ORDO: Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 9783110506044, 9783828206212

Das Jahrbuch ORDO ist seit über 50 Jahren ein Zentralort der wissenschaftlichen und politischen Diskussion aus dem Konze

176 15 37MB

German Pages 467 [480] Year 2015

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

ORDO: Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft
 9783110506044, 9783828206212

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Fragen der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik
Noteninflation im deutschen Schulsystem - Macht das Abitur hochschulreif?
Paternalistic Economic Policies: Foundations, Implications and Critical Evaluations
Politische Folgen finanzwissenschaftlicher Konzepte
Von Hayek lernen: Wissen und Freiheit, Recht und Gesetzgebung
Europäische Integrationspolitik
Europäische Integration am Wendepunkt? Zum möglichen Austritt Großbritanniens aus der EU
Begünstigungen und Schranken in der europäischen Unternehmensbesteuerung - eine evolutorisch-ökonomische Sicht
,Stairway to Heaven‘ oder ‚Highway to Hell‘? - Eine Einschätzung der Europäischen Bankenunion
Europäische Bankenunion in einem interventionistischen Ordnungsmilieu
Aktuelle Probleme der Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik im Internet
10 Jahre YouTube: Von dem Aufstieg einer Plattform und der Entwicklung neuer Märkte zum Kollateralschaden einer Google-Regulierung?
Eine alternative Definition von Suchneutralität
Ordnungsökonomische Aspekte der Sharing Economy
Is Amazon The Next Google?
Ludwig Erhard und die Soziale Marktwirtschaft
Die Aktualität von Erhards marktwirtschaftlicher Politik
„Kennen Sie eigentlich den?“ Anmerkungen zu Ludwig Erhard und Horst Friedrich Wünsches Buch über ihn
Der verkannte Ludwig Erhard?
Die Ordoliberalen: Vordenker von Erhards Sozialer Marktwirtschaft oder Waffenbrüder?
Reden und Würdigungen
Hayek and the Meaning of Subjectivism
Zum Tod von Prof. Dr. Peter Oberender
Ein Ökonom freiheitlicher Prägung - Zum Gedenken an Peter Oberender
Peter Oberender: Universitätsprofessor, Wissenschaftsorganisator, Unternehmer
Zur Verleihung des Nobelpreises für Wirtschaft 2015
Nobel Memorial Prize in Economic Sciences to Angus Deaton
Buchbesprechungen
Inhalt
Contemporary Research in Sports Economics: Proceedings of the 5th ESEA Conference
Ökonomen im Schatten des Hakenkreuzes
Ein Klassiker im Schnelldurchgang
Die Euro-Bombe wird entschärft
Entnationalisierung des Geldes. Schriften zur Währungspolitik und Währungsordnung
Gesellschaftliche, kulturelle und sozialpolitische Herausforderungen des demographischen Wandels
Cognitive Autonomy and Methodological Individualism. The Interpretative Foundations of Social Life
Libertärer Paternalismus. Untersuchungen zur Ordnungstheorie und Ordnungspolitik
Zur Vorziehenswürdigkeit von Autokratie und Demokratie im Transformationsprozess
Two interactive masterminds
The economist as public intellectual: an endangered species?
Luther, Libertarians und die Soziale Marktwirtschaft
Das Naturrecht in der Wirtschafts- und Sozialethik
Wirtschaftsethik. Vom freien Markt bis zur Share Economy
Kann eine christliche Wirtschaftsethik ohne ökonomische Kompetenz auskommen?
Lebensmittel zwischen Illusion und Wirklichkeit
Behavioral Economics
Kurzbesprechungen
Personenregister
Sachregister
Anschriften der Autoren

Citation preview

ORDO Band 66

ORDO Jahrbuch

für die Ordnung

von Wirtschaft

und

Gesellschaft

Band 6 6

Begründet von

Herausgegeben von

Walter Eucken

Hans Otto Lenel

Wernhard Möschel

und

Thomas Apolte

Josef Molsberger

Franz Böhm

Norbert Berthold

Christian Müller

Oliver Budzinski

Razeen Sally

Clemens Fuest

Alfred Schüller

Nils Goldschmidt

Viktor Vanberg

Walter Hamm

Christian Watrin

Wolfgang Kerber Martin Leschke Ernst-Joachim Mestmäcker

®

Lucius & Lucius · Stuttgart

Schriftleitung Professor Dr. Thomas Apolte Westfälische Wilhelms-Universität Münster Lehrstuhl für Ökonomische Politikanalyse Scharnhorststraße 100, 48151 Münster Professor Dr. Oliver Budzinski Technische Universität Ilmenau Institut für Volkswirtschaftslehre Ehrenbergstr. 29, 98693 Ilmenau

Professor Dr. Dr. h.c. Josef Molsberger Ammertalstraße 5, 72108 Rottenburg Professor Dr. Christian Müller Westfälische Wilhelms-Universität Münster Institut für Ökonomische Bildung Scharnhorststraße 100,48151 Münster Professor Dr. Alfred Schüller Feldbergstraße 57, 35043 Marburg

Professor Dr. Nils Goldschmidt Universität Siegen Zentrum für ökonomische Bildung in Siegen Kohlbettstraße 15, 57068 Siegen Professor Dr. Martin Leschke Universität Bayreuth Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre 5, insb. Institutionenökonomik Universitätsstraße 30, 95447 Bayreuth

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart -2015 Gerokstraße 51, D-70184 Stuttgart www. lucius verlag. com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Rechte vorbehalten Druck und Einband: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza ISBN 978-3-8282-0621-2 ISSN 0048-2129

ORDO - Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft (Lucius & Lucius, Stuttgart 2015) Bd. 66

Vorwort Mit der Vergabe des Nobelgedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften an Angus Deaton betont das Auswahlkomitee in diesem Jahr erneut die Bedeutung angewandter Forschung, dieses Mal im Hinblick auf den Bereich der Entwicklungs- und Gesundheitsökonomie. Theoriebildung ist kein Selbstzweck, sondern sollte letztlich stets dazu dienen, das Los der Menschen praktisch zu verbessern. Auch das ORDO-Jahrbuch verfolgt vom ersten Band an das Anliegen theoriegestützter angewandter Forschung in der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik. Der vorliegende Band gliedert sich in fünf Hauptteile. Im ersten Teil geht es um grundlegende Probleme der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Die Beiträge beziehen sich auf bildungs- und finanzpolitische Fragen, auf die Probleme einer paternalistischen Gestaltung der Wirtschaftspolitik und auf die Implikationen des Wissens und der wirtschaftlichen Freiheit im Verständnis von Friedrich A. von Hayek für die Entwicklung des Wohlstands. Der zweite Hauptteil stellt die europäische Perspektive in den Mittelpunkt. Dabei werden politökonomische Aspekte eines möglichen Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union, Fragen einer europäischen Unternehmensbesteuerung und schließlich der Bankenunion behandelt. Die Beiträge des dritten Teils des Bandes gehen auf einen Call for Papers der Schriftleitung zu Ordnungsfragen des Internets zurück. Die hier versammelten Aufsätze betreffen konkrete Geschäftskonzepte (YouTube, Amazon, Sharing Economy) oder versuchen, zu einer begrifflichen Klärung (Suchneutralität) beizutragen. Weitere Beiträge zu dieser Thematik werden im kommenden Band 67 folgen. Der frühere Mitarbeiter Ludwig Erhards und langjährige Geschäftsführer der Ludwig-Erhard-Stiftung, Horst Friedrich Wünsche, gibt mit seinem Buch „Ludwig Erhards Soziale Marktwirtschaft" Anlass für kontroverse Thesen zu den wissenschaftlichen Wurzeln und zur Aktualität der Leitideen Erhards, dem Deutschland wesentlich den wirtschaftlichen Wiederaufstieg nach dem Zweiten Weltkrieg verdankt. Der vierte Teil des Jahrbuchs greift in vier Beiträgen einige Gedanken zu dieser kontroversen Diskussion auf. In der Rubrik „Reden und Würdigungen" befasst sich Israel Kirzner, Träger der diesjährigen Hayek-Medaille, mit dem „Sinn des Subjektivismus" im Werk Friedrich A. von Hayeks - ein Titel, der nicht zufällig an dessen berühmten Beitrag über den „Sinn des Wettbewerbs" erinnert. Denn Kirzner argumentiert, dass der Unterschied zwischen den beiden Bedeutungen des Begriffs „Wettbewerb" bei Hayek ihren tieferen Grund in zwei unterschiedlichen Bedeutungen des Subjektivismus in der ökonomischen Theoriebildung ihre eigentliche Ursache hat. Zwei weitere Beiträge erinnern an den langjährigen verdienstvollen Mitherausgeber und Schriftleiterkollegen Peter Oberender, der am 25. Februar 2015 verstarb. Den neuen Nobelpreisträger Deaton würdigt schließlich Axel Börsch-Supan in einem weiteren Beitrag dafür, das Ökonomische in der Ökonometrie stets ernst genommen zu haben. Als größte Leistung des Geehrten

VI

Vorwort

erscheint ihm dabei die Fundierung der Entwicklungsanalyse mit Mikrodaten sowohl auf der Haushalts- als auf der Länderebene. Erst hierdurch sei deutlich geworden, welchen Stellenwert die Gesundheit als Erklärungsfaktor für das Wohlergehen ganzer Länder einnehme. Wiederum rundet ein umfangreicher Teil mit Besprechungen von Büchern zur Ordnungsfragen von Wirtschaft und Gesellschaft das Jahrbuch ab. Die Schriftleiter des ORDO-Jahrbuches danken herzlich den zahlreichen Kolleginnen und Kollegen, die uns als anonyme Gutachter bei unserer Arbeit eine wertvolle Hilfe waren. Ein besonderer Dank der Schriftleitung gilt auch Frau Christel Dehlinger (Marburg) für die unermüdliche und sorgfältige Arbeit bei der Anfertigung der druckfertigen Vorlage sowie Herrn Michael Sendker (Münster) für umfangreiche redaktionelle Arbeiten an diesem Band.

Die Schriftleitung

ORDO - Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft (Lucius & Lucius, Stuttgart 2015) Bd. 66

Inhalt Fragen der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik Fabian Schleithoff Noteninflation im deutschen Schulsystem - Macht das Abitur hochschulreif?

3

Rainer Klump und Manuel Wörsdorf er Paternalistic Economic Policies: Foundations, Implications and Critical Evaluations

27

Charles Blankart Politische Folgen finanzwissenschaftlicher Konzepte

61

Erich Weede Von Hayek lernen: Wissen und Freiheit, Recht und Gesetzgebung

81

Europäische Integrationspolitik Renate Ohr Europäische Integration am Wendepunkt? Zum möglichen Austritt Großbritanniens aus der EU

99

Marco C. Melle Begünstigungen und Schranken in der europäischen Unternehmensbesteuerung - eine evolutorisch-ökonomische Sicht

115

Uwe Vollmer ,Stairway to Heaven' oder .Highway to Hell'? - Eine Einschätzung der Europäischen Bankenunion

147

Alfred Schüller Europäische Bankenunion in einem interventionistischen Ordnungsmilieu

175

Aktuelle Probleme der Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik im Internet Wiebke Roß und Jens Weghake 10 Jahre YouTube: Von dem Aufstieg einer Plattform und der Entwicklung neuer Märkte zum Kollateralschaden einer Google-Regulierung?

195

Vili

Inhalt

Ralf Dewenter und Hendrik Liith Eine alternative Definition von Suchneutralität

221

Heidi Dittmann und Björn Kuchinke Ordnungsökonomische Aspekte der Sharing Economy

243

Oliver Budzinski und Karoline H. Köhler Is Amazon The Next Google?

263

Ludwig Erhard und die Soziale Marktwirtschaft Horst Friedrich Wünsche Die Aktualität von Erhards marktwirtschaftlicher Politik

291

Hans-Jörg Hennecke „Kennen Sie eigentlich den?" Anmerkungen zu Ludwig Erhard und Horst Friedrich Wünsches Buch über ihn

297

Julian Dörr Der verkannte Ludwig Erhard?

303

Patricia Commun Die Ordoliberalen: Vordenker von Erhards Sozialer Marktwirtschaft oder Waffenbrüder

311

Reden und Würdigungen Israel Kirzner Hayek and the meaning of subjectivism

319

Zum Tod von Prof. Dr. Peter Oberender Jürgen Zerth und Elmar Nass Ein Ökonom freiheitlicher Prägung - Zum Gedenken an Peter Oberender

333

Ulrich Fehl Peter Oberender: Universitätsprofessor, Wissenschaftsorganisator, Unternehmer.. 337 Zur Verleihung des Nobelgedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften Axel Börsch-Supan Nobel Memorial Prize in Economic Sciences to Angus Deaton

2015

345

Inhalt

IX

Buchbesprechungen - Inhalt

351

Personenregister

451

Sachregister

459

Anschrift der Autoren

463

Fragen der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik

ORDO - Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft (Lucius & Lucius, Stuttgart 2015) Bd. 66

Fabian Schleithoff

Noteninflation im deutschen Schulsystem - Macht das Abitur hochschulreif? Inhalt I. II. III. IV. V.

Einleitung Hypothesen zu Notentrends in deutschen Abiturprüfungen Daten und Methodik Empirische Analyse zur Notenentwicklung Notenentwicklung als inflationärer Trend 1. Kompetenztests - Vorgehensweise und Datenkritik 2. Mathematik (I): Känguru der Mathematik 3. Mathematik (II): Hochschuleingangstests 4. Studienabbrecherquoten an deutschen Universitäten VI. Noteninflation und Hochschulreife VII. Fazit Literatur Zusammenfassung Summary: Grade Inflation in the German school system

I.

3 5 7 10 13 13 15 17 18 21 22 24 26 26

Einleitung

Mit dem Abiturabschluss erlangen deutsche Schüler ihre allgemeine Hochschulreife. Jedem Schüler soll damit ermöglicht werden, ein Studium an einer deutschen Hochschule aufzunehmen. Mit dem sogenannten Numerus Clausus wird jedoch verhindert, dass Schüler jedes beliebige Studium absolvieren können. In vielen Studienfächern ist der Abiturnotenschnitt entscheidend. Schüler müssen also einen bestimmten Notendurchschnitt vorlegen, der für die Studienaufnahme in gewissen Fächern vorausgesetzt wird. Sie werden entsprechend auf Basis ihrer Schulnoten in Relation gesetzt. Die Einordnung von Schülern wird durch bestimmte Entwicklungen jedoch immer schwieriger. So steigen die durchschnittlichen Abiturnoten in Deutschland im Zeitverlauf an. Alleine in den letzten sechs Jahren ist die Anzahl von Einser-Abiturienten in Deutschland um 40 Prozent gestiegen (IW Köln 2014a). Ob die Schüler1 jetzt gebildeter und damit hochschulreifer sind als früher oder gute Schulnoten heutzutage schneller vergeben werden, lässt sich alleine mit dieser Zahl jedoch nicht beantworten. Gesellschaftlich und medial wird die Notentwicklung seit Jahren kontrovers diskutiert. Die

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf eine gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Die verwendeten Bezeichnungen sind geschlechtsneutral zu sehen.

4

Fabian Schleithoff

Rede ist von einer Noteninflation. Etwas überspitzt kann diese als ein „Einser für alle"Trend (Schäfer 2013) umschrieben werden. Durch Inflationsentwicklungen werden unter anderem das Preisgefüge verzerrt sowie die wirtschaftliche Initiative und der Leistungswille gelähmt (Eucken 2004, S. 314). Preisniveaustabilität ist damit grundlegend für das Bestehen einer Wettbewerbsordnung (Eucken 2004, S. 256). Übertragen auf das Schulsystem kann ein inflationärer Notentrend gravierende Auswirkungen auf die bildungsbezogene Ordnung haben. Dies gilt insbesondere für das Abitur. So kann es durch eine Noteninflation zu einer Fehlallokation von Personen in die verschiedenen Bildungsgänge kommen. 2 Wenn Schüler für ihre Leistung tatsächlich zu gute Noten bekommen, stellt sich die Frage, ob der Schulabschluss dann noch für ein Studium an einer deutschen Hochschule qualifiziert. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund interessant, dass eine steigende Anzahl von Abiturienten eines jeden Jahrgangs ein Studium aufnimmt (IW Köln 2014a). Diese Arbeit soll Ansätze zum Nachweis einer Noteninflation im deutschen Schulsystem und damit Aussagen über die tatsächliche Hochschulreife deutscher Abiturienten liefern. 3 Dazu werden zunächst Hypothesen zu möglichen Notentrends im deutschen Schulwesen aufgestellt (Kapitel II). Demnach würden die Abiturprüfungsergebnisse in Deutschland im Zeitverlauf immer besser (Hl). Dieser Notentrend stelle eine Noteninflation dar (H2). Im dritten Kapitel wird zunächst der Datensatz vorgestellt, der Abiturprüfungsdaten von 21 Schulfächern aus zehn deutschen Bundesländern umfasst. Mithilfe einer sogenannten „Least Square Dummy Variablen"-Regression (LSDV) werden die Entwicklungstendenzen der Abiturprüfungsergebnisse dann empirisch überprüft (Kapitel IV). Im fünften Kapitel wird darauf aufbauend analysiert, inwieweit die Notentrends inflatorischen Charakter besitzen. Anschließend können Aussagen zur Verbindung von Noteninflation und der durch das Abitur erlangten Hochschulreife getroffen werden. Die Arbeit schließt mit einem Fazit sowie einem Ausblick.

2

3

Fehlallokationen im Bildungssystem können entstehen, wenn Schüler Studiengänge aufnehmen, die über ihren Leistungsniveaus liegen. Hohe Studienabbruchquoten sind eine mögliche Folge. Diese Allokationsmängel lassen sich in zwei verschiedene Kategorien einordnen. Wenn Schüler durch zu gute Abiturnoten ein Studienfach mit höheren Notenanforderungen belegen können, stellt dies eine akademische Fehlallokation zwischen verschiedenen Studiengängen dar. Wenn die Schüler nur aufgrund ihrer zu guten Noten ein Studium aufnehmen können, stellt dies eine Fehlallokation zwischen akademischer und beruflicher Bildung dar. Neben der Noteninflation können weitere Faktoren zu einer solchen bildungsbezogenen Fehlallokation beitragen. Beispielsweise kann eine Selbstüberschätzung von Schülern (Schleithoff 2015a) zu einer unreflektierten Studienwahl führen. Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive stellt sich zudem die Frage, ob das Abitur zu einer Arbeitsmarktreife führt. Unternehmen beklagen häufig eine mangelnde Ausbildungsreife von Schulabgängern (Rosenkranz 2014, S. 11). Zwar scheint dieses Problem für leistungsschwächere Schüler am größten zu sein (DIHK 2014, S. 21), eine Untersuchung der Arbeitergeberzufriedenheit mit Auszubildenden, die einen Abiturabschluss erworben haben, wäre dennoch sehr interessant.

Noteninflation im deutschen Schulsystem

5

II. Hypothesen zu Notentrends in deutschen Abiturprüfungen Allgemein wird unter einer Inflation der Anstieg von Güterpreisen verstanden. Bei Vorliegen inflationärer Tendenzen können Konsumenten beispielsweise für einen Euro weniger Waren kaufen, der Euro ist „dann weniger wert als zuvor" (Europäische Zentralbank o. J.)· Die Wahrung der Preisniveaustabilität in der Europäischen Währungsunion ist die grundlegende Aufgabe der Europäischen Zentralbank (EZB). Streng genommen zeichnet sich ein stabiles Preisniveau durch eine Inflationsrate i. H. v. null Prozent aus. Die EZB strebt jedoch eine Inflationsrate i. H. v. zwei Prozent an. Dies kann vor allem mit methodischen Problemen der Messung von Verbraucherpreisindices erklärt werden. Beispielhaft kann sich die Qualität eines Gutes verbessern. Eine damit verbundene Preissteigerung stellt dann keine Inflation dar (Smeets 2014). Für das deutsche Schulsystem soll genau dieser Sachverhalt überprüft werden. Übertragen auf das Schulsystem kann entsprechend von einer Noteninflation gesprochen werden, wenn sich die durchschnittlichen Noten stetig verbessern, die Leistungen der Schüler hingegen nicht, so dass gute Schulnoten weniger wert sind als zuvor. Eine erste Voraussetzung für die Existenz einer Noteninflation ist somit eine positive Entwicklung der Schulnoten. Im Folgenden soll auf Basis bisheriger Abiturdaten zunächst eine Hypothese über die Entwicklung von Abiturprüfungsergebnissen aufgestellt werden, bevor Annahmen zur Existenz einer Noteninflation gemacht werden. Die Entwicklung der Abiturgesamtnoten im deutschen Schulsystem wird schon seit langem beobachtet. In den 16 deutschen Bundesländern sind dabei unterschiedliche Tendenzen auszumachen. In einigen Bundesländern befinden sich die Abiturnoten im Zeitverlauf auf konstantem bzw. leicht sinkendem Niveau. In Rheinland-Pfalz lag der Abiturschnitt im Jahr 2003 bei 2.61 und im Jahr 2013 bei 2.56 (Kultusministerkonferenz, 2006-2014). Weitere Beispiele sind die Bundesländer Baden-Württemberg, Bremen und Sachsen-Anhalt, in denen sich der Abiturschnitt in den letzten Jahren tendenziell negativ entwickelt. In einem Großteil der deutschen Bundesländer werden die Abiturgesamtnoten im Zeitverlauf jedoch immer besser. In Nordrhein-Westfalen lag der Abiturschnitt im Jahr 2002 noch bei 2.68, im Jahr 2013 hingegen bereits bei 2.46. Die durchschnittlichen Abiturnoten in Berlin sind im gleichen Zeitraum ausgehend von einem Notenschnitt in Höhe von 2.76 auf einen Schnitt von 2.44 gesunken.4 Zudem ist der Anteil der Schüler, die ein „glattes Einserabitur" (Hummel 2014) gemacht haben, bundesweit und im Zeitraum der Jahre 2006 bis 2012 um 40 Prozent gestiegen. Vor Jahrzehnten noch gewürdigt als überragende Leistung eines Schülers, scheint eine eins vor dem Komma mittlerweile einen Normalfall darzustellen (vom Lehn 2009). Auch dies unterstreicht den Notentrend im deutschen Schulsystem. Abiturprüfungen bilden mit etwa 25 Prozent einen wesentlichen Anteil der Abiturgesamtnoten (Bölling 2011). Ein Notentrend der Gesamtnoten macht damit auch einen vergleichbaren Trend in den abschließenden Prüfungen wahrscheinlich. Daraus folgt:

4

Siehe Tabelle 1 für eine Übersicht zur Abiturnotenentwicklung aller deutschen Bundesländer im Zeitraum 2002 bis 2013.

6

Fabian Schleithoff

Hypothese 1: Die durchschnittlichen Abiturprüfungsergebnisse werden immer besser.

in Deutschland

Im US-amerikanischen Bildungssystem nehmen jährlich weit über eine Millionen Schüler am sogenannten American College Test (ACT) teil. Bei diesem standardisierten und curriculum-basierten Kompetenztest werden Schüler in den Bereichen Mathematik, Englisch, wissenschaftliche Argumentation und Lesen geprüft. Die Fähigkeit von Schülern zur kritischen Argumentation sowie höhere gedankliche Fähigkeiten („higher order thinking skills") sollen gemessen werden (Ziomek und Svec 1997, S. 105). Damit zielt dieser Test nicht nur auf inhaltliches, also fachliches Wissen, sondern auch auf darüber hinausgehende Fähig- und Fertigkeiten ab. Der ACT steht damit in Einklang zur Definition des Begriffs der Kompetenz. Eine Kompetenz stellt die „Verbindung zwischen Wissen und Können [...] her und ist als Befähigung zur Bewältigung von Situationen bzw. von Aufgaben zu sehen" (Klieme et al. 2007, S. 73). Der ACT geht entsprechend über die Prüfung reinen inhaltlichen Wissens hinaus, und kann somit als Kompetenztest angesehen werden. Tabelle 1: Durchschnittliche Abiturnoten in den deutschen Bundesländern Bundesland \ Jahr

2002

2003

2004 2005

2006 2007

2008

2009

2010 2011

Baden-Württemberg

2.35

2.36

2.33

2.33

2.38

2.40

2.40

2.39

2.44

2.44

2.41

2.46

Bayern

2.46

2.47

2.46

2.43

2.43

2.43

2.41

2.42

2.40

2.37

2.35

2.35

Berlin

2.76

2.73

2.71

2.71

2.68

2.57

2.54

2.51

2.48

2.45

2.40

2.44

Brandenburg

2.51

2.53

2.50

2.46

2.48

2.47

2.42

2.39

240

2.38

2.33

2.38

Bremen

2.40

2.40

2.51

2.51

2.49

2.47

2.45

2.45

2.45

2.47

2.45

2.47

Hamburg

2.61

2.61

2.57

2.55

2.57

2.56

2.53

2.50

2.49

2.49

2.46

2.45

Hessen

2.53

2.52

2.50

2.46

2.49

2.47

2.46

2.45

2.44

2.43

2.43

2.42

2.45

2.46

2.41

2.40

2.40

2.37

2.35

2.43

2.42

2.43

2.39 2.61

Mecklenburg-Vorpommern

2012 2013

Niedersachsen

2.74

2.73

2.69

2.72

2.71

2.71

2.69

2.65

2.62

2.59

2.65

Nordrhein-Westfalen

2.68

2.69

2.67

2.67

2.66

2.64

2.63

2.59

2.56

2.54

2.51

2.46

2.61

2.60

2.58

2.63

2.63

2.62

2.61

2.60

2.60

2.58

2.56 2.43

Rheinland-Pfalz Saarland

2.53

2.52

2.52

2.52

2.51

2.51

2.50

2.49

2.46

2.44

2.45

Sachsen

2.48

2.44

2.46

2.45

2.44

2.46

2.44

2.48

2.45

2.43

2.39

2.37

Sachsen-Anhalt

2.32

2.32

2.34

2.36

2.41

2.46

2.53

2.52

2.52

2.48

2.42

2.43

Schleswig-Holstein

2.67

2.65

2.63

2.63

2.63

2.62

2.60

2.58

2.60

2.52

2.52

2.54

Thüringen

2.33

2.33

2.35

2.30

2.33

2.33

2.32

2.30

2.30

23.20 2.19

2.17

Quelle: Kultusministerkonferenz, 2003-2014.

Ein Vergleich der Ergebnisse in diesem Kompetenztest mit der kumulierten durchschnittlichen Schulnote („Grade Point Average"; GPA) der Schüler in entsprechenden Fächern zeigt, dass die Zensuren in den Fächern besser werden, die durch den ACT gemessenen Kompetenzen jedoch zeitlich konstant bleiben. Besonders signifikant sind diese Ergebnisse bei Schülern mit hohen GPA-Werten (Ziomek und Svec 1997, S. 107 ff.).

Noteninflation im deutschen Schulsystem

7

Neben dem ACT stellt der SAT (früher: Scholastic Assessment Test) einen weiteren Test in den USA dar, mit dem sich Schüler an Universitäten bewerben können. Der SAT prüft die Schüler in den Bereichen Lesen, Schreiben und Mathematik. In diesem Rahmen wird jedoch nicht nur reines Wissen abgefragt, es geht vielmehr auch darum zu zeigen, inwieweit das eigene Wissen angewendet werden kann (SAT 2014). Bereits für Daten der 1960er und 1970er Jahre wurde der Zusammenhang der durchschnittlichen Schulnoten mit den SAT-Ergebnissen analysiert. Beispielsweise stieg der Notenschnitt von Schülern von 1.92 im Jahr 1964 kontinuierlich auf einen Wert in Höhe von 2.51 im Jahr 1978 (je höher die GPA, desto besser die Schulnote). Für die gleiche Periode stieg der Notenschnitt für Schülerinnen von anfangs 2.09 auf einen Wert in Höhe von 2.70. Währenddessen verzeichneten die durchschnittlichen SAT-Ergebnisse für beide Geschlechter einen rückläufigen Trend (Bejar und Blew 1981, S. 145). Auch bei diesem Kompetenztest geht der Anstieg der durchschnittlichen Schulnoten nicht mit einem vergleichbaren Verlauf der Schülerkompetenzen einher - ein weiterer Beleg für die Existenz einer Noteninflation im US-amerikanischen Schulsystem. Trotz deutlicher Unterschiede der staatlichen Bildungssysteme kann für das deutsche Schulsystem folgende Hypothese aufgestellt werden. Hypothese 2: Der Notentrend in deutschen Abiturpritfungen stellt eine dar.

Noteninflation

Durch den ACT und den SAT besteht in den USA die Möglichkeit eine Noteninflation nachzuweisen. Das deutsche Bildungssystem besitzt hingegen eine andere Struktur, ohne ein entsprechendes Äquivalent zu den genannten Tests. Ansätze, eine Noteninflation für das deutsche Bildungssystem zu prüfen, können daher zwar methodisch vergleichbar sein, benötigen aber eine andere Datenbasis (siehe Kapitel III).

III. Daten und Methodik Zur Überprüfung der aufgestellten Hypothesen, wird im Folgenden zunächst die zugrundeliegende Datenbasis erklärt, bevor die Methode der Datenauswertung und die Ergebnisse dieser vorgestellt werden. Datenbasis Die Abiturprüfungen im deutschen Schulsystem setzen sich aus schriftlichen Klausuren in Leistungskursen sowie schriftlichen und mündlichen Prüfungen in Grundkursen zusammen. 5 Die zeitliche Entwicklung der erreichten durchschnittlichen Punktzahlen in diesen Abiturprüfungen wird im Folgenden einer nach Prüfungstyp differenzierten Analyse unterzogen. Ein Teil der Prüfungsdaten wird durch die Bildungs- bzw. Kultusministerien einzelner Bundesländer im Internet zur Verfügung gestellt. Dies trifft auf die Bundesländer Berlin, Niedersachen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Thüringen zu. 5

In einigen Bundesländern besteht zudem die Möglichkeit eine Teilprüfung in Form einer besonderen Lernleistung zu absolvieren (ζ. B. Sächsischen Staatsministerium für Kultus 2012, § 48.)

8

Fabian Schleithoff

Weitere Prüfungsergebnisse konnten nach Kontaktaufnahme mit den zuständigen Ministerien der einzelnen Bundesländer bereitgestellt werden. Mit diesem zweiten Schritt der Datensammlung konnten zusätzlich Abiturprüfungsergebnisse der Bundesländer Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen sowie Sachsen-Anhalt gewonnen werden. 6 Der Datensatz umfasst damit Prüfungsergebnisse aus zehn deutschen Bundesländern. Untersucht werden die Prüfungsergebnisse in 21 Schulfächern, wobei alle Aufgaben felder, d. h. Fächer mit sprachlich-literarisch-künstlerischem (Aufgabenfeld I), mit gesellschaftswissenschaftlichem (II) sowie mit mathematisch-naturwissenschaftlichtechnischem (III) Hintergrund enthalten sind. Jede Beobachtung stellt in diesem Zusammenhang den fachbezogenen durchschnittlichen Punktewert in Abiturprüfungen eines Bundeslandes und in einem bestimmten Schuljahr dar. Beobachtungen mit geringer Teilnehmerzahl (Anzahl von Prüflingen pro Beobachtung, die unter einem Wert von 50 liegt) wurden aus der Analyse ausgenommen. Die Daten stammen aus dem Zeitraum der Jahre zwischen 2000 und 2012. Insgesamt konnte durch die genannte Vorgehensweise ein Datensatz mit 1947 fachbezogenen durchschnittlichen Prüfungsergebnissen (siehe Tabelle 2) erstellt werden.

Tabelle 2: Zusammensetzung des Datensatzes Aufgabenfeld

I

II

III

ohne Zuteilung

Fächer

(Ut)

Beobachtungen Beobachtungen (schriftlicher GK) (mündlicher GK)

Deutsch

80

69

39

Englisch

81

65

Französisch

62

Spanisch

31

37 14

39 22

Russisch

15

10

7

Latein

28

19

14

Musik

36

22 7

Kunst Geschichte

43

16

63

53

33 41

Geographie Politik(-wissenschaft)

38 14

34

40

14

13

Sozialkunde Sozial Wissenschaften

8 12

6 6

0

Politik / Wirtschaft Mathematik

10 81

5 74

33 41

33

8 6

Biologie

61

54

Chemie

63

33

33

Physik

63

54

40 23

Informatik

15

5

Religion Sport

11

11

12

35

-

12

Anzahl nach Prüfungstyp

850

589

508

insgesamt 6

Beobachtungen

1947

An dieser Stelle gilt der Dank den Beamten der Bildungsministerien der einzelnen Bundesländer für ihre Zeit und Arbeit im Sinne der Bereitstellung der Abiturdaten.

Noteninflation im deutschen Schulsystem

9

Mit 850 Beobachtungen stellen die durchschnittlichen Prüfungsergebnisse in Leistungskursen den größten Teilbereich dar, gefolgt von den schriftlichen Prüfungen im Grundkurs mit insgesamt 589 Beobachtungen und den mündlichen Grundkursprüfungen mit 508 Beobachtungen. Schulfachspezifisch weisen die Hauptfächer Deutsch, Englisch und Mathematik in schriftlichen Prüfungen die größten Beobachtungswerte auf. Bei mündlichen Prüfungen ist die Anzahl der Beobachtungen in Haupt- und Nebenfächern auf vergleichbarem Niveau. Vorgehensweise

Zur Überprüfung der ersten Hypothese (Hl) werden die Prüfungsergebnisse in den 21 untersuchten Schulfachern sowie fachübergreifend in den drei Aufgabenfeldern als abhängige Variable mit den Jahreszahlen (unabhängige Variable) korreliert. In diesem Rahmen wird auf die LSDV-Regression zurückgegriffen.7 Durch diese Vorgehensweise können die Einflüsse der untersuchten Bundesländer als erklärende Variable über ein Set an Dummy-Variablen in die Regression aufgenommen und damit sämtliche zeitinvarianten Einflüsse (wie der Einfluss des Elternhauses auf die Abiturnoten) eingefangen werden. In der gymnasialen Oberstufe (Sekundarstufe II) des deutschen Schulsystems werden die Leistungen der Schüler mit Punkten bewertet. Die Punktzahl 15 stellt hierbei die potentiell erreichbare Bestnote dar. Nimmt der ermittelte Koeffizient nun einen positiven Wert an, bedeutet dies folglich, dass sich die durchschnittlichen Prüfungsergebnisse im Zeitverlauf verbessern. Bei einem negativen Koeffizienten entwickelt sich die Benotung der Schüler hingegen in eine negative Richtung. Bei der Analyse der Notentrends sind bildungspolitische Veränderungen in einigen Bundesländern zu beachten. Beispielsweise wurde im Untersuchungszeitraum in Ländern wie Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachen das Zentralabitur mit der Hoffnung eingeführt, Abiturprüfungsergebnisse landesweit vergleichbar zu machen (Maag Merki 2012, S. 7). Zudem wurde in diesem Zeitraum in vielen Ländern das Abitur nach der Jahrgangsstufe 12 (G8) beschlossen. Ziel war es vorrangig, das im internationalen Vergleich hohe Schulentlassungsalter deutscher Abiturienten zu senken (DIW o. J.) Diese Änderungen der Schulordnung könnten sich ebenfalls auf die Abiturnoten auswirken. So wird u. a. befürchtet, dass die Bildungsqualität durch das G8-System beeinträchtigt wird.8 In acht der zehn untersuchten Bundesländer wurde das Abitur nach der 12. Jahrgangstufe jedoch bereits deutlich vor dem Untersuchungszeitraum oder in den letzten Jahren des Untersuchungszeitraums erstmals umgesetzt. Entsprechend kann diese Systemänderung keine erheblichen Auswirkungen auf gefundene Notentrends haben. Ähnliches gilt für die Einführung des Zentralabiturs. Die Notentrends scheinen in einigen Bundesländern (wie Nordrhein-Westfalen und Niedersachen) nach der Einführung des Zentralabiturs stärker ausgeprägt zu sein (siehe Tabelle 1). Notenentwicklungen in Ländern wie Sachsen und Thüringen, in denen die Abiturprüfungen bereits

7

8

Diese Methode geht auf Hannan und Young zurück (Hannan und Young 1977). Durch Verwendung von robusten und geclusterten Standardfehlem wird fur Heteroskedastizität und Autokorrelation der Daten kontrolliert. Diese Befürchtungen konnten empirisch jedoch nicht bestätigt werden (IW Köln 2014, S. 86 ff.)

10

Fabian Schleithoff

seit 1949 zentral gestellt werden, zeigen hingegen, dass Noten auch bei nahezu unveränderten Rahmenbedingungen gewissen Trends unterliegen. Grundsätzlich können bestehende Notentrends entweder auf eine ansteigende Leistungsfähigkeit der Schüler oder auf eine Noteninflation hinweisen. Um die zweite Hypothese (H2) zu prüfen, sollen entsprechend die Ergebnisse der Abiturprüfungen mit denen von Kompetenztests in Verbindung gebracht werden und anhand von Korrelationskoeffizienten bewertet werden. 9 Ein positiver Entwicklungstrend der Abiturprüfungspunkte, bei konstanten Ergebnissen von Kompetenztests, würde bedeuten, dass die Schüler trotz gleichbleibendem Leistungsvermögen bessere Abiturprüfungsergebnisse erzielen. Das wäre ein deutliches Anzeichen für eine Noteninflation. In diesem Kontext werden auch die strukturellen und inhaltlichen Probleme eines Vergleichs von Abiturprüfungen und Kompetenztests dargestellt.

IV. Empirische Analyse zur Notenentwicklung Im Folgenden werden die wesentlichen Regressionsergebnisse unterteilt nach den drei Aufgabenfeldern dargestellt. Im Leistungskursbereich des sprachlich-literarisch-künstlerischen Schwerpunkts (Aufgabenfeld I) ist in sechs der acht Schulfächer eine signifikant positive Entwicklung der Benotung von Abiturprüfungsklausuren zu konstatieren (siehe Tabelle 3). Bei schriftlichen Grundkursprüfungen des ersten Aufgabenfeldes zeichnet sich bei fünf der untersuchten Schulfächer ein signifikanter Effekt ab. In der Fremdsprache Russisch entwickeln sich die Prüfungsergebnisse jedoch in eine negative Richtung. Hervorzuheben ist der Wert im Schulfach Latein. Während sich die durchschnittlichen Punkte bereits im Leistungskursbereich (im Vergleich zu den anderen Fächern) am stärksten entwickeln, bedeutet der signifikante Wert in Höhe von 0.26 im schriftlichen Grundkursbereich den positivsten Notentrend aller Fächer. Im mündlichen Grundkursbereich entwickeln sich die Ergebnisse in fünf Schulfächern zeitlich signifikant positiv. 10 Auch schulfachübergreifend (bezogen auf das ganze Aufgabenfeld I) kann ein positiv signifikanter Notentrend festgehalten werden, der im Leistungskursbereich am stärksten ausgeprägt ist. Für das Aufgabenfeld I kann die erste These somit bestätigt werden, nach der die Abiturprüfungsergebnisse in Deutschland immer besser werden. Im gesellschaftswissenschaftlich ausgerichteten Aufgabenfeld (AF II) zeigt sich in vielen Fächern eine durchschnittliche Verbesserung der Abiturprüfungsergebnisse (siehe Tabelle 4). Im Gegensatz zum ersten Aufgabenfeld werden signifikante Notenentwicklungen hier jedoch vorrangig bei dezentralen mündlichen Prüfungen nachgewiesen. 9

10

Für eine methodisch vergleichbare Vorgehensweise zur Analyse des Zusammenhangs von Schulnoten und Testleistungen, siehe Lehmann et al. (1999), S. 117. Die Entwicklung der Prüfungsnoten ist in den einzelnen Schulfächern, differenziert nach Prüfungstyp, häufig unterschiedlich. Während die Notenentwicklung beispielsweise im Fach Deutsch nur im Leistungskurs- und schriftlichen Grundkursbereich signifikant ist, weisen schriftliche und mündliche Grundkursprüfungen im Fach Latein einen solchen Trend auf. Da derartige Unterschiede keine systematische Struktur aufweisen, lassen sich die Unterschiede einzelner Prüfungstypen nicht plausibel erklären.

11

Noteninflation im deutschen Schulsystem

Im Fach Geographie sind im Leistungskurs sowie in schriftlichen und mündlichen Grundkursprüfungen signifikant positive Notentrends festzuhalten. Tabelle 3: Notentrend im Aufgabenfeld I LK AFI Deutsch Englisch Französisch Latein Russisch Spanisch Kunst Musik

GK (schrift.)

0.09 (0.02)***

0.01

0.05 (0.01)*** 0.02 (0.01) 0.09 (0.03)** 0.23 (0.10)* 0.14 (0.05)** 0.09 (0.06) 0.14 (0.02)*** 0.21 (0.04)***

0.08 (0.01)***

GK (mündl.) 0.10 (0.02)***

(0.04)

0.02 (0.02) 0.03 (0.02) 0.12 (0.02)***

0.00 (0.03) -0.07 (0.06) 0.26 (0.07)*** -0.28 (0.14)* 0.13 (0.05)* 0.20 (0.02)***

0.11 (0.04)** 0.18 (0.10) 0.09 (0.04)* 0.07 (0.01)*** 0.09 (0.01)***

-0.11 (0.11) *p