Änderungen vorgenommen. Schon im Blick auf die Ermöglichung meines Dissertationsvorhabens gilt mein Dank zuerst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Gottfried Maron, der den Weg der Arbeit über die fachlich-kritische Begleitung hinaus wesentlich gefordert hat. In diesem Zusammenhang gebührt auch dem unter seiner Leitung stehenden Doktorandenkreis Dank für aufmerksames Zuhören und fruchtbare Anregungen. Für die Erstellung des Zweitgutachtens danke ich weiterhin Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhart Staats, der mir darüber hinaus interessante Hinweise zukommen ließ. Der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel bzw. dem Land SchleswigHolstein habe ich für die Gewährung eines Graduiertenstipendiums zu danken, das der zügigen Fertigstellung der Arbeit sehr zugute kam. An die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche und an die Evangelische Kirche der Union richte ich meinen Dank dafür, daß sie ihrem Vikar bzw. ihrem ehemaligen Vizepräsidenten jeweils einen namhaften Druckkostenzuschuß geleistet haben. Dank sei auch dem Evangelischen Zentralarchiv in Berlin und dem Archiv des Evangelischen Missionswerks in Hamburg gesagt für die freundlichen und unkomplizierten Nutzungsmöglichkeiten. Ebenso danke ich den Herausgebern der Reihe "Arbeiten zur Kirchengeschichte", Herrn Prof. Dr. Gerhard Müller D.D., Herrn Prof. Dr. Christoph Markschies und ganz besonders Herrn Prof. Dr. Joachim Mehlhausen, für das freundliche Interesse an meiner Arbeit und dem Verlag Walter de Gruyter für die verlegerische Betreuung. Ohne vielfache technische Hilfestellungen, zeitliche Entlastungen und freundlichen Zuspruch wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. In diesem Zusammenhang danke ich besonders meinem 'Kommilitonen' Thomas Schaack. Für das, was an dieser Stelle nicht in Worte zu fassen ist, möchte ich dieses Buch Herrn Pastor em. Dr. Dankwart Arndt und ganz besonders meiner Frau Silke und unseren Töchtern Lena und Lisa widmen. Kiel, im April 1995

Bernd Andresen

INHALT

VORWORT

V

1. 1.1. 1.2. 1.3.

EINLEITUNG Vergegenwärtigung Zugänge zur Fragestellung Methodologische Anstöße

1 1 4 10

2. 2.1. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.3.3. 2.3.4. 2.4.

WERDEN DER PERSÖNLICHKEIT Herkunft Lehr- und Wanderjahre Studium Kandidatenzeit Stationen im Pfarramt Ordination 'wider Willen' Torgau - Anfange im Pfarramt Bonn - eine evangelische Gemeinde im Kulturkampf Berlin - auf der Kanzel Schleiermachers Berliner Luft - Nähe zu Bismarck

15 15 17 17 24 32 32 33 34 39 42

3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4.

SEELSORGE UND PÄDAGOGIK AUF DER KANZEL - DER PREDIGER DRYANDER Das Predigtwerk Der Prediger und die Predigt Auf der Schwelle zur 'modernen Predigt' Außergottesdienstliche Wortverkündigung

46 46 54 64 69

4. 4.1. 4.1.1. 4.1.2. 4.1.3. 4.1.4.

IN DER KIRCHENLEITUNG Aufstieg in der Kirche Die "Ära Kögel" Auf neuem Kurs Generalsuperintendent der Kurmark Zwischen Kirche und sozialer Frage

78 78 78 87 92 107

VIII

Inhalt

4.2. 4.2.1. 4.2.2. 4.2.3. 4.2.4. 4.2.5.

Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan An der Spitze des EOK 'Botschafter' des EOK in der deutsch-evangelischen Welt . . . Auf Friedensmission "Voigts-Dryander-Kaftansche Weisheit" - ein 'Fall'beispiel . . . Bekenntniskirche - Volkskirche - Landeskirche

5. 5.1. 5.1.1. 5.1.2. 5.1.3. 5.1.4. 5.1.5. 5.1.6. 5.2. 5.2.1.

IN DER NÄHE DES THRONES Aufschwung zum "Hoflumen" Ruf des Hofes Exkurs: Zur Geschichte der Berliner Hofprediger Premiere im Schloßpfarramt Instituteur des princes Berufung zum Oberhof-und Domprediger Die Domgemeinde Im Sog des Hofes - Dryander und der Königsmechanismus Wilhelm II. - König und Kaiser von Gottes Gnaden

115 115 129 141 148 163

179 179 179 188 193 197 204 210 . . 214 214

5.2.1.1. Die herrscherliche Sphäre

214

5.2.1.2. Der religiöse Herrscher

222

5.2.1.3. Ausblick auf den germanischen Kreuzzug St. Michaels

228

5.2.2. Die Welt des Hofes 231 5.2.3. " ... Euer Kaiserlichen Majestät allerunterthänigster Diener" . . 237 5.2.3.1. Verhältnis zu Wilhelm II

5.2.4. 5.2.5. 5.2.6. 5.2.7.

237

5.2.3.2. Theologischer Berater?

242

Orden und Titel Prediger des Hofes "Mit Gott für Kaiser und Reich!" Kirchweihakte in Jerusalem und Berlin

248 255 273 278

5.2.7.1. Ein "modemer Kreuzzug" - Aspekte einer Orientreise

278

5.2.7.2. " [...] als gelte es einen St. Peter, nicht eine häßliche Berliner Kirche einzuweihen!"

5.2.8. Mirbachiana 5.3. Im Dienst von 'Thron und Altar' - eine Zwischenbilanz

294

301 306

Inhalt

IX

6. 6.1. 6.2. 6.3. 6.3.1. 6.3.2. 6.3.3. 6.3.4. 6.4. 6.5. 6.6. 6.7. 6.8.

ZEIT DER "VATERLÄNDISCHEN NOT" Mission und Vaterland Der Geist von 1914 Evangelische Rede im Krieg " ... die neue Homiletik, die der Krieg uns gelehrt hat" Mobilmachung von Glaube und Sitte Christentum und Patriotismus im Krieg Kritik Auslandskorrespondenz An den Fronten "Wehrlos - Ehrlos" - Zusammenbruch der Monarchie Abschluß des kirchenpolitischen Wirkens Berlin - Doom - Potsdam

311 311 316 322 322 325 330 340 342 356 361 368 377

7.

SCHLUSSWORT

387

LITERATURVERZEICHNIS A. Quellen B. Sekundärliteratur

393 393 416

ANHANG A. Personenregister B. Sachregister C. Zeittafel

426 426 431 433

ABBILDUNGSNACHWEIS

435

Die Abkürzungen richten sich nach S.Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (IATG), 2. Überarb. u. erw. Aufl. Berlin 1992. Für Ernst von Dryander steht in den Literaturhinweisen der Anmerkungen meist die Abkürzung EvD.

1. EINLEITUNG 1.1. Vergegenwärtigung Am 18. April 1993 wäre Ernst von Dryander, ehedem Oberhofprediger Wilhelms II. und als geistlicher Vizepräsident des EOK ranghöchster Geistlicher Preußens, 150 Jahre alt geworden. Konnte das Gedenken des hundertjährigen Geburtstags 1943 noch in größerem Rahmen - etwa in einer Feierstunde an alter Wirkungsstätte in der Dreifaltigkeitskirche, durch einen akademischen Festakt und Gedächtnisgottesdienst im Dom, veranstaltet von Männern wie Karow, Doehring und Uckeley1 - begangen werden, so erschien der Familie Dryander die Zeit inzwischen "derart verändert, dass ein Gedenken in der einen oder anderen Form heute kaum noch sinnvoll war. Es hätte vermutlich auch keine sympathisierende Unterstützung gefunden in der Evangelischen Kirche."2. Es zeigt sich auch hier deutlich, wie nicht nur die Vielzahl der Jahre einen Abstand zu Vergangenem schaffen, sondern noch mehr und noch wirksamer die Brüche, die Krisen und die Katastrophen der Geschichte, da besonders sie alle Lebensbereiche verändern und ergreifen. Denn gerade die geschichtlichen Ereignisse dieses Jahrhunderts haben die Zeit des wilhelminischen Deutschland zunächst in weite Ferne rücken lassen, bevor die durch Krisen und Reformen des letzten Jahrzehnts in Osteuropa ermöglichte Wiedervereinigung Deutschlands und die dadurch eingesetzte Suche nach 'Identität' und 'Vergewisserung' dieser Epoche sichtlich zu neuer und nicht immer willkommener Aktualität verholfen hat3.

Dem Vf. wurde von der Familie Dryander eine nur für den Kreis der Verwandten und Freunde bestimmte Rede Gottfried von Dryanders über seinen Vater v. 18.4.1943 im "Kaiserhof' zu Berlin zugänglich gemacht, in der diese Akte dankbar erwähnt wurden. Aus einem Brief des gleichnamigen Enkels Ernst von Dryander an den Vf. v. 3.5.1993. Schon im sog. 'Historikerstreit' brach im Grunde eine Kontroverse über 'nationale Identität' und 'nationale Schuld' auf. Vgl. dazu C.S.Maier, Die Gegenwart der Vergangenheit. Geschichte und die nationale Identität der Deutschen, Frankfurt a.M. - New York 1992 (Cambridge/Mass. 1988) sowie E.Herms, Schuld in der Geschichte. Zum "Historikerstreit", ZThK 85 (1988), 349-370. Allerdings - und dies zeigt die tiefen emotionalen Gräben an - konnte diese Debatte nicht an die methodisch wie inhaltlich weitaus gehaltvollere Kontroverse um H.-U.Wehlers gesellschaftsgeschichtliche Monographie über das deutsche Kaiserreich (Das Deutsche Kaiserreich 1871-1918 (Deutsche Geschichte, Bd. 9), Göttingen 5 1983) anknüpfen; s. dazu aus der anregenden Arbeit von

2

1. Einleitung

So deutete sich schon - um ein frühes, aber markantes Beispiel aus der Zeit der Anfänge zu dieser Arbeit zu nennen - in der Überfuhrung der Sarkophage der Preußenkönige Friedrich Wilhelms I. und seines Sohnes Friedrichs II. am 17. August 1991 von Hechingen nach Potsdam an, wie kräftig und wie umstritten Erinnerungen an alte Zeiten preußisch-deutscher Geschichte aufleben können. Dabei hatte dieses Ereignis längst nicht die Unmittelbarkeit und die Dimension wie sein 1991 kaum wahrgenommener Parallelfall, der sich im April 1921 ereignete und schon nach wenigen Jahren eine alte, versunkene Welt noch einmal für alle sichtbar zurückgeholt hatte. Die ehemalige deutsche Kaiserin und preußische Königin Auguste Viktoria, am 11. April im holländischen Exil verstorben, wurde neben anderen von ihrem alten Oberhofprediger und Seelsorger Ernst von Dryander von Doorn nach Potsdam überfuhrt, was einem wahren Triumphzug gleichkam. Auch die preußische Landeskirche stand nicht abseits. Ihr Oberkirchenrat (EOK) hatte Trauerfeiern und Glockengeläut angeordnet, was den damaligen Berliner Pfarrer Günther Dehn erschrecken ließ, sah er darin doch vor allem eine politische Demonstration, mit der seine Kirche sich "vor aller Augen als eine monarchisch gesinnte, deutsch-nationale Parteikirche" offenbarte.4 Schon früh also zeigten sich Belastungen im Umgang mit diesem Teil deutscher Vergangenheit, auch mit diesem Abschnitt deutscher Kirchen- und Theologiegeschichte - Belastungen, die heute noch oder wieder schier unüberwindbar zu sein scheinen, da öffentlich propagierte extrem-nationalistische Strömungen, ausländerfeindliche Hetze und unfaßbare Mordtaten an ausländischen Mitbürgern die Frage nach einer verantwortlichen 'Kontinuität' in der Geschichte über die dreizehn Jahre des Dritten Reiches hinausreichen lassen. Daß auch hier die protestantischen Kirchen nicht unberührt bleiben und herausgefordert sind, zeigte die Wiedereinweihung des Berliner Doms am 6. Juni 1993, handelt es sich hier doch um ein Bauwerk, das wie kein anderes die Irrungen und Wirrungen in der (Kirchen-)Geschichte dieses Jahrhunderts aufweisen kann: Am 27. Februar 1905 von Seiner Exzellenz Oberhof- und Domprediger D. Ernst Dryander im Auftrage des Bauherrn und Trägers des

Th.Haussmann, Erklären und Verstehen: Zu Theorie und Pragmatik der Geschichtswissenschaft. Mit einer Fallstudie über die Geschichtsschreibung zum deutschen Kaiserreich 1871-1918, Frankfurt a.M. 1991, 240-322. G.Dehn, Die alte Zeit, die vorigen Jahre. Lebenserinnerungen, München 1962, 227. Zu diesem Ereignis s.u. 379-384 (Kap. 6.8.: "Berlin - Doorn - Potsdam").

1.1. Vergegenwärtigung

3

landesherrlichen Kirchenregiments Kaiser Wilhelm II. zu einem sakralen Repräsentationsgebäude des deutschen Protestantismus geweiht5, am 23. September 1934 von der deutsch-christlichen Bewegung zur feierlichen Einsetzung Ludwig Müllers zum Reichsbischof - allerdings ohne die Repräsentanz des gesamten deutschen Protestantismus und der Ökumene "gewaltsam okkupiert"6, 1944 von Brandbomben schwer beschädigt, seit 1950 ohne sein Gegenüber, das Stadtschloß der Hohenzollern, eine Art Mahnmal deutscher Geschichte, seit 1972 zur Verhandlungsmasse zwischen dem SED-Regime und dem Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR degradiert, geriet seine Einweihung nach Wiedervereinigung und Hauptstadtentscheidung im Echo nationaler Mißtöne, jetzt in Anwesenheit Bundeskanzler Kohls und der Hohenzollernfamilie statt der Honeckers und Stophs, gegen lautstarke Proteste vor den Portalen einerseits und gegenüber der für einen anderen Wiederaufbau werbenden Schloßattrappe andererseits zu einem ungeheuren Balanceakt der Kirche zwischen vielfaltigen Interessen und Meinungen7, so daß der Dom "in neuem Glanz am Platz alter Zwietracht" thront8. Um die Beschäftigung mit Ernst von Dryander herum ranken sich erinnernde Daten von großer Aktualität. Und wenn zudem wie vor kurzem in der "Zeit" mit ihrem Gespür für 'Zeitfragen' und "Zeitläufte" im "Modernen Leben" des Kaisers Teckel nicht nur Erwähnung fanden, sondern gleich eine ganze Seite füllten9, wie sollte dann nicht auch der Oberhofprediger Seiner Majestät Interesse finden und eine kirchenhistorisch aufarbeitende Auseinandersetzung mit ihm eine angemessene Form des Gedenkens an ihn und seinen 150. Geburtstag darstellen.

S.u. 294ff (Kap. 5.2.7.2.: " ... als gelte es einen St. Peter, nicht eine häßliche Berliner Kirche einzuweihen!"). So B.Doehring, Mein Lebensweg. Zwischen den Vielen und der Einsamkeit, Gütersloh 1952, 139. Die Domgemeinde veranstaltete auch zu diesem Anlaß 'Gegengottesdienste'. So der Kommentar eingangs der Übertragung des Weiheaktes in der ARD am 6. Juni 1993 ab 10°° Uhr. S.a. die Informationen von R. Henkys zum Wiederaufbau des Berliner Doms fur eine Pressekonferenz in Berlin am 2. Juni (epd Dokumentation 26a/93). So der Präses der EKU Peter Beier zu Beginn seiner Predigt zur Feier der Domneuweihe: Der Dom gehört euch, Brennpunkt Gemeinde 47 (1994), 56-59, 56. M.Heller, Erdmann - eine Spurensuche, in: Die Zeit Nr. 21 v. 21.5.1993, 68.

4

1. Einleitung

1.2. Zugänge zur Fragestellung Wer am Hauptportal der Erlöserkirche von Bad Homburg steht, wird einer Figurengruppe von Verdammten eine Figurengruppe von Seligen gegenübergestellt finden, unter denen einer der Seligen nicht von ungefähr die Züge Ernst von Dryanders trägt. Dies weist in seiner Symbolik über eine Hommage an den weihenden Geistlichen hinaus. 10 Wer sich mit der Kirchengeschichte der letzten beiden Jahrzehnte des Kaiserreiches beschäftigt, kommt an Ernst von Dryander nicht vorbei. Dies zeigt sich nicht nur daran, daß seine Autobiographie in Aufsätzen und Monographien zu dieser Zeit immer wieder gern als steinbruchartige Zitatenquelle herangezogen und benutzt wird. 11 Wie sehr Dryander als Repräsentant gerade dieser deutsch-protestantischen Vergangenheit in Anspruch genommen werden darf, kann vor allem aber die Vielzahl von Ämtern, Titeln und Ehrungen deutlich machen, die in ihrer Vereinigung von staatlich-weltlichen und kirchlich-geistlichen Würden auf ihre Weise den stetigen Aufstieg Dryanders zum ersten Geistlichen Preußens und so vielleicht zum 'Primas' des protestantischen Deutschland dokumentiert: zunächst Superintendent und Konsistorialrat, dann Generalsuperintendent der Kurmark, Oberhof- und Domprediger mit dem Rang eines Rates erster Klasse, Ephorus des Domkandidatenstifts, Mitglied des Herrenhauses auf Lebenszeit, Wirklicher Geheimer Rat mit dem Prädikat Exzellenz, Domherr des Brandenburger Domstifts, Geistlicher Vizepräsident des EOK und was noch alles aufzuzählen wäre. Der hohe Orden vom Schwarzen Adler - verbunden mit dem erblichen Adelstitel - bildete 1918 noch den Abschluß und

An diesem bevorzugten Ort der internationalen Hocharistokratie, wo nicht nur der Zar von Rußland eine byzantinische Kapelle, sondern auch der König von Siam einen SiamTempel hatte errichten lassen, wurde die Erlöserkirche 1908 durch Dryander in Gegenwart Wilhelms II. geweiht. E.v.Dryander (=EvD), Erinnerungen aus meinem Leben, Bielefeld - Leipzig '1923 (erw.). Diese zuerst 1922 und noch 1926 in vierter Auflage erschienenen Erinnerungen fanden Eingang in die groß angelegte, kommentierende Sammlung von Max Westphal, Die besten deutschen Memoiren. Lebenserinnerungen und Selbstbiographien aus sieben Jahrhunderten, mit einer Abhandlung über die Entwicklung der deutschen Selbstbiographie von Dr. Hermann Ulrich (Kleine Literaturführer, Bd. 5), Leipzig 1923, unveränd. Nachdr. München-Pullach - Berlin 1971, 225, da dieses Erinnerungswerk sich "in feinen, ansprechenden Schilderungen [...] als ein weit über den Kreis des Nur-Persönlichen und theologisch Interessierenden, mannigfache Gebiete berührendes Kulturbild" erweise. S.a. Ed.Freiherr v.d.Goltz, Rez. "Dryander, D.Emst, Erinnerungen aus meinem Leben (1922)", ThLZ 47 (1922), Sp. 181-182.

1.2. Zugänge zur Fragestellung

5

Höhepunkt der Ehrungen im Kaiserreich, dem er bis über den Zusammenbruch hinaus verbunden blieb. Gerade auf diese Erscheinungsformen nehmen die vielen Nachrufe auf Dryander Bezug, wenn sie seinen Tod als den Verlust des "ersten Predigers", des "Primas unter den deutschen Theologen", des "Patriarchen", "Repräsentanten" und "Führers" der deutschen evangelischen Kirche und des deutschen evangelischen Volkes beklagen und betrauern12. Diese Kumulation von einflußreichen Ämtern in der Person Dryanders, wie sie nominell noch nicht einmal Kögel bekleidet hatte, auch wenn dieser Dryander an tatsächlichem Einfluß unbestritten überlegen war, fordert zu einer Untersuchung ihrer Wirkungen heraus, wobei nicht zuletzt auch die - zu einem pejorativen Schlagwort verallgemeinerte - Verbundenheit von 'Thron und Altar', welche in der engen Beziehung zwischen König und (Ober-)Hofprediger ihren klassischen Ausdruck gefunden hat, einen besonderen Reiz ausmacht. So soll in der vorliegenden Arbeit die enge Verbundenheit von 'Thron und Altar' an ihrem nach Rudolf Kögel (1829-1896) und Adolf Stoecker (1835-1909) wohl herausragendsten und einflußreichsten Vertreter aus der Garde der Hofprediger, dem letzten preußischen Oberhofprediger Ernst von Dryander, kritisch nachgezeichnet werden. Haben Kögel und Stoecker schon neuere Untersuchungen erfahren13, so steht eine solche Gesamtdarstellung zu Dryander noch aus14. Eine Vielzahl

12

13

14

KJ 50 (1923), 474f (Totenschau); Fr.Lahusen, Ernst von Dryander t , Die Eiche 10 (1922), 355-358; Ed.Freiherr v.d.Goltz, D. Ernst von Dryander t , MPTh 19 (1923), 1822; Pfr.Graf V.Lüttichau, Gedächtnisrede gehalten in der Dreifaltigkeitskirche zu Berlin, in: B.Doehring (Hg.), D. Ernst von Dryander zum Gedächtnis, Berlin o.J. [1922], 51-60, 52f; W.Kähler (Hg.), Ernst von Dryander. Ein Lebens- und Charakterbild mit drei seiner letzten Predigten und Briefen an die deutsche Kaiserin in Doorn, mit einem Geleitwort von D. Friedrich Lahusen, Berlin 1923, 18f; E.Vits, D. Ernst von Dryander. Ein Prediger von Gottes Gnaden, Neue Christoterpe 45 (1924), 1-1 l,9f u.a.; noch bei L.Schneller, Ernst Dryander, in: Allerlei Pfarrherren, Weihnachtserinnerungen, 6. Folge, Leipzig 1925, 117-138, klingt ein "bischöfliches" Bild nach (118, 133f, 138) wie auch bei seinem Sohn G.v.Dryander, Erinnerungen an meinen Vater, Neue Christoterpe 46 (1925), 14-24, 22f. G.Wolf, Rudolf Kögels Kirchenpolitik und sein Einfluß auf den Kulturkampf (Diss, theol. masch.), Bonn 1968; G.Brakelmann/M.Greschat/W.Jochmann, Protestantismus und Politik. Werk und Wirkung Adolf Stoeckers (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 17), Hamburg 1982. Erst im Zusammenhang der Drucklegung stieß ich auf den biographischen Beitrag G.Besiers, Ernst Hermann von Dryander, Berlinische Lebensbilder, Bd. 5: Theologen (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 60), Berlin 1990, 249-259 mit einem Hinweis auf eine Arbeit W.Thoms Uber Ernst von Dryander als

6

1. Einleitung

von herausgegebenen Predigtbänden und zahllose Urteile von Zeitgenossen weisen zudem auf einen in seiner Wirksamkeit weitreichenden Prediger. Diesen homiletisch zu charakterisieren und etwaige Konstanten und Variablen durch die verschiedenen Amtsbereiche und Zeitläufte hindurch aufzuspüren, stellt weiterhin eine wesentliche meine Arbeit begleitende Aufgabe dar15. Die Formel 'Thron und Altar' kann - im Wissen um ihre Komplexität und vorsichtig benutzt16 - in stilisierter Weise den Handlungs- und Leistungsspielraum andeuten, der bei der Darstellung der Persönlichkeit und des

15

Prediger, Diss. Theol. Humboldt-Universität, Berlin (Ost) 1959 (Ms.). Abgesehen von kleineren Episoden oder Anekdoten meist über den älteren Dryander in verschiedenen Veröffentlichungen, ist herauszuheben, daß seine Kriegspredigten breiten und abgewogenen Eingang gefunden haben bei W.Pressel, Die Kriegspredigt 1914-1918 in der evangelischen Kirche Deutschlands (Arbeiten zur Pastoraltheologie, Bd. 5), Göttingen 1967. Zu den preußischen Hofpredigern Uberhaupt s.a. Th.Buske, Thron und Altar. Die Rolle der Berliner Hofprediger im Zeitalter des Wilhelminismus, Neustadt a.d.Aisch 1970, der zwar auch Dryander unter Wilhelm II. - allerdings vornehmlich in Zitaten aus Dryanders Erinnerungen - betrachtet (ebd. 98-117), aber durch seine komplexen Formulierungen besonders in seinem Anliegen auf weite Strecken fast unverständlich bleibt. Hierin vor allem geht diese Arbeit über W.Thom hinaus, der fast nur den Gemeindeprediger Dryander im Blick hat. Auch in der Ausblendung der 'Hofpredigten' hat Thom verkannt, daß die von ihm postulierte Änderung der Predigtweise Dryanders nach 1914 inhaltlich und formal schon weit vor dem Kriegsanbruch vorgeprägt, angelegt und in den offiziellen Hofpredigten schon vollzogen war. Zwar ist diese Formel älteren Datums - wie die von Rade durch eine öffentliche Frage in der "Christlichen Welt" gesammelten Hinweise zeigen, läßt sie sich bis in die Zeit der französischen Revolution zurückverfolgen [s."R", Zum Altersnachweis der Formel "Thron und Altar", ChW 14 (1900), Sp. 762 und 977-980] - und kann daher nicht als spezifisch preußisches Gut gelten. Doch auch wenn die Formel ein vielgebrauchtes entweder unbefangen positiv oder polemisch gefärbtes - Schlagwort geworden ist, das "von den preußischen Königen nirgends offiziell gebraucht" wurde (W.Hubatsch, Landeskirchen-Regiment und Evangelischer Oberkirchenrat in Preußen 1850-1933, in: Wirtschaft, Technik und Geschichte. Beiträge zur Erforschung der Kulturbeziehungen in Deutschland und Osteuropa, FS Albrecht Timm, hg. v. V.Schmidtchen u. E.Jäger, Berlin 1980, 267-288, 267), kann die Formel, wie auch meine Arbeit an Dryander stützen zu können meint, als begrifflich und sachlich angemessene Umschreibung einer vom "Pathos der Konterrevolution" (nach 1848) bestimmten Allianz gelten (K.Scholder, Neuere deutsche Geschichte und protestantische Theologie. Aspekte und Fragen, EvTh 23 (1963), 510-536, 526) - allerdings muß gerade wegen einer mit der Benutzung dieser Formel einhergehenden Tendenz zur Verallgemeinerung vor einer "fixe[n] Idee einer den Protestantismus im Kaiserreich total beherrschenden 'Thron- und Altar-Ideologie'", wie R.Staats zu Recht an Wehlers Darstellung kritisiert (Das Kaiserreich 1871-1918 und die Kirchengeschichtsschreibung. Versuch einer theologischen Auseinandersetzung mit Hans-Ulrich Wehlers "problemorientierter historischer Strukturanalyse", ZKG 92 (1981), 70-96, 82, in Auseinandersetzung mit Wehler, Kaiserreich 118-120), gewarnt werden, da sich viele Personen und Institutionen des deutschen Protestantismus gegen diese Vereinnahmung sperren.

1.2. Zugänge zur Fragestellung

7

breiten Wirkungsspektrums Dryanders berücksichtigt werden soll. Allerdings werden nicht nur die kirchenpolitische Situation und die Kirchenpolitik unter dem 'neuen Kurs' Wilhelms II. zu schildern sein, an der Dryander zunehmend - seit 1892 als Generalsuperintendent der Kurmark, seit 1903 als Mitglied des EOK-Kollegiums und seit 1906 bzw. 1907 als geistlicher Vizepräsident des EOK - maßgeblich beteiligt war. Auch die Ära Herrmann/Falk und Kögel, geprägt von scharfen Konflikten zwischen den verschiedenen kirchenpolitischen Parteien um Verfassungs- und theologische Richtungsfragen, müssen zur Sprache kommen.17 Denn sie bilden sozusagen die negative Folie der Kirchenpolitik unter Wilhelm II., und hier liegen die kirchenpolitischen Wurzeln Dryanders. Könnte die Maxime der Kirchenpolitik des EOK in den neunziger Jahren etwas vereinfacht mit der Parole 'Abwehr gegen die Mächte des Umsturzes und des Unglaubens auf dem Boden des landesherrlichen Summepiskopats' angegeben werden18, so wird man die aus der personellen Konstellation des EOK im neuen Jahrhundert sich bald formende "Voigts-Dryander-Kaftansche Weisheit"19, mit der kein geringerer als Harnack einen "gewaltige [n] Fortschritt" verband,20 vielleicht am treffendsten unter dem vieldeutigen und vielschichtigen Begriff der 'Union' erfassen können21. Denn diese Epoche steht für verstärkte Bemühungen innerkirchlichen Ausgleichs, für den Versuch, gegen Angriffe von 'außen' auf 'Volkskirche' zu setzen, und für das

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Neuerdings kann zu diesen Epochen auf das im Auftrag der EKU erstellte Handbuch: Die Geschichte der Evangelischen Kirche der Union, Bd. 2: Die Verselbständigung der Kirche unter dem königlichen Summepiskopat (1850-1918), hg. v. J.Rogge/G.Ruhbach, Leipzig 1994, hingewiesen werden, das sich durch Detail- und (archivalischen) Materialreichtum auszeichnet. Die Verfasser der einzelnen Handbuchabschnitte finden sich in den Anmerkungen in Klammern dazugesetzt. Unter einer sehr ergiebigen Perspektive hat K.E.Pollmann, Landesherrliches Kirchenregiment und soziale Frage. Der evangelische Oberkircherat der altpreußischen Landeskirche und die sozialpolitische Bewegung der Geistlichen nach 1890 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 44), Berlin - New York 1973, diese Maxime beschrieben. Theodor Kaftan an seinen Bruder Julius v. 30.1.1905, in: W.Göbell (Hg.), Kirche, Recht und Theologie in vier Jahrzehnten. Der Briefwechsel der Brüder Theodor und Julius Kaftan, Erster Teil: 1891-1910; Zweiter Teil: 1910-1926, München 1967, hier: I, 317 ( 3 1 6 f )

·

A.v.Zahn-Harnack, Adolf von Harnack, Berlin 21951 (verb.), 309. Auch wenn K.Barth das Nachdenken über den Begriff 'Union' mit der Quadratur des Zirkels verglich (nach W.Geppert, Das Wesen der preußischen Union. Eine kirchengeschichtliche und konfessionskundliche Untersuchung (Furche-Studien, Bd. 21), Berlin 1939, 14).

1. Einleitung

8

Bestreben, dem deutschen Protestantismus verbindliche und einigende Formen zu geben. Da Dryander hier in den wichtigsten kirchlichen Gremien und Institutionen des deutschen Protestantismus vertreten war - was zudem den Aspekt beinhaltet, daß eine 'biographische Studie' über Dryander teilweise gute Einblicke in die Institutionengeschichte der evangelischen Kirche Deutschlands im Wilhelminismus liefert -, bietet es sich an, die hiermit verbundenen grundlegenden Fragen am Kirchenverständnis und dem sich daraus ableitenden kirchenpolitischen Konzept Dryanders zu illustrieren. Zugleich stellt sich die Frage nach den Überschneidungen und Wechselwirkungen zwischen der Atmosphäre des Hofes und dem Bereich der Kirche, da Dryander durch die Berufung in das Amt des Schloßpredigers bzw. Oberhofpredigers schon früh (1890 bzw. 1898) in den Hofkreis um das deutsche Kaiser- und Königspaar gezogen wurde, in dem er zunehmend vertrauliche Verhältnisse - besonders zu Auguste Viktoria und ihrem 'Hofstaat' (u.a. Freiherr von Mirbach) - gewann und wo ihm darüber hinaus die Aufgabe zugefallen war, Interpret des protestantischen Christentums vor den führenden und gebildeten Schichten des Reiches zu werden. Schon der wohl vielseitigste Hofprediger des alten Brandenburg-Preußen Jablonski (1660-1741) klagte über die am Hof herrschenden Gepflogenheiten: "Daß ich die drückende Last des Amtes bei Hof soll verrichten, verdoppelt meine Bekümmernis. Die Schwierigkeiten, welche selbiges anderswo beschwerlich machen, machen bei Hof dasselbe fast unerträglich. [...] Die Eitelkeit welche zwar in der ganzen Welt herrschet, sitzet daselbst wie auf einem erhöhteren Thron und schwinget einen mächtigeren Scepter. Sie hat beide Hände aufs gefährlichste bewaffnet, um das Amt des Herrn zu bestürmen und zu entkräften. Die eine Hand bietet dar die nachdrücklichsten Gattungen von Liebkosung, weltlicher Größe, Ansehen, Menschengunst u. dergl. [...]. Die andere Hand rüstet sich mit Gewalt, Dräuen, Furcht und Entsetzen, um das Gemüt, so durch Lockungen nicht hat gewonnen werden können, durch Bedräuungen zu fällen. Saure Blicke, ungnädige Mienen, drückende Ungunst, schmerzhafte Verfolgungen [... sind] beschäftiget, einen frommen Lehrer furchtsam zu machen und ihm das Maul zu stopfen, daß er nicht sage, was sein Gewissen ihm eingibt und sein Amt erfordert. Wie sollte nun meine Seele anders seufzen als: Herr, 22

sende, wen du senden willst [...]".

Um - vor dem Hintergrund dieser allerdings zweihundert Jahre älteren Klage - den Wirkungen Dryanders bei Hofe nachgehen und seine tatsächli-

Zit. n. R.V.Thadden, Die Brandenburgisch-Preussischen Hofprediger im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der absolutistischen Staatsgesellschaft in Brandenburg-Preussen (Arbeiten zur Kirchengeschichte, Bd. 32), Berlin 1959, 64.

1.2. Zugänge zur Fragestellung

9

chen Einflußmöglichkeiten erfassen zu können, soll neben den persönlichen Verhältnissen - in seiner Stellung als Seelsorger des Monarchen - und neben den institutionellen Rahmenbedingungen - etwa bei den ihm vorbehaltenen hochoffiziellen Amtshandlungen - zuvor auf das alles umfassende Phänomen des Hofes selbst mit seinem komplizierten Interdependenzsystem von Kaiser, Hofgesellschaft und Publikum eingegangen werden. Angeregt durch die vor allem soziologisch und historisch angelegten Arbeiten von Elias und Kruedener zur Rolle des Hofes im Absolutismus23, ist in den letzten beiden Jahrzehnten eine lebhafte Forschungsdebatte über die Rolle, die Soziologie und die Bedeutung des Hofes im 19. Jahrhundert geführt worden, worin sich die wilhelminische Ära eines besonderen Interesses erfreute. Zwar wird hier - allerdings nur vereinzelt - zur Kenntnis genommen, daß es so etwas wie 'Hofprediger' gab, doch es wird nicht weiter auf diesen wohl zu kuriosen Stand eingegangen.24 Der Schwerpunkt dieser Arbeiten liegt eindeutig auf dem gesellschafts-politischen Aspekt des Hofes und damit auf den Persönlichkeiten der Hofgesellschaft, die hinsichtlich politischer Ziele Einfluß auf Wilhelm II. genommen haben könnten. Weitere neue Schwerpunktthemen der 'Hofforschung' orientieren sich bevorzugt am soziokulturellen Umfeld - d.h. an der Etikette, dem Kulturleben und den Schauplätzen des Hofes. 25

24

25

N.Elias, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Mit einer Einleitung: Soziologie und Geschichtswissenschaft (Soziologische Texte, Bd. 54), Darmstadt - Neuwied 51981 (1969); J.v.Kruedener, Die Rolle des Hofes im Absolutismus (Forschungen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 19), Stuttgart 1973. So bei I.V.Hull, The Entourage of Kaiser Wilhelm II 1888-1918, Cambridge 1982, 10, im Zusammenhang einer Kategorisierung der Umgebung Wilhelms II.; für den katholischen Hof in München findet sich ein Absatz über die Aufgabe der dortigen Hofgeistlichen bei K.Möckl, Hof und Hofgesellschaft in Bayern in der Prinzregentenzeit, in: K.F.Werner (Hg.), Hof, Kultur und Politik im 19. Jahrhundert. Akten des 18. Deutschfranzösischen Historikerkolloquiums in Darmstadt vom 27.-30. September 1982 (Pariser Historische Studien, Bd. 21), Bonn 1985, 183-235, 215. Zu erwähnen sind bes. die Arbeiten von J.C.G.Röhl (Hof und Hofgesellschaft unter Kaiser Wilhelm II., in: Werner, Hof, Kultur und Politik, 237-289; Kaiser Wilhelm II., Großherzog Friedrich I. und der "Königsmechanismus" im Kaiserreich, HZ 236 (1983), 539-577; Kaiser, Hof und Staat. Wilhelm II. und die deutsche Politik, München 1987), die von ihm mitherausgegebenen Sammelbände (ders. (Hg.), Der Ort Kaiser Wilhelms II. in der deutschen Geschichte (Schriftenreihe des Historischen Kollegs München, Bd. 17), München 1991; ders./N.Sombart (Hg.), Kaiser Wilhelm II. New Interpretations, Cambridge 1982), der von Werner herausgegebene Kolloquiumsbericht "Hof, Kultur und Politik" sowie der von H.Wilderotter und K.-D.Pohl i.A. des Deutschen Historischen

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1. Einleitung

Meine Arbeit nimmt hier eine bisher noch nicht eingehend verfolgte religiöse Schattenlinie auf lind versucht somit, ein wesentliches Moment zum Verständnis und zum bunten Bild des wilhelminischen Hofes beizutragen. Nicht nur die Tatsache, daß Wilhelm II. sich seines Summepiskopats in der preußischen Landeskirche bewußt und verantwortungsbereit annahm, daß er große Sorgfalt auf religiöse Formen auch im Hofleben legte, sondern auch der Umstand - wie noch zu zeigen sein wird -, daß Wilhelm II. eine herrscherliche Religiosität um die Kaiserwürde zelebrierte, die seinem herrscherlichen Selbstverständnis auf dem Boden eines historisch-mythologisch belebten dei-gratia-Motivs - mit dem Bewußtsein, auserwähltes Instrument Gottes zu sein - entsprang, macht es lohnend, das Phänomen 'Hof aus Dryanders Perspektive theologie- und kirchengeschichtlich zu untersuchen. Wie schon die vorangegangenen Überlegungen andeuten konnten, soll der chronologisch-biographische Längsschnitt der Studie überlagert sein von einem Querschnitt durch das Wirken Dryanders, das unter Berücksichtigung gegenseitiger Überschneidungen und Beeinflussungen grob in die beiden Tätigkeitsbereiche 'Kirchenleitung' (bes. Kap. 4) und 'Hof (Kap. 5) unterschieden werden soll. Die erneute Zusammenführung der beiden Amtsbereiche in der Darstellung der Zeit der "vaterländischen Not", die im Zusammenbruch der Monarchie für Dryander eine nicht verwundene Zäsur aufweist (Kap. 6), erfährt ihre innere Rechtfertigung aus der Tatsache, daß Dryander hier alle seine Kraft und seine Ämter vorrangig in die Perspektive des Dienstes am Vaterland stellte.

1.3. Methodologische

Anstöße

Weniger bekannt als das frühe an Thukydides gebildete Diktum über die angestrebte Objektivität historischer Darstellung ("Bloß sagen, wie es eigentlich gewesen")26 dürften Bemerkungen Rankes über den Umgang mit der Geschichte sein, in denen er einerseits die Befreiung von 'Vorurteilen' der Gegenwart forderte, andererseits allerdings einem 'Rest' erkenntnisleitender

26

Museums herausgegebene materialreiche Ausstellungskatalog: Der letzte Kaiser. Wilhelm II. im Exil, Gütersloh - München 1991. K.Repgen, Über Rankes Diktum von 1824: "Bloß sagen, wie es eigentlich gewesen", HJ 102 (1982), 439-449.

1.3. Methodologische Anstöße

11

Gegenwarts-Interessen als notwendigem Impuls zur Beschäftigung mit der Geschichte sein Recht einräumte. "Die Historie wird immer umgeschrieben [...]. Jede Zeit und ihre hauptsächliche Richtung macht sie sich zu eigen und trägt ihre Gedanken darauf über. Danach wird Lob und Tadel ausgetheilt. Das schleppt sich dann alles so fort, bis man die Sache selbst gar nicht mehr erkennt. Es kann dann nichts helfen, [sie] als Rückkehr zu der ursprünglichen Mitteilung. Würde man sie aber ohne den Impuls der Gegenwart 27

Uberhaupt studieren?"

Das Interesse, der Impuls der Gegenwart am Studium des Protestantismus im wilhelminischen Deutschland, für den auch Dryander als ein typischer Repräsentant gelten darf, ist auch über die erinnernden Daten hinaus sofort zu spüren, wenn man sich klarmacht, wieviel mehr die protestantischen Kirchen der Gegenwart - über den Graben des Dritten Reiches hinweg - von jener Epoche geprägt worden sind, als gemeinhin vermutet wird. Nicht nur Verfassungen und Strukturen sind dort vorgebildet worden, es wurden auch vor hundert Jahren schon Fragen und Probleme diskutiert, die heute noch - oder schon wieder - virulent sind: das Verhältnis von Kirche und Staat, das Wesen und die Form der Volkskirche, das Verhältnis von Bekenntnisbindung und Lehrfreiheit, die Krise von Kirche und Predigt angesichts wachsender Entkirchlichung, die Aufgaben von Christentum und Kirche in Geschichte und Gegenwart, Zeit und Gesellschaft. So können die vielen Parallelen zu dieser deutsch-protestantischen Vergangenheit - was analog auch für die politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Felder gilt der Gegenwart Verstehenshilfen sein, die zu einer immer neuen Selbstbesinnung im Sinne des am Evangelium von der Rechtfertigung aus Gnaden orientierten Prinzips 'ecclesia semper reformanda' fast unentbehrlich sind. Gegen das pauschalisierende Verdikt der dialektischen Theologie über den sogenannten Kulturprotestantismus und das dadurch oft anzutreffende Verschwimmen und Vergessen jener Epoche sollen in der vorliegenden Untersuchung einige Facetten und Ausprägungen dieser Zeit an Person und Wirken Ernst von Dryanders eingehend und differenziert vorgestellt werden, stellt eine Biographie doch - um mit Reinhard Wittram zu sprechen - "einen sorgfaltig geschliffenen Spiegel" dar, der die Bewegungen und Veränderungen einer Zeit "dank der besonderen Zusammensetzung des auf eine Person konzentrierten Überlieferungsmaterials zuverlässig aufzufangen ver27

Aus den Tagebuchblättern - Allgemeine Bemerkungen 1831-1849, in: L.v.Ranke, Zur eigenen Lebensgeschichte, hg. v. A.Dove, Leipzig 1890, 569-574, 569.

12

1. Einleitung

mag"28. Dabei hat eine biographische Studie die Komplexität gelebten Lebens in den jeweiligen Bedingtheiten (Herkunft, Werden und Wirken in Gesellschaft, Ort und Zeit) zu wahren, mithin das, was man mit Jean Bollack einen "praktischen Aspekt der exemplarischen Existenz" nennen könnte29, in einen komplizierten Ideen-, Geschehens- oder Gesellschaftszusammenhang zu stellen, um dann nach den Grenzen, der Bewährung und dem Nachwirken dieses gelebten Lebens zu fragen30. Eine biographisch-kirchenhistorische Studie über einen Theologen und Kirchenmann, dessen breites Wirkungsspektrum nach eigener Anschauung in das eine Wortamt im Dienst der reformatorischen Kirche mündete, wird sich zudem in besonderer Weise als einen Beitrag zur Darstellung der Wirkungsgeschichte des Evangeliums verstehen und sich - wie Reinhart Staats in seiner Auseinandersetzung mit Hans-Ulrich Wehler formuliert hat - in ihrer ohnehin schon historischer Wahrheit, Kritik und Gerechtigkeit verpflichteten Darstellung "einüben in die evangelische Lehre von der Rechtfertigung, so daß [... die] Darstellung tolerant wird."31 Entsprechend der Rankeschen Mahnung soll eine Rückkehr zu den ursprünglichen Mitteilungen und Meinungen vorgenommen werden - mit dem Wissen allerdings, daß auch diese je und je perspektivisch sind.

R.Wittram, Anspruch und Fragwürdigkeit der Geschichte. Sechs Vorlesungen zur Methodik der Geschichtswissenschaft und zur Ortsbestimmung der Historie, Göttingen 1969, 62 (aus der Vorlesung über den "Historische[n] Prozess und die Biographie", ebd. 57-71). J.Bollack, Vom System der Geschichte zur Geschichte der Systeme, in: Geschichte Ereignis und Erzählung (Poetik und Hermeneutik, Bd. 5), hg. v. R.Koselleck/WD.Stempel, München 1973, 11-28, 11 (ausgehend von der Unterscheidung von Biographie und Doxographie). Im Hinblick auf die Fülle von (auto-)biographischer Literatur und damit verbundenen Kriterien und Ansätzen der Aufarbeitung ist das Themaheft "Biographie und Autobiographie - Theologische und geschichtswissenschaftliche Kriterien", VuF 39 (1994), H.l, hilfreich (insbesondere der Bericht v. K.Nowak, Biographie und Lebenslauf in der Neueren und Neuesten Kirchengeschichte, ebd. 44-62). S.a. den Überblick über die Diskussionslage in der Praktischen Theologie bei Fr.Schweitzer, Lebensgeschichte als Thema von Religionspädagogik und Praktischer Theologie, PTh 83 (1994), 402-414. Staats, Kaiserreich 94. Zu den Grundproblemen und Tendenzen zeitgenössischer (kirchen-)historischer Forschung s. neben dem Überblick bei G.Besier, Religion, Nation, Kultur. Die Geschichte der christlichen Kirchen in den gesellschaftlichen Umbrüchen des 19. Jahrhunderts, Neukirchen-Vluyn 1992, 173-218, A.Dunkel, Christlicher Glaube und historische Vernunft. Eine interdisziplinäre Untersuchung über die Notwendigkeit eines theologischen Geschichtsverständnisses (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, Bd. 57), Göttingen 1989, 50-66, und B.Jaspert, Hermeneutik der Kirchengeschichte, ZThK 86 (1989), 59-108.

1.3. Methodologische Anstöße

13

Dies gilt insbesondere für die Erinnerungen Dryanders selbst, die 1926 schon in 4. Auflage vorlagen (s.o. Anm. 12). Der Zusammenbruch der Monarchie und der Versailler Friedensvertrag ließen in Dryander nicht nur die "Sehnsucht [aufkommen], in einer fremd gewordenen Zeit den Weg ins Kinderland zu suchen", sondern auch "schmerzliche Trauer um alles, was ein Leben lang scheinbar vergeblich gearbeitet wurde"32. Den Ressentiments gegenüber der Weimarer Republik stehen die unverbrüchliche Treue gegenüber dem Kaiser und das Eintreten für alte Ideale entgegen. Unter Berücksichtigung dieser monarchisch-apologetischen Tendenz bleiben die Erinnerungen Dryanders eine wichtige Quelle. Die Nachlaßforschung mittels der einschlägigen Handbücher und über den aufgenommenen Kontakt zur Familie von Dryander (sowie zur Hofpredigerfamilie Vits) ergab - bedingt durch starke Kriegsverluste - zwar nur wenig brauchbare Dokumente. Doch stellt dies hinsichtlich des dort verlorengegangenen Predigtmaterials keinen Nachteil dar, da ein großer Teil schon zu Lebzeiten in eigenen Predigtbänden oder in Einzeldrucken (bes. die "Hof'predigten) veröffentlicht sowie posthum in Dryander gewidmeten Predigtsammlungen herausgegeben worden ist. Die gute Zugänglichkeit der Berliner Bibliotheken und besonders die Tübinger Universitätsbibliothek haben das Zusammentragen des gesamten veröffentlichten und für den Prediger Dryander repräsentativen Materials gestattet. Als außerordentlich wichtig erwies sich das Evangelische Zentralarchiv in Berlin (EZA), welches als gemeinsames Archiv der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Evangelischen Kirche der Union die wichtigsten Bestände der ehemaligen evangelischen Landeskirche Preußens und Deposita des Einigungsprozesses der deutsch-protestantischen Landeskirchen verwaltet. So konnten nicht nur für das Wirken Dryanders in der Kirchenleitung, sondern auch für das theologische Werden und den beruflichen Werdegang sowie für den Hofbereich und die Kriegsarbeit interessante Akten und Dokumente eingesehen und erfaßt werden. Als gute Ergänzung hierzu dienten die veröffentlichten Verhandlungen von General- und Provinzialsynoden und von den Kongressen der Inneren Mission. Gerade diese Quellenart und die zur Erfassung des jeweiligen zeitgenössischen Rahmens unerläßlichen Zeitschriftenstudien haben erheblich zum vertieften Einblick in die innerkirchlichen

32

EvD, Erinnerungen (zit.n. 3. Aufl.) 1 bzw. 337.

14

1. Einleitung

Probleme beigetragen und die Lebendigkeit der weit in die Laienkreise hineingehenden Diskussion 'in der Kirche um die Kirche' aufgewiesen. Doch zu der Arbeit an und mit den Quellen gehört gerade bei diesem biographisch orientierten Thema nicht nur die systematische Durchsicht der Artikel, Aufsätze, Predigten und Reden Dryanders, nicht nur die Einsichtnahme, Be- und Verwertung der wichtigsten Archivalien sowie das sorgfaltige Aufarbeiten der überaus reichhaltigen Literatur zu diesem Themenbereich, sondern auch die Berücksichtigung der vielfaltigen und verschiedenen Perspektiven von Zeitgenossen auf Dryander. Konnte zwar das Heranziehen der gerade für diesen Zeitraum reichlich vorhandenen (auto-)biographischen Literatur, auch der Vielzahl der Nachrufe, den Verlust der wohl umfangreichen Privatkorrespondenz Dryanders natürlich nicht in jeder Hinsicht kompensieren, erbrachte diese doch immerhin einen wichtigen Beitrag zur Quellenbasis und vermittelte nicht nur ein sehr plastisches Bild des Zeit- und Handlungsspielraums Dryanders, sondern befruchtete und/oder belastete diese Arbeit schon von vornherein mit einigen Vor-Urteilen.

2. WERDEN DER PERSÖNLICHKEIT 2.1. Herkunft Die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft an der alma mater Halensis am 31. Juli 1920, dem Tag des ansonsten in aller Stille verbrachten goldenen Ordinationsjubiläums, erfüllte Dryander mit Freude und Stolz 1 , da er mit dieser Würde eine familiäre Tradition fortsetzen durfte, in der schon sein Vater, seine beiden Großväter und ein Urgroßvater standen.2 Als Ernst Hermann Dryander am 18. April 1843 als zweiter Sohn von Franziska und Hermann Ludwig Dryander in Halle geboren wurde, hatten sich in ihm die Traditionen der alten Hallenser Patrizier- und Pfännerfamilie Dryander3 mit denen der Delbrücks verbunden, die durch ihre preußische

EvD, Erinnerungen 327. Schon hier sei erwähnt, wie sehr der immer wieder durchscheinende schmerzliche Rückblick auf die vergangenen Tage für die nach dem Zusammenbruch verfaßte Autobiographie Dryanders bezeichnend ist. So stellte Dryander an dem Akt der Verleihung des Diploms der Ehrenmitgliedschaft am 1. Dezember 1920 besonders die traditionelle akademische Feierlichkeit nebst akademischem Gottesdienst heraus, worin sich seiner Meinung nach in einer "Zeit äußerer Würdelosigkeit" wie ehedem ein Zeichen der Wertschätzung des strengen Ernstes der Wissenschaft mit dem Bekenntnis zur Kirche "als dem Sammelbecken aller sittlichen und religiösen Kräfte" für den Aufbau des Vaterlandes verband. Sie alle waren der Universität durch akademische Würden und Ämter verbunden: Hermann Benjamin Dryander (1740-1816) war u.a. Königlich-Preußischer Hofrat, Universitäts- und Pfännerschaftssyndicus sowie Ehrendoktor der juristischen Fakultät zu Halle. Dessen einziger Sohn Friedrich August Dryander (1782-1852) bekleidete nach dem Ausscheiden aus dem Staatsdienst ebenfalls die Ämter eines Universitäts- und Pfännerschaftssyndikus, amtierte seit 1819 als Universitätsrichter und bekam die juristische Ehrendoktorwürde verliehen, wie auch dessen ältester Sohn, Ernst Dryanders Vater, Hermann Ludwig Dryander (1809-1880) 1867 mit der theologischen Ehrendoktorwürde ausgezeichnet wurde. Dryanders Großvater mütterlicherseits Gottlieb Delbrück (17771842), Stammvater eines bedeutenden deutschen Familienzweiges, bekleidete sogar das Rektorat der Universität Halle-Wittenberg; s. dazu B.Koerner, Genealogisches Handbuch bürgerlicher Familien, Bd. 7, Berlin 1900, 13-22 (Dryander), bes. 17-19. Ein Teil des Ende des 16. Jahrhunderts bei Weißenfels und Merseburg greifbaren Pfarrergeschlechts Dryander siedelte nach dem Dreißigjährigen Krieg nach Halle über und trat in die Reihe der dortigen Pfännerfamilien ein. Interessant ist die allerdings zweifelhafte Möglichkeit eines genealogischen Ursprungs von dem spanisch-reformatorischen Brüderpaar Francisco und Jaime de Enzinas aus Burgos, die sich Dryander nannten. Jaime wurde 1547 in Rom als Ketzer verbrannt. Francisco machte sich nach einem Studium in Löwen und Wittenberg (1539-41) einen Namen als Übersetzer des Neuen Testamentes aus der Ursprache ins Spanische (im Hause Melanchthon), welches er dem

16

2. Werden der Persönlichkeit

Staatsgesinnung sowie durch ihre weitreichenden und hohen gesellschaftlichen Verbindungen prägend wurden.4 Kurz vor seinem sechsten Geburtstag starb seine Mutter, was Dryander in seinen "Erinnerungen" urteilen ließ, seiner Kindheit habe die Liebe einer Mutter gefehlt.5 Da sein Vater am 8. Dezember 1853 eine zweite Ehe mit Hedwig Delbrück (1826-1898), der jüngeren Stiefschwester seiner ersten Frau, einging, wurde den beiden Brüdern und ihrer Schwester ein neues Elternhaus gegeben, in dem die Pflege der Musik, humanistischer Bildung und des verwandtschaflichen Verkehrs ebenso großgeschrieben wurden wie eine ernste christliche Erziehung. "Ich stand in einem wirklich frommen Eltemhause. Wenn vom Glauben weniger gesprochen als danach gehandelt wurde, atmeten wir doch alle diesen Geist." 6

Diese Atmosphäre fand nach vierjährigem Besuch einer Privatschule ihre Ergänzung durch das Pädagogium der Franckeschen Stiftungen, in das Ernst, einer langen Dryanderschen wie Delbrückschen Familientradition folgend, im Herbst 1853 mit seinem kränkelnden Bruder Friedrich eintrat. Doch anders, als man es nach Geschichte und Tradition dieser Anstalt hätte vermuten können, scheinen die Eindrücke der Gymnasialzeit nicht sehr tief gewesen zu sein. Im Rückblick berichtete Dryander zwar mit Ehrfurcht von dem Glaubens· und Liebesfundament der Stiftungen sowie von einer in ihm geweckten Begeisterung für Homer, Schiller, Uhland und Chamisso, hielt diesen Empfindungen aber eine "leider oft zu herbe Kritik" über die Kargheit und Kälte der Einrichtung und - "bei aller Wertschätzung humanistischer Bildung" - die Vernachlässigung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts entgegen.7 So gesellte sich zum Gefühl eines "glücklich errungenen Sieg[es]"

4

5 6 7

Kaiser am 25.11.1543 persönlich überreichte; Verfolgungen entzog er sich über Wittenberg, Straßburg, Cambridge und wiederum Straßburg, wo er wie in Cambridge bis zu seinem Tod (1552) eine Professur für ev. Theologie innehatte (S. E.Boehmer, Art. "Spanien. Reformatorische Bewegungen im 16. Jh.", 3RE, Bd. 18 (1907), 580-587, 581f; H.Liebing, Art. "Enzinas", 3 RGG, Bd. 2 (1958), Sp. 516; Koemer, Handbuch 14; EvD, Erinnerungen 5). Im Blick auf Dryanders späteren Lebensweg seien nur Dryanders Großonkel Ferdinand Delbrück, zeitweise Erzieher Friedrich Wilhelms IV. und Wilhelms I., die Berliner Bankiers sowie sein Vetter Clemens von Delbrück, unter Wilhelm II. u.a. Staatsminister, Staatssekretär des Innern, Stellvertreter des Reichskanzlers sowie zuletzt Chef des Zivilkabinetts, erwähnt. EvD, Erinnerungen 17. Ebd. 31. Ebd. 18-24, 29-32, zitierte Wendungen s. 20 u. 29.

2.2. Lehr- und Wanderjahre

17

nach dem im Sommer 1860 gemeinsam mit seinem Bruder Friedrich bestandenen Abiturientenexamen "der Ausblick und die Erwartung einer noch herrlicheren Zukunft." 8

2.2. Lehr- und Wanderjahre 2.2.1. Studium Nach dem Abitur am Pädagogium der Franckeschen Stiftungen folgte Dryander ohne Kämpfe und Schwankungen dem Vorbild seines Vaters, zu dieser Zeit Superintendent einer Landdiözese und Archidiakon an der St. Marienkirche, und nahm zum Wintersemester 1860/61 das Theologiestudium in Halle auf. Nach dem Urteil Beyschlags war Hermann Ludwig Dryander, der später noch die Ämter eines Konsistorialrats (1866), Oberpfarrers und Stadtsuperintendenten (1876) bekleiden sollte, sogar "das wirkliche Haupt der Stadtgeistlichkeit"1. Auch wenn Dryander sich nicht erinnern konnte, "je an einen anderen Beruf als den väterlichen gedacht zu haben", schrieb er seiner späten, erst im Primaneralter durch seinen Vater vollzogenen Konfirmation einen vielleicht letzten Anstoß zum Entschluß des Theologiestudiums zu, denn durch eine lange und lebensbedrohliche Krankheit seines Vaters hatte sich die Verzögerung ergeben und "der Ernst, der in jener Zeit unser Haus erfüllte, mag in seiner Weise eine andere und tiefere Art der Vorbereitung bewirkt haben."2 Man fühlt sich ein wenig an Augustin erinnert, liest man die 'confessiones' Dryanders über diese Zeit: Er hätte alles Schöne und Freundliche, das ihm widerfuhr, durch rücksichtslose Überhebung und Trotz vergolten, ohne daß er sich ein Gewissen daraus gemacht hätte.

Ebd. 32. Friedrich war keine lange Zukunft beschieden; nach einem Jurastudium starb er 1868 während des Rechtsreferendariats in Suhl, a.a.O. 73. W.Beyschlag, Aus meinem Leben, 2. Theil: Erinnerungen und Erfahrungen der reiferen Jahre, Halle 1899, 137. S.a. Zum Gedächtniß D. Hermann Ludwig Dryander's, weil. Oberpfarrer an der Kirche zu U.fnser] L.[ieb] Frauen, Superintendent und Consistorialrath zu Halle a.d.S. - Eine Auswahl von Predigten nebst einem Bild seines Lebens, Halle 1880, XI, XVf . EvD, Erinnerungen 30f; dies deckt sich mit Gedächtniß/H.L.Dryander, XIII.

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2. Werden der Persönlichkeit

"Nun hatte ich das Gefühl, daß bei der Konfirmation irgend etwas vorgehen müsse, was eine Wendung bedeute, daß ein alter Mensch, dessen Last und Gewalt ich doch stark fühlte, und dessen Leidenschaften mich beherrschten, definitiv ausgezogen werden müsse. Ich las in der Bibel und verstand namentlich die dahinzielenden Stellen der paulinischen Briefe recht wohl. Ich nahm auch das Gebet zu Hilfe, obwohl es mir schwer schien, lange andächtig zu beten. Immerhin hatte ich den redlichen Willen zur Buße, und das Glauben wurde mir nicht schwer. So wurde ich denn, wie ich glaube, innerlich angefaßt [...]".

Es scheint angesichts dieser Andeutung einer durch eine 'Höllenfahrt der Selbsterkenntnis' gewonnenen 'Gotteserkenntnis'4, als hätte Dryander den besonderen Einfluß, der von Tholuck am Beginn seines Studiums auf ihn ausging, vorverlegt in die Zeit der inneren Entscheidung zum Theologiestudium. Dies hat sogar ein besonderes Recht, zieht man den freundschaftlichen Verkehr in Betracht, den Dryanders Vater mit seinem ehemaligen akademischen Lehrer pflegte. Denn als Hermann Ludwig Dryander 1828 seine theologischen Studien in Halle aufnahm, hatte Tholuck hier gegen manche Widerstände gerade seinen Weg begonnen, auf dem er sich als 'Erweckungstheologe' an dieser vormals rationalistischen Fakultät durchsetzen sollte.5 Machte Tholuck in seiner Persönlichkeit und in dem Vorhaben, seine Studenten zu einem bewußt erlebten und entschieden gelebten Christentum führen zu wollen, zeitlebens einen großen Eindruck auf Dryanders Vater, so wurde andererseits Tholuck als auf seine Weise beispielhafter und väterlicher Seelsorger seiner Studenten auf diesen aufmerksam. Von Tholuck mit Empfehlungen ausgestattet, nahm Hermann Ludwig Dryander nach dem ersten Examen während eines weiteren Studienabschnitts in Berlin mit Neander und Baron von Kottwitz Fühlung auf, ohne allerdings dem Kreis der Berliner Pietisten näherzutreten. Da Tholuck und Hermann Dryander nicht nur geistig und theologisch auf einem ähnlichen Fundament standen und sich in der karitativen Vereinsarbeit, namentlich in der durch beide örtlich angeregten

EvD, Erinnerungen 31. Dieses theologische Bonmot leitete Tholuck in seiner Schrift "Guido und Julius. Die Lehre von der Sünde und vom Versöhner oder Die wahre Weihe des Zweiflers" (1823) biblisch von Gen 3 und Röm 7 her, die für ihn die zwei Grundpfeiler des Christentums und Pforten zum Leben darstellten; s. K.Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, Zürich s 1985 (1947), (459-468) 466. Vgl. H.-W.Krumwiede, August G. Tholuck, in: Gestalten der Kirchengeschichte, hg. v. M.Greschat, Bd. 9,1: Die neueste Zeit, Stuttgart 1985, 281-292, u. Gedächtniß/H.L.Dryander VIII-IX, XI.

2.2. Lehr- und Wanderjahre

19

Gustav-Adolf-Sache Berührungen ergaben6, erwuchs im Laufe der weiteren gemeinsamen Jahre in Halle eine gute Freundschaft. Wohl nicht ohne Stolz wurde Ernst daher von seinem Vater vor Beginn seines Studiums dem 'alten' Tholuck vorgestellt. Auch ohne dem Kreis der Amanuenses angehört zu haben, blieb Dryander ihm u.a. als späterer Reisebegleiter über das Studium hinaus verbunden.7 Als weitere theologische Lehrer Dryanders sind zwar noch der Alttestamentler Hupfeld, der sich in der Pentateuchforschung verdient gemacht hat, und Jacobi, ein Schüler Neanders, zu nennen. Doch vor allem Tholuck und die Dogmatik des ebenfalls mit Dryanders Vater befreundeten Julius Müller prägten die ersten theologischen Wurzeln des jungen Studenten, auch wenn dieses Zwiegestirn seinen Zenit schon überschritten hatte. Müller, ein wichtiger Vertreter der Unions- und Vermittlungstheologie, galt mit Recht als ideale Ergänzung Tholucks, da er dessen christologisch zentrierte Pectoraltheologie von Sünde und Rechtfertigung systematisch unter den unionistischen Aspekt stellen und die Rechtfertigungslehre wie die 'positive' göttliche Offenbarung in Christus zu den einigenden Fundamenten und Lebensprinzipien einer evangelischen Union erheben konnte.8 An Tholuck faszinierte Dryander nicht so sehr die Fülle gelehrter neutestamentlicher Einzelheiten als vielmehr das von ihm angestrebte und auf der Kanzel vor Augen gestellte tätige und lebendige Christentum: "Ich habe nie einen Prediger kennen gelernt, der mit solcher Meisterschaft die 'psychologische Predigt' geübt [...] hätte. [...] Sein Haupteinfluß aber ruhte in der Innerlichkeit und Wärme seiner christlichen Persönlichkeit, in seiner Meisterschaft der Seelenführung, seinem Eindringen in die verborgenen Vorgänge des inneren Lebens, vor allem in dem, was die treibende Kraft seines ganzen Daseins war, in dem Triebe, die Seelen für den Dienst des Meisters zu gewinnen, dem sein eigenes Herz gehörte [...]. So war etwas wie ein Geheimnis in ihm, vor dem man Respekt hatte, und das aus der kleinen verwitterten Gestalt mit dem unbehilflichen Wesen wie aus einer q andern Welt herausleuchtete."

War Tholuck ihm ein 'geistlicher Vater', so lernte Dryander bei Müller die "Unabhängigkeit den philosophischen, namentlich Hegel-Straußschen VorausBeyschlag, Leben II, 138, berichtete: "Dryander gehörte noch zu den ersten Stiftern des Vereins, der 1843 mit stark-liberaler Färbung enstanden war". EvD, Erinnerungen 36-40, 70-73. Wolf, Kögels Kirchenpolitik 28-31, stellt dies besonders mit Blick auf das nach seiner Schrift "Die christliche Lehre von der Sünde" (1838-44) wohl wichtigste Werk Müllers "Die evangelische Union, ihr Wesen und ihr göttliches Recht" (1854) heraus. EvD, Erinnerungen 3 8 f .

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2. Werden der Persönlichkeit

Setzungen wie andererseits der symbolisch-kirchlichen Lehrgebundenheit gegenüber" schätzen, die auch ihn "nach beiden Seiten hin frei" machte.10 Der Wechsel nach Tübingen zum Sommersemester 1862 bedeutete eine wichtige Erweiterung seiner bisher auf Halle konzentrierten Entwicklung. Denn "nicht von vornherein auf die Erlanger Theologie eingeschworen", welche für Dryander "durch Hupfeld gründlich in den Bann getan und durch Tholuck nicht erlöst" war, versprach Tübingen großen Gewinn - besonders mit Johann Tobias Beck, der nach dem Aussterben der 'Tübinger Schule' "fast unbeschränkt, vielfach als fast unfehlbar gewertet, die Situation berherrschte"11. Beck, der in der Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts in vielerlei Hinsicht ein Einzelgänger war12, prägte Dryander allerdings nicht so sehr durch seine eigenwilligen biblizistisch-systematischen Spekulationen: "Schwerfällig im Ausdruck, aber gedankenschwer in der Sache, eigenartig in jedem Wort bis auf die Lösung vom theologischen Sprachgebrauch, bisweilen dunkel, aber auch oft überraschend, [...] wollte er ein eigentlicher Bibeltheologe sein. Er hatte sich eine ... biblische Gesamtheologie konstruiert, die er [...] [,] ausschließlich aus der Schrift geschöpft[,] [...] in bewußter Zurückstellung jeder Kritik als zusammengehörig wie sie einmal war, betrachtete, und deren Begriffe, gleichviel, ob sie dem Alten oder Neuen Testament entstammten, er wie eine einheitliche Größe behandelte. Indem er so das subjektive Moment im Prozeß des werdenden Gemeindeglaubens in unberechtigter Weise fast unberücksichtigt ließ, war er gleichwohl der ausgeprägteste Subjektivist, den man sich denken konnte." 1 3

Mehr als dessen ihm "vielfach schwer verständliche[...] Gedankenreihen" fesselte Dryander an Beck der "Eindruck einer fest geschlossenen, auf dem unerschütterlichen Boden göttlichen Wortes gewachsenen und in dieser Gewißheit vollkommen unbeeinflußbaren Persönlichkeit." Beck ist somit für Dryander - vielleicht noch mehr als sein Vater und Tholuck - gewissermaßen zum Urbild einer christlichen Persönlichkeit, eines christlichen Charakters geworden, dessen Ideal und Begriff Dryanders Leben und Wirken stets begleiten sollten. Es ist leicht vorstellbar, wie sehr der starke ethische Impuls, der von Beck ausging, auf Dryander gewirkt haben muß.

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13

Ebd. 41. Ebd. 42. Barth, Die protestantische Theologie 562-569, zeichnete ihn als "eine Art Naturereignis", als "religiöse[s] Original und Kraftmenschen" mit einer "unwiederholbare[n] Individualität" in jeder Zeile (562f). Ebd. 42f; das Folgende s. ebd. 43.

2.2. Lehr- und Wanderjahre

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"Ich gehörte zu denen, die seine eigentliche Theologie nur unvollkommen verstanden, dieser ethischen Auffassung aber, die frei und weit nicht kirchliche, sondern biblische 14

Weisheit vortrug, Bedeutsames verdanken."

Mit vielfältigen persönlichen Eindrücken - u.a. suchte Dryander Blumhardt d.Ä. auf, war Gast im Hause Wildermuth und hospitierte im Kolleg Hefeies über die Reformationsgeschichte - kehrte Dryander nach drei Tübinger Semestern nach Halle zurück. In der letzten Phase seines Studiums trat als für den weiteren Lebenslauf wichtiger Lehrer Willibald Beyschlag hervor, ein streitbarer Vermittlungstheologe, der nach seiner Karlsruher Hofpredigerzeit 1860 eine Professur in Halle bekommen hatte und der in der Bismarckära zunehmend kirchenpolitisch und publizistisch aktiv werden sollte.15 Kurz vor der Meldung zum Ersten Theologischen Examen wurden die Vorbereitungen unterbrochen durch ein Erlebnis, das - wie Dryander betonte - "mich zum erstenmal [sie!]16 in unmittelbare Anteilnahme an den kirchlichen und religiösen Bewegungen der Zeit brachte, für längere Zeit ein Gegenstand unserer Disputationen wurde, aber auch auf meine kirchliche Entwicklung selbst eingewirkt hat".17 Auf dem im September 1864 in Altenburg veranstalteten Kirchentag nämlich konnte Dryander beobachten, wie ein zum ersten Mal öffentlich "aufklaffendefr] Riß zwischen einer altgläubigen und modernen Richtung auch innerhalb der positiv[-unionistischen] Theologie f...] dem Kirchentage den Todesstoß" versetzte. Nach nicht einmal einem Vierteljahrhundert sollte diese u.a. von Wichern so hoffnungsvoll auf den Weg gebrachte Institution darauf nur noch einmal 1872 in Halle zusammentreten, wo Dryander, zu der Zeit Diakonus in Torgau, unter dem Präsidium des alten von BethmannHollweg als Schriftführer fungierte. Die Erregungen hatten sich an einem Vortrag Beyschlags entzündet, der vor dem Hintergrund einer durch Renan, Strauß und Schenkel aufgeheizten 14 15

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17

Ebd. 44. Ebd. 53-55; s. die Skizze Beyschlags bei G.Maron, Willibald Beyschlag und die Entstehung des Evangelischen Bundes, in: ders. (Hg.), Evangelisch und Ökumenisch. Beiträge zum 100jährigen Bestehen des Evangelischen Bundes (Kirche und Konfession, Bd. 25), Göttingen 1986, 19-44, 21-24. Im folgenden wird auf Fälle einer vom heutigen Gebrauch offensichtlich abweichenden Orthographie und Zeichensetzung in älteren Zitaten - wie etwa "sanetionirt", "in dem Maaße", "ein Todter", "Christenthum", "mit einemmal", "aufs Engste" und bei der 'Auslassung' des Kommas - nicht eigens hingewiesen. EvD, Erinnerungen 55. Dort s.a. folgende Zitate.

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2. Werden der Persönlichkeit

Debatte über das Leben Jesu den Gewinn der evangelischen Kirche aus diesen Verhandlungen bedenken sollte.18 Warf Beyschlag den Schriften jener Autoren zwar vor, daß sie "auf die Entgottung des Sohnes Gottes gerichtet" seien19, so beklagte er jedoch auf der anderen Seite - zum Entsetzen der Orthodoxen und besonders lutherischer Kreise um Hengstenberg - die dogmatische Einseitigkeit, d.h. die Vernachlässigung der Menschheit Christi, "kraft deren er doch erst unser ist."20 Er beschwor Kirche und Theologie, "vollen Ernst [zu] machen mit der Menschheit Christi, mit der Geschichtsnatur seines Lebens, mit der Behandlung der Evangelien als historischer Quellen".21 Dryander stimmte dem Grundanliegen dieses Referats weitgehend zu. Die Form der Polemik gegen Beyschlag stieß ihn "im höchsten Grade ab", und vor allem: "Beyschlags Name wurde von da aus eine Art Schiboleth für den erwähnten Gegensatz."22 Nicht sehr angenehm war ihm daher das "recht ungeschickt gefaßte Thema" seiner Examensarbeit: "Proponatur et explicatur doctrina de duplici statu Jesu Christi"23, da er sich nicht nur dem weiten Feld der Christologie ausgesetzt sehen mußte. Es ist nun interessant zu sehen, wie sich trotz der vorsichtigen Beschränkung auf eine rein dogmengeschichtliche Darstellung des betreffenden Lehrstücks bisweilen doch eine Nachwirkung des Altenburger Vortrags bemerkbar machte. So strich Dryander in Berufung auf die Schrift ("Sequitur, ut [...] judicium s.[acra] scriptura quaeramus!"24) unter Wahrung der Gottheit die wahre Menschheit Christi heraus (" [...] ex eo constat, quod Ch[rist]us vere fuit homo sortemque omnino humanam subiit."25). Doch der von Thomasius angeregten neueren Kenosistheologie, derzufolge schon der präexistente "λόγος cum incarnatione (non solum secundum humanitatem, sed totam personam) se exinanisse [...] [et] deposuisse igitur [...] relationa quae dicuntur Dei attributa"26, scheint Dryander sich ebensowenig angeschlossen zu haben wie der Christologie Dorners, "qui adversarius

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24 25 26

Beyschlag, Leben II, 210-236, bes. 213-222. Ebd. 2 1 4 f . Ebd. 216. Ebd. 217. EvD, Erinnerungen 55. Ebd. 56; die Examensarbeit findet sich im EZA 14/D 4-1, Personalakte Dryander, pag. 19-31. EZA 14/D4-1, Personalakte Dryander, pag. 22V. Ebd., pag. 25R; vgl. 28R. Ebd., pag. 24V u. R.

2.2. Lehr- und Wanderjahre

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exinanitionis gradatim τον λόγον cum humana natura se conjunxisse putat eo magis, quo humanitas ethice divinitati similis facta sit."27 Denn schon der Beginn seiner von Müller mit "sehr gut" beurteilten Arbeit wies Dryander als 'biblisch-reformatorischen Theologen' aus, der entlang der Schrift ein christologisches 'Glaubensbekenntnis' aufstellte, das in eher reformatorischaltlutherischen Bahnen verlief.28 Im Rückblick des Alters ließ Dryander es allerdings dahingestellt sein, ob diese Art theologischer Arbeit "mit bleibender Frucht für die Zukunft oder mehr zur Übung des Scharfsinns" gedient habe.29 Schon zum Zweiten Theologischen Examen 1867 sollte Dryander zeitgenössischen theologischen Gedankengängen nach nochmaligem Studium neuerer Dogmatiken unter christologisch-soteriologischer Perspektive aufgeschlossener gegenüberstehen, wie seine Examensarbeit über Dorners Lehre von der Unveränderlichkeit Gottes zeigen kann.30 Angeregt von der Absicht Dorners, gegen eine "abstractam immutabilitatem" Gottes zu kämpfen und zu zeigen, "quanta mobilitas in Deo agnoscenda sit"31, lobte Dryander das "caput rei, quod in ethica Dei essentia omnia posita esse Dornerus demonstrat", und betonte beifallig, wie "hanc ethicam Dei essentiam cogitari modo trinitatis".32 Dabei bestimmte Dryander die "caritas" in eigener Formulierung als das "principium internum trinitatis"33. Hier setzte sich Dryander von Dorner ab, der die Trinität nicht mehr personal, sondern als Seinsweisen der einen absoluten Persönlichkeit Gottes, und die Liebe als "sui ipsius Caritas" verstand. Dryander hielt dem entgegen:

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2Q 30

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Ebd., pag. 24R. Ebd., pag. 20V: "Cum scriptura sacra putamus Jesum Christum, Dei filium, [...] nostri causa hominem factum esse [...] Quum [sie!] autem vitam vere humanam iniret, ut pro nobis pateretur, fieri non potuit, quin divina, qua utebatur, vitae forma remota [...] debilem atque fragilem miseramque hominem naruram indueret [...]" (Hervorhebungen v. Vf.). EvD, Erinnerungen 56. Die Arbeit vom Frühjahr 1867 unter der Fragestellung "Quid de Dorneri sententia circa immutabilitatem Dei in ephemeridibus theologicis [i.e. "Theologische Jahrbücher"] annorum 1856-58 exhibita statuendum sit?" ist abgelegt im EZA 14/D4-1, Personalakte Dryander, pag. 87-98. Ebd. 89R. Ebd. 92V. Ebd. 93R-94V.

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2. Werden der Persönlichkeit

non cognoscimus perfectam et absolutam caritatem, quae sola per se existit. Caritas • ..34 enim est communicativum sui.

Doch zusammenfassend und dem Grundanliegen zustimmend urteilte Dry ander: "Qua trinitate doctrina idem demonstrari putamus, quod demonstrare velit Dornerus, nempe indolem esse divinae essentiae in se realiter habere et immutabilitatem et mobilitatem. Utraque enim continetur caritate, communicatione mobilitas, sanctitate immutabilitas; utraque autem plane conjuncta. In caritate igitur summum quasi datur principium verae immutabilitatis. 35

Mit Freuden hatte Hermann Dryander das Gesuch seines Sohnes auf Zulassung zur Ersten Theologischen Prüfung begleitet und als sein Seelsorger bezeugt, daß Ernst dem "theologischen Beruf mit ernstem Sinn sich zugewendet [habe] nicht bloß durch die Sitte des Vaterhauses, sondern durch lebendiges inneres Bedürfnis getrieben"36. Eine Reise in den Harz war die Belohnung für das am 21. Juni 1865 mit Auszeichnung ("gut bestanden mit der näheren Bestimmung sehr gut") bestandene Examen pro licentia concionandi.37

2.2.2. Kandidatenzeit Mit dem Ersten Theologischen Examen bekam Dryander den Status eines Kandidaten der Theologie mit Predigtbefugnis, der zur Vorbereitung auf das Zweite Theologische Examen und den darauf folgenden Beruf individuell auszugestalten war. Über Tholucks Vermittlung trat Dryander zum Herbst 1865 als Hauslehrer in das vornehme Kaufmannshaus des Etatsrats Donner in

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Ebd. 94V. Ebd. 96R-97V. Die teilweise große Nähe Dryanders mit diesem Bild des in der Liebe lebendigen wie unveränderlichen Gottes zu der Theologie z.B. eines Barth oder von ihm mitangeregter Theologen wie Ebeling oder JUngel verwundert nicht, wenn man den Dank berücksichtigt, den der 'reife' K.Barth gerade Domers Schrift Uber den Begriff der Unveränderlichkeit Gottes von 1856 abstattete (K.Barth, Die kirchliche Dogmatik, Bd. II/l: Die Lehre von Gott, Zürich 1948, 554). Hermann Dryander an das Magdeburger Konsistorium v. 30.9.1864, EZA 14/D41 .Personalakte Dryander, pag. 4. Das testimonium pro licentia concionandi wurde durch die Königliche Examinationskommission der theologischen Fakultät Halle ausgestellt, in der mit Jacobi, Tholuck, Müller, Hupfeld, Beyschlag und Wuttke sämtlich Lehrer Dryanders vertreten waren, ebd., pag. 5 4 f .

2.2. Lehr- und Wanderjahre

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Neumühlen bei Hamburg ein.38 Zur Vorbereitung seiner pädagogischen Arbeit besuchte Dryander vom 7. August bis zum 15. September das Königlich-Preußische Seminarium zu Barby, welches ihm das Zeugnis ausstellte, von den Möglichkeiten zu Hospitationen, eigenem Unterricht und begleitenden Kursen "bereitwillig Gebrauch gemacht" zu haben.39 So fühlte er sich den Unterrichtsanforderungen und einer ihm nach dem plötzlichen Tod des Hausherrn angetragenen größeren erzieherischen Verantwortung leidlich gewachsen. Durch verwandtschaftliche Kontakte nach Kiel verstärkt, konnte Dryander aus relativer Nähe die verwickelten Spannungen um Schleswig-Holstein beobachten. Verhielt er sich zunächst neutral, loderte mit Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen dann doch "der spezifisch preußische Patriotismus" in ihm auf, so daß er sich als freiwilliger Felddiakon zur Verfügung stellte.40 In den vielen, zudem noch von der Cholera heimgesuchten Lazaretten bei Brünn mußte Dryander erste harte Seelsorgeerfahrungen machen. "Daß es freilich das pectus ist, quod facit theologum, das war an den Sterbebetten der Lazarethe [...] zu lernen". 41

Zuvor schon praktische Erfahrung zu sammeln, war Dryander erschwert, "da sowohl in Holstein wie in Hamburg das Predigen von Ausländern verboten ist".42 Doch es bot ihm nach dem Krieg nicht nur die reformierte Kirche Hamburgs Möglichkeiten zur Predigt, auch der Altonaer Propst stand ihm hierin sowie mit "Anleitung und Gelegenheit zu wöchentlichen Armenund Krankenbesuchen" zur Seite. Selbst die Kanzel der Kieler Nicolaikirche lernte er noch kennen. Dryanders späterer Freund und Weggefährte Bernhard Weiß, seinerzeit Ordinarius für Neues Testament in Kiel, erinnerte sich: "Am letzten Sonntag des Jahres [1866] predigte [...] der Kandidat Ernst Dryander, der am Silvesterabend bei uns Besuch machte. Über seine Predigt sagt mein Tagebuch nichts; ahnte ich doch nicht, was er mir einst werden würde." 43

18 39

4

"

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EvD, Erinnerungen 58. Zeugnis des Königlich-preußischen Seminariums zu Barby v. 18.9.1865, EZA 14/D4-1, Personalakte Dryander, pag. 58. S. den Aufsatz Dryanders über den theologischen Bildungsgang v. 25.4. 1867, ebd., pag. 71-75, 72V. EvD, Erinnerungen 64. EvD, Aufsatz zum theologischen Bildungsgang, EZA 14/D4-1, Personalakte Dryander, pag. 75V. Ebd., pag. 74R. B.Weiß, Aus neunzig Lebensjahren 1827-1918, hg. v. H.Weiß, Leipzig 1927, 128.

26

2. Werden der Persönlichkeit

Unter der Supervision der Altonaer Kirchengemeinde ging Dryander in das Zweite Theologische Examen 44 , um am 18. Juni 1867 in Magdeburg die Prüfung zum Erwerb der licentia pro ministerio mit dem Prädikat "gut, mit der näheren Bestimmung sehr gut" zu bestehen. 45 Es verdient hervorgehoben zu werden, wie sich schon hier ekklesiologische Grundüberzeugungen herausgebildet haben, die Dryander später in seinen Ämtern umzusetzen versuchte. Er sah in der zunehmenden kirchenpolitischen und konfessionellen Parteibildung in den evangelischen Reihen ein Symptom und einen Verstärker zugleich für "tiefgreifende Gegensätze und Spaltungen, tiefer noch zum Theil als die Kluft, die von den römischen und griechischen Kirchen uns trennt".46 Angesichts dessen suchte Dryander nach einem "Criterium in fragen [sie! ...] der Stellung der Parteien zu einander" und ging dabei der Frage nach, inwieweit "durch dogmatische Abweichungen die Glaubensgemeinschaft nicht aufgehoben wird".47 Eine richtungweisende Antwort fand er "in dem Schleiermacherschen Satze, daß christliche Dogmen Auffassungen des christlich frommen Gemüthszustandes"48 seien. Weiter an Schleiermacher angelehnt, folgerte Dryander: "Hiernach würde auch bei abweichender Auffassung weder die Glaubensgemeinschaft aufgehoben, so lange das ihr zu Grunde liegende religiöse Bewußtsein noch ein christlich frommes genannt werden kann, - noch die dogmatische Abweichung an sich auf einem sittlichen Mangel beruhen, so lange nicht der fromme Gemüthszustand, wie es das Sündenbewußtsein und das Erlösungsbewußtsein in sich begreift, ein anderer ist als ein christlicher. Das christlich-religiöse Bewußtsein aber ist diejenige Bestimmtheit des Gemüthes, wonach der Mensch sich nicht durch eigene Kraft, sondern durch

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47 48

Die Dryander vertraut gewordene Altonaer Kirchengemeinde übermittelte die Prüfungsaufgaben zum Zweiten Examen (EZA 14/D4-1, Personalakte Dryander, pag. 57), bescheinigte ihm eine regelmäßige Teilnahme an gottesdienstlichem Leben und Abendmahl und bezeugte die Führung eines Wandels, "wie er sich fur einen Kandidaten der Theologie geziemt"(Bescheinigung der ev.-luth. Kirchengemeinde Altona v. 31.1.1867, ebd., pag. 59). Ebd., pag. 116. So in seiner Examenspredigt über Eph 4,3-6, ebd., pag. 78-84, 78R. Aufsatz zum theologischen Bildungsgang, a.a.O., pag. 73R. Dryander bezog sich somit auf §15 der Glaubenslehre von 1830 unter dem Leitsatz "Christliche Glaubenssätze sind Auffassungen der christlich frommen Gemütszustände in der Rede dargestellt." (Fr.Schleiermacher, Der christliche Glaube. Nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, 2 Bde., hg. v. M.Redeker, Berlin ' i 9 6 0 ( 2 1830/31), Bd. 1, 105).

2.2. Lehr- und Wanderjahre

27

die in dem Mensch gewordenen Gottessohn Jesu Christo vollzogene Erlösung mit Gott 49

versöhnt und selig weiß. - "

So hob Dryander in seiner Examenspredigt zwar auf den die Christenheit einenden Gemeingeist ab50, deutete andererseits jedoch z.B. die verschiedenen Ausgestaltungen der "beiden Gnadengefäße der lutherischen und der reformierten Kirche" als ein Indiz für den "Reichtum evangelischer Wahrheit".51 Zwar sei es wichtig, immer wieder auf die Einigkeit hinzuarbeiten, doch warnte er nach zwei Seiten hin: "Nicht um des Friedens willen unsere Anschauung und Eigenthümlichkeit aufgeben, um einträchtig sein zu können auch mit den schroffsten Gegensätzen und so in die Luft bauen das Haus, in dem die Christenheit wohnen soll! Nicht aber auch [...] nach unserer Anschauung messen die Länge und die Breite und die Höhe und die 52 Tiefe der Erkenntnis Gottes, denn verschiedene Gaben theilt der Eine Geist aus."

Überhaupt gab Dryander dem 'eschatologischen Vorbehalt' Ausdruck, wenn er auf Erden nicht zu erleben vermeinte, "daß Eine Herde werde unter einem Hirten, daß auch äußerlich der Eine Geist sich herausbilde Einen Leib".53 Seine abschließende Mahnung, dennoch nicht vom Fleiß um Frieden und Einigung in einem Geist durch Vertiefung des Glaubens und Gebet abzulassen, fand Dryander im August 1867 auf der Amsterdamer Konferenz der Evangelischen Allianz bestätigt, zu der er als Reisebegleiter Tholucks Zugang fand. Tholuck gehörte noch zu den Gründungsmitgliedern dieser 'Union', die sich 1846 um eher traditionell orthodoxe Glaubenssätze zur Abwehr 'papistischer' Übergriffe zusammengeschlossen hatte. Die weitere Tendenz, "angesichts der Spaltungen und der Zersplitterung der Kirche unter den gläubigen evangelischen Christen eine liebevolle Verständigung zu fördern", sollte betont nicht durch einen 'Kirchenbund', sondern durch eine "Vereinigung gläubiger Individuen evangelischen Bekenntnisses" erreicht werden.54 In 49

50 51 52 53 54

Aufsatz zum theologischen Bildungsgang, a.a.O., pag. 73R-74R. Vgl. dazu vor allem aus dem ekklesiologischen Teil der Glaubenslehre das erste Lehrstück "Von der Mehrheit der sichtbaren Kirche in bezug auf die Einheit der unsichtbaren" (Schleiermacher, Bd. 2, §§150-152, 391-398). EZA 14/D4-1, Personalakte Dryander, pag. 79V. Ebd., pag. 82V. Ebd., pag. 82R. Ebd., pag. 84V. E.Chr.Achelis, Art. "Allianz, Evangelische", 3RE, Bd. 1 (1896), 376-381, 377. Noch die auch an Dryander ergangene Einladung zur 7. Hauptversammlung 1879 in Basel erinnerte daran, "dass die Allianz kein officielles Concil ist. Die Theilnehmer derselben

28

2. Werden der Persönlichkeit

Amsterdam konnte Dryander noch einen Hauch von der Blütezeit dieses Unternehmens erleben: "Ich empfing zum ersten Male den Eindruck christlicher Ökumenicität, und ich erinnere mich noch der Empfindung, die in mir aufzitterte, als in vier Weltsprachen 'Ein feste Burg' angestimmt wurde [...] ", 55

Hier lernte Dryander mit dem Berliner Hofprediger Rudolf Kögel zudem eine Persönlichkeit kennen, unter deren wachsenden Einfluß in Berliner Kirchenkreisen er bald zu stehen kommen sollte. Denn Dryander hatte zwar die licentia pro ministerio erworben, konnte aber erst mit dem "kanonischen Alter" von 25 Jahren als wähl- und repräsentationsfahig für das Predigtamt gelten.56 So kam es ihm sehr gelegen, daß ihm zum 15. Oktober 1867 die Aufnahme in das Königliche Domkandidatenstift zu Berlin zugesichert wurde. 57 Diese Institution, die auf das Domkandidaten-Alumnat von 1714 zurückging, war von Friedrich Wilhelm IV. 1854 auf Anregung seines Oberhofpredigers Hoffmann und nicht zuletzt mit dem Gedanken, die geistliche Versorgung der rasch wachsenden Stadt zu verbessern, als Predigerseminar

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kommen nicht als Bevollmächtigte und mit Aufträgen ihrer Kirchen zusammen. Was sie von nahe und ferne zusammenführt, ist der persönliche Trieb nach dem Verkehr mit Brüdern [...] , die nach Nationalität, Bekenntniss und Verfassung mannigfach verschieden, ja getrennt sind, aber doch in den Grundwahrheiten des Glaubens sich eins wissen und einander als Zweige der einen evangelischen Kirche in Ehren halten" (Siebte Hauptversammlung der Evangelischen Allianz gehalten in Basel v. 31.8.-7.9.1879. Berichte und Reden, hg. v. Chr.E.Riggenbach, 2 Bde., Basel 1879/80, Bd. 1, X). S.a. Geschichte der Ev. Kirche der Union II, 106-109 (Besier). EvD, Erinnerungen 71. Symptomatisch fur das Schwinden des Idealismus und die Zunahme von gegenseitigem Mißtrauen war für Dryander besonders die Baseler Versammlung 1879, auf der er als Bonner Pfarrer gemeinsam mit dem Berliner Hofprediger Baur sogar Beschuldigungen und Anklagen gegen unbrüderliches, d.h. konkurrierendes Verhalten der sogenannten Albrechtsbrüder erhoben haben soll. S. Achelis, Art. "Allianz" 381. Genaueres über diesen Vorfall war nicht zu erheben, da er weder in den Berichten der Versammlung, den Akten des EZA noch in der kirchlichen Presse erwähnt wurde. Einzig die EKZ 105 (1879), Sp. 813f, berichtete kurz von einer "wichtige[n] Separat-Versammlung der deutschen Allianzfreunde" v. 5.9., auf der gegen die Sektiererei und Verwirrung methodistischer Kreise protestiert wurde. EZA 14/D4-1, Personalakte Dryander, pag. 117. EvD, Erinnerungen 69, 74-82. Dies war möglich, da das Domkandidatenstift ein interprovinzielles Predigerseminar der preußischen Landeskirche darstellte. Im Verzeichnis der Domstiftskandidaten war Dryander seit der Gründung 1854 das 90. Mitglied (P.Conrad, Das Königliche Domkandidatenstift 1854-1904, Berlin 1904, im Anhang 20).

2.2. Lehr- und Wanderjahre

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ins Leben gerufen worden.58 In die Organisation der über ganz Berlin verstreuten Domgemeinde eingegliedert, sollte das Stift durch Einführung der Kandidaten in die praktische Gemeindearbeit ganz in den Dienst der Kirche gestellt sein. Die Möglichkeit, durch die seelsorgerliche Tätigkeit als Pastoralgehilfen an geistlich Notleidenden, Armen, Kranken und Sterbenden kontinuierlich pastorale Erfahrung zu sammeln, sie unter den in einer Art 'vita communis' verbundenen Mitkandidaten auszutauschen und in Übungen und Konferenzen unter wissenschaftlicher wie praktischer Anleitung zu verarbeiten, konnte Dryander als späterer Stiftsephorus nicht oft genug als beispielhaft herausstellen.59 In die traditionell enge Verbindung des Doms zum königlichen Hof wurden die Domstiftskandidaten durch das Abhalten regelmäßiger Morgenandachten vor Königin-Witwe Elisabeth im Charlottenburger Schloß einbezogen, welche neben dem gemeinsamen Gesang und Gebet allerdings "nur in der Verlesung fortlaufender Schriftabschnitte" bestanden, "womit denn etwaigen Entgleisungen der Candidaten gewehrt war"60. Auch Dryander kam so in den Genuß einer ersten Berührung mit dem Hof, ohne zu ahnen, "wie viele andere und engere ihr folgen würden". Dem geistigen und geistlichen Leben des Stiftes konnte sein personell immer wieder aufgefrischter Lehrkörper sicherlich zugute kommen, der sich fast ausschließlich aus ehemaligen Kandidaten rekrutierte. Um eine Lebendigkeit zu erhalten, waren die Stellen der Adjunkten und des Inspektors als Übergangsstellen gedacht. Den einzig festen Punkt bildete das Ephorat, das zumeist mit dem jeweiligen Oberhof- und Domprediger besetzt wurde. Hierin lag allerdings die Möglichkeit begründet, daß eine so einflußreiche und bestimmende Persönlichkeit wie Kögel sich in seinem Ephorat unter den fo

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Conrad, Domkandidatenstift 11-15. Das Wohngebäude nebst Ephorat und die Stiftskapelle wurden von Stüler bis 1859 bzw. 1874 auf einem vom König zur Verfügung gestellten Stück des Monbijou-Parkes errichtet. Vgl. B.Doehring, Das Domkandidatenstift zu Berlin. Ein geschichtlicher Rückblick zur Hundertjahrfeier, in: Das Domkandidatenstift zu Berlin, Berlin 1955, 7-55, 9-15. Vgl. EvD, Das Erntefeld des Herrn. Ansprache über Matthäus 9, 38 bei der 50jährigen Jubelfeier des Domkandidatenstifts in Berlin am 11. Oktober 1904 in der Stiftskapelle, in: ders., Gott und Mensch. Predigten und Reden, hg. v. C.Grüneisen, Halle 2 1926, 193200, 195, sowie die Rede bei der Wiedereröffnung des Domkandidaten-Stifts am 4. Mai 1919, in: ders., Evangelische Reden in schwerer Zeit, 24 Hefte, Berlin 1914-1921, 19 (1919), 3-15, l l f ; s. zudem §2 der Satzung über den Zweck des Stiftes bei Conrad, Domkandidatenstift 46. EvD, Erinnerungen 79. Hier s.a. das Folgende.

30

2. Werden der Persönlichkeit

Kandidaten treue Gefolgsleute heranziehen konnte. Lebte und arbeitete Dryander in seiner Kandidaten- und späteren Adjunktenphase zwar unter dem Ephorat Hoffmanns, einer im schwäbischen Pietismus gewachsenen "theosophisch-religiösen Natur"61, so waren die prägende Kraft und die "väterliche Güte" Kögels in Fortsetzung der Tholuckschen Protektion bestimmender. Dryander sprach aus eigener Erfahrung, wenn er meinte: "Das starke, bestimmende Einwirken auf die einzelne Persönlichkeit war ihm so sehr Bedürfnis und zweite Natur, daß wer sich seiner Führung anvertraute, nur schwer von 62 diesem Einfluß sich wieder befreien konnte."

Wie sehr Kögel seinerseits ein Auge auf Dryander geworfen hatte, kann ein Brief Kögels an seinen alten Lehrer Tholuck von 1870 zeigen. Darin bat er diesen im Namen des Kultusministers von Mühler, anläßlich wichtiger Stellenbesetzungen über die Begabung "des jungen Dryander sowie über etwaige andere hoffnungsvolle Aspiranten, die eventuell in Betracht kommen könnten, einige Zeilen mir zu schicken, die ich dem Minister zeigen könnte!"63 Die kurz nach seinem Ruf an den Berliner Dom erworbene Stellung als Vortragender Rat im Kultusministerium läßt etwas von dem innigen Vertrauenverhältnis Kögels mit von Mühler erkennen, der eine enge Zusammenarbeit mit der Kirche zur "Bildung und Verstärkung eines protestantischkonservativen Bollwerks gegen Preußentum und Christentum gefährdenden Liberalismus" anstrebte.64 Auch im Hinblick auf eine nach 1866 notwendig anstehende Neuordnung kirchlicher Verhältnisse trug Kögel Sorge dafür, daß möglichst "konservative, offenbarungsgläubige und unionsgesinnte Männer" in kirchliche Schlüsselpositionen berufen wurden.65 In Dryander schien Kögel demnach - und zu einem Teil nicht zu Unrecht - eine ihm verwandte und protektionswürdige Gesinnung vermutet zu haben, was nicht ohne Auswirkungen auf Dryanders Werdegang bleiben sollte. Insgesamt wird man aber sagen können, daß durch den Einfluß von Persönlichkeiten wie sein Vater, Tholuck, Beck und Beyschlag, Kögel bei Dryander - mit vorsichtigen Typologien ausgedrückt - ein positiv-pietistischer, ein biblisch-ethischer 61

63 64

65

und ein vermittelnd-unionistischer

Zug herauszu-

EvD, Erntefeld, a.a.O. 196; Erinnerungen 75f . EvD, Erinnerungen 76. Kögel an Tholuck v. 15.6.1870, zit. n. Wolf, Kögels Kirchenpolitik 454f (Anm. 54). Ebd. 75; zum Zusammenhang 74-86. Vgl. a. W.Reichle, Zwischen Staat und Kirche, das Leben und Wirken des preußischen Kultusministers Heinrich v. Mühler, Berlin 1938, bes. 181-226. Wolf, Kögels Kirchenpolitik 77f.

2.2. Lehr- und Wanderjahre

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spüren sind. Diese Züge haben sich mit den ihnen zugrunde liegenden verschiedenen theologischen Richtungen in Dryanders Entwicklung gegenseitig durchdrungen und befruchtet. "Es konnte daher nicht ausbleiben, daß bei persönlich durchaus positiver Stellung zum Inhalt des evangelischen Glaubens die 'Stellung zum Bekenntnis' nicht das einzige Merkmal blieb, nachdem ich die Stellung eines Menschen zur christlichen Wahrheit zu beurteilen lernte." 66

Nach fast zweijähriger Kandidatenzeit stellte sich die Frage nach Dryanders Zukunft. Die interessante Aufforderung aber, die bedeutsame Jerusalemer Gemeinde zu übernehmen, lehnte Dryander aus Rücksicht auf die durch den Tod seines Bruders getroffenen Eltern ebenso ab wie die weiteren Angebote, nach London oder etwa an den königlich-griechischen Hof nach Athen zu gehen.67 Statt dessen wurde ihm ein Reisestipendium für Südfrankreich gewährt, mit der Aufgabe, "die kirchlichen Zustände der protestantischen Kirchen [...] nach Möglichkeit zu studieren, die geistlichen und kirchlichen Strömungen zu beobachten, auch den Schulen [...] Aufmerksamkeit zuzuwenden."68 Dies war für Dryander, in dessen Ahnenreihe auch hugenottische Tradition eingegangen war69, eine reizvolle Erweiterung seines theologischen und kirchlichen Horizontes, auf die er auch als späterer Referent des EOK bzw. DEKA in Sachen deutsch-protestantischer Auslandsdiaspora noch zurückgreifen konnte, lernte er dort doch die Strukturen und Eigenarten der drei größeren kirchlichen Bildungen des französischen Protestantismus (Eglise de la Confession d'Augsbourg, Eglise nationale mit ihrem hugenottischen Erbe, Eglise libre evangelique) kennen. Zudem konnte er auf seiner Reise über Paris, die Cevennen, Nimes und die Universität Montauban noch eine besondere deutschfreundliche Atmosphäre im französischen Protestantismus vor dem Krieg erleben. Im Frühjahr 1870 schloß sich eine private, vom Vater finanzierte Italienreise an, was ihn in freundschaftlicher Begleitung des Berliner Kunsthistori-

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EvD, Erinnerungen 158. Ebd. 81. Ebd. 84, 83-95. Die einschlägige Akte EZA 7/11240 ist nur noch unvollständig erhalten; Dryanders Reisebericht - nur erwähnt (pag. 146, 148) - fehlt. Seine Großmutter väterlicherseits entstammte der 1648 aus Sέdan vertriebenen Hugenottenfamilie Bassenge (Koerner, Handbuch 18).

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2. Werden der Persönlichkeit

kers Eggers nicht nur den Kulturreichtum der romanischen Welt erleben ließ. 70 In Rom atmete er während der Osterwoche ein wenig von der Luft des Ersten Vatikanischen Konzils, die ihm den Petersdom um so mehr als "das richtige Wahrzeichen einer Kirche [erscheinen ließ], die, während sie den Himmel zu verteilen scheint, doch auch zugleich die Erde in Besitz nimmt".71 Mit einem "Gefühl tiefer Reaktion" wandte sich Dryander in den Katakomben der ursprünglichen Kirche zu, wo ihm die einfache und klare Symbolik imponierte: "Alles Vergängliche wird ihr zum Gleichnis, zur durchscheinenden Hülle der ewigen Idee [...] um so mehr, je mehr es [das Christentum, d. Vf.] als ein verfolgtes und unterdrücktes noch unverflochten mit dieser Welt nur die Welt der Ewigkeit sein 72

eigen nennen kann."

Besonders im Gegenüber zu heidnischen Grabmälern zeigte sich ihm eindrücklich "der Gedankenkreis der christlichen Hoffnung [...]. Nirgends findet sich eine finstere, trübe Richtung."73

2.3. Stationen im Pfarramt 2.3.1. Ordination 'wider Willen' Zur Überraschung Dryanders brach bald nach seiner Rückkehr der Krieg gegen Frankreich aus. Nur zu gern hätte er als freiwilliger Krankenpfleger an ihm teilgenommen. Doch die Kirchenbehörde verweigerte ihm den Urlaub und nahm statt dessen am 24. Juli 1870 die "unter den Umständen von damals völlig überflüssige" Ernennung zum dritten Domhilfsprediger und Ad-

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EvD, Erinnerungen 96-104. Eine vom EOK gewünschte Ordination zum Pfarrer in Genua wurde auf Bitten Dryanders nicht vollzogen (96f). Ebd. 99. Vgl. EvD, Ein Besuch in den römischen Katakomben, DEB1 1 (1876), 81-100, 81 mit der Beschreibung "einer großartigen und imponierenden Machtentfaltung": "Die Pracht der Ornate, der Glanz der Uniformen, die Reihen der KirchenfUrsten in dem amphitheatralisch geordneten Concilsraum, im letzten Hintergrunde, wie die Sonne, um die diese Sterne kreisten, mit päpstlicher Krone der heilige Vater, [...] Weihrauch, der die Person des Papstes in nebelhafte Feme entrücken sollte [...]". EvD, Katakomben (1876) 90; Dryander gehörte mit seinem kunst- und kirchengeschichtlich informativen Aufsatz zu den Autoren der ersten Stunde dieser von Beyschlag begründeten Zeitschrift; s.a. Beyschlag, Leben II, 423. Ebd. 94.

2.3. Stationen im Pfarramt

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junkten am Stift vor, woraufhin Kögel am 31. Juli im Dom die Ordination vollzog. 1 Seine verletzte patriotische Gesinnung2 dürfte vielleicht etwas versöhnt worden sein durch den Dienst- und Treueeid, der in eigener Weise den Geist und die Struktur der landesherrlich verfaßten preußischen Landeskirche wiederzugeben vermag. So schwor der "Dom-Hülfsprediger" Dry ander, "in diesem und jedem anderen geistlichen Amte, zu welchem ich künftig berufen werden möchte, [...] so wie es einem Diener der christlichen Kirche geziemt, Sr. Majestät dem Könige Wilhelm von Preußen, meinem Allergnädigsten Könige und Herrn, und dem Königlichen Hause treu und gehorsam sein, das Wohl des Landes in dem mir angewiesenen oder noch anzuweisenden Wirkungskreise, so viel in meinen Kräften steht, befördern, die mir wohlbekannten Pflichten des mir anvertrauten Amtes mit Gewissenhaftigkeit erfüllen, und in meiner Gemeinde als ein treuer Seelsorger mit allem Ernst und Eifer bemüht sein [zu wollen] [...], durch Lehre und Wandel das Reich Gottes und meines Herrn und Meisters Jesu Christi zu bauen." 3

Nachdem Dryander weitere zwei Jahre am Domkandidatenstift neben dem ihm freundschaftlich verbundenen Georg Heinrici, später Professor für Neues Testament in Marburg und Leipzig, und Franz Dibelius, dem Onkel Otto Dibelius' und als Oberhofprediger in Dresden wieder 'Kollege' Dryanders, als Adjunkt besonders die neutestamentlichen Übungen geleitet hatte, bemühte er sich 1872 verstärkt um eine erste eigene Pfarrstelle.

2.3.2. Torgau - Anfange im Pfarramt Seine eigentliche pfarramtliche Tätigkeit nahm Dryander als Diakonus an der Stadtkirche St. Marien zu Torgau auf. Nach einer zunächst erfolglosen Bewerbung um die Schloßpredigerstelle zu Quedlinburg4 wurde er nach einer Gastpredigt in Torgau im Oktober 1872 vom Magistrat der Stadt ge-

EvD, Erinnerungen 105. Seinen Groll schien Dryander damals darin ausgedrückt zu haben, daß er nicht "geneigt [war], seine Beziehungen zu der Provinz Sachsen und dem dortigen Konsistorium überhaupt zu lösen", Aktenvermerk v. 24.7.1870, EZA 14/D4-1, Personalakte Dryander, pag. 120. Gerade der Rückblick ließ Dryanders "Preußen Herz" wieder höher schlagen, wenn er vom Siegesgottesdienst im Dom vor dem "kaiserlichen Sieger" berichtete, "wie aus den Augen des Helden unter Kögels ergreifenden Segensworten für das Haus der Hohenzollern die Tränen rollten." (Erinnerungen 106). Diensteid v. 1.8.1870, EZA 14/D4-1, Personalakte Dryander, pag. 121. EZA 14/D4-1, Personalakte Dryander, pag. 122.

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2. Werden der Persönlichkeit

wählt, am 6. Dezember berufen und am 3. Advent unter der Assistenz seines Vaters in das neue Amt eingeführt.5 Den Gegensatz dieser auf ihren 'Luther-Erinnerungen' eingeschlafenen 9000-Einwohner-Stadt zu Berlin empfand Dryander eindrücklich, sah hierin aber die Chance, tastend nach seiner pastoralen Eigenart zu suchen.6 Dabei kamen ihm die Berliner Erfahrungen zugute, die sich freilich nur teilweise nach Torgau übertragen ließen. So konnte er zwar die Einführung eines gesonderten Kindergottesdienstes erreichen, Mittel zur Gründung einer kirchlichen Armenpflege gewinnen, doch eine angestrebte Belebung von Jugendpflege und häuslicher Seelsorge blieb - auch von 'alten Zöpfen' erschwert in den Anfangen stecken. Schwer wurde ihm das sonntägliche Predigen anfangs nicht nur durch einen "gewissen künstlichen Schwung der Sprache, in dem Kögels Redeweise fortwirkte"7, sondern auch angesichts denkbar ungünstigster Gottesdienstzeiten (7,9 und 14 Uhr); "und so habe ich denn wenigstens kurze Zeit gelernt, was es bedeutet, vor leeren g Bänken predigen zu müssen."

Doch wachsender Gottesdienstbesuch und nicht zuletzt eine Einladung zu einer Probepredigt in Bonn können vielleicht belegen, wie Dryander als Prediger bald Konturen gewonnen hatte.

2.3.3. Bonn - eine evangelische Gemeinde im Kulturkampf Obwohl er sich durch gelegentliche Artikel in der "Neuen Evangelischen Kirchenzeitung" noch keinen großen Namen gemacht haben dürfte9, wurde

Ebd., pag. 123. Vgl. EvD, Erinnerungen 107f, sowie den Nachruf aus Torgau, in: B.Doehring (Hg.), D. Ernst von Dryander zum Gedächtnis, Berlin o.J. (1922), 43f. EvD, Erinnerungen 108-112. Ebd. 112. Ebd. 110. Trotz der Fülle der noch zugänglichen Predigten Dryanders hat sich bezeichnenderweise keine Predigt aus der Torgauer Zeit erhalten bzw. finden lassen. Die Beiträge dieser von Meßner zunächst "auf Veranlaßung des deutschen Zweiges des evangelischen Bundes [sc. der evangelischen Allianz]" - so der Untertitel im Kopf der NEKZ - herausgegebenen, die preußische Union stützenden Zeitschrift waren fast gänzlich namenlos; s. G.Mehnert, Programme evangelischer Kirchenzeitungen im 19. Jahrhundert (Evangelische Presseforschung, Bd. 2), Witten 1972, 92-104. So ließ sich nach den Angaben Dryanders (Erinnerungen 112) nur einer seiner Artikel unter dem Titel "Anti-Strauß", NEKZ 16 (1874), Nr.l v. 3.1.1874, Sp. 14-16, ausfindig machen,

2.3. Stationen im Pfarramt

35

Dryander nach nur zwei Jahren Tätigkeit als Diakon im kirchlich abgelegenen Torgau von der evangelischen Gemeinde in Bonn - durch Beyschlag ins Gespräch gebracht und maßgeblich gefordert - am 15. Juli 1874 zu einem ihrer Pfarrer gewählt und am 15. September in sein neues Amt als Nachfolger des als Professor nach Halle berufenen Wolters eingeführt.10 Hier lernte Dryander das lebendige rheinische Kirchenwesen kennen. Die erst 1816 gegründete evangelische Gemeinde in Bonn war zu Dryanders Zeit gewissermaßen ein Abbild einer gelungenen Union mit ihrer Mischung aus schroffen Pietisten, traditionell Reformierten und freieren Geistern.11 In dieser 5000-Seelen-Gemeinde, die sich gegenüber den etwa 30000 Katholiken fest zusammengeschlossen hatte, stand Dryander mit seinem neuen Pfarramt in der geistlichen Tradition eines Carl Immanuel Nitzsch - an einem anspruchsvollen und herausgehobenen Ort. Denn die Bonner Gemeinde besaß durch die enge Bindung an die Universität und durch ihr bedeutendes Presbyterium eine führende Rolle in der rheinischen Kirchenprovinz, was durch den Kulturkampf in dieser konfessionell gemischten Region mit dem nahen Kölner Erzbistum noch verstärkt wurde. Dryander empfand den Kleinkrieg und den Gegensatz zwischen beiden Konfessionen, der durch ein eigenes freundliches Verhältnis zu den Altkatholiken schärfer wurde, als äußerst unerquicklich. "Es war kein erbaulicher Anblick, und ein heute kaum begreiflicher Fehler der staatlichen Politik, von deren unausbleiblichen Mißerfolg selbst ein Bismarck Schwer-

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in dem Dryander etwa einen Monat vor dem Tod von David Friedrich Strauß über Nachklänge der literarischen Kontroverse um dessen letztes Werk "Der alte und der neue Glaube" von 1872 berichtete. In einer kleinen Bilanz drückte Dryander zunächst "die Freude über das gewaltige Unisono aus, mit dem fast die gesammte Presse Deutschlands das Strauß'sche [sie!] Bekenntniß abgewiesen hat". Immerhin konnte er Strauß angesichts dieser Mobilisierung der Presse durchaus den Rang einer "geistigen Großmacht" zusprechen, deren bedeutende Gefahr darin liege, "eine fix und fertige Weltanschauung nicht der Prüfung der Gelehrten, sondern dem ungeduldigen Wunsche der Massen dargeboten" zu haben zum Triumph über das Christentum vor der Welt (Sp. 14). Gegenüber der Gefahr allerdings, daß Befürworter dieser Gedanken Väter nachfolgender Generationen sein könnten, konnte Dryander selbst die mitleidslos-satirische Replik Nietzsches auf Strauß in den "Unzeitgemäßen Betrachtungen" "wahrlich nicht als unverdient betrachten" (Sp. 15f). EZA 14/D4-1, Personalakte Dryander, pag. 126f; EvD, Erinnerungen 113-116. EvD, Erinnerungen 115-128; R.Hupfeld, Dryander und Bonn, in: Doehring, Gedächtnis 45-49.

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2. Werden der Persönlichkeit

lieh eine Vorstellung hatte, wenn man im Gefängnishofe die Kapläne spazieren gehen 12 sah, die die Missetat einer pflichtschuldig gelesenen Messe büßten."

Vor allem bedauerte Dryander die "abstrakte Anwendung des Paritätsprinzips" besonders hinsichtlich der Maigesetze, wodurch "ein prinzipiell staatsfreundliches, mit dem Staat engverknüpftes Kirchenwesen, wie das evangelische, mit genau denselben Waffen bekämpft [wurde] wie das katholische".13 Man wird einen 1877 in den "Deutsch-evangelischen Blättern" Beyschlags abgedruckten Vortrag Dryanders über den "Prozeß Calas und die Toleranz" daher wohl auch als Absage an die Ziele der Kulturkampfgesetzgebung überhaupt verstehen müssen.14 "Unser Ziel ist, der Kirche wieder die Anerkennung zu erstreiten, Hort und Trägerin alles Großen und Edlen auf Erden zu sein, weil sie allem Großen und Edlen das ewige Ziel weist. Einer hochgespannten Staatsidee gegenüber, welche sich anschickt, an Stelle der christlichen Bildung die politische, an Stelle des christlichen

Bildungs-

prineips das patriotische zu setzen, muß es gesagt werden: Der wesentliche Träger der Humanitäts- und darum auch der Toleranzidee ist nicht der Staat, nicht die moderne Bildung an sich, sondern die Kirche - genauer gesagt: nach historischem Recht und gottgeschenkter Eigenthümlichkeit die Kirche des deutschen Protestantismus." 15

Aus seiner 'historischen' Darstellung des 1762 an dem Hugenotten Jean Calas vollstreckten Justizmordes und dem daraus erwachten Eintreten Voltaires für eine posthume Rehabilitierung und den Gedanken der Toleranz hatte Dryander den ihn erschreckenden Schluß gezogen, wie sehr der eigentlich aus dem Geist des Evangeliums geborene Toleranzgedanke verwaist war, daß er erst durch einen entschiedenen Nichtchristen wie Voltaire wieder zum geistigen Eigentum der Welt werden konnte.16 Unter anderem sah Dryander darin eine Frucht des jahrhundertealten Irrtums, Religion in die Staatsform der Hierarchie einzuschnüren oder zur Herrin der Politik zu erheben. "Das Christenthum aber floh aus dieser Kirche in die Zellen von Port Royal, in die Kirchen der Wüsten, zu den Stillen im Land, die Toleranzidee zu den Kreisen, die ihr die Arme entgegenstreckten, und die in einer neuen, der Kirche und dem Christen-

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Der Verkehr zwischen den Konfessionen war z.T. derart abgebrochen, daß Dryander z.B. seinen Nachbarn, den späteren Zentrumsfllhrer und Reichskanzler von Hertling nie kennenlernte (EvD, Erinnerungen 120). EvD, Erinnerungen 162f. EvD, Der Prozeß Calas und die Toleranz, DEB1 2 (1877), 561-582. Ebd. 582 (Hervorhebungen v. Vf.). Ebd. 561, 579.

2.3. Stationen im Pfarramt

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thum abgewandten Bildung auch sie langsam umformten. Wir tragen noch heute die Folgen." 17

Wohl auch bewegt durch das Vatikanische Konzil, den Kulturkampf und durch innerprotestantische Parteistreitigkeiten, meinte Dryander, wieder eine Besinnung auf die wahre christliche Toleranz fordern zu müssen, die nicht eine bloße Duldung aus dem Bewußtsein eigener Schwäche oder eine Gleichgültigkeit gegenüber Unwahrheit und Halbwahrheit sei. Mit "seinem Anspruch auf Besitz göttlicher Offenbarung und Wahrheit, wenn auch in menschlicher Form", könne das Christentum hier nicht gleichgültig sein, wohl aber im Sinne christlicher Humanität bei Achtung und Schonung der freien menschlichen Persönlichkeit gleichzeitig den Irrtum bestreiten.18 Doch konnte Dryander nicht umhin, anzudeuten, wie es der christlichen Toleranzidee gerade in der Kirche des Vatikanischen Konzils auf lange Zeit schwergemacht worden war, eine Renaissance zu erleben: "Die Hierarchie ist ihrer Natur nach immer intolerant, weil sie das Ewige zu irdischen Zwecken mißbraucht, weil es ihr ums Herrschen über die Seelen [,] nicht ums Dienen an denselben zu thun ist." 19

Versteckte Dryander diese Kritik zunächst noch unter dem Mantel eines historischen Aufsatzes, so führte er sie ein Jahr später in einem Lebensbild der 1872 verstorbenen Oberin des Bonner Johanneshospitals, Amalie von Lasaulx, aus. Ergriffen beschrieb Dryander "ein Stück Märthyrertum [...] eine[r] der edelsten Vertreterinnen katholischen Kirchentums"20, welche er ihrem Wesen und Wirken nach als "so durch und durch evangelisch in katholischer Form" empfand.21 Denn ihre Weigerung, sich zu den Dogmen der 'immaculata conceptio' (1854) und der päpstlichen Infallibilität (1870) zu bekennen, sowie Kontakte zur sich formierenden altkatholischen Bewegung hatten nicht nur zur Absetzung aus ihrem Amt geführt, sondern auch nach ihrem Tode noch die Beraubung ihres Kleides vom Orden der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Karl Borromäus zur Folge. Dryander konnte nur "entsetzt nach der Zukunft einer Kirche [fragen], die in dieser Weise das

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Ebd. 582. Ebd. 5 8 0 f . Ebd. 581. EvD, Erinnerungen an Amalie von Lasaulx, DEB1 3 (1878), 693-709, 693. Ebd. 694.

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2. Werden der Persönlichkeit

Christentum selbst von sich ausstößt"22 und die einem tiefernsten "Geistesringen innerhalb der Kirche [...] das Existenzrecht [bestreitet]".23 Dementsprechend sah er hier Vorgänge zutage treten, "die die römische Kirche ihrem unrettbaren Verfall entgegenführen [...] trotz aller scheinbaren Machtentfaltung". Doch Dry ander unterschätzte die enorme Macht und Stabilität dieser Hierarchie. Zeitweise Schwierigkeiten bis an die Grenzen seiner Toleranz erwuchsen Dryander in seiner eigenen Arbeit aus separatistisch-methodistisch angehauchten Kreisen der werdenden Gemeinschaftsbewegung um den Bonner Professor Theodor Christlieb, die durch die aufsehenerregende Missionsreise des amerikanischen Kaufmanns Robert P. Smith 1875 und die aus der Schweiz kommenden Anregungen Otto Stockmayers großen Auftrieb erhielt.24 Nicht nur sah Dryander Anschauungen dieser Kreise störend in die Gemeindeseelsorge eingreifen, auch verspürte er besonders zu Christliebs Reserviertheit der preußischen Landeskirche gegenüber einen starken Dis25

sens. Doch die Entfaltung einer reichen Wirksamkeit ließ die Bonner Gemeinde für Dryander zeitlebens zu seinem Ideal einer evangelischen Gemeinde überhaupt werden, in der sich "hohe Weltbildung mit dem Evangelium" zu reichen Formen verschmolzen hatte.26 Nur sein Pflichtgefühl konnte ihn 1882 nach zwei vorhergegangenen Ablehnungen dazu bewegen, "im Vollgefühl des Segens einer [...] ausfüllenden Wirksamkeit den Weg des Opfers" zu gehen und einem weiteren direkten Ruf des EOK an die Berliner Dreifaltigkeitskirche zu folgen.27 Daher widmete Dryander nicht nur die erste Sammlung seiner "Evangelischen Predigten" seiner alten Gemeinde als "einen Gruß des Abschieds und als ein Unterpfand einer Gemeinschaft, welche durch 22 23 24

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Ebd. 709. Ebd. 703; hier s.a. das Folgende. EvD, Erinnerungen 126f; s. H.Brandenburg, Art. "Gemeinschaftsbewegung", 3 RGG, Bd. 2 (1958), Sp. 1366-1374, bes. 1367-1369. S.a. Geschichte der Kirche der ev. Union II, 413 (G.Ruhbach). EvD, Erinnerungen 122; mit Teilen dieser Gemeinschaftskreise dürften die Konflikte entstanden sein, die zu den Beschwerden u.a. Dryanders auf der erwähnten Basler Allianzversammlung geführt haben. In späteren Jahren sollte Dryander das Phänomen der Gemeinschaftsbewegung in seiner Arbeit im EOK wiederbegegnen unter dem Gesichtspunkt einer besseren Integration in die Landeskirche. EvD, Erinnerungen 134. EvD an Hermes (EOK-Präsident) v. 24.4.1882, EZA 7/11401, pag. 18-19, 19V. Vgl. EvD, Erinnerungen 134f.

2.3. Stationen im Pfarramt

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die äußere Trennung nicht berührt wird".28 Er glaubte auch, ihr im Abschiedsgottesdienst auszusprechen zu müssen, "daß sicherlich nicht eigene Wahl oder selbstisches Streben mich von dieser Stätte entfernt, sondern allein der Gehorsam gegen die Pflicht".29

2.3.4. Berlin - auf der Kanzel Schleiermachers Zusätzlich zu seinem guten Ruf als Prediger haben abgesehen von Kögel wohl namentlich zwei Personen an der Berufung Dryanders nach Berlin ihren Anteil gehabt. Dryander selbst bezeichnete als die treibende Kraft seinen Freund Hermann von der Goltz, der 1876 als Bonner Theologieprofessor dem Ruf des EOK unter seinem damaligen 'liberalen' Präsidenten Herrmann in höhere kirchliche Ämter nach Berlin gefolgt war.30 Zudem ist Erinnerungen Wilhelms II. zu entnehmen, daß er Dryander in seiner Bonner Studienzeit (1877-1879) kennengelernt und ihn später nach Berlin und dann an Schloß und Dom gezogen habe.31 Schon bei seinem Ruf nach Berlin zeichneten sich also von ferne die beiden Dryander bald bestimmenden Linien ab: zum einen die Nähe zu Wilhelm II., als dessen Schloßpfarrer und Oberhofprediger er bald nach der Thronbesteigung wirken sollte, und zum anderen die Arbeit in der Leitung der Kirche, wo er von der Goltz nach dessen Tod 1906 im Amt des geistlichen Vizepräsidenten des EOK nachfolgen wird. Hatte Dryander schon in Bonn ein herausgehobenes Pfarramt inne, so sollte sich dies in Berlin, der Zentrale des jungen Reiches, noch steigern. Denn das hohe Ansehen der Kanzel Schleiermachers und der im wesentlichen gebildete Status der Gemeinde, zu deren Einzugsbereich auch das Regierungsviertel an der oberen Wilhelmstraße mit führenden Persönlichkeiten

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EvD, Evangelische Predigten. 1. Sammlung, Bonn '1886 ('1882, Halle s 1911) in der Vorrede v. 24.11.1882. EZA 7/11401, pag. 112. EvD, Erinnerungen 243. S. P.Gennrich/E.v.d.Goltz (Hg.), Hermann von der Goltz. Ein Lebensbild als Beitrag zur Geschichte der deutschen evangelischen Kirche im 19. Jahrhundert. Göttingen 1935, 50, 7 3 f . Wilhelm II., Ereignisse und Gestalten aus den Jahren 1878-1918, Leipzig - Berlin 1922, 179f; ders., Aus meinem Leben. 1859-1888, Leipzig 1927, 171f; vgl. die Notizen Dryanders über Kontakte zu Wilhelm in der Bonner Zeit, Erinnerungen 129-131.

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2. Werden der Persönlichkeit

Preußens und des Reiches gehörte, verhieß Dryander eine schwere Bürde.32 Doch im Vertrauen auf die einmütige Überzeugung des Kirchenrats der Dreifaltigkeitsgemeinde, "daß Euer Hochwürden der rechte Mann sind, das von dem Superintendenten Pank so glücklich versorgte Amt im Segen fortzusetzen"33, siedelte die Dryandersche Familie - 1876 hatte Dryander Magdalene Roedenbeck, eine Tochter des hallischen Universitätskurators und späteren Magdeburger Konsistorialpräsidenten Roedenbeck, geheiratet34 mit ihren vier Kindern nach Berlin über und bezog das Schleiermachersche 'Kanonierhäuslein'. Am Reformationstag wurde Dryander durch den Berliner Generalsuperintendenten Brückner in die neue Pfarrstelle und in die ihm gleichzeitig übertragene Superintendentur der Diözese Friedrichswerder eingeführt.35 In seiner Einführungspredigt gab Dryander der Bitte Raum "um Vertrauen, um Gemeinschaft am Evangelium, um persönliches Entgegenkommen und Weisen der Wege, die im Gewirr der großen Stadt sich verlieren."36 Dryander sprach damit seinem Empfinden nach zwar kein Gelöbnis aus, es spiegelt sich darin aber seine Vorstellung von der Aufgabe in der neuen Gemeinde, ja von Gaben und Aufgaben in der Kirche überhaupt, nämlich die Gemeinschaft am (bzw. um und auf das) Evangelium zu bauen. "Nicht der Strich macht eine Gemeinde, den man auf dem Stadtplan um etliche Straßencarrö's zieht, damit sie von nun an der Dreifaltigkeitskirche zugehören sollen. Eine Gemeinde ist ein lebendiges Ding, das durch innerliche Bedingungen geschaffen wird - durch das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit in einem Glauben, durch den 37

Zusammenschluß in einem Heil, durch die Anbetung in einem Gottesdienst [...] ".

Als Mittel auf diesem Weg, "auch in dem zersplitterten und gemeindelosen Großstadtleben [...] feste Zentren eines Gemeinschaftslebens zu schaffen [...], um [...] Anstöße zur Beteiligung am kirchlichen Leben zu geben"38, bewährten sich neben herkömmlichen Veranstaltungen nach Ansicht Dryanders

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EvD, Erinnerungen 143-146. Vgl. Dryanders Einführungspredigt: Das Evangelium von Christo eine Gotteskraft. Predigt am Reformationfest 1882 (Röm 1, 16), in: EvD, Evangelische Predigten I, 194-208, 195. So in einem lockenden Schreiben an Dryander v. 5.4.1882, EZA 7/11401, pag. 17. EvD, Erinnerungen 128f . Die Korrespondenz zwischen EOK, brandenburgischem Konsistorium und Ministerium für geistliche Angelegenheiten: EZA 7/11401, pag. 22, 34, 40, 44. EvD, Evangelische Predigten 1 (Reformationsfest 1882), 207. EvD, Festpredigt bei der Wiedereröffnung der Dreifaltigkeits-Kirche gehalten am Sonntag, den 18. April 1886, Berlin 1886, 10. EvD, Erinnerungen 143.

2.3. Stationen im Pfarramt

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vor allem der Aufbau eines gemischten Chores, die Einrichtung einer biblischen Besprechung mit Frauen, was sich im Laufe der Jahre - dem "außerordentlich großen religiösen Belehrungsbedürfnis Rechnung tragend" - 2x1 einem "höheren Konfirmandenunterricht" für Erwachsene fortentwickelte.39 Das Zentrum aller kirchlichen Veranstaltungen blieb ihm der Gottesdienst mit der Predigt, wo sich mit der Hörergemeinde "ein bedeutsames soziales Gebilde" konstituierte, "in dem alle Stände sich gleichen Rechts und gleicher Würde bewußt und zu einer höheren Einheit zusammengeschlossen werden."40 Und Dry anders Predigt zog auch über die Gemeinde hinaus Hörer an. Bernhard Weiß berichtet, daß er, durch begeisterte Erzählungen und persönliche Bekanntschaft angezogen, bald seiner Matthäigemeinde untreu wurde und die meist bis auf den letzten Platz gefüllte Dreifaltigkeitskirche aufsuchte: "In der Tat habe ich nie einen Prediger gehört, bei dem ich eine solche Tiefe der Versenkung in die Schrift, eine solche ergreifende Gewalt praktischer Anfassung, vereint mit der edelsten Sprache ohne alle rhetorischen Kunstmittel, fand, wie bei ihm. Nie habe ich mich so auf den Gottesdienst gefreut, als wenn wir unsere Plätze in Dreifaltigkeit einnahmen." 41

Dryander wurde es bald ein besonderes Bedürfnis, die Dreifaltigkeitskirche selbst würdig restaurieren zu lassen, "die Zahl der Plätze zu vermehren, das Innere und das Äußere einigermaßen den neu gebauten Kirchen ebenbürtig zu machen, auch die für Unterrichts- und andere Zwecke unentbehrlichen Nebenräume zu gewinnen."42 Die Neuweihe in Gegenwart Prinz Wilhelms am 18. April 1886 war gewissermaßen der schnell erreichte Höhepunkt der Pfarrtätigkeit Dryanders an Dreifaltigkeit. Dryander hatte durch diesen Umbau, wofür ihm der Rote-Adler-Orden vierter Klasse verliehen wurde43, nicht nur optimale äußere Bedingungen für ein fruchtbares Wirken geschaf-

39 40

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Ebd. 142. Ebd. 143. Zur Charakterisierung Dryanders als Prediger s.u. den gesonderten Abschnitt, Kap. 3: "Seelsorge und Pädagogik auf der Kanzel". Weiß, Aus neunzig Lebensjahren 183. EvD, Erinnerungen 154. Am 17.4.1886 benachrichtigte das Kultusministerium das Konsistorium über die erfolgte Verleihung, nachdem der Polizeipräsident am 27.3. gegen den vom Kultusminister erwogenen Vorschlag v. 27.2. keinerlei Bedenken erhoben hatte (EZA 14/D4-1, Personalakte Dryander, pag. 140, 144, 146 bzw. 149). Diese erste Auszeichnung in einer langen Reihe späterer hatte sich Dryander redlich 'verdient', zieht man die zwölf von verschiedenen offiziellen Stellen erforderlichen Genehmigungen in Betracht, die Dryander zu erbringen hatte.

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2. Werden der Persönlichkeit

fen, sondern auch eine förmliche Begeisterung in der Gemeinde selbst geweckt. Da Dryander die Superintendentur über die Diözese Friedrichswerder zu versehen hatte und bald nach seinem Berliner Amtsantritt in den Zentralausschuß für die Innere Mission gewählt wurde44, litt die Gemeindearbeit zusehends unter den sich häufenden bürokratischen Pflichten. Mit dem 1887 als Konsistorialrat bzw. 1892 als Generalsuperintendent anhebenden Aufstieg in der Kirche und der in den neunziger Jahren immer enger werdenden Verbindung zum Hof sollte Dryander in den folgenden Jahren der Gemeindearbeit noch mehr entrissen und in die Kirchenpolitik hineingezogen werden, was er in den Berliner Anfangen noch zu vermeiden gesucht hatte. Doch bis zum September 1898, als er die Kanzel Schleiermachers mit der des Domes vertauschte, haben Dryanders homiletische Ziele und seine irenisch-vermittelnde Persönlichkeit darauf hingewirkt, den bei der Weihefeier 1886 ausgesprochenen Wunsch zu erfüllen: "Als eine Friedensstätte, hineingestellt mitten in den Verkehrsstrom der Weltstadt, in den Kampf der Parteien, in den Streit der Meinungen soll unser Gotteshaus sich erweisen ... 45

2.4. Berliner Luft - Nähe zu Bismarck

Anders als bei Fontane, der in und mit den Romanen besonders seines letzten Lebensjahrzehnts (1888-1898) seine ganze zeitgenössische Wirklichkeit zeichnete und alle gesellschaftlichen Schichten in Ansätzen sozial- und gesellschaftskritisch durchsichtig machte, war die Perspektive Dryanders auf seine Epoche schon in den Anfangs- und Aufstiegsjahren des Reiches primär von der Warte gehobener gesellschaftlicher Gruppierungen aus bestimmt. Denn durch den weitläufigen Delbrückschen Familienkreis wurde Dryander schon in seiner Kandidatenzeit in eine gesellschaftliche Atmosphäre Berlins eingeführt, in der er mit verschiedensten Repräsentanten aus Kultur und

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EZA 14/D4-1, Personalakte Dryander, pag. 156. S. die Verzeichnisse der Mitglieder in den Jahresberichten, EZA 7/3524-3526, sowie die jeweiligen Vorworte zu den Verhandlungen der Kongresse für Innere Mission mit der Auflistung des Zentralausschusses; EvD, Erinnerungen 156. EvD, Festpredigt/Wiedereröffhung (1886), 5.

2.4. Berliner Luft - Nähe zu Bismarck

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Wissenschaft, Staat und Politik zusammentraf. Eher noch verstärkt als ausgeglichen wurde diese Tendenz durch die gehobenen soziologischen Strukturen der ihn im Pfarramt prägenden Gemeinden; weder in Bonn noch später in Berlin an Dreifaltigkeit oder am Dom hat Dryander eigenen Kontakt zu Arbeitern und deren Verhältnissen gehabt. Dafür bestimmten in Bonn das akademisch-gebildete Bürgertum sowie fürstliche und adlige Studenten1 und in Berlin die schon genannten Kreise das gesellschaftliche Leben. So unterhielt Dryander u.a. freundschaftliche Kontakte zu Männern wie Curtius, von Boetticher und von Goßler, die für ihn wie die später von ihm zu Grabe getragenen von Menzel oder von Stephan, Botho von Eulenburg, von Wedel und von Hammerstein ideale Vertreter preußisch-deutscher Geschichte waren. Dryanders Herkunft, seine berufliche und gesellschaftliche Stellung wie auch seine christlich-sittlichen Wertvorstellungen haben ihm einen konservativen preußisch-aristokratischen Zug vermittelt und können sein Bekenntnis zu den alten, typisch preußischen Tugenden erklären, wie er sie vor allem in der leitenden Beamtenschicht verkörpert sah: "die Begriffe der Pflicht, der Ehrenhaftigkeit, der ausgleichenden Gerechtigkeit und der sachlichen Staatsgesinnung" verbunden mit "einem warmen, selbsterlebten Christentum und dem feinen Verständnis für das kirchlich Notwendige und Gebotene [...] 2 in der Würdigung der religiösen Werte für die sittlichen Grundlagen des Staates" .

Besonders in Bismarck, der im ehemaligen Radziwillschen Palais in der Wilhelmstraße residierte und somit der Dreifaltigkeitsparochie angehörte3, sah Dryander einen diesem Bild entsprechenden Typos. Aufgrund seiner Erlebnisse bei Hausbesuchen, -andachten, den alljährlich wiederkehrenden Abendmahlsfeiern in der Karwoche und späteren Begegnungen in Friedrichsruh fertigte Dryander 1915 einen Beitrag über dessen religiöse Einstellung für ein Gedenkwerk zum hundertsten Geburtstag Bismarcks. Dryander kam es gegenüber dem "Vorurteil, als sei für den großen und hochgebildeten Mann der Christenglaube eine überwundene Sache, darauf an, mit kurzen persönlich gefärbten Strichen zu zeigen, daß wie Deutschlands erster, großer

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EvD, Erinnerungen 129-131; Bonn galt als herkömmliche Fürstenhochschule - so traf Dryander in Gesellschaften auf großherzoglich-badische, -oldenburgische und königlichpreußische Hofkreise; vgl. H. Graf Kessler, Gesichter und Zeiten. Erinnerungen, hg. v. G.Schuster, Frankfurt a.M. 1988 (Berlin 1935), 171ff. EvD, Erinnerungen 144. Hier ist natürlich die Apologie gegen die "grenzenlose Unkenntnis" "höhnende[r] Worte von der religiösen Korrektheit des theokratischen Preußens" mitzuhören. Ebd. 161.

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2. Werden der Persönlichkeit

Kaiser, so auch sein treuester Diener das, was das Vaterland ihm dankt, nach eigenem Zeugnis der Kraft entnahm, die der evangelische Glaube ihm darbot."4 Bei vielen persönlichen Gesprächen meinte Dryander eine aufrichtige, die empfangene Gnade in unerschütterliche Pflichttreue umsetzende Demut als den Kern von Bismarcks persönlichem Christentum ausgemacht zu haben.5 "Die Verankerung der Motive und des Handelns in einem anderen Boden als in dem losen Flugsand der öffentlichen Meinung und die daraus erwachsende Unabhängigkeit von den Menschen macht den großen Mann, der ein Führer der Nation wird." 6

Einen Makel allerdings verschwieg Dryander bei dieser ansonsten äußerst günstigen Beurteilung nicht: Er betonte und bedauerte, wie Bismarck die aus dem Gemeindeleben und einem organisierten kirchlichen Zusammenschluß erwachsende Kraft der evangelischen Kirche im Grunde fremd geblieben und er daher unkirchlich gewesen sei.7 Vor allem hier sah Dryander die schädlichen Auswirkungen der abstrakten Anwendung des Paritätsprinzips im Kulturkampf begründet. Daher konnte er sich mit der despektierlichen Sammelbezeichnung "evangelische Priester", die Bismarck, einer immer größer werdenden Abneigung gegen politisierende Geistliche entsprechend - und mit einem besonderen Seitenblick auf Adolf Stoecker -, gebraucht hatte8, nicht anfreunden, selbst wenn er sich mit Bismarcks Ansichten über Stoecker mehr als berührt haben dürfte. Unterlag es doch auch Dryander keinem Zweifel, "daß eine politische Kämpferarbeit wie die seinige [sc. Stoeckers], und die Formen, in denen er sie führte, mit dem Berufe des evangelischen Geistlichen

So im Geleitwort zum erneuten Abdruck des Beitrages (EvD, Persönliche Erinnerungen an Bismarck, in: E.Marcks/K.A.v.Müller (Hg.), Erinnerungen an Bismarck. Aufzeichnungen von Mitarbeitern und Freunden des Fürsten, Stuttgart - Berlin 1915, 157-176) in: ders., Ev. Reden 7(1915), 25-44, 26 (unter dem Titel: "Bismarcks religiöse Stellung nach persönlichen Eindrücken") ; vgl. das Bismarck eigens gewidmete Kapitel 12 der Erinnerungen, 161-170. EvD, Erinnerungen 165; Ev. Reden 7 (1915)/Bismarck, 3 4 f . EvD, Erinnerungen 168, übernimmt hier wörtlich aus Ev. Reden 7 (1915)/Bismarck 43. EvD, Ev. Reden 7 (1915)/Bismarck, 29. In einem Brief an Prinz Wilhelm v. 6.1.1888, O.V.Bismarck, Werke in Auswahl, Bd. 8A: Erinnerung und Gedanke (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. Xa), hg. v. R.Buchner, Darmstadt 1975, 554. Dryander dürfte die 1921 bei Cotta erschienene Erstausgabe der Gedanken und Erinnerungen, Bd. 3: Erinnerung und Gedanke, Stuttgart - Berlin 1921 (hier: 19), vorgelegen haben, deren Veröffentlichung in so schwerer Zeit für Kaiser und Vaterland er als groben Widerspruch gegen den Willen und die Gesinnung Bismarcks empfand (Erinnerungen 170).

2.4. Berliner Luft - Nähe zu Bismarck

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unvereinbar seien".9 Bismarck und Dryander zeigten sich zwar einig, auch gegenüber leidenschaftlichen und gehässigen kirchenpolitischen Parteistreitigkeiten Zurückhaltung zu üben. Dryander ließ es aber dahingestellt sein, "in wieweit für dies Urteil des großen Staatsmannes nur kirchliche Interessen maßgebend waren."10 Kurz vor der Jahrhundertmitte geboren, gehörte Dryander einer Generation an, die das ganze wilhelminische Zeitalter geprägt und getragen hat, deren Überzeugungen aber zumeist schon in den von der Politik Bismarcks bestimmten Anfangsjahren des deutschen Reiches gereift waren. So kann man die gute Beobachtung Dryanders, Bismarck sei in den letzten Jahren einsam geworden11, reziprok durchaus auf die Generation Dryanders beziehen; ihr wurde mit der Entlassung Bismarcks so oder so ein Teil ihrer Vergangenheit genommen, auf die man wie Bismarck selbst gern zurückschaute.12 Doch nicht wenige aus den nachwachsenden Generationen wünschten wie Harry Graf Kessler, daß diese Generation eine wichtige Vermittlerposition einnehmen möge zwischen den alten Traditionen und den neuen Gegebenheiten.13 Dies kann die weitere Darstellung als fruchtbarer Aspekt begleiten: Konnte Dryander beratend teilnehmen an den Aufgaben und einwirken auf den Weg der nächstjüngeren Generationen, denen doch auch Wilhelm II. angehörte?

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EvD, Erinnerungen 153. Ebd. 185; vgl. EvD, Ev. Reden 7 (1915)/Bismarck, 39. EvD, Persönliche Erinnerungen 173-175; ein Abschnitt, der in den Ev. Reden z.T. nicht wiedergegeben wurde. S.a. den Nachruf Dryanders von der Domkanzel nach dem Tod Bismarcks am 31.7.1898, worin er nicht nur den Verlust des "größten Sohnes" des deutschen Volkes, sondern auch eines Gliedes der Domgemeinde betrauerte (DEKZ 12 [1898], 279). Dryander selbst war an den Abenden nach der Entlassung, am 25.3.1890 auf einer Gesellschaft und am 27.3. zur Abhaltung einer Abendmahlsfeier, bei Bismarck zu Gast (EvD, Erinnerungen 167; Das Tagebuch der Baronin Spitzemberg geb. Freiin v.Vambüler. Aufzeichnungen aus der Hofgesellschaft des Hohenzollemreiches (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 43), ausgew. u. hg. v. R.Vierhaus, Göttingen 1960, 272). Dies hätte sich Harry Graf Kessler (1868-1937), ein Vertreter der jüngeren Generation, 1891 bei einer Begegnung noch von Bismarck gewünscht, doch, "was er sagte, [wandte] sich an eine Generation [...], die der Vergangenheit angehörte [...]; alles war rückwärts gerichtet [...] , uns Jungen hatte er offenbar nichts zu sagen." (Gesichter und Zeiten 222).

3. SEELSORGE UND PÄDAGOGIK AUF DER KANZEL DER PREDIGER DRYANDER 3.1. Das Predigtwerk Zu seinem 50jährigen Ordinationsjubiläum machte Dryander einmal eine große Ausnahme und sprach auf der Kanzel in eigener Sache, wobei er bekannte: " [...] in den Ämtern, die ich im Lauf der Jahrzehnte bekleidet habe, hat keines mein Herz besessen, wie das evangelische Pfarramt."1

Doch unter allen Aufgaben eines evangelischen Pfarrers hatte die Arbeit an der sonntäglichen Predigt für ihn den höchsten Stellenwert, da er in ihr "unzweifelhaft die stärkste Waffe" bzw. "Macht", aber auch die "schwächste Seite unserer Kirche" sah.2 So nimmt es nicht wunder, daß er der seit Schleiermacher auch in ihrem gesellschaftlichen Ansehen wieder gestärkten Predigt zeitlebens besondere Aufmerksamkeit gewidmet und "vollen Fleiß in die sonntägliche Predigtarbeit" gelegt hat.3 "Jedenfalls, das kann ich mit gutem Gewissen behaupten, habe ich mir niemals die Predigtarbeit leicht gemacht und nie ohne sorgfältigste schriftliche Aufzeichnung geredet. Ja, meist wurde ein erster Entwurf so ausführlich, daß ich die Predigt als zweimal geschrieben hätte bezeichnen können."4

Wenn er sich trotz stark abnehmender Kräfte und noch bis kurz vor seinem Tod nicht von der Kanzel trennen konnte, so zeigt dies deutlich, wie sehr er sich im eigentlichen Sinne auf das Predigtamt ordiniert sah. Seinem Schwiegersohn, dem Breslauer praktischen Theologen Steinbeck, vertraute er sogar einmal an, daß er "die Gaben, die Gott ihm auf dem Gebiet der Predigt geschenkt hatte, [...] als seine eigentlichen und stärksten Gaben" empfand.5

EvD, Es ist in keinem andern Heil, Predigt über Apg 4, 12 am 9. Sonn. n.Trin. v. 1.8.1920, in: EvD, Deutsche Predigten aus den Jahren vaterländischer Not, hg. v. C.Grüneisen, Halle (1923) 2 1924, 111-117, 116. EvD, Die Aufgabe der heutigen Predigt. Aus der Ehrengabe zum 50jährigen Amtsjubiläum von D. Franz Dibelius, Dresden 1920, in: ders., Gott und Mensch, 1-5, 1; ders., Aufgaben der Kirche. Ein Wort in ernster Zeit, Berlin 1919, 12; ders., Erinnerungen 140. EvD, Erinnerungen 141. Ebd.; vgl. 112, 124. J.Steinbeck, D. Ernst Diyander als Prediger, MPTh 18 (1922), 269-276, 269.

3.1. Das Predigtwerk

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Wie eine Vielzahl von Urteilen in Rezensionen, autobiographischen Äußerungen und Nachrufen belegen kann, gehörte Dryander zu den wirklich bedeutenden und populären, vielgehörten und vielgelesenen Predigern seiner Zeit. Noch Bonhoeffer wurde 1925 von seinen Examensprüfern empfohlen, zur Reifung seiner Predigtfahigkeiten u.a. Musterpredigten von Dryander zu studieren.6 In seinen Lebenserinnerungen von 1962 setzte der ehemalige Stiftsinspektor Günther Dehn nicht nur der Person seines damaligen Ephorus ein Denkmal. Er konnte auch dessen Predigten, welche in ihrer auf gründlicher Exegese beruhenden Textgemäßheit und klaren Gedankenentwicklung "gute, gebildete, fromme Christlichkeit, unparadox und bürgerlich gesichert" boten, einen eingeschränkt bleibenden Wert zuschreiben.7 Dryander selbst erklärte sich seinen Erfolg auf der Kanzel und als 'Bestseller' in der Predigt- und Erbauungsliteratur "aus dem immerhin doch sehr weitklingenden Echo, das in der großen Stadt dem Prediger zuteil wird".8 Sicherlich haben die exponierten Predigtstellen in Bonn, an Dreifaltigkeit und besonders am Dom einen großen Anteil an der Bekanntheit des Predigers Dryander gehabt, doch dies allein kann den wohl tiefen Wirkungsgrad der Dryanderschen Predigten noch nicht erklären. Man kann sicherlich herausheben, wie Dryanders Predigten gerade seinen gebildeten Stadtgemeinden einen Reichtum "an mannigfaltigen Beziehungen auf das Kulturleben der Gegenwart und [...] an Zitaten aus den geistigen und geistlichen Schätzen berühmter Männer älterer und neuerer Zeit" boten und doch "ohne alle Effekthascherei" hoch genug für verwöhnte Ohren und nicht zu hoch für die Schlichten waren9. Und so haben die Hörer über die Verbindung von Schlichtheit und Würde, von täglicher, aber gepflegter Sprache hinaus besonders das Ineinander von sittlichem Ernst und menschlicher Wärme an Dryander geschätzt, zumal er ihnen ohne Pathos den Eindruck vermittelte, nicht nur mit seiner ganzen Persönlichkeit hinter der von ihm dargebotenen Sache zu stehen, sondern auch von ihr getragen zu sein.10

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E.Bethge, Dietrich Bonhoeffer. Theologe - Christ - Zeitgenosse, München 6 1986 (1967), 122.

G.Dehn, Die alte Zeit, die vorigen Jahre. Lebenserinnerungen, München 1962, 124. EvD, Erinnerungen 179. S.Jäger, Rez. "Dryander, E., Das Vaterunser in acht Predigten ausgelegt, Halle a.S. 1912", in der Literarischen Beilage zur "Reformation" 10 (1911), Dezemberheft, 112. Neben G.Dehn seien aus den vielen Eindrücken über den erlebten Prediger Dryander hervorgehoben: (Th.Christliebf/) M.Schian, Art. "Predigt, Geschichte der christlichen", 3 RE, Bd. 15 (1913), 623-747, 725; E.Freiherr v.d.Goltz, D. Ernst Dryander zu seinem

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3. Seelsorge und Pädagogik auf der Kanzel

70. Geburtstag, Der Tag v. 18.4.1913 (= in: ders., Christentum und Leben, Bd. 5: Führende Persönlichkeiten im 19. Jahrhundert, Halle 1926, 96-102); Steinbeck, Dryander als Prediger 2 7 6 ; F.Lahusen, Ernst von Dryanderf, Die Eiche 10 (1922), 3 5 5 - 3 5 8 , 355f; W.Kähler (Hg.), Ernst von Dryander. Ein Lebens- und Charakterbild mit drei seiner letzten Predigten und Briefen an die deutsche Kaiserin in Doorn, Berlin 1923, 1016, bes. 12f; K.Röhrig, Dryander als Liturg, M G k K 2 8 (1923), 137-141; Doehring, Gedächtnis; E.Vits, D. Ernst von Dryander. Ein Prediger von Gottes Gnaden, Neue Christoterpe 4 5 (1924), 1-11, 3 f u. 6f; L.Schneller, Emst Dryander, in: ders., Allerlei Pfarrherren. Weihnachtserinnerungen, 6. Folge, Leipzig 1925, 117-138, 134; F.Niebergall, Die moderne Predigt. Kulturgeschichtliche Grundlage, Geschichte und Ertrag, Tübingen 1929, 88. Interessant ist eine Äußerungen Spitzembergs, Tagebuch 361 (v. 6.12.1897), über eine Predigt in Konkurrenz zum in oberen Gesellschaftsschichten beliebten "freieren" Johannes Müller, wobei es Dryander gelang, "Fluten der Begeisterung für das Gute in Taten des täglichen Lebens" zu wecken, und ebd. 391, über eine Trauerfeier v. 6.12.1899 für Anna Helmholtz in ihrer Wohnung vor den "Somnitäten der Kunst und Wissenschaft, [und] Spitzen aller Gesellschaftskreise", in der Dryander "das Wahrste, Wohltuendste, Erbaulichste, was ich j e an einem Sarge habe reden hören, ohne Lobhudelei, ohne Banalität, ohne pastorale Phrase [...]" dargeboten habe. - Eine 'Gegendarstellung' sei nicht verschwiegen: Einem Hinweis Röhrigs, Dryander als Liturg 139, zufolge, hat Dryander in der Figur des Bonner Universitätspredigers Bredemann sogar Eingang gefunden in einen zeitgenössischen Bestseller der Gattung "spezifisch christlich gemeinte[r] Roman- und Novellenliteratur" (so R.Seeberg, Die Kirche Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert. Eine Einführung in die religiösen, theologischen und kirchlichen Fragen der Gegenwart, Leipzig 4 1903, 196, diese Erbauungsliteratur als "Entwertung des Christentums [...] und 'Karikatur des Heiligen'" empfindend, 198) aus der Feder Anna von Wehlings unter dem Pseudonym Hans Tharau, Die Studiengenossen, Norden 2 1885, der die Bonner Universitätsatmosphäre aus der Perspektive des jungen adligen, um den Glauben ringenden Theologiestudenten Theodor von Rothenhalm beschrieb und besonders die kritische Wissenschaft anprangerte. Ein Kommilitone schildert darin Theodor den Prediger Bredemann als den '"eigentlichein] Löwen des Tages, - und mit Recht; ein wirklich eleganter Redner und einer, der es versteht, das Christenthum von der ansprechendsten Seite und im Geiste echter Toleranz zu schildern. Es bleibt kein Platz leer, wenn er predigt, und bei dem schönen Geschlecht steht er in hohem Ansehen. Man erzählt sich da die heitersten Geschichten [...] .' Theodor lachte. 'Ich hörte einmal behaupten,' sagte er, 'daß die weiblichen Mitglieder den Herzschlag einer Gemeinde bilden; - Ihrer Beweisführung zufolge wären sie jedenfalls der Pulsschlag zur Beurtheilung der Popularität eines Predigers!.'- 'Der höchste Fiebergrad soll sich gelegt haben, seitdem sich Professor Bredemann vor einigen Jahren verheirathete,' fuhr Mendering fort" (a.a.O. 22f)· Damit wird maliziös und mit spitzer Feder auf einen Zustand angespielt, den Dryander selbst in seinen Erinnerungen als "Übelstand" empfand, da ihm "besondere Schwierigkeit[en] aus meinem Zölibate" erwuchsen (a.a.O. 128). Bredemann (bzw. Dryander), dessen positive Einführung durch einen Verehrer zugleich von diesem unwillentlich moralisch untergraben wird, bekommt als Vermittlungstheologe im weiteren Verlauf des Romans den Stempel des Halbchristentums aufgedrückt (Tharau, Studiengenossen 148), was ihn als einen harmonischen, stimmungsvollen, aber einen wahren Gläubigen gleichgültig lassenden Prediger vollends diskreditiert: " ' [...] ist es nicht ein schlimmes Compliment für einen Prediger, wenn man in erster Reihe seinen

3.1. Das Predigtwerk

49

Allen voran rühmte der Dryander über die Innere Mission freundschaftlich verbundene Bernhard Weiß den köstlichen Schatz Dryanderscher Predigten, von denen er keine zu versäumen pflegte. Er staunte über die Seelenkunde der von moralischem und dogmatischem Eifer freien Predigten, die unter Rückgriff auf die "einfachsten Grundlagen alles religiösen Lebens [...] mitten ins Herz und Leben hinein[greifen], in die persönliche Erfahrung des Einzelnen, in sein Leben, in sein Haus und Beruf'. 11 Schon hier ist die Empfehlung - zuerst an die jungen Theologen - greifbar, an diesen Predigten die "edle Predigtkunst" zu studieren und, "aus den Tiefen der Schrift [...] und aus der Tiefe des eignen Herzens" schöpfend, predigen zu lernen.12 Dies war gleichsam ein weiteres, aber 'inoffizielles' Elogium auf das Predigtwerk Dryanders durch einen Vertreter der Berliner theologischen Fakultät, die Dryander am 15. Januar 1891 mit der theologischen Ehrendoktorwürde ausgezeichnet hatte.13 Denn auch das von Kleinert, Dryanders späterem 'Kollegen' im EOK, gehaltene offizielle Elogium hob besonders die homiletischen Arbeiten zur Auslegung des Markusevangeliums hervor14, deren erster Teil mit 37 Predigten bis Mk 9 im Oktober 1890 abgeschlossen und 1891 veröffentlicht wurde und deren zweiten Teil mit weiteren 30 Predigten Dryander 1892 der "hochwürdigen theologischen Fakultät der FriedrichWilhelm-Universität zu Berlin in Dankbarkeit und Verehrung" widmete.15 Zu Recht betonten die Rezensenten immer wieder die große Gemeindenähe auch der gedruckten Predigten: "der Prediger steht mitten in dem Gewoge Berliner Gemeindelebens, er kennt die Versuchungen und Gefährdungen seiner Hörer, die auch seine eigenen sind, und darum

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Styl hervorhebt?'" (a.a.O. 125). B.Weiß, Rez. "D. Dryanders Markuspredigten", ChW 6 (1892), Sp. 630-633, 63 l f . Ebd., Sp. 632. EvD, Erinnerungen 178f; Chronik der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, 4 (1891), 25. Vgl. die Auflistung der (Ehren-)Doktoren bei M.Lenz, Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bd. 3: Wissenschaftliche Anstalten, Spruchkollegium, Statistik, Halle 1910, 488. CCW 1 (1890), Sp. 40. Das Diplom selbst habe an den Predigten "gesunde und fruchtbare Rede, Schönheit und Keuschheit der Rede" gerühmt und an dem Prediger "die Lauterkeit und den Adel der Gesinnung, sowie seine ausgezeichnete Bewährung in Sammlung und Auferbauung der Gemeinde" hervorgehoben. EvD, Das Evangelium Marci in Predigten und Homilien ausgelegt (Die vier Evangelien in Predigten und Homilien ausgelegt, hg. v. R.Kögel, 2. Abtheilung), 1. Hälfte, Bremen 3 1896 (1891; 6 1922) [Dryander widmete dieses Werk dem Andenken seines am 15.2.1880 verstorbenen Vaters.]; 2. Hälfte, Bremen 3 1897 (1892; 6 1922).

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3. Seelsorge und Pädagogik auf der Kanzel

ist er ein sicherer, bei allem Ernste freundlicher Führer, dem man gern sich anvertraut." 16

Denn bis auf wenige Ausnahmen sind alle je von Dryander veröffentlichten Predigten tatsächlich gehalten worden. So entstammen die Markuspredigten dem Zeitraum von 1885-1892, worin sie, dem Kirchenjahr entsprechend, teilweise in sich anbietenden Reihen der Dreifaltigkeitsgemeinde dargeboten wurden. Allein die Beteiligung an dem von Kögel in Verbindung mit Dryanders Vorgänger Pank und dem Potsdamer Garnisons- und Hofprediger Frommel ins Auge gefaßten Plan, die vier Evangelien in Predigten ausgelegt herauszugeben, kann das Ansehen Dryanders als Prediger dokumentieren. Das Gesamtwerk wurde von Achelis denn auch als "ein hervorragendes Zeugnis geistlicher Beredtsamkeit empfangen, welches uns in gewisser Weise die Höhe der Predigtkunst in unserer Zeit vergegenwärtigt."17 Dryanders Buch sei darin nicht nur ein "würdiges Glied des Ganzen", sondern: "Die Markuspredigten von Dryander werden eine hervorragende Stelle in der neuesten Geschichte der Predigt einnehmen und hoffentlich vielen Predigern zum Vorbild, noch 18

zahlreicheren Christenleuten zu rechter Erbauung dienen."

Dieses Urteil, das sich ähnlich auch bei Weiß und Dreyer findet, fußt auf dem Empfinden, Dryander habe mit Markus den schwierigsten Stoff zugewiesen bekommen und ihn in einer sorgfaltigen und liebevollen Textverwertung homiletisch fruchtbar gemacht.19 Dryander, der in der Vorrede eben deswegen sogar anfangliches Widerstreben gegen seine Beteiligung zugab, zeigte sich jedoch überrascht über den Reichtum, der sich bei jedem Text einstellte. Denn er hatte sich in hohem Maße durch die Heranziehung vielfaltiger exegetisch-theologischer Literatur darum bemüht,

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E.Chr.Achelis, Rez. "Dryander, Das Evangelium Marci, in Predigten und Homilien ausgelegt. 1. Hälfte", ThLZ 16 (1891), Sp. 532-533, 533; vgl. O.Dreyer, Rez. "E.Dryander, Ev. Marci", ThJber 11 (1891), 554. Achelis, Rez. "Ev. Marci I", Sp. 552. Ders., Rez. "Dryander, Das Evangelium Marci, in Predigten und Homilien ausgelegt. 2. Hälfte", ThLZ 18 (1893), Sp. 289. Dies bestätigt die relativ hohe Auflage: noch zur sechsten Auflage der beiden Bände 1922 kann E.v.d.Goltz eine ausführliche und positive Rezension erscheinen lassen, die diesen Predigten nach mehr als 30 Jahren noch eine Bedeutung für die Gegenwart zuspricht. Kraft einer "pneumatischen Exegese" wende Dryander die Grundgedanken noch immer auf das an, was den Menschen der Gegenwart bewegt (Rez. "Dryander, Das Evangelium Marci in Predigten und Homilien ausgelegt, Halle 6 1922", ThLZ 50 [1925], Sp. 623-624). Besonders der 'Fachmann' Weiß stellt die Schwierigkeiten am Epiker und Realisten Markus heraus, Rez. "Markuspredigten", Sp. 630.

3.1. Das Predigtwerk

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"auch in der homiletischen Form die Tiefe dieser Schriftgedanken nach der Maßgabe meines Verständnisses der Gemeinde auszulegen und die Exegese dabei nicht etwa lediglich als die Magd der Homiletik zu behandeln, sondern als die Grundlage der 20

praktischen Anwendung hervortreten zu lassen."

Dies bewahrte Dryander nicht nur davor, den Text als bloßes Motto zu benutzen und allzu häufig Lieblingsgedanken einfließen zu lassen, sondern machte ihn in jeder Hinsicht zu einem vielseitigen Prediger. Schon seine ersten beiden Sammlungen "Evangelische[r] Predigten", der erste 'Bonner' Band mit einer Auswahl von 16 Predigten aus den Jahren 1876-1882 und der zweite Band mit 13 "Predigten über das christliche Leben" aus den ersten Berliner Jahren 1882-188621, können die je textgerechte homiletische Verwendung breitgestreuter biblischer Perikopen genauso erweisen wie der von Grüneisen 1926 sorgsam zusammengestellte letzte Sammelband "Gott und Mensch" mit 32 repräsentativen Predigten Dryanders aus den verschiedensten Amtsbereichen zwischen 1888 und 1919. 22 Ohne die zahlreichen, zu besonderen Anlässen veröffentlichten Einzelpredigten und die von 1914 bis 1920 in 22 Heften als "Evangelische Reden in schwerer Zeit" herausgegebenen, eher patriotisch gefärbten Predigten23 sind weitere drei Predigtbände zu erwähnen, in denen Dryander sich wiederum als predigender Ausleger bewies. Gleichsam als Abschiedsgabe an die Dreifaltigkeitsgemeinde und als Entschädigung "für die seltenere persönliche Berührung" gab Dryander 1898

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'

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S. die Vorrede zu EvD, Evangelium Marci I, VII. Wie der erste Band (s.o. 31, Anm. 4) erlebten auch EvDs, Evangelische Predigten, 2. Sammlung: Predigten über das christliche Leben, Halle 7 1910 (Bonn 1886; Halle 8 1911) hohe Auflagen. Auch wenn dies nur ein äußeres Kriterium sein kann, ein grober Blick auf die breite Verwendung von Texten zeigt: Von den 16 der Evangelischen Predigten I haben 3 Predigten Texte des AT, 2 synoptische, 3 johanneische, 4 paulinische Texte und 4 Pastoralbriefe zur Grundlage, unter den 13 der Evangelischen Predigten II sind 1 alttestamentlicher, 4 synoptische, 1 johanneischer und 7 paulinische bzw. deuteropaulinische Predigttexte zu finden, und die posthume Predigtsammlung verteilt die 33 Predigttexte auf 7 des AT, 4 der Synoptiker, 1 der Apg, 5 des Corpus Johanneum, 14 der paulinischen bzw. der deuteropaulinischen Briefe und 2 der Pastoralbriefe. Jene werden durch ihren direkten Bezug zu besonderen öffentlichen wie kirchlichen Ereignissen, Gedenkfeiern oder amtlich-höfischen Kasualhandlungen in die Darstellung einfließen und in ihrem Zusammenhang beleuchtet, diese müssen als Grenzfälle des Dryanderschen Predigtwirkens in dem besonderen Abschnitt unter dem Aspekt der "vaterländischen Not" behandelt werden.

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3. Seelsorge und Pädagogik auf der Kanzel

einen Predigtband über den ersten Johannesbrief heraus.24 Angeregt wiederum durch Kögel und begünstigt durch eine zeitweilige Beurlaubung aus dem Pfarramt und der Generalsuperintendentur zum Zwecke der Prinzenerziehung, entstand dieses Werk aus 18 Predigten der Jahre 1893-1896. "Daß eine fortlaufende homiletische Behandlung des ersten Johannesbriefes ihre besonderen Schwierigkeiten hat, habe ich reichlich erfahren. Der Eigenart des Briefes entsprechend, war eine gewisse Wiederholung der auch bei dem Apostel wieder25

kehrenden Gedanken unvermeidlich [...]".

Allerdings brachte es nicht nur die gewisse Monotonie der biblischen Vorlage mit sich, daß sich hier wie in den folgenden Predigtwerken die Persönlichkeit Dryanders in der Auslegung stärker zum Ausdruck brachte. Der johanneische Geist war Dryander wie der des lukanischen Paulus und des Vaterunser sehr verwandt: Überzeugung von der Wahrheit und der Kraft des christlichen Glaubens, Mahnung zu sittlich-religiösem Ernst und Betonung der einfachsten Grundlagen des religiösen Lebens. Überhaupt weht, wie allein schon die 'Titel' der einzelnen Predigten zeigen26, - mit den treffenden Worten von Bernhard Weiß - "ein Hauch echt Johanneischer Mystik durch [...] [Dryanders] Predigten, ein tiefes Sehnen danach, die himmlische Welt mit ihren Gütern und Gaben in unser irdisches Leben herabzuziehen, nach dem unmittelbaren Schauen des Göttlichen, nach dem Genuß des Ewigen in der Zeit, nach dem persönlichen Einswerden mit dem, in dem es uns erschienen."27 Gibt dies zwar schon einen bestimmenden Akzent an, gehen doch in den Predigten auch "realistische Welt- und Lebenskenntnis" und ein "vielseitig entwickeltes religiös-sittliches Innenleben" ineinander über, worin sich tatsächlich eine bei Dryander "sehr entwickelte Fähigkeit" zeigt, bibli-

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S. die Vorrede zu EvD, Der erste Brief Johannis in Predigten ausgelegt, Bremen 1898 (Halle 2 1903), VII. Ebd. VII. Dennoch wurde ihm bescheinigt, daß die "nicht leichte Aufgabe, den Johannesbrief in seiner Eigenart in einer Reihe von fortlaufenden Predigten zu behandeln, [...] glänzend gelungen" sei (O.Baltzer, Rez. "Dryander, Der 1. Brief Johannis, Halle 2 1903", ThR 6 [1903], 339-340, 340). "Das Leben ist erschienen", "Gott ist Licht!", "Habt nicht lieb die Welt!", "Bleibet bei ihm!" u.a. (EvD, Johannis); oder: "Seid geduldig!", "Die seelenrettende Liebe", "Der weltüberwindende Glaube" u.a. (EvD, Evangelische Predigten 1), "Die Wiedergeburt", "Suchet, was droben ist", "Die Erneuerung" u.a. (Evangelische Predigten II). Weiß, Rez. "Markuspredigten", Sp. 631.

3.1. Das Predigtwerk

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sehe Gedanken und Maßstäbe für das christliche Leben der Gegenwart fruchtbar zu machen.28 Zum fünfzigjährigen Bestehen des Domkandidatenstifts (1854-1904) erschien 1905 ein Predigtband seines Ephorus Dryander über das Leben des Apostels Paulus. Dieser Band mit seinen 14 Predigten nach Texten der Apostelgeschichte nimmt eine besondere Stellung in Dryanders Predigtwerk ein.29 Denn da Dryander mittlerweile nicht mehr nur die Pflicht hatte, selbst zu predigen, "sondern auch in regelmäßigen homiletischen Übungen andere zum Predigen anzuleiten", schickte er dem Buch ein Vorwort voraus, in dem er seine eigenen homiletischen Prinzipien kurz skizzierte und den "bescheidenen Wunsch" hegte, die Predigten "möchten [...] etwas von dem wiedergeben, was mir für die Predigt, namentlich die von heute, als besonderes Erfordernis vorschwebt."30 So stehen die Pauluspredigten unter dem besonderen Anspruch, eine Anwendung seiner homiletischen Grundsätze zu sein. Mit Baltzer läßt sich urteilen, daß Dryander seinen Forderungen, vor allem der nach Schlichtheit und Einfachheit der Form unter Berücksichtigung der psychologischen Voraussetzungen der Hörer, gerecht geworden ist.31 Doch nicht nur hierin liegt meines Erachtens die Bedeutung dieser Predigten. Wie schon ihre Einzeltitel (d.h. die jeweiligen thematischen Hauptgedanken) andeuten32, erwecken die Predigten den Eindruck, als wollte Dryander hier nicht zuletzt auch eine Art theologisches Bekenntnis zu seinem Ideal einer charakterfesten christlichen Persönlichkeit abgeben, die sich in den Aufgaben und Nöten des Lebens zu bewähren hat. Man könnte auch von daher versucht sein, den letzten von Dryander selbst herausgegebenen Predigtband über das Vaterunser von 1912 als 'Katechismus' in Predigtform

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32

So z.B. H.Bassermann, Rez. "Dryander, Der erste Brief Johannis in Predigten ausgelegt", ThLZ 23 (1898), Sp. 380-381, 380. EvD, Das Leben des Apostels Paulus in Predigten ausgelegt, Halle 1905, ( 2 1906). Ebd. VII. O.Baltzer, Rez. "Dryander, E., Das Leben des Apostels Paulus in Predigten ausgelegt [...]", ThR 8 (1905), 532-534, 533. Vgl. E.Bunke, Rez. "Dryander, Ernst, Das Leben des Apostel [sie!] Paulus, Halle 1905", in der Literarischen Beilage zur "Reformation" 3 (1904), Novemberheft, 85-86. Die homiletischen Prinzipien Dryanders kommen im nächsten Abschnitt im Zusammenhang zur Sprache. "Die Bekehrung des Paulus", "Siehe er betet!", "Paulus als Charakter", "Paulus der Missionar", "Die Innerlichkeit des persönlichen Christentums Pauli", "Paulus der Märtyrer", "Paulus der Mann des Gewissens", "Paulus als Zeuge der Wahrheit", "Paulus im Schiffbruch", "Pauli apostolisches Vermächtnis" u.a.

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3. Seelsorge und Pädagogik auf der Kanzel

aufzufassen. 33 Denn die acht während des Sommers und Winters 1910 gehaltenen Predigten wollten nach Dryanders Vorwort in das Verständnis des Vaterunsers als ein die "zertrümmerte[...] Einheit der Kirchen"34 anmahnendes christliches Urbekenntnis einführen und die Hörer bzw. Leser von der Tiefe der darin angesprochenen christlichen Grundwahrheiten her zu der Bitte anregen: "Herr, lehre uns beten!".35 Vielleicht hat auch das "heilige[...] innere[...] Erschauern" des Predigers vor diesem Heiligtum 36 dazu beigetragen, daß heute noch aus fast allen gedruckten Predigten ein großer, zur grundsätzlichen Besinnung anregender und aufrufender Ernst herauszuspüren ist.

3.2. Der Prediger und die Predigt Nicht von ungefähr betonte Dryander bei der Herausgabe seiner Predigten immer von neuem vor allem den Gemeindebezug. Denn die Predigt stand ihm immer im bewußten Zusammenhang mit dem Gottesdienst, als dessen Hauptstück sie dem Ziel des Gottesdienstes, die Gemeindeglieder zu einer höheren Einheit zusammenzuschließen, dennoch untergeordnet blieb.1 "Ein Klang aus dem Allerheiligsten soll die Predigt sein. Jede Herzenserhebung, die sie bewirkt, jede Willensbewegung, die sie anregt, soll immer wieder in dieses Allerheiligste der Gemeinschaft Gottes in Christo Jesu, dem Sohne seiner Liebe, hineinführen."

33 34 35 36

1

2

EvD, Das Vaterunser in acht Predigten ausgelegt, Halle 1912 ( 3 1913). Predigt am 3. Sonntag n.Trin./12.6.1910 über die Anrede Mt 6, 9, ebd. 1-18, 16. Ebd. (VII). E.W.Bussmann, Rez. "Dryander, Das Vaterunser", ThLZ 38 (1913), Sp. 26-27, 27. Vgl. O.Baltzer, Rez. "Dryander, Vaterunserpredigten", ThR 15 (1912), 334; C.Hachmeister, Rez. "Dryander, E., Vaterunser", ThJber 32 (1912), 307; Jäger, Rez. "Dryander, E., Das Vaterunser", 112. EvD, Erinnerungen 143; ders., Aufgaben der Kirche (1919) 12. Der ehemalige Hilfsprediger (1892-1895) und spätere Schwiegersohn Dryanders Karl Röhrig zeichnete dessen gottesdienstliches Auftreten aus eigenem Erleben nach und stellte dabei zu Recht fest, wie Dryander auch an der gedanklichen Einheit des Gottesdienstes gelegen war (Dryander als Liturg 139). EvD, Die Liturgie (Predigt am 20. Sonntag n.Trin. 1887), in: ders., Konfirmationsgabe. Drei Reden über Konfirmation und Liturgie, Berlin 1888, 27-38, 3 lf .

55

3.2. Der Prediger und die Predigt

Die Liturgie bildet nach Dryander nicht nur den Rahmen, sondern ist in ihrer Darstellung des gesamten Glaubensinhaltes der Gemeinde zum Schutz des Bekenntnisses "wie eine heilige Mauer um die Gemeinde gezogen"3. "Nach wie viel verschiedenen Seiten nun immer die Predigt das Herz bewegen möge, die Liturgie mit ihrem feiernden Ausruhen, mit ihrem dankenden Bekennen zeigt dir das Ziel, wohin jene Bewegung des inneren Menschen dich führen soll, nämlich zum 4

Vollbesitz der Gnade und des Heils, das uns angeboten wird in Christo Jesu."

Interessant ist nun, wie Dryander darauf Wert legt, daß nicht nur "in jedem Gottesdienste [...] das ganze Heil" gezeigt wird, sondern auch immer "der ganze Mensch [...] erfaßt werden soll, auch wenn vielleicht in der Predigt nur eine besondere Seite des christlichen Glaubens oder Lebens angerührt wurde." Wenn das von der Kanzel gesprochene Wort durch den Druck ohne die dazugehörige Liturgie über die eigentliche Gemeinde hinaus in weitere Kreise getragen wurde, sah Dryander sich veranlaßt, auch diese 'Glieder' zumindestens "mit dem Gruße apostolischer Fürbitte" einzubinden " [...] zu der großen unsichtbaren Gemeinde, die Einer dem Anderen unbekannt und doch bekannt, auf dem einen und ewigen Grunde des Evangeliums von Christo sich erbaut"5. Wie ihm der ideale Gottesdienst Hörer aller Stände zu einer Gemeinde zusammenschloß, so war es ihm das "Ideal der evangelischen Predigt", "für alle gleiche und alle befriedigende Nahrung zu bieten".6 Durch seine einfache und tägliche, aber gepflegte Sprache und seine ruhige und gemessene liturgische Haltung konnte er diesem Ideal schon der Form nach nahekommen. Es war Dryander nicht leicht gefallen, seinen eigenen Stil zu finden, da weit über seine Domkandidatenzeit hinaus die mit Rhetorik und Pathos überladene Kögeische Predigtweise ihren Einfluß ausübte.7 Doch mit dem räumlichen Abstand zu Berlin konnte Dryander diese - von Konrad verall-

3 4 5

® 7

Ebd. 35. Ebd. 37. Hier s.a. das Folgende. S. die Vorrede zu EvD, Evangelium Marci I, VIII. So kann dieser Teil der Vorrede als ein stilisierter Kanzelgruß gesehen werden, der nach Dryander wie alle liturgischen Formeln "nicht bloße Form[...] , sondern Gefäß[...] für Glauben und Gebet, für Lob und Sehnsucht der Gemeinde" sein soll (EvD, Der Gott des Friedens heilige euch! Predigt am 5. Sonntag n.Trin. 1881 - 1. Thess 5, 23-24, in: EvD, Evangelische Predigten I, 112, 2). EvD, Erinnerungen 143. EvD, Erinnerungen 77, 112, 156.

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3. Seelsorge und Pädagogik auf der Kanzel

gemeinernd als "Hofpredigerstil" bezeichnete8 - formale Homiletik, "die mehr blendete als erhellte, mehr zerstreute als sammelte", bald nur noch als eine Grenze empfinden, "die nicht überschritten werden kann und darf' 9 . Er selbst gelangte zu der Auffassung, daß die Wahrheit einfach und je einfacher desto überzeugender sei: "Sie braucht keine Rhetorik noch andere Hilfsmittel. Sie hat kein Prachtkleid und kein Getön nötig." 10

Allerdings schärfte Dryander sich und seinen Kandidaten ein, daß eine Predigt sorgfältigster Vorbereitung nicht entbehren könne. Denn die Ausarbeitung einer der Individualität des Predigttextes und dem Bedürfnis der Gemeinde inhaltlich gerecht werdenden Predigt bedürfe neben der theologisch-exegetischen Arbeit "der Erschließung aller Quellen in Schrift, Seelsorge, Lektüre und Erfahrung"11, wodurch "die Kraft eigentlich populärer Sprache, der Reichtum der Bilder, der plastische Ausdruck und das packende Beispiel" besonders gefördert werden sollten.12 Dabei warnte Dryander eindringlich vor einer Versuchung der Predigt, der er selbst vor seinen "wesentlich den gebildeten Ständen angehörig[en]" Hörern zwar gegenüberstand13, aber nicht erlag: "sie ist keine wissenschaftliche Abhandlung. [...] sie soll nicht die Höhe ihrer eigenen Bildung zeigen wollen". 14

Aber mit dem Aufweis, "daß nichts Menschliches ihr fremd ist", solle die Predigt "die Erscheinungen des Lebens nach allen Seiten darauf prüfen, wie sie im Lichte der Ewigkeit sich ausnehmen." Denn wie er zu Beginn einer Predigt einmal in einer für ihn typischen Formulierung bekannte, war er "gewohnt zu sagen und zu glauben, daß das Evangelium mit Allem verwandt

®

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J.Konrad, Die evangelische Predigt. Grundsätze und Beispiele homiletischer Analysen, Vergleiche und Kritiken (Sammlung Dieterich, Bd. 226), Bremen 2 1966 (1963), 473f. EvD, Erinnerungen 77. Dryander vergaß aber nicht herauszustellen, wie sehr die evangelische Kirche allen Anlaß zu Dank habe, "daß sie einen solchen Verkünder des Evangeliums besessen hat". Hier wie in der Beurteilung der Kögeischen Kirchenpolitik mischen sich bei Dryander Bewunderung, Beifall und kritische Distanz. EvD, Aufgabe der heutigen Predigt (1920) 2; Vgl. ders., Paulus (Vorwort) VIII; Aufgaben der Kirche (1919) 12 u. Erinnerungen 77. EvD, Erinnerungen 124. S.a. ders., Paulus (Vorwort) VII. EvD, Erinnerungen 141. Ebd. 143. EvD, Aufgabe der heutigen Predigt (1920) 4. Hier s.a. die folgenden Ausführungen.

3.2. Der Prediger und die Predigt

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sei, was nur menschlich groß und edel ist"15. So war Dryander auch die Vereinbarkeit von Bibel und Wissenschaft, von Bildung und Christentum selbstverständlich16, doch wie ihm die Schrift "nicht nur die Urkunde göttlicher Offenbarung [war], die mit den ernsten Mitteln der Wissenschaft erforscht und begründet werden muß", sondern "auch der Schlüssel für die Offenbarung, die Gott im Menschenherzen wirken will"17, blieb ihm das Problem des Lebens Jesu, ja die Person Jesu Christi selbst ein Geheimnis, dem nicht am Schreib- und Studiertisch auf die Spur zu kommen sei: "Dazu gehört das Studium einer [...] Urkunde, deren Blätter der Forscher im eigenen Herzen mit seinen Kämpfen, seinen Schmerzen und Bedürfnissen lesen muß. Sein eigenes Leben mit seiner Sünde und Erlösungsbedürftigkeit muß er kennenlernen. Wenn er dann aufs neue herantritt an Wort und Gestalt des Herrn, dann hat vielleicht 18

auch ihm die Stunde geschlagen [...]".

Hierin spiegelt sich die Grundanforderung, die Dryander an jeden Prediger bzw. Theologen gestellt sah: "Die Wirkungskraft eines Geistlichen [...] ist von jeher von der durchgeisteten Persönlichkeit abhängig gewesen. [...] Ich glaube, daß im Leben jedes Theologen der Augenblick sich einstellen muß, in dem es ihm aus persönlichem Erleben der beiden Pole des Evangeliums, Sünde und Gnade, als größter und19herrlichster Beruf erscheint, in diesem Sinne Christo in seinen Brüdern zu dienen."

Da ihm das "Christentum eine persönliche Sache, eine Sache der ganzen Persönlichkeit" war20, lag Dryander die Glaubwürdigkeit eines Predigers sehr am Herzen. Denn nur, "wo der Prediger [...] seine eigene Zuversicht, sein eigenes Glauben und Wesen" bewähren kann, vermag sich das von der Kanzel "gesprochene Wort [...] in Leben und Kraft in den Seelen der Hörer" umzusetzen.21 Denn die Kraft der Predigt sei darin zu finden,

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EvD, Christus und die guten Menschen. Predigt am 2. Sonntag n.Epiphan. 1879 (Mt 19, 16-26), in: EvD, Evangelische Predigten I, 85-99, 85. EvD, Unser Weg zu Gott, aus seinem Nachlaß hg. v. M.Thom, Berlin 1924, 82-84. Vgl. v.a. die Gedächtnisrede für Ernst Curtius v. 15.7.1896 (Christentum und Griechentum, in: EvD, Gott und Mensch 234-238), bei dem Dryander die Versöhnung von Glauben und Wissenschaft beispielhaft vollzogen sah (237). EvD, Erntefeld (1904) 198. EvD, Die Herrlichkeit Christi. Predigt an Estomihi v. 6.2.1910 im Berliner Dom (Joh 6, 66-69), in: ders., Gott und Mensch 58-67, 65. EvD, Aufgaben der Kirche (1919) 8 f . Dryander konnte in diesem Zusammenhang vor seinen Domstiftskandidaten zum Jubiläum 1904 sogar von der "heiligen Trias" aus oratio, meditatio und tentatio sprechen, "die den Theologen macht" (Erntefeld 199). EvD, Aufgaben der Kirche (1919) 23. Ebd. 12.

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3. Seelsorge und Pädagogik auf der Kanzel

"wo das gepredigte Wort, in fleißiger Arbeit durchdacht und durchbetet, seine Macht zuvor über den Prediger selbst ausgeübt hat. Vor allem jene höchste Wirkung der Predigt, daß das menschliche Wort die Brücke wird für den Geist des lebendigen Gottes, daß die Person des Predigenden gänzlich zurücktritt, verschwindet, weil unter dem Wort in jedem einzelnen Hörer ein stilles Zwiegespräch beginnt, das jeder mit seinem Gott hält." 22

Die Predigt Dryanders über die Abschiedsrede des Paulus in Milet (Apg 20, 15-38) enthält gewissermaßen eine "Pastoraltheologie im kleinen"23, wenn sie wohl besonders den Domstiftskandidaten Paulus als apostolisches Ur- und Vorbild eines evangelischen Amtsträgers vor Augen fuhren wollte: " [...] überall ist ihm die Person mit der Sache, die er vertritt, auf das Innigste verbunden, ja zu unlösbarer Einheit verschmolzen. In dem Verwachsensein des Amtsträgers mit seinem Amte, in diesem persönlichen Erfülltsein des Verkündigers mit dem Inhalte seiner Verkündigung ruht das Eigentümliche wie der paulinischen Predigt, so des evangelischen Hirtenamts, das darin eine Fortsetzung des apostolischen sein soll. [...] Das geistliche Amt kann, wie das apostolische, nur geführt werden von einem, der wie der Apostel, in innerster Seele selbst Christ ist." 24

Gerade hier ist der Einfluß Tholucks noch auf den reifen Theologen und Prediger Dryander greifbar, der von jenem vor allem gelernt hatte, "daß jede Predigt, in Phantasie und Gefühl getaucht, aus der eigenen Erfahrung geboren sein müsse."25 Von Tholuck brachte Dryander zudem die Neigung mit, "durch einen psychologischen Unterbau zuerst die Verständigungsbasis zu schaffen, von der aus der Prediger die Gemeinde zur Anerkennung und Aneignung des gepredigten Schrifitinhalts zu fuhren hoffen darf."26 Hier ist der Grundzug zu finden, den viele Nachrufe ansprechen, wenn sie Dryander als seelsorgerlichen Prediger charakterisieren.27 Persönliche, ap-

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EvD, Weg zu Gott 247. Die Innerlichkeit des persönlichen Christentums Pauli, in: EvD, Paulus 105-120, 111. Ebd. 112f . Dies führte Dryander besonders bei der Einführung von Generalsuperintendenten aus: Nachdem er zur Einführung Haendlers in die wichtige Berliner Generalsuperintendentur noch einmal auf die Eigentümlichkeit des evangelischen Amtes in der Verschmelzung von Person und Sache zu sprechen kam, rief er ein Wehe aus über den, "bei dem sich nicht Verkündigung und Lebensführung zusammenfinden! [...] Nicht Ueberliefertes, Weitergegebenes, sondern Erlebtes, Erfahrenes sollen wir predigen, himmlische Realitäten, aber Realitäten, die zum eigenen Erleben geworden sind." Andererseits warnte er vor der Gefahr, daß sich die eigene Person vordrängen könnte (s. Positive Union 9 [1912], 156). EvD, Erinnerungen 112. Ebd. 124. Lahusen, Dryander 356; Steinbeck, Dryander als Prediger 276; C.Grüneisen, Vorwort des Herausgebers, in: EvD, Gott und Mensch, IX-XIV, XIII.

3.2. Der Prediger und die Predigt

59

plikative und dialogische Elemente gaben den Predigten oft sogar das Gepräge eines Gesprächs, ja eines Beichtgesprächs mit dem Hörer. Wolle die Predigt den Text und das religiöse Bedürfnis der Gemeinde aufeinander beziehen, so müsse sie "von einem fur Redner und Hörer gemeinsamen Punkte aus die Gedanken zwingend entwickeln und so den Hörer fassen"28. Die der Gedankenwelt des Evangeliums zum Teil fremd gewordene Denksphäre der Hörer verlange daher neben einer einfachen, lebensnahen Sprache ein dem Hörer und seinen Schwierigkeiten verständnisvolles Entgegenkommen. Man merkt den Predigten an, daß Dryander viel daran gelegen war, seinen Hörer "innerlich zu finden, ihn zu verstehen", um dann erst - ohne Schelte, aber auch ohne Schmeichelei - "seinen eigenen inneren Gedanken ihm verständlich zu machen"29. Nicht zuletzt hierin ruhe die Kunst, "nicht über die Köpfe hinweg, sondern in die Herzen hinein zu predigen, deren Nöte und Kämpfe der Prediger in heiliger Sympathie mitfühlt." 30 "Die geistliche Persönlichkeit wächst nicht auf der Kanzel [...]. Sie wächst in der verborgenen Stille, in der Zucht des Geistes, in der Anfechtung, die aufs Wort merken läßt, 'tentatio facit pastorem'. Wie sollten wir je Seelsorger werden, wie das Verständnis für andere Kämpfe lernen, wie das tiefe Mitleid mit ringenden, kämpfenden, zweifelnden Menschen, das unsere Predigt nicht weniger durchwehen soll als unsere Seelsorge, wenn wir nicht selbst Zweifelsstunden kennen [...] " 31 .

Es wird besonders bei einer vergleichenden Lektüre der klassischen Vorrede Tholucks zu seiner zweiten Predigtsammlung32 deutlich, wieviel Dryander in seiner Predigtauffassung von deren Einbindung in den Rahmen des Gottesdienstes und Gemeindelebens bis in die homiletischen Ausführungen hinein der alten Weisheit Tholucks verdankte, die er noch in seinen Erinnerungen als unvergänglich rühmte:

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EvD, Erinnerungen 77. Dieses Verfahren wurde von den Rezensenten immer wieder anerkennend herausgestellt; vgl. Bussmann, Rez. "Vaterunser" 27: Dryanders Predigten "gehen immer ein auf die Gedanken der Menschen von heute und suchen mit feinem psychologischen Verständnis nach einem gemeinsamen Grunde, um auf diesem dann weiter zu bauen und den Hörer dahin zu führen, wohin er zunächst nicht gehen wollte." V.d.Goltz, D. Ernst Dryander, Der Tag v. 18.4.1913 (= ders., Christentum und Leben 98). EvD, Paulus (Vorwort) VIII; vgl. Aufgabe der heutigen Predigt (1920) 3f . EvD, Weg zu Gott 245. A.Tholuck, Einige Worte über die Predigt für die Gebildeten in unseren Tagen. Vorrede zur zweiten Sammlung (1835), in: ders., Predigten über die Hauptstücke des christlichen Glaubens und Lebens, Bd. 1, Hamburg 41851, XIII-XXXIV.

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3. Seelsorge und Pädagogik auf der Kanzel

"Eine 'Tat' auf der Kanzel muß die Predigt sein. Sie wird es, wenn sie vorher eine 'Tat' in der Studierstube gewesen ist. Nur so wird sie auch in anderen 'Taten' wirken." 33

Erscheinen Dryanders homiletische Gedanken und deren Predigtumsetzung zwar vor allem als Erfüllung Tholuckscher Desiderate, so ist er damit und mit der hier auch in Betracht zu ziehenden Faszination an Beck doch nicht den erwecklichen oder pietistischen Predigern zuzurechnen. Wie von den konfessionellen Predigern hob Dryander sich bei aller Übereinstimmung im kirchlichen Lehrgehalt und bei aller Biblizität durch seine dogmatische und thematische Weitherzigkeit auch von jener Richtung ab. 34 Bassermann fühlte sich darin, wie bei Dryander "alles zwar biblisch begründet, aber zugleich aus dem inneren Leben, der Einsicht und der Erfahrung des heutigen Christen selbst hergeleitet wird", nicht zu Unrecht an Schleiermacher erinnert.35 Wie Dryander nicht einer bestimmten theologischen Richtung zuzuordnen war - und man somit auch in seinen Predigten die Durchdringung positivpietistischer,

biblisch-ethischer

und vermittelnd-unionistischer

Züge bestätigt

findet -, so ging es ihm darum, sich nicht einer Methode zu verschreiben, sondern alle homiletischen Gedanken darauf zu prüfen, ob sie es der Predigt ermöglichen, "pietistischer Weltflucht wie orthodoxistischer Verknöcherung gegenüber" 36 "ein lebendiges, an die Gewissen sich richtendes und die Herzen bewegendes Zeugnis von dem Geheimnisse Gottes zu sein".37 "Ihr letztes Ziel bleibt immer, den Reichtum christlichen Lebens in der Erscheinung 38 Jesu Christi leuchten zu lassen."

34 35

36 37 38

EvD, Erinnerungen 38. Die "doppelte [bzw. dreifache] That" hatte Tholuck angesichts der wirkungslosen, bloß gemachten Predigten gefordert; sie sollten zunächst "aus der Fülle der Brust in der Gegenwart Gottes" erwachsen und dann auf der Kanzel "zum zweitenmal geboren" werden "in lebendiger Überzeugung" (Vorrede XXIII). S. Schian, Art. "Predigt" 725. Bassermann, Rez. "Der erste Brief Johannis", Sp. 380. Denn fiber Beyschlag vermittelt, lernte Dryander die Predigten des Schleiermacher in Richtung dezidierter Unionstheologie fortführenden Nitzsch als "Gedankenquellen ersten Ranges" schätzen (EvD, Erinnerungen 112). Schian rechnete Dryander nicht nur zur Linie der sich von den scharf Konfessionellen in der Betonung des Praktischen, Gemeindemäßigen und Individuellen unterscheidenden homiletischen Vertreter wie Hoffmann, Frommel und Steinmeyer, sondern auch zu den Nachfahren der vermittlungstheologischen "Gruppe Nitzsch", zu der er auch Tholuck, Müller und Beyschlag zählte (Art. "Predigt" 725). EvD, Aufgabe der heutigen Predigt (1920) 5. EvD, Paulus (Vorrede) X. EvD, Aufgabe der heutigen Predigt (1920) 4.

3.2. Der Prediger und die Predigt

61

Dryander scheint in alledem seinem Freund und späteren Mitstreiter im EOK, dem Berliner praktischen Theologen Kleinert, nahe gewesen zu sein. Nach Wintzer war Kleinert einer der eigenständigsten Homiletiker an der Schwelle des neuen Jahrhunderts, der abstrakte homiletische Gebäude abgebaut und endlos diskutierte Fragen aufgelöst hat, um sich der Predigtaufgabe der Zeit zuzuwenden: "das Alte neu zu sagen, es nicht antiquarisch zu bewahren, sondern im Leben zu bewähren."39 Dies kann auch als ein wesentliches Ziel der homiletischen Arbeit Dryanders angesehen werden. "Was wir predigen [,] ist nicht nur unpraktische Kanzelweisheit, die dem wirklichen Leben gegenüber nicht stand hielte; es ist recht eigentlich eine Weisheit, die täglich 40 ihre Probe am Leben machen soll."

So haben die Predigten Dryanders tatsächlich die besondere Charakteristik, Predigten über und für das christliche Leben zu sein. Immer wieder entfalten sie in einer Fülle von Aspekten und Perspektiven das Eine und Ganze des Christseins. Wie Dryander mit Paulus betonte, sei gerade die sich auf das Evangelium gründende Predigt dazu befähigt, "Allen nachzugehen, Allen Alles zu werden"41. Dryander knüpfte hiermit an eine lutherische Grundanschauung an, derzufolge die Theologie durch die Verkündigung eine eminent praktische Wirkung entfaltet "überall da, wo Christus in lebendigen Persönlichkeiten Gestalt gewonnen hat, wo aus dem menschlichen Zeugnis über ihn seine eigene Stimme lebensmächtig herausklingt. Das ist die Macht, und zwar die einzige, die in unserer Predigt wirksam sein soll und wirksam werden muß." 42

Besonders die Predigten über das Leben des Apostels Paulus wollen diese wirksam gewordene Macht beschreiben: Wenn Dryander Paulus hier geradezu zu seinem Ideal einer charakterfesten christlichen Persönlichkeit machte, die sich in den Aufgaben und Nöten des Lebens bewährt hat, so faßte er in dieser Predigtserie zusammen, führte er aus, was er sich 1879 in den "Deutschevangelische[n] Blätter[n]" gleichsam programmatisch als pastoral-pädagogisches Konzept vorgegeben hatte: die Erziehung und Herausbildung christli-

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F.Wintzer, Die Homiletik seit Schleiermacher bis in die Anfänge der 'dialektischen Theologie' in Grundzügen (Arbeiten zur Pastoraltheologie, Bd. 6), Göttingen 1969, 97103, 103. Predigt über Mt 11, 25-30 vom 3. Advent 1885, in: EvD, Evangelische Predigten II, 95107, 105f. EvD, Evangelische Predigten I (Reformationsfest 1882), 200. Predigt am 2. Sonntag n.Trin. über Mk 1, 21-35 (Er hat Gewalt), in: EvD, Ev. Marci I, 29-37, 31.

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3. Seelsorge und Pädagogik auf der Kanzel

eher Charaktere und Persönlichkeiten mit einheitlicher, von Christus bestimmter sittlicher Gesinnung.43 Dryander ging in diesem Aufsatz von der idealistisch gefärbten Überzeugung aus, "daß nur das Christentum die Kraft zu vollendeter Charakterbildung in sich trage und vollendete Charaktere zu schaffen vermöge."44 Denn erst das Evangelium von Christo habe die Menschheit als Ganzes und den einzelnen Menschen als den Gegenstand göttlicher Liebe und Ziel göttlichen Heilshandelns verstehen gelehrt. In einer Predigt führte er sogar aus: "Das Christentum ist die Neuschöpfung der Menschheit, erst das Evangelium von Christo ist die Geburtsstätte echter und wahrer Humanität. Wo dies Evangelium gepredigt wird, da schlingt sich leise ein Band der Einigung um die ganze Menschheit [.·•] " 4 5

Um sich von dem bestimmenden Einfluß der Sünde frei entfalten zu können, bedürfe der Charakter, der inwendige Ort sittlicher Bestimmtheit, einer göttlichen Kraft. " Vollkommene Charakterbildung vollzieht sich nur auf dem Wege der Erlösung.

Das Ziel sei, "das innerste Centrum der Persönlichkeit [...] in das göttliche Lebensgebiet zu verlegen. Wer so [...] den Mittelpunkt und Ruhepunkt seines eigenen Wesens gefunden hat, von dem nun die gesammte Peripherie seines Wesens bestimmt und gehalten wird bis zur vollkommenen Durchbildung der Individualität mit den vom Centrum aus wirksamen Kräften, der hat das Ziel christlicher Charakterbildung erreicht." 47

Aber mit Luther hörte Dryander nie auf zu betonen, daß der Christ immer im Werden, niemals im Wordensein sei48, es sei nötig, den inneren Willensgrund immer wieder zu erneuern49 - eine den ganzen Theologen Dryander auszeichnende, an Luthers erster Ablaßthese gewonnene Grundanschauung, die seinen Predigten ihren besonderen Ernst verlieh. Ein herausragendes Medium für diese Aufgabe war Dryander die Predigt als Seelsorge und Pädagogik am Menschen in der Kraft Gottes.

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EvD, Ueber christliche Charakterbildung, DEB1 4 (1879), 577-595. Ebd. 578. Predigt zum 1. Weihnachtstag 1885 über Luk 2, 9-11 (Die Christfreude), in: EvD, Evangelische Predigten II, 108-120, 114. EvD, Charakterbildung (1879) 584. Ebd. 585. EvD, Charakterbildung (1879) 595; Ev. Marci I, 323 u.ö. EvD, Evangelische Predigten I, 52; II, 28-40 ( Predigt am 1. Sonntag n.Trin. über Kol 3, 5-11. Die Erneuerung); Ev. Marci I, 132; II, 19 u.ö.

3.2. Der Prediger und die Predigt

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Als 'Seelsorger an der Sünde' 50 weiß der Prediger um die Anfechtungen und Probleme seiner Hörer, weiß er sogar um die "völlig verändert[e] Anschauung vom Ernst der Sünde, von Verantwortung und Schuld"51. Als Vertreter der "göttlichen Pädagogik"52, nimmt er die Aufgabe seelsorgerlicher Erziehung wahr, die Gewissen zu schärfen und die sittliche Widerstandskraft zu stärken53. Daher konnte er geradezu eindringlich vor einem falschen Pietismus warnen, der darin fehle und unwahrhaftig sei, daß er auf gewissen niederen Stufen der geistlichen Entwicklung Heilserfahrungen voraussetze, welche diese Stufen noch nicht haben könnten. Zwar ideale Ziele ins Auge fassend, solle man doch auf gesunden Wegen bleiben und, insbesondere jüngeren Menschen, nicht ein Joch auflegen, das man selber auf der entsprechenden niederen Stufe der inneren Entwicklung nicht getragen habe.54 Allerdings war Dryander bei aller Liebe und 'Volkstümlichkeit' ein Gegner der Bequemheit: "Der kompakte gemeinsame Glaubensbestand, aber auch der kompakte gemeinsame Bestand unserer sittlichen Anschauungen ist so dünn geworden, daß der einzelne nicht mehr den Mut hat, damit herauszutreten und sie in seiner Weise mit Ernst geltend zu machen. [...] Man will sich nicht kompromittieren nach irgendeiner Seite hin." 55

Demgegenüber rief er zu mehr Vorbildlichkeit und vor allem zu mehr Mut auf, Verantwortlichkeit zu fühlen und herauszutreten "mit der religiösen Zivilkourage [sie!], die sich selbst einsetzt und die sich nicht zurückzieht vor dem Widerspruch." Dryander legte in seinen Predigten alles Gewicht auf das innere Leben und das praktische Verhalten des Christen. Seelenfuhrung und Erziehung zu christlichen Persönlichkeiten wurden ihm so die idealen Pfeiler zur Tat auf der Kanzel, wobei allerdings eingeräumt werden muß, daß Dryander "in seinen paränetischen Stücken die Möglichkeit des Menschen hinsichtlich des heiligen Wandels oft zu sehr idealisierte"56.

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Gemäß der Predigt am 4. Sonntag n.Trin. über Mk 2, 1-12 (Christus der Seelsorger), in: EvD, Ev. Marci I, 48-56. Predigt über Mt 6, 12 (Und vergib uns unsre Schuld, wie wir unsem Schuldigern vergeben), in: EvD, Vaterunser 87-103, 90. Predigt über Mt 6, 10 (Dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel), ebd. 51-69, 61.

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EvD, Ev. Marci I, 6. Auf dem 24. Kongreß fur Innere Mission 1886 in Breslau, Verhandlungen des 24. Kongresses für Innere Mission in Breslau, 14.-16.9.1886, Breslau 1886, 131. Verhandlungen des 33. Kongresses für Innere Mission in Leipzig, 25.9.-28.9.1905, Hamburg 1905, 288-291, 290. Hier auch das Folgende. W.Thom, Ernst von Dryander 163.

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3. Seelsorge und Pädagogik auf der Kanzel

3.3. Auf der Schwelle zur 'modernen Predigt' Wohl mit großem Respekt vor der "wunderbar schlicht[en] und fein[en] Sprache" und der persönlichen Glaubwürdigkeit ordnete Friedrich Niebergall, der sich seit der Jahrhundertwende besonders um die "moderne Predigt" bemüht hatte, die "liebe[...] und vertraute[...] alte[...]" Predigtweise Dryanders unter die Kategorie "vormodern" ein, die ihm eine Art Übergangsstufe zwischen der "unmodernen" und der "modernen Predigt" zu bilden schien.1 Schon die formale Anlage Dryanderscher Predigten scheint Niebergall recht zu geben. Wie selbst die Vaterunser-Predigten noch zeigen, konnte Dryander sich auch in späteren Jahren nicht recht von den schematischen "Fesseln" der im 19. Jahrhundert vorherrschenden analytisch-synthetischen Methode, Text und Predigtinhalt miteinander zu verbinden, befreien2. Bassermann konnte zum Beispiel die Predigten über den ersten Johannesbrief unter diesem Gesichtspunkt empfehlen: " [...] wer lernen will, was eine synthetisch-analytische Predigtanlage sei, der studiere diese Predigten." 3

In der Tat stehen die Predigten Dryanders zwar meist unter der Herrschaft eines aus dem Text gewonnenen Themas, welches als Sammelpunkt der einzelnen Gedanken und Teile fungiert. Allerdings verblieb er nicht in den bloßen formallogischen Kategorien dieser Methode, die über ihre strengen Schemata (Anfang-Fortgang-Vollendung, Ausgang-Weg-Ziel, VoraussetzungWesen-Folgen u.a.) die Gefahr einer Verallgemeinerung der Texte in sich barg4. Dryander hingegen versuchte auch in der Disposition das je Eigentümliche eines Textes zum Ausdruck zu bringen. Da er jene alte homiletische Methode zudem eher unbekümmert als streng, mehr inhaltlich am Gang des Textes als logisch an der Folge der Kategorien sich orientierend befolgte, geriet sie ihm weniger zu einer Fessel als vielmehr zu einer wirklichen Gestaltungs- und Verstehenshilfe - auch für seine Hörer bzw. Leser. Wenn Dryan-

F.Niebergall, Moderne Predigt 88. EvD, Erinnerungen 141. Bassermann, Rez. "Der erste Brief Johannis", Sp. 380; vgl. Achelis, Rez. "Ev. Marci I", Sp. 553. Zur Methode selbst s. Schian, Art. "Predigt" 717: "Dem Text werden Hauptgedanke und Einzelgedanken entnommen [...] In der Predigt werden die analytisch gewonnenen Gedanken regelmäßig synthetisch unter einem Thema zusammengefaßt und nach Teilen geordnet." A.Uckeley, Moderne Predigtideale. Beiträge zur Theorie und Praxis der zeitgemäßen Predigtweise nach Inhalt und Form, Leipzig 1910, 49f.

3.3. Auf der Schwelle zur 'modernen Predigt'

65

der sowohl das Thema wie auch die einzelnen Teile der Predigt fast immer mit speziell formulierten Inhalts-Aussagen oder Leitfragen überschrieb und in dieser Form als Predigtdisposition ausdrücklich mitteilte, gab er der Gemeinde damit gleichsam einen Leitfaden für das Verfolgen und zum Verständnis der Predigt an die Hand - womit er Uckeley nicht nur in formaler Hinsicht als Beispiel für ein "modernes Predigtideal" diente5. Dryander war in seiner Art, gute, gebildete und fromme Christlichkeit unparadox, optimistisch und bürgerlich gesichert zu predigen, einerseits zwar fest im 19. Jahrhundert verwurzelt. Andererseits stand er mit seiner 'praktisch'-erbauenden, auf das christlich-sittliche Leben ausgerichteten und die Gewissen ansprechenden Predigtweise unübersehbar auf der Schwelle zur modernen Predigt, wie sie etwa Niebergall vorschwebte. Denn den allgemeinen Leitgedanken Niebergalls von 1921, "Predigt als Gemeindeerziehung und Hilfe zur Lebensbewältigung"6, stand Dryander nicht fern. Auch er wollte mit dem Evangelium Metanoia und Glauben herbeiführen, auch für ihn bedeutete "Predigtarbeit [...], die Gemeinde immer wieder in die bestimmte Wertauffassung des Evangeliums einzutauchen", ebenso war ihm die Verkündigung, "allem Moralismus und Dogmatismus, [...] allem modernen mystischen Betrieb entgegen", ehrfurchtsvolle Fortsetzung der Erziehungsarbeit Gottes im Sinne des vertrauensvollen Vaterunsers.7 Dem Anliegen und den neuen Ansätzen der anderen 'modernen' Homiletiker - Drews, Steinmeyer, Baumgarten u.a. - in Predigttheorie und -praxis stand Dryander nicht nur im Gefolge Tholucks, der in vielerlei Hinsicht als 'Ahne' der neuen Predigtansätze in Anspruch genommen wurde8, grundsätzlich offen gegenüber. Denn gerade als Ephorus des Domkandidatenstifts hatte er sich in der Leitung der praktisch-theologischen Konferenzen auch mit der Frage und den Problemen der 'modernen Predigt' auseinanderzusetzen. Aus den Jahresberichten des Domkandidatenstifts wird deutlich, wie sehr Dryander sich in den zwei wöchentlichen "Ephoralkonferenzen" oft bewegten Diskus-

Uckeley, Moderne Predigtideale 54f; s.a. Steinbeck, Dryander als Prediger 275f . Wintzer, Homiletik 173. F.Niebergalls Nachwort zu: Wie predigen wir dem modernen Menschen? Bd.3: Predigten, Andachten, Reden, Vorträge, Tübingen 1921 (212-215), zit. n. Wintzer, Homiletik 171-173, 172. P.Drews, Die Bedeutung Tholucks für die Predigt der Gegenwart, ThStKr 85 (1912), 92-128.

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3. Seelsorge und Pädagogik auf der Kanzel

sionen über das Wesen und die Bedürfnisse des modernen Menschen und über die Anwendung packender Predigtformen stellte.9 Wie gezeigt, hatte Dryander, ausgehend von Tholuck, immer schon besonderen Wert auf die Situation und die Bedürfnisse des Hörers gelegt und versucht, über eine psychologische Anknüpfung eine gemeinsame Verständigungsbasis zu finden. Besonders Uckeley stellte in seiner kritischen Bestandsaufnahme moderner Predigttypen die Meisterschaft Dryanders in der psychologischen Predigtweise heraus, die, durchtränkt von einem Wirklichkeitssinn für Seelenzustände, die Menschen mit offenem Blick erfaßt und als solche in der Predigt anspricht. Mit Worten Niebergalls (!) sprach er Dryander die Anerkennung aus, unentwegt und zartfühlend nach wesentlichen Gemeinsamkeiten zwischen sich und den Hörern zu suchen, "'um dann ganz langsam auf dem Wege der Assoziation das eigene Neue daran zu fügen in der Hoffnung, daß es mit dem Alten zusammenwächst.'"10 Die Möglichkeiten und Grenzen dieses Weges beschäftigten Dryander immer stärker, je mehr er feststellen mußte, wie sehr das "Geschlecht von heute, geschichtlich, ästhetisch, naturwissenschaftlich gebildet, unfähig, sich aus dieser Gedankenfessel zu befreien, [...] der Welt des Heiligtums und der Bibel so fremd geworden [ist], daß es nicht einmal mehr ihre Sprache versteht."11 Dryander zog daraus auch für sich den Schluß, in noch "höherem Maße als bisher [...] lernen [zu müssen], zu unseren Hörern nicht in fremder Sprache zu reden, sondern so, daß sie uns wirklich verstehen können."12 "Verschwinden muß erbarmungslos alles, was nur als religiöse Phrase, als unklares 13

Gefühl - und schiene es noch so tiefsinnig - sich darstellt."

Zwar sei ein gänzlich "undogmatisches Christentum" weder möglich noch wünschenswert, was aber gefordert werden müsse, sei "der Bruch mit der dogmatisch lehrhaften Predigt".14 Dryander sah sich in seinem Prinzip der

10

11 12 13 14

Ein Überblick über die verschiedenen Lehrveranstaltungen und Konferenzen in EZA 7/11237, pag. 274 (Jahresbericht 1899, 1). S.a. 7/11238, pag. lf (Jahresbericht 1900, lf) mit einem Eindruck von einer Ephoralkonferenz, die der Besprechung einer Kandidatenpredigt galt, oder pag. 67 (Jahresbericht 1911/12, 7) mit einem Bild des anderen Konferenztypus, wo die Referate der Kandidaten zur Verhandlung standen. Vgl. Dehn, Die alte Zeit 125f. Uckeley, Moderne Predigtideale 41 (mit einem Zitat aus F.Niebergall, Wie predigen wir dem modernen Menschen? Zweiter Teil, 1906, 12). EvD, Aufgabe der heutigen Predigt (1920) 3. Ebd. Ebd. 2. Ebd.

3.3. Auf der Schwelle zur 'modernen Predigt'

67

Verkündigung einfacher und lebensvoller wie lebensnaher Wahrheiten auf dem richtigen Weg: "Ohne die Sprache des Heiligtums zu verleugnen, müssen wir die Sprache des gemeinen Lebens reden, nicht den Zeitungsstil, aber die Sprache des Herzens." 15

Auf der einen Seite brauche die Predigt "eine stärkere Aktualität", auf der anderen Seite aber müsse "diese Predigt 'zeitlos', überzeitlich und alles Zeitliche überragend sein [...]. Uraltes verkündigend steht sie mit beiden Füßen in der Welt von heute, zeitgemäß und überzeitlich zugleich [...]".16 So betonte er gern den Ewigkeitsgehalt des alle Zeiten überdauernden, auch von der 'Modernen' unabhängigen Evangeliums17 und bedauerte, daß man über der Frage nach einer dem modernen Menschen entsprechenden Predigt die Frage nach dem kleinen Manne vernachlässige18. Angesicht der 'gehobenen' Kreise, in denen und für die er predigte, mag dieser Gedanke nicht unmittelbar naheliegend scheinen. Hierin zeigt sich aber, wie sehr er ein ungeheures Vertrauen in die Kraft der den Einzelnen treffenden Verkündigung legte. Dryander hat keine besondere eigene Homiletik aufgestellt, er war kein homiletischer Theoretiker. Aber er war ein praktischer Homilet mit einem feinen Gespür für die Probleme zeitgenössischer Predigt und Predigthörer, die er für sich zu lösen versuchte. Nicht von ungefähr und nicht zu Unrecht führte gerade Uckeley Dryanders Predigtweise des öfteren als Paradigma für seine modernen Predigtideale an19; verordnete Uckeley doch - die Rede von einem allumspannenden Ideal auf die sinnvollere Rede von Predigt idealen in der Mehrzahl lenkend - statt einseitiger und ausschließlicher Predigtanforderungen eine an Text und Hörern sich orientie-

15 16

17 IQ

"

Ebd. 3. EvD, Aufgaben der Kirche (1919) 12. Dryander faßt hier zusammen, was er zum Teil schon vor dem Krieg in Predigten oder Referaten vertrat. EZA 7/11238, pag. 67.; EvD, Ev. Marci I, 25 u.ö. EvD, Erinnerungen 192. Uckeley, Moderne Predigtideale 2, 12, 41, 55. Uckeley war es auch, der zur Feier der 100jährigen Wiederkehr des Geburtstages Dryanders einen Festvortrag über "Dryanders Stellung in der Geschichte der deutschen evangelischen Predigt" gehalten hat, der als Privatdruck des Berliner Domkirchenkollegiums 1943 herausgegeben wurde [dankend erwähnt in der mir von der Familie Dryander zugänglich gemachten Rede Gottfried von Dryanders bei der Feier des hundertjährigen Geburtstags Ernst von Dryanders am Palmsonntag, dem 18. April 1943, im "Kaiserhof' zu Berlin, Privatdruck (nur für den Kreis der Verwandten und Freunde bestimmt); als Literaturangabe im kurzen 3 RGGArtikel "Dryander" A.Niebergalls, a.a.O., Bd. 2, Sp. 272]. Dieser Vortrag, der sich auch nicht im Archiv der Ev. Oberpfarr- und Domkirche zu Berlin befindet, war mir leider nicht zugänglich.

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3. Seelsorge und Pädagogik auf der Kanzel

rende Mannigfaltigkeit der 'modernen' Momente, wobei die Hauptaufgabe auch der modernen Predigt "die Weckung von Sünden- und Gnadenbewußtsein und die Förderung desselben zu biblischer, reformatorischer Erkenntnis entsprechender Klarheit und Gestaltung" sei und bleibe20. Dem hätte Dryander sicherlich nicht widersprochen. Doch nicht auf Sozialethik und Durchleuchtung gesellschaftlicher Strukturen, sondern auf Individualethik und Festigung von Herz und Gewissen legte Dryander das Gewicht - und dies scheidet ihn von den meisten modernen Predigern. Immer wieder klingt in seinen Predigten die Mahnung zum Festhalten der ewigen Werte im inneren Menschen angesichts der Bedrängnisse der Welt an. Das Reich Gottes bedeute nämlich "die innere Aufrichtung seiner Herrschaft in den Herzen der Menschen, nicht in den Einrichtungen, nicht in den Dingen."21 Denn das Reich Gottes habe nichts zu tun mit der Wirtschaftsordnung, den krummen Wegen der Politik usw. Aber da diese Dinge und Einrichtungen von Menschen gemacht und verantwortet würden, mahnte er an, daß ein Christ als Politiker, Geschäftsmann, Gelehrter usw. zugleich immer auch einer sittlichen Bewährung ausgesetzt sei: "Wunderliche Meinung farbenblinder Leute, als habe das Evangelium von Christo und die Kirche, die es verkündet, nichts mit dem öffentlichen Leben zu thun, als sollte dies Evangelium sich nur zur Erbauung einiger Stillen im Lande Sonntags [sie!] ftlr etliche Stunden in die Kirchenmauem einschließen. Nein, ist das Evangelium anders eine Gotteskraft, [...] wie sollten lebendige Persönlichkeiten nicht die Wahrheit [...] auch in alles andere hineintragen, in Schule und Werkstatt, in Hörsaal und Arbeits22

zimmer, in Staatsleben und Gesetzgebung."

Darin liegt die bleibende Bedeutung der Predigten Dryanders, daß und wie sie die Macht des Gewissens zu einem verantwortlichen christlichen Dasein entbinden und somit Religiosität23 und Sittlichkeit in christlichen Persön-

20 21

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23

Uckeley, Moderne Predigtideale 78 (aus der Thesenreihe am Beschluß des Beitrags). Predigt am 5. Sonntag n.Trin. (26.6.1910) über Mt 6, 10 (Dein Reich komme!), in: EvD, Vaterunser, 37-52, 44. Das Folgende s. ebd. 45. EvD, Festpredigt/Wiedereröffnung (1886) 12; Vgl. Charakterbildung 592f; Ev. Marci I, 23, 35; Ev. Marci II, 22 u.ö. Einem Sprachgebrauch damaliger Zeit zufolge, als Unterscheidung noch aus der Aufklärung herrührend, wurde 'Religion' synonym zu 'Glauben' verwendet, um so gegenüber dem Begriff 'Theologie' das persönliche Betroffensein auszudrücken; Wintzer, Homiletik 130f.

3.4. Außergottesdienstliche Wortverkündigung

69

lichkeiten zu einer höheren Einheit verbinden wollten. 24 Denn - so Dryander in einem posthum veröffentlichten 'Resümee' "die Macht der freien in Gott gebundenen Persönlichkeit wird die Großmacht des 25 Protestantismus."

3.4. Außergottesdienstliche

Wortverkündigung

Den von ihm aufgestellten Anforderungen sah Dryander die Predigt, zumindestens den üblichen Kirchenbesuchern gegenüber, durchaus gewachsen. Und so vermochte er sich Urteilen von einem Daniederliegen, von einer grundsätzlichen Krisis der Predigt an sich nicht anzuschließen, auch wenn diese ihm zu denken gaben.1 Hatte er doch das z.B. von Seeberg zum Ausdruck gebrachte und vielbeachtete "Sehnen nach einer Predigt, die sie [die Christen] verstehen und die ihnen Leben und praktische Anregung bringt" 2 , durchaus selbst berücksichtigt.3 Dryander gestand dagegen aber eine Teilhabe der Predigt an der Krise ein, "die die Kirche der Gegenwart durchkämpft". 4 Theologie und kirchliche Praxis standen besonders am Ende des 19. Jahrhunderts vor umwälzenden wirtschaftlichen, soziologischen, geistesgeschichtlichen und religiösen Wandlungen. Die Schwierigkeiten, den neuen Lebens- und Weltanschauungen zu begegnen, die zum Teil sogar in eine offene Konkurrenz zum christlichen Glauben eintraten, drückten sich in der wachsenden Ablösung der Bildungsschichten von der Kirche und der zunehmenden, fast totalen Entfremdung der Arbeiterschaft zur Kirche aus.5

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25

' 2 3 4 5

S. die Auslegung des "größtefn] Gebotfes]", Mk 12, 28-37, in: EvD, Ev. Marci II, 136146. EvD, Lehrfreiheit und Lehrgebundenheit in der evangelischen Kirche (1920), posthum veröffentlicht in: PrJ 191 (1923), 207-210, 208. EvD, Außergottesdienstliche Wortverkündigung durch die Geistlichen. Referat auf der Eisenacher Kirchenkonferenz 1912 [Sonderdruck], Stuttgart 1914, 9. Seeberg, Kirche Deutschlands 208-213, 211. EvD, Paulus (Vorwort), VIHf . EvD, Außergottesdienstliche Wortverkündigung 9. Differenziertere Überblicke finden sich bei Wintzer, Homiletik 123-128 und bei Th.Nipperdey, Religion im Umbruch. Deutschland 1870-1918, München 1988 (= ders., Deutsche Geschichte 1866-1918. Erster Band: Arbeitswelt und Bürgergeist, 428-530, München 1990), bes. 118ff.

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3. Seelsorge und Pädagogik auf der Kanzel

Schon recht früh brachte Dryander zum Ausdruck, daß die Kirche nicht mehr die Kraft habe, "das ganze Leben des Volkes zu durchdringen".6 Sei die Kirche selbst zwar nicht ganz schuldlos, so ändere andererseits auch die tüchtigste Arbeit einzelner Pastoren oft wenig an der schmerzlichen Tatsache, daß zwar unablässig neue Kirchen gebaut würden, es aber nicht gelinge, sie mit einer lebendigen und glaubenden Gemeinde zu füllen. 7 In seinen Predigten entwarf Dryander ein auch heute zum Teil noch gültiges Bild von Zeit und Gesellschaft, das sich immer wieder an dem zur Großstadt gewachsenen Berlin orientierte. Die einschneidendste Neuerung war für ihn die Unrast der Zeit, die Flucht und das Verdrängen stiller Zeiten durch den Lärm, die Hektik und den Parteienstreit des öffentlichen Lebens.8 Als tiefgreifende Hindernisse auf dem Weg zu den Menschen beschrieb er die große Gleichgültigkeit der Massen und die sich ausprägende materielle Sphäre der Zeit.9 Besonders Berlin schien ihm ein 'modernes Babel' in der Verkörperung von Weltseligkeit und Säkularisation zu sein.10 "Es geht ein dunkler Zug durch die Welt von heute, ein Zug der Empörung gegen Gott, des Abfalls von den Gütern des Heils. Mit tiefster Sorge sehen wir die Gefahr, daß unserem zerklüfteten, zerspaltenen Volke die schwer errungenen nationalen Güter verlorengehen könnten. Größer ist die Gefahr, daß es seinen Glaubensbesitz, den Besitz unbestrittener, fester sittlicher Werte, seinen Gott und damit seinen Halt und seine Kraft verliere. Wer von uns ist unberührt von dem Zug der Weltseligkeit, der Menschenvergötterung, der Genußsucht, der unsere Tage kennzeichnet? Wer erlebt nicht, wie leise und unmerklich die Gewissen stumpfer werden, wie das sittliche Urteil sich trübt [...] ? " n

Dryander sah die Hauptgefahren für Kirche und Glauben vor allem in der starken, die Fundamente christlicher Weltanschauung bestürmenden Propaganda von Monismus, Marxismus (Sozialismus), Materialismus und Atheismus repräsentiert.12 Nicht zuletzt diese formelhaft monolithische Aufzählung zeigt, daß Dryander die moderne gesellschaftliche Struktur, besonders der unteren Schichten, nicht aus eigener Berührung kannte und sich in der

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12

EvD, Ev. Marci I, 350. EvD, Außergottesdienstliche Wortverkündigung 1. EvD, Ev. Marci I, 44, 78f, 188f, 215f u.ö. Ebd. 4, 188f u.ö. EvD, Johannis 74f; vgl. Vaterunser 9, 47, 110f u.ö. Predigt am 2. Advent 1910 über Jes 40, 1-5 (Die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes) im Berliner Dom, in: EvD, Gott und Mensch 76-84, 78. EvD, Außergottesdienstliche Wortverkündigung 8.

3.4. Außergottesdienstliche Wortverkündigung

71

Beurteilung, vor allem der sozialistischen Bewegung gegenüber, in allgemeinkirchlichen Bahnen bewegte. Gegen die Tendenz ihrer Kirche, sich vor diesem Hintergrund noch mehr an die Tradition zu klammern, wandten sich die Versuche vornehmlich jüngerer Theologen wie Göhre, Naumann und Emil Fuchs, durch die Aufnahme neuer Themen und Formen hauptsächlich in der kirchlichen Praxis die aufgebrochenen Gräben zu überbrücken. Daß dies nach (zu) langem Zögern allmählich auch von den Kirchenleitungen als probates Mittel angesehen wurde, kann ein Vortrag Dryanders auf der Eisenacher Kirchenkonferenz von 1912 dokumentieren, dessen unerwartet hohe Verbreitung auf das große Bedürfnis nach Wegweisungen in diese Richtung schließen ließ.13 Dryander warnte davor, daß die Kirche stummen, ernsten Fragern ihre Hilfe versagen oder nur ungenügend leisten könnte, die sie so der gegnerischen Propaganda kampflos überlassen oder wehrlos ausliefern würde.14 Dieser Vortrag verdient hier trotz der nicht auf die homiletische Thematik im eigentlichen Sinne beschränkten Ausführungen der Erwähnung. Denn er verdankte seinen Impuls dem Zugeständnis, daß die Predigt seit längerem tatsächlich nicht mehr "die für jeden sich eignende Weise der Verkündigung" darstelle und neuen, "mit blitzartiger Schnelligkeit

14

S. das Protokoll der 31. Tagung der Eisenacher Kirchenkonferenz EZA 1/A1/268 mit dem Dryander bestätigenden Korreferat des Kasseler Oberhofpredigers Möller. Der Evangelische Presseverband für Deutschland verbreitete die Meldung (Nr. 77 v. 7.6.1912), nach der die Verhandlungen über die außergottesdienstliche Wortverkündigung erkennen ließen, "daß es sich hier um eine centrale Frage des evangelisch-christlichen Volkslebens, um neue Mittel und Wege im Kampf um die Vertretung christlicher Weltanschauung handelte", und empfahl eine rasche Verbreitung der "höchst wertvollen" Referate zur Anregung weiter Kreise der Geistlichen. Das große Echo auf der Tagung selbst veranlaßte den DEKA (DEKA an die Kirchenregierungen v. 27.6.1912, EZA 1/A1/413, nicht pag., Aktenzeichen: K.A. 682, s.a. 7/2857, nicht pag., Az.: E.O. I. 2009), Vervielfältigungen der Referate in Auftrag zu geben, was der EOK nachdrücklich unterstützte, da die außergottesdienstliche Wortverkündigung sich mit so vielen wichtigen Fragen des kirchlichen Lebens berühre und die Ausführungen darüber den Superintendenten und Pfarrern wesentliche Anregungen geben könnten (EOK an die Konsistorien v. 5.10.1912, EZA 7/2857, Az.: E.O. I. 2692). Die große Nachfrage wird aus der Tatsache ersichtlich, daß aus allen Landeskirchen über die bestellten und ausgelieferten Examplare hinaus um weitere disponible (Sonder-)Drucke oder gar Sitzungsprotokolle, besonders des Dryanderschen Referats, zur Versorgung weiterer Kreise ("... oder, wenn möglich jedem Pfarrer ein Exemplar ...", EOK an DEKA v. 5.12.1912, Az.: E.O. I 3277) nachgesucht wurde (Die Gesuche aus den verschiedenen Landeskirchen s. bes. EZA 1/A1/413). S.a. K.Eger, Rez. "Dryander, Die außergottesdienstliche Wortverkündigung durch die Geistlichen. Referat, Stuttgart 1914", ThLZ 41 (1916), Sp. 45-46. EvD, Außergottesdienstliche Wortverkündigung 8.

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3. Seelsorge und Pädagogik auf der Kanzel

lebendig gewordenen Bedürfnissen" nicht genüge.15 Aber seiner Auffassung nach konnte die Predigt die Befriedigung der durch die Nöte der Zeit ausgelösten Bedürfnisse in ihrer Mannigfaltigkeit schon in der kurzen ihr zugemessenen Zeit gar nicht leisten: "Wollte sie es, so würde sie geradezu die ihr gesteckten Ziele verfehlen, ihre Einfalt und damit ihre Kraft einbüßen. Sie würde Probleme anrühren, die sie der Natur der Sache nach nicht lösen könnte, und eben dadurch lediglich den Eindruck bei dem Hörer zurücklassen, daß diese Fragen nicht lösbar seien [...]". 16

Schon als Generalsuperintendent hatte er in Anknüpfung an eigene Erfahrungen in der Dreifaltigkeitsgemeinde und in seinem Sprengel eine neue Form des geistlichen Vortrags auf wissenschaftlicher Basis gefordert, die in Reaktion auf ein stark gewachsenes individuell religiöses Belehrungsbedürfnis und auf ein schwindendes Autoritätsgefühl Predigt und Erbauungsstunde stützend an die Seite gestellt werden sollte.17 Ein Jahrzehnt später betonte Dryander als Vizepräsident des EOK sogar, daß es sich darin um eine der für den Augenblick brennendsten Fragen handele.18 Allerdings glaubte er nicht, daß etwas absolut Neues geschehen müsse. Doch es solle das bisher hier und da Versuchte nun planmäßig und verstärkt unbedingt in Angriff genommen werden, denn das allgemeine Bedürfnis nach Apologetik habe zugenommen: "auch die treuesten Kirchenbesucher wollten gegenüber dem, was sie täglich lesen und hören, den Beweis haben, daß ihre Weltanschauung nicht nur ebensogut wäre wie eine 19

andere, sondern besser fundamentiert."

Dryander legte zwar großen Wert darauf, daß die Apologetik nicht das Hauptmoment bilden solle: "ich schalte ausdrücklich die Tendenz der Apologetik aus, weil das immer bei dem einen oder anderen Verstimmung erregt, sobald man die Absicht merkt, ich will nur die großartige Darlegung der christlichen Gedankenwelt mit ihren Konsequenzen selbst haben" 20 .

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Ebd. 9f. EvD, Aufgaben der Kirche (1919) 13; Aufgabe der heutigen Predigt (1920) 4; Paulus (Vorwort) IX. Konferenz des EOK mit den Konsistorialpräsidenten und Generalsuperintendenten v. 5.3.1897, EZA 7/1085, pag. 205V. Vgl. EvD, Paulus (Vorwort) IX. Konferenz v. 31.3./1.4.1908, EZA 7/1086, pag.l6R. Ebd., pag. 18R. In der Diskussion um den Vortrag des Hamburger Pfarrers Cordes über Gemeindeorganisation und Innere Mission auf dem Leipziger Kongreß für Innere Mission 1905 am 27.9., wo Dryander in seinem Beitrag auf sein "Steckenpferd" aufmerksam machen wollte (Verhandlungen des 33. Kongresses für Innere Mission 1905, 175-179, 178).

3.4. Außergottesdienstliche Wortverkündigung

73

Jedoch waren die Grenzen fließend, wenn er "eine Form der Verkündigung des Evangeliums selbst" im Auge hatte, die "dem Denkenden, Gebildeten, nicht nur im engeren Sinn Gebildeten, sondern dem denkenden Gemeindeglied die christliche Weltanschauung darlegt, rechtfertigt, begründet und die Überlegenheit der christlichen Weltanschauung gegenüber jeder anderen siegreich erweist."21 Herauszuheben ist, wie Dryander allem Klagen und Stöhnen immer wieder den Mut zur Erprobung neuer Wege entgegenstellte. Man könne durchaus fragen, was die Kirche, "wenn [sie] dauernd von der Wiedergewinnung der kirchlich Entfremdeten, insbesondere der Gebildeten, von der Not und dem Gegensatze der Weltanschauungen redet", tue, "um hier wirksam einzugreifen, im Kampf der Geister ihren Mann zu stehen und den Zweifelnden zu helfen?" Selbstkritisch mußte er feststellen: "sie tut nichts, sie hat noch nicht einmal die Einrichtungen, um diesen Leuten auch nur entgegenzukommen!"22 Diesem Zustand abzuhelfen war sein erklärtes Ziel. Dryander sprach daher auf maßgebenden kirchlichen Konferenzen die Erwartung aus, daß nicht nur ein regelmäßiger Austausch unter den vorhandenen geistlichen Kräften anzustreben sei, sondern auch eine "regelmäßige Einrichtung freier gestalteter Vorträge, entweder erwecklich-evangelisatorischer oder apologetisch-wissenschaftlicher oder auf tiefergehende dogmatische Erkenntnis hinzielender Art" sowie eine "Einführung von Standespredigten [...] in freierer Weise, daneben auch Verteilung von Flugblättern [...]".23 Wie lebhafte Aufnahme die Anregungen Dryanders auch über die Grenzen der preußischen Landeskirche hinweg fanden, zeigt die Aufforderung an Dryander, auf der alle Kirchenregierungen versammelnden Eisenacher Kirchenkonferenz 1912 ausfuhrlich über die Möglichkeiten der außergottesdienstlichen Wortverkündigung zu referieren. Dryander beschrieb zunächst aufgrund einiger Berichte aus den verschiedenen Landeskirchen die schon bestehenden, zum Teil althergebrachten Einrichtungen und Veranstaltungen24, wobei er feststellte, daß diese nur "gelegentlich, zufällig, vereinzelt" ins Leben getreten seien und bisher "nicht

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Ebd. 177. Ebd. 178. Konferenz v. 31.3./1.4.1908, EZA 7/1086, pag. 16R. Dryander konnte dabei auf die vom DEKA zur Vorbereitung der 31. Tagung der Eisenacher Kirchenkonferenz in allen Landeskirchen durch Fragebögen erhobenen Sachverhalte und Bedürfnisse zurückgreifen (EZA 7/2857).

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3. Seelsorge und Pädagogik auf der Kanzel

notwendig zum Leben der Gemeinde" gehörten.25 In Aufnahme Wichernscher Ideale forderte Dryander die Verkündigung des "'lautere[n] Worte[s] Gottes'" in einer für jeden sich eignenden und auch erreichbaren Weise mit dem Ziel, über die Kirchgänger hinaus die an Glaubensfragen 'Interessierten' zu erreichen, d.h. neben dem Erbauungsbedürfnis auch das stark spürbare Belehrungsbedürfnis zu befriedigen.26 Hierfür kamen nach Dryander zunächst neben der zeitgemäß umgestalteten Bibelstunde gesonderte biblische Besprechungen mit einer stärkeren Aktivität in Frage und Antwort, Rede und Gegenrede sowie eine rege Ausbildung von Gemeindeabenden, Elternabenden und Vereinstätigkeiten in Betracht, um, hier und da sogar in einem vertraulich offenen Kreis, "recht eigentlich wieder die Fundamente [zu] legen".27 Weiter sollte mit Rücksicht auf den Mangel in religiöser Bildung, der in weiten Kreisen auftrete und dem die Kirche bisher nichts entgegenzusetzen gehabt habe, in jeder dafür geeigneten Gemeinde ein kirchlicher Unterricht für Erwachsene zum Zwecke religiöser Fortbildung gleichsam als höherer Katechismus- oder Konfirmandenunterricht eingeführt werden. Hier werde dem Geistlichen zudem die Möglichkeit gegeben, ohne Talar auch sichtbar "auf den Standpunkt der Hörer" hinabzusteigen.28 Dieser Fortbildung sollte zur Festigung und zur Heranziehung weiterer Kreise der "apologetische Vortrag" zur Seite treten. Wenn Dryander ihn "apologetisch nicht in dem engeren Sinne, als ob irgend eine christliche Position mit mehr oder weniger einleuchtenden Gründen verteidigt werden sollte", bezeichnete, sondern "in dem Sinne, daß jede Darlegung christlicher Weltanschauung, sofern sie nur [...] kraftvoll und überzeugend ausgesprochen wird, das apologetische Gewicht in sich selbst trägt"29, so dürfte Dryander gerade diese Form der Wortverkündigung, bestehend aus wiederkehrenden, zusammenhängenden Vortragsreihen bald mehr belehrender, bald mehr

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EvD, Außergottesdienstliche Wortverkündigung 6. Ebd. 7 mit Bezug auf die Denkschrift J.H.Wicherns über die Innere Mission von 1849 (in: J.H.Wiehern, Sämtliche Werke, Bd.l: Die Kirche und ihr soziales Handeln, hg. v. P.Meinhold, Berlin - Hamburg 1962, 175-366, 213). Ebd. 10-12, 10. Ebd. 12-15, 14. Ebd. 15. In seinen Erinnerungen nahm Dryander diese Formulierungen wieder zurück, wenn er aus wohl bitteren Erfahrungen heraus apologetische Veranstaltungen vertrat "im Sinne der Verteidigung und des Nachweises unbedingter Überlegenheit der christlichen Wahrheit" (a.a.O. 272).

3.4. Außergottesdienstliche Wortverkündigung

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evangelisatorischer Art und ergänzt "aus offenen gegenseitigen Aussprachen"30, in die Nähe, vor allem an die Seite der Predigt gerückt haben. Denn wie diese sollte der apologetische Vortrag auf das Verständnis der Hörer berechnet sein, aber freie Gestaltung tragen; wie diese sollte auch der apologetische Vortrag persönlich verantwortet werden, indem "durch diese Arbeit der Geistliche sich als ein Mann legitimiert, der in ernster Arbeit mit den großen Fragen der Zeit persönlich sich auseinanderzusetzen und sie zu würdigen und zu lösen imstande ist."31 Diese Apologie nach der Devise "Alles ist euer!", "mit der vollen Rüstung und Beherrschung moderner Wissenschaft und unter ernster und aufrichtiger Würdigung dessen, was andere Wissenschaft dagegenvorzubringen hat", "zum eisernen Bestand und regelmäßigen Brauch jeder auch nur einigermaßen dafür geeigneten Gemeinde zu machen"32, war Dryander eine dringliche Aufgabe, zu deren Lösung er neben einer "zielbewußte[n] apologetische[n] Schulung der Geistlichen" auch die "Ausbildung und Verwendung besonderer Berufsapologeten" vorschlug33. Hervorzuheben ist, wie Dryander hier Forderungen besonders Hunzingers aufgriff, der vor anderen sich um die Apologetik im weiteren Sinne bemüht hat. Ab 1904 veranstaltete der Zentralausschuß für Innere Mission in einem Zweijahresrhythmus mit wachsender Teilnehmerzahl sogenannte apologetische Instruktionskurse, die zwar in akademisch-theoretischem Ton gehalten waren, aber, wie Dryander in der einleitenden Andacht zum dritten Kurs 1908 betonte, Ausbeute für die Praxis versprächen34. Aber erst 1919 wurde - wieder aus der Inneren Mission heraus, welche ihrem Selbstverständnis nach selbst schon eine frühe Form praktischer Apologie im Sinne von Gewinnung und Bildung christlicher Laien für das Gemeindeleben gewesen sein dürfte 35 - die sogenannte Apologetische Centrale begründet. Dryander verband mit der bevorstehenden Errichtung einer apologetischen Zentralstelle die Hoffnung auf eine beständige und besonders in den Groß-

30 31 32 33 34 35

EvD, Außergottesdienstliche Wortverkündigung 20. Ebd. 19. Ebd. 16, und Verhandlungen des 33. Kongresses der Inneren Mission 1905, 178. EvD, Außergottesdienstliche Wortverkündigung 27-30, 30. S. den Bericht in der Reformation 7 (1908), 738-740, 738. Vgl. die gerade erwähnte Andacht Dryanders von 1908: "Wir schämen uns des Evangeliums von Christus nicht! Ist's in uns Leben, göttliche Kraft, seligmachende Tatsache geworden, so werden wir seine weltüberwindenden Verteidiger" (ebd. 738).

76

3. Seelsorge und Pädagogik auf der Kanzel

Städten organisch mit den Kirchengemeinden verbundene religiöse Bildungsarbeit.36 Plädierte Dryander in seinem Referat zwar vor allem für neue und ständig einzurichtende Formen der Wortverkündigung außerhalb des Gottesdienstes, wie er sie an Dreifaltigkeit und am Dom zum Teil schon eingeführt hatte, um in den Gemeinden die religiöse Fortbildung zur Festigung und Apologie der christlichen Inhalte zu fördern, so geschah dies letztendlich aber mit dem Gedanken,"daß die außergottesdienstliche Wortverkündigung die kirchliche und gottesdienstliche nicht ersetzen, vielmehr zur intensiveren Teilnahme an dieser zurückführen und erziehen solle."31 Denn gerade die Gottesdienste seien unerläßlich, da sie die einzige Gelegenheit böten, "bei der die Gemeinde in einer gewissen Vollzähligkeit in die Erscheinung tritt und zu ihrem eigenen Bewußtsein gelangt."38 Diesem Bewußtsein der Zusammengehörigkeit in dem Gesamtorganismus 'Kirche', die nicht nur eine verwaltende Sammlung einzelner Gemeinden sei, sondern "zugleich 'Subjekt', von dem aus die einzelnen Gemeinden angeregt, mit neuen Lebenskräften durchdrungen werden"39, wollte Dryander in der Predigt und vor allem in seinen höheren kirchlichen Ämtern dienen und versuchen, "in der Verschiedenheit das Gemeinsame und in dem Trennenden den allen gemeinsamen Wahrheitsernst hervorzuheben"40. Sein Ideal und - wie er schon 1905 ironisierte - "Steckenpferd, auf dem ich seit Jahren herumreite,"41 einer erweiterten Wortverkündigung, welches er gerade nach dem Zusammenbruch 1918 immer wieder propagierte42,

36 37 38 39 40 41 42

EvD, Aufgaben der Kirche (1919) 16. EvD, Außergottesdienstliche Wortverkündigung 6. Ebd. 1. Ebd. 24. Ebd. 28. Verhandlungen das 33. Kongresses für Innere Mission 1905, 178. Interessant ist das vorausschauende Papier des EOK an die Generalsuperintendenten vom 2.4.1918 über "Die geistlichen Aufgaben der Kirche nach dem Kriege", mit dem "im Zusammenhange mit der nach Abschluß des Krieges bevorstehenden Neuordnung der Verhältnisse" auf die besonderen Aufgaben hingewiesen wurde, "die der evangelischen Landeskirche aus der alsdann sich bietenden Lage der Dinge erwachsen würden." (EZA 7/1086, pag. 199f, 199V). Hier wurden nach dem Ausscheiden aller die äußere Gestaltung der Kirche betreffenden Fragen lediglich vier Punkte aufgestellt, die auf der Konferenz am 24./25.4.1918 unter dem Vorsitz Dryanders zustimmend aufgenommen wurden (ebd., pag. 259ff). Die Richtlinien zu Punkt I. ("Die Aufgaben der Wortverkündigung") enthalten größtenteils die schon genannten homiletischen Grundsätze Dryanders wie sein die Predigt ergänzendes Programm der außergottesdienstlichen

3.4. Außergottesdienstliche Wortverkündigung

77

sollte Dryander durch die nicht nur kriegsbedingten Überforderungen der Geistlichen kaum oder nur in Ansätzen erfüllt sehen43.

43

Wortverkündigung (ebd., pag. 200V). Dieses Papier hat bis in die Formulierungen hinein Aufnahme gefunden in den "Aufgaben der Kirche" (1919) sowie der "Aufgabe der heutigen Predigt" (1920). Diese Quellen zeigen den fortgesetzten Einsatz Dryanders an dieser "brennenden Frage", fügen dem Ausgeführten inhaltlich allerdings nichts Neues hinzu. EvD, Aufgaben der Kirche (1919) 16; Erinnerungen 272.

4. IN DER KIRCHENLEITUNG 4.1. Aufstieg in der Kirche 4.1.1. Die "Ära Kögel" In seiner Domkandidatenzeit hatte Dryander noch die Anfange der kirchlichen Parteistreitigkeiten der siebziger Jahre miterlebt. Als er 1882 sein Berliner Amt antrat, waren die schlimmsten Fehden vorüber und machten sich in seiner Gemeindearbeit kaum noch bemerkbar.1 Die siebziger Jahre waren nicht nur von den Wogen des Kulturkampfes, sondern innerhalb der preußischen Landeskirche vor allem von dem Ringen um eine Verfassungsreform bestimmt, welche durch die Berufung des liberalen Falk zum Kultusminister und des Kirchenrechtlers Herrmann zum Präsidenten des EOK gegen eine von Bismarck favorisierte konföderativ-konfessionelle Deutung der Union, gegliedert in episkopale Provinzialkirchen, und gegen eine vom Protestantenverein geforderte rein synodale Verfassungsstruktur letztlich zugunsten einer konsistorial-synodalen Mischverfassung durchgeführt werden konnte.2 Nachdem 1873 in den östlichen Kirchenpro-

EvD, Erinnerungen 80f, 150. Aus der Fülle der Literatur sei eine dieses Ringen nachzeichnende Untersuchung hervorgehoben: G.Besier, Preussische Kirchenpolitik in der Bismarckära. Die Diskussion um eine Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse Preußens zwischen 1866 und 1872 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 49), Berlin - New York 1980. Die dem EOK als einer neuen, der Staatsverwaltung jetzt zwar ausgegliederten, dem König als ihrem Summepiskopus aber noch unterstellten und Schutzbefohlenen Kirchenbehörde mit seiner Einsetzung 1850 u.a. aufgegebene verfassungsmäßige Durchgestaltung und Festigung der Union wurde durch widrige Verhältnisse immer wieder behindert und verzögert: schon bei seinem Entstehen von allen Seiten mit Mißtrauen betrachtet, im ersten Jahrzehnt in der Hand bes. von Raumers als Instrument der 'Reaktion' benutzt, sah der EOK in der "neuen Ära" des Prinzregenten bzw. Königs Wilhelm nicht nur die auf Kreisebene eingesetzten Verfassungsreformen durch die politisch-kriegerischen Ereignisse behindert, sondern sogar sich selbst durch die verweigerte Unterstellung der 1866 eingegliederten lutherischen Landeskirchen in seiner Existenz bedroht. S.u.a. E.R.Huber/W.Huber (Hg.), Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Bd. II: Staat und Kirche im Zeitalter des Hochkonstitutionalismus und des Kulturkampfs 1848-1890, Berlin 1976, 314-335; O.Hintze, Die Epochen des evangelischen Kirchenregiments in Preußen, HZ 97 (1906), 67-118, 112-115; W.Elliger (Hg.), Die Evangelische Kirche der Union. Ihre Vorgeschichte und Geschichte, Witten 1967, 73-92; K.E.Pollmann, Prote-

4.1. Aufstieg in der Kirche

79

vinzen eine dem rheinisch-westfälischen Vorbild von 1835 entsprechende Gemeinde- und Synodalordnung eingeführt werden konnte, gelang es einer geschickten Regie, auf der außerordentlichen Generalsynode 1875 mit einer den EOK stützenden Mehrheit im Rücken eine Generalsynodalverfassung zu verabschieden, welche den wichtigen Schlußstein für einen über 1918 hinaus wirksamen kirchenpolitischen Rahmen bildete.3 Auch wenn man die verabschiedete Generalsynodalordnung mit Ris idealisierend als "vereinigend" bezeichnen könnte, da sie die Elemente der presbyterial-synodalen Selbstbestimmung, der konstitutionellen Administration und des landesherrlichen Kirchenregiments in sich auf einer Ebene vereinigte4, brachte sie - abgesehen von dem zugunsten der gewichtigeren administrativen Ebene ausfallenden Kompetenzgerangel5 - zunächst große Spaltungen mit sich. Schon im Vorfeld waren die kirchenpolitischen Diskussionen überlagert und beherrscht von einem sich an den ersten 'Fällen' (1869 'Fall Hoßbach', 1872 'Fall Sydow') noch aufladenden "unablässigen Parteigezänk" um theologische Überzeugungen6, wofür die gerade geschaffenen Synodalebenen geradezu ideale Tummelplätze boten7. Charakteristisch war die Spaltung der großen Vereinigung der Mitte auf dem Boden der Union, den "Positiv-Unierten", an Differenzen um Bekennt-

stantismus und preußisch-deutscher Verfassungsstaat, in: Staat und Gesellschaft im politischen Wandel. Beiträge zur Geschichte der modernen Welt (Festschrift W.Bussmann), hg. v. W.Pöls, Stuttgart 1979, 280-300, 288-290. Nach Besier brachte erst die von Bismarck auf den Kulturkampf gesetzte Priorität mit der damit verbundenen Personalpolitik (Falk und Herrmann für von Mühler und Mathis) den festgefahrenen Reformprozeß wieder voran (Preussische Kirchenpolitik 520-533). S.a. Geschichte der Ev. Kirche der Union II, 196ff (G.Besier). Huber/Huber, Staat und Kirche II, 931-956; die m.E. beste Erläuterung und Beschreibung der Generalsynode mit ihren Gruppierungen und Bestimmungen in verfassungsgeschichtlicher Perspektive bietet G.Ris, Der "kirchliche Konstitutionalismus", Hauptlinien der Verfassungsbildung in der evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands im 19. Jahrhundert (Jus ecclesiasticum. Beiträge zum evangelischen Kirchenrecht und zum Staatskirchenrecht, Bd. 33), Tübingen 1988, 204-218. S.a. Geschichte der Ev. Kirche der Union II, 225-232 (J.Rogge). Ris, Der "kirchliche Konstitutionalismus" 222 (mit Bezug auf die 151-162 dargestellten Prinzipien einer "vereinigenden Synode"). Ris schreibt dieser Verfassungsform mit Recht ein großes Verdienst an der Überwindung des Umbruches von 1918/19 zu (a.a.O. 221). Besier, Preussische Kirchenpolitik 540, bringt im Anhang ein übersichtliches Schema der Verfassung der preußischen Landeskirche. Pollmann, Protestantismus 291 f. EvD, Erinnerungen 81. Elliger, Union 100.

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4. In der Kirchenleitung

nis- und Verfassungsfragen.8 Vor der Synode von der den Verfassungsentwurf begrüßenden Gruppierung um Beyschlag als lähmende, noch "unsichtbare[...] Gruppe" empfunden9, bei der Kampfabstimmung um die sogenannten "Schlußbestimmungen" der Generalsynodalordnung namentlich offenbar geworden, formierten sich nach ihrer Niederlage die "Freunde der positiven Union", den ursprünglichen Namen der Mitte für sich reklamierend, um ihre Gründer Kögel und den Magdeburger Generalsuperintendenten Schultze und um ein kirchlich konservatives Parteiprogramm, das gegen liberale Einflüsse ein bekenntnistreues 'positives' Christentum propagierte und gegenüber zu weiten staatlichen Befugnissen verstärkten eigenen Einfluß auf Amtsbesetzungen in der Kirche und an der Universität forderte.10 Unter maßgeblicher Führung Beyschags konstituierte sich aus den von ihm vor der Synode angeregten evangelischen Provinzialvereinen die "Landeskirchliche Evangelische Vereinigung" als neue alte Mittelpartei11, in deren Reihen auch Hermann Dryander als ehemaliger und langjähriger Vorsitzender des Unionsvereins der Provinz Sachsen, und seinem Abstimmungsverhalten auf der Generalsynode entsprechend, eintrat12. Seit dem 1. Juli 1876 konnten als Presseorgan dieser 'Verfassungspartei' die "Deutsch-evangelischen Blätter" erscheinen13, in deren ersten vier Jahrgängen - wie schon erwähnt - bezeichnenderweise auch Ernst Dryander einige Aufsätze veröffentlichte14 und für deren Redaktion Beyschlag ihn sogar als Mitarbeiter zu gewinnen suchte15. Konnte Dryander es im Rückblick nur preisen, sich in richtiger Einschätzung seiner Eigenart diesem Ruf versagt und sich so dem frühen Eintritt in die direkte Kirchenpolitik entzogen zu haben,

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Die 'spannendste' Schilderung der Vorgänge findet sich bei Beyschlag, Leben II, 392ff. Die Perspektive der Gegenseite skizziert Wolf, Kögels Kirchenpolitik 153-170. S. jetzt dazu Geschichte der Ev. Kirche der Union II, 233-247 (R.Mau), bes. 239ff. Beyschlag, Leben II, 393. L.Schultze, Die Partei der Positiven Union, ihr Ursprung und ihre Ziele, Halle 1878. Vgl. Wolf, Kögels Kirchenpolitik 166f; Beyschlag, Leben II, 436, sah dieses Programm "praktisch auf Revision der eben sanctionirten Verfassung" gerichtet. Beyschlag, Leben II, 369-372. Gedächtniß/H.L.Dryander X V f . Beyschlag, Leben II, 418-426; Mehnert, Programme 34f, 125-132. S.die oben schon in ihrem jeweiligen Kontext eingearbeiteten Aufsätze EvDs, Katakomben (1876); Prozeß Calas (1877); Amalie von Lasaulx (1878); Charakterbildung (1879). Beyschlag, Leben II, 423, stattete auch Dryander seinen Dank ab für dessen Beitrag zur Etablierung und Konsolidierung der neuen Zeitschrift. EvD, Erinnerungen 112.

4.1. Aufstieg in der Kirche

81

so wollte er wie sein Vater16 aber durchaus beherzigt sehen, was deren erster Ausgabe in einem von den Herausgebern Beyschlag und Wolters verfaßten Vorwort als eine Art Programm der Mittelpartei abzulesen war: nämlich neben einer Förderung des Laienelements und einer Abmilderung des durch einen theologisch einseitigen Doktrinarismus hochgeschraubten Schulund Parteiwesens die Versöhnung der Gegensätze herbeizuführen durch den Versuch, "zwischen den völlig verfahrenen Extremen zur Linken und zur Rechten eine 'evangelische Mittelpartei' zu sammeln, dieselbe auf wesentliche Theilnahme Nichtgeistlicher zu gründen, in diesen Kreisen den altkirchlichen Wahlspruch: 'Im Nothwendigen Einheit, im Zweifelhaften Freiheit, und in Allem Liebe' wieder zur Geltung zu bringen, und die geeinigten Kräfte vor allem auf die practisch-kirchlichen Aufgaben 17 zu richten."

Die sich hier Bahn brechende Skepsis, in einer Bekenntnisdiskussion zu einer Überwindung der Gegensätze zu kommen, mag zu einer Akzentverlagerung auf die kirchliche Praxis als neuer Einigungsbasis geführt haben. Doch dies ließ die Mittelpartei für die Positive Union mit ihrer scharfen Betonung des Bekenntnisses und der Lehrzucht nur zu einem Widerpart werden "mit einer scharfen Scheidelinie nach Rechts und einer offenen Thür nach Links"18. Unter den großen Gruppierungen blieb der Protestantenverein durch das synodale Filtriersystem ohne nennenswerten Einfluß; der lutherische Konfessionalismus, um 1866 noch die große Gefahrdung für die Union, wurde durch die Annäherung an die Positive Union 'domestiziert' und war nur in den Provinzialsynoden der östlichen Kirchenprovinzen stärker vertreten. Die für längere Zeit die Synoden und die Kirchenleitung beherrschende Partei wurde die Positive Union durch geschickte Majoritätsbildungen und nicht zuletzt durch den großen Einfluß Kögels auf Wilhelm I. Fernab der Öffentlichkeit säte Kögel Mißtrauen zwischen dem König und seinem Kultusminister Falk sowie dem EOK-Präsidenten Herrmann, um dann von einer uneingeschränkten Vertrauensstellung bei Hofe aus den Sturz des liberalen Herrmann über die Bekenntnis-'Fälle Sydow, Lisco und Hoßbach'

17 18

Hermann Dryander gehörte zum Kreis derjenigen Personen, die "auf Grund des vertraulich mitgetheilten und fast ausnahmslos mit warmer Zustimmung begrüßten Programms" mit ihrer Empfehlung namentlich für die neue Zeitschrift eintraten; s. DEB1 1 (1876), jeweils hinterer Heftrücken Innenseite. DEB1 1 (1876), 1-5, lf. Schultze, Partei der positiven Union 14. Man versuche dort, "die Grenzlinien nach Links in eben dem Maaße zu verwischen, als sie nach Rechts sich schärfen" (ebd. 9).

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4. In der Kirchenleitung

zugunsten des positiv-konservativen Hermes zu initiieren, bei dem Wilhelm I. durch seine in Bekenntnisfragen betont positive Haltung und durch seine kräftige Unterstützung der Positiven Union eine ausschlaggebende Rolle gespielt hatte.19 Für die Kirchenpolitik der achtziger Jahre war es entscheidend, daß Wilhelm I. zum Ausgleich liberaler Strömungen den Eintritt seiner Hofprediger Baur und Kögel in den EOK zum Jahreswechsel 1878/79 durchsetzte20, wo es Kögel gelang, den kirchenpolitischen Spielraum Falks und dessen Gefolgsleute im EOK wie z.B von der Goltzens wesentlich einzuengen - bis hin zum Rücktritt Falks (1879)21. Nicht unpassend trug die Positive Union wegen der offensichtlichen Protektion durch den König und angesichts der führenden Rolle der Hofprediger im Munde ihrer Gegner den Titel "Hofipredigerpartei"22. Bis zum Tod des alten Kaisers beherrschte Kögel in Zusammenarbeit mit Baur als Personaldezernent im EOK - seit 1879 auch als Generalsuperintendent der Kurmark und seit 1881 als Oberhofprediger - über die Kontrolle der Personal-, Stellenbesetzungs- und Ausbildungspolitik in steigendem Maße den Kurs der Kirchenpolitik der preußischen Landeskirche, welche mit dem Ausbau der Positiven Union der Abwehr liberaler Einflüsse und der Revision des Kulturkampferbes dienen sollte.23 Beyschlag resümierte, daß in dieser Phase Kögel für die "Gewissensleitung des Königs" sorgte, während Stoecker für die "Berliner christliche Demagogie" zuständig war.24

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Dies im einzelnen aufgewiesen und nachgezeichnet zu haben, ist das besondere Verdienst der Arbeit G.Wolfs, Kögels Kirchenpolitik 183-233. Vgl. Huber/Huber, Staat und Kirche II, 958-972; Geschichte der Ev. Kirche der Union II, 213-215 (G.Besier). Wolf, Kögels Kirchenpolitik 276-287. Ebd. 287-311. Gennrich/v.d.Goltz, H.v.d.Goltz 87, wollen hierin trotz des Endes der liberalen Ära keinen "Systemwechsel" sehen. Vgl. u.a. die von Beyschlag, Leben II, 444ff, nachgezeichnete Kontroverse zwischen ihm und den Hofpredigern, bes. 449!: "Habe ich von einer 'Hofpredigerpartei' geredet, so habe ich damit [...] die von dreien unter Ihnen gestiftete Partei bezeichnet". Elliger, Kirche der Union 101; Wolf, Kögels Kirchenpolitik 288ff. S. den weitblickenden Artikel v. 18.1.1879 ("Der Sieg der Hofprediger") in der Protestantischen Kirchenzeitung 26 (1879), Sp. 41-44, Sp. 42: "Alles spricht also dafür, daß wir nach der Aera Herrmann uns auf eine Aera Kögel einzurichten haben." Hier scheint einer der frühesten, wenn nicht der früheste Beleg für die Epochenbezeichnung "Aera Kögel" vorzuliegen; vgl. a.a.O., Sp. 97-102 mit einem Auszug aus einem hierauf Bezug nehmenden Artikel der "Vossischen Zeitung" v. 26.1. über die Ära Kögel. Beyschlag, Leben II, 439.

4.1. Aufstieg in der Kirche

83

Durch die Spaltung der großen Mittelpartei war Dryander nicht nur familiär zwischen die von Vater und Schwiegervater repräsentierten Fronten geraten25, hatte er doch gerade auch den Exponenten der beiden gegensätzlichen Gruppierungen als seinen jeweiligen maßgeblichen Förderern viel zu verdanken. So war er besonders in den Berliner Anfangen bemüht, sich nicht durch den Anschluß an eine kirchenpolitische Gruppierung oder Partei binden zu lassen, auch wenn er der Mittelpartei Beyschlags näherstand als der Positiven Union Kögels: " [...] zu den Konfessionellen gehörte ich nicht, zu der positiven Union kaum, der Mittelpartei wollte ich mich nicht anschließen."

Erst auf der brandenburgischen Provinzialsynode von 1890 schloß er sich sehr zum Schmerz Kögels der Mittelpartei als Hospitant an27, nachdem er 1884, von den Konservativen vorgeschlagen, noch eine Wahl abgelehnt und 1887 nach seiner Wahl erfolglos versucht hatte, auf der Synode eine Fraktion der Fraktionslosen zu gründen und dadurch den Fraktionszwang zu brechen28. Ohnehin besaß Dryander als Friedrichswerderscher Superintendent, der sich im wesentlichen "Botendienste für das Konsistorium" vollziehen sah, wenig Gewicht.29 Auf der Kreissynode, der er vorstand, vermied er beson-

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Auf der außerordentlichen Generalsynode 1875 hatten Dryanders Vater (ja) und Dryanders Schwiegervater 'in spe' Roedenbeck (nein) sowohl bei der namentlichen Abstimmung über §39 der Vorlage (betrifft die Inkraftsetzung der §§40-43 der Schlußbestimmungen über die Verdoppelung des Laienanteils auf den Synoden) als auch bei der Schlußabstimmung über die Gesamtverfassung jeweils gegeneinander gestimmt (Verhandlungen der außerordentlichen Generalsynode der evangelischen Landeskirche Preußens. 24.11.-18.12.1875, Berlin 1876, 583f, 721f). Beide standen auch auf der 1879 abgehaltenen ersten ordentlichen Generalsynode als Synodale noch in entgegengesetzten Lagern (Verhandlungen der ersten ordentlichen Generalsynode der evangelischen Landeskirche Preußens. 9.10.-3.11.1879, Berlin 1880, z.B. 1100). Dryander bemerkt dazu im Blick auf die 1876 stattgefundene Hochzeit mit Magdalene Roedenbeck: "Im Glück ihrer Kinder fanden sie sich glücklicherweise einig." (Erinnerungen 129). EvD, Erinnerungen 151f. Ebd. 176. Vor dem Hintergrund der hier sichtbar gewordenen Differenz zu Kögel ist die ungebrochene, aber nicht kritiklose Verehrung Kögels seitens Dryanders bemerkenswert. S. neben den oben schon angeführten Äußerungen die Zusammenschau der Verehrer und Gegner Kögels bei J.Heintze, Zu Rudolf Kögels 100. Geburtstag, JBrKG 24 (1929), 242-252, 246. EvD, Erinnerungen 152. Ebd. 151. Zur Geschichte der nach dem Großen Kurfürsten benannten Diözese Friedrichswerder s. A.Werbeck, Die Superintendenturen in Berlin und die Berliner Ephoren von der Reformation bis heute, Berlin o.J. (1956), 21-24. Mehr Rechte und Möglichkeiten erhielt diese synodale Ebene erst 1895 durch die Schaffung der wirksameren Stadtsynode fur ganz Berlin (s. P.Schoen, Das evangelische Kirchenrecht in Preußen, Bd. 1,

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4. In der Kirchenleitung

ders den Liberalen gegenüber unnötige Provokationen, wie er es sich auch auf der Provinzialsynode von der dortigen stärksten Fraktion, der Positiven Union, gewünscht hätte. Dryanders Haltung hat aber schnell Anklang gefunden, denn im Mai 1887 wurde er zum Konsistorialrat ernannt und zur Besetzung der seit 1876 unerledigten geistlichen Ratsstelle im Nebenamt in das Konsistorium der Mark Brandenburg berufen.30 Doch auch hier wird wieder deutlich, welchen Einfluß Kögel auf den weiteren Weg Dryanders genommen hat. Zwar hatte Hegel, der streng konservative und orthodoxe Präsident des Konsistoriums, neben dem Superintendenten der Stadt Berlin, lie. Kreibig, auch Dryander in Betracht gezogen und die letzte Entscheidung dem EOK anheimgestellt, aber er ließ in seinen Voten keinen Zweifel daran aufkommen, daß er den ihm selbst in Schärfe und Eigenwilligkeit nicht nachstehenden Kreibig vorzog.31 Dryander empfehle sich zwar "durch die vernünftige Freundlichkeit seines Wesens [...], die Klarheit seines Urteils und sein Geschick in allen Geschäften. Dagegen hat er sich wenig in die kirchlichen Zustände der östlichen Provinzen eingelebt, und ich möchte ihm nicht die Charakterfestigkeit und die Entschiedenheit zutrauen, welche ich hier für nöthig halte."32 In der Tat war Dryander das rheinische Kirchenwesen so sehr ans Herz gewachsen, daß er, da nicht von der Kreissynode gewählt, den Titel eines "königlichen Superintendenten" aus seinem "Hausgebrauch" verbannt hatte.33 Auch in seinem späteren Amtsleben, als er sich in das kirchliche 'Regieren' eingelebt hatte und er besonders die mangelnde Aufsicht fiir die westlichen Geistlichen beklagen sollte, blieb es ihm ein Ideal, die östlichen und westlichen Tugenden miteinander zu verbinden. Der EOK teilte die Auffassung Hegels nicht und sah Kreibig in erheblichen Beziehungen hinter Dryander zurückstehen. Das Gutachten an den Kultusminister von Goßler sprach sich daher für Dryander aus: "Von allen hiesigen Geistlichen erscheint ftlr die Stelle besonders geeignet der Superintendent Dryander. Derselbe hat nicht allein die bei seiner Berufung hierher im Jahre

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Berlin 1903, 379f). Die Bestallung erfolgte am 12.5. noch mit der Unterschrift des alten Kaisers; das Konsistorium nahm Dryander am 26.5. auf; EZA 7/11008, pag. 65f, 69. Vgl. EvD, Erinnerungen 171. Hegel an EOK v. 28.2.1887, EZA 7/11008, pag. 57-61, 61V. Ebd., pag. 61R. EvD, Erinnerungen 171.

4.1. Aufstieg in der Kirche

85

1882 gehegten großen Erwartungen in vollem Maße erfüllt, sondern auch durch seine hervorragenden Leistungen im Pfarr- und Ephoralamt wie im christlichen Vereinsleben zu der Überzeugung Anlaß gegeben, daß er alle Voraussetzungen eines gesegneten Wirkens in einer höheren und über die Grenzen einer Diözese hinausreichenden kirchenregimentlichen Stellung in sich vereinigt." 34

Dabei scheint sich zu diesem Zeitpunkt schon - abgesehen von der Hoffnung Kögels, Dryander doch noch auf die Seite der Positiven Union hinüberziehen zu können - ein allgemeines Interesse gerade an der Person Dryanders festzumachen. Denn er brachte nicht nur Erfahrungen aus verschiedenen Kirchenprovinzen der Union wie Sachsen, dem Rheinland und Brandenburg mit, was einer Konsolidierung der Union vor dem Hintergrund der durch die Kleist-Hammersteinschen Selbständigkeitsbestrebungen seit 1886 ausgelösten Unruhe35 nur dienen konnte. Zudem war die Hoffnung wohl berechtigt, allein schon mit der Person Dryanders dem durch den Bruch der großen Mittelpartei eingetretenen Parteigetriebe entgegenwirken zu können, da in ihm - so ja eine nicht unwesentliche Beobachtung an der Biographie Dryanders beide Tendenzen versöhnbar schienen. In diesem Sinne wird man den Ruf interpretieren dürfen, wenn es im Gutachten, das von der Goltz und Brückner sicherlich sehr unterstützten, weiter heißt: "Seine Berufung in das Kollegium des hiesigen Konsistoriums erachten wir daher nicht minder im Hinblick auf die Geschäfte dieser Behörde als zum Zwecke der Weiterförderung Dryanders für femer von ihm im Interesse der Landeskirche zu erhoffende ersprießliche Dienste für sehr wünschenswerth." 36

Bezweifelte schon Hegel das durch anderweitige Aufgaben beeinträchtigte Leistungsvermögen Dryanders, so sah auch der EOK die Unmöglichkeit, neben Pfarr- und Ephoralamt sowie "lebendige[r] Theilnahme an der [...] freien Liebesthätigkeit auf den verschiedensten Gebieten der Inneren Mission" - so war Dryander kurz zuvor sogar im Gespräch, den Vorsitz des Zentralausschusses für Innere Mission zu übernehmen37 - "noch ein Konsistorialamt pflichtmäßig zu verwalten."38 Da Dryander sich aber zur Freude des EOK auf eine vertrauliche Anfrage hin bereit erklärt hatte, im Falle einer Berufung

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EOK an v.Goßler v. 12.4.1887, EZA 7/11008, pag. 52V. E.R.Huber/W.Huber, Staat und Kirche [...], Bd. 3: Staat und Kirche von der Beilegung des Kulturkampfs bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Berlin 1983, 545f. S.a. Geschichte der Ev. Kirche der Union II, 284ff (G.Besier). EOK an v.Goßler v. 12.4.1887, EZA 7/11008, pag. 52V. Weiß, Aus neunzig Lebensjahren 194, der dann den Vorsitz bis 1896 innehatte. EOK an v.Goßler v. 12.4.1887, EZA 7/11008, pag. 52R.

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4. In der Kirchenleitung

die Superintendentur einvernehmlich abzulegen und den Ruf in das Konistorium anzunehmen, und von Goßler sich einverstanden zeigte39, wurde Dryander vom EOK über von Goßler bei Wilhelm I. vorgeschlagen40. In der Formulierung des Berufungsvorschlages schwingt ein großer 'Respekt' vor der von Wilhelm I. oft zum Ausdruck gebrachten summepiskopalen Verantwortung für Bekenntnis und Union mit, wenn es heißt, daß Dryander ausgestattet sei "mit einer fest in der landeskirchlichen Union wurzelnden positiven Gläubigkeit und herzlichen Frömmigkeit wie einer guten theologischen Bildung, vereinigt mit einer hervorragenden Begabung zu erbaulicher, höher und minder Gebildete anziehenden Rede und einer sehr guten geschäftlichen Befähigung"41. Im Konsistorium hat Dryander bis zu seinem durch den Antritt der Generalsuperintendentur 1892 bedingten Ausscheiden aus der geistlichen Ratsstelle42 nicht nur Aktenarbeit und 'Regieren' gelernt, sich in der Prüfungskommission für Neues Testament und Praktische Theologie auf seinen späteren Vorsitz in der Kommission 'vorbereitet', sondern auch wichtige Einblicke in die höhere kirchliche Atmosphäre bekommen, die in gewisser Weise eine negative Folie seines eigenen kirchenpolitischen Wirkens bilden sollte. So beklagte er bei allem Respekt an Hegel "eine kirchenpolitische Parteinahme und ein Befangensein in bestimmten dogmatischen Geleisen"43, und so empfand er, wie auch die "erste geistige Potenz" unter den geistlichen Räten, Paul Kleinert, und der kirchenpolitisch blockierte Brückner, als Generalsuperintendent Berlins wie als geistlicher Vizepräsident des EOK stärkster Antipode Kögels im Konsistorium und im EOK, es nicht vermochten, "das tiefe Mißtrauen, das nicht ganz unbegründet der Behörde entgegengebracht wurde, zu überwinden"44: "Tatsächlich beherrschten der Präsident [Hegel] wie die mächtige Persönlichkeit Kögels, namentlich flir alle Emennungen, die Situation."

Die Absicht - so Dryander selbst -, "bei dem immer schärfer werdenden Gegensatz der Richtungen in der Behörde" in ihm ein vermittelndes Glied

39 40 41 42

43 44

Ebd., pag. 56 (v.Goßler an EOK v. 19.4.1887). EOK an Wilhelm I. v. 25.4. 1887 ( über v.Goßler v. 5.5.), ebd., pag. 64. Ebd., pag. 64R. EOK an Wilhelm II. und das Kultusministerium v. 15.8.1892; EZA 7/11010, pag. 129. Als Generalsuperintendent blieb Dryander dem Konsistorium freilich erhalten. EvD, Erinnerungen 172. Ebd. 173. Hier s.a. das Folgende.

4.1. Aufstieg in der Kirche

87

finden zu können45 bzw. einen zwischen den Gegensätzen vermittelnden Mitarbeiter für die Kirchenleitung aufzubauen, fand besonders nach dem Thronwechsel eine Fortsetzung durch das Angebot einer - von Hermes 1890 selbst offerierten - geistlichen Ratsstelle im EOK. Dryander wäre, unter diesem Aspekt betrachtet, sicherlich der richtige Mann gewesen. Allerdings machte er keinen Hehl daraus, daß er sich als Gegner der Stoeckerschen Bewegung verstand und "daher in viel höherem Maße nach links" neigte, als es in den positiven Kreisen, denen er andererseits nicht fernstand, üblich war.46 Dryander sah sich dieser Stelle angesichts der hohen Anforderungen im EOK allerdings noch nicht gewachsen und schlug sie daher - auch aus Rücksicht auf seine Dreifaltigkeitsgemeinde - aus.47 Es ist fraglich, ob eine Berufung Dryanders in die höchste Ebene des Kirchenregiments die Klage Beyschlags hätte mindern können, Präsident Hermes hätte es in den zwölf Jahren seiner Verwaltung nicht gewagt, einen einzigen aus der Mittelpartei ins Kirchenregiment zu berufen48. Noch mußten außenstehende Beobachter der Lage Beyschlags Beurteilung Recht geben: "Wir hatten zwar da und dort von friiherher noch einige Freunde, aber dieselben vermochten wenig, zumal in den wichtigsten Fällen die Gegenseite sich durch die parteiverwandte Mehrheit des Generalsynodalvorstandes verstärkte, und dazu standen sie auf dem Aussterbeetat."

4.1.2. Auf neuem Kurs Der Regierungsantritt Wilhelms II. im Drei-Kaiser-Jahr 1888 brachte mit der bald folgenden Entlassung Bismarcks (1890) nicht nur politisch einen neuen Kurs. Daß sich auch in der Kirchenpolitik etwas Neues anbahnte, deutete sich schon in den Umständen und Hintergründen an, die gegen das Gutachten einer Majorität des EOK durch einen persönlichen Entscheid Wilhelms II. zur Berufung Adolf Harnacks nach Berlin führten. 49

45 46 47 48 49

Ebd. 175f. Ebd. 176. EvD, Erinnerungen 175f; EZA 7/13749, pag. 135. Beyschlag, Leben II, 489. Hier s.a. das folgende Zitat. Gennrich/v.d.Goltz, H.v.d.Goltz 111-117; A.v.Zahn-Hamack, Adolf von Harnack, Berlin (1936) 2 1951 (verb.), 156-172; Besonders Brückner und von der Goltz standen im EOK gegen Hermes und Kögel; s. Huber/Huber, Staat und Kirche III, 645-654, 649 (Anm. 19).

88

4. In der Kirchenleitung

Nach dem Ausbruch einer schweren Krankheit verringerte sich der Einfluß Kögels im EOK seit 1890 zusehends, das "alte maßgebende Hofpredigerquartett" hatte sich, wie im Zusammenhang mit Dryanders Beteiligung an der Entlassung Stoeckers noch zur Sprache kommen wird 50 ,"von selber aufgelöst"51, und Hermes nahm 1891, gleichzeitig mit Hegel, seinen Altersabschied als Präsident des EOK. Wilhelm II. nutzte die Gelegenheit und gab dem neuen Präsidenten, dem Hannoveraner Barkhausen, in einer Audienz kirchenpolitische Leitlinien mit, durch welche der durch das "unselige[...] Parteigetriebe" verursachten Stagnation in der Union entgegengewirkt werden sollte.52 Um die in der evangelischen Kirche vorhandenen Kräfte zur lebensvollen Entfaltung und richtigen Verwendung kommen zu lassen, seien alle "zur Mitthätigkeit bereiten Kräfte ohne Ansehen ihres konfessionellen oder kirchenpolitischen Parteistandpunktes [...] heranzuziehen". Wilhelm II. machte so die von seinem Großvater initiierte Kirchenpolitik rückgängig, welche in ihrer einseitigen Parteinahme auf Seiten der Positiven Union für die Stagnation verantwortlich gemacht worden war, und lenkte, wie Beyschlag bemerkte, zu den "Herrmann'sehen Traditionen" zurück.53 Mit der Berufung von der Goltzens 1892 in das Amt des geistlichen Vizepräsidenten an die Seite Barkhausens schien diese Linie gesichert zu sein, da jener ja 1876 von Herrmann nach Berlin geholt worden war und seither als Anhänger der Mittelpartei und entschiedener Gegner Kögels im EOK wirkte.54 Wenn Wilhelm II. nach Barkhausen weiter darauf den höchsten Wert legte, "daß Allerhöchstlhre Prärogative als höchsten Landesbischofs in keinem Punkte eine Schmälerung erfahren und daß alle darauf abzielenden Angriffe, von wem sie auch kommen mögen, bestimmt zurückgewiesen werden"55, so stand dahinter - neben einem ungeheuren, auch religiös fun-

50

S.u. 179-187.

51

Beyschlag, Leben II, 660.

52

Das Notatum Barkhausens v. 25.2.1891 in: Huber/Huber, Staat und Kirche III, 543-544, 544. Hier s.a. das weiter Angeführte.

53

Beyschlag, Leben II, 660. V g l . Elliger, Union 108, und K.E.Pollmann, Landesherrliches Kirchenregiment und soziale Frage. Der evangelische Oberkirchenrat der altpreußischen Landeskirche und die sozialpolitische Bewegung der Geistlichen nach 1890 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 44), Berlin - N e w York, 1973, 20f; bes. Pollmann führt im ersten Teil seiner Arbeit in die Verhältnisse und Probleme der preußischen Union unter Wilhelm II. ein.

54

Gennrich/v.d.Goltz, H.v.d.Goltz 73-90.

55

Huber/Huber, Staat und Kirche III, 544.

4.1. Aufstieg in der Kirche

89

dierten, monarchischen Selbstbewußtsein Wilhelms II. 56 - vor allem die Absicht einer frühen Abwehr der seit der Entlassung Stoeckers aus dem Hofpredigeramt wieder auflebenden kirchlichen Selbständigkeitsbestrebungen. Wilhelm II. sah seine "höchstbischöfliche Stellung" so sehr als Stütze und Schutz der evangelischen Kirche, daß nur durch deren "volle Aufrechterhaltung [...] die evangelische Kirche das Ansehen sich erhalten könne, dessen sie bedürfe, um auf ihren verschiedenen Lebensgebieten mit Erfolg wirken zu können".57 Mit dieser Autorität versehen, solle sich die Kirche an "der Bekämpfung der sozialen Umsturzbewegungen [...] mit dem erforderlichen Nachdruck" beteiligen. Nur eine so getragene und sich als lebensfrisch und glaubensstark erweisende Kirche könne weiterhin die Anziehungskraft für eine anzustrebende freiwillige Angliederung der neuen Provinzen an die Union ausüben und durch Vereinigung aller Kräfte die Macht wiedergewinnen, die sie zur Behauptung ihrer Stellung gegenüber der römisch-katholischen Kirche wie zum erfolgreichen "Kampf mit den finstern Mächten des Unglaubens und des Umsturzes" benötige. Problematisch war das besondere Hervorheben des ohnehin rechtlich wie theologisch umstrittenen landesherrlichen Kirchenregiments als Summepiskopat58, ohne die moderne kirchenrechtliche Entwicklung seit 1850 zu beachten, welche die herkömmlichen königlich-summepiskopalen Rechte erheblich eingeschränkt und auf verschiedene institutionelle Schultern verteilt hatte. Denn auch wenn sich der Legitimationsrahmen geändert hatte und das Kirchenregiment nicht mehr als Ausfluß, sondern als Annexum der Staatsgewalt und als von der Kirche dem Landesherrn als ihrem 'praecipium membrum' lediglich übertragen gedacht war59, bot das Festhalten am landesherrlichen Kirchenregiment mit seiner mehr "begriffliche[n als real existierenden] Scheidung der kirchlichen von der staatlichen Funktion in der Person des Monarchen" - neben einer weiterhin wirksamen Einschränkung der kirch-

56 57 58

59

S.u. 214-222. Huber/Huber, Staat und Kirche III, 544. Hier s.a. die folgenden Ausführungen. Sogar der "formalistisch-technisch" und weniger historisch orientierte 'Rechtspositivist' P.Schoen (s. R.Smend, Art. "Ev. Kirchenrechtswissenschaft" [Kirchenrecht II B.], 3 RGG, Bd. 3, Sp. 1515-1519, 1518; vgl. Bd. 5, Sp. 1468f) stellte fest: "Die Bezeichnung der kirchlichen Regierungsrechte des Landesherrn als Episkopalgewalt, Summepiskopat - ein Überbleibsel der episkopalistischen Erklärung des landesherrlichen Kirchenregiments überhaupt - ist eine mannigfach unzutreffende." (Ev. Kirchenrecht I, 224). Schoen, Ev. Kirchenrecht I, 223f, in Anlehnung an Formeln Karl Riekers.

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4. In der Kirchenleitung

lichen Selbständigkeit - "ein zusätzliches Einfallstor für unverantwortliche Einflüsse, für die unkontrollierte Ausübung des Kirchenregiments".60 Allerdings bleibt zu konstatieren, wie gerade Wilhelm II. einerseits zwar das landesherrliche Kirchenregiment "so resolut wie [...] keinefr] seiner Vorgänger in Anspruch genommen" und zu einem nicht zu diskutierenden Tabu erhoben hat61, wie er zwar durch die Verlautbarung seiner kirchenpolitischen Grundsätze großen Einfluß auf den Kurs des EOK ausgeübt hat, er sich andererseits aber - im Gegensatz zu seinem 'persönlichen Regiment' in der Staatsführung - unberechenbarer und "unmittelbarer Eingriffe in die kirchenregimentliche Tätigkeit" enthielt62. Das wäre, wie Pollmann gezeigt hat, auch kaum nötig gewesen, denn der EOK unter Barkhausen und von der Goltz versuchte alles, um die königlichen Direktiven in einen vermittelnden und ausgleichenden wie den Summepiskopat stützenden Kurs umzusetzen.63 Besonders in der Personalpolitik machte sich dies bemerkbar: Einwandfreie Stellung zum landesherrlichen Kirchenregiment und zur Union sowie der Mittelpartei nahestehende Anschauungen waren jetzt die Voraussetzungen für eine Berufung in wichtige Positionen. Dies stärkte die Position des EOK nach allen Seiten; in allen wesentlichen Fragen behielt er die Majorität gegenüber dem überwiegend 'positiven' Generalsynodalvorstand, welcher mit den ordentlichen EOK-Mitgliedern das erweiterte Kollegium bildete64. Nach einem Bericht des EOK an den Kaiser vom 8. März 1899 hatte diese Kirchenpolitik dazu beigetragen, Ausgleich und Einigung in der Landeskirche zu fordern sowie den Bestand der Union und die Stellung des landesherrlichen Kirchenregiments zu sichern.65 Auch in der Denkschrift des EOK über die bisherige "Entwicklung der evangelischen Landeskirche der älteren Preußischen Provinzen" zu seinem fünfzigjährigen Bestehen im Jahre 1900 schlug sich dieser Optimismus nieder, wobei in besonderer Weise auf das sich gegenseitig ergänzende Verhältnis zwischen Kirche und Staat - "schon weil unter einheitlicher Leitung in der Person des Königs verbunden" hingewiesen wurde.66 60 61 62

63 64 65 66

Pollmann, Protestantismus 291; vgl. Elliger, Union 100. Pollmann, Protestantismus 295. Gennrich/v.d.Goltz, H.v.d.Goltz 117. Vgl. Pollmann, Landesherrliches Kirchenregiment 25. Pollmann, Landesherrliches Kirchenregiment 24f. Ebd. 31 f. Ebd. 39f; Eiliger, Union 109. Auszugsweise abgedruckt in: Huber/Huber, Staat und Kirche III, 562f, Zitat 562.

4.1. Aufstieg in der Kirche

91

Diese enge Anlehnung an den Summepiskopat wie an den Staat spiegelte sich besonders in dem schwankenden Kurs des EOK in der Frage der Mitwirkung von Geistlichen an der dringlichen Lösung der virulenten sozialen Frage.67 Empfahl der EOK noch 1890 im Gefolge der wilhelminischen Sozialpolitik eine engagiertere Mitarbeit seiner Geistlichen an den sozialen Problemen, so rückte er 1895 - wie schon 1893 vom zunächst begrüßten Evangelisch-sozialen Kongreß68 - in einem weiteren Erlaß zur Frage von dieser offenen Haltung ab, da er eine zunehmende Politisierung gerade der 'Jungen' unter dem Einfluß Stoeckers beobachtete69. Die wachsend ablehnende Haltung Wilhelms II. sowie konservativer Kreise und schließlich Wilhelms in erneutem Zusammenhang mit Aktivitäten Stoeckers 1896 ausgesprochenes Verdikt über den christlich-sozialen Gedanken70 dürften den EOK in seiner - von direktem staatlichen Einfluß zwar weitgehend freien,

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Wohl bes. seit F.Fischers Aufsatz "Der deutsche Protestantismus und die Politik im 19. Jahrhundert", HZ 171 (1951), 473-518 (zur sozialen Frage 503-515) nahm die Kirchengeschichtsschreibung sich dieses Themas verstärkt und in allen Perspektiven (Wichern, Todt, Stoecker, Naumann u.a.; Innere Mission, Ev.-soz. Kongreß, EOK, religöser Sozialismus u.a.) an. Neben der bes. an der Haltung des EOK interessierten Arbeit Pollmanns ist die breiter angelegte Untersuchung E.I.Kouris, Der deutsche Protestantismus und die soziale Frage 1870-1919. Zur Sozialpolitik im Bildungsbürgertum, Berlin - New York 1984, zu nennen. Eine gut einführende Skizze bei Nipperdey, Religion im Umbruch 106-118. S.a. Geschichte der Ev. Kirche der Union II, 307ff (W.H.Neuser). Pollmann, Landesherrliches Kirchenregiment 122; der EOK verzichtete 1893 auf eine Vertretung bei den Berliner Verhandlungen von 1893. Huber/Huber, Staat und Kirche III, 691-698 (Situation um 1890), 725-730 (um 1895). Neben Pollmann, Landesherrliches Kirchenregiment bes. 86-106, 158-251, vgl. Fischer, Protestantismus und Politik 509-512. Das am 28.2.1896 an Hinzpeter gerichtete Telegramm wurde am 15.5.1896 in der "Post" veröffentlicht: "Stoecker hat geendigt, wie ich es vor Jahren vorausgesagt habe. Politische Pastoren sind ein Unding. Wer Christ ist, ist auch sozial, christlichsozial ist Unsinn und fuhrt zu Selbstüberhebung und Unduldsamkeit, beides dem Christentum schnurstracks zuwiderlaufend. Die Herren Pastoren sollen sich um die Seelen ihrer Gemeinden kümmern, die Nächstenliebe pflegen, aber die Politik aus dem Spiele lassen, dieweil sie das gar nichts angeht." Abgedr. in: W.Frank, Hofprediger Adolf Stoecker und die christlichsoziale Bewegung, Hamburg (1928) 21935, 275f; vgl. Pollmann, Landesherrliches Kirchenregiment 261 f.

92

4. In der Kirchenleitung

doch staatlich-konservativer Anschauung konformen71 - Haltung nur bestärkt haben.

4.1.3. Generalsuperintendent der Kurmark Dryander konnte dem neuen Kurs des EOK, der "Politik maßvoller und besonnener Zurückhaltung" unter Barkhausen und von der Goltz nur freudig zustimmen.72 Als Synodaler auf der ersten Generalsynode der neuen Ära konnte er in der von Barkhausen vorgetragenen Grußbotschaft, die stark an die kaiserlichen Direktiven angelehnt war, erste Umrisse in der Form eines Appells hören, "sich um die Allerhöchste Person, als den Inhaber des landesherrlichen Kirchenregiments, [zu] schaaren und unter Zurückstellung abweichender kirchlicher und kirchenpolitischer Parteigegensätze [...] im Verein mit den kirchenregimentlichen Behörden den Mächten des Unglaubens und Umsturzes zu wehren".73 Noch in seiner Gedächtnisrede auf Barkhausen (1903) erinnerte Dryander an die selbst schmerzhaft erfahrene "schwere[...]

Pollmann, Landesherrliches Kirchenregiment 201-207, meint sogar, mit Sicherheit sagen zu können, "daß der staatliche Einfluß auf die Ansprache von 1890 erheblich stärker war als auf den Erlaß von 1895." (ebd. 204). Dies unterstreichend, könnte man noch anführen, daß die Marschrichtung des EOK schon in der geheimen Denkschrift des EOK v. 25.2.1892, "betreffend die Bewegung in der evangelischen Kirche Preußens gegen das landesherrliche Kirchenregiment" (abgedr. in Huber/Huber, Staat und Kirche III, 547562), deutlich zum Ausdruck kam, worin gegenüber dem beobachteten Zusammenhang zwischen den jeweils von Stoecker getragenen Selbständigkeitsbewegungen und christlich-sozialen Aktivitäten festgestellt wurde, wie sehr der "Zielpunkt der staatlichen wie kirchlichen Politik [...] derselbe" sei: "einestheils das landesherrliche Kirchenregment in der Kirche ungeschwächt zu erhalten und zu stärken, [...] anderenteils aber eine Einmischung der kirchlichen Organe in die Tagespolitik, sowie die Verquickung des kirchlichen und politischen Parteitreibens fem zu halten" (a.a.O. 561). EvD, Erinnerungen 245. Vgl. die unter diesem Gesichtspunkt interessanten Gedächtnisreden Dryanders auf Barkhausen (Gedächtnisrede für den weiland Präsidenten des Evangelischen Oberkirchenrats Wirkl. Geheimen Rat D. Dr. Barkhausen in der DomInterimskirche am 18. Oktober 1903 über Luk 12, 42-44, als Beilage XXXIX in: Verhandlungen der fünften ordentlichen Generalsynode [...], 15.10.-4.11.1903, 2 Bde., Berlin 1904, Bd. 2: Beilagen, 416-424) und auf Hermann von der Goltz (Ein Diener Christi. Gedächtnisrede über 1. Kor 4, 1 bei der Beerdigung von D. Hermann Freiherr von der Goltz, gestorben am 25. Juli 1906, in der Petrikirche, Berlin, in: ders., Gott und Mensch 239-244). Verhandlungen der 3. ordentl. Generalsynode 1891, 3. Auch Dryander schloß sich namentlich einem Antrag an, dem Kaiser in einer Adresse Treue und Ergebenheit dem Träger des Kirchenregiments gegenüber auszudrücken (ebd. 29-32).

4.1. Aufstieg in der Kirche

93

Zersplitterung [...] der Parteien der Kirche", an die "schweref...] Krise, welche in dem gesteigerten Gegensatze zwischen einer mit der modernen Weltanschauung sich auseinandersetzenden theologischen Wissenschaft und der überlieferten kirchlichen Lehre und daher auch mit den Männern des geistlichen Amtes und der Kirche sich schmerzvoll geltend machte", und an das "wilde[...] Ringen der entfesselten Geister um die Neugestaltung der sozialen Verhältnisse", wobei er im Hinblick auf die brennende Frage, "welchen Anteil die evangelische Kirche in diesem Kampfe zu nehmen habe", nicht müde wurde, Barkhausens schon auf der Synode von 1891 ausgegebene Richtlinie hervorzuheben, nach der die verschiedenen in der Kirche vorhandenen Richtungen und Kräfte zu gemeinsamer und freudiger Arbeit heranzuziehen wären.74 Von den personellen Veränderungen war auch Dryander betroffen, der die Anforderungen, die jetzt an die Träger kirchenregimentlicher Funktionen gestellt wurden, geradezu verkörperte. Hatte er seit Ende 1890 für den erkrankten Kögel vertretungsweise bereits das Amt des Schloßpfarrers am Hof versorgt, so kam Dryander 1892, als er Weiß zufolge schon reichlich erfahren hatte, "daß es auch seine Schattenseiten hat, ein berühmter Mann geworden zu sein"75, nach Kögels Abschied aus der Generalsuperintendentur auch hier als sicherer Nachfolger ins Gespräch.76 Zeichnete sich doch gerade die Kurmark durch eine enge Verbindung mit der Geschichte der Hohenzollern

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EvD, Gedächtnisrede Barkhausen (1903) 419, mit zum Teil wörtlichen Anführungen aus dem erwähnten Gruß- und Eröffnungswort Barkhausens von 1891. Weiß, Aus neunzig Lebensjahren 208. Ende 1893 sahen der Potsdamer Hof- und Garnisonsprediger Frommel und Dryander sich als prominente Prediger sogar Bombendrohungen gegenüber (Evangelisch-Kirchlicher Anzeiger 45 (1894), 4). Für die Tagespresse war auch Dryander immer eine Zeile wert, vgl. die interessante Briefnotiz Fontanes an Paul Heyse v. 5.12.1890, Fontanes Briefe in zwei Bänden, Bd. 2: Briefe 18791898, Berlin - Weimar 21980, 271-273, 272f: "Es vergeht kein Tag, wo nicht aus diesem elenden Löschpapier etwas Hochpoetisches zu mir spräche: der Kaiser und Bismarck, die stille und dann auch wieder laute Kriegführung zwischen beiden, die Hofpredigerpartei, Kögel, Stoecker, Dryander, Bazillus-Koch, Goßler, 2000 fremde Ärzte, GroßeKurfürstenfeier, Wißmann und Dampfschiffe auf dem Victoriasee - das alles macht mir das Herz höher schlagen" - als atmosphärischer Stoff für seine Romane. Ende Dezember brachte die CCW 1 (1891), Sp. 432, die Meldung, der EOK habe bei Dryander angefragt, ob er geneigt sei, die durch die Krankheit Kögels zur Erledigung kommende Generalsuperintendentur der Kurmark zu übernehmen. Vgl. Evangelischkirchlicher Anzeiger von Berlin 43 (1892), Nr. 7 v. 12.2., 51. Das Abschiedswort Kögels s. ebd. 44 (Nr. 6 v. 5.2.1992). Schon im November 1891 hatte Dryander Kögel als Generalsuperintendent vertreten und in Gransee einen Superintendenten in sein Amt eingeführt (CCW 1 (1891), Sp. 416).

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4. In der Kirchenleitung

aus77, was sich vielleicht nicht zufallig an ihren Generalsuperintendenten spiegelte: Hoffmann, Kögel und nun Dryander waren dem Königshaus in gleichzeitiger Bekleidung der Oberhofprediger- bzw. Schloßpredigerämter jeweils treu verbunden. Gegen einigen Widerstand des überwiegend positiven Generalsynodalvorstandes, der das EOK-Kollegium bei derartigen Personalfragen erweiterte, wurde Dryander am 5. Februar 1892 zum Nachfolger Kögels vorgeschlagen. Während Kögel zur großen Freude Dryanders wie Barkhausen, von der Goltz, Braun, Möller u.a. warm für ihn eintrat, stimmten vor allem die beiden fuhrenden Köpfe des Generalsynodalvorstandes, Zieten-Schwerin und der kurz darauf verstorbene Kleist-Retzow, gegen Dryander, den sie als Einbruch in die Phalanx der positiven Generalsuperintendenten empfanden.78 So drückte die konservativ-positive Presse im nächsten Frühjahr das große Befremden positiv-kirchlicher Kreise darüber aus, "daß neuerdings alle hohen kirchlichen Ämter mit Vertretern der kirchlichen Mittelpartei besetzt" würden, und führte zum Beleg die Ernennung von der Goltzens zum geistlichen Vizepräsidenten und die Berufung Dryanders zum Generalsuperintendenten der Kurmark an.79 Wie die DEKZ stellte der Reichsbote angesichts der ihrer Meinung nach ungerechtfertigten Bevorzugung der Mittelpartei die bange Frage: "Wohin steuern wir auf kirchlichem Gebiet?" Die liberale "National-Zeitung" konnte darin nur eine unnötige Übertreibung erkennen, wenn schon "das Eindringen dieser wenigen Personen [...] in die Kirchenregierung" den bisher herrschenden positiven Parteien genüge, "das videant consules auszurufen"80. Zwar sei die seit dem Sturz Herrmanns herrschende Diktatur unter dem Placet Kögels mit ihrem Bann der Ausschließlichkeit gebrochen, doch zu Recht wurde betont, daß auch die jetzt berufenen Dryander und von der Goltz noch in engster Fühlung zu den positiven Parteien stünden.

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S. [O.Dibelius], Die Kurmark, in: Die Mark Brandenburg. Die evangelische Kirche der Kurmark, hg. v. d. Generalsuperintendentur, Berlin 1932, 7-10, 8. EZA 7/11063, pag. 3. Zur Beschreibung der Lage um 1885 s. Beyschlag, Leben 11, 485: "Jetzt gehörten zur 'positiven Union' alle Generalsuperintendenten; es wäre wie eine Ketzerei erschienen, wenn sich einer von ihnen uns angeschlossen hätte". S.a. EvD, Erinnerungen 182. Der Reichsbote v. 9.2.1893 sichtlich angelehnt an den Serienartikel "Wege und Ziele" in der DEKZ 7 (1893), 1-3. 13-15. 21-23.(33-35). 41-43. 53-55, 3. Hier auch das Folgende. National-Zeitung v. 17.2.1893.

4.1. Aufstieg in der Kirche

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In den nun folgenden Verhandlungen mit dem Kultusminister ZedlitzTrützschler empfahl der EOK Dryander als einen Geistlichen mit einer Wirksamkeit von herausragender Bedeutung und mit weitreichendem Einfluß, der nicht zuletzt durch die Ehrenpromotion wissenschaftlich ausgewiesen und dem durch die Schloßpfarrstelle Allerhöchstes Vertrauen geschenkt sei.81 Doch bevor am 15. Juni durch Wilhelm II. die Bestallung zum Generalsuperintendenten der Kurmark sowie die gleichzeitige Ernennung zum Rat zweiter Klasse ausgesprochen werde konnte82, galt es Probleme zu erörtern, die sich aus der auf der Generalsynode 1891 beschlossenen Umwandlung der bis dahin nebenamtlichen Generalsuperintendentur in ein vom Staat mitfinanziertes Hauptamt ergaben83. So betonte Zedlitz-Trützschler dem EOK gegenüber immer wieder die Notwendigkeit einer der erweiterten Bedeutung entsprechenden Neustrukturierung dieses Amtes und machte sein Einverständnis zum Vorschlag Dryanders bei Wilhelm II. von einer Einschränkung der Nebenämter abhängig, damit das Hauptamt voll zur Geltung komme. Man kam daher überein, den künftigen Generalsuperintendenten Dryander zwar an Dreifaltigkeit zu belassen, da die Pfarre ihm die Möglichkeit böte, seinen Geistlichen auf der Kanzel, in der Seelsorge und Gemeindeleitung zum Vorbild in ihrer Amtsführung zu werden. Aber tatsächlich wurde Dryander nicht nur von den meisten Pfarrtätigkeiten entbunden, es war ihm sogar untersagt, abgesehen von Festtagspredigten, mehr als zwölf Predigten im Jahr auf seiner Kanzel zu halten oder gar Konfirmationen durchzufuhren84, was

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EOK an Zedlitz-Trützschler v. 12.2.1892, EZA 7/11063, pag. lf. Ebd., pag. 46. Vgl. Ev.-Kirchlicher Anzeiger 43 (1892), 235. S. die betreffenden Debatten und Beschlüsse v. 24.11.1891, Verhandlungen der 3. ordentl. Generalsynode 1891, 488-513. Dryander selbst hatte sich am 27. Oktober 1890 hinter den Beschluß der sechsten ordentlichen Brandenburgischen Provinzialsynode gestellt, auf der Generalsynode Bestimmungen zur Erweiterung der Wirksamkeit der Generalsuperintendenten als Oberhirten der Provinzialkirche herbeizuführen. Zedlitz-Trützschler an EOK v. 20.2. u. 18.3.1892, EZA 7/11063, pag. 11 bzw. 14f. Ein vom Gemeindekirchenrat unterstützter Antrag Dryanders zur Durchführung der Konfirmation an den eigenen Kindern wurde als Ausnahme gestattet, für deren Einhaltung der EOK die Verantwortung zu tragen hatte; ebd., pag. 15, 3 4 f . Die Stelle als stellvertretender Schloßpfarrer und die damit verbundenen Amtshandlungen waren kein Gegenstand der Verhandlung. Der preußische Etat 1892/93 sah 1200 Reichsmark Wohnungsgeldzuschuß vor, da Kögel in der Dienstwohnung des Generalsuf>erintendenten verblieb (Ev.-Kirchlicher Anzeiger 43 [1892], 124).

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4. In der Kirchenleitung

einen vielbeanspruchten Mann wie Dryander, der selten eine Gelegenheit zur Predigt ausließ85, treffen mußte. Die Ernennung Dryanders wurde den Gemeinden am 10. Juli von der Kanzel mit Dank und Fürbitte bekannt gemacht; auch Dryander ließ eine Begrüßungsansprache veröffentlichen, worin er die durch die vorbildlichen Persönlichkeiten seiner Vorgänger wie durch die Gestaltung zum Hauptamt ihm doppelt auferlegte Verantwortung zum Ausdruck brachte und mit der Bitte um Vertrauen verband.86 Diese Bitte wiederholte er bei der ihn offiziell in sein Amt einfuhrenden Begrüßung am 21. November durch den geistlichen Vizepräsidenten des EOK von der Goltz in Gegenwart aller Superintendenten der Kurmark.87 Wohl gegenüber laut gewordenen Befürchtungen, es würde sich um das neugestaltete Hauptamt eine episkopale Struktur bilden88, betonte Dryander, "daß unsere evangelische Kirche wohl verschiedene Gaben und Dienste kennt, aber keinen besonderen Amtscharakter, keine eigenartige und unzerstörbare Amtsweihe, keine charismatische Begabung auf dem Wege bischöflicher Sukzession."89 Er sah den höchsten Ehrentitel darin, Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse zu sein. Seine "ganze Würde" bestehe in der Haushalterschafit nicht über steinerne, sondern lebendige Häuser durch Wort und Sakrament, Unterweisung und Seelsorge.90 Denn die Gesamtgemeinde habe wie alle geistlichen Amtsträger auch ihn nur zum Hüter und Haushalter des ihr anvertrauten Schatzes, des Evangeliums, berufen.

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So berichten die DEKZ 6 (1892), 201, von einer Festpredigt Dryanders am 18.5. auf der Versammlung des brandenburgischen Provinzialausschusses für Innere Mission, die Baronin Spitzemberg von einer Ansprache Dryanders am 7.6. auf einer Versammlung für diakonische Arbeit der Frauen in Anwesenheit der Kaiserin (Tagebuch 301) oder der Ev.-Kirchliche Anzeiger 43 (1892), 194, von der Eröffnungspredigt für den erkrankten Berliner Gen.-Sup. Brückner zu den Verhandlungen der vereinigten Berliner Kreissynoden am 30.6., ganz zu schweigen von den z.T. weitreichenden höfischen Verpflichtungen: So wurde ihm wie schon im Vorjahr die "Abhaltung der diesjährigen evangelischen Gottesdienste in der St. Christopherus-Kapelle zu Wildbad-Gastein" vom Ministerium des Königlichen Hauses in Preußen übertragen (DEKZ, a.a.O. 298). Ev.-kirchlicher Anzeiger 43 (1892), 243. EvD, Erinnerungen 185; vgl. DEKZ 6 (1892), 477f; Ev.-kirchlicher Anzeiger 43 (1892), 405; CCW 2 (1892), Sp. 460; Der Reichsbote v. 23.11.1892 (EZA 7/11063, pag. 74). Verhandlungen der dritten ordentl. Generalsynode 1891, 501. EvD, Die Gnade und Herrlichkeit des geistlichen Amts. Rede über 1. Kor 4, 1-2 beim Amtsantritt als Generalsuperintendent der Kurmark am 28.[zu korrigieren in 21.!] November 1892 in der Dreifaltigkeitskirche, in: ders., Gott und Mensch 166-171, 166. Ebd. 168.

4.1. Aufstieg in der Kirche

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An diesem Punkt steuerte die Rede Dryanders - ohne daß dies für seine Hörer ausdrücklich hervorgehoben werden mußte - einem ungeheuer schwierigen Gewässer zu, dessen Klippen und Wellen durch den seit dem August um Harnack entbrannten Apostolikumsstreit charakterisiert waren.91 Im Anschluß an den "Fall Schrempf' hatte Harnack eine auf Anfragen seines Kollegs nach der Geltung und dem kirchlichen Gebrauch des Apostolikums antwortende Erklärung vom 18. August in der Christlichen Welt veröffentlicht. Hierin lehnte er zwar eine Abschaffung des Apostolikums entschieden ab, trat aber bei aller Anerkennung des hohen Wertes der Grundgedanken für eine theologisch inhaltliche Gewichtung und ein historisch-kritisches Verständnis einiger in ihrer wörtlichen Fassung anstößiger Sätze ein, um auch fremden Anschauungen ihren Wahrheitsgehalt abzugewinnen. Zur Vermeidung einer Gewissensvergewaltigung empfahl Harnack eine Entfernung des Apostolikums aus dem liturgischen Gebrauch und die Formulierung eines neuen, kräftig reformatorischen Glaubensbekenntnisses.92 Wie Julius Kaftan bemerkte, brannte das Feuer besonders auf orthodoxkonservativer Seite so lichterloh - selbst die deutsche Adelsgenossenschaft ergriff wie auch Wilhelm II. mit seinem sogenannten "Wittenberger Bekenntnis" vom 31.10. entschieden für das treue Festhalten am Apostolikum Partei , daß eine Stellungnahme des EOK unumgänglich wurde.93 Bevor allerdings der Zirkularerlaß des EOK betreffend den Gebrauch und die Wertschätzung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses am 25. November herausgegeben wurde, berief der EOK seine Generalsuperintendenten am 15. und 16. November zu einer Dringlichkeitssitzung ein. Wie aus der Einladung vom 19. Oktober hervorgeht, hätte gerade Dryander über die Frage referieren sollen, wie "der Beunruhigung der Gemeinden durch die in Folge der Harnackschen Kundgebung in Betreff des apostolischen Glaubensbekenntnisses eingetretenen Erregung entgegengewirkt werden" könnte.94 Da ihm jedoch wegen einer Kirchweihe in Anwesenheit der Kaiserin nur ein verspätetes Erscheinen

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Der Streit um Harnack ist gut dokumentiert bei Huber/Huber, Staat und Kirche III, 666679. S.a. Geschichte der Ev. Kirche der Union II, 320-325 (H.Kasparick) mit Verweisen auf die reichhaltige Literatur. ChW 6 (1892), Sp. 768-770. J.Kaftan an Th.Kaftan v. 17.10.1892, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan I, 54-56, 55. Der EOK werde es schwer haben, sich etwas auszudenken. "Und doch rast der See und will sein Opfer haben." (ebd.). Einladungsschreiben zur Konferenz des EOK mit den Generalsuperintendenten zur Beratung über wichtige kirchliche Fragen vom 29.10.1892, EZA 7/1070, pag. 38.

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4. In der Kirchenleitung

auf der Konferenz möglich erschien, entfiel diese Aufgabe.95 Immerhin gelang es ihm noch, gegen den Entwurf der Kundgebung seine Einwände vorzubringen. Nicht in allem mit Harnack konform, konnte er aber nicht umhin, "die oft gemachte Unterscheidung zwischen fundamentalen und nicht fundamentalen Bestimmungen des evangelisch-christlichen Glaubens auch auf den von Harnack in Anspruch genommenen Satz des Apostolikums [von der Jungfrauengeburt, d.Vf.] anzuwenden"96, mußte aber auch mit seinem Hinweis auf das analoge Votum seines Lehrers Julius Müller zur Generalsynode von 1846 den deutlichen Widerspruch namentlich Kögels und Schultzes, beide übrigens Schwiegersöhne Müllers, erfahren97. Die Kundgebung vom 25. November machte denn auch den Eindruck eines Kompromißpapiers, welches - mehr der "Not gehorchend"98 - sowohl den Positiven mit einem inneren und treuen Festhalten an dem auch die "vor unbefangener wissenschaftlicher Forschung noch immer die Probe der Wahrheit" bestehende Menschwerdung Gottes in Christo in sich begreifenden Apostolikum entgegenkommen wollte, als auch in evangelischer Weitherzigkeit beteuerte, "aus dem Bekenntnis oder aus jedem Einzelstück desselben [k]ein starres Lehrgesetz [...] machen" zu wollen.99 Waren die theologischen Grundgedanken dieses Erlasses auch "schwer zu enträtseln"100, so war immerhin zweierlei erreicht: In den Gemeinden kehrte vorerst wieder Ruhe ein, da weder Agitation zu dulden noch das Apostolikum der Willkür einzelner Gemeinden preiszugeben sei, und der "Giftzahn" eines Lehrgesetzes war her95

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EvD an Barkhausen v. 13.11.1892, ebd., pag 40. Da die Kirchweihe mit der Konferenz kollidierte, bat Dryander Barkhausen um Beratung, ob er, zwar nur als "leicht ersetzbarer Assistent am Altar" fungierend, aber nun einmal als auch die Kaiserin empfangender Generalsuperintendent im Programm genannt, sich noch dispensieren könne. Es mutet allerdings merkwürdig an, daß die Teilnahme an dieser Reinickendorfer Kirchweihe scheinbar höher bewertet wurde als die auch zeitlich ungeteilte Aufmerksamkeit der Apostolikumsfrage gegenüber. EvD, Erinnerungen 188. Der Verlauf der Konferenz ist protokolliert im EZA 7/1070, pag. 41-49. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Dryander Müllers Votum für das 1846 angenommene, aber nie legalisierte Ordinationsformular und dessen abgewogene Stellung zu den kirchlichen Bekenntnissen über einen diesbezüglichen Artikel von Titius in der ChW 6 (1892), Nr. 45 v. 3.11., Sp. 1026-130, neu kennenlernte. J.Kaftan an Th.Kaftan v. 4.12.1892, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan I, 58f, 58. CCW 2 (1892), Sp. 465f, 465; vgl. Huber/Huber, Staat und Kirche III, 677-679, sowie EZA 7/1070, pag. 54f. Schon das Einladungsschreiben zur Konferenz am 15./16.11. weist in dem beigelegten Kundgebungsentwurf unter Punkt 5 diese Formulierung auf (EZA a.a.O., pag. 37). CCW 3 (1893), Sp. 1.

4.1. Aufstieg in der Kirche

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ausgebrochen101. Den positiven Kreisen konnte dies nicht genügen: Besonders die Haltung des EOK zu der Apostolikumsfrage wurde zum Anlaß genommen, dem Kirchenregiment fehlende Widerstandskraft gegen die Angriffe des Unglaubens auf Kirche und Christentum zu bescheinigen. Es sei unverständlich, "wenn der Präsident des Ev. Oberkirchenrates lauter mittelparteiliche Ernennungen vorschlägt, da doch der Notstand der Kirche daraus hervorgeht, daß statt klarer Bekenntnisnonnen unklare Vermittelungstheologie und mittelparteiliche Unentschiedenheit die Kirche bestimmen."102 Daher nutzte Dryander die günstige Gelegenheit der Begrüßung als Generalsuperintendent103 unmittelbar vor der Veröffentlichung des Erlasses zu einer Vertrauensbildung nach allen Seiten in persönlichem wie kirchenregimentlichem Interesse und führte an seinem theologischen Werdegang sein oben auch in anderem Zusammenhang schon skizziertes - geistliches Selbstund Amtsverständnis vor, welches selbst die ihm skeptisch gegenüberstehenden positiven Kreise befürworten mußten: Durch einen ehrwürdigen Vater und akademische Lehrer wie Tholuck, Müller und Beck habe er von Jugend auf nicht nur gelernt, das "Geheimnis Gottes, verborgen im Urgründe der Ewigkeit, aber durch die Tat des barmherzigen Gottes offenbar geworden in Christus Jesus, als Mittelpunkt meiner theologischen Wissenschaft wie meines Amtes aufzufassen", sondern auch, "daß jeder Versuch, die Geheimnisse dieses himmlischen Schatzes mit den Resultaten menschlichen Denkens durch Zusätze oder Abstriche zu vermischen, dies Geheimnis selbst entleert und entwertet." 104 Sei doch die Gottesoffenbarung über alle Schwankungen menschlicher, auch theologischer Wissenschaft erhaben. Dieses Geheimnis zur Rettung und Erlösung weiterzutragen sei köstliche Aufgabe und Kern des Amtes. Tatsächlich beurteilte die kirchlich-konservative Presse diese Ausführungen durchaus positiv105, obwohl Dryander sich äußerst vorsichtig ausgedrückt hatte. Allerdings ist nicht zu übersehen, wie z.B. der "Reichsbote" einerseits zwar betonte, daß "die Herren von der Mittelpartei [persönlich] ehrenwerte, tüchtige und meist gläubige Männer" seien und daß Kritik nicht als "per-

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S. J.Kaftan an Th.Kaftan v. 4.12.1892, Göbell, Briefwechsel Kaftan I, 58. DEKZ 7 (1893), 53. Die CCW 2 (1892), Sp. 460, bemerkt, daß diese bisher nicht übliche Feier scheinbar offiziell zur Regel werden solle. EvD, Gnade und Herrlichkeit 167. DEKZ 6 (1892), 477f; Ev.-kirchlicher Anzeiger 43 (1892), 405.

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4. In der Kirchenleitung

sönliche Geringschätzung auch von uns so hoch geschätzter Persönlichkeiten wie die des General-Superintendenten Dryander" aufgefaßt werden dürfte, andererseits aber daran festhielt, daß ihnen kirchenpolitisch und besonders als Partei die nötige Festigkeit und Bestimmtheit fehle.106 Gleichsam auf Dryander abzielend, urteilte die DEKZ kurz und bündig: "Persönlich positiv, sind sie kirchenpolitisch aufgeweicht [...]".107 Wie der gerade beratene EOK-Erlaß unterschied Dryander zwischen der Lehre von der Menschwerdung Gottes und der Lehre von der Jungfrauengeburt und zeigte auf seine Weise Verständnis für Gewissensnöte. Dem Schluß der "Antwort" Harnacks nahekommend, sah Dryander das an die Verkündigung der in Jesus Christus geschehenen Erlösung gebundene Evangelium von der freien Gnade und der Vergebung der Sünden als den unentbehrlichen und kräftigen Grund evangelischen Glaubens- und Amtsverständnisses. Damit signalisierte er den ihm anvertrauten Geistlichen und Ordinanden die Basis seiner Aufsichtsverantwortung wie seiner seelsorgerischen Zuwendung. Es ist kennzeichnend fur Dryander, sein neues Amt von der pastoralen Seite her zu charakterisieren und nach der Seite der äußeren Befugnisse nicht nur zunächst außer acht zu lassen, sondern auch in seinen Erinnerungen noch herabzuspielen108, obwohl er nun von Amts wegen dem Konsistorium an herausgehobener Stelle angehörte, zur Vertretung kirchenregimentlicher Interessen in die General- und Provinzialsynoden berufen wurde, den einflußreichen Vorsitz in der theologischen Prüfungskommission einnahm, mit dem EOK-Kollegium zu gemeinsamen Konferenzen einberufen wurde und vor allem mittels General-, Ephoral- und Schulvisitationen seinen Sprengel zu beaufsichtigen hatte109. Natürlich wurde und war ihm dieser große Pflichten· und Einflußkreis vertraut110, auch wußte er trotz aller Vorgaben und Direktiven aus dem EOK und Konsistorium die Befugnisse seines Amts zu 106

Der Reichsbote v. 11.2.1893; vgl. die analogen Gedanken in der DEKZ 7 (1893), 13: "Die Mittelpartei, zumal auf ihrem rechten Flügel, enthält eine Fülle von persönlich gläubigen Männern. Aber sie hat mehr als einmal erklärt, daß sie sogar die kirchliche Linke für berechtigt hält." 107 A.a.O. 13. 108 EvD, Erinnerungen 184. 10 ® Neben den schon genannten Generalsynodalverhandlungen von 1891 vgl. Schoen, Ev. Kirchenrecht I, 277-281. 110 Vgl. nur die Beschreibung des Aufgaben- und Pflichtenkreises in der EinfUhrungsrede zum Amtsantritt des Generalsuperintendenten der Provinz Sachsen im Magdeburger Dom v. 20. Januar 1910, EvD, Weltüberwindung. Ansprache über 1. Joh 5, 4 [...], in: ders., Gott und Mensch 218-224, 219.

4.1. Aufstieg in der Kirche

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nutzen, doch die Eigenart dieses Amtes fand er nicht durch die äußeren Befugnisse bezeichnet. Diesen stand er im Blick auf das Ziel des evangelischen Amtes sogar grundsätzlich skeptisch gegenüber: "man meint unserer Kirche bessere Institutionen, eine andere Stellung, eine geänderte Verfassung geben zu müssen [...] - nichts wäre besser geworden, wenn nicht in wachsender Treue dies heilige Haushalteramt an den Seelen getrieben wird. [...] Nicht auf Einrichtungen ruht das Reich des Herrn, sondern auf Persönlichkeiten, auf erneuten, von Gottes Geist erfüllten, im Glauben stehenden Persönlichkeiten. [...] Solche Menschen sollen vor allem wir werden, denen ein Amt in der Kirche anvertraut ist." 111

Das den Prediger Dryander kennzeichnende Anliegen manifestiert sich auch hier wieder. Zwar sah er sich als Visitator das Kirchenregiment vertreten, doch geschah dies eben mit dem großen Gewicht auf der "rein persönlichen Zusammenfassung, Beaufsichtigung und Führung der Geistlichen wie der Gemeinden", wodurch der Generalsuperintendent - gleichsam bischöflich im besten Sinne - der "geborene Führer aller freien Bestrebungen und Regungen geistlichen Lebens, der Seelsorger aber auch beständige Leiter und Anreger der Pastoren auf allen Gebieten" werden könnte.112 Sei das Amt auch arm, was den Glanz äußeren Auftretens angehe113, bleibe es doch

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EvD, Gnade und Herrlichkeit (1892), 169. Und noch später beharrte er auf diesem Standpunkt: "Die Hauptsache ist nicht die Organisation, sondern die Persönlichkeit. Die Persönlichkeit kann organisieren, aber ohne die dahinterstehende Persönlichkeit ist auch die schönste Organisation nichts." (Verhandlungen des 33. Kongresses für Innere Mission 1905, 176). EvD, Erinnerungen 183f; vgl. Weltüberwindung (1910), 219; Aufgaben der Kirche (1919), 23. Damit dürfte Dryander Befürchtungen gegen Bestrebungen, das Amt u.a. durch mehr Vollmachten aufzuwerten, zerstreut haben, hatte er sie sich doch z.T. zu eigen gemacht. So wurde schon im Evangelisch-kirchlichen Anzeiger 41 (1890), Sp. 358-359, herausgestellt, daß das Amt sich durch persönliche Wirksamkeit auszeichne und nur von Männern, die sich als Geistliche "durch theologische Bildung, Predigtgabe und pastorale Erfahrung" ausgewiesen hätten, bekleidet werden dürfe - ein höherer Verwaltungstitel würde von der vorwiegend pastoralen Aufgabe ablenken (ebd. 359). So gering war aber der Glanz nicht. Immerhin konnte der Chef des Geheimen Zivilkabinetts Lucanus vor dem Hintergrund öffentlicher Klagen über die seit dem Kulturkampf beobachtbare schwindende Bedeutung evangelischer Geistlicher dem Kultusminister am 25.6.1890 mitteilen, "daß Seine Majestät der Kaiser und König die Gnade geben wollen, das den General-Superintendenten als Abzeichen ihrer Würde zu verleihende Kreuz Allerhöchstselbst zu stiften und sämtlichen General-Superintendenten [...] ein Exemplar zu überweisen" (EZA 7/774, pag. 212). Nach dem Allerhöchsten Erlaß vom 12.8. (ebd., pag. 211) seien die Träger des Kreuzes, welches nach deren Ableben auf den Amtsnachfolger übergehen sollte, berechtigt, aber nicht verpflichtet, dieses nur auf dem Talar zu tragen. Allerdings sei dafür Sorge zutragen, "daß das Kreuz stets getragen wird, wenn

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4. In der Kirchenleitung

ungeheuer reich an der Möglichkeit, überall persönliche Anregungen zu geben, daß "das Wort wirksam und einschlagend verkündet, die Geistlichkeit dazu ermutigt, der theologische Nachwuchs dazu ausgerüstet werde; daß in unseren Schulen eine christlich unterwiesene Jugend heranwachse und auf unseren Lehrerseminaren die künftigen Bildner des Volks von den Lebenskräften des Evangeliums berührt werden; daß der Religionsunterricht der Gymnasien die Person des Heilands den Schülern vor Augen stelle: Hier ist mehr als Plato, mehr als Sokrates! - daß auf jede Weise der falschen Meinung gewehrt werde, als könne jemals 'der Unglaube mit der Wissenschaft, das Christentum mit der Barbarei' Hand in Hand gehen; daß alles geschehe, um unsere Laienwelt in die unentbehrliche Mitarbeit am Leben und Aufbau der Kirche hineinzuziehen, daß unsere Kirche in ihren Einrichtungen, in der Entfaltung der in ihr

die General-Superintendenten bei Hofe erscheinen oder in Allerhöchster bzw. der Gegenwart eines Mitgliedes des Königlichen Hauses Amtshandlungen verrichten." Demzufolge hat Dryander als Schloßpfarrer das nach dem sächsischen Generalsuperintendenten Dräseke (1774-1849) benannte Amtskreuz oft anlegen müssen. Doch bevor Dryander überhaupt ein Amtskreuz anlegen konnte, gab es eine Komplikation zu klären: Kögel war nicht abgelebt und äußerte den Wunsch auf Belassen des gestifteten Kreuzes auch nach seinem Ausscheiden aus der Generalsuperintendentur (Kögel v. 9.6.1892 an den EOK, ebd., pag. 275). Woher sollte Dryander daher sein ihm zustehendes Amtskreuz erhalten? Nach eingeholtem Einverständnis des Ministers der geistlichen Angelegenheiten Bosse wandte sich der EOK mit der Bitte an Wilhelm II., Kögel diesen Wunsch zu genehmigen und dem zu dessen Amtsnachfolger in Aussicht genommenen Konsistorialrat D. Dryander ein neues Kreuz zu verleihen (Bosse an EOK v. 17.6. sowie EOK an Wilhelm II. v. 20.6.1892, ebd., pag. 276 bzw. 277). Denn aufgrund einer "ergebenen Nebenbemerkung" Bosses wußte der EOK um den Umstand, daß von den 30 angefertigten Kreuzen nur 27 zur Verteilung gelangt waren. Wilhelm II. erklärte sich mit dieser Lösung ausnahmsweise einverstanden unter der Bedingung, daß das zusätzlich verteilte Exemplar "seinerzeit an mich zurückzureichen ist" (Allerhöchster Erlaß v. 21.6.1892, ebd., pag. 281; s. Bosse an EOK v. 8.7. und EOK an Kögel bzw. EvD v. 19.7.1892, pag. 280, 282). Laut Empfangsbestätigung befand sich das neue Kreuz am 11.11.1892, also noch rechtzeitig zur feierlichen Begrüßung, in den Händen Dryanders (pag. 285). -Bei dem vorzeitigen Ausscheiden Dryanders aus der Generalsuperintendentur zum 31.12.1902 stellte sich das Problem wieder. Der EOK teilte dem Kultusminister v. 28.2.1902 mit, daß Dryander wie Kögel den Wunsch habe, das Kreuz weiter tragen zu dürfen, "wobei er die Ansicht vertritt, daß dieses nach dem Wortlaut des Allerhöchsten Erlasses über die Stiftung des Amtskreuzes der Generalsuperintendenten vom 12. August 1890 an sich zulässig sein möchte" (EZA 7/775, pag. 228; EvD an EOK v. 19.2.1903, ebd., pag. 231). - Das Dräseke-Kreuz schien also doch einen gewissen Glanz verliehen zu haben, so daß auch Dryander sich nicht von ihm zu trennen vermochte. Es scheint, als habe dieses silberne Kreuz von ferne an seinen goldenen Vorläufer erinnert, welcher laut Allerhöchstem Erlaß v. 14.10.1816 den mit der Bischofswürde versehenen Generalsuperintendenten zugleich mit dem Prädikat "Hochwürden" verliehen wurde (Schoen, Ev. Kirchenrecht I, 278, Anm. 3). Nach der Erlaubnis des Kultusministers, Wilhelm II. in dieser Sache anzugehen, gewährte dieser Dryanders Wunsch als ein "Zeichen der Anerkennung" (pag. 229-236, der Allerhöchste Erlaß v. 16.3.1903, pag. 234f).

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schlummernden Kräfte, im Arbeitsprogramm ihrer Diener, in der Vertiefung in den vollen Gehalt des Evangeliums und zugleich in weitherzigem Verständnis fur die Bedürfnisse der Zeit sich dem mächtig flutenden Strom des Weltlebens gewachsen „114 zeige .

Dryander knüpfte in seinem Amtsprogramm - wohl ganz bewußt - an die alte "Instruction" für die General-Superintendenten vom 14. Mai 1829 an, welche besonderen Wert auf die persönliche Aufsicht, Einwirkung und Kenntnis über und auf die provinzialen Verhältnisse forderte.115 Auch Dryander wollte in allen Amtsfeldern "bald anregend, bald nachhelfend, bald vermittelnd"116 für die Befriedigung der Bedürfnisse und vor allem Befriedung der Verhältnisse sorgen. Diese Absicht trat besonders dort hervor, wo Dryander sich zunächst vor die durch die Agenden- und soziale Frage beunruhigten jungen Geistlichen stellte, indem er vor dem Einsatz etwaiger disziplinarischer oder gesetzgeberischer Maßnahmen rechtzeitige persönliche Einwirkung, besonders seitens der älteren Geistlichen, empfahl, allerdings um den jüngeren Brüdern die Verantwortung für die Gesamtkirche und Rücksichtnahme auf die Gemeinden eindringlich zu machen.117 Aber er sah es auch als seine Aufgabe an, sich an der Reform kirchlicher Rahmenbedingungen für eine fruchtbare geistliche Wirksamkeit zu beteiligen. So konnte er als Ephorus des Domkandidatenstifts fordern und ernten, was er als Generalsuperintendent und Synodaler in Sachen einer Verbesserung der Vor- und Ausbildung der Geistlichen z.B. durch die Einführung eines obligatorischen Lehrvikariats oder Besuches eines Predigerseminars begleitet und zustimmend mit auf den Weg gebracht hatte.118

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EvD, Erinnerungen 184. EZA 7/774, pag. IV. Ebd., pag. 1R. EZA 7/1085, pag. 268R (auf einer Konferenz des EOK mit den Konsistorialpräsidenten und Generalsuperintendenten v. 27.6.1900), 7/1086, bes. pag. 19V-20R (Referat Dryanders auf der Konferenz v. 31.3.1908); so gründete er eine parteifreie Konferenz von Geistlichen und Laien für die Kurmark, um "alle Richtungen der Kirche zu fruchtbarer Aussprache zu sammeln und hierdurch namentlich das jüngere moderner gerichtete Pastorengeschlecht an der Isolierung zu hindern und den Weg herzlicher Verständigung mit dem älteren, pastoralen Stamme anzubahnen". Doch aufs "große Ganze gesehen" war diesem Versuch kein Erfolg beschieden (s. EvD, Erinnerungen 189). Das auf der Generalsynode 1897 verabschiedete und im August 1898 in Kraft getretene Kirchengesetz betreffend die Anstellungsfähigkeit und Vorbildung der Geistlichen (Verhandlungen der 4. ordentl. Generalsynode 1897, 503-589 u. 610-630; Gennrich/v.d.Goltz, H.v.d.Goltz 172f) brachte zusammen mit der Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse gerade der jungen Pfarrer denn auch eine gewisse Beruhigung der aus

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4. In der Kirchenleitung

Auf der Generalsynode von 1909 konnte Dryander seine Position aus dem Rückblick auf die eigene Erfahrung nur unterstreichen. Er könne sich eigentlich nur an den Kopf greifen über die Fülle von Aufgaben, die den Generalsuperintendenten überwiesen werden, und er werde weiterhin alles veranlassen, ihnen vor allem Entlastung von den bürokratischen Geschäften zukommen zu lassen. Denn: - "ultra posse nemo obligatur" "was die verschiedenen Beziehungen und Gebiete zusammenhält, ist eben die Persönlichkeit; in ihr müssen all diese Tätigkeiten ihren Mittelpunkt finden, [...] in ihrer anregenden Kraft, in ihrem Hinaustreten in die verschiedensten Kreise der 1 IQ Provinz".

Aus einer durch wiederholte Besuche gefestigten Vertrauensposition innerhalb verschiedenster Kreise und Instanzen heraus solle der Generalsuperintendent wirken. Der persönliche Eindruck bewirke oft mehr als eine Verfügung, da Persönliches ohnehin nur durch Persönliches geheilt werde und formale Beschwerden eher Wege verschlössen. Größer als alle formalen Rechte sei seine persönliche Kraft: "Auf dieser 190 persönlichen Einwirkung des Vertrauens beruht die Kraft der ganzen Institution."

In Kürze hat Dryander hier seine Amtführung beschrieben, die ihn wirklich zu solch einer Vertrauensperson hat werden lassen. Nicht nur seine Amtsauffassung, die sich in seiner Skepsis gegenüber generalsuperintendentlichen Hirtenbriefen oder obrigkeitlichen Erlassen anstelle des Weges persönlicher Seelsorge spiegelte121, hat dieses Amt in der Durchführung der vielen Aufgaben zwangsläufig zu einem Reiseamt werden lassen. Schon die äußere Ausdehnung der Kurmark zwischen Havel und Oder (Mittelmark, Uckermark, Priegnitz und altsächsische Landesteile umfassend) mit 43 Diözesen und fast 1200 Geistlichen mußte ein großes Reisepensum verlangen. Ein wirkungsvolles Instrument, Visitation und persönliche Einwirkung zu verbinden sowie

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einer praktischen wie wirtschaftlichen Unsicherheit resultierenden Unzufriedenheit unter den Geistlichen (Dehn, Die alte Zeit 98ff). Verhandlungen der sechsten ordentlichen Generalsynode der evangelischen Landeskirche Preußens. 23.10.-12.11.1909, 2 Bde., Berlin 1910, Bd. 1, 834-838, 836. Ebd. 838. EvD, Erinnerungen 185. Auf der Generalsynode von 1894 geriet er in der Frage eines Hirtenbriefes angesichts des Notstandes jüdisch-christlicher Mischehen mit Stoecker aneinander, der den daraus erwachsenden Schaden des Volkslebens mit allgemeinen Mitteln bekämpfen wollte. Dryander bezeichnete diesen Notstand zwar auch als kränkend, konnte aber nicht sehen, wie man so an die in Frage stehenden Kreise herankommen wolle (Verhandlungen der außerordentl. Generalsynode 1894, 83-89).

4.1. Aufstieg in der Kirche

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Geistliche und Laien gleichzeitig anzusprechen, war die von Hoffmann und besonders Kögel wieder eingeführte Einrichtung der sogenannten Generalkirchenvisitation, bei welcher der Generalsuperintendent wie weiland Luther und Melanchthon mit einem aus Laien und Geistlichen zusammengesetzten Helferstab über drei bis vier Wochen einen Kirchenkreis von Gemeinde zu Gemeinde visitierte. Doch nicht nur Dryander zufolge trat gerade bei diesem Unternehmen "das richterliche Moment des Visitators [...] gegen das evangelistische zurück", wodurch es - wohl mehr in den Land- als in den Stadtgemeinden - gelang, "ein starkes und kraftvolles Bewußtsein von dem zu erwecken, was sie an ihrer Kirche hätten".122 Doch es bleibt angesichts der Probleme, vor die Dryander sich auch gestellt sah, die Frage nach der Reichweite und erzielbaren Wirkung rein persönlich-seelsorgerlicher und je punktueller Visitation, so 'evangelisch' und wichtig diese als Grundprinzip auch war. Auch Dryander sah die "Schranken der Persönlichkeit", meinte jedoch, zumindestens aus eigener Erfahrung, sagen zu können: "solange einer imstande ist, in alle Kreise, die sich öffnen, namentlich allen den Helfern, die sich finden, ein Stück seines eigenen Selbst aufzuprägen, so lange wird 123 auch das Erarbeitete und Organisierte gesund und lebenskräftig sein."

Es ist schwer zu beurteilen, welchen Zugang er, mehr Generalsuperintendent als noch Gemeindepfarrer, zu den Randkirchlichen und Kirchenfremden gefunden hat. In der Vermittlerrolle jedoch zwischen dem Kirchenregiment und den einzelnen Gemeinden und ihren Geistlichen, die ihm geradezu auf den Leib geschneidert war, scheint Dryander gerade in den neunziger Jahren mit ihren Kämpfen um soziale Fragen und kirchlich-theologische Bekenntnisse eine wichtige Position eingenommen zu haben. Freilich hat diese ihn 122

EvD, Erinnerungen 190 (189-191). Schnellers Portrait Dryanders besteht in der Hauptsache aus einer lebhaften Erzählung einer Generalkirchenvisitation unter der Leitung Dryanders (a.a.O. bes. 118-134). Die sich zum Teil immer mehr zum Vorortgebiet von Berlin entwickelnde Kurmark war auch in kirchlichen Kämpfen und Bewegungen eher ein Nebenschauplatz; von der anderorten wirksamen Erweckungsbewegung um 1830 ist die Kurmark, bis auf die Wirkungsstätte Büchseis, weitgehend freigeblieben (Dibelius, Kurmark 9). So betonte Dryander auf der u.a. die Frage der Evangelisation betreffenden gemeinsamen Konferenz des EOK mit den Konsistorialpräsidenten und Generalsuperintendenten v. 5.3.97, daß eine Evangelisation im engeren Sinne für seine Provinz, namentlich für die größeren Städte mit Arbeiterbevölkerung, sehr zu wünschen wäre, fehle es bisher nämlich an solchem Geist. Allerdings sei das anderorten z.T. starke Gemeinschaftsleben hier ebenfalls wenig zu spüren oder gar bedrohlich in Erscheinung getreten (EZA 7/1085, pag. 203R-204V). Verhandlungen des 33. Kongresses für Innere Mission 1905, 176.

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4. In der Kirchenleitung

sehr beansprucht und später in zusätzlicher Belastung durch das 1898 hinzugekommene Oberhofpredigeramt wohl auch aufgerieben, zumal er seit dem frühen Tod seiner an Tuberkulose erkrankten Frau im Februar 1900 einer unentbehrlichen Stütze beraubt war.124 Was er 1898 noch verweigerte, mußte Dryander Ende 1902 auf Drängen der Ärzte, die starke Nierenblutungen festgestellt hatten125, vollziehen. Dem EOK und Wilhelm II. teilte er Ende Oktober mit, daß er Visitationen nicht mehr gewachsen sei und daher die Generalsuperintendentur niederlegen müsse126, woraufhin er zum 15. Dezember von diesem Amt entbunden wurde127. Als Zeichen der Anerkennung wurde ihm "Allerhöchstselbst" erlaubt, das würdevolle Dräseke-Amtskreuz der Generalsuperintendenten auf Lebenszeit zu tragen. Aber auch als Vorsitzender des gerade gegründeten Vereins für Brandenburgische Kirchengeschichte, der das Verständnis für die kirchliche Ortsgeschichte wecken und zum Sammelpunkt heimatkirchlicher Geschichtsforschung werden sollte, blieb Dryander seinem alten Amtsfeld verbunden.128

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Die Sterbeurkunde v. 14.2.1900 fllr Emilia Paula Hedwig Magdalene Dryander geb. Roedenbeck fand sich in der Personalakte Dryanders, EZA 14/D4-1, pag. 188. EvD, Erinnerungen 240f; auch die älteste (1908) und jüngste (1915) Tochter Dryanders erlagen dieser zu der Zeit wohl gefilrchtetsten Krankheit (ebd. 269f, 280f). Laut der Gutachten der Professoren Körte und Meyer v. 11.11.1902, EZA 7/11063, nicht pag. (Az.: E.O. 11623). EvD an EOK v. 28.10.1902, an Wilhelm II. v. 29.10., ebd., nicht pag. (Az.: E.O. 11195 bzw. 11334). Der Allerhöchste Abschied v. 15.12.1902 zum 31.12., ebd. (Az.: E.O. 11948). Vgl. EvD, Erinnerungen 242. Dryander stand an der Spitze eines Aufrufs zur Begründung dieses Vereins, dem mit dem Konsistorialpräsidenten Schmidt, dem Vorsitzenden des Generalsynodalrats Graf von Zieten-Schwerin sowie Bethmann-Hollweg, Faber, Harnack, Lahusen, Seeberg, von Soden weitere prominente Vertreter folgten. Am 2.2.1903 konnte Dryander dem EOK die Konstituierung des Vereins (am 25.9.1902) und die von der Brandenburgischen Provinzialsynode in Aussicht gestellte tatkräftige Unterstützung mitteilen. Die Gründungsversammlung habe das Bestreben zur Erforschung, Sammlung, Verarbeitung und Veröffentlichung aller auf die Kirchengeschichte der Mark Brandenburg bezüglichen Quellen und Nachrichten zum Ausdruck gebracht und zu diesem Zwecke schon ein Provinzialkirchenarchiv in Planung genommen. Zum ersten Vorsitzenden des neuen Vereins sei er, Dryander, gewählt worden. S. EZA 7/13392, nicht pag.( Az.: E.O. 6553). Dem Tätigkeitsbericht vom 16.10.1908 ist zu entnehmen, daß der "Begründer und bisherige Vorsitzende des Vereins, Herr Oberhofprediger D. Dryander, Exzellenz, [...] wenn er auch zu unserer Freude wenigstens als stellvertretender Vorsitzender uns erhalten geblieben ist, wegen Geschäftsüberbürdung den Vorsitz niedergelegt" habe (Anlage 34 zu den Verhandlungen der zwölften ordentlichen Brandenburgischen Provin-

4.1. Aufstieg in der Kirche

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4.1.4. Zwischen Kirche und sozialer Frage Die Einschränkung der sozialen Aktivitäten der Pastoren, insbesondere der angeordnete Rückzug aus dem öffentlich-politischen Leben, durch den größtenteils der Formulierung von der Goltzens entsprungenen EOK-Erlaß vom 16.12.1895129 wurde auch von Dryander mitgetragen, der als Generalsuperintendent in dessen Vorgeschichte einbezogen worden war. Denn seines Erachtens brachte gerade die politische bzw. kirchenpolitische Agitation des von ihm bekämpften Stoeckerschen christlich-sozialen Flügels mit seinem Einfluß auf die jüngeren Geistlichen "dem kirchlichen Leben statt neuen Aufbaus vielmehr Abbruch und Schaden"130. Wenn Dryander den Erlaß demnach aus genuin kirchlichem Interesse für erforderlich und gerechtfertigt hielt, so findet sich darin ein auf den jeweiligen Konferenzen der Jahre 1892-1895 an Dringlichkeit gewinnender kirchlicher Argumentationsstrang: Versammelten sich die Generalsuperintendenten im Herbst 1892 noch, "um zuverlässige Auskunft über die Stimmung und Haltung der Geistlichen [...] und den Umfang der stattfindenden Treibereien" mit einer für die Kirche als verhängnisvoll erachteten "Verquickung mit dem politischen Parteitreiben" einzuziehen131, so wurde auf einer gemeinsamen Konferenz des EOK mit den Konsistorialpräsidenten und Generalsuperintendenten vom 8. Juni 1894 deutlich auf die "Gefahren [hingewiesen], welche den kirchlichen Interessen durch die überhandnehmende Neigung der jüngeren Geistlichkeit und der Kandidaten, sich in die öffentlichen Angelegenheiten auf politischem, insonderheit sozialpolitischem Gebiete einzumischen, drohen"132. Nicht abreißende öffentliche Debatten und Agitationen jüngerer Geistlicher ließen beim EOK in einem weiteren Einladungsschreiben an die Konsistorialpräsidenten und Generalsuperintendenten vom 19.11.1895 keinen Zweifel darüber aufkommen, "daß ein Fortschreiten auf dem bisherigen Wege nicht allein die pfarramtliche Wirksamkeit der einzelnen Geistlichen und den

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1

zialsynode 1908, 477). Der erste Jahrgang des im Auftrage des Vereins herausgegebenen Jahrbuchs für Brandenburgische Kirchengeschichte erschien 1904 in Berlin. Gennrich/v.d.Goltz, H.v.d.Goltz 156; Pollmann, Landesherrliches Kirchenregiment 207f. S.a. Geschichte der ev. Kirche der Union II, 312 (W.H.Neuser). EvD, Erinnerungen 153. Denkschrift v. 25.2.1893, Huber/Huber, Staat und Kirche III, 559f. S. Tagesordnungspunkt 3 des Einladungsschreibens v. 23.5.1894 zur genannten Konferenz, EZA 7/1085, pag. 129 (die Konferenz selbst pag. 137ff).

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4. In der Kirchenleitung

Frieden ihrer Gemeinden auf das Empfindlichste schädigen muß, sondern auch ernstliche Gefahren für die gesamte evangelische Kirche in sich birgt."133 Habe es 1890 noch die Hoffnung gegeben, Vorurteile abbauen und einer friedlichen Fortentwicklung an der Lösung der sozialen Frage Raum schaffen zu können, so habe die Erfahrung gelehrt, daß einerseits Erfolg nur vereinzelt geschenkt wurde und andererseits die Geistlichen den über sie hereingebrochenen Agitationen und Tumulten gegenüber machtlos seien. Dem müsse nun Einhalt geboten werden, damit die eigentlichen Aufgaben an Wort und Sakrament, in Seelsorge, christlicher Liebe und Zucht nicht länger vernachlässigt würden. Denn hier erst würden die dem Gemeinwesen zu Grunde liegenden christlichen Tugenden erzeugt: "Gottesfurcht, Königstreue, Nächstenliebe!".134 Darauf allein müsse alle Arbeit der Kirche gerichtet sein, denn Gott habe sie nicht zur Schiedsrichterin in weltlichen Sachen gesetzt. Ein eingehender Vergleich kann zeigen, wie schon dieses Einladungsschreiben zu der den endgültigen Erlaß vorbereitenden und einstimmig befürwortenden Konferenz vom 4./5. Dezember die wesentlichen Formulierungen des Erlasses zum Teil wortwörtlich vorwegnahm.135 Dryander konnte diesen Erlaß nur begrüßen, hatte er doch schon am 12. November 1890 anläßlich der Eröffnungspredigt des Preußischen Landtages in der Schloßkapelle - sicher auch mit einem Seitenblick auf den als Hofprediger gerade entlassenen und so zu neuen politischen Unternehmungen befreiten Stoecker136 - gleichsam prophetisch warnend den Zeigefinger erhoben: "Man hat Theorien aufgestellt über den Anteil der Kirche an der Lösung der sozialen Nöte der Zeit: die Kirche trägt ihren Teil hinzu, welche die Kräfte der Liebe in die 137

Herzen hineinträgt."

Wie der Hauptverfasser des Erlasses von 1895, Hermann von der Goltz, hat auch Dryander in der unabtrennbaren Verbindung von Seelsorge und Fürsorge die der Kirche zugeordnete, eigene Aufgabe gesehen: 133 134 135

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EZA 7/1085, pag. 155V. Ebd., pag. 155R. Das Sitzungsprotokoll der Konferenz ebd., pag. 181-186. Den Runderlaß v. 16.12.1895, pag. 174-176, s. in den Verhandlungen der vierten ordentlichen Generalsynode der evangelischen Landeskirche Preußens, 23.11.-16.12.1897, Berlin 1898,1272-1274; auch abgedruckt bei Huber/Huber, Staat und Kirche III, 727-729. S. den unten 179-188 dargestellten Zusammenhang. EvD, Evangelium und Volksleben. Zur Eröffnung des Preußischen Landtages, 12. November 1890. Berlin, Schloßkapelle, in: ders., Gott und Mensch, 130-133, 132.

4.1. Aufstieg in der Kirche

109

"Wer Kräfte verbindender Liebe in die zerissene Welt von heute trägt, der erhält, 1 -30 bewahrt, heilt, rettet."

Diese Anschauung des Kirchenmannes Dryander ließ sich mit dem oben schon skizzierten pastoral-pädagogischen Anliegen des Seelsorgers und Predigers Dryander leicht verknüpfen: christliche Persönlichkeiten sollten die Welt und ihre Institutionen mit christlich-sittlichem Geist und praktischer Liebestätigkeit durchdringen und sich so als "die Säulen der Gesellschaft, die Pfeiler des Vaterlandes erweisen"139. Nicht von ungefähr berührt sich Dryander hier mit dem konzeptionellen Rahmen der Inneren Mission.140 Denn die in einer 1884 veröffentlichten Denkschrift ausgesprochenen Gedanken über die "Aufgabe der Kirche und ihrer Inneren Mission gegenüber den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kämpfen der Gegenwart" hatte auch Dryander als Mitglied des verantwortlichen Zentralausschusses für die Innere Mission in der deutschen evangelischen Kirche mitgetragen.141 Die Notstände sollten an den ewigen Normen der göttlichen Weltordnung und des christlichen Sittengesetzes gemessen und deren Wunden durch die der Kirche zufallenden Aufgabe in Predigt und Seelsorge bzw. mittels der Inneren Mission geheilt werden. Der trotz der wenig beschönigenden Analyse der Notstände noch durchscheinende Optimismus schien sich auch in der Predigt Dryanders auf diesem Kongress auszudrücken. Er hatte dazu aufgefordert, das große Erntefeld der Inneren Mission mit den Augen des Herrn ansehen zu lernen, um mit dessen Glaubenszuversicht in dieses Feld hineinzutreten und dessen Liebesklage in das eigene Herz gehen zu lassen.142 Als Mitglied der auf der Generalsynode von 1891 gebildeten VII. Kommission für Innere Mission und soziale Frage143 hatte Dryander sich als 'Verhandlungsführer' seiner synodalen Gruppe mit den je für ihre 'Fraktionen' stehenden Nathusius, Cremer und Stoecker auf einen Kompromißantrag

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Ebd.; vgl. Gennrich/v.d.Goltz, H.v.d.Goltz 149. EvD, Evangelium und Volksleben (1890) 133. Vgl. EvD, Festpredigt/Wiedereröffnung (1886) 12; Ev. Marci I, 23, 35; Ev. Marci II, 22 und bes. Vaterunser 44f. S.o. Kap. 3.2 bzw. 3.3. S. dazu jetzt Geschichte der Ev. Kirche der Union II, 258ff (J.Mehlhausen). Verhandlungen des 23. Congresses filr Innere Mission in Karlsruhe, 23.-25.9.1884, Frankfurt a.M. 1884, 14ff; s.a. Pollmann, Landesherrliches Kirchenregiment 71f . Leider ist von der am 23.9. über Mt. 9, 35-38 in der Schloßkirche gehaltenen Predigt nur noch die Disposition greifbar, Verhandlungen des 23. Congresses der Inneren Mission 1884, 193. Verhandlungen der 3. ordentl. Generalsynode 1891, 186f.

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4. In der Kirchenleitung

geeinigt, der zwar die EOK-Ansprache von 1890144 begrüßte, aber deutlich einengte145. So wurde die soziale Zerrüttung pauschal als Gesamtschuld der besitzenden und arbeitenden Kreise bezeichnet, ohne - wie in der EOKAnsprache geschehen - im einzelnen Kritik an Ständen und Mißständen zu üben; so wurden die Geistlichen zwar ersucht, die sozialdemokratische Bewegung zu beobachten, in Predigt und Konfirmandenunterricht die biblische Lehre über Besitz und Arbeit zu behandeln und vor allem treue Seelsorge und unermüdliche Liebe ohne Ansehen von Person oder Stand zu üben, ohne daß aber die spezielle Seelsorge und das konkrete Eintreten für die Bedürfnisse der Arbeiter betont wurde. Der Tenor war bremsend, wenn an das evangelische Volk die dringende Bitte gerichtet wurde, "um der Liebe willen zu Kirche und Vaterland dem Umsturz von Altar und Thron in Glaubensmacht entgegenzutreten und dazu die Lebenskräfte des Evangeliums, wie die Güter der Reformation zu Schutz und Trutz hochzuhalten"146. Sah zwar auch ein Mann wie Stoecker sich "durch die innere Mission ins öffentliche Leben getrieben", erkannte er aber im Gegensatz zu den meisten Mitarbeitern immer mehr vergebliche Mühen darin, auf die von der Kirche Entfremdeten bloß religiös und karitativ einzuwirken.147 Der hieran anknüpfenden provokanten Äußerung Stoeckers auf der Generalsynode von 1897, der Erlaß von 1890 stelle das Ideal einer im höchsten Maße sozialen wie volkstümlichen Kirche vor Augen, wohingegen der von 1895 eine rein individualistisch religiös-sittlich wirkende Kirche sowie eine von allen nicht kirchlichen Aufgaben des öffentlichen Lebens sich abwendende Geistlichkeit zeitige148, konnte Dryander nicht folgen, noch überhaupt ihren behaupteten Gegensatz wahrnehmen. Denn in Entsprechung zum Kommissionsantrag auf der Generalsynode von 1891 weder das eine noch das andere wünschend,

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Abgedruckt ebd. 1228-1232; Huber/Huber, Staat und Kirche III, 694-698. Pollmann, Landesherrliches Kirchenregiment 99. Der Kommissionsantrag wurde am letzten Verhandlungstag der Synode eingebracht und von Stoecker, der zuvor bei den Wahlen zum Generalsynodalvorstand durchgefallen war, als Berichterstatter im Rahmen der Vorlage zurückhaltend kommentiert (Verhandlungen der 3. ordentl. Generalsynode 1891, 999-1007, bes. 9980Verhandlungen der 3. ordentl. Generalsynode 1891, 998. Verhandlungen der 4. ordentl. Generalsynode 1897, 650-656, zit. 653. Ebd. 85.

4.1. Aufstieg in der Kirche

111

stand ihm zeitlebens das Ideal einer durch christlich-religiöse Charaktere auf das öffentliche Leben einflußnehmenden Volkskirche vor Augen. 149 "Wer ein lebendiger Christ ist, trägt auch in seine Stellungnahme zu den sozialen Problemen der Zeit sein Christentum hinein und hilft dadurch ihre Gefahr mildem, ihre Schärfe beseitigen." 150

Selbst wenn er gerade 1895 auf dem Kongreß für Innere Mission in Posen einen gewissen Widerstreit der organisierten Kirche gegenüber den Arbeitern der Inneren Mission konstatieren mußte151, hielt er dennoch an dem Ziel fest, daß alle Arbeit der Inneren Mission, die vor allem in der Liebestätigkeit ihren Schwerpunkt habe, die Sache der Gemeinde werde, ja daß sogar im nicht zu befürchtenden - Idealfall die Innere Mission sich der Gemeinde gegenüber so schnell wie möglich überflüssig mache. 152 Von der Gemeinde

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Die natürlich durch Stoeckers Entlassung als Hofprediger verstärkten Spannungen zwischen Stoecker und Dryander fanden bisweilen ihren Niederschlag auf den verschiedenen gemeinsamen Kongreß- und Gremiumssitzungen. So stimmte Dryander auf der Generalsynode 1891 gegen den von seinem direkten Vorredner Stoecker warm begrüßten Antrag, der von Stoecker getragenen Berliner Stadtmission jährlich eine Kollekte zukommen zu lassen, da - wie Dryander heraushob - sonst "eine ganze Reihe von Liebesthätigkeiten ähnliche Anträge mit gleichem Recht auf jährliche Kirchenkollekten stellen könnten" (Verhandlungen der 3. ordentl. Generalsynode 1891, 217). Dieses Votum wurde Dryander auf der nächsten außerordentlichen Generalsynode 1894 als Herabsetzung der Zentralstellung der Stadtmission vorgeworfen, woraufhin Dryander nach vorgelegtem Finanz- und Tätigkeitsbericht Stoeckers doch einer jährlichen Sammlung zustimmte (Verhandlungen der außerordentlichen Generalsynode [...]. 27.1015.11.1894, Berlin 1895, 300-309). Auch wenn Dryander sich in seinen Erinnerungen (152f) versöhnlich zeigte und - nicht nur angesichts des Verlustes des Summepiskopats Stoeckers "anfechtbare[...], von mir bekämpfte[...] kirchenpolitische[...] Ziele", d.h. kirchliche Selbständigkeit und unmittelbare soziale Wirksamkeit der Kirche, "durch die Entwicklung von heute in eine andere Beleuchtung gerückt" sah, distanzierte er sich nie von der widerwilligen Empfindung, Stoecker als einen der Kirche schadenden Agitator erlebt zu haben. G.Dehn berichtet von einer für Dryander ungewöhnlich scharfen Äußerung ihm gegenüber nach der Beerdigung Stoeckers: "'Jetzt ist er begraben, nun wird er ja wohl den Mund halten müssen.'" und urteilt sicher richtig: "Die Art Stoeckers ging gegen die Struktur seines Wesens." (Die alte Zeit 129). EvD, Aufgaben der Kirche (1919) 23. Der Posener Kongreß stand vor allem unter dem Vorzeichen des Versuches, die Arbeit der Inneren Mission so zu definieren, daß sie sich von den christlich-sozialen und evangelisch-sozialen Tendenzen abgrenzen konnte; s. dazu Pollmann, Landesherrliches Kirchenregiment 223f. Verhandlungen des 28. Kongresses der Inneren Mission in Posen, 23.-26.9.1895, 193f; vgl. den Bericht der DEKZ 9 (1895), 400. Schon auf der Generalsynode von 1891 trat Dryander gleich seinem Vorredner Warneck vehement dafür ein, daß "Gottesdienste für äußere und innere Missionen und Gustav-Adolf-Vereine nicht mehr fur außerordentliche Veranstaltungen des christlichen Lebens bei uns gehalten werden, sondern zum gottes-

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4. In der Kirchenleitung

nämlich müsse ausgegangen werden, denn diese sei "Trägerin" und "Stützpunkt der inneren Mission im eminenten Sinne".153 Der Inneren Mission schrieb Dryander vom Standpunkt der Kirche aus die Aufgabe zu, "Gebiete, die die organisierte Kirche nicht erreichen kann oder die sie vernachläßigt hat, in Angriff und unter ihre fursorgende Arbeit zu nehmen".154 Das große Interesse der Kirche am Gedeihen dieser 'Pionierarbeit' konnte er - abgesehen von der dankbaren Übernahme der nach vollbrachtem Werk durch die Innere Mission ihr erschlossenen und zugeführten Tätigkeits- und Einflußfelder - allein schon mit dem Hinweis auf die "Personalunion" zwischen den Mitgliedern des Centraiausschusses und den Mitgliedern des Kirchenregiments zum Ausdruck bringen.155 In seiner letzten größeren Rede auf einem Kongreß der Inneren Mission führte Dryander 1913 in Hamburg das gleichsam symbiotische Verhältnis zwischen dem "offiziellen Kirchentum und den freien Strömungen der Liebe" als "auf einem inneren Zusammenhange und darum auf einer inneren Notwendigkeit" beruhend weiter aus156: "Ohne jenes quellende Leben ist die Kirche der Stagnation, ohne das Rückgrat der Kirche ist jenes frei sich regende Leben der Zersplitterung und der Zerfahrenheit ausgesetzt. Beide bedürfen einander, beide fordern einander. Es gibt kein Problem der Kirche, das die Innere Mission nicht mit zu bearbeiten, zu durchdenken hätte; es gibt keine Aufgabe der Inneren Mission, die nicht zugleich im Herzen der Kirche anklingen müßte. Die Kirche ist das Sammelbecken, das alle Arbeiten der Inneren Mission, der rettenden Liebe und ihren Ertrag in sich aufnehmen muß. Die Innere Mission ist die Kraftquelle, die auch der Kirche immer neue Anregungen zuführt und 157

sie hütet vor der Versteinerung."

Allerdings sah Dryander die Gemeinde als den wesentlichen ekklesiologischen Baustein an, welche gegenüber allem hilflosen Suchen nach "Mittelchen [...] und neuen Wegen zum Bau des Gemeindelebens" gemäß der Confessio Augustana durch "nichts [...] außer den beiden alten Mitteln: Wort und

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dienstlichen Bestand jeder Gemeinde gerechnet werden: [...] Ein Gemeindekirchenrath, der diese Gottesdienste ablehnen würde, verdient nicht mehr Gemeindekirchenrath zu sein" (Verhandlungen der 3. ordentl. Generalsynode 1891, 637). Verhandlungen des 28. Kongresses für Innere Mission, 194. Verhandlungen des 36. Kongresses für Innere Mission in Stettin. 25.-28.9.1911, Hamburg 1911, 8. Ebd. 9. Verhandlungen des 37. Kongresses für Innere Mission in Hamburg. 22.-25.9.1913, Hamburg 1913, 29-33, 30. Wiederum verwies er auf die Personalunion und bat, die "unheimliche Anzahl von Konsistorialräten" unter den Förderern des weiteren und engeren Ausschusses nachzuzählen. Ebd. 31.

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4.1. Aufstieg in der Kirche

Sakrament" gebaut werde158. Und so leitete er auch von diesem Prinzip einerseits eine beschränkende Mahnung an die Bewegung des sogenannten 'Pastorensozialismus' ab, sich in den Wort, Sakrament und Gemeinde gegenüber verantwortlichen Grenzen zu halten, andererseits aber auch einen ermunternden Aufruf an die Gemeinden, das geistliche Leben in Liebestaten sich äußern zu lassen: "achten wir darauf, diese Liebesarbeit nicht als Aufgabe des Pastors zu betrachten. Sie

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muß von möglichst vielen Gemeindegliedern gethan werden."

Noch nach dem Zusammenbruch blieb er - auch aus Mißtrauen den regierenden Sozialdemokraten gegenüber - seinen Ansichten treu: "Abgesehen von der selbstverständlichen Verpflichtung des Geistlichen, sich mit den sozialen Bewegungen und den ihnen zugrunde liegenden Gedanken mit allem Ernst vertraut zu machen, und sie an den Grundsätzen des Evangeliums zu messen; abgesehen ferner von der Pflicht, in sozialistisch stark beeinflußten Arbeitergemeinden zu den in Rede stehenden Fragen auch außerhalb seiner amtlichen Sphäre Stellung zu nehmen und diese in dem dem [sie!] Evangelium entsprechenden Sinne gegebenenfalls zu betätigen, muß ich die Forderung unmittelbarer Beteiligung der Kirche als solcher an dem unabtrennlich mit der Parteipolitik verknüpften Problem der sozialen Frage ablehnen." 160

Besonders die Furcht vor einem Absinken der Kirche auf das demagogisch-agitatorische Kampfgeschehen gegenüber dem erklärten Ziel, die Kirche versöhnend zwischen die einander bekämpfenden Parteien treten zu lassen, bestimmte die Ansichten Dryanders. Dies wird man Dryander nicht als Flucht vor den sozialen Problemen ankreiden dürfen, hat er doch besonders in der vielfaltigen karitativen Arbeit seine Ernsthaftigkeit bewiesen. So trug er nicht nur zunächst im Centraiausschuß für Innere Mission, später (1904) als persönliches Vorstandsmitglied des 1899 als Zentralstelle aller Berliner Vereine der Inneren Mission gegründeten Berliner Stadtausschusses bzw. Hauptvereins der Inneren Mission161 und als Ehrenmitglied des (brandenburgischen) Provinzialausschusses für Innere Mission162, sondern auch in der Beteiligung an der Vorstandsarbeit auf den verschiedenen Ebenen und Ausschüssen des 1888 unter dem Protektorat Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin gegrün158 159 160 161

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Verhandlungen des 28. Kongresses für Innere Mission 1895, 193. Ebd. 194. EvD, Aufgaben der Kirche (1919) 22. S. den Bericht der Hauptversammlung der Mitglieder des Berliner Stadtausschusses v. 25.4.1904, EZA 7/13408, pag. 25. S. Anlage 34/3 zu den 1912 herausgegebenen Verhandlungen der 13. ordentlichen Brandenburgischen Provinzialsynode 1911, 505.

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4. In der Kirchenleitung

deten und unter Vorsitz ihres Haushofmeisters Mirbach stehenden Evangelischen Hilfsvereins163 sichtbar Verantwortung und war somit in allen vom EOK zur Generalsynode 1891 lobend hervorgehobenen Institutionen wirksam vertreten164. Auch eine bis 1892 nachweisbar direkte Beteiligung und später - parallel zur Haltung des EOK ? - distanzierte, aber innerlich teilnehmende Nähe zum 1890 gegründeten evangelisch-sozialen Kongreß ist zu konstatieren.165 Theodor Kaftan, Generalsuperintendent von Schleswig, berichtete seinem Bruder Julius 1897 von einem Gespräch mit dem in Plön als Prinzenerzieher weilenden Dryander, worin dieser bemerkt habe, er und Kaftan wären nach der Krise und dem Ausscheiden der beiden Flügel um Stoecker und um Naumann "die beiden einzigen Generalsuperintendenten, die noch zum Kongreß hielten."166 Es überrascht ob des zwar eingeschränkten, aber doch breit angelegten Interesses und Mühens um die Lösung der sozialen Frage nicht, wenn Dryander angesichts der Komplexität der sozialen Probleme zugab, daß diese nicht mehr "nur mit dem Neuen Testament in der Hand gelöst werden" könne.167 Doch wie seiner Kirche, die einerseits aus der Loyalität Staat und Gesellschaft gegenüber und andererseits aus der Abwehr der mit den christlichsozialen Bewegung verbundenen Unabhängigkeitsbestrebungen gelähmt war168, gelang es ihm trotz der grundsätzlichen Bereitschaft zur Mitarbeit an den sozialen Nöten nicht, die modernen gesellschaftlichen Strukturen wirklich zu erfassen. Die Deutung der sozialen Frage - besonders von dem Konzept der Inneren Mission her - als "Verlust an Religion und Verlust an

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Wechselnd gehörte Dryander besonders seit der Jahrhundertwende mal dem Vorstand des Berliner Zweigvereins (zeitweise als Vorsitzender, s. die jeweiligen Jahresberichte, etwa 14ff [1904ff]), mal dem Haupt- und engeren Ausschuß des Gesamtvereins an (EZA 7/13419). Mittheilung des EOK, betreffend die Aufgaben der evangelischen Kirche auf sozialem Gebiete v. 9.11.1891, Verhandlungen der 3. ordentl. Generalsynode 1891, 1226-1228, 1227. Die in den Teilnehmerlisten nicht immer vollständigen Berichte über die Verhandlungen der Evangelisch-sozialen Kongresse weisen die Teilnahme Dryanders am ersten und dritten Kongreß (v. 27.-29.5.1890 bzw. 20./21.4.1892) jeweils in Berlin auf; Berichte 1 (1890), 161; 3 (1892) 121. Tenninüberlagerungen und der seit 1894 ständig wechselnde Tagungsort haben auch anderen Interessierten oft Schwierigkeiten bereitet. Göbell, Briefwechsel Kaftan I, 163. Stoecker gründete 1896 die "Freie Kirchlich-soziale Konferenz" und Naumann den "National-sozialen Verein". EvD, Aufgaben der Kirche 23. Pollmann, Landesherrliches Kirchenregiment 295-299. Vgl. Kouri, Protestantismus und soziale Frage 82f.

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

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patriarchalisch bindender moralischer Ordnung" 169 - und der damit einhergehende lediglich 'missionarische' Ansatz hat trotz der darauf basierenden weitverzweigten Liebesarbeit die schon früh der Kirche endgültig entfremdeten Arbeiter nicht zurückgewinnen können.

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan 4.2.1. An der Spitze des EOK Nach dem Ausscheiden aus der Generalsuperintendentur war Dryander unversehens von jeglicher kirchenregimentlicher Tätigkeit entbunden. Nicht nur er selbst schien dies als einen Übelstand empfunden zu haben, da seiner Meinung nach das Oberhofpredigeramt, wenn nicht kirchenrechtlich, so doch traditionell und seiner Stellung zu Wilhelm II. gemäß, eine Mitarbeit in der Kirchenleitung erforderte. 1 Auch der EOK hatte sich dieses Argument der "alte[n] Gepflogenheit, nach der früher immer einige der Hof- und Domprediger hier Mitglieder des Kollegiums gewesen sind", zu eigen gemacht 2 , was ja seinerzeit von Wilhelm I. zur Durchsetzung der Berufung seiner Hofprediger Kögel und Baur in den EOK gerade gegen den Widerstand des EOK und des Kultusministers ins Feld geführt worden war 3 . Vor allem aber begrüßte das Kollegium selbst eine Mitarbeit Dryanders sehr, und so konnte

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1 2 3

Nipperdey, Religion im Umbruch 106, trifft auch bei Dryander den Punkt. Vgl. neben der schon erwähnten Landtagseröffhungsrede u.a. die Predigt über Mk 6, 35-44 (Christus der Hausvater, in: EvD, Ev. Marci I, 222-230), in der Dryander der - auch durch Materialismus, Sinnlichkeit und sittlicher Schlaffheit hervorgetretenen - gewaltigen Scheidung der Klassen und dem sozialen Elend vor allem in Glauben und Liebe lebendige Christen gegenüberstellt: "wo lebendiges Christenthum ist, da kommen wohl Sorgenzeiten, Nothzeiten, aber das Darben hört auf." (a.a.O. 226); oder die auf dem 28. Kongreß für Innere Mission in Posen am 24.9.1895 gehaltene Predigt über 1. Joh 5, 1-4 (Unser Glaube ist der Sieg), in: EvD, 1. Brief Johannis 233-250. Vgl. dazu DEKZ 9 (1895), 392. EvD, Erinnerungen 243. EOK an den Kultusminister v. 17.3.1903, EZA 7/7, pag. 105V. Wilhelm I. berief sich seinerseits wieder auf die Tradition, nach der unter der Ägide seines Bruders Friedrich Wilhelm IV. immer ein Hofprediger auch Mitglied des EOK gewesen sei (s. Wolf, Kögels Kirchenpolitik 276f).

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4. In der Kirchenleitung

Barkhausen von Studt gegenüber ausdrücklich die gerade jetzt besonders willkommene theologische Kraft Dryanders betonen4. Gerade den beiden Letztgenannten dürfte Dryanders Stellung noch eindrücklich in Erinnerung gewesen sein, hatte dieser sich doch in der erregten Herrenhausdebatte vom 7. Mai 1902 über den Etat des Kultusministers in der Frage der Berufung theologischer Professoren bzw. der Freiheit der Wissenschaft seinen Vorrednern Barkhausen und von Studt nicht nur angeschlossen, sondern sich deutlicher als diese für die allen gemäßigten Richtungen Raum gebende Politik des EOK gehängt und sich dadurch heftigen Angriffen der positiven Presse ausgesetzt5. Diese Debatte nahm an eigentlich 'sachfernem' Ort vorweg und brachte ins Rollen, was sich auf der nächsten Generalsynode zu einer zentralen Streitfrage auswachsen sollte6. In der Herrenhausdebatte hatte der Kleist-Retzow nahestehende 'alte Ritter', Freiherr von Dürant, alte, besonders vom Generalsynodalvorstand immer wieder geäußerte Klagen aufgegriffen und die Zustände an den theologischen Fakultäten angeprangert. Der Staat hätte in den letzten Jahren mit stillschweigendem Einverständnis des EOK immer mehr sogenannte moderne Theologen in die Lehrkörper berufen, die nicht nur junge Studierende in Glaubenszweifel und Unglauben getrieben, sondern in ihrer zersetzenden Kritik vor allem "die Autorität der Kirche untergraben" hätten.7 Während von Studt sich dagegen auf seine formelle Pflicht berief, "jeder bestehenden Richtung, soweit sie wissenschaftlich legitimiert ist, freien Raum zu geben", und betonte, wie es "im Wesen der evangelischen Freiheit [liege], daß der Freiheit der theologischen Forschung keine Grenzlinie gezogen werden darf' 8 , suchte Barkhau-

EOK an den Kultusminister v. 17.3.1903, EZA 7/7, pag. 105R. CCW 12 (1902), Sp. 242-247, 314-318, 339f, 343; S. den Artikel Stoeckers über die Herrenhausdebatte in: Die Reformation 1 (1902) 133-135, 153-155, und ähnlich lautende Presseauschnitte ebd. 159f, 191f, 206, 302, 399; vgl. AELKZ 35 (1902), Sp. 471-473, 492f. So wurde vor allem bedauert, daß sich Dryander und Barkhausen nicht als Vertreter der Kirche, sondern mittelparteilicher Anschauungen erwiesen hätten. S. Verhandlungen der 5. ordentl. Generalsynode 1903, Bd. 1, 96-122 (Vorverhandlung), 577-620. 629-677 (Hauptverhandlung), 677-683 (Beschlußfassung), Bd. 2, 279-284 (Mitteilung des EOK). Zit n. CCW 12 (1902), Sp. 243. Ebd., Sp. 2 4 4 f . Zum Verhältnis Kirche und Hochschule s. P.Schoen, Das evangelische Kirchenrecht in Preußen, Bd. 2: 2. Abteilung, Berlin 1910, 632-637. Das gültige Recht zusammenfassend, urteilt Schoen: "Die Kirche, deren lebhaftes Interesse an dem Lehrbetriebe der evangelischen Fakultäten auf der Hand liegt, hat auf die Lehrtätigkeit der Professoren gar keinen Einfluß und auch keine Entscheidung darüber, ob ein Professor sich im Rahmen der ihm zugestandenen Lehrfreiheit hält [...]. Nur bei der Besetzung der

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

117

sen eine grundsätzlich dogmatische Debatte zu vermeiden bzw. auf die dazu berufenen kirchlichen Organe zu überweisen9. Daraufhin sprach Dryander die Empfindung aus, daß er "als der einzige evangelische Geistliche, der die Ehre hat, Mitglied dieses Hauses zu sein, bei einer so prinzipiellen und wichtigen Frage [...] nicht absolut stumm mich verhalten dürfe"10, und gab nach Ansicht der "Evangelischen Kirchenzeitung" " der Lehre von der 'Gleichberechtigung aller Richtungen' [sogar] die dogmatische Begründung"11. Dürant zunächst entgegenkommend, betonte Dryander das ihm aus seinen anvertrauten Gemeinden "an das Gewissen dringende Interesse, daß in unserer Landeskirche lebendiger Glaube gepredigt werde". Daher habe er auch "ein lebhaftes Gefühl für die Sorgen und die Kümmernisse" Dürants, kenne er doch ebensogut "schmerzliche Fälle, bei welchen im Widerstreit der Meinungen und Zweifel, in welche das theologische Studium in unserer Zeit notwendig hineinführt, einzelne Schiffbruch erlitten haben und trotz aufrichtigen Strebens nicht wieder zu dem überzeugten Glauben gelangt sind, welchen man von einem evangelischen Geistlichen zu fordern berechtigt ist." Allerdings könne diese Frage in ihrer gewaltigen Schwierigkeit weder durch eine Debatte noch durch Verwaltungsmaßregeln gelöst werden. Hier nun ergriff Dryander für die bisherige Linie des EOK Partei in der "Überzeugung, daß thatsächlich mit Umsicht und mit Berücksichtigung der kirchlichen Interessen und Bedürfnisse die Staatsregierung auf den verschiedenen Universitäten auch die vorhandenen Richtungen hat zum Ausdruck gelangen lassen in der berechtigten Annahme, daß diese Richtungen durch sich selbst, durch den Ernst ihres wissenschaftlichen Kampfes und durch die Lauterkeit ihres wissenschaftlichen Strebens sich abschleifen, korrigieren und endlich zu Resultaten gelangen werden, welche den fruchtbaren Ausgangspunkt neuer theologischer Entwickelung bilden."12 Diese optimistische Beurteilung der Wissenschaft, ja die "Zuversicht, daß die evangelische Wahrheit sich selbst durchzusetzen imstande ist", leitete Dryander aus der Reformation ab:

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theologischen Lehrstühle, und auch bei dieser nur, soweit es sich um die altpreußischen Universitäten handelt, wird dem Interesse der Kirche dauernd Rechnung getragen, indem der Oberkirchenrat gutachterlich vernommen wird." (637). CCW 12 (1902), Sp. 245. Ebd., Sp. 246. Hier s.a. das Folgende. Zit. n. CCW 12 (1902), Sp. 316. Ebd., Sp. 248.

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4. In der Kirchenleitung

"Die Reformation einst ist aus einer That der freien Wissenschaft hervorgegangen. Wenn diese Wissenschaft sich nicht ermannt hätte, so wäre die Kirche der Reformation nicht da [...]." 13

Auch wenn diese These umstritten war und Dryander bei der Formulierung deren wichtige Umkehrung vergaß, daß nämlich gerade die 'freie Wissenschaft' der Reformation einen wesentlich neuen Freiraum zu verdanken hat14, verkannte der zum Beispiel von lutherischer Seite ausgedrückte Schmerz über diesen "trivialen Satz" als rein äußerliche - nach der "Evangelischen Kirchenzeitung" sogar dem "alten Rationalismus" entsprechende15 Interpretation der reformatorischen Tat Luthers und als unbegreiflicher Eifer für die Gleichberechtigung des Halbglaubens allerdings16, daß Dryander

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Ebd, Sp. 246. Die weiteren Predigten Dryanders wurden nun besonders aufmerksam verfolgt: Der "Alte Glaube" schrieb am 3.10.1902, daß um der Gerechtigkeit willen zu vermerken sei, wie Dryander "den üblen Eindruck seiner Äußerung über die Reformation während der vielbesprochenen Herrenhausdebatte möglichst wieder gut zu machen" versucht habe: Die Reformation sei nichts anderes als die Wiederentdeckung des vergessenen paulinischen Evangeliums von der Rechtfertigung aus Gnaden. Aus einer Wiederholung der Pauluserfahrung in den Gewissenskämpfen der Reformatoren sei die evangelische Kirche geboren (EZA 7/13749, pag. 115; vgl. die Reformation 1 [1902], 399, die mit Bezug auf dieselbe Predigt von einer "erwünschtefn] Ergänzung zu seiner Herrenhausrede" sprach); es handelt sich hierbei augenscheinlich um die Predigt über Apg. 28, 30-31, die als "Das apostolische Vermächtnis Pauli" in seinen Pauluspredigten, 197-211, veröffentlicht ist, die genannte Stelle s. 207f. An anderer hervorgehobener Stelle, zur Einweihung der Protestationskirche in Speyer am 31.8.1904, konnte Dryander hervorheben, wie die Reformation dem Alten zu neuem Rechte verholfen habe "nicht auf dem Wege wissenschaftlicher Forschung [...], sondern durch ein religiöses Erlebnis von solcher Tiefe und Innerlichkeit, daß ein ganzes Geschlecht, ja eine ganze Kirche an ihm sich zurechtfand" (EvD, Haltet am Evangelium! Bei der Einweihung der Protestationskirche zu Speyer, 31. August 1904, in: ders., Gott und Mensch 182-192, 185). Zit. n. CCW 12 (1902), Sp. 316. AELKZ 35 (1902), Sp. 472. Zum z.T. barschen Stil der Debatte vgl. ebd, Sp. 492f: "Namentlich der Generalsuperintendent Dr. Dryander hat keinen Grund, sich geschmeichelt zu fühlen. War es denn nöthig, sich der Linken auf Gnade und Ungnade zu ergeben [...]. Von einem Berliner Generalsuperintendenten darf man Anno 1902 nicht zu viel verlangen. Er weiß[,] daß und weshalb er sich in Acht zu nehmen hat [Anspielung auf das Bibel-Babel-Interesse Wilhelms II. ?]. Seine Sache ist es nicht, ein: 'Ich kann nicht anders', zu sprechen. Bei alledem hätte Dr. Dryander nicht nöthig, die 'freie Wissenschaft' als Organ der Reformation zu bezeichnen und damit nicht nur dem Gegner ein von ihm mißbrauchtes Zugeständnis zu machen, sondern sich mit den Thatsachen der Geschichte in schreienden Widerspruch zu setzen." Das Organ der 'Positiven Union', die "Kirchliche Wochenschrift", versuchte geschickt, Dryander bei den Dürant zustimmenden Passagen zu behaften und das weitere als "beiläufig" geäußert abzutun (n. Die Reformation 1 [1902], 1590-

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zwar "die Freiheit der theologischen Forschung eine Existenzbedingung unserer Kirche" nannte, sie aber doch - wie auch in seinen Predigten oft ausgedrückt - keinesfalls als einzige oder gar die tragende Bedingung verstand17. Denn Dryander wollte in seinen Ausfuhrungen vor allem der Unterscheidung zwischen den äußeren, vom Staat zu gewährenden Bedingungen und den inneren, von der Kirche selbst zu regelnden Angelegenheiten dienen. Zu den Letzteren zählte Dryander die Nötigung und das unabdingbare Recht der Landeskirche, sich gegen die den vollen Gehalt des Evangeliums verkürzenden Resulate einer negativen Theologie und Verkündigung zu schützen. Hier jedoch habe nicht das Herrenhaus, sondern die evanglische Kirche zu entscheiden, wobei Dryander allerdings der Hoffnung Ausdruck gab, Divergenzen mögen überwunden werden durch den Glauben an "eine höhere Einheit der evangelischen Wahrheit".18 Überraschenderweise verabschiedete die brandenburgische Provinzialsynode - die Mittelpartei um Kahl allerdings mit gewissen Vorbehalten - am 3. November 1902 ein die verschiedenen Richtungen umspannendes Votum zu dieser Frage, welches den EOK angesichts der weitverbreiteten Sorge um die Substanz der christlichen Lehre ersuchte, "bei der Berufung der Dozenten dauernd auf solche Männer bedacht zu sein, welche durch rechten und besonnenen Gebrauch der evangelischen Freiheit der Wissenschaft den Anforderungen der Kirche Rechnung tragen"19. Dryander erblickte einen ihn "hoch erfreuenden Fortschritt in der Verständigung der verschiedenen Anschauungen" darin, daß bis auf einige wenige ein Antrag Billigung gefunden habe, der "mit voller Entschiedenheit die Freiheit der theologischen Forschung als unerläßliche Bedingung für die Erfüllung ihrer Aufgabe gewahrt, andererseits ebenso auf die in der praktischen Bestimmung derselben, Diener der Kirche zu erziehen, liegende Bindung hingewiesen und die daraus sich ergebenden Forderungen an die Vertreter der Wissenschaft treffend und maßvoll hervorgehoben habe".20 Aber schon die Verhandlungen der Generalsynode über die Haltung der Kirche zur Berufung theologischer Professoren zeigten wieder mehr Gräben als gemeinsame Brücken auf. Bei einer namentlichen Abstimmung am 31.

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Zit. n. CCW 12 (1902), Sp. 246. Ebd., Sp. 247. Verhandlungen der 10. Brandenburgischen Provinzialsynode 25.10.-3.11.1902, Diesdorf 1903, 130. Ebd. 138.

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4. In der Kirchenleitung

Oktober 1903 konnte auch Dryander wie seine baldigen EOK-Mitstreiter Kawerau und Kaftan einem von 'positiven' Glaubensformeln und Skepsis an der universitären Theologie durchzogenen Antrag der Generalsynode, der auf eine Beteiligung des Generalsynodalvorstandes an der Begutachtung der zu berufenden Professoren drängte, nur mit Ablehnung begegnen.21 Sicherlich hatte auch der Streit um 'Babel und Bibel' 22 die positiven Kreise gegen die Universitätstheologie mobilisiert: Besonders Stoecker sah die von ihm in eins geworfene "Harnack-Delitzsch'sche [sie!] Richtung auf den Wege, Hoftheologie zu werden", und befürchtete, daß es "mit der alten Freudigkeit, das Bekenntnis der Kirche zu vertreten", bald vorbei sein werde23. Allerdings gab es auch auf liberaler Seite keinen einhelligen Triumph angesichts der Herrenhausdebatte, empfand man von Studt, Barkhausen und den "geistliche[n] Berater der Königlichen Familie", Dryander, doch keineswegs als Umstürzler, sondern als "gut konservative Leute", die auf Grund des Eindrucks von 'Babel und Bibel' auf den "Jupiter tonans" [sc. Wilhelm II.] umgefallen seien. Statt einer wahrhaft freien Kirche sah man eher "goldene Zeiten" heraufziehen für ein "offizielle[s] Christentum, das nicht den Lohn im Himmel verspricht, sondern Orden und hohe Würden"24. Interessant ist nun, wie die im Januar 1903 ins Auge gefaßte Berufung und nach allseitig bekundetem Einverständnis am 4. Juni vollzogene Einführung Dryanders als unbesoldetes geistliches Mitglied in das EOK-Kollegium25 in dem fehlenden Anstoß am Hofrang - wie Pollmann treffend bemerkt - "die geringe Sorge vor einem persönlichen Eingreifen Wilhelms II. in die kir-

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Verhandlungen der 5. ordentl. Generalsynode 1903, Bd. 1, 678-681. Dryander stand auf Seiten der Minderheit, die gegenüber 127 Stimmen nur 57 aufbrachte. Diese Niederlage und die "peinliche Lage, in die eine ganze Reihe meiner Freunde durch die Abstimmung in der Professorenfrage gekommen ist" - nämlich durch den Anschein, die Gültigkeit evangelischer Fundamente in der Kirche in Frage zu stellen -, zwang Dryander zu einer Erklärung, die das Mißverständnis ausräumen sollte. Auch die Unterzeichner der Erklärung erwarteten eine Überwindung der Schwierigkeiten in Theologie und Kirche nur dann, wenn "die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung mit der Gebundenheit an die Tatsachen des Heils in Einklang" stehe (ebd. 697). S.u. Kap. 5.2.3.2. S. den zweiten Teil des Artikels betr. die Verhandlungen des Herrenhauses über die theologischen Fakultäten, Die Reformation 1 (1902), 153(-155). Evangelisches Gemeindeblatt fur das Herzogtum Braunschweig, zit. n. Die Reformation 1 (1902), 302. S. das Notatum Barkhausens v. 10.1.1903 nach einem Gespräch im Kultusministerium, ebd., pag. 104, sowie den Schriftwechsel zwischen EOK, Kultusministerium, Wilhelm II. und EvD, pag. 105-112.

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

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chenregimentlichen Akte"26 dokumentiert. Es ließ sich sogar der Wunsch herauslesen, mit Dryander einen dem EOK-Kurs zustimmenden - und nicht byzantinistischen - Mann aus bzw. in der Nähe Wilhelms II. zur Sicherung und Fortschreibung des vom König anfangs maßgeblich mitbeeinflußten Weges zu gewinnen. Immerhin hatte sich Dryander, der zu seiner Einführung in den EOK bekräftigte, wie sehr er, obschon dem Bekenntnisstand nach lutherischer Konfession entstammed, aus voller Überzeugung auf dem Boden der Union stehe27, schon über ein Jahrzehnt lang in seinem Wirken als Generalsuperintendent und auf Synoden als typischer Vertreter vermittelnder Anschauungen erwiesen. Zudem war er nicht nur mit der kirchenregimentlichen Linie des EOK konform, sondern auch in der Lage, sie nach außen hin wirkungsvoll zu vertreten - und 'würdig' zu repräsentieren. Hier ist schon vorwegzunehmen, wie besonders der Oberhojprediger Dryander am 18. Januar 1901 anläßlich des 200jährigen Gedenkens der Erhebung Preußens zum Königreich nicht von ungefähr aus Allerhöchstem Vertrauen zum Mitglied des preußischen Herrenhauses auf Lebenszeit berufen worden war.28 Da ihm jede andere politische Tätigkeit auch aus Zeitmangel zu fern lag, versuchte er - immerhin als Hospitant der konservativen Fraktion -, seinen Einfluß "bei gegebener Gelegenheit in den mir vertrauten Kirchen- und Schulfragen [...] in die Wagschale zu werfen".29 Nachdem Dryanders Sitz im Herrenhaus durch den Ruf in das EOK-Kollegium mit größerem Gewicht versehen worden war, kam alledem ein noch repräsentativerer Rahmen zu, als der Ephorus des Domkandidatenstifts zur Feier des 50jährigen Bestehens dieser Hohenzollernstiftung am 11. Oktober 1904 zum Wirklichen Geheimen Rat ernannt wurde und dazu das besondere Prädikat "Exzellenz" verliehen bekam30. Wie sehr dieser repräsentative Glanz ihn mit einer unter-

Pollmann, Landesherrliches Kirchenregiment 30. Theodor Kaftan, alles andere als ein Verfechter der Staatskirche, sah den Summepiskopat nach vertraulichen Mitteilungen über die verschlungenen Wege, die zur Neubesetzung des Präsidentenamts führten (u.a. nämlich nach einflußreicher Mitsprache der Hof-"Clique" um Mirbach und Lucanus), sogar in ein eigenes Licht treten, "wenn ein kirchlich interessierter und so selbständiger Kaiser sich nicht energischer um die Besetzung des obersten Postens in seiner großen Landeskirche kümmert" (an Julius Kaftan v. 31.12.1903, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan I, 2 9 2 f ) . 27 28

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EZA 7/7, pag. 115. EZA 7/13751, pag. 112. S.u. 248-255 im Zusammenhang des Abschnittes 5.2.4.: "Orden und Titel". EvD, Erinnerungen 251. EZA 7/13751, pag. 130, 132. S.a. Kap. 5.2.4).

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4. In der Kirchenleitung

schwelligen Autorität ausstattete, konnte Dryander in seiner kirchenamtlichen Tätigkeit des öfteren etwa auf Konferenzen, vor allem im Zusammenhang seiner Mitarbeit am Einigungsprozeß der deutschen Landeskirchen, und auf Inspektionsreisen, inbesondere auf der Orientvisitation 1907, erfahren. Die im EOK vorgefundene Atmosphäre bot Dryander ein geradezu ideales Arbeitsfeld. Selbst über die Veränderungen an der Spitze hinweg - Voigts trat zum 1. Dezember 1903 an die Stelle des verstorbenen Barkhausen, ein Hannoveraner dem anderen im Präsidentenamt folgend - hatte es das engere EOK-Kollegium geschafft, eine relativ homogene Einheit zu werden und, gestützt auf die Mittelpartei, auch in den wichtigen Verhandlungen mit dem Generalsynodalvorstand die Oberhand zu behalten. Der trotz latenter Bekenntniskonflikte zunehmende Ausgleich kirchenpolitischer Gegensätze auch im erweiterten Kollegium erlaubte es 1904 sogar, einen Mann wie Julius Kaftan, der sich selbst als inkonsequenten Ritschlianer bezeichnete und als Mitglied des Freundeskreises der christlichen Welt liberalen Strömungen offener gegenüberstand, zum Mitglied des EOK zu ernennen31. Folgerichtig wurde diese Berufung in der positiven Presselandschaft als ein Ereignis bewertet, das den EOK nach links rücken lassen könnte, da es bisher "im wesentlichen die Vermittlungstheologie - man denke nur an den Oberhofprediger D. Dryander oder an den Propst von der Goltz - " gewesen sei, "die dieser Behörde ihr theologisches Gepräge gab".32 Als Freund Hermann von der Goltzens mit parallelem Lebensweg scheint Kaftan schnell an Einfluß gewonnen zu haben33, so daß er nach dem Tod von der Goltzens im Juli 1906 viele Zügel in der Hand hielt und als zeitwei31

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Bestallung v. 16.5.1904, EZA 7/7, pag. 191. S. Julius Kafitan an Theodor v. 12.6.1904, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan I, 13If. Allerdings nahm J.Kaftan seinen Ruf in den EOK zum Anlaß, aus der "Vereinigung der Freunde der christlichen Welt" auszutreten, der er seit deren Gründung 1903 ohnehin nur mit großen Bedenken angehört hatte (J.Rathje, Die Welt des freien Protestantismus. Ein Beitrag zur deutsch-evangelischen Geistesgeschichte dargestellt an Leben und Werk von Martin Rade, Stuttgart 1952, 124). Der alte Glaube, Nr. 37, 1904, zit. n. Positive Union 1 (1904), 157, u. Die Reformation 3 (1904), 413f. Allerdings wurde auch in Zeitschriften wie dem "Alten Glauben" oder den 'Nachfolgeblättern' der DEKZ, der "Reformation" sowie der "Positiven Union", die Kaftan von den entschieden modernen Theologen unterscheidende relativ konservative Stellung in Lehr- und Lebensfragen herausgehoben, welche die Besorgnisse daher letztlich in Grenzen hielt, wenn nur "der Grundsatz der Gleichberechtigung kirchlicher Richtungen nicht noch weiter nach links hin ausgedehnt werde" (Positive Union 3 [1904], 158). Göbell in seiner Einleitung zu dem von ihm herausgegebenen Briefwechsel der Brüder Kaftan, 16f, 20; vgl. Pollmann, Landesherrliches Kirchenregiment 30.

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

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liger Protege des EOK-Präsidenten Voigts mit dem Gedanken spielte, selbst das vakante Amt des geistlichen Vizepräsidenten zu übernehmen34. Vorerst jedoch behielt sich Dryander, der mit Voigts, Kafitan und dem weltlichen Vizepräsidenten Moeller den engsten Rat bei den entscheidenden Fragen bildete, die Verwaltung der vakanten Funktionen vor.35 Auch auf der Sitzung des DEKA am 13. Dezember 1906 nahm Dryander schon den Platz von der Goltzens ein, da der EOK ihn im August 1906 als Ersatzmann benannt hatte mit der Erwartung, "daß D. Dryander zugleich in die Kommission für die Diaspora und für das Evangelische Hausbuch eintreten wird."36 Obwohl - oder gerade weil - sich in der Öffentlichkeit bald Debatten um einen möglichen Nachfolger entluden37 und die 'positive' Seite in ihrem Sinne anhub, öffentlichen Druck auszuüben, indem sie auf die ungeheure Wichtigkeit dieses Amtes angesichts der aus der bisherigen Kirchenpolitik resultierenden "Zerrissenheit der protestantischen Christenheit Preußens, [des]

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Als Nachfolger Kleinerts übernahm Kaftan dessen Referat (Agende, Religionslehrbücher u.a.) und war von der Goltz als Korreferent in Sachen des kirchlichen Prüfungswesens und der Berufung theologischer Professoren an die Seite gestellt worden (Brief v. 17.7.1904 an Theodor Kaftan, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan I, 303). Am 17.11. schon teilte er seinem Bruder Theodor mit, er könne sich nicht verhehlen, "daß in wichtigen Sachen mehr auf das gehört wird, was ich, als auf das, was einige andere (selbstverständlich nicht alle) sagen, und daß der Präsident mich geflissentlich heranzieht" (a.a.O. 310). Eine an den Ansichten zur Behandlung von 'Lehr-Fällen' wachsende Konkurrenz zwischen von der Goltz und Kaftan (Brief an Th.Kaftan v. 17.3.1905, a.a.O. 318f) hat dem Einfluß Kaftans keinen Abbruch getan. Im Gegenteil, seine offenere Stellung verschaffte seinen Voten viel Gewicht. Nach dem Tod von der Goltzens durfte er behaupten, "daß gegen meinen Widerspruch nichts geschehen wird, Personalien und Referatsverteilung betreffend. Ich kann von Referaten haben, was ich will" (an Th.Kaftan v. 15.8.1906). Mit Recht konnte er dies - nach nur zwei Jahren im EOK - als großen Erfolg empfinden. Julius Kafitan an seinen Bruder v. 15.8. u. v. 14.10.1906, ebd. 353 bzw. 357. Das Protokoll der Sitzung des DEKA v. 13.12.1906 s. EZA 7/3949, pag. 222ff, 222. Der Briefwechsel zwischen dem DEKA und dem EOK mutet aufgrund der satzungsmäßigen Personalunion des Vorsitzenden des DEKA und des Präsidenten des EOK in der Person Voigts' merkwürdig an: DEKA (Voigts) an EOK v. 14.8. u. EOK an DEKA v. 23.8.1906, ebd., pag. 211 bzw. 212. So brachte das Berliner Tageblatt v. 8.10.1906 die "Leuchte der Orthodoxie", den Generalsuperintenden der Niederlausitz Braun, wegen eines Besuches bei Wilhelm II. ins Spiel, doch auch Köhler, Dryanders Nachfolger in der Kurmark, Dryander selbst, Julius Kaftan und auch dessen Bruder wurden als Kandidaten gehandelt (Zeitungsausschnitte, EZA 7/7, pag. 246ff; Theodor Kaftan an Julius v. 27.10.1906, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan I, 359). Der Herausgeber der "Reformation" Ernst Bunke sah besonders in den oft genannten Köhler und J.Kaftan unheilvolle Kandidaten (Die Reformation 5 [1906], 571).

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4. In der Kirchenleitung

Verfall [s] des evangelischen Gemeindeglaubens, [der] Unsicherheit des reformatorischen Bekenntnisstandes, [der] Erstarkung des radikalen Christentums und seiner Theologie, [des] Aufkommen[s] eines der Kirche gleichgültigen oder feindseligen Gemeinschaftslebens, [des] Wachstumfs] des sozialdemokratischen Kirchenhasses" hinzuweisen sich verpflichtet glaubte38, kam die Nachfolgefrage erst im August 1907 zur Entscheidung. Voigts' Erklärung der Verzögerung - " [...] der Minister wirkt mit, auch weiß man nie, was S[einer]. M[ajestät], belieben"39 - dürfte eher als ein Allgemeinplatz zu bewerten sein, der auf jede Personalentscheidung zutraf. Vor allem war die Wahl durch den eigentümlichen Umstand erschwert, daß die vakante Stelle, auch wenn sie die höchste geistliche Position der Landeskirche darstellte40, kein selbständig dotiertes Amt war. Der künftige Amtsinhaber mußte daher auf ein entsprechendes anderes (geistliches) Hauptamt zurückgreifen können bzw. es weiterhin versorgen. Zudem sollte der neue Vizepräsident, der großen Einfluß auf die Geschicke und theologische Richtung der Landeskirche nehmen konnte, aus dem Kreis des engeren Kollegiums berufen werden41. Zunächst schien Voigts - in der Absicht, das geistigtheologische Niveau des EOK zu behaupten - mit Kaftan geliebäugelt zu haben, der nach eigener Aussage zwar "die wichtigsten Geschäfte besorgt" hatte, aber doch lieber "eben halt Professor" bleiben wollte42. Doch nicht nur diese frühe Absage Kaftans ließ Dryander bald als den geeignetsten Kandidaten erscheinen, daß Voigts ihn am 1. August 1907 dem Kultusminister vorschlagen konnte.43 Denn wie in dem Vorschlagsgesuch an Wilhelm II. vom 8. August dargelegt wurde, sollte für diese verantwortungsvolle Stelle ein Berliner Geistlicher mit deutlich persönlichem Profil in Aussicht

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So einer der profiliertesten Kritiker des 'Systems', Stoecker, in einem Lagebericht der "Reformation" 5 (1906), 497-500, 497f; vgl. Positive Union 3 (1906), 270f; "Kreuzzeitung" v. 5.10.1906; Julius Kaftan erkannte gerade sich als Ziel des "große[n] Kesseltreiben[s]" (an seinen Bruder v. 15.9. u. 14.10.1906, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan I, 354, 357). Kaftans vertrauliche Wiedergabe einer Äußerung Voigts' an seinen Bruder v. 15.9.1906, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan I, 355. Der Präsident war immer ein Jurist! S. Schoen, Ev. Kirchenrecht I, 238. Julius Kaftan an seinen Bruder v. 14.10.1906, diesem die Schwierigkeitem auseinandersetzend, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan I, 357. Die verwaltungsrechtliche Lage des nebenamtlichen geistlichen Vizepräsidenten konnte in der Positiven Union 3 (1906), 270, nur als unerträglich, verhängnisvoll und unwürdig bezeichnet werden. Julius Kaftan an Theodor v. 15.9.1906 u. v. 29.9.1907, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan I, 354f bzw. 382f. EOK an Kultusministerium v. 1.8.1907, EZA 7/7, pag. 274.

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

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genommen werden, dessen Name "angesichts der gegenwärtigen innerkirchlichen Lage [...] kein parteipolitisches oder auch nur theologisches Programm bedeutet".44 Das auf den ersten Blick nicht gerade Profil versprechende Vorschlagsgesuch wurde deutlicher, als mit Dryander die nach der einmütigen Überzeugung des Kollegiums einzig in Frage kommende Persönlichkeit für das Amt benannt wurde. Dabei standen jedoch nicht seine hervorragende Begabung und bisherige Bewährung im Vordergrund. Das Hauptaugenmerk lag noch stärker als zuvor auf seiner "milde[n] und vermittelnde[n] Richtung" sowie auf dem "Vertrauen, welches seiner Person und ihrer ganzen Art und Eigenthümlichkeit nicht nur von dieser oder jener Partei, sondern ganz allgemein in allen Kreisen der Landeskirche entgegengebracht wird."45 Nach der Bestallung zum geistlichen Vizepräsidenten des EOK am 16. August 190746 schlug Dryander als nun ranghöchstem Geistlichen der altpreußischen Kirchenprovinzen aus allen Richtungen tatsächlich ein gewisses persönliches Vertrauen entgegen. Mit Recht wurde etwa erwartet, daß "die Hinterlassenschaft von v.d. Goltz in seinem Sinn verwaltet"47 oder die "Aera Dryander [...] zweifellos in allem und jedem die Fortsetzung der Aera v.d. Goltz sein" werde, da beider kirchliche Überzeugungen im rheinischen Kirchenwesen wurzelten48. Zusammen -mit dem neuen Propst von St. Petri und ebenfalls in den EOK berufenen Breslauer Theologen und Lutherkenner Kawerau traute man Dryander allenthalben zu, den EOK auf dem Kurs zu halten, "nach welchem man in den letzten Jahren die pietistische wie die liberale Richtung innerhalb der Kirche etwa gleichberechtigt sich auswirken ließ"49. Dieses "Sprüchlein von der 'Gleichberechtigung aller Richtungen in der Kirche der Reformation'" - wie die "Positive Union" abfallig kommentierte50 - verband sich in der liberalen Tagespresse weiterhin mit der zu-

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Ebd., pag. 280f, 280R. Ebd., pag. 281. Ebd., pag. 285-287. Berliner Tageblatt v. 30.8.1907 (aus der Pressesammlung EZA 7/638). Vossische Zeitung v. 30.8.1907 (abgedr. in der Reformation 6 (1907), 637-639, 638). Berliner Tageblatt v. 30.8.1907. Positive Union 4 (1907), 327. Zwar wurden hier mit einem gewissen Recht die teils unterschwellig, teils offen von liberaler Seite ausgesprochenen spitzen Bemerkungen gegen Dryander und Voigts wie auch die Ausfälle gegen Stoecker, Kögel und die Orthodoxie moniert; wenn aber, die particula veri dieser Ansichten übergehend, diese 'liberalen' Artikel als "bestellte Dutzendware" "einer bestimmten Werkstatt" mit einer nach Form und Inhalt untereinander "ganz verzweifelte[n] Ähnlichkeit" diffamiert wurden, muß doch betont werden, wie gerade auch die 'positive' Presse - man denke

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4. In der Kirchenleitung

nächst nicht ganz unberechtigten Hoffnung, es möge unter Dryander eine kirchliche Maßregelung in Sachen der reinen Lehre oder disziplinarischer Fälle durch - wie die "National-Zeitung" provokativ formulierte - "so ekelhafte Ketzergerichte" zurücktreten51. Dryander werde sich wohl nicht "von denen um Adolf Stöcker für ihre trüben Machenschaften einfangen" lassen, sei er ihnen doch auf Synoden des öfteren entschieden entgegengetreten. Interessant ist zu sehen, wie einerseits die Möglichkeit eines richtungweisenden Einflusses des Vizepräsidenten auf die landeskirchlichen Geschicke herausgehoben52, andererseits aber angemerkt wurde, daß gerade von Dryander keine starken (theologischen) Initiativen zu erwarten seien - bis auf eine in milde Formen gekleidete, aber mit zielbewußter Zähigkeit verfolgte Abwehr aller einseitigen Parteiherrschaft. Die eigentlich neuen Impulse für die Zukunft erwartete - oder erhoffte - man sich von dem unwesentlich

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nur an die Entlassung Stoeckers oder die verschiedenen 'Fälle' - sich stereotyper und wenig gesprächsbereiter Äußerungen bedient hat. Eine jede Richtung strich an Dryander das ihre heraus: die 'liberale' Seite betonte die versöhnliche Politik, die 'positive' Seite vergaß nicht, den "persönlich^, positiv-gläubige[n] Grundzug" zu rühmen. National-Zeitung v. 1.9.1907; neben dem Berliner Tageblatt und der Vossischen Zeitung stimmte auch die katholische Kölnische Volkszeitung v. 1.9.1907 in diesen Chor ein und gab zu bedenken, wie wichtig die getroffene Wahl sei, da sich die 'positiv' Orthodoxen seit der Jahrhundertwende schon wieder von ihrem Tiefpunkt erholt hätten. Andererseits attestierte man Dryander gerade als einem rheinisch-protestantisch beeinflußten Theologen eine lebhafte Gegnerschaft zur katholischen Kirche. Dies mag zutreffend gewesen sein, ist aus den Äußerungen Dryanders selbst jedoch hauptsächlich für seine Bonner Zeit zu ermitteln. Eine Ausnahme stellt lediglich die allgemein-protestantische Ablehnung der Canisius-Enzyklika von 1897 dar, in der die Reformation u.a. für die revolutionären Umtriebe in der Folgegeschichte verantwortlich gemacht wurde. Dieser Protest kam auf der 4. ordentl. Generalsynode von 1897 zum Ausdruck (Verhandlungen ders. 11-15) und fand über Dryanders Vermittlung bei Wilhelm II. Beifall (Pollmann, Landesherrliches Kirchenregiment 38). Erst 1910 wieder hat Dryander im DEKA einen protestantischen Protest gegen die in ihrem Ton noch schärfere Borromäus-Enzyklika (CCW 20 [1910], 273f u. 290) vorangetrieben (J.Kaftan an Th. Kaftan ν. 19.6.1910, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan I, 450f). Stellvertretend erklärte die Weserzeitung v. 31.8.1907 das beträchtliche Aufsehen bei der Neubesetzung des geistlichen Vizepräsidiums mit dem weitreichenden Einflußpotential: "Es braucht kein Wort darüber verloren zu werden, wie wichtig auch für die allgemeine Politik die preußisch protestantische Kirchenpolitik ist." Wenn die Kölnische Volkszeitung den Vizepräsidenten "als das 'geistige Haupt' der evangelischen Landeskirche" beschreibt, der "die herrschende Windrichtung" bestimme, und hinzufugt, er könne "sehr viel tun, um die Partei zu fordern, der er geneigt" sei, wie dementsprechend auch "alle strebsamen Naturen [...] sich Mühe [...] geben, seine Huld zu erwerben", dann trat das synodale Element wie das starke Kollegiums-prinzip - man denke nur an die Persönlichkeit Kaftans - zu sehr in den Hinter- und das vatikanische Vorbild wohl zu sehr in den Vordergrund.

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

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jüngeren Kawerau, der gemeinhin schon als designierter Nachfolger eines bloßen Interimspräsidenten Dryander gehandelt wurde - ohne zu ahnen, daß das 'Interimistikum Dryander' bis 1918 andauern sollte. Bezeichnenderweise wurde die Berufung Dryanders vor allem von seiner Stellung bei Hofe her erklärt, insbesondere von dem Ruf einer "Stimme, vor der sich der preußische Oberhofprediger nicht verstecken kann"53. Die glänzende Laufbahn Dryanders beruhe nicht eigentlich auf eigener lebhafter Initiative, vielmehr habe der "Wille einer höheren Stelle" gleichsam als "bestimmende[s] Fatum" Dryander seine Gunst erwiesen und "ihn nunmehr auf den wichtigsten Platz gefuhrt, den ein preußischer Geistlicher einnehmen kann". Zwar wurde hier der höfische Einfluß auf die Laufbahn Dryanders überbewertet und ganz einfach unterschätzt, welche Bedeutung für dessen kirchenpolitisches Wirken und kirchlichen Aufstieg schon den 70er und 80er Jahren zukam. Dennoch wies das offenkundig große Interesse der Öffentlichkeit an dem Kirchenmann Dryander gerade in seiner Rolle als eleganter und weltmännischer Hofmann und "erklärter Liebling des Kaiserpaares"54 auf einen wesentlichen Punkt der neuen Personalkonstellation: "Exzellenz Dryander genießt, wie man weiß, das rückhaltlose Vertrauen des Monarchen. Man wird bei der Haltung des preußischen Kirchenregiments, soweit sie durch die Person des neuen Vizepräsidenten gedeckt wird, noch zuverlässiger wissen als bisher, daß sie den kirchenpolitischen Anschauungen des Summus Episcopus konform ist." 55

Demnach wird man also mit der "National-Zeitung" durchaus fragen müssen, "ob sich aus der Stellung Dryanders zum kaiserlichen Hof in seiner

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So am deutlichsten die Vossische Zeitung vom 30.8.1907 (Die Reformation 6 [1907], 638). Hier s.a. das Folgende. So die Kölnische Volkszeitung v. 1.9.1907; Dryanders Vorzüge würden so geschätzt, daß er der erste preußische Geistliche sei, der in Preußen den Exzellenztitel bekommen habe [letzteres mag unrichtig sein; für die Zeit Wilhelms II. konnte aber kein Geistlicher ausgemacht werden, der vor Dryander diese Ehrung erfahren hätte; v.d.Goltz und B.Weiß haben diesen Titel 1906 zum 70. bzw. 1907 zum 80. Geburtstag erhalten; Harnack - mehr Universitätstheologe und Historiker als Geistlicher - wurde allerdings schon 1914 in den erblichen Adelsstand erhoben]. Alle Pressestimmen beschrieben, zwischen Sympathie und Distanz schwankend, Dryander durchgängig als "geborenen Hofmann" (Berliner Tageblatt v. 30.8.) mit virtuos vollendeter Form; am ausfuhrlichsten sah die Nationalzeitung v. 1.9.1907 Dryander "durch seine virtuose und liebenswürdige Beweglichkeit des Wesens, durch die diplomatische Beherrschung der Form und durch den befreienden, aller Philistrisität baren Zug seiner Frömmigkeit, durch die Eleganz und Weltweite seines Horizontes" charakterisiert. Vossische Zeitung v. 30.8.1907, a.a.O. 638.

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4. In der Kirchenleitung

Eigenschaft als Schloßpfarrer [genauer: in seinem Hauptamt als Oberhof- und Domprediger; d.Vf.] Schwierigkeiten ergeben [...] für seine neue Tätigkeit [im Nebenamt\ - d.Vf.] im Oberkirchenrat", und man wird andererseits aber auch das ausdrückliche Vertrauen zu Dryander mithören müssen, "daß er die Wege, die Kögel kirchenregimentlich wandelte und die dessen Fluch geworden sind, als Irrwege meiden wird."56 Denn angesichts der kirchlichen Situation lagen die Dinge bei Dryander anders: Irrwege wurden allseits nicht befürchtet, da sein Hofamt sich seit 1903 schon mit der kirchenregimentlichen Arbeit als kompatibel erwiesen hatte; auch die 'positive' Seite beurteilte die Berufung Dryanders als sachgemäß und glücklich57. Verstärkte das königliche Vertrauen doch gerade Dryanders integrativ-vertrauenswürdige Autorität, der das Kirchenregiment bei ihren Aufgaben offensichtlich bedurfte. Denn könnte die Maxime der Kirchenpolitik des EOK in den neunziger Jahren etwas vereinfacht mit der Parole 'Abwehr gegen die Mächte des Umsturzes und des Unglaubens auf dem Boden des landesherrlichen Summepiskopats' angegeben werden, so wird man die aus der personellen Konstellation des EOK im neuen Jahrhundert sich bald formende "Voigts-Dryander-Kaftansche Weisheit"58 vielleicht am treffendsten unter dem vieldeutigen und vielschichtigen Begriff der 'Union' erfassen können. Denn diese Epoche steht für verstärkte Bemühungen innerkirchlichen Ausgleichs, für den Versuch, gegen Angriffe von 'außen' auf 'Volkskirche' zu setzen, und fur das Bestreben, dem deutschen Protestantismus verbindliche und einigende Formen zu geben. Anläßlich seines Ausscheidens aus der Kirchenleitung im Juli 1918 skizzierte Dryander in einem Thronbericht zur kirchlichen Lage die entsprechen-

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National-Zeitung v. 1.9.1907, die damaligen Bedenken Herrmanns gegen eine Aufnahme Kögels in den EOK zitierend: "Die Stellung als Beichvater des königlichen Hauses sollte überhaupt nicht als Empfehlung für ein höheres kirchenregimentliches Amt, sondern der Regel nach als Inkompatibilitätsgrund behandelt werden." Die Vossische Zeitung betonte, daß die Berufung Dryanders für die Liberalen keinen Grund zum Mißvergnügen böte: "Mögen die Schwingen seines Geistes in der Hofluft viel von ihrer früheren Beweglichkeit verloren haben, es unterliegt keinem Zweifel, daß er heute noch wie vor 25 Jahren, als er nach Berlin kam, ein Freund der Duldsamkeit ist [...] " (s. Die Reformation 6 [1907], 638). Positive Union 4 (1907), 327. Treffend schimmert in dieser vertrauensvoll-ironischen Formel das Prinzip der 'Gewaltenteilung' durch; Theodor Kaftan an seinen Bruder Julius v. 30.1.1905, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan I, 317 (316f).

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

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den Grunderfordernisse, die er aus den langjährigen Erfahrungen dieser Epoche an das Amt des geistlichen Vizepräsidenten gestellt sah: "Er muß wissenschaftlich so weit fundamentiert sein, daß er ein sachlich begründetes Urteil über die verschiedenen Ausprägungen der theologischen Wissenschaft zu fällen vermag, ungebunden in der Anerkennung der Wahrheitsmomente

auch in fremder

Gestalt, weitherzig in seinem Urteil, vor allem aber durch seine Persönlichkeit, seine kirchliche Bewährung, sein Ansehen und seinen Einfluß ein Mann des Vertrauens nicht nur einer Partei, sondern der gesamten Landeskirche. Nur dann vermag er auch den großen Aufgaben gerecht zu werden, die dem ersten Geistlichen des Kirchenregiments im deutschen Kirchenausschuß gegenüber den nichtpreußischen, aber auch 59 gegenüber den außerdeutschen Landeskirchen zufallen."

4.2.2. 'Botschafter' des E O K in der deutsch-evangelischen Welt Den nichtpreußischen und außerdeutschen Landeskirchen war der neue geistliche Vizepräsident des E O K kein Unbekannter. Nicht zuletzt als Oberhofprediger und Mitglied des Herrenhauses hatte Dryander zu wichtigen Anlässen öffentlich für die Kirchenpolitik seiner Landeskirche sowie für Initiativen Wilhelms II. geworben. Es sei herausgehoben, wie sehr Dryander mit den - unten in anderem Zusammenhang ausführlich zu behandelnden Kirchweihreden in Jerusalem und Berlin die deutsch-evangelischen Einigungsbestrebungen nicht nur begleitete, sondern auch forderte. Schon auf der dritten ordentlichen Generalsynode 1891 hatte sich Dryander namentlich dem Antrag des Juristen Kahl angeschlossen, der E O K möge die seit 1871 brachliegenden Versuche, über die Eisenacher Kirchenkonferenz zu einem föderativen Zusammenschluß der evangelischen Kirchenregierungen zu kommen, wieder anregen. 60 Der E O K verhielt sich in dieser Sache zunächst zurückhaltend, um die lutherischen Landeskirchen nicht gegen sich

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EvD, Erinnerungen 311; der von Dryander hier wiedergegebene Thronbericht geht in einigen Formulierungen und vor allem in den grundsätzlichen Überlegungen mit dem Immediatbericht des EOK v. 15.6.1918 parallel (EZA 7/761, nicht pag., Az.: E.O. I 1256 II), ist aber mit ihm nicht identisch. In den Akten des EZA war der Thronbericht nicht zu finden. Verhandlungen der 3. ordentl. Generalsynode 1891, 27, 301-312, 953-962. Zu der Entwicklung bis dahin vgl. W.Delius, Altpreussische Kirche und kirchliche Einheit des deutschen Protestantismus, in: O.Söhngen (Hg.), Hundert Jahre Evangelischer Oberkirchenrat der altpreussischen Union 1850-1950, Berlin 1950, 86-113, bes. 86-108; Huber/Huber, Staat und Kirche II, 29Iff.

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4. In der Kirchenleitung

aufzubringen, verwies aber nach entsprechender Anfrage Beyschlags auf der vierten ordentlichen Generalsynode 1897 auf die bevorstehende Einweihung der Jerusalemer Erlöserkirche. Wie zuvor bei der Wiedereinweihung der erneuerten Wittenberger Schloßkirche sollte durch die in Aussicht genommene Beteiligung aller deutschen Kirchenregierungen "auch bei diesem feierlichen Akt in solenner Weise die Zusammengehörigkeit, die innere Einheit der deutschen evangelischen Landeskirchen zum Ausdruck" gelangen. 61 Tatsächlich scheint die Jerusalemer Kirchweihe, an der Dryander maßgeblich mitgewirkt hatte, einen wesentlichen Impuls für die weitere Entwicklung gegeben zu haben. 62 Nach weiteren Vorstößen einiger Provinzialsynoden und des Evangelischen Bundes nahmen der EOK und Wilhelm II. sich des Gedankens verstärkt an. Nachdem er sich zuvor mit Barkhausen auf die Unantastbarkeit des landesherrlichen Kirchenregiments und auf die Forderung einer der Bedeutung als evangelischer Vormacht in Deutschland entsprechenden Stellung der preußischen Kirchenregierung verständigt hatte, gab Wilhelm II. im Dezember 1901 auf der Feier zum dreihundertjährigen Geburtstag des protestantischen Fürsten Ernst des Frommen (1601-1675) in Gotha den wohl entscheidenden Anstoß zur schon im Juni 1903 erfolgten Bildung des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses (DEKA) 63 . Gerade der DEKA war sich dieses kaiserlichen Impulses dankbar bewußt, wenn er zu hohen Festtagen "unablässig" der Förderung gedachte, "welche die Erfüllung der Sehnsucht weitester Kreise unseres evangelischen Volkes nach einem engeren Zusammenschluß der deutschen evangelischen Landeskirchen seitens Eurer

Verhandlungen der 4. ordentl. Generalsynode 1897, 639. Diese Erklärung vom 13.12.1897 war, wie ein A k t e n f u n d belegt, gut vorbereitet. S. den unten im Z u s a m m e n h a n g der Jerusalemfahrt zitierten E O K - E n t w u r f v. 9.12.1897 zu dieser Generalsynodalerklärung ( E Z A 7/410, pag. 24). Ausführlicher Delius, Altpreussische Kirche 108f. N o c h auf der Generalsynode von 1903 w u r d e herausgehoben, w i e die "Sehnsucht, die deutsche evangelische Kirche m ö g e sich zu gemeinsamer Arbeit einen", mit der Kaiserreise a n f i n g , gestillt zu werden (Berichterstatter Weser für die Kommision über die E O K - D e n k s c h r i f t betr. die deutsch-evangelische Arbeit im heiligen Lande, Verhandlungen der 5. ordentl. Generalsynode 1903, 319). 63

Die C C W 12 (1902), Sp. 34, interpretierte daher richtig, w e n n sie die unerwartete Unterstützung durch die kaiserliche K u n d g e b u n g [die Einigung der deutschen Landeskirchen, o h n e allerdings deren Selbständigkeit nahe treten zu wollen, sei ein festes und hohes Ziel seines Lebens (Huber/Huber, Staat und Kirche III, 564, Anm. 2)] nicht lediglich als eine spontane Äußerung, sondern als wohl vorbereitet und abgewogen bezeichnete. Vgl. Delius, Altpreussische Kirche 109f. Zum D E K A insgesamt s. Geschichte der Ev. Kirche der Union II, 3 5 5 - 3 7 2 (H.Sander).

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

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Kaiserlichen und Königlichen Majestät gefunden hat". 64 Wie schon Dryander in seiner Rede zur Weihe des Berliner Domes traditionsbildend in eins geschaut hatte 65 , verband auch der DEKA die "Tage von Wittenberg und Jerusalem, wo auf Eurer Majestät Veranlassung die Vertreter der deutschen evangelischen Kirchenregierungen zu erhabener Feier an den geweihten Stätten der Reformation und der Christenheit sich zusammenfanden", mit dem "Tag der Weihe des unter Eurer Majestät erfolgreicher Leitung in würdevoller Schöne neuentstandenen Domes in Berlin, an dem [...] auf Eurer Majestät Ruf die Vertreter der deutschen evangelischen Landeskirchen mit Vertretern außerdeutscher evangelischer Kirchen im Geiste ökumenisch-evangelischer Christenheit sich vereinigten", zu in der Geschichte der evangelischen Kirche unvergesslichen Zeugnissen "von Eurer Majestät hochherzigem und bahnbrechendem Eintreten für eine Einigkeit der evangelischen Christenheit" 66 . Seinem Selbstverständnis nach knüpfte der aus 15 Abgesandten der Eisenacher Kirchenkonferenz sich zusammensetzende DEKA an das fast vor einem Jahrhundert zugleich mit dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation aufgelöste Corpus evangelicorum an 67 , wobei er neben der Förderung einer einheitlichen Entwicklung der einzelnen Landeskirchen satzungsgemäß die "gemeinsamen evangelisch kirchlichen Interessen", insbesondere gegenüber den anderen deutschen wie ausländischen Kirchen- und nichtchristlichen Religionsgemeinschaften und bezüglich der kirchlichen Versorgung deutscher Evangelischer in den Schutzgebieten und im Ausland, wahrzunehmen hatte 68 . Schon die Verhandlungen der sechsten ordentlichen Generalsynode

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Gratulationsadresse des DEKA an Wilhelm II. und Auguste Viktoria zur Silberhochzeit am 27.2.1906, EZA 1/A2/424, pag. 83 (V). S.u. 298f. Vgl. EvD, Rede - gehalten bei der Einweihung der evangelischen Erlöserkirche zu Jerusalem am 31. Oktober 1898, Berlin 1898 (= "Eine Kirche in Jerusalem", in: EvD, Gott und Mensch, 161-165) und EvD, Die Herrlichkeit des Hauses Gottes. Zur Weihe des Berliner Doms am 27. Februar 1905, in: ders., Gott und Mensch 118-122. Ebd., pag 83R. Vgl. die von Dryander im Namen des DEKA verfaßte Grußadresse in Sachen des 25jährigen Regierungsjubiläums an Wilhelm II. v. Juni 1913, ebd., nicht pag., Az.: K.A. 565. In seiner ersten Kundgebung an das deutsche evangelische Volk v. 10.11.1903 stellte der DEKA diese Verbindung her: Seit hundert Jahren habe der deutschen evangelischen Christenheit ein äußeres Band der Zusammengehörigkeit gefehlt, nun sei endlich auch damit ein hoffnungvoller Anfang gemacht (Huber/ Huber, Staat und Kirche III, 5 6 9 571). Zum Sitz des Ausschusses wurde der Amtssitz des jeweiligen Vorsitzenden bestimmt; dies war von Anfang an Berlin, da Voigts 1903 gewählt wurde und 1908 der Vorsitz fest an das Amt des EOK-Präsidenten gebunden wurde. Satzung des DEKA v. 13.6.1903, ebd. abgedruckt 565-568, 566.

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4. In der Kirchenleitung

1909 über die bisherige Entwicklung der Arbeit des DEKA zeigten die große Akzeptanz von allen Seiten, auch wenn gemeinhin eine synodale Ergänzung zu diesem Gremium vermißt wurde.69 Es war nicht eigentlich ein neues Tätigkeitsfeld, das Dryander überwiesen wurde, als er bei seinem Eintritt in den DEKA auf Vorschlag des badischen Oberkirchenratspräsidenten Helbing am 13. Dezember 1906 zum Mitglied der Diaspora- wie der Hausbuchkommission gewählt wurde70. Aber es bedeutete eine sinnvolle Erweiterung eines bisherigen Bereiches, verwaltete er doch seit 1903 schon das Diapora-Ressort im EOK. Nicht zufallig übernahm Dryander bald auch den Vorsitz in der Diasporakommission des DEKA71, womit der Bedeutung bzw. Erfahrung des EOK und dem ihm entgegengebrachten Vertrauen auf dem Gebiet der Fürsorge an den deutsch-evangelischen Auslandsgemeinden entsprochen wurde. Denn bis diese Aufgabe ab 1926 an den Deutschen Evangelischen Kirchenbund abgetreten wurde, lag die Betreuung der deutsch-evangelischen Auslandsgemeinden, insbesondere ihre Versorgung mit Pfarrern, ein Jahrhundert lang fast ausschließlich in der Obhut der alten preußischen Landeskirche, die wohl nicht nur ihrer Größe wegen, sondern vor allem als unierte Kirche für diesen Dienst geeignet schien.72 Hatte Dryander sich im EOK vor allem um die Belange einzelner Gemeinden zu kümmern73, so sah es der DEKA als seine Hauptaufgabe an, die

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Verhandlungen der 6. ordentl. Generalsynode 1909, Bd.l, 419-436, Bd.2, 519-533. EZA 1/A2/89, pag. 15. Diese Kommission bestand neben ihm aus so gewichtigen Kirchenmännem wie dem Dresdener Oberhofprediger und Vizepräsidenten des sächsischen Landeskonsistoriums und Vorsitzenden der Eisenacher Kirchenkonferenz Ackermann, wie dem vormaligen Präsidenten des schleswig-holsteinischen Landeskonsistoriums, seit 1903 Präsident des hannoverschen Landeskonsistoriums, Chalybäus und dem schon genannten Helbing (Zusammensetzung am 31.5.1910, ebd., nicht pag., Az.: K.A. 1050). Einen ausführlichen, teilweise zu gloriosen Überblick bietet A.Krieg, Evangelische Kirche der Union und Auslandsdiaspora, in: Söhngen, Hundert Jahre EOK 114-155. Da sehr nahe an den Quellen referierend, immer noch instruktiv: C.Mirbt, Die Preußische Landeskirche und die Auslandsdiaspora, Deutsch-Evangelisch im Auslande 6 (1907), 5368. 101-123. S. jetzt dazu Geschichte der Ev. Kirche der Union II, 457-473 für die Arbeit des EOK und 473-478 für die Arbeit des DEKA (G.Besier). Das Ausmaß des Referats wird allein schon an den jeweiligen Zusammenstellungen für die Generalsynoden deutlich: So konnte 1903 festgestellt werden, daß die Zahl der mit der altpreußischen Landeskirche in Verbindung stehenden deutschen evangelischen Kirchengemeinden außerhalb Deutschlands gegenüber 1897 von 70 auf 98 gewachsen sei, wobei sich innerhalb dieser Gruppe gegenüber 25 von 1897 jetzt schon 68 Gemeinden dem EOK förmlich angeschlossen hätten (Verhandlungen der 5. ordentl. General-

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

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allgemeinen Bedürfnisse der Auslandsgemeinden (Versorgung mit Bibeln, Katechismen, Gesangbüchern u.a.) zu befriedigen74, einen die allgemeine Diasporaarbeit finanziell deckenden Grundfonds zu schaffen75 und vor allem für ein alle Gemeinden verbindendes Moment Sorge zu tragen76. Dryander formulierte dies so: " [...] wenn unsere Leute, losgelöst von Sitte, Tradition, Glauben und Kräften der Heimat, draußen vereinzelt stehen, ist es eine soziale, evangelisch christliche Liebespflicht, ihnen das zu geben, was ihre Nationalität wie ihr Christentum, ihre evange-

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synode 1903, Bd. 2, 16 Iff, mit einer Auflistung und Kurzcharakterisierung der jeweiligen Gemeinden in allen fünf Erdteilen; sogar in der australischen German Lutheran Church, die eigentlich alle Beziehungen zur Heimat abgebrochen hatte, faßte der EOK wieder Fuß). Schon 1909 hatte sich die Zahl der mit der Landeskirche in Verbindung stehenden Auslandsgemeinden von 98 auf 178 vermehrt, wobei nunmehr 131 Gemeinden den förmlichen Anschluß an die Landeskirche gesucht hatten (Mitteilung des EOK an die Generalsynode v. 30.9.1909, Verhandlungen der 6. ordentl. Generalsynode 1909, Bd. 2, 369-376.377-418). Neben dem wachsenden Bedürfnis, Verbindung zur deutschen Heimat zu halten, spielten sicherlich die seit 1900 durch ein entsprechendes Kirchengesetz geregelte Möglichkeit der Teilnahme am Pensionsfonds der Landeskirche sowie andere für die Gemeindeorganisation wichtige rechtliche Absicherungen eine große Rolle. Hier ist vor allem das sehr erfolgreiche evangelische Hausbuch zu nennen, um das sich eine eigene Kommission gebildet hatte, der auch Dryander angehörte: Vor allem als Gebets- und Liederbuch mit weitem, auch 'moderne' Leser umfassendem Adressatenkreis im Ausland gedacht, fand die erste, schnell vergriffene Auflage - wie Dryander am 25.3.1909 kurz vor der Herausgabe der zweiten Auflage berichten konnte - in vielen Gemeinden als Gesangbuch wohl auch durch die klingende Verbindung zur deutschen Heimat freudige Aufnahme. S. v.a. das Sonderprotokoll Uber den von der Kommission ausgearbeiteten Entwurf eines "Evangelischen Hausbuches für Deutsche im Ausland" als Anlage Α zur Sitzung des DEKA am 13.12.1906, EZA 7/3949, pag. 222 (S. 9); Bericht Dryanders v. 25.3.1909, EZA 7/3950, Az.: K.A.529 (S. 4); s.a. Verhandlungen der 6. ordentl. Generalsynode 1909, Bd. 2, 530. S. bes. die Sitzung des DEKA v. 30.5.1907 mit den Vorschlägen der Diaspora-Kommission über die finanzielle Organisation der Diaspora-Tätigkeit des Kirchenausschusses, EZA 7/3949, pag. 232.; vgl. Verhandlungen der 6. ordentl. Generalsynode 1909, Bd. 2, 523-527 (mit einem Unterstützungsplan). Neben der Unterstützung oder Gründung entsprechender Vereine (im Juni 1910 z.B. der "Verein zur Pflege des deutschen evangelischen Lebens im Auslande") war die seit 1905 beginnende enge Zusammenarbeit mit der 1901 ins Leben gerufenen Zeitschrift "Deutsch-evangelisch", nunmehr unter dem Titel "Deutsch-Evangelisch im Auslande", zu deren erweitertem Herausgeberkreis seit seinem Eintritt in den DEKA bezeichnenderweise auch Dryander gehörte, dazu angetan, "fortlaufend zuverlässig über die Entwickelung der deutschen evangelischen Gemeinden [... zu unterrichten und] die Beziehungen zwischen der Auslandsdiaspora und der heimatlichen Kirche zu fordern" (Verhandlungen der 6. ordentl. Generalsynode 1909, Bd. 2, 530).

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4. In der Kirchenleitung

lisch-religiöse wie ihre sittliche Haltung am wirksamsten fördert: die evangelische 77

Kirche und die evangelische Schule."

Ohne hier auf einzelne Punkte näher eingehen zu können, soll aber das Charakteristische dieses Arbeitsbereiches an der Visitationsreise Dryanders zu den deutsch evangelischen Gemeinden im Orient zur Sprache kommen. Nachrichten von Gemeindewirren und nicht zuletzt der Wink des deutschen Botschafters in Konstantinopel, Marschall von Bieberstein, es habe sich bei seinen Reisen im Orient aufgedrängt, daß es für die schwierige Stellung der evangelischen Geistlichen von Bedeutung sein könnte, wenn sie unter einer regelmäßigeren Kontrolle stünden, etwa mittels alle vier bis fünf Jahre stattfindender Visitationen78, dürften den EOK zu dem Plan geführt haben, die die Verbindung haltenden Gemeinden im Orient möglichst bald zu visitieren79. Nichts lag näher, als Dryander mit der Aufgabe zur Einholung von Informationen über die bestehenden Gemeindeverhältnisse und zur weiteren Befestigung der angebahnten Beziehungen zu betrauen. Denn er brachte nicht nur als Generalsuperintendent a.D. Erfahrungen aus größeren Visitationen mit und beschäftigte sich im EOK wie im DEKA besonders mit der Auslandsdiaspora, sondern seine Teilnahme an der Orientreise im Gefolge des Kaisers hatte ihn 1898 schon einmal vor Ort mit den Sorgen und Problemen dieser Gemeinden konfrontiert. Wohl in Zusammenarbeit mit Kapler, seinem 'weltlichen' bzw. juristischen Referats-Komplement, dem nachmaligen Präsidenten des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes, nahm Dryander eine lange Organisationsphase auf, da die Dauer der Reise, die alle Gemeinden berühren sollte, immerhin auf 72 Tage angesetzt worden war80. Kurz vor Beginn der Reise erst, am 31. Januar 1907, konnte der EOK die von der Reise betroffenen Geistlichen und Kirchenvorstände über die bevorstehende Visitation unterrichten und mit der Bitte verbinden, dem beauftragten Kommissar Dryander und seinem Begleiter Lahusen eine Berührung mit dem ganzen gemeindlichen Leben zu gestatten.81 Nach Benachrichti77 78

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Dryander auf der 6. ordentl. Generalsynode 1909, Verhandlungen [...], Bd. 1, 502. Aktennotiz zu einem Bericht des deutschen Botschafters in Konstantinopel v. 5.7.1905, EZA 5/1927, nicht pag., Az.: E.O. 3521/267. EOK an das Außenministerium v. 6.11.1906 auch mit der Bitte, evtl. politische Bedenken zu äußern, ebd., pag. 1 (hier beginnt - vielleicht durch eine Zusammenlegung mehrerer Akten - unvermittelt eine Zählung). Ebd., pag. 2-6; die Kosten dieser Reise wurden auf ca. 2600 Mark veranschlagt, was in etwa dem durchschnittlichen Jahreseinkommen eines jüngeren Pfarrers entsprach. Ebd., pag. 19.

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

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gung der Botschafter und Konsulate sowie der Ausstellung von Kaiserpässen konnte Dryander Kapler am 16. Februar die genaue Terminierung der Reise übermitteln, bevor er selbst in Begleitung Lahusens und ihrer beider Söhne sowie mit dem sich anschließenden Mirbach und dessen Frau am 27. Februar nach Neapel aufbrach.82 Hier schiffte sich die kleine Reisegesellschaft nach einem Gottesdienst bei der deutsch-schweizerischen Gemeinde und der Besichtigung der deutschen Schule am 6. März nach Alexandria ein, um rechtzeitig (10.-14. März) zum 50jährigen Jubiläum dieser Gemeinde Grüße übermitteln zu können. Nach einem längeren Aufenthalt in Kairo (15.-21. März), der besonders durch die Grundsteinlegung fur eine neue Kirche nebst Schul- und Pfarrhaus bestimmt war, traf Dryander am 23. März in Jaffa auf bekannte Gefilde. Der Höhepunkt dieser Reise war wiederum der Aufenthalt in Jerusalem (28. März - 6. April), welcher zudem auf die Osterwoche fiel. "In der Erlöserkirche [am Karfreitag] zu predigen, war mir auch in der Erinnerung an 83

die Weihe und die Kaisertage von 1898 eine besondere Freude."

Am Ostersonntag konnte Dryander den Grundstein zur Auguste-ViktoriaStiftung auf dem Ölberg legen, einem als Hospiz, Rekonvaleszenten-, Erholungs- und Versammlungsstätte unter Kaiserwerther Leitung stehenden Komplex, der mit seinem hohen Turm und der Kirche "ein Wahrzeichen evangelischen Deutschtums in Palästina" werden sollte84. Nicht zufällig fiel auch der Termin der sogenannten Orientkonferenz der deutschen evangelischen

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Ebd., pag. 8, 9 u. 24. Der äußere Verlauf der Reise ist kurz skizziert nach dem von Dryander selbst erstellten Reisebericht v. 24.7.1907, EZA 5/1928, nicht pag., Az.: E.O. 3847 (mit eigener Seitenzählung), der auch den Erinnerungen 252-266 zugrunde lag, sowie nach den Schilderungen aus den besuchten Gemeinden, gesammelt in: DeutschEvangelisch im Auslande 6 (1907), 264-276. Auszug aus dem Reisebericht Dryanders, EZA 5/1996, Az.: E.O. 4688 (S. 4). Deutsch-Evangelisch im Auslande 6 (1907), 270. S.a. die Positive Union 4 (1907), 102, und die Reformation 6 (1907), 286f. Am Himmelfahrtstag 1990 wurde die Himmelfahrtskirche mit angrenzendem Auguste-Viktoria-Hospital vom damaligen EKD-Ratsvorsitzenden Martin Kruse nach einer Restaurierung wiedereingeweiht. Diese Einrichtung, die 1898 von Wilhelm II. auf seiner Orientreise gestiftet wurde, wirkt heute - noch immer hoch auf dem Ölberg wie eine Burg sich erhebend - wie ein Denkmal deutscher protestantischer Vergangenheit. S. Die Einweihung der Kaiserin Auguste VictoriaStiftung mit der Himmelfahrtskirche auf dem Oelberge und der Kirche Mariä Heimgang auf dem Zion (= VIII. Bericht über ... die Kaiserin Auguste Victoria-Stiftung ... für das Jahr 1910, hg. v. E.Freiherr von Mirbach, Potsdam 1910); E.Roth, Preußens Gloria im Heiligen Land. Die Deutschen und Jerusalem, München 1973, 157-204; J.Krüger, Deutsche Evangelische Kirchen im Ausland - vom einfachen Kapellenbau zur nationalen Selbstdarstellung, in: K.Raschzok/R.Sörries (Hgg.), Geschichte des protestantischen Kirchenbaues. FS fur P.Poscharsky zum 60. Geburtstag, Erlangen 1994, 93-100.

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4. In der Kirchenleitung

Geistlichen (4.-7. April) in die Visitationswoche, so daß Dryander und Lahusen sich beteiligen konnten. Über Haifa und Damaskus führte die weitere Reise an Nazareth und Tiberias vorbei nach Beirut (14.-20. April), wiederum mit der Feier eines 50jährigen Gemeindejubiläums. Nachdem Dryander in Smyrna am 24. April schon einen neuen Gemeindepfarrer vorstellen konnte, gelangte man nach Konstantinopel, wo Dryander neben einer kirchendiplomatischen Audienz beim Sultan die seltene Gelegenheit nutzte, einen seiner Domstiftskandidaten, Graf von Lüttichau, in sein Amt als Botschaftsprediger einzuführen85. Am 13. Mai endlich traf die Reisegesellschaft ohne den unterwegs erkrankten Mirbach wieder in Berlin ein. Liefen die jeweiligen Besuche der Gemeinden - bis auf Sonderveranstaltungen - zwar alle nach einem ähnlichen Schema, in wechselnder Reihenfolge aus einer oder mehreren Predigten Dryanders und Lahusens, Gemeindeversammlungen und -festen, Begegnungen und Besichtigungen aller Einrichtungen sich zusammensetzend, so war ein jeder Aufenthalt, wie die einzelnen Berichte zeigen, doch ein ausgesprochener Höhepunkt, ein hoher Festtag im Leben der meist kleinen Gemeinden86. Hierbei spielte es eine große Rolle, daß mit Dryander eine ranghohe, auch mit weltlichen Titeln ausgestattete Persönlichkeit, bald darauf sogar ranghöchster Geistlicher, gesandt wurde, der die Heimatkirche repräsentativ vertreten, persönliche Grüße des Kaisers und seiner Familie ausrichten und sogar aus vertraulicher Nähe zum Kaiser plaudern konnte. Diese scheinbar äußerliche und nebensächliche Verbindung war gerade im Orient von großem Wert und hob das Selbstvertrauen dieser Gemeinden, da diese nach Dryander in eine durch und durch religiöse Welt gepflanzt waren, die "mit einer Verachtung ohne Gleichen [...] auf die Christen" herabsah87. Allerdings konnte Dryander der Christenheit insgesamt an diesem geminderten Ansehen durch die Muslime eine eigene Schuld nicht versagen, da sie dem religiösen Eifer und der Lebendigkeit des Islam bisher fast nichts anderes als eine konfessionell getrennte und hart versteinerte

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Dies war ein wohl leider seltenes Zusammentreffen von Ephorus und Domstiftskandidat im Ausland zu solch einem Anlaß. Denn nicht selten traten die Domstiftskandidaten bis 1904 in etwa jeder Zehnte - ihre erste Pfarrstelle im Ausland an. Besonders Hoffmann hatte die Tradition geschaffen, Kandidaten fur den Auslandsdienst zu gewinnen; s. Krieg, Auslandsdiaspora 118f. Für 1903 galten folgende Seelenzahlen: Alexandrien 500, Kairo 700, Jaffa 110, Jerusalem 370, Bethlehem 160, Haifa 140, Beirut 150, Smyrna 200 und Konstantinopel 700 (Verhandlungen der 5. ordentl. Generalsynode 1903, Bd. 2, 167). Reisebericht Dryanders 9 (EZA 5/1928).

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

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religiöse Ausprägung des Christentums entgegengesetzt hätte. Im Gegensatz zu der Festtagsstimmung auf der Reise schlug bei Dryander insgeheim doch eine Enttäuschung über den Zustand der deutschen Gemeinden durch. Nicht daß er sich über Missionserfolge Illusionen gemacht hätte, aber die Gemeinden "sollten dieser Welt durch ihr Dasein, ihr Leben, ihr persönliches Christentum verkündigen, was Evangelium ist. In markigen Worten hat das seinerzeit Seine Majestät der Kaiser in der vielzitierten Ansprache zu Bethlehem zum Ausdruck gebracht. Aber welch' anderes Bild dieser evangelischen Gemeinden ergibt sich in Wirklichkeit!"88 Wenn Dryander feststellen mußte, daß die evangelischen Gemeinden in der Gefahr stünden, innerlich zu zerfallen, da ihre Glieder, wie er zu beobachten meinte, zum einen, im orientalisch üppigen Lebenstil aufgehend, den höheren und inneren Fragen des Lebens entwöhnt seien und zum anderen vielfach in eine religiöse Gleichgültigkeit verfielen, so hatte er damit die spezifischen Schwierigkeiten einer Auslandsgemeinde in fremdem kulturellen Umfeld erfaßt 89 . Er konnte sich des eigentümlichen Eindrucks nicht erwehren, "daß das unmittelbare Nebeneinander und der Konkurrenzkampf der Religionen nicht sowohl neben einer recht verstandenen Toleranz die religiöse Energie und die Bekenntnistreue des Einzelnen höher spannt, als vielmehr den Gedanken nahelegt, daß jeder nach seiner Fafon um das Heil kämpfen müsse und niemand wisse, wer von allen im Besitz des ächten gottgegebenen Ringes sei."90 Diese teilweise verhängnisvoll auftretende Entwicklung bestärkte Dryander in der Auffassung, nur die besten Kräfte für den Dienst in der Auslandsdiaspora zu verpflichten. Trete doch an die Geistlichen und Leiter der Gemeinden neben ihren alltäglichen 'Kämpfen' in gesteigertem Maße "die Aufgabe heran, [die Gemeinden] nicht nur [...] zu evangelisch-kirchlich und christlich bewußtem

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Ebd. 10. In einem interessanten Aufsatz über 'Die Schwierigkeiten in den deutsch-evangelischen Auslandsgemeinden' hat Th.Boettner seine diesbezüglichen Erfahrungen aus Südbrasilien wohl zutreffend verallgemeinert dargestellt, Deutsch-Evangelisch 3 (1904), 145-162. Vgl. aber auch den ergänzenden Aufsatz über 'Die Lichtseiten deutsch-evangelischer Auslandsgemeinden', Deutsch-Evangelisch im Auslande 6 (1907), 69-80. Reisebericht Dryanders 11 (EZA 5/1928); hier s.a. das Folgende. Diese aus der Nachbarschaft großer Religionen erwachsende Möglichkeit erschlaffender Wirkungen statt förderlichen Wettbewerbs beschrieb auch Boettner, Schwiergkeiten 15 lf, anhand der Lessingschen Parabel als verhängnisvoll, insbesondere wenn sich aus der Überzeugung, alle Religionen seien gleich gut, die Meinung, alle Religionen seien gleich schlecht, herausbilde.

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4. In der Kirchenleitung

Leben zu erziehen, sondern auch sie zu befähigen, anderen Konfessionen Licht und Salz zu sein." Zudem sei nicht zu verkennen, daß den deutsch-evangelischen Gemeinden eine weitere Bedeutung zukomme, seien sie doch "die eigentlichen und specifischen Vertreter des Deutschtums"91. Auch dies gab das Selbstverständnis der Diasporagemeinden treffend wieder, wie Dryander es, von der festlicheren Atmosphäre bei den jeweiligen offiziellen Empfangen unterschieden, in reflektierterer Weise auf den Sitzungen der Orientkonferenz unter den dort anwesenden Pfarrern erfuhr92 und wie man es aus den vielen Beiträgen der Diasporazeitschrift herauslesen kann. Sah Dryander schon in der inneren Perspektive der Gemeinden Kirchlichkeit und Nationalität zu einem Begriff sich verschmelzen93, so verwies er in seinem Bericht betont auf deren äußere Relevanz: "Auch ohne daß politische Momente irgendwie mit der Gemeindearbeit selbst sich zu verknüpfen brauchen, liegt es in der Natur der Sache, daß das Gedeihen dieser Gemeinden, der Respekt, den ihr religiöser Ernst, ihre sittliche Kraft, ihre innere Einheit, ihre kulturelle Höhe im Wettstreit der Nationen abnötigt, notwendig auch dem Ansehen des deutschen Namens zugutekommen muß. [...] So wird das Gedeihen und der Aufbau unserer Gemeinden, auch ohne es zu wollen, ein Moment in dem 94 großen Kampfe der Nationen um den Einfluß auf die Länder des Orients."

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Reisebericht Dryanders 12 (EZA 5/1928). Sehr anregend war ihm der Vortrag Pastor Tietzes aus Haifa v. 5. April über 'Die Eigenart der Predigt in der Auslandsdiaspora', Reisebericht Dryanders 41f (leicht verändert abgedruckt als 'Zur Frage der Predigt in der Auslandsdiaspora', DeutschEvangelisch im Auslande 6 [1907], 305-315). Dryanders Predigtvorstellungen im Grunde nahestehend, sah Tietze das besondere Gepräge der Auslandspredigt nicht in der Eigenart des Stoffes oder des Predigers, sondern in der Besonderheit der Gemeinden begründet: als deutsche Gemeinden im Ausland und als evangelische in überwiegend andersgläubiger Umgebung mit jeweiligen Gefährdungen und Förderungen (a.a.O. 306f). Volkliches und konfessionelles Element brächten in dieser Umgebung eine die Predigt (wie das Gemeindeleben) durchziehende Spannung zwischen Partikularismus und Universalismus, die aber im Idealfall einen Ausgleich finden könne: "Christentum und Nationalität sind zwei Seiten des Geisteslebens, die nicht unvermittelt neben einander stehen, noch weniger wider einander" (311). Dryander machte dies u.a. am deutschen Schulwesen fest wie auch Boettner, Lichtseiten 70, der aus eigener Erfahrung und Überzeugung formulierte, daß z.B. "die deutsche Kirche und die mit ihr verbundene deutsche Schule der sicherste Hort des Deutschtums sind." Reisebericht Dryanders 12 (EZA 5/1928). Allein schon Bauten christlicher Denominationen [worunter dann auch die Erlöserkirche und die geplante Auguste-ViktoriaStiftung zu zählen wären] würden in ihrem gewissen äußeren Glanz der hierfür empfänglichen arabischen Rasse imponieren (s.a. die Äußerung Dryanders auf der General-

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Zu diesem Zweck machte Dryander seiner Kirchenbehörde den eigenartigen Vorschlag, dem diplomatisch-politischen Feld entsprechend, aber das explizit politische Moment zurückstellend, religiöse Konsuln zu entsenden, die - so wird man den nicht weiter ausgeführten Vorschlag wohl weiterführen dürfen - gleichsam bischöflich deutsch-evangelische Interessen im Ausland vor Ort vertreten und auf die Gemeinden stärker einigende Wirkung haben sollten. Vielleicht enthielt sich Dryander schon deswegen einer weiteren Ausführung dieses Gedankens, da er sehen mußte, wie gerade der langgehegte Berliner Plan eines orientalischen Gesamtgemeindeverbandes, für den er in vielen Verhandlungen und Besprechungen unermüdlich warb, an den jeweils zu verschiedenen Gemeindeverhältnissen und vor allem an dem starken Bewußtsein eigener Selbständigkeit scheiterte.95 Was die Stärke jeder einzelnen Gemeinde und der Motor lokaler Gemeinsamkeit sein konnte, nämlich das in "absoluter Freiwilligkeit" bestehende Ferment deutsch-evangelischer Auslandsgemeinden96, war andererseits ein Hemmnis in dem Bestreben, 'von oben' größere Verbände aufzubauen. Allenfalls die von Dryander zu

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synode 1909, nach der "eine gewisse Darstellung dessen, was man will, eine Repräsentation, ganz unbedingt notwendig ist, um einigermaßen den Arabern und Türken zu imponieren", Verhandlungen [...], Bd. 1, 57/58). Nach Kenntnisnahme dieses Berichts verwahrte sich der Vorsitzende des Jerusalem-Vereins Zieten-Schwerin gegen diese Ausführungen. Die vom Jerusalem-Verein mitgetragenen Bauten seien nicht in dem Bestreben enstanden, über ihren Glanz imponierende Wirkung auszuüben. Auch träfe es weder für den Vorstand noch für die Arbeiter des Jerusalem-Vereins zu, daß - wie er es bei Dryander (a.a.O. 35) formuliert fand - das Ringen der Mission um Einfluß auf die einheimische Bevölkerung mit politischen Motiven und Zielen verknüpft sei. So konnte sich Zieten-Schwerin für die Zukunft nur wünschen, daß der EOK einmal einen Abgesandten in den Orient senden möge, der mehr Zeit auf die Beurteilung der Arbeit des Jerusalem-Vereins verwende (Vorstand des Jerusalem-Vereins an EOK v. 17.3.1908, EZA 5/1927, Az.: E.O. I 1677). Der EOK konnte diesen an Dryanders Reisebericht gewonnenen Eindruck als auf Mißverständnissen beruhend allerdings nur abweisen: Die Aussagen über die Missionsarbeit wie über die Bautätigkeit im Orient seien deutlich allgemeiner Art, um die Atmosphäre darzustellen, und nicht auf den Jerusalem-Verein bezogen (EOK an den Vorstand des Jerusalem-Vereins v. 18.5.1908, ebd.). In seinen Erinnerungen stellte Dryander, wie noch zu zeigen sein wird, beschönigend heraus, wie die deutsche evangelische Mission im Gegensatz zu anderen Missionen "jede Beziehung zur Politik von jeher bestimmt und entschlossen abgelehnt" habe (263). Reisebericht Dryanders 18 (EZA 5/1928). Nach Boettner, Lichtseiten 69.

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lebendigem Austausch und geistlicher Anregung lebhaft befürwortete Herausgabe eines neuen gemeinsamen Gemeindeblattes konnte gelingen. 97 In dem Lob bestehender Institutionen wurde er nicht müde, die Kaiserwerther Diakonissen hervorzuheben, die unter "allen Pionieren evangelischen Wesens und Kirchentums [...] den vordersten, ehrenvollsten und durch vorbildliche stille Verleugnung und unermüdliche Dienste heldenhaftesten Posten" eingenommen hätten. 98 Freute er sich ebenso an der allgemein großen Beliebtheit der deutschen Schulen, was sich in dem bunten Konfessions- und Nationalitätsspektrum der Schüler zeigte, gab er sich aber skeptisch für den Fall, daß "die Kenntnisse der deutschen Schule im Konkurrenzkampfe des Lebens nicht für, sondern gegen die Deutschen verwendet würden." 99 Symptomatisch für diese in ihrer Mischung aus Erwartung und Enttäuschung, Hoffen und Bangen wohl die in der Diaspora lebendige Spannung aus Partikularismus und Universalismus spiegelnden Gedanken und Eindrücke Dryanders war folgende Begebenheit: So traf Dryander gleichsam wie Paulus in Korinth auf Spaltungen innerhalb der Gemeinden, insbesondere innerhalb der Jerusalemer Gemeinde, die sich an der Frage einer Integration arabischer Christen in die Gemeinschaft entzündeten 100 . Zwar hielt man es grundsätzlich für wünschenswert, eine dem Charakter nach einheitliche evangelische Missionsgemeinde aus deutschen und arabischen Christen zu konstituieren. Als aber ein Plan Gestalt annahm, ohne Rücksicht auf Nationalitäten Araber und Deutsche in einem Gemeindekirchenrat zu vereinigen, wurden aus großen Teilen der Gemeinde Proteste laut, die auf der Meinung fußten, "daß bei dem geringen Niveau, auch dem Maße sprachlicher Beherrschung des Deutschen, selbst seitens der besten Araber ein gemeinsames Arbeiten ausgeschlossen sei" 101 . Zudem stieß Dryander auf die weitverbreitete Furcht, die Araber würden schnell weitere Zugeständnisse begehren. Demgegenüber schlug Dryander vor, zunächst zwei Gemeindekirchenräte, einen 'arabischen' und einen 'deutschen', zu bilden - ein Kompromiß, der zwar eine direkte Beleidigung der Araber verhinderte und vielleicht einen Schritt auf Integra-

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S.a. das Protokoll der Orientkonferenz v. 4.-7.4.1907, Deutsch-Evangelisch im Auslande 6 (1907), 282-288, und die Denkschrift des EOK über die deutsche evangelisch-kirchliche Arbeit im heiligen Lande an die Generalsynode 1909, Verhandlungen [...], Bd. 2, 493-504, bes. 493f. Reisebericht Dryanders 17/18 (EZA 5/1928). Ebd. 15. Auszug aus dem Reisebericht Dryanders 12ff (EZA 5/1996). Ebd. 13.

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tion hin bedeuten konnte, der aber in der Realität einem Fortbestehen der Zweiklassengemeinde gleichkam.102 War die Reise Dryanders zwar von wenigen konkreten Ergebnissen begleitet, so stellte die eigentliche Visitation doch insoweit einen vollen Erfolg dar, als er auf die Probleme dieser Gemeinden wieder eindrücklich hinweisen, über persönliche Vermittlung den Gemeinden die weitere Fürsorge durch EOK wie DEKA vertrauensvoll empfehlen und sich in einer Audienz bei Abdul Hamid II. des weiteren bedeutungsvollen Schutzes für die deutschevangelischen Anstalten in Syrien und Palästina versichern konnte103.

4.2.3. Auf Friedensmission Es ist verständlich, daß Otto Dibelius sich 1928 während eines kirchlichen Besuchs- bzw. Austauschaufenthaltes in London beklemmender Gedanken an den Prototyp dieser Veranstaltung nicht erwehren konnte: "Der Besuch deutscher Kirchenmänner in England und der Gegenbesuch der Engländer in Deutschland kurz vor dem Kriege gehört begreiflicherweise nicht zu den

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In den sich hier andeutenden Schwierigkeiten dürfte - neben einer fehlenden satzungsgemäßen Aufgabe - auch ein Grund dafür zu finden sein, daß der DEKA die Arbeit an den deutschen Auslandsgemeinden zunächst nicht mit dem Gebiet der Mission verbinden wollte. Eigentlich fühlte man sich nur für die Vertretung evangelischer Deutscher im Ausland zuständig. Erst auf eine dringliche Anregung eines Missionars auf intensivere Unterstützung der Missionsarbeit in den deutschen Kolonien und Schutzgebieten hin holte man ein Gutachten über die Möglichkeiten des DEKA in dieser Sache ein (Protokoll der Sitzung v. 3./4.12.1908, S. 9, EZA 7/3950). Ein positives Gutachten ging zwar in die Entscheidung des DEKA ein, die Förderung der Mission insoweit als eigene Aufgabe anzusehen, als er einen Beitrag zur Koordinierung der jeweiligen Stellen leisten könne (Protokoll der Sitzung v. 16./17.12.1909, S. 2, a.a.O). Allerdings lassen sich außer finanzieller Hilfe kaum gewichtige und einflußreiche Berührungen mit der Missionsarbeit erkennen. Die Koordinierung und Durchführung ihrer Arbeit ließen sich die einzelnen Missionsvereine bzw. ihre wenigen gemeinsamen Organe nicht gern aus der Hand nehmen. EvD, Erinnerungen 266. Gerade das Letztere dürfte nicht unerheblich gewesen sein, waren doch überall im türkischen Reich die nicht ungefährlichen Wehen der Ereignisse zu spüren, die 1908/09 durch militärische Aufstände und die jungtürkische Bewegung letztendlich die Absetzung Abdul Hamids zur Folge haben sollten. Auf der Generalsynode von 1909 berichtete Dryander von den ungewissen Folgen der politischen Umwälzungen auf die Liebesarbeit im Heiligen Lande und den ernsten Augenblicken, "wo unsere Landsleute wochenlang bewaffnet haben ausgehen müssen, und wo es [...] an einem einzigen Faden gehangen hat, ob ein Massacre ausbrechen werde" (Verhandlungen [...], Bd. 1, 56).

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liebsten Erinnerungen der jüngsten Vergangenheit. Wer den Krieg erlebt hat, denkt nicht gem zurück an die Reden von damals!" 104

Und doch wird man gerechterweise zugestehen müssen, wie das damalige kirchliche Interesse und Bemühen um Verständigung mit England zu einem Zeitpunkt, da das deutsch-britische Verhältnis nicht zuletzt durch das Vorantreiben der deutschen Flottenpolitik stark belastet war, zumindestens ein Zeugnis dafür abgab, daß die von Dryander und Wilhelm II. zu den Kirchweihfeiern in Berlin und Jerusalem vor international geladenen Gästen entwickelten Vorstellungen einer deutschen Mission im Friedensprozeß im Rahmen einer überkonfessionellen Zusammenarbeit nicht nur Worte waren.105 Auf Anregung und Einladung allerdings englischer Laien um den Parlamentsabgeordneten und Quäkerfuhrer Allen Baker, der mit der Einladung höchstpersönlich bei Dryander, dem geistlichen Vizepräsidenten des EOK, bei Faber, dem Generalsuperintendenten von Berlin, und bei Voigts, in dessen Funktion als Vorsitzender des DEKA, vorstellig geworden war106, und getragen vom Geist der Haager Friedenskonferenz von 1907 fand im Mai/Juni 1908 die sogenannte Friedensfahrt deutscher Kirchenmänner aller Konfessionen nach England und Schottland statt.107 Diese Fahrt, an der unter der 104

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O.Dibelius in seinem Kommentar zur Reise seiner Delegation in der "Tageszeitung" v. 1.7.1928, EZA 5/1291 (nicht pag.). S.u. 278ff (Kap. 5.2.7.). Zudem warb Baker beim Reichskanzler und beim Staatssekretär des Äußeren für die Unternehmung (Voigts an die Mitglieder des DEKA v. 12.2.1908, EZA 1/A2/428, pag. 2V). Vgl. dazu den Erinnerungsband: Der Friede und die Kirchen. Zur Erinnerung an den Besuch in England abgestattet von Vertretern der Deutschen Christlichen Kirchen vom 26. Mai bis 3. Juni 1908. Einschließlich des Besuches in Schottland vom 3. bis 7. Juni 1908. Peace and the Churches. Souvenir Volume of the Visit to England of the Representatives of the German Christian Churches [...], London - New York - Toronto Melbourne o.J.(1909), sowie W.Bomemann, Die Friedensfahrt deutscher Kirchenmänner nach England. Skizzen zum Andenken und Nachdenken, Gießen 1908; Th. Kaftan, Erlebnisse 343-360; H.v.Bassi, Otto Baumgarten. Ein "moderner Theologe" im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Europäische Hochschulschriften, Reihe 23, Theologie, Bd. 345, Frankfurt a.M. - Bern - New York - Paris 1988, 117-120; EvD, Erinnerungen 246f. Nach der Anreise über Bremen und Southampton nach London (26./ 27.5.) lief ein reichhaltiges Programm ab, das mit Besichtigungen, Empfängen (am 30.5. bei König Edward VII. und dem Bischof von London) und Gottesdiensten (Dryander predigte am 30.5. in der German Church of Sydenham) gefüllt war. Als Haupttag des Besuchs wurde allgemein der l.Juni mit dem die Friedensresolutionen erarbeitenden Kongreß in der Royal Albert Hall empfunden, bevor der Hauptteil der Reisegesellschaft am 3.6. die Rückreise und ein kleiner Teil die Weiterreise nach Schottland antrat (Der

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Mitleitung Dryanders 135 Delegierte des DEKA, von deutschen Katholiken und Freikirchen, von Universitäten und kirchlichen Vereinen teilnahmen, diente nach dem Urteil Dryanders "wesentlich politische[n] Ziele[n]", nämlich einer "Verständigung von Volk zu Volk", auch wenn die Fahrt von kirchlichen Kreisen getragen wurde.108 Nach Rücksprache mit Dryander und Faber sah Voigts die bevorstehende Veranstaltung im Sinne der im DEKA vertretenen Kirchenregierungen nicht durch einen "spezifisch theologischen oder kirchlichen Charakter[...] bestimmt". Sie solle " - geplant im Interesse des internationalen Friedens und der Freundschaft zwischen beiden Völkern - zu einer Annäherung und persönlicher Berührung zwischen den Gliedern deutscher und englischer christlicher Kirchen fuhren [...]".109 So betonte Dryander beim Empfang der Delegation denn auch, mit welch "lebhafter Freude" sie die überraschende Einladung zu diesem Besuch als eine ihnen "entgegengestreckte Hand ergriffen und festgehalten" hätten.110 Symptomatisch sei, wie der Kaiser ihm "mit bereitwilligster Freudigkeit" Urlaub für diese Fahrt gewährt habe, als er diesen nach der Weihe der Homburger Erlöserkirche darum gebeten hatte.111 Auf den verschiedensten Versammlungen und Empfängen wies Dryander immer wieder auf den im Vergleich zu anderen Veranstaltungen, welche ebenso die Förderung der Beziehungen zwischen "den beiden grossen und edlen Nationen" zum Ziel hätten, ungleich breiteren, tieferen und innerlicheren Einheitsgrund dieses Zusammentreffens hin. Denn sie seien alle eins "in den großen Gütern unseres christlichen Glaubens, in dem Bekenntnis zu einem Gott und Vater [...] , in der Hoffnung auf einen Heiland".112

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Friede und die Kirchen 63-109). Dryander und Lahusen schlossen sich zunächst den Schottlandfahrern an, um sich dann in Newcastle-on-Tyne von ihnen zu verabschieden (ebd. 99). EvD, Erinnerungen 246; so auch M.Rade in seinem Kommentar, Deutsche Kirchenmänner in Großbritannien, ChW 22 (1908), Sp. 611-615, 61 lf; vgl. ders., Im Zeichen des Dreadnoughts oder im Zeichen des Kreuzes?, ChW 23 (1909), Sp. 629-632, 632. Die Reformation 7 (1908), 202, sah dem konfessionellen Mischzustand des Unternehmens zunächst mit Sorge entgegen, konnte dem aber zustimmen, nachdem Allen Baker selbst in einem Brief über den nur sekundär kirchlichen Charakter der Reise informierte (ebd. 285). Voigts an die Mitglieder des DEKA v. 12.2.1908, EZA 1/A2/ 428, pag. 2R. Der Friede und die Kirchen 116. Bei einem Festbankett am 29.5., ebd. 138. Ebd. 117.

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Allerdings zerstöre der gemeinsame Boden des Evangeliums nicht die Individualität der Völker, sondern weihe und heilige sie, so daß jedes Volk die Eigenart des anderen achten und respektieren könne.113 Wie verschieden die geschichtliche Eigenart beider Völker auch sei, gebe es doch eine wichtige Gemeinsamkeit: "ein festes monarchisches Gefühl, ein Aufschauen zu der Person des Königs, der uns der edelste Repräsentant der Staatsidee ist, in der unsere gesammten patriotischen Gefühle wurzeln". 114

Darüber hinaus bestehe ein noch engeres Band zwischen beiden Völkern durch die verwandtschaftlichen Beziehungen ihrer Königshäuser - "Blut ist dicker als Wasser!" - , was Dryander an der Vergegenwärtigung der auch von ihm mitgestalteten Trauerfeier für die aus dem englischen Königshaus stammende zweite deutsche Kaiserin zu veranschaulichen suchte.115 Dryander hatte damit den Ton getroffen, der die gemeinsame, am 1. Juni in der AlbertHall verabschiedete Resolution bestimmte, welche in der Erkenntnis eines gefährdeten Weltfriedens im Vertrauen auf tief in die Herzen beider Nationen eingegrabene gemeinsame Traditionen einen Beitrag zu ernstem gegenseitigen Verständnis und ehrlicher Zusammenarbeit liefern wollte.116 In Würdigung des guten Gedanken Bakers, daß Menschen sich zum Erreichen des Friedens in die Augen sehen müßten, verwies Dryander in einer Ansprache zur Feier der Resolution auf den Stein von Rosette, den ein Teil der deutschen Delegation soeben im Britischen Museum besichtigt hatte. Wie dieser Stein mit seiner dreisprachigen Inschrift über die Brücke des Namens Nebukadnezars den entscheidenden Schlüssel zur Entzifferung der Hieroglyphenschrift geliefert habe, solle der Name Christi zum Schlüssel werden, "um verwirrte Schriftzüge auseinander zu wirren und um sich missverstehende Menschen einander zu nähern."117 Aus einer in England ihm wieder bewußt gewordenen "unitas in necessariis" heraus118 konnte er die Einla-

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Ebd. 139. Ebd. 118. Ebd. 138; diesem Zweck diente auch die Kranzniederlegung auf dem Grabe Queen Victorias von Seiten Dryanders, ebd. 95. Text der Resolution: ebd. 61; vgl. 190f. Ebd. 194 (193-195). Die CCW 18 (1908), 304, zitiert eine (namentlich nicht genannte) englische Tageszeitung v. 1.6., in der von Dryander gesagt wurde: "By far the most interesting personality amongst them is the white-haired Dr. Dryander, who is all fire, vivacity and genius. His speech, which was delivered in German, was the event of Monday evening." So formulierte Dryander im Vorwort des offiziellen Erinnerungsbandes, a.a.O. 13f.

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dung zu einem englischen Gegenbesuch aussprechen, der vom 7. bis 20. Juni des Folgejahres nach bewährtem Muster stattfand. Auch an diesem Unternehmen unter der Losung "Ein Gott, ein Heiland, eine Bibel" hatte Wilhelm II. lebhaftes Interesse, wie er bei einem Empfang der britischen Delegation - analog zur Audienz der deutschen Delegation bei Edward VII. - in Potsdam zum Ausdruck brachte." 9 Am Tag zuvor hatte Dryander von der Domkanzel herab versucht, an die Stimmung des Vorjahres anzuknüpfen, indem er über vielfach in Mißkredit geratene große Worte und Bekenntnisse hinaus eine "Sprache der Tat" beschwor. So sprach er aus, daß es von der Kirche gefordert sei, "mitten ins öffentliche Leben" hineinzutreten.120 Die Wahrnehmung dieser Aufgabe wünschte er sich in dem Bewußtsein eines je besonderen Dienstes der einzelnen christlichen Völker an der "großen Harmonie des Reiches Christi". Vom erwachenden Geist der Ökumene gepackt, konnte Dryander ausrufen: "Gebt uns, ihr Brüder aus England, etwas von der Gestaltungskraft eurer Kirchen, von der Freudigkeit eures Bekenntnisses, von der Energie eures Missionstriebes! Wir wollen euch dafür zurückgeben die stille Arbeit unserer Theologen, den Ernst unserer Schriftauslegung, die Freude an unserer sozialen Liebesarbeit. Geben wir einander vor 121

allem das Gelöbnis, einander verstehen zu wollen [...]".

Diese Predigt nahm in vielem die Resolution vom 15. Juni vorweg, welche die Einigkeit im Einsatz um den Frieden auf der Basis alter gemeinsamer geschichtlicher Traditionen und auf dem Boden des Evangeliums beschwor.122 Wie wichtig, aber auch wie schwer allein schon das Bemühen um gegenseitiges Verständnis empfunden wurde, kann die Begrüßungsrede Dryanders in seiner Funktion als Ehrenpräsident des Besuchskomitees - vom 14. Juni zeigen.123 Hier betonte Dryander nüchtern den Ernst der Lage, die von ver-

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Besuch Britischer Kirchenmänner in Deutschland vom 8. bis 20. Juni 1909. Hamburg Berlin - Eisenach - Bielefeld - Bremen, hg. v. Fr.Siegmund-Schultze, Berlin 1909, 24. Allgemeinen Eindruck machte die von Wilhelm II. improvisierte Anrede "Gentlemen and Brothers!"; vgl. Rade, Zeichen, Sp. 629; CCW 19 (1909), 384f. EvD, Salz und Licht - Der Weltberuf der Christen. Predigt über Matthäus 5, 13-16 am 1. Sonntag n.Trin., 13. Juni 1909, im Dom zum Besuch britischer Kirchenmänner in Berlin, in: ders., Gott und Mensch 209-217, 214f (unter dem Titel "Deutschland und England" teilweise abgedruckt in der Eiche 1 [1913], 81-83). Ebd. 215f. Siegmund-Schultze, Besuch 32. Besuch der britischen Kirchenmänner, CCW 19 (1909), 386-388; vgl. Siegmund-Schultze, Besuch 3.

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stärkter britischer Gegenrüstung aus wachsendem Mißtrauen gekennzeichnet war124. Da die Gegensätze der Politik schwer seien und die Dinge sich hart im Räume stießen, dürfe man es nicht bei schönen Worten und Empfindungen der Zusammengehörigkeit belassen. Die Gedanken seiner Dompredigt aufnehmend, mahnte Dryander die unabweisbare Pflicht an, für das Einvernehmen der beiden Völker und fur die hohen Güter des Friedens zu arbeiten und zu wirken. Dryander sah an den Hindernissen, den Gottesgedanken zur Grundlage des Friedenswirkens zu machen, nicht vorbei, wenn er zugeben konnte, dies möge als "unpraktische Utopie" erscheinen. Doch tröstete er sich mit Carlyle, daß "Jeder grosse Gedanke [...] zuerst das Gepräge des Unmöglichen an sich" trage.125 Angesichts der Spannung zwischen Wirklichkeit und Hoffnung schien ihm "eine solche persönliche Berührung wie die unsere etwas ausserordentlich Geringfügiges, kaum ein Tropfen auf dem heißen Stein. Dennoch ist sie nicht bedeutungslos." Nicht nur in einigen Predigten spielte Dryander auf den Geist dieser Begegnungen an126, auch bemühte er sich im Anschluß an die Treffen um einen vermehrten internationalen Austausch christlicher Literatur, um - wie er es in dem Vorwort zu einer ins Deutsche übersetzten Schrift Boyd Carpenters einmal ausdrückte - "eine geistige Brücke zwischen den Gliedern englischer und deutscher Christen zu schlagen und das Gefühl einer Gemeinschaft des Geistes und des Glaubens zu stärken"127.

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Rade sah den Besuch denn auch im "Zeichen der Dreadnoughts" stehen. Zit. n. CCW 19 (1909), 387. Hier s.a. das Folgende. So in der Predigt zur Eröffnung der 29. Tagung der Eisenacher Kirchenkonferenz am 15.6.1908 auf der Wartburg, EZA 1/Al/ 266, Protokoll der 29. Tagung [...] v. 15.6.18.6.1908, Anlage B, 21 masch. Seiten, pag. 16f (leicht verändert abgedruckt als: Der verborgene Wachstum der Gemeinde Christi. Predigt über Eph 4, 15-16 zur Eröffnung [...], in: EvD, Gott und Mensch, 201-208, 208). EvD, Geleitwort zu: W.B.Carpenter, Bischof von Ripon, Erlebt! Christi Bedeutung für die Gegenwart [The Witness to the Influence of Christ, 1904], Berlin 1912, III-VI, VI. Auch abgesehen von der englischen Herkunft dürfte es Dryander eine Freude gewesen sein, gerade Carpenters Buch mit Worten des Geleits auszustatten. Denn dieser stand nicht nur dem Kaiserhaus nahe, sondern in theologischen Fragen (a.a.O. III) und besonders in seiner kirchenpolitischen Anschauung fühlte auch Dryander sich ihm verbunden, wies er doch auf vier Seiten gleich doppelt auf den Schluß der fünften Vorlesung (a.a.O. V, VI), wo es heißt: "Es liegt ein tiefer Grundton des Friedens unter allem Durcheinander kirchlichen Streites [...]: wenn wir uns hoch genug erheben, dann erscheinen uns die trennenden Unterschiede gering. Wenn wir uns bis zu den himmlischen Höhen hinaufschwingen, dann fügen sich die mancherlei Klänge von der Erde her zu einem überraschenden Wohllaut." (a.a.O. 138). S.a. das Geleitwort zu: B.Lucas, Gespräche Christi [Conversations with Christ, übersetzt v. Fr.Siegmund-Schultze], Berlin 1910, V-

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Doch entgegen den geäußerten Wünschen blieb es auf offiziell kirchlicher Seite fast nur bei guten Worten. Zwar wurde ein Memorandum des Komitees für den Gegenbesuch mit der Bitte an den EOK und den DEKA, "bei sich bietender Gelegenheit eine Zustimmung der zuständigen Kirchenvertretungen zu den in der Resolution ausgesprochenen Friedenskundgebungen herbeizuführen", freudig aufgenommen und unterstützt.128 Doch das am 25. Januar 1910 im Verfolg der mit den Reisen intendierten Ziele gegründete "Kirchliche Friedenskomitee zur Pflege der Freundschaft zwischen Großbritannien und Deutschland"129 litt unter mehr als nur unterschwelliger Geringschätzung. Zwar gehörten Voigts und Dryander nominell dem Komitee an, doch weisen die Sitzungsprotokolle bis auf wenige Ausnahmen ein fortgesetztes Fehlen gerade dieser beiden höchstrangigen Kirchenführer auf. 130 Hier also klaffen bei Dryander Friedens-Worte und Friedens-Wirken deutlich auseinander. Zwar ist aus diesen Bemühungen besonders Siegmund-Schultzes weiterhin - noch am 1. August 1914 gegründet! - der "Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen" erwachsen131, doch konnten diese ersten zart und nicht zwischen allen christlichen Kirchen geknüpften ökumenischen Bande - auch der zweite seit der Edinburgher Missionskonferenz 1910 heranwachsende ökumenische Strang ('faith and order') ist hier zu erwähnen - den politischen Ereignissen nicht entgegenwirken, zumal Mißtrauen und geringe Wertachtung

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VIII, worin Dryander das Buch besonders den Homileten als für den psychologischen Unterbau einer Predigt bereichernd und anregend empfahl. Vgl. a. das Geleitwort zu: G.C.Morgan, Alles neu, Berlin 1909. Memorandum v. 21.7.1909, EZA 5/1290, pag. 28. Auch der DEKA würdigte die Englandfahrt wie den Gegenbesuch und billigte die jeweiligen Resolutionen (Sitzungsprotokoll v. 16./17.12.1909, S. 12, EZA 7/3950, Az.: K.A. 2068/09). S. den Bericht Fabers für das Besuchskomitee vor der Generalsynode am 29.10.1909, Verhandlungen der 6. ordentl. Generalsynode 1909, Bd. 1, 139-140, und die in der CCW 19 (1909), 588-604, gesammelten Pressestimmen. EZA 5/1290, nicht pag. (Az.: K.A. 265). In dieser Akte finden sich auch alle Sitzungsprotokolle. Personelle Kontinuität wurde in diesem Kreis vor allem durch SiegmundSchultze und Missionsdirektor Spiecker gewährleistet. Immerhin gehörte Dryander bis zur Maiausgabe 4 (1916) dem Herausgeberkreis der Eiche an, einer von Siegmund-Schultze maßgeblich initiierten "Vierteljahresschrift zur Pflege freundschaftlicher Beziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland", die sich als Organ des erwähnten Komitees verdient gemacht hat. Fr.Siegmund-Schultze, Art. "Weltbund fiir Freundschaftsarbeit der Kirchen", 2 RGG, Bd. 5 (1931), Sp. 1850.

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deren Entfaltung hemmten132. Das kirchliche Friedenskomitee faßte am 9. November den Beschluß, seine Arbeit einzustellen.133 Das Wort, welches Allen Baker 1909 in einer von Dryander überlieferten Audienz Wilhelm II. als Friedenshort gegenüber fallen ließ, - "Thou are the man!"134 - sollte sich nicht erfüllen. Auch das von Dryander oft unterstützte Bild Wilhelms II. als einer protestantischen Führer- und Friedensgestalt mußte angesichts der Entwicklung ein Ideal bleiben.

4.2.4. "Voigts-Dryander-Kaftansche Weisheit"135 - ein 'Fall'beispiel Die auch im neuen Jahrhundert nicht abreißende Kette von Lehr- und Bekenntniskonflikten hatte die Unangemessenheit der bisher darauf angewandten Disziplinarverfahren immer deutlicher werden lassen.136 Basierend auf

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So lehnte der DEKA auf seiner Sitzung v. 15.1.1914 eine Teilnahme an einem im Rahmen von 'faith and order' von der Schweizerisch-reformierten Kirchenkonferenz angeregten Kongreß offizieller Abgeordneter der Kirchen Europas "zwecks Erörterung der den Kirchen zur Förderung des Friedens zu Gebote stehenden Mittel" ab und begründete dies mit einer grundsätzlich skeptischen Haltung zu 'faith and order' (EZA 7/3951, Az.: K.A. 79, S. 5). Besonders der Württembergische Konsistorialpräsident Zeller hatte durch ein Gutachten zu dieser Bewegung, das allgemeine Zustimmung fand, der Ablehnung vorgearbeitet (ebd. als Anlage A). Zwar sei der organisatorische Aufbau von 'faith and order' klar ersichtlich, doch der Inhalt bleibe verschwommen, sehe man hier doch ein "Kind amerikanischer Verhältnisse". Auch wenn in Deutschland die kirchlichen Verhältnisse ganz anders lägen, könne man den Wunsch nach Einheit noch mittragen. Eine Teilnahme von deutscher Seite sei jedoch nur dann möglich, wenn "die Bewegung nicht auf ein einseitiges amerikanisch-englisches Gebilde hinauslaufe" (S. 16). Insgesamt fand sich die Konferenz gerade durch das Beispiel der 'Evangelischen Allianz' nicht gerade ermutigt, an dem neuen Unternehmen mitzutun. Vor allem eigneten sich nach Ansicht des DEKA die dogmatischen und Kirchenverfassungsfragen nicht für Einigungsverhandlungen, da hier eher neue Differenzkeime schlummerten. Wenn der Dienst auch eine, die Lehre trenne unübersehbar. Schon die Ansichten über den historischen Episkopalismus und die apostolische Sukzession seien unannehmbar (S. 18). Sitzungsprotokoll vom 9.11.1914, EZA 5/1290, nicht pag. (Az.: K.A. 1115). Auch auf dieser letzten Sitzung war Dryander nicht anwesend. Sic! Zit. n. EvD, Erinnerungen 248f; das alte, noch im Shakespeare- und im Kirchenenglisch anzutreffende Personalpronomen 'thou' würde konsequenterweise die Verbform 'art' statt 'are' nach sich ziehen (Vgl. z.B. Mt 6, 9 in der englischsprachigen King James Ausgabe). Theodor Kaftan an seinen Bruder Julius v. 30.1.1905, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan I, 317. W.Huber, Die Schwierigkeit evangelischer Lehrbeanstandung. Eine historische Erinnerung aus aktuellem Anlaß, EvTh 40 (1980), 517-536, bes. 520-523.

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

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Vorarbeiten des Kirchenrechtlers Wilhelm Kahl, wurde in den kirchlichen Gremien und auf Synoden ein besonderes Lehrbeanstandungsverfahren entwickelt, welches von der Generalsynode 1909 in zweiter Lesung immerhin en bloc verabschiedet und von Wilhelm II. 1910 als 'Kirchengesetz betreffend das Verfahren bei Beanstandung der Lehre von Geistlichen' in Kraft gesetzt wurde. 137 Dieses sogenannte 'Irrlehregesetz' schuf mit dem Spruchkollegium eine neue, aus verschiedenen Ebenen zusammengesetzte kirchliche Instanz, die - entsprechend dem Grundgedanken, das Verfahren wegen Lehrabweichung bzw. -irrung der Geistlichen aus dem Rahmen des kirchlichen Disziplinarrechts herauszulösen - sich in einem Feststellungsverfahren ein Urteil über die weitere Vereinbarkeit von Persönlichkeit und Lehre eines betroffenen Geistlichen mit den in der Landeskirche geltenden Grundsätzen bilden sollte, ohne eine etwa festgstellte 'Irrlehre' als strafbaren Tatbestand darzustellen.138 Wurde dieses Gesetz - abgesehen von dem Beifall der 'Positiven' und beklemmenden Gefühlen auf radikal-liberaler Seite - zwar sogar von Harnack dessen einziges 'kirchliches Amt' darin bestand, (allerdings umstrittenes) stellvertretendes Mitglied des Spruchkollegiums zu sein - als ein kirchengeschichtlich "eminente[r] Fortschritt" in dem anzuerkennenden Interesse der Landeskirche am Erhalt bzw. Schutz ihres Bestandes bezeichnet, andererseits aber von seinem Widerpart Sohm, eine frühere Debatte über die (Un-)Möglichkeit kirchlicher Rechtsformen wiederaufnehmend, bestritten, "daß die Verkündigung des Evangeliums durch Richterspruch und Zwangsvollstrekkung gefordert werden kann"139, so zeigt sich allein an diesem Gegensatz schon, warum auch die geänderte Regelung neue spektakuläre und das öffent137

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Verhandlungen der 6. ordentl. Generalsynode 1909, Bd. 1, 537-633, 635-700, 783-805. Auszüge s. bei Huber/Huber, Staat und Kirche III, 735-741. Der Zusammenhang findet sich neuerdings dargestellt in der Geschichte der Ev. Kirche der Union II, 401-408 (E.Lessing). S. den Kommissionsbericht v. 9.11.1909, Verhandlungen der 6. ordentl. Generalsynode 1909, Bd. 1, 53 8f. Harnacks Äußerung aus dem Artikel in den Preußischen Jahrbüchern v. Dezember 1909 über 'Das neue kirchliche Spruchkollegium' bei Huber/Huber, Staat und Kirche III, 743745, 743; Sohm zit. aus der Erklärung mit anderen Professoren gegen das Spruchkollegium v. 21.3.1911, ChW 25 (1911), Sp. 286. Die Kontroverse zwischen Sohm und Harnack vom November/Dezember 1909 wie vor der Entscheidung über Jatho vom März/April 1911 ist dokumentiert bei Huber/Huber, a.a.O. 742-746, 755-759 , je nach Schwerpunkten skizziert bei Harnack, A.v.Hamack 305-307 und bei Rathje, Welt des freien Protestantismus 184-186, ausführlicher dargestellt von Huber, Schwierigkeit 523526.

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4. In der Kirchenleitung

liehe Ansehen der Kirche schadende Fälle doch nicht vermeiden konnte, wie auch Dryander gehofft hatte140. Denn gerade die einzige Anwendung des neuen Gesetzes im Falle des Kölner Pfarrers Carl Jatho, dessen weitere Wirksamkeit in der Landeskirche nach durchgeführtem Verfahren am 24. Juni 1911 mit seiner Lehr-Stellung zum Bekenntnis der Kirche und unter Berücksichtigung der seit 1905 wegen seiner Lehrverkündigung wiederholt an ihn ergangenen Mahnungen und einer 1907 ihm angedrohten Amtsentsetzung als unvereinbar 'festgestellt' wurde141, und das sich daran anschließende Disziplinarverfahren gegen einen der Verteidiger Jathos, Traub142, erregten die öffentliche Diskussion in höchstem Maße und zeigten die tiefe Problematik einer rechtlichen Sicherung der kirchlichen Lehre auf143. Der Entscheidung folgten Erleichterung auf der Rechten und Bestürzung auf der Linken. Friedrich Naumann fragte in seiner "Hilfe" nicht von ungefähr mit einer verletzten Sympathie und einem beschädigtem Vertrauen besonders nach Dryander: "Wie mag es Dryander zumute gewesen sein nach diesem Akt? Wie mag es in seinen eignen Ohren klingen, wenn er jetzt von der suchenden Liebe predigt und auf der Kanzel der Domkirche betet: Zu uns komme dein Reich!? dann sträubt sich der Seelsorger, der in ihm lebt, gegen den strafenden Bischof, der er gewesen ist. Aber Gott und Welt wissen es, daß der Bischof stärker war als der Seelsorger. Das ist jetzt der erste 'Geistliche' Preußens!" 144

Günther Dehn konnte berichten, wie Dryander nach der entscheidenden Sitzung über Jatho zerschlagen in das Stift zurückkehrte, sich "geradezu in Verzweiflung, voller Klagen über die Zerrissenheit der evangelischen Kirche" erging und im Blick auf die gerade beendeten Verhandlungen ausrief: "Dies war für mich das erste und zugleich das letzte Mal. Niemals wird mich wieder jemand dazu bringen können, bei einem solchem Gericht dabei zu sein." 145

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Auf der Besprechung mit den Konsistorialpräsidenten und Generalsuperintendenten v. 17.2.1911, EZA 7/1086, pag. 103V. S. die Entscheidung des Spruchkollegiums bei Huber/Huber, Staat und Kirche III, 771776. Ebd. dokumentiert 782-797. Traub hatte in Versammlungen, in der "Christlichen Freiheit" und besonders in seiner Streitschrift "Staatschristentum oder Volkskirche" so heftige Angriffe gegen das Kirchenregiment geführt, daß der EOK, dem der Fall vom Konsistorium übergeben worden war, auf die höchste Disziplinarstrafe, nämlich Dienstentlassung, erkannte. Neben Huber, Schwierigkeit 526-530, s. Rathje, Welt des freien Protestantismus 179194. Die Hilfe Nr. 26, v. 29.6.1911, zit. n. CCW 21 (1911), 365. Dehn, Die alte Zeit 129.

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

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Die von Naumann also nicht ganz zu Unrecht diagnostizierte Konfliktsituation Dryanders ließe sich auch von seinen früheren Stellungnahmen zu Lehr- und Bekenntnisfragen her aufzeigen, in denen er - um zunächst in Naumanns Kategorien zu bleiben - kirchliche Interessen und seelsorgerliche Momente relativ unbeschadet ausbalancieren konnte. Nicht erst der Beitrag zur Debatte um die Lehrfreiheit bzw. Lehrgebundenheit theologischer Lehrstühle, sondern auch schon die - weiter oben skizzierte - Haltung im Apostolikumsstreit um Harnack, die Unterscheidung nämlich zwischen fundamentalen und nichtfundamentalen evangelischen Glaubenssätzen, und vor allem eine möglichst weitherzige Handhabung kirchenregimentlicher Mittel bei disziplinarischen 'Fällen' kann als durchgehende Linie Dryanders angesehen werden, die freilich den jeweiligen Erfordernissen angepaßt wurde. So stellte sich Dryander 1893 in der aus Mitgliedern der Generalsynode und des Kirchenregiments zusammengesetzten Kommission zur Ausarbeitung einer neuen Agende, der er als General superintendent angehörte146, trotz der Wellen des Apostolikumsstreites nicht nur auf die Seite derer, die das Apostolikum als besonders herausgehobenes Bekenntnis im Ordinationsformular gestrichen sehen wollten, um die Lehrverpflichtung auf die breitere Basis von heiliger Schrift, der drei Hauptsymbole und der evangelischen Bekenntnisse zu legen.147 Er formulierte zudem den Antrag, bei der Taufe von Erwachsenen einen Dispens vom persönlichen Glaubensbekenntnis zu ermöglichen, was ihm auf der Brandenburgischen Provinzialsynode 1893 einen schweren Tadel von seiten Stoeckers eintrug. Gegen die Besorgnis und den Vorwurf Stoeckers, er sehe in der EOK-Vorlage und besonders in dem kirchlich so weittragenden Antrag eines persönlich durchaus positiven Mannes wie Dryander eine "Tendenz, die nicht dahin führt, den Kernpunkt der Kirche, das Bekenntniß zu befestigen", konnte Dryander in Abwesenheit nur eine vorbereitete Erklärung verlesen lassen, daß aus seinem Antrag keine bestimmte Tendenz zu folgern sei. Er persönlich stehe auf jedem Satze des Aposto-

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Die Zusammensetzung der 27 Kommissionsmitglieder s. in: Verhandlungen der außerordentlichen Generalsynode 1894, 27. S. bes. die Rede Kleinerts auf der Brandenburgischen Provinzialsynode Anfang November 1893, mit der er den Kommissionsentwurf gegen Anträge auf Beibehaltung des Apostolikums im Ordinationsformular verteidigte, abgedr. in der Beilage zur Nr. 44 des Ev.-Kirchlichen Anzeigers 44 (1893), 413.

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4. In der Kirchenleitung

likums und wolle, "daß es an jeder Stelle im Gottesdienst erhalten bleibe."148 Ein scheinbarer Widerspruch zwischen dem Festhalten und dem Dispens vom Apostolikum löst sich auf, wenn man sich vergegenwärtigt, wie Dryander in seiner pastoralen Tätigkeit zwar einerseits feste christliche Charaktere erziehen und zu einer bekennenden und Verantwortung tragenden religiösen Zivilcourage ermuntern wollte, andererseits aber die Gewissen nicht durch einen 'falschen Pietismus' verletzen wollte 149 . Diese Anliegen übertrug er auf seine Stellungnahmen zu kirchlichen Lehr- und Bekenntnisfragen, wo er nur konnte. Auch später betonte Dryander immer wieder, daß es angesichts wiederholter Angriffe auf das Bekenntnis bzw. Apostolikum nicht darum gehe, die Ordinanden oder Konfirmanden auf jeden Satz des Apostolikums zu verpflichten, geschweige denn die agendarischen Ordinations- bzw. Konfirmationsformulare zu ändern. Offensichtlich werde von beiden Seiten, vom rechten wie vom liberalen Lager, "von falschen Voraussetzungen, insbesondere von einer Verwechselung der Begriffe Bekenntnis und Verpflichtung ausgegangen".150 Das Bekennen des Apostolikums bedeute "das Bekenntnis zu dem religiösen Gesamtgehalt des Apostolikums" - wie ihn die Ordinanden

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S. das im Ev.-Kirchlichen Anzeiger 44 (1893) veröffentlichte Protokoll der 7. ordentl. Brandenburgischen Provinzialsynode 413-415, 414 (Die Verhandlungen der 7. ordentlichen Provinzialsynode v. 14.10.-27.10.1893, Diesdorf 1894, geben die Debatte des betreffenden letzten Verhandlungstages nur gekürzt oder zusammengefaßt wieder, s. 176-178). Nach der DEKZ 7 (1993), 438, zeigte der Antrag Dryanders "die bedenklich mittelparteiliche Linie, auf welcher sich das Kirchenregiment bewegt. Hier gilt es principiis obsta!" Tatsächlich führte der 'Kampf der Rechten in der Frage des Ordinationsformulars zu einem Kompromiß, durch den schließlich eine fast einstimmige Annahme der Agende auf der außerordentlichen Generalsynode von 1894 ermöglicht wurde (Verhandlungen der außerordentl. Generalsynode 1894, 363- 389). Nach Beyschlag war dies ein künstlicher Ausweg, der von seinen Parteigängern "um des Friedens in der Landeskirche willen" mitgetragen wurde (Beyschlag, Leben II, 683): Das Apostolikum wurde im Formular belassen, allerdings nicht als persönliches Bekenntnis des Ordinanden, sondern als das von einem der Ordinanden zu verlesende Bekenntnis der Gottesdienstgemeinde. S.o. S. 63. In der Konferenz mit den Konsistorialpräsidenten und Generalsuperintendenten v. 17.2.1911, die überschattet war von der abweichenden Konfirmationspraxis der Pastoren Jatho und Traub, die in der agendarischen Form eine abzuschaffende Gewissensnot sahen; EZA 7/1086, pag. 99R/100V (hier s.a. die folgenden Anführungen). Die Ausfuhrungen bes. Dryanders haben ihren Niederschlag gefunden in dem Erlaß des EOK an die ihm unterstellten Generalsuperintendenten v. 6.6.1911 betr. die Verwendung des apostolischen Glaubensbekenntnisses als Konfirmationsbekenntnis (CCW 21 [1911], 319-321).

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

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in ihrem Lehramt zu verkündigen hätten und wie ihn der Geistliche den Kindern im Konfirmandenunterricht nahe gebracht hätte -, "nicht aber die Verpflichtung auf den Einzelsatz in buchstäblicher Bedeutung". Es ging ihm dabei, wie Dryander 1902 auf der Provinzialsynode zur Frage der Regelung des Konfirmandenunterrichts formuliert hatte, um eine "Vereinigung der Freiheit des einzelnen Geistlichen mit jener Gebundenheit [...], welche ihn hindert, sich gehen zu lassen."151 Allerdings zeigte sich Dryander schon um die Jahrhundertwende angesichts der wachsenden Spannung zwischen Theologie und Kirche und mit Blick auf die schärfere Agitation gegen kirchliche Traditionen wie etwa die Konfirmation immer stärker besorgt und sah sich veranlaßt, "bei der offenbaren Verwirrung, welche jene Agitationen anrichten", abhelfende und vorbeugende Maßnahmen anzuregen152. Besonders die jüngeren Geistlichen stünden in der Gefahr, hiervon mitgerissen zu werden. Eine Besserung jedoch sei nicht vorrangig durch gesetzgeberische Maßnahmen, sondern durch "verständnisvollere Übung der bestehenden Ordnung zu erzielen".153 Noch später hielt Dryander grundsätzlich daran fest, obwohl er 1908 in einem Sitzungsreferat feststellen mußte, daß der "weit verbreitete[...] Gegensatz zwischen wissenschaftlicher Theorie und praktischem Amt" eine Spannung erzeugt habe, "die durch die Verschiedenheit der Erkenntnistheorie, der Art der Schriftbetrachtung, der historischen Methode an vielen Orten einen so hohen Grad erreicht hat, daß die Kirche sie ohne Gefahr nicht mehr ertragen kann."154 Verstärkt werde diese "Krisis", wenn auf der einen Seite "großes Mißtrauen, schroffe Abweisung, Absprechen persönlicher Frömmigkeit, Verdächtigung der Motive" und auf der anderen Seite "mutwilliges Antasten, vorschnelles Aburteilen, Heraustragen noch unfertiger Hypothesen und schwankender Resultate als gesicherter Ergebnisse der Wissenschaft" sich geltend machten. Gleichsam seufzend faßte Dryander zusammen: 151 152

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Verhandlungen der 10. ordentl. Brandenburgischen Provinzialsynode 1902, 124. So in einem Brief an Barkhausen v. 8.6.1900, in dem Dryander seiner Sorge über "zäh und anhaltend betriebene Agitation" gegen die Konfirmationspraxis der Kirche nicht nur von methodistisch-freikirchlicher und modern-Ritschlscher, sondern auch von Stoekkerscher Seite zum Ausdruck brachte und eine Verständigung über die etwa zu treffenden Maßnahmen auf der bevorstehenden Konferenz mit den Generalsuperintendenten für erwünscht hielt. Barkhausen setzte dieses Anliegen daraufhin auf die Tagesordnung fllr die Konferenz am 27.6.; EZA 7/1085, pag. 251 bzw. 259. Auf der Konferenz v. 27.6.1900, ebd., pag. 268R. Auf der Konferenz des EOK mit den Konsistorialpräsidenten und General superintendenten v. 31.3.1908, EZA 7/1086, pag. 19V.

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4. In der Kirchenleitung

"Diese Krise führt zu immer mehr 'Fällen' und damit zu Erschütterungen der Kirche." 155

Um diese Erschütterungen abzufangen, mahnte Dryander immer wieder zu rechtzeitiger persönlicher Einwirkung in Betätigung echter Liebe. Denn der junge Geistliche sei noch im Werden und gerade der junge Liberale bringe eine "oft nicht unbeträchtliche Begeisterung mit für sein Amt und den redlichen Willen, das, was er hat, fur die Gemeinde zu verwerten." 156 Die älteren Amtsbrüder und die Superintendenten sollten ihn daher freundlich und wohlwollend empfangen, "ihn zu verstehen suchen, ohne ihn bekehren zu wollen". Weiterhin hoffte Dryander auf die Macht des Amtes selbst, welches den jungen Geistlichen mit seiner Seelsorge, seinen Predigtaufgaben und seinem tiefen Ernst ohnehin in eine Schule nehmen und "zur Versenkung in das biblische Evangelium erziehen" werde. Aber durch diese Empfehlungen klingen doch auch spürbar andere Töne hindurch, wenn Dryander von den jüngeren Geistlichen die Rücksichtnahme auf das Empfinden nicht nur der Amtsbrüder, sondern auch der Gemeinden forderte und sie auf den verderblichen Einfluß einiger Kirchenzeitungen hinweisen wollte. "Auch im amtsbrüderlichen Verkehr muß ihnen die Barmherzigkeit mit den Seelen und auch mit der Landeskirche aufs Herz gelegt werden, daß sie sich beugen lernen 157

unter objektive Mächte, in denen die Kirche ihren Heilsbesitz hat."

So legte Dryander am Ende der ihm grundsätzlich zustimmenden Debatte noch einmal den Finger darauf, daß gegenüber "willkürlichen und übermütigen Provokationen [...] der Ernst der Lehrzucht" festzuhalten und gegen Parteitendenzen die "Verpflichtung gegenüber der Gesamtkirche" eindringlich zu machen sei. 158 Den wohl schärfsten Ausdruck seiner Sorge um die Landeskirche gab Dryander in der Eröffnungspredigt zur 29. Deutschen Evangelischen Kirchenkonferenz auf der Wartburg: "Man sollte annehmen, daß sich eine geschlossene Abwehrphalanx dieser Entwicklung entgegenstellte. Statt dessen tritt uns ein Bild innerer Auflösung des alten Glaubensbestandes entgegen. Es ruft ernste Besorgnisse in uns wach. Unter der Fülle neuer Entdeckungen, unter der Herrschaft neuer Methoden, unter dem Einfluß neuer Dogmen, die die geistige Welt der Zeit beherrschen, sind die theologische Wissenschaft und die religiöse Anschauung andere geworden. Eine neue Frontstellung hat sich vollzogen und mit ihr eine neue Fragestellung, über die man noch streitet. Die zerset-

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Ebd. Ebd., pag. 19R. Hier s.a. die folgenden Anführungen. Ebd. Ebd., pag. 20R.

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zende Macht der Kritik bleibt nicht bei der Fragestellung stehen. Sie macht auch vor dem Heiligtum des Glaubens nicht halt, nicht vor der Person des Heilandes, der das Zentrum unseres Glaubens ist, nicht vor der Schrift, die ihn bezeugt. Man kann wohl sagen: Wir stehen in großer Gefahr, die feste Bestimmtheit christlicher Heilsgüter und christlichen Heilsglaubens mit dem unbestimmten und zerfließenden Pathos des reli159 giösen Subjektivismus zu vertauschen."

Doch zusammengefaßt läßt sich Dryanders Position mit seinen eigenen Worten so beschreiben: "Wir wollen keine tote Orthodoxie, die ihr Gericht in sich selbst trägt, wir wollen aber auch keine allgemeine Gefuhlsreligiosität, die den Boden göttlicher Heilsoffenbarung verläßt und damit auf schiefer Ebene rettungslos haltlosem Freidenkertum entgegengleitet". 1 6 0

In dem Fall des nicht mehr jungen, sondern gestandenen sechzigjährigen Jatho war auch für Dryander eine für die Landeskirche gefahrliche und schmerzliche Grenze erreicht. Noch in seinen Erinnerungen bezeichnete er die entscheidende letzte öffentliche Sitzung des Spruchkollegiums über Jatho als "eines der schwersten Ereignisse meines amtlichen Lebens."161 Zwar war es nicht nur Dryander und den anderen Mitgliedern des Spruchkollegiums, sondern auch den beiden Verteidigern Jathos, Baumgarten und Traub, von vornherein klar, daß Jatho 'theologisch' den Weg zu einer pan(en)theistischmystischen Gottesanschauung eingeschlagen hatte und "durch seinen jede Schranke überschreitenden Subjektivismus" vielen ein Ärgernis bereitete. Doch "unterlag es [aber] keinem Zweifel, daß Jatho durch seine liebenswürdige, warme Persönlichkeit und seine bedeutsame Beredsamkeit sich einer weitgehenden Beliebtheit in seiner Gemeinde erfreute."162

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EvD, Das verborgene Wachstum (zur Eröffnung der 29. Deutschen Evangelischen Kirchenkonferenz 1908) 204 (= Anlage Β zum Protokoll der 29. Tagung [...], EZA 1/A1/266, pag. 11). Zitat aus einer nicht mehr greifbaren Rede n. EvD, Erinnerungen 186. In der Einfuhrung des Berliner Generalsuperintendeten Haendler 1911 formulierte Dryander parallel, wenn er die Predigt der Kirche abgrenzte gegenüber einer "toten Orthodoxie, die sich mit einem 'Herr, Herr!' sagen begnügt, als auch gegenüber einem religiöen Pathos, das mit haltlosen und nebelhaften religiösen Stimmungen sich abfindet" (Positive Union 9 [1912], 156). EvD, Erinnerungen 272. Zitate ebd.; vgl. G.Traub, Erinnerungen, München o.J. [1949], 66-73. C C W 21 (1911), 346-349. Die schriftliche Erwiderung Jathos v. 26.1.1911 auf die ihm vom EOK vorgelegten Fragen bei Huber/Huber, Staat und Kirche III, 767-771.

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4. In der Kirchenleitung

Julius Kaftan berichtete seinem Bruder vertraulich, wie gerade Dryander "erst nicht recht heran[wollte]" und nicht zuletzt wegen einer nicht zu erwartenden Einstimmigkeit einem Urteil "sehr zweifelhaft" gegenüberstand.163 Wie Günther Dehn hervorhob, versuchte Dryander - parallel zum Verfahren - , "Jatho, wenn auch nicht zu rechtfertigen, so doch irgendwie zu retten"164, was der 'Positiven Union' in Verbindung mit anderen Nachrichten zu Befürchtungen und Bedenken in bezug auf die bevorstehende Entscheidung über Jatho Anlaß gab165. Doch Dryander, dem der Vorsitzende des Spruchkollegiums Voigts zur Erleichterung und Zufriedenheit der Beteiligten bald die mündliche Befragung Jathos übergeben hatte "Man atmete auf, als Oberhofprediger D. Dryander die Leitung der Auseinandersetzung über die Lehre von Gott, Christus und ewigem Leben in die Hand nahm und in seiner ruhigen und sympathischen Weise weiterführte." 1 6 6 - ,

sah sich nach einer erneuten Konzentration der Befragung auf die zentralen Probleme des Glaubens gezwungen, gegen Jatho zu stimmen: "Seine herausfordernde, stellenweise sich geradezu aufdrängende Art, sein Verfahren, die keinesfalls tiefer begründeten Anschauungen in fremde Gemeinden gegen ihren Willen hineinzutragen, bedrohte auch durch ihre Auswirkung in der Presse 1 6 7 die

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Brief v. 17.3. und v. 18.6.19U, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan II, (483-485), 484 bzw. 486(-487). Kaftan betonte hier deutlich, daß er das Verfahren mit Dryander zusammen zwar vielleicht hätte hindern können, daß aber andererseits die erträglichen Grenzen bei Jatho überschritten seien. Kaftans Haltung wird noch deutlicher aus dem Briefwechsel mit Rade, den er unter Bezugnahme auf einige Artikel in der ChW gerade heraus fragte: "Gibt es denn nicht etwas, was man christliche Religion nennt? [...] Wo sind die Zeiten hin, wo man auch in der 'Christlichen Welt' davon wußte, daß evangelischer Glaube nicht nur freie Überzeugung ist, sondern auch an einen bestimmten Inhalt gebunden?" (v. 24.2.1911 zit. n. Rathje, Welt des freien Protestantismus 180). Dehn, Die alte Zeit 129. Positive Union 8 (1911), 217, in einem Kommentar zu von der liberalen Presse ins Spiel gebrachten - und leider nicht mehr auffindbaren - Äußerungen Dryanders, derzufolge man "bei einem Träger des geistlichen Amtes nicht die Lehre allein, losgelöst von der Persönlichkeit, betrachten darf, und daß der Beweis lauterer, tatfreudiger, aufbauender Liebe den Zusammenhang mit dem Zentrum des Glaubens verrät, auch wo nach der dogmatischen Ausprägung der Gedanken dieses Zentrum des Glaubens mehr oder minder verlassen zu sein scheint." Traub, Erinnerungen 68. Auch Julius Kafitan befand - trotz Dryanders Kunst im "In-dieLänge-ziehen": "Dryander war bei der Vernehmung ganz vortrefflich.", an seinen Bruder Theodor v. 16.7.1911, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan II, (488-)489. Schon im Vorfeld war dieses Verfahren begleitet von einer Artikelflut und unzähligen öffentlichen Versammlungen. S. z.B. in die CCW 21 (1911).

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

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Landeskirche mit schwerer Verwirrung. So schmerzlich mir die Entscheidung wider ihn war - sie war bei dieser Sachlage notwendig." 168

In einigem Abstand zu diesem Fall gab Dryander 1920 zwar - auch im Sinne des 'Irrlehregesetzes' - zu bedenken, daß "das letzte Kriterium, ob ein Geistlicher von der Kirche noch getragen werden kann, nicht in dem Quantum seiner Lehrabweichung, sondern in seiner Persönlichkeit" liege, daß also auch berücksichtigt werden müsse, wie der Geistliche wirke und inwiefern seine Gemeinde ihn trage.169 Doch dieser Gesichtpunkt kam, was oft bemängelt wurde, 1911 nicht zur Geltung. Dann nämlich hätte Dryander mit Harnack über Jatho sagen können: "Deine Theologie ist unerträglich - aber dein Same ist aufgegangen; also müssen wir 170 dich ertragen - wir werden dich ertragen."

Doch da der Bestand und der Friede der Landeskirche als eines gemeinsamen Daches für "verschiedenartige Strömungen, mannigfaltige Gestaltungen christlichen Lebens" entscheidend war171, mußte nach dem Kern des Jathoschen Samens gefragt werden, der nicht mehr dem gemeinsamen Grundton der Landeskirche entsprach. Konnte Dryander in der erwähnten Herrenhausdebatte noch relativ unbefangen ausrufen, daß bis jetzt noch niemand die "Zauberformel" gefunden habe, "welche Freiheit und Gebundenheit der Lehre in einer für alle annehmbaren Form ausspräche"172, sah er sich nach dem Spruch über Jatho gezwungen, die gerade angewandte Begrenzung bzw. Ausgrenzung der Lehre eines Geistlichen als eine für die Glieder der Landeskirche annehmbare Entscheidung zu rechtfertigen. Es ist charakteristisch für Dryander, daß er dies in die Form einer Predigt von der Domkanzel herab kleidete, was sich

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EvD, Erinnerungen 272. Die Entscheidung war mit 11 zu 2 Stimmen nicht einstimmig, Loofs und auch Kahl(!) stimmten für Jatho (J. Kaftan an Th.Kaftan v. 16.7.1911, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan II, 489). So in den auf Bitten eines Laien 1920 niedergeschriebenen und 1923 in den PrJ 191 (1923), 207-210, posthum veröffentlichten Ausführungen: Lehrfreiheit und Lehrgebundenheit in der evangelischen Kirche, 210. Besonders ein - im übrigen abgelehnter Antrag des liberalen Schräder auf der 13. ordentl. Brandenburgischen Provinzialsynode v. 30.10.1911 pochte auf das Recht der Gemeinde, über die Lehre und das Wirken ihres Pfarrers zu befinden, Verhandlungen [...] 163f. Stellungnahme Hamacks zum Fall Jatho v. 27.7.1911, Ev.-Kirchlicher Anzeiger 62 (1911), (405-)406, zit. n. Huber/Huber, Staat und Kirche III, (776-)778. EvD, Der Grund der Kirche. Predigt über 1. Kor 3, 11-13 am 4. Sonntag n.Trin., 9. Juli 1911, im Berliner Dom, Berlin 1911 (= dies., in: ders., Gott und Mensch 85-95), 11. S. die Debatte v. 7. Mai 1902, zit. n. CCW 12 (1902), Sp. 246.

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4. In der Kirchenleitung

zuletzt in Zusammenhang mit dem Kampf um die die sogenannte "Christusmythe" des Arthur Drews173 bewährt hatte: "Es geht eine tiefe Bewegung durch die kirchlichen Kreise unserer Tage hindurch; wir alle sind davon irgendwie berührt; es wäre unnatürlich, sie hier zu verschweigen. Ich glaube, eine Gemeinde hat ein Recht darauf, zu wissen, wie ihr Prediger zu ihr steht." 174

Doch dürfte es auch Dryander deutlich gewesen sein, daß an diesem Sonntag, am 9. Juli unmittelbar vor der Veröffentlichung der offiziellen Begründung des Spruches über Jatho, nicht so sehr der Domprediger als vielmehr der erste Geistliche der preußischen Landeskirche ein weit über die eigentliche Domgemeinde hinausgehendes Gehör finden würde; und er schien dem Rechnung getragen zu haben, denn nach eigenem Bekunden hielt er "einen Vortrag [...], aber keine Predigt, und dieser Vortrag war nicht erschöpfend" 175 . Zwar verwahrte er sich davor, "von dem einzelnen Falle zu sprechen", denn er war nicht nur für Julius Kaftan unbegreiflicherweise an der Ausfertigung der Begründung des Spruchkollegiums nicht beteiligt worden176. Allerdings übernahm Dryander auf seine Weise Verantwortung für die Entscheidung und ging geradeheraus die dem zugrunde liegende "große allgemeine Frage" an, "ob unsere Kirche auf einem festen Grund steht, von dem sie nicht weichen kann, ohne sich selbst aufzugeben, [...] die Fragen also nach der Grenze von Freiheit und Gebundenheit in der Verkündigung und der Lehre".177 Mit 1. Kor 3, 11-13 legte er seinen Ausführungen einen Text zugrunde, der "die Zulässigkeit und den Wert der verschiedenen in der Gemeinde auftauchenden Anschauungen, Richtungen, Meinungen" behandelte. 178 Angesichts großer Spaltungen und Parteiungen stellte Dryander zu-

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EvD, Die Herrlichkeit Christi. Predigt über Joh 6, 66-69 am Sonntag Estomihi, 6. Februar 1910, im Berliner Dom, in: ders., Gott und Mensch 58-67. Vgl. eine Erzählung Dehns, Die alte Zeit 129-131, nach der Dryander die Domkanzel spontan einer Versammlung gegen Drews zur Verfügung stellte, allerdings erst nach einer eigenen kurzen Ansprache - denn "die Kanzel würde einstürzen, sagten spöttisch die Domkandidaten, wenn dort einmal ein gewöhnlicher Pastor predigte" (130). EvD, Grund der Kirche (1911), 3f. Ebd. 12. Neben den Juristen Voigts und Möller war Loofs als Theologe federführend, der mit Kahl für Jatho gestimmt hatte. Hierin machte sich wohl das Jugendalter des Gesetzes geltend. Nach Kaftan hätte der geistliche Vizepräsident beteiligt sein müssen: "Nur der kann, und der muß die Verantwortung übernehmen." S. Brief v. 16.7.1911, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan II, 488-489. EvD, Grund der Kirche (1911), 4. Ebd. 3.

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

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nächst die große Weitherzigkeit des Paulus heraus, die nicht nur die Verschiedenheit der Gaben anerkenne, welche bei der Arbeit am Bau der Gemeinde zu Tage trete, sondern auch bei den im Irrtum Befangenen "kein einziges verurteilendes Wort über ihre Person" sage.179 Es ist deutlich, wie Dryander zwischen den Zeilen die Grundsätze auch seiner Landeskirche und des sich daher ableitenden und gerade angewandten 'Irrlehregesetzes' zu legitimieren suchte. Er setzte dieses Gleichnis auf die gegenwärtige Lage fort, indem er aus den herauszulesenden Individualitäten und verschiedenen Blickwinkeln der neutestamentlichen Bücher ableitete, wie schon in der apostolischen Zeit aus "dieser verschiedenartigen Auffassung [...] sich nicht nur verschiedene Anschauungen und Richtungen [ergeben], sondern auch eine Mannigfaltigkeit der Lehrweise und des Aufbaus der Gemeinde in Unterricht und Seelsorge, die bis zur Spannung der im Glauben Verbundenen führen kann".180 Doch habe schon Paulus dieser Mannigfaltigkeit eine unabdingbare Grenze gegenübergestellt, denn bisweilen seien - wie Dryander rückblikkend auch für seine Landeskirche attestieren mußte - die Gegensätze so scharf, "als handele es sich nicht um ein Nebeneinander von Richtungen, sondern ein Widereinander von Religionen".181 Gelöst von ihrem Grund, dem geschichtlichen, nicht dem idealen Christus - denn: "Jesus brachte nicht neue Gedanken in die Welt, er brachte sich selbst" -, dem Christus der Schrift denn: "in vollem Maße erst [kann er] seine erlösende Kraft darbieten [...] als der Auferstandene"182 -, werde die Kirche "im günstigen Falle eine Stätte, an der die Menschen sich über ihre verschiedenartigen religiösen Meinungen austauschen; ein Sprechsaal, [...] eine Kirche ist sie nicht mehr." "Man kann ein Haus auf Rollen setzen und anderswohin fahren, ohne daß es zu-

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sammenstürzt, - die Kirche nicht."

Wenn Dryander auch betonte, "daß wir selbstverständlich damit nicht etwa jedermann auf den Wortlaut irgend eines Bekenntnisses festnageln wollen", da nicht eine Lehre von Christo, nicht eine Formel über ihn, sondern er selbst 179 180 181 182 183

Ebd. 5. Ebd. 6. EvD, Lehrfreiheit (1920/23), 209. Ebd. 9. Ebd. 10. Hier s.a. das Folgende. Um ein solches Ende der Kirche zu vermeiden, könne wie Dryander 1920 formulierte - "nur Trennung in Frage kommen. Die einzige Forderung ist, daß die Widersacher so ehrlich sind auszuscheiden und, wenn sie die notwendigen Positionen zusammenbringen^] eine Kirche oder einen Religionsverein (freireligiöse Gemeinden) für sich bilden" (Lehrfreiheit [1920/23], 209).

160

4. In der Kirchenleitung

der Grund der Kirche sei, wenn Dryander auch beteuerte, den Zweifelnden und Suchenden ihr Recht in der Kirche nicht bestreiten zu wollen, so habe sich die Kirche aber nach ernstem Erwägen um der Freiheit willen veranlaßt gesehen, "durch den Mund ihrer berufenen Vertreter das Bekenntnis [...] wider die Willkür zu schützen und mit sichernder Mauer zu umgeben, damit es unangetastet bleibe"184. In einfachen Worten und Bildern hatte Dryander hier versucht, die der Entscheidung über Jatho zugrundeliegenden Motive deutlich zu machen und schließlich wieder mit Mahnung und Trost in den Ton der Predigt fallend die Wogen in der Landeskirche zu glätten. Die Kirche sei nicht vornehmlich eine Gemeinschaft der Lehre, sondern des Glaubens. Gerade aus dem Neuen Testament könne man herauslesen, wie die Lehre immer zugleich in Verbindung mit dem Leben gebracht werde: "So hilft denn keine Lehre und keine korrekte Anschauung, wenn nicht zugleich unser Leben davon berührt und umgewandelt wird. [...] Lernen wir endlich, soweit wir irgend können, das Einigende unter den verschiedenen Menschen und Anschauungen zu betonen[,] und verlernen wir, das herauszukehren, was Ärgernis, Anstoß und Streit anrichtet". 185

Erst ein Jahrzehnt später stellte Dryander den Problemkreis aus dem gleichsam paradoxen Verhältnis zwischen "Freiheit und Gebundenheit in dem Rechte der Anschauungen", den er in der Predigt lediglich angerissen hatte 186 , erschöpfender dar. Schon in den Anfangen der Christenheit habe sich gezeigt, "daß eine Kirche ohne Bekenntnis [zu dem Gekreuzigten und Auferstandenen] nicht existieren kann".187 Sei schon hier die Frage nach dem Maßstab christlicher Lehre gestellt, so habe sich diese noch verschärft durch eine Losung der Reformation, derzufolge mit der Betonung des in Gott gebundenen Gewissens eine freie, in Gott gebundene Persönlichkeit sich die Schrift auslegen könne. "In diesem Augenblick wird das Problem von Freiheit und Gebundenheit in der Lehre 188 geboren."

Einerseits bedürfe die Kirche des "Schutzes gegen die Willkür der Neuerer, gegen die Loslösung von ihrem geschichtlichen Grunde, gegen die 184 185 186

187 188

EvD, Grund der Kirche (1911), 12. Ebd. 14. Ebd. 13: In dem "rechten Verhältnis" liege das Heil der Kirche. "Wo dieses Verhältnis sich verschiebt, leidet sie Schaden." EvD, Lehrfreiheit (1920/23), 207. Vgl. ders., Aufgaben der Kirche (1919), 5. EvD, Lehrfreiheit (1920/23), 208. Hier s.a. das Folgende.

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

161

Loslösung von allem, was wider das Evangelium ist", um selbst auch Schutz bieten zu können den Schwachen, Kindern und Unmündigen und zur Bewahrung des Gemeindeglaubens. So habe die Reformation - wie die alte Kirche "aus dem dringenden Bedürfnis der Verantwortung" den biblischen und apostolischen Ursprüngen gegenüber einen Trieb zum Bekenntnis an den Tag gelegt. Andererseits habe die Reformation die Wahrheit des Wortes und des in ihm gebundenen Gewissens gegenüber Kirchengeboten und gewaltsamem Druck so sehr zur Geltung gebracht, daß es im Protestantismus - auch durch die ihm verwandte Wissenschaft gefördert - in ernster Auseinandersetzung mit anderen Geistesrichtungen zu mancherlei Krisen und Konflikten um das kirchliche Bekenntnis gekommen sei. Wohl in Abwehr der Ansicht, auch in der evangelischen Landeskirche hätten 'antimodernistische' Strömungen Platz gegriffen, beteuerte er: "Wir können uns aber durch solche Krisen nicht verführen lassen, die starre Lehreinheit Roms für die höhere Stufe zu halten. [...] Der Protestantismus wird sich auf dem gelegten Grundstein Christus jederzeit neu gebären, der Katholizismus wird trotz seiner Wahrheitsmomente und der wesentlich mitwirkenden Macht seiner religiösen

189

Weltorganisationen dennoch eines Tages dahinsinken."

Nach Meinung Dryanders hatte gerade die freiere Stellung zum Bekenntnis, geboren aus dem Wissen um die je situative Formulierung - gemessen und eventuell korrigiert "an der Schrift als der alleinigen norma normans" -, die Union der beiden evangelischen Kirchen ermöglicht, welche letztlich eine "theologische und kirchliche Entwicklung gefördert [habe], die unter Wahrung des Offenbarungscharakters der christlichen Religion zugleich ein wahrhaft geschichtliches Verständnis des Christentums und seiner Urkunden ermöglicht hat."190 Denn in der Energie, mit der gerade die evangelischen Christen sich "den objektiven Inhalt des Bekenntnisses" aneignen, "ruht die Kraft des immer neu sich entfaltenden kirchlichen Lebens".191 In der Zuversicht auf die sich in diesem Prozeß durchsetzende Wahrheit, aber auch im Bewußtsein, daß die objektive Grundlage in der sichtbaren Gestalt der Kirche nie den vollkommenen Ausdruck finden könne und daher auch "im geschichtlichen Verlauf der Zeiten verschiedenste Form und Fassung" angenommen habe192, formulierte Dryander einige Gesichtpunkte zum Umgang der sei-

189 190 191 192

Ebd. 209. EvD, Erinnerungen 310. EvD, Aufgaben der Kirche (1919), 4. EvD, Grund der Kirche (1911), 11.

162

4. In der Kirchenleitung

ner Landeskirche zugehörigen Geistlichen mit den überlieferten Bekenntnissen193: (1.) Von der Form der sprachlich und begrifflich zeit- wie sachgebundenen Bekenntnisse sei ihr eigentlicher, zeitloser religiöser Inhalt zu scheiden. (2.) öffentliche Lehrverkündigung gelte dem Aufbau der Gemeinde, die oft nicht zwischen Inhalt und Form zu scheiden vermöge. Daher sei dem wissenschaftlich gebildeten Geistlichen "pädagogische Zurückhaltung" gemäß der Fassungskraft seiner Gemeinde geboten. "Mag er bei jeder wissenschaftlicher Erörterung seine Freiheit walten lassen, in 194 der Predigt ist er gebunden, seiner Gemeinde nicht Anstoß zu geben." (3). Finde zwar nirgends in der evangelischen Kirche eine Verpflichtung auf den Wortlaut der Bekenntnisse statt, soll sich der Geistliche aber "in lebendigem geschichtlichen Zusammenhange mit dem [in ihnen zum Ausdruck gebrachten] Schriftverständnis seiner Kirche fühlen und nicht subjektivistischen Neigungen und Anschauungen in einem Maße Ausdruck geben, die damit nicht verträglich sind".

Aus alledem mag deutlich geworden sein, wie es in der Natur der Sache lag, daß Dryander den Konflikt zwischen dem 'Bischof und dem 'Seelsorger' erfahren mußte, spiegelte sich hierin doch die Spannung zwischen Lehrfreiheit und Lehrgebundenheit. Allerdings bleibt es fraglich, ob der "strafende Bischof' den Seelsorger besiegt hat. Denn Dryander sah sich als Seelsorger nicht nur Jatho, sondern gerade auch der Vielfalt der Gemeindeglieder gegenüber verpflichtet, die er - paulinisch gesprochen - als die 'Schwachen' ansah. Auch wenn den EOK beim Auftreten einer Reihe von Geistlichen leise Zweifel beschlichen, "ob sie nicht das Gefühl dafür verloren hätten, was sie ihrem Pfarramte, ihren Gemeinden und der Landeskirche in Erfüllung der ihnen gestellten Aufgaben schuldig seien"195, beteuerte Dryander, daß in seiner kirchlichen Behörde "nichts weniger vorhanden [sei] als die Neigung, Lehrprozesse anzustrengen"196. Andererseits sah der EOK eine neue Neigung, "Konflikte zwischen den Geistlichen und dem Kirchenregiment in der Öffentlichkeit zum Austragen zu bringen und diese gewissermaßen zum Schiedsrichter anzurufen" - von seiten der Liberalen dahingehend, daß "für ihr Wirken keine Schranke oder Satzung maßgebend sein solle", und von seiten der 'Positiven' dahingehend, daß - wie Zieten-Schwerin forderte - das

193 194 195

196

EvD, Lehrfreiheit (1920/23), 209f. Ebd. 210. Hier s.a. das Folgende. So Dryander auf der gemeinsamen Sitzung des EOK mit dem Generalsynodalrat v. 12.12.1912, EZA 7/1250, pag. 19R/20V. EvD, Lehrfreiheit (1920/23), 210.

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

163

Kirchenregiment die Geistlichen stärker zur Einhaltung der Ordnungen nötige.197 Und tatsächlich kann man beobachten, wie nicht das Kirchenregiment, sondern gerade die kirchlich-"positive" Presse immer wieder versuchte, "Fälle" zu provozieren. Interessant ist, wie auch vor dem Nachfolger Dryanders, dem ihm wesensverwandten Generalsuperintendenten Lahusen198, nicht halt gemacht wurde, als dieser am 6. Juni 1912 - sogar unter ausdrücklicher Berufung auf die Praxis Dryanders - auf einer Berliner Kreissynode offen aussprach, daß es sich nach der Agende und der Ansicht des Kirchenregiments bei der Ordination keineswegs um eine Verpflichtung auf den Wortlaut des Apostolikums handele.199 Der "Reformation" ging es im Verlauf der Debatte bald "nicht mehr um einen 'Fall Lahusen', sondern um eine Angelegenheit

der Gesamtkirche,

beziehungsweise des gesamten Kir-

chenregiments".200 Der EOK und auch der im Urlaub befindliche Dryander enthielten sich trotz mehrerer Versuche besonders von Seiten der "Reformation" und des "Reichsboten", das diplomatische Schweigen zu brechen, der Stellungnahme, was allerdings den bitteren Eindruck erweckte, Lahusen bei den Angriffen allein gelassen zu haben. Doch das Jahr 1911 hatte die offizielle Position deutlich genug markiert.

4.2.5. Bekenntniskirche - Volkskirche - Landeskirche Eine - gerade auch durch die Nähe zum Jatho-Spruch - ungemein günstige Bewertung wurde dem EOK aus der Feder Harnacks zuteil: "Die Preußische Landeskirche stand noch um 1866 bei Hengstenberg, um 1890 bei Kögel, um 1900 bei von der Goltz, und jetzt steht sie bei Dryander, Kahl und Kaftan. Das ist ein gewaltiger Fortschritt, und schneller kann das Rad der Geschichte nicht getrieben werden!"201

197

S. die Konferenz v. 12.12.1912, EZA 7/1250, pag. 20V bzw. 30V. 198 1399 W U rde Lahusen Dryanders Nachfolger an Dreifaltigkeit, 1910 unbesoldetes Mitglied im EOK, 1912 Generalsuperintendent von Berlin und 1918 wiederum Nachfolger Dryanders als geistlicher Vizepräsident des EOK. Die fördernde Hand Dryanders ist unübersehbar. S. auch das Bild Lahusens bei seinem Schwiegersohn Günther Dehn, Die alte Zeit 200-203. 199 S. CCW 22 (1912), 308f, 316-319, 337-340, 357-359, 492-494 u.ö. Vgl. Die Reformation 11 (1912), 374f, 390-395, 404-407, 420f, 485-487. 200 Die Reformation 11 (1912), 485. 201 Harnack an Krüger v. 1.7.1911 zit. n. Zahn-Harnack, Harnack 309. Hier s.a. das Folgende.

164

4. In der Kirchenleitung

Schon die Charakterisierung der Epoche durch eine Trias ihrer maßgeblicher Repräsentanten - parallel übrigens zu der oben erwähnten Formel Theodor Kaftans ("Voigts-Dryander-Kaftansche Weisheit") - weist auf die Art des Fortschritts, den Harnack der gegenwärtigen Epoche ihren vorangegangenen gegenüber attestierte: nämlich ein auch durch größeres Vertrauen den fuhrenden Köpfen im EOK gegenüber gewachsener Freiraum für die Arbeit in und an der Kirche. Harnack stand damit nicht allein. Auch die "Chronik der Christlichen Welt" meinte 1912: "In der Stille des Alltags herrscht eben doch auch in der preußischen Landeskirche mehr gesundes Vertrauen und mehr Sinn für Frömmigkeit und Freiheit, als es der fOj

Verlauf der großen 'Fälle' vermuten läßt."

Rittelmeyer, der in dieser Zeit mit seiner bayrischen Landeskirche zu ringen hatte, urteilte über die "Berliner Kirchenfürsten" im Gegensatz zu seinen bayrischen Kirchenmännern erstaunlich ähnlich: "Gar nicht so theologisch festgefahren und erstarrt, sondern vielmehr das Lebendige achtend und pflegend; dafür aber manchmal vielleicht zu entgegenkommend. Gar nicht weltfremd isoliert, sondern auf der Höhe der menschlichen Verhältnisse sicher und achtunggebietend dahingehend; dafür aber gelegentlich zu einfügsam. Gar nicht ihre Stellung besonders betonend oder Autorität in Anspruch nehmend, sondern geneigt, sich jedem Berufsgenossen freundlich gleichzustellen, dafür aber wieder zu wenig führend, tonangebend. Menschlich hochstehende, vertrauenerweckende Männer, religiös warm, persönlich sympathisch - aber doch in protestantischer Eingespanntheit die Weite des Lebens und die Größe der Gegenwartsaufgaben nicht wirklich überschauend." 203

Die Wertung Harnacks wäre allerdings ohne ihre Fortsetzung unvollständig, worin er auch die durch Dryander, Kahl und Kaftan bezeichnete Kirche "noch immer [als] Bekenntniskirche" beschrieb: Nur weil sie eine solche sei, halte sie noch zusammen, auch wenn das Bekenntnis "freier und elastischer" geworden sei. Dem hätte Dryander zwar nicht widersprochen, doch wollte er das Wesen seiner Landeskirche nicht so sehr durch den Begriff der Bekenntnis- als vielmehr durch den der Volkskirche bestimmt sehen. Es ist schwer zu sagen, inwiefern Dryander sich damit etwa der gerade auch an den verschiedenen 'Fällen' aufgetretenen Problematik des Bekenntnisstandes der preußischen Union bewußt war. Denn dieser war selbst durch die Einführung der neuen Agende von 1894 nicht eindeutig fixiert worden. So kann man mit Geppert 202 203

CCW 22 (1912), 494. Rittelmeyer, Aus meinem Leben 373.

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

165

tatsächlich fragen, ob denn die preußische Union nicht nur weder eine "Konsensus-Union mit formuliertem Konsensus-Bekenntnis" - da ja das reformierte wie auch das lutherische Bekenntnis noch fortdauernd in Geltung standen noch eine "Dissensus- oder föderative Union im positiven Sinne" darstellte da sich das konfessionelle Bewußtsein andererseits weitgehend eingeebnet hatte - als vielmehr eine "absorptive Union im negativen Sinne", die als solche "sich niemals als lehrende Kirche zu irgendeinem Lehrpunkt zu äußern" vermochte.204 Der fehlende Lehrkonsens brachte nicht nur große Schwierigkeiten in Lehrentscheidungen mit sich205, sondern ließ auch - wie an den verschiedenen kirchenpolitischen Parteien und Gruppierungen deutlich sichtbar - eine breitgestreute Interpretationspalette der Union zu, wodurch eine nicht geringe Unruhe in der Landeskirche verursacht wurde. Doch wird man der historischen Entwicklung der preußischen Landeskirche und den ihr Anfang des 19. Jahrhunderts zugefallenen Aufgaben nicht ganz gerecht, ihr aufgrund eines nicht fest formulierten Lehrbestandes - ihrem "wahren Wesen" entsprechend - nur den Status einer "religiösen Vereinigung" zuzuschreiben.206 Auch wenn der EOK die Einheit der Union nicht primär in der Lehre, sondern in der Verfassung und im Kultus suchte, wird man ihm zu keiner Zeit das Bemühen um die Pflege protestantischer Grundanschauungen

204

90S

206

Geppert, Wesen der preußischen Union 256. Die verschiedenen Unionskategorien (in den Prolegomena, ebd. 6-21) schlagen eine hilfreiche Schneise durch das Dickicht der Unsicherheit über den Begriff der Union. Auch J.Beckmann stellt in seinem 3 RGGArtikel über die Evangelische Kirche der Union (EKU), Bd. 6 (1962), Sp. 1138-1140, fest, daß sie als Unionskirche "keinen formulierten Lehrkonsens" besitze (Sp. 1139). Der Begründung des EOK zufolge enthielt selbst das neue 'Irrlehregesetz' kein festes "materiales Prinzip für die Entscheidung der Frage, unter welchen Vorraussetzungen die in der Lehre bekundete Stellung eines Geistlichen zum kirchlichen Bekenntnisse seine weitere Wirksamkeit in der Landeskirche ausgeschlossen erscheinen läßt" (Verhandlungen der 6. ordentl. Generalsynode 1909, Bd. 2, 612). Geppert, Wesen der Union 251 (an dem Ordinationsformular aufgewiesen). Dieses sich durch die ganze Untersuchung ziehende Urteil verdeutlicht sich aus der Situation der Deutschen Evangelischen Kirche des Jahres 1939 und besonders der Jahre 1933-1936. Geppert beschließt seine materialreiche und immer noch provozierende Untersuchung, indem er feststellt: "Darin liegt die besondere Bedeutung der preußischen Union als des größten Kirchenkörpers des Protestantismus, daß an ihr in besonderem Maße deutlich wird, wohin es führt, wenn die Frage nach der Wahrheit nicht emst genommen wird und unter der Herrschaft des - wie immer gearteten - 'besseren Geistes' eine Einheit gesucht wird, die nicht die Einheit in der Wahrheit ist" (461).

166

4. In der Kirchenleitung

absprechen dürfen207. In der Jubiläums-Denkschrift von 1900 brachte der EOK gegenüber den zwischen der Forderung nach Uniformierung und der nach Aufhebung der Bekenntnisse sich bewegenden Richtungen innerhalb der Landeskirche "die dem wahren Wesen der Union entsprechende mittlere Richtung" zum Ausdruck, "wonach der Bekenntnisstand und die gewachsene Ordnung in den Gemeinden aufrechterhalten, aber unter Hinweis auf das Gemeinsame der beiden wenn auch verschiedenen reformatorischen Bekenntnisse die Einheit der evangelischen Kirche in Verfassung und gottesdienstlicher Gemeinschaft gewahrt und ein Zusammenwirken der Angehörigen beider Bekenntnisse in gemeinsamer Arbeit erreicht werden sollte."208 Noch zu seinem Ausscheiden aus dem EOK schien Dryander auf diese Formel zurückgegriffen zu haben, wenn er in dem Thronbericht von 1918 ausführte und schließlich zusammenfaßte, was er von Julius Müller und Tholuck ererbt und sich von den oben schon ausdrücklich hervorgehobenen Examensformulierungen bis hin zu seinen pastoralen und amtskirchlichen Verlautbarungen selbst erarbeitet hatte: "Die Aufgabe des Kirchenregiments kann [...] nur darin bestehen, unter Vermeidung aller Engherzigkeit und mit weiser Milde die Kirche vor schweren Erschütterungen zu bewahren, die verschiedenen Richtungen durch gemeinsame Arbeit zu verständnisvoller Achtung zu zwingen und so eine Kirche zu schaffen, unter deren weitem Dache auf dem einen Grunde, der in der Erlösung in Christo gelegt ist, doch verschiedenartige Anschauungen und Ausprägungen zu dulden sind, solange sie einander nicht 209 Licht und Luft versagen."

Die Kraft zur Einigung sah Dryander in seiner Landeskirche nicht von einer gemeinsamen Lehre ausgehen. Was er in der 'Jatho'-Predigt schon angedeutet hatte, führte er in seiner Begrüßungsrede auf dem Stettiner Kongreß für Innere Mission am 25. September 1911 deutlicher aus: "Für diese Einigung eine dogmatische Formel zu prägen und sie auf ein Banner zu schreiben, unter dem sich alle einen könnten, das würde heute ein vergebliches Bemühen sein. Eine solche Formel findet sich nicht, und wenn sich eine fände, so ist unzweifelhaft, daß ihr die einigende Kraft fehlen würde."210

207

208 209 210

Selbst Geppert gesteht dies zu: Auch in dieser Kirche ohne "nachweisbares Bekenntnis" gäbe es "eine Anzahl Fälle, die selbst nicht Grenzfalle sind und den Lebensbedingungen der verfaßten Kirche klar zuwiderlaufen, Extravaganzen der Lehre, deren Duldung die Existenz der Kirche in Frage stellen müßte" (Wesen der Union 262). Zit. n. Geppert, Wesen der Union 225. EvD, Erinnerungen 31 Of. Grußwort im Namen des EOK und DEKA, Verhandlungen des 36. Kongresses für Innere Mission in Stettin. 25.-28.9.1911, Hamburg 1911, 8-10, 9.

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

167

Gab sich Dryander zwar zu Recht skeptisch gegenüber einer 'unio in dogmaticis', so legte er einen unermüdlichen Optimismus an den Tag, wenn er der Frage nachging, "ob es nicht Arbeiten der Liebe gibt, die unausgesprochen das verborgene Losungswort bilden, [...] ob nicht diese gemeinsame Arbeit der Liebe und das gegenseitige Helfen, Anerkennen, die Würdigung der christlichen Persönlichkeit, ihrer Hingabe, ihrer Opferfreudigkeit, ihrer Arbeit mit dazu beitragen könnte, einen neuen Weg zu bereiten, auf dem auch heute noch Getrennte sich wiederfinden?"211 Dieser Optimismus wurde allerdings relativ schnell gedämpft. Begrüßte Baltzer in der "Christlichen Welt" diese Ausführungen nach dem "Streit und Leid im kirchlichen Leben des letzten Jahres" noch als ein wohltuendes Programm, bei dem es "besonders bedeutsam [war], es aus diesem Munde zu hören"212, so verwarf Bunke im Sinne des verstorbenen Stoecker die "natürlich in der besten Absicht" ausgesprochenen Gedanken Dryanders als "kirchenpolitische Fußangeln"213. So könne man zum Beispiel in der Inneren Mission keine fruchtbare Arbeit erwarten, wenn Männer der modernen theologischen Richtung als gleichberechtigte Mitarbeiter anerkannt würden. Dabei führte Dryander doch gerade die Innere Mission immer wieder als Paradebeispiel seiner Einigungsstrategie an, als eine Macht, welche die den Bestand der Landeskirche bedrohenden Gegensätze zu entspannen vermöge: "mildernd, ausgleichend, einigend, überbrückend".214 Denn eine Landeskirche sei keine Sekte. Sie müsse vielmehr viele Richtungen und Schattierungen beherbergen können, um dann von diesem Reichtum wieder "neue zusammenhaltende Kraft" und "reiche Befruchtung der verschiedensten Individualitäten" herauszusetzen.215 Den kirchlichen Parteienhader sah Dryander überlagert durch zwei gefahrliche Strömungen: Zum einen wirke ein "ausgeprägter geistlicher Individualismus von rechts und von links", der sich nur der Einzelgemeinde verpflichtet fühle und dem damit der "Begriff der Gesamtkirche mit ihrer unentbehrlichen Rückwirkung auf Volk und Staat" und die auf die Einzelgemeinde zurückfließende Kräftezufuhr verlorenzugehen drohe; auf der anderen Seite mache sich immer noch ein "Beharren in Institutionen und

211 212 213 214

215

Ebd. ChW 25 (1911), Sp. 970. Die Reformation 10 (1911) 688-692, 690. Verhandlungen des 37. Kongresses für Innere Mission in Hamburg. 22.-25.9.1913, Hamburg 1913, 29-33, 32. EvD, Weg zu Gott (1924), 222.

168

4. In der Kirchenleitung

Traditionen" geltend, das neu belebt werden müßte.216 Natürlich war Dryander die geschichtliche Wurzel der privilegierten Stellung seiner Kirche in ihrer Ambivalenz bewußt. Zwar bekannte er sich zu der "Knechtsgestalt unserer Volkskirche" und empfand oft genug "bittere[s] Weh [über] ihre Armut an Geistes- und Glaubenskraft"217, zwar hafteten seiner Meinung nach "bedenkliche Schwächen" wie zum Beispiel Gleichgültigkeit und Gewohnheit an der Form der Volkskirche, der man durch Geburt und Taufe und nicht zuerst durch Freiwilligkeit angehöre, doch andererseits begleite diese Volkskirche das Leben des Volkes wie eine Feuer- und Wolkensäule und werde so zur "Trägerin des gesamten religiösen und damit auch des sittlichen Lebens des Volkes".218 Die Kirche sollte also das ganze Volk durchdringen, aus dem Reservoir aller ihrer religiösen und sittlichen Kräfte schöpfen und im Volk als religiöse und sittliche Erzieherin tätig sein.219 Als Zielund Idealbild schwebte Dryander für seine Landeskirche nicht so sehr eine Bekenntniskirche, sondern eine Volkskirche vor in dem Sinne, "daß unser Christentum volkstümlich, und unser Volkstum christlich werde".220 Deshalb legte Dryander größten Wert darauf, der sich allen kirchlichen Veranstaltungen zu ihrer Fürsorge und Bewahrung größtenteils entziehenden konfirmierten Jugend verstärkt und auch durch sanften Druck zuzuwenden. Dies sei eines der "brennendsten und schwierigsten Probleme der kirchlichen Praxis". Gelinge es nicht, diese Jugend in der Verbindung mit der Kirche zu halten, so wäre "der dauernde Bestand unsrer Kirche als Volkskirche geradezu bedroht."221 Weiterhin sei es für den Bestand der Volkskirche unerläß-

216 217 218 219

220 221

EvD, Erinnerungen 194. EvD, Weltüberwindung (1910), 222. EvD, Aufgaben der Kirche (1919), 3. Dies zieht sich durch alle mehr öffentlich-kirchlichen Charakter tragenden Predigten Dryanders hindurch. S. v.a. Evangelium und Volksleben (1890) sowie die Predigt zur Einweihung der Protestationskirche zu Speyer v. 31.8.1904 (Gott und Mensch 182-192) und die Predigt zur Eröffnung der 29. Deutschen Evangelischen Kirchenkonferenz v. 15.6.1908 (ebd. 201-208); vgl. EvD, Erinnerungen 186f, 310f, 327. Auf den Verhandlungen des 37. Kongresses für Innere Mission 1913, 32f. Verhandlungen der 10. Brandenburgischen Provinzialsynode 1902, 125; so auch auf der Konferenz des EOK mit den Generalsuperintendenten und Konsistorialpräsidenten v. 27.6.1900, EZA 7/1085, pag. 269. Gerade auch die Pflege des schulischen Religionsunterrichts über die Volksschulen hinaus war Dryander wichtig. S. seinen Antrag auf der 9. Brandenburgischen Provinzialsynode 1899, Verhandlungen [...] 38. Stünde dabei natürlich nicht das Quantum der Stoffbeherrschung im Vordergrund, müsse aber doch verlangt werden, daß ein Schüler "das Evangelium als Grundlage unserer gesamten Kultur" zu werten und zu erfassen lerne (auf der Konferenz des EOK mit den General-

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

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lieh, die Gemeindeglieder selbst für die Aufgaben der Kirche mobil zu machen. "Wir haben lange gebraucht, um uns aus dem Gedanken loszuringen, daß die evangelische Kirche eine Pastorenkirche sei [...]; sie ist eine Gemeindekirche" - "In der Gemeinde ruht nach evangelischer Anschauung die Kraft der Kirche. Aus der Ge222

meinde strömt ihr Leben zu. Lebendige Gemeinden'brauchen

wir\".

Aufgabe und letztes Ziel des Kirchenregiments sei der "Aufbau und Ausbau der Gemeinde zu einer im Glauben wurzelnden Gemeinschaft" und die "Entbindung der in ihr schlummernden Kräfte der Liebe zu einer starken und siegreichen Gegenwirkung gegen alle Kräfte und Versuche der Zersetzung".223 Denn das Kirchenregiment könne, wie Dryander zum Beispiel auf der Generalsynode 1909 im Zusammenhang mit der drastisch gewachsenen Austrittsbewegung ausrief, oft nur Winke geben und auf Schäden aufmerksam machen, die Gemeinde aber sei die Instanz, die Korporation, "die sich selbst aufraffen, die sich einerseits selbst bewahren, andererseits ihre Kräfte brauchen und auswirken muß, um ihre gefährdeten Glieder festzuhalten."224 Sollten diese Gedanken, in denen Wicherns volksmissionarische Impulse noch nachwirkten, zwar auf eine starke Seite des Protestantismus hinweisen, konnte Dryander andererseits nicht umhin, selbst auf die "ungeheuren Mängel unserer Seelsorge, unseres Gemeindelebens" aufmerksam zu machen. Zudem waren gerade die Gemeinden und ihre Pastoren durch die Streitigkeiten in der Landeskirche und durch die zugenommene Massivität der Kirchenaustrittsbewegung mit ihrer Propaganda verunsichert. Die Kirchenleitung selbst sah sich nicht nur von den 'Positiven' bis hin zur Gemeinschafts-

222 223 224

superintendenten v. 2.2.1905, EZA 7/1070, pag. 158). Die "Frage über die kirchliche Erziehung oder die kirchliche Bewahrung der Jugend [...], welche künftig den Geist des Volkes und den der Öffentlichkeit leiten und regieren wird", gehörte für Dryander zu den wichtigsten Themen auf den Synoden überhaupt (Verhandlungen der 6. ordentl. Generalsynode 1909, Bd. 1, 838). S.a. die am 13.1.1918 gehaltene Predigt "Von christlicher Erziehung und Jugendpflege" über Lk 2, 49 (Berlin 1918), die diesen Gedanken zum Ausgang nimmt. EvD, Weg zu Gott (1924), 221. Ders., Aufgaben der Kirche (1919), 2. EvD, Aufgaben der Kirche (1919), 18. Verhandlungen der 6. ordentl. Generalsynode 1909, Bd. 1, 478.

170

4. In der Kirchenleitung

bewegung225, sondern gerade im Zusammenhang mit den Fällen Jatho und Traub wieder verstärkt Angriffen von liberaler Seite ausgesetzt226. Gerade das von Dryander so in den Vordergrund gestellte Ideal einer Volkskirche wurde dabei in Frage gestellt. Dies war allerdings nicht neu, hatte doch gerade Stoecker auf Synoden und in seiner immensen publizistischen Wirksamkeit immer wieder nicht nur die Kirchenpolitik, sondern auch die Form der Landeskirche angegriffen. Am 8. Mai 1900 sah sich Dryander in einer Debatte auf der kirchlichen Konferenz der Kurmark direkt von Stoecker angegriffen. Nachdem er in einem Referat über die Konfirmationspraxis zwar einerseits die Mängel und Übelstände im geistlichen Leben beschrieben hatte, andererseits aber dieser "anormalen Zustände" wegen nicht Einrichtungen der gesamten Landeskirche korrigieren wollte, zumal es "schlechterdings keine Einrichtung innerhalb der Volkskirche [gebe], welche den Unterschied zwischen reif und unreif, zwischen erweckt und unberührt aus der Welt schaffen könne", hielt Stoecker dem lapidar entgegen, daß Dryanders Ausführungen auf der Voraussetzung der Volkskirche beruhten, aber "wir haben ja keine Volkskirche mehr, wir haben nur noch die Institutionen der Volkskirche".227 Und auch diesen Institutionen wurde sogar aus den Reihen des EOK 'mißtraut': Julius Kaftan vertrat im Zusammenhang einer Diskussion um die Reform der Kirchenverfassung im September 1911 klarsichtig die Meinung, daß die preußische Landeskirche ihrem Wesen nach "gerade auch in der Verbindung mit dem Staat, in der sie steht, mit diesem Staat selbst so organisch verbunden [ist], daß nur eine Umwälzung auf dem

225

Anfang 1912 nahm der EOK Nachrichten des ostpreußischen Konsistoriums (v. 15.2.1912) sehr ernst, die vor dem Unwesen der sich mit dem Politischen vermengenden antikirchlichen Propaganda warnten. Die Verwirrung einzelner Schichten der Gemeinschaftsleute gehe sogar so weit, daß "notorisch in den einzelnen Bezirken bei der Reichstagswahl die Gemeinschaftsleute Mann für Mann für die Sozialdemokraten gestimmt haben, weil sie sich durch diese Wahl das Kommen des Antichrist und damit den Zusammenbruch der ihrer Meinung nach in Unglauben versunkenen Kirche und den Anbruch des tausendjährigen Reiches beschleunigen zu können hofften." (EZA 7/2043, pag. 263R). Konferenz mit den Generalsuperintendenten und Konsistorialpräsidenten v. 17.2.1911, EZA 7/1086, pag. 101R, wo unter allgemeiner Zustimmung von Seiten des Generalsuperintendenten Zoellner auf die Angriffe von rechts - gegen den Begriff der "Volkskirche" - und von links - gegen den Begriff der "Bekenntniskirche" - ein vorsichtiges Verhalten der Kirchenbehörde bei diesen Zusammenstößen gewünscht wurde, "da sie sich nach zwei Seiten zu verteidigen habe".

227

CCW 10 (1900), Sp. 194-196 (Dryander: 195, Stoecker: 196).

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

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ganzen Gebiet unseres öffentlichen Lebens ihr ein Ende bereiten wird" 228 . Ein Ende der Landeskirche, wie sie sei, werfe dann die Frage auf: "Läßt sich und wie läßt sich auch in solchem Falle die Volkskirche erhalten?"229 Das Problem, das sich hier andeutet, kreist um die Frage, was die Kirche der wilhelminischen Ära mehr getragen und geprägt hat: der volkskirchliche Charakter, der eine von den Gemeinden bewußt zu tragende innere Einheit voraussetzt und - wie Schian meinte - "nicht notwendig die besonderen geschichtlichen Beziehungen der Kirche zum Staat, zur Landesregierung und zum Landesherrn" beeinhaltet230, oder die institutionelle Form der Landeskirche, von der die genannten Beziehungen unabtrennbar sind? Mit Jacke wird man wohl urteilen müssen, daß die preußische Landeskirche ihren Bestand nicht primär auf dem Boden der Volkskirchenidee hatte, nicht vom alle Schichten umfassenden Kirchenvolk ihre Lebenskraft bezog, sondern daß die "scheinbar so eindrucksvolle Stellung des Protestantismus im Kaiserreich" in nicht geringem Ausmaß auf "geborgter staatlicher Macht" und Autorität beruhte.231 Zwar war in der Entwicklung der Kirchenverfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts eine zunehmende - nicht nur die behördliche Verwaltung betreffende - Trennung von Staat und Kirche erkennbar, doch die Struktur des landesherrlichen Kirchenregiments hatte sich im Laufe der Jahrhunderte der Kirche sehr stark eingeprägt, und auch in der Person des Landesherrn als Summepiskopus waren Staat und Kirche weiterhin eng verknüpft geblieben. Beobachtet man die Struktur der preußischen Landeskirche, die in vielem eine Parallele zur Verwaltungsstruktur des preußischen Staates bildete, kann man erschließen, daß eine effiziente Verwaltung bis in die untersten Ebenen 228

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J. Kaftan an Th. Kaftan ν. 19.9.1911, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan II, 494-496, 494. Im Hintergrund standen aus dem Freundeskreis der Christlichen Welt stammende Gedanken Erich Foersters über eine gesetzliche Trennung von Staat und Kirche (s. dazu Rathje, Welt des freien Protestantismus 194-198) oder auch die von Traub in seiner Streitschrift aufgeworfene Frage nach "Staatschristentum oder Volkskirche. Ein protestantisches Bekenntnis" (Jena 1911, bes. 28-34, 41-55), die er im Sinne einer "protestantischen Laienkirche" beantwortete (54). S. a. den abgewogenen Fortsetzungsartikel "Die Volkskirche als Staatskirche, ihr Werden, ihr Wirken und ihre Zukunft" von Erich Schaeder in der Reformation 11 (1912), 561-566, 578-583. Göbell, Briefwechsel Kaftan II, 495. S. das zeitgenössische Bild einer Volkskirche, das M.Schian, in seinem RGG-Artikel "Volkskirche", Bd. 5 (1913), Sp. 1745-1746, gegeben hat. J.Jacke, Kirche zwischen Monarchie und Republik. Der preußische Protestantismus nach dem Zusammenbruch von 1918, Hamburg 1976, 329. S. v.a. das die Problematik knapp, aber präzise darstellende 1. Kap. (15-39).

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4. In der Kirchenleitung

der Kirche hinein stärker zu sein schien als das Moment einer durch ihre Gemeindeglieder lebendig gestalteten Kirche232. Untersucht man die sozialen Bindungen der Entscheidungs- und Funktionsträger im kirchlichen Protestantismus, so stößt man größtenteils auf die staatstragenden Schichten der Gesellschaft.233 Wesentlich für den Erhalt der Landeskirche und ihrer behördlichen Struktur war die finanzielle Abhängigkeit vom Staat, was sich am staatlich beaufsichtigten Kirchensteuersystem und an den dringend benötigten staatlichen Zuwendungen in Form von direkten Dotationen manifestierte.234 Gerade an diesen goldenen Ketten konnte das Interesse des Staates offenbar werden, als Gegenleistung für den äußeren Schutz der Kirche moralische Unterstützung und Loyalität von seiten der Kirche zu erhalten. An diesem Geflecht von institutionellen, finanziellen, politischen und sozialen Abhängigkeiten zeigt sich das, was Jacke treffend das "Defensivbündnis von Thron und Altar" nennt235: nämlich das Eingebettetsein der Kirche in die staatliche und gesellschaftliche Ordnung des Königtums und später des Kaiserreichs. Bei diesem Begriffspaar handelte es sich allerdings weniger um eine bloß kirchen- oder verfassungsrechtlich zu begreifende Kategorie als vielmehr um eine geeignete Umschreibung eines kirchlichgesellschaftlichen Selbstverständnisses oder - wie Buske formuliert - um eine "geistesgeschichtliche Umschreibung de[s] Versuchfs] einer 'christlichen'

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Gerade dies beklagte Dryander - natürlich als einen Aspekt neben der Überlastung durch übergroße Gemeinden -, wenn er das Beispiel eines Arbeiters anführte, der erst auf seine Austrittsmeldung hin Besuch von seinem Pastor bekam, obwohl er schon 15 Jahre der Gemeinde angehört hatte (Verhandlungen der 6. ordentl. Generalsynode 1909, Bd. 1, 478f)· S. dazu Jacke, Kirche zwischen Monarchie und Republik 22, und M.Greschat, Adolf Stoecker und der deutsche Protestantismus, in: G.Brakelmann/M.Greschat/W.Jochmann, Protestantismus und Politik. Werk und Wirkung Adolf Stoeckers (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 17), Hamburg 1982, 19-83, 69f. Dazu reicht ein Blick in die Mitgliederverzeichnisse von Synoden und kirchlichen Vereinen. Vgl. die Auswertungen der Zusammensetzung bei Jacke, Kirche zwischen Monarchie und Republik 29; Pollmann, Landesherrliches Kirchenregiment 51; sich vor allem auf die CCW stützend: J.Rohde, Streiflichter aus der Berliner Kirchengeschichte von 1900-1918, in: G.Wirth (Hg.), Beiträge zur Berliner Kirchengeschichte, Berlin 1987, 217-242, 218f. Huber/Huber, Staat und Kirche III, 36ff. Jacke, Kirche zwischen Monarchie und Republik 18f, vgl. 30. Jacke weist zu Recht auf die entscheidende Weichenstellung nach der Revolution von 1848 hin, die die Kirche, theoretisch unterbaut durch die von Stahl herausgehobene "Notwendigkeit der inneren Verbindung von Thron und Altar", erfuhr (K.Kupisch, Zwischen Idealismus und Massendemokratie. Eine Geschichte der evangelischen Kirche in Deutschland von 18151945, Berlin 1955, 61).

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

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Vereinheitlichung von Mensch und Gemeinschaft"236. So verstanden, könnte die Chiffre "Thron und Altar" mehr noch als das kultische Miteinander der beiden protestantischen Konfessionen als insgeheime Grundlage einer preußisch-kirchlichen 'Union' gedient haben, waren die Unionen am Anfang des Jahrhunderts doch auch ein wichtiger Versuch, in einer zersplitterten Landschaft und Gesellschaft "das christliche Einheitsband der Gesellschaft neu zu knüpfen"237. Sogar die DEKZ, ansonsten starke Verfechterin einer Trennung von Staat und Kirche, konnte in diese weitreichende Unionschiffre einstimmen, als im Zusammenhang seiner Grundsteinlegung der neue Dom als ein Wahrzeichen erbeten wurde, "daß Fürst und Volk gemeinsam an dem Heiligsten bauen, und daß für alle Zeiten Thron und Altar dicht nebeneinander stehen".238 Neben der kirchlich-liturgischen Begleitung von Ereignissen in der preußischen Geschichte oder von dynastischen Anläßen239 drückte sich das

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Buske, Thron und Altar 117; dieser Deutung müßte auch Hubatsch, LandeskirchenRegiment 267, zustimmen können, der die ursprünglich unbefangene Anwendung des Schlagwortes als "Schutzzusage zur Bewahrung geistlicher Werte" von der polemisch auf das preußische Gottesgnadentum verkürzten Interpretation unterschied. S. G.Maron, Das 19. Jahrhundert. Gesellschaft - Staat - Kirche, in: Kirche in Staat und Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Referate und Fachvorträge des 6. internationalen Kirchenarchivtags Rom 1991 (Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft der Archive und Bibliotheken in der evangelischen Kirche, Bd. 17), hg. v. H.Baier, Neustadt a.d. Aisch 1992, 21-39, 32. DEKZ 8 (1894), 235. Charakteristisch für diese Auffassung ist, daß die Anträge betr. die größere Selbständigkeit der Kirche auf der Generalsynode von 1891 keine "Emanzipation der Kirche von dem Hoheitsrecht des Staates" bedeuten sollten, sondern eine Freiheit, "die ihr zu ihrer heiligen Mission für Vaterland und Volk unentbehrlich ist" (Verhandlungen der 3. ordentl. Generalsynode 1891, 580f)· Wollten diese der christlichsozialen Bewegung entstammenden Anträge doch die Arbeiter, die trotz ihres politischen Wahlverhaltens "noch nicht mit Thron und Altar gebrochen haben", sammeln und den Händen ihrer Verführer entreißen (ebd. 587). So finden sich im EZA verschiedene Akten abgelegt, die Maßnahmen und Gebete zum Kaisergeburtstag (7/2810), zu besonderen Gedenktagen wie dem 100. Geburtstag Wilhelms I. 1897 (7/2827), dem 100. Geburtstag seiner Frau, der Kaiserin Augusta, 1911 (7/2866) oder dem Todestag der in hohen Ehren gehaltenen Königin Luise (7/2855) umfassen wie auch die liturgische Begleitung der Mitglieder des Königshauses von der Geburt bis zum Tod (z.B. 7/2746). Den kirchlichen Anordnungen ging meistens ein reger Schriftverkehr des EOK mit dem Ministerium des königlichen Hauses oder dem Geheimen Zivil-Kabinett voraus, um Informationen zu liefern oder Modalitäten des Gedenkens und der Fürbitte zu klären: So tat Dryander in einem an Wilhelm II. gerichteten Schreiben v. 22.8.1911 die Absicht des EOK kund, den Geistlichen der Landeskirche für den 31.9. im Hinblick auf die am 30.9.1811 geborene erste deutsche Kaiserin "die Erwartung auszusprechen, daß sie in der Predigt dieses Sonntags in angemessener

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4. In der Kirchenleitung

Selbstverständnis als "Defensivbündnis von Thron und Altar" vielleicht nirgendwo so deutlich aus wie in dem von Dryander als Mitglied der Kommission für innere Mission und soziale Fragen mitherausgearbeiteten Antrag auf der Generalsynode 1891, der an das evangelische Volk in all seinen Ständen und Berufen appellierte, "um der Liebe willen zu Kirche und Vaterland dem Umsturz von Thron und Altar in Glaubensmacht entgegenzutreten und dazu die Lebenskräfte des Evangeliums, wie die Güter der Reformation zu Schutz und Trutz hochzuhalten".240 So kommt es also nicht von ungefähr, daß Dryander in der "keck und frivol ins Leben gesetzten Agitation" zu Kirchenaustritten nur einen furchtbaren Akt des "Terrorismus" auf das Fundament von Gesellschaft und Kirche

Weise der erlauchten Fürstin vor den Gemeinden gedenken und den Erinnerungstag nicht ohne pietätvolles Andenken an die Werke der Liebe und Barmherzigkeit, die das Vaterland der Entschlafenen zu danken hat, vorübergehen lassen werden." Dieses Ansinnen wurde über Valentini (Geh. Zivil-Kabinett) am 26.8. freudig genehmigt (EZA 7/2866, nicht pag., Az.: E.O. 2300 bzw. 2541). In einem Erlaß zu den Festgottesdiensten zum 200jährigen Bestehen des Königreiches Preußen v. 4.1.1901 sah sich der EOK zusätzlich veranlaßt, auf den besonderen Umstand hinzuweisen, daß der 27.1. in diesem Jahr auf einen Sonntag falle. "Seine Majestät setzen [...] voraus, daß in dem Gottesdienste dieses Umstandes Erwähnung geschehen, von besonderen feierlichen Veranstaltungen aber im Hinblick auf die vorangegangene nationale Feier abgesehen werde" (EZA 7/2810, pag. 42). J.Kaftan bemerkt in dem Brief an seinen Bruder v. 27.1.1901 dazu: "Der Oberkirchenrat und die Konsistorien leisten hier an Bürokratie, was zu leisten ist. Sie haben für heute die Pastöre angewiesen, Kaisergeburtstag in der Kirche nicht zu vergessen. Als wenn ein vernünftiger Pastor dessen nicht ohnehin gedächte, in angemessener Weise. Die Folge ist nun die, daß heute in ganz Preußen viele unglückselige Predigten über den Kaiser gehalten werden. Der alte Lasson düpierte Freitag einige Kollegen [...], indem er mit ernsthafter Miene versicherte, in der Zeitung gelesen zu haben, es solle in jeder Kirche eine Kaiserstatue aufgestellt und vor ihr die nötige Adoration vollzogen werden" (in: Göbell, Briefwechsel Kaftan I, 228). Allerdings sei angemerkt, daß der EOK den Wünschen des Kaisers nicht immer entsprechen konnte, auch wenn er eigentlich dazu willens war. So war die Situation des Jahres 1897 Nachwirkungen des EOK-Erlasses zur sozialen Frage - , wie den Generalsuperintendenten auf einer Konferenz im EOK am 5.3.1897 mitgeteilt wurde, nicht dazu angetan, die kirchliche Centenarfeier des Geburtstages Wilhelms I. zu groß ausfallen zu lassen, da unerwünschte und störende "kritische Bemerkungen über Byzantinismus und das Eingreifen der Person des Landesherrn in das Gebiet der Kirche" hervorgerufen werden könnten (EZA 7/1085, pag. 195V-196V, zit. 196V). Ein Blick in die DEKZ 9-12 (18951898), zeigt die Berechtigung der Bedenken, aber auch, daß diese Kritik ohnehin geäußert wurde. 240

Verhandlungen der 3. ordentl. Generalsynode 1891, 998.

4.2. Die preußische Union unter Voigts, Dryander, Kahl und Kaftan

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erblicken konnte.241 Denn "eine Kultur ohne Christentum, eine Literatur ohne Christentum, ein Leben, in dem man außerhalb des Schattens der Kirche leben, genießen und sterben kann", erkannte er als "Bezeugung eines Gegensatzes, eines Leichtsinns, eines Haßes" und konnte er im Hinblick auf ein wirklich zu erstrebendes Lebensziel nur als unmögliche Möglichkeit empfinden. Hierin zeigte sich der "auffallige Mangel an Realitätsbezogenheit" in der Leitung der preußischen Landeskirche242. Eine zwar altbewährte, aber schon veraltete kirchliche Praxis konnte dem raschen gesellschaftlichen Wandel, der schon in der wilhelminischen Zeit auf eine pluralistische und säkularisierte Gesellschaft abzielte, nicht mehr in aller nötigen Weite begegnen. Die Erwartung, daß mit dem Lockern festgefügter christlicher Sitte eine Erschütterung der kirchlichen Fundamente einhergehen könnte, lähmte den teilweise durchaus vorhandenen Mut zu vorausschauenden Entscheidun-

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Verhandlungen der 6. ordentl. Generalsynode 1909, Bd. 1, 477. Zu den Kirchenaustrittsbewegungen bis zum Ersten Weltkrieg s. Geschichte der Ev. Kirche der Union II, 428-439 (K.Wappler). Jacke, Zwischen Monarchie und Republik 328. Dies spiegelt sich auch in scheinbar nebensächlichen Fragen wieder, wie der nach der Möglichkeit einer Feuerbestattung für Christen bzw. der geistlichen Begleitung einer solchen. Bis 1911 hatte sich die preußische Landeskirche dieser, in ihren Ursprüngen mit einer betont antikirchlichen Spitze versehenen Bestattungsart gegenüber völlig ablehnend verhalten (Schoen, Ev. Kirchenrecht II/2, 40 lf). Nachdem die Generalsynoden von 1897 und 1903 erste Vorstöße von Provinzialsynoden auf eine offenere Haltung noch vergleichsweise leicht Ubergehen konnten, beschäftigte sich die Generalsynode 1909 eingehender mit dem Problem, da die Feuerbestattung sich auch in ausgewiesen christlichen Kreisen einer größeren Beliebtheit erfreute, ohne allerdings in der breiten Bevölkerung zur Regel werden zu können. Eine Kommission empfahl daher, diese Angelegenheit dem EOK zur Erwägung zu überweisen. Dryander ergriff als Vertreter des Kirchenregiments das Wort, um dessen Stellung zu erläutern: Zwar verpflichte kein Dogma zur Ablehnung der Leichenverbrennung, wodurch Hohn und Spott über die christliche Auferstehungshoffriung eigentlich ins Leere griffen. Doch er betonte demgegenüber die "alte, geheiligte, in der ersten Zeit aufgekommene, unzweifelhaft mit der höheren Wertung der christlichen Persönlichkeit und mit dem Auferstehungsglauben zusammenhängende christliche Sitte" der Erdbestattung, an der eine "Fülle von Imponderabilien an Pietät, an Empfindungen des Gemüts, an Glauben" hingen (Verhandlungen der 6. ordentl. Generalsynode 1909, Bd. 1, 901). Zwar seien Sitten umbildbar, die Frage sei aber, "ob wir Anlaß haben, dazu die Hand zu bieten, daß sie sich umbilde (Sehr richtig!) [...]: nein, wir als Vertreter der Kirche haben ganz gewiß nicht die Aufgabe und die Pflicht, zur Umgestaltung dieser Sitte mitzuwirken, [...] im Gegenteil, unsere Aufgabe ist es, sie mit Inhalt zu füllen, sie zu verinnerlichen [...] ". Damit hatte Dryander ausgedrückt, was in weiten kirchlichen Kreisen empfunden wurde, ohne die andere Seite verstehen zu wollen. Die Feuerbestattung konnte die alte Sitte in

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4. In der Kirchenleitung

War sich Dryander des Mißtrauens gegenüber der Kirche bewußt, da er selbst die auch heute noch wesentlichen Kritikpunkte aufzählen konnte "Sie sei verweltlicht, sagt man, verquickt mit den Mächten des Staates, überall gebunden durch weltliche Rücksicht, entnervt durch ihre gesicherte Stellung, verseucht durch eine ungläubige Wissenschaft" 244 -

berücksichtigte doch auch er in seinen Vorstellungen einer Volkskirche nicht das Problem, wie gerade die enge Bindung der Kirche mit ihren Institutionen und Sitten an die herkömmlichen gesellschaftlichen und staatlichen Werte Ernst Troeltsch konnte die preußische Landeskirche sogar als darüber mit Stolz erfüllten "geistlichen Zwilling des konservativ-politischen Systems" bezeichnen245 -, eine tatsächliche Verwirklichung von Volkskirche verhinderte. Solange die für ihn wesentlichen Brücken, Wort und Sakrament, noch unangestastet seien und sich Gottes Volk um Gottes Wort sammele, "halten wir zu dieser Volkskirche und sind der festen Überzeugung, daß sie mehr als andere das gottgewollte Gefäß ist, das jenes Gottesleben in sich zu fassen und weiterzuleiten vermag."246 Zwar sollte die Landeskirche gerade als Volkskirche vielen verschiedenen Richtungen ein gemeinsames Dach bieten. Doch nicht nur theologische und kirchliche Maßstäbe - besonders die Stellung zu Verfassung und Bekenntnis - spielten eine Rolle, obschon sie allein zu derartigen Spannungen innerhalb der Kirche führten, daß diese über den kir-

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ihrem Bestand keineswegs bedrohen. Die Anträge wollten innere Konflikte bei allen Beteiligten anerkennen und durch eine offenere Haltung der Kirche für die in Ballungsräumen u.a. finanziellen Motive zur Feuerbestattung ausräumen. Dryander sah dies zwar auch, entschied sich aber für eine 'nachhinkende' Vorgehensweise, um nicht dem Staat vorzuarbeiten, der bisher lediglich die Erdbestattung zugelassen hatte (ebd. 902-905). So bot man den antikirchlichen Feuerbestattungsvereinen weiterhin Angriffsflächen, zumal Dryander und Zieten-Schwerin bei den Debatten über eine fakultative Feuerbestattung im Herrenhaus mit Nachdruck ihre warnende Stimme erhoben und deutlich auf die "bedenklichen Folgen" hinwiesen, "deren Eintreten mit der Annahme des Gesetzes für die christliche Kirche, zunächst für deren festgefügte Sitte, dann aber auch für die Erschütterung ihrer grundsätzlichen Stellung zu erwarten steht" (Positive Union 8 [1911], 244; vgl. CCW 21 [1911], 327f). Mit der dann doch eingetretenen gesetzlichen Billigung der fakultativen Feuerbestattung (im Abgeordnetenhaus am 20.5.1911 mit 158 zu 156 Stimmen, im Herrenhaus am 20. Juni mit 90 zu 84; am 11.10. trat das Gesetz in Kraft; CCW, a.a.O. 537) sah sich der EOK am 1.12. zu einem Erlaß genötigt, der unter Betonung der Pflicht zur Bewahrung der alten Sitte - sich den Gegebenheiten anpaßte und eine freiwillige geistliche Begleitung von Feuerbestattungen im Rahmen der Gesetze zuließ (CCW, a.a.0.624f). EvD, Weltüberwindung (1910), 222. Die Hilfe 25 (1919), 566; zit. n. Jacke, Zwischen Monarchie und Republik 16. EvD, Weltüberwindung (1910), 223.

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chenpolitische Priorität besitzenden und gerade Dryander zu bescheinigenden Versuch, einen offenen Bruch in der Kirche zu verhindern, nicht recht dazu kam, "wirkungsvoll und dauerhaft nach außen zu den kirchenabgewandten Bevölkerungsteilen vorzudringen"247. Auch politische und gesellschaftliche Gesichtspunkte bestimmten die Spannweite der kirchlichen Gemeinschaft mit. Das Gefühl aber, eine öffentliche und volkskirchliche Größe zu sein, wurde durch den Enthusiasmus und den großen Burgfrieden zu Beginn des ersten Weltkrieges auch im innerlich zerrissenen Protestantismus noch verstärkt.248 Der Zusammenbruch der Monarchie mit dem Wegfall des landesherrlichen Summepiskopats ließ dementsprechende Furcht vor katastrophalen Folgen für Kirche und Volk laut werden und führte - wie bei Dryander noch zu zeigen sein wird - auch hier zunächst zu einem Festhalten an den traditionellen Mustern. Nur langsam setzte sich die Einsicht durch, daß - wie Otto Dibelius es formulierte - es nun "wirklich nicht mehr mit den alten, patriarchalischen Formen der Arbeit [ging], in denen meine Vorgänger, Kögel und Dryander und die anderen, ihre Aufgabe hatten erfüllen können."249 Stimmen, die wie der Naumann nahestehende Paul Rohrbach schon vor dem Krieg ausriefen, daß die deutsche evangelische Kirche "vortrefflich zur Hofund Patronatskirche, aber sehr schlecht zur Volkskirche geeignet" sei250, fanden kaum Gehör und konnten das Selbstverständnis auch Dryanders im Gegenteil nur festigen: Als er am 15. Juni 1918 - also wenige Monate vor dem Zusammenbruch des Kaiserreiches - den hohen Orden vom Schwarzen Adler - verbunden mit dem erblichen Adelstitel - verliehen bekam, nahm er diese Dekorierung, die "seit den Tagen des Erzbischofs von Borowski in Königsberg, des Seelsorgers Friedrich Wilhelms III., kein evangelischer Geistlicher getragen hatte", in dem Bewußtsein in Empfang, daß diese Ehrung nicht ihm, sondern eigentlich der evangelischen Kirche gelte, als deren Diener er quasi stellvetretend gelobte, die Gemeinden auch weiterhin "wie im Geist evangelischer Glau-

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Pollmann, Landesherrliches Kirchenregiment 302. S. dazu bes. W.Pressel, Die Kriegspredigt 1914-1918 in der evangelischen Kirche Deutschlands (Arbeiten zur Pastoraltheologie, Bd. 5), Göttingen 1967, 11. O.Dibelius, Ein Christ ist immer im Dienst. Erlebnisse und Erfahrungen in einer Zeitenwende, Stuttgart 1961, 148. Aus seiner Schrift "Der deutsche Gedanke in der Welt" (Berlin 1912, 129) zit. n. Jacke, Kirche zwischen Monarchie und Republik 31.

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4. In der Kirchenleitung

benstreue, so auch in unerschütterlicher Vaterlandsliebe und Königstreue zu erziehen."251

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EvD, Erinnerungen 312.

5. IN DER NÄHE DES THRONES 5.1. Aufschwung zum "Hoflumen" 5.1.1. Ruf des Hofes In den ersten Berliner Jahren hatte Dryander nur "verhältnismäßig [...] flüchtige Berührungen mit den Kreisen des königlichen Hauses."1 Sie ergaben sich teils durch seine herausgehobene Stellung an der Dreifaltigkeitskirche - zu deren Neuweihe am 16. April 1886 denn auch Prinz Wilhelm als summepiskopaler Vertreter zugegen war2 -, teils durch den wiederaufgenommenen Kontakt zu Kögel, dem wohl das Zustandekommen einer 'Privataudienz' bei der alten Kaiserin Augusta zuzuschreiben war.3 Gerade vor dem Hintergrund der hohenzollernschen Generationsspannungen des Dreikaiserjahres 1888 mit eminent politischer Brisanz ist die sich hier schon andeutende Eigenart Dryanders erwähnenswert, für alle Hofparteien Gesprächspartner zu sein. So erreichte ihn kurz nach dem Tod Kaiser Friedrichs III. das Ersuchen der 'Kaiserin Friedrich', der ehemaligen Princess Royal Victoria, eine Trauerfeier fur sie und ihre Umgebung abzuhalten.4 Besondere Aufmerksamkeit erfuhr Dryander allerdings von seiten des ihm noch von Bonn her bekannten Prinzen Wilhelm, der ihn des öfteren zu sich nach Potsdam einlud. Nach dessen Thronbesteigung schien sich die von nun an kaiserliche Gunst in verstärktem Maße fortzusetzen, wenn Stoecker schon 1889 mißgünstig bemerken konnte, daß Dryander sich "zum Hoflumen aufzuschwingen scheine".5 Stoecker setzte hinzu: "Mittelpartei, nichts als Mittelpartei!" Dieser Kommentar kann als dunkle Vorahnung der Vorgänge des kommenden Jahres angesehen werden, an dessen Ende, ausgelöst an der Person Dryanders, die Entlassung Stoeckers aus dem Dom- und Hofpredigeramt stehen sollte. Bildeten die vier Berliner Hofprediger nach dem Urteil der DEKZ an Dom und Hof noch weit bis in das Jahr 1890 hinein auch "in ihrer Stellung zum

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EvD, Ebd. Ebd. Ebd. Brief

Erinnerungen 174. 155. 174. 175. an seine Frau v. 5.2.1889, zit. n. Frank, Stoecker 221.

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5. In der Nähe des Thrones

Bekenntniß der Kirche ein Herz und eine Seele", so fand man die Domgemeinde am Ende des Jahres "in der schmerzlichsten Weise plötzlich verwaist"6. Denn die Gemeinde hatte "in zehn Tagen [...] ihre Prediger verloren; drei für immer". Das kirchenpolitische Hausblatt Stoeckers bezog sich damit auf die Ereignisse, die mit dem Ausscheiden Bayers aus der vierten Hofpredigerstelle ihren Anfang nahmen, der als vortragender Rat in das Kultusministerium wechselte7. Als Nachfolger Bayers wurde vom EOK im Einvernehmen mit dem Geheimen Zivil-Kabinett unter Lucanus und dem Ministerium für geistliche Angelegenheiten8 zunächst Konsistorialrat Dryander in Aussicht genommen. Diesen Umstand nahm der Präsident des EOK Hermes zum Anlaß, Dryander am 10. Oktober zugleich die Stelle eines geistlichen Rates im EOK anzutragen. Wie gezeigt, versprach man sich offenbar, "bei dem immer schärfer werdenden Gegensatz der Richtungen in der Behörde" in Dryander ein vermittelndes Glied finden zu können9. Auch hier kündigte sich das Aufweichen der starren Personalpolitik der Ära Kögel an, wenn doch die Tatsache, daß Dryander sich als Hospitant der Mittelpartei - sehr zum Schmerz seines 'Mentors' Kögel - angeschlossen hatte, kein Hindernis mehr für einen Ruf in leitende Kirchenämter und an den Hof bedeutete. Nach der sogenannten Hofpredigerkrise ließ die DEKZ als Organ der Positiven Union, welche sich eine Fortsetzung des restriktiven Kurses gewünscht hätte, allem Ärger freien Lauf und stellte - in Anspielung auf Lk 14,10 - geradeheraus die Frage, "womit [es] die Mittelpartei verdient hätte, daß man ihr sagte: Freund rücke hinauf!"10 Abgesehen davon, daß die Mittelpartei ihrer Stellung nach schon zu stark im EOK vertreten sei, wäre eine zusätzliche Majorität derselben ein Unrecht. Gerade angesichts der spürbar aufziehenden freieren Luft konnte die DEKZ ihre Häme über die Fehlmeldung einer scheinbar von der Mittelpartei lancierten Pressemitteilung, derzu-

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Art. "Die Demission der beiden Hof- und Domprediger", DEKZ 4 (1890), Nr. 46 v. 15.11.1890, (473-474), 473. EZA 7/13749, pag. 134. Der §5 des "Ressort-Reglements" des EOK sah u.a. bei Fragen des landesherrlichen Patronats oder der AufsichtsfUhning über die Domkirche ein Zusammenwirken von EOK und dem Ministerium fiir geistliche Angelegenheiten vor. Vgl. Schoen, ev. Kirchenrecht I, 2 4 3 f . EvD, Erinnerungen 175f . DEKZ 5 (1891), Nr.4 v. 24.1.1891, 37, in Teil IV eines Serienartikels unter dem Motto "Wo? Wohin?" wohl aus der Feder Stoeckers. Hier s. auch das Folgende.

5.1. Aufschwung zum "Hoflumen"

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folge Dryander zum Mitglied des EOK ernannt worden sei, nicht unterdrücken. Diese Ente zeige, "daß der Wunsch hier wieder einmal der Vater des Gedankens war." Doch aus diesem 'Leit'-artikel sprach mehr ein Ressentiment als gute Information. Denn der EOK hatte Dryander diese Funktion tatsächlich angeboten, und Dryander selbst war es, der gegen eine bevorstehende Ernennung seine Einwände vorgebracht hatte und sie über einflußreiche Personen wie den Freiherrn von Mirbach, den Oberhofmeister Auguste Viktorias, abzuwenden suchte. Den kirchenrechtlichen und -regimentlichen Anforderungen im EOK fühlte er sich nicht gewachsen. Zudem sah er sich mit seiner Dreifaltigkeitsgemeinde so sehr verbunden, daß er darum bitten mußte, von den Berufungen in den EOK und an den Dom abzusehen.11 Dryanders Gesuch fand 'Allerhöchste' Billigung, denn am 4. November beehrte Lucanus sich, dem EOK mitzuteilen, "daß Seine Majestät der Kaiser und König in Würdigung der von dem Pfarrer der hiesigen Dreifaltigkeitskirche, Konsistorialrath Dryander, geltend gemachten Bedenken" geruht haben, "davon absehen zu wollen, demselben die [...] vakant gewordene vierte Dompredigerstelle zu übertragen".12 In dem darauf in Aussicht genommenen und nach einer Gastpredigt vor Wilhelm II. zum 4. Dom- und Hofprediger berufenen Storkower Pfarrer Kritzinger13 suchte die DEKZ schließlich einen ihrer Parteigänger zu sehen.14 Doch dies waren angesichts bald eintretender personeller Veränderungen in den leitenden kirchlichen Funktionen nur noch Rückzugsgefechte der an Einfluß verlierenden Positiven Union. Schon vor dem Wechsel an der Spitze des EOK und den damit einhergegangenen kirchenpolitischen Direktiven Wilhelms II. an den neuen Präsidenten Barkhausen kündigte sich in physischen und psychischen Zusammenbrüchen Kögels15, von denen er sich

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EvD, Erinnerungen 176. Lucanus (Geheimes Zivil-Kabinett) an Hermes (EOK) v. 4.11.1890, EZA 7/13749, pag. 135. Zum Vorgang vgl. EZA 7/13749, pag 135.155-157. Die Gastpredigt Kritzingers fand am 30.11. statt (pag. 155), die Ernennung erfolgte am 4.2.1891 (pag. 198). DEKZ 5 (1891), Nr. 4 v. 24.1.1891, 37. Die Zusammenbrüche ereigneten sich während der Gedächtnispredigt für die verstorbene Kaiserin Augusta am 12.1.1890 sowie bei der Trauerfeier für die Witwe des ehemaligen Oberhofpredigers von Hengstenberg am 24.10.1890. Vgl. DEKZ 4 (1890), Nr. 46 v. 15.11.1890, 473, sowie EvD, Erinnerungen 176.

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5. In der Nähe des Thrones

nie wieder recht erholen sollte, mit großer symbolischer Wirkung das Ende der Ära Kögel an, traf dies doch mit ihrem Haupt auch die Positive Union. Die Folgen zeigten sich deutlich an der dringlichen Frage einer Vertretung Kögels bei den unmittelbar bevorstehenden Amtshandlungen anläßlich der Landtagseröffnung zum 12. November, der zu vollziehenden Trauung der Prinzessin Viktoria von Preußen mit dem Prinzen Adolf von SchaumburgLippe zum 19. November sowie der Taufe des Prinzen Joachim zum 26. Januar 1891. Denn hierzu wurde nicht, wie allgemein erwartet, einer der Hofprediger, sondern Konsistorialrat Dryander berufen, der doch eben erst die vierte Hofpredigerstelle ausgeschlagen hatte. Unübersehbares Gewicht wurde diesem Vorgang zusätzlich dadurch verliehen, daß Dryander unter offizieller Bekanntgabe im Reichs- und Staatsanzeiger zunächst für die Dauer des Kögeischen Genesungsurlaubs sogar zum stellvertretenden Schloßpfarrer ernannt wurde.16 Die Umstände der Berufung zum 'Hauspastor' der königlichen Familie waren für Dryander nicht sehr angenehm, da auch er sah, wie die eigentlich zuständigen Hofprediger Stoecker und Schräder übergangen worden waren und sie daher am 4. November ihren Abschied eingereicht hatten. Die Interventionen Dryanders bei Schräder selbst und beim Minister für geistliche Angelegenheiten von Goßler blieben erfolglos, das persönliche Verhältnis Dryanders zu Schräder und noch mehr zu Stoecker sollten auf Dauer belastet bleiben.17 Doch schon zeitgenössischen Beobachtern war klar, daß "die Berufung Dryanders nicht der zureichende Grund" für die Abschiedsgesuche der beiden Hofprediger sein konnte18, sondern daß es ein "eigenes Zusammentreffen" sei, "daß gerade der milde, durch und durch friedliebende Dryander [...] Ursache der Katastrophe geworden ist."19 Die Berufung Dryanders erfolgte jedoch nicht zufallig. Eine maßgebliche Beteiligung daran scheint dem Generalsuperintendenten und geistlichen Vizepräsidenten des EOK Brückner

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EvD, Erinnerungen 176-178; vgl. Frank, Stoecker 220f. Das schlechte Gewissen verfolgte Dryander noch lange, wenn er in seinen Erinnerungen betonen mußte, ohne alles Verdienst, eigenes Zutun oder Würdigkeit zu dieser Ernennung gekommen zu sein: "Was mein persönliches Verhalten bei der Sache anlangt, die mich tiefbewegte, so wüßte ich auch heute mir keinerlei Vorwürfe zu machen." (a.a.O. 177). So M.Rade, Die Entlassung des Hoipredigers Stöcker, ChW 4 (1890), Sp. 1091-1094, 1094. So der "Neue Evangelische Gemeindebote" zit. n. DEKZ 4 (1890), Nr. 47 v. 22.11.1890, 489f.

5.1. Aufschwung zum "Hoflumen"

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zuzusprechen zu sein20, der wieder Morgenluft wittern konnte, nachdem er, wie eine Aufstellung aller Generalsuperintendenten Preußens belegen kann, als Gegner Kögels über ein Jahrzehnt isoliert und im Konsistorium wie im EOK durch Männer wie Hegel, Stoecker, Hermes, Baur u.a. blockiert war.21 Die eigentlichen Gründe der Entlassung Stoeckers und in dessen Gefolge Schräders, als Mitherausgeber der DEKZ ein sicherer Parteigänger Stoeckers (und Kögels), sind aber vor allem in der wachsenden Abneigung an der politischen Wirksamkeit Stoeckers zu suchen und resultierten letztlich aus Spannungen im Verhältnis zu Wilhelm II., das sich nach jahrelangen warmen Beziehungen besonders seit der Thronbesteigung merklich abgekühlt hatte. Zwar hatte Stoecker in seinem Krisenjahr 1885 die Rettung seiner durch etliche Prozesse beschädigten Stellung als Hofprediger nur dem plötzlichen und entschiedenen Eingreifen Prinz Wilhelms zu verdanken22, zwar gelang es Stoecker, den Prinzen z.B. auf der sogenannten Walderseeversammlung für sich und seine christlich-sozialen Ideen zu gewinnen23. Doch Bismarcks nachwirkender Einfluß und nicht zuletzt Stoeckers agitatorisch-politische Kampfesart ließen Wilhelm II. von Stoecker abrücken und sorgten dafür, daß der Kaiser seinem Hofprediger eine politische Abstinenz auferlegte, wobei er den EOK anwies, dies zu überwachen.24 Schon die Gründung des "Evangelisch-kirchlichen Hilfsvereins zur Bekämpfung der religiös-sittlichen Notstände" im Mai 1888 war ein herber Schlag gegen seinen eigentlichen Initiator Stoecker, wurde er doch geradezu ausgeschlossen. Unter dem besonderen Protektorat Auguste Viktorias und Wilhelms stehend, öffnete sich

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Nach einem Hinweis Dryanders, Erinnerungen 177. Wolf, Kögels Kirchenpolitik 373-375. Dies gelang durch einen warm-fürsprechenden Brief Wilhelms an seinen Großvater, in dem er die Verdienste Stoeckers für Monarchie und Kirche pries. B.Satlow, Kirchenpolitische Korrespondenzen Wilhelms II., in: ... und fragten nach Jesus. Festschrift für Ernst Barnikol zum 70. Geburtstag, Berlin 1964, 268-277, 270f, konnte diesen auch für die 'Vorgeschichte' Wilhelms II. wichtigen Brief v. 5.8.1885 erstmalig veröffentlichen, nachdem D.v.Oertzen, Adolf Stoecker. Lebensbild und Zeitgeschichte, Bd. 1, Berlin 1910, 342, die Existenz eines solchen vermutet hatte und es Frank nur gestattet war, diesen stichwortartig zu zitieren (Stoecker 145f,331). S.a. J.C.G.Röhl, Wilhelm II. Die Jugend des Kaisers 1859-1888, München 1993, 422. Frank, Stoecker 164-173, bes. 166f; vgl. Bismarck, Erinnerung 542-559, mit dem Briefwechsel zwischen sich und Prinz Wilhelm, in dem er diesen vor einer Parteinahme mit Stoecker eindringlich warnte; z.T. zusammengestellt bei Huber/Huber, Staat und Kirche III, 604-619. Frank, Stoecker 196-200; Huber/Huber, Staat und Kirche III, 623-629; vgl. Greschat, Stoecker 50-54.

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dieser Verein dann ganz besonders der Mitarbeit positiv gemäßigter Kräfte 25 - bezeichnend dafür mag sein, daß Dryander später ein Jahrzehnt lang als Vorsitzender des Berliner Zweigvereins fungierte. Dryanders vorsichtige Bemerkung spricht doch alles aus, wenn er sagt: "Man wird nicht leugnen können, daß politische Rücksichten auf die Geburt des Vereins vielleicht nicht ganz ohne Einfluß gewesen sind"26. Der Bruch mit seinem Versprechen zur politischen Enthaltsamkeit - in der Hoffnung, den sozialreformerischen Kaiser des Jahres 1890 doch noch auf seine Seite ziehen zu können - führte Stoecker wieder in öffentliche Konflikte. Eine in diesem Zusammenhang stehende großherzoglich-badische Beschwerde über Auslassungen auf einem konservativen Parteitag in Karlsruhe am 13. Oktober ließen Stoecker für den Hof und die dort bevorstehenden Amtshandlungen als untragbar erscheinen. Prinzessin Viktoria, eine Schwester Wilhelms II., weigerte sich sogar, sich von Stoecker trauen zu lassen.27 Wilhelm II. zog daraus endgültig Konsequenzen. So notierte Graf von Wedel, Generaladjudant Wilhelms II., daß der Kaiser ihm am 3. November anvertraut habe, es gebe "'die nächsten Tage einen Sturm [...] unter den evangelischen Kirchenfürsten [...]. Ich habe'" - so der Kaiser im Gespräch - "'Dryander mit der Stellvertretung des schwer erkrankten Kögel als zweiten Hof- und Schloßprediger betraut. Da hoffe ich, daß ich bei dieser Gelegenheit auch Stöcker und Schräder loswerde.'"28 Stoecker habe ihm fest versprochen, sich der politischen Agitation zu enthalten, habe aber dieses Versprechen gebrochen. Zudem hänge er sich an die Kaiserin und an Mirbachs Röckschöße, dem müsse ein Ende gesetzt werden.29 Stoecker schien dies geahnt zu haben, denn schon nach dem Bekanntwerden des Ausmaßes der Kögeischen Krankheit hatte er die Initiative ergriffen und sich mit Schräder auf eine offensive Strategie verständigt. Demgemäß war das Verharren in seinem Amt vorgesehen, "wenn Se. Majestät der Kaiser ihn [sc. Schräder, d.Vf.] oder einen neu zu berufenden Hofprediger mit den Funktionen bei Hofe" betrauen würde, andernfalls aber, "wenn ein anderer Geistlicher zu den Funktionen berufen würde, wir gemeinsam den

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H.Hohlwein, Art. "Hilfsverein", 3RGG, Bd. 3 (1959), Sp. 323. Vgl. Frank, Stoecker 295. EvD, Erinnerungen 217. Frank, Stoecker 215-220. Graf C.v.Wedel, Zwischen Kanzler und Kaiser. Aufzeichnungen aus den Jahren 18901894, eingel. u. hg. v. Graf E.v.Wedel, Leipzig 1943, 129 (Eintragung v. 3.11.1890). Ebd. 130 (Eintragung v. 4.11.1890).

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Abschied erbitten wollten, [...] wenn in der Berufung eines anderen Geistlichen [...] ein Mangel an Vertrauen läge."30 Der Bündnisfall trat ein, da "Eure Majestät nun", wie Stoecker sein Pensionierungsgesuch an Wilhelm II. vom 5.(4.). November 1890 einleitete, "den Konsistorialrath P. Dryander in Vertretung D. Kögels mit der Wahrnehmung der Funktionen eines Schloßpfarrers betraut haben".31 Wie Schräder in seinem Versetzungsgesuch betonte auch Stoecker die alte und bisher nie unterbrochene Tradition in der Verbindung des Schloßpredigeramtes mit einer der Hofpredigerstellen.32 Darauf aufbauend, zeigte Stoecker besonders geschickt die "Tragweite dieses Allerhöchsten Befehls" auf und sprach darin die Befürchtung aus, die Domgemeinde, in der er seit sechzehn Jahren gesegnet und beglückend gewirkt habe, würde in der Anordnung Wilhelms II. "das Aufhören des Königlichen Vertrauens zu den Hof- und Dompredigerc erblicken".33 Sollte dies der Fall sein, sei er selbstverständlich bereit, sein geliebtes Amt mit schwerem Herzen in die Hände Seiner Majestät niederzulegen und um "gnädige Pensionirung" zu bitten. Die Art und Weise der Bewilligung gerade des Stoeckerschen Gesuches zusätzlich zum geschäftsmäßigen Bewilligungsvermerk am Briefkopf der Eingabe findet sich eine hastig hingeworfene Randbemerkung Wilhelms II. ("Pensionirung bewilligt!") - wie auch der von Dryander als sehr herzlich und entspannt empfundene Empfang als neuer Hauspastor am 5. November lassen die Erleichterung Wilhelms II. über den Verlauf der Dinge erkennen.34 Das vertrauliche Schreiben von Lucanus an den EOK vom 6. November zeigt noch einmal, wie besonders Stoecker Stein des Anstoßes war. Wilhelm II. wünschte demnach, "daß diese Angelegenheit rasch zum Abschluß gebracht werde".35 Wedel notierte sogar eine gewisse Schadenfreude Wilhelms II. über den Abschied Stoeckers: Es "sei das beste an der Sache, daß Stöcker

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v.Oertzen, Stoecker I, 414. Stoecker an Wilhelm II. v. 5.(4.). 11.1890, EZA 7/13749, pag. 140f, 140 V. Dieser Brief ist schon von Frank, Stoecker 221, herangezogen worden und bei Huber/Huber, Staat und Kirche III, 630f abgedruckt. Schräder an Wilhelm II. v. 4.11.1890, EZA 7/13749, pag. 142f, 142V. Ebd., pag. 141V. Schräder stellte ohne Umschweife die Frage, "ob ich denn überhaupt noch hoffen darf, das Vertrauen Eurer Majestät in dem Maße zu besitzen, wie dies zur gedeihlichen Ausrichtung des mir befohlenen Amtes an Eurer Majestät Hofe sowohl [...] in der Gemeinde unerläßlich ist.", ebd., pag. 142R-143V. EvD, Erinnerungen 178; vgl. Gräfin M.v.Keller, Vierzig Jahre im Dienst der Kaiserin. Ein Kulturbild aus den Jahren 1881-1921, Leipzig 1935, 135. Lucanus an Hermes v. 6.11.1890, EZA 7/13749, pag. 138f, 138R.

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sich eingebildet habe, er, Wilhelm, würde sein Entlassungsgesuch nicht annehmen."36 Während Stoecker seine Pensionierung zum 1. Januar 1891 erhielt37, wollte Wilhelm II. den Abschied Schräders in Anerkennung seiner Treue und Verdienste mit Schonung seiner Person vollzogen wissen38. Wiederum ein Affront gegen Stoecker, denn dies hatte zur Folge, daß Schräder bis zur Berufung seines Nachfolgers Faber im Amt bleiben konnte und erst zum 1. Juli 1891 seinen Abschied erhielt.39 Auf die Pressediskussion über das Für und Wider des Stoeckerschen (kirchen-)politischen Wirkens soll hier nicht weiter eingegangen werden.40 Beachtung allerdings verdient die in der DEKZ aufgeworfene und sich nicht zufallig in der Formulierung an das Stoeckersche Entlassungsgesuch anlehnende grundsätzliche Besinnung über den Aufgabenbereich und die Stellung der Hofprediger, die laut ihrer Vokation an Hof und Dom "mit Lehren, Predigen, Austheilen und Administrieren der heiligen Sakramente vorstehen sollen".41 Es sei darum in ihrer Ubergehung durch die Ernennung Dryanders zum Schloßpfarrer "eine in der Vokation geforderte Berufspflicht" ausdrücklich verletzt worden, so daß das Angebot der Demission "schlicht und recht [...] amtliche Ehrenpflicht" gewesen sei. Beyschlag dagegen versuchte, die Demissionen in ein anderes Licht zu rücken, wenn er darauf hinwies, "daß die jetzigen Hofprediger sämmtlich nicht Männer der persönlichen Wahl Kaiser Wilhelms", sondern übernommen

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Wedel, Kanzler und Kaiser 130 (Eintragung v. 11.11.1890). Die Information Wedels, daß "Hinzpeter [der Erzieher Wilhelms II., d.Vf.] hinter dieser Geschichte [...] stehe und ihr Macher sei" (ebd.), ließ sich nicht mehr verfolgen. Allerhöchster Erlaß v. 25.11.1890, Stoeckers Abschied betreffend, EZA 7/13749, pag. 159, vgl. 173. Lucanus an Hermes v. 6.11.1890, ebd., pag. 138R-139V. Lucanus (an EOK v. 28.3.1891, ebd., pag. 208; vgl. pag. 249) wies nochmals nachdrücklich darauf hin, daß Schräder solange im Amt verbleiben solle, bis ein Nachfolger gefunden sei oder etwa Kögel seine dienstlichen Funktionen wieder übernehmen könne. Nachdem Frey (Düsseldorf) den Ruf an den Dom abgelehnt hatte, wurde Superintendent Faber (Magdeburg) in Aussicht genommen und berufen (ebd., pag. 212, 216, 221, 249). Wie viele andere sah z.B. H.Delbrück, Die Entlassung Stöckers, PrJ 66 (1890), 634-637, 634f, das Ausscheiden Stoeckers positiv, sei dadurch doch die politische Kraft Stoeckers gewachsen sowie Mißtrauen ob der Vermengung von kirchlichen und politischen Intentionen ausgeschlossen. Eine Art Pressespiegel findet sich bei v.Oertzen, Stoecker I, 416-420. DEKZ 4 (1890), Nr. 46 v. 15.11.1890, 471 (hier s.a. das Folgende); vgl. DEKZ 5 (1891), Nr. 4 v. 24.1.1891, 37.

5.1. Aufschwung zum "Hoflumen"

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seien.42 Auch Wilhelm II. habe das Recht, "sich seinen Seelsorger persönlich zu wählen". Die Verpflichtung der Vokation sei keine Verpflichtung des Regenten, "sich keines anderen Geistlichen zu bedienen", zumal "die Schloßpredigerstelle wahrscheinlich nur ein lösbares Annexum des Dompredigeramtes" sei.43 Gegen den von Beyschlag daraus gezogenen Schluß, es sei eine unberechtigte Empfindlichkeit, wegen der Berufung Dryanders den Abschied zu fordern, wendete sich die DEKZ mit aller Schärfe: Es habe sich nicht um persönliche Seelsorge, sondern um pfarramtliche Funktionen gehandelt, "zu denen die Hofprediger ausdrücklich vociert waren, andere nicht."44 An dieser Kontroverse wie an dem gesamten ausführlich geschilderten Vorgang, an dem Dryander zwar eher passiv, aber entscheidend beteiligt war, mag deutlich werden, wie empfindlich die Verhältnisse an Dom und Hof waren. Denn der Wirkungsgrad der Geistlichen hing nicht nur von der Erfüllung der vorgeschriebenen Amtspflichten ab, ihre Arbeit lebte nicht nur vom Einvernehmen mit der Domgemeinde, namentlich dem Domkirchenkollegium, letztlich standen und fielen die Hof- und Domprediger mit der Vertrauensbasis zum Monarchen, wodurch das Amt in die Gefahr einer starken Abhängigkeit vom Hof geraten konnte. Dies dürfte auch Rade so empfunden haben, als er der Hofpredigerkrise die Moral entnahm, "daß das Amt eines Hof- und Dompredigers, wie es in Berlin besteht, sich mit den Begriffen, die wir heute von der Unabhängigkeit eines Geistlichen und von seiner Zusammengehörigkeit mit der Gemeinde haben, nicht verträgt und in sich unhaltbar ist."45

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W.Beyschlag, Die Entlassung Stöckers, DEB1 15 (1890), 856-858, 856f. Ebd. 857. Die Frage nach der Verbindung beider Ämter ist nie recht geklärt worden. Auch im Zusammenhang der Nachfolgeregelung für den 1896 verstorbenen Oberhofprediger Kögel tauchte sie wieder auf. So definierte Lucanus in einem Schreiben an Bosse (Minister für geistliche Angelegenheiten) v. 15.7.1897 das "Schloßpfarramt [als] ein selbständiges Pfarramt, das mit einer der vier Hof- und Dompredigerstellen im Wege der Personalunion verbunden werden kann, aber nicht verbunden sein muß" (EZA 7/13750, pag. 208). DEKZ 5 (1891), Nr. 4 v. 24.1.1891, 37. Interessant ist ein Blick auf die Titelseite mit dem Titelkopf: Ist Stoecker in der Nr. 1 des 5. Jahrgangs v. 3.1.1891 - also unmittelbar nach seinem Abschied - noch der Titel "Hof- und Domprediger" beigelegt, so hat man dem Begründer und Herausgeber der Zeitung ab der Nr. 2 v. 10.1.1891 den Zusatz "a.D." beifügen müssen, was seine Anhänger freilich als "Hofprediger aller Deutschen" auszuschreiben wußten (Protestantische Kirchenzeitung zit. n. DEKZ 5 [1891], 228). Rade, Entlassung, ChW 4 (1890), Sp. 1092.

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5.1.2. Exkurs: Zur Geschichte der Berliner Hofprediger Schon seit ihren Ursprüngen war die Berliner Domkirche - auch in ihren jeweiligen 'Wanderungen' - eng mit dem Hof der brandenburgischen Markgrafen bzw. Kurfürsten verbunden.46 Befand sich der 'Dom' in der Doppelfunktion als geistliches Stift und Schloßkapelle zunächst im Schloß selbst, überwies Kurfürst Joachim II. 1536 dem 1469 gegründeten Stift die auf dem Schloßplatz befindliche Klosterkirche der nach Brandenburg abgezogenen Dominikaner zur Nutzung und bestimmte sie zur Domkirche und Grablege. Bald mit Türmen ausgestattet, wurde 1632 der nunmehr reformierten Parochialkirche unter Kurfürst Georg Wilhelm das Statut einer Ober-Pfarr- und Domkirche gegeben. Nach dem Abriß dieser geschichtsträchtigen Kirche folgte 1750 unter Friedrich dem Großen ein neuer Dom als völliger Neubau im Lustgarten. Rückte der Dom zwar allmählich vom Schloß ab, stellten seine Prediger nach wie vor zugleich die Hofprediger.47 Doch die Institution von Hofpredigern und Hoftheologen stellte natürlich keine brandenburgisch-preußische Eigenart dar, auch wenn das Verhältnis zwischen Landesherrn und Hofpredigern hier zumindestens durch eine historische Eigentümlichkeit besonders eng war, wie der Exkurs zeigen wird. Schon am Hof des ersten 'christlichen Herrschers' Konstantin des Großen gab es in Hosius von Cordoba und danach in Eusebius von Caesarea theologische Ratgeber, kirchenpolitische Führer und sicherlich auch seelsorgerliche Begleiter, und noch im 19. Jahrhundert hatte der Oberhofprediger Dryander an anderen deutschen Höfen wie z.B. in Stuttgart, Karlruhe, Dresden, Kassel, Schwerin u.a. 'Hofpredigerkollegen'48. Als Vorläufer des nachreformatorischen Hofpredigeramtes können die capellani oder caplani aulici gesehen werden, die unter den Karolingern, Ottonen und den ersten Saliern wichtige Stellungen einnahmen. Die Hofka-

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Zum Folgenden s. C.Schniewind, Der Dom zu Berlin. Geschichtliche Nachrichten vom alten Dom bei der Einweihung des neuen Domes, Berlin 1905, 9-36; K.-H.Klingenburg, Der Berliner Dom. Bauten, Ideen und Projekte vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Berlin 1987, 15-49. R.V.Thadden, Die Brandenburgisch-Preussischen Hofprediger im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der absolutistischen Staatsgesellschaft in BrandenburgPreussen (Arbeiten zur Kirchengeschichte, Bd. 32), Berlin 1959, 11. Das Verfolgen einer etwaigen Korrespondenz zwischen diesen 'Kollegen' wäre - nicht nur in Erwartung evtl. Äußerungen über ihre Allerhöchsten Dienstherren - sicherlich sehr spannend gewesen, konnte aber hier nicht geleistet werden.

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pelle war somit die "hohe Schule des geistlichen Reichsbeamtentums", aus der sich zuverlässige Stützen des Staates rekrutierten.49 Der eigentliche Titel 'Hofprediger' ist auf evangelischem Boden entstanden, insofern reformatorische Landesfürsten ihre Hofkapläne oder Beichtväter z.T. zu Hofpredigern ernannt haben. Unschwer ist hierin die besondere reformatorische Betonung des Wortamtes wiederzuerkennen.50 Weiterhin hatten die Hofprediger als geistliche, theologische und kirchenpolitische Ratgeber ihrer Landesherren besonders in den Fragen des zu vollziehenden landeskirchlichen Auf- bzw. Ausbaus einen weitgehenden Einfluß.51 So war es nur folgerichtig, wenn die Hofprediger in verantwortliche kirchenleitende Stellungen gezogen wurden, so daß sie nicht selten die Ämter von Bischöfen, General-superintendenten u.a. bekleideten.52 In Brandenburg-Preußen zog der Konfessionswechsel des Kurfürsten Johann Sigismund von 1613 mit dem Verzicht auf das ius reformandi eine für die Dom- und Hofprediger entscheidende Veränderung nach sich, da sie von nun an wie ihr Patron dem reformierten Bekenntnis angehören mußten und somit der zumeist lutherischen Bevölkerung wie das kurfürstliche Haus als konfessionelle Minderheit gegenüberstanden. Diese Tatsache band die Hofprediger eng an das Herrscherhaus.53 Das Bestreben der brandenburgischen Kurfürsten, insbesondere des Großen Kurfürsten, den Calvinismus in ihrem Lande auszubreiten und gegen das lutherische Ständewesen zu stärken, wurde nicht nur an der Aufnahme z.B. der aus Frankreich vertriebenen Hugenotten im Sinne des Potsdamer Edikts von 1685 sichtbar, sondern auch und besonders in dem Versuch, um die reformierten Hofprediger herum eine neue staatstragende (reformierte) Gesellschaft aufzubauen.54 So bildeten die Hof-

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v.Thadden, Hofprediger 9. P.Drews, Art. "Hofprediger", RGG, Bd. 3 (1902), Sp. 100-102; K.Hoffmann, Art. "Hofprediger", 2 RGG, Bd. 2 (1928), Sp. 1985f; H.Hohlwein, Art. "Hofprediger", 3 RGG (1959), Bd. 3, Sp. 424f. Der erste Hofprediger eines Luther fordernden, ja schützenden Landesherrn war Georg Spalatin (1484-1545). Seit 1517 schon Beichtvater und Seelsorger Kurfürst Friedrichs des Weisen, wurde die Kontaktperson Luthers zum Kurfürsten von diesem 1522 zum Hofprediger ernannt. v.Thadden, Hofprediger 10. Hoffmann, Art. "Hofprediger", Sp. 1985; Hohlwein, Art. "Hofprediger", Sp. 425. v.Thadden, Hofprediger 11. O.Hintze, Die Epochen des evangelischen Kirchenregiments in Preußen, HZ 97 (1906), 67-118, 87, sah darin nicht zu Unrecht sogar die Grundlage zur Entwicklung Brandenburg-Preußens zum modernen Großstaat und Hort des Protestantismus, da das reformierte Bekenntnis gegenüber dem damaligen Luthertum die freiere "Luft einer großen

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prediger als einzige reformierte Pastoren im Lande den geistlichen Kern dieses neuen, immer einflußreicher werdenden Gesellschaftsstandes.55 Das Zentrum dieses Gesellschaftsstandes, der Berliner Dom, trug so "von Anfang an das Signum einer landesfremden, von oben eingesetzten Sozietät."56 Daß diese Sozietät über das ganze Land verbreitet wurde und auch die Hofpredigerstellen nicht auf Berlin beschränkt blieben, war ein Verdienst des Großen Kurfüsten, der in einer geschickten Auslegung des Artikels VII des Instrumentum Pacis Osnabrugense reformierte Hofprediger auch in seine entfernt liegenden kurfürstlichen Residenzen berufen ließ, wo sie dann verstärkt vor Ort am Aufbau reformierter Gemeinden beteiligt sein konnten.57 Zwar wurden auf diesem Wege konfessionelle Toleranz und kirchenpolitische Verständigung mit den Lutheranern gefordert, zumal die im Absolutismus zentral gelenkte Kirchenpolitik wie die Einflüsse vom Pietismus und der Aufklärung zu einer konfessionellen Assimilierung von reformiertem Gesellschaftsstand und lutherisch-bürgerlicher Welt beitrugen, was wiederum die Union von 1817 begünstigte.58 Andererseits schmolzen aber durch die starke Abhängigkeit des reformierten Standes vom Herrscherhaus und durch das Aufweichen des lutherischen Ständewesens die Elemente kirchlicher Selbständigkeiten dahin und ließen das landesherrliche Kirchenregiment an Stärke gewinnen. Gerade durch die absolutistische Ein- und Unterordnung der kirchlichen in die staatliche Verwaltung bekam die Kirche gewisse staatskirchliche Züge.59 An diesem Prozeß der "Uniformisierung und Zentralisierung der Kirchen" hatten die Hofprediger durch ihren Einfluß in den Konsistorien, in Ausbildungsfragen, in der Schulpflege und der Zensur theologischer Schriften einen so maßgeblichen Anteil, daß gerade dieses Amt "in das Gefalle des Staatsdienertums" geriet.60

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Politik atmete" und mit einem offenem Weltblick große politische Entwürfe zuließ. Dies hat v.Thadden einleuchtend herausgearbeitet, Hofprediger 62f, 71. Ebd. 71. Ebd. 60-62. Der hier wurzelnde Brauch, daß im 18. Jahrhundert fast alle reformierten Prediger in Preußen den Titel eines Hofpredigers trugen, wurde durch entsprechende Kabinettsordres 1833 bzw. 1846 stark beschränkt; vgl. Hohlwein, Art. "Hofprediger", Sp. 425. v.Thadden, Hofprediger 95; ders., Fragen an Preußen. Zur Geschichte eines aufgehobenen Staates, München 1981, 113f. Die These Hintzes, Epochen 91, daß "fur die Hohenzollern [...] der Gedanke der Union von vornherein das Ziel ihrer Kirchenpolitik" darstelle, versteht diese Entwicklung allerdings schon von ihrem Ergebnis, der Union, her. Hintze, Epochen 89f; v. Thadden, Fragen 116f. v.Thadden, Hofprediger 48-48, 58.

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Das 19. Jahrhundert, gerade in der ersten Hälfte noch zwischen Revolution und Reform pendelnd, brachte für Preußen auch im kirchlichen Bereich einen starken Reformwillen. So wurde die Einfuhrung der Union 1817 durch Friedrich Wilhelm III. von seinem Hofprediger Friedrich Samuel Gottfried Sack aufgefaßt als Abkehr von dem "Geist des Niederreißens" und dem Zustand einer entmündigten Staatskirche sowie als hoffnungsvolles Leitbild zu einer um ein gemeinsames Bekenntnis selbständig sich formenden Kirche.61 Mit dem Begriff der "Union" trat im 19. Jahrhundert ein weiteres Element zu den in der Geschichte der brandenburgisch-preußischen Hofprediger bisher sichtbar gewordenen Merkmalen hinzu. Ohne der Betrachtung der Wirksamkeit Dryanders am Hof vorgreifen zu wollen, kann hier schon behauptet werden, daß sich folgende Charakteristika bis zum Ende des Hofpredigeramtes, welches aus dem Wegfall des landesherrlichen Summepiskopats 1918 resultierte, durchhalten: - die Abhängigkeit vom jeweiligen Herrscher, d.h. royalistische Gesinnung und Treue - die Stärkung und Betonung des landesherrlichen Kirchenregiments - das Vertreten der landesherrlichen kirchenpolitischen Ziele (d.h. im 17. Jahrundert die Stärkung des Calvinismus, im 18. Jahrhundert Zentralisierung und Uniformisierung der Kirche und im 19. Jahrhundert die Ausgestaltung der Union). Auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch empfing der Hofpredigerstand insgesamt Auftrag und Ansehen von den jeweiligen Landesherren. In Preußen wurden die Hofprediger als Repräsentanten summepiskopalen Willens zum Teil in einflußreiche kirchliche Ämter berufen, und es wurde bald zu einer festen Tradition, daß sie in die Vorstände kirchlicher Zentralverbände und Vereine eintraten.62 Neben der Versorgung meist wichtiger (General-)Superintendenturen - die jeweiligen königlich-preußischen Oberhofprediger bekleideten zumeist eine der drei wichtigen Generalsuperintendenturen in oder bei Berlin63 und übten das Ephorat über das Domkandidatenstift aus - bekam die Berufung zur Mitarbeit im 1850 ins Leben gerufenen EOK ein eigenes Gewicht. Denn anders als noch um die Wende zum 19. Jahrhundert lagen diesen Titeln wieder tatsächliche Ämter zugrunde, 61

Ebd. 138f.

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Wolf, Kögels Kirchenpolitik 63. Hoffmann, Kögel und Dryander betreuten als Generalsuperintendenten jeweils die Kurmark.

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was dort teilweise nicht der Fall war. So waren die Bischofswürden Eylerts und Sacks eher Titularwürden zu nennen, wohl um der Einführung der Union einen entsprechenden Rahmen zu geben, und besonders an Borowskis Erzbischofswürde kann man die romantische Restauration eines christlichen Staatsund Gesellschaftsverständnisses ablesen.64 Dieser Ausstattung der Berliner Hofprediger mit Macht und Einfluß, welche jedenfalls für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht mehr bloß eine "Rangerhöhung durch Titel" genannt werden kann65, wohnte, wie an Kögel gezeigt, eine gefahrliche Versuchung inne. Denn über die rein pastoralen Aufgaben hinausgehend, waren die Hofprediger mit einer außerordentlichen Autorität ausgestattet, die nicht von ihrer kirchenrechtlichen Stellung herrührte, sondern vom König selbst ihre Deckung erfuhr. Die einzigartige Stellung der Hofprediger basierte eben auf einer Vertrauensstellung zum Monarchen. Dies eröffnete den Hofpredigern die Möglichkeit, in eigenem oder kirchlichem Interesse Einfluß geltend zu machen. Als Verbindungsmann zwischen Domgemeinde und König oder gar - falls gegeben - als Seelsorger des Königs konnte ein Hofprediger jederzeit sein Vortragsrecht in Anspruch nehmen, wobei niemand zu überprüfen vermochte, ob es sich um Fragen der Domgemeinde handelte oder ob es - an den verfassungsgemäßen Ratgebern in Gestalt des Kultusministers und der Mitglieder des EOK vorbei - um allgemeine kirchliche Angelegenheiten ging.66 Niemand hat seine Stellung derart ausgenutzt und unkontrolliert von EOK und Kultusminsterium hinter den Kulissen seine Kirchenpolitik betrieben und durchgesetzt wie Rudolf Kögel, um nach den von ihm maßgeblich betriebenen Demissionen Falks und Herrmanns und von einer uneingeschränkten Vertrauensstellung bei Hofe aus die Orthodoxie' in der Kirche wiederaufzurichten und den Kulturkampf zu beenden. Fiel eine Protektion allerdings dahin - wie z.B. bei Stoecker unter Wilhelm II. - so konnten Person und Vorhaben leicht in Mißkredit geraten, oder es drohte einflußreichen Hofpredigern - wie z.B. Kögel beim Thronwechsel auf Friedrich III. bzw. Wilhelm II. - die Gefahr, wieder in Einfluß- oder Bedeutungslosigkeit zurückzufallen. So spiegelt sich in diesem Amt in seinem engen Verhältnis zum König von ferne, was für die preußische Landeskirche in ihrem Verhältnis zum

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A.Adam, Art. "Bischof", 3 RGG, Bd. 1 (1957), Sp. 1301-1303, 1302. Vgl. Buske, Thron 10f. Gegen Buske, Altar 11. Wolf, Kögels Kirchenpolitik 63f.

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preußischen Staat galt: die Hypothek der geborgten Autorität. Die Problematik der Verbindung von Thron und Altar war beiden Verhältnissen zu eigen, fand aber in der besonders "engen Verbindung zwischen König und Hofprediger ihren klassischen Ausdruck".67

5.1.3. Premiere im Schloßpfarramt Mit der Übertragung des Schloßpfarramtes war für Dryander nicht nur ein beständiges Verhältnis zum königlichen Haus gegründet, auch seine Laufbahn am Hof begann. Denn die Verabschiedung Stoeckers sowie die Berufung Dryanders waren deutliche Auftaktsignale zu einer neuen Hofpredigerepoche. Nach Ansicht Beyschlags zeigten sie, "welche Art und Weise der geistlichen Wirksamkeit der König mit dem Titel des Hofpredigeramtes nicht weiter zu decken wünscht, und was für eine dagegen seine persönliche Sympathie" besitze.68 Dryander versuchte denn auch, den Vorstellungen Wilhelms II. von der Führung dieses Amtes gerecht zu werden: "[Ich] habe [...] mich jederzeit bemüht, dem königlichen Hause mit Einsetzung aller meiner Kraft zu dienen und Treue zu halten, und zwar eine Treue, die im gegebenen Falle ebenso im Sprechen, wie für das, was ich nicht als Teil meines Amtes erkennen konnte, im Schweigen geübt wurde." 69

Unter dieser Maxime erwarben sich Dryanders Auftreten und geistliche Wirksamkeit die Sympathie Wilhelms II. Denn aus einem anfänglich befristeten stellvertretenden Schloßpfarramt wurde durch die andauernde Schwäche Kögels eine ständige Vertretung. Und die zunächst mehr in einem Vertrauensakt übertragenen pastoralen Funktionen wurden durch die spätere Ernennung zum Oberhof- und Domprediger zu öffentlich-amtlichen Pflichten erhoben. Wirft die von Stoeckers Wirken sich klar unterscheidende Dryandersche Maxime zwar schon ein eigenes Licht auf sein Wirken bei Hofe, so muß dies doch zuvor durch das Wirken selbst ergänzt und kommentiert werden. Denn so erst wird sich zeigen können, wem gegenüber Dryander Treue ausübte, was sie für ihn bedeutete und wie sich diese Treue auswirkte. Ferner soll

67 68 69

Ebd. 381. Beyschlag, Entlassung, DEB1 15 (1890), 858. EvD, Erinnerungen 178.

194

5. In der Nähe des Thrones

betrachtet werden, wie Dryander in den "gegebenen Fällen" "Sprechen" und "Schweigen" handhabte, warum und wie er hier unterschied. Damit dürfte dann die Frage nach der Möglichkeit einer festen Grenzziehung überhaupt zwischen dem, was Teil seines Amtes, und dem, was außerhalb seines Amtes lag, berührt sein. Handelte es sich hier doch nicht um irgendein Hofamt, sondern vor allem um das evangelische Wortamt bei Hofe. Schon angesichts der hier angesprochenen Aspekte dürfte es nicht uninteressant sein, seine erste größere Amtshandlung genauer zu betrachten. Dryander war zunächst die Aufgabe zugefallen, zur Eröffnung des Preußischen Landtages am 12. November 1890 in der Berliner Schloßkapelle den traditionellen Eröffnungsgottesdienst zu halten. In Kenntnis späterer Festreden fallt der fast schnörkellose Einstieg in seine Eröffnungspredigt auf. Natürlich wies Dryander, dem Anlaß angemessen und den Gottesdienst rechtfertigend, auf die Notwendigkeit hin, daß die neuen gesetzgeberischen Arbeiten und Beratungen bei der Lösung schwieriger Fragen des Geistes der Weisheit von oben, der klärenden Macht göttlichen Friedens und des Beistandes göttlichen Segen bedürften, aber er wollte das evangelische Wort "nicht nur als schöne, sinnige Weihe" verstanden wissen, "mit der der ernste Mensch ernstes Tun einleitet", sondern als die "Königin, vor der jede andere Macht sich beugt".70 Damit hatte Dryander von vornherein der Auffassung gewehrt, als sei der Gottesdienst nur schmückendes, Glanz verleihendes Beiwerk zum politisch-gesellschaftlichen Akt. Nach dieser Absicherung wandte Dryander sich im Gedenken an Luther dem Predigttext Rom 1,16 zu und legte die dort gerühmte Gotteskraft nach einer für Dryander typischen Seite hin aus. Daß das Evangelium von Christus eine Kraft Gottes sei, bedürfe keines Beweises. Habe es doch die antike Welt aus den Angeln gehoben und den weltgeschichtlichen Umschwung der Reformation heraufgefuhrt. Diese nach außen in Zeit und Geschichte wirkende Kraft könne gegenwärtig noch als "Salzkraft in unserem Volke" und "verborgene Triebkraft in den Männern der Treue und Pflicht" erfahren werden. Würde dieser innerste Herzpunkt, mit dem alles Edle und Große zusammenhinge, mit einem Schlage genommen - was für Dryander die unmögliche Möglichkeit war -,

70

EvD, Evangelium und Volksleben. Zur Eröffliung des Preußischen Landtages, 12. November 1890. Berlin, Schloßkapelle, in: EvD, Gott und Mensch 130-133, 130.

5.1. Aufschwung zum "Hoflumen"

195

"man würde erst dann sehen, wie Gottesfurcht und Treue aus unserem Volk dahinschwänden und keine äußeren Ordnungen und Schranken vor der hereinbrechenden sittlichen Barbarei uns zu bewahren imstande wären." 71

So sehr hier auch die Rolle christlicher Moral und Sitte als Garanten privater und öffentlicher 'Ordnung' beschwört wurde, wollte Dryander sein Plädoyer aber nicht darauf beschränkt wissen. Wirke die Gotteskraft doch vor allem als Glaubenskraft, die christliche Persönlichkeiten erst formt, "jene Männer des Gewissens, die unbestochen hindurchgehen durch allen Glanz der Welt, weil sie die Kräfte der zukünftigen geschmeckt haben."

Sieht man im Hintergrund die von Dryander in seinen Predigten oft angeführte Unterscheidung von natürlicher Humanität und christlicher Humanität, von seiner Ansicht nach unbewußter, verdunkelter Humanität und echter, wahrer Humanität72, so wird deutlich, worauf Dryander den Akzent legte. Es ging, ein typisches Anliegen Dryanders, um den Aufweis der tiefen Stärke und Wahrhaftigkeit christlicher Charaktere, die er sich in einer vom Materialismus, von der Sinnlichkeit und von spaltenden Kämpfen geprägten Zeit auch im Parlament wirksam wünschte, damit sie von exponierter Stelle aus einen neuen Geist sittlichen Ernstes nach außen trügen. Auch und gerade vor diesem Forum zeigte sich die den Prediger Dryander kennzeichnende Überzeugung von der Kraft der christlichen Botschaft und der daraus sich speisenden sittlichen Ernsthaftigkeit, aber nicht minder auch eine den Zeitgenossen Dryander beschleichende Furcht vor neuen, gleichsam 'säkularen' gesellschaftlichen Mächten und Kräften und ein latenter Pessimismus gegenüber dem 'natürlichen' Menschen und seinen sittlichen Werten. Wohl mit einem Seitenblick auf Stoecker ging Dryander - wie oben schon vorweggenommen - auf den Anteil der Kirche an der Lösung der sozialen Nöte der Zeit ein. Wenn Dryander sie darauf beschränkte, daß sie die Kräfte der Liebe in die Herzen der Menschen hineinzutragen und hineinzusprechen habe, war hiermit unausgesprochen die Aufstellung großer Theorien wie das politische Wirken der christlich-sozialen Bewegung vor diesem politischen Forum abgelehnt, um dann wieder auf das für Dryander Entscheidende zu verweisen:

71 72

Ebd. 131; hier s.a. das Folgende. S.o. 108. Vor 1890 war dies wohl am deutlichsten in der Predigt zum 1. Weihnachtstag 1885 ausgedrückt: "Das Christentum ist die Neuschöpfung der Menschheit; erst das Evangelium von Christo ist die Geburtsstätte echter und wahrer Humanität.", in: EvD, Evangelische Predigten II, 108-120, 114.

196

5. In der Nähe des Thrones

"Nicht Gesetze noch Verordnungen - und wären sie noch so trefflich - bessern das Volk. Aber geistesmächtige Persönlichkeiten, in die sich der Strom göttlicher Liebe ergossen hat, die Quellen der Liebe, des Friedens, der Genügsamkeit, der Eintracht in den verödeten Herzen erschließen, machen jene Gesetze und Verordnungen lebendig." 73

Solche Persönlichkeiten, "gebunden an Gott und darum frei von der Welt", seien "die Säulen der Gesellschaft, die Pfeiler des Vaterlandes". Als wollte Dryander den Abgeordneten das Gesagte noch besonders schmackhaft machen, benutzte er zum Abschluß ein Gleichnis eigener Art und rief ihnen die Enthüllung eines Denkmals in seiner Heimatstadt Halle in Erinnerung, welches gerade errichtet worden war "zum Gedächtnis der beiden Heldenkaiser [...], die ratend und siegend das Reich uns errichteten und sein schirmendes Dach auch unser Vaterland überschatten ließen."74 Einen in diesem Monument dargestellten mythischen Drachenkampf nahm Dryander zur Metapher, um den in den beiden Helden Fleisch und Blut gewordenen Genius zu beschwören, "der in unserem Volke den Drachen des Unglaubens und der Empörung niederwirft", nämlich: "das Evangelium von Christus, wenn es aufs neue seine Vermählung eingeht mit dem deutschen Volksgeist, den es vor alters zur Wohnstätte erkor [...] in kraftvollen Persönlichkeiten, die sich nicht schämen, dies Evangelium freudig zu bekennen und zu bewähren [...]".

Diese Predigt wird man wohl als einen gelungenen Einstand Dryanders bewerten müssen. Es gelang ihm, seine Kanzelpädagogik von ihrem eigentlichen Ort in der Gemeinde auf ein mehr öffentlich-staatliches Forum zu übertragen, ohne ihr das Mark zu rauben. Allerdings ist die in ihr angelegte Bereitschaft zu einer Vermählung mit dem deutschen Volksgeist festzuhalten, welche weiter von Interesse sein wird. Hier jedenfalls war erst ein tastendes Bemühen zu erkennen, dem besonderen Rahmen Ausdruck zu verleihen, was Dryander am Schluß seiner Predigt zu einer hommage an die Hohenzollern als den Hausherren des Gottesdienstortes verleitete.

73 74

EvD, Evangelium und Volksleben (1890), 132f; hier auch das Folgende. Ebd. 133. Hier s.a. das Folgende.

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197

5.1.4. Instituteur des princes Die starke Inanspruchnahme Dryanders als Schloßpfarrer um die Jahreswende 1890/91 infolge der Hofpredigerkrisis75 reduzierte sich nach der Wiederbesetzung der Hofpredigerstellen durch Faber, Kritzinger, Vieregge bzw. Schniewind76 auf gelegentliche Andachten oder Amtshandlungen für die königliche Familie. Die Beziehung zum königlichen Haus intensivierte sich wieder, als Dryander 1896 vom militärischen Erzieher der Prinzen, Obergouverneur von Deines, zum Nachfolger für den gerade verstorbenen Potsdamer Garnisons- und Hofprediger Emil Frommel als Religionslehrer und Konfirmator der Prinzen vorgeschlagen wurde.77 Da Dryander schon den Prinzen Friedrich Wilhelm von Braunschweig religiös unterwiesen und konfirmiert hatte, fühlte er sich für eine solche Aufgabe nicht ganz unerprobt. Doch im Hinblick auf die ihm anvertrauten kirchlichen Ämter trug er ernste Bedenken ins Feld, da eine Betrauung mit dem Unterricht eine zeitweise Trennung von Berlin und den dortigen Aufgaben bedeuten mußte.78 Denn die Sorge um die Erziehung seiner Söhne, besonders der beiden ältesten, Friedrich Wilhelm und Eitel-Friedrich, hatte den Kaiser auf den Rat von Deines', aber gegen den Willen Auguste Viktorias veranlaßt, in Plön bei lockerer Angliederung an die dortige Kadettenanstalt eine selbständige gymnasiale Prinzenschule zu gründen, um die Prinzen der Berlin-Potsdamer Hof- und Kasernenatmosphäre mit ihren Zerstreuungen und Verpflichtungen zu entziehen.79 Nach von Deines' Niederschrift der Verhandlungen waren Dryanders Bedenken am 13. November zerstreut, da ihm

76

77 78 79

Nach der Landtagseröffnung fielen die Vermählung der Prinzessin Viktoria von Preußen mit Prinz Adolf zu Schaumburg-Lippe und die Taufe Prinz Joachims an sowie Gottesdienste und Andachten zu Neujahr, zum Kaisergeburtstag, zum Todestag der Kaiserin Augusta und zur Aufstellung der Marmorsarkophage des alten Kaiserpaares im Charlottenburger Mausoleum (EvD, Erinnerungen 178; Keller, Dienst 1360. Der zum Nachfolger Schräders berufene dritte Hofprediger Faber rückte bald in die zweite Stelle auf (EZA 7/13749, pag. 249), nachdem der Stoecker-Nachfolger Vieregge (am 16.11.1891 bestallt, EZA 7/13750, pag. 38) einen Ruf zum Generalsuperintendenten nach Magdeburg annahm. Dessen Nachfolger Schniewind rückte als vierter Hofprediger zum 31.8.1894 in die Hofpredigerhierarchie ein (ebd., pag. 110, 125, 130), Kritzinger in die dritte Stelle auf (ebd., pag. 136). EvD, Erinnerungen 196. Ebd. 201. E.Schmidt, Hundert Jahre Erziehung der Jugend auf Schloß Plön, in: E.Schmidt/H.Kasdorff, Hundert Jahre Erziehung der Jugend auf Schloß Plön 1868-1968. Eine Festschrift, Plön 1968, 15-178, 47f.

198

5. In der Nähe des Thrones

die Erledigung der dringlichsten Aufgaben auch von Plön aus ermöglicht wurde und ihn seine Amtskollegen Braun und Faber, die Generalsuperintendenten der Neumark und von Berlin, während seiner ihm vom Konsistorium gewährten einjährigen Beurlaubung vertreten sollten.80 So konnte Dryander gemäß seiner Treuemaxime erklären, daß er sich nicht verweigern wolle, "wenn mein König solchen Dienst von mir fordert".81 Nach einer Besprechung am 19. November einigten sich Wilhelm II. und Dryander auf einen Antrittstermin bald nach Ostern; die offizielle Ernennung zum Prinzenerzieher erfolgte am 15. Februar 1897.82 Schon die Beteiligung an der Kaiserreise nach Sizilien an Bord der "Hohenzollern" mit der Aufgabe, Bordgottesdienste zu halten, hatte Dryander zum ersten Mal über einen längeren Zeitraum in die tägliche Berührung mit der königlichen Familie gebracht.83 Die Verpflichtung zum Erzieher der Prinzen stellte eine noch engere Verbindung zum Kaiserpaar her, besonders zur Kaiserin, die ihm daraufhin freudig zurief: "Jetzt sind Sie ganz der unsere!" 84 Auch der große Stellenwert, welcher der Erziehung der Prinzen beigemessen wurde, dürfte Dryanders Bedenken gemildert haben. Wurden doch nur ausgesuchteste Lehrer nach Plön berufen, zu denen sich fortan auch Dryander zählen durfte.85 Von Deines hatte Dryander aufs wärmste empfohlen, indem er dem Kaiser den unschätzbaren Einfluß eines guten religiösen Erziehers als "das Allerbeste, was E.M. und die von E.M. bestellten Männer den Prinzen auf den

80

Ol

Brandenburgisches Konsistorium an E O K v. 30.1.1897, E Z A 7/11063, nicht pag. ( A z . : E.O. 887). v.Deines zit. n. EvD, Erinnerungen 202.

82

Weiß, Aus neunzig Lebensjahren 22 l f , berichtet von einer bedrückten

Stimmung

Dryanders angesichts der bevorstehenden Plöner Zeit. Dryander habe dem Kaiser zwar seine Bedenken auseinandergesetzt, aber zunächst als Antwort erhalten: "Halten Sie mich denn für so dumm, daß ich mir das nicht alles selbst gesagt habe?", woraufhin Wilhelm II. ihm die Fürsorge für den künftigen Schirmherm der evangelischen Kirche ans Herz gelegt habe. 83

EvD, Erinnerungen

197-201. Die Reise ermöglichte Dryander einen ersten tieferen

Einblick: Zum einen' schilderte er die ihm

imponierende Vielseitigkeit der Interessen

Wilhelms II., "den umfassenden Umkreis seines Wissens, die Schnelligkeit seiner A u f fassung, die Zuverlässigkeit seines Gedächtnisses" (198), andererseits schimmert in dem Bericht auch die Neigung Wilhelms II. durch, sich auf Kosten anderer zu amüsieren, wenn er den seekranken Dryander um einen Gottesdienst bat, oder wenn er nach einem Treffen Dryanders mit der Tochter von Boettichers scherzte, daß dem Dryander seine Konfirmandinnen bis nach Sizilien nachliefen (200). 84

Ebd. 202.

85

Eine Auflistung bei Schmidt, Erziehung 51-55, 57.

5.1. Aufschwung zum "Hoflumen"

199

Lebensweg mitgeben können", pries: nämlich "dem Thronfolger und seinem Bruder tief in die Seele zu senken den Geist wahrer Frömmigkeit, echter Demut, positiven Glaubens".86 Da es sich um "eine so unendlich wichtige Sache für Monarchie und Vaterland, für unsere evangelische Kirche und für die Prinzen selbst" handele, sei "der Beste im Lande gerade gut genug", und daher müsse "die Kirche der Provinz Brandenburg mit Freuden ihren Generalsuperintendenten auf ein Jahr hergeben". Dies ist ein interessanter Beleg für die offiziell-höfische Auffassung von der Notwendigkeit und Beschaffenheit einer christlich-religiösen Grundlage der Monarchie, ja des "Vaterlandes" überhaupt. Deutlich werden mag auch die Möglichkeit einer Einflußnahme der Kirche selbst auf die Erziehung ihres zukünftigen Summepiskopus durch die Person Dryanders. Ohne seine schon von der Tuberkulose gezeichnete Frau siedelte Dryander mit seiner Familie nach Plön in die alte Apotheke, einem Flügel des ehemaligen Prinzessinnenhofs, über, von wo aus er keinen allzu beschwerlichen Weg zum Prinzenpalais am Fuße des Schlosses hatte.87 Auf ausdrücklichen Wunsch der Kaiserin verkehrten die Prinzen häufig im Hause Dryander, um deren Mangel an weiblichen Kontakten auszugleichen.88 Neben einer möglichst persönlichen und väterlichen Beeinflußung sah Dryander den mit dem allgemeinen schulischen Religionsunterricht kombinierten Konfirmationsunterricht als seine Hauptaufgabe an. Nur die Prinzen - ohne ihre eigens ausgewählten Mitschüler - nahmen hieran teil. Dabei war die Absicht leitend, "nicht nur die religiöse Erkenntnis zu fördern, sondern auch das Erkannte innerlich anzueignen und in das tägliche Leben zu übersetzen".89 Bemerkenswert ist nun, daß sich dieses Programm nicht sonderlich von dem unterschied, was Dryander 1888 für seine Gemeindekonfirmanden in der Schrift "Konfirmationsgabe" darlegte. Unterricht bedeutete für Dryander immer auch Erziehung: "Wir wollen nicht nur Kenntnisse in den Kopf hineinbringen, wir wollen Menschen bilden und erziehen, die das Herz auf dem rechten Fleck haben. Gilt das irgendwo, so vom Konfirmandenunterricht. Er soll erziehend sein [...] zu einem selbständigen

86 87 88

89

Zit. n. EvD, Erinnerungen 20 lf; hier s. a. das Folgende. EvD, Erinnerungen 205; Schmidt, Erziehung 51. Auguste Viktoria an EvD v. 10.10.1897, Aus den Briefen der verstorbenen Kaiserin und Königin an D. Ernst von Dryander, Neue Christoterpe 46 (1925), 1-13, 2. EvD, Erinnerungen 206.

200

5. In der Nähe des Thrones

ernsten Glauben, einem, wie kindlich immer aufgefaßten, doch innerlich aufrichtigen Christentum" 90

In dem Versuch, Bürgerliche wie Königliche gleichermaßen zu christlichen Persönlichkeiten zu erziehen und heranreifen zu lassen, überschneidet sich das religionspädagogische Konzept Dryanders mit den Vorgaben der Erzieherinstruktionen, nach welchen den Prinzen die innere Einsicht vermittelt werden sollte, "daß es im Volke ganz anders aussieht, wie [sie!] im Königsschlosse, [... daß] die Liebe und Treue des preußischen Volkes zu seinen Hohenzollern [...] keine Sache [ist], die sich von selbst versteht" 91 . Jeder im Volk müsse daher erkennen können: "mein König hat ein Herz für mich". Doch trotz der Ferne von Berlin scheint es fraglich, inwieweit es den Prinzen überhaupt möglich war, dem 'Volk aufs Maul zu schauen'. Denn auch das Prinzenpalais war mit einem eigenen Hofstaat versehen, und die Prinzen mußten selbst von Plön aus häufig Repräsentationspflichten ausüben. Zudem war Plön bis ins alltägliche Leben der Kleinstadt hinein zu einer kaiserlich-kronprinzlichen Residenz geworden 92 , wozu in nicht geringem Maße die fast ständige Anwesenheit Auguste Viktorias beitrug, deren Sorge um ihre Söhne im Gegensatz zu ihrem Gatten den Unterricht fortwährend begleitete 93 . Über die konkrete Umsetzung des innerlich angeeigneten religiösen Besitzes ist nicht viel mehr in Erfahrung zu bringen als die Teilnahme an einigen karitativen Einsätzen, so u.a. an der Einweihung der auf Anordnung Auguste Viktorias umgebauten Plöner Schloßkapelle durch Dryander am 12. November 1897.94 Das Plöner Jahr sollte für Dryander eigentlich mit der auf den 22. Mai terminierten Konfirmation in Potsdam abgeschlossen werden. 95 Doch Dry-

91

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94

95

EvD, Die Konfirmation, in: ders., Konfirmationsgabe. Drei Reden über Konfirmation und Liturgie, Berlin 1888, 15-26, 21. Zit. n. EvD, Erinnerungen 203; die Instruktionen hatte von Deines entworfen. Hier s.a. das Folgende. Vgl. Schmidt, Erziehung 50: "Plön erhielt ein Postamt 1. Klasse und damit eine dreimalige Postzustellung am Tage, der Leiter des Postamtes wurde Postdirektor. Alle D-Züge hielten in Plön." Ebd. 59; Briefe Auguste Viktorias an EvD aus der Plöner Zeit, in: Neue Christoterpe 46 (1925), 1-7. Schmidt, Erziehung 58f . Zu diesem Anlaß hatte die Kaiserin eigenhändig eine rote Kanzeldecke gestickt und eine mit Silbergeschmeide geschmückte Altarbibel gestiftet. Auguste Viktoria an EvD v. 15.11.1897, Neue Christoterpe 46 (1925), 3, die sehr damit einverstanden war, die Konfirmation um vier Wochen bis Pfingsten 1898 zu verschieben, da so ein längerer Unterricht gesichert war; vgl. EvD, Erinnerungen, 210f; Keller,

5.1. Aufschwung zum "Hoflumen"

201

ander bat den EOK um Verlängerung seines 'Urlaubs', um "die Prinzen unmittelbar nach der Konfirmation bis zum Beginn der großen Ferien nicht ohne den gewohnten Religionsunterricht zu lassen", was ihm gewährt wurde.96 Auch darüber hinaus blieb Dryander mit Plön verbunden, da er in seiner späteren Funktion als Oberhofprediger weiterhin die kaiserlichen Kinder konfirmierte und er es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, mit seinen Konfirmanden vor Ort einige Zeit vertraut zu werden.97 Der Vollzug der Konfirmation selbst war von eigener Bedeutung. Denn nach hohenzollernschem Brauch verfaßten die zu konfirmierenden Prinzen eigenständig ein Glaubensbekenntnis, um es am Tage ihrer Konfirmation öffentlich zu verlesen. Es kann nicht überraschen, in den Konfirmationsreden Dryanders einen Reflex auf diese Praxis und die damit verbundene Bedeutung zu finden. Paradigmatisch mag die Rede zur Konfirmation des Kronprinzen genannt werden, nicht nur, weil sie den anderen inhaltlich vieles vorwegnimmt und sie mit ihnen verbindet, sondern auch und gerade, weil sie in besonderem Maße an den Thronfolger und zukünftigen Träger des landesherrlichen Kirchenregiments gerichtet war. Dryander stellte seinem Konfirmanden zwar noch einmal das Bild einer vor Tausenden bevorzugten und behüteten Kindheit vor Augen, um dann aber sofort zu betonen, daß es so nicht bleiben könne und dürfe angesichts der "Aufgabe, zu der Sie berufen sind".98 Doch stehe er bei der Bewältigung

96

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Dienst 187. Diese Quellen gehen von einer gemeinsamen Konfirmation zweier Prinzen am 22. Mai in Potsdam aus, Dryander selbst sogar von der Einsegnung der beiden ältesten Kaisersöhne. Dies kollidiert mit der im Druck erschienenen Rede Dryanders vom 14.3.1897 in der Berliner Schloßkapelle zur Konfirmation "Seiner Königlichen Hoheit des [Kron-]Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen". Da aber eine zweifache Konfirmation des Kronprinzen wenig wahrscheinlich erscheint, kann man an die Möglichkeit denken, daß Eitel-Friedrich entweder allein etwa in 'Paten'-Begleitung seitens seines älteren Bruders oder aber mit seinem um ein Jahr jüngeren Bruder Prinz Adalbert konfirmiert wurde, der allerdings erst im Oktober 1898 nach Plön kam (vgl. Schmidt, Erziehung 58). Die Konfirmation des Kronprinzen im März 1897 kann aufgrund der veröffentlichten Konfirmationsrede als gesichert gelten, zumal Dryander sich in seinen Erinnerungen des öfteren im Datum geirrt hat. EvD an den EOK v. 22.4.1898 u. EOK an EvD v. 30.4.1898, EZA 7/11063 nicht pag. (Az.: E.O. 3623). EvD, Erinnerungen 225. Zudem wurde Dryander von Wilhelm II. in die Prüfungskommission zur mündlichen Reifeprüfung des Prinzen August Wilhelm am 24.1.1905 berufen (Schmidt, Erziehung 63). EvD, Rede, gehalten bei der Konfirmation Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen am 14.3.1897 in der königlichen Schloßkapelle zu Berlin, Berlin 1897, 4.

202

5. In der Nähe des Thrones

dieser Aufgabe nicht allein, sondern habe - in Aufnahme von Hebr 1 lf - eine Wolke von Zeugen, von geduldigen, vollendeten Glaubenskämpfern um sich, die durch ihr Beispiel Rüstung und Stärke geben könnten. "Auch Ihre Ahnherren sind darunter: da drüben Friedrich der Weise mit seinem Wahlspruch: Gottes Wort bleibt in Ewigkeit! - an seiner Seite Joachim von Brandenburg mit seinem weitherzigen und doch so festen Bekenntniß: Sola fide! Durch Glauben allein! - daneben der große Oranier, der die freie Bahn, welche er in den Niederlanden für das Evangelium erkämpft, mit seinem Blute bezahlt hat [... und als] Gestalt[...] von heute [... der] große[...] kaiserliche[...] Held[...], auf dessen hundertjährigen Geburtstag wir uns rüsten, und der noch aus den Tagen seines Greisenalters Ihnen, dem jüngsten Konfirmanden seines Hauses, das Wort zuruft, daß er noch auf demselben Grunde des Glaubens stehe, auf dem er seine Taufe und Konfirmation empfangen haube. "99

Das Bemerkenswerte an dieser Auflistung hohenzollernscher Fürsten wird deutlich, wenn man fragt, wer nicht genannt wird. So fehlen gerade die sonst wegen ihrer besonderen Verdienste um den Aufstieg Brandenburg-Preußens zu einer Großmacht so häufig in eine Reihe gestellten Herrscher wie Friedrich Wilhelm I. (der große Kurfürst), wie Friedrich III.(I.) (der erste "König in Preußen") und natürlich Friedrich II. (der Große). Der Grund für das Fehlen dieser Gestalten lag sicherlich nicht in einer etwaigen Geringschätzung der preußischen Geschichte - Dryander konnte diese und ihre herausragenden Träger zu anderen Gelegenheiten nicht oft genug herausstellen -, sondern in dem Kriterium und dem Ziel, welches Dryander mit der Aufreihung verband. Dieses bestand letztlich darin, den Prinzen aufmerksam zu machen auf sein nicht geringes "Segenserbe der Väter in Glauben und Bekennen, in Ernst und Treue, das noch die Urenkel hebt, trägt, verpflichtet." Dryander verfehlte nicht, seinem Konfirmanden diese Verpflichtung anzumahnen, und zwar nicht nur seinem Haus und dem Vaterland, sondern auch der Kirche gegenüber, "der Sie Ihr Bekenntnis ablegen". Zur Bewältigung der zukünftigen Aufgaben komme es neben der Demut denn: "Wer hat mehr Ursache, demüthig zu sein, als wer hoch steht in der Welt!?"100 - , dem Verantwortungsgefühl - denn: "Wer muß ernster trachten nach einem reinen Herzen, einem unbefleckten Schild und Wandel, als wer mit seinem Beispiel nothwendig, bewahrend oder verderbend, Ungezählte mit hinfort reißt!?" - und dem Pflichtbewußtsein - denn: "Wer muß selbst-

99 100

Ebd. 5. Ebd. 7. Hier s.a. das folgend Zitierte.

5.1. Aufschwung zum "Hoflumen"

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loser, opferwilliger sein Leben in den Dienst der Pflicht und in den Dienst anderer stellen, als wer schon durch Geburt gelernt hat, daß er nicht für sich da ist, sondern für das Vaterland!?" - vor allem auf ein festes Herz oder - mit späteren Worten an Prinzessin Viktoria Luise "auf das Eine [an], daß alles Wissen und alles Können beherrscht und gelenkt werde vom Mittelpunkt des Willens, von dem Zentrum der innersten Persönlichkeit, daß aber dieser Wille und diese Persönlichkeit gelenkt werde von dem Einen, der das Recht und die Macht dazu hat - Christus." 101

Da der Konfirmationstag ein Tag "sehr ernster Scheidung und Entscheidung"102, nämlich persönlicher Entscheidung, in Christi Fußstapfen zu treten, sei, habe sich zuvor "der ganze Inhalt unseres Unterrichts [...] in dem Namen Jesu Christi [gesammelt], [...] daß wir zu Jesu aufschauen, nicht als zu einem der großen Todten, der hinging wie sie alle, sondern zu einem ewig Lebendigen und Gegenwärtigen, der noch heute uns in unseren Kämpfen zur Seite steht."103 Nicht nur diese Konfirmationsrede drückte die ernste Auffassung Dryanders vom Wesen der Konfirmation aus. Denn eine Konfirmation war ihm "Bekenntnis des Glaubens als der erkannten und erfaßten göttlichen Wahrheit zur Seligkeit, das Gelübde, denselben zu bewähren durch demütigen, lauteren Wandel vor Gott und Menschen, die Zusage der Treue gegen unsere evangelische Kirche und ihre Gemeinschaft und Gnadenmittel" in einem, so daß "deshalb der Konfirmations-Tag für uns Geistliche einer der innerlich schwersten und aufreibensten in unserem Amtsleben ist!"104 Diese Auffassung traf zugleich so sehr zusammen mit dem Bewußtsein, in dem Kronprinzen einen herausgehobenen Konfirmanden vor sich zu haben, daß Dryander dem Prinzen gegenüber einräumen mußte: "Vielleicht klang es strenger, ernster, als Sie es erwarteten."105 Als symbolischer Abschluß der Prinzenerziehung galt die sogenannte Großjährigkeitserklärung, die dem hohenzollernschen Hausgesetz gemäß am achtzehnten Geburtstag des jeweiligen Prinzen vollzogen wurde. Der Fest101

102

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EvD, Rede gehalten bei der Konfirmation Ihrer Königlichen Hoheit der Prinzessin Viktoria Luise von Preußen am 18. Oktober 1909 in der Friedenskirche zu Potsdam, Berlin 1909, 4 (vgl. Herzogin Viktoria Luise, Ein Leben al« l i c h t e r des Kaise r , Göttingen '1965, 60f); EvD, Konfirmationsrede/FriediWimelm (1897), f· EvD, Rede gehalten bei der Konfirmation Ihrer Königlichen Hohcuen der Prinzen August Wilhelm und Oskar von Preußen am 17. Oktober 1903 in der Friedenskirche zu Potsdam, Berlin 1903, 4. EvD, Konfirmationsrede/Friedrich Wilhelm (1897), 5f. EvD, Die Konfirmation, in: ders., Konfirmationsgabe (1888), 20. EvD, Konfirmationsrede/Friedrich Wilhelm (1897), 4.

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5. In der Nähe des Thrones

gottesdienst in der Berliner Schloßkapelle am 6. Mai 1900 zur Großjährigkeitserklärung des Kronprinzen gab Dryander die Gelegenheit, seine damaligen Unterrichtsmaximen noch einmal zusammenzufassen und dem Kronprinzen in das neue Lebenstadium mitzugeben. An die Zeit am Plöner See mit den fröhlichen Ruderpartien anknüpfend, warnte Dryander vor den Gefahren des nun bevorstehenden tieferen Lebensmeeres, die er besonders in berückender Lust, benebelnder Schmeichelei sowie zerreibender Hast verkörpert sah.106 Er mahnte den jugendlichen Steuermann daher, sein Ruder auf dem Kurs festzuhalten, der schon mit der Konfirmation begonnen habe107, getreu der Losung, die der Kaiser seinem Sohn ausgewählt hatte: "Sei fest und sei ein Mann!"(l. Kön 2,2f) - "fest [...] in dem, was wir vor Gott und für Gott sein sollen", fest im christlichen Charakter.108 Wieder den künftigen Herrscher im Blick, stellte Dryander ihm dessen Vorfahren unter Hinweis auf die nahe Siegesallee - vor Augen. "Sie weisen noch auf andere Kronen, die ihre Häupter schmücken, strahlender als das Kaiserdiadem - auf die Krone der Demuth, der Pflichttreue, der ausharrenden Dulderkraft." 1 0 9

5.1.5. Berufung zum Oberhof- und Domprediger Eigentlich dürfte es Dryander nicht sonderlich überrascht haben, als Wilhelm II. ihm während eines Aufenthaltes in Bad Homburg im Frühsommer 1898 eröffnete, er habe ihn zum Oberhofprediger ernannt.110 Denn er war diesbezüglich nicht nur lange schon Objekt öffentlicher Mutmaßungen, sondern war doch spätestens seit März 1898 in die Verhandlungen einbezogen und gehörte seit der Betrauung mit dem Religionsunterricht an den Prinzen ohnehin schon zum engeren Gefolge der kaiserlichen Familie, der zudem die Kaiserin und die Prinzen auf mehreren Reisen begleitete.

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107 108 109 110

EvD, Rede, gehalten in der Kapelle des königlichen Schlosses zu Berlin bei dem Gottesdienste aus Anlaß der Großjährigkeitserklärung Seiner Kaiserlichen Hoheit des Kronprinzen des Deutschen Reiches und von Preußen am 6. Mai 1900, Berlin 1900 (= Der christliche Charakter [...], in: ders., Gott und Mensch 139-143), 5. Ebd. 7. EvD, Großjährigkeitserklärung (1900), 4. Ebd. 6. EvD, Erinnerungen 210.

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Schon bald nach dem Tode Kögels Anfang Juli 1896 wurde Dryander, der ja bereits die Generalsuperintendentur von Kögel übernommen hatte, in der Presse als möglicher Nachfolger auch im Oberhofpredigeramt gehandelt. Auch 'wilde' Spekulationen blieben nicht aus, wenn Dryander unterstellt wurde, diese Stelle wie schon während der Hofpredigerkrise allerdings nicht übernehmen zu wollen, "zumal die Einkünfte derselben recht erheblich hinter denen seiner jetzigen Pfarrstelle zurückbleiben", wie die sogenannte "Volkszeitung" wissen wollte. 111 Um diesen Gerüchten zu wehren und so kurz nach dem Tod Kögels Ruhe und Zeit für die eigenen Entscheidungen zu haben, ließ der EOK am 17. Juli ein Dementi verlautbaren. Verhandlungen über eine Nachfolge hätten noch nicht stattgefunden, zumal der Kaiser verreist sei. Zudem könne 1890 noch keine Rede von Dryander als möglichem Nachfolger Kögels gewesen sein, denn ein Oberhofprediger werde in der Regel nicht pensioniert und dessen Stelle somit erst durch das Ableben des Stelleninhabers vakant. 112 Die "Kreuzzeitung" ergänzte, sich selbst in ihren Mutmaßungen bremsend, daß alle Pressespekulationen ohnehin verfrüht seien, da eine Neubesetzung der Vakanz erst frühestens mit Ablauf des Gnadenjahres für die Witwe Kögels zum 1. Oktober 1897 erfolgen werde." 3 Und tatsächlich setzten die Verhandlungen erst im nächsten Sommer ein, als namentlich Kultusminister Bosse dem EOK am 19. Juni vertraulich mitteilte, daß er den bisherigen Verwalter der ersten Hofpredigerstelle, den zweiten Hof- und Domprediger Faber, Allerhöchsten Ortes vorgeschlagen wissen wollte. 114 Diese unausgesprochene Entscheidung gegen Dryander fand Unterstützung in der schon in anderem Zusammenhang erwähnten Auskunft von Lucanus (Geheimes Zivil-Kabinett) an Bosse, daß das Schloßpfarramt, dessen Inhaber Dryander (immer noch stellvertretend) war, ein für sich selbständiges Pfarramt darstelle, welches mit einer der vier Hof- und Dompredigerstellen verbunden sein könne, aber nicht müsse. 115 Nachdem die verwaiste Stelle Kögels im Herbst immer noch nicht, wie eigentlich erwartet, besetzt worden war, begann die Öffentlichkeit erneut, sich mit der langen Vakanz zu beschäftigen. So kann man etwa in der "Deutschen

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Volkszeitung v. 7.7.1896 in den Akten des EOK mit dem Randvermerk "Unerhört" versehen, EZA 7/13750, pag. 179 EZA 7/13750, pag. 180. Neue preußische ("Kreuz-")Zeitung v. 21.7.1896, ebd., pag. 181. Bosse an EOK v. 19.6.1897, ebd., pag. 201. Lucanus an Bosse v. 15.7.1897, ebd., pag. 208.

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5. In der Nähe des Thrones

Tageszeitung" vom 23. November einen relativ gut informierten Kommentar finden: Faber solle bei der Wiederbesetzung auf keinen Fall übergangen werden. Doch zur Zeit sei ihm seine Berliner Generalsuperintendentur im Wege, da der EOK eine zu erwartende Ämterkumulation in den höheren Regionen nicht wünsche.116 Tatsächlich hatte Bosse den EOK um eine schnelle Antwort angegangen und dabei betont, daß Faber Generalsuperintendent von Berlin bleiben solle.117 Allerdings stieß sich der EOK wohl weniger an diesem Amt als vielmehr an der Person Fabers. Galt er doch als besonderer Schützling des Magdeburger Generalsuperintendenten Schultze, bekannt als Mitbegründer der Positiven Union und einer der streitbarsten Kampfgefährten Kögels.118 Offenbar verfolgte der EOK auch die Absicht, den möglichen Ansatz zu einer Rückkehr in alte Zeiten im Keim zu ersticken, wenn er statt Faber Dryander zum Nachfolger Kögels vorschlug. Wäre damit doch ein sicherer Gefolgsmann der EOK-Linie an exponiertester Stelle vertreten. Bosse erklärte sich auch mit diesem Vorschlag einverstanden und hob sogar die hervorragende Eignung Dryanders zur Leitung des Domkandidatenstifts hervor, welche mit der Stelle des Oberhofpredigeramtes fest verbunden war. Zudem erschien es Bosse, der inzwischen auf den Wunsch des EOK, eine Ämterkumulation zu vermeiden, eingegangen war, einfacher, für die Generalsuperintendentur der Kurmark einen geeigneten Nachfolger zu finden, da die Verhältnisse hier nicht so kompliziert seien wie in Berlin. Doch lege er großen Wert darauf, daß die ganze Angelegenheit ohne Kränkung des General Superintendenten D. Faber erledigt werde, die kaum zu vermeiden sein dürfte, würde Dryander Faber als Oberhofprediger vorgesetzt, solange dieser noch die zweite Stelle am Dom innehabe.119 Dem vertraulichen Vorschlag Bosses, Faber von Hof und Dom weg in das in etwa äquivalente Propstenamt an St. Nicolai zu berufen, nahm der EOK in einer merkwürdig späten Antwort erst am 6. Januar 1898 zustimmend auf.120

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Deutsche Tageszeitung v. 23.11.1897, ebd., pag. 225. Bosse an EOK v. 15.7.1897, ebd., pag. 209. Wolf, Kögels Kirchenpolitik 374; vgl. die Nationalzeitung v. 3.5.1891, EZA 7/13749, pag. 228, die diese persönliche Verbundenheit des gerade an den Dom berufenen Faber bemängelte. Bosse an EOK v. 7.10.1897, EZA 7/13750, pag. 231. EOK an Bosse v. 6.1.1898, ebd., pag. 227.

5.1. Aufschwung zum "Hoflumen"

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Schon wurden daraufhin erste Gehaltsrechnungen durchgeführt121, schon war das neue Personalkarussell um die Nachfolge Kögels durch eine Meldung im (hof-)offiziellen "Berliner Lokalanzeiger" vom 25. Februar öffentlich spruchreif geworden122, da machte Dryander selbst alle vereinbarten Verhandlungslösungen fast zunichte. Obwohl ihm nahegelegt worden war, für den "Fall seiner Berufung in die Oberhofpredigerstelle die Generalsuperintendentur der Kurmark niederzulegen, um sich eine Erleichterung zu verschaffen", gab Dryander nach Ansicht des "Berliner Herold" aber "den lebhaften Wunsch zu erkennen [...], daß [sie!] ihm besonders liebgewordene kirchliche Oberhirtenamt auch in Zukunft" beibehalten zu wollen.123 Diese Entwicklung trug dem EOK nicht nur eine kräftige Rüge Bosses ein, da sie eine unvermeidbare Kränkung Fabers zur Folge haben mußte, denn Faber hätte sich eine Ernennung zum Oberhofprediger immerhin sehr gewünscht. Nach Erwägung aller Probleme richtete Bosse jetzt sogar die Frage an den EOK, "ob es nicht die weitaus einfachste und beste Lösung sein würde, wenn D. Faber als Oberhofprediger Allerhöchsten Ortes in Vorschlag gebracht würde, zumal da die für D. Dryander in Aussicht genommenen Erleichterungen in der Verwaltung des Ephorats des Domkandidatenstifts auch ihm bewilligt werden könnten."124 Forthin schien sich diese Angelegenheit zu einem leidigen Kompetenzgerangel beider Behörden ausgedehnt zu haben, die laut Ressortreglement in dieser Sache gütlich zusammenwirken zu hatten.125 Denn der EOK hielt seinerseits nach Erwägung aller sich ergebenden Schwierigkeiten an Dryander fest, wobei betont darauf hingewiesen wurde, wie sehr Dryander in seiner Funktion als Schloßprediger schon als Person Allerhöchsten Vertrauens ausgewiesen sei.126 Dieses letzte Argument mit dem Hinweis auf die Vertrauensbasis sollte schließlich den Ausschlag geben, da das eigentliche Besetzungsrecht an Hof und Dom letztlich bei Wilhelm II. selbst lag und er sich 121

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Dryanders Jahresgehalt als Oberhofprediger sollte 9370 Mark betragen, wobei zusätzliche Bezüge in Höhe von 1260 Mark die Differenz zum Gehalt eines Generalsuperintendenten (10680 Mark) in etwa abdecken sollten; EZA 7/13750, pag. 232, 234. Berliner Lokalanzeiger v. 25.2.1898, ebd., pag. 236. Berliner Herold v. 11.3.1898, ebd., pag. 237. Dryander selbst berichtet in seinen Erinnerungen (210), er habe gegen die Ernennung zum Oberhofprediger emstlich remonstriert, weil er gerne Generalsuperintendent bleiben wollte. Bosse an EOK v. 10.3.1898, EZA 7/13750, pag. 241f. Seitens des EOK wurde in dieser Sache sogar das Innenministerium angegangen. EOK ans Innenministerium v. 14.4.1898, ebd., pag. 252f. EOK an Bosse v. 5.4.1898, ebd., pag. 243.

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5. In der Nähe des Thrones

einem ihm nicht genehmen Vorschlag durchaus verweigern konnte.127 Nach der Schilderung der Vorgänge durch Dryander, der von den komplizierten Vorgängen wohl nur teilweise unterrichtet war, hatte Wilhelm II. an seiner letztendlichen Berufung den maßgeblichen Anteil. 128 So drängte der EOK den unterlegenen Bosse am 10. Mai, die Personalangelegenheit schnellstens Wilhelm II. vorzutragen - denn Dryander stand vor seiner Rückkehr aus Plön in seine Ämter - und den Kaiser gemeinsam mit dem Innenminister zu bitten, Faber zum Ausgleich die Pfründe erster Klasse aus dem Brandenburger Domstift zu belassen, die er als zweiter Hofprediger innehatte.129 Erst Mitte Juni schien sich die Lage soweit geklärt zu haben, daß der EOK dem sich noch in Plön befindlichen Dryander unter Bezug auf schon erfolgte mündliche Verhandlungen die Absicht mitteilen konnte, "im Einverständnis mit dem Herrn Minister der geistlichen Angelegenheiten bei Seiner Majestät dem Kaiser und Könige Ihre nebenamtliche Ernennung zum ersten Hof- und Domprediger am hiesigen Dom bei angemessener Verkürzung des mit diesem Amt verbundenen Einkommens und unter Verleihung des Charakters eines Oberhofpredigers mit dem Range eines Rathes erster Klasse und der Befugnis, den seidenen Talar zu tragen, sowie [...] Ihre definitive Ernennung zum Schloßpfarrer für das hiesige Schloß, als welcher Sie seither stellvertretend fungiert haben, zu beantragen und auch demnächst mittels besonderen Immediatantrages Ihre Ernennung zum Ephorus des hiesigen Domkandidatenstifts herbeizuführen." 130

Weiterhin wurden Dryander im Anhang zu dieser streng formalen Ernennungsabsicht die besonderen Bedingungen seines neuen Amtes mitgeteilt und erläutert. Unter Rücksichtnahme auf sein Hauptamt als Generalsuperintendent

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Eine Zusammensetzung der Besetzungsrechte des preußischen Königs findet sich in EZA 7/13752: neben Hof und Dom betraf dies in Berlin-Brandenburg die wichtigen Stellen an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, an St. Nicolai und St. Petri in Berlin sowie an den Potsdamer Friedens-, Hof- und Garnisonskirchen. EvD, Erinnerungen 210. Hier stellt sich die Berufung allerdings als ein Alleingang Wilhelms II. dar, der "mit dieser Entscheidung die Pläne des Oberkirchenrates wie namentlich des Kultusministers durchkreuzte]" - letzteres bezog Dryander zu Recht auf die unstatthafte Ämterhäufung. EOK an Bosse v. 10.5.1898, EZA 7/13750, pag. 256-258. EOK an EvD v. 15.6.1898, EZA 7/13751, pag. If, IV. Dieser Text wurde zudem an Bosse gesandt sowie an v. Wedel, den Minister des königlichen Hauses, der den Text wegen fehlender Erwähnung seiner Institution beanstandete und den EOK v. 23.6.1898 drängte, dies zu korrigieren und seine Mitbeteiligung an der Ernennung Dryanders zum Schloßpfarrer einzufügen (ebd., pag. 9). Darauf legte v. Wedel wohl deshalb großen Wert, weil dieser Text zugleich als Entwurf für die Formulierung des Allerhöchsten Erlaßes diente. Seinem Wunsch wurde entsprochen: ein nachträglicher Einschub diesbezüglich fehlt nicht (ebd., pag. IV).

5.1. Aufschwung zum "Hoflumen"

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sei Dryander - wie bisher - vom Konfirmandenunterricht und kasuellen Amtshandlungen in der Domgemeinde befreit, für das Domkandidatenstift werde zu seiner Entlastung eine zusätzliche leitende Kraft eingestellt.131 Wie Bosse hatte auch das Domkirchenkollegium unter dem präsidialen Vorsitz Barkhausens keine Bedenken, Dryanders Pflichtenkreis in dieser Weise einzugrenzen, betonte aber die Predigt- sowie Fürsorgepflicht über den Armensprengel der Gemeinde, die er mit dem jeweiligen Domstiftsinspektor zu versehen habe.132 Ende Juni brachte der EOK Dryander bei Bosse und bei Wilhelm II. offiziell in Vorschlag - unter nochmaliger Erläuterung der schwierigen Umstände, die den Vorgang so verzögert hätten - 133 , woraufhin Wilhelm II. von Travemünde aus in dem Allerhöchsten Erlaß vom 2. Juli "in Anbetracht seiner Uns angerühmten Eigenschaften und Gaben" die Bestallung Dryanders anordnen konnte.134 Letztendlich konnte der EOK nur deshalb befriedigt auf die langwierigen und schwierigen Verhandlungen zurückschauen, weil er seinen Kandidaten mit Hilfe des "Allerhöchsten Vertrauens" durchgesetzt hatte. Dies war dann aber nicht nur der letzte konsequente Akt einer mit der Entlassung Stoeckers und Schräders - ausgelöst an der Person Dryanders - begonnenen Umstrukturierung der Hof- und Domgeistlichkeit, die sich nach dem Tode Kögels nahezu ungehindert vollzog. Es bedeutete darüber hinaus einen weiteren wichtigen Schritt in der seit dem Wechsel an der Spitze des EOK systematisch betriebenen Personalpolitik, die sich an den kirchenpolitischen Leitlinien Wilhelms II. ausrichtete und die durch die Bevorzugung vermittelnder Persönlichkeiten vorwiegend aus der Mittelpartei das personelle und theologischorthodoxe Erbe der Ära Kögel abzubauen suchte.

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Ebd., pag. 1R. Bosse an EOK v. 8.12.1898, ebd., pag. 56. Domkirchenkollegium an EOK v. 18.10.1898, ebd., pag. 57; EOK an EvD v. 31.12.1898, ebd., pag. 58. EOK an Bosse und Wilhelm II. v. 28.6.1898, ebd., pag. 10. EZA 7/13751, pag. 14. Dieser Erlaß wurde über Bosse und den EOK am 6. bzw. 19.7.1898 an Dryander weitergeleitet (ebd., pag. 16-19). Vgl. AELKZ 31 (1898), 727, sowie ChW 8 (1898), Sp. 368.

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5. In der Nähe des Thrones

5.1.6. Die Domgemeinde Die erste Predigtstelle am Berliner Dom, die Dryander Anfang 1903 nach der Niederlegung der Generalsuperintendentur als Hauptamt mit vollen Pflichten übernehmen konnte135, galt als die wohl bedeutendste und angesehenste in der preußischen Landeskirche überhaupt.136 Zum einen konnte die Domkanzel aufgrund ihrer direkten Unterstellung unter den EOK ohne Zwischenschaltung der Konsistorien und ebenso durch eine mehr als personelle Affinität zum EOK 137 als kirchenpolitisches und theologisches Sprachrohr dieser Behörde dienen - auch Dryander nutzte diese Möglichkeit des öfteren. Andererseits war der Dom durch eine besonders enge Verbindung zum königlichen Hof ausgezeichnet138, wie dies nicht nur die Geschichte des Domes, sondern auch seine Lage im alten Zentrum Berlins auf der Spreeinsel gegenüber dem Stadtschloß der Hohenzollern bildhaft verdeutlichen konnte139. Die dem Oberhof- und Dompredigeramt beigemessene Bedeutung trat denn auch bei der Einfuhrung Dryanders am 4. September 1898 in der Begrüßungsrede des den EOK vertretenden Generalsuperintendenten der Neumark Braun zur Sprache.140 Zwar verlieh Braun der Freude über die gerade

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Korrespondenz des EOK an das Domkirchenkollegium v. 22.12. 1902, des Domkirchenkollegiums an den EOK v. 8.1.1903, die Umwandlung des Nebenamtes in ein Hauptamt betreffend. Vgl. Allerhöchsten Erlaß v. 2.2.1903. EZA 7/13751, pag. 116, 118f, 123f. Dies mag schon die Höhe des Gehaltes verdeutlichen: Das Jahreseinkommen betrug 15600 Mark, wobei die Domrevenüenkasse 12448 Mark und der Staatsetat des Ministeriums für geistliche Angelegenheiten den Rest zu tragen hatte, ebd., pag. 118R. Dies traf nicht nur auf die Domprediger selbst zu. So war z.B. der Präsident des EOK zugleich Präsident des Domkirchenkollegiums! Stolz und idealisierend zugleich konnte Dryander dies ausdrücken: "Die Domgemeinde hat von je die Glieder des Königlichen Hauses als ihre ersten Glieder betrachtet. [...] wie die Gemeinde mit dem Königshause, [...] so feierte auch das Königshaus mit der Gemeinde [...]" (Erinnerungen 220). Allerdings mußte wie die Gemeinde auch Dryander zunächst noch auf den sogenannten Interimsdom auf dem Terrain des Monbijouparks ausweichen, bis der neue Dom zwölf Jahre nach Beginn der Sprengungen an seinem Vorgänger an alter Stelle am 27.2.1905 wieder eingeweiht werden konnte (s.u. 294ff). Bekanntlich hat die fast schon traditonell gewordene Nachbarschaft von Dom und Schloß mit der Sprengung des kriegsbeschädigten Schlosses auf besondere Veranlassung Ulbrichts - ungeachtet heutiger 'Wiederbelebungsversuche' - ein jähes Ende gefunden. Vgl. den Bericht Brauns an den EOK v. 24.9.1898, EZA 7/ 13751, pag. 48, sowie den Reichsboten v. 6.9.1898, ebd., pag. 43.

5.1. Aufschwung zum "Hoflumen"

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durch die Berufung eines bewährten und bekannten Mannes erfolgte Heilung einer zweijährigen Wunde besonderen Ausdruck, aber er vergaß andererseits nicht, die hohen Anforderungen an dieses Amt herauszustellen. Denn gerade am Dom sei ein nicht geringer Einfluß auf wichtige öffentliche Personen gegeben. Die Bürde des Domamtes empfand auch Dryander, der in seiner Antrittspredigt über 1. Kor 2,1-5 eine Art Programm seiner beabsichtigten Amtsführung entwarf.141 Er sei am Dom nicht ganz unbekannt, habe er doch an der Seite des ihm teuren, väterlichen Mannes, zu dessen epigonenhaften Nachfolger er sich berufen fühle, seine geistliche Lehrzeit zugebracht. Von Stufe zu Stufe sei sein Weg danach ernster und schwieriger geworden. Nun zittere er bei dem Gedanken, an dieser Stelle ein Brückenbauer zu sein. Denn auch am Dom sei er vornehmlich Bote um Christi willen, benötigten Hofund Domkirche doch kein anderes Evangelium als die Dorfkirche. In diesem Sinne hoffe er sehr, alle Dombesucher würden sich miteinander als solche versammeln, die vergessen wollen, was sie in der Welt und für die Welt seien und bedeuteten. Mit dieser programmatischen Selbstcharakterisierung als eines 'Boten und Brückenbauers um Christi willen' hob Dryander noch einmal hervor, was gerade ihn - neben dem Vertrauen Wilhelms II. - aus kirchlicher Perspektive für dieses Amt empfohlen hatte. Denn nicht nur die königliche Familie, nicht nur Vornehme und Reiche waren Glieder dieser traditionell über ganz Berlin verstreuten Gemeinde. In ihren etwa 10000 Gliedern umfaßte sie vielmehr alle Schichten der Gesellschaft von den Spitzen des Staates über den großen Stamm von Kleinbürgern und Handwerkern bis zu den Armen der Stadt, für die ein großer Armenetat zur Verfügung stand. Diese soziologische Struktur stellte hohe Anforderungen an die Organisation der Gemeindearbeit. Der Bereich der Seelsorge z.B. wurde zum großen Teil von den Kräften des Domkandidatenstifts unter der Supervision der Domprediger getragen, die die Stadt grob in zwölf zu betreuende Bezirke ("Sprengel") aufgeteilt hatten.142 Mit dem soziologischen

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Im Reichsboten v. 6.9.1898, ebd., pag. 43, finden sich längere Auszüge der Predigt. Vgl. Dehn, Die alte Zeit 120f; Wolf, Kögels Kirchenpolitik 59f; die genaue Beschreibung der vier von den jeweiligen Hofpredigern zu betreuenden übergeordneten Bezirke s. bei Schniewind, Dom 114f: Dryanders Bezirk, der den Norden und Nordosten Berlins (N. u. NO.) "von der Weidendammer Brücke, Friedrichsstraße, Oranienburger Tor, Elsasser- und Brunnenstraße in ihrer ganzen Verlängerung exkl. bis zur neuen Königstraße" umfaßte, wurde von einem Domhilfsprediger verwaltet, während die anderen Domprediger ihre Bezirke selbst versahen.

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5. In der Nähe des Thrones

Gefalle korrespondierten starke Unterschiede im Bildungsniveau der Gemeinde, die "von den Professoren der Berliner Universität, den höheren Repräsentanten in Kunst und Wissenschaft bis zu den kaum des Lesens und Schreibens kundigen Bittstellern reicht[e]".143 Dies waren somit fast ideale Voraussetzungen für den am Bild der Volkskirche orientierten Kirchenmann Dryander, aber auch für den Prediger Dryander, dessen homiletische Prinzipien sowohl den Ansprüchen Intellektueller standhalten, wie auch der Schlichtheit anderer Hörer gerecht werden konnten. Nicht von ungefähr galt eine ausgewiesene und hohen Anforderungen gewachsene homiletische Begabung als ein wesentliches Kriterium in den Richtlinien, welche das Domkirchenkollegium und der EOK bei der Berufung ihrer Domgeistlichen in Anschlag brachten. Denn Gemeindeglieder, Stadthörer und auch Stadtfremde sollten gleichermaßen angesprochen werden.144 Zeigte die Domgemeinde von ihrer Struktur her eigentlich ein buntes Bild, so gaben aber wie in der Landeskirche die oberen Kreise den Ton an. Das Domkirchenkollegium mit seinen aus 'Allerhöchstem Vertrauen' berufenen Mitgliedern war gewissermaßen das Herrenhaus des Doms, und auch die Gottesdienstatmosphäre schien sich nicht selten dem Glanz und der Imposanz des neuen Domes angepaßt zu haben. So erhob die "Privilegierte Berlinische Zeitung" im Juni 1909 den geharnischten Vorwurf über böse soziale Unterschiede im neuen Dom, welche eine alte Weisheit bestätigten: "Wer Geld hat, hat den Vorrang auch in der Kirche".145 Anlaß und zugleich Zündstoff dieses Artikels war die - im übrigen aber nicht nur im Berliner Dom anzutreffende - "so unsozial" wirkende Praxis, die Kirchenstühle im Dom zu vermieten. Diese Einrichtung wirke als Reservierung von Plätzen über den liturgisch-einleitenden Gottesdienstteil hinaus bis zum Beginn der Predigt, welche so augenfällig zur Hauptsache des Gottesdienstes stilisiert würde. Erst nach Beginn der Predigt dürfe das 'gemeine Volk' die noch nicht besetzten Plätze einnehmen. Der Artikel setzte dieses Gleichnis auf die kirchlichen Verhältnisse fort, indem er nun den Prediger Dryander beschrieb und würdigte. Dessen vollendete Erscheinung auf der Kanzel führte den Kolumnisten zu dem Gedan-

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Wolf, Kögels Kirchenpolitik 60. So z.B. sehr ausdrücklich der EOK an Wilhelm II. v. 8.5. 1912 zu den Richtlinien, welche die Neubesetzung der Stelle Schniewinds durch Vits (Düsseldorf) betrafen; EZA 7/13751 (nicht pag.). Privilegierte Berlinische Zeitung v. 6.6.1909, ebd.; hier s.a. die folgenden Anführungen.

5.1. Aufschwung zum "Hoflumen"

213

ken, daß der Kaiser diesem Manne "den nicht immer angebrachten Titel Exzellenz" geradezu habe verleihen müssen. Wohlwollend wurde daraufhin die fesselnde und schlichte Redeweise Dryanders gewürdigt - mit der Anmerkung allerdings, daß seine Predigt wenig tiefe Gedanken verrate. Und interessiert wurde auch das Bemühen Dryanders zur Kenntnis genommen, die Aufgaben der Kirche in der Gegenwart zu bestimmen - aber auch hier mit der enttäuschten Nebenbemerkung, daß dies leider nur zu oft bloß apologetisch gegenüber der kritischen Presse und mit einem leisen Stoßzeufzer angesichts der Kirchenaustritte erfolgt sei. Alles in allem vermisse man bei Dryander einen zeitgemäßeren Geist, den Willen nämlich, die vorhandenen Richtungen vollends freizugeben, um verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen. In diesem 'Grummein' über die Verhältnisse im Domgottesdienst spiegelte sich deutlich das oben schon aufgewiesene Dilemma der Kirche im allgemeinen. Ein Dryandersches Predigtzitat kann gleichsam die Pointe herausstellen: "Wir wollen den Armen, denen sonst so viel entgeht im Leben, in unserer Mitte den

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besten Platz an der Sonne geben."

Zu Recht wird moniert, er hätte doch im Dom den Anfang machen können durch die Abschaffung "des feinen Unterschiedes von guten und schlechten Kirchplätzen, je nach dem Vermögen und der sozialen Stellung der Gemeindemitglieder"! Aber anscheinend wollten nicht alle Dombesucher vergessen, was sie in der Welt und für die Welt seien - wie Dryander anläßlich seiner Einführung laut zu hoffen gewagt hatte.

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Ebd.; hier s.a. das Folgende.

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5. In der Nähe des Thrones

5.2. Im Sog des Hofes - Dryander und der Königsmechanismus 5.2.1. Wilhelm II. - König und Kaiser von Gottes Gnaden 5.2.1.1. Die herrscherliche Sphäre Anläßlich einer Rede vor dem ostpreußischen Provinziallandtag erinnerte Wilhelm II. am 15. Mai 1890 in Königsberg daran, daß "Kaiser Wilhelm I. das Königtum von Gottes Gnaden von neuem hier proklamiert und [... damit] der gesamten Welt gegenüber zum Ausdruck gebracht [habe], daß Wir Hohenzollern Unsere Krone nur vom Himmel nehmen und die darauf ruhenden Pflichten nur dem Himmel gegenüber zu vertreten [hätten]".

1

Er, Wilhelm II., sei ebenso von dieser Auffassung beseelt und entschlossen, nach diesem Prinzip zu regieren. Verschiedene Aspekte, die für das monarchische Selbstverständnis Wilhelms II. wichtig sind, klingen hier schon an: so etwa die dynastische Legitimation, ein autoritär-autokratischer Impuls sowie ein starker religiöser Impetus. Großes Vorbild war ihm sein Großvater, "Wilhelm der Große", der in seines Enkels Augen als eigentlicher Erbauer und erster Kaiser des neuen deutschen Reiches ein Instrument der göttlichen Vorsehung zu sein schien.2

J.Penzler/B.Krieger (Hg.), Die Reden Kaiser Wilhelms II., Teile 1-4 (1888-1895/18961900/1901-1905/1906-1912), Leipzig o.J., hier: Reden I, 114. Vgl. bes. die Reden zu den Brandenburgischen Provinziallandtagen v. 14.3.1891 (Penzler/Krieger, Reden I, 171ff), v. 1.3.1893 (ebd. 226ff), v. 20.2.1896 (Penzler/Krieger, Reden II, 12ff), v. 26.2.1897 (ebd. 38ff). Aufschlußreich sind weiterhin Reden zu Enthüllungen von Denkmälern Kaiser Wilhelms I. (z.B. v. 18.10.1893 in Bremen, ebd. 253ff) und bei nationalen Feiertagen, wobei hier vor allem die Gedenkfeiern des Jahres 1896 zu erwähnen sind: so die 25-Jahr-Feier zur Gründung des deutschen Reiches am 18.1., zu der Wilhelm II. seinen Dank gegen die göttliche Vorsehung und deren auf dem Reich und seinen Gliedern sichtbar liegenden Segen abstattete (ebd. 5ff); so auch die 25-Jahr-Feier zum Friedensschluß am 10.5., in der Wilhelm II. "aus dem prüfimgsreichen Leben dieses hohen Herrn [sc. Wilhelm I.]" vor Augen führte, "wie der Weltenschöpfer das Volk im Auge behielt, welches er sich ausgesucht hatte, um endlich der Welt den Frieden zu geben, und auch das Instrument sich baute, welches das Volk dazu führte [...]" (ebd. 17ff)· Gipfelten zwar schon diese Jubelfeiern in der Verherrlichung dieser im Munde Wilhelms II. geradezu 'heilig' gesprochenen Persönlichkeit (ebd. 12), so waren sie doch bloßes Vorspiel zur großen 100-Jahr-Feier des Geburtstages Wilhelms I. am 22.3.1897, über den sein Enkel zu diesem Anlaß aussprach: "Wenn der hohe Herr im Mittelalter gelebt hätte, er wäre heilig gesprochen, und Pilgerzüge aus allen Ländern wären hingezogen, um an seinen Gebeinen Gebete zu verrichten" (v. 26.2.1897, Penzler/Krieger, Reden II, 39). Baronin Spitzemberg gab eine in bestimmten Hofkreisen verbreitete Ansicht wieder, wenn sie die von seinem Enkel dem alten Kaiser zuge-

5.2. Im Sog des Hofes - Dryander und der Königsmechanismus

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Nicht allein der Versuch, sich dem Schatten Bismarcks zu entziehen3, sondern vor allem der Zwang, die eigene Stellung zu legitimieren, ließ Wilhelm II. diesen dynastischen Kult um Wilhelm den Großen entfachen. Dies hatte auch zur Folge, daß die Reichsgründung immer mehr legendarische Züge annahm.4 Fehrenbach hat in diesem Zusammenhang beschrieben, wie sehr Wilhelm II. es liebte, "sich und das Kaisertum im Glanz einer tausendjährigen Würde darzustellen", auch wenn diese nicht durch tatsächliche Traditionen gedeckt war.5 War doch der deutsche Kaisertitel verfassungsrechtlich eine pragmatische Umschreibung fur das Präsidialamt eines föderalistischen Fürstenbundes, den der preußische König zwar 'hegemonial', aber doch nur als primus inter pares trug.6 Im Glanz des deutschen Kaiserreiches aufgewachsen, fehlte Wilhelm II. offenbar das Bewußtsein für die historischen Realitäten. Doch wie die zeitgenössische Diskussion um die Kaiserwürde zeigte, wohnte dem Kaisertitel tatsächlich eine nicht klar bestimmbare, zum Teil an alte deutsche Kaiser-

schriebene Stellung im Jenseits als "vierte[...] Person in der Dreifaltigkeit" bezeichnet (Tagebuch v. 9.5.1898, 368). Vgl. die hier einschlägige "Handlangerrede" v. 26.2.1897, nach der in seines Großvaters "Nähe durch Gottes Fügung so mancher brave, tüchtige Ratgeber war, der die Ehre hatte, seine Gedanken ausführen zu dürfen, die aber alle Werkzeuge seines erhabenen Willens waren, erfüllt von dem Geist dieses erhabenen Kaisers." (Penzler/Krieger, Reden II, 40). Kruedener, Rolle 29, hat dieses Verfahren in Anlehnung an Max Weber für den absolutistische Herrscherkult herausgearbeitet: Demnach basierte die Suggestion von Größe und Macht fürstlicher Autorität oft auf Umformungen von überliefertem Gut zu Legenden. Auch der von K.Hübner, Die Wahrheit des Mythos, München 1985, in Aufnahme Kerinyis und Eliades beschriebene Sachverhalt "politischer Pseudomythen" könnte diesen Zusammenhang erhellen. Zwar "mythische Strukturen" aufweisend, seien sie aber "nicht [...] spontan entstanden oder geschichtlich gewachsen [...], sondern bewußt zur Erreichung bestimmter Zwecke gemacht" (ebd. 361). E.Fehrenbach, Wandlungen des deutschen Kaisergedankens 1871-1918 (Studien zur Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts, Bd. 1), München - Wien 1969, 223, vgl 40f, 104-107(-116). So konnte Wilhelm II. 1898 an seine Mutter schreiben: " [...] die Krone sendet ihre Strahlen durch 'Gottes Gnade' in Paläste und Hütten und - verzeih, wenn ich es sage - Europa und die Welt horcht auf, um zu hören 'was sagt und was denkt der Deutsche Kaiser?' [...] Für immer und ewig gibt es nur einen wirklichen Kaiser in der Welt, und das ist der Deutsche Kaiser, ohne Ansehen seiner Person und seiner Eigenschaften, einzig durch das Recht einer tausendjährigen Tradition [...]" (zit. ebd. 90; im engl. Original bei B.Fürst v.Bülow, Denkwürdigkeiten, Bd. 1: Vom Staatssekretariat bis zur Marokko-Krise, Berlin 1930, 235f). Fehrenbach, Wandlungen 8Iff; zur verfassungsrechtlichen Stellung vgl. D.v.Pezold, Cäsaromanie und Byzantinismus bei Wilhelm II., (Diss. Phil.) Köln 1971, 59-68.

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traditionell anknüpfende historisch-mythologische Dynamik inne7, welche allerdings unter dem konservativ-monarchischen Preußentum Wilhelms I. noch nicht recht ausbrechen konnte8. Denn dieser stand als preußischer König, nicht als deutscher Kaiser auf dem Boden eines Gottesgnadentums und monarchischen Prinzips, welches in der preußisch-konstitutionellen Monarchie durch die Verfassungsprinzipien Friedrich Julius Stahls zur Legitimierung des dynastischen Königtums und des konservativ-christlichen Staatswesens diente.9 Was bei seinem Großvater noch geschieden war, wurde unter Wilhelm II. zu einer Einheit. Das Gottesgnadentum des monarchischen Prinzips und die kaiserliche Würde waren nun verbunden. Die dem Kaisersymbol innewohnende Dynamik brach öffentlich auf, so daß der seit den Tagen von 1871 auflebende Mythos einer erneuerten Reichsmonarchie deutscher Nation unter Führung der Hohenzollern nur gefördert werden konnte. Wilhelm II. selbst lehnte sich bei seiner Interpretation stark an das aus der liberalen Geschichtsschreibung der Jahrhundertmitte erwachsene Geschichtsbild des Borussianismus an, welches "in seiner populären Fassung als mehr oder weniger diffuses ideologisches Konstrukt" besonders nach der Reichsgründung über die politische Publizistik weit verbreitet wurde und das öffentliche Bewußtsein stark beeinflußte10. Zog Wilhelm II. zwar auch Linien zum alten Reich, besonders zu den Staufern, stellte er doch vor allem seine Ahnen Friedrich und Wilhelm die Großen als Wegbereiter des neuen deutschen Reiches heraus.11

Sehr materialreich und hilfreich systematisiert Fehrenbach am Schluß ihrer Untersuchung, Wandlungen 221-225; vgl. Pezold, Cäsaromanie 83-86. Fehrenbach, Wandlungen 65, 79f; Pezold, Cäsaromanie 259f. Bes. O.Hintze, Das monarchische Prinzip und die konstitutionelle Verfassung, PrJ 144 (1911), 381-412, 390f, 394f; vgl. F.Fischer, Der deutsche Protestantismus und die Politik im 19. Jahrhundert, HZ 171 (1951), 473-518, 483f, sowie Fehrenbach, Wandlungen 4 Iff. W.Hardtwig, Von Preußens Aufgabe in Deutschland zu Deutschlands Aufgabe in der Welt. Liberalismus und borussianisches Geschichtsbild zwischen Revolution und Imperialismus, HZ 231 (1980), 265-324, hat dieses Phänomen exemplarisch an Droysen aufgearbeitet und daraus thesenartig ein allgemeines Bild des Borussianismus abzuleiten versucht; Zitat a.a.O. 310. Zur Aufnahme durch Wilhelm II. vgl. H.Wilderotter, "Meine Vorfahren". Familiäre Bindungen und dynastisches Bewußtsein, in: Wilderotter/Pohl, Der letzte Kaiser 271-274, 272f. Der dynastische Ahnenkult fand in von Wilhelm II. angeregten und geförderten Denkmälern wohl den prägnantesten Ausdruck; vgl. etwa zu Kaiser-Wilhelm-Denkmälem H.Scharf, Kleine Kunstgeschichte des deutschen Denkmals, Darmstadt 1984, 219-229, oder zur Siegesallee in Berlin Wilderotter/Pohl, Der letzte Kaiser 2 9 0 f f . Zum Verhält-

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Mit alledem kam Wilhelm II. Wünschen und Forderungen seiner Zeit jedoch auch sehr entgegen, die den Symbolgehalt des Kaisertums persönlich repräsentiert sehen wollten.12 Die Reden Wilhelms II. sowie seine romantisch geprägte Suche nach glänzenden Repräsentationsformen erzeugten vielerorts die Vorstellung einer persönlichen Repräsentation der deutschen Nation in der Person des Kaisers oder gar die Vorstellung einer Identität stiftenden "geistigen Gesamtpersönlichkeit der deutschen Nation".13 Rathenau formulierte wohl treffend: "Niemals zuvor hat so vollkommen ein sinnbildlicher Mensch sich in der Epoche, eine Epoche sich im Menschen gespiegelt". 1 4

Doch nicht nur in der Inanspruchnahme der Kaiserwürde selbst bezog Wilhelm II. auf seine Person, was eigentlich auf eine Institution hin angelegt, dem Amt an sich zugedacht war. Auch die im Preußen des 19. Jahrhunderts so umstrittene dei-gratia-Formel eignete er sich persönlich an. Dabei reihte er sich gewissermaßen in eine von Friedrich Wilhelm IV. 'eingeführte' Tradition ein, der durch die romantische Wiederaufnahme theokratischer Ideen theoretisch unterbaut durch Stahl - den sakralrechtlichen Gedanken des Mittelalters Wiederaufleben ließ, "daß der Herrscher von Gott seine Krone zu Lehen trägt".15 Selbst der so nüchterne König Wilhelm I. ließ in betonter

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nis Wilhelms II. zu Friedrich dem Großen s. E.Fehrenbach, Images of Kaiserdom: German Attidues to Kaiser Wilhelm II, in: Röhl/Sombart, New Interpretations, 269-285, 273f, oder den Brief an Bismarck v. 21.12.1887, in dem Prinz Wilhelm Hand und Schwert als bewußter Erbe Friedrichs des Großen zu führen gedachte (Bismarck, Erinnerung 544-549, 549). Fehrenbach, Wandlungen 89, 104, wobei sie u.a. auf die Kaiser-Geburtstagsrede Harnacks zum Thema "Protestantismus und Katholizismus" von 1907 (PrJ 127 [1907], 294311) eingeht. Denn einleitend bemerkte Hamack: "Vor uns steht sein Bild in den lebendigen Zügen, in denen seine Persönlichkeit in Wort und Tat sich ausgesprochen hat. In dem Herzen eines jeden Deutschen aber lebt auch ein festes Kaiserbild als Niederschlag und Frucht unsrer ganzen Geschichte. In der Einheit dieser beiden Bilder wollen wir unsern Kaiser sehen, und wir danken ihm, wenn er das alte Kaiserbild in uns belebt, und wenn er es mit neuen Zügen bereichert" (a.a.O. 294). Gerade auch der Borussianismus neigte dazu, Politik und Herrschaft zu personalisieren sowie die Hohenzollern irrational zu glorifizieren (Hardtwig, Preußens Aufgabe 313). Fehrenbach, Wandlungen 90f unter Bezug auf eine Wendung Fr.Meineckes; vgl. Röhl, Hof und Hofgesellschaft 285. W.Rathenau, Der Kaiser. Betrachtungen, Berlin 1919, 24. H.Liermann, Untersuchungen zum Sakralrecht des protestantischen Herrschers, ZSRG, Kan. Abt. 30, Bd. 61 (1941), 311-383, 378f; Hintze betont allerdings mit Nachdruck, daß diese religiös überschwengliche, fast mystische Interpretation des aus dem monarchischen Prinzip abgeleiteten Gottesgnadentums "persönliche Zutat" des Königs gewesen sei (Das monarchische Prinzip 394). Man darf wohl vermuten, daß diese Äuße-

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Frontstellung gegen die Angriffe des Jahres 1848 auf das Gottesgnadentum keinen Zweifel auch an seiner sakralrechtlichen Herrscherstellung und auffassung aufkommen. Die 1861 bewußt in Königsberg vorgenommene Krönungszeremonie machte dies deutlich, da er die Krone unter dem Weihegebet eines Geistlichen selbst vom Altar nahm.16 Mit O. Brunner wird man allerdings feststellen müssen, daß hier nicht mehr der Gottesgnadentumbegriff des hohen Mittelalters vorliegt, der auf der Grundlage einer geheiligten, göttlich-sakralen Rechtsordnung basierte umd demzufolge das Königtum als Institution von einer sakral-magischen und heilskräftigen Sphäre umgeben war.17 Nicht nur aufgeklärte Staatstheorien, auch die Indienstnahme der deigratia-Formel durch den Absolutismus haben aus diesem Begriff göttlichen Herrscherrechts "eine Formel des Staatsrechts" werden lassen, was allerdings ein christliches Staatsprinzip nicht ausschließen mußte.18 Eine besondere Nuance der wilhelminischen Auffassung des Gottesgnadentums bestand in dem Glauben, auserwähltes Instrument Gottes und nur ihm gegenüber verantwortlich zu sein.19 Dies ging weit hinter die Auffassung seines Großvaters zurück, sah Wilhelm II. sich doch in direktem Auftrage eines Höheren regieren20. Im Exil schrieb er der Königfigur die Funktion eines Amtmanns Gottes zu, der den Menschen von Natur aus als Vermittlungspersönlichkeit zur Gottheit diene21. Unter Hinzunahme des berühmt-

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rung indirekt die Auffassung Wilhelms II. betraf und ihn hier zur Zurückhaltung mahnen sollte. Liermann, Sakralrecht 379-381. Dies sollte die letzte derartige Inthronisation in Deutschland bleiben. O.Brunner, Vom Gottesgnadentum zum monarchischen Prinzip. Der Weg der europäischen Monarchie seit dem hohen Mittelalter, in: Die Entstehung des modernen souveränen Staates, hg. v. H.H.Hoffmann, Köln - Berlin 1967, 115-136. 402-405 (= in: Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen, Vorträge und Forschungen, Bd. 3, hg. v. Th.Mayer, Lindau - Konstanz 1956, 259-305), 118-120. Ebd. 133. Vgl. Penzler/Krieger, Reden I, 207f (die sog. 'Nörglerrede' v. 24.2.1892 auf dem Brandenburgischen Provinziallandtag); Penzler/Krieger, Reden II, 61 (v. 31.7.1897 in Koblenz); Penzler/Krieger, Reden IV, 205f (v. 25.8.1910 auf der Marienburg). Penzler/Krieger, Reden I, 171 (v. 14.3.1891 auf dem Brandenburgischen Provinziallandtag). H.Wilderotter, "Als Instrument des Herrn mich betrachtend". Zum historischen und politischen Selbstverständnis, in: Wilderotter/Pohl, Der letzte Kaiser, 307-309, 307, unter B e z u g auf S i t z u n g s p r o t o k o l l e der " D o o r n e r A r b e i t s - G e m e i n s c h a f t " v. 29./30.10.1936 aus dem Reichsarchiv Uetrecht, Bestand "Ex-Keizer Wilhelm", Nr. 286. Dieses Verständnis hat offensichtlich eine andere Qualität als die Formel vom "schlichten Amtmann Gottes" im Munde des Großen Kurfürsten.

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berüchtigten Briefes nach dem Babel-Bibel-Streit 1903 an Admiral Hollmann, in dem Wilhelm II. neben der biblisch-religiösen Offenbarung auf Christus hin noch eine zweite, nämlich historische Offenbarungsform zuließ, welche in besonders begnadeten Personen der Weltgeschichte - unter ihnen auch Kaiser Wilhelm der Große - Gestalt gewinne22, kann man fast vermuten, daß auch Wilhelm II. sich mit diesem Nimbus der göttlichen Gnade versehen wollte: mit dem Nimbus einer besonders ausgezeichneten Stellung zu Gott. Denn gerade aus seiner Auffassung des Gottesgnadentums schien Wilhelm II. den Anspruch auf sein "persönliches Regiment" abgeleitet zu haben, nämlich den richtigen Kurs bestimmen und weitersteuern zu können: "Als Instrument des Herrn mich betrachtend, ohne Rücksicht auf Tagesansichten und meinungen gehe ich meinen Weg, der einzig und allein der Wohlfahrt und friedlichen Weiterentwicklung unseres Vaterlandes gewidmet ist."

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Wilhelm II. an Admiral Hollmann v. 15.2.1903, Penzier/Krieger, Reden III, 143-149; gekürzt bei Wilhelm II., Ereignisse 183-186. Fehrenbach, Wandlungen 116, hat - ohne den Einfluß H.St. Chamberlains zu nennen - auf eine Verwandtschaft mit Gedanken Carlyles über große von Gott erleuchtete Individualitäten hingewiesen. Dies hat Carlyle besonders in seinen 1841 gedruckten Vorlesungen "On Heroes" im Anschluß an den von Goethe, Herder und Fichte geprägten deutschen Idealismus entwickelt. Demnach sei die Weltgeschichte Universalgeschichte, in der das Licht großer Männer und Führer der Menschheit (wie Odin, Mohammed, Dante, Shakespeare, Luther, Knox, Cromwell, Napoleon) weithin zu sehen sei, j a durch welche die Gnade des Himmels leuchte (Th.Carlyle, Über Helden, Heldenverehrung und das Heldentümliche in der Geschichte, hg. v. A.Pfannkuche, Leipzig 1901, 23f)· Sind Ähnlichkeiten in den Äußerungen Wilhelms II. nicht zu übersehen, so ist eine direkte Abhängigkeit jedoch schwer nachzuweisen. Immerhin kann man Carlyle in wilhelminischen Deutschland eine hohe Bekanntheit zuschreiben. Ein prominenter theologischer Kenner und Verehrer Carlyles war Otto Baumgarten, der sich dessen Geschichtsphilosophie weitestgehend zu eigen machen konnte (v.Bassi, Baumgarten 293-297). So nimmt es nicht wunder, daß Baumgarten dem Kaiser in seinem Artikel "Wilhelm II.", RGG, Bd. 5 ( 1 9 1 3 ) , Sp. 2043-2066, 2049, eine moderne Erweiterung des kirchlichen Offenbarungsbegriffs attestieren konnte. Penzler/Krieger, Reden IV, 205f v. 25.8.1910 auf der Marienburg. Und - dies wird man mit Pezold betonen müssen - eingeschlossen war der Wunsch, "die Monarchie gegen ihre verhetzten Feinde, die Demokraten und Republikaner, Sozialisten und Kommunisten zu verteidigen" (Pezold, Cäsaromanie 90; vgl. Penzler/Krieger, Reden II, 40). Vgl. Penzler/Krieger, Reden I, 209f v. 24.2.1892 auf dem Brandenburgischen Provinziallandtag, wo Wilhelm II. seine Gewißheit ausdrückte, daß "unser Alliierter von Roßbach und Dennewitz Mich [...] nicht im Stich lassen wird". Auch wenn die C h W 6 (1892), Sp. 566-571, es "äußerst erfrischend" fand, "einen Fürsten zu sehen, der für Himmel und Erde gleich aufgeschlossen, ebenso entschieden für seine Gedanken und Bestrebungen auf Gott zurückgreift, wie er in die Bewegungen des Volkslebens eingreift", wurde doch die Warnung ausgesprochen, daß es dem Fürsten wenig diene und der Sache schade, "wenn man diese fromme Betrachtungsweise derartig überspannt, daß man den Fürstenberuf von allen andern Berufen absondert und ihn in einzigartiger Weise von Gott

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Ein Vergleich der wilheminischen mit absolutistischen Herrschaftsvorstellungen ist nicht neu, gibt es doch wesentliche strukturelle Parallelen. So ist die herrscherliche Stellung Wilhelms II. nicht zuletzt durch die Kultisierung und Überdehnung des Gottesgnadentums fast so sehr charismatisch aufgeladen worden wie zuvor im Absolutismus - man denke nur an Ludwig XIV. wo eine bewußte Theokratisierung der herrscherlichen Stellung über die rein dynastische Tradition hinaus zu einer besonderen charismatischen Legitimität den Untertanen gegenüber fuhren sollte.24 Insgesamt wird man die Fülle der Äußerungen Wilhelms II., in denen sein herrscherliches Selbstverständnis zum Ausdruck kam und die verschwommen und überspannt "ein Durcheinander von Religion und Monarchie"25 predigten, unter Einschluß einer möglicherweise mystischen Auffassung taktisch zu interpretieren haben.26 Die Auszeichnung seiner Person und seiner Rolle mit einer besonderen Würde, sollte wohl eine "Unfehlbarkeit und Unangreifbarkeit seiner Worte und Taten behaupten", um sie von jeglicher Kritik freizuhalten und ihm selbst gegen die verfassungsrechtlich eingeschränkte Stellung Unabhängigkeit zu sichern.27 Doch so sehr Wilhelm II. auch unter dem äußeren Druck alle Register gezogen hatte, um die Kaiserwürde symbolisch zu füllen, so sehr er auch die verschiedensten Traditionen des dei-gratia-Motivs miteinander verschmolzen hatte (das Lehensmotiv, die sakral-magische Auffassung, den theokratischcharismatischen Zug, die Idee einer göttlich erleuchteten Führergestalt), letztendlich blieb nur ein gewaltsam eingeführter und aufrechterhaltener "Pseudomythos", in dem "Schein und Sein, natürliche und künstliche Welt" auseinanderklafften und der damit leicht "Deformationen, Entfremdungen und

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bestimmt sein läßt". Hier gehe dann sogar das "Verständnis für die religiöse Wertschätzung der Obrigkeit überhaupt verloren" (Sp. 566). Für eine "gewissermaßen mystische Einwohnung Gottes in den Fürsten, wie sie augenblicklich hie und da in den Köpfen zu spuken scheint, bleibt kein Raum" (Sp. 571). Sogar die DEKZ 6 (1892), 271, konnte die Meinung der ChW zustimmend aufnehmen, daß nämlich, auch wenn man der Überzeugung sei, Gott habe es gut mit unserem Volk gemeint, keine Befugnis gegeben sei, "anzunehmen, daß er uns auf einem Wege glänzender Machtentfaltung, herrlicher Erfolge führen werde". Vielleicht habe Gott es "niemals besser mit Preußen gemeint als bei Jena und Auerstädt" (ChW, a.a.O, Sp. 570). v.Kruedener, Rolle 30-38. Pezold, Cäsaromanie 90. Vgl. (Graf) E.v.Reventlow, Kaiser Wilhelm II. und die Byzantiner, Berlin 1906, 42f. Zum konstitutionellen (Un-) Selbstverständnis Wilhelms II. vgl. Pezold, Cäsaromanie 92-100. Wilderotter, "Instrument" 307, spricht sogar von einer Theorie der "Gottesunmittelbarkeit".

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leeren Verkündigungsposen" verfiel. 28 Auch wenn der Mythos um den Monarchen auf einen "Fundus einer selbstverständlichen, ererbten, unreflektierten Anhänglichkeit an den Monarchen und [... der] von den Kirchen getragene[n] Obrigkeitslehre, in einzelnen Schichten auch noch [auf] Reste sakraler Vorstellungen"29 zurückgreifen konnte, so hatte Wilhelm II. doch gerade durch seine überzogenen Reden in ihrer Diskrepanz zu den vielen Krisen und Affaren, in die er selbst involviert war (z.B. Krügerdepesche, Marokkokrisen, Björkövertrag und besonders Daily-Telegraph-Affare), den größten Anteil an der Destruktion seines in der Öffentlichkeit aufgebauten Bildes. 30 Seiner auch von außen an ihn herangetragenen Rolle war Wilhelm II., der in seinem Charakter von so vielen unvereinbaren Gegensätzen geprägt war31, nicht gewachsen. Das sogenannte "Persönliche Regiment" als Anspruch Wilhelms II. blieb eine Fiktion, kann aber als eine vielsagende Beschreibung und ein vieldeutiger Ausdruck dessen gelten, was von Zeitgenos-

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Vgl. wieder Hiibner, Wahrheit 361, die Mythos-Theorie von R. Barthes referierend (357-362), demzufolge der Mythos als ein die Wirklichkeit entfremdendes und ihr gegenüber sekundäres System, geformt nach den Interessen einer bestimmten Gesellschaft, zu verstehen sei. Obwohl Hübner die Theorie Barthes' als verfehlt erweist, gewinnt er ihr doch Elemente zu einer Theorie politischer Pseudomythen ab, die zum Erfassen des wilhelminischen Herrscherbildes benutzt werden könnten. Brunner, Gottesgnadentum 134. Vgl. Rathenau, Kaiser 8f, der die Anhänglichkeit an den angestammten Herrn als Ausdruck des nationalen Charakters beschreibt, welcher den Herrscher als einen vom himmlischen Vater gegebenen irdischen Vater verehrt. Hier wird eine Struktur der wilhelminischen Epoche sichtbar, auf die neuerdings I.V.Hull, "Persönliches Regiment", in Röhl, Ort 3-23, 23, wieder hingewiesen hat und die zusätzlich deutlich macht, warum auch Dryander nach dem Zusammenbruch so vehement für die persönliche Integrität des Kaisers eingetreten ist: "Die persönliche Struktur der Macht im Kaiserreich bedeutete auch, daß politische Kritik persönlich verstanden wurde"; so gab es meist statt einer Kritik am System Kritik an Personen, d.h. politische Krisen offenbarten sich in Skandalen. Eine knappe und faire Charakterisierung nach Persönlichkeit und Stil bei Pezold, Cäsaromanie 101-119, hinsichtlich der Fragen nach der politischen Seite ebd. 213-238; geradezu klassisch ist die Skizze aus der Feder Bismarcks, die den letzten Hohenzollemkönig an seinen Ahnen mißt (Erinnerung 539-559, 642-665, bes. 642-650). Die Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Persönlichkeit Wilhelms II. und seiner geschichtlichen Wirkungen, die sich noch oder gerade wieder in den neuesten Versuchen zeigen (vgl. Röhl/Sombart, New Interpretations; Röhl, Ort; ders. Wilhelm II. Jugend; Wilderotter/Pohl, Der letzte Kaiser sowie die beiden biographischen Monographien von W.Gutsche, Wilhelm II. Der letzte Kaiser des Deutschen Reiches. Eine Biographie, Berlin 1991; ders., Ein Kaiser im Exil. Der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. in Holland - eine kritische Biographie, Marburg 1991) machte W.Goetz, Kaiser Wilhelm II. und die deutsche Geschichtsschreibung, HZ 179 (1955), 21-44, treffend und mittlerweile klassisch deutlich.

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sen positiv bejahend oder negativ kritisch als tatsächlicher Regierungsstil empfunden wurde, der die politischen und gesellschaftlichen Institutionen durchdrang, Erwartungen hervorrief und Verhaltensweisen beeinflußte. 32 So bildete das scheinbar starke, persönlich repräsentierte deutsche Kaisertum unter Wilhelm II. eine Scheinwelt mit enormen (nicht nur) politischen Auswirkungen aus. 33 Wie Borst an der Vereinnahmung des "Barbarossa"-Motivs eindrucksvoll zeigt, provozierte Wilhelm II. statt der Herauffuhrung einer erfüllten Gegenwart einen unmöglichen Spagat zwischen einer Rückkopplung an das Mittelalter und einem Aufbruch in eine imperiale Zukunft. Beides schlug fehl. Der Staatskult war religiös aufgeladen, und es wurde an Gedenktagen mit Pilgerzügen, Paraden, Festreden und Monumenten eine herrscherliche Größe zelebriert, "die ständig die Erinnerung an vergangene, den Glauben an künftige Großtaten wachrief[...] und die Misere der Gegenwart übertönte[...]". 34

5.2.1.2. Der religiöse Herrscher War die Darstellung bisher zwar auf die quasi sakrale Aura um die Kaiserwürde beschränkt, so klang darin jedoch immer schon die persönliche Religiosität Wilhelms II. mit an. Sie bildete vielleicht sogar das nötige innere Komplement der äußeren Seite angesichts der Tatsache, daß ein echt religiöser Monarch dem Charisma seines Amtes eine festere Grundlage geben konnte 35 . Die persönliche Religiosität kam bei vielen offiziellen Anlässen zum Ausdruck. So sah Wilhelm II. es als eine seiner herrscherlichen Pflichten an, das

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Hull, "Persönliches Regiment" 22. Hier gibt Hull einen instruktiven Uberblick über die Diskussion um diesen Begriff. Fehrenbach, Wandlungen 90ff; Goetz, Kaiser Wilhelm II. 36ff; F.Fischer, Kaiser Wilhelm II. und die Gestaltung der deutschen Politik vor 1914, in: Röhl, Ort 259-284, 284. Vgl. N.Elias, Studien über die Deutschen. Machtkämpfe und Habitusentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. M.Schröter, Frankfurt a.M. 1989, 77. A.Borst, Barbarossas Erwachen - Zur Geschichte der deutschen Identität, in: O.Marquard/K.Stierle (Hg.), Identität (Poetik und Hermeneutik, Bd. 8), München 1979, 17-60, bes. 52-58, 57. Vgl. dazu K.F.Werner, Hof, Kultur und Politik im 19. Jahrhundert. Vorbemerkung zu den Akten des Kolloquiums, in : ders., Hof, Kultur und Politik IX-XVIII: "In Deutschland ging Fürsten- und Gottesglaube [...] noch lange zusammen in die Tiefen der religiösen und moralischen Verantwortung des Einzelnen." (XV).

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christliche Bekenntnis zu vertreten und zu stützen - zumal er als preußischer König den Summepiskopat der preußischen Landeskirche innehatte -, da für ihn Religiosität ein notwendiges Element gesunden Volkslebens darstellte. 36 Trat Wilhelm II. bewußt als deutscher Kaiser auf, bemühte er sich, in kirchlichen Angelegenheiten die neutrale Linie einzuhalten, die er in seiner Thronantrittsrede vom 18. Juni 1888 vorgegeben hatte: nämlich "ein gerechter und milder Fürst zu sein, Frömmigkeit und Gottesfurcht zu pflegen" 37 . In ein politisches Programm umgesetzt, bedeutete dies, wie Wilhelm II. wenig später vor dem Reichstag ausführte, "im Anschluß an die Grundsätze der christlichen Sittenlehre" der Wohlfahrt und dem Frieden des Landes zu dienen.38 Wichtige Voraussetzungen dafür waren ihm dabei der konfessionelle Friede im Land sowie eine freie Ausübung des religiösen Bekenntnis39

ses. Zwar hatte sich ein sozialer Impetus bald sichtbar in den sogenannten Februarerlassen von 1890 niedergeschlagen, worin noch der Einfluß der konservativen christlich-sozialen Politik Stoeckers auf den Prinzen wie auch von seinem Erzieher und Berater Hinzpeter zu erkennen sein dürfte. Doch enttäuscht über ausbleibende Erfolge sowie unter den Einfluß konservativer Industrieller wie Stumm-Hallberg geraten, rückte Wilhelm II. bald wieder von dem sozialen Anliegen ab und belegte die christlich-soziale Politik mit einem Verdikt.40 Das Bemühen jedoch, die Folgen des Kulturkampfs abzubauen und auch das Prinzip des "suum cuique" sowie das Bekenntnis zur gemeinsamen christlichen Religion den Katholiken gegenüber zu betonen, sollte viele offizielle Auftritte des deutschen Kaisers durch seine Regierungszeit hindurch auszeichnen und es den deutschen Katholiken ermöglichen, sich als volle Reichsbürger anerkannt zu sehen.41 Dem dienten u.a. die Besuche Wil36 37 38 39 40

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Reventlow, Kaiser Wilhelm II. 49. Penzler/Krieger, Reden I, 10. Ebd. 13, vor dem Reichstag v. 25.6.1888. Ebd. 15f, Thronrede zur Eröffnung des preußischen Landtags v. 27.6.1888. Greschat, Stoecker 55f; Fischer, Protestantismus 509. Wilhelm II. hatte gehofft, über den christlich-sozialen Geist der Sozialdemokratie ihre Kraft nehmen und so den "Umsturz" überwinden zu können; so schon Baumgarten, Art. "Wilhelm II.", Sp. 2044. Wilhelm II., Ereignisse 175-178; Baumgarten, Art. "Wilhelm II.", Sp. 2054-2058; H.Rall, Zur persönlichen Religiosität Kaiser Wilhelms II. Das religiöse Glaubensbekenntnis des siebzigjährigen Deutschen Kaisers und Königs von Preußen Wilhelm II. 1929 an den katholischen Geschichtsprofessor Dr. Max Buchner, ZKG 95 (1984), 382394, 386f.

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helms II. bei Papst Leo XIII. (1889, 1893, 1903), zu dem Wilhelm II. ein beinahe "freundschaftliches Vertrauensverhältnis" empfunden haben wollte 42 . Leo habe die hohen religiösen Grundsätze seiner Regierungsart und die feste christliche Grundlage seiner Herrschaft derart anerkannt, daß er nicht anders gekonnt habe, "als den Segen des Himmels für mich, die Dynastie und das Deutsche Reich zu erflehen und seinen apostolischen Segen zu erteilen." Vielleicht ließen auch solcherlei Kontakte Gedanken an eine Renaissance der heiligen christlichen Allianz aufkommen, welche die Völker Europas und ihre heiligsten Güter gegen die aufkommende "gelbe Gefahr" schützen sollte. 43 Zentrales Symbol dieser Allianz war ihm der Erzengel Michael als Kämpfer gegen die Mächte der Finsternis.44 Seine Konkretion erhielt dieser Kampf 1897/98 im Zusammenhang der Annexion Kiautschous als Reaktion auf die Ermordung zweier Patres durch Mitglieder einer antimissionarischen chinesischen Geheimgesellschaft.45 Der primär außenpolitischen Aktion stellte Wilhelm II. eine weltanschaulich-christliche Dimension zur Seite. Denn die ermordeten Missionare, die, wie Wilhelm II. in Kiel bei der Entsendung der Flotte nach China ausführte, "unsere Religion auf fremdem Boden, bei fremdem Volke heimisch" machten, hätten sich unter seinen Schutz gestellt.46 Prinz Heinrich, Oberbefehlshaber der Flotte, brachte die Konnotationen des Unternehmens auf den Punkt, wenn er gegenüber der Weisung seines Bruders, mit gepanzerter Faust dreinzuschlagen, versicherte, "das Evangelium Eurer Majestät geheiligter Person im Auslande zu künden, zu predigen jedem, der es hören will, und auch denen, die es nicht hören wollen."47 In einem Telegramm an Bülow aus den ersten Januartagen stellte Wilhelm II. die militärische Reaktion unter die Parole "In hoc signo vinces!".48 Ähnliches ließe sich im Zusammenhang mit dem Boxeraufstand

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Wilhelm II., Ereignisse 176f; hier s.a. das Folgende. S. den Entwurf Wilhelms II. zu einer diesbezüglichen allegorischen Zeichnung von Knackfiiß (1895), die Wilhelm u.a. sogar dem Zaren zukommen ließ; Wilderotter/Pohl, Der letzte Kaiser 320f, Exponate 542f. Ebd. 310-312, Exponate 512-514; vgl. P.Paret, Die Berliner Secession. Moderne Kunst und ihre Feinde im Kaiserlichen Deutschland, Berlin 1981 (Harvard 1980), 42, 44f. Zu den Vorgängen H.Gründer, Christliche Mission und deutscher Imperialismus. Eine politische Geschichte ihrer Beziehungen während der deutschen Kolonialzeit (18841914) unter besonderer Berücksichtigung Afrikas und Chinas, Paderborn 1982, 276-286. Aus der Abschiedsrede an Prinz Heinrich in Kiel v. 15.12.1897, Penzler/Krieger, Reden II, 78. Penzler/Krieger, Reden II, 81. Bülow, Denkwürdigkeiten I, 210.

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von 1900 anführen. Auch hier wurde ein Wirtschaftskrieg zum Religionskrieg stilisiert, geführt zum Schutz von Zivilisation und Christentum. So jedenfalls deutete Wilhelm II. wenige Tage nach seiner Hunnenrede in einer Seepredigt die Amalekiterschlacht von Ex 17 allegorisch aus: Gott stehe hinter "dem Siegeszuge christlicher Sitte und christlichen Glaubens [... über den] heidnische^] Amalekitergeist [...] im fernen Asien"!49 Monarchisches Selbstbewußtsein und christliches Selbstverständnis gingen bei vielen Redeauftritten Wilhelms II. in eins und verdichteten sich zum Teil zu einem starken Sendungsbewußtsein von Person und Nation, ja gar zu dem Anspruch, als "Retter Europas" oder "arbiter mundi" Führer einer europäischen Allianz sein zu wollen.50 Es ist deutlich erkennbar, wieviel schwerer als sonst bei öffentlichen Personen die Person Wilhelms II. an sich von der Würde, die sie bekleidete, zu trennen ist.51 Dies zeigt einer Beschreibung der persönlich-religiösen Stellung von vornherein die Grenzen auf, zumal privat-persönliche Glaubensäußerungen nur vereinzelt greifbar sind und viele öffentliche Äußerungen oft durch äußere Umstände hervorgerufen oder beeinflußt waren und ihrerseits wieder auf eine öffentliche Wirkung abzielten.52 Untersucht und vergleicht man Äußerungen aus Reden und Predigten Wilhelms II. so stößt man allenthalben auf allgemein gehaltene Formeln, in deren Mitte fast immer das Bekenntnis zu dem "Einen, Einigen Gott"53 steht, der

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Wilhelm II., Seepredigt Sr. Majestät des Kaisers an Bord der "Hohenzollern", Sonntag, 29. Juli 1900, Berlin 1900, 1. Zu den Vorgängen in China s. Gründer, Christliche Mission 295-311. Penzler/Krieger, Reden I, 250 (v. 11.9.1893); Reden III, 242f (v. 22.3.1905); vgl. Fehrenbach, Wandlungen 158-170. Rathenau, Kaiser 18, beschreibt und erklärt dies so: "Thronbesteigung. Eintritt in die Weltgeschichte. Es gibt keinen Privatakt mehr, das Leben ist sakral, ein ununterbrochenes Schauspiel, Epopöe. Jedes Wort ist eine Gnade, ein Segen." Z.B. erkennbar bei den bes. spektakulären Ereignissen wie der 1888 eigens gegen den EOK durchgesetzten Berufung Hamacks nach Berlin oder durch den betont zur Veröffentlichung freigegebenen Brief an Admiral Hollmann im Zusammenhang des BabelBibel-Streites. Überhaupt bediente sich Wilhelm II., dem Zug der nach Öffentlichkeit strebenden Zeit folgend, gern der neuesten öffentlichen Medien für eine Selbstdarstellung in alle Schichten des Volkes hinein, was andererseits "zum Abbau des Numinosen und Geheimnisvollen der Kronen im Bewußtsein der Menschen" nicht wenig beitrug (H.Dollinger, Das Leitbild des Bürgerkönigtums in der europäischen Monarchie des 19. Jahrhunderts, in: Werner, Hof, Kultur u. Politik, 325-364, 337). Wilhelm II., Ereignisse 186.

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sich als "Gott in Menschengestalt", allein "aus Liebe veranlaßt"54, in der "alles überragende[n], gewaltige[n] Persönlichkeit Christi" offenbart habe. Zudem finden sich solche Formeln oft von Gedanken "halb liturgischen, halb homiletischen" Charakters umrankt und umgeben, so daß eine Entscheidung darüber schwer fallt, was "ganz persönlicher Auffassung des Kaisers und wieviel offiziell-kirchlicher Stil ist."55 Die Übergänge vom Reden- zum Andachtsstil Wilhelms II. waren fließend. Auch die Andachten waren in (militärischer) Knappheit gehalten und verbunden mit dem Streben nach Rhetorik und Pathos; theologisch komplexe Gedanken finden sich meist vereinfacht wiedergeben. Als Tenor und Ziel kristallisieren sich die Vermittlung von Gottesfurcht, Untertanentreue und Nächstenliebe heraus.56 Im Sinne dieser praktischen Ausrichtung ebnete Wilhelm II. dogmatische Differenzen mit seiner Mischung aus "persönlicher Frömmigkeit und konventioneller Moral" gar zu leicht ein.57 Auf dieser Ebene - und zusätzlich verstärkt durch sein Interesse an neuesten (archäologischen und theologischen) Erkenntnissen - wird man wohl die vieldiskutierte Görlitzer Rede vom 29. November 1902 verstehen müssen, in der Wilhelm II. nicht nur "Freiheit für das Denken" und "Freiheit für unsere wissenschaftliche Forschung" forderte, sondern auch einer vieldeutigen "Freiheit in der Weiterbildung der Religion" das Wort redete.58 Konfessionell sah Wilhelm II. sich fest auf protestantischem Boden verwurzelt. Den stärksten Ausdruck fand dies in der besonderen Betonung und Aneignung seiner summepiskopalen Verantwortung auf dem Boden der preußischen Union, wie den kirchenpolitischen Leitlinien an Barkhausen zu entnehmen war. Wie gezeigt, bewies Wilhelm II. ein großes Interesse an den inneren Angelegenheiten seiner Kirche und gab hinsichtlich des Kirchbaus 54

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Brief des Ex-Kaisers an den katholischen Historiker Max Buchner v. 11.2.1929. Wilhelm reagierte dankbar auf eine seine Weltanschauung betreffende Veröffentlichung Buchners und fugte ein persönliches Bekenntnis bei (Rail, Religiosität 387-389, 388). Baumgarten, Art. "Wilhelm II.", Sp. 2046. Die Sphäre der Andachten und Predigten Wilhelms kann man mit Rathenau, Kaiser 45, als "dynastische[...] Kirchlichkeit, die auf einen vernünftigen, geregelten Gottesverkehr hinausläuft", beschreiben. Chr.Simon, Kaiser Wilhelm II. und die deutsche Wissenschaft, in: Röhl, Ort 91-110, 104f. Penzler/Krieger, Reden III, 138ff; mit der sogenannten "Weiterbildung der Religion" übernahm Wilhelm II. eine Formel H.St. Chamberlains, dessen wachsender Einfluß hier spürbar wurde, s. Chamberlain an Wilhelm II. v. 20.2.1902 (H.St.Chamberlain, Briefwechsel mit Kaiser Wilhelm II., in: Briefe 1882-1924 und Briefwechsel mit Kaiser Wilhelm II., Bd. 2, München 1928, 129-275, 160) und Wilhelm II. an Chamberlain ν. 21.12.1902 (ebd. 165f).

5.2. Im Sog des Hofes - Dryander und der Königsmechanismus

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und ganz besonders zu den Bemühungen um einen Zusammenschluß der deutschen evangelischen Landeskirchen wichtige Anstöße59 - allerdings mit dem von der Kirchenleitung im wesentlichen anerkannten Bemühen, sich unmittelbarer Eingriffe in die Kirchenpolitik zu enthalten. Der königlichpreußische Hof war protestantisch geprägt, auch die Erweiterung zum kaiserlichen Hof schien dem keinen Abbruch getan zu haben. Das hohenzollernsche Hausgesetz und sein Ausleger wie Hüter waren hier unerbittlich protestantisch. War doch z.B. neben der Standesgemäßheit auch die richtige Konfession entscheidendes Kriterium für die Ermöglichung einer anerkannten Eheschließung königlich-preußischer Hof- und Familienmitglieder.60 Wilhelm II. ist von Georg Ernst Hinzpeter mit äußerster Strenge calvinistisch-reformiert erzogen worden. Doch scheint in der religiösen Erziehung mit Rücksprache bei den 'liberal' gesinnten Eltern ein freierer Geist gewirkt zu haben, wenn Wilhelm II. dankbar schildern konnte, mit der Bibel "unter Beiseitestellung dogmatisch-polemischer Fragen" aufgewachsen zu sein. Diesen Geist scheint er dann in Bonn bei Dryander wiedergefunden zu haben.61 Geprägt und beeinflußt haben Wilhelm II. zudem die orthodoxfromme Art seines Großvaters sowie der strenge Pietismus seiner Frau Auguste Viktoria.62 Gemeinsam geriet das Prinzenehepaar durch das Interesse an der Inneren Mission in den Bannkreis Stoeckers. Während seiner Regierungszeit wurden neben Dryander von 1901 an vor allem Harnack und Chamberlain über ein Jahrzehnt lang wichtige Ratgeber und Ansprechpartner Wilhelms II. Allein diese drei Namen stehen fur die Weite weltanschaulich-

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Wilhelm II., Ereignisse 179; Baumgarten, Art. "Wilhelm II.", Sp. 2052-2054; Rail, Religiosität 385. Gegen dieses Prinzip verstoßende Ehepaare bekamen den Unwillen, die Ungnade, j a sogar den Zorn Wilhelms II. zu spüren: So mußte der Kronprinz von einer "morganatischen" Verbindung absehen, so benannte Wilhelm II. eine zum Katholizismus übergetretene Tante als "Renegatin" und so verweigerte er seiner Schwester Sophie, der zur orthodoxen Konfession konvertierten Kronprinzessin Griechenlands, in erstem Zorn für immer den Zutritt nach Deutschland. Vgl. Röhl, Hof und Hofgesellschaft 277-280; M.Buchner, Kaiser Wilhelm II., seine Weltanschauung und die deutschen Katholiken, Leipzig 1929, 39ff. Wilhelm II., Ereignisse 180; ders., Aus meinem Leben. 1859-1888, 26ff; vgl. Baumgarten, Art. "Wilhelm II.", Sp. 2043f; Buchner, Kaiser Wilhelm II. 22-24. Hull, Entourage 18f, zeichnet ein wohl etwas einseitiges Bild der Kaiserin: Orthodoxprotestantisch geprägt, sei sie intolerant und ängstlich gewesen, was sich u.a. in Fremdenhaß (auch gegen Katholiken und Juden) niedergeschlagen habe. Vielseitige Interessen habe man ihr nicht nachsagen können: "religion was her one passion and Wilhelm and her seven children the other".

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5. In der Nähe des Thrones

religiöser und theologischer Richtungen, die Wilhelm II. in sich aufzusaugen versuchte.

5.2.1.3. Ausblick auf den germanischen Kreuzzug St. Michaels Eine besondere, aber aussagekräftige Nuance wilhelminischer Religiosität war die Affinität zu weltanschaulichen Charakter tragenden kulturhistorischen Forschungen.63 Diese Tendenz verstärkte sich nach der Jahrhundertwende durch den Einfluß Chamberlains und schwoll bis zum Ende des Krieges und vor allem im Exil von einer religiös-weltanschaulichen Nebenströmung zu einem wesentlichen Faktor des Weltbildes Wilhelms II. an.64 Wilhelm II. wurde zu einem der begeistertsten Leser der Gedanken Chamberlains, der sich 1899 mit den "Grundlagen des 19. Jahrhunderts" einen Namen gemacht hatte. Hierin hatte dieser, dem Geist von Bayreuth gewidmet65, eine Untersuchung über gesellschaftliche Prozesse und geistige Überlieferungen des vergehenden Jahrhunderts an deren angeblich rassemäßig unterscheidbaren Trägern vorgelegt.66 In der Konsequenz dieser Studien erklärte Chamberlain das Germanische zum Protagonisten der neueren Weltgeschichte, vorausgesetzt, es könne sich als Rasse rein erhalten und dem alles zersetzenden Chaos mit dem daraus resultierenden Untergang - analog dem

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Dies kam im Exil deutlich zum Ausdruck mit der Gründung der sogenannten Doorner Arbeits-Gemeinschaft (1927-1938) um den 'Kulturmorphologen' Leo Frobenius. Hier konnte der Ex-Kaiser seiner Leidenschaft freien Lauf lassen, Fragen zu erörtern, "die der Projektion seines Weltbildes, seiner Herrschafts- und Königsvorstellungen, seines Verständnisses vom Wesen der Kultur und von Weltreichen" dienten (Gutsche, Kaiser 70, im treffend benannten Kapitel "Archäologischer Zeitvertreib und weltanschauliche Meditationen"). H.Wilderotter, Zur politischen Mythologie des Exils. Wilhelm II., Leo Frobenius und die "Doorner Arbeits-Gemeinschaft", in: Wilderotter/Pohl, Der letzte Kaiser, 131-142, 133, betont zurecht, wie sehr die D.A.G. "monarchistische Propaganda im Inkognito historischer Abhandlungen betrieb[...], [...] die zum Typus der 'Predigt vor Gläubigen' gehört". Die inhaltliche Bedeutung dieses Einflusses dürfte der Öffentlichkeit erst in dem 1928 herausgegebenen Briefwechsel zwischen Chamberlain und Wilhelm II. bekannt geworden sein. Zu diesem Geist und seinen komplizierten Verflechtungen s. H.Zelinsky, Kaiser Wilhelm II., die Werk-Idee Richard Wagners und der "Weltkampf', in Röhl, Ort 297-356; zum Verhältnis Chamberlains zu Wilhelm II. bes. 301-305. Vgl. G.-K.Kaltenbrunner, Houston Stewart Chamberlain, in: ders., Europa - Seine geistigen Quellen in Porträts aus zwei Jahrtausenden, Bd. 1, Heroldsberg b. Nürnberg 1981, 321-334.

5.2. Im Sog des Hofes - Dryander und der Königsmechanismus

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Imperium Romanum - entgehen. Dies bedeute "Kampf gegen das zerfressende Gift des Judentums, [...] gegen den Ultramontanismus, gegen den Materialismus"67. Chamberlain gab sich überzeugt, "daß das moralische und geistige Heil der Menschheit von dem abhängt, was wir das Deutsche nennen können."68 Ein dankbarer Wilhelm II. zeigte sich erlöst aus einem unbewußten Ringen um das in ihm schlummernde "Urarisch-Germanische": "Da kommen Sie, mit einem Zauberschlage bringen Sie Ordnung in den Wirrwarr, Licht in die Dunkelheit; Ziele [...], Wege, die verfolgt werden sollen zum Heil der Deutschen und damit zum Heil der Menschheit." 6 '

Im festen Glauben, daß Gott ihm diesen Sänger des Hohelieds vom Deutschen gesandt habe, schloß Wilhelm II. seinen Dankesbrief mit Segenswünschen für das neue Jahr: "meinem Streitkumpan und Bundesgenossen im Kampf für Germanen gegen Rom, Jerusalem usw. Das Gefühl für eine absolut gute, göttliche Sache zu streiten gibt die 70

Gewähr des Sieges!".

Wie der sich im Laufe der Jahre entwickelnde Briefwechsel belegen kann, bekamen die Ansichten Chamberlains immer größeres Gewicht für die Anschauungen des Kaisers. Und so stützte sich Wilhelm II. nicht nur in der erwähnten Görlitzer Rede auf einen Brief Chamberlains; auch der HollmannBrief ist bei näherer Durchsicht so stark von Chamberlain angeregt, daß Wilhelm II. ihn in diesem Zusammenhang sogar "meinen geistigen Geburtshelfer" nennen konnte.71 Diese geistige Hilfe hat in der Tat dazu geführt, daß Wilhelm II. im Laufe der Jahre zunehmend einer "Weiterbildung der Religion" in dem Sinne Chamberlains das Wort geredet hat, die das Alte Testament als für die christliche Glaubensauffassung irrelevant erklärte72 n7 68 69 70 71 72

Chamberlain an Wilhelm II. v. 15.11.1901, seine Uberzeugungen nach einem ersten Treffen Ende Oktober darlegend, Chamberlain, Briefwechsel 132-141, 138. Ebd. 137; vgl. 158, 161 (v. 20.2.1902), 170, 175 (v. 4.2.1903). Wilhelm II. an Chamberlain ν. 31.12.1901, ebd. 141-144, 142. Ebd. 143. Wilhelm II. an Chamberlain ν. 16.2.1903, ebd. 188-192, 189. "Ja, das Alte Testament! Und gar die Genesis! Ei! Ei!" (an Chamberlain v. 21.12.1902, ebd. 166). Ist hier aber noch die 'hermeneutische' Absicht leitend, das Alte Testament von Christus her "rückwärts zu konstruieren" und so für den Glauben zu bewahren, so trat dieses Anliegen im Exil unter der Theorie einer von den Juden gegen ihn angezettelten Weltverschwörung und unter dem Eindruck von Chamberlains "Mensch und Gott" völlig zurück: "Ihr Buch ist von Gott inspiriert! Eine Luthertat, es ist die ersehnte neue Reformation" (an Chamberlain ν. 21.11.1921, ebd. 260). Die Kirche müsse endlich mit dem Alten brechen, vor allem "mit dem Glauben, der Jahwe der Juden sei unser Herrgott" (an Chamberlain ν. 12.3. 1923, ebd. 267).

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5. In der Nähe des Thrones

und im Exil in den Ruf "Fort mit Jahwe!" mündete73. Eine Weiterbildung, die den Ex-Kaiser in eine verhängnisvolle Spur führte: 74 "Unsere Kirche muß deutsch, germanisch werden!"

Noch in anderer Hinsicht war die geistige Hilfe Chamberlains wirksam, so daß Wilhelm II. in der neuesten Arbeit zu diesem Themenkreis sogar als "das wichtigste, weil machtvollste und einflußreichste Bindeglied zwischen Wagner [dessen Werkidee Chamberlain sich verpflichtet fühlte] und Hitler betrachtet werden" kann.75 Durch den von Chamberlain gestützten Glauben an eine Heilsrolle Deutschlands in der Weltgeschichte geriet der entfachte Weltkrieg in den Vorstellungen Wilhelms II. zu einem entscheidenden Weltanschauungskampf "der germanisch-deutschen [Weltanschauung] für Sitte, Recht, Treue und Glauben, wahre Humanität, Wahrheit und echte Freiheit, gegen [...] Mammonsdienst, Geldmacht, Genuß, Landgier, Lüge, Verrat und Trug [...], eine muß siegen, die andere muß untergehen! [...] Jetzt wird es dem deutschen Michel mit einemmal klar, daß der Kampf für ihn zum Kreuzzug geworden und daß er jetzt St. Michael geworden ist".76 Oder - noch im Taumel der Anfangserfolge formuliert: "Es ist meine feste Überzeugung, daß das Land, dem Gott Luther, Goethe, Bach, Wagner, Moltke, Bismarck und meinen Großvater schenkte, noch zu großen Dingen berufen ist, zum Segen der Menschheit zu wirken. Gott hat uns in harter Schule

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Wilhelm II. an Chamberlain v. 12.3.1923, ebd. 273. Das Gesetz des Judentums stünde im Gegensatz zum Christentum; nicht die Juden, sondern Zoroaster und der Parsismus seien die religiösen Vorläufer des Christentums, da der Monotheismus doch erst über das babylonische Exil in das Alte Testament gelangt sei. Daher müsse die Bibel reformiert, d.h. auf Christus konzentriert werden (Ebd. 269f). Dieser sei seiner (und Chamberlains) Meinung nach kein Jude gewesen (Wilhelm II. an Chamberlain ν. 3.4.1923, ebd. 273; Chamberlain an Wilhelm II. v. 20.2.1902, ebd. 154: "Kant wußte, was ich weiß, daß die Religion, die für die Juden paßte, nicht für uns Arier paßt, und er wußte, daß sie im Widerstreit steht mit dem, was Christus - der Nichtjude - lehrte."). Aus dem Alten Testament seien alle rein historischen Bücher auszuscheiden, da sie "in den Geschichtsunterricht, nicht in ein deutsch-protestantisches Religionsbuch" gehörten (v. 12.3.1923, ebd. 273).

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Wilhelm II. an Chamberlain ν. 3.6.1923, ebd. 275, aus dem Zusammenhang einer Erörterung des dogmatischen Streites um die Einsetzungsworte zum Abendmahl - den Wilhelm II. für erledigt und hinfällig erachtete, ohne ihn allerdings theologisch hinreichend durchdrungen zu haben. Zelinsky, Wilhelm II. 302. Zu Wagner selbst s. Th.Schieder, Richard Wagner, das Reich und die Deutschen. Nach den Tagebüchern Cosima Wagners, in: Staat und Gesellschaft im politischen Wandel. Beiträge zur Geschichte der modernen Welt (Festschrift W.Bussmann), hg. v. W.Pöls, Stuttgart 1979, 360-382, 373f, 3 7 9 f . Wilhelm II. an Chamberlain ν. 15.1.1917, Chamberlain, Briefwechsel 250f.

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5.2. Im Sog des Hofes - Dryander und der Königsmechanismus

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wieder auf den Weg gewiesen, [...] um als Sein Werkzeug zur Rettung der Menschheit 77 wieder besser zu dienen".

All dieses in Betracht gezogen, ist es zwar erschreckend78, kann aber nicht völlig überraschen, Wilhelm II. nach dem Zusammenbruch Weltverschwörungstheorien entwickeln zu sehen, worin er Freimaurer, Jesuiten und besonders die Juden als Treiber anklagte. "Die tiefste, gemeinste Schande, die je ein Volk in der Geschichte fertiggebracht, die Deutschen haben sie verübt an sich selbst. Angehetzt und verführt durch den ihnen verhaßten Stamm Juda, der Gastrecht bei ihnen genoß! Das war sein Dank! Kein Deutscher vergesse das je, und ruhe nicht, bis nicht diese Schmarotzer vom Deutschen Boden vertilgt und ausgerottet sind! Dieser Giftpilz am Deutschen Eichbaum!"79

5.2.2. Die Welt des Hofes Angesichts der im 19. Jahrhundert erfolgten Lockerung zwischen Staat und Dynastie, angesichts der gewachsenen Bedeutung von Parteien, Parlamenten und der Presse und des damit einhergegangenen Verlustes der ehemaligen Monopolstellung des absolutistischen Hofes in politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Hinsichten mag die Feststellung wohl erstaunlich klingen, daß Hof und Hofgesellschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre Bedeutung noch einmal steigern, ja eine wahre Spätblüte erleben konnten.80 Neben der wirtschaftlichen Expansion, dem modernen technischen Fortschritt sowie den ausgefeilten bürokratischen und militärischen Institutionen zählte der ausgeprägte Hofstil wohl zu den Charakteristika der wilhelminischen Ära. Vielleicht machte die scheinbar widersprüchliche Verbindung all dieser

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Telegramm v. 25.11.1914 an Chamberlain, ebd. 244. In dem ersten Teil der Biographie Röhls über Wilhelm II. kann man den Anfang dieser Entwicklung erahnen. War der erste Freund des Prinzen sein jüdischer Mitschüler Siegfried Sommer 1874 in Kassel (ebd. 233), so ließen die Kontakte Wilhelms und Viktorias zu Waldersee und Stoecker antijüdische Züge wach werden. Mit dem brieflichen Eintreten für Stoecker 1885 bei seinem kaiserlichen Großvater stand Wilhelm auch in der Stellung zu den Juden in großem Gegensatz zu seinem Vater, der 1880 in der Zeit beginnender Judenhetze in Berlin ostentativ als Kronprinz die Synagoge besuchte (ebd. 412-422). S.a. ders., Wilhelm II.: "Das Beste waere Gas!", Die Zeit, Nr. 48 v. 25.11.1994, 13f. An den Generalfeldmarschall von Mackensen vom 2.12.1919, zit. n. Röhl, Kaiser, Hof und Staat (Charakterskizze), 22. Vgl. K.F.Werner, Fürst und Hof im 19. Jahrhundert: Abgesang oder Spätblüte?, in: ders., Hof, Kultur u. Politik, 1-53, 48ff.

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5. In der Nähe des Thrones

Elemente sogar das Kennzeichen dieser Epoche aus. Der Hof jedenfalls war aus dieser Zeit nicht wegzudenken. Sozusagen quantitativ läßt sich die Bedeutung des preußisch-deutschen Hofes an der Höhe der Staatsbewilligungen für den Hofetat ablesen, die sich stets parallel zum preußischen Staatshaushalt steigerten - für das Jahr 1910 bedeutete dies 19,2 Millionen Mark (zuzüglich 3 Millionen für den kaiserlichen Dispositionsfonds) von 798 Millionen Mark des Staatsetats.81 Die qualitative Bedeutung des Hofes läßt sich ermessen, wenn man sich klarmacht, wie sehr die höfische Gesellschaft, die sich um den Hof gruppierte, "das am höchsten rangierende Integrationszentrum"82 nicht nur der preußischen Oberschicht, vorwiegend rekrutiert aus Militär und Adel, sondern die repräsentative Mitte ganz Deutschlands bildete. Denn mit dem Aufstieg Berlins zur Hauptstadt des Deutschen Reiches erweiterte sich zwangsläufig auch die Hofgesellschaft. Doch der Stil des Hofes blieb unter Wilhelm I. zunächst preußisch bescheiden und paßte sich dem zeitgemäßen Typ einer bürgerlichen Monarchie an. So spielte der Hof gegenüber den Säulen des Staates, der Verwaltung und dem Militär, eine nur untergeordnete Rolle und wurde von ihnen geprägt.83 Bezeichnend ist, daß von keinem Herrscher der Hohenzollern so viele Schreibtischbilder überliefert sind wie von Wilhelm I., der einen großen Teil seiner Popularität der schlichten und pflichtbewußten Verkörperung eines frommen und unermüdlich für das Wohl des Volkes tätigen Herrschers verdankte.84 Prägte zu einem großen Teil der Herrscher als dessen Zentrum den Stil des Hofes, so nimmt es angesichts des skizzierten herrscherlichen Selbstbewußtseins nicht wunder, daß der eigentlich königlich-preußische Hof unter Wilhelm II. "anspruchsvoll zum deutschen Kaiserhofe umstilisiert" wurde85. Zeremoniell und Etikette auf höfischen Festen, Kultur und Ar-

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So Röhl, Hof und Hofgesellschaft 240-250, wobei die angegebenen Zahlen unscharf sind, fanden doch z.B. die Geheimen Kabinette und das militärische Gefolge hier keinen Niederschlag. Elias, Studien 75. K.Hammer, Die preußischen Könige und Königinnen im 19. Jahrhundert und ihr Hof, in: Werner, Hof, Kultur und Politik, 87-98, 93-97(98). Interessant ist ein Blick auf die Wohnungen der jeweiligen Monarchen. Anders als seine Vorgänger sah Wilhelm I. keine Veranlaßung zur Einrichtung einer neuen Residenz oder zum Bau eines Schlosses; H.Börsch-Supan, Wohnungen preußischer Könige im 19. Jahrhundert, in: Werner, a.a.O., 99-120, 110. K.-D.Pohl, Das "Allerheiligste". Anmerkungen zu den Arbeitszimmern der Hohenzollern, in: Wilde-rotter/Pohl, Der letzte Kaiser, 123-130, 125f. Hammer, preußische Könige 98.

5.2. Im Sog des Hofes - Dryander und der Königsmechanismus

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chitektur sowie die Person des Kaisers selbst wurden in dieser Absicht so sehr in Szene gesetzt, daß die höfische Welt in neuem Glanz erstrahlte. War dem Hof seit jeher schon die Rolle zugefallen, herrschaftlich-dynastische Macht konkurrierenden Mächten, den Untertanen und der Hofgesellschaft als zu beeindruckendem Publikum gegenüber glanzvoll und symbolhaft darzustellen, so wurde dem noch jungen Kaiserhof vor allem die Aufgabe in die Wiege gelegt, eine integrative Funktion im Innern auszuüben und die Einheit der deutschen Nation zu repräsentieren.86 Der Versuch, diese Aufgabe zu lösen, lief bei Wilhelm II. - wie gezeigt - auf eine Charismatisierung seiner Person und seines Amtes hinaus, wobei er nicht nur durch die vielen Reisen, Reden und Paraden, sondern auch mittels neuer technischer Massenmedien wie z.B. der Photographie zu einem Nationalsymbol mit quasi ubiquitärem Charakter wurde.87 Am Hof wurde dies unter gewaltigem und glänzendem Aufwand demonstrativ zur Schau gestellt. Der dynastische Kult wurde mit einer wirkungsvollen Mischung aus Traditionalismus und Militarismus gefördert.88 Auch wenn der Hof einem Monarchen am Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr in absolutistischer Manier als unmittelbares Herrschaftsinstrument zur Erweiterung und Befestigung seiner Macht durch die soziale und wirtschaftliche Bindung des Adels an den Hof dienen konnte, die dem zugrunde liegende, von Elias als "Königsmechanismus" bezeichnete Dynamik funktionierte allerdings noch immer. Denn die Hofgesellschaft und die gesamte Oberschicht, die sich um den König und seine Familie gruppierten, bildeten eine aus Tausenden von Menschen bestehende soziale Figuration, eine durch feste Rangordnung, Etikette und Zeremoniell untereinander verbundene, voneinander abhängige und miteinander konkurrierende Gesellschaft.89 Das die

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Röhl, Hof und Hofgesellschaft 285-288; I.V.Hull, Der kaiserliche Hof als Herrschaftsinstrument, in: Wilderotter/Pohl, Der letzte Kaiser, 19-30, 26-29. S. K.-D.Pohl, Der Kaiser im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Wilhelm II. in Fotographie und Film, in: Wilderotter/Pohl, Der letzte Kaiser 9-18. Hull, Der kaiserliche Hof 28. Der moderne Zug Wilhelms II. machte sich am Hof kaum bemerkbar. Wilhelm II. trug fast immer Uniform, auch die Hofämter waren zu einem großen Teil mit Miltärs besetzt. Der Versuch, alte Traditionen wiederherzustellen, zeigte sich u.a. in Einfuhrung alter Uniformen und Hoffeste. S. bes. Elias, Die höfische Gesellschaft l l f , 41-46, Vgl. Vierhaus, Einleitung zu: Spitzemberg, Tagebuch, 7-37, bes. 14-19. Der Begriff "Königsmechanismus" wurde bes. in den Arbeiten Röhls aufgenommen und fruchtbar gemacht. Die bis vor kurzem neueste Biographie über Wilhelm II. von Gutsche, noch den alten marxistisch-leninistischen Klassenkampfideen und Terminologien verhaftet, kritisiert diesen Begriff, da er die

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5. In der Nähe des Thrones

höfische Gesellschaft bestimmende Prinzip war die "Nähe zum Thron" oder die "Gunst des Königs", was den Nährboden für unter der Parole "Byzantinismus" kritisierte Schmeicheleien um die Gunst oder den Einfluß beim Monarchen bildete.90 Etikette und Zeremoniell erhielten so den tieferen Zweck als Regulations-, Sicherungs- und Überwachungsapparatur, in die der König mittels Ordensverleihungen oder Nobilitierungen stets eingreifen konnte.91 Beobachtet man die konkreten Ausformungen der höfischen Lebensweise, die sich zu bestimmten Anlässen wie Gedenk- und Feiertagen, Kaisergeburtstagen, Ordensfesten, Staatsbesuchen, Hofbällen, Hochzeiten und dergleichen äußerten92, so kommt die Inszenierung von Zeremoniell und Etikette fast immer einer Liturgie gleich, an der die Rangordnung in den königlichen Gunstbeweisen abgelesen und zugleich bewertet werden konnte93. Die Differenzierung war fein, und auf die Einhaltung des in seiner Grundordnung militärischen Hof-Rang-Reglements mit seinen 62 Rangstufen wurde streng geachtet. Aus der Zusammensetzung der Rangordnung wird ersichtlich, wie sich nicht nur die gesellschaftliche, sondern auch die politisch-staatliche Sphäre in den höfischen Rhythmus und unter die von der Hofregie organisierte monarchische Repräsentanz begab.94 Zur höfischen Gesellschaft gehörte, wer im weiteren Sinn hoffähig war. Dies meint nicht nur die königliche Familie nebst den Inhabern der Hausämter und die Mitglieder oder Amtsträger des mit ca. 3500 Personen umfangreichen wie komplexen Hofstaates (von den technisch-organisatorischen bis zu den Ehrenämtern), meint nicht nur die preußischen Besonderheiten des

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gesamtgesellschaftlichen Strukturen verharmlose, und möchte stattdessen von einem "Korruptionsmechanismus" sprechen (Wilhelm II. 52). Elias, Die höfische Gesellschaft 110; Kruedener, Rolle 57f. Elias, Die höfische Gesellschaft 197. Wilhelm II. verlieh in seiner Regentschaft über 800 Adelsprädikate; s. A.J.Mayer, Adelsmacht und Bürgertum. Die Krise der europäischen Gesellschaft 1848-1918, München 1988 (Princeton - New York 1981), 98. Neben einer Vielzahl von Tagebüchern und Memoiren unübertrefflich: die von F.v.Zobeltitz im Zeitraum von 1894-1914 verfaßten und später eigens zu einer Chronik zusammengestellten Zeitungsberichte über das Hofleben für den Gesellschaftsteil der "Hamburger Nachrichten": Chronik der Gesellschaft unter dem letzten Kaiserreich, Bd. 1: 1894-1901, Bd. 2: 1902-1914, Hamburg 1922. Vgl. Kruedener, Rolle 62; Mayer, Adelsmacht 135. Röhl, Hof und Hofgesellschaft 262-264, einschließlich einer Auflistung des Hof-RangReglements v. 19.1.1878. Die enge Verzahnung von Gesellschaft, Staat und Hof vermag bes. das jährliche erscheinende "Handbuch über den königlich-preußischen Hof und Staat" mit der Auflistung aller wichtigen Ämter und Daten dieser beiden Bereiche aufzuzeigen.

5.2. Im Sog des Hofes - Dryander und der Königsmechanismus

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militärischen Gefolges (General- und Flügeladjudanten) sowie der - höchst einflußreichen - Geheimen Zivil- und Militärkabinette. Hoffähig waren weiterhin hohe Staatsbeamte, Militär- und Kirchenvertreter, Mitglieder von Stand und Träger höchster Orden.95 Hoffähig waren aber auch Personen, "die regelmäßig oder von Zeit zu Zeit zu Hofe befohlen wurden oder die nach Abgabe ihrer Visitenkarte beim kaiserlichen Zeremonienmeister und nach sorgfaltiger Prüfung [...] zugelassen wurden".96 Diese große, aber exklusive Weite der Hofgesellschaft trug dazu bei, daß vor allem das Großbürgertum eine Affinität zum Hof suchte und Elemente des aristokratischen Verhaltens- und Empfindenskanons übernahm, was wiederum den Adel stärkte.97 Kern des Hofes war die begrenzte Umgebung um Wilhelm II., die in besonderer Weise das Milieu des Hofes mitbestimmte und über dunkle, unkontrollierbare Wege einflußreich war. Neben familiären Mitgliedern und Personen, die offizielle Ämter in der Nähe des Kaisers bekleideten (z.B. Hofmarschall, Kabinettchefs, Adjudanten, Leibärzte und Hofprediger), ist hier auch an intime Freunde und periodische Reisebegleiter zu denken.98 Gerade in dieser Umgebung machte sich das Prinzip des Allerhöchsten Vertrauens in seiner Ambivalenz bemerkbar. Im zum Teil heftig rivalisierenden Werben um die Gunst des Kaisers waren die Grenzen zwischen persönlich überzeugter Loyalität und schmeichelnder Servilität fließend. Haftete diese Gefahr zwar jeder auf persönlicher Loyalität fußenden Monarchie an, so boten Charakter und Stil Wilhelms II. durch Überheblichkeiten und Eitelkeit, Kritikunfahigkeit und Bewunderungsbedürfnis dem Opportunismus bzw. Byzantinismus Tor und Tür.99 Devotion, ja "orientalische Unterwürfigkeit"100 nach dem

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Vgl. Handbuch Hof und Staat (1900) 1-52; kommentiert von Röhl, Hof und Hofgesellschaft 250-261. Elias, Studien 75 (Anm. 19). Ebd. 83-85; Mayer, Adelsmacht 15-20; Pezold, Cäsaromanie 40. ' Hull, Entourage 9f; eigenartig war, daß Wilhelm II. sich auf seinen Reisen, die doch oft eine Art Flucht vor dem Hofrhythmus und der Schreibtischarbeit darstellten, mit denselben Hofleuten umgab (dies., Der kaiserliche Hof 24). Pezold, Cäsaromanie 155, nimmt die Einschätzung des jungen de Gaulle als repräsentativ auf, der am Beispiel BethmannHollwegs den von Wilhelm II. bevorzugten Typos beschrieb als "maßvoll, ohne Schwäche, arbeitsam, ohne sich in den Vordergrund zu drängen, respektvoll, ohne Servilität". In seinem mutigen Buch "Kaiser Wilhelm II. und die Byzantiner" von 1906 gab Reventlow zunächst eine allgemeine Beschreibung vom Wesen des Byzantinismus als "krankhaftes Verhältnis zwischen Fürst und Volk", worin der Schmeichler "als eigentlicher Krankheitserreger [...] anzusehen" ist (3). Pezold, Cäsaromanie 148.

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5. In der Nähe des Thrones

Prinzip "Hauptsache ist, daß es dem Kaiser gefallt"101, und die Furcht, durch Kritik aus der Umgebung verstoßen, entlassen oder versetzt zu werden, nahmen zum Teil groteske Züge an. Pezold sieht eine verhängnisvolle Folge darin, daß "Wilhelm II. [...] von einer beinahe unüberwindbaren Schutzmauer byzantinistischer Höflinge und Beamten umgeben [war], die ihn konsequent gegen die Außenwelt abschirmten und sich in ihrer devoten Proskynese zu perfekten Ja-Sagern entwickelt hatten und so das 'patriarchalisch-autokratische Wesen' des Kaisers ermutigten".102 Einen wichtigen und nicht zu unterschätzenden Einfluß hatte der Typus von Presse und Literatur, der dem öffentlichen Interesse und seiner Neugier nachgab und das Leben am und um den Hof mit rührend-patriotischem Pathos fast pausenlos veröffentlichte103. Dies bekommt ein eigenes Gewicht, wenn man berücksichtigt, daß Wilhelm II., von einer sehr ausgeprägten Antipathie der Presse gegenüber eingenommen, fast ganz - bis auf den "Berliner Lokalanzeiger", der dem obigen Typus entsprach - auf eine eigene Zeitungslektüre verzichtet haben soll und sich auf vorbereitete und ausgewählte Vorlagen und Berichte der jeweiligen Ressorts verließ.104 Eine Tatsache, die den Kaiser nach dem Sturz des Reichskanzlers Bülow, dem Exponenten des "institutionalisierten persönlichen Regiments im guten Sinn", unter den verstärkten Einfluß des Militärs und der Hofkamarilla geraten ließ.105 Zusammenfassend wird deutlich, wie die von Wilhelm II. immer präziser und luxuriöser ausgestattete Selbstdarstellung seiner Würde und Größe im

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R. Graf Zedlitz-Trützschler, Zwölf Jahre am deutschen Kaiserhof. Aufzeichnungen, Stuttgart M16 1924, 44. Pezold, Cäsaromanie, 142-177, 157. Interessant ist ein Brief Schreibers, des Direktors der Deutschen Evangelischen Missions-Hilfe, an Dryander v. 30.9.1914, worin er Dryander mit der Bitte um eine Veröffentlichung einer Notiz der Oberhofmeisterin der Kronprinzessin von Alvensleben betreffend den Losungsgebrauch im EPD anging. Denn: "Diese Bestätigung der hohen Wertschätzung, deren die Losungen der Brüdergemeinde in den führenden Kreisen unseres Volkes sich erfreut, würde weite Kreise des Volkes interessieren". In seiner umgehenden Antwort v. 1.10.1914 zeigte Dryander zwar Verständnis für dieses Anliegen, verwies aber auf die für diese Bitte eigentlich zuständige Person, nämlich die Oberhofmeisterin von Alvensleben selbst (EMW 158, nicht pag.). Reventlow, Kaiser Wilhelm II. 127-139; Pezold, Cäsaromanie 158-172, und Dollinger, Leitbild 336f. Röhl, Hof und Hofgesellschaft 239; ders., "Königsmechanismus" 563.

5.2. Im Sog des Hofes - Dryander und der Königsmechanismus

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höfischen Zeremoniell eine Distanz zur Wirklichkeit mit sich brachte106 und wie auch die Struktur der höfischen Umgebung jede Form der Aufklärung erschweren mußte107.

5.2.3. " ... Euer Kaiserlichen Majestät allerunterthänigster Diener" 5.2.3.1. Verhältnis zu Wilhelm II. Im Rückblick aus dem Exil 108 beschrieb der Ex-Kaiser seinen Oberhofprediger Dryander nicht nur als einen ihm treuen Seelsorger und kirchenpolitischen Berater, sondern meinte darüber hinaus eine enge geistige Verbundenheit zwischen sich und Dryander bemerkt zu haben. Schon während seines Studiums in Bonn habe Dryander, den er "aufrichtig verehrt[e]", einen so tiefgehenden Eindruck auf ihn gemacht, daß er später alles daran gesetzt habe, ihn nach Berlin zu holen und bald an Dom und Schloß zu ziehen. Denn hatte Wilhelm II. in Berlin und Potsdam schmerzlich "die Unzulänglichkeit der Predigten [empfunden], die häufig nur trockene Dogmatik behandelten, hingegen die Person Christi allzu sehr zurücktreten ließen"109, so pries er den Bonner Pfarrer: "Das, was ich suchte, fand ich nun in den Predigten Dryanders, dessen milde, dabei doch kraftvoll klare und echt evangelische Auffassung meiner eigenen religiösen Einstellung sehr entgegenkam; denn bei ihm war die Predigt frei von Dogmatik, die Person des Herrn stand im Mittelpunkt, und das 'praktische Christentum' war das A und Ο seiner Lehren." 1 1 0

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S. Zedlitz-Trützschler, Kaiserhof 55f, mit der Eintragung v. 30.11.1903: "Die Ausschmückung des Weißen Saals, das Ernennen von Palastdamen der Kaiserin, [...] die Neuschaffung von Herolden bei allen feierlichen Gelegenheiten beschäftigen den Kaiser jetzt ganz besonders. Wenn man bedenkt, wie brennend alle sozialen Fragen und Bedürfnisse bei uns an der Tür pochen, und wie wichtig es ist, daß wir unsere Zeit besser verstehen und mit ihr mitzugehen lernen, dann kann es einem eiskalt überlaufen, wenn man darüber nachdenkt, wieviel seit zweihundert Jahren vergrabener Plunder von uns wieder aus der Rumpelkammer hervorgeholt wird." Hull, Entourage 295, betont die Komplexität der höfischen Struktur: "The failure to restrain Wilhelm in the way in which responsible ministers might have done was the chief criticism levelled at the men of the entourage. This failure, however, owed more to the structure of personal entourage than to individual cowardice or sycophancy." Wilhelm II., Ereignisse 179f; ders., Leben 171f. Ders., Ereignisse 179. Ders., Leben 171.

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Dessen Persönlichkeit habe ihn "zu einer Säule und Zierde seiner Kirche und zu einem treuen, mit seinem Kaiser innig verbundenen Mitarbeiter an ihr und ihrer Fortentwicklung" gemacht, zumal die "kirchlichen Angelegenheiten [...] häufig zwischen uns beiden besprochen, die Aufgaben und die Zukunft der protestantischen Kirche eingehend behandelt worden" seien111. Noch im Exil stand Wilhelm II. Dryanders Wirken an Schloß und Dom in frischer Erinnerung, habe dieser ihn doch "mit geistlichem Zuspruch jahraus, jahrein treu begleitet bis über den 9. November hinaus" - natürlich versäumt Wilhelm II. es nicht, Dryander als ein besonderes Beispiel für Treue herauszuheben: "Seit dem 9. November ist auch Exzellenz Dryander Verfolgungen ausgesetzt gewesen; er hat ruhig standgehalten."112 Ähnlich warm charakterisierte Dryander seinen Herrn113: Es habe den Kaiser eine natürlich-schlichte und bewußt-klare evangelische Frömmigkeit ausgezeichnet, die mit einer freien, weitherzigen sowie aufrichtigen Bibelgläubigkeit verbunden gewesen sei. Dies habe ihn nie auf eine Partei eingeschworen sein lassen und auch Wilhelm II. als einen in kirchlichen Angelegenheiten liberalen Hohenzollern ausgewiesen. So habe sich Wilhelm II. seines ihm überkommenen Summepiskopats, den er "nicht als ein notwendiges Attribut seiner Krone betrachtete]", verantwortungsvoll, mit warmer Liebe und treuer Fürsorge angenommen, als Staatsoberhaupt aber auch die katholischen Interessen nicht vergessen. Dryander bezeugte bestimmt, wie der Kaiser "gerecht, verständnisvoll und weitherzig [...] auf das einträchtige Nebeneinanderleben und Zusammenwirken der Kirchen im Wettstreit der Liebestätigkeit als ein ihm besonders am Herzen liegendes Ziel hingearbeitet" habe114. "Seine Eigenart hat immer bestanden in einer eigentümlichen Mischung freudigen Festhaltens an dem überkommenen Glaubensgehalt der Jahrhunderte mit der vollen Entschiedenheit modernen Denkens und dem Interesse an allen modernen Problemen." 1 1 5

Allerdings ist bei diesem äußerst positiven Bild des Kaisers aus Schriften nach dem Zusammenbruch das starke apologetische Interesse zu berücksichtigen, die "unanfechtbare und lautere Integrität des Kaisers" darstellen zu 111 112 113

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Ders., Ereignisse 180. Ebd. EvD, Wollte der Kaiser den Krieg? Persönliche Eindrücke, Berlin 1919, 5-7; ders., Der Kaiser, Berlin o.J. (1919), nicht pag.; ders., Erinnerungen 215f, 221 u.ö. Ders., Wollte der Kaiser den Krieg? (1919), 6f. Ebd. 6.

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wollen.116 Deutlich wird dies besonders in der Apologie des kaiserlichen Gottesgnadentums, das Wilhelm II. "nicht als eine staatsrechtlich ihm verbürgte Überlegenheit, sondern als einen religiösen Begriff gewertet" habe 117 , und welches "sein Korrelat in der Erfüllung ernster Pflichten und in der demütigen Beugung vor Gott" gefunden habe118. Um dies zu untermauern, zählte Dryander die soziale Gesinnung des Kaiserpaares, die Vorbildlichkeit und Gnade im kaiserlichen Familienleben sowie die schon in anderem Zusammenhang erwähnten Erziehungsmaximen für preußische Prinzen auf. 119 Wenn dies alles auch tatsächlich einen tragenden Pfeiler preußischer Königstreue ausmachte, drängt sich doch die Problematik auf - gerade bei einem evangelischen Theologen -, Pflichtbewußtsein und Sittlichkeit fast als 'merita', zumindestens aber als eine Art zeitgemäßer Frömmigkeit im wilhelminischen Zeitalter mit dem Gottesgnadentum in Verbindung zu bringen. Auch Dryander ließ sich in seiner Apologie leiten von einem Verständnis des Gottesgnadentums, wie es von Wilhelm II. geprägt und beansprucht worden war, nämlich als einer mehr der Person denn dem Amt inhärierenden Qualität. Die Vergegenwärtigung der lutherischen Rechtfertigungslehre hätte dagegen ein Verständnis des Gottesgnadentums quasi als habitus abbauen und die weltliche Selbstverständlichkeit politischer Verantwortung betonen können.120 Das Sittengemälde Wilhelms II. trug implizit auch eine positive Wertung des Kaisers als eines sozial empfindenden und friedensliebenden Politikers, auch wenn Dryander sich prinzipiell vor rein politischen Äußerungen hatte hüten wollen, da dies nicht sein Einflußgebiet betraf und er hier Treue gegebenenfalls im Schweigen üben wollte. Doch gegenüber Hohn und Spott, Anklagen und Würdelosigkeiten verlangten das Amt, das Bedürfnis sowie die Gerechtigkeit Dryanders eine öffentlich kundgetane Treue. Das persönliche Verhältnis zwischen dem Kaiser und seinem Seelsorger ist auf Grund der Quellen nicht leicht nachzuzeichnen, zumal sich wie Wil-

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Ebd. 4. Vgl. ders., Erinnerungen 215, 315. Ders., Wollte der Kaiser den Krieg? (1919), 6. Ders., Erinnerungen 216. Dryander betonte weiter: "Der oft gehörte Vergleich mit Friedrich Wilhelm IV. geht entschieden fehl." Ebd. 216f, 334 u.ö.; ders., Wollte der Kaiser den Krieg? (1919), 6. Vgl. hierzu Buske, Thron 102.

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helm II. auch Dryander zu den persönlichen Seiten kaum äußerte.121 Zwar sei er gegen dessen Grenzen und Schwächen nie blind gewesen, aber er hielt es für ausgeschlossen, sich in der Person des Kaisers, zu deren gerechter Würdigung man ihr unter vier Augen gegenübergestanden haben müsse, getäuscht zu haben.122 Wie aus den wenigen erhaltenen Briefen Dryanders an Wilhelm II. hervorgeht123, dürfte der Grundton Dryanders dem Kaiser gegenüber in unverbrüchlicher Treue und auch Bewunderung bestanden haben. Dies macht sich allerdings nicht so sehr in der allseits üblichen ehrfurchtsvollen Anrede Wilhelms II. als "Allerdurchlauchtigster, Allergroßmächtigster Kaiser und König! / Allergnädigster Kaiser, König und Herr!"

fest, die offizielle und mehr privaten Charakter tragende Briefe Dryanders gleichermaßen schmückt124. Allerdings ist dazu anzumerken, daß die Verbindung der kaum noch steigerbaren Attribute "Allergroßmächtigst" usw. im Munde oder aus der Feder eines Geistlichen in einem anderen als dem gottesdienstlichen Zusammenhang nicht nur zumindestens merkwürdig anmutet, sondern auch in dem neuen Kontext liturgische oder gar gebetsartige Assoziationen aufkommen läßt, die ihrerseits wieder auf die den Monarchen umgebende quasi sakrale Sphäre hinweisen. Aussagekräftiger für das Verhältnis zu Wilhelm II. ist jeweils der Inhalt der Briefe selbst, aus denen im Vergleich zu etwa zeitgleichen Briefen Chamberlains eine gewisse Distanz, wohl begründet aus dem amtlich-dienstlichen Verhältnis, herauszuspüren ist. Interessant sind die zwei je am ersten Weihnachtstag geschriebenen Briefe Dryanders, welche den Dank für aus "Kaiserliche[r] und Königliche[r] Huld" gnädig gespendete, wundervolle Weihnachtsgaben (u.a. ein Stich der Leipzi-

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So beschreibt Gottfried von Dryander seinen Vater als außerordentlich diskreten Mann: "Auch die Allernächststehenden hatten keine Ahnung, was Tag für Tag an ihn herantrat." (Erinnerungen an meinen Vater, Neue Christoterpe 46 (1925), 14-24, 18). EvD, Wollte der Kaiser den Krieg? (1919), 13f. Satlow hat mit der geringen im Merseburger DZA noch erhaltenen kirchenpolitischen Korrespondenz Wilhelms II. auch drei Briefe Dryanders veröffentlicht, die vom 25.12.1902, vom 25.12.1911 sowie vom 14.1.1914 datieren (DZA Merseburg, Brandenburgisch-Preußisches Hausarchiv Rep. 53 J Lit. D Nr.l), Korrespondenzen 273-276. Im EZA 7/11063 fand sich ein Immediatbrief vom 29.10.1902 mit der Bitte, die Niederlegung der Generalsuperintendentur zu bewilligen (nicht pag., Az.: E.O. 11195). Auch die Briefanreden Stoeckers und Schräders (v. 5.[4.]U.1890, EZA 7/13749, pag. 140 u. 142) und Kögels (Satlow, Korrespondenzen 276) sind ähnlich gestaltet.

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ger Disputation von C.F.Lessing) enthalten - ein Dank, der zugleich in die Form eines Gelübdes gekleidet wurde, sich "durch keine noch so lauten Stimmen [...] vom Ernst der Pflicht und von der Treue gegen Eurer Majestät Allerhöchster Person und Haus abbringen zu lassen."125 Auch die in den Folgejahren immer lauter werdende Kritik an Wilhelm II. veranlaßte Dryander nur zu "immer neue[n] Gelübden unverbrüchlicher Treue". Wilhelm II. bestärkend, schrieb Dryander am 25.12.1911, daß niemand den Ernst dieser Jahre "tiefer empfinden als Eure Majestät selbst, auf deren Entscheidung und Verantwortung ein Gewicht liegt, von dem die krittelnden Tagesmenschen keine Ahnung haben."126 In Aufnahme eines von Wilhelm II. bestimmten Textes für die bevorstehende Neujahrspredigt ermunterte Dryander den König und Kaiser, seine Verantwortung "in der starken und gläubigen Zuversicht [zu tragen], daß ein lebendiger Gott im Regimente sitzt, der auch der Menschen Entschlüsse lenkt 'wie Wasserbäche' und der mit unserem Volke es herrlich hinausführen wird". Bezeichnend und verräterisch für den Einfluß der Hofatmosphäre auf den Oberhofprediger ist dessen ergänzender Kommentar, daß er "Eurer Majestät Sinn" so verstanden und ihm "aus voller Seele für das Wort" zu danken habe.127 Hier ist greifbar, wie die Treue Dryanders dem Thron gegenüber seinen eigenen Anspruch, Bote des Evangeliums sein zu wollen, überlagern und beherrschen konnte, wenn ein Bibeltext seine Auslegung nach Maßgabe des kaiserlichen Sinnes erfuhr. Dryander trat zuweilen auch als vorsichtiger Korrektor kaiserlicher Meinungen auf oder nahm zu theologischen Fragen Stellung, die Wilhelm II. an ihn richtete oder auf die er ihn aufmerksam machte. Doch man darf die Möglichkeit direkter persönlicher Einflußnahme auf den Kaiser nicht überschätzen, welche z.B. Harnack zufolge sehr eingeschränkt war, da Wilhelm II. im Gespräch stets der Gebende bleiben wollte und seine innersten Überzeugungen und seinen religiösen Besitz durch unantastbare Wälle schützte.128 Ob

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EvD an Wilhelm II. v. 25.12.1902, Satlow, Korrespondenzen 274. Hier s.a. das folgende Zitat. Ebd. 275. Hier s.a. die folgenden Zitate. Schon 1893 hatte Dryander vor Studenten die Wahl des Predigttextes zum Kaisergeburtstag so erläutert: Im Bedenken der explosiven und ernsten Zeit habe ihn der Kaiser auf Lk 11, 21-22 verwiesen: der Starke könne seinen Palast mit Frieden bewahren, bis ein Stärkerer komme und ihm den Harnisch nehme (Evangelisch-Kirchlicher Anzeiger 44 [1893], 47). Wie Dryander diesen Hinweis in der Predigt verwertet hat - Befürwortung der Aufrüstung? -, ist auf Grund der Quellenlage nicht mehr zu ermitteln. Zahn-Harnack, Harnack 262f.

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und wieweit Dryander hinter diese Wälle blicken konnte, ließe sich nur vermuten.

5.2.3.2. Theologischer Berater? Auch Dryander war am sogenannten Babel-Bibel-Streit Anfang 1903 beteiligt, sah er sich doch im Anschluß an eine Abendtafel im Berliner Schloß genötigt, vor dem engsten Hofkreis eine lebhafte Debatte mit dem Urheber dieses Streites, dem Assyriologen Friedrich Delitzsch, zu führen. 129 Schon im Januar 1902 hatte Delitzsch im Schloß einen Lichtbildervortrag vor den Majestäten über neueste Funde und Erkenntnisse zur babylonischen Kultur und Religion gehalten, welchen er ein Jahr später vor der deutschen Orientgesellschaft im Beisein der Spitzen von Hof und Staat fortsetzte. Die Veröffentlichung dieser Vorträge schlug hohe Wellen in der Öffentlichkeit vor allem deshalb, weil Delitzsch in beiden Vorträgen, die sogenannte panbabylonische Bewegung vorwegnehmend, die Tendenz an den Tag gelegt hatte, nicht nur die Abhängigkeit des Alten Testamentes von seiner Umwelt, sondern auch die teilweise Überlegenheit der babylonischen Religion über die israelitische zu erweisen.130 In den einzelnen Ausfuhrungen allerdings fand Dryander, den Delitzsch falschlich für einen orthodoxen Schüler seines Vaters gehalten hatte, anders als Wilhelm II.131 "wenig Neues", eher "eine große Anzahl längst bekannter Dinge, z.B. die Zusammensetzung des Pentateuch aus verschiedenen Urkunden, den Hinweis auf babylonische Überlieferungen in den Schriften des Alten Testaments, die Betonung des Sagenhaften in den Berichten der Genesis und sonstiges uns Theologen vertrautes Material über den Charakter der

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EvD, Erinnerungen 228. Zum Streit selbst s. Kl .Johanning, Der Bibel-Babel-Streit. Eine forschungsgeschichtliche Studie (EHS.T, Bd. 343), Frankfurt a.M. 1988; Geschichte der Ev. Kirche der Union II, 391-393 (E.Lessing). Vgl. neben der CCW 13 (1903), Nr.4 v. 22.1.1903, Sp. 41f, Zahn-Hamack, Harnack 263f. EvD, Erinnerungen 228: "Delitzsch hielt mich für einen orthodoxen Schüler seines Vaters und war erstaunt, als ich mich als Schüler Hupfelds und Riehms vorstellte, dem eine Reihe der von ihm gemachten Ausstellungen an dem von der gläubigen Gemeinde als Gottes Wort hingenommenen Alten Testamente durchaus bekannt waren und keineswegs umstürzlerisch erschienen."

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alttestamentlichen Überlieferung."132 Was ihn aber sehr zum Widerspruch reizte, war der aus alledem gefolgerte Angriff auf den Glauben, die gesamte Bibel als eine persönliche Offenbarung Gottes anzusehen, zumal Dryander das offensichtliche Interesse des Kaisers an den Vorträgen registriert haben mußte. Wahrscheinlich machte er Wilhelm II. daraufhin auf die Klippen dieser Ausführungen aufmerksam, was diesen dann bewogen haben könnte, Dryander und Delitzsch zu einer kontroversen Diskussion zusammenzuführen.133 Hier wurden die verschiedenen Standpunkte schnell deutlich. Während Delitzsch, Sohn eines heilsgeschichtlich orientierten Alttestamentlers, sich zum Evolutionisten bekannte, hielt Dryander am Offenbarungscharakter auch des Alten Testamentes fest.134 Wilhelm II. betonte, daß er vor allem unter dem Einduck dieser Diskussion zwischen Dryander und Delitzsch konstatieren mußte, wie hier der Historiker und Assyriologe in das Gebiet nebelhafter religiös-theologischer Schlüsse geraten sei und "bezüglich der Person unseres Heilands so ganz abweichende Anschauungen", seinem eigenen Standpunkt "diametral entgegengesetzt^..]", entwickelt habe.135 So mag Dryander den Kaiser beeinflußt haben, sich in der Form des Hollmann-Briefes öffentlich von Delitzsch abzusetzen. Ist dies konkret zwar nicht nachzuweisen, war Dryander aber, der vor dem Erscheinen des kaiserlichen Briefes dem amerikanischen Assyrologen Hilprecht am 1. Februar die Gelegenheit zu einem Gegenvortrag im Domkandidatenstift gegeben hatte136, mit der Veröffentlichung des Briefes Wilhelms II. zu dieser Angelegenheit auf jeden Fall sehr zufrieden, da er in "dem warmen Bekenntnis des Kaisers zur Person Christi" alle schon seit der Görlitzer Rede zum Ausdruck gekommenen Besorgnisse von der Mitte bis zu den Orthodoxen der kirchlichen Öffentlichkeit über die religiöse Stellung des

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Ebd. S.a. Harnacks Stellungnahme zum Streit, abgedruckt in der CCW 13 (1903), Sp. 118-120, worin er die Leistung Delitzschs im Blick auf die Leistung Wellhausens stark relativierte. J.Kaftan berichtet seinem Bruder v. 15.12.1903, es sei des "Pudels Kern, daß unserem guten Kaiser die Sache neu war, [...] was wir schon in unserer Studentenzeit gehört." Er habe den sensationellen Aufputz für neue bare Münze genommen (Göbell, Briefwechsel Kaftan I, 289). Wilhelm II. selbst in seinem Brief an Hollmann v. 15.2.1903 (Penzler/Krieger, Reden III, 143-149,143) und Zahn-Hamack, Harnack 264, lassen diese Vermutung zu. EvD, Erinnerungen 228. Wilhelm II. an Hollmann v. 15.2.1903, Penzler/Krieger, Reden III, 143f. CCW 13 (1903), Sp. 89; Die Reformation 2 (1903), 58.

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Kaisers zerstreut sah.137 Die "Reformation" zeigte sich jedenfalls befriedigt, "aus dem Briefe zu ersehen, daß der Oberhofprediger des Kaisers [...] mit seinem Zeugnis nicht zurückgehalten hat".138 In dieser Hinsicht könnte man geneigt sein, dem Urteil Göhres zuzustimmen, daß nicht Delitzsch, sondern Dryander als großer Sieger aus der Debatte hervorgegangen sei und daß er zugleich einen Vorstoß der modernen Theologie, vertreten durch Harnack und Delitzsch, den Kaiser und seinen Einfluß für sich zu gewinnen, abgewehrt habe.139 Doch auch abgesehen von der Fehleinschätzung der Rolle Harnacks in dem Streit140 und der Nivellierung der modernen theologischen Richtungen, erscheint es gerade bei genauerem Hinsehen fraglich, den Kaiserbrief z.B. wegen einer Verbindung traditionellapostolischer und moderner Richtungen als ein reines Produkt mittelparteilicher Kirchenpolitik nach dem Typus Dryander zu bezeichnen.141 So sehr zwar der Anteil Dryanders am Anstoß zur Abfassung des Briefes über-

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EvD, Erinnerungen 229. Leider waren keine weiteren Äußerungen Dryanders zu dieser Angelegenheit und besonders zur These der doppelten Offenbarung zu ermitteln. Die Reformation 2 (1903), 157. P.Göhre, Der Glaube des Kaisers, in: Die Zukunft 42 (1903), 428-438, 433. Gerade Harnack hatte sich in einer eigenen Stellungnahme sowohl von der Delitzschen an bloßen Tatsachen orientierten Offenbarungskritik wie auch von der doppelten Offenbarung und der christologischen Formel Wilhelms II., Christus sei Gott in menschlicher Gestalt, vorsichtig distanziert und nach dem Urteil Dryanders "in seiner Weise vermittelnd[...]" versucht, eine Eintrachtsformel zwischen Glauben und Wissen zu finden (Erinnerungen 229). Diese knüpfte einerseits an Delitzsch an, insofern Harnack diesem das "Verdienst" zubilligte, eine längst bekannte Anschauung über das Alte Testament in weitere Kreise getragen zu haben, und andererseits nahm sie den Hollmann-Brief auf, denn auch Harnack empfand in der Kraft und Individualität großer Persönlichkeiten Offenbarungen Gottes, welche auch für die Wissenschaften Geheimnisse darstellten. (Die in den PrJ gegebene Auslegung Harnacks ist abgedruckt in der CCW 13 [1903], Sp. 118-121). Das besonders durch die Biographie seiner Tochter Legende gewordene Ergebnis, daß der unangenehm berührte Kaiser Harnack seither in theologischen Fragen nie wieder zu Rate gezogen habe (Zahn-Hamack, Harnack 264-267), bedarf einer kleinen Korrektur. Ein von Kouri, Protestantismus und soziale Frage 168f, aus dem Nachlaß Harnacks veröffentlichter vertraulicher Briefwechsel zwischen Wilhelm II. und Harnack v. 2.3.1903 belegt, wie einerseits Wilhelm II. auf seinem Standpunkt beharrte und andererseits Harnack Erleichterung und "unauslöschliche^ Dank" über ein sich fortsetzendes Wohlwollen von Seiten des Kaisers abzulesen ist. Göhre, Glaube 431. Bunke z.B. verglich verschiedene Auslegungen des Briefes und interpretierte ihn in der Reformation 2 (1903), 154-157, als rein persönliches Bekenntnis zur Gottheit Christi. Ähnlich die AELKZ 36 (1903), Sp. 204-208, die in ihren Gedanken über den deutschen Kaiser und seine 'Hoftheologie' zum Schluß gelangte, daß der Kaiser keine Hoftheologie wolle, "welche die Fundamente des christlichen Glaubens antastet" (Sp. 206).

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haupt zu erkennen ist, so darf man den Einfluß auf die persönlichen und teilweise eigenwilligen Ausfuhrungen Wilhelms II. nicht überschätzen. Wie schon erwähnt, verdankte sich gerade der Hollmann-Brief bis in die Formulierungen hinein der Maieutik Chamberlains, auch wenn dieser den Wert seiner Mitarbeiterschaft minderte und sich selber kritisch mit dem Brief auseinandersetzte.142 Dieser Streit weist zudem auf eine besondere Eigenart Wilhelms II., sich mit (theologischen) Problemen zu beschäftigen, welche zeigen mag, wie schwer Wilhelm II. inhaltlich zu steuern war. Nach Harnack war es sogar "ein Geheimnis der göttlichen Weltleitung, herbeizuführen, was der Kaiser liest, und was Eindruck auf ihn macht".143 Denn der Kaiser verfuhr meist sehr eklektisch. So ließ er Gelehrte diskutieren und zog seine oft vorgefaßten Schlüsse, oder er versandte Bücher, Broschüren und Artikel und wartete auf Rückmeldungen, wie zum Jahreswechsel 1913/14, als er wie Chamberlain auch Dryander einen Vortrag des mit Wilhelm II. korrespondierenden Boyd Carpenter als Lektüreempfehlung zusandte144, für die kein geringerer als Harnack die deutsche Ausgabe besorgt und mit einem im wesentlichen zustimmenden Nachwort versehen hatte145. In dieser "Apologie der Erfahrung" machte Carpenter, Bischof von Ripon, den Versuch, das (christlich-)religiöse Bewußtsein auf Grund seiner historisch

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Chamberlain an Wilhelm II. v. 27.3.1903, Chamberlain, Briefwechsel, 193-212, 197, unter Bezug auf den Brief Wilhelms II. v. 16.2.1903, ebd. 188-192, in welchem er Chamberlain als seinen "geistigen Geburtshelfer" pries (189). Von der Ablehnung der Delitzschen Behandlungsweise der Babel-Bibel-Frage wegen einer Schädigung (der germanisch-christlichen Kultur) durch den mit bloßer Reklame geführten, urteilslosen Angriff auf wichtige christliche Vorstellungen (Chamberlain an Wilhelm II. v. 4.2.1903, ebd. 168-188, 178-182), über die mit Gedanken Carlyles gut zu verbindende Auffassung eines zur "Religion der Erfahrung und infolgedessen auch der Tat" verdichteten Glaubens, ja einer durch die Offenbarung Gottes in Werkzeugen inspirierter Geister weitergebildeten Religion (183f) bis hin zur Feststellung, daß Religion "nie [...] ein Ergebnis der Wissenschaft" gewesen sei (ebd. 185f; Wilhelm II. folgte nicht nur dem Duktus Chamberlains, sondern übernahm hier auch wörtlich, Penzler/Krieger, Reden III, 149), ist die geistige Befruchtung Wilhelms II. durch den Brief Chamberlains greifbar. Zahn-Hamack, Harnack 268. Chamberlain an Wilhelm II. v. 22.1.1914, Chamberlain, Briefwechsel 243; EvD an Wilhelm II. v. 14.1.1914, Satlow, Korrespondenzen 275. Carpenter selbst war Dryander durchaus vertraut, hatte er doch schon 1912 ein Werk Carpenters für die deutschen Leser mit einem überaus freudigen Geleitwort versehen: EvD, Geleitwort zu: Carpenter, Erlebt! III-VI. Zum Zusammenhang s.o. 118. W.B.Carpenter, Die Apologie der Erfahrung. Vortrag, gehalten zu Liverpool (2. Juni 1913), PrJ 155 (1914), 1-24, mit einem Nachwort versehen von A.Harnack, ebd. 24-26.

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feststellbaren Folgewirkungen auf wissenschaftlich-psychologischer Basis als Tatsache zu erweisen, die auf die fortgesetzt wirkende Kraft Christi zurückbzw. hinweise und sogar Züge göttlicher Kraft trage, insofern das christlichreligiöse Bewußtsein den mit dem Auftreten des Menschen psychisch abgeschlossenen Evolutionsprozeß durch die Einweisung in ein Leben der Selbstentäußerung moralisch-ethisch auf das goldene Zeitalter hin entwickle.146 In seinem Dankes- und Antwortschreiben an den Kaiser faßte Dryander diesen Aufsatz zunächst zusammen, woraufhin er ihn zustimmend kommentierte.147 Dabei gab er der besonderen Freude Ausdruck, daß auch Harnack Carpenters Versuch beipflichtete, die von Lessing verneinte Anknüpfung religiöser Überzeugungen an Geschichtstatsachen mit den Mitteln der Psychologie zu erweisen. Allerdings sah Dryander auch hier wieder Harnacksche Vorsicht am Werk: Denn dieser hätte nur den "in dem geschriebenen und gepredigten Wort offenbaren" und durch die Jahrhunderte gehenden Christus als geschichtlich wirksam anerkannt148, während Carpenter - und mit ihm Dryander - einen wichtigen Schritt weitergegangen sei und der überragenden Kraft der Persönlichkeit Christi eine "noch jetzt von ihm ausgehende lebendige und tätige Kraft" zuschreibe. Diese auf Umwegen geführte Debatte über ein Fundament christlichen Glaubens brachte zum Ausdruck, wie sehr Dryander Harnack schätzte. Dieses Urteil galt zum einen trotz theologischer Unterschiede dem Theologen Harnack, dem Dryander allerdings nicht zugestand, das "Wesen des Christentums" erschöpfend dargelegt zu haben149, und zum anderen dem Historiker Harnack, der sich einer bloß kritisch zersetzenden Forschung enthalten habe150. Auch an dieser 'Debatte', an der Chamberlain, Harnack und Dryander eigentlich nur durch die Abgabe ihrer Voten beteiligt waren, mag deutlich werden, warum gerade Chamberlain die innersten Saiten Wilhelms II. so sehr zum Schwingen brachte. Im Gegensatz zu Harnack151 und Dryander mit ihren vorsichtigen und abwägenden Gedankengängen und ihrer untertänig

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Carpenter, Apologie, bes. 21-24. Satlow, Korrespondenzen 275. S. Harnack, Nachwort (Apologie) 26. EvD, Erinnerungen 188, im Zusammenhang mit dem Apostolikumsstreit. Satlow, Korrespondenzen 275. Chamberlain wurde 1901 von Wilhelm II. mit Harnack zusammengeführt. Beide entwickelten später, ausgelöst durch Chamberlains "Goethe"-Buch, ein freundschaftliches Verhältnis. Vgl. Zahn-Harnack, Harnack 272-274. Dryander scheint Chamberlain nie begegnet zu sein.

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distanzierten Tonart traf Chamberlain in seiner spontan-emphatischen und direkten Art beim Kaiser auf ein offenes Ohr: So wenn er stimmungsgeladen vom "eigentümliche[n] 'thrill'" schwärmte, den Carpenter seiner Seele mitgeteilt habe.152 Interessant ist, wie sich alle drei 'theologischen Berater' Wilhelms II. trotz ihrer offenbaren Differenzen nicht nur in der Ablehnung des Standpunktes von Delitzsch und der grundsätzlichen Betonung der Offenbarung Gottes in der Persönlichkeit Christi einig waren, sondern auch - je auf eigene Weise - in der Befürwortung der Tendenz des Carpenterschen Anliegens. Es bleibt zu konstatieren, daß Wilhelm II. zwar Harnack, Chamberlain und Dryander zu bestimmten Themen um ihre Meinung anging, wobei aber zu bedenken ist, daß er andererseits seinen eigenen "theologischen Kompetenzanspruch" ins Feld führte 153 . Eine direkte Einflußnahme auf den Kaiser blieb oft selbst Nahestehenden ein offenes Geheimnis; nur selten läßt sie sich - im Nachhinein - in religiöser Hinsicht auf der angeführten Quellenlage so deutlich erheben wie im Falle der Görlitzer Rede und des Hollmann-Briefes. Abgesehen von dem verlorengegangenen Nachlaß, zieht besonders Dryanders Seelsorge- und Treueverständnis einer genaueren Durchleuchtung der direkten inhaltlichen Beziehung zu Wilhelm II. enge Grenzen. Nicht zufallig fragte schon die zeitgenössische Öffentlichkeit bei religiösen Äußerungen Wilhelms II. - wie Göhre beim Hollmann-Brief - immer mal wieder nach den vermutlichen Anteilen der hier in Frage kommenden Personen, nämlich Chamberlain, Harnack und Dryander oder gar Hinzpeter, wobei dann zum Teil versucht wurde, kaiserliche Äußerungen für eine der theologischen Richtungen zu vereinnahmen.154

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Chamberlain an Wilhelm II. v. 21.1.1914, Chamberlain, Briefwechsel 243. Er beschloß den Brief: "Gott sei gelobt und bedankt, daß es ein Deutschland gibt, und in dem Deutschland ein Preußen, und in dem Preußen ein preußisches Heer und als das Herz des Heeres das Geschlecht der Hohenzollern!" Kouri, Protestantismus und soziale Frage 168. Zu einer Rede Wilhelms II. v. 31.8.1907 in Münster, in der er eine Einigung des Volkes auf dem Boden der Religion, "freilich nicht im streng kirchlich dogmatischen Sinn verstanden, sondern im weiteren für das Leben praktischeren Sinne", propagierte, s. AEKLZ 40 (1907), Sp. 882, u. Die Reformation 6 (1907), 636, mit dem Bedauern, daß der Kaiser keine besseren Berater habe, Bezug nehmend auf einen liberalen Artikel, der vor allem Hamackschen Einfluß vermutete. Die Nationalzeitung v. 6.9.1907 sah Harnack und Chamberlain an dieser Rede beteiligt, auch Exzellenz Dryander verwende nicht selten ähnliche Ausdrücke (EZA 7/638, Az.: E.O. 4558).

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5.2.4. Orden und Titel War der Schloßprediger in seiner ersten Amtshandlung noch relativ "unbestochen [...] durch allen Glanz der Welt"155, so zogen ihn schon die folgenden amtlichen Pflichten allmählich in den Sog des Hofes hinein, den wohl alle Hofchargen verspürten. Denn gute und treue Dienste wurden belohnt. So wurde Dryander "anläßlich der Vermählung Ihrer Königlichen Hoheit der Prinzessin Viktoria von Preußen und seiner Durchlaucht dem Prinzen Adolf zu Schaumburg-Lippe" am 19. November 1890 das Fürstlich-Lippische Ehrenkreuz zweiter Klasse verliehen, zu dessen Anlegung Wilhelm II. ihm die Allerhöchste Genehmigung nicht versagte.156 Dem Hause Hohenzollern war, dem glanzvollen Rahmen der Feierlichkeit angemessen, der Vollzug der Taufe an dem jüngsten Kaisersohn Joachim Franz Humbert am 26.1.1891 die Verleihung des Ritterkreuzes (d.h. die dritte Klasse) des Königlichen Hausordens von Hohenzollern wert157, was insofern besonders bemerkenswert war, als durch dieses Zeichen des Dankes und der Verbundenheit die Vertrauensstellung des neuen Schloßpredigers im Gegensatz zu Schräder und Stoekker eine weitere öffentliche Betonung erfuhr. Dryanders Personalakte gestattet bis in das Jahr 1900 die Einsicht in den weiteren Ordenssegen, der fast gänzlich auf den Vollzug von Kasualakten an hohen fürstlichen Personen zurückzuführen ist.158 155 156

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EvD, Evangelium und Volksleben (1890), 131. Die Allerhöchste Ordre Wilhelms II. s. in EZA 14/D4-1, Personalakte Dryander, pag. 169. Laut §5 des Ressortreglements des EOK mußten Genehmigungen zu Ordensverleihungen oder - anlegungen im Namen des Ministers für geistliche Angelegenheiten unter Zustimmung des EOK bzw. der Konsistorien erfolgen (vgl. Schoen, Kirchenrecht I, 243f); der diesbezügliche Schriftverkehr findet sich in der Personalakte pag. 168. Zur Staffelung Fürstlich-Lippischer Ordensklassen s. Handbuch Hof und Staat (1900), XXI. Ministerium für geistl. Angelegenheiten an das Brandenburgische Konsistorium v. 23.2.1891, EZA 14/D4-1, Personalakte Dryander, pag. 171. - Der Text der Taufrede ist nicht überliefert, dafür ein Bild der Gesellschaft (nebst Beschreibung der Garderobe), welche sich im zur Taufkapelle umgebauten Speisezimmer des kaiserlichen Paares einfand. "Baby benahm sich nicht sehr fürstlich, schrie so tüchtig, daß die arme Kaiserin glühend heiß wurde und die Großherzogin Marie gar nicht wußte, wie sie ihn beruhigen sollte. "(Keller, Dienst 136f). Eine Ausnahme bildete die Verleihung des Königlich-Italienischen Komthur-Kreuzes des St. Mauritius-Ordens, die Dryander als Mitglied des kaiserlichen Gefolges auf der Italienreise zuteil wurde, wie Dryander am 31.5.1896 an sein Konsistorium meldete (EZA a.a.O., pag. 179). Die Personalakte bricht bald nach 1900 ab, da die jeweiligen Vorgänge sinnvoller, der Vielzahl der Funktionen entsprechend, auf andere Akten

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Die Taufe des Franz Joseph Oskar Ernst Patrick Friedrich Leopold, Sohn des Prinzen Friedrich Leopold von Preußen, der seinerseits Enkel eines Bruders Kaiser Wilhelms I. war, wäre als Amtshandlung an einem entfernteren Hohenzollernzweig nicht weiter erwähnenswert, hätte sie Dryander 1895 nicht die Auszeichnung mit dem Komthur-Kreuz (d.h. zweiter Klasse) des Franz-Josephs-Ordens eingebracht, die ihm der hohe Pate Kaiser Franz Joseph von Österreich und König von Ungarn darob verlieh.159 Nach der schon erwähnten Einsegnung zweier kaiserlicher Prinzen am 22. Mai 1898 durfte Dryander das Ritterkreuz des hohenzollernschen Hausordens zurücksenden, denn ihm war mit der Verleihung des Kreuzes der Komthurn die nächsthöhere Weihe dieses Ordens zuteil geworden.160 Die Großjährigkeitserklärung des Kronprinzen am 6. Mai 1900 war Anlaß zur Verleihung des Roten-Adler-Ordens zweiter Klasse mit Eichenlaub und königlicher Krone; die Einsegnung Prinz Adalberts erweiterte das Komthur-Kreuz des hohenzollernschen Hausordens am 23. Oktober 1900 um den Stern der Komthurn.161 Weitere Orden lassen sich mit Hilfe des "Handbuch[s] über den preußischen Hof und Staat" erschließen: so der wohl anläßlich der Hochzeit des Kronprinzen mit der Prinzessin Cecilie von Mecklenburg am 6. Juni 1905 verliehene Großherzoglich-Mecklenburgische Greifen-Orden erster Klasse162 und der zur vollzogenen Trauung Prinz Eitel Friedrichs von Preußen mit der Herzogin Sophie Charlotte von Oldenburg am 27. Februar 1906 übersandte Großherzoglich-Oldenburgische Haus- und Verdienstorden erster Klasse mit der goldenen Krone und Kette163. Auch die Predigt zum Kaisergeburtstag 1908 war ein besonderer Anlaß, Dryander in seinem zehnten Jahr als königlich-preußischer Oberhofprediger

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verteilt worden sind. Ministerium für geistliche Angelegenheiten an das Brandenburgische Konsistorium v. 24.12.1895, ebd., pag. 177. Allerhöchste Ordre v. 22.5.1898, ebd., pag. 184., vgl. pag. 186. Ebd., pag. 187, 191. Handbuch Hof und Staat (1907), 211; verliehene Orden sind hinter dem Namen Dryanders mit entsprechenden Symbolen verzeichnet. Zum Verlauf der Feierlichkeit und der Reden Dryanders zur Vermählungsfeier v. 4./6. Juni 1905 vgl. Zobeltitz, Chronik II, 7376. Dies kann durch die Korrespondenz zwischen dem EOK, Dryander, Wilhelm II. und dem Ministerium für geistliche Angelegenheiten im März/April 1906, EZA 7/13751, pag. 140-143, als bestätigt gelten.

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5. In der Nähe des Thrones

m i t dem R o t e n - A d l e r - O r d e n erster K l a s s e mit E i c h e n l a u b auszuzeichnen. 164 Es wäre sicherlich verfehlt und zu kurz gegriffen, diese keineswegs vollständige Auflistung von Ehrungen als bloßen Ausdruck von Titel- oder Ordenssucht zu interpretieren. Bedenkt man den großen Aufwand z.B. in der Inanspruchnahme verschiedener Behörden, zieht man die Akribie in Betracht, mit der das Ordenswesen behaftet war, so kann noch einmal dessen tiefere Bedeutung im Sinne des "Königsmechanismus" hervortreten. Die Verleihung von Orden war eine einfache, aber zuhöchst wirksame Weise, treue Dienste zu belohnen, Treue zu erwirken und zu befestigen, wurde dem Ordensträger doch gesellschaftliches Ansehen vermittelt. In noch stärkerem Maße galt dies für die Verleihung von Titeln und Prädikaten, die auch Dryander umso mehr zuteil wurden, je länger er im Amt war. Gerade hieran läßt sich das Ausmaß der ihm widerfahrenen Annäherung an den Thron ablesen. In bewußter Anlehnung an die staatliche Beamtennomenklatur wurden auch Kirchenbeamte mit besonderen Prädikaten ausgestattet, wenn sie höhere Leitern erklommen hatten. So wurde der 1887 ins Konsistorium berufene Dryander zum Konsistorialrat ernannt, mit der Bestallung zum General Superintendenten 1892 wurde ihm der Rang eines Rates zweiter Klasse verliehen, und sein Charakter als Oberhofprediger mit dem Rang eines Rates erster Klasse ausgezeichnet. 165 Hielten sich diese Vorgänge allerdings im üblichen Rahmen, so zeigte sich die besondere kaiserliche Gunst in eigenen Würden: Aus Anlaß des 200jährigen Gedenktages an die Erhebung Preußens zum Königreich wurde Dryander, der am 8. September in der Königsberger Schloßkapelle eine Festpredigt halten sollte, am 18. Januar 1901 zum Mitglied des preußischen Herrenhauses auf Lebenszeit ernannt 166 , womit er nicht von ungefähr zu einem aus Allerhöchstem Vertrauen berufenen Mitglied in einer der stärksten "Bastionen der alten Ordnung" wurde. Denn das Herrenhaus, das per Mandatsausübung Geschöpf des Königs war, diente, wie sich aus dessen Zusammensetzung unschwer ergibt, "dem preußischen König und der autoritären Staatstradition mit äußerster Hingabe". 167 Eine weitere Eh-

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1 (\Ί

Allerhöchste Ordre v. 27.1.1908, ebd., pag. 150. EZA 7/11063, pag. 46; 7/13751, pag. IV u. 4. EZA 7/13751, pag. 112. Vgl. EvD, Erinnerungen 251f; Dryander schloß sich der konservativen Fraktion als Hospitant an. Mayer, Adelsmacht 154.

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rung, die seinem Sitz im Herrenhaus repräsentatives Gewicht verlieh, erlebte der Ephorus des Domkandidatenstifts am 11. Oktober 1904, an dem diese Hohenzollernstiftung ihr 50jähriges Bestehen feierte. Wie der "Staatsanzeiger" vom 22. Oktober meldete, wurde dem jetzt Wirklichen Geheimen Rat Dryander auch das besondere Prädikat "Exzellenz" verliehen.168 Die Ernennung zum Domherren des Hochstifts Brandenburgs, die ihn zum confrater Bülows, Botho Eulenburgs und Hindenburgs erhob169, sowie die Verleihung der Präbende dritter Klasse des Brandenburger Domstifts für die Dauer des Oberhofpredigeramtes170 machen noch einmal die gesellschaftliche und materielle Lukrativität derartiger Auszeichnungen deutlich. Als außergewöhnliche Ehrung und Zeichen seiner weitreichenden Beliebtheit ist die "Ernst-Dryander-Stiftung" zu erwähnen.171 Sie wurde anläßlich des 70. Geburtstages Dryanders am 18. April 1913 von ihrem Protektor, dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm - "als Ihr ehemaliger, Ihnen zutiefst dankbarer Konfirmand" - ins Leben gerufen und sollte besonders herausstellen, wie sehr Dryander nach Ansicht des königlichen Hauses sein "Leben der Arbeit gewidmet habe[...], und daß [... sein] unabläßiges Wirken dem Dienst [... seiner] Nächsten [...] gegolten" habe.172 Auch Wilhelm II. bekräftigte dies,

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EZA 7/13751, pag. 130; Allerhöchster Erlaß v. 11.10.1904, ebd., pag. 132. Dryander hatte aber, nach dem Bericht seines langjährigen Domstiftsinspektors Günther Dehn gewünscht, daß die Domkandidaten diesen Titel nicht verwendeten. "So sagten wir denn zu ihm 'Herr Ephorus'" (Die alte Zeit 121). EvD, Erinnerungen 252. Ministerium ftlr geistliche Angelegenheiten an den EOK v. 10.3.1906 unter Bezugnahme auf den Allerhöchsten Erlaß v. 27.2.1906, EZA 7/13751, pag. 139. Besier weist daraufhin, wie Dryander in dieser widerspruchsvollen Zeit "in würdiger Zurückhaltung, fernab vom Parteiengezänk seiner Standesgenossen, die schöne Illusion einer universalen Harmonie" repräsentierte (Dryander 250). S.a. die Erinnerung v.d.Goltzens zum 70. Geburtstag Dryanders: "Wer [...] mitfeiern durfte, hatte den tiefsten Eindruck davon, wie Kunst und Wissenschft, Kirche und Vaterland, Kaiserhaus und deutsches Bürgerheim in einer seltenen Vereinigung sich begegneten, im Mittelpunkt der immer jugendfrische Greis" (Dryander-Gedächtniswort 22). Zit. n. CCW 23 (1913), 244. Prinz Friedrich Wilhelm fuhr in seiner Ansprache fort: "Was dieses Wirken aber besonders adelte und wertvoll machte, scheint mir ein Zwiefaches zu sein: Einmal war es ein Arbeiten im Weinberge des Herrn, ein Dienst im Reiche Gottes; er bestand in der Seelsorge in den Gemeinden, in denen Sie tätig gewesen sind, in Torgau, Bonn, Berlin. Er bestand in Ihrer Auslegung des Wortes Gottes, die eine klassische zu werden verdient und die Tausenden die heilige Schrift verständlich und zu einem Licht auf ihrem Wege gemacht hat. Sie bestand in der Unterweisung und Heranbildung junger Theologen zu rechten Streitern Christi und zu rechten Dienern am Wort, und sie bestand in vielem andern [...]. Und das andere, das Ihre Tätigkeit auszeichnete, war die Schlichtheit, mit der sie ausgeübt wurde, die Herzensgüte und

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wenn er in seinem Glückwunschtelegramm der Hoffnung Ausdruck gab, "sich mit den Seinigen seiner 'treubewährten Dienste in Predigt und Seelsorge noch recht lange erfreuen zu dürfen'".173 Über die gesammelten Mittel von fast 90.000 Mark sollte Dryander einem kirchlichen Zweck zugute frei verfügen können.174 Das Prinzip der Nähe zum Thron und der Sog des Hofes finden ihren prägnantesten Ausdruck in der oben schon erwähnten Verleihung des Hohen Ordens vom Schwarzen Adler am 15. Juni 1918, mit dem Wilhelm II. die in "unerschütterlicher Vaterlandsliebe und Königstreue" geleisteten Verdienste Dryanders außerordentlich belohnte.175 Denn eo ipso in den erblichen Adelsstand erhoben176, stieg Dryander in den exklusivsten Orden auf, der

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Wärme, die aus ihr sprach, und die Tatsache, daß alles das basierte auf dem Glaubensgrunde unserer teuren evangelischen Kirche und gefestigt war durch die Überzeugung von dem Bestehen und der seligmachenden Kraft ewiger Wahrheiten." (244f). Ebd. Diese Stiftung, zu deren Anfangskapital von 88.000 Mark 1400 Spender - an ihrer Spitze das Kaiserpaar, die Mitglieder des königlichen Hauses, die Großherzogin Luise von Baden, die Herzogin zu Braunschweig u.a.- beitrugen, sollte laut §2 der Stiftungsurkunde "nach dem Willen des Oberhofpredigers D. Ernst Dryander dem Zweck [dienen], im Amte stehenden oder emeritierten hilfsbedürftigen Pastoren der evangelischen Landeskirche der neun älteren Provinzen, vorzugsweise der Provinz Brandenburg, oder den Witwen der Pastoren Unterstützung im Fall von Krankheit, Notständen, Erziehungssorgen und ähnlichen Fällen zu gewähren" (EZA 7/4729, pag. 2V). Besonders im Krieg hat diese allerhöchst als "milde" anerkannte Stiftung (EvD an EOK v. 11.7. 1913; Kultusministerium an EOK v. 3.1.1914; ebd., pag. 1, 8), wie die Rechenschaftsberichte des Kuratoriums unter dem Vorsitz Dryanders ausweisen, aus den Zinsen des Kapitals eine breit gestreute Linderung von Notständen leisten können. Nach dem Tode Dryanders trat satzungsgemäß sein Sohn Gottfried von Dryander in das Kuratorium ein, den Vorsitz übernahm Domprediger Vits - da ein hierfür vorgesehener Oberhofprediger nicht mehr existierte -, ab 1940 der ehemalige Oberdomprediger und geistliche Vizepräsident des EOK Burghardt (ebd., nicht pag./ E.O. I 5553-24, 6894-40). Die Höhe des Kapitals und ihre Anlageformen konnten der Stiftung über die Inflation hinaus ihre Lebensfähigkeit erhalten. Eine größere Dollarspende aus den USA ermöglichte ab 1924 wieder Unterstützungsleistungen, die von nun an (satzungsgemäß, §10 der Stiftungsurkunde, ebd., pag. 3R) besonders den Nachkommen Dryanders geistlichen Standes zukamen (G.v.Dryander an EOK v. 9.5.1924, ebd., E.O. I 5553). Der letzte Rechenschaftsbericht, dem EOK am 5.1.1946 von den Nachkommen des Justitiars aus dessen Nachlaß übersandt, datiert vom 4.5.1945 (E.O. I 6047). Mit der Aktenlegung scheint die ErnstDryander-Stiftung ihr Ende gefunden zu haben (E.O. I 6841). EvD, Erinnerungen 312. Der Orden konnte nur Adligen verliehen werden; vgl. Spitzemberg, Tagebuch 341.

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Abb. 1: Oberhofprediger D. Ernst von Dryander und Erzbischof D. Nathan Söderblom bei der Einweihung der Schwedischen Kirche in Berlin am 18. Juni 1922

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in Preußen je gestiftet wurde177, und rangierte damit im Hof-Rang-Reglement noch vor den Häuptern der fürstlichen Familien auf Rang acht178. Zwar hatte Dryander schon durch das Schloßpfarramt die Nähe zur königlichen Familie erfahren, doch erst in der Bekleidung bestimmter Titel und Prädikate konnte sich dies auch im Hof-Rang-Reglement ausdrücken: Als bloßer Oberhofprediger hätte er sich auf Rang 46 wiedergefunden, doch schon der Rang eines Rates zweiter Klasse bedeutete den 36. bzw. als Generalsuperintendent den 37. Rang. Der Charakter eines Rates erster Klasse war über dem eines Bischofs auf Rang 30 angesiedelt. Das Ansehen Dryanders als Wirklicher Geheimer Rat mit dem Prädikat Exzellenz kann der 19. Hofrang dokumentieren. Wenn man weiterhin bedenkt, daß seit Borowski unter Friedrich Wilhelm III. kein evangelischer Geistlicher den Schwarzen-Adler-Orden verliehen bekommen hatte, kann man ermessen, in welch hohem Ausmaß Dryander Ehrungen erfuhr. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Verleihung von Orden und Titeln nicht zufällig erfolgte, sondern mit innerer Konsequenz und Methode, so daß Dryander, auch an der feinen Hofhierarchie sichtbar, stetig näher an die Spitze heraufdekoriert wurde. Auch nach dem Zusammenbruch trug Dryander die Insignien kaiserlicher Gunst in überzeugter Treue zur Schau, wie eine Fotographie belegen kann, die etwa drei Monate vor dem Tod Dryanders anläßlich der Weihe der schwedischen Kirche in Berlin entstanden ist.179 Neben dem Erzbischof Söderblom ist Dryander mit dem ihm auf Lebenszeit überlassenen Dräseke-Amtskreuz der Generalsuperintendenten auf dem Talar zu sehen, welches nach beiden Seiten gerahmt ist vom Hohenzollernschen Hausorden sowie vom Schwarzen-Adler-Orden - ein überaus beredtes Dokument für einen der herausragendsten Vertreter der Verbindung von 'Thron und Altar'. 180

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Der Orden wurde 1701 zur Annahme der Königswürde gestiftet und versammelte in sich die Spitzen der deutschen Fürsten und ausländischer Souveräne unter Wilhelm II. als dem Oberhaupt und Minister des Ordens. S. Handbuch Hof und Staat (1900), 42-44. Röhl, Hof und Hofgesellschaft 262-264. Titelbild der Neuen Christoterpe 46 (1925). Günther Dehn war sehr betrübt, als er wohl dieses Foto zu Gesicht bekam (Die alte Zeit 127), hatte Dryander seinen Kandidaten doch eingeschärft: "'Wenn der Pfarrer einmal einen Orden bekommt, darf er ihn nicht auf dem Talar tragen, Gottesdienst ist mehr als Herrendienst"'(a.a.O. 126).

5.2. Im Sog des Hofes - Dryander und der Königsmechanismus

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5.2.5. Prediger des Hofes Sehr aufschlußreich für die Aura des wilhelminischen Hofes sind die offiziellen Auftritte Dryanders als Oberhofprediger. Vorauszuschicken ist, daß der höfische Rahmen und die damit verbundene Etikette in Form und Stil seiner Reden natürlich erkennbaren Niederschlag fanden, so wenn nach der höfischen Sitte zuerst dem König angesichts der königlichen Loge eine Verbeugung dargebracht wurde 181 , so wenn in der Anrede hoher Personen die feinen Distinktionen gewahrt wurden. Mochte diese Subtilität die "profanen Sterblichen" auch geradezu verwirren, wie die "Welt am Montag" nach der Taufe eines Kronprinzensohnes am 1. Oktober 1910 einmal seufzend feststellte, bei Hof war die Kaiserin eben die erhabene und die Großherzogin von Mecklenburg in diesem Falle nur die hohe Großmutter. 182 Wenn hier allerdings der Vorwurf erhoben wurde, die Hofpredigten bewegten sich fast nur in allgemeinen Redensarten und verzichteten gänzlich darauf, sich an die Persönlichkeiten zu wenden, ist damit zwar auf eine naheliegende Gefahrenquelle hingewiesen und die berechtigte Frage nach dem Sinn und dem Inhalt höfischer Predigten angesprochen worden, der sich auch Dryander nicht entziehen konnte. Doch der so generell erhobene Vorwurf einer unpersönlichen Predigtweise trifft Dryander nicht. Denn wie die sonntäglichen Domgottesdienste ließen auch die meist in der Schloßkapelle mit ihrem halb privaten und halb öffentlichen Charakter abgehaltenen fürstlichen Familiengottesdienste zu Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Trauerfeiern den Prediger Dryander sehr wohl noch als einen die Persönlichkeit ansprechenden Seelsorger und Pädagogen auf der Kanzel erscheinen. Konnte schon die Beschreibung des Konfirmators klassische Belege für diese Behauptung liefern, so soll - paradigmatisch für andere Kasualakte und als Fortführung der geistlich-mahnenden Begleitung des Kronprinzen - die Predigt zum Kirchgang des Kronprinzenpaares vor deren Vermählung vom 4. Juni 1905 angeführt sein. 183 Anhand der Losung vom gegenseitigen Tragen der Lasten nach Gal 6,2 nahm Dryander die Brautleute eindringlich ins ικι 182 183

S. eine Szenenbeschreibung bei Kahler, E.v.Dryander 13. Welt am Montag v. 1.10.1906, EZA 7/13751, pag. 144. EvD, Kirchgangspredigt im Dom am 4.Juni 1905, in: Reden zur Vermählungsfeier Seiner Kaiserlichen Hoheit des Kronprinzen Wilhelm des Deutschen Reiches und von Preußen mit Ihrer Hoheit der Herzogin Cecilie zu Mecklenburg-Schwerin am 4. und 6. Juni 1905, Berlin 1905, 3-11 (= "Die Losung des christlichen Hausstandes", in: EvD, Gott und Mensch 123-129).

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Gebet, dieses Wort im persönlichen Leben zu bewähren. Zwar liege am Hochzeitstag jeder Gedanke an Lasten fern, aber es dürfe nicht vergessen werden, daß sich Lasten im Alltagsleben sehr schnell geltend machten. Hätten zwei Menschen doch mehr Last als einer. Aber bei gegenseitiger Kenntnisgabe und Kenntnisnahme werde diese durch die Kraft der Liebe tragbar. Dryander warnte eindringlich vor der Gefahr des nur noch NebeneinanderLebens anstelle des Füreinander-, Miteinander- und Ineinander-Lebens, gerade wenn die Zeit es an den Tag brächte, daß die Eheleute "nicht nur miteinander, sondern auch aneinander zu tragen haben, und wir alle legen einander keine geringe Last zum Tragen auf!" 184 Angesichts dessen verwies er auf die heilende und eine Ehe tragende Kraft vergebender Liebe und fürbittenden Gebetes, bevor er das "hohe Vorrecht" der Domgemeinde, "als die ersten ihrer Gemeindeglieder die Glieder unseres Königlichen Hauses zu wissen und zu zählen", in Anspruch nahm und dem Brautpaar in deren Namen hochzeitliche Grüße darbrachte.185 Auch die eigentliche Traurede ist von dieser Stimmung durchdrungen, insofern als Dryander, mehr an den Kronprinzen gewendet, an die Gemeinschaft mit Gott erinnerte als "das Gegengewicht, wenn heute der Glanz des Lebens und morgen seine Last, die Aufgabe das Wohl und das Wehe von Tausenden mitzutragen, Sie ruhelos hin- und herzieht und den inneren Frieden bedroht. Wenn auch Ihnen die Erfahrung nicht erspart bleibt, daß die Wege der Könige einsam sind [...]".186 So gab Dryander der Hoffnung Ausdruck, daß sein ehemaliger Konfirmand der bewährten Hohenzollernmaxime treu bleiben würde, die besonders Friedrich Wilhelm IV. als Ausdruck seines christlichen Laienregiments in der Kirche betont hatte: "Ich und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen!"187

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Ebd. 8. Ebd. 11. Diese Passage ist in dem Sammelband "Gott und Mensch" etwas verändert wiedergegeben: "[...] zu ihren Gemeindegliedern die Glieder unseres Königshauses zu zählen" (128), es fehlt die Betonung der Sonderstellung als "erste Gemeindeglieder". EvD, Traurede, gehalten in der Kapelle des Königlichen Schlosses am 6. Juni 1905, in: EvD, Reden zur Vermählungsfeier Wilhelm/Cecilie 12-16, 15. Ebd. Die biblische Begründung dieses von Friedrich Wilhelm IV. in seiner Thronrede vom 11.4.1847 vor dem Vereinigten Landtag feierlich bekannten hohenzollernschen Grundwortes ist der gewichtigen Rede Josuas vom Landtag zu Sichern entnommen (Jos 24,15), s. J.Mehlhausen, Friedrich Wilhelm IV. Ein Laientheologe auf dem preußischen Königsthron, in: Vom Amt des Laien in Kirche und Theologie. Festschrift für Gerhard Krause zum 70. Geburtstag, hg. v. H.Schröer/G.Müller, Berlin - New York 1982, 185214, 194.

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Dieser ernste Grundton zieht sich durch alle weiterhin greifbaren Hochzeitsreden am Hof hindurch.188 Doch es erhebt sich die Frage, ob sich angesichts des "Lärm[s], der draußen uns umtönt"189, und "der begeisterten Teilnahme des Vaterlandes, deren Wogen vom Meer bis zu den Alpen rauschen"190, ob sich bei so lautem Jubelruf, der "durch die Lande braust"191, der Wunsch Dryanders nach einer Flucht "in die Stille des Gotteshauses"192 überhaupt erfüllen konnte, damit "leise aber mächtiger sich eine andere Stimme: die des Gebetes, des Dankes und der Fürbitte" erhebe193. Denn gerade bei Trauungen im Königshause war Berlin geschmückt, geflaggt und voller Erwartung auf die vor Tausenden von Schaulustigen sich abspielenden prunkvollen Zeremonien wie etwa dem Einzug der jeweiligen Braut in die Stadt, der Einholung zur eigentlichen Trauung oder den vielen Empfängen und Galaveranstaltungen am Rande eines solchen Ereignisses. 194 Diese Stimmung machte natürlich auch vor dem Gottesdienst nicht halt, wie ein Ausschnitt des Berichts aus der Feder von Zobeltitzens zur sich

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EvD, Reden zur silbernen Hochzeit Ihrer Majestäten des Kaisers und der Kaiserin und zur Vermählungsfeier Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Eitel Friedrich von Preußen mit Ihrer Hoheit der Herzogin Sophie Charlotte von Oldenburg am 25. und 27. Februar gehalten, Berlin 1906. Vgl. nur Reden zur Vermählungsfeier Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Ernst August Herzog zu Braunschweig und Lüneburg und Ihrer Königlichen Hoheit der Prinzessin Viktoria Luise von Preußen in der Schloßkapelle zu Berlin am 24. Mai 1913 (S. 3-8) und zur Vermählungsfeier Seiner Durchlaucht des Prinzen Heinrich XXXIII. Reuß und Ihrer Königlichen Hoheit der Prinzessin Viktoria Margarete von Preußen am 17. Mai 1913 (S. 9-13), Berlin 1913. Ders., Rede gehalten bei der Trauung Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Joachim von Preußen mit der Durchlauchtigsten Prinzessin Marie Auguste von Anhalt am 11. März 1916 im Schlosse Bellevue zu Berlin, Berlin 1916. S. a. den längeren Auszug aus einer Taufrede Dryanders von 1906 an einem Prinzensohn in der Reformation 5 (1906), 624. EvD, Kirchgangspredigt Wilhelm/Cecilie (1905), 3. EvD, Traurede Wilhelm/Cecilie (1905), 13. EvD, Silberhochzeitsrede (1906), 3. EvD, Kirchgangspredigt Wilhelm/Cecilie (1905), 3. EvD, Silberhochzeitsrede (1906), 3. S. die äußerst anschaulichen Berichte bei Zobeltitz zur Kronprinzenhochzeit (Chronik II, 73-76, v. 6.6.1905), zur Hochzeit Prinz Eitel Friedrichs mit der Herzogin Sophie Charlotte von Oldenburg (ebd., 91-96, v. 27.2., sowie 96-100, v. 1.3.1906) sowie zur Hochzeit der einzigen Kaisertochter Viktoria Luise mit dem Braunschweiger Herzog Ernst August in Anwesenheit des Zaren und des englischen Königs (ebd., 254-258, v. 23.5., sowie 258-262, v. 24.5.1913). Vgl. Herzogin Viktoria Luise, Ein Leben als Tochter des Kaisers, Göttingen '1965, 93-103; Keller, Dienst 243-245 (v. 8.6.1905), 248 (v. 25.-27.2.1906), 289-294 (v. 21.-24.5.1913).

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Abb. 2: Oberhofprediger Dryander bei der Trauung der einzigen Kaisertochter Viktoria Luise mit Herzog Emst August von Braunschweig in der Schloßkapelle zu Berlin am 24. Mai 1913

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an die Silberhochzeit des Kaiserpaares anschließenden Hochzeit Prinz Eitel Friedrichs vom 27. Februar 1906 lebhaft zeigen kann: " [...] In der Schloßkapelle. Wir haben oben auf der Galerie, die sich um den Kuppelbau zieht, noch ein Plätzchen gefunden, allerdings ein wenig eingeengt von den arbeitenden Ellenbogen rechts und links, aber wenigstens dicht an dem schmiedeeisernen Gitter, so daß das Auge das tief unten sich entfaltende Bild umfassen kann. Umfassen - ja, ist das der richtige Ausdruck? - Zunächst sieht man nichts als ein grelles, unruhiges Flimmern, einen Strom von goldgelbem Licht, der aus gewaltigem Schacht emporzuquellen scheint. Erst allmählich gewöhnt sich das Auge, und der glanzgeblendete Blick unterscheidet die Einzelheiten. Der Lichteffekt ist ein wundervoller. In den weißen Schimmer der elektrischen Kugeln in den Nischen der Kapelle mischt sich das rötliche Gelb der Kandelaber und Altarkerzen; von dem Marmor der Wände fallen Reflexe zurück, und aus der weit geöffneten Türe quillt mit dem Strom der eintretenden Gäste wiederum eine neue Flut hellen Lichtes und ergießt sich über die Quadern des Fußbodens, den zum Altar führenden purpurfarbenen Läufer und die bunten Arabesken des kostbaren Teppichs vor dem Allerheiligsten. Hier hat sich um Oberhofprediger Dryander die gesamte Hof- und Domgeistlichkeit geschart, während durch die Pforte gegenüber noch immer der Strom der Gäste quillt: Offiziere, Diplomaten, Fürstlichkeiten, der Persönlichkeit nach von der Galerie aus schwer erkennbar eine grelle Mischung wahllos durcheinander fließender Farben - Uniformen, goldbestickte Brustseiten, funkelnder Ordensschmuck, lichte Damentoiletten, ein Aufblitzen von Edelgestein und Geschmeide aller Art [...]. Der bunte Strom verteilt sich im Kapellenraum, quillt in die Nischen hinein, umspannt in weitem Halbkreise den frei bleibenden Raum vor dem Altar [...]. Nun eine starke Bewegung, das leise feine Schwirren eines Glockensignals, ein rhythmisches Klopfen. Die Geistlichkeit verläßt den Altar und schreitet zur Tür: der Hochzeitszug naht, während die Glocken zu läuten beginnen. Voran zwei Kammerfuriere in Gold und Braun, in Röcken, wie man sie schon zur Zeit des ersten preußischen Königs trug - dann eine Welle von schillerndem Rot: das Pagenkorps - dann die beiden Reichsherolde (Graf Rantzau und Herr von Leckow) in der vom Kaiser selbst entworfenen und von Doepler gezeichneten, mit gestickten Wappen übersäten phantastischen Tracht, und endlich der große Vortritt. Zunächst der sonst selten in seinem Amt fungierende Oberstmarschall Fürst Maximilian Egon zu Fürstenberg und der Oberstkämmerer Fürst zu Solms mit dem großen Schwann der Zeremonienmeister, Kammerherm und Kammerjunker. Alles, was den Kammerherrenschlüssel fuhren darf, scheint beisammen zu sein; auch die alten Herren, die sonst nicht mehr gern die Bürde des höfischen Dienstes auf sich nehmen, und selbstverständlich die allerjüngsten. Der Prinz trug die Uniform des ersten Garde-Regiments, die junge Prinzessin eine Robe aus weißem silbergeblümtem Tüll mit mächtiger Schleppe, in diese eingestickt ein Bandeau von stilisierten Silberrosen und Myrtensträußchen, während der ganze Stoff zugleich übrsät schien von kleinen Röschen und Myrtenzweigen; von der blühenden grünen Krone, die das schöne Haar schmückte, wallte der bräutliche Schleier. Vier Hofdamen trugen die Schleppe. Es folgten nun zunächst die gesamten Hofchargen, so geordnet, daß die

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obersten Hofchargen, Fürst Pleß als Oberstjägermeister, Fürst Radolin als Obersttruchseß und der Herzog zu Trachenberg als Oberstschenk, den Beschluß bildeten und den Übergang zum Kaiserpaare. Den Kaiser umgaben außer dem Hausminister und dem Chef des Zivilkabinetts das ganze Hauptquartier, die General- und Flügeladjudanten, die Kaiserin, deren Schleppe von ihren sechs Hofdamen getragen wurde, die Getreuen ihres persönlichen Hofstaates. Nun kamen die Prinzen, die Eltern der Herzogin und die souveränen Fürstlichkeiten, zum Teil wiederum mit großem Gefolge, ein schier endloser Zug, der sich erst zerteilte, als die höchsten Herrschaften ihre Plätze vor dem Altar eingenommen hatten. In diesem Augenblick begann der Gesang des Domchores, und dann setzte die Orgel ein: ein Augenblick, unbeschreiblich und unvergeßlich in seiner erhabenen Feierlichkeit. Das wohllautende weiche Organ des Oberhofpredigers schallte durch den Raum: wiederum, wie bei dem Festgottesdienst am Sonntag, nur eine kurze, aber von Herzen zu Herzen gehende Predigt. Beim Wechseln der Ringe vernimmt man von draußen her das dumpfe Dröhnen der Kanonen, den Freudensalut der am Lustgarten postierten Artillerie, und dann klingt abermals von der Höhe der Kapelle vierstimmiger Gesang und Orgelspiel - die Zeremonie ist beendet. Einen Augenblick scheint das Bild unten, von der Galerie aus gesehen, in tausend Farben zu zerfließen; aber aus dem scheinbaren Chaos entwickelt sich von 195 neuem der Zug, der in gleicher Ordnung wie vordem die Kapelle verläßt [...] ".

Es ist nicht einfach, den Stellenwert der Predigt in diesem vom höfischen Zeremoniell beherrschten Rahmen zu erheben. Doch es liegt angesichts des obigen Berichts der Verdacht nahe, daß nicht nur der Blick, sondern auch das Gehör der versammelten Gemeinde "glanzgeblendet" war und somit mehr das "wohllautende weiche Organ des Oberhofpredigers" als dessen Worte Beachtung fanden, die dem Glanz und der Freude des Hochzeitstages den Ernst des alltäglichen Ehelebens nicht vorenthalten wollten. 196 Der Rahmen machte es dem Prediger nicht leicht, stellte andererseits aber eine Herausforderung an ihn dar, das Salz des Evangeliums vor diesem Forum darzubieten. Dryander war dieser Herausforderung gewachsen und konnte zu Anlässen im königlichen Familienleben, die in seine pastoral begleitende Zuständigkeit fielen, beides verbinden: den Ernst und den Zuspruch des Evangeliums sowie die Erfordernisse einer dem höfischen Zeremoniell in Form und Stil gerecht werdenden Kanzelrede. Mit Worten Bülows 195

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Zobeltitz, Chronik II, 97-99 (Hervorhebungen vom Vf.). Prof. R.Staats (Kiel) wies auf eine interessante liturgiegeschichtliche Reminiszenz dieses Protokolls hin, derzufolge der Introitus des Kaisers altem Reichszeremonial nachempfunden sei; vgl. den Ausschnitt eines Augenzeugenberichts über die Krönung Ferdinands IV. in Regensburg 1653, die größtenteils noch der ottonischen Krönungsliturgie folgte, bei R.Staats, Die Reichskrone. Geschichte und Bedeutung eines europäischen Symbols, Göttingen 1991, 113-136, 124. EvD, Traurede Eitel Friedrich/Sophie Charlotte (1906), 13-17.

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handelte es sich um "würdige Ansprachefn], [...] von jedem Byzantinismus weit entfernt"197. So könnte man hier mit Naumann sagen, es habe in diesen Reden "mehr der Prediger gesprochen als der //o/prediger. 198 Anders urteilt der ehemalige Hofmarschall Zedlitz-Trützschler über "die ungemein interessante Persönlichkeit" Dryanders199: "Seine Art sich hier zu bewegen ist sehr geschickt und geschmeidig, und er erinnert mit seinem vorteilhaften Äußeren an einen französischen Abbö des ancien regime. Seine Unterhaltungsgabe ist geistreich und fesselnd, dabei ist er ein Meister in der Beherrschung der Sprache, seine Predigten sind nach vielen Richtungen Kunstwerke. Aber die gelungene Form und die geschmeidige Art überwiegen in ihnen ebenso wie in der ganzen Persönlichkeit. Dazu kommt, daß er, wie so viele Geistliche, sich ganz überzeugungstreu in vieles hereinzureden vermag, das zu dem stärksten Byzantinertum gehört."

Ins Allgemeine gewendet, aber auch mit Dryander im Blick, fuhr er fort: "Diese Geistlichen glauben, wenn sie, sich einschmeichelnd, nach dem Munde reden und an Allerhöchster Stelle vorhandene Tugenden geschickt hervorheben, wirklich an das, was sie sagen. Darum sind sie so wirkungsvoll und so gefährlich."

Zedlitz-Trützschler wies sicherlich auf wichtige Punkte hin, differenzierte aber nicht hinreichend nach Anlässen. Ohne das oben Gesagte revidieren zu müssen, kann und soll allerdings zugestanden werden, daß "die gelungene Form und die geschmeidige Art" der Persönlichkeit und der Predigten Dryanders in der Gefahr standen zu überwiegen, wenn das Kaiserpaar selbst vor dem Altar stand. Hier trifft zu, was der nachmalige Reichskanzler Michaelis bei solchen Anläßen empfand: "Auch wenn die Hofpredigt ernste Töne anschlug, so fühlte man die Gefahr, der untertänigen Rücksichtsnahme." 200

So konnte Dryander angesichts eines anstehenden Kampfes um die "heiligsten Güter des Volkes, um Glaube und Sittlichkeit, Ehe, Familie und Vaterland" nicht umhin, Gott am Silberhochzeitstag des kaiserlichen Paares zu danken, "daß er uns mit dem stärkenden und erquickenden Anblick eines reinen, christlich geweihten, vorbildlichen deutschen Ehebundes in unserem

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Vgl. den Eindruck Bülows, Denkwürdigkeiten I, 387: "Am 18. Oktober [1900] fand die Einsegnung des Prinzen Adalbert statt. Dryander hielt eine würdige Ansprache, die, von jedem Byzantinismus weit entfernt, auf die ewigen Sterne hinwies, die uns auf der steinigen und oft gefährlichen Pilgerfahrt leuchten sollen." Fr.Naumann, "Asia", Berlin 5 1904 (1899), 70 (Hervorhebungen vom Vf.). G.v.Dryander, Erinnerungen 18, zitiert Naumann ohne Fundort. Zedlitz-Trützschler, Kaiserhof 90, v. 6.11.1904. Hier s.a. die folgenden Anführungen. G.Michaelis, Für Volk und Staat. Eine Lebensgeschichte, Berlin 1922, 381.

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teuren Kaiserhause reich gesegnet" habe, vergaß aber andererseits nicht, hervorzuheben, daß im Licht der gekreuzigten Liebe das Tugendvermögen kein gesichertes Kaptital sei und daß überhaupt - mit einem Dryander wichtigen Leitwort Luthers - ein Christ nicht im Wordensein, sondern immer im Werden sei. 201 Sicherlich hat dies das Tugendideal Wilhelms II., welches er als eine Art Norm in privaten wie höfischen, politischen und diplomatischen Angelegenheiten für sich als Richter in Anspruch nahm202, gestärkt, besonders da es geistlich - von der Kanzel herab - genährt wurde. Doch auch wenn nach Zedlitz-Trützschler nur jemand, "der die intimen Vorgänge am Hofe ganz kennt, [...] die unglaubliche Liebdienerei der schmeichlerischen Predigten, die ich von den Hofpredigern gehört habe, ganz ermessen" kann203, wird man Dryander vor dem Vorwurf eines "schmeichlerischen" und "servilen" Predigers, ja erst recht vor der Behauptung, er sei eine biegsame und schwache Natur, die nur noch höfischen Alltag zeige 204 , in Schutz nehmen müssen. Unbestreitbar kam in den vom Kaiserpaar besuchten Gottesdiensten Dryanders Herzensergebenheit und Treue dem Königshaus gegenüber zum Ausdruck205. Allerdings reicht dies allein noch nicht aus, ihn der Schmeichelei

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EvD, Silberhochzeitsrede (1906) 5, 9. Zedlitz-Trützschler, Kaiserhof 79 (v. 21.7.1904), spricht in diesem Zusammenhang sogar von einem "Tugendwahn [...] , der die Schranken des Möglichen und Tatsächlichen häufig verkennen läßt". Ebd.; hier heißt es weiter: "[...] wenn aber in jeder Predigt, die ein Hofprediger hält oder ausarbeitet und die dann der Kaiser vorliest, immer wieder Anspielungen und versteckte Schmeicheleien auf dieses Tugendleben vorkommen, so ist es nur natürlich, daß sich daraus ein sittlicher Hochmut entwickelt, der dem bedenklichsten Pharisäertum gleichkommt[...]. Ich bin über diese Predigten häufig aufs äußerste erschüttert gewesen, denn sie wirken unheilvoller, als man es sich nur im entferntesten vorstellen kann. Die Geschichte sollte aber einst dieses Moment der Einwirkung nicht unerörtert lassen." Frank, Stoecker 222f, der sich in einem Vergleich der Kögel-Stoeckerschen mit der Dryanderschen Epoche auf die Aufzeichnungen Zedlitz-Trützschlers beruft. Dies reicht von den höfisch-subtilen Anredeformen (Kirchgangspredigt Wilhelm/ Cecilie (1905), 3; Silberhochzeitsrede (1906), 3, 13, 15; Großjährigkeit (1900), 3 u.a.) bis zu expliziten Worten der Treue (Kirchgangspredigt Wilhelm/Cecilie (1905), 11; Silberhochzeitsrede (1906), 5, Ev. Reden 14 (1918), 3; ebd. 15 (1918), 14). Vgl. Schneller, Dryander 135; Kähler, Dryander 21. Zur vergleichenden Illustration sei erwähnt, daß der EOK- und DEKA-Präsident Voigts auf der sich an den Silberhochzeitsgottesdienst anschließenden Glückwunschcour zum Ausdruck brachte, wie "das ganze deutsche Volk [...] heute fürbittend die Hände empor zu Gottes Thron [hebe] und sich vereinige in dem Erflehen des reichsten Segens Gottes auf die Majestäten und das ganze königliche Haus" (CCW 16 (1906), Sp. 126).

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als einer bewußt eingesetzten Form des Byzantinismus anzuklagen, versuchte er doch, auch seiner Treue dem Wort gegenüber gerecht zu werden. Nach Bülows "Denkwürdigkeiten" "bewies Oberhofprediger Dryander, daß bei einem treuen Diener am Wort sich Mut und Festigkeit sehr wohl mit der Milde vereinigen lassen, die dem würdigen Seelsorger des Kaiserlichen Hauses alle Herzen gewann."206 Dryander selbst war sich allerdings - gerade angesichts der höfischen Verhältnisse - der Versuchung voll bewußt, welche darin lag, die für sich gewonnenen Herzen zu erhalten. Doch war er der Überzeugung, daß "nie [...] eine von der Kanzel dem Kaiser zugerufene Schmeichelei ein anderes Gefühl als das des Mißfallens bei ihm eregt haben" würde.207 Auch nahm er die Gefahr wahr, "daß bei diesen Gottesdiensten ein Stück königlichen Prunks entfaltet wurde". Doch letztendlich sah er durch diesen Prunk seine geistliche Wirksamkeit weder beschränkt noch beeinflußt, sondern er verteidigte diesen Glanz besonders nach dem Zusammenbruch vehement, "als gerade hierin ein Stück der Volksgeschichte mit seiner Kultur in die Erscheinung tritt.

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Bülow, Denkwürdigkeiten I, 249. Einer kurzen Skizze des Weges Dryanders an den Hof folgt ein nicht sehr konkretes Urteil, wobei Bülow Dryander von den anderen Hofprediger hervorhob: "Es hat sich in der Vergangenheit gegen die Hofprediger dies und jenes und manches vielleicht nicht mit Unrecht sagen lassen. Oberhofprediger Dryander war ein wahrer Bischof in dem Sinne, in dem der größte der Apostel seinen rechtschaffenen Sohn Timotheus mahnt, ein guter Streiter Christi zu sein eingedenk dessen, daß Gott uns nicht gab den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Zucht." Zu den Urteilen Bülows über Zeitgenossen in den "Denkwürdigkeiten" ist anzumerken, daß sie in ihrer Subjektivität erheblich Maß genommen haben an der jeweiligen Stellung zur Entlassung Bülows aus dem Kanzleramt. So wurde der - eigentlich befreundete - Adolf von Harnack mittels Schmähungen und Verhöhnungen als charakterloser Byzantiner und 'Wendehals' maliziös gezeichnet (a.a.O. I, 527; II, 57, 454; III, 93f, 115f u.ö.) und u.a. Dryander gegenübergestellt, der dem Kaiser - so Bülow - "im Gegensatz zu Adolf Hamack auch dann die Treue gehalten [habe], als Wilhelm II. den Kaiserthron mit dem Exil vertauschte" (a.a.O. I, 249). Die positive Skizze Dryanders ist demnach auch zu verstehen als dankbare Reverenz für die von Dryander - "trotz seiner langjährigen nahen Beziehungen zu Wilhelm II." - nach der Entlassung Bülows zum Ausdruck gebrachte "'wärmste und zugleich schmerzlichste Anteilnahme an den politischen Ereignissen'" (a.a.O. III, 365f). Nach Bülow schrieb Dryander in seinem Brief weiter: "'Es drängt mich bei dem mir unverständlichen und meines Dafürhaltens nicht in der Sache selbst begründeten Verhalten der Konservativen Partei, deren Hospitant ich im Herrenhause bin, Euer Durchlaucht meine volle Sympathie und den ehrerbietigsten Dank für die starke und glanzvolle Leitung der Geschäfte auszusprechen sowie mein inniges Bedauern, [...] daß, abgesehen von allem anderen, das Reich der starken und zielbewußten Hand Euer Durchlaucht beraubt wird.'" EvD, Erinnerungen 223; hier s.a. die folgenden Anführungen.

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Nicht das Vorhandensein, sondern das Fehlen dieses Prunkes wäre anstößig gewesen und hätte würdelos unsre Geschichte verleugnet, wie denn heute [1921/22] mit dem königlichen Glanz vielfach auch der Sinn für die äußere Würde [...] verschwunden ist".

Hierin bestätigt sich die oft - und noch von Günther Dehn - auf Dryander angewandte Formel: "Ein Royalist, kein Byzantiner!"208 Rittelmeyer, zu dem Dryander ungeachtet dessen eigentümlich liberaler theologischer Stellung ein freundliches Verhältnis pflegte, hielt diesen sogar fur den einzigen Mann, "der an der Stelle, wohin ihn das Schicksal gestellt hat, noch seine menschliche Würde bewahren" konnte.209 Offensichtlich nahm auch Rittelmeyer wie später besonders Günther Dehn den Oberhofprediger vor dem negativen Urteil Franks mit verehrender, aber gleichwohl kritischer Sympathie in Schutz, wenn er herausstellte: "Nicht ein geschmeidiger Hofmann ist er gewesen, wie man ihm manchmal nachgesagt hat, wohl aber ein fugsamer Monarchist, der sich doch immer wieder selbst 210

behaupten konnte."

Die Gefahr lag bei Dryander denn auch weniger in bewußten oder unbewußten Schmeicheleien als vielmehr in der Überzeugungstreue, mit der er die Kaiserrolle und das Selbstverständnis Wilhelms II. gerade bei offiziellen Anläßen gestärkt und gestützt hat. Bei Hofe schlug sich dies vor allem in drei außerordentlichen Gottesdiensten nieder, die auf Anregung Wilhelms II. zu mehr als bloß höfischem Zeremoniell geformt worden waren und deren Ausfuhrungen meist seinem Oberhofprediger zufielen. 211 208

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Kähler, E.v.Dryander 21; Dehn, Die alte Zeit 126 (121-131). Besonders G.Dehn, durch seinen Lebenslauf wie durch seine Autobiographie als unvoreingenommen, fair, dabei aber alles andere als konservativ und nationalistisch ausgewiesen, kann für dieses Urteil als gewichtiger Kronzeuge gelten. Fr.Rittelmeyer, Aus meinem Leben, Stuttgart 1937, 370-373, 371. Betonte Rittelmeyer, daß es Dryander gewesen sei, dem - als einer wohltuend echten und ernsten, aber auch lebensvoll erwärmenden, charakteristisch und charaktervoll vornehmen Erscheinung auf der Kanzel - er als Berliner Student am meisten zu verdanken habe (370), so war andererseits Dryander von der Predigtweise Geyers und Rittelmeyers z.T. sogar begeistert angetan (Dehn, Die alte Zeit 125). Rittelmeyer, Leben 371. Fast immer bestimmte Wilhelm II. die Texte für die Predigt und den jeweiligen Prediger selbst. S. z.B. ein nicht datiertes Autograph Wilhelms II., abgedruckt in dem u.a. von Dryander, v.d.Goltz und Faber kräftig geförderten Sammelband Der Protestantismus am Ende des XIX. Jahrhunderts in Wort und Bild, hg. v. C.Werckshagen, 2 Bde., Berlin o.J. [1901/1902], Bd. II, 732. Hier sah Wilhelm II. Frommel (mit einem "?" versehen) für den Neujahrstag, Faber für den 18. Januar sowie Dryander für das Ordensfest und den eigenen Geburtstag am 27. Januar vor. Diese Vorschläge entstammen wohl schon

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So fand je zum Neujahrstag ein Gottesdienst statt, der als ein "Staatsakt vor der offiziellen Welt aller Nationen und Bekenntnisse [...] ein neues Jahr aufbauender staatlicher Arbeit unter eine religiöse Weihe" stellen sollte. 212 In ähnlicher Weise sollte der Gottesdienst zum Krönungs- und Ordensfest Dryanders Ansicht nach "den Zusammenhang der politischen Tugenden mit dem Evangelium vor der Gemeinde der aus allen Kreisen stammenden Volksgenossen" aufweisen. 213 Das Bindeglied in dieser "Verflechtung mit fremden Gedankenkreisen" - wie Dryander einräumte - war ihm der Gedanke, "daß der Bestand nationaler Wohlfahrt nur durch [religiös-sittlich begründete] Pflichttreue und Hingabe an das Ganze verbürgt" zu sein schien214. Allerdings war dieser Gedanke so "fremd" nicht, ging er doch in eins mit Ausführungen, die Dryander als Dreifaltigkeitsprediger am 2. September 1888, kurz nach der Thronbesteigung Wilhelms II., über Jesu Wort vom Zinsgroschen (Mk 12, 13-17) gleichsam als Interpretation der Zwei-Reiche-Lehre verlautbart hatte: "Was immer Kaiser, Vaterland, Gemeinwesen von dir fordern können an Kraft, Zeit und Hingabe, daß heißt auch mit göttlicher Autorität dein Heiland dich leisten. Die Christen sollen auch die besten Bürger des Staates, die hingehendsten Patrioten, die 215 treuesten Unterthanen sein."

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dem Zeitraum zwischen 1893 und 1896, daFrommel im November 1896 gestorben war, und zeigen noch einmal die Hochschätzung des stellvertretenden Schloßpfarrers Dryander, wenn ihm so wichtige Gottesdienste anvertraut wurden. Vgl. EvD, Erinnerungen 224, und Hinweise aus den Zeitschriften (z.B. Ev.-Kirchl. Anzeiger 45 [1894], 36: Dryander habe in einer Predigt erwähnt, daß der Kaiser den Text (Jes 34, 8) zu seinem Geburtstagsgottesdienst selbst ausgewählt habe). EvD, Erinnerungen 222. Ebd. Zum Ablauf des scherzhaft "Krönungs- und Knopflochtag" genannten Festes s. u.a. Zobeltitz, Chronik II, 62: "Auch das große Krönungs- und Ordensfest [...] wird sich im allgemeinen nach hergebrachter Überlieferung abspielen. Geladen werden dazu außer den neu zu dekorierenden Personen auch diejenigen, die im Vorjahr dekoriert worden sind; vorgestellt werden dagegen nur die neuen Ritter vom Roten Adler, des Kronenund des Hohenzollernschen Hausordens. An die Vorstellung schließt sich im Rittersaal die erste große Cour, der ein feierlicher Gottesdienst in der Schloßkapelle und hierauf die Tafel im Weißen Saale folgt." B.Weiß beteuerte, wie Dryander zu diesem Anlaß "neben allem, was Ort und Zeit erforderte und wofür er stets das rechte Wort fand, so schlicht und erbaulich sprach, als wäre es ein gewöhnlicher Sonntagsgottesdienst" (Aus neunzig Lebensjahren 215). EvD, Erinnerungen 222. Friedrich Wilhelm IV. hatte dieses Fest am 2.1.1851 aus Anlaß der 150jährigen Wiederkehr der Krönung Friedrichs I. ftlr den 18. Januar gestiftet. Die Ordre v. 2.1.1851 findet sich auch im EZA 7/2792, pag. 2. Dryander schrieb diese Stiftung irrtümlich Friedrich Wilhelm III. zu. EvD, Ev. Marci II, 111-123, 117.

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5. In der Nähe des Thrones

Denn nicht nur die "Erinnerung an unsere vaterländische Geschichte, von deren Herrlichkeit wir uns nicht lossagen können", nicht nur die "Mahnung an die alte deutsche Treue" binde "unverbrüchlich an König und Vaterland", viel fester binde das Wort des Herrn die Gewissen und nehme in den Dienst, "dem Kaiser [zu] geben willigen Gehorsam, unbeugsame Pflichttreue."216 Gewissermaßen eine Zusammenfassung und Zuspitzung der Idee, die diesen Gottesdiensten innewohnte, war die sogenannte Kaisergeburtstagsfeier, die im Zusammenhang mit den von Wilhelm II. in Erinnerung an seinen Vater und Großvater eingeführten Kaisertagen stand. Der Gottesdienst zu dieser Feier sollte auf die "religiöse Ausprägung des Staatsgedankens" hinweisen, wie Dryander sie "nicht in der Figur des Eintagspräsidenten" mit ständig "wechselnden Parlamentsmehrheiten, sondern in der Person und dem ausgleichenden Gewicht des über allen Parteien stehenden Herrschers" verkörpert fand. 217 Sah Dryander doch in Wilhelm II. eine "sich bei Luther, Friedrich dem Großen und Bismarck gleichmäßig" wiederfindende und sich auf sie berufende "evangelische Staatsgesinnung" geborgen, um derentwillen er "in der Tat 'mit religiösen Gefühlen' zum Staate empor[blickte], der mit seiner Forderung der Hingabe an das Ganze nicht nur 'Schuldigkeiten, sondern Opfer' von uns verlangt." "So wob sich in einzigartiger Wechselwirkung jenes wundervolle Band, das den Kaiser mit seinem Volk, das Volk mit seinem Kaiser verbindet. Aus ihm erwächst die Volltönigkeit des Rufes: Heil Kaiser Dir! [...] Je enger dies Band sich wob, um so mehr ward uns unser Kaiser der Vertreter unseres nationalen Besitzes, unseres vaterländischen Seins. Und auch das war eine Fügung unserer Geschichte im Unterschied von anderen Völkern, daß dieser Vertreter des Staatsgedankens der Träger einer Krone, der Träger der alten deutschen Kaiserkrone war [...]. Es ist, als ob wir sozusagen unser Eigenes suchten, wenn wir dem Träger dieser 218 Krone zurufen: Heil Kaiser Dir!"

ΛI£

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Ebd. Dryander meinte daraus zweierlei folgern zu können: "Wo immer unter uns die Mächte des Umsturzes ihr Haupt erheben, oder in dunkler Arbeit die Ordnung zu untergraben suchen, da haben sie eben damit auch dem Worte und Reiche des Herrn den Krieg erklärt. Wo immer in unserem öffentlichen Leben, in unserer Presse offen oder versteckt die Feindschaft gegen das Evangelium heraustritt, da liegt sicher der andere Gedanke zügellosen Widerstreits gegen die bestehende Ordnung der Dinge nur allzunahe." EvD, Erinnerungen 222f; hier s.a. das Folgende. EvD, Ev. Reden 14 (1918), 3-9, v. 27.1.1918 im Berliner Dom zum Kaisergeburtstag, 3 f.

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Auch wenn bei diesem Bild einschränkend zu berücksichtigen ist, daß es einer Predigt aus dem vierten Kriegsjahr in Anwesenheit des Kaisers entnommen ist und im Nachhinein also gewissermaßen den Schluß- und Höhepunkt in der Entwicklung einer besonderen Predigtgattung darstellt - sogar Dryander mußte sich hier selbst bremsend betonen, "daß wir nicht hier sind, um patriotische Betrachtungen anzustellen, sondern um Gottesdienst zu halten"219 -, so steht doch zu erwarten, was selbst noch ein schwacher Abglanz dieser Ausführungen in Wilhelm II. ausgelöst haben mußte. Hier ist der Punkt erreicht, wo die traditionelle Verehrung des Landesherrn mit ihrer vorgeschriebenen Verbeugung vor dem Träger des landesherrlichen Kirchenregiments vollends zu einem "Menschenkultus" umschlagen und zu einer großen Gefahr nicht nur für die Landeskirche, sondern auch für das religiöse Bewußtsein des Monarchen selbst werden konnte.220 Was konnten selbst Mahnungen wie die, daß dem, der in Gottes Reich etwas bedeuten wolle, "als erste und schwerste Tat zugemutet werden [müsse], daß er es verlerne, in eitlem Stolze sich selbst zu bewundern"221, als Gegengewicht bewirken, wenn zunächst das monarchische Selbstverständnis von der Kanzel herab eine derartige Bestätigung erfuhr. So war mit dieser Art gottesdienstlicher Feiern nicht nur dem Ausdruck gegeben, daß "Reich und Staat fester sittlich-religiöser Maßstäbe" bedürften, wie es einer Hof- und Domkanzel durchaus angemessen war und gut anstand222, sondern es wurde darüber hinaus durch diesen Rahmen dem "rein dynastischen Hohenzollernkult"223 ein Dienst erwiesen - aus dem völlig überzeugten Bewußtsein heraus, es sei eine "Fügung unserer von Gott ge-

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Ebd. 4. Michaelis, Staat und Volk 381. So hätte Michaelis den Kaiser gern einmal gefragt, "ob er nicht im Staats- und namentlich im Hofkirchentum eine gewaltige Gefahr fur sein persönliches Christentum erblicke" (ebd.). Weiter kann man das Urteil finden, daß "Schloßkapellen, Hoflogen in den Kirchen und Patronatsstühle [...] arge Erschwernisse für das persönliche Christentum derer [seien], denen sie dienen sollen" - und - so fügte Michaelis hinzu: "eine schlimme Belastung der Staatskirche im Volk". Mahnung aus einer Predigt v. 27.1.1902, zit. n. Gutsche, Wilhelm II., 109. Die Bereitschaft und das Bemühen der gesamten preußischen Landeskirche, dieser Intention gerecht zu werden, zeigt die speziell den Kaiser-Geburtstag betreffende Akte, z.B. in der Anordnung zur Vereinheitlichung der Gottesdienste und Fürbitten zu diesem Anlaß; EOK-Erlaß v. 14.4.1908 im EZA 7/2810, nicht pag. (Az.: E.O. I 1851). Fehrenbach, Wandlungen 100.

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wirkten Geschichte, daß uns eine Dynastie geschenkt ward, die [...] täglich in neuer kraftvoller Tat eroberte, was sie ererbte"224 Es überrascht nicht, daß sich diese Gedanken verstärkt in den außerordentlichen Gottesdiensten zu besonderen preußischen Gedenktagen wiederfinden lassen und sich hier zu einer Art hoftheologischem Komplex verdichteten. Der Mitternachtsgottesdienst zum Jahrhundertwechsel in der Schloßkapelle war für Dryander Anlaß genug zu einer Rückschau auf das vergehende Jahrhundert: "Wer spricht mit zwei Worten den gewaltigen Umschwung der Dinge aus, die unser Volk im verflossenen Jahrhundert erlebt hat? Eine Nation ohne Reich, ohne Einheit, ein Spielball der Fremden - so trat unser Volk das Jahrhundert an. Heute ist sein Traum und seine Sehnsucht erfüllt: - Glieder eines mächtigen Reiches sammeln wir uns dankend und feiernd um den Träger des kaiserli225

chen Diadems."

Damals nur zu literarischer Bedeutung bestimmt, ein "Volk von Denkern, von Träumern auch", stünden nach einer Geschichte "voll saurer Arbeit, voll blutiger Kämpfe, voll Not und Tränen, aber auch voll ernster Größe, voll hoher und geweihter Gestalten, Bahnbrechern und Führern ohnegleichen" - in Aufnahme des allgemeinen Empfindens, daß mit der Jahrhundertwende das Finale um einen letztgültigen Platz in der Weltgeschichte eingeläutet worden sei - "deutscher Fleiß, deutsche Kraft, deutscher Geist unter den Ersten im Wettbewerb um die geistige Eroberung der Welt".226 Man wird es Dryander glauben müssen, wenn er beteuerte: "Ich sage das nicht, uns zu rühmen [...]. Uns ist227die Welt nicht das Spiel blinder Kräfte, sondern der Schauplatz göttlicher Taten. In wunderbarer Erziehung bereitet der ewige Gott die Völker auf das Reich, das er auf Erden gründen will. Als in der Fülle der Zeit das ewige Wort Fleisch wird, tritt es ein in die Geschichte der Welt. Fortan bleibt es das verborgene Mark ihres Lebens, das letzte Ziel ihrer Entwicklung. Immer wieder bricht es in innerlicher Erweckung der Seelen, in mächtiger 224 225

226 227

EvD, Ev. Reden 14 (1918), 3-9, v. 27.2.1918 zum Kaisergeburtstag im Dom, 3. EvD, Jesus Christus gestern, heute und in Ewigkeit. Mitternachtsgottesdienst zur Jahrhundertwende, Silvester 1899. Berlin, Schloßkapelle, in: EvD, Gott und Mensch, 134138, 134. Ebd. 135. Vgl. EvD, Gott war mit uns! - Jubelfeier der 500jährigen Hohenzollernherrschaft in der Mark, 21. Sonntag n.Trin., 24.10. 1915, in: ders., Ev. Reden 6 (1915), 32-40, 33: "Das steht vorab uns fest: Gott macht die Geschichte, nicht blinder Zufall [...]. Gott geht durch das Labyrinth der Völker mit der stillen Macht seines Geistes hindurch und wirkt in das Aufeinanderplatzen der Nationen die Gedanken seiner Vorsehung und seiner erlösenden Gnade hinein."

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Bewegung der Geister aus aller Verdunklung hervor [...]. In der Rückkehr zum lebendigen Gott, dem Vater Jesu Christi, fand anfangs des Jahrhunderts in tiefer sittlich-religiöser Erweckung unser Volk die unvergleichliche Kraft, die den Grund zu seiner zukünftigen Größe legte. Derselbe Gott war es, zu dem unser Volk seine Zuflucht nahm in der Flammenglut jener Tage, die die getrennten Stämme zur Einheit 228 des Reiches zusammenschmolz." Denn tatsächlich diente hier der Geschichtsrückblick mehr als Medium zur Mahnung, den Namen Christi als "Salz unserer Gesittung, Sonne und Schild unserer Arbeit" und als Fundament für die Kräfte sittlicher Erneuerung gegen den Bann entgeisteter Weltanschauungen, gegen einen Weltgenuß im "Jagen um die Güter der Erde in Neid und Streit" sowie gegen einen unter den Erfolgen der Weltbeherrschung erwachsenen Weltsinn festzuhalten 2 2 9 : "Was wir brauchen, um die Gefahren der Zeit, - ich sage nicht, zu beschwören, aber zu mindern, ist mehr opferwillige Liebe. Wir müssen Menschen werden, in denen die Liebe Fleisch und Blut annahm, Persönlichkeiten, nicht nur überzeugt von der Wahrheit des Christentums, sondern auch entschlossen, es für sich selbst in Wirklichkeit umzusetzen, Charaktere, die in dem unaufhörlichen Flusse der Meinungen mit unbeugsamer Treue auf unbeweglichem Grunde wurzelnd ein Herz voll Erbarmen haben [...]. Es hat nach der Eigenart unseres Volkes keinen großen Wendepunkt der Geschichte gegeben, der nicht mit einer neuen, besonderen Erfassung des Evangeliums von Christus in Zusammenhang gestanden hätte. Auch die Wende dieses Jahrhunderts predigt uns eine solche [...] in Christus [als] einzige[r] Quelle der Liebe und Kraft, die 230

stärker sind als Haß und Zwiespalt der Zeit [...]". Sprach Dryander zu dieser Gelegenheit noch aus, daß Christus "Nicht in feierlichen Gottesdiensten oder geweihten Stunden [...] Bewährung [...] bei uns erproben [will]" 2 3 1 , so schienen ihn nicht einmal zwei Jahre später in der Rede zur 200-Jahr-Feier der preußischen Königskrönung am 8. September 1901 in Königsberg die "Gnadenfuhrungen, die Gott zwei Jahrhunderte hindurch mit unserem Volke gegangen", überwältigt zu haben. 2 3 2 Vielleicht beeinflußte auch die "Wiege des Königtums", an der "soviel lebendiger sich [...] die Erinnerungen aufdrängen, als in der Berliner Schloßkapelle", den bei Dryander hier erstmals greifbaren Umstand, daß die preußisch-deutsche

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EvD, Gott und Mensch (Gottesdienst zur Jahrhundertwende) 135. Ebd. 135f. Ebd. 137. Ebd. 138. EvD, Dank, der Weg zum Heil Gottes. Rede zur Zweihundertjahrfeier der preußischen Königskrönung, 14. Sonntag n.Trin., 8. September 1901, Königsberg, Schloßkirche, in: EvD, Gott und Mensch 144-149, 144. Die eigentlichen kirchlichen Gedenkfeiern fanden am 18.1.1901 statt (EOK-Erlaß v. 4.1.1901, EZA 7/2810, nicht pag. [E.O. 10881]).

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5. In der Nähe des Thrones

Geschichte in einer Predigt eigenes Gewicht bekam.233 Denn hier erscheint die sittlich-religiöse Kraft des Volkes als das innere "Siegel göttlicher Genehmigung" in der äußeren preußisch-deutschen Geschichte, in der sich ein mit Königsberg verbundener Bogen von Friedrich I. zu Wilhelm I. wie eine verheißende Weissagung zu ihrer Erfüllung spanne: "Als König Wilhelm demütig von diesem Altar aus der Hand göttlicher Gnade die Krone nahm, war die Weissagung erfüllt" 234 .

Doch nicht nur dies, Dryander führte weiter aus: "Wer Gottes Wege in der Geschichte sucht, dem fügt sich Entlegenes zusammen, ihm werden, wie dem ewigen Gott selbst, tausend Jahre wie ein Tag. Aus den Händen des Staufenkaisers empfing Hermann von Salza das Zeichen des Schwarzen Adlers, das der deutsche Orden siegreich in dies Land trug, um es deutschem Glauben und deutscher Sitte zu erobern. Aufs neue erhebt der Aar seine Schwingen, als Albrecht von Preußen von der Krone Polens das alte Zeichen zurücknimmt. Seit dem hat derselbe Aar, getreu der Losung: nec soli cedit, seine Fittiche immer höher erhoben und nicht eher seinen Flug gehemmt, als bis er die Höhe deutscher Kaiserherrlichkeit erreichte - welch eine Geschichte!!"

Der Flug des Adlers gleicht somit einem roten Faden göttlicher Providenz durch diese Geschichte. Nicht nur auf das kaiserliche Geschichtsverständnis konnte diese Art Geschichtstheologie oder gar -teleologie nur bestärkend wirken, denn es will scheinen, als habe das preußische Königshaus eine besondere göttliche Sendung gehabt. Die Behafitung der preußisch-deutschen Geschichte mit einer quasi göttlichen Offenbarungsqualität mag von Dryander zwar hier und da wieder abgeschwächt worden sein: 235

"Nicht die äußeren Ereignisse sind uns die Hauptsache."

Auch versuchte Dryander im Sinne einer echt evangelischen Feier, die Mahnung zu Buße und Dank nicht fehlen zu lassen, und stellte vor allem eine tiefere Verheißung vor Augen, die nicht an vaterländische Größe denken lasse: "Nicht Siege unserer Waffen, nicht Ausdehnung unserer Grenzen, nicht Hebung unseres Wohlstandes wird uns verbürgt." 236

Doch konnte das im dankbaren Gedenken an die vaterländische Größe aufgekommene Hochgefühl dadurch wirklich gemindert werden? Oder konn-

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EvD, Zweihundertjahrfeier (1901), 144. Ebd. 145. Hier s.a. das folgende Zitat. Ebd. Ebd. 147.

5.2. Im Sog des Hofes - Dryander und der Königsmechanismus

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ten gar Zweifel an der von Dryander ausgesprochenen Erwartung aufkommenen, daß Gott noch Größeres vorhabe? "Um unser Königspaar geschart, umgeben von den Insignien des Reiches, umrauscht von den alten Zeichen preußischer Treue, aufschauend zu der unsichtbaren Gemeinde von Paladinen, die einst dem Flug des preußischen Adlers folgten, deren Namen und Wappenschilder uns entgegenleuchten, geloben wir unserem König und unserem 237

Vaterland neue Treue bis in den Tod."

Es zeigt sich - besonders aus der Sicht eines Nachgeborenen - eine schwierige und letztlich unheilvolle Gratwanderung zwischen der Treue zum Evangelium und der Treue zum Königshaus und seiner Geschichte. Dryander hielt diesen Spagat aus, wobei der Gedanke, ja der Glaube, daß Gott in seinen "heiligen Wege[n] [...] mit unserem Volke" geredet habe238, zu dem verbindenden Glied und zu einer Konstante in seinen Reden zu den hohen vaterländischen Gedenktagen wurde. Urerlebnis und Grunddatum gleichsam als Exodus- und Sinaigeschehen zusammen waren ihm die Tage von 1813, in denen sich - wie er zu deren Gedenken am 10. März 1913 im Dom ausführte "vor den staunenden Augen der Welt ein ausgesogenes, herabgewürdigtes, zertretenes Volk mit beispielloser Kraft sich erhebt, Preußens Wiedergeburt sich vollzieht. Es beginnt jener Zustrom zum Heer, in dem das Edelste, Reinste, Frommste, was das Volk barg, zu den Waffen eilt, [...] sich um den Thron des Königs alle jene herrlichen 239

Menschen [sammeln ...]. An ihrer Spitze der stille, emste König [...]".

So konnte Dryander ein nach dem Zusammenbruch der großen Armee Napoleons im Winter 1813 in offensichtlicher Anlehnung an das Mirjamlied (Ex 15) anonym gedichtetes Lied zitieren ("Mit Mann und Roß und Wagen, / So hat sie Gott geschlagen!")240, um daraus zu folgern:

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Ebd. 148f. Interessant ist die Predigt Dryanders aus Anlaß der Aufstellung der Sarkophage Wilhelms I. und Augustas im Charlottenburger Mausoleum Anfang September 1894: Im Gedenken an die vorigen Taten und Wunder Gottes gedachte Dryander besonders der Worte des 2. September 1870 "Welch' eine Wendung durch Gottes Fügung!" und betonte, daß diese Ruhestätte von ihm nicht mehr neu geweiht werden müsse, da sie selbst vielmehr jeden weihe, der sie betrete, ja sogar das ganze Volk mit ihren mamornen Herrscherbildern und Inschriften zur äußersten Treue mahnen könnte (Ev.-Kirchlicher Anzeiger 45 [1894], 313). EvD, Predigt gehalten bei der Jahrhundert-Feier der Erhebung Preußens und der Freiheitskriege im Dom zu Berlin am 10. März 1913, Berlin 1913 (= "Die heiligen Wege Gottes", in ders., Gott und Mensch 155-160), 2. Ebd. lf. H.Zimmer, Auf dem Altar des Vaterlandes. Religion und Patriotismus in der deutschen Kriegslyrik des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 1971, 43, weist auf die Popularität dieses paradigmatischen Fluchtliedes hin (Text s. W.Wohlrabe, Die Freiheitskriege in

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5. In der Nähe des Thrones

"Auch der Blödeste ahnte: Gott hat geredet! Was man sonst auf den Kanzeln verkündete als Gottestaten aus grauer Vorzeit, das war plötzlich in das helle Licht der Gegenwart gerückt. In Flammenglut erschien der lebendige Gott seinem Volke und redete zu ihm. Und das Volk hörte seinen Ruf." 2 4 1

Dieses nationale 'Pfingstereignis' ausmalend, konnte Dryander das Zusammenstehen von König und Volk schildern sowie das Wiedererwachen der von der Kraft der klassischen Dichtung begeisterten Seele, des vom Ernst des Kantschen kategorischen Imperativs geprägten Gewissens und des aus der Buße geborenen und in der Not gereiften wie bewährten Glaubens preisen. In jenen Tagen sah Dryander die Einigung um die deutsche Kaiserkrone vorbereitet, die wiederum von dem Ruf und Geist jener Tage begleitet worden sei. "Wir haben die alte Landwehrdevise: 'Mit Gott für König und Vaterland' mit der neuen vertauscht: 'Mit Gott für Kaiser und Reich!'" 2 4 2

Als wollte er diese Devise allen sichtbar machen, verwies Dryander auf den Altar: "Dort rauschen am Altar unsere Fahnen, die alten lieben Preußenfahnen. In dem neuen Tuch sind die alten Bänder enthalten, die so oft zu Sieg und Ehre der Truppe voranflatterten. Der frische Lorbeer, mit dem sie geschmückt sind, zeigt, daß sie noch heute dieselbe Kraft in sich bergen." 243

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Lied und Geschichte, Bd. 1, Leipzig 1933, 37). Prof. R.Staats, Kiel, machte mich auf das noch am 17.9.1939 nach dem Sieg über Polen von Hitler beanspruchte Fluchtlied bzw. Exodus-Gedicht von 1813 aufmerksam (s. M.Domarus, Hitler, Reden und Proklamationen 1932-1945. Kommentiert von einem deutschen Zeitgenossen, Bd. 2: Untergang, München 1965, 1, 1359). EvD, Jahrhundert-Feier (1913), 3 (Hervorhebungen vom Vf.); neben gekennzeichneten Zitaten von Arndt (a.a.O. 3), Schleiermacher, Koerner (a.a.O. 4) und Schenkendorf (a.a.O. 7f) findet sich eine Fülle von Motiven der religiös-patriotischen Literatur jener Tage. So war z.B. das Bild der Flamme - besonders bei Koerner und Arndt - Symbol der aufgekommenen Begeisterung und der nationalen Erweckung frei nach Apg 2. Zu den verschiedenen Motivkreisen und deren Wirkungsgeschichte bis 1871 s. Zimmer, Altar (hier 37-42). EvD, Jahrhundert-Feier (1913), 4. Ebd. 6.

5.2. Im Sog des Hofes - Dryander und der Königsmechanismus

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5.2.6. "Mit Gott für Kaiser und Reich!" In der soeben skizzierten Predigtgattung zeigte sich nicht nur die äußere liturgisch-christliche Begleitung von Hof und Staat244, sondern deutete sich zudem eine bestimmte inhaltliche Ebene des Komplexes von 'Thron und Altar' an, die sich vielleicht mit der Formel 'Kreuz und Adler' charakterisieren ließe. Hiermit wird das weite Feld der im 19. Jahrhundert so dominanten und nicht zuletzt durch Hegel angeregten Sinnkonstruktionen von Geschichte berührt, die mit Hilfe alter und neuartiger Geschichtsphilosophien stark auf gesellschaftliche, politische und christliche Bewegungen einwirkte.245 Mit seiner theo- und teleologischen Deutung der preußisch-dynastischen Geschichte, welche die Träger der Krone zu Werkzeugen der Vorsehung Gottes mit dem Ziel der deutschen Einheit machte "Vom Kurhut zur Kaiserkrone - Gottes Wege sind wunderbar und er führt es herrlich hinaus." 246 -,

knüpfte Dryander zum einen an das borussische Geschichtsbild an, welches Preußen eine besondere Aufgabe an und in Deutschland zuschrieb247, und zum anderen an den seit den Tagen von 1813 gewachsenen Komplex des Nationalprotestantismus. In dem Hang zur Personalisierung von Herrschaft und Politik förderte der Borussianismus die "irrationale Glorifizierung der Hohenzollern" und leitete auf der Grundlage einer spezifischen, protestantisch und machtstaatlichdynastisch geprägten nationalen Identität zu einer Art "Metaphysierung der Politik" über.248 So wurden nicht nur die reformatorischen Tugenden in säkularisierter Gestalt für die Hohenzollern in Beschlag genommen, vor allem

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Zu Recht betont Staats, Kaiserreich 78: "Das Kaiserreich als ein Militärstaat wurde vom offiziellen Protestantismus nicht kritisiert, sondern christlich liturgisch begleitet." Es muß darüber hinaus aber nach der inneren Voraussetzung dieser Affinität zurückgefragt werden. K.Vondung, Die Apokalypse in Deutschland, München 1988, 150-257, versucht, die Tradition christlich-apokalyptischer Geschichtsspekulationen als treibende Kraft in den neuartigen philosophischen Systemen des 19. bzw. 20. Jahrhunderts zu verfolgen. EvD, Ev. Reden 6 (1915), 39 (Hohenzollemherrschaft). Hardtwig, Preußens Aufgabe, 310-324, faßt die Ergebnisse seiner Untersuchung des Geschichtsbildes bei Droysen zusammen, indem er thesenartig ein vereinfacht populäres Bild des Borrussianismus mit heuristischem Wert zeichnet. Ebd. 313-316, 313.

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5. In der Nähe des Thrones

wurde die preußisch-deutsche Geschichte teleologisch "als Ergebnis eines überpersonalen objektiven Willens" ausgelegt.249 Dryander stand mit seiner geschichtstheologischen Verkündigung von der Kanzel herab nicht isoliert, sondern repräsentierte über borussische Ideen hinaus die gewaltige, aber in sich nicht einheitliche Unterströmung des Nationalprotestantismus, der nach der Reichsgründung von 1871 immer deutlicher zum Ausdruck kam. 250 Grundlage dieses Phänomens war, wie Max Lenz es 1907 in einem vielbeachteten Aufsatz formulierte, die Überzeugung, daß "Nationalität und Religion [...] sich nicht von einander trennen [lassen ...], in die Fundamente der Nationalität sind religiöse Urkunden hineingelegt: der Idee der Nationalität selbst ist religiöses Empfinden beigemischt [...]".251 Die Wurzeln des modernen deutschen Nationalbewußtseins liegen im Geist der Freiheitskriege von 1813, der sich durch einen religiös und sittlich motivierten Patriotismus auszeichnete und somit viele christliche Heilsbegriffe in den "Schmelztiegel der Säkularisierung" reißen konnte. 252 An diesem Säkularisierungsprozeß, greifbar in der Übertragung religiöser Strukturen "auf zentrale Objekte nationalen [und patriotischen] Fühlens und Handelns", hat der Geist des Spätpietismus großen Einfluß gehabt, da die den Geist von 1813 literarisch maßgeblich formenden Dichter allesamt auf einem pietistischen Fundament standen.253 Vor allem Ernst Moritz Arndt, der Privatsekretär Steins, ist hier zu nennen. Sein alttestamentlich-fromm gefärbter Patriotismus war in seiner volkstümlichen Ausformung sehr an Luthers Sprachgewalt orientiert und nicht zuletzt dadurch mit tatbestimmtem Ethos sowie wuchtiger Biblizität ausgezeich-

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Ebd. 316-323, 321. 250 w.Tilgner, Volk, Nation und Vaterland im protestantischen Denken zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus (ca. 1870-1933), in: H.Zilleßen (Hg.), Volk - Nation Vaterland. Der deutsche Protestantismus und der Nationalismus (Veröffentlichungen des Sozialwissenschaftlichen Instituts der evangelischen Kirchen in Deutschland, Bd. 2), Gütersloh 1970, 135-171, 135. 251 M.Lenz, Nationalität und Religion, PrJ 127 (1907), 385-408, 403. 252 R.Wittram. Kirche und Nationalismus in der Geschichte des deutschen Protestantismus im 19. Jahrhundert, in: ders., Das Nationale als europäisches Problem. Beiträge zur Geschichte des Nationalitätsprinzips vornehmlich im 19. Jahrhundert, Göttingen 1954, 109-148, 115-117. 253 Zimmer, Altar 69. Besonders Moser, Lavater, Klopstock, Herder und Novalis gelten als Tradenten einer pietistisch überformten "Transponierung ursprünglich religiöser Gehalte und Bedürfnisse in den Raum des Nationalen" (ebd. 16f).

5.2. Im Sog des Hofes - Dryander und der Königsmechanismus

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net. Als verstärkt die gehobenere bürgerliche Welt ansprechende Exponenten seien Max von Schenkendorf, Vertreter eines von der Erweckungsbewegung getragenen Patriotismus, und auch Schleiermacher genannt, der besonders durch Predigten dieser Zeit theologisch-patriotische Fundamente legen konnte.254 Der 1813 geborene Geist war so enthusiastisch, daß er einen Traditionsblock ausformen konnte, in dem sich ein christlich-sittlicher Patriotismus und idealistisch-romantische Volksgedanken fast unlöslich verbunden hatten, der gleichsam als nationales Pfingstereignis eine nationale Erweckung hervorbrachte und der - wie man gerade auch an Dryanders Reden belegen kann255 - an alle weiteren nationalen Eckdaten angelegt wurde.256 Zimmer benutzt in diesem Zusammenhang das Bild einer "Amalgamisierung von Christlichem und Nationalem", um aufzuzeigen, wie sich dieser Komplex im Bewußtsein der späteren Generationen festgesetzt hat "als musterartiges Ganzes in der Summe der geistigen Ansätze und sprachlichen Säkularismen, das als solches tradiert und geradezu kanonisiert, eine kaum zu überschätzende Bedeutung für das deutsche Nationalbewußtsein und die Sprache des Patriotismus erlangt hat."257 Fragt man unter spezifisch theologischer Perspektive nach den sich durchhaltenden Topoi im Nationalprotestantismus, so wird man besonders auf das Gottesbild verwiesen: In seinen Attributen vor allem alttestamentlich bestimmt, erscheint Gott als Herr der Geschichte, als Lenker der Schlachten.258 Es ist in diesem Zusammenhang nicht verwunderlich, den Gottesbegriff trinitarisch erweitert zu finden zu Formeln wie "Gott! Freiheit! Vaterland!" oder "Mit Gott für König und Vaterland!". Die hier zugeordneten

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Zimmer, Altar 18-23; Wittram, Kirche und Nationalismus 119-122. Zu Schleiermacher s. A.Heger, Evangelische Predigt und deutsches Nationalbewußtsein. Zur Geschichte der Predigt von 1806-1848 (Neue Deutsche Forschungen, Abt. Religions- und Kirchengeschichte, Bd. 7), Berlin 1939, 46-79. Die Rede zur Zweihundertjahrfeier der Erhebung Preußens ist hierbei ein Paradebeispiel, in dem literarische Anspielungen auf und Zitate von Arndt, Schleiermacher, Körner und Schenkendorf mahnende und ermunternde Anwendung fanden, s.o. 216. Wittram, Kirche und Nationalismus 115. Zimmer, Altar 8, der im Verlauf seiner Untersuchung Kontinuität und Wandel dieses Komplexes bis 1871 verfolgt. Ebd. 43; Wittram, Kirche und Nationalismus 115; vgl. K.Scholder, Neuere deutsche Geschichte und protestantische Theologie. Aspekte und Fragen, EvTh 23 (1963), 510536 (= in: ders., Die Kirchen zwischen Republik und Gewaltherrschaft, Gesammelte Aufsätze, hg. v. K.O.v.Aretin/G.Besier, Berlin 1988, 75-97), 527f.

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5. In der Nähe des Thrones

patriotischen Begriffe finden sich quasi "im Vorhof des Göttlichen angesiedelt" und sind somit allgemeiner irdischer Verfügbarkeit entzogen.259 Dies wiederum ermöglichte eine Übertragung religiöser Verhaltens- und Frömmigkeitsmuster auf diese Begriffe und Werte, so daß - nach dem Vorbild alttestamentlicher Prophetenberufungen - das Vaterland rufen sowie Glauben, Nachfolge, ja Hingabe und Opferbereitschaft fordern kann. "Die Erfahrung des Vaterlandes als eines Absoluten, ausgestattet mit der Faszination der Gottnähe und Enthobenheit von allem irdisch-Greifbaren, vollzieht sich [zwar] in der Innerlichkeit des religiös-patriotischen Gefühls"260, schafft sich aber - so ist zu ergänzen - durch den Verweis auf die Gemeinsamkeit des Gefühls eine Gemeinde um die Begriffe von Nation und Vaterland. Auch im konservativen kirchlichen Protestantismus, der sich durch die kleindeutsche Reichsgründung unter preußischer Führung fast problemlos vom preußischen Staats- in einen Reichsprotestantismus wandeln konnte, war dieser national-patriotische Traditionsblock selbstverständlich geworden. Die Formel 'Thron und Altar', die nach 1848 der konservativen Kirchenpolitik in Preußen sozusagen auf das Banner geschrieben worden war261, hatte sich zur Dreiheit 'Thron, Nation und Altar' erweitert, denn das 1848 dem alten Staatsprinzip noch feindlich gegenüberstehende (revolutionäre) Prinzip der Nation oder des Nationalen wurde durch die Reichsgründung dynastischmachtstaatlich überformt und eingebunden.262 So stand die christliche Verkündigung im Protestantismus auf breiter Front gerade an den in der wilhelminischen Epoche zunehmenden dynastischen und nationalen Festtagen verstärkt im Dienst patriotischer Gesinnung, aber "das Empfinden der Zeit vertrug diese Verbindung in allen Ländern und Zun-

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Zimmer, Altar 23. Ebd. 24 (ausgeführt s. 23-59). Zu dieser Formel s.o. in der Ginleitung S. 6, Anm. 16. Nipperdey, Religion 95; vgl. Wittram, Kirche und Nationalismus 13lf, 134. Wittram, Kirche und Nationalismus 138. Vgl. M.Schian, Die deutsche evangelische Kirche im Weltkriege. Bd.II: Die Arbeit der evangelischen Kirche in der Heimat, Berlin 1925, 17, der die nationale Haltung der Kirchen als selbstverständliche sittliche Pflicht empfand. Interessant und paradigmatisch für einen aufgeschlossenen Protestantismus im Kaiserreich ist ein Aufsatz von J.Kaftan, Christenthum und Nationalität, PrJ 96 (1899), 57-77, in dem Kaftan zunächst zwar feststellte: "Die Höhepunkte des nationalen Lebens erhalten durch die kirchliche Weihe eine christliche Färbung und Betonung. Und wir leben alle darin wie in etwas Selbstverständlichem, was nicht anders sein soll und kann." (58). Doch er vergaß nicht danach zu fragen, ob sich dies mit dem Grundsatz der

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Insgesamt wird man mit Scholder feststellen können, daß der Nationalprotestantismus trotz seiner geringen Ergiebigkeit in theologiegeschichtlicher Hinsicht "Erscheinung und Habitus des deutschen Protestantismus im 19. Jahrhundert zweifellos tiefer und nachhaltiger bestimmt [hat] als die eigentliche theologische Diskussion."264 Doch dieses Phänomen blieb nicht auf das 19. Jahrhundert beschränkt, sondern wirkte noch weit in das 20. Jahrhundert hinein, da ein von diesen Gedanken geprägtes Geschichtsbild an den (höheren) Schulen gelehrt und an die nächsten Generationen weitergegeben wurde. 265 Angesichts dessen wird man die Haltung der Kirchen zur Weimarer

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Universalität des Christentums - etwa nach Gal 3 - vertrüge. Der Frage "Dürfen wir wirklich Christenthum und Nationalität in eine so enge Verbindung mit einander bringen?" ging Kaftan im folgenden u.a. traditionsgeschichtlich nach und kam zu dem Schluß: "Das Christenthum als Religion und die Nationalität haben nichts mit einander zu schaffen" (69) - von daher versteht sich die entschiedene Absage an einen deutschen Gott (70). Kaftan sah aber dennoch eine Möglichkeit der Verbindung zwischen Christentum und Nationalität, denn "das Christenthum [ist] nicht bloß Religion. Es ist zugleich eine große neue Form des sittlichen Lebens" (71), in dem nun die Nationalität einen "notwendigen Platz" einnimmt (73). Scholder, Geschichte 527. Doch der Nationalprotestantismus darf dabei nicht als eine einheitliche Größe betrachtet werden. Es kann hier nur auf einige verschiedene Interpretationen des allen gemeinsamen 'Nationalen' hingewiesen werden: So gab es die meist nur am Rand oder außerhalb der Kirchen verbleibende Überbetonung des deutschen Volkstums wie zum Beispiel bei de Lagarde oder Langbehn (Wittram, Kirche und Nationalismus 138ff; Tilgner, Volk, Nation und Vaterland 146ff; Nipperdey, Religion 96f), so wurden deutsch-nationale Überspannungen durch Vereinigungen wie den Kyffhäuserbund (der spätere Alldeutsche Verband) auch in den Raum der Kirche hineingetragen (Wittram, a.a.O. 142; Tilgner, a.a.O. 140ff; Nipperdey, a.a.O. 96). Zudem gaben der antiultramontane "Evangelische Bund zur Wahrung der deutschprotestantischen Interessen" (Nipperdey, a.a.O. 81) und der einen national-sozialen und imperialen Cäsarismus vertretenden Fr .Naumann (Fehrenbach, Wandlungen 200-211) oder der für einen nationalen Imperialismus wirkende protestantische Publizist P.Rohrbach nationale Impulse mit mehr oder weniger großem Einfluß (W.v.Kampen, Studien zur deutschen Türkeipolitik in der Zeit Wilhelms II., Diss. Phil., Kiel 1968). Auch auf den nicht zu unterschätzenden Einfluß national-liberaler Historiker wie Treitschke und Sybel und auf die Diskussion um einen spezifisch lutherischen Beitrag zum deutschen Nationalprotestantismus kann hier nicht eingegangen werden (Fischer, Protestantismus 473ff; Wittram, a.a.O. 148; Scholder, a.a.O. 526). Scholder, Geschichte 528, in Berufung auf die Arbeit E. Weymars, Das Selbstverständnis der Deutschen. Ein Bericht über den Geist des Geschichtsunterrichts der höheren Schulen im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1962: "Der Bund, den Religion und Geschichte im Nationalprotestantismus eingegangen waren, ließ religiöse und historische Bildung als zwei Seiten derselben Sache erscheinen." Vgl. Ähnliches bei H.Glaser, Die Kultur der Wilhelminischen Zeit. Typologie einer Epoche, Frankfurt a.M. 1984, 238f.

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5. In der Nähe des Thrones

Republik und zum Dritten Reich ohne Berücksichtigung dieser Wurzeln nicht richtig erfassen können.266 Auch dieser nur kurze Blick auf den national-patriotischen und nationalprotestantischen Traditionsblock, der im Zusammenhang mit Dryanders Haltung und Wirken im Weltkrieg noch einmal zur Sprache kommen wird, wies wieder auf den sich gegenseitig stützenden und schützenden Komplex von Monarchie, Reich und protestantischer Kirche hin, für den die nationale Kaiseridee wohl immer mehr zu einem verbindenden Moment wurde.

5.2.7. Kirchweihakte in Jerusalem und Berlin Der Blick auf zwei markante Auftritte Dryanders als Oberhof- und Domprediger unter großer öffentlicher Anteilnahme kann die komplexen Zusammenhänge, unter deren Einfluß sein Wirken in diesem Amt stand, noch einmal konkret veranschaulichen. Nicht zufallig stehen dabei zwei Kirchweihakte im Mittelpunkt. Denn diese können in ihren jeweiligen Szenarien als Symbol- und Zeichenhandlungen für die religiös-gesellschaftliche Auffassung der Kirche, des Hofes und Dryanders selbst interpretiert werden. Zudem sind die beiden von Dryander geweihten Kirchen zu Denkmalskirchen geworden, aussagekräftig auch für die Struktur des modernen deutschen Nationalbewußtseins, das sich seit seiner Entstehung besonders dem protestantischen Christentum verbunden weiß.267

5.2.7.1. Ein "moderner Kreuzzug" - Aspekte einer Orientreise "Moderne Kreuzzüge" - so benannte die "Christliche Welt" "die großen Gesellschaftsreisen [...], die gegenwärtig [1898] von Jahr zu Jahr in größerer

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Doch nicht nur in Theologie und Kirche lebten diese Gedanken verinnerlicht weiter, auch Hitler und seine politischen Gefolgsleute machten sich die längst popularisierten Wendungen und Gefühle zu eigen (Vgl. Scholder, Kirchen I, 277ff). Th.Nipperdey, Nationalidee undNationaldenkmal in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: ders., Gesellschaft, Kultur, Theorie: gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 18), Göttingen 1976, 133-173, 145, stellt in seiner Untersuchung der Verbindung von Nationalidee und Denkmal einen eigenen Typos "Denkmalskirche" auf.

5.2. Im Sog des Hofes - Dryander und der Königsmechanismus

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Anzahl [...] mit aller Bequemlichkeit" veranstaltet würden.268 "Besonders Palästina und die angrenzenden Mittelmeerländer" seien Ziele dieser von speziellen Reiseunternehmen organisierten Fahrten. Werbewirksam angekündigt, fand hier auch eine Orientreise Wilhelms II. Beachtung, die, "so sorgfaltig und geheimnisvoll vorbereitet wie kein anderer Auslandsaufenthalt des Kaisers"269, in der in- wie ausländischen, weltlichen wie christlichen Presse heftige Kontroversen auslöste.270 Berühmt und berüchtigt war ein Gedicht von Wedekind im "Simplicissimus", worin er David singen ließ: "Willkommen, Fürst, in meines Landes Grenzen, Willkommen mit dem holden Eh'gemahl, Mit Geistlichkeit, Lakaien, Exzellenzen, Und Polizeibeamten ohne Zahl. Es freuen sich rings die historischen Orte Seit vielen Wochen schon auf deine Worte, Und es vergrößert ihre Sehnsuchtspein Der heiße Wunsch, photographiert zu sein [•·•] So sei uns denn noch einmal hoch willkommen Und laß dir unsere tiefste Ehrfurcht weihn, Der du die Schmach vom Heil'gen Land genommen, Von dir bisher noch nicht besucht zu sein. Mit Stolz erfüllst du Millionen Christen; Wie wird von nun an Golgatha sich brüsten,

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ChW 12 (1898), Sp. 164. Hier auch das Folgende. U.Feigel, Das evangelische Deutschland und Armenien. Die Armenierhilfe deutscher und evangelischer Christen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts im Kontext der deutschtürkischen Beziehungen (Kirche und Konfession, Bd. 28), Göttingen 1989 (zugl. Diss. Theol., Kiel 1987/88), 83. Zu der Korrespondenz der Planung von Reiseroute, Programm, Einladungen u.a. EZA 7/410, pag. 3Iff; 7/411, pag. 45. Der Aktenbestand zu dieser Reise ist vergleichsweise umfänglich (7/410-413). - Eine genaue und offiziell genehmigte Beschreibung samt Wiedergabe aller Reden dieser von Thomas, Cook & Son (London) durchgeführten Reise, die vom 12.10 bis zum 26.11.1898 von Venedig über Konstantinopel nach Haifa, Jaffa, Jerusalem und anschließend nach Beirut, Damaskus und Baalbeek führte, findet sich in: E.Freiherr v.Mirbach u.a., Das deutsche Kaiserpaar im Heiligen Lande im Herbst 1898, mit Allerhöchster Ermächtigung Seiner Majestät des Kaisers und Königs bearbeitet nach authentischen Berichten und Akten, Berlin 1899. Vgl. CCW 8 (1898), Sp. 335f, 368, 439. v.Kampen, Türkeipolitik 139, 147ff; H.Gründer, Die Kaiserfahrt Wilhelms II. ins Heilige Land 1898. Aspekte Deutscher Palästinapolitik im Zeitalter des Imperialismus, in: H.Dollinger/H.Gründer/A.Hauschmidt (Hg.), Weltpolitik - Europagedanke - Regionalismus. FS Heinz Gollwitzer, Münster 1982, 362-388, 374.

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5. In der Nähe des Thrones

Das einst vernahm das letzte Wort vom Kreuz Und heute nun das erste deinerseits. [...Γ 2 7 1

Gerade wenn man wie Julius Kaftan vor dem Problem steht, so viele sich "widersprechende Urteile über das ganze Unternehmen und seinen Verlauf [zu hören], daß man nächstens aufhört, überhaupt ein Resultat daraus zu ziehen, sondern nur konstatiert, daß die individuellen Eindrücke der einzelnen sehr verschieden gewesen sind"272, wird man sich zunächst auf die Motive dieser Reise einlassen müssen. Der eigentliche Anlaß und Höhepunkt der Unternehmung sollte die für den Reformationstag angesetzte Einweihung der Erlöserkirche in Jerusalem sein, zu der Vertreter nicht nur der evangelischen Kirchen Deutschlands, sondern der ganzen protestantischen Welt erwartet wurden.273 Schon im August 1897 konnte der Präsident des EOK Barkhausen dem Staatssekretär des Äußeren von Bülow vertraulich mitteilen, daß der Bau der Erlöserkirche fast vollendet sei und die Einweihung derselben für das kommende Jahr in Aussicht genommen werden könnte. "Seine Majestät der Kaiser [...] hegen die Absicht, sofern die Umstände es gestatten, den Einweihungsfeierlichkeiten persönlich beizuwohnen. Die Feier würde hierdurch eine bedeutsame evangelische Manifestation erlangen" 2 7 4

Mit dem Wissen um die symbolische Bedeutung trat Wilhelm II. somit verstärkt in den schon um die Jahrhundertmitte gestarteten "Wettlauf [...] um den Besitz 'heiliger Stätten'" ein, wobei er auf eine gute Position Preußens zurückblicken konnte.275 Friedrich Wilhelm IV. hatte 1841 die Anregung zur Gründung eines gemeinsamen anglo-preußischen bzw. anglikanischevangelischen Bistums in Jerusalem gegeben. Ein schon 1852 mit dem deutschen "Jerusalem-Verein" anhebender Nationalisierungsprozeß fand 1886 die fast logische Konsequenz in der Auflösung des Bistumsvertrags. Denn Preußen war nur Juniorpartner in einem Bistum, welches mit einem anglikanischen Bischof an der Spitze besonderer Ort englischer Interessen war. Die

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Chr.Schiitze, Facsimile-Querschnitt durch den Simplicissimus, eingel. v. G.Mann, Bern Stuttgart - Wien 1963, 12f. J. Kaftan an seinen Bruder v. 11.12.1898, Göbell, Briefwechsel Kaftan I, 187, diesen mit dem offiziellen Ehrentitel eines Palästinerfahrers, "Hadschi", anredend. Die Einladungsschreiben v. 23.6.1898 im EZA 7/410, pag. 106. Ebd., pag. IV. Gründer, Kaiserfahrt 363(-368).

5.2. Im Sog des Hofes - Dryander und der Königsmechanismus

281

1889 von Wilhelm II. ins Leben gerufene und dem Kultusministerium unterstellte "Evangelische Jerusalem-Stiftung" leitete eine explizit deutsch-protestantische Gegenbewegung ein, die in Bau und Weihe der Erlöserkirche - auf einem 1869 vom Sultan an den damaligen Kronprinzen Friedrich-Wilhelm übergebenen Grundstück - ihren Höhepunkt fand. 276 Theodor Kaftan gab, vielleicht stellvertretend für das Empfinden vieler Protestanten, einen prägnanten Kommentar aus dem eigenen Erleben heraus: "Im Heiligen Lande galt, trotz unserer deutschen evangelischen Anstalten, englisch und evangelisch bisher als wesentlich dasselbe. Dadurch hat die Kaiserreise einen dicken Strich gezogen. Hoch aufgerichtet stand hernach die deutsche Nation neben der 277

englischen als Trägerin des Evangeliums im Bewußtsein der Orientalen."

Neben diesem äußeren Aspekt stand ein entsprechendes innen-kirchenpolitisches Anliegen, welches nicht zuletzt durch die Anstöße dieser Reise 1903 in der Konstituierung des Deutschen-evangelischen Kirchenausschusses zu einem ersten Etappenziel kommen sollte.278 Was Wilhelm II. in den Direktiven an Barkhausen und kurz darauf zur Neuweihe der Wittenberger Schloßkirche am Reformationstag 1892 vor den dort versammelten evangelischen Reichsfürsten als Herzenswunsch ausgesprochen hatte, bekräftigte er am Vorabend der Jerusalemer Kirchweihe in Bethlehem aufs Neue: Er hoffe, daß es dem Protestantismus gelingen werde, die konfessionellen Unterschiede zu überwinden, "daß ganz fest geschlossen hier im Orient die evangelische Kirche und das evangelische Bekenntnis auftrete"279 und daß - wie Beyschlag hoffnungsvoll ergänzte - "insonderheit die [evangelische Kirche] des deutschen Reiches [...] den fremden Confessionen und Nationalitäten gegenüber als eine einheitliche erscheine"280. Schon im Vorfeld der Reise hatte der EOK darauf hingearbeitet, die innere Einheit der deutschen Landeskirchen

yifi

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Wilhelm II. sah sich daher als Vollender von Plänen seiner Ahnen; vgl. Mirbach, Kaiserpaar 3-11; v.Kampen, Türkeipolitik 135; H.Gollwitzer, Deutsche Palästinafahrten des 19. Jahrhunderts als Glaubens- und Bildungserlebnis, in: Lebenskräfte in der abendländischen Geistesgeschichte. Dank- und Erinnerungsgabe an Walter Goetz, hg. v. W.Stammler, Marburg 1948, 286-324, 319; L.Schneller, Die Kaiserfahrt durchs Heilige Land, Leipzig »1899, 122f. Th.Kaftan, Erlebnisse 339. S.o. S. 129f. Rede vom 30.10.1898 in Bethlehem, Penzler/Krieger, Reden II, 119f; s. Gründer, Kaiserfahrt 370f. W.Beyschlag, Die kaiserliche Orientfahrt, DEB1 24 (1899), 6-15, 7.

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5. In der Nähe des Thrones

auch "bei diesem feierlichen Akte zu solennem Ausdruck kommen" zu lassen.281 Doch das Ziel der Reise lag nicht nur darin, "das evangelische Bekenntnis im Orient auf einen hohen Leuchter [zu] stecken", sondern auch darin - wie wiederum Beyschlag herausstellte -, "das streitige Protectorat über die deutschen Katholiken im Orient eindrucksvoll an[zu]treten".282 Diesem Zweck sollte die Übergabe der Wilhelm II. vom Sultan überlassenen Dormitio Sanctae Virginis, nach der Überlieferung Wohn- und Sterbestätte Marias, an die deutschen Katholiken, organisiert als "Deutscher Verein vom Heiligen Lande", dienen.283 Der am 31. Oktober 1898 in wohlbedachter Parität vollzogene Übergabeakt gestaltete sich zu einem bewußten Affront gegen die traditionellen Ansprüche Frankreichs auf das Protektorat über alle römischkatholischen Christen im Nahen Osten, besonders da der Papst die französischen Rechte kurz vor dem Antritt der Orientreise noch ausdrücklich bestätigt hatte.284 Hier zeigten sich deutlich die Auswirkungen der wachsenden politischen Spannungen in Europa auf die kirchenpolitische Ebene, zumal hinter der Reise Wilhelms II. eindeutige und massive Macht- und Wirtschaftsinteressen sowie nationales Prestigedenken standen.285 Denn gerahmt war der Besuch

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EOK-Entwurf zu einer Erklärung vor der Generalsynode v. 9.12.1897 (zit. aus einem Brief des Geheimen Zivilkabinetts an den EOK v. 11.12.1897, EZA 7/410, pag. 24). Vgl. die fast wörtliche Übernahme Barkhausens in seiner Erklärung gegenüber einer Anfrage Beyschlags auf der Generalsynode (Verhandlungen der 4. ordentl. Generalsynode 1897, 639). Beyschlag, Orientfahrt 6. Mirbach, Kaiserpaar 257-267. CCW 8 (1898), Sp. 455, 471, 511f, 535, 545. Der Reichsbote v. 10.9.1898 berichtete über den Briefwechsel zwischen dem Erzbischof von Reims und Leo XIII. bezüglich der Protektoratsfrage (EZA 5/1994, pag. 168). Beyschlag betonte das Protektoratsrecht des Kaisers über die deutschen Katholiken und bezweifelte eine offenbar angestrebte vertrauliche Übereinkunft mit den ultramontanen Kräften, da es "die ganze politisirende Irreligiosität der Curie [charakterisiere], daß sie dasselbe [sc. das Protektorat] lieber der atheistisch-katholisch französischen Republik als dem gottesfürchtigen deutsch-evangelischen Kaiser überlassen hätte" (Orientfahrt 8f). S. Gründer, Kaiserfahrt 371-375. So sprach Wilhelm II. bei seinen feierlichen Einzug in Berlin am 1.12.1898 die Gewißheit aus, "daß meine Reise dazu beigetragen hat, der deutschen Energie und der deutschen Thatkraft neue Absatzgebiete zu eröffnen, und daß es Mir gelungen ist, mitzuwirken, die Beziehungen zwischen unseren beiden Völkern, dem türkischen und dem deutschen, zu befestigen" (Mirbach, Kaiserpaar 403). Dem fiel eine damals noch unscheinbare Möglichkeit eines deutschen Protektorats über einen jüdischen Staat zum Opfer. Herzl hatte unmittelbar vor der Reise beim Kaiser für diese Idee geworben und

5.2. Im Sog des Hofes - Dryander und der Königsmechanismus

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der heiligen Stätten von einem Staats- und Freundschaftsbesuch bei Sultan Abdul Hamid II. in Istanbul und Damaskus, wodurch die Reise insgesamt unter das Vorzeichen der deutsch-türkischen Beziehungen zu stehen kam.286 "Ohne Zweifel" - so der umfassendste Kommentator Beyschlag - "war es nicht leicht, [...] so weit auseinander liegende Ziele zugleich zu verfolgen".287 Und so stellte sich schnell die Frage, "wie weit das, was er auf der einen [Seite] that, sich mit dem auf der anderen Angestrebten vertrug". Die Verbindung aller Momente und die Art der Repräsentation waren der bevorzugte Gegenstand der Diskussion. Doch dabei muß konstatiert werden, daß die hier besonders augenfällige, typisch wilhelminische Mischung von Romantik, Pomp und Pathos und auch der "schnelle Wechsel zwischen Kreuzfahrer- und Pilgerpose zur Verbeugung vor dem Islam" die Mehrheit der deutschen Untertanen befriedigte.288 Auch in der christlichen Pressewelt überwog das positive Echo.289 Allerdings vergaß man hier nicht, immer wieder auf den wunden Punkt der Reise hinzuweisen, der vielfach Unverständnis und Betroffenheit, Schauer, ja sogar Wut ausgelöst hatte. Den letzten Anstoß dazu hatte eine Tischrede Wilhelms II. in Damaskus gegeben, in der er, mitgerissen vom Geist Saladins, den 300 Millionen Mohammedanern und ihrem Sultan seine besondere Freundschaft bezeugte 290 Abgesehen von der Huldigung dem Islam gegenüber konnten viele Christen an dieser noblen Geste nicht begreifen, wie ein "christlicher Herr-

war auf großes Interesse gestoßen. Doch in einer Audienz am 2.11.1898 in Jerusalem mußte er das Scheitern dieses Projektes an der Vorrangstellung der deutsch-türkischen Beziehungen konstatieren. Vgl. Gründer, Kaiserfahrt 376-380; Bülow, Denkwürdigkeiten I, 254. 286 Man darf die kirchenpolitische Dimension aber nicht vorschnell nur den wirtschaftlichen Interessen unterordnen, wie Gutsche, Wilhelm II. 100-103, vormacht. Beyschlag, Orientfahrt 6. Hier s. a. das Folgende. 288 v.Kampen, Türkeipolitik 134. So hatte Wilhelm II. in den Augen vieler nationales Prestige erworben, indem er als christlicher Monarch die Heiligen Stätten besucht und christliche Werke gefördert, aber dennoch den Islam nicht beleidigt, ja ihn sogar zum Freund gewonnen habe (ebd. 145). 289 "Wilhelm II. hat im Türkenreich überall einen 'guten Eindruck' hinterlassen [...]", AELKZ 32 (1899), Sp. 14. Vgl. die Reiseeindrücke eines Teilnehmers, AELKZ 31 (1898), Sp. 1076f; 32 (1899), Sp. 7-12, 29-37, 54-59, 76-79. S.a. CCW 8 (1898), Sp. 463f, 521-523, 546-549, Beyschlag, Orientfahrt 15. Eine breite Zusammenstellung im EZA 7/411, pag. 14ff. 290 Penzler/Krieger, Reden II, 127 (v. 9.11.1898).

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5. In der Nähe des Thrones

scher dem hunderttausendfachen Mörder christlicher Unterthanen die Freundeshand reichen konnte."291 Den dunklen Hintergrund bildeten die türkischen Massaker an den Armeniern von 1894 bis 1896; das im August 1896 für zwei Tage freigegebene Morden unter den Armeniern Istanbuls - nach einem von armenischen Revolutionären verübten Attentat - erregte die Gemüter Europas ganz besonders, konnte aber kein Einschreiten der europäischen Mächte provozieren.292 Die Orientreise Kaiser Wilhelms II. riß diese Wunde wieder auf und stellte die öffentliche - vor allem protestantische - Meinung erneut vor das in dem Grundkonflikt zwischen Moral und Staatsräson angesiedelte Dilemma der Armenierfrage.293 Vielleicht charakteristisch für die hilflos-betroffene Lage der bald wieder abebbenden Diskussion war die Sentenz Beyschlags: " [...] auch uns ist seine [sc. des Kaisers] Stellung zur armenischen Sache ein ungelöstes dunkles Räthsel." 294

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Beyschlag, Orientfahrt 11. Vgl. ChW 12 (1898), Sp. 1100, mit dem Titel "Was hat unser Kaiser da getan?"; oder P.Rohrbach in seiner Korrektur des Orientreiseberichts des Oberhofmeisters von Mirbach, ChW 13 (1899), Sp. 225-229; AELKZ 32 (1899), 12-14. Den wohl erregtesten Kommentar konnte man in der "Zürcher Freitagszeitung" finden (46 [1898], zit. n. CCW 8 [1898], Sp. 549-553). Er war von einem hochgebildeten, morgenländischen Christen verfaßt, der dem Jubel und Jauchzen deutscher Tageszeitungen über die jetzt erworbene gebührende Stellung in der Welt entgegenhielt, daß dieser Sieg alles andere als still und blutlos errungen sei. Denn Wilhelm II. habe sich zum Schutzpatron eines blutdürstigen, christenfeindlichen Unmenschen gemacht, wie an den "himmelschreienden Greuel[n] gegen das wehrlose, christliche, armenische Volk" aller Welt hätte sichtbar sein können (Sp. 553). Feigel, Deutschland und Armenien 31-65. S.a. W.Gust, Der Völkermord an den Armeniern. Die Tragödie des ältesten Christenvolkes der Welt, München - Wien 1993, 102116 u. 132f. Verstärkt und angefacht wurde diese Diskussion durch den Reisebericht Fr.Naumanns, "Asia", Berlin 5 1904 (1899), worin er eine politische und eine religiöse Ebene der Angelegenheit strikt unterschieden wissen wollte. Unter versteckt anti-armenischen Ressentiments (31f, 135f) gab er der politisch nationalen Sache den Vorrang und plädierte für eine politische Gleichgültigkeit gegenüber den "Leiden der christlichen Völker im türkischen Reiche" (45, vgl. 121-166). So nahm Naumann den Kaiser in Schutz. In Jerusalem habe er christlich-religiös agiert, den Türken gegenüber jedoch keine "orientalische Religionspolitik, sondern nur deutsche Staatspolitik" betrieben (148). Ähnlich beurteilte die AELKZ den Fall, 32 (1899), Sp. 12-14. Für die Opfer der natürlich auch von Naumann verabscheuten Massaker und gegen deren Verleumdung empfand besonders P.Rohrbach Mitgefühl, der im Auftrag Rades den Orient besuchte, ChW 12 (1898), Sp. 1188-1192, 1237-1239; 13(1899), Sp. 301-303,319-322, 465-468. Vgl. v.Kampen, TUrkeipolitik 115ff, 150ff, 164-180; Feigel, Deutschland und Armenien 49-65, 86f. Beyschlag, Orientfahrt 12.

5.2. Im Sog des Hofes - Dryander und der Königsmechanismus

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Schon weit vor ihrem Beginn stand die Palästinareise des Kaisers im Rampenlicht auch des Hofes. Wie die Baronin Spitzemberg am 25. Juli 1898 besorgt ihrem Tagebuch anvertraute, beschäftigte die Reise "die Welt gewaltig und läuft hoffentlich gut ab. Ein ganzes Schiff voll hoher evangelischer Geistlichkeit aus aller deutschen Herren Länder geht mit. - Da kann es einem wohl grauen vor Taktlosigkeiten aller Art! Und dazu der Kaiser selbst, geschwellt von Erinnerungen an die Kreuzzüge, an die deutschen Kaiser des Mittelalters; es muß gut gehen, wenn es ohne einen Stuß abgeht." 295

Wie viele andere Teilnehmer oder Beobachter ging auch Dryander in einer Kreuzfahrer- und Pilgerstimmung an die große Reise heran296, die für ihn trotz der Sorge um seine an Tuberkulose erkrankten Frau zu einem der persönlich einschneidendsten Erlebnisse in der Nähe des Kaisers wurde. Schon im Mai hatte der Kaiser dem EOK gegenüber verlauten lassen, daß er die Weihe der Jerusalemer Erlöserkirche durch Dryander vollzogen zu wissen wünschte.297 So kam es, daß Dryander nicht nur als 'frischgebackener' Oberhofprediger einen Platz im unmittelbaren Gefolge des Kaisers auf der Hohenzollern einnahm298, sondern ihm zugleich eine zentrale Rolle des Unternehmens zugefallen war. Nachdem das Schiff, von Venedig kommend, im Bosporus vor Anker gegangen war, trübte sich die gute Stimmung Dryanders, "denn noch roch die

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Spitzemberg, Tagebuch 370f; das Schiff voller Geistlichkeit meint eher die vom EOK bereitgestellte "Mittemachtssonne" (Mirbach, Kaiserpaar 19; EvD, Erinnerungen 231) als die durch Naumann berühmt gewordene "Asia". Für die Baronin waren die Sorgen nach der Reise gegenstandslos: "erfreulich ist es, daß die Reise, vor der alles so bange war, so gut abgelaufen ist; ein bißchen Theatercoup mußte ja sein" (Tagebuch v. 13.11.1898, 379). EvD, Erinnerungen 230f; vgl. Th. Kaftan, Erlebnisse 338 (328-343); Göbell, Briefwechsel Kaftan I, 183, 186f; Schneller, Kaiserfahrt 14, 255; AELKZ 32 (1899), Sp. 33 u.ö.; Naumann, "Asia" 102-120. Singular steht Rohrbach, der aus seinen Erfahrungen die "rechte Palästinafahrt" "weder [als] Kreuzzug, noch [als] Pilgerfahrt, noch [als] Vergnügungstour" zu interpretieren suchte, sondern als "eine Fahrt für Lernende und Fragende" ("Palästinafahrten", ChW 12 [1898], Sp. 1065-1068, 1067). Geheimes Zivil-Kabinett an EOK v. 26.5.1898, EZA 7/410, pag. 85. Eine Auflistung des Gefolges bei Mirbach, Kaiserpaar 41 lf; im Bewußtsein des Hofkreises scheint Dryander als Geistlicher zum Gefolge Ihrer Majestät der Kaiserin gehört zu haben, EvD, Erinnerungen 233. Auf jeden Fall Dryander war bei der Kaiserin und ihren Hofdamen, den "Halleluja-Tanten" (Bülow, Denkwürdigkeiten I, 249), wohl gelitten; vgl. Keller, Dienst 191, 199, 204.

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ganze Stadt nach dem frisch vergossenen Blut der gemordeten Armenier"299. Das Dilemma zwischen moralischem Empfinden und Treue dem Kaiser gegenüber spitzte sich für den in das diplomatische Korsett eingebundenen Dryander beim Staatsempfang persönlich-dramatisch zu. Vom Wilhelm II. als "son grand aumonier et instituteur des ses fils" vorgestellt, sah er sich der Bitte des Sultans gegenüber, ihn in seinen Gebeten nicht zu vergessen. 300 Eine - wie Dryander im Rückblick lakonisch bemerkte "schwere Aufgabe". Dem Dilemma versuchte er, nah an der Naumannschen Auffassung, dadurch zu entkommen, daß er sich für das Gebiet der Politik nicht zuständig erklärte. Seine Treuemaxime bestimmte ihn zum Schweigen. Genau diese Haltung machte ihm der Kommentator der "Zürcher Freitagszeitung" zum Vorwurf, wenn er feststellte, daß der "Hofprediger Dryander [...] kein Schauer Jehu [wäre], der dem König Josaphat sagte: 'Sollst Du so dem Gottlosen helfen, und lieben, die den Herrn hassen?' [2. Chr 19,2]".301 In diesem Vergleich wurde der Unterschied der Zeiten sichtbar, der Unterschied zwischen einem freien und von Menschen unabhängigen (gar charismatisch begabten) Gottesmann und einem verbeamteten und loyalen Kirchenmann und Hofprediger. Aber so sehr der Vergleich daher auch hinken mochte, schlummerte hier doch die auch Dryander sicherlich bewußte Frage nach den Grenzen christlich-moralisch noch oder nicht mehr vertretbarer Politik. Die "Zürcher Freitagszeitung" die fragte klagend, warum "es unter so vielen frommen Geistlichen und Laien Berlins und des ganzen Deutschlands keinen Johannes gab, der mit Wort oder Schrift gesagt hätte: Kaiserliche Majestät, es ist nicht recht, daß Sie mit diesem Mohammedaner Abdul-Hamid Freundschaft machen, [...] daß Sie einen solchen blutdürstigen, christenfeindlichen Unmenschen schützen".302 Auch Dryander war keine Johannesnatur in diesem Sinne; doch seinen Vorbehalt zu diesem Besuch drückte er in der kleinen Geste aus, sich einer türkischen Ordensdekoration zu verweigern. Dies war ihm fast neun Jahre

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EvD, Erinnerungen 232. Für Dryander waren die Armenier verführte Opfer englischer und russischer Politik. Ebd. Hier s.a. das Folgende. Zit. n. CCW 8 (1898), Sp. 547. Ebd., Sp. 550f . Soweit bekannt, sagten auch nur die Kirchenregierungen der Schweiz unter dem Eindruck der Armeniermassaker ihre Teilnahme an der Weihehandlung ab, CCW 8 (1898), Sp. 549f.

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später, während einer Visitationsreise im Frühjahr 1907 zu deutsch-evangelischen Gemeinden des Orients in Begleitung Mirbachs und Lahusens, so nicht mehr möglich. Er sah sich nun gezwungen, den türkischen MedschidiehOrden erster Klasse in Empfang zu nehmen303, war dieser Auszeichnung aber nicht sehr zugetan: "Diesmal konnte ich mich gegenüber der persönlichen Freundlichkeit des Sultans und der Bedeutung, die seinem Schutz fur unsere Anstalten in Palästina und Syrien zukam, nicht der bei der ersten Reise ausdrücklich abgelehnten Dekoration mit dem Großkordon des Medschidieh entziehen. Er hat sein Etui selbstverständlich nie verlassen." 304

Hier war Dryander als Leiter seiner Delegation selbst in die Lage gekommen, die Interessen seiner Kirche diplomatisch und abwägend zu vertreten. 1898 empfand Dryander das Ende des Staatsbesuchs mit einem "Gefühl der Befreiung". Dazu kam eine Flucht in die Pilgerstimmung, die sich steigerte, je näher Palästina rückte.305 An Bord der Hohenzollern wurden zur Einstimmung Vorträge über biblische und geschichtliche Themen gehalten.306 In einer Predigt über Mt 5, 13-16 vom 23. Oktober versuchte Dryander im Blick auf die religiöse Gemengelage in Palästina die Überlegenheit des Christentums dem Islam gegenüber an der Salz- und Lichtmetapher zu erweisen.307 Mit diesem Predigtgedanken hatte Dryander die Stimmung Wilhelms II. getroffen, der am Vorabend des Reformationstages vor den in Bethlehem versammelten evangelischen Geistlichen seine ersten Eindrücke der heiligen Stätten wiedergab. Da es auch sein Oberhofprediger sich schon eingestanden hätte, wollte er seine große Enttäuschung über den Zustand der Orte nun nicht länger zurückhalten.308 Wilhelm II. zeigte sich tief beschämt über den Wettbewerb, die Intrigen und die Fetischanbetung der jeweiligen christli-

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Kultusministerium an EOK v. 22.10.1907, EOK an EvD v. 1.11.1907, EZA 7/13751, pag. 145f; EvD, Erinnerungen 252-266. EvD, Erinnerungen 266. Ebd. 232. Laut v.Bülow, Denkwürdigkeiten I, 249, soll Dryander in seinen Beiträgen den Standpunkt des an die vom Evangelium überlieferte Heilsgeschichte gläubigen Christen nicht verlassen und von dieser Basis z.B. von Wilhelm II. vorgebrachte rationalistisch-bibelkritische Äußerungen entkräftet haben; und zwar, wie Bülow im Hofstil berichtete, "mit so viel Wärme und solcher Entschiedenheit, daß der Kaiser ihm bewegt die Hand reichte und der Kaiserin wie ihren Damen Tränen der Rührung in die Augen traten." Mirbach, Kaiserpaar 81. Penzler/Krieger, Reden II, 119-121.

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chen Konfessionen, so daß er, wie er seinem Vetter, Zar Nikolaus II., mitteilte, "ohne Religion dorthin gekommen [...], sicherlich Mohammedaner geworden wäre."309 Um diesem Mißstand abzuhelfen, sollte den Muslimen durch das Beispiel einer fest geschlossenen evangelischen Kirche das Evangelium der Liebe vor Augen gestellt werden. Vielfaltige Fehler und das Versagen anderer Nationen hätten diesen Zustand bewirkt. "Jetzt sind wir an die Reihe gekommen! Das Deutsche Reich und der deutsche Name haben im ganzen osmanischen Reiche jetzt ein Ansehen gewonnen, wie es noch nie dagewesen ist. An uns liegt es nun, zu zeigen, was die christliche Religion eigentlich ist; daß die Ausübung der christlichen Liebe auch gegen die Mohammedaner einfach unsere Pflicht ist, nicht durch Dogmen und Bekehrungsversuche, lediglich durch das Beispiel. Der Mohammedaner ist ein sehr glaubenseifriger Mensch, so daß es mit dem Predigen allein nicht gemacht ist." 310

Dies wollte Wilhelm II., der sich hier so gar nicht als Kreuzfahrer präsentierte, seinen Geistlichen als "eine Art Examen [...] für unseren protestantischen Glauben und unser Bekenntnis, worin wir ihnen den Beweis geben müssen, was Christentum ist" zur Pflicht machen, damit die Muslime ein Interesse für die christliche Religion finden könnten311. Dryander ließ sich hier gern in die Pflicht nehmen, zumal zu vermuten steht, daß er an den Formulierungen dieser Rede nicht ganz unbeteiligt war. Dryander warnte davor, die Kraft des Islam zu unterschätzen: "so täusche sich niemand darüber, daß Afrikas Zukunft schon jetzt wahrscheinlich 312 nicht dem Christentum, sondern dem Halbmond gehören wird".

Weder im Volk noch bei den Gelehrten, noch bei den Staatsmännern hatte Dryander bemerken können, "daß die seelenbeherrschende Macht dieser Religion im Abnehmen sei"; denn das, "was die Kraft einer Religion ausmacht, ein unerschütterlicher Glaube und ein strenger Gehorsam gegen sein Gesetz ist völlig ungebrochen". Es konnte nur eine Hoffnung sein, durch das Beispiel der christlichen Liebe, verkörpert z.B. durch die Kaiserswerther Schwestern, Eindruck und Einfluß zu gewinnen313 und vielleicht den Gegen-

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Wilhelm II. an den Zaren v. 9.11.1898 (Damaskus), in: Briefe Wilhelms II. an den Zaren 1894-1914, hg. v. W.Goetz, Berlin 1920, 63-68, 64f. Penzler/Krieger, Reden II, 120. Ebd. 120/121. EvD, Erinnerungen 255. Hier s.a. das Folgende. Ebd. 253.

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satz zum Koran aufzuzeigen, "der die Freiheit des einzelnen unterdrückt".314 Zeigte Dryander auch großen Respekt vor dem Glaubensernst des Islam und sah er daher zwar von einem ausdrücklichen Missionsaspekt ab, ließ er andererseits doch keinen Zweifel an der Höherwertigkeit des Christentums aufkommen, welches er gerade an den heiligen Stätten, wo die "Feier der allergrößten Liebe geschah"315, würdig repräsentiert sehen wollte. Der Höhepunkt der Reise war auch für Dryander die sorgfaltig geplante Einweihung der Erlöserkirche am Reformationstag. Die Szenerie wies die eigenartige Mischung aus imposanter Kreuzzugssymbolik und fromm-demütiger Pilgerhaltung in komprimierter Weise aus. Zuerst erfolgte eine prächtige Festprozession vom Zeltlager außerhalb der Stadt durch das Jaffator und die engen Gassen Jerusalems bis vor die Kirche, wobei der Einzug Wilhelms II. nach Jerusalem vom 29. Oktober sogar noch übertroffen wurde. Die Hofchronik Mirbachs konnte nicht umhin zu betonen: "Prächtigere Umzüge hat Jerusalem niemals gesehen [...]". 316

Die "Zürcher Zeitung" kommentierte betrübt und pointiert: " [...] auch heute schauen die wahren Gläubigen nur mit betrübtem Herzen, wie evangelische Prälaten, das Schauspiel des Kaisers dekorierend, das Christentum an dem Orte zu Grabe tragen, von dem der Engel ausdrücklich sagte: er ist nicht hier." 317

Die Bedenken der "Christlichen Welt", dieses Schaugepräge würde den Protestantismus innerlich schädigen, bestanden nicht zu unrecht318, wenn der Präsident des EOK Barkhausen im Namen der versammelten evangelischen Geistlichen und Kirchenvertreter für die "reiche Allerhöchste Gnade" danken konnte, "der Einweihungsfeier den schönsten Glanz zu verlei-

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Ebd. 255. Andererseits betonte Dryander, in welchem Maße der Koran "die Gesamtpersönlichkeit der Völker und ihre schlummernde nationale Kraft" konserviere, "daß sie noch einmal wie ein Sturmwind sich erheben können". 315 In einer "Karfreitagspredigt" für das kaiserliche Gefolge auf dem Ölberg am 30.10. über die Gethsemaneszene nach Mt 26. Ohne den anderen heiligen Stätten ihre Bedeutung absprechen zu wollen, gab er diesem Ort den Vorzug, denn hier habe der Herr und Heiland in einer schweren Stunde aus Liebe den bitteren Kelch angenommen; EvD, Erinnerungen 237f; Schneller, Kaiserfahrt 113f. 31< * Mirbach, Kaiserpaar 235. Gerade die Beschreibung des Reformationstages ist bezeichnend für den höfisch-schmeichlerischen Charakter des Werkes. 317 Zit. n. CCW 8 (1898), Sp. 550. 318 ChW 12 (1898), Sp. 120 (vgl. EZA 7/411. pag. 134).

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5. In der Nähe des Thrones

hen".319 Nach der Schlüsselübergabe veranlaßte Dryander als die Weihe vollziehender Geistlicher die Öffnung des Kirchenportals, woraufhin das Kaiserpaar nebst Gefolge unter den Klängen des in diesem Zusammenhang nicht mehr eindeutigen Chorals "Tochter Zion freue dich, sieh, dein König kommt zu dir!" Einzug hielt - für Dryander war dieser Choral sogar das "einzig mögliche[...] Lied[...]".320 Von der Wirkung des Augenblicks berichtete Dryander weiter: "Es kommt bei jeder Feier viel darauf an, daß irgend ein Höhepunkt wie ein elektrischer Funke alles emporhebt. Hier lag er am Anfang. Als die Trompeten und Posaunen, begleitet von allen Stimmen der herrlichen neuen Orgel[,] den dritten Vers anstimmten, und die Gemeinde einfiel 'Hosianna, Davids Sohn, seht er kommt, ein

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König mild,' - da war es um mich geschehen."

"Wie auf Flügeln" schritt er, assistiert von dem geistlichen Vizepräsidenten des EOK von der Goltz und dem Generalsuperintendenten Sachsens Holtzheuer, zum Altar, um dort die Weiheliturgie zu halten. Die von vielen Reiseteilnehmern322 als würdig gerühmte Weiherede Dryanders über das Doppelwort aus Mt 21,42 und 1. Kor 3,11 ließ schon in der Begrüßung die eigenartige Mischung aus Kreuzzugs - und Pilgersymbolik deutlich anklingen, als er die aus "allen Gauen unseres deutschen Vaterlandes [... und] weit darüber hinaus [zusammengekommenen] Vertreter der evangelischen Welt" und in deren Mitte "das erlauchteste Paar der evangelischen Christenheit" begrüßte als ein "Kreuzheer im Sinne unseres sanftmüthigen Königs ohne Waffen". 323 Auch hier wie beim Einzugschoral wieder eine durch die Anwesenheit Wilhelms II. nicht mehr eindeutige Metapher! Dryander ermunterte dieses Kreuzheer, die Knie zu beugen, "damit der Herr selbst uns das Kreuz, sein Kreuz auf die Schulter hefte und uns weihe zum heiligen Dienste der militia Christi."324 Unter Anpielung auf die alte, von Urban II. ausgesprochene Kreuzfahrerlosung "deus lo vult" rief Dryander seine Hörer auf, als "Kreuzfahrer nach dem Jerusalem, das droben ist, [...] stiller, ernster, innerlicher als jene [...] einander [zu]zurufen: Gott will es! 3,9 320 321 322

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Zit. n. Mirbach, Kaiserpaar 239. EvD, Erinnerungen 236; vgl. Schneller, Kaiserfahrt 13lf. EvD, Erinnerungen 236. Kaftan, Erlebnisse 341; Schneller, Kaiserfahrt 132-134; Keller, Dienst 199; Bülow, Denkwürdigkeiten I, 255; AELKZ 32 (1899), Sp. 34 u.v.a. EvD, Rede - gehalten bei der Einweihung der evangelischen Erlöserkirche zu Jerusalem am 31. Oktober 1898, Berlin 1898 (= "Eine Kirche in Jerusalem", in: EvD, Gott und Mensch, 161-165), 3. Ebd. 7. Hier s.a. die folgende Anführung.

5.2. Im Sog des Hofes - Dryander und der Königsmechanismus

291

Gott will es!" Für "die Pilger aus aller Welt, die auf der Wallfahrt zur Wiege des Christentums hier eine Stätte evangelischer Erbauung" suchen, sollte "dies Haus als eine Vereinigung der gesammten evangelischen Welt [stehen ...], die hier, wo so oft der Streit ums Äußerliche die Christen entzweit hat, nur um so innerlicher und tiefer sich finden soll."325 Neben diesem Miteinander im Streben nach dem unvergänglichen himmlischen Kleinod beschwor Dryander aber auch "den friedlichen Wettstreit der Konfessionen um das heilige Land", in den die evangelische Kirche nun mit neuer Energie eingetreten sei, um das "ihr anvertraute Gnadenpfund" darzubieten.326 Angesichts der Voraussetzungen und des Rahmens dieser Weihe klingt es merkwürdig beschwichtigend, ja beinahe naiv, wenn er weiter betonte, in diesem Wettstreit nicht mit äußerer Macht auftreten zu wollen. Hatten doch gerade das Interesse und das Eintreten Wilhelms II. für die evangelische Sache im Orient den neuen Impuls verliehen. Vertreter und Beobachter anderer Konfessionen und Nationen mögen dies anders, sogar als neue Herausforderung zu einem "Streit um Äußerlichkeiten" empfunden haben. So mußte Dryander selbst eingestehen: "Daß Russen, Engländer und Franzosen, die in Syrien und Palästina bereits in ihrer Weise das Protektorat der heiligen Stätten unter sich geteilt hatten, ihre besonderen Gedanken dabei haben mochten, ließ sich freilich bei aller Klarheit der kaiserlichen

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Gedanken und Absichten nicht vermeiden."

Dem Reformationsgedenken angemessen, verwies Dryander zwar auf das Fundament der Kirche im Kreuz Christi, gab diesem aber noch eine andere Wendung: "So hoch ragt dieser Eckstein aus den Fluthen der Zeit [...]. So breit liegt dieser Stein in den Bahnen der Weltgeschichte, daß kein Volk an ihm vorüber kann, ohne an ihm 328 seine sittliche Kraft zu erproben, sein endliches Schicksal zu entscheiden."

Von dem erfolgreichen Bestehen einer solchen Probe schien Dryander ausgegangen zu sein, wenn er - ganz im Sinne und in der Konsequenz der Ausfuhrungen Wilhelms II. vom Vorabend - die Festgemeinde in "heißer Fürbitte" dafür danken ließ, "daß [...] dem Hause der Hohenzollern [...]

325 326 327 328

Ebd. 6. Ebd. 5. EvD, Erinnerungen 136 (Hervorhebungen vom Vf.). EvD, Weiherede/Erlöserkirche (1898), 4.

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5. In der Nähe des Thrones

durch göttliche Fügung und den Lauf der Geschichte der erhabene Beruf zugefallen ist, Hüter der Glaubensgüter der Reformation zu sein"329. So unterstrich Dryander anläßlich dieser nicht zufallig auf den Reformationstag anberaumten Kirchweihe vorsichtig und eindrucksvoll zugleich den deutschen Anspruch auf die Führungsrolle nicht nur in der Repräsentation christlich-protestantischer Werte in der orientalischen Welt, sondern votierte mit der Herausstellung Wilhelms II. als universalen Hüters der reformatorischen Tradition und des reformatorischen Erbes implizit für eine Vorrangstellung des deutschen Protestantismus in der evangelischen Welt überhaupt. Nicht von ungefähr stellte gerade Naumann Dryander hier das Zeugnis einer formvollendeten, gedankenreichen und tadellosen Rede aus, ja einer "Rede im Sinne des Chrysostomos, des Mannes, dem die Bienen den Honig von den Lippen nahmen".330 Wenn Naumann aber - ohne "dem offizellen preußischen Kirchentum unnötig Weihrauch [...] streuen" zu wollen - urteilte, daß hier wirklich mehr "der Prediger gesprochen hat als der Hofprediger", so war er wohl dem bezwingenden Rausch der Rede Dryanders wie des Augenblicks erlegen, da auch Wilhelm II. für viele überraschend an den Altar trat. Als wollte er Dryander persönlich antworten, bekannte der Kaiser in einer kurzen Ansprache, daß "Nicht Glanz, nicht Macht, nicht Ruhm, nicht Ehre, nicht irdisch Gut", sondern das Heil der Seelen als höchstes Gut Ziel seines Suchens und Ringens sei331. In diesem Sinne wolle er mit seinem Haus dem Herrn dienen. Er betonte, was besonders die germanischen Völker "unter dem Panier des Kreuzes auf Golgatha" geworden seien. Von diesem Ort sei der Welt das Licht gekommen, "in dessen Glänze unser deutsches Volk groß und herrlich geworden" sei. Wie er der Erlöserkirche Zeichencharakter für die werbende Kraft dienender Liebe zuschrieb, so hoffte er abschließend auf eine

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Ebd. 6. Schneller feierte sogar eine große Wendung durch Gottes Fügung. Denn wer hätte es gedacht, daß, nachdem einst Papst und Kaiser vereint Luther in Acht und Bann taten, nachdem einst der christlichen Herrschaft in Akko der Todesstoß versetzt worden sei, "wieder ein deutscher Kaiser, ein Anhänger des von Luther wiederhergestellten christlichen Glaubens, an diesem Golfe landen würde, nicht mit dem bluttriefenden Schwerte der Kreuzfahrer, sondern mit dem Ölzweig am Helm, jubelnd begrüßt von Christen und Sarazenen, um am 31. Oktober 1898 die weltbewegende Tat Luthers in den Mauern Jerusalems zu feiern?" (Kaiserfahrt 14). Naumann, "Asia" 70. Hier s.a. das Folgende. Penzler/Krieger, Reden II, 121-123, 122. Hier s.a. die folgenden Anführungen.

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gemeinsame Arbeit aller im apostolischen Glauben über Konfessionen und Nationen hinweg geeinten Christen dem Frieden auf Erden entgegen. 332 Die in diesem Gottesdienst aufgekommene Stimmung beherrschte den weiteren Aufenthalt in Jerusalem mit seinen Empfangen und Besichtigungen bis zur Abreise am 4. November. In dem Abschiedsgottesdienst vom 3. November versuchte Dryander, dieser Stimmung an Psalm 147 noch einmal Raum zu geben. 333 Der Erfolg der Mission sei gesichert, denn Gott habe diese Tage "gesegnet zu einem neuen Anfang evangelischer Kirchengeschichte in dieser Stadt und diesem Lande".334 Den versammelten "Pilgern" rief er abschließend zu: "Jerusalem wird uns allezeit bleiben die Mahnerin und das heilige Sinnbild eines Jerusalem droben, in dem die Menschen sich nicht mehr streiten und wild das Getümmel und Gewirre ihrer Stimmen durcheinander tönt, sondern jeder mit seiner Kraft und seiner Art harmonisch einstimmen wird in das Lob des einen Gottes und des 335

einen Heilands."

Es bleibt festzustellen, daß auch Dryanders Amt vom Glanz der Reise mitbetroffen war, ohne daß er sich allerdings auf den sogenannten Erinnerungs-

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Daß dies nicht überall Anklang gefunden hat, zeigt die (nicht in allem berechtigte) Empörung der Zarenmutter: "Alles aus purer Eitelkeit, nur damit darüber gesprochen wird! Diese Pilgerkutte, diese Pose eines Oberpastors, der Frieden auf Erden predigt mit einer Donnerstimme, als ob er seine Truppen kommandierte, und sie [sc. Auguste Viktoria] mit dem großen Kreuz in Jerusalem, all das ist vollkommen lächerlich und zeigt nicht eine Spur von religiösem Gefühl - abscheulich! Und dann, was ftlr ein hübscher Anblick, wie sie beide auf dem Berge Sinai knien und vom Hauslehrer ihrer Kinder gesegnet werden, den man eigens zu diesem Zweck mitgebracht hat!" ( zit. n. V.Cowles, Wilhelm der Kaiser, Frankfurt a.M. 1963, 153f, leider ohne Datum und Fundort). Hervorzuheben ist hier auch die pejorativ-verniedlichende Erwähnung Dryanders. Mirbach, Kaiserpaar 298, Keller, Dienst 204; die Predigt selbst ist überliefert bei Schneller, Kaiserfahrt 240-242. Zit. n. Schneller, Kaiserfahrt 240. Ihm persönlich sei die Person Jesu Christi trotz der vielen lebendig-anschaulichen Bilder Palästinas davor behütet geblieben, allzu menschlich zu werden. Das an den heiligen Stätten neu belebte, in Jesus offenbar gewordene Bild der Liebe habe seinen Glauben an Christus als den Menschensohn noch gewisser werden lassen (ebd. 241). Dies sollte gerade in dem Land der vielen Religionen und Bekenntnisse davor bewahren, sich zu dem Gedanken verleiten zu lassen, unter so vielen Meinungen könne wahrscheinlich keine den Anspruch absoluter Wahrheit führen. Nach dieser Ablehnung der Lessingschen Ringparabel schlug Dryander allerdings wieder eine ihm typische Richtung ein und kam der in Nathan verkörperten religiösen Toleranz insoweit entgegen, als er jedem ernsten und treuen Glauben Ehre und Achtung zu erweisen gelobte (ebd. 242). Ebd. 242.

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treffen von neuem in diesem Glanz sonnen mußte.336 Innerlich mit dem kirchenpolitischen Ziel der Reise konform* konnte er es mit seinen Auftritten stützen und gleichzeitig immer wieder ernstgemeint zur Besinnimg auf die allen Christen gemeinsamen Güter aufrufen.

5.2.7.2. " [...] als gelte es einen St. Peter, nicht eine häßliche Berliner Kirche einzuweihen!" - Der neue Dom Am 27. Februar 1905, dem 24. Hochzeitstag des Kaiserpaares, zwölf Jahre nach dem Beginn der Sprengungen am alten, d.h. am zweiten 1750 unter Friedrich dem Großen geweihten Dom, fiel Dryander die Aufgabe zu, den neuen Dom zu weihen, "auf den vier Könige ihre Sorge und Liebe gewandt haben."337 Wie Dryander eingangs seiner Weiherede hervorhob, fand bezeichnenderweise unter der Ägide Wilhelms II. seinen Abschluß, was zuvor die Herrscher Preußens ein Jahrhundert lang beschäftigt hatte. "Durch weitgreifende Entwürfe Friedrich Wilhelms IV. in Angriff genommen, in treuer Pietät gegen den Königlichen Bruder von dem greisen Kaiser als Monument glorreich erkämpften Friedens neugeplant, gewinnt durch die Begeisterung und unermüdliche Fürsorge Kaiser Friedrichs das Werk Plan und Gestalt, um so schließlich als 'heiliges Vermächtnis' der in schwerem Leiden vollendeten Eltern von 338

unserem Kaiserlichen Herrn ausgeführt zu werden."

Sozusagen als architektonisches "Idealprojekt" hatte Schinkel auf eine Ordre Friedrich Wilhelms III. hin 1814/15 zwei Denkschriften zum Bau einer großen Kirche vorgelegt, die als "Denkmal der Geschichte" sowie als "Dankeskirche" nach überstandener Kriegsgefahr hätte dienen können.339 Doch statt eines Domneubaus als Freiheitsdenkmal wurde lediglich eine Umgestal-

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Auch Wilhelm II. blieb diesen mit Eifer und Stolz organisierten Treffen von Reiseteilnehmern fern. EZA 7/413, pag. 312. EvD, Die Herrlichkeit des Hauses Gottes. Zur Weihe des Berliner Doms am 27. Februar 1905, in: ders., Gott und Mensch 118-122, 118. Ein ausführlicher Bericht über die Feier findet sich in der CCW 15 (1905), Sp. 153-159. EvD, Domweihrede 118. H.Delbrück, Das Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm und der Dom zu Berlin, PrJ 61 (1888), 423-433, 424f; vgl. W.Lütkemann, Deutsche Kirchen, Bd. 1: Die evangelischen Kirchen in Berlin (Alte Stadt), Berlin 1926, 7f; zur Baugeschichte mit Planungsmaterial und -skizzen für jede Phase: C.W.Schümann, Der Berliner Dom im 19. Jahrhundert (Die Bau- und Kunstdenkmäler von Berlin, Beih. 3), Berlin 1980, hier 11-16; Klingenburg, Berliner Dom 56f.

5.2. Im Sog des Hofes - Dryander und der Königsmechanismus

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tung des alten Berliner Domes nach Vorstellungen Friedrich Wilhelms III. realisiert. Eine neue Planungsphase begann mit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV., der schon länger mit Ideen schwanger ging und 1842 eine Dombaukommission ins Leben rief. 340 Doch das große Vorhaben, seinen Dom "nicht für die Berliner Domgemeinde, sondern als Primas des Protestantismus für die protestantische Kirche Deutschlands" bauen zu wollen341, scheiterte an den Finanzen, an der zögerlichen Haltung des Königs und nicht zuletzt an der Revolution. Allerdings bleibt es nicht nur an den Stülerschen Plänen, sondern auch an den Alternativeingaben für die vom König gewünschte mächtige Basilika nebst einer dynastischen Fürstengruft (campo santo) nach altchristlichen Vorbildern interessant, zu beobachten, wie immer wieder der Vergleich - im Sinne einer Konkurrenz - mit dem vatikanischen Petersdom vorgenommen wurde.342 Aber auch hier schon war die würdige Repräsentanz des Protestantismus mit der nationalpatriotischen Idee verbunden. Unter Wilhelm I. blieben eine neuartige Ausschreibungskonkurrenz von 1867 zu einem Neubau des Berliner Domes wie auch nach den Tagen von 1870/71 eingetretene Erörterungen über die mögliche Errichtung eines Siegesdomes gleichermaßen ohne Folgen; auch das vom Kaiser zunächst vehement in Angriff genommene campo-santo-Projekt schlief merkwürdig schnell wieder ein.343 Es war Friedrich III., der sich wieder verstärkt persönlich dem Dombauprojekt zuwandte.344 Nicht einmal einen Monat nach dem Tode Kaiser Wilhelms I. erging eine Ordre, die einen Umbau des bestehenden Domes forcieren sollte. Dies wäre praktisch aber einem Neubau gleichgekommen, denn der 'neugestaltete' Dom sollte neben erweiterten Gottesdienstmöglichkeiten auch Raum für große Hof- und Staatsangelegenheiten bieten sowie mit einer Fülle nationaler und dynastischer Denkmäler zur "Wiederholung schöner 34

" Delbrück, Nationaldenkmal 425-427; Nipperdey, Nationalidee 146; Schümann, Berliner Dom 51 ff; Klingenburg, Berliner Dom 102. 341 Zit. n. Schümann, Berliner Dom 62. 342 Schümann, Berliner Dom 11 Iff, bes. 113 (vgl. 64); Delbrück, Nationaldenkmal 425; ChW 5 (1891), Sp. 133-135. 343 Delbrück, Nationaldenkmal 427-429; Schümann, Berliner Dom 195-207; Klingenburg, Berliner Dom 130ff. Die campo-santo-Idee als dynastische Gedenkstätte kann man wohl in der unter Wilhelm II. ausgeführten Siegesallee modifiziert weiterleben sehen. 344 Noch als Kronprinz versuchte er 1888, den Berliner Dom im Blick auf den Abschluß der Arbeiten am Kölner Dom wieder ins Gespräch zu bringen (Schümann, Berliner Dom 205).

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Leistungen aus früheren Jahrhunderten" ausgestattet werden.345 Besonders die liberal-konservative Öffentlichkeit nahm diese Pläne dankbar auf. Delbrück meinte, es fehle "dem deutschen Reiche, dem deutschen Volke ein Festraum zur Begehung der nationalen Feierlichkeiten, [... d.h. eine] nationale Festhalle, ein Pantheon, ein deutscher Dom"; auch der "Gedanke, einen evangelischen deutschen Dom in Berlin als deutsches Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm zu errichten", wurde erörtert.346 Und tatsächlich wurde das Domprojekt am Hof im Anschluß an Bauideen des römisch-katholischen Raschdorff in den größeren Ideenzusammenhang eines Nationaldenkmals gestellt, nicht zuletzt auch unter dem Gesichtspunkt einer Aktualisierung und Popularisierung des Vorhabens.347 Der frühe Tod Friedrichs III. tat dem schon weit gediehenen Projekt keinen Abbruch; im Gegenteil: Wilhelm II. wollte den von seinem Vater initiierten Dombau ausgeführt wissen, wobei der Kaiser selbst, Raschdorff und die Dombaukommission unter Berufung auf fiktive Pläne des verstorbenen Monarchen modifizierte eigene Ideen (besonders gegen die Budgetkommission des Landtags) durchzusetzen und zu legitimieren suchten.348 So wurde 1889 in einem endgültigen Neubauprogramm eine Dreiteilung der als Kuppelbau konzipierten Kirche in eine Gemeinde- bzw. Festkirche sowie in zwei diese nach Norden und Süden hin abschließende (Gruft- und Trau- bzw. Tauf-)Kapellen beschlossen. Zur gottesdienstlichen Versorgung der Domgemeinde sollte im Monbijoupark eine Interimskirche errichtet werden.349 1893 erst konnte mit dem Abbruch des alten Domes begonnen werden, woraufhin endlich am 17. Juni 1894 der Grundstein zu dem neuen Dom gelegt wurde. Der architektonische Stil des "Schlüterschen Barock" sollte auf Allerhöchste Anweisung um "die strengere Form der Renaissance" in den ausschmückenden Details ergänzt werden. Aber nicht nur die angespannte Finanzlage, auch ständige Änderungsvorschläge des Bauherrn verzögerten den Weihetermin um etliche Jahre.350

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Ebd. 217f; s.a. Klingenburg, Berliner Dom 168f. Delbrück, Nationaldenkmal 430(-433). S.a. ChW 5 (1891) Sp. 134, wo ebenfalls der Mangel an einem glanzvollen und großen Kirchenraum festgestellt wurde, allerdings mit der Anmerkung, daß "ein gewaltiger Dombau mit dem Wesen eines evangelischen Kirchenbaus schlechtweg unvereinbar" sei. Schümann, Berliner Dom 220. Ebd. 245f; Kingenburg, Berliner Dom 169-173. Ebd. 247-251. Ebd. 251-253.

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Dies trug sicherlich nicht zur Zufriedenheit Dryanders bei, der mit seiner Berufung zum Oberhofprediger zugleich als Mitglied in die Dombaukommission aufgenommen worden war.351 Hier versuchte er zusammen mit Anton von Werner, dem einflußreichen Präsidenten der Berliner Akademie der Künste - von progressiven Kreisen als heiliger Anton und malende Stütze von Thron und Altar verspottet352 -, an der Vereinheitlichung der inneren Ausstattung des Domes, besonders des ikonographischen Programms, zu wirken. So haben von Werner und Dryander "unter Benutzung schon ausgeführter Teile" Programme angefertigt, die im Januar 1902 der Kommission vorgelegt wurden.353 Nach dem Urteil Dryanders konnte es sich hierbei "nur noch um Fertigstellung des schon Begonnenen handeln. Um an dem Ganzen etwas zu ändern, war es zu spät".354 Im Hinblick auf seine Predigttätigkeit bedauerte er das durch die Kuppelform bedingte akustische Risiko des Domes. Wie andere zeitgenössische Kritiker auch bemängelte er den durch ornamentalen Schmuck überladenen Stil und wünschte einer künftigen Zeit, "durch Vereinfachung des Stils und Beseitigung der nicht organisch aus dem Ganzen herauswachsenden Figuren und Ornamente den Gesamteindruck zu bessern."355 Bermerkenswert ist hier die Kongruenz Dryanders mit seiner homiletischen Maxime der Einfachheit und Schlichtheit. Naumann beschrieb seinen Eindruck so: "Man hat dem lieben Gott ein schönes Schloß gebaut."356 So habe er das Gefühl gehabt, "so muß der Tempel des Herodes gewesen sein! Gutes Material, viel Marmor und Gold, überhaupt reelle Arbeit, aber keine Frömmigkeit [...]". Wenn Naumann zudem der Verwunderung Ausdruck gab, hier kein eigentlich deutsches, sondern ein romanisches Gotteshaus, keine protestantische, sondern eine katholische Kirche anzutreffen, traf er damit den Tenor der Pressestimmen angesichts des monumental auftrumpfenden Domcharakters. Auch die "Kölnische Volkszeitung" vermerkte den katholischen Eindruck des Doms und stellte ihn in eine Reihe mit den Renaissancekirchen Italiens, besonders mit der Peterskirche. Allerdings sei dieser Eindruck des Domes "als eine[r] Stätte der Anbetung im katholischen Sinne" bei der Einweihung 351 352

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EvD, Erinnerungen 218f. Vgl. Paret, Secession 24ff, 83, 214. Schümann, Berliner Dom 253. EvD, Erinnerungen 219. Ebd.; vgl. die gesammelten Stimmen in CCW 15 (1905), Sp. 156f, und bei Schümann, Berliner Dom 254f. Zit. n. CCW 15 (1905), Sp. 157. Hier s.a. das Folgende.

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nicht so auffallig in Erscheinung getreten, da hier die Entfaltung höfischen und militärischen Prunks die Szenerie beherrscht hätte. 357 Wilhelm II. selbst hatte wie am Bau der Kirche auch an einer prunkvollen und würdigen Ausgestaltung des Weihezeremoniells größtes Interesse. So lud er die protestantischen Bundesfursten höchstselbst und über den EOK - wie schon zur Weihe der Jerusalemer Erlöserkirche - auch die Vertreter aller inund ausländischen evangelischen Kirchenregierungen ein. 3 5 8 Baronin Spitzemberg beschrieb mit spitzer Feder ihren Eindruck der Domweihe, zu der "Fürsten und 'Spitzen' aus aller Herren Länder sind zusammengetrommelt worden, wie der sonst so vorsichtige Derenthall sagte: 'als gelte es einen St. Peter, nicht eine häßliche Berliner Kirche einzuweihen!' Warum für solch rein preußische, höchstens deutsch-evangelische Ereignisse dieses übertriebene Gepränge, dieses kosmopolitische anspruchsvolle Gebaren, an dessen Wahrheit niemand glaubt und deshalb innerlich Widerspruch erhebt?" Diese Frage läßt sich im Sinne der Veranstalter beantworten, wenn man dem äußeren Rahmen und dem Protokoll dieser Feier folgt. Wie Dryander in seiner Weiherede betonte, standen hier die die analogen Feiern in der wiedereröffneten Wittenberger Schloßkirche und in der Jerusalemer Erlöserkirche Pate: "Zum drittenmal stehen wir mit unserem kaiserlichen Herrn in einer Kirche, deren Bedeutung weit über die Stätte hinausweist, an der sie erbaut ist. Als Erben der Reformation haben wir in der erneuten Schloßkirche zu Wittenberg an den Gräbern der Reformatoren gelobt, die heiligen Güter des Glaubens treu zu bewahren, die jene errangen. Aus allen evangelischen Kirchen der Welt versammelt, haben wir uns auf den Trümmerstätten Jerusalems [...] zu ihm [sc. Christus] bekannt und in der Erlöserkirche gelobt, mit Taten der Liebe evangelischen Glauben zu bewähren. Heute ist wiederum eine evangelische Welt versammelt, Fürsten und Volk als Kinder einer Reformation, entschlossen, über trennenden Unterschieden in Bekenntnis und Geschichte, in Kultus und Sitte einander die Hand zu reichen, in der Gewißheit eines Glaubensgrundes [...]. Wir fühlen die Größe des Augenblicks."360 Dryander nahm darüber hinaus einen schon in Jerusalem geäußerten Gedanken auf, wenn er Wilhelm II. ob der ihm durch göttliche Fügung und durch den Lauf der Geschichte zugewiesenen Schirmherrschaft und Hüter-

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Ebd., Sp. 156. EZA 7/428, nicht pag.; auch Ordensvorschläge für die am Dombau beteiligten Personen wurden hier erörtert. Spitzemberg, Tagebuch v. 27.2.1905, 445. EvD, Domweihrede (1905), 122.

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pflicht über die reformatorischen Güter als ersten Bekenner unter den anwesenden Gästen begrüßte361, und führte die schon in Jerusalem kräftig betonte Option auf die Vorrangstellung in der christlich-protestantischen Welt unterschwellig fort. Zur Verwunderung der an der Weihefeier Beteiligten enthielt sich Wilhelm II. - abgesehen von der protokollarischen Schlüsselübergabe an Dryander -jeglicher offizieller Ansprache, "wie man [es] allgemein im Hinblick auf die Bedeutung der Feier und die Anwesenheit der vielen Vertreter der evangelischen Kirche aus der ganzen Welt erwartet[...]" hatte.362 Doch Wilhelm II. hatte schon gesprochen, hatte im Dom selbst schon ein unübersehbares Zeichen gesetzt. An der Weihefeier und an der Rede Dryanders fand der heimliche Wunsch Wilhelms II. sicherlich Nahrung363, wie er sich in den Einzelgesprächen während des Empfangs ausdrückte. So hoffte der Kaiser, der Dom möge gerade im Kampf mit dem Ultramontanismus als Symbol für die "Zusammengehörigkeit aller Protestanten" Geltung gewinnen.364 Reagierte die deutsch-katholische "Kölnische Volkszeitung" eher ernüchtert und enttäuscht, so spiegelte die "St. James Gazette" die vehemente Ablehnung wider, die dieser offiziell unbestätigten Mitteilung einer im Gespräch geäußerten kaiserlichen Anschauung widerfuhr.365 Denn zudem soll der Kaiser - verbunden mit einer Attacke auf einen an den Kathedralen von Westminster, St. Paul und Canterbury festgemachten vorgeblich anglikanischen Führungsanspruch - verlautbart haben, daß "die Berliner Kathedrale ein Vorrecht darauf [habe ...], als Mutterkirche des internationalen Protestantismus betrachtet zu werden". Kaiser Wilhelm II. werde eher - so die "St. James Gazette" - "König von Frankreich oder Sultan der Türkei sein, als er Berlin als das Mekka der Protestanten anerkannt finden wird." Auch Dryander wußte von englischen Mißstimmungen schon im Vorfeld der Weihe zu 361 362 363

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Ebd. 118f. "Der Reichsbote", zit. n. CCW 15 (1905), Sp. 157. Hofmarschall Zedlitz-Trützschler notierte: "27. Februar 1905. Heute früh haben wir den neuen Dom eingeweiht. Die Feier verlief in der äußerlich glänzenden Weise, die wir ziemlich gleichmäßig solchen Feierlichkeiten angedeihen lassen [...]. Die beiden Geistlichen [Dryander und Kritzinger, d.Vf.] hielten glänzende Reden, aber viel Byzantinertum in ihren Worten machte mich bekümmert [...]. Besonders gefielen sie sich in Lobpreisungen über das herrliche Werk und seinen Schöpfer, womit sie natürlich den Kaiser meinten [...]" (Kaiserhof 114). CCW 15 (1905), Sp. 157. Die folgenden Äußerungen s. ebd., Sp. 158.

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berichten. So sei dem Bischof von London seitens der "Times" scharf vorgehalten worden, die Einladung zu dem Ereignis überhaupt angenommen 201 haben.366 Die Symbolkraft des Domes hat also nicht überall Anklang gefunden. Zwar war die vorrangig nationale Idee des Domprojektes, wie sie auch in einer vom Kaiser angeregten Formel der Stiftungsurkunde, der Dom sei auch ein Denkmal des Dankes für die Siege von 1870/71, zu finden war367, zu einem großen Teil in die 1895 dem Siege von Sedan gewidmeten KaiserWilhelm-Gedächtniskirche abgeleitet worden. Doch auch in der theologisch wie kirchendiplomatisch fundierten ökumenischen Widmung des Domes, wie Dryander sie vortrug, blieb ein Rest preußisch-deutscher Motivik. Auch hier wieder schimmert die schon an den offiziellen Hoffestreden deutlich gewordene Übertragung borussischer Motive auf das kirchliche Feld durch. Sieht man die Domweihe nun mit der Weihe der Jerusalemer Erlöserkirche auf einer Linie, so muß zusammenfassend festgestellt werden, wie in beiden Akten die preußisch-deutsche Dynastie unabdingbar mit einem seit der Reformation angehobenen religiös-sittlichen (und sozial-politischen) Prozeß in Verbindung gebracht wurde und sich daraus eine Art Sendlings- und Führungsgedanke für die Hohenzollern auch auf protestantisch-kirchlichem Terrain entwickelte. Im Hintergrund steht hier die - allerdings von Dryander nicht explizit ausgesprochene, aber durchscheinende - borussische Idee eines evangelischen Kaisertums als Ergebnis und Ziel der Aufgabe Preußens in Deutschland.368 Die evangelischen Kirchen Deutschlands könnten - so der Tenor der Weihereden - das in diesem Sinne verstandene Kaisertum stärken, wenn sie zu einer inneren Einheit fanden oder gar in der Vertretung deutsch-protestantischer Interessen in der evangelischen Welt an Deutschlands Aufgabe in der Welt teilhätten. In diesem Zusammenhang will es scheinen, als habe der so oft angestellte Vergleich des Berliner Doms mit St. Peter in Rom sein eigenes

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EvD, Erinnerungen 219. Ein Blick in die CCW korrigiert die "Times" in die "Church Times", 15 (1905), Sp. 159. Schniewind, Dom 79. S. auch die Beilage zum Ev.-Kirchlichen Anzeiger 45 (1894), [Nr. 25 v. 22.6.] 219-220, die sich mit der Grundsteinlegung zum neuen Dom befaßt. Vereinzelt war nach den Tagen von 1870/71 enthusiastisch die Rede von einem - so Stoecker - "heiligen evangelischen Reich deutscher Nation" (G.Brakelmann, Das "Heilige evangelische Reich deutscher Nation", EvKomm 4 [1971], 11-15) oder von dem Kaiser - so die NEKZ v. 18.3.1871, Sp. 161 - "als [...] [dem] Gründer des evangelischen Kaisertums deutscher Nation". Doch derartige Stimmen konnten sich nicht durchsetzen.

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Recht, als sollte der Berliner Dom - trotz einiger Warnungen im Vorfeld 369 - dessen protestantisches Gegenstück quasi als evangelischer Vatikan borrussischer Prägung werden. Denn gerade die Geschichte des Domprojekts wie auch die Weihefeier selbst wiesen auf die enge Verbindung zu der dynastischen Tradition der Hohenzollern und deren Hüteramt über das reformatorische Erbe hin, so daß dem Dom die Funktion zukommen konnte, auf diesem Fundament die protestantische Katholizität zu repräsentieren. Immerhin muß demgegenüber festgestellt werden, daß auch der neue Dom - neben seiner unübersehbaren Form als national-protestantisches Repräsentationshaus - für eine sonntäglich große Gemeinde zum Ort des Gottesdienstes wurde und so der im Dryanderschen Sinne zentralen Ausdrucksform des Gemeindelebens Raum geben konnte.

5.2.8. Mirbachiana Im Spätsommer 1904 erschütterte eine Affare um den Oberhofmeister der Kaiserin, Freiherrn von Mirbach, Hof und Kirchenleitung gleichermaßen und ganz besonders die evangelisch-kirchlichen Hilfsvereine. Graf ZedlitzTrützschler notierte kritisch: "Eine wenig erfreuliche Angelegenheit ist die Affäre Mirbach. Sie zeigt aufs neue, daß selbst in unserer Zeit religiöser Fanatismus gefährlich werden kann. Der Zweck hat die Mittel häufig geheiligt. Um Geld für Kirchenbauten zu erhalten, hat man wenig nach 'Würdigkeit' der betreffenden 'Geldgeber' gefragt, und Titel, Hofprädikats-, Adels- und Ordensverleihungen haben für Geld stattgefunden. In der Geschichte wird dieses Kapitel 370 unserer Zeit keine rühmliche Erwähnung finden [...]".

Ausgelöst wurde dieser Fall durch den Konkurs und die damit zusammenhängende Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten der Pommernbank, zu der Mirbach in seiner Funktion als Verwalter der Schatulle der Kaiserin sowie als Vorstandsmitglied des Kirchbauvereins lebhafte Beziehungen unterhalten und 369

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Die ChW 5 (1891), Sp. 134, mahnte ein Scheitern des Dombaus an, "so lange man einen 'Dom' bauen will nach Art der Dome der römischen Kirche, so lange man die Hauptbestimmung des neuen Baus darin erblickt, etwa gottesdienstlicher Mittelpunkt des evangelischen Deutschlands und kirchlich-monumentale Darstellung des protestantischen Kaisertums zu sein, und nicht vielmehr darin, sich als Gotteshaus der kaiserlichen Hausgemeinde und der um sie geschalten Hofgemeinde darzustellen". Zedlitz-Trützschler, Kaiserhof 75f, v. 12.6.1904. Vgl. 76f, v. 20.7., u. 82f, v. 1.10.1904; Keller, Dienst 241f, v. 21.6.1904, die Mirbach einfach nur bemitleidete; s.a. Bülow, Denkwürdigkeiten I, 244-246.

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besonders durch die veröffentlichte Annahme von Spenden und durch die Vergabe des Hofbank-Prädikats gutgläubig und unfreiwillig zu einer scheinbaren Solidität verholfen hatte.371 Waren dem Verein zwar keine finanziellen Nachteile entstanden und hatte er selbst niemanden geschadet, so blieb doch ein moralisch anrüchiger Rest haften, vor allem der Vorwurf, Kirchenbauten aus erschwindeltem Geld finanziert zu haben. Dieser Vorwurf ließ sich zwar nicht halten, aber am Rande des Finanzskandals offenbarten sich die nicht gerade wählerischen Mittel, Geld für die enorme Bautätigkeit des Vereines zu sammeln. Seit seiner Gründung 1890 hatte der Verein die Kirchennot in Berlin erheblich gelindert: innnerhalb von nur 15 Jahren wurden 55 Kirchen fertiggestellt, weitere 18 Gotteshäuser waren 1904 im Entstehen begriffen. Zu den dafür aufgebrachten 31 Millionen Mark trugen allein freiwillige Einzelspenden 8,7 Millionen Mark bei.372 Wie schon der 1888 gegründete Evangelisch-Kirchliche Hilfsverein zur Behebung der religiös-sittlichen Notstände stand auch dessen Ableger, der Kirchbauverein, unter dem Protektorat Auguste Viktorias.373 Diesen Umstand hatte Mirbach sich zu nutze gemacht, um besonders unter den 'oberen Zehntausend' ungeheure Spenden zu erwirtschaften, wurden doch alle Spender der Kaiserin namentlich bekannt gegeben.374 So wird man also dem durch die - z.T. berechtigte - Aussicht auf Auszeichnungen und Ehrungen geförderten Spendenzwang einen hohen Rang unter den Motiven der Spender zuschreiben können. Weiterhin geriet die Sammeltätigkeit in "eine [so] intime Berührung mit den unliebsamen Seiten des Reichtums"375, daß der Stoekker, einem entschiedenen Antipoden Mirbachs, nahestehende "Reichsbote" von einem Konto "Korruption" sprechen konnte.376 Schon nach Bekannt-

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Vgl. etwa die Berichte in der CCW 14 (1904), Sp. 311 f, 319f, 498-501; Die Reformation 3 (1904), 426, 429f. Tägliche Rundschau v. 15.6.1904, EZA 7/13418, pag. 105; vgl. CCW 14 (1904), Sp. 498. S. die Artikel H.Hohlweins, "Hilfsverein" und "Kirchenbauverein", 3 RGG, Bd. 3 (1959), Sp. 323 bzw. 1412. Dazu konnte sich Mirbach dank seines persönlichen Einflusses auch des Verwaltungsapparates bedienen und gleichsam Spendenerlasse ergehen lassen: In einem der 'Erlasse' heißt es sogar, daß "kleinere Sammlungen zu verhindern" seien, da sie nur wenig erbrächten; geringe Beträge kleinerer Leute würden reichere Leute zu geringeren Spenden veranlassen (Die Reformation 3 [1904], 446, die "Rheinisch-Westfälische Zeitung" zitierend). CCW 14 (1904), Sp. 500. Der Reichsbote v. 14.7.1904, EZA 7/13418, pag. 111.

5.2. Im Sog des Hofes - Dryander und der Königsmechanismus

303

werden von Einzelheiten des Finanzskandals hatte der "Reichsbote" auf das notwendige Interesse an der Integrität christlicher Aktivitäten hingewiesen: "Es ist ja wahr, daß zu den großen Kirchenbauten und Wohltätigkeitsanstalten des Herrn von Mirbach auch große Summen gehörten und daß es nicht leicht war, diese zu beschaffen, so daß auch die reichen Leute, die sonst bei christlichen Wohltätigkeitsversammlungen beiseite stehen, herangezogen werden mußten; aber man hätte doch vorsichtiger sein und einzelne Kirchen lieber weniger prächtig bauen sollen, dann hätte man so viele schwer zu beschaffende Gelder nicht nötig gehabt und wäre

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nicht in Versuchung gekommen."

Diese Dimension der Angelegenheit schien aber bei der hohen Geistlichkeit hinter der Solidarität mit Mirbach deutlich zurückzustehen. So betonte der Präsident des engeren Ausschusses des Evangelisch-Kirchlichen Hilfsvereins, Freiherr von der Goltz, schon am 13. Juni, wie sehr alle Mitglieder des Vereins zu Mirbach stünden, dessen Name "in der Kirchengeschichte Preußens [...] mit großen Buchstaben geschrieben sein wird", hätten doch die Majestäten auf dessen Rat ein Bekenntnis zum evangelischen Glauben abgelegt und sich der Bekämpfung der religiös-sittlichen Mißstände angenommen.378 Hieran schloß sich am 30. Juli eine Erklärung von 23 kirchlich und gesellschaftlich hochangesehenen Personen zugunsten Mirbachs an, an ihrer Spitze mit von der Goltz, Zieten-Schwerin und Dryander bzw. dem geistlichen Vizepräsidenten des EOK, dem Präsidenten der Generalsynode und Vorsitzenden Generalsynodalvorstandes und dem Oberhofprediger immerhin die prominentesten Köpfe der Landeskirche.379 Wie die beiden anderen namentlich Genannten sah Dryander sich besonders in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Berliner Zweigvereins des Evangelisch-Kirchlichen Hilfsvereins gegenüber den öffentlich erhobenen Rücktrittsforderungen an die Adresse Mirbachs am 5. August zu einem offenen persönlichen Schreiben veranlaßt, in dem er noch einmal auf seine und anderer berufene - aber vernachlässigte - Zeugenqualität aufmerksam machte. Sachlich gestand Dryander ein, daß Mirbach sich in der Vertrauenswürdigkeit einiger Sponsoren geirrt habe. Auch sei Mirbach nicht so schüchtern gewesen wie jeder Geistliche, der, in die Lage gekommen, bittend fur andere einzutreten, an Türen anklopfe, "vor denen er nicht leicht zum zweiten

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Der Reichsbote v. 19.6.1904, ebd., pag. 107. S.a. Die Reformation 3 (1904), 4 6 3 f . CCW 14 (1904), Sp.316f; Die Reformation 3 (1904), 478f. Die Reformation 3 (1904), 526; CCW 14 (1904), Sp. 397f; Der Reichsbote v. 30.7.1904, EZA 7/13418, pag. 114.

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5. In der Nähe des Thrones

Male erscheinen wird."380 Zwar sei Aufklärung dringend erforderlich, doch gegen den Vorwurf eines sittlich verwerflichen Systems müsse er sich verwahren. Er betonte des Gegenteil: "wenn der Ansturm der Öffentlichkeit [...] den Rücktritt des Herrn v. Mirbach aus seiner im Interesse der kirchlichen Notstände, sowie der Armen, Kranken und Bedürftigen geübten Tätigkeit zur Folge haben sollte, [werde] damit nicht ein 'unmoralisches System', das nie und nirgends existiert hat, beseitigt, sondern die Fürsorgearbeit für die Not der Kirche und der Armen und Elenden empfindlich und auf lange Zeit geschädigt sein [...]. 381

D. Dryander, Oberhofprediger."

Galt dies dem "Alten Glauben" als ein peinliches Eingeständnis der ersten Würdenträger der Kirche, daß die kirchlichen Vereine im Grunde "nicht so sehr von der Kraft der gläubigen Gemeinde getragen, als durch den weltlichen Einfluß eines hochgestellten Mannes gefördert" seien382, folgte der größte Teil der "gutgesinnten" kirchlichen Presse sorgenvoll den Erwägungen jener Erklärungen, so daß auf breiter Front immer deutlicher wurde, "daß das Ansehen der Kirche eine schwere Erschütterung erleiden mußte, wenn trotz dem Eintreten der Kirchenhäupter für den Frhrn. v. Mirbach, er vielleicht doch dem Unwillen des Volkes geopfert würde."383 Dieser Fall trat ein: Anfang September wurde Mirbach von der Finanzverwaltung für Auguste Viktoria entbunden - auch wenn er als deren Oberhofmeister im Amt blieb - und vor allem legte er jegliche Vorstandsarbeit in kirchlichen Vereinen nieder.384 Welch eine Mißstimmung und Enttäuschung diese - eigentlich nur konsequente - Entwicklung der Dinge in kirchlichen Kreisen ausgelöst hatte, kann man an der öffentlichen Beachtung und Diskussion einiger Worte ermessen, die Dryander kurz zuvor anläßlich der Weihe der Speyrer Protestationskirche (30./31. August) wohl auch mit einem Seitenblick auf den Fall Mirbach ausgesprochen haben soll: Die evangelische Kirche werde von den Dienern des Staates derzeit gering eingeschätzt und mißachtet.385 Demgemäß sah 380

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Zit. n. CCW 14 (1904), Sp. 398f, 398. Dryander hatte diesen Brief an verschiedene Tageszeitungen versandt; EZA 7/13418, pag. 115f. CCW 14 (1904), Sp. 399. Zit. n. der Reformation 3 (1904), 527. CCW 14 (1904), Sp. 506. Die Reformation 3 (1904), 588-590. CCW 14 (1904), Sp. 507. Zu Recht wird hier angemerkt, daß dies auf Dryander persönlich nicht zutraf, war ihm doch im Vorjahr ein Sitz im Herrenhaus zuteil geworden und sollte er doch schon im Oktober das besondere Prädikat "Exzellenz" verliehen bekom-

5.2. Im Sog des Hofes - Dryander und der Königsmechanismus

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der "Evangelisch-Kirchliche Anzeiger" den 'Sturz' Mirbachs als herben Schlag gegen die Arbeit aller evangelischen Vereine an, interpretierte die Mißachtung so gewichtiger kirchlicher Stimmen - unbestimmt - als Haß und Feindschaft gegen die evangelische Kirche überhaupt und meinte sogar entdeckt zu haben, wie sehr der evangelische Charakter des Hofes Dorn im Auge gewisser Kreise sei. Es sei nur verständlich, daß Dryander in Speyer in mildester Form dagegen protestiert habe.386 Es sei einmal dahingestellt, ob Dryander in seiner Auffassung der Dinge wirklich so weit gegangen wäre; der "Evangelisch-Kirchliche Anzeiger" hatte sich offensichtlich genötigt gesehen, Dryander gegen die römisch-katholische "Kölnische Volkszeitung" in Schutz zu nehmen. Diese nämlich hatte die "bedenkliche Verblendung z.B. Dryanders" bedauert, das Vorgehen gegen Mirbach als Demütigung der evangelischen Kirchen zu stempeln, da doch eigentlich nur die Sammelmethoden Gegenstand der Kritik seien.387 Für die Meinung vieler Geistlicher der Landeskirche mag wohl ein Leserbrief an die "Tägliche Rundschau" stehen, in dem zwar die Riesentätigkeit Mirbachs nicht vergessen, andererseits aber auf den Rahmen evangelischchristlicher Ethik hingewiesen wurde, in dem das "System Mirbach" nicht unterzubringen sei. Neben frommer Gesinnung seien "in wüstem Gemisch ganze Unsummen von Unwahrhaftigkeit und Heuchelei, von eitlem Ehrgeiz und niedriger Gesinnung hineingebaut worden."388 Zudem habe man das merkwürdige Schauspiel erleben können, wie eine Reihe von hochachtbaren Männern, zwar menschlich verständlich, aber in der Sache bedauerlich und besonders ernst dadurch, "daß die Herren ihren Erläuterungen ihre kirchlichen Titel beisetzten, [...] neben ihrer persönlichen Ansicht die Autorität der preußischen Landeskirche für Herrn von Mirbach in die Wagschale warfen."

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men. Allerdings ist dieser Auspruch aus der posthum in "Gott und Mensch", 182-192, veröffentlichten Weiherede selbst nicht zu belegen, wohl aber die Kenntnisnahme und Zurückweisung des allgemeinen Vorwurfs, "unsere Kirche sei tiefer als andere in die Weltbildung verflochten, sie habe sich unfähig erwiesen, den wechselnden Strömungen dieser Weltbildung zu widerstehen und sei in Auflösung begriffen" (187). Evangelisch-Kirchlicher Anzeiger v. 9.9.1904, EZA 7/13418, pag. 128. Kölnische Volkszeitung v. 5.9.1904, a.a.O., pag. 122. S.a. dies. v. 8.9.1904, a.a.O., pag. 123: "Freiherr von Mirbach hat manche Fehler begangen, aber seine Freunde, die ihn 'öffentlich unterstützen', deren vielleicht noch mehr. Der größte Fehler wird aber dadurch gemacht, daß man den Ausgang jetzt so zu drehen und zu wenden sucht, als handele es sich um eine neue Mißachtung der evangelischen Kirche." Tägliche Rundschau v. 14.9.1904, EZA 7/13418, pag. 131 (hier s.a. das Folgende); vgl. CCW 14 (1904), Sp. 507f.

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5. In der Nähe des Thrones

Auch der "Alte Glaube" mußte gestehen, "selten etwas gelesen zu haben, das uns an der Fähigkeit gewisser kirchlicher Würdenträger, die öffentliche Meinung der Gegenwart auch nur zu verstehen [...], so gründlich zweifeln ließ, als eben diese unglücklichen Rettungsversuche".389 Die Frage, warum die Spitze der evangelischen Geistlichkeit und in ihrem Gefolge die evangelisch-kirchliche Presse so empfindlich auf den nach den Ereignissen nur folgerichtigen Rücktritt Mirbachs reagierte, der doch eigentlich nur weiteren Schaden von der Arbeit der kirchlichen Hilfsvereine fernhalten mußte und eine Besinnung auf den Zusammenhang von 'äußerem' und 'innerem' Bau der Kirche hätte herbeiführen können, läßt sich nur recht ermessen, wenn man berücksichtigt, wie sehr sich in der Person Mirbachs alle Vertreter der weiteren und engeren Allianz von 'Thron und Altar' angegriffen fühlten. Der 'Fall Mirbach' offenbarte noch einmal die Klippen und das Dilemma der sich defensiv verhaltenden Kirchenvertreter in der Sphäre zwischen 'Thron und Altar'.

5.3. Im Dienst von 'Thron und Altar' - eine

Zwischenbilanz

Die Darstellung der immer enger gewordenen Beziehungen Dryanders zum Hof, die eine neue Hofpredigerepoche heraufgeführt hatten, und die angeführten Beispiele seines Auftretens am Hof haben eine geistige Nähe Wilhelms II. zu seinem Oberhofprediger aufzeigen können. Bemerkenswert allerdings ist, wie Wilhelm II. einen seinem Naturell eher entgegengesetzten, aus einer anderen Generation stammenden Mann zu seinem 'Seelsorger' gemacht hat. Der Vorwurf Franks, die Dryandersche Epoche zeige, "während die erste [Kögel-Stoeckersche] Epoche selbständige Individualitäten aufweist, [...] nur noch höfischen Alltag" - unter dem Zugeständnis, daß beide "Züge einer in die Machtverhältnisse dieser Welt verflochtenen Religiosität" trügen - , ist überzogen.1 Sichtbar wurde der Versuch Dryanders, seine seelsorgerlich-pädagogische Homiletik auch im höfischen Alltag zu bewähren. Dies ist nicht gering zu

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Zit. n. der Reformation 3 (1904), 606. Frank, Stoecker 223.

5.3. Im Dienst von 'Thron und Altar' - eine Zwischenbilanz

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veranschlagen, auch wenn die vereinnahmende Hofatmosphäre dieses Anliegen nur teilweise gelingen ließ. So war nicht zu übersehen, daß neben dem allerdings üblichen Tribut an höfische Form und Etikette besonders die Gottesdienste zu nationalen und dynastischen Festtagen mit dem Odem eines quasi sakralen borussischen Geschichtsbildes behaftet waren. Ist der persönlich-seelsorgerliche Einfluß Dryanders auf Wilhelm II. auch schwer zu fassen und auszuloten - hierbei wurden A.v.Harnack und H.St.Chamberlain zu einem Vergleich herangezogen -, so liegt doch offen zutage, wie sehr er diesen in seiner Kaiserrolle und in seinem herrscherlichen Selbstbewußtsein noch bestärken konnte. Denn Dryander selbst war von dieser am Hof zelebrierten Ausprägung der Kaiseridee und der persönlichen Integrität des Kaisers völlig überzeugt, fußte hierauf doch seine Treuemaxime. Für Dryander war Wilhelm II. wohl der Idealtyp eines Herrschers, "dem in aller Macht und Pracht, die ihn blenden, das eine Ziel [die Sorge um Heil und Wohl seines Volkes zur Ehre Gottes] unverdunkelt bleibt".2 Seine Treuemaxime machte es Dryander innerlich schwer, Kritik an seinem Herrn zu äußern.3 Bezeichnend ist eine auf die Anfange am Hof rückblickende Äußerung, derzufolge Dryander nur danach trachten konnte, "das, was an Geschick und Fähigkeit mir [in der Führung des Hof- und Dompredigeramtes] fehlte, durch Treue zu ersetzen". 4

Absichtliche oder berechnende Schmeicheleien jedoch lagen Dryander fern. Anders als sein Vorgänger Kögel versuchte Dryander nicht, aus seiner Nähe zum Thron besonderes kirchenpolitisches Kapital in eigenem Interesse zu schlagen oder sich unter den Domkandidaten Gefolgsleute heranzuziehen. Die Atmosphäre der Allianz von 'Thron und Altar' aber hat Dryanders Selbstverständnis bei Hofe stark beeinflußt und seinen eigentlich relativ freien Handlungs- und Leistungsspielraum als (kooptierter) Kirchenmann eingeengt: Zwar gab es kirchenrechtlich nur den königlich-preußischen Oberhofprediger Dryander. Doch mußte nicht in ähnlichem Maße, wie sich die wilhelminische Zeit über die verfassungsrechtliche Realität des Kaisertitels hinwegsetzte, auch Dryanders Amt bei Hofe unversehens vom Kaisermechanismus mitgerissen werden und - besonders in der Öffentlichkeit, die von den genauen

EvD, Großjährigkeitserklärung (1900), 5f. So sollten auch die Ereignisse und Folgen des Krieges eine Art geistige Schicksals- und Leidensverbundenheit schaffen, die Dryander zusätzlich gegen jede Kritik abschirmte und zu einem der eifrigsten Apologeten Wilhelms II. werden ließ. EvD, Erinnerungen 215.

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5. In der Nähe des Thrones

Amtsbezeichnungen nie ganz unterrichtet sein kann - sich in das Amt eines deutsch-kaiserlichen Hofpredigers wandeln? In fast allen offiziellen Reden und in der noch zugänglichen Korrespondenz ließe sich diese Wandlung auch in Dryanders (Unter-)Bewußtsein belegen. Besonders griffig hatte es Dryander selbst in seiner Predigt vom 10. März 1913 zur Jahrhundertfeier der Erhebung Preußens und der Freiheitkriege im symbolträchtigen Berliner Dom formuliert: "Wir haben die alte Landwehrdevise 'Mit Gott für König und Vaterland' mit der neuen vertauscht: 'Mit Gott für Kaiser und Reich!'" 5

Gerade durch die Nähe zum Thron dürfte die öffentliche Wirkung und der Bekanntheitsgrad Dryanders als Oberhofprediger weitreichender gewesen sein als aus seinen kirchenleitenden Funktionen heraus6, obwohl diese den Schwerpunkt seiner Arbeit bildeten und hier seine irenische Persönlichkeit voll zum Tragen kam. Überhaupt waren die beiden Funktionskreise am Hof und in der Kirchenleitung nicht immer leicht auseinanderzuhalten und haben sich wechselseitig beeinflußt: Denn so wie die Aura und die Autorität des Hofes auf seine leitenden Kirchenämter fielen - besonders in der Eisenacher Kirchenkonferenz und ihrem Organ dem DEKA, der sich um Formen einer relativen Einheit der deutsch-protestantischen Landeskirchen bemühte, und in Sachen der deutschevangelischen Diaspora, für die Dryander im EOK und im DEKA als Referent zuständig war, hat dies Niederschlag gefunden - , konnten die Äußerungen des Hof- und Dompredigers andererseits als Standpunkt der Kirche identifiziert werden. Denn nicht nur trug die Domkirche das Signum des (nahegelegenen) Hofes, sondern die Domkanzel konnte durch die direkte Unterstellung unter den EOK bisweilen auch als dessen kirchenpolitisches Sprachrohr fungieren.

EvD, Jahrhundert-Feier (1913), 4. Dies zeigt sich in vielen Berichten von öffentlichen Auftritten Dryanders: Am aussagekräftigsten vielleicht in dem Bericht über den 34. Kongreß für Innere Mission v. 23.-26.9.1907 in Essen, wo im Blick auf die überfüllte Kirche beim Eröffnungsgottesdienst zu lesen ist: "Freilich übte Oberhofpr. D. Dryander auch eine sonderliche Anziehungskraft aus. Die Essener wollten des Kaisers Schloßpfarrer, den sie schon mit freudigem Stolz beim Arbeiterfestzuge hatten mitmarschieren sehen, auch einmal predigen hören" (Die Reformation 6 [1907], 663) - Dryander wurde hier als Hofprediger herausgestellt, seine eigentlichen Funktionen als Abgesandter des EOK und DEKA sowie als Mitglied des Zentralausschusses fur Innere Mission wurden nicht einmal erwähnt.

5.3. Im Dienst von 'Thron und Altar' - eine Zwischenbilanz

309

Die Auftritte des Kaisers besonders bei den Kirchweihakten haben gerade den Summepiskopat betont und den Willen zur Fürsorge und Stütze der Kirche herausgestellt. Andererseits gab Dryander Staatsakten und hohen Festtagen nicht eine unbestimmte religiöse, sondern eine bestimmt kirchliche Weihe. Das Verhältnis von 'Thron und Altar' in seinen komplizierten Verflechtungen war hier also auf ein Amt konzentriert, sozusagen von der institutionellen Ebene auf eine personelle Ebene hinunterprojiziert. Die sich gegenseitig stützende und schützende Wechselwirkung von 'Thron und Altar' schlug sich nicht nur in den Strukturen von Monarchie und Kirche nieder, sondern auch konkret im Selbstverständnis der in ihnen handelnden Personen. Für Dryander ist dieses Selbstverständnis wohl am deutlichsten zu greifen in der von ihm eigenhändig entworfenen Gratulationsadresse des DEKA an Wilhelm II. zu dessen 25jährigem Thronjubiläum am 15. Juni 1913 (bzw. 16. Juni, dem Tag der Gratulationscour).7 Hatte Dryander dieses Dokument zwar im Namen des DEKA und als dessen höchster Repräsentant gewissermaßen im Namen des protestantischen Deutschland formuliert, so wird man nicht fehlgehen, darin aber gerade auch Dryanders ureigenes und durch seine besondere Nähe zu Wilhelm II. verstärktes Empfinden sich aussprechen zu sehen. Dies spiegelt sich in der alleruntertänigsten Bitte um "Eurer Majestät Allergnädigste Erlaubnis, ihre ehrfurchtsvollen Dankesgrüße und Segenswünsche an den Stufen des Thrones niederlegen zu dürfen", wie in der Überzeugung, daß "Euer Majestät Regierung auf allen Gebieten deutschen Lebens und deutscher Entwicklung mit sichtbarsten Erfolgen gekrönt, und insbesondere durch Euer Majestät rastloses Bemühen und festes Eintreten in den Segnungen des Friedens bewahrt worden ist." Zum Aufweis, wie diese Regierungszeit auch für die evangelischen Kirchen Deutschlands reiche Früchte getragen habe und wie ganz persönlich Wilhelm II. tatkräftig und warmherzig den gesamten deutschen Protestantismus in seinem Weg zu einer lange ersehnten Einigung gefördert habe, nahm Dryander deutlich die von ihm selbst wesentlich mitgestaltete und mitgebildete Traditionslinie WittenbergJerusalem-Berlin auf:

EZA 1/A2/424, nicht pag. (Az.: K.A. 565); hier s.a. das Folgende. Der von Dryander am 30.5.1913 entworfene Text wurde am 31.5. an alle Mitglieder des DEKA versandt, um deren Äußerungen einzuholen, erfuhr aber nur geringfügige Änderungen, so daß der Text der Adresse rechzeitig zum 16.6. kalligraphiert werden konnte.

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5. In der Nähe des Thrones

"Sind doch, um nur Eines hervorzuheben, jene drei Tage der Weihe der erneuerten Wittenberger Schloßkirche, der Erlöserkirche zu Jerusalem und des Berliner Doms durch E.[uer] M.fajestät] im evangelischen Volke mit freudigem Jubel begrüßte Initiative und eindrucksvolles Bekenntnis recht eigentlich zu großen Tagen der deutschen evangelischen Kirchen, ja weit über sie hinaus, des gesamten Protestantismus geworden. Nicht nur in die Weltgeschichte, auch in die Kirchengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts ist E.M. Name unauslöschlich eingeschrieben."

Abgesehen von der über höfisches Protokoll hinausgehenden Wirkung des Königsmechanismus, der sich über Dryander offensichtlich in dieses Dokument eingetragen hat, zeigt sich auch hier wieder das Dilemma des offiziellen deutschen Protestantismus, insbesondere der preußischen Landeskirche, sich der eigenen Größe und Bedeutung vor allem in Berufung auf kaiserlich und königlich beglänzte 'hochkirchliche' Ereignisse versichern zu müssen, so daß die "unabweisbare Pflicht" zum Dank für "Allerhöchstihre" Initiative und Förderung - freilich zugespitzt formuliert - einem unbewußten Eingeständnis freiwilliger Fremdbestimmung nahekam.

6. ZEIT DER "VATERLÄNDISCHEN NOT" 6.1. Mission und Vaterland In einem mit den Vorbereitungen zum silbernen Regierungsjubiläum Wilhelms II. zusammenhängenden EOK-Erlaß vom 21. April 1913 wurde für den 4. Sonntag nach Trinitatis, den 15. Juni 1913, nicht nur - wie zu diesen Anläßen üblich - ein allgemeines Kirchengebet für den Jubilar formuliert, in dem unter den Segnungen des Vierteljahrhunderts der bewahrte Frieden und die geförderte Wohlfahrt des Landes eine besondere Hervorhebung erfuhren.1 Denn der für den Erlaß zuständige Dryander ordnete weiterhin an, daß in allen Gottesdiensten eine Kollekte "zum Besten der Nationalspende zum Kaiserjubiläum für die christlichen Missionen in den deutschen Kolonien und Schutzgebieten" veranstaltet werde, indem er für eine Sammlung warb, "bei welcher sich die Erinnerung an die Missionspflicht der christlichen Gemeinde mit dem Bewußtsein einer besonderen Verantwortung des deutschen Volkes gegenüber den Eingeborenen jener Gebiete verbindet." Nicht zufallig entsprach der EOK damit einem ihm am 11. April vom Arbeitsausschuß der National spende zugegangenen Appell, demzufolge es "für das Ergebnis der Sammlungen von erheblicher Bedeutung sein [würde], wenn das Interesse weiterer Kreise für die Nationalspende auch in der Kirche angeregt würde" 2 . Denn mit Voigts und Dryander (und auch Zieten-Schwerin) waren neben anderen hohen Vertretern aus Politik und Gesellschaft sowie von katholischen Institutionen auch die beiden höchsten Repräsentanten der preußischen Landeskirche an der konstituierenden Versammlung des Zentralkomitees für die 'Kaiserspende' beteiligt, die unter dem Vorsitz des EOK-Erlaß an die Konsistorien v. 21.4.1913, EMW 1, nicht pag. (Az.: E.O. I 939). In dem von Dryander herausgegebenen Erlaß heißt es: "Laß Deine Gnade groß werden über Deinen Knecht Kaiser Wilhelm II., unseren König und Herrn, und segne sein ganzes Haus. Ein Vierteljahrhundert ist heute erfüllt, seit Du ihm die Krone des Reiches auf sein Haupt gesetzt, und täglich war Deine bewahrende Liebe neu [...]. Du hast seinen Arm gestärkt, den Frieden zu bewahren und des Landes Wohlfahrt zu befördern. [...] fahre fort zu segnen beide, Fürst und Volk, Kaiser und Reich. Kröne sein schweres Amt mit Erfolg, fülle seine Seele mit Kraft, sein Herz mit Geduld [...]." Allerdings wird auch deutlich, durch welche Instrumente u.a. man den Frieden verbürgt sah, wenn es weiter hieß: "Mache stark des Reiches Wehr und schirme die Kriegsmacht." (ebd.). Hier s.a. die folgenden Anführungen. EMW 6, nicht pag.

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

Präsidenten des preußischen Herrenhauses, des Grafen von Wedel, am 9. Januar 1913 im Vorstandszimmer des Herrenhauses abgehalten wurde.3 Wie schon die vorbereitende Versammlung am 8./9. Dezember 1912 legte diese vertrauliche Besprechung den Sammlungszweck für "die christlichen im deutschen Sinne arbeitenden Missionen in den deutschen Schutzgebieten und Kolonien" fest und formulierte - in besonderer Betonung der nationalen und christlichen Pflicht, "gegenüber dem weltpolitisch und weltwirtschaftlich immer bedrohlicher werdenden Wettbewerb der Engländer und Amerikaner die im deutschen Sinne arbeitenden Missionen zu stärken" - einen reichsweiten Spendenaufruf, der am 26. Februar auf die "große Aufgabe der Mission" in der Hebung und Erziehung der Eingeborenen durch das deutsche Wesen hinwies, nämlich den Eingeborenen "zu einem verständigen, brauchbaren Arbeiter, zu einem zuverlässigen Menschen, zu christlichen Lebensanschauungen zu erziehen".4 Die von Landes-, Provinzial-, Kreis- und Ortskomitees, vom Evangelischen Pressedienst (EPD) und durch die Tätigkeit der Gründungsmitglieder unterstützte Sammlung5 war ein voller Erfolg und erbrachte über den eigentlichen Termin, dem 16. Juni, hinaus 3,5 Mio Mark6. Nach der Überreichung der vorläufigen Spende regte Paul Lechler, Mitinitiator des Tübinger Instituts für ärztliche Mission, wie zuvor der EPD-Direktor Stark an, das gerade geweckte evangelische Interesse für die Mission wachzuhalten und gegen

Das Sitzungsprotokoll v. 9.1.1913, EMW 11, nicht pag. Ebd.; hier s.a. das Protokoll v. 8./9.12.1912, welches ausweist, daß Harnack das geplante Unternehmen als zu anspruchsvoll ansah. Zudem sei die hier auftretende Vermischung religiöser und politischer Inhalte nicht zu vertreten. Eine Sammlung für die Wissenschaft wäre ihm lieber gewesen. Auch die traditionellen protestantischen Missionsgesellschaften, von denen kein Vertreter eingegeladen worden war, verhielten sich skeptisch gegenüber dieser von Rohrbachschen kulturimperialistischen Vorstellungen angeregten Unternehmung. Einzig die Berliner Missionsgesellschaft war mit Berner, Axenfeld und dem Missionswissenschaftler Richter sogar entscheidend im Arbeitsausschuß vertreten. S. Gründer, Christliche Mission 106-108; die Magisterarbeit v. W.Hartmann, Die deutsche evangelische Mission zwischen Edinburgh (1910) und Jerusalem (1928). Die Deutsche Evangelische Missions-Hilfe, Mag. theol. (masch.), Hamburg 1985, 1-8, stellt die Vorgänge zwar etwas ausführlicher dar, übernimmt aber im wesentlichen die Ergebnisse Gründers. In der Sitzung des Zentralkomitees v. 29.3.1913 wies Dryander daraufhin, daß es zur Bildung von Komitees zweckmäßig sei, "in erster Linie Herren mit hervorragenden Namen und Finanzleute" zu gewinnen, EMW 11, nicht pag.; Zur Konstituierung des Berliner Ortskomitees im April 1913 erging auch an Dryander eine Einladung, EMW 4, nicht pag. Die katholische Sammelaktion erbrachte ca. 1,5 Mio Mark (CCW 23 [1913], 572f).

6.1. Mission und Vaterland

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englische, amerikanische und katholische Konkurrenz eine neue Organisation zu schaffen, die vor allem publizistisch - wie Stark formulierte - auf eine "ständige und würdige Vertretung des deutschen Gedankens in der Welt" hinwirken könnte.7 Der ideele Wert der Nationalspende - so Stark weiter müsse umgemünzt werden in das Signal zum "herzerquickenden Appell an das evangelische Deutschland: Bahn frei für die deutsche Mission!"8 Nach einigen Verzögerungen konnte mit dem nicht zur Verteilung gelangten Rest der evangelischen Spende (456.835 Mark) am 6. Dezember 1913 die "unter dem Protektorat Seiner Majestät des Deutschen Kaisers stehende Deutsche Evangelische Missions-Hilfe" [DEMH] gegründet werden, "die in Fortfuhrung der bei der Sammlung der Nationalspende zum Kaiserjubiläum veranlaßten Aufklärung über die Bedeutung der Mission in den deutschen Kolonien und Schutzgebieten den Zweck [verfolgte], die allgemeine Teilnahme für die deutsche evangelische Mission zu erwecken, zu pflegen und zu fördern".9 Verfolgt man den Verlauf der Gründungsversammlung, so wird schon ersichtlich, warum Gründer diese Stiftung nicht nur - ihrem Selbstverständnis nach - als "heimische 'Werbeabteilung' im Dienste der Missionsgesellschaften" verstand, sondern "eher [als] ein deutsch-evangelisches Unternehmen zur Propagierung des Kolonialgedankens", das dann folgerichtig der Deutschen Kolonialgesellschaft beitrat.10 Gleichsam getreu der vertraulichen Erwägung Starks, ob "dem allgemein religiös orientierten Gedanken der Mission nicht eine starke nationale Note

8 9

10

Lechler an v.Wedel (Vorsitzender des Zentralkomitees für die Nationalspende) v. 25.6.1913; Stark an Hegel (Oberpräsident der Provinz Sachsen und mit dem Magdeburger Verleger Faber der eigentliche Initiator der Nationalspende) v. 12.6.1913, EMW 5, nicht pag. Ebd. S. §1 der Verfassung der DEMH; zum Prozeß der Erarbeitung s. EMW 5; gedruckt findet sich die Verfassung als Anhang der Flugschrift: Gründungs-Versammlung der "Deutschen Evangelischen Missions-Hilfe". Sonnabend, den 6. Dezember 1913, vormittags 11 Uhr, im Sitzungssaale des Herrenhauses zu Berlin, Magdeburg [1914]. Vorbereitet wurde die Gründung durch einen Arbeitsausschuß, der am 21.7. zusammentrat und sich der Aufgabe stellte, "das evangelische Deutschland zu einer wirksamen Inangriffnahme des ihm zukommenden Anteils an der Weltmission anzuregen und die Missionsarbeit in den deutschen Kolonien zu fördern" (EMW 5). Es war beabsichtigt, wie von Hegel am 15.11. ausdrückte, daß das Unternehmen "vom Vertrauen und von der Unterstützung aller weiten Kreise getragen werde, die an der Nationalspende beteiligt waren" (ebd.). Die Mitteilung Valentinis an Wedel v. 28.11., Wilhelm II. werde das Protektorat übernehmen, machte den Weg zur Gründung endgültig frei. Gründer, Christliche Mission 110. S.a. die Darstellung in der Geschichte der Ev. Kirche der Union II, 439-457, bes. 453-456 (G.Besier).

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

beigefugt" werden könne11, stellten alle Redner den Zusammenhang von Christentum und wirklicher Kultur, von Mission und Weltwirtschaft heraus und wollten "als christliche Männer, christliche Frauen 'deutsche Gedanken in der Welt verkünden'!"12 Diese Versammlung war organisatorisch geschickt gerahmt durch Eingangs· und Schlußworte zweier prominenter Kirchenvertreter, die dem Unternehmen so gleichsam eine kirchliche Weihe gaben: Im Schlußwort sah Theodor Kaftan seine anfanglichen Bedenken zerstreut und war zu der Überzeugung gelangt, daß die DEMH eine tatsächlich bestehende Lücke ausfüllen werde, nämlich als Organisation, die mit ihrem besonderen Schwerpunkt der Aufklärung über "die große, auch nationale und wirtschaftliche Bedeutung der Mission", den Missionsgedanken endlich auch "in die größeren, breiteren, höheren Kreise hinein[...]tragen" könne.13 Offen sprach Kaftan die Vorteile nationaler und wirtschaftlicher Art als "willkommene Begleiterscheinungen der Mission" an und zeigte die Zuversicht, daß diese Früchte in weiten Kreisen Verständnis für deren kirchlichen Ursprung wecken würden.14 Anders als Kaftan, dem im Schlußwort eher die Aufgabe zugefallen war, das Gesagte auf die Zukunft hin zusammenzufassen, sah sich Dryander vor der Aufgabe, der Versammlung selbst ersten Schwung zu geben. Folgerichtig verwies Dryander eingangs auf das höchst erfreuliche Resultat der Nationalspende und wünschte, "daß das vertieft, ausgebreitet und dauerhaft gemacht

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Stark an von Hegel v. 12.6.1913, EMW 5. Meinhof (Hamburg) abschließend über die Frage nach der Zukunft der deutschen evangelischen Mission (Gründungsversammlung DEMH 23); Hegel und Faber, die Initiatoren der Kaiserspende, widmeten sich in ihren Beiträgen der Frage "Was wir wollen?", wobei Faber die Scheu alter Missionsfreunde vor politischen Nebentönen gleichsam als Entweihung der Mission zwar respektierte und wohl ihnen gegenüber versicherte, daß man die "hohen Güter christlich-deutscher Kultur hinaustragen" wolle, andererseits aber die DEMH daran mitwirken sah, "daß einst unsere Söhne und Enkel gleich uns als Angehörige eines Herrenvolkes über diese Erde schreiten und nicht etwa scheu und bedrückt von dem schweren Geschick politischer und wirtschaftlicher Verkümmerung, weil ihre Väter den weltgeschichtlichen Ernst der Stunde nicht erkannten und die große Gelegenheit verpaßten" (ebd. 150· Der Jurist Berner (Berlin) erläuterte die Organisationsform, die sich besonders auf die Arbeitsmittel "Wort und Schrift" stützen sollte (ebd. 27). Ebd. 39-41, 39. Ebd. 40; Kaftan verwies auf die der Diakonie und Inneren Mission um ihrer Humanitätswerke willen entsprechend zuteil gewordene Anerkennung.

6.1. Mission und Vaterland

315

werde, was begonnen worden ist."15 Muß ihm hier noch zugestanden werden, daß er - anders als viele der folgenden Redner - schnurstracks auf die zu Bewußtsein gekommene Pflicht hinwies, daß "wir unseren Kolonien nicht nur eine Kultur, sondern das Evangelium schuldig seien", so brach er diesem Gedanken die Spitze sofort wieder ab, wenn er die mit der Kolonialpolitik unabtrennlich verbundenen "Gewaltakte[...], durch die in die Besitzverhältnisse fremder Völker eingegriffen wird", moralisch dadurch rechtfertigte, "daß wir diesen Völkern etwas Höheres bringen als das, was wir ihnen nehmen, etwas, was sie ohne unser Zutun nicht bekommen würden und was ihnen reichlich jenen scheinbaren Verlust aufwiegt und ersetzt".16 Es gäbe aus der bisherigen Missions- und Kolonialgeschichte unwiderlegbare Beweise dafür, daß kein Volk "kulturunfähig [...], unfähig für die Heilsgüter des Christentums" sei, daß vielmehr "in allen diesen Völkerschaften noch ungehobene Schätze vorhanden sind, die geweckt werden können, wenn sie befruchtet werden mit der Geistesmacht des Evangeliums von Christo." Dryander übernahm damit als 'Missionslaie'17 relativ kritiklos die - wohl von der die Mission immer wieder anregenden heilsgeschichtlichen ReichGottes-Idee her - sehr optimistische und Greuel euphemistisch überdeckende Formel von der 'höheren Gegengabe' und deckte mit seiner Autorität als erster Geistlicher Preußen-Deutschlands die darauf basierende und erfolgreiche Symbiose von Kolonianismus und Mission, welche auch durch seit 1910 vereinzelt laut werdende Gegenstimmen in ihrer Selbstverständlickeit nicht gebrochen werden konnte.18 Zudem schien die DEMH dem vom EOK 1909

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Ebd. 5. Ebd. 6. Hier s.a. das Folgende. Zwar hat Dryander hin und wieder an Missionstagen teilgenommen und seine Sympathie bekundet, doch wie seine Predigt auf der (von Warneck ins Leben gerufenen) 15. Missions-Konferenz der Provinz Sachsen am 6./7.2.1893 in Halle zeigen kann, gewann er der äußeren Mission vor allem einen inneren Aspekt ab als einen wesentlichen Beitrag zum "große[n] Unionsgedanke[n], der uns hinweg hebt über den oft kleinlichen Hader der Parteien" (Predigt über Jes 60, 1-2, zit. n. DEKZ 7 [1893], 65). Gründer, Christliche Mission 104f, konstatiert eine gewisse Unsicherheit in den Missionskreisen durch die Kritik des Hamburger Orientalisten C.H.Becker - wie Meinhof Professor am Hamburger Kolonial-Institut - auf dem letzten Deutschen Kolonialkongresses 1910 in Berlin: Christentum und Kolonialpolitik hätten nichts miteinander zu tun, j a die Tatsache der Kolonialpolitik mit ihrer territorialen und wirtschaftlichen Ausbeutung sei so unchristlich wie möglich; es ist gut denkbar, daß Dryander in seinem Eingangswort indirekt auf diese, den Lebensnerv der missionarischen 'Erfolge' treffenden Kritik Bezug nahm. Zu den komplexen Zusammenhängen zwischen Mission und Kolonialbewegung sowie der Stellung der christlichen Mission im System des (west-

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

in einer Denkschrift ausgesprochenen Mangel an Einheitlichkeit in der evangelischen Mission wie auch dem geringen, weder der Bevölkerungsgröße noch seiner Bedeutung innerhalb der protestantischen Welt entsprechenden Anteil des evangelischen Deutschland an der missionarischen Gesamtleistung entgegenwirken zu können.19 Und so rief auch Dryander über die versammelten Gründungsmitglieder der DEMH hinaus zu der Aufgabe auf, "unseren Brüdern unter den wilden Völkerschaften [das Evangelium] zu bringen", um "damit nicht nur unsere Pflicht als Jünger unseres Heilands zu erfüllen, sondern auch unserem Vaterlande und seiner Machtstellung, unserem Kolonialbesitz und seiner Förderung die beste Gabe darzureichen"20. Gleich seinem Kaiser vor mehr als einem Jahrzehnt entrollte Dryander "über dieser unserer Aufgabe" die Fahne Jesu Christi mit der Verheißung: "In hoc signo vinces!"21 Mit der Gründung der DEMH, deren Verwaltungsrat Dryander als "Allerhöchst" ernanntes Mitglied angehörte22, war ein 'modernes' Medieninstrument geboren, das sich im Krieg zunächst als ein nationaler Propagandaverein 'bewährte' und sich nach dem Krieg naturgemäß einem Kolonial-Revanchismus 'widmete'.

6.2, Der Geist von 1914

Das 25jährige Regierungsjubiläum Wilhelms II. im Juni 1913 bot vielen Festrednern und Festschreibern zwar noch die Möglichkeit zu einer glanzvol-

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lichen) Imperialismus s. Gründer, a.a.O. 80-114 bzw. 321-347. Denkschrift des EOK betr. die äußere Mission zur 6. ordentl. Generalsynode 1909, Verhandlungen [...], Bd. 2, 341-361, bes. 342f, 345. Gründungsversammlung DEMH 6. Ebd. Hier allerdings, mit der Reminiszens an ein das konstantinisches Symbol (Euseb, Vita Constantini 1,28) kann man vom 'Byzantinismus' im ursprünglichsten Sinne reden. Dryander bleib der DEMH von der Gründung an verbunden. Sah er sich zur Annahme einer Einladung zur konstituierenden Sitzung des Verwaltungsrates am 17.1.1914 nicht in der Lage, da er noch nicht "Allerhöchst" berufen war (Hegel einleitend in der konstituierenden Sitzung des Verwaltungsrates am 17.1.1914; s. das Protokoll in EMW 19, nicht pag.), wurde diesem Mißstand alsbald abgeholfen; rechtzeitig zur ersten ordentl. Sitzung am 29.1.1915 (das Protokoll dieser wie der folgenden Sitzungen wurde jeweils auch als Flugschrift veröffentlicht) wie zu den folgenden Sitzungen des Verwaltungsrates konnte Dryander als "von Seiner Majestät dem Kaiser und König ernanntes Mitglied" - übrigens auch über 1918 hinaus - hinzustoßen.

6.2. Der Geist von 1914

317

len Erfolgsbilanz, wie sie auch Dryander in der oben schon erwähnten Gratulationsadresse in der Überzeugung aufgestellt hatte, daß "Euer Majestät Regierung auf allen Gebieten deutschen Lebens und deutscher Entwicklung mit sichtbarsten Erfolgen gekrönt" worden sei1. Doch das politische Bild der Zeit hätte sie eines Besseren belehren können, denn gerade die Realität der vorangegangenen Jahre war gekennzeichnet durch innenpolitische Polaritäten, außenpolitische Krisen und einen besonders seit der Daily-Telegraph-Panne zunehmend isolierten und angeschlagenen Kaiser.2 Dryander schien von dieser Situation nicht unberührt gewesen zu sein und auch die Situation der Kirche davon nicht ausnehmen zu wollen, wenn er anläßlich der Jahrhundertfeier der Freiheitskriege ganz besonders zu Buße und Umkehr rief. Zwar stünde das Vaterland in Herrlichkeit vor der Gegenwart, aber: "dieses eine deutsche Vaterland ist heute in sich zertrennt und zerspalten. In Argwohn und Haß, in Neid und Feindseligkeit sind Brüder eines Stammes einander entfremdet. Das Volk des Idealismus ist versunken in den Dienst materieller Interessen, eingetaucht in den großen Konkurrenzkampf um den Vorteil und den Gewinn des einzelnen." 3

Gegen einen "fremde[n], kalte[n] Geist" und ein "Trachten nach Üppigkeit und Sinnengenuß" beschwor Dryander den religiös-sittlichen Geist der Freiheitskriege herauf. Die Schau auf die "heiligen Wege Gottes mit unserem Volke" sollte hier also der Umkehr zum lebendigen "Gott unserer Väter" dienen und die sittliche Glaubenskraft wecken, die Dryander schon in seiner Landtagseröffnungsrede von 1890 als Vermählung des Evangeliums mit dem deutschen Volksgeist beschrieben hatte.4 Der Kriegsbeginn im August 1914 schien den deutschen Volksgeist im Dryanderschen Sinne zur Umkehr bewogen zu haben:

EZA 1/A2/424, nicht pag. (Az.: K.A. 565). Aus der Fülle des Materials sei von protestantischer Seite eine gleichsam doxographische Schrift eines Domkollegen Dryanders erwähnt: K.Ohly, Kaiser Wilhelm II. Ein treuer Fürst, zum 25jährigen Regierungsjubiläum niedergeschrieben für Schule und Haus, Berlin 1913, s. bes. 32-38; wegen der Breite und der Qualität der Beiträge herauszuheben ist das Sammelwerk: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II., hg. v. Ph.Zorn u.a., 3 Bde., Berlin 1914, wobei in Bd. 2 im Abschnitt über die Kirche zunächst Zorn selbst über "Staat und Kirche" (971-975) und Hunzinger über "Die evangelische Kirche und Theologie" (976-1022) referierten. S. Fehrenbach, Wandlungen 158; Gutsche, Wilhelm II. 130-154; F.Fischer, Kaiser Wilhelm II. und die Gestaltung der deutschen Politik vor 1914, in: Röhl, Ort 259-284. EvD, Jahrhundert-Feier (1913), 5. Zitate ebd. 5, 2, 6. Vgl. ders., Evangelium und Volksleben (1890), 133.

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

"Vom Augenblick der Kriegserklärung an, die mit ihrer furchtbaren Überraschung wie ein Blitz aus heiterem Himmel uns überfiel, vollzog sich eine unerwartete, unermeßliche Umwandlung bei uns: unser Volk ward einigl Was wir selbst nicht für möglich hielten [...], das bewirkten die Feinde. Alle Parteien, Stände, Konfessionen, Volksschichten schlossen sich an einem Tage zusammen [...]. Es war ein Erwachen der Volksseele, was sich offenbarte." 5

Vom Geheimen Zivilkabinett, in das kurz zuvor auch Dryanders Sohn Gottfried berufen worden war, aus dem Urlaub in den Thüringer Bergen "behufs Empfangs Allerhöchster Befehle" nach Berlin zurückgerufen, konnte Dryander noch am Abend des 1. August den Sturm religiös-patriotischer Begeisterung erleben, der bald auch sichtbar alle Spaltungen und Spannungen überbrückte: "Eine wunderbare Stimmung lag auf der Hauptstadt." 6

Gleichsam als Antwort auf die verschiedenen Kriegserklärungen schlossen politische und kirchliche Parteien in den ersten Tagen - Aufrufen des Kaisers folgend, die maßgeblich von Theologen wie Harnack und Kawerau vorbereitet und formuliert waren - einen Burgfrieden, der immerhin bis zum Epochenjahr 1917 überdauern sollte.7

EvD, Weihnachtsgedanken in der Kriegszeit (Zwischen Krieg und Frieden, H. 10), Leipzig 1914, 9. In vielen Predigten und auch in seinen Erinnerungen (275f) wiederholt sich dieser Topos, der gleichsam unisono in der deutschen Öffentlichkeit verlautbart wurde. Neben der eindrücklichen Schilderung aus der Feder Stefan Zweigs, Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers, Frankfurt 1984 (1944), 248-273, vgl. aus einigen kirchenhistorischen Arbeiten Skizzen zur Stimmung: H.Fausel, Im Jahre 1914 (Theologische Existenz heute, NF 121), München 1965, 28-30; G.Besier, Krieg Frieden - Abrüstung: Die Haltung der europäischen und amerikanischen Kirchen zur Frage der deutschen Kriegsschuld 1914-1933. Ein kirchenhistorischer Beitrag zur Friedensforschung und Friedenserziehung, Göttingen 1982, 15-28. EvD, Erinnerungen 274. CCW 24 (1914), 425-429; Die Reformation 13 (1914), 385f; G.Besier, Die protestantischen Kirchen Europas im 1. Weltkrieg, Göttingen 1984, 11 (Auszug aus der Thronrede v. 4.8.); Huber/Huber, Staat und Kirche III, 808ff, mit dem Allerhöchsten Erlaß Kaiser Wilhelms II. vom 2.8.1914, betreffend die Abhaltung eines außerordentlichen allgemeinen Bettages für den 5.8.1914, worin dem Wunsch Ausdruck gegeben wurde, daß das Volk mit der "gleichen Treue, Einmütigkeit, Opferwilligkeit und Entschlossenheit" zu seinem Herrscher stehen möge wie 1870/71 (ebd. 809). Die weiter abgedruckten Erlasse der jeweiligen Landes-Kirchenleitungen zeigen, wie auch in der Kirche schon früh Aufgaben und Erfordernisse formuliert wurden. W.Huber, Evangelische Theologie und Kirche beim Ausbruch des ersten Weltkriegs, als Fallstudie in: ders., Kirche und Öffentlichkeit (Forschungen und Berichte der Evangelischen Studiengemeinschaft, Bd. 28), Stuttgart 1973, 135-219 [vgl. ders., Evangelische Kirche und Krieg. Am Beispiel von Stellungnahmen zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs, WPKG 59 (1970), 298-306], 158-160.

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6.2. Der Geist von 1914

Nicht nur Dryanders Ideal einer Volkskirche schien verwirklicht worden zu sein: "Unsere Kirchen faßten nicht die herbeiströmende Menge."

β

"Unsere Kirche erlebte, einen wie festen Platz sie noch im Herzen unseres Volkes Q habe. Sie fand den Ausdruck für das Bedürfnis der Gemeinde [...]."

Diese Situation ließ auch Dryander den Beginn des Krieges nicht nur als Offenbarung des wiedererwachten Volksgeistes feiern, sondern des Geistes Gottes selbst. Bezeichnenderweise in einer Pfmgstpredigt konnte Dryander noch 1916 ausfuhren, daß mit dem Kriegsbeginn "Gottes Odem durch die Seelen" rauschte: "nun hörten sie sein Sausen, nun wurde der unbekannt gewordene Gott wieder bekannt, der gedankenhafte Gott zu einer Wirklichkeit." 10

Es überrascht nicht, daß die Predigt Dryanders im Dom zur Eröffnung des Reichstages am 4. August von diesem Geist mitgerissen wurde. "Schon die ersten drei Tage der Rüstung haben uns Blicke in unseres Volkes Seele eröffnet, die uns wie eine Offenbarung anmuten." 11

In der Gewißheit, daß mit "beispiellosem Frevel [...] uns ein Krieg aufgezwungen" worden sei und daß mit "unermüdlicher Sorge [...] unser Kaiser und Herr alles versucht [habe], um seinem Volke den Frieden zu erhalten, der Welt unaussprechliches Elend zu ersparen"12, nahm Dryander den Predigttext Rom 8, 31 für die Legitimierung eigener Siegeshoffnung in Anspruch. Im Gedenken an die "großen Tage von 1870" stilisierte er - ohne zu ahnen, wie sehr er mit dieser Formulierung die oben erwähnten Kreuzzugsgedanken Wilhelms II. vorwegnahm - den Krieg als Deutschlands Existenzkampf "für unsere Kultur gegen die Unkultur, für die deutsche Gesittung

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EvD, Weihnachtsgedanken (1914), 12. Zu diesen Erfahrungen s.a. Pressel, Kriegspredigt 11-13. EvD, Ev. Reden 5 (1915), 14. EvD, Der Geist macht lebendig. Pfmgstbetrachtung 1916 (Hes 17, 1-4.12-14), in: ders.: Ev. Reden 8 (1916), Nr. 27, 27-36, 29/30. EvD, Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? Predigt über Röm 8, 31 [...], in: ders., Ev. Reden 1 (1914), 5-10, 6. Der sich bald häufende Bezug auf Predigten und Reden aus dieser Heftenreihe läßt es sinnvoll erscheinen, diese fortan 'unvollständig', d.h. unter Beschränkung auf die Nennung des jeweiligen Heftes, in die Anmerkung aufzunehmen. Diese Predigt wurde am 6. August in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung abgedruckt und später in den von B.Doehring herausgegebenen Sammelband: Ein feste Burg. Denkmäler evangelischer und deutscher Art aus schwerer Zeit, Berlin 3 1921 (1914), 1921, aufgenommen. Ebd. 5.

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

wider die Barbarei, für die freie, deutsche an Gott gebundene Persönlichkeit wider die Instinkte der ungeordneten Masse"13. Schon in dieser ersten Kriegspredigt Dryanders fallt im Vergleich zu früheren Reden die explizite und gehäufte Betonung der deutschen Gesittung, der deutschen Frömmigkeit und des deutschen Glaubens auf. Als verpflichtende Ahnen des erwachten, nichts als Gott fürchtenden deutschen Volksgeistes benannte und zitierte Dryander schon hier fast alle Gestalten, die der national-protestantischen Tradition lieb waren: Sybel (ebd. 5), der Große Kurfürst und Bismarck (6), Treitschke (7), Luther (8), Arndt (9) und von Schenkendorf (10). Der Thronrede Wilhelms II. den Weg bahnend, sah Dryander "Brücken sich schlagen von Herz zu Herz, von Partei zu Partei", damit sie "nichts sein wollen als Deutsche, Kinder eines Vaterlandes, Söhne eines Reiches"14. Verhehlte er zwar nicht die bevorstehenden unglaublichen Opfer des Krieges, so glaubte er sie aber aufgewogen durch die Erwartung, "daß in dem schweren heißen Feuer dieser Tage auch aus unserem Volk herausgeschmolzen werde, was von wertlosen Schlacken in ihm ist, und ein geläutertes, neues Volk erstehe"15. Zwar verwahrte er sich davor, die aus diesen Opfern fließende Buße und sittliche Kraft zu Bürgen des Sieges zu machen. Doch die in ihrer Tendenz synergistische Auslegung von Rom 8, 31, die fast wörtlich mit der chronistischen Geschichtstheologie in 2. Chr 15, 2 übereinstimmt, spricht dagegen in einem anderen Ton: "du, Gott, wirst mit uns sein, weil wir mil dir sein wollen. Ist Gott für uns - wer mag wider uns sein! Gab es je eine gerechte Sache so ist es die unsre." 16

Nicht von ungefähr wirkte dieser Geist des August 1914 gerade auch in der protestantischen Geisteswelt als ungeheurer Katalysator auf die patriotischen und nationalen Unterströmungen und brachte eine Fülle theologischer und kirchlicher Äußerungen und Verlautbarungen zur Situation des Krieges

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Ebd. 7. Ebd. 6. Ebd. 9. Diese Predigt Dryanders bildete sozusagen die Folie filr die Predigt, die Otto Dibelius am 21.3.1933, dem sog. "Tag von Potsdam", vor dem eigentlichen Staatsakt (Garnisonskirche) anläßlich der Reichstagseröffnung in dem Gottesdienst für die protestantischen Abgeordneten in der Nikolaikirche hielt: Predigtgrundlage war ebenfalls Röm 8, 31 (s.u. Schlußwort). Ebd. 9.

6.2. Der Geist von 1914

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hervor. Das schon vor dem Krieg allgemein selbstverständliche nationalprotestantische Credo erlebte im 1. Weltkrieg seinen Höhepunkt.17 Pressel hat mit Recht festgestellt, daß die theologische Fragwürdigkeit und Verirrung der bei vielen Predigern wiederkehrenden "Ideen von 1914" nicht allein schon in dem engen Bezug von Offenbarung und Geschichte zu suchen sei, sondern vor allem in der Gleichsetzung des enthusiastischen Kriegsaufbruchs mit dem Wehen des Heiligen Geistes.18 Denn gerade die Berufung auf das von der Verkündigung des Evangeliums "autonome 'Geisterlebnis' des August 1914" war für die Kriegstheologie bestimmend und eröffnete in erschreckender Weise die Möglichkeit, Kriegsverlauf und Heilsgeschehen derart miteinander zu verknüpfen, daß die militärischen Tugenden gleichsam zu 'merita salutis' stilisiert werden konnten.

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Auf diese Fülle kann hier, insbesondere in der nötigen Differenziertheit ihrer politischen und theologischen Standpunkte, die wiederum je nach Situation und Lehrtradition betrachtet werden müßten, nicht eingegangen werden. Repräsentativ ist der vom Berliner Hofprediger B.Doehring herausgegebene Sammelband: Ein feste Burg, der Beiträge von Professoren (v.d. Goltz, Hunzinger, Harnack, v. Wilamowitz-Moellendorf, Uckeley, Schian, Spitta, Mahling, Seeberg), Kirchenvertretern (Dryander, F.Dibelius u.a.) sowie prominenten Predigern (so u.a. auch die Berliner Hofprediger Doehring, Vits und Kritzinger) vereinigt und der durch den Krieg martialisch, mythologisch und christlich überhöhende Bilder sowie Gedichte 'geschmückt' ist. Neben Pressel, Kriegspredigt, ist die materialreiche Zusammenstellung bei K.Hammer, Deutsche Kriegstheologie 18701918, München (1971) 1974 zu nennen. Zu verweisen ist ferner auf den Beitrag Hubers, Evangelische Theologie und Kirche, der sich größtenteils der Stellung einzelner prominenter Theologen (Holl, Harnack, Troeltsch, Rade, Naumann, Traub, Blumhardt d.J., Ragaz und Barth) widmet. Reizvoll sind die Studien G.Brakelmanns über Seeberg und Baumgarten als zweier Antitypen: - Protestantische Kriegstheologie im Ersten Weltkrieg. Reinhold Seeberg als Theologe des deutschen Imperialismus, Bielefeld 1974; Krieg und Gewissen. Otto Baumgarten als Politiker und Theologe im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1991. Pressel, Kriegspredigt 18f; s.a. den hilfreichen Abschnitt der Untersuchung Vondungs, Apokalypse in Deutschland 161-175, worin der Ablösung des Geistes von der Christusoffenbarung über Bengel, Oetinger, Schelling und Hegel hin zu einer Verdinglichung des Geistes im Begriff des Absoluten als einer geistesgeschichtlichen Voraussetzung des Geistes von 1914 nachgegangen und die Verwebung dieser Entwicklung mit den Gedanken Hamanns und Herders um die Herausbildung eines, insbesondere auf gemeinsamer Sprache begründeten Volksgeistes aufgezeigt wird.

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

6.3. Evangelische

Rede im Krieg

6.3.1. " ... die neue Homiletik, die der Krieg uns gelehrt hat" Von Dryander wird man nicht behaupten können, daß er "dem patriotischreligiösen Schub des Kriegsbeginns theologisch und seelsorgerlich kaum gewachsen" war.1 Wie schon seine Predigt zur Eröffnung des Reichstages vom 4. August zeigte, stand er hier auf festem Boden. So konnte er einerseits die auch durch ihn mitgeprägte national-patriotische Tradition fortfuhren und als prominenter Prediger und Kirchenmann andererseits auf die sich bald ausbildende Kriegstheologie vorgreifen. Enthielt die genannte Predigt doch, wie Huber treffend heraushebt, "schon viele der Elemente, die für die Großzahl der Kriegspredigten kennzeichnend sind"2. In einem seiner Literaturberichte über Kriegspredigten stellte Schian Dryander in eine Reihe mit Rittelmeyer und Baumgarten und betonte gegenüber der Klage über die erheblich angeschwollene Predigtliteratur, die doch wirklich wenig Gutes bringe, den erfreulichen Umstand, daß allein schon die Anzeige dieser drei Namen in seinem Bericht keine Ursache zum Verzagen sei.3 Als weiterer zeitgenössischer Rezensent rühmte Baltzer den "hohen geschichtlichen Wert" der Kriegspredigten Dryanders und stellte - unwillkürlich in Erinnerung an den vergangenen Krieg - einen Vergleich mit Kögel an. Habe dieser zwar glänzend geredet, aber damit doch mehr geblendet, so erbaue Dryander durch die Wirklichkeit religiösen Erlebens und überzeuge durch Sachlichkeit. Insbesondere der Reichstagseröffnungspredigt schrieb er dies zu: "In solchen großen Stunden steht ihm [Dryander, d.Vf.] das dafür notwendige Erfassen ihrer geschichtlichen Bedeutung und ihres Zusammenhanges mit der Vergangenheit sicher zu Gebote. Und, was mir das Entscheidende zu sein scheint, das Christliche geht nie im allgemein Patriotischen unter, im Gegenteil, das Vaterländische wird zum Religiösen hinübergeleitet, in dem es im letzten Grunde ruht." 4

Pressel, Kriegspredigt 11. Huber, Evangelische Theologie und Kirche 142. M.Schian, Rez. "Dryander, Evangelische Reden in schwerer Zeit, 5.-7. H., Berlin 1915.16", ThLZ 42 (1917), Sp. 109, vgl. Sp. 115. S.a. A.Uckeley, Rez. "Dryander, Emst, Evangelische Reden in schwerer Zeit", Die Theologie der Gegenwart 13 (1919), 64. O.Baitzer, Rez. "Dryanders [Kriegs-]Reden im Berliner Dom", ThR 18 (1915), 323.

6.3. Evangelische Rede im Krieg

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Dieses Urteil gilt es im Auge zu behalten, wenn nun Dryanders Predigten aus dem Krieg vor dem Hintergrund ihrer Traditions-, Zeit- und Standortgebundenheit untersucht werden sollen. Gerade angesichts der extremen Krisensituation, die in Krieg und Zusammenbruch an den Grundfesten Dryanders und den meisten seiner Zeitgenossen rüttelte, muß noch einmal nach den Konstanten und Variablen des Theologen, des (Oberhof-)Predigers, des Kirchenmannes und des Menschen Dryanders gefragt werden, möglichst ohne in "ein verwirrendes Alles-Entschuldigen", noch in "ein hochmütiges Besserwissen" zu verfallen5. Bis auf wenige Ausnahmen vereinzelter Veröffentlichungen sind die Predigten Dryanders aus dieser Zeit in fortlaufenden Heften unter dem Titel "Evangelische Reden in schwerer Zeit" erschienen, wobei die Reichstagseröffnungspredigt nicht zufallig am Anfang dieser Reihe steht. Daß diese, übrigens auch durch Vorträge und Zeitschriftenbeiträge angereicherte Reihe über das Kriegsende hinaus bis 1921 eine Fortsetzung fand, spricht für sich. Krieg, Zusammenbruch und Wiederaufbau standen für Dryander gleichermaßen unter dem Aspekt der Not des Vaterlandes. Schon der Titel dieser Heftenreihe "Evangelische Reden", nicht "Evangelische Predigten", ist in der unmittelbaren Reminiszenz auf Fichtes "Reden an die deutsche Nation" von 1808 Programm6. Wie Fichte im besetzten Berlin das deutsche "Urvolk" angesichts einer gewissermaßen hereingebrochenen absoluten Schicksalsstunde volkserziehend zur "Tathaftigkeit" aufrief 7 , so mahnte Dryander mit seinen "Reden" in diesem Existenzkampf um die eigenen großen Traditionen die notwendige und Not wendende sittlich-christliche Grundlage an. Zudem könnte man in dieser neuen Bezeichnung schon

R.Wittram, Anfechtung und Auftrag der politischen Predigt. Christliche Verkündigung im 19. Jahrhundert - Die heutige Situation, MPTh 51 (1962), 417-427, 418. Dies trifft nicht nur Dryander. Ein Blick in das Literaturverzeichnis z.B. bei Presset, Kriegspredigt, zeigt die Beliebtheit dieser Anspielung, wurden die Reden Fichtes zwischen 1870 und 1914 doch - abgesehen von Werkausgaben und Sammelbänden - in mindestens 15 Einzelausgaben neu aufgelegt. Vondung, Apokalypse in Deutschland 197, zeigt u.a. an diesem Phänomen wie besonders die Bildungsträger zu prägenden Figuren des Geistes von 1914 wurden. Auszug aus den Reden an die deutsche Nation in: Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, hg. v. H.A.Oberman u.a., Bd. IV/1: Neuzeit. 1. Teil: 17. Jahrhundert bis 1870, bearb. v. H.-W.Krumwiede/ M.Greschat/M.Jacobs/A.Lindt, Neukirchen 1979, 164f; zu Fichte: M.Jacobs, Die Entwicklung des deutschen Nationalgedankens von der Reformation bis zum deutschen Idealismus, in: Zilleßen, Volk - Nation - Vaterland 51-110, 102104.

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

die später mitgeteilte Einsicht Dryanders vermuten, daß der Krieg eine neue Homiletik gelehrt habe, die von einer noch stärker zu betonenden Aktualität der Predigt ausgehe: Sie müsse "Gegenwartspredigt, wenn man so will, Gelegenheitsrede sein".8 Noch im ersten Jahr des Krieges rechtfertigte er diese "neue Homiletik" sogar vor seiner Gemeinde: "Wenn sonst die Predigt uns das, was draußen ist, vergessen heißt, um uns in eine andere Welt zu führen - heute muß sie von dem anheben, was alle auf das tiefste

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bewegt. Aber sie soll dabei nicht stehen bleiben."

Wie er auf einer Konferenz des EOK-Kollegiums mit den Konsistorialpräsidenten und Generalsuperintendenten noch im April 1918 - auch im Hinblick auf die geistlichen Aufgaben der Kirche nach dem Kriege - ausführte, bleibe das Evangelium selbstredend zu allen Zeiten als "edelster Schatz der Kirche" Grundlage der Predigt, doch "nach Seiten der Anwendung, der Form und der Darbietung" fordere die durch den Krieg entstandene Lage "eine neue Gestaltung".10 Die Predigt müsse sich in vollstem Maße auf den Boden der Wirklichkeit stellen und "in Sprache, Anschauung und Form den wirklichen Gott, der zu unserem Volk geredet hat, und das gegenwärtige Heil, das er anbietet, verkündigen". Vielleicht bedingt durch die späte Einsicht in die Mißverständlichkeit und den durch die Kriegslage längst erschütterten Enthusiasmus, wurde die Formel vom "wirklichen Gott" in der Besprechung des Dryanderschen Referates durch den Ausdruck "biblischer Gott" ersetzt.11 Dem widersprach Dryander nicht, meinte er doch mit dem "wirklichen Gott" den von den Menschen der Bibel "als unmittelbare Wirklichkeit" erfahrenen Gott, dessen Stimme sie vernahmen "im rollenden Donner oder im sausenden Sturm", dessen segnende Hand sie in der keimenden Saat und im Frieden erblickten, dessen Fuß sie aber auch hindurchgehen hörten "durch die Geschichte der Völker [...] in Gerechtigkeit und Gericht, in Schrecken des Krieges und Nächten des Leids".12 Dryander ging es vor allem darum, die in der Kriegszeit relevanten Probleme und Themen anzugehen, die um die systematischen Bereiche Tod, Ewigkeit, Vorsehung und Versöhnung sich gruppierten. Alle diese Aufgabe schwächenden Elemente wie

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EvD, Aufgaben der Kirche (1919), 12. EvD, Ev. Reden 4 (1915), 26. S. das die Konferenz v. 24.(25.)4.1918 unter dem Vorsitz Dryanders vorbereitende Papier v. 2.4.1918, EZA 7/1086, pag. 200V. Hier s.a. das Folgende. Konferenz v. 24.4.1918, ebd., pag. 259. EvD, Ev. Reden 4 (1915), 15.

6.3. Evangelische Rede im Krieg

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Rhetorik, Kanzelstil und homiletische Kunstregeln müßten in den Hintergrund treten. Noch dringender, als er es vor dem Krieg ohnehin schon zur homiletischen Maxime erhoben hatte, drang Dryander darauf, daß "an die Stelle der dogmatischen [...] die Predigt der angewandten Dogmatik" treten müsse13, insbesondere mit dem, "was in der Todesnot sich bewährt hat"14. Wenn Dryander weiter die Forderung aufstellte, daß die Predigt "ihren Standort mitten im Volksleben zu nehmen und seine Fragen zu behandeln" habe, und dabei die Betonung auf "die Verantwortung der Stände für einander, die sozialen Aufgaben der Zeit, die Aufgaben der täglichen Pflichterfüllung im Geist evangelischer Frömmigkeit, die Schäden der Volksmoral, den Zusammenhang von Religion und Volkstum" legte15, so skizzierte er damit wohl die zentralen Anforderungen an den protestantisch gebundenen Volkskörper und dessen Tugenden zum Bestehen an der Heimatfront. Gleichsam als 'Heimatoffizieren' fiel abschließend den Geistlichen eine Beispiel und Zeugnis gebende Aufgabe zu: "Wie der Führer der Truppe seinen eigenen Willen aufzwingt, so muß der Prediger seinen eigenen Glauben den Hörern einprägen." 16

Am deutlichsten findet sich das auch der Predigt übergeordnete ' Kriegsziel' der Kirche im letzten noch von Dryander mitgetragenen Immediatbericht über die Bedürfnisse und die Aufgaben der evangelischen Landeskirche Preußens an Wilhelm II. vom 15. Juni 1918 wieder: Der Anteil der Kirche an der Stärkung der Volksmoral liege in der "Erhaltung der religiösen Kraft und Zuversicht in Heer und Volk"17. So half die Kirche mit, wie Dryander es 1915 schon ausdrückte, "daß mit dem religiösen Aufschwung die sittliche Opferkraft Hand in Hand ging."18

6.3.2. Mobilmachung von Glaube und Sitte Auch wenn man sich das Urteil einer geistigen "Elastizität" angesichts des Alters - Dryander hatte im Vorjahr seinen siebzigsten Geburtstag gefeiert -

13 14 15 16 17 18

Konferenz v. 24.4.1918, EZA/1086, pag. 200V. EvD, Aufgaben der Kirche (1919), 12. EZA 7/1086, pag. 200R. Ebd.; vgl. EvD, Aufgaben der Kirche (1919), 12. EZA 7/761, nicht pag. (Az.: E.O. I 1256 II). EvD, Ev. Reden 5 (1915), 14.

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

aneignen könnte, scheint die Rede von einem "homiletische[n] Wunder" im Blick auf die Predigten Dryanders nach Kriegsausbruch mehr über die Perspektive des 'Bewunderers' (Doehring) als über den Bewunderten auszusagen 19 . Sicherlich wurde auch Dryander vom Geist des Krieges mitgerissen. So ist es nicht überraschend, daß die Kriegspredigten Dryanders sich in den Bezügen auf den Kriegsverlauf20, durch das häufige Einstreuen von Fronterfahrungen21 und Zitaten aus Feldbriefen22 sowie durch das allgegenwärtige Eintauchen in militärische Bilder23 von den früheren Predigten unterscheiden. Gerade durch diese 'Stilmittel' gelang es Dryander, sich der Aktualität des Krieges zu stellen und vor allem sich der Situation seiner auch anders zusammengesetzten Hörer anzupassen. Heimatfront und kämpfende Front wurden so miteinander verbunden und einander verpflichtet: "Uns schlägt jedesmal das Herz höher, wenn einer von den heimkehrenden Kämpfern uns erzählt, wie beim Sturm der im Sprunge voraneilende Offizier die Mannschaft unwiderstehlich mit sich riß und sie zum Siege führte. Du Christenmensch, du Kriegsmann Jesu Christi, du Kirchenvolk, von Gott gesegnet mit frommer Erziehung, mit Kenntnis der Schrift und Gewöhnung zum Gebet, du bist der Führer, der voranstürmen soll, anderen ein Halt, anderen ein Vorbild, anderen der unwiderstehliche Leiter zum Siege zu werden. So wirf dich entgegen allem Gemeinen und Schlechten [...]. So schlage die Brücke von Schulter zu Schulter, von Herz zu Herz, daß aus dem mühsam 24 gewahrten Burgfrieden nicht wieder der alte Bruderzwist emporschlage [...]."

Mit der Pflicht gegen den Feind konnte die Pflicht an der Heimatfront illustriert, mit der Treue der Heimatfront die Standhafitigheit an der kämpfenden Front bestärkt werden. Zu diesem Zweck stellte Dryander 'Haustafeln' auf 25 , hielt geradezu 'Standespredigten'26 und stellte die religiös-sittliche 19

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So Doehring, Domkandidatenstift 32, noch 1954! Kähler, E.v.Dryander 16, sprach im Blick auf eine "völlig neue Form" von einer "bewundernswerte[n] Elastizität" des "greise[n] Prediger[s]". So finden sich Berichte von Siegen: EvD, Ev. Reden 1 (1914), 11, 16; 2 (1914), 5, 14; 3 (1915), 37; 4 (1915), 5, 26; 6 (1915), 17, u.ö., aber auch von den Schrecken und der Dauer des Stellungskrieges: 1 (1914), 18, 21; 2 (1914), 16; 3 (1915), 5, 22, 25, 36; 4 (1915), 20; 6 (1915), 5, 23, und bes. in den letzten Jahren 13 (1918), 15; 14 (1918), 6f; 16 (1918), 3, u.ö. Ebd. 1 (1914), 35; 2 (1914), 30; 3 (1915) 9f, 17; 4 (1915), 29, 39; 5 (1915), 18; 7 (1916), 16; 8 (1916), 7, 30; 13 (1918), 3, u.ö. Ebd. 6 (1915), 20; 8 (1916), 30; 11 (1917), 21; 13 (1918), 16; 16 (1918), 19, u.ö. Ebd. 6 (1915), 38; 10 (1916), 8f; 14 (1918), 16; 16 (1918), 8, u.ö. Ebd. 6 (1915), 38f. Als Paradebeispiel kann die Predigt über die Herrlichkeit des christlichen Hauses v. 14.1.1917 gelten: ebd. 10 (1917), 22-31; vgl. 1 (1914), 16, 23; 3 (1915), 12; 4 (1915), 9; 6 (1915), 30, u.ö. Unter diesem Aspekt interessant ist auch die Rede, gehalten bei der

6.3. Evangelische Rede im Krieg

327

Pflicht an den verschiedenen Fronten unter die Theologumena der Liebe, der Treue und - nachdem die Begeisterung noch der ersten Monate des Jahres 1915 nachließ - vor allem des Opfers27. So konnte er zum Jahresschluß 1916 quasi programmatisch ausfuhren: "Die große Zeit will Liebe in großem Stil, nicht nur das sanfte Christentum mit frommem Augenaufschlag und einer lindernden Träne, sondern das heroische Christentum, das bereit ist, nach dem Vorbild Christi das Leben für die Brüder zu las„28

sen.

Denn "unsere Feldgrauen draußen wissen, daß sie für Weib und Kind kämpfen"29, "unsere Toten [...] haben sich nicht nur eingesetzt, um gegen feindliche Kugeln unsere Grenzen zu verteidigen, sondern sie sollten es [sc. das Vaterland] auch zu einer neuen Pfingsttaufe des Geistes Gottes weihen helfen"30. Daher rief Dryander zu einer "Mobilmachung für alle, die jetzt noch vom Heerdienst freigelassen waren", auf, zu einem "Hilfsdienst" zum Beispiel an den Zerbrochenen und Vereinsamten, um der Verbitterung zu wehren.31 "Der Kamerad, der den Verwundeten aus der Feuerlinie trägt, der andere, der ohne zu zucken, zum Sturm ansetzt, sie wissen, daß sie dem Freunde, daß sie dem Vaterlande

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[Kriegs-]Trauung Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Joachim von Preußen mit der Durchlauchtigsten Prinzessin Marie Auguste von Anhalt am 11. März 1916 im Schlosse Bellevue zu Berlin, Berlin 1916, die Dryander zur Mahnung gestaltete, daß auch ein "deutsches Fürstenpaar aus Hohenzollernstamm [...] seinem Volke vorzuleben [habe], daß des Hauses Heil nicht in äußerem Glänze, sondern in der schlichten Einfachheit edler Sitte ruht, daß nicht die rauschende Lust das Glück ausmacht, sondern der Ernst strenger Pflichterfüllung" (6). Das Paradebeispiel dieses Topos ergibt sich aus dem Opfergedanken in 1. Joh 3, 16, Ev. Reden 1 (1914), 20-28: Bei der treuen Mutter, dem ernsten Mann, dem Arzt, Lehrer und Geistlichen, Geschäftsmann, Handwerker und Beamten sah Dryander am Anfang des Krieges schon ein bewundernswertes "stilles Märtyrertum", ein verantwortungsvolles, aber "verschwiegenes Heldentum" in Erscheinung treten (23): "Welch ein Anblick aber, wenn in dieser heroischen Kraft ein Volk aufsteht vom Kaiser bis zum Tagelöhner, von den Fürstenkindern bis zum Bauernsohn, um das Leben einzusetzen für des Landes und des Volkes Rettung!" (21). Neben den 'Themenpredigten', die den Text oft nur zur Gabe des 'Stichworts' nutzten wie Ev. Reden 1 (1914), 20-28 ('Das Leben für die Brüder' über 1. Joh 3, 16), 2 (1914), 15-23 ('Das Opfer' über Mk 9, 49), 4 (1915), 5-13 ('Die Nachfolge Jesu' über Mt 16, 24) oder 7 (1916), 15-24 ('Opfern und Dienen' über Mt 20, 25-28), vgl. 1 (1914), 32, 34, 35; 3 (1915), 5f, 17, 24, 28, 34, 39; 4 (1915), 40; 8 (1916), 36; 10 (1917), 5, 19, 35, 22, u.ö. Ebd. 6 (1916), 18. Ebd. 10 (1916), 26. Ebd. 8 (1916), 36. Ebd. 10 (1916), 8f (Totensonntag 1916).

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

das Leben schulden. Uns, die wir hier sind, gilt das in gleichem Maße. Nur der erfüllt seine Aufgabe ganz, der diese Schuld als eine von Gott ihm auferlegte empfindet und darum um Gottes willen als ein guter Haushalter der ihm anvertrauten Gnade Gottes entschlossen ist, tropfenweise im Dienst der Liebe und des Vaterlandes sein Leben zu opfern."32

Die Kriegspredigten weisen in ihren formalen wie inhaltlichen Anliegen aber auch Berührungspunkte zu den früheren, insbesondere 'vaterländischen' Predigten auf. So hatte sich Dryander schon vor dem Krieg vom streng analytisch-synthetischen Predigttyp gelöst und auch die Auslegung kurzer Bibelsentenzen bevorzugt. Dies führte er nun, den 'Anforderungen' des Krieges entsprechend, konsequent fort.33 Weiterhin konnte er ohne weiteres nicht nur an seinen geschichtstheologischen Umgang mit der vaterländischen Geschichte anknüpfen, sondern vor allem auf seine Generalthemen, die Herausbildung fester christlicher Charaktere und die Notwendigkeit einer religiös-sittlichen Grundlage von Volk und Staat, rekurrieren. Das 'Neue' im eigentlichen Sinne war sogar die Verengung auf diese Themen. Der Offenbarungscharakter des Krieges wies hier den Weg. So meinte Dryander, Gott und Krieg am engsten zusammengedacht, sagen zu können, "auch für uns ist der Krieg ein Gottesherold, der uns mit furchtbarem Ernste aus der religiösen Gleichgültigkeit, der inneren Oberflächlichkeit und Zerfahrenheit, aus dem Dienst der Diesseitigkeit zur Umkehr ruft"34. Denn hier sprach ihm der "lebendige Gott": "Dieser Gott hat mit seinem gewaltigen Hammerschlag auf einmal alles Große bloßgelegt, vor dem wir selbst staunend stehen, die eiserne Pflichttreue bis zum letzten Atemzug, den Ernst der Opferkraft, vor denen Feigheit und Weichlichkeit

32 33

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Ebd. 3 (1914), 16. Zur einzelnen Textwahl s. die genaue Auflistung im Literaturverzeichnis. Etwas weniger als ein Drittel der Predigten bis zum November 1918, 13 von 47, haben eine alttestamentliche Grundlage (davon immerhin 7x Psalmentexte, der markante Text Ex 14, 13f; 1. Kö 8, 57f, Hes 37, 1-4.12-14 sowie Jes 1, 9; 30, 18f; 40, 31). War Dryander hier repräsentativ für die Großzahl der Kriegspredigten, so lag er darin gegen den Trend, daß der Anteil atl. Texte erst gegen Mitte des Krieges stieg (zur allg. Statistik s. Pressel, Kriegspredigt 33f). Aus den Synoptikern entnahm Dryander meist kurze, prägnante Sätze mit christologisch motivierter Paränese (z.B. Mk 9, 49; Mt 5, 4 u. 13ff; 16, 24; Lk 14, 11), zudem einschlägige Johannesworte (z.B. Joh 8, 12; 14, 27; 1. Joh 3, 16). An Paulus schätzte er Zuversicht weckende (Röm 1, 16; 3, 28; 8, 28 u. 31, 1. Kor 13, Iff u. 15, 57) oder [an Deuteropaulinen] das christlich-sittliche Gewissen packende Worte (Eph 4, 22; 5, 1 ff; 1. Tim 6, 6-8; 2. Tim 3, 3-5; Hebr 12, lf). Von den übrigen Briefen ist vor allem Jak 5, 18 zu nennen. EvD, Ev. Reden 2(1914), 40f.

6.3. Evangelische Rede im Krieg

329

beschämt sich verstecken. Dieser Gott hat mit zündendem Strahl die Schätze gehoben [...] - als besten und edelsten den wiedererwachten Glauben an den lebendigen Gott und den Ernst, mit dem unser Volk seine Heiligtümer und sein Gebetskämmerlein wieder aufsucht." 35

Immer wieder bezeichnete Dryander den Krieg geradezu als 'Volkspädagogen' zur sittlichen Entschlackung und Läuterung des Volkes. 36 Daher gewann Dryander der unerwarteten Dauer des Krieges mit seiner schweren und schmerzlichen Last die Seite ab, daß "alle ihre Opfer bringen müssen, daß wir es bis auf den Grund auszukosten haben, was es bedeutet, einmal alles für eine große gemeinsame Sache, das Vaterland, einzusetzen".37 Doch die Opfer dürften nicht umsonst gebracht sein. So warnte Dryander eindringlich vor einem Rückfall in eine religiös-sittliche Verwahrlosung nach dem Krieg. "Gott will uns bewahren, daß wir nicht zum zweiten Male siegend verlieren."

Denn gerade die schnellen Siege von 1870 hätten in der plötzlichen Macht- und Reichtumsentfaltung schwere innere Niederlagen nach sich gezogen. Umso stärker lenkte Dryander den Blick auf die "furchtbare Zeit der Not von 1806 bis 1813", aus der dann eine herrliche Frucht aufgebrochen sei. 38 In diese Tradition stellte er das verpflichtende Erbe der deutschen Geschichte, und in diesem Sinne verkörperten neben Bismarck, dem frommen und mächtigen Erbauer des deutschen Reiches 39 , und Luther, dem deutschen Propheten 40 , besonders die prägenden Figuren der Befreiungskriege wie Arndt, Fichte, Schleiermacher, von Schenkendorf41 in ihren Persönlichkeiten den auf religiöse Sittlichkeit sich gründenden deutschen Volksgeist. 42

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Ebd. 1 (1914), 14. Vgl. 3 (1915), 18 (unter Bezug auf das Wort von Heraklit); 4 (1915), 12; 5 (1915), 13; 6 (1915), 18, 33, 36; 7 (1916), 9f; 8 (1916), 23f, 29f, 34, u.ö. Ebd. 1 (1914), 9; 2 (1914), 18; 3 (1915), 26, u.ö. Ebd. 4 (1915), 20. Hier s.a. das Folgende. Vgl. ebd. 5 (1915), 13. Neben dem oben schon erwähnten Beitrag Dryanders über die religiöse Stellung Bismarcks, ebd. 7 (1916), 26-44, s.a. 5 (1915), 13; 6 (1915), 8; 14 (1918), 6, u.ö. Schon vor dem Vortrag aus dem Lutherjahr "Luther, der deutsche Prophet", ebd. 11 (1917), 23-42, setzte sich diese Bezeichnung durch: 5 (1915), 15; 12 (1917), 22; s.a. weitere Bezüge auf Luther in diesem Sinne 1 (1914), 20, 22, 26, 34; 2 (1914), 36; 5 (1915), 12; 6 (1915), 30; 7 (1916), 13; 8 (1916), 35; 10 (1917), 18 sowie das Reformationsheft 12 (1917), u.ö. Ebd. 1 (1914), 12, 14, 18f, 37; 2 (1914), 25; 3 (1915), 5, 37; 4 (1915), 8; 5 (1915), 5, 11, 13; 6 (1915), 9, 38; 8 (1916), 26; 10 (1917), 19, 34; 11 (1917), 24; 13 (1918), 4; 14 (1918), 18, u.ö. Bezeichnenderweise erhärtet sich in diesen Predigten das Ideal einer christlich-sittlichen Persönlichkeit: "wir können die Weltgeschichte durchgehen, - was irgend in einer Epoche das eigentlich Bedeutsame ausmacht, das tritt nirgends in der großen und schwer

330

6. Zeit der "vaterländischen Not"

6.3.3. Christentum und Patriotismus im Krieg Gerade Dryanders Lutherbild, wie es besonders im Reformationsgedenkjahr 191743 zum Ausdruck kam, kann als Beispiel auf sein Verständnis der engen Verbindung von Christentum und Patriotismus hinweisen. Zwar hob sich Dryander zunächst aus der Masse der nur populären oder nur vaterländi-

beweglichen Masse, sondern immer nur in den einzelnen hervor, die aus ihr sich emporheben. Einzelne leiten den Volksgeist und bilden ihn, in dem Einzelnen kommt das Ganze in die Erscheinung" (Ebd. 8 [1916], 31). Kraft dieser Beispiele riefen die Predigten zu einer 'Nachfolge' auf, denn zu den Großen der Weltgeschichte "gehören im Lichte göttlicher Verheißung auch Kleine und Kleinste, alle, die im Aufblick zu dem lebendigen Gott, dem Ewigen und Treuen die Glaubensaugen auftun und an ihn sich halten" (10 [1917], 37). Eigentlich hatte der DEKA in Anknüpfung an die Calvinfeier 1909 in Genf, an der Dryander als Vertreter des deutschen Protestantismus teilgenommen und die er als "hocherfreuliche Kundgebung evangelischer Einmütigkeit" bezeichnet hatte (Sitzungsprotokoll des DEKA v. 16.12.1909 in Berlin [S. 11], EZA 7/3950, Az.: K.A. 2068; s.a. die Mitteilung des EOK an die Generalsynode v. 26.10.1909, Verhandlungen der 6. ordentl. Generalsynode 1909, Bd. 2, 547f), vor dem Kriege eine großartige "Weltfeier der Reformation" filr des Jahr 1917 in Aussicht genommen, "die selbstverständlich in Deutschland in einem Lutherort, und zwar in erster Linie in Wittenberg stattzufinden haben würde" (Sitzungsprotokoll des DEKA v. 15.4.1914 [S. 5], EZA 7/3951, Az.: K.A. 79; Protokoll v. 17.6.1914, ebd., Az.: K.A. 639). Doch der Krieg überholte nicht nur diese Überlegungen (Sitzungsprotokoll des DEKA v. 12.3.1915 [S. 5], ebd., Az.: 345), sondern auch Planungen für eine nationale Feier in Wittenberg, "bei der auch die Bedeutung Luthers für die deutsche Nation gebührende Berücksichtigung zu finden haben wird" (Protokoll des DEKA v. 22.10.1915 [S. 7], ebd., Az.: K.A. 1049; hier wurde eine Programmkommission gebildet, der neben den Kirchenleuten Möller, Bezzel und Dryander auch die Theologen Boehmer und v.Schubert angehörten). Wohl nicht nur "Schwierigkeiten in der Logistik", sondern auch die ernste Kriegslage veranlaßten den DEKA Anfang Juni 1917, mit Bedauern von der geplanten "allgemeinen deutschen Reformationsjubelfeier" abzusehen, aber würdige Ausgestaltungen in den einzelnen Landeskirchen und Gemeinden anzuempfehlen (Protokoll v. 5.6.1917 [S. 3/4], ebd., Az.: 559). S.a. CCW 25 (1915), 221f; 27 (1917), 40, 48, 361f. Dryander betonte, auch wenn die Zeit nicht dazu angetan sei, Feste zu feiern, so könne sie doch zur Vertiefung des Gedächtnisses führen: "Wir stehen im Jubeljahre der Reformation und lassen auch durch den Krieg uns ihre Feier nicht verkümmern, sondern vertiefen" (Ev. Reden 12 [1917], 3; vgl. ebd. 21). Diese Vorgeschichte zeigt deutlich, wie nicht nur der Krieg an sich ein "gigantische[s] Trommelfeuer" literarischer Massenproduktion zum Jubiläum hervorgebracht hat, sondern gerade auch der Verzicht auf große Feiern zu einer kompensierenden literarischen Flut einlud, die dann zum "eigentlichen Charakteristikum dieses Gedenkjahres" wurde (G.Maron, Luther 1917. Beobachtungen zur Literatur des 400. Reformationsjubiläums, ZKG 93 [1982] [jetzt in: ders., Die ganze Christenheit auf Erden. Martin Luther und seine ökumenische Bedeutung, zum 65. Geburtstag hg. v. G.Müller/G.Seebaß, Göttingen 1993, 209-257], 177-221, 190 bzw. 179).

6.3. Evangelische Rede im Krieg

331

sehen Beiträge durch den Versuch heraus, Luther zuerst historisch-theologisch als einen Propheten des "sola fide" und als Propheten eines neuen sittlichen Ideals zu würdigen.44 Doch tauchte Dryander andererseits wieder ein in die nationale Inanspruchnahme Luthers, wenn er Luthers Prophetenruf "seine volle Kraft erst dadurch [gewinnen sah], daß er selbst ein Deutscher war, daß er der deutscheste aller Deutschen war" - ein Spiegelbild deutscher Tugenden und Schwächen45. So beschrieb Dryander Luther abschließend als "deutschen Propheten", der - in Worms zum "Heros" geworden - den Deutschen durch Bibel, Katechismus und Kirchenlied eine Sprache gegeben und den Weg zur Vermählung von Religion und Volkstum, Deutschtum und Evangelium gewiesen habe.46 Mündete diese Interpretation Luthers zwar in die Mahnung zur Bewährung der idealistischen Volksgemeinschaft ein: "Ist doch auch dieser Krieg ein Kampf um unsere höchsten Güter der Sitte, des Glaubens, der Treue, der Freiheit - lauter geistige Werte, die in den Bewegungen der Reformationszeit ihre Wurzel haben." 47 ,

44

45 46 47

Neben seinem Beitrag "Luther, der deutsche Prophet" 28f, 31 f, sind vor allem die beiden Predigten vom 10. und 11. Sonntag n.Trin. 1917 zu nennen: Am 12.8. stellte er an Röm 3, 28 die Rechtfertigungslehre heraus (Ev. Reden 12 [1917], 3-11), und am 19.8. beschrieb er an 1. Petr 2, 9 die - dem "sola fide" als Schlüssel zu einem Glauben der Gesinnung korrespondierende - allgemeine christliche Dienstpflicht (ebd. 12-20). Insofern blieb er - ohne allerdings in die Tiefe des 'theologischen Luther' einzudringen, wie sie, die sog. Lutherrenaissance vorbereitend, z.B. bei Rade, Loofs, Wemle oder Holl zu finden war (Maron, Luther 1917 202-207) - seiner eigenen, zum Reformationstag 1882 ausgesprochenen Maxime treu, Grundgedanke einer Reformationsfeier solle die "Selbstbesinnung auf die Grundlagen der evangelischen Kirche, auf das Evangelium, mit dem sie steht und fällt, und damit auf ihre Gaben und Aufgaben" sein (Evangelische Predigten I, 194). Wie sehr dann allerdings das große Lutherjubiläum schon ein Jahr später (1883) mit seiner Verschiebung vom reformatorischen Werk auf die Person des Reformators als Mittelpunkt des Gedenkens bis 1917 (S. hierzu wiederum G.Maron, 1883- 1917- 1933- 1983: Jubiläen eines Jahrhunderts, in: ders., Christenheit auf Erden 188-208, 189f) nachwirkte, zeigt auch Dryander: Er entwickelte seine Darlegungen vom prophetischen Charakter Luthers her. Zur "Flut der Schriften" zum Gedächtnis von 1917 bemerkte er: "Überall steht in der Mitte die Gestalt des Reformators selbst" (Ev. Reden 11 [1917], 23). Ev. Reden 11 (1917), 36. Ebd. 38-41. Ebd. 42.

332

6. Zeit der "vaterländischen Not"

so vermied sie doch meist das extreme, militant-nationalistische Lutherbild48. "Es gibt kein deutsches Evangelium, das Evangelium ist für alle da und wird in allen Kirchen gepredigt. Aber wir Deutschen können nicht vom Evangelium reden, ohne 49 daß dabei der Ton zum Vaterlande mit erklänge".

All diese Gedanken waren bei Dryander nicht neu, denn der Bund zwischen Christentum und Vaterlandsliebe, zwischen Glaube und Patriotismus war ihm zeit seines Lebens ein tragender Pfeiler. Doch gerade im Krieg widmete er der Frage nach dem Verhältnis von Christentum und Patriotismus einen grundsätzlichen Vortrag ("Jesu Stellung zum Patriotismus", 1915). Wenn er hier äußerte, daß das "Evangelium die gottgegebene Individualität nicht zerstören, vielmehr sie zur Vollendung führen" wolle, "indem es sie reinigt und weiht"50, bezog sich dies, wie er es auch auf der sogenannten Friedensfahrt nach England 1908 fast wörtlich vorgetragen hatte, nicht nur auf die Einzelpersönlichkeit, sondern auch auf die "Gesamtpersönlichkeit eines Volkes". Mit Fichte sah Dryander beide Persönlichkeitstypen "'unter einem [gewissen] besonderen Gesetze der Entwicklung des Göttlichen aus ihm'" stehen51 und erblickte die fortschreitende Offenbarung des göttlichen Geistes in der Geschichte damit nicht nur in den großen Persönlichkeiten der Weltgeschichte, sondern auch in der Individualität der Völker: "Wie jede Einzelpersönlichkeit das Gefäß für eine besondere und eigenartige Offenbarung göttlicher Schönheit ist - [...] so gilt es nicht minder von den Völkern. Das

49 50 51

In einem vaterländischen Treue- und Huldigungswort der preußischen Generalsuperintendenten gegenüber Wilhelm II. als "oberstem Bischof der Landeskirche und treuem Bekenner des evangelischen Glaubens" zur Reformationsfeier 1917, für das Dryander an der Spitze veranwortlich zeichnete, findet sich allerdings in Erinnerung an die Lutherfeiern ein Bekenntnis zu den von Luther neu gesicherten Heilsgütern als "Quell der sittlichen Kraft, die unseren Waffen den Sieg verlieh" (EZA 7/2810, nicht, pag.). Die Wirkung war eindeutig: Wilhelm II. antwortete Dryander, daß der Glaube, der nach Luther eine "kühne, verwegene Zuversicht auf Gottes Gnade" sei, sich nicht nur "in vier Jahrhunderten bewährt" habe, sondern auch in diesem Krieg zu einem "sieghaftefn] Glaube[n]" verhelfe (CCW 27 [1917], 372/373). Zum "deutschen Luther" s. neben Maron, Luther 1917 190-198, vor allem M.Greschat, Reformationsjubiläum 1917. Exempel einer fragwürdigen Symbiose von Politik und Theologie, WPKG (1972), 419422. So am Reformationstag 1917 selbst, EvD, Ev. Reden 12 (1917), 30. Ebd. 5 (1915), 5-17, 14. Vgl. 12 (1917), 26; Weihnachtsgedanken (1914) 14, u.ö. EvD, Ev. Reden 5 (1915), 15; vgl. den diese Passage beinhaltenden Auszug der Reden Fichtes an die deutsche Nation, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen IV/1, 165.

6.3. Evangelische Rede im Krieg

333

Erkennen dieses göttlichen Berufes gehört bei beiden zu ihren höchsten sittlichen 52

Aufgaben" .

Denn Deutschland, Frankreich, England und andere sollten "nicht nur ein gewaltiges Stück Weltgeschichte, sondern auch ein Stück göttlicher Reichsgeschichte" sich entfalten helfen und "mit der Fülle der ihnen verliehenen Gaben in gleichem Maße [...] das stille Reich göttlicher Harmonien auf Erden bereichern".53 So sehr Dryander sich an Fichte anlehnte, zu dessen verhängnisvoller Urvolktheorie drang er nicht durch, sondern blieb gleichsam bei Herders Volks- und Geschichtsbegriff stehen54. Der Glaube, daß kein Volk dieser Weihe verschlossen sei, daß aber auch die "Völkerwelt nicht ohne das Evangelium erlöst werden kann", hinderte Dryander grundsätzlich an einer nationalistischen Verengung.55 Stand er zwar gegen jeden schroffen Kosmopolitismus zur deutschen Eigenart, "gegründet auf die Besonderheit der Sprache und Sitte, auf die Einheit des Rechts und der Geschichte, des Glaubens und der Bildung"56, so sah er diesen Patriotismus christlich gebunden in der Überzeugung, daß in "besonderer und eigenartiger Weise [...] sich diese Verbindung von Christentum und Patriotismus in unserem deutschen Volke vollzogen" hat57, "daß unser Vaterland die höchste Weihe seiner nationalen Eigenart wie der Lösung seiner Aufgaben im Zusammenwirken der Völker erst dann finden wird, wenn es eine nicht alternde Jugendkraft, ideale Begeisterung, letzte Kulturziele aus dem unerschöpflichen Born des Evangeliums nimmt"58. Auf dieser Grundlage wandte er sich daher gegen einen "Nationalismus [...], der mehr oder weniger unklar eine neue nationale Religion mit einem deutschen Gott oder einer Anleihe aus der deutschen Mythologie auszurufen versucht hat"59. 52 53 54 55 56

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EvD, Ev. Reden 5 (1915), 16. Ebd. mit wörtlichen Anklängen zu 1 (1914), 21f; vgl. 3 (1915), 26. Zu Herder: Jacobs, Entwicklung 99f; Vondung, Apokalypse in Deutschland 170-173. EvD, Ev. Reden 5 (1915), 16. EvD, Ev. Reden 1(1914), 22. Vgl. v.a. die Rede bei der Huldigungsfeier der Auslandsdeutschen vor dem Kaiserpaar am 13.3.1918: "Des Mannes Kraft [...], auch des Volkes Kraft liegt in der Bewahrung seiner besonderen Eigentümlichkeit" (ebd. 15 [1918], 16). Das deutsche Wesen sah Dryander neben deutscher Sitte, Arbeit und Pflicht eigentlich dazu berufen, "geistige Werte auszutauschen" (17). Ebd. 5 (1915), 12. Ebd. 17. Ebd. 10; vgl. 10 (1917), 30. Weihnachtsgedanken (1914) 16. Es wäre interessant gewesen zu erfahren, wie Dryander sich zu der Beschwerde eines Herrn Schultze vom 11.3.1916 gestellt hätte, der dem EOK gegenüber französische Ausdrücke in Predigten

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

Doch der Krieg stellte diese Verbindung grundsätzlich in Frage angesichts der Tatsache, daß der Patriotismus und die Individualität der anderen Völker ebenso anzuerkennen seien und daß hier Christen gegen Christen kämpften. Dryander sah sich sogar genötigt zu betonen: "Nicht obwohl, sondern weil ich Christ bin, bin ich das Beste, was ich habe, meinem Vaterlande schuldig" 60

Was aber, wenn das verlangte, als Christ in den Krieg gegen Christen ziehen zu müssen? Als einer von wenigen stellte sich Dryander dieser Frage explizit und früh auf der Kanzel und in Veröffentlichungen61. Auf den ersten Blick ging Dryander von einem herben Gegensatz zwischen Christentum und Krieg aus: "Ist dieser Krieg ein Zusammenbruch der gesamten christlichen Zivilisation, ein Versagen der christlichen Moral selbst gegenüber den Instinkten menschlicher Leidenschaft, oder ist er nur ein überaus schmerzliches Zeugnis, wie wenig die Christenheit 62

von heute von den Kräften des Evangeliums in sich aufgenommen hat?"

Drückte er darob zwar seine tiefe Scham aus "vor dem Herrn am Kreuz, der die Völker in seiner Liebe einen wollte", so hoffte er doch, daß die "stille Siegesbahn" des Evangeliums auch durch diese Wirren der Zeit hindurchgehen werde.63 Erstaunlich klingt die Parallele zum Stuttgarter Schuldbekenntnis: "So schauen wir auf zu dem Mann der Liebe und der Schmerzen am Kreuz. Uns selbst klagen wir vor ihm an, daß wir nicht genug geliebt, nicht ernst genug geliebt haben. Erbitten wollen wir uns von ihm die Liebe, die stärker ist als der Haß" 6 4

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monierte: Es sei eine "Schande" und "grober Unfug", wenn ein "evangelisch-deutscher Hofprediger auf der Kanzel vom Dom in Berlin während des Weltkrieges" den Hörem fremdländische Ausdrücke (z.B. "aprös nous le diluge") und Fremdworte (objektiv, Phase, Katastrophe, Hymnus, paradox u.a.) ins Gesicht schleudere. "Wir alle aber wollen einen durch und durch deutsch denkenden und deutsch fühlenden Pfarrer auf der Kanzel haben" (EZA 7/13752, nicht pag., Az.: E.O. II 258). Ev. Reden 5 (1915), 11. Am 23. Oktober stellte er eine Kriegsbetstunde unter das Thema "Christentum und Krieg", Ev. Reden 2 (1914), 33-42; Ende 1914 in dem Heft "Weihnachtsgedanken in der Kriegszeit" und 1915 in der Frage nach der "Stellung Jesu zum Kriege", als Sonderdruck aus der Deutschen Revue 7 (1915) in den Ev. Reden 5 (1915), 18-35. Vgl. die einschlägige Predigt "Recht kämpfen!", 4 (1915), 24-32. Interessant ist das LiteraturReferat H.Windischs, Jesus und der Krieg, ThR 18 (1915), 331-349. S. ferner Pressel, Kriegspredigt 219-232. Ev. Reden 2 (1914), 33f; vgl. die genauso drastisch klagenden Stellen 1 (1914), 27; 5 (1915), 18, oder Weihnachtsgedanken (1914), 5. Ev. Reden 1 (1914), 27. Ebd. 28.

6.3. Evangelische Rede im Krieg

335

Dem Problem selbst versuchte er anhand einiger einschlägiger neutestamentlicher Stellen differenziert entgegenzutreten. Dabei stieß er auf nur wenige und nur wenig eindeutige Worte Jesu zur Sache selbst, etwa Mk 12, 17, Lk 12, 51, Mt 10, 34, welche sogar noch "weit aufgewogen" würden durch die "starken Worte, die den Herrn als den Bringer des Friedens kennzeichnen", allen voran "die Magna Charta seiner Verkündigung, die Bergpredigt".65 Allerdings verkleinerte Dryander den aufgebauten Gegensatz schnell wieder, wenn er die Worte der Bergpredigt auf die innere Gesinnung der Christen ausgerichtet sein ließ: "Wo diese Gesinnungsgemeinschaft heiliger Liebe waltet, hört der Krieg von selbst auf." 66

Doch die vielen sich hierauf berufenden Pazifisten der Kirchengeschichte hätten nicht bedacht, daß das Reich Gottes nach außen in eine sündige, arge und feindselige Welt trete.67 Könne man sich als Individuum noch nach der Liebesethik Jesu richten, sei dies einer Gemeinschaft zu ihrem Schutz verwehrt. Der Staat als "höchste und umfassendste Gemeinschaft zur fortschreitenden Realisierung des Rechts im umfassendsten Sinne" habe die Pflicht und die Aufgabe, das Recht zu schützen.68 In Berufung auf Rom 13, den Hauptmann von Kapernaum (Mk 8) und Cornelius (Apg. 10), auf Luthers ZweiReiche-Lehre in besonderem Bezug auf dessen Schrift "Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können?" (1526), auf Schleiermacher und Martensen trat Dryander für die unbedingte Notwehrpflicht des Staates ein - allerdings in dem Bewußtsein, daß der Krieg in der sündigen Welt eine sündige ultima ratio bleibe.69 Man könne den Krieg nicht als makellos rechtfertigen, da er "aus der Sünde" stamme und "nur mit einer furchtbaren Entfesselung von

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Ebd. 5 (1915), 20f; vgl. 2 (1914), 34f; Weihnachtsgedanken (1914), 6. Dryander kommt in dieser wohltuenden Absetzung von einer vergewaltigenden Exegese den Äußerungen Baumgartens nahe, der allerdings konsequenter gegen eine Verwischung des entschiedenen antikriegerischen Charakters des Evangeliums protestierte (Windisch, Jesus und der Krieg 341). Ebd. 5(1915), 22. Ebd. 2 (1914), 35f; 5 (1915), 22f; Weihnachtsgedanken (1914), 6. Ev. Reden 5 (1915), 25. Ebd. 2 (1914), 36-39; Weihnachtsgedanken (1914), 6f; in den Ev. Reden 5 (1915), 2326, fugte Dryander dem Notwehrgedanken die politische Überlegung hinzu, daß auch der Friedensstand der Staaten angesicht des beständigen Abwägens ihrer Interessen und Rechte und der sich daraus oft ergebenden Kollisionen und Spannungen im Grunde einen "latenten Kriegszustand" darstelle (25).

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

Sünde" geführt werden könne.70 Immerhin - und hier setzt die von Mehnert so vehement beklagte Harmonisierung mit der Weihnachtsbotschaft ein71 solle der Christ der christlich-sittlichen Pflicht genügen und auf barmherzige und humanitäre Kriegsführung drängen, auf die Schonung aller Kulturwerte, der Pflege der Verwundeten, Kranken, Gefangenen.72 Vor allem solle der Christ immer auch den einzelnen Menschen im gegnerischen Kollektivum unterscheiden.73 "Fordern wir vom Christen, der in den Krieg zieht, daß er mitten im Kampfe innerlich sich vom Haß befreie, die Barmherzigkeit übe, den Streit nicht um des Krieges, sondern um des Friedens willen führe." 74

Dryander empfand gleichwohl die tragische "Zweigleisigkeit"75 im gleichzeitigen Betonen der Pflicht zum Kriegsdienst einerseits und der Pflicht zur Feindesliebe andererseits und sah hier gerade angesichts der zunehmenden Verrohung des Krieges und der sichtbar werdenden 'modernen' Kriegsführung einen "ungelöste[n] Rest, [...], ein[en] irrationalefn] Punkt, über den wir nicht zu voller Befriedigung gelangen"76. Denn trotz aller idealer Gesichtpunkte bleibe es in der Wirklichkeit des langen Krieges bei der "furchtbarefn] entsetzliche [n] Anklage" durch "diese blutgetränkten Schlachtfelder, diese vom Winterschnee verhüllten Leichen, diese Lazarette voll stöhnender Menschen, das unwiederbringlich zerstörte Lebensglück, die Vernichtung unersetzlicher Seelenwerte". Der Widerspruch zwischen dem "kategorischen Imperativ: Du sollst nicht töten! und der Tatsache: Du hast getötet, diesen ahnungslosen Menschen, getötet in den grausamen Formen des Nahkampfes!" lasse gerade zartere Gewissen verzweifeln und bilde angesichts eines "pflichtmäßige[n] Tun[s ...], das doch mit unbedingter Notwendigkeit in solche

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Ebd. 2 (1914), 38. G.Mehnert, Evangelische Kirche und Politik 1917-1919. Die politischen Strömungen im deutschen Protestantismus von der Julikrise 1917 bis zum Herbst 1919 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 16), Düsseldorf 1959, 35, mit Bezug auf EvD, Weihnachtsgedanken (1914) 14, wo Dryander "die Strömungen und Bewegungen dieser großen und ernsten Zeit einmünden [ließ] in die Gedankenwelt des Weihnachtsfestes". EvD, Ev. Reden 2 (1914), 39f; 5 (1915), 28. Weihnachtsgedanken (1914), (18-22) 20. Ev. Reden 5 (1915), 29. Presset, Kriegspredigt 223. EvD, Ev. Reden 5 (1915), 28. Das Folgende s. 29.

6.3. Evangelische Rede im Krieg

337

Greuel der Sünde hineinführt, [...] ein im Sinne christlicher Weltanschauung noch ungelöstes Problem, das noch einer völligeren Klärung harrt."77 Diese auch theologisch grundsätzliche Auseinandersetzung zwang Dryander hier, eine Aporie in seinen christlich-sittlichen Anschauungen in einer Tiefe zuzugestehen, wie er sie auf der Kanzel ansonsten kaum zuließ.78 Die sittliche Rechtmäßigkeit des Krieges aber tastete er nicht an. Immerhin versuchte er, bei allem Patriotismus die Besonnenheit nicht fehlen zu lassen79, und vergaß bei aller Freude über Erfolge des Heeres nicht, seiner Gemeinde die Schrecken und die Ausmaße des Krieges vor Augen zu stellen80. Dryander ist nicht der Versuchung erlegen, den Krieg nationalistisch zu verzeichnen oder ideologisch zu verklären. War ihm doch angesichts dieses großen Völkermordens, in dem die "zu einem heiligen Wettstreit der Arbeit, der Kultur, der gegenseitigen Förderung und der Liebe aufeinander angewiesene Menschheit in einem Hasse zertrennt ist, der zu wahrhaft diabolischer Grausamkeit, zu sinnloser Raserei der Vernichtung, zu hirnloser Verleumdung geführt hat"81, in dem das Band zwischen den christlichen Völkern so höhnisch zerschnitten worden ist, ein schmerzendes 'ökumenisches' Bewußtsein lebendig geblieben. Um so mehr klammerte er sich an den "Wunderglaube[n]" an "die Versöhnung der Völker, an das Reich Gottes auf Erden"82, an die Hoffnung, "daß die Liebe Christi, die eine Menschenseele durchdringt, [sich] stärker [erweisen werde] als der Haß der Völker"83. Gerade das Jahr des Reformationsjubiläums mit seinen verschiedenen Friedensannäherungen nährte diese Hoffnung 84 , zeigte aber auch, daß Dryanders ökumenische

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Ebd. 30. Pressel, Kriegspredigt 228, verdankt sich der Hinweis auf eine Predigt v. 3.3.1918, in der Dryander zugab, "daß bei dem Blick auf die Kriegsgreuel in dem allen ein ungelöster Rest bleibt, und zwar ein recht großer, daß es nicht einfach ist, die großen und unverrückbaren Grundsätze des Herrn auf das verworrene und undurchsichtige Geschehen anzuwenden." (Ev. Reden 15 [1918], 7). Ev. Reden 1 (1914), 17; 4 (1915), 31; 5 (1915), 10, 28f; 7 (1915), 13f, 10 (1916), 22; 11 (1917), 5; 13 (1917), 3, u.ö. Ebd. 1 (1914), 18, 21, 27; 2 (1914), 16; 3 (1915), 5, 22, 25, 36; 4 (1915), 20; 6 (1915), 5, 23; 8 (1916), 17f; 10 (1916), 3, 13; 11 (1917), 14; 13 (1918), 15; 14 (1918), 6f; 16 (1918), 3, u.ö. Ebd. 5 (1915), 29. Ebd. 2 (1914), 41; 8 (1916), 35. Ebd. 3 (1915), 29. Vgl. 6 (1915), 37; 7 (1916), 9; 11 (1917), 9, 26, u.ö. Ebd. 12 (1917), 20; 13 (1918), 6f; 14 (1918), 12, 16; 16 (1918), 11.

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

Hoffnung sich nicht so sehr an das Gemeingefühl christlicher Völker oder gar Kirchen band, sondern auf die einzelnen Christen setzte85. Dryander sah sich getragen von einem "Dennoch des Glaubens"86 an das sich auch durch den Krieg Bahn brechende Reich Gottes, sei doch der "verborgene Kern aller Geschichte [...] das Kommen und Werden jenes stillen und unsichtbaren Reiches"87. "Es ist das heilige Dennoch des Glaubens wider die Welt der Sichtbarkeit, ein Protest des Glaubens wider alle Ungerechtigkeit der Welt, ein 'Ultimatum des Glaubens', auf das es kein weiteres Paktieren, kein Drehen und kein Deuteln gibt, der Triumph der Gerechtigkeit über die Bosheit, der Wahrheit über die Lüge. Auf diesem Dennoch 88

stehen auch wir."

So konnte Dryander den Krieg unter eschatologisch-ethischem Aspekt zu einem "religiösen Erlebnis" werden lassen, wenn auch nicht als Offenbarung der Herrlichkeit Gottes, so aber doch als "wunderbare Nemesis der Geschichte" als Gottesgericht und Geißel über die Sünde und Gottesferne der Menschheit89. Allerdings sprach Dryander vom Beginn des Krieges an aus, daß im göttlichen Gericht die historischen Fakten endgültig offengelegt und die Unschuld Deutschlands am aufgezwungenen Kriege sowie der absolute Friedenswille und die Friedensbemühungen des Kaisers erwiesen würden. Die Überzeugung, von immer mehr Feinden eingekreist, verleumdet und an der Gleichberechtigung in der Weltpolitik gehindert worden zu sein, teilte Dryander mit dem allgemeinen deutschen Bewußtsein, ja trug sie kraft seiner Position und mit seinen Stellungnahmen in weitere Kreise hinein.90 Aus dieser Überzeugung heraus meinte Dryander die eigene Sache ohne Selbstüberhebung als gerecht erklären zu können: "Ohne Zweifel gehört der Glaube an die Gerechtigkeit des in der Geschichte waltenden Gottes, die unerschütterliche Überzeugung: Recht muß doch Recht bleiben! zu den sichersten Kennzeichen für die sittliche Gesundheit der Völker. Wir stehen auf

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Ebd. 11 (1917), 9. Ebd. 1 (1914), 31. Ebd. 13. Aus dem Eingangswort Dryanders auf der 4. Sitzung des Verwaltungsrates der DEMH in Berlin am 5.2.1918, Berlin 1918, 3-6, 4. Ev. Reden 5 (1915), 30f. Ebd. 1(1914), 3, 12, 22, 27; 2 (1914), 17, 23, 32; 4 (1915), 14, 28; 5 (1915), 26f; 6 (1915), 5f; 8 (1916), 33; 10 (1916), 14, 22, 34; Weihnachtsgedanken (1914), 8f; Erinnerungen 275ff, u.ö.

6.3. Evangelische Rede im Krieg

339

diesem Glauben wider die Welt. Aber wir haben deshalb keinen Vorsprung im 91

Schuldkonto Gottes vor unseren Gegnern."

Auf dieser Grundlage sah er sich genötigt, "gegen die schwächliche Sentimentalität" zu protestieren, "die aus Friedensliebe das Schwert uns aus der Hand winden will."92 Besonders das Anfang 1917 nach Meinung Dryanders in "schnöde[r] Anmaßung" abgewiesene Friedensangebot des Kaisers ließ diesen Gedanken noch einmal auflodern, nur eine Antwort bleibe übrig: "die der Kanonen".93 Dabei sah nach einem Bismarckschen Wort auch Dryander sich getragen in dem "unerschütterliche[n] Glaube[n], daß Gott mit dem deutschen Volke noch Großes vorhabe".94 Er konnte damit nahtlos anknüpfen an seine vaterländischen Predigten vor dem Krieg. In seiner Festpredigt zum 500jährigen Jubiläum der Hohenzollernherrschaft in der Mark am 24. Oktober 1915 in Anwesenheit des Kaisers leitete Dryander aus der preußischen Geschichte ab, wie Gott mit den preußischen Herrschern und diese mit Gott im Bunde waren.95 Dem von ihm selbst verfaßten EOK-Erlaß vom 20. September d.J. gemäß sollte unter einer möglichst allgemeinen Beteiligung des Volkes Dank und Erinnerung zum Ausdruck gebracht werden "an eine reiche, von Gott sichtbar gesegnete Geschichte" mit dem Ziel, "in der gegenwärtig ernsten Zeit durch einen feiernden Rückblick das Vertrauen zu Gottes fernerer gnädiger Leitung von Herrscherhaus und Volk zu stärken".96 Dieses Anliegen führte Dryander beispielhaft vor, indem er darauf verwies, daß "nicht blinder Zufall" die Geschichte regiere, sondern Gott "durch das Labyrinth der Völker" gehe und "in das Aufeinanderplatzen der Nationen die Gedanken seiner Vorsehung und seiner erlösenden Gnade" hineinwirke.97 Wie Gott mit den Vätern war, zeige die Entwicklung "zu einer Kaiserherrlichkeit, wie sie die Ottonen und Hohenstaufen nicht geschaut haben".98 Dieser "Bogen göttlicher Gnade", so am Sedantag 1914, könne als Weissagung dafür genommen werden, daß 91

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Ev. Reden 5 (1915), 32. Vgl. 2 (1914), 32: "Mag ein Krieg immer aus der Sünde sein und nie ohne Sünde geführt werden: - dennoch, gab es je einen Krieg aus gerechter Sache, so der unsere." Ebd. 1 (1914), 22, in apologetischem Zusammenhang mit noch darzustellenden öffentlichen Aufrufen und Briefwechseln nach Kriegsbeginn. Ebd. 10 (1917), 22, 32. Ebd. 5 (1915), 33. S.a. 4 (1915), 21. Ebd. 6 (1915), 32-40. EZA 7/2871, nicht pag. (Az.: E.O. I 2418). EvD, Ev. Reden 6 (1915), 33. Ebd. 34.

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

"noch neue unerschöpfte Wendungen durch Gottes Führung für unser Reich in der Zukunft liegen, daß der Gott der Väter auch in diesem Kampf unsere Waffen segnen und uns den Sieg verleihen werde."99 Stand diese "unerschütterliche Zuversicht" zwar in unmittelbarem Zusammenhang mit den ersten schnellen Erfolgen im Westen, hatte sie aber auch Bestand, als die Fronten sich verhärteten. Am Silvesterabend 1916, gerade zwei Wochen nach der verlorenen Schlacht um Verdun, sprach er aus: "wenn auch nicht alle Hoffnungen, die wir hegen, in dem kommenden Frieden verwirklicht werden sollten, daran ist schon jetzt nicht zu rütteln: ein Volk, das der Feindschaft der halben Welt gegenüber sich behauptet, ist siegreich. Es ist das Volk der Kraft und des Geistes [in dieser Metathese Anklang an Lessings "Beweis"?], der geborene Führer der Nationen, und wird diese seine große Mission auch im Frieden ausrichten!" 100

Und auch die seit dem Kriegseintritt der USA und durch die innenpolitische Krise wesentlich verschlechterte Lage führte zwar dazu, daß seit Dezember 1917, wohl motiviert durch die Waffenruhe im Osten, eine spürbare Friedenssehnsucht durch die Predigten Dryanders ging101, aber nicht soweit, daß sich Dryander in seiner Überzeugung täuschen ließ. Bezeichnenderweise in der Kaisergeburtstagspredigt des Jahres 1918 - der ersten in Anwesenheit des Kaisers seit Kriegsausbruch! - ermutigte Dryander seine Hörer: "Ich wage das Wort, daß in dieser furchtbarsten und schwersten politischen Krisis, in der wir stehen, wir alle gehalten und getragen werden von dem religiösen Gedanken des Glaubens, daß der lebendige Gott in der Höhe noch Großes vorhat mit unserem deutschen Volke." 1 0 2

6.3.4. Kritik Gerade weil sich Frömmigkeit und politisches Wollen im Begriff der in der Geschichte waltenden Gerechtigkeit Gottes verbanden, konnte Dryander im Glauben des Volkes und der daraus fließenden sittlichen Kraft die eigent-

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Ebd. 1 (1914), 12. Vgl. 3 (1915), 36 Ebd. 10 (1917), 20; unmittelbar vorangestellt ist das Wort Bismarcks, daß Gott noch Großes mit dem deutschen Volke vorhabe. Ebd. 13 (1918), 3f, 1 Of (Predigt v. 2. Advent 1917), 17, 19 (Epiphanias 1918); 14 (1918), 4 Ebd. 14 (1918), 6.

6.3. Evangelische Rede im Krieg

341

liehen Bürgen des Sieges sehen. Dafür mag nicht nur die oben schon erwähnte synergistische Auslegung von Rom 8, 31 gleich zu Beginn des Krieges stehen. Noch im Februar 1918 beteuerte er auf der Versammlung der Berliner Frauenhilfe, es sei "unmöglich, daß ein Volk des Glaubens untergehe."103 Aus der christlich-sittlichen Macht seien die Siege der Truppen erwachsen.104 Beherrsche der Gedanke des Opfers die Welt, ja sei er sogar das "Grundgesetz der Welt", so würde er erst auf eine höhere Stufe gehoben in der Nachfolge Christi.105 Und in der Nachfolge des Kreuzes würden die für das Vaterland Geopferten aber dennoch fortleben, so daß die "Erde nicht nur ein Totenfeld, sondern eine Saatstätte ewigen Lebens" sei.106 In solch einer fruchtbringenden Hingabe und in dem daraus sich speisenden Einsatz füreinander sah Dryander letztendlich "ohne Überhebung die unerschütterliche Gewißheit des Sieges"107. Es dürfte deutlich sein, wie eine solche Auffassung nicht nur anfallig, sondern auch wegbereitend war für die Dolchstoßlegende. Zwar ist Dryander nicht so tief in die nationalistischen Verirrungen der Kriegspredigt hineingeraten wie etwa Traub oder Doehring, doch schon in seiner ersten Kriegspredigt, der Reichstagseröffnungspredigt vom 4. August 1914, hatte er als erster Geistlicher Preußen-Deutschlands einen richtungweisenden Meilenstein für die breite Masse der Kriegspredigt gesetzt, den auch er selbst zum Maßstab nahm. Auch wenn bei Dryander ein ernsthaftes Bemühen um die christliche Wahrheit, um Trost und Besonnenheit in dieser konfliktträchtigen und leiderfüllten Kriegszeit wahrzunehmen war108, hatte ihn der 'apokalyptische' Geist von 1914 so sehr auf die "Bahn traditioneller Sakralisierung national-idealistischer und national-romantischer Vorstellungen"109 geführt, daß der nicht gering zu veranschlagende Versuch, in seinen Predigten "stets die Universalität und die völkerversöhnende Aufgabe des

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Ebd. 18. Ebd. 10 (1917), 28. Ebd. 15 (1918), 8. So in der Weihnachtspredigt 1914, Ev. Reden 3 (1915), 28. Ebd. 15 (1918), 15. Vgl. nur die angemessene Karfreitagspredigt 1916, Ev. Reden 8 (1916), 5-16. Von Gewicht ist das Urteil eines Mannes wie Fr.Siegmund-Schultze: "Dryander [war] durchaus kein 'Mann der neuen Zeit', kein Friedenstheologe und milder Beurteiler feindlicher Gewalttaten. Aber er stellte auf der Kanzel alles in das Licht des Wortes, das uns aus den nationalen Einseitigkeiten notwendig heraushebt" (Rez. "Dryander, Deutsche Predigten aus den Jahren vaterländischer Not [ 2 1924]", Die Eiche 12 [1924], 477). Wittram, Anfechtung 422.

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

Christentums hervorzuheben" 110 , immer wieder hinter den partikularistischen national-protestantischen Verkündigungskomplex zurückfiel. Verbunden mit einem der vermittelnden theologischen Richtung wohl leicht entspringenden dogmatischen Indifferenz, hat dies neben einer vaterländischmoralischen Umformung christlich-reformatorischer Begriffe oft dazu geführt, daß unter der Hand aus dem vielleicht noch traditionell erklärbaren Optativ 'Gott sei mit uns!' der vereinnahmende - und besonders im Falle einer Waffensegnung häretische - Indikativ der Gewissheit 'Gott ist mit uns!' geworden ist.111 "Gott streitet filr uns! Der Gott Israels, der Gott, auf den unsere Väter harrten, und der ihnen half, der Gott der Bibel, der Ewige und Lebendige, der Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi, der ihn um unsertwillen nicht verschont hat, der Gott, in dem das Geheimnis unseres Friedens und unserer Kraft ruht - er wird uns nicht lassen, 112 sondern uns, wenn wir anders in ihm bleiben, zum Siege führen."

6.4. Auslandskorrespondenz Nicht nur auf der Kanzel trat Dryander meinungsbildend in die Öffentlichkeit, sondern er war auch an einigen der öffentlichen Briefwechsel und Appellationen zwischen kirchlichen und kulturellen Vertretern der verschiedenen europäischen Nationen beteiligt, in denen um die schmerzliche Tatsache des Krieges im christlichen Europa gerungen wurde. Noch vor jeglicher Kriegshandlung hatte sich der französisch-protestantische Pfarrer Charles Babut aus Nimes in einem bemerkenswerten Brief vom 4. August 1914 an Dryander gewandt, um ihn für eine gemeinsame internationale Erklärung zu gewinnen.1 Beide waren sich "nicht völlig fremd", da sie sich auf Dryanders Stipendiatenreise 1869/70 kennengelernt und gegen-

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EvD, Erinnerungen 278. Zur in ihren Zusammenhängen und Differenzierungen genaueren Analyse der - wie Wittram, Anfechtung 422, geurteilt hat - im ersten Weltkrieg wie zu keiner Zeit so gefährlich verirrten Predigt s. immer noch Pressel, Kriegspredigt 337-360, in seiner zusammenfassenden Schlußkritik. EvD, Ev. Reden 10 (1917), 37. Abgedruckt bei Besier, Kirchen Europas 69-71; vgl. ders., Krieg - Frieden - Abrüstung 43f, und Huber, Evangelische Theologie und Kirche 152.

6.4. Auslandskorrespondenz

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seitig in guter Erinnerung behalten hatten.2 Überrascht, daß Dryander "in der Evangelischen Kirche Deutschlands eine große Wertschätzung erfahren und [...] den Titel Hofprediger erhalten" habe, fand Babut, inzwischen fast achtzigjährig, es um so natürlicher, sich an Dryander zu wenden und auf Entgegenkommen zu rechnen. Getreu einem nach dem deutsch-französischen Krieg gegebenen Versprechen, sah er sich nach den Kriegserklärungen verpflichtet, sich "dafür einzusetzen, daß die brüderliche Liebe, die niemals aufhören darf, die Nachfolger Christi zu vereinen, trotz des Krieges aufrechterhalten und proklamiert würde".3 Zu diesem Zweck fugte er zur Kenntnisnahme und Beantwortung einen Entwurf einer Erklärung bei, den nach Möglichkeit Christen aus allen kriegführenden Ländern unterzeichnen sollten, um zu erklären, daß sie bei allem "aufrichtigen und leidenschaftlichen Patriotismus" nicht vergessen wollen, "daß Gott der Gott aller Nationen und der Vater aller Menschen ist". Daraus sollte "unter den Augen und mit der Hilfe Gottes" die Verpflichtung entspringen, "aus ihren Herzen allen Haß für jene zu verbannen, die sie im Moment gezwungen sind, Feinde zu nennen, [...] ihren ganzen Einfluß dahin geltend zu machen, daß der Krieg mit soviel Menschlichkeit wie möglich geführt wird".4 Ist hier zwar angeführt, was Dryander - wie gezeigt - selbst bald angesichts der Dauer des Krieges predigen sollte, sah er sich dennoch nicht in der Lage, diesem Ansinnen nachzukommen. In einem von Lahusen und dem Berliner Missionsdirektor Axenfeld mitunterzeichneten Antwortschreiben vom 15. September 1914 würdigte er zunächst zwar die Persönlichkeit und die Motive Babuts. Auch stimmte er dem Gedanken zu, "daß Patriotismus und Christentum sich nicht aus-, sondern einschliessen", indem das "zweite den ersteren reinige[...] und heilige[...], die nationale Besonderung auch dem Reiche Gottes eine reiche Harmonie zufuhre[...]".5 Doch die Verpflichtung auf eine humane Kriegsführung wies Dryander in einer kaum nachzuvollziehenden Weise ab. Denn wollte auch er diese selbstverständlichen Forderungen "nicht nur festhalten, sondern auch predigen, verbreiten, so weit es

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Babut an EvD v. 4.8.1914, zit. n. Besier, Kirchen Europas 69; vgl. EvD, Erinnerungen 279f; es scheint, als wären sie sich auf der Generalversammlung der Evangelischen Allianz 1879 in Basel nicht begegnet. Babut an EvD v. 4.8.1914, zit. n. Besier, Kirchen Europas 70. Hier s.a. das Folgende. Ebd. 71. Ebd. abgedr. 72-76, 72; zudem in der von Dryander mitherausgegebenen Zeitschrift Die Eiche 3 (1915), 27-31; vgl. CCW 24 (1915), 502f.

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möglich" sei, so seien sie dennoch abzulehnen "weil für uns auch nicht der entfernteste Anschein entstehen darf, als sei in Deutschland irgend eine Mahnung oder Bemühung erforderlich, damit der Krieg im Sinne dieser christlichen Anschauungen und der Forderungen der Barmherzigkeit und Menschlichkeit geführt werde."6 Dryander war der Überzeugung, daß - im Gegensatz zu vorgeblich einseitigen Greueltaten der russischen, englischen und französischen Truppen - "auf unserer Seite mit einem Mass an Selbstzucht, Gewissenhaftigkeit und Milde gekämpft wird, wie es vielleicht noch niemals in der Weltgeschichte der Fall gewesen ist". Mit dem "Gefühl tiefsten Zornes und sittlicher Verachtung" brandmarkte er die alliierte Politik in der Vorgeschichte des Krieges. Als "friedliebendste[s] Volk", in dem vom "Kaiser bis zum Tagelöhner [...] keine hundert denkenden Menschen zu finden [waren], die den Krieg mit unsern Nachbarn wollten", ruchlos angegriffen, "glichen wir Deutschen einem friedlichen Mann, der von drei blutdürstigen Hyänen zu gleicher Zeit überfallen wurde".7 Die Verletzung der belgischen Neutralität rechtfertigend, verwies Dryander auf gleiche Pläne der Gegenseite und meinte: "Wer um sein Leben kämpft, fragt nicht, ob er dabei des Nachbars Gittertür zerbricht."

Zur Unterzeichnung einer solchen Erklärung würden deutsche Männer sich erst dann bereit finden können, wenn Christen der kriegführenden Länder "zuvor die volle Ruchlosigkeit des Angriffs, das himmelschreiende Verbrechen" öffentlich gebrandmarkt hätten. Nur "einem Feinde gegenüber völlig wehrlos, der Macht der unerhörten Lüge", gab sich Dryander siegesgewiß: "Dass ein Volk, das in einer Einigkeit ohne gleichen, in einer Begeisterung, die uns die Tränen in die Augen treibt, in einer Liebe, die alle Stände verbindet, in einem Aufschwung des Glaubens, vor dem wir bewundernd stehen, und in einer sittlichen Kraft und Entschlossenheit, die alles hingibt, unbesiegbar ist, ist unsere Ueberzeugung." 8

Es verwundert nicht, daß gerade ein so humanistisch gesinnter Schriftsteller wie der in Genf lebende Franzose Romain Rolland "die schreckliche Sicherheit, die pharisäische Zufriedenheit [...] in dem furchtbaren Briefe des

Zit. n. Besier, Kirchen Europas 73. Hier s.a. das Folgende. Ebd. 74. Hier s.a. das Folgende. Ebd. 75.

6.4. Auslandskorrespondenz

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Oberhofpredigers" beklagen mußte.9 Er glaube nicht, "daß dies Bekenntnis antichristlichen Stolzes dem Sinn der Besten Deutschlands" entspreche. Auch Karl Barth, der während seines Studiums im Wintersemesters 1906/7 einmal wie Busch notiert - , "wenig erbaut", Dryander im Dom gehört hatte10, war schon vor dem berüchtigten "Aufruf der 93" Anfang Oktober durch Äußerungen wie der Dryanders aufgeschreckt". Wie er dann in einer Predigt vom 18. Oktober ausführte, sah er hier böse Kräfte, fürchterliche und höllische Mächte am Werk, die alles Gute und Edle für das furchtbare Werk des Krieges und des Hasses in Dienst genommen hätten.12 Barth hat die zeitgenössische Stimmung im Nachbarland wohl richtig gesehen, wenn er beschreibt, wie auch die Theologen von einer subjektiv ungeheuchelten Begeisterung und Empörung so sehr "gefangengenommen" waren, "daß sie wirklich ein gutes Gewissen haben bei ihrem Tun", und wie sie damit immer tiefer hinein gerieten "in die Nacht einer fürchterlichen Verwirrung, aus der nur immer neue Sünde, neues Unglück hervorgehen kann."13 Diese Äußerung Barths soll allerdings nicht zur Entschuldigung Dryanders und anderer dienen, sondern lediglich zur Erhellung der Motive, die zu solcherlei Stellungnahmen führten. Denn parallel zu den ersten Gefechten führten die geistigen Führer der jeweiligen Nationen einen heftigen Kampf um die Schuld und Verantwortung am Ausbruch des Krieges. So verwies Dryander in seinem Antwortschreiben an Babut auf einen schon Ende August veröffentlichten Aufruf evangelischer Kirchenmänner und

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Aus einem Artikel des Journal de Genfeve (4.11.1914), zit. n. Huber, Evangelische Theologie und Kirche 153; zu Rolland s. vor allem den ihm verbundenen Stefan Zweig, Welt von Gestern bes. 274-280, 304-306. E.Busch, Karl Barths Lebenslauf. Nach seinen Briefen und autobiographischen Texten, München "1986, 51. K.Barth an M.Rade v. 1.10.1914, in: Karl Barth - Martin Rade. Ein Briefwechsel, eingel. u. hg. v. Chr.Schwöbel, Gütersloh 1981, 100-102, 100. Vgl. K.Barth an W.Herrmann ν. 4.11.1914, ebd. 113-116, 115. Predigt v. 18.10.1914 über Röm 8, 38f: in: K.Barth, Predigten 1914 (Karl-Barth-Gesamtausgabe 1/5), hg. v. U. u. J. Fähler, Zürich 1974, 518-532, 527f. Ebd. 529f. Noch 1922 hatte Dryander in der Sache - im Blick auf die Verleumdungen und Kriegsgreuel der Gegner - nichts zu ändern gewußt außer dem Zugeständnis, er hätte damals nicht ahnen können, "daß ein fünfjähriger, selbstverständlich verrohender Krieg uns nötigen werde, ein Heer von zehn Millionen, unter ihnen auch sehr unterwertige Elemente, ins Feld zu führen, auf die jene sittliche Bewertung nicht mehr voll zutraf' (Erinnerungen 279). Daß er selbst wegen dieses Briefes auf die Auslieferungsliste gesetzt werden sollte, wie ein französischer Publizist gefordert hatte, konnte Dryander nur als "Kuriosum" abtun.

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Theologieprofessoren "An die evangelischen Christen im Auslande", worin nach Darlegung der 'Tatsachen' in furchtlosem "Vertrauen auf den heiligen, gerechten Gott" "die Verantwortung für das furchtbare Verbrechen dieses Krieges und alle seine Folgen für die Entwicklung des Reiches Gottes auf Erden von unserm Volk und seiner Regierung" abgewiesen wurde: "Aus tiefster Überzeugung müssen wir sie denen zuschieben, die das Netz der Kriegsverschwörung seit lange im Verborgenen arglistig gesponnen und jetzt über uns geworfen haben, um uns zu ersticken. Wir wenden uns an das Gewissen unserer christlichen Brüder im Auslande und schieben ihnen die Frage zu, was geschehen kann und muss, damit nicht durch Verblendung und Ruchlosigkeit in der grossen Gottesstunde der Weltmission die Christenheit ihrer Kraft und Legitimation zum Botendienst an die nichtchristliche Menschheit beraubt werde." 14

Dryander war nicht nur einer unter vielen namhaften Unterzeichnern, sondern sogar einer der Mitinitiatoren dieses maßgeblich aus dem Kreis der DEMH heraus entstandenen Dokuments. In Aufnahme von Anregungen Harnacks, in Briefen an das Ausland für die Wahrheit über den Krieg zu kämpfen und das deutsche Geistesleben gegen Verleumdungen und gegen die "Hunnen Russlands" zu verteidigen, versammelte Schreiber am 20. August neben Harnack, Dryander und Lahusen mit dem Direktor der Berliner Missionsgesellschaft Axenfeld, dem Oberverwaltungsgerichtsrat Berner, stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes der DEMH, dem Berliner Missionswissenschaftler und Schriftführer des Vorstandes der DEMH Richter, und dem Siemensdirektor F.A. Spiecker, seit 1907 Präsident des Central-Ausschusses für die Innere Mission, einschlägige Persönlichkeiten.15 Schon hier wurde der Aufruf im wesentlichen formuliert und von den Anwesenden unterzeichnet. Diese fühlten sich "durch den Ausbruch des Krieges und durch die Hineinziehung des heidnischen Japan innerlich gedrängt, anliegende Erklärung an die evangelischen Christen des neutralen und feindlichen Auslandes zu veröffentlichen". Zur weiteren Unterschrift wollte man Personen gewinnen - und gewann sie auch -, "die in besonderem Maße sich um die Kulturgemeinschaft der christlichen Völker, um die friedliche Pflege internationaler Beziehungen und um missionarische Arbeitsgemeinschaft bemüht

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15

Texte vollständig zugänglich in: Die Eiche 3 (1915), 49-53, 52f; Deutsch-Evangelisch im Auslande 14 (1915/16), 11-15; teilweise in CCW 24 (1914), 465-476. EMW 42, nicht pag.; hier s.a. das Folgende.

6.4. Auslandskorrespondenz

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haben und als solche unter den Christen des Auslandes bekannt sind."16 Gab man sich zwar keiner großen Erwartung unmittelbarer politischer Wirkung hin, hegte man aber doch die Hoffnung, die "irregeleitete öffentliche Meinung der Christen Amerikas auf unsere Seite zu bringen" und auch "in dem Gewissen der Christen Englands, die diesen Krieg verabscheuen, ein Echo zu finden."17 Allerdings bedürfe angesichts der "ungeheuren Versündigung Englands an seinem Missionsberuf1 auch das deutsche Volk deutlicher Worte derer, die vordem "öffentlich für die Pflege der Beziehungen zu England eingetreten sind".18 Wie tief sich die Enttäuschung über das - eigentlich nicht ganz unerwartete - Verhalten Englands auch bei Dryander eingegraben hatte, zeigte besonders das Schreiben an Babut: "Sie [die Engländer; d.Vf.] hatten es in der Hand, den Krieg zu verhindern. Sie sind ohne auch nur den Anschein eines idealen Grundes lediglich um des rollenden Penny willen der in Abstammung, Glauben, Kultur befreundeten Nation wie Meuchelmörder in den Rücken gefallen, und sie habe ihre eigene Würde so weit mit Füssen getreten, dass sie heidnische Japaner zu einem Raubzuge aufgestachelt und afrikanische Neger 19 gegen uns in den Kampf geführt haben."

Wie sehr sich die Anklagen zu einer Stereotype verdichteten, zeigt die biblische Ansprache Dryanders vor den Mitgliedern des Brandenburgischen Provinzialverbandes für die Berliner Missionsgesellschaft zu deren 25-Jahrfeier. Gerade vor dem Hintergrund einer auch von ihm so empfundenen 16

17 18

"

Ebd. Die Formulierung knüpft eng an den zweiten Absatz der Erklärung an. Neben den schon Genannten fanden sich als Mitunterzeichner: Prof. Dr. med. Th.Axenfeld, Freiburg; Oberkonsistorialpräsident D. H.v.Bezzel, München; Pastor Fr.v.Bodelschwingh, Bethel; Prof. D. A.Deissmann, Berlin; Prof. Dr. R.Eucken, Jena; Prof. D. G.Haussleiter, Halle; Missionsdirektor P. O.Hennig, Hermhut; Prof. D. W.Herrmann, Marburg; Generalsuperintendent D. Th.Kaftan, Kiel; Pastor P.LeSeur, Berlin; Prof. D. Fr.Loofs, Halle; Prof. D. C.Meinhof, Hamburg; Prof. D. C.Mirbt, Göttingen; Ed. de Neufville, Frankfurt; Missionsdirektor D. C.Paul, Leipzig; Bankdirektor D. W.Freiherr v.Pechmann, München; M.Schinckel, Hamburg; Missionsdirektor J.Spiecker, Barmen; Missionsinspektor D. J.Warneck, Bethel; Prof. D. G.Wobbermin, Breslau; Prof. Dr. W.Wundt, Leipzig. Ebd. Bevor Schreiber den Text der Erklärung am 27. August durch das Wolffsche Telegraphenbüro veröffentlichen und ihn zudem an die Berliner Korrespondenten ausländischer Zeitungen verteilen ließ - daneben wurde die Erklärung auch in anderen Sprachen in 60000 Exemplaren durch die DEMH und in einer halben Million Exemplaren vom Hamburger Fremdenblatt verbreitet -, konnte Dryander noch einen Einschub einbringen, der die "unter dem Zwang unerbittlicher Not" verletzte belgische Neutralität betraf (Axenfeld an Unterzeichner v. 24.8.1914, a.a.O.). Zit. n. Besier, Kirchen Europas 74.

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

missionarisch-ökumenischen Hochstimmung seit der Weltmissionskonferenz von Edinburgh (1910) sah er den Krieg diese Bande unheilbar und höhnend zerreißen und vor allem jeglicher Missionsarbeit auf unabsehbare Zeit den Boden entziehen.20 Das Schwere an dieser Situation lag für Dryander besonders darin, daß "in einem Augenblick, in dem Deutschland begonnen hat, ernster und wirksamer als jemals sich auf seine Missionspflicht als eine nationale Schuld gegenüber seinen heidnischen Völkern zu besinnen"21, gerade die Nation, "zu deren regem und energischem Missionstrieb, deren Opferwilligkeit in der Förderung der Arbeit, deren großen Missionshelden und Bahnbrechern, deren ökumenischem Gesichtskreise aufzuschauen wir gewohnt waren", die Krisis frevelhaft, die "sonst gewohnte englische Treulosigkeit" weit übertreffend, hervorgerufen habe.22 Die Äußerungen Dryanders imponierten dem Direktor der DEMH, Schreiber, so sehr, daß er Dryander am 30. September bat, "von Ihrem vortrefflichen Brief an den französischen Geistlichen" und den Reden mit Axenfeld als Sonderdrucke, über Zeitungen und Missionskanäle an das Ausland adressiert, Gebrauch machen zu dürfen.23 Kurz zuvor nämlich, am 23. September, hatten fuhrende englische Kirchenmänner und Theologen auf den deutschen August-Aufruf in einer eigenen Darstellung der Tatsachen geantwortet, die, den veröffentlichten diplomatischen Schriftverkehr auswertend, zu einem anderen Ergebnis der Schuldfrage kam und sich schweren Herzens mit der eigenen Regierung solidarisch erklärte.24 Die persönliche Bitte des mit-

21 22

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24

Abgedr. als "Uns ist bange, aber wir verzagen nicht." in: ders./K.Axenfeld, Mission und Vaterland. Deutsch-christliche Reden in schwerer Zeit, gehalten am 21. September 1914 in Berlin zur Feier des 25jährigen Bestehens des Brandenburgischen Provinzialverbandes für die Berliner Missionsgesellschaft, Berlin 1914, 3-6, 3f. 1918 noch sprach er die gleichen Gedanken aus; vgl. das Eingangswort zur 4. Sitzung des Verwaltungsrates der DEMH v. 5.2.1918, 5. EvD, Mission und Vaterland (1914) 5; hier ist die nationale Arbeit der DEMH gemeint! Ebd. 4; auch hier ist wieder von der Aufstachelung der "hinterlistigen Japaner" und "ahnungslose[n] Naturvölker" die Rede wie auch in der erwähnten 'Andacht' zur 4. Sitzung des Verwaltungsrates der DEMH, 4. Schreiber an EvD v. 30.9.1914, EMW 158. Hier auch die postwendende positive Antwort Dryanders v. 1.10.1914. Abgedr. in der Eiche 3 (1915), 56-61. Die langen Phasen zwischen den jeweiligen 'Notenwechseln' ist durch die langwierige Verbindung über Schweden oder die USA zu erklären. Die wohl späteste Antwort kam aus Frankreich, datiert v. Mai/August 1915; s. in der Eiche 4 (1916), 258-266. Wie Schreiber den Unterzeichnern des AugustAufrufs am 26.10.1914 mitteilte, fand die Erklärung eine weitgehende Beachtung (EMW 42, nicht pag.; hier findet sich eine Sammlung der verschiedenen Reaktionen). Doch

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unterzeichnenden Erzbischofs von Canterbury, Randall Davidson, an Dryander vom 27. Oktober, "daß wir uns ungeachtet der Differenzen und Mißverständnisse, die uns unvermeidbar voneinander fern halten oder unser gewöhnlich offenes Gespräch und unsere Freundschaft beeinträchtigen, durch nichts die christliche Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und des Gebets, die dazu dienen sollten, uns trotz jeglicher Schwierigkeiten zusammenzuhalten, stören lassen"25, mußte durch eine erneute Replik der deutschen Seite vom 21. November einen empfindlichen Rückschlag hinnehmen.26 In ihrer Unbeweglichkeit nahm schon diese Kontroverse besonders auf deutscher Seite den Stellungskrieg geistig vorweg. Dies mußte selbst der zwar neutrale, aber der deutschen Theologie durch seine kurze Leipziger Professur nahestehende schwedische Erzbischof Söderblom erfahren. Sein Friedensappell an die Kirchenführer, in dem er, ohne Schuldzuweisungen auf die blutenden Wunden des Leibes Christi hinweisend, die nachdrückliche Mahnung ergehen ließ, "den Gedanken des Friedens ernstlich ins Auge zu

auch abgesehen von den nicht anders zu erwartenden Reaktionen aus England und Frankreich brachte die Erklärung wohl kaum den erhofften Erfolg (s. den betreffenden Abschnitt in dem Jahresbericht der DEMH filr 1914 auf der 1. Sitzung des Verwaltungsrates am 29.1.1915, Protokoll 37, in Gegenwart des Kaisers). Besonders zu erwähnen ist allerdings der Wunsch des einflußreichen nordamerikanischen Federal Council of the Churches of Christ (ein ökumenisches Forum für etwa 30 Denominationen; s. CCW 24 [1914], 5290, mit den Unterzeichnern des deutschen Aufrufes Fühlung aufzunehmen (Siegmund-Schultze an Schreiber v. 26.11.1914, EMW 42, nicht pag.). Über die amerikanische Botschaft verdichteten sich zwar die Kontakte, auf einen filr 1915 zunächst in Aussicht genommenen Besuch einer Delegation des Federal Council verzichtete man aber vorläufig (der offizielle Briefwechsel von November 1914 bis März 1915, in den auch Dryander einbezogen war, findet sich abgedruckt in der Eiche 5 [1917], 109-112). Schreiber hat die Stimmung auf der deutschen Seite in einem Schreiben an die Unterzeichner des August-Aufrufs v. 3.12.1914 so wiedergegeben: Es sei jetzt keine Zeit zu festlichen Empfängen von Delegationen ausländischer Kirchen; man müsse alles vermeiden, was wie eine politische Friedensdemonstration aussehen könnte; aber die Bruderhand amerikanischer Christen habe man dankbar angenommen (EMW 42, nicht pag·)· Zit. n. Besier, Kirchen Europas 77. "Noch einmal ein Wort an die evangelischen Christen im Auslande", Die Eiche 3 (1915), 67-75. Deutsch-evangelisch im Auslande 14 (1915/16), 54-63. Auszüge CCW 25 (1915), 4f. Bis auf Bezzel, Hennig und Pechmann verantwortete derselbe Unterzeichnerkreis diesen Aufruf. S.a. die vorbereitende Korrespondenz in EMW 42.

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

fassen, so daß des Blutvergießens bald ein Ende wird", konnte nicht durchdringen.27 Dryander dankte zwar herzlich für einen auch ihm zugegangenen Brief, konnte sich aber auch nach reiflicher Überlegung dem Appell nicht anschließen. Dabei fühlte er sich nicht nur durch die gerade erfolgte öffentliche Stellungnahme an Babut, einen - wie Dryander betonte - von ihm "auf das Wärmste verehrte[n] und ehrwürdige[n]" Bekannten, der den gleichen Gedanken wie Söderblom verfolgt hatte, gebunden.28 So sehr er sich den Schmerz Söderbloms über die Schrecken des Krieges zu eigen machen konnte, so sehr verwahrte er sich davor, daß etwa die Geschichte anderes als "die Gerechtigkeit unserer Sache ans Licht bringen werde." Es sei ihm vor dem Hintergrund des Überfalls "von vier Seiten" unmöglich, "auch nur ein Wort zu unterzeichnen, daß einem Zweifel an dieser Überzeugung Raum gäbe."29 Zudem könne er es nie über das Herz bringen, die für den Krieg eigentlich Verantwortlichen an Friedensgedanken zu mahnen. Söderbloms universal-eschatologisches Wort vom göttlichen Weltenplan aufnehmend, betonte Dryander vor allem den "besonderen Beruf' des deutschen Volkes: "Eben weil wir ' f ü r unseren göttlichen Beruf im Weltenplan' kämpfen, dürfen wir [...] um unserer christlich-sittlichen Pflicht, j a um der Liebe zu unserem Volke willen nicht eher die Waffen niederlegen, als bis uns ein Friede gesichert ist, der künftigen schmählichen Friedensbruch unmöglich macht und uns die Ausübung jenes Berufs sichert."

Es stellt sich die Frage, ob bei einem anderen Kriegsverlauf in den ersten Monaten eine ähnlich starre Haltung vorgeherrscht hätte. Bei nicht wesentlich veränderter Argumentation zu den vorausgehenden Verlautbarungen schloß Dryander gegenüber Söderblom aber mit dem Gedanken, "ob vielleicht in

27

Abgedr. bei Besier, Kirchen Europas 94f; s.a. ders., Krieg - Frieden - Abrüstung 57f; Huber/Huber, Staat und Kirche III, 830f; die Stimmung spiegelte sich in den Absagen der englischen und französischen Delegationen zur kirchlichen Feier der 'Installation' Söderbloms als Erzbischof am 8.11.1914. Die von Dryander maßgeblich vorangetriebene Anwesenheit Th.Kaftans und eines Begleiters als offizielle Delegation des deutschen Protestantismus lag in der besonderen Verbundenheit Söderbloms zu Deutschland begründet (Kaftan, Erlebnisse 389-398; J.Kaftan an Th.Kaftan v. 2.11.1914, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan II, 5590·

28

Abgedr. bei Besier, Kirchen Europas 95f, 95. Hier s.a. das Folgende. Ebd. 96. Hier s.a. das Folgende.

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einem künftigen Moment ein deutlicher von Gott gewiesener Fingerzeig für eine ähnliche Mahnung sich ergeben könnte".30 Aber wie die gerade 1917 unternommenen politischen Friedensbemühungen scheiterten auch die protestantisch-kirchlichen Annäherungsversuche um die Jahreswende 1917/18. Wieder war es Söderblom, von dem die Initiative ausging. Nach ermutigenden Signalen hatte er für den 14. Dezember 1917 eine Kirchenversammlung von Vertretern der kriegführenden und neutralen Länder geplant, die am Rande einer Tagung des Komitees des Weltbundes für die internationale Freundschaft der Kirchen in Uppsala stattfinden sollte.31 Zur Erhaltung bzw. Belebung des durch die Leidenschaften des Krieges bedrohten christlichen Gemeinschaftsgeistes sollten bei Ausklammerung einer politischen Diskussion über den Krieg Fragen der Mission, der Seelsorge an den Kriegsgefangenen, der christlichen Predigt im Krieg und Stellungnahmen zur Rüstungsbeschränkung erörtert werden.32 Als "erstes theologisches Mitglied" des DEKA hatte Dryander am 1. November Söderbloms Schreiben vom 17. Oktober mit der Bitte erhalten, eine Entsendung von drei Mitgliedern des DEKA zur geplanten Konferenz am 14. Dezember zu veranlassen.33 Nachdem sich Dryander mit den anderen Ausschußmitgliedern

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Siegmund-Schultze urteilte rückblickend, daß weder Dryander, Bezzel und Römer, noch die anderen Häupter der deutschen Kirche der Stunde gewachsen waren. Nichtsdestotrotz unterhielt Dryander weiterhin Kontakte zu Söderblom, um sich der geistlichen und materiellen Versorgung von deutschen Kriegsgefangenen und Flüchtlingen anzunehmen. S.a. Geschichte der Ev. Kirche der Union II, 489 (G.Besier) unter Bezug auf EZA 7/2918. Vgl. Fr.Siegmund-Schultze, Die geplante ökumenische Konferenz von Upsala, Die Eiche 7 (1919), 170-187, 173-175. Aus einem Bericht des mit Söderblom korrespondierenden deutschen Pastors Ohly aus Stockholm, der mit Axenfeld die Pläne zur Gestaltung der Konferenz nach Deutschland übermittelte, v. 9.11.1917, EZA 7/4029, 2. Zur Vorgeschichte und zum Verlauf dieser Initiative s.a. Besier, Krieg - Frieden - Abrüstung 79-86. Bericht des EOK an Wilhelm II. v. 23.11.1917, EZA 7/4029, pag. 5. Das Einladungsschreiben der drei skandinavischen Bischöfe Ostenfeld (Seeland), Tandberg (Kristiania) und Söderblom s. bei Siegmund-Schultze, Konferenz 174f, der als deutscher Repräsentant des Weltbundes für internationale Freundschaftarbeit der Kirchen ebenso geladen war. Da es nach Siegmund-Schultze für Söderblom nicht in Betracht kam, die juristischen Präsidenten als offizielle Häupter der Kirche einzuladen, wählte er den Ausweg, Dryander als ältestes theologisches Mitglied des DEKA anzuschreiben, damit dieser "gleichsam als Primas der deutschen Landesbischöfe" die Einladung vermittele (a.a.O. 176). Hinter dieser kleinen formalen Nuance verbarg sich wohl schon die etwa zeitgleiche Anregung Söderbloms bei Wilhelm II., den Bischofstitel als Ausdruck der Ökumenizität und Parität in der preußischen Landeskirche wiedereinzuführen (Söhngen, Hundert Jahre EOK 1950- In einer Denkschrift vom 8.12.1917 (ebd. 196-208) meinte

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in Verbindung gesetzt hatte, lehnte der DEKA dieses Ansinnen am 13. November jedoch freundlich ab, da er eine "amtliche Beteiligung" des DEKA "mindestens z.Zt. nicht für angängig" erachtete.34 Der EOK hatte diese Entscheidung zwar maßgeblich mitgetragen, hielt es aber für statthaft, einen einzelnen Geistlichen - gedacht war an Lahusen - gleichsam privat reisen zu lassen. Da der Kaiser, zunächst angetan von Söderbloms Anregung um den Bischofstitel und vielleicht aufgeschreckt durch Mahnungen seiner Gesandtschaft in Stockholm, die traditionell guten Beziehungen deutscher und schwedischer Protestanten nicht zu Gunsten anglikanisch-schwedischer Verbindungen zu vernachlässigen35, sogar eine zweite Person zu reisen wünschte, erklärte sich auch Dryander bereit, nach Schweden zu gehen.36 Wie der deutsche Pastor in Stockholm, Ohly, nach einem Treffen mit Söderblom am 2. Dezember berichtete, wußte Söderblom die Zusage Dryanders aufs höchste zu schätzen, bedauerte aber die Absage des DEKA, wodurch "eine offizielle Vertretung der deutschen evangelischen Christenheit auf der Konferenz nicht stattfinde".37 Gerade für die Bedeutung der Konferenz läge Söderblom sehr viel daran, "wenn die deutschen Vertreter auf der Konferenz ein irgendwie offizielles Mandat hätten". Auch die englischen Kirchen würden großen Wert auf einen zwar religiösen, aber offiziellen Charakter der Konferenz legen. Al-

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der EOK, von einer Wiederherstellung des Amtes abraten zu müssen, da es "mit dem landesherrlichen Kirchenregiment Euerer Majestät nicht vereinbar" sei (203) und "an Stelle des Staatsoberhaupts die Bischöfe Träger der Kirchengewalt, des Kirchenregiments würden" (204). Das segensreiche Band zwischen dem landesherrlichen Kirchenregiment und der Kirche wolle die Kirche von sich aus keinesfalls selbst lösen oder diese Entwicklung beschleunigen zu einem Zeitpunkt, da ernste Zeichen auf diesen Weg hindeuten würden. Gegen eine persönliche Verleihung des Bischofstitels etwa an den ersten Geistlichen der Landeskirche, den geistlichen Vizepräsidenten, hatte der EOK grundsätzlich nichts einzuwenden, bat jedoch um Aufschub, bis eine auf der Generalsynode 1915 aufgeworfene Frage betr. Änderung der Amtsbezeichnungen geklärt sei. Diese Ablehnung fand am 30.11. noch einmal einmütige Billigung; s. das Protokoll der Sitzung des DEKA am 30.11.1917 (S. 3/4), EZA 7/3951, nicht pag. (Az.: K.A. 1103); diesbezüglicher Auszug in EZA 7/4029, pag. 23. Kaiserliche Gesandtschaft in Stockholm an den Reichskanzler Hertling v. 10.11.1917, EZA 7/4029, pag. 4. Geheimes Zivil-Kabinett an v.Hertling v. 25.11.1917; EOK an Geheimes Zivil-Kabinett v. 28.11.1917, ebd., pag. 10f; Besier, Krieg - Frieden - Abrüstung 81, der obige Akte nicht benutzt hat, führt als persönlich Reisewillige Deissmann, Axenfeld und SiegmundSchultze, nicht aber Dryander und Lahusen an. Siegmund-Schultze, Konferenz 177, nannte "gleichsam als private Vertretung" - außer Ohly und sich - Deissmann, Schreiber, Axenfeld, Lahusen und Scholz (Geh. Konsist.-rat, der wohl vor Dryanders Bereitschaft gehandelt wurde). EZA 7/4029, pag. 16. Hier s.a das Folgende.

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lerdings müsse die geplante Konferenz verschoben werden, da Organisationsschwierigkeiten eine Beteiligung der Delegierten der Entente zum 14. Dezember unmöglich machten.38 Ein erneuter Versuch, zunächst im April und dann im September 1918 eine solche Konferenz einzuberufen, scheiterte nicht nur an der skeptischen oder taktischen Haltung der Angesprochenen aus den kriegführenden Ländern, sondern auch an Kommunikationsproblemen wie am Kriegsverlauf selbst.39 Nach dem Krieg verbesserten sich wie die kirchlich-deutschen auch Dryanders Beziehungen ins Ausland, besonders zu den neutralen Ländern, wieder.40 Doch wie gespannt die Beziehungen nach England blieben, kann ein Brieiwechsel zwischen Dryander und Davidson, dem Erzbischof von Canterbury, erweisen. Nun war es Dryander, der sich in Erinnerung früherer Ver•5Q

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Ebd. 18f. So wurde vom 14. bis 16.12. eine Konferenz der neutralen Weltbundmitglieder abgehalten. S.a. Siegmund-Schultze, Konferenz 180-185. Während die französischen Protestanten die Teilnahme an einer solchen Konferenz grundsätzlich ablehnten (Besier, Krieg - Frieden - Abrüstung 80f, 85), die Engländer Antworten vom Kriegsverlauf abhängig machten (ebd. 83 f), der ebenfalls geladene Vatikan auf eigene Initiativen verwies (Söderblom an Axenfeld v. 26.2.1918, Axenfeld an Dryander v. 5.3.1918, EZA 7/4029, pag. 35) und die deutsche Mission Anstoß an Arbeitsthesen nahm, die besonders die Supranationalität der kirchlichen Arbeit betonten (Axenfeld an Söderblom v. 15.2.1918; Axenfeld an Dryander v. 5.3.1918, ebd., pag. 34, 35), zeigte sich der DEKA zwar aufgeschlossener denn zuvor; die Entscheidung über eine Entsendung auf seiner Sitzung am 19.3.1918 wurde aber wegen der erneuten Verlegung der Konferenz auf den 7.9. vertagt (Sitzungsprotokoll des DEKA v. 19.3.1918, Berlin [S. 7], EZA 7/3951, nicht pag., Az.: K.A. 397). Im Juni wohl zur Entsendung bereit, aber ohne eigenen Kontakt zu Söderblom, vermutete der DEKA, Söderblom wolle nunmehr nur einzelne ansprechen und hätte seine bisherige Linie geändert (DEKA an EOK v. 24.7.1918, EZA 7/4029, pag. 45). Denn jüngst hätten einige hervorragende deutsche Geistliche Einladungen erhalten. Diese könnten aber nicht im Auftrag ihrer Kirchenregierungen reisen. Wenn eine Einladung an den DEKA erneuert würde, sei in erster Linie an die Entsendung Dryanders für den DEKA - also offiziell [!] - zu denken. S. das Protokoll der Sitzung des DEKA in Eisenach v. 11/12.6.1918 [S. 8], EZA 7/3951, n. pag., Az.: K.A. 630 (Auszug: EZA 7/4029, pag. 47). EvD, Erinnerungen 324f; auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden 1919 war es vor allem Dryander, der einen "Dankesgruß an die Kirchen der neutralen Länder" (Schweden, Norwegen, Dänemark, Schweiz und Holland) beantragte, wobei er besonders die Verdienste Söderbloms herausstellte (Verhandlungen des Deutschen Evangelischen Kirchentages 1919. Dresden, 1. bis 5.IX.1919, hg. v. Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß, Berlin 1920, [Antrag 24] 238), bezeichnenderweise ist auf der wohl letzten öffentlichen Photographie Dryander neben Söderblom anläßlich der Einweihung der schwedischen Kirche in Berlin am 18.6.1922 abgebildet (Neue Christoterpe 46 [1925], Titelbild).

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

bindungen an Davidson wandte. Eine Woche nach Bekanntgabe der Friedensbedingungen versuchte er am 14. Mai 1919, die Kirche Englands doch noch zu einem Protest gegen die harte Siegerpolitik zu bewegen.41 Dryander schloß sich dem einstimmigen "Aufschrei tiefster Entrüstung" über die harten und ungerechten Maßregeln an, die "der wenn auch im Feld nicht Besiegte, so doch Überwältigte" sich gefallen lassen müsse.42 Er sah sich genötigt, den Friedensvertrag gegen die Vereinbarungen des Waffenstillstands zu dem Zweck interpretieren zu müssen, - "unter dem Vorgeben der alleinigen Schuld Deutschlands" - "die völlige und restlose sittliche, geistige, wirtschaftliche Vernichtung Deutschlands herbeizufuhren".43 Seit der Zerstörung Karthagos habe er sich in der Weltgeschichte auf kein ähnlich "politisch unkluges Dokument" besinnen können. Nach diesem Stimmungsbild versuchte Dryander die ökumenische Saite anzuschlagen und appellierte an das christliche Gewissen Davidsons. Am Beispiel der über den Waffenstillstand hinausgeführten Hungerblockade fragte Dryander nach einem "Wort des Protestes oder der Mißbilligung gegen dies aller Zivilisation, aller Humanität, allem christlichen Empfinden ins Gesicht schlagende Verfahren".44 Der bevorstehende Friedensschluß sei zuhöchst nur dazu geeignet, "einen Haß in die Herzen zu pflanzen [...], der auf Geschlechter hinaus die Beziehungen der Völker vergiftet, die stille Wirksamkeit des Christentums in der Welt aufhebt." Zwar gab Dryander zu, daß "während des Krieges auch von deutschen Kanzeln manches unbedachte, ungerechte Wort geredet" sei, aber auf hervorragenden Kanzeln sei, wie er selbst es gepflegt habe, "trotz heißer patriotischer Empfindung [...] immer wieder der Hoffnung wie der Mahnung und Aufgabe Ausdruck gegeben, daß auch die Nationen zu der Gemeinschaft des Reiches Gottes gelangen möchten". Hieran anknüpfend, tat Dryander die Absicht kund, "im Sinne unseres gemeinsamen Bekenntnisses [...] nichts unversucht zu lassen, eine Verständigung anzubahnen, deren weitere Verfolgung freilich erst in Jahren möglich sein wird."45

1

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Dryander veröffentlichte diesen Brief im Gegensatz zu anderen wichtigen Briefwechseln, die oft nur kurz wiedergegeben wurden, ungekürzt in seinen Erinnerungen, 321-324. Wieder abgedr. bei Besier, Kirchen Europas 250-254. EvD, Erinnerungen 321. Ebd. 322. Hier s.a. das Folgende. Ebd. 323. Hier s.a. das Folgende. Ebd. 324.

6.4. Auslandskorrespondenz

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Als Davidson diesen Brief in Händen hielt, war der Versailler Friede schon unterzeichnet. In seinem Antwortschreiben vom 3. Juli verwies Davidson auf ein Dokument der Alliierten vom 16. Juni, in welchem den deutschen Delegierten wie der Weltöffentlichkeit eine "sorgfaltige und wahrheitsgetreue Darstellung" der Kriegsursachen und -Verläufe vorgelegt worden sei, welche die gesamte Grundlage des Dryanderschen Briefes in Frage stelle.46 Was den Bruch der Waffenstillstandsbedingungen etwa durch eine weitergeführte Hungerblockade betreffe, könne er derartiges nach seinen Informationen nicht bestätigen. Auch sei er überrascht zu hören, "die Äußerungen von Verantwortlichen aus kirchlichen Kreisen Deutschlands seien bar jeder Gewalt oder unziemlicher Bitterkeit".47 Enttäuscht auch über die Verkennung der Tatsache, daß er während des Krieges für Humanität und gegen Vergeltungsaktionen eingetreten war und sich harscher heimatlicher Kritik ausgesetzt hatte, glaubte er aber nicht mehr, "daß es noch irgendeinen Sinn hätte, darüber zu diskutieren, was Sie oder ich während des Krieges gesagt oder unterlassen haben".48 Auch Dryander schien es nach diesem "höflich[en], aber kühl und ausweichendien]" Brief "aussichtslos und dem deutschen Empfinden widersprechend, den Briefwechsel weiter fortzusetzen."49 Seiner Kaiserin schrieb er ins Exil: "Der schmachvolle Friede ist unterzeichnet. Wir tragen in den Augen der Welt das Kainszeichen schweren Treuebruchs an uns". 50

Das "klägliche Existenzrecht" gegenüber den "brutalen Rachegelüsten" durch eine Lüge [sc. Art. 231 des Versailler Vertrages] erkauft, sei das deutsche Volk wehrlos gemacht und seiner "stolze[n] nationale[n] Würde" beraubt. Auch diese Äußerung mag stellvertretend die innere Stimmung innerhalb kirchlicher Kreise beschreiben, die mehrheitlich zu Revisionsgedanken und nicht zu Neuanfang und Buße fuhren sollte.

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Abgedr. bei Besier, Kirchen Europas 254-256, 254. S.a. ders., Krieg - Frieden - Abrüstung 101 u. 104. Ebd. 255. Im Mai 1915 hatte er sich gegen Giftgasgebrauch und im Februar 1916 gegen Luftangriffe gewandt; Besier, Krieg - Frieden - Abrüstung 58f, 71. EvD, Erinnerungen 324. EvD an Auguste Viktoria v. 4.7.1919, in: Kähler, E.v.Dryander 69. Hier s.a. das Folgende.

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

6.5. An den Fronten Die Arbeit Dryanders im EOK war von dem Bemühen getragen, den Anforderungen des Krieges in der Aufrechterhaltung der pastoralen Versorgung und durch den Aufbau kirchlicher Hilfstätigkeiten sozialer, humanitärer und pädagogischer Art gerecht zu werden.1 Denkschriften2, Sitzungen 3 und auch die Generalsynode 1915 4 spiegeln dies wider. Doch Dryander war nicht nur - vor allem predigend - an der Heimatfront tätig, sondern bereiste 1916 trotz seines Alters die Fronten im Osten und Westen sowie 1918 Lager ausgetauschter Gefangener in Holland. Unter den Umständen des langen Grabenkrieges gewann die "moralische Aufrechterhaltung der Truppen" eine gesteigerte Bedeutung.5 Hatte Dryander sich schon seit Kriegsbeginn um geistliche Broschüren und Hefte für die Front bemüht6, fand er sich im Mai 1916 vor der Aufgabe, die Fronten zu besuchen, da der eigentlich für die Organisation der Seelsorge zuständige Feldpropst Wölfing durch eine schwerwiegende Erkrankung

Zur Erörterung dieser Bereiche und wohl auch zur Behebung von Unsicherheiten hatte sich um die Theologen im EOK, Dryander, Lahusen, Kawerau, Scholz und J.Kaftan, ein 'Arbeitskreis' gebildet, der "ganz vertraulich und unverbindlich, mit allmählicher Erweiterung" sich wiederholt zusammenfinden sollte (J.Kaftan an Th. Kaftan ν. 16.5. u. ν. 19.6.1915, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan II, 573 bzw. 576). Grobe Überblicke zur Kriegsarbeit bei Elliger, Union 119-121; G.Burghardt, Der evangelische Oberkirchenrat in den Jahren 1900-1950, in: Söhngen, Hundert Jahre EOK, 11-64, 31-35, und M.Schian, Die deutsche evangelische Kirche im Weltkriege, Bd. 2: Die Arbeit der evangelischen Kirche in der Heimat, Berlin 1925. S.a. Geschichte der Ev. Kirche der Union II, 480-497 (G.Besier). Huber/Huber, Staat und Kirche III, 833-837. Während im EOK eher regionale Themen und Probleme erörtert wurden (Hilfsvereine, Frauen- und Jugendfürsorge), beschäftigte sich der DEKA vor allem mit Fragen, die den gesamten Protestantismus und die Theologenschaft angingen (so die Vorbereitungen zum Reformationsjubiläum 1917 und ganz besonders die strittige Militärpflicht der Geistlichen, EZA 7/3951). Verhandlungen der siebenten ordentlichen Generalsynode der evangelischen Landeskirche Preußens. 10.11.-12.11.1915, Berlin 1916. Ein Blick in das Register ist aufschlußreich für die vielen neuen Aufgaben. EvD, Erinnerungen 281. Als Herausgeber von Liedern für Kriegsbetstunden (Berlin o.J. [1914]), als unmittelbar auf den Kaiser folgender Autor des Beitrages "Aus des Kaisers Rüstkammer" in der Broschüre "So ziehn wir aus zur Hermannsschlacht. Ein Appell an deutsche Krieger", Berlin 1914, 3-6, und in den Heften "Gott mit uns! Grüße an unsere Feldgrauen" (Berlin - Leipzig o.J. [1915]), sowie "Der lebendige Gott" (Kriegsflugblatt, Berlin o.J. [1915]).

6.5. An den Fronten

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ausgefallen war7. Als Vertreter des DEKA, des EOK und als Beauftragter des Kaisers begab Dryander sich Mitte Mai 1916 nach einer gemeinsamen Visitation der östlichen Provinzen mit Voigts von Insterburg auf seine Reise an die Ostfront. Über Kowno (21. Mai), wo ihm das "Glück" zuteil wurde, drei Tage zwischen Hindenburg und Ludendorff zu sitzen8, Schaulen und Mitau im Kurland (25. Mai) führte die Route bis vor das belagerte Riga, um dann über Wilna das frontnahe Hauptquartier des Oberbefehlshabers Ost zu erreichen, wo Dryander neben dem Prinzen Leopold von Bayern auf Wilhelm II. traf9. Nach einer kurzen Visite in Bialystock und einem dreitägigen Aufenthalt in Warschau als Gast von Beselers, des "Eroberers von Antwerpen", traf Dryander am 6. Juni in Berlin ein, wo ihm nicht sehr viel Zeit zum Ausruhen blieb. Auf der Sitzung des DEKA am 20. Juni, die sich besonders der militärischen Dienstpflicht der Theologen annahm10, konnten Dryander wie auch Bezzel von den jeweiligen Frontvisitationen berichten. Schon am 13. Juli brach Dryander wieder auf, um diesmal Belgien und die Westfront zu

S. die Äußerungen J.Kaftans an Th.Kafitan v. 26.5.1916, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan II, 598, und das Mitleid Th.Kaftans: "Dryander tut mir leid - bei seinem Alter, es wird ihm doch reichlich viel zugemutet." (v. 30.5.1916, ebd. 599). Auch J.Kaftan brachte sein Erstaunen darüber zum Ausdruck, "was der Mann in seinen Jahren und bei seinen Gesundheitsverhältnissen auch körperlich immer noch zu leisten vermag" (v. 16.6.1916, ebd. 600). Zuvor, im März und April, hatte schon Bezzel die Westfront besucht. EvD, Erinnerungen 282-284. Aus der Haltung Hindenburgs und Ludendorffs las Dryander trotz der ernsten Lage den unbedingten Siegeswillen. Aus einem der Familie Dryander noch erhaltenen Brief Hindenburgs an Dryander vom 1. Juli 1916 aus dem Hauptquartier Ost spricht zum einen der Dank für den Besuch Dryanders an der Front ihm später zugesandte "Evangelische Reden" Dryanders wollte Hindenburg nicht in den "Papierkorb wandern" lassen, sondern eifrigst lesen und in sich aufnehmen - und zum anderen die "Befürchtung, daß die anstrengenden Gefahren im unwirthlichen Osten für Eure Exzellenz nicht ganz ohne nachtheilige Folgen geblieben sind". Außerdem ist die Rede von "kleinen Unannehmlichkeiten", die Dryander an der Grenze über sich ergehen lassen mußte, da der ihm von Hindenburg gegen die Kälte geliehene und offenbar berühmte Pelz Verdacht erregte. EvD, Erinnerungen 289f. Es ging um Vorschläge für eine durch den Krieg erforderlich gewordene grundsätzliche Neuregelung der militärischen Dienstpflicht von Theologen, die in Deutschland nicht einheitlich geregelt war (Sitzungsprotokoll des DEKA v. 20.6.1916 [S. 17], EZA 7/3951, nicht pag., Az.: K.A. 521). Zu den verschiedenen, sich teilweise widersprechenden Erlassen in dieser Frage (vgl. bes. die Befürwortung einer freiwilligen Meldung ordinierter Theologen durch den EOK und die ablehnende Haltung Wilhelms II. in dieser Frage) s. Huber/Huber, Staat und Kirche III, 817-825.

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

besuchen.11 Lüttich und Brüssel (17. Juli), Antwerpen, Gent und Brügge (18. Juli) waren die ersten Stationen, bevor er über Ostende an der Frontlinie entlang zum kaiserlichen Hauptquartier Charleville (30. Juli) gelangte, wo er statt des Kaisers seinen ehemaligen Konfirmanden, den Kronprinzen, antraf. Über Sedan und Metz gelangte Dryander am 2. August nach Straßburg. Führten diese Reisen nur teilweise an das unmittelbare Kriegsgeschehen heran und bargen kaum Gefahren, da Gottesdienste nur an gut abgesicherten Orten abgehalten wurden, erlebte Dryander auf einer weiteren Reise in den Osten die Eroberung Rigas vom 1. bis 5. September wohl unmittelbar mit.12 Die körperlichen Anforderungen an Dryander waren nicht gering. Neben den Visitationen von Lazaretten und Quartieren standen mindestens eine Predigt am Tag sowie Abendversammlungen verschiedenster Art auf dem Programm. Wenn man den Berichten Glauben schenken darf, wird die Stimmung gerade der Feldgottesdienste nicht nur bei Dryander die körperliche Zermattung ausgeglichen haben. Denn abgesehen von den frontnahen Gottesdiensten in Nordfrankreich, die zu Dryanders Enttäuschung jeweils nur von kleineren Abteilungen besucht werden durften, konnte er fast überall vor einer von 1000 bis zu 8000 zählenden Hörerschaft predigen: "alles Ermatten schwindet vor dem geweihten Geiste glühenden Dankes, heiliger Liebe, die alle erhebt." 13

Der gemeinsame Gesang von Luthers "fester Burg" und des sehr beliebten "Niederländischen Dankliedes"14 gehörte zum Repertoire und stimmte die

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EvD, Erinnerungen 191. Ein namentlich nicht genannter Gamisonspfarrer hat Eindrücke dieser 'Friedensfahrt' zusammengestellt: Auf Friedensfahrten durch Belgien im Sommer des Kriegsjahres 1916. Nachklänge von der Reise des Vizepräsidenten des Evangelischen Oberkirchenrates Oberhofpredigers Exzellenz D. Dryander aus Berlin ins GeneralGouvemement Belgien und zur Armee in Flandern, o.O. u. o.J. EvD, Erinnerungen 300f; der hier mitgeteilte Zeitpunkt "Frühling 1917" ist unrichtig. EvD, Erinnerungen 288. Vgl. die tagebuchähnlichen Berichte ebd. 282, 285, 286, 293, 294, sowie Auf Friedensfahrten 4f, 8f, 11-13, 15f, 18, 20f. Besier (Geschichte der Ev. Kirche der Union II, 488) weist auf Berichte Dryanders an den Kaiser mit ähnlichem Tenor hin EZA 7/2972. Dieser dem von Adrianus Valerius 1626 im Zusammenhang des niederländischen Befreiungskampfes gegen Spanien zusammengestellten Zyklus "Nederlandtsche Gedenck-clanck" entnommene Choral war Wilhelm II. besonders lieb. Dryander schrieb ihm das Verdienst zu, dieses Lied in Deutschland quasi eingeführt und populär gemacht zu haben: "Er [sc. Wilhelm II.] ließ es im Neujahrsgottesdienst 1894 zum erstenmal singen und hat damit seinem Volk ein Lied gegeben, das - vielleicht noch weniger durch seinen entstellten Text, wie durch seine hinreißende Melodie - Unzählige erbaut hat und das für immer ein Besitz der evangelischen Kirche bleiben wird." (Erinnerungen 223f)· Doch gerade der - wie Dryander immerhin zugab - "entstellte Text" tat seine Wirkung.

6.5. An den Fronten

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Masse der Hörer vaterländisch-religiös ein. Dryanders Grüße aus der Heimat und von Wilhelm II. als "oberstem Landesbischof'15 taten ein übriges. Derartig eingestimmt, versuchte Dryander in seinen Predigten vor den "Feldgrauen", ganz besonders "das Geschick des einzelnen einzuordnen in das Erleben des Ganzen, das Los jedes einzelnen unter dem höchsten Gesichtspunkt der Hingabe für das Vaterland zu betrachten".16 Waren diese Predigten - soweit zu ermitteln ist - zwar grundsätzlich von denselben Gedanken getragen wie in der Heimat, paßten sie sich aber in Textwahl, Stil und Intention der Frontsituation an. Allein der Bericht über den Belgienbesuch verzeichnet je zwei Predigten über 1. Joh 3, 16 (Liebe als Einsatz des Lebens für die Brüder), Mt 20, 28 (vom rechten Dienen in der Heimat und im Felde) und Hebr 10, 35-36 (Mahnung zu Vertrauen und Geduld) sowie über Jos 3, 10 ("Merket, daß ein lebendiger Gott unter uns ist!"), Jes 40, 25-31 (neue Kraft wie auf Adlers Schwingen) oder Mk 9, 23 (vom Glauben, der alles möglich macht).17 Dryander selbst wies noch nach dem Krieg auf "bestimmte Erfahrungen und Regeln" hin, die ihm für die Kriegspredigt vor kämpfenden oder verwundeten Soldaten wesentlich waren:

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Die ersten beiden Strophen des Dankliedes, geeignet wie kaum andere für Feldgottesdienste, lauten: "Wir treten mit Beten vor Gott den Gerechten,/ Er waltet und haltet ein strenges Gericht,/ Er läßt von den Schlechten nicht die Guten knechten,/ Sein Name sei gelobt, er vergißt unser nicht. - Im Streite zur Seite ist Gott uns gestanden,/ Er wollte, es sollte das Recht siegreich sein,/ Da ward, kaum begonnen, die Schlacht schon gewonnen,/ Du, Gott, warst ja mit uns, der Sieg, er war dein!" Schon 1901 hat K.Budde aufgezeigt, wie durch die gängige deutsche Übersetzung Josef Weyls "das echt evangelische Bewußtsein" der Lieder durch einen alttestamentlichen Patriotismus ersetzt worden war (Die altniederländischen Volkslieder 1, ChW 15 (1901), Sp. 113-118, 115f). Ist die erste Strophe (eigtl. "Wilt heden nu treden voor God den Heere,/ Hem boven al loven van herten seer,/ End maken groot sijns Heven naemens eere,/ Die daer nu onsen vijant slaet terneer.") Zumindestens grob noch wiederzuerkennen, entspricht die zweite keiner der drei anderen ursprünglichen Strophen (s. K.Budde, Die altniederländischen Volkslieder 6, ebd., Sp. 239-242). Bei Scholder kann man dargestellt finden, wie Goebbels' Regie diesen Choral, der "allen Deutschen noch aus der kaiserlichen Zeit vertraut war", in Hitlers Wahlkampf vor der Märzwahl 1933 als gottesdienstähnlichen Ausklang der Kundgebungen benutzte (Scholder, Kirchen 283). Ev. Reden 9 (1916), 13; Erinnerungen 282. Auf Friedensfahrten 1, 6, 11, 16. Th.Kaftan kam nicht umhin zu fragen: "Hat der gute Dryander wirklich den Truppen den Gruß des Kaisers als des obersten Bischofs der preuß. Kirche gebracht? Was doch fur Mißbrauch mit dem Titel des Summepiskopus getrieben wird." (an J.Kaftan v. 28.7.1916, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan II, 605). Ev. Reden 7 (1916), 16, formuliert im Blick auf den tobenden Kampf um Verdun, der auch zu Dryanders Frontreise noch anhielt. A.a.O. 4, 8, 10, 11, 15, 18, 19, 20, 21 u. 23.

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

"Es handelt sich bei ihr [sc. der Kriegspredigt] formell um kurze schlagende Sätze, die wie mit Hammerschlägen unverwischbar ins Herz getrieben werden. Materiell gilt es: wer vor Soldaten steht, die zur Schlacht marschieren, die Seele in den Händen tragend, die Heimat im Herzen, über ihnen jene wunderbare Stimmung, die jeder Nerv mitfühlt: der soll reden, was diese Menschen brauchen; keine Dogmatik, aber Worte und Gedanken voll Ewigkeitskraft, solche, die er sich erbittet, Worte, aus denen der 18

lebendige Gott selbst spricht."

Und tatsächlich durchziehen kürzere Satzperioden mit markanten Wendungen, militärischen Bildern, Beispielen aus der Heimat und von der Front, weniger differenziert und teilweise martialisch, die Predigten. Die Systematik wirkt gestrafft 19 : Von der Lehre eines lebendigen, in Geschichte und Gegenwart, Volk und Sitte offenbar gewordenen Gottes ausgehend, den Glauben Luthers und Bismarcks für die "Not der Schlacht, auf einsamem Feld, in der Geduldsprobe des Schützengrabens"20 als Halt beschreibend, zum Gebet als unüberwindbare Rüstung mahnend und auf die Ehre christlicher und soldatischer Tugend verweisend, bündeln sich die Gedanken in in dem Vorsatz, die "mit der sittlichen Erhebung verbundene religiöse Bewegung" zu bewahren21. Denn die zum Sieg nötige sittliche Kraft ruhe "auf den verborgenen Kräften des Glaubens, [...] deren Anzeichen draußen an der Front mir die Seele bewegt haben" - wie Dryander in der Heimat berichtete.22 Wenn dann im Anschluß an den Gottesdienst nicht nur ein Kommandeur, sondern auch Dryander selbst, die Gedanken der Predigt aufnehmend, zur Bekräftigung der Treue bis zum Siege aufforderte und die Truppe mit einem "Ja, wir wollen es!" antwortete23, hatten es die Zweifel und Widersprüche über den Krieg bei einzelnen schwer, an die Oberfläche zu gelangen, zumal Dryander diese Gesichtspunkte an der Front und in den Berichten von der Front ausklammer-

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EvD, Aufgabe der Predigt (1920), 1. Ein gutes Beispiel ist Dryanders Gruß an die Feldgrauen "Gott mit uns!" von 1915. Hier sind wohl schon alle Gedanken und Wendungen auf die vorgestellte Situation an der Front hin formuliert, wie Dryander sie dann ein Jahr später predigte. Ebd. 11. Ebd. 4. Ev. Reden 8 (1916), 30; vgl. Erinnerungen 289. EvD, Erinnerungen 286. In einem Brief an Wilhelm II. v. 11.9.1917 heißt es: "Es war doch schön, wenn mit blinkendem Auge auf meine Frage, ob sie nicht die Begrüßung Eurer Majestät durch mich erwidern und mich beauftragen wollten, ihren Dank und die Gelübde ihrer Treue Eurer Majestät zu überbringen, ein freudiges 'Ja' erscholl." (EZA 7/2972, zit. n. Geschichte der Ev. Kirche der Union II, 488).

6.6. "Wehrlos - Ehrlos" - Zusammenbruch der Monarchie

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te24. So hat denn der "Besuch des greisen Oberhofpredigers" tatsächlich "mit dazu geholfen, in uns allen den tapferen Willen zum Sieg, zu selbstverleugnender Treue zu stärken", wie der Berichterstatter aus Belgien resümier-

6.6. "Wehrlos -Ehrlos" - Zusammenbruch der Monarchie Wie schon erwähnt, verteidigte Dryander den Kaiser in Zeitungsartikeln und Broschüren nach dem Krieg als einen frommen und verantwortungsbewußten Friedenskaiser.1 Er sah es gegenüber den schmachvollen und entehrenden Auslieferungsgesuchen, die Wilhelm II. zum Kriegsverbrecher stempelten, als seine "Pflicht" an, "die Person des Kaisers wider diese Vorwürfe in Schutz zu nehmen und zu reinigen" und dessen "unanfechtbare und lautere Integrität" darzustellen2. Verwahrte Dryander sich zwar davor, jedes Handeln des Kaisers verteidigen oder rechtfertigen zu wollen, da selbst dieser ausgesprochen habe, daß Fehler gemacht worden seien, so kann man zwischen den Zeilen, mehr offen als versteckt, doch das Bild eines Märtyrers in der "tragischen, edlen Gestalt des letzten Kaisers" herauslesen, der "wider seinen Willen [...] in die größte Katastrophe der Weltgeschichte hineingezogen und von ihr verschlungen worden [ist]".3 Die vier Jahre des Krieges haben also nicht wesentlich zu einem veränderten Standpunkt beigetragen. Was Dryander nach einer intimen Abendmahlsfeier am 14. August 1914 mit dem Kaiserpaar vor der Abreise Wilhelms II. an die Front seinen Notizen anvertraute, bildete auch die Grundlage seiner öffentlichen Verlautbarungen:

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Zwar enthielten die Gräber mit ihren Inschriften "erschütternde Predigten" (Erinnerungen 295, so hat Dryander am Tod seines 18jährigen Enkels Karl Ernst Röhrig 1917 bei Colombey wie "an keinem so tief und so erschütternd die furchtbare Wucht des Krieges empfunden"; ebd. 296), aber Dryander zufolge mahnten sie dann nur umso mehr an das Zusammenstehen füreinander: "so schreiben wir uns ins eigene Herz die Mahnung: sei getreu bis in den Tod!" (s. den Abschnitt "An den Gräbern", Gott mit uns! 25-29, 28). Auf Friedensfahrten 24. Die Artikel vom Februar und Mai 1919 sind in dem Heft "Wollte der Kaiser den Krieg?" in bearbeiteter Form zusammengefaßt. Das Heft "Der Kaiser" stellt die ursprüngliche Version des Februaraufsatzes dar. EvD, Wollte der Kaiser den Krieg? (1919), 2 bzw. 3. Ebd. 8.

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

"Ist jemals einer mit innerer Rüstung und klarem Glauben und Gewissen in den Krieg gezogen, so der Kaiser. Es ist wundervoll, einem Fürsten von solcher Lauterkeit der Gesinnung zu dienen." 4

Ganz besonders verbreitete Dryander diese Anschauung in seinem Appell an deutsche Krieger, worin er ein "Volk in Waffen, geführt von einem königlichen Helden, durch die Gerechtigkeit seiner Sache zum Kampf entschlossen", als einen "Anblick von unbeschreiblicher Größe" bezeichnete, nur noch zu übertreffen, "wenn dieses Königs und dieses Heeres Kampf geweiht ist [...] durch das Vertrauen auf den lebendigen Gott, durch den Entschluß in der Frömmigkeit der Väter zu siegen und zu sterben."5 Der Kaiser habe in beidem den Weg gezeigt: "Folgen wir ihm!" In diesem Sinne und in Reminiszenz an den Gottesdienst nach der Rückkehr Wilhelms I. als Kaiser im März 1871 aus Frankreich, in dem Kögel den Kaiser spontan segnete, schloß Dryander seine Festpredigt zur Feier der 500jährigen Hohenzollernherrschaft ebenfalls mit einer pathetischen Segnung des anwesenden Kaisers, "damit er sich getragen fühle von unserer Fürbitte!"6 Während des Krieges haben sich der Kaiser und sein Oberhofprediger in Berlin wohl nur selten gesehen7, das Treffen an der Ostfront war mehr zufälliger Natur. Die Schilderung eines Besuches auf Einladung Wilhelms II. in Pleß zum Erntedankfest 1916 zeichnet eher das Bild eines hilflosen und angeschlagenen als das eines siegesgewissen Kaisers. Vor dem Hintergrund der verlustreichen Materialschlachten des Jahres an der Westfront (deutscher Angriff auf Verdun; alliierter Angriff an der Somme) und der bedrängenden russischen Brussilowoffensive an der Ostfront bekam Dryander auf seine Frage nach der Möglichkeit eines Kriegsendes vom Kaiser zu hören, daß er nur auf ein Wunder warten könne. Wie ein Wunder sei der Krieg ausgebrochen, er hoffe immer, daß der Krieg auch durch ein Wunder enden werde.8 Dryander sprach unbewußt eine ihm eher unliebsame Wahrheit aus, wenn er in Hindenburg seit den Erfolgen im Osten den neuen strahlenden "Genius des Volkes" sah.9 Denn dieser wurde für das Volk tatsächlich eine Art Ersatzkaiser, besonders seit er im August 1916 mit Ludendorff zusammen die

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EvD, Erinnerungen 278. EvD, Aus des Kaisers Rüstkammer (1914), 6. Ev. Reden 6 (1915), 39f. Selbst zur Trauung seines jüngsten Sohnes Joachim am 11.3.1916 war Wilhelm II. nicht zugegen. EvD, Erinnerungen 303f; Wollte der Kaiser den Krieg? (1919), 14. EvD, Erinnerungen 280.

6.6. "Wehrlos - Ehrlos" - Zusammenbruch der Monarchie

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Oberheeresleitung übernahm und von dieser Position aus - auch gegen alle Demokratisierungsvorgänge des Folgejahres - eine verborgene Militärdiktatur errichten konnte. Auf einer guten Beobachtung ruht weiterhin Dryanders Urteil, daß Wilhelm II. "nicht jederzeit vermocht habe, gegenüber dem Einfluß und Gegensatz starker, ja übermächtiger Persönlichkeiten das ausgleichende Gewicht herzustellen", um insbesondere "die Einheitlichkeit der obersten politischen und militärischen Leitung" zu gewährleisten.10 So sehr etwa auch Dryander sich in seinen Predigten und Verlautbarungen dagegen stemmte, die Symbolkraft und Autorität Wilhelms II. nahmen mit der Dauer des Krieges ab und verbrauchten sich. Der Symbolgehalt der Kaiseridee "trennte sich nunmehr immer mehr von der Person des Kaisers und ging auf die Dioskuren Hindenburg und Ludendorff, inbesondere Hindenburg über."11 Diese Situation spiegelt sich in den Äußerungen Dryanders zu den letzten beiden Kaisergeburtstagen wider. So brachte die maßgeblich unter der Federfuhrung Dryanders entstandene Gratulationsadresse des DEKA zum 27. Januar 1917 neben dem Dank für das freilich abgewiesene deutsche Friedensangebot vom Dezember 1916 noch "inniger wie an den gleichen Festtagen der vergangenen Jahre [...] das unwandelbare Gelübde unerschüttlicher Treue im Namen des evangelischen Deutschlands" zum Ausdruck.12 In gleicher Weise betonte Dryander in seinen Kaisergeburtstagsreden von 1917 und 1918 immer noch die starke Einigkeit um den kaiserlichen Thron und beteuerte die Verkörperung des Vaterlandes, ja des "nationalen Besitzes" und "vaterländischen Seins" in der Person des Kaisers, besonders 1918, als Wilhelm II. zum ersten Mal im Krieg wieder bei dieser Feierlichkeit zugegen war.13 Aber es schwang deutlich der Ton gleichsam von Durchhalteparolen mit, wenn von einem "letzte[n], schwerste[n] Entscheidungskampf' die Rede war.14 Dryanders Schwur, "festgewurzelt in unserer Pflichttreue, in unserer Hingabe an

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EvD, Wollte der Kaiser den Krieg? (1919), 4. W.Deist, Kaiser Wilhelm II. als Oberster Kriegsherr, in: Röhl, Ort 25-42, 40. Neben Fehrenbach, Wandlungen 216-219, s.a. den materialreichen Beitrag B.Sösemanns, Der Verfall des Kaisergedankens im Ersten Weltkrieg, in: Röhl, Ort 145-170 (Thesen s. 147). EZA 1/A2/424, nicht pag., Az.: K.A. 84, mit dem dringlichen Rundschreiben vom 12.1.1917. Das Antworttelegramm Wilhelms II. v. 29.1. Az.: K.A. 163. Beide abgedr. bei Huber/Huber, Staat und Kirche III, 839-841. Ev. Reden 10 (1917), 32-39, 39; 14 (1918), 3-9, 4. Ebd. 10 (1917), 32.

364

6. Zeit der "vaterländischen Not"

Kaiser und Reich unerschütterlich" auszuharren und durchzuhalten15, zeugt von einer Mobilisierung der letzten Kräfte - gerade auch mit der Aufforderung, den Blick auf den "mitten im Untergang des Kreuzes [...] furchtlos in die Zukunft" schauenden Jesus zu richten16. Daß diese Haltung die persönliche Treue Dryanders zu Wilhelm II. ungebrochen sein ließ, erwies sich besonders, als der nach der drängenden Waffenstillstandsforderung der OHL vom 29. September 1918 am 3. Oktober berufene Reichskanzler, aber eigentlich nur noch als Konkursverwalter fungierende Prinz Max von Baden sich gegen Ende Oktober, den Forderungen Wilsons entsprechend, für die freiwillige Abdankung des Kaisers einsetzte, um die Dynastie und die Möglichkeit zu einem annehmbaren Waffenstillstand zu erhalten. Am 28. Oktober hatte sich die Lage fur Prinz Max derart zugespitzt, daß er Männer um Vermittlung anging, "die der Kaiser als seine persönlichen Freunde und die Stützen seines Thrones ansah".17 Neben General von Chelius, einem langjährigen Flügeladjudanten, General Groener, dem Nachfolger Ludendorffs, und dem Minister des königlichen Hauses Graf Eulenburg wurde Prinz Max auch bei Dryander vorstellig und "suchte ihn davon zu überzeugen, daß er als Seelsorger und Freund des Kaisers der Nächste wäre, um ihm den Thronverzicht nahezulegen, vorausgesetzt, daß auch er glaube, das Interesse der Monarchie verlange dieses Opfer."18 Prinz Max zufolge hatte sich Dryander, obwohl er sich nicht in einem der Vermittlung solcher Gedanken genügend nahen Vertrauensverhältnis zum Kaiser stehen sah, der freiwilligen Abdankung gegenüber zunächst nicht schroff ablehnend gezeigt, aber "im Laufe des Tages schriftlich abgelehnt, eine Mission zu übernehmen, hinter der nicht seine Überzeugung stünde."19 Dryander, von dem kurz zuvor noch ein vertraulicher Hinweis gegen die Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung und die Auflösungserscheinungen an der Heimatfront die Runde machte, "daß es notwendig sei, in jeder Weise die

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Ebd. 14 (1918), 8. Ebd. 10 (1917), 38. Prinz Max von Baden, Erinnerungen und Dokumente, Berlin - Leipzig 1927, 518; Ph.Scheidemann warf Prinz Max nachträglich vor, nicht selbst zugepackt, sondern sich hinter dem Rücken anderer Männer versteckt zu haben (Memoiren eines Sozialdemokraten, Bd. 2, Dresden 1928, 249). Nicht unwesentlich war allerdings, daß Prinz Max wie ein ein Sechstel der deutschen Bevölkerung von einer weltweiten und (apersonal) geschichtsmächtigen Grippeepedemie betroffen war, die schon im Sommer die Soldaten an der Front z.T. erheblich geschwächt hatte (Die Zeit Nr. 47 v. 19.11.1993, 80). M.V.Baden, Erinnerungen 519. Ebd. 526.

6.6. "Wehrlos - Ehrlos" - Zusammenbruch der Monarchie

365

Symphatien unserer Gemeinden für die Krone zum Ausdruck zu bringen"20, überliefert in seinen Erinnerungen, daß er den Wunsch des Reichskanzlers, "nach einer bestimmten Seite auf den Kaiser einwirken zu helfen", ablehnen müsse, da er in Wilsons Abdankungsforderung einen "psychologisch wohlberechnete[n] Pfeil in das Herz des deutschen Volks" sah. 21 In seiner schriftlichen Antwort drückte er die feste Überzeugung aus, "daß ein Rücktritt des Kaisers [...] die Widerstandskraft des Heeres zerstören und zugleich in der Heimat das Band lösen werde, das unser zerrissenes und zerklüftetes Volk dem Toben der Feinde gegenüber mehr denn je brauchte". Allerdings verkannte Dryander die Realitäten, wenn er meinte, daß das Heer noch fest hinter Kaiser Wilhelm II. stünde. Gerade gegenteilige Meldungen veranlaßten die Berater des am 29. Oktober Berlin gegen die Mahnungen Prinz Max' in Richtung Spa für immer verlassenden Kaisers, die Flucht nach Holland vorzubereiten, die Wilhelm II. dann nach den Ereignissen des 9. November unternahm. 22 Die weiteren Ereignisse erschütterten Dryander tief, da die Revolution in seinen Augen mit "unverständlichem Wahnsinn" alles zerschlug, was war, "alte Autoritäten und bewährte Ordnungen, ohne sich auch nur zu überlegen, was sie an die Stelle setzen sollte."23 Dryander, mit guten Kontakten ausgestattet, hätte eigentlich tiefer blicken können. Mehnert hat recht, wenn er an der "Einseitigkeit des oberflächlichen Bildes" Dryanders beispielhaft das tiefe Unverständnis der monarchisch geprägten kirchlichen Kreise gegenüber dem

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Aus einem Schreiben des Vorstandes der westfälischen Frauenhilfe an seine Ortsvereine v. 16.10.1918, zit. n. U.Baumann, Protestantismus und Frauenemanzipation in Deutschland 1850 bis 1920 (Reihe Geschichte und Geschlechter, Bd. 2), Frankfort a.M. - New York 1992, 256 (Hervorhebungen vom Vf.). EvD, Erinnerungen 316. Hier s.a. das Folgende. Zu den dicht gedrängten Ereignissen und Vorgängen in Berlin, an der Front und im Hauptquartier in Spa, wo am 9. November 39 Frontoffiziere, darunter auch der Kronprinz, versammelt waren, s. G.Mai, Das Ende des Kaiserreiches. Politik und Kriegsführung im Ersten Weltkrieg (Deutsche Geschichte der neuesten Zeit), München 1987, 140ff; Gutsche, Wilhelm II. 192-199; ders. Kaiser im Exil 16ff; Deist führt in seiner strukturellen Untersuchung als eigentliches Problem der militärischen Führung im Weltkrieg an, "daß dieser Krieg mit Menschen in der Front und in den Fabriken geführt werden mußte, die bis zum Kriegsbeginn als 'Reichsfeinde' gegolten hatten und von der Armee entsprechend behandelt worden waren" (Kaiser Wilhelm II. als oberster Kriegsherr 41). Dies spiegelte sich zuletzt in der Diskrepanz zwischen der Loyalität des Offizierkorps und der Kriegsmüdigkeit des Heeres. EvD, Erinnerungen 317.

366

6. Zeit der "vaterländischen Not"

Wesen und somit auch den Angriffspunkten der Revolution hervorhob.24 So sah Dryander eine "zweihundertjährige[...] ruhmreiche[...] Erziehungsarbeit des alten Staates" durch die "Früchte jahrzehntelanger Verhetzung" verschüttet, daß "kaum erwachsene Knaben, die im Kriege das Unglück gehabt hatten, der straffen Zucht von Vätern und Lehrern zu entbehren, [...] sich politische Führerrollen anmaß[t]en".25 Der These, daß die Revolution nur folgerichtig aus dem zermürbten Volkskörper entsprang, konnte er nicht zustimmen. Den deutschen Anteil an der bolschewistischen Revolution in Rußland schien Dryander vergessen zu haben, als er die deutsche Revolution 'analysierte': "Sie war nicht möglich ohne zielbewußte jahrzehntelange, im Krieg fortgesetzte, an die Front hinausgetragene Vorarbeit!,] und das Beschämendste, sie war eine Fremdpflanze, die mit russischem Golde gepflegt, unserm Volk in einem Moment in den Schoß gelegt wurde, wo alle Kraft nötig war, um in höchster Lebensgefahr sich über Wasser zu halten."

Die Anfälligkeit Dryanders für die durch den Geist auch seiner Predigten der letzten vier Jahre provozierte "Dolchstoßlegende"26 zeigte sich deutlich in der Predigt zum Totensonntag 1918, dem 24. November, die vor dem Dilemma der Frage stand, ob die Millionen von Toten vergeblich gestorben seien: "Das furchtbarste Gemetzel, das die Weltgeschichte sah, ist vorüber. Unsere Heere kehren zurück. Aber auch wenn wir sie nicht als Geschlagene begrüßen, so doch anders als irgendeiner je es gedacht. Unsere Schmach kann nicht überboten werden, 27 unsere Demütigung ist vollendet."

Die Toten wollte er dadurch nicht entehren lassen, er nahm sie in der Erfüllung ihrer Pflicht gewissermaßen zum Bild der Zukunft. Es werde lange dauern, prophezeite Dryander am 1. Advent, "ehe die dunklen Flecken abgewaschen sind, die unsere Gegner uns anheften, und die wir selbst uns aufprägen"28. Doch die Pflicht der Helden, die draußen "fest, unbesiegt, unbesiegbar standen", wollte er sich zum Maßstab nehmen: "Männer der Plicht brauchen wir heute mehr als je, Männer, die nicht das Ihre suchen, sondern das, was des Vaterlandes ist, Männer, die unerschütterlich treu, bis ins Kleinste verleugnungsvoll, auch an dem schwersten Posten ausharren, bis Gott ihnen 24 25 26

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Mehnert, Evangelische Kirche und Politik 94. EvD, Erinnerungen 316f; hier s.a. das Folgende. Zur Genese und den Belegen der Dolchstoßlegende, die sich im Nationalprotestantismus folgerichtig aus aus der Legende des August 1914 entwickelte, s. Pressel, Kriegspredigt 22-28, 294-311. Ev. Reden 17 (1918), 3. Ebd. 15.

6.6. "Wehrlos - Ehrlos" - Zusammenbruch der Monarchie

367

eine Erledigung schafft, Männer, die entschlossen sind, einander in diesem Pflichtdienst bis zum letzen Atemzuge die Hand reichen, wie es unsere teuren Helden 29

draußen getan haben."

Der äußere Bruch hat zwar die Stimmung Dryanders verändert, aber nicht seine Gedanken und Rezepte. In der Andacht, die er seiner Kaiserin vor ihrer verzögerten Abreise ins Exil am 14. November im Neuen Palais gehalten hatte, bekräftigte er das Vertrauen zu dem Weltbild, das ihn durch die Jahrzehnte getragen hat, auch wenn er zugab, daß die alten Zeiten nicht wiederkehren: "Wir wollen nicht weichen von der Treue gegen das Vaterland. Diese armen, urteilslosen, schamlos und schändlich verhetzten Menschen sind nicht das Vaterland. An dem Jammer des Volkes, der groß ist, trägt nicht der Kaiser die Schuld, wie freche Lüge es ihnen einredet. Es gibt ein Volk in unserem Lande, dem das Herz bricht, wenn es seinen Kaiser und sein Kaisertum, den Traum der Jahrhunderte, seine Geschichte und seine Ideale aufgeben soll. Es gibt ein Stück von sich selbst auf. Wir wollen glauben an Deutschlands Zukunft, weil wir glauben an den Gott, der die weite Welt in den Händen hat und der des Hasses unserer Gegner lacht. Weil wir glauben, wollen wir diesem Vaterland dienen, solange wir leben."30

Am 28. November, einen Tag nachdem Auguste Viktoria ihrem Mann ins holländische Exil gefolgt war, schickte Dryander ihr ein Geleitwort der Treue eines Volkes, "das durch seine Liebe, seine Geschichte, seine Traditionen mit seinem Herrscherhaus verbunden bleibt, auch wenn für absehbare Zeit die Entwicklung staatlichen Lebens in andere Bahnen gelenkt wird."31 Der Blick auf das Kreuz gebe die Kraft und die Würde, "statt der so nahe liegenden stolzen Menschenverachtung [...] das Schwerste demütig aber tapfer aus Gottes Hand anzunehmen, und schweigend auf uns zu nehmen, was wir nicht ändern können."32 Mit diesen tröstenden Worten gedachte Dryander aber nicht nur der Kaiserin und das ganze königliche Haus, sondern "vor allem doch [...] Seine[r] Majestät unseren geliebten Kaiser und Herrn". Da er keinen anderen Weg ergründen konnte, "auf dem es möglich und sicher gewesen wäre, ein Schreiben in seine Hand zu legen", bat er um die Vermittlung Auguste Viktorias.33 Im Gedenken an die ersten Begegnungen in Bonn

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Ebd. 21. EvD, Deutsche Predigten 155-157, 157. Zur Atmosphäre dieser Andacht s. EvD, Erinnerungen 318f; Keller, Dienst 335. Abgedr. bei Kähler, E.v.Dryander 55-58, 55f. Ebd. 56. Hier s.a. das Folgende. Ebd. 57. Hier s.a. das Folgende.

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

bis hin zu den amtlichen Beauftragungen empfand er große Dankbarkeit für das Empfangene. "Das gibt eine Verbindung, die nicht durch äußerliche Amtsaufträge sich geltend macht. Ew. Kaiserlichen Majestäten bitte ich ehrfurchtsvoll, auch weiterhin meine Dienste zu fordern, wo es möglich ist, und mir die Möglichkeit zu geben, dankbar zu bezeugen, daß ich zu den Treuen gehören möchte, deren Herz für Ew. Majestäten schlägt und schlagen wird, so lange sie leben!"

Als Dryander Auguste Viktoria den Abschiedsgottesdienst hielt, war sie eigentlich schon nicht mehr Kaiserin. Nachdem Wilhelm II. am 28. November offiziell auch als König von Preußen abgedankt hatte, und der Kronprinz am 1. Dezember auf alle seine Rechte an der Krone verzichtete, gab es eigentlich auch die Ämter der preußischen Hofprediger nicht mehr - sie waren fortan auf den Dom beschränkt. Doch im Unterschied zu den anderen deutschen Ländern sah sich der "Oberhofprediger" Dryander in Preußen "gnädigst geduldet".34 Auch der "beengte schriftliche Verkehr" mit seinem Zuspruch ins Exil gab Dryander weiterhin "die Freudigkeit [...] Oberhofprediger zu sein".35 Die Abdankung mochte zwar offiziell vom Treueeid dem König - und Kaiser - gegenüber entbunden haben, aber sie vermochte nicht, wie Dryander am 23. Dezember 1918 ins Exil beteuerte, "das innere Band zu lösen, in dem namentlich alle, die in engerem Verhältnis zum Königlichen Hause gestanden haben, an dies Band sich gebunden wissen"36. Das gab Dryander für seine Person besonders dadurch zu verstehen, daß er gelobte, "das Amt der Treue am Königlichen Hause [...] erst in meiner Sterbestunde niederlegen" zu wollen.37

6.7. Abschluß des kirchenpolitischen

Wirkens

Die Revolution hatte den Protestantismus seines schützenden Daches beraubt und ihn zunächst "kirchlich, geistig und politisch heimatlos" ge-

34 35 36 37

EvD an Auguste Viktoria v. 22.7.1919, ebd. 73. EvD an Auguste Viktoria v. 16.1.1919, ebd. 63. Ebd. 59f. Brief v. 28.11.1918, ebd. 58.

6.7. Abschluß kirchenpolitischen Wirkens

369

macht1, doch in der Kirche selbst hatte die Revolution nicht stattgefunden. Die Parole der Trennung der Kirche vom Staat verhieß in ihrer radikalen Form eine große Gefahr für die protestantischen Kirchen, was die Eskapaden des USPD-Kultusministers Hoffmann in seiner nur kurzen Amtszeit zu bestätigen schienen. Die Januarwahlen zur Nationalversammlung brachten zwar eine Entscheidung gegen die radikalen und für die gemäßigten Sozialisten, die durch ihre kompromißbereite Haltung in den Verfassungsverhandlungen den Kirchen eine privilegierte vom Staat geschützte, aber vom Staat unabhängige Stellung als Körperschaften öffentlichen Rechts bescherten. Doch die protestantischen Kirchen standen dem staatlichen Neuanfang mit einem permanenten Mißtrauen gegenüber.2 Dryander repräsentierte mit seiner Sympathie für die DNVP 3 , die vorwiegend die alten christlich-nationalen Gruppierungen in sich aufgesogen hatte, die große Mehrzahl der deutschen Pfarrerschaft4. Im September 1919 schrieb Dryander seiner Kaiserin, wie sehr "der Überdruß gegenüber dieser Regierung, die Sehnsucht nach den alten Zuständen wächst."5 Schon Anfang Dezember 1918 befand er, wie die Regierung das "Menschenmögliche" tue, "um mit schnellen Verordnungen bewährte und gesicherte Zustände auf den Kopf zu stellen".6 Dabei sah er Personen am Werk, "deren Existenz in den Ministerien wie ein schlechter Scherz anmuten würde, wenn die Sache nicht so furchtbar ernst wäre." Jeder Tag offenbare "aufs neue und in neuer Weise,

Scholder, Kirchen 18. Die Erlaße und Ansprachen der kirchlichen Behörden zu den neuen Verhältnissen sprachen in ihrer Trauer eine deutliche Sprache. Da sie weithin bekannt sein dürften, nur ein Hinweis auf den EOK-Erlaß v. November 1918 und den Quellenband von M.Greschat, Der deutsche Protestantismus im Revolutionsjahr 1918/19 (Studienbücher zur kirchlichen Zeitgeschichte, Bd. 2), Witten 1974 (den Erlaß s. 26f). Mehnert, Evangelische Kirche und Politik 93-115, 173-179; K.-W.Dahm, Pfarrer und Politik. Soziale Position und politische Mentalität des deutschen evangelischen Pfarrerstandes zwischen 1918 und 1933, Köln - Opladen 1965; Jacke, Kirche zwischen Monarchie und Republik, 41-149; s.a. K.Nowak, Evangelische Kirche und Weimarer Republik. Zum politischen Weg des deutschen Protestantismus zwischen 1918 und 1932, Göttingen (Weimar) 1981, 17-76. So brachte er Auguste Viktoria gegenüber am 7.7.1919 die Hoffnung zum Ausdruck, sich an dem demnächst tagenden "Parteitag der deutschnationalen Partei und seinen Beschlüssen erquicken [zu] können" (Kähler, E.v.Dryander 71). Zum Verhältnis des deutschen Protestantismus zur DNVP s. Mehnert, Evangelische Kirche und Politik 139-149; Jacke, Kirche zwischen Monarchie und Republik 106-110; Nowak, Evangelische Kirche und Weimarer Republik 101-103; Nipperdey, Religion im Umbruch 100. EvD an Auguste Viktoria v. 22.9.1919, in: Kähler, E.v.Dryander 75. An die Großherzogin Luise von Baden v. 10.12.1918, ebd. 59. Hier s.a. das Folgende.

370

6. Zeit der "vaterländischen Not"

daß unter dem, was die regierenden Männer gelernt haben, eben die Kunst des Regierens sich nicht befindet"7. Er hoffe, daß in den Verfassungsverhandlungen durch Männer wie Delbrück und Posadowski "den Männern der radikalen Gruppen gründlich gezeigt werde[...], daß zum Regieren mehr gehört als zum Artikelschreiben in der 'Roten Fahne' oder zur Ausübung des Schriftsetzerberufs in der Druckerei"8. Und doch gestand Dryander zu, daß die "Erregung des Wahnwitzes" im Laufe des Jahres 1919 allenthalben zurückgegangen sei, das Volk aber, das sich nach Ruhe sehne, habe "während des ganzen Krieges nie so viel zu leiden gehabt, wie es heute der Fall ist."9 In einem Gedanken, "den die Revolution auf ihre Weise, aber doch mit richtigem Kern immer wieder hervorhebt", stimmte er den neuen Verhältnissen sogar zu: "Es gilt heute dem Christen mit ganzem Ernst abzulegen den Dünkel des Standesvorrechts, jeden Anspruch, als wäre an und für sich irgendeiner besser und zu höherem Anspruch berechtigt als der andere, jede Anmaßung namentlich dem kleinen und wirtschaftlich bedrängten Manne gegenüber. [...] Wir müssen mit ganzem Ernst und aufrichtiger Demut lernen, von unsem eingebildeten Höhen herabzusteigen." 10

Schon das große Arbeitspensum gegen Ende des Krieges hatte seinen Tribut gefordert, woraufhin Dryander, durch zunehmende Schwerhörigkeit behindert, zum Juli 1918 seine Ämter im EOK niederlegte.11 Nach dem Zusammenbruch sah er sich gleichsam vor einem Neuanfang, auch wenn es ihm nicht leichtfiel, "zu predigen und anderen den Mut einzusprechen, nach dem man selbst ringt."12 Doch wie er mit einem charakteristischen "Den' 8 9 10 11

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An Auguste Viktoria v. 28.2.1919, ebd. 67. An Auguste Viktoria v. 8.2.1919, ebd. 65. An Auguste Viktoria v. 8.12.1919, ebd. 78f. Ev. Reden 18 (1919), 10 (Predigt v. 9.2.1919). EvD, Erinnerungen 309. Mit diesem Entlassungsgesuch und dem 30jährigen Thronjubiläum dürfte die Verleihung des hohen Ordens vom Schwarzen Adler am 15.6.1918 zusammenhängen. J.Kaftan berichtete seinem Bruder von den Veränderungen im EOK. Demzufolge hat Dryander, da Voigts krankheitsbedingt ausgefallen war, großen Einfluß auf die Wahl Lahusens zu seinem Nachfolger nehmen und damit für die Fortsetzung seiner kirchenpolitischen Vorstellungen Sorge tragen können (Briefe v. 19.5., 14.7. u. 18.8.1918, in: Göbell, Briefwechsel Kaftan II, 664, 667f u. 6690- Als Lahusen schon 1921 aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand treten mußte, übernahm J. Kaftan bis 1925 selbst interimistisch das Amt des geistlichen Vizepräsidenten. An Auguste Viktoria v. 16.1.1919, in: Kähler, E.v.Dryander 62. Vgl. den Brief an die Großherzogin Luise von Baden v. 10.12.1918: "Bisher hatte ich mich mit einem gewissen Stolz gewappnet und der Gemeinde auch von der Kanzel herab zugerufen, daß, wenn wir der Übermacht unterlegen seien und der Krieg verloren, doch von uns gelten müsse, was an Steins Denkmal in Nassau steht: 'Des gebeugten Vaterlandes ungebeugter

6.7. Abschluß kirchenpolitischen Wirkens

371

noch des Glaubens", das auch jetzt wieder seine Predigten durchzog13, seiner Kirche auch nach seinem offiziellen Ausscheiden aus den kirchenleitenden Funktionen weiterhin zur Verfügung stand, glaubte er trotz seines Ruhebedürfnisses ebenso seine Dompredigerstelle und das damit zusammenhängende Ephoralamt am Domkandidatenstift weiterversorgen zu müssen.14 Denn seiner Überzeugung nach stand gerade die evangelische Kirche mit an vorderster Front unter den am Wiederaufbau beteiligten Kräften. 15 Dabei stehe die Kirche nach wie vor über den Parteien und vor einer offenen Zukunft, zu deren Bewältigung sie an alte, wertvolle Überlieferungen anknüpfen müsse.16 Bei dieser Aufgabe wollte er nicht abseits stehen, war ihm die Arbeit doch auch ein wichtiger Quell seiner Lebenskraft: "Solange ein Mensch noch arbeitet, oder wenn er wieder anfängt zu arbeiten, so kann 17 er nicht verzweifeln."

Gegen die neue Losung der Zeit "wehrlos - ehrlos"18 müsse gerade die Kirche ohne den trügerischen Schein von 1914 glaubend, bekennend und arbeitend antreten. Neben der allerdings langsam abnehmenden Predigttätigkeit, mit der er in dieser Zeit dumpfer Verzweiflung und tiefer Not für ein besonders an Deuterojesaja und Haggai gewonnenes - tröstendes und mahnendes Evangelium der Arbeit an innerer Erneuerung und äußerem Wiederaufbau warb19, sah Dryander eine besondere Aufgabe in der Wiederbelebung des Domkandidatenstifts, zu dessen Wiedereröffnung nach viereinhalb Jahren Unterbrechung am 4. Mai 1919 er der Hoffnung Ausdruck gab, daß

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Sohn.' Ich vermag es heute nicht mehr." (ebd. 58). S. vor allem die zurück- und vorausblickende Predigt vom Silvesterabend 1919 über Jes 27, 5 ("Dennoch"), in: Deutsche Predigten 72-77. Vgl. die Hoffnung und Furchtlosigkeit betonenden Predigten v. 24.11.1918 (Ev. Reden 17 [1918], 3-13), v. 9.2.1919 (Ev. Reden 18 [1919], 3-14), v. 23.2.1919 (Deutsche Predigten 32-39) u. den Brief an Auguste Viktoria v. 19.10.1920, in: Kühler, E.v.Dryander 84. EvD, Erinnerungen 325. Ev. Reden 19 (1919), 9. Deutsche Predigten 16-22 (Predigt v. 26.1.1919). Ebd. 86 (v. 8.2.1920). In der Predigt v. 29.6.1919 konfrontierte er diese Losung mit den alten Leitworten "Mit Gott fur König und Vaterland!" und "Mit Gott für Kaiser und Reich!", Deutsche Predigten 50. Noch in der Predigt vom 19.3.1922 findet sich die geltende Devise "wehrlos ehrlos" (in: Kähler, E.v.Dryander 42-47, 45). So bes. in der Predigt zum 1. Advent 1918 (1.12.) über Jes 40, 1-3, Ev. Reden 17 (1918), 14-23, und die in den Deutschen Predigten 85-92 wiedergegebene Predigt über Hag 2, 4-5 v. 8.2.1920 ("Arbeitet, denn Gott ist mit euch!); vgl. aus der Weihnachtspredigt 1919, ebd. 70, u.ö.

372

6. Zeit der "vaterländischen Not"

gerade dieses Haus angesichts der brennenden Zeitfragen und drängenden Aufgaben fruchtbar wirken werde20. Hier hatte er besonders die Jugend als Träger der Zukunft im Auge. Sah er allenthalben einen "scheußlichen Mißbrauch" des Begriffs der Freiheit um sich greifen und nicht nur die Jugend "in einer Art geistiger Vergasung" willenlos verfallen21, setzte er andererseits alles an die Herausbildung theologischen Nachwuchses aus allen Kreisen: "Wir müssen dahin kommen, daß der Dienst der evangelischen Kirche in allen Schichten und Kreisen unseres Volkes als ein Ehrendienst gewertet wird, für den die besten gerade gut genug sind, und daß niemand, der die sittliche Wiedergeburt unseres 22

Volkes ernstlich erstrebt, an der Arbeit der Kirche vorübergehen kann."

Der Kaiserin berichtete er bald nach Holland, daß er "nie begeistertere junge Theologen trotz schwerster Umstände und Entbehrungen in meinem Stifte hatte".23 Interessant und hoffnungsvoll fand er zu beobachten, "wie der schwere Druck uns Alte beugt, während unsere Jugend hoffnungsfreudig in die Zukunft schaut". Angesichts der dramatischen Umstände des November 1918 konnte die preußische Kirchenleitung kaum auf so erfahrene Kirchenmänner wie Dryander verzichten, so daß er doch noch bis in den Herbst 1919 hinein beratend an den Geschicken seiner Landeskirche beteiligt blieb. Neben der Regelung des Verhältnisses zum Staat war nach dem Wegfall des Summepiskopats die innere Neuordnung der Landeskirche die Hauptaufgabe. Die Einrichtung eines das breite Spektrum des kirchlichen Protestantismus repräsentierenden Vertrauensrates aus bewährten kirchlichen Persönlichkeiten schuf ein das erweiterte EOK-Kollegium stützendes Hilfsorgan, welches unter der Geschäftsführung von Otto Dibelius den Fortbestand kirchlichen Lebens sichern und die künftige Entwicklung mit Ruhe und Umsicht vorbereiten helfen sollte.24 Zwar zeigte dieses Gremium anfangs tatsächlich integrative Fähigkeiten und ließ trotz der grundsätzlich bewahrenden Tendenz auch Raum zu Neuorientierungen, doch mit der Abnahme äußeren politischen Drucks traten wieder alte kirchenpolitische Spannungen auf, die dazu führten, daß der Vertrauensrat 20 21 22 23 24

Ev. Reden 19 (1919), 12. Deutsche Predigten 37 (Predigt v. 23.2.1919). EvD, Aufgaben der Kirche (1919), 11. An Auguste Viktoria v. 4.7.1919, in: Kähler, E.v.Dryander 71. Hier s.a. das Folgende. G.Köhler, Die Auswirkungen der Novemberrevolution von 1918 auf die altpreußische evangelische Landeskirche (Diss, theol), Berlin 1967, 38-42; Mehnert, Evangelische Kirche und Politik 126-127; Jacke, Kirche zwischen Monarchie und Republik 47-54.

6.7. Abschluß kirchenpolitischen Wirkens

373

scheiterte und sich am Wahlmodus zur verfassunggebenden Versammlung spaltete25. Auch Dryander gehörte diesem Rat in dem sogenannten Werbeausschuß an, der die kirchlichen Interessen wirkungsvoll nach außen hin vertreten sollte.26 Dryander tat dies in einer für ihn typischen Weise in Predigten27 und seiner Schrift "Aufgaben der Kirche. Ein Wort in ernster Zeit", indem er sich weniger um kirchenrechtliche und äußere Gegebenheiten als vielmehr um den Geist und die innere Verfaßtheit seiner Landeskirche als Volkskirche mühte28. Dabei vertrat Dryander vorwiegend alte Ideale und knüpfte insbesondere an seinen letzten "Thronbericht" vom Juli 1918 an. Noch im April 1918 war der EOK von Wilhelm II. zu einem Immediatbericht aufgefordert worden unter dem Aspekt, daß "die zu erwartende tiefgreifende Änderung in der Zusammensetzung des Abgeordneten-Hauses [im April 1917 hatte Wilhelm II. in einer Osterbotschaft die Reform des Dreiklassenwahlrechts angekündigt; d.Vf.] möglicherweise auch die Landeskirche auf Dauer nicht unberührt lassen werde."29 Der hier ausgedrückte Wunsch, deshalb "rechtzeitig durch geeignete Maßnahmen die Landeskirche möglichst tief im Volksleben zu verankern und sie durch möglichste Stärkung des allgemeinen landeskirchlichen Bewußtseins allen Eventualitäten gegenüber sicherzustellen", sollte die gemeinsame Sitzung des EOK und des Generalsynodalvorstandes am 4. Juni 1918, die wegen der Krankheit Voigts' unter der Leitung Dryanders stand, ganz besonders beschäftigen.30 Daß man zu diesem Zeitpunkt jedoch lediglich eine relativ unbestimmte Sorge vor der Zukunft und nicht so sehr konkrete Alternativen zum Ausdruck bringen konnte,

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Der Streit wogte zwischen dem Vorschlag zu Urwahlen und dem Prinzip der synodalen Delegierung. Zusammenfassend Jacke, Kirche zwischen Monarchie und Republik 190193. Im Anhang bei Köhler, Auswirkungen 191-195, findet sich eine Auflistung der "Vertrauensmänner" (immerhin befanden sich unter den 48 Mitgliedern des Rates auch 5 Frauen!) und eine Zusammenstellung der Ausschüsse. S. vor allem die Predigt v. 9.2.1919, Ev. Reden 18 (1919), 3-14. Wichtig würden alle diese 'äußeren' Fragen "doch erst dann, wenn die andere Frage uns beantwortet worden ist: Was hast du für ein Interesse an dieser Kirche, was verdankst du ihr, was bietet sie dir? Was hast du an ihr?" (ebd. 3). Geheimes Zivil-Kabinett an EOK v. 6.4.1918, EZA 7/761, nicht pag., Az.: E.O. 1256. EZA 7/1221, pag. 251ff. In der Frage nach den Sicherungen des bestehenden Verhältnisses der evangelischen Kirche zum Staat wurden drei wesentliche Punkte hervorgehoben, die nach dem Zusammenbruch tatsächlich Schlüsselstellungen einnehmen sollten, nämlich die Sicherung des Kirchenvermögens, des konfessionellen Charakters der Volksschule und der rechtlichen Ordnung des Verhältnisses der Kirche zum Staat notfalls auch mit Hilfe des Gewohnheits- oder Herkommensrechts (ebd. pag. 252-255).

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

zeigt der daraufhin erstellte und letzte noch von Dryander verantwortete Immediatbericht des EOK an Wilhelm II.: Der Dank für die warme innere Anteilnahme an dem Geschick der Landeskirche als Zeichen der "evangelischen Tradition des Herrscherhauses" wurde zunächst verbunden mit einem groben und relativ oberflächlichen Überblick über die Situation kirchlichen Lebens im Krieg.31 "Ernste Sorgen um die zukünftige Stellung der Kirche im Volksleben" sah die Kirchenleitung aber nicht so sehr durch die Kriegsdauer und -umstände gegeben, sondern meinte, sie vielmehr auf die innenpolitische Lage zurückfuhren zu müssen.32 "Die evangelische Kirche würde besonders schwer betroffen werden. Seit der Reformation bis zum heutigen Tage in überaus vielgestaltigen, innigen und segensvollen Beziehungen mit dem Staat verbunden, würde sie durch das Übergewicht einer radikalen Strömung im Landtag ganz anders, viel tiefer berührt werden, als die dem 33

Staate relativ selbständige katholische Kirche."

Es sprach in diesem Thronbericht ganz der vertraute Dryander, wenn gegen den seinerzeit erwarteten Anspruch der Liberalen auf leitende Kirchenämter, auf die Behauptung des Bewährten gesetzt wurde, demzufolge "nicht die Parteistellung, sondern die Tüchtigkeit und kirchliche Geeignetheit maßgebend zu bleiben habe", und wenn zur Durchdringung des Volkslebens eine volkstümlichere Kirche und zeitgemäßere Formen der Wortverkündigung gefordert wurden. Vor allem aber galt nach wie vor, daß "der religiöse Gehalt wie die sittliche Aufgabe [...] aus der Begeisterung einer wahrhaft christlichen Persönlichkeit heraus verkündet" werden müsse.34 Auch als nach dem Wegfall des Summepiskopats wesentlich verschärfte Bedingungen eingetreten waren, hielt Dryander an seinem 'Konzept' fest. Weder der Staat, der sich von der Kirche trenne, noch die der Kirche zugesagte Stellung als "öffentlich-rechtliche Körperschaft", weder eine umgestaltete Verfassung noch ein neugeformtes Kirchenregiment könnten der zunehmenden Entkirchlichung und der moralischen Verwilderung allein Herr werden. "Von innen heraus muß die Hilfe kommen, aus der Erneuerung der einzelnen Glieder der Kirche, aus der Arbeit der kirchlichen Persönlichkeiten. Sie sammeln sich in den

31 32 33 34

EZA Ebd. Ebd. Ebd.

7/761, nicht pag., Az.: E.O. 1 1256, S. 1 (Zählung des Berichts). S. 4. S. 7. S. 21.

6.7. Abschluß kirchenpolitischen Wirkens

375

einzelnen Gemeinden. Eben sie möchte ich zur Lösung jener Aufgabe mahnen, sie zur Mitarbeit am Aufbau der Gesamtkirche werben."

Wie ehedem rief und suchte Dryander "lebendige Gemeinden", getragen von christlich-sittlichen Persönlichkeiten, als Basis der Volkskirche. Das weiter entfaltete Programm, auf das im Zusammenhang mit dem Kirchenbegriff Dryanders oder seinem Ideal einer außergottesdienstlichen Wortverkündigung schon mehrfach Bezug genommen wurde, liest sich daher wie eine Zusammenfassung seiner bewährten Vorstellungen. Gleichsam als Vermächtnis konnte er diese Gedanken noch einmal vor einem großen Forum äußern, als er am 1. September 1919 die Eröffnungspredigt über Eph 3, 14-21 in der mit über 6000 Menschen besetzten Kreuzkirche zum Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden hielt.36 Hier verknüpfte Dryander die Aufgabe der "Beratung eines festeren Zusammenschlusses unserer deutschen evangelischen Kirchen zur Darstellung ihrer Einheit" mit der "Erörterung der Frage über den Wiederaufbau des zertrümmerten religiösen und kirchlichen Lebens".37 Unter den "Stößen, die die alte Zeit zertrümmerten, unter der Scheidung von Kirche und Staat" sei ihm völlig klar geworden, "wie morsch schon vorher die Zustände waren, und wie sittliche, soziale und kirchlich-religiöse Zustände auf das Engste zusammenhängen".38 Dryander vergaß zwar nicht, auch nach der Schuld der Kirche zu fragen: "Denn auch unsere Kirche hat versagt. Sie hat es getan zu einer Zeit, in der gerade sie berufen war, als Trägerin und Spenderin der religiös-sittlichen Kräfte des Volkslebens den Wankenden einen Halt zu bieten und dem Abfall einen festen Damm entgegen„39

zusetzen.

Aber die den ganzen Kirchentag beherrschende konservative Stimmung schwang in Dryanders Predigt insofern mit, als er fast wörtlich zu den Idealen griff, die er - wie Mehnert scharf beobachtet hat - schon 1890 in seiner 35 36

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EvD, Aufgaben der Kirche (1919), 2. Verhandlungen des Deutschen Evangelischen Kirchentages 1919. Dresden, 1. bis 5.IX. 1919, hg. v. Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß, Berlin 1920, 46-53. Ebd. 46-47. Ebd. 48. Ebd.; Wilhelm II. riß dieses Votum völlig aus dem Zusammenhang, wenn er Chamberlain gegenüber, das Wort Dryanders vom Versagen der Kirche aufnehmend, behauptete, die Kirche sei "in der Auffassung und Tradition des Reformationszeitalters über das Alte Testament und den Buchstabenglauben an dasselbe stehen geblieben, statt mit der wissenschaftlichen, vor allem der historischen Forschung auf dem Gebiete der Religionsentwicklung und ihrer Quellenerforschung mitzugehen, sie zu verarbeiten, befruchtend auf sich wirken zu lassen. Sie war mit einem Worte jüdisch geblieben, stehen geblieben!" (Brief v. 12.3.1923, in: Chamberlain, Briefe II, 265).

376

6. Zeit der "vaterländischen Not"

Landtagseröffnungspredigt gepriesen hatte.40 Wenige Tage vor dem Ereignis berichtete Dryander der Großherzogin von Baden über das Konzept der Kirchentagspredigt: "Es gilt noch heute und ist die einzige Hoffnung der Rettung und Erneuerung unseres Volkslebens, [die Aufgabe] einer neuen Vermählung von Christentum und Volkstum." 41

Dryander war kein Pessimist42, doch er stand der neuen Zeit mit einer inneren Fremdheit gegenüber, und so konnte er der neuen Zeit nichts wirklich Neues mehr sagen.43 Fast folgerichtig gab Dryander dem Dresdener Kirchentag fur sich persönlich die Bedeutung als "Abschluß eines kirchenpolitischen Wirkens im engeren Sinne"44 - wie mag gerade ihm angesichts dessen die Begrüßungsrede des neuen EOK-Präsidenten Möller in den Ohren geklungen haben, in der ganz besonders der Herrlichkeit des deutschen Kaiserreiches nachgetrauert wurde45. Allerdings blieb Dryander innerlich an dem Geschick seiner Landeskirche und an dem Prozeß der Einigung der

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Mehnert, Evangelische Kirche und Politik 226: "Dryander hatte 1919 noch nicht begriffen, daß es nicht 'ein Aufschrei der gequälten Menschheit nach Liebe' war, der in der sozialen Frage zum Ausdruck kam, sondern vielmehr die Forderung elementarster wirtschaftlicher Rechte." So zeigte Dryander hier wie dort an der sozialen Frage auf, daß nicht soziale Einrichtungen, Gesetze und Verordnungen den Menschen sozial machten, sondern umgekehrt der von dem Geist der Liebe durchdrungene Mensch soziale Ordnungen aufbaue (Verhandlungen des Deutschen Evangelischen Kirchentages 1919, 51; vgl. EvD, Evangelium und Volksleben [1890], in: ders., Gott und Mensch 132). EvD an die Großherzogin Luise von Baden, Braunlage, d. 28.8.1919, in: Kähler, E.v.Dryander 74. Dies ist allerdings gegen Mehnert, a.a.O. zu betonen. Vgl. nur die Predigt v. 23.2.1919, Deutsche Predigten 32-39, in der er zwei Betrachtungsweisen der Zeit, den Optimismus und den Pessimismus, einander gegenüberstellte, und gegen einen leichfertigen Optimismus und gegen einen dunklen Pessimismus einen "christlichen Optimismus" beschrieb, "der nicht auf menschlicher Vertrauensseligkeit ruht, aber auf göttlichen Zusagen, die nicht trügen." (33). So urteilte auch der Herausgeber der Deutschen Predigten, Carl Grüneisen, über seinen Onkel (Vorwort des Herausgebers, Deutsche Predigten HI-VH, IV). Bezeichnend ist ein Erlebnis, das Günther Dehn in seinen Erinnerungen schildert. Bei einem Besuch Dehns 1920 habe Dryander ihn "freundlich-ironisch" mit den Worten: '"Ich freue mich, auch einmal mit einem richtigen Sozialdemokraten sprechen zu können'" begrüßt, die folgende Darlegung der politischen und kirchlichen Gründe, die zum Eintritt in die SPD geführt hatten, aufmerksam angehört, um dann "etwas müde und resigniert" zu sagen: '"Lieber Bruder Dehn, es kann sein, daß Sie richtig gehandelt haben, aber ich bin nun zu alt, ich kann mich auf solche Dinge nicht mehr einlassen'" (Die alte Zeit 127). EvD, Erinnerungen 326. Verhandlungen des Deutschen Evangelischen Kirchentags 57f.

6.7. Abschluß kirchenpolitischen Wirkens

377

deutschen evangelischen Landeskirchen beteiligt. Trotz der Parteiinteressen hinter den Kulissen befand Dryander das Resultat des Kirchentages, auf dem der Beschluß zu einem föderativ verfaßten Deutschen Evangelischen Kirchenbund gefaßt wurde, für befriedigend 46 , die Verwirklichung der Beschlüsse im Juni 1922 schätzte er sogar als ein "kirchengeschichtliche[s] Ereignis ersten Ranges" ein 47 . Auch über die schwierigen Schritte auf dem Weg zur verfassunggebenden landeskirchlichen Versammlung, die am 24. September 1921 erstmals zusammentrat, wird er noch informiert gewesen sein. Die daraus hervorgegangene, 1924 in Kraft getretene Verfassung der altpreußischen Union hat er nicht mehr erlebt. Sie dürfte aber weitgehend mit seinen Vorstellungen von einer landeskirchlich verfaßten Volkskirche vereinbar gewesen sein. Inwieweit er sich etwa den Ruf "Ecclesiam habemus!", der ihm in seiner Selbstbewußtheit unmittelbar nach dem Wegfall des schützenden Daches der Monarchie wohl kaum über die Lippen gekommen wäre, hätte aneignen und wie sein 'kirchlicher Enkel' Dibelius das "Jahrhundert der Kirche" hätte ausrufen können 48 , ließe sich nur vermuten. Immerhin hatte Dryander Mitte 1920 schon verlautbart, "daß letzten Endes die Trennung der Kirche vom Staate nicht Schwächung, sondern Selbstbesinnung auf die ihr anvertrauten Güter und damit neue Erstarkung ihrer Wirksamkeit bedeuten werde."49

6.8. Berlin - Doom - Potsdam Auf allen Gebieten der Tätigkeiten Dryanders ist sein Unbehagen an den neuen politischen Verhältnissen zu spüren. Er gestand sich dabei jedoch ein: "Wir Alten, denen die Kraft und die Elastizität des Geistes fehlt, um diese Dinge noch mitdurchzukämpfen, ziehen uns um so mehr ins Innere zurück und bauen dort eine andere Welt uns auf." 1

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An Auguste Viktoria v. 22.9.1919, in: Kähler, E.v.Dryander 76. EvD, Erinnerungen 326. O.Dibelius, Das Jahrhundert der Kirche. Geschichte, Betrachtung, Umschau und Ziele, Berlin 2 1927 (1926), 77. Deutsche Predigten 111 (Predigt v. 1.8.1920). An Auguste Viktoria v. 28.2.1919, in: Kähler, E.v.Dryander 67.

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

Diese andere Welt war eine vergangene Welt. Nicht von ungefähr gingen seine Gedanken in dem Abschiedsgesuch des August 1922 "auch zu meinem in Ehrfurcht geliebten langjährigen Kaiserlichen Herrn, dem einstigen Summepiscopus, dessen Vertrauen mich in dieses Amt berief und dem ich nach Maßgabe meiner Kräfte zu dienen und die Treue zu halten bemüht gewesen bin."2 Denn die andere Welt, von der Dryander sprach, bezog einen Großteil ihrer Kraft nicht nur aus einem festen Glauben, sondern sicherlich auch aus dem bleibenden Kontakt mit dem Kaiser und ganz besonders der Kaiserin im Exil. So hat ihn der Dank Auguste Viktorias - und durch sie vermittelt auch des Kaisers - für den literarischen Verteidigungsfeldzug gegen Angriffe auf den Kaiser tief erfreut, da es ihm eine "höchste Genugtuung" war, "zu Eurer Majestäten Erquickung in den schweren Zeiten herber Prüfung nach dem Maße meiner schwachen Kraft beizutragen"3. Nachdem ein in Aussicht genommener Besuch in Amerongen 1919 nicht verwirklicht werden konnte, gab der Umzug des Ex-Kaisers in sein neues Domizil Haus Doorn im Mai 1920 Dryander die Gelegenheit zu einem Wiedersehen mit den Majestäten. Zu Pfingsten wurde Dryander zu einer Art Weihe des neuen Hauses, welches in vielerlei Hinsicht die "verkleinerte Kopie eines Hofstaates" darstellte4, nach Doorn gerufen. Während er Wilhelm II., der - wie Dryander idealisierend beschrieb - "sein schweres Geschick mit hoher Würde, vornehmer und innerer Überlegenheit und demütigem Gottvertrauen, ungebeugt und unverbittert" trug, "sichtlich gealtert", aber in "Haltung und Auftreten straff und elastisch wie sonst" antraf, konnte er bei Auguste Viktoria schon viele Anzeichen von Schwächungen wahrnehmen.5 Nach der Rückkehr äußerte sich Dryander nach Meldungen über einen kritischen Gesundheitszustand ihr gegenüber sehr besorgt, daß "die Anstrengungen jener Pfingstzeit mit ihren unvermeidlichen Erregungen und Bewegungen das Kräftebudget stärker belastet haben, als es an Ausgabe zu tragen ver-

EZA 7/13752, nicht pag., Az.: E.O. II 1278. EvD an Auguste Viktoria v. 28.2.1919, in: Kähler, E.v.Dryander 66. Auguste Viktoria an EvD, Amerongen, d. 26.2.1919: "er [der Artikel] hat mit so wohl getan in dieser schweren Zeit, und freut man sich so, wenn jemand den Mut hat, derartig den Kaiser, der so verkannt wird und den so namenlos schweres Los getroffen hat, zu verteidigen. Es wird dieser Artikel sicher noch vielen Schwachen im Lande eine Stärkung werden." (Neue Christoterpe 46 [1925], 11). S. H.Wilderotter, Haus Doorn. Die verkleinerte Kopie eines Hofstaates, in: Wilderotter/Pohl, Der letzte Kaiser 113-121. Besonders der Abbildungsteil des Ausstellungskatalogs gibt einen hervorragenden Eindruck von der Atmosphäre des Exils. EvD, Erinnerungen 328-329; vgl. Keller, Dienst 356f.

6.8. Berlin - Doom - Potsdam

379

mochte".6 Hatte doch auch die Hausweihe - anders als die heimatlichen Predigten Dryanders und trotz der Textgrundlage in 2. Tim 1, 7 - einen vorwiegend pessimistisch rückblickenden Tenor7, und kam wie im Briefwechsel mit Auguste Viktoria auch bei dieser Gelegenheit ein Vergleich des Exils mit dem Martyrium eines schuldlosen Leidens für die Sünden des Volkes zum Ausdruck8. Im November wurde Dryander wohl in der Erwartung eines bevorstehenden Todes der schwerkranken Ex-Kaiserin wieder nach Doorn gerufen. An die Großherzogin von Baden berichtete Dryander von wehmütigen Eindrükken, die er aus Doorn nach Berlin mitgenommen hatte: "Seit meiner Rückkehr stehen wir buchstäblich jeden Tag bereit, am Abend nach Holland abzureisen."9 Doch nicht nur Dryander hatte sich auf das Ableben seiner "Herrin" gerüstet. Im Blick auf die verschiedentlich in Erscheinung getretene Sammlung monarchistisch-antirepublikanischer Bewegungen, sah die engste Umgebung Wilhelms II. in dem Wunsch Auguste Viktorias, in heimischer Erde bestattet zu werden, offensichtlich eine geeignete Möglichkeit, eventuelle Trauerfeierlichkeiten zu einer monarchistischen Demonstration zu nutzen.10 Schon am 23. November 1920 gab Wilhelm II. den "Allerhöchsten Befehl", eine Beisetzung in Potsdam im Park von Sanssouci vorzubereiten. Zwar wurden auch aus der Nähe Wilhelms II. Bedenken gegen solch eine Veranstaltung geäußert, da etwa unliebsame Zwischenfalle der Würde Auguste Viktorias schaden könnten, zumal die preußische Regierung diesem Unternehmen ablehnend gegenüberstehen mußte. Doch die Mehrheit der Familie bestand auf dem Vorhaben, welches dann nach Verhandlungen von der preußischen Regierung unter einschränkenden Auflagen gebilligt wurde. Auch die evangelische Kirche stand nicht abseits. Am 4. Dezember 1920 instruierte der EOK die Konsistorien unter Berufung auf Gerüchte von der schweren Krankheit Auguste Viktorias über die Vorbereitung von eventuellen Trauerfeiern, damit dem "Gefühl allgemeiner tiefer Trauer auch ein allgemei-

ö 7

8 9 10

An Auguste Viktoria, Marzdorf, d. 18.6.1920, in: Kühler, E.v.Dryander 81. EvD, Hausweihe im Haus Doorn. Rede am 1. Pfingstfeiertag, 23. Mai 1920, Berlin 1920. So beschrieb Dryander ganz besonders "das Gefühl einer vernichtenden Ohnmacht" über den nationalen Untergang, die "vollkommene Wehrlosigkeit" und "namenlose Ungewißheit" der Zukunft (ebd. 4). Ebd. 9; s. bei Kähler, E.v.Dryander 56, 61, 65, 68 u.ö. An die Großherzogin Luise von Baden v. 5.2.1921, in: Kähler, E.v.Dryander 85. Gutsche, Kaiser im Exil 47.

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

ner Ausdruck gegeben werde".11 Dabei sollte der "hohen Frau", die sich als "wahrhaft christliche Dulderin und als treue Tochter der evangelischen Kirche" bewährt habe, und ihrer Lebenstragik angemessen gedacht werden.12 So zeigte der Erlaß die Erwartung, daß die "Gemeinden [...] unzweifelhaft es sich nicht nehmen lassen [werden], sofort nach Bekanntwerden der Trauerkunde [...] durch Läuten der Glocken ihre Anteilnahme zu bekunden". Wollte sich der EOK, der für diesen Zweck eine Trauerbekundung zum allgemeinen Gebrauch in Aussicht stellte, zwar näherer Anweisungen enthalten, hatte er doch mehr als nur eine Art Rahmen vorgegeben und darüberhinaus betont, daß in der Beisetzungsstunde in allen Kirchen zu läuten und der darauf folgende Sonntagsgottesdienst zu einem Gedächtaisgottesdienst auszugestalten sein werde. Allerdings wurden unmittelbar nach Bekanntwerden des Erlasses eine Vielzahl von Bedenken laut, so daß der EOK sich zu Änderungen veranlaßt sah. Als Beispiel sei die Korrespondenz mit dem Konsistorium der Rheinprovinz angeführt. Schon am 8. Dezember traf ein Telegramm aus Koblenz ein, welches zwar die Weitergabe der "Anregungen" übermittelte, aber dennoch "schwerste Bedenken gegen die Ausfuehrung des Erlasses vom 4.12." anmeldete.13 Ein längerer Brief vom 9. Dezember suchte diese dahingehend zu begründen, daß - abgesehen von dem Verbot durch die "hohen Kommissare" in den besetzten Gebieten und etwaigen Repressionen - die Öffentlichkeit "in dem angeordneten Trauergeläut eine politische Kundgebung für die Hohenzollern-Dynastie sehen wird, die für die Landeskirche in ihrer derzeitigen Lage unter Umständen einen verhängnisvollen Schaden zur Folge haben kann, und daß vielleicht die eine oder andere Kirchengemeinde unter dem überwiegenden Einfluß demokratischer oder sozialistischer Kreise die Ausfuhrung des Erlasses ablehnen wird."14 Am 23. Dezember meldete das Koblenzer Konsistorium aus den Gemeinden gesammelte Bedenken und z.B. eine Befürchtung der Polizei aus Hamborn (bei Duisburg), derzufolge unerwünschte Kundgebungen gegen die Kirche zu erwarten seien, und machte den Vorschlag, keine Trauerkundgebungen stattfinden zu lassen und sich auf

12 13 14

S. die eigens zu diesem Zweck angelegte Akte EZA 7/2791, nicht pag., Az.: E.O. I 5277. Über den DEKA gelangten diese Instruktionen am 20.12.1920 als "streng vertrauliche Weitergabe" an die anderen Kirchenregierungen (ebd., Az.: K.A. 1017). Der Zusammenhang mit dem "Allerhöchsten Befehl" ist evident. Ebd., Az.: E.O. I 5277. Hier s.a. das Folgende. Ebd., Az.: E.O. I 5365. Ebd., Az.: E.O. I 5384.

6.8. Berlin - Doom - Potsdam

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die Gedächtnisgottesdienste zu beschränken.15 So sah sich der EOK am 29. Dezember genötigt, noch einmal die Voraussetzung des Erlasses zu betonen, derzufolge man davon ausgegangen sei, daß die Gemeinden es sich nicht nehmen lassen würden, ihre Anteilnahme zu bekunden. Sie sollten aber nicht dazu gezwungen sein. Zudem verwahrte der EOK sich gegen die Ansicht, daß mit dem Glockengeläut eine politische Absicht verbunden sei. Nur die Tatsache sei bei der Anordnung leitend gewesen, "dass die frühere Kaiserin nicht nur als Gemahlin des bisherigen Trägers des landesherrlichen Kirchenregiments, sondern auch durch ihr persönliches Leben mit unserer Kirche verbunden gewesen ist."16 Die eher naive Annahme, die Polizei werde die Trauerkundgebung schützen und das geplante Glockengeläut keine größere Störung darstellen als Straßensperrungen bei Politikerbeisetzungen, mußte der EOK bald korrigieren. Am 31. Dezember berichtet dieser nach Koblenz, daß ein Einspruch der Staatsregierung erfolgt sei, da man hier sehr wohl eine Wirkung als politische Demonstration mit entsprechenden Ausschreitungen befürchte. Zwar werde die eigene kirchliche Rechtssphäre anerkannt, doch ein Schutz der Veranstaltung von Seiten des Staates sei nicht möglich. Aufgrund dieser Mitteilung folgte der EOK "schweren Herzens" der Forderung, auf die Anregung eines Trauergeläutes zu verzichten. Dies sei aus Sicherheitsgründen unumgänglich, aber auch weil die Mitglieder des königlichen Hauses keinen Mißton bei der Trauerfeier selbst wünschten.17 Die Lektüre des "Vorwärts" vom selben Tag konnte die politische Wirkung nur bestätigen. Unter der Überschrift "Sie rüsten die Glocken!" wurde beschrieben, wie "reaktionäre Kreise" bereits vor dem Ableben der Kaiserin Vorbereitungen zu Trauerfeierlichkeiten getroffen hätten.18 Die geplante kirchliche Trauerkundgebung mit dem begleitenden Glockengeläut wurde also mit einem eminent politischen Charakter belegt. Die Deutsche Demokratische Partei warnte den EOK vor direkten Folgen. Stünde doch die Mehrheits-SPD dem Pfarrerbesoldungsgesetz positiv gegenüber. Diese Chance zur Annäherung sollte die Kirche nicht verspielen.19 Anfang Januar 1921 beschwor ein Brief des Schwiegersohns Lahusens, Günther Dehn, in Vertretung einiger religiös-sozialer Pfarrer, die sich einig waren "in ihrem Annähern an eine neue unpolitische, allen

15 16 17 18 19

Ebd., Az.: E.O. I 5642. Ebd. Az.: E.O. I 5642. Ebd., Az.: E.O. 1 5704. Ebd., gesammelter Zeitungsausschnitt ohne Az. DDP an den EOK v. 3.1.1921, ebd. ohne Az.

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

Parteien und Kreisen dienende Volkskirche", den EOK, "im Interesse der guten Beziehungen zwischen Arbeiterschaft und Kirche" auf diesen Erlaß zu verzichten, der wieder einen unheilvollen Riß zur Folge haben werde.20 Er sah die geplanten Veranstaltungen weit über das hinausgehen, was die Kirche sonst einem hervorragenden Glied zuzubilligen habe. Noch in seinen Erinnerungen kann man das Entsetzen darüber ablesen, daß "sich die Kirche hier vor aller Augen als eine monarchisch gesinnte, deutsch-nationale Parteikirche" offenbare.21 Auguste Viktoria starb am 11. April 1921. Als die Nachricht vom Tode der Exkaiserin bekannt wurde, informierte der EOK, wie vereinbart, die Konsistorien und fügte für den abzuhaltenden Gedächtnisgottesdienst eine Trauerkundgebung bei, die besonders die Fürsorge der Kaiserin für Kirche und Volk herausstellte.22 Noch am selben Tag erreichte den EOK ein Telegramm aus Doorn, in dem Oberhofprediger Dryander "in Allerhöchstem Auftrag" den wärmsten Dank Wilhelms II. "für das teilnehmende treue Andenken" übermittelte in der Hoffnung, "daß auch durch die evangelische Landeskirche der Aufbau des Vaterlandes gefördert und auch die Reihe der von Ihrer Majestät [der Kaiserin; d.Vf.] angeregten Liebesarbeiten ihre Frucht tragen werde."23 Noch am Todestag war Dryander nach Doorn geeilt, wo "jeder Raum uns eine Mahnung entgegen[winkte], daß er eine Tote berge - Deutschlands geliebte dritte

Kaiserini".24

Verhandlungen um die dann doch genehmigte Überführung nach Potsdam führten dazu, daß die Trauerfeier und der Abschied von der Toten erst am 17. April stattfinden konnten. Ilsemann, letzter Flügeladjudant Wilhelms II. im Exil, berichtete, daß "der alte Hofprediger Dryander" eine längere Predigt 20 21

22 23

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G.Dehn an den EOK v. 2.1.1921, ebd., Az.: E.O. I 53. Dehn, Die alte Zeit 227. Obwohl der EOK die herkömmliche Sitte der Fürbitten z.B. für Wilhelm II. per Erlaß Anfang 1919 einstellt hatte, kam es vereinzelt zu 'Rückfällen' oder Weigerungen. So dachte Pfarrer Grützmacher aus Janikow noch 1922 nicht daran, diese Sitte zu unterbrechen. Er könne seine Gesinnung nicht wechseln, wie man ein abgetragenes Kleid ablege (an das Konsistorium in Stettin, v. 23.10.1922). Wie der EOK dem Ministerium ftir Wissenschaft, Kunst und Volksbildung daraufhin mitteilte, sei aber ansonsten die Annahme, "daß noch immer zahlreiche Geistliche ihr Amt mißbrauchen, um für die Monarchie und damit gegen den republikanischen Staat Stimmung zu machen", als "irreführend und den Tatsachen nicht entsprechend nachdrücklich zurück[zu]weisen" (v. 10.11.1922, EZA 7/2747, nicht pag., Az.: E.O. I 5028). EOK an die Konsistorien v. 13.4.1921, EZA 7/2791, Az.: E.O. I 1871. Das Telegramm stand unter dem Briefkopf Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin, ebd., ohne Az.. EvD, Erinnerungen 331; vgl. Keller, Dienst 362-364.

6.8. Berlin - Doom - Potsdam

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halten wollte, der Kaiser ihn aber gebeten hatte, "die Feier so kurz und schlicht wie möglich zu machen".25 Dementsprechend hielt Dryander kurz vor Mitternacht eine Andacht, in der er am Konfirmationsspruch Auguste Viktorias (Apk 2, 10) der Treue gedachte, "mit der sie einem ganzen Volke vorlebte, was ihm selbst die Weihe und Heiligkeit einer treuen und unbefleckten Ehe auf dem Thron bedeutet."26 Nach dem Abschied Wilhelms II., des Kronprinzen und der Herzogin Viktoria Luise auf einem nahe gelegenen Bahnhof wurde der Sarg, begleitet von Dryander und den Prinzen Adalbert und Oskar, am 18. April - Dryanders 78. Geburtstag - nach Potsdam überführt, was nach den Beschreibungen - neben Spalierbildungen an den Geleisen und auf Bahnhöfen und unter Glockengeläut - einem stillen Triumphzug gleichkam. Noch übertroffen wurde diese Szenerie durch die Überfuhrung von der Bahnstation Wildpark zur Beisetzung im Antikentempel, dem Mausoleum im Schloßpark von Sanssouci, vor einer fast eine viertel Million Menschen fassenden Menge: "Die ersten Reihen knieend, die umflorten Fahnen zu Hunderten sich neigend, die deutsche akademische Jugend, die alten lieben preußischen Uniformen, die siegreichen, ruhmbedeckten, den Sarg umgebend, die Minister des alten Regiments, Feldherren voll Ehren und Sieg, erdrückt aber nie geschlagen, die Kronprinzeß mit den deutschen Bundesfürsten an der Spitze, die alten friderizianischen Schlösser im Hintergrund." 27

In dieser Atmosphäre hat Dryander vor dem Sarg seiner Kaiserin, an dem die Prinzen die Ehrenwache hielten, eine letzte weithin sichtbare Amtshandlung als Oberhofprediger halten dürfen, die wohl nicht nur ihn mit einem letzten "Gelöbnis unvergänglicher Treue" in die alte versunkene Welt zurückführte.28

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Dabei habe Wilhelm II. ausgerufen: "Der gute Dryander möchte alles würdig und königlich machen; ach, mein Gott, was heißt vor der Majestät des Todes da königlich!", S.v.Ilsemann, Der Kaiser in Holland. Aufzeichnungen des letzten Flügeladjudanten Kaiser Wilhelms II., Bd. 1: Amerongen und Doorn, 1918-1923, hg. v. H.v.Koenigswald, München 1967, 174 (Tagebucheintrag v. 15.4.1921). Rede im Haus Doorn nach dem Heimgang der Kaiserin am 17. April 1921, in: Deutsche Predigten 158-162, 160; EvD, Erinnerungen 332. Zu den Ereignissen vom 17.-19. April s.a. Keller, Dienst 365-369; Ilsemann, Kaiser in Holland 176-178; Viktoria Luise, Leben 233-236. EvD, Erinnerungen 333. Die Rede zur Trauerfeier in der Rotunde im Neuen Garten in Potsdam vom 19. April 1921, in: Deutsche Predigten 163-167, 167.

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

Zwar hörte Dryander in seinen Predigten bis zuletzt nicht auf, "in einer Krisis, von der unsere nationale Existenz, unsere Ehre, unser Ansehen in der Welt, ja unsere Wertung im Licht der Ewigkeit abhängt", zur sittlichen und damit auch zur nationalen Wiedergeburt "durch Buße, Glauben, Bekehrung" hindurch zu mahnen29, doch häuften sich in den letzten Predigten die Stellen, wo Dryander für sich selbst eine Ahnung letzter Lebensmomente zu spüren schien, "wo er sich mindestens zeitweise nach Ruhe, Frieden, Freiheit von sich selbst sehnt, wo er fühlt, daß er das alles nicht selbst besitzt"30. Denn, so führte er in dieser Predigt vom 19. März 1922 aus, sei der Glaube auch ein "Erlebnis, das nicht weniger wahr und wirklich ist, weil es als ein Inwendiges sich vollzieht", könne die Welt immer wieder vortäuschen, sie sei "unser eigentliches Lebensziel und das Vergängliche selbst das Gewisse."31 Wie Dryander schmerzlich ergänzte, geschehe dies "begreiflicherweise mit besonderer Kraft in den Augenblicken, wo mit unerhörter Gewalt diese Vergänglichkeit vor Augen tritt, wo Throne stürzen, Staaten in Trümmer sinken, Völker zersplittern". Den Weg zu Ruhe und Frieden sah er in der Beschäftigung mit dem klaren und betenden Sterben Jesu aufleuchten. In der Karfreitagspredigt 1922 in der Stiftskapelle gelangte er über das Geheimnis des Sterbens zum Ziel des Lebens: "Das Sterben zu einer Tat zu machen, das ist unsere eigentliche Lebensaufgabe. Oder ist es etwa nicht unsere Aufgabe zu fragen; wozu lebe ich? wofür bin ich da? und immer wieder die Antwort darauf zu finden: dazu, in allem, auch in der überwindenden Kraft des Glaubens und der Liebe, den Tod zu überwinden und das Leben zu behaupten." 32

Dryander, dem diese Aufgabe unter den Erlebnissen der Zeit, dem Mitfühlen der Leiden des einzelnen und dem Tragen an der Last des Vaterlandes, "riesengroß und größer von Tag zu Tag wurde", befahl gleichsam seinen Geist Gottes Händen an, wenn er am Ende der Predigt aufschaute zum "'Es ist vollbracht!', das vom Kreuz herab auch uns zugerufen wird."33 Für die Hörer verwoben sich im Nachhinein eindrucksvoll "die Karfreitagsgedanken

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So in der Predigt zum Neujahrstag 1922, in: Kühler, E.v.Dryander 35-41, 39. Predigt v. 19. März 1922 über 1. Joh 5, 4, ebd. 42-47, 44. Ebd. 43. Hier s.a. das Folgende. Predigt am Karfreitag, den 14. April 1922, ebd. 47-52, 51. Ebd. 52.

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mit der Bereitung zum eigenen Sterben. Danach hat Dryander nur noch einmal am Sonntag nach Ostern über den 'Frieden Christi' gepredigt."34 Nachdem er am 19. Juni noch seine Landeskirche bei der Einweihung der schwedischen Kirche durch Söderblom vertreten hatte, wandte sich Dryander im August 1922, schon von Krankheit gezeichnet, mit der Bitte an den EOK, aus den verbliebenen Ämtern entlassen zu werden: "Wenn ich die Funktionen des Oberhof- und Dompredigers und das mit ihnen verbundene Ephorat des Domkandidatenstifts bisher im Rahmen der mir verfügbaren Kräfte zu verwalten gesucht habe, so rechtfertigte sich dieses durch die dortseits geteilte Erwägung, daß die unfertigen Verhältnisse innerhalb der preussischen Landeskirche eine Neubesetzung dieser Ämter untunlich erscheinen ließen. Der bevorstehende Abschluß der Kirchenverfassung veranlaßte mich, mein Amt, das traditionsgemäß mit einer leitenden geistlichen Stelle innerhalb des Kirchenregiments verbunden zu werden pflegt, hiermit zur Verfügung zu stellen. Meine abnehmenden 35 Kräfte zwingen mich dazu [...]."

Wie nicht anders zu erwarten, lehnte der EOK dieses Gesuch am 24. August unter Entbindung von allen Pflichten und mit der Bitte, daß Dryander sich Ruhe gönnen möge, freundlich ab.36 Wenige Tage danach nur, am 4. September, ist Ernst von Dryander an den Folgen einer schweren Lungenentzündung gestorben - in den Tagen, da seine Landeskirche im Begriff war, sich eine neue Verfassung zu geben und institutionell gefestigt aus dem Zusammenbruch hervorzugehen. Wilhelm II. telegraphierte aus dem Exil, daß seines ganzen Lebens Erinnerungen mit der edlen Persönlichkeit seines treuen Freundes, Beraters und Seelsorgers unauflöslich verknüpft seien.37 Der Abschiedsstunde am Abend des 6. September im Domkandidatenstift folgte am nächsten Tag nach einer Dryanders Wunsch entsprechenden liturgischen Trauerfeier im Dom vor Abgesandten in- und ausländischer Kirchenregierungen, in Anwesenheit hohenzollernscher Familienmitglieder und einer vieltausendköpfigen Gemeinde die Beisetzung auf dem Domfriedhof.38

35

36

37 38

So Kähler in seiner Hinführung auf die von ihm herausgegebenen letzten Predigten Dryanders (ebd. 33). Dieser Briefs Dryanders an den EOK v. 3.8.1922 trug schon nicht mehr seine Handschrift, EZA 7/13752, nicht pag., Az.: E.O. II 1278. EOK an EvD v. 24.8.1922; am 11.8. konnte man Dryander lediglich auf eine endgültige Antwort vertrösten mit der Nachricht, daß der Präsident verreist sei (ebd.). Kähler, E.v.Dryander 23. S. ein wohl von Gottfried von Dryander verfaßtes Nachwort zu EvD, Erinnerungen 340345; die liturgische Trauerfeier v. 7. September findet sich, von Ernst Vits zusammengestellt, bei Doehring, Gedächtnis 19-29.

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6. Zeit der "vaterländischen Not"

Doehring rief im Berliner Lokalanzeiger vom 5. September aus: "Wir haben keinen Oberhofprediger mehr."39 Noch zehn Jahre später läßt Otto Dibelius die Erinnerung an diese Stimmung nachklingen, wenn er schreibt, daß die evangelische Kirche in der "monumentalen" Beerdigungsfeier "nicht nur Abschied von einem ihrer Diener, einem wahrhaft begnadeten Diener" genommen habe: "Sie nahm Abschied von einer Epoche ihrer Geschichte [...] Er war der Oberhofprediger Wilhelms II., so wie Kögel der Oberhofprediger Wilhelms I. gewesen war." 40

39 40

Zit. n. Doehring, Gedächtnis (61-64) 63. Der Tag v. 7.8.1932 zit.n. Besier, Dryander 250.

7. SCHLUSSWORT War Dryander, wie aus der Untersuchung hervorgehen konnte, zwar weit weniger ein bahnbrechender Protagonist in Theologie und Kirche, denn vielmehr eine im positiven Sinne integrative Persönlichkeit als kirchlicher 'Nachlaß- und Traditionsverwalter' in einer Zeit des Umbruchs, so soll am Ende dennoch die Frage stehen, ob Dryander nur ein letzter und hervorragender Repräsentant einer zu Ende gegegangenen Epoche preußisch-deutscher Kirchengeschichte war oder ob er vielleicht doch schon mitprägend auf der Schwelle zu Neuem stand. In Bezug auf die zeitgenössische theologische Diskussionslage muß man dies zweifellos verneinen. Zwar war er mit und durch seine Domstiftskandidaten theologisch 'auf dem Laufenden' geblieben, doch der sich abzeichnenden 'dialektischen Theologie' wäre er wohl - trotz sich berührender Fragestellungen aus der Studienzeit - mit innerem Befremden begegnet. Barth jedenfalls hatte mit seinen Gedanken vom "'unendlich qualitativen Unterschied' von Zeit und Ewigkeit" und der Rede von dem "göttlichefn] Minus vor der Klammer" als Gericht über "allen menschlichen Bewußtheiten, Grundsätzlichkeiten, Rechthabereien, Prinzipien, -ismen als solchen, allen 'Fürstentümern, Mächten und Gewalten' als solchen"1 bekanntlich den Graben zu einer ihm 1914 verdächtig und schwankend gewordenen ganzen "Welt von theologischer Exegese, Dogmatik, Ethik und Predigt" dokumentiert2, zu der auch Dryander gehörte, wie ja schon die Äußerungen Barths von 1914 zeigen konnten. Als Barth am 18. April 1924 - Dryander wäre 81 Jahre alt geworden - "Hofprediger Doehring aus Berlin" erlebte, beschrieb er ihn "meisterhaft als wilhelminisch-zinzendorfisch-hochverräterisches Gegenbeispiel" zu seinem Philipperbriefkolleg.3 Dryander, nur einmal in den Briefwechseln Barths nach 1918 erwähnt, trat hier mit seinen "Erinnerungen" im Zusammenhang mit einem "ethische[n] Conversatorium" in die Erscheinung und

K.Barth, Der Römerbrief, 4. Abdruck der 2. Aufl. München 1926 (1922), XIII (aus dem Vorwort zur 2. Aufl.) u. 467 (Auslegung von Röm 13, 1 unter dem Aspekt der großen negativen Möglichkeit!). Nachwort zur Schleiermacher-Auswahl, hg. v. H.Bolli, Gütersloh '1983 (1968), 290312, 293. Rundbrief v. 18.4.1924, in: K.Barth - Ed.Thumeysen, Briefwechsel, Bd. 2: 1921-1930 (Karl-Barth-Gesamtausgabe V/4), hg. v. Ed.Thumeysen, Zürich 1974, 250-256, 253.

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7. Schlusswort

wurde von Barth in der Gesellschaft von Tirpitz, Liebknecht, Michaelis, Wilhelm II., Scheidemann, dem Kronprinzen, Ludendorff, Bethmann-Hollweg und Erzberger bezeichnenderweise unter dem Aspekt der "politischen Autobiographieen der letzten Jahre" behandelt!4 In einem etwas anderen Licht stellt sich das Nachwirken Dryanders in seiner Kirche dar. Wie gezeigt, konnte Dryander in der neuen Zeit zwar keine wesentlich neuen Impulse mehr geben (- ausgenommen vielleicht mit seinem grundsätzlichen, wenn auch nicht theologisch durchreflektierten, so doch wohlwollenden Interesse an ökumenischen Beziehungen). Und doch bauten seine Nachfolger unter den neuen Bedingungen auch auf dem auf, was Dryander weitergegeben hatte. Nicht zuletzt Dibelius griff in seinem "Jahrhundert der Kirche" die Forderungen auf, die Dryander 1919 in seinen "Aufgaben der Kirche" aufgestellt hatte: Erneuerung von innen und Besinnung auf die eigene evangelische Stärke, Betonung des persönlichen Elements in der Ausübung des geistlichen wie 'bischöflichen' Amtes und Mobilmachung der Gemeinden selbst zur Steigerung ihres Verantwortungsgefühls. Auch wenn er die alten patriarchalischen Formen seiner Vorgänger Kögel und Dryander abstreifen wollte5, in den eigentlich ekklesiologischen Anliegen hätte Dibelius sich sehr wohl auf Dryander berufen können. Wollte sich Dibelius von der Epoche Dryanders zwar insofern abheben, als ihm eine von Staat oder politischer Richtung gänzlich unabhängige Kirche als Ideal vorschwebte, so konnte auch Dibelius, immerhin selbstbewußtes Mitglied der DNVP, seine nationalprotestantischen Sympathien nicht völlig zurückstellen6. Auch und gerade die

Ebd. 352. Dibelius, Christ im Dienst 148. Schon in seinem Jahrhundert der Kirche wird deutlich, woher die 'Überparteilichkeit' und 'Unabhängigkeit der Kirche rührt: "Da die Stimmung in der Kirche ganz überwiegend republikfeindlich ist, steht die Kirche dem neuen Staat sehr reserviert gegenüber. An die Stelle der überlieferten Regierungstreue tritt eine selbständige Haltung gegenüber den Staatsgewalten" (a.a.O. 76). Die alte 'Regierungstreue' konnte denn auch bei Dibelius immer wieder durchschimmern, besonders in seinen Kommentaren im Berliner Evangelischen Sonntagsblatt, wie Nowak aufgezeigt hat (Evangelische Kirche und Weimarer Republik 205f, 294 [Anm. 5]). Allerdings hielt Dibelius auf Distanz zum Flügel Hugenbergs und den extrem vaterländischen Verbänden (ebd. 200, 306f)· S. zu diesen Sachverhalten N.Friedrich, "National, Sozial, Christlich". Der evangelische Reichsausschuß der Deutschnationalen Volkspartei in der Weimarer Republik, KZG 6 (1993), 290-311. Interessant ist, daß u.a. Gottfried von Dryander sich parallel zur Übernahme der Parteileitung durch Hugenberg im Oktober 1928 um eine konservative Richtungsverschiebung im genannten evangelischen Reichsausschuß bemühte (ebd. 3050-

7. Schlusswort

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Bemühungen Dryanders um eine religiös-sittliche Grundlage des Volkes finden sich als Sorge von Dibelius um den "Maßstab einer absoluten Sittlichkeit" in den neuen Verhältnissen wieder: "Wer soll dies neue sittliche Urteil bilden? Wer kann es tun, wenn es nicht die Kirche tut?"7 Diese Art der Betonung einer der Weimarer Demokratie nicht zugestandenen, aber als notwendig angesehenen Verbindung von Staat und Volk mit seinen religiös-sittlichen Grundlagen machte sich im übrigen Hitler nach seiner Machtergreifung zunutze. Ganz besonders deutlich wurde dies am 21. März 1933, dem 'Tag von Potsdam', mit dem Staatsakt zur Reichstagseröffnung in der Garnisonskirche. Dies war der Höhepunkt eines Vertrauensfeldzuges "in einem Rahmen, wie er für das ganze bürgerliche Deutschland gefühlsträchtiger und vertrauenerweckender kaum denkbar war"8 - nicht zuletzt wegen der überwiegend positiv besetzten Assoziationen zur Tradition dieser auch von Dryander geübten Praxis in der Monarchie. Dibelius, der zwei Wochen zuvor noch in einem Rundschreiben seine Pfarrer zur kirchlichen Disziplin und wachsamen Unabhängigkeit gegenüber dem neuen Staat aufgerufen hatte9, hielt in einem Gottesdienst in der Potsdamer Nikolaikirche vor dem eigentlichen Staatsakt für die protestantischen Abgeordneten die Predigt: Predigtgrundlage war mit Rom 8, 31 der Text, mit dem Dryander in seiner Predigt die entscheidende Reichtstagssitzung am 4. August 1914 eingestimmt und den Geist des August 1914 auf das deutsch-evangelische Kirchenvolk zu übertragen gesucht hatte! Dibelius stellte - unter unausgesprochener Berufung auf Dryander - Textwahl und Auslegung der Zwei-ReicheLehre somit gewissermaßen (wieder) in den Dienst eines nationalen Aufbruchs und trug damit zum 'Geist' von Potsdam bei, auch wenn er "in kritischen Untertöne [n]" den Verzicht auf persönliche Willkür, Rachsucht und

8 9

Dibelius, Jahrhundert 227. S.a. Nowak, Evangelische Kirche und Weimarer Republik 81: "Das Volk über die Organisation 'Volkskirche' gleichsam aus dem gesellschaftlichkulturellen Leben der Weimarer Demokratie herauszunehmen sowie durch und über es eine Staatsgeistigkeit und allgemein kulturell-sittliche Gesinnung zu erzeugen, die letztendlich zur Überwindung des 'religionslosen' Staates, sodann wieder zum 'christlichen Staat' führen sollte - dieser Grundgedanke läßt sich bis hin zu Otto Dibelius in seinem 'Jahrhundert der Kirche' und - von volkskonservativen Voraussetzungen her - zu Emanuel Hirsch verfolgen". Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich I, 285. Ebd. 285.

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7. Schlusswort

Dünkel anmahnte.10 Bald darauf sollte Dibelius die wahre Seite des nationalen Aufbruchs kennenlernen; wie sein Kollege Vits, Generalsuperintendent der Niederlausitz und ehemaliger Kollege Dryanders als Hof- und Domprediger, wurde er vom Amt des Generalsuperintendenten suspendiert und in die 'Illegalität' abgedrängt. Es steht zu vermuten, daß es Dryander nicht viel anders ergangen wäre. Was bleibt? In seinem "Glauben der Nordmark" von 1936 nahm der ehemalige Pastor und jetzige völkisch-religiöse Schriftsteller Gustav Frenssen Dryander zu einem Kronzeugen für seine eigene Abrechnung mit dem Christentum: "es ist nichts mit dem ungeheuren Weltwunder von Nazareth und Golgatha, und also nichts mit der Einzigartigkeit und Ewigkeit der christlichen Religion. Selbst ein Mann, wie der viel- und schwergeprüfte ehrwürdige Hofprediger Wilhelms II., Dryander, der sein ganzes ernstes und arbeitsames Leben der Kirche und ihrem Glauben geweiht hatte, eine wahrlich hohe und edle Säule evangelischen Kirchenglaubens, zweifelt am Ende seiner 'Lebenserinnerungen' am höchsten Wert und am Bestand der christlichen Religion und fragt schmerzbewegt - und wir alle ernsten Seelen fühlen diesen Schmerz mit; denn es geht wahrhaftig nicht Kleines zu Grabe, kein Fingerhutgedanke -: 'Hat das Christentum versagt und in der schwersten Zeit [bei EvD: Probe] der mündig gewordenen Menschen [bei EvD: Menschheit] (dem großen Krieg) sich doch nur als eine der vielen Gestaltungen religiöser Sehnsucht enthüllt, denen die Kraft der Weltüberwindung fehlt?'" 11

Allerdings hat Frenssen hier unterschlagen, daß es sich im Zitat nur um den ersten Teil einer - im Grunde rhetorischen - Doppelfrage handelt, die Dryander positiv akzentuiert so weiterführte: "Oder ist es [sc. das Christentum] Wahrheit vom Himmel, die entgegengestreckte Hand, an der auch die wankende und schwankende Welt sich selbst, ihren Beruf und 12

ihr Ziel wiederfinden wird?"

So ernst und so dunkel Dryander die Zukunft der evangelischen Kirche seiner Zeit auch sah, so ernst und bedrückend ihm die genannte Alternative auch vor Augen stand, muß es doch als grobe Fehlinterpretation oder geistige 'Vergewaltigung' bezeichnet werden, Dryander für den Erweis der Wert- und 10

11 12

Ebd. 296; den Text der Predigt s. bei Dibelius, Christ im Dienst 172; G.Denzler/V.Fabricius, Die Kirchen im Dritten Reich. Christen und Nazis Hand in Hand?, Bd. 1: Darstellung, Frankfurt a.M. 1988 (1984), 32f; s.a. K.Meier, Der evangelische Kirchenkampf. Gesamtdarstellung in drei Bänden, Bd. 1: Der Kampf um die "Reichskirche", Göttingen 21984 (Halle 1976), 77 (Anm. 292). G.Frenssen, Der Glaube der Nordmark, Stuttgart 1936, 42f . EvD, Erinnerungen 338.

7. Schlusswort

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Wirkungslosigkeit des Christentums überhaupt in Anspruch zu nehmen. Blieb es ihm selbst doch gewiß: "als Christus einst Fischer und Zöllner mit der Verkündigung vom Himmelreich betraute, da waren es nicht neue Anschauungen, die er in die Welt tragen wollte. Es waren neue Kräfte, und zwar Kräfte, die in reinen, in Gott gebundenen und deshalb auch opferbereiten Persönlichkeiten und in der von ihnen ausgehenden Gemeinschaft sich verkörperten. Sie sind's, an denen das deutsche Volk wie die Kirche der Zukunft einst genesen wird. An den Geist zu glauben, der die Persönlichkeiten schafft, an die Macht, die von ihm ausgeht, ist unsre Aufgabe. Der Weg, auf dem das 'Reich Gottes' 13

noch einmal wirklich kommen wird."

Diese Worte am Ende seiner "Erinnerungen" könnte man als 'Vermächtnis' Dryanders auffassen, denn der Begriff und das Ideal einer 'christlichen Persönlichkeit' haben sein Leben und Wirken ständig begleitet und haben ihn zu einem irenischen Charakter gebildet, der - wie er selbst betonte - "bis ins Alter die positive geistliche Arbeit an den einzelnen und den Aufbau fester kirchlicher Gemeinschaft in Predigt und Seelsorge unendlich viel höher gestellt [hat], als den Streit der Parteien" 14 . Sind die Predigten dieses Seelsorgers und Pädagogen auf der Kanzel unter diesem Aspekt und in ihrer Rückbindung an einfache biblische Wahrheiten auch heute noch anregend geblieben - denn gerade christliche Persönlichkeiten können Verantwortung übernehmen und brauchen sich nicht hinter der Anonymität der verwalteten Welt der Institutionen zu verstecken -, so blieb Dryander mit seinem Desinteresse für gesellschaftliche Strukturen und deren Wirkungen für den einzelnen ebenso in seinen Grenzen wie in der Tatsache, daß seine christlichsittlichen Werte fast problemlos in den traditionellen gesellschaftlichen Werten aufgehen konnten. Die Symbiose zwischen Staat und Kirche war ihm eine Selbstverständlichkeit, und sein Amt bei Hofe empfand er als verpflichtendes Ehrenamt. Kirche aber darf sich nicht einseitig aus der 'Welt' binden lassen, sie muß die Freiheit für das ihr eigene Wort bewahren, kraft derer sie - mit Mehlhausen - "Gelassenheit" gegenüber der staatlichen Kirchenpolitik, eigenen kirchenpolitischen "Mut" zur öffentlichen Bezeugung und Ausführung ihrer Anliegen und theologische "Wachsamkeit" gegenüber gemeinsam zu verantwortenden kirchenpolitischen Entscheidungen inmitten einer kirchlichen

13 14

Ebd. Ebd. 112.

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7. Schlusswort

Meinungsvielfalt gewinnen kann15. Nur so kann die evangelische Kirche ihren Aufgaben in der jeweiligen Zeit und Gesellschaft nicht bloß defensiv wie in der Ära des Schutz- und Trutzbündnisses von 'Thron und Altar' -, sondern offen begegnen und neue Anstöße in evangelischer Freiheit wagen, ohne auf unzulässige Einflüsse Rücksicht nehmen zu müssen.

15

J.Mehlhausen, Kirchenpolitik. Erwägungen zu einem undeutlichen Wort, ZThK 85 (1988), 275-302, 301-302.

LITERATURVERZEICHNIS Α. Quellen 1. Unveröffentlichte Quellen/Archivalia a) Akten des Evangelischen Zentralarchivs in Berlin (EZA) Bestand 1: Eisenocker Kirchenkonferenz und Zusammenschluß zum DEKA 1/A1/266: Protokoll der 29. Tagung der Eisenacher Kirchenkonferenz 1908 1/A1/268: Protokoll der 31. Tagung der Eisenacher Kirchenkonferenz 1912 1/A2/6 : Ergänzung des DEKA durch synodale Elemente 1/A2/89 : Auslandsausschuß des DEKA (1903-1922) 1/A2/413: Schriftwechsel mit der Eisenacher Kirchenkonferenz (1903-1912) 1/A2/424: Repräsentation und Öffentlichkeit (1903-1925) 1/A2/428: Englandfahrt deutscher Kirchenvertreter im Juni 1908 1/A2/440: Veranstaltung kirchlicher Feiern aus Anlaß der 100jährigen Wiederkehr der Schlacht bei Leipzig

Bestand 5: Auslandsdiaspora und Kirchliches Außenamt 5/1290: Besuchsreise deutscher Geistlicher nach England sowie englischer Geistlicher nach Deutschland 5/1291: Friedensfahrt nach England 5/1927: Bereisung der mit dem EOK in Verbindung stehenden deutsch-evangelischen Gemeinden im Orient 5/1928: Reisebericht des Oberhofpredigers D. Dryander v. 24.7.1907 5/1994: Zeitungsausschnitte über deutsch-evangelische Gemeinde Jerusalems 5/1996: Reiseberichte nach Jerusalem Bestand 7: EOK - Generalia et specialia 7/7:

Mitglieder des EOK - Anstellung und Besoldung usw. (1896-1907)

7/18:

Zeitungsausschnitte (Präsidium des EOK)

7/209: Titel und Orden 7/410-413: Einweihung der Erlöserkirche zu Jerusalem 7/428: Einweihung des Berliner Domes (1905) 7/628-639: Ausschnitte aus Zeitungen und Zeitschriften (1893-1910) 7/75 8f: Zeitungsausschnitte zur Ausführung von Art. 15 (Union/Trennung von Staat und Kirche) 7/761: Jahresberichte des EOK an Seine Majestät den Kaiser und König über die Bedürfnisse und die Aufgaben der evangelischen Landeskirche

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Literaturverzeichnis

7/769: Superintendenten (Allgemeines) 7/774f: Generalsuperintendenten (Allgemeines) 7/1070: Einberufung der Generalsuperintendenten zur Beratung im EOK über wichtige kirchliche Fragen 7/1085f: Konferenzen des EOK mit den Konsistorialpräsidenten und Generalsuperintendenten (1871-1907/1908-1925) 7/1221: Gemeinsame Sitzungen des EOK und des Generalsynodalvorstandes 7/1250: Gemeinsame Sitzungen des EOK und des Generalsynodalrates 7/2043: Geistliche und Politik 7/2746f: Allgemeine Bestimmungen wegen Haltung der öffentlichen Kirchengebete, Fürbitten usw. für königliche und fürstliche Personen (1882-1921/1921-1926) 7/2791: Trauerfeiem für I.M. die Königin und Kaiserin Auguste Viktoria 7/2792: Krönungs- und Ordensfest 7/2810: Königsgeburtstagsfeier 7/2827: lOOjähriger Geburtstag Kaiser Wilhelms 7/2831: Glockengeläut 7/2857: Außergottesdienstliche Wortverkündigung 7/2871: Feier des Gedenktages der 500jährigen Herrschertätigkeit des Hohenzollernhauses (1915) 7/2865: Kirchliche Gedenkfeier zur lOOjährigen Wiederkehr des Todestages der Königin Luise 7/2866: Feier des lOOjährigen Geburtstages der Kaiserin Augusta 7/2918: Geistliche Versorgung der Kriegsgefangenen und Flüchlinge (Bd. 1: September 1914 bis Mai 1918) 7/2932: Entsendung von Beauftragten des EOK an die Heeresfronten (1916-1919) 7/3424-3527: Zentralausschuß für Innere Mission 7/3949-3951: Engerer Zusammenschluß der deutschen evangelischen Landeskirchen sowie der DEKA (=EZA 1/A2/11-18) 7/4029: Söderblom/Upsala-Konferenz 1917 7/4729: Emst-Dryander-Stiftung 7/7290: Ev. Gemeinde in Bonn/Rheinland (1852-1920) 7/10144: Torgau/Sachsen (1872-1940) 7/11008-11010: Königliches Konsistorium der Provinz Brandenburg insbesondere Berufung, Anstellung usw. seiner Mitglieder (1887-1890/1890-1891/1891-1893) 7/11063: Anstellung und Besoldung der Generalsuperintendenten (Bd. 2: 1892-1903) 7/11084: Anstellung und Besoldung der Superintendenten (Bd. 3: 1881-1885) 7/11236: Jubiläum des Domkandidatenstifts (1854-1954) 7/11237f: Jahresberichte - Domkandidatenstift 7/11240: Reiseberichte der Domstiftskandidaten/Reisestipendien 7/11401: Dreifaltigkeitskirche zu Berlin (1882-1923) 7/13392: Verein fur Brandenburgische Kirchengeschichte 7/13408: Berliner Hauptverein der Inneren Mission 7/13418f: Evangelisch-kirchlicher Hilfsverein/Evangelische Frauenhülfe (1902-1911/1912-1921) 7/13749-13752: Bestallung der Dom-Geistlichen/Berlin (1890-1928)

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Α. Quellen

Bestand 14/ Acta Abteilung Personalia 14/D4-1 Personalakte Dryander

b) Akten des Archivs des Evangelischen Missionswerkes e.V. Hamburg (EMW) 1: Sammlung der Nationalspende zum Kaiserjubiläum in Preußen, 1913 4: Einladung zur GrUndungsversammlung der Deutschen Evangelischen Missions-Hilfe (DEMH), 1913 5: Verhandlungen betr. Gründung der DEMH, 1913-1914 6: Organisation, Durchführung und Überreichung der Nationalspende zum Kaiserjubiläum, 1913 10: Ortskommitee Berlin der Nationalspende 11: Protokolle über die Sitzungen des Arbeitsausschusses fur die Nationalspende zum Kaiserjubiläum (bzw. betr. DEMH), 1912-1913 16: Grtlndungsverhandlungen und Diskussion über SatzungsentwUrfe der DEMH, 1913 19: Protokolle [der Verwaltungsratssitzungen] der DEMH, 1913ff 42: Reaktionen auf den Kriegsausbruch und Aufrufe der deutschen evangelischen Mission "An die evangelischen Christen im Auslande" sowie ausländische Antworten und Reaktionen auf Kriegsgeschehnisse, 1914-1922 158: Informationsschreiben an den Schirmherrn der DEMH, Wilhelm II., sowie Höflichkeitsschreiben und Versand von Missionsschriften an den Kaiserlichen Hof und hohen Adel 313: Grundsatzreferate, Richtlinien und Überlegungen zur Stellung der DEMH im Missionsleben

2. Veröffentlichte

Quellen

a) Schriften, Predigten und Reden Dryanders - "Anti-Strauß", NEKZ 16 (1874), Nr.l v. 3.1.1874, Sp. 14-16. -

Ein Besuch in den römischen Katakomben, DEB1 1 (1876), 81-100. Der Prozeß Calas und die Toleranz, DEB1 2 (1877), 561-582. Erinnerungen an Amalie von Lasaulx, DEB1 3 (1878), 693-709. Über christliche Charakterbildung [Vortrag, gehalten zu Bremen und Bonn], DEB1 4 (1879), 577-595. - Evangelische Predigten. 1. Sammlung, Bonn '1886 ('1882, Halle "1911): 1. Der Gott des Friedens heilige euch! Predigt am 5. Sonntag n.Trin. 1881 über 1. Thess 5 324, ebd.1-12. 2. Die Entwickelung der Sünde. Predigt am 13. Sonntag n.Trin. 1881 über Jak 1, 13-16, ebd. 1325.

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Literaturverzeichnis

3. Seid geduldig! Predigt am 6. Sonntag n.Trin. 1882 über Jak 5, 7-11, ebd. 26-36. 4. Die seelenrettende Liebe. Predigt am 9. Sonntag n.Trin. 1882 über Jak 5, 19-20, ebd. 37-47. 5. Der weltüberwindende Glaube. Predigt am 14. Sonntag n.Trin. 1882 über 1. Joh 5, 1-4, ebd. 4860. 6. Wer den Sohn hat, der hat das Leben. Predigt am 13. Sonntag n.Trin. 1882 über 1. Joh 5, 11-13, ebd. 61-72. 7. Wenn Du mich demüthigst, machst Du mich groß. Predigt am 4. Sonntag n.Trin. 1881 ü. 2. Sam 22, 36, ebd. 73-84. 8. Christus und die guten Menschen. Predigt am 2. Sonntag n.Epiphanias 1879 über Mt 19, 16-26, ebd. 85-99. 9. Die Veijüngung. Predigt an Jubilate 1882 über Jes 40, 25-31, ebd. 100-111. 10. Das Bild des christlichen Weibes. Predigt an Septuagesimae 1880 über 1. Petr 3, 1 -7, ebd. 112125. 11. Vorbereitung zum h. Abendmahl. Predigt am Gründonnerstag 1880 über Joh 12, 20-23, ebd. 126-136. 12. Das Wort vom Kreuz. Predigt am Karfreitag 1878 über 1. Kor 1, 21-25, ebd. 137-150. 13. Die Glaubensgeschichte der Jünger von Emmaus als ein Spiegelbild unserer Seelengeschichte. Predigt am 2. Ostertag 1880 über Lk 24, 13-35, ebd. 151-166. 14. Die Stimmen Gottes am Jahresschlüsse. Predigt am Sylvesterabend 1881 über Ps 95, 6-8, ebd. 167-178. 15. Wir leben oder wir sterben, wir sind des Heim. Predigt zum Totenfest 1880 über Röm 14, 7-9, ebd. 179-193. 16. Das Evangelium von Christo eine Gotteskraft. Predigt am Reformationsfest 1882 in Berlin [= Antrittspredigt in der Dreifaltigkeitsgemeinde] über Röm 1, 16, [seit der 2. Aufl. hinzugefügt] ebd. 194-208. - Evangelische Predigten. 2. S a m m l u n g : Predigten über das christliche Leben, B o n n 3 1891 (1886, Halle ' 1 9 1 1 ) : 1. Die Wiedergeburt. Predigt an Trinitatis 1884 über Joh 3, 1-8, ebd. 1-13. 2. Suchet, was droben ist. Predigt an Trinitatis 1883 Uber Kol 3, 1-4, ebd. 14-27. 3. Die Erneuerung. Predigt am 1. Sonntag n.Trin. 1883 über Kol 3, 5-11, ebd. 28-40. 4. Die Schönheit des christlichen Lebens. Predigt am 2. Sonntag n.Trin. 1883 über Kol 3, 12-15, ebd. 41-54. 5. Alles im Namen Jesu. Predigt am 6. Sonntag n.Trin. 1883 über Kol 3, 17, ebd. 55-67. 6. Gesegnetes Beten. Predigt am 15. Sonntag n.Trin. 1883 über Kol 4, 2-4, ebd. 68-81. 7. Das feste Herz. Predigt am Sonntag nach Neujahr 1885 über Hebr 13, 9, ebd. 82-94. 8. Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. Predigt am 3. Advent 1885 Uber Mt 11, 25-30, ebd. 95-107. 9. Die Christfreude. Predigt am 1. Weihnachtstag 1885 über Lk 2, 9-11, ebd. 108-120. 10. Heute wirst du mit mir im Paradiese sein. Predigt am Karfreitag 1885 über Lk 23, 39-43, ebd. 121-132. 11. Das offene Grab. Predigt an Ostern 1885 über Mk 16, 1-8, ebd. 133-147. 12. Die Erscheinung des Herrn vor Elias. Predigt am 18. Sonntag n.Trin. 1884 über 1. Kön 19, 118, ebd. 148-162. 13. Nichts kann mich scheiden von der Liebe Gottes. Predigt an Neujahr 1886 über Röm 8, 38-39, ebd. 163-177. - Festpredigt bei der W i e d e r e r ö f f n u n g der Dreifaltigkeits-Kirche[,] gehalten am Sonntag, den 18. April 1886, Berlin 1886. - K o n f i r m a t i o n s g a b e . Drei Reden über K o n f i r m a t i o n u n d Liturgie, Berlin 1888: 1. Konfirmationsrede über Joh 15, 16 am 21. März 1888, ebd. 5-14 (= Gewählt, um Frucht zu bringen [...], in: ders., Gott und Mensch 6-14). 2. Die Konfirmation, ebd. 15-26. 3. Die Liturgie. Rede am 20. Sonntag n.Trin. 1887, ebd. 27-38. - E v a n g e l i u m u n d Volksleben. Predigt über R ö m e r 1, 16 zur E r ö f f n u n g des Preußischen Landtages am 12. N o v e m b e r 1890 in der Schloßkapelle zu Berlin, in: ders., Gott u n d M e n s c h 130-133.

Α. Quellen

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- Das Evangelium Marci in Predigten und Homilien ausgelegt (Die vier Evangelien in Predigten und Homilien ausgelegt, in Verbindung mit Anderen hg. v. Rudolf Kögel, 2. Abtheilung). 1. Hälfte, Bremen 3 1896 (1891, 6 1922): 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Der Wegbereiter (1, 1-8). Am ersten Adventssonntag [o.J.], ebd. 1-9. Wir sahen seine Herrlichkeit (1, 9-13). Am 2. Sonntag n. Epiphanias [o.J.], ebd. 10-19. Das erste Auftreten (1, 14-20). Am Trinitatis-Sonntag [o.J.], ebd. 20-28. Er hat Gewalt (1, 21-35). Am 2. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 29-37. Gebetsstille und Berufsarbeit (1, 35-45). Am 4. Sonntag n. Epiphanias [o.J.], ebd. 38-47. Christus der Seelsorger (2, 1-12). Am 4. Sonntag n.Trin. [o.J ], ebd. 48-56. Die Bedingungen für das Verständnis Christi (2, 13-17). Am 5. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 5765. 8. Das Neue im Christenthum (2, 18-22). Am 6. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 66-74. 9. Der Sonntag (2, 23-28). Am 8. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 75-85. 10. Der Herr im Verkehr mit Freund und Feind (3, 1-12). Am 14. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 8695. 11. Die Apostelwahl (3, 13-19). Am 16. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 96-104. 12. Die Tiefen göttlicher Erbarmung und menschlicher Sünde (3, 20-30). Am 17. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 105-115. 13. Verwandtschaft im Himmelreich (3, 31-35). Am 19. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 116-124. 14. Vielerlei Acker (4, 1-20). Am 9. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 125-135. 15. Allerlei Gleichnisse (4, 21-25.30-33). Am 2. Sonntag n. Epiphanias [o.J ], ebd. 136-144. 16. Das stille Wachstum des Reiches Gottes (4, 26-29). Am 24. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 145153. 17. Die Stillung des Sturmes (4, 35-41). Am 2. Sonntag n. Epiphanias [o.J.], ebd. 154-162. 18. Die Gadarener (5, 1-21). Am 8. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 163-173. 19. Die Erziehung des Jairus zum Glauben (5, 22-43). Am 22. Sonntag n.Trin. (Totenfest) [o.J.], ebd. 174-183. 20. Hindemisse (6, 1-6). Am 10. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 184-192. 21. Der erste Dienst der Apostel (6, 7-13). Am 18. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 193-201. 22. Herodes vor dem Richterstuhl des Täufers (6, 14-29). Am 5. Sonntag n. Epiphanias [o.J.], ebd. 202-211. 23. Die stillen Stunden im Christenleben (6, 30-34). Am Sonntag Cantate [o.J.], ebd. 212-221. 24. Christus der Hausvater (6, 35-44). Am 3. Sonntag n.Trin. [o.J.], 222-230. 25. Die Glaubensprobe des Petras (6, 45-52). Am 4. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 231-239. 26. Scheinen und Sein (6, 53-56/7, 1-13). Am 20. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 240-250. 27. Die Heiligung des Herzens (7, 14-23). Am Sonntag Septuagesimä [o.J.], ebd. 251-260. 28. Der Glaube, welcher Gott Uberwindet (7, 24-30). Am 3. Sonntag n. Epiphanias [o.J.], ebd. 261270. 29. Die Heilung des Taubstummen (7, 31-37). Am 14. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 271-279. 30. Die Fortsetzung des Speisungswunders (8, 1-9). Am 18. Sonntag n.Trin. (Erntedankfest) [o.J.], ebd. 280-288. 31. Die Bedingungen für die Zeichen des Herrn (8, 10-26). Am Sonntag Sexagesimä [o.J.], ebd. 289-298. 32. Du bist Christus (8, 27-9,1). Am 19. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 299-310. 33. Die Verklärung (9, 2-13). Am 17. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 311-321. 34. Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt (9, 14-29). Am 16. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 322-332. 35. Die Mahnung des Kinderfreundes zur Weihnachtsfeier (9, 30-37). Am 4. Adventssonntag [o.J.], ebd. 333-342. 36. Die christliche Weitherzigkeit (9, 38-42). Am Sonntag Septuagesimä [o.J.], ebd. 343-353. 37. Habt Salz bei euch (9, 43-50). Am 10. Sontag n.Trin. [o.J.], ebd. 354-363.

2. Hälfte, Bremen '1897 (1892, 6 1922): 1. Was der Herr von der Ehe lehrt (10, 1-12). Am 6. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 1-13. 2. Christus der Kinderfreund (10, 13-16). Am 7. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 14-24.

398

Literaturverzeichnis

3. 4. 5. 6. 7.

Eins fehlt dir! (10, 17-31). Am 8. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 25-37. Der heilige Ehrgeiz (10, 35-45). Am Sonntag Reminiscere [o.J.], ebd. 38-49. Der Passionsweg (10, 32-34.46-52). Am Sonntag Estomihi [o.J.], ebd. 50-60. Der Einzug in Jerusalem (11, 1-10). Am Sonntag Sexagesimä [o.J.], ebd. 61-69. Die Versuchung des Feigenbaumes und die Tempelreinigung (11, 11-19). Am Sonntag Invocavit [o.J ], ebd. 70-80. 8. Der bergeversetzende Glaube (11, 20-26). Am Sonntag Oculi [o.J.], ebd. 81-91. 9. Die Vollmacht des Herrn (11, 27-33). Am 3. Adventssonntage [o.J.], ebd. 92-102. 10. Die Warnungen des Herrn im Bilde der Weingärtner (12, 1-12). Am 24. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 103-112. 11. Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gotte, was Gottes ist (12, 13-17). 14. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 113-124. 12. Gott ist nicht der Todten, sondern der Lebendigen Gott (12,18-27). Todtenfest [o.J.], ebd. 124135. 13. Das größte Gebot (12, 28-37). Am 3. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 136-146. 14. Das Opfer (12, 38-44). Am 5. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 147-159. 15. Die Gerichtsverkündigung (13, 1-23). Am 17. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 160-171. 16. Wachet! (13, 24-37). Am 25. Sonntag n.Trin. [o.J.], ebd. 172-182. 17. Die Salbung (14, 1-11). Am Sonntag Reminiscere [o.J.], ebd. 183-194. 18. Die Einsetzung des Abendmahls im Zusammenhang der Passionsgeschichte (14, 12-31). Lätare [o.J.], ebd. 195-205. 19. Das Seelenleiden des Herrn in Gethsemane (14, 32-42). Reminiscere [o.J.], ebd. 206-217. 20. Die Erhabenheit des Herrn bei seiner Gefangennahme (14, 43-52). Oculi [o.J.], ebd. 218-229. 21. Die Majestät des Herrn in seinem Schweigen und in seinem Reden (14, 53-65). Judica [o.J.], ebd. 230-241. 22. Die Verleugnung des Petrus (14, 66-72). Lätare [o.J.], ebd. 242-252. 23. Jesusund Barrabas (15, 1-15). Reminiscere [o.J.], ebd. 253-263. 24. Der König in der Dornenkrone (15, 16-26), Lätare [o.J.], ebd. 264-273. 25. Die Huldigungen, welche der Herr in dem Hohn seiner Feinde empfängt (15, 33-37). Charfreitag [o.J.], ebd. 274-283. 26. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (15, 33-37). Charfreitag [o.J.], ebd. 284293. 27. Die Gemeinde unter dem Kreuze (15, 38-47). Gründonnerstag [o.J.], ebd. 294-299. 28. Auferstanden von den Todten (16, 1-8). Ostern [o.J.], ebd. 300-311. 29. Die Lebensmacht des Auferstandenen (16, 9-18). Quasimogeniti [o.J.], ebd. 312-322. 30. Aufgefahren gen Himmel (16, 19-20). Himmelfahrtsfest [o.J.], ebd. 323-335. - Rede[,] gehalten bei der Konfirmationsfeier in der Dreifaltigkeitskirche 1892, Berlin 1892. - R e d e bei der B e g r ü ß u n g des General-Superintendenten der K u r m a r k durch den Evangelischen Oberkirchenrath am 25.11.1892 in der Dreifaltigkeitskirche, Berlin 1892 (= G n a d e u n d Herrlichkeit des geistlichen Amtes. Rede beim Antritt des A m t e s als Generalsuperintendent der K u r m a r k über 1. Kor 4, 1-2 am [...], in: ders., G o t t u n d M e n s c h 166-171) [= in: Pastoral-Bibliothek. S a m m l u n g von Kasualreden, Bd. 15, hg. v. W.Lindem a n n , Berlin 1895]. - Predigt[,] gehalten über 1. Joh 5, 1-4 am 24. September 1895 beim X X V I I I . Congress f ü r Innere Mission in Posen, Posen 1895 (= Unser G l a u b e ist der Sieg, in: ders., Der erste Brief Johannis 233-248). - R e d e bei der Bestattung von Ernst Curtius am 15. Juli 1896, Berlin 1896 (= G r i e c h e n t u m u n d Christentum. Gedächtnisrede über Joh 12, 2 0 - 2 3 bei [...] in der Matthäikirche, Berlin, in: ders., Gott u n d M e n s c h 234-238). - Das heilige Lied. Predigt über Ps 33, 2 - 3 u n d Kol. 3, 16 zur Weihe einer neuen Orgel in der Dreifaltigkeitskirche 1896, in: ders., Gott und Mensch 15-22.

Α. Quellen

399

- Rede, gehalten bei der Konfirmation Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen am 14. März 1897 in der königlichen Schloßkapelle zu Berlin, Berlin 1897. - Der erste Brief Johannis in Predigten ausgelegt, Bremen 1898 (Halle 2 1903): 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Das Leben ist erschienen. Weihnachtspredigt über Kap 1, 1-4, ebd. 1-15. Gott ist Licht! Predigt über Kap. 1,5-10, ebd. 16-34. Der Gehorsam gegen den Herrn. Predigt über Kap. 2, 1-6, ebd. 35-51. Das alte und das neue Gebot: Habt die Brüder lieb! Predigt über Kap. 2, 7-11, ebd. 52-69. Habt nicht lieb die Welt! Predigt über Kap. 2, 12-17, ebd. 70-88. Die Belehrung über die letzte Stunde. Predigt über Kap. 2, 18-27, ebd. 89-105. Bleibet in ihm! Predigt über Kap. 2, 28-3, 3, ebd. 106-122. Wer in ihm bleibt, der sündigt nicht. Predigt über Kap. 3, 4-lOa, ebd. 123-141. Wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen! Predigt an Estomihi 1895 über Kap. 3, 10b-18, ebd. 242-159. 10. Gott ist größer als unser Herz!. Predigt über Kap. 3, 19-24, ebd. 160-177. 11. Prüfet die Geister! Predigt an Jubilate 1895 über Kap. 4, 1-6, ebd. 178-197. 12. Gott ist Liebe. Predigt an Trinitatis 1895 über Kap. 4, 7-12, ebd. 198-215. 13. Furcht und Liebe. Predigt über Kap. 4, 14-21, ebd. 216-232. 14. Unser Glaube ist der Sieg. Predigt am 24.9.1895 in Posen über Kap. 5, 1-4, ebd. 233-248. 15. Die Unumstößlichkeit des Glaubens. Predigt am 13. Sonn. n.Trin. 1895 über Kap. 5, 6-12, ebd. 249-266. 16. Vom Gebet nach Gottes Willen. Predigt am 23. Sonn. n.Trin. 1895 über Kap. 5, 13-15, ebd. 267-286. 17. Von der Fürbitte nach Gottes Willen. Predigt über Kap. 5, 16-17, ebd. 287-306. 18. Christenthum und Welt. Predigt an Septuagesimä 1896 über Kap. 5, 18-21, ebd. 307-323.

- Rede[,] gehalten bei der Einweihung der evangelischen Erlöserkirche zu Jerusalem am 31. Oktober 1898, Berlin 1898 (= Eine evangelische Kirche in Jerusalem. Weiherede über Mt 21, 42 und 1. Kor 3, 11 bei [...], in: ders., Gott und Mensch 161-165). - Das Erntefeld des Herrn. Predigt über Mt 9, 35-38[,] gehalten in der Schlosskirche zu Königsberg, Königsberg 1899. - Die Erziehung zur Nachfolge Christi. Predigt am Sonntag Quasimodogeniti, 9. April 1899, im Interimsdom über Joh 21, 18-22, in: ders., Gott und Mensch 23-31. - Jesus Christus, gestern, heute und in Ewigkeit. Predigt über Hebr 13, 8 und Apg 4, 12 im Mitternachtsgottesdienst zur Jahrhundertwende am 31. Dezember 1899 in der Schloßkapelle, in: ders., Gott und Mensch 134-138. - Rede, gehalten in der Kapelle des königlichen Schlosses zu Berlin bei dem Gottesdienste aus Anlaß der Großjährigkeitserklärung Seiner Kaiserlichen Hoheit des Kronprinzen des Deutschen Reiches und von Preußen am 6. Mai 1900, Berlin 1900 (= Der christliche Charakter. Rede über 1. Kön 2, 2-3 [...], in: ders., Gott und Mensch 139-143). - Dank, der Weg zum Heil Gottes! Predigt über Ps 50, 23 zur Zweihundertjahrfeier der preußischen Königskrönung am 8. September 1901 in der Schloßkapelle in Königsberg, in: ders., Gott und Mensch 144-149. - Zum Gedächtnis des Herrn Prof. Dr. Martin Blumner. Rede im Saale der Sing-Akademie am 21. November 1901, Berlin 1901. - Predigt bei der 500jährigen Jubelfeier der St. Katharinen-Kirche zu Brandenburg a.H. am 13. Oktober 1901, Brandenburg a.H. 1901. - [Vorrede zu: Müller, Johannes L., Abendmahls-Büchlein, 261901.] - Predigt bei der 56. Hauptversammlung des Evangelischen Vereins der Gustav-AdolfStiftung am 7. Oktober 1903 in der großen St. Michaeliskirche zu Hamburg, o.O. 1903

400

Literaturverzeichnis

(= Die Kraft des Evangeliums. Predigt über Röm 1, 16 [...], in: ders., Gott und Mensch 172-181. - Rede[,] gehalten bei der Konfirmation Ihrer Königlichen Hoheiten der Prinzen August Wilhelm und Oskar von Preußen am 17. Oktober 1903 in der Friedenskirche zu Potsdam, Berlin 1903. - Gedächtnisrede für den weiland Präsidenten des Evangelischen Oberkirchenrats Wirkl. Geheimen Rat D. Dr. Barkhausen in der Dom-Interimskirche am 18. Oktober 1903 über Lk 12, 42-44, als Beilage XXXIX in: Verhandlungen der fünften ordentlichen Generalsynode der evangelischen Landeskirche Preußens. 15. Oktober - 4. November 1903, Bd. 2: Beilagen, Berlin 1904, 416-424. - [Vorrede zu: Blau, Paul, 'Wenn ihr Mich kennetet', 1903] - Haltet am Evangelium! Bei der Einweihung der Protestationskirche zu Speyer, 31. August 1904, in: ders., Gott und Mensch 182-192. - Das Erntefeld des Herrn. Ansprache über Matthäus 9, 38 bei der 50jährigen Jubelfeier des Domkandidatenstifts in Berlin am 11. Oktober 1904 in der Stiftskapelle, in: ders., Gott und Mensch 193-200. - Vorrede zu : Conrad, Paul, Das Königliche Domkandidatenstift 1854-1904, Berlin 1904, - Leidet jemand unter euch, der bete, ist jemand guten Muts, der singe Psalmen. Predigt über Jak 5, 13 am 4. Januar 1903 im Interimsdom, Berlin 1904 [Druck des Sonntagsblatts] (= Gebet und Leben. Predigt über [...], in: ders., Gott und Mensch 32-39). - Das hohe Lied der Liebe. Predigt über 1. Kor 13 am Sonntag Estomihi, 4. Februar 1904 im Interimsdom, Berlin 1904 [Druck des Sonntagsblatts] (= dies., in: ders.; Gott und Mensch 40-49). - Reden zur Vermählungsfeier Seiner Kaiserlichen und Königlichen Hoheit des Kronprinzen Wilhelm des Deutschen Reiches und von Preußen mit Ihrer Hoheit der Herzogin Cecilie zu Mecklenburg-Schwerin am 4. und 6. Juni 1905, Berlin 1905: 1. Kirchgangspredigt im Berliner Dom am 4. Juni 1905, ebd. 3-11. (= Die Losung des christlichen Hausstandes. Kirchgangspredigt über Gal 6, 2 [...], in ders., Gott und Mensch 123-129). 2. Traurede [Uber Ruth 1, 16-17,] gehalten in der Kapelle des Königlichen Schlosses am 6. Juni 1905, ebd. 12-16.

- [Vorrede zu: Knapp, Albert, Ewiges und Zeitliches, 1906.] - Das Leben des Apostels Paulus in Predigten ausgelegt, Halle 1905 ( 2 1906): 1. Die Bekehrung des Paulus. Predigt über Apg 9, 1-8, ebd. 1-15. 2. Siehe, er betet! Predigt über Apg 9, 10-16, ebd. 17-30. 3. Paulus als Charakter. Predigt über Apg 14, 8-20, ebd. 31-44. 4. Paulus und Lydia. Predigt über Apg 16, 11-15, ebd. 45-59. 5. Paulus, der Missionar. Predigt über Apg 17, 16-34, ebd. 61-74. 6. Paulus in Korinth. Predigt über Apg 18, 9-10, ebd. 75-89. 7. Paulus und die Johannesjünger. Pfingstpredigt über Apg 19, 1-7, ebd. 91-106. 8. Die Innerlichkeit des persönlichen Christentums Pauli. Predigt über Apg 20, 15-38, ebd. 107-120. 9. Paulus der Märtyrer. Predigt über Apg 21, 7-14, ebd. 121-135. 10. Paulus, der Mann des Gewissens. Predigt über Apg 24, 14-16, ebd. 137-150. 11. Paulus als Zeuge der Wahrheit. Predigt über Apg 24, 24-27, ebd. 151-165. 12. Paulus vor Festus und Agrippa. Predigt über Apg 26, 24-32, ebd. 167-180. 13. Paulus im Schiffbruch. Predigt über Apg 27, 20-29.33-37, ebd. 181-195. 14. Das apostolische Vermächtnis Pauli. Predigt über Apg 28, 30-31., ebd. 197-211.

- Reden zur silbernen Hochzeit Ihrer Majestäten des Kaisers und der Kaiserin und zur Vermählungsfeier Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Eitel Friedrich von Preußen mit Ihrer Hoheit der Herzogin Sophie Charlotte von Oldenburg am 25. und 27. Februar 1906, Berlin 1906:

Α. Quellen

401

1. Predigt im Dom am 25. Februar 1906 über Kol 3, 14, ebd. 1-10. 2. Traurede in der Schloßkapelle am 27. Februar 1906 über 1. Kor 1,8, ebd. 11-17.

- Ein Diener Christi. Gedächtnisrede über 1. Kor 4, 1 bei der Beerdigung von D. Hermann Freiherr von der Goltz am 25. Juli 1906 in der Petrikirche zu Berlin, in: ders., Gott und Mensch 239-244. - Das verborgene Wachstum der Gemeinde Christi. Predigt über Eph 4, 15-16 zur Eröffnung der 29. Deutschen Evangelischen Kirchenkonferenz in Eisenach am 15. Juni 1908 in der Wartburgkapelle, in: ders., Gott und Mensch 201-208 (= Anlage Β zum Protokoll der 29. Tagung der Deutschen Evangelischen Kirchenkonferenz, EZA 1/A1/266, 21 masch. Seiten). - Von dem unersetzlichen Gut eines reinen Herzens. Predigt über Mt 5, 8 am 6. Sonntag n.Trin., 7. Juli 1907, im Berliner Dom, Berlin 1908 [Druck des Sonntagsblattes] (= dies., in ders., Gott und Mensch 50-57). - Festpredigt anläßlich des Besuchs britischer Kirchenmänner im Dom von Berlin 1909, Berlin 1909 (= Salz und Licht - der Weltberuf der Christen. Predigt am 13. Juni 1909 [...], in: ders., Gott und Mensch 209-217; teilweise abgedruckt als: Deutschland und England, Die Eiche 1 (1913), 81-83). - [Vorrede zu: Morgan, G. Campbell, Alles neu, Berlin 1909.] - Rede [,] gehalten bei der Konfirmation Ihrer Königlichen Hoheit der Prinzessin Viktoria Luise von Preußen am 18. Oktober 1909 in der Friedenskirche zu Potsdam, Berlin 1909. - Ansprachen [,] gehalten bei der gottesdienstlichen Feier zum Amtsantritt des Generalsuperintendenten Stolte am 20. Januar 1910 im Dom zu Magdeburg von Oberhofprediger D. Dryander, Generalsuperintendent Stolte und Superintendent Trümpelmann, Magdeburg 1910 (z.T. = Weltüberwindung. Ansprache über 1. Joh 5, 4 bei der Einführung des Generalsuperintendenten der Provinz Sachsen am 20. Januar 1910 im Dom zu Magdeburg, in: ders., Gott und Mensch 218-224). - Die Herrlichkeit Christi. Predigt über Joh 6, 66-69 am Sonntag Estomihi, 6. Februar 1910, im Berliner Dom, in: ders., Gott und Mensch 58-67. - [Zwei Predigten am Totenfest und am 2. Advent 1910, Berlin 1910.] (= Die zukünftige Stadt. Predigt über Hebr 13, 14 am Totensonntag, 20. November 1910, im Dom, in: ders., Gott und Mensch 68-75, sowie Die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes. Predigt über Jes 40, 1-5 am 2. Advent, 4. Dezember 1910, im Dom, ebd. 76-84). - Geleitwort zu: Lucas, Bernhard, Gespräche Christi [Conversations with Christ] aus dem Englischen von Fr.Siegmund-Schultze, Berlin 1910, V-VIII. - Glaube! Predigt über 2. Mose 14, 13 am Neujahrstag 1911 in der Berliner Schloßkapelle, in: ders., Gott und Mensch 150-154. - Geleitwort zu: Carpenter, William Boyd, Erlebt! Christi Bedeutung für die Gegenwart [The Witness of the Influence of Christ], Berlin 1912, III-VI. - Der Grund der Kirche. Predigt über 1. Kor 3, 11-13 am 4. Sonntag n.Trin., 9. Juli 1911, im Berliner Dom, Berlin 1911 (= dies., in: ders., Gott und Mensch 85-95). - Predigt über 1. Petr 2, 9 zum Reformationsfest am 5. November 1911, Berlin 1911. - [Ansprachen bei der gottesdienstlichen Feier zum Amtsantritt des Generalsuperintendenten D. Gennrich am 22. Februar 1912 im Dom zu Magdeburg von D. Oberhofprediger Dryander, dem Generalsuperintendenten D. Gennrich und dem Superintendenten Konsistorial-Rat Gutschmidt, Magdeburg 1912.]

402

Literaturverzeichnis

- [Ansprache gehalten bei der gottesdienstlichen Feier zum Amtsantritt des Generalsuperintendenten Schüttler 1912 in Königsberg, Angerburg 1913.] - Die außergottesdienstliche Wortverkündigung durch die Geistlichen. Referat auf der 31. Tagung der Eisenacher Kirchenkonferenz im Juni 1912, (Beilage zur 31. Tagung [...], EZA 1/A1/268, 69 masch. Seiten; versch. Sonderdrucke ab 1912) Stuttgart 1914. - [Ansprache bei der Eröffnungsfeier des Jugendheimhauses, Berlin 1912.] - Das Vaterunser in acht Predigten ausgelegt, Halle 1912 ( 3 1913): 1. Die Anrede: Unser Vater in dem Himmel! Predigt über Mt 6, 9 am 3. Sonntag n.Trin. (12. Juni 1910), ebd. 1-18. 2. Die erste Bitte: Dein Name werde geheiligt! Predigt über Mt 6, 9 am 4. Sonntag n.Trin. (19. Juni 1910), ebd. 19-36. 3. Die zweite Bitte: "Dein Reich komme." Predigt über Mt 6, 10 am 5. Sonntag n.Trin. (26. Juni 1910), ebd. 37-52. 4. Die dritte Bitte: "Dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel." Predigt über Mt 6, 10, ebd. 53-69. 5. Die vierte Bitte: Unser täglich Brot gib uns heute! Predigt über Mt 6, 11, ebd. 71-86. 6. Die fünfte Bitte: Und vergib uns unsre Schuld, wie wir unsern Schuldigern vergeben. Pred. über Mt 6, 12, ebd. 87-103. 7. Die sechste Bitte: Und führe uns nicht in Versuchung. Predigt über Mt 6, 13, ebd. 105-119. 8. Die siebente Bitte; "Sondern erlöse uns von dem Übel". Predigt über Mt 6, 13, ebd. 121-135.

- Predigt [,] gehalten bei der Jahrhundert-Feier der Erhebung Preußens und der Freiheitskriege im Dom zu Berlin am 10. März 1913, Berlin 1913 (= Die heiligen Wege Gottes. Predigt über Ps 77, 12-16 [...], in: ders., Gott und Mensch 155-160). - Reden zur Vermählungsfeier Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Ernst August Herzog zu Braunschweig und Lüneburg und Ihrer Königlichen Hoheit der Prinzessin Viktoria Luise von Preußen in der Schloßkapelle zu Berlin am 24. Mai 1913 und zur Vermählungsfeier Seiner Durchlaucht des Prinzen Heinrich XXXIII. Reuß und Ihrer Königlichen Hoheit der Prinzessin Viktoria Margarete von Preußen am 17. Mai 1913, Berlin 1913: 1. Rede [...] am 24. Mai 1913, ebd. 3-8. 2. Rede am 17. Mai 1913, ebd. 9-13.

- [Predigt gehalten bei der Jahrhundertfeier der Leipziger Schlacht am 18. Oktober 1913 im Dom zu Berlin, Berlin 1913.] - Evangelische Reden in schwerer Zeit, 24 Hefte; Berlin 1914-1921. - Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? Predigt zur Eröffnung des Reichstags über Röm 8, 31 am 4. August 1914 im Berliner Dom, in: ders., Ev. Reden 1 (1914), 510 (u.a. abgedruckt in: Ein feste Burg. Denkmäler evangelischer und deutscher Art aus schwerer Zeit, hg. v. B.Doehring, Berlin (1914) 3 1921[!], 19-21). - Meine Seele ist stille zu Gott. Predigt über Ps 62, 1-9 am 23. August 1914, als Nr. 5 [mit dieser Predigt setzt eine laufende Numerierung der Ev. Reden ein], in: ders., Ev. Reden 2 (1914), 5-14. - Am Sedantage. Predigt über Ps 118, 14-19 am 2. September 1914, in: ders., Ev. Reden 1 (1914), 11-19. - Predigt, gehalten im Dom zu Berlin am 6. September 1914, Berlin 1914 (= Das Leben filr die Brüder! Predigt über 1. Joh. 3, 16 [...], in: ders., Ev. Reden 1 (1914), 20-28). - Dennoch! Predigt in einer Kriegsbetstunde über Ps 73, 23-26, in: ders., Ev. Reden 1 (1914), 29-37. - "Uns ist bange, aber wir verzagen nicht." - Biblische Ansprache über 2. Kor 4, 8-11 am 21. September 1914, in: EvD/Axenfeld, Karl, Mission und Vaterland. Deutschchristliche Reden in schwerer Zeit, gehalten am 21. September 1914 in Berlin zur

Α. Quellen

403

Feier des 25jährigen Bestehens des brandenburgischen Provinzialverbandes für die Berliner Missionsgesellschaft, Berlin 1914, 3-6. Das Opfer. Predigt über Mk 9, 49 am Erntedankfest, 4. Oktober 1914, als Nr. 6 in: ders., Ev. Reden 2 (1914), 15-23. Das Gebet des Gerechten. Predigt über Jak 5, 16b-18 am 18. Oktober 1914, als Nr. 7 in: ders., Ev. Reden 2 (1914), 24-32. Christentum und Krieg. Kriegsbetstunde am 23. Oktober 1914 (Joh 18, 36-37), als Nr. 8 in: ders., Ev. Reden 2 (1914), 33-42. Lieder für Kriegsbetstunden, hg. v. EvD, Berlin o.J. [1914]. Aus des Kaisers Rüstkammer, in: So ziehn wir aus zur Hermannsschlacht. Ein Appell an deutsche Krieger, Berlin 1914, 3-6. Am Totensonntage. Predigt über Mt 5, 4 am 22. November 1914, als Nr. 9 in: ders., Ev. Reden 3 (1915), 5-12. Kriegsbetstunde am 11. Dezember 1914 (1. Kor 4, 1-2), als Nr. 10 in: ders., Ev. Reden 3 (1915), 13-20. Weihnachts-Gedanken in der Kriegszeit (Zwischen Krieg und Frieden, H. 10), Leipzig 1914. Weihnachten 1914. Predigt über Lk 2, 10, als Nr. 11 in: ders., Ev. Reden 3 (1915), 21-30. Sonntag nach Neujahr. Predigt über Röm 8, 28 am 3. Januar 1915, als Nr. 12 in: ders., Ev. Reden 3 (1915), 31-40. Die Nachfolge Jesu. Predigt über Mt 16, 24 am Sonntag Invocavit, als Nr. 13 in: ders., Ev. Reden 4 (1915), 5-13. Der Herr dein Gott ist mit dir! Predigt über Jos 1, 9 am Sonntag Reminiscere, als Nr. 14 in: ders., Ev. Reden 4 (1915), 14-23. Recht kämpfen. Predigt über 2. Tim 2, 3.5 am Sonntag Okuli, als Nr. 15 in: ders., Ev. Reden 4 (1915), 24-32. Aufsehen auf Jesum. Predigt über Hebr 12, 1-2 am Sonntag Lätare, als Nr. 16 in: ders., Ev. Reden 4 (1915), 33-42. Jesu Stellung zum Patriotismus, als Nr. 17 in: ders., Ev. Reden 5 (1915), 5-17 [Sonderdruck aus: Deutsche Revue 6 (1915)]. Die Stellung Jesu zum Kriege, als Nr. 18 in: ders., Ev. Reden 5 (1915), 18-35 [Sonderdruck aus: Deutsche Revue 7 (1915)]. Persönliche Erinnerungen an Bismarck, in: Erinnerungen an Bismarck. Aufzeichnungen von Mitarbeitern und Freunden des Fürsten, hg. v. Mareks, Erich/Müller, Karl Alexander von, Stuttgart - Berlin (5)1915, 157-176 (leicht verändert = Bismarcks religiöse Stellung nach persönlichen Eindrücken, als Nr. 25 in: ders., Ev. Reden 7 (1916) 25-44). Gott mit uns! Grüße an unsere Feldgrauen, Berlin - Leipzig o.J. [1915]. Der lebendige Gott (Kriegs-Flugblatt Nr. 1), Berlin o.J. [1915]. Werfet euer Vertrauen nicht weg! Predigt über Hebr 10, 35-36 zum Jahrestag des Kriegs— anfangs am 9. Sonntag n.Trin., 1. August 1915, als Nr. 19 in: ders., Ev. Reden 6 (1915), 5-13. Die christliche Demut. Predigt über Lk 14, 11 am 17. Sonntag n.Trin., 26. September 1915, als Nr. 20 in: ders., Ev. Reden 6 (1915), 14-22. Der Gewinn der Gottseligkeit. Predigt über 1. Tim 6, 6-8 zum Erntedankfest am 3. Oktober 1915, als Nr. 21 in: ders., Ev. Reden 6 (1915), 23-31.

404

Literaturverzeichnis

- Gott war mit uns! Jubelfeier der 500jährigen Hohenzollemherrschaft in der Mark (Predigt über 1. Kön 8, 57-58 am 21. Sonntag n.Trin., 24. Oktober 1915), als Nr. 22 in: ders., Ev. Reden 6 (1915), 32-40. - Jesus, das Licht der Welt. Predigt über Joh 8, 12 am 6. Sonntag n.Epiph., 13. Februar 1916, als Nr. 23 in: ders., Ev. Reden 7 (1916), 5-14. - Rede[,] gehalten bei der Trauung Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Joachim von Preußen mit der Durchlauchtigsten Prinzessin Marie Auguste von Anhalt am 11. Marz 1916 im Schlosse Bellevue zu Berlin, Berlin 1916. - Opfern und Dienen. Predigt über Mt 20, 25-28 am Sonntage Invokavit, 12. März 1916, als Nr. 24 in: ders., Ev. Reden 7 (1916), 15-24. - Karfreitagsbetrachtung über Lk 23, 39-43 im Konzertsaal der Singakademie, als Nr. 25 bzw. 26 [die Nr. 25 war schon für den Beitrag über Bismarck vergeben, s.o.] in: ders., Ev. Reden 8 (1916), 5-16. - Ostergrüße 1916. Predigt über 1. Kor 15, 57, als Nr. 26 bzw. 27 in: ders., Ev. Reden 8 (1916), 17-26. - Der Geist macht lebendig. Pfingstbetrachtung 1916 über Hes 37, 1-4.12-14, als Nr. 27 bzw. 28 in: ders., Ev. Reden 8 (1916), 27-36. - Erntedank. Predigt über Ps 50, 23, als Nr. 29 in: ders., Ev. Reden 9 (1916), 3-12. - Stehet im Glauben. Predigt über 1. Kor 13, 14, als Nr. 30 in: ders., Ev. Reden 9 (1916). - Neu werden! Predigt über Eph 4, 22-26, als Nr. 31 in: ders., Ev. Reden 9 (1916). - Reformationsfest. Predigt über Röm 1, 16, als Nr. 32 in: ders., Ev. Reden 9 (1916). - Totensonntag 1916. Predigt über Ps 125, 5-6, als Nr. 33 in: ders., Ev. Reden 10 (1917), 312. - Kriegs-Weihnacht, Leipzig 1916. - Silvesterabend 1916. Predigt über Jes 30, 18-19, als Nr. 34 in: ders., Ev. Reden 10 (1917), 13-21. - Die Herrlichkeit des christlichen Hauses. Predigt über Joh 2, 11 am 2. Sonntag n.Epiph., 14. Januar 1917, als Nr. 35 in: ders., Ev. Reden 10 (1917), 22-31. - Kaiser-Geburtstags-Predigt. Am 27. Januar 1917(2. Mose 14, 13-14), als Nr. 36 in: ders., Ev. Reden 10 (1917), 32-39. - Sonntag Cantate. Predigt über Ps 145, 18 am 6. Mai 1917, als Nr. 37 in: ders., Ev. Reden 11 (1917), 3-10. - 4. Sonntag nach Trinitatis. Predigt über Mt 5, 13-16 am 1. Juli 1917, als Nr. 38 in: ders., Ev. Reden 11 (1917), 13-22. - Luther, der deutsche Prophet, als Nr. 39 in: ders., Ev. Reden 11 (1917), 23-42 [Sonderabdruck aus: Deutsche Revue 7 (1917)]. - Luther, den tyske profeten, Stockholm 1917. - 10. Sonntag nach Trinitatis. Predigt über Röm 3, 28 am 12. August 1917 im Berliner Dom, als Nr. 40 in: ders., Ev. Reden 12 (1917), Zur Reformationsfeier, 3-11 (= Von der Rechtfertigung aus dem Glauben. [...], in: ders., Gott und Mensch 96102). - 1 1 . Sonntag nach Trinitatis. Predigt über 1. Petr 2, 9 am 19. August 1917, als Nr. 41 in: ders., Ev. Reden 12 (1917), Zur Reformationsfeier, 12-20 (= Von der Dienstpflicht des allgemeinen Priestertums. [...], in: ders., Gott und Mensch 103-109). - Am vierhundertjährigen Gedächtnistage der Reformation. Predigt über Gal 5, 1 am 31. Oktober 1917, als Nr. 42 in: ders., Ev. Reden 12 (1917), Zur Reformationsfeier, 21-30

Α. Quellen

405

(= Von der Freiheit eines Christenmenschen. [...], in: ders., Gott und Mensch 1 ΙΟΙ 17). Luther und das deutsche Haus (Vortrag im Dom am 8. Oktober 1917), als Nr. 43 in: ders., Ev. Reden 12 (1917), Zur Reformationsfeier, 31-52 [Sonderabdruck aus: Deutsche Revue 11 (1917], 2. Advent. Predigt über Joh 14, 27 am 9. Dezember 1917, als Nr. 44 in: ders., Ev. Reden 13 (1918), 3-11. Epiphanias. Predigt über Hebr 13, 8 am 6. Januar 1918, als Nr. 45 in: ders., Ev. Reden 13 (1918), 12-20. Von christlicher Erziehung und Jugendpflege. Predigt gehalten am 1. Sonntag nach Epiphanias, 13. Januar 1918, Berlin 1918. Ansprache bei der Trauerfeier für Bernhard Weiß vom 17. Januar 1918, in: Scheffen, Wilhelm (Hg.), D. Dr. Bernhard Weiß zum Gedächtnis, Berlin 1918, 5-9. Rede zur Feier des Geburtstags Seiner Majestät des Kaisers im Dom (am 27. Januar 1918 über Jes 40, 31), als Nr. 46 in: ders., Ev. Reden 14 (1918), 3-9. Rede bei der Versammlung der Berliner Frauenhilfe im Dom (Sexagesimae, 3. Februar 1918, über Mk 14, 8), als Nr. 47 in: ders., Ev. Reden 14 (1918), 10-19. Sonntag Okuli. Predigt am 3. März 1918 über Eph 5, 1-2, als Nr. 48 in: ders., Ev. Reden 15 (1918), 3-12. Rede bei der Huldigungsfeier der Auslandsdeutschen vor Ihren Majestäten dem Kaiser und der Kaiserin im Dom (am 13. März 1918 über Ps 20, 6), als Nr. 49 in: ders., Ev. Reden 15 (1918), 13-19. Karfreitag. Predigt über Lk 23, 46 am 29. März 1918 im Saale der Singakademie, als Nr. 50 in: ders., Ev. Reden 16 (1918), 3-11. 2. Osterfeiertag. Predigt über 1. Kor 15, 17-20 am 1. April 1918, als Nr. 51 in: ders., Ev. Reden 16 (1918), 12-21. Ansprache im Neuen Palais über Hebr 10, 35 am 14. November 1918, in: ders., Deutsche Predigten 155-157. Totenfest. Predigt am 26. Sonntag n.Trin., 24. November 1918 über Lk 20, 37-38, als Nr. 52 in: ders., Ev. Reden 17 (1918), 3-13 (= Gott leben alle Toten. [...], in: ders., Deutsche Predigten 1-8). 1. Advent. Predigt am 1. Dezember 1918 über Jes 40, 1-5, als Nr. 53 in: ders., Ev. Reden 17 (1918), 14-23 (= Die Herrlichkeit des Herrn. [...], in: ders., Deutsche Predigten 9-15). [Adventsgruß (Kriegsgefangenen-Grüße, H. 15), Bad Nassau o.J. [1918].] Stärke uns den Glauben. Predigt über Lk 17, 5-6 am 3. Sonntag n.Epiphanias, 26. Januar 1919, in: ders., Deutsche Predigten 16-22. 5. Sonntag nach Epiphanias. Predigt über Hebr 10, 23-25 am 9. Februar 1919, als Nr. 54 in: ders., Ev. Reden 18 (1919), 3-14 (= Was hat unser Volk an seiner Kirche? [...], in: ders., Deutsche Predigten 23-31). Der Geist der Furchtlosigkeit. Predigt über 2. Tim 1,7 am 23. Februar 1919 (Sexagesimae), in: ders., Deutsche Predigten 32-39. Gedanken des Friedens und nicht des Leides. Predigt über Jer 29, 10-14 am 16. März 1919 (Invokavit), in: ders., Deutsche Predigten 40-46. Kommet her zu mir. Beichtrede über Mt 11, 27 am Gründonnerstag, 16. April 1919, in: ders., Deutsche Predigten 47-49. Wie Osterglaube entsteht. Predigt über Lk 24, 13-35 am Ostermontag, 21. April 1919, in: ders., Deutsche Predigten 58-64.

406

Literaturverzeichnis

- Rede bei der Wiedereröffnung des Domkanidatenstifts am Sonntag Miserikordias Domini (4. Mai 1919), als Nr. 55 in: ders., Ev. Reden 19 (1919), 3-15. - Wiederaufbau. Predigt über 1. Petr 2, 4-5 am 2. Sonntag n.Trin., 29. Juni 1919, in: ders., Deutsche Predigten 50-57. - Aufgaben der Kirche. Ein Wort in emster Zeit, Berlin 1919. - Eröffhungspredigt über Eph 3, 14-21 zum 1. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden am 1. September 1919 in der Kreuzkirche, in: Verhandlungen des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Dresden 1.-5. September 1919, 46-53 (= Die Quellen der Kraft für den Neubau der Kirche. [...], in: ders., Gott und Mensch 225-233). - Der Kaiser, Berlin o.J. [1919], - Wollte der Kaiser den Krieg? Persönliche Eindrücke, Berlin 1919. - Die Weihnachtsbotschaft an unser Volk. Predigt über Joh 1, 14.16-17 am 26. Dezember 1919, in: ders., Deutsche Predigten 65-71. - Dennoch! Jahresschlußansprache über Jes 27, 5 am 31. Dezember 1919, in: ders., Deutsche Predigten 72-77. - Die Macht des Wortes Jesu. Predigt über Joh 8, 31-32 am 11. Januar 1920 (1. Sonntag n.Epiph.), in: ders., Deutsche Predigten 78-84. - Arbeitet, denn Gott ist mit euch! Predigt über Hag 2, 4-5 am 8. Februar 1920 (Sexagesimae), in: ders., Deutsche Predigten 85-92. - Ein festes Herz. Predigt Uber Hebr 13, 8-9 am 25. April 1920 (Jubilate), in: ders., Deutsche Predigten 93-98. - Gottes Schweigen. Predigt über Ps 28, 1 am 9. Mai 1920 (Rogate), in: ders., Deutsche Predigten 99-104. - Hausweihe im Haus Doorn. Rede am 1. Pfingstfeiertag, 23. Mai 1920, Berlin 1920. - Die Aufgabe der heutigen Predigt. Aus der Ehrengabe zum 50jährigen Amtsjubiläum von D. Dibelius, Dresden 1920, in: ders., Gott und Mensch 1-5 [aus: Pastoralblätter 63 (1920), H. 10f]. - Jesus und die Masse. Predigt über Mt 9, 35-38 am 18. Juli 1920 (7. Sonntag n.Trin.), in: ders., Deutsche Predigten 105-110. - Es ist in keinem andern Heil. Predigt über Apg 4, 12 am 1. August 1920 (9. Sonntag n.Trin.), in: ders., Deutsche Predigten 111-117. - Siehe, dein König kommt zu dir. Predigt auf Veranlassung des Akademischen Senats der Universität Wittenberg im Dom zu Halle am 1. Advent 1920, Halle 1921. - Vertrauen zu Gott. Predigt über Hebr 10, 35- 39 am 9. Januar 1921 (1. Sonntag n.Epiph.), in: ders., Deutsche Predigten 118-122. - Die Botschaft des Kreuzes. Predigt über Joh 19, 17 am 27. Februar 1921 (Okuli), in: ders., Deutsche Predigten 123-129. - Vater, vergib! Predigt über Lk 23, 34 am Karfreitag, 25. März 1921, in: ders., Deutsche Predigten 130-134. - Doorn - Potsdam. Worte der Erinnerung an den 17. und 19. April 1921, Berlin 1921 (= Rede im Haus Doorn nach dem Heimgang der Kaiserin über Apk 2, 10 am 17. April 1921 sowie Rede auf der Trauerfeier in der Rotunde im Neuen Garten in Potsdam über Ps 126 am 19. April 1921, in: ders., Deutsche Predigten 158-162 bzw. 163-167). - [Bewährt und verklärt! Der letzte Gruß der dankbaren Domgemeinde an ihre Kaiserin. Rede, Göttingen 1921.] - Fürchtet Gott. Predigt über 1. Sam 12, 20-24 am 10. Juli 1921 (7. Sonntag n.Trin.), in: ders., Deutsche Predigten 135-140.

Α. Quellen

407

- Welterneuerung. Predigt über Mt 13, 33 am 17. Juli 1921 (8. Sonntag n.Trin.), in: ders., Deutsche Predigten 141-147. - Neujahr 1922. Predigt über 4. Mose 6, 22-27, abgedr. bei: Kähler, E.v.Dryander 3 5 - 4 1 . - Sturm und Stille. Predigt, Berlin 1922 ( = dies. Predigt über Mt 8, 23-27 am 29. Januar 1922, in: ders., Deutsche Predigten 148-154). - [Lob der Liebe. Predigt, Berlin 1922.] - Das Christentum will betende Männer! Predigt über 1. Tim 2, 8 am 5. Februar 1922, Berlin 1922. - Erinnerungen aus meinem Leben, Bielefeld - Leipzig 3 1923 (1922, ab 2 1 9 2 2 erweitert, 4 1926). - Unser Glaube ist der Sieg. Predigt am Sonntag Okuli, den 19. März 1922, über 1. Joh 5, 4, abgedr. bei: Kähler, E.v.Dryander 42-47. - [Karfreitag. Predigt, Berlin 1922.](= Karfreitag. Predigt am 14. April 1922 über Lk 2 3 , 46, abgedr. bei Kähler, E.v.Dryander 47-52). - [Der Friede Christi. Predigt am Sonntag nach Ostern, Berlin 1922.] - Briefe an die Kaiserin nach der Revolution, abgedr. bei Kähler, E.v.Dryander 5 3 - 8 6 . - Lehrfreiheit und Lehrgebundenheit in der evangelischen Kirche [1920, posthum ver-öffentlicht], PrJ 191 (1923), 207-210. - Deutsche Predigten aus den Jahren vaterländischer Not, hg. v. Carl Grüneisen, Halle ( 1 9 2 3 ) 2

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Anhang Α. Personenregister Seitenangaben, die kursiv gesetzt sind, verweisen auf den Anmerkungsapparat

Abdul Hamid II., Sultan 136, 141, 282-283, 286, 287 Achelis, Ernst Christian 50 Ackermann, Oskar 132 Adalbert, Prinz von Preußen 201, 249, 261, 383 Albrecht von Preußen 270 Alvensleben, Baronin von 236 Arndt, Ernst Moritz 272, 274, 275, 320, 329 Augusta, Gemahlin Wilhelms I. 173, 179, 181, 197 Auguste Viktoria, Gemahlin Wilhelms II. 2, 8, 113, 131, 181, 183, 197-200, 204, 227, 237, 248, 256, 260, 285, 287, 301, 302, 304, 355, 367-372, 377-379, 381-383 Augustin 17 Axenfeld, Karl 312, 343, 346-348, 351-353 Babut, Charles 342, 343, 345, 347, 350 Bach, Johann Sebastian 230 Baden, Max Prinz von 364, 365 Baker, Allan 142, 143, 144, 148 Baltzer, Otto 53-54, 167, 322 Barkhausen, Friedrich Wilhelm 88, 90, 92-94, 98, 116, 117, 120, 122, 130, 153, 181, 209, 226, 280-282, 289 Barth, Karl 7, 24, 321, 345, 387, 388 Bassermann, Heinrich 53, 60, 64 Baumgarten, Otto 65, 155, 219, 321, 322, 335 Baur, Friedrich Wilhelm 28, 82, 115, 183 Bayer 180

Beck, Johann Tobias 20, 30, 60, 99 Bengel, Albrecht 321 Berner, Max 312, 314, 346 Beseler, Hans von 357 Bethmann-Hollweg, Moritz August 21 Bethmann-Hollweg, Theobald von 106, 235, 388 Beyschlag, Willibald 17, 21, 22, 24, 30, 32, 35, 36, 60, 80-82, 83, 88, 130, 152, 186, 187, 193, 281-284 Bezzel, Hermann 330, 347, 349, 351, 357 Bieberstein, Marschall von 134 Bismarck, Otto Fürst von 35, 42-45, 78, 79, 87, 93, 183, 215, 217, 230, 266, 320, 329, 340, 360 Blumhardt, Johann Christoph 21 Blumhardt, Christoph 321 Bodelschwingh, Friedrich von 347 Boehmer, Heinrich 330 Boetticher, Karl Heinrich von 43, 198 Bonhoeffer, Dietrich 47 Borowski, Ernst Ludwig von 177, 192, 255 Bosse, Robert 187, 205-209 Braun, Theodor 94, 198, 210 Brückner, Benno Bruno 40, 85-87, 96, 182 Bülow, Bernhard Fürst von 224, 236, 251, 260, 261, 263, 280, 287 Bunke, Ernst 123, 167, 244 Calas, Jean 36 Carlyle, Thomas 146, 219, 245 Carpenter, William Boyd 146, 245-247

Α. Personenregister

Cecilie, pr.-dt. Kronprinzessin 249, 256-258 Chalybäus, Heinrich 132 Chamberlain, Houston Stewart 219, 226-231, 245-247, 307, 375 Chamisso, Adalbert von 16 Chelius, von 364 Christlieb, Theodor 38 Cremer, August Hermann 109 Curtius, Ernst 43, 57 Davidson, Randall 349, 353-355 Dehn, Günther 2, 47, 111, 150, 156, 163, 251, 255, 264, 376, 381, 382 Deines, General von 197, 198, 200 Deißmann, Adolf 347, 352 Delbrück, Familie 15, 42 Delbrück, Clemes von 16, 370 Delbrück, Franziska 15 Delitzsch, Friedrich 120, 242-244, 247 Deuterojesaja 371 Dibelius, Franz 33, 321 Dibelius, Otto 33, 141, 142, 177, 320, 321, 372, 377, 386, 388-390 Doehring, Bruno 1, 3, 319, 321, 326, 341, 386, 387 Donner, Bernhard 24 Domer, Isaak August 22-24 Drews, Arthur 158 Drews, Paul 65 Dreyer, Otto 50 Dryander, Gottfried von /, 67, 240, 252, 318, 385, 388 Dryander, Hermann Ludwig 15, 17, 18, 24, 80, 81 Dlirant, Freiherr von 116-118 Edward VII., König von England 142, 145 Eggers, Friedrich 32 Eitel-Friedrich, Prinz von Preußen 197, 201, 249, 258-260 Elisabeth, Gemahlin Friedrich Wilhelms IV. 29 Enzinas, Francisco und Jaime de 15 Ernst der Fromme 130

Erzberger, Matthias 388 Eulenburg, Botho von 43, 260, 364 Eusebius 188 Eylert, Friedrich 192 Faber, Wilhelm Adolf 106, 142, 143, 147, 186, 197, 198, 205-208, 264, 313, 314 Falk, Adalbert 7, 78, 79, 81, 82, 192 Fichte, Johann Gottlieb 219, 323, 329, 332, 333 Fontane, Theodor 42, 93 Frank, Walter 262, 264, 306 Franz Joseph, Österreich. Kaiser 249 Frenssen, Gustav 390 Friedrich der Weise 202 Friedrich (III.) I. 202, 265, 270 Friedrich II. (der Große) 2, 188, 202, 217, 266 Friedrich III. 179, 192, 295, 296 Friedrich Wilhelm, pr.-dt. Kronprinz 197, 201-203, 204, 251, 227, 249, 251, 256, 257, 358, 365, 368, 383, 388 Friedrich Wilhelm I. (der große Kurfürst) 2, 189f, 202, 320 Friedrich Wilhelm III. 177, 191, 255, 294, 295 Friedrich Wilhelm IV. 16, 28, 115, 217, 239, 257, 265, 280, 294 Friedrich Wilhelm von Braunschweig 197 Frommel, Emil 50, 60, 93, 197, 264, 265 Fuchs, Emil 71 Georg Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg 188 Goethe, Johann Wolfgang von 219, 230, 246 Göhre, Paul 71, 244, 247 Goltz, Hermann von der 39, 82, 85, 87, 88, 90, 92, 94, 96, 107, 108, 122, 123, 125, 127, 163, 251, 264, 290, 303, 321 Goßler, Gustav von 43, 84-86, 93, 182 Groener, Wilhelm 364 Haggai 371

427

428

Hamann, Johann Georg 321 Hammerstein, Wilhelm von 43 Harnack, Adolf von 7, 87, 97, 98, 100, 106, 120, 127, 149, 151, 157, 163, 164, 217, 225, 227, 241-247, 263, 307, 312, 318, 321, 346 Haussleiter, Johannes 347 Hefele, Karl Joseph 21 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 19, 273, 321 Hegel, Immanuel von 84-86, 88, 183, 313, 314, 316 Heinrich, Prinz von Preußen 224 Heinrici, Georg 33 Helbing, Albert 132 Hengstenberg, Ernst Wilhelm 22, 163 Herder, Johann Gottfried 219, 274, 321, 333 Hermann von Salza 270 Hermes, Ottomar 82, 87, 88, 180, 181, 183, 185, 186 Hertmann, Emil 7, 39, 78, 79, 81, 88, 94, 128, 192 Herrmann, Wilhelm 345, 347 Hilprecht, Hermann 243 Hindenburg, Paul von 251, 357, 362, 363 Hinzpeter, Georg Emst 91, 186, 223, 227, 247 Hitler, Adolf 230, 272, 278, 359, 389 Hoffmann, Adolph 369 Hoffmann, Wilhelm 28, 30, 60, 94, 105, 136, 191 Holl, Karl 321, 331 Hollmann, Friedrich 219, 225, 229, 243-245, 247 Holtzheuer, Otto Gottlob 290 Homer 16 Honecker, Erich 3 Hosius von Cordoba 188 Hoßbach, Theodor Johannes 79, 81 Hunzinger, August Wilhelm 75, 317, 321 Hupfeld, Hermann 19, 20, 24, 242 Ilsemann, Sigurd von 382, 383

Anhang

Jablonski, Daniel Ernst 8 Jacobi, Friedrich Heinrich 19, 24 Jatho, Carl 149, 150, 152, 155-158, 160, 162, 163, 166, 170 Joachim II., Kurfürst von Brandenburg 188 Joachim, Prinz von Preußen 182, 188, 197, 202, 258, 327, 362 Johann Sigismund 189 Kaftan, Julius 7, 97-99, 115, 120, 122, 123, 124, 126, 128, 148, 156, 158, 163, 164, 170f, 174, 243, 276, 277, 280, 356, 370 Kaftan, Theodor 114, 121, 126, 281, 314, 347, 350, 359 Kahl, Wilhelm 115, 119, 129, 149, 157, 158, 163, 164 Kapler, Hermann 134, 135 Karow 1 Kawerau, Gustav 120, 125, 127, 318, 356 Kessler, Harry Graf 45 Kleinen, Paul 49, 61, 86, 123, 151 Kleist-Retzow, Hans Hugo von 94, 116 Kögel, Rudolf 5, 7, 28-30, 33, 34, 39, 50, 52, 78, 80-88, 93-95, 98, 102, 105, 115, 125, 128, 163, 177, 179-185, 186, 187, 191, 192, 193, 205, 206, 207, 209, 240, 262, 307, 322, 362, 386, 388 Köhler, Paul 123 Konstantin der Große 188 Kottwitz, Hans Ernst von 18 Kreibig, lie. 84 Kritzinger, Johannes 181, 197, 299, 321 Lagarde, Paul de 277 Lahusen, Friedrich 106, 134-136,143, 163, 287, 343, 346, 352, 356, 370, 381 Langbehn, Julius 277 Lasaulx, Amalie von 37, 80 Lasson, Adolf 174 Lechler, Paul 312, 313

Α. Personenregister

Lenz, Max 274 Leo XIII., Papst 224, 282 LeSeur, Paul 347 Liebknecht, Karl 388 Lisco, Emil Gustav 81 Loofs, Friedrich 157, 158, 331, 347 Lucanus, Hermann von 101, 121, 180, 181, 185-187, 205 Ludendorff, Erich 357, 362, 363, 364, 388 Luise, Großherzogin von Baden 252, 369f, 376, 379 Luise, Gemahlin Friedrich Wilhelms III. 173 Luther, Martin 62, 105, 118, 189, 194, 219, 230, 262, 266, 274, 291, 292, 320, 329-332, 335, 358, 360 Lüttichau, Graf von 136 Mahling, Friedrich 321 Martensen, Hans Lassen 335 Meinhof, Kolonialexperte 314, 315, 347 Melanchthon, Philipp 15, 105 Menzel, Adolph von 43 Meßner (Hg. NEKZ) 34 Michaelis, Georg 261, 267, 388 Mirbach, Ernst Freiherr von 8, 114, 121, 135, 136, 181, 184, 287, 289, 301-306 Mirbt, Carl 347 Möller, Reinhard 94, 123, 158, 330, 376 Moltke, Helmut Graf von 230 Mühler, Heinrich von 30, 79 Müller, Johannes 48 Müller, Julius 19, 23, 24, 60, 98, 99, 166 Müller, Ludwig 3 Nathusius, Martin von 109 Naumann, Friedrich 71, 91, 114, 150, 151, 177, 261, 277, 284, 285, 292, 297, 321 Neander, August 18 Nebukadnezar 144 Neufville, Eduard de 347

Niebergall, Friedrich 64-66 Nietzsche, Friedrich 35 Nitzsch, Carl Immanuel 35, 60 Oetinger, Friedrich, Christoph 321 Ohly, Karl 317, 351, 352 Oskar Prinz von Preußen 203, 383 Pank, Oskar 40, 50 Pechmann, Wilhelm von 347, 349 Plato 102 Rade, Martin 6, 156, 187, 284, 321, 331, 345 Ragaz, Leonhard 321 Ranke, Leopold von 10, 11 Raschdorff, Carl 296 Rathenau, Walther 217, 221, 225, 226 Raumer, Carl Otto von 78 Renan, Ernest 21 Richter, Julius 262, 312, 346 Rittelmeyer, Friedrich 164, 264, 322 Roedenbeck (geb.) bzw. Dryander, Hedwig Magdalene 40, 106 Roedenbeck, Paul Rudolf 40, 83 Rohrbach, Paul 177, 278, 285, 312 Rolland, Romain 344, 345 Sack, Friedrich Samuel Gottfried 191, 192 Scheidemann, Philipp 364, 388 Schelling, Friedrich Wilhelm 321 Schenkel, Daniel 21 Schenkendorf, Max von 272, 275, 320, 329 Schian, Martin 60, 171, 321, 322 Schiller, Friedrich 16 Schinckel, Max 347 Schinkel, Karl Friedrich 294 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 26, 27, 39, 42, 46, 60, 272, 275, 329, 335 Schniewind, Carl 197 Schräder, Richard 182-186, 197, 209, 240, 248 Schreiber, August Wilhelm 236, 346-349, 352 Schrempf, Christoph 97 Schubert, Hans von 330

429

430

Anhang

Schultze, August 80, 81, 98, 206

Urban II., Papst 290

Seeberg, Reinhold 69, 106, 321 Siegmund-Schultze,

Friedrich

Valentini, Rudolf von 147,

341, 349, 351-353 Smith, Robert Pearsall Soden, Hermann von

Sokrates

38

Princess Royal

106

147, 347

Spiecker, Friedrich August 346 321

Voltaire 36

Spitzemberg, Hildegard Freifrau von 96, 214, 285, 298 Stahl, Friedrich Julius Stark

172, 216, 217

307,311-314

Steinmeyer, Franz Karl Ludwig

60,

65 Stephan, Heinrich von 43 Stockmayer, Otto 38 Stoecker, Adolf 5, 44, 82, 88, 89, 91-93, 104, 108-111, 114, 116, 120, 124, 125, 126, 151, 167, 170, 179, 180, 182-187, 192, 193, 195, 197, 209, 223, 227, 240, 248, 262, 300, 302, 306 Stoph, Willi 3 Strauß, David Friedrich 2 1 , 3 4 , 35 116, 120

Stiiler, Friedrich August 29, 295 Sybel, Heinrich von 277, 320 Sydow, Adolf 79, 81 Tholuck, August

18-20, 24, 27, 30,

58-60, 65, 66, 99, 166 Thomasius, Christian Thukydides

22

10

Tirpitz, Alfred von

388

Todt, Rudolf 91 Traub, Gottfried 150, 152, 155, 156, 170, 171, 321, 341 Treitschke, Heinrich von 277, 320 Troeltsch, Ernst

176, 321

Uckeley, Alfred 1, 64-68, 321 Uhland, Ludwig

16

Wagner, Richard 230 Wedekind, Frank 279 Wedel, Carl Graf von

43, 184-186,

208, 312, 313

Steinbeck, Johannes 46

Studt, Konrad von

197, 248 Vits, Ernst 13, 212, 252, 321, 385 Voigts, Bodo 7, 115, 122-125, 128, 131, 142, 143, 147, 148, 156, 158, 164, 262, 311, 357, 370, 373

102

Spitta, Friedrich

III.,

144, 179

Viktoria, Prinzessin von Preußen 182,

149

Spiecker, Johannes

197

Viktoria, Gemahlin Friedrichs

Söderblom, Nathan 255, 349-353, 385 Sohm, Rudolph

174

Vieregge, Karl Heinrich

Weiß, Bernhard

25, 41, 49, 50, 52,

85, 93, 127, 198, 265 Wemer, Anton von 296f Wernle, Paul 331 Wichern, Johann Hinrich 169

21, 74, 91,

Wilamowitz-Moellendorf, Ulrich 321 Wildermuth, Ottilie 21 Wilhelm I. 81, 82, 86, 115, 192, 214, 216, 217, 232, 257, 270, 295, 362 Wilhelm II. 1, 3, 4, 6, 7, 9, 10, 13, 39, 41, 45, 87-90, 92f, 95, 97, lOlf, 106, 115, 118, 120f, 123, 124, 126, 127, 130f, 134, 135, 142, 145, 148f, 173, 179, 181, 183-187, 192f, 197f, 201, 204, 207-209, 211, 212, 214-249, 25 l f , 255, 258f, 262-264, 267, 279, 280-299, 306, 309, 311, 313, 316-320, 325, 332, 338-340, 344, 351, 357-365, 367f, 373-375, 378f, 382f, 385f, 388, 390 Wilson, Woodrow 364, 365 Wobbermin, Georg 347 Wölfing, Feldpropst 356 Wolters, Albrecht 35, 81 Wundt, Wilhelm 347 Zedlitz-Trützschler, Robert Graf von d.Ä. 95

Β. Sachregister

Zedlitz-Triitzschler, Robert Graf von d.J. 236, 237, 261, 262, 299, 301

431

Zieten-Schwerin, Hans Ernst Karl von 94, 106, 139, 162, 176, 303, 311 Zobeltitz, Feodor von 259

B. Sachregister Apologetik 71f, 75f Apostolikumstreit (s.a. Bekenntnis) 97-100 Armenien, Massaker 228f, 284-286 Auslandsdiaspora - Aufgaben des EOK 132f - Visitationsreisen Dryanders in den Orient 134141, 287 (278ff) Außergottesdienstliche Wortverkündigung 69ff Babel-Bibel-Streit 120, 219, 242-245 Bekenntnisfrage 81, 82f, 86, 97-100, 116-120, 148-183 Berliner Dom 2f, 210-213, 294-301, 310 Bonn, ev. Gemeinde 34f, 38, 237 Borussianismus 214-217, 273f, 300f Deutsch-evangelischer Kirchenausschuß (DEKA) 130f, 142f, 147, 309f, 35lf Deutsch-evangelische Einigungsbestrebungen 129f, 28lf, 375-377 Deutsch-evangelische Missions-Hilfe (DEMH) 311-316,346 Domkandidatenstift Berlin 28-30, 52, 21 lf, 371 Dreifaltigkeitsgemeinde 40-42 Eisenacher Kirchenkonferenz 71, 130 Evangelischer Oberkirchenrat (EOK) 7f, 78f, 81f, 87-92, 107f, 116f, 122-124, 128, 148f, 163-166, 205-209, 210, 372377 Evangelische Allianz, Amsterdam 1867 27f

Evangelischer Hilfsverein 113, 183, 301-305 Evangelischer Kirchbauverein 30lf Evangelisch-sozialer Kongreß 114 Exil, Wilhelm II. 377ff Feuerbestattung 176 Gemeinschaftsbewegung 38, 170 Gottesgnadentum 216-221, 239f Herrenhaus, preußisches 116-118, 121, 176, 250, 311 Hof, unter Wilhelm II. 9, 179ff, 193ff, 226f, 231-236, 248255, 259-262 Hofprediger 28, 81f, 88, 94, 115, 127f, 179-187, 188-193, 255273, 306-310 Innere Mission 41, 85f, 108-115, 167, 174 Irrlehre, s. Bekenntnisfrage Isalm 136f, 288 Jerusalem, deutsch-evangelische Interessen 135, 280f, 289-294, 299f, 309 Juden, Judentum - Antisemitismus 228-235 Kaisergeburtstag 174, 266, 340, 363 Kirche und Staat 169-178, 191, 308310, 372-374, 376, 388f Kirchenregiment, landesherrliches 9, 88-91, 191, 222, 237f, 359, 372-374 Kirchentag(sbewegung) 21f, 375 Kirchenverfassungsdiskussion 78f, 369 Konfessionalismus, lutherischer 81 Leben-Jesu-Streit 21

432

Missionsgedanke 139, 288, 311 -315, 345-348 Mittelpartei 80f, 86, 124f, 179, 209 Moderne Predigt 64f Monarchie, monarchisches Prinzip 172f, 216f, 263-267 Nationalprotestantismus 138f, 265272, 273-278, 282, 290f, 299f, 311-315, 316-321, 330340, 363, 389f Nationalsozialismus 230, 359, 389 Ökumene, ökumenische Gedanken 141-148, 336, 342-355 Persönliches Regiment (Wilhelms II.) 219f, 236, 362f Persönlichkeitsbegriff (bei Dryander) 57-60, 67f, 101, 194f, 199, 202-204, 390f Positive Union, Freunde der positiven Union 80-82, 180f

Anhang

Preußisch-deutsche Politik preuß.-österreich. Konflikt 24 deutsch-franz. Krieg 32 Entlassung Bismarcks 87 Regierungsantritt Wilhelms II. 87 deutsch-brit. Verhältnis 141 ff (143) Erster Weltkrieg 316ff Preußische Kirchenpolitik 30, 35f, 44, 78f, 87-90, 130, 282f, 290f, 298f Soziale Frage 90f, 107-115, 183, 223 Summepiskopat s. Kirchenregiment, landesherrliches Thron und Altar 6, 82, 171-178, 192, 276f, 305, 306-310 Torgau 33 Union 165-167, 191 Vatikan, röm. Katholizismus 32, 37, 161, 224, 282, 300 Volkskirche 166-171, 177, 195 372377

C. Zeittafel zu Ernst von Dry ander

433

C. Zeittafel zu Ernst von Dryander Kursiv gesetzte Daten und Stationen in der Biographie Dryanders verweisen auf das Umfeld des Hofes 18.4.1843

Geburt Emst Hermann Dryanders als zweiter Sohn von Franziska und Hermann Ludwig Dryander in Halle

1860

Abitur am Pädagogium der Franckeschen Stiftungen

WS 1860 bis SS 1865

Theologiestudium in Halle (u.a. bei Tholuck u. Müller) Tübingen (bei Beck) Halle (bei Beyschlag)

21.6.1865

1. Theologisches Examen (licentia concionandi)

1865 bis 1867

Hauslehrer im Kaufmannshaus Donner bei Altona

7.8. bis 15.9.1865

pädagogischer Kurs in Barby

Juli 1866

(freiwilliger) Felddiakon im preußisch-österreichischen Krieg bei Brünn

18.6.1867

2. Theologisches Examen (licentia pro ministerio)

15.10.1867

Domstiftskandidat in Berlin (unter Hoffmann)

Nov. 1869/1870

Reisestipendiat in Südfrankreich/Italienreise

24./31.7.1870

Ernennung/Ordination zum 3. Domhilfsprediger und Domstiftsadjunkten

6.12.1872

Berufung zum Pfarrdiakon an St. Marien in Torgau

15.7./15.9.1874

Wahl/Einführung als Pfan-er in die Bonner ev. Gemeinde

Januar 1876

Heirat mit Magdalene Roedenbeck

26.9./31.10.1882

Berufung/Einführung als Pfarrer an der Berliner Dreifaltigkeitskirche und als Superintendent von Friedrichswerder

12.5.1887

Ernennung zum Konsistorialrat; geistl. Rat des Brandenburgischen Konsistoriums im Nebenamt

10.10.1890

Ablehnung eines Rufes in den EOK als geistl. Rat

4.11.1890

Ernennung zum stellvertr. Schloßpfarrer für den erkrankten Kögel (Abschied Stoeckers als Hof- und Domprediger)

21.1.1891

Verleihung des D. theol. h.c. an der Universität Berlin

16.6.1892

Bestallung zum Generalsuperintendenten der Kurmark im Hauptamt (Rat 2. Klasse) als Nachfolger Kögels

434

Anhang

April 1896

Italienreise im Hofgefolge Wilhelms II.

15.2.1897

Ernennung zum Prinzenerzieher in Plön (April 1897 bis Juni 1898)

2.7.1898

Bestallung zum Oberhof- und Domprediger (Rat 1. Klasse), Schloßpfarrer und Ephorus des Domkandidatenstifts im Nebenamt

29.8.1898

Abschied von der Dreifaltigkeitsgemeinde

OktJNov. 1898

Orientreise im Gefolge Wilhelms II. 31.10. Weihe der Erlöserkirche in Jerusalem

14.2.1900

Tod Magdalene Dryanders

18.1.1901

Berufung zum Mitglied des preußischen Herrenhauses auf Lebenszeit

31.12.1902

Niederlegung der Generalsuperintendentur

I.1.1903

Hof- und Domämter als Hauptamt

4.6.1903

Berufung zum geistl. Mitglied in das EOK-Kollegium

II.10.1904

Verleihung des "Wirklichen Geheimen Rats" mit dem Prädikat "Exzellenz"

27.2.1905

Weihe des neuen Berliner Doms

ab Juli 1906

Verwaltung der Vakanz des geistl. EOK-Vizepräsidenten

Febr. bis Mai 1907

Visitationreise zu den deutschen evangelischen Gemeinden im Orient

16.8.1907

Ernennung zum geistlichen Vizepräsidenten des EOK (stellvertr. Vorsitz im DEKA)

Mai/Juni 1908

Mitleitung der sog. 'Friedensfahrt' deutscher Kirchenrepräsentanten nach England

Juni/Juli 1911

'Irrlehre'-Prozeß gegen Jatho

18.4.1913

'Emst-Dryander-Stiftung' anläßlich seines 70. Geburtstages mit dem Kronprinzen als Protektor

4.8.1914

Predigt im Dom zur Eröffnung des Reichstages (Ist Gott für uns, wer mag wieder uns sein)

1916-1918

verschiedene Frontreisen

1917/18

Scheitern einer kirchlichen Friedenskonferenz in Upsala - Korrespondenz mit Söderblom

15.6.1918

Verleihung des Hohen Ordens vom Schwarzen Adler (verbunden mit dem erbl. Adelsprädikat)

1.7.1918

Abschied aus dem Amt des geistlichen Vizepräsidenten

435

C. Zeittafel zu Ernst von Dryander

1918/1919

Mitglied des Vertrauensrates der preußischen Landeskirche

20.5.1920

Weihe von "Haus Doom" im Exil

17.-19.4.1921

Trauerfeierlichkeiten in Doorn und Beisetzung Auguste (gest. am 11.4.) in Potsdam

3.8.1922

Gesuch zur Niederlegung der verbliebenen kirchlichen Ämter

4.9.1922

Tod Dryanders in Berlin

18.4.1943

Gedächtnisfeierlichkeiten zum 100. Geburtstag Dryanders im Dom und in der Universität

ABBILDUNGSNACHWEIS Frontispiz: Privatbesitz Ernst von Dryander, Wuppertal Abb. 1, S. 253: Titelbild der Neuen Christoterpe 46 (1925) Abb. 2, S. 258: Viktoria Luise, Ein Leben als Tochter des Kaisers, Einlage n. 120 (Vorderseite oben)

Viktorias

ADOLF VON HARNACK Rede auf August Neander gehalten zur Feier seines hundertjährigen Geburtstags am 17. Januar 1889 in der Aula der Berliner Universität A b d r u c k aus dem Februarheft der Preußischen J a h r b ü c h e r O k t a v . 3 4 Seiten. 1 8 8 9 . B r o s c h i e r t D M 2 5 , -

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Die Aufgabe der theologischen Fakultäten und die allgemeine Religionsgeschichte 3 . Auflage. O k t a v . 2 2 Seiten. 1 9 0 1 . Broschiert D M 2 0 , -

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Martin Luther in seiner Bedeutung für die Geschichte der Wissenschaft und der Bildung 4 . durchgesehene Auflage. G r o ß - O k t a v . 2 9 Seiten. 1 9 1 1 . Broschiert D M 2 0 , — Best.-Nr. 3 - 1 0 - 6 7 1 1 9 0 1 - 0

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