Normkonkretisierung im Privatrecht 9783161579295, 3161483782

Seit dem ersten Erscheinen der grundlegenden Monographie von Karl Engisch 'Die Idee der Konkretisierung in Recht un

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Normkonkretisierung im Privatrecht
 9783161579295, 3161483782

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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
§ 1 Gegenstand und Gang der Untersuchung
Erster Teil Grundlagen und Grundfragen
§ 2 Normkonkretisierung als rechtliches Phänomen
I. Faszination der Konkretisierung
1. Ambivalenz und Diskreditierung des Konkreten im Nationalsozialismus
2. Rehabilitation des Konkreten durch K. Engisch
3. Renaissance des Konkreten in den gegenwärtigen Rechts- und Methodenlehren
a) Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft
b) Methodologische Bedeutung der Konkretisierung
II. Modellvorstellungen der Normkonkretisierung
1. Normkonkretisierung als Normverwirklichung
2. Normkonkretisierung als Normerzeugung
a) Hermeneutische Konkretisierungstheorie
b) Abgrenzung und Kritik
3. Normkonkretisierung als Normausfüllung
a) Normausfüllung als Ausdruck „gebundener Rechtsbildung“
b) Problemzuweisung zu unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln
III. Aufgaben einer Theorie der Normkonkretisierung
IV. Zusammenfassung
§ 3 Gegenstand der Normkonkretisierung
I. Typologie der Normbegriffe
1. Graduelle Unbestimmtheit der Normbegriffe
2. Deskriptive und normative Begriffe
3. Generalklausel und Blankettnorm
a) Spezifische Normfunktionen der Generalklausel?
b) Generalklausel als „besonders“ ausfüllungsbedürftige Norm
c) Blankettnorm
II. Begriffe der Privatrechtsnorm
1. Regelungstechnik und Gesetzessprache
2. Bestandsaufnahme: Die Begriffe der Privatrechtsnorm
a) Deskriptive Begriffe
b) Generalklauseln und Blankettnormen
c) Normative Begriffe
aa) Begründung von Gegenrechten
(1) Erheblich und unerheblich
(2) Wesentlich und unwesentlich
(3) Verhältnismäßig und unverhältnismäßig
(4) Zumutbarkeitsklauseln
(5) Härte- und Billigkeitsklauseln
bb) Begründung außerordentlicher Gestaltungsrechte
cc) Bestimmung des Anspruchsinhaltes
III. Zusammenfassung
§ 4 Verfassung und Normkonkretisierung
I. Verfassung und Methode
II. Normkonkretisierung als delegierte Rechtsetzung
1. Entwicklung des Delegationsgedankens
2. Der Delegationsgedanke als verfassungsrechtliche Erklärungsfigur der Normkonkretisierung
III. Angewiesenheit judikativer Rechtsetzung auf einen Delegationsakt
1. Rechtsetzung als originäre Aufgabe der Rechtsprechung?
2. Judikative Rechtsetzung als subsidiäre und derivative Rechtsetzung
a) Rechtsetzungsprärogative und Zuweisungsaufgabe des Gesetzgebers
b) Judikative Rechtsetzung als Auftragswerk
IV. Delegierbarkeit von Rechtsetzungsbefugnissen
1. Funktionsvorbehalt des Privatrechtsgesetzgebers
2. Wesentlichkeitsvorbehalt des Privatrechtsgesetzgebers
a) Wesentlichkeitstheorie des BVerfG
b) Politische Leitentscheidungen im Privatrecht
c) Grundrechtsrelevanz des Privatrechts
3. Relative Gesetzgebungsvorbehalte
a) Bestimmtheitsgebot
b) Gründe sachgerechter Delegation
aa) Beteiligtenbezogenheit des Privatrechts
bb) Zeitbezogenheit des Privatrechts
cc) Persönlichkeitsgeprägtheit des Privatrechts
V. Bindung an den Delegationsauftrag
1. Materielle Vorgaben des Delegationsauftrages
2. Rückholrecht und Rückholpflicht des Privatrechtsgesetzgebers
a) Gründe für die Ausübung des Rückholrechts
b) Bestehen einer Rückholpflicht?
VI. Verfassungsvorgaben judikativer Normsetzung
1. Der Kompensationsgedanke
2. Gebot der Sachrichtigkeit
a) Richterliche Ermittlung der Konkretisierungstatsachen
b) Einbeziehung externen Sachverstands
c) Richterliche Pflicht zum „Nachfassen“
3. Gebot der Rechtssicherheit
a) Überblick über den Diskussionsstand
b) Optimale Präjudizienbindung
aa) Materielle und institutionalisierte Richtigkeit
bb) Vertrauensschutzerwägungen
cc) Abweichungsbefugnis
4. Gebot der Rechtsgleichheit
a) Gleichgerechtigkeit
aa) Sachgerechte Generalisierung
bb) Sachgerechte Differenzierung
cc) Insbesondere bei der Rezeption externer Quantifizierungen
b) Systematische Folgerichtigkeit
5. Gebot der Normenklarheit
a) Normenverständlichkeit
aa) Hinreichende Bestimmtheit
bb) Begründung
b) Normenzugänglichkeit
aa) Publizitätsanforderungen
bb) Insbesondere bei der Rezeption externer Regelwerke
6. Gesetzes- und Grundrechtsbindung
a) Unzulässigkeit gesetzeskorrigierender Konkretisierung
b) Grundrechtsentfaltung durch Normkonkretisierung
aa) Grundlagen
bb) Problemkreise
(1) Voraussetzungen richterlicher Schutzverpflichtung
(2) Grenzen normkonkretisierender Schutzgewähr
VII. Zusammenfassung
§ 5 Methoden der Normkonkretisierung
I. Pluralität der Konkretisierungsmethoden
II. Normkonkretisierung als Lückenfüllung?
1. Konkretisierungsbedürftigkeit als Gesetzeslücke?
a) Normkonkretisierung als zulässige Rechtsfortbildung
b) Zur Leistungsfähigkeit der Instrumente der Lückenfüllung für die Konkretisierungsaufgabe
aa) Analogieschluss
bb) Teleologische Reduktion und Extension
2. Konkretisierungsbedürftigkeit als Rechtslücke?
III. Normkonkretisierung und Auslegung
1. Problemverwandtschaft von Auslegung und Normkonkretisierung
2. Auslegung als Verwirklichung der Gesetzesbindung der Normkonkretisierung
a) Grammatische Auslegung
b) Historische Auslegung
c) Systematisch-teleologische Auslegung
IV. Normkonkretisierung als Argumentationsaufgabe
1. Rationale Begründbarkeit der Normkonkretisierung
2. Topik und Normkonkretisierung
3. Elemente einer Argumentationstheorie der Normkonkretisierung
a) Auslegungsargumente
b) Abwägungsargumente
aa) Abwägung als prädestiniertes Verfahren privatrechtlicher Regelbildung
bb) Rationalitätsbedingungen: Das Begründungsmodell der Abwägung
c) Argumente aus den Folgen
aa) Folgenorientierung und privatrechtliche Regelbildung
bb) Folgenorientierung am Effizienzgebot: zum Nutzen der ökonomischen Analyse für die privatrechtliche Normkonkretisierung
(1) Anwendungsbereiche effizienzorientierter Normkonkretisierung
(2) Rationalitätsbedingungen effizienzorientierter Normkonkretisierung
V. Zusammenfassung
§ 6 Fazit: Konkretisierungsspielraum und Konkretisierungsrationalität
I. Konkretisierungsspielraum
II. Konkretisierungsrationalität
1. Ableitungs- und Anleitungsrationalität
2. Praktische Konkordanz der Konkretisierungsanforderungen
Zweiter Teil Typologie der Normkonkretisierung
§ 7 Strukturen einer Konkretisierungstypologie
I. Normkonkretisierung als Prozess
II. Konkretisierungstypologie und Konkretisierungsstufen
1. Beurteilungsmaßstäbe und Beurteilungsrelationen
2. Qualifizierungen und Quantifizierungen
3. Konkretisierungsstufen
III. Tatbestands- und Rechtsfolgenkonkretisierung
1. Normtypen
a) Tatbestandskonkretisierung
b) Rechtsfolgenkonkretisierung
c) Konkretisierung von Tatbestand und Rechtsfolge
aa) Abgrenzbare Tatbestands- und Rechtsfolgenkonkretisierung
bb) Verknüpfte Tatbestands- und Rechtsfolgenkonkretisierung
2. Geschlossene und offene Normkonkretisierung
IV. Zusammenfassung
§ 8 Scheinkonkretisierungen
I. Begriff und Erscheinungsformen
II. Gleichbedeutende normative Begriffe
1. Austauschbare Gewichtungsbegriffe
2. Verhältnismäßigkeitswendungen
III. Verzicht auf abstrakt-generelle Entscheidungsregeln
1. Umstände des Einzelfalles
2. Tatfrage
IV. Zusammenfassung
§ 9 Beurteilungsmaßstäbe
I. Begriff und Erscheinungsformen
II. Wirtschaftliche und objektive Beurteilung
1. Wirtschaftliche Beurteilung
2. Objektive Beurteilung
III. Verständige Beurteilung
1. Der „verständige Durchschnittsmensch“ im privaten Nachbarrecht
2. Der „verständige Patient“ im Arzthaftungsrecht
IV. Zusammenfassung
§ 10 Qualifizierungen
I. Begriff und Erscheinungsformen
II. Bewertungsgrenze von Gewichtungsbegriffen
1. Normindividuelle, teleologische Begründung
2. Sachliche Reichweite
III. Abwägungsfaktoren und Ausgewogenheitsmaßstab von Abwägungsbegriffen
1. Bezugspunkte der Abwägung: Abwägungsfaktoren
a) Abwägung aller Umstände des Einzelfalles
b) Verengung der Abwägung auf ein einziges Kriterium
c) Normindividuelle, teleologische Begründung
aa) § 655 BGB
bb) § 616 S. 1 BGB
2. Benennung des Ausgewogenheitsmaßstabes
a) Strukturen der Verhältnismäßigkeit im öffentlichen Recht
b) Typisierung der privatrechtlichen Ausgewogenheitsmaßstäbe
aa) Einfaches und qualifiziertes Überwiegen
bb) Prinzipieller Vorrang eines Interesses
(1) § 320 Abs. 2 BGB
(2) § 635 Abs. 3 BGB n.F. (§ 633 Abs. 2 S. 3 BGB a.F.)
(3) §§ 343 Abs. 1, 655 S. 1 BGB
c) Ausgewogenheitsmaßstab und Zumutbarkeit
aa) Blick auf das öffentliche Recht
bb) Subjektbezogenheit und Individualisierungsgrad
cc) Zumutbarkeit als „absolute Opfergrenze“?
IV. Zusammenfassung
§ 11 Quantifizierungen
I. Begriff und Erscheinungsformen
II. Judikative Quantifizierungen
1. Bewusster Quantifizierungsverzicht des Gesetzgebers
2. Mangelnde Konkretisierungserfahrung
3. Unvollständige Umsetzung des Bewertungsauftrages
III. Rezeption externer Quantifizierungen
1. Gesetzlich eröffnete Rezeption
a) Rezeption externer Immissionswerte
aa) Gegenstand der Rezeptionsregel
bb) Einschlägigkeit und Erkenntniswert der rezipierten Quantifizierung
cc) Wirkung der Rezeptionsregel
b) Abgrenzung: Rezeption externer Mietspiegel
2. Autonome Rezeption
a) Grundsätzliche Zulässigkeit konkretisierender Rezeption
b) Allgemeine Bedingungen sachrichtiger Rezeption
c) Hoheitliche Quantifizierungen
aa) Abgrenzung von Rezeption und Geltung
bb) Einschlägigkeit hoheitlicher Quantifizierungen
d) Private Quantifizierungen
aa) Abgrenzung: Private Tatsachen- und Entscheidungssammlungen
(1) Nutzungswert von Kraftfahrzeugen
(2) Arbeitszeitbedarf der Haushaltsführung
(3) Schmerzensgeldbemessung
bb) Technische Normen
(1) Einschlägigkeit der rezipierten Norm
(2) Sachverständigkeit des Normgebers
cc) Berufs- und Standesregeln
dd) Tarifnormen
e) Externe judikative Quantifizierungen
aa) Das Beispiel der Unterhaltstabellen
bb) Rechtsqualität der Unterhaltstabellen
(1) Unzulässige Handlungsform?
(2) Mangelnder Fallbezug?
(3) Unzulässige Bindungswirkung?
cc) Bedingungen sachrichtiger Rezeption
(1) Allgemeine Sachrichtigkeitsbedingungen: Sachverständigkeit, Aktualität, Einschlägigkeit
(2) Besondere Sachrichtigkeitsbedingungen
(a) Vollständigkeit und Doppelverwertungsverbot
(b) Gleichgerechtigkeit und Folgerichtigkeit
dd) Zusammenfassung
IV. Zusammenfassung
Dritter Teil Normkonkretisierung im europäischen Privatrecht
§ 12 Normkonkretisierung in der supranationalen Kompetenzordnung
I. Normkonkretisierung als Kompetenzfrage
II. Akteure europäischer Normkonkretisierung
1. Akteure der Richtlinienkonkretisierung
2. Akteure der Verordnungskonkretisierung
§ 13 Zulässigkeit konkretisierungsbedürftiger Rechtsetzung
I. Konkretisierungsbedürftigkeit und gemeinschaftliche Kompetenzordnung
1. Verbandskompetenz und Regelungsdichte
a) Folgerungen aus dem Prinzip begrenzter Einzelzuständigkeit
aa) Bestimmtheitsgebot für Kompetenztitel
bb) Bestimmtheitsanforderungen und zugewiesene Handlungsform?
b) Folgerungen aus dem Subsidiaritätsprinzip
2. Organkompetenz und Regelungsdichte
a) Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts
b) Aufgabendelegationen im Gemeinschaftsrecht
c) Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen durch konkretisierungsbedürftiges Sekundärrecht
d) Aufgabendelegationen im Rahmen der gemeinschaftlichen Organisationsgewalt
e) Konkretisierung als vertraglich zugewiesene Aufgabe des EuGH
aa) Konkretisierung als Bestandteil der Vorabentscheidung (Art. 234 EG)
bb) Konkretisierung als Bestandteil zulässiger Rechtsfortbildung (Art. 220 EG)
f) Institutionelle Delegationsgrenzen
II. Konkretisierungsbedürftigkeit und gemeinschaftliches Bestimmtheitsgebot
1. Grundlage und Inhalt des Bestimmtheitsgebotes
2. Bestimmtheitsanforderungen an privatrechtsangleichende Rechtsakte
a) Zeitbezogenheit des Privatrechts und gemeinschaftliche Rechtsetzung
b) Geringe Belastungsintensität privatrechtsangleichender Richtlinien
c) Gemeinsame Begriffstraditionen der mitgliedstaatlichen Privatrechte
III. Zusammenfassung
§ 14 Aufgabenverteilung im supranationalen Konkretisierungsdialog
I. Aufgabenverteilung auf nationaler Ebene
1. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben
a) Erfordernis eines legislativen Umsetzungsaktes
b) Gebot sachgeeigneter Umsetzung
aa) Argumente für legislative Konkretisierung
bb) Argumente für judikative Konkretisierung
2. Verfassungsrechtliche Vorgaben
II. Aufgabenverteilung auf supranationaler Ebene
1. Überblick über die wissenschaftliche Diskussion
a) Der überwiegende Standpunkt: Konkretisierungskompetenz des EuGH
b) Gegenargumente
aa) Wesen der Richtlinie
bb) Wesen der Rechtsangleichung
cc) Kompetenzen des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren
dd) Subsidiaritätsprinzip
ee) Fehlen materieller Maßstäbe
c) Rechtsangleichungsintention des konkretisierungsbedürftigen Rechtsaktes
aa) Begriffsbezogene Argumente
bb) Strategiebezogene Argumente
2. Rechtsprechung des EuGH
a) Grundsatz autonomer Auslegung des Sekundärrechts
b) Die „Océano“-Entscheidung
3. BGH-Vorlage zur Klausel-Richtlinie
III. Sachgesichtspunkte eines sinnvollen Konkretisierungsdialogs
1. Institutionelle Vorgaben: Das Vorabentscheidungsverfahren
a) Reichweite der Vorlagepflicht im Konkretisierungsprozess
b) Beschränkung der Vorlagepflicht?
c) Kooperation im Konkretisierungsprozess
2. Gestaltung des Konkretisierungsdialogs durch die Vorlagepraxis der nationalen Gerichte
a) Auswahl sinnvoller Vorlagen
b) Abfassung der Vorlage
c) Zeitpunkt der Vorlage
3. Gestaltung des Konkretisierungsdialogs durch die Entscheidungspraxis des EuGH
a) Maßhalten mit der Vorlagefrage
aa) Gegenstand der Vorlage
bb) Stand der Konkretisierung
(1) Maßhalten durch mehrstufige Rechtsfindung
(2) Zur Wirksamkeit von Leitbildern: Das Verbraucherleitbild im Lauterkeitsrecht
(3) Kritik an der „Océano“-Entscheidung zur Klausel-Richtlinie
b) Abfassung der Vorlageentscheidung
c) Innerprozessualer Dialog mit dem vorlegenden Gericht
IV. Zusammenfassung
§ 15 Verwirklichung gemeinschaftlicher Konkretisierungsvorgaben
I. Judikative Konkretisierung
1. Verwirklichung durch die Rechtsprechung: richtlinienkonforme Konkretisierung
a) Bestimmtheit und Einschlägigkeit der Konkretisierungsvorgabe
b) Vereinbarkeit mit dem nationalen Recht
aa) Vorbemerkung zur richtlinienkonformen Auslegung
bb) Grenzen richtlinienkonformer Konkretisierung
(1) Materielle Delegationsgrenzen
(2) Verfassungsrechtliche Konkretisierungsanforderungen
(3) Insbesondere grundrechtliche Konkretisierungsanforderungen
2. Verwirklichung durch den Gesetzgeber
a) Unzulänglichkeit des einfachen Rechts
aa) Unmittelbare horizontale Anwendung der Richtlinie?
bb) Richtlinienkonforme Rechtsfortbildung?
b) Unzulässigkeit der Delegation
II. Legislative Konkretisierung
1. Weiter gehende Verpflichtungen des Gesetzgebers
2. Rolle der Rechtsprechung
III. Zusammenfassung
Vierter Teil Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
§ 16 Thesen
Literaturverzeichnis
Sachregister

Citation preview

JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 91

Anne Röthel

Normkonkretisierung im Privatrecht

Mohr Siebeck

Anne Rötheb. Geboren 1968 in Bochum, 1987-1993 Studium der Rechtswissenschaften in Köln und Clermont-Ferrand. 1994-1995 Graduiertenkolleg „Umwelt- und Technikrecht" der Universität Trier; 1996 Promotion bei Richter des BVerfG Professor Dr. Dr. Udo Di Fabio; 1998 Zweite Juristische Staatsprüfung; 1997-2003 wiss. Angestellte am Lehrstuhl von Professor Dr. Klaus Vieweg, Universität Erlangen-Nürnberg; Bayerischer Habilitationsförderpreis 2000; 2003 Habilitation; Heisenberg-Stipendiatin der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

978-3-16-157929-5 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 I S B N 3-16-148378-2 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum)

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2004 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide Druck in Tübingen aus der Garamond belichtet, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Im Andenken an meine Mutter Adelheid Röthel, geb. Spengler (1942-1978)

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Dezember 2002 fertiggestellt und im Sommersemester 2003 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg als Habilitationsschrift angenommen. Für die Drucklegung wurden Literatur und Rechtsprechung bis Ende 2003 nachgetragen. Mein erster D a n k gebührt meinem akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Klaus Vieweg, der mich zu dem Weg der Habilitation ermutigte und das Thema der Normkonkretisierung anregte. Die Veröffentlichung der Habilitationsschrift ist mir zugleich willkommene Gelegenheit, Herrn Professor Dr. Mathias R o h e für seine wohlwollende Unterstützung und für seinen wertvollen Zweitbericht zu danken. Ebenfalls nicht selbstverständlich ist die freundlichkollegiale Atmosphäre an der Erlanger juristischen Fakultät. Mein D a n k an dieser Stelle kann nur unvollkommen sein. D i e Entstehung der Habilitationsschrift wurde von der Deutschen F o r schungsgemeinschaft mit einem Habilitationsstipendium und einem großzügigen Druckkostenzuschuss sowie vom Freistaat Bayern mit dem Bayerischen Habilitationsförderpreis 2000 gefördert. Die juristische Fakultät zeichnete die Schrift im Jahr 2003 mit dem Konrad-Hellwig-Preis aus. Für diese kontinuierliche Unterstützung bin ich zutiefst dankbar. D i e Menschen an meiner Seite haben die Entstehung dieser Arbeit in ihren H ö h e n und Tiefen begleitet. Ihnen allen sei herzlich für ihre einfühlende und liebevolle Unterstützung gedankt, insbesondere meinem Mann Dr. Heinz-Jürgen Klöpper und meiner Schwester Nina Röthel - sie haben mein Zweifeln ausgehalten und mir immer wieder Zuversicht gegeben. Herdecke, im Frühjahr 2004

Anne

Röthel

Inhaltsverzeichnis Vorwort

§ 1

Gegenstand und Gang der Untersuchung

Erster Teil Grundlagen und Grundfragen §2

Normkonkretisierung als rechtliches Phänomen I. Faszination der Konkretisierung 1. Ambivalenz und Diskreditierung des Konkreten im Nationalsozialismus 2. Rehabilitation des Konkreten durch K. Engisch 3. Renaissance des Konkreten in den gegenwärtigen Rechts- und Methodenlehren a) Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft b) Methodologische Bedeutung der Konkretisierung II. Modellvorstellungen der Normkonkretisierung 1. Normkonkretisierung als Normverwirklichung 2. Normkonkretisierung als Normerzeugung a) Hermeneutische Konkretisierungstheorie b) Abgrenzung und Kritik 3. Normkonkretisierung als Normausfüllung a) Normausfüllung als Ausdruck „gebundener Rechtsbildung" b) Problemzuweisung zu unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln III. Aufgaben einer Theorie der Normkonkretisierung IV. Zusammenfassung

X § 3

§ 4

Inhaltsverzeichnis Gegenstand der Normkonkretisierung

25

I. Typologie der Normbegriffe 1. Graduelle Unbestimmtheit der Normbegriffe 2. Deskriptive und normative Begriffe 3. Generalklausel und Blankettnorm a) Spezifische N o r m f u n k t i o n e n der Generalklausel? b) Generalklausel als „besonders" ausfüllungsbedürftige Norm c) Blankettnorm

25 25 27 29 30

II. Begriffe der Privatrechtsnorm 1. Regelungstechnik und Gesetzessprache 2. Bestandsaufnahme: Die Begriffe der Privatrechtsnorm a) Deskriptive Begriffe b) Generalklauseln und Blankettnormen c) Normative Begriffe aa) Begründung von Gegenrechten (1) Erheblich und unerheblich (2) Wesentlich und unwesentlich (3) Verhältnismäßig und unverhältnismäßig (4) Zumutbarkeitsklauseln (5) Härte- und Billigkeitsklauseln bb) Begründung außerordentlicher Gestaltungsrechte cc) Bestimmung des Anspruchsinhaltes

35 35 37 37 37 39 39 39 40 41 42 43 44 45

33 34

III. Zusammenfassung

46

Verfassung und Normkonkretisierung

48

I. Verfassung und Methode II. Normkonkretisierung als delegierte Rechtsetzung 1. Entwicklung des Delegationsgedankens 2. Der Delegationsgedanke als verfassungsrechtliche Erklärungsfigur der Normkonkretisierung III. Angewiesenheit judikativer Rechtsetzung auf einen Delegationsakt 1. Rechtsetzung als originäre A u f g a b e der Rechtsprechung? 2. Judikative Rechtsetzung als subsidiäre und derivative Rechtsetzung a) Rechtsetzungsprärogative und Zuweisungsaufgabe des Gesetzgebers b) Judikative Rechtsetzung als Auftragswerk

48 49 49 53 54 54 56 56 59

XI

Inhaltsverzeichnis IV. Delegierbarkeit von Rechtsetzungsbefugnissen

60

1. Funktionsvorbehalt des Privatrechtsgesetzgebers

60

2. Wesentlichkeitsvorbehalt des Privatrechtsgesetzgebers

63

a) Wesentlichkeitstheorie des BVerfG

64

b) Politische Leitentscheidungen im Privatrecht

66

c) Grundrechtsrelevanz des Privatrechts

66

3. Relative Gesetzgebungsvorbehalte

70

a) Bestimmtheitsgebot

70

b) Gründe sachgerechter Delegation

71

aa) Beteiligtenbezogenheit des Privatrechts

73

bb) Zeitbezogenheit des Privatrechts

75

cc) Persönlichkeitsgeprägtheit des Privatrechts

78

V. Bindung an den Delegationsauftrag

79

1. Materielle Vorgaben des Delegationsauftrages

79

2. Rückholrecht und Rückholpflicht des Privatrechtsgesetzgebers

80

a) Gründe für die Ausübung des Rückholrechts

81

b) Bestehen einer Rückholpflicht?

83

VI. Verfassungsvorgaben judikativer Normsetzung

84

1. Der Kompensationsgedanke

84

2. G e b o t der Sachrichtigkeit a) Richterliche Ermittlung der Konkretisierungstatsachen

86 ....

86

b) Einbeziehung externen Sachverstands

89

c) Richterliche Pflicht zum „Nachfassen"

90

3. G e b o t der Rechtssicherheit

91

a) Uberblick über den Diskussionsstand

92

b) Optimale Präjudizienbindung

94

aa) Materielle und institutionalisierte Richtigkeit

95

bb) Vertrauensschutzerwägungen

97

cc) Abweichungsbefugnis

99

4. G e b o t der Rechtsgleichheit

102

a) Gleichgerechtigkeit

103

aa) Sachgerechte Generalisierung

103

bb) Sachgerechte Differenzierung

104

cc) Insbesondere bei der Rezeption externer Quantifizierungen

105

b) Systematische Folgerichtigkeit

105

5. G e b o t der Normenklarheit a) Normenverständlichkeit aa) Hinreichende Bestimmtheit bb) Begründung b) Normenzugänglichkeit

107 107 107 108 110

XII

Inhaltsverzeichnis

aa) Publizitätsanforderungen bb) Insbesondere bei der Rezeption externer Regelwerke . . 6. Gesetzes-und Grundrechtsbindung a) Unzulässigkeit gesetzeskorrigierender Konkretisierung . . . . b) Grundrechtsentfaltung durch Normkonkretisierung aa) Grundlagen bb) Problemkreise (1) Voraussetzungen richterlicher Schutzverpflichtung . (2) Grenzen normkonkretisierender Schutzgewähr . . . . VII. Zusammenfassung §5

Methoden der Normkonkretisierung I. Pluralität der Konkretisierungsmethoden II. Normkonkretisierung als Lückenfüllung? 1. Konkretisierungsbedürftigkeit als Gesetzeslücke? a) Normkonkretisierung als zulässige Rechtsfortbildung b) Zur Leistungsfähigkeit der Instrumente der Lückenfüllung für die Konkretisierungsaufgabe aa) Analogieschluss bb) Teleologische Reduktion und Extension 2. Konkretisierungsbedürftigkeit als Rechtslücke? III. Normkonkretisierung und Auslegung 1. Problemverwandtschaft von Auslegung und Normkonkretisierung 2. Auslegung als Verwirklichung der Gesetzesbindung der Normkonkretisierung a) Grammatische Auslegung b) Historische Auslegung c) Systematisch-teleologische Auslegung IV. Normkonkretisierung als Argumentationsaufgabe 1. Rationale Begründbarkeit der Normkonkretisierung 2. Topik und Normkonkretisierung 3. Elemente einer Argumentationstheorie der Normkonkretisierung a) Auslegungsargumente b) Abwägungsargumente aa) Abwägung als prädestiniertes Verfahren privatrechtlicher Regelbildung bb) Rationalitätsbedingungen: Das Begründungsmodell der Abwägung c) Argumente aus den Folgen

110 111 112 113 113 113 116 117 119 122 124 124 125 126 126 127 127 128 129 130 130 132 134 135 136 139 139 141 144 144 146 148 150 152

Inhaltsverzeichnis

aa) Folgenorientierung und privatrechtliche Regelbildung . bb) Folgenorientierung am Effizienzgebot: zum Nutzen der ökonomischen Analyse für die privatrechtliche Normkonkretisierung (1) Anwendungsbereiche effizienzorientierter Normkonkretisierung (2) Rationalitätsbedingungen effizienzorientierter Normkonkretisierung V. Zusammenfassung §6

XIII 153

154 155 158 159

Fazit: Konkretisierungsspielraum und Konkretisierungsrationalität . . . . I. Konkretisierungsspielraum

161

II. Konkretisierungsrationalität 1. Ableitungs-und Anleitungsrationalität 2. Praktische Konkordanz der Konkretisierungsanforderungen . . .

Zweiter

161

162 162 163

Teil

Typologie der Normkonkretisierung §7

Strukturen einer Konkretisierungstypologie I. Normkonkretisierung als Prozess

167 167

II. Konkretisierungstypologie und Konkretisierungsstufen 1. Beurteilungsmaßstäbe und Beurteilungsrelationen 2. Qualifizierungen und Quantifizierungen 3. Konkretisierungsstufen

169 169 170 171

III. Tatbestands-und Rechtsfolgenkonkretisierung 1. Norm typen a) Tatbestandskonkretisierung b) Rechtsfolgenkonkretisierung c) Konkretisierung von Tatbestand und Rechtsfolge aa) Abgrenzbare Tatbestands- und Rechtsfolgenkonkretisierung bb) Verknüpfte Tatbestands- und Rechtsfolgenkonkretisierung 2. Geschlossene und offene Normkonkretisierung

171 172 172 172 173

IV. Zusammenfassung

178

174 175 176

XIV §8

Inhaltsverzeichnis

Scheinkonkretisierungen I. Begriff und Erscheinungsformen II. Gleichbedeutende normative Begriffe 1. Austauschbare Gewichtungsbegriffe 2. Verhältnismäßigkeitswendungen

§9

180 180 180 181 183

III. Verzicht auf abstrakt-generelle Entscheidungsregeln 1. Umstände des Einzelfalles 2. Tatfrage

184 185 186

IV. Zusammenfassung

187

Beurteilungsmaßstäbe

188

I. Begriff und Erscheinungsformen II. Wirtschaftliche und objektive Beurteilung 1. Wirtschaftliche Beurteilung 2. Objektive Beurteilung

188 188 190 192

III. Verständige Beurteilung 1. Der „verständige Durchschnittsmensch" im privaten Nachbarrecht 2. Der „verständige Patient" im Arzthaftungsrecht

196

IV. Zusammenfassung

204

§10 Qualifizierungen I. Begriff und Erscheinungsformen II. Bewertungsgrenze von Gewichtungsbegriffen 1. Normindividuelle, teleologische Begründung 2. Sachliche Reichweite III. Abwägungsfaktoren und Ausgewogenheitsmaßstab von Abwägungsbegriffen 1. Bezugspunkte der Abwägung: Abwägungsfaktoren a) Abwägung aller Umstände des Einzelfalles b) Verengung der Abwägung auf ein einziges Kriterium c) Normindividuelle, teleologische Begründung aa) §655 BGB bb) §616 S.l BGB 2. Benennung des Ausgewogenheitsmaßstabes a) Strukturen der Verhältnismäßigkeit im öffentlichen Recht . . b) Typisierung der privatrechtlichen Ausgewogenheitsmaßstäbe

198 201

205 205 205 206 208 209 210 211 213 214 215 217 221 222 225

Inhaltsverzeichnis aa) Einfaches und qualifiziertes U b e r w i e g e n bb) Prinzipieller Vorrang eines Interesses (1) §320 A b s . 2 B G B (2) § 6 3 5 A b s . 3 B G B n.F. (§633 A b s . 2 S.3 BGB a.F.) . . (3) §§343 Abs. 1, 655 S. 1 B G B c) Ausgewogenheitsmaßstab und Zumutbarkeit aa) Blick auf das öffentliche Recht bb) Subjektbezogenheit und Individualisierungsgrad cc) Zumutbarkeit als „absolute Opfergrenze" ? IV. Zusammenfassung § 1 1 Quantifizierungen I. Begriff und Erscheinungsformen II. Judikative Quantifizierungen 1. Bewusster Quantifizierungsverzicht des Gesetzgebers 2. Mangelnde Konkretisierungserfahrung 3. Unvollständige U m s e t z u n g des Bewertungsauftrages III. Rezeption externer Quantifizierungen 1. Gesetzlich eröffnete Rezeption a) Rezeption externer Immissionswerte aa) Gegenstand der Rezeptionsregel bb) Einschlägigkeit und Erkenntniswert der rezipierten Quantifizierung cc) W i r k u n g der Rezeptionsregel b) Abgrenzung: Rezeption externer Mietspiegel 2. A u t o n o m e Rezeption a) Grundsätzliche Zulässigkeit konkretisierender Rezeption . . . b) Allgemeine Bedingungen sachrichtiger Rezeption c) Hoheitliche Quantifizierungen aa) Abgrenzung von Rezeption und Geltung bb) Einschlägigkeit hoheitlicher Quantifizierungen d) Private Quantifizierungen aa) Abgrenzung: Private Tatsachen- und Entscheidungssammlungen (1) N u t z u n g s w e r t von Kraftfahrzeugen (2) Arbeitszeitbedarf der Haushaltsführung (3) Schmerzensgeldbemessung bb) Technische N o r m e n (1) Einschlägigkeit der rezipierten N o r m (2) Sachverständigkeit des Normgebers cc) Berufs- und Standesregeln

XV 225 226 227 228 229 232 232 234 236 238 240 240 241 242 244 246 250 251 251 253 253 254 255 256 257 257 258 259 261 264 265 265 266 266 269 270 271 274

XVI

Inhaltsverzeichnis 278

dd) Tarifnormen e) E x t e r n e judikative Quantifizierungen

282

aa) D a s Beispiel der Unterhaltstabellen

282

b b ) Rechtsqualität der Unterhaltstabellen

286

(1) Unzulässige Handlungsform?

287

(2) Mangelnder Fallbezug?

288

(3) Unzulässige BindungsWirkung?

290

cc) Bedingungen sachrichtiger R e z e p t i o n

293

(1) Allgemeine Sachrichtigkeitsbedingungen: Sachverständigkeit, Aktualität, Einschlägigkeit

293

(2) Besondere Sachrichtigkeitsbedingungen

295

(a) Vollständigkeit und Doppelverwertungsverbot

295

(b) Gleichgerechtigkeit und Folgerichtigkeit

300

dd) Zusammenfassung

303

IV. Zusammenfassung

303

Dritter Teil

Normkonkretisierung im europäischen Privatrecht § 12 N o r m k o n k r e t i s i e r u n g in der supranationalen K o m p e t e n z o r d n u n g

§13

....

309

I. N o r m k o n k r e t i s i e r u n g als Kompetenzfrage

309

II. A k t e u r e europäischer N o r m k o n k r e t i s i e r u n g

310

1. A k t e u r e der Richtlinienkonkretisierung

311

2. A k t e u r e der Verordnungskonkretisierung

314

Zulässigkeit konkretisierungsbedürftiger Rechtsetzung

316

I. Konkretisierungsbedürftigkeit und gemeinschaftliche Kompetenzordnung

316

1. Verbandskompetenz und Regelungsdichte

316

a) Folgerungen aus dem Prinzip begrenzter Einzelzuständigkeit

317

aa) Bestimmtheitsgebot für Kompetenztitel

317

bb) Bestimmtheitsanforderungen und zugewiesene Handlungsform? b) Folgerungen aus dem Subsidiaritätsprinzip 2. O r g a n k o m p e t e n z und Regelungsdichte

319 320 322

a) Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts

322

b) Aufgabendelegationen im Gemeinschaftsrecht

324

c) Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen durch konkretisierungsbedürftiges Sekundärrecht

325

Inhaltsverzeichnis d) Aufgabendelegationen im Rahmen der gemeinschaftlichen Organisationsgewalt e) Konkretisierung als vertraglich zugewiesene Aufgabe des EuGH aa) Konkretisierung als Bestandteil der Vorabentscheidung (Art. 234 EG) bb) Konkretisierung als Bestandteil zulässiger Rechtsfortbildung (Art. 220 EG) f) Institutionelle Delegationsgrenzen II. Konkretisierungsbedürftigkeit und gemeinschaftliches Bestimmtheitsgebot 1. Grundlage und Inhalt des Bestimmtheitsgebotes 2. Bestimmtheitsanforderungen an privatrechtsangleichende Rechtsakte a) Zeitbezogenheit des Privatrechts und gemeinschaftliche Rechtsetzung b) Geringe Belastungsintensität privatrechtsangleichender Richtlinien c) Gemeinsame Begriffstraditionen der mitgliedstaatlichen Privatrechte III. Zusammenfassung §14 Aufgabenverteilung im supranationalen Konkretisierungsdialog I. Aufgabenverteilung auf nationaler Ebene 1. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben a) Erfordernis eines legislativen Umsetzungsaktes b) Gebot sachgeeigneter Umsetzung aa) Argumente für legislative Konkretisierung bb) Argumente für judikative Konkretisierung 2. Verfassungsrechtliche Vorgaben II. Aufgabenverteilung auf supranationaler Ebene 1. Überblick über die wissenschaftliche Diskussion a) Der überwiegende Standpunkt: Konkretisierungskompetenz des E u G H b) Gegenargumente aa) Wesen der Richtlinie bb) Wesen der Rechtsangleichung cc) Kompetenzen des E u G H im Vorabentscheidungsverfahren dd) Subsidiaritätsprinzip ee) Fehlen materieller Maßstäbe

XVII

326 328 329 332 334 336 336 338 338 340 341 343 344 344 345 345 347 348 349 351 353 353 353 355 355 356 356 359 361

XVIII

Inhaltsverzeichnis

c) Rechtsangleichungsintention des konkretisierungsbedürftigen Rechtsaktes aa) Begriffsbezogene Argumente bb) Strategiebezogene Argumente 2. Rechtsprechung des E u G H a) Grundsatz autonomer Auslegung des Sekundärrechts b) Die „Oceano"-Entscheidung 3. BGH-Vorlage zur Klausel-Richtlinie III. Sachgesichtspunkte eines sinnvollen Konkretisierungsdialogs 1. Institutionelle Vorgaben: Das Vorabentscheidungsverfahren . . . a) Reichweite der Vorlagepflicht im Konkretisierungsprozess . . b) Beschränkung der Vorlagepflicht? c) Kooperation im Konkretisierungsprozess 2. Gestaltung des Konkretisierungsdialogs durch die Vorlagepraxis der nationalen Gerichte a) Auswahl sinnvoller Vorlagen b) Abfassung der Vorlage c) Zeitpunkt der Vorlage 3. Gestaltung des Konkretisierungsdialogs durch die Entscheidungspraxis des E u G H a) Maßhalten mit der Vorlagefrage aa) Gegenstand der Vorlage bb) Stand der Konkretisierung (1) Maßhalten durch mehrstufige Rechtsfindung (2) Zur Wirksamkeit von Leitbildern: Das Verbraucherleitbild im Lauterkeitsrecht (3) Kritik an der „Oceano"-Entscheidung zur Klausel-Richtlinie b) Abfassung der Vorlageentscheidung c) Innerprozessualer Dialog mit dem vorlegenden Gericht . . . . IV. Zusammenfassung §15 Verwirklichung gemeinschaftlicher Konkretisierungsvorgaben I. Judikative Konkretisierung 1. Verwirklichung durch die Rechtsprechung: richtlinienkonforme Konkretisierung a) Bestimmtheit und Einschlägigkeit der Konkretisierungsvorgabe b) Vereinbarkeit mit dem nationalen Recht aa) Vorbemerkung zur richtlinienkonformen Auslegung . . . bb) Grenzen richtlinienkonformer Konkretisierung (1) Materielle Delegationsgrenzen

364 365 369 373 373 377 379 381 382 383 385 388 389 389 392 394 397 397 398 399 399 401 402 403 406 406 409 410 411 412 414 414 415 416

Inhaltsverzeichnis

(2) Verfassungsrechtliche Konkretisierungsanforderungen (3) Insbesondere grundrechtliche Konkretisierungsanforderungen 2. Verwirklichung durch den Gesetzgeber a) Unzulänglichkeit des einfachen Rechts aa) Unmittelbare horizontale Anwendung der Richtlinie? . . bb) Richtlinienkonforme Rechtsfortbildung? b) Unzulässigkeit der Delegation II. Legislative Konkretisierung 1. Weiter gehende Verpflichtungen des Gesetzgebers 2. Rolle der Rechtsprechung III. Zusammenfassung

XIX

418 419 422 422 423 424 427 428 428 429 430

Vierter Teil

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse §16 Thesen

435

Literaturverzeichnis

443

Sachregister

485

§ 1 Gegenstand und Gang der Untersuchung „Die Deutsche Rechtswissenschaft steht seit geraumer Zeit im Zeichen der ,Konkretisierung'", konstatierte Karl Engisch im Vorwort zu seiner grundlegenden Monographie „Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit"1. Seit dem ersten Erscheinen seiner Schrift im Jahr 1953 ist nun mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen, doch die Faszination der Konkretisierung ist ungebrochen.2 Dies gilt vor allem für die richterliche Normkonkretisierung. Sie bezeichnet nach wie vor ein Grundphänomen kontinentaleuropäischer Rechtsordnungen und ist Gradmesser für Anspruch und Wirklichkeit parlamentarischer Gesetzgebung: Je größer die Diskrepanzen zwischen angestrebtem Kodifikationsideal und realer Leistungsfähigkeit gesetzesförmiger Rechtsetzung, je größer also die viel beschworene „Not des Gesetzgebers"3, umso größer ist auch die praktische Bedeutung richterlicher Normkonkretisierung. In gewaltenteiligen Rechtsordnungen bilden Grundsatz und Grenzen richterlicher Normkonkretisierung daher ein Dauerthema, das sich in der Zeit entwickelt und mit veränderten Rechtsetzungsaufgaben auch immer wieder neu zu diskutieren ist. Diese sich in der Zeit verändernden Rechtsetzungsaufgaben mögen schon für sich Grund genug sein, in gehörigem Abstand zur Monographie von Karl Engisch eine zweite Bestandsaufnahme zu wagen. Hierfür spricht ein Weiteres: Ging es Karl Engisch vor allem um eine Beschreibung des Phänomens des Konkreten, zumal zur Rehabilitierung des Konkreten nach seiner Vereinnahmung durch die nationalsozialistische Rechtsideologie,4 hat die aktuelle Rechtswissenschaft weiter gehende Gründe, sich mit der Konkretisierung zu befassen. Hierzu zählen vor allem die Klärung der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen richterlicher Konkretisierung, und zwar auch und gerade mit Blick auf das Privatrecht, die Einbindung der Konkretisierung in das aktuelle Methodenverständnis und die Bewältigung der europäischen Dimension der Konkretisierung. Gerade im Privatrecht werden diese veränderten Erwartungen an eine Theorie der Normkonkretisierung besonders sichtbar. Hier waren es zunächst und 1 K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit, 1953 (2. Aufl. 1968). 2 Siehe etwa zur „Begriffskarriere" der Konkretisierung F. Müller,,Richterrecht', S. 46. 3 F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im wissenschaftlich-technischen Zeitalter, 2000. 4 Hierzu noch unten, §2 I. 2. und 3.

2

§ 1 Gegenstand

und Gang der

Untersuchung

v o r allem die privatrechtlichen Generalklauseln wie insbesondere §242 BGB, die die Fragen nach Zulässigkeit und Zweckmäßigkeit richterlicher Normgebung aufgeworfen haben. Mit der Schuldrechtsreform 5 haben inzwischen einige der unter dem Dach dieser Generalklauseln entwickelten Rechtsregeln zurück ins Gesetz gefunden, wie beispielsweise die Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§313 B G B n.F.). 6 Im Gegenzug sind der Rechtsprechung neue Konkretisierungsaufträge erteilt worden; so soll die nähere Konturierung der vorvertraglichen Haftung ( § 3 1 1 Abs. 2 B G B n.F.) sowie der Haftung wegen Verletzung vertraglicher Schutzpflichten (§§282, 324 B G B n.F.) auch weiterhin der Rechtsprechung zugewiesen bleiben. 7 Die Schuldrechtsreform belegt daher besonders anschaulich, dass die richterliche Konkretisierungskunst längst zu einer festen G r ö ß e gesetzgeberischer Erwartungen geworden ist. Darüber hinaus spiegelt die Schuldrechtsreform aber auch aus einem weiteren Grund die aktuelle Bedeutung richterlicher Normkonkretisierung zur Bewältigung der Rechtsetzungsaufgaben im Privatrecht wider: Sie dient der Umsetzung mehrerer EGRichtlinien. 8 Damit stellt sich nun mit aller Deutlichkeit auch in Kernmaterien des Privatrechts - etwa bei der Inhaltskontrolle vorformulierter Verbraucherverträge 9 oder beim kaufrechtlichen Gewährleistungsrecht 1 0 - die Frage nach Grundsatz und Grenzen richterlicher Normkonkretisierung in der supranationalen Rechtsordnung.

Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001 (BGBl. I S. 3138). Vgl. die Begründung des RegE, BT-Drs 14/6040, S. 174 ff. Weitere Beispiele sind die Kodifikation des Kündigungsrechts aus wichtigem Grund bei Dauerschuldverhältnissen (§314 BGB n. F.), der Haftung bei Vertragsanbahnung (§311 Abs. 2 BGB n.F.) und der positiven Forderungsverletzung (§§241 Abs.2, 280 BGB n.F.) sowie der Grundsätze über die Entbehrlichkeit von Mahnung oder Nachfristsetzung bei ernsthafter und endgültiger Leistungsverweigerung (§ 323 Abs.2 Nr. 1 BGB n.F.); hierzu noch eingehend unten, § 4 V. 2. a). 7 Siehe zu §311 BGB n.F. Begründung des RegE, BT-Drs. 14/6040, S. 162f.; zur Bestimmung der Unzumutbarkeit bei §§282, 324 BGB n.F. Begründung des RegE, BT-Drs. 14/6040, S. 142: der Rechtsprechung als „Wertungsfrage" zugewiesen. Ein weiteres Beispiel ist § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB n.F.; hierzu Begründung des RegE, BT-Drs. 14/6040, S. 186; zu § 314 S. 1 BGB n.F. siehe Begründung des RegE, BT-Drs. 14/6040, S. 178. 8 Richtlinie 1999/44/EG zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl.EG 1999 Nr. L 171 /12, umzusetzen bis zum 31.12.2001; Richtlinie 2000/35/EG zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, ABl.EG 2000 Nr. L 200/35, umzusetzen bis zum 7.8.2002; Richtlinie 2000/31 /EG über den elektronischen Geschäftsverkehr, ABl.EG 2000 Nr. L 178/1, umzusetzen bis zum 16.1.2002; außerdem dient sie der Inkorporierung und Anpassung des A G B G zur Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl.EG 1993 Nr. L 95/29, umzusetzen bis zum 31.12.1994. 9 §307 BGB n.F. ( § 9 A G B G a.F.) dient der Umsetzung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/ EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl.EG 1993 Nr. L 95/29. 10 §§433ff. BGB n.F. dienen der Umsetzung von Art.2 und 3 der Richtlinie 1999/44/EG zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl.EG 1999 Nr. L 171/12. 5

6

§ 1 Gegenstand

und Gang der Untersuchung

3

Richterliche Normkonkretisierung im Privatrecht befindet sich also im Spannungsfeld verschiedener Erwartungen. Verfassungsrechtlich ist zu klären, unter welchen Bedingungen die Verlagerung von Rechtsetzungsaufgaben auf die Rechtsprechung zulässig ist und welchen Anforderungen an verfassungsgemäße Regelbildung die Rechtsprechung dabei unterliegt. Die praktischen Bedürfnisse richterlicher Konkretisierungsarbeit verlangen Klärungen zu den Methoden der Normkonkretisierung sowie Beschreibungen typischer Konkretisierungserscheinungen und ihrer Sachrichtigkeit. Schließlich ist mit Blick auf das Gemeinschaftsrecht zu klären, welche Aufgabe den nationalen Gerichten bei der Konkretisierung ausfüllungsbedürftiger Sekundärrechtsakte zukommt und auf welchem Wege gemeinschaftsrechtliche Konkretisierungsvorgaben zu verwirklichen sind. Diese drei Problemfelder - das Verfassungsrecht, die Bedürfnisse der Praxis und das Gemeinschaftsrecht - zeichnen Gegenstand und Gang der Untersuchung vor. Nach Vorklärungen zum rechtlichen Phänomen der Normkonkretisierung (§2) sowie einer Typologie und Systematisierung der Normbegriffe im Privatrecht (§3) liegt der Schwerpunkt des ersten Teils auf den verfassungsrechtlichen Bindungen und Bedingungen der Normkonkretisierung (§4). Anschließend ist zu überlegen, welche Mittel und Methoden grundsätzlich für die Bewältigung der Konkretisierungsaufgabe zur Verfügung stehen (§ 5), um möglichst große Rationalität der Konkretisierung zu gewährleisten (§ 6). Auf diesem theoretischen Fundament wird im zweiten Teil anhand ausgewählter Konkretisierungsleistungen eine Typologie der Normkonkretisierung und ihrer Sachrichtigkeitsbedingungen entwickelt (§§7-11). Entsprechend ihrer praktischen Bedeutung nehmen dabei die Konkretisierung durch Abwägung (§10) sowie die Konkretisierung durch Rezeption (§11) besonderen Raum ein. Gegenstand des dritten Teils ist die Konkretisierung ausfüllungsbedürftiger Gemeinschaftsrechtsakte. Mehr noch als im nationalen Teil stehen dabei Kompetenzfragen im Vordergrund (§ 12). Da die Konkretisierung europäischen Privatrechts ein vergleichsweise junges Phänomen darstellt, sind Fragen der Konkretisierungspraxis auf europäischer Ebene derzeit im Wesentlichen strategische Fragen. Nach Vorklärungen zur Zulässigkeit ausfüllungsbedürftiger Rechtsetzung (§ 13) geht es dabei vor allem um die Aufgabenverteilung im supranationalen Konkretisierungsdialog (§§ 14, 15) mit dem Ziel, eine möglichst sinnvolle Gestaltung und Steuerung des supranationalen Konkretisierungsprozesses zu ermöglichen.

Erster Teil

Grundlagen und Grundfragen

§ 2 Normkonkretisierung als rechtliches Phänomen I. Faszination der Konkretisierung Konkretisierung ist ein vielversprechender, schillernder Begriff. Sein breites Sinnspektrum übt nach wie vor große Anziehungskraft auf die Rechtswissenschaft aus. Seit der ideengeschichtlichen Synopse „Die Idee der Konkretisierung" von K. Engisch1 gehört die Ubiquität der Konkretisierung zum juristischen Gemeingut. Inzwischen fehlt die Konkretisierung in kaum einer Methodenlehre; sie gehört zum festen Bestandteil der Richterrechtstheorien und ist längst auch in den Sprachgebrauch der Gerichte eingegangen. Zugleich sind in den juristischen Fachdisziplinen eigene, spezifische Spielarten der Konkretisierung entdeckt worden, etwa die Konkretisierung der Grundrechte und Verfassungsprinzipien, die Normkonkretisierung im Umwelt- und Technikrecht, die Konkretisierung der normativen Tatbestandsmerkmale im Strafrecht, die Konkretisierung der privatrechtlichen Generalklauseln und schließlich - so die jüngste Problemdimension - die Richtlinien-Konkretisierung. Konkretisierung bezeichnet ein offenbar genauso aktuelles wie chronisches Problem der Rechtswissenschaft, und noch immer gilt, was K. Larenz bereits im Jahr 1958 konstatierte: Konkretisierung ist auf dem Weg zum „Modewort" 2 . Die starke Faszination, die von solchen vielseitig schillernden Begriffen wie dem der Konkretisierung ausgeht, beruht zu einem wesentlichen Teil auf ihrer gedanklichen Offenheit: Das Schillern ist nicht zuletzt ein Changieren in der Zeit.3 Auch die Konkretisierung hat eine wechselvolle Begriffskarriere hinter sich, insbesondere mit ihrer ideologischen Vereinnahmung und Diskreditierung durch das „konkrete Ordnungsdenken" im Nationalsozialismus (unten 1.), ihrer Rehabilitation in den fünfziger Jahren durch K. Engisch (unten 2.) und schließlich ihrer Renaissance in der gegenwärtigen Rechts- und Methodendiskussion (unten 3.).

1 K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit, 1953 (2. Aufl. 1968). 2 K. Larenz, in: FS für A. Nikisch, S.279 Fn. 7; zur „Begriffskarriere" der Konkretisierung F. Müller,,Richterrecht', S.46. 3 Vgl. K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung, Vorwort zur 1. Auflage: „zeitgemäße Idee"; allg. Th. Würtenberger, Zeitgeist und Recht, 1987.

8

Grundlagen

und

Grundfragen

1. Ambivalenz und Diskreditierung des Konkreten im Nationalsozialismus Zauber und Gefahren des Konkreten lassen sich an der Rechtsideologie des Nationalsozialismus ablesen.4 Im Nationalsozialismus hatte das „Konkrete" seine Blütezeit als Denkfigur; gespeist aus den geistesgeschichtlichen Quellen des „objektiven Idealismus"5 wurde es zu Argument und Instrument gesetzeskorrigierender, nationalsozialistischer „Rechtserneuerung". Die rechtsmethodische Zauberformel war das Denken in „konkreten Ordnungen". 6 Die Wirklichkeit, das „Konkrete", trage seine Ordnung in sich und gehe der Rechtsnorm voraus: „Die Norm ... schafft nicht die Ordnung; sie hat vielmehr nur auf dem Boden ... einer gegebenen Ordnung eine gewisse regulierende Funktion." 7 Die „konkreten Ordnungen" - Ehe, Familie, Hausgemeinschaft, Beamtentum, Heer, „Volksgemeinschaft" - „bringen ihr inneres Recht mit sich" 8 ; sie „haben die Kraft, ihnen entgegenstehende abstrakt-generelle Gesetzesnormen für ihren Bereich insoweit zurückzudrängen, als ihre besondere Art und völkische Aufgabe das zwingend erfordert." 9 Im „konkreten Ordnungsdenken" wurde das Konkrete zum Argument der Normabweichung, zum Instrument judikativer Normkorrektur.10 Das Faktische bekam nicht nur normative Kraft,11 es relativierte die Norm 12 und forderte offen zum Gesetzesbruch auf. Diese Vereinnahmung und Perversion des Kon-

4 Zum Folgenden B. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 293 ff.; ders., Entartetes Recht, S. 184ff.; ders., Rechtstheorie, § 16 VI. 5 K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S.98ff. unter Hinweis auf Aristoteles, Thomas von Aquin, Schelling, Hegel und Goethe; Begriff nach Dilthey. Siehe auch Dernburg, Pandekten, Bd. I, 3. Aufl. 1892, S. 87, zitiert nach G. Radbruch, in: FS für R. Laun, S. 157 (139): „Die Lebensverhältnisse tragen, wenn auch mehr oder weniger entwickelt, ihr Maß und ihre Ordnung in sich." 6 C. Schmitt, Uber die drei Arten wissenschaftlichen Denkens, 1934; ders., Nationalsozialistisches Rechtsdenken, D R 1934, 225ff.; dargestellt bei B. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S.293ff.; ders., Rechtstheorie, §16 VI. 1.; vgl. auch K. Anderbrügge, Völkisches Rechtsdenken. Zur Rechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus, S. 106ff.; E.-W. Böckenförde, Artikel „Konkretes Ordnungsdenken", Historisches Wörterbuch der Philosophie, Sp. 1312 ff.; C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 34f.; K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 96ff., 111 ff., 146ff.; A. Maschke, Gerechtigkeit durch Methode, S. 237ff,;P. Raisch, Juristische Methoden, S. 120ff. 7 C. Schmitt, Uber die drei Arten wissenschaftlichen Denkens, S. 13. 8 C. Schmitt, D R 1934, 225 (228). 9 K. Larenz, Uber Gegenstand und Methode des völkischen Rechtsdenkens, 1938, S.38f. 10 B. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S.295ff.: „rechtsändernde, korrektive Funktion"; vgl. auch P. Raisch, Juristische Methoden, S. 120f. 11 Zur normativen Kraft des Faktischen G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 337ff.; hierzu etwa K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §14 II. 12 B. Rüthers, Entartetes Recht, S. 184 spricht von der „Neuen Normativität des Faktischen" im „konkreten Ordnungsdenken".

5 2 Normkonkretisierung

als rechtliches

Phänomen

kreten durch die nationalsozialistische Rechtsideologie zeigt die des Konkreten für das Recht.

9 Ambivalenz

2. Rehabilitation des Konkreten durch K. Engisch Dass die Hinwendung des Rechts zum Konkreten nicht notwendig ideologiegeprägte, antidemokratische Richteremanzipation bedeuten muss, sondern Ausdruck zulässiger Orientierung des Rechts an der Wirklichkeit sein kann, hat die nachfolgende Rechtsentwicklung gezeigt. Unter rechtsstaatlichen Vorzeichen verbinden sich in dem Gedanken des „Konkreten" die berechtigten Anliegen nach realitätsbezogener Normgebung 13 , effektiver Normverwirklichung 14 und einzelfallgerechter Normanwendung 15 , also „Orientierung des Rechts an der Wirklichkeit" und „Durchsetzung des Rechts in der Wirklichkeit" 16 . Wesentlichen Anteil an dieser Rehabilitierung des „Konkreten" hat die gedankenreiche Studie von K. Engisch „Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit" aus dem Jahr 1953. Wie aus dem Vorwort zur 1. Auflage hervorgeht, wollte er seine Abhandlung als Beitrag zur nach-nationalsozialistischen „Kritik der Rechtswissenschaft" verstanden wissen. 17 Es ist das Verdienst von K. Engisch, das „Konkrete" als eine in der juristischen Geistesgeschichte vielfältig wirksame, leitende Idee sichtbar und durch seine eingehende Begriffs- und Bedeutungsanalyse 18 für das rechtswissenschaftliche Denken nachhaltig fruchtbar gemacht zu haben. Allerdings bleibt die Konkreti13 Zu Recht und Realität R. Zippelius, Rechtsphilosophie, §§7ff.; zur nötigen Sachbezogenheit der Normgebung auch noch unten, §4 VI. 2. 14 Zur Effektivität des Rechts B.-O. Bryde, Die Effektivität von Recht als Rechtsproblem, 1993; Th. Ksatsas, Effektivität und Geltung von Rechtsnormen, 2002; P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 146ff.; ders., in: Th. Ohlinger (Hrsg.), Methodik der Gesetzgebung, S. 131 ff.; M. Rehbinder, Rechtssoziologie, § 7; K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §38 I; siehe auch noch unten, §4 VI. 2. c) und im Zusammenhang mit der ökonomischen Analyse des Rechts unten, §5 IV. 3. c) bb). 15 Zum Spannungsverhältnis von genereller Norm und Einzelfallgerechtigkeit (Billigkeit), R. Zippelius, Rechtsphilosophie, § 24; siehe auch K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 211 ff. 16 Formulierung von K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 96. 17 K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung, Vorwort zur 1. Auflage: „Die Deutsche Rechtswissenschaft steht seit geraumer Zeit im Zeichen der ,Konkretisierung'. Wenn es heute wieder notwendig ist, sich auf die Lage zu besinnen, in der unsere Rechtswissenschaft sich befindet, so muss diese Selbstbesinnung auch die Idee der Konkretisierung' betreffen. Meine Schrift soll einen Beitrag liefern zur ,Kritik der Rechtswissenschaft' ... Indessen hat meine ... Untersuchung keinen polemischen Charakter. Ich halte die Konkretisierungsidee für eine fruchtbare und jedenfalls zeitgemäße Idee." Nach A. Maschke, Gerechtigkeit durch Methode, S. 235 Fn. 69 habe K. Engisch gesprächsweise geäußert, es sei ganz wesentlich C. Schmitts konkretes Ordnungsdenken gewesen, dass ihn zu der Studie angeregt habe; hierzu K. Engisch, a.a.O., S.97ff., 11 Off., 148ff. 18 Zur Bedeutung des „Konkreten" und zum Gegensatz von „konkret" und „abstrakt" in der Logik und Ontologie K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 4-49; hierzu A. Maschke, Gerechtigkeit durch Methode, S.236f.

10

Grundlagen

und

Grundfragen

sierung bei K. Engisch unspezifisch. Sie beschreibt nicht eine besondere Methode der Rechtsgewinnung oder eine bestimmte Erwartung an die Normsetzung, sondern lediglich eine in Recht und Rechtswissenschaft wirksame Tendenz, ein „Zusammentreffen unterschiedlichster Anliegen": 19 die „Hinwendung von Recht und Rechtswissenschaft" zum „Bestimmten und Anschaulichen" 20 , zum „Realen" 21 und „Spezifischen" 22 sowie zum „Einzelnen und Individuellen" 23 .

3. Renaissance des Konkreten in den gegenwärtigen Rechts- und Methodenlehren Seit der Studie von K. Engisch hat sich der Gedanke der Konkretisierung nachhaltig in das Rechts- und Methodenverständnis eingeschrieben.24 In einem allgemeineren Sinn lässt sich diese Renaissance der Konkretisierung mit der wachsenden Bedeutung der Sozialwissenschaften für die Rechtswissenschaft erklären (unten a). Vor allem aber ist die Konkretisierung als Gegenstand der Methodenlehre entdeckt worden (unten b). a) Rechtswissenschaft

als

Sozialwissenschaft

Die ungebrochene Faszination des Konkreten und der Konkretisierung für die Rechtswissenschaft beruht in einem allgemeineren Sinne auf der großen Aufmerksamkeit, die die Rechtswissenschaft vor allem seit den siebziger Jahren den tatsächlichen Grundlagen und Wirkungen des Rechts schenkt. 25 Ausdruck dieser Hinwendung zum Konkreten als dem „Realen" 26 sind beispielsweise die

A. Maschke, Gerechtigkeit durch Methode, S.246ff. K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S.75ff. 21 K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S.85ff. 22 K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 146ff. 23 K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 178ff. Zur Konkretisierung als „Hinwendung zum ,Typus'" ders., a.a.O., S.237ff. 24 Treffend F. Müller,,Richterrecht', S.46: „diffuse, aber erfolgreiche Begriffskarriere". 25 Vgl. nur L. Friedman, The Legal System. A Social Science Perspective, 1975 (dt. Das Rechtssystem im Blickfeld der Sozialwissenschaften, 1981). Auch die Rechtssoziologie hatte ihre Blüte zu Beginn des 20. Jahrhunderts; zu ihren grundlegenden Theoretikern werden insbes. Eugen Ehrlich (1862-1922) und Max Weher (1864-1920) gezählt; siehe nur Th. Kaiser, Das lebende Recht, S.54ff., 101 ff., 116ff.; M. Rehbinder, Die Begründung der Rechtssoziologie durch Eugen Ehrlich, 2. Aufl. 1986; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.63ff. 26 Vgl. K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 96ff., 120ff. - Zum „legal realism" in der amerikanischen Rechtsentwicklung K. Llewellyn, Jursprudence, Realism in Theory and Practice, 1962 sowie G. Casper, Juristischer Realismus und politische Theorie im amerikanischen Rechtsdenken, 1976; E. Kamenka/R. Summers/W. Twining, Soziologische Jurisprudenz und realistische Theorien des Rechts, Rechtstheorie Beiheft 9 (1986); N. Reich, Sociological Jurisprudence und Legal Realism im Rechtsdenken Amerikas, 1967. 19

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5 2 Normkonkretisierung

als rechtliches

Phänomen

11

Rechtstatsachenforschung 27 und die Gesetzesfolgenabschätzung 28 , die immer selbstverständlichere Bedeutung der Rechtssoziologie 29 und die zunehmende Verzahnung von Recht und Wirtschaft, 30 insbesondere durch die ökonomische Analyse des Rechts 31 und die Forderung nach ökonomischen Handlungsformen 32 des Staates. Auch die von der aktuellen, systemtheoretisch inspirierten Steuerungsdiskussion 33 favorisierte Selbstregulierung 34 durch „reflexives" oder „prozedurales" Recht 3 5 liest sich als Bemühen um größere Sachnähe, Problembezogenheit und Effizienz des Rechts. 36 In dieselbe Richtung zielt auf supranationaler Ebene das Subsidiaritätsprinzip. 37 2 7 Siehe etwa W. Heinz, Rechtstatsachenforschung heute, 1986; K. Röhl, Das Dilemma der Rechtstatsachenforschung; K. Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, S. 932ff.; Th. Raiser, Das lebende Recht, S.38ff. und noch unten, §4 VI. 2. a). 2 8 Siehe hierzu nur aus jüngerer Zeit C. Bohret/G. Konzendorf, Handbuch Gesetzesfolgenabschätzung (GFA), 2001; H. Hof/G. Lühbe-Wolff (Hrsg.), Wirkungsforschung zum Recht. Bd. 1, Wirkungen und Erfolgsbedingungen von Gesetzen, 1999; U. Karpen, AöR 1999, 400ff.; ders., ZRP 2002, 443ff.; W. Köck, VerwArch. 2002, lff.; vgl. auch schon P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 146ff. und noch unten, §4 VI. 2. c). 2 9 Siehe insbes. Th. Raiser, Das lebende Recht. Rechtssoziologie in Deutschland, 1999;/. Reichern (Hrsg.), Die Wirklichkeit des Rechts. Rechts- und sozialwissenschaftliche Studien, 1998; K. Röhl, Rechtssoziologie, 1987; H. Rottleuthner, Einführung in die Rechtssoziologie, 1978;/. Tiemeyer, Zur Methodenfrage der Rechtssoziologie, 1969; R. Zippelius, Grundbegriffe der Rechtssoziologie und Staatssoziologie, 1991. - Zur Bedeutung der Rechtssoziologie für die Rechtsvergleichung und damit für die Transnationalisierung und insbesondere Europäisierung des Rechts H. Kötz, J Z 2002, 257 (263); U. Drohnig, RabelsZ 18 (1953), 295 (305). 30 Siehe hierzu den Uberblick von K. Seelmann, Rechtsphilosophie, §3 Rdnrn. 29ff. 31 Grundlegend R. Posner, The Economic Approach to Law, Texas Law Review 53 (1975), 757ff.; ders., Economic Analysis of Law (in Auszügen übersetzt abgedruckt in H.-D. Assmann/ Ch. Kirchner/E. Schanze [Hrsg.], Ökonomische Analyse des Rechts, S. 79ff.); siehe aus der deutschen Literatur insbes. H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip; N. Horn, AcP 176 (1976), 307ff.; P.-J.Jost, Effektivität von Recht aus ökonomischer Sicht; P. Salje, Rechtstheorie 15 (1984), 277ff.; H.-B. Schäfer/C. Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts; H.-P. Schwintowski, JZ 1998, 581 ff.; zur Bedeutung der ökonomischen Analyse des Rechts für die Normkonkretisierung noch unten, §5 VI. 3. c) bb). 32 Vgl. K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §29 II; zu den ökonomischen Instrumenten des Umweltrechts M. Kloepfer, UmweltR, §5 Rdnrn. 227ff.; ders., J Z 1991, 737ff. 33 Vgl. K. Seelmann, Rechtsphilosophie, §3 Rdnrn. 33 ff. 3 4 Zur Systematisierung der Regulierungskonzepte W. Hoffmann-Riem, in: ders./E. SchmidtAßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 261 (300ff.). Aus sozialwissenschaftlicher Sicht R. Mayntz/F. W. Scharpf (Hrsg.), Gesellschaftliche Selbstregelung und politische Steuerung; mit Blick auf das Verwaltungsrecht M. SchmidtPreuß und U. Di Fahio, W D S t R L Heft 56 (1997), 160ff., 235ff.; insbes. zum Umweltrecht A. Endres/P. Marburger, Umweltschutz durch gesellschaftliche Selbststeuerung, 1993; M. Ronellenfitsch, Selbstverantworung und Deregulierung im Ordnungs- und Umweltrecht, 1995. 35 Insbes. G. Teubner, Reflexives Recht: Entwicklungsmodelle des Rechts in vergleichender Perspektive, ARSP 68 (1982), 13ff.; ders., Recht als autopoietisches System, 1989; K.-H. Ladeur, Postmoderne Rechtstheorie. Selbstreferenz - Selbstorganisation - Prozeduralisierung, 1989; N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 2. Aufl. 1975; siehe auch K. Bizer U.A. (Hrsg.), Responsive Regulierung, 2002; hierzu K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §29 III, §53. 3 6 Siehe etwa mit Blick auf die Selbstregulierung durch private Normgebung M. Schmidt-

12 b) Methodologische

Grundlagen

Bedeutung

und

der

Grundfragen

Konkretisierung

Diese allgemeine Hinwendung der Rechtswissenschaft zu den Sozialwissenschaften hat auch in der Methodenlehre ihren Niederschlag gefunden. Die wesentlichen Instrumente zur Verarbeitung der Sozialwirklichkeit bei der Rechtsgewinnung38 waren bereits bekannt und mussten nur wiederbelebt werden: die Denkform des Typus39 und das problemorientierte, topischew Denken. Ausdruck dieser allgemeinen Ausrichtung der Rechtswissenschaft an den Sozialwissenschaften ist auch die Figur des „ Normbereichs " von F. Müller41, von ihm selbst als „Eintrittspunkt der Sozialwissenschaften in die juristische Entscheidungstätigkeit" 42 bezeichnet. Gemeinsam ist diesen Anschauungen ihre Verwurzelung in K. Engischs Bild vom „Hin- und Herwandern des Blicks zwischen Obersatz und Lebenssachverhalt" 43 . 44 Ebenfalls Ausdruck dieser allgemeinen Preuß, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Selbst-Beherrschung im technischen und ökologischen Bereich, S. 89ff.; allg. für die Instrumente des Umweltrechts M. Kloepfer/Th. Eisner, DVB1.1996, 964ff. 3 7 Hierzu nur Ch. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union; H. Lecheler, Das Subsidiantätsprinzip; K. Nörr/Th. Oppermann (Hrsg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit; B. Schima, Das Subsidiaritätsprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht; G. Winter, EuR 1996, 247ff.; zur Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips für die Zulässigkeit ausfüllungsbedürftiger Rechtsetzung im Gemeinschaftsrecht unten, § 14 I. 1. b); als Argument gegen eine Konkretisierungskompetenz des E u G H § 15 II. b) dd). 38 Zum Folgenden R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S. 81 ff. 3 9 Siehe insbes. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 461 ff.; ihm folgend D. Leenen, Typus und Rechtsfindung, 1971; siehe auch W. Hassemer, Tatbestand und Typus, 1968; H.-M. Pawlowski, Rechtstheorie 30 (1999), 263ff.; H.J. Wolff, Typen im Recht und in der Rechtswissenschaft, Studium generale 1952, 195ff. Zur Denkform des Typus als Ausdruck der Hinwendung der Rechtswissenschaft zum Konkreten bereits K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S.237ff., zu K. Larenz' Theorie des „konkret-allgemeinen Begriffs" ders., a.a.O., S. 32ff., 256ff. sowie B. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S.302ff. 4 0 Grundlegend Th. Vieweg, Topik und Jurisprudenz, 1953 (5. Aufl. 1974); weitergeführt durch die juristische Argumentationstheorie; hierzu insbes. R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1978 (3. Aufl. 1996); U. Neumann, Juristische Argumentationslehre, 1986; Ch. Perelman, Juristische Logik als Argumentationslehre, 1979; G. Struck, Zur Theorie juristischer Argumentation, 1977. Zu Topik und Argumentationstheorie als Methoden der Normkonkretisierung noch unten, § 5 IV. 41 Der „Normbereich" wird definiert als „Ausschnitt sozialer Wirklichkeit in seiner Grundstruktur, den das Normprogramm aus dem allgemeinen Regelungsbereich der Rechtsnorm auswählend zu bestimmen erlaubt"; F. Müller, Normstruktur und Normativität, S. 184ff.; ders., Juristische Methodik, S. 172ff., 176ff.; siehe auch K. Hesse, Grundzüge des VerfR, Rdnrn. 45ff.; kritisch etwa R. Rhinow, Rechtsetzung und juristische Methodik, S. 90ff. 42 F. Müller, Juristische Methodik, S. 313. 43 K. Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 14f.; zur Rezeption dieses Gedankens insbesondere durch die Hermeneutik A. Maschke, Gerechtigkeit durch Methode, S.255ff.; K. Engisch, Einführung in die juristische Methodenlehre, S. 74 Fn. 4.; hierzu insbes. R. Alexy, Theorie der Juristischen Argumentation, S.281f.;/. Hruschka, Die Konstitution des Rechtsfalles, S.55; ders., ARSP 50 (1964), 485 (497): „Konkretisierung des allgemeinen Gesetzessinnes [...], wenn vom Fall aus die allgemein formulierten Rechtsfolgevoraussetzungen in den Blick genommen werden. Diese Konkretisierung ergibt sich eben daraus, dass die an das auszuwählende

5 2 Normkonkretisierung

als rechtliches

13

Phänomen

A k z e n t u i e r u n g des Faktischen in der R e c h t s a n w e n d u n g ist schließlich die F o r derung nach richterlicher Folgenorientierung 4 5 . N e b e n diesen unspezifischen A n n ä h e r u n g e n und Betonungen des „ K o n k r e ten" f ü r das rechtswissenschaftliche D e n k e n hat die jüngere M e t h o d e n l e h r e aber v o r allem den Begriff der Konkretisierung f ü r sich entdeckt. Inzwischen zählt die K o n k r e t i s i e r u n g z u m festen Bestand der M e t h o d e n l e h r e ; 4 6 sie ist z u r eigenständigen Kategorie des Richterrechts avanciert, 4 7 und auch die Rechtsprechung hat sie in ihren Sprachgebrauch aufgenommen. 4 8 Wesentlichen A n teil an dieser Etablierung der K o n k r e t i s i e r u n g hatten W. Fikentscher49, D. Göldner50, K. Hesse51, J. Ipsen52 und v o r allem F. Müller51. D e r Stand der aktuellen Konkretisierungsdiskussion lässt sich damit zusammenfassen, dass K o n k r e t i -

sierung zur Metapher Rechtsanwendung

für den schöpferischen,

gestaltenden

Charakter

der

g e w o r d e n ist. 54

und zu interpretierende Gesetz herangebrachten Fragen stets vom Rechtssinn konkreter Sachverhalte her gestellt werden." Siehe auch M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 197ff.; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 281 sowie K. Michaelis, in: FS für das OLG Celle, S. 117 (134) unter Hinweis auf W. Sauer, Grundlagen des Prozessrechts, 1919, S. 63: Bei der richterlichen Tätigkeit sei nicht nur ein „fortschreitendes Abstrakterwerden [...] von den Lebenskonkreta bis hinaus zu den abstrakten Rechtsbegriffen" zu beobachten, vielmehr verlaufe parallel dazu „ein Konkretisieren, das oben beim Rechtsbegriff ansetzt und soweit hinab steigt, bis mit den Tatsachen Fühlung genommen werden kann"; W. Scheuerle, Rechtsanwendung, S. 23: „wechselseitige Durchdringung zwischen den Akten der Tatsachenfeststellung und denen der rechtlichen Qualifizierung"; R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 14 II. 44 R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S. 81. 45 Insbes. M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 176ff., 334ff. sowie Ch. Coles, Folgenorientierung im richterlichen Entscheidungsprozess, 1991; M. Deckert, Folgenorientierung in Rottleuthder Rechtsanwendung, 1995; G. Lübbe- W o l f f , Rechtsfolgen und Realfolgen, 1981 ;H. ner, ARSP Beiheft 13 (1980), 97ff.; Th. Sambuc, Folgenerwägungen im Richterrecht, 1977; G. Teubner (Hrsg.), Entscheidungsfolgen als Rechtsgründe, 1995; Th. Wälde, Juristische Folgenorientierung, 1979; zur Folgenorientierung als Konkretisierungsgebot noch unten, §5 IV. 3. c). 46 Siehe sogleich im Text §2 II. sowie insbes. die Nachweise in Fn. 107. 47 Siehe insbes./. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S.63ff.; F. Ossenbühl, Hdb StR Bd. III, §61 Rdnr.37; M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S.337ff., 347ff., 392ff.; K. Stern, StaatsR Bd. II, §37 II 2 e) a); R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 136ff. 48 Siehe BVerfGE 89, 214 (Lts.) - Bürgschaft; BVerfGE 81, 242 (256) - Handelsvertreter; BGH, NJW 1981, 1206 (1207); hierzu noch unten, §6 III. 1. 49 W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, S. 180ff. 50 D. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm in der verfassungskonformen Auslegung und Rechtsfortbildung. Verfassungskonkretisierung als Methoden- und Kompetenzproblem, insbes. S.85ff. 51 K. Hesse, Grundzüge des VerfR, Rdnrn. 45ff., 60ff. 52 J. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 62 ff. 53 Zur hermeneutischen Konkretisierungstheorie von F. Müller noch unten, §2 II. 2. 54 Hierzu sogleich im Text, §2 II. 3.

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Grundlagen

und

Grundfragen

II. Modellvorstellungen der Normkonkretisierung Normkonkretisierung ist ein Ausschnitt aus dem größeren Problemfeld der Konkretisierung, nämlich die Konkretisierung von Rechtsnormen, hier verstanden als Konkretisierung geschriebener rechtssatzförmiger Rechtsakte. 55 Sie teilt mit der allgemeinen Hinwendung der Rechtswissenschaft zum Konkreten die Vorstellung, dass die gesetzliche Norm im Zuge der Konkretisierung „konkreter" gemacht wird. Dieses „konkreter machen" der Norm zeigt sich in der aktuellen Methodendiskussion in drei Facetten: in einem weiteren, formalen Sinne als Normverwirklichung (unten 1.), in einem materiell-hermeneutischen Sinne als Normerzeugung (unten 2.) und schließlich - so die herrschende Problemsicht - als Normausfüllung (unten 3.).

1. Normkonkretisierung als Normverwirklichung In einem allgemeinen und formalen Sinne lässt sich Normkonkretisierung als Normverwirklichung verstehen, als das „konkreter machen" einer Norm in ihrer Ausgestaltung, Umsetzung, Anwendung und Durchsetzung. 56 Solche Normkonkretisierung ist Konsequenz des „Stufenbaus der Rechtsordnung" 57 ; A. Merkl bezeichnete die fortschreitende Individualisierung und Ausdifferenzierung des Rechts als Prozess der „stufenförmigen Rechtskonkretisierung" 58

55 So etwa die Definition der Rechtsnorm bei F. Müller, Strukturierende Rechtslehre, S. 263: „rechtliche Vorschriften des positiven Rechts". Weitergehend die Definition der Rechtsnorm bei U. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S.23ff., der die Rechtsnorm vom Gesetz insoweit abgrenzt, als die Rechtsnorm im Gegensatz zum Gesetz auch die allgemein geltenden Regeln privater Rechtsetzer oder die Sätze des Gewohnheitsrechts erfassen soll. - Ebenfalls nicht gefolgt wird der Unterscheidung von H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 73ff., der unter Rechtssätzen lediglich Sätze der Rechtswissenschaft versteht; hierzu G. Winkler, Rechtstheorie und Erkenntnislehre, S.70ff.; ähnlich die Unterscheidung von R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S.42ff. zwischen „Normsatz" und „Norm", ihm folgend etwa Th. Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, S. 13 ff. 5 6 Vgl. R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S.232ff. 5 7 Grundlegend A. Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 181 ff., 199ff.; übernommen von H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S.228ff., 346ff.; ihm folgend R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S.234ff.; hierzu H.H. v. Arnim/S. Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, S. 148ff.; Th. Öhlinger, Der Stufenbau der Rechtsordnung, S. 23ff.; U. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 27ff.; K Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 186f.; K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 35; Th. Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen. Zum Stufenbau der Rechtsordnung als Modell der Verfassungswirkung im Privatrecht M. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 35ff.; kritisch U. Diederichsen, in: Ch. Starck (Hrsg.), Rangordnung der Gesetze, S. 39ff. 58 A. Merkl, Gesammelte Schriften, Bd.I/1,1993, S. 437 (464ff., 477); ders., Allg. VerwR, 1927 (Neudruck 1969), S.300; genauso H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S.242, 346ff.; vgl. auch H.H. v. Arnim/S. Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, S. 159; W. Brugger, A ö R

5 2 Normkonkretisierung

als rechtliches

Phänomen

15

und ähnlich beschrieb H. Kelsen den Prozess von der „Errichtung der Verfassung ... über Gesetzgebung und Gewohnheit zur richterlichen Entscheidung und von dieser zur Vollstreckung" als „Prozess stetig zunehmender Individualisierung und Konkretisierung".59 Jeder Schritt in der Normenhierarchie nach unten sowie jede „Anwendung" des Gesetzes durch Richterspruch oder Verwaltungsakt60 lässt sich als Schritt der Konkretisierung verstehen.61 In der Wendung vom Verwaltungsrecht als „konkretisiertem Verfassungsrecht" hat diese Vorstellung ihre anschaulichste Gestalt gefunden.62 Insoweit verkörpert normverwirklichende Konkretisierung das Zusammenspiel der verfassungsrechtlichen Normenordnung mit den abgestuften Rechtsetzungskompetenzen des Grundgesetzes. Es geht um die Verdeutlichung von Normabhängigkeiten und Normsetzungsbefugnissen, deren wesentliche Funktion die Begründung der Legalität des nachfolgenden Rechtsaktes ist.63 Immer ist daher eine Individualisierung und Verbesonderung auf einer niedrigeren Ebene gemeint: Konkretisierende Normverwirklichung ist hinabsteigende Normverwirklichung,64 ist Maßstabsbildung „auf dem Weg vom Rechtssatz zum Rechtsakt" 65 . Charakteristisch für diese Modellvorstellung der Normkonkretisierung als Normverwirklichung ist also, dass Normkonkretisierung primär als Frage der Legalität thematisiert wird, nämlich als ein Problem der Normenhierarchie und der Gewaltenordnung66 und weniger als Methoden- oder Erkenntnisproblem.67

119 (1994), 1 (2); U. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S.28; M. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, S. 136. 59 H. Kelsen, Allgemeine Rechtslehre, S.242. 60 Auch die konkrete Rechtsentscheidung ist konkretisierende Rechtsetzung und Rechtsverwirklichung, so bereits H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S.242, 346ff.; ihm folgend R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S. 232ff. 61 Diese Auffassung einer Normkonkretisierung im weiteren Sinne findet sich auch bei den Autoren, die die Konkretisierung allgemein als Umschreibung des Rechtsanwendungsprozesses verstehen, etwa bei R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, §16 II. Zu „Konkretisierung" anstelle von „Rechtsanwendung" J. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, S. 75. Vgl. auch A. Podlech, AöR 95 (1970), 185 (189); D. Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, Rdnr.27; F. Schwankhart, BayVBl.1964, 134 (135); L. Treder, Methoden und Technik der Rechtsanwendung, S. 44. 62 Hierzu M. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 37; zur „Verfassungskonkretisierung durch Gesetz" P. Badura, Hdb StR Bd. VII, §163; B.-O. Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 321 ff.: „alle Rechtsgebiete sind (auch) konkretisiertes Verfassungsrecht". 63 Darin liegt die zentrale Funktion des Stufenbaus der Rechtsordnung; vgl. U. Diederichsen, in: Ch. Starck (Hrsg.), Rangordnung der Gesetze, S. 39 (50). 64 Zu diesem Gegensatz M. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, S. 136. 65 M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 392ff. 66 W. Brugger, AöR 119 (1994), 1 (2,1 Off.): „gewaltenteilige Stufung der Konkretisierungszuständigkeiten" . 67 Besonders deutlich bei W. Brugger, AöR 119 (1994), 1 ff., der Konkretisierung als eine grundsätzlich allen Gewalten aufgetragene „Sinnklärung" versteht, wobei im Folgenden für die

16

Grundlagen

und

Grundfragen

2. Normkonkretisierung als Normerzeugung Den Gegenpol zu diesem formalen, legalitätsbezogenen Verständnis der Normkonkretisierung bildet das hermeneutische Verständnis der Normkonkretisierung als Normerzeugung, wie sie vor allem mit dem Namen F. Müller verbunden ist. a) Hermeneutische

Konkretisierungstheorie

Bei F. Müller steht Normkonkretisierung nicht für die Verwirklichung, Umsetzung, Anwendung einer schon existenten Norm, sondern sie beschreibt das Erzeugen einer Rechtsnorm im Rahmen der Falllösung. 68 Normkonkretisierung meine nicht, so F. Müller, dass eine schon durch den Normtext vorhandene Norm im Prozess der Rechtsanwendung in irgendeiner Form „verengt" werde, 69 sondern eine „Normkonstruktion" 70 , die die Rechtsnorm „im Fall jeweils erst produziert" 71 . Grundlage dieser Konkretisierungskonzeption ist ein von der philosophischen Hermeneutik (H.-G. Gadamer)72 inspiriertes73 „nach-positivistisches" 74 Normverständnis: Die weit verbreitete Vorstellung einer präexistenten „lex ante causam" beruhe auf dem „positivistischen Grundirrtum": 75 Die Rechtsnorm liege nicht dem Anwendungsprozess als etwas Gegebenes vo-

richterliche Konkretisierung Interpretation, Auslegung und Konkretisierung synonym verstanden werden (S. 1 f., Fn. 1). 68 F. Müller, Juristische Methodik, S. 191,199ff., 311ff.; den., .Richterrecht', S.46ff.; so in der Folge unter Berufung auf F. Müller auch R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, S. 20f., 38, 68, 202ff. 69 F. Müller, Juristische Methodik, S.200ff., 311; ders.,,Richterrecht', S.47f., 52. 70 F. Müller, Juristische Methodik, S.32, 310; ders., .Richterrecht', S.52f. Ähnlich M. Pavcnik, Juristisches Verstehen und Entscheiden, S. 1 ff., 9ff., 22ff. für die „normative Konkretisierung". Siehe a u c h i Müller/R. Christensen/M. Sokolowski, Rechtstext und Textarbeit, S.37: „Der Richter ist nicht Mund des Gesetzes, sondern Konstrukteur der Rechtsnorm". 71 F. Müller, Juristische Methodik, S.310. 72 H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode, 1960(5.Aufl. 1986), insbes. S. 261 ff.; rezipiert vor allem von W. Hassemer, Tatbestand und Typus, S.98ff.;/. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, S. 133 ff.; siehe im Übrigen zur Rezeption Gadamers in der aktuellen Rechtsgewinnungsdebatte M. Jaestedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, S. 142ff,;P. Raisch, Juristische Methoden, S. 206ff. 73 Skeptisch M.Jestaedt, Grundrechtsentfaltung durch Gesetz, S. 141 ff.: „frag-würdige Extrapolationen"; „Fehlübersetzung" (S. 144); skeptisch auch K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.212ff. 74 So die Selbstbezeichnung von F. Müller, Juristische Methodik, S. 102f., 146f. Fn.331, S.311, 318 und passim. Siehe zu dieser Charakterisierung einerseits H. Sendler, N J W 1987,3240 (3241), andererseits R. Christensen, N J W 1989, 3194 (3196). 75 F. Müller, Juristische Methodik, S. 200, 311 f.; siehe auch R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, S.202ff.; A. Somek, Der Gegenstand der Rechtserkenntnis, passim.

§ 2 Normkonkretisierung

als rechtliches

Phänomen

17

raus, sondern entstehe erst in der Rechtsanwendung. Mit dem Gesetz vorgegeben sei allein der Normtext („Nichtidentität von Norm und Normtext"). 7 6 Deutliche Anklänge an dieses hermeneutische Konkretisierungsverständnis finden sich bei K. Hesse. Verfassungsinterpretation sei Konkretisierung; der Inhalt der Verfassungsnormen vollende sich erst „unter Einbeziehung der zu ordnenden Wirklichkeit". 77 „Verstehen" und damit Konkretisierung sei „nur mit Blick auf ein konkretes Problem möglich." 78 Auch die Theorie der „Fallnorm" von W. Fikentscher geht in diese Richtung. 79 Er teilt die Vorstellung von F. Müller, dass der Gesetzestext die fallentscheidenden Regeln nicht enthalte.80 Vielmehr gelte es, „Fallnormen" herauszubilden, die das Gesetz schrittweise in Richtung auf den zu entscheidenden Sachverhalt herantragen und damit „konkretisieren". 81 Die Fallnorm sei die „letztmögliche Konkretion des Normativen angesichts der Sachverhaltsbestandteile."82 Sympathien für eine hermeneutische Konkretisierungstheorie hat offenbar auch D. Göldner83, der Konkretisierung unter Hinweis auf H.-G. Gadamer und K. Hesse 84 charakterisiert als „Neuerkennen des Unerkannten". 85 Im Übrigen ist die Konkretisierungskonzeption von F. Müller aber vereinzelt geblieben. Nicht überall, wo die programmatische Formel „Konkretisierung statt Auslegung" 86 übernommen worden ist,87 wird auch der zentralen These gefolgt, dass Konkretisierung - im Sinne der hermeneutischen Grundannahme, dass eine „lex ante casum" nicht existiere die Erzeugung der Rechtsnorm sei; zumeist geht es nur darum, den schöpferischen Charakter der Auslegung oder der Rechtsanwendung überhaupt zu beto-

76 F. Müller, Normstruktur und Normativität, S. 147ff.; vgl. auch dens., Strukturierende Rechtslehre, S. 147ff., 234ff.; dens., ,Richterrecht', S. 13f., 49ff.; dens., Juristische Methodik, S.32ff., 131 ff., 168ff., 172; dens./R. Christensen/M. Sokolowski, Rechtstext und Textarbeit, S.32ff. 77 K. Hesse, Grundzüge des VerfR, Rdnr. 60 unter Hinweis auf die juristische Hermeneutik H.-G. Gadamers (Fn.21). 78 K. Hesse, Grundzüge des VerfR, Rdnr. 64. 79 W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, S. 180ff. 80 Rechtsanwendung setze stets die Formulierung einer „Fallnorm" und damit eine Konkretisierung voraus; W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, S.237ff. Insbesondere zu den Generalklauseln ders., a.a.O., S. 307f., 316; kritisch schon in seiner Rezension der Vorauflage H. Rüßmann, AcP 186 (1986), 291 (293ff.). 81 W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, S.180ff. Ähnlich ]. Schapp,}-arz 2001, 217 (218): „Hilfsnormen", die den gesetzlichen Rechtssatz „spezifizieren". 82 W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, S.202, zum „hermeneutischen Umkehrpunkt" ders., a.a.O., S.194ff. 83 D. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, S. lOOf. 84 D. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, S. 101 Fn. 51. 85 KritischJ. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 73: Gegensätze eher „überzeichnet". 86 F. Müller, Juristische Methodik, S. 186ff. 87 Etwa bei Gh. Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, insbes. S. 38ff.; genauso R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S.22ff.: „Von der Auslegung zur Konkretisierung". 88 So ganz deutlich bei Gh. Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, S. 38: „Norminterpre-

18 b) Abgrenzung

Grundlagen

und

und

Grundfragen

Kritik

Die Modellvorstellung der Konkretisierung als Normerzeugung hat mit dem Verständnis der Normkonkretisierung als Normverwirklichung89 gemeinsam, dass sie sich als allgemeine, generelle Deutung der Rechtsanwendung versteht, die nicht beschränkt ist auf bestimmte Normsituationen.90 Ansonsten handelt es sich aber um diametral verschiedene Konkretisierungsverständnisse. Ein erster Unterschied liegt darin, dass die Normkonkretisierung vom Modell der Normverwirklichung/orwi?/ verstanden wird als Ausdruck hierarchischer Bindungen und gewaltenspezifischer Handlungsaufträge, d.h. als Beschreibung abgeleiteter Rechtsgewinnung. Demgegenüber geht es dem Erklärungsmodell der Normerzeugung um ein materielles Konkretisierungsverständnis im Sinne einer produktiven, rechtsgestaltenden Rechtserzeugung. Ein weiterer Unterschied betrifft das Verhältnis zur verfassungsrechtlichen Normenordnung: Während sich das Modell der Normverwirklichung hinabsteigend innerhalb des Stufenbaus der Rechtsordnung bewegt und damit die Bindungen und Vorgaben der verfassungsrechtlichen Normsetzungspyramide betont - also die Legalität der Normsetzung - , versteht sich die konkretisierende Normerzeugung als gleichrangige Normsetzung:91 Mangels einer „lex ante casum" - so die Vorstellung von F. Müller92 - bleibt die richterlich erzeugte Norm auf derselben Ebene; sie kann sich schon gedanklich nicht unterhalb von etwas bewegen, dessen Existenz geleugnet wird. An dieser Stelle befinden sich allerdings auch die zentralen Angriffspunkte der hermeneutischen Konkretisierungstheorie: ihr ungeklärtes Verhältnis zur Normsetzungsordnung des Grundgesetzes. Nimmt man die Normerzeugungsthese beim Wort, liegen die Friktionen mit den verfassungsrechtlich vorgegebenen Rechtserzeugungsstrukturen auf der Hand: Mit ihrem Ausgangspunkt, der These von der „Nichtidentität von Normtext und Norm", übergeht die hermeneutische Konkretisierungstheorie die demokratisch-rechtsstaatliche, kompetation als schöpferischer Akt der Normkonkretisierung". Zum schöpferischen Charakter der Auslegung etwa H. Merz, AcP 163 (1963), 305 (332): Auslegung als „richterliche Rechtsschöpfung"; W. Ecker, JZ 1969, 477: „schöpferischer Akt"; K. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 162: Auslegung und Subsumtion als „schöpferische, geistige Akte", die den Rechtsanwender zum „Rechtsschöpfer" machen (S. 167); F. Haft, Juristische Rhetorik, S. 60ff., 88; ders., JuS 1975,477 (481):/. Isensee, in: FS für G. Winkler, 1997, S.367 (378): Interpretation als „schöpferischer Vorgang". - Hierzu kritisch M. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung durch Gesetz, S. 154f.: In der „Konkretion von,Interpretation' und,Konkretisierung' wächst zusammen, was nicht zusammen gehört." 8 9 Hierzu bereits oben, §2 II. 1. 90 Anders also als die sogleich zu behandelnde These der Normkonkretisierung als Normausfüllungen, siehe unten §2 II. 3. 91 M. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung durch Gesetz, S. 167 spricht insoweit von „planimetrischer Rechtsgewinnung". 92 Siehe nur F. Müller, Juristische Methodik, S. 311 f.

5 2 Normkonkretisierung

als rechtliches

Phänomen

19

tenzielle Funktion des Gesetzes im Rechtserzeugungsprozess, also die Rechtsetzungsprärogative des Gesetzgebers, 93 das Erfordernis einer normativen Ermächtigung der Rechtsprechung zur Normsetzung 94 und die Bindung richterlicher Normgebung an den gesetzlichen Rechtsbildungsauftrag.95 So verstanden führt sie - mit den pointierten Worten von M. Jestaedt - zur „Invisibilisierung" des Gesetzgebers und zur „Konfusion" der Normsetzungsordnung. 96 Nach F. Müller handelt es sich bei solcher Kritik freilich um ein Missverständnis: Das Gesetz, der „Normtext", sei nicht bedeutungslos für die konkretisierende Normerzeugung, vielmehr habe der Richter die „Dienstpflicht, bei dem schöpferischen Prozess, der zur Herstellung der Rechtsnorm führt, von den Normtexten auszugehen, die der Gesetzgeber hervorgebracht hat." 97 Zwar sei der Normtext kein „Behälter" für vom Gesetzgeber vorformulierte Rechtsnormen 98 , doch müsse die vom Richter erzeugte Rechtsnorm dem gesetzlichen Normtext methodisch „zugerechnet" werden können; dabei habe der Wortlaut „Grenzfunktion". 99 - Was die hermeneutische Konkretisierungstheorie dann noch von den herkömmlichen „positivistischen" 100 Rechtslehren unterscheidet, ist der Akzent auf dem rechtsschöpferischen Charakter jeder Rechtsentscheidung: Das Gesetz determiniere die richterliche Entscheidung nicht, sondern sei bloß „Handlungsdirektive" 101 mit „Verweisungscharakter" 102 . Dieser Akzent auf dem schöpferischen Charakter der Rechtsanwendung mag gemeint sein, wenn die programmatische Forderung der hermeneutischen Konkretisierungstheorie „Konkretisierung statt Auslegung" inzwischen mit der Formel „Auslegung als Normkonkretisierung" 103 in klassische Methodenüberlegungen eingegangen ist.

Hierzu noch unten, §4 III. 2. Hierzu noch unten, §4 III. 9 5 Hierzu noch unten, § 4 V. 96 M. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung durch Gesetz, S. 156ff., 164ff. Siehe im Übrigen die Kritik an der hermeneutischen Konkretisierungstheorie von K. Latenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 133f.; im Hinblick auf die Figur des „Normbereichs" R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S. 90ff. 9 7 So F. Müller/]. Christensen/M. Sokolowski, Rechtstext und Textarbeit, S. 34; siehe auch dens.,,Richterrecht', S.51. 98 F. Müller/J. Christensen/M. Sokolowski, Rechtstext und Textarbeit, S. 19ff., 140. 99 F. Af«//er,JuristischeMethodik,S.216ff.,222ff.;i/ers.//. Christensen/M. Sokolowski,Rechtstext und Textarbeit, S. 116ff.; R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, S. 300. 100 f^it R e c h t kritisch zu der Uberzeichnung der herkömmlichen Methodenlehre durch F. Müller die Rezension von K. Engisch, ZStW 90 (1978), 664 (665f.): „Zerrbild". 101 F. Müller/J. Christensen/M. Sokolowski, Rechtstext und Textarbeit, S.33. 102 F. Müller, Juristische Methodik, S. 173. 103 Ch. Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, insbes. S. 38ff.; siehe auch R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S.22f. 93

94

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Grundlagen

und

Grundfragen

3. Normkonkretisierung als Normausfüllung Ganz überwiegend wird Normkonkretisierung als Ausfüllung - „Aktualisierung" 104, „Präzisierung" 105 , „inhaltliche Fortbestimmung" 106 - von unbestimmten Gesetzesbegriffen und Generalklauseln verstanden. In dieser Form ist die Normkonkretisierung zum integralen Bestandteil der Methodenlehre 107 und der Richterrechtstypologie 108 geworden. Diese Modellvorstellung der Normkonkretisierung hat zwei Aspekte: die generelle Charakterisierung der Normkonkretisierung als Normausfüllung (unten a) und die spezifische Problemzuordnung zu unbestimmten Gesetzesbegriffen und Generalklauseln (unten b).

a) Normausfüllung

als Ausdruck „gebundener

Rechtsbildung"

In dem Bild der „Normausfüllung" verbinden sich die beiden zuvor erläuterten Modellvorstellungen der Normkonkretisierung - also Normkonkretisierung als bloße Norm Verwirklichung^ im Stufenbau der Rechtsordnung und Normkonkretisierung als schöpferische Normerzeugung 1 1 0 . Mit der Normverwirklichungsthese teilt sie die Rückbindung an die verfassungsrechtliche Normenhierarchie, die Bezugnahme auf die kompetenzielle Funktion des Gesetzes, mit der Normerzeugungsthese teilt sie die Einsicht in ihren schöpferischen Charakter. R. Rhinow bezeichnet dies als die „beiden Elemente" 111 der Konkretisierung:

104 H. W. Haubelt, Die Konkretisierung von Generalklauseln, S. 5ff.; F. Werner, Generalklauseln und Richterrecht, S. 179. 105 F. Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des §242; siehe auch H.-J. Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensermächtigungen im Verwaltungsrecht, S. 89ff.; G. Teubner, Standards und Direktiven in Generalklauseln, S. 9ff.; R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 92. Für eine Abgrenzung von „Präzisierung" und „Konkretisierung" F. Kasper, J Z 1995,746 (747). 106 K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.223f., 288ff. 107 Siehe nur F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 582ff.; K. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 165ff.; W. Hassemer, ARSP 71 (1986), 195 (203,208ff.); H.W. Haubelt, Die Konkretisierung von Generalklauseln, S. 33ff.; E. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 198ff.; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.215,223ff., 288ff.; P. Raisch, Juristische Methoden, S. 134f.; 142; K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §28 V; F.-J. Säcker, ARSP 58 (1972), 215ff.; D. Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, Rdnrn. 27, 46, 341 ff., 356; R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S.58f.; R. Weber, AcP 192 (1992), 516ff.; R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 16 II. 108 Zu gesetzeskonkretisierendem Richterrecht als eigenständigem Typus des Richterrechts insbes./. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S.63ff.; siehe auch G. Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 90f.; F. Ossenbühl, Hdb StR Bd. III, § 61 Rdnr. 37; M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 337ff., 347ff., 392ff.; R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 136ff.; hierzu noch eingehend unten, § 5 II.—IV. 109 Oben, §2 11. 1. 110 Oben, §2 II. 2. 111 R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S. 177f.

5 2 Normkonkretisierung

als rechtliches

Phänomen

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Normkonkretisierung ist gebundene Rechtsbildungn2; sie ist Normverwirklichung, soweit sie die Bindungen der Normenhierarchie heteronom umsetzt, sie ist Normerzeugung, soweit sie den gesetzlichen „Rahmen" 113 autonom ausfüllt.

b) Problemzuweisung zu unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln Normkonkretisierung als Normausfüllung wird ganz allgemein mit dem Phänomen unbestimmter Gesetzesbegriffe und insbesondere mit den sog. Generalklauseln114 verbunden.115 In dieser spezifischen Problemzuweisung unterscheidet sie sich von den allgemeineren Erklärungsmodellen der Normverwirklichungsthese und der Normerzeugungsthese. Allerdings gehört es zu den zentralen Einsichten der jüngeren Methodendiskussion, dass letztlich in jedem Rechtsakt, in jeder Rechtsentscheidung beide Kräfte wirken, also Bindung an Vorgegebenes und Bildung neuer Vorgaben. Jede Auslegung trägt schöpferische Züge, 116 und kein Richterspruch ist reine Deduktion aus dem Gesetz. 117 Damit hat auch die tradierte Dichotomie von Rechtsetzung und Rechtsanwendung an Uberzeugungskraft eingebüßt.118 Jede Rechtsentscheidung ist in mehr oder weniger großen Anteilen auch schöpferische Ausfüllung eines durch übergeordnete Normen lediglich umrissenen „Rahmens" 119 , also Normausfüllung. In dieselbe Richtung weist die Erkenntnis, dass die Unbestimmtheit und damit Ausfüllungsbedürftigkeit des Gesetzes ein graduelles Phänomen darstellt, da jeder Gesetzesbegriff mehr oder weniger unbestimmt ist.120 Wenn Normkonkretisierung dennoch vor allem mit der Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe in Beziehung gebracht wird, so liegt darin also nur ein Problemausschnitt, der das Phänomen der Normausfüllung durch „gebundene Rechtsbildung" in mehrfacher Hinsicht nur ungenau umreißt - die große Akzeptanz dieser Problemassoziation der Normkonkretisierung mit

Hierzu noch unten, §5 1. Begriff von H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S.348f. 114 Im Einzelnen noch unten, §3 I., II. 115 Siehe bereits die Nachweise in Fn. 107. 116 Siehe nur K. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 162; F. Haft, Juristische Rhetorik, S.60ff., 88; ¿ers.JuS 1975,477 (481); H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S.350ff.;H. Merz, AcP 163 (1963), 305 (332): Auslegung als „richterliche Rechtsschöpfung"; W. Ecker, J Z 1969, 477; R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S. 124ff.; R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 10 I. 117 Zur Kritik am Subsumtionsmodell siehe nur M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S.47ff.; R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S. 17ff.; siehe aber auch R. Braun, Einführung in die Rechtswissenschaft, §28. 118 Für einen umfassenden Rechtsetzungs- und Rechtsnormbegriff etwa R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S.222ff. 119 Den Begriff verwendete namentlich H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S.348f. 120 Hierzu noch unten, §3 1. 112

113

22

Grundlagen

und

Grundfragen

„unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln" mag den konventionellen Charakter dieser Problemzuweisung mitunter verdecken. Gleichwohl hat diese Problemzuordnung ihre Berechtigung. Auch wenn sich in jede Rechtsentscheidung rechtsbildende, schöpferische Aspekte mischen können und umgekehrt auch die legislative Rechtsetzung nicht frei von Bindungen ist,121 so zeigen sich Konflikt und Konvergenz von „Bindung" und „Bildung" doch besonders akzentuiert bei den sog. unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln. Bildet man die Anteile von „Bindung" und „Bildung" auf Achsen ab, so bezeichnet die Rechtsentscheidung anhand unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln den Optimierungspunkt: Einerseits sind die Bindungen höher als bei legislativer Rechtsetzung, andererseits folgt aus der Unbestimmtheit der gesetzlichen Vorgaben aber auch ein besonders großer Anteil an schöpferischer Aufgabe. Versteht man Konkretisierung also als Verbindung von heteronomer Rechtsverwirklichung und autonomer Rechtsbildung, als Metapher für schöpferische Sinngebung beim Hinabsteigen der Normenordnung, so erweist sich die allgemein konsentierte Zuweisung der Normkonkretisierung zu den Anwendungsproblemen sog. unbestimmter Gesetzesbegriffe und Generalklauseln daher als durchaus sinnvoll. An ihr soll im Folgenden festgehalten werden.

III. Aufgaben einer Theorie der Normkonkretisierung Die vorstehenden Überlegungen haben die zentralen Aufgaben und Themen einer Theorie der Normkonkretisierung aufgezeigt. Die konventionale Reduktion der Normkonkretisierung als Normausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln verlangt erstens Klärungen zu den Normbegriffen als Gegenstand der Normkonkretisierung (dazu §3). Zweitens geht es darum, die Bindungen und Bedingungen der richterlichen Normausfüllung aufzuzeigen. Damit stellt sich vor allem die Frage nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Normkonkretisierung (dazu § 4). Es bedarf einer verfassungsrechtlichen Erklärungsfigur für die mit der Normkonkretisierung verbundene Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf die Rechtsprechung (dazu § 4 II.-IV.), vor allem sind die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die delegierte Rechtsetzung zu überlegen (dazu §4 VI.). Drittens ist der Aspekt der Rechtsbildung in 121 Statt aller R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S.234ff.; treffend bereits H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 350f.: „So wenig wie man aus der Verfassung durch Interpretation die allein richtigen Gesetze, kann man aus dem Gesetz durch Interpretation die allein richtigen Urteile gewinnen. Gewiss besteht ein Unterschied zwischen diesen beiden Fällen, aber er ist nur ein quantitativer, kein qualitativer, und er besteht nur darin, dass die Bindung des Gesetzgebers in materieller Hinsicht eine viel geringere ist als die Bindung des Richters, dass jener bei der Rechtsschöpfung verhältnismäßig viel freier ist als dieser."

5 2 Normkonkretisierung

als rechtliches Phänomen

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den Blick zu nehmen, also die Frage, mit welchen Mitteln und Methoden die schöpferische Aufgabe der Normkonkretisierung sachgerecht bewältigt werden kann (dazu §5). Diese Anforderungen lassen sich zusammenfassen als Gebot der Konkretisierungsrationalität (dazu § 6). Auf diesem theoretischen Fundament ist anschließend die Konkretisierungspraxis näher zu untersuchen. Es gilt, die praktischen Konkretisierungsleistungen nach ihrer Erscheinungsform zu typisieren und spezifische Sachrichtigkeitsbedingungen herauszuarbeiten (dazu §§8-11). Schließlich sind die spezifischen Fragestellungen der europarechtlichen Dimension der Normkonkretisierung zu betrachten. Hier geht es abermals im Wesentlichen um Kompetenzfragen (dazu § 12), insbesondere um die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit ausfüllungsbedürftiger Rechtsetzung (dazu §13), die Aufgabenverteilung im supranationalen Konkretisierungsdialog (dazu § 14) und Fragen der Verwirklichung gemeinschaftlicher Konkretisierungsvorgaben (dazu § 15).

IV. Zusammenfassung Konkretisierung ist ein vielversprechender, schillernder Begriff, der nach wie vor große Anziehungskraft auf die Rechtswissenschaft ausübt. An der jüngeren Ideen- und Wirkungsgeschichte lassen sich Zauber und Gefahren des Konkreten für die Rechtswissenschaft ablesen. Inzwischen hat sich die Konkretisierung nachhaltig in das Rechts- und Methodenverständnis eingeschrieben. Darin spiegelt sich einerseits die Hinwendung der Rechtswissenschaft zu den Sozialwissenschaften wider. Vor allem aber hat die Methodenlehre den Begriff der Konkretisierung für sich entdeckt und spezifisch belegt. Normkonkretisierung ist ein Ausschnitt aus dem größeren Problemfeld der Konkretisierung: die Konkretisierung von Rechtsnormen. In der aktuellen Methodendiskussion wird der Begriff der Normkonkretisierung in drei Varianten verwendet. Vielfach wird Normkonkretisierung in einem allgemeinen, formalen Sinne als Norm Verwirklichung verstanden, d.h. als das „konkreter werden" einer Norm in ihrer Ausgestaltung, Umsetzung, Anwendung und Durchsetzung. Zentrales Anliegen dieses weiten Konkretisierungsverständnisses ist der Hinweis auf die Normabhängigkeiten und Normsetzungsbefugnisse im Stufenbau der Rechtsordnung; Konkretisierung ist hier vor allem eine Frage der Bindungen und der Legalität. Den Gegenpol bildet die hermeneutische Konkretisierungstheorie, die Konkretisierung als Normerzeugung versteht. Der Begriff der Konkretisierung dient hier dazu, den Akzent allgemein auf den schöpferischen Charakter der Rechtsgewinnung zu legen. Ganz überwiegend wird Normkonkretisierung aber als Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln verstanden. In dem Bild der Normausfüllung verbinden sich der Gedanke der Normverwirklichung - also Konkretisierung als Ausdruck der

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Grundlagen

und

Grundfragen

Normenhierarchie - mit dem Gedanken der Normerzeugung - also Konkretisierung als Ausdruck schöpferischer Normerzeugung. Die Verknüpfung der Konkretisierung mit der Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln bezeichnet zwar nur einen Problemausschnitt, da jede Rechtsentscheidung - von der Gesetzgebung bis zum Richterspruch - in mehr oder weniger großem Ausmaß „gebundene Rechtsbildung" darstellt. Gleichwohl hat diese konventionale Problemzuordnung ihre Berechtigung, weil sich Konflikt und Konvergenz von „Rechtsbildung" und „Rechtsbindung" mit zunehmender Unbestimmtheit des Gesetzes besonders akzentuiert zeigen.

§ 3 Gegenstand der Normkonkretisierung Über die Gesetzesbegriffe werden die Anforderungen an den Prozess der Rechtsanwendung, ihre Anteile an heteronomer Rechtsbindung und autonomer Rechtsbildung, gesteuert. Je bestimmter, aussagekräftiger, sachnäher die Gesetzesbegriffe, umso unmittelbarer ist die Rechtsentscheidung durch das Gesetz vorgegeben und umso stärker sind auch die verfassungsrechtlichen und methodischen Bindungen. Umgekehrt ist der schöpferische Freiraum der Rechtsprechung umso größer, je unbestimmter, offener, vager die Gesetzesbegriffe sind. Mit unbestimmter Gesetzesfassung ist der Scheitelpunkt von „Rechtsbindung" und „Rechtsbildung" beschrieben, also das herkömmlich mit Normkonkretisierung als Normausfüllung beschriebene Problem.1

I. Typologie der Normbegriffe 1. Graduelle Unbestimmtheit der Normbegriffe Lange Zeit wurden bestimmter und unbestimmter2 Rechts-3 bzw. Gesetzesbegriff 4 in der rechtswissenschaftlichen Diskussion als Antipoden wahrgenommen: Bestimmtheit und Unbestimmtheit erschienen als streng abgrenzbares Gegensatzpaar.5 Die Einsicht in die wesensimmanente Unschärfe der Sprache6 Zu dieser Problembeschreibung bereits oben, §2 II. 3. Die Unterscheidung geht - soweit ersichtlich - vor allem auf W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung, 1913, S.37ff. zurück. 3 Zumeist wird anstatt vom unbestimmten Geseizesbegriff vom unbestimmten Rechtsbegnii gesprochen, obwohl die Formulierung „Gesetzesbegriff" insoweit klarer wäre, als sie die rechtswissenschaftlichen Begriffe ausschlösse; so schon der Vorschlag von O. Bachof, JZ 1955, 97 (98); ihm folgend H. Maurer, Allg VerwR, §7 Rdnr.28; F. Ossenbühl, DVB1.1974, 309; vgl. auch D. Jesch, AöR 82 (1957), 163 (167); E. Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, S.59. 4 „Begriff" wird hier unspezifisch als Element des Gesetzestextes und Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes verstanden; anders etwa K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 216ff., der unter „Begriff" nur den bestimmten, deskriptiven Begriff fassen will, der „durch die Angabe aller seiner notwendigen Merkmale abschließend definiert werden könnte." Im Übrigen handele es sich entweder um ausfüllungsbedürftige Wertungsmaßstäbe oder um einen Typus; vgl. auch H.J. Wolff Studium generale Bd. 5 (1952), 195ff. 5 K. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 160 spricht noch von „korrelativen Begriffen", auch F. Haft, JuS 1975,477 (480) will an der „Einteilung in bestimmte und unbestimmte Begriffe" festhalten; genauso W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, S.316 sowie H.-E. 1

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Grundlagen

und

Grundfragen

und insbesondere der Umgangssprache7 hat inzwischen ein graduelles Verständnis der Gesetzesbegriffe durchgesetzt: Jeder Gesetzesbegriff ist „mehr oder weniger unbestimmt."8 Die gemeinsame Grundstruktur der Gesetzesbeund griffe lässt sich im Anschluss an Ph. Heck9 mit dem Bild von Begriffskern B e g r i f f s h o f beschreiben.10 Der Begriffskern umfasst die Sachverhalte, die dem Begriff sprachlich eindeutig zugeordnet werden können, d.h. die „unzweifelhaften Fälle",11 während der Begriffshof den „diffusen Bereich"12 der Begriffsdeutung ausmacht, bei dem eine eindeutige Zuordnung nicht mehr möglich Henke, Die Tatfrage, S. 68ff., der die bestimmten Begriffe der Klasse der „juristischen Ordnungsbegriffe" und die unbestimmten Begriffe der Klasse der Begriffe mit „wertendem Gehalt" zuordnet. 6 Vgl. zu Recht und Sprache etwa B. Rüthers, Rechtstheorie, §5; M. Herberger/H.-]. Koch, JuS 1978,81 Off.; K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §§ 3 ff.; R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, §8. 7 Zu Umgangssprache und Rechtssprache insbes. U. Neumann, in: G. Grewendorf (Hrsg.), Sprachkultur als Rechtskultur, S. 110ff.; K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 4; treffend B. Schünemann, in: FS für U. Klug, S. 169 (176): „Solange sich der Gesetzgeber in großem Umfang der naturwüchsigen Termini der Umgangssprache bedient, kann er sich also von der Leistungsgrenze der Umgangssprache nicht prinzipiell emanzipieren." 8 So D.Jesch, AöR 82 (1957), 163 (168). N. Achterberg, Allg. VerwR, S.341 hält die Bezeichnung „unbestimmter Gesetzesbegriff" deshalb für einen Pleonasmus; siehe auch/C. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 138f.; Ph. Heck, AcP 112 (1914), 1 (173); D. Looschelders/ W. Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, S. 134f.; H. v. Olshausen, NJW 1980, 113 (114); K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §28 V. Vgl. für das öffentliche Recht H.-U. Erichsen, DVBl.1985, 22; H. Ehmke, „Ermessen" und „unbestimmter Rechtsbegriff" im Verwaltungsrecht, S.29; H. Maurer, Allg VerwR, §7 Rdnr.27; A. v.Mutius, Jura 1987, 92 (93); ]. Schmidt-Salzer, Der Beurteilungsspielraum der Verwaltungsbehörden, S. 16; K. Schweiger, DVBl. 1968, 481 (484); A. Sethy, Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff, S.69f. 9 Siehe z.B. Ph. Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914, S.46, 173 (auch veröffentlichtin AcP 112 [1914], 1 ff. sowie R. Dubischar [Hrsg.], Philipp Heck. Das Problem der Rechtsgewinnung, 1968, S.46 ff.); ders., Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, 1932, S.52, 60. R. Zippelius, NJW 1967, 2229 (2231) weist im Übrigen darauf hin, dass bereits H. Kantoro•witz (Gnaeus Flavius), Der Kampf um die Rechtswissenschaft, 1906, S. 15 konstatierte, dass Rechtsbegriffe neben „festbestimmten Begriffskernen" auch „schwimmende Konturen" haben. Hierin ist das Bild von „Kern" und „Hofbereich" unbestimmter Rechtsbegriffe bereits angelegt. 10 Das Bild von Begriffskern und Begriffshof wurde vor allem von D. Jesch, AöR 82 (1957), 163 (172ff.) aufgegriffen und ist seitdem fester Bestandteil der Lehre vom unbestimmten Rechtsbegriff; vgl. hierzu auch E Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 118f.; K. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 138; W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. III, S. 661,684; D. Looschelders/W. Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, S. 134; B. Schünemann, in: FS für U. Klug, S. 169 (177ff.); A. Sethy, Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff, S. 69ff. Hingegen schlägt H.-J. Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensermächtigungen, S. 40ff. sowie ARSP 61 (1975), 27 (36f.) vor, anstelle von Begriffskern und Begriffshof drei Sphären zu unterscheiden: positive, negative und neutrale Kandidaten; ähnlich auch schon K. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung, S. 38 und ihm folgend H.-E. Henke, Die Tatfrage, S.76f.; K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §3 VI. " Vgl. Ph. Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 107; D. Jesch, AöR 82 (1957), 163 (176f.); K. Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S.26; ders., Einführung in das juristische Denken, S. 139. 12 D.Jesch, AöR 82 (157), 163 (177).

5 3 Gegenstand

der

Normkonkretisierung

27

ist. 13 Vor diesem Hintergrund zeichnet sich ein unbestimmter Rechtsbegriff dadurch aus, dass sein „Begriffshof ungewöhnlich groß und diffus ist und der Kernbereich im Vergleich dazu außergewöhnlich klein." 1 4 Sprachliches Kennzeichen des unbestimmten Begriffs ist seine Vagheit15. Stellt man die Frage nach den Bindungen und Bedingungen der richterlichen Rechtsentscheidung in den Vordergrund, so ist die Einsicht in die graduelle Unbestimmtheit aller Gesetzesbegriffe natürlich unbefriedigend. Nicht umsonst werden im methodischen Schrifttum nach wie vor weitere Begriffsklassen referiert, um die typische Verzahnung von Gesetzesbegriff und Rechtsanwendung je unbestimmter der Gesetzesbegriff, umso größer der Anteil an richterlicher Rechtsbildung, je bestimmter der Gesetzesbegriff, umso gebundener die Rechtsentscheidung - plastisch zu machen. 16 Im Wesentlichen geht es dabei um die Unterscheidung zwischen deskriptiven und normativen Begriffen (unten 2.). Dagegen bezeichnen Generalklauseln und Blankettnormen (unten 3.) eher Randprobleme.

2. Deskriptive und normative Begriffe Die Unterscheidung zwischen deskriptiven oder „Erfahrungsbegriffen" und normativen oder „Wertbegriffen" kann sich inzwischen zum juristischen Allgemeingut zählen. 17 Ihre Wurzeln liegen in der strafrechtlichen Lehre der normativen Tatbestandsmerkmale 18 und in der verwaltungsrechtlichen Lehre vom Beurteilungsspielraum. 19 Deskriptive Gesetzesbegriffe sind dadurch gekennzeich13 D. Jesch, A ö R 82 (157), 163 (177); vgl. auch K. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 139; D. Looschelders/W. Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, S. 134. 14 D. Jesch, AöR 82 (1957), 163 (177). 15 Hierzu H.-J. Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensermächtigungen, S. 33ff.; ders. (Hrsg.), Die juristische Methode im Staatsrecht, S. 42ff.; ders./H. Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 194ff. Ihm folgend etwa H. Garstka, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre und analytische Philosophie, S.96 (103); M. Herberger/H.-]. Koch, JuS 1978, 810 (812);K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 157; K. Seelmann, Rechtsphilosphie, §6 Rdnrn. 30ff.; Ch. Weitzel, Justitiabilität des Rechtsetzungsermessens, S.39f. 16 Siehe nur E. Kramer, Juristische Methodenlehre, S.44ff.; K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §5; B. Rüthers, Rechtstheorie, Rdnrn. 178 ff. 17 Siehe nur aus jüngerer Zeit E. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 44ff.; K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 5 V.; B. Rüthers, Rechtstheorie, Rdnrn. 178ff. 18 Hierzu namentlich K. Engisch, in: FS für E. Mezger, S. 127 ( 142ff.); ders., Einführung in das juristische Denken, S. 140. 19 Grundlegend O. Bachof, J Z 1955, 97ff.; C.H. Ule, DVB1.1955, 184ff.; ders., in: GS für W. Jellinek, S. 309 (318ff.); hierzu nun eingehend E. Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungspielraum, passim; siehe im Übrigen M. Bullinger, N J W 1974, 769ff.; E Czermak, DVB1.1966,366f.;dens.; JuS 1968,399ff.-,H.-U. Erichsen, D V B 1 . 1 9 8 5 , 2 2 { f . - H . Ehmke, „Ermessen" und „Unbestimmter Rechtsbegriff" im Verwaltungsrecht; D. Jesch, A ö R 82 (1957), 163 ff.;

28

Grundlagen

und

Grundfragen

net, dass ihr Inhalt zum „sinnvollen Gegenstand einer Tatsachenfeststellung" gemacht werden kann.20 Sie beziehen sich auf Gegenstände und Ereignisse der Wirklichkeit 21 und beschreiben „wirkliche oder wirklichkeitsartige, grundsätzlich wahrnehmbare oder sonstige, erfahrbare Objekte". 2 2 Als vieldeutiger erweist sich die Kategorie der normativen Begriffe. Einigkeit besteht jedoch, darunter weder jeden Begriff normativen Ursprungs 23 noch jeden normhaltigen Begriff 24 zu verstehen. Als entscheidend wird vielmehr das Erfordernis einer Wertung bei der Rechtsanwendung angesehen.25 Hierfür prägte K. Engisch26 die Bezeichnung des wertausfüllungsbe dürftigen oder Wertbegriffs.27 Der normative Begriff ist wert- oder richtiger wertungsausfüllungsbedürftig;28 er enthält eine implizite „Wertungsermächtigung"29.30 Auch aus H.-J. Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensermächtigungen, S. 44ff., 75ff.; A. v. Mutius, Jura 1987, 92ff.; F. Ossenbühl, D Ö V 1968, 618ff.; dens., D Ö V 1970, 84ff.; dem., DVB1.1974,309ff.; G. Korbmacher, D Ö V 1965,696ff.; H. Maurer, Allg VerwR, § 7 Rdnrn. 26ff.; H.H. Rupp, in: FS für W. Zeidler, S.455ff.; G. Schuppen, DVB1.1988,1091 ff.; A. Sethy, Ermessen und unbestimmte Rechtsbegriffe; Ch. Starck, in: FS für H. Sendler, S. 167ff.;D. Wilke,}ura 1992, 186ff. - Zur normativen Ermächtigungslehre noch unten, §4 III. 2. 20 K. Engisch, in: FS für E. Mezger, S. 127 (143); ders., Einführung in das juristische Denken, S. 140. 21 H.-U. Enchsen, in: H.-U. Erichsen/W. Martens (Hrsg.), Allg VerwR, § 10 Rdnr. 5; E. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 44. 22 K. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 140; genauso C. Roxin, StrafR AT, S.252ff. 23 In diesem Sinne etwa B. Rüthers, Rechtstheorie, S. 116f.; vgl. weiter K. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 140f. 24 Unter normhaltigen Begriffen versteht K. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 141 f. Begriffe, die „ihren Sinngehalt in irgendwelchen Normen befestigen" wie z.B. „Ehe", „Schwägerschaft" oder „minderjährig"; vgl. auch B. Rüthers, Rechtstheorie, Rdnr. 183. 25 Siehe nur K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 288ff.; E. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 50; B. Rüthers, Rechtstheorie, Rdnr. 184;/. Schapp, Methodenlehre des Zivilrechts, S. 102; K. Seelmann, Rechtsphilosophie, §6 Rdnrn. 35ff.; R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, §9 II, §16 II; auch B. Ebinger, Der unbestimmte Rechtsbegriff im Recht der Technik, S.19ff., 22. 26 K. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 138ff., 142. 27 Siehe etwa J. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, S. 54f.; ders., Wertung, Konstruktion und Argument im Zivilurteil, S.5f.: „Wertbegriffe"; F. Haft, JuS 1975, 447 (480); K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.214ff., 288ff.: „ausfüllungsbedürftiger Maßstab"; Th. Lenckner, JuS 1968, 249ff., 304ff.; D. Looschelders/W. Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, S. 135f.: „ausfüllungsbedürftige Wertbegriffe"; A. v.Mutius, Jura 1987,92 (94); C. Roxin, StrafR AT, S.253; B. Rüthers, Rechtstheorie, Rdnr. 184; K. Seelmann, Rechtsphilosophie, §6 Rdnrn. 35f.: „Wertbegriffe";/. Schapp, Methodenlehre des Zivilrechts, S. 102; H. Soell, Das Ermessen der Eingriffsverwaltung, S. 163 ff.; R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 16 II: „Wertbegriffe". - Auf diesem Verständnis des normativen Begriffs beruhte wohl auch Vorschlag, in die V w G O einen § 114a einzufügen, um den Verwaltungsbehörden einen Beurteilungsspielraum einzuräumen, wenn die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs „Abwägungen, Prognosen und Wertungen" verlangt [Hervorhebung von Verf.]. Hierzu kritisch W. Ewer, NVwZ 1994, 140ff. 28 Da normative Begriffe nicht nur Ausfüllung durch Werte, sondern durch Wertungen verlangen, müsste terminologisch präziser eigentlich von „toertwragsausfüllungsbedürftigen" Be-

§ 3 Gegenstand

der Normkonkretisierung

29

den Gesetzesmaterialien lässt sich inzwischen häufig dieses Verständnis n o r m a tiver Begriffe ablesen. 31 Ihre Angewiesenheit auf eine ergänzende Wertung des Rechtsanwenders ist der zentrale Ausgangspunkt f ü r die im Übrigen verfassungsrechtlich zu begründende und zu begrenzende richterliche Konkretisierungsbefugnis. 3 2

3. G e n e r a l k l a u s e l u n d B l a n k e t t n o r m W ä h r e n d die unbestimmten Rechtsbegriffe eine generelle A f f i n i t ä t zum ö f f e n t lichen Recht aufweisen, scheint die Problematik der Generalklauseln v o r n e h m lich im Privatrecht beheimatet zu sein. 33 Gerade die Generalklausel genießt nach wie v o r die besondere A u f m e r k s a m k e i t der Privatrechtswissenschaft. 3 4 Sie griffen gesprochen werden. Da sich der „wrtausfüllungsbedürftige" Begriff aber allgemein durchgesetzt hat, soll an ihm auch hier festgehalten werden. - Zum Begriff des Werturteils K.-H. Nusser, in: Staatslexikon, 7. Aufl. 1989, Bd. 5, Sp. 970ff.: Urteil, „das durch Bezugnahme auf einen Wert zustande kommt." Näher zur Unterscheidung von Wert und Wertung R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 125ff.; H. Hubmann, Wertung und Abwägung im Recht, S.6ff.; E. Meyer, Grundzüge einer systemorientierten Wertungsjurisprudenz, S. 35ff.; A. Podlech, AöR 95 (1970), 185 (195ff.); K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §9 II, V. 29 So K. Seelmann, Rechtsphilosophie, §6 Rdnr. 36; siehe auch B. Rüthers, Rechtstheorie, Rdnr. 184: Aufforderung an den Rechtsanwender zu eigener Bewertung; ähnlich für das Verwaltungsrecht H.-U. Erichsen, in: H.-U. Erichsen/W. Martens, Allg. VerwR, § 10 Rdnr. 7: „Verzicht des Gesetzgebers zugunsten der Verwaltung". 30 Gegen diese Unterscheidung aber H.-J. Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensermächtigungen im Verwaltungsrecht, S. 21 ff.; ders./H. Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 201 ff.: Auch bei sog. „Wertbegriffen" liege die Schwierigkeit der Rechtsanwendung in der mehr oder weniger großen Vagheit der deskriptiven Bedeutungskomponente (H.-J. Koch, a.a.O., S. 26), die - genauso wie bei anderen Begriffen - allein ein Auslegungsproblem darstelle; hiergegen K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 157ff.; auch K. Seelmann, Rechtsphilosophie, §6 Rdnr. 36. 31 Beispielsweise wenn die Bestimmung der „Zumutbarkeit" in §§282, 324 BGB n.E als „Wertungsaufgabe" deklariert wird (Begründung des RegE eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drs 14/6040, S. 142 ) oder wenn im Zusammenhang mit §323 Abs.2 Nr.3 BGB n.F. von „Wertungsspielräumen" die Rede ist (RegE, BT-Drs 14/6040, S. 186). Weitere Beispiele für solche „beabsichtigte" Unbestimmtheit durch den Privatrechtsgesetzgeber als Wahrnehmung seiner „Zuweisungsaufgabe" noch unten, §4 III. 2. 32 Hierzu noch eingehend unten, §4 II.-V. 33 Zur Frage, ob Grundrechte Generalklauseln darstellen, siehe bejahend P. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs.2 GG, S. 186; M. Kriele,Theorie der Rechtsgewinnung, S. 197; kritisch F. Müller, Normstruktur und Normativität, S. 201 f., ders., Juristische Methodik, S. 321: Normen mit „gesteigert sachhaltigen Normbereichen". Als verwaltungsrechtliche Generalklauseln werden etwa die polizeiliche Generalklausel: „öffentliche Sicherheit oder Ordnung", Art. 11 Abs. 1 BayPAG) oder die bauaufsichtliche Generalklausel („öffentlich-rechtliche Vorschriften", Art. 79 Abs. 1 BayBO) gezählt; hierzu H.-U. Erichsen, in H.-U. Erichsen/W. Martens (Hrsg.), Allg VerwR, § 10 Rdnr. 3; H.J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, VerwR I, § 31 Rdnrn. 11 ff. Zu Generalklauseln im Strafrecht F. Haft, JuS 1975, 477 (480f.); Th. Lenckner, JuS 1968, 249ff. 34 Aus der unübersehbaren Literatur zur Generalklausel siehe etwa A. Beater, AcP 194 (1994),

30

Grundlagen und

Grundfragen

ist viel gepriesen und viel gescholten, 35 wird gelobt als „königlicher Paragraph" 36 und gerügt als „Flucht des Gesetzgebers" 37 . Gleichwohl steht eine anerkannte Definition der Generalklausel noch aus.38 Es existieren zwei Lesarten der Generalklausel: Zum Teil wird versucht, die Generalklausel als eigenständige Begriffskategorie mit spezifischen Normfunktionen zu umschreiben (unten a); überwiegend wird sie aber dem allgemeinen Phänomen normativer, ausfüllungsbedürftiger Unbestimmtheit zugeordnet (unten b). a) Spezifische

Normfunktionen

der

Generalklauself

Die Vorstellung spezifischer Normfunktionen der Generalklausel geht maßgeblich auf eine Untersuchung von G. Teubner39 zurück, der der Generalklausel am Beispiel der „guten Sitten" (§138 BGB) drei Funktionen zugewiesen hat: Die Rezeption außerrechtlicher sozialer Normen, ihre Transformation in richterliche Normbildung und schließlich - sofern keine rezeptions- oder transformationsfähigen sozialen Normen existieren - die Delegation der Rechtsetzungsbefugnis an den Richter. 40 Daran anknüpfend will beispielsweise A. Ohly 82ff.; H. Garstka, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre und analytische Philosophie, S.96ff.; K. Gintzel, Die Generalklausel und die Spezialermächtigungen im Polizeirecht; F. Haft, JuS 1975, 477fi.; J. W. Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln; H. W. Haubelt, Die Konkretisierung von Generalklauseln; A Laufs, DRiZ 1973, 145 ff.; W. Naucke, Über Generalklauseln und Rechtsanwendung im Strafrecht; A Ohly, AcP 201 (2001), 1 ff.; R. Scheying, Pluralismus und Generalklauseln; G. Teubner, Standards und Direktiven in Generalklauseln; R. Weber, AcP 192 (1992), 516ff.; ders., AcP 194 (1994), 90ff.; ders., JuS 1992, 631 ff.; F. Werner, Zum Verhältnis von gesezlichen Generalklauseln und Richterrecht; F. Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des §242 BGB; D. Wurche, Generalklauseln und Kasuistik in der neueren deutschen Gesetzgebung. 35 So F. Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, S. 10. Zu den Vor- und Nachteilen von Generalklauseln namentlich J. W. Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln sowie A Bueckling, Der Fluch der Generalklauseln, ZRP 1983,190ff.; H.-P. Bull, ZRP 1983,310 (313f.); H. Garstka, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre und analytische Philosophie, S. 96 (115ff.); H. Kantorowitz (Gnaeus Flavius), Der Kampf um die Rechtswissenschaft, S. 13ff.; W. Naucke, Uber Generalklauseln und Rechtsanwendung, S. 13ff.; F. Werner, Generalklauseln und Richterrecht, S.20ff.; F. Wieacker, Gesetz und Richterkunst, S. 5ff. 36 E. Fuchs, Justiz, Jahrg. 1, S. 349 zitiert nach/. W. Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, S. 11; hierzu R. Weher, JuS 1992,631 ff.; auch]. Esser, in: P. Häberle/H.G. Leser (Hrsg.), Wege der Rechtsgewinnung, S. 307 (311). 37 J. W. Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, insbes. S. 66ff.: „Gefährlichkeit" der Generalklauseln durch „Verweichlichung, Unsicherheit, Willkür"; vgl. auch A Bueckling, Der Fluch der Generalklauseln, ZRP 1983, 190ff. und U. Diederichsen, Die Flucht des Gesetzgebers aus der politischen Verantwortung im Zivilrecht, S. 21 ; speziell mit Blick auf das Technikrecht F. Ossenbühl, Die N o t des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, S. 11 ff. 38 So R. Weher, AcP 192 (1992), 516 (523). 39 G. Teubner, Standards und Direktiven in Generalklauseln, 1971. 40 G. Teubner, Standards, und Direktiven in Generalklauseln, S. 60ff. W. Veelken, AcP 185 (1985), 46 (50ff.) weist zutreffend darauf hin, dass keine dieser Funktionen als alleiniges Erklärungsmodell taugen.

§ 3 Gegenstand

der

Normkonkretisierung

31

im Zusammenhang mit § 1 U W G zwischen der Verweisungs-, der Flexibilitätsund der Delegationsfunktion unterscheiden.41 Ahnliche funktionsorientierte Überlegungen finden sich zu §826 BGB 4 2 und zu §242 BGB 4 3 . So einsichtig solche oder ähnliche Funktionsumschreibungen auch sein mögen, so wenig spezifisch sind sie. Dies gilt insbesondere für die Funktionen, die die Anpassungsfähigkeit und Ausfüllungsbedürftigkeit von Generalklauseln herausstellen, also ihre „Flexibilitätsfunktion" (A. Ohly) und ihre „Delegations-", „Konkretisierungs-", „Ergänzungs-" oder „Ermächtigungsfunktion" (/. Esser, H. Heinrichs, H. Merz, R. Sack). Anpassungsfähig und ausfüllungsbedürftig sind auch die zuvor betrachteten normativ-unbestimmten Rechtsbegriffe. Mit ihrer Wertausfüllungsbedürftigkeit44 erfüllen normative Begriffe ebenfalls Flexibilitäts- und Delegationsfunktionen. Flexibilität und Delegation sind allgemeine Kennzeichen unbestimmter Gesetzesredaktion und keine Spezifika von Generalklauseln.45 Spezifischeren Inhalt hat allein die Rezeptions- oder Verweisungsfunktion, also die Beobachtung, dass mit Gesetzesformeln wie „Treu und Glauben" (§242 BGB), den „guten Sitten" (§138 B G B , §1 UWG), der „Verkehrssitte" (§157 B G B ) oder den „im Handelsverkehre geltenden Gewohnheiten und Gebräuchen" (§346 H G B ) auf außerrechtliche Gebote verwiesen wird, 46 auf unge41 A. Ohly, Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 234ff., 238ff.; ders., AcP 201 (2001), 1 (6ff.); vgl. auch R. Sack, wrp 1985,1 ff.: „Rechtsfortbildungs-" und „Transformationsfunktion". 42 E. Deutsch, J Z 1963, 385 (389f.): „Verstärkungsfunktion" und „Entwicklungsfunktion" von § 826 B G B ; siehe auch Staudinger/J. Oechsler (13. Bearb. 1998), § 826 Rdnrn. 20ff. 43 Siehe nur J. Esser, SchuldR, §31: „Standardfunktion", „Schrankenfunktion", „Sozialfunktion", „Billigkeitsfunktion", „Ermächtigungsfunktion"; siehe auch dens., Vorverständnis und Methodenwahl, S.57: „Ermächtigung ..., den Obersatz selbst zu bilden"; ähnlich die „Funktionsschichten" von E Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des §242, S.20ff., die „Funktionsbestimmungen" von H. Merz, ZSR 80 (1961), 337 (342ff.): „bestätigende", „ergänzende", „berichtigende" Funktion, „Durchgangsfunktion", „Ermächtigungsfunktion" oder die von Palandt/H. Heinrichs, §242 Rdnr. 13 vorgeschlagenen „Funktionskreise" der „Konkretisierungsfunktion", „Ergänzungsfunktion", „Schrankenfunktion" und „Korrekturfunktion". Siehe auch//. Garstka, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre und analytische Philosophie, S.96 (115ff.): „salvierende", „extensivierende", „regulierende" Funktion. Eine umfassende Darstellung der „Funktionskreise"-Theorie findet sich bei Staudinger/J. Schmidt (13. Bearb. 1995), §242 Rdnrn. 114ff.; vgl. auch AltKomm/G. Teubner, §242 Rdnrn. 3ff. Zu den Funktionen der Generalklausel auch bereits J. W. Hedemann, Die Flucht in die Generalklausel, S. 58ff. 4 4 Siehe bereits oben, §2 I. 2. 4 5 Zur Delegationsfunktion gesetzlicher Unbestimmtheit noch eingehend unten, §4 II.—IV.; zur Flexibilitätsfunktion § 4 IV. 3. b) bb). 46 F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 582ff.; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.289; Th. Mayer-Maly, AcP 194 (1994), 105; MünchKomm/ders. (4. Aufl. 2001), §138 Rdnr. 3; F. Müller, .Richterrecht', S.86f.; M. Rehhinder, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 83; A. Ohly, AcP 201 (2001), 1 (11 ff.); ders., Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, S.209ff., 213ff.; MünchKomm/H. Roth (4. Aufl. 2001), §242 Rdnrn. 5ff.; Ch. Starck, W D S t R L Heft 34 (1976), 43 (62f.); G. Teubner, Standards

32

Grundlagen

und

Grundfragen

schriebene „Sozialordnungen" 47 und „sozialethische Regeln" 48 . In den seltensten Fällen wird sich die Rechtsentscheidung allerdings darauf beschränken können, außerrechtliche Verhaltensregeln schlicht „festzustellen" und „anzuwenden". Zum einen haben sich längst nicht in allen Bereichen überhaupt entsprechende Konventionalnormen herausgebildet, und auch die stabile, einheitliche Sittenordnung, wie sie der Gesetzgeber des BGB im Blick gehabt haben mag, hat sich in der wert-pluralistischen Gesellschaft mehr und mehr verflüchtigt. 49 Außerdem besteht heute weithin Einigkeit darüber, dass auch die außerrechtlichen Maßstäbe nicht allein empirisch, sondern vielmehr normativ zu verstehen, also ihrerseits durch richterliche Wertung zu ergänzen und ggf. zu korrigieren sind. 50 Die ursprüngliche, klassisch-liberale 51 Verweisungsfunktion auf außerrechtliche, in gesellschaftlicher Selbstregulation entstandene Ordnungsgefüge ist daher allenfalls in Randbereichen erhalten geblieben, etwa in § 346 HGB 5 2 oder in den privatrechtlichen Technikklauseln wie dem „Stand der Technik" oder den „allgemein anerkannten Regeln der Technik" 53 . Dieses zunehmende Verblassen der Rezeptions- und Verweisungsfunktion zugunsten der Delegations- oder Ermächtigungsfunktion wird allgemein als

u n d Direktiven in Generalklauseln, S.65ff.; F. Werner, Generalklauseln u n d Richterrecht, S.6; vgl. auch F. Wieacker, Z u r rechtstheoretischen Präzisierung des §242 BGB, S. lOff. 47 M. Rehbinder, E i n f ü h r u n g in die Rechtswissenschaft, S. 83; vgl. auch A. Ohly, Richterrecht u n d Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 213ff.: „ K o n v e n t i o n a l n o r m e n " . 48 F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre u n d Rechtsbegriff, S. 583. 49 ]. Eckert, A c P 199 (1999), 337ff.; hierzu e i n g e h e n d e . Ohly, Richterrecht und Generalkausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 209ff.; ders., A c P 201 (2001), 1 (11 ff.); vgl. auch H.M. Pawlowski, B G B AT, Rdnr.498; Soergel/W. Hefermehl(l3. Aufl. 1999), § 138 R d n r n . 2, 5 ; K . Larenz, JurJB Bd. 7 (1966/67), S.98 (104); ders., Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.289; G. Teubner, Standards u n d Direktiven in Generalklauseln, S. 52ff.; F. Wieacker, Z u r rechtstheoretischen Präzisierung des §242 B G B , S. 14; zu den Kriterien sozialethischer N o r m g e l t u n g R. Zippelius, Rechtsphilosophie, §5 III, 21 II. 50 F ü r eine „Richtigkeitskontrolle" auch G. Teubner, Standards u n d Direktiven in Generalklauseln, S.90ff.; siehe im Übrigen D. Looschelders/W. Roth, Juristische M e t h o d i k im Prozess der Rechtsanwendung, S.198ff.; H.-J. Koch/H. Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 201 ff., 204; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 289; C. Ott, in: FS f ü r L. Raiser, S.403 (415f.); M. Rehbinder, Rechtssoziologie, §2 R d n r n . 11 ff., 14; K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §66 II 1: „Standards mit Wertungsspielraum"; R. Sack, w r p 1985, 1 (7ff.); vgl. auch K. Larenz/C.-W. Canaris, SchuldR II/2, §78 II 1 a) zu § 826 B G B u n d K. Larenz/M. Wolf, B G B AT, §41 1 4 zu §138 B G B . 51 G. Teubner, Standards u n d Direktiven in Generalklauseln, S. 52ff.; ]. Eckert, A c P 199 (1999), 337 (344ff.). 52 Die Feststellung der „Handelsbräuche" wird daher auch dem Bereich der Tatsachenermittlung zugezählt; siehe K. Hopt/A. Baumbach, H G B , § 346 R d n r n . 13f.; A. Ohly, AcP 201 (2001), 1 (12); anders H.E. Henke, Z Z P 81 (1968), 196 (220ff.); W. Veelken, A c P 185 (1985), 46 (56f.) f ü r §138 B G B . 53 Sie wirken rein „rezeptiv, nicht determinativ"; so P. Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 172 f ü r den „Stand der Technik"; vgl. auch K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 66 II 1; im Einzelnen zu den privatrechtlichen Technikklauseln noch unten § 11 III. 2. d) bb).

5 3 Gegenstand

der

33

Normkonkretisierung

Funktionswandel54 der Generalklausel konstatiert. Im Zuge dieses Funktionswandels sind die Generalklauseln schrittweise zu den zentralen Ermächtigungsnormen richterlicher Eigenwertung und Rechtsschöpfung avanciert.55 Wesentliche Folge dieser Entwicklung ist, dass die ursprüngliche spezifische Funktion solcher Klauseln wie „Treu und Glauben" oder den „guten Sitten" - ihre Verweisungsfunktion - nicht mehr als Ansatzpunkt für eine funktionsorientierte Abgrenzung der Generalklauseln von sonstigen normativ-unbestimmten Rechtsbegriffen taugt. b) Generalklausel

als „ besonders " ausfüllungsbedürftige

Norm

Erfüllen Generalklauseln heute im Wesentlichen Ermächtigungs- und Delegationsfunktionen, so sind sie in vergleichbarer Weise „wertausfüllungsbedürftig" wie normativ-unbestimmte Rechtsbegriffe.56 Der Unterschied zwischen Generalklauseln und der allgemeinen Gruppe der normativ-unbestimmten Rechtsbegriffe liegt daher nicht im qualitativen, sondern lediglich im quantitativen Bereich. Generalklauseln unterscheiden sich von normativ-unbestimmten Rechtsbegriffen in dem Ausmaß ihrer Ausfüllungsbedürftigkeit; sie sind in besonders großem Maße unbestimmt. In diesem Sinne kennzeichnet E. Kramer'7 Generalklauseln durch ihre „besonders qualifizierte Vagheit", F. Müller58 spricht von einem „besonders vagen Normtext", und R. Zippelius59 beschreibt sie als „besonders unscharf".60 Auch in der vielzitierten Wendung von J. W. Hedemann über 5 4 Hierzu insbes. G. Teubner, Standards und Direktiven in Generalklauseln, S.52ff.; siehe auch F. Bydlinski, Rechtsbegriff und juristische Methodenlehre, S.583f.; }. Eckert, AcP 199 (1999), 337 (348ff.); K. Larenz/M. Wolf, B G B AT, §41 Rdnrn. 10ff.; C. Ott, in: FS für L. Raiser, S.403 (410ff., 414). 55 Vgl. nur F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S.583: Ermächtigung zu „richterlicher Eigenwertung";/. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, S. 150f.: „Überlassung der Normgestaltung an den Richter"; dens., Vorverständnis und Methodenwahl, S. 60ff.: „Ermächtigungen zur Normbildung"; W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, S. 316f.: eigenständige Rechtsschöpfung; Ph. Heck, Grundriss des Schuldrechts, S. 11 f.: „Delegationsnormen";/. Ipsen, Richterrecht und Verfasssung, S.67ff.: „Wertungs- und Verweisungsklauseln"; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.288ff.; C. Ott, in: FS für L. Raiser, S.403 (417f.): Der Richter wird zu einem „dezentralen Gesetzgeber". 5 6 Siehe nur C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 29, 82: „wertausfüllungsbedürftige Generalklauseln"; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.288f.; D. Looschelders/W. Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, S. 135f.; H. W. Haubelt, Die Konkretisierung von Generalklauseln, S. 5ff.: „Präzisierungsbedürftigkeit i.S. von Wertausfüllungsbedürftigkeit"; F. Werner, Generalklauseln und Richterrecht, S. 179. 57 E. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 51. 58 F. Müller,,Richterrecht', S. 84ff. 59 R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 9 II. 6 0 Der Gedanke einer „gesteigerten" Unbestimmtheit liegt auch anderen Umschreibungen von Generalklauseln zugrunde; siehe auch K. Engisch, Einführung in das juristische Denken,

34

Grundlagen

und

Grundfragen

die Generalklausel als einem „Stück offengelassener Gesetzgebung" 61 klingt der Gedanke einer „gesteigerten" Unbestimmtheit an.62 Auch wenn Generalklauseln und normativ-unbestimmte Rechtsbegriffe also grundsätzlich dieselben Funktionen erfüllen - Delegations- und Flexibilitätsfunktion - und mit ihrer Ausfüllungsbedürftigkeit dieselben Anforderungen an die Rechtsanwendung stellen, heißt dies nicht, dass zwischen Generalklauseln und normativen Rechtsbegriffen überhaupt nicht sinnvoll unterschieden werden könnte. Unterschiede zwischen Generalklauseln und normativ-unbestimmten Rechtsbegriffen lassen sich auf normstruktureller Ebene ausmachen. Zwar sind „Zumutbarkeit", „Billigkeit" oder „wichtiger Grund" nicht minder ausfüllungsbedürftig als die „guten Sitten", doch bedeutet es einen Unterschied, ob ein Rechtssatz nur an einer Stelle normativ-unbestimmt ist, oder ob seine wesentliche Regelung in normativen Begriffen verkörpert ist. Generalklauseln lassen sich daher umschreiben als Rechtssätze, deren zentraler Inhalt in normativen Begriffen verkörpert ist.63 c)

Blankettnorm

Generalklauseln werden häufig in einem Atemzug mit Blankettnormen genannt. 64 Auch der Blankettnorm fehlt es an eindeutigem Gehalt, zum Teil wird sie synonym mit Generalklausel, zum Teil als Oberbegriff für gesetzliche Leerformeln verwendet.65 Eine überzeugende Begriffsbestimmung hat allerdings bereits das R G vorgelegt und Blankettnormen dadurch charakterisiert, dass sie auf eine „Ergänzung im gleichen Gesetz oder in anderen - auch künftigen - Gesetzen [...] verweisen." 66 Damit knüpfen Blankettnormen an die ursprüngliche Verweisungsfunktion67 von Generalklauseln an, verweisen aber nicht auf außerS. 160; H. Garstka, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre und analytische Philosophie, S. 96 (115); H. Soell, Das Ermessen der Eingriffsverwaltung, S. 170 Fn. 2. - Andere Autoren treffen daher auch gar keine Unterscheidung mehr; so etwa K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 288ff., der nur auf die Ausfüllungsbedürftigkeit abstellt. 61 J. W. Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, S. 58. 6 2 Zur Gesetzgebungstechnik der Generalklauseln auch F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 476 (glücklicher Mittelweg zwischen „blasser Abstraktion und täppischer Kasuistik"); K. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 156ff.; F. Haft, JuS 1975, 477 (480f.); V. Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht, S. 81 ff.; Th. Lenckner, JuS 1968, 249f.; C. Nowak, Die praktische Bedeutung der Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffe, S. 7; F. Werner, Generalklauseln und Richterrecht, S. 197. 63 E. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 50. 6 4 Siehe nur J. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, S. 59ff.; W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, S.316; W. Scheuerle, Rechtsanwendung, S. 164. 6 5 Vgl. H. Isay, Das Rechtsgut des Wettbewerbsrechts, S.65; D. Jesch, A ö R 82 (1957), 162 (167); H. W. Haubelt, Die Konkretisierung von Generalklauseln, S. 15. 6 6 RGSt 46,393 (395); so auch D. Wurche, Generalklauseln und Kasuistik in der neueren deutschen Gesetzgebung, S. 35; H. W. Hauhelt, Die Konkretisierung von Generalklauseln, S. 15. 6 7 Hierzu bereits oben, §3 I. 3. a).

§ 3 Gegenstand der

Normkonkretisierung

35

rechtliche Sitten- und Verhaltensgebote, sondern auf bereits positivierte Rechtsnormen. 68 Klassisches Beispiel einer zivilrechtlichen Blankettnorm ist §134 BGB („gesetzliches Verbot"). 69 Von größerer Bedeutung sind Blankettnormen im öffentlichen Recht, wo in verbreiteter Regelungstechnik mit Formeln wie „öffentlich-rechtliche Vorschriften" oder „öffentliche Sicherheit" auf den Gesamtbestand materieller Anforderungen des öffentlichen Rechts verwiesen wird. 70

II. Begriffe der Privatrechtsnorm 1. Regelungstechnik und Gesetzessprache Neben den anderen, großen Kodifikationen des Privatrechts 71 - dem Preußischen Allgemeinen Landrecht (ALR), dem österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) und dem französischen Code Civil - sticht das BGB mit seiner abstrakten Regelungstechnik und systematischen Disziplin hervor. 72 Hatte das ALR noch mit ausholenden Gesten versucht, seinen Geltungsanspruch durch ängstlich bevormundende Kasuistik 73 und von hoher Hand verfügte Rechtsfortbildungsverbote zu verwirklichen, 74 zeugt das BGB von stren68 Th. Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, S. 330ff. beschreibt dies als „Tatbestandswirkung der Normsetzung": „wenn der faktische Umstand, dass eine bestimmte N o r m gesetzt wurde, Beleg für einen Sachverhalt erbringt, dessen Vorliegen den Tatbestand einer anderen N o r m erfüllt." 69 Zweifelhaft erscheint hingegen, ob mit W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, S. 316 auch das „sonstige Recht" (§ 823 Abs. 1 BGB) zum Kreis der Blankettnormen gezählt werden kann. Genauso wie der „andere Grund" in § 1579 Nr. 7 BGB erscheint auch das „sonstige Recht" von vornherein eher auf Wertung und Würdigung denn auf bloße redaktionstechnische Inkorporierung bereits geschriebener und ausgeformter Rechtsregeln angelegt. Der iüertausfüllungsbedürftige Charakter überwiegt hier die Normausfüllungsbedürftigkeit. 70 Vgl. nur Art. 88 Abs. 1, 89 Satz 1 und 2 BayBO („in Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften"); §6 Abs. 1 Nr.2 BImSchG (Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn „andere öffentlich-rechtliche Vorschriften" nicht entgegenstehen). 71 Grundlegend H. Coing (Hrsg.), H d b der Quellen und Literatur der neueren Privatrechtsgeschichte, Bd.III/1, S. 1089ff. (Frankreich); Bd.III/2, S. 1403ff. (Deutschland), S. 1775ff. (Osterreich); vgl. auch H. Schlosser, Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, S.lOOff., 149ff.; F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 327ff., 337ff., 339ff. sowie K. Zweigert/H. Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S.62ff. 72 Grundlegend//. Dölle, Vom Stil der Rechtssprache, bes. S. 32ff.; vgl. auch H. Isele, AcP 150 (1949), 1 (6ff.); treffend zu Regelungstechnik und Gesetzessprache des BGB auch H. Wefing, „Zu loben, nicht zu lieben. Kathedrale des Rechts: Hundert Jahre BGB, FAZ v. 3.1.2000, S. 50. 73 F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 332 m.w. Beispielen. Das ALR kann als Musterbeispiel eines kasuistischen Gesetzbuches gelten; so A. Laufs, DRiZ 1973,154 und R. Weber, JuS 1992, 631. 74 So hat das ALR, Einleitung §§46-47 verfügt, dass der Richter „den Gesetzen keinen anderen Sinn beilegen [darf], als welcher aus den Worten und dem Zusammenhang derselben [...] oder aus dem nächsten unzweifelhaften Grunde des Gesetzes deutlich erhellet." Hierzu nur H. Coing,

36

Grundlagen

und

Grundfragen

ger Begrifflichkeit und einem fast vollständigen Verzicht auf kasuistische Tatbestandsbildung. 75 So begnügt sich das B G B mit der nüchternen Festlegung des Zubehörbegriffs in einer einzigen Vorschrift, wo das A L R in 109 Bestimmungen zur anschaulichen Ummalung der Sach- und Zubehöreigenschaft ansetzt 76 und beispielsweise zur Bibliothek auch die Schränke, nicht aber gerahmte Kupferstiche zählt. 77 Seine rühmenswerte Übersichtlichkeit und Bündigkeit 78 verdankt das B G B aber nur zu einem Teil seiner systematischen Strenge. Sie ruht vor allem auf den Schultern der Gesetzesbegriffe. Mehr noch als die Konzeption des Allgemeinen Teils 79 trägt die Gesetzessprache des B G B zu seiner Abstraktionshöhe bei. Dem B G B ist moralisches Pathos so wenig eigen wie lebensnahe Anschaulichkeit. 80 An die Stelle blumiger Ausführlichkeit des A L R ist die sachliche, nüchterne und knappe Kunstsprache des B G B getreten, die Einzelfallgerechtigkeit nicht durch ermüdende Aufzählung verschiedenster Lebenssachverhalte, sondern mit abstrahierenden wertungs-unbestimmten Begriffen verwirklicht. Solche ausfüllungsbedürftigen Wertbegriffe nehmen Schlüsselfunktionen innerhalb des zivilrechtlichen Regelungsrahmen ein; sowohl phänomenologisch als auch methodisch lassen sie sich als das eigentliche Charakteristikum des B G B begreifen.

Europäisches Privatrecht, Bd. II, S. lOff. Dieser Gedanke findet sich bereits in der französischen Revolutionsgesetzgebung. So hat ein Décret organique vom 16./24. August 1790 der Assemblée légìférente das Recht der Gesetzesinterpretation vorbehalten; vgl. auch F. Gény, Methode d'interprétation et sources en droit privé positif, tome I, p. 78. Anders aber das A B G B , das in §§ 6 und 7 A B G B in einzigartiger Form gesetzliche Anleitungen zu Voraussetzungen und Grenzen der Auslegung gibt; hierzu etwa F.v. Zeiller, Abhandlung über die Principien des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, Bd. II, 1816, S.172f. 75 Zu den wenigen Ausnahmen zählt die Regelung über den Bienenschwarm, §§961ff. B G B ; vgl. hierzu F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.475 Fn. 18; K. Larenz/M. Wolf, B G B AT, S. 83. Ein Beispiel legislatorischer Kasuistik jüngeren Datums ist der im Jahr 1996 eingefügte § 1092 Abs. 3 B G B . 7 6 Zu Anschaulichkeit und Sprachstil des A L R H. Hattenhauer in seiner Einführung zur Textausgabe des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 1794, 1970, S. 35. 7 7 Zu diesem Beispiel (ALR I 2 §§96-100) P. Ratsch, Juristische Methoden, S.89. 78 F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.475. 7 9 Zu Berechtigung und Zweckmäßigkeit eines Allgemeinen Teils vgl. nur F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.486ff. m.w.N. 8 0 Hierzu eindrücklich H. hele, AcP 150 (1949), 1 (8): „Die Sachlichkeit seiner [des B G B ] Formulierungen kennt keine Wärme, weder Lob noch Tadel, keinen Vorspruch, keine anschaulichen Beispiele. Es besteht aus nüchternen Normen." Siehe auch die Kritik von O. v. Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht, 2. Aufl. 1889, S. 136, der die Gesetzessprache des B G B als „abstrakt, blutleer dürr und völlig unverständlich" rügt. Zur Sprache des B G B auch L. Fnneccerus/H. C. Nipperdey, B G B AT, § 15 Anm. 3; N. Horn, N J W 2000, 40 (42); K. Larenz/M. Wolf, B G B AT, S. 84f. Allgemein zur Verständlichkeit deutscher Rechtstexte K. Luttermann, ZRP 1999, 334ff.

§ 3 Gegenstand der

Normkonkretisierung

37

2. B e s t a n d s a u f n a h m e : D i e Begriffe der P r i v a t r e c h t s n o r m

a) Deskriptive

Begriffe

Entsprechend der Abstraktionshöhe des BGB nehmen rein deskriptive Begriffe eine untergeordnete Rolle ein. Unmittelbar einsichtige und wahrnehmbare Begriffe kennt das BGB vor allem in seinen gegenstandsbezogenen, sachenrechtlichen Bestimmungen im Allgemeinen Teil und in den §§903ff. BGB. 81 Vorwiegend im Allgemeinen Teil, aber auch im Schuldrecht sowie in den privatrechtlichen Nebengesetzen finden sich Begriffe, die gleichermaßen der Alltagssprache entlehnt und auch primär deskriptiver Natur sind, zugleich aber durch gesetzliche Definition oder Umschreibung einen spezifisch rechtlichen Gehalt erhalten haben. 82 Hierzu zählen beispielsweise „Täuschung" und „Drohung" (§ 123 BGB), „Schaden" (§§249ff.) und „Gewinn" (§252 BGB) sowie die Begriffe „Hersteller" (§4 ProdHaftG, §3 A b s . l ProdSG), „Händler" (§3 Abs. 3 ProdSG), „Produkt" (§2 ProdHaftG) und „Verbraucher" (§ 13 BGB n.F.). Dagegen finden sich im besonderen Schuldrecht kaum deskriptive Begriffe: Bei der Ausprägung der Vertragstypen sowie der schuldrechtlichen Pflichten und Gestaltungsrechte nehmen normative Begriffe die Schlüsselpositionen ein. 83

b) Generalklauseln und

Blankettnormen

Die vergleichsweise große Aufmerksamkeit, die Generalklauseln und Blankettnormen im rechtswissenschaftlichen Schrifttum zuteil wird, entspricht nicht unbedingt ihrem tatsächlichen Vorkommen. Die wenigen Generalklauseln des Privatrechts wurden größtenteils schon erwähnt: die „guten Sitten" (§§ 138, 817 S.2, 819 Abs. 2, 826 BGB, §1 UWG) 8 4 , die „Verkehrssitte" (§§151 S.l, 157 81 Als Beispiele seien etwa genannt „körperlicher Gegenstand" (§90 BGB), „Tier" (§90a BGB), „Gebäude", „Samen", „Pflanze" (§94 BGB); „Gase", „Dämpfe", Gerüche", „Ruß", „Wärme" etc. (§906 BGB) sowie „Tiergärten" und „Teiche" (§960 BGB) oder auch die idyllischen Vorschriften der §§ 961 ff. BGB über den Bienenschwarm. Gegenstandsbezogen sind auch die Vorschriften über Pacht und Landpacht (§§ 581 ff. BGB), die Haftung des Gastwirts (§§ 701 ff. BGB) und des Gebäudebesitzers (§§ 836,837 BGB) sowie die nachbarrechtlichen Bestimmungen der§§910ff. BGB. 82 Wegen ihres normgeprägten Gehalts werden diese Begriffe auch als normative Begriffe bezeichnet, so etwa E. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 48 ff. Sie sind ihrem natürlichen Wortsinn aber auf unmittelbare Wahrnehmung angelegt und werden erst in dem besonderen juristischen Zusammenhang zu diffizileren Begriffen. Auch sind sie vielfach durch Legaldefinitionen weiter ausgeformt. Dies stellt sie den deskriptiven Begriffen näher als den ausfüllungsbedürftigen normativen Begriffen. 83 Hierzu noch unten, §3 II. 3. 84 Hierzu wird man auch die Wendungen in §§814,1375 Abs. 2 Nr. 2,1425 Abs. 2,2113 Abs. 2, 2205 BGB über Schenkungen und Zuwendungen, „durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmende Rücksicht entsprochen wird", zählen können; vgl. auch die Formulierung „ehrloser oder unsittlicher Lebenswandel" in §§ 2333 Nr. 5,2334 Abs. 4 BGB. Weitere

38

Grundlagen

und

Grundfragen

BGB) 8 5 , „Treu und Glauben" (§§162 Abs. 1, 242,275 Abs. 2 n.F., 307 Abs. 1 S. 1 n.F. [§9 A G B G a.F.], 320 Abs.2, 815 B G B ) und die „im Handelsverkehre geltenden Gewohnheiten und Gebräuche" (§346 H G B , §310 Abs. 1 S.2 B G B n.F. [§24 S.2 A G B G a.F.]). Die für Generalklauseln bezeichnende Verweisungsfunktion 86 haben auch Vorschriften, die an die „Üblichkeit" anknüpfen, etwa an die „übliche Beschaffenheit" (§§434 Abs. 1 S.2 Nr.2, 633 Abs.2 S.2 Nr.2 B G B n.F.), die „übliche Vergütung" (§§612 Abs.2, 632 Abs.2, 653 Abs.2 B G B ) , die „üblichen Entgelte" (§558 Abs.2 B G B ) , die „marktüblichen Sätze" (§491 Abs.2 B G B n.F.; urspr. §3 Abs.2 Nr.2 VerbrKrG) oder die „Ortsüblichkeit" (§§546a Abs. 1, 557 Abs. 1, 906 Abs.2 S. 1 B G B ) . Gleiches gilt für Begriffswendungen, die auf außerrechtliche „Regeln" Bezug nehmen, so die „Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft" (z.B. §§347 Abs. 1 S. 1 n.F., 581 Abs. 1 S. 1, 582a Abs.3 S.2, 987 Abs.2, 998,1039 Abs. 1,1048 Abs. 1,1135, 2133 BGB), die „Regeln einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung" (§ 596a S. 1 B G B ) oder die „Regeln einer ordnungsgemäßen Vermögensverwaltung" (§§1078, 1286 BGB). 8 7 Zu den Blankettnormen des Privatrechts zählt neben dem schon erwähnten „gesetzlichen Verbot" (§§ 134, 819 Abs.2 B G B ) auch das Schutzgesetz i.S. des §823 Abs.2 B G B . Ebenfalls zu den Blankettnormen zählen die Verweisungen auf die „verwaltungsrechtlichen Rechtsvorschriften" (§ 6 Abs. 3 UmweltHG), die „in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenz- oder Richtwerte" (§906 Abs. 1 S.2 B G B ) und die in §906 Abs. 1 S.3 B G B genannten Verwaltungsvorschriften. 88 Dagegen ist den Begriffen „rechtswidrig" oder „widerrechtlich" (§§ 123 Abs. 1,227ff., 823 Abs. 1, 827, 831, 832 Abs. 1 B G B ) eine solche Rezeptionswirkung nicht eigen, da sie weniger auf andere, die Rechtswidrigkeit begründende Normen hinweisen, sondern wegen der weit gehend tatbestandlich indizierten Rechtswidrigkeit 89 deklaratorischen Charakter haben.

Beispiele, auch aus dem österreichischem Recht, bei Th. Mayer-Maly, AcP 194 (1994), 105 (109 ff.). 85 Siehe auch den vergleichbaren Begriff der „allgemeinen Verkehrsanschauung" in §2 Nr. 1 ProdSG. 86 Siehe oben, §3 I. 3. a). 87 Soweit das Gesetz an anderer Stelle nur verkürzt auf die „ordnungsgemäße Wirtschaft" (z.B. §§1045 Abs. 1, 1046 Abs.l, 1122 BGB), die „ordnungsgemäße Bewirtschaftung" (z.B. §§586 Abs.l S.3, 588 Abs.3, 593a, 594c, 594d Abs.2, 596 Abs.l, 2049 Abs.2 BGB), die „ordnungsgemäße Nutzung" (§596a Abs.3 BGB), die „ordnungsgemäße Geschäftsführung" (§712 Abs. 1 BGB), die „ordnungsgemäße Verwaltung" (§§745 Abs. 1, 1452 Abs. 1, 1469 Nr.2, 1472 Abs. 4,1649,2038 Abs. 1,2120,2130,2206 Abs. 1,2216 Abs. 1 BGB), die „Grundsätze einer ordnungsgemäßen Verwaltung" (§ 1365 Abs. 2 B G B ) oder die „ordnungsgemäße Vermögensverwaltung" (§ 1083 B G B ) hinweist, dürfte trotz der etwas abweichenden Wortwahl nichts anderes gelten. Vgl. K. Waldherr, Der Begriff der „ordnungsgemäßen Verwaltung" im BGB, 1998. 88 Zu der Rezeptionsregel des § 906 Abs. 1 B G B eingehend unten, § 11 III. 1. a). 89 Nach der im Deliktsrecht klassischen Lehre vom Erfolgsunrecht indiziert die Tatbestandswidrigkeit die Rechtswidrigkeit des Handelns; vgl. nur H. C. Nipperdey, NJW 1957, 1777ff.; dens., NJW 1967,1985 (1991 ff.). Weiter zur Lehre vom Handlungsunrecht MünchKomm/P. Ha-

5 3 Gegenstand der

c) Normative

Normkonkretisierung

39

Begriffe

Von zentraler Bedeutung für das Privatrecht sind die normativen Begriffe. Normative Begriffe sind über sämtliche Bücher des BGB verstreut, haben ihren besonderen Schwerpunkt aber im Schuldrecht und im Familienrecht. Ihr Variantenreichtum und ihre Häufigkeit machen eine systematische Erfassung schwieriger als bei den Generalklauseln und Blankettnormen. Neben Begriffsfiguren wie „wichtiger Grund" oder „berechtigtes Interesse" und den mannigfachen Billigkeits- und Härteklauseln finden sich im BGB genauso wie in den privatrechtlichen Nebengesetzen in besonderer Häufigkeit Wendungen, die auf Gesetzesbegriffe wie „zumutbar", „wesentlich", „erheblich", „verhältnismäßig" oder „angemessen" zurückgehen. Ihre Verwendung lässt sich auf spezifische gesetzessystematische Funktionen zurückführen, die ihrerseits von bestimmten normativen Begriffen getragen werden. So finden sich normative Begriffe insbesondere bei der Beschränkung gesetzlicher Rechte und Pflichten in Form von Gegenrechten (unten aa), bei der Ausprägung außerordentlicher Gestaltungsrechte (unten bb) sowie als Teil von Rechtsfolgebestimmungen bei der Beschreibung des Anspruchsinhalts (unten cc).

aa) Begründung

von

Gegenrechten

Zentrale Bedeutung haben normative Begriffe bei der Konturierung von Gegenrechten und Ausnahmevorschriften, insbesondere bei der Beschränkung gesetzlicher Gestaltungsrechte und anderer Sekundäransprüche. Hier wird in besonderem Ausmaß auf die Begriffe „erheblich" (unten [1]), „wesentlich" (unten [2]) und „verhältnismäßig" (unten [3]) sowie auf Zumutbarkeits-, Billigkeitsund Härteklauseln (unten [4] und [5]) rekurriert. (1) Erheblich und unerheblich Uber das Begriffspaar „erheblich" und „unerheblich" wird vor allem die Reichweite der schuldrechtlichen Gewährleistungsansprüche gesteuert. So sind Schadensersatz statt der Leistung und Rücktritt wegen Schlechtleistung ausgeschlossen, wenn die Pflichtverletzung „unerheblich" ist (§§281 Abs. 1 S.3; 323 Abs. 5 S.2 BGB n.F.).90 Eine „unerhebliche Minderung der Tauglichkeit" bleibt bei einer Mietminderung außer Betracht (§536 Abs. 1 S. 3 BGB n.F.). Auch die außerordentliche Kündigung des Vermieters ist an eine „erhebliche" Vertragsnau (4. Aufl. 2001), §276 Rdnrn. 23ff., 26ff.; siehe auch MüncbKomm/H.-J. Mertens (3. Aufl. 1997), §823 Rdnrn. 19ff. 90 Siehe zuvor § 459 Abs. 1 S. 2 BGB a.F.: keine Gewährleistungsansprüche bei „unerheblicher Minderung des Wertes oder der Tauglichkeit"; §468 S.2 BGB a.F.: Wandelung wegen mangelnder Grundstücksgroße nur möglich, wenn der Mangel „so erheblich ist, dass die Erfüllung des Vertrags für den Käufer keinen Erfolg hat."

40

Grundlagen

und

Grundfragen

Verletzung durch den Mieter geknüpft (§543 Abs. 2 Nr. 2 B G B ) . Genauso hat der Gesetzgeber die Begrenzung gesetzlicher Gewährleistungs- und Gestaltungsrechte bei Pacht 91 und Leihe 92 sowie beim Dienstvertrag 93 und beim Reisevertrag 94 vielfach dem Begriff der Erheblichkeit überantwortet. 95 , 96 (2) Wesentlich und unwesentlich Auch der Gesetzesbegriff der Wesentlichkeit leistet eine tatbestandliche Begrenzung schuldrechtlicher und dinglicher Ansprüche. Dabei fungiert die Wesentlichkeit häufig als Gewichtungslinie bei veränderlichen Lebenssachverhalten. Vor der Schuldrechtsreform existierten zahlreiche Gesetzesbestimmungen, die eine „wesentliche Verschlechterung" oder „wesentliche Veränderung" voraussetzten, etwa eine „wesentliche Veränderung" der Kaufsache (§498 Abs. 2 S.2 B G B a.F.), eine „wesentliche Änderung der Umstände" (§556c A b s . l S. 1 B G B a.F.) sowie eine „wesentliche Verschlechterung" des Vermögens (§§321, 610 B G B a.F.) oder des empfangenen Gegenstandes (§351 B G B a.F.). 97 Erhalten geblieben ist dieser Gedanke aber in dem außerordentlichen Kündigungsrecht des Darlehensnehmers nach §490 Abs.l B G B n.F. (§610 B G B a.F.), 98 in dem Recht des Mieters auf Fortsetzung des Mietvertrages bei „wesentlicher Änderung der Umstände" (§ 574c Abs. 1 B G B n.F.), in der Regelung zur Verwaltung 91 Siehe etwa § 594e Abs. 2 S. 1 BGB, der nach dem Vorbild des § 554 Abs. 1 Nr. 1 B G B gestaltet ist und dem Verpächter ein außerordentliches Kündigungsrecht gewährt, wenn der Pächter mit der Entrichtung eines „nicht unerheblichen Teils der Pacht" länger als drei Monate in Verzug ist. 92 Vgl. §605 Nr. 2 BGB, der dem Verleiher ein Kündigungsrecht bei „erheblicher" Gefährdung der verliehenen Sache durch den Entleiher gewährt. 93 §616 S. 1 B G B : Vergütungsanspruch bei Dienstverhinderung für „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit"; zur Konkretisierung des §616 S. 1 B G B noch unten, § 10 III. 1. c) bb), § 11 III. 2. d) dd). 94 Vgl. die Kündigungsbestimmungen in §§651e Abs. 1 S. 1, 651j Abs. 1 BGB. 95 Auch außerhalb des Schuldrechts steuern die Begriffe „erheblich" und „unerheblich" die Ausübung und Begrenzung gesetzlicher Rechte, so den Eigentumserwerb nach §950 BGB, das Recht auf Sicherheitsleistung zur Sicherung des Zugewinnanspruchs (§1389 B G B ) oder die Klage auf Aufhebung der ehelichen Gütergemeinschaft (§§1447, 1448, 1469, 1495 Nr. 2 BGB). Schließlich können Eigentümer und Nießbraucher genauso wie Vorerbe und Nacherbe bei „erheblicher Änderung der Umstände" die Änderung des Wirtschaftsplanes verlangen, wenn ein Wald oder ein Bergwerk Gegenstand des Nießbrauchs oder der Nacherbschaft sind (§§1038, 2123 BGB). Von großer praktischer Bedeutung ist schließlich §6 Abs. 1 Nr. 1 ProdSG, der ein sicheres Produkt als ein Produkt umschreibt, von dem keine „erhebliche" Gefahr ausgeht; vgl. auch §7 Abs. 3 Nr. 3 ProdSG. 96 Mit ähnlichem Inhalt und legislatorischer Intention verwendet das Gesetz an anderer Stelle die verwandten Wertungsadjektive „grob" oder „schwer"; vgl. nur die „grobe" Fahrlässigkeit in §§277, 300 Abs. 1, 521, 599, 680, 968 BGB; hierzu jüngst V König, Die grobe Fahrlässigkeit, 1998, S. 19ff., 39ff. Siehe auch §530 Abs.l B G B („schwere Verfehlung", „grober Undank"), § 1381 Abs. 1 B G B („grob unbillig"), § 1587h Nr. 3 B G B („gröblich verletzt"), § 1611 Abs. 1 Satz 2 B G B („grob unbillig"), §1748 Abs.l B G B („gröbliche Pflichtverletzung"). 97 Siehe auch §487 Abs. 3 B G B a.F.: „unwesentliche Verschlechterung". 98 Hierzu noch unten, § 9 II. 1.

§ 3 Gegenstand der

Normkonkretisierung

41

der Gemeinschaft (§745 Abs. 3 S. 1 BGB), in dem Befreiungsanspruch des Bürgen (§ 775 Abs. 1 Nr. 1 BGB) sowie in dem Verbot der „wesentlichen Umgestaltung" des Nießbrauchgegenstandes (§ 1037 Abs. 1 BGB). Als Gewichtungsbegriff fungiert die Wesentlichkeit schließlich im Zusammenhang mit der „wesentlichen Überschreitung" des Kostenvoranschlags (§650 Abs. 1 S. 1 BGB) 99 und vor allem im Zusammenhang mit der „unwesentlichen" Beeinträchtigung im privaten Immissionsschutzrecht (§906 Abs. 1 S. 1 BGB 100 , §5 U m weltHG). 1 0 1 Ansonsten wird der Begriff der Wesentlichkeit eher im Sinne von „wesentlich" als dem Eigentlichen, Bedeutsamen verwendet, etwa in Gestalt der „wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung" (§307 Abs. 2 Nr. 1 BGB n.F.), 102 der „wesentlichen Vorstellungen" (§313 Abs. 2 BGB n.F.), der „wesentlichen Rechte und Pflichten" (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB n.F.) 103 oder der „wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts" (Art. 6 S. 1 EGBGB). 104 (3) Verhältnismäßig

und

unverhältnismäßig

Der Gedanke der Verhältnismäßigkeit ist nicht nur im öffentlichen Recht beheimatet. 105 Im Privatrecht findet sich der Gedanke der Verhältnismäßigkeit vor allem in seiner negativen Variante als „Unverhältnismäßigkeit". 106 Sie ist häufiges Tatbestandsmerkmal von Ausnahmeregelungen. Der Verkäufer kann die Nacherfüllung verweigern, wenn sie nur mit „unverhältnismäßigen Kosten" möglich ist (§439 Abs. 3 S. 1 BGB n.F.). Der Finder braucht die Fundsache bei „unverhältnismäßig hohen Kosten" der Aufbewahrung ausnahmsweise nicht zu ver99

Hierzu noch unten, § 11 II. 2. Hierzu noch unten, §9 III. 1.; §11 III. 1., III. 2. d) bb). 101 Siehe im Übrigen § 309 Nr. 5 lit. b BGB (§ 11 Nr. 5 lit. b A G B G a.F.): Wertminderung „wesentlich niedriger" als pauschalierter Schadensersatz. Die Verwendung des normativen Begriffs der Wesentlichkeit in § 309 BGB n.F. (§ 11 A G B G a.F.) muss allerdings erstaunen, da § 309 BGB nur die Klauselverbote „ohne Wertungsmöglichkeit" enthalten soll. Einen Sonderfall stellt schließlich der zur Anfechtung berechtigende Irrtum über eine „verkehrswesentliche Eigenschaft" in § 119 BGB dar. 102 § 9 Abs. 2 Nr. 1 A G B G a.F.; hierzu im Zusammenhang mit der Frage nach der Konkretisierungskompetenz für die Konkretisierung der Generalklausel der Klausel-Richtlinie unten, § 15 II. 2., 3. 103 §9 Abs.2 Nr.2 A G B G a.F. 104 In diesem Zusammenhang lassen sich auch die Bestimmungen über den „wesentlichen Bestandteil" in §§93, 94, 946 BGB deuten. 105 Spezifisch privatrechtliche Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit bei D. Medicus, AcP 192 (1992), 35 ff. Im Übrigen geht es zumeist um die Vereinbarkeit privatrechtlichen Gesetzesrechts mit dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot; hierzu etwa C.-W. Canaris, JZ 1987, 993ff., Th. Ramm, JZ 1988, 489ff.; E. Wieser, JZ 1988, 493ff. Zur Abgrenzung von öffentlichrechtlicher und privatrechtlicher Verhältnismäßigkeit noch unten, §10 III. 2. a); zum europarechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebot unten, § 13 I. 1. b). 106 Siehe auch §275 Abs.2 S. 1 BGB n.F., §593 Abs. 1 S. 1 BGB: „grobes Missverhältnis"; ähnlich §702 Abs.3 S. 1 BGB: „übermäßig". 100

42

Grundlagen und

Grundfragen

wahren (§966 Abs. 2 BGB), und das Vormundschaftsgericht kann bei der Auswahl des Vormunds auf eine A n h ö r u n g der Verwandten des Mündels verzichten (§ 1779 Abs. 3 BGB). 1 0 7 N a c h §635 Abs. 3 B G B n.F. (§633 Abs. 2 S. 3 BGB a.F.) kann der Werkunternehmer die Nacherfüllung durch Mangelbeseitigung verweigern, w e n n sie einen „unverhältnismäßigen A u f w a n d " erfordert. 1 0 8 Das gleiche Recht steht dem Reiseveranstalter gegenüber dem Abhilfeverlangen des Reisenden nach §651c Abs.2 S.3 B G B zu. In anderen Regelungen k n ü p f t das Gesetz an „unverhältnismäßige A u f w e n d u n g e n " (§§251 Abs.2 S. I 109 , 2170 Abs. 2 BGB, §16 Abs. 1 U m w e l t H G ) , „unverhältnismäßige Schwierigkeiten" (§305 Abs.2 N r . 1 BGB n.F. [§2 A b s . l Nr. 1 A G B G a.F.], §2356 Abs. 1 BGB) oder einen „unverhältnismäßigen Nachteil" (§ 1748 BGB) an. Praktisch besonders bedeutsam sind die Ausprägungen des Verhältnismäßigkeitsgedankens zur Beschränkung der Einrede des nicht erfüllten Vertrags (§320 Abs. 2 BGB) 1 1 0 sowie der zivilrechtlichen Notstandsbefugnisse (§§228 S. 1, 904 S. 1 BGB) 111 . 112 (4)

Zumutbarkeitsklauseln

Eine weitere Facette des Verhältnismäßigkeitsgedankens findet sich in den privatrechtlichen Zumutbarkeitsklauseln. Gesetzessystematisch dienen sie ebenfalls der tatbestandlichen Begrenzung von Gestaltungsrechten und gesetzlichen Ansprüchen. Zahlreiche Zumutbarkeitsklauseln sind durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts eingefügt worden: Der Schuldner kann die Leistung verweigern, wenn die ihm „zuzumutenden Anstrengungen" (§275 Abs. 2 S.2 BGB n.F.) in einem Missverhältnis z u m Gläubigerinteresse stehen, oder w e n n sie ihm unter Abwägung des Leistungshindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers „nicht zugemutet werden k ö n n e n " (§275 Abs. 3 BGB n.F.). Soweit einem Teil das Festhalten an einem geschlossenen Vertrag „nicht zugemutet werden kann", besteht Anspruch auf Anpassung des Vertrages (§313 A b s . l 107 Ähnliche Regelungen finden sich in §383 Abs. 1 S.2 BGB für die Hinterlegung sowie in § 948 BGB für die Vermischung. Vergleichbar § 1779 Abs. 3 BGB wird auch in §§ 1965 Abs. 1 S. 2, 1980 Abs. 2, 2200 Abs. 2 BGB bei „unverhältnismäßigen Kosten" auf bestimmte Verfahrenshandlungen verzichtet. 108 Hierzu noch unten, § 10 III. 2. b) bb) (2). 109 Hierzu noch unten, §11 II. 110 Hierzu noch unten, § 10 III. 2. b) bb) (1). 111 Zu beiden Vorschriften noch unten, §10 II. 1., III. 1. 112 Andere Bezugnahmen auf Elemente der Verhältnismäßigkeit finden sich in §§343 Abs. 1, 655 BGB; hierzu noch unten, §7 III. 1. c), § 10 III. 2. b) bb) (3). - Von diesen Beispielen zu unterscheiden sind Regelungen, in denen auf das rein rechnerische Verhältnis von Anteilen oder anderer Faktoren Bezug genommen wird, wie beispielsweise in der Anordnung der verhältnismäßigen Tilgung in §366 Abs.2 BGB; so auch §§651k Abs.2 S.2, 735, 755, 2089, 2090, 2094, 2098, 2168 Abs. 1,2188,2318 Abs. 1 BGB. Zur Abgrenzung dieser beiden Erscheinungsformen privatrechtlicher Verhältnismäßigkeit D. Medicus, AcP 192 (1992), 35 (37f.).

§ 3 Gegenstand

der

Normkonkretisierung

43

B G B n.F.); ist auch die Anpassung „nicht zumutbar", kann der benachteiligte Teil zurücktreten (§313 Abs. 3 S. 1 B G B n.F.). Verletzt der Schuldner eine allgemeine Schutzpflicht, kann der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung verlangen oder zurücktreten, wenn ihm ein Festhalten am Vertrag „nicht mehr zuzumuten ist" (§§282,324 B G B n.F.). Schließlich kann sich der Käufer vom Vertrag auch ohne Fristsetzung lösen, wenn die ihm zustehende Art der Nacherfüllung „unzumutbar ist" (§440 S. 1 B G B n.F.); dasselbe Recht steht dem Besteller einer Werkleistung zu (§ 636 B G B n.F.). Ähnliches gilt im Mietrecht: Beide Parteien können sich vom Mietverhältnis vorzeitig lösen, wenn eine Fortsetzung des Mietverhältnisses „nicht zugemutet werden kann" (§543 Abs. 2 B G B ) . Auch Dienst- und Reisevertrag können nur gekündigt werden, wenn die Fortsetzung des Dienstverhältnisses dem Kündigenden „nicht zugemutet werden kann" (§626 Abs. 1 B G B ) bzw. die Reise „nicht zuzumuten ist" (§651e Abs. 1 S.2 B G B ) . In ähnlicher Wendung kann der Erbe Stundung der Pflichtteilslast begehren, wenn sie dem Pflichtteilsberechtigten „zugemutet werden kann" (§2331a Abs. 1 S.2 BGB). 1 1 3 Besondere Ausprägungen der Zumutbarkeit sind die „wirtschaftliche" Zumutbarkeit (§906 Abs. 2 S. 1 B G B ) sowie die Zumutbarkeit „nach den örtlichen Verhältnissen" (§ 5 UmweltHG). (5) Härte- und Billigkeitsklauseln Gesetzestechnisch charakteristisch für die Formulierung von Einwendungen und Gegenrechten sind Härte- und Billigkeitsklauseln. Noch deutlicher als Rechtsvorschriften, die in irgendeiner Form auf eine „UnVerhältnismäßigkeit" reagieren, sollen solche Härteklauseln nicht hinnehmbare Belastungen im Einzelfall durch Ausnahme- und Sonderregeln auffangen. Sie finden sich vor allem im Mietrecht und im Familienrecht. Typisches Beispiel einer solchen Härteklausel ist das Widerspruchsrecht des Mieters gegen eine Kündigung, wenn sie „eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist" (§574 Abs. 1 S. 1 B G B n.F., §556a Abs. 1 S. 1 B G B a.F.). 114 Zentrale Bedeutung haben Härteklauseln auch im Familienrecht. „Schwere" oder „unbillige" Härten können die Aufhebung der Ehe (§ 1316 Abs. 3 B G B ) , die Scheidung (§ 1568 Abs. 1 B G B ) , die Durchführung des Versorgungsausgleichs (§ 1587h Nr. 1 B G B ) oder den Unterhaltsanspruch für die Vergangenheit (§ 1613 Abs. 3 S. 1 B G B ) hindern. 115

113 Weitere Beispiele finden sich in §§590 Abs. 2 Satz 3, 591 Abs. 2 S . l B G B sowie in §308 Nr.4 B G B (§10 Nr.4 A G B G a.F.). 114 Siehe auch die Parallelvorschrift im Recht der Pacht, §595 Abs. 1 S. 1 BGB. 115 Siehe §§ 1361b Abs. 1 Satz 1, 2331a Abs. 1 S. 1 BGB. Außerhalb des Miet-, Pacht- und Familienrechts enthalten - soweit ersichtlich - lediglich die privatrechtlichen Nebengesetze Härteklauseln, so §306 Abs. 3 B G B n.F. (§6 Abs. 3 A G B G a.F.) sowie §11 Abs.3 ProdSG.

44

Grundlagen und

Grundfragen

Für Billigkeitsklauseln bietet das Unterhaltsrecht Musterbeispiele par excellence. So sind bei „grober Unbilligkeit" oder „aus Billigkeitsgründen" Unterhaltsansprüche ausnahmsweise zu gewähren (§§1576, 16151 Abs.2 S.3 BGB), aber auch zu versagen und zu beschränken (§§1361 Abs. 3, 1579, 1611 Abs. 1 BGB). Gleichermaßen verlangt die Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten Überlegungen zur Billigkeit (vgl. § 1577 Abs. 2, 3 BGB). Weitere familienrechtliche Beispiele für Billigkeitsklauseln finden sich in den §§1318 Abs. 2 S.2, Abs.3, 1361a Abs.2, 1587d A b s . l , 15871 Abs.3 S.3 BGB. 116

bb) Begründung außerordentlicher

Gestaltungsrechte

Normative Gesetzesbegriffe dienen nicht nur ganz allgemein der wertenden Beschränkung von Gestaltungsrechten und der Begründung besonderer Ansprüche und Einwendungen. Zentrale Bedeutung kommt normativen Gesetzesbegriffen bei der Begründung von außerordentlichen Gestaltungsrechten in Dauerschuldverhältnissen und anderen auf Dauer angelegten oder unkündbaren Rechtsverhältnissen zu. Hier liefert die Privatrechtsordnung einen eindrucksvollen Beweis ihrer Systemgewissheit: Die außerordentlichen Gestaltungsrechte fußen sämtlich auf der Figur des „wichtigen Grundes" (so nun auch §314 BGB n.F.). Die fristlose Kündigung des Dienst- und Arbeitsvertrages (§626 A b s . l BGB), die außerordentliche Kündigung von Miet- (§§543, 569 BGB), Pacht- (§ 594e Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BGB) und Reisevertrag (§ 651 e Abs. 1 S. 2 BGB) sowie die unzeitige Kündigung des Auftrags (§671 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 BGB) setzen einen „wichtigen Grund" voraus; gleiches gilt für die vorzeitige Kündigung einer Gesellschaft (§723 Abs. 1 S.2 BGB), die fristlose Aufhebung der Gemeinschaft (§ 749 Abs. 2 BGB), die Aufhebung der Adoption (§ 1771 S. 1 BGB), die Entlassung eines Vereins als Vormund (§1889 Abs.2 S.2 BGB) und die Entlassung eines Betreuers (§ 1908b Abs. 1 BGB) oder Testamentsvollstreckers (§2227 Abs. 1 BGB). 117 In anderen Vorschriften wird das Vorliegen oder Nichtvorliegen „wichtiger dienstlicher Gründe" (§1784 Abs. 2 BGB), „trifftiger Gründe" (§ 1303 Abs. 3 BGB) oder „besonderer Gründe" (§§ 1612 Abs. 1,1758 BGB) vorausgesetzt. Verweigert ein Ehegatte „ohne ausreichenden Grund" die Auskunft über den Bestand des Vermögens, so kann der andere Ehegatte auf vorzeitigen Ausgleich des Zugewinns klagen (§1386 Abs. 3 BGB). 118 Schließlich berechtigen „schwerwiegende Gründe" zur Aufhebung der Adoption (§1763 A b s . l BGB). 116

Vgl. im Übrigen §§253 Abs.2 n.F., 284 n.F., 315ff., 571 Abs. 1 S.2,2048,2057a Abs. 3,2156 BGB sowie §3 Abs. 1 lit. c ProdHaftG. 1,7 Vgl. auch §§ 569a Abs. 5, 712 Abs. 1,811 Abs. 1, 1298 Abs. 3,1308 Abs. 3 BGB sowie § 1900 Abs. 2 BGB („wichtige Gründe"). 118 Andere Beispiele für diese Wendung in §§ 1357 Abs. 2,1365 Abs. 2,1430,1452 Abs. 1 BGB. Siehe auch §447 Abs.2 BGB („ohne dringenden Grund").

5 3 Gegenstand

cc) Bestimmung

des

der

Normkonkretisierung

45

Anspruchsinhaltes

Normative Gesetzesbegriffe erscheinen aber nicht nur auf der Seite der tatbestandlichen Voraussetzungen von Ansprüchen und Rechten; häufig sind auch Inhalt und Umfang gesetzlicher Ansprüche normativen Gesetzesbegriffen überantwortet. 119 Mit derselben Konsequenz, mit der außerordentliche Gestaltungsrechte einen „wichtigen Grund" erfordern, sind Inhalt und Umfang zahlreicher gesetzlicher Ansprüche mit dem Begriff der Angemessenheit konturiert. Neben Bestimmungen, die das Setzen oder Verstreichen einer „angemessenen Frist" 120 voraussetzen, interessieren hier vor allem die zahlreichen Stellen im Gesetz, die einen Anspruch auf „angemessenen Ersatz" (§ 588 Abs. 2 S. 2 BGB), „angemessene Erhöhung" (§588 Abs. 3 BGB) 121 , „angemessenen Ausgleich" (§906 Abs.2 S.2 BGB), „angemessene Entschädigung" (§§611a Abs.2 und 3, 642 Abs. 1, 651f Abs.2 BGB) oder „angemessene Vergütung" (§§ 1361a Abs. 3, 1987,2221 BGB122; §36 Abs. 1 S.2, Abs.2 UrhG n.F.123) gewähren. 124 Besonders augenfällig ist die Verwendung des Rechtsbegriffs der Angemessenheit im Unterhaltsrecht. 125 Hier begnügt sich das Gesetz in seinen zentralen Anspruchsnormen mit der Formel vom „angemessenen Unterhalt": Die Ehegatten sind verpflichtet, „die Familie angemessen zu unterhalten" (§1360 S. 1 BGB); während des Getrenntlebens besteht Anspruch auf „angemessenen Unterhalt" (§ 1361 Abs. 1 BGB), und bei der Bemessung des nachehelichen Unterhalts ist auf den „angemessenen Lebensbedarf" abzustellen (§1578 Abs. 1 S.2 BGB). Auch Bestand und Durchsetzbarkeit des Versorgungsausgleichs hat das Gesetz an den „angemessenen Unterhalt" geknüpft (vgl. §§1587d Abs. 1 S. 1, 1587h Nr. 1 BGB). Genauso wird dem Kind Anspruch auf „angemessenen Unterhalt" gewährt (§1610 Abs. 1 BGB). Daneben kennt das Unterhaltsrecht eine Vielzahl weiterer Angemessenheitsklauseln. So ist der Familienunterhalt für einen „angemessenen Zeitraum" im Voraus zur Verfügung zu stellen (§ 1360a Abs.2 Zur Unterscheidung von Tatbestands- und Rechtsfolgenkonkretisierung unten, § 7 III. Siehe nur §§281 Abs. 1 S. 1 n.F.; 321 Abs.2 S. 1 n.F., 323 Abs. 1 n.F., 355 S. 1, 543 Abs.3 S. 1, 640 Abs. 1 S. 3,643 S. 1,651 e Abs.2,1003 Abs. 1 und 2,1056 Abs.3,2307 Abs.2 BGB sowie §308 Nrn. 1, 5 lit. a BGB n.F. (§10 Nrn. 1, 5 lit. a AGBG a.F.) und §§8 Abs.3, 19 Abs.4 UmweltHG. 121 Siehe auch § 556 Abs. 2 S. 2 BGB: Vorauszahlungen für Betriebskosten dürfen nur in „angemessener Höhe" vereinbart werden; genauso §560 Abs. 4 BGB. 122 Zur Konkretisierung von §2221 BGB noch unten, § 11 III. 2. d) cc). 123 Neugefasst durch das Gesetz zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern vom 22.3.2002, BGBl. I S. 1155; hierzu R. Jacobs, NJW 2002, 1905 (1907ff.). 124 Im Übrigen findet sich die Angemessenheit auch als gesetzlicher Beurteilungsmaßstab für die richterliche Inhaltskontrolle; so etwa in §§343 Abs. 1, 655 BGB, §3 Abs.3 S. 1 BRAGO, §4 Abs. 2 StBerGebVO (Herabsetzung der Vertragsstrafe, des Maklerlohns sowie der vereinbarten Vergütung auf den „angemessenen Betrag") sowie in §308 Nr.7 lit. a BGB n.F. (§10 Nr.7 lit. a AGBG a.F.): „unangemessen hohe Vergütung"; §308 Nr. 7 lit. b BGB n.F. (§ 10 Nr. 7 lit. b AGBG a.F.): „unangemessen hoher Ersatz von Aufwendungen". 125 Zum „angemessenen" Unterhalt noch eingehend unten, § 11 III. 2. e). 119

120

46

Grundlagen

und

Grundfragen

B G B ) , der Trennungsunterhalt umfasst auch die Kosten einer „angemessenen Versicherung für den Fall des Alters" (§ 1361 Abs. 1 S.2 B G B ) und der Kindesunterhalt die Kosten einer „angemessenen Vorbildung zu einem Beruf" (§1610 Abs. 2 B G B ) . Vermag ein geschiedener Ehegatte keine „angemessene Erwerbstätigkeit" zu finden, steht ihm nachehelicher Unterhalt zu (§§ 1573 Abs. 1 und 4, 1574 Abs. 1, 1575 Abs. 1 B G B ) . 1 2 6

III. Zusammenfassung Bestimmte und unbestimmte Gesetzesbegriffe unterscheiden sich nur graduell. Ihre gemeinsame Grundstruktur lässt sich mit dem Bild von Begriffskern und Begriffshof umschreiben. Mit Blick auf den Zusammenhang von Bestimmtheit der Gesetzesbegriffe und Bindung der Rechtsanwendung werden weitere Begriffsklassen unterschieden. Von Bedeutung ist vor allem die Unterscheidung zwischen normativen und deskriptiven Begriffen. Deskriptive Begriffe bezeichnen wirklichkeitsbezogene, wahrnehmbare Objekte, während normative Begriffe eine Wertung des Rechtsanwenders verlangen, also wertausfüllungsbedürftig sind. Zu dieser allgemeinen G r u p p e der normativ-unbestimmten Rechtsbegriffe zählen auch Generalklauseln. Durch ihren Funktionswandel eignet sich die ursprüngliche spezifische Funktion der Generalklauseln - ihre Verweisungsfunktion - nicht mehr als Unterscheidungsmerkmal zu den normativen Begriffen. Generalklauseln verlangen genauso wie normative Begriffe eine Wertung und erfüllen damit - ebenfalls genauso wie normative Begriffe - Flexibilitäts- und Delegationsfunktionen. Generalklauseln unterscheiden sich von der allgemeinen Gruppe der normativ-unbestimmten Begriffe daher lediglich graduell in dem Ausmaß ihrer Ausfüllungsbedürftigkeit. In normstruktureller Hinsicht lassen sich Generalklauseln umschreiben als Rechtssätze, deren zentraler Inhalt in normativen Begriffen verkörpert ist. In Blankettnormen ist der Gedanke einer Verweisungsfunktion erhalten geblieben; sie verweisen aber nicht auf außerrechtliche Sitten- und Verhaltensgebote, sondern auf bereits positivierte Rechtsnormen. Entsprechend der bewussten Abstraktionshöhe und Sachferne des B G B sind anschauliche, sach- und wahrnehmungsbezogene Regelungen mit deskriptiven Gesetzesbegriffen vergleichsweise selten. Gemessen an ihrem Vorkommen stellen auch Generalklauseln und Blankettnormen letztlich ein Randproblem dar gegenüber den ungleich häufigeren und variantenreicheren sonstigen normativen Gesetzesbegriffen. Sie nehmen gesetzessystematische Schlüsselpositionen ein und bergen das eigentliche Steuerungspotential der Privatrechtsordnung. Während das Sachenrecht und das Erbrecht zu den eher rechtstechnisch exakt 126

Siehe auch die §§528 Abs. 1, 829, 1603 Abs. 1 B G B .

§ 3 Gegenstand

der

Normkonkretisierung

47

und präzise gestalteten, „konstruktiven"127 Privatrechtsmaterien zählen, finden sich normative Begriffe vorwiegend im Schuldrecht und im Familienrecht. W e r t u n g s o f f e n e V a g h e i t k e n n t das P r i v a t r e c h t v o r a l l e m d o r t , w o es a u f die V e r w i r k lichung materieller Gerechtigkeit und sozialen Ausgleichs verpflichtet w o r d e n ist. 1 2 8 H i e r v o n z e u g e n i n s b e s o n d e r e die K ü n d i g u n g s s c h u t z b e s t i m m u n g e n

im

M i e t - u n d A r b e i t s r e c h t , das U n t e r h a l t s r e c h t u n d das z u n e h m e n d e u r o p ä i s c h d u r c h w i r k t e V e r b r a u c h e r s c h u t z r e c h t . D a m i t sind die n o r m a t i v - u n b e s t i m m t e n G e s e t z e s b e g r i f f e das e i g e n t l i c h e P r o b l e m , das d u r c h die v o r d r i n g l i c h e B e f a s sung mit den Generalklauseln weit gehend verdeckt wurde.

127 So die Bezeichnung von C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S.45. 128 Zur sozialen Aufgabe des Privatrechts F. Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgeschichte und die Entwicklung der modernen Gesellschaft, S. 24f.; ders., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 481 f.; T. Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 2001, passim. Dies war bereits in der grundlegenden Kritik am Ersten Entwurf zum B G B durch den österreichischen Zivilprozesslehrer A. Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, 1890, angemahnt worden; hierzu auch A. Dürrnberger, Der Einfluß socialistischer Postulate auf das Privatrecht, 1893. Die Forderungen von A. Menger wurden aber von den meisten Kritikern des Erstentwurfs als übertrieben zurückgewiesen; vgl. nur L. Fuld, Das bürgerliche Gesetzgebung und die Socialpolitik, Gruchots Beiträge 35 (1891), 635ff.; E. Ehrlich, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches und die socialpolitischen Bestrebungen der Gegenwart, in: Unsere Zeit 1890/2, 21 ff.; B. Dölemeyer, in: H. Coing (Hrsg.), Hdb der neueren Europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. III/l, S. 1607ff. Zur Bedeutung der sozialen Fragen in der ersten Hälfte des 19. Jh. H. Isele, AcP 150 (1949), 1 (12ff.). Der Schutz des sozial Schwächeren war daher zunächst in die Hände der Rechtsprechung gelegt; vgl. nur U. Diederichsen, NJW 1975,1801 (1804). Kritisch nun J. Isensee, in: FS für B. Großfeld, S. 485 (505); für eine andere Lesart der Geschichte des B G B J. Rücken, J Z 2003, 749 (750ff.).

§ 4 Verfassung und Normkonkretisierung

Die v o r s t e h e n d e n Überlegungen haben gezeigt, dass N o r m k o n k r e t i s i e r u n g ein P h ä n o m e n besonderer gesetzlicher U n b e s t i m m t h e i t ist. D a m i t r ü h r t die N o r m konkretisierung - genauso w i e andere Fragen aus d e m großen Zusammenhang des Richterrechts 1 - an zwei Problemkreise: Einmal stellt sich in verfassungsrechtlicher Hinsicht die Frage nach Zulässigkeit und G r e n z e n dieser A u f g a b e n verteilung zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung (unten II.-V.). D a n e ben sind in methodischer Hinsicht die Instrumente und Verfahren der N o r m konkretisierung zu untersuchen (unten § 5). Z u v o r ist das Verhältnis v o n Verfassung und M e t h o d e zu klären (sogleich unten I.).

I. Verfassung und Methode Juristische M e t h o d e n l e h r e u n d Verfassungsrecht haben überschneidende G e l tungsansprüche. Z u m Teil lassen sich die F o r d e r u n g e n der M e t h o d e n l e h r e auf Verfassungsgebote z u r ü c k f ü h r e n , und u m g e k e h r t haben verfassungsrechtliche Postulate auch ihren Niederschlag im m o d e r n e n M e t h o d e n d e n k e n gefunden. 2 1 Während Fragen des Richterrechts früher primär Gegenstand des methodischen Schrifttums waren, dürften inzwischen verfassungsrechtliche Betrachtungen im Vordergrund stehen; siehe nur die Monographien vonJ. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975; R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978; G. Biaggini, Verfassung und Richterrecht, 1991, sowie die Beiträge von Ch. Gusy, DÖV 1992, 461 ff.; Ch. Hillgruber, JZ 1996, 118ff. - Das Verfassungsrecht dringt damit zunehmend in methodische Fragen vor; so schon die Feststellung von J. Ipsen, a.a.O., S. 59; vgl. auch D. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, S. 148; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.247f.; H.-P. Schneider, Richterrecht, Gesetzesrecht und Verfassungsrecht, insb. S.30ff., 37ff.; dens., DÖV 1975, 443 (446f.); deutlich auch bei H.-J. Koch/H. Riißmann, Juristische Begründungslehre, S. 69ff., 163ff. und B. Rüthers, Rechtstheorie, S.369ff., 396ff. 2 Siehe nur zum Zusammenhang von Auslegung und Gesetzesbindung H.-J. Koch/H. Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 69ff. In ähnlicher Weise durchdringen sich Methode und Verfassung bei der Frage um die Berechtigung der Wortlautgrenze als Scheidelinie von gesetzesimmanenter und gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung; hierzu K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 366ff. Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen von Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung D. Looschelders/W. Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, insbes. S. 119ff., 220ff.; zu den verfassungsrechtlichen Grenzen von Richterrecht und richterlicher Rechtsfortbildung vgl. bereits die Nachw. in der vorstehenden Fn. Insgesamt zu den Grundlagen einer verfassungsorientierten Rechtsmethodik H. H. v. Arnim/S. Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, passim.

§ 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

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Ungeachtet dieser gegenseitigen Durchdringung stehen Verfassung und Methode aber in einem vorgegebenen Rangverhältnis. K. Larenz hat die juristische Methodenlehre beschrieben als hermeneutische „Selbstreflexion der Jurisprudenz" über ihr Vorgehen, ihre Denkweisen und über die Erkenntnismittel, der sie sich bedient. 3 Im Verfassungsstaat sind diesem erkenntnistheoretischen Bemühen um Richtigkeit der Rechtserkenntnis aber die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen über das Verhalten und das Verhältnis der Staatsgewalten zwingend vorgegeben. Dies gilt insbesondere für die Gesetzesbindung der Rechtsprechung (Art. 20 Abs. 3 G G ) . 4 Verfassung und Methode sind keine gleichberechtigten Erkenntnisquellen, aus denen wahllos geschöpft werden könnte, 5 sondern es besteht ein normativer Vorrang der Verfassungsvorgaben. 6 Insoweit steckt die Verfassung die äußeren Grenzen der Rechtserkenntnis ab, während sich die Methodenfrage als selbstständige Frage erst innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens stellt. 7 Damit ist auch für unseren Zusammenhang der Normkonkretisierung vorgegeben, dass zunächst nach den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen der Normkonkretisierung zu fragen ist (unten II.—VI.), bevor im nächsten Abschnitt die Normkonkretisierung als Methodenproblem untersucht wird (unten §5).

II. Normkonkretisierung als delegierte Rechtsetzung 1. Entwicklung des Delegationsgedankens Seit der vielzitierten Wendung von J. W. Hedemann über die Generalklauseln als einem „Stück offengelassener Gesetzgebung", in denen „Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung ineinander überfließen" 8 wird das Phänomen der Normkonkretisierung mit den Bildern von Delegation und Ermächtigung beschrieben. Darin findet sich auch die Vorstellung von der Rechtsordnung als ei-

K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.243ff. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 247; hierzu unten, § 5 VI. 6. a). 5 Daher missverständlich R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 251. 6 Es bedarf daher einer „verfassungsorientierten Rechtsmethodik", so der Untertitel der Studie von H.H. v. Arnim/S. Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz. 7 Im Übrigen kann sich die Methodenlehre entweder neben oder außerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens bewegen. Will die Methodenlehre aber auch normativ wirken, indem sie zugleich Empfehlungen und Wertungen über Methoden und Erkenntnisprozesse abgibt, so kann sie an der verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht blind vorbeigehen. Zum normativen Auftrag der Methodenlehre K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 244. 8 J.W. Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, S. 58; siehe auch S. 75: „Ist das, was der ,Richter' hier tut, überhaupt noch Rechtsanwendung[Hervorhebung im Original]; hierzu statt aller K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 183. 3 4

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Grundlagen

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Grundfragen

nem System gestufter Rechtsetzungsermächtigungen wieder (H. Kelsen)? In diesem Sinne bezeichnete bereits Ph. Heck Generalklauseln als „Delegationsnormen" 1 0 ; ähnliches lässt sich bei K. Engisch11 und F. Wieacker12 nachlesen. Mit /. Essern wurde der Gedanke delegierter Entscheidungsmacht schließlich von der Generalklausel gelöst 14 und steht heute ganz allgemein als Beschreibung ausfüllungsbedürftiger gesetzlicher Unbestimmtheit, etwa - um nur einige zu nennen - bei C-W. Canarisl\ F. Bydlinski16, IL Henkel17 und K. RöhF'.v> 9 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 239ff., 346ff.; ihm folgend R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S.232ff.; siehe aus jüngerer Zeit H.H. v. Arnim/S. Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, S. 159f£.; K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §35 I, II: „Der Stufenbau als Hierarchie von Ermächtigungsnormen". - Zum Stufenbau der Rechtsordnung als Grundlage der Modellvorstellung der Normkonkretisierung als Rechtsverwirklichung bereits oben, §2 II. 1. Kritisch aberJ. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, S.295: Es bedürfe einer „Uberwindung aller Versuche, eigentliches Juristenrecht [Dogmatik] auf dem Schleichwege einer ,Stufenbautheorie' und anderer Delegationsthesen seines genuinen Charakters zu berauben - es gleichsam als Phänomen zu verbergen." 10 F. Heck, Grundriß des SchuldR, 1929, §4, 1; siehe auch dens., Das Problem der Rechtsgewinnung, Nachdruck 1965, S.55: „Delegationen". 11 K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 183: Abtretung von Entscheidungsmacht an den Richter. 12 F. Wieacker, Zur Rechtstheoretischen Präzisierung des §242 B G B , S. 16: Generalklauseln als weiterverweisende „Richtlinien" unter Hinweis auf F. v. Hippel, Richtlinie und Kasuistik im Aufbau von Rechtsordnungen, 1940. Zur Verfassung als „Richtlinie" P. Badura, Hdb StR Bd. VII, §163 Rdnrn. 21 f. 13 J. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, S. 65: „Ermächtigung zu richterlicher Institutionenbildung"; ders., a.a.O., S. 150f.: „Überlassung der Normgestaltung an den Richter", „starting points oder Aufhänger für die konkrete richterliche Normbildung"; ders.,Vorverständnis und Methodenwahl, S.57: „Ermächtigung, ja die Anweisung des Rechtsanwenders durch das Gesetz, den hier als Obersatz der syllogistischen Rechtsanwendung dienenden relevanten Teil... selbst zu bilden"; zur „Ermächtigungsfunktion" von Generalklauseln ders., SchuldR, § 31. - An anderer Stelle äußert sichJ. Esser allerdings eher kritisch zur „Stufenbautheorie und anderen Delegationsthesen" (Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, S. 295) und stellt den „institutionellen Auftrag der Rechtsprechung" zur Rechtsbildung in den Vordergrund (a.a.O., S. 139); hierzu noch unten, §4 III. 1. 14 Vgl. V. Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht, S. 97ff. 15 C.-W. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 26ff.: „Delegation von Entscheidungsmacht". 16 F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S.583: „bewusste Ermächtigung an die Entscheidungsorgane". 17 H. Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, S.69: „Ermächtigung zur Bildung richterlichen Fallrechts". 18 K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §28 V, §77 I: „Kompetenznormen" mit der „Aufforderung an den Rechtsanwender, selbst zu entscheiden". 19 Vgl. nur G. Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 84ff., 90; M. Coester, Das Kindeswohl als Rechtsbegriff, S.365ff.: impliziter „Rechtsschöpfungsauftrag";/. Gernhuber, FamRZ 1983, 1069 (1071f.);/. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S.63ff.; V. Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht, S. 81 ff.; H. W. Kruse, Das Richterrecht als Rechtsquelle des innerstaatlichen Rechts, S. 7: „Ermächtigung an den Richter zu eigener Normbildung"; P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 268: „Ermächtigung"; F. Ossenbühl, Hdb StR Bd. III, § 61 Rdnr. 37; C. Ott, in: FS für L. Raiser, S.403 (417): „Delegation der Normsetzung an den Richter"; K. Redeker, N J W 1972, 409

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Normkonkretisierung

B e i n ä h e r e m H i n s e h e n d r ä n g t s i c h a l l e r d i n g s d e r E i n d r u c k auf, als w ü r d e d e r D e l e g a t i o n s g e d a n k e l e d i g l i c h als a n s c h a u l i c h e s B i l d k o n s e r v i e r t , a b e r n i c h t in r e c h t s t e c h n i s c h e m S i n n e als Ü b e r t r a g u n g v o n R e c h t s e t z u n g s b e f u g n i s s e n e r n s t g e n o m m e n . D i e s m a g z u n ä c h s t d a r a u f b e r u h e n , dass d e r D e l e g a t i o n s g e d a n k e aus v o r k o n s t i t u t i o n e l l e r Z e i t s t a m m t , 2 0 z u m a l e i n e r Z e i t , die sich m i t d e r „ g e räuschlosen" Verlagerung von Entscheidungs- und Rechtsetzungsmacht besonders leicht tat.21 E s entsprach daher d e m Geist der neu gegründeten B u n d e s r e publik, solche „offen gelassene G e s e t z g e b u n g " z u n e h m e n d kritisch zu b e t r a c h t e n . M i t a u s f ü l l u n g s b e d ü r f t i g e n G e s e t z e s b e g r i f f e n , s o K. Engisch,

würden Ent-

s c h e i d u n g e n an die R e c h t s p r e c h u n g a b g e t r e t e n , die d e r G e s e t z g e b e r t r e f f e n k ö n n t e u n d sollte".22 H. W. Hedemann

U. Diederichsen

„selbst

h a t h i e r f ü r s p ä t e r ein W o r t v o n

w i e d e r a u f g e g r i f f e n , die „ F l u c h t des G e s e t z g e b e r s aus s e i n e r

V e r a n t w o r t u n g " 2 3 - i m Ü b r i g e n g e n a u d e r T o p o s , m i t d e m das B V e r f G h e u t e die A u f g a b e des A r t . 8 0 G G b e s c h r e i b t , n ä m l i c h als V o r k e h r u n g , u m „das P a r l a -

(412); M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 347f.; R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S. 193: „Delegation von Entscheidungsbefugnissen und damit von Rechtserzeugungskompetenzen"; B. Rüthers, Rechtstheorie, Rdnrn. 177, 689: „Delegationsbegriffe"; ders., JZ 2002, 365: „Delegationsnormen";/. Sander, Normtatsachen im Zivilprozess, S. 92f.; W. Schlüter, Das obiter dictum, S. 116: Anweisung und Ermächtigung an den Richter; H.-P. Schneider, D O V 1975, 443 (450); ]. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 37f.: „verdeckte Delegationen"; G. Teubner, Standards und Direktiven, S. 61,106; R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 145f.; grundsätzlich auch R. Weber, AcP 192 (1992), 516 (549ff.), allerdings kritisch mit Blick auf die „Fallgruppenmethode"; F. Werner, Zum Verhältnis von gesetzlichen Generalklauseln und Richterrecht, S. 25 und passim. - Zur „Delegations-" oder „Ermächtigungsfunktion" von Generalklauseln bereits oben, §31. 3.; zur „Ausfüllungsbedürftigkeit" normativunbestimmter Begriffe oben, §3 I. 2. 2 0 Die grundlegende Studie zu „Delegation und Mandat" von H. Triepel stammt aus dem Jahr 1942; der Begriff der „Delegationsnormen" von Ph. Heck aus dem Jahr 1929 (Fn. 10), H. Kelsens Stufentheorie aus dem Jahr 1934 (Fn. 9) und der Begriff der weiterverweisenden „Richtlinie" von F. v. Hippel aus dem Jahr 1940. - Anders freilichJ. W. Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln. Eine Gefahr für Recht und Staat, 1933. 21 Siehe nur F. Ossenbühl, Hdb StR Bd.III, §64 Rdnrn. 9ff. Zur nationalsozialistischen Rechtsideologie bereits oben, §2 1.1. sowie allg. B. Rüthers, Rechtstheorie, § 16; ders., Die unbegrenzte Auslegung; zur Rolle der zivilrechtlichen Generalklauseln F. v. Look, J R 2000, 89ff.; P. Raisch, Juristische Methoden, S. 120ff. 22 K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 183 [Hervorhebung nicht im Original]. 23 U. Diederichsen, Die Flucht des Gesetzgebers aus der politischen Verantwortung im Zivilrecht, S.21; so bereits /. W. Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, 1933; mit ähnlichem Unterton H. W. Kruse, Richterrecht als Rechtsquelle, S. 7: Der Richter werde mit einer Generalklausel „abgespeist"; genauso A. Meier-Hayoz, JZ 1981, 417 (422f.): Der Gesetzgeber entziehe sich seiner „strategischen Verantwortung", wenn er durch offene Gesetzgebung „zentrale rechtspolitische Konkretisierungsfragen auf den Richter abschiebt"; V. Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht, S. 82ff. - Siehe aber J. Gernhuber/D. Coester-Waltjen, FamilienR, § 1 V 3: Die Flucht in die Generalklausel kann „doch niemals Flucht aus der Verantwortung sein ..., weil der Akt der Delegation an den Richter die Verantwortung für alle Kasuistik, die er ermöglicht, in sich aufnimmt."

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Grundlagen

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ment darin zu hindern, sich seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft zu entäußern." 24 Aber nicht nur durch die grundgesetzliche Neubetonung parlamentarischer Verantwortung hat das Bild der delegierten Rechtsetzung gelitten. Auch mit Blick auf die Aufgaben und Funktionen der Rechtsprechung hat der Delegationsgedanke mit der Zeit an Boden verloren. Je selbstverständlicher der Rechtsprechung - gerade für das Privatrecht - die Kompetenz zur Rechtsfortbildung zuerkannt wurde, 25 umso weniger war man auf den Gedanken der Delegation angewiesen, um richterliche Rechtsschöpfung zu legitimieren. Schließlich haben auch im Bereich der Methodenlehre Entwicklungen stattgefunden, die die Berechtigung des Delegationsgedankens als Erklärungsfigur für die Normkonkretisierung in Zweifel gezogen haben. Versteht man die Konkretisierung offener Normen nicht als eine besondere, die Anwendung bestimmter Normen auch qualitativ übersteigende Aufgabe der Rechtsprechung, 26 so mag ebenfalls in Frage stehen, ob wirklich ein Bedürfnis nach der Figur der Delegation besteht. Besonders deutlich wird diese Auffassung bei F. Müller. „Von der den Richtern übertragenen rechtlichen Entscheidungsmacht her beurteilt, ermächtigt also eine Generalklausel die fallentscheidende Instanz zu nichts anderem als sonstige ,Normen' auch." 27 Vor diesem Hintergrund entsteht der Eindruck, als habe der Delegationsgedanke nicht Schritt halten können mit der Verfassungs- und Richterrechtsdogmatik, als sei er im Wesentlichen ein Relikt aus früheren Zeiten und inadäquaten Vorstellungen von Machtverteilung. Und so mag es auch verständlich erscheinen, dass der Delegationsgedanke zwar noch allseits referiert, aber zumeist nicht in einem rechtstechnischen Sinne verstanden wird. Gleichwohl besteht kein Grund, den Delegationsgedanken als Erklärungsfigur aufzugeben. Wie im Folgenden zu zeigen ist, gibt der Delegationsgedanke nach wie vor eine aussagekräftige Folie ab, mit der sich sowohl das von der Normkonkretisierung berührte Verhältnis von Gesetzgebung und Rechtsprechung beschreiben als auch ein Anforderungs- und Wirkungsprofil delegierter Rechtsetzung entwickeln lässt.

BVerfGE 78, 249 (242); siehe auch schon E 34, 52 (60). Siehe nur BVerfGE 34, 269 (286ff.) - Soraya; E 96, 375 (394) - „Kind als Schaden"; zur Rechtsprechung des BVerfG zur Rechtsfortbildungsbefugnis der Gerichte siehe etwa R. Wank, Z G R 1988, 315 (324ff.) und noch näher unten §4 III. 1. m.w. N.; allg. zum Funktionszuwachs der Rechtsprechung U. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S.63ff. Zur verfassungsgerichtlichen Kontrolldichte privatrechtlicher Rechtsfortbildung B. Pieroth/T. Aubel,JL 2003,504 (509). - Zur Rechtsfortbildungsbefugnis des E u G H unten, § 13 I. 2. e) bb). 2 6 So insbes. die Auffassung von F. Müller, Juristische Methodik, S. 186ff.; siehe hierzu bereits oben, §2 II. 2. 27 F. Müller, .Richterrecht', S. 86. 24 25

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2. D e r Delegationsgedanke als verfassungsrechtliche Erklärungsfigur der Normkonkretisierung Eine Delegation ist nach der klassischen Definition H. Triepels ein Rechtsakt, durch den der Inhaber einer staatlichen Zuständigkeit seine Kompetenz ganz oder zum Teil auf ein anderes Subjekt überträgt. 28 Eine Delegation führt zu einer Verlagerung oder Dekonzentration 29 von Kompetenzen: Der Delegant tritt Zuständigkeit ab, der Delegatar erhält sie.30 Mit der Delegation von Rechtsetzungskompetenzen erwirbt der Delegatar die Befugnis zur Rechtsetzung. Das kraft Delegation gesetzte Recht stellt abgeleitetes (derivatives) Recht, das im Range unterhalb des vom Delegatar gesetzten Rechts steht.31 Mit dem Begriff der Delegation wird ein bestimmtes Kompetenzgefüge vorausgesetzt. Erstens muss eine Kompetenzordnung bestehen, nach der die zu delegierende Kompetenz gerade dem Deleganten und nicht dem Delegatar zugewiesen ist; eine Kompetenz, die in den originären Kompetenzbereich des Delegatars fällt, kann nicht vom Deleganten delegiert wird. Zweitens muss die Übertragung der Kompetenz auch im Übrigen zulässig sein, also insbesondere mit der verfassungsrechtlichen Gewaltenordnung, dem Demokratieprinzip und dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar sein. Damit ist das gedankliche Gerüst der folgenden Überlegungen vorgegeben. Zunächst ist zu zeigen, dass die Rechtsprechung nicht über eine originäre Rechtsetzungskompetenz verfügt, eine Delegation also nicht - wie es in jüngeren Methodenentwürfen eingewendet wird - überflüssig sei, da die Aufgabe der Rechtsschöpfung ohnehin zum verfassungsmäßigen Aufgabenbereich der Rechtsprechung gehöre (unten III.). In einem zweiten Schritt gilt es zu zeigen, dass die Verfassung zwar kein grundsätzliches Delegationsverbot enthält (unten IV.), wegen des Grundsatzes der Gewaltenteilung aber rechtfertigende Delegationsgründe verlangt (unten V.) und als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips materielle und formelle Anforderungen an die delegierte Rechtsetzung stellt (unten V.).

28 H. Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, 1942, S.23; zum folgenden auch A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 254ff.; T. Fleiner, Die Delegation als Problem des Verfassungs- und Verwaltungsrechts, S. 95ff., F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 159ff.;/. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 34ff. 29 So für Rechtsverordnungen F. Ossenbühl, Hdb StR Bd. III, §64 Rdnr. 1; Th. v. Danwitz, Jura 2002, 93 (95). 30 H. Triepel, Delegation und Mandat, S.23, 26. 31 Vgl. für Rechtsverordnungen F. Ossenbühl, Hdb StR Bd.III, §64 Rdnr. 1; Th. v. Danwitz, Jura 2002, 93 (95).

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Grundfragen

III. Angewiesenheit judikativer Rechtsetzung auf einen Delegationsakt Normkonkretisierung lässt sich nur dann als delegierte Rechtsetzung erfassen, wenn die Rechtsprechung nicht über originäre Rechtsetzungskompetenzen verfügt. Sonst wäre die Anbindung an eine vorhergehende Delegation nicht nur überflüssig, sie könnte u.U. auch in Rechte der Rechtsprechung eingreifen.32 Deutlich wird dies, wenn man den Delegationsgedanken auf die private Normgebung überträgt.33 Die Rechtsnormen der Vereine und Verbände sind Ausdruck grundrechtlicher Normsetzungsbefugnis (Art. 9 Abs. 1 GG). 34 Jede staatliche Konzessionierung dieser Normsetzungsbefugnis würde also in Konflikt mit der Grundrechtsordnung geraten.35 Für die Rechtsprechung können sich originäre Rechtsetzungsbefugnisse allerdings nicht aus dem Gedanken einer Autonomie, sondern allein aus ihrer Funktion ergeben. Wie im Folgenden gezeigt wird, gehört die Rechtsetzung zwar durchaus zu den Aufgaben der Rechtsprechung (unten 1.), doch ist diese judikative Rechtsetzung notwendig derivativ, also auf eine gesetzliche Delegation gerade angewiesen (unten 2.).

1. Rechtsetzung als originäre Aufgabe der Rechtsprechung? Eine ausdrückliche Normsetzungsbefugnis der Judikative ist im Grundgesetz zwar nicht vorgesehen,36 und auch eine Vorschrift nach dem Vorbild von Art. 1 Abs. 2 ZGB 3 7 oder §7 ABGB 3 8 ist dem deutschen Recht unbekannt. Gleich32 Etwa wenn die Delegation gemessen an einer originären Rechtsetzungsbefugnis der Rechtsprechung zu eng bemessen wäre, zurückgenommen oder beschränkt würde. 33 So die Lehre von der Befugnisübertragung; hierzu F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S.159ff. 34 K. Wieweg, Normsetzung und -anwendung deutscher und internationaler Verbände, S.147ff., 151 ff. 35 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 169f. Dies gilt grundsätzlich auch mit Blick auf die Regelungsautonomie der Kommunen (Art. 28 Abs. 2 GG), der Kirchen (Art. 140 G G i. V. mit Art. 136ff. WRV) und der Parteien (Art. 21 GG). Zur Satzungsautonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften und Anstalten/; Ossenbühl, Hdb StRBd. III, §66 Rdnrn. 5ff. - Eine weitere Ungereimtheit wäre, dass sich das Normgebungsrecht im Zuge der Übertragung „entstaatlichen" müsste, weil der Gesetzgeber nur ein hoheitliches Recht delegieren könnte, beim privaten Normgeber aber ein nichthoheitliches, privater und interessengeleiteter Verwendung zugängliches Recht ankäme; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 170. 36 M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 337. Erst der einfache Gesetzgeber hat die „Fortbildung des Rechts" als legitime Aufgabe der Großen, Vereinigten und Gemeinsamen Senate der Revisionsgerichte anerkannt; siehe §§132 Abs. 4 GVG, 11 Abs. 4 VwGO, 11 Abs. 4 F G O , 45 Abs. 4 ArbGG; hierzu C. WZ Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S.52ff. 37 Art. 1 Abs. 2 Z G B lautet: „Kann dem Gesetze keine Vorschrift entnommen werden, so soll der Richter nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die er als Gesetzgeber aufstellen würde". Dazu insbes. M. Gmür, Die Anwendung des Rechts nach Art. 1 des schweizerischen ZGB, 1908; A. Meier-Hayoz, Der Richter als Gesetzgeber, 1951;

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Normkonkretisierung

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wohl geht man heute davon aus, dass der Judikative mit ihrer Rechtsprechungsfunktion auch rechtsetzende, d.h. rechtsschöpferische Aufgaben zugewiesen sind. Wesentlichen Anteil hieran hatte die Erkenntnis, dass sich Rechtsanwendung und Rechtsetzung nicht absolut voneinander trennen lassen, da sich einerseits die „Rechtsanwendung" nicht auf einen Nachvollzug des Gesetzes reduzieren lässt, und andererseits auch der Gesetzgeber nicht völlig frei in der Rechtsetzung, sondern an Vorgegebenes - insbesondere die Verfassung - gebunden ist. 39 Anerkanntermaßen zählt daher auch die richterliche Rechtsfortbildung zu den Aufgaben der Rechtsprechung, 40 sei es, dass sie mit der Justizgewährungsaufgabe41 der Rechtsprechung erklärt wird, sei es dass sie - vor allem wegen der unvermeidlichen Lückenhaftigkeit des Gesetzes 42 - der eigentlichen Rechtsprechungsaufgabe i.S. eines „institutionellen Auftrages an die Rechtsprechung" {]. Esser)4i zugeschlagen wird. 44 Auch das BVerfG geht davon aus, dass ders.,]7,1981,417 (418ff.); aus jüngerer Zeit E. Krämer, Juristische Methodenlehre, S. 131 ff.; siehe auch B. Rüthers, Rechtstheorie, Rdnrn. 879ff. Der Vorschrift wird Verfassungsrang eingeräumt; vgl. G. Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 94 ff. Kritisch 2. Giacometti, Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, S.208, der darin eine „verfassungswidrige Gesetzesdelegation" sieht; zustimmend G. Roellecke, W D S t R L Heft 34 (1976), 113: „verfassungsrechtlich in der Tat bedenkliche Bestimmung". 3 8 Vgl. F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 472ff., 482. 39 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S.239ff., 346ff.; abermals betont von R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S. 232ff., 240ff.; siehe nun auch M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 84ff. m.w.N. 4 0 Siehe nur die reichhaltig dokumentierten Arbeiten von C. W Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, insbes. S. 125ff., 168ff.;/. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, insbes. S. 79ff.; F. Ossenbühl, Hdb StR Bd. III, § 61 Rdnrn. 35ff.; M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, insbes. S.337ff.; R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 113ff., 119ff.; ders., Z G R 1988, 314 (324ff.); kritisch Ch. Hillgruber,]Z 1996, 118 (121ff.). Zu den Methoden der Rechtsfortbildung K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 366ff.; R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 11. 41 Eingehend C. W. Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 152f., 169ff., 213ff.; vgl. auch]. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 51 ff.; R Kirchhof, N J W 1986, 2275 (2280); P. Noll, Gesetzgebungslehre, S.49f. Zum Rechtsverweigerungsverbot von Art. 4 schweizer. BV und Art. 4 frz. C. civ. (« Le juge qui refusera de juger, sous prétexte du silence, de l'obscurité ou de l'insuffisance de la loi, pourra être poursuivi comme coupable de déni de justice. ») O.A. Germann, Probleme und Methoden der Rechtsfindung, S. 159; R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S.38. 42 Statt anderer K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 366; A. Meier-Hayoz, J Z 1981, 417 (418); C.-W. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 173ff.; B. Rüthers, J Z 2002, 365 m.w.N.; anders noch die Vertreter der Lehre von der „Geschlossenheit der Rechtsordnung", etwa K. Berghohm, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, Bd. I, 1872, S. 372ff.; H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 251 ff.; W. Sauer, Juristische Methodenlehre, S. 281. - Zur Lückenhaftigkeit der gemeinschaftlichen Rechtsordnung noch unten, § 13 I. 2., II.; zum Systemdenken im Europäischen Privatrecht K. Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S.52ff. 4 3 So / . Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, S. 139 mit der Konsequenz, dass Richterrecht auch „institutionell Rechtsquelle" sei. 4 4 Zur Rechtsschöpfungsaufgabe des Richters siehe etwa Ch. Gusy, D O V 1992, 461 (461):

56

Grundlagen

und

Grundfragen

das Grundgesetz dem Richter die „Aufgabe und Befugnis zu schöpferischer Rechtsfindung" zuerkannt habe,45 hierbei handele es sich um eine „anerkannte Funktion der Rechtsprechung" 46 . Dass der Rechtsprechung die Aufgabe zugewachsen ist, dem geschriebenen Recht durch eigene Rechtsschöpfung die nötige Anwendungsreife zu vermitteln, es auszufüllen und fortzuschreiben, heißt aber noch nicht, dass es sich bei solcher Ausfüllung und Fortschreibung auch um eine originäre Aufgabe der Rechtsprechung handelt. Wäre dies der Fall, so müsste man der Rechtsprechung - zumindest gedanklich - auch einen entsprechenden abwehrfähigen Vorbehaltsbereich konzedieren, 47 mit der Folge, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehindert wäre, die Rechtsprechung durch „perfekte" Gesetze aus ihrer Kompetenz zur Rechtsfortschreibung zu „verdrängen". Der Gesetzgeber unterläge also - so die befremdliche Konsequenz aus der Annahme einer originären Rechtsfortbildungsaufgabe der Rechtsprechung - gewissermaßen einer Verfassungspflicht zu lückenhafter, ausfüllungsbedürftiger Gesetzgebung. Wenn gleichwohl von einer „Aufgabe" der Rechtsprechung zur Rechtsfortbildung gesprochen wird, muss also ein anderes Verhältnis von Rechtsprechung und Gesetzgebung gemeint sein: Rechtsetzung verkörpert keine originäre, von der Gewaltenordnung der Rechtsprechung unmittelbar zugewiesene Aufgabe, sondern stellt lediglich eine abgeleitete und nachgeordnete Befugnis dar.

2. Judikative Rechtsetzung als subsidiäre und derivative Rechtsetzung a) Rechtsetzungsprärogative

und Zuweisungsaufgabe

des

Gesetzgebers

Diese Vorstellung judikativer Rechtsetzung als derivativer und subsidiärer, also abgeleiteter und nachgeordneter Rechtsetzung ist bereits in dem Bild vom Stufenbau der Rechtsordnung als einer Abfolge von Rechtsetzungsbefugnissen (H. Kelsen) angelegt. 48 Auch die verfassungsrechtlichen Rechtserzeugungsstrukturen sind gekennzeichnet durch Pluralität und Abgestuftheit der Rechtserzeu-

„den Gerichten vom Grundgesetz aufgegeben"; C. W. Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S.168ff.; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 366ff.: „Fortsetzung der Auslegung"; F. Ossenbühl, Hdb StR Bd. III, §61 Rdnrn. 37ff.: gehört zu den „tradierten und angestammten Aufgaben des Richters"; B. Rüthers, Rechtstheorie, Rdnrn. 878ff. 45 BVerfGE 34, 267 (287); siehe auch BVerfGE 75, 223 (234f.); 82, 6 (12): „anerkannte Funktion der Rechtsprechung"; BVerfGE 96, 375 (394): „Aufgabe der Dritten Gewalt". 46 BVerfGE 65,182 (190); 69,188 (203); ähnlich schon BVerfGE 3,225 (242f.): „herkömmliche und stets bewältigte richterliche Aufgabe"; weitere Nachw. bei R. Wank, ZGR 1988, 314 (324f.). 47 In diese Richtung tendiert wohl Ch. Gusy, DÖV 1992, 461 (463). 48 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S.239ff., 346ff.; vgl. auch K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §35 II.

§ 4 Verfassung und

57

Normkonkretisierung

g u n g s k o m p e t e n z e n . D a s G r u n d g e s e t z k e n n t z w a r ein G e w a l t m o n o p o l , 4 9 nicht a b e r e i n R e c h t s e t z u n g s m o n o p o l : D i e R e c h t s e t z u n g ist w e d e r d e m S t a a t i n s g e samt n o c h dem Gesetzgeber ausschließlich zugewiesen.50 G e n a u s o wenig wird d i e V e r o r d n u n g s e r m ä c h t i g u n g in A r t . 8 0 G G h e u t e als a b s c h l i e ß e n d e I n t e r p r e tationsregel für die W a h r n e h m u n g v o n R e c h t s e t z u n g s a u f g a b e n D i e V e r f a s s u n g s w i r k l i c h k e i t h a t v i e l m e h r z u e i n e r Dekonzentration zentralisation

verstanden.51 und

De-

der R e c h t s e t z u n g 5 2 geführt, an der in arbeitsteiligem Z u s a m m e n -

w i r k e n 5 3 nicht n u r sämtliche Staatsgewalten54 beteiligt sind, s o n d e r n auch private N o r m g e b e r 5 5 u n d S e l b s t v e r w a l t u n g s k ö r p e r s c h a f t e n 3 6 . A u s der G e s e t z e s b i n d u n g der R e c h t s p r e c h u n g (Art. 2 0 A b s . 3, Art. 9 7 A b s . 1 G G ) 5 7 u n d d e r u n m i t t e l b a r e n d e m o k r a t i s c h e n L e g i t i m a t i o n des G e s e t z g e b e r s folgt aber der natürliche V o r r a n g des G e s e t z g e b e r s im B e r e i c h der R e c h t s e t -

Hierzu D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, 1975. Vgl. BVerfGE 96, 375 (394): keine „Monopolisierung" der Staatsfunktionen bei einem bestimmten Organ; weiter M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 60ff.; U. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 39ff.; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 107ff.; F. Ossenbühl, Hdb StR Bd. III, §61 Rdnrn. 30ff.; R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S.249; eingehend M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 311 ff. 51 Diese Frage wird heute - soweit ersichtlich - kaum mehr diskutiert; siehe aber noch F. Klein, in: Die Übertragung rechtssetzender Gewalt im Rechtsstaat, S. 13 (63ff.); vgl. auch M. Lieb, Die Rechtsnatur der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen als Problem des Geltungsbereichs autonomer Normensetzung, S. 69ff.; aus jüngerer Zeit aber]. Staupe, Delegationsbefugnis und Parlamentsvorbehalt, S. 142ff. 52 Zur Dezentralisation der Gesetzgebung bereits H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 256; vgl. auch F. Ossenhühl, Hdb StR Bd. III, §61 Rdnr. 32; zum „informellen" oder „materiellen" Gesetzgeber P. Noll, Gesetzgebungslehre, S.44ff. Mit Blick auf die Rechtsprechung schon C. Ott, in: FS für L. Raiser, S.403 (417): „Der Richter wird partiell zum dezentralen Gesetzgeber". 53 Vgl. nur BVerfGE 94,115 (133) im Zusammenhang mit dem Konzept der „normativen Vergewisserung" in Art. 16a Abs. 3 G G (hierzu noch unten Fn. 86); allg. zum Zusammenwirken der Staatsgewalten bei der Rechtsgewinnung M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 311 ff.; siehe auch A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 7f.: Rechtsetzung als „Ergebnis umfangreicher kooperativer Prozesse unter Einbeziehung einer Vielzahl von Beteiligten"; H.-P. Schneider, Richterrecht, Gesetzesrecht und Verfassungsrecht, S. 33: „Partnerschaft zwischen Parlament und Justiz". Zu dem in Art. 80 G G angelegten Modell „kooperativer Rechtsetzung" Th. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, S.44ff. - Zur Kooperation von E u G H und nationalen Gerichten im Vorabentscheidungsverfahren noch unten, § 14 III. 54 Zur exekutiven Rechtsetzung aus jüngerer Zeit A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000; H. Pünder, Exekutive Normsetzung, 1995. 55 Hierzu allgemein F. Kirchhof, Private Rechtsetzung; zu Einzelfragen privater Rechtsetzung M. Lieb, Die Rechtsnatur der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen als Problem des Geltungsbereichs autonomer Normensetzung; P. Marburger, Die Regeln der Technik im Recht; U. Meyer-Cording, Rechtsnormen, S. 83ff.; K. Vieweg, Normsetzung und -anwendung deutscher und internationaler Verbände, S. 147ff., 151 ff. 5 6 Vgl. nur/i Ossenhühl, Hdb StR Bd. III, §61 Rdnr. 34. 5 7 Hierzu etwa P. Kirchhof, N J W 1986, 2275 ff.; M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 129ff., 175ff.; H.H. Rupp, N J W 1973,1769ff.; H.-P. Schneider, D Ö V 1975,443ff., aus schweizerischer Perspektive G. Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S.278ff. 49

50

58

Grundlagen

und

Grundfragen

zung, d.h. seine Rechtsetzungsprärogative.58 Ausdruck dieser Prärogative des Gesetzgebers ist es, dass die Rechtsprechung - genauso wenig wie die Verwaltung - über originäre Rechtsetzungsbefugnisse verfügt, sondern diese immer nur aus der Hand des Gesetzgebers empfängt. E. Schmidt-Aßmann spricht insofern von der „Zuweisungsaufgabe" des Gesetzgebers. 59 Diese zentrale Erkenntnis der „ normativen Ermächtigungslehre " für die Anerkennung behördlicher Beurteilungsspielräume60 gilt gleichermaßen für die richterliche Rechtsetzung. Auch richterliche Rechtsetzung kann immer nur aus dem Gesetz abgeleitete und nachgeordnete Rechtsetzung sein.61 Mit der „normativen Ermächtigungslehre" ist das Gesetz - wieder - in den Mittelpunkt der Betrachtung richterlicher Rechtsetzung gerückt: „Ohne (positiv)rechtliche Ermächtigung keine Rechtsetzungsmacht".62 Das Gesetz erfüllt eine kompetenzverwirklichende und eine kompetenzzuweisende Aufgabe: In dem Grad seiner Bestimmtheit verkörpert es einerseits die Rechtsetzungsprärogative des Gesetzgebers (Kompetenzverwirklichung), andererseits die Rechtsetzungsiierogaizo« an die Rechtsprechung (Kompetenzzuweisung). Es gibt den „Rahmen"63 der judikativen Rechtsetzung vor: Je weiter dieser gezogen ist, umso mehr liegt darin eine Rechtsetzungsderogation an die Rechtsprechung; je enger er gezogen ist, umso stärker tritt die Rechtsetzungsprärogative des Gesetzgebers in den Vordergrund. Aus der Konkretisierungsbedürftigkeit des Gesetzes zieht die richterliche Rechtsetzung ihre Befugnis und innere Berechtigung, und dort sind auch ihre Grenzen zu suchen.64

58 Dies wird mit dem Begriff der „Rechtsetzungsprärogative" (so insbes. M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 60ff.; vgl. auch H. P. Schneider, DÖV 1975, 443 [452]: „Entscheidungsprärogative"; ähnlich R. Herzog, in: M/D/H/S, GG, Art. 20 Rdnr. 80 [Stand: 18. Lfg.]: „Recht des ersten Zugriffs") allerdings nur ungenau umschrieben, weil mit der „Prärogative" primär die Delegierbarkeit von Rechtsetzungsaufgaben betont wird, nicht die Angewiesenheit der Rechtsprechung auf ein gesetzliches Mandat. 59 E. Schmidt-Aßmann, in: M/D/H/S, GG, Art. 19 Abs. 4 [24. Lfg. 1985], Rdnr. 184. 60 Vgl. BVerfGE 61, 82 - Sasbach; E 88, 40 (56) - Privatgrundschule; im Übrigen zurückgehend auf E. Schmidt-Aßmann, in: M/D/H/S, GG, Art. 19 Abs.4 [24. Lfg. 1985] Rdnrn. 185ff.; zur Rezeption E. Packe, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, S. 69ff.; auf den Zusammenhang mit der Konkretisierungsproblematik hat bereits M. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung durch Gesetz, S. 152 aufmerksam gemacht. 61 Für die „legislative Ermächtigung" als generelle Grundlage für die Legitimität richterlicher Rechtsetzung nachdrücklich M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 342ff., 347f.: „Quelle subsidiärer Maßstabsetzung"; genauso schon H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 347ff. - Zum Subsidiaritätsgedanken auch E Ossenhühl, Hdb StR Bd. III, § 61 Rdnr. 41; ähnlich F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 501 ff., 508ff.: „subsidiäre Verbindlichkeit"; E. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 57: „Komplementärgesetzgebung". 62 M. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung durch Gesetz, S. 152. 63 So das treffende Bild von H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 348f. 64 Daraus folgt die prinzipielle Unzulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung contra legem; hierzu BVerfGE 65, 182 (191 ff.); 73,206 (254ff.); C.-W. Canans, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S.33; Ch. Gusy, DÖV 1992, 461 (464f.); Ch. Hillgruber, JZ 1996, 118 (119ff.);/. Ipsen,

§ 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

59

b) Judikative Rechtsetzung als Auftragswerk Die konsequente Übertragung der normativen Ermächtigungslehre auf die Problematik richterlicher Rechtsetzung führt allerdings - im Vergleich zur herkömmlichen Problembehandlung - zu einer Akzentverlagerung: Die Berechtigung zu richterlicher Rechtsetzung steht nicht dort außer Frage, wo der Richter zum „Nothelfer" 6 5 des Gesetzgebers wird, sondern wo er sein „Beauftragter" ist. Genauso hat richterliche Rechtsetzung nicht gerade dort ihre Berechtigung, wo sie Folge einer planwidrigen Lückenhaftigkeit oder Fehlerhaftigkeit des Gesetzes, also eines „Versagens" 66 oder einer „Funktionsschwäche" 6 7 des Gesetzgebers ist, sondern vielmehr umgekehrt dort, wo sie - wie in den weitaus meisten Fällen - auf einer vom Gesetzgeber vorhergesehenen, „beabsichtigten U n bestimmtheit" 68 und damit auf einer entsprechenden Aufgabendelegation beruht. Gerade die Schuldrechtsreform 69 enthält zahlreiche Beispiele dafür, dass auch der Gesetzgeber die Ausgestaltung des Gesetzes - abstrakter oder konkreter, bestimmter oder ausfüllungsbedürftiger - ganz selbstverständlich als Frage der Zuweisung von Rechtsetzungsfragen an die Rechtsprechung versteht. Beispielsweise soll der „Auffangtatbestand" des §323 Abs.2 Nr. 3 BGB n . F . - s o die Gesetzesbegründung - „den Gerichten entsprechende Bewertungsspielräume geben". 70 Ein weiteres Beispiel ist die Frage der Unzumutbarkeit der Leistung wegen einer Schutzpflichtverletzung (§§282, 324 BGB n.F.), die der Gesetzgeber ebenfalls ausdrücklich als „Wertungsfrage" der Rechtsprechung zugewiesen hat. 71 Genauso wird die bewusst offene und abstrakte Kodifikation der vorvertraglichen Haftung in §311 Abs.2 BGB n.F. als eine Regelung verstanden, die der „Ausdifferenzierung und Fortentwicklung durch die Rechtsprechung zugänglich ist" und in ihrer näheren Ausprägung „auch weiterhin der Rechtsprechung zugewiesen bleiben" soll.72 - Schon an diesen wenigen Beispielen lässt sich ablesen, dass der Privatrechtsgesetzgeber - ganz im Sinne seiner „Zuweisungsaufgabe" (E. Schmidt-Aßmann)73 - das Gesetz als Instrument sowohl Richterrecht und Verfassung, S.91 ff., 135f.; ]. Neuner, Die Rechtsfortbildung contra legem; B. Rüthers, Rechtstheorie, Rdnrn. 965ff:,K. Stern, StaatsR Bd.III/2, §95 II 4 b). 65 F. Ossenbühl, H d b S t R B d . I I I , §61 Rdnr.41;rfers.,RichterrechtimdemokratischenRechtsstaat, S. 18f. 66 F. Ossenbühl, H d b StR Bd.III, §61 Rdnr.41; siehe auch W. Leisner, Krise des Gesetzes, 2001. 67 U. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S.60ff. 68 Begriff von H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S.347. 69 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001 (BGBl. I S. 3138). 70 Begründung des RegE, BT-Drs. 14/6040, S. 186. 71 Begründung des RegE, BT-Drs. 14/6040, S. 142. 72 Begründung des RegE, BT-Drs. 14/6040, S.162f.; siehe auch BT-Drs. 14/6040, S.178 zu §314 S.l BGB n.F. 73 E. Schmidt-Aßmann, in: M / D / H / S , GG, Art. 19 Abs. 4 [24. Lfg. 1985] Rdnr. 184.

60

Grundlagen

und

Grundfragen

eigener Aufgabenwahrnehmung als auch bewusster Aufgabendelegation an die Rechtsprechung einsetzt. IV. Delegierbarkeit von Rechtsetzungsbefugnissen Verfügt die Rechtsprechung nicht über originäre Rechtsetzungskompetenzen, sondern ist sie auf eine entsprechende Delegation durch den Gesetzgeber angewiesen, ist in einem zweiten Schritt aus der Sicht des Gesetzgebers danach zu fragen, ob und in welchem Umfang eine solche Delegation von Rechtsetzungsaufgaben verfassungsrechtlich zulässig ist. Dies ist die Frage nach der Existenz verfassungsrechtlicher Gesetzgebungsvorbehalte für Bereiche, deren Regelung dem Gesetzgeber zwingend vorbehalten und aufgegeben ist. Anknüpfungspunkte für solche absoluten Delegationsverbote finden sich in funktioneller Hinsicht im Grundsatz der Gewaltenteilung (unten 1.) und in materieller Hinsicht in der Wesentlichkeitstheorie (unten 2.). Daneben existieren unter dem Oberbegriff des Bestimmtheitsgrundsatzes relative, d.h. rechtfertigungsfähige Gesetzgebungsvorbehalte (unten 3.).

1. Funktionsvorbehalt des Privatrechtsgesetzgebers Die Delegation primär legislatorischer Aufgaben an die Rechtsprechung rührt an die verfassungsrechtliche Gewaltenordnung (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG). Die verfassungsrechtliche Gewaltenordnung wird ganz allgemein als sedes materiae für die verfassungsrechtliche Ableitung von Umfang und Grenzen zulässigen Richterrechts gesehen.74 Bei eigeninitiativem Richterrecht geht es darum, inwieweit sich die Gerichte Aufgaben anmaßen, die über ihre verfassungsrechtliche Aufgabe der Rechtsprechung hinausgehen. Im Zusammenhang mit richterlicher Normkonkretisierung wird das Gewaltenteilungsargument aber mit umgekehrter Zielrichtung wirksam, nämlich im Hinblick auf die Befugnis des Gesetzgebers, der Rechtsprechung Rechtsetzungsaufgaben zuzuweisen. Es geht also um die Grenzen „aufgedrängter" Rechtsetzung und die Zulässigkeit einer „Flucht" des Gesetzgebers aus seiner politischen Verantwortung.75 Mit Blick auf das grundgesetzliche Erscheinungsbild der Gewaltenordnung und die in ihr enthaltenen Gewaltenverschränkungen76 wird Art. 20 Abs. 2 S.2 74 Siehe jeweils m.w.N. D. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, S. 151 ff.; Ch. Gusy, DÖV 1992,461 (462f.);/. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 128ff.; M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 85ff.; K. Stern, StaatsRBd. II, §37 II 2 e);Ä. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 89ff. 75 Siehe bereits die Nachweise in Fn. 23. 76 Vgl. M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 41 ff.

5 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

61

G G allerdings nicht als Postulat strikter Trennung der Gewalten 77 verstanden, sondern - so die bescheidenere Deutung durch das BVerfG 78 - als Gebot „gegenseitiger Kontrolle, Hemmung und Mäßigung der Gewalten". 79 Nur wo eine Gewalt in den „Kernbereich" einer anderen eingreift, ist die grundgesetzliche Gewaltenordnung berührt. 80 Erst der Kernbereich garantiert einen absoluten Funktionsvorbehalt: Aufgaben, die zum Kernbereich zählen, dürfen nicht von anderen Funktionen wahrgenommen werden.81 Da der Funktionsvorbehalt aus dem Gewaltengefüge insgesamt resultiert, hindert er auch eine Aufgabendelegation. Im Kernbereich besteht also ein absolutes Delegationsverbot.82 Die Bestimmung dessen, was im Einzelnen zum Kernbereich zählt, bereitet naturgemäß erhebliche Schwierigkeiten,83 umso mehr als die Gesamtproblematik des Richterrechts bislang weder in der Rechtsprechung des BVerfG noch im Schrifttum als ein Problem des Kernbereichs der Gesetzgebung in Erscheinung getreten ist.84 Gefährdungen des Kernbereichs wurden vielmehr nur zugunsten 77 So das gemeinhin auf Charles de Montesquieu (De l'Esprit des Lois, 1748; deutsche Ubertragung von E. Forsthoff [Hrsg.], Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 1951) zurückgeführte „Dogma" der Gewaltenteilung. Siehe hierzu aus der umfassenden Sekundärliteratur insbes. M. Imhoden, Montesquieu und die Lehre der Gewaltentrennung, 1959; D. Merten (Hrsg.), Gewaltentrennung im Rechtsstaat, 1989; U. Lange, Der Staat 19 (1980), 213ff.; M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S.29ff. Zur Justiztheorie im 19. Jahrhundert siehe R. Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat?, 1986. 78 So BVerfGE 34, 52 (59); 30, 1 (27f.); 22, 106 (111); siehe im Übrigen die Darstellung der Rspr. bei M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S.44ff. 79 Das Schrifttum ist dieser relativierten Deutung des Gewaltenteilungsgrundsatzes weit gehend gefolgt; siehe etwaP Badura, StaatsR, S.205f.; Ch. Degenhart, StaatsR Bd. I, Rdnrn. 243ff.; E. Schmidt-Aßmann, Hdb StR Bd. I, §24 Rdnrn. 48f.; K. Stern, StaatsR Bd. II, §36 II; R. Wank, Jura 1991, 622ff. 80 Zur „Kernbereichslehre" insbes. BVerfGE 95, 1 (15); 68, 1 (87); 49, 89 (124); 22, 106 (111); 9,268 (279f.); 3,225 (247); R. Herzog, in: M/D/H/S, G G , Art. 20 Rdnrn. 115ff.; E. Schmidt-Aßmann, Hdb StR Bd. I, §24 Rdnrn. 9,56ff.; K. Stern, StaatsR Bd. II, § 3 6 I V 5 m.w.N. Kritisch aber etwa N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 180ff.; G. Zimmer, Funktion - Kompetenz - Legitimation, S.23ff. Bedenken auch bei W. Leisner, D Ö V 1969, 405 (407ff.). 81 Zum absoluten Schutz des Kernbereichs K. Stern, StaatsR Bd. I, §20 IV 3; ders., StaatsR Bd. II, §36 IV 5. 82 Zu kurz daher J. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 132, der im Bereich gesetzeskonkretisierenden Richterrechts einen Ubergriff des Richters in den Kernbereich der Gesetzgebung schon deshalb nicht für möglich hält, weil er zur Normbildung ermächtigt sei. Zu beantworten bleibt aber die Frage, ob eine solche - auf einfachem Recht beruhende - Delegation überhaupt verfassungsmäßig wäre. So auch R. Herzog, in: M/D/H/S, G G , Art. 20 Rdnr. 115. 83 So K. Stern, StaatsR Bd. II, §36 IV 5; auch E. Schmidt-Aßmann, Hdb StR Bd. III §24 Rdnr. 56; kritisch daher K. Hesse, Grundzüge des VerfR, Rdnr. 478: „Wo dieser Kernbereich beginnt, bleibt eine offene Frage". 84 So H. W. Kruse, Das Richterrecht als Rechtsquelle innerstaatlichen Rechts, S. 14f.: Konkretisierendes Richterrecht „greift sicher nicht in den Kernbereich der Legislative ein. Die ihm offengelassenen Stücke der Gesetzgebung nehmen sich im Verhältnis zu den der Exekutive überlassenen Bereichen sogar ausgesprochen bescheiden aus." Vgl. auch /. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S.131f.; E. Schmidt-Aßmann, Hdb StR Bd.III, §24 Rdnrn. 56ff.; K. Stern, StaatsR Bd. II, §37 IV.

62

Grundlagen

und

Grundfragen

der Rechtsprechung ausgemacht 85 - in jüngerer Zeit vor allem mit dem Konzept der „normativen Vergewisserung" 86 - , während selbst gesetzeskorrigierendes Richterrecht 87 - die vom B G H judizierte Gewährung von Schmerzensgeld bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen entgegen §§253, 847 B G B a.F. (§253 Abs.l und 2 B G B n.F.) 88 - in der Soraya-Entscheidung des BVerfG 8 9 noch nicht einmal als Problem der Gewaltenteilung gesehen wurde. 90 Der Kernbereich dürfte aber dort in das Blickfeld geraten, wo Richterrecht zu einem von der Verfassung nicht vorgesehenem „Ubergewicht" der Rechtsprechung über die Gesetzgebung führen würde. 91 Justiziable Schranken ergeben sich hieraus allerdings erst, wenn die Rechtsprechung nach Art eines „kalten Staatsstreichs" 92 oder aufgrund einfachgesetzlicher Selbstentäußerung im Wege einer „Generaldelegation" 9 3 in weiten Bereichen Rechtsetzungsaufgaben wahrnehmen würde. 94 Von einer solchen „Generaldelegation" sind die zwar zahlreichen, im Einzelnen aber sachlich beschränkten 95 und also punktuell wirkenden Delegationsnormen des

85 In BVerfGE 22, 49 (77f.) erklärte das BVerfG das sog. Unterwerfungsverfahren nach §445 A O a.F. für unvereinbar mit dem Grundgesetz, weil es zum Kernbereich der rechtsprechenden Gewalt gehöre, Kriminalstrafen zu verhängen. Zu diesem Vorbehaltsbereich zugunsten der Rspr. weiter Gh. Degenhart, StaatsR I, Rdnrn. 247ff.; H.P. Schneider, D Ö V 1975, 443 (449): „Funktionsreservate der Rechtsprechung"; K. Stern, StaatsR Bd. II, §36 IV 6 c). Zu weit gehend D. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, S. 168 ff., der hieraus insgesamt eine „Vorzugstendenz" des Grundgesetzes für die rechtsprechende Gewalt im Sinne eines „richterstaatlichen Elements" ableiten will. 8 6 Gemeint ist die Tendenz, durch parlamentarischen Akt Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen vorwegzunehmen, wie etwa in Art. 16a Abs. 3 G G ; hierzu kritisch mit Blick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung G. Lübbe-Wolff, DVB1.1996, 825 (831); siehe aber BVerfGE 94, 115 (133) und E. Schmidt-Aßmann, DVB1.1997, 281 (286ff.). 8 7 Hierzu J. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 90ff. 88 Vgl. noch unten, Fn.491. 8 9 BVerfGE 34, 269ff. 90 J. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 131;Ä. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 83ff. m.w.N. zur Kritik an der Entscheidung. 91 Vgl. BVerfGE 9, 268 (279f.); 2 2 , 1 0 6 (111); 34, 52 (59); K. Stern, StaatsR Bd.II, §36 IV 5 a); im Einzelnen N. Achterberg, Funktionenlehre, S. 180ff.; für eine „Vorzugstendenz" des Grundgesetzes zugunsten der Rechtsprechung D. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, S. 168ff. 92 R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 91. 93 K. Stern, StaatsR Bd. II, §36 IV 6 a) erinnert insoweit an das historische Beispiel der Selbstentäußerung von legislativen Funtionen und der Konzentration aller Rechtsetzung bei der Exekutive nach Art des Ermächtigungsgesetzes vom 24.3.1933 (RGBl. I S. 141). 94 ]. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 132; R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S.91. 95 Die Delegation bezieht sich zumeist nur auf einzelne Normbestandteile, also Tatbestandsmerkmale oder den Umfang der Rechtsfolge. Auch einzelne Generalklauseln nach Art von §242 B G B , die sowohl in ihren Voraussetzungen als auch in ihren Rechtsfolgen unbestimmt sind, bedeuten noch keine im Hinblick auf den Kernbereich problematische „Generaldelegation".

5 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

63

Privatrechts 96 gleichwohl weit entfernt. Der absolute Funktionsvorbehalt der Gesetzgebung ist damit nicht berührt. 97

2. Wesentlichkeitsvorbehalt des Privatrechtsgesetzgebers Nicht in demselben Umfang wie der gerade betrachtete Grundsatz der Gewaltenteilung wurde bislang die Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes als Prüfstein für die verfassungsrechtlichen Grenzen der Normkonkretisierung wahrgenommen.98 Dies mag daran liegen, dass der Vorbehalt des Gesetzes zusammen mit dem Vorrang des Gesetzes auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurückgeführt wird 99 und damit traditionell auf das Verhältnis von Gesetzgebung und Verwaltung zugeschnitten ist. 100 Durch die Wesentlichkeits-Rechtsprechung des BVerfG 101 hat der Vorbehalt des Gesetzes aber einen weitergehenden Inhalt bekommen, der auch für das hier interessierende Verhältnis von Gesetzgebung und Rechtsprechung fruchtbar gemacht werden kann. 102

Siehe bereits den Überblick oben, §3 II. Zu relativen Vorbehalten aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz sogleich unten, §5 IV. 3. 98 Die einschlägigen monographischen Abhandlungen von J. Ipsen, Richterrecht und Verfassung oder R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, gehen hierauf so gut wie nicht ein. Eine Ausnahme macht R. Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 314ff. in seiner am schweizerischen Recht orientierten Untersuchung; bloße Erwähnung findet der Gesetzesvorbehalt bei M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S.348. Nur mit Blick auf die „normsetzende Gewalt nichtstaatlicher Organisationen" P. Krause, J Z 1984,656 (659f.); erwähnt aber bei V. Götz, in: W. Heyde/Ch. Starck (Hrsg.), 40 Jahre Grundrechte in ihrer Verwirklichung durch die Gerichte, S.35 (60); nachdrücklich nun C.D. Classen, J Z 2003, 693 (694ff., 701). 9 9 Zu den grundgesetzlichen Wurzeln von Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes etwa K. Hesse, Grundzüge des VerfR, Rdnr. 201; F. Ossenbühl, Hdb StR Bd. III, § 62 Rdnrn. 13f.;/. Pietzker, JuS 1979, 710 (712ff.); zu den ideengeschichtlichen Wurzeln J. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S.42ff. 1 0 0 In diesem Sinne etwa F. Ossenbühl, Hdb StR Bd. III, § 62 Rdnr. 7: Der Gesetzesvorbehalt dient der „Abgrenzung der Wirkungsbereiche von Gesetzgebung und Verwaltung, von Parlament und Exekutive." S. auch R. Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S.326f. sowie die Darstellungen bei A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 166ff.; E. Schmidt-Aßmann, Hdb StR Bd.I, §24 Rdnrn. 61ff. 101 S. aus jüngerer Zeit BVerfGE 101,1 (34); 98,218 (251); im Übrigen BVerfGE 33,1 (10); 33, 125(157); 34,165 (192); 47,56 (78); 49,89 (126f.); 64,261 (268); 77,170 (231); 80,124 (132); weitere Nachweise bei M. Kloepfer, in: H. Hill (Hrsg.), Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, S. 187 (189 Fn. 9). Aus der umfangreichen Literatur zur Wesentlichkeitstheorie siehe etwa H. H. v. Arnim, DVB1.1987, 1241 ff.; E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S.375ff.; A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 183 ff.; Ch. Degenhart, StaatsR Bd. I, Rdnrn. 334ff.; M. Kloepfer, J Z 1984, 685 (689ff.); F. Ossenbühl, Hdb StR Bd.III, §62 Rdnrn. 41ff.; /. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 102ff.; K Stern, StaatsR Bd. I, § 2 0 I V 4 b); D. Umbach, in: FS für H.J. Faller, S. 111 ff. jeweils m.w.N. 102 H.H. v. Arnim, DVB1.1987,1241 (1248); A. Bleckmann, DVB1.1988, 938 (943); M. Kloepfer, N J W 1985, 2497 (2499ff.); R. Wank, Z G R 1988, 314 (351). 96 97

64

Grundlagen

a) Wesentlichkeitstbeone

des

und

Grundfragen

BVerfG

D i e ebenso einprägsame wie unprägnante103 Kernaussage der Wesentlichkeitstheorie lautet: W e s e n t l i c h e E n t s c h e i d u n g e n sind d e m parlamentarischen

Ge-

setzgeber vorbehalten.104 Entscheidendes N o v u m der Wesentlichkeitstheorie ist d i e W e i t e r e n t w i c k l u n g des G e s e t z e s v o r b e h a l t s z u m

Parlamentsvorbehalt.105

Wesentliche E n t s c h e i d u n g e n sind v o m parlamentarischen G e s e t z g e b e r selbst, d . h . d u r c h G e s e t z i m f o r m e l l e n S i n n e z u t r e f f e n . A u c h die W e s e n t l i c h k e i t s t h e o r i e e n t h ä l t d a m i t e i n a b s o l u t e s Delegationsverbot:106

Wesentliche Entscheidun-

gen dürfen w e d e r ausdrücklich - also i m W e g e der V e r o r d n u n g s e r m ä c h t i g u n g g e m ä ß A r t . 80 G G - n o c h „ v e r d e c k t " 1 0 7 an andere N o r m g e b e r delegiert w e r d e n . 1 0 8 A h n l i c h d e m aus d e r G e w a l t e n o r d n u n g r e s u l t i e r e n d e n F u n k t i o n s v o r b e h a l t l i e ß e s i c h i n s o w e i t v o n e i n e m Wesentlichkeitsvorbehalt

des G e s e t z g e b e r s

sprechen. W e l c h e B e d e u t u n g hat der Wesentlichkeitsvorbehalt n u n für den

Privat-

r e c h t s g e s e t z g e b e r u n d seine Befugnis, privatrechtliche R e c h t s e t z u n g s a u f g a b e n i m W e g e k o n k r e t i s i e r u n g s b e d ü r f t i g e r U n b e s t i m m t h e i t an d i e Z i v i l g e r i c h t e z u d e l e g i e r e n ? D i e s r ü h r t an d i e e i g e n t l i c h e K r u x d e r W e s e n t l i c h k e i t s t h e o r i e : die B e s t i m m u n g der nicht delegierbaren „wesentlichen" Entscheidungen.109 H i e r z u f i n d e n s i c h in d e r R e c h t s p r e c h u n g z w e i B e g r ü n d u n g s a n s ä t z e :

Entweder

103 So M. Kloepfer, in: H. Hill (Hrsg.), Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, S. 187 (190); genauso R. Biaggini, Richterrecht und Verfassung, S. 321; F. Ossenbühl, Hdb StR Bd. III, § 62 Rdnr. 42. Zur „Konturenlosigkeit" dieser Formel etwa Th. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, S. 81; K. Hesse, Grundzüge des VerfR, Rdnr. 509; G. Kisker, DVB1.1982, 886 (888); M. Kloepfer, J Z 1984, 685 (692). 104 Aus jüngerer Zeit etwa BVerfG, N J W 2003, 3111 (3116) - Kopftuch; BVerfGE 101,1 (34); 98,218 (251 f.) - Rechtschreibreform; VerfGH NRW, N J W 1999,1243 (1244) - Zusammenlegung des Justizministeriums mit dem Innenministerium. Vgl. im Übrigen BVerfGE 83, 130 (142); 58, 257 (258); 47, 46 (78); 40, 237 (248f.). 105 S. nur M. Kloepfer, in: H. Hill (Hrsg.), Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, S. 187 (190ff.). 106 So R. Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S.320; M. Kloepfer, in: H. Hill (Hrsg.), Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, S.187 (192); F. Ossenbühl, Hdb StR Bd.III, §62 Rdnr.41; eingehend J. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 133ff. 107 Mit der „verdeckten" Delegation sprichtJ. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S.139ff. genau das hier interessierende Problem gesetzlicher Konkretisierungsaufträge an. 108 Die Wesentlichkeitstheorie formuliert damit zugleich Anforderungen an die Bestimmtheit des Gesetzes; zu diesem Zusammenhang etwa A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S.190ff.; M. Kloepfer, in: H. Hill (Hrsg.), Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, S. 187 (193); Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S.400; F. Ossenbühl, Hdb StR Bd. III, §62 Rdnrn. 42f.; H.-J. Papier/]. Möller, AöR 122 (1997), 177 (180);/. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 139ff. 109 Kritisch zur fehlenden Klarheit und Berechenbarkeit des Wesentlichkeitskriteriums etwa Ch. Gusy,]h 2002,610 (614f.); M. Kloepfer, in: H. Hill, Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, S. 187 (195) m.w.N. sowie die Nachweise in Fn. 103.

§ 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

65

w i r d die W e s e n t l i c h k e i t einer E n t s c h e i d u n g mit ihrer allgemeinen politischen Bedeutung110 oder aber mit ihrer Grundrechtsrelevanz111 begründet.112 Allerd i n g s m u s s t e das B V e r f G z u r „ W e s e n t l i c h k e i t " d e s P r i v a t r e c h t s n o c h n i c h t S t e l l u n g n e h m e n . 1 1 3 G l e i c h w o h l w i r d m a n das P r i v a t r e c h t d e s h a l b n i c h t i n s g e s a m t als e i n e n „ u n w e s e n t l i c h e n " R e g e l u n g s b e r e i c h a n z u s e h e n h a b e n . N ä h e r liegt d i e A n n a h m e , dass i m B e r e i c h des P r i v a t r e c h t s die w e s e n t l i c h e n F r a g e n a u c h tatsächlich durch den Privatrechtsgesetzgeber geregelt wurden.114 A u ß e r h a l b der v o r e n t s c h i e d e n e n S a c h b e r e i c h e geraten Ü b e r l e g u n g e n zur R e i c h w e i t e des W e sentlichkeitsvorbehalts z w a r leicht in die N ä h e der S p e k u l a t i o n . 1 1 5 F ü r die B e s t i m m u n g des p r i v a t r e c h t l i c h e n V o r b e h a l t s b e r e i c h s lassen sich a b e r s o w o h l das p o l i t i s c h e als a u c h das g r u n d r e c h t l i c h e A r g u m e n t f r u c h t b a r m a c h e n ;

häufig

überschneiden sich beide.

110 Aus jüngerer Zeit BVerfGE 98, 218 (251) - Rechtschreibreform; VerfGH NW, 1999,1243 (1244) - Zusammenlegung des Justizministeriums mit dem Innenministerium in NRW: „für das Gemeinwesen grundlegende Entscheidungen". Ähnlich BVerwGE 64, 308 (315); 68, 69 (72): „politische Leitentscheidungen". Näher zum „politischen Parlamentsvorbehalt"/. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 126ff. 111 So formuliert das BVerfG in st. Rspr., der Gesetzgeber müsse „in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen"; siehe nur BVerfGE 101, 1 (34); 98, 218 (251); 88, 103 (116); 49, 89 (126) jeweils m.w.N. Ähnlich BVerfG, N J W 2003, 3111 (3116) - Kopftuch: Der Gesetzgeber sei verpflichtet, die „für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen." 112 Eingehend J. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 112ff.; siehe auch die „Relevanztrias" von D. Umbacb, in: FS für H.J. Faller, S. 111 (127ff.); weitergehend der Katalog von „Wichtigkeitskriterien" bei G. Biaggini, Richterrecht und Verfassung, S. 322 ff. aus schweizerischer Perspektive. 1 , 3 Schwerpunkte der verfassungsgerichtlichen Befassung bilden das Schul- und Ausbildungsrecht (hierzu BVerfGE 33, 303ff. - numerus clausus; BVerfGE 41, 251 ff. - Speyer Kolleg; BVerfGE 45,400ff. - hessische Oberstufe; BVerfGE 47, 56ff. -Sexualkunde; BVerfGE 58, 261 ff. - Schulentlassung; BVerfGE 98, 218ff. - Rechtschreibreform; weiter zum Gesetzesvorbehalt im Schulrecht H.-XJ. Evers, JuS 1977, 804ff.; H. Heußner, in: FS für E. Stein, S. 111 ff.; B. Löhning, Der Vorbehalt des Gesetzes im Schulverhältnis, 1974; N. Niehues, DVB1.1980,465 ff.; zur Rechtschreibreform W. Kopke, Verfassungsrecht und Rechtschreibreform, S.148ff.), sonstige besondere Gewaltverhältnisse (BVerfGE 33, lff. - Strafvollzug; BVerfGE 64,261 ff. - Hafturlaub) sowie die Zulassung neuer Technologien (hierzu BVerfGE 49, 89 ff. - Kalkar; bestätigt in BVerfGE 53,30ff. - Mülheim Kärlich; siehe auch Hess. V G H , N J W 1990,336 - gentechnische Versuchsanlage sowie E. Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, S. 153ff.). 114 Bzw. präziser formuliert: dass die Frage einer unzulässigen Delegation wesentlicher Regelungsfragen auf die Gerichte bislang nicht auf dem gerichtlichen Prüfstand stand. Siehe aber für den Bereich der Arbeitsgesetzgebung M. Kloepfer, N J W 1985, 2497ff. 115 S. nur/i Ossenbühl, Hdb StR Bd. III, §62 Rdnr.45: „Vieles wird nach wie vor der Dezision anheimfallen." Noch pointierter M. Kloepfer, J Z 1984, 685 (692): „Wesentlich ist, was das BVerfG dafür hält."

66

Grundlagen

b) Politische Leitentscheidungen

und

Grundfragen

im Privatrecht

D e m p a r l a m e n t a r i s c h e n P r i v a t r e c h t s g e s e t z g e b e r aus G r ü n d e n p o l i t i s c h e r L e i t e n t s c h e i d u n g a u f g e t r a g e n s i n d i n s b e s o n d e r e d i e G r u n d s a t z f r a g e n 1 1 6 des P e r s o n e n - u n d Familienrechts. E h e , Kindschaft, A d o p t i o n u n d B e t r e u u n g müssen in ihren „wesentlichen normativen Grundlagen"117 durch förmliches Gesetz entschieden werden. Einer politischen, d.h. parlamentarischen

Leitentscheidung

b e d a r f es v o r a l l e m f ü r g e s e l l s c h a f t l i c h k o n t r o v e r s d i s k u t i e r t e F r a g e n , 1 1 8 w i e d i e i n s t i t u t i o n e l l e A n e r k e n n u n g g l e i c h g e s c h l e c h t l i c h e r L e b e n s g e m e i n s c h a f t e n , die familienrechtlichen Folgen von künstlicher Befruchtung und Leihmutterschaft s o w i e F r a g e n der Sterbehilfe119. A u c h für die G e f ä h r d u n g s h a f t u n g w e r d e n mit R e c h t spezielle gesetzliche R e g e l u n g e n vorausgesetzt.120 M i t R e c h t kritisch beurteilt w i r d hingegen, dass n a c h wie v o r in zentralen B e r e i c h e n des A r b e i t s r e c h t s , i n s b e s o n d e r e des A r b e i t s k a m p f r e c h t s , o h n e g e s e t z l i c h e G r u n d l a g e j u d i ziert wird.121

c) Grundrechtsrelevanz

des Privatrechts

H ä u f i g w e i s t d a s g r u n d r e c h t l i c h e A r g u m e n t in d i e s e l b e R i c h t u n g , a l s o „ w e s e n t l i c h " i m S i n n e v o n „ w e s e n t l i c h f ü r die V e r w i r k l i c h u n g d e r G r u n d r e c h t e . " 1 2 2 M i t 116 R. Wank, Z G R 1988, 314 (371 ff.); ähnlich H.P. Schneider, Richterrecht, Gesetzesrecht, Verfassungsrecht, S.32: Gesetzesvorbehalt für Fragen von „grundsätzlicher Bedeutung". 1 . 7 So die von BVerfGE 49, 89 (127) verlangte Regelungsdichte; siehe auch Ch. Degenhart, StaatsR Bd.I, Rdnr.341: „normativ wesentliche Fragen"; R. Wank, Z G R 1988,314 (371 f.): keine Befugnis zu „grundlegender Umgestaltung des geltenden Rechts". Zum Kriterium der Grundrechtsrelevanz sogleich im Text unter c). 1 . 8 BVerfGE 57,220 (248); dazu R. Wank, Z G R 1988,314 (333); siehe auch G. Biaggini, Richterrecht und Verfassung, S.331; Ch. Degenhart, StaatsR Bd.I, Rdnr.337; ders., D Ö V 1981, 477 (479f.); G. Kisker, N J W 1977, 1313 (1318): „Das Wesentliche ist das politisch Kontroverse"; nachdrücklich A. Meier-Hayoz, JZ 1981,417 (421). Einschränkend BVerfGE 98,218 (251): „Die Tatsache, dass eine Frage politisch umstritten ist, führt für sich genommen nicht dazu, dass diese als wesentlich verstanden werden müsste"; genauso BVerfG, N J W 2003,3111 ( 3 1 1 6 ) - Kopftuch. Richtiger dürfte die umgekehrte Einschränkung sein, da Wesentlichkeit nicht nur bei politischer Umstrittenheit anzunehmen ist; so mit Recht D. Umhach, in: FS für H.J. Faller, S. 111 (126f.). 119 Kritisch insoweit zum „Sterbehilfe-Beschluss" des B G H vom 17.3.2003, N J W 2003,1588 mit Blick auf die verfassungsrechtlichen Grenzen von Richterrecht etwa F. Hufen, Z R P 2003, 248f. 1 2 0 Zum Enumerationsprinzip der Gefährdungshaftung B G H Z 43, 332 (336f.); 55, 229 (234); K. Larenz/C.-W. Canaris, SchuldR II/2, § 84 I 1. b); siehe aber de lege ferenda für eine Generalklausel E. v. Caemmerer, Reform der Gefährdungshaftung, 1971, S.19ff.; H. Kotz, AcP 170 (1970), 1 (41); ders., Gefährdungshaftung, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. II, 1981, S. 1779 (1789ff.). 121 Statt vieler B. Rüthers, J Z 2002, 365: „totale Regelungsscheu des Gesetzgebers" gegenüber „besonders brisanten Materien"; ähnliches konstatiert R. Wank, Z G R 1988, 314 (339ff.) für das Gesellschaftsrecht. C.D. Classen,JZ 2003,693 (701) sieht in dieser Nichtregelung einen „ständigen Verfassungsverstoß". 122 Aus jüngerer Zeit BVerfG, N J W 2003, 3111 (3116) - Kopftuch; BVerfGE 101, 1 (34); 98,

§ 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

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dieser Formel hat das BVerfG den Parlamentsvorbehalt vom historischen Eingriffsdenken - „Eingriff in Freiheit und Eigentum" 1 2 3 - gelöst 124 und zunächst auf Leistungsbeziehungen erstreckt. 125 Damit ist zugleich der Weg geebnet, Grundrechtswesentlichkeit auch im Privatrecht auszumachen. „Wesentlich" für die Verwirklichung der Grundrechte sind privatrechtliche Regelungen vor allem dort, wo die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheit auf einfachrechtliche Ausgestaltung 126 angewiesen ist, also im Bereich der Einrichtungsgarantien. 127 Einrichtungsgarantien lassen gesetzliche Regelungen nicht nur zu, sondern setzen sie voraus: 128 Aus der objektivrechtlichen Wertentscheidung des Grundrechts „folgt die Aufgabe des Gesetzgebers zu konkretisierenden Regelungen." 129 Die Formulierung der normativen Grundlagen zur „Gewährleistung" von Eigentum und Erbrecht, Ehe und elterlicher Sorge sowie der Privatautonomie 130 sind also schon aus Gründen des Gesetzesvorbehalts dem Privatrechtsgesetzgeber zugewiesen. Grundrechtsausgestaltung und Gesetzesvorbehalt zielen in dieselbe Richtung. 131 Einen weiteren Ansatzpunkt für die Begründung eines auf Grundrechtswesentlichkeit gestützten Vorbehaltsbereichs des Privatrechtsgesetzgebers liefern die grundrechtlichen Schutzpflichten,132 über deren Vermittlung die Grund218 ( 2 5 1 ) - Rechtschreibreform; siehe im Übrigen BVerfGE 34,165 (192); 40,237 (248f.); 41,251 (260f.); 4 7 , 4 6 (79); 83,130 (140). Kritisch F. Ossenbühl, Hdb StR Bd. III, § 62 Rdnr. 45: „tautologisch"; genauso M. Kloepfer, in: H. Hill (Hrsg.), Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, S. 187 (195): „unzulässiger Zirkelschluss". Zum „grundrechtlichen Vorbehalt des Gesetzes" M. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, S. 63 ff. 123 Zum Ursprung der Freiheits- und Eigentumsformel W. Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, S. 17ff. 124 So ausdrücklich BVerfGE 40,237 (239); 47,46 (78). Zu dieser rechtsstaatlichen Fundierung des Gesetzesvorbehalts F. Ossenbühl, Hdb StR Bd. III, §62 Rdnrn. 33ff.; eingehend J. Staupe, Parlaments vorbehält und Delegationsbefugnis, S. 114ff. 125 Klassischer Problembereich des Gesetzesvorbehalts ist das Subventionsrecht; hierzu H. Bauer, D Ö V 1983, 53ff. 126 Zu Grundrechtsausgestaltung im Unterschied zur Grundrechtsbegrenzung insbes. M. Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewände, 2000, passim; P. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs.2 Grundgesetz, S. 141, 180f. 127 Zum Begriff der Einrichtungs- oder Institutsgarantien C. Schmitt, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, in: Verfassungsrechtliche Aufsätze, 1958, S. 140ff.; P. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs.2 Grundgesetz, S.92ff.; K. Stern, StaatsR Bd.III/1, §68. Zu ihrer Wirkung im Privatrecht M. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S.75ff. 128 So für die Eheschließungsfreiheit BVerfGE 31, 58 (70); näher zur Angewiesenheit auf gesetzliche Ausgestaltung H. D. Jarass, A ö R 110 (1985), 363 (390ff.). 129 H.D. Jarass, AöR 110 (1985), 363 (390); siehe auch dens., A ö R 120 (1995), 345 (367ff.). 1 3 0 So die herkömmlichen, durch das Privatrecht gewährleisteten und zu gewährleistenden Einrichtungsgarantien; siehe nur P. Krause, J Z 1984,711 ff. u n d K Stern, StaatsR Bd. I I I / l , §68 IV 7-10. 131 Vgl. H.D. Jarass, A ö R 120 (1995), 345 (368): „ähnliche Wirkung". 132 Hierzu insbes. E.-W. Böckenförde, Der Staat Bd. 29 (1990), 1 (12ff.);/. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 1992; G. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von

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Grundlagen

und

Grundfragen

rechte auch im Privatrecht wirken. 1 3 3 Dass die Grundrechte im Verhältnis z w i schen Privatpersonen auf eine vermittelnde gesetzliche Regelung angewiesen sind, gehörte schon zu den Grundannahmen der Lehre v o n der „mittelbaren" Drittwirkung. 1 3 4 Genauso w i r d der Gesetzesvorbehalt nun durch den grundrechtlichen Schutzauftrag ausgelöst: D e r Schutzauftrag ist auf Umsetzung und Ausgestaltung durch einfachgesetzliche N o r m e n angewiesen. 1 3 5 H i e r v o n geht nun auch das B V e r f G aus. 136 Für das Privatrecht folgt aus dem grundrechtlichen Schutzauftrag insbesondere die Verpflichtung des Gesetzgebers, A b w e h r - und Ausgleichsinstrumentarien bei tatsächlichen Eingriffen Privater in grundrechtliche Schutzgüter bereitzustellen. D e r deliktsrechtliche Normenbestand (insbes. § § 8 2 3 f f . , 1 0 0 4 B G B ) ist A u s d r u c k dieses Gesetzesvorbehalts. 1 3 7 Damit ist allerdings zugleich vorgegeben, dass deliktischer Schutz prinzipiell nicht über die geschriebenen Instrumentarien hinaus gewährt w e r d e n darf. 1 3 8 Privatrechtsrelevante SchutzpflichLeben und Gesundheit, 1987; Gh. Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, 1991; M. Holoubek, Grundrechtliche Gewährleistungspflichten, 1997;/. Isensee, Hdb StR Bd. V, § 111; H.H. Klein, DVB1.1994, 489ff.; /. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S.211ff.; K. Stern, StaatsR Bd. III/1, §69IV. Für eine „Rückbesinnung" wirbt nun/! Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2002, S. 404ff. - Kritisch zu einer Anwendung der Wesentlichkeitstheorie im Bereich der Schutzpflichten P. Preu,]2 1991, 265 (268 f.), allerdings ausschließlich vor dem Hintergrund der Entscheidung des Hess. VGH (oben Fn.113). 133 Die Schutzpflichtenlehre hat der tradierten Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte die dogmatische Begründung nachgeliefert; grundlegend C.-W. Canaris, AcP 184 (1984), 201 (225ff.); ders., Grundrechte und Privatrecht, S.37ff.; siehe seitdem etwa/. Hager, JZ 1994, 373 (378ff.); Gh. Hillgruber, AcP 191 (1991), 69 (73ff.); M. Holoubek, Grundrechtliche Gewährleistungspflichten, S. 243ff., 270ff.;/. Isensee, in: FS für B. Großfeld, S. 485 (497ff.); H. D. Jarass, AöR 120 (1995), 345 (352f.): Ausstrahlungswirkung als „Unterfall" der Schutzfunktion; T. Langner, Die Problematik der Geltung der Grundrechte zwischen Privaten, 1998; M. Oldiges, in: FS für K.H. Friauf, S.281 (299ff.);/. Pietzker, in: FS für G. Dürig, S.345 (356ff.); K. Stern, StaatsR Bd. III/l, §76 IV 5 und nun eingehend M. R u f f e r t , Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 141ff., 201ff., 252f. 134 Zur Kontroverse um „unmittelbare" und „mittelbare" Grundrechtswirkung siehe statt vieler die Darstellungen bei C.-W. Canaris, AcP 194 (1984), 201 (203ff.); /. Hager, JZ 1994, 373ff.; K. Stern, StaatsR Bd.III/1, §76; ders., in: FS für H. Wiedemann, S. 133ff. 135 Hierzu insbes./. Isensee, in: FS für B. Großfeld, S.485 (497f., 500ff.); ders., Hdb StR Bd. V, §111 Rdnrn. 151 ff.; siehe auch C.-W. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S.44, 83ff.; C.D. Classen, AöR 122 (1997), 56 (82ff.); G. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 213; Gh. Hillgruber, AcP 191 (1991), 69 (76f.); ders.,]Z 1996, 118 (123f.); H.D. Jarass, AöR 119 (1985), 363 (377ff.); S. Oeter, AöR 119 (1994), 529 (549f.); M. R u f f e r t , Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 201 ff., 232f.; K. Stern, StaatsR Bd. III/l, § 69 IV 6. c); R. Wahl/J. Masmg,]Z 1990, 553 (559ff.). 136 Vgl. BVerfGE 89, 214 (231ff.) - Bürgschaft; BVerfGE 84, 212 (226f.) - Aussperrung; BVerfGE 81, 242 (255) - Handelsvertreter; weitere Nachw. bei P. Szczekalla, Die sogenannten Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 150ff. 137 C.-W. Canaris, AcP 184 (1984), 201 (229ff.); ders., Grundrechte und Privatrecht, S.90; /. Hager, JZ 1994, 373 (379). 138 Die Gewährung von Schmerzensgeld bei Persönlichkeitsverletzungen verstößt sowohl ge-

5 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

69

ten bestehen auch im Bereich des rechtsgeschäftlichen Handelns: Hier verlangt die Privatautonomie Vorkehrungen z u m Ausgleich gestörter Vertragsparität. 1 3 9 Solche materiellen Vorkehrungen zum Schutz v o n Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit sind gerade in den letzten Jahrzehnten vermehrt in das B G B aufgenommen w o r d e n , 1 4 0 etwa mit dem neu geschaffenen Reisevertragsrecht, den Verbraucherschutzgesetzen und der Mietrechtsnovelle. 1 4 1 In Reaktion auf die Bürgschaftsentscheidung des B V e r f G 1 4 2 ist allerdings zu Recht die Frage aufgeworfen w o r d e n , ob auch die Generalklauseln der §§ 138, 242 B G B dem Parlamentsvorbehalt genügen. 1 4 3 Tatsächlich k o m m t man nicht umhin, die Aussage der Wesentlichkeitstheorie deutlich zu relativieren, da die v o n ihr verlangte Regel ungsc/zc^ie abhängig ist v o n der Grundrechtsrelevanz. 1 4 4 Für das Privatrecht ist also generell zu berücksichtigen, dass die Schutzgebote der Grundrechte schwächer w i r k e n als ihre abwehrrechtliche Dimension. 1 4 5 Insoweit aktiviert die Schutzfunktion insgesamt nur einen abgeschwächten Parlamentsvorbehalt mit geringeren Bestimmtheitsanforderungen als bei unmittelbar-hoheitlichen Eingriffen in die Grundrechtssphäre. 1 4 6

gen die Bindung der Rechtsprechung an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) als auch gegen den Vorbehalt des Gesetzes. Hierzu noch unten Fn.491 sowie C.-W. Canaris, AcP 184 (1984), 201 (231 f.); D. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, S.228ff.; kritisch auch Ch. Hillgruber, JZ 1996,118 (123). Zum Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Verwirklichung der Schutzpflichten BVerfGE 56,54 (80f.); 77,170 (214f., 229); F. Dirnberger, DVB1.1992,879ff.; G. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S.200ff., 261 ff.;/. Isensee, Hdb StR Bd. V, § 111 Rdnrn. 162ff.; H.H. Klein, DVB1.1994, 489 (494f.). 139 Grundlegend BVerfGE 89, 214 (232ff.) - Bürgschaft; siehe auch schon BVerfGE 81, 242 (254ff.) - Handelsvertreter und nun BVerfG, NJW 2001, 957ff. m. Anm. A. Röthel, NJW 2001, 1334f. - Eheverträge. 140 Zur „Materialisierung" des Schuldvertragsrechts C.-W. Canaris, AcP 200 (2000), 273ff.; zur Entwicklung des Privatrechts im Sozialstaat K. Kroeschell, Rechtsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, S.208ff. 141 Hierzu bereits oben bei Fn. 128. 142 BVerfGE 89, 214ff. 143 Kritisch]. Isensee, in: FS für B. Großfeld, S.485 (500ff.) gegen C.-W. Canaris, AcP 184 (1984), 201 (232ff.);]. Hager, JZ 1994, 373 (379f.); genauso M. R u f f e r t , Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 232 f. 144 Prägnant D. C. Umbach, in: FS für H.J. Faller, S. 111 (127ff.); siehe auch M. Kloepfer, JZ 1984, 685 (691). 145 Vgl. C.-W. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S.43ff.; H.D. Jarass, AöR 120 (1995), 345 (352f.); M. R u f f e r t , Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 132, 229; gegen eine solche „Asymmetrie in der Intensität der Grundrechtswirkung" /. Hager, JZ 1994, 373 (381 ff.). 146 Im Zusammenhang mit dem Arbeitskampfrecht hat das BVerfG allerdings ausgesprochen, im „Verhältnis gleichgeordneter Grundrechtsträger" müsse die Ausgestaltung nicht notwendig durch gesetzliche Regelungen erfolgen; BVerfGE 88, 103 (115); 84, 212 (226f.). Hieraus ist zum Teil gefolgert worden, dass der Gesetzesvorbehalt im Privatrechtsbereich ganz generell nicht zum Tragen komme; siehe H.D. Jarass, in: H.D. Jarass/B. Pieroth, GG, Art. 20 Rdnr.47; genauso B. Pieroth/B. Schlink, StaatsR Bd.II, Rdnr.267; C. Classen, AöR 122 (1997), 65 (85); hiergegen aber treffend Ch. Hillgruber, JZ 1996, 118 (123). Die angesprochenen Urteile dürften sachlich

70

Grundlagen

und

Grundfragen

3. Relative Gesetzgebungsvorbehalte Unterhalb dieser absolut geschützten Vorbehaltsbereiche der Gesetzgebung, die jede Delegation von Rechtsetzungsaufgaben auf die Rechtsprechung und damit jede unbestimmte Gesetzesfassung hindern, besteht ein weiter Bereich relativer Gesetzgebungsvorbehalte: In diesem Bereich ist die Delegation von Rechtsetzungsaufgaben durch unbestimmte, konkretisierungsbedürftige Gesetzesbegriffe grundsätzlich möglich, aber rechtfertigungspflichtig. a)

Bestimmtheitsgebot

Inbegriff relativer Gesetzgebungsvorbehalte ist das Gebot hinreichender Bestimmtheit.147 Das Bestimmtheitsgebot wird aus verschiedenen verfassungsrechtlichen Quellen gespeist: Seine Wurzeln liegen einmal im Grundsatz der Gewaltenteilung und dem Parlamentsvorbehalt, daneben wird es als Ausprägung des Demokratiegebotes, der Rechtssicherheit sowie ganz allgemein als Element des Grundrechtsschutzes gesehen.148 Anders als die zuvor erörterten absoluten Gesetzgebungsvorbehalte in Gestalt des Kernbereichs und des Wesentlichkeitsvorbehalts wirkt das Bestimmtheitsgebot aber nur als Prinzips, d.h. es verlangt nicht absolute Bestimmtheit, sondern im Sinne eines Optimierungsgebotes nur größtmögliche Bestimmtheit.150 Ausdruck dieses Prinzipiencharakters sind die in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannten Relativierungen des Bestimmtheitsgebotes. Zu Recht wird daher der näheren Konturierung der konkret wirksamen Bestimmtheitsanforderungen größere Bedeutung beigemessen als dem Bemühen um dogmatische Ausdifferenzierung der verfassungsrechtlichen Geltungsgründe des Bestimmtheitsgebotes.151

auf das Arbeitskampfrecht beschränkt bleiben, zumal das BVerfG schon in seiner Handelsvertreterentscheidung ausdrücklich den primären Regelungsauftrag des Gesetzgebers betont hat; siehe BVerfGE 81, 242 (255). 147 Hierzu insbes. Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 396ff.; siehe auch H.D. Jarass, in: H.D. Jarass/B. Pieroth, GG, Art. 20 Rdnrn. 54ff.; H.-J. Papier/]. Möller, AöR 122 (1997), 177ff.; E. Schmidt-Aßmann, HdbStRBd. I, §24 Rdnr. 85;//. Schneider, Gesetzgebung, §4 Rdnrn. 66ff.; K. Stern, StaatsR Bd.I, §20 IV 4f) ß. 148 Zu den Grundlagen des Bestimmtheitsgebotes siehe nur H.-J. Papier/]. Möller, AöR 122 (1997), 177 (178ff.). Für eine Unterscheidung von vorbehaltsrechtlichem und rechtsstaatlichem Bestimmtheitsgebot aber etwa J. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 140ff.; hingegen für eine primäre Begründung über die Grundrechte Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S.401. 149 Zur Unterscheidung von Regeln und Prinzipien R. Alexy, Rechtstheorie Beiheft 1 (1979), S.59 (79ff.); den., Theorie der Grundrechte, S.75ff. 150 S. nur BVerfGE 49,168 (181); 59, 104 (114) und noch ausführlich unten im Text. 151 Vgl. auch M. Kloepfer, JZ 1984, 684 (681).

§ 4 Verfassung und

b) Gründe sachgerechter

Normkonkretisierung

71

Delegation

Unbestimmte Gesetzesfassung durch konkretisierungsbedürftige Gesetzesbegriffe ist nicht generell unzulässig. 1 5 2 Verfassungsrechtlich gebotene Bestimmtheit ist vielmehr nach Sach- und Regelungsgründen abgestufte Bestimmtheit. 1 5 3 Dies k o m m t in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung in verschiedenen Wendungen zum Ausdruck. Häufig formuliert das Gericht, Rechtsvorschriften müssten so bestimmt gefasst werden, „wie dies nach der Eigenart der zu o r d nenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den N o r m z w e c k möglich ist". 154 Ahnlich heißt es im Zusammenhang mit § 2 4 0 S t G B , es könne nur der G r a d an gesetzlicher Präzision verlangt werden, den der „Regelungsbereich zulässt". 1 5 5 Z u m Teil w i r d die Unbestimmtheit gesetzlicher Vorgaben aber auch mit der „Vielgestaltigkeit und Vielschichtigkeit der Materie" gerechtfertigt. 1 5 6 Die v o m B V e r f G verwendeten Topoi - die „Eigenart" der zu ordnenden Lebenssachverhalte, die Bedingungen des „Regelungsbereichs" und die „Vielschichtigkeit der Materie" - w e r d e n allerdings zu Recht wegen ihrer geringen Aussagekraft kritisiert. 1 5 7 Es gilt also, namentlich mit Blick auf das Privatrecht,

152 Als zulässig hat das BVerfG etwa erachtet: §2 PreisG: BVerfGE 8, 274 (326); §3 Abs. 1 KVStG („durch die Sachlage gebotene Kapitalführung"): BVerfGE 13, 153 (161f.); §§2 Abs. 1 und 7 Abs.2 S.2 AuslG („Belange der Bundesrepublik Deutschland"): BVerfGE 49, 168 (181); §64 Abs. 1 BVG („besondere Gründe"): BVerfGE 56,1 (12f.); §5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG (Legaldefinition des leitenden Angestellten): BVerfGE 59, 101 (114ff.); §23 DSchG („hervorragender wissenschaftlicher Wert"): BVerfGE 78,205 (212); §§ 11 Abs. 2,12 Abs. 2 GKG, § 8 Abs. 1 BRAGO (Bestimmung der Gerichts- und Anwaltskosten in Ehescheidungssachen „unter Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse" der Parteien): BVerfGE 80,103 (108); §137 Abs.2 AFG („eheähnliche Gemeinschaft"): BVerfGE 87,234 (263f.); § 1 RNPG („Unwürdigkeit"): BVerfGE 93, 213 (238); §5 Abs.2 AusglLeistG („Kulturgut", „angemessenes Entgelt"): BVerfGE 102, 254 (337f.); §1 UWG („gute Sitten"): BVerfG, JZ 2001, 299 (300). Siehe auch die Ubersicht bei R. Geitmann, Bundesverfassungsgericht und „offene" Normen, S. 167ff. 153 Für abgestufte Bestimmtheitsanforderungen etwa R. Biaggini, Richterrecht und Verfassung, S.330: „Bereichsabhängigkeit"; J. Isensee, Hdb StR Bd. V, §24 Rdnr.60; H.D. Jarass, in: H.D. Jarass/B. Pieroth, GG, Art.20 Rdnrn. 54ff.; R. Geitmann, Bundesverfassungsgericht und „offene" Normen, S. 136ff.; P. Kirchhof, in: FS zur 600-Jahr-Feier der Universität Heidelberg, S. 11 (31 ff.): „Bereichsspezifische Gesetzesbindung"; M. Kloepfer,]Z 1984, 685 (691); F. Ossenhühl, Hdb StR Bd. III, §62 Rdnr.45; ders., DVB1.1999, 1 (3f.). 154 So das BVerfG in st. Rspr., siehe etwa BVerfG, JZ 2001,299 (300); BVerfGE 102,254 (337); 93, 213 (238); 87, 234 (263); 78, 205 (212); 59, 104 (114); 49, 168 (181). 155 BVerfGE 92,1 (19); siehe auch BVerfGE 71,108 (115). Zu den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen an Strafgesetze nun auch BVerfG, NJW 2002,1780 - Vermögensstrafe. 156 BVerfGE 58, 257 (275f.); vgl. auch BVerfGE 78, 205 (213) - „Vielschichtigkeit der zu regelnden Sachverhalte"; ähnlich in BVerfGE 92, 1 (19); 4, 352 (358): „Vielgestaltigkeit des Lebens"; jüngst BVerfG, JZ 2001,299 (300): „Vielgestaltigkeit der Lebenssachverhalte". Im Einzelnen zu dieser ArgumentationJ. Staupe, Delegationsbefugnis und Parlamentsvorbehalt, S. 151ff. 157 Siehe nur H.-J. Papier/]. Möller, AöR 122 (1997), 177 (185f.); nachdrücklichJ. Staupe, Delegationsbefugnis und Parlamentsvorbehalt, S. 151 ff.: „Begründungssurrogate".

72

Grundlagen

und

Grundfragen

konkrete Sachgründe für die Delegation von Rechtsetzungsaufgaben auf die Rechtsprechung zu formulieren. Anhaltspunkte liefert hier die neuere Gewaltenteilungslehre als Gebot sachgerechter Aufgabenverteilung, das in Gestalt sog. funktionell-rechtlicher Ansätze auch für die Bestimmung der verwaltungsbehördlichen Beurteilungsspielräume fruchtbar gemacht wird.158 Wie das BVerfG in einigen jüngeren Entscheidungen ausgesprochen hat, zielt die in Art. 20 Abs. 2 S. 2 G G normierte Teilung der Gewalten auch darauf ab, „dass staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen." 159 Aus der grundgesetzlichen Gewaltenordnung fließt damit ein Optimierungsgebot für die Zuweisung und Wahrnehmung der Rechtsetzungsaufgaben: Bestimmtheit gesetzlicher Vorgaben ist dort zu fordern, wo die maßgeblichen Entscheidungen „richtiger" im Sinne von „funktionsgerechter" vom parlamentarischen Gesetzgeber getroffen werden können, während eine Delegation von Rechtsetzungsaufgaben auf die Rechtsprechung durch unbestimmte Gesetzesfassung zulässig ist, wo die delegierte Rechtsetzungsaufgabe sachgerechter oder „sachverhaltsadäquater"160 von der Rechtsprechung erfüllt werden kann.161

158 Siehe insbes. W. Brohm, DVB1.1986, 321 ff.; G. Schuppen, DVB1.1988, 1091 ff.; hierzu E. Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, S. 76ff.; K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §28 V; W. Schlüter, Das obiter dictum, S. 16ff. 159 So wohl erstmals BVerfGE 68,1 (86); seitdem BVerfGE 95,1 (15); N J W 1998,2515 (2520). In diesem Sinne schon O. Küster, AöR 74 (1949), 397 (402ff.) und U. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 58f.; siehe auch H.H. v. Arnim, DVB1.1987,1241 (1243ff.); ders./S. Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, S. 167ff.; D. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, S.151ff.; Ch. Gusy, J A 2002, 610 (615); K. Hesse, Grundzüge des VerfR, Rdnrn. 482f.; J. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 133ff.; F. Ossenbühl, D Ö V 1980, 545 (548f.); W. Schlüter, Das obiter dictum, S. 16ff.; R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S.91ff.; ders., Jura 1991, 622 (625); kritisch aber M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S.48f.: „kaum stringent begründbare Ausdehnung des Gewaltenteilungssatzes". 160 Ch. Degenhart, D Ö V 1981, 477 (482). Dies zielt insbesondere auf die von der Rechtsprechung besser zu gewährleistende Einzelfallgerechtigkeit; so etwa die Argumentation der Richter des BVerfG Jentsch, Di Fabio und Meilinghoff in ihrem abweichendem Votum für die ausreichende Bestimmtheit der Vermögensstrafe (§43a StGB), NJW 2002, 1785ff. 161 Vgl. für das Verwaltungsrecht E. Franßen, in: FS für W. Zeidler, S. 429 (442ff.); allgemein im Hinblick auf eine „funktionell-rechtliche" Aufgabenverteilung von Rechtsprechung und Gesetzgebung G. Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 382ff.;/. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S.138ff.; Th. Raiser, ZRP 1985, 111 (115ff.); R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S. 184ff., 249ff., 262ff.; W. Schlüter, Das obiter dictum, S. 16ff., 29ff.; R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 119ff., 154ff. Zum „Leitziel" der „Funktionsgerechtigkeit" auch H. Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, S. 96ff.

$ 4 Verfassung und

aa) Beteiligtenbezogenheit

des

Normkonkretisierung

73

Privatrechts

Das Privatrecht verträgt größere Unbestimmtheit als das Strafrecht 162 oder das öffentliche Recht 163 . Dies hat seinen entscheidenden Grund darin, dass das Privatrecht - grundsätzlich anders als das öffentliche Recht - nicht der Durchsetzung von Gemeinwohlbelangen gegenüber Einzelinteressen dient, sondern der Austarierung konfligierender Individualinteressen. 164 Die dazu erforderliche Individualisierung der rechtlichen Bewertung 165 kann vom Gesetzgeber aber nur ansatzweise geleistet werden. Hier beginnt vielmehr der Bereich, der in besonderem Maße auf den spezifischen Sachverstand und die beteiligtenbezogene Perspektive der Rechtsprechung 166 und damit auf entsprechende gesetzliche Freiräume angewiesen ist. 167 Dies gilt insbesondere dort, wo dem Privatrecht die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit 168 überantwortet worden ist, also vor allem im Schuldvertragsrecht. 169 Verbraucherschutz und Mieterschutz, arbeitsrechtlicher Kündigungsschutz und Schutz vor finanzieller Uberforderung durch Banken und Versicherungen haben das Privatrecht in besonderem Maße auf eine einzelfallorientierte Konfliktbetrachtung verpflichtet. Der vergleichende Blick auf das öffentliche Recht offenbart noch einen zweiten Anhaltspunkt für abgestufte Bestimmtheitserwartungen. Gerade in Abgrenzung zum öffentlichen Recht wird dem Privatrecht von der Rechtsordnung die Aufgabe der „Fein- und Nachsteuerung" 170 zugewiesen. Besonders deutlich 162 Das Strafrecht spielt insoweit ohnehin eine Sonderrolle, weil mit Art. 103 Abs. 2 G G ein besonderes Bestimmtheitsgebot besteht; hierzu e t w a i Haft, JuS 1975, 477ff.; Th. Lenckner, JuS 1968, 249ff.; B. Schünemann, Nulla poena sine lege, 1978. Zu den Gründen sachgerechter Delegation im Strafrecht V. Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht, S. 84ff. 163 Dies zeigt sich schon daran, dass das BVerfG bislang nur am Rande über die ausreichende Bestimmtheit von Privatrechtsnormen zu entscheiden hatte; die meisten Verfahren betrafen das öffentliche und das Strafrecht; vgl. nur die Aufstellung in Fn. 152. 164 So auch die Abgrenzung von Privatrecht und öffentlichem Recht nach der auf Ulpian zurückgehenden Interessentheorie: Publicum ius est quod ad statum rei Romanae spectat, privatum quod ad singularum utilitatem (D.l, 1,1 2); hierzu H. Maurer, Allg VerwR, §3 Rdnrn. 14ff.; F. Bydlinski, AcP 194 (1994), 319ff. 165 Zur „Individualisierung" als Funktion der Rechtsprechung Ch. Starck, W D S t R L Heft 34 (1976), 43 (65ff.); zum Unterschied von individualisierender und generalisierender Gerechtigkeit V. Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht, S. 85 ff. 166 P. Kirchhof, in: FS zur 600-Jahr-Feier der Universität Heidelberg, S. 11 (29): „Das Gesetzgebungsverfahren ist allgemeinheitsbezogen, das Rechtsprechungsverfahren beteiligtenbezogen organisiert" [Hervorhebung im Original]. Zur Individualisierungsfunktion der Rechtsprechung auch schon Ch. Starck, W D S t R L Heft 34 (1976), 43 (65f.). Zur „Adressatenbezogenheit" der Bestimmtheitsanforderungen R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S.264. 167 Statt vieler K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 199ff., 21 lff.; R. Weber, AcP 192 (1992), 517 (555ff.) m.w.N. Allgemein zum Konflikt von Billigkeit und Generalität des Rechts R. Zippelius, Rechtsphilosophie, §24. 168 Zur „sozialen Aufgabe" des Privatrechts bereits oben, § 3 II. 3. bei Fn. 128. 169 Zur „Materialisierung" des Schuldvertragsrechts C.-W. Canaris, AcP 200 (2000), 275ff. 170 E. Schmidt-Aßmann, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 7 (27).

74

Grundlagen

und

Grundfragen

i s t d i e s d o r t , w o d a s P r i v a t r e c h t i m W e s e n t l i c h e n Reparationsfunktion

hat171

u n d mit A b w i c k l u n g s - u n d A u s g l e i c h s n o r m e n ü b e r die D u r c h f ü h r u n g u n d B e endigung v o n Vertragsverhältnissen - etwa bei der Auflösung von M i e t - und Arbeitsverhältnissen - oder den vermögensmäßigen Ausgleich von Rechtseinbußen (§§812ff., 823ff., 985ff. B G B )

e n t s c h e i d e t . S c h o n m i t B l i c k a u f die

s c h w ä c h e r e G r u n d r e c h t s r e l e v a n z sind hier geringere B e s t i m m t h e i t s e r w a r t u n g e n w i r k s a m 1 7 2 als b e i N o r m e n m i t p r i m ä r e r P r ä v e n t i o n s f u n k t i o n 1 7 3 , w i e sie v o r allem das ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e S i c h e r h e i t s r e c h t p r ä g e n . 1 7 4 M i t d e m P r ä v e n t i o n s i n t e r e s s e n i m m t a u c h das I n t e r e s s e an d e r B e s t i m m t h e i t e i n e r R e g e l u n g ab.175 I n d i e s e l b e R i c h t u n g w e i s t d e r B l i c k a u f d i e Privatautonomie

als d e r d e m P r i -

v a t r e c h t e i g e n e n S y s t e m i d e e . 1 7 6 K e n n z e i c h n e n d f ü r d a s V e r t r a g s r e c h t ist s e i n dispositiver, also n a c h g i e b i g e r u n d subsidiärer C h a r a k t e r . 1 7 7 D i s p o s i t i v e N o r m e n greifen erst da ein, w o die Parteien eine regelungsbedürftige F r a g e o f f e n gelassen h a b e n . 1 7 8 D i s p o s i t i v e N o r m e n lassen die Gestaltungsfreiheit der Parteien grundsätzlich unberührt: W o eine wirksame Vereinbarung getroffen wurde, tre-

171 Eingehend P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 168ff.; siehe auch R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 139. 172 Zum Zusammenhang von Bestimmtheitsanforderungen und Intensität der Grundrechtswirkung R. Geitmann, Bundesverfassungsgericht und „offene" Normen, S. 143ff. 173 Gerade im Privatrecht lassen sich Präventions- und Reparationsfunktion aber nicht absolut voneinander scheiden. Vielmehr ist auch den meisten Ausgleichsnormen eine Präventionswirkung eigen; siehe für das Haftungsrecht nur E. Deutsch, Allg. HaftungsR, Rdnr. 18. In der ökonomischen Analyse des Rechts (hierzu noch eingehend unten, § 6 IV. 3. c) bb)) ist diese Erkenntnis zum zentralen normativen Gesichtspunkt des Haftungsrechts avanciert; siehe H.-B. Scbäfer/C. Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 113ff.;/. Taupitz, AcP 196 (1996), 114ff. - Der Unterschied zwischen der Präventionswirkung von privatrechtlichen Ausgleichsnormen und dem öffentlich-rechtlichen Gefahrenabwehrrecht liegt darin, dass die Präventionswirkung im öffentlichen Recht durch das hoheitliche Verbot unmittelbar intendiert ist, während sie sich bei privatrechlichen Ausgleichsnormen darauf beschränkt, negative Folgewirkungen an ein Verhalten zu knüpfen: Ihre Präventionswirkung ist also lediglich mittelbar und gemessen an ihrer Reparationsfunktion sekundär. 174 R Noll, Gesetzgebungslehre, S.269 weist insoweit auf die Straßenverkehrsregeln hin. Umgekehrt unterliegt das Privatrecht aber dort, wo es keine Reparationsfunktion erfüllt, sondern - wie vor allem im Sachenrecht und im Erbrecht - eine abschließende Zuordnung von Rechtspositionen bewirkt, gesteigerten Bestimmtheitsanforderungen. Dies deckt sich mit der Beobachtung, dass normativ-unbestimmte Rechtsbegriffe vor allem eine Domäne des Schuldund Familienrechts, nicht aber des Sachen- und Erbrechts sind; siehe oben, §3 II. 3. 175 R Noll, Gesetzgebungslehre, S.269. 176 Vgl. nur F. Rittner, in: FS für W. Müller-Freienfels, S.509 (514f.). Zur Vertragsfreiheit als Ausprägung der Privatautonomie W. Höfling, Vertragsfreiheit, S. 9ff.; zum grundrechtlichen Schutz der Vertragsfreiheit M. Bäuerle Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 321 ff. 177 Dispositives Recht dient genauso wie „Billigkeitsrecht" der individualisierenden Gerechtigkeit; siehe nur K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft, S.211. Zur „Entlastungsfunktion" dispositiver Normen H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 64. 178 Statt aller K. Larenz, SchuldR Bd.I, §6 I.

5 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

75

ten sie zurück. Anders als viele öffentlich-rechtliche und sämtliche Strafrechtsnormen bedeuten die dispositiven Regeln des Privatrechts daher keine zwingende Begrenzung individueller Freiheit. Da sich die verfassungsrechtlich einforderbare Bestimmtheit entscheidend nach der Belastungsintensität hoheitlicher Regelungen richtet, 179 unterliegen dispositive Normen generell geringeren Bestimmtheitserwartungen als zwingendes Recht. 180 In dieselbe Richtung weist der Blick auf die spezifischen Funktionsleistungen von Rechtsprechung und Gesetzgebung, da der mit dispositiven Normen angeordnete Vorrang der Parteiregelung wegen ihres stärkeren Beteiligtenbezuges besser von der Rechtsprechung zur Geltung gebracht werden kann.

bb) Zeitbezogenheit

des

Privatrechts

Neben diesen besonderen, auf die Natur des privatrechtlichen Regelungsauftrages gestützten Argumenten kann das Privatrecht aber auch ganz allgemeine Gründe in Anspruch nehmen, um größere Gestaltungsfreiräume der Rechtsprechung durch geminderte gesetzliche Bestimmtheit zu rechtfertigen. Zu diesen allgemeinen Gründen zählt die besondere Zeitbezogenheit des Privatrechts und die Flexibilität 181 judikativer Konkretisierung. Gesetzgebung und Rechtsprechung unterscheiden sich in ihrer Zeitwirkung: Das Gesetz ist Dauerregelung, der Richterspruch Gegenwartsentscheid. 182 Dauerhafte Zukunftsgestaltung ist aber nur in den Grenzen gesetzgeberischer Prognosefähigkeit möglich. Zu einem bestimmten Grad sind Gesetze immer der Gefahr des Veraltens ausgesetzt und auf eine zeitgemäße Ausdeutung durch die Rechtsprechung angewiesen. 183 Es gibt aber Regelungsbereiche, die in besonderem Maße von Verände179 Hierzu BVerfG, N J W 2002, 1779 (1780) - Vermögensstrafe; siehe auch BVerfGE 102, 254 (337); 98, 218 (252); 49, 89 (133). Zur Belastungsintensität als Argument zugunsten einer Aufgabenwahrnehmung durch den Gesetzgeber E. Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, S. 159; M. Kloepfer, J Z 1984, 685 (691); E. Schmidt-Aßmann, Hdb StR Bd.I, §24 Rdnr.60.

Vgl. P. Kirchhof, in: FS zur 600-Jahr-Feier der Universität Heidelberg, S. 11 (32f.). Hierzu etwa E. Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, S. 159ff.; F. Ossenbühl, Hdb StR Bd. III, § 62 Rdnr. 64; M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 381; W. Schlüter, Das obiter dictum, S. 116;/. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S.262ff.; R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 136ff. In die umgekehrte Richtung argumentiert H.P. Schneider, D Ö V 1975,443 (449): In Zeiten gesellschaftlichen Wandels erweise sich das Gesetz als flexibler und anpassungsfähiger gegenüber einem nur schwer korrigierbaren richterlichen Grundsatzurteil. Zu diesem Argument noch unten im Zusammenhang mit den Anforderungen der Rechtssicherheit, § 5 VI. 3. b) cc). Zur „Flexibilitätsfunktion" von Generalklauseln und normativ-unbestimmten Rechtsbegriffen bereits oben, §3 I. 3. 180 181

182 P. Kirchhof, in: FS zur 600-Jahr-Feier der Universität Heidelberg, S. 11 (24 ff.); ders., N J W 1986, 2275 (2278). 183 Zur Rechtsfortbildungskompetenz der Rechtsprechung mit dem Altern von Gesetzen insbes. BVerfGE 34,269 (288) - Soraya - unter Hinweis auf F. Kühler, JZ 1969,645; hierzu P. Kirch-

76

Grundlagen

und

Grundfragen

rangen geprägt, d.h. zeitgeprägt sind.184 Hier können gesetzliche Regelungen nur dann dauerhaft sachangemessene Problemlösungen bereitstellen, wenn sie der Rechtsprechung entsprechende Freiräume zur Aktualisierung lassen. Aus der „Funktionsschwäche" des Gesetzgebers resultiert ein „Funktionszuwachs" des Richters.185 Genauso wie das öffentliche Recht hat auch das Privatrecht mit Veränderungen im tatsächlichen Bereich zu kämpfen. Nach H.P. Schneider sind die „Normen des Zivilrechts vom raschen Wandel der Lebensbedürfnisse und Verkehrsanschauungen besonders betroffen." 186 Dies gilt in erster Linie für den technisch-wissenschaftlichen Fortschritt, 187 der die unbestimmten Technikklauseln188 des privaten Sicherheitsrechts rechtfertigt. Dabei kann auch zugunsten der privatrechtlichen Technikklauseln das vom BVerfG in der Kalkar-Entscheidung 189 entwickelte Argument des „dynamischen Grundrechtsschutzes" angeführt werden: 190 Die gesetzliche Unbestimmtheit kommt letztlich den Schutzadressaten der Regelung zugute, also den Betroffenen von Produkt- oder Umweltrisiken. Eine Folgewirkung dieser Dynamik des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts sind die sich mit vergleichbarer Geschwindigkeit verändernden Produktions- und Wirtschaftlichkeitsbedingungen.191 Auch das Bedürfnis nach wirtschaftlicher Sachgerechtigkeit verlangt daher entsprechende Aktualisierungsfreiräume der Rechtsprechung, etwa durch Klauseln wie „unverhältnis-

hof, in: FS zur 600-Jahr-Feier der Universität Heidelberg, S. 11 (26) und allg. zur Zeitbezogenheit der Rechtsfortbildung Th. Würtenberger, Zeitgeist und Recht, S. 154ff., 188ff. 184 F. Ossenbühl, Hdb StR Bd. III, §62 Rdnr. 65 spricht insoweit von „regelungsfeindlichen Sachbereichen". 185 So U. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S.60ff.; siehe auch BVerfG, NJW 1998, 3557 (3558) - Minderjährigenhaftung: „Angesichts des beschleunigten Wandels der gesellschaftlichen Verhältnisse und der begrenzten Reaktionsmöglichkeiten des Gesetzgebers ... gehört die Anpassung des geltenden Rechts an veränderte Verhältnisse ... zu den Aufgaben der Dritten Gewalt." 186 H.P. Schneider, Richterrecht, Verfassungsrecht, Gesetzesrecht, S.36. 18? Yg] nur p Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 170ff. m.w.N. sowie F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, S. 11 ff., 22ff. 188 Siehe etwa §§ 906 Abs. 1 S. 3 BGB, 7 Abs. 1 ProdSG: „Stand der Technik"; § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG: „Stand der Wissenschaft und Technik" sowie §§641a Abs.3 S.4 BGB, 6 Abs. 1 ProdSG, 2 Abs. 1 S. 3 HaftpflG: „allgemein anerkannte Regeln der Technik". 189 BVerfGE 49, 89 (137ff., 140); hierzu G. Lübbe-Wolff, ZG 1991,219 (241f.); M. Böhm, Der Normmensch, S. 155 ff.; F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, S. 18. 190 Kritisch aber J. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 148 ff. 191 So auch BGHZ 18, 226 (232) im Zusammenhang mit der Konkretisierung von §93 BGB; hierzu noch unten, § 9 II. 1. Auch das BVerfG betont den „Wandel der Verhältnisse" insbesondere bei Gesetzen, die wirtschaftliche Vorgänge betreffen; hierzu R. Geitmann, Bundesverfassungsgericht und „offene" Normen, S. 138f.

§ 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

17

mäßiger Aufwand" 1 9 2 , „unverhältnismäßig hohe Kosten" 1 9 3 , „übliche Vergütung" 1 9 4 oder „wirtschaftliche Zumutbarkeit" 1 9 5 . Gerade das Privatrecht hat aber nicht nur mit Veränderungen auf der Ebene der Tatsachen und des Regelungsgegenstandes zu kämpfen, sondern auch mit wertungsmäßigen Veränderungen. Unmittelbarer als das öffentliche Recht ist das Privatrecht Ausdruck und Fortwirkung der allgemeinen sozialethischen Anschauungen, und zwar nicht nur dort, wo die Rechtsordnung über den Bestand und die Gültigkeit von Rechtsgeschäften zu entscheiden hat, sondern auch bei der Beschreibung allgemeiner Verhaltensanforderungen, etwa zwischen Vertragspartnern oder Familienangehörigen. Für die inhaltliche Bestimmung dieser Mindestanforderungen nehmen die gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen eine ähnliche Rolle ein wie der Stand der Technik für die Bestimmung der rechtlichen Sicherheitserwartungen: Sie werden entscheidend durch die Verkehrserwartungen gespeist. Besonders deutlich ist dies, wo der Gesetzgeber an die „im Verkehr erforderliche Sorgfalt" (§276 Abs.2 B G B n.F.), die „Verkehrssitte" (§§151 S . l , 157, 242 B G B ) und vor allem die „guten Sitten" (§§138,817 S. 1,826 B G B , § 1 U W G ) anknüpft. 196 Eine ähnliche Funktion übernimmt im Bereich des Kindschaftsrechts der Begriff des Kindeswohls 197 als generelles Richtmaß für die Ausübung der elterlichen Sorge (§ 1697a B G B ) . Mit diesen Wendungen überträgt der Gesetzgeber die konkrete Bestimmung der maßgeblichen Inhalts- und Verhaltenserwartungen weit gehend der Rechtsprechung. Auch diese Rechtsetzungsdelegation ist Ausdruck einer sachgerechten Aufgabenzuweisung zwischen Rechtsprechung und Gesetzgebung. Eher vordergründig ist allerdings das Argument, der in diesen Regelungsbereichen bestehende Fallreichtum könne ansonsten nur durch eine „wuchernde Kasuistik" eingefangen werden, 198 die im Übrigen zu einer Zementierung der Vorstellungen des historischen Gesetzgebers führen würde. 199 Auch hier ist vielmehr an die spezifischen Funktionsleistungen von Rechtsprechung und Gesetzgebung anzuknüpfen. Entscheidend ist, dass die Bestimmung von Verkehrserwartungen zu den Aufgaben zählt, die prinzipiell sachgerechter von der Rechtspre-

192 S. etwa §635 Abs.3 n.F. (§633 Abs.2 S.3 a.F.), §651c Abs.2 S.3 B G B . Ähnlich §§251 Abs.2 S. 1, 2170 Abs.2 B G B ; § 16 Abs. 1 UmweltHG: „unverhältnismäßige Aufwendungen". 193 §§439 Abs.3 S. 1, 966 Abs.2 B G B . 194 §§612 Abs.2, 632 Abs.2, 653 Abs.2 B G B ; siehe auch §§558 A b s . l , 558c Abs. 1 B G B : „ortsübliche Vergleichsmiete". 195 Siehe etwa §906 Abs.2 S . l B G B . 196 Zur Funktion der Sittenwidrigkeitsklauseln Th. Mayer-Maly, AcP 194 (1994), 105 ff.; R. Sack, wrp 1985,1 ff. und bereits oben, § 3 1.3.; zu den Bestimmungsfaktoren der „guten Sitten" R. Sack, N J W 1985, 761ff. 197 Siehe auch die Einzelausprägungen in §§1626 Abs.3, 1627, 1629, 1666, 1671ff. B G B ; zur Normfunktion dieser Generalklausel M. Coester, Kindeswohl als Rechtsbegriff, insbes. S. 162ff. 198 R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 138. 199 J. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S.67.

78

Grundlagen und Grundfragen

chung geleistet werden k ö n n e n , nämlich mit B l i c k auf ihre größere P r o b l e m n ä he und ihre größere Flexibilität, ohne die es nicht möglich wäre, die Verkehrserwartungen fortlaufend an den Wandel der sozialethischen Anschauungen 2 0 0 anzupassen. 201

cc) Persönlichkeitsgeprägtheit

des Privatrechts

E i n weiterer Sachgrund für bereichsspezifisch abgesenkte Bestimmtheitsanforderungen liegt in den besonderen Regelungsaufgaben „persönlichkeitsgeprägter B e z i e h u n g e n " 2 0 2 . M i t diesem A r g u m e n t werden seit je her Abstriche v o m B e s t i m m t h e i t s g e b o t im Schulrecht gerechtfertigt. Dieser G e d a n k e kann gleichfalls für das Privatrecht fruchtbar gemacht werden. G e n a u s o wie das LehrerSchüler-Verhältnis entziehen sich auch andere Persönlichkeitsbeziehungen einer vollständigen gesetzlichen D u r c h n o r m i e r u n g , beispielsweise das E l t e r n Kind-Verhältnis, das Verhältnis von Ehegatten zueinander oder das Verhältnis zwischen A r b e i t g e b e r und Arbeitnehmer. A u c h hierbei handelt es sich um intensiv persönlichkeitsgeprägte Beziehungen, die sich nur bedingt mit gesetzlich allgemein vorgegebenen H a n d l u n g s - und Leistungsmustern erfassen lassen. Dies gilt insbesondere für die inneren Kernbereiche

dieser Persönlichkeitsbe-

ziehungen. H i e r kann das G e s e t z nur sozialethische Mindesterwartungen referieren, beispielsweise die Verpflichtung der Ehegatten zur „ehelichen L e b e n s g e m e i n s c h a f t " ( § 1 3 5 3 Abs. 1 S . 2 B G B ) oder die Verpflichtung von Eltern und Kindern zu „Beistand und R ü c k s i c h t " (§ 1618a B G B ) . 2 0 3 S o w o h l die H ö c h s t persönlichkeit der innerfamiliären B e z i e h u n g e n als auch der damit verbundene h o h e Anteil an individueller Besonderheit hindern den G e s e t z g e b e r daran - will er nicht Trivialitäten oder aber „peinliche G e s c h m a c k l o s i g k e i t e n " normieren - , die familiären Näheverhältnisse detailliert vorzuformen. 2 0 4 Eine erschöpfende Wesensbestimmung v o n E h e und Familie durch den G e s e t z g e b e r erscheint 200 Dies gilt insbesondere für den Begriff der „guten Sitten", siehe BGH, NJW 1983, 2692 (2693) - Sittenwidrigkeit von Ratenkreditverträgen; zum gesellschaftlichen Wandel bei der Konkretisierung des § 549 Abs. 2 S. 1 BGB - „berechtigtes Interesse" BGHZ 92,213 (219); vgl. weiter H.-J. Bunte, NJW 1985, 705 (706ff.);/. Eckert, AcP 199 (1999), 337ff.; K. Larenz/M. Wolf, BGB AT, §41 Rdnrn. 14ff.; Tb. Mayer-Maly, AcP 194 (1994), 105 (108); R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S.137. Vgl. auch W. Birke, Richterliche Rechtsanwendung und gesellschaftliche Auffassungen, 1968; W. Fiedler, Sozialer Wandel, Verfassungswandel, Rechtsprechung, 1972. 201 Zur Aktualisierungspflicht noch unten, §5 VI. 3. c). 202 So F. Ossenbübl, Hdb StR Bd. III, § 62 Rdnr. 66. Siehe auch das Sondervotum der Richter des BVerfG Jentscb, Di Fabio und Meilinghoff zum Urteil des BVerfG vom 24.9.2003, NJW 2003, 3111 (3117ff., 3119) - Kopftuch: Der Gesetzesvorbehalt dürfe nicht auf Sachbereiche ausgedehnt werden, die einer gesetzlichen Normierung wegen ihrer Einzelfallabhängigkeit „praktisch nicht zugänglich" sind. 203 Vgl. auch R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 138f. 204 ]. Gernhuber/D. Coester-Waltjen, FamilienR, § 18 IV.

$ 4 Verfassung

und

Normkonkretisierung

79

nicht möglich. Außerdem spielen Rechtsregtin im familiären Innenverhältnis ohnehin nur eine untergeordnete Rolle, weitaus unmittelbarer werden moralische und sozial-ethische Verhaltensanforderungen 2 0 5 wahrgenommen. Mit der geminderten Justiziabilität 2 0 6 verlieren aber auch Bestimmtheitsanforderungen ihren Sinn. Zu Recht beschränkt sich der Gesetzgeber in diesen Kernbereichen persönlichkeitsgeprägter Beziehungen daher auf generalklauselartige Leitbilder.

V. Bindung an den Delegationsauftrag Da die Rechtsprechung nicht über originäre Rechtsetzungsbefugnisse verfügt (oben III.), bedarf sie einer verfassungsrechtlich wirksamen (oben IV.) Aufgabendelegation durch den Gesetzgeber. Aus der Angewiesenheit der Rechtsprechung auf einen Delegationsakt folgt auch die weitere Bindung an Bestand und Umfang des Delegationsauftrages. Praktisch wirksamer als die Bindung an die materiellen Vorgaben des Delegationsauftrages (unten 1.) sind allerdings die auf dem Delegationsverhältnis beruhenden Rückholrechte des parlamentarischen Gesetzgebers, also das Phänomen einer „Delegation auf Zeit" (unten 2.).

1. Materielle Vorgaben des Delegationsauftrages Abgeleitetes Recht muss sich im Rahmen der verliehenen Befugnis halten. Genauso wie die Exekutive bei der Verordnungsgebung 2 0 7 ist auch die Judikative bei der Normkonkretisierung an Umfang und Grenzen der gesetzlichen Delegation gebunden. 2 0 8 Es liegt allerdings in der Eigenart der „verdeckten" Delegation 2 0 9 , dass der gesetzliche Normbildungsauftrag zumeist nur spärliche Vorgaben enthält. Die Grenzen des Normbildungsauftrages ergeben sich - anders als bei den privatrechtlichen Verordnungsermächtigungen wie beispielsweise Artt. 238-245 205 Zu sozialen Normen K. Röhl, Rechtssoziologie, S. 199ff.; zur moralischen und sozial-ethischen Normgeltung R. Zippelius, Rechtsphilosophie, §5 II, III. 206 Die Generalklauseln der §§1353, 1618a BGB begründen zwar echte Rechtspflichten, sind aber nur begrenzt klagbar; siehe/. Gernhuber/D. Coester-Waltjen, FamilienR, §§18 V, 54 IV; Staudinger/H. Hübner/R. Voppel (13. Bearb. 2000), § 1353 Rdnrn. 19ff.; Staudinger/M. Coester (13. Bearb. 2000), § 1618a Rdnr. 10; MünchKomm/A. Wacke (4. Aufl. 2000), § 1353 Rdnr. 14: Obliegenheiten. Damit rücken sie zumindest in die Nähe von leges imperfectae; hierzu K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §25 V. 207 Zur Gesetzesakzessorietät der Verordnung A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S.304ff.; F. Ossenbühl, Hdb StR Bd.III, §64 Rdnrn. 13ff. 208 Die Rechtsprechung verfügt nicht über originäre Rechtsetzungsbefugnisse; hierzu bereits oben, §5 III. 209 J. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 37f.

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Grundlagen

und

Grundfragen

EGBGB, 210 §651a Abs.5 BGB (VO über Informationspflichten des Reiseveranstalters) und § 1612a BGB (Regelbetrag-VO) - weniger aus dem „Text" der Ermächtigung als aus der jeweiligen Normumwelt, in die der ausfüllungsbedürftige Begriff eingebettet ist. Fehlwahrnehmungen des Normbildungsauftrages können etwa darin liegen, dass die Rechtsprechung bei ihrer Regelbildung die in der Delegationsnorm angelegten systematischen und teleologischen Anhaltspunkte211 missachtet. Wenn dem Richter beispielsweise in §228 S . l BGB aufgetragen wird, Regeln dafür zu entwickeln, in welchen Fällen der durch eine Notwehrhandlung eingetretene Schaden und die dadurch abgewendete Gefahr „nicht außer Verhältnis" stehen, so wird der Delegationsauftrag überschritten, wenn in die Regelbildung andere Abwägungsfaktoren einbezogen werden. 212 Ahnlich greifbar sind Verstöße gegen den Delegationsauftrag, wenn der Gesetzgeber die Rezeption externer Regelwerke an besondere Rezeptionsregeln geknüpft hat. Hier hat die Rechtsprechung bei der Wahrnehmung der Delegation Umfang und Grenzen der Rezeptionsregel zu beachten. So gilt die gesetzliche Vermutung des § 906 Abs. 1 S. 2 BGB nur für Gesetze und Rechtsverordnungen, nicht aber für Satzungen oder private Normen, und § 906 Abs. 1 S. 3 BGB bezieht sich nur auf die dort bezeichneten Verwaltungsvorschriften. 213

2. R ü c k h o l r e c h t u n d R ü c k h o l p f l i c h t des Privatrechtsgesetzgebers Im Übrigen dient der Delegationsgedanke der Verwirklichung der Rechtsetzungsprärogative des Gesetzgebers. Die verpflichtende Anbindung richterlicher Regelbildung an das Vorhandensein einer gesetzlichen Delegation sichert den natürlichen Vorrang des Gesetzgebers, der den Umfang richterlicher Regelbildung bestimmen, diese Delegation aber auch wieder einschränken oder vollständig zurücknehmen kann (Rückholrecht). Die Delegation führt nicht zu einem Kompetenzverlust des Gesetzgebers, sondern steht - so wie es H. TriepePu für die Verordnungsgebung formulierte - „stets unter dem stillschweigenden Vorbehalt künftiger und jederzeit möglicher eigener Ausübung seiner Zuständigkeit". 215 Das Parlament bleibt „Herr der Rechtsetzung" 2 1 6 und kann 210 Siehe insbesondere die auf Art. 241 EGBGB gestützte VO über Informations- und Nachweispflichten nach bürgerlichem Recht (BGB-Informationspflichten-Verordnung - BGB-InfoV) vom 2.1.2002 (BGBl. I S.342) zur Konkretisierung von §312e BGB n.F. 211 Zur Bedeutung der Auslegung für die Normkonkretisierung noch unten, §6 III. 2. 212 Zu solchen vollständig determinierten Abwägungsentscheidungen noch unten, § 10 II. 2. a). Weitere Beispiele sind §904 BGB oder §616 S. 1 BGB. 2 , 3 Hierzu unten, §11 II. 2. a). 214 H. Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, 1942, S. 58. 215 Vgl. zum Rückholrecht des Parlaments gegenüber der Exekutive F. Ossenbühl, Hdb StR Bd. III, §64 Rdnr. 14. 216 So D. Wilke, AöR 98 (1973), 196 (213) in Bezug auf Rechtsverordnungen; zum Rückhol-

§ 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

81

richterliche Regelbildung ohne weiteres durch Gesetz außer Kraft setzen: 2 1 7 Das Mandat der Gerichte als „Hilfsgesetzgeber" reicht nur „solange", wie der Gesetzgeber es ihnen nicht wieder entzieht. 2 1 8

a) Gründe für die Ausübung des

Rückholrechts

Es sind zwei Gründe denkbar, die den Gesetzgeber dazu veranlassen können, von seinem Rückholrecht Gebrauch zu machen. Entweder will er einer als Fehlentwicklung eingestuften Judikaturpraxis „den Riegel vorschieben" 2 1 9 , oder er erachtet eine richterliche Regelbildung als „ g e g l ü c k t " 2 2 0 und möchte sie zu G e setz werden lassen, etwa um sie der Disposition der Judikative zu entziehen oder im Interesse größerer Normenklarheit. 2 2 1 Dass wir es gerade im Privatrecht häufiger mit diesem zweiten Fall „geglückter" Regelbildung zu tun haben, ist nicht zuletzt Ausdruck dafür, dass sich der Gesetzgeber seltener, als es angesichts der Kritik an unbestimmter Gesetzesfassung manchmal den Anschein haben mag, sachwidrig aus der Verantwortung „gestohlen" hat, sondern Rechtsetzungsaufgaben tatsächlich nur dort auf die Rechtsprechung delegiert, wo diese auch zu einer sachgerechteren Regelbildung in der Lage ist. 2 2 2 Wohl bekanntestes Beispiel für eine solche „Vergesetzlichung" 2 2 3 richterlicher Regelbildung ist das A G B - G e s e t z (jetzt § § 3 0 5 f f . B G B n . E ) , mit dem im Wesentlichen die von der Rechtsprechung über § 242 B G B entwickelten Regeln

recht des Gesetzgebers gegenüber der Exekutive im Bereich des Technikrechts F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, S. 34. 2 1 7 Insbesondere ist dabei nicht auf etwaige „Rechte" der Rechtsprechung Rücksicht zu nehmen, weil die Rechtsprechung - wie bereits unter § 5 III. gezeigt - nicht über originäre Rechtsetzungskompetenzen verfügt. 218 R. Wank, Z G R 1988, 314 (334). 2 1 9 Ein deutliches Beispiel hierfür aus jüngerer Zeit ist die mit der Schuldrechtsreform geschaffene Regelung des §492 Abs. 4 B G B n.F. - Formbedürftigkeit einer Vollmacht zum Abschluss eines Verbraucherdarlehens - , die eine bewusste Gegensteuerung des Gesetzgebers gegen die anders lautende Rechtsprechung des B G H darstellt; vgl. B G H , N J W 2001,1931; N J W 2001, 2963; N J W 2001,3479. - Ein weiteres Beispiel ist der mit § 1 ProstG (Gesetz vom 20.12.2001 zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostuierten, B G B l . 2001 I S. 3938) geschaffene Vergütungsanspruch der Prostituierten, mit dem-jedenfalls im Ergebnis - die bisherige auf § 138 B G B gestützte Rechtsprechung korrigiert wird. O b der Gesetzgeber mit § 1 ProstG zugleich vorgegeben hat, dass Prostitution nicht mehr als sittenwidrig zu bewerten ist, wird unterschiedlich beurteilt; hierzu Palandt/H. Heinrichs, Ergänzungsband, §1 ProstG Rdnr.2; V. Kurz, GewArch 2002, 142 (143). 2 2 0 In der Übernahme durch den Gesetzgeber liegt ein Kennzeichen „geglückter" richterlicher Rechtsfortbildung; siehe K. Larenz, Kennzeichen geglückter richterlicher Rechtsfortbildung, S.4. 221 Vgl. H. Hill, D Ö V 1981, 487 (492ff.); allg. zu den Problemimpulsen des Gesetzgebers P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 72 ff. 2 2 2 Zu den Gründen sachgerechter Delegation bereits oben, § 5 IV. 3. b). 223 H. Hill, D Ö V 1981, 487 (493).

82

Grundlagen und

Grundfragen

kodifiziert wurden. 224 Vor allem mit der Schuldrechtsreform 225 wurden an vielen Punkten richterliche Entwicklungen nachvollzogen und kodifiziert, insbesondere die Grundsätze über die Haftung bei Vertragsanbahnung (§311 Abs. 2 BGB n.F.) 226 und positiver Forderungsverletzung (§§241 Abs. 2, 280 BGB n.F.), 227 die Störung der Geschäftsgrundlage (§313 BGB n.F.)228, die Entbehrlichkeit einer Mahnung oder Nachfristsetzung bei ernsthafter und endgültiger Leistungsverweigerung (§323 Abs.2 Nr. 1 BGB n.F.) 229 und das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund bei Dauerschuldverhältnissen (§314 BGB n.F.) 230 . Ein weiteres Beispiel ist der nachbarliche Ausgleichsanspruch (§906 Abs. 2 S.2 BGB), den die Rechtsprechung vor der Novellierung des §906 BGB im Jahr 1959 ebenfalls auf §242 BGB und das „nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis" gestützt hatte. 231 Zu erwähnen sind schließlich auch die Kodifizierung des Reiserechts 232 , die Ergänzung des §251 Abs.2 BGB 233 um eine Regelung zur Ersatzfähigkeit von Tierbehandlungskosten und die Ergänzung von Art. 6 EGBGB 2 3 4 zur Berücksichtigung der Grundrechte. 235 Zumeist bedeutet die Kodifizierung richterlicher Regeln allerdings keine vollständige Rücknahme des Rechtsbildungsmandates, sondern lediglich seine nachträgliche Beschränkung. Wo zuvor keine ausdrücklichen Gesetzesbestimmungen existierten - beispielsweise für den Wegfall der Geschäftsgrundlage - , besteht nun mit §313 BGB n.F. zwar eine geschriebene Vorschrift, die allerdings mit ihren zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe neuerliche Konkretisie-

224 Siehe nur die zahlreichen Hinweise auf die bisherige Rechtsprechung in dem ersten RefE von 1974, abgedr. in DB 1974, Beil. 18 zu Heft 39. 225 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001, BGBl. I S.3138. 226 Vgl. die Begründung des RegE, BT-Drs 14/6040, S. 161 ff. 227 Vgl. die Begründung des RegE, BT-Drs 14/6040, S. 84f., 133ff. 228 Vgl. die Begründung des RegE, BT-Drs 14/6040, S. 174ff. 229 Vgl. die Begründung des RegE, BT-Drs 14/6040, S. 185. 230 Vgl. die Begründung des RegE, BT-Drs 14/6040, S. 176ff. 231 Zu dieser Entwicklung O. Mühl, in: FS für L. Raiser, S. 159 (170ff.); K. Vieweg, in: FS für B. Großfeld, S.1251 (1255ff.). 232 Die Kodifikation der §§651a bis 651 f BGB beruht im Wesentlichen auf der Rechtsprechung der Gerichte zum Werkvertragsrecht; vgl. nur Palandt/H. Sprau, Einf v §651a Rdnr. 1. 233 §251 Abs. 2 S.2 BGB eingefügt durch Gesetz vom 20.8.1990 zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht (BGBl. I S. 1762). Die Neuregelung hat sowohl in Bezug auf den Grundgedanken des §251 Abs. 2 S. 1 BGB als auch in Bezug auf die dazu ergangene Konkretisierungsrechtsprechung lediglich klarstellende Funktion; siehe MünchKomm/W Grunsky (4.Aufl. 2001), §251 Rdnr.23; Soergel/H.-J. Mertens (12.Aufl. 1990), §251 Rdnr.l; Staudinger/G. Schiemann (13. Bearb. 1998), §251 Rdnr.27. 234 Art. 6 Abs. 2 EGBGB beruht auf der richterlichen Konkretisierung des „ordre public" im Hinblick auf die Grundrechte; vgl. BegrRegE, BT-Drs. 10/504, 44 und BVerfGE 31, 58 (86) Spanier-Entscheidung. 235 Zur „Vorreiterfunktion" der Rechtsprechung im Wettbewerbsrecht A. Ohly, Richterrecht und Generalklausel des unlauteren Wettbewerbs, S.249ff.; Beispiele aus dem Arbeitsrecht bei G. v. Hoyningen-Huene, BB 1986, 2133 (2136ff.).

5 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

83

rungsaufträge formuliert. 236 Und auch dort, wo zuvor schon eine geschriebene Regel existierte, führen spätere Ergänzungen und Klarstellungen des Gesetzgebers zumeist nicht zu einer vollständigen Rücknahme des Konkretisierungsauftrages. So sind der Rechtsprechung auch nach der Ergänzung des §251 Abs. 2 BGB um die Heilbehandlungskosten von Tieren (Abs. 2 S. 2) noch Konkretisierungsaufgaben verblieben, weil die Gesetzesergänzung selbst im Bereich von Tierschäden nicht dazu geführt hat, dass die Grenze, ab der ein Herstellungsverlangen „unverhältnismäßig" wird, nun abschließend vorgegeben wäre.

b) Bestehen einer

Rückholpflicht?

Eine andere Frage ist, ob der Gesetzgeber unter Umständen nicht nur berechtigt ist, sondern auch dazu verpflichtet sein kann, die Regelbildung wieder an sich zu ziehen. Denkbar sind zwei Ansatzpunkte für eine solche Rückholpflicht: Entweder dass die Rechtsprechung dauerhaft keine Regelbildung hervorbringt (Konkretisierungsverweigerung), 237 oder dass sie zwar Regeln gebildet hat, diese sich aber als rechts- und insbesondere verfassungswidrig erweisen. In beiden Fällen berührt sich die Frage nach der Rückholpflicht mit der Verpflichtung des Gesetzgebers zum Normerlass 238 . Denkbar ist eine Rückholpflicht dort, wo sich aus den grundrechtlichen Schutzpflichten Ansprüche auf gesetzliche Regelungen ergeben. 239 Allerdings erschöpfen sich die Schutzpflichten im Privatrecht zumeist in der Forderung, dass nur überhaupt eine gesetzliche Grundlage besteht. In der Regel folgt aus ihnen kein Anspruch auf eine inhaltlich voll bestimmte Regelung, so dass sich die grundrechtlichen Regelungsverpflichtungen auch mit den Generalklauseln des Vertrags- und Deliktsrechts erfüllen lassen. Soweit die grundrechtlichen Schutzpflichten kein Delegationsverbot enthalten, 240 kann aus ihnen auch keine Rückholverpflichtung entstehen. Etwas anderes mag allerdings mit Blick auf das Gebot effektiven Grundrechtsschutzes gelten, wenn sich herausstellen sollte, dass es der fachgerichtlichen Rechtsprechung dauerhaft nicht gelingt, den grundrechtlich gebotenen Schutz

236

In §313 BGB n.F. die „schwerwiegende" Veränderung der Umstände, das „unzumutbare" Festhalten am Vertrag (Abs. 1), die „wesentliche" Vorstellung (Abs. 2) sowie die „unzumutbare" Vertragsanpassung (Abs. 3). 237 Damit stellt sich auch mit Blick auf den Delegatar die Frage nach einer Pflicht zur Ausübung der delegierten Rechtsetzungsmacht; hierzu für die Exekutive A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 309f.; für die Rechtsetzung Privater F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 169. 238 Hierzu W. Gleixner, Die Normerlassklage, 1993; M. Möstl, D Ö V 1998, 1029ff.; W.R. Schenke, VerwArch. 1991, 307ff.; H. Sodan, N V w Z 2000, 601 ff.; zu den grundrechtlichen Normerlasspflichten im Privatrecht auch A. Röthel, JuS 2001, 424 (427f.). 239 Zu den privatrechtsrelevanten Schutzpflichten bereits oben, §5 IV. 2. Hierzu Ch. Hillgruber, JZ 1996, 118 (120); H. Sodan, N V w Z 2000, 601 (602ff.). 240 Hierzu bereits oben, §5 IV. 2.

84

Grundlagen

und

Grundfragen

über die Generalklauseln zu entfalten. Genauso wie der Gesetzgeber auch die Wirksamkeit eigener Regelbildung überwachen muss und ggf. nachzubessern hat, 2 4 1 kann ihn also auch gegenüber nachhaltig unzureichender richterlicher Regelbildung eine Pflicht zur Nachsorge durch konkretere Maßstabsbildung treffen. 2 4 2

VI. Verfassungsvorgaben judikativer Normsetzung D i e Verfassungsmäßigkeit delegierter judikativer Rechtsetzung ist nicht nur eine Frage der Zulässigkeit einer solchen Delegation von Rechtsetzungsaufgaben und ihren Wirkungen im Verhältnis zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung. Vielmehr formuliert das Verfassungsrecht auch entscheidende formelle und materielle Vorgaben für die delegierte Rechtsetzung. Ausgangspunkt ist der aus dem Gewaltenteilung folgende Kompensationsgedanke (unten 1.). Hieraus folgen spezifische Anforderungen an die judikative Rechtsetzung zur Gewährleistung von Sachrichtigkeit (unten 2.), Kontinuität (unten 3.), Gleichgerechtigkeit (unten 4.) und Normenklarheit (unten 5.). Schließlich muss die konkretisierende Regelbildung ihrer Gesetzes- und Grundrechtsbindung (unten 6.) gerecht werden.

1. Der Kompensationsgedanke Aus dem G e b o t sach- und funktionsgerechter Aufgabenzuweisung 2 4 3 folgt nicht nur die prinzipielle Rechtfertigungspflichtigkeit delegierter Rechtsetzung. Sach- und funktionsgerechte Aufgabenzuweisung heißt auch, dass die Rechtsprechung dort, wo sie materiell rechtsetzend tätig wird, in entsprechende verfassungsrechtliche Anforderungen an Verfahren, Inhalt und Wirkung delegierter Rechtsetzung hineinwächst. 2 4 4 Dieses Denken „von der Aufgabe her" 2 4 1 Zur Pflicht des Gesetzgebers zum „Nachfassen" BVerfGE 68, 287 (309); 73, 40 (94); 79, 1 (29); 80,1 (31); P. Badura, in: FS für K. Eichenberger, S.481ff.; R. Breuer, Der Staat 16 (1977), 21 (25ff.); Ch. Mayer, Die Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers, 1996; P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 146ff.: „Nachkontrolle"; F. Ossenbühl, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. 1, S. 33 (39ff.); zur verfassungsgerichtlichen Kontrolle der Nachbesserungspflicht R. Steinberg, Der Staat 26 (1987), 161 ff. 2 4 2 Vgl. M. Möstl, D Ö V 1998, 1029 (1036f.). 2 4 3 Zu den Gründen sachgerechter Delegation bereits oben, § 5 IV. 3. b). 2 4 4 Auch dies ist Ausdruck funktionsgerechter Gewaltenteilung. Eingehend hierzu R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 119ff., 154ff.; der aus der unterschiedlichen Verfahrensorganisation und den verschiedenen sachlichen Bindungen Gründe „für" und „gegen" eine Rechtsfortbildung durch die Gerichte ableitet. Vgl. zur Parallelproblematik im Verhältnis zur Exekutive H.H. v. Arnim, DVB1.1987,1241 (1243);/. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S.213ff. - Bei P. Noll, Gesetzgebungslehre, S.54ff. zeigt sich dieser Gedanke in

§ 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

85

zeigt sich auch in dem zunehmenden Bemühen um gewaltenübergreifende, einheitliche Rechtsgewinnungslehren. 2 4 5 Das Grundgesetz hat Gesetzgebung und Rechtsprechung mit Blick auf ihre primären Funktionsaufträge - Normbildung durch Gesetz einerseits, Rechtsentscheidung durch Richterspruch andererseits - unterschiedlich ausgestaltet: 2 4 6 Das Gesetzgebungsverfahren ist gekennzeichnet durch Öffentlichkeit, Pluralität und Diskussion, 2 4 7 während die Rechtsprechung prinzipiell einzelfall- und parteibezogen organisiert ist. 2 4 8 Der Gegensatz von Allgemeinheitsbezogenheit des Gesetzes und Beteiligtenbezogenheit des Richterspruchs 2 4 9 zeichnet sich auch in den weiteren Verfassungsanforderungen an die Rechtserzeugung ab: Grundsätzlich anders als der Richterspruch muss das Gesetz allgemein veröffentlicht werden (Art. 82 Abs. 1 G G ) und unterliegt rechtstaatlichen Mindestgeboten an Begründung, Verständlichkeit und Kontinuität (Art. 20 Abs. 3 G G ) . 2 5 0 Wo sich delegierte Rechtsetzung durch die Rechtsprechung mit Blick auf die Eigenart der zu regelnden Materie grundsätzlich rechtfertigen lässt, 251 sind die durch die Aufgabenwahrnehmung anstelle des Gesetzgebers entstehenden D e fizite an Rechtssicherheit, aber auch an Pluralität und Allgemeinerkenntnis insbesondere im Bereich der Rechtstatsachenerkenntnis und der Rechtsfolgenabschätzung - durch Übertragung der Anforderungen zu kompensieren252.

umgekehrter Richtung, wenn er dazu auffordert, die spezifischen Vorzüge der Rechtsprechung, insbesondere ihre Unabhängigkeit und Unbefangenheit, der Gesetzgebung institutionell vorzugeben. Siehe auch D. Looschelders/W. Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, S. 56: Den Richter treffe die Pflicht, die mit unbestimmten Gesetzesformeln einhergehende Unzulänglichkeit des Gesetzes „zu kompensieren". 2 4 5 Siehe insbes. R. Rbinow, Rechtsetzung und Methodik, S. 244ff.; in diese Richtung auch H.H. v. Arnim/S. Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, S.275ff. 2 4 6 Vgl. zum Folgenden R. Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 389ff.; A. Meier-Hayoz, JZ 1981, 417 (421 ff.); W. Schlüter, Das obiter dictum, S. 31 ff.; R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 119ff., 154ff. Diese Unterschiede treten bei den gewaltenübergreifenden Rechtsgewinnungslehren - etwa R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S. 195ff., 222ff. im Anschluss an H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S.346ff. - allerdings in den Hintergrund. 247 Ch. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 158ff.;/. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S.138ff. 248 J. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 146ff.; siehe auch A. Meier-Hayoz, JZ 1981, 417 (421 f.). 2 4 9 So die Formulierung von P. Kirchhof, in: FS zur 600-Jahr-Feier der Universität Heidelberg, S . l l (29). 2 5 0 Vgl. im Einzelnen die Gegenüberstellungen von G. Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 389ff.; P. Noll, Gesetzgebungslehre, S.57f.; E. Schmidt-Aßmann, Hdb StR Bd.I, §24 Rdnrn. 81 ff.; H. Schneider, Gesetzgebung, §4 Rdnrn. 54ff.; Ch. Starck, W D S t R L Heft 34 (1976), 43 (67ff.); R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 197ff. Zur Ubertragbarkeit dieser Anforderungen auf die Rechtsprechung nachfolgend im Text. 251 Zu den Gründen sachgerechter Delegation bereits oben, §5 IV. 3. b). 2 5 2 Allg. zum Rechtsgedanken der Kompensation A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip,

86

Grundlagen und Grundfragen

Diese K o m p e n s a t i o n bedeutet keine weitergehende

Gewaltverschiebung, 2 5 3

sondern wirkt innerhalb der grundgesetzlichen Gewaltenordnung, indem sie zusätzliche

A n f o r d e r u n g e n an die Gewaltenausübung formuliert, hier also in-

dem die spezifischen Verfassungserwartungen an parlamentarische N o r m s e t zung auf die judikative N o r m s e t z u n g übertragen werden. 2 5 4 D e r K o m p e n s a t i onsgedanke führt daher nicht zu einem „weniger", sondern zu einem „ m e h r " an Verfassungsanforderungen und leistet also eine Optimierung

verfassungsver-

träglicher A u f g a b e n w a h r n e h m u n g . I m Wege der K o m p e n s a t i o n durch Ü b e r t r a g u n g und Verstärkung verfassungsrechtlicher Anforderungen an richterliche Konkretisierung ausgleichsfähig und ausgleichsbedürftig sind die im Vergleich mit legislativer R e c h t s e t z u n g bestehenden Defizite richterlicher konkretisierender Regelbildung bei der Sachermittlung (unten 2.), der K o n t i n u i t ä t (unten 3.), der G l e i c h - und Sachgerechtigkeit (unten 4.) sowie der N o r m e n k l a r h e i t (unten 5.).

2. G e b o t der Sachrichtigkeit

a) Richterliche

Ermittlung der

Konkretisierungstatsachen

I m normalen Rechtsprechungsprozess, also bei der Entscheidung v o n E i n z e l fällen, verfügt der R i c h t e r generell über eine engere, dafür aber tiefere P r o b l e m sicht als der Gesetzgeber. 2 5 5 U m g e k e h r t sind im gerichtlichen Verfahren die Möglichkeiten

der

Informationsgewinnung

über

„generelle"

Tatsachen 2 5 6

schlechter ausgebildet. 2 5 7 D i e E r h e b u n g der Rechtstatsachen und die E r m i t t S. 16ff., insbes. S.46ff.; im Zusammenhang mit der Normkonkretisierung im Umweltrecht G. Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219 (242ff.). 253 Kompensation darf nicht zu einer Aushöhlung verfassungsrechtlich vorgegebener Kompetenzgrenzen führen; mit Recht kritisch E. Klein, DVBl. 1981, 661 ff.; zur Kompensation von Kompetenzdefiziten A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 31 ff. 254 In diesem Sinne H.P Schneider, DÖV 1975, 443 (452); den., Richterrecht, Gesetzesrecht und Verfassungsrecht, S. 34f., 37ff. für die Qualität und Wirkungen judikativer Rechtsetzung. Vgl. auch P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 54ff., der umgekehrt die spezifischen Vorzüge des Rechtsprechungsverfahrens auf die Gesetzgebung übertragen möchte. 255 So ]. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 148; vgl. auch R. Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S.394; A. Meier-Hayoz, JZ 1981, 417 (421); R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 113ff. 256 Zur Unterscheidung von „Einzeltatsachen" und „generellen" Tatsachen C. W. Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 349ff.; J. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 149f.; H.-M. Pawlowski, Methodenlehre, Rdnrn. 560ff.; speziell mit Blick auf das BVerfG B.-O. Bryde, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. 1, S.533ff.; F. Ossenbühl, in: FS 25 Jahre BVerfG, Bd. 1, S.458 (464ff.); K. Philippi, Tatsachenfeststellungen des Bundesverfassungsgerichts, S. 7; W. Kluth, NJW 1999, 3515. 257 H. Going, JuS 1975, 277 (278); G. Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 394f.; A. Heldrich, Jb. f. Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. III (1972), 305 (338);/. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 142ff.; E. Picker, JZ 1984, 153 (156f.); W. Schlüter, Das obiter dictum, S. 32f.;

^ 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

87

lung insbesondere der ökonomischen Folgen 258 einer Konkretisierungshypothese können die Möglichkeiten des gerichtlichen Verfahrens schnell überschreiten. Das Beweisverfahren erlaubt dem Richter nicht die Erhebung allgemeiner sozialer Faktoren. 259 Fremder Sachverstand kann zwar im Wege des Sachverständigenbeweises (§§ 144,402ff. Z P O ) eingebracht werden. Anders als im Gesetzgebungsverfahren kann der gerichtliche Sachverständige aber nicht zu allgemeinen Rechtstatsachen, sondern allein zu den in concreto streitigen Beweistatsachen gehört werden. 260 Auch hat das Gericht nicht die Möglichkeit, sich nach Art des Gesetzgebers ständiger Beratungsgremien, Sachverständigenkommissionen oder Anhörungen zu bedienen. 261 Ohne die ausreichende Kenntnis der „Realien" 262 fehlt es aber der judikativen Normgebung - genauso wie der parlamentarischen Normgebung 2 6 3 - an der erforderlichen Sachrichtigkeit 264 und Rationalität 265 . K. Engisch sah gerade in der „Hinwendung zum ReaH.P. Schneider, D Ö V 1975, 443 (451 f.); R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 154ff.; 165ff. - Anderes gilt für das BVerfG. Gemäß §§77, 82 Abs.4, 94 BVerfGG haben auch nicht unmittelbar betroffene Dritte ein Äußerungsrecht. Aus §26 Abs. 1 S. 1 BVerfGG folgert das BVerfG auch die Kompetenz zur Anhörung von Sachverständigen sowie die Veranstaltung von „Hearings"; zu dieser Praxis B.-O. Bryde, in: FS 50 Jahre BVerfG, B d . l , S.533 (536ff.); C.W. Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 369ff.; K. Philippi, Tatsachenfeststellungen des Bundesverfassungsgerichts; F. Ossenbiihl, in: FS 25 Jahre BVerfG, B d . l , S.458ff.; kritisch G. Roellecke, Diskussionsbeitrag, W D S t R L 34 (1975), 126f.: „schlicht rechtswidrig". 258 Hierzu noch unten, §6 IV. 3. c). 259 Zum Folgenden insbes. R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 158ff.; H.-M. Pawlowski, Methodenlehre, Rdnrn. 560ff. 260 Zu der Unterscheidung von Rechtstatsachen und Beweistatsachen F. Haueisen, NJW 1973, 641 (644 Fn.47); K. Röhl, Das Dilemma der Rechtstatsachenforschung, S. 306 Fn. 8; Ch. Starck, W D S t R L Heft 34 (1976), 43 (69). 261 R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 160; C.W. Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 341 ff.; siehe auch schon A. Meier-Hayoz, JZ 1981, 417 (421); W. Schlüter, Das obiter dictum, S.31ff. 262 Zu den „Realien der Gesetzgebung" E. Huber, Recht und Rechtsverwirklichung, 1921, S.283; vgl. allg. zur Realitätsgebundenheit des Rechts R. Zippelius, Rechtsphilosphie, S.45ff. m.w.N. 263 Siehe BVerfGE 36, 47 (60f.); 39, 210 (226); 50,290 (334f.). Zum Stellenwert der Rechtstatsachenforschung für die Gesetzgebung e t w a / / . Hill, Jura 1986,57 (61 ff.); K. Röhl, Das Dilemma der Rechtstatsachenforschung, S.260; für einen entsprechenden Verfassungsauftrag U. Karpen, in: W. Hoppe/W. Krawietz/M. Schulte (Hrsg.), Rechtsprechungslehre, S.29 (47); zur empirischen Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers K. Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, S. 932 ff. 264 Zur Bedeutung empirischer Kenntnisse für die Bewältigung von Wertungsaufgaben P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 125ff. Allgemein zur Forderung nach Sachgerechtigkeit der Gesetzgebung H. Schneider, Gesetzgebung, §4 Rdnrn. 54ff.; G. Radbruch, Rechtsphilosophie, §9; K. Larenz, Richtiges Recht, S. 37ff. 265 So bereits die Forderung des BVerfG in E 34,269 (287); zu diesem Rationalitätsgebot richterlicher Rechtsfortbildung R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 15; W. Brugger, AöR 119 (1994), 1 (6f.); M. Coester, Das Kindeswohl als Rechtsbegriff, S.382ff.; F. Müller, Juristische Methodik, S.197; H.P. Schneider, D Ö V 1975, 443 (445); ders., Richterrecht, Gesetzes-

88

Grundlagen

und

Grundfragen

len" das zentrale Charakteristikum der Konkretisierung 266 und verpflichtete sowohl den Gesetzgeber als auch die Rechtsprechung auf eine „wirklichkeitsbezogene" Rechtsbildung: 267 Der Richter müsse sich „ebenso an den Realien ausrichten wie ein Gesetzgeber dies bei Findung des ,richtigen Rechts' tun muss." 268 In diesem Sinne wird in jüngerer Zeit verstärkt auf die Bedeutung der Rechtsfortbildungs- bzw. Konkretisierungstatsachen hingewiesen.269 Richterliche Regelbildung steht daher unter dem Vorbehalt, dass das Gericht - so bereits K. Larenz - „die wirtschaftlichen, sozialpolitischen und sonstigen Auswirkungen seiner Regel voll zu überblicken vermag" und ihm „die dazu nötigen empirischen Daten ... zur Verfügung stehen." 270 Da die Rechtsprechung bei der Normkonkretisierung legislative Funktionen wahrnimmt, unterliegt sie also vergleichbaren Anforderungen an die Ermittlung und Auswertung der Konkretisierungstatsachen.271 Dies gilt insbesondere für die Konkretisierung von Verweisungsbegriffen wie „Handelsbrauch", „Verkehrssitte", „üblich" oder „Stand der Technik". Hier verlangt das Gebot sachrichtiger Konkretisierung, dass die richterliche Normbildung auf einer aussagekräftigen Basis soziologischer bzw. technischer Feststellungen beruht. 272 Für die Ermittlung der Konkretisierungstatsachen gilt der Untersuchungsgrundsatz.273 Das Gebot sachrichtiger Konkretisierung hat unmittelbare Bedeutung für Zeitpunkt und Tiefe der Konkretisierung. Regelmäßig wird mit Fortschreiten des Konkretisierungsprozesses 274 auch die Sachverhaltskenntnis der Rechtsprechung anwachsen. Es entspricht daher dem Gebot der Sachrichtigkeit, dass sich die Rechtsprechung zumeist von allgemeineren Konkretisierungen wie Beurtei-

recht, Verfassungsrecht, S. 38f.; vgl. allgemein A. Kaufmann, Recht und Rationalität, in: FS für W. Maihofer, S. 11 ff.; R. Zippelius, Rechtsphilosphie, S. 141 ff.; ders., J Z 1999,112 ff. Hierzu auch D. Merten, in: H. Hill (Hrsg.), Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, S. 81 (84ff.), der das Rationalitätsgebot allerdings nicht verfassungsrechtlich fundiert sieht. Zur Rationalitätspflicht des Gesetzgebers K. Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, S. 777ff.; zur Sachbezogenheit der Gesetzgebung ders., a.a.O., S.926ff. 266 K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 85ff.; hierzu auch schon oben, §2 I. 2. 267 K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 120ff. 268 K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 121. 269 C. W. Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 358ff. m.w.N.; siehe auch M. Coester, Das Kindeswohl als Rechtsbegriff, S.367ff. 270 K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.436. 271 So auch C. W. Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 363 f. 272 Zur Praxis des B G H F. Jost, Soziologische Feststellungen in der Rechtsprechung des B G H in Zivilsachen, S. 58ff., 63ff.; vgl. aber auch A Heldrich, AcP 186 (1986), 74 (81ff.). Zur „Urteilsfolgenabschätzung" H. Hof/M. Schulte (Hrsg.), Wirkungsforschung zum Recht III: Folgen von Gerichtsentscheidungen, 2001. 273 C. W. Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 386ff. 274 Zum Prozess der Konkretisierung und ihren Entwicklungsstufen unten, § 7 I., II.

§ 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

89

lungsmaßstäben275 schrittweise „emportastet" zu Quantifizierungen 276 . Gerade bei Quantifizierungen stellen Art und Ausmaß der Rechtsprechungserfahrung einen entscheidenden Indikator für die Sachrichtigkeit der Regelbildung dar.277 b) Einbeziehung

externen

Sachverstands

Kann der Richter die für eine sachrichtige Regelbildung erforderlichen Grundlagen nicht selbst ermitteln, so darf und muss er - grundsätzlich genauso wie der parlamentarische Gesetzgeber - externen Sachverstand in die judikative Regelbildung einbeziehen.278 Das Gebot sachgerechter judikativer Regelsetzung vermittelt der in der Praxis sehr bedeutsamen Konkretisierung durch Rezeption279 ihre innere Legitimation. Voraussetzung ist allerdings, dass die rezipierten Regeln ihrerseits von sachverständigen Regelgebern formuliert sind. Die Sachverständigkeit des externen Normgebers gehört daher zu den generellen Sachrichtigkeitsbedingungen der Konkretisierung durch Rezeption. 280 Eng damit verbunden ist das Gebot sachlicher Neutralität des externen Normgebers. Für die Neutralität von Gesetzgebung und Rechtsprechung enthält die Verfassung institutionelle Vorkehrungen, insbesondere durch die Pluralität und Offenheit des parlamentarischen Verfahrens281 und die grundgesetzlich garantierte Unabhängigkeit der Rechtsprechung 282 . Für private Normgeber bestehen von Verfassungs wegen keine entsprechenden Vorgaben. Wenn die Rechtsprechung im Interesse größerer Sachrichtigkeit ihrer Regelbildung externe Regeln rezipiert, muss sie sich daher der Neutralität und Objektivität der externen Regeln verge-

Hierzu noch unten, § 10. Hierzu noch unten, § 12. 277 Hierzu noch unten, §11 II. 1. b). 278 Zum Teil hat der Gesetzgeber der Rechtsprechung mit der Konkretisierungsaufgabe ausdrücklich die Rezeption externen Sachverstandes vorgegeben, beispielsweise wenn in §906 Abs. 1 S. 2 und 3 B G B auf bestimmte externe Regelwerke Bezug genommen wird. In anderen Fällen hat der Gesetzgeber lediglich einen normativen Rechtsbegriff vorgegeben, beispielsweise den „angemessenen" Unterhalt oder die „angemessene" Testamentsvollstreckervergütung. Hier kann sachgemäße Konkretisierung durch Rezeption sachverständiger, externer Quantifizierungen erzielt werden. 279 Hierzu noch ausführlich § 11 III. 2. b). 280 Hierzu generell unten, § 11 III. 2. b) aa); speziell im Zusammenhang mit der Rezeption technischer Normen § 11 III. 2. d) bb). 281 Siehe BVerfGE 40, 237 (249): Das Gesetzgebungsverfahren ermöglicht mit einem hohen Maß an Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und Entscheidungssuche „größere Möglichkeiten eines Ausgleichs widerstreitender Interessen"; hierzu P. Kirchhof, in: FS zur 600-Jahr-Feier der Universität Heidelberg, S. 11 (29); allg. Ch. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 162ff.;/. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 140ff.; M. Kloepfer, W D S t R L Heft 40 (1982), 63 (66ff.): Gesetz und Gesetzgebung als „Distanzgewähr". 282 Vgl. nur P Noll, Gesetzgebungslehre, S. 54ff., der insoweit allerdings bemängelt, dass für das parlamentarische Verfahren keine entsprechenden Garantien an Unabhängigkeit und Unbefangenheit bestehen (S. 56). 275

276

90

Grundlagen

und

Grundfragen

wissern: Unabhängigkeit und Neutralität sind zentrale Merkmale „sachgerechter Expertenbeteiligung". 283 Dies macht parteiliche und interessengeleitete Regeln - beispielsweise Richtlinien von Berufsverbänden 284 - nicht per se rezeptionsuntauglich. Das Gebot sachrichtiger Konkretisierung verlangt aber, dass sich die Rechtsprechung dabei der geminderten Objektivität bewusst ist und sie mit entsprechend herabgesetzter Aussagekraft in ihre Regelbildung einspeist.

c) Richterliche

Pflicht zum

„Nachfassen"

Genauso wie für den parlamentarischen Gesetzgeber 285 folgt auch für die Gerichte aus dem Gebot sachrichtiger Regelbildung die Pflicht zum „Nachfassen", wenn sich die der Regelbildung zugrundegelegten Konkretisierungstatsachen verändert haben und eine abweichende Regelbildung verlangen. Dies gilt vor allem dort, wo Rechtsetzungsaufgaben mit Blick auf die größere Flexibilität judikativer Regelsetzung delegiert werden. 286 Gerade die Verweisungen auf die sozialen Gepflogenheiten („Verkehrssitte"; „gute Sitten"), den technischen Entwicklungsstand („Stand der Technik") und die Wirtschaftlichkeit („unverhältnismäßiger Aufwand", „wirtschaftlich zumutbar") sind auf eine kontinuierliche Uberprüfung angewiesen. Vergleichbares gilt für die Verweisung auf das „Kindeswohl". Hier muss die richterliche Regelbildung nicht nur die typischen Prognoseunsicherheiten berücksichtigen, sondern auch mit den entwicklungspsychologischen Erkenntnissen Schritt halten. 287 Bewusst entwicklungsoffene Normen vermitteln der Rechtsprechung daher nicht nur einen Aktualisierungsfreiraum, sondern bedeuten zugleich eine Aktualisierungspflicht.™

283 So U.Di Fabio, VerwArch. 1990,193 (211); siehe auch M. Schmidt-Preuß, W D S t R L Heft 56 (1997), 160 (205f.); ders., ZLR 1997, 249 (256f.): „Repräsentanzgebot"; mit Blick auf das Privatrecht G. Bachmann, Jb.J.ZivRWiss. 2000, S. 9 (12f.); hierzu noch eingehend im Zusammenhang mit der Rezeption technischer Normen, § 11 III. 2. d) bb). 284 HierzuJ. Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 1099ff., 1193ff. Problematisch ist dies etwa im Hinblick auf die „Rheinische Tabelle" des Notarvereins für die Vergütung von Testamentsvollstreckern; siehe noch unten, § 11 III. 2. d) cc). 285 Hierzu bereits oben bei Fn.241; zur Institutionalisierung der Vorschriftenkontrolle durch Normprüfungskommissionen am Beispiel der hessischen Normprüfungsstelle J. Riebet, ZRP 2002, 61 ff.; zu experimenteller und befristeter Gesetzgebung A. Chanos, Möglichkeiten und Grenzen der Befristung parlamentarischer Gesetzgebung, 1999; H.-D. Horn, Experimentelle Gesetzgebung unter dem Grundgesetz, 1989. Kritisch zur Beobachtungspflicht des Gesetzgebers S. Huster, ZfRSoziologie 24 (2003), 3 ff.: Da flexible Rechtsetzung nicht die Ausnahme, sondern die Regel sei, mangele es dem verfassungsrechtlichen Postulat einer Beobachtungspflicht an Unterscheidungskraft (17ff., 25). 286 Hierzu oben, §5 IV. 3. b) bb). 287 Vgl. M. Coester, Das Kindeswohl als Rechtsbegriff, insbes. S.365ff. 288 Generell für eine Übertragung der legislativen Anforderungen an die Rechtsprechung C.W. Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S.363f.; zur Pflicht des Gesetzgebers zur Nachsorge ders., a.a.O., S. 343ff.

§ 4 Verfassung und Normkonkretisierung

91

Genauso wie gegenüber der legislativen Rechtsetzung können aber auch gegenüber der judikativen Regelbildung Kontinuitätserwartungen wirksam werden. Aktualisierungspflicht und Kontinuitätsgewähr stehen also in einem Spannungsverhältnis; hierzu sogleich.

3. G e b o t der Rechtssicherheit Legislative Rechtsetzung durch Gesetz verbürgt ein hohes Maß an Rechtssicherheit 289 : Gesetze entfalten unmittelbare Bindungswirkung; sie können nur in einem erneuten parlamentarischen Verfahren geändert werden,290 und rückwirkende Änderungen müssen die Grenzen des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes wahren.291 Damit sind Gesetz und Gesetzgebung wesentliche Garanten der Verlässlichkeit und Verbindlichkeit unserer Rechtsordnung. 292 Bescheidenere Erwartungen richten sich an die Rechtsprechung: Sie muss grundsätzlich nur beteiligtenbezogene Rechtssicherheit durch Rechtskraft ihrer Entscheidungen gewährleisten.293 Weiter gehende, also beteiligtenunabhängige und insoweit gesetzesgleiche Rechtssicherheit könnte die Rechtsprechung nur dann vermitteln, wenn sie umfassend an Vorentscheidungen gebunden wäre.294 Mit einer umfassenden Präjudizienbindung ließen sich die im Bereich der Rechtssicherheit bestehenden Defizite richterlicher Rechtsetzung im Vergleich zu legislativer Rechtsetzung vollständig kompensieren 295 .

289 Zur Rechtssicherheit als Element der Rechtstaatlichkeit Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S.390ff. 290 Eindrücklich W. Seuffert, AöR 104(1979), 169 (170): Der Grundsatz „lex posterior derogat ... gehört zum Begriff der Gesetzgebung, er gilt, sobald von Gesetzgebung die Rede ist"; näher F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 572ff.; D. Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 157ff. 291 Hierzu Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S.417ff.; H. Maurer, Hdb StR Bd.III, §60 Rdnrn. l l f f . ; 5 . Pieroth, Rückwirkung und Ubergangsrecht, 1981; aus jüngerer Zeit M. Stötzel, Vertrauensschutz und Gesetzesrückwirkung, 2002. 292 Siehe nur K. Hesse, Grundzüge des VerfR, Rdnr. 505. Zur „Stabilisierungsfunktion" des Gesetzes etwa J. Braun, Einführung in die Rechtswissenschaft, S.356. 293 Zur Rechtskraft als Ausdruck der Rechtssicherheit siehe nur H. Maurer, Hdb StR Bd. III, § 60 Rdnr. 100; E. Schmidt-Aßmann, Hdb StR Bd. I, § 24 Rdnr. 82. - Eine Ausnahme stellt die in § 31 BVerfGG angeordnete erga-omnes-Wirkung für verfassungsgerichtliche Urteile dar; hierzu M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 427ff.; M. Sachs, Die Bindung des Bundesverfassungsgerichts an seine Entscheidungen, passim; W. Seuffert, A ö R 104 (1979), 169 (187ff.) jeweils m.w.N. 294 Zum Zusammenhang von Präjudizienbindung und Rechtssicherheit siehe nur F. Bydlinski, Rechtstheorie 16 (1985), 1 (42); den., J Z 1985, 149 (152ff.); O.A. Germann, Präjudizien als Rechtsquelle, S. 28ff.; weitere Gründe für die Präjudizienbindung bei M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S.258ff. 295 Zum Kompensationsgedanken oben, § 5 VI. 1.

92

Grundlagen

a) Überblick

über den

und

Grundfragen

Diskussionsstand

O b u n d in w e l c h e m U m f a n g d i e R e c h t s p r e c h u n g a n P r ä j u d i z i e n g e b u n d e n ist, zählt n a c h w i e v o r zu den o f f e n e n F r a g e n der M e t h o d e n l e h r e . Z w a r w i r d v o n allen Seiten u n t e r s t r i c h e n , dass P r ä j u d i z i e n in der P r a x i s v o n a u ß e r o r d e n t l i c h g r o ß e r B e d e u t u n g sind u n d jedenfalls de f a c t o w e i t ü b e r den e n t s c h i e d e n e n Fall hinaus wirken.296 Eine quantitative Analyse v o n Gerichtsentscheidungen hat erg e b e n , d a s s d i e G e r i c h t e i n w e n i g e r als 2 % i h r e r E n t s c h e i d u n g e n v o n P r ä j u d i z i e n a b w e i c h e n 2 9 7 - e i n B e f u n d , d e r s i c h d u r c h a u s als „ v e r d e c k t e

Normwir-

k u n g " 2 9 8 b e s c h r e i b e n lässt. D i e r e c h t l i c h e Q u a l i t ä t d i e s e r A u ß e n w i r k u n g v o n V o r e n t s c h e i d u n g e n wird allerdings unterschiedlich beurteilt.299 D i e „ k l a s s i s c h e " , für das k o n t i n e n t a l e R e c h t s d e n k e n t y p i s c h e V o r s t e l l u n g m i s s t P r ä j u d i z i e n l e d i g l i c h faktische A u f f a s s u n g i s t K. Larenz.30°

B e d e u t u n g bei. Repräsentativ für diese

N i c h t das P r ä j u d i z als s o l c h e s b i n d e , s o n d e r n a l l e i n

die darin richtig ausgelegte o d e r konkretisierte N o r m . 3 0 1 A u c h w e n n P r ä j u d i zien in der P r a x i s „gleiche f a k t i s c h e G e l t u n g o d e r E f f e k t i v i t ä t erlangen w i e ein G e s e t z " , k ö n n e hieraus nicht auf eine n o r m a t i v e Verbindlichkeit

geschlossen

w e r d e n . Präjudizien seien z w a r „ R e c h t s e r k e n n t n i s q u e l l e " , ihre B e a c h t u n g aber

2 9 6 Siehe nur F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 502; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.429; E. Schlechter, Mittlerfunktion der Präjudizien, S.47ff. 2 9 7 Siehe R. Wagner-Döbler, RabelsZ 59 (1995), 1 O f f . sowie ders./L. Philipps, Rechtstheorie 1992, 228ff. Als Datenbasis dienten 9351 Urteile zum Körperschaftssteuerrecht. 2/3 der Entscheidungen haben sich ohne näheren Hinweis auf Vorentscheidungen angeschlossen, und lediglich 5 % der verbleibenden 1/3 der Entscheidungen haben sich ausdrücklich kritisch mit Vorentscheidungen auseinandergesetzt, insbes. durch Zusätze wie „Abweichung", „Änderung", „unter Aufgabe von", „entgegen". Zu demselben Ergebnis gelangt P. Raisch nach Auswertung von 92 BGH-Entscheidungen; P. Raisch, Vom Nutzen der überkommenen Auslegungskanones für die praktische Rechtsanwendung, S. 83 ff. Noch größere Präjudizienachtung zeigt das BVerfG, das nach einer Studie von Th. Lundmark, Rechtstheorie 28 (1997), 315 (330ff.) während seines bisherigen Bestehens in nur einem Dutzend Fällen von seinen Vorentscheidungen abgewichen ist. 2 9 8 So B. Rüthers, Rechtstheorie, Rdnrn. 254 ff. 2 9 9 Vgl. zum aktuellen Diskussionsstand M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S.435ff.; siehe auch den Uberblick über „Grundpositionen zum Richterrecht" bei F. Bydlinski, J Z 1985, 149ff. 300 K. Larenz, in: FS für H. Schima, S. 247ff.; ders., Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.429ff.; ihm folgend auch mit Blick auf das Problem der Konkretisierung D. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, S. 113ff.; siehe auch H. Köhler, J R 1984, 45ff.; E. Picker, J Z 1984, 153 (158); ders., J Z 1988, 62 (73f.); W. Seuffert, A ö R 104 (1979), 169 (173ff.). 301 K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.430; ders., in: FS für H. Schima, S. 247 (261 f.); ähnlich E. Picker, J Z 1984, 153 (158): Der Geltungsgrund der Präjudizien ist nicht „formal, sondern material"; es gilt „das Erfordernis der ständig neuen materialen Legitimierung". Siehe auch F. Müller, Juristische Methodik, S. 350f.: „Entscheidungen wirken ... auf andere Entscheidungen ein;... aber nicht, weil dieses Gericht so entschieden... hat, sondern nach Maßgabe ihrer rechtsstaatlich-methodisch überzeugend verarbeiteten ... Sachargumente" [Hervorhebung im Original].

5 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

93

keine Rechtsfrage, sondern eine Frage der „prüfenden Rechtsvernunft und des gegenseitigen Respekts." 302 Ganz überwiegend wird Präjudizien heute aber eine Bedeutung zugesprochen, die sich als argumentative Verbindlichkeit zusammenfassen lässt. Diese Vorstellung geht einmal auf M. Kriele und seine Theorie von der präsumtiven Verbindlichkeit der Präjudizien 303 zurück. Ein weiterer Wegbereiter ist R. Alexy mit der Figur der Argumentationslast.304 Beide gehen davon aus, dass für Präjudizien grundsätzlich eine Richtigkeitsvermutung streite: Wer von ihnen abweichen wolle, trage hierfür die Argumentationslast und müsse „hinreichende Gründe" vorbringen.305 Anders gewendet verfügen Präjudizien über eine eingeschränkte Bindungswirkung aus Sachgründen, die aber mit den Mitteln der juristischen Argumentation und insbesondere der Dogmatik durchbrochen werden kann. In diese Richtung werden auch die Aussagen des BGH 3 0 6 gedeutet.307 Gerade in jüngerer Zeit hat sich die Diskussion vermehrt um eine über den Aspekt der Rechtssicherheit hinausgehende verfassungsrechtliche Begründung der Präjudizienbindung bemüht. Vorgetragen werden zwei Ansätze: Entweder wird die Präjudizienbindung als Ausdruck richterlicher Selbstbindung aus dem So W. Seuffert, A ö R 104 (1979), 169 (175). M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S.243ff., 258ff.; ihm folgend etwa F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 510; P. Kirchhof, in: FS zur 600-Jahr-Feier der Universität Heidelberg, S. 11 (15f.); H.-J. Koch/H. Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 187; K. Langenbucher, Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, S. 120; F. Ossenbühl, in: H.-U. Erichsen (Hrsg.), Allg. VerwR, S. 111 (154ff.); Ch. Starck, W D S t R L 34 (1976), 43 (70); K. Stern, StaatsR Bd. II, S. 586f.; R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 35ff.; R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 13 II; ähnlich F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 507f.: „subsidiäre" Verbindlichkeit von Präjudizien; H.-M. Pawlowski, Methodenlehre, Rdnrn. 519ff.: „dogmatische" Verbindlichkeit. - Für die Schweiz R. Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 361 ff.; E. Zeller, Auslegung von Gesetz und Vertrag, S.346ff. 304 R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 336; siehe auch M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 243,247,253; K. Stern, StaatsR Bd. II, § 37 II 2 e) e); für eine „Begründungslast" P. Krebs, AcP 195 (1995), 171 (181 ff.). 305 R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 336; ähnlich etwa K. Langenbucher, Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, S. 132: „besonderer Grund"; enger R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 13 II: „vorrangige Gründe". Näher zur Wirkungsweise der Begründungslast P. Krebs, AcP 195 (1995), 171 (205ff.). 306 B G H Z (GS) 85, 64 (66): Eine Abweichung von gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung kann nur hingenommen werden, wenn „deutlich überwiegende oder sogar schlechthin zwingende Gründe dafür sprechen"; genauso B G H Z 87, 150 (155f.); N J W 1994,853 (855); N J W 1994,1344 (1345). Ähnlich judizieren die anderen Obergerichte; siehe B F H E 78,315 (319f.); 141, 405 (430f.): „wichtige Gründe"; B A G E 45, 277 (287f.): „zwingende Gründe"; B S G E 40, 292 (295f.); 58, 27 (33): „schwerwiegende Gründe". Zur vergleichbaren Praxis des schweizerischen Bundesgerichts R. Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S.362ff. 307 So insbes. K. Langenbucher, Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, S. 131 f., die die Formel des B G H ebenfalls im Sinne einer „Argumentationslastverteilung" deutet, nach der lediglich ein „besonderer Grund" im Sinne einer Begründung vorzubringen ist. Vgl. auch H.-M. Pawlowski, Methodenlehre, Rdnrn. 520ff. 302 303

94

Grundlagen

und

Grundfragen

allgemeinen Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 G G ) abgeleitet ( C h . Gusy)™, oder aber Präjudizien werden als Bestandteil des objektiven Rechts verstanden, so dass sie an der Bindung an „Gesetz und R e c h t " (Art. 20 Abs. 3 G G ) teilnehmen (W. Fikentscher, M. Reinhardt)309. Inhaltlich führt diese verfassungsrechtliche Verortung der Präjudizien aber nicht über die zuvor dargestellte argumentative Bedeutung von Präjudizien hinaus. Vielmehr bleibt es auch hier dabei, dass von Präjudizien aus besonderen Gründen abgewichen werden kann. Ch. Gusy spricht insoweit von einem „Gebot der Begründbarkeit von Differenzierungen": Abweichungen von früheren Obersätzen sollen zulässig sein, wenn sie sich aus einer „tatsächlichen oder rechtlichen Ungleichheit" der Fälle begründen lassen. 310

b) Optimale

Präjudizienbindung

D e r Blick auf den Diskussionsstand hat gezeigt, dass es bei der Frage der Präjudizienbindung heute im Wesentlichen darum geht, sich über die Gründe zu verständigen, die eine Abweichung von einem Präjudiz rechtfertigen. Die derzeitige Diskussion krankt allerdings daran, dass nicht hinreichend zwischen den verschiedenen Arten von Präjudizien unterschieden wird. 311 Im Bereich delegierter Rechtsetzung besteht eine insbesondere gegenüber Auslegungs-Präjudizien verstärkte Bindungswirkung: Die Präjudizienbindung muss die Regel, die A b weichung die begründungsbedürftige Ausnahme sein. Diese weitest mögliche, optimale Bindung an Konkretisierungs-Präjudizien beruht im Grundsatz schon auf dem Gewaltenteilungsargument und dem daraus abgeleiteten Kompensationsgedanken, der die richterliche Rechtsetzung in ähnlicher Weise auf die 308 Ch. Gusy, D Ö V 1992, 461 (467ff.); ders., N J W 1988, 2505 (2513ff.); differenzierend R. Riggert, Die Selbstbindung des Richters durch den allgemeinen Gleichheitssatz, S. 42ff., 115ff.; Ch. E. Ziegler, Selbstbindung der dritten Gewalt, S. 79ff., 109ff.; vgl. auch F. Bydlinski,}Z 1984, 149 (152); A. Ohly, AcP 201 (2001), 1 (27ff.); P. Krebs, AcP 195 (1995), 171 (182ff., 186): Gleichbehandlungsgrundsatz als „einer der Rechtfertigungsgründe der Begründungslast"; vgl. auch K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §67 IV; E. Schlächter, Mittlerfunktion der Präjudizien, S.49f. Siehe dagegen aber K. Langenbucher, Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, S. 106ff.; M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S.450ff. 309 W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, S.241 ff.; ders., in: U. Blaurock (Hrsg.), Die Bedeutung von Präjudizien im deutschen und französischen Recht, S. 11 ff.; M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 461 ff. 310 Ch. Gusy, D Ö V 1992, 461 (468); i. Erg. genauso W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, S.243, 346; M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 494ff. 311 Siehe etwa K. Larenx, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.430; H.-M. Pawlowski, Methodenlehre, Rdnr. 103; Ansätze für eine Differenzierung aber bei W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, S. 241 ff., der zwischen der Anwendung eines „bestimmten" Gesetzes - keine Präjudizienbindung - und der richterlichen Rechtsfort- und Rechtsneubildung unterscheidet; siehe auch Ch. Gusy, D Ö V 1992, 461 (468) mit der Unterscheidung zwischen „fallgeprägten" und „normgeprägten" Aussagen früherer Entscheidungen und vor allem P. Krebs, AcP 195 (1995), 171 (200f.).

5 4 Verfassung und Normkonkretisierung

95

Rechtssicherheit verpflichtet wie den Gesetzgeber. 312 Dieses Gebot möglichst weit gehender Präjudizienbindung deckt sich mit der Erkenntnis, dass sich delegierte Rechtsetzung weit gehend einer Richtigkeitskontrolle entzieht (unten aa). Auch Vertrauenserwartungen streiten in besonderer Weise für eine möglichst konsequente Konkretisierungspraxis (unten bb). Grenzen erfährt die Bindungswirkung aber dort, wo die Sachgerechtigkeit der Delegation gerade mit der Flexibilität der richterlichen Rechtsetzung begründet wurde (unten cc).

aa) Materielle

und institutionalisierte

Richtigkeit

Ein als unrichtig erkanntes Präjudiz entfaltet im Interesse verbesserter Rechtserkenntnis und materialer Gerechtigkeit keine Bindungswirkung. 3 1 3 Diese allgemeine Grenze der Präjudizienbindung wirft aber gerade mit Blick auf Konkretisierungs-Präjudizien Probleme auf. Wann ist ein Konkretisierungs-Präjudiz „unrichtig"? Weit mehr noch als bei Auslegungs-Präjudizien stellt sich bei Konkretisierungs-Präjudizien die Frage, worin die inhaltlichen Maßstäbe für ein solches Unrichtigkeitsurteil bestehen sollen. 314 Da im Bereich der Konkretisierung gerade jenseits reiner Gesetzesanwendung judiziert wird, bietet die geschriebene Rechtsordnung zumeist nur einzelne, marginale und selten streitentscheidende Anhaltspunkte für die Richtigkeit einer Konkretisierung. 315 Konkretisierung ist ihrer Natur nach eben nicht normgebundene Rechtsanwendung, sondern selbst Rechtsetzung und Rechtsgestaltung. Zumeist wird die Frage nach „richtiger" Konkretisierung zu ähnlichen Unwägbarkeiten führen wie die Frage nach „richtigem Recht" 316 . 317 Gerade darin zeigt sich auch die besondere Verwandtschaft der Normkonkretisierung mit dem Judizieren im „common law" 318 , das den Präjudizien deshalb so große Bedeutung beimisst,

312 In dieser Richtung auch H.P. Schneider, Richterrecht, Gesetzesrecht und Verfassungsrecht, S.39; siehe auch W. Brugger, AöR 119 (1994), 1 (12f.): Im Interesse der Stabilität sollen die Gerichte „ihre eigenen Entscheidungen möglichst achten" [Hervorhebung nicht im Original]. 313 Dies erkennen auch diejenigen Autoren an, die im Übrigen für eine wie auch immer geartete normative Präjudizienbindung eintreten; siehe nur/! Bydlinski,]2 1984,149 (152); ders., Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S.507, 510; Ch. Gusy, DÖV 1992, 461 (468). 314 F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 506ff.; ders., JZ 1984, 149 (152). 315 Rechtswidrig ist eine Konkretisierung, wenn sie die Grenzen der Delegation überschreitet (oben §5 IV.) oder gegen Gesetzes- und Verfassungsvorgaben verstößt (unten, §5 VI. 6.). 316 Dazu R. Stammler, Die Lehre von dem richtigen Rechte, 2. Aufl. 1926 (Neudruck 1964); hierzu K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 89ff.; ders., Grundzüge einer Rechtsethik, S. 12ff.; U. Diederichsen, in: FS für K. Larenz, S. 127ff. 317 Vgl. M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S.499ff. 318 Zur Präjudizienbindung im anglo-amerikanischen Rechtskreis I. Mc Leod, Legal Method, p. 125ff. sowie die Darstellungen bei J. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, S. 192ff; O.A. Germann, Präjudizien als Rechtsquelle, S.21 ff.; W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. II, S. 82ff.; M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S.243ff.;

96

Grundlagen

und

Grundfragen

weil es sich um Rechtsentscheidung außerhalb gesetzlicher Grundlagen handelt. 319 Hier wie dort lässt sich nicht sinnvoll nach der materiellen Richtigkeit einer Entscheidung fragen. 320 Damit fehlt aber zugleich der entscheidende Rechtfertigungsgrund für eine Abweichung vom Präjudiz: Lässt sich über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit einer Vor-Konkretisierung nicht materiell entscheiden - also im Bereich des „non-liquet" 321 - , ist das Interesse an Einheit und Stabilität der Rechtsordnung grundsätzlich höher zu bewerten als das individuelle Bedürfnis eines Richters nach einer Abweichung vom bereits judizierten Maßstab. 322 Soweit sich die Beachtlichkeit eines Präjudizes nicht anhand materieller Maßstäbe entscheiden lässt, ergibt sich die Durchsetzungsfähigkeit letztlich aus den mit den Prozessordnungen vorgegebenen Instanzenzügen 323 und den bei den Bundesgerichten gebündelten Befugnissen zur Rechtsvereinheitlichung 324 . M. Reinhardt hat dies zur institutionalisierten Richtigkeit325 von Vorentscheidungen zusammengefasst. Wo eine Vor-Konkretisierung nicht die Grenzen des Delegationsauftrages überschreitet oder gegen geschriebene Rechtssätze verstößt, also nachweislich rechtswidrig ist, sind die Untergerichte im Interesse der Konkretisierungskontinuität und des Konkretisierungsgleichklangs daher grundsätzlich 326 an die obergerichtlichen Vor-Konkretisierungen gebunden.

M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 245ff.; E. Schlüchter, Mittlerfunktion der Präjudizien, S.58ff. 3 1 9 Anders D. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, S. 115: Auch im Bereich der Verfassungskonkretisierung sei der „Komplementärfaktor Gesetzesbindung grundsätzlich ... vorhanden" und rechtfertige die für die kontinentalen Rechtsverfassungen „herkömmliche Elastizität der Präjudizienwürdigung". 3 2 0 Vgl. K. Langenbucher, Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, S. 131. 321 So F. Bydlinski, JZ 1984, 149 (152ff.). 3 2 2 Siehe/; Bydlinski, J Z 1984,149 (152): „Im Zweifel muss daher der Gedanke durchdringen, dass nur die Kontinuität der Rechtsprechung der Rechtssicherheit dient und zugleich gewährleistet, dass Gleiches gleich behandelt wird." Ähnlich W. Brugger, AöR 119 (1994), 1 (11 f.): Gerichte sollten „ihre eigenen Entscheidungen möglichst achten". 3 2 3 Siehe §§564 Abs.l S.2 Nr. 2 Z P O (Revision gegen Berufungsentscheidung bei Abweichung von Rechtsauffassung des B G H ) ; § 541 Z P O (Vorlagepflicht); § 565 Abs. 2 Z P O (Bindung an die Rechtsauffassung des Revisionsgerichts bei Zurückverweisung); näher zur Bedeutung der Vorlagepflichten C. W. Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 32 ff. 3 2 4 Siehe §§ 132ff. G V G (Große Senate beim B G H ) ; Art. 95 Abs. 3 S. 1 G G (Einrichtung eines Gemeinsamen Senates der obersten Gerichtshöfe des Bundes). Hierzu C. W. Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 88ff., 107ff.; M. Schulte, Rechtsprechungseinheit als Verfassungsauftrag, 1986; B. Rüthers, Rechtstheorie, Rdnrn. 245ff.; W. Seuffert, A ö R 104 (1979), 169 (183ff.). 325 M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 496ff., insbes. 506ff.; ähnlich bereits R. Zippelius, Wertungsprobleme im System der Grundrechte, S. 211 f.; kritisch dazu D. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, S. 116. 3 2 6 Zur Abweichungsbefugnis sogleich im Text unten, cc.

§ 4 Verfassung und

bb)

Normkonkretisierung

97

Vertrauensschutzerwägungen

Das objektivrechtliche G e b o t nach Kontinuität und Einheit der Rechtsprechung findet seine subjektive Entsprechung im Grundsatz des Vertrauensschutzes. 3 2 7 Maßgeblich für den Umfang des Vertrauensschutzes ist der geschaffene Vertrauenstatbestand. Dieser hängt vor allem vom Stellenwert des Präjudizes ab, also vom Rang des judizierenden Gerichts (Instanzgericht oder Revisionsgericht), von der Konsistenz der Rechtsprechung (Erstentscheidung oder ständige Rechtsprechung) sowie von der Art des Präjudizes (erkennbare Einzelfallentscheidung oder generalisierende Aussage). 3 2 8 Die ersten beiden Gesichtspunkte - Rang des judizierenden Gerichts und Konsistenz der Rechtsprechung - können Auslegungs-Präjudizien regelmäßig in demselben Umfang in Anspruch nehmen wie Konkretisierungs-Präjudizien: Die kontinuierliche Befassung der Rechtsprechung lässt den Vertrauenstatbestand in beiden Fällen mehr oder minder zwangsläufig erstarken. Mit fortschreitendem Konkretisierungsprozess und zunehmender Verfeinerung der Konkretisierung - also insbesondere mit der schrittweisen Erarbeitung von Qualifizierungen oder der Rezeption einzelner Quantifizierungen 3 2 9 - schaffen Konkretisierungs-Präjudizien größere Vertrauenserwartungen: Konnte der B G H die immissionsschutzrechtliche Wesentlichkeitsbeurteilung ( § 9 0 6 Abs. 1 B G B ) unproblematisch von dem Beurteilungsmaßstab des „normalen" auf den Beurteilungsmaßstab des „verständigen" Durchschnittsmenschen 3 3 0 umstellen, wird man differenziertere Überlegungen anzustellen haben, wenn sich die Rechtsprechung dazu entschlösse, bei der Bemessung von Kindes- und Ehegattenunterhalt wieder zum Zwickauer Schlüssel 3 3 1 zurückzukehren. Für einen akzentuierten Vertrauensschutz spricht im Übrigen die besondere Eigenart von Konkretisierungs-Präjudizien: Konkretisierungen werden zwar an Einzelfällen entwickelt, streben insgesamt aber zu normähnlichen, generelVgl. H. Maurer, Hdb StR Bd.III, §60 Rdnr.2. H. Going, JuS 1975, 277 (279ff.); K. Langenbucher, J Z 2003, 1132 (1135ff.); D. Medicus, N J W 1995,2577 (2583); R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 13 II.; zum Gesichtspunkt der Vertrauensinvestition K. Langenbucher, Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, S. 132f.; gegen die Berücksichtigung der „Dauer" und „Festigung" eines Präjudizes O.A. Germann, Präjudizien als Rechtsquelle, S. 46ff. - Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Publizität des Präjudizes; hierzu P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 197 und noch unten, § 5 VI. 5. b) aa). 3 2 9 Zu den Stufen und Formen der Konkretisierung unten, § 7 II.; zu Qualifizierungen unten, §10; zu Quantifizierungen unten, §11. Zur Präjudizienbindung bei Quantifizierungen auch M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S.515f. sowie M.L. Hilger, in: FS für K. Larenz, S. 109 (129). Für eine größere Präjudizienbindung „eindeutiger" Präjudizien auch BVerfG, N J W 1993, 720. 3 3 0 In B G H Z 120, 239 (255) sind Vertrauenserwartungen auch nicht problematisiert worden; im Einzelnen dazu noch unten, § 9 II. 2. a). 331 Nach dem Zwickauer Schlüssel wurde dem Unterhaltsberechtigten lediglich 1/3 des Erwerbseinkommens zugesprochen; siehe L G Gera, DAVorm 1951/2, 117. Zur Unterhaltsbemessung durch Rezeption von Unterhaltstabellen noch eingehend unten, § 11 III. 2. e). 327 328

98

Grundlagen

und

Grundfragen

len Aussagen 332 . 333 Besonders ausgeprägt ist der Vertrauenstatbestand damit in Bereichen, w o die Rechtsprechung im Interesse größerer Sachgerechtigkeit 334 ganze Regelwerke rezipiert wie beispielsweise technische Regeln oder Unterhaltstabellen. 335 Gleichwohl werden Vertrauensschutzerwägungen nur in seltenen Fällen einer sachlich gebotenen Rechtsprechungsabweichung (unten cc) entgegenstehen. Die damit zwangsläufig verbundene „Rückwirkung" 336 ist nicht generell unzulässig, sondern im Einzelfall mit Blick auf das Ausmaß des enttäuschten Vertrauens und die Dringlichkeit der Abweichung zu entscheiden. 337 Je „gesetzesgleicher" eine Rechtsprechung ist - also bei einer gefestigten, höchstrichterlichen Rechtsprechung mit normähnlicher Generalität und Aussagekraft - , umso eher wird man zwar die restriktiven Maßstäbe anlegen müssen, die für die Rückwirkung von Gesetzen 338 gelten. 339 In diesen Fällen stehen der Rechtsprechung aber verschiedene Handlungsmöglichkeiten offen, um gleichwohl langfristig zu einer Änderung ihrer Maßstäbe zu gelangen. Ihr kommt dabei zugute, dass sie über den Richterspruch zielgerichteter und unmittelbarer als der Gesetzgeber auf Inhalt und Ausmaß der Kontinuitätserwartungen einwirken kann. Vor allem kann sie die Vertrauenserwartungen schrittweise absenken, insbesondere indem sie - zunächst im Rahmen von obiter dicta - Zweifel an der

332 Vgl. auch Gh. Gusy, DÖV 1992,461 (468) mit der Unterscheidung von „einzelfallgeprägten" und „normgeprägten" Aussagen. 333 Zum Konkretisierungsprozess]. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 72ff. und noch unten, §71. 334 Hierzu bereits oben, §5 VI. 2. 335 Dieser grundsätzliche Vertrauenstatbestand hindert aber nicht die Anpassung der Konkretisierung in der Zeit, also die Bezugnahme auf die jeweils aktuelle Fassung der technischen Norm oder Unterhaltstabelle; hierzu noch unten, § 11 III. 2. a). 336 Zu der unterschiedlichen Zeitwirkung von Gesetz und Richterspruch P. Kirchhof, in: FS zur 600-Jahr-Feier der Universität Heidelberg, S. 11 (24f.); im Zusammenhang mit der Frage der Rückwirkung A. Meier-Hayoz,]Z 1981, 417 (422); K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §72 I 6. 337 So die Argumentation in BVerfGE 59, 128 (166); Beispiele für solche Abwägungen bei D. Medicus, NJW 1995, 2577 (2581 ff.); K. Langenbucher, Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, S. 134ff.; W. Veelken, AcP 185 (1985), 46 (68ff.). 338 Hierzu Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 417ff.; E. Schmidt-Aßmann, Hdb StR Bd. I, §24 Rdnrn. 86ff.; K. Stern, StaatsR Bd. I, §20 IV 4 g). 339 Für eine entsprechende Anwendung BGHZ 52, 365 (369); H.-J. Bunte, NJW 1985, 705 (710f.); G. Dürig, in: M/D/H/S, GG, Stand der Bearbeitung: 1973, Art.3 Abs.l Rdnrn. 402f.; W. Grunsky, Grenzen der Rückwirkung bei einer Änderung der Rechtsprechung, S. 14ff.; W. Knittel, Zum Problem der Rückwirkung bei einer Änderung der Rechtsprechung, S.20ff., 50ff.; D. Medicus, NJW 1995,2577 (2582ff.); grundsätzlich auch W. Veelken, AcP 185 (1985), 46 (64ff.); kritisch aber Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 431 ff.; K. Langenbucher, Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, S. 138f.; H. Maurer, Hdb StR Bd. III, §60 Rdnrn. 108ff.; D. Olzen,]Z 1984, 155 ff. Während sich das BVerfG früher generell gegen eine Übertragung der Rückwirkungsregeln aussprach (E 18, 224 [240f.]), heißt es in E 59, 128 (165f.) nur noch, die „Grundsätze über die rückwirkende Änderung von Gesetzen [können] nicht ohne weiteres auf vergleichbare Wirkungen der Rechtsprechung übertragen werden".

5 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

99

bisherigen Rechtsprechung anmeldet und sich vermehrt mit gegenläufigen Stellungnahmen auseinandersetzt, 3 4 0 um so eine Kehrtwende vorzubereiten. 3 4 1 Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass sie ihre Maßstäbe nicht in einer einzigen Entscheidung korrigiert, sondern in mehreren Schritten graduelle Anpassungen vornimmt, 3 4 2 beispielsweise indem sie den Integritätszuschlag bei der Reparatur von Kraftfahrzeugen nicht auf einmal von derzeit 3 0 % 3 4 3 auf 5 0 % anhebt, sondern ihn fortlaufend durch geringfügige Änderungen - beispielsweise um 3 oder 5 % - den veränderten Wertungen anpasst. Schließlich kann die Rechtsprechung das Vertrauensproblem dadurch entschärfen, dass sie R e c h t sprechungsänderungen ankündigt, 3 4 4 wie es der B G H jüngst beispielsweise für den Grundsatz unbeschränkter Gesellschafterhaftung einer G b R im Zusammenhang mit Anlegern eines geschlossenen Immobilienfonds getan hat. 3 4 5

ccj

Abweichungsbefugnis

D e r Kompensationsgedanke und die normähnliche, in besonderer Weise Vertrauenserwartungen erzeugende Gestalt von Konkretisierungs-Präjudizien begründen zwar eine weit gehende, aber keine unumschränkte Bindung an Vorkonkretisierungen. Eine Abweichungsbefugnis muss insbesondere dort bestehen, w o die Delegation der Rechtsetzungsaufgabe gerade mit Blick auf die größere Flexibilität judikativer Rechtsetzung erfolgt, also in Bereichen, die in besonderer Weise einem Wandel der tatsächlichen Gegebenheiten oder der A n schauungen und Werte unterliegen. 3 4 6 Genauso wie das B V e r f G in der Soraya-

3 4 0 Das Ausmaß schutzwürdigen Vertrauens wird auch dadurch beeinflusst, wieviel Kritik und Widerspruch eine Rechtsprechung erfährt; vgl. BVerfGE 84, 212 (227f.); B G H Z 52, 365 (370); D. Medicus, N J W 1995, 2577 (2583); K. Langenbucher, Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, S. 133f. 341 Nach F. Bydlinski, J Z 1984, 149 (153) ist solche Praxis „unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit wohltätig und damit geboten". Zu solchen versteckten „Warnurteilen" auch G. Därig, in: M / D / H / S , G G , Stand der Bearbeitung: 1973, Art. 3 Abs. 1 Rdnr.405. 342 Solche „Maßstabsapproximation" liegt im Bereich der dem Richter stets verbleibenden Gestaltungsfreiheit; so M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 511 ff.; vgl. zur Vereinbarkeit einer solchen „Politik der kleinen Schritte" mit dem Rechtsstaatsprinzip auch R. Wank, Z G R 1988,314 (373). 3 4 3 Hierzu noch unten, §11 II. 1. 3 4 4 So H. Maurer, Hdb StR Bd.III, §60 Rdnr.113; W. Veelken, AcP 185 (1985), 46 (66); K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §72 I 6. Kritisch hingegen F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 509f.; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 434f.; E. Picker, J Z 1984, 153. Für eine Ankündigungspflicht insbes. G. Dürig, M / D / H / S , G G , Stand der Bearbeitung: 1973, Art. 3 Abs. 1 Rdnrn. 189, 223, 402; ders., in: FS der Tübinger Juristenfakultät zu ihrem 500jährigen Bestehen, S.21 (38); W. Knittel, Zum Problem der Rückwirkung bei einer Änderung der Rechtsprechung, S.58ff. 3 4 5 Siehe B G H Z 150,1 (5) und zur Zulässigkeit solcher Rechtsprechung mit Wirkung für die Zukunft K. Langenbucher, J Z 2003, 1132ff. 3 4 6 Zur Zeitbezogenheit des Privatrechts bereits oben, §5 IV. 3. b) bb).

100

Grundlagen

und

Grundfragen

Entscheidung 347 die Gesetzesbindung mit Blick auf das „Altern der Kodifikationen" gelockert hat, ist mit der Zeit auch die Bindung an judizielle Vorkonkretisierungen zu relativieren, wenn sich die Verhältnisse geändert haben. 348 Die Bindung an eine Vorkonkretisierung kann nicht stärker sein als die Gesetzesbindung. Vielmehr kann jede Form der Rechtsetzung, sei es originäre, sei es delegierte Rechtsetzung, mit der Zeit einem „Funktionswandel" unterliegen. 349 Gerade wenn es sich um eine gefestigte Judikatur handelt, darf der Konkretisierungsbestand aber nicht leichtfertig aufgegeben werden, etwa nur weil eine abweichende Konkretisierung dem jeweiligen Beurteiler „zeitgemäßer" erscheint. 350 Die mit der Präjudizienabkehr verbundene Einbuße an Rechtssicherheit muss vielmehr durch den Gewinn an „Wertungsharmonie und Erwartungskonformität in der gegenwärtigen Rechtsordnung" deutlich kompensiert sein. 351 Dies gilt es vor allem dann zu beachten, wenn eine Rechtsprechungsänderung nicht auf veränderte Tatsachen oder Erkenntnisse, sondern auf einen Wertewandel gestützt wird. 352 Im Interesse größerer „Wertungsharmonie" stets berechtigt sind aber solche Änderungen der Konkretisierungspraxis, die im Wesentlichen dazu dienen, die Rechtsentscheidung zu öffnen für die in der Rechtsordnung insgesamt wirksamen Wertungen,353 Ein Beispiel hierfür ist die bereits angesprochene Veränderung des Beurteilungsmaßstabes im Rahmen der Konkretisierung des §906 Abs. 1 B G B , mit dem die Wesentlichkeitsbeurteilung u.a. für das gewachsene Umweltbewusstsein oder die aufmerksamer wahrgenom-

3 4 7 BVerfGE 34,269 (288f.); genauso BVerfGE 96,375 (394); BVerfG, N J W 1998, 3557 (3558) - Haftung Minderjähriger; allg. für eine striktere Bindung an jüngere Gesetze als an ältere H.-M. Pawlowski, Methodenlehre, Rdnrn. 95, 411, 578f.: O. Mühl, in: FS für L. Raiser, S. 159 (174 f.); kritisch zu dieser Argumentation Ch. Hillgruber,]7. 1996, 118 (121). 3 4 8 Vgl. B G H Z 52,365 (369f.); F. Bydlinski,]Z 1984,149 (153);/. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S.228. 3 4 9 Gerade mit Blick auf die Konkretisierung F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 577ff.; ähnlich W. Brugger, A ö R 104 (1994), 1 (15f.); F. Müller, Juristische Methodik, S.46f.: „Normwandel"; H.-M. Pawlowski, Methodenlehre, Rdnrn. 115ff. 3 5 0 So F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 580. 351 F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S.581; vgl. auch R. Zippelius, Rechtsphilosphie, §23 V.; ders., Einführung in das Recht, S. 37. - U . U . sind also im Interesse der Rechtssicherheit Einbußen an innerer Folgerichtigkeit hinzunehmen, ohne dass die Grenze verfassungswidrigiger Willkür erreicht wäre; siehe C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 126f. 3 5 2 Besondere Probleme ergeben sich insoweit im Vertragsrecht. Weil hier in größerem Maße Vertrauensschutzerwägungen wirksam sind, rechtfertigt ein allgemeiner Wertewandel zwar eine Änderung der Konkretisierung, nicht aber ihre Rückwirkung. Maßgeblicher Bewertungszeitpunkt für das Sittenwidrigkeitsurteil nach §138 B G B ist daher der Vertragsschluss; hierzu D. Medicus, N J W 1995, 2577 (2478ff.); zur Feststellung des Zeitpunkts des Wertewandels H.-J. Bunte, N J W 1985, 705 (706ff.). 3 5 3 Gerade im Privatrecht beruht dieser Wertewandel nicht zuletzt auf den System- und Weltanschauungswechseln, die seit dem Inkrafttreten des B G B stattgefunden haben; hierzu B. Rüthers, J Z 2002, 365 (366f.).

5 4 Verfassung

und

Normkonkretisierung

101

menen Interessen von Kindern und Jugendlichen geöffnet werden konnte.354 Genauso eindeutig wird man auch der Änderung der Rechtsprechung zur Bemessung des nachehelichen Unterhalts (§1578 BGB) zustimmen können, nach der Erwerbseinkünfte eines zuvor haushaltsführenden Ehegatten künftig nicht mehr im Wege der Anrechnungs-, sondern im Wege der Differenzmethode zugrunde zu legen sind.355 Diese Änderung war nötig geworden, um den veränderten Lebensplänen und Erwerbsbiographien Rechnung zu tragen, und zwar vor allem mit Blick auf die gesetzlich vorgegebene Gleichwertigkeit von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit.356 Auch hier überwiegt das Interesse an der mit der Änderung bewerkstelligten wertungsmäßigen Harmonisierung der Rechtsordnung die damit verbundene Einbuße an Rechtssicherheit.357 Konsequenterweise sind auch entsprechende Abänderungsklagen zuzulassen.358 Besser wäre es allerdings, dass sich eine Konkretisierungspraxis gar nicht erst so weit von ihren wertungsmäßigen und sozialen Grundlagen entfernte, bis sie nur noch durch eine grundlegende Judikaturänderung wieder in Gleichstand mit der allgemeinen Rechtsentwicklung gebracht werden kann. Dazu wird man der Rechtsprechung im Interesse einer fortlaufenden, evolutiven Anpassung der judizierten Maßstäbe an veränderte Erkenntnisse oder sozialen Wandel grundsätzlich eine Befugnis zur graduellen Anpassung und Abweichung von Vorkonkretisierungen zugestehen müssen.359 Dies dient nicht nur der Aktualität und Evolutionsfähigkeit360 des Rechts; auch mit Blick auf die Rechtssicherheit wird die kontinuierliche Anpassung häufig die verträglichere Lösung darstellen als der abrupte Bruch mit eingespielten Konkretisierungen,361 zumal

Im Einzelnen noch unten, § 10 II. 2. a). BGH, NJW 2001, 2254ff.; gebilligt von BVerfG, NJW 2002,1185 = JZ 2002, 658 mit kritischer Anm. von K. Muscheler. 356 Vgl. BGH, NJW 2001, 2254 (2256f.). 357 Der BGH hat die Zulässigkeit der Rechtsprechungsänderung und auch ihrer Rückwirkung allerdings nicht problematisiert. Zur Frage, inwieweit die geänderte Rechtsprechung eine Abänderung noch auf alter Grundlage ergangener Unterhaltstitel erlaubt, H. Büttner, NJW 2001,3244 (3246). 358 So jetzt OLG Köln, NJW 2002,3640 (3641): Es könne nicht Sinn der Rechtskraft von Urteilen sein, die zu Dauerschuldverhältnissen ergangen sind, verfassungswidrige Verhältnisse auch dann aufrecht zu erhalten, „wenn sich bei einer weit gefassten Norm, die bisher eine bestimmte Auslegung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung erfahren hat, jetzt eine andere Auffassung durchsetzt und diese sogar vom BVerfG zur Vermeidung verfassungswidriger Verhältnisse für erforderlich erachtet wird, nur weil es sich hierbei nicht um eine Gesetzesänderung handelt." 359 Hierfür M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 511 ff.: „approximative Gestaltungsfreiheit". 360 Zur Evolution des Rechts M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S.398ff.: „legis evolutio"; siehe auch W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, S. 142, 144; zum evolutiven Charakter des Gemeinschaftsrechts unten, § 13 I. 2. e) bb). 361 H.P. Schneider, Richterrecht, Gesetzesrecht und Verfassungsrecht, S. 39; vgl. auchJ. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 228. 354 355

102

Grundlagen

und

Grundfragen

wenn dies der Optimierung des Rechtsgüterschutzes 362 dient. Gerade dort, wo das Privatrecht mit dem technisch-wissenschaftlichen Fortschritt Schritt halten muss, wird das Interesse an einer sach- und zeitgerechten, d.h. aktuellen Konkretisierung eventuelle Kontinuitätserwartungen regelmäßig überwiegen.363 Gleiches gilt im Hinblick auf die wirtschaftlichen Lebensverhältnisse: Auch hier ist eine fortlaufende Anpassung der Konkretisierung häufig nicht nur vorzugswürdig, sondern auch zur Verwirklichung materieller Gerechtigkeit geboten, beispielsweise bei der Festsetzung des Mindestbedarfs beim Kindesunterhalt.364 4. G e b o t der Rechtsgleichheit Das Gebot der Rechtsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 G G ) richtet sich sowohl an den Gesetzgeber als auch an die Rechtsprechung. Vom Gesetzgeber verlangt es Rechtsetzungsgleichheit (Gleichheit des Gesetzes) 365 und von der Rechtsprechung Rechtsanwendungsgleichkeit (Gleichheit vor dem Gesetz). 366 Gleichwohl ist es vor allem der Gesetzgeber, der für die Gleichheitskonformität der Rechtsordnung zur Verantwortung gezogen wird: Bei gesetzesgebundener Rechtsetzung stellen sich Gleichheitsverstöße primär als Verstöße gegen die Gleichheit des Gesetzes dar, und eine auf Art. 3 Abs. 1 G G gestützte Selbstbindung der Rechtsprechung wird weit gehend abgelehnt.367 Auch hier folgt aber aus dem Kompensationsgedanken 368 , dass die Rechtsprechung, wenn sie kraft gesetzlicher Aufgabendelegation rechtsetzend tätig wird, ihrerseits Rechtsetzungsgleichheit zu gewährleisten hat.369 362 Zum Argument des „dynamischen Grundrechtsschutzes" für die Sachgerechtigkeit einer Delegation bereits oben §5 bei Fn. 190. 363 Das heißt insbesondere, dass nicht an der Rezeption veralteter technischer Regeln festgehalten werden soll, sondern die jeweils geltende Regel zu rezipieren ist. Dies dient nicht nur der Sachgerechtigkeit und Aktualität der Konkretisierung, sondern ist auch im Interesse der Rechtssicherheit vorzugswürdig, weil durch eine fortlaufende Anpassung geringere Vertrauenserwartungen enttäuscht werden als nach jahrzehntelanger, ständig weiter veralternder Praxis. 364 Zum Gebot der Aktualität der Rezeption noch unten, § 11 III. 2. b). 365 Zu den daraus folgenden Anforderungen H. Schneider, Gesetzgebung, §4 Rdnrn. 62ff. 366 Insbes. G. Dürig, in: M/D/H/S, GG, Art. 3 Abs. 1 (Stand der Bearbeitung: 1973), Rdnrn. 398ff. 367 BVerfGE 19,38 (47); 71,354 (362f.); hierzu bereits oben im Zusammenhang mit der abweichenden Auffassung von Ch. Gusy (Fn. 308); für die Schweiz R. Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S.374; weitergehend H.-M. Pawlowski, Methodenlehre, Rdnrn. 102f. 368 Hierzu bereits oben, §5 VI. 1. 369 Vgl. E. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 199f.; P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 194f.; angedeutet bei W. Brugger, AöR 114 (1979), 1 (12); P. Kirchhof, N J W 1986, 2275 (2280). - Zumeist wird diese Bindung der Rechtsprechung aber noch unter das Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit gefasst; siehe BVerfGE 84, 197 (199); 58, 369 (374) sowie H.D.Jarass, in: H.D. Jarass/B. Pieroth, GG, Art. 3 Rdnr. 37. - Bei der späteren Anwendung der im Zuge der Konkretisierung formulierten Rechtsregeln bleibt die Rechtsprechung aber an das Gebot der Rechtsan-

5 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

103

Zentrales G e b o t der Rechtsetzungsgleichheit ist die Gleichgerechtigkeit der Konkretisierung durch gleichheitsgerechte Differenzierungen und Generalisierungen (unten a). Weitere Anforderungen ergeben sich aus dem Postulat system- und folgerichtiger Konkretisierung (unten b).

a)

Gleichgerechtigkeit

Konkretisierende Regelbildung muss dem G e b o t der Gleichgerechtigkeit genügen: Wesentlich Gleiches darf nicht ungleich und wesentlich Ungleiches soll seiner Eigenart entsprechend unterschiedlich behandelt werden. 3 7 0 Dies ist nicht nur ein G e b o t des Verfassungsrechts, sondern ein allgemeines Postulat der G e rechtigkeit. 371 A m G e b o t der Gleichgerechtigkeit sind Generalität bzw. Differenzierungsvermögen judikativer Regelbildung zu überprüfen: Gleichheitsgerechte Regelbildung muss sowohl in ihren Generalisierungen als auch in ihren Differenzierungen sachgerecht sein, also von sachlichen, die gleiche bzw. unterschiedliche Behandlung rechtfertigenden Gründen getragen sein. 372

aa) Sachgerechte

Generalisierung

Das Gebot, wesentlich Gleiches gleich zu behandeln, verbietet sachwidrige Differenzierungen. Gleichgelagerte Fallgruppen dürfen nicht ohne zureichenden Grund von einer Konkretisierungsregel ausgenommen werden. Die Frage einer unzulässigen Differenzierung stellt sich, wenn der Anwendungsbereich konkretisierender Regeln auf bestimmte Fallgruppen begrenzt wird. So hat die Rechtsprechung beispielsweise zur Konkretisierung des § 6 1 6 S. 1 B G B die R e gel aufgestellt, dass zur Pflege kranker Kinder eine Dienstverhinderung bis zu fünf Tagen regelmäßig als „verhältnismäßig nicht erheblich" anzusehen ist, 373 diese Regel aber nicht auf andere Verhinderungsfälle übertragen. Ein anderes Beispiel ist die im Zusammenhang mit § 2 5 1 A b s . 2 S . 2 B G B entwickelte 3 0 % Regel, die nur Kfz-Schäden, nicht aber andere Arten von Sachschäden erfassen soll. 374 Genauso wie der Gesetzgeber muss sich auch die Rechtsprechung nach der Sachgerechtigkeit solcher Differenzierungen fragen lassen; sie müssen sich

Wendungsgleichheit gebunden: Die mit der Konkretisierung beauftragte Rechtsprechung hat also Rechtsetzungs- und Rechtsanwendungsgleichheit zu verwirklichen. 370 So für die Gleichheitsbindung des Gesetzgebers BVerfGE 1,14 (52); 76,256 (329); 78, 249 (287); P. Schneider, Gesetzgebung, §4 Rdnr.62. 371 Vgl. W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, S.188ff.; K. Larenz, Richtiges Recht, S.38ff.; R. Zippelius, Rechtsphilosphie, §§16ff., §40. 372 Zur Unterscheidung von Gleichgerechtigkeit und Sachgerechtigkeit etwa K. Larenz, Richtiges Recht, S.38ff., 124ff. 373 B A G E 30, 240 Lts. 1; hierzu noch unten, § 11 III. 2. b) bb) (2). 374 Siehe unten, § 11 II. 3.

104

Grundlagen

und

Grundfragen

auf nachvollziehbare Sachgründe zurückführen lassen. 375 So wird die 30%-Regel beispielsweise zu Recht nicht auf die Verletzung von Tieren übertragen, weil bei der Verletzung von Tieren typischerweise Affektionsinteressen wirksam werden, die eine weitergehende Ersatzpflicht rechtfertigen. 376 Daneben können solche sachlichen Beschränkungen richterlicher Konkretisierungsregeln aber auch Ausdruck des unterschiedlichen Konkretisierungsstandes sein, also dass beispielsweise für andere Fallgruppen noch kein ausreichendes Erfahrungsmaterial für eine Regel von gleicher Konkretion besteht. Gerade Quantifizierungen werden sich dort zuerst herausbilden, wo schon wegen der Anzahl der Fälle das größte Bedürfnis nach feststehenden Maßstäben besteht. Dass sich Konkretisierungsregeln auf bestimmte Fallgruppen beschränken, muss daher nicht notwendig einen Verstoß gegen das Gebot gleichgerechter Konkretisierung bedeu-

bb) Sachgerechte

Differenzierung

Mit fortschreitender Konkretisierung kann sich aber auch die umgekehrte Frage stellen, nämlich ob Konkretisierungen, insbesondere Qualifizierungen und Quantifizierungen, ausreichend differenzieren. Dem Gesetzgeber billigt das BVerfG insoweit einen weiten Gestaltungsspielraum zu: Eine unzulässige Gleichbehandlung von Ungleichem wird erst dann angenommen, wenn die tatsächlichen Ungleichheiten so bedeutsam sind, dass ihre Nichtbeachtung „gegen eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise" verstößt. 378 Damit verbunden ist eine weit gehende Befugnis zu Typisierung und Pauschalierung. 379 Engere Grenzen wird man allerdings der konkretisierenden Regelbildung durch die Rechtsprechung ziehen müssen. Sie kann sich nicht in demselben Maße auf die allgemein zugunsten von Typisierungen angeführten Praktikabilitätserwägungen 380 zurückziehen, weil ihr der Auftrag zu delegierter Rechtsetzung zumeist gerade deshalb erteilt wurde, um eine sachnähere und damit differenzierendere Rechtsgestaltung zu ermöglichen. 381 Mehr noch als der

375 Vgl. BVerfGE 90, 145 (196); 75, 108 (175); 94, 241 (260): Die Auswahl der Sachverhalte muss „sachlich vertretbar" u n d darf nicht „sachfremd" sein; näher zur Prüfungsintensität des BVerfG gegenüber Gesetzen H.D. Jarass, in: H . D . Jarass/B. Pieroth, G G , Art. 3 R d n r n . 18ff. 376 Z u r Rechtfertigung der Beschränkung der 30%-Regel auf K f z noch unten, § 11 II. 3. 377 Entscheidend ist dann aber, dass sich die Rechtsprechung bei der Entscheidung von Fällen, die nicht unter die bestehenden Konkretisierungsregeln fallen, mit der inhaltlichen Maßgabe der Konkretisierungsregel auseinandersetzt. Wenn eine Differenzierung aus Sachgründen nicht zu rechtfertigen ist, muss sie denselben inhaltlichen Maßstab z u g r u n d e legen. Mit der Zeit wird dies zu einer Erweiterung der ursprünglichen Konkretisierungsregel f ü h r e n . 378 BVerfGE 52, 256 (263); 86, 81 (87); 98, 365 (385). 379 Vgl. etwa B V e r f G E 21, 12 (27f.); 78, 214 (226f.); 82, 126 (151 f.); 89, 15 (24); 96, 1 (6f.). 380 Etwa L. Osterloh, in: M. Sachs (Hrsg.), G G , Art. 3 R d n r n . 106ff., 108. 381 Zu den Delegationsgründen oben, § 5 IV. 3. b).

§ 4 Verfassung

und

Normkonkretisierung

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Gesetzgeber muss die Rechtsprechung bei ihrer Regelbildung darauf bedacht sein, dass ihre Typisierungen der realen Typizität entsprechen, also tatsächlich Ausdruck einer entsprechenden Wertungshomogenität sind. Eine richterliche Regel darf sich nur auf solche Fallgruppen erstrecken, in denen typischerweise dieselben Sachgesichtspunkte und Interessen wirksam sind. Das Gebot ausreichender Differenziertheit judikativer Regeln dient damit auch der vollständigen Umsetzung der mit der Delegation formulierten Abwägungs- und Bewertungsaufträge. 382 Typisierende Rechtsregeln lassen sich umso eher rechtfertigen, je mehr Sachverhaltskenntnis und Rechtsprechungserfahrung sich in ihnen widerspiegelt. Gerade bei Quantifizierungen kommt daher dem Zeitpunkt der Konkretisierung große Bedeutung zu. 383 Aber auch bei denkbar größter Konkretisierungserfahrung wird eine Konkretisierungsregel niemals eine abschließende Sachregelung darstellen können. So wie der Gesetzgeber auf individuelle Härten durch Ausnahme- und Billigkeitsklauseln 384 Rücksicht nehmen muss, sind judikative Typisierungen stets auf den „Regelfall" zu beschränken. Solche „Regelfallkonkretisierung" bezeichnet eine immanente Grenze judikativer Typisierung. 385

cc) Insbesondere

bei der Rezeption

externer

Quantifizierungen

Diese Gebote gleichheitsgerechter Generalisierung und Differenzierung sind in der Praxis von noch größerer Bedeutung, wenn die Rechtsprechung zur Konkretisierung externe Regelwerke rezipiert. Eine gleichheitsgerechte Konkretisierung kann nur gelingen, wenn dem externen Regelwerk ausreichende Differenzierungen zugrunde liegen und die Rechtsprechung diese auch ihrerseits bei der Rezeption umsetzt. 386 Hier berühren sich also die Anforderungen der Gleichgerechtigkeit mit der Sachrichtigkeit 387 von Konkretisierungen.

b) Systematische

Folgerichtigkeit

Eng mit dem Gleichheitsgedanken verbunden ist das Gebot systematischer Folgerichtigkeit der Rechtsetzung. 388 Das BVerfG verlangt vom Gesetzgeber ein Zum Vollständigkeitsgebot von Quantifizierungen noch unten, § 11 II. 3. F. Haueisen, NJW 1973, 641 (644); zur Konkretisierungserfahrung als Kriterium für die Sachrichtigkeit von Quantifizierungen noch unten, § 11 II. 2. Für mit der Zeit zunehmende Differenzierungsanforderungen an den Gesetzgeber H. Schneider, Gesetzgebung, §4 Rdnr. 63. 384 I. Pernice, Billigkeit und Härteklauseln im öffentlichen Recht, insbes. S. 266ff. 385 Hierzu noch unten im Zusammenhang mit Unterhaltstabellen, § 11 III. 2. e). 386 Dieser Gesichtspunkt wird im Zusammenhang mit der Einschlägigkeit der rezipierten Regel geprüft; siehe noch unten, § 11 III. 2. b). 387 Hierzu bereits oben, §5 VI. 2. 388 Hierzu C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 16ff., 382 383

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Grundlagen

und

Grundfragen

hinreichendes Maß an innerer Stimmigkeit und Plausibilität der Rechtsetzung. 389 Darin verbinden sich Argumente des Gleichheitssatzes 390 mit überpositiven Anforderungen an gerechte, „richtige" Gesetzgebung. 391 Für die judikative Rechtsetzung folgt daraus, was F. Bydlinski im Zusammenhang mit der Konkretisierung von Generalklauseln als „systematischen Test" 3 9 2 beschrieben hat: Jede erwogene Konkretisierung ist im Vorfeld daraufhin zu untersuchen, ob sie sich „ohne Widerspruch in die einschlägige geltende Rechtsordnung einfügen lässt": Gesetzliche Interessenbewertungen und normative Maßstäbe dürfen nicht „durchkreuzt" werden. 393 Darin spiegelt sich einmal die Gesetzesbindung der Normkonkretisierung 394 wider; daneben ist die Rechtsprechung aber auch zu Folgerichtigkeit innerhalb der judikativen Rechtsregeln verpflichtet. 395 Wirksam wird das Gebot systematischer Folgerichtigkeit beispielsweise im Zusammenhang mit der Bestimmung des unterhaltsrechtlichen Selbstbehalts. Die in der Rechtsprechung dazu entwickelten Richtsätze müssen vereinbar sein mit sachähnlichen Quantifizierungen-, sie sind also mit anderen gesetzlichen Bestimmungen des Existenzminimums abzustimmen, insbesondere den Sozialhilfesätzen und den Pfändungsfreigrenzen. 396

97ff.; 125ff.; Cb. Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, insbes. S.98ff.; P. Kirchhof, Hdb StR Bd. V, §124 Rdnrn. 222H.-J. Kohler, JZ 2003, 1081 (1086ff.); einschränkend M. Kloepfer, W D S t R L Heft 40 (1982), 63 (83f.); kritisch F.-J. Peine, Systemgerechtigkeit, 1986. - Dieses gleichheitsrechtliche Gebot der Systemgerechtigkeit überschneidet sich mit dem rechtsstaatlichen Gebot der Widerspruchsfreiheit; vgl. BVerfGE 98,83 (97) - Landesabfallabgabengesetz; E 98,106 (119) - Verpackungssteuer; E 98,265 (301) - bayerisches Schwangerenhilfeergänzungsgesetz; Ch. Degenhart, StaatsR Bd. I, Rdnr. 356. Zum Gebot der Folgerichtigkeit im Zusammenhang mit der Aufspaltung des LPartG einerseits R. Scholz/A. Uhle, N J W 2001, 393 (394f.); andererseits ]. Wasmuth, Der Staat 2002, 47 (51 f.). 3 8 9 Eingehend zur Rechtsprechung F.-J. Peine, Systemgerechtigkeit, S. 26ff. 3 9 0 Hierzu C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 125 ff. 391 So C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 16 ff.: „Emanation der Rechtsidee"; P. Schneider, Gesetzgebung, §4 Rdnrn. 58ff.: allgemeine „Gerechtigkeitspostulate". Zum Erfordernis der inneren Widerspruchslosigkeit schon R. Stammler, Die Lehre vom richtigen Rechte, S. 140ff.; mit Blick auf das Familienrecht U. Diederichsen, in: FS für K. Larenz, S.128 (134ff.). 392 F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 582ff. 393 F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S.584; vgl. auch H.-P Schneider, Richterrecht, Gesetzesrecht und Verfassungsrecht, S. 33: Verpflichtung des Richters zu regelmäßiger Prüfung, dass seine Rechtsschöpfung nicht zu Widersprüchen innerhalb der Rechtsordnung führt. 394 Hierzu noch unten, §5 VI. 6. a). 3 9 5 So auch P Kirchhof, N J W 1986, 2275 (2280). 3 9 6 Hierzu unten, § 11 III. 2. e) cc) (a) (2).

5 4 Verfassung

und

Normkonkretisierung

107

5. Gebot der Normenklarheit Unter dem Oberbegriff der Normenklarheit sind verschiedene rechtsstaatliche Gebote zusammengefasst, die dem Bürger die „Erkennbarkeit des vom Gesetzgeber Gewollten" 397 sichern sollen. Rechtsstaatliche Normenklarheit bedeutet Verständlichkeit und Zugänglichkeit des Rechts: Verständlichkeit vor allem im Sinne hinreichender Bestimmtheit und Widerspruchsfreiheit, und Zugänglichkeit verstanden als Publizität von Rechtsnormen. 398 Die Gebote der Verständlichkeit und Zugänglichkeit werden zumeist unmittelbar mit der Funktion der Legislative verknüpft. 399 Wo aber die Rechtsprechung kraft gesetzlicher Delegation materiell rechtsetzend tätig wird, muss sie sich ebenfalls an den Geboten der Normenklarheit messen lassen.400 Der im Gewaltenteilungsgrundsatz fußende Kompensationsgedanke 401 verlangt einen weitest möglichen Ausgleich der mit der Delegation verbundenen Einbuße an Normenklarheit. a)

Normenverständlichkeit

aa) Hinreichende

Bestimmtheit

Das Gebot der Normenverständlichkeit verpflichtet auch die Rechtsprechung bei der Formulierung judikativer Konkretisierungsregeln zu größt möglicher Bestimmtheit. Dass der Konkretisierungsauftrag gerade Ausdruck rechtsstaatlich hingenommener verminderter Bestimmtheit ist,402 stellt die Rechtsprechung nicht frei von Bestimmtheitserwartungen. Vielmehr erscheinen die Einbußen an gesetzlicher Bestimmtheit gerade deshalb als hinnehmbar, weil ihnen entsprechende Anforderungen an judikativer Bestimmtheit gegenüberstehen. Das Gebot der Normenklarheit favorisiert sachnahe Konkretisierungen: Konkretisierungen in Form von Quantifizierungen sind bestimmter als Beurteilungsmaßstäbe wie beispielsweise der schon mehrfach erwähnte „verständige Durchschnittsmensch" 403 . Der der Rechtsprechung bei der judikativen Regelsetzung mögliche Grad an Bestimmtheit hängt vor allem vom Stand des Konkretisierungsprozesses ab: Mit zunehmender Konkretisierungserfahrung ist die Rechtsprechung auch in der Lage, sachnähere Konkretisierungsregeln zu for397 Ch. Degenhart, StaatsR Bd.I, Rdnr.349; ders., DÖV 1981, 477 (484); H. Hill, Jura 1986, 286 (289f.). 398 Vgl. nur H. D. Jarass, in: H.D. Jarass/B. Pieroth, GG, Art. 20 Rdnr. 66. 399 Etwa Ch. Degenhart, DÖV 1981, 477 (483f.); K. Hesse, Grundzüge des VerfR, Rdnr. 505; K. Stern, StaatsR Bd.I, §20 IV 4f) ß). 400 H.-P. Schneider, Richterrecht, Gesetzesrecht und Verfassungsrecht, S. 38f. spricht insoweit von „Entscheidungsklarheit" als einem Gebot der „Rationalität" von Richterrecht. 401 Hierzu oben, §5 VI. 1. 402 Zum Bestimmtheitsgebot bereits oben, §4 IV. 3. a). 403 Hierzu noch unten, § 10 III. 1.

108

Grundlagen

und

Grundfragen

mulieren.404 Demgegenüber konfligieren die Bestimmtheitserwartungen gerade bei jüngeren Normen oder Normen, die noch wenig praxisrelevant geworden sind, 405 mit den rechtsstaatlichen Geboten einer sachrichtigen406 und beständigen 407 Regelbildung. Gegenüber den Nachteilen vorschneller, unsachgemäßer und daher alsbald zu berichtigender Regelbildung wird das Interesse an möglichst bestimmten Konkretisierungsregeln aber weit gehend zurücktreten müssen. 408 Das Bestimmtheitsgebot ist also durch die gegenläufigen Forderungen nach sachrichtiger und rechtssicherer Regelbildung deutlich relativiert.409 Gleichwohl ist nicht auszuschließen, dass das Gebot möglichst bestimmter Konkretisierung eines Tages praktisch relevant wird. Denkbar wäre dies, wenn die Rechtsprechung trotz jahrzehntelanger Judikaturerfahrung keine Konkretisierungsregeln formulierte. 410 Solche Konkretisierungsverweigerung kann das Recht des Bürgers auf klare Normgebung und vorhersehbare Rechtsanwendung verletzen. Kommt die Rechtsprechung ihrem Konkretisierungsauftrag dauerhaft nicht nach, kann sich auch der Gesetzgeber nicht mehr auf seine Delegation berufen, sondern ist zum Nachfassen verpflichtet. 411 bb)

Begründung

Begründungen leisten einen wesentlichen Beitrag zur Normenverständlichkeit. Es ist Ausdruck des Rechtsstaatsgebotes sowie des Demokratieprinzips, dass Hoheitsträger ihre Entscheidungen begründen müssen.412 Begründungen verpflichten zu Rationalität und Nachvollziehbarkeit. 413 Nicht umsonst wird gera4 0 4 Zur Konkretisierungserfahrung als Gesichtspunkt für die Sachrichtigkeit von Quantifizierungen bereits oben, § 4 VI. 2. sowie noch unten, § 11 II. 2.; zum Konkretisierungsprozess noch unten, § 7 I. 4 0 5 Siehe hierzu noch das Beispiel des § 650 B G B , wo für die Konkretisierung der „Wesentlichkeit" des Kostenvoranschlages bislang - soweit ersichtlich - nur ein obergerichtliches Urteil zu finden ist; hierzu noch unten, § 11 II. 2. 4 0 6 Zum Gebot der Sachrichtigkeit der Konkretisierung oben, §4 VI. 2. 4 0 7 Zum Gebot der Konkretisierungskontinuität oben, §4 VI. 3. 4 0 8 Etwas anderes kann aber dann gelten, wenn die Rechtsprechung ihre mangelnde Konkretisierungserfahrung durch Rezeption entsprechender sachverständiger Regeln kompensieren und damit ihrer Konkretisierung zu größerer Bestimmtheit verhelfen könnte. 4 0 9 Zum Gebot praktischer Konkordanz widerstreitender Konkretisierungsanforderungen noch unten, §6 II. 2. 4 1 0 Oder wenn sie dauerhaft bei Scheinkonkretisierungen (unten §8) stehenbliebe. 411 Zum Rückholrecht des Gesetzgebers bereits oben, §4 V. 3. 412 H.-M. Pawlowski, Methodenlehre, Rdnrn. 660ff.;/i Raisch, Juristische Methoden, S. 135f.; allg. U. Kischel, Die Begründung zur Erläuterung staatlicher Entscheidungen gegenüber dem Bürger, 2002; mit Blick auf die Rechtsprechung P. Gottwald, ZZP 98 (1985), 113ff.;£ Müller, Juristische Methodik, Rdnrn. 160, 223; P. Albuquerque, Funktionen und Struktur der Rechtsprechung im demokratischen Rechtsstaat, S.92ff. - Zur einfachgesetzlichen Regelung siehe §313 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 3 Z P O für Urteile; für Gesetze siehe §§66, 77 GeschOBT. 413 Gh. Starck, W D S t R L Heft 34 (1976), 43 (71 ff.); H.-P. Schneider, Richterrecht, Gesetzesrecht, Verfassungsrecht, S.38f.; mit Blick auf die Exekutive Gh. Pestalozza, N J W 1981, 2081

5 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

109

de die richterliche Begründungspflicht besonders aufmerksam wahrgenommen,414 und zwar vor allem im Interesse der Transparenz der Sachargumente. Bei förmlichen Gesetzen wird dieses Bedürfnis im Wesentlichen durch das Gestvzgtbun^sv erfahren erfüllt, durch die Gesetzesmaterialien, die Dokumentation der Aussprachen und nicht zuletzt durch die Berichterstattung der Medien.415 Bei judikativer Regelsetzung konzentrieren sich diese Transparenzerwartungen auf die Begründung.416 Sie muss nicht nur die Funktionen einer Urteilsbegründung417, sondern auch die Funktionen einer Gesetzesbegründung erfüllen, indem sie der nachfolgenden Rechtsprechung Anhaltspunkte für die nähere Bestimmung von Inhalt, Zweck und Reichweite einer judikativen Regel bietet. Im Interesse einer konsistenten Weiterentwicklung der Rechtsprechung richten sich an die Konkretisierungsbegründung - abhängig von der Art der Konkretisierung und dem Fortschritt des Konkretisierungsprozesses - unterschiedliche Erwartungen: Zu Beginn des Konkretisierungsprozesses, wenn sich die konkretisierende Regelbildung noch relativ nah an der gesetzlichen Unbestimmtheit bewegt, muss die Begründung vor allem Anhaltspunkte für die Umsetzung der konkretisierenden Regel bieten, insbesondere indem die hinter der Regel stehende Interessenbewertung transparent gemacht wird.418 Mit zuneh-

(2086); allg. zu Sinn und Zweck richterlicher Begründungen W. Schlüter, Das Obiter dictum, S. 94ff. Zum Begriff der Rationalität J.-M. Priester, Jb. für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 1 (1977), S. 457 (461 ff.); W. Krawietz, Rechtstheorie 15 (1984), 423 (434ff.); A. Kaufmann, in: FS für W. Maihofer, S. 11 (18ff.). 414 ]. Brüggemann, Die richterliche Begründungspflicht, 1971; R. Christensen/H. Kudlich, Theorie richterlichen Begründens, 2001; G. Haverkate, ZRP 1973,281ff.; M. L. Hilger, in: FS für K. Larenz, S. 109 (114ff.); M. Jahn,JA 2002,518ff.; H.-J. Koch/H. Rüßmann, Juristische Begründungslehre; H.-J. Koch, in: R. Alexy/H.-J. Koch/L. Kuhlen/H. Rüßmann (Hrsg.), Elemente einer juristischen Begründungslehre, S.37ff.;/? Krebs, AcP 195 (1995), 171ff.;i! Raisch, Juristische Methoden, S. 134ff.; Ch. Starck, W D S t R L Heft 34 (1976), 43 (71 ff.); im Zusammenhang mit der Konkretisierung des „Kindeswohls" M. Coester, Das Kindeswohl als Rechtsbegriff, S.399ff. 415 R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 199; für Rechtsverordnungen Th. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, S. 138ff. Für eine Begründungspflicht des nationalen Gesetzgebers nach dem Vorbild der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung aus Art. 253 E G etwa K. Redeker, NJW 2002, 2756 (2759); Th. v. Danwitz, Jura 2002, 93 (100) m.w.N. 416 E t w a i Raisch Juristische Methoden, S. 137; Ch. Starck, W D S t R L Heft 34 (1976), 43 (72): „gesteigerte Begründungspflicht" bei „offenen" Gesetzesbegriffen; G. Teubner, Standards und Direktiven in Generalklauseln, S. 107. 417 Für Zivilurteile gemäß §313 Abs. 1 Nr.6, Abs.3 ZPO; hierzu BVerfG NJW 1988, 1456 (1458); P. Gottwald, ZZP 98 (1985), 113ff.; W. Grunsky, Entscheidungsbegründung im deutschen zivilgerichtlichen Verfahren, in: R. Sprung (Hrsg.), Die Entscheidungsbegründung in europäischen Verfahrensrechten und im Verfahren vor internationalen Gerichten, S. 63ff.;/. Lücke, Begründungszwang und Verfassung, 1987; L. Rosenberg/K. Schwab/P. Gottwald, ZivilprozessR, §60 II 2. e); Zöller/M. Vollkommer, ZPO, §313 Rdnrn. 19ff. 418 Von besonderer Bedeutung ist diese naturgemäß bei Abwägungsentscheidungen; hierzu noch eingehend unten, §5 IV. 3. b) und § 10 II. 2.

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Grundlagen

und

Grundfragen

mender Sachnähe der konkretisierenden Regelbildung, wenn sich also Quantifizierungen und Qualifizierungen herausgebildet haben, verändert sich der Erwartungshorizont, und die richterliche Begründung muss vor allem die Reichweite der postulierten Konkretisierung begründen. Neben diese Begründung bei der erstmaligen Aufstellung einer konkretisierenden Regel tritt die besondere Begründungspflicht bei abweichender Regelbildung. 419

b) aa)

Normenzugänglichkeit Publizitätsanforderungen

Gesetze bieten in besonderer Weise Orientierungssicherheit durch Normenzugänglichkeit: Ihre Publizität ist mit Art. 82 Abs. 1 GG generell vorgegeben. 420 Demgegenüber verlangen die Prozessordnungen von Richtersprüchen grundsätzlich keine Publikation, sondern lediglich die Bekanntmachung an die Beteiligten durch Verkündung (§§31 Off., 317 ZPO). 421 Darin spiegeln sich abermals die Allgemeinbezogenheit des Gesetzes und die Beteiligtenbezogenheit des Richterspruches 422 wider. Diese allein auf die Beteiligten bezogene Publizität von Richtersprüchen lässt sich aber dann nicht mehr rechtfertigen, wenn die Entscheidungen über den konkreten Anlassfall hinauswirken sollen. 423 Dies gilt gerade dort, wo die Rechtsprechung kraft gesetzlicher Delegation Rechtsbildungsaufgaben wahrnimmt: Je deutlicher die beanspruchte Allgemeingültigkeit und Regelwirkung einer Entscheidung sind, desto mehr wächst die Rechtsprechung in die gesteigerten Publizitätsanforderungen des Gesetzgebers hinein. 424 Bislang bestehen weder verbindliche Vorschriften noch einheitliche Richtlinien darüber, welche Entscheidungen in welchem Umfang wo abzudrucken sind. 425 Sowohl die Publikationspraxis der Gerichte in amtlichen Sammlungen und Fachzeitschriften als auch die elektronischen Zugriffsmöglichkeiten über 419 K. Stern, StaatsR Bd. II, §37 II 2 e) e); allg. zur Begründungspflicht bei Präjudizienabweichung oben, §4 VI. 3. b) cc). 420 Näher P Noll, Gesetzgebungslehre, S. 195 ff. 421 Zu den Wirkungen der Verkündung L. Rosenberg/K. Schwab/P. Gottwald, ZivilprozessR, §60 I 2.; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, §310 Rdnr.l. - Eine Ausnahme stellt §31 Abs.2 S.3 BVerfGG dar. Der Sache nach wird damit aber die Publikationspflicht von Gesetzen weitergeschrieben, weil nur solche Urteile zu publizieren sind, die gemäß § 31 Abs. 2 S. 1 BVerfGG Gesetzeskraft erlangen. 422 P. Kirchhof, in: FS zur 600-Jahr-Feier der Universität Heidelberg, S. 11 (29). 423 P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 196f. Zur Praxis des schweizerischen Bundesgerichts O.A. Germann, Präjudizien der Rechtsquelle, S. 30. 424 Besonders deutlich H.-P. Schneider, Richterrecht, Gesetzesrecht, Verfassungsrecht, S. 40: „Richterrecht steht unter dem Vorbehalt der Publizität"; ähnlich die Forderungen von R. Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S.349; P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 195; R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S.278. 425 Mit Ausnahme von §31 Abs.2 S.3 GG; so auch schon R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S.200.

§ 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

111

Internet 426 und Juris 427 haben aber inzwischen zu einer weit gehenden Zugänglichkeit von Entscheidungen beigetragen. 428 Diese faktische Zugänglichkeit jedenfalls der höchstgerichtlichen Entscheidungen 429 relativiert zwar die verfassungsrechtliche Forderung nach judikativer Normenklarheit; zu ersetzen vermag sie eine staatliche Publikationspflicht jedoch nicht. 430

bb) Insbesondere bei der Rezeption externer Regelwerke Wird in einem Gesetz auf andere Regelungen verwiesen, so ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip das Erfordernis, dass der Bürger ohne Zuhilfenahme spezieller Kenntnisse die in Bezug genommene Regelung und deren Inhalt mit hinreichender Sicherheit feststellen können muss. 431 Zieht die Rechtsprechung zur Regelbildung externe Regelwerke heran, erstreckt sich das Zugänglichkeitsgebot daher auch auf die externen Regelwerke. Für manche externen Regelwerke bestehen ohnehin geschriebene Publikationserfordernisse, beispielsweise für Verordnungen (Art. 82 Abs.l S.2 G G ) oder kommunale Regelwerke wie z.B. Mietspiegel (§ 588c Abs. 4 S. 2 B G B ) . Anders sieht es aber für private und judikative Regelwerke aus. 432 Für sie bestehen derzeit keine Veröffentlichungspflichten. Bei der Rezeption privater Regelwerke wird man aber die bloße Zugänglichkeit genügen lassen müssen: Private Regelwerke stellen kein „Sonderwissen des Staates" dar, sondern stehen zwischen Staat und Bürger. Von Verfassungs wegen geboten ist daher lediglich die Zugänglichkeit, nicht aber die Veröffentli-

Vgl. D. Jahnel/P. Mader, E D V für Juristen, 2. Aufl. 1998, S. 171 ff. Hierzu M. Herberger/]. Berkemann (Hrsg.), in: FS zum 10jährigen Bestehen der juris GmbH, 1995; U. Karpen/S. Schiel, Jura 1991,527ff,;F. Klein, D B 1989, 548ff.; M. Schlagböhmer, JZ 1990, 262ff.; allg. zu Rechtsdatenbanken E. Bund, Einführung in die Rechtsinformatik, 1991, S. 242ff.; D. Jahnel/P. Mader, E D V für Juristen, 2. Aufl. 1998, S. 63 ff.; B. Mielke, Bewertung juristischer Informationssysteme, 2000. 4 2 8 Von einer „Informationskrise", wie sie H. Kramer, in: J. Rödig (Hrsg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, S. 722 ff. in den siebziger Jahren konstatierte, dürfte inzwischen wohl keine Rede mehr sein. Siehe auch S. Simitis, Informationskrise des Rechts und Datenverarbeitung, 1970. 429 D. Olzen,yZ. 1985,155 (157) konstatiert eine „umgekehrte Proportionalität" zwischen der Zahl der ergangenen und der publizierten Entscheidungen, da der B G H nur einen Bruchteil von Verfahren abschließt, dafür aber ca. siebenmal mehr Entscheidungen als die Instanzgerichte publiziert. 4 3 0 Zur Unterscheidung von Zugänglichkeit und Publikationsgebot U. Battis/Ch. Gusy, Technische Normen im Baurecht, Rdnrn. 427ff. 431 BVerfGE 5,25 (31 f.); 8,274 (302); 22,330 (346); BVerwG DVB1.1962,137(138); zu Fremdverweisungen und Publikationsgebot W. Brugger, VerwArch. 1987, lff.; I. Ehsen, D O V 1984, 654ff.; H. Hill, Jura 1986,286 (289); weitergehend für eine Publikationspflicht im amtlichen Verkündungsblatt F. Ossenhühl, DVB1.1967, 401 (406f.). 4 3 2 Gleiches gilt für die Verwaltungsvorschriften, für die - anders als für Rechtsverordnungen - ebenfalls keine Verkündungspflicht besteht; hierzu F. Ossenhühl, DVB1.1999,1 (4); ders., Hdb StR Bd. III, §65 Rdnr.69; weitergehend Ch. Gusy, DVB1.1979, 720. 426 427

112

Grundlagen

und

Grundfragen

chung gerade durch den Staat.433 Bei technischen Normen genügt also die Veröffentlichung durch den Normgeber, 434 und für Tarifverträge gewährleistet das beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung geführte Tarifregister die erforderliche Zugänglichkeit.435 Größere Anforderungen sind zu stellen, wenn judikative Regelwerke, also namentlich Unterhaltstabellen rezipiert werden. Sie stellen in der Tat ein „Sonderwissen" 436 der Rechtsprechung dar, das aus Gründen der Normenklarheit und Orientierungssicherheit von Seiten der Rechtsprechung bekannt zu geben ist. Zu Recht drängten die ortsansässigen Rechtsanwälte das LG Düsseldorf zu Beginn der sechziger Jahre dazu, die als „Arbeitsgrundlage" verwendete Unterhaltstabelle „auf den Tisch zu legen" und zu veröffentlichen. 437 Allerdings wurde die Tabelle zunächst nur als Urteilsanhang ausgegeben.438 Darin liegt eine gewisse Rückwirkung, weil das Gericht sein Regelwerk erst im Nachhinein bekannt gegeben hat. Im Interesse der Orientierungssicherheit ist es daher zu begrüßen, dass die Tabellen inzwischen losgelöst von Entscheidungen und damit im Vorhinein bekannt gegeben werden.439

6. Gesetzes- und Grundrechtsbindung Folgten aus den vorstehend betrachteten Geboten der Sachrichtigkeit, Rechtssicherheit, Rechtsgleichheit und Normenklarheit vor allem formale Anforderungen, so ziehen die Gesetzes- und Grundrechtsbindung der judikativen Rechtsetzung materielle Grenzen.

433 So U. Battis/Ch. Gusy, Technische Normen im Baurecht, Rdnrn. 431 f.; gegen eine verfassungsrechtliche Publikationspflicht auch H. Schneider, Gesetzgebung, § 12 Rdnr. 405. 434 Für Normen des D I N siehe D I N 820 Teil 1 Nr. 5.3; Blatt 4 Nr. 2.5.1 bis 2.6.2. Mit W. Brugger, VerwArch. 1987,1 (14) wird man aber im Hinblick auf die allgemeine Zugänglichkeit präzisieren müssen, dass die Regelwerke der privaten Normungsverbände nicht nur allgemein beziehbar sein müssen, sondern „auch nicht zu teuer sein dürfen". Ob dies für den Vertrieb der Normen des D I N durch den Beuth Verlag Berlin zutrifft, bedarf kritischer Uberprüfung; so auch E. Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, S. 164. 435 Für andere private Regelwerke - beispielsweise die Vergütungsrichtlinien für Testamentsvollstrecker des Deutschen Notarvereins - wird man die Veröffentlichung in Fachzeitschriften genügen lassen müssen; hierzu noch unten, § 11 III. 2. d) cc). 436 Hiervon machen U. Battis/Ch. Gusy, Technische Normen im Baurecht, Rdnrn. 431 f. eine Publikationspflicht abhängig. 437 Zur Entwicklung der Unterhaltstabellen V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S.33ff.; hierzu noch unten, §11 III. 2. e). 438 L G Düsseldorf, D R i Z 1962, 251. 439 Zur Kompetenz der Gerichte zur Aufstellung solcher judikativen Regelwerke eingehend noch unten, § 11 III. 2. e) bb).

5 4 Verfassung und

a) Unzulässigkeit

Normkonkretisierung

gesetzeskorrigierender

113

Konkretisierung

Die Rechtsprechung ist bei der Erfüllung der Konkretisierungsaufgabe an „ G e setz und R e c h t " gebunden. 4 4 0 Dies ist Ausdruck der in Art. 20 Abs. 3 G G angelegten Rechtsetzungsprärogative des Gesetzgebers: Judikative Rechtsetzung ist abgeleitete und nachgeordnete Rechtsetzung. 4 4 1 Als abgeleitete Rechtsetzung unterliegt die richterliche Regelbildung den schon aufgezeigten Grenzen der gesetzlichen Delegation, 4 4 2 als nachgeordnete Rechtsetzung muss sie im Einklang mit der geschriebenen Rechtsordnung stehen. Sie ist an die Verfassung sowie an die Gesetze im formellen und materiellen Sinne gebunden, und auch Rechtsverordnungen gehen ihr im Rang vor. 4 4 3 Allerdings findet die konkretisierende Regelbildung regelmäßig im gesetzesfreien Raum statt; abgesehen von der Delegationsnorm selbst bestehen zumeist keine weiteren gesetzlichen Vorgaben. Gesetzeskorrigierende N o r m k o n k r e t i sierung wird daher eher selten sein. 4 4 4 Praktisch wichtiger als die unmittelbare Gesetzesbindung ist die damit in engem Zusammenhang stehende Forderung, dass sich richterliche Regelbildung nicht in Widerspruch zu sachähnlichen gesetzlichen Vorgaben setzen soll. Darin findet sich das bereits unter Gleichheitsaspekten beleuchtete G e b o t systematischer Folgerichtigkeit wieder. 4 4 5

b) Grundrechtsentfaltung aa)

durch

Normkonkretisierung

Grundlagen

Aus dem größeren Themenbereich der Verfassungsbindungen privatrechtlicher Normkonkretisierung stellt die Frage der Grundrechtsgebundenheit sicherlich den Problemausschnitt dar, der am aufmerksamsten wahrgenommen wird, nicht zuletzt, weil hier immer wieder reale „Ubergriffe" des Verfassungsrechts, sprich des B V e r f G , auf die Zivilrechtsprechung 4 4 6 stattfinden. Im Mittelpunkt 4 4 0 Siehe aus jüngerer Zeit etwa BVerfGE 96,375 (394) - „Kind als Schaden"; allg. zur Bindung der Rechtsprechung an „Gesetz und Recht" J. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 117ff.; P. Kirchhof., N J W 1986, 2275ff.; H.H. Rupp, N J W 1973, 1769ff.; H.-P. Schneider, D Ö V 1975, 443 ff.; Ch. Starck, V V D S t R L Heft 34 (1976), 43 (46ff.). 441 Hierzu bereits oben, §4 III. 2., IV. 4 4 2 Siehe bereits oben, § 4 V. 4 4 3 Zur Abgrenzung von „Rezeption" und „Geltung" bei Rechtsverordnungen noch unten, §11 III. 2. c) aa). 4 4 4 Auch das klassische Beispiel gesetzeskorrigierenden Richterrechts - die Gewährung von Schmerzensgeld bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts (hierzu nur J. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 91 ff.) - gehört nicht in diesen Zusammenhang, weil die gesetzeswidrige Korrektur auf der Ebene des Tatbestands und nicht bei der Konkretisierung der „Angemessenheit" vorgenommen wurde. 4 4 5 Hierzu bereits oben, §4 VI. 4. b). 4 4 6 Zur Verfassungsbindung des Privatrechtsgesetzgebers aus jüngerer Zeit etwa BVerfG, N J W 1999,1621 - Verfassungsmäßigkeit des § 1836 Abs. 2 B G B ; BVerfG, N J W 1999,1853 - Ver-

114

Grundlagen

und

Grundfragen

steht die Konkretisierung der Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB. Unter Berufung auf die „Ausstrahlungswirkung" der Grundrechte hat das BVerfG - um nur einige Beispiele aus jüngerer Zeit zu nennen 447 - die Rechtsprechung des BGH zur Wirksamkeit der Erbunfähigkeitsklausel des Hauses Preußen 448 gebilligt, während für Bürgschaften vermögensloser Familienangehöriger 449 und für Eheverträge, durch die eine Schwangere vor der Ehe auf jeden Unterhalt verzichtet, 450 mit Blick auf die Privatautonomie eine stärkere Inhaltskontrolle eingefordert wurde. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen dieser vom BVerfG etwas diffus als „Ausstrahlung" 451 bezeichneten Einwirkung der Grundrechte auf die unbestimmten Rechtsbegriffe und Generalklauseln des Privatrechts sind inzwischen weit gehend geklärt. Mit der Figur der Schutzpflicht hat sowohl die Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers 452 als auch die Grundrechtsbindung der privatrechtlichen Rechtsprechung 453 ihren verfassungsrechtlichen Standort bekommen. Wo die Rechtsprechung anstelle des Gesetzgebers zur Regelbildung aufgerufen ist - also namentlich im Bereich der Normkonkretisierung - , unterliegt die richterliche Regelbildung denselben Anforderungen wie die Normsetzung durch den Gesetzgeber. 454 Es ist also weniger die theoretische Begründung, an der die Frage der Grundrechtswirkung im Privatrecht krankt, als vielmehr der Umstand, dass die Grundrechte ihrerseits in hohem Maße unbestimmt sind. 455 Sieht man in den Grundrechten ebenfalls Konkretisierungs-, fassungswidrigkeit der §§2232,2233 BGB; vgl. weiter V. Götz, in: W. Heyde/Ch. Starck (Hrsg.), 40 Jahre Grundrechte in ihrer Verwirklichung durch die Gerichte, S. 35 (46ff.); A. Röthel, JuS 2001, 424ff.; M. R u f f e r t , Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 88ff., 201 ff. 447 Eingehende Darstellungen etwa bei C. Clauen, AöR 122 (1997), 65 ff.; P. Krause, JZ 1984, 656ff., 711 ff., 828ff.; M. R u f f e r t , Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, insbes. S.287ff., 360ff., 398ff., 476ff. 448 BVerfG, NJW 1999, 566 - Preußen. 449 BVerfGE 89, 214 - Bürgschaft. 450 BVerfG, NJW 2001, 957 - Eheverträge. 451 Vgl. nur BVerfGE 81,242 (256); 89,214 (229); 90,27 (33ff.); 97,169 (175). Hierzu H.D.Jarass, AöR 120 (1995), 345 (352f.); M. R u f f e r t , Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 65 ff. 452 Hierzu bereits im Zusammenhang mit den Grenzen der Delegierbarkeit, §4 IV. 2. c). 453 Grundlegend C.-W. Canaris, AcP 184 (1984), 201 (225ff.); ders., Grundrechte und Privatrecht, 1999, S.37ff.; siehe seitdem e t w a J . Hager, JZ 1994, 373 (378ff.); Ch. Hillgruber, AcP 191 (1991), 69 (73ff.); M. Holoubek, Grundrechtliche Gewährleistungspflichten, S.243ff., 270ff.; J. Isensee, in: FS für B. Großfeld, S.485 (497ff,)-,H.D. Jarass, AöR 120 (1995), 345 (352f.); M. Oldiges, in: FS für K.H. Friauf, S.281 (299ff.);/. Pietzker, in: FS für G. Dürig, S.345 (356ff.); K. Stern, StaatsR Bd. III/l, § 76 IV 5 und nun eingehend M. R u f f e r t , Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 141 ff., 201 ff., 252f. 454 Vgl. BVerfGE 84, 212 (228f.); 59, 231 (256f.); S. Oeter, AöR 119 (1994), 529 (558). 455 Hierzu U. Diederichsen, in: Ch. Starck (Hrsg.), Rangordnung der Gesetze, S.39 (85ff.); ders., Jura 1997, 57 (61); R. Wahl, Der Staat 20 (1981), 485 (202); ders., NVwZ 1981, 401 (403); eingehend M. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, S. 141 ff., 155ff.

§ 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

115

also Rechtsbildungsermächtigungen456, so trägt die Frage nach einer Grundrechts "bindung" der Zivilrechtsprechung bei der Ausfüllung unbestimmten einfachen Gesetzesrechts tatsächlich Züge einer Quadratur des Kreises.457 Dieser Befund lädt gerade dazu ein, im Interesse zivilistischer Selbstbehauptung den „Vorrang" der Grundrechte überhaupt in Frage zu stellen.458 Weiterführender - auch im Interesse der Wahrung der Eigengesetzlichkeit des Privatrechts459 - dürfte die Betrachtung der Konkretisierungsund -kontrollkompetenzen460 sein. In der verfassungsrechtlichen Verpflichtung der Zivilgerichte, bei der Konkretisierung einfachen Rechts die Grundrechte zu wahren, verbinden sich - wegen der Unbestimmtheit der Grundrechte - gesetzliche und grundrechtliche Konkretisierungsaufträge. Dass diese Verdoppelung zivilgerichtlicher Gestaltungsmacht nicht nur als segensreich empfunden wird, beruht auf der vom BVerfG ausgeübten Letztkontrolle über die zivilgerichtliche Grundrechtskonkretisierung. Allerdings folgt aus der Zuordnung der privatrechtlichen Grundrechtswirkung in den Bereich der Schutzpflicht nur eine beschränkte Kontrollbefugnis-. Das BVerfG darf lediglich prüfen, ob sich die Zivilrechtsprechung bei der Konkretisierung des Privatrechts in den Grenzen der mit den grundrechtlichen Schutzaufträgen eröffneten Gestaltungsfreiräume gehalten hat. Die Kontrolle beschränkt sich also auf die Überwachung des Untermaßverbotes.m Der Sache nach ist dies auch vom BVerfG anerkannt,462 mag es hierfür auch - vor dem Hintergrund seiner „Ausstrahlungs"-Judikatur - viel-

Hierzu M. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 37ff. Vgl. M.Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, S.202; zur damit verbundenen „Konfusion im Stufenbau der Rechtsordnung" S. 164ff. 458 So vor allem U. Diederichsen, in: Ch. Starck (Hrsg.), Rangordnung der Gesetze, S.39 (70ff.); ders., Jura 1997,57ff.; ähnlich/. Schapp,]Z 1998,913ff.; ders., Z B B 1999,31 ff.: das System des Zivilrechts als eine den Grundrechten vorgegebene Institution; für Gleichrangigkeit von Privatrecht und Verfassung F. Bydlinski, Das Privatrecht im Rechtssystem einer Privatrechtsgesellschaft, S. 9ff. Zu dieser Diskussion kritisch M. Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 163 ff., 171 ff., 177ff. 459 Hierfür schon R. Wahl, Der Staat 20 (1981), 485 (502ff.); ders., N V w Z 1984, 401 (406ff.); nachdrücklich U. Diederichsen, Jura 1997, 57ff.; ders., in: Ch. Starck (Hrsg.), Rangordnung der Gesetze, S.39ff.; ders., AcP 1999, 171 (210ff.); siehe auch K. Hesse, Verfassung und Privatrecht, S. 25ff.; D. Medicus, AcP 192 (1992), 35 (54ff.). 460 M. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 38; R. Wahl, Der Staat 20 (1981), 485 (506); zu den Zuständigkeiten bei der Grundrechtskonkretisierung C. Classen, A ö R 122 (1997), 65 (82ff.). 461 M. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 235; näher zum Untermaß verbot noch unten, Fn. 479. 462 Insbes. BVerfGE 81,242 (255 f.) - Handelsvertreter, wo das BVerfG zunächst dem Gesetzgeber bei der Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten einen „besonders weiten Beurteilungsund Gestaltungsspielraum" zubilligt und dann in einem zweiten Schritt von einem „entsprechenden Schutzauftrag der Verfassung ... an den Richter" spricht. Ausdrücklich zum Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers BVerfGE 96, 56 (64) und hierzu C.-W. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S.63f. 456 457

116

Grundlagen

und

Grundfragen

fach abweichende Formulierungen wählen. 4 6 3 Dass es gleichwohl immer wieder zu Überraschungen im Verhältnis zwischen B G H und B V e r f G kommt, beruht daher weniger auf einer a priori zu weit verstandenem Kontrollkompetenz, asl vielmehr auf der Vagheit der Grundrechte 4 6 4 selbst. Die materiellen Eckpunkte der Untermaßkontrolle - Reichweite und Intensität der Schutzwirkung, v o r allem in A b w ä g u n g zu gegenläufigen Grundrechten - sind mit dem Grundrechtskatalog nur näherungsweise vorgegeben und w e r d e n in letzter Konsequenz erst v o m B V e r f G entfaltet. Nicht selten formuliert das B V e r f G in demselben Urteil erstmals die Maßstäbe, an denen es dann - w e n n auch reduziert auf eine U n t e r maßkontrolle - die fachgerichtliche Rechtsprechung überprüft. 4 6 5 Ein Trost mag insoweit die große Präjudizientreue des B V e r f G 4 6 6 sein.

bb)

Problemkreise

Judikative Regelbildung ist nicht nur im Rahmen der Generalklauseln (§§ 138, 2 4 2 BGB), sondern auch bei der A u s f ü l l u n g sonstiger unbestimmter Rechtsbegriffe zur grundrechtlichen Schutzgewähr verpflichtet. 4 6 7 Die Frage nach ausreichender Schutzgewähr kann sich - u m nur einige Problembereiche zu nennen 4 6 8 - im Zusammenhang mit dem mietrechtlichen Kündigungsschutz, 4 6 9

463 So heißt es in st. Rspr., die Schwelle eines Verfassungsverstoßes sei erst erreicht, wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, „die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen"; BVerfGE 89,214 (230) - Bürgschaft; 96, 375 (399) - „Kind als Schaden"; NJW 2000,2658 (2659) - Duldungspflicht des Vermieters für den Einbau eines Treppenlifts; Nachweise zur älteren Rspr. bei C. Classen, AöR 122 (1997), 65 (87ff.). 464 U. Diederichsen, in: Ch. Starck (Hrsg.), Rangordnung der Gesetze, S. 39 (87ff.), der mit Recht auch auf die fehlende Rangordnung der Grundrechte hinweist - das vielleicht zentrale Problem für die Grundrechtskonkretisierung im Privatrecht, wo sich ja regelmäßig kollidierende Interessen gegenüberstehen; vgl. auch K. Hesse, Verfassung und Privatrecht, S. 24 ff. 465 Siehe etwa den Duktus der Entscheidung BVerfGE 89,214 (232ff.) - Bürgschaft. Anschaulich auch die Entscheidung des BVerfG zur Frage, ob den Vermieter aus §242 BGB eine Pflicht zur Duldung eines Treppenlifteinbaus durch den Mieter zugunsten seines behinderten Lebensgefährten trifft; BVerfG, NJW 2000, 2658. 466 Hierzu Th. Lundmark, Rechtstheorie 28 (1997), 315 (330ff.). 467 Vgl. BVerfGE 96, 56 (64); A. Bleckmann, DVB1.1988, 938 (943);/. Hager, JZ 1994, 373 (376); M. R u f f e r t , Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S.234. 468 e j n e eingehende Problemdarstellung siehe die nach den verfassungsrechtlichen Rechtsgütern - Privatautonomie, Eigentum, Ehe und Familie, Berufsfreiheit, Personalität, Kommunikationsrechte - gegliederte Schrift von M. R u f f e r t , Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, §§10-15. Zu Einzelproblemen auch C.-W. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S.51ff.; P. Krause, JZ 1984, 828ff. 469 Zur Auslegung und Anwendung des § 564b Abs. 2 BGB a.F. etwa BVerfGE 68,361 (372f.); 79,292 (303ff.); NJW 1988,1075; NJW 1992,3022; dazu/. Sonnenschein, NJW 1993,161 (166ff.); S. Oeter, AöR 119 (1994), 529 (553ff.). Aus jüngerer Zeit BVerfG, NJW 1998, 3559 zur Kündigung eines Pachtvertrages gemäß §10 Abs. 3 BKleinG.

§ 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

117

dem Ausgleich nachbarlicher Nutzungsinteressen, 470 der Wirksamkeit von Ehe- 471 und Erbverträgen, 472 der Anerkennung religiös motivierter Leistungsverweigerungsrechte473 und der Reichweite von Informations- und Kommunikationsrechten 474 stellen. (1) Voraussetzungen

richterlicher

Schutzverpflichtung

Richterliche Schutzgewähr setzt zunächst voraus, dass ein privater Sachverhalt überhaupt in den Schutzhereich eines Grundrechts fällt. Eine sorgfältige Radizierung der grundrechtlichen Schutzbereiche dient der Glaubwürdigkeit der Grundrechte, die sich sonst mit immer schwächeren Gehalten in Abwägungen verlieren. Dies muss umso mehr für die Privatrechtssituation gelten, die regelmäßig mehrere, konfligierende Grundrechte aktiviert.475 Der abwehrrechtlich entwickelte Schutzbereich kann aber nur einen ersten Anhaltspunkt für die Bestimmung der Schutzpflicht geben. 476 Nicht jedes tatbestandlich einschlägige Verhalten ist auch gegen private Beeinträchtigung geschützt. Es gilt also, die näheren Voraussetzungen der Schutzpflicht im Privatrechtsverhältnis in den Blick zu nehmen. 477 Wegen des hoheitlichen Gestaltungsspielraumes bei der Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten 478 kann der gerichtlich einforderbare Schutz immer nur ein Mindestschutz sein. Entscheidender Maßstab ist mithin das bereits erwähnte Untermaßverbot''7'1. HoO L G Köln, N J W 1998, 763 (764) - Behindertenwohngruppe. BVerfG, N J W 2001, 957. 4 7 2 BVerfG, N J W 2000,2495 - Erbvertragliche Heiratsklausel; siehe auch BVerfG, N J W 1999, 566 - Erbunfähigkeitsklausel. 4 7 3 BVerfGE 24, 236 (251f.); B A G E 47, 363 (373); zum Vertragsbruch aus Gewissensnot V. Götz, in: W. Heyde/Ch. Starck (Hrsg.), 40 Jahre Grundrechte in ihrer Verwirklichung durch die Gerichte, S. 35 (66ff.). 4 7 4 Etwa BVerfGE 90, 27 - Parabolantenne; E 96, 56 - Recht auf eigene Abstammung. 4 7 5 So C.-W. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S.74ff.; zur Abwägungskritik noch unten, § 5 IV. 3. b). 4 7 6 Die Schutzpflicht kennt keinen feststehend umrissenen „Schutzbereich", sondern ist per definitionem unbestimmt; statt aller / . Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 67; mit Blick auf die Privatrechtswirkung M. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 167ff. 4 7 7 Darin liegt nun - nachdem die grundsätzliche dogmatische Absicherung der Privatrechtswirkung der Grundrechte inzwischen gelungen sein dürfte - das zentrale Problem; von privatrechtlicher Seite hierzu allerdings bislang nur C.-W. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 72ff.; von öffentlich-rechtlicher Seite nun Ch. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S.459ff. 4 7 8 Hierzu BVerfGE 96, 56 (64) - Recht auf eigene Abstammung: Die „Aufstellung und normative Umsetzung eines Schutzkonzepts" ist Sache des Gesetzgebers, dem ein „Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum" zugute kommt. „Gestaltungsspielräume bestehen vor allem dort, wo es um die Berücksichtigung widerstreitender Grundrechte geht". 4 7 9 Zum Untermaßverbot des Gesetzgebers BVerfGE 88, 203 (254f.) - Abtreibung. Hierzu bereits C.-W. Canaris, AcP 184 (1984), 201 (228); ders., Grundrechte und Privatrecht, S.86; J. Isensee, Hdb StR Bd. V , § 1 1 1 Rdnr. 165; siehe seither insbes./. Dietlein,ZG 10(1995), 131ff.; M. Möstl, D Ö V 1998,1029 (1038f.); B. Schlink, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. 2, S.443 (462ff.); ein470 471

118

Grundlagen

und

Grundfragen

heitlicher Schutz kann insbesondere dann beansprucht werden, wenn die Wahrnehmung einer grundrechtlichen Freiheit sonst leer liefe, etwa weil der Bürger auf ein bestimmtes Verhalten oder eine Duldung eines anderen angewiesen ist. 480 Aus diesem Gedanken leiten sich die Auskunftspflicht der Mutter gegenüber ihrem Kind zur Person des biologischen Vaters 481 oder die nachbarlichen Duldungs- und Rücksichtnahmepflichten 482 ab. 483 Weitere Anhaltspunkte können sich aus dem Ausmaß der Gefährdung ergeben. Wenig aussagekräftig dürfte hingegen der „Rang" oder das „Gewicht" des betroffenen Grundrechts gutes 484 sein. Kennzeichnend für den Privatrechtskonflikt ist das Vorliegen einer Grundrechtekollision. Regelmäßig stehen beiden Konfliktparteien Grundrechte zur Seite, und der grundrechtliche Schutzanspruch kollidiert mit gegenläufigen Grundrechtsgütern. 485 Für die Auflösung dieser Kollisionslage steht Gesetzgebung und Rechtsprechung abermals ein weiter Gestaltungsspielraum zur Verfügung. 486 Auch im Hinblick auf gegenläufige Interessen kann das Untermaß verbot aber niemals mehr als einen Mindestschutz garantieren. Für „optimale Wirksamkeit" im Sinne praktischer Konkordanz gewähren die grundrechtlichen Schutzpflichten keinen Titel. 487 Bei der Austarierung der gegenläufigen Interessen im Privatrechtskonflikt gibt es damit einen weiten Bereich, in dem zwar widerstreitende Grundrechtsinteressen wirksam sind, der aber vom Privatrecht grundrechtlich „unauffällig" gelöst werden kann, weil er sich unterhalb der Schwelle zur Schutzpflichtverletzung bewegt. Insoweit wird mit Recht davor gewarnt, die Lösung privatrechtlicher Konflikte mit Blick auf die gehend nun M. R u f f e r t , Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 215ff. sowie Ch. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 451 ff.; kritisch aber P. Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 437, der das Untermaßverbot für entbehrlich hält. 480 So C.-W. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 78, der als weitere „Indikatoren" für das „Schutzbedürfnis" die Rechtswidrigkeit und das Ausmaß der Gefährdung untersucht. Ahnlich T. Langner, Die Problematik der Geltung der Grundrechte zwischen Privaten, S. 113 ff. 481 Vgl. BVerfGE 96, 56. 482 Vgl. OLG Köln, NJW 1998, 763 - Behindertenwohngruppe. 483 Ein weiteres Beispiel ist die Pflicht des Vermieters zur Duldung der Anbringung einer Parabolantenne (BVerfGE 90, 27) oder zur Duldung eines Treppenlifteinbaus für den behinderten Lebensgefährten des Mieters (BVerfG, NJW 2000, 2658). 484 Im Sinne eines „Merkpostens" M. R u f f e r t , Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 221; mit Recht kritisch im Hinblick auf die fehlende Grundwertehierarchie U. Diederichsen, in: Ch. Starck (Hrsg.), Rangordnung der Gesetze, S. 39 (88ff.). 485 Hierzu statt aller C. Clauen, AöR 122 (1997), 65 (98ff.). 486 So BVerfGE 96, 56 (64) - Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung. 487 So auch BVerfGE 88, 203 (254f.): „Soll das Untermaßverbot nicht verletzt werden, muss die Ausgestaltung des Schutzes durch die Rechtsordnung Mindestanforderungen entsprechen"; gleichwohl im Sinne praktischer Konkordanz aber BVerfGE 89, 214 (234); wie hier M. R u f f e r t , Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 223; C.-W. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S.84f.: „grundrechtlicher Minimalschutz"; J. Isensee, Hdb StR Bd. V, §111 Rdnr. 165: „Mindeststandard an Grundrechtssicherheit".

5 4 Verfassung und

Normkonkretisierung

119

„schwelende" Grundrechtswirkung generell einer vordergründigen A b w ä gungsrhetorik zu überlassen. 4 8 8 Nach wie vor hält die Dogmatik des Privatrechts Konfliktschlichtungstopoi vor, die in ihrer größeren Sachnähe und Differenziertheit der formalen Abwägungslogik überlegen sind und daher auch nach Entdeckung der Schutzpflichten keineswegs ausgespielt haben. 4 8 9

(2) Grenzen normkonkretisierender

Schutzgewähr

Auch im Privatrecht ist die Verwirklichung der Schutzpflicht auf eine gesetzliche Grundlage angewiesen. 4 9 0 Richterliche Schutzgewähr ohne gesetzliche Grundlage verstößt gegen den Vorbehalt des Gesetzes; richterliche Schutzgewähr gegen einfachrechtliche Bestimmung verstößt gegen den Vorrang des G e setzes. 4 9 1 Zulässig ist hingegen richterliche Schutzgewähr, die sich über die unbestimmten Rechtsbegriffe und Generalklauseln des Privatrechts entfaltet, also

normkonkretisierende

Schutzgewähr.

I m rechtsgeschäftlichen Bereich kann das Bedürfnis nach richterlicher Schutzgewähr einmal darin bestehen, im Interesse der Privatautonomie Schutz vor übermäßiger vertraglicher Belastung zu gewähren. Hier geschieht normkonkretisierende Schutzgewähr mit dem Instrument einer auf § 1 3 8 B G B gestützten Inhaltskontrolle 4 9 2 , in jüngerer Zeit etwa judiziert für Bürgschaften 4 9 3 und Eheverträge 4 9 4 . Ein weiterer Schwerpunkt normkonkretisierender Schutzgewähr betrifft die Ausübung vertraglicher Gestaltungsrechte. Ihre grundrechtsorientierte Begrenzung kann zumeist innerhalb der vertraglichen Gewährleistungsnormen erbracht werden, etwa im Rahmen der Konkretisierung des „berechtigten" Vermieterinteresses an einer Kündigung ( § 5 7 3 Abs. 2 B G B n.F. = § 5 6 4 b Abs. 2 B G B a.F.) 4 9 5 oder der „erheblichen" Reisebeeinträchtigung ( § 6 5 1 e Abs. BGB)496. So vor allem U. Diedenchsen, AcP 198 (1998), 171 (242ff.). Zum „Erkenntnisvorrang des Privatrechts" M. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 49ff., 220ff.; siehe auch C.-W. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 82; K. Stern, StaatsR Bd. III/2, § 82 III 2 b ct. 4 9 0 Hierzu bereits oben, §4 IV. 2. c). 491 Dass der B G H bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts Schmerzensgeld nicht mehr „contra legem" - entgegen § 253 B G B a. F. - , sondern „sine lege" - unmittelbar gestützt auf Art. 1 Abs.l G G - g e w ä h r t ( B G H Z 1 2 8 , 1 [15]), ändert also nichts an der Bedenklichkeit der Judikatur. 4 9 2 Dazu L. Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 1992. 4 9 3 BVerfGE 89, 214 (232ff.) - Bürgschaft; auch BVerfGE 81, 242 (256) - Handelsvertreter. 4 9 4 BVerfG, N J W 2001, 957; zur Inhaltskontrolle erbrechtlicher Verfügungen BVerfG, N J W 2000, 2495 - Erbvertragliche Heiratsklausel; BVerfG, N J W 1999, 566 - Erbunfähigkeitsklausel. 4 9 5 Hierzu eingehend M. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S.373 ff. 4 9 6 Mit Blick auf Art. 3 Abs. 3 S. 2 G G stellt die Anwesenheit Behinderter keinen Reisemangel dar; A G Kleve, N J W 2000, 82; anders noch A G Frankfurt, N J W 1980,1965; L G Frankfurt, N J W 1980, 1169. 488

489

120

Grundlagen

und

Grundfragen

Richtet sich das Schutzbegehren auf die Vornahme bzw. Duldung tatsächlicher Handlungen, so kommen je nach Sachbereich verschiedene Instrumente zur Verwirklichung des Schutzauftrages in Betracht. Innerhalb von Vertragsverhältnissen wird es sich regelmäßig um eine Nebenpflicht handeln, die sich aus einer Zusammenschau der Hauptleistungspflichten i. V. mit §242 BGB begründen lässt. Diesen Weg ist die Rechtsprechung im Mietrecht gegangen. Gestützt auf §§ 535, 536 und § 242 BGB wurde dem Vermieter etwa aufgegeben, die Anbringung einer Parabolantenne (Art. 5 Abs. 1 GG)497 oder den Einbau eines Treppenliftes für den behinderten Lebensgefährten des Mieters (Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG)498 zu dulden.499 Ungeachtet der Berufung auf §242 BGB lässt sich hier insofern noch von normkonkretisierender Schutzgewähr sprechen, als mit den Bestimmungen über die vertraglichen Hauptpflichten und dem unbestimmten Rechtsbegriff der „Vertragsgemäßheit" noch ein gesetzlicher Anknüpfungspunkt für die Schutzgewähr auszumachen ist.500 Die Grenzen normkonkretisierender Schutzgewähr dürften aber erreicht sein, wenn Duldungspflichten über einen gesetzlichen Tatbestand hinaus unmittelbar auf §242 BGB gestützt werden. Als problematisch erweist sich hier das private Nachbarrecht, wenn - unter Berufung auf §242 BGB und die dort bereits vom RG entwickelte Figur des „nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" - über den Tatbestand des §906 BGB hinausgehende Duldungspflichten begründet werden.501 Von normkonkretisierender Schutzgewähr kann nur so lange gesprochen werden, wie die Schutzgewähr innerhalb des Normprogramms des §906 BGB, also über den unbestimmten Rechtsbegriff der „wesentlichen" Nutzungsbeeinträchtigung (§906 Abs.l S. 1 BGB) geleistet wird.502 Ähnliche Bedenken erheben sich im 497 Grundlegend BVerfGE 90, 27 (33ff.); zur selben Problematik BVerfG, NJW 1993, 1252; NJW 1994,1147; Nachweise zur fachgerichtlichen Rspr. bei Staudinger/V. Emmerich (13. Bearb. 1995), §§536, 537 Rdnr.85. 498 Vgl. BVerfG, NJW 2000, 2658 (2659). - Siehe hierzu inzwischen die gesetzliche Regelung in § 554a BGB, eingefügt durch Art.l MietRRG vom 19.1.2001 (BGBl. I S. 1149). 499 Gegen eine Abstützung auf §§535,536 BGB aber C.-W. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 62 mit dem Argument, der Vermieter müsse dann auch die Kosten für die Anbringung und Instandhaltung der Antenne tragen. 500 Mit Recht kritisch zu diesen schleichenden Formen richterlicher Schutzgewähr im Hinblick auf die Autonomie der Vertragsbeteiligten und die Rechtssicherheit H.-M. Pawlowski, JZ 2002, 627 (632). 501 Kritisch auch F. Baur/R. Stürner, SachenR, §25 Rdnrn. 36ff., die die Figur des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses für überflüssig halten, weil die mit ihr erzielten Ergebnisse genauso über eine „entsprechende Anwendung" des §906 BGB hätten erzielt werden können. Jedenfalls wird deutlich, dass mit der Berufung auf §242 BGB tatsächlich die Grenzen des Gesetzesvorbehalts erreicht sind, weil §242 BGB letztlich nur als leeres Argument dient, um den vorgegebenen Anwendungsbereich des Gesetzes zu verlassen; insoweit ohne Bedenken aber C. Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche - zulässige Rechtsfortbildung oder Rechtsprechung contra legem?, S. 168ff., 172ff. 502 So kann dem Träger einer Wohngruppe für Gehörlose und spastisch Gelähmte nicht generell die Nutzung des zu der Einrichtung gehörenden Gartens untersagt werden: OLG Köln,

5 4 Verfassung

und

Normkonkretisierung

121

Bereich des Wohnungseigentumsrechts, etwa wenn die Rechtsprechung zum Schutz einer behinderten Eigentümerin einer wirksamen Gebrauchsregelung hier einem Hundehaltungsverbot - entgegen §15 WEG unter Berufung auf Art. 3 Abs. 3 S.2 GG und §242 BGB die Durchsetzbarkeit versagt. 503 Fraglich wird die Gesetzesmediatisierung richterlicher Schutzgewähr auch bei Leistungs- und Reparationsansprüchen, die auf Rechtsgütern beruhen, die erst durch die jüngere Verfassungsentwicklung entfaltet worden sind, namentlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht. An der Grenze dessen, was sich mit Blick auf den Gesetzesvorbehalt noch als normkonkretisierende Schutzgewähr rechtfertigen lässt, befindet sich auch der inzwischen in st. Rspr. bejahte Anspruch des Kindes gegen seine leibliche Mutter auf Kenntnis der eigenen Abstammung. 504 Die Unsicherheiten darüber, ob sich dieses Auskunftsrecht tatsächlich noch als normkonkretisierende, d.h. gesetzesmediatisierte Schutzgewähr erklären lässt, spiegeln sich schon in der uneinheitlichen Begründung wider: Zum Teil wird das Auskunftsrecht auf §242 BGB gestützt, 505 andere berufen sich unmittelbar auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). 506 Jedenfalls die Berufung auf die Grundrechte verstößt gegen die gebotene Mediatisierung richterlicher Schutzgewähr. 507 Allenfalls wird man den Auskunftsanspruch als Teil der elterlichen Beistands- und Rücksichtnahmepflicht auf die familienrechtliche Generalklausel des § 1618a BGB gründen können; 508 überzeugender wäre aber - genauso wie bei der Gewährung von Schmerzensgeld wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts - eine ausdrückliche gesetzliche Regelung.

NJW 1998, 763 (764) - Behindertenwohngruppe; dazu K. Vieweg/A. Röthel, NJW 1999, 969 (970f.). 503 BayObLG, MDR 2002, 212. 504 Grundlegend BVerfGE 79, 256 (269ff.); 90, 263 (271ff.); 96, 56 (61ff.) = JZ 1997, 777 m. Anm. Ch. Starck; aus der fachgerichtlichen Rspr. etwa OLG Hamm, FamRZ 1991, 1229; LG Münster, FamRZ 1990, 1031; AG Rastatt, FamRZ 1996, 1299; LG Bremen, NJW 1999, 729; C.-W. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S.62ff.; H. Eidenmüller, JuS 1998, 789ff.; M. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 491 f. 505 Vgl. etwa AG Rastatt, FamRZ 1996, 1299 (1300f.). 506 R. Weber, FamRZ 1996,1254ff.; wohl auch Palandt/U. Diederichsen, Einf v § 1591 Rdnr. 2. 507 Insoweit ist die Situation nicht anders als bei der Gewährung von Schadensersatz bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts; hierzu bereits oben, Fn. 491. Mit diesem Argument gegen eine unmittelbare Abstützung des Auskunftsanspruchs auf die Grundrechte auch H. Eidenmüller, JuS 1998, 789. 508 So OLG Hamm, FamRZ 1991, 1229; LG Passau, NJW 1988, 144f.; LG Münster, FamRZ 1990,1031 (1032f.); gebilligt von BVerfG, NJW 1997,1769; offen gelassen von LG Bremen, NJW 1999, 729; genauso Staudinger/M. Coester (13. Bearb. 2000), § 1618a Rdnrn. 48ff.; H. Eidenmüller, JuS 1998, 789 (790); kritisch R. Frank/T. Helms, FamRZ 1997, 1258 (1263).

122

Grundlagen und

Grundfragen

V I I . Zusammenfassung Aus verfassungsrechtlicher Perspektive ist das Phänomen judikativer Konkretisierung ausfüllungsbedürftiger Gesetzesbegriffe Ausdruck delegierter Rechtsetzungsgewalt. Einer solchen Delegation bedarf es, da die Rechtsprechung nicht über originäre Rechtsetzungsbefugnisse verfügt. Richterliche Rechtsetzung ist daher schon wegen der Gesetzesbindung der Rechtsprechung (Art. 20 Abs. 3 G G ) stets nachgeordnete und subsidiäre Rechtsetzung. Grenzen sind dieser Delegation von Rechtsetzungsaufgaben durch den Funktions- und Wesentlichkeitsvorbehalt des Gesetzgebers sowie durch das Bestimmtheitsgebot gezogen. Soweit eine Rechtsetzungsaufgabe dem parlamentarischen Gesetzgeber nicht absolut zugewiesen ist, ist eine Delegation dort zulässig, wo die delegierte Rechtsetzungsaufgabe sachgerechter von der Rechtsprechung erfüllt werden kann. Mit Blick auf das Privatrecht liegen solche Delegationsgründe insbesondere in der besonderen Beteiligtenbezogenheit, Zeitbezogenheit und Persönlichkeitsgeprägtheit des Privatrechts. Aus der Angewiesenheit der Rechtsprechung auf einen Delegationsakt folgt ihre Bindung an Bestand und Umfang des Delegationsauftrages. Fehlwahrnehmungen des Delegationsauftrages können darin liegen, dass die Rechtsprechung die in der Delegationsnorm angelegten systematischen und teleologischen Anhaltspunkte missachtet oder gegen ausdrückliche Rezeptionsregeln verstößt. Aus der Angewiesenheit auf einen Delegationsauftrag folgt weiter, dass das Konkretisierungsmandat der Rechtsprechung endet, wenn der Gesetzgeber von seinem Rückholrecht Gebrauch macht. Sach- und funktionsgerechte Aufgabenzuweisung heißt auch, dass die Rechtsprechung dort, wo sie materiell rechtsetzend tätig wird, in entsprechende verfassungsrechtliche Anforderungen an Verfahren, Inhalt und Wirkung delegierter Rechtsetzung hineinwächst. Im Wege der Kompensation ausgleichsfähig und ausgleichsbedürftig sind die im Vergleich mit legislativer Rechtsetzung bestehenden Defizite bei der Sachermittlung, der Kontinuität, der Gleich- und Sachgerechtigkeit sowie der Normenklarheit. Richterliche Regelbildung steht unter dem Vorbehalt, dass das Gericht über die nötige Tatsachenkenntnis verfügt und die Auswirkungen seiner Regel zu überblicken vermag (Gebot der Sachrichtigkeit). Soweit der Richter die für eine sachgerechte Regelbildung erforderlichen Konkretisierungsgrundlagen nicht selbst ermitteln kann, muss er externen Sachverstand in die judikative Regelbildung einbeziehen (Rezeption). Veränderte Konkretisierungstatsachen können zu einer Aktualisierungspflicht führen. Diese Aktualisierungspflicht steht in einem Spannungsverhältnis zur richterlichen Kontinuitätspflicht (Gebot der Rechtssicherheit). Aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz und dem Kompensationsgedanken folgen eine weitest mögliche, optimale Bindung an Konkretisierungs-Präjudizien. Auch Vertrauenserwartungen streiten für eine möglichst

§4 Verfassung und Normkonkretisierung

123

konsequente Konkretisierungspraxis. Grenzen erfährt die Bindungswirkung aber dort, wo die Sachgerechtigkeit der Delegation gerade mit der Flexibilität der richterlichen Rechtsetzung begründet wurde. Konkretisierende Regelbildung muss den Geboten der Gleichgerechtigkeit und Folgerichtigkeit genügen. Sie muss sowohl in ihren Generalisierungen als auch in ihren Differenzierungen von sachlichen, die gleiche bzw. unterschiedliche Behandlung rechtfertigenden Gründen getragen sein. Das Gebot der Folgerichtigkeit verlangt eine inhaltliche Abgestimmtheit judikativer Rechtsregeln, und zwar sowohl „nach innen" im Verhältnis zu anderen judikativen Rechtsregeln als auch „nach außen" gegenüber den durch die Rechtsordnung insgesamt vorgegebenen Interessenbewertungen. Schließlich unterliegt richterliche Normkonkretisierung dem Gebot der Normenklarheit; hieraus folgen Anforderungen an die Bestimmtheit sowie an die Begründung und Publizität judikativer Regelbildung. Materielle Grenzen sind der judikativen Regelbildung durch die Gesetzesund Grundrechtsbindung der Rechtsprechung gezogen. Gesetzeskorrigierende Konkretisierung ist unzulässig. Darüber hinaus formulieren die grundrechtlichen Schutzpflichten Aufträge an die konkretisierende Regelbildung zur Grundrechtsentfaltung im Privatrecht. Verfassungsrechtlich vorgegeben und verfassungsgerichtlich einforderbar ist privatrechtliche Grundrechtsentfaltung aber nur in den Grenzen des Untermaßverbotes. Eine weitere Grenze ist der richterlichen Schutzverpflichtung durch die notwendige Gesetzesmediatisierung der Schutzpflicht gezogen. Richterlicher Grundrechtsschutz kann immer nur innerhalb der Konkretisierungsaufträge geleistet werden. Daher ist nur normkonkretisierende Schutzgewähr auch zulässige richterliche Schutzgewähr.

§ 5 Methoden der Normkonkretisierung

I. Pluralität der Konkretisierungsmethoden Aus der Betrachtung von Verfassung und Normkonkretisierung ist richterliche Normkonkretisierung hervorgegangen als ein Phänomen delegierter Rechtsetzung.1 Normkonkretisierung bedeutet in erster Linie Rechtsbildung. Zugleich formuliert die Verfassung zahlreiche Vorgaben an die Erarbeitung der konkretisierenden Regeln. Ausdruck dieser Rechtsbindung ist die Bindung an den Delegationsauftrag2 sowie die Verpflichtung zu kontinuierlicher 3 , gleichgerechter und folgerichtiger4, transparenter5 sowie gesetzes- und grundrechtsgebundener6 Regelbildung. In der Konkretisierung verbinden sich also Elemente von Rechtsbildung und Rechtsbindung zu gebundener Rechtsbildung.7 Dieser verfassungsrechtliche Befund bestimmt die Anforderungen an eine Methode der Normkonkretisierung. Eine Methode der Normkonkretisierung muss einerseits den spezifischen Bindungen der Normkonkretisierung gerecht werden, also die Bindung an den Delegationsauftrag und die allgemeine Gesetzesbindung sicherstellen. Insoweit ist sie die Fortsetzung der Rechtsquellenlehre.9 Andererseits muss sie gerade dort, wo Gesetz und Verfassung keine inhaltlichen Vorgaben machen, eine methodische Rechtsgewinnung ermöglichen. Methodengerechtigkeit ist ein Postulat der Rechtsstaates.9 Erst das Streben nach

Oben §4 II.—IV. Oben, § 4 V. 3 Oben, §4 VI. 3. 4 Oben, §4 VI. 4. 5 Oben, §4 VI. 5. 6 Oben, §4 VI. 6. 7 Unter dem Grundgesetz ist Rechtsbildung immer gebundene Rechtsbildung; das Ausmaß der Bindung nimmt nur ab, je weiter man in der Normenpyramide nach oben steigt; H. H. v. Arnim/S. Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, S. 181 ff.; ähnlich spricht E. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 131 ff. von „gebundenem Richterrecht" im Bereich gesetzlicher Lücken. Siehe auch R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S. 177f., der insoweit von den „beiden Elementen" der Konkretisierung spricht; hierzu auch schon oben, §2 II. 3. 8 Vgl. K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 75 I; ähnlich Ch. Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, S.8: „dienende Funktion" der juristischen Methodik zur Gewährleistung der Normbindung des Rechtsanwenders. 9 B. Rüthers, Rechtstheorie, Rdnrn. 649ff., 654; Ch. Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, S. 7ff. 1

2

5 5 Methoden

der

Normkonkretisierung

125

Methodengerechtigkeit vermittelt der Rechtsgewinnung die nötige Rationalität im Sinne von Gleichmäßigkeit, Transparenz und Nachvollziehbarkeit. 10 Eine Methode der Normkonkretisierung hat daher die Aufgabe, einerseits die Gesetzes- und Verfassungsbindung der Normkonkretisierung sicherzustellen, andererseits zu einer rationalen Rechtsgewinnung anzuleiten. Ihre Quellen sind daher sowohl im Bereich des „interpretatorischen" Verfahrens als auch im Bereich des „legislatorischen" Verfahrens zu suchen.11 Gerade für die Normkonkretisierung gilt also: Die Methode, verstanden als eine einzige Methodenanweisung zur Normkonkretisierung gibt es nicht. So wie sich in der Normkonkretisierung verschiedene Verfassungsaufträge verbinden, so kann eine Methode der Normkonkretisierung nur eine Verbindung verschiedener Methoden sein; ein „ M e t h o d e n p l u r a l i s m u s " 1 2 ist unausweichlich. Gemeinsam ist den Methoden der Normkonkretisierung, dass sie Argumentformen darstellen: Zur Verwirklichung der Gesetzesbindung ist die Normkonkretisierung den besonderen Argumentformen der Auslegung verpflichtet (unten III.). Innerhalb der durch Auslegung ermittelbaren Grenzen bedeutet methodengerechte Normkonkretisierung im Wesentlichen begründbare Regelbildung; sie muss auf rationaler Argumentation beruhen (unten IV.). Zuvor ist die Tauglichkeit der Lückenfüllungsinstrumente für die Konkretisierung zu überlegen (unten II.).

II. Normkonkretisierung als Lückenfüllung? Konkretisierungsbedürftige Unbestimmtheit des Gesetzes trägt immer auch Züge der Unvollständigkeit. Der gesetzliche Regelungsplan ist nicht bis ins Detail ausgeformt worden, sondern bewusst auf der Ebene von Direktiven und Leitlinien verblieben. Diese Unvollständigkeit rückt die konkretisierungsbedürftige Unbestimmtheit in die Nähe einer Gesetzeslücke13 und wirft die Frage auf, ob sich die bewährten Instrumente der Lückenfüllung - Analogieschluss und teleologische Reduktion - auch als primäre Konkretisierungsinstrumente empfehlen könnten. Allerdings beruht konkretisierungsbedürftige Unbestimmtheit auf einer bewussten und damit geplanten Unvollständigkeit des gesetzlichen Regelungsplanes. Begrenzt man den Begriff der Gesetzeslücke auf ei10 B. Rüthers, Rechtstheorie, Rdnrn. 649ff.; zur Rationalität der Rechtsfindung G. Hassold, in: FS für K. Larenz, S.211 (212ff.); P. Raisch, Juristische Methoden, S.134ff. 11 Vgl. für die Prinzipienkonkretisierung D. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, S.95ff. 12 Vgl. allg. zum Methodenpluralismus S. Grundmann, RabelsZ 61 (1997), 423ff.;/. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, insbes. S. 124ff.; kritisch M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S.24ff.: Methodenpluralität als „Vehikel der Richterfreiheit". 13 Deutlich vor allem im schweizerischen Schrifttum, etwa bei A. Meier-Hayoz, JZ 1981,417 (419); E. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 57. Zur „Lückenähnlichkeit" von Unbestimmtheit auch D. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, S. 105 f.

126

Grundlagen

und

Grundfragen

ne „planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes", 14 so kann Normkonkretisierung schon begrifflich nicht als Lückenfüllung gedeutet werden. 15 Gleichwohl wird vor allem im schweizerischen Schrifttum die Nähe von Konkretisierung und Lücke betont; 16 O.A. Germann versteht konkretisierungsbedürftige Unbestimmtheit als „Lücke intra legem" 17 , und E. Kramer verwendet hierfür den Begriff der „Delegationslücke" 18 .

1. Konkretisierungsbedürftigkeit als Gesetzeslücke? O b man auch bei einer geplanten Unvollständigkeit von einer Gesetzeslücke sprechen möchte, ist nicht nur eine terminologische Frage. Vielmehr wird über den Lückenbegriff einerseits zur Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung Stellung genommen (unten a),19 andererseits werden mit dem Lückenbegriff spezifische Instrumente der Lückenfüllung verbunden (unten b).

a) Normkonkretisierung

als zulässige

Rechtsfortbildung

Im Hinblick auf die Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung haben Lückenfüllung und Normkonkretisierung tatsächlich gemeinsam, dass sich beide dem Bereich grundsätzlich zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung 20 zuordnen lassen. Auch durch Normkonkretisierung wird das Recht fortgebildet, nämlich „bestimmter gemacht". Diese Fortbildung beruht im Fall der Norm14 Grundlegend C.-W. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 16ff.; genauso F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 473; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.373; D. Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, Rdnr.385. 15 So C.-W. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 26ff.; K. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 180;/. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Rechtsfortbildung des Privatrechts, S. 51 f.; K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §77 I; vgl. auch D. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, S. 105. 16 Vgl. R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S. 49ff.; vgl. auch C.-W. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 27 Fn. 45; B. Rüthers, Rechtstheorie, Rdnrn. 835ff. W. Brugger, AöR 119 (1994), 1 (14) bezeichnet gesetzliche Regelungen von hohem Abstraktionsgrad als „Lücken im weiteren Sinn". 17 O.A. Germann, Methodische Grundfragen, S. 105, 111, 117, 135f.; kritisch C.-W. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 27 Fn. 46. 18 E. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 140f. 19 So werden über den Begriff der Gesetzeslücke und der Lückenfüllung vielfach auch die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung bestimmt. Dabei wird die Ausfüllung von Gesetzeslükken grundsätzlich in den Bereich zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung verwiesen. Zu dieser Funktion des Lückenbegriffs C.-W. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 17ff.; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 368,370 Fn. 9; R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S.69. 20 Zur Rechtsfortbildungsaufgabe der Rechtsprechung bereits oben, §4 III. 1.; zur Zulässigkeit richterlicher Lückenfüllung etwa K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 370ff.

5 5 Methoden

der

Normkonkretisierung

127

konkretisierung auf einer bewussten Delegation von Rechtsbildungsaufgaben an die Rechtsprechung. 2 1 Sowohl Normkonkretisierung als auch Lückenfüllung sind also als zulässige Formen richterlicher Rechtsfortbildung anzusehen. Dies mag dafür sprechen, die Normkonkretisierung dem Bereich der Lückenfüllung zuzuordnen.

b) Zur Leistungsfähigkeit der Instrumente für die Konkretisierungsaufgabe

der

Lückenfüllung

Gleichwohl geht der Gedanke einer Gesetzeslücke im Wesentlichen am Problem konkretisierungsbedürftiger Unbestimmtheit vorbei, da sich die K o n k r e tisierungsaufgabe nicht allein mit den für die Lückenfüllung kennzeichnend gewordenen Instrumenten - Analogie und teleologische Reduktion bzw. Extension 2 2 - bewältigen lässt.

aa)

Analogieschluss

Mit dem Analogieschluss wird im Lückenbereich eine als ähnlich bewertete Rechtsnorm auf einen ungeregelten Sachbereich angewendet. 2 3 Die Analogie dient damit der Fortschreibung der Rechtsordnung unter Gleichheitsgesichtspunkten. Auch die Konkretisierung ist zwar dem G e b o t gleichmäßiger Regelbildung verpflichtet. 2 4 Gleichwohl lässt sich die mit der Konkretisierung aufgetragene Rechtsbildungsaufgabe nicht auf den Gedanken einer Analogie reduzieren. Dies beruht zunächst darauf, dass richterliche Lückenfüllung im Wesentlichen Lückenfüllung mit positivierten Wertmaßstäben meint. Will man überhaupt eine Lückenfüllungskompetenz der Rechtsprechung anerkennen, 2 5 so ist es ein G e b o t der verfassungsrechtlichen Gewaltenordnung, der Rechtsprechung im Bereich planwidriger Regelungslücken nur Zugriff auf die geschriebenen Rechtsregeln zu gewähren. Haben wir es aber mit einer „geplanten Regelungslücke" zu tun, so besteht kein Anlass, die Rechtsprechung bei der BewältiHierzu bereits oben, §4 II.—IV. Vgl. F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S.475ff.; C.-W. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 71 ff.; E. Kramer, Methodenlehre, S. 146ff.; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 370ff.; ders., N J W 1965, 1 (4ff.); K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §77 I; B. Rüthers, Rechtstheorie, Rdnrn. 888ff.; R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S.99ff. 23 Vgl. etwa F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S.475f.; K. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 185ff.; E. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 146ff.; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.381 ff.; D. Looschelders/W. Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, S. 304ff.; H.-M. Pawlowski, Methodenlehre, Rdnrn. 476ff.; B. Rüthers, Rechtstheorie, Rdnrn. 889ff.; R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, §1111. 2 4 Hierzu bereits oben, §4 VI. 4. 2 5 Zu Recht skeptisch etwa Ch. Hillgruber,]Z 1996, 118 (121ff.). 21

22

128

Grundlagen

und

Grundfragen

gung ihres Rechtsbildungsauftrages - wenn überhaupt analogiefähige Regeln bereit stehen sollten 26 - auf die geschriebenen Rechtssätze zu beschränken. 27 Gerade die Tatsache, dass der Gesetzgeber die Rechtsprechung bewusst zur Rechtsbildung aufgerufen hat, emanzipiert die Rechtsprechung vom Gesetz und damit auch von den Bedingungen und Bedingtheiten des Analogieschlusses. Vor allem aber verleitet der Analogieschluss im Umgang mit konkretisierungsbedürftiger Unbestimmtheit zu Scheinbegründungen 28 und Zirkelschlüssen, weil das Ahnlichkeitsurteil, mit dem eine bestimmte Rechtsnorm zur Ausfüllung der Unbestimmtheit herangezogen werden soll, bereits Vorstellungen von der Konkretisierung voraussetzt. Der Analogieschluss macht erst dann Sinn, wenn eine inhaltlich bestimmte Rechtsnorm oder Rechtsfolge vermisst wird. Er liefert die Erklärung dafür, diese bestimmte Rechtsnorm oder Rechtsfolge einer positivierten Rechtsnorm oder Rechtsfolge zu entnehmen. Analogiebedürftiger und analogiefähiger Rechtssatz müssen also denselben Grad an Bestimmtheit aufweisen. Wenn aber ein inhaltlich bestimmter Rechtssatz zur Ausfüllung eines konkretisierungsbedürftigen Rechtssatzes herangezogen wird, so hat der Analogieschluss keinen Anteil daran, wie der Richter dazu gelangt, gerade einen bestimmten Rechtssatz im Vagheitsbereich des Gesetzes zu vermissen. Sollen Konkretisierung und Analogie überhaupt Berührungspunkte haben, so wird man eher davon sprechen können, dass die Normkonkretisierung der Analogie vorausgeht.

bb) Teleologische

Reduktion

und

Extension

Noch offensichtlicher ist die Ungeeignetheit von teleologischer Reduktion und Extension für die Normkonkretisierung. Beide Verfahren dienen dazu, einen gesetzlich vorbestimmten Geltungsbereich mit Blick auf den Zweck der Regelung einzuschränken bzw. auszudehnen. 29 Der Sache nach geht es dabei um zweckorientierte Korrekturen am Gesetzeswortlaut. 30 Genauso wie die Analogie setzen auch die teleologische Reduktion und Extension daher eine bestimm-

26 Zumeist werden aber dort, wo der Gesetzgeber bewusst eine konkretisierungsbedürftige Lücke gelassen hat, auch keine analogiefähigen Konfliktregeln zur Verfügung stehen. 27 Die Rechtsprechung darf zwar bei der Ausfüllung des Konkretisierungsauftrages nicht gegen gesetzliche Vorgaben verstoßen, sie ist aber nicht darauf beschränkt, gesetzliche Wertungen zu rezipieren; vgl. bereits oben, §4 VI. 5. a). 28 Vgl. im Zusammenhang mit Analogie und wertausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffen F. Brecher, in: FS für A. Nikisch, S.227 (235f.). 29 Siehe etwa K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 391 ff.; E. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 161 ff.; H.-M. Pawlowski, Methodenlehre, Rdnrn. 493ff.; B. Rüthers, Rechtstheorie, Rdnrn. 902ff.; R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 104. 30 So etwa B. Rüthers, Rechtstheorie, Rdnr. 902.

§ 5 Methoden

der

Normkonkretisierung

129

te Rechtsregel voraus, können diese aber nicht aus einer gesetzlichen Unbestimmtheit durch Normkonkretisierung hervorbringen. Damit handelt es sich bei konkretisierungsbedürftiger Unbestimmtheit zwar auch um eine Unvollständigkeit im Sinne des Lückenbegriffs, doch wird man das eigentliche Charakteristikum der Gesetzeslücke darin sehen müssen, dass eine bestimmte Regel vermisst wird.31 Darauf sind auch die Methoden der Füllung von Gesetzeslücken zugeschnitten. Aus diesen Gründen ist es wenig zielführend, konkretisierungsbedürftige Unbestimmtheit als ein Problem der Gesetzeslücke zu begreifen.

2. Konkretisierungsbedürftigkeit als Rechtslücke? Liegt der entscheidende Unterschied zwischen konkretisierungsbedürftiger Unbestimmtheit und einer Gesetzeslücke darin, dass keine bestimmte Regelung vermisst wird, so könnte man in der planvollen Unbestimmtheit des Gesetzes aber eine Rechtslücke sehen. Von Rechts- oder Gebietslücken wird dann gesprochen, wenn für einen ganzen Sachbereich gesetzliche Regelungen fehlen.32 Die Rechtslücke hat mit der konkretisierungsbedürftigen Unbestimmtheit gemeinsam, dass ein gesetzlicher Plan für den offenen Bereich überhaupt nicht mehr erkennbar ist.33 Zu Recht geht man auch im Bereich der Rechtslücke davon aus, dass Analogie und teleologische Reduktion zur Lückenschließung ungeeignet sind.34 Diese grundsätzliche Sinnverwandtschaft der Konkretisierung mit der Bewältigung von Rechtslücken hilft aber gleichwohl kaum weiter, wenn es darum geht, Vorstellungen über das Verfahren der Konkretisierung zu gewinnen. Im Bereich von Rechtslücken wird bislang weniger darüber nachgedacht, wie die Lücke zu schließen ist, als vielmehr darüber, ob die Rechtsprechung überhaupt zum Lückenschluss berechtigt ist. Während die Füllung von Gesetzeslücken zumeist dem Bereich der zulässigen richterlichen Rechtsfortbildung zugeschrieben wird, beginnt mit der Rechtslücke der Bereich, in dem richterliche Spruchtätigkeit nur noch ausnahmsweise als zulässig erachtet wird. Die Auffüllung von Rechtslücken ist - deutlicher noch als die Auffüllung von Gesetzeslücken - die Aufgabe des Gesetzgebers. 35 Daher spricht auch vieles dafür, ungeregelte Sachbereiche nicht als Rechtslücke zu bezeichnen, sondern den Terminus der Lücke den Fällen vorzubehalten, wo es tatsächlich um .Fortbildung bestehenden Rechts anhand gesetzesbezogener Instrumente - insbesondere Analo31 32 33 34 35

K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 375. B. Rüthers, Rechtstheorie, Rdnrn. 855ff. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 375f. So B. Rüthers, Rechtstheorie, Rdnr.908. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 376.

130

Grundlagen

und

Grundfragen

gie und teleologische Reduktion - und nicht um eigenständige Rechtswez)-,H.D.Jarass/B.Pieroth,GG, Art.20 Rdnr.61; W. Kluth, J A 1999, 606 (609f.); P Lerche, Hdb StR Bd. V, § 122 Rdnr. 16; ders., Ubermaß und Verfassungsrecht, S. 19; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rdnr. 289; F. Ossenbühl, Jura 1997,617; B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein, G G , Art. 20 Rdnr. 27; K. Stern, StaatsR Bd. III/ 2, §84114;/? Wittig, D Ö V 1968,817; auch U. Diederichsen, AcP 199 (1999), 171 (252f.);D. Medicus, AcP 192 (1992), 35 (51 f.). Treffend E.-W. Böckenförde, Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz, S. 53: „Angemessenheits-Verhältnismäßigkeit". 103 Es bleibt bei dem wiederkehrenden Rekurs auf die Angemessenheit; siehe schon die Nachweise in Fn. 313, oder aber es wird ohne erkennbare Sinnunterscheidung von „unverhältnismäßig", „grob unverhältnismäßig" oder „offensichtlich unverhältnismäßig" gesprochen; vgl. näher M. Gentz, N J W 1968, 1600 (1604). Typisch etwa die Aussagen von A Gern, D Ö V 19886, 462 (469): „Die Güterabwägung entspricht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wenn sie angemessen ist. Angemessen ist sie, wenn das rechte Maß, die goldene Mitte gefunden ist. 104 M. Ch. Jacobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 24, 32ff. 105 Siehe aber B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein, G G , Art. 20 Rdnr. 27: Erforderlich sei ein „deutliches Uberwiegen". 106 So wohl A. Gern, D Ö V 1986, 462 (469). 107 Eine zweite Frage ist dann diejenige der gerichtlichen Kontrolldichte. In Bezug auf Gesetze

224

Typologie der

Normkonkretisierung

D i e s e U n b e k ü m m e r t h e i t des öffentlichen R e c h t s um den Ausgewogenheitsmaßstab und das daraus resultierende sehr weite Verständnis der Unverhältnismäßigkeit lassen sich mit zwei Erwägungen erklären. Zunächst ist zu bedenken, dass unmittelbarer N u t z n i e ß e r dieses weiten Verständnisses der UnVerhältnismäßigkeit der B ü r g e r ist, der hoheitliche M a ß n a h m e n schon dann als G r u n d rechtsverletzung abzuwehren vermag, wenn sie im Vergleich mit den eingriffsweise verfolgten Zielen und Z w e c k e n auch nur geringfügig unterliegen. Diese D e u t u n g der Verhältnismäßigkeit hat seine Wurzeln in der W i r k k r a f t der G r u n d r e c h t e , um derentwillen der Bürger hoheitliche Beeinträchtigungen nicht hinzunehmen braucht, wenn das G e w i c h t seines grundrechtlichen Freiheitsanspruchs die konfligierenden öffentlichen Interessen auch nur minimal überragt. Ü b e r d i e s ist zu berücksichtigen, dass verfassungsrechtliche A b w ä g u n g s p r o z e s se in aller Regel mit G ü t e r n und Interessen ringen müssen, die sich nicht mit feiner Maßeinheit skalieren lassen. D e r gemeinsame B e z u g s p u n k t der A b w ä gungsfaktoren - ihre durch ihr verfassungsrechtliches G e w i c h t herausgearbeitete k o n k r e t e Schutzwürdigkeit 1 0 8 - wird es selten erlauben, nicht nur eine A u s sage darüber zu treffen, in welche R i c h t u n g die Waage ausschlägt, sondern auch n o c h nachvollziehbar und plausibel zu machen, dass sich das Pendel „unwesentlich" oder nur „geringfügig" zu der einen oder anderen Seite neigt. D i e s e G r ü n d e kann das Zivilrecht nicht in gleichem M a ß e für sich in A n spruch nehmen. Vielmehr ist es gerade die Tatsache, dass in privatrechtlichen Verhältnismäßigkeitsbeurteilungen nicht selten auf beiden Seiten in G e l d bezifferbare Sach- und Vermögensinteressen gegenüberstehen, die die Frage nach dem M a ß des U b e r w i e g e n s aufgeworfen hat. Was also in verfassungsrechtlichen Zusammenhängen nicht denkbar ist, 1 0 9 ist für das Zivilrecht geradezu charakteristisch. A u c h stehen sich im privatrechtlichen K o n f l i k t per definitionem nicht Staat und Bürger, sondern die Interessen zweier Bürger gegenüber. G r u n d s ä t z differenziert das BVerfG entsprechend der Eingriffsintensität zwischen einer Evidenzkontrolle, einer Vertretbarkeitskontrolle und einer intensiven inhaltlichen Kontrolle; vgl. die Selbstbeschreibung bei BVerfGE 40,290 (332f.)- Mitbestimmung; hierzu W. Kluth,]A 1999,607 (611 f.). Im Schrifttum wird die Kontrolldichte vor allem als Problem der Zwecksetzungskompetenz der Legislative diskutiert; vgl. R. Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 139ff.; E. Grabitz, AöR 98 (1973), 568 (600ff., 615f.). Für die Kontrolle von verwaltungsrechtlichen Eingriffsakten dürfte sich hingegen die Auffassung durchgesetzt haben, dass Rechtswidrigkeit erst bei einem „offensichtlichen" Missverhältnis von Eingriff und Zweck anzunehmen ist; F. Ossenbühl, Jura 1997, 617 (619) m.w.N. 108 ygi m Qfo jacol,S) j ) e r Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 24f. 109 Ein Fall, bei dem nicht nur auf der Seite des Bürgers, sondern auch bei der hoheitlichen Zwecksetzung ausschließlich monetäre Interessen ins Gewicht fallen, scheint schwer vorstellbar, da sich gerade die zur Eingriffsrechtfertigung vorgetragenen Allgemeininteressen kaum mit Geld bewerten lassen. - Siehe nur die von H. Schneider, Die Güterabwägung des BVerfG bei Grundrechtskonflikten, S.224ff. ausgewerteten Entscheidungen: Keine der dort rechtfertigungsweise angeführten Allgemeininteressen („Bestand der Bundesrepublik Deutschland", „Rechtspflege", „Volksernährung", „Strafverfolgung und soziale Sicherheit der Bürger", „Arbeitsmarkt" u.s.w.) ließe sich in Geld bewerten.

§ 10

Qualifizierungen

225

lieh anders als im öffentlichen Recht stellt sich damit im Privatrecht für jede A b wägungsentscheidung auch die Frage nach dem Ausgewogenheitsmaßstab.

b) Typisierung der privatrechtlichen

Ausgewogenheitsmaßstäbe

Genauso wie die maßgeblichen Abwägungsfaktoren sind auch die Ausgewogenheitsmaßstäbe für jede N o r m individuell und vor allem mit Blick auf ihre Teleologie zu erarbeiten. 1 1 0 Idealiter lassen sich drei Typen von Ausgewogenheitsmaßstäben unterscheiden: Unausgewogenheit kann erstens bei jedem noch so geringfügigen Uberwiegen der einen gegenüber der anderen Seite angenommen werden, wie es - wie bereits vorstehend unter a) gesehen - für öffentlichrechtliche Abwägungsprozesse typisch ist. In einer zweiten Gruppe von N o r m situationen wird die Ausgewogenheitsgrenze erst dann überschritten, wenn ein erhebliches oder wesentliches Uberwiegen der Interessen der einen Seite festgestellt werden kann (unten aa). Schließlich ist in einer dritten Gruppe von Vorschriften Unausgewogenheit erst dann anzunehmen, wenn die Abwägung ein so deutliches Uberwiegen der Interessen der einen Seite ergibt, dass die gegenläufigen Interessen nur minimal und geringfügig ins Gewicht fallen (unten bb). 1 1 1

aa) Einfaches und qualifiziertes

Uberwiegen

Ausgewogenheitsmaßstäbe des Typs 1, bei dem jedes einfache Überwiegen genügt, lassen sich dann begründen, wenn die abzuwägenden Positionen vom G e setzgeber als grundsätzlich gleichberechtigt bewertet worden sind, oder aber wie es zumeist im öffentlichen Recht der Fall ist 1 1 2 - , wenn eine Seite schon bei einer auch nur geringfügigen Zurücksetzung ihrer Interessen die gesetzlichen Rechte beanspruchen können soll. Zumeist haben wir es im Zivilrecht aber mit Ausgewogenheitsmaßstäben des Typs 2 zu tun, die ein qualifiziertes, also „wesentliches" oder „erhebliches" Überwiegen voraussetzen. Dies betrifft N o r m s i tuationen, in denen der Gesetzgeber einer Position einen relativen Vorrang eingeräumt hat. Ist dieser Vorrang im Einzelfall durch das Gewicht der konfligierenden Interessen aufgezehrt, so neigt sich die Waage zur anderen Seite. Ein solcher qualifizierter Ausgewogenheitsmaßstab liegt beispielsweise dem zugrunde: UnVerhältnismäßigkeit i.S. des § 9 0 4 B G B ist erst

Angriffsnotstand

1 1 0 Zur allg. Bedeutung teleologischer Auslegung für die Konkretisierung bereits oben, §5 III., IV. 3. a), im Zusammenhang mit Gewichtungsbegriffen bereits oben, § 10 II. 1., III. 1. c). 111 Vgl. auch U. Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 161 ff., der für die Konkretisierung der (Un-)Zumutbarkeit im Arbeitsrecht ebenfalls drei Stufen der Unzumutbarkeit ausmacht: das einfache Uberwiegen, das Überwiegen nur in Ausnahmefällen und - als höchsten Grad der (Un-)Zumutbarkeit - das erhebliche Uberwiegen der Interessen einer Partei. 112 Siehe bereits vorstehend, § 10 III. 2. a).

226

Typologie

der

Normkonkretisierung

dann anzunehmen, wenn der abgewehrte Schaden den entstandenen Schaden „erheblich" überwiegt.113 Dieser Ausgewogenheitsmaßstab kann allerdings nicht unbesehen auf den sachverwandten Verteidigungsnotstand nach §228 BGB übertragen werden. Zu Recht geht man davon aus, dass §228 BGB einen großzügigeren Ausgewogenheitsmaßstab kennt, so dass Unverhältnismäßigkeit erst unter engeren Voraussetzungen gegeben ist.114 Entscheidend hierfür ist die systematische Erwägung, dass die Sacheinwirkung bei §228 BGB diejenige Sache betrifft, von der die Gefahr ausgeht, wohingegen §904 BGB die Inanspruchnahme unbeteiligten Eigentums regelt. Auch setzt §228 BGB pauschal „Gefahr" und „Schaden" in Relation, während §904 BGB enger an den eingetretenen und den drohenden Schaden anknüpft. Überdies verlangt der in §228 BGB formulierte Schadensersatzanspruch ein Verschulden des Handelnden, während §904 BGB ohne weiteres Schadensersatz gewährt.115 Schließlich ist §228 BGB als positive Erlaubnisnorm formuliert („handelt nicht widerrechtlich, wenn..."), während §904 BGB negativ („nicht berechtigt, die Einwirkung eines anderen auf die Sache zu verbieten, wenn...") und damit als Ausnahmevorschrift116 zu den Eigentümerbefugnissen des §903 BGB gefasst ist. Aus diesen Gründen117 wird man bei §228 BGB einen großzügigeren Ausgewogenheitsmaßstab als bei §904 BGB annehmen müssen.118 bb) Prinzipieller

Vorrang eines

Interesses

Mit dem Ausgewogenheitsmaßstab des Typs 3, d.h. dass die gegenläufigen Interessen nur minimal und geringfügig ins Gewicht fallen, werden schließlich Interessenkonflikte erfasst, bei denen das Gesetz einer der beiden Seiten einen prin113 Staudinger/H.H. Seiler, §904 Rdnr.5; siehe auch dens., a.a.O., Rdnr.27: Der drohende Schaden muss „erheblich höherwertig" einzuschätzen sein gegenüber dem entstandenen Sachschaden. Ahnlich schon A. Hueck, Jh. Jahrb. 1919, S.205 (208): „erheblich mehrwertig". Zum Gedanken des „wesentlich überwiegenden Interesses" auch W. Küper,]7,1976, 515 ( 5 1 7 ) . - D r o hen Schäden für Leib oder Leben, so sind sie wegen der überragenden Schutzwürdigkeit dieser Rechtsgüter ohnehin als unverhältnismäßig anzusehen; siehe nur Erman/H. Hagen, §904 Rdnr. 7; Jauernig/O. Jauernig, §904 Rdnr.4; Palandt/P. Bassenge, §904 Rdnr.3; grundsätzlich auch Staudinger/H.H. Seiler, §904 Rdnr.27 a.E. 114 Vgl. A. Hueck, Jh. Jahrb. 1919, 205 (207ff.); auch Staudinger/H.H. Seiler, §904 Rdnr.5; Staudinger/O. Werner, §904 Rdnr.l. 115 Zu den Unterschieden von §228 B G B und §904 B G B Staudinger/H.H. Seiler, §904 Rdnr.5; Staudinger/O. Werner (13. Bearb. 2001), §228 Rdnr. 1. 116 Vgl. Erman/H. Hagen, §904 Rdnr. 1. 117 Siehe auch die entstehungsgeschichtlichen Erwägungen von A. Hueck, Jh. Jahrb. 1919, S.205 (208ff.). 118 K. Larenz/M. Wolf, B G B AT, S. 377 wollen beispielsweise UnVerhältnismäßigkeit erst dann annehmen, wenn der abgewendete Schaden zum eingetretenen Sachschaden „geringfügig" ist; ähnlich Soergel/H. Fahse (13. Aufl. 1999), §228 Rdnr. 18; genauso O L G Koblenz, N J W - R R 1989, 541 f. Damit bewegt sich der Ausgewogenheitsmaßstab in §228 B G B schon an der Grenze zum Ausgewogenheitsmaßstab des Typs 3; hierzu sogleich im Text.

5 10

Qualifizierungen

227

zipiellen, nur ausnahmsweise zu durchbrechenden Vorrang zuerkennt. 119 Ein solcher prinzipieller Vorrang kann unmittelbar im Gesetz angelegt sein, wie beispielsweise bei der Wendung der „verhältnismäßigen Geringfügigkeit" in § 320 Abs. 2 BGB (unten [1]). Zumeist folgt er aus dem Ausnahmecharakter gesetzlicher Vorschriften, wie bei der Begrenzung der Nacherfüllungspflicht des Werkunternehmers (§635 Abs.3 BGB n.F.; zuvor §633 Abs.2 S.3 BGB a.F.) (unten [2]) oder der richterlichen Korrekturbefugnis unverhältnismäßiger Vertragesstrafen und Maklerlöhne nach §§343 Abs. 1, 655 S. 1 BGB (unten [3]). (1) §320 Abs.2

BGB

Zum Teil lässt sich der restriktive Ausgewogenheitsmaßstab des Typs 3 schon aus der Gesetzesfassung folgern, wie beispielsweise in §320 Abs.2 BGB. Danach besteht bei Teilleistungen ausnahmsweise dann kein Zurückbehaltungsrecht, wenn die Zurückbehaltung, insbesondere wegen „verhältnismäßiger Geringfügigkeit des rückständigen Teiles", gegen Treu und Glauben verstoßen würde. In dieser Vorschrift verbinden sich der Gedanke von Treu und Glauben mit dem daraus abgeleiteten Verbot missbräuchlicher und insbesondere übermäßiger Rechtsausübung.120 §320 BGB ist damit eine gesetzliche Ausprägung des allgemeineren Prinzips, dass sich die Ausübung von Rechten nicht als unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des anderen Teiles darstellen darf. 121 Hier ergibt sich schon aus der Normstruktur des § 320 Abs. 2 BGB, dass ein einfaches Überwiegen des schon Geleisteten nicht genügt. Zu Recht wird vielmehr verlangt, dass sich der rückständige Teil als so bedeutungslos 122 und minimal darstellt, dass ein schutzwürdiges Interesse an der Zurückbehaltung der gesamten Gegenleistung nicht zu erkennen ist.123 Verhältnismäßige Geringfügigkeit i.S. des § 320 Abs. 2 BGB wird man insbesondere dann annehmen können, wenn der Einbehalt nicht mehr dazu dient, den anderen Teil zur Bewir-

119

Ähnlich U. Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 161 f. Zum Zusammenspiel von Treu und Glauben, Verhältnismäßigkeit und übermäßiger Rechtsausübung B G H Z 88,91 (95); B G H , WM 1985,876 (877); WM 1980,215 (216); C.-W. Canaris, JZ 1987, 993 (1002); Jauernig/M. Vollkommer, §242 Rdnr.40; Staudinger/J. Schmidt (13. Bearb. 1995), §242 Rdnrn. 779-788. 121 Jauernig/M. Vollkommer, §242 Rdnr.40; Staudinger/J. Schmidt (13. Bearb. 1995), §242 Rdnr. 779. 122 Zum Kriterium der Bedeutungslosigkeit auch Erman/R. Battes, §320 Rdnr. 17. 123 Es bleibt stets unbenommen, den der rückständigen Leistung entsprechenden Teil der Gegenleistung zurückzubehalten; dies gilt auch, wenn sich der rückständige Teil als „verhältnismäßig geringfügig" darstellt (allgemeine Meinung); siehe nur R G Z 56,151 (153); RG, JW 1915,1003 (1004); B G H Z 54, 244 (249); 56, 312 (316); Soergel/H. Wiedemann (12.Aufl. 1990) §320 Rdnr.67; Staudinger/H. Otto (13. Bearb. 1995), §320 Rdnr.29. Ist die Gegenleistung nicht teilbar, so ist dem Gläubiger das Zurückbehaltungsrecht nur in absoluten Grenzfällen zu versagen; vgl. weiter Erman/R. Battes, §320 Rdnr. 17. 120

228

Typologie

der

Normkonkretisierung

kung der Restleistung zu bewegen, 124 sondern in die Nähe der Schikane gerät. Dieser sehr restriktive Maßstab trägt auch dem Ausnahmecharakter der Vorschrift 125 Rechnung. 126

(2) § 635 Abs. 3 BGB n.F. (§ 633 Abs. 2 S. 3 BGB a.F.) Der Ausgewogenheitsmaßstab des Typs 3 - prinzipieller Vorrang eines Interesses - kann auch dann vorliegen, wenn sich ein solcher prinzipieller Vorrang eines Interesses nicht ausdrücklich aus dem Gesetz ergibt. Ein Beispiel hierfür ist das Recht des Werkunternehmers, die Nachbesserung zu verweigern, wenn sie „einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert" (§633 Abs. 2 S.3 BGB a.F., jetzt § 635 Abs. 3 BGB). 127 Zu Recht haben Rechtsprechung und Schrifttum zur Konkretisierung dieser Wendung auf den Gedanken der Geringfügigkeit zurückgegriffen und UnVerhältnismäßigkeit erst dann angenommen - so der BGH in mehreren Entscheidungen seit dem Jahr 1996 - , „wenn einem objektiv geringen Interesse des Bestellers an einer völlig ordnungsgemäßen Vertragsleistung ein ganz erheblicher und deshalb vergleichsweise unangemessener Aufwand gegenübersteht."128 Genauso hatte zuvor schon das O L G Hamm formuliert, der durch die Beseitigung des Mangels für den Besteller entstehende Vorteil müsse gegenüber dem Aufwand des Unternehmers „geringwertig" sein,129 und nach A. Teichmann ist Unverhältnismäßigkeit „faktisch nur denkbar, wenn

124 Vgl. BGHZ 54, 244 (249); BGH, ZIP 1989, 1333 (1336) sowie Erman/R. Baues, §320 Rdnr. 16; Soergel/H. Wiedemann (12. Aufl. 1990), §320 Rdnr.70. 125 Der Ausnahmecharakter des § 320 Abs. 2 BGB folgt schon aus seiner systematischen Stellung, nämlich im Anschluss an die allgemein gefasste Grundregel des § 320 Abs. 1 BGB. Auch die inhaltliche Ausgestaltung des §320 Abs. 2 BGB und insbesondere der Hinweis auf Treu und Glauben verdeutlichen, dass dem Gläubiger nur in besonderen Fällen sein aus der Natur des Synallagmas folgendes Zurückbehaltungsrecht versagt werden soll. 126 Siehe aber die berechtigten Einwände gegen einen vorschnellen Rückgriff auf das Argument „Ausnahmevorschriften sind eng auszulegen" [bzw. zu konkretisieren] bei K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 355f.; F. Müller, Juristische Methodik, S. 251. 127 Nach der Begründung des RegE eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BTDrs 14/6040 S.265 stimmt die Neuregelung „inhaltlich mit dem bisherigen §633 Abs.2 S.3 BGB überein." 128 BGH, NJW 1996, 2369 (2370) [Hervorhebungen nicht im Original]; so nun auch BGH, NJW-RR 1997, 1106; ähnlich BGH, NJW-RR 1997, 1450 (1451). Vgl. auch die Argumentation des OLG Köln, BauR 1989, 733 (735): „Die Abweichung [des Werkes von der vertraglichen Zusicherung] ist in ihrem sachlichen Gehalt nicht so geringfügig, dass die Rücksichtnahme auf hohe Kostenbelastungen der Klägerin es erfordert, von einer Erneuerung des Fußbodenbereichs der Heizungsanlage Abstand zu nehmen." 129 OLG Hamm, MDR 1989, 911 (912); anders aber jetzt OLG Hamm, NJW-RR 2001, 1460 (1462): Unverhältnismäßigkeit liege dann vor, wenn der mit der Nachbesserung erzielbare Erfolg „bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles in keinem vernünftigen Verhältnis zur Höhe des zu dazu erforderlichen Geldaufwandes steht".

§10

Qualifizierungen

229

die Beeinträchtigung, die der Besteller erleidet, sehr gering ist und sie nur mit einem Ubermaß an Aufwand beseitigt werden könnte." 130 Auch dieser Ausgewogenheitsmaßstab lässt sich auf systematische und teleologische Argumente 131 zurückführen. Die restriktive und damit bestellerfreundliche Deutung der UnVerhältnismäßigkeit trägt dem Ausnahmecharakter des §633 Abs.2 S.3 BGB a.F. (§635 Abs.3 BGB n.F.) gegenüber der gesetzlichen Regel des §633 Abs.2 S. 1 BGB a.F. (§635 Abs. 1 BGB n.F.) Rechnung 132 und folgt damit einem Argument, das schon bei §320 Abs.2 BGB wirksam geworden ist. 133 In dieselbe Richtung weist der Blick auf die vertragliche Risikoverteilung, da das Erfüllungsrisiko für die versprochene Leistung grundsätzlich dem Unternehmer zugewiesen ist, und zwar auch dann, wenn er mangelhaft leistet. 134 Aus diesen beiden Gedanken folgt ein prinzipieller Vorrang des Bestellerinteresses an einer vollständigen Mängelbeseitigung durch den Werkunternehmer, das nur in Ausnahmefällen hinter das Vermögensinteresse des Werkunternehmers zurücktreten muss. (3) §§343 Abs. 1, 655 S. 1 BGB Weitere Beispiele für diesen restriktiven Ausgewogenheitsmaßstab liefern §§343 Abs. 1, 655 S. 1 BGB im Zusammenhang mit der Frage, wann Vertragsstrafen und Maklerlöhne unverhältnismäßig und daher richterlich zu korrigieren sind. Dies folgt in beiden Fällen vor allem aus dem Ausnahmecharakter 135 des richterlichen Ermäßigungsrechts. §343 Abs. 1 BGB durchbricht die Grundsätze der Vertragsfreiheit und Parteiautonomie zugunsten eines richterlichen Gestaltungsrechts, um übermäßigen Belastungen des Schuldners durch unverhältnismäßige Vertragsstrafen entgegenzuwirken. Schon die Protokolle zeugen daher von dem Wunsch, „dass der deutsche Richter von dem Ermäßigungsrecht einen nicht zu weit gehenden Gebrauch machen werde, so dass man nicht etwa eine Beförderung der Vertragsuntreue von der Vorschrift zu befürchten brauche." 136 Eine Ermäßigung solle nur erfolgen, wenn „im einzelnen Falle ein offenbares Missverhältnis zwischen der Strafe und dem Interesse des Gläubigers bestehe." 137 130

Soergel/A. Teichmann (12. Aufl. 1997), §633 Rdnr.10. Zur allg. Bedeutung systematisch-teleologischer Auslegung für die Konkretisierung bereits oben, §5 III., IV. 3. a), im Zusammenhang mit Gewichtungsbegriffen bereits oben, § 10 II. 1., III. l . c ) . 132 I.S. einer bestellerfreundlichen Deutung des § 633 Abs. 2 S. 3 BGB (jetzt § 635 Abs. 3 BGB) auch Staudinger/F. Peters (13. Bearb. 2000), §633 Rdnr. 188. 133 Siehe bereits vorstehend, § 10 III. 2. b) bb) (1). 134 So nachdrücklich B G H , NJW 1996,2369 (2370); vgl. auch Staudinger/F. Peters (13. Bearb. 2000), §633 Rdnr. 187. 135 Siehe für §343 BGB Staudinger/V. Rieble (13. Bearb. 1995), §343 Rdnrn. 9f. 136 Prot. I, S. 785. 137 Prot. I, S. 785. Diese Formulierung ist mit den Gesetzesänderungen L. n°75-597 du 9.7. 131

230

Typologie

der

Normkonkretisierung

Aus beiden Gesichtspunkten folgt, dass Unverhältnismäßigkeit nicht schon dann anzunehmen ist, wenn die Vertragsstrafe das berechtigte Erfüllungssicherungsinteresse des Gläubigers nur geringfügig überwiegt. Vielmehr verlangen die Grundsätze von Privatautonomie und Vertragsfreiheit die prinzipielle A n erkennung vertraglicher Vereinbarungen. Dieser prinzipielle Vorrang der vertraglichen Erfüllungsinteressen sowie der Ausnahmecharakter des § 3 4 3 B G B leiten zu einem restriktiven Ausgewogenheitsmaßstab des Typs 3. 1 3 8 Unverhältnismäßigkeit 1 3 9 ist erst dann anzunehmen, wenn die Vertragsstrafe das berechtigte Erfüllungssicherungsinteresse des Gläubigers so deutlich überwiegt, dass sich das Gläubigerinteresse als vergleichsweise geringfügig gegenüber der H ö h e der Vertragsstrafe ausmacht. 1 4 0 Dies wird nicht der Fall sein bei einer Vertragsstrafe, die in etwa dem durch den Verwirkungsfall beim Gläubiger entstandenen Schaden entspricht. 1 4 1 Vielmehr muss die Vertragsstrafe den tatsächlich eingetretenen Schaden um ein Vielfaches übersteigen. So hat beispielsweise das A G Hannover entschieden, dass ein „erhöhtes Beförderungsentgelt" in H ö h e von 60 D M wegen fahrlässiger Nichtbeachtung einer Tariferhöhung unverhältnismäßig ist, wenn dem Beförderungsunternehmen hieraus lediglich ein Schaden in H ö h e von 8,3 Pfennigen entstanden ist. 1 4 2 Auch eine Vertragsstrafe, die das Gläubigerinteresse um mehr als das fünffache übersteigt, wird man wohl als unverhältnismäßig zu werten haben. 1 4 3 Zu Recht betont das B A G auch, dass „es

1975 und L. n°85-1097 du 11.10.1985 ausdrücklicher Bestandteil der französischen Regelung in Art. 1152 code civil geworden: „Néansmoins, le juge peut, même d'office, modérer ou augmenter la peine qui avait été convenue, si elle est manifestement excessive ou dérisoire." [Hervorhebung nicht im Original]. 1 3 8 Anders aber wohl O L G Nürnberg, M D R 1 9 6 8 , 9 2 0 , das eine unverhältnismäßig hohe Strafe dann annehmen will, wenn sie über das Erfüllungsinteresse des Gläubigers „erheblich hinausginge" [Hervorhebung nicht im Original] und damit an den Ausgewogenheitsmaßstab des Typs 2 anknüpft. 1 3 9 Hiervon zu unterscheiden ist die Frage der Unangemessenheit einer in A G B vereinbarten Vertragsstrafe; eine solche ist nach Auffassung des B G H schon dann unangemessen i.S. von § 9 A G B G a.F. bzw. §307 B G B n.F., wenn sie eine Höchstgrenze von über 5 % der Auftragssumme vorsieht, so B G H , N J W 2003, 1805 (1808f.). 140 Als Leitlinie wird man davon ausgehen können, dass die Unangemessenheitsgrenze erst dann überschritten ist, wenn die Höhe der Vertragsstrafe das berechtigte Sicherungsanliegen um mehr als 50% übersteigt. 141 So O L G Nürnberg, M D R 1968,920; Palandt/H. Heinrichs, § 343 Rdnr. 7. Eine andere Frage ist, ob der Richter als gerade noch angemessene Vertragsstrafe auch einen festgestellten Schadensbetrag unterschreiten darf; so H. Köhler, G R U R 1994, 260 (263); dagegen Staudinger/ V. Riehle (13. Bearb. 1995), §343 Rdnr.81. 142 A G Hannover, N J W - R R 1991, 883f. Hier überstieg die Vertragsstrafe den eingetretenen Schaden um mehr als das 700fache. Diese Uberdimensionierung der Vertragsstrafe lässt sich auch nicht mit der Abschreckungswirkung rechtfertigen. 143 ArbG Berlin, E z A U G Nr. 84. Die vom Gericht als unangemessen bewertete Vertragsstrafe war zwischen einem Verleiher und einem Leiharbeitnehmer für den Fall des Nichtantritts der Arbeit vereinbart worden und sollte - bei beiderseitig täglicher Kündigungsfrist innerhalb der Probezeit - fünf Brutto-Tagesverdienste betragen. Mangels zusätzlicher Anhaltspunkte, die für

§10

Qualifizierungen

231

keinen Rechtssatz [gibt], dass eine Vertragsstrafe die Höhe des für die Kündigungsfrist zu zahlenden Gehalts nicht übersteigen darf." 144 Die Unverhältnismäßigkeitsgrenze wird daher nicht in jedem Fall überschritten, in dem die Vertragsstrafe das vereinbarte Arbeitsentgelt übersteigt. In diesem Sinne erachtete bereits das römische Recht eine Vertragsstrafe für die Nichterfüllung einer Vertragsleistung bis zum Vierfachen des Interesses als zulässig. 145 Für die Beurteilung der Unverhältnismäßigkeit bei §655 S. 1 B G B 1 4 6 können wegen der vergleichbaren Normstruktur ähnliche Argumente fruchtbar gemacht werden, nämlich der prinzipielle Vorrang des vertraglichen Erfüllungsanspruchs und der Ausnahmecharakter des richterlichen Ermäßigungsrechts. Dies spricht dafür, dass die Unverhältnismäßigkeitsgrenze ebenfalls erst dann überschritten ist, wenn die Höhe des Maklerlohns den objektiven Nutzen für den Auftraggeber so deutlich überwiegt, dass sich sein Nutzen als vergleichsweise geringfügig gegenüber der Höhe des Maklerlohnes ausmacht. 147 UnVerhältnismäßigkeit wird man also abermals erst dann anzunehmen haben, wenn der Maklerlohn den Nutzen des Auftraggebers um ein Vielfaches übersteigt. 148 ein weiter gehendes Gläubigerinteresse sprechen, wird man in solchen Fällen das sachlich gerechtfertige Sicherungsinteresse des Arbeitgebers, der sich eine Vertragsstrafe für den Nichtantritt versprechen lässt, durchaus mit der Höhe des Lohnanspruchs des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist in Ansatz bringen können; M. Heinze, N Z A 1994,244 (251). Genauso LArbG Chemnitz, L A G E §339 B G B Nr. 12: „Eine darüber hinausgehende Vertragsstrafe lässt sich nur rechtfertigen, wenn das Sanktionsinteresse den Wert der Arbeitsleistung aufgrund besonderer Umstände übersteigt" (Lts. 1). - Zur Unangemessenheit einer Vertragsstrafenklausel in allgemeinen Geschäftsbedingungen, nach welcher der Auftragnehmer für jeden Arbeitstag der Verspätung eine Vertragsstrafe von 0,5% zu zahlen hat B G H , N J W 2002, 2322 (2323); genauso schon B G H , N J W 2000, 2106. 144 So B A G , Urteil vom 25.10.1994 - 9 AZR 265/93 (nicht veröffentlicht); auch B A G , Urteil vom 6.10.1993 - 5 A R Z 636/92 (nicht veröffentlicht), Lts. 1. 145 Siehe R.-P. Sossna, Die Geschichte der Begrenzung von Vertragsstrafen, S. 11 f. zu D.21.2.56 pr. und 1.4.6.21 (de actionibus). 146 In Rspr. und Schrifttum finden sich bislang keine näheren Bestimmungen des Ausgewogenheitsmaßstabes. Staudinger/D. Reuter (13. Bearb. 1995), §655 Rdnr.3 spricht lediglich von einem „Missverhältnis" von Leistung und Gegenleistung; Erman/O. Werner, §655 Rdnr.2 von einer „übermäßigen Provisionsforderung". Eine deutlichere Aussage zum Ausgewogenheitsmaßstab trifft allein - soweit ersichtlich - Jauernig/O. Jauernig, § 655 Rdnr. 1: ^Unverhältnismäßig hoch' ist die im Vergleich zur üblichen Vergütung erheblich überhöhte Vergütung" [Hervorhebung nicht im Original]. 147 Anders wohl Jauernig/O. Jauernig, §655 Rdnr. 1, der mit der Formel vom „erheblichen Uberwiegen" offenbar an den Ausgewogenheitsmaßstab vom Typ 2 anknüpfen will. 148 Ansatzweise findet sich dieser Gedanke auch in der Rspr. zur Sittenwidrigkeit einer Maklervergütung. So hat der B G H , D B 1976,573 ein auffälliges Missverhältnis i.S. des § 138 B G B angenommen, wenn die vereinbarte Vergütung die übliche um das fünffache übersteigt; vgl. auch B G H Z 125, 135 (137). Da die Leistungsbewertung bei § 138 Abs. 1 B G B weit gehend parallel zu § 655 S. 1 B G B verläuft - der Unterschied besteht darin, dass das Sittenwidrigkeitsurteil des § 138 B G B nicht allein aus der Höhe des Maklerlohnes begründet werden kann; so B G H Z 87,309; 125, 135 (137); MünchKomm/H. Roth (3. Aufl. 1997), §655 Rdnr.2; Jauermg/O. Jauernig, §655 Rdnr. 1; M. Martinek,]X 1994, 1048 (1049) - liegt hierin zumindest ein übertragbarer Gedanke.

232

Typologie

c) Ausgewogenheitsmaßstab

der

und

Normkonkretisierung

Zumutbarkeit

D e r Ausgewogenheitsmaßstab als notwendiges Element jeder Abwägungsentscheidung ist in den vorstehenden Erwägungen nur im Zusammenhang mit mehreren Verhältnismäßigkeitswendungen betrachtet worden ( § § 2 2 8 , 343 Abs. 1, 616 S. 1, 635 A b s . 3 n.F. [§633 A b s . 2 S.3 a.F.] sowie § 6 5 5 S. 1 B G B ) . Im Folgenden wird gezeigt, dass dieser Ausgewogenheitsmaßstab zugleich die Zumutbarkeitsgrenze bezeichnet, es also neben diesem durch normative Gesetzesbegriffe vermittelten Ausgewogenheitsmaßstab keine weitere allgemeine Zumutbarkeitsgrenze 1 4 9 im Sinne einer „Soziabilitätsschranke" 1 5 0 oder „Opfergrenze" 1 5 1 gibt.

aa) Blick auf das öffentliche

Recht

Das Verhältnis von Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit wird vor allem für das öffentliche Recht, und zwar insbesondere für die Anwendung des U b e r maßverbotes im Verfassungsrecht diskutiert. 152 So beschreibt das B V e r f G das Proportionalitätsgebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne häufig damit, dass „bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze des Zumutbaren [bzw. der Zumutbarkeit] gewahrt" werden muss. 153 Hieraus wird von einem großen Teil des Schrifttums die Austauschbarkeit von Verhält-

149 Vielfach wird von einer „Zumutbarkeitsgrenze" gesprochen, ohne dass deutlich wird, ob es sich hierbei um eine von der Verhältnismäßigkeits- oder Angemessenheitsgrenze abweichende Grenze handelt, oder ob sie dieselbe Grenzlinie bezeichnen; siehe etwa O L G München, VersR 1965, 366 (367); B G H , N J W 1975, 2061; Erman/G. Kuckuk, §251 Rdnr.20; H. Oetker, N J W 1985, 345 (358); Palandt/H. Heinrichs, §251 Rdnr. 7: „Abwägung unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit". Allg. zur Zumutbarkeit im Privatrecht insbes. G. v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 93ff.; U. Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 135ff.; ders., Z G 1988, 319ff.; W. Weber, JJb. Bd. 3 (1962/3), 212ff.; mit Blick auf das Arbeitsrecht E. Frey, J Z 1955, 106ff.; W. Herschel, AuR 1968,193ff.; aus strafrechtlicher Sicht H. Henkel, in: FS für E. Mezger, S. 249 (260ff.). 150 So H.-J. Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, S. 174ff.; ihm folgend AltKomm/H. Rüßmann, §251 Rdnr.4; vgl. auch I. Koller, D A R 1979, 289 (295). 151 ]. Esser/E. Schmidt, SchuldR Bd.I, §32 II 1 b; vgl. auch D. Medicus, JuS 1969, 449; H. Schulte, J Z 1988, 278 (280). 152 Siehe insbes. R.K. Albrecht, Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab; R. Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 9ff.; L. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S.97ff.; M.Ch. Jacobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S.86ff.; ders., DVB1.1985, 97 (99f.); J. Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit als allgemeine Grenze öffentlich-rechtlicher Pflichten des Bürgers; ders., D O V 1974,769ff.;£ Ossenbühl, in: Festgabe der Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 315 (316ff.). 153 BVerfGE 39,292 (316); 33,171 (187f.); 33,240 (244,246f.); 36,47 (59); 37,1 (19,22); 41,387 (395); 43, 242 (288f.), 51, 356 (368f.); 67,1 (15f.); 76, 256 (360); 79, 256 (270); 81, 70 (92); 85, 226 (236).

§ 10

Qualifizierungen

233

nismäßigkeit und Zumutbarkeit gefolgert. 154 Dieser Auffassung ist J. Lücke entgegengetreten. 155 Er sieht den grundsätzlichen Unterschied zwischen Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit darin, dass die Zumutbarkeit nicht auf eine Abwägung verweise, sondern „einseitig subjektbezogen" eine letzte, absolute „Opfergrenze" formuliere. 156 Vermittelnde Positionen nehmen M.Ch. Jacobs157, F. Ossenbühllss und aus jüngerer Zeit R.K. Albrecht159 ein, die zwar grundsätzliche Unterschiede zwischen beiden Maßstäben ausmachen, diese aber nicht auf das Fehlen einer Abwägung 160 bei der Zumutbarkeit, sondern auf die veränderte Perspektive der Zumutbarkeit zurückführen: Während der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, so M. Ch. Jacobs, „staatliches Handeln aus dem Blickwinkel der tangierten Rechtsgüter beurteilt, bewertet die Zumutbarkeit eine Pflichtigkeit in Bezug auf eine bestimmte Person." Die Verhältnismäßigkeit sei daher „ein sachbezogener, funktionaler Grundsatz", die Zumutbarkeit hingegen ein „subjektbezogener individualisierender Maßstab". 1 6 1 Hier wird die Zumutbarkeit letztlich als Facette des Übermaßverbots gedeutet, das vor allem in Situationen zum Tragen kommen soll, die sich - wie die hoheitliche Auferlegung von Geldzahlungspflichten - mit der Relation zweier aufeinander bezogener Größen wie Mittel und Zweck 1 6 2 nicht oder nur unzureichend erfassen ließen. 163 154 So R. Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 13; mehr oder weniger deutlich auch bei M. Gentz, N J W 1968, 1600 (1604); E. Grabitz, AöR 98 (1973), 568 (575); B. Pieroth/ B. Schlink, Grundrechte, Rdnr. 289; G. Ress, in: Deutsche Sektion der Internationalen JuristenKommission (Hrsg.), Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in europäischen Rechtsordnungen, S.7 (14); B. Schlink, in: FS 50 Jahre BVerfG, S.443 (451 ff.); B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein, G G , Art. 20 Rdnr. 27; R. Wendt, AöR 104 (1979), 404 (454f.); wohl auch F. Schnapp, JuS 1983,850 (852); K. Stern, StaatsR Bd.I, §20 IV 7 e). 155 J. Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit als allgemeine Grenze öffentlich-rechtlicher Pflichten des Bürgers, S. 55ff.; ders., D Ö V 1974,769ff.; genauso W. Pesendorfer, Ö Z Ö f f R V ö l k R 2 8 (1977), 265 (283); siehe auch U. Langheineken, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des BVerfG, S. 19. 156 So J. Lücke, D Ö V 1974, 769 (770f.); genauso U. Langheineken, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 17ff.; wohl auch A. Gern, D Ö V 1986, 462 (469) und A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, S. 153 f. 157 M.Ch. Jacobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S.93ff.; ders., DVB1.1985, 97 (99f.). 158 F. Ossenbühl, in: Festgabe der Gesellschaft für Rechtspolitik, S.315 (321 ff.). 159 R.K. Albrecht, Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab, S. 121 ff. 1 6 0 Hierzu ausführlich R.K. Albrecht, Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab, S. 1 lOff. 161 M. Ch. Jacobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S.94; vgl. auch dens., DVBl. 1985, 97 (99f.). Ganz ähnlich R.K. Albrecht, Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab, S. 122 und schon J. Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit als allgemeine Grenze öffentlich-rechtlicher Pflichten des Bürgers, S.57; ders., D Ö V 1974, 769 (771); vgl. auch U. Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 145f.; W. Weber, Jjb. Bd.3 (1962/3), 212 (230f.). 162 Im Einzelnen zur Umschreibung der in Relation zu setzenden Faktoren M. Ch. Jacobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 15 ff. 163 F. Ossenbühl, in: Festgabe der Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 315 (316ff.);/?. K. Albrecht,

234

Typologie der

Normkonkretisierung

Für eine neben der allgemeinen Ausgewogenheitsgrenze bestehende weitere Zumutbarkeitsgrenze könnten daher zwei Gesichtspunkte sprechen: entweder dass die Zumutbarkeit keine Abwägung verlange, sondern eine absolute Opfergrenze bezeichne, oder aber dass Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit verschiedene Gesichtspunkte in Relation setzten und daher zu unterschiedlich austarierten Abwägungsentscheidungen leiteten. Beide Gesichtspunkte gehen aber an den spezifischen Bedingungen der Gesetzesanwendung und -konkretisierung im Privatrecht vorbei: Während die öffentlich-rechtliche Diskussion vorwiegend auf die abstrakte Uberprüfung von Eingriffsgesetzen am Maßstab der Grundrechte ausgerichtet ist, interessiert hier die Konkretisierung offener Privatrechtsnormen auf der Ebene der Rechtsanwendung. Dabei wird der Gedanke der Verhältnismäßigkeit und Ausgewogenheit anders ins Licht gesetzt, und zwar sowohl aufgrund der unterschiedlichen Konfliktstruktur von privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Normen als auch wegen des unterschiedlichen Individualisierungsgrades von Normenkontrolle und Normkonkretisierung.

bb) Subjektbezogenheit

und

Individualisierungsgrad

Auf der Ebene der Konfliktstruktur zeigen sich die Unterschiede darin, dass Privatrechtsnormen per definitionem einen unmittelbaren Ausgleich zwischen den Interessen von zwei Subjekten des Privatrechts suchen, 164 während öffentlich-rechtliche Eingriffsgesetze primär auf die Beziehung zwischen Bürger und Staat gerichtet sind. 165 ' 166 Infolgedessen hat auch die für das öffentliche Recht Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab, S.122f.; so auch schon J. Lücke, D Ö V 1974, 769 (770f.). 164 Statt aller K. Lorenz/M. Wolf, B G B AT, § 1 Rdnr. 1. Entsprechend dieser Bürger-BürgerBeziehung ist die zentrale Kategorie des zivilrechtlichen Gesetzes die des Anspruchs; so J. Schupp, Methodenlehre des Zivilrechts, S.38ff. 165 So die Essenz der (modifizierten) Subjektstheorie; hierzu vor allem H.J. Wolff, AöR 76 (1950), 205ff. Siehe weiter zur Abgrenzung von Privatrecht und öffentlichem Recht M. BullinErichsen,]uger, Öffentliches Recht und Privatrecht; F. Bydlinski, AcP 194 (1994), 319ff.; H.-U. ra 1982, 537ff.; D. Schmidt, Die Unterscheidung von privatem und öffentlichem Recht; M. Zuleeg, VerwArch. 1982, 384ff. Auch wenn gerade die letzten beiden Jahrzehnte die klassische Grenzziehung beider Rechtsgebiete zunehmend in Frage gestellt haben - insbes. durch den immer häufiger zu beobachtenden Rollentausch des Staates, der in das Gewand eines privaten Akteurs schlüpft - , so lässt dies gleichwohl die grundlegende strukturelle Unterschiedlichkeit privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Normen weit gehend unberührt; kaum noch möglich ist es jedoch, Regelungsgegenstände von vornherein als öffentlicher oder privater Natur zu verstehen. Siehe hierzu insbes. die Beiträge von M. Bullinger, W. Hoffmann-Riem, E. Schmidt-Aßmann und M. Stolleis in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 7ff., 239ff., 261 ff. Zum Einfluss des Gemeinschaftsrechts auf die Unterscheidung von öffentlichem Recht und Privatrecht W. Skouris, EuR 1998, 111 ff. 166 Dies gilt im Grunde auch in Bereichen, wo dreipolige Rechtsverhältnisse entstehen, also im öffentlichen Nachbarrecht, denn auch hier definiert sich die Rechtsstellung des Bürgers, sowohl

§10

Qualifizierungen

235

entwickelte gedankliche F o l i e v o n Z w e c k und Eingriff als den entscheidenden K o m p o n e n t e n der Verhältnismäßigkeit bei der Konkretisierung zivilrechtlicher Verhältnismäßigkeitsnormen keine E n t s p r e c h u n g gefunden: H i e r stehen sich nicht ein staatlicher Eingriff und die ihn legitimierenden Z w e c k s e t z u n g e n gegenüber, sondern es fallen gegenläufige Privatinteressen in die Waage. G e n a u s o wie etwa bei § 9 0 6 A b s . 1 B G B das Emissionsinteresse des E m i t t e n t e n dem I m missionsabwehrinteresse des beeinträchtigten N a c h b a r n gegenüber zu stellen ist, 1 6 7 verlangt beispielsweise § 2 5 1 A b s . 2 S. 1 B G B einen Ausgleich zwischen dem Integritätsinteresse des Geschädigten und den Vermögensinteressen des Ersatzpflichtigen. 1 6 8 D a h e r w i r k e n die gesetzlichen Verhältnismäßigkeitsgebote im Privatrecht - grundsätzlich anders als bei der G r u n d r e c h t s k o n t r o l l e öffentlich-rechtlicher Eingriffsgesetze - notwendig

subjektbezogen.

D i e s e Einsicht zieht zwei K o n s e q u e n z e n nach sich: Z u m einen kann für das Zivilrecht eine Unterschiedlichkeit v o n Verhältnismäßigkeit und Z u m u t b a r k e i t von vornherein nicht damit begründet werden, es gebe Fallkonstellationen, die sich mit dem Z w e c k - E i n g r i f f s - S c h e m a der Verhältnismäßigkeit nicht oder nur unzureichend erfassen ließen und die daher anstatt einer Verhältnismäßigkeitsprüfung allein einer Z u m u t b a r k e i t s k o n t r o l l e unterlägen. 1 6 9 D a die mit dem V e r hältnismäßigkeitsgebot in A b w ä g u n g zu bringenden F a k t o r e n im Zivilrecht von vornherein nicht auf die E l e m e n t e „Eingriff" und „ Z w e c k " reduziert sind, sondern die beiderseitigen Interessen der durch die N o r m in B e z i e h u n g gesetzten Privatrechtssubjekte austarieren, kann auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung hieran nicht scheitern und eine eventuell anders gelagerte Z u m u t b a r k e i t s kontrolle erforderlich m a c h e n . 1 7 0 Z u m anderen kann auch die Erwägung nicht durchgreifen, erst die Z u m u t b a r k e i t leite zu einer s u b j e k t b e z o g e n e n B e t r a c h tung. 1 7 1 D i e Konkretisierung offener Verhältnismäßigkeitsnormen im Zivilrecht führt schon v o n sich aus zu einer auf die spezifische Interessenlage v o n

des Begünstigten als auch des Belasteten, jeweil im Verhältnis zum Staat. Auf jeden Fall ist die Eingriffsbeziehung immer eine solche zwischen Bürger und Staat. 167 Näher K. Vieweg/A. Köthel, N J W 1999, 969 (972f.). 168 Zu den bei § 251 Abs. 2 B G B zu berücksichtigenden Interessen noch unten, § 11 II. 3. 169 So für das öffentliche Recht insbes. F. Ossenbühl, in: Festgabe der Gesellschaft für Rechtspolitik, S.315 (316ff.); vgl. schon oben §10 III. 2. c). 170 Ahnlichen Schwächen dürfte dieses Argument auch im öffentlichen Recht unterliegen, da kein Grund ersichtlich ist, die Verhältnismäßigkeit auf eine Zweck-Mittel-Relation zu verkürzen, die nicht in der Lage wäre, auch die Auferlegung von Geldzahlungspflichten als eine Relation von „eingriffsweise" und „förderungsweise" tangierten Rechtsgütern zu begreifen; so die m.E. taugliche Umschreibung von M.Ch. Jacobs, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 16ff., 22; vgl. auch M. Gentz, NJW 1968, 1600 (1604). Zutreffend gegen dieses Unterscheidungskriterium zwischen Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit R. Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 11 ff. 171 So für das öffentliche Recht J. Lücke, D Ö V 1974, 769 (771); M. Ch. Jacobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 94; siehe bereits bei Fn. 156. Ohnehin kritisch zur Subjektbezogenheit als Charakteristikum von Zumutbarkeitserwägungen U. Preis, ZG 1988, 319 (323 f.).

236

Typologie

der

Normkonkretisierung

Anspruchsteller und Anspruchsgegner, etwa von Käufer und Verkäufer, von Geschädigtem und Ersatzpflichtigem, von Emittentem und immissionsbeeinträchtigtem Nachbarn zugeschnittenen Abwägung. Die sich in der Abwägung gegenüberstehenden Faktoren gehen primär auf Subjektinteressen zurück, die durch öffentliche Interessen lediglich flankiert oder unterstrichen werden. Ist die Konkretisierung offener Verhältnismäßigkeitsnormen aber schon wegen der spezifischen zivilrechtlichen Normstruktur nicht auf ein subjektfernes Zweck-Eingriffs-Denken beschränkt, so lassen diese Gesichtspunkte auch keinen Raum für inhaltlich abweichende Zumutbarkeitserwägungen. In dieselbe Richtung weist die Betrachtung des unterschiedlichen Individualisierungsgrades von Gesetzeskontrolle und Gesetzeskonkretisierung. Die Konkretisierung und Anwendung vorformulierter Verhältnismäßigkeitspostulate bewegt sich notwendig näher an der Fallindividualität als die abstrakte Gesetzeskontrolle. Soweit die Zumutbarkeit im öffentlichen Recht von der Verhältnismäßigkeit geschieden wird, soll ihre Bedeutung primär im Bereich der Rechtsanwendung liegen.172 Da die hier betrachtete gesetzesvermittelte Verhältnismäßigkeit schon der Rechtsanwendung zuzuschlagen ist, geht die Unterscheidung zwischen abstrakter Gesetzeskontrolle am Maßstab der Verhältnismäßigkeit und konkreter Anwendungskontrolle am Maßstab der Zumutbarkeit ins Leere. cc) Zumutbarkeit

als „absolute

Opfergrenze"?

Damit bleibt nur noch eine Erwägung, die Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit auch im Zivilrecht voneinander scheiden könnte: die Frage der Abwägung. So wird für die öffentlich-rechtliche Verhältnismäßigkeitskontrolle vereinzelt vertreten, die Zumutbarkeit setze keine Abwägung voraus, sondern formuliere eine „letzte, absolute Opfergrenze". 173 Hiergegen haben bereits L. Hirschberg174, R.K. Albrecht175 und R. Dechsling176 eingewendet, dass auch die Zumutbarkeitsgrenze immer „relativ zu einer bestimmten Sachlage" und daher nicht „losgelöst von Raum und Zeit" gezogen wird. 177 Auch ist bisher offen geblieben, wie diese absolute Opfergrenze zu etablieren ist./. Lücke führt hierzu lediglich aus, die Zumutbarkeit stelle einen „Wertungsmaßstab" dar, „der alle 172

M. Ch. Jacobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 94f. Vgl. hierzu schon oben bei Fn. 156. Siehe auch W. Herschel, A u R 1968,193 (196f.), der zwischen „absoluter" und „relativer" Unzumutbarkeit unterscheidet. 174 L. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S.97ff. 175 R.K. Albrecht, Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab, S.57ff. 176 R. Dechsling, D a s Verhältnismäßigkeitsgebot, S.9ff. 177 R. Dechsling, D a s Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 10; L. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 97ff.; F. Ossenbübl, in: Festgabe der Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 315 (316ff.). Generell gegen losgelöste Abwägungsaussagen J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S.319ff. 173

§10

Qualifizierungen

237

auf eine Person einwirkenden Umstände danach zu beurteilen fähig ist, ob bei ihrer Berücksichtigung die Erfüllung einer Pflicht von dieser Person erwartet werden kann oder nicht." 178 - / . Lücke ist hierbei aber nicht nur die Benennung von Beispielen schuldig geblieben. Auch grundsätzliche Erwägungen sprechen gegen eine absolute Opfergrenze. Absolut geschützte Werte sind unserer Rechtsordnung fremd.179 Selbst vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte müssen ihren Geltungsanspruch gegenüber konfligierenden Freiheitsansprüchen behaupten;180 mögen sie sich auch leicht über weniger geschützte Belange erheben können, so sind sie doch nicht absolut in dem Sinne geschützt, dass eine Auseinandersetzung mit gegenläufigen Belangen völlig überflüssig wäre.181 Vielmehr dient der kontrollierende Blick auf entgegenstehende individuelle oder öffentliche Interessen, also das „Spiel von Grund und Gegengrund"182, der rechtsstaatlichen Richtigkeitskontrolle. Diese permanente Rechtfertigung von Vorrangstellungen bedeutet keine Schwächung von hochrangigen Gewährleistungen wie der vorbehaltlosen Grundrechte und insbesondere der Menschenwürde, sondern trägt insgesamt zur Herausbildung eines kongruenten Systems abgestufter Wirkungszusammenhänge bei. Ist unserem Rechtssystem aber die Existenz absolut geschützter Werte fremd, so ist auch nicht einsichtig, worauf eine über den Gedanken der Zumutbarkeit geschützte absolute Opfergrenze basieren könnte. Sicherlich gibt es „Opfergrenzen", die nicht überschritten werden können, ohne dass der entsprechende Hoheitsakt rechtswidrig wäre. Diese „Opfergrenzen" sind aber situationsabhängig in dem Sinne, dass sie sich erst anhand der im konkreten Fall jeweils wirksam werdenden Interessen herausbilden und beweisen müssen. Solange aber absolute Werte fehlen und jeder Wert prima facie relativ geschützt ist, d.h. vorbehaltlich überwiegender Interessen, Rechte und Güter, so ist kein Raum für eine absolute, jenseits von Abwägung und Ausgleich gedachte Opfergrenze.

178 ]. Lücke, D Ö V 1974, 769 (770f.); differenzierend E. Deutsch, in: FS für H. Stoll, S. 3 (4ff.): Während „objektive Unzumutbarkeit" eine Güterabwägung voraussetze, komme es für den Entschuldigungsgrund der „subjektiven Unzumutbarkeit" allein auf die „emotionale" Situation des Betroffenen an. 1 7 9 Vgl. F. Ossenbühl, in: Festgabe der Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 315 (316ff.); R. Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 11. 1 8 0 Dies ist i. Erg. wohl unbestritten; fraglich ist allein das methodische Procedere: So kann die Auseinandersetzung vorbehaltloser Grundrechte mit anderen Verfassungswerten und insbesondere kollidierenden, ebenfalls vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten entweder schon auf der Ebene des Schutzbereichs oder aber auf der Ebene der Eingriffsrechtfertigung stattfinden; vgl. B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rdnrn. 314ff., 328. Vorzugswürdig ist die zweite Auffassung im Sinne einer „weiten Tatbestandstheorie"; siehe weiter R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S.290ff.;/. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S.33f., 159ff. 181 So auch die Rechtsprechung des BVerfG, grundlegend in BVerfGE 28, 243 (261); hierzu R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 107ff. 182 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S.290.

238

Typologie

der

Normkonkretisierung

IV. Zusammenfassung Qualifizierungen sind Konkretisierungen, die anhand bestimmter Eigenschaften (Qualitäten) materielle Bewertungsfaktoren und Bewertungsgrenzen für die Normausfüllung formulieren. Im Zusammenhang mit der Konkretisierung von Gewichtungsbegriffen treten Qualifizierungen als Vergleichsgesichtspunkte in Erscheinung, die angeben, ab welchem „Punkt" oder „Ereignis" ein Sachverhalt noch oder nicht mehr einem Gewichtungsbegriff unterfällt, also noch oder nicht mehr „wesentlich" oder „erheblich" ist. Anders als Beurteilungsmaßstäbe lassen sich Qualifizierungen nicht auf wiederkehrende Formeln zurückführen, sondern werden zumeist normindividuell abgeleitet. Gleiches gilt für Qualifizierungen zur Konkretisierung von Abwägungsbegriffen. Qualifizierungen fungieren hier als Benennung der Abwägungsfaktoren sowie des Ausgewogenheitsmaßstabes, d.h. der Grenze, ab der die Relation der Abwägungsfaktoren nicht mehr ausgewogen ist. Im Hinblick auf die Benennung der Abwägungsfaktoren lässt sich die Rechtsprechung in drei Gruppen systematisieren. Einmal findet sich in der Rechtsprechung immer wieder die Formel, dass „sämtliche Umstände des Einzelfalles" maßgeblich sein sollen. Hierbei handelt es sich um eine Scheinkonkretisierung, da eine Auswahl der im Einzelfall maßgeblichen Faktoren getroffen hiermit nicht verbunden ist. Das andere Extrem liegt darin, dass die Abwägung auf einen einzigen, allein entscheidenden Gesichtspunkt verengt wird. Solche Qualifizierungen sind stets sehr sorgfältig auf ihre sachliche Reichweite zu überprüfen; hier liegt der Einwand nahe, dass sie die Abwägung ungerechtfertigt verkürzen. Zumeist bewegt sich die Konkretisierung aber zwischen diesen beiden Extremen und bemüht sich um die Benennung einzelner Abwägungsfaktoren. Auch hierbei stehen normindividuelle und teleologische Erwägungen im Vordergrund. Auch für die Erarbeitung der Ausgewogenheitsmaßstäbe lassen sich idealiter drei Typen von Ausgewogenheitsmaßstäben unterscheiden: Unausgewogenheit kann erstens bei jedem noch so geringfügigen Uberwiegen der einen gegenüber der anderen Seite angenommen werden, wie es für öffentlich-rechtliche Abwägungsprozesse typisch ist. Sind die abzuwägenden Faktoren nicht gleichrangig zu bewerten, sondern genießt eine Seite einen relativen Vorrang, so bedarf es eines qualifizierten Überwiegens der anderen Seite, wie beispielsweise bei § 904 BGB (Typ 2). Vielfach wird die Ausgewogenheitsgrenze aber erst dann überschritten, wenn die Abwägung ein so deutliches Uberwiegen der einen Seite ergibt, dass die gegenläufigen Interessen nur minimal und geringfügig ins Gewicht fallen (Typ 3). Dies ist der Fall, wenn ein Interesse einen prinzipiellen Vorrang vor dem anderen Interesse genießt, wie etwa bei Ausnahmevorschriften. Neben dieser normindividuell erarbeiteten Ausgewogenheitsgrenze existiert grundsätzlich keine weitere Belastungsgrenze etwa in Gestalt einer Zumutbar-

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Qualifizierungen

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keitsgrenze. Anders als im öffentlichen Recht ist dem Zivilrecht schon aufgrund seiner Normstruktur eine Subjektperspektive eigen, die nicht erst über Zumutbarkeitserwägungen aktiviert werden muss.

§11

Quantifizierungen

I. Begriff und Erscheinungsformen Quantifizierungen sind Konkretisierungen in Form von Zahlenwerten (Quantitäten)} Sie verbürgen ein Höchstmaß an Anleitungsrationalität: Sie erleichtern die praktische Rechtsanwendung und garantieren Gleichbehandlung und Rechtssicherheit. 2 Ihre Bedeutung für die Praxis kann daher kaum überschätzt werden. Aus vielen Bereichen richterlicher Rechtsanwendung lassen sie sich nicht mehr wegdenken, etwa bei der Bemessung von Schadensersatz3 und Unterhalt4, für die Ermittlung der üblichen Vergleichsmiete5 sowie der zuträglichen Immissionsbelastung6 und bei der Festsetzung der Vergütung des Testamentsvollstreckers7. So hoch die Anleitungsrationalität von Quantifizierungen ist, so gering ist zumeist ihre Ableitungsrationalität: Quantifizierungen sind stets mehr oder weniger gegriffene Größen.8 Gleichwohl ist auch die Formulierung von Quantifizierungen Bestandteil der richterlichen Konkretisierungsbefugnis und speist aus dieser ihre grundsätzliche Legitimität.9 Im Einzelnen unterliegen allerdings auch Quantifizierungen Sachrichtigkeitsbe dingungen, die im Folgenden anhand der verschiedenen Erscheinungsformen von Quantifizierungen erläutert werden. Quantifizierungen unterscheiden sich vor allem in ihrer Urheberschaft. Entweder formuliert die Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Konkretisierungsaufgabe eigene, judikative Quantifizierungen (unten II.) oder aber sie rezipiert externe Quantifizierungen (unten III.), die sich nach Art ihrer Rezeption (autonom oder gesetzlich veranlasst) und nach ihrem Ursprung (hoheitlich, priSiehe auch schon oben, §7 II. 2. F. Haueisen, NJW 1973, 641 (643). 3 Siehe zur Regulierung von Kfz-Schäden, zu Haushaltsführungsschäden und zur Schmerzensgeldbemessung unten, §11111.2. d) aa) im Zusammenhang mit der Rezeption privater Tatsachen- und Entscheidungssammlungen. 4 Zu Unterhaltstabellen unten, § 11 III. 2. e). 5 Zu Mietspiegeln unten, §11 III. 1. b). 6 Zur Bedeutung hoheitlicher Grenz- und Richtwerte unten, § 11 III. 1. a); zur Rezeption privater technischer Normen unten, § 11 III. 2. d) bb). 7 Zur „Rheinischen Tabelle" unten, § 11 III. 2. d) cc). 8 F. Haueisen, NJW 1973, 641 (644); siehe auch G. Wannagat, Schweizer. Zs. für Sozialversicherung 1972, 163 zitiert nach K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 435. 9 Zur Konkretisierung als delegierter Regelbildung bereits oben, §4 II.—IV. Zu „gegriffenen" Werten als Normsetzung auch BVerwGE 66, 323 (327). 1

2

5 11

Quantifizierungen

241

vat, judikativ) weiter ausdifferenzieren lassen. A b z u g r e n z e n ist die Rezeption externer Quantifizierungen v o n der Verwendung bloßer Tatsachen- oder Entscheidungssammlungen. 1 0

II. Judikative Quantifizierungen Judikative Quantifizierungen sind Quantifizierungen, die v o n der Rechtsprechung selbst entwickelt w o r d e n sind. 11 Ein Beispiel einer solche judikativen Quantifizierung ist die 3 0 % - R e g e l im Zusammenhang mit der Konkretisierung des § 2 5 1 Abs. 2 B G B bei Kfz-Schäden. Hier hat sich f ü r die Bestimmung der Unverhältnismäßigkeitsgrenze ein sog. Integritätszuschlag v o n 3 0 % durchgesetzt: 1 2 Reparaturkosten w e r d e n im Regelfall erst dann als unverhältnismäßig beurteilt, w e n n sie den Wiederbeschaffungswert des Unfallfahrzeugs um mehr als 3 0 % übersteigen. 1 3 Ein weiteres Beispiel ist die in der Rechtsprechung zum Reiserecht herausgebildete „Erheblichkeitsgrenze" v o n 5 0 % : Danach liegt eine zu Kündigung ( § 6 5 1 e Abs. 1 B G B ) oder Entschädigung f ü r nutzlos aufgewendete Urlaubszeit ( § 6 5 1 f Abs. 2 B G B ) berechtigende „erhebliche Beeinträchtigung" in der Regel dann vor, w e n n der Reisemangel eine zeitanteilige Minderung v o n 5 0 % rechtfertigt. 1 4

Dazu unten, § 11 III. 2. d) aa). Diese judikativen Quantifizierungen sind von externen judikativen Quantifizierungen zu unterscheiden, also Quantifizierungen, die zwar von der Rechtsprechung formuliert sind, aber außerhalb einer Fallentscheidung und insofern „extern". Zur Rezeption solcher externen judikativen Quantifizierungen noch unten am Beispiel der Unterhaltstabellen, § 11 III. 2. e). 12 Siehe im Anschluss an OLG Celle, DAR 1964, 191 nur BGH, NJW 1992, 1618f.; BGHZ 115, 375ff.; 115, 364 (371); OLG Köln, VersR 1993, 898; OLG Stuttgart, NZV 1991, 309f.; LG Passau, VersR 1989, 377; OLG München, VersR 1983,468 (469); OLG Düsseldorf, VersR 1977, 840; OLG Stuttgart, VersR 1977, 88 (89); KG, VersR 1976, 391; dazu m.w.N. R. Weber, DAR 1991, 11 (12 ff.). 13 Vgl. nur OLG Stuttgart, NZV 1991, 309f.; im Einzelnen zur Berechnung des „Integritätszuschlages" BGHZ 115, 364ff.; Staudinger/G. Schiemann (13. Bearb. 1998), §251 Rdnrn. 22f. Das Schrifttum hat diese Bestimmung der Unverhältnismäßigkeitsgrenze grundsätzlich angenommen; vgl. etwa Erman/G. Kuckuk, §251 Rdnr.21; Jauernig/A. Teichmann, §249 Rdnr.3, §251 Rdnr.7; H. Lange, Schadensersatz, S.236; MüncbKomm/H. Oetker (4. Aufl. 2001), §249 Rdnrn. 41f.; Palandt/H. Heinrichs, §251 Rdnrn. 7, 25; Soergel/H.-]. Mertens (12. Aufl. 1990), §251 Rdnr. 13; Staudinger/D. Medicus{\2. Bearb. 1983), §251 Rdnr. 21; kritisch aber Staudinger/ G. Schiemann (13. Bearb. 1998), §251 Rdnrn. 22f., der den „Integritätszuschlag" aber weniger als Pauschalierung, als wegen seiner Höhe kritisiert. Im Übrigen wird vor allem die Geltungskraft der 30%-Regel thematisiert. So soll beispielsweise nach D. Medicus, AcP 192 (1992), 35 (38) der Fall des „uneigentlichen Totalschadens", d.h. die erhebliche Beschädigung eines fast fabrikneuen Fahrzeugs, nicht von dieser Regel erfasst sein. Allg. für eine Anwendung der Regel nur auf „typische Konstellationen" H. Oetker, NJW 1985, 345 (347). - Eine vergleichbare Problematik stellt sich mit der sog. 70%-Grenze bei der fiktiven Schadensabrechnung; hierzuJ. Pamer, NJW 2000, 490ff. 14 So schon LG Frankfurt, NJW 1984,1762 (1763); siehe seitdem OLG Frankfurt a.M., NJW10 11

242

Typologie

der

Normkonkretisierung

Die Höhe dieser Quantifizierungen ist in der Regel kaum angreifbar; sie entspringt der richterlichen Konkretisierungsbefugnis als delegierter Rechtsetzung.15 Ob der Integritätszuschlag schon bei 20% oder erst bei 40% angesetzt oder die Erheblichkeitsgrenze schon bei einem Reisemangel von 30% 1 6 liegen sollte, hat der Gesetzgeber mit dem Konkretisierungsauftrag der richterlichen Einschätzung überlassen. Als angreifbar können sich Quantifizierungen aber im Hinblick auf ihre Konkretisierungs/orw erweisen. Zwar ist die Rechtsprechung grundsätzlich auch zur Quantifizierung befugt. Grenzen sind der grundsätzlichen Quantifizierungsbefugnis der Rechtsprechung aber durch folgende Gesichtspunkte gezogen: wenn der Gesetzgeber bewusst auf eine Quantifizierung verzichtet hat (unten 1.), bei mangelnder Konkretisierungserfahrung (unten 2.) sowie wenn die Quantifizierung den Bewertungsauftrag unvollständig umsetzt (unten 3.).

1. Bewusster Quantifizierungsverzicht des Gesetzgebers Argumentativ17 zu bewältigende Anhaltspunkte für bzw. gegen die Sachrichtigkeit von Quantifizierungen liefert die Erwägung, warum der Gesetzgeber nicht selbst eine Quantifizierung, und sei es nur als Regelfall, formuliert hat. Dies kann auf zwei Gründen beruhen: Hat der Gesetzgeber von vornherein gesehen, dass die zu regelnde Materie einen feststehenden, zahlenmäßig bestimmten Entscheidungsmaßstab verlangt, wollte er die ins einzelne gehende Formulierung der Quantifizierung aber letztlich dem Feingespür und Erfahrungsschatz der Rechtsprechung überlassen, so schreiben richterliche Quantifizierungen nur exakt den Konkretisierungsauftrag fort. Ein Beispiel hierfür ist die Konkretisierung des §616 S. 1 BGB, also die Frage, bis zu welcher Verhinderungsdauer dem Arbeit- und Dienstnehmer sein Vergütungsanspruch erhalten bleibt („verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit" i.S. des §616 S. 1 BGB). Hier hat die I. Kommission bewusst auf eine gesetzliche Präzisierung der Verhinderungsdauer verzich-

R R 1999, 202; O L G Hannover, N J W - R R 1998, 194; L G Düsseldorf, N J W 1999, 2049; L G Offenburg, N J W - R R 1997, 626; L G Frankfurt a.M., N J W - R R 1993, 1330; L G Köln, M D R 1991, 840; O L G Düsseldorf, N J W - R R 1986,280; Palandt/H. Sprau, §651e Rdnr.2. Für eine Grenzziehung bei 33,3% aber MünchKomm/K. Tonner (3.Aufl. 1997), §651f Rdnr.31; siehe auch L G Frankfurt, N J W - R R 1992,1083; K G , M D R 1982,317. Umgekehrt aber A G Nürnberg, N J W - R R 1999, 1068, das im Einzelfall auch bei einer Minderung um 50% keinen Schadensersatz nach § 651 f Abs. 2 B G B gewährte. Gegen ein Abstellen auf Prozentzahlen O L G Karlsruhe, N J W - R R 1988,954. Vermittelnd O L G Celle, RRa 1995,163: grundsätzlich 5 0 % , nach den Umständen des Einzelfalles auch weniger; weitere Nachw. bei O. Tempel, N J W 1999, 2012 ff. 15 Zur Konkretisierung als delegierter Regelbildung bereits oben, §4 II.—IV. 16 Vgl. MünchKomm/K. Tonner (3. Aufl. 1997), §651f Rdnr.31: 33,3%. 17 Zun den Auslegungsargumenten als Element einer Argumentationstheorie bereits oben, § 5 III., IV. 3. a); zur historischen Auslegung oben, § 5 III. 2. b).

§11

Quantifizierungen

243

tet, sondern sie ausdrücklich dem R i c h t e r überlassen. 1 8 Anders liegen die Dinge, wenn der G e s e t z g e b e r auf eine eigene Quantifizierung verzichtet hat, weil er die zu treffenden Wertungsentscheidungen nicht allein einem zahlenmäßigen M a ß stab, sondern weicheren und damit in der A n w e n d u n g differenzierteren F a k t o ren ü b e r a n t w o r t e n wollte. Setzen sich richterliche Quantifizierungen über diese legislatorische Einschätzung hinweg, muss dies zumindest bedenklich stimmen. E i n Beispiel hierfür bietet die Konkretisierung der „wesentlichen U b e r schreitung" des Kostenvoranschlages ( § 6 5 0 B G B ) . I m Schrifttum wird die B e zeichnung der Wesentlichkeitsgrenze durch eine zahlenmäßige Fixierung der n o c h oder nicht m e h r tolerablen Ü b e r s c h r e i t u n g weit gehend für möglich gehalten. 1 9 I m Einzelnen gehen die Vorschläge aber recht weit auseinander: W ä h rend etwa H. Thomas

und mit ihm weite Teile des Schrifttums davon ausgehen,

eine Ü b e r s c h r e i t u n g von „15 bis 20, in besonderen Ausnahmefällen bis maximal 2 5 % „ sei als wesentlich zu beurteilen, 2 0 und nach H. Korbion

die G r e n z e sogar

„im allgemeinen bei etwa 2 5 % liegen" könne 2 1 , treten andere dafür ein, schon eine Kostenüberschreitung v o n 1 0 % als wesentlich zu beurteilen. 2 2 H i e r b e i k o m m t dem U m s t a n d G e w i c h t zu, dass sich der historische G e s e t z g e b e r durchaus die Frage nach einer Quantifizierung der Wesentlichkeitsgrenze gestellt hat. In den Vorentwürfen wurde ausdrücklich eine Wesentlichkeitsgrenze v o n 1 0 % erwogen. 2 3 O b w o h l also bereits eine zahlenmäßige Vorstellung von einer Q u a n tifizierung im R a u m stand, hat sich der G e s e t z g e b e r für eine offene F o r m u l i e rung des Tatbestandes entschieden und die 1 0 % - oder einen anderen Wert n o c h nicht einmal als Regelbeispiel a u f g e n o m m e n wie z . B . in der Privatrechtsgesetzgebung der D D R . 2 4 W e n n im Gesetzgebungsverfahren eine Quantifizierung zwar der H ö h e nach schon näher bestimmt war, sie aber gleichwohl nicht 18 Vgl. B. Mugdan, Materialien zum BGB, Bd. II S. 258: „in dieser Beziehung kann auch ohne Gefahr die Entscheidung dem Richter überlassen werden"; genauso Mot. II, S. 464. Auch die in späteren Beratungen geforderte Ergänzung des §616 BGB um Beispiele wurde nicht aufgegriffen; vgl. Staudinger/H. Oetker (13. Bearb. 1997), §616 Rdnr.5. 19 Vgl. zum Folgenden H. Köhler, NJW 1983, 1633; U. Werner, in: FS für H. Korbion, S.473 (475f.). 20 Palandt/H. Thomas, § 650 Rdnr. 2; genauso W. Heiermann/R. Riedl/M. Rusam, VOB, Einf. zu B §§8 und 9 Rdnr.5;/. Esser/H.-L. Weyers, SchuldR II/l, §33 I Fn.4; vgl. auch Erman/H.H. Seiler, §650 Rdnr.7. Demgegenüber will Soergel/A. Teichmann (12.Aufl. 1997), §650 Rdnr.12 die genannten 15 bis 20% allenfalls als Obergrenze gelten lassen. 21 H. Ingenstau/H. Korbion, VOB, Vor §§8, 9 Rdnr. 6. 22 B. Pahlmann, DRiZ 1978, 367; ähnlich MünchKomm/C. Soergel (3.Aufl. 1997), §650 Rdnr. 9, der im Sinne einer „groben Leitlinie" eine Überschreitung von weniger als 10% nicht mehr als wesentlich ansehen will. 23 In den Motiven wird die Wesentlichkeitsgrenze bei 10% veranschlagt; B. Mugdan, Mot. II, S.503; hierzu Erman/H.H. Seiler, §650 Rdnr.7; H. Köhler, NJW 1983, 1633; Staudinger/F. Peters (13. Bearb. 2000), §650 Rdnr. 8. 24 Siehe § 70 Vertragsgesetz und § 195 Zivilgesetzbuch; hierzu H. Köhler, NJW 1983,1633 sowie MiinchKomm/C. Soergel (3. Aufl. 1997), §650 Rdnr. 9 Fn. 7.

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der

Normkonkretisierung

zu Gesetz geworden ist, so spricht dies dafür, dass der Gesetzgeber die Beurteilungsschwelle bewusst nicht durch eine Quantifizierung konkretisiert wissen wollte. Bei einem solchen bewussten Quantifizierungsverzicht des Gesetzgebers wird man die Sachrichtigkeit von Quantifizierungen als Konkretisierungsform daher genauer überlegen müssen.25

2. Mangelnde Konkretisierungserfahrung Ein weiterer Gesichtspunkt für die Sachrichtigkeit einer Quantifizierung als Konkretisierungsform liegt im Zeitpunkt der Quantifizierung. Darin spiegelt sich der dynamische Charakter der Konkretisierung wider: Konkretisierung stellt einen Prozess dar, der sich idealiter mit zunehmender Konkretisierungserfahrung von Scheinkonkretisierungen zu höheren, aussagekräftigeren Konkretisierungsstufen „empor tastet" und erst ab einem gewissen Maß an Konkretisierungserfahrung in Qualifizierungen und Quantifizierungen mündet. 26 Da Quantifizierungen Konkretisierungen der höchsten Stufe sind, lassen sie sich also umso eher rechtfertigen, je größer der ihnen zugrunde liegende Erfahrungsschatz der Rechtsprechung ist. 27 An der für eine Quantifizierung erforderlichen Judikaturerfahrung fehlt es beispielsweise im Zusammenhang mit der Konkretisierung der „wesentlichen Kostenüberschreitung" i.S. des §650 BGB. 2 8 Soweit ersichtlich, kann bislang nur ein einziges obergerichtliches Judikat angeführt werden, in dem sich eine ausdrückliche Bezifferung der Wesentlichkeitsgrenze findet: ein BGH-Urteil aus dem Jahr 1957. Darin wollte das Gericht „nicht ohne weiteres" eine schuldhafte Vertragsverletzung eines Architekten annehmen, dessen anfängliche Baukostenschätzung um 27,7% nach oben korrigiert werden musste. Bei einer solchen „überschlägigen Kostenberechnung" müsse dem Architekten „ein gewisser Spielraum zugebilligt werden." Ihm sei daher „nicht jede Überschreitung der Ansätze ohne weiteres als Verschulden anzurechnen." Eine feste Grenze lasse sich jedenfalls nicht ziehen; insbesondere sei zweifelhaft, ob diese Grenze

2 5 Gleichwohl hat ein solcher bewusster Quantifizierungsverzicht des Gesetzgebers nicht zur Folge, dass Quantifizierungen generell unzulässig wären. Da der Gesetzgeber der Rechtsprechung mit dem normativ-unbestimmten Rechtsbegriff Rechtsbildungsbefugnisse übertragen hat (oben, §4 II.-IV.), kann sich die Rechtsprechung im Rahmen ihres Konkretisierungsauftrages dennoch für die Erarbeitung von Quantifizierungen entscheiden. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber auf eine Quantifizierung verzichtet hat, wird aber regelmäßig Anhaltspunkte für bzw. gegen die Sachrichtigkeit von Quantifizierungen enthalten. 2 6 Vgl. bereits oben, § 7 1. 2 7 Vgl. auch F. Haueisen, N J W 1973, 641 (644); zum Problem verfrühter Rechtsfortbildung auch die Warnung von V. Röhricht, Z G R 1999, 445 (456ff., 461). 2 8 Hierzu bereits vorstehend, §11 II. 1.

§11

Quantifizierungen

s c h o n b e i e i n e m U n t e r s c h i e d v o n 27,7%

245

ü b e r s c h r i t t e n sei. 2 9 D i e s e s U r t e i l liegt

a b e r n i c h t n u r w e i t z u r ü c k , es h a t s i c h a u c h s o n s t n i c h t d u r c h s e t z e n k ö n n e n . I m S c h r i f t t u m w i r d es s e h r k r i t i s c h b e t r a c h t e t , 3 0 u n d a u c h d e m B G H ist in e i n e m j ü n g e r e n U r t e i l d e u t l i c h das B e m ü h e n a n z u m e r k e n , sich v o n d e m U r t e i l z u dist a n z i e r e n . 3 1 D a sich das U r t e i l i m Ü b r i g e n a u c h n u r b e d i n g t a u f die Ü b e r s c h r e i t u n g v o n K o s t e n v o r a n s c h l ä g e n , die d e r W e r k u n t e r n e h m e r s e l b s t g e f e r t i g t h a t , ü b e r t r a g e n lässt, 3 2 f e h l t es an e i n e m a u s r e i c h e n d e n , e i n s c h l ä g i g e n E r f a h r u n g s s c h a t z , d e r die F o r m u l i e r u n g v o n Q u a n t i f i z i e r u n g e n f ü r die K o n k r e t i s i e r u n g des § 6 5 0 B G B r e c h t f e r t i g e n k ö n n t e . 3 3 N o c h e n t z i e h t s i c h die F r a g e der W e s e n t l i c h k e i t d e r Ü b e r s c h r e i t u n g des K o s t e n v o r a n s c h l a g s d a h e r - s o F. Peters34

- ei-

n e r „ a b s o l u t e n F e s t l e g u n g " in „ f e s t e n P r o z e n t s ä t z e n " . 3 5 Dieselben G r ü n d e sprechen auch im Z u s a m m e n h a n g mit der Konkretisier u n g des § 6 3 3 A b s . 2 S . 3 B G B ( u n v e r h ä l t n i s m ä ß i g e r A u f w a n d des W e r k u n t e r n e h m e r s , j e t z t § 6 3 5 A b s . 3 B G B ) g e g e n die S a c h r i c h t i g k e i t v o n Q u a n t i f i z i e r u n g e n . I n d e m b i s h e r i g e n E r f a h r u n g s s c h a t z d e r R e c h t s p r e c h u n g lässt sich s c h o n d e s w e g e n k e i n e a l l g e m e i n e L i n i e f ü r eine Q u a n t i f i z i e r u n g d e r U n v e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t s g r e n z e e r k e n n e n , w e i l sie in d e n w e i t a u s m e i s t e n F ä l l e n n o c h n i c h t e i n m a l e i n e n A n l a s s sah, d e n V o r t e i l des B e s t e l l e r s ü b e r h a u p t als Z a h l e n b e t r a g a u s zuweisen.36 B G H , VersR 1957, 298. Palandt/H. Thomas, §650 Rdnr. 2: „nicht zu billigen"; auch Soergel/A. Teichmann (12. Aufl. 1997), §650 Fn.29: „viel zu hoch gegriffen". 31 Siehe BGH, NJW-RR 1987, 337. Darin führt der B G H aus, der Bekl. könne sich „keinesfalls" auf das fragliche Urteil aus dem Jahr 1957 berufen: „Dort habe der Senat zwar in Zweifel gezogen, ob die Überschreitung der vom Architekten geschätzten Kosten um 27,7% schon als schuldhafte Vertragsverletzung angesehen werden könne. Dieses Urteil betraf aber einen besonders gelagerten, mit dem vorliegenden nicht vergleichbaren Sachverhalt: Es ging damals um eine auch vom Bauherren erkannte ganz oberflächliche, nicht auf Einzelheiten beruhende SchätZUng'" 29 30

32 Die großzügig veranschlagten Toleranzgrenze für Fehleinschätzungen von Architekten lässt sich nicht auf die Frage der wesentlichen Überschreitung eines Kostenvoranschlages bei §650 B G B übertragen, weil dort der Architekt die Kosten fremder Bauleistungen schätzt, während hier der Unternehmer seine eigene Werkleistung beziffert; so U. Werner, in: FS für H. Korbion, S.473 (476); auch MünchKomm/C. Soergel (3. Aufl. 1997), §650 Rdnr. 9 und RGRK/ R. Glanzmann, §650 Rdnr. 11. 33 Zu Recht hat die Rechtsprechung daher bislang keine allgemeine Quantifizierung der Wesentlichkeitsgrenze aufgestellt. Zu den im Schrifttum diskutierten Quantifizierungen aber bereits oben, §11 II. 1. in Fn.20. 34 Staudinger/F. Peters (12. Bearb. 1991), §650 Rdnrn. 8, 22; genauso U. Werner, in: FS für H. Korbion, S.473 (475). 35 Ebenfalls kritisch H. Köhler, NJW 1983, 1633f. Siehe aber auch MünchKomm/C. Soergel (3. Aufl. 1997), § 650 Rdnr. 9, der sich zwar grundsätzlich gegen „mathematische Richtwerte" für die einzelfallbezogene Betrachtung ausspricht, gleichwohl für §650 B G B aber als „grobe Leitlinie" eine Überschreitung von 10% vorschlägt. 36 Siehe etwa B G H Z 96, 111 (123f.) - Austausch von Fenstern und Türen zur Verringerung des Wärmedurchlasswertes von 3,6 auf 2,4 durch einen Aufwand von 22.000 DM verhältnismäßig; B G H , BauR 1988, 123 (124) - Neupflasterung eines Hallenbodens durch einen Aufwand

246

Typologie

der

Normkonkretisierung

Anders liegen die Dinge aber beispielsweise bei der Konkretisierung des §251 Abs. 2 BGB im Hinblick auf Kfz-Sachschäden. Hier hat sich die Rechtsprechung unter weit gehender Billigung des Schrifttums 37 schon seit mehreren Jahrzehnten auf einen Integritätszuschlag von 30% eingespielt.38 Damit entspringt die 30%-Grenze einem gewachsenen Erfahrungsschatz der Rechtsprechung. Diesem Erfahrungsschatz entspricht auch das große praktische Bedürfnis nach einer leicht und vor allem gleichmäßig handhabbaren Quantifizierung: Insoweit gehen Quantifizierungsbedürfnis und Sachrichtigkeit von Quantifizierungen Hand in Hand. 39

3. Unvollständige Umsetzung des Bewertungsauftrages Ein dritter Gesichtspunkt für die Sachrichtigkeit von Quantifizierungen als Konkretisierungsform ist ihre Vollständigkeit. Quantifizierungen sind nur dann sachgerecht, wenn sie den gesetzlichen Beurteilungsauftrag vollständig umsetzen. Mit der Vollständigkeit von Quantifizierungen wird zunächst danach gefragt, inwieweit sich der Beurteilungsgegenstand überhaupt zu einer pauschalierenden Bewertung eignet. Da Quantifizierungen von der Fallindividualität gänzlich absehen und generelle Bewertungsgrenzen formulieren, verlieren sie an Sachrichtigkeit, je inhomogener das Beurteilungsmaterial ist.40 Mit von 40.000 bis 50.000 DM unverhältnismäßig; OLG Hamm, MDR 1989, 911 f. - Neuverlegung eines Bodenbelags in einer Küche mit einem Aufwand von ca. 1.300 DM verhältnismäßig. Vgl. aber auch RGZ 66,167 (168) - Austausch von Pflastersteinen im Mauerwerk einer Kirche durch Kostenaufwand von 20.000 DM gegenüber einem Vorteil von 8.000 DM unverhältnismäßig. 37 Etwa Erman/G. Kuckuk, §251 Rdnr.21; Jauernig/A. Teichmann, §249 Rdnr.3, §251 Rdnr. 7; H. Lange, Schadensersatz, S. 236; MünchKomm/H. Oetker (4. Aufl. 2001), § 249 Rdnrn. 41 f.; Palandt/H. Heinrichs, §251 Rdnrn. 7, 25; Soergel/H.-J. Mertens (12.Aufl. 1990), §251 Rdnr. 13; Staudinger/D. Medicus (12. Bearb. 1983), §251 Rdnr.21; kritisch im Hinblick auf die Höhe des Integritätszuschlages aber Staudinger/G. Schiemann (13. Bearb. 1998), §251 Rdnrn. 22f. 38 Siehe im Anschluss an OLG Celle, DAR 1964,191 aus jüngerer Zeit nur BGH, NJW 1992, 1618f.; BGHZ 115, 375ff.; 115, 364 (371); OLG Köln, VersR 1993, 898; OLG Stuttgart, NZV 1991, 309f.; LG Passau, VersR 1989, 377; OLG München, VersR 1983, 468 (469); OLG Düsseldorf, VersR 1977, 840; OLG Stuttgart, VersR 1977, 88 (89); KG, VersR 1976, 391; dazu m.w.N. R. Weber, DAR 1991, 11 (12ff.). 39 Verzichtet die Rechtsprechung trotz ausreichender Konkretisierungserfahrung auf die Herausbildung von Konkretisierungsregeln, stellt sich im Übrigen die Frage nach einem „Nachfassen" des Gesetzgebers; siehe mit Blick auf das Gebot hinreichender Bestimmtheit der Konkretisierung bereits oben, §4 VI. 5. a) aa)und allg. zur Rückholpflicht des Gesetzgebers oben, §4 V. 2. b). 40 Dieser Gedanke klingt beispielsweise mit dem Einwand von H. Köhler, NJW 1983, 1633 f. im Zusammenhang mit der Konkretisierung des §650 BGB (wesentliche Überschreitung des Kostenvoranschlages) an, feste Prozentangaben hätten den Nachteil, „dass sie alle Fälle über einen Kamm scheren" und daher den Besonderheiten des konkreten Werkvertragstyps genauso wenig gerecht werden könnten wie den Besonderheiten des einzelnen Vertrages.

511

Quantifizierungen

247

zunehmender Varianz der relevanten Sachgesichtspunkte setzen sich Q u a n t i f i zierungen dem V o r w u r f einer ungerechtfertigten Generalisierung und damit eines Verstoßes gegen das G e b o t gleichgerechter Konkretisierung 4 1 aus. D a s m a n gelnde Differenzierungsvermögen von Quantifizierungen muss sich also im H i n b l i c k auf das verfassungsrechtliche G e b o t der Rechtsanwendüngsgleichheit bzw. in diesem Fall der Rechtsanwendungsdifferenziertheit

rechtfertigen las-

sen. 4 2 D i e Sachrichtigkeit von Quantifizierungen kann daher regelmäßig nur für den „ R e g e l - " oder „ N o r m a l f a l l " etabliert werden, während es bei „besonderen U m s t ä n d e n " bei der Maßgeblichkeit der Einzelfallwertung verbleiben muss. 4 3 G e n a u s o wie bei Qualifizierungen spielt auch bei Quantifizierungen die sachliche R e i c h w e i t e eine entscheidende R o l l e für die Sachrichtigkeit der Regelbildung. 4 4 D a m i t steht in engem Z u s a m m e n h a n g ein zweiter A s p e k t des Vollständigkeitsgebotes in B e z u g auf Inhalt und U m f a n g des Beurteilungsauftrages. M i t Quantifizierungen werden F i x p u n k t e auf einer linearen Skala bezeichnet. D a her k ö n n e n Quantifizierungen auch i m m e r nur zwei Werte oder G e s i c h t s p u n k te zueinander in B e z i e h u n g setzen. Verlangt der gesetzliche Beurteilungsauftrag aber mehrdimensionale Entscheidungen, in die eine Vielzahl v o n Belangen einzustellen sind, so werden Quantifizierungen regelmäßig keine sachrichtigen Konkretisierungen darstellen, da sie die erforderlichen Beurteilungen ungerechtfertigt verkürzen. Dies gilt in erster Linie für die Konkretisierung von A b wägungsbegriffen, also namentlich den schon mehrfach angesprochenen Verhältnismäßigkeitswendungen nach dem Vorbild der § § 2 2 8 S. 1, 343, 6 1 6 S. 1 oder 9 0 4 B G B . 4 5 Verlangt ein gesetzlicher Beurteilungsauftrag eine A b w ä g u n g , so ergeben sich abwägungsspezifische

Anforderungen

an die Sachrichtigkeit von

Quantifizierungen. W i r d eine Abwägungsentscheidung in eine quantifizierte Verhältnisrelation u m g e m ü n z t , führt dies zu einer B e g r e n z u n g des „Einzugsbereichs" der A b w ä g u n g auf zwei F a k t o r e n . S o wird beispielsweise die v o n § 2 5 1 A b s . 2 B G B verlangte Interessenabwägung mit der 3 0 % - R e g e l für K f z - S a c h schäden auf eine Gegenüberstellung von Herstellungsaufwand und Ersatzaufwand reduziert. 4 6 H i n t e r der 3 0 % - R e g e l steht die Wertung, dass das Integritäts-

41 42

bb).

Hierzu oben, §4 VI. 4. a). Zu den Geboten sachgerechter Generalisierung und Differenzierung oben, §4 VI. 4. a) aa),

43 So im Zusammenhang mit §650 BGB Erman/H.H. Seiler, §650 Rdnr. 7; W. Heiermann/ R. Riedl/M. Rusam, VOB, Einf. zu B §§8 und 9 Rdnr. 5; H. Ingenstau/H. Korbion, VOB, Vor §§8 und 9 Rdnr.6; MünchKomm/C. Soergel (3. Aufl. 1997), §650 Rdnr. 9; Palandt/H. Thomas, §650 Rdnr. 2. 44 Zur Reichweite von Qualifizierungen bereits oben, § 10 II. 2. 45 Zur Konkretisierung von Abwägungsbegriffen bereits oben, § 10 III. 46 So LG Münster, VersR 1983,191: „Bei der Frage, ob ein unverhältnismäßiger Aufwand vorliegt, kommt es allein auf den Vergleich zwischen dem Betrag, der für die Wiederbeschaffung zu zahlen ist, und den Reparaturkosten an."

248

Typologie der

Normkonkretisierung

interesse des Geschädigten einen bis zu 3 0 % höheren Herstellungsaufwand rechtfertigt, da es insoweit das Vermögensinteresse des Schädigers überwiegt. Konsequenterweise kann diese Quantifizierung der Unverhältnismäßigkeitsgrenze aber nur so lange sachrichtig sein, wie im k o n k r e t e n Fall auch tatsächlich nur diese beiden Interessen w i r k s a m werden. Etwas anderes muss dann gelten, w e n n zu dem individuellen Integritätsinteresse andere Erhaltungsinteressen hinzutreten, wie beispielsweise das Allgemeininteresse am Erhalt eines technischen P r o t o t y p s oder eines historisch bedeutsamen Fahrzeugs. Insoweit ist die Quantifizierung unvollständig.

D a n e b e n sind auch individuelle F a k t o r e n d e n k -

bar, die im Einzelfall zusätzlich in die A b w ä g u n g einzubeziehen sind und die Geltungskraft der Quantifizierung mindern. So kann das Herstellungsinteresse des Geschädigten in atypischen Sonderfällen auch erheblich h ö h e r zu bewerten sein, etwa wenn zu dem generellen Herstellungsinteresse schützenswerte immaterielle Interessen und insbesondere erhöhte Affektationsinteressen hinzutreten, wie es bei langjährig gepflegten O l d t i m e r n der Fall ist. 4 7 H i e r werden sich auch Herstellungskosten rechtfertigen lassen, die das Wertinteresse um 5 0 % oder m e h r übersteigen. U m g e k e h r t ist das Herstellungsinteresse bei einem fabrikneuen Fahrzeug, an das sich der Geschädigte n o c h k a u m g e w ö h n t hat, geringer zu veranschlagen, 4 8 so dass schon bei 1 0 % eine UnVerhältnismäßigkeit gegeben sein kann. - A u c h w e n n sich also die in der R e c h t s p r e c h u n g eingespielte Quantifizierung der Unverhältnismäßigkeit mit der 3 0 % - R e g e l grundsätzlich als sachrichtige Konkretisierung rechtfertigen lässt, ist stets zu prüfen, o b im k o n k r e t e n Fall Interessen wirksam werden, die in der pauschalierten G e g e n überstellung v o n Integritäts- und Vermögensinteresse nicht angemessen berücksichtigt w o r d e n sind. Vor diesem H i n t e r g r u n d ist die 3 0 % - R e g e l völlig zu R e c h t auf den B e r e i c h der K f z - S c h ä d e n beschränkt 4 9 und bislang 5 0 nicht auf andere A r t e n v o n Sachschäden wie beispielsweise an Gebäuden, B ä u m e n oder Tieren übertragen w o r den. 5 1 Bei Schäden an Kraftfahrzeugen lässt sich immerhin ein typischer

Regel-

Vgl. auch D. Medicus, JuS 1973, 211 (212). Siehe auch H. Lange, Schadensersatz, S.401f. Soergel/H.-J. Mertens (12. Aufl. 1990), §249 Rdnr.80; Staudinger/G. Schiemann (13. Bearb. 1998), §251 Rdnr.22; genauso D. Medicus, JuS 1973,211 (212) für den Fall, dass der Geschädigte das Kraftfahrzeug gerade erst von einem Fremden erworben hat. 4 9 Hierzu bereits oben im Zusammenhang mit dem Gebot sachgerechter Differenzierung, § 4 VI. 4. a) bb). 50 Siehe etwa B G H Z 102,322ff. - zerstörtes Wohngebäude; B G H , NJW 1975,2061 - zerstörter Kastanienbaum; AG Idar-Oberstein, NJW-RR 1999, 1629 - Mischlingshund; O L G Hamm, M D R 1995,691 - beschädigtes Mauerwerk; O L G Naumburg, NJW-RR 1995,1041 - eingestürzte Grundstücksmauer; O L G Hamm, NJW-RR 1992, 1438 - beschädigte Weihnachtsbäume; B G H Z 92, 85 ff. - Modellboot; O L G München, VersR 1965, 366 - beschädigte Isolierglasscheibe; L G Bielefeld, NJW 1997, 3320; O L G Hamm, NJW-RR 1990, 1054; L G München I, NJW 1978, 1862; LG Traunstein, NJW 1984, 1244; LG Lüneburg, NJW 1984, 1243 - Tiere. 51 So O L G Naumburg, NJW-RR 1995, 1041; vgl. auch D. Medicus, AcP 192 (1992), 35 (38); 47 48

§11

Quantifizierungen

249

fall ausmachen, bei dem nur das Integritätsinteresse des Geschädigten und das Vermögensinteresse des Schädigers abzuwägen sind. Bezieht man auch andere Sachschäden ein, vergrößert sich aber der Kreis der abzuwägenden Interessen. So streiten für die Heilung verletzter Tiere neben dem Allgemeininteresse am Tierschutz 52 auch die besonderen Affektationsinteressen des Tierhalters, 53 deren Berücksichtigung nun mit §251 Abs. 2 S.2 BGB 54 ausdrücklich vorgegeben ist. 55 Bei der Zerstörung von Bäumen und Biotopen können überdies ökologische Allgemeininteressen - wie sie auch in § 16 Abs. 1 S. 2 U m w e l t H G zum Ausdruck kommen - zur Aufwertung des Erhaltungsinteresses führen. 56 Schließlich können Allgemeininteressen bei der Wiederherstellung von Gebäuden und Bauwerken wirksam werden, also Gesichtspunkte des Denkmalschutzes und der Erhaltung historischer Bausubstanz. 57 Gleiches gilt für kulturhistorisch bedeutsame Gegenstände 58 wie Handwerksgerät, Schmuck oder Kunstgegenstände. In allen diesen Fällen kann die Beurteilung der Unverhältnismäßigkeit nicht auf eine Gegenüberstellung von Herstellungskosten und Wertersatz beschränkt werden. Damit wäre die für Kfz-Schäden entwickelte 30%-Quantifizierung von vornherein unvollständig. Zu Recht hat die Rechtsprechung den Anwendungsbereich der 30%-Regel daher auf die Beurteilung von Kraftfahrzeugschäden beschränkt. 59 a.A. Jauernig/A. Teichmann, §251 Rdnr. 7, der die 30%-Regel generell für „Sachen" anwenden will. In diese Richtung tendiert auch das LG München I, N J W 1978,1862, das die 30% -Regel nur im Falle der Verletzung von Tieren nicht anwenden will, im Übrigen aber davon ausgeht, dass diese Grundsätze „sicherlich auf (leblose) Sachen anwendbar" sind. 52 Vgl. hierzu nur die Zielbestimmung des Tierschutzgesetzes, § 1 TierSchG: „Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen." Zur Einführung einer Staatszielbestimmung „Tierschutz" in das GrundgesetzJ. Caspar, ZUR 1998, 177ff.; ders., ZRP 1998, 441 ff.; kritisch M. Kloepfer/M. Rossi, JZ 1998, 369ff. 53 Siehe A G Idar-Oberstein, NJW-RR 1999,1629; A G Frankfurt a. M., NJW-RR 2001,17; allgemein zur Berücksichtigung von Affektationsinteressen im Rahmen von §251 Abs. 2 BGB MünchKomm/H. Oet&er (4. Aufl. 2001), §251 Rdnr.40; ders., NJW 1985,345ff.; D. Medicus, JuS 1969, 449 (452f.); Soergel/H.-J. Mertens (12. Aufl. 1990), §251 Rdnr. 11. 54 §251 Abs.2 S.2 BGB eingefügt durch das Gesetz vom 20.8.1990 zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht (BGBl. I S. 1762); hierzu G. Mühe, N J W 1990, 2238ff. 55 §251 Abs.2 S.2 BGB begründet aber weder eine Ausnahme noch eine Abweichung vom Grundgedanken des §251 Abs.2 S. 1 BGB, sondern hat allein klarstellende Funktion. So auch Palandt/H. Heinrichs, §251 Rdnr.7; MünchKomm/H. Oetker (4.Aufl. 2001), §251 Rdnrn. 40, 52ff.; Soergel/H.-J. Mertens (12. Aufl. 1990), §251 Rdnr. 1; Staudinger/G. Schiemann (13. Bearb. 1998), §251 Rdnr.27; unzutreffend G. Mühe, NJW 1990, 2238 (2239). 56 Siehe P. Baumann J u S 1989,433 (439); auch Staudinger/D. Medicus (12. Bearb. 1983), §251 Rdnr. 77, der hier an Bäume und Sträucher aus einem botanischen Garten erinnert. 57 So H. Schulte, JZ 1988, 278 (280f.) am Beispiel eines zerstörten Fachwerkhauses. Mit der völligen Zerstörung eines Gebäudes wird der Denkmalschutz allerdings hinfällig, was sogar umgekehrt zu einer Wertsteigerung des Grundstücks führen kann; hierzu B G H , NJW 1988, 1837. 58 Vgl. Soergel/H.-J. Mertens (12. Aufl. 1990), §251 Rdnr. 11. 59 Allerdings ist kein Grund ersichtlich, warum die 30%-Regel nicht auf solche Sachgegen-

250

Typologie

der

Normkonkretisierung

Für den Bereich der sonstigen Sachschäden wird es aber wohl auch in Zukunft nicht zur Erarbeitung einer oder mehrerer Quantifizierungen - entweder für die gesamte Gruppe der sonstigen Sachschäden oder etwa nur für Schäden an Tieren oder an Bäumen - kommen, da Quantifizierungen nur dann sinnvoll und sachrichtig sind, wenn ein gewisser Fundus an gleichgelagerten Fällen mit homogenem Abwägungsmaterial besteht. Hieran fehlt es sowohl bei der Gesamtgruppe der Sachgegenstände als auch innerhalb einzelner Gegenstandsgruppen, da beispielsweise nicht bei jeder Verletzung von Tieren in gleichem Maße Affektationsinteressen wirksam werden60 und auch nicht bei jeder Beschädigung von Gebäuden auf Denkmalinteressen Bedacht zu nehmen ist. Genauso wird die Beschädigung eines Baumes in einem botanischen Garten61 anders zu bewerten sein als die Beschädigung einer Weihnachtstanne.62 Angesichts dieser großen Varianz des Abwägungsmaterials lassen sich generelle Quantifizierungen für sämtliche Sachschäden daher nicht rechtfertigen.

III. Rezeption externer Quantifizierungen Weitaus größere Bedeutung als von der Rechtsprechung selbst entwickelte judikative Quantifizierungen haben in der Praxis extern erarbeitete Quantifizierungen, die von der Rechtsprechung im Wege der Rezeption „übernommen"63 werden. Es lassen sich zwei Rezeptionsmechanismen unterscheiden: die Rezeption durch rechtsetzende Instanzen und die Rezeption durch rechtsanwendende Instanzen.64 Die Rezeption durch rechtsetzende Instanzen, also durch den Ge-

stände ausgedehnt werden sollte, die genauso wie Kraftfahrzeuge Gebrauchsgegenstände sind und bei denen auch keine besonderen Erhaltungsinteressen wirksam werden wie beispielsweise bei Fahrrädern, Haushaltsgegenständen und sämtlichen seriell hergestellten Waren. 6 0 So gibt es auch Fälle, in denen so gut wie gar keine Affektationsinteressen wirksam werden. Man denke etwa an Tiere, die zu rein wirtschaftlichen (hierzu H. Berg, JuS 1978,672 [673]) oder wissenschaftlichen Zwecken eingesetzt werden oder die von ihren Besitzern ausgesetzt worden sind und nun in Tierheimen leben. Vgl. auch A G Idar-Oberstein, N J W - R R 1 9 9 9 , 1 6 2 9 (1630), das zwischen „Funktionstieren" und „Affektationstieren" unterscheidet. 61 Hierzu Staudinger/D. Medicus (12. Bearb. 1983), §251 Rdnr.77. 6 2 Vgl. O L G Hamm, N J W - R R 1992,1438f. und Staudinger/G. Sckiemann (13. Bearb. 1998), § 251 Rdnr. 92. - Es kommt daher entscheidend auf die Funktion des beschädigten oder zerstörten Gehölzes an; vgl. auch W. Koch, VersR 1990, 573 (574). 6 3 Siehe bereits die Definition der Rezeption bei W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung, § 5 I; zur Rezeption als „Wertübernahme" M. Coester, Der Begriff des Kindeswohls, S. 406ff. 64 U. Battis/Ch. Gusy, Technische Normen im Baurecht, S . l l l f f . ; siehe auch Th. Schilling, Rang und Geltung von Rechtsnormen in gestuften Rechtsordnungen, S. 300ff.: Wirkung von Normen jenseits ihres autonomen Geltungsbereichs durch „Inkorporation". Ahnlich F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 151 ff., der die Geltung privater Regeln abgrenzt von der Verweisung und der tatbestandlichen Einbeziehung privater Regeln.

§11

Quantifizierungen

251

setzgeber, geschieht zumeist im Wege der Verweisung,65 also durch ausdrückliche Einbeziehung einer bestimmten privaten Regel in das hoheitliche Normprogramm. 66 Damit ist die Verweisung grundsätzlich kein Phänomen der Konkretisierung. Neben dieser „starken" Verweisung existieren aber auch schwächere Formen gesetzlicher Hinweise auf private Rechtsregeln: die gesetzlich eröffnete Rezeption (unten 1.). Die eigentliche Problematik im Zusammenhang mit externen und insbesondere privaten Quantifizierungen liegt aber in der nicht gesetzesgeleiteten, autonomen Rezeption durch die Rechtsprechung (unten 2.). 1. Gesetzlich eröffnete Rezeption In einigen Fällen hat bereits der Gesetzgeber der Rechtsprechung den Weg zu einer Rezeption extern formulierter Quantifizierungen eröffnet. Hier ist an erster Stelle die mit dem SachenRAndG 67 geschaffene Rezeptionsregel in §906 Abs. 1 S. 2 und 3 B G B zu nennen (unten a). Diese gesetzlich eröffnete Rezeption externer Quantifizierungen ist abzugrenzen von Fällen, in denen der Gesetzgeber auf externe Regelwerke nicht zur Konkretisierung ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe, sondern lediglich zur Tatsachenfeststellung Bezug nimmt wie beispielsweise in §558a B G B für Mietspiegel (unten b). a) Rezeption

externer

Immissionswerte

Vielfach stehen der Rechtsprechung für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Immission extern formulierte Immissionsbewertungen durch Grenz- oder Richtwerte 68 zur Seite. Für die praktisch wohl bedeutsamsten Nachbarkonflikte wegen Lärmbeeinträchtigungen ist vor allem an die TA Lärm 69 sowie die Grenz- und Richtwerte der VerkehrslärmschutzVO 70 , der Sportanlagenlärm65 U. Battis/Ch. Gusy, Technische Normen im Baurecht, S. 112ff.; F. Kirchhof Private Rechtsetzung, S. 151 ff. Zur Unterscheidung von Rezeption und Verweisung bereits W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung, §5 1. 6 6 In diesem Sinne jedenfalls F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 151 ff. 67 Art. 2 §4 SachenRÄndG vom 21.9.1994, BGBl. I S.2457. 68 Grenzwerte sind strikt zu beachtende Maximalwerte, während Richtwerte unter bestimmten Voraussetzungen überschritten werden dürfen; so die Umschreibung des Rechtsausschusses in BT-Drs 12/7425 S. 89; vgl. weiter zu Begriff und Bedeutung von Grenz- und Richtwerten K. Hiittermann, Funktionen der Grenzwerte im Umweltrecht und Abgrenzung des Begriffes, insbes. S.28ff., 38ff. sowie die Beiträge in G. Winter (Hrsg.), Grenzwerte. 6 9 Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (TA Lärm) vom 26.8.1998, GMB1. S.503; hierzu F.-]. Kunert, NuR 1999, 430ff.; E. Kutscheidt, NVwZ 1999, 577ff.; H. Schulze-Fielitz, DVB1.1999, 65ff.; R. Spohn, ZUR 1999, 297ff. 70 Sechzehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verkehrslärmschutzverordnung - 16. BImSchV) vom 12. Juni 1990, BGBl. I S. 1036.

252

Typologie

der

Normkonkretisierung

s c h u t z V O 7 1 und der RasenmäherlärmVO 7 2 zu denken. Bei der Beurteilung v o n Luftverunreinigungen spielen die Luftqualitätswerte der T A Luft 7 3 sowie der Verordnung über Immissionswerte 7 4 eine große Rolle, und im Zusammenhang mit Beeinträchtigungen durch elektromagnetische Strahlung w i r d man die 26. BImSchV 7 5 heranzuziehen haben. Diese G r e n z - und Richtwerte sind genauso wie die schon betrachteten Obergrenzen f ü r die Überschreitung des K o s t e n v o r anschlags nach § 6 5 0 B G B Quantifizierungen, doch handelt es sich hier nicht um judikative Quantifizierungen, die v o n der Rechtsprechung im Zuge eigenen Konkretisierungsbemühens aufgestellt w o r d e n sind, sondern um externe, also zu rezipierende Quantifizierungen 7 6 . Mit der Neufassung des § 9 0 6 B G B durch das S a c h e n R Ä n d G 7 7 hat der G e setzgeber f ü r bestimmte externe Quantifizierungen eine Rezeptionsregel formuliert: Werden G r e n z - oder Richtwerte aus Gesetzen, Rechtsverordnungen (§ 906 Abs. 1 S. 2 B G B ) oder besonders qualifizierten Verwaltungsvorschriften (§ 906 Abs. 1 S. 3 B G B ) 7 8 eingehalten, so liegt „in der Regel" eine unwesentliche und also duldungspflichtige Beeinträchtigung vor. Zu überlegen sind Gegenstand und W i r k u n g dieser Rezeptionsregel. 71 Achtzehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Sportanlagenlärmschutzverordnung - 18. BImschV) vom 18. Juli 1991, BGBl. I S.1588, ber. S. 1790. 72 Achte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Rasenmäherlärmverordnung - 8. BImSchV) vom 13.7.1992, BGBl. I S. 1248, geändert durch Gesetz vom 27.4.1993, BGBl. I S.512, ber. 1529, 2436. 73 Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft vom 27.2.1986, GMB1.1986, S. 95; weitere Beispiele bei Ch. Bönker, Umweltstandards in Verwaltungsvorschriften, § 6. 74 Zweiundzwanzigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Immissionswerte - 22. BImSchV) vom 26. Oktober 1993, BGBl. I S. 1819, geändert durch VO vom 27.5.1994, BGBl. I S. 1095. 75 Sechsundzwanzigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über elektromagnetische Felder - 26. BImSchV) vom 16. Dezember 1996, BGBl. I S. 1966. Zur privatrechtlichen Immissionsbeurteilung elektromagnetischer Verträglichkeit LG München II, NJW-RR 1997, 465ff.; OLG Koblenz, RdE 1997, 154ff.;/. Keßler, UPR 2000, 328ff. Siehe auch den Normentwurf DIN VDE 0848 Teil2 (Sicherheit in elektromagnetischen Feldern). 76 Zu den Rechtsformen und der Rechtsnatur untergesetzlicher Umweltstandards S. Paetow, NuR 1999, 199ff.; G. Feldhaus, UPR 1982, 137ff. 77 Siehe bereits in Fn. 67. 78 Die gesetzliche Formulierung referiert die bereits bislang anerkannten begrifflichen Voraussetzungen und Wirkungsgrenzen von normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften (besonderes Verfahren und Wiedergabe des Standes der Technik); vgl. BVerwGE 55, 250 (258); BVerwG, DVB1.1988, 538; OVG Lüneburg, DVB1.1985, 1323; K. Fritz, NJW 1996, 573 (574). Zur Frage der „Bindungswirkung" sog. normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften für die Verwaltungsgerichte aus jüngerer Zeit BVerwGE 107, 338; NVwZ-RR 1996, 498 (499); NVwZ 1995, 994f. Damit scheint sich die Vorstellung einer gesetzlichen „Beurteilungsermächtigung" nach U. DiFabio, DVB1.1992,1338ff. durchgesetzt zu haben; vgl. R. Uerpmann, BayVBl.2000, 705 ff.; für eine Bindungswirkung normkonkretisierender VerwaltungsVorschriften statt vieler F. Ossenbühl, DVB1.1999,1 ff.; H. Sendler, UPR 1993,321 ff.; kritisch M. Scbmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, S. 231 ff.: „exekutivische Auslegungsofferte".

§11

Quantifizierungen

253

aa) Gegenstand der Rezeptionsregel Die Rezeptionsregel des § 9 0 6 Abs. 1 S.2 und 3 B G B erstreckt sich nur auf bestimmte Regelwerke, nämlich G r e n z - und Richtwerte aus Gesetzen, Rechtsverordnungen oder allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach § 48 BImSchG. Immissionswerte aus privaten Regelwerken, also insbesondere N o r m e n des D I N 7 9 oder Richtlinien des V D I 8 0 , sowie aus Satzungen 8 1 oder v o n sonstigen Gremien - etwa dem Länderausschuss f ü r Immissionsschutz 8 2 - sind v o n der gesetzlich eröffneten Rezeption nicht umfasst. 8 3 Diese Werte können aber im Wege autonomer Rezeption in die richterliche Wesentlichkeitskonkretisierung eingespeist werden. 8 4 Darüber hinaus steht die Rezeption v o n Werten aus Verwaltungsvorschriften gemäß § 9 0 6 A b s . l S.3 B G B unter dem Vorbehalt, dass diese den „Stand der Technik" wiedergeben, also noch zeitgemäß sind. 85

bb) Einschlägigkeit und Erkenntniswert Quantifizierung

der rezipierten

Ein weiterer zentraler Gesichtspunkt f ü r die Sachrichtigkeit der Rezeptionsentscheidung ist die sachliche Einschlägigkeit der herangezogenen Quantifizierungen. So galt beispielsweise die T A Lärm v o n 1 9 6 8 nur f ü r gewerblichen Lärm, und auch die T A Lärm in der Fassung v o n 1998 hat eine Reihe v o n Freizeitanlagen v o n ihrem Anwendungsbereich ausgenommen. 8 6 Will ein Zivilrichter 79 Insbesondere: DIN4150 Teil2 „Erschütterungen im Bauwesen, Einwirkungen auf Menschen in Gebäuden"; hierzu BGH, NJW 1999,1029ff.; MünchKomm/F.J. Säcker (3. Aufl. 1997), §906 Rdnr.77. 80 Insbesondere: VDI-Richtlinie Nr. 2058 Bl. 1 über die Beurteilung von Arbeitslärm in der Nachbarschaft; VDI-Richtlinie Nr. 3471 (Emissionsminderung Tierhaltung/Schweine); hierzu BGH, NJW 1999, 356 (358). 81 Zu denken ist insbesondere an Festsetzungen in Bebauungsplänen; hierzu etwa P Bitzer, Grenz- und Richtwerte im Anwendungsbereich des §906 BGB, S. 149. 82 „Hinweise zur Beurteilung der durch Freizeitanlagen verursachten Geräusche (LAI-Hinweise), verabschiedet auf der 88. Sitzung des Länderausschusses für Immissionsschutz am 4.5. 1995, abgedruckt in NVwZ 1997,469ff.; siehe auch die vom LAI vorgelegte GeruchsimmissionsRichtlinie vom 12.1.1993; hierzu OLG Karlsruhe, NJW-RR 2001, 1236f. 83 Vgl. im Einzelnen P. Bitzer, Grenz- und Richtwerte im Anwendungsbereich des §906 BGB, insbes. S.7ff.; Staudinger/H. Roth (13. Bearb. 2002), §906 Rdnr. 189. 84 Hierzu noch unten, § 11 III. 2. 85 E. Abraham, Schutz vor industriellen Immissionen durch das Bürgerliche Gesetzbuch, S. 55; P. Bitzer, Grenz- und Richtwerte im Anwendungsbereich des §906, S. 152f.; Palandt/P. Bassenge, §906 Rdnr. 19. Der „Stand der Technik" in §906 Abs. 1 S.3 BGB wird also nicht rein emissionsbezogen verstanden, sondern als Ausdruck sachlicher Aktualität des Regelwerkes. Zur Aktualitätspflicht als Ausdruck sachrichtiger Konkretisierung bereits oben, §4 VI. 2 b). 86 Siehe Nr. 1 lit. a-h TA Lärm 1998; ausgenommen sind beispielsweise Sportanlagen (lit. a), landwirtschaftliche Anlagen (lit. c), Schießplätze (lit. d), Baustellen (lit. f) sowie Anlagen für soziale Zwecke (lit. h); näher zum Anwendungsbereich der TA Lärm 1998 K. Hansmann, TA Lärm, Nr. 1 Rdnrn. 8ff.; F.-J. Kunert, NuR 1999, 430 (432f.); Ch. Müller, Die TA-Lärm als

254

Typologie

der

Normkonkretisierung

gleichwohl auf die T A Lärm zurückgreifen, so muss er sich der geminderten Aussagekraft der dort formulierten Quantifizierungen bewusst sein. 87 Darüber hinaus muss die Rezeption auch die weiteren Anwendungsdifferenzierungen des Regelwerkes respektieren. Unterscheidet das externe Regelwerk - wie beispielsweise die T A Lärm oder die SportanlagenlärmschutzVO - nach Gebietsarten, so liegt eine sachgerechte Rezeption nur dann vor, wenn auch der räumlich konkret einschlägige Belastungswert herangezogen wird. 88 Lässt sich die streitige Lärmbeeinträchtigung nicht den zugrunde gelegten Gebietskategorien zuordnen, bedarf die Auswahl der rezipierten Quantifizierung besonderer Begründung. 89 Genauso muss, wenn mehrere Regelwerke gleichermaßen einschlägig erscheinen, die Auswahlentscheidung begründet werden. Schließlich muss sich die Rezeptionsentscheidung mit dem Erkenntniswert der externen Quantifizierungen auseinandersetzen, und zwar zumindest im Hinblick auf ihre Aktualität und ihre Akzeptanz.90 Die Rezeptionsentscheidung hat dabei der verminderten Aussagekraft „zu alter" als auch „verfrühter" Quantifizierungen Rechnung zu tragen. 91 Insofern gilt hier nichts anderes als für den Zeitpunkt judikativer Quantifizierungen. 92

er) Wirkung

der

Rezeptionsregel

Schließlich ist zu beachten, dass der Rechtsprechung mit dem gesetzlichen Regelbeispiel 93 die Rezeption nur eröffnet, nicht aber zwingend vorgegeben wurde. Der Umfang dieser gesetzlichen „Regelwirkung" ist noch nicht abschließend geklärt. 94 Jedenfalls sollte mit der Neufassung des § 906 Abs. 1 B G B keine automatische und umfassende Bindung der Zivilrichter an externe Vorkonkretisierungen geschaffen werden. Treffend dürfte daher die Vorstellung einer Konkretisierungsofferte95 sein. Nur im „Regelfall" sind die externen Quantifizierungen von der Rechtsprechung als Konkretisierungsvorgaben zu rezipieren, Rechtsproblem, S. 104ff.; H. Schulze-Fielitz, DVB1.1999, 65 (66f.). Für eine entsprechende Anwendung der TA Lärm auf nächtliche Ernteeinsätze V G H Mannheim, NVwZ 2001, 1184 (1185). 87 So etwa B G H Z 121, 248 (252f.). 88 Siehe beispielsweise B G H , N J W 1995, 132 (133) zur Gebietseinordnung der TA Lärm. 89 Hierzu ausführlich B G H Z 121, 248 (253ff.). 90 Siehe L G München II, N J W - R R 1987, 465: internationale wissenschaftliche Akzeptanz. 91 Vgl. O L G Koblenz, RdE 1997, 154f. zum Erkenntniswert der bestehenden Quantifizierungen für die elektromagnetische Verträglichkeit. 92 Zum Gebot ausreichender Konkretisierungserfahrung bereits oben, § 11 II. 2. 93 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs 12/7425 S. 87f. sowie K. Fritz, N J W 1996, 573 (574); P. Marburger, in: FS für W. Ritter, S.901 (903f.);if. Vieweg/A. Röthel, DVB1.1996,1171 (1173). 94 P. Marburger, in: FS für W. Ritter, S. 901 (903ff., 913ff.); H. Westermann, SachenR, §62 II 2 b); offengelassen in B G H , N J W 1995, 132 (133). 95 In Anlehnung an den von M. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, S. 234ff. geprägten Begriff der „exekutivische Auslegungsofferte" für normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften.

§11

Quantifizierungen

255

während es im besonderen Einzelfall 96 bei der eigenständigen Wesentlichkeitskonkretisierung am Maßstab des verständigen Durchschnittsmenschen 97 verbleibt. Auch wenn die einschlägigen Grenzwerte eingehalten sind, ist die Rechtsprechung nicht daran gehindert, eine wesentliche Beeinträchtigung anzunehmen.98 Mit der „Regelwirkung" des §906 Abs. 1 BGB hat der Gesetzgeber daher nur einen Konkretisierungsvorrang der externen Quantifizierungen gegenüber der selbstständigen Konkretisierung durch die Zivilgerichte begründet. 99 b) Abgrenzung:

Rezeption

externer

Mietspiegel

Auf den ersten Blick liegt der ursprünglich in §2 MHG, seit dem 1.9.2001 in §558a BGB 100 eröffneten Bezugnahme auf kommunale und verbandliche Mietspiegel ein ähnlicher Mechanismus zugrunde. Gemäß §2 Abs. 2 S. 1 MHG konnte für die Begründung einer Mieterhöhung unter Berufung auf Vergleichsmieten „insbesondere Bezug genommen werden auf eine Ubersicht über die üblichen Entgelte [...] in der Gemeinde oder einer vergleichbaren Gemeinde, soweit die Ubersicht von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter gemeinsam erstellt oder anerkannt worden ist (Mietspiegel)". Die Grundgedanken dieser Regelung - die Bezugnahme auf einen Mietspiegel und dessen Legaldefinition - sind in §558a Abs. 2 Nr. 1 BGB i. V. mit §558c Abs. 1 BGB weit gehend unverändert erhalten geblieben. 101 Bei den Mietspiegeln handelt es sich genauso wie bei den in §906 Abs. 1 BGB in Bezug genommenen Regelwerken um extern formulierte Quantifizierungen, deren Verwendung durch einen ausdrücklichen Hinweis des Gesetzgebers eröffnet ist. Gleichwohl besteht ein grundlegender Unterschied zwischen beiden Verweisungen: Anders als die in § 906 Abs. 1 BGB angesprochenen Immissionswerte verkörpern Mietspiegel keine Bewertungen, sondern primär eine SammNachdrücklich Staudinger/H. Roth (13. Bearb. 2002), §906 Rdnrn. 188, 190. Hierzu bereits oben, § 9 III. 1. 98 Diese beschränkte Geltungskraft der externen Quantifizierungen entspricht im Übrigen auch der eingeschränkten Bindungswirkung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften im Sinne des § 906 Abs. 1 S. 3 BGB, die ihre Bindungswirkung nicht im atypischen Einzelfall entfalten. So besonders deutlich OVG Lüneburg, DVB1.1985, 1323; siehe auch BVerwGE 55, 250 (261). 99 Auch bei Vorliegen eines Regelfalles beschränkt sich der Konkretisierungsvorrang aber auf die fixierten Quantifizierungen; enthalten die öffentlich-rechtlichen Regelwerke ihrerseits ausfüllungsbedürftige Begriffe, so relativiert sich entsprechend der Konkretisierungsvorrang der Quantifizierung; hierzu näher K. Vieweg/A. Rötbel, N J W 1 9 9 9 , 9 6 9 (973f.). - Gegen eine „Interpretationsherrschaft" des öffentlichen Rechts auch Staudinger/H. Roth (13. Bearb. 2002), §906 Rdnr.188. 100 Geändert durch das Mietrechtsreformgesetz vom 29.3.2001, BGBl. I S. 1149. 101 Neu ist aber der „qualifizierte Mietspiegel" gemäß § 558d BGB, der gemäß Abs. 3 der Vorschrift eine Richtigkeitsvermutung genießt; im Einzelnen zu den Neuerungen B. Schmidt/ Th. Emmen, WuM 2000, 285ff. 96

97

256

Typologie

der

Normkonkretisierung

lung von Datenmaterial, nämlich der Höhe der Vergleichsmieten.102 Die Bezugnahme auf Mietspiegel dient daher nicht der Konkretisierung, sondern der Tatsachenfeststellung-. Mietspiegel fungieren als Beweismittel der für die Zulässigkeit der streitigen Mieterhöhung maßgeblichen Vergleichsmiete.103 Daher gehört die Einbeziehung von Mietspiegeln nicht unmittelbar in den hier interessierenden Kontext. 104

2. Autonome Rezeption Zumeist beruht die Rezeption externer Quantifizierungen nicht auf einer gesetzlichen Rezeptionsregel, sondern auf einer eigenständigen Konkretisierungsentscheidung der Rechtsprechung. Nach dem Urheber einer Quantifizierung lässt sich unterscheiden zwischen der Rezeption hoheitlicher Quantifizierungen aus Gesetzen und Rechtsverordnungen (unten c), der Rezeption privater Quantifizierungen aus technischen Normen, Tarifverträgen und sonstigen privaten Regelwerken (unten d) sowie der Rezeption externer judikativer Quantifizierungen (unten e). Zuvor sollen allgemeine Überlegungen zur Zulässigkeit (unten a) und Sachrichtigkeit (unten b) solcher Rezeptionsentscheidungen angestellt werden.

102 Die Ermittlung der üblichen Vergleichsmiete ist daher Tatfrage; so bereits BVerfGE 53,352 (358): „Die ortsübliche Vergleichsmiete ist ein objektiver Maßstab, der einen repräsentativen Querschnitt der üblichen Entgelte aufstellen soll." Noch deutlicher BVerfG, WM 1994, 137 (138): Die Behauptung einer bestimmten ortsüblichen Vergleichsmiete ist „konkrete Tatsache". Siehe aber auch die eingehende Analyse der Rechtsprechung von B. Hinkelmann, Die ortsübliche Miete, S. 87ff., die sich im Wege der Auslegung des Begriffs der „üblichen Vergleichsmiete" i. Erg. für eine Verzahnung von Tat- und Rechtsfrage ausspricht, da Mietspiegel neben einer realen Datenbasis auch „normative Korrekturen" enthielten (S. 109ff.). Weiter gehend R. Niederyerger, Mietspiegel als Instrument zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete; ders., WM 1980, 172ff.: örtliche Vergleichsmiete als Rechtsbegriff; so auch noch H. Schopp, Z M R 1974, 97 (102): Ermittlung der örtlichen Miete als Ermessensentscheidung entsprechend §§315ff. B G B . 103 Für ein „antizipiertes generalisiertes Sachverständigengutachten" O L G Frankfurt, WM 1994, 436 (437); für Mietspiegel als Beweismittel etwa L G Landau, Z M R 1985, 129; L G Essen, WM 1991, 120; L G Berlin, WM 1996, 102 (103); Staudinger/V. Emmerich (13. Bearb. 1995), §2 M H R G Rdnrn. 175ff. m.w.N.; nachdrücklich R. Voelskow, W M 1993, 21. Siehe nun auch P.-H. Müther, WuM 1999, 311 ff. 104 Anders aber P. Huber, Z M R 1992, 469 (474), der Mietspiegel als „normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften" charakterisiert. Mietspiegel und normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften nach dem Vorbild des Umwelt- und Technikrechts (hierzu bereits in Fn. 78) unterscheiden sich aber schon in ihrem Adressatenkreis und ihrer Bindungswirkung; hierzu B. Hinkelmann, Die ortsübliche Miete, S. 125ff. - Ein weiteres Beispiel für externe Quantifizierungen, die nicht der Konkretisierung i.e.S. dienen, sondern Erfahrungswerte auf Tatsachenebene darstellen, sind die Tabellen zur Bewertung des Arbeitszeitbedarfs für die Haushaltsführung, wie sie bei der Bemessung des Unterhaltsersatzanspruchs im Rahmen des § 844 Abs. 2 B G B herangezogen werden; hierzu noch unten, § 11 III. 2. d) aa) (2).

§11

a) Grundsätzliche

257

Quantifizierungen

Zulässigkeit konkretisierender

Rezeption

Der an die Rechtsprechung mit konkretisierungsbedürftigen Gesetzesbegriffen formulierte Auftrag zur Regelbildung 105 erstreckt sich auch auf die konkretisierende Rezeption. Wie die Rechtsprechung den Regelbildungsauftrag wahrnimmt, ob durch eigene Regelbildung oder durch Rezeption fremder Regeln, ist grundsätzlich unerheblich, solange sich die Rechtsprechung innerhalb der materiellen Delegationsgrenzen und der sonstigen verfassungsrechtlichen Konkretisierungsvorgaben 106 hält. Vielmehr kann die Einbeziehung externen Sachverstands auch im Interesse der Sachrichtigkeit der Regelbildung geboten sein. Kann der Richter die für eine sachrichtige Regelbildung erforderlichen Grundlagen nicht selbst ermitteln, so darf und muss er externen Sachverstand in die judikative Regelbildung einbeziehen. In solchen Fällen vermittelt schon das Gebot sachrichtiger Regelbildung der Rezeption ihre innere Legitimation. 107 Im Übrigen kann es keinen grundsätzlichen Unterschied bedeuten, ob der Richter judizielle Vor-Konkretisierungen weiterführt oder externe Konkretisierungen aufnimmt. Letztlich wird in beiden Fällen das Entscheidungsrichtmaß rezipiert, und auch die Rezeption einer externen Konkretisierung hätte als Frucht eigener Regelsetzung deklariert werden können. 108 Die dem Richter eingeräumte Regelbildungskompetenz erlaubt daher die Rezeption fremder Quantifizierungen grundsätzlich genauso wie die Formulierung eigener Quantifizierungen. Zu überlegen bleibt aber die Sachrichtigkeit der Bezugnahme.

b) Allgemeine

Bedingungen

sachrichtiger

Rezeption

Im Zusammenhang mit der Sachrichtigkeit der Rezeption einer andernorts formulierten Quantifizierung ist zunächst zu überlegen, ob Quantifizierungen überhaupt als Konkretisierungs/owz geeignet sind. 109 Auch einer Rezeption externer Quantifizierungen kann der Einwand entgegenstehen, der Gesetzgeber habe bewusst auf eine Quantifizierung verzichtet, 110 oder der Konkretisierungsauftrag könne durch eine Quantifizierung nur unvollständig umgesetzt werden. 111 Geringeres Gewicht ist hingegen der Konkretisierungserfahrung der Rechtsprechung 112 beizumessen, da sich die Rechtsprechung mit der Rezeption Zu Konkretisierung als delegierter Rechtsbildung bereits oben, § 4 II.-IV. Siehe bereits oben, § 4 V., VI. 107 Hierzu bereits oben, § 4 VI. 2. b). 108 Daher wird man sogar umgekehrt sagen können, dass die ausdrückliche Angabe des rezipierten externen Beurteilungsrichtmaßes im Interesse der Nachvollziehbarkeit und Transparenz der Konkretisierung liegt; zum Gebot der Normenzugänglichkeit im Zusammenhang mit der Rezeption externer Regelwerke bereits oben, § 4 VI. 5. b). 109 Hierzu bereits oben, §11 II. 1.-3. 110 Zu diesem Einwand bereits oben, §11 II. 1. 111 Hierzu bereits oben, §11 II. 3. 112 Hierzu bereits oben, §11 II. 2. 105

106

258

Typologie der

Normkonkretisierung

gerade die Erfahrung - sprich: den Sachverstand - des externen Regelgebers zunutze machen will. Wie bereits mehrfach angesprochen, kann die Rezeption externer Konkretisierungen insoweit sogar im Hinblick auf die Sachrichtigkeit der Regelbildung geboten sein. 113 Zu prüfen sind aber die Sachverständigkeit des externen Normgebers und insbesondere seine Neutralität114 sowie die Aktualität115 und Akzeptanz der rezipierten Quantifizierungen. Werden veraltete, umstrittene oder parteiliche Regelwerke rezipiert, muss sich die Rechtsprechung mit der geminderten Aussagekraft auseinandersetzen. Allgemeine Sachrichtigkeitsbedingung von Rezeptionsentscheidungen ist im Übrigen, dass die externen Quantifizierungen sachlich einschlägig116 sind und auf gleichheitsgerechten Differenzierungen117 beruhen. Schließlich verlangt das Gebot der Normenklarheit die Zugänglichkeitlls der rezipierten Konkretisierungen. c) Hoheitliche

Quantifizierungen

Hoheitliche Quantifizierungen aus Gesetzen und Rechtsverordnungen unterscheiden sich von privaten Quantifizierungen dadurch, dass sie mit einem staatlichen Geltungsbefehl ausgestattet sind. 119 Einer Rezeption hoheitlicher Quantifizierungen bedarf es daher nur dort, wo sie nicht schon aus sich heraus für die Konkretisierung maßgeblich sind, also außerhalb ihres Geltungsbereichs. Diese Abgrenzung von Rezeption und Geltung wird im Folgenden am Beispiel der Konkretisierung des §655 S. 1 BGB und der AVermVO erläutert (unten aa). Umgekehrt stellt sich gerade außerhalb des Geltungsbereichs hoheitlicher Quantifizierungen immer die Frage ihrer Einschlägigkeit und Sachrichtigkeit für die in Rede stehende Konkretisierungsaufgabe. Dies wird am Beispiel der Konkretisierung des §616 S. 1 BGB im Hinblick auf §45 SGB V und §3 EFZG erläutert (unten bb).

Hierzu vorstehend, §11 III. 2. a) sowie bereits ausführlich oben, § 4 VI. 2. b). Hierzu bereits oben, §4 VI. 2. b); im Zusammenhang mit Berufs- und Standesregeln noch unten, §11 III. 2. d) cc). 115 Zum Aktualisierungsgebot bereits aus verfassungsrechtlicher Perspektive oben, § 4 VI. 2. c). 116 Hierzu bereits oben, § 11 III. 1. a); im Zusammenhang mit hoheitlichen Quantifizierungen noch unten, § 11 III. 2. c) bb). 117 Hierzu bereits oben, §4 VI. 4. a) cc). 118 Zu den Publizitätsanforderungen bei der Rezeption externer Regelwerke bereits oben, § 4 VI. 5. b) bb). 119 Eine Sonderstellung nehmen Tarifnormen ein, die - obwohl private Rechtsregeln - über § § 4 und 5 TVG mit einem staatlichen Geltungsbefehl ausgestattet sind; hierzu noch unten am Beispiel der Konkretisierung des §616 S. 1 BGB durch tarifvertragliche Bestimmungen, §11 III. 2. d) dd). 113

114

§11

aa) Abgrenzung

Quantifizierungen

von Rezeption und

259

Geltung

Gemäß § 655 S. 1 BGB kann ein „unverhältnismäßig hoher" Maklerlohn für den Nachweis einer Gelegenheit zum Abschluss eines Dienstvertrages oder für die Vermittlung eines solchen Vertrages durch Urteil auf den angemessenen Betrag herabgesetzt werden. Gegenstand der richterlichen Vertragskontrolle ist - anders als bei der ansonsten ähnlichen Vorschrift des § 343 Abs. 1 BGB - nicht eine Nebenleistung, sondern die ausbedungene Hauptleistung.120 Bis zum Jahr 1994 war der praktisch wichtigste Bereich privater Maklerleistungen - die private Arbeitsvermittlung - wegen des Vermittlungsmonopols der Bundesanstalt für Arbeit (§ 4 AFG a. F.) weit gehend unzulässig. Seit der Neufassung des § 23 AFG ist die private Arbeitsvermittlung inzwischen zulässig. Mit der ArbeitsvermittlerV (AVermV)121 lagen Höchstgrenzen arbeitnehmerseitig zu zahlender Vergütungen für die private Arbeitsvermittlung vor (§12 AVermV), soweit dies gemäß §10 AVermV etwa für Künstler, Fotomodelle oder Berufssportler zulässig ist:122 Für die Vermittlung eines Arbeitsverhältnisses durfte grundsätzlich nur eine Vergütung in Höhe von 12% des gesamten Lohnanspruchs verlangt werden (§ 12 Abs. 1 S. 1 AVermV); bei einer Vermittlung von Arbeitsverhältnissen unter sieben Tagen erhöhte sich die zulässige Vergütung auf 15% des Lohnanspruchs (§12 Abs. 2 AVermV) und für die Vermittlung von Au-pair-Arbeitsverhältnissen durfte pauschal nicht mehr als 300 DM erhoben werden (§12 Abs. 3 AVermV). Die Wirkung dieser exekutiv formulierten Vergütungshöchstgrenzen für arbeitnehmerseitige Vermittlungsgebühren wurde im Schrifttum unterschiedlich beurteilt: Während V! Rieble auch im Anwendungsbereich des § 12 AVermV einen Rückgriff auf die Beurteilungsermächtigung des § 655 S. 1 BGB für möglich hielt,123 sahen D. Reuter und H. Roth für eine zusätzliche Anwendung des § 655 S. 1 BGB keinen Raum. 124 Dahinter stand die Frage, ob die Vergütungsobergrenzen des §12 AVermV erst von der Rechtsprechung rezipiert werden mussten, 120 § 655 S. 1 BGB ist damit ein seltener Fall richterlicher Preiskontrolle-, siehe auch die weit gehend ähnlichen Vorschriften für die Vergütung eines Rechtsanwalts und eines Steuerberaters in §3 Abs. 3 S. 1 BRAGO, §4 Abs. 2 StGebVO. Eine richterliche Preisfestsetzung ist nun auch in §32 UrhG n.F. vorgesehen; danach hat der Urheber Anspruch auf eine - vom Richter festzusetz e n d e - „angemessene" Vergütung; kritisch hierzu K. Ritgen, JZ 2002, 114 ff. 121 ArbeitsvermittlerVO (AVermVO) vom 11.3.1994 (BGBl. I S.563), aufgehoben durch Art. 12 des Gesetzes vom 23.3.2002, BGBl. I S. 1138. 122 Gemäß § 9 S. 1 AVermV dürfen Vergütungen für die Vermittlung von Arbeitsverhältnissen grundsätzlich nur vom Arbeitgeber verlangt werden, soweit nicht in § 10 AVermV für bestimmte Berufsgruppen etwas anderes bestimmt ist. 123 V. Rieble, DB 1994, 1776 (1778). So wohl auch Palandt/H. Sprau, §655 Rdnr.51, der der Auffassung ist, § 12 AVermV bestimme nur, ob ein Provisionsanspruch überhaupt und in zulässiger Höhe entstanden ist; der so entstandene Provisionsanspruch unterliege aber in vollem Umfang dem richterlichen Ermäßigungsrecht nach §655 S. 1 BGB. 124 MünchKomm/H. Roth (3.Aufl. 1997), §655 Rdnr.3; Staudinger/D. Reuter (13. Bearb. 1995), §655 Rdnr.2.

260

Typologie der

Normkonkretisierung

oder ob sie aus sich heraus als zwingende und vor allem abschließende Quantifizierungen der Angemessenheit im Sinne des §655 S. 1 B G B gelten konnten. Im Unterschied zu §906 Abs. 1 S.2 B G B , wo die aus öffentlich-rechtlichen Verordnungen stammenden Grenz- und Richtwerte erst aufgrund einer richterlichen Rezeptionsentscheidung auf die privatrechtliche Wesentlichkeitsbeurteilung einwirken können und daher Raum für abweichende Konkretisierungen lassen, waren die Werte der AVermV für die in § 655 S. 1 B G B verlangte Beurteilung aber unmittelbar einschlägig und galten für sie. Dies folgte aus der sachlichen Reichweite der Verordnung, wie sie sich schon an der Verordnungsermächtigung ablesen ließ. Während etwa die Immissionsgrenzwerte aus §2 Verkehrslärmschutz V O aufgrund §43 Abs.l S. 1 Nr. 1 BImSchG und damit ausdrücklich nur zur Anwendung der §§41 und 42 BImSchG - und nicht des §906 B G B - erlassen sind, war die AVermV aufgrund von §24c Abs. 1 Nr. 2 A F G erlassen worden 125 und regelte in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich die Zulässigkeit von arbeitnehmerseitig zu zahlenden Vergütungen bei der Arbeitsvermittlung. Damit musste §12 AVermV nicht erst durch Rezeption für §655 S. 1 B G B fruchtbar gemacht werden, sondern war schon aus sich heraus für die Angemessenheitskontrolle maßgeblich.126 Eine zweite Frage war, ob die Vergütungshöchstgrenzen auch als abschließende Konkretisierungen wirken, oder ob - wie es V. Rieble und H. Sprau annahmen127 - auch eine den Obergrenzen entsprechende Vermittlungsprovision noch als unangemessen i.S. des §655 S. 1 B G B beurteilt werden konnte. Nicht abschließend wären die Wertgrenzen des § 12 AVermV, wenn sie die in §655 S. 1 B G B geforderte Beurteilung unvollständig quantifizierten, also einen oder mehrere maßgebliche Abwägungsfaktoren nicht berücksichtigten.128 Dies war aber nicht der Fall: In § 12 AVermV wurde die Zulässigkeit einer Vermittlervergütung aus dem Verhältnis zwischen der Provisionshöhe und der Höhe des Arbeitsentgelts bemessen. Die Höhe des Arbeitsentgelts spiegelte den objektivierbaren Nutzen wider, den der Arbeitnehmer durch die Vermittlung des Arbeitsvertrages erlangt. Damit lag § 12 AVermV genau die Beurteilung zugrunde, die §655 S. 1 B G B dem Richter aufträgt.129 Die in § 12 AVermV vorgegebene Quan125 Seit der Ablösung des AFG durch das SGB III vom 24.3.1997 (BGBl. IS. 594), ist die Verordnungsermächtigung an die Bundesregierung nun in §§296 Abs. 1 S.2, 301 Abs. 1 S. 1 SGB III enthalten. 126 So wohl auch Jauernig/M. Vollkommer (8. Aufl. 1997), §655 Rdnr. 2: Die Vergütungshöchstgrenzen des § 12 AVermV wirken „kraft Gesetzes"; genauso J. Wertenbruch, NJW 1995, 223 (224): Verstoß gegen AVermV führt zur Nichtigkeit nach § 134 BGB. 127 V Rieble, DB 1994, 1776 (1778); Palandt/H. Sprau, §655 Rdnr. 1. 128 Zum Einwand der unvollständigen Quantifizierung bereits oben, § 11 II. 3. 129 V. Rieble, D B 1994, 1776 (1778) begründet seine Gegenauffassung damit, dass auch 12% eines Jahresentgelts noch unangemessen hoch sein können, „wenn dahinter überhaupt keine Maklerleistung steht." Richtigerweise ist die Höhe des Maklerlohnes aber nicht seinem Aufwand, sondern dem Nutzen für den Auftraggeber gegenüberzustellen (oben § 10 III. 1. c) aa). Sei-

§11

Quantifizierungen

261

tifizierung war daher für das richterliche Ermäßigungsrecht in §655 S. 1 B G B zwingend und abschließend. Der Richter konnte weder im Einzelfall die Anwendung des § 12 AVermV ablehnen, weil er ihr Ergebnis für nicht sachgerecht hielt, noch eine nach §12 AVermV zulässige Vergütung über §655 S. 1 B G B abermals korrigieren. 130 Bei den Vergütungshöchstgrenzen des §12 AVermV handelte es sich damit um exekutive Quantifizierungen zur Konkretisierung des §655 S. 1 B G B , die den eröffneten Konkretisierungsfreiraum innerhalb ihres Anwendungsbereichs 131 vollständig ausfüllten. Ihre Einbeziehung in die Konkretisierung war also keine Frage der Rezeption, sondern der Geltung.

bb) Einschlägigkeit hoheitlicher

Quantifizierungen

Ein weiteres Beispiel für hoheitliche Quantifizierungen, die Eingang in die privatrechtliche Normkonkretisierung gefunden haben, stellt §45 S G B V dar. Die darin enthaltene Wertung wird in der Praxis für die Konkretisierung des §616 S. 1 B G B herangezogen, und zwar für die Bestimmung der „verhältnismäßig nicht erheblichen" Verhinderungsdauer 132 , wenn die Dienstverhinderung darauf beruht, dass der Dienstverpflichtete kranke Kinder zu pflegen hat. Während sich die Rechtsprechung ansonsten nicht auf eine einheitliche Konkretisierungslinie einspielen konnte, 133 hat das B A G im Jahr 1978 ausgesprochen, dass ne im Ausgangspunkt überzeugende Überlegung - ob die in § 12 AVermV enthaltenen Quantifizierungen die in § 655 S. 1 B G B verlangte Bewertung auch vollständig abbilden - geht daher von falschen Prämissen aus. 130 Siehe MünchKomm/H. Roth (3. Aufl. 1997), §655 Rdnrn. 1, 3; Staudinger/D. Reuter (13. Bearb. 1995), §655 Rdnr.2; wohl auch Jauernig/M. Vollkommer (8. Aufl. 1997), §655 Rdnr.2. 131 Also nur für Vergütungen, die von Arbeitnehmern i.S. des § 10 AVermV zu zahlen sind; im Übrigen dürfen Vermittlungsgebühren vom Arbeitnehmer überhaupt nicht und vom Arbeitgeber nur innerhalb der Grenzen des §655 S. 1 B G B verlangt werden. 132 Zu den für die Konkretisierung des § 616 S. 1 B G B maßgeblichen Abwägungsfaktoren bereits oben, §10 III. 1. c) bb). 133 Trotz einer reichhaltigen Urteilspraxis hat sich in der Rechtsprechung bislang kein einheitlicher Maßstab für die Konkretisierung des § 616 S. 1 B G B herausgebildet. Während etwa das KG, O L G Z 34,33 bei einer Beschäftigungszeit von weniger als einem Jahr eine Verhinderung von vier Wochen und der B G H (LM § 632 B G B Nr. 17 = ZIP 1995,1280f.) bei einem auf sechseinhalb Monate befristeten Arbeitsverhältnis eine Arbeitsverhinderung von zweieinhalb Wochen für unerheblich halten, judizieren andere Gerichte deutlich zurückhaltender und entschließen sich erst bei einer Beschäftigungsdauer von mehr als einem Jahr, den Vergütungsanspruch für Ausfallzeiten von bis zu zwei Wochen aufrechtzuerhalten; siehe etwa L A G Düsseldorf, DB 1966,1057; L A G Frankfurt, DB 1956,647. Auch nach oben hin weist die Rechtsprechung keine klare Kontur auf. So haben das RAG, ARS Bd. 14, 560f. und später auch das LAG Hamm, AP 1952 Nr. 146 eine Ausfallzeit von 13 Wochen bei einer fünfjährigen Beschäftigungsdauer als „verhältnismäßig nicht erhebliche" Zeit eingestuft, während das B A G einmal eine achtwöchige Ausfallzeit als erheblich ( B A G , B B 1977,1651-zu §63 Abs. 1 S. 1 HGB)und ein anderes Mal eine Verhinderung von insgesamt 50 Arbeitstagen (zehn Wochen) als unerheblich gewertet hat: BAG, D B 1985, 978; ähnlich großzügig B G H , N J W 1979,422 (425), der im Falle eines Tätigkeitsverbotes nach dem BSeuchG eine Verhinderungsdauer von bis zu sechs Wochen als unerheblich einstufte.

262

Typologie

der

Normkonkretisierung

zur Pflege kranker Kinder ein „Zeitraum bis zu fünf Arbeitstagen [...] in aller Regel als verhältnismäßig nicht erheblich anzusehen" ist.134 Hintergrund war die Vorschrift des § 185c RVO, derzufolge der Versicherte Anspruch auf PflegeKrankengeld für längstens fünf Arbeitstage pro Kalenderjahr für jedes Kind hatte. Diese Bestimmung diente dem BAG als „Anhaltspunkt".135 Die Literatur orientierte sich in der Folge ebenfalls an der Fünf-Tage-Regel.136 Auch nach Ablösung des §185c RVO durch die zunächst inhaltsgleiche Vorschrift des §45 SGB V bestand weit gehende Einigkeit darüber, dass zur Pflege kranker Kinder eine Verhinderungsdauer bis zu fünf Tagen als „verhältnismäßig nicht erheblich" i.S. des §616 BGB zu beurteilen sei.137 Erst als der Krankengeldanspruch des § 45 Abs. 2 SGB V zum 1.1.1992 138 von fünf auf zehn Tage erweitert worden ist, ist von verschiedener Seite die Frage aufgeworfen worden, ob der geänderte §45 SGB V noch eine „zwingende Konkretisierung" des §616 S. 1 B G B darstellen könne. 139 Vielmehr wurde vorgeschlagen, ungeachtet der Gesetzesänderung an der ursprünglichen Fünf-Tage-Regel festzuhalten.140 Anders als die zuvor betrachteten Werte der AVermVO können die Festsetzungen des § 45 Abs. 2 SGB V nur im Wege der Rezeption auf die Konkretisierung von §616 S. 1 BGB einwirken. Eine unmittelbare Geltung des §45 Abs.2 SGB V scheidet wegen des unterschiedlichen Normzusammenhanges aus: §45 Abs. 2 SGB V regelt den Anspruch des Versicherten auf Krankengeld und nicht - wie §616 S. 1 B G B - die Frage, wie lange dem Arbeitnehmer der Vergütungsanspruch erhalten bleibt, wenn er zur Betreuung minderjähriger Kinder der Arbeit fernbleibt. Die Sachrichtigkeit dieser Rezeption hängt damit davon ab, ob die Quantifizierungen trotz ihres unterschiedlichen Wertungszusammenhanges einschlägig für die Konkretisierung des §616 S. 1 BGB sind.141

B A G E 30, 240 Lts. 1 = AP §616 B G B Nr. 48 = N J W 1978, 2316. Siehe B A G E 30, 240 (245f.). 136 W. Erasmy, N Z A 1992, 921 (923); Erman/P. Hanau, §616 Rdnr.61; MiinchKomm/ G. Schaub (3. Aufl. 1997), §616 Rdnrn. 17, 23; Soergel/A. Kraft (12. Aufl. 1997), §616 Rdnr.22; Staudinger/H. Oetker (13. Bearb. 1997), §616 Rdnr. 99. Vgl. auch M. Löwisch, DK 1979,209ff., der ungeachtet aller Kritik die fünf-Tage-Grenze nicht in Zweifel zieht. - Auch der D G B - E n t wurf zum Arbeitsverhältnisrecht vom 5.4.1977 (abgedruckt in RdA 1977, 166ff.) hat die fünfTage-Regel seinem § 59 Abs. 3 zugrunde gelegt: „Ist ein Arbeitnehmer zum Zwecke der notwendigen häuslichen Pflege seines in seinem Haushalt lebenden erkrankten Kindes oder Ehegatten an der Arbeitsleistung verhindert, so gilt als verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 ein Zeitraum von fünf Arbeitstagen pro pflegebedürftiger Person und Kalenderjahr." Vgl. weiter W. Erasmy, N Z A 1992, 921 (923). 137 Vgl. nur W. Erasmy, N Z A 1992, 921 (922). 138 Geändert durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (BGBl. 1991 I, S. 2325). 1 3 9 So Staudinger/H. Oetker (13. Bearb. 1997), §616 Rdnr. 99. 140 W. Erasmy, N Z A 1992,921 ff.; H.-H. Sowka, RdA 1993,34f.; wohl auch Erman/P. Hanau, §616 Rdnr.61; Staudinger/H. Oetker (13. Bearb. 1997), §616 Rdnr.99. 141 Angesichts der gewachsenen Judikaturerfahrung (siehe nur die Darstellung in Fn. 133) er134 135

§ 11

Quantifizierungen

263

Entscheidend für die Einschlägigkeit externer Quantifizierungen ist das in der Quantifizierung verarbeitete Abwägungsmaterial. Wird das Abwägungsmaterial der konkretisierungsbedürftigen Vorschrift in der externen Quantifizierung nur unvollständig umgesetzt, so setzt sich die externe Quantifizierung demselben Einwand aus, wie eine entsprechende von der Rechtsprechung selbst entwickelte Quantifizierung: dem Einwand der Unvollständigkeit.142 Dieses Problem stellt sich im Hinblick auf §45 Abs. 2 SGB V. Unabhängig davon, ob die ursprüngliche Fünf-Tage-Regel oder die aktuelle Zehn-Tages-Regel rezipiert wird, fehlt es an der Einschlägigkeit der externen Quantifizierungen für die Beurteilungsaufgabe des §616 S. 1 BGB, da die in §45 SGB V enthaltenen Werte - sowohl in der ursprünglichen als auch in der geänderten Fassung - eine abweichende Beurteilung verkörpern. In §45 SGB V hat der Gesetzgeber eine Regelung über den sozialversicherungsrechtlichen Krankengeldanspruch (§ 45 Abs. 2 SGB V) sowie über den Anspruch auf unbezahlte Freistellung (§45 Abs. 3 SGB V) getroffen. § 616 S. 1 BGB betrifft hingegen einen bezahlten Freistellungsanspruch. Anders als §616 S. 1 BGB durchbricht §45 SGB V also von vornherein das Synallagma von Arbeitsleistung und Vergütung. 143 Dementsprechend stellt sich bei § 45 SGB V auch die Frage nach der Leistung des Arbeitnehmers nicht. Die Beschäftigungsdauer - also einer der für § 616 S. 1 BGB maßgeblichen Beurteilungsfaktoren 144 - ist für die Gewährung eines unbezahlten Freistellungsanspruchs ohne Belang. §45 SGB V setzt damit das für die Konkretisierung des §616 S. 1 BGB maßgebliche Abwägungsmaterial nur unvollständig um; die enthaltenen Weite sind also nicht einschlägig. Rezeptionsfähig wären aber die von G. Schaub145 vorgeschlagenen Schwellenwerte 146 oder die von P. Hanau147 formulierten Prozentsätze, 148 weil sie die tolerable Verhinderungsgibt sich im Hinblick auf den Zeitpunkt der Quantifizierung (hierzu bereits § 11 II. 2., III. 2. b) kein Problem. 142 Hierzu bereits oben, § 11 II. 3. 143 So auch Staudinger/H. Oetker (13. Bearb. 1997), §616 Rdnr.99. 144 Hierzu bereits oben, § 10 III. 1. c) bb). 145 Nach G. Schaub, H d b ArbeitsR, § 97 II 3 sind noch unerheblich i.S. des § 616 S. 1 BGB: eine Verhinderung von drei Tagen bei einer Beschäftigungsdauer bis zu sechs Monaten; eine Verhinderung von einer Woche bei einer Beschäftigungsdauer zwischen sechs und zwölf Monaten und eine Verhinderung bis zu zwei Wochen bei einer Beschäftigungsdauer ab einem Jahr; eine Verhinderung von mehr als sechs Wochen wird stets als erheblich eingestuft. 146 Prozentzahlen sind dort vorzuziehen, wo ein lineares Verhältnis abgebildet werden soll, wie hier das Verhältnis von Beschäftigungsdauer und Verhinderungsdauer oder etwa bei §251 Abs. 2 BGB das Verhältnis von Herstellungskosten und Wert der zerstörten Sache (siehe bereits oben § 10 II. 3.). Hier verfügen Prozentzahlen über ein größeres Differenzierungsvermögen als Schwellenwerte. Demgegenüber finden sich im Immissionsschutzrecht häufig gestaffelte Grenzwerte. Ein Beispiel sind Lärmgrenzwerte, die infolge des logarithmischen Maßsystems Dezibel (dB) nicht linear ansteigen; zu den schallphysikalischen Grundlagen der Lärmmessung und -bewertung etwa B. Bender/R. Sparwasser/R. Engel, UmweltR, Rdnrn. 230ff. 147 Erman/P. Hanau, §616 Rdnr. 62 schlägt zusätzlich zu der soeben dargestellten Staffelung von G. Schaub (Fn. 145) für Dienstverhältnisse, die nur auf einmalige Dienste gerichtet sind oder

264

Typologie der

Normkonkretisierung

dauer - anders als die diskutierten Werte des § 45 S G B V - relativ zur Beschäftigungsdauer bestimmen.

d) Private

Quantifizierungen

D i e R e z e p t i o n privater Quantifizierungen stellt das praktisch wichtigste Phän o m e n der R e z e p t i o n dar. Anders als hoheitliche Quantifizierungen sind private Quantifizierungen 1 4 9 stets auf R e z e p t i o n angewiesen, um rechtliche M a ß stabsfunktion zu erlangen. Insoweit ist die R e z e p t i o n privater Quantifizierungen der klassische Fall der R e z e p t i o n . H i e r b e i handelt es sich um eine F o r m operativer

Konkretisierung,

ko-

bei der privater Sachverstand und hoheitliche E n t -

scheidungsmacht zusammengeführt werden. 1 5 0 N i c h t jede B e z u g n a h m e auf private Regeln und Tabellen gehört aber in den Zusammenhang der Konkretisierung. So stellt nicht jede private Festsetzung auch eine Quantifizierung dar, die zur Konkretisierung, d.h. zur wertungsmäßigen Ausfüllung n o r m a t i v - u n b e s t i m m t e r Rechtsbegriffe herangezogen werden kann. D i e konkretisierende E i n b e z i e h u n g privater Quantifizierungen ist abzugrenzen von sonstigen F o r m e n privater Festsetzungen in F o r m von oder

Entscheidungssammlungen

Tatsachen-

(unten aa). Von diesen zumeist informell auf-

gestellten Informationssammlungen unterscheiden sich konkretisierungstaugliche „ e c h t e " private Quantifizierungen typischerweise dadurch, dass sie nicht privaten Einzelakten, sondern privaten Rechtsregeln

entspringen, insbesondere

den privaten Rechtsregeln des Vereinsrechts - den R e c h t s n o r m e n der Vereine und Verbände - sowie den privaten Rechtsregeln des Arbeitsrechts - Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung. 1 5 1 D i e Sachrichtigkeitsbedingungen der R e z e p weniger als drei Monate dauern, als „Faustregel" eine Quantifizierung der Verhältnismäßigkeitsgrenze bei 1/20 vor: Verhinderungen, die mehr als 1/20 der gesamten Beschäftigungsdauer betragen, seien stets erheblich. 148 Kritisch zu diesen Quantifizierungsvorschlägen aber Staudinger/H. Oetker (13. Bearb. 1997), §616 Rdnr. 100, der ihre „fehlende normative Verankerung" bemängelt. Weiter kritisiert R. Schimana, AuR 1956, 321 (325), dass sie „zu sehr auf das Verhältnis der Versäumniszeit zur Beschäftigungszeit" abstellten und dabei außer acht ließen, „dass auch Art und Zweck des Arbeitsverhältnisses wichtige Faktoren zur Errechnung der verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit sind." Der damit angesprochene Einwand der Unvollständigkeit der Quantifizierungen kann jedoch nach der hier vertretenen Auffassung über die maßgeblichen Abwägungsfaktoren (siehe oben, §10 III. 1. c) bb)) nicht überzeugen. 149 Also Quantifizierungen aus privaten Rechtssätzen. Darunter ist jede Regel zu verstehen, die von privaten juristischen Personen oder Organen gebildet wird, es sei denn, jene wären mit Hoheitsbefugnissen beliehen; so die Definition von F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 107. 150 Hierzu /. Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung; siehe auch U. Di Fabio, W D S t R L Heft 56 (1997), 235 (245): „kooperative Normkonkretisierung"; zu Beispielen kooperativer Regelkonkretisierung im Bereich europäischer Techniksteuerung A. Röthel, in: K. Vieweg (Hrsg.), Techniksteuerung und Recht, S.35 (48ff.). 151 Im Einzelnen zu Inhalt und Arten privater Rechtsregeln F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 181 ff.

§ 11 Quantifizierungen

265

tion privater Quantifizierungen werden im Folgenden an drei praktisch wichtigen Beispielen erläutert: der Rezeption technischer Normen (unten bb), berufsständischer Normen (unten cc) und Tarifnormen (unten dd). aa) Abgrenzung:

Private Tatsachen- und

Entscheidungssammlungen

In der praktischen Rechtsanwendung spielen private Tatsachen- und Entscheidungssammlungen eine große Rolle, beispielsweise die sog. „Schwacke"-Listen zur Berechnung des Nutzungsausfalls von Kraftfahrzeugen (§251 BGB), die Aufstellungen über den Arbeitszeitbedarf bei der Bemessung des Haushaltsführungsschadens (§§843 Abs. 1, 844 Abs. 2 B G B ) und die „Schmerzensgeldtabellen" (§847 B G B a.F., §253 Abs. 2 B G B n.F.). In formeller Hinsicht ist diesen „Tabellen" gemeinsam, dass sie von einzelnen Privatleuten und nicht von einem privaten Kollektiv, insbesondere einem Verein, aufgestellt sind. Es handelt sich um individuelle und gänzlich informelle Äußerungen ohne jede unmittelbare Rechtswirkung. Von größerer Bedeutung für ihre Einordnung im Zusammenhang mit der Konkretisierung normativer Rechtsbegriffe ist aber, dass sie sich in inhaltlicher Hinsicht nicht als wertende Festsetzungen verstehen, sondern als Sammlung, Auflistung und Zusammenstellung von tatsächlichen Erhebungen (unten [1] und [2]) oder Vorentscheidungen (unten [3]). (1) Nutzungswert

von

Kraftfahrzeugen

Ein Beispiel für eine private Tatsachensammlung stellt die von Sauden/'Danner begründete Tabelle zur Berechnung der Nutzungsausfallentschädigung für Kraftfahrzeuge dar (sog. ,,Schwacke"-Liste). 152 Sie enthält Angaben über die Vorhaltekosten und den Nutzungswert für mehrere Tausend Fahrzeugtypen. Entscheidend ist, dass es sich bei diesen Angaben um Berechnungen auf der Basis von Schätzungen und repräsentativen Ermittlungen handelt. Die angegebenen Nutzungswerte basieren auf dem durchschnittlichen Bruttotagesmietsatz, ermittelt auf der Grundlage schriftlicher Angebotspreise der Autovermieter, abzüglich der im Einzelnen anhand von Versicherungsprämien und anderer Faktoren ermittelten Ersparnis an Eigenbetriebskosten. 153 Entsprechend diesem Selbstverständnis der Tabelle als einer Berechnung nach einem offengelegten Berechnungsschema ist sie vom B G H auch nur als geeignete „Schätzungsgrundlage" gebilligt worden. 154 In erster Linie gehen die Tabellenwerte daher als 152 Erstmals VersR 1966, 697; aus jüngerer Zeit Sunden!'Danner/Küppersbusch u.a., Nutzungsausfallentschädigungstabellen 2002; abgedruckt in Beilage zu NJW, Heft 10/2002 und NZV, Heft 3/2002; hierzu auch P. Kuhn, D A R 2002, lff. 153 So G. Küppersbusch in seiner Einleitung zum Tabellenabdruck in NJW, Beilage Heft 10/ 2002, S.3. Siehe im Einzelnen das vollständige Berechnungsschema N W (Nutzungswert). 154 B G H Z 56, 214 (219); siehe auch B G H Z (GS) 98, 212 (226): „geeignete Grundlage" für die Schadensbemessung.

266

Typologie

der

Normkonkretisierung

Erfahrungssätze - und nicht als w e r t e n d e Konkretisierungsregeln - in die richterliche Schadensschätzung ( § 2 8 7 Z P O ) ein. 1 5 5

(2) Arbeitszeitbedarf

der

Haushaltsführung

Eine ähnliche F u n k t i o n haben die v o n privater Seite aufgestellten Tabellen über den Arbeitszeitbedarf bei der Haushaltsführung, die z u r Bemessung des Haushaltsführungsschadens im R a h m e n v o n § § 8 4 4 A b s . 2 u n d 843 A b s . 1 B G B herangezogen w e r d e n . Die Rechtsprechung stützt sich zumeist auf das Tabellenw e r k v o n H. Schulz-Borck/E. Hofmann156, das sie als „gründliche und u m f a n g reiche Ermittlung" anerkannt hat. 1 5 7 Hierbei handelt es sich u m Schätzungsund D u r c h s c h n i t t s w e r t e auf der Basis v o n tatsächlichen U n t e r s u c h u n g e n zu A u f w a n d und Arbeitszeitbedarf mittlerer Haushalte. V o n der Rechtsprechung w e r d e n sie daher auch ausdrücklich als „Erfahrungswerte" 1 5 8 - und nicht als Konkretisierungen - rezipiert. 1 5 9

(3)

Schmerzensgeldbemessung

Ebenfalls nicht in den engeren Zusammenhang der Rezeption privater K o n k r e tisierungen gehören die „Schmerzensgeldtabellen". 1 6 0 In der Praxis w e r d e n sie

155 Vgl. BGHZ 56, 214 (218f.). In rechtlicher Hinsicht sind die Methoden der Schätzung und Berechnung darauf zu überprüfen, ob sie den Gegenstand des zu entschädigenden Vermögensnachteils sachgerecht abbilden; vgl. BGHZ (GS) 98,212 (225). Erst bei den sich innerhalb dieser Grenzen ergebenden Freiräumen, insbesondere bei der Auswahl der maßgeblichen Faktoren etwa der Frage, inwieweit der Ersatzanspruch an den Mietwagenkosten ausgerichtet werden darf und um welche Faktoren er zu bereinigen ist (vgl. BGHZ [GS] 98, 214 [225f.]) - vermitteln die Tabellen auch Wertungen. Die eigentliche Leistung der Tabellen wird man aber gleichwohl weniger in dieser nur „sekundären" Werthaltigkeit zu sehen haben als in der Sammlung und Schätzung der Tatsachenbasis. 156 H. Schulz-Borck/E. Hofmann, Schadensersatz bei Ausfall von Hausfrauen und Müttern im Haushalt, 6. Aufl. 2000, Tabelle 1; siehe auch bei J.-D. Drees, Schadensberechnung bei Unfällen mit Todesfolge, 2. Aufl. 1994, S.60ff. sowie Staudinger/A. Köthel (13. Bearb. 2002), §844 Rdnrn. 135ff. Siehe ergänzend die Bemessungstabelle nach dem „Münchner Modell" bei verletzungsbedingten Behinderungen der Hausfrau: K.-H. Ludwig, DAR 1991, 401 ff.; zum „Hohenheimer Verfahren" K. Landau/B. Imhof-Gildein, DAR 1989,166ff.; E.Jung, DAR 1990,160ff.; kritisch E. Hofmann, NZV 1990, 8 (9f.). 157 So ausdrücklich BGH, NJW 1979, 1501 (1502); siehe auch BGH, VersR 1998, 333 (335); VersR 1982, 951 (952); OLG Stuttgart, VersR 1993, 1536 (1537); OLG Hamburg, VersR 1988, 135 (136); vgl. auch BGH, NJW-RR 1990, 962. 158 BGHZ 104, 113 (117); E. Scheffen, VersR 1990, 926 (930). 159 Allerdings stehen hinter den für die Bemessung des Haushaltsführungsschadens existierenden Tabellen auch verschiedene Bewertungsmethoden', vgl. die Darstellung und Kritik bei K. Triebold, Schadensersatzansprüche bei Tötung oder Verletzung einer Hausfrau und Mutter und Bewertung der Haushaltsarbeit, S.54ff., 198ff., 221 ff. 160 Siehe etwa die Tabelle von S. HackstA. Ring/P. Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 19. Aufl. 1999; ähnlich die von A. Slizyk aufgestellte „Beck'sche Schmerzensgeldtabelle", 5. Aufl. 2001, und die „Schmerzensgeldbeispiele" bei Geigel/H.-U. Kolb, Kap. 7 Rdnr. 59; siehe auch schon die

§ 11

Quantifizierungen

267

als wertvolle Entscheidungshilfen angesehen: 161 In einer v o n H.-J. Musielak organisierten U m f r a g e aus dem Jahr 1 9 8 0 haben 9 5 , 5 % der befragten Richter angegeben, die Tabellen als „Orientierungshilfe" bei der Schmerzensgeldbemessung zu verwerten. 1 6 2 Gleichwohl liegt in der Heranziehung dieser privaten Ubersichten keine Rezeption externer Konkretisierungen, da die „Tabellen" keine Konkretisierungsregeln zur Bemessung der „billigen Entschädigung" i.S. v o n § 8 4 7 B G B a.F. ( § 2 5 3 A b s . 2 B G B n.F.) enthalten. Ihre Leistung besteht in der Sammlung und Gliederung v o n Einzelfallentscheidungen, die unter bestimmten Gesichtspunkten geordnet und mit Kurzbeschreibungen versehen werden. 1 6 3 A l s bloße Fallsammlung fehlt ihnen aber der f ü r eine Konkretisierung erforderliche A n s p r u c h auf Regelbildung: Sie weisen keine fallübergreifenden, generellen Schmerzensgeldbeträge f ü r bestimmte A r t e n v o n Verletzungen aus - etwa nach A r t der im Sozial- und Unfallversicherungsrecht bekannten „Gliedertaxen" 1 6 4 oder der aus den fünfziger Jahren stammenden „Rahmenrichtsätzen" f ü r Besatzungsschäden 1 6 5 sondern beschränken sich auf die W i e dergabe v o n Einzelentscheidungen, zumeist v o n Untergerichten. Insoweit ist auch die gebräuchliche Bezeichnung als „Schmerzensgeldtabelle" 1 6 6 irrefüh-

Entscheidungssammlung von R. Lieberwirth, Das Schmerzensgeld, 2. Aufl. 1961, S. 127ff. Weitere Beispiele bei MünchKomm/U. Stein (3. Aufl. 1997), §847 Rdnr. 18 Fn.93. 161 OLG Saarbrücken, NJW 1975, 1467; OLG Oldenburg, VersR 1983, 1064; Geigel/H.-U. Kolb, Kap. 7 Rdnr. 57; H. Lange, Schadensersatz, § 7 IV 3. Siehe auch S. Hacks/A. Ring/P. Böhm, Schmerzensgeld-Beträge, S.25: „grobe Orientierung". Vorsichtiger Palandt/H. Thomas, §847 Rdnr. 9, der die Tabellen als „Beispiele" anführt. Ahnlich Soergel/A. Zeuner (12. Aufl. 1999), § 847 Rdnr. 29; MünchKomm/U. Stein (3. Aufl. 1997), § 847 Rdnr. 19; Staudinger/K. Schäfer (12. Bearb. 1986), §847 Rdnr. 53: „Ausgangsgrundlage". Kritisch aber OLG Köln, VersR 1978, 650: „Das Gericht geht davon aus, dass der Erkenntniswert von Schmerzensgeldtabellen... nur gering ist, weil sie die Entwicklung der Bewertungspraxis ungenügend ausdrücken, durch Zeitablauf rasch überholt werden und überhaupt wenig geeignet sind, den Besonderheiten des Einzelfalls hinreichend Rechnung zu tragen." 162 H.-J. Musielak, VersR 1982, 613 (616). Für die Befragung wurde eine nach Gerichtsbezirken repräsentative Stichprobe von etwa 15% der bayerischen Zivilrichter erster und zweiter Instanz ausgewählt. 163 So sind die Schmerzensgeldbeträge in dem Werk von S. Hacks/A. Ring/P. Böhm nach der Art der Verletzung und der Höhe des Schmerzensgeldes gegliedert; zusätzlich werden Bemerkungen zu Dauer und Umfang der Behandlung, der Arbeitsunfähigkeit und des Schadens, zur Person des Verletzten und schließlich zu „besonderen Umständen" gemacht. 164 So E. Scheffen, ZRP 1999, 189 (191). Siehe etwa die Gliedertaxe der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (§7 Abs. 1 AUB 1988) sowie die Bestimmung der Invaliditätsgrade nach den Musterbedingungen des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft für die Unfallversicherung mit garantierter Beitragsrückzahlung (Stand: 03/2000), unter Pkt. 2.1.2.2. 165 Der Bundesminister der Finanzen hat im Jahr 1954 hierzu Rahmenrichtsätze festgelegt mit Schmerzensgeldspannen für fünf Verletzungsgruppen; abgedruckt in BB 1954, 146f.; hierzu R. Lieberwirth, Das Schmerzensgeld, S. 121 f. 166 Von „Schmerzensgeldtabellen" sprechen etwa Erman/G. Schiemann, §847 Rdnr. 15; MünchKomm/U. Stein (3. Aufl. 1997), §847 Rdnr. 18; Soergel/A. Zeuner (12. Aufl. 1997), § 847 Rdnr. 29; ähnlich Staudinger/K. Schäfer (12. Bearb. 1986), § 847 Rdnr. 53: „Bewertungstabellen".

268

Typologie

der

Normkonkretisierung

rend; realistischerweise sollte von „Entscheidungssammlung" 167 gesprochen werden. Methodisch bedeutet die Heranziehung solcher Rechtsprechungskompendien daher lediglich eine Form des Fallvergleichs, wie er gerade für die Schmerzensgeldbemessung in besonderer Weise geboten ist, 168 der Sache nach vergleichbar dem Blick in die Kommentarliteratur. Auch wenn Entscheidungssammlungen nach Art der „Schmerzensgeldtabellen" als solche keine Konkretisierungen enthalten, können sie aber ein wichtiges Hilfsmittel im Konkretisierungsprozess 169 sein. Durch die von ihnen geleistete Sichtung und Sammlung des Rechtsprechungsmaterials schaffen sie die Voraussetzungen für konkretisierende Regelbildung. Angesichts der Vielzahl der zu berücksichtigenden Umstände 170 und der Inhomogenität des Fallmaterials 171 lässt sich zwar daran zweifeln, ob die Schmerzensgeldbemessung überhaupt einer Regelbildung in Form von Zahlenwerten zugänglich ist. 172 Angesichts des inzwischen bestehenden Erfahrungsschatzes der Rechtsprechung 173 dürfte es aber möglich sein, jedenfalls für gewisse häufige Verletzungsarten mit ähnli1 6 7 So etwa noch R. Lieberwirth, Das Schmerzensgeld, S. 127ff.; ähnlich M. Berger, VersR 1977, 877 (878): „Präjudiziensammlungen". Auch S. Hacks/A. Ring/P. Böhm haben ihr Handbuch nicht als „Schmerzensgeldtabelle", sondern als „Schmerzensgeld-Beträge" betitelt. 168 Hierzu bereits B G H Z 18, 149 (168): Für die Bemessung des Schmerzensgeldes sei „die Orientierung an in anderen Fällen von der Rechtsprechung zugebilligten Beträgen ... nicht nur zulässig, sondern wenigstens als Ausgangspunkt auch erforderlich, weil sich eine unmittelbare Relation zwischen einer Geldentschädigung und nur im seelischen Bereich liegenden Beeinträchtigungen nicht gewinnen" lasse. Im Sinne einer Argumentationslastregel für die Abweichung von Vorentscheidungen später B G H , VersR 1978, 967 (968): Verlässt der Tatrichter die bisherigen Sätze „deutlich", so könne er „aus Gründen der Rechtssicherheit und zur eigenen Kontrolle gehalten sein, die von ihm zugrunde gelegte Wertkategorie nach Ausmaß und Auswirkung der Abweichung aufzuzeigen"; genauso Erman/G. Schiemann, §847 Rdnr. 15; MünchKomm/U. Stein (3. Aufl. 1997), §847 Rdnr. 18: Der Richter müsse für „wesentliche Abweichungen" eine sachliche Rechtfertigung geben. Ihre innere Berechtigung finden diese Überlegungen vor allem im Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit; hierzu E. Scheffen, ZRP 1999,189 (191 ff.). 1 6 9 Zum Konkretisierungsprozess auch schon oben, § 7 1 . 1 7 0 Es sind „alle in Betracht kommenden Umstände des Falles" zu berücksichtigen: B G H Z (GS) 18, 149 (154); im Einzelnen zu den Bemessungsfaktoren Ceigel/H.-U. Kolb, Kap. 7 Rdnrn. 40ff.;Soergel/A. Zeuner(\2. Aufl. 1997), §847 Rdnr.30; Staudinger/K. Schäfer(12. Bearb. 1986), §847 Rdnrn. 54ff.; E. Scheffen, Z R P 1999, 189 (191). Auch bei gleichartigen Verletzungen bleiben noch „elf Unbekannte"; so M. Berger, VersR 1977, 877 (878). 171 Es mangelt damit an der Vollständigkeit von Quantifizierungen; hierzu bereits oben, § 11 II. 3. 172 S. nur E. Scheffen, ZRP 1999, 189 (191). Staudinger/K. Schäfer (12. Bearb. 1986), §847 Rdnr. 53a sieht den entscheidenden Grund hierfür in der richterlichen Unabhängigkeit und der eng begrenzten revisionsrechtlichen Nachprüfbarkeit. Diese Situation ist allerdings auch im Unterhaltsrecht gegeben und hat gleichwohl zu Regelbildungen auf O L G - E b e n e geführt; hierzu auch noch im Text. 173 Anders noch R. Lieberwirth, Das Schmerzensgeld, S. 123 im Jahr 1961, da die Entscheidung zu den Bemessungsfaktoren des Schmerzensgeldes B G H Z (GS) 18,149 erst fünf Jahre zurücklag und dementsprechend noch kein ausreichendes fehlerfreies und gefestigtes Fallmaterial vorlag. Zum Gebot ausreichender Konkretisierungserfahrung als Gebot der Sachrichtigkeit judikativer Quantifizierungen bereits oben, § 11 II. 2.

§11

Quantifizierungen

269

chen, typischen Bemessungsgrundlagen Durchschnittswerte zu ermitteln und entsprechende Richtwerte oder „Spannbreiten" 174 zu formulieren. 175 Hier wäre eine ähnliche Entwicklung denkbar wie im Bereich des Unterhaltsrechts, nämlich dass sich die Rechtsprechung in Koordinierungsgesprächen informell im Interesse einer gleichmäßigen Bemessungspraxis auf Richtsätze oder Bandbreiten verständigt. 176 Auch solche allgemeiner formulierten Bemessungsregeln können aber immer nur „Regelfall"-Konkretisierungen darstellen, die eine konkrete Bemessung des Schmerzensgeldes niemals vollständig ersetzen werden. 177

bb) Technische Normen Technische Normen wirken auf mehreren Ebenen in das Privatrecht hinein. 178 Am unmittelbarsten ist der Zusammenhang zwischen technischen Normen und Privatrecht in den - auch im Privatrecht enthaltenen - Technikklauseln 179 wie „Stand der Technik" (§ 906 Abs. 1 S. 3 B G B , § 7 Abs. 1 ProdSG), „Stand der Wissenschaft und Technik" (§ 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG) oder den „allgemein anerkannten Regeln der Technik" (§641a Abs.3 S.4 B G B , § 6 Abs. 1 ProdSG, §2 Abs. 1 S. 3 HaftpflG). Vielfach werden die Anforderungen nach dem „Stand der Technik" inzwischen auch ohne gesetzlichen Hinweis in Privatrechtsnormen hineingelesen, etwa über den Fehlerbegriff des Werkvertragsrechts. 180 Weitere Beispiele sind die deliktischen Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten. 181 Schließlich sind technische Normen seit je her von Bedeutung für das private Nachbarrecht der §§1004, 906 B G B . Konkretisierungstheoretisch ist §906

E. Scheffen, Z R P 1999, 189 (191). Geigel/H.-U. Kolb, Kap. 7 Rdnr. 57 nennt als Beispiel, dass ein Minderjähriger beim Spielen durch die Fahrlässigkeit seines Spielgefährten ein Auge verliert. Ahnliche Erfahrungssätze müssten für typische Schäden aus Straßenverkehrsunfällen, insbesondere das HWS-Trauma bestehen. Hier dürfte die Zusammenstellung der zuerkannten Schmerzensgeldbeträge nach Art der Verletzungen bei S. Hacks/A. Ring/P. Böhm, S.25ff. gute Dienste leisten; so auch E. Scheffen, ZRP 1999, 189 (191). 176 Zur Entstehung der Unterhaltstabellen noch unten, § 11 III. 2. e). 177 Genauso im Hinblick auf die bestehenden „Tabellen" Soergel/A. Zeuner (12. Aufl. 1997), §847 Rdnr. 29: Die Bemessung dürfe nicht auf die Benennung eines katalogmäßigen Satzes verkürzt werden. 178 Zum Folgenden P. Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S.379ff., 429ff. 179 P. Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 145ff., 158ff.; siehe auch F. Nicklisch, N J W 1982, 2633ff.; ders., B B 1983, 261 ff. 180 P. Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S.499ff.; aus jüngerer Zeit etwa W. Parmentier, BauR 1998, 207ff.; P Siegburg, BauR 1985, 367ff.; F. Stammbach, Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik - ein eigenständiger Gewährleistungstatbestand?, 1997; Staudinger/F. Peters (13. Bearb. 2000), §633 Rdnrn. 40ff. 181 P. Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S.429ff.; ders., VersR 1983,597ff.; ein aktuelles Beispiel ist die Entscheidung B G H , N J W 2001, 2019 (2020): Verkehrssicherungspflicht des Musikveranstalters und Beachtung der D I N 1 5 905 Teil5 („Tontechnik in Theatern und Mehrzweckhallen"). 174 175

270

Typologie

der

Normkonkretisierung

Abs. 1 B G B insofern besonders interessant, als die Vorschrift - wie bereits dargestellt 1 8 2 - in dessen Abs. 1 S.2 und 3 ausdrückliche Rezeptionsregeln enthält, darin aber auf technische N o r m e n gerade nicht verweist: F ü r die Festsetzungen privater Normungsverbände wie etwa des D I N oder des V D I 1 8 3 formuliert § 9 0 6 Abs. 1 B G B keine Rezeptionsregel. 1 8 4 Will der Richter gleichwohl auf die externen Quantifizierungen aus D I N - N o r m e n oder VDI-Richtlinien zurückgreifen - etwa z u r Beurteilung v o n Erschütterungen im Bauwesen 1 8 5 , v o n Schallschutz im Hochbau 1 8 6 , v o n Arbeitslärm in der Nachbarschaft 1 8 7 oder v o n elektromagnetischer Verträglichkeit 1 8 8 - , so muss er sie im Zuge eigener K o n kretisierungsentscheidung rezipieren.189 Im Rahmen ihrer Konkretisierungs- und Quantifizierungsbefugnis kann die Rechtsprechung grundsätzlich auch private Werte rezipieren. 1 9 0 Zu überlegen ist aber die Sachrichtigkeit der Rezeptionsentscheidung, und zwar insbesondere die Einschlägigkeit der rezipierten N o r m (unten [1]) und die Sachverständigkeit des Normgebers (unten [2]).

(1) Einschlägigkeit der rezipierten Norm Entscheidend f ü r die Sachrichtigkeit der Rezeptionsentscheidung ist v o r allem, dass der rezipierte W e r t in concreto einschlägig ist. 191 Das rezipierte Regelwerk Zur gesetzlich eröffneten Rezeption des § 906 Abs. 1 BGB bereits oben, § 11 III. 1. a). Zu Organisation und Verfahren der Richtlinienarbeit von DIN und VDI siehe etwa M. Böhm, Der Normmensch, S.52ff.; allgemein zu Geschichte und Struktur der technischen Normung P. Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 179ff.; A. Hanning, Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 77ff.; B. Ebinger, Der unbestimmte Rechtsbegriff im Recht der Technik, S. 202 ff. 184 K. Fritz, NJW 1996, 573 (574) m.w.N. 185 Insbesondere: DIN4150 Teil2 „Erschütterungen im Bauwesen, Einwirkungen auf Menschen in Gebäuden"; hierzu BGH, NJW 1999,1029ff.; MünchKomm/F.]. Säcker (3. Aufl. 1997), §906 Rdnr.77. 186 DIN4109 Schallschutz im Hochbau (Stand: November 1989); hierzu P. Bitzer, Grenzund Richtwerte im Anwendungsbereich des §906 BGB, S. 22. 187 VDI 2058 Bl. 1 („Beurteilung von Arbeitslärm in der Nachbarschaft"); hierzu schon BGHZ 46,35; BGH, MDR 1971,119; zu VDI 3471 („Emissionsminderung Tierhaltung/Schweine") siehe BGH, NJW 1999, 356 (358). 188 Siehe zur DIN VDE 0848 Teil2 („Sicherheit in elektromagnetischen Feldern") LG München II, NJW-RR 1997, 465. 189 Gleiches gilt auch für Immissionswerte aus Satzungen (insbes. Festsetzungen in Bebauungsplänen) oder sonstigen Gremien, etwa dem Länderausschuss für Immissionsschutz (siehe nur die „Hinweise zur Beurteilung der durch Freizeitanlagen verursachten Geräusche" [LAIHinweise], verabschiedet auf der 88. Sitzung des Länderausschusses für Immissionsschutz am 4.5.1995, abgedruckt in NVwZ 1997, 469ff.), die ebenfalls nicht von der gesetzlich eröffneten Rezeption des §906 Abs. 1 S.2 und 3 BGB erfasst sind; vgl. im Einzelnen P. Bitzer, Grenz- und Richtwerte im Anwendungsbereich des §906 BGB, insbes. S.7ff. 190 Zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Rezeption externer Quantifizierungen oben, § 11 III. 2- a). 191 Hierzu bereits oben, § 11 III. 2. b); im Hinblick auf technische Normen M. Müller-Foell, 182

183

§11

Quantifizierungen

271

muss die fragliche Beurteilung nach seinem Geltungsbereich überhaupt sachlich erfassen. Im Rahmen des § 9 0 6 Abs. 1 B G B heißt dies v o r allem, dass die rezipierte technische N o r m Immissions- und nicht Emissionswerte formuliert. 1 9 2 A u c h ist zu beachten, dass es bei § 9 0 6 Abs. 1 B G B nicht um Immissionen als solche geht, sondern um deren Einwirkung auf das Grundstück und die dadurch dort verursachten Beeinträchtigungen in der Benutzung. 1 9 3 Daneben müssen die internen Parameter und Differenzierungen des Regelwerkes - beispielsweise nach Lärmquellen, Gebietsarten oder Zeitabschnitten 1 9 4 - in die Rezeptionsentscheidung einbezogen werden. So ist Froschlärm nicht gleich A r beitslärm 1 9 5 und Verkehrslärm nicht Fabriklärm. 1 9 6 Schließlich sind die immanenten Grenzen technischer N o r m e n zu beachten, 1 9 7 insbesondere darf die technische Regel nicht veraltet sein. 1 9 8

(2) Sachverständigkeit

des

Normgebers

Mit der Rezeption technischer Regeln macht sich die Rechtsprechung aber nicht nur nachprüfbare objektive Daten zu Eigen, sondern - und dies ist der Unterschied zu den bereits dargestellten Tatsachensammlungen nach A r t der Nutzungswertlisten oder Arbeitszeittabellen 1 9 9 - auch die in technischen Re-

Die Bedeutung technischer Normen für die Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 158ff.; siehe auch die Zusammenstellung von Prüfpunkten bei P.-A. Kamphausen, BauR 1983,175 (176). 192 Emissionsbezogene Regelwerke sind erst im Rahmen des § 906 Abs. 2 S. 1 BGB - Verhinderung der Immission durch wirtschaftlich vertretbare Maßnahmen - zu berücksichtigen. Hingegen können Meß- und Verfahrensvorschriften zumindest mittelbare Bedeutung für die Immissionsbeurteilung gewinnen. 193 So BGH, NJW1999,1029 (1030) im Hinblick auf die Anwendbarkeit der DIN 4150 für die Beurteilung sprengungsbedingter Erschütterungen. 194 Exemplarisch die Erwägungen von BGHZ 46, 35 (39ff.) zur VDI 2058. 195 Hierzu BGH, NJW 1993, 925 (929) - Frösche. 196 Siehe BGHZ 46, 35 (40f.): keine Berücksichtigung der Verkehrsgeräusche einer nahen Bundesstraße bei der Bewertung von Fabriklärm nach der VDI 2058. 197 Hierzu F. Nicklisch, BB 1982,833 (834ff.); ¿ m . , N J W 1983,841 (850); M. Müller-Foell, Die Bedeutung technischer Normen für die Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 105 ff.; H. Pieper, BB 1987, 273 (282); siehe auch schon R. Breuer, AöR 101 (1976), 46 (84). 198 OLG Stuttgart, BauR 1977, 279; OLG Frankfurt, BauR 1980, 361; OLG Hamm, BauR 1983,173 (174); OLG Köln, BauR 1997,831 (alle zu §633 Abs. 1 BGB); anders beispielsweise für §906 BGB LG München II, NJW-RR 1997, 465: Aktualität der DIN VDE 0848 Teil 2 („Sicherheit in elektromagnetischen Feldern"). Die weiteren immanenten Grenzen technischer Normen - insbesondere das Vorliegen eines atypischen Sachverhaltes und die Unvollständigkeit der technischen Norm - werden weniger auf der Ebene der Konkretisierung, sondern erst bei der nachgeordneten Anwendung eine Rolle spielen. Siehe hierzu aber nur OLG Zweibrücken, NJW 1977,111 f. - atypische Fallkonstellation; OLG Hamm, NJW-RR 1998,668- Unvollständigkeit der technischen Regel (beide zu §633 Abs. 1 BGB). - Allgemein zum Aktualitätsgebot als Ausdruck der Sachrichtigkeit von Konkretisierungen oben, §4 VI. 2. c) sowie § 11 III. 2. b). 199 Siehe vorstehend, § 11 III. 2. d) aa).

272

Typologie

der

Normkonkretisierung

geln enthaltenen Wertungen. 2 0 0 Dies gilt insbesondere f ü r Immissionsgrenzw e r t e zur Konkretisierung der Wesentlichkeitsschwelle des § 9 0 6 Abs. 1 B G B : Sie stellen keine rein naturwissenschaftlichen Ableitungen dar, sondern sind wertende Entscheidungen darüber, welche Belastungen der U m w e l t und dem einzelnen zugemutet w e r d e n können; 2 0 1 sie bedeuten einen „wertenden Entscheidungsgriff auf einer Skala wissenschaftlich vertretbarer Werte." 2 0 2 Gerade dieser „Konventionscharakter" 2 0 3 v o n G r e n z w e r t e n macht deutlich, dass die Sachrichtigkeit der Rezeptionsentscheidung auch im Hinblick auf den U r h e b e r der rezipierten Regel, hier also den privaten technischen Normgeber, gerechtfertigt w e r d e n muss. Grundsätzlich genießen technische Regeln weder die Autorität noch die Anerkennung des parlamentarischen Normgebers. 2 0 4 Von zentraler Bedeutung f ü r die Sachrichtigkeit der Rezeption ist die Sachverständigkeit205 des privaten Normgebers. Weitere Gesichtspunkte sind die Objektivität und Neutralität206 des Normgebers, also die Zusammensetzung des

200 So auch das entscheidende Argument gegen die Konstruktion der technischen Regeln als antizipierte Sachverständigengutachten, insbesondere im Bereich von Immissionswerten; siehe J. Backherms, JuS 1980, 9 (13f.); H.-J. Papier, DVB1.1979, 162 (163); H. Sendler, UPR 1981, 1 (13); G. Feldhaus, UPR 1982, 137 (144); A. Rittstieg, NJW 1983, 1098 (1099); G. Wagner, NJW 1991, 3247 (3249ff.); auch K. Vieweg, NJW 1982, 2473 (2474 Fn.7). 201 So etwa M. Böhm, UPR 1994,132 (134); G. Lübbe- W o l f f , ZG 1991,219 (235f.); zu den Folgerungen für Verfahren und Zuständigkeit der Grenzwertsetzung A. Röthel!K. Hartmann, Jb. UTR 1995 (UTR 31), S. 71 ff. 202 K. Vieweg, NJW 1993, 2570 (2573) im Hinblick auf die Festsetzungen der TA Lärm, der LAI-Hinweise und der VDI-Richtlinie 2058 Bl. 1. 203 M. Böhm, Der Normmensch, S. 153ff. m.w.N. Ähnlich H. v. Lersner, NuR 1990, 193ff.: „pragmatisch-konventioneller Charakter" von Grenzwerten. 204 Es sei denn, es wird im Gesetz ausdrücklich auf private Normen Bezug genommen; hierzu P. Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 379ff. 205 Hierzu bereits oben, § 4 VI. 2. b); § 11 III. 2. b). Allgemein zu den Anforderungen an nichtparlamentarische Normgeber H. Krüger, NJW 1966, 617 (619). - Die Sachverständigkeit und Objektivität der privaten Normgeber wird aus ihrer pluralen Zusammensetzung mit Fachleuten (für das DIN siehe Ziff. 3.4. der DIN 820 Teil 1 [„Normungsarbeit. Grundsätze"], zum VDI Ziff. 1.3. und Ziff. 3 der VDI-Richtlinie 1000 [„Richtlinienarbeit: Grundsätze und Anleitungen"]) abgeleitet; so R. Breuer, AöR 101 (1976), 46 (84f.); K. Vieweg, NJW 1982,2473 (2475); F. Nicklisch, NJW 1983, 843 (847); insoweit zustimmend A. Rittstieg, NJW 1983, 1098 (1099); aus jüngerer Zeit etwa P. Bitzer, Grenz- und Richtwerte im Anwendungsbereich des §906 BGB, S. 161. Siehe auch die Argumentationen von BGH, NJW 1999, 356 (358): sachverständige Beurteilung durch VDI-Richtlinie 3471; LG München II, NJW-RR 1997, 465: „hoher Erkenntniswert" der DIN VDE 0848 Teil2 („Sicherheit in elektromagnetischen Feldern"). 206 Zum Gebot der Objektivität bereits oben, § 4 VI. 2. b); § 11 III. 2. b). Hieran wird vor allem im Hinblick auf die Uberrepräsentation wirtschaftlicher Interessen bei der Normerstellung gezweifelt; hierzu A. Rittstieg, NJW 1983, 1098 (1099); P. Bitzer, Grenz- und Richtwerte im Anwendungsbereich des §906 BGB, S. 161 ff. und insbes. zum DIN M. Schmidt-Preuß, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Selbst-Beherrschung im technischen und ökologischen Bereich, S. 89 (96ff.); vgl. auch M. Böhm, Der Normmensch, S. 52f.; siehe aber R. Breuer, AöR 101 (1976), 46 (84); F. Nicklisch, NJW 1983, 843 (847); K. Vieweg, NJW 1982,2473 (2474). Allgemein zu den Erfordernissen der Pluralität und Unabhängigkeit externen Sachverstandes U. Di Fabio, VerwArch. 1990, 193

§11

Quantifizierungen

273

Normungsgremiums sowie die Publizität und Transparenz der Normgebung 207 . 208 In den allermeisten Fällen wird die Rechtsprechung - schon aus Gründen der Arbeitsersparnis - einschlägige technische Regelwerke dankbar rezipieren. Aus der Sachverständigkeit des technischen Normgebers und der Sachrichtigkeit einer technischen Norm folgt aber weder eine generelle Bindung der Rechtsprechung noch eine andere Form automatischer Maßgeblichkeit der technischen Regelwerke. Vom Gesetzgeber zur Normkonkretisierung berufen ist nach wie vor der Richter; er ist - im Rahmen des rechtsstaatlich gebotenen Vertrauensschutzes 209 - grundsätzlich frei darin, eine externe Quantifizierung aufzunehmen oder nicht. Ungeachtet des in technischen Regeln verbürgten Sachverstands können technische Normen nur Konkretisierungsofferten210 darstellen. Auch mit den beweisrechtlichen Hilfskonstruktionen - antizipiertes Sachverständigengutachten211 oder Anscheinsbeweis212 - lässt sich die Heranziehung technischer Regelwerke im Rahmen privater Rechtsanwendung nicht generell vorgeben.213 Dem mit den konkretisierungsbedürftigen Rechtsbegriffen vom

(211). - Vgl. auch die in §36 Abs. 2 UrhG n.F. normierten Anforderungen an die Aufstellung gemeinsamer Vergütungsregeln. 207 Hierzu bereits im Zusammenhang mit dem Gebot der Normenklarheit, § 4 VI. 5. b) aa). 208 Zu den „prozeduralen Mindestanforderungen" Transparenz, Publizität, Repräsentanz und Revisibilität M. Schmidt-Preuß, W D S t R L Heft 56 (1997), 160 (205f.); den., Z L R 1997,249 (256f.). 209 Vgl. zur Präjudizienbindung oben, § 4 VI. 3. 210 Vgl. M. Schmidt-Preuß, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Selbst-Beherrschung im technischen und ökologischen Bereich, S.89 (95); ders., Z L R 1997, 249 (254ff.): „selbstregulative Auslegungsofferten". 211 Hierzu insbes. R. Breuer, AöR 101 (1976), 46 (82ff.) für das Verwaltungsrecht und F. Nicklisch, N J W 1983, 841 ff.; K. Vieweg, N J W 1982, 2473 (2475) für das Privatrecht; siehe auch Soergel/J.F. Baur (12. Aufl. 1990), §906 Rdnr. 19; M. Müller-Foell, Die Bedeutung technischer Normen für die Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 124ff., 163 ff., sowie B G H Z 111,63 (67) — Volksfest: LAI-Hinweise und TA Lärm 1968 als „antizipierte Sachverständigengutachten". In seinem Wyhl-Urteil (BVerwGE 72, 300 [320 f.]) hat das BVerwG von dieser Argumentationsfigur für Verwaltungsvorschriften allerdings wieder Abstand genommen; so mit Recht G. Wagner, N J W 1991, 2347 (2349f.); vgl. auch K. Vieweg, N J W 1993, 2570 (2573). - Siehe aber für das Sozialrecht B S G E 72, 285 (286): „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem SchwbG (AHP)" als antizipierte Sachverständigengutachten; hierzu BVerfG, Beschluss vom 6.3.1995 - 1 BvR 60/95. 212 Hierfür etwa R. Lukes, in: B. Börner (Hrsg.), Regeln der Technik und Schadensersatz, S. 22 (36); A. Rittstieg, N J W 1982, 1098 (1100); A. Hanning, Umweltschutz und überbetriebliche Normung, S. 68ff.; P. Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 464. In diesem Sinne nun auch B G H , N J W 2001, 2019 (2020): Bei Überschreitung der Grenzwerte der D I N 15 905 Teil5 („Tontechnik in Theatern und Mehrzweckhallen") könnte ein „Beweis des ersten Anscheins" dafür sprechen, dass eingetretene Schädigungen durch den Pflichtenverstoß verursacht sind. 213 Insoweit ist also zu unterscheiden, ob technische Normen der Tatsachenfeststellung oder aber der den Richtern abschließend zugewiesenen Normkonkretisierung dienen; so auch H. Pieper, B B 1987, 273 (278f.).

274

Typologie

der

Normkonkretisierung

Gesetzgeber formuliertem Regelbildungsauftrag 2 1 4 entspricht die grundsätzliche Rezeptionsfreiheit der Rechtsprechung. 2 1 5 A u s Sachverstand allein erwächst keine Bindung. 2 1 6 Zu Recht begreift die Rechtsprechung die privat formulierten G r e n z - und Richtwerte daher lediglich als „groben Anhalt" 2 1 7 oder „Rahmen" 2 1 8 , der immer durch eigene, judikative Normsetzungen ersetzt w e r d e n kann. 2 1 9 W ü r d e sich die Rechtsprechung z u r Rezeption verpflichtet oder sonst an technische Regelwerke bei der Konkretisierung „gebunden" fühlen, läge ein Fehlverständnis des Konkretisierungsauftrages vor, das u . U . ein „Nachfassen" des Gesetzgebers erforderlich machen kann. 2 2 0

cc) Berufs- und

Standesregeln

Eine weitere G r u p p e privat gesetzter Rechtsregeln, die f ü r die Konkretisierung ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe fruchtbar gemacht werden können, stellen Regelwerke der Berufsvereinigungen dar. Die Rezeptionsfähigkeit v o n Berufs- und Standesregeln w i r d im Folgenden am Beispiel der notariellen „Empfehlungen" f ü r die Bemessung der Vergütung v o n Testamentsvollstreckern ( § 2 2 2 1 B G B ) erläutert. G e m ä ß § 2 2 2 1 B G B kann der Testamentsvollstrecker, sofern der Erblasser nichts anderes bestimmt hat, f ü r die Führung seines A m t e s eine „angemessene Vergütung" verlangen. Für die Bemessung der Vergütung sind v o n verschiedener Seite „Richtsätze" aufgestellt werden, die die Vergütung an Hand v o n Zur Normkonkretisierung als Delegation oben, §4 II.-IV. Dabei leiden die beweisrechtlichen Hilfskonstruktionen schon an dem Einwand, dass Bewertungen dem Beweis ohnehin nicht zugänglich sind; in diesem Sinne auch R. Nolte, Rechtliche Anforderungen an die technische Sicherheit von Kernanlagen, S. 165ff. Mit diesem Argument gegen die Annahme eines antizipierten Sachverständigengutachtens auch G. Wagner, NJW 1991, 3247 (3249ff.); P. Bitzer, Grenz- und Richtwerte im Anwendungsbereich des § 906 BGB, S. 155ff. 216 Denkbar ist allenfalls eine Auseinandersetzungspflicht. Für eine - wohl weiter gehende „Verwertungspflicht" einschlägiger technischer Normen bei der Konkretisierung der gesetzlichen Technikklauseln „Stand der Technik" und „allgemein anerkannte Regeln der Technik" K. Vieweg, NJW 1982, 1473 (1475). 217 BGH, NJW 1999, 356 (358): „erster, wenn auch grober Anhalt"; siehe auch LG München II, NJW-RR 1997,465; OLG Koblenz, RdE 1997,154 (155); BGH, NJW 1994,130 (133): „wichtiger Anhaltspunkt"; in diesem Sinne auch Münch Komm/F. J. Säcker (3.Aufl. 1997), §906 Rdnr. 31 \Erman/H. Hagen, §906 Rdnr. 16: „Anhalt" und „Entscheidungshilfe"; Palandt/P. Bassenge, §906 Rdnrn. 16f.; Staudinger/H. Roth (13. Bearb. 2002), §906 Rdnrn. 188ff. 218 BGH, NJW 1993, 925 (929) - Frösche; zustimmend K. Vieweg, NJW 1993, 2570 (2573). 219 Der Beurteilungsmaßstab des „verständigen Durchschnittsmenschen" (hierzu bereits oben, §9 III. 1.) fungiert daher nicht nur im Rahmen der „Regelwirkung" des §906 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB, sondern erst recht gegenüber privaten Grenz- und Richtwerten als „Kontrollmaßstab"; siehe K. Vieweg/A. Röthel, NJW 1999, 969 (973f.); für eine umfassende Befugnis zur Einzelfallbewertung auch G. Wagner, NJW 1991, 3247 (3249); P. Bitzer, Grenz- und Richtwerte im Anwendungsbereich des §906 BGB, S. 166f.; allg. M. Schmidt-Preuß, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Selbst-Beherrschung im technischen und ökologischen Bereich, S. 89 (95). 220 Allg. zum Rückholrecht des Gesetzgebers bereits oben, § 4 V. 2. 214 215

5 11

Quantifizierungen

275

Bruchteilen des Nachlasswertes bestimmen. 221 In der Praxis haben die Empfehlungen der Anwalts- und Notarvereinigungen besondere Bedeutung erlangt, allen voran die Vergütungsrichtlinien des Vereins für das Notariat in Rheinpreußen aus dem Jahr 1925. 222 Diese „Rheinische Tabelle" empfiehlt, als Gebühr für die Tätigkeit des Notars als Testamentsvollstrecker im Regelfall bei einem Nachlasswert bis zu 20.000 R M 4 % , bei einem Nachlasswert bis zu 100.000 R M 3 % , bis zu 1.000.000 R M 2 % und darüber hinaus als Vergütung 1% des Nachlasswertes zu gewähren. Diese Vergütungstabelle hat sich in der Praxis gegen eine Reihe konkurrierender Empfehlungen, etwa des Notarvereins Frankfurt a.M. aus dem Jahr 1922, 223 des Württembergischen Notarvereins aus dem Jahr j959224 s o w j e berufsständischer Kammern wie Rechtsanwalts-, Industrie- und Handelskammern 225 durchsetzen können. Auch der B G H hat sie als grundsätzlich „geeignete Grundlage für die Berechnung einer angemessenen Vergütung im Regelfall" anerkannt. 226 Konkretisierungstheoretisch stellt die „Rheinische Tabelle" ein vergleichbares Phänomen wie die zuvor behandelten technischen Normen dar. Als unverbindliches Regelwerk ist auch die „Rheinische Tabelle" auf eine entsprechende Rezeptionsentscheidung der Rechtsprechung angewiesen. Im Hinblick auf die Sachrichtigkeit dieser Rezeptionsentscheidung 227 sind aber in verschiedener Hinsicht Bedenken anzumelden. Dies gilt zunächst mit Blick auf den Rheinischen Notarverein als Normgeber. Ganz generell besteht bei Rechtsregeln von Berufsvereinigungen das Problem, das es sich hierbei zwar zumeist um sachverständige, selten aber um objektive 228 und neutrale Regeln handeln wird. Es liegt in der Natur berufsständischer Regeln, das sie vor allem eine Stellungnahme des 2 2 1 Neben den im Text erläuterten Richtlinien der Anwalts- und Notarvereinigungen existieren inzwischen eine Vielzahl privater „Tabellen", etwa die „Möhring'sche Tabelle", die „Weirich'sche Tabelle". Zu diesen und anderen Bemessungsregeln eingehend H. Eckelskämper, in: M. Bengel/W. Reimann (Hrsg.), Hdb der Testamentsvollstreckung, Kap. 10 Rdnrn. 16ff.; Staudinger/W. Reimann (13. Bearb. 1996), §2221 Rdnrn. 41 ff.; K. Haegele/K. Winkler, Der Testamentsvollstrecker, Rdnrn. 580ff. 2 2 2 Aufgestellt durch Beschluss des Vereins, erstmals im Jahr 1918, aktualisiert in den Jahren 1920 und zuletzt 1925, abgedruckt in RheinNotZ 1925, 64 sowie bei Plaßmann, J W 1935, 1830 (1831); H. Eckelskämper, in: M. Bengel/W. Reimann (Hrsg.), Hdb der Testamentsvollstreckung, Kap. 10 Rdnr. 17. 2 2 3 Hierzu Plaßmann, J W 1935, 1830 (1831). 2 2 4 Vgl. B G H , LM Nr.2 zu §2221 B G B , Bl. 1. 2 2 5 Zum Rundschreiben Nr. 2/52 der Rechtsanwaltskammer Nordwürttemberg B G H , LM Nr.2 zu §2221 B G B , Bl. 1; zum Gutachten der Industrie- und Handelskammer Berlin aus dem Jahr 1933 Plaßmann, J W 1935, 1830 (1831). 2 2 6 B G H , N J W 1967, 2400 (2402); siehe auch schon B G H , LM Nr.2 zu §2221 B G B , Bl.5; nachdrücklich O L G Köln, NJW-RR 1994, 269. 2 2 7 Zu den allgemeinen Sachrichtigkeitsbedingungen der Rezeption externer Quantifizierungen bereits oben, § 11 III. 2. b). 2 2 8 Zu den Geboten der Objektivität und Neutralität des externen Normgebers bereits oben, §11 III. 2. b) sowie allg. §4 VI. 2. b).

276

Typologie der

B e r u f s s t a n d e s d a r s t e l l e n , a l s o parteilich

Normkonkretisierung s i n d . 2 2 9 E s f e h l t an e i n e r B e r ü c k s i c h t i -

g u n g g e g e n l ä u f i g e r I n t e r e s s e n , w i e sie b e i t e c h n i s c h e n N o r m e n o d e r d e n n o c h zu behandelnden Tarifnormen230 durch institutionalisierten Pluralismus bei der Regelverabschiedung gewährleistet wird.231 Diese Parteilichkeit berufsständis c h e r R e g e l n m a c h t sie n i c h t g e n e r e l l r e z e p t i o n s u n t a u g l i c h , d o c h ist d i e s e r G e sichtspunkt bei der Rezeptionsentscheidung zu berücksichtigen, etwa durch e n t s p r e c h e n d e A b - o d e r Z u s c h l ä g e . 2 3 2 I n d e r P r a x i s ist diese g e m i n d e r t e A u s s a gekraft der „ R h e i n i s c h e n T a b e l l e " allerdings bislang nicht zur Sprache g e k o m men. U m s o i n t e n s i v e r w i r d a b e r die Aktualität233

der Werte diskutiert.234 Gerade

das S c h r i f t t u m h ä l t die r h e i n i s c h e n E m p f e h l u n g e n aus d e m J a h r 1 9 2 5 n i c h t m e h r f ü r a n g e m e s s e n , da die T ä t i g k e i t d e r T e s t a m e n t s v o l l s t r e c k u n g s o w o h l in r e c h t l i c h e r als a u c h in w i r t s c h a f t l i c h e r H i n s i c h t an S c h w i e r i g k e i t z u g e n o m m e n h a b e . A u s d i e s e m G r u n d w e r d e n A n h e b u n g e n d e r V e r g ü t u n g s s ä t z e u m bis z u 5 0 % v o r g e s c h l a g e n . 2 3 5 D e r B G H ist d e m j e d o c h n i c h t g e f o l g t u n d h a t die V e r g ü t u n g s s ä t z e d e r „ R h e i n i s c h e n T a b e l l e " m i t B l i c k auf die e b e n f a l l s g e s t i e g e n e n N a c h l a s s w e r t e n o c h i m J a h r 1 9 6 7 als a u s s a g e k r ä f t i g e K o n k r e t i s i e r u n g e n v e r t e i d i g t . 2 3 6 I n z w i s c h e n liegen a b e r a u c h v o n S e i t e n des N o t a r i a t s n e u e V e r g ü t u n g s e m p f e h l u n g e n v o r : D e r D e u t s c h e N o t a r v e r e i n hat i m J a h r 2 0 0 0 als „ F o r t e n t -

229 Kritisch zum Verfahren der Aufstellung von Standesrichtlinien auch J. Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 1193ff. 230 Hierzu sogleich, § 11 III. 2. d) dd). 231 Zum Gebot ausreichender Repräsentanz interessierter und betroffener Kreise (Repräsentanzgebot) M. Schmidt-Preuß, ZLR 1997, 249 (256f.) sowie bereits oben, § 11 III. 2. d) bb) (2). 232 Hier wird man daher Abschläge der vorgeschlagenen Vergütungen überlegen müssen, da die Vermutung besteht, dass die empfohlenen Vergütungssätze aus notariellem Eigeninteresse zu hoch bemessen sind. 233 Zu Aktualität und Aktualisierungspflicht als Konkretisierungsgebote bereits oben, §4 VI. 2. c); §11 III. 2. b). 234 So könnte man argumentieren, dass die Werte zwar möglicherweise aus notariellem Eigeninteresse zu hoch bemessen wurden, ein Abschlag aber jedenfalls inzwischen wegen der Uberalterung der Werte nicht mehr erforderlich ist. - Zur Frage der Aktualität der „Rheinischen Tabelle" H. Glaser, M D R 1983, 93 (94); K. Haegele/K. Winkler, Der Testamentsvollstrecker, Rdnrn. 581 ff.; MünchKomm/H.-E. Brandner (3.Aufl. 1997), §2221 Rdnr.10; Soergel/J. Damrau (12. Aufl. 1992), §2221 Rdnr.9; H. Eckelskämper, in: M. Bengel/W. Reimann (Hrsg.), Hdb der Testamentsvollstreckung, Kap. 10 Rdnrn. 23ff. 235 So vor allem K. Haegele/K. Winkler, Der Testamentsvollstrecker, Rdnr.581: „etwa 40 bis 5 0 % " ; zurückhaltender M. Tscbischgale, JurBüro 1965, 89 (92): Anhebung bis zu 5%. Auch die Alternativtabellen von Möhring oder Werrich verstehen sich als zeitliche Anpassung der Tabellenwerte an die veränderten Bedingungen; vgl. Staudinger/W. Reimann (13. Bearb. 1996), §2221 Rdnrn. 41 ff. und schon oben, Fn.613. 236 So B G H , N J W 1967, 2400 (2402); zustimmend Soergel/J. Damrau (12. Aufl. 1992), §2221 Rdnr. 9. Solange die Nachlasswerte - und insbesondere die Grundstückspreise - weiter ansteigen, dürfte auch dieses Urteil aussagekräftig bleiben. Gleichwohl für eine Relativierung dieser inzwischen ihrerseits mehr als 30 Jahre zurückliegenden Entscheidung aber etwa Staudinger/W. Reimann (13. Bearb. 1996), §2221 Rdnr.40.

$ 11

Quantifizierungen

277

wicklung der ,Rheinischen Tabelle'" seinerseits erheblich angehobene Vergütungsempfehlungen beschlossen.237 Damit ist die „Rheinische Tabelle" auf lange Sicht nicht mehr rezeptionsfähig.238 Neben der Aktualität ist auch die Einschlägigkeit239 der herangezogenen Werte zu thematisieren. So ist 'mpersönlicher Hinsicht zu beachten, dass die Vergütungsempfehlungen der „Rheinischen Tabelle" ausdrücklich nur die Tätigkeit des Notars als Testamentsvollstrecker erfassen. Bei anderen Personen kommt, wie das O L G Köln zu Recht herausgestellt hat, die Anwendbarkeit dieser auf das Notariat zugeschnittenen Vergütungsrichtlinien nicht ohne weiteres in Betracht. 240 Daneben sind die sachlichen Grenzen der Vergütungsempfehlungen zu bedenken: Die Richtsätze der „Rheinischen Tabelle" sollen nur „für normale Verhältnisse und glatte Abwicklung" gelten.241 Verlangt die Testamentsvollstreckung eine längere oder aufwendigere Verwaltungstätigkeit, etwa bei Minderjährigen oder bei einem besonders unübersichtlichen Nachlass - beispielsweise wenn der Nachlass aus einer Kunstsammlung besteht - , so ist der entsprechende Mehraufwand durch eine angehobene Vergütung abzugelten.242 Insgesamt steht die Rezeption der „Rheinischen Tabelle" damit unter deutlich schwächeren Vorzeichen als etwa die Einbeziehung technischer Normen 243 in die private Immissionsbeurteilung. Dies beruht vor allem auf der Tatsache, dass Urheber der „Rheinischen Tabelle" eine Berufsvereinigung ist, deren Regeln mangels institutionalisierter Einbindung von Gegeninteressen weder Uberparteilichkeit noch Neutralität erwarten lassen. Ähnlich schwer wiegen die Einwände gegen die Aktualität der „Rheinischen Tabelle", und zwar sowohl

237 Abgedruckt in ZEV 2000, 181 ff. oder einzusehen unter www.dnotv.de: bis 250.000 € 4,0%, bis 500.000 € 3,0%, bis 2.500.000 € 2,5%, bis 5.000.000 € 2,0% und darüber 1,5%. Siehe auch W. Reimann, DNotZ 2001, 344 (347ff.). 238 Umso mehr als der heutige Rheinische Notarverein dem Deutschen Notarverein seine „Urheberrechte" zur Überarbeitung der Rheinischen Tabelle übertragen hat; siehe die Hinweise des Präsidenten des Deutschen Notarvereins zu den neuen Vergütungsempfehlungen, einzusehen unter www.dnotv.de. 239 Zum Gebot der Einschlägigkeit externer Quantifizierungen bereits oben, §4 VI. 2. b) sowie §11 III. 2. b). 240 So O L G Köln, NJW-RR 1995, 202 (203). Dies dürfte auch für die neuen Vergütungsempfehlungen des Deutschen Notarvereins gelten. 241 S. bei Plaßmann, J W 1935, 1830 (1831). 242 Allg. Meinung; siehe die Fallgruppen bei Staudinger/W. Reimann (13. Bearb. 1996), §2221 Rdnrn. 44ff.; H. Eckelskämper, in: M. Bengel/W. Reimann (Hrsg.), Hdb der Testamentsvollstreckung, Kap. 10 Rdnrn. 44ff. Diesen Fallgruppen entsprechen auch die überarbeiteten Vergütungsempfehlungen des Deutschen Notarvereins (oben Fn. 237), siehe unter II. „Zuschläge zum Vergütungsgrundbetrag bei Abwicklungsvollstreckung" und hierzu Reimann, DNotZ 2001, 344 (349ff.). Bei länger dauernder Verwaltungstätigkeit soll dem Testamentsvollstrecker überdies zusätzlich zur „Konstitutierungsgebühr" eine „Verwaltungsgebühr" zugesprochen werden; hierzu MünchKomm/H. -E. Brandner (3. Aufl. 1997), §2221 Rdnr. 14; K. Haegele/K. Winkler, Der Testamentsvollstrecker, Rdnr. 595. 243 Hierzu vorstehend, § 11 III. 2. d) bb).

278

Typologie der

Normkonkretisierung

mit Blick auf den weit zurückliegenden Entstehungszeitpunkt im Jahr 1925, als auch im Hinblick auf die jüngeren Empfehlungen des Deutschen Notarvereins, die sich als „Fortsetzung" der ursprünglichen Tabelle verstehen.

dd)

Tarifnormen

Auch bei Tarifnormen 244 handelt es sich um kollektiv gesetzte private Normen, die für die richterliche Konkretisierung ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe herangezogen werden können. Für die Tarifgebundenen wirken Tarifverträge wie Rechtsnormen; §§4 Abs. 1 und 5 Abs. 4 T V G erteilen hier die notwendigen Geltungsbefehle. 245 Im Rahmen dieser Geltungsbefehle wirken Tarifnormen wie staatliches Recht und bedürfen dementsprechend auch keiner richterlichen Rezeption, um für die Konkretisierung ausfüllungsbedürftiger Gesetzesbegriffe herangezogen werden zu können. 246 In der Praxis dürfte z.B. die Frage der Lohnfortzahlung bei persönlicher Verhinderung (§ 616 S. 1 BGB) 247 in den wohl überwiegenden Fällen tarifvertraglich abbedungen 248 und extern geregelt worden sein. So treffen die meisten Tarifverträge inzwischen Aussagen darüber, in welchen Fällen und für welche Dauer der Lohn auch bei Nichtleistung des Arbeitnehmers weiterzuzahlen ist. 249 Dabei differenzieren die tarifvertraglichen 244

Zu Tarifnormen als Teil privater Rechtsetzung F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 181 ff.; siehe auch H. Hofbauer, Der Rechtscharakter der Tarifverträge und der Allgemeinverbindlicherklärung, insbes. S.33ff.; K Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §66 II 6. 245 Zu den Normadressaten des Tarifvertrags F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 186ff.; siehe auch M. Lieb, Die Rechtsnatur der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen als Problem des Geltungsbereichs autonomer Normensetzung, insbes. S. 36ff. gegen W. Herschel, in: FS für W. Bogs, S. 125ff. 246 Zur Abgrenzung von Rezeption und Geltung bereits oben, §11 III. 1. b), 2. d) aa). Siehe auch die Unterscheidung von F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 151 ff. zwischen der „Geltung" privater Regeln kraft staatlichen Geltungsbefehls auf der einen und der bloß tatbestandlichen „Anknüpfung" an private Regeln (S. 154ff.) auf der anderen Seite. Die tatbestandliche „Anknüpfung" behält F. Kirchhof allerdings nur der Ausfüllung von Blankettnormen wie § 157 BGB und §346 H G B vor. Die Frage der Konkretisierung durch Rezeption als richterlicher Anerkennung privater Regeln problematisiert F. Kirchhof eher am Rande unter Hinweis auf das begrenzte Rechtsfortbildungsmandat der Rechtsprechung (S. 147ff.). 247 Siehe zur Konkretisierung des §616 S. 1 BGB auch schon oben, § 10 III. 1. c) bb). 248 §616 BGB ist abdingbar. Dies folgt schon im Umkehrschluss aus §619 BGB. §616 BGB kann daher sowohl durch Tarifvertrag als auch durch Parteivereinbarung abbedungen werden; siehe schon BAGE (GS) 8,285 (292); BAG, AP Nrn. 58 und 64 zu §616 BGB; B G H , ZIP 1995, 1280 sowie Erman/P Hanau, §616 Rdnr.15; Palandt/H. Putzo, §616 Rdnr.3; MünchArbR/ D. Boewer, §78 Rdnrn. 8f.; MünchKomm/G. Schauh (3.Aufl. 1997), §616 Rdnr.20; Soergel/ A. Kraft (12. Aufl. 1997), §616 Rdnr.4; Staudinger/H. Oetker (13. Bearb. 1997), §616 Rdnrn. 141 ff. 249 Siehe nur § 11 Mantel-TV der Druckindustrie vom 1.1.1997; § 11 Mantel-TV der Metallindustrie Sachsen vom 1.12.1998; §5 Mantel-TV für das Kfz-Handwerk Thüringen vom 24.10. 1998; § 14 Mantel-TV des Gaststätten- und Beherbungsgewerbes in Bayern vom 1.6.1997; §8 Mantel-TV des Gaststätten- und Hotelgewerbes des Landes Nordrhein-Westfalen vom 23.3. 1995; §13 Mantel-TV des Hotel- und Gaststättengewerbes in Thüringen vom 1.1.1998; §10

§11

Quantifizierungen

279

Regelungen zumeist nach dem Anlassfall der Verhinderung. Typisch ist insoweit die Regelung des § 52 B A T . Danach wird - um nur einige Beispiele zu nennen - bei der Niederkunft der Ehefrau Lohnfortzahlung für die Dauer eines Arbeitstages gewährt, beim Tod des Ehegatten, eines Kindes oder Elternteils zwei Arbeitstage, für einen U m z u g aus dienstlichen Gründen ein Arbeitstag und für eine schwere Erkrankung eines Kindes unter zwölf Jahren bis zu vier Arbeitstage. 2 5 0 Für den praktisch wichtigsten Verhinderungsfall - die Erkrankung des Arbeitnehmers - besteht mit § 3 E F Z G eine spezialgesetzliche Regelung. 2 5 1 Anders als bei den bereits erläuterten technischen N o r m e n 2 5 2 weisen Tarifbestimmungen die Besonderheit auf, dass es sich um private Regeln handelt, die mit einem staatlichen Geltungsbefehl 2 5 3 versehen sind. 2 5 4 Dies bedeutet zum einen, dass sich innerhalb der Reichweite dieses Geltungsbefehls die Frage einer Rezeption von vornherein nicht stellt: Innerhalb der §§ 4 und 5 T V G sind die Tarifbestimmungen nicht zu rezipieren, sondern kraft ihrer Geltung zu beachten.2^ U m Rezeption kann es nur dort gehen, w o ein entsprechender staatlicher Geltungsbefehl fehlt, also für nicht tarifgebundene Arbeits- und Dienstverhältnisse. 2 5 6 Zum anderen stellt sich gerade wegen dieser gesetzlichen Geltungsanordnung aber die Frage nach der grundsätzlichen Rezipierbarkeit von Tarifbestimmungen. Dass Tarifnormen mit den §§ 4 und 5 T V G an sich eine legislatorische Geltungsanordnung kennen, mag gerade gegen eine judikative Rezeption außerhalb dieser Geltungsanordnung sprechen: Wenn der Gesetzgeber, so ließe sich argumentieren, den privaten Tarifnormen nur in den Grenzen der Tarifgebundenheit sowie unter der Voraussetzung einer AllgemeinverbindlicherkläMantel-TV für das Bäckerhandwerk in Nordrhein-Westfalen vom 26.3.1999; § 9 Mantel-TV für die Arbeitnehmer der Süßwarenindustrie in den alten Bundesländern und Berlin-West vom 31.12.1998. 2 5 0 Diese Regelungsstruktur findet sich auch in den anderen tarifvertraglichen Regelungen; vgl. nur § 13 Mantel-TV für die Beschäftigten im Hotel- und Gaststättengewerbe in Thüringen vom 19.11.1997 und §11 des Mantel-TV der Metallindustrie in Sachsen vom 1.12.1998. 251 Zum Verhältnis von §616 S. 1 B G B zu § 3 E F Z G Staudinger/H. Oetker (13. Bearb. 1997), §616 Rdnr. 54; §616 S. 1 B G B ist insoweit nur noch von Bedeutung für Dienstverhältnisse. Ihrer Form nach bedeutet §3 E F Z G eine gesetzliche Quantifizierung, die nicht zu rezipieren ist, sondern aus sich heraus gilt; zu dieser Abgrenzung bereits oben, § 11 III. 2. c) aa). Zu weiteren spezialgesetzlichen Konkretisierungen im Anwendungsbereich des §616 S. 1 B G B Staudinger/ H. Oetker (13. Bearb. 1997), §616 Rdnr.29. 2 5 2 Siehe oben, §11 III. 2. d) bb). 2 5 3 Im Einzelnen F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 181 ff. 2 5 4 Technische Regeln kennen insoweit nur punktuelle Geltungsanordnungen, dort nämlich wo der Gesetzgeber ausdrücklich auf bestimmte technische Normen verweist und sie damit in das Gesetz inkorporiert; hierzu P. Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 97ff., 384ff. Zu den Unterschieden zwischen Geltungsbefehl und Verweisung F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 151 ff. 2 5 5 Zur Abgrenzung von Rezeption und Geltung auch schon oben, § 11 III. 2. c) aa) im Zusammenhang mit hoheitlichen Quantifizierungen. 2 5 6 Hieran wird insbesondere bei „echten" Dienstverhältnissen zu denken sein; siehe Staudinger/H. Oetker (13. Bearb. 1997), §616 Rdnr.37.

280

Typologie

der

Normkonkretisierung

rung Rechtsnormcharakter beimessen wollte, so dürften diese bewusst gesetzten Begrenzungen des Geltungsbefehls nicht durch richterliche Rezeption überspielt werden. Dabei wird aber übersehen, dass der Rechtsprechung mit dem Konkretisierungsauftrag sowohl die grundsätzliche Befugnis zur Erarbeitung eigener Quantifizierungen als auch die Befugnis zur entsprechenden Rezeption sachverständiger privater Wertsetzungen eingeräumt ist. 257 Vor diesem Hintergrund wird man daher gerade umgekehrt argumentieren können: Wenn sogar private Werte ohne generelle Geltungsanordnung rezipiert werden können, so spricht dies umso mehr für die Rezeptionseignung privater Festsetzungen, die vom Gesetzgeber in anderen Zusammenhängen bereits wahrgenommen und anerkannt worden sind. Gleichwohl ist die Rechtsprechung diesen verführerischen Weg bislang nicht gegangen und hat tarifvertragliche Festsetzungen - zu Recht - nicht als externe private Quantifizierungen rezipiert. Tarifvertragliche Regelungen sind nämlich zumeist aus einem anderen Grund nicht rezeptionsfähig, und zwar mit Blick auf ihren Regelungsanspruch: Im Anwendungsbereich abdingbarer Gesetzesvorschriften zielen Tarifbestimmungen regelmäßig nicht darauf, das gesetzliche Regelungsmodell lediglich auszufüllen, sondern stellen eigene Neuregelungen dar, die an die Stelle des abdingbaren Gesetzesbefehles treten. 258 Dementsprechend bewegen sich tarifvertragliche Festsetzungen auch nicht notwendig innerhalb des Konkretisierungsauftrages des dispositiven Rechts. Die erwähnten tarifvertraglichen Regelungen im Anwendungsbereich des §616 S. 1 BGB können daher auch nach dem Anlass der Verhinderung differenzieren, obwohl die Konkretisierung der „verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit" auf die Relation von Beschäftigungsdauer und Verhinderungsdauer zugeschnitten ist. 259 Es ist Ausdruck der Abdingbarkeit des §616 BGB, 260 dass auch Tarifregelungen, die sich 257 Zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Rezeption externer Quantifizierungen bereits oben, §11 III. 2. a). 258 In der Regel sind Tarifnormen daher auch abschließend: Im Geltungsbereich der Tarifnormen ist der Rspr. ein subsidiärer Rückgriff auf §616 S. 1 BGB verwehrt; siehe nur Staudinger/ H. Oetker (13. Bearb. 1997), §616 Rdnr. 146. Externe Quantifizierungen, die mit einem staatlichen Geltungsbefehl ausgestattet sind, verdrängen also das richterliche Konkretisierungsmandat; hierzu schon genauso im Zusammenhang mit der Rezeption externer Quantifizierungen oben, § 11 III. 2. c) aa). - Zu prüfen bleibt, ob die tarifvertraglichen Festsetzungen auch wirksam sind, insbesondere nicht gegen höheres Recht und gegen die Grundrechte verstoßen; hierzu BAG, FamRZ 2001, 1366ff.: Dass §52 Abs. la BAT einen Vergütungsanspruch nur bei Niederkunft der Ehefrau und nicht der nichtehelichen Lebensgefährtin gewährt, verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. 259 Hierzu bereits oben, §11 III. 1. c) bb). 260 Dies folgt schon im Umkehrschluss aus § 619 BGB und ist allg. Meinung. § 616 BGB kann sowohl durch TV als auch durch Parteivereinbarung abbedungen werden; siehe schon BAGE (GS) 8, 285 (292); BAG, AP Nrn. 58 und 64 zu §616 BGB; BGH, ZIP 1995,1280; Erman/P. Hanau, §616 Rdnr. 15; Palandt/H. Putzo, §616 Rdnr.3; MünchArbR/D. Boewer, §78 Rdnrn. 8f.; Münch Komm/G. Schaub (3. Aufl. 1997), §616 Rdnr.20; Soergel/A. Kraft (12. Aufl. 1997), §616 Rdnr.4; Staudinger/H. Oetker (13. Bearb. 1997), §616 Rdnrn. 141 ff.

5 11

Quantifizierungen

281

nicht innerhalb des gesetzlichen Regelungsrahmens halten, sondern ein abweichendes Regelungskonzept verfolgen, an die Stelle der gesetzlichen Regelung treten können. 261 Im gewählten Beispiel bleibt es den Tarifparteien daher unbenommen, allein auf den Anlass der Verhinderung und nicht auf die Beschäftigungsdauer abzustellen. Wenn Tarifbestimmungen aber vom Gesetz abweichenden Regelungsvorstellungen der Tarifpartner dienen, so folgt hieraus für die Konkretisierung, dass solche „abweichenden" Tarifbestimmungen von vornherein als rezipierbare Konkretisierungen des dispositiven Regelungsrahmens ausscheiden. Tarifbestimmungen, die nicht das gesetzliche Regelungsmodell ausfüllen, sondern es durch ein neues ersetzen, sind daher schon im Ansatz nicht rezeptionsfähig. 262 Dass tarifvertragliche Regelungen zumeist nicht rezeptionsfähig sind, heißt aber nicht, dass ihnen keine Bedeutung bei der Normkonkretisierung beigemessen werden dürfte. Tarifvertragliche Regelungen stellen sachnahe und im Idealfall durch Interessenausgleich objektivierte Regelungen dar,263 die in ihrer Gesamtschau auch außerhalb ihres Geltungsbereichs weiterbringende Anhaltspunkte für die konkretisierende Regelbildung geben können. Wenn sie auch nicht im Wege der Rezeption insgesamt an die Stelle richterlicher Eigenwertung zu treten vermögen, können sie doch als Sachgesichtspunkte in den Konkretisierungsprozess einfließen.

261 Missverständlich daher Staudinger/H. Oetker (13. Bearb. 1997), §616 Rdnr. 146, der tarifvertragliche Regelungen gleichwohl als „Konkretisierungen" der verhältnismäßig nicht erheblichen Dienstverhinderung bezeichnen will. 2 6 2 Entscheidend ist hier natürlich die konkrete Bestimmung im Tarifvertrag. So kann die tarifvertragliche Regelung auch ausdrücklich als „Ergänzung zu §616 B G B " gewollt sein; so beispielsweise §14 Abs.l des Mantel-TV für das Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe in Bayern vom 5.6.1997. Zumeist wird §616 B G B aber vollständig abbedungen, und an seine Stelle tritt ausschließlich die tarifvertragliche Regelung; so etwa §7 Nr. 2 Mantel-TV für das Bäckerhandwerk in Bayern vom 28.3.1994: „Abweichend von §616 B G B wird nur die tatsächlich gearbeitete Zeit bezahlt. Hiervon gelten die in den Ziffern 3 bis 5 abschließend aufgezählten Ausnahmen"; genauso §8 Mantel-TV für die Arbeitnehmer des Fleischerhandwerks in Bayern vom 13.5.1998 oder § 4 des Anderungs-TV vom 9.6.1997 zum Bundesrahmen-TV für das Baugewerbe. Nichts anderes gilt auch für §52 BAT, der sich nur äußerlich an die Regelungsziel des §616 B G B anlehnt („Als Fälle nach §616 B G B [...] gelten nur die folgenden Anlässe..."), ohne dass Anschluss an die materiellen Grundgedanken der Regelung gesucht würde. 2 6 3 Zu den Geboten der Sachverständigkeit und Objektivität privater Regelgeber bereits oben, §4 VI. 2. b), § 11 III. 2. b). Im Hinblick auf die Objektivität der tariflichen Normgeber ist genauso wie bei den privaten Normgebern danach zu fragen, inwieweit die gegenläufigen Interessen gleichberechtigt repräsentiert sind, so dass eine „Neutralisierung interessenbezogen-einseitiger Meinungen" (K. Vieweg, NJW 1982, 2473 [2475]) erfolgen kann; vgl. auch M. SchmidtPreuß, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Selbst-Beherrschung im technischen und ökologischen Bereich, S. 89 (96f.): „Repräsentanzgebot".

282

e) Externe judikative

Typologie

der

Normkonkretisierung

Quantifizierungen

In den bisherigen Betrachtungen stellte sich die Heranziehung judikativer Quantifizierungen nicht als Frage der Rezeption, sondern als Ausdruck eigener Konkretisierungsleistung der Rechtsprechung dar, die als KonkretisierungsPräjudiz weitergeführt, nicht aber als externe Konkretisierung rezipiert wird. 2 6 4 Judikative Konkretisierungen bedürfen normalerweise genauso wenig einer R e zeption wie hoheitliche Konkretisierungen. 2 6 5 Die Frage einer Rezeption stellt sich nur bei externen judikativen Quantifizierungen, d.h. bei Quantifizierungen, die zwar von Seiten der Rechtsprechung formuliert sind, aber außerhalb einer konkreten Fallentscheidung und daher auch nicht von dazu berufenen Spruchkörpern, also „Richterwerk sui generis". 2 6 6

aa) Das Beispiel der

Unterhaltstabellen

Wichtigstes Beispiel für solche externen judikativen Quantifizierungen sind die sog. Unterhaltstabellen zur Bemessung des Ehegatten- und Kindesunterhalts. Die Düsseldorfer Tabelle und die unterhaltsrechtlichen Leitlinien der O L G e 2 6 7 sind aus der Praxis der Unterhaltsbemessung nicht mehr wegzudenken. Gleichwohl handelt es sich bei diesen richterlichen Regelwerken - anders als etwa bei den schon betrachteten technischen Normen 2 6 8 - um ein vergleichsweise junges Konkretisierungsphänomen: Einzelne Unterhaltsquoten waren zwar bereits mit Inkrafttreten des B G B bekannt, 2 6 9 doch hat die Düsseldorfer Tabelle erst in den 60er Jahren ihren Anfang genommen, als das L G Düsseldorf auf Drängen der ortsansässigen Rechtsanwälte eine „Tabelle über monatliche Unterhaltsrichtsätze" publizierte. 2 7 0 Inzwischen ist aus der Düsseldorfer Tabelle des Jahres 1962, die noch in der D R i Z veröffentlicht werden konnte, eine weitverzweigte „Rechtsfamilie" richterlicher Regelwerke 2 7 1 geworden, deren Abdruck ganze Bücher füllt. 272 Neben die Düsseldorfer Tabelle sind inzwischen „Unter-

Zu judikativen Quantifizierungen oben, § 11 II.; zur Präjudizienachtung oben, § 4 VI. 3. Zur Abgrenzung von Rezeption und Geltung bei hoheitlichen Quantifizierungen oben, §11 III. 2. c) aa). 266 So ]. Gernhuber, FamRZ 1983, 1069 (1072) für die Unterhaltstabellen. 267 Abgedruckt in NJW, Beilage zu Heft 32/2003 sowie bei E. Kalthoener/H. Büttner/ B. Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, Teil 1. B. 268 Hierzu bereits oben, § 11 III. 2. d) bb). 269 Zur Geschichte der pauschalierenden Unterhaltsbemessung V. Diedrich, Unterhaltsberechnung anhand von Quoten und Tabellen, S.20ff. 270 L G Düsseldorf, D R i Z 1962, 251; zur Geschichte der Düsseldorfer Tabelle W. Köhler, FamRZ 1982,130; ders., in: FS für K. Rebmann, S. 569ff.; V. Dietrich, Unterhaltsberechnung anhand von Quoten und Tabellen, S.33ff.; H. Scholz, FamRZ 1993, 125 (126ff.). 271 So ]. Gernhuber, FamRZ 1983, 1069 (1972). 272 Siehe die Nachweise in Fn. 267. 264 265

§11

283

Quantifizierungen

haltsrechtliche Leitlinien"273, „Unterhaltsleitlinien"274 und „Unterhaltsgrunds ä t z e " 2 7 5 d e r F a m i l i e n s e n a t e fast s ä m t l i c h e r O L G e 2 7 6 g e t r e t e n , die die A n w e n dung der Düsseldorfer Tabelle kontinuierlich weiter verfeinern und modifizieren.277 Q u a n t i f i z i e r u n g e n z u r U n t e r h a l t s b e m e s s u n g f i n d e n sich in d e n U n t e r h a l t s t a b e l l e n in G e s t a l t v o n Unterhaltsrichtsätzen, haltssätzen.

A l s m o n a t l i c h e Unterhaltsrichtsätze

Unterhaltsquoten

und

Selbstbe-

b e z e i c h n e t die D ü s s e l d o r f e r

T a b e l l e d i e in i h r a u s g e w i e s e n e n U n t e r h a l t s b e t r ä g e f ü r d e n „ a n g e m e s s e n e n U n terhalt" eines minderjährigen K i n d e s i.S. der § § 1 6 0 1 , 1 6 1 0 B G B . 2 7 8 D i e Tabelle d i f f e r e n z i e r t n a c h d e m E i n k o m m e n des U n t e r h a l t s v e r p f l i c h t e t e n u n d d e m A l t e r des U n t e r h a l t s b e r e c h t i g t e n u n d r e i c h t v o n e i n e m M i n d e s t b e t r a g v o n d e r z e i t 1 9 9 € ( S t a n d : 1 . 7 . 2 0 0 3 ) 2 7 9 bis 6 5 4 € ( S t a n d : 1 . 7 . 2 0 0 3 ) 2 8 0 . 2 8 1 Trennungs- und Scheidungsunterhalt (§§ 1361,1569ff. B G B ) werden demgeg e n ü b e r n i c h t als a b s o l u t e B e d a r f s b e t r ä g e , s o n d e r n als Unterhaltsquoten

ausge-

d r ü c k t . 2 8 2 D e r U n t e r h a l t s b e r e c h t i g t e ist g r u n d s ä t z l i c h z u r H ä l f t e an d e m f ü r die 273 Diese Bezeichnung wird vom K G sowie von den OLGen Celle, Oldenburg und Schleswig verwandt. 274 So die Bezeichnung der O L G e Brandenburg, Dresden und Naumburg. 275 So die Bezeichnung des O L G Frankfurt; ähnlich die O L G e Hamburg und Rostock: „Unterhaltsrechtliche Grundsätze". 276 Andere Bezeichnungen wählten etwa das O L G Stuttgart: „Unterhaltsrechtliche Hinweise" oder das O L G Saarbrücken: „Unterhaltsrechtliche Tabellenwerte und Selbstbehaltssätze". 277 Im Einzelnen V. Dietrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S.47ff. 278 So noch ausdrücklich die Düsseldorfer Tabelle (Stand: 1.7.2002), A. und Anm. 1 „monatliche Unterhaltsrichtsätze"; ihr folgten etwa die Leitlinien des O L G Bamberg (Stand: 1.7.2001), II. Pkt. 11; des O L G Brandenburg (Stand: 1.1.2002), III. Pkt. 16 und 17; des O L G Bremen (Stand: 1.7.2001), II. 1 d e s O L G Celle (Stand: 1.7.2001), II. 1.; des O L G Dresden (Stand: 1.7. 2001), III. Pkt. 15.1; des O L G Frankfurt (Stand: 1.7.2001), III.A., des O L G Hamburg (Stand: 1.7.2001), Pkt. 1; des O L G Hamm (Stand: 1.7.2001), II Pkt. 18; des O L G Jena (Stand: 1.1.2002), A.I. sowie des O L G Köln (Stand: 1.7.1999), A.I. - Inzwischen bezeichnet die Düsseldorfer Tabelle (Stand: 1.7.2003), B.I. nur noch die Unterhaltsquoten des Ehegatten als „monatliche Unterhaltsrichtsätze". Eine sachliche Änderung dürfte damit aber nicht bezweckt sein. 279 Bei einem Nettoeinkommen des Barunterhaltspflichtigen bis 1.300 € und einem Lebensalter des Unterhaltsberechtigten unter fünf Jahren. In Anlehnung an die Berliner Tabelle als Vortabelle zur Düsseldorfer Tabelle geben einige Tabellen der neuen Bundesländer auch Richtwerte für niedrigere Einkommen (Eingruppierung a und b) an; vgl. die Unterhaltsleitlinien des O L G Brandenburg (Stand: 1.7.2003), Pkt. 11 i. V. mit Anlage I sowie des O L G Dresden (Stand: 1.7. 2003), Pkt. 11 i. V. mit Anlage I. 280 Bei einem Nettoeinkommen des Barunterhaltspflichtigen zwischen 4.400 und 4.800 € und einem Lebensalter des Unterhaltsberechtigten von mehr als 18 Jahren. Bei höheren Einkommen ist die Unterhaltsbemessung den „Umständen des Falles" überlassen; siehe Düsseldorfer Tabelle (Stand: 1.7.2003), A. 1. 281 Näher zu Aufbau und Anwendung der Düsseldorfer Tabelle für den Kindesunterhalt Staudinger/W. Kappe/H. Engler (Ii. Bearb. 2000), § 1610 Rdnrn. 182ff.; H. Scholz, FamRZ 1993, 125 (128ff.). 282 Hierzu V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S. 96ff. Das Grundprinzip der Bemessung des Unterhaltsanspruchs anhand einer Quote aus dem unterhaltspflichtigen Einkommen ist heute Bestandteil sämtlicher unterhaltsrechtlicher Leitlinien und

284

Typologie

der

Normkonkretisierung

Unterhaltsbemessung relevanten Einkommen zu beteiligen (Halbteilungsgrundsatz); 283 gegenüber einem Erwerbstätigen ist der an sich hälftige Unterhaltsanspruch um den sog. Erwerbstätigenbonus zu kürzen. 284 Der Erwerbstätigenbonus wird heute ganz überwiegend mit 1/7 285 angegeben, 286 wurde in der Vergangenheit aber auch schon mit 1/4 287 oder sogar 1/3 288 bemessen. 289 Grundsätze; anderes sah aber noch die Düsseldorfer Tabelle von 1965 vor; vgl. nur W. Köhler, in: FS für K. Rebmann, S. 569 (582). Dies galt - ungeachtet ihrer anderen Konzeption - auch für die inzwischen nicht mehr anwendbare Nürnberger Tabelle, der ebenfalls eine bestimmte Quotierung zugrundelag, auch wenn diese im Einzelnen in ablesbare Unterhaltsbeträge umgesetzt worden war. Näher zur Konzeption der Nürnberger Tabelle K. Riegner, FamRZ 1996, 988ff. Auch die Nürnberger Tabelle konstituierte daher keine reine „Bedarfstabelle"; vgl. aber G. Christi, NJW 1982, 961 (965, 969) und grundlegend für das Modell einer Bedarfstabelle G. Ehlert, FamRZ 1980, 1083ff. Seit dem 1.7.1998 wendet das OLG Nürnberg die Bayerischen Leitlinien mit Modifikationen (Stand: 1.7.2003) an; es gelten also Quotenunterhalt und Erwerbstätigenbonus. - Im Übrigen hat der Gesetzgeber die primäre Bemessung des Unterhalts an den „ehelichen Lebensverhältnissen" durch die Gesetzesredaktion des §1361 Abs. 1 BGB und genauso des § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB ausdrücklich vorgegeben, während er für den Kindesunterhalt in § 1610 BGB auf die Lebensstellung des Bedürftigen und damit auf dessen Bedarf abstellt; vgl. auch die Erwägungen von BGH, NJW 1983, 1429 (1430) zum Kindesbedarf. 283 Allgemeine Auffassung und st. Rspr.; siehe nur BGH, NJW 1982, 2442f.; NJW 1983, 683; NJW 1983, 1733; NJW 1984, 1537; NJW 1988, 2369 (2371); NJW 1992, 1621; NJW 1995, 963; OLG Karlsruhe, FamRZ 1981,551 (552f.); zu Erwerbstätigenbonus und Halbteilungsgrundsatz A. Röthel, FamRZ 2001, 328ff. m.w.N.; siehe im Übrigen G. Richter, in: FS für K. Rebmann, S.675ff.; MünchKomm/A. Wacke (4.Aufl. 2000), §1361 Rdnrn. 20, 22; MünchKomm/H.-U. Maurer (4. Aufl. 2000), § 1578 Rdnr. 53 ff.; Palandt/G. Brudermüller, § 1361 Rdnr. 46; nachdrücklich Soergel/O. Häberle (12. Aufl. 1988), §1578 Rdnr. 31;//. Luthin, FamRZ 1988, 1109 (1113f.); K. Riegner, FamRZ 1997, 257; Staudinger/H. Hübner/R. Voppel (13. Bearb. 2000), §1361 Rdnr. 149; Staudinger/B. Verschraegen (13. Bearb. 1998), § 1578 Rdnr. 133; Ph. Wendl/S. Staudigl/P. Gerhardt, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, §4 Rdnrn. 359 ff. Gegen den Halbteilungsgrundsatz aber D. Weychardt, FamRZ 1989, 239f. 284 Im Einzelnen zu Erwerbstätigenbonus und Halbteilungsgrundsatz H. Borth, in: D. Schwab (Hrsg.), Hdb des ScheidungsR, IV Rdnrn. 861ff.; H.-U. Graba, NJW 1993, 3033ff.; K. Riegner, FamRZ 1997, 257ff.; A. Röthel, FamRZ 2001, 328ff. 285 So die ganz überwiegende Praxis im Anschluss an die Düsseldorfer Tabelle (Stand: 1.7. 2003), B.1.1.; siehe aus jüngerer Zeit nur OLG Düsseldorf, NJW 1999,1721 sowie die unterhaltsrechtlichen Leitlinien des KG (Stand: 1.7.2003), 15.2.; des OLG Brandenburg (Stand: 1.7.2003), 15.2.; des OLG Bremen (Stand: 1.7.2003), 15.2.; des OLG Celle (Stand: 1.7.2003), 15.2.; des OLG Dresden (Stand: 1.7.2003), 15.2.; des OLG Hamburg (Stand: 1.7.2003), 15.2.; des OLG Hamm (Stand: 1.7.2003), 15.2.1.; des OLG Jena (Stand: 1.1.2003), 15.1.; des OLG Köln (Stand: 1.7.2003), 15.2.; des OLG Rostock (Stand: 1.7.2003), 15.2.; des OLG Schleswig (Stand: 1.7. 2003), 15.2. Nachdrücklich für diese Quotierung von 3/7 zu 4/7 MünchKomm/A. Wacke (4.Aufl. 2000), §1361 Rdnr.22; Soergel/H. Lange (12.Aufl. 1988), §1361 Rdnr.20; auch der BGH hat sie nicht beanstandet; BGH, NJW 1979, 1986; NJW 1981, 1609f.; NJW 1983, 683; FamRZ 1990, 499 (502). 286 Für einen Erwerbstätigenbonus von 1/5 aber OLG Frankfurt, NJW 1999,2374 (2375) und die Unterhaltsgrundsätze des OLG Frankfurt (Stand: 1.7.2003), 15.2. Auch das LG Düsseldorf hat bis zum Jahr 1978 einen Bonus von 1/5 angewendet, siehe nur DRiZ 1969, 25; DRiZ 1971, 342; DRiZ 1978, 854 sowie ausführlich W. Köhler, in: FS für K. Rebmann, S. 569 (578f.). - Abweichend auch die Unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate in Süddeutschland (Stand: 1.7.2003), 15.2. und das OLG Nürnberg, vgl. die Modifikationen des 7. Senats des OLG Nürn-

§11

285

Quantifizierungen

N e b e n d e r e i g e n t l i c h e n U n t e r h a l t s h ö h e ist e i n z w e i t e r f ü r d i e U n t e r h a l t s b e m e s s u n g z e n t r a l e r G e s i c h t s p u n k t d i e A n e r k e n n u n g v o n Selbstbehalten, von vermögensmäßigen

Mindestgrenzen,

die d e m

d.h.

Unterhaltsverpflichteten

stets v e r b l e i b e n m ü s s e n . 2 9 0 V o r allem b e i m T r e n n u n g s u n t e r h a l t ( § 1 3 6 1

BGB)

differieren die vorgeschlagenen T a b e l l e n w e r t e z u m Teil erheblich: Z u m e i s t w i r d der Selbstbehalt z w a r entsprechend d e m sog. n o t w e n d i g e n oder kleinen Selbstbehalt i.S. des § 1603 A b s . 2 B G B mit derzeit 8 4 0 € (Stand: 1 . 7 . 2 0 0 3 ) u n d 7 3 0 € (Stand: 1 . 7 . 2 0 0 3 ) für nicht erwerbstätige Unterhaltsschuldner bemessen.291 E n g e r e G r e n z e n z i e h t a b e r b e i s p i e l s w e i s e das O L G J e n a m i t S e l b s t b e h a l t e n v o n 7 7 5 € ) b z w . 6 7 5 € ( S t a n d : 1 . 7 . 2 0 0 3 ) , 2 9 2 w ä h r e n d d a s K G in ä l t e r e n L e i t l i n i e n z u gunsten des U n t e r h a l t s v e r p f l i c h t e t e n die U n t e r g r e n z e erst bei 1 7 1 5 D M

(seit

1.1.2002: 880 € ) ziehen wollte.293

berg zu den Bayerischen Leitlinien (Stand: 1.7.2001), Anm.3 zu 15.2. SüdL: Erwerbstätigenbonus von 1/10. Genauso inzwischen die Leitlinien des O L G Naumburg (Stand: 1.7.2003), 15.2. sowie der 5. Zivilsenat des O L G Karlsruhe, N J W 1999,1722 (1723); i. Erg. auch Soergel/O. Häberle (12. Aufl. 1988), § 1578 Rdnr.31, der den Erwerbstätigenbonus pauschal mit 1 0 - 1 5 % bemessen will, im Übrigen aber am Halbteilungsgrundsatz festhält. 2 8 7 Hiergegen B G H , N J W 1979, 1985f. 2 8 8 Siehe etwa L G Hamburg, M D R 1965, 576; so auch noch die Unterhaltsrichtsätze des L G Düsseldorf, D R i Z 1969,25 sowie die österreichische Praxis, vgl. Staudinger/B. Werschraegen (13. Bearb. 1998), § 1578 Rdnr. 153. Für die Aufteilung 1/3 zu 2/3 auch H. Millauer, N J W 1967,1061 (1062); vgl. weiter zur Entwicklung der Quoten G. Christi, N J W 1982, 961 (962f.); kritisch bereits W. Russow, FamRZ 1969, 515 (518) und D. Mutschler, FamRZ 1972, 345 (346). 2 8 9 Siehe für einen Überblick K. Riegner, FamRZ 1997, 257ff.; Ph. Wendl/S. Staudigl/P. Gerhardt, UnterhaitsR, §4 Rdnrn. 380ff. 2 9 0 Dies gilt nicht nur für den Kindes- und den Geschiedenenunterhalt, wo das Gesetz in den §§1603 und 1581 B G B ausdrücklich Opfergrenzen formuliert hat, sondern auch für den Trennungsunterhalt nach § 1361 B G B , wo die Anerkennung von Selbstbehalten letztlich aus der Verweisung auf den „angemessenen" Unterhalt folgt: Angemessen soll nur der Unterhalt sein, der dem Unterhaltsverpflichteten noch ein absolutes Minimum an Vermögensmitteln belässt. Nach B G H , N J W 1984,1614 kommt der Begrenzung von Unterhaltsansprüchen durch das Existenzminimum „nahezu gewohnheitsrechtlicher Charakter" zu. Der notwendige Selbstbehalt lässt sich jedenfalls mit dem Sozialstaatsprinzip rechtfertigen; vgl. hierzu Staudinger/W. Kappe/H. Engler (13. Bearb. 2000), §1603 Rdnrn. 226f. Siehe im Übrigen zu §1361 B G B B G H , FamRZ 1986,556ff.; Palandt/G. Brudermüller, § 1361 Rdnrn. 6 7 f . - J a u e r m g / C h . Berger, § 1361 Rdnr. 16; E. Kalthoener/H. Büttner/B. Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, Rdnrn. 44ff.; Soergel/H. Lange (12. Aufl. 1988), §1361 Rdnr. 16. 291 Siehe Düsseldorfer Tabelle (Stand: 1.7.2003), B.V.; genauso etwa die Leitlinien des O L G Bremen (Stand: 1.7.2003), 21.4.; des O L G Hamm (Stand: 1.7.2003), 21.4.2.; des O L G Köln (Stand: 1.7.2003), 21.2.; mit abweichenden Beträgen die Unterhaltsleitlinien des O L G Brandenburg (Stand: 1.7.2003), 21.4.: 850 € und 750 € . 2 9 2 Thüringer Tabelle des O L G Jena (Stand: 1.7.2003), 21.2. 2 9 3 Unterhaltsrechtliche Leitlinien der Familiensenate des K G (Stand: 1.7.2001), F. IV.: Monatlicher Selbstbehalt gegenüber dem getrenntlebenden Ehegatten, wenn der Unterhaltsverpflichtete erwerbstätig ist, sonst 780 € ; siehe jetzt aber die Leitlinien des K G (Stand: 1.7.2003), 21.2., die danach differenzieren, ob der Unterhaltsverpflichtete im Beitrittsgebiet lebt (dann 675/ 775 € ) oder nicht (dann 730/840 € ) .

286

Typologie

der

Normkonkretisierung

Konkretisierungstheoretisch stellen die Unterhaltsrichtsätze für den Kindesunterhalt (§1610 Abs.l BGB), die Unterhaltsquoten für den Ehegattenunterhalt (§§ 1361 Abs. 1 S. 1,1578 Abs. 1 BGB) sowie die Selbstbehaltssätze (§§ 1581 Abs. 1,1603 Abs. 1 BGB) dasselbe rechtliche Phänomen dar: Quantifizierungen aus richterlichen Tabellen und Leitlinien, die von der Rechtsprechung bei der Unterhaltsbemessung zur Konkretisierung des „angemessenen Unterhalts" (§1361 Abs.l S.l, 1581 Abs.l, 1610 Abs.l BGB) und anderer ausfüllungsbedürftiger Gesetzesformeln294 rezipiert werden. Wie alle Quantifizierungen bestechen die Unterhaltsbeträge, -quoten und Selbstbehaltssätze durch ihre hohe Anleitungsrationalität295, mit der sie eine wenn auch nicht überregional vollständig einheitliche296, so doch gleichmäßige, vorhersehbare und vor allem praktikable Rechtsanwendung verbürgen.297 Zu untersuchen bleibt aber die Sachrichtigkeit der Heranziehung solcher externer judikativer Quantifizierungen, und zwar sowohl mit Blick auf die Rechtsqualität dieser richterlichen Regelwerke (unten bb) als auch jeweils für die einzelnen Quantifizierungen (unten cc). bb) Rechtsqualität

der

Unterhaltstabellen

Die Besonderheit der unterhaltsrechtlichen Quantifizierungen liegt darin, dass sie nicht auf richterliche Einzelentscheidungen zurückgehen, sondern ihren Ursprung in generell formulierten „Tabellen" und „Leitlinien" haben. Auch wenn der Rückgriff auf diese richterlichen Regelwerke heute nicht nur in der Gerichts- und Anwaltspraxis, sondern auch im wissenschaftlichen Schrifttum zur Selbstverständlichkeit geworden sein dürfte, ist ihre rechtliche Qualität noch immer weit gehend ungeklärt. Hieran hat sich seit den Anfängen dieser „richterlichen Ordnungen" 298 vor gut vierzig Jahren mit der ersten Tabelle des LG Düsseldorf299 wenig geändert.300 Bedenken werden vor allem wegen der Normähnlichkeit der Tabellen und Leitlinien erhoben.301 So wird vorgetragen, es gehöre 294 §1578 BGB spricht zwar nicht ausdrücklich vom „angemessenen Unterhalt", setzt diese Formel aber voraus, wenn es dort „Maß" des Unterhalts heißt. 295 Hierzu oben, §6 II. 1. 296 Anders als für die bundesweit einheitlich zugrundegelegten Bedarfssätze beim Kindesunterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle differieren die Quoten für den Ehegattenunterhalt nicht unerheblich, so dass der Rückgriff auf die Unterhaltsquoten allenfalls zu einer regional einheitlichen Rechtsprechung zu führen vermag; so zutreffend H. Klingelhöffer, ZRP 1994, 383 (384f.). 297 F. Haueisen, NJW 1973, 641 (644); insbes. im Zusammenhang mit den Unterhaltsquoten siehe BGH, NJW 1984, 1548f.;/. Gernhuber/D. Coester-Waltjen, FamilienR, §45 IX 2; H.-J. Göhring, FamRZ 1969,512 ff.; H. Millauer, NJW 1967,1061. Allg. zur Anleitungsrationalität bereits oben, §6 II. 1. 298 J. Gernhuber, FamRZ 1983, 1069 (1072ff.). 299 Zur Geschichte der Düsseldorfer Tabelle siehe bereits bei Fn. 270. 300 So schon R. Scheyhing, SchlHA 1963, 98. 301 Siehe zum folgenden insbes. V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabel-

§11

Quantifizierungen

287

nicht in den verfassungsrechtlich vorgezeichneten Aufgaben- und Kompetenzbereich der Rechtsprechung, abstrakte und einzelfallgelöste Entscheidungsrichtlinien aufzustellen.302 Solche materielle Rechtsetzungstätigkeit sei grundsätzlich der Legislative vorbehalten, die hierzu über einen unmittelbaren demokratischen Auftrag sowie über die entsprechenden personellen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen verfüge.303 Daher seien die unterhaltsrechtlichen Regelwerke „verabredetes Recht ohne Ermächtigung"304, das sich allenfalls mit der notstandsähnlichen Situation, in der sich die Rechtsprechung bei der Anwendung des Unterhaltsrechts befinde, rechtfertigen lasse.305 (1) Unzulässige

Handlungsform?

Dieser Einwand gegen die Legitimität der unterhaltsrechtlichen Tabellen und Leitlinien beruht auf einer zwar idealtypischen, aber nicht abschließenden Funktionsabgrenzung von Judikative und Legislative. Auch wenn die Formulierung abstrakt-genereller Entscheidungsanweisungen typischerweise der Gesetzgebung zugewiesen ist und die konkret-individuelle Entscheidung eines Rechtsstreites die zentrale Aufgabe der Rechtsprechung darstellt, so heißt dies nicht, dass es den Gerichten verwehrt wäre, abstrakt-generelle Entscheidungssätze aufzustellen. Vielmehr sind Gesetzgebung und Rechtsprechung Teilelemente eines arbeitsteiligen Normsetzungsprozesses, bei dem der Gesetzgebung kein Rechtsetzungsmonopol, sondern lediglich eine Rechtsetzungsprärogative zukommt.306 Deutlichstes Beispiel für dieses Hineinwachsen der Rechtsprechung in genuin legislative Aufgaben ist gerade die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe, die auf einer bewussten Delegation von Rechtset-

len, S. 72ff.;/. Gernhuber, FamRZ 1983,1069 (1071 ff.); D. Henrich, JA 1981, 527 (529); H. Kling e l h ö f f e r , ZRP 1994, 383ff.; W. Müller-Freienfels, in: FS für G. Beitzke, 311 (329ff.). Zur Normähnlichkeit auch G. Christi, NJW 1984, 267: „Sie berühren den Bereich der Norm, ohne selbst Rechtscharakter zu besitzen." Für ihre staats- und verfassungsrechtliche Legitimität aber W. Köhler, in: FS für K. Rebmann, S.569 (588ff.); MünchKomm/W. Born (4. Aufl. 2002), §1610 Rdnrn. 81 f.; D. Schwab, Tendenzen im Recht des Geschiedenenunterhalts, S. 15; siehe auch W. Rassow, FamRZ 1969, 515 (517ff.). 302 J. Gernhuber, FamRZ 1983, 1069 (1073): „können dem Begriff der Rechtsprechung nicht integriert werden"; Staudinger/W. Kappe/H. Engler (13. Bearb. 2000), Vorbem zu §§1601ff. Rdnr. 60: „widersprechen der Funktion der Rechtsprechung"; zweifelnd auch H. Klingelhöffer, ZRP 1983, 383 (385f.) und D. Rogge, DRiZ 1980, 61 (62). 303 V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S. 72ff. Für ein Tätigwerden des Gesetzgebers auch G. Christi, NJW 1984,267 (271); V Huvale, ZBlJR 1982,577 (586ff.); J. Gernhuber, FamRZ 1983, 1069 (1073);/. Puls, ZBlJR 1982, 603 (612). 304 A. Lüderitz, FamilienR, Rdnr. 714. Siehe auch W. Müller-Freienfels, in: FS für G. Beitzke, S.311 (341): „Kunstregeln" ohne „legitimen Platz". 305 So V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S. 81 ff.; vgl. auch J. Gernhuber, FamRZ 1983,1069 (1973); W. Müller-Freienfels, in: FS für G. Beitzke, S. 311 (338). 306 Hierzu bereits oben, §4 III. 2.

288

Typologie der

Normkonkretisierung

Zungsaufgaben an die Rechtsprechung beruht. 307 Schon aus diesem Grund lässt sich der abstrakt-generelle Charakter der Leitlinien und Tabellen nicht grundsätzlich gegen ihre Legitimität anführen. Vielmehr ist die Konkretisierung nur das offensichtlichste Beispiel dafür, dass aus der Gewaltenverschränkung308 von Rechtsprechung und Gesetzgebung auch Überschneidungen auf der Ebene der Handlungsformen folgen. Im Übrigen verlangt nicht nur die Konkretisierung, sondern im Grunde jede Art von Rechtsfortbildung und insbesondere die den Revisionsgerichten übertragene Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung309 eine mehr oder weniger große Loslösung von den Bedingtheiten des konkreten Falles. 310 Auch mit jedem Leitsatz werden abstrakte Entscheidungsregeln formuliert. Daher gehört die schrittweise Hinwendung zum Abstrakten und die Erarbeitung abstrakt-genereller Entscheidungsregeln in ähnlicher Weise zur Tätigkeit der Rechtsprechung wie die Entscheidung des konkreten Falles, und genauso wie der konkrete Fallentscheid zählt auch die abstrakte, unterhalb des Gesetzes gelagerte Entscheidungsregel zu den legitimen Handlungsformen der Rechtsprechung. 311 (2) Mangelnder

Fallbezug?

Daneben wird den unterhaltsrechtlichen Leitlinien und Tabellen entgegengehalten, dass sie losgelöst von einem Anlassfall formuliert werden.312 Hierauf gründen sich insbesondere die Bedenken von V. Diedrich, der der Rechtsprechung zwar eine Kompetenz zu „einzelfallgelöster",313 nicht aber zu gänzlich Hierzu bereits ausführlich oben, §4 II. Das in Art. 20 Abs. 2 G G formulierte Prinzip der Gewaltenteilung ist nicht als strikte Trennung der Gewalten, sondern als ein „System wechselseitiger Verschränkungen und Einflussnahmen in funktionaler Hinsicht" zu verstehen; vgl. Ch. Degenbart, StaatsR I, Rdnr. 243. Weiter zur Bedeutung des Gewaltenteilungsprinzips für die Aufgabenverteilung zwischen Rechtsprechung und Gesetzgebung/. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 128ff.; M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S.7ff.; R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 93 ff. 309 Zur Rolle der Revisionsgerichte etwa R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 117: „Doppelfunktion als Gerichte und als Ersatzgesetzgeber". 310 Allgemein zur rechtssatzförmigen Formulierung richterrechtlicher Maximen K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 429f. sowie A. Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, S. 84f. Zu Recht wird daher auch von „richterrechtlichen Regeln" gesprochen; siehe nur K. Langenbueher, Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, S.48ff. 311 So bereits H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 242ff.; gegen die Dichotomie von Rechtsetzung und Rechtsanwendung insbes. R. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S. 195ff., 222ff. mit ausführlicher Problemdarstellung. 312 V C Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S.66ff.; H. Klingelhöffer, ZRP 1994, 353 (385); andeutungsweise auchJ. Gernhuber, FamRZ 1983, 1060 (1972). 313 Mit „einzelfallgelöster Richtliniensetzung" bezeichnet V C Diedrich diejenigen Situationen, in denen der Richter - anders als bei der „Konkretisierung in herkömmlicher Form" - mehr Entscheidungsregeln aufstellt, als er für die Entscheidung des Anlassfalles benötigt. Siehe im Einzelnen die Klassifizierung von VC Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S.69ff. 307 308

§11

Quantifizierungen

289

„fallunabhängiger" Richtliniensetzung 314 zuerkennen will. Schon mit Blick auf die weithin anerkannte Praxis der Obiter dicta 315 ist aber zu bezweifeln, ob der Fallbezug generell ein konstitutives Element für die Zulässigkeit richterlicher Regelbildung darstellt. Obiter dicta und Unterhaltsregeln haben gemeinsam, dass sie Entscheidungsgrundsätze ohne Fallbezug sind. Der Unterschied besteht allein darin, dass Obiter dicta aus Anlass eines Falles verkündet werden, während die Unterhaltsregeln - inzwischen - von einer Fallentscheidung gänzlich losgelöst publiziert werden. Der materielle Fallbezug ist bei einem Obiter dictum und einer Unterhaltsregel aber ähnlich gering. Letztlich geht es hierbei nur noch um das formale Argument eines redaktionellen Zusammenhanges mit einem Anlassfall, umso mehr als das LG Düsseldorf seine Unterhaltstabelle noch bis zum Jahr 1976 an Urteilsbegründungen anhängte und damit als Obiter dictum verkündete. 316 Für sich allein sollte dieser Gesichtspunkt daher nicht über die Legitimität der Tabellen entscheiden. 317 Eng mit dem Einwand des mangelnden Fallbezuges ist der Gedanke verbunden, dass die richterlichen Unterhaltsregeln deswegen auf tönernen Füßen stehen, weil die geschriebene Kompetenzordnung den Urhebern der Düsseldorfer Tabelle und der unterhaltsrechtlichen Leitlinien, also den Familiensenaten der OLGe, hierzu weder ein ausdrückliches Mandat noch entsprechende Verfahrens- und Verhandlungsbefugnisse zur Seite gestellt hat. 318 Die sachliche Berechtigung der Unterhaltssenate zur Formulierung unterhaltsrechtlicher Entscheidungsregeln steht vor allem deswegen in Frage, weil sie sich mit der Loslösung von Anlassfällen auch von den geschriebenen Spruchkompetenzen emanzipiert haben. Fallgelöste Regelsetzung der Judikative ist in den Prozessordnungen nicht vorgesehen; auch die ZPO enthält hierzu weder ablesbare Kompetenzzuweisungen noch Verfahrensregeln. 319 Auch wenn sich die Formulierung abstrakter Entscheidungsregeln durch die Rechtsprechung zwar gegen Einwände aus der verfassungsrechtlichen Gewaltenordnung (Art. 20 Abs. 2 GG) verteidigen lässt, kommt man nicht um das Eingeständnis herum, dass die Rechtsordnung der Rechtsprechung de lege lata die wegen Art. 101 GG erforderlichen gesetzlichen Kompetenz- und Verfahrensgrundlagen 320 vorenthält. Die von den 314 Darunter versteht V. Diedrich diejenigen Regelwerke, die - wie die unterhaltsrechtlichen Leitlinien und Tabellen - nicht von gesetzlich berufenen Spruchkörpern im Rahmen ihrer Spruchkompetenz, sondern von anderen Gremien oder Spruchkörpern formuliert worden sind; siehe V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S. 70. 315 Hierzu nur W. Schlüter, Das Obiter dictum, insbes. S. 105ff. 316 V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S. 33ff.; W. Köhler, in: FS für K. Rebmann, S. 569 (580ff.). 317 Dies erkennt auch V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S. 70 an. 318 Siehe die Kritik von V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S. 79ff.; ]. Gernhuber, FamRZ 1983, 1069 (1072); D. Rogge, DRiZ 1980, 61 (62). 319 D. Rogge, DRiZ 1980, 61 (62). 320 Art. 101 GG enthält einen Gesetzesvorbehalt für die richterliche Tätigkeit; siehe nur H.D.

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Typologie

der

Normkonkretisierung

Unterhaltssenaten der OLGe in „Koordinierungsgesprächen" erarbeiteten Regelwerke 321 sind daher zweifellos informelle Justizakte 322 ohne jede förmliche Verbindlichkeit 323 und Geltungskraft, 324 also nicht Rechtsquelle, sondern lediglich „Rechtsinhaltsquelle". 325 (3) Unzulässige

Bindungswirkung?

Dass die Rechtsordnung den richterlichen Regelwerken jede förmliche Anerkennung versagt, macht den Rekurs auf sie aber nicht per se unzulässig. Auch wenn die unterhaltsrechtlichen Tabellen und Leitlinien auf richterlicher Eigeninitiative jenseits der geschriebenen Verfahrensordnung beruhen - man mag hier von einem eigenmächtig ins Leben gerufenen „Großen Senat für Unterhaltsrecht" 326 sprechen - , so können sie dennoch in die richterliche Streitentscheidung einbezogen werden. Die Einbeziehung unverbindlicher Regelwerke in die richterliche Konkretisierung ist kein Spezifikum des Unterhaltsrechts. Ihre Unverbindlichkeit stellt sie in den gleichen Rang wie private Regelwerke 327 . Hierfür konnte bereits gezeigt werden, dass sich der richterliche Konkretisierungsauftrag grundsätzlich auch auf die Rezeption externer Konkretisierungen erstreckt. 328 Solange sich die Rezeptionsentscheidung als materiell sachrichtig verteidigen lässt und der Wertungsauftrag des Richters nicht durch eine automatische „Geltung" der externen Konkretisierungen unterlaufen wird, umfasst die richterliche Konkretisierungskompetenz auch die Rezeption externer Beurteilungen. 329 Entscheidend ist also weniger die Herkunft der Unterhaltsregeln, als vielmehr die Art ihrer Wirkung im unterhaltsrechtlichen Urteil. 330

Jarass/B. Pieroth, GG, Art. 101 Rdnr.4. Hierin sieht V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S. 79ff. das zentrale Argument gegen die Legitimität der Unterhaltsregeln. 321 Näher zum Verfahren der Erarbeitung der Unterhaltsregeln V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S. 32ff.; W. Köhler, in: FS für K. Rebmann, S.569 (572ff.). 322 Allg. Meinung; siehe nur J. Gernhuher, FamRZ 1983, 1069 (1073); A. Lüderitz, FamilienR, Rdnr. 713: „informeller Konsens". 323 Siehe nur BGH, NJW 1984, 1458f.; FamRZ 1987, 266;/. Gernhuher, FamRZ 1983, 1069 (1073); ders./D. Coester-Waltjen, FamilienR, §45 IX 1; D. Rogge, DRiZ 1980, 61; Staudinger/ H. Hübner/R. Voppel( 13. Bearb. 2000), §1361 Rdnr. 162 und Vorbem zu §§1601 ff. Rdnr. 59. 324 Mehr als missverständlich ist es daher, wenn vom „Geltungsbereich" der unterhaltsrechtlichen Tabellen und Leitlinien gesprochen wird, so etwa H. Scholz, FamRZ 1993, 125 (128); D. Henrich, JA 1981, 527 (529). 325 K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §66 II 2. 326 So V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S.79 und bereits D. Weychardt, DAVorm 1984, 637 (638). 327 Zur Rezeption privater Regelwerke - insbes. technischer Normen und Tarifnormen - bereits oben, §11 III. 2. d). 328 Zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Konkretisierung durch Rezeption oben § 11 III. 2. a). 329 Zur Abgrenzung von Rezeption und Bindung im Zusammenhang mit technischen Normen oben, §11 III. 2. d) bb). 330 So wohl auch H.-U. Graba, FamRZ 1986, 1070 (1071).

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Quantifizierungen

291

Allerdings liegt gerade bei den Unterhaltsregeln die Vermutung nahe, dass es sich im Einzelfall nicht mehr um eine bewusste Rezeptionsentscheidung, sondern längst um eine automatisierte und faktisch unangefochtene „Geltung" der Regeln handelt. Zwar wird in Rechtsprechung und Schrifttum stets versichert, dass es sich bei den Unterhaltsregeln lediglich um „Orientierungshilfen", „Hilfsmittel" oder „Anhaltspunkte" für die richterliche Angemessenheitsbeurteilung handelt331 und dass ein mit Hilfe einer Unterhaltsregel gefundenes Ergebnis abermals auf seine Angemessenheit überprüft werden muss. 332 Auch die unterhaltsrechtlichen Leitlinien weisen ausdrücklich darauf hin, dass sie sich lediglich als „Orientierungslinien" verstehen, die den Richter nicht binden. 333 Angesichts der Kontinuität und Geschlossenheit, mit der in der Gerichtspraxis auf die vom jeweiligen O L G formulierten Unterhaltsregeln rekurriert wird, wird man aber gleichwohl eine normähnliche Anziehungskraft und damit „faktische Geltung" 334 feststellen können. Dies lässt sich allerdings auch für die nicht minder erfolgreichen Immissionsgrenzwerte privat gesetzter technischer Normen beobachten. Der praktische Erfolg unverbindlicher Regelwerke stellt die Integrität der Rezeptionsentscheidung nicht automatisch in Frage; er kann immer auch Ausdruck ihrer sachlichen Überzeugungskraft 335 sein. Entscheidend ist vielmehr, dass die Rezeptionsfreiheit des Richters unangetastet bleibt. Problematisch ist insoweit allerdings, so der Einwand von / . Gernhuber, dass die unterhaltsrechtlichen Regelwerke neben ihrer Sachautorität auch die „Amtsautorität" der publizierenden Senate in Anspruch nähmen. 336 Dies lasse 331 Aus jüngerer Zeit B G H , NJW 2000, 3140: „auf allgemeiner Erfahrung beruhende Richtsätze"; siehe im Übrigen B G H , N J W 1984, 1458f.; FamRZ 1990, 1085 (1086); KG, NJW 1978, 2302 (2303); Erman/D. Heckelmann, §1361 Rdnr. 13: „Richtlinien-Charakter"; H.-J. Göhring, FamRZ 1969, 512 (515): „Hilfsmittel"; E. Kalthoener/H. Büttner/B. Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, Rdnr.2: „Hilfsmittel"; MünchKomm/W. Born (4. Aufl. 2002), § 1610 Rdnr. 18 zur Düsseldorfer Tabelle: „Richtlinie". 3 3 2 St. Rspr., siehe nur B G H , NJW 2000, 3140 (3141); NJW 1997, 1919; FamRZ 1990, 266 (269); FamRZ 1992, 520 (523); FamRZ 1986, 151 (152) sowie P. Wax, in: P. Wax (Hrsg.), UnterhaltsR, Rdnr. 86; H. Scholz, FamRZ 1993,125 (127); Staudinger/W. Kappe/H. Engler (13. Bearb. 2000), Vorbem zu §§1601 ff. Rdnr. 59. 333 So die Leitlinien des O L G Frankfurt (Stand: 1.7.2003): „Die ... Grundsätze ... sollen Orientierungslinien für die Praxis geben. Sie binden den Richter nicht"; siehe auch die Bayerischen Leitlinien (Stand: 1.7.2003): „Leitlinien als Orientierungshilfen für den Regelfall"; die Leitlinien des O L G Brandenburg (Stand: 1.7.2003): „keine verbindlichen Rechts- oder Rechtsanwendungssätze"; des O L G Celle (Stand: 1.7.2003): „Eine bindende Wirkung kommt ihnen nicht zu"; O L G Köln (Stand: 1.7.2003): „Die Leitlinien können den Richter nicht binden. Sie sollen die angemessene Lösung des Einzelfalls - das gilt auch für die,Tabellen-Unterhaltssätze' nicht antasten." 334 A. Lüderitz, FamilienR, Rdnr. 714. 3 3 5 Generell zur Legitimität der Tabellen als Ausdruck des richterlichen Erfahrungsschatzes G. Christi, N J W 1984,267 (270); auchH.-U. Graba, FamRZ 1986,1070 (1071); zur Konkretisierungserfahrung als Sachrichtigkeitsgebot bereits oben, § 11 II. 2., III. 2. b). 336 /. Gernhuher, FamRZ 1983,1069 (1973); genauso H. Klingelhöf'fer, ZRP 1994,383 (385); in demselben Sinn auch V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S. 80f.

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Typologie

der

Normkonkretisierung

sich schon daran ablesen, dass sich keines der von einzelnen Privaten erarbeiteten Alternativ-Regelwerke zur Unterhaltsbemessung337 auch nur ansatzweise habe durchsetzen können.338 Vielmehr erstrebten die Regelwerke von vornherein eine möglichst einheitliche Anwendung. 339 Diese beiden Umstände - die in Anspruch genommene „Amtsautorität" der publizierenden Senate und die von den Regelwerken bezweckte Einheitlichkeit der Unterhaltsrechtsprechung - wären aber erst dann bedenklich im Sinne einer unzulässigen Beschränkung der Rezeptionsfreiheit des Richters, wenn sie die Entscheidung des Unterhaltsrichters über die Einbeziehung bestimmter unterhaltsrechtlicher Regelwerke rechtlich binden würden. Daran fehlt es aber bei den Unterhaltsleitlinien genauso wie bei privaten Regelwerken. Letztlich ist es das Ziel jedes zur Konkretisierung erarbeiteten Regelwerkes, möglichst weit reichend angewendet zu werden; dies gilt für das Immissionsschutzrecht nicht anders als für das Unterhaltsrecht. Hier wie dort kann der primäre Zweck solcher Regelwerke - die gleichmäßige Rechtsanwendung340 - nur erreicht werden, wenn sie auch möglichst lückenlos berücksichtigt werden. Dass die Unterhaltsregeln Einheitlichkeit und Konformität anstreben, stellt die Rezeptionsfreiheit des Richters daher nicht weniger in Frage als im Umgang mit privaten Regelwerken. Rechtliche Bindung an bestimmte Regelwerke kann allenfalls der Instanzenzug suggerieren, der es dem Untergericht nahe legt, die von der jeweiligen Berufungsinstanz formulierten oder anerkannten Unterhaltsrichtlinien heranzuziehen. Diese Autorität des Obergerichts gegenüber der unteren Instanz schwingt aber auch sonst in jeder untergerichtlichen Entscheidung mit, ohne dass deshalb eine rechtliche Bindung an die obergerichtliche Rechtsauffassung oder Beurteilungspraxis entstünde. Dieselbe „Sogwirkung" lässt sich beobachten, wenn sich die Berufungsinstanz für die Heranziehung privater Regelwerke ausspricht und sich etwa auf DIN-Normen stützt. Auch hier wird sich das Untergericht der obergerichtlichen Rezeptionsentscheidung - schon aus Gründen der Arbeits- und Zeitersparnis - im Regelfall nicht entziehen. Diese unbestreitbare faktische Wirkung obergerichtlicher Rezeptionsentscheidungen lässt sich aber nicht den rezipierten Regelwerken als unzulässig angemaßte Geltung ankreiden. Sie hat ihren Grund weniger in der Urheberschaft der Regelwerke - ob sie privaten oder judikativen Ursprungs sind - , sondern ist Konsequenz des Instanzenzuges, wie er letztlich in jeder Konkretisierungsentscheidung wirksam wird. 341 Eine rechtliche Bindung und damit eine erhebliche Beeinträchtigung 337 Siehe etwa die Vorschläge für Tabellen zur Unterhaltsbemessung von G. Ehlert, FamRZ 1980, 1083 (1085f.); W. Gröning, FamRZ 1983, 331 ff.; W. Russow, FamRZ 1980, 541 ff. 338 J. Gernhuber, FamRZ 1983, 1069 (1073). 339 V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S. 80; /. Gernhuber, FamRZ 1983, 1069 (1073). 340 Zum Gebot gleichmäßiger Konkretisierung auch schon oben, §4 VI. 4. a). 341 R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 152.

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Quantifizierungen

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der Rezeptionsfreiheit des Tatrichters an bestimmte Leitlinien und insbesondere an die Leitlinien des jeweiligen O L G s resultiert daraus nicht. Die Rezeptionsfreiheit des Tatrichters ist bei judikativen Unterhaltsregeln daher keine andere als bei sonstigen privaten und unverbindlichen Regelwerken; hier wie dort steht es dem Tatrichter in den Grenzen der Rechtsanwendungsgleichheit342 und des Vertrauensschutzes343 grundsätzlich frei, ob er überhaupt Regelwerke für die Unterhaltsbemessung heranziehen möchte und wenn ja welche. 344 Damit sind die unterhaltsrechtlichen Tabellen und Leitlinien als informelle Rechtsprechungsakte zwar unverbindlich und ohne rechtliche Geltung, doch können sie im Wege der Rezeption in zulässiger Weise in die Unterhaltsbemessung einbezogen werden. cc) Bedingungen

sachrichtiger

Rezeption

Auch wenn nach den vorstehenden Überlegungen geklärt werden konnte, dass Unterhaltstabellen und Leitlinien grundsätzlich als externe judikative Quantifizierungen im Wege der Rezeption für die Konkretisierung des Unterhaltsrechts herangezogen werden können, ist noch im Einzelnen nach den Sachrichtigkeitsbedingungen der Rezeption zu fragen. (1) Allgemeine Einschlägigkeit

Sachrichtigkeitsbedingungen:

Sachverständigkeit,

Aktualität,

Zu den allgemeinen Sachrichtigkeitsbedingungen von Rezeptionsentscheidungen gehört insbesondere die Sachverständigkeit des Normgebers, die Aktualität der rezipierten Regeln und ihre sachliche Einschlägigkeit für die Konkretisierungsaufgabe.345 Die Sachverständigkeit der Familiensenate beruht auf ihrer einschlägigen Konkretisierungserfahrung; 346 ihre richterliche Funktion garantiert zudem die 3 4 2 Zum Gebot der Konkretisierungsgleichbehandlung bereits oben, §4 VI. 4. a); vgl. auch A. Lüderitz, FamilienR, Rdnr. 714 unter Hinweis auf B G H , FamRZ 1992, 795 sub 4. Auch hierbei handelt es sich aber ein allgemeines Konkretisierungsgebot, das keine „gesteigerte" Bedeutung bei der Rezeption judikativer Unterhaltsregeln hat. 3 4 3 Zum Gebot optimaler Präjudizienachtung bereits oben, §4 VI. 3. 344 W. Köhler, in: FS für K. Rebmann, S. 569 (589). Dies erkennt auch V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S. 80 ausdrücklich an, qualifiziert diese Freiheit aber m.E. aus den im Text genannten Argumenten zu Unrecht - als eine allenfalls „auf dem Papier" bestehende Unabhängigkeit ab. Die von V. Diedrich im Grundsatz zu Recht geäußerten Bedenken an der Unabhängigkeit des Tatrichters brandmarken die falsche Ursache; nicht die judikativen Regelwerke begrenzen de facto den Handlungsspielraum des Tatrichters, sondern der Instanzenzug. 3 4 5 Zu den allgemeinen Sachrichtigkeitsbedingungen von Rezeptionsentscheidungen bereits oben, § 11 III. 2. b), d) bb) sowie §4 VI. 2. b). 3 4 6 Der B G H qualifiziert die Unterhaltsbedarfssätze daher auch als „auf allgemeiner Erfahrung beruhende Richtsätze"; siehe nur B G H , NJW 2000, 3140. Zur Legitimität der Quantifizie-

294

Typologie

der

Normkonkretisierung

nötige Objektivität und Neutralität. 347 Die Aktualität der Regelwerke ist durch ihre regelmäßige Überarbeitung und Neufassung gesichert. Die Düsseldorfer Tabelle wird durchschnittlich alle zwei Jahre neugefasst,348 und die Leitlinien der OLGe folgen zumeist in kurzem Abstand nach. Größere Aufmerksamkeit ist der sachlichen Einschlägigkeit der rezipierten Werte zu schenken. Vor allem bei den Unterhaltsbeträgen für den Kindesunterhalt ist die begrenzte Aussagekraft der Tabellenwerte zu beachten: Dies gilt einmal in Bezug auf die Altersund Einkommensstufen349, vor allem aber im Hinblick auf die der Tabelle zugrundeliegende „Regelfamilie" von einem unterhaltsberechtigtem Elternteil und zwei unterhaltsberechtigten Kindern.350 Hat der Verpflichtete weniger oder mehr Unterhaltslasten zu tragen, sind die ausgewiesenen Tabellenwerte nicht mehr einschlägig.351 Daneben ist generell zu beachten, dass die Unterhaltsrichtsätze und -quoten immer nur für den „Regelfall" Sachrichtigkeit beanspruchen können. In Anlehnung an die „immanenten Grenzen der technischen Normung" 352 ließe sich für die Unterhaltswerte von einer immanenten Grenze des „ Regelfalles " sprechen. Hintergrund dieser immanenten Regelfallbegrenzung ist das Vollständigkeitsgebot353, also der Gedanke, dass Quantifizierungen nur dann sachrichtig sind, wenn sie die vom Gesetzgeber geforderte Bewertungsaufgabe vollständig umsetzen. Eine weitere besondere Sachrichtigkeitsbedingung stellt das Gebot der Folgerichtigkeit dar. Beide Gebote werden im Folgenden am Beispiel der Unterhaltsquoten und der Selbstbehaltssätze erläutert.

rungen im Hinblick auf den in ihnen verkörperten Erfahrungsschatz der Gerichte G. Christi, NJW 1984,267 (270); allg. zur Konkretisierungserfahrung als Quantifizierungsbedingung oben, §11 II. 2. 347 Zur Objektivität und Neutralität des Normgebers bereits oben, § 11 III. 2. b); § 4 VI. 2. b). 348 Bis zum Jahr 1977 wurde die Tabelle vom LG Düsseldorf erstellt (1962,1965,1971,1977), zum 1.1.1979 erschien die erste Tabelle des OLG Düsseldorf, verändert zum 1.1.1980,1.1.1982, 1.1.1985,1.1.1989,1.7.1992,1.1.1996,1.7.1999,1.7.2001,1.1.2002 und zuletzt zum 1.7.2003. - Die wechselnde „Geltungsdauer" ist dadurch bedingt, dass nach dem selbst gesetzten Maßstab eine neue Tabelle eine Änderung von 10% voraussetzt; hierzu W. Köhler, in: FS für K. Rebmann, S.569 (582). Zu den jüngeren Änderungen der Düsseldorfer Tabelle etwa H. Büttner/B. Niepmann, NJW 2001, 2215 (2216f.). 349 Zum Schema der Tabelle näher R. Scholz, FamRZ 1993, 125 (129ff.). 350 Siehe Düsseldorfer Tabelle (Stand: 1.7.2003), Anm. 1. 351 Vielmehr müssen von dem nach Alter und Einkommensstufe an sich maßgeblichen Betrag Ab- oder Zuschläge gemacht werden; vgl. aus jüngerer Zeit nur BGH, NJW 2000, 3140 (3141); OLG Düsseldorf, NJW-RR 2001, 436. 352 Siehe oben §11 bei Fn. 197. 353 Hierzu bereits oben, § 11 II. 3.

5 11

(2) Besondere (a) Vollständigkeit

Quantifizierungen

295

Sachrichtigkeitsbedingungen und

Doppelverwertungsverbot

Die Verteilung des ehelichen Einkommens nach der in den Unterhaltsleitlinien ausgewiesenen Unterhaltsquote354 ist nur dann sachrichtig, wenn nicht besondere Gesichtspunkte eine abweichende Bemessung des Unterhaltsbedarfs nahe legen. So nimmt die Sachrichtigkeit der quotenmäßigen Verteilung bei höheren Einkommen ab, da hier häufig ein Teil des Einkommens zur Vermögensbildung verwendet wird und dieser Teil nicht mehr der für die Unterhaltsbemessung maßgeblichen Lebensführung zuzuschlagen ist.355 Ebenfalls nicht in den ehelichen Lebensverhältnissen abgebildet sind nachträgliche Veränderungen des Lebensbedarfs, also der trennungsbedingte Mehr- 356 oder auch Minderbedarf.357 Auch für die Bemessung von Vorsorgeunterhalt und Sonderbedarf sowie in Mangelfällen kann nicht allein auf die Unterhaltsquoten zurückgegriffen werden.358 Die Sachrichtigkeit der Unterhaltsquoten kann daher nur für Regeloder Normalfälle etabliert werden, während über- oder unterdurchschnittliche Bedürfnisse oder Lebensverhältnisse einzelfallbezogen zu bewerten sind.359 Dieser eingeschränkten Aussagekraft der Quantifizierungen als Regelfallkonkretisierungen ist sich die Rechtsprechung auch bewusst, wenn sie betont, dass es sich bei den Unterhaltsquoten lediglich um „Orientierungshilfen" handelt,

Siehe bereits oben bei Fn. 282ff. So auch BVerfG, N J W 1981,1771; gegen eine pauschalierte Berücksichtigung der Vermögensbildung durch eine Sparquote aber B G H , FamRZ 1983,678 (679); FamRZ 1987,36; genauso O L G Hamm, FamRZ 1992, 1175f. und O L G Köln, FamRZ 1998, 1431; zustimmend Staudinger/H. Hübner/R. Voppel (13. Bearb. 2000), §1361 Rdnr.141; weiter gehend G. Christi, N J W 1984, 267 (268ff.); ders., N J W 1982, 961 (963). Zur Unterhaltsbemessung bei höheren Einkommen B G H , N J W 1969, 919f.; N J W 1989, 2809. 3 5 6 Grundlegend H. Hampel, FamRZ 1981, 851 (853); siehe seitdem nur B G H , FamRZ 1981, 539 (541); FamRZ 1982, 255 (257); FamRZ 1983, 886 (887); FamRZ 1984, 151 (153); FamRZ 1990, 979; FamRZ 1995, 346 (347) sowie V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S.lOlf.; Ph. Wendl/S. Staudigl/P. Gerhardt, UnterhaltsR, §4 Rdnrn. 416ff.; MünchKomm/H.-U. Maurer (4.Aufl. 2000), §1578 Rdnrn. 79ff.; Palandt/G. Brudermüller, §1578 Rdnrn. 40ff.; Soergel/H. Lange (12. Aufl. 1988), §1361 Rdnr.22. 3 5 7 In Einzelfällen kann es nach einer Trennung auch zu einer Verringerung des Lebensbedarfs kommen; siehe O L G Frankfurt, FamRZ 1981, 1061 (Wegfall großzügiger Geschenke an den Ehegatten) sowie Staudinger/H. Hübner/R. Voppel (13. Bearb. 2000), § 1361 Rdnr. 142. 3 5 8 Für eine weiter gehende individuelle Bedarfskontrolle G. Christi, N J W 1982, 961 ff. 3 5 9 So wenig dem Gesichtspunkt der Vermögensbildung durch eine pauschale Sparquote Rechnung getragen werden kann, so wenig kann auch der trennungsbedingte Mehrbedarf generell, beispielsweise nach einem Prozentanteil von den Gesamteinkünften bemessen werden, sondern ist im Einzelfall konkret darzulegen; siehe B G H , FamRZ 1982, 255 (257); FamRZ 1990, 1085 (1090); FamRZ 1995, 346 (347); kritisch aber H. Borth, in: D. Schwab (Hrsg.), Hdb. des ScheidungsR, IV Rdnr. 947. 354 355

296

Typologie

der

Normkonkretisierung

die im Einzelfall eine konkrete Bedarfsbemessung 3 6 0 nicht zu ersetzen v e r m ö gen. 361 U m g e k e h r t folgt aus dem G e b o t der Vollständigkeit v o n Quantifizierungen aber auch das Verbot, denselben Beurteilungsgesichtspunkt mehrfach zu berücksichtigen ( D o p p e l v e r w e r t u n g s v e r b o t ) . A l s problematisch erweist sich insoweit die Abgeltung des Erwerbsaufwandes. Basierend auf den A n m e r k u n g e n z u r Düsseldorfer Tabelle und den Leitlinien des O L G Düsseldorf entspricht es der Unterhaltspraxis in vielen O L G - B e z i r k e n , dem Erwerbstätigen sowohl eine pauschale Abgeltung seiner berufsbedingten A u f w e n d u n g e n in H ö h e v o n 5 % als auch einen Erwerbstätigenbonus in H ö h e v o n 1/7 oder 1/10 des unterhaltspflichtigen Einkommens zuzubilligen. 3 6 2 Diese Praxis ist insoweit kritisch zu beurteilen, als der Erwerbstätigenbonus nicht nur als Arbeitsanreiz f ü r den Unterhaltsschuldner fungiert, sondern abermals einen mit der Erwerbstätigkeit verbundenen erhöhten A u f w a n d abgelten soll. 3 6 3 G a n z im Sinne des D o p p e l verwertungsverbotes hat der B G H daher in jüngerer Zeit mehrfach darauf hingewiesen, dass der Erwerbstätigenbonus nach einem pauschalen Vorwegabzug erwerbsbezogener M e h r a u f w e n d u n g e n nur noch als Arbeitsanreiz fungieren könne und daher entsprechend geringer zu veranschlagen sei. 364 U m dennoch s o w o h l berufsbedingte A u f w e n d u n g e n als auch den Erwerbstätigenbonus abziehen zu können, sehen die Leitlinien der O L G e Bremen, Hamburg, K ö l n und

360 Zur konkreten Bedarfsbemessung P. Gerhardt, in: Ph. Wendl/S. Staudigl (Hrsg.), UnterhaltsR, §4 Rdnrn. 366ff.; Staudinger/H. Hübner/R. Moppel (13. Bearb. 2000), §1361 Rdnrn. 140ff. 361 Siehe nur BGH, NJW1969,919; FamRZ 1983,1733;FamRZ 1986,151 (152);FamRZ 1987, 266; FamRZ 1993, 125 (127); KG, NJW 1978, 2302 (2303); P. Wax, UnterhaltsR, Rdnr. 86; Staudinger/H. Hübner/R. Voppel (13. Bearb. 2000), §1361 Rdnrn. 162f. 362 Siehe die Anm. A. 3. und B. 1.1. zur Düsseldorfer Tabelle (Stand: 1.7.2003) sowie die unterhaltsrechtlichen Leitlinien des OLG Düsseldorf (Stand: 1.7.2003), 10.2.1. und 15.2. sowie die Leitlinien der Familiensenate in Süddeutschland (Stand: 1.7.2003), 10.2. und 15.2.; die Leitlinien des OLG Brandenburg (Stand: 1.7.2003), 10.2. und 15.2.; des OLG Celle (Stand: 1.7.2003), 10.2.1. und 15.2.; des OLG Naumburg (Stand: 1.7.2003), 10.2.1. und 15.2. sowie des OLG Oldenburg (Stand: 1.7.2003), 10.2.1. und 15.2.: mindestens 50 € und höchstens 150 € bei Vollzeittätigkeit. 363 Siehe nur BGH, NJW 1997,1919; NJW 1982, 2442 (2443); mit ausführlicher Begründung KG, NJW 1978,2302 (2303). Im Schrifttum sind beide Facetten des Erwerbstätigenbonus zunehmend der Kritik ausgesetzt; siehe insbes. V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S.97ff.; W. Fischer-Winkelmann, FuR 1994, 212 (216f.); W. Gernhuber/D. CoesterWaltjen, FamilienR, §21 II; H.-U. Graba, NJW 1993,3033 (3034); Soergel/O. Häberle (12. Aufl. 1988), § 1578 Rdnrn. 31ff.; D. Mutschier, FamRZ 1972, 345 (346); W. Rassow, FamRZ 1969, 515 (518); Staudinger/B. Verschraegen (13. Bearb. 1998), § 1578 Rdnrn. 152ff.; G. Walter, NJW 1984, 257 (264f.). 364 BGH, FamRZ 1990, 989 (991); FamRZ 1990, 1085 (1087); FamRZ 1990, 1090 (1091); FamRZ 1992, 539 (541); genauso OLG Karlsruhe, FamRZ 1996, 350 (351) unter Zustimmung von BGH, NJW 1997,1919. Hierzu auch K. Riegner, FamRZ 1997,257 (260f.). Ausdrücklich gegen den BGH aber OLG Düsseldorf, NJW 1999, 1721ff.; vgl. auch schon OLG München, FamRZ 1993, 328 (329) und OLG Düsseldorf, FamRZ 1994, 1049 (1051).

§11

297

Quantifizierungen

J e n a i n z w i s c h e n vor, dass anstelle der P a u s c h a l e v o n 5 % n u r n o c h k o n k r e t dargelegte berufsbedingte A u f w e n d u n g e n a n z u e r k e n n e n sind.365 Zugleich h a b e n die L e i t l i n i e n des O L G D ü s s e l d o r f e i n s a c h l i c h e s

Unterscheidungskriterium

für beide Abzugsposten eingeführt: Eindeutig berufsbedingte Aufwendungen sollen bereits bei der E r m i t t l u n g des unterhaltspflichtigen E i n k o m m e n s

be-

rücksichtigt w e r d e n , w ä h r e n d „diejenigen A u f w e n d u n g e n , die sich nicht n a c h objektiven M e r k m a l e n eindeutig v o n den privaten Lebenshaltungskosten grenzen lassen",366 erst mit d e m E r w e r b s t ä t i g e n b o n u s

abgegolten

ab-

werden.

N i m m t m a n beide E r w ä g u n g e n z u s a m m e n - den Verzicht auf eine Pauschale u n d die U n t e r s c h e i d u n g z w i s c h e n rein beruflichen A u f w e n d u n g e n u n d b e r u f s b e d i n g t e n M e h r a u f w e n d u n g e n i m p r i v a t e n B e r e i c h - , s o w i r d m a n das v o m B G H unterschwellig ausgesprochene Verdikt der Doppelverwertung w o h l entk r ä f t e n k ö n n e n . 3 6 7 I m H i n b l i c k a u f d a s D o p p e l v e r w e r t u n g s v e r b o t w ä r e es a b e r v o n größerer Konkretisierungsrationalität und letztlich ehrlicher, mit d e m K G d e n E r w e r b s t ä t i g e n b o n u s a u s d r ü c k l i c h n u r n o c h „als A n r e i z " z u g e w ä h r e n u n d d a v o n a b z u s e h e n , d i e H ö h e des E r w e r b s t ä t i g e n b o n u s m i t n i c h t b e z i f f e r b a r e n und nicht abgrenzbaren Mehraufwendungen zu verschleiern.368,369 N o c h k o n sequenter w a r allerdings die N ü r n b e r g e r Tabelle, die auf einen V o r w e g a b z u g berufsbedingter Aufwendungen überhaupt verzichtete.370 3 6 5 Siehe die unterhaltsrechtlichen Leitlinien des O L G Bremen (Stand: 1.7.2003), 10.2.1.; des O L G Hamburg (Stand: 1.7.2003), 10.2.1.: „Eine Pauschale wird in der Regel nicht gewährt"; genauso die Leitlinien des O L G Köln (Stand: 1.7.2003), 10.2.1.; siehe auch die Leitlinien des O L G Jena (Stand: 1.7.2003), 10.2.1.: nur auf konkreten Nachweis; genauso die Leitlinien des O L G Dresden (Stand: 1.7.2003), 10.2.1., beide allerdings unter Zulassung einer Schätzung. 3 6 6 Anmerkungen zur Düsseldorfer Tabelle (Stand: 1.7.2003), A. 3.; so auch schon O L G Düsseldorf, N J W 1999, 1721 (1722) und inzwischen die überwiegende Zahl der Leitlinien; siehe nur die Leitlinien des O L G Dresden (Stand: 1.7.2003), 10.2., des O L G Köln (Stand: 1.7.2003), 10.2. sowie des O L G Naumburg (Stand: 1.7.2003), 10.2. Zu dieser Unterscheidung bereits H. Scholz, FamRZ 1993, 125 (131); vgl. auch K. Riegner, FamRZ 1997, 257 (261 f.). 3 6 7 Nicht richtig ist es aber, den zuvor für den Erwerbsaufwand gewährten Quotenvorteil unbesehen für den privaten Lebenshaltungsmehraufwand umzuwidmen. Eine Pauschalierung des privaten Lebensmehraufwandes setzt sich den gleichen Bedenken aus wie eine Pauschalierung trennungsbedingten Mehrbedarfs; vgl. weiter/l. Röthel, FamRZ 2001, 328 (331 ff.). 3 6 8 So die unterhaltsrechtlichen Leitlinien des K G (Stand: 1.7.2001), Pkt. 33 (2); weniger deutlich allerdings die Neufassung der Leitlinien zum 1.7.2003, 10.2. In diese Richtung wendet sich auch die Kritik von H.-U. Graba, N J W 1993,3033 (3034); nachdrücklich gegen eine Pauschalierung nicht näher bestimmter Aufwendungen Staudinger/B. Verschraegen (13. Bearb. 1998), § 1578 Rdnr. 153 f.; vgl. auch schon G. Walter, N J W 1984, 257 (264). 3 6 9 Eine andere Frage ist es aber, ob der Anreizgedanke überhaupt eine sachliche Berechtigung gibt, vom Halbteilungsgrundsatz abzuweichen. Dies wird in jüngerer Zeit mit Recht kritisch beurteilt; vgl. nur G. Christi, N J W 1982, 961 (967);/. Gernhuher/D. Coester-Waltjen, FamR, §21 II. 10; W. Müller-Freienfels, in: FS für G. Beitzke, S. 311 (346ff.); D. Mutschier, FamRZ 1977, 397 (398); W. Rassow, FamRZ 1969, 515 (518); A. Röthel, FamRZ 2001, 328 (332f.); Soergel/O. Haberle (12.Aufl. 1988), §1578 Rdnr.32; Staudinger/B. Verschraegen (13. Bearb. 1998), §1578 Rdnr. 153. 3 7 0 In der Nürnberger Tabelle war ein Vorwegabzug eines pauschalierten oder konkret errechneten Erwerbsaufwandes bei der Bestimmung des Bemessungseinkommens überhaupt nicht

298

Typologie

der

Normkonkretisierung

A u c h f ü r die Rezeption der Selbstbehaltssätze spielt das Vollständigkeitsgebot eine Rolle. Insoweit fällt zunächst auf, dass der Selbstbehalt durchgehend als absoluter Wert angegeben ist, der nicht nach dem zur Verfügung stehenden unterhaltspflichtigen Einkommen differenziert. Für allem f ü r den großen Selbstbehalt nach § 1603 Abs. 1 B G B w e r d e n aber immer wieder variable, am Einkommen des Unterhaltsschuldners ausgerichtete Werte angemahnt. 3 7 1 A n lass zu Missverständnissen haben hier auch die f r ü h e r als „Selbstbehalt" 3 7 2 ausgewiesenen Bedarfskontrollbeträge der Düsseldorfer Tabelle 373 gegeben, die im Schrifttum z u m Teil als einkommensabhängige Selbstbehalte gedeutet w u r den. 3 7 4 Gleichwohl verzichten die Tabellen und Leitlinien völlig zu Recht darauf, die Selbstbehalte an den Einkommensverhältnissen auszurichten. Dies gilt insbesondere f ü r den Trennungsselbstbehalt nach § 1 3 6 1 B G B . Da das Gesetz anders als in § 1 5 8 1 B G B - der Unterhaltspflicht keine besondere und ausdrückliche G r e n z e zieht, endet die Unterhaltspflicht erst dort, w o das Existenzminim u m des Unterhaltsschuldners gefährdet ist. 375 Das Existenzminimum ist eine allgemeine, sämtlichen Unterhaltspflichten immanente Grenze, hinter die der Unterhaltspflichtige keinesfalls zurückgedrängt werden darf. 3 7 6 Entscheidend ist aber, dass das Existenzminimum einkommensunabhängig ist und nicht durch die individuelle Lebensstellung des Unterhaltsverpflichteten bestimmt wird. 3 7 7 Daher ist es unter dem Gesichtspunkt der Vollständigkeit v o n Quantifizierungen nicht anzugreifen, dass die Selbstbehaltsätze einkommensunabhän-

vorgesehen; der Erwerbsaufwand wurde allein in der „Erwerbstätigkeitspauschale" abgegolten; hierzu ausführlich K. Riegner, FamRZ 1995, 641 (642); ders., FamRZ 1996, 988 (989). 371 A. Dieckmann, DAVorm 1979, 553 (561); I. Christian, ZB1JR 1982, 559 (575); F. Kleinle/ D. Weychardt, ZfJ 1996,399 (403f.); für höhere Selbstbehalte bei gehobener Lebensstellung auch Staudinger/W. Kappe/H. Engler (13. Bearb. 2000), §1603 Rdnrn. 201 f. 372 So etwa die Düsseldorfer Tabelle in der Fassung vom 1.1.1978, siehe FamRZ 1978, 854. 373 Siehe Düsseldorfer Tabelle (Stand: 1.7.2003), A. letzte Spalte. Inzwischen ist in Anm.6 ausdrücklich klargestellt, dass der „Bedarfskontrollbetrag... nicht identisch [ist] mit dem Eigenbedarf: Er soll eine ausgewogene Verteilung des Einkommens zwischen dem Unterhaltspflichtigen und den unterhaltsberechtigten Kindern gewährleisten." Siehe auch Staudinger/W. Kappe/ H. Engler (13. Bearb. 2000), § 1603 Rdnr.202. 374 G. Christi, NJW 1982, 961 (962): „synonym für den angemessenen Selbstbehalt beim Kindesunterhalt und sinngemäß für den notwendigen Eigenbedarf beim Ehegattenunterhalt"; siehe auch I. Christian, ZBlJR 1982, 559 (562, 574); A. Dieckmann, in: 3. DFGT, S. 41 (60); V. Huvale, ZB1JR 1982, 577 (582); D. Weychardt, DAVorm 1979, 145 (152). 375 Der Selbstbehalt nach § 1361 BGB entspricht daher dem großen oder notwendigen Selbstbehalt nach § 1603 Abs. 2 BGB; so mit eingehender Begründung V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S. 113. 376 Der Unterschied zwischen den einzelnen Unterhaltsarten besteht nur darin, dass dem Unterhaltspflichtigen ggf. mehr als das Existenzminimum zu verbleiben hat. So rangieren sowohl der eheangemessene Selbstbehalt nach § 1581 BGB als auch der große Selbstbehalt nach § 1603 Abs. 1 BGB regelmäßig über dem Existenzminimum. Siehe für § 1581 BGB grundlegend BGH, FamRZ 1990, 260ff. 377 BGH, FamRZ 1982, 365 (366).

§11

Quantifizierungen

299

gig formuliert sind. 378 Dass sich der Selbstbehalt weit gehend losgelöst v o n individuellen Besonderheiten bestimmt, spricht allerdings dafür, den Selbstbehalt durch Gesetz oder Verordnung außenwirksam zu fixieren. 3 7 9 H i e r f ü r hat sich nun auch der 64. Deutsche Juristentag ausgesprochen. 3 8 0 Kritisch ist hingegen zu bewerten, dass die meisten Unterhaltsleitlinien 3 8 1 und auch die Düsseldorfer Tabelle 382 danach unterscheiden, ob der Unterhaltspflichtige erwerbstätig ist oder nicht. 3 8 3 Hier liegt abermals der Einwand der Doppelverwertung 3 8 4 auf der Hand, da jedenfalls der berufsbedingte M e h r a u f wand bereits bei der Ermittlung des unterhaltspflichtigen Einkommens berücksichtigt wird. Erwerbsbezogene Kosten dürfen nicht mehrfach innerhalb derselben Unterhaltsbemessung wiederkehren. 3 8 5 Die mehrfache Berücksichtigung berufsbedingten M e h r a u f w a n d e s widerspricht dem Doppelverwertungsverbot und damit dem G e b o t der Vollständigkeit der Quantifizierung. Diesem V o r w u r f lässt sich entweder dadurch entgehen, dass bei der Einkommensbewertung kein Vorwegabzug berufsbedingter A u f w e n d u n g e n v o r g e n o m m e n w i r d - so das Modell der Nürnberger Tabelle 386 - , oder aber indem der Selbstbehalt unterschiedslos jedem Unterhaltsschuldner zugesprochen wird, wie es die Leitlinien des O L G Frankfurt 3 8 7 , des O L G Brandenburg 3 8 8 und des O L G Schleswig 3 8 9 vorsehen. 3 9 0

Billigend auch BVerfG, FamRZ 2001, 1685 (1686). Hierfür V. Lipp, NJW 2002, 2201 (2203); siehe auch D. Martiny, Gutachten A für den 64. DJT, A 26ff. 380 Siehe Beschluss I. 2. d) bb), abgedruckt in NJW 2002, 3073: Mindestunterhalt und Selbstbehalt sind vom Gesetzgeber generell festzulegen (angenommen mit 48:8:2 Stimmen). 381 So beispielsweise die Unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate in Bayern (Stand: 1.7.2003), 21.2. sowie Leitlinien des OLG Bremen (Stand: 1.7.2003), 21.2. und 21.4.; des OLG Dresden (Stand: 1.7.2003), 21.2.; des OLG Hamm (Stand: 1.7.2003), 21.2.; des OLG Jena (Stand: 1.7.2003), 21.2., 21.3., 21.4.; des OLG Köln (Stand: 1.7.2003), 21.2.; des OLG Oldenburg (Stand: 1.7.2003), 21.2. 382 Düsseldorfer Tabelle (Stand: 1.7.2003), Anm. B.V. und VI. 383 Das Schrifttum äußert kaum Bedenken an dieser Praxis; siehe nur H. Borth, in: D. Schwab (Hrsg.), Hdb des ScheidungsR, IV Rdnr.1079; H. Büttner, FamRZ 1990, 459 (460); Palandt/ G. Brudermüller, § 1361 Rdnr. 67. An anderer Stelle merkt//. Büttner aber an, dass nicht einsichtig ist, warum diese Unterscheidung nur beim kleinen und nicht beim großen Selbstbehalt getroffen wird; siehe NJW 1987, 1855 (1958). 384 Hierzu bereits oben bei Fn. 362 im Text. 385 Vgl. auch A. Dieckmann, in: 3. DFGT, S. 41 (54); V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S. 111. 386 Vgl. zur Nürnberger Tabelle von 1996 nur K. Riegner, FamRZ 1996, 988 (995). 387 Leitlinien des OLG Frankfurt (Stand: 1.7.2003), 21.2.-21.4. 388 Leitlinien des OLG Brandenburg (Stand: 1.7.2003), 21. 389 Leitlinien des OLG Schleswig (Stand: 1.7.2003), 21. 390 Unschädlich ist, dass der berufsbezogene Mehraufwand auch bereits in der Unterhaltsquote seinen Niederschlag gefunden hat, weil die Quote in der Frage des Selbstbehalts - anders als die Ermittlung des unterhaltspflichtigen Einkommens - nicht mehr wirksam wird. 378

379

300

Typologie der

(b) Gleichgerechtigkeit

und

Normkonkretisierung

Folgerichtigkeit

Weitere besondere Sachrichtigkeitsbedingungen für die R e z e p t i o n der U n t e r haltsregeln enthalten die Konkretisierungsgebote der Gleichgerechtigkeit und Folgerichtigkeit. 3 9 1 I m Zusammenhang mit den Selbstbehaltssätzen der U n t e r haltstabellen ist zu überlegen, o b sie richtigerweise danach differenzieren k ö n nen oder müssen, o b der Unterhaltsverpflichtete seinen W o h n s i t z in den neuen oder in den alten Bundesländern hat. So weisen die Leitlinien der O L G e in den neuen Bundesländern z u m Teil niedrigere Werte aus als die Leitlinien der alten Bundesländer, 3 9 2 z u m Teil enthalten sie gestaffelte Beträge je nach W o h n s i t z des Unterhaltspflichteten. 3 9 3 D i e s e Differenzierungen lassen sich nicht mit dem Einkommensgefälle zwischen West und O s t rechtfertigen, da der Selbstbehalt das E x i s t e n z m i n i m u m abbildet und damit einkommensneutral ist. Ihre innere Rechtfertigung k ö n n e n die W e s t - O s t - S e l b s t b e h a l t e allein in den unterschiedlichen Lebenshaltungskosten finden. 3 9 4 Signifikante Unterschiede wird man hier aber w o h l nur n o c h in den M i e t k o s t e n ausmachen können. 3 9 5 A u f jeden Fall verliert diese Differenzierung z u n e h m e n d seine Berechtigung und sollte in den nächsten J a h r e n völlig aufgegeben werden. E i n weiterer G e s i c h t s p u n k t für die materielle Sachrichtigkeit der Selbstbehaltswerte ist ihre Vereinbarkeit

mit sachähnlichen

Quantifizierungen.3%

Es

existiert ein ganzes Bündel v o n Vorschriften, deren Ziel es ist, dem B e t r o f f e n e n ein E x i s t e n z m i n i m u m und die dafür notwendigen Mittel zu garantieren oder zu erhalten. A n erster Stelle sind hier die Festsetzungen des Sozialhilferechts zu nennen, also die gemäß § 2 2 A b s . 2 B S H G auf Länderebene festgelegten Sozialhilferegelsätze 3 9 7 sowie die E i n k o m m e n s g r e n z e n für die Hilfe in besonderen Zu diesen Verfassungsvorgaben der Konkretisierung bereits oben, §4 VI. 4. Siehe bereits bei Fn.292. 393 Leitlinien des K G (Stand: 1.7.2003), 21.2., 21.3.1., 21.5. Siehe auch noch die älteren Leitlinien des O L G Naumburg (Stand: 1.7.1999), 4.: „Sofern der Schuldner seinen ständigen Aufenthalt in den neuen Bundesländern hat, kann ein höherer Selbstbehalt zugrundegelegt werden; dieser Wert wird neben dem jeweiligen Selbstbehalt in Klammer aufgeführt." Gemäß 4.4. wurden dem erwerbstätigen Ehegatten 1550 DM bzw. 1700 DM und dem nicht erwerbstätigen Ehegatten 1370 bzw. 1500 DM Selbstbehalt zugesprochen. 394 Kritisch MünchKomm/W. Born (4. Aufl. 2002), §1610 Rdnr.84: Angleichung zwischen Ost und West „erscheint statistisch noch nicht ausreichend abgesichert". 395 Siehe die Höchstbeträge für die Leistung von Wohngeld in § 8 Abs. 1 WoGG i. d. F. vom 23.1.2002; diese Werte gelten auch als Höchstgrenze für die Bemessung der Sozialhilfe. 396 Zum Gebot der Folgerichtigkeit bereits oben, §4 VI. 3. b). 397 Siehe für den Zeitraum vom 1.7.2002 bis zum 30.6.2003; hier bewegten sich die Sozialhilfesätze zwischen 294 € (Baden-Württemberg, Hessen) und 279 € (Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Thüringen). Dazwischen lagen Berlin, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, NordrheinWestfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein mit 293 6 , Bayern mit mindestens 284 € , Sachsen-Anhalt mit 282 € und schließlich Brandenburg mit 280 € . Hinzu kommen gemäß §3 Abs. 1 B S H G - V O die laufenden Kosten für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe, eventueller Mehrbedarf gemäß §23 BSHG sowie einmalige Leistungen gemäß §21 BSHG. Im Sinne eines groben Anhaltes wird man die durchschnittliche Sozialhil391

392

§11

Quantifizierungen

301

Lebenslagen gemäß §§79, 81 BSHG. 3 9 8 An die Grundbeträge des §79 A b s . l Nr. 1 B S H G knüpft gemäß §115 A b s . l Nr.2 Z P O auch die Gewährung von Prozesskostenhilfe an. 399 Ebenfalls der Sicherung eines gewissen Mindestbedarfs dienen die Bedarfssätze der §§ 12,13 BAföG. 4 0 0 Schließlich ist an die Pfändungsfreigrenzen des §850c Abs. 1 S. 1 ZPO 4 0 1 zu erinnern. 402 Im Schrifttum ist immer wieder erörtert worden, inwieweit der notwendige Selbstbehalt an diese anderweitig legislativ und exekutiv 403 fixierten Bedarfsgrenzen angelehnt werden können bzw. mit ihnen in Einklang gebracht werden müssen. 404 Als hoheitliche Quantifizierungen sind die Sozialhilfesätze oder die fe bei mehr als dem doppelten Eckregelsatz ansetzen müssen, also derzeit bei etwa 584 € in den alten und 564 € in den neuen Bundesländern; vgl. hierzu B G H , N J W 1989, 253, gebilligt von BVerfG, N J W 2002, 2701 (2702); H. Büttner, FamRZ 1990, 459 (461); A. Dieckmann, FamRZ 1979, 334 (335). 3 9 8 Die Einkommensgrenzen für die Hilfe in besonderen Lebenslagen, also die Leistungen nach dem dritten Abschnitt des B S H G , werden ebenfalls jährlich neu festgesetzt und betrugen zum Stichtag 1.1.2003 einheitlich für alle Bundesländer 539,92 € zzgl. der Kosten für Unterkunft und Heizung gemäß §79 B S H G sowie 809,63 € gemäß §81 Abs. 1 B S H G . 3 9 9 Prozesskostenhilfe wird nur dann und nur insoweit gewährt, als die voraussichtlichen Prozesskosten das einsetzungspflichtige Vermögen übersteigen (§115 Abs. 3 ZPO). Nicht einsetzungspflichtig sind gemäß § 115 Abs. 1 Nr. 2 Z P O 6 4 % des jeweiligen Grundbetrages nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 B S H G (zum 1.1.2003 539,92 € ) ; hinzu kommen die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 115 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). 4 0 0 Für Studierende an Hochschulen gilt seit dem 1.7.2002 ein monatlicher Grundbedarf von 333 € (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 BAföG) zzgl. 44 bzw. 133 € für die Unterkunft (§ 13 Abs. 2 BAföG) und der Kosten für die Krankenversicherung (§ 13 Abs.2a BAföG). 4 0 1 Gemäß der Anlage zu § 850c Abs. 1 Z P O ist Arbeitseinkommen bis zur Höhe von monatlich netto 939,99 € in jedem Fall pfändungsfrei; die Pfändungsfreigrenzen wurden angehoben durch das Siebte Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen vom 13.12.2001, BGBl. I S. 3638. 4 0 2 Nicht in diesen Zusammenhang gehört jedoch die Konkretisierung des „notwendigen Unterhalts" i.S. des § 850d Abs. 1 S. 2 Z P O , die sich auf derselben Konkretisierungsebene wie die Ermittlung des Selbstbehalts im Unterhaltsrecht bewegt, da eben keinerlei legislative oder exekutive Quantifizierungen vorhanden sind. - Die Praxis bestimmt den notwendigen Unterhalt i.S. des §850d Abs. 1 S. 2 Z P O vielfach anhand des doppelten Eckregelsatzes der Sozialhilfe; siehe K G , Rpfleger 1994,373; K G , N J W - R R 1987,132. Gegen die Gleichsetzung mit dem Sozialhilfebedarf aber H. Büttner, FamRZ 1990,459 (462). Zur Frage, ob das vollstreckungsrechtliche Existenzminimum ober- oder unterhalb des unterhaltsrechtlichen Selbstbehalts anzusiedeln ist, einerseits V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S. 118f., andererseits H. Büttner, FamRZ 1990, 459 (463). 4 0 3 Die Regelsätze für die Sozialhilfe werden von den Landesregierungen (§22 Abs. 2 S. 1 B S H G ) und daher exekutiv formuliert, ansonsten handelt es sich um legislative Quantifizierungen. Zu exekutiven Quantifizierungen bereits oben, § 11 III. 2. c). 4 0 4 Hierzu H. Büttner, FamRZ 1990,459ff.; V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S. 116ff.; W. Müller-Freienfels, in: FS für G. Beitzke, S. 311 (342ff.); zu den Bedarfskontrollbeträgen MünchKomm/H. Luthin (4. Aufl. 2002), §1603 Rdnrn. 85ff. Solange der Selbstbehalt noch nicht Gegenstand von Tabellen und Leitlinien war, haben auch die Gerichte immer wieder auf die anderweitig formulierten Belastungsgrenzen zurückgegriffen. Für eine Orientierung an den Sozialhilferegelsätzen B G H , N J W 1989, 523 (doppelter Eckregelsatz); A G Neuss, N J W 1978, 664; O L G Karlsruhe, Die Justiz 1978, 318; auch O L G Hamburg, FamRZ

302

Typologie der

Normkonkretisierung

allgemeinen Pfändungsfreigrenzen sämtlich mit einem Geltungsbefehl ausgestattet. Gleichwohl „gelten" sie nicht per se für die Bestimmung der unterhaltsrechtlichen Belastungsgrenze, da sie anderen Beurteilungszielen405, namentlich der Bestimmung der staatlichen Einstandspflicht, dienen.406 Es handelt sich daher nur um sachähnliche Werte, die für die Unterhaltsbemessung weder unmittelbar gelten, noch für sie rezipiert werden können. Sie sind aber insofern von Bedeutung, als sich die judikative Bestimmung der unterhaltsrechtlichen Selbstbehalte gegenüber dem systematischen Anspruch der hoheitlichen Quantifizierungen rechtfertigen muss.407 So wird man den notwendigen Selbstbehalt richtigerweise über dem durchschnittlichen Sozialhilfeniveau ansetzen müssen,408 da sonst das Unterhaltsrecht den an sich vermögenden Unterhaltsschuldner seinerseits zum Sozialhilfebedürftigen degradieren würde.409 Auch wirken in der Sozialhilfe andere Anreizgedanken als beim Selbstbehalt: Die Sozialhilfe ist ultimative staatliche Hilfe in der Not. Sie ist so gering als nur irgend vertretbar zu bemessen, um wirksame Anreize zu schaffen, sich aus eigener Kraft selbst zu unterhalten. Hier wirkt also gerade die geringe Bemessung als Anreiz, aus der Sozialhilfe „herauszukommen". Anders verhält es sich beim notwendigen Selbstbehalt, der so hoch zu bemessen ist, dass dem Unterhaltspflichtigen noch ein ausreichender Anreiz verbleibt, sich trotz der großen Belastung durch die Unterhaltspflicht noch aus eigener Kraft zu unterhalten. Dies wäre nicht mehr gewährleistet, wenn die Opfergrenze des notwendigen Selbstbehalts und das Sozialhilfeniveau identisch oder nahezu identisch verliefen.410 Eine weiter gehende systematische Abstimmung zwischen dem notwendigen Selbstbehalt und anderweitig formulierten Bedarfssätzen und Freigrenzen ist aber nicht geboten. Dies gilt sowohl für die Einkommensgrundbeträge nach 1979, 446 (447); zustimmend W. Morawietz, FamRZ 1977, 546f.; siehe auch Staudinger/W. Kappe/H. Engler (13. Bearb. 2000), § 1603 Rdnr.228. Das O L G Düsseldorf, FamRZ 1977, 203 hatte sich hingegen für eine Anlehnung an die Grundbeträge nach §79 Abs. 1 BSHG ausgesprochen. Wieder anders entschied das KG, N J W 1953, 1434, das den Mindestselbstbehalt entsprechend der Pfändungsfreigrenzen bestimmte. 405 Vgl. W. Müller-Freienfels, in: FS für G. Beitzke, S.311 (342). 406 Zur Abgrenzung von Rezeption und Geltung bereits oben, § 11 III. 2. c) aa). 407 Dieses Postulat liegt insbesondere den Erwägungen von H. Büttner, FamRZ 1990, 459 (462f.) zugrunde. 408 So auch die einhellige Auffassung in Rspr. und Schrifttum; siehe nur B G H , FamRZ 1989, 272 (273); B G H Z 111, 194 (198); gebilligt von BVerfG, FamRZ 2001, 1686 (1687); N J W 2002, 2701 (2702); siehe auch H. Büttner, FamRZ 1990,459 (461,463); V Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S. 116f.; Soergel/O. Häberle (12. Aufl. 1988), §1603 Rdnr.22: „etwas über den Sätzen der Sozialhilfe"; W. Müller-Freienfels, in: FS für G. Beitzke, S. 311 (342f.); Staudinger/W. Kappe/H. Engler (13. Bearb. 2000), § 1603 Rdnr.228: „aus praktischen Gründen ... etwas höher als die im Einzelfall zustehende Sozialhilfe"; Palandt/U. Diederichsen, §1603 Rdnr.33. 409 B G H Z 111, 194 (198). 410 Siehe auch die Begründung von V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S. 116f.

§ 11

Quantifizierungen

303

§79 Abs. 1 Nr. 1 B S H G als auch für die Bedarfssätze gemäß §§12, 13 BAföG. Die staatlichen Einstandsgrenzen für die Gewährung hoheitlicher Leistungsansprüche unterliegen eigenen Zielsetzungen und Bedingtheiten - nicht zuletzt der (finanz-)politischen Frage nach der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der öffentlichen Hand - , die einen Vergleich damit, wie viel einem Unterhaltsschuldner von seinen eigenen Mitteln für seinen Lebensunterhalt zu belassen ist, nicht erlauben. Das politische Ermessen über das „ob" und „wie" sozialstaatlicher Leistungsgewährung zeichnet den notwendigen Selbstbehalt - abgesehen von der Sozialhilfe - nicht vor.411 dd)

Zusammenfassung

Unterhaltstabellen und -leitlinien enthalten extern formulierte judikative Quantifizierungen, z.B. in Gestalt von Bedarfsbeträgen, Unterhaltsquoten und Selbstbehaltssätzen. Es handelt sich um unverbindliche Regelwerke, die ähnlich wie private Regelwerke durch Rezeption in die richterliche Konkretisierungsarbeit einbezogen werden können. Im Hinblick auf den Erfahrungsschatz der Rechtsprechung, ihre institutionell und verfahrensmäßig gesicherte Objektivität und Neutralität sowie die regelmäßige Aktualisierung der Regelwerke genügt die Rezeptionsentscheidung den generellen Sachrichtigkeitsbedingungen. Im Hinblick auf das Gebot der Vollständigkeit von Quantifizierungen ist ihre Aussagekraft aber auf eine „Regelfall-Konkretisierung" beschränkt. Dies gilt insbesondere für die Unterhaltsquoten zum Ehegattenunterhalt. In engem Zusammenhang mit dem Vollständigkeitsgebot steht das Doppelverwertungsverbot, das vor allem beim Erwerbstätigenbonus zu beachten ist. Ein weiteres Sachrichtigkeitskriterium ist die Vereinbarkeit mit sachähnlichen Quantifizierungen (Gebot der Folgerichtigkeit); für die Selbstbehaltssätze folgt hieraus, dass sie oberhalb der Sozialhilfe angesiedelt werden sollten.

IV. Zusammenfassung Quantifizierungen sind Konkretisierungen, die Bewertungsgrenzen anhand von Zahlenwerten (Quantitäten) ausweisen. Entweder formuliert die Rechtsprechung eigene, judikative Quantifizierungen oder sie rezipiert externe Quantifizierungen. Bei der Rezeption externer Quantifizierungen kann weiter nach der Art der Rezeption unterschieden werden, d.h. ob die Rezeption gesetzlich eröffnet oder autonom geschieht, sowie nach dem Ursprung der exter-

411 So auch V. Diedrich, Unterhaltsberechnung nach Quoten und Tabellen, S. 116; W. MüllerFreienfels, in: FS für G. Beitzke, S.311 (342f.).

304

Typologie der

Normkonkretisierung

nen Quantifizierungen, also ob es sich um hoheitliche, private oder extern judikativ formulierte Quantifizierungen handelt. Der Konkretisierungsauftrag vermittelt sowohl der Formulierung judikativer Quantifizierungen als auch der Rezeption externer Quantifizierungen die nötige Legitimation. Allgemeine Gesichtspunkte für bzw. gegen die Sachrichtigkeit von Quantifizierungen sind ein bewusster Quantifizierungsverzicht des Gesetzgebers, mangelnde Konkretisierungserfahrung und unvollständige Umsetzung des Bewertungsauftrages. In der Praxis von größerer Bedeutung als judikative Quantifizierungen sind externe Quantifizierungen, die von der Rechtsprechung durch Rezeption in die Konkretisierung eingespeist werden. In §906 Abs. 1 S.2 und 3 B G B hat der Gesetzgeber die Rezeption bestimmter externer Quantifizierungen ausdrücklich eröffnet. Zumeist beruht die Rezeption externer Quantifizierungen aber auf einer autonomen Konkretisierungsentscheidung der Rechtsprechung. Hier kann je nach Art der rezipierten Quantifizierung unterschieden werden zwischen der Rezeption hoheitlicher Quantifizierungen aus Gesetzen und Rechtsverordnungen, der Rezeption privater Quantifizierungen aus Verbandsnormen, Tarifverträgen und sonstigen privaten Regelwerken sowie der Rezeption fallunabhängig entwickelter externer judikativer Quantifizierungen wie z.B. Unterhaltstabellen. Allgemeine Kritierien für die Sachrichtigkeit autonomer Rezeptionsentscheidungen sind die Sachverständigkeit und Neutralität des Normgebers, die Einschlägigkeit der rezipierten Werte für den Konkretisierungsauftrag sowie ihre Aktualität und Akzeptanz. Im Einzelnen bestehen bei der Rezeption externer Quantifizierungen je nach Urheber der Quantifizierung unterschiedliche Problemschwerpunkte. Bei hoheitlichen Quantifizierungen sind Rezeption und Geltung voneinander abzugrenzen: Innerhalb des Geltungsbereichs hoheitlicher Quantifizierungen bedarf es keiner Rezeption. Ein Beispiel hierfür sind die Vergütungsobergrenzen des § 12 AVermV. Außerhalb ihres Geltungsbereichs sind hoheitliche Quantifizierungen zwar grundsätzlich rezeptionsfähig und -bedürftig, doch wird es hier zumeist an der Einschlägigkeit der Quantifizierungen fehlen. Für private Quantifizierungen stellt sich zwar die Frage der Abgrenzung von Rezeption und Geltung nicht: Private Quantifizierungen sind stets auf Rezeption angewiesen, um rechtliche Maßstabsfunktion zu erlangen. Nicht jede Bezugnahme auf privat formulierte Regeln und Tabellen gehört aber in den Zusammenhang der Konkretisierung. Private Quantifizierungen zur konkretisierenden Ausfüllung normativ-unbestimmter Rechtsbegriffe sind abzugrenzen von bloßen Tatsachen- und Entscheidungssammlungen wie z.B. den sog. Mietspiegeln oder Schmerzensgeldtabellen. Im Übrigen sind bei technischen Normen die immanenten Grenzen technischer Normung zu beachten, während bei der Rezeption berufsständischer Regeln die Unparteilichkeit und Sachverständigkeit der Normgeber im Vordergrund steht. Regelmäßig nicht rezeptionsfähig

§11

Quantifizierungen

305

sind dagegen tarifvertragliche Regelungen, da sie zumeist nicht der Ausfüllung des gesetzlichen Regelungskonzeptes dienen, sondern sich als eigene Neuregelungen verstehen. Einen Sonderfall stellt die Rezeption externer judikativer Quantifizierungen nach Art der Unterhaltstabellen dar, also Quantifizierungen, die zwar von der Rechtsprechung formuliert sind, aber außerhalb einer Fallentscheidung. Die Aufstellung solcher fallunabhängiger Regelwerke ist zwar zulässig, doch handelt es sich um informelle Justizakte ohne förmliche Verbindlichkeit, die - genauso wie private Quantifizierungen - erst im Wege der Rezeption in die Rechtsentscheidung eingespeist werden können. Angesichts des Erfahrungsschatzes der Rechtsprechung, ihrer institutionell und verfahrensmäßig gesicherten Objektivität und Neutralität sowie der regelmäßigen Aktualisierung der Regelwerke genügt die Rezeption zumeist den allgemeinen Sachrichtigkeitsbedingungen. Von zentraler Bedeutung im Umgang mit den Unterhaltstabellen ist aber die im Hinblick auf das Gebot der Vollständigkeit geminderte Aussagekraft der Quantifizierungen im Sinne bloßer „Regelfall"-Konkretisierungen sowie die im Hinblick auf das Gebot der Folgerichtigkeit zu prüfende systematische Abstimmung mit sachähnlichen Quantifizierungen.

Dritter Teil

Normkonkretisierung im europäischen Privatrecht

§ 12 Normkonkretisierung in der supranationalen Kompetenzordnung I. Normkonkretisierung als Kompetenzfrage In der nationalen Problemdimension hat sich Normkonkretisierung im Wesentlichen als Kompetenzproblem1 erwiesen: Im Vordergrund standen die Fragen, ob und unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber der Rechtsprechung durch konkretisierungsbedürftige Gesetzesbegriffe Rechtsetzungsbefugnisse delegieren darf2 und welchen Bindungen und Bedingungen die Rechtsprechung bei der Wahrnehmung dieser Rechtsbildungsaufträge unterliegt.3 Wie bei allen Kompetenzfragen steht auch hinter den Kompetenzfragen der Normkonkretisierung das Bedürfnis nach optimaler Funktionenzuweisung-. Aufgaben sollen von den Organen wahrgenommen werden, „die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen."4 Die Einbeziehung sachnaher Akteure in den Rechtsetzungsprozess - sei es der Rechtsprechung, sei es privater Akteure ist ein Grundanliegen gewaltenteiliger Rechtsordnungen. Idealiter bezeichnet Normkonkretisierung daher funktionsadäquate arbeitsteilige, mehrphasige Rechtsetzung. Gerade für den europäischen Gesetzgeber dürfte die Delegation von Rechtsetzungsaufgaben auf andere Rechtsetzungsakteure besonders reizvoll erscheinen. Die Einbeziehung nationaler und privater Akteure in die Rechtsetzung entlastet den Gemeinschaftsgesetzgeber und verspricht - was vielleicht noch bedeutsamer ist - eine größere Akzeptanz des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten. Allerdings vervielfältigen sich auf europäischer Ebene aber auch die mit mehrphasiger Rechtsetzung durch konkretisierungsbedürftige Rechtsakte verbundenen Kompetenzfragen. Anders als bei der nationalen, innerstaat1 Vgl. nur W. Brugger, AöR 119 (1994), 1 (10ff.); D. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, S. 147ff.; M. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, S. 136ff.; M. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 38f.; R. Wahl, Der Staat 20 (1981), 485 (502). 2 Dazu oben, §4 II.-IV. 3 Zu den verfassungsrechtlichen Bindungen oben, § 4 V., VI.; zu den methodischen Bindungen oben, §5. 4 BVerfGE 68, 1 (86); seitdem BVerfGE 95, 1 (15); NJW 1998, 2515 (2520); hierzu bereits oben, §4 IV. 3. b).

310

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

liehen Normkonkretisierung ist die Konkretisierungskompetenz auf europäischer Ebene nicht nur eine Frage herkömmlicher, horizontaler Gewaltenteilung innerhalb der mitgliedstaatlichen Hoheitsgewalt, sondern zunächst und in erster Linie eine Frage der vertikalen Funktionsabgrenzung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten. Zu der horizontalen Kompetenzabgrenzung auf gemeinschaftlicher Ebene tritt also die vertikale Kompetenzabgrenzung zu den mitgliedstaatlichen Rechtsetzungsakteuren und dort abermals die horizontale Kompetenzabgrenzung der nationalen Akteure. Dieser Befund zeichnet den Gang der nachfolgenden Untersuchung vor. Zunächst wird ein Blick auf die gemeinschaftlichen Handlungsformen abstraktgenereller Rechtsetzung - Richtlinie und Verordnung - und die dabei konkurrierenden Konkretisierungsakteure geworfen (dazu nachfolgend II.). Anschließend sind - genauso wie im nationalen Problemkontext - Grundsatz und Grenzen der Konkretisierungsbedürftigkeit gemeinschaftsrechtlicher Sekundärrechtsakte zu klären, also die Fragen, ob und in welchem Umfang der Gemeinschaftsgesetzgeber beim Erlass von Richtlinien und Verordnungen normativunbestimmte Rechtsbegriffen verwenden darf (§13). Daran schließt sich die zentrale Frage nach der Konkretisierungskompetenz des EuGH im Verhältnis zu den mitgliedstaatlichen Konkretisierungsbefugnissen an (§14.). Abschließend ist zu untersuchen, auf welchem Wege und von welchem nationalen Akteur gemeinschaftliche Konkretisierungsvorgaben im nationalen Recht zu verwirklichen sind (§ 15).

II. Akteure europäischer Normkonkretisierung Bereits die Betrachtung der Normkonkretisierung im nationalen Recht hat gezeigt, dass Normkonkretisierung nicht Rechtsetzung uno actu und uno auetoritate bedeutet, sondern sich regelmäßig in einem Prozess5 und unter Beteiligung mehrerer Akteure vollzieht. Zwar ist die Rechtsprechung der primäre Adressat des gesetzlich formulierten Rechtsbildungsauftrages, doch kann sie im Wege der Rezeption weitere Akteure in die Konkretisierung einbinden und sich ihren Sachverstand zunutze machen.6 Auf diesem Wege treten vor allem die privaten Normgeber 7 im Konkretisierungsprozess in Erscheinung. Im europäischen Problemkontext kommt beiden Gesichtspunkten - dem Prozesscharakter der Normkonkretisierung und ihrer Affinität zu arbeitsteiliger Rechtserzeugung - eine neue Dimension zu. Die supranationalen RechtserZur Normkonkretisierung als Prozess bereits oben, § 7 1 . Zur Einbeziehung externen Sachverstands als G e b o t der Sachrichtigkeit der N o r m k o n k r e t i sierung oben, § 4 V I . 2. b); zur grundsätzlichen Zulässigkeit konkretisierender Rezeption oben, § 1 1 III. 2. a). 7 Insbesondere zur Rezeption privater Quantifizierungen oben, § 11 III. 2. d). 5

6

§12 Normkonkretisierung

in der supranationalen Kompetenzordnung

311

Zeugungsstrukturen vervielfältigen die Konkretisierungsakteure; als dementsprechend dringlicher und auch komplexer erweist sich die Frage nach der Konkretisierungskompetenz. Besonders greifbar sind die damit verbundenen Abgrenzungsprobleme, wenn ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe und Generalklauseln in Richtlinien enthalten sind (dazu sogleich 1.). Aber auch bei der Konkretisierung von Verordnungen bedarf es einer Kompetenzabgrenzung (unten 2.). 1. A k t e u r e der Richtlinienkonkretisierung Richtlinien sind nach wie vor das bevorzugte Mittel zur Privatrechtsangleichung. 8 Daher kommt es in der privatrechtlichen Praxis in erster Linie auf die Rollenverteilung zwischen den an der Richtlinienkonkretisierung beteiligten Akteuren an. Zahlreiche Richtlinien enthalten ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe und Generalklauseln. Paradebeispiel ist die Definition der „missbräuchlichen" Vertragsklausel in Art. 3 der Klausel-Richtlinie 9 als eine Klausel, die entgegen dem „Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten verursacht." Auch die Handelsvertreter-Richtlinie 10 umschreibt die wechselseitigen Rechte und Pflichten von Handelsvertreter und Prinzipal mithilfe von „Treu und Glauben": Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie hat sich der Handelsvertreter nach „den Geboten von Treu und Glauben zu verhalten"; dieselbe Pflicht wird in Art. 4 Abs. 1 dem Unternehmer auferlegt. Im Übrigen hat der Handelsvertreter Anspruch auf eine „angemessene Vergütung" (Art. 6 Abs. 1 S. 2 der Handelsvertreter-Richtlinie) und auf einen der „Billigkeit" entsprechenden nachvertraglichen Ausgleich (Art. 17 Abs. 2a der Handelsvertreter-Richtlinie). Weitere Beispiele enthalten die Fernabsatz-Richtlinie 11 - Informationspflicht des Lieferanten gemäß Art. 4 Abs.l lit. b) der Richtlinie über „wesentliche Eigenschaften oder Dienstleistungen" - und die Verbraucherkredit-Richtlinie 12 - „angemessene Ermäßigung" der Gesamtkosten des Kredits 8 Zu den Rechtsetzungsgrundlagen und den Handlungsformen der Privatrechtsangleichung siehe nur M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 70 ff., 244ff. 9 Richtlinie 93/13/EWG des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, AB1.EG 1993 Nr. L 95/25. 10 Richtlinie 86/653/EWG zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend der selbstständigen Handelsvertreter, ABl.EG 1986 Nr. L 382/17. 11 Richtlinie 1997/7/EG über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl.EG 1997 Nr. L 144/19. 12 Richtlinie 87/102/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABl.EG 1987 Nr. L 42/48, umgesetzt durch das Verbraucherkreditgesetz (VerbrKrG), BGBl. 1990 I, S.2840; inzwischen in das BGB übernommen (§§491ff. BGB n.E).

312

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

bei vorzeitiger Erfüllung (Art. 8 der Verbraucherkredit-Richtlinie), „angemessener Schutz" des Verbrauchers bei der Verwendung von Wechsel und Scheck (Art. 10 der Verbraucherkredit-Richtlinie). Zahlreiche praktisch wichtige konkretisierungsbedürftige Begriffe finden sich schließlich in der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie 13 : Der Verkäufer kann die Nacherfüllung ablehnen, wenn sie „unverhältnismäßig" ist (Art. 3 Abs. 3); die Nachbesserung muss innerhalb einer „angemessenen Frist und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher erfolgen" (Art. 3 Abs. 3 S.3); der Verbraucher kann „angemessene Minderung" verlangen (Art. 3 Abs. 5), und bei einer „geringfügigen Vertragswidrigkeit" besteht kein Anspruch auf Vertragsauflösung (Art. 3 Abs. 6). Enthält eine Richtlinie konkretisierungsbedürftige Rechtsbegriffe, treten drei Konkretisierungsakteure in Erscheinung: der mitgliedstaatliche Gesetzgeber, die mitgliedstaatliche Rechtsprechung und der EuGH. 1 4 In einigen Fällen erfolgt die Konkretisierung bereits bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht durch den Gesetzgeber. Beispiel einer solchen legislativen Richtlinienkonkretisierung ist die Konkretisierung der „angemessenen Zeit" (Art. 3 Abs. 3 der Produkthaftungs-Richtlinie) 15 , innerhalb der ein Lieferant dem Geschädigten den Hersteller des Produkts benennen muss, um nicht selbst als Hersteller zu gelten und in Anspruch genommen zu werden. Diese ist vom deutschen Gesetzgeber in §4 Abs. 3 S. 1 ProdHaftG durch eine Frist von einem Monat konkretisiert worden. 16 Weitere Beispiele für legislative (Vor-)Konkretisierungen finden sich im Zusammenhang mit der Umsetzung der VerbrauchsgüterkaufRichtlinie durch die Schuldrechtsreform. 17 Während beispielsweise Art. 3 Abs. 5 3. Spgstr. Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie lediglich vorgibt, dass der Verbraucher Minderung oder Vertragsauflösung verlangen kann, „wenn der Verkäufer nicht ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher Abhilfe geschaffen hat", bestimmt §440 BGB n.F., dass es einer Fristsetzung für die Nacherfüllung nicht bedarf, wenn die Nacherfüllung „unzumutbar" oder „fehlgeschlagen" ist.18 Darin liegt eine legislative Konkretisierung des Begriffs 13 Richtlinie 1999/44/EG zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs u n d der G a r a n tien f ü r Verbrauchsgüter, AB1.EG 1999 N r . L 171/12. 14 Vgl. zu den A k t e u r e n der Konkretisierung gemeinschaftsrechtlicher Sekundärakte statt aller W.-H. Roth, in: FS f ü r U . D r o b n i g , S. 135 (140ff.). 15 Richtlinie 8 5 / 3 7 4 / E W G zur Angleichung der Rechts- u n d Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die H a f t u n g f ü r fehlerhafte P r o d u k t e , AB1.EG 1985 N r . L 210/29; geändert d u r c h Richtlinie 1999/34/EG, A B l . E G 1999 N r . L 141/20. 16 In anderen Mitgliedstaaten finden sich z.T. längere Fristen - beispielsweise in Italien u n d Portugal eine Frist von drei M o n a t e n —, z.T. w u r d e der unbestimmte Begriff unverändert in das einfache Recht ü b e r n o m m e n u n d die Konkretisierung damit der Rechtsprechung ü b e r a n t w o r tet; hierzu im Z u s a m m e n h a n g mit der U m s e t z u n g der Produkthaftungs-Richtlinie M. Franzen, Privatrechtsangleichung d u r c h die Europäische Gemeinschaft, S.494 m . w . N . 17 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts v o m 26.11.2001 (BGBl. I S.3138). 18 Kritisch z u r U n b e s t i m m t h e i t der Richtlinie H. Ehmann/U. Rust,]Z 1999,853 (858); H.-W. Micklitz, E u Z W 1999, 485 (487).

§ 12 Normkonkretisierung

in der supranationalen

Kompetenzordnung

313

der „erheblichen Unannehmlichkeiten". 19 Ebenfalls Ausdruck einer legislativen (Vor-)Konkretisierung ist die in §441 Abs.3 S. 1 B G B n.F. aus dem alten Recht (§472 Abs. 1 B G B a.F.) übernommene Umschreibung der Minderung, mit der die „angemessene" Minderung (Art. 3 Abs. 5 VerbrauchsgüterkaufRichtlinie) 20 näher konturiert wird. 21 Weitaus häufiger ist allerdings der Fall, dass der Gesetzgeber selbst keinen Beitrag zur Konkretisierung ausfüllungsbedürftiger Richtlinienbegriffe leistet, sei es, dass entsprechende Regelungen oder Wendungen schon im nationalen Recht vorhanden waren - etwa die Klauselkontrolle am Maßstab von „Treu und Glauben" 2 2 oder der Anspruch des Handelsvertreters auf eine der „Billigkeit" entsprechende Entschädigung 23 - , sei es, dass er sie unverändert in das nationale Recht übernimmt, wie beispielsweise die „angemessene Frist" (Art. 3 Abs. 3 S. 3, Abs.5 2. Spgstr. Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, §323 A b s . l B G B n.F.), das Gebot, den Verbraucher bei Fernabsatzgeschäften „rechtzeitig" vor Abschluss des Vertrags zu informieren (Art. 4 Abs. 1 Fernabsatz-Richtlinie, §312c Abs. 1 B G B n.F. [§2 Abs.2 FernabsatzG]) 24 oder das Recht zur Verweigerung der Nacherfüllung bei „unverhältnismäßigen" Kosten (Art. 3 Abs. 3 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, §439 Abs.3 S. 1 B G B n.F.). In allen diesen Fällen wird die Konkretisierungsaufgabe an die Rechtsprechung zur judikativen Richtlinienkonkretisierung weitergegeben. 25 Denkbar ist schließlich auch, dass die Richtlinienkonkretisierung zweistufig erfolgt, indem zunächst der Gesetzgeber im Sinne einer legislativen Konkretisierung einzelne Wertungsgesichtspunkte vorgibt, die vollständige Auflösung der normativen Unbestimmtheit aber erst von der Rechtsprechung geleistet wird. 26 Dieses Nebeneinander und Nacheinander von legislativer und judikativer Konkretisierungsbefugnis ist keine Besonderheit der europäischen Normkonkretisierung. Auch bei der Verfassungskonkretisierung und insbesondere bei Siehe auch die Begründung des RegE, BT-Drs. 14/6040, S.233f. Nach C.M. Bianca, in: S. Grundmann/C.M. Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 5 Rdnr. 39 entspricht diese proportionale Berechnung dem Richtlinienziel; weiter gehend A. Hähnlein, DU 1999,1641 (1644): „Sache mitgliedstaatlicher Regelung, wie die angemessene Minderung des Kaufpreises zu berechnen ist." 21 Weitere Beispiele bei S. Grundmann, J Z 1996, 274 (284ff.); zum Verhältnis von legislativer und judikativer Konkretisierung noch unten, § 14 I. 1. 2 2 § 9 A G B G a.F. bzw. §307 B G B n.F. zur Umsetzung von Art.3 Abs. 1 Klausel-Richtlinie. 2 3 Vgl. § 89b Abs. 1 Nr. 3 H G B zur „Umsetzung" von Art. 17a Abs. 2a der Richtlinie 86/653/ EWG. 2 4 Hierzu A. Fuchs, ZIP 2000, 1273 (1276). 2 5 Siehe für die Umsetzung von Art.4 Abs.l Fernabsatz-Richtlinie nur die klare Äußerung des Gesetzgebers, BT-Drucks. 14/2658, S.38. - Zu überlegen ist allerdings, ob der nationale Gesetzgeber damit seinen Umsetzungspflichten genügt; hierzu noch unten, § 14 I. 1. 2 6 Hierzu A. Bleckmann, R I W 1987, 929 (934f.); M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 540f.; S. Grundmann, J Z 1996, 274 (284ff.) sowie noch unten, §14 1. 1. 19

20

314

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

der Konkretisierung von Verfassungsprinzipien konkurrieren legislative und judikative Konkretisierungsbefugnis.27 Auf mitgliedstaatlicher Ebene lässt sich diese Konkurrenz mit Blick auf die allgemeinen Rechtserzeugungsstrukturen auflösen, also mit der Prärogative des Gesetzgebers und der grundsätzlichen Subsidiarität richterlicher Rechtsetzung.28 Der Gesetzgeber genießt das Recht des „ersten Zugriffs": Er kann die Konkretisierungsaufgabe vollständig wahrnehmen, ohne dadurch originäre Konkretisierungskompetenzen der Rechtsprechung zu verletzen. Mit der Richtlinienkonkretisierung tritt zu dieser mitgliedstaatlichen „horizontalen" Konkretisierungsebene aber noch eine „vertikale" Konkretisierungsebene hinzu: Die mitgliedstaatlichen Konkretisierungskompetenzen von Gesetzgebung und Rechtsprechung konkurrieren mit der Konkretisierungskompetenz des EuGH als drittem Akteur der Normkonkretisierung. Die Rolle des EuGH bei der Richtlinienkonkretisierung ist daher eine ganz zentrale, vielleicht sogar die Frage der gemeinschaftsrechtlichen Normkonkretisierung.29

2. Akteure der Verordnungskonkretisierung Bislang dominiert die Richtlinie als Regelungsinstrument des europäischen Privatrechts, und Verordnungen spielen nur in Randbereichen eine Rolle. Durch Verordnung wurden etwa die Gemeinschaftsmarke30, die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) 31 und jüngst die Europäische Aktiengesellschaft (SE) 32 geschaffen; im Übrigen finden sich Verordnungen bislang vor allem im europäischen Wettbewerbsrecht.33 In der Zukunft dürfte die Verordnung aber auch in den Kernbereichen des Privatrechts eine größere Rolle spielen. Einerseits hat der Vertrag von Amsterdam mit Art. 65 EG eine Rechts-

27 Zu den Rangfragen von „gesetzgeberischer" und „richterlicher Verfassungskonkretisierung" D. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm in der verfassungskonformen Auslegung und Rechtsfortbildung, S. 177ff. 28 Hierzu bereits oben, §4 II., III. und noch unten, § 14 I. 1. 2 9 Hierzu eingehend unten, § 14 II. 3 0 VO EG Nr. 40/94, AB1.EG 1994 Nr. L 11/1. 31 VO EG Nr.2137/85, AB1.EG 1985 Nr. L 199/1. 32 VO EG Nr.2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), AB1.EG Nr. L 294/1; hierzu G. Schwarz, ZIP 2001, 1847ff.; G. Thoma/D. Leuering, NJW2002, 1449ff. 33 Siehe insbes. die auf Art. 81 Abs. 3, 83 Abs. 2 lit. c EG gestützten Gruppenfreistellungsverordnungen; hierzu die Übersicht von W. Weiß, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EGVertrag, Art. 81 EGV Rdnrn. 165ff., Art. 83 EGV Rdnrn. 23f., 35 sowie S. Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, S. 936ff. Zu der ebenfalls auf Art. 83 EG gestützten Fusionskontrollverordnung (VO EG Nr. 4064/89 i. d. F. der VO 1310/97, AB1.EG 1989 Nr. L 395/1 und ABl.EG 1997 Nr. L 180/1) etwa I. Brinker, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 83 EGV Rdnrn. 39ff.

§ 12 Normkonkretisierung

in der supranationalen

Kompetenzordnung

315

grundlage für die Schaffung einheitlichen Verfahrens- und Kollisionsrechts 34 bereit gestellt, auf die inzwischen mehrere Verordnungen gestützt worden sind.35 Vor allem aber zeichnen sich Bestrebungen für ein europäisches Vertragsgesetzbuch ab, das - soweit dadurch Einheitsrecht geschaffen werden soll nicht mehr als Richtlinie, sondern als Verordnung erlassen werden müsste. 36 Enthalten Verordnungen normativ-unbestimmte Rechtsbegriffe oder Generalklauseln - etwa den Begriff der „hauptsächlichen Interessen" (Art. 3 Abs. 1 S. 1 EulnsVO) 3 7 - , so fallen die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber als Konkretisierungsakteure weg: Da Verordnungen unmittelbar wirken und grundsätzlich nicht auf eine Umsetzung angewiesen sind,38 ist eine legislative Konkretisierung zumeist von vornherein ausgeschlossen. Auf mitgliedstaatlicher Ebene ist die Rechtsprechung regelmäßig alleiniger Konkretisierungsakteur. Genauso wie bei der Konkretisierung von Richtlinien stellt sich aber auch bei der Verordnungskonkretisierung die Frage nach dem Verhältnis zum E u G H als gemeinschaftlichem Konkretisierungsakteur, und damit erweist sich die vertikale Abgrenzung der Konkretisierungskompetenzen abermals als die zentrale Frage europäischer Normkonkretisierung.

34 Zur „Europäisierung" des internationalen Zivilprozessrechts siehe nur B. Heß, N J W 2000, 23ff.; ders.,JZ 1998, 1021 ff. 35 Hierauf wurden insbesondere gestützt V O E G Nr. 1347/2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten, ABl.EG 2000 Nr. L 160/19; V O E G Nr. 1348/2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen, AB1.EG 2000 Nr. L 160/37; V O E G Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren, ABl.EG 2000 Nr. L 160/1 sowie V O E G Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl.EG Nr. L 2001 L 12/1. 36 Siehe Mitteilung der Kommission vom 11.7.2001 zum Europäischen Vertragsrecht, K O M (2001) 398 endg., ABl.EG 2001 Nr. C 255 S. 1; zu der dadurch angestoßenen Diskussion statt Vieler S. Grundmann, N J W 2002, 393ff.; H. Schulte-Nölke, J Z 2001, 917ff.; D. Staudenmayer, EuZW 2001,485ff. Der übersetzte Vorentwurf der Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler für ein Europäisches Vertragsgesetzgebuch ist abgedruckt in ZEuP 2002, 139ff., 365ff. 37 Hierzu Ch. Becker, ZEuP 2002, 287 (299ff.). 38 Zum Erfordernis einer „normativen Ausführung von Verordnungen" auf untergesetzlicher Ebene H.D. Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 64ff.; zur Zulässigkeit solcher „hinkender" Verordnungen noch unten, § 13 I. 1. a) bb).

§ 1 3 Zulässigkeit konkretisierungsbedürftiger Rechtsetzung

Vor der Frage nach der Konkretisierungskompetenz steht die Frage nach Grundsatz und Grenzen konkretisierungsbedürftiger Rechtsetzung im Gemeinschaftsrecht. Genauso wie im deutschen Recht speisen sich auch die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmtheitserwartungen aus verschiedenen Quellen. Im nationalen Problemkontext musste sich die Befugnis des Gesetzgebers zu normativ-unbestimmter Rechtsetzung vor allem an den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Gewaltenordnung und des Rechtsstaatsprinzips messen lassen.1 Im verfassungsrechtlichen Blickfeld standen also erstens die aus der Konkretisierungsbedürftigkeit resultierende Aufgabenverschiebung zugunsten anderer Rechtsetzungsakteure (unten I.) und zweitens die Vorhersehbarkeitserwartungen des Bürgers (unten II.). Diese beiden Bezugspunkte bestimmen auch die gemeinschaftsrechtliche Problemdimension.

I. Konkretisierungsbedürftigkeit und gemeinschaftliche Kompetenzordnung Genauso wie im nationalen Recht ist auch im Gemeinschaftsrecht die geforderte Bestimmtheit oder Regelungsdichte von Rechtsakten eng mit der Kompetenzordnung verwoben. Allerdings ist auf gemeinschaftlicher Ebene nicht nur die Organkompetenz, sondern auch die Verbandskompetenz berührt. Während Argumente der Verbandskompetenz tendenziell zugunsten geringerer Regelungsdichte und damit eher für die Zulässigkeit unbestimmter Rechtsetzung sprechen (unten 1.), ergeben sich aus der institutionellen Ordnung der Organkompetenzen Ansatzpunkte für Bestimmtheitsvorgaben (unten 2.).

1. Verbandskompetenz und Regelungsdichte Die Gemeinschaft verfügt nicht über die für souveräne Staaten typische Allzuständigkeit, 2 sondern bedarf stets einer ausdrücklichen Befugniszuweisung und Zu den Grenzen der Delegierbarkeit von Rechtsetzungsbefugnissen oben, §4 IV. Siehe statt aller Ch. Calliess, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 5 E G V Rdnr. 12; G. Lienbacher, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 5 E G V Rdnr. 7; R. Streinz, EuropaR, Rdnr. 121 jeweils m.w.N. 1

2

§ 13 Zulässigkeit konkretisierungsbedürftiger

Rechtsetzung

317

muss bei der Kompetenzausübung die Prinzipien der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit achten.3 Die in den Verträgen ausgeformte Aufgabenverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten dient dazu, die Befugnisse der Gemeinschaft gegenüber den Mitgliedstaaten zu begrenzen und die mitgliedstaatliche Souveränität zu sichern. Argumente aus der Verbandskompetenz wirken sich daher im Wesentlichen zugunsten geringerer Regelungsdichte aus, weil ein Rechtsakt mit geringerer Regelungsdichte den Mitgliedstaaten auch wenn sie sich die Konkretisierungsbefugnis mit dem E u G H teilen müssen4 - in jedem Fall größere Handlungsspielräume belässt und eine weniger intensive Kompetenzwahrnehmung der Gemeinschaft bedeutet als ein vollständig determinierter Rechtsakt. a) Folgerungen

aus dem Prinzip begrenzter

Einzelzuständigkeit

Das Prinzip begrenzter Einzelzuständigkeit zählte schon vor seiner ausdrücklichen Niederlegung in Art. 5 E U und Art. 5 Abs. 1 E G zu den Strukturprinzipien der Gemeinschaft. 5 Es bedeutet, dass die Gemeinschaftsorgane nur dort tätig werden dürfen, wo die Verträge ausdrücklich eine entsprechende Verbandskompetenz der Gemeinschaft begründen und dass sie sich dabei der in der Ermächtigungsnorm vorgesehenen Handlungsform bedienen müssen.6 Beide Facetten des Prinzips begrenzter Einzelzuständigkeit enthalten Ansatzpunkte für Bestimmtheitsanforderungen, und zwar im Hinblick auf die Bestimmtheit von Kompetenztiteln (unten aa) und im Zusammenhang mit der vertraglich vorgegebenen Handlungsform (unten bb). aa) Bestimmtheitsgebot

für

Kompetenztitel

Das Prinzip begrenzter Einzelzuständigkeit verlangt nicht nur, dass überhaupt ein Kompetenztitel vorhanden ist, sondern fordert auch ein Mindestmaß an Bestimmtheit des Kompetenztitels. Wenn sich gemeinschaftliche Befugnisse auf 3 Zur Rechtsnatur der Europäischen Union als supranationaler Staatenverbund siehe nur BVerfGE 89, 155 (181ff.) - Maastricht; Th. Oppermann, EuropaR, Rdnrn. 884ff., 891ff.; R. Streinz, EuropaR, Rdnrn. 115 ff., 121. Zum Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip noch unten, §13 I. 1. b). 4 Zur Verteilung der Konkretisierungskompetenz zwischen dem EuGH und den nationalen Konkretisierungsakteuren noch unten, § 14 II., III. 5 Vgl. H.-P. Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht als Strukturprinzip des EWG-Vertrags, passim; Ch. Calliess, in: Ch. Calliess/M. Ruffert, EUV/EGV, Art. 5 EGV Rdnr. 8; G. Lienbacher, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 5 EGV Rdnr. 7. 6 Hierzu allgemein A. Bleckmann, EuropaR, Rdnrn. 380ff.; M. Herdegen, EuropaR, Rdnrn. 189ff.; R. Geiger, EUV/EGV, Art.5 Rdnrn. 2f.; Th. Oppermann, EuropaR, Rdnrn. 516f.; G. Nicolaysen, EuropaR I, S. 270ff.; R. Streinz, EuropaR, Rdnrn. 436f.; im Zusammenhang mit der Zulässigkeit offener Rechtsetzung/. Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im europäischen Gemeinschaftsrecht, S.25ff.

318

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

ausdrückliche K o m p e t e n z z u w e i s u n g e n durch Einzelermächtigungen zurückführen lassen müssen, so scheiden pauschale Generalermächtigungen als taugliche K o m p e t e n z t i t e l aus; ansonsten würde A r t . 5 Abs. 1 E G umgangen. Daraus folgt allerdings auch für K o m p e t e n z t i t e l nicht, dass sie keine ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffe enthalten dürfen. 7 J e stärker und tiefer ein A k t der E G aber in die Souveränität der Mitgliedstaaten eingreift, desto „dichter" und präziser muss die Regelungsdichte der vertraglichen Ermächtigungsgrundlage sein. 8 Soweit auch K o m p e t e n z t i t e l hiernach u n b e s t i m m t sein dürfen, favorisiert das Prinzip begrenzter Einzelzuständigkeit im Ü b r i g e n eine die Mitgliedstaaten möglichst schonende, restriktive Konkretisierung der K o m p e t e n z t i t e l . 9 Dies hat der E u G H in seinem Beschluss zur T a b a k w e r b e v e r b o t - R i c h t l i n i e 1 0 klargestellt. 1 1 G e n a u s o wirkt Art. 5 A b s . 1 E G beispielsweise auf die Konkretisierung der sog. A b r u n d u n g s k o m p e t e n z e n nach A r t . 3 0 8 E G ein bei der Frage, wann ein Tätigwerden der G e m e i n s c h a f t „erforderlich" ist. 12 D i e s e aus A r t . 5 A b s . 1 E G ableitbaren Bestimmtheitserwartungen und K o n kretisierungsvorgaben gelten allerdings nur für K o m p e t e n z t i t e l , also für das gemeinschaftliche Primärrecht: D a s Prinzip der begrenzten Einzelzuständigkeit trifft keine Aussage über die Regelungsdichte gemeinschaftlichen Sekundärrechts. D a s s der Gemeinschaftsgesetzgeber seine vertraglich zugewiesenen B e fugnisse inhaltlich nicht vollständig ausschöpft, sondern hinter den M ö g l i c h k e i ten seiner V e r b a n d s k o m p e t e n z zurückbleibt, liegt vielmehr gerade im Souveränitätsinteresse der Mitgliedstaaten, das mit A r t . 5 E G geschützt wird. 1 3 Soweit sich der Gemeinschaftsgesetzgeber beim Erlass eines Gemeinschaftsrechtsaktes auf eine ausdrücklich zugewiesene K o m p e t e n z stützen kann, lassen sich aus

7 Siehe nur Art. 211 EG und Art. 308 EG; hierzu A. Bleckmann, EuropaR, §7 Rdnr. 382 und allgemein U. Everling,]Z 2000, 217 (226). 8 A. Bleckmann, EuropaR, §7 Rdnr.384. 9 Art. 5 Abs. 1 EG stellt eine Vermutung für die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten auf; so auch die Forderung von BVerfGE 89,155 (192 ff., 209) - Maastricht; vgl. auch Ch. Calliess, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 5 EGV Rdnr. 12; G. Konow, DÖV 1993, 405 (407); U. Pieper, DVB1.1993, 705 (711). 10 EuGH, Rs. C-376/98, Slg. 2000 1-2247 Tz. 83, 106ff. 11 Mit Recht hat der EuGH den in Art. 95 Abs. 1 EG verlangten Binnenmarktbezug durch das Erfordernis konkretisiert, dass die Wettbewerbsverzerrungen, auf deren Beseitigung der Rechtsakt zielt, auch „spürbar" sind, weil sonst der Zuständigkeit des Gemeinschaftsgesetzgebers „praktisch keine Grenzen gezogen" wären; siehe EuGH, Rs. C-376/98, Slg. 2000 1-2247 Tz. 83, 106ff. = JuS 2001,288 {R. Streinz); hierzu Ch. Calliess, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/ EG-Vertrag, Art. 5 EGV Rdnr. 10; T. Stein, EWS 2001, 12ff. 12 Ch. Calliess, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 5 EGV Rdnr. 16 m.w.N. 13 Vgl. BVerfGE 89,155 (211) - Maastricht; G. Lienbacher, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 5 EGV Rdnr. 7; T. Stein, in: D. Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 23 (31). - Mit Blick auf die Zulässigkeit von Generalklauseln K. Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S. 76f.

5 13 Zulässigkeit konkretisierungsbedürftiger

Rechtsetzung

319

Art. 5 Abs. 1 E G keine Vorgaben für die Regelungsdichte der darauf gestützten Rechtsakte ableiten. bb) Bestimmtheitsanforderungen

und zugewiesene

Handlungsform?

Art. 5 Abs.l E G fordert aber nicht nur, dass Gemeinschaftsakte auf eine ausdrücklich zugewiesene Kompetenz gestützt werden können, sondern auch dass sich die Gemeinschaft der in der Ermächtigungsnorm vorgesehenen Handlungsform bedient hat. 14 Ließen sich aus der Eigenart der gemeinschaftlichen Handlungsformen spezifische Anforderungen an Regelungsdichte und Bestimmtheit ableiten, würde sich ein Verstoß gegen diese Anforderungen zugleich als Kompetenzüberschreitung und damit als Verletzung von Art. 5 Abs. 1 E G darstellen. Eine solche rechtsaktstypische Regelungsdichte ist inzwischen aber nur noch ansatzweise auszumachen.15 Verordnung und Richtlinie haben ihre vielleicht ursprünglich gewollte Typizität weit gehend verloren und sich in der Gemeinschaftspraxis zunehmend aneinander angeglichen, nicht zuletzt durch die vom E u G H rechtsfortbildend judizierte unmittelbare Anwendbarkeit hinreichend bestimmter Richtlinienvorgaben. 16 Es können sowohl „hinkende" Verordnungen zulässig sein, die einer Konkretisierung durch nationale Ausführungsvorschriften bedürfen oder den nationalen Behörden Ermessensspielräume einräumen,17 als auch „perfektionierte" Richtlinien, die den Mitgliedstaaten wegen ihrer hohen Regelungsintensität praktisch keinen Umsetzungsfreiraum belassen.18 Über die Regelungsintensität und den zulässigen

14 M. Herdegen, EuropaR, Rdnr. 189; H.P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 426f.; Th. Oppermann, EuropaR, Rdnr. 535; eingehend H.-P. Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im Gemeinschaftrecht, S.24f., 86ff. 15 Zu dieser Entwicklung etwa Th. Oppermann, EuropaR, Rdnr. 547; R. Streinz, EuropaR, Rdnr. 387; siehe aber noch unten, § 13 II. 2. b): typischerweise geringere Belastungsintensität privatrechtsangleichender Richtlinien. 16 EuGH, Rs. 8/81, Slg. 1982, 53 Tz. 21 ff. - Becker, st. Rspr.; gebilligt von BVerfGE 75, 223 (241 ff.); hierzu statt aller A Bach,]Z 1990,1108ff.; V Götz, NJW 1992,1849 (1855ff.); H.D.Jarass, Die innerstaatliche Bedeutung von EG-Recht, S. 71 ff.; Th. Oppermann, EuropaR, Rdnrn. 556ff.; M. Ruffert, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 249 EGV Rdnrn. 69ff., 76f.; A. Scherzberg, Jura 1993, 225ff. 17 Begriff von L.-J. Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, Bd. I, S. 562; zu ihrer Zulässigkeit B. Biervert, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 249 EGV Rdnr. 21; A. Bleckmann, EuropaR, Rdnrn. 410f.; W. Däubler, DVB1.1966, 620 (663f.); H.D. Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 65; M. Ruffert, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 249 EGV Rdnr. 41. 18 Begriff von Th. Oppermann, EuropaR, Rdnr. 552; hierzu statt aller B. Biervert, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 249 EGV Rdnr. 26; H. R Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S.458f.; M. Ruffert, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 249 EGV Rdnr.45; R. Streinz, EuropaR, Rdnr.387; I. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, S. 38ff.; zur älteren Diskussion/1. Bleckmann, EuropaR, Rdnrn. 425ff.; kritisch Ch. Hauschka,]Z 1990, 521 (524ff.).

320

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

Grad an Konkretisierungsbedürftigkeit entscheidet weniger die mit dem Kompetenztitel vorgegebene Handlungsform als vielmehr die Sachgesetzlichkeit des Regelungsgegenstandes. 19 Jedenfalls existieren keine generellen Vorgaben im Sinne einer zwingenden „Mindestbestimmtheit" des Sekundärrechts. Dies entspricht auch dem Grundanliegen des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung, das genauso wie das Subsidiaritätsprinzip 20 der Wahrung der Souveränitätsinteressen der Mitgliedstaaten verpflichtet ist und daher eher zugunsten einer weniger intensiven Wahrnehmung der gemeinschaftlichen Verbandskompetenz eintritt. Insgesamt enthält das Prinzip begrenzter Einzelermächtigung also zwar Ansatzpunkte für Vorgaben zur Regelungsdichte, doch beziehen sich diese entweder auf das Primärrecht oder favorisieren eine geringere Regelungsdichte. Damit ergeben sich aus Art. 5 Abs. 1 EG keine Argumente gegen die Zulässigkeit konkretisierungsbedürftigen Sekundärrechts.

b) Folgerungen aus dem

Subsidiaritätsprinzip

Auch das Subsidiaritätsprinzip in Gestalt des Subsidiaritätsprinzips i.e.S. (Art. 5 Abs. 2 EG) und des Verhältnismäßigkeitsprinzips (Art. 5 Abs. 3 EG) 21 kann nicht gegen die Zulässigkeit konkretisierungsbedürftigen Sekundärrechts angeführt werden, da es - genauso wie das Prinzip begrenzter Einzelermächtigung im Souveränitätsinteresse der Mitgliedstaaten gerade umgekehrt eine geringe Regelungsintensität des Gemeinschaftsrechts favorisiert, und zwar sowohl im Bereich formeller Rechtsetzung als auch im Bereich gemeinschaftsrechtlicher Rechtsfortbildung. 22 Beide Prinzipien wirken als Kompetenzausübungsschranken 23 und legen der Gemeinschaft die Rechtfertigungslast 24 dafür auf, dass ein 19 So B. Bievert, in: J. Schwarze (Hrsg.), E U - K o m m e n t a r , Art. 249 E G V Rdnr.26; V Neßler, R I W 1993,206 (207); M. Ruffert, in: C h . Calliess/M. R u f f e r t (Hrsg.), E U - / E G - V e r t r a g , Art. 249 E G V Rdnr.45. 20 H i e r z u sogleich, unten §13 I. 1. b). 21 Zu den Bestandteilen u n d M e r k m a l e n des Subsidiaritätsprinzips Ch. Calliess, in: C h . Calliess/M. R u f f e r t (Hrsg.), E U - / E G - V e r t r a g , Art. 5 E G V Rdnr. 3; G. Lienbacher, in: J. Schwarze (Hrsg.), E U - K o m m e n t a r , Art. 5 E G V R d n r n . 12ff.; D. Merten, in: D . M e r t e n (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 77 (79); W. Moersch, Leistungsfähigkeit u n d G r e n z e n des Subsidiaritätsprinzips, S. 283ff. Z u r A b g r e n z u n g von Subsidiarität u n d Verhältnismäßigkeit A. Emmerich-Fritsche, D e r G r u n d s a t z der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der E G - R e c h t s e t z u n g , S. 255ff.; E. Pache, N V w Z 1999,1033 (1038). Z u m G r u n d s a t z der Verhältnismäßigkeit im Recht der E G Th. v. Danwitz, E W S 2003, 393ff.; H. Kutscher, in: D e r G r u n d s a t z der Verhältnismäßigkeit in europäischen Rechtsordnungen, S. 89ff. 22 Besonders deutlich bei M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.58ff., 65ff.; zur Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips f ü r die Konkretisierungsu n d Rechtsfortbildungsbefugnisse des E u G H K.-D. Borchardt, in: GS f ü r E. Grabitz, S. 29 (41 f.); Th. Möllers, E u R 1998,20 (30); W. Nassall, JZ 1995,689 (691); W.-H. Roth, in: FS f ü r G. D r o b n i g , S. 135 (143 ff.) sowie noch unten, § 14 II. 1. b) dd). 23 So ausdrücklich das im A m s t e r d a m e r Vertrag enthaltene Protokoll (Nr. 30) ü b e r die A n -

5 13 Zulässigkeit

konkretisierungsbedürftiger

Rechtsetzung

321

Rechtsakt sowohl im Hinblick auf den erstrebten Integrationsgewinn 2 5 als auch im Hinblick auf die Regelungsintensität 2 6 so wenig als möglich in die mitgliedstaatlichen Kompetenzen einschneidet. Dementsprechend ist - so die Vertragsparteien im Protokoll (Nr. 30) z u m Amsterdamer Vertrag über die A n w e n d u n g der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit - „eine Richtlinie einer Verordnung und eine Rahmenrichtlinie einer detaillierten Maßnahme v o r zuziehen." A u c h was A r t und U m f a n g des Handelns der Gemeinschaft betrifft, soll „so viel Raum f ü r nationale Entscheidungen bleiben, wie dies im Einklang mit dem Ziel der Maßnahme und den A n f o r d e r u n g e n des Vertrags möglich * ^ «27 ist. z Dieses G e b o t des mildesten Mittels 2 8 bedeutet im Hinblick auf die Regelungsintensität gemeinschaftlicher Rechtsetzungsakte, dass bei gleicher Eignung weniger regelungsintensive Rechtsakte solchen mit höherer Determinierung vorzuziehen sind. 29 Die Prinzipien der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit formulieren also Optimierungsgebote zugunsten möglichst großer Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten und liefern daher keine A r g u m e n t e gegen die Zulässigkeit ausfüllungsbedürftigen Sekundärrechts. 3 0 Insgesamt v e r k ö r pern die die Verbandskompetenz betreffenden Prinzipien der Einzelzuweisung sowie der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit also keine Bestimmtheitsvorwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, ABl.EG 1997 Nr. C 340/105ff.: „Jedes Organ gewährleistet bei der Ausübung seiner Befugnisse die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips" (Nr. 1) [Hervorhebung nicht im Original] hierzu Ch. Calliess, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 5 EGV Rdnr. 2; G. Lienbacher, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 5 EGV Rdnr. 1; R. Streinz, EuropaR, Rdnrn. 145f.; ähnlich A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, S.289ff.: „Kompetenzausübungsregeln". 24 Vgl. Protokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, ABl.EG 1997 Nr. C 340/105ff., Nr.4; siehe auch M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.63. 25 Zu den Anforderungen des Art. 5 Abs. 2 EG siehe nur Ch. Calliess, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 5 EGV Rdnrn. 35ff., 44 m.w.N. 26 Protokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, ABl.EG 1997 Nr. C 340/105ff., Nr.6. 27 Protokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, ABl.EG 1997 Nr. C 340/105ff., Nr. 7. 28 Vgl. nur A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, S.300ff.; R. v. Borriess, EuR 1994, 263 (269f.); Ch. Calliess, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 5 EGV Rdnrn. 51 f.; G. Langguth, in: C.O. Lenz (Hrsg.), EG-Kommentar, Art.5 Rdnr.30; W. Möschel, NJW 1993, 3025 (3027); P. M. Schmidhuber/G. Hitzler, NVwZ 1992, 720 (722); T. Stein, in: D. Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 23 (29); C. Stewing, Subsidiarität und Föderalismus in der europäischen Union, S. 109. 29 So G. Langguth, in: C.O. Lenz (Hrsg.), EG-Kommentar, Art. 5 Rdnr. 31; vgl. auch Ch. Calliess, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 5 EGV Rdnr. 52. 30 A.A. offenbar O. Remien, Rabelsz 66 (2002), 503 (514) mit der Überlegung, Rechtsangleichungsakte mit unbestimmten Rechtsbegriffen gingen über das nach Art. 5 Abs. 3 EG zu wahrende erforderliche Maß hinaus.

322

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

gaben, aus denen sich gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeitsgrenzen für konkretisierungsbedürftiges Sekundärrecht ableiten ließen, sondern erweisen sich sogar als Fürsprecher konkretisierungsbedürftiger Unbestimmtheit.

2. Organkompetenz und Regelungsdichte In eine andere Richtung weist der Blick auf die institutionelle Ordnung der Gemeinschaft. Diese ist durch konkretisierungsbedürftige Rechtsetzung insoweit berührt, als sie eine Aufgabendelegation der gemeinschaftlichen Rechtsetzungsorgane bedeutet, die - in welchem Umfang auch immer - mit einem Aufgabenzuwachs der gemeinschaftlichen Judikative verbunden ist. Unabhängig davon, wie sich die mit der Normkonkretisierung verbundenen Aufgaben im Einzelnen zwischen den europäischen und den nationalen Gerichten verteilen,31 ist vorab zu überlegen, ob eine solche Verlagerung von Kompetenzen aus der Perspektive der gemeinschaftlichen institutionellen Ordnung überhaupt zulässig ist. Sollte sich herausstellen, dass die mit der Ausfüllung konkretisierungsbedürftiger Sekundärrechtsakte verbundenen Aufgaben aus institutionellen Gründen nicht auf andere Organe der Gemeinschaft oder der Mitgliedstaaten verlagert werden dürfen, so würde hieraus auch die grundsätzliche Unzulässigkeit offener Rechtsetzung in der Gemeinschaft folgen. Im nationalen Problemkontext ist konkretisierungsbedürftige Rechtsetzung mit der gedanklichen Folie der Delegation beschrieben worden: Konkretisierung des ausfüllungsbedürftigen Rechtssatzes als an die Rechtsprechung delegierte Rechtsetzung.32 Auch in der gemeinschaftsrechtlichen Dimension verweist der Delegationsgedanke auf die entscheidende Frage für die Zulässigkeit konkretisierungsbedürftiger Rechtsetzung: die Frage nach der Delegierbarkeit von Rechtsetzungsbefugnissen und ihren institutionellen Grenzen. a) Grundsatz

des institutionellen

Gleichgewichts

Der EuGH beurteilt die Zulässigkeit von Kompetenzverschiebungen und Aufgabendelegationen unter dem Blickwinkel des institutionellen Gleichgewichts als dem von den Verträgen geschaffenen „System der Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Organen der Gemeinschaft".33 Auch wenn dieser vom EuGH geprägte Topos inzwischen schon zu den „verfassungsrechtlichen" Hierzu noch unten, § 14 II. Hierzu bereits oben, §4 II. 33 EuGH, Rs. 9/56, Slg. 1958,11 (58ff.) - Meroni I; Rs. 10/56, Slg. 1958,53 (75ff.) - Meroni II; Rs. 138/79, Slg. 1980, 3333 Tz. 33 - Roquette Frères; Rs. C-70/88, Slg. 1990 1-2041 Tz. 20ff. Tschernobyl; vgl. auch Rs. C-21/94, Slg. 1995 1-1827 Tz. 17 - Parlament/Rat; zum Folgenden insbes.]. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 199ff. 31

32

§ 13 Zulässigkeit

konkretisierungsbedürftiger

Rechtsetzung

323

Grundlagen der Gemeinschaft gezählt wird, 3 4 entspricht er weder inhaltlich noch normativ seinem grundgesetzlichen Pendant, dem Prinzip der Gewaltenteilung 3 5 . 3 6 A n d e r s als in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten sind in der Gemeinschaft die Staatsfunktionen Legislative, Exekutive und Judikative nicht verschiedenen, organisatorisch unabhängigen Organen zugewiesen, sondern es besteht ein System der O r g a n - und Kompetenzverschränkung, das die A u f g a ben der Rechtsetzung, Rechtsdurchsetzung und Rechtskontrolle - v o r allem je nach Intensität f ü r die Souveränität Mitgliedstaaten 3 7 - zwischen Rat, K o m m i s sion, Parlament und Gerichtshof aufteilt, wobei die Stellung des Gerichtshofes noch die deutlichsten Parallelen zur staatstypischen Gewaltenteilung aufweist. 3 8 Dementsprechend schwächer w i r d auch die normative Bedeutung des „institutionellen Gleichgewichts" eingeschätzt: Es handele sich nicht um eine vorgegebene Modellvorstellung, sondern lediglich um die Beschreibung eines Verfassungszustandes, 3 9 einen „faktischen Reflex der jeweiligen K o m p e t e n z verteilung" 4 0 . Das „institutionelle Gleichgewicht" verlangt daher im Wesentlichen die Respektierung des durch die Verträge ausgeformten K o m p e t e n z - und Aufgabensystems. Konsequenterweise kann auch die nationalstaatlich geprägte Vorstellung originärer Kompetenzen im Gemeinschaftsrecht keinen Bestand

34 So etwa Ch. Calliess, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 7 EGV Rdnr. 13: „Verfassungsbegriff". 35 Zum Gewaltenteilungsgrundsatz als Delegationsgrenze im deutschen Recht oben, §4 II. 1. 36 Vgl. Ch. Calliess, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 7 EGV Rdnr. 7; M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.582f.; W. Hummer, in: FS für A. Verdross, S. 459ff.; V Neßler, RIW1993,206 (211); R. Wank, in: FS für E. Stahlhacke, S. 633 (639f.); vom gemeinschaftsrechtlichen „Gewaltenteilungsprinzip" spricht aber etwa K.-D. Borchardt, in: GS für E. Grabitz, S.29 (38f.). 37 Die Teilung der Funktionen soll in erster Linie einen Ausgleich zwischen den Interessen der Mitgliedstaaten im Rat und den Gemeinschaftsinteressen, das durch die Position der Kommission verkörpert wird, erreichen; siehe nur Ch. Calliess, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/ EG-Vertrag, Art. 7 EGV Rdnr. 7; M. Herdegen, EuropaR, Rdnr. 110. Funktionelle Gesichtspunkte, also dass die Funktionen von den Organen wahrgenommen werden, welche von Struktur und Verfahren am besten für die jeweilige Funktion ausgestattet sind, dürften erst in zweiter Linie eine Rolle spielen; hierzu W. Dänzer-Vanotti, RIW 1992, 733 (735ff.); M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 583; W. Hummer, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EUV/EGV, Vor Art. 155 EGV Rdnr. 25. Zu diesem funktionalen Aspekt der Gewaltenteilung im deutschen Verfassungsrecht bereits oben, §4 IV.; als Argument für die Verteilung der Konkretisierungskompetenz noch unten, § 13 I. 2. f): institutionelle Delegationsgrenzen. 38 Ch. Calliess, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 7 EGV Rdnr. 7 a.E.; V Epping, Der Staat 36 (1997), 349 (351 ff.); W. Hummer, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EUV/ EGV, Vor Art. 155 EGV Rdnr. 25; I. Pernice, EuR 1996,27;/. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 85: „im Ansatz staatsähnliche Ordnung"; vgl. insgesamt zum System der Staatsgewalten auf europäischer Ebene H. Dreier, DOV 2002, 537 (540ff.). 39 A. Hatje, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 7 EGV Rdnr. 21. 40 W. Hummer, in: FS für A. Verdross, 1979, S.459 (483ff.); vgl. auch dem., in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EUV/EGV, Vor Art. 155 EGV Rdnr.28 m.w.N.; a.A. R. Geiger, EUV/EGV, Art. 7 EGV Rdnr. 17: „normativer Charakter".

324

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

haben, wie der E u G H bereits ausdrücklich ausgesprochen hat. 4 1 D i e R e c h t s e t zung ist nicht per se Rat, K o m m i s s i o n oder Parlament zugewiesen: „ K e i n e m O r g a n (insbesondere auch nicht dem R a t ) steht eine allgemeine Rechtsetzungsbefugnis z u " 4 2 , und es lassen sich auch keine generellen Vorbehaltsbereiche ausmachen. 4 3

b) Aufgabendelegationen

im

Gemeinschaftsrecht

So wenig das Gemeinschaftsrecht pauschal zugewiesene originäre K o m p e t e n zen kennt, so ablehnend verhält es sich gegenüber Aufgabendelegationen. 4 4 Vielmehr bedarf es grundsätzlich, wie A r t . 7 Abs. 1 S . 2 E G klarstellt, einer k o n kreten

Aufgabenzuweisung.

A u c h für die O r g a n k o m p e t e n z gilt das Prinzip der

begrenzten Einzelermächtigung. 4 5 D a jede Aufgabendelegation eine D u r c h b r e chung der geschriebenen primärrechtlichen Aufgabenzuweisung bedeutet, ist sie nur dort unproblematisch zulässig, w o sie v o m Vertrag selbst vorgesehen ist, w o also s o w o h l die E r s t k o m p e t e n z als auch das Delegationsrecht ausdrücklich zugewiesen sind. 4 6 Wichtigstes Beispiel hierfür ist die in A r t . 202 U A b s . 3 E G verankerte Befugnis des Rates, der K o m m i s s i o n den Erlass von D u r c h f ü h rungsbestimmungen zu den v o n ihm erlassenen R e c h t s a k t e n zu übertragen. A u c h wenn es sich hierbei um eine „Regeldelegation" handelt, der R a t also nur in begründeten Ausnahmefällen D u r c h f ü h r u n g s b e s t i m m u n g e n selbst erlassen soll, 4 7 ist der K o m m i s s i o n die Befugnis zu abgeleiteter Rechtsetzung nicht pauschal v o m Vertrag eingeräumt worden: E s besteht keine allgemeine K o m m i s s i onsermächtigung zur A u s f ü h r u n g s - R e c h t s e t z u n g . 4 8 Vielmehr muss in jedem 41 EuGH, Verb. Rs. 188-190/80, Slg. 1982, 2545 Tz. 6 - Republik Frankreich u.a./Kommission; hierzu G. Haibach, VerwArch. 1999, 98 (100). 42 H.P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S.427. 43 Vgl. hierzu im nationalen Recht oben, §4 IV. 1., 2. 44 So A. Bleckmann, EuropaR, Rdnr. 523; Th. Oppermann, EuropaR, Rdnr. 661. 45 Ch. Calliess, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 7 EGV Rdnrn. 16f.; A. Hatje, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 7 E G V Rdnr. 43; W. Hummer, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 155 EGV Rdnr. 6 5 ; ; großzügiger U. Everling, in: FS für Ophüls, S. 33 (35): Ermächtigungen der Kommission durch den Rat wären auch ohne ausdrückliche Anordnung zulässig. Zum Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung im Bereich der Verbandskompetenz bereits oben, §13 I. 1. a). 46 In dieser Deutlichkeit nur A. Bleckmann, EuropaR, Rdnr. 523; siehe auch H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S.440f. 47 Der Rat kann sich nur „in spezifischen Fällen" das Recht vorbehalten, Durchführungsbefugnisse selbst auszuüben (Art. 202 UAbs. 3 S. 3 EGV; siehe auch Art. 1 des Beschlusses 1999/468, AB1.EG 1999 Nr. L 184/23 - zweiter Komitologiebeschluss); hierzu S. Breier, in: C . O . Lenz (Hrsg.), EG-Vertrag, Art. 202 Rdnr. 4;/. P. Hix, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 202 E G V Rdnr. 12; J.Ch. Wichard, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 202 E G V Rdnr. 5; für eine „fakultative" Befugnis des Rates G. Haihach, VerwArch. 90 (1999), 98 (102); für eine „Kompetenz des Rates" R. Geiger, EUV/EGV, Art. 202 E G V Rdnr. 15; weiter gehend i.S. einer „Verpflichtung" des Rates zur Delegation R. Stremz, EuropaR, Rdnr. 249. 48 H.P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S.428.

§ 13 Zulässigkeit konkretisierungsbedürftiger

Rechtsetzung

325

Einzelfall eine ausdrückliche, geschriebene Delegation des Rates vorliegen. 49 Genauso wenig lässt sich aus Art. 202 UAbs.3 E G allerdings folgern, dass der Erlass von Durchführungsverordnungen originär dem Rat zugewiesen sei. So wird der Kommission beispielsweise in Art. 39 Abs. 3 lit. d) E G unmittelbar und ohne vorhergehenden Delegationsakt des Rates die Kompetenz zum Erlass von Durchführungsvorschriften verliehen.50 Dies unterstreicht abermals, dass das Gemeinschaftsrecht die Befugnisse der Organe nicht im Sinne grundsätzlicher, gewaltentypischer Aufgaben geordnet hat, sondern auf einzelnen Zuweisungen beruht. Es ist also vor allem das Prinzip der begrenzten Einzelzuweisung und die dahinter stehende mangelnde Staatlichkeit der Gemeinschaft, aus der sich die Vorbehalte des Gemeinschaftsrechts gegenüber ungeschriebenen Delegationsbefugnissen speisen. c) Delegation

von Rechtsetzungsbefugnissen

konkretisierungsbedürftiges

durch

Sekundärrecht

Diese grundsätzliche Skepsis des Gemeinschaftsrechts gegenüber ungeschriebenen Delegationsbefugnissen stellt zwangsläufig die Zulässigkeit konkretisierungsbedürftiger Rechtsetzung in Frage, da konkretisierungsbedürftige Rechtsakte eine unausgesprochene, „verdeckte" Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen an die Rechtsprechung bedeuten.51 Es fehlt eine Art. 202 UAbs. 3 E G entsprechende ausdrückliche Befugnis des Rates, dem EuGH oder den nationalen Gerichten Konkretisierungsaufgaben zu übertragen, und genauso wenig ist dem Gerichtshof in Art. 220 E G ausdrücklich die Befugnis zur Normkonkretisierung zugeschlagen worden. Gleichwohl wird die Zulässigkeit ausfüllungsbedürftiger Richtlinien und Verordnungen bislang nicht in Zweifel gezogen: So intensiv um die Verteilung der Konkretisierungskompetenz gerungen wird, so selbstverständlich scheint die grundsätzliche Zulässigkeit konkretisierungsbedürftiger Rechtsetzung zu sein.52 Offenbar erweist sich die Befug-

4 9 So schon]. Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im europäischen Gemeinschaftsrecht, S.45f. 50 Hierauf hat bereits ]. Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 46 Fn. 3 aufmerksam gemacht. 51 Zum Begriff der verdeckten Delegation bereits oben, §4 II. 52 Aufgeworfen wird die Frage - soweit ersichtlich - nur von O. Remien, RabelsZ 66 (2002), 503 (514); siehe auch K. Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S. 76f. Auch die Kritiker einer Konkretisierungskompetenz des EuGH zweifeln nicht an der grundsätzlichen Zulässigkeit konkretisierungsbedürftiger Rechtsetzung; vgl. nur Palandt/ H. Heinrichs, §24a A G B G Rdnr.21; ders., NJW 1996, 2190 (2196); W. Nassall, WM 1994, 1645ff.; ders., JZ 1995, 689ff.; H. Roth,]!. 1999, 529 (536ff.); W.-H. Roth, in: FS für U. Drobnig, S. 135ff.; Staudinger/P. Schlosser (13. Bearb. 1998), Einl zum A G B G Rdnr. 33; a fortiori gilt dies für diejenigen Autoren, die i. Erg. für Konkretisierungsbefugnisse des EuGH eintreten; vgl. nur die Darstellungen bei I. Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts, S. 131 ff.; /. Wolff, Die Ver-

326

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

nis zu konkretisierungsbedürftiger Rechtsetzung auch im Gemeinschaftsrecht lediglich im Hinblick auf das in A n s p r u c h genommene A u s m a ß , nicht aber dem G r u n d e nach als problematisch. 5 3 Tatsächlich hindert das Gemeinschaftsrecht nicht jede Aufgabendelegation. Befugnisübertragungen w e r d e n v o r allem im Zusammenhang mit der Organisationsgewalt der Gemeinschaft anerkannt (unten d). Die Verlagerung v o n Rechtsetzungsbefugnissen auf den E u G H lässt sich auf die dem Gerichtshof im Rahmen der A r t t . 220, 2 3 4 E G zugewiesenen Aufgaben stützen (unten e).

d) Aufgabendelegationen Organisationsgewalt

im Rahmen der

gemeinschaftlichen

A u c h w e n n das Gemeinschaftsrecht der Delegation v o n Aufgaben wegen des Prinzips der begrenzten Einzelzuweisung grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, ist in Rechtsprechung und Schrifttum weit gehend anerkannt, dass die G e meinschaftsorgane in bestimmten G r e n z e n Entscheidungsbefugnisse delegieren und dazu sogar spezielle im Vertrag nicht vorgesehene Einrichtungen schaffen dürfen. 5 4 Grundlage hierfür ist die Organisationsgewalt der Gemeinschaft, die der Gemeinschaft diejenigen organisatorischen Befugnisse zuweist, die erforderlich sind, damit die Gemeinschaft f ü r ihre Aufgabenerfüllung funktionsfähig bleiben kann. 5 5 Mit diesem Gedanken ist in der Vergangenheit die Schaffung und Beauftragung verschiedenster Gremien, Ä m t e r und Einrichtungen gerechtfertigt w o r d e n , v o n den Verwaltungs- und Regelungsausschüssen nach dem Komitologie-Beschluss 5 6 bis zur Europäischen Umweltagentur 5 7 oder teilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsangleichenden Richtlinien, insbes. S. 32 ff. 53 So bereitsJ. Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im europäischen Gemeinschaftsrecht, S.28. 54 Siehe schon U. Everling, in: FS für C. Ophüls, S. 33 (33ff., 40ff.); H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 441 ff.; aus jüngerer Zeit M. Berger, Vertraglich nicht vorgesehene Einrichtungen des Gemeinschaftsrechts mit eigener Rechtspersönlichkeit, 1999; D. Fischer-Appelt, Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999. - Akte im Rahmen der Organisationskompetenz unterfallen daher nicht dem Geltungsbereich des Prinzips begrenzter Einzelermächtigung; siehe H.-P. Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht, S. 90f. 55 Zur Organisationsgewalt der Gemeinschaft insbes. A. Hatje, in: J. Schwarze (Hrsg.), EUKommentar, Art. 7 Rdnrn. 11 ff.; Ch. Calliess, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 7 EGV Rdnrn. 23ff.; M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, 1982; Th. Oppermann, EuropaR, Rdnrn. 444f. 56 Hierzu bereits oben, Fn. 47; eine Darstellung der einzelnen Ausschussverfahren findet sich bei R. Streinz, EuropaR, Rdnrn. 457ff.; dazu insbes. H. Schmitt von Sydow, Die Verwaltungsund Regelungsausschussverfahren der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1973; zur Reform durch den zweiten Komitologie-Beschluss etwa G. Haibach, VerwArch. 1999,98ff.\J.-P. Hix, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art.202 EGV Rdnrn. 15ff.; W. Meng, ZaöRV 48 (1988), 208ff.; Ch. Mensching, EuZW 2000, 268ff.;/.0>. Wichard, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art.202 EGV Rdnrn. 12ff. jeweils m.w.N. 57 Hierzu etwa S. Breier, NuR 1995, 516ff.

113 Zulässigkeit konkretisierungsbedürftiger

Rechtsetzung

32 7

dem gemeinschaftlichen Markenamt. 58 In Rechtsprechung und Schrifttum 59 werden diese Aufgabendelegationen überwiegend für zulässig gehalten, allerdings unter den Voraussetzungen - wie sie der E u G H bereits in seinen MeroniUrteilen 60 formuliert hat dass die übertragene Befugnis dem übertragenden Organ tatsächlich primärrechtlich zugewiesen ist, dass die Übertragung auf einen ausdrücklichen Rechtsakt des übertragenden Organs zurückgeführt werden kann und dass lediglich eindeutig umgrenzte Ausführungsbefugnisse übertragen werden.61 Die grundsätzliche Anerkennung solcher Delegationsbefugnisse trägt den praktischen Bedürfnissen des Integrationsprozesses Rechnung; zu Recht wird ihr angesichts der wachsenden Aufgaben der Gemeinschaft ein weiterer Bedeutungszuwachs vorhergesagt.62 Auch ist die Argumentation mit Gesichtspunkten der Praktikabilität und Funktionalität bereits aus dem verfassungsrechtlichen Problemkontext bekannt als Gebot sachgerechter Aufgabenverteilung, aus dem die Forderung abgeleitet wurde, dass eine Delegation von Rechtsetzungsaufgaben auf die Rechtsprechung nur dort erfolgen dürfe, wo die Konkretisierungsaufgabe von der Rechtsprechung sachverhaltsadäquater erfüllt werden kann. 63 Gleichwohl lässt sich die Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen nicht auf die Organisationsgewalt der Gemeinschaft zurückführen, da sie nach Art, Umfang und Adressierung der delegierten Befugnisse über die Organisationsgewalt hinausgeht. Die mit konkretisierungsbedürftigen Rechtsakten erfolgende Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen überschreitet den Rahmen dessen, was der EuGH in den Meroni-Entscheidungen als zulässige Delegation von „Ausführungs-" oder „Durchführungsbefugnissen" 64 gebilligt hat: Die Konkretisierungsaufgabe lässt sich nicht auf bloß nachvollziehende Ausführung reduzieren, sondern verlangt eine schöpferisch-wertende Ausfüllung des Rechtsbildungsauftrages.65 In diesem Sinne hat der EuGH bereits klargestellt, dass Entscheidungsbefugnisse und insbesondere Rechtsetzungsbefugnisse 58 Weitere Beispiele bei Ch. Calliess, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 7 EGV Rdnrn. 25f.;A Hatje, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 7 EGV Rdnr. 17; Th. Oppermann, EuropaR, Rdnrn. 451 ff. 59 Zum Meinungsstand eingehend Ch. Calliess, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EGVertrag, Art. 7 EGV Rdnrn. 32ff. 60 EuGH, Rs. 9/56, Slg. 1958,11 (36ff.) - Meroni I; Rs. 10/56, Slg. 1958,53 (75ff.) - Meroni II.; hierzu M. Berger, Vertraglich nicht vorgesehene Einrichtungen des Gemeinschaftsrechts im eigener Rechtspersönlichkeit, S. 71 ff.; Ch. Calliess, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EGVertrag, Art. 7 EGV Rdnrn. 27ff.; A. Hatje, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 7 EGV Rdnr. 16; W. Hummer, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 155 EGV Rdnr. 118. 61 EuGH, Rs. 9/56, Slg. 1958, 11 (40ff.) - Meroni I. 62 So auch Ch. Calliess, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 7 EGV Rdnr. 26. 63 Siehe bereits oben, §4 IV. 3. b). 64 Hierzu insbes. W. Däuhler, DVB1.1966, 660 (662ff.). 65 Zum Inhalt des Konkretisierungsauftrages bereits oben, §2 II. 3, §5.

328

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

nicht unter dem Titel der Organisationsgewalt delegiert werden können. 66 Außerdem können im Rahmen der Organisationsgewalt Aufgaben nur auf nachoder beigeordnete Behörden oder eigens eingerichtete Institutionen übertragen werden, 67 nicht aber auf ein anderes Organ der Gemeinschaft oder auf die Mitgliedstaaten.68 Die Aufgabenverlagerung auf andere Gemeinschaftsorgane oder auf die Mitgliedstaaten überschreitet die Organisationsgewalt der gemeinschaftlichen Organe. e) Konkretisierung

als vertraglich

zugewiesene

Aufgabe

des

EuGH

Lässt sich die mit konkretisierungsbedürftiger Rechtsetzung erfolgende Verlagerung von Rechtsetzungsaufgaben auf die Judikative nicht mit der gemeinschaftlichen Organisationsgewalt rechtfertigen, so sind die nach dem Prinzip der begrenzten Einzelzuweisung erforderlichen vertraglichen Grundlagen in der Aufgabenbeschreibung des EuGH zu suchen. Gemäß Art. 220 E G sichern der Gerichtshof und das Gericht erster Instanz die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrags. Art. 220 E G begründet allerdings weder eine besondere Einzelkompetenz noch eine umfassende Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit. 69 Wie mit dem Vertrag von Nizza klargestellt worden ist, gilt auch insoweit das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung; 70 die „Wahrung des Rechts" obliegt den Gemeinschaftsgerichten „im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten", 71 d.h. innerhalb der in Art. 226-234 E G benannten Verfahrensarten. Ansatzpunkte für eine dem EuGH primärrechtlich zugewiesene Kompetenz zur Konkretisierung ausfüllungsbedürftigen Sekundärrechts finden sich sowohl in dem speziellen Kompetenztitel des Vorabentscheidungsverfahrens 6 6 E u G H , Rs. 19/67, Slg. 1967, 461 (474) - Van der Vecht; Rs. 98/80, Slg. 1981, 1241 Tz. 20 Romano/INAMI; W. Däubler, DVB1.1966, 660 (662f.); H.P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S.441f. 6 7 Siehe nur die Aufstellung bei Th. Oppermann, EuropaR, Rdnrn. 450ff.: Delegation auf „Ausschüsse", „nachgeordnete Behörden" und „abhängige juristische Personen". 6 8 So insbes. Th. Oppermann, EuropaR, Rdnr. 659. 69 A. Bleckmann, EuropaR, Rdnr. 915; H. Krück, in: H. v. d. Groeben/J. Thiesing/C.-D. Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Art. 164 E G V Rdnr. 1; Th. Oppermann, EuropaR, Rdnrn. 383, 710;/. Schwarze, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 220 E G V Rdnr. 1; B. Wegener, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 220 E G V Rdnr. 2. 7 0 Siehe nur A. Epiney, in: B. Beutler/R. Bieber/J. Pipkorn/J. Streil (Hrsg.), Die Europäische Union, Rdnr. 514; A. Middeke, in: H.-W. Rengeling/A. Middecke/M. Gellermann (Hrsg.), Rechtsschutz in der Europäischen Union, § 4 Rdnr. 2: „keine umfassende Allzuständigkeit"; genauso bereits K. Brandt, JuS 1994, 300 (303); Ch. Koenig/C. Sander, Einführung in das EG-Prozessrecht, Rdnr. 4. 71 Anders noch Art. 220 E G in der Fassung des Vertrags von Amsterdam: „Der Gerichtshof sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrags."

§ 13 Zulässigkeit

konkretisierungsbedürftiger

Rechtsetzung

329

nach A r t . 2 3 4 Abs. 1 lit. b E G (unten aa) als auch in dem mit A r t . 2 2 0 E G erteilten Rechtsfortbildungsauftrag (unten bb).

aa) Konkretisierung (Art. 234 EG)

als Bestandteil

der

Vorabentscheidung

Normkonkretisierung ist Bestandteil der dem E u G H im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens gemäß A r t . 2 3 4 Abs. 1 lit. b E G zugewiesenen Aufgabe, über die „Auslegung" der Handlungen der Organe zu entscheiden. Z w a r lässt sich nach deutschem Methodenverständnis mit den Mitteln der Auslegung nur ein Ausschnitt der Konkretisierungsaufgabe bewältigen: D e r Savigny'sche A u s legungskanon kann lediglich einzelne Konkretisierungsgesichtspunkte und zwingende Begrenzungen des Konkretisierungsspielraums 7 2 aufzeigen, den konkretisierungsbedürftigen Begriff aber nicht bis zur Anwendungsreife „ausfüllen". 7 3 Gerade in Methodenfragen verbietet sich aber eine unbefangene Gleichsetzung nationaler Vorstellungen mit gemeinschaftsrechtlichen Erwartungen. Die Eigengesetzlichkeit der gemeinschaftlichen Rechtsordnung mit ihren institutionellen Besonderheiten supranationaler Rechtsetzung sowie die in der Gemeinschaft zusammentreffenden unterschiedlichen Methodentraditionen der Mitgliedstaaten haben den E u G H v o n Beginn an v o r die A u f g a b e gestellt, eigenständig das nötige gemeinschaftsspezifische methodische Handwerkszeug zu entwickeln. 7 4 Im Übrigen darf nicht übersehen werden, dass die 72 Zum Konkretisierungsspielraum bereits oben, § 6 I.; zum „Rahmen" der Konkretisierung §2 II. 1., §4 III. 2. a) sowie H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S.348f. 73 Zur Leistungsfähigkeit der Auslegung im Zusammenhang mit konkretisierungsbedürftigen Rechtsbegriffen in nationalem Kontext bereits oben, §5 III. 74 Zu Fragen der Auslegung gemeinschaftlichen Sekundärrechts etwa EuGH, Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415 Tz. 18ff. - C.I.L.F.I.T.;J. Auweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, insbes. S. 74ff., 141 ff.; A. Bleckmann, in: M. Dauses (Hrsg.), Hdb. EG-WirtschaftsR, B.I. Rdnrn.5ff.; den., EuR 1979, 239ff.; den., NJW 1982, 1177ff.; KD. Borchardt, in: C.O. Lenz (Hrsg.), EG-Kommentar, Art. 220 Rdnrn. 13ff.: „gemeinschaftsspezifische Auslegungsmethoden"; C. Buck, Uber die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 130ff., 143ff.; A. Epiney, in: B. Beutler/R. Bieber/J. Pipkorn/ J. Streil (Hrsg.), Die Europäische Union, Rdnrn. 527ff.; U. Everling, in: Zölle, Verbrauchssteuern und Europäisches Marktordnungsrecht, S. 51 (59ff.); M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 445ff.; S. Grundmann/K. Riesenhuber,]v& 2001, 529ff.; H. Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts aus der Sicht eines Richters, S. lff.; H. Krück, in: H. v.d. Groeben/J. Thiesing/C.-D. Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Art. 164 EGV Rdnrn. 53ff.; M. Lutter, JZ 1992, 593 (598ff.); S. Menzel, in: M. Paschke/C. Iliopoulos (Hrsg.), Europäisches Privatrecht, S.57ff.; Th. Möllers, Die Rolle des Rechts im Rahmen der Europäischen Integration, S. 56f.; E Müller/R. Christensen, Juristische Methodik Bd. II Europarecht, passim; I. Pernice, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Art. 164 EGV Rdnrn. 23 ff.; M. Potacs, Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 5ff.; M. Schmidt, RabelsZ 59 (1995), 569 (575ff.); R. Schulze, in: R. Schulze (Hrsg.), Auslegung europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts, S.9ff.;/. Schwarze, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 220 EGV Rdnrn. 27ff.; zur Notwendigkeit eines eu-

330

Normkonkretisiemng

im europäischen

Privatrecht

Unterscheidung zwischen Auslegung und Konkretisierung auch aus der Perspektive des deutschen Rechts letztlich eine Definitionsfrage darstellt, wie sich schon an der wechselnden Terminologie von B G H und BVerfG ablesen lässt. 75 Aus diesen Gründen ist der in Art. 234 A b s . l lit. b E G erteilte Auftrag zur „Auslegung" nicht in einem formal-methodischen Sinn auf richterliche Textentfaltung durch grammatische, historische und systematisch-teleologische Auslegung zu beschränken, sondern vor allem mit Blick auf die Funktion des Vorabentscheidungsverfahrens zu entwickeln. Auslegung ist daher einerseits als Gegenbegriff zur Rechtsanwendung zu verstehen, die dem E u G H ohne Zweifel entzogen ist. 76 Andererseits ist die Reichweite der dem E u G H mit Art. 234 Abs. 1 lit. b E G zugewiesenen Aufgabe über Sinn und Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens 77 zu bestimmen, also mit Blick auf das Bedürfnis nach Rechtsvereinheitlichung. 78 Auslegung i.S. des

ropäischen Gemeinrechts der Methode gerade im Bereich des Privatrechts K. P. Berger, ZEuP 2001, 5ff.; K. Langenbucher, Jb.J.ZivRWiss. 1999, S. 65ff.; H. Kötz, in: FS für K. Zweigert, S.481 (490f.); T. Repgen, Jb.J.ZivRWiss. 1997, S. 9 (35f.); HJ. Sonnenherger, RIW 2002,489 (491 f.); allgemein P. Häberle, EuGRZ 1991, 261 (271 ff.); ders., Europäische Verfassungslehre, S.270f.; die Gemeinsamkeiten mit den vertrauten Methoden des nationalen Rechts betonend R. Streinz, EuropaR, Rdnrn. 498ff.; B. Wegener, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 220 EGV Rdnrn. 11 ff. 75 Siehe bereits oben, §5 III. 1. Dementsprechend wird auch im Gemeinschaftsrecht von der „Auslegung" von Generalklauseln gesprochen; siehe etwa S. Leihle, R I W 2001, 422 (425f.). 76 St. Rspr.; siehe etwa EuGH, Rs. 222/78, Slg. 1979, 1163 Tz. lOff. - ICAP; Rs. 37/86, Slg. 1987, 3589 (3607) - Coenen. Bemerkenswert aus jüngerer Zeit EuGH, Rs. C-203/99, Slg. 2001 I3569 Tz. 31 ff. - Veedfald, wo der E u G H die Beantwortung zweier Vorlagefragen zur Produkthaftungs-Richtlinie an das vorlegende dänische Gericht zurückgewiesen hat, weil er weder zur Anwendung nationalen Rechts noch zur Subsumtion befähigt sei (zu dieser Entscheidung auch noch unten, § 15 II. 2. a) im Zusammenhang mit dem Grundsatz autonomer Auslegung der Begriffe des Gemeinschaftsrechts). - Aus dem Schrifttum hierzu A. Bleckmann, EuropaR, Rdnr. 950; R. Geiger, EUV/EGV, Art. 234 Rdnr. 5; M. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EG-Vertrag, S. 80ff.; Th. Oppermann, EuropaR, Rdnr. 7 6 6 ; / . Schwarze, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 234 E G V Rdnr. 17; B. Wegener, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 234 EGV Rdnr. 4; skeptisch zu den Schwierigkeiten dieser Grenzziehung zwischen Auslegung und Anwendung M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.271ff.; dagegen etwa M. Dauses, a.a.O., S. 81; H. Krück, in: H. v.d. Groeben/J. Thiesing/C.-D. Ehlermann (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 177 E G V Rdnr.43. 77 Dazu Th. Oppermann, EuropaR, Rdnr. 757;/. Schwarze, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 234 E G V Rdnrn. 2f.; B. Wegener, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 234 E G V Rdnr. 1. 78 Zu Inhalt und Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens EuGH, Rs. 166/73, Slg. 1974, 33 Tz. 2 - Rheinmühlen; Rs. 107/76, Slg. 1977, 957 Tz. 5 - Hoffmann La Roche/Centrafarm; Rs. 283/81, Slg. 1981, 3415 Tz. 7 - C.I.L.F.I.T. sowie K.-D. Borchardt, in: C . O . Lenz (Hrsg.), E G Kommentar, Art. 234 Rdnr. 2; U. Everling, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, S. 15ff.; M. Gebauer, Grundfragen der Europäisierung des Privatrechts, S. 175 ff.; Ch. Koenig/C. Sander, Einführung in das EG-ProzessR, Rdnrn. 454ff.; H. Krück, in: H. v.d. Groeben/J. Thiesing/C.-D. Ehlermann (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 177 EGV Rdnrn. 9ff., 13f.; C. O. Lenz, DRiZ 1995,213ff.; Th. Oppermann, DVB1.1994,901

$ 13 Zulässigkeit

konkretisierungsbedürftiger

Rechtsetzung

331

A r t . 2 3 4 Abs. 1 lit. b E G umfasst daher jede sachverhaltsgelöste, abstrakte Verdeutlichung v o n Inhalt und Bedeutung oder - so die Formulierung des E u G H „Sinn" und „Tragweite" 79 des Gemeinschaftsrechts. 8 0 In dieser weit gefassten Auslegungsbefugnis ist auch die Befugnis zur Normkonkretisierung enthalten als Befugnis zur abstrakt-generellen Bestimmung des Bedeutungsinhaltes v o n ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffen. 8 1 H i e r f ü r spricht gerade das mit der Unbestimmtheit wachsende Bedürfnis nach Rechtseinheit. Die Bestimmtheit oder Unbestimmtheit des in Rede stehenden Sekundärrechtsaktes w i r k t sich lediglich insoweit auf die Entscheidungsbefugnis des E u G H im Vorlageverfahren aus, als eine Vorlagepflicht i.S. der acte clair-Doktrin entfällt, w e n n die „richtige" Auslegung des Gemeinschaftsrechts „derart offenkundig [ist], dass keinerlei Raum f ü r einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt" 8 2 und nicht mit einer abweichenden Entscheidung durch die Gerichte anderer Mitgliedstaaten oder dem E u G H zu rechnen ist. 83 - Es ist also nicht die Unbestimmtheit, sondern gerade umgekehrt die Bestimmtheit eines Sekundärrechtsaktes, die die Zulässigkeit einer Vorlage beschränkt. Im Übrigen zieht das Vorabentscheidungsverfahren der Konkretisierungsbefugnis nur insoweit Grenzen, als der E u G H konkretisierungsbedürftige Rechtsbegriffe lediglich in abstrakter F o r m näher bestimmen, aber nicht anwenden darf. 8 4 (906); P. Pescatore, BayVBl. 1987, 33ff.; /. Schwarze, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 234 EGVRdnr.2. 79 EuGH, Rs. 61/79, Slg. 1980, 1205 Tz. 16 - Denkavit Italia. 80 Vgl. K.-D. Borchardt, in: C.O. Lenz (Hrsg.), EG-Kommentar, Art. 234 Rdnr. 5: „Inhalt und Tragweite"; R. Geiger, EUV/EGV, Art. 234 Rdnr. 5: „Ermittlung des Inhalts einer Vorschrift"; H. Krück, in: H. v.d. Groeben/J. Thiesing/C.-D. Ehlermann (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 177 EGV Rdnr. 37: „Ermittlung des Inhalts und der Tragweite einer bestimmten Rechtsnorm";/. Schwarze, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 234 EGV Rdnr. 17. 81 So auch J. Auweiler, Auslegungsmethoden, S. 60f. Soweit ersichtlich, stellt allein M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 536ff. die Konkretisierungsbefugnis des EuGH im Hinblick auf die institutionelle Aufgabenzuweisung des Art. 234 EG in Frage, und zwar mit dem Argument, bei ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffen ließen sich Auslegung und Anwendung nicht voneinander unterscheiden. - Im Übrigen zum Meinungsstand noch unten, §14 II. 1. 82 EuGH, Rs. 283/31, Slg. 1982, 3415 Tz. 16ff. - C.I.L.F.I.T.; hierzu insbes. A. Bleckmann, EuropaR, Rdnrn. 926ff.; K.-D. Borchardt, in: C.O. Lenz (Hrsg.), EG-Vertrag, Art.234 Rdnrn. 41 f.; B. Heß, RabelsZ 66 (2002), 470 (493ff.); ders., ZZP 108 (1995), 59 (80ff.);/. Schwarze, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 234 EGV Rdnr. 46. 83 EuGH, Rs. 283/31, Slg. 1982, 3415 Tz. 16 - C.I.L.F.I.T.: „Das innerstaatliche Gericht darf jedoch nur dann davon ausgehen, dass ein solcher Fall vorliegt, wenn es überzeugt ist, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Gerichtshof die gleiche Gewissheit bestünde." - Die „Eindeutigkeit" einer Gemeinschaftsnorm muss sich also nicht nur aus der Perspektive des nationalen Gerichts, sondern aus dem gemeinschaftsrechtlichen Kontext ergeben. Darin liegt der entscheidende Unterschied zur acte clair-Doktrin; B. Heß, ZZP 108 (1995), 59 (80f.) spricht daher von einer „eingeschränkten acte clair-Doktrin"; siehe auch P. Pescatore, BayVBl. 1987, 33 (39);/. Schulze-Osterloh, ZGR 1995,170 (179f.). - Zu den Grenzen der Vorlagepflicht noch unten, §14 III. 1. a). 84 Kritisch insoweit im Zusammenhang mit der Konkretisierung der Klausel-Richtlinie

332

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

A u s dieser grundsätzlich durch A r t . 2 3 4 Abs. 1 lit. b E G dem E u G H zugewiesenen Konkretisierungsbefugnis folgt allerdings weder, dass die Konkretisierung gemeinschaftlichen Sekundärrechts nicht auch anderen Konkretisierungsakteuren zugewiesen sein kann, noch dass sich der E u G H seine an sich bestehende Konkretisierungsbefugnis nicht mit anderen A k t e u r e n teilen müsste. 8 5 Für die Zulässigkeit konkretisierungsbedürftigen Sekundärrechts ist erst einmal nur entscheidend, dass mit A r t . 2 3 4 Abs. 1 lit. b E G eine Zuweisung der K o n k r e tisierungsaufgabe an den E u G H besteht und dass infolgedessen die in der K o n kretisierungsbedürftigkeit liegende Verlagerung v o n Rechtsetzungsaufgaben grundsätzlich nicht gegen das Prinzip der begrenzten Einzelzuständigkeit und das institutionelle Gleichgewicht verstößt.

bb) Konkretisierung (Art. 220 EG)

als Bestandteil

zulässiger

Rechtsfortbildung

Ein zweites A r g u m e n t f ü r die grundsätzliche Zulässigkeit konkretisierungsbedürftiger Rechtsetzung und entsprechender Konkretisierungsaufgaben des E u G H liegt in der Rechtsfortbildungskompetenz des E u G H . Soweit die K o n kretisierungsaufgabe dem E u G H nicht schon über A r t . 2 3 4 Abs. 1 lit. b E G zugewiesen ist, 86 ist sie jedenfalls Bestandteil des in A r t . 2 2 0 E G enthaltenen A u f trages zur Rechtsfortbildung, 8 7 zumal der E u G H in Anlehnung an die französische D o k t r i n 8 8 ohnehin nicht scharf zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung unterscheidet. 8 9 Die grundsätzliche Befugnis des E u G H zur Rechtsfort-

H. Heinrichs, NJW 1996,2190 (2196f.); ders., NJW 1998,1447 (1454f.); hierzu auch Th. P f e i f f e r , in: E. Grabitz/M. Hilf, Das Recht der Europäischen Union. Sekundärrecht, A 5 Art. 3 Rdnr. 46. 85 Zur Verteilung der Konkretisierungskompetenz noch eingehend unten, § 14 II. 86 Hierzu vorstehend, § 13 I. 2. e) aa). 87 Zur Konkretisierung als Bestandteil der Rechtsfortbildungskompetenz des EuGH J. Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S.60f.: „Präzisierung" von unbestimmten Rechtsbegriffen als „Auslegung im weiteren Sinne"; K.-D. Borchardt, in: GS für E. Grabitz, S.29 (37); W. Dänzer-Vanotti, RIW 1992, 733 (737); H. Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung, S. 1-9; I. Pernice, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Art. 164 EGV Rdnr. 14: „konkretisierende Rechtsfortbildung";/. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 133ff.; R. Wank, in: FS für E. Stahlhacke, S. 633 (638); andeutungsweise auch BVerfGE 75, 223 (242) - Kloppenburg. 88 Vgl. W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd.I, S.543ff., 546. 89 ]. Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 39; K. Brandt, JuS 1994,300 (303); W. Dänzer-Vanotti, RIW 1992,733 (734); A. EmmerichFritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, S. 130; M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 575ff., 604ff.; C. W. Hergenröder, in: FS für W. Zöllner, S. 1139 (1153); Ch. Koenig/C. Sander, Einführung in das EG-ProzessR, Rdnr. 12; Th. Möllers, Die Rolle des Rechts im Rahmen der europäischen Integration, S. 57; M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 291; R. Streinz, EuropaR, Rdnr. 495; kritisch S. Grundmann/K. Riesenhuher, JuS 2001, 529 (535f.); K. Riesenhuher, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S. 65 ff., 72; M. Schweitzer/W. Hummer,

§13

Zulässigkeit

konkretisierungsbedürftiger

Rechtsetzung

333

bildung steht heute außer Streit 90 und gehört zur „Realität der Gemeinschaft" 91 . Sie wird aus dem mit Art. 220 E G erteilten Auftrag zur „Wahrung des Rechts" 9 2 gefolgert93 und ist auch vom BVerfG gebilligt worden. 94 O b die Konkretisierung ausfüllungsbedürftigen Sekundärrechts schon als Auslegung i.S. des Art. 234 Abs. 1 lit. b E G verstanden oder ob sie der Rechtsfortbildung zugeschlagen wird, ist für die grundsätzliche Zulässigkeit ausfüllungsbedürftigen Sekundärrechts unbeachtlich. Hierfür ist allein entscheidend, dass die Normkonkretisierung zu dem vertraglich gekennzeichneten Aufgabenbereich des E u G H zählt und dass sich entsprechende Aufgabenverlagerungen an den E u G H vor dem Gebot der vertraglichen Befugniszuweisung (Art. 7 Abs. 1 S.2 EG) rechtfertigen lassen.95 f) Institutionelle

Delegationsgrenzen

Allerdings ist auch für das Gemeinschaftsrecht anerkannt, dass die Rechts (fort)bildungskompetenz des EuGH Grenzen unterliegt, und zwar einerseits EuropaR, S.105; anders auch V. Neßler, R I W 1993, 206 (209). Siehe nun auch die Beiträge in R. Schulze/U. Seif(Hrsg.), Richterrecht und Rechtsvergleichung in der Europäischen Rechtsgemeinschaft, 2003. Zu Normkonkretisierung und Rechtsfortbildung im deutschen Recht bereits oben, § 5 II. 1. a). - Beispiele aus der Rechtsprechung des E u G H bei J. Schwarze, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 220 E G V Rdnr.4; ders., Die Befugnis zur Abstraktion im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 105ff. 9 0 Zu den Grenzen der Rechtsfortbildungskompetenz noch unten im Zusammenhang mit den institutionellen Delegationsgrenzen, § 13 I. 2. f). 91 So U. Everling, ZSchwR 1993, 337 (347); siehe auchJ. Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 35ff.: richterliche Rechtsfortbildung als „Normalfall im Gemeinschaftsrecht". 92 Zur vorpositiven Bedeutung des Begriffs „Recht" M. Schmidt, RabelsZ 60 (1996), 616ff. 93 Siehe nur K.-D. Borchardt, in: GS für E. Grabitz, S.29ff.; ders., in: C . O . Lenz (Hrsg.), E G Kommentar, Art. 220 Rdnrn. 21 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, S. 133ff.; M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.577ff., 580; U. Everling, J Z 2000, 217 (221 ff.); ders., RabelsZ 50 (1986), 193 (206ff.); Ch. Koenig/C. Sander, Einführung in das EG-ProzessR, Rdnrn. 11 ff.; H. Kutscher, EuR 1981, 392 (400); Th. Möllers, EuR 1998, 20 (24ff.); M. Potacs, Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 41 ff.; K. Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S. 67ff.; F. Schockweiler, EuR 1995, 191 (194ff.); R. Streinz, EuropaR, Rdnrn. 495ff.;/. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den E u G H , insbes. S. 90ff. Kritisch aber Ch. Hillgruber, in: Th. v. Danwitz u.a. (Hrsg.), Auf dem Wege zu einer Europäischen Staatlichkeit, S.31 (41); unter Betonung der Grenzen der Rechtsfortbildungsbefugnis W. Dänzer-Vanotti, R I W 1992, 733 (735ff.); B. Wegener, in: Ch. Calliess/ M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 220 E G V Rdnrn. 16ff. 94 BVerfGE 75,223 (242ff.) - Kloppenburg; hierzu J. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den E u G H , S. 96ff. Diese grundsätzliche Rechtsfortbildungsbefugnis des E u G H ist auch im Maastricht-Urteil anerkannt worden (BVerfGE 89,155 [209f.]); hierzu U. Everling, J Z 2000, 217 (221); genauso M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 577; R. Streinz, EuropaR, Rdnr.495. 95 Zu den Delegationsgrenzen sogleich, § 13 I. 2. f).

334

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

G r e n z e n z u r W a h r u n g der V e r b a n d s k o m p e t e n z der Mitgliedstaaten vertikalen und andererseits horizontalen G r e n z e n z u r W a h r u n g der O r g a n k o m p e t e n z der anderen Gemeinschaftsorgane. 9 6 Hier k o m m t es allein auf die horizontalen G r e n z e n der Rechtsfortbildung an. In ihnen spiegeln sich die A n f o r d e r u n g e n des institutionellen Gleichgewichts wider; insoweit ließe sich auch v o n institutionellen G r e n z e n der R e c h t s f o r t b i l d u n g s k o m p e t e n z sprechen. Diese institutionellen G r e n z e n sind v o m E u G H schon i m m e r a u f m e r k s a m e r w a h r g e n o m men und geachtet w o r d e n als die vertikalen G r e n z e n . 9 7 Die institutionellen G r e n z e n richterlicher Rechtsfortbildung äußern sich in der A n e r k e n n u n g v o n Beurteilungs- und Gestaltungsfreiräumen. 9 8 Im Bereich materiell rechtsetzender Rechtsfortbildung hat der E u G H in mehreren Fällen eine Rechtsfortbildung abgelehnt mit d e m Hinweis, dass die erforderliche Regelung durch die vertraglich z u r Rechtsetzung berufenen O r g a n e erfolgen solle. 9 9 In dieser Selbstbeschränkung zeichnen sich U m r i s s e einer gemeinschaftsrechtlichen „Wesentlichkeitstheorie" 1 0 0 ab. Die R e c h t s f o r t b i l d u n g s k o m p e t e n z des E u G H findet d o r t ihre G r e n z e , w o es u m politische G e s e t z g e b u n g s f u n k t i o nen geht. 1 0 1 Grundentscheidungen, die einen „qualitativen" Sprung im vertrag96 Siehe nur M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.582ff., 591 ff.;/. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S.172ff., 199ff.; B. Wegener, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 220 EGV Rdnrn. 16ff. 97 R. Streinz, EuropaR, Rdnr. 494. In dieselbe Richtung zielt die Feststellung von U. Everling, JZ 2000, 217 (225): „Die Problematik des Richterrechts der Gemeinschaft besteht in erster Linie im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten"; siehe auch dens., ZSchwR 1993, 337 (344). 98 Siehe K-D. Borchardt, in: GS für E. Grabitz, S.29 (41 ff.); U. Everling, JZ 2000,217 (225f.); M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 582ff.; I. Pernice, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Art. 164 EGV Rdnrn. 35ff., 38;/. Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im Europäischen Gemeinschaftsrecht, insbes. S. 52ff.; 179f.; R. Wank, in: FS für E. Stahlhacke, S.633 (639f.); B. Wegener, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 220 EGV Rdnrn. 19ff.; allg. W.A. Adam, Die Kontrolldichte-Konzeption des EuGH und deutscher Gerichte, insbes. S. 193ff. 99 EuGH, verb. Rs. 117/76,16/77, Slg. 1977,1753 Tz. 13 - Ruckdeschel/Hauptzollamt Hamburg; Rs. 149/77, Slg. 1978,1365 Tz. 19/23 - Defrenne II; Rs. C-249/96, NJW 1998,969 Tz. 47f. Grant/South West Trains; hierzu K.-D. Borchardt, in: GS für E. Grabitz, S.29 (41); M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 590f.; /. Schwarze, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 220 EGV Rdnrn. 32f. 100 Insbes./. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung des EuGH, S.211ff.; ders., NJW 1994, 2469; siehe auch K. Langenhucher, ZEuP 2002,265 (283f.); zurückhaltender R. Wank, in: FS für E. Stahlhacke, S. 633 (640 Fn. 57): „Überschneidungen mit der Wesentlichkeitstheorie". - Deutliche Ansatzpunkte in der Rspr. des EuGH finden sich im Zusammenhang mit der Delegierbarkeit von Durchführungsbefugnissen nach Art. 202 EG; siehe EuGH, Rs. 25/70, Slg. 1970,1161 - Köster; hierzu G. Haihach, VerwArch. 90 (1999), 98 (103f.). 101 So R. Wank, in: FS für E. Stahlhacke, S. 633 (640); siehe auch/. Anweiler, Die Auslegungsmethoden des EuGH, S. 411 ff.; A. Bleckmann, in: GS für L.-J. Constantinesco, S.61 (67); W. Dänzer-Vanotti, RIW 1992, 733 (737); U. Everling, RabelsZ 50 (1986), 193 (229f.); M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 583; V. Neßler, RIW 1993, 206 (212f.); F. Schockweiler, EuR 1995, 193 (195ff.);/. Schwarze, in: J. Schwarze (Hrsg.), EUKommentar, Art. 220 EGV Rdnr. 33; R. Streinz, EuropaR, Rdnr. 497: „Gestaltungsfreiheit der

§ 13 Zulässigkeit

konkretisierungsbedürftiger

Rechtsetzung

335

lieh fixierten Integrationsprogramm bedeuten, sind dem Gemeinschaftsgesetzgeber vorbehalten. 102 Wo im Einzelnen die Grenzlinie zwischen zulässiger Rechtsprechungstätigkeit und unzulässig angemaßter Gesetzgebungsaufgabe verläuft, entzieht sich einer abstrakten Festlegung. 103 Jedenfalls lassen sich die aus dem nationalen Problemkontext erarbeiteten funktionellen und demokratietheoretischen Argumentationen 104 nicht unbesehen auf die gemeinschaftsrechtliche Ebene übertragen. 105 Gewisse Anhaltspunkte mag die Rechtsprechung zum Umfang der Delegationsbefugnis des Rates im Rahmen von Art. 202 E G enthalten, wo der E u G H den Rat zur Wahrung des institutionellen Gleichgewichts darauf verpflichtet, selbst die „wesentlichen Grundzüge der zu regelnden Materie" festzulegen. 106 Allerdings hat der E u G H - soweit ersichtlich - bislang in keinem Fall eine delegierte Rechtsvorschrift allein deshalb für nichtig erklärt, weil sie entgegen Art. 202 E G eine „wesentliche" Regelung enthält. 107 Soweit der E u G H in der Vergangenheit Rechtsfortbildungen verweigert hat, 108 ging es allerdings stets um „eigenmächtige" Rechtsfortbildung, nicht um „beauftragte" Rechtsetzung infolge konkretisierungsbedürftigen Sekundärrechts. Im Hinblick auf das institutionelle Gleichgewicht und die Wahrung der geschriebenen Aufgaben- und Befugnisordnung der Gemeinschaft kann dies aber keinen Unterschied bedeuten, weil das institutionelle Gleichgewicht die geschriebene Funktionsordnung auch und gerade gegen primärrechtlich nicht vorgesehene Befugnisübertragungen sichern will. 109 Wo der E u G H zur Wahrung des institutionellen Gleichgewichts eine Rechtsetzungsaufgabe nicht eigenmächtig an sich ziehen darf, können ihm auch keine Rechtsetzungsaufträge

Gesetzgebungsorgane";/. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den E u G H , S.212f. Eine weitere Grenze sieht M. Potacs, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den E u G H , S.43ff. in den „grundlegenden Ordnungsprinzipien der mitgliedstaatlichen Verfassungen". 102 /. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den E u G H , S. 212; vgl. auch U. Everling, JZ 2 0 0 0 , 2 1 7 ( 2 2 6 ) . 103 U. Everling, J Z 2000, 217 (225); M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 583;/. Schwarze, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 220 E G V Rdnr. 33. Nach W. Dänzer- Vanotti, R I W 1 9 9 2 , 7 3 3 (737) ist dem E u G H mit diesem Argument jedenfalls die Ergänzung primären Gemeinschaftrechts entzogen; Beispiele aus der Rechtsprechung des E u G H bei F. Schockweiler, EuR 1995, 191 (195ff.). 104 Siehe oben, §4 IV. 2. 105 Deutliche Anleihen aus der deutschen Problemdiskussion etwa bei J. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den E u G H , S. 209ff. - demokratietheoretische Grundlegung der Wesentlichkeitstheorie; R. Wank, in: FS für E. Stahlhacke, S. 635 (640f.) - funktionellrechtliche Begrenzung der Rechtsfortbildungsbefugnis. 106 Grundlegend E u G H , Rs. 25/70, Slg. 1970, 1161 Tz. 6ff. - Köster; aus jüngerer Zeit Rs. C 104/97, Slg. 19991-6983 Tz. 76 - Atlanta; dazu insbes./. Ch. Wichard, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art.202 E G V Rdnr. 6 m.w.N.; vgl. auch G. Haibach, VerwArch. 90 (1999), 98 (103ff.); J.-P. Hix, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art.202 E G V Rdnr. 13. 107 Vgl. G. Haibach, VerwArch. 90 (1999), 98 (105) m.w.N. 108 Siehe die Nachweise oben in Fn. 99. 1 0 9 Siehe bereits oben, § 13 I. 2. a).

336

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

erteilt werden; vielmehr kann die Rechtsetzungsaufgabe nur von den primärrechtlich zur Rechtsetzung berufenen Organen erfüllt werden.110 Die horizontalen oder institutionellen Grenzen der Rechtsfortbildung wirken daher im Zusammenhang mit konkretisierungsbedürftiger Rechtsetzung als Delegationsgrenzen. Genauso wie im nationalen Recht umschreiben sie Vorbehaltsbereiche, die einer Delegation an die Rechtsprechung absolut entzogen sind und auf diesem Wege auch ausfüllungsbedürftiger Rechtsetzung entgegenstehen.

II. Konkretisierungsbedürftigkeit und gemeinschaftliches Bestimmtheitsgebot Soweit sich unbestimmte, ausfüllungsbedürftige Rechtsetzung in den Grenzen zulässiger Aufgabendelegation hält, sind auch im Gemeinschaftsrecht die Anforderungen des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebotes zu beachten.111

1. Grundlage und Inhalt des Bestimmtheitsgebotes Das Gebot hinreichender Bestimmtheit gemeinschaftsrechtlicher Rechtsetzung zählt zu den vom EuGH rechtsfortbildend entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätzen,112 hier dem Grundsatz der Rechtssicherheit-113 Mit Art. 6 Abs. 1 EU besteht nun auch ein primärrechtlicher Ansatzpunkt.114 Allerdings spielte der Bestimmtheitsgrundsatz im Zusammenhang mit gemeinschaftlicher Rechtsetzung bislang nur eine untergeordnete Rolle und ist vom EuGH auch

110 R. Wank, in: FS für E. Stahlhacke, S. 633 (640). Auch der E u G H hat in seinen hierzu ergangenen Entscheidungen (siehe oben, Fn.99) nicht ausdrücklich auf den Anlass der richterlichen Rechtsetzung - eigenmächtige Rechtsfortbildung oder beauftragte Rechtskonkretisierung - Bezug genommen. E u G H , verb. Rs. 117/76, 16/77, Slg. 1977, 1753 Tz. 13 - Ruckdeschel/Hauptzollamt Hamburg; Rs. 149/77, Slg. 1978,1365 Tz. 19/23 - Defrenne II; Rs. C-249/96, N J W 1 9 9 8 , 9 6 9 Tz. 47f. Grant/South West Trains. 111 Zu den Anforderungen des Bestimmtheitsgebotes im nationalen Recht oben, § 4 IV. 3. a). 112 R. Geiger, EUV/EGV, Art. 220 E G V Rdnr.28; A Middeke, in: H.-W. Rengeling/A. Middecke/M. Gellermann (Hrsg.), Rechtsschutz in der Europäischen Union, §4 Rdnr.6; I. Pernice, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Art. 164 E G V Rdnr.92; B. Wegener, in: Ch. Calliess/ M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 220 E G V Rdnr.34. 113 Siehe E u G H , Rs. 169/80, Slg. 1981,1931 Tz. 1 7 - Gondrand Frères; Rs. 377/98, N J W 2002, 2455 = EuZW 2001, 691 Tz. 35ff. - Biotechnologie-Richtlinie. 114 R. Geiger, EUV/EGV, Art. 6 E U V Rdnr.5; Th. Kmgreen, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 6 E U V Rdnr. 15;/. Schwarze, in: J. Schwarze (Hrsg.), E U - K o m mentar, Art.220 E G V Rdnr. 16; C. Stumpf, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 6 E U V Rdnr. 15.

§ 13 Zulässigkeit

konkretisierungsbedürftiger

Rechtsetzung

337

nur wenig ausgeformt worden;115 deutlicher sind die Bestimmtheitsanforderungen für mitgliedstaatliche Umsetzungsakte116 sowie als Voraussetzung für die unmittelbare Wirkung von Richtlinien117. Als gesichert dürfte aber gelten, dass der gemeinschaftsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz nicht jeder Form unbestimmter, ausfüllungsbedürftiger Rechtsetzung entgegensteht, sondern lediglich hinreichende Bestimmtheit verlangt.118 Gemeinschaftsrechtlich geforderte Bestimmtheit bedeutet genauso wie in den nationalen Rechtsordnungen, in denen der gemeinschaftliche Bestimmtheitsgrundsatz aufgrund des „wertenden Rechtsvergleichs"119 wurzelt,120 nach Sachgründen mögliche und nötige Bestimmtheit. So wie fast alle europäischen Privatrechte Bestimmungen über „Treu und Glauben" oder ähnliche ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe kennen - etwa „ordre public", „bonne foi", „redelijkheid", „billijkheid", „equity" oder „reasonableness"121 wirkt auch das hierauf basierende gemeinschaftsrechtliche Bestimmtheitsgebot nicht als absolutes Verbot ausfüllungsbedürftiger Rechtsetzung. Vielmehr wird man gerade mit Blick auf das Primärrecht, das seinerseits zahlreiche ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe enthält,122 folgern können, dass das Gemeinschaftsrecht von Anfang an in besonderem Maße auf unbestimmte Rechtsetzung angewiesen war und daher deren Zulässigkeit im Interesse des Integrationsprozesses niemals grundsätzlich in Zweifel gezogen hat.123

115 E u G H , R s . 169/80,Slg. 1981,1931 Tz. 1 7 - G o n d r a n d F r è r e s ; R s . 3 7 7 / 9 8 , E u Z W 2 0 0 1 , 6 9 1 (693 Tz. 35ff.) - Biotechnologie-Richtlinie. 116 Hierzu noch unten, §14 I. 1. b) aa). 117 Hierzu noch unten, §15 I. 1. a), 2. a). 118 So B. Wegener, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art.220 E G V Rdnr. 34; vgl. auch R. Geiger, EUV/EGV, Art. 220 E G V Rdnr. 28; zur Rspr. des E u G H J . Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 37ff.: Zulässigkeit je nach den „spezifischen Eigenarten des betreffenden Rechtsgebietes". 1 , 9 Hierzu A. Bleckmann, EuropaR, Rdnrn. 572ff.; P. Häherle, E u G R Z 1991, 261 (271 ff.); Th. Oppermann, EuropaR, Rdnr. 483; I. Pernice, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Art. 164 E G V Rdnrn. 57f. m.w.N.;/. Schwarze, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art.220 E G V Rdnr. 16; B. Wegener, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art.220 E G V Rdnr. 33. 1 2 0 Vgl. auch Art. 6 Abs. 1, 2. HS. E U . 121 Siehe nur O. Remien, RabelsZ 66 (2002), 503 (511 f.) m.w.N. Zum englischen Verständnis von Treu und Glauben in der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie H.-W. Micklitz, ZEuP 2003,868ff. 122 Hierzu etwa J. Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S.60; H. Kutscher, EuR 1981, 392 (400); O. Remien, RabelsZ 66 (2002), 503 (513);/. Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 152 jeweils m.w.N. 123 Siehe nur J. Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im europäischen Gemeinschaftsrecht, insbes. S. 28ff.

338

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

2. Bestimmtheitsanforderungen an privatrechtsangleichende Rechtsakte Gerade die Eigengesetzlichkeiten des europäischen Privatrechts rechtfertigen in großem Ausmaß die Verwendung ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe. Bereits im nationalen Kontext wurden die maßgeblichen materiellen Gesichtspunkte aufgezeigt, nämlich die Beteiligten- und Zeitbezogenheit des Privatrechts. 124 Diese Argumente kann das Gemeinschaftsrecht grundsätzlich genauso wie das nationale Recht für sich in Anspruch nehmen. Daneben existieren aber auch spezifisch gemeinschaftsrechtliche Argumente zugunsten größerer Unbestimmtheit speziell der privatrechtlichen Regelsetzung. 125 Hierzu gehört zunächst das Argument einfacherer Rechtsetzung. Auch auf gemeinschaftlicher Ebene tragen unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln zur Übersichtlichkeit der Rechtsetzung bei und verhindern eine „Aufblähung" der Rechtstexte. 126 Damit steht ausfüllungsbedürftige Rechtsetzung ganz im Zeichen der Rechtsvereinfachung, wie sie die Europäische Kommission seit Initiierung des SLIM-Programms im Jahr 1996 127 auf die politische Agenda der Gemeinschaft gesetzt hat. 128 Im Übrigen gewinnt das Argument der Zeitbezogenheit des Privatrechts gerade angesichts der Langwierigkeit gemeinschaftlicher Rechtsetzung gesteigerte Bedeutung auf gemeinschaftlicher Ebene (unten a). Weitere spezifisch gemeinschaftsrechtliche Gesichtspunkte für die Zulässigkeit ausfüllungsbedürftiger Rechtsetzung folgen aus der typischerweise geringeren Belastungsintensität privatrechtsangleichender Richtlinien (unten b) sowie der gemeinsamen Rechts- und Begriffstraditionen der mitgliedstaatlichen Privatrechte (unten c).

a) Zeitbezogenheit

des Privatrechts

und gemeinschaftliche

Rechtsetzung

Bereits auf nationaler Ebene ist herausgestellt worden, dass das Privatrecht in besonderer Weise zeitabhängig und daher auf Aktualisierung und Anpassung an veränderte Tatsachen und Wertungen angewiesen ist. 129 Dieses Argument Hierzu bereits oben, § 4 IV. 3. b). Generelle Argumente zugunsten größerer Unbestimmtheit verkörpern die Grundsätze die Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit; hierzu bereits oben, § 13 I. 1. b). 126 Dieses Argument gilt genauso für die Zulässigkeit ausfüllungsbedürftiger Umsetzungsakte; vgl. S. Leible, EuZW 2001, 438 (439). 127 Mitteilung der Kommission „Vereinfachung der Rechtsvorschriften im Binnenmarkt (SLIM): ein Pilotprojekt, K O M (96) 204 endg. 1 2 8 Inzwischen existiert ein Weißbuch „European Governance" vom Juli 2001 sowie ein Aktionsplan „Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds", K O M (2002) 278 endg. und ein Begleitdokument „Europäisches Regieren: Bessere Rechtsetzung", K O M (2002) 275 endg. Ziel des Aktionsplanes ist es, den inzwischen 80.000 Seiten umfassenden Besitzstand im Wege der Konsolidierung, Neufassung und Vereinfachung zu lichten und um 2 5 % zu reduzieren; siehe hierzu den Bericht von R. Wägenbaur, ZRP 2002, 454f. 129 Siehe oben, §4 IV. 3. b. bb). 124 125

§ 13 Zulässigkeit konkretisierungsbedürftiger

Rechtsetzung

339

kann die gemeinschaftsrechtliche Rechtsetzung in besonderem Maße für sich in Anspruch nehmen. Wegen der institutionellen und politischen Rahmenbedingungen ist die gemeinschaftliche Rechtsetzung mehr noch als der deutsche Gesetzgeber auf ausfüllungsbedürftige Rechtsetzung angewiesen. Die Komplexität und Schwerfälligkeit des Rechtsetzungsverfahrens, die lange Verfahrensdauer und die Umsetzungs- und Vorlaufzeiten130 verleihen dem Gesichtspunkt der Zeitabhängigkeit des Privatrechts im Gemeinschaftsrecht besonderes Gewicht. Hinzu tritt, dass es sich bei der Gemeinschaft noch immer um eine auf Wandel und Weiterentwicklung angelegte Rechtsordnung131 handelt, die daher - in der Zeit - „notwendig unvollständig" ist.132 Die Gemeinschaft verdankt den zurückgelegten Integrationsweg und ihre weitere Evolutionsfähigkeit nicht nur der politischen Kraftanstrengung der Vertragskonferenzen, sondern vielleicht mehr noch ihrer inneren Entwicklungsoffenheit durch ausfüllungs- und daher entwicklungsfähiges Recht. Im „dynamisch-evolutiven Integrationsansatz des EG-Vertrages" 133 berühren sich der Prozesscharakter der Konkretisierung134 mit dem Prozesscharakter der Integration. Der Zeitfaktor dient also in mehrfacher Hinsicht zur Rechtfertigung ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe in privatrechtlichen Gemeinschaftsrechtsakten: als generelles Argument der Zeitbezogenheit privatrechtlicher Regelungen sowie in Gestalt der gemeinschaftsspezifischen Argumente aus der Eigenart des Rechtsetzungs- und Integrationsprozesses.

130 Anschaulich zur Komplexität des Rechtsetzungsverfahrens die Übersichten bei R. Streinz, EuropaR, Rdnrn. 438ff.; im Übrigen statt aller nur R. Bieber, in: J. Schwarze (Hrsg.), Gesetzgebung in der Europäischen Gemeinschaft, S. 73 ff. 131 So bereits J. Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 109; im Zusammenhang mit richterlicher Rechtsfortbildung etwa M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäischen Gemeinschaft, S. 579 m.w.N. 132 So R. Wank, in: FS für E. Stahlhacke, S.633 (638); siehe auch W. Dänzer-Vanotti, RIW 1992, 733 (734f.); U. Everling, RabelsZ 1986, 193 (206f.); /. Pernice, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Art. 164 EGV Rdnr. 35: „Normendefizit" des Gemeinschaftsrechts; ähnlich G. Hirsch, MDR 1999, 1 (3): „normative Ebbe". Zu den methodischen Konsequenzen dieser Lückenhaftigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung nun K. Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S.52ff., S.61 ff. 133 Formulierung von J. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 93ff.; siehe auch A. Epiney, in: B. Beutler/R. Bieber/J. Pipkorn/J. Streil (Hrsg.), Die Europäische Union, Rdnr. 516; V Neßler, RIW 1993, 206 (211): „dynamisches Integrationsrecht"; R. Scholz/ H. Hofmann, ZRP 1998,295f.: „dynamisch-evolutive Rechtsordnung"; T. Stein, in: FS 600 Jahre Universität Heidelberg, S. 619 (621): „dynamisches Element" des Rechtsprechungsauftrages des EuGH; zum Begriff der evolutiven Rechtsordnung G. Ress/R. Bieber, in: R. Bieber/G. Ress (Hrsg.), Die Dynamik des EG-Rechts, S. 13ff.; zu „dynamischer" Auslegung H.P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 131; kritisch mit Blick auf den Aufgabenzuwachs des EuGH W. Fiedler, JZ 1986, 60 (64). 134 Zu Konkretisierung als Prozess bereits oben, §71.

340

Normkonkretisierung

b) Geringe Belastungsintensität

im europäischen

Privatrecht

privatrechtsangleichender

Richtlinien

Auch im Gemeinschaftsrecht richten sich die Bestimmtheitserwartungen im Wesentlichen nach der Belastungsintensität des Rechtsaktes. 1 3 5 Belastende R e gelungen müssen „klar und deutlich" sein, damit der Betroffene seine Pflichten unzweideutig erkennen und entsprechende Vorkehrungen treffen kann. 1 3 6 Zwar formulieren auch privatrechtliche Gemeinschaftsrechtsakte Pflichten, etwa die Informationspflichten von Kreditgebern oder Lieferanten bei Verbraucherkredit- 1 3 7 bzw. Fernabsatzgeschäften 1 3 8 oder die Verpflichtung des Verkäufers zu vertragsgemäßer Lieferung. 1 3 9 Diese Pflichten belasten die Freiheitssphäre der Betroffenen aber nicht so intensiv wie beispielsweise Abgabepflichten, um die es in der maßgeblichen Entscheidung des E u G H in der Rs. 169/80 „Gondrand Frères" ging. 140 Vielmehr kommt auch auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene die generell schwächere Grundrechtsrelevanz privatrechtlicher R e gelungen 141 zum Tragen und senkt die Bestimmtheitserwartungen. Hinzu tritt ein zweites Argument aus der Rechtsnatur der Richtlinie. Richtlinien sind an die Mitgliedstaaten gerichtet und bewirken daher keine unmittelbaren Belastungen des Bürgers. 1 4 2 Außerdem gehört eine gewisse Unbestimmtheit gerade zu der in Art. 249 Abs. 3 E G niedergelegten Idealvorstellung der Richtlinie, die den Mitgliedstaaten lediglich die zu erreichenden Ziele vorgibt, ihnen aber die Wahl der F o r m und der Mittel überlässt. 143 Mit diesem Argument hat auch Generalanwalt F. Jacobs in seinen Schlussanträgen die Unbestimmtheit der Biotechnologie-Richtlinie gerechtfertigt: „Richtlinien sind ihrer Natur nach darauf ausgerichtet, die Gegenstände, die sie behandeln, nicht erschöpfend in allen Einzelheiten zu regeln. O b w o h l dies natürlich nicht bedeutet, dass unklare Fassungen von Rechtssätzen angemessen sind, legt es doch nahe, dass der bloße

Zu diesem Zusammenhang im deutschen Recht oben, §4 IV. 3. b) aa). E u G H , Rs. 169/80, Slg. 1981, 1931 Tz. 17 - Gondrand Frères; hierzu R. Geiger, EUV/ EGV, Art. 220 E G V Rdnr. 28; I. Permce, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EU-/EGV, Art. 164 E G V Rdnr.92; B. Wegener, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 220 E G V Rdnr. 34. 137 Art. 4 bis 6 Richtlinie 87/102/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, AB1.EG 1987 Nr. L 42/48, geändert durch Richtlinie 90/88/EWG, AB1.EG 1990 Nr. L 61/14 und durch Richtlinie 98/7/EG, AB1.EG 1998 Nr. L 101/17. 138 Art. 4 und 5 Richtlinie 97/7/EG über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, AB1.EG 1997 Nr. L 144/19. 139 Art. 2 Richtlinie 1999/44/EG zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl.EG 1999 Nr. L 171/12. 140 E u G H , Rs. 169/80, Slg. 1981, 1931 Tz. 17 - Gondrand Frères. 141 Hierzu bereits für das deutsche Recht, §4 IV. 2. c). 142 Auch soweit Richtlinienbestimmungen ausnahmsweise unmittelbare Wirkung entfalten, gilt dies immer nur zugunsten und nicht zulasten eines Bürgers; hierzu noch unten, § 16 I. 2. a). 143 Siehe aber zur Zulässigkeit „perfekter" Richtlinien bereits oben, § 13 I. 1. a) bb). 135

136

^ 13 Zulässigkeit konkretisierungsbedürftiger

Rechtsetzung

341

Umstand, dass eine Richtlinie den Mitgliedstaaten ein Ermessen zugesteht, für sich genommen noch kein Grund ist, sie für nichtig zu erklären." 144 Sowohl die typischerweise geringere Belastungsintensität von Regelungen im Bereich des Privatrechts als auch die Rechtsnatur der Richtlinie senken daher die Bestimmtheitsanforderungen an privatrechtsangleichende Richtlinien und decken die Verwendung ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe. c) Gemeinsame

Begriffstraditionen

der mitgliedstaatlicben

Privatrechte

Ein weiterer Gesichtspunkt, der gerade der gemeinschaftlichen Rechtsetzung im Privatrecht größere Unbestimmtheit gestattet, ist der Umstand, dass die vom Gemeinschaftsgesetzgeber verwendeten konkretisierungsbedürftigen Begriffe vielfach den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen entlehnt sind. Im Zusammenhang mit der Biotechnologie-Richtlinie 145 hat der E u G H diesem Umstand entscheidendes Gewicht beigemessen. Die „ordre public"-Klausel in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 146 verstoße schon deshalb nicht gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, weil dieser Begriff den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bekannt und überdies auch in den einschlägigen völkerrechtlichen Abkommen wie dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) enthalten ist. 147 Die noch weithin spürbare gemeinsame Verwurzelung der mitgliedstaatlichen Privatrechte im römischen Recht 148 zeigt sich darin, dass viele Begriffe, Rechtsgrundsätze und Prinzipien den meisten europäischen Rechtsordnungen bekannt sind 149 und dementsprechend auch ihren Niederschlag in gemeinschaftlichen Rechtsakten gefunden haben. 150 Schlussanträge des Generalanwalts F. Jacobs vom 14.6.2001, Rs. C-377/98, Tz. 87. Richtlinie 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, AB1.EG 1998 Nr. L 213/13. 146 Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie lautet: „Erfindungen, deren gewerbliche Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde, sind von der Patentierbarkeit ausgeschlossen; dieser Verstoß kann nicht allein daraus hergeleitet werden, dass die Verwertung durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften verboten ist." 147 EuGH, Rs. C-377/98, EuZW 2001, 691 Tz. 38,40 - Königreich der Niederlande/Europäisches Parlament und Rat der EU. Hierzu insbes. die Schlussanträge von Generalanwalt F. Jacobs, Tz. 95ff. sowie Gh. Calliess/Ch. Meiser, JuS 2002, 426 (429ff.). 148 Siehe insbes. H. Going, Von Bologna bis Brüssel; M. Gebauer, Grundfragen der Europäisierung des Privatrechts, S. 13ff.; R. Knütel, ZEuP 1994, 244ff.; H. Kötz, in: FS für K. Zweigert, S.498ff.; P. Raisch, Juristische Methoden, S. 175; R. Schulze, in: ders. (Hrsg.), Europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte, S. 3ff.; ders., in: P.-Ch. Müller-Graff (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, S. 127ff.; ders., ZEuP 1993, 442ff.; R. Zimmermann, JZ 1992, 8 ff.; skeptisch zu einer Europäisierung des Privatrechts durch Wiederbelebung des ius commune T. Repgen, Jb.J.ZivRWiss. 1997, S.9ff. 149 Deutlichstes Zeugnis sind die von der nach ihrem Vorsitzenden benannten Lando-Kommission erarbeiteten „Principles of European Contract Law" (O. Lando/H. Beale, Principles of European Contract Law, Part 1 und Part 2, 2000), übersetzt abgedruckt in ZEuP 1995, 864ff., ZEuP 2000, 675ff. sowie bei R. Schulze/R. Zimmermann (Hrsg.), Basistexte zum Europäischen 144 145

342

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

W o h l prominentestes Beispiel f ü r solche gemeinsamen Rechts- und Begriffstraditionen ist die Definition der missbräuchlichen Klausel in A r t . 3 Abs. 1 der Klausel-Richtlinie 1 5 1 : Genauso wie der deutsche Gesetzgeber in § 9 A G B G hat auch der Gemeinschaftsgesetzgeber die Klauselkontrolle am G e b o t v o n „Treu und Glauben" ausgerichtet. 1 5 2 Ungeachtet aller Unterschiede zwischen dem gemeinschaftsrechtlichen Regelungsansatz und den Begriffstraditionen der nationalen Rechtsordnungen - „Treu und Glauben", „bonne foi" und „good faith" 1 5 3 - dürfte schon der Umstand, dass die Formel v o n Treu und Glauben den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen entnommen ist, die in der Konkretisierungsbedürftigkeit liegende Einbuße an Rechtssicherheit rechtfertigen. 1 5 4 Ein weiteres Beispiel ist der in der A r t . 2 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie 1 5 5 aufgetragene Grundsatz der „Vertragsmäßigkeit". Schon der Richtliniengeber hat sich Privatrecht, 2000, III.10; hierzu statt aller O. Lando, in: P.-Ch. Müller-Graff (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, S.567ff. - Siehe auch die rechtsvergleichenden Einzeluntersuchungen von Ch. v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. 1,1996; Bd. 2, 1999; G. Brüggemeier, Prinzipien des Haftungsrechts: eine systematische Darstellung auf rechtsvergleichender Grundlage, 1999; hierzu N. Jansen, ZEuP 2001, 30ff.; ders., ZEuP 2003, 490ff.; H. Kotz, Europäisches Vertragsrecht, Bd. 1, 1996. Zum acquis communautaire im Bereich des Vertragsrechts siehe H. Schulte-Nölke/R. Schulze (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, 2002; K. Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S.237ff. 150 Zu Herleitung und Bedeutung allgemeiner Rechtsgrundsätze und Prinzipien des europäischen Privatrechts J. Basedow, AcP 2000, 445 (453f., 458ff.); Th. Möllers, JZ 2002, 121 (129ff.); R. Schulze, in: H.-D. Assmann/G. Brüggemeier/R. Sethe (Hrsg.), Unterschiedliche Rechtskulturen - Konvergenz des Rechtsdenkens, S.9 (11 ff., 24ff.); ders., ZEuP 1993, 442ff.; zur „Zukunftsbedeutung universaler Rechtsprinzipien für supranationale Rechtsgemeinschaften" J. Esser, Grundsatz und Norm, S.327ff.; skeptisch H.-W. Micklitz, ZEuP 1998, 253 (267ff.). Zur Tätigkeit der Acquis-Gruppe noch unten § 14 bei Fn. 119. 151 Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, AB1.EG 1993 Nr. L 95/25. 152 Art. 3 Abs. 1 der Klausel-Richtlinie lautet: „Eine Vertragsklausel, die nicht im einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht." 153 Zum Inhalt des Art. 3 Abs. 1 der Klausel-Richtlinie mit Blick auf das deutsche AGBG H. Heinrichs, NJW 1995, 153 (157), der „praktisch die gleichen Ergebnisse" in der Anwendung von Art.3 Abs. 1 der Klausel-Richtlinie und §9 AGBG erwartet; vorsichtiger H.-W. Micklitz, ZEuP 1993,522 (524ff.); zur unterschiedlichen Bedeutung von „Treu und Glauben" in der deutschen Rechtsordnung und „bonne foi" (Art. 1134 Abs. 3 Code Civil) andererseits H.J. Sonnenberger, in: FS für W. Odersky, S. 703ff.; insgesamt kritisch M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 573; zur zunehmenden Bedeutung der „bonne foi" im französischen Vertragsrecht B. Fages, ZEuP 2003, 514 (517ff.); zum englischen Verständnis von Treu und Glauben in der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie H.-W. Micklitz, ZEuP 2003, 865 (868ff.). 154 Eine Generalklausel nach dem Vorbild von „Treu und Glauben" findet sich im Übrigen auch in Art. 1.106 der European Principles der Lando-Kommission (siehe Fn. 149), hierzu etwa R. Zimmermann, JZ 1995, 477 (490). 155 Richtlinie 1999/44/EG zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl.EG 1999 Nr. L 171/12.

5 13 Zulässigkeit

konkretisierungsbedürftiger

Rechtsetzung

343

auf die gemeinsame Begriffstradition berufen und den Grundsatz in den Erwägungsgründen als „gemeinsames Element der verschiedenen einzelstaatlichen Rechtstraditionen" bezeichnet. 156

III. Zusammenfassung Das Gemeinschaftsrecht zieht konkretisierungsbedürftiger Rechtsetzung im Bereich des Privatrechts kaum Grenzen. Dies gilt insbesondere für Argumente aus der Verbandskompetenz. Das Prinzip begrenzter Einzelzuständigkeit und die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit favorisieren sogar umgekehrt eine geringere Regelungsdichte gemeinschaftsrechtlicher Rechtsakte. Ansatzpunkte für Bestimmtheitsanforderungen ergeben sich erst aus der Organkompetenz. Das Gemeinschaftsrecht verhält sich grundsätzlich ablehnend gegenüber Aufgabendelegationen, und auch die Organisationsgewalt genügt nicht als Erklärungsfigur für die mit konkretisierungsbedürftigen Rechtssätzen erzeugte Verlagerung von Rechtsetzungsaufgaben auf die Judikative. Gleichwohl lässt sich die Ausfüllung unbestimmter Begriffe zu den vertraglichen Aufgaben des EuGH zählen, und zwar einerseits im Zusammenhang mit seiner Kompetenz zur Vorabentscheidung (Art. 234 Abs. 1 lit. b EG) und andererseits als Ausdruck seiner Rechtsfortbildungsbefugnis (Art. 220 EG). Grenzen sind dieser Delegationsmacht aber durch die politische Gesetzgebungsfunktion gezogen, die dem Gemeinschaftsgesetzgeber vorbehalten ist. Im Übrigen sind auch im Gemeinschaftsrecht die Anforderungen des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebotes zu beachten. Allerdings rechtfertigen die Eigengesetzlichkeiten des europäischen Privatrechts in großem Ausmaß die Verwendung ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe, und zwar insbesondere mit Blick auf die Zeitbezogenheit des Privatrechts, die geringere Belastungsintensität privatrechtsangleichender Richtlinien und die gemeinsame privatrechtliche Rechtstradition der Mitgliedstaaten.

156

7. Erwägungsgrund der Richtlinie 1999/44/EG, AB1.EG 1999 Nr. L 171/12.

§ 1 4 Aufgabenverteilung im supranationalen Konkretisierungsdialog

Es konnte gezeigt werden, dass auch im Gemeinschaftsrecht ausfüllungsbedürftige Rechtsetzung im Bereich des Privatrechts grundsätzlich zulässig ist und nur wenigen Grenzen aus der Kompetenzordnung und dem Rechtsstaatsprinzip unterliegt.1 Damit stellt sich nun die zentrale Frage nach der Aufgabenverteilung zwischen den nationalen und den europäischen Konkretisierungsakteuren, also zwischen EuGH, nationalem Gesetzgeber und nationaler Rechtsprechung.2 Im Folgenden werden zunächst die Vorgaben für die Rollenverteilung auf nationaler Ebene zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung dargestellt (unten I.), um anschließend auf die Aufgabenverteilung im Verhältnis zum E u G H einzugehen (unten II.). Das Ziel ist die Erarbeitung von Gesichtspunkten für einen sinnvollen Konkretisierungsdialog zwischen nationalen Gerichten und dem EuGH (unten III.).

I. Aufgabenverteilung auf nationaler Ebene Je nach Art des konkretisierungsbedürftigen Rechtsaktes treten auf nationaler Ebene verschiedene Konkretisierungsakteure in Erscheinung. Während die Verordnungskonkretisierung wegen der unmittelbaren Wirkung der Verordnung (Art. 249 Abs. 2 EG) im Wesentlichen eine Aufgabe der Rechtsprechung und der Gesetzgeber grundsätzlich nicht in den Konkretisierungsprozess eingeschaltet ist,3 ist bei der Richtlinienkonkretisierung wegen der Umsetzungsverpflichtung (Art. 249 Abs. 3 i. V. mit Art. 10 EG) immer auch der Gesetzgeber beteiligt. Allerdings bedeutet die Umsetzungspflicht des Gesetzgebers nicht zwangsläufig, dass dem Gesetzgeber auch die abschließende Konkretisierung des Richtlinienbegriffs aufgegeben ist. Umsetzungspflicht und Konkretisierungspflicht müssen nicht Hand in Hand gehen, da der Gesetzgeber seiner Umsetzungsverpflichtung auch dadurch genügen kann, dass er den ausfüllungsbedürftigen Richtlinienbegriff wörtlich in das nationale Recht übernimmt und die

Siehe vorstehend, § 13 I., II. Zu den Konkretisierungsakteuren oben, § 12 II. 3 Zu den Akteuren der Verordnungskonkretisierung bereits oben, § 12 II. 2.; zur Zulässigkeit .hinkender" Verordnungen oben, § 1 3 I. 1. a) bb). 1

2

5 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

345

Konkretisierungsaufgabe auf diesem Wege der Rechtsprechung überträgt. 4 Im Einzelfall kann ein solches Gebot legislativer Konkretisierung aber sowohl aus dem Gemeinschaftsrecht (unten 1.) als auch aus nationalen Vorgaben (unten 2.) folgen. 1. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene ist zu unterscheiden zwischen der Frage, wer die Richtlinie in innerstaatliches Recht umzusetzen hat, und der Frage, von wem die Richtlinienbestimmungen auszufüllen sind. Mit der ersten Frage ist an die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsqualität des Umsetzungsaktes gerührt (unten a). Die zweite Frage zielt vor allem darauf, ob der Gesetzgeber aus gemeinschaftsrechtlicher Perspektive berechtigt oder sogar verpflichtet ist, die Konkretisierung selbst vorzunehmen, oder ob er den Konkretisierungsauftrag an die Rechtsprechung abermals delegieren darf oder soll (dazu unten b).

a) Erfordernis eines legislativen

Umsetzungsaktes

Zur Umsetzung gemeinschaftlicher Richtlinien überlässt Art. 249 Abs. 3 EG „den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel". Art und Zuständigkeit des Umsetzungsaktes bestimmen sich daher grundsätzlich nach nationalem Recht. 5 Allerdings sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Formen und Mittel zu wählen, die sich zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit ( e f f e t utile) der Richtlinien am besten eignen 6 und den Erfordernissen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit genügen. 7 Hieraus folgt prinzipiell die 4 Zu Beispielen bereits oben, § 12 II. 1.; zur Bedeutung des Umsetzungserfordernisses für die Konkretisierungszuständigkeit auch M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.540ff. 5 B. Biervert, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 249 EGV Rdnr. 28; A Bleckmann, EuropaR, Rdnr. 441; ders., RIW 1987,929 (935); M. Gellermann, Beeinflussung des bundesdeutschen Rechts durch Richtlinien der EG, S.20; S. Heß, Die Umsetzung von EG-Richtlinien im Privatrecht, S. 33; H.D. Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 60ff.; Tb. Oppermann, EuropaR, Rdnr. 552; einschränkend ]. Wölk, Die Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft, S.83ff. 6 Grundlegend E u G H , Rs. 48/75, Slg. 1976,497 Tz. 69/73 a.E. - Royer; Rs. 300/81, Slg. 1983, 449 (456) - Kommission/Italien; hierzu statt aller A. Bleckmann, EuropaR, Rdnr. 441; M. Gellermann/P. Szczekalla, N u R 1993, 54 (55f.); M. Ruffert, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), E U - / EGV, Art. 249 EGV Rdnr. 46. 7 E u G H , Rs. C-361/88, Slg. 1991,1-2567 Tz. 15 - Kommission/Deutschland; Rs. C-365/93, Slg. 1995 1-499 Tz. 9 - Kommission/Deutschland; Rs. C-96/95, Slg. 1997,1-1653 Tz. 39 - Kommission/Deutschland; Rs. C-144/99, Slg. 2001 1-3541 Tz. 17 - Kommission/Niederlande; hierzu etwa B. Biervert, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 249 EGV Rdnr. 28; M. Dreher, EuZW 1997, 522 (524): „europarechtliches Transparenzgebot"; M. Franzen, JZ 2003,321 (327f.):

346

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

Notwendigkeit eines außenverbindlichen Rechtssatzes,8 in Deutschland also regelmäßig eines formellen Gesetzes oder einer Rechtsverordnung. 9 Fehlt ein solcher außenverbindlicher Rechtssatz, genügt eine der Richtlinie bloß entsprechende Rechtsprechung nicht: Isolierte „judikative Umsetzung" ist grundsätzlich genauso wenig ausreichend wie eine Umsetzung durch ständige Verwaltungspraxis 1 0 . 1 1 Richtlinienkonforme Auslegung, A n w e n d u n g und Fortbildung nationalen Rechts kann Unzulänglichkeiten des nationalen Rechts „überbrücken" 1 2 , sie kann den erforderlichen geschriebenen Umsetzungsakt aber nicht ersetzen und bleibt daher regelmäßig hinter den Verpflichtungen aus A r t . 2 4 9 Abs. 3 i.V. mit A r t . 10 E G zurück. 1 3 So hat der E u G H in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Niederlande wegen mangelnder Umsetzung der Klausel-Richtlinie 1 4 ausgesprochen, dass „eine etwa bestehende nationale Rechtsprechung, die innerstaatliche Rechtsvorschriften in einem Sinn auslegt,

„Gebot von rechtssicherer und transparenter Umsetzung"; S. Heß, Die Umsetzung von EGRichtlinien im Privatrecht, S. 35; S. Leible, EuZW 2001,438 (439); M. R u f f e r t , in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 249 EGV Rdnr. 51; E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 43 lf.; R. Streinz, EuropaR, Rdnr. 393. 8 M. R u f f e r t , in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 249 EGV Rdnr. 51; R. Streinz, EuropaR, Rdnr. 391: „Rechtsnormvorbehalt"; vgl. auch S. Heß, Die Umsetzung von EG-Richtlinien im Privatrecht, S.33ff.;/. Wölk, Die Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft, S. 79 ff. 9 Zur normativen Form des Umsetzungsaktes in Frankreich und GroßbritannienJ. Wölk, Die Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft, S. 177ff., 225ff.; zur italienischen Praxis der „Ermächtigungsgesetze" M. Hilf, EuR 1993, 1 (13f.). 10 Allg. Meinung und st. Rspr. des EuGH; siehe nur EuGH, Rs. 102/79, Slg. 1980, 1473 Tz. lOf. - Kommission/Belgien; Rs. 145/82, Slg. 1983,449 Tz. lOf. - Kommission/Italien; aus jüngerer Zeit Rs. C-358/98, Slg. 2000 1-1255 Tz. 17 - Kommission/Italien; hierzu statt vieler B. Biervert, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 249 EGV Rdnr. 28; A. Bleckmann, EuropaR, Rdnr. 442; M. R u f f e r t , in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 249 EGV Rdnr. 55;/. Wölk, Die Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft, S. 81. 11 So insbesondere M. Dreher, EuZW 1997,522 (523); M. Gellermann, Beeinflussung bundesdeutschen Rechts durch Richtlinien der EG, S. 27f., 35f.; S. Heß, Die Umsetzung von EG-Richtlinien im Privatrecht, S. 34ff.; M. Nettesheim, Die mitgliedstaatliche Durchführung von EGRichtlinien, S.62ff.; E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.433;/. Wölk, Die Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft, S. 81, 84; differenzierend H.D. Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 54ff.; weiter gehend C. W. Hergenröder, in: FS für W. Zöllner, S. 1139 (1152): „Richterrecht" auch als „endgültiges nationales Umsetzungsmittel" . - Mit anderem Akzent wird die Diskussion im Zusammenhang mit Offnungsklauseln in Richtlinien geführt; hierzu I. Wolff Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, S. 114ff. 12 Formulierung von V. Götz, NJW 1992, 1848 (1854). 13 EuGH, Rs. C-144/99, Slg. 2001 1-3541 Tz. 21 - Kommission/Niederlande; U. Everling, ZGR 1992, 376 (383, 388); M. R u f f e r t , in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art.249 EGV Rdnr. 112 m.w.N.; E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.433;/. Wölk, Die Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft, S. 84. 14 Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl.EG 1993 Nr. L 95/25.

§ 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

347

der als den Anforderungen einer Richtlinie entsprechend angesehen wird, nicht die Klarheit und Bestimmtheit aufweisen kann, die notwendig sind, um dem Erfordernis der Rechtssicherheit zu genügen." 15

b) Gebot sachgeeigneter

Umsetzung

Die eben erläuterten Anforderungen an den Umsetzungsakt bedeuten aber nicht, dass auch die Konkretisierung regelmäßig durch den Gesetzgeber zu erfolgen habe. Es bedarf lediglich einer „sachgeeigneten Umsetzung". 16 Soweit sich aus der Richtlinie nichts anderes ergibt, steht es dem Gesetzgeber frei, ausfüllungsbedürftige Klauseln dadurch umzusetzen, dass er sie wortgetreu durch richtlinienkongruente Begriffe 17 in nationales Recht übernimmt und die weitere Ausfüllung der Rechtsprechung überlässt.18 Auch eine Generalklausel kann zur Umsetzung ausreichen.19 Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber in seinem Umsetzungsakt nicht hinter die Regelungsintensität und den Detaillierungsgrad der Richtlinie zurückfällt20 und dass sich der Richtlinie keine Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass der Konkretisierungsauftrag gerade durch den Gesetzgeber erfüllt werden soll, insbesondere weil sich sonst das mit der Richtlinie verfolgte Ziel nicht erreichen ließe.21

15 EuGH, Rs. C-144/99, Slg. 2001 1-3541 Tz. 21 = EuZW 2001,437 m. Anm. 5. Leible; kritisch M. Siems, ZEuP 2002, 747 (748f.). 16 Begriff von P.-Ch. Müller-Graff, in: P.-Ch. Müller-Graff (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, S. 9 (63f.). 17 Vgl. die Terminologie bei V Götz, NJW 1992, 1848 (1854). 18 Enger A. Bleckmann, R I W 1987, 929 (935). 19 Siehe EuGH, Rs. 163/82, Slg. 1983, 3273 Tz. 9 - Kommission/Italien; zustimmend B. Biervert, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 249 E G V Rdnr. 2 8 ; H . D . Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S.54; S. Leible, EuZW 2001, 438 (439); P.-Ch. Müller-Graff, DRiZ 1996, 305 (313); M Siems, ZEuP 2002, 747ff.; R. Streinz, EuropaR, Rdnr.393; ders., JuS 2001, 1113 (1114); i. Erg. auch M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 540f.; a.A. unter Berufung auf den Grundsatz der Rechtssicherheit M. Ruffert, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 249 E G V Rdnr. 53; eher restriktiv auch EuGH, Rs. 144/99, Slg. 2001 1-3541 - Kommission/Niederlande zur Umsetzung der Klausel-Richtlinie; hierzu bereits oben bei Fn. 15. 20 So mit Recht H.D. Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Anwendung des EG-Rechts, S. 54; genauso M. Gellermann/P. Szczekalla, NuR 1993, 54 (58); a.A. S. Leible, EuZW 2001, 438 (439), der es auch für möglich hält, dass nationale Generalklauseln detailliertere Richtlinienvorgaben „auffangen". 21 Vgl. EuGH, Rs. 163/82, Slg. 1983,3732 Tz. 9 - Kommission/Italien. Das Ziel der Richtlinie hat „determinierende Funktion für Form und Qualität der nationalen Umsetzungsmaßnahme", so J. Wölk, Die Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft, S. 78; siehe auch A. Bleckmann, Z G R 1992, 364 (374).

348

Normkonkretisierung

aa) Argumente für legislative

im europäischen

Privatrecht

Konkretisierung

Z e n t r a l e s A r g u m e n t f ü r eine K o n k r e t i s i e r u n g d u r c h d e n G e s e t z g e b e r ist die d a m i t v e r b u n d e n e R e c h t s s i c h e r h e i t u n d R e c h t s k l a r h e i t . 2 2 E i n e legislative K o n k r e t i s i e r u n g k a n n i n s b e s o n d e r e d a n n e r f o r d e r l i c h s e i n , w e n n eine R i c h t l i n i e d a r a u f abzielt, Angehörigen anderer Mitgliedstaaten A n s p r ü c h e zu verleihen.23 D i e s e m A r g u m e n t m i s s t der E u G H b e i v e r b r a u c h e r s c h ü t z e n d e n R i c h t l i n i e n b e s o n d e r e s G e w i c h t z u . 2 4 E i n B e i s p i e l f ü r e i n e s o l c h e legislative K o n k r e t i s i e r u n g stellt die U m s e t z u n g u n d A u s f ü l l u n g v o n A r t . 3 A b s . 3 d e r P r o d u k t h a f t u n g s R i c h t l i n i e dar. 2 5 Z u m e i s t leisten die n a t i o n a l e n G e s e t z g e b e r a b e r in d e m U m s e t z u n g s a k t k e i n e v o l l s t ä n d i g e K o n k r e t i s i e r u n g , s o n d e r n b e s c h r ä n k e n s i c h e n t w e d e r d a r a u f , die Konkretisierung vollständig der R e c h t s p r e c h u n g zu überlassen (dazu unten b b ) , o d e r a b e r sie leisten e i n e partielle

Konkretisierung, beispielsweise durch

Formulierung v o n Fallgruppen26 oder durch sprachliche Adaption27 der R i c h t -

22 Mit diesem Argument für eine „grundsätzliche" Konkretisierungspflicht des nationalen Gesetzgebers A. Bleckmann, Z G R 1992, 364 (374); vgl. auch P.-Ch. Müller-Graff, in: P.-Ch. Müller-Graff (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, S. 9 (64). 23 EuGH, Rs. C-144/99, Slg. 2001 1-3541 Tz. 18 - Kommission/Niederlande; Rs. C-365/93, Slg. 1995, 1-499 Tz. 9 - Kommission/Griechenland. Ahnlich argumentierte der EuGH für den Umweltschutz; siehe zur Umsetzung der Richtlinie 80/779/EWG über Grenzwerte und Leitwerte der Luftqualität für Schwefeldioxid und Schwefelstaub, AB1.EG 1980 Nr. L 229/30ff. die Entscheidung EuGH, Rs. 361/88, Slg. 1991,1-2567 Tz. 1 8 - Kommission/Deutschland sowie zur Umsetzung der Richtlinie 80/86/EWG über den Schutz des Grundwassers gegen Verschmutzung durch bestimmte gefährliche Stoffe, AB1.EG 1979 Nr. L 20/43 die Entscheidung EuGH, Rs. C 131/88, Slg. 1991,1-825 Tz. 6 - Kommission/Deutschland. Zu diesem Argument insbes. H.D. Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 57ff.; A. Röthel/ K. Hartmann, J b U T R 1995, 71 (81 ff.); M. Ruffert, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EGVertrag, Art. 249 E G V Rdnr. 53,58,60ff.; zum „kollisionsrechtlichen Gehalt" subjektiver Rechte im Gemeinschaftsrecht M. Zuleeg, W D S t R L Heft 53 (1994), 154 (190ff.). Diese anhand öffentlich-rechtlicher Normen entwickelten Grundsätze gelten auch für das Privatrecht; siehe M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 365; E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 432. 24 EuGH, Rs. C-144/99, Slg. 2001 1-3541 Tz. 21 - Kommission/Niederlande; zum individualschützenden Charakter der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie S. Grundmann, in: S. Grundmann/ C.M. Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdnr. 57. 25 Hierzu bereits oben, §1211.1. Kritisch aber M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 541, der die „abschließende Umsetzung einer in einer EG-Richtlinie enthaltenen Generalklausel durch legislatorische Fallgruppenbildung" für eine unzulässige „Überschreitung des Kodifikationsermessens" hält. 26 Beispiele bei M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.541. 27 Hierzu S. Grundmann, J Z 1996, 274 (284ff.); mit Blick auf die Umsetzung der KlauselRichtlinie P. Ulmer, EuZW 1993,337 (339ff.). Ein Beispiel für eine solche sprachliche Anpassung ist die Umsetzung von Art. 3 Abs. 6 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie (kein Anspruch auf Vertragsauflösung bei „geringfügiger" Vertragswidrigkeit) durch §323 Abs. 5 S. 2 B G B n.E: kein Rücktrittsrecht, wenn die Pflichtverletzung „unerheblich" ist; so auch A. Schwartze, ZEuP 2000, 544 (566); A. Flessner, in: S. Grundmann/D. Medicus/W. Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufge-

5 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

349

linien-Begriffe. 2 8 I m deutschen Schrifttum klingt insoweit allerdings die Sorge an, der Gesetzgeber könne auf diesem Wege den Konkretisierungsspielraum der Rechtsprechung in unzulässiger Weise verkürzen. 2 9 Soweit sich aus der Richtlinie aber nicht eindeutig ergibt, dass die Konkretisierung ausschließlich der Rechtsprechung zugewiesen sein sollte, steht einer solchen partiellen Konkretisierung durch den Gesetzgeber - jedenfalls aus gemeinschaftsrechtlicher Perspektive - nichts entgegen, solange sich die vom Gesetzgeber gewählte K o n k r e tisierung im Rahmen mit den europäischen Vorgaben hält. 3 0

bb) Argumente für judikative

Konkretisierung

Tatsächlich kann es aber dem Ziel der Richtlinie entsprechen, dass die Konkretisierung nicht bereits durch den Gesetzgeber, sondern erst durch die Rechtsprechung erfolgt. Die Weitergabe des Konkretisierungsauftrages auf nationaler Ebene durch einen Umsetzungsakt mit richtlinienkongruenten Delegationsbegriffen wird insbesondere dann der Umsetzungspflicht gerecht werden, wenn die in der Richtlinie verwendeten ausfüllungsbedürftigen Begriffe „wegen der Vielfalt der auftretenden Sachverhalte" gewählt worden sind, 31 d.h. auf eine Verwirklichung judikativer Einzelfallgerechtigkeit abzielen und sich also primär an die mitgliedstaatliche Rechtsprechung richten. Dies liegt nahe, wenn ausfüllungsbedürftige Richtlinienbegriffe dem nationalen Recht nachgebildet wurden. Ein Beispiel hierfür ist der in Art. 17 Abs. 2a Handelsvertreter-Richtlinie 3 2 normierte Billigkeits-Ausgleichsanspruch, für den § 89b H G B als Vorbild diente. 3 3 Hier verlangt die Umsetzungspflicht zwar, dass die Mitgliedstaaten einen legislativen Rahmen bereitstellen, der den Richtlinienvorgaben entspricht. Die Mitgliedstaaten sind aber nicht verpflichtet, den ausfüllungsbedürftigen Richtlinienbegriff auf legislativer Ebene aufzulösen; vielmehr wird es gerade

währleistungsrecht, S.233 (243); G.M. Bianca, in: S. Grundmann/G.M. Bianca (Hrsg.), E U Kaufrechts-Richtlinie, Art. 5 Rdnrn. 41 ff., 45. Für eine judikative Konkretisierung der Richtlinie aber W. Faber, JB1.1999, 413 (427). - Beispiele für sprachliche Adaption bei der Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie durch den italienischen Gesetzgeber bei B. Eccher/F.A. Schurr, ZEuP 2003, 65 (73): „Rechtsterminologische Adaptierungen". 2 8 Weitere Beispiele legislativer Richtlinien-Konkretisierung bereits oben, § 13 II. 1. 29 M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 541; vorsichtiger S. Grundmann, J Z 1996, 274 (282ff., 284ff.). 3 0 Zu den Rechtsfolgen, wenn eine legislatorische Konkretisierung von einer judizierten Konkretisierungsvorgabe abweicht, noch unten, § 15 I. 1. 31 A. Bleckmann, R I W 1987, 929 (935); ders., Z G R 1992, 364 (374); allg. zu den legislatorischen Gründen von Generalklauseln /. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, S. 59. 3 2 Richtlinie 86/653/EWG zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend der selbstständigen Handelsvertreter, AB1.EG 1986 Nr. L 382/17. 33 Näher M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 543, 551; hierzu auch schon oben, §12 II. 1. bei Fn.23.

350

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

der Zielrichtung des Konkretisierungsauftrages entsprechen, dass die eigentliche Konkretisierung erst durch die Rechtsprechung erfolgt. Dass das Gebot sachgeeigneter Umsetzung durchaus die Zuweisung der Konkretisierungsbefugnis an die Judikative favorisieren oder sogar fordern kann, lässt sich anschaulich am Beispiel der Umsetzung der Klausel-Richtlinie in das französische Recht zeigen. Zwar kannte das französische Recht bereits seit dem Verbraucherschutzgesetz vom 10.1.1978 3 4 eine Missbräuchlichkeitskontrolle von Vertragsklauseln, doch war die Inhaltskontrolle nicht den Gerichten, sondern primär der Exekutive anvertraut. Die Gerichte konnten einer Vertragsklausel nur dann wegen Missbräuchlichkeit die Wirksamkeit versagen, wenn eine solche Klausel zuvor durch Dekret des Conseil d'Etat für missbräuchlich erklärt worden war. Diese Aufgabenverteilung dürfte maßgeblich dazu beigetragen haben, dass die Inhaltskontrolle in Frankreich keine große praktische Bedeutung erlangen konnte: Nach Inkrafttreten des Gesetzes erging ein erstes Dekret zwar bereits am 24.3.1978 3 5 , doch folgte ihm - ungeachtet zahlreicher Vorschläge der „Commission des clauses abusives" - kein zweites. 36 Bei der Umsetzung der Klausel-Richtlinie galt daher besondere Aufmerksamkeit der Frage, wer künftig zur Feststellung der Missbräuchlichkeit befugt sein sollte, zumal die Cour de Cassation den Instanzgerichten zwischenzeitlich in mehreren Judikaten die Befugnis zugesprochen hatte, Vertragsklauseln auch ohne vorgängiges Dekret für missbräuchlich zu erklären. 37 Vor diesem Hintergrund erforderte das Gebot sachgeeigneter Umsetzung der Klausel-Richtlinie, die Klauselkontrolle jedenfalls auch den Gerichten zu übertragen. 38 Die Ge3 4 Art. 35-38 loi n°78-23 du 1 0 . 1 . 1 9 7 8 J . O . du 11.1.1978, p. 301 et s. sur la protection et l'information des consommateurs de produits et de services; hierzu etwa H.J. Sonnenberger, RIW 1990, 65 ff.; P Klima, R I W 1992, 98 ff. 3 5 Décret n ° 7 8 ^ 6 4 du 24.3.1978, jetzt Art. R 132 code de la consommation; hierzu C. Witz/ G. Wolter, ZEuP 1995, 35ff. 36 A. Benabent, E R P L 3 (1995), 211 (216ff.); Ch. Brenner, Die verbraucherschützenden E G Richtlinien im Bereich des Schuldrechts und ihre Umsetzung in Deutschland und Frankreich, S.278f., 283ff.; C. Witz/G. Wolter, ZEuP 1993, 360 (362). 3 7 Cour de Cass., 1 er civ., 14.5.1991, D. jurispr., p.449 = ZEuP 1993, 360 m. Anm. C. Witz/ G. Wolter, bestätigt in den Entscheidungen Cour de Cass., 1 er civ., 2 6 . 5 . 1 9 9 3 , J C P 1993, II, 22158 und 1 er civ., 6.1.1994, J C P 1994, II, 22237; hierzu A. Benabent, E R P L 3 (1995), 211 ff. 3 8 Die Klausel-Richtlinie wurde umgesetzt durch Loi n°95-96 du 1.2.1995, J . O . du 2.2.1995, p. 1755 et s. concernant les clauses abusives et la présentation des contrats régissant diverses activités d'ordre économique et commercial. Zwar wurde die richterliche Kontrollkompetenz darin nicht ausdrücklich verankert, doch ergibt sie sich indirekt aus dem Gesetz; in dieselbe Richtung weisen Stellungnahmen der Nationalversammlung und des Senats im Gesetzgebungsverfahren; siehe Ch. Brenner, Die verbraucherschützenden EG-Richtlinien im Bereich des Schuldrechts und ihre Umsetzung in Deutschland und Frankreich, S. 283 ff., 290; C. Witz/G. Wolter, ZEuP 1995, 885 (887f.); allg. S. Coßmann, Klauselrichtlinie und französisches Zivilrecht, passim; zu den Auswirkungen unterschiedlicher nationaler Umsetzungstechniken auf den Umsetzungserfolg rechtsvergleichend K. Herkenrath, Die Umsetzung der Richtlinie 9 3 / 1 3 / E W G über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen in Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Italien, 2002.

§ 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

351

schichte der Klauselkontrolle in Frankreich ist daher ein Beispiel dafür, dass der Grundsatz des effet utile auch gebieten kann, die Ausfüllung gemeinschaftsrechtlicher Generalklauseln gerade in die Hände der Judikative zu legen. Im Regelfall dürfte sich der mit ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffen eröffnete Spielraum aber an die Mitgliedstaaten insgesamt richten. Hiervon ist der EuGH beispielsweise im Zusammenhang mit der „ordre public"-Klausel aus Art. 6 Abs. 1 der Biotechnologie-Richtlinie 39 ausgegangen: Der mit dieser Klausel eröffnete Spielraum sei notwendig im Hinblick auf das „soziale und kulturelle Umfeld der Mitgliedstaaten", das „die Verwaltung, die Gesetzgebung und die Rechtsprechung besser erfassen [können] als die Gemeinschaftsbehörden." 40 Zumeist wird es daher in der Hand der Mitgliedstaaten liegen, ob sie die Konkretisierung des Richtlinienbegriffs bereits auf der Ebene der Gesetzgebung mit dem Umsetzungsakt leisten, oder ob der Gesetzgeber den konkretisierungsbedürftigen Richtlinienbegriff in Erfüllung der Umsetzungspflicht lediglich in nationales Recht umschreibt und ansonsten die Konkretisierungsaufgabe an die nationale Rechtsprechung delegiert.

2. Verfassungsrechtliche Vorgaben Wie vorstehend erläutert41 verlangt das Gemeinschaftsrecht zwar einen förmlichen, außenwirksamen Umsetzungsakt; soweit sich aus der umzusetzenden Richtlinie nichts anderes ergibt, liegt es aber in der Hand der Mitgliedstaaten, ob die Konkretisierung bereits auf gesetzlicher Ebene oder erst durch die Rechtsprechung erfolgen soll. Die Aufgabenverteilung richtet sich dann maßgeblich nach den Erfordernissen des nationalen Rechts, insbesondere des Verfassungsrechts. Insoweit kann auf die verfassungsrechtlichen Überlegungen zur Normkonkretisierung42 zurückgegriffen werden. Im deutschen Gewaltengefüge genießt der Gesetzgeber zwar kein Rechtsetzungsmonopol, aber eine Rechtsetzungsprärogative.43 Hieraus folgt im Zusammenhang mit der Umsetzung ausfüllungsbedürftiger Richtlinien - soweit sich nicht schon aus der Richtlinie die Zuweisung des Konkretisierungsauftrages an die Rechtsprechung ergibt44 - die Konkretisierungsprärogative des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber genießt das „Recht des ersten Zugriffs", er ist - aus der 39 Hierzu bereits oben im Zusammenhang mit dem gemeinschaftsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz, §13 II. 1. 40 E u G H , Rs. C-377/98, E u Z W 2001, 691 T z . 38; hierzu auch die Begründungserwägung Nr. 39 der Richtlinie, die sich ebenfalls an die Mitgliedstaaten insgesamt wendet und nicht speziell einen Spielraum der Rechtsprechung oder der Verwaltungsbehörden begründen will. 41 Siehe bereits oben, § 14 I. 1. a). 42 Siehe bereits oben, § 4 . 43 Hierzu bereits oben, § 4 III. 2., IV. 44 Hierzu vorstehend, 14 I.

352

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

Perspektive der nationalen Gewaltenordnung - in jedem Fall zur Konkretisierung berechtigt. Eine andere Frage ist, ob der Gesetzgeber auch zur Konkretisierung verpflichtet ist, also inwieweit er die Konkretisierungsaufgabe an die Rechtsprechung delegieren darf. Die maßgeblichen Delegationsgrenzen - insbesondere der Wesentlichkeitsvorbehalt45 und das Bestimmtheitsgebot46 - sind auch bei der Umsetzung konkretisierungsbedürftiger Richtlinien zu beachten. Der Sache nach sind diese Delegationsgrenzen zwar auch dem Gemeinschaftsrecht bekannt; sie sind uns bereits im Zusammenhang mit der Zulässigkeit konkretisierungsbedürftiger Rechtsetzung im Gemeinschaftsrecht begegnet.47 Gleichwohl kann aus der gemeinschaftsrechtlichen Zulässigkeit des konkretisierungsbedürftigen Rechtsaktes nicht unbesehen auf die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit eines entsprechend konkretisierungsbedürftigen Umsetzungsrechtsaktes geschlossen werden. Ein solcher Gleichlauf von Gemeinschaftsrecht und Verfassungsrecht kann schon deshalb nicht angenommen werden, weil die Prinzipien der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit, die auf gemeinschaftlicher Ebene für weit reichende Entscheidungsspielräume der Mitgliedstaaten streiten,48 auf nationaler Ebene nicht in dieselbe Richtung zielen.49 Auch die sich mit Blick auf die Rechtsfortbildungskompetenz des EuGH entwickelnde gemeinschaftsrechtliche Wesentlichkeitstheorie50 kann wegen ihrer spezifisch gemeinschaftsrechtlichen Fragestellung nicht unbesehen mit ihrem verfassungsrechtlichen Vorbild gleichgesetzt werden. Insbesondere wegen der parlamentarischen Verantwortung zum Schutz der Grundrechte51 ist es durchaus denkbar, dass ein ausfüllungsbedürftiger Rechtsakt aus der Perspektive des Gemeinschaftsrechts eine zulässige Delegation von Rechtsbildungsaufgaben darstellt, das deutsche Verfassungsrecht die Konkretisierungsverantwortung aber dem Gesetzgeber auferlegt.52

Siehe oben, §4 IV. 2. Siehe oben, §4 IV. 3. a). 47 Zur gemeinschaftsrechtlichen Zulässigkeit ausfüllungsbedürftiger Rechtsetzung bereits oben, §13 I., II. 48 Hierzu bereits oben, §13 I. 1. b). 49 Dies gilt insbesondere für das Subsidiaritätsprinzip; hierzu für die Rechtsordnung des Grundgesetzes W. Moersch, Leistungsfähigkeit und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips, S. 85ff. 50 Siehe oben, §13 1. 2. 51 Zur Grundrechtsrelevanz als Element des Wesentlichkeitsvorbehalts oben, §4 IV. 2. c). Hingegen dürfte dem Kriterium der politischen Leitentscheidung (oben § 4IV. 2. b)) kaum eigenständige Bedeutung im Vergleich zu den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen zukommen. 52 Vgl. auch M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 423 ff. 45 46

§ 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

353

II. Aufgabenverteilung auf supranationaler Ebene Vor allem mit der Klausel-Richtlinie 53 ist die Frage nach der Aufgabenverteilung zwischen den nationalen Konkretisierungsakteuren und dem EuGH in das wissenschaftliche Blickfeld gerückt 54 und zum Gegenstand einer intensiven Kontroverse geworden (unten 1.), die jedoch inzwischen durch die jüngere Rechtsprechung des E u G H (unten 2.) sowie des B G H (unten 3.) entschieden sein dürfte. Zentrale Aufgabe der wissenschaftlichen Befassung ist es nun, Sachgesichtspunkte eines sinnvollen, fruchtbaren Konkretisierungsdialogs zwischen den Konkretisierungsakteuren herauszuarbeiten (unten III.).

1. Uberblick über die wissenschaftliche Diskussion a) Der überwiegende

Standpunkt:

Konkretisierungskompetenz

des

EuGH Die inzwischen wohl überwiegende Auffassung geht davon aus, dass auch die Konkretisierung von Generalklauseln und normativ-ausfüllungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriffen in europäischen Sekundärrechtsakten in die Letztentscheidungskompetenz des EuGH fällt. Unabhängig davon, ob sich ausfüllungsbedürftige Begriffe in Verordnungen oder Richtlinien befinden, komme dem EuGH die Befugnis zur autoritativen Letztkonkretisierung und 53 Richtlinie 9 3 / 1 3 / E W G über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl.EG 1993 Nr. L 95/25. 54 Siehe nur MünchKomm/J. Basedow (4. Aufl. 2001), A G B G Einl. Rdnr.49 sowie § 9 A G B G Rdnrn. 5ff.; ders., in: FS für H.E. Brandner, S.651 (675,680); M. Borges, N J W 2001,2061 f.; ders., Die Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen, S.78ff.; H.E. Brandner, in: R. Schulze (Hrsg.), Auslegung europäischen Rechts und angeglichenen Rechts, S. 131 (135ff.); Staudinger/M. Coester (13. Bearb. 1998), § 9 A G B G Rdnrn. 55ff.; ders., in: FS für H. Heinrichs, S.99 (104ff.); D. Coester-Waltjen, Jura 1997, 272 (275); M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 536ff.; ders., Jb.J.ZivRWiss. 1997, S.285 (298ff.); M. Gebauer, Wege zur Europäisierung des Privatrechts, S. 228f.; S. Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, S.253f., 261; ders., N J W 2000,14 (20); H. Heinrichs, N J W 1996,2190 (2196); Palandt/ders.,%24a A G B G Rdnrn. 19ff.; Ch.Joerges, in: H. Schulte-Nölke/R. Schulze (Hrsg.), Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte, S.205 (216 Fn.36); ders., E R P L 3 (1995), 175ff.; P.-Ch. Müller-Graff, in: P.-Ch. Müller-Graff (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, S.9 (56ff., 64); I. Klauer, Europäisierung des Privatrechts, S. 131 ff.; dies., E R P L 8 (2000), 187ff.; 5. Leible, R I W 2001, 422 (426f.); W. Nassall, W M 1994, 1645 (1648ff.); ders., J Z 1995, 689 (690ff.); Tb. Pfeiffer, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, A 5 Art. 3 Rdnrn. 41, 46, 64; ders., ZEuP 2003, 141 (148ff.); N. Reich, ZEuP 1994, 381 (391); O. Remien, ZEuP 1994, 34 (58f.); ders., RabelsZ 62 (1998), 627 (642f.); ders., RabelsZ 66 (2002), 503 (517ff.); H. Roth, JZ 1999, 529 (535f.); W.-H. Roth, in: FS für U. Drobnig, S. 135ff.; Staudinger/P. Schlosser (13. Bearb. 1998), Einl zum A G B G Rdnrn. 32f.; K. Tonner, J Z 1996, 533 (539); S. Weatherill, E R P L 3 (1995), 307 (316ff.); I. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, 2002.

354

Normkonkretisierung

d a m i t die Konkretisierungsprärogative

/. Basedow55,

im europäischen

zu. H i e r f ü r haben sich insbesondere

M. Coester56, S. Grundmann57,

u n d O . Remien60

Privatrecht

P. -Ch. Müller-Gr ä f f * , S. Leible59

a u s g e s p r o c h e n . 6 1 Sie a r g u m e n t i e r e n i m W e s e n t l i c h e n aus d e m

Z w e c k des V o r a b e n t s c h e i d u n g s v e r f a h r e n s

und dem Ziel der

Rechtsanglei-

c h u n g : E s sei k e i n G r u n d e r s i c h t l i c h , w a r u m d e r E u G H b e i n o r m a t i v - u n b e s t i m m t e n S e k u n d ä r r e c h t s b e g r i f f e n e i n e a n d e r e R o l l e als bei d e r A u s l e g u n g sonstigen G e m e i n s c h a f t s r e c h t s h a b e n solle.62 A u c h Generalklauseln u n d u n b e s t i m m t e R e c h t s b e g r i f f e s e i e n B e g r i f f e des G e m e i n s c h a f t s r e c h t s u n d d a m i t p r i n zipiell d e m V o r a b e n t s c h e i d u n g s v e r f a h r e n z u g ä n g l i c h . 6 3 A n d e r e n f a l l s k ö n n e das Gemeinschaftsrecht

die e r s t r e b t e

Rechtsangleichung

nicht

verwirklichen.64

W e r d e beispielsweise der Begriff der Missbräuchlichkeit i.S. v o n A r t . 3 A b s . 1 d e r K l a u s e l - R i c h t l i n i e n i c h t v o m E u G H e u r o p ä i s c h - a u t o n o m ausgelegt, k ö n n e die R i c h t l i n i e i h r e in d e n E r w ä g u n g s g r ü n d e n e r k l ä r t e n Z i e l e 6 5 n i c h t e r r e i c h e n , i n s b e s o n d e r e k ö n n t e n sich V e r b r a u c h e r b e i g r e n z ü b e r s c h r e i t e n d e n G e s c h ä f t e n n i c h t d a r a u f v e r l a s s e n , n i c h t d u r c h die V e r w e n d u n g m i s s b r ä u c h l i c h e r K l a u s e l n übervorteilt zu werden.66

J. Basedow, in: FS für H.-E. Brandner, S.651 (675, 680). Staudinger/M. Coester ( 13. Bearb. 1998), §9 A G B G Rdnrn. 55ff.; ders., in: FS für H. Heinrichs, S. 99 (104ff.). 57 S. Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, S.253f., 261; ders., NJW 2000, 14 (20), jeweils zur Klausel-Richtlinie. 58 P.-Ch. Müller-Graff, in: ders. (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, S. 9 (56ff., 64). 59 S. Leible, RIW 2001,422 (426f.); ders., Wege zu einem europäischen Privatrecht, §5 E III 2 c. 60 O. Remien, ZEuP 1994, 34 (58f.); ders., RabelsZ 62 (1998), 627 (642f.); ders., RabelsZ 66 (2002), 503 (517ff., 520ff., 523). 61 Siehe auch J. Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 60f.; D. Coester-Waltjen, Jura 1997, 272 (275); Ch. Joerges, ZEuP 1995, 181 (199f.); I. Klauer, Europäisierung des Privatrechts, S. 131ff.; i f o . , E R P L 8 (2000), 187ff.; W. Nassall, WM 1994,1645 (1648ff.); ders., J Z 1995,689 (690ff.);N. Reich, ZEuP 1994,381 (391); K. Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S. 74ff., 79f.; S. Weatherill, ERPL 3 (1995), 307 (316ff.); wohl auch H.E. Brandner, in: R. Schulze (Hrsg.), Auslegung europäischen Rechts und angeglichenen Rechts, S. 131 (135ff.); K. Tonner, JZ 1996, 533 (539). 62 J. Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S.60; Staudinger/M. Coester (13. Bearb. 1998), §9 A G B G Rdnr.60. 63 O. Remien, ZEuP 1994, 34 (58f.). 64 S. Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, S. 261 ; auch]. Basedow, in: FS für H.-E. Brandner, S.651 (675); S. Leible, RIW 2001, 422 (426); zur Bedeutung des Regelungsziels der Richtlinie O. Remien, RabelsZ 66 (2002), 503 (522); ders., RabelsZ 62 (1998), 626 (642f.). 65 Siehe Erwägungsgrund 5 und 7 der Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, AB1.EG 1993 Nr. L 95/25. 66 Zu diesem Beispiel S. Leible, R I W 2001, 422 (426); vgl. auch H.E. Brandner, in: R. Schulze (Hrsg.), Auslegung europäischen Rechts und angeglichenen Rechts, S. 131 (136) im Hinblick auf die „Absichten und den Schutzgehalt" sowie den „Geltungswillen" der Richtlinie. 55 56

5 14 Aufgabenverteilung

b)

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

355

Gegenargumente

Gegen diese prinzipielle Zuweisung der Konkretisierungskompetenz an den E u G H sind verschiedene, formale und materielle Argumente eingewendet worden. 67 Die zentralen formalen Argumente lauten, eine umfassende Konkretisierungskompetenz des E u G H widerspreche dem Wesen der Richtlinie (unten aa) sowie der Rechtsangleichung (unten bb), sie überschreite die dem E u G H in Art. 234 E G eingeräumte Befugnis zur Auslegung des Sekundärrechts (unten cc), und schließlich stehe das Subsidiaritätsprinzip entgegen (unten dd). In materieller Hinsicht ist vorgebracht worden, dem E u G H stünden die zur Konkretisierung erforderlichen inhaltlichen Maßstäbe nicht zur Verfügung (unten ee).

aa) Wesen der

Richtlinie

Gegen eine umfassende Konkretisierungskompetenz des E u G H ist von W.-H. Roth eingewendet worden, es müsse zwischen Verordnungen und Richtlinien unterschieden werden. Ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe in Generalklauseln seien Ausdruck der „ursprünglichen" Regelungs- und Harmonisierungskonzeption der Richtlinie, die den Mitgliedstaaten nur bestimmte Regelungsziele vorgibt, es ihnen im Übrigen aber überlässt, ihre Rechtsordnungen auf diese Vorgaben einzustellen. 68 Verwende der Gemeinschaftsgesetzgeber Generalklauseln in Richtlinien, ziehe er sich bewusst auf die Setzung „ganz lockerer Vorgaben zurück, um den Mitgliedstaaten einen weit reichenden Regelungsund Anwendungsspielraum einzuräumen." Daraus folge, dass auch die K o n kretisierungskompetenz bei ihnen liege und nicht beim Gerichtshof. 6 9 Diese Argumentation knüpft an eine idealtypische Unterscheidung von Verordnung und Richtlinie an. In der Praxis der Gemeinschaftsgesetzgebung sind diese Unterschiede allerdings weit gehend verblasst. Mit der Handlungsform ist keine bestimmte Regelungsintensität vorgegeben: 7 0 Anerkanntermaßen dürfen

67 Siehe insbesondere C.-W. Canaris, EuZW 1994, 417; M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 536ff.; ders., Jb.J.ZivRWiss. 1997, S. 285 (298ff.); M. Gebauer, Grundfragen der Europäisierung des Privatrechts, S.228f.;//. Heinrichs, N J W 1996,2190 (2196); Palandt/ders., §24a A G B G Rdnrn. 19ff.; Ch.Joerges, E R P L 3 (1995), 175ff.; W. Nassall, W M 1994, 1645ff.; Th. Pfeiffer, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, A 5 Art. 3 Rdnrn. 41, 46, 64; N. Reich, RabelsZ 66 (2002), 531 (544f.); H. Roth, J Z 1999, 529 (535f.); W.-H. Roth, in: FS für U. Drobnig, S. 135ff.; gegen eine Konkretisierungskompetenz des E u G H auch Staudinger/P. Schlosser (13. Bearb. 1998), Einl zum A G B G Rdnrn. 32f. 68 W.-H. Roth, in: FS für U. Drobnig, S. 135 (141). 69 W.-H. Roth, in: FS für U. Drobnig, S. 135 (142); ähnlich C.-W. Canaris, EuZW 1994, 417 unter Hinweis auf die „Funktion der Richtlinie"; differenzierend zwischen Verordnung und Richtlinie auch M. Gebauer, Grundfragen der Europäisierung des Privatrechts, S.229; vgl. auch A. Bleckmann, R I W 1987,929 (935), der einen „breiten Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten" durch Rückgriff auf die „heutige Funktion der Richtlinie" begründet. 70 Hierzu bereits oben, § 13 I. 1. a) bb).

356

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

auch Richtlinien „inhaltlich perfekt" sein und abschließende Regelungsvorgaben enthalten. 71 Gerade Generalklauseln, für die W.-H. Roth eine generelle Konkretisierungskompetenz der Mitgliedstaaten annimmt, können aber aus gemeinschaftsrechtlicher Perspektive eine abschließende Regelung darstellen. Lässt sich die Materie tatbestandlich nicht anders fassen, so ist mit der Generalklaüsel zwar eine Delegation von Rechtsbildungsbefugnissen verbunden, aber nicht notwendig auf die Rechtsprechung der Mitgliedstaaten. 72 Es bedarf also zumindest zusätzlicher, inhaltlicher Argumente mit Blick auf das Richtlinienziel und die jeweilige Intention des Gemeinschaftsgesetzgebers, um eine Konkretisierungskompetenz der Mitgliedstaaten zu begründen. Letztlich erkennt dies auch W.-H. Roth an, wenn er seinen Grundsatz für verschiedene Konstellationen wieder einschränkt und letztlich doch in vielen Fällen mit Blick auf das Richtlinienziel zu einer Konkretisierungskompetenz des E u G H gelangt. 73

bb) Wesen der

Rechtsangleichung

Denselben Einwänden ist die Argumentation von C.-W. Canaris ausgesetzt, Richtlinien zielten nicht auf Rechtsvereinheitlichung, sondern lediglich auf Rechtsangleichung. 74 Aus dem damit verbundenen Spielraum der Mitgliedstaaten folgert C.-W. Canaris die Konkretisierungsbefugnis der mitgliedstaatlichen Gerichte, zumal eventuelle Konkretisierungsdivergenzen nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen der erstrebten Rechtsangleichung führen würden. 75 So wenig aber aus dem Wesen der Richtlinie generell auf eine abschließende Konkretisierungsbefugnis der Mitgliedstaaten geschlossen werden kann, 76 so wenig lässt sie sich aus dem Wesen der Rechtsangleichung herleiten. Die Intensität der intendierten Rechtsangleichung ist vielmehr konkret aus dem Ziel des jeweiligen Gemeinschaftsrechtsaktes zu ermitteln. 77

ccj Kompetenzen

des EuGH im

Vorabentscheidungsverfahren

In eine andere Richtung zielt der Einwand von M. Franzen, der E u G H sei im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens lediglich zur „Auslegung", nicht Hierzu bereits oben bei § 13 Fn. 18. So auch O. Remien, RabelsZ 66 (2002), 503 (521); I. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, S. 61. 73 W.-H. Roth, in: FS für U. Drobnig, S. 135 (146ff.); kritisch hierzu O. Remien, RabelsZ 66 (2002), 503 (522): „fragwürdige Abgrenzungen"; I. Klauer, E R P L 8 (2000), 187 (196). 74 C.-W. Canaris, EuZW 1994,417; siehe auch M. Gebauer, Grundfragen der Europäisierung des Privatrechts, S.229; N. Reich, RabelsZ 66 (2002), 531 (544). 75 C.-W. Canaris, EuZW 1994, 417. 7 6 Hierzu bereits vorstehend, § 14 II. 1. b) aa). 77 /. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, S.60ff.; i. Erg. auch O. Remien, RabelsZ 66 (2002), 503 (521). 71

72

§ 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

357

aber zur konkretisierenden „Ausfüllung" von Gemeinschaftsrecht befugt. 78 Es konnte aber bereits gezeigt werden, dass der dem E u G H mit Art. 234 Abs. 1 lit. b E G erteilte Auftrag zur „Auslegung" nicht formal-methodisch auf richterliche Textentfaltung durch grammatische, historische und systematisch-teleologische Auslegung beschränkt ist, sondern im Hinblick auf die Funktion des Vorabentscheidungsverfahrens jede abstrakte Verdeutlichung von Inhalt und Bedeutung des Gemeinschaftsrechts umfasst einschließlich der Befugnis zur Normkonkretisierung. 79 Außerdem, so M. Franzen, sei das Vorlageverfahren verfahrensmäßig ungeeignet zur Bewältigung der Konkretisierungsaufgabe, weil es von der Vorlagebereitschaft der nationalen Gerichte abhänge, ob zum E u G H überhaupt die zur konkretisierenden Normbildung nötige „Rechtsprechungsmasse" gelange.80 Dieser Einwand mag insoweit seine Berechtigung haben, als nicht nur für die deutschen Obergerichte ihre geringe Vorlagebereitschaft im Zusammenhang mit privatrechtsangleichenden Richtlinien beklagt wird. 81 Nicht minder groß ist allerdings die Zahl derer, die befürchten, dass auf den E u G H eine „sich zwangsläufig steigernde Flut von Vorlagen" zukomme, die „den Gerichtshof völlig überlasten und die Verfahrensdauer noch weiter ausdehnen werde". 82 Jedenfalls eignen sich solche Spekulationen nicht als Argument für oder gegen eine Konkretisierungskompetenz des E u G H im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens: Umgekehrt könnte allein aus der Vorlagepraxis auch nicht auf die Kompetenz geschlossen werden. 83 Im Übrigen räumt auch M. Franzen ein, dass der E u G H in der Vergangenheit bereits mehrfach bewiesen hat, dass sich 78 M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.538f.; ders., Jb.J.ZivRWiss. 1997, S.285 (299). 7 9 Hierzu bereits oben, § 13 I. 2. e) aa); kritisch insoweit auch O. Remien, RabelsZ 66 (2002), 503 (520f.). 80 M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.538ff.; ders., Jb.J.ZivRWiss. 1997, S.285 (298ff.). 81 Hierzu eingehend W. Hakenburg, RabelsZ 66 (2002), 367 (370ff., 387ff.); zur deutschen VorlagepraxisJ. Basedow, in: FS für H.E. Brandner, S.651 (665ff.); ders., in: H. Schulte-Nöike/ R. Schulze (Hrsg.), Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte, S. 277 (287ff.); B. Heß, ZZP 108 (1995), 59 (62f.); H. Hirte, Wege zu einem europäischen Zivilrecht, S.41; siehe auch M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.283f.; zur französischen Praxis F. Ferrand, RabelsZ 66 (2002), 391 (398ff.); Ubersichten für den Zeitraum bis 1992 abgedruckt bei M. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EG-Vertrag, S. 173 ff. 82 B. Heß, ZZP 108 (1995), 59 (84)]. Schulze-Osterloh, Z G R 1995,170 (180); steigende Vorlagen prognostiziert etwa auch C.-W. Canaris, EuZW 1994, 517. - In den Jahren 2000/2001 ist allerdings sowohl die Gesamtzahl der beim E u G H anhängig gemachten Rechtssachen als auch der Anteil der Vorabentscheidungssachen leicht zurückgegangen; siehe S. Magiera/M. Niedobitek, in: W. Weidenfeld/W. Wessels (Hrsg.), Jahrbuch der Europäischen Integration 2000/2001, S.85. Siehe aber auch die grundsätzlichen Feststellungen im Abschlussbericht der Reflexionsgruppe „Zukunft des Gerichtssytems der E G " unten in Fn.283. 83 Mit Recht daher O. Remien, RabelsZ 66 (2002), 503 (521): „kein zwingendes verfahrensrechtliches Argument".

358

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

ausfüllungsbedürftige Begriffe auch unter den besonderen Bedingungen des Vorabentscheidungsverfahrens praxistauglich konkretisieren lassen.84 Der Hinweis auf die verfahrensmäßige Leistungsfähigkeit der Vorabentscheidung ist aber in anderer Hinsicht bedenkenswert, und zwar im Sinne einer funktionalen Kompetenzabgrenzung. Zur Sicherung der „optimalen Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft"85 sollen Aufgaben auch auf Gemeinschaftsebene idealiter von den Organen wahrgenommen werden, die aufgrund ihrer Verfahrens- und Entscheidungsstrukturen dazu am besten geeignet sind.86 Mit diesem Argument wird richterlicher Rechtsetzung durch den EuGH insbesondere dort eine Grenze gezogen, wo der EuGH nicht über das für die Rechtsetzung erforderliche „Spezialwissen" verfügt.87 Das Gebot sach- und funktionsgerechter Aufgabenverteilung unterstreicht die Forderungen des Grundsatzes der Einzelermächtigung88 und des institutionellen Gleichgewichts89: Es wirkt als Delegationsgrenze und kann u.U. eine Aufgabenverlagerung durch den Gemeinschaftsgesetzgeber hindern.90 Zu einem Argument zugunsten mitgliedstaatlicher Konkretisierungskompetenz wird das Gebot sach- und funktionaler Kompetenzabgrenzung aber erst, wenn der EuGH nicht nur auf horizontaler Ebene im Verhältnis zum Gemeinschaftsgesetzgeber, sondern vielmehr auf vertikaler Ebene im Verhältnis zu den mitgliedstaatlichen Gerichten aufgrund der besonderen verfahrensmäßigen und organisatorischen Entscheidungsbedingungen als weniger oder sogar ungeeignet erschiene zur Wahrnehmung der Konkretisierungsaufgabe. Dass der EuGH, so wohl der Einwand von M. Franzen'\ „weiter weg" von den nationalen Konkretisierungstraditionen und KonkretiM. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 540. V Neßler, RIW 1993, 206 (212f.); R. Wank, in: FS für E. Stahlhacke, S.633 (640). 86 Zum Gebot sach- und funktionsgerechter Aufgabenverteilung im nationalen Recht bereits oben, §4 IV. 3. b). 87 R. Wank, in: FS für E. Stahlhacke, S. 633 (640). GenausoJ. Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 120: Der EuGH soll „über den einzelnen Fall hinausweisende Festlegungen" nur dort treffen, wo sie „in ihren Auswirkungen wenigstens hinreichend überschaubar sind"; ähnlich M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 583: Es spricht gegen richterliche Rechtsfortbildung, „wenn die zur Rechtssatzbildung maßgeblichen Tatsachen und die Folgen für den Rechtsanwender nicht abschätzbar sind oder Detailregelungen notwendig wären"; siehe auch H. W. Daig, EuR 1968, 259 (282 Fn. 78); V. Neßler, RIW 1993,206 (212). - Im Verhältnis zu anderen Gemeinschaftsorganen führt dies dazu, dass der EuGH seine Kontrolldichte entsprechend der Sachkompetenz des handelnden Organs einschränkt; hierzu R. Rausch, Die Kontrolle von Tatsachenfeststellungen und -Würdigungen durch den EuGH, S. 170f. 88 Hierzu bereits oben, § 13 I. 1. a). 89 Hierzu bereits oben, § 13 I. 2. a). 90 Zu den institututionellen Delegationsgrenzen bereits oben, § 13 I. 2. f). 91 M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 539f.; in dieselbe Richtung geht der insbesondere von H. Heinrichs erhobene Einwand, der EuGH verfüge nicht über die zur Konkretisierung erforderlichen materiellen Maßstäbe; hierzu noch unten, § 14 II. l . b ) ee). 84

85

f 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

359

sierungserfahrungen ist, dürfte aber durch die inzwischen kodifizierte multinational-paritätische Besetzung des Gerichtshofs mit einem Richter je Mitgliedstaat (Art. 221 Abs. 1 EG) 9 2 sowie durch die gutachterlichen Leistungen der Generalanwälte (Art. 222 EG) 9 3 mehr als kompensiert sein.94 Damit dürfte das von M. Franzen aufgeworfene Argument funktionaler Aufgabenabgrenzung entkräftet sein. dd)

Subsidiaritätsprinzip

Wiederkehrend wird schließlich das Subsidiaritätsprinzip angeführt als Argument gegen eine umfassende Konkretisierungskompetenz des EuGH. 9 5 Man mag schon daran zweifeln, ob die gemeinschaftliche Judikative überhaupt Adressatin des Subsidiaritätsgebotes ist, da Art. 5 Abs. 2 E G ausdrücklich nur von „Maßnahmen" spricht. 96 Wird der EuGH aber konkretisierend und damit materiell rechtsetzend tätig, dürfte er - grundsätzlich genauso wie der Gemeinschaftsgesetzgeber - den Anforderungen des Subsidiaritätsprinzips unterlie97

gen. Allerdings bedeutet das Subsidiaritätsprinzip nicht ohne Weiteres eine generelle Konkretisierungsprärogative der Mitgliedstaaten. Zwar favorisiert das Subsidiaritätsprinzip Rechtsakte mit geringerer Regelungsdichte und entsprechenden Konkretisierungsfreiräumen für die Mitgliedstaaten.98 Daraus folgt aber nicht, dass überall, wo sich der Gemeinschaftsgesetzgeber für einen ausfüllungsbedürftigen Rechtsakt mit geringer Regelungsdichte entschieden hat, die Konkretisierung zwingend den Mitgliedstaaten zuzuweisen ist. Nur dort, wo das Subsidiaritätsprinzip den Gemeinschaftsgesetzgeber auf konkretisierungs92 Der Grundsatz „ein Richter pro Mitgliedstaat" ist bereits vor der Änderung des Art. 221 EG durch den Vertrag von Nizza praktiziert worden; vgl./. Sehwarze, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 221 EGV Rdnr. 1; Ch. Koenig/C. Sander, Einführung in das EG-Prozessrecht, Rdnrn. 42 ff. 93 Zur Funktion der Generalanwälte etwa C. O. Lenz, in: FS für U. Everling, Bd. II, S. 719ff.; G. Reischl, in: J. Schwarze (Hrsg.), Der Europäische Gerichtshof als Verfassungsgericht und Rechtsschutzinstanz, S. 121 ff. 94 Vgl. auch V Neßler, RIW 1993, 206 (211 f.). 95 W. Nassall, JZ 1995, 689 (691); Th. Pfeiffer, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, A 5 Art.3 Rdnr.41; W.-H. Roth, in: FS für U. Drobnig, S.135 (143ff.); ]. Schulze-Osterloh, ZGR 1995,170 (179f.); siehe auch die Argumentation von I. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz, S. 204ff. im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 1 KlauselRichtlinie. 96 Zum Begriff der „Maßnahme" i.S. des Art.5 Abs.2 EG Ch. Calliess, in: Ch. Calliess/ M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 5 EG Rdnr. 34ff.: „in aller Regel Legislativtätigkeiten, niemals jedoch Kontrolltätigkeiten"; weiter gehend W. Nassall, JZ 1995,689 (691): generelle Geltung des Subsidiaritätsprinzips auch für den EuGH. 97 Hierfür O. Remien, RabelsZ 66 (2002), 503 (522); ders., JZ 1994, 349 (353). 98 Hierzu bereits oben im Zusammenhang mit der Zulässigkeit konkretisierungsbedürftiger Sekundärrechtsakte, §13 II.

360

Normkonkretisierung

im europäischen

b e d ü r f t i g e R e c h t s e t z u n g j u s t i z i a b e l verpflichtet,

Privatrecht

i h n a l s o an e i n e r e i g e n e n , n i c h t

ausfüllungsbedürftigen Regelung hindert und den Mitgliedstaaten entsprechende R e g e l u n g s f r e i r ä u m e garantiert, k ö n n t e eine g e m e i n s c h a f t s e i n h e i t l i c h e K o n k r e t i s i e r u n g d u r c h d e n E u G H e i n e n V e r s t o ß g e g e n das S u b s i d i a r i t ä t s p r i n z i p darstellen." Gerade im Bereich privatrechtsangleichender Richtlinien, zumal i m B e r e i c h des V e r b r a u c h e r s c h u t z e s ,

ist d e r G e m e i n s c h a f t s g e s e t z g e b e r

aus

G r ü n d e n der Subsidiarität aber zumeist nicht gehindert, regelungsintensivere R e c h t s a k t e z u e r l a s s e n u n d b e i s p i e l s w e i s e - w i e in d e n V o r e n t w ü r f e n z u r K l a u s e l - R i c h t l i n i e 1 0 0 - a b s c h l i e ß e n d v o r z u g e b e n , w e l c h e K l a u s e l n in V e r b r a u c h e r v e r t r ä g e n als m i s s b r ä u c h l i c h a n z u s e h e n s i n d . D a s s s i c h d e r G e m e i n s c h a f t s g e s e t z g e b e r in A r t . 3 A b s . 1 der K l a u s e l - R i c h t l i n i e statt dessen auf eine G e n e r a l k l a u s e l b e s c h r ä n k t h a t , i s t n i c h t z w i n g e n d e s G e b o t des S u b s i d i a r i t ä t s p r i n z i p s , sondern A u s d r u c k einer bewusst gewählten Gesetzgebungstechnik.101 In dem M a ß e , wie die R e c h t s a n g l e i c h u n g b e r e c h t i g t e r R e g e l u n g s z w e c k eines G e m e i n s c h a f t s r e c h t s a k t e s ist, k a n n d i e e r s t r e b t e R e c h t s a n g l e i c h u n g

durch

gemein-

schaftseinheitliche K o n k r e t i s i e r u n g n u r v o m E u G H geleistet w e r d e n , weil die mitgliedstaatlichen

G e r i c h t e diese A u f g a b e

gerade nicht sicherstellen

kön-

nen.102 S o w e i t das Subsidiaritätsprinzip also die marktintegrative R e c h t s v e r e i n h e i t l i c h u n g als Z i e l des S e k u n d ä r r e c h t s a k t e s n i c h t in F r a g e s t e l l t , 1 0 3 z w i n g t es 99 So auch die Einschränkung von W.-H. Roth, in: FS für U. Drobnig, S. 135 (145), allerdings nur für unbestimmte Rechtsbegriffe, nicht für Generalklauseln. 100 Im Vorschlag der Kommission vom 24.7.1990 für eine Richtlinie des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, AB1.EG 1990 Nr. C 243/2ff., war noch vorgesehen, dass der Anhang eine Liste verschiedener Typen missbräuchlicher Klauseln enthalten sollte; vgl. zur rechtspolitischen Diskussion und zur Entstehungsgeschichte der Klausel-Richtlinie H.-W. Micklitz, ZEuP 1993, 522 (525f.); I. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln, S. 206ff. 101 Näher I. Klauer, E R P L 8 (2000), 187 (196); O. Remien, RabelsZ 66 (2002), 503 (525); zu diesem Argument auch schon oben, § 14 I. 1. b) bb). 102 O. Remien, RabelsZ 66 (2002), 503 (522); siehe auch schon dens., RabelsZ 62 (1998), 627 (643); S. Leible, R I W 2001, 422 (426). 103 Dabei ist noch nicht abschließend geklärt, ob die marktintegrative Rechtsangleichung sogar zu den der Gemeinschaft ausschließlich zugewiesenen Materien zu zählen und das Subsidiaritätsprinzip also gar nicht anwendbar ist; hierfür G. Langguth, in: C . O . Lenz (Hrsg.), EG-Vertrag, Art.5 E G V R d n r . 19; H.-W. Micklitz/N. Reich, EuZW 1992,593 (594); R-Ch. Müller-Graff, N J W 1993,13 (17); ders., Z H R 159 (1995), 34 (68ff.); ders., in: P.-Ch. Müller-Graff (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, S. 9 (61 ff.); I. E. Schwartz, ZEuP 1994, 559 (573ff.); ders., AfP 1993, 409 (413ff.); ders., in: FS für U. Everling, Bd.II, S.1331 (1340); E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.397; a.A. Ch. Calliess, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 5 E G V Rdnrn. 19ff., 24ff., der dem EuGH-Urteil zur Biotechnologie-Richtlinie - E u G H , Rs. C-377/98, EuZW 2001, 691 Tz. 30ff. - Ansatzpunkte für seine Auffassung entnimmt (a.a.O., Rdnr. 20); restriktiv auch M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 58ff.; H.D. Jarass, A ö R 1996, 8 (9); ders., Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 13f.; W. Kahl, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 95 E G V Rdnr. 7; M. Möstl, EuR 2002, 318 (344f.); Th. Oppermann, EuropaR, Rdnr. 518; O. Remien,JZ 1994,349 (353); M. Rohe, RabelsZ 61 (1997), 1 (30ff.); T. Stein, in: D. Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S.23 (33f.); ders., EWS 2001, 12 (16);

§ 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

361

konsequenterweise auch nicht zur Annahme einer mitgliedstaatlichen Konkretisierungskompetenz.104 ee) Fehlen materieller

Maßstäbe

Gewichtiger als die bislang betrachteten formalen Argumente erscheint der insbesondere von H. Heinrichs105 und II. Roth106 formulierte Einwand, dem EuGH stünden die zur Konkretisierung erforderlichen materiellen Maßstäbe nicht zur Verfügung.107 Dies gelte namentlich für die von Art. 3 Abs. 1 KlauselRichtlinie geforderte Inhaltskontrolle: Hierbei handele es sich um einen „typischerweise allein durch Normen des nationalen Rechts bestimmten Vorgang", da es eines positivierten gesetzlichen Leitbildes als Vergleichsmaßstab bedürfe;108 der EuGH stehe daher - so W. Nassallm - „buchstäblich vor dem Nichts". 110 Speziell mit Blick auf die Klausel-Richtlinie lässt sich dieser Einwand schon dadurch entkräften, dass im nationalen Recht eine Inhaltskontrolle auch dort praktiziert wird, wo ein gesetzliches Leitbild nicht existiert, namentlich im Bereich atypischer Verträge.111 Im Übrigen wird zu Recht darauf hingewiesen, dass das Gemeinschaftsrecht beim derzeitigen Stand der Entwicklung durchaus

R. Streinz, EuropaR, Rdnr. 132; wohl auch G. Lienbacher, in: J. Schwarze (Hrsg.), E U - K o m mentar, Art. 5 E G V Rdnrn. 13 ff. - Aber auch wenn man das Subsidiaritätsprinzip für anwendbar hält, kann es allenfalls auf der Ebene des anzustrebenden Ziels - ob also überhaupt eine Harmonisierung erforderlich ist und in welchem Umfang - einer Angleichungsmaßnahme entgegengehalten werden, während auf der Ebene der Art und Weise der Harmonisierung - Harmonisierung durch die Gemeinschaft oder durch die Mitgliedstaaten - die gemeinschaftsrechtlichen Instrumentarien regelmäßig besser geeignet sind und also dem Subsidiaritätstest standhalten; siehe M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 61 f.; zu den (ökonomischen) Vorteilen anderer Strategien der Rechtsangleichung aber etwa Ch. Kirchner, in: S. Grundmann/D. Medicus/W. Rolland, Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 95ff. 104 So i. Erg. auch P. Ulmer, in: P. Ulmer/H. E. Brandner/H.-D. Hensen, AGB-Gesetz, Einl. Rdnr. 79; Staudinger/P. Schlosser (13. Bearb. 1998), Einl zum A G B G Rdnr. 33. 105 Palandt/H. Heinrichs, §24a A G B G Rdnr.21; ders., N J W 1996,2190 (2196), beide Male im Zusammenhang mit der Klausel-Richtlinie. 106 H. Roth, J Z 1999, 529 (535f.). 107 Siehe auch Staudinger/P. Schlosser (13. Bearb. 1998), Einl zum A G B G Rdnr. 33: Der Richtliniengeber habe gesehen, dass sich „eine europäisch einheitliche Bewertung von Klauseln beim gegenwärtigen Stand des Vertragsrechts in Europa nicht erreichen lässt." 108 H. Heinrichs, N J W 1996, 2190 (2196); vgl. auch M. Franzen, Jb.J.ZivRWiss. 1997, S.298 (304 ff.). 109 W. Nassall, W M 1994, 1645 (1651). 1 1 0 Ahnlich der Einwand von Ch. Joerges, in: H. Schulte-Nölke/R. Schulze (Hrsg.), Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte, S. 205 (216 Fn. 36): Der E u G H sei zur Konkretisierung ungeeignet, weil er die nötigen „Folgeerwägungen" nicht anstellen könne. 111 So argumentieren etwa O. Rennen, RabelsZ 66 (2002), 503 (525); P. Ulmer, in: P. Ulmer/ H.E. Brandner/H.-D. Hensen, AGB-Gesetz, Einl. Rdnr. 78.

362

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

M a ß s t ä b e f ü r die B e u r t e i l u n g d e r U n a n g e m e s s e n h e i t e i n e r K l a u s e l b e r e i t h ä l t . 1 1 2 D e m E u G H s t e h e n z u r K o n k r e t i s i e r u n g - g e n a u s o w i e bei s o n s t i g e r R e c h t s f o r t b i l d u n g a u c h 1 1 3 - z w e i E r k e n n t n i s q u e l l e n z u r V e r f ü g u n g : die W e r t m a ß s t ä b e des G e m e i n s c h a f t s r e c h t s u n d die G r u n d p r i n z i p i e n , die d e n R e c h t s o r d n u n g e n der Mitgliedstaaten gemeinsam sind.114 B e i d e E r k e n n t n i s q u e l l e n h a b e n gerade in d e n l e t z t e n J a h r e n G e s t a l t a n g e n o m m e n : D i e g e m e i n s c h a f t l i c h e n

Wert-

m a ß s t ä b e s p i e g e l n sich v o r a l l e m in d e r w a c h s e n d e n Z a h l g e m e i n s c h a f t l i c h e r S e kundärrechtsakte schaftsrechtliche

zum

Privatrecht

wider115

Gerechtigkeitsvorstellungen

u n d lassen s p e z i f i s c h immer

gemein-

deutlicher zutage

tre-

t e n , 1 1 6 e t w a das P r i n z i p d e r V e r t r a g s s i c h e r h e i t 1 1 7 o d e r das P r i n z i p d e r „legitim e n E r w a r t u n g e n " 1 1 8 . D i e i m J a h r 2 0 0 2 ins L e b e n g e r u f e n e A c q u i s - G r u p p e h a t s i c h z u m Z i e l g e s e t z t , eine u m f a s s e n d e D a r s t e l l u n g d e r „ P r i n c i p l e s o f t h e E x i s t i n g E C P r i v a t e L a w " z u e r a r b e i t e n ; 1 1 9 f ü r d e n B e r e i c h des V e r t r a g s r e c h t s b e s t e h e n b e r e i t s V o r s t u d i e n . 1 2 0 A u c h die d e n n a t i o n a l e n P r i v a t r e c h t s o r d n u n g e n gemeinsamen Grundprinzipien verfügen inzwischen über weit gehend gesicherte Grundlagen,121 v o r allem dank der A r b e i t e n der L a n d o - K o m m i s s i o n 1 2 2 sowie

112 Zum Folgenden insbes. Staudinger/M. Coester (13. Bearb. 1998), §9 A G B G Rdnrn. 57ff.; I. Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts, S. 130f.; S. Leible, R I W 2001,422 (426); Th. Pfeiffer, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, A 5 Art. 3 Rdnrn. 41 f.; O. Remien, RabelsZ 66 (2002), 503 (525). 1 , 3 Zu Konkretisierung als Rechtsfortbildung sowie zur „wertenden Rechtsvergleichung" bereits oben, § 13 I. 2. e) bb). 114 M. Coester, in: FS für H. Heinrichs, S.99 (105f.); I. Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts, S. 130; Th. Pfeiffer, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, A 5 Art. 3 Rdnr. 41. 115 Siehe S. Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht; H. Schulte-Nölke/R. Schulze (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, jeweils passim. 116 So etwa S. Leible, RIW 2001,422 (426). Näher zu den Prinzipien des europäischen Privatrechts ]. Basedow, AcP 2000, 445 (453f., 458ff.); B. Heiderhoff, ZEuP 2003, 769ff.; Th. Möllers, J Z 2002,121 (129ff.); K. Riesenhuher, System und Prinzipien des Europäischen Privatrechts, insbes. S. 553ff.; R. Schulze, in: H.-D. Assmann/G. Brüggemeier/R. Sethe (Hrsg.), Unterschiedliche Rechtskulturen - Konvergenz des Rechtsdenkens, S. 9 (11 ff.); R. Schulze/G. Ajani (Hrsg.), Gemeinsame Prinzipien des Europäischen Privatrechts, 2003. 117 EuGH, Rs. 99/79, Slg. 1980, 2511 Tz. 16; hierzu ]. Basedow, ZEuP 1996, 570 (580ff.). 118 H.-W. Micklitz, ZEuP 1998, 253 (263ff.); ders., in: L. Krämer/H.-W. Micklitz/K. Tonner (Hrsg.), Law and diffuse interests in the European Legal Order, Liber amicorum Norbert Reich, S.245ff.; zustimmend etwa B. Heiderhoff, ZEuP 2003, 769 (780ff.); kritisch K. Riesenhuher, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S. 570ff. 119 Die Acquis-Gruppe ist ein Netzwerk, das sich aus Wissenschaftlern, Instituten und Forschergruppen aus den Mitgliedstaaten und den Beitrittskandidaten zusammensetzt. Ihre Aufgabe ist die Formulierung der Grundregeln des geltenden Gemeinschaftsprivatrechts („Principles of the Existing EC Private Law") als Hilfmittel für die Auslegung, Fortbildung und Umsetzung des Gemeinschaftsrechts. Nähere Informationen einzusehen unter http://www.acquisgroup.org. 120 Siehe die Beiträge in H. Schulte-Nölke/R. Schulze (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, 2002. 121 S. Leible, RIW 2001,422 (426); O. Remien, RabelsZ 66 (2002), 503 (525); kritisch M. Fran-

5 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

363

zahlreicher monographischer Untersuchungen. 1 2 3 - Bei diesem Entwicklungsstand des europäischen Privatrechts dürften sich, soweit es um die Existenz materieller Maßstäbe geht, kaum noch qualitative Unterschiede etwa zur judikativen Entwicklung des europäischen Grundrechtsschutzes ausmachen lassen. 124 Nicht nur mit Blick auf die Konkretisierung von Art. 3 Abs. 1 der KlauselRichtlinie kann also festgehalten werden, dass sich die angemahnten materiellen Maßstäbe sichtbar konstituieren. 1 2 5 Damit verliert dieser Einwand gegen eine Konkretisierungskompetenz des E u G H mit fortschreitender Europäisierung des Privatrechts schrittweise an Gewicht. Hiervon dürfte auch H. Heinrichs ausgehen, wenn er seine These, dem E u G H stünden die zur Konkretisierung erforderlichen inhaltlichen Maßstäbe nicht zur Verfügung, auf den „gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts" beschränkt. 1 2 6 Abgesehen davon überzeugt das Argument mangelnder materieller Konkretisierungsmaßstäbe aber auch deshalb nicht, weil darin die Vorstellung anklingt, Konkretisierung sei auf präexistente Maßstäbe angewiesen. Konkretisierung beinhaltet aber gerade die Befugnis, materielle Maßstäbe zu schaffen, also rechtsschöpferisch tätig zu sein. 127 Auch wenn, wie behauptet wird, materielle Konkretisierungsmaßstäbe gar nicht zur Verfügung stünden, folgt daraus kein Einwand gegen die Konkretisierungskompetenz. Vielmehr gilt umgekehrt: Innerhalb der Konkretisierungskompetenz ist es gerade Aufgabe und Befugnis des angesprochenen Konkretisierungsakteurs, die erforderlichen materiellen Maßstäbe zu formulieren. Ansatzpunkte für kompetentielle Überlegungen bietet allenfalls die Frage, welcher Konkretisierungsakteur dank seiner organisatorischen und verfahrensmäßigen Entscheidungsstrukturen geeigneter erscheint 2en, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 571 ff., da es „geschriebener vertragsrechtlicher Grundsätze" bedürfte, an welche alle EG-Mitgliedstaaten gebunden sind." 122 O. Lando/H. Beale, Principles of European Contract Law, Part 1 und Part 2, 2000, übersetzt abgedruckt in ZEuP 1995, 864ff., ZEuP 2000,675ff. sowie bei R. Schulze/R. Zimmermann (Hrsg.), Basistexte zum Europäischen Privatrecht, 2000, III.10; hierzu statt aller O. Lando, in: P.-Ch. Müller-Graff (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, S.567ff.; zum ersten Teil R. Zimmermann, J Z 1995, 477ff. 123 Siehe nur Ch. v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, 2. Bde, 1996/1999; G. Brüggemeier., Prinzipien des Haftungsrechts: eine systematische Darstellung auf rechtsvergleichender Grundlage, 1999; H. Kötz, Europäisches Vertragsrecht, Bd. 1, 1996; weitere Hinweise zum derzeitigen Forschungs- und Diskussionsstand bei R. Schulze, in: H.-D. Assmann/G. Brüggemeier/ R. Sethe (Hrsg.), Unterschiedliche Rechtskulturen - Konvergenz des Rechtsdenkens, S. 9 (11 ff.). 124 Anders aber H. Roth,}Z 1999, 529 (536). 125 Siehe nur die Überlegungen zur Konkretisierung der Missbräuchlichkeit von K. Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S. 444ff. 126 H. Heinrichs, N J W 1996,2190 (2196); genauso Th. Pfeiffer, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, A 5 Art. 3 Rdnr. 40: „nach dem gegenwärtigen Stand der Privatrechtsharmonisierung"; Staudinger/P. Schlosser (13. Bearb. 1998), Einl zum A G B G Rdnr.33: „beim gegenwärtigen Stand des Vertragsrechts in Europa". 127 Siehe bereits oben, §4 II., §5 I.; so auch M. Coester, in: FS für H. Heinrichs, S.99 (106).

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Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

hier also der E u G H oder die nationalen Gerichte - , die erforderlichen materiellen Konkretisierungsmaßstäbe zu schaffen. Europäisch-einheitliche Konkretisierung können die nationalen Gerichte aber naturgemäß nicht leisten; auch bleiben ihre Erkenntnismöglichkeiten des Gemeinschaftsrechts und vor allem der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen hinter denen des E u G H zurück. 128 Für die Kompetenzfrage ist daher allein entscheidend, ob der ausfüllungsbedürftige Begriff nach dem Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers durch einheitliche europäische Maßstäbe ausgefüllt werden soll, da - unabhängig von der (Prä-)Existenz materieller Konkretisierungsmaßstäbe - nur der E u G H solche europäisch-einheitliche Konkretisierung erbringen kann. 129

c) Rechtsangleichungsintention konkretisierungsbedürftigen

des Rechtsaktes

Die vorstehenden Überlegungen haben gezeigt, dass eine Konkretisierungskompetenz des E u G H keinen prinzipiellen formellen und materiellen Einwänden ausgesetzt ist. Weder aus dem Wesen der Richtlinie oder der Rechtsangleichung, noch aus dem Verfahren der Vorabentscheidung, dem Subsidiaritätsprinzip oder dem Umstand, dass möglicherweise keine inhaltlichen Maßstäbe vorgegeben sind, resultieren grundsätzliche Einwände gegen eine Konkretisierungskompetenz des EuGH. 1 3 0 Gleichwohl folgt daraus nicht, dass die Ausfüllung konkretisierungsbedürftiger Rechtsbegriffe in Sekundärrechtsakten in jedem Fall auch dem E u G H zur europäisch-einheitlichen Konkretisierung zugewiesen ist. Genauso wie die prinzipiellen Befürworter einer Konkretisierungskompetenz des E u G H in Einzelfällen eine Konkretisierungsbefugnis der Mitgliedstaaten anerkennen, 131 weisen umgekehrt auch die prinzipiellen Kritiker einer gemeinschaftlichen Konkretisierungsbefugnis zahlreiche Konkretisierungsfragen doch wieder dem E u G H zu. 132 Wenn auch mit unterschiedlichen Vorzeichen wird entscheidend aus dem konkreten Rechtsakt argumentiert. 1 2 8 Siehe hierzu bereits im Zusammenhang mit dem verfahrensrechtlichen Einwand von M. Franzen oben, § 14 II. 1. b) cc). 1 2 9 Spricht man sich für einheitliche, gemeinschaftlich-autonome Konkretisierung aus, so folgt daraus auch die (Letzt-)Konkretisierungskompetenz des E u G H , weil die nationalen Gerichte eine solche einheitliche Konkretisierung naturgemäß nicht leisten können. Dieser Zusammenhang wird zumeist nicht ausdrücklich angesprochen, liegt aber den meisten Stellungnahmen zugunsten gemeinschaftlich-autonomer Konkretisierung zugrunde; siehe etwa S. Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, S.263. 1 3 0 Siehe oben, § 14 II. 1. b) ee) sowie c). 131 Beispielsweise O. Remien, RabelsZ 66 (2002), 503 (527f.) für Art. 5 Abs. 2 der Pauschalreise-Richtlinie (Richtlinie 90/314/EWG über Pauschalreisen, ABl.EG 1990 Nr. L 158/59). 132 Siehe vor allem W.-H. Roth, in: FS für U. Drobnig, S. 135 (146ff.); vgl. auch die differenzierende Einzelargumentation bei M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 504ff., 543 ff.; mit Blick auf Vorlagen zur Konkretisierung der Klausel-Richtlinie G. Borges, Die Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen, S. 81 ff.

5 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

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Maßgeblich ist die vom Gemeinschaftsgesetzgeber mit dem jeweiligen Rechtsakt intendierte Rechtsangleicbung:lii Wird eine gemeinschaftlich-einheitliche Regelung angestrebt, ist der EuGH auch abschließend konkretisierungsbefugt; wurde der ausfüllungsbedürftige Begriff hingegen lediglich als umschreibende „Leerstelle" für bestehende mitgliedstaatliche Regelungen gewählt, liegt darin eine Verweisung auf das nationale Recht und die mitgliedstaatlichen Konkretisierungsbefugnisse.134 Das wissenschaftliche Augenmerk gilt daher zunehmend dem Aufspüren und Systematisieren von Argumenten und Anhaltspunkten, die Aufschluss über die intendierte Angleichungsintensität eines konkretisierungsbedürftigen Rechtsaktes und damit über die Verteilung der Konkretisierungskompetenz geben können. 135 Zum Teil finden sich schon in der Entstehungsgeschichte, insbesondere den Erwägungsgründen für einzelne Begriffe Hinweise auf die erstrebte Angleichungsintensität und die Verteilung der Konkretisierungskompetenz (unten aa). Aussagekräftige Anhaltspunkte lassen sich im Übrigen in systematisch-teleologischer Argumentation der vom Gemeinschaftsgesetzgeber mit dem ausfüllungsbedürftigen Rechtsakt verfolgten Regelungsstrategie entnehmen (unten bb).

aa)

Begriffsbezogene

Argumente

Anhaltspunkte für die Verteilung der Konkretisierungskompetenz können sich schon aus der vom Gemeinschaftsgesetzgeber mit dem ausfüllungsbedürftigen Begriff verfolgten gesetzgeberischen Intention ergeben. Vielfach geben die Erwägungsgründe Aufschluss über die gesetzgeberischen Gründe. Wurde ein ausfüllungsbedürftiger Begriff gewählt, weil dem Gemeinschaftsgesetzgeber eine konkretere Regelung - etwa wegen der Vielgestaltigkeit und Komplexität des zu regelnden Sachverhalts - nicht möglich war oder um eine Wertungsentscheidung im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit bewusst der gemeinschaftlichen 133 Yg] z u m Folgenden insbes. M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.495ff.; O. Remien, RabelsZ 66 (2002), 503 (524ff.); W.-H. Roth, in: FS für U. Drobnig, S. 135 (148ff.); I. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, S. 67ff. (allerdings ohne immer zwischen ausfüllungs- und auslegungsbedürftigen Begriffen zu unterscheiden); für Art. 3 Abs. 1 der KlauselRichtlinie etwa S. Leible, R I W 2001, 422 (426); für die Produkthaftungs-Richtlinie R. Schaub, ZEuP 2003, 562 (569ff.). 134 Zu den Arten der Verteilung der Konkretisierungskompetenz I. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, S.65ff. 135 Zum Folgenden insbes. die Zusammenstellung bei I. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, S. 67ff.: „Auslegungskriterien"; siehe auch die Argumentationen von M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.504ff., 543ff.; O. Remien, RabelsZ 66 (2002), 503 (524ff.); W.-H. Roth, in: FS für U. Drobnig, S.135 (146ff.); für bestimmtere Begriffe etwa M. Wolf, in: FS für H. Lange, S.779 (786f.).

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Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

Judikative zu überlassen, so liegen gewichtige Anhaltspunkte dafür vor, dass mit dem ausfüllungsbedürftigen Begriff keine Delegation an die Mitgliedstaaten, sondern vielmehr eine abschließende, aber unvollkommene Regelung durch den Gemeinschaftsgesetzgeber erfolgt ist. 136 Ein Beispiel hierfür ist der Fehlerbegriff der Produkthaftungs-Richtlinie. 137 Nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie ist ein Produkt fehlerhaft, „wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände ... zu erwarten berechtigt ist." 1 3 8 Die Europäische Kommission hatte in ihrem ersten Vorschlag zur Produkthaftungs-Richtlinie, der noch nicht den „insbesondere"-Katalog des Art. 6 Abs.l lit. a-c von berücksichtigungsfähigen Umständen enthielt, 139 die Unbestimmtheit des Fehlerbegriffs damit begründet, dass das Maß der zu erwartenden Sicherheit nur im Einzelfall durch den Richter unter Berücksichtung aller Umstände nach objektiven Kriterien festgestellt werden könne und sich daher einer durch abstrakt-generelle Regeln bestimmten Definition entziehe. 140 Vielfach ist darin eine Verweisung auf die Konkretisierungskompetenz der innerstaatlichen Gerichte gesehen worden; 141 der Gemeinschaftsgesetzgeber habe bewusst auf eine detailliertere Regelung verzichtet und die Präzisierung des Fehlerbegriffs den Mitgliedstaaten überlassen. 142 Allerdings ist dieser Verzicht auf eine detailliertere Regelung - wie in der Begründung der Kommission zum Ausdruck kommt - nicht Frucht freier Entscheidung, sondern „gesetzgeberischer N o t " : Nach Auffassung der Kommission war eine prä136 Zu den gesetzgeberischen Gründen für ausfüllungsbedürftige Rechtsetzung auf Gemeinschaftsebene bereits oben, § 13 II. 2. sowie I. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, S. 59; mit Blick auf die KlauselRichtlinie O. Remien, RabelsZ 66 (2002), 503 (525). - Denkbar ist auch, dass eine Generalklausel aus politischen Gründen die einzige politisch durchsetzbare Lösung i.S. eines „kleinsten gemeinsamen Nenners" darstellt; so H.-W. Micklitz, ZEuP 1993, 522 (526) für die Klausel-Richtlinie. Dies könnte als Argument für eine Konkretisierungskompetenz der Mitgliedstaaten gewertet werden. Dagegen spricht allerdings, dass schon im Gesetzgebungsverfahren die „wichtige Rolle" des E u G H bei der Konkretisierung zur Sprache gekommen ist; siehe O. Remien, ZEuP 1994, 34 (58) zur Stellungnahme des WSA. 137 Richtlinie 85/374/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, AB1.EG 1985 Nr. L 210/29; geändert durch Richtlinie 1999/34/EG, AB1.EG 1999 Nr. L 141/20. 138 Zur gemeinschaftseinheitlichen, autonomen Bestimmung des Fehlerbegriffs auch noch unten, § 14 II. 2. a). 1 3 9 Art. 4 des Vorschlags einer Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl.EG 1979 Nr. C 114/15. 140 Begründung des Richtlinienvorschlags, Bulletin E G 1976, Beilage 11, S. 16 Nr. 13. 141 Siehe etwa M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 509f.; U. Magnus, J Z 1990, 1100 (1103); W.-H. Roth, in: FS für U. Drobnig, S.135 (149f.) jeweils m. w.N.; zum Fehlerbegriff auch noch unten, § 14 II. 2. a) im Zusammenhang mit der vom E u G H praktizierten autonomen Auslegung. 142 W.-H. Roth, in: FS für U. Drobnig, S.135 (149f.); H.C. Taschner, in: FS für E. Steffen, S. 479 (484f.).

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Konkretisierungsdialog

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zisere Definition durch abstrakt-generelle Regeln insgesamt - also sowohl auf gemeinschaftlicher als auch auf mitgliedstaatlicher Ebene - nicht möglich. Dass sich die Gemeinschaft im späteren Gesetzgebungsverfahren um weitere Präzisierungen bemühte, 143 belegt vielmehr, dass die Gemeinschaft hier nach wie vor einen hohen Integrationsanspruch verfolgt und auch die (verbliebene) Konkretisierungsbedürftigkeit nicht als Delegation an die Mitgliedstaaten zu bewerten ist. 144 Dieses Ergebnis mag auch in anderen Zusammenhängen von Bedeutung sein, wo sich die Gemeinschaft auf den Topos der „berechtigten Erwartungen" stützt, etwa bei der Definition der Vertragsgemäßheit eines Kaufgegenstandes in Art. 2 Abs. 2 lit. d Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie 145 . 146 Noch deutlicher hat der Gemeinschaftsgesetzgeber seinen Integrationsanspruch bei der Fernabsatz-Richtlinie 147 umschrieben. „Aufgrund ihrer ständigen Weiterentwicklung", so die Erwägungsgründe, könnten die der Richtlinie unterfallenden Fernkommunikationstechniken „nicht in einer erschöpfenden Liste erfasst werden; es ist daher notwendig, brauchbare Prinzipien auch für die wenig verwendeten unter ihnen festzulegen." 148 Schließlich spricht ebenfalls für eine Konkretisierungskompetenz des E u G H , wenn sich der Gemeinschaftsgesetzgeber ausdrücklich zum Ziel setzt, die aufgrund unterschiedlicher Rechtsvorschriften bestehenden Wettbewerbshemmnisse durch „Klarstellung von Rechtsbegriffen" zu beseitigen, wie er es in den Erwägungsgründen zur e-commerce-Richtlinie 149 getan hat. 150 Die intendierte gemeinschaftseinheitliche „Klarstellung" lässt sich nur auf gemeinschaftlicher Ebene, d.h. durch den E u G H bewerkstelligen. Auch hier ist daher kein Raum für mitgliedstaatliche Konkretisierungsfreiräume. Von geringerer Überzeugungskraft für die Ermittlung des Integrationsanspruchs bei konkretisierungsbedürftigen, also normativ-unbestimmten Begriffen ist die These, die Präzisierung von Begriffen, mit denen der Gemeinschaftsgesetzgeber den Anwendungsbereich von Richtlinien umschreibt, müsse stets Siehe jetzt Art. 6 Abs. 1 lit. a-c der Produkthaftungs-Richtlinie. So auch I. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, S.213ff., 216.; für eine abschließende „Auslegungskompetenz" des E u G H auch H. Freyer, EuZW 1991, 49 (50). 1 4 5 Art. 2 Abs. 2 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie lautet: „Es wird vermutet, dass Verbrauchsgüter vertragsgemäß sind, wenn sie... [lit. d] eine Qualität und Leistungen aufweisen, die bei Gütern der gleichen Art üblich sind und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann..." 146 H.-W. Michlitz, ZEuP 1998,253 (263ff.) spricht insoweit vom „Leitprinzip" der legitimen Erwartungen; hierzu auch schon oben, Fn. 118. 147 Richtlinie 97/7/EG über den Verbraucherschutz bei Vertragsschlüssen im Fernabsatz, AB1.EG 1997 Nr. L 144/19. 148 Erwägungsgrund 9 der Richtlinie 97/7/EG, AB1.EG 1997 Nr. L 144/19. 1 4 9 Richtlinie 2000/31/EG über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, AB1.EG 2000 Nr. L 178/1. 1 5 0 6. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/31/EG, AB1.EG 2000 Nr. L 178/1. 143

144

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Privatrecht

dem E u G H zufallen. Tatsächlich kann der Anwendungsbereich einer Richtlinie nur gemeinschaftseinheitlich festgelegt werden, weil die Mitgliedstaaten ansonsten selber über den U m f a n g der Harmonisierungspflichten entscheiden könnten. 1 5 1 Allerdings w i r d der Anwendungsbereich v o n Richtlinien v o r allem mit sachbezogenen und weniger mit normativ-ausfüllungsbedürftigen Begriffen umschrieben - etwa mit Begriffen wie „Verbraucher" 1 5 2 , „Hersteller" 1 5 3 , „Produkt" 1 5 4 , „Pauschalreise" 1 5 5 , „Kreditinstitut" 1 5 6 , „Verkäufer" 1 5 7 oder „Verbrauchsgüter" 1 5 8 . 1 5 9 Das eigentliche Konkretisierungsproblem befindet sich selten im Anwendungsbereich einer Richtlinie. 1 6 0 A u s demselben G r u n d helfen auch Argumentationen z u m Integrationsanspruch v o n Legaldefinitionen 1 6 1 nur wenig weiter.

151 W.-H. Roth, in: FS für U. Drobnig, S. 135 (146); siehe auch E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 414; differenzierend I. W o l f f , Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, S. 84ff. 152 Siehe etwa Art. 2 Nr. 2 lit. d Richtlinie 97/7/EG über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, AB1.EG 1997 Nr. L 144/19; Art. 2 Richtlinie 85/577/EWG betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, AB1.EG 1985 Nr. L 372/31; Art. 1 Abs. 2 lit. a Richtlinie 1999/44/EG zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl.EG 1999 Nr. L 171/

12. 153 Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 85/374/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, AB1.EG 1985 Nr. L 210/ 29. 154 Art. 2 Richtlinie 85/374/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, AB1.EG 1985 Nr. L 210/29; Art. 2 lit. a Richtlinie 92/59/EWG über die allgemeine Produktsicherheit, ABl.EG 1992 Nr. L 228/24. 155 Art. 2 Nr. 1 Richtlinie 90/314/EWG über Pauschalreisen, AB1.EG 1990 Nr. L 158/59. 156 Art.2 lit. 1 Richtlinie 97/5/EG über grenzüberschreitende Uberweisungen, AB1.EG 1997 Nr. L 43/25. 157 Art. 1 Abs. 2 lit. c Richtlinie 1999/44/EG zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, AB1.EG 1999 Nr. L 171/12. 158 Art. 1 Abs. 2 lit. b Richtlinie 1999/44/EG zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, AB1.EG 1999 Nr. L 171/12. 159 Siehe hierzu auch noch unten, § 14 II. 2. a). 160 Einen Grenzfall stellt der Begriff des „sicheren Produkts" in Art. 2 lit. b der Produktsicherheits-Richtlinie (Richtlinie 92/59/EWG über die allgemeine Produktsicherheit, ABl.EG 1992 Nr. L 228/24) dar. Obwohl an den Anfang der Richtlinie gestellt und in Zusammenhang mit Begriffsbestimmungen findet sich hier die zentrale Regelung der Produktsicherheits-Richtlinie. Dass es sich nicht nur um eine Beschreibung des Normbereichs der Richtlinie handelt, zeigt sich auch daran, dass die „Begriffsbestimmung" zahlreiche ausfüllungsbedürftige Begriffe enthält („Produkt, das bei normaler oder vernünftigerweise vorhersehbarer Verwendung ... keine oder nur geringe,... vertretbare Gefahren birgt"). Systematisch überzeugender wäre es gewesen, diese Herstellerpflicht in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie zu kodifizieren. 161 Vgl. I. W o l f f , Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, S. 95 ff.

§ 14 Aufgabenverteilung

bb) Strategiebezogene

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

369

Argumente

Wichtige Anhaltspunkte für die Ermittlung der intendierten Rechtsangleichungsintensität speziell privatrechtsangleichender Richtlinien ergeben sich in systematisch-teleologischer Argumentation aus der Zielsetzung des Harmonisierungsaktes, wie sie sich anhand der beanspruchten Rechtsgrundlage 162 und den Erwägungsgründen 1 6 3 ablesen lässt. Prinzipiell lässt sich sagen, dass Harmonisierungsakte, die auf eine Beseitigung von Hemmnissen für den Freiverkehr zielen (reaktive Harmonisierung), von höherer Rechtsangleichungsintensität sind als Rechtsakte, bei denen die Verfolgung einer bestimmten Schutzpolitik, etwa des Verbraucherschutzes, im Vordergrund steht (aktive Harmonisierung): 164 Während reaktive Harmonisierungsakte ihr Regelungsziel - Abbau von Binnenmarktbeschränkungen und Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedliche mitgliedstaatliche Regelungen - nur bei europäisch-einheitlicher Konkretisierung erreichen können, entspricht es dem Grundanliegen aktiver Harmonisierung, dass die Mitgliedstaaten die Möglichkeit behalten, zur Gewährleistung eines höheren Schutzniveaus über die Richtlinienvorgaben hinauszugehen. 165 Allerdings verbinden sich in den meisten privatrechtsangleichenden Rechtsakten beide Regelungsziele. 166 Gestützt auf Art. 95 EG bzw. Art. 100a EGV a.F. sind sie primär dem Abbau von Binnenmarktbeschränkungen und Wettbewerbsverzerrungen verpflichtet, gestatten den Mitgliedstaaten aber vielfach die Gewährleistung eines höheren Verbraucherschutzniveaus. Ein Beispiel hierfür ist die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie 167 , die auf Art. 95 EG gestützt wurde, zugleich aber als Beitrag der Gemeinschaft zu einem hohen Verbraucherschutzniveau i.S. des Art. 153 EG gelten soll. 168 Erklärtes Ziel der Richtlinie ist einerseits die „Gewährleistung eines einheitlichen Verbraucherschutz-Mindestni-

162 Vgl. M. Franzen, Privatrechtsangleichung d u r c h die Europäische Gemeinschaft, S. 496ff.; W.-H. Roth, in: FS f ü r U . D r o b n i g , S. 135 (148f.). 163 Z u r Bedeutung der E r w ä g u n g s g r ü n d e etwa I. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungsk o m p e t e n z f ü r Generalklauseln in privatrechtsangleichenden Richtlinien, S. 76ff. 164 Z u r Unterscheidung von aktiver u n d reaktiver H a r m o n i s i e r u n g in A n l e h n u n g an E. Steindorff: M. Franzen, Privatrechtsangleichung d u r c h die Europäische Gemeinschaft, S.108ff. m.w.N. 165 M. Franzen, Privatrechtsangleichung d u r c h die Europäische Gemeinschaft, S.497, 238ff.; abweichend I. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz f ü r Generalklauseln in privatrechtsangleichenden Richtlinien, S. 176ff., 179, die aus Art. 5 Abs. 3 E G eine prinzipielle Verm u t u n g zugunsten nationaler Gestaltungsfreiräume folgert. 166 Siehe auch M. Franzen, Privatrechtsangleichung d u r c h die Europäische Gemeinschaft, S.242. 167 Richtlinie 1999/44/EG zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs u n d der G a rantien f ü r Verbrauchsgüter, AB1.EG 1999 L 171/12. 168 E r w ä g u n g s g r u n d 1 der Richtlinie 1999/44/EG, AB1.EG 1999 L 171/12.

370

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

veaus" (Art. 1 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie), 1 6 9 andererseits wird den M i t gliedstaaten gestattet, strengere B e s t i m m u n g e n zur Gewährleistung eines n o c h höheren Verbraucherschutzniveaus zu erlassen oder beizubehalten. 1 7 0 A h n l i c h e Offnungsklauseln enthalten beispielsweise die H a u s t ü r w i d e r r u f - R i c h t l i n i e 1 7 1 , die Verbraucherkredit-Richtlinie 1 7 2 , die Klausel-Richtlinie 1 7 3 und die Pauschalreise-Richtlinie 1 7 4 . 1 7 5 Diese beiden für privatrechtsangleichende Richtlinien typischen Ziele, die Verbindung aus reaktiver,

also binnenmarktfinaler Rechtsangleichung mit akti-

ver Verbraucherschutzpolitik durch Mindestharmonisierung und O f f n u n g s klauseln, verkörpern A r g u m e n t e zugunsten europäisch-einheitlicher K o n k r e t i sierung ausfüllungsbedürftiger Richtlinienbegriffe. Dies lässt sich am Beispiel der Klausel-Richtlinie 1 7 6 veranschaulichen. D i e Erwägungsgründe beschreiben als Regelungsanlass, dass die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten ü b e r Vertragsklauseln zwischen Warenverkäufern bzw. Dienstleistern einerseits und Verbrauchern

andererseits, namentlich

die Rechtsvorschriften

über

miss-

bräuchliche Klauseln, „beträchtliche U n t e r s c h i e d e " aufweisen. 1 7 7 „ U m die E r richtung des B i n n e n m a r k t e s zu erleichtern", 1 7 8 sollten „einheitliche R e c h t s v o r s c h r i f t e n " 1 7 9 geschaffen werden. D i e auf A r t . 100a E G V gestützte Richtlinie ist 1 6 9 Siehe auch Erwägungsgrund 5 der Richtlinie 1 9 9 9 / 4 4 / E G , A B 1 . E G 1999 L 171/12: „Schaffung eines gemeinsamen Mindestsockels". 1 7 0 Siehe Erwägungsgrund 24 sowie Art. 8 Abs. 2 Richtlinie 1 9 9 9 / 4 4 / E G , A B 1 . E G 1999 L 171/ 12. 1 7 1 Richtlinie 8 5 / 5 7 7 / E W G betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, A B l . E G 1985 L 372/31. Art. 8 lautet: „Die vorliegende Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, noch günstigere Verbraucherschutzbestimmungen auf dem Gebiet dieser Richtlinie zu erlassen oder beizubehalten." 1 7 2 Richtlinie 8 7 / 1 0 2 / E W G zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, A B l . E G 1987 L 4 2 / 4 8 . Art. 15 lautet: „Die Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten nicht, in Ubereinstimmung mit ihren Verpflichtungen aus dem Vertrag weiter gehende Vorschriften zum Schutze der Verbraucher aufrechtzuerhalten oder zu erlassen." 1 7 3 Richtlinie 9 3 / 1 3 / E W G über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, A B l . E G 1993 L 95/29. Art. 8 lautet: „Die Mitgliedstaaten können auf dem durch diese Richtlinie geregelten Gebiet mit dem Vertrag vereinbare strengere Bestimmungen erlassen, um ein höheres Verbrauchschutzniveau zu gewährleisten." 1 7 4 Richtlinie 9 0 / 3 1 4 / E W G über Pauschalreisen, A B l . E G 1990 L 158/59. Art. 8 lautet: „Die Mitgliedstaaten können in dem unter diese Richtlinie fallenden Bereich strengere Vorschriften zum Schutze des Verbrauchers erlassen oder aufrechterhalten." 1 7 5 Anders aber beispielsweise die Produkthaftungs-Richtlinie (Richtlinie 8 5 / 3 7 4 / E W G zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Haftung für fehlerhafte Produkte, A B l . E G 1985 Nr. L 2 1 0 / 2 9 ) ; hierzu nun E u G H , Rs. C - l 83/00, Slg. 2 0 0 2 1 - 3 9 0 1 T z . 25ff. - M a ria Sánchez/Medicina Asturiana SA. 1 7 6 Richtlinie 9 3 / 1 3 / E W G über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, A B l . E G 1993 Nr. L 9 5 / 2 9 . 1 7 7 Erwägungsgründe 3 und 4 der Richtlinie 9 3 / 1 3 / E W G , A B l . E G 1993 L 95/29. 1 7 8 Erwägungsgrund 6 der Richtlinie 9 3 / 1 3 / E W G , A B l . E G 1993 L 9 5 / 2 9 . 1 7 9 Erwägungsgrund 10 der Richtlinie 9 3 / 1 3 / E W G , A B l . E G 1993 L 95/29.

§ 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

371

daher der reaktiven und also prinzipiell intensiveren Rechtsangleichung zuzuordnen: Die erstrebten Regelungsziele - Erleichterung der Absatztätigkeit von Verkäufern und Dienstleistern sowie Schutz der Verbraucher im grenzüberschreitenden Verkehr 180 - können nur erreicht werden, wenn die Klausel-Kontrolle soweit als möglich europäisch-einheitlich erfolgt. 181 Dies spricht grundsätzlich für weit reichende Konkretisierungskompetenzen des E u G H . Anders qualifiziert allerdings M. Franzen die Klausel-Richtlinie: Sie sei der aktiven und damit prinzipiell weniger intensiven Rechtsangleichung zuzuordnen, weil sie i.S. der Keck-Rechtsprechung des EuGH 1 8 2 keine Beschränkung der Produktverkehrsfreiheiten, sondern lediglich Vertriebsmodalitäten betreffe und sich also nicht im Regelungsbereich der Grundfreiheiten bewege. 183 Tatsächlich lassen sich die Folgewirkungen des mit dem Keck-Urteil eingeleiteten restriktiven Kurses der Grundfreiheitengeltung auf die Privatrechtsangleichung noch nicht vollständig abschätzen. Gerade die Klausel-Richtlinie dürfte aber einen Regelungsbereich betreffen, der auch nach dem Keck-Urteil in den Geltungsbereich der Warenverkehrsfreiheit fällt, da die Richtlinie die primären und sekundären Leistungspflichten des Verkäufers 184 gestaltet und jedenfalls insoweit Produktregelungen enthält. 185 - Im Übrigen dürften auch solche auf Art. 95 E G gestützte Rechtsangleichungsakte, deren Rechtsangleichungsziel zwar im Regelungsbereich der Grundfreiheiten liegt, die - insbesondere wegen der Keck-Rechtsprechung - aber nicht dem Abbau grundfreiheitenrelevanter Behinderungen und also der „Errichtung" des Binnenmarktes, sondern auf einer höheren Integrationsstufe dem „Funktionieren" des Binnenmarktes durch Abbau von Wettbewerbsverzerrungen dienen, der reaktiven und damit angleichungsintensiven Harmonisierung zugeordnet werden. 186 Solange die Voraussetzungen des Art. 95 E G erfüllt sind, der Rechtsangleichungsakt also jedenfalls dem Abbau

Siehe Erwägungsgründe 5 und 7 der Richtlinie 93/13/EWG, AB1.EG 1993 95/29. So S. Leible, RIW 2001,422 (426); a.A. konsequent I. Wolff Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, S.205, die aus Art. 5 Abs. 3 E G auch im Bereich der binnenmarktfinalen Rechtsangleichung eine Vermutung zugunsten nationaler Gestaltungsfreiräume folgert (S. 179); a.A. auch M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 553, weil er die Richtlinie der aktiven Rechtsangleichung zuordnet (a.a.O., S. 221 ff.). 182 EuGH, Rs.C-267,268/91, Slg. 1993,1-6097 Tz. 1 6 - K e c k ; zur Bedeutung dieser Entscheidung für die gerichtliche Rechtsangleichung etwa K.-H. Fezer, JZ 1994,317ff.; W. Möschel, NJW 1994, 429ff.; O. Remien, JZ 1994, 349ff. und eingehend M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 126ff. 183 M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.221f., 154ff. 184 So die Argumente von E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.99, 107. 185 Enger M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 150ff. mit der Unterscheidung zwischen „produktgestaltenden Vorschriften und solchen, die lediglich den Anspruch auf das Produkt umstreiben und damit... grundsätzlich keine marktzugangsbehindernde Wirkung haben". 186 E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 391 ff., 397. 180 181

372

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

„spürbarer" Wettbewerbsverzerrungen 187 dient, kommt der Radizierung der Grundfreiheitenwirkung nur noch mittelbar Bedeutung zu für die Ermittlung der erstrebten Rechtsangleichungsintensität. 188 Für die Regelungsintensität privatrechtsangleichender Richtlinien, die in großer Zahl auf Art. 95 E G 1 8 9 bzw. Art. 100a E G V a.F. 190 gestützt worden und also prinzipiell der marktfinalen Angleichung zuzuordnen sind, 191 folgt aus dieser Zielsetzung eine Vermutung für eine hohe Angleichungsintensität und damit für eine europäisch-einheitliche Konkretisierung durch den E u G H . Soweit das „Funktionieren des Binnenmarktes" eine Harmonisierung rechtfertigt, lässt sich aus der Rechtsangleichungsintention der Gemeinschaft auch auf einen entsprechenden Willen zu judikativer Harmonisierung durch europäisch-einheitliche Konkretisierung schließen. In dieselbe Richtung weist der Blick auf die in vielen Richtlinien enthaltenen Offnungsklauseln. 192 Offnungsklauseln bewirken, dass sich der Regelungsgehalt der Richtlinie auf die Vorgabe von Mindeststandards beschränkt. 193 Die Richtlinie erschöpft sich in der Beschreibung einer Untergrenze. Diese Untergrenze ist aber gemeinschaftseinheitlich. Enthält der gemeinschaftliche Rechts187 So die Einschränkung durch EuGH, Rs. C-376/98, Slg. 20001-8419 Tz. 106f. - Tabakwerbung; hierzu W. Kahl, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 95 E G V Rdnrn. 10b und 10c; M. Möstl, EuR 2002,318 (341f.); T. Stein, EWS 2001,12 (15f.); R. Streinz,}uS 2001, 288 (290). 188 Allerdings bleibt immer in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die erstrebte Rechtsangleichung einschließlich judikativer Rechtsangleichung durch die (konkretisierende) Rechtsprechung des EuGH für das Funktionieren des Binnenmarktes auch erforderlich ist i.S. des Art. 95 Abs. 1 EG; siehe W.-H. Roth, in: FS für U. Drobnig, S. 135 (148ff.). 189 Auf Art. 95 E G wurden beispielsweise gestützt: Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr; Richtlinie 1999/44/EG zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter. 190 Auf Art. 100a E G V wurden z.B. folgende Richtlinien gestützt: Richtlinie 97/7/EG über den Verbraucherschutz bei Vertragsschlüssen im Fernabsatz; Richtlinie 97/5/EG über grenzüberschreitende Uberweisungen; Richtlinie 94/47/EG zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien; Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen; Richtlinie 92/59/EWG über die allgemeine Produktsicherheit sowie die Richtlinie 90/314/EWG über Pauschalreisen. Noch auf Art. 100 E G V wurden u.a. gestützt die Richtlinie 86/653/EWG zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbstständigen Handelsvertreter; die Richtlinie 87/102/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über den Verbraucherkredit sowie Richtlinie 85/374/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte sowie die Richtlinie 85/377/EWG betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen. 191 Umfassend zu den Rechtsetzungsgrundlagen mit privatrechtlicher Bedeutung M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.70ff., insbes. S. 93ff. 192 Siehe zum Folgenden insbes. I. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, S. 112ff. 193 I. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsangleichenden Richtlinien, S. 118f.

§ 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

373

akt ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe, sind diese einheitlich auszufüllen. Die Existenz von Offnungsklauseln bewirkt also eine umfassende Konkretisierungskompetenz des EuGH für die bei der Beschreibung der Untergrenze verwendeten Begriffe: Die bewusst gelassenen Ausfüllungsspielräume gehen zugunsten des EuGH, nicht der nationalen Konkretisierungsakteure. Dies gilt insbesondere für die Konkretisierung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, die ausweislich ihrer Erwägungsgründe dazu dienen soll, einen „gemeinsamen Mindestsockel von Verbraucherrechten" zu schaffen. 194 Dieser gemeinsame Mindestsockel kann nur dann entstehen, wenn die Richtlinienvorgaben auch europäisch-einheitlich ausgefüllt werden. Wann ein Abhilfeverlangen „unverhältnismäßig" i.S. von Art. 3 Abs. 3 oder eine Vertragswidrigkeit „geringfügig" i.S. von Art. 3 Abs. 6 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie ist, unterfällt daher nach der inneren Regelungsstrategie der Richtlinie der Konkretisierungskompetenz des EuGH. Mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip195 ließe sich davon sprechen, dass die Konkretisierungskompetenz des EuGH kompensiert wird durch den wegen der Offnungsklauseln - geminderten Regelungsanspruch. 196

2. Rechtsprechung des E u G H Der E u G H hat zwar noch nicht explizit zur Aufgabenverteilung bei der Konkretisierung wertausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe und Generalklauseln Stellung genommen. Gleichwohl spricht vieles dafür, dass der E u G H prinzipiell eine Befugnis zur Letztkonkretisierung für sich in Anspruch nehmen wird. Dies entspricht einerseits der vom EuGH im Umfang mit bestimmten Begriffen judizierten autonomen Auslegung (unten a); andeutungsweise kommt dies auch in der ersten zur Klausel-Richtlinie ergangenen Entscheidung („Oceano") zum Ausdruck (unten b). a) Grundsatz

autonomer

Auslegung

des

Sekundärrechts

Für nicht wertausfüllungsbedürftige, „normale" bestimmte 197 Begriffe in gemeinschaftlichen Sekundärrechtsakten ist dem EuGH mit dem Vorabentscheidungsverfahren (Art. 234 Abs. 1 lit. b E G ) die Befugnis zur autoritativen und abschließenden Entscheidung über ihre Auslegung und Präzisierung verliehen. 1 9 4 Erwägungsgrund 5 der Richtlinie 1 9 9 9 / 4 4 / E G , A B 1 . E G 1999 L 171/12; siehe auch E r w ä gungsgrund 4: „Mindestharmonisierung". 1 9 5 Hierzu bereits oben, § 1 3 1.1. b) und als Argument gegen eine Konkretisierungskompetenz des E u G H § 1 4 II. l . b ) dd). 1 9 6 Z u m Kompensationsgedanken im Zusammenhang mit der durch ausfüllungsbedürftige Begriffe erzeugten Kompetenzverschiebung bereits oben, § 4 V I . 1. 197

Zur graduellen Unbestimmtheit der Normbegriffe bereits oben, § 3 I. 1.

374

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

D i e v o m E u G H j u d i z i e r t e A u s l e g u n g i s t f ü r das n a t i o n a l e A u s g a n g s v e r f a h r e n verbindlich

und

entfaltet

auch darüber hinaus weit gehende

Präjudizwir-

kung.198 I m V o r a b e n t s c h e i d u n g s v e r f a h r e n v e r w i r k l i c h t der E u G H s o w o h l die Einheit

als a u c h d i e Eigenständigkeit

der gemeinschaftlichen Rechtsordnung:199

D i e R e c h t s b e g r i f f e des G e m e i n s c h a f t s r e c h t s w e r d e n v o m E u G H daher prinzip i e l l autonom,

d.h. nach von den nationalen Rechtsordnungen verselbstständig-

ten, gemeinschaftsrechtlichen M a ß s t ä b e n u n d Kriterien ausgelegt.200 I n d i e s e m S i n n e h a t d e r E u G H in j ü n g e r e r Z e i t e t w a ü b e r d i e A n w e n d b a r k e i t der H a u s t ü r w i d e r r u f s - R i c h t l i n i e 2 0 1 auf B ü r g s c h a f t e n 2 0 2 u n d Realkreditverträg e 2 0 3 , d e n V e r b r a u c h e r b e g r i f f i . S . v o n A r t . 2 lit. b d e r K l a u s e l - R i c h t l i n i e 2 0 4 , d i e Anwendbarkeit

der Verbraucherkredit-Richtlinie

auf Bürgschaften205

sowie

198 Zu den Rechtswirkungen des Vorabentscheidungsurteils etwa KD. Borchardt, in: C . O . Lenz (Hrsg.), EG-Vertrag, Art. 234 E G V Rdnrn. 49ff.; M. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EG-Vertrag, S. 148ff.; U. Ehricke, Die Bindungswirkung von Urteilen des E u G H im Vorabentscheidungsverfahren nach deutschem Zivilprozessrecht und nach Gemeinschaftsrecht, 1997; A. Epiney, in: B. Beutler/R. Bieber/J. Pipkorn/J. Streil (Hrsg.), Die Europäische Union, Rdnrn. 611 ff.; Th. Oppermann, EuropaR, Rdnr. 771; M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S.296;/. Schwarze, in: J . Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 234 E G V Rdnrn. 63ff.; R. Streinz, EuropaR, Rdnrn. 566ff.; B. Wegener, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/ EG-Vertrag, Art.234 E G V Rdnrn. 32ff. 199 Zu den Zwecken des Vorabentscheidungsverfahrens bereits oben, § 13 I. 2. e) aa); zum Gedanken der Einheit der Europäischen Rechtsordnung im Zusammenhang mit dem Gebot autonomer Auslegung A. Bleckmann, Hdb EWiR, B. I, Rdnr. 53. 200 Siehe jeweils m.w.N. zur Rspr. des E u G H A. Bleckmann, EuropaR, Rdnrn. 552f., 557; ders., Z G R 1992, 364 (365); ders., R I W 1987, 929 (934f.); ders., E u G R Z 1979, 485 (488); ders., Hdb EWiR, B.I. Rdnrn. 53ff.; Everling, Z G R 1992, 376 (386); R. Streinz, EuropaR, Rdnr. 500; B. Wegener, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 220 E G V Rdnr. 28; speziell mit Blick auf das Privatrecht M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.475ff.; I. Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts, S. 109ff.; I. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, S. 201 ff. 201 E u G H , Rs. C-361/89, Slg. 1991 1-1189 Tz. 15ff. - Di Pinto; zu Art. 2 Richtlinie 85/577/ E W G betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABl.EG 1985 Nr. L 372/31. 202 E u G H , Rs. C-45/96, Slg. 1998 1-1221 Tz. 22 = EuZW 1998,252 m. Anm. H.-W. Micklitz Dietzinger: Anwendbarkeit, wenn Bürge und Hauptschuldner Verbraucher sind; Vorlagebeschluss des B G H , EuZW 1996,220; für Einbeziehung der Bürgschaft schon I. Klauer, Die Europäisierung des Zivilrechts, S. 116 mit Blick auf den Schutzzweck; kritisch Th. Pfeiffer, ZIP 1998, 1129 (1136); S. Lorenz, N J W 1998, 2937 (2938ff.). 203 E u G H , Rs. C-481/99, Slg. 2001 1-9945 Tz. 31 ff. = EuZW 2002, 84ff. m. Anm. N. Reich/ U. Rörig - Heininger; siehe auch das Folgeurteil des B G H , N J W 2002, 1881 ff. und hierzu A. Meinhof, N J W 2002, 2273ff.; M. Franzen, JZ 2003, 321 ff. 204 E u G H , verb. Rs. C-541/99 und C-542/99, Slg. 2001 1-9049 = EuZW 2002, 32 - Cape Snc/ Idealservice Sri; zu Art. 2 lit. b Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, AB1.EG 1993 Nr. L 95/29; hierzu /. Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts, S.118ff. 205 E u G H , Rs. C-208/98, Slg. 2000,1-1741 - Berliner Kindl; zu Art. 1 Abs. 2 der Richtinie 87/ 102/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über

§ 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

375

den Begriff der „Pauschalreise" i.S. von Art. 2 Abs. 1 der Pauschalreise-Richtlinie 206 entschieden. Auch den Begriff der „irreführenden Werbung" i.S. von Art. 2 und 3 der Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung 207 hat der E u G H in seiner vieldiskutierten Nissan-Entscheidung 208 in autonomer Auslegung gemeinschaftseinheitlich vorgegeben. Weitere Beispiele sind der Betriebsbegriff i.S. der Massenentlassungs-Richtlinie 209 , die inzwischen mehrfach judizierte autonome Interpretation 210 der Verwechslungsgefahr i.S. von Art. 5 Abs. 1 lit. b der Marken-Richtlinie 211 und die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 lit. d der Marken-Richtlinie 212 . Genauso dürfte für den Fehlerberiff von Art. 6 Abs. 1 der Produkthaftungs-Richtlinie 213 zu entscheiden sein. 214

den Verbraucherkredt, AB1.EG 1987 Nr. L 42/48; hierzu nur W. Hakenburg, ZEuP 2001, 888 (900) m.w.N. 2 0 6 Siehe aus jüngerer Zeit etwa E u G H , Rs. C - 4 0 0 / 0 0 , E u Z W 2002,402ff. - Club Tour; Rs. C 237/97, Slg. 1999 1-825 - Schüleraustausch; jeweils zu Art. 2 Nr. 1 Richtlinie 9 0 / 3 1 4 / E W G über Pauschalreisen, A B l . E G 1990 Nr. L 158/59. 2 0 7 Richtlinie 8 4 / 4 5 0 / E W G zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über irreführende und vergleichende Werbung, A B l . E G 1984 Nr. L 250/17, geändert durch Richtlinie 9 7 / 5 5 / E G zur Änderung der Richtlinie 8 4 / 4 5 0 / E W G über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, A B l . E G 1997 Nr. L 290/18. 2 0 8 E u G H , Rs. C - 3 7 3 / 9 0 , Slg. 1992 1-131 ( 1 4 9 ) - N i s s a n ; für eine autonome Auslegung der in der Richtlinie verwendeten Begriffe bereits U. Everling, in: Irreführende Werbung in Europa, S. 43 (51); insoweit zustimmend M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 525f.; grundsätzlich für eine autonome Konkretisierung des Irreführungstatbestandes I. Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts, S.420ff.; I. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, S.218ff. 2 0 9 E u G H , Rs. C - 4 4 9 / 9 3 , Slg. 1995 1-4291 Tz. 25 - Rockfon. 2 1 0 Erste Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken, A B l . E G 1989 Nr. L 140/1. 2 1 1 E u G H , Rs. C - 2 5 1 / 9 5 , Slg. 1997 1-6191 Tz. 22f. - Säbel; Rs. C - 3 9 / 9 7 , Slg. 1998 1-5507 Tz. 16f. - Canon; Rs. C - 3 4 2 / 9 7 , Slg. 1999, 1-3819 Tz. 17ff. - Lloyd; für autonome Auslegung der Verwechslungsgefahr auch K.-H. Fezer, wrp 1998,1 (5f.); I. Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts, S.269ff.; H.-P. Kunz-Hallstein, G R U R Int. 1990, 747 (749); ders., G R U R 1996, 6; H. Piper, G R U R 1996, 429 (430); W. Tilmann, Z H R 158 (1994), 371 (373); I. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, S.228ff.; a.A. W. Gloy, FS für O . - E v.Gamm, S.257 (266f.) unter Zustimmung von O.-F. V.Gamm, G R U R 1994, 775 (776). 2 1 2 Hierzu aus jüngerer Zeit E u G H , Rs. C - 5 1 7 / 9 9 , Slg. 2001 1-6959 Tz. 17ff. - Merz & Krell G m b H (Wortmarke „Bravo"). 2 1 3 Richtlinie 8 5 / 3 7 4 / E W G über die Haftung für fehlerhafte Produkte, A B l . E G 1985 Nr. L 210/29. 2 1 4 Für autonome Auslegung I. Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts, S. 157ff.; I. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, S.213ff. In diese Richtung weisen auch die Ausführungen im VeedfaldUrteil ( E u G H , Rs. 203/99, Slg. 2001 1-3569 Tz. 25ff.; hierzu sogleich im Text und bei Fn.227), weil der E u G H dort aus der Tatsache, dass der Schadensbegriff - anders als die Begriffe Produkt, Hersteller und Fehler - nicht von der Richtlinie definiert ist, eine grundsätzliche Verweisung auf das Recht der Mitgliedstaaten folgert. Siehe auch schon oben, § 14 II. 1. c) aa).-Zurückhaltender

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Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

Von einer gemeinschaftseinheitlichen, autonomen Auslegung sieht der E u G H nur dann ab, wenn sich dem Sekundärrechtsakt - abermals durch Auslegung 215 - Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass eine gemeinschaftseinheitliche Begriffsbildung nicht intendiert war, also eine ausdrückliche oder stillschweigende Verweisung auf das Recht der Mitgliedstaaten vorliegt. 216 Allerdings besteht in der Rechtsprechung des E u G H ein deutliches Regel-Ausnahme-Verhältnis: In der Regel gilt das Gebot autonomer Auslegung des Sekundärrechts, eine Verweisung auf die nationalen Rechtsordnungen stellt die Ausnahme dar. 217 Eine solche Verweisung auf die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen hat der E u G H in der Entscheidung Veedfald 218 für den Schadensbegriff in Art. 9 der Produkthaftungs-Richtlinie 2 1 9 anerkannt. Gerade im deutschen Schrifttum war lebhaft darüber diskutiert worden, ob der Schadensbegriff von Art. 9 der Richtlinie abschließend vom E u G H zu bestimmen sei 220 oder auf das Recht der Mitgliedstaaten verweise. 221 Das vorlegende dänische Gericht wollte u.a. wissen, ob die Begriffe „Tod" und „Körperverletzung" in Art. 9 lit. a der Richtlinie gemeinschaftsrechtliche Begriffe sind, oder ob „jeder Mitgliedstaat frei entscheiden [kann], was darunter zu verstehen ist". 2 2 2 Der mit Recht als „kryptisch" 2 2 3 bezeichneten Antwort lässt sich entnehmen, dass der E u G H die nähere Definition des Schadens - anders als beispielsweise die Bestimmung des „Inverkehrbringens" in Art. 7 lit. a der Richtlinie 224 - grundsätzlich den nationalen Gesetzgebern überlassen will, 225 allerdings in den durch die Richtlinie gezoge-

M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 504ff., 510; siehe auch H. Hollmann, D B 1985, 2389 (2392); P. Schlechtriem, VersR 1986, 1033 (1036). 215 R. Streinz, EuropaR, Rdnr. 500. 216 Näher M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 478 ff. 217 A. Bleckmann, E u G R Z 1979, 485 (488); M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 481 f. 218 E u G H , Rs. 203/99, Slg. 2001 1-3569 - Veedfald. 219 Richtlinie 85/374/EWG über die Haftung für fehlerhafte Produkte, AB1.EG 1985 Nr. L 210/29. 220 Hierfür etwa R. Sack, VersR 1988, 439f.; ebenso U. Magnus, J Z 1990, 1100 (1103); H. C. Taschner/E. Frietsch, Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtlinie, Art. 9 Rdnr. 1; M. Wolf, FS für H. Lange, S. 779 (786f.). - Genauso für die parallele Fragestellung zum Schadensbegriff in Art. 5 der Pauschalreise-Richtlinie K. Tonner, ZEuP 2003, 619 (627ff.). 221 So G. Brüggemeier/N. Reich, W M 1986,149 (151); MünchKomm/A. Cahn (3. Aufl. 1997), Vor § 1 ProdHaftG Rdnr. 3; M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 511 ff.; K. Larenz/C. W. Canaris, SchuldR Bd.II/2, §84 VI 1 c; P. Schlechtriem, VersR 1986, 1033 (1041);/. Schmidt-Salzer, BB 1986, 1103 (1104). 222 Dritte Vorlagefrage des dänischen H jesteret, E u G H , Rs. 203/99, Slg. 2001 1-3569 Tz. 10 0 Veedfald. 223 W. Hakenburg, ZEuP 2002, 752 (764). 224 So der Gegenstand der ersten Vorlagefrage; hierzu EuGH, Rs. 203/99, Slg. 2001 1-3569 Tz. 11 ff., 14-Veedfald. 225 Siehe E u G H , Rs. 203/99, Slg. 2001 1-3569 Tz. 27: „Zwar bleibt es dem nationalen Gesetz-

§ 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

377

nen Grenzen. 2 2 6 Entscheidendes Gewicht hat der E u G H offenbar dem U m stand beigemessen, dass der Schadensbegriff - anders als die Begriffe Produkt, Hersteller und Fehler - nicht vom Richtliniengeber definiert worden ist. 227 D a mit dürfte jedenfalls klargestellt sein, dass Begriffe, die der Gemeinschaftsgesetzgeber definiert hat, der Auslegungsbefugnis der Mitgliedstaaten entzogen sind.

b) Die „ Oceano

Entscheidung

Die vorstehend referierten Beispiele, aus denen der Grundsatz gemeinschaftseinheitlicher, autonomer Auslegung entwickelt werden konnte, betrafen jedoch keine wertausfüllungsbedürftigen Begriffe und Generalklauseln, sondern „bestimmtere" Begriffe. Gerade im Gemeinschaftsrecht sollte diese ohnehin nicht trennscharf mögliche Unterscheidung von bestimmten und unbestimmten B e griffen 228 aber nicht überbewertet werden, zumal der E u G H in Anlehnung an französische Traditionen ohnehin nicht präzise zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung 2 2 9 unterscheidet. Dasselbe gilt für die Unterscheidung zwischen Auslegung und Konkretisierung. 2 3 0 Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, dass der E u G H die bislang zu „bestimmteren" Begriffen etablierte J u dikaturlinie - grundsätzliche Befugnis des E u G H zu gemeinschaftseinheitlichautonomer Präzisierung vorbehaltlich entgegenstehender Anhaltspunkte für eine Verweisung auf das Recht der Mitgliedstaaten 231 - auf seine Konkretisierungsbefugnis bei normativ-unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln überträgt und auch hier - im Interesse der Einheit und Eigenständigkeit der gemeinschaftlichen Rechtsordnung - von seiner grundsätzlichen Befugnis zur Letztkonkretisierung ausgeht, es sei denn, es liegen Anhaltspunkte für die Einräumung nationaler Konkretisierungsbefugnisse vor. 232

geber überlassen, diese beiden Schadensarten genauer zu definieren." So auch W. Hakenburg, ZEuP 2002, 752 (764). 226 Hierzu E u G H , Rs. 203/99, Slg. 2001 1-3569 Tz. 27-30 - Veedfald. Insbesondere dürfe ein Mitgliedstaat „die Arten des zu ersetzenden materiellen Schadens ... nicht einschränken" (Tz. 28). 227 E u G H , Rs. 203/99, Slg. 2001 1-3569 Tz. 25 - Veedfald. 228 Zur graduellen Unbestimmtheit der Normbegriffe bereits oben, §3 I. 1. 229 Hierzu bereits oben, § 13 I. 2. e) aa). 230 Bezeichnend die Schlussanträge von Generalanwalt A. Saggio im „Oceano"-Verfahren, Slg. 20001-4941 (4948f. Tz. 18); hierzu sogleich im Text. - Zur Problemverwandtschaft von Auslegung und Konkretisierung sowie ihren Uberschneidungsbereichen bereits oben, § 5 III. 231 Siehe vorstehend, § 14 II. 2. a). 232 So schon die Feststellung von A. Bleckmann, E u G R Z 1979, 484 (489), der E u G H habe klargestellt, „dass die unbestimmten und die bestimmten Rechtsbegriffe des Europäischen Gemeinschaftsrechts in der Regel als autonome Begriffe zu verstehen sind und nicht auf das nationale Recht verweisen."

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Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

Erhärten lässt sich diese Prognose mit der ersten Entscheidung zur Konkretisierung der „Treu und Glauben"-Generalklausel in Art. 3 Abs. 1 der KlauselRichtlinie in der Rechtssache „ O c e a n o " . 2 3 3 Das Juzgado de Primera Instancia n°35 Barcelona hatte dem E u G H die Frage vorgelegt, ob es von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Gerichtsstandsklausel prüfen dürfe, wenn es über die Zulässigkeit einer Klage zu entscheiden habe. D e r E u G H bejahte nicht nur die Vorlagefrage nach dem amtswegigen Prüfungsumfang des Ausgangsgerichts, 2 3 4 sondern nahm darüber hinaus auch inhaltlich zur Missbräuchlichkeit der streitigen Klausel Stellung: „... eine Gerichtsstandsklausel, die in einen Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden aufgenommen worden ist, ohne im Einzelnen ausgehandelt zu sein, und die ausschließliche Zuständigkeit dem Gericht zuweist, in dessen Bezirk der Gewerbetreibende seine Niederlassung hat, [ist] als missbräuchlich im Sinne des Artikels 3 der Richtlinie anzusehen, da sie entgegen dem G e b o t von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten verursacht." 2 3 5 Diese Ausführungen lesen sich als deutliches Votum gegen mitgliedstaatliche Konkretisierungsfreiräume und zugunsten gemeinschaftlicher Konkretisierungsbefugnisse. 2 3 6 Dies ist umso bemerkenswerter, als die Vorlagefrage eine inhaltliche Klauselkontrolle eigentlich nicht erfordert hätte. 2 3 7 Mit der „Oceano"-Entscheidung hat der E u G H daher gleich zwei Gesichtspunkte außer Zweifel gestellt: erstens dass er von seiner Kompetenz zur autoritativen Letztkonkretisierung der Generalklausel von Art. 3 Abs. 1 der Klausel-Richtlinie

2 3 3 E u G H , verb. Rs. C-240/98 und C-244/98, Slg. 2000,1-4941 = EuZW 2000,506 - Oceano mit Anm. von A. Schwartze, JZ 2001,246ff.; hierzu A. Staudinger, D B 2000,2058ff.; W. Hakenburg, ZEuP 2001, 888 (900ff.); W. Hau, IPrax 2001, 96ff.; S. Leible, R I W 2001, 422ff.; Th. Pfeiffer, ZEuP 2003, 141 ff. 2 3 4 E u G H , verb. Rs. C-240/98 und C-244/98, Slg. 2000,1-4941 Tz. 25f. - Oceano. 2 3 5 E u G H , verb. Rs. C-240/98 und C-244/98, Slg. 2000,1-4941 Tz. 24 - Oceano. 2 3 6 So auch S. Leible, R I W 2001, 422 (435f.); Th. Möllers, J Z 2002,121 (125); in der Sache kritisch G. Borges, N J W 2001, 2061 (2062); 1. Wolff, Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, S.209f.; anders aber H.-W. Micklitz, in: N. Reich/H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, §13 13.22. unter Berufung auf die englische Fassung der streitigen Passage des Urteils. 2 3 7 Die Vorlagefrage lautete, ob ein nationales Gericht „von Amts wegen zu prüfen [hat], ob eine Klausel des ihm zur Prüfung vorgelegten Vertrages missbräuchlich ist, wenn es über die Zulässigkeit einer Klage vor den ordentlichen Gerichten zu entscheiden hat"; siehe E u G H , verb. Rs. C-240/98 und C-244/98, Slg. 2000,1-4941 Tz. 19 - Oceano. Gegenstand der Vorlagefrage war also nicht die Missbräuchlichkeit der streitigen Gerichtsstandsvereinbarung, sondern die sachlich davor liegende Frage, ob sich ein Verbraucher auf die Missbräuchlichkeit der Klausel berufen muss oder ob das angerufene Gericht die Missbräuchlichkeit von Amts wegen zu berücksichtigen hat. - Indem der E u G H in der Sache zur Missbräuchlichkeit der Gerichtsstandsvereinbarung Stellung nimmt, folgt er der von Generalanwalt A. Saggio vorgeschlagenen Vorgehensweise „in zwei Schritten" (Slg. 2000 1-4941 Tz. 16); kritisch W. Hakenburg, ZEuP 2001, 888 (901 f.); A. Schwartze, JZ 2001, 246 (248).

§ 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

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ausgeht und zweitens, dass er diese Befugnis auch in Anspruch nehmen will und wird. Gerade die Selbstverständlichkeit, mit der der EuGH die Konkretisierungsbefugnis für sich beansprucht, zeigt, dass er die Verteilung der Konkretisierungskompetenz nicht als grundsätzliches Problem der Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit und den nationalen Konkretisierungsakteuren sieht. Darin folgt der EuGH Generalanwalt A. Saggio, der in seinen Schlussanträgen ausgeführt hatte, dass „die Beantwortung der Frage, ob eine Klausel... ,missbräuchlich' ist, nicht mehr als eine Auslegung des Wortlauts der Richtlinie, insbesondere des Artikels 3 Absätze 1 und 2, erforderlich macht." 238 Dieser Rechtsauffassung hat sich der E u G H offenbar angeschlossen, indem er die Konkretisierung stillschweigend seiner Auslegungsbefugnis (Art. 234 Abs. 1 lit. b E G ) zugeschlagen und so dem Konkretisierungsproblem für das Gemeinschaftsrecht jede Singularität abgesprochen hat. Damit dürfte die gerade im deutschen Schrifttum intensiv geführte Diskussion um Für und Wider einer gemeinschaftlichen Konkretisierungskompetenz im Sinne einer grundsätzlichen Konkretisierungsbefugnis des EuGH entschieden sein. Abzuwarten bleibt, ob und ggf. in welchen Fällen der EuGH - in Anlehnung an seine Judikatur zur Auslegung bestimmterer Begriffe 239 - ausnahmsweise eine gemeinschaftliche Konkretisierung ablehnt und eine Verweisung auf das nationale Recht annimmt. 240 Umso entscheidenderes Gewicht kommt nun der Vorlagepraxis der nationalen Gerichte zu.241

3. B G H - V o r l a g e zur Klausel-Richtlinie In der Vergangenheit ist mehrfach auf die schlechte „Vorlagemoral" deutscher Zivilgerichte aufmerksam gemacht worden. 242 Vielfach sei die europäische Dimension geleugnet oder übergangen worden, um eine Vorlage an den EuGH zu

Slg. 2000 1-4941 Tz. 18 [Hervorhebung nicht im Original]. Siehe hierzu bereits vorstehend, §14 II. 2. a). 240 In der „Oceano"-Entscheidung (verb. Rs. C-240/98 und C-244/98, Slg. 2000 1-4941 Tz. 22ff.) hat der EuGH diese Frage noch nicht einmal aufgeworfen. - Restriktiver etwa die Entscheidung EuGH, Rs. C-245/00, J Z 2003, 676ff. mit krit. Anm. von A. Heinemann zum Begriff der „angemessenen Vergütung" aus Art. 8 Abs. 2 der RL 92/100/EWG zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums, ABl.EG Nr. L 246/61. 241 Die aktuelle Bedeutung der Vorlagepraxis und des Vorlageverfahrens spiegelt sich auch in der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit wider; diesem Thema widmete sich etwa ein Symposium zum 75jährigen Bestehen des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht (RabelsZ Heft 2/3, Band 66 [2002], u. a. mit Beiträgen von J. Basedow, W. Hakenburg, F. Ferrand, N. Trocker, B. Heß, N. Reich). 242 Siehe nur H. Hirte, Wege zu einem europäischen Zivilrecht, S. 41 ff. 238 239

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Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

vermeiden. 243 Gerügt wurde namentlich die Praxis des II. Zivilsenats des B G H , europarechtliche Fragen ohne Vorlage an den E u G H selber „durchzuentscheiden". 2 4 4 Auf dieser Linie liegt auch noch ein Urteil des B G H aus dem Jahr 1998 zu den Grenzen der Inhaltskontrolle gemäß §8 A G B G a.F. (§307 Abs. 3 B G B n.F.). 245 Der B G H lehnte eine Vorlage der Sparkassen-AGB, wonach für die Ausstellung eines Sparkassenbuches ohne Kraftloserklärung ein Entgelt zu entrichten ist, an den E u G H ab: „Die Beantwortung der Frage, ob die beanstandete Klausel einer Überprüfung am Maßstab der §§ 9-11 entzogen ist, ist Sache der deutschen Gerichte, über die der Europäische Gerichtshof nach Art. 177 E G V nicht zu entscheiden hat." 2 4 6 Diese Worte sind mit Recht auf deutliche Kritik gestoßen; 247 nach P. Ulmer mutet die Entscheidung „fast wie ein Rückfall in die EG-rechtliche Steinzeit an." 2 4 8 Eine ganz andere Sprache spricht der B G H allerdings in einem jüngeren Judikat vom 2.5.2002, das wohl als unmittelbare Reaktion auf die „Oceano"-Entscheidung zu verstehen ist. So selbstverständlich der E u G H in der „Oceano"Entscheidung von seiner Kompetenz zur Konkretisierung der Generalklausel von Art. 3 Abs. 1 Klausel-Richtlinie und damit zur abschließenden Klauselkontrolle ausgegangen ist, 249 so selbstverständlich hat der B G H dem E u G H nun erstmals eine Frage zur Klauselkontrolle vorgelegt, nämlich die Frage, ob die Allgemeine Geschäftsbedingung eines Bauträgers, nach der der Erwerbspreis unabhängig vom Baufortschritt fällig wird, wenn der Bauträger eine Bürgschaft nach §7 MaBV gestellt hat, den Erwerber unangemessen benachteiligt i.S. von § 9 A G B G a.F. 250 Damit hat der B G H die in der „Oceano"-Entscheidung vom E u G H erstmals in Anspruch genommene Konkretisierungskompetenz nicht nur anerkannt, sondern dem E u G H durch seine eigene Vorlage auch weitere Gelegenheit zur Konkretisierung der Klausel-Richtlinie gegeben. 251 So gesehen

2 4 3 Siehe die Rechtsprechungsbeispiele bei ]. Basedow, in: FS für H . E . Brandner, S. 651 (665ff.); W. Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S.99ff., 107ff. 244 B. Heß, ZZP 108 (1995), 59 (63); anschaulich B G H Z 110,47 (68ff.) zur Lehre von der verdeckten Sacheinlage, wo der B G H auf mehreren Seiten begründet, warum keine Vorlagepflicht bestehe. 2 4 5 Zu weiteren Entscheidungen, wo eine Vorlage im Hinblick auf Art. 4 Abs. 2 der KlauselRichtlinie ebenfalls vermieden wurde,/. Basedow, in: H. Schulte-Nölke/R. Schulze (Hrsg.), Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte, S. 277 (282ff.). 2 4 6 B G H , ZIP 1998, 1391 (1392); siehe hierzu die kritische Anm. von P. Ulmer, B B 1998, 1865f.; H.E. Brandner, M D R 1999, 6 (7f.); kritisch auch]. Basedow, in: H. Schulte-Nölke/R. Schulze (Hrsg.), Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte, S. 277 (286). 2 4 7 Kritisch auch H. Roth,]X 1999, 529 (537): „Übertreibungen". 248 P. Ulmer, B B 1998, 1865. 2 4 9 Siehe vorstehend, § 14 II. 2. b). 2 5 0 B G H , Vorlagebeschluss vom 2.5.2002 - VII Z R 178/01, N Z M 2002, 754; hierzu nun E u G H , Urt. v. 1.4.2004, Rs. C-237/02 - Freiburger Kommunalbauten. 251 Wer hingegen dem E u G H die Konkretisierungskompetenz abspricht (oben § 14 II. 1. b), steht auch solchen Vorlagen kritisch gegenüber; plastisch H. Roth,]2.1999,529 (536), der Vorla-

5 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen Konkretisierungsdialog

381

hat der E u G H gut daran getan, frühzeitig nach Ablauf der Umsetzungsfrist seinen Konkretisierungswillen und seine Konkretisierungsbereitschaft mit deutlichen Signalen zu dokumentieren. N u n bleibt abzuwarten, ob sich diese grundsätzliche Anerkennung der Konkretisierungskompetenz des E u G H auch in anderen Zusammenhängen und anderen Senaten durchsetzen wird.

III. Sachgesichtspunkte eines sinnvollen Konkretisierungsdialogs Ist nach dem Vorstehenden grundsätzlich geklärt, dass dem E u G H die Befugnis zur autoritativen Letztkonkretisierung ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe und Generalklauseln in gemeinschaftlichen Sekundärrechtsakten zukommt, 2 5 2 gilt es nun, den Blick auf die praktische Verwirklichung dieses Konkretisierungsmandats innerhalb der institutionellen Aufgabenverteilung zwischen dem E u G H und den nationalen Gerichten zu lenken. Konkretisierung ist bereits an anderer Stelle charakterisiert worden als Prozess, der nicht uno actu und uno auctoritate geschieht, sondern sich schrittweise und unter Mitwirkung verschiedener Akteure vollzieht. 253 Diese beiden Charakteristika zeigen sich gerade im europäischen Problemkontext. Institutionelles Forum des für das Gelingen des Konkretisierungsprozesses erforderlichen Konkretisierungsdialogs zwischen dem E u G H und den nationalen Gerichten ist vor allem das Vorabentscheidungsverfahren 254 nach Art. 234 Abs. 1 lit. b EG. 255 Im Folgenden werden zunächst die institutionellen Vorgaben des Vorabentscheidungsverfahrens für den Konkretisierungsdialog dargestellt (unten 1.), um sodann Sachgesichtspunkte für eine sinnvolle Aufgabenverteilung herauszuarbeiten (unten 2.).

gen an den E u G H zur Entscheidung, ob eine Klausel entgegen dem Gebot von Treu und Glauben ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten verursacht, für „zweckwidrig" hält. 252 Siehe vorstehend, § 14 II. 253 Zu Konkretisierung als Prozess bereits oben, §6 I.; zu den Konkretisierungsakteuren auf gemeinschaftlicher Ebene oben, § 13. 254 Zu Konkretisierung als Teil der dem E u G H mit dem Vorabentscheidungsverfahrenen zugewiesenen Auslegungsbefugnis bereits oben, § 13 I. 2. e) aa). 255 Zum Vorabentscheidungsverfahren als „Dialog" zwischen dem E u G H und den nationalen Gerichten etwa J. Basedow, AcP 2000,455 (464f.); P. Hommelhoff, in: R. Schulze (Hrsg.), Auslegung europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts, S. 29 (42ff.); C. Iliopoulos, in: M. Paschke/C. Iliolpoulos (Hrsg.), Europäisches Privatrecht, S.77 (89f.); I. Pernice, EuR 1996, 28 (29, 33ff.); M. Schwab, ZGR 2000, 446ff.;J. Schwarze, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 234 EGV Rdnr.3; B. Wegener, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 220 EGV Rdnr.28; nachdrücklich M. Zuleeg, JZ 1994, 1 (8).

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Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

1. I n s t i t u t i o n e l l e V o r g a b e n : D a s V o r a b e n t s c h e i d u n g s v e r f a h r e n Im Vorabentscheidungsverfahren entscheidet der E u G H nicht als übergeordnete Instanz, sondern in „arbeitsteiligem Zusammenwirken" 2 5 6 oder moderner ausgedrückt in einem „Kooperationsverhältnis" 2 5 7 mit dem Vorlagegericht. 2 5 8 Dass hinter solchen Formeln häufig tiefer gehende K o m p e t e n z k o n f l i k t e stehen, lässt sich an der Auseinandersetzung um das „Kooperationsverhältnis" v o n B V e r f G und E u G H ablesen. 259 Nicht selten w i r d die Formel v o m „Kooperationsverhältnis" gerade v o n der Seite beschworen, die in besonderer Weise auf das Entgegenkommen der anderen Seite angewiesen ist. 260 Dies gilt gerade f ü r das Vorabentscheidungsverfahren. Bei näherer Betrachtung verbirgt sich hinter dem Kooperationsverhältnis ein Abhängigkeitsverhältnis 2 6 1 : Die Zusammenarbeit zwischen E u G H und nationalen Gerichten bedeutet v o r allem, dass der E u G H auf die „Zuarbeit" der nationalen Gerichte angewiesen ist: 262 Er kann nur vorabentscheiden, was ihm zur Vorabentscheidung vorgelegt wird. 2 6 3 Da256 Siehe nur EuGH, Rs. 244/80, Slg. 1981, 3054 Tz. 14 - Foglia/Novello; Rs. C-167/01 Tz. 40ff. - Inspire Art; vgl. auch K.D. Borchardt, in: C.O. Lenz, Art. 234 EG Rdnr.3: „Verfahren unmittelbarer gerichtlicher Zusammenarbeit"; R. Geiger, Art. 234 EG Rdnr. 1: „Zusammenarbeit des EuGH mit den mitgliedstaatlichen Gerichten"; P. Pescatore, BayVBl. 1987,33 (35f.): „Dialog im Geiste der Zusammenarbeit";J. Schwarze, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 234 EGV Rdnr.3: „richterliche Zusammenarbeit"; M. Zuleeg, JZ 1994, 1 (3): „Verfahren der Zusammenarbeit". 257 Hierzu insbesondere /. Basedow, in: H. Schulte-Nölke/R. Schulze (Hrsg.), Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte, S.277ff.; U. Everling, in: Zölle, Verbrauchssteuern und europäisches Marktöffnungsrecht, S.51 (54ff.); M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.269f.; H. Gernsdorf, DVB1.1994,674 (681); B. Heß, ZZP 108 (1995), 59 (66ff.); G. Hirsch, NVwZ 1998, 907 (910); H. Hirte, Wege zu einem europäischen Zivilrecht, S.58; G. Rodríguez Iglesias, NJW 2000,1889 (1890f.); /. Pernice, EuR 1996,31 (33ff.): „System kooperativer Rechtsentwicklung". - Zu weiteren Formen der Kooperation zwischen Gemeinschaften und Mitgliedstaaten R. Streinz, WiVerw 1996, 129 (142ff.). 258 Genauso beruft sich der EuGH in seiner Entscheidung zum Individualrechtsschutz gegen EG-Verordnungen - Rs. C-50/00, JZ 2002,938 Tz. 42, Unión de Pequeños Agricultores/Rat der EU - ganz generell auf den aus Art. 5 EGV abgeleiteten Grundsatz der „loyalen Zusammenarbeit" zwischen den nationalen Gerichten und der Gemeinschaft. 259 Hierzu BVerfGE 89, 155 (175) - Maastricht; Th. Oppermann, DVBl.1994, 901 (906f.); E. Sarcevic, DÖV 2000, 941 ff.;J. Schwarze, in: FS 50 Jahre BVerfG I, S.223ff.; M. Zuleeg, JZ 1994, 1 (3 ff.); zur „Kooperation" der Gerichte in der zukünftigen Grundrechtsarchitektur /. Limbach, EuGRZ 2000, 417ff. 260 Zur Ambivalenz solcher „Kooperationsverhältnisse" E. Sarcevic, DÖV 2000, 941 (942); siehe auch B. Heß, ZZP 108 (1995), 59 (66 Fn.44); A. Middeke, in: H.-W. Rengeling/A. Middekke/M. Gellermann (Hrsg.), Rechtsschutz in der Europäischen Union, § 10 Rdnr. 12; I. Pernice, EuR 1996,27(35). 261 Th. Oppermann, DVB1.1994, 901 (906) spricht von „justiziellen Obliegenheiten". 262 Formulierung von B. Heß, ZZP 108 (1995), 59 (66). 263 Im Übrigen ist der EuGH auf eine urteilsgetreue Anwendung und Umsetzung durch die mitgliedstaatlichen Gerichte angewiesen, da er weder den Ausgangsrechtsstreit entscheiden darf noch sonst unmittelbaren Einfluss auf die Umsetzung der Vorabentscheidung in den Mitgliedstaaten nehmen kann; zu dieser Aufgabentrennung zwischen EuGH und mitgliedstaatlichen Ge-

§ 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

383

mit bilden Umfang und Akzeptanz der Vorlagepflicht (Art. 234 Abs. 3 E G ) das eigentliche Nadelöhr für die Wirksamkeit des Vorabentscheidungsverfahrens.

a) Reichweite der Vorlagepflicht im

Konkretisiemngsprozess

Gemäß Art. 234 Abs. 3 E G vorlagepflichtig ist jedes im konkreten Streitfall letztinstanzlich entscheidende Gericht, 264 es sei denn - so die vom E u G H in der C.I.L.F.I.T.-Entscheidung 2 6 5 formulierten Beschränkungen der Vorlagepflicht - dass die gestellte Frage bereits in einem gleichgelagerten Fall Gegenstand einer Vorabentscheidung gewesen ist, dass zur Vorlagefrage eine gesicherte Rechtsprechung des E u G H vorliegt oder dass „die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig [ist], dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt" 266 und nicht mit einer abweichenden Entscheidung durch die Gerichte anderer Mitgliedstaaten oder dem E u G H zu rechnen ist. 267 Diese Judikaturlinie hat inzwischen ihren Niederschlag in Art. 104 §3 der durch den Vertrag von Nizza novellierten EuGH-VerfO 2 6 8 gefunden und ist auch im Schrifttum weit gehend rezipiert

richten siehe nur K.D. Borchardt, in: C . O . Lenz, Art.234 E G Rdnr. 3; M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 269f.; G. Rodriguez Iglesias, N J W 2000, 1889 (1891 f.). 264 Entscheidend ist nach inzwischen überwiegender Auffassung eine konkrete Betrachtungsweise; vorlagepflichtig sind diejenigen Spruchkörper, die den Instanzenzug im konkreten Streitfall abschließen; siehe nur A Glaesner, EuR 1990, 143ff.;/. Schwarze, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 234 E G V Rdnr. 41; B. Heß, ZZP 108 (1995), 59 (78f.); R. Streinz, EuropaR, Rdnr. 562; B. Wegener, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 234 E G V Rdnr. 19; inzwischen auch Th. Oppermann, EuropaR, Rdnr. 761; für eine abstrakte Betrachtungsweise aber A Bleckmann, EuropaR, Rdnr. 921; M. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EG-Vertrag, S. 109ff. Auch der E u G H scheint der favorisierten konkreten Betrachtung zuzuneigen; vgl. E u G H , Rs. 6/64, Slg. 1964,1254 (1268) - Costa/E.N.E.L; Rs. 238/81, Slg. 1982, 3415 Tz. 8 - C.I.L.F.I.T. 265 E u G H , Rs. 283/31, Slg. 1982, 3415 - C.I.L.F.I.T. 266 E u G H , Rs. 283/31, Slg. 1982, 3415 Tz. 21 - C.I.L.F.I.T. 267 E u G H , Rs. 283/31, Slg. 1982,3415 Tz. 1 6 - C . I . L . F . I . T . : „Das innerstaatliche Gericht darf jedoch nur dann davon ausgehen, dass ein solcher Fall vorliegt, wenn es überzeugt ist, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Gerichtshof die gleiche Gewissheit bestünde." - Die „Eindeutigkeit" einer Gemeinschaftsnorm muss sich also nicht nur aus der Perspektive des nationalen Gerichts, sondern aus dem gemeinschaftsrechtlichen Kontext ergeben. Darin liegt der entscheidende Unterschied zur acte clair-Doktrin; B. Heß, ZZP 108 (1995), 59 (80f.) spricht daher von einer „eingeschränkten acte clair-Doktrin"; siehe auch R Pescatore, BayVBl. 1987, 33 (39). 268 Kodifizierte Fassung veröffentlicht in AB1.EG 2001 C 34/1. Gemäß Art. 104 §3 E u G H VerfO hat der E u G H in diesen Fällen die Möglichkeit, nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss zu entscheiden, und zwar regelmäßig ohne Beteiligung eines Generalanwalts (Art. 20 Abs. 5 Satzung-EuGH i.d.F. des Vertrags von Nizza); zu diesen Neuerungen B. Heß, RabelsZ 66 (2002), 470 (493). - Im Jahr 2000 sind fünf Beschlüsse auf der Grundlage des Art. 104 § 3 VerfO ergangen; hierzu W. Hakenburg, ZEuP 2002, 754 (760) m.w.N.; im Jahr 2001 waren es bereits

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Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

worden. 269 Gleichwohl hat das viel beschworene „Kooperationsverhältnis" zwischen dem E u G H und den nationalen Gerichten in der Praxis noch mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen, wie sich sowohl an der zurückhaltenden Vorlagepraxis gerade deutscher Zivilgerichte 270 als auch an der grobmaschigen verfassungsgerichtlichen Kontrolle 271 der Einhaltung der Vorlagepflicht ablesen lässt. 272 Nimmt man die Vorlagepflicht in ihrer Ausgestaltung durch den EG-Vertrag und die Rechtsprechung des E u G H ernst, so kann ihre Bedeutung für die Konkretisierung gemeinschaftsrechtlicher Sekundärrechtsakte gar nicht überschätzt werden. Solange noch keine einschlägigen Konkretisierungsentscheidungen des E u G H vorliegen, also vor allem zu Beginn des Konkretisierungsprozesses, dürfte wohl kaum eine Konkretisierungsfrage derart „offenkundig" sein i.S. der C.I.L.F.I.T.-Grundsätze, dass ein letztinstanzliches Gericht ausnahmsweise nicht vorlagepflichtig wäre. Würde die Vorlagepflicht hier streng befolgt, so wäre tatsächlich zu befürchten, dass der E u G H in der Flut der Vorlagen eines Tages buchstäblich ertrinkt. 273 Besonders plastisch wird dies bei der Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Nachdem der

mehr als 10 Beschlüsse, siehe den Tätigkeitsbericht des Gerichtshofs für das 2001, sub. A. 4. (einzusehen unter www.curia.eu.int). 2 6 9 Siehe etwa A. Bleckmann, EuropaR, Rdnrn. 926ff.; M. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EG-Vertrag, S. 115ff.; M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.278ff., 289;/. Schwarze, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 234 E G V Rdnr.46; R. Streinz, EuropaR, Rdnr.564. 2 7 0 Siehe nur/. Basedow, in: FS für H . E . Brandner, S.651 (665ff.); M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 281 ff.; H. Hirte, Wege zu einem europäischen Zivilrecht, S. 41 ff.; zur Vorlagepraxis deutscher Gerichte auch schon im Zusammenhang mit dem Einwand von M. Franzen, der E u G H könne die geforderte Konkretisierung schon aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht leisten, oben, § 14 II. 1. b) cc). 2 7 1 Das BVerfG hat die EuGH-Rechtsprechung zur Vorlagepflicht zwar akzeptiert (BVerfGE 82,159 [193]), doch nimmt es einen Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S.2 G G ) erst dann an, wenn „mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Rechtsfrage des Gemeinschaftsrechts der vom Gericht vertreteten Meinung eindeutig vorzuziehen sind"; BVerfGE 82, 159 (194f.). - Diese Maßstäbe sind erheblich großzügiger als die C.I.L.F.I.T.-Grundsätze; hierzu im Einzelnen M. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EG-Vertrag, S. 121 ff.; M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Union, S.281; B. Heß, ZZP 108 (1995), 59 (82f.); G. Meier, EuZW 1991,11 (13); K. Schmidt, in: FS für G. Lüke, S. 721 (737f.) und insbes. U. Wölker, E u G R Z 1988, 97 (99). - Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S.2 G G wurde aber etwa bejaht von BVerfG, EuZW 2001, 255f = J Z 2001, 923 (924) m. Anm. A. Voßkuhle. 2 7 2 Siehe aber zu dem „Gegentrend" durch die MaBV-Vorlage des B G H oben, § 14 II. 3. 2 7 3 So die Prognose von V7 Lipp, N J W 2001,2657 (2658); genauso die Befürchtung von W. Hakenburg, ZEuP 2001, 888 (902), der E u G H werde „mit einer Welle von Verfahren überschwemmt"; vgl. auch G. Borges, Die Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen, S. 81; K. Tonner, J Z 1996, 533 (539): „Wird von diesem Instrument [der Vorlage an den E u G H ] in dem erforderlichen großen Umfang Gebrauch gemacht, ist sicher ein Ausbau der europäischen Gerichtsbarkeit von Nöten."

§ 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

385

E u G H in der „Oceano"-Entscheidung 274 außer Zweifel gestellt hat, dass er für sich die Befugnis zur Letztkonkretisierung der inhaltlichen Vorgaben der Missbräuchlichkeitskontrolle i.S. von Art. 3 Abs.l der Klausel-Richtlinie in Anspruch nimmt, müssten die letztinstanzlich entscheidenden Gerichte konsequenterweise jede Allgemeine Geschäftsbedingung, die gegenüber einem Verbraucher verwendet und die gemessen an §307 A b s . l und 2 B G B n.E (§9 A G B G a.F.) für wirksam erachtet wird, dem E u G H vorlegen, wenn nicht auszuschließen ist, dass der E u G H im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 der Klausel-Richtlinie zu einem verbraucherfreundlicheren Ergebnis, also zur Unwirksamkeit der streitigen Klausel, gelangen könnte. 275 Entbehrlich wäre eine Vorlage i.S. der C.I.L.F.I.T.-Grundsätze nur dann, wenn der E u G H bereits über den streitigen Klausel-Typ entschieden hätte. Bis zum Vorliegen hinreichender EuGH-Judikatur, so etwa P. Ulmer, dürfte „an einer Vorlage nach Luxemburg nur schwer ein Weg vorbeiführen." 276

b) Beschränkung der

Vorlagepflicht?

Schon bevor die Klausel-Richtlinie die Reichweite der Vorlagepflicht bei konkretisierungsbedürftigem Sekundärrecht offenbar gemacht hat, ist immer wieder angeregt worden, die Vorlagepflicht über die C.I.L.F.I.T.-Grundsätze hinaus zu begrenzen, da ansonsten praktisch jeder Rechtsfall mit Gemeinschaftsbezug vorlagepflichtige Fragen aufwerfe. 277 Dies überlaste den EuGH 2 7 8 und berge außerdem die Gefahr, dass der E u G H zur „privatrechtlichen Superrevisionsinstanz" werde. 279 Es ist daher vorgeschlagen worden, die Vorlagepflicht auf „grundsätzliche" Rechtsfragen 280 sowie auf Fälle zu beschränken, in denen ein letztinstanzliches Gericht von der Entscheidung eines obersten Gerichts eines anderen Mitgliedstaates abweichen möchte (Divergenzvorlage). 281 Von H. HirHierzu bereits oben, § 14 II. 2. b). Vgl. H.E. Brandner, in: R. Schulze (Hrsg.), Auslegung europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts, S. 131 (136). - Hingegen bedarf es keiner Vorlage an den EuGH, wenn die Klausel schon nach nationalen Maßstäben unwirksam ist. Dies ergibt sich aus der Offnungsklausel von Art. 8 der Klausel-Richtlinie; siehe W. Nassall, WM 1994, 1645 (1648, 1652f.); weiter gehend ]. Basedow, in: FS für H.E. Brandner, S. 651 (679), da auch die Tragweite von Offnungsklauseln nur vom EuGH festgestellt werden könne. 276 P. Ulmer, in: P. Ulmer/H. E. Brandner/H.-D. Hensen, AGB-Gesetz, Einl. Rdnr.78. 277 Plastisch H. Hirte, Wege zu einem europäischen Zivilrecht, S. 49: „Nimmt man dies [die C.I.L.F.I.T.-Grundsätze] wörtlich, „lässt sich kaum eine Frage des Gemeinschaftsrechts vorstellen, in der die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs ... nicht begründet wäre." 278 B. Heß, ZZP 108 (1995), 59 (84); V. Lipp, NJW 2001, 2657 (2662). 279 C.-W. Canaris, EuZW 1994, 417. 280 B. Heß, ZZP 108 (1995), 59 (84ff.); ders., RabelsZ 66 (2002), 470 (494ff.); genauso V. Lipp, NJW 2001, 2657 (2662f.). 281 C.-W. Canaris, EuZW 1994, 417; V. Lipp, N J W 2001, 2657 (2662); kritisch zu dieser Beschränkung/. Basedow, in: FS für H.E. Brandner, S.651 (664f.); ders., EuZW 1996,97ff.;/. Schulze-Osterloh, ZGR 1995, 170 (174f.). 274 275

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Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

te wurde angeregt, der E u G H möge die C.I.L.F.I.T.-Grundsätze dahin gehend erweitern, dass keine Pflicht zur Vorlage bestehe, wenn ein oberstes nationales Gericht mit den nationalen Gerichten der anderen Mitgliedstaaten ein eindeutiges, allseits konsentiertes Konkretisierungsergebnis abgestimmt habe. 282 Diese Überlegungen zur Beschränkung der Vorlagepflicht haben mit Blick auf die Arbeitsbelastung und Funktionsfähigkeit der europäischen Gerichtsbarkeit sicherlich ihre Berechtigung. 283 Dass die Vorlagepflicht in der Praxis zum Teil bewusst missachtet wird, ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Organisation der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit derzeit kaum noch mit dem Integrationsprozess Schritt halten kann. Würde die Vorlagepflicht in vollem Umfang verwirklicht, wäre der E u G H vielleicht tatsächlich längst arbeitsunfähig. 284 Hinter den meisten der vermiedenen oder bewusst unterlassenen Vorlagen steht aber wohl vor allem die Sorge vor dem eigenen Funktionsverlust: Mit jeder vermiedenen Vorlage wird auch ein „Hineinregieren" des E u G H und damit ein Schritt europäischer Rechtsangleichung vermieden. 285 Eigentlich geht es also um die Entscheidungskompetenz des E u G H , dessen Jurisdiktionsgewalt im Vorabentscheidungsverfahren unmittelbar von der Ausgestaltung und Umsetzung der Vorlagepflicht abhängig ist. 286 2 8 2 So die Überlegungen von H. Hirte, Wege zu einem europäischen Zivilrecht, S. 58f. - Dadurch würde zwar die vielfach gewünschte Entscheidung durch die Fachrichter - hier des Zivilrechts - gefördert; ob ein solches informelles Abstimmungsverfahren aber tatsächlich schneller zu Ergebnissen gelangt als eine Vorabentscheidung des E u G H , erscheint zweifelhaft. Auch müsste über die Organisation und Verbindlichkeit einer solchen „Abstimmung" nachgedacht werden. 2 8 3 In ihrem Abschlussbericht vom 19.1.2000 über die „Zukunft des Gerichtssystems der Europäischen Gemeinschaften" (abgedruckt als Sonderbeilage zu N J W und EuZW 2000; derzeit einsehbar unter www.curia.eu.int/de/pres/persp.htm) konstatiert die Reflexionsgruppe bestehend aus Ole Due, Yves Galmot, José Luis da Cruz Vilaga, Ulrich Everling, Aurelio Pappalardo, Rosario Silva de Lapuerta und LordSlynn ofHadley eine Steigerung jährlich anhängig gemachter Rechtssachen zwischen 1990 und 1998 um 159%, nämlich von 279 Rechtssachen auf 723 Rechtssachen; siehe auch H. Rösler, ZRP 2000,52ff.; G. Hirsch, ZRP 2000,57 (58). Dieser Trend hat sich allerdings in der Folgezeit etwas abgeschwächt: Im Jahr 2001 sind „nur" noch 504 Rechtssachen neu anhängig gemacht worden, davon 237 Vorabentscheidungsverfahren, und 943 Rechtssachen waren insgesamt anhängig; siehe den Tätigkeitsbericht des Gerichtshofs für das Jahr 2001, Ubersichten 8 und 9 (einzusehen unter www.curia.eu.int). - Mit demselben Argument wird auch der Entscheidung des E u G H , Rs. C-50/00 - Unión de Pequeños Agricultores/Rat der E U - gegen eine Ausweitung des Individualrechtsschutzes gegen EG-Verordnungen zugestimmt; so etwa M. Nettesheim, J Z 2002,929 (932). Näher zu den gegenwärtigen Reformbestrebungen A. Middeke, in: H.-W. Rengeling/A. Middecke/M. Gellermann (Hrsg.), Rechtsschutz in der Europäischen Union, § 10 Rdnrn. 97ff. 2 8 4 So die Prognose von V. Lipp, N J W 2001, 2657 (2662). - Andererseits hätte ein solcher „Kollaps" aber auch den Vorteil, dass die Notwendigkeit von Verfahrens- und organisationsrechtlichen Reformen augenfälliger würde. 2 8 5 Zur Vermeidung von Vorlagen und ihren Gründen ]. Basedow, in: H. Schulte-Nölke/ R. Schulze (Hrsg.), Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte, S.277 (287ff.); ders., in: FS für H . E . Brandner, S.651 (665ff., 671ff.). 2 8 6 In diese Richtung wohl auch M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische

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im supranationalen

Konkretisierungsdialog

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Diese Tendenz ist kritisch zu beurteilen. Zunächst dürfte eindeutig sein, dass politische Vorbehalte gegen den Integrationsprozess nicht zur Rechtfertigung einer restriktiven Vorlagepraxis taugen. Wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber in zulässiger Kompetenzwahrnehmung dem E u G H durch rechtmäßige Sekundärrechtsakte die Befugnis zur Letztkonkretisierung zuweist, dann muss der E u G H auch Gelegenheit bekommen, diese Befugnis wahrzunehmen. Solange Art. 234 E G den Höchstgerichten bei Zweifeln an der Auslegung sekundären Gemeinschaftsrechts eine prinzipiell unbeschränkte Vorlagepflicht auferlegt, 2 8 7 setzen sich die Mitgliedstaaten mit jeder bewusst vermiedenen Vorlage dem Vorwurf der Vertragsverletzung aus. 2 8 8 Im Übrigen stehen den diskutierten B e schränkungen der Vorlagepflicht auf Grundsatz- und Divergenzvorlagen - jedenfalls soweit es um die Konkretisierung ausfüllungsbedürftigen Sekundärrechts geht - auch praktische Erwägungen entgegen: Gerade zu Beginn des Konkretisierungsprozesses dürfte es kaum möglich sein, trennscharf zwischen „grundsätzlichen", also vorlagepflichtigen, und „nicht grundsätzlichen" Fragen zu unterscheiden, 2 8 9 zumal die „Grundsätzlichkeit" nicht nur mit Blick auf die eigene Rechtsordnung, sondern auch in bezug auf die Rechtslage in den anderen Mitgliedstaaten beurteilt werden soll. 2 9 0 Dasselbe Problem stellt sich bei der B e schränkung der Vorlagepflicht auf Divergenzfälle, weil sie darauf hinausläuft, dass die nationalen Gerichte, wenn sie trotz Konkretisierungsunsicherheiten von einer Vorlage an den E u G H absehen wollen, sich fortlaufend der Rechtsprechung in den anderen Mitgliedstaaten vergewissern müssten - hierzu dürfte es derzeit nicht nur den deutschen Gerichten an den erforderlichen Ressourcen fehlen. 2 9 1

Gemeinschaft, S. 289f. mit der Forderung nach einem „materiell-rechtlichen Ansatz" für Abstufungen der Jurisdiktionsgewalt. 2 8 7 Dementsprechend drängt auch die Reflexionsgruppe „Zukunft des Gerichtssystems der E G " in ihrem Abschlussbericht (oben Fn. 283) darauf, die Vorlagepflicht rechtsförmlich durch Neufassung des Art. 234 E G zu beschränken (siehe Abschlussbericht, sub. II.A. 2., abgedruckt als Sonderbeilage zu N J W und EuZW 2000, S. 7ff.). 288 Allerdings hat die Kommission in der Vergangenheit aus Zweckmäßigkeitserwägungen von der Erhebung einer Vertragsverletzungsklage abgesehen; siehe M. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EG-Vertrag, S. 119ff.; A. Voßkuhle, J Z 2001,924 (925); B. Wegener, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art.234 E G V Rdnr.26 m.w.N. Gleichwohl verweist die Reflexionsgruppe „Zukunft des Gerichtssystems der E G " (hierzu bereits oben Fn. 283) in ihrem Abschlussbericht, abgedruckt als Sonderbeilage zu N J W und EuZW 2000, S. 7, auf das Vertragsverletzungsverfahren als Sanktion bei Nichtbeachtung der Vorlagepflicht. 2 8 9 So insbes. M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 286ff.;/. Basedow, in: FS für H.E. Brandner, S. 651 (678f.); dies räumt auch B. Heß, RabelsZ 66 (2002), 470 (496) ein. 2 9 0 So B. Heß, RabelsZ 66 (2002), 470 (495). - Andererseits soll eine Frage von „grundsätzlicher Bedeutung" immer dann vorliegen, wenn die Auslegung des Gemeinschaftsrechts „umfangreiche Rechtsvergleichung erfordert", siehe B. Heß, ZZP 108 (1995), 59 (85). 291 J. Basedow, in: FS für H.E. Brandner, S.651 (678): Einschränkung „nicht praktikabel".

388 c) Kooperation

Normkonkretisierung

im

im europäischen

Privatrecht

Konkretisiemngsprozess

Das Engagement, mit dem nach Möglichkeiten gesucht wird, die Vorlagepflicht zu beschränken, sowie die restriktive Vorlagepraxis bezeugen die lebhaften Vorbehalte gegenüber dem Vorabentscheidungsverfahren. Diese Vorbehalte bedeuten eine erhebliche Hypothek für die auf Kommunikation und Kooperation angewiesene gemeinschaftliche Zivilrechtsordnung im Werden. Schwerer dürfte aber wiegen, dass auch die im Vorlageverfahren liegenden Chancen für die Gestaltung der europäischen Privatrechtsordnung und die weitere Steuerung des Integrationsprozesses vergeben werden: 292 Vielfach liegt die richtige Reaktion nicht in der Verleugnung der Vorlagepflicht, sondern - so mit Recht J. Basedow - in der bewussten Handhabung dieses Instruments. 293 Gerade bei der Konkretisierung ausfüllungsbedürftiger Sekundärrechtsakte sind nationale und gemeinschaftliche Richter und Gerichte auf gegenseitige Rücksicht und wechselseitiges Entgegenkommen angewiesen.294 Sowohl von Seiten der nationalen Gerichte als auch von Seiten des EuGH bedarf es eines „ausgewogenen Umgangs" mit den Aufgaben und Chancen des VorabentscheidungsVerfahrens.295 Offenkundig ist die Angewiesenheit des EuGH auf die „Zuarbeit"296 oder den „input"297 der nationalen Gerichte: Ohne entsprechende Vorlagen kann der EuGH seiner Konkretisierungsaufgabe nicht gerecht werden. 298 Es ist also aus Sicht der nationalen Gerichte zu überlegen, wie sich der

Diese Einsicht dürfte auch der Überlegung zugrunde liegen, eine Vorlagepflicht dann zu bejahen, wenn eine Rechtsfrage umfangreiche Rechtsvergleichung erfordert; so B. Heß, ZZP 108 (1995), 59 (85); für die Einrichtung einer Datenbank zum Gemeinschaftsprivatrecht, in der die Entscheidungen der nationalen Höchstgerichte gesammelt wären, etwa I. Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts, S. 30; nachdrücklich für eine „Verbesserung der Kommunikation" der mitgliedstaatlichen Gerichte H. Hirte, Wege zu einem europäischen Privatrecht, S. 51 ff. Zur Datenbank über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (CLAB Europa, einzusehen unter europa.eu.int/clab/index.htm) H.-W. Micklitz/M. Radeiheh, ZEuP 2003, 85ff. sowie H.-W. Micklitz, in: N. Reich/H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, § 13 VI. 292 So vor allem das Petitum von ]. Basedow, in: FS für H.E. Brandner, S. 651 (677ff.); siehe auch dens., in: H. Schulte-Nölke/R. Schulze (Hrsg.), Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte, S.277 (288f.); hierzu noch eingehend unten, § 14 III. 2. 293 J. Basedow, in: FS für H.E. Brandner, S.651 (676). 294 Hierzu auch schon oben, § 14 II. 1. a). 295 So auch die Ermahnung des derzeitigen Präsidenten des EuGH G. Rodriguez Iglesias, NJW 2000, 1889 (1896): Anstelle eines normativen Ansatzes zur Beschränkung des Vorlagerechts bedürfe es einer „Rechtskultur", die „einen ausgewogenen Umgang mit dem Vorabentscheidungsverfahren mit sich bringt, und zwar sowohl seitens der nationalen Richter als auch seitens des EuGH." Ebenfalls gegen normative Beschränkungen der Vorlagepflicht Schlussanträge von G.Jacobs, Rs.C-338/95, Slg. 1997I-6497Tz. 18-S.I.Wiener: „Meines Erachtens ist nur eine Lösung angebracht, bei der sich die nationalen Gerichte und der Gerichtshof in höherem Maße zurückhalten." 296 Formulierung von B. Heß, ZZP 108 (1995), 59 (66). 297 Formulierung von N. Reich, RabelsZ 66 (2002), 531 (550). 298 Die in der „Oceano"-Entscheidung (oben §14 II. 2. b) judizierte Konkretisierung der

§ 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

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gemeinschaftliche Konkretisierungsprozess durch sinnvolle Vorlagen so steuern lässt, dass eine pragmatische und ertragreiche Verteilung der Konkretisierungsarbeit möglich wird (hierzu nachfolgend). 299 Umgekehrt sind die nationalen Gerichte darauf angewiesen, dass der EuGH seinerseits mit seinen Aufgaben und Kompetenzen „Maß hält", insbesondere indem er die in Art. 234 Abs. 1 lit. b E G angelegte Aufgabenverteilung respektiert und weder nationales Recht anwendet noch den hinter der Vorlagefrage stehenden Einzelfall „durchentscheidet" (unten 3.).

2. Gestaltung des Konkretisierungsdialogs durch die Vorlagepraxis der nationalen Gerichte Eine sinnvolle Gestaltung des Konkretisierungsdialogs hängt vor allem davon ab, welche Art von Fragen dem E u G H vorgelegt werden (unten a). Daneben sind weitere Umstände von Bedeutung für Nutzen und Nachteil konkretisierender Vorabentscheidungen. Insbesondere ist zu überlegen, wie die Vorlage abgefasst (unten b) und in welchem Verfahrensstadium vorgelegt werden sollte (unten c). a) Auswahl sinnvoller

Vorlagen

Auch wenn außer Streit steht, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber dem E u G H durch ausfüllungsbedürftige Sekundärrechtsakte - etwa mit der Klausel-Richtlinie - weit reichende Konkretisierungsbefugnisse übertragen hat, ist es sinnvoll und geboten, über eine pragmatische Begrenzung und Steuerung des Konkretisierungsprozesses nachzudenken. Würden nationale Gerichte in den nächsten Jahren jede Frage der Treuwidrigkeit vorformulierter Vertragsbedingungen in Luxemburg vorlegen, stünde die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit - auch im Hinblick auf die übrigen Rechtsprechungsaufgaben bald auf dem Prüfstand. 300 Das Ziel muss daher ein „ausgewogener Umgang" Klausel-Richtlinie im Rahmen eines obiter dictums kann nur ein Notbehelf sein und sollte die Ausnahme bleiben; kritisch etwa W. Hakenburg, ZEuP 2001, 888 (901). 2 9 9 Zum Folgenden insbes./. Basedow, in: FS für H.E. Brandner, S.651 (677ff.) sowie P. Ulmer, in: P. Ulmer/E. Brandner/H.-D. Hensen, AGB-Gesetz, Einl. Rdnr. 79a; andeutungsweise auch schon ders., BB 1998, 1865 (1866); in dieselbe Richtung tendierend G. Borges, Die Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen, S.81ff.; W. Hakenburg, RabelsZ 66 (2002), 368 (373ff.); ähnlich die Forderung von Staudinger/P. Schlosser (13. Bearb. 1998), Einl zum A G B G Rdnr. 33, die Gerichte sollten „alle Möglichkeiten der juristischen Kunstfertigkeit [ausgeschöpfen], solche Vorlagen zu vermeiden, die für die einheitliche Auslegung und Anwendung des Europarechts nichts bringen." 3 0 0 Siehe nur die Bedenken von tf Lipp, N J W 2001,2657 (2662); genauso Staudinger/P Schlosser (13. Bearb. 1998), Einl zum A G B G Rdnr. 33.

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Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

mit dem Vorabentscheidungsverfahren sein.301 Es ist i.S. einer praxistauglichen Lösung zu überlegen, inwieweit der Konkretisierungsprozess durch sinnvolle Vorlagen so gesteuert werden kann, dass sowohl der EuGH als auch die nationalen Gerichte ihre Aufgaben und Rollen bei der Konkretisierung, Umsetzung und Anwendung ausfüllungsbedürftiger Sekundärrechtsakte so wirkungsvoll als möglich erfüllen können. 302 Mit Blick auf die Aufgaben und Befugnisse des E u G H im Konkretisierungsprozess sind solche Vorlagen sinnvoll, die es dem EuGH ermöglichen, zur Einheitlichkeit der Konkretisierung beizutragen. Dies spricht dafür, Vorlagen auszuwählen, die in dem Sinne von „grundsätzlicher" Bedeutung sind, als sie eine Vielzahl von Fällen betreffen und daher verallgemeinerungs- und übertragungsfähige Antworten erwarten lassen.303 Die Gerichte, so P. Ulmer, sollten bestrebt sein, dem EuGH „durch Vorlage geeigneter Pilotfälle Gelegenheit zur Herausarbeitung der tragenden Grundsätze" zu geben.304 Eine ähnliche Empfehlung hat Generalanwalt G. Jacobs gegeben: Eine Vorlage sei dann „besonders angebracht", wenn sie eine Frage betrifft, die „von allgemeiner Bedeutung ist und die Entscheidung wahrscheinlich die einheitliche Anwendung des Rechts innerhalb der Europäischen Union fördert." 305 In dieselbe Richtung zielt die Mahnung von P. Schlosser, „Vorlagen zu vermeiden, die für einheitliche Auslegung und Anwendung des Europarechts nichts bringen." 306 Solche Zweckmäßigkeitserwägungen liegen auch dem Abschlussbericht der Reflexionsgruppe „Zukunft des Gerichtssystems der EU" 3 0 7 zugrunde; vorgeschlagen wird darin, Vorlagerecht und Vorlagepflicht auf Fragen zu beschränken, die eine „hinreichende Bedeutung" für das Gemeinschaftsrecht besitzen und deren Beantwortung „begründete Zweifel" aufwirft.308 So G. Rodriguez Iglesias, N J W 2000, 1889 (1896). Das Bedürfnis nach einer pragmatischen und praxistauglichen Lösung betonen auch I. Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts, S. 140f.; Staudinger/P. Schlosserei. Bearb. 1998), Einl zum A G B G Rdnr.33. 303 B. Heß, ZZP 108 (1995), 59 (85); siehe auch MünchKomm/J. Basedow, §9 A G B G Rdnr. 8. - Dass solche Vorlagen besonders „sachdienlich" sind, spricht aber nicht dafür, die Vorlagepflicht generell auf „grundsätzliche" Vorlagen zu beschränken; so aber etwa G. Borges, N J W 2001,2061 (2062); hiergegen bereits oben, §14 III. 1. b). 304 P. Ulmer, in: P. Ulmer/H. E. Brandner/H.-D. Hensen, AGB-Gesetz, Einl. Rdnr. 79a. 305 Schlussanträge von G. Jacobs, Rs. C-338/95, Slg. 19971-6497Tz. 1 9 - S . I . Wiener. Ähnlich in anderem Zusammenhang auch der E u G H , siehe jüngst Urt. vom 30.9.2003, Rs. C - l 67/01, Tz. 40 - Inspire Art: Der Geist der Zusammenarbeit verlange auch, dass das nationale Gericht auf die dem Gerichtshof übertragene Aufgabe, zur Rechtspflege in den Mitgliedstaaten beizutragen, Rücksicht nehme. 306 Staudinger/P. Schlosser (13. Bearb. 1998), Einl zum A G B G Rdnr.33. 307 Hierzu bereits oben, Fn.283. 308 Siehe den Vorschlag der Reflexionsgruppe für eine Neufassung von Art. 234 E G , Anhang zum Abschlussbericht (abgedruckt als Sonderbeilage zu N J W und EuZW 2000, S. 14). Darin wird vorgeschlagen, an Art. 234 Abs. 3 E G folgenden S. 2 anzufügen: „Bei der Beurteilung der Zweckmäßigkeit einer solchen Vorlage berücksichtigt das Gericht insbesondere, welche Bedeu301

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5 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

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Vielleicht noch größere Relevanz für strategische Überlegungen bei der Gestaltung des Konkretisierungsprozesses kommt dem Erfahrungsschatz der nationalen Gerichte zu. Durch eine bewusste Auswahl der Vorlagen können die nationalen Gerichte den Konkretisierungsprozess insoweit steuern, als sie das „Material" und damit die Themen des gemeinschaftlichen Konkretisierungsprozesses vorgeben. Gerade wenn dem konkretisierungsbedürftigen Rechtsakt nationale Regelungsvorbilder zugrunde liegen, sollten die nationalen Gerichte die Vorlage als Chance begreifen, ihren Erfahrungsschatz frühzeitig in den europäischen Konkretisierungsprozess einzubringen mit der Aussicht, dass sich ihre Problemsicht genauso maßgeblich in die gemeinschaftliche Konkretisierung einschreibt, wie das nationale Regelungsvorbild seinen Niederschlag im Gemeinschaftsrechtsakt gefunden hat: 309 „Wer fragt (bzw. hier: wer vorlegt), führt." Auch aus Gründen der Rechtssicherheit sollte gerade dann, wenn eine nationale Regelung dem Gemeinschaftsrecht als Vorbild diente, der eigene Konkretisierungsstand frühzeitig durch Vorlagen zur Diskussion gestellt werden, damit auch die Unsicherheit über den Fortbestand des bisherigen Konkretisierungsstandes umso früher beendet werden kann. Durch eine solche aktive Vorlagepraxis lassen sich u.U. auch die vielfach befürchteten Systemeinbrüche und Friktionen mit der nationalen Dogmatik 310 lindern oder sogar verhindern. Aus diesen Gründen sollten die deutschen Gerichte gerade bei der Konkretisierung der Klausel-Richtlinie und insbesondere der Generalklausel des Art. 3 Abs. 1 darauf bedacht sein, durch eine aktive Vorlagepraxis den gewachsenen Konkretisierungsschatz frühzeitig in den gemeinschaftlichen Konkretisierungsprozess einzuspeisen.311 Dass das deutsche A G B G und insbesondere §9 A G B G (§307 Abs. 1 und 2 B G B n.F.) der gemeinschaftlichen Regelung als Vorbild diente, 312 sollte also nicht dazu verführen, Altbewährtes unbesehen weiter

tung die Frage für das Gemeinschaftsrecht hat und ob ihre Beantwortung begründete Zweifel aufwirft." Art.234 Abs.4 E G soll um folgende Einschränkung ergänzt werden: „... so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet, sofern die Frage eine hinreichende Bedeutung für das Gemeinschaftsrecht besitzt und ihre Beantwortung begründete Zweifel aufwirft"; kritisch hierzu aber etwa G. Hirsch, Z R P 2000, 58 (59): Solche „Filtrage" würde „der Grundidee der Kooperation und des Dialogs zwischen der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit und den nationalen Gerichten diametral zuwiderlaufen"; gegen ein Auswahlprivileg des E u G H auch H. Rösler, ZRP 2000, 52 (55). 3 0 9 So auch / . Basedow, in: FS für H.E. Brandner, S.651 (677f.). 3 1 0 Zu dieser Befürchtung als Grund für eine restriktive Vorlagepraxis J. Basedow, in: FS für H.E. Brandner, S.651 (675f.). Ein Beispiel sind die Reaktionen, die das Dietzinger-Urteil des E u G H zur Anwendbarkeit der Haustürwiderrufs-Richtlinie auf Bürgschaftsverträge ( E u G H , Rs. C-45/96, Slg. 1998 1-1199; hierzu bereits oben, Fn.202) im deutschen Schrifttum ausgelöst hat; hierzu W. Hakenburg, RabelsZ 66 (2002), 368 (373); dies., ZEuP 1999, 849 (856ff.). 311 Genauso für die Handelsvertreter-RichtlinieJ. Basedow, in: FS für H . E . Brandner, S.651 (678). 3 1 2 Siehe die überwiegende Auffassung des deutschen Schrifttums seit dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 22.9.1992; siehe nur G. Borges, Die Inhaltskontrolle von Verbrau-

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im europäischen

Privatrecht

zu judizieren, als sei nichts geschehen, 313 sondern umgekehrt Anreiz sein, über das Instrument der Vorlage die eigenen Konkretisierungserfahrungen in den Konkretisierungsprozess einzubringen. 3 1 4 Als besonders dringend und sinnvoll erscheinen auch Vorlagen, die auf vermutete Unterschiede zwischen dem deutschen Regelungsvorbild und den gemeinschaftlichen Vorgaben abzielen, also Vorlagen zum Kontrollmaßstab und zum Schutzansatz der Missbrauchskontrolle. 315 Von grundsätzlicher Bedeutung und klärungsbedürftig ist auch die B e deutung des Anhangs 3 1 6 sowie die Frage, welche Auswirkungen das Abweichen von dispositivem nationalem Recht hat. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Vorlage des B G H zur Vereinbarkeit einer Bauträger-Fälligkeitsklausel mit Art. 3 A b s . l der Klausel-Richtlinie 3 1 7 einmal mehr als Signal in die richtige Richtung und lässt hoffen, dass sich die deutsche Rechtsprechung ihrer Verantwortung und ihrer Chancen im gemeinschaftlichen Konkretisierungsprozess bewusst ist.

b) Abfassung der Vorlage Auch durch die Abfassung der Vorlage kann das nationale Gericht das Vorlageverfahren steuern. Dies gilt zunächst für die Dauer des Vorlageverfahrens, weil jede Vorlage vom Gerichtshof in sämtliche Amtssprachen der Gemeinschaft übersetzt werden muss (Art. 104 § 1 E u G H - V e r f O ) . 3 1 8 Auch die Reflexionsgruppe zur „Zukunft des Gerichtssystems der E G " hat darauf aufmerksam gemacht, dass der Ubersetzungsaufwand inzwischen ein Drittel der Verfahrensdauer einnimmt. In ihrem Abschlussbericht plädieren die Autoren des Berichts cherverträgen, S. 15; S. Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, S.252f.; O. Remien, ZEuP 1994, 34 (51) m.w.N. 313 Allerdings zeigt die Praxis, dass offenbar gerade die Gerichte, die sich im Anwendungsbereich privatrechtlicher Richtlinien auf „altbekanntem Terrain" befinden, große Sachkenntnis haben und auf eine Fülle von Jurisprudenz zurückgreifen können, wenig Vorlagen machen; hierzu mit Recht kritisch W. Hakenburg, RabelsZ 66 (2002), 367 (371 f.). 314 In diese Richtung weist die Beobachtung von V. Lipp, N J W 2001, 2657 (2658), es werde vorgelegt, wenn man „die Chance sieht, den eigenen Standpunkt durchzusetzen." 315 Zu klären ist insbesondere, ob mit der Klausel-Richtlinie tatsächlich ein konkret-individueller Kontrollmaßstab gelten soll und nicht mehr der abstrakt-generelle Maßstab des A G B - G e setzes; Unterschiede sehen namentlich P. Hommelhoff/K.-U. Wiedenmann, ZIP 1993, 562 (567ff.); teilweise zustimmend H. Heinrichs, N J W 1993, 1817 (1818ff.); anders aber etwa P. Ulmer, EuZW 1993, 337 (344ff.); dazu H.-W. Micklitz, ZEuP 1993, 522 (528f.); O. Remien, ZEuP 1994,34 (51 ff.). - Für entsprechende Vorlagen auch G. Borges, N J W 2001,2061 (2062); ders., Die Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen, S. 84f. 316 p j j r e n t S p r e c h e n d e Vorlagen auch I. Klauer, Europäisierung des Privatrechts, S. 140. 317 Hierzu bereits oben, § 14 II. 3. 318 Siehe etwa B. Wegener, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 234 E G V Rdnr. 29. - Auch beim Ubersetzungsdienst ist die Arbeitsbelastung in den letzten Jahren stark gestiegen, und zwar laut einem vom E u G H verfassten Bericht in den Jahren von 1993 bis 1998 um 6 3 % ; siehe H. Rösler, ZRP 2000, 52.

§ 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

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nachdrücklich dafür, die Rechtsanwälte und Bevollmächtigten davon zu überzeugen, „dass es notwendig ist, keine zu langen Schriftsätze einzureichen." 319 Dasselbe gilt für den gerichtlichen Vorlagebeschluss. Unnötig umfangreiche Vorlagen erzeugen einen unverhältnismäßigen Ubersetzungsaufwand und verzögern dadurch sowohl die Vorabentscheidung als auch die Beendigung des Ausgangsrechtsstreits. 320 Es besteht daher nach wie vor Bedarf für den Gerichtshof - wie in seinem Tätigkeitsbericht für 2002 angekündigt 321 zur weiteren Vereinfachung und Beschleunigung den Parteien gemäß Art. 125a EuGHVerfO praktische Anweisungen zu erteilen. 322 Aber nicht nur durch ihre Kürze und Prägnanz, sondern mehr noch durch die inhaltliche Qualität ihrer Vorlagen können die mitgliedstaatlichen Gerichte das Vorabentscheidungsverfahren steuern. So wird bemängelt, dass viele Vorlagebeschlüsse nicht hinreichend klar und informativ abgefasst sind und den nationalen Kontext, in den sich die Vorlagefrage einbettet, nicht deutlich genug erkennen lassen. 323 Mit Recht verlangt der EuGH aber, dass der nationale Richter das tatsächliche und rechtliche Umfeld schildern soll, aus dem heraus er sein Vorabentscheidungsersuchen stellt. 324 Als hilfreich erscheint es vor allem, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte den EuGH darüber informieren, welche Antwort auf die Vorlagefrage sie aus nationaler Sicht geben würden und welche Wertungen für diese und gegen alternative Lösungen sprechen. 325 In dieser Richtung ist schon mehrfach erwogen worden, den Gerichten in Form einer Sollvorschrift die Abgabe eines begründeten Antwortvorschlages aufzugeben. 326 Dies ent319 Siehe den Abschlussbericht der Reflexionsgruppe (Fn.283), sub. D. 4 (abgedruckt als Beilage zu NJW und EuZW 2000, S. 13). 320 So auch der Hinweis von W. Hakenburg, RabelsZ 66 (2002), 367 (375); dies., DRiZ 2000, 345 (348). 321 Siehe Tätigkeitsbericht des Gerichtshofs für das Jahr 2001, sub. A. 4. (einzusehen unter www.curia.eu.int). 322 Siehe inzwischen EuGH, Praktische Anweisungen zur Einreichung der Schriftsätze sowie zur Vorbereitung und zum Ablauf der Sitzungen, AB1.EU vom 16.4.2003 Nr. L 98/9. 323 W. Hakenburg, RabelsZ 66 (2002), 367 (375); G. Rodriguez Iglesias, NJW 2000, 1889 (1891 f.). 324 Siehe etwa EuGH, verb. Rs. C-320/90, C-321/90, C-322/90, Slg. 1993 1-393 Tz. 6f. - Telemarsicabruzzo SpA; Rs. C-157/92, Slg. 1993 1-1085 Tz. 4f. - Giorgio Domingo Banchero; Rs. C 422/98, Slg. 1999 1-1279 Lts. 1 - Colonia Versicherung; Rs. C-67/96, Slg. 1999 1-5751 Tz. 39f. Albany International BV; Rs. C-56/99, Slg. 2000 1-3079 Tz. 25ff. - Gascogne Limousin viandes; hierzu G. Rodriguez Iglesias, NJW 2000, 1889 (1892); W. Dauses, Gutachten D zum 60. DJT, Bd. I, D 130; B. Heß, ZZP 108 (1995), 59 (66); Ch. Kohler/A. Knapp, ZEuP 2002, 701 (717f.); H. Krück, in: H. v.d.Groeben/J. Thiesing/C.-D. Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EGVertrag, Art. 177 EGV Rdnr. 54; A. Middeke, in: H.-W. Rengeling/A. Middecke/M. Gellermann (Hrsg.), Rechtsschutz in der Europäischen Union, § 10 Rdnr. 75 jeweils m.w.N. 325 J. Basedow, in: FS für H.E. Brandner, S.651 (679); M. Franzen, JZ 2003, 321 (330); W. Hakenburg, DRiZ 2000,345 (348); kritisch W. Dauses, Gutachten D zum 60. DJT, Bd. I, D 131: Eine solche Verpflichtung verstoße gegen das „Selbstverständnis" der nationalen Obergerichte und erbringe auch nur begrenzten Entlastungseffekt. 326 So auch der Vorschlag der Reflexionsgruppe „Zukunft des Gerichtssystems der Europäi-

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im europäischen

Privatrecht

spräche dem Gedanken der Subsidiarität 327 und könnte eine erhebliche Arbeitserleichterung für den E u G H bedeuten. Auch wenn dies derzeit noch nicht Pflicht ist, sollten die Gerichte in ihrem Vorlagebeschluss auch einen Antwortvorschlag geben. Darin liegt die Chance, den E u G H mit dem nationalen Erfahrungshintergrund vertraut zu machen und so für die aus nationaler Sicht favorisierte Lösung zu werben, wie es der B G H - wenn auch nicht in der Form eines Antwortvorschlags - auch in seiner Vorlage zur Klausel-Richtlinie getan hat. 328 Gerade wenn der ausfüllungsbedürftige Rechtsakt auf eine nationale Regelung zurückgeht, dürften sich solche beigefügten Antwortvorschläge als effektives Mittel zur Beeinflussung und Steuerung des Konkretisierungsprozesses darstellen.

c) Zeitpunkt der Vorlage Schließlich lässt sich der Konkretisierungsprozess auch über den Zeitpunkt der Vorlage steuern. Das Gemeinschaftsrecht eröffnet den mitgliedstaatlichen Gerichten Handlungsspielraum: Bereits die Instanzgerichte genießen ein Vorlagerecht und können eine Auslegungs- oder Konkretisierungsfrage dem E u G H vorlegen, erst das letztinstanzliche Gericht trifft ggf. eine Vorlagepflicht,329 Der Anteil von Vorlagen unterer Gerichte am Gesamtaufkommen der Vorlagen schwankt von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat. Während zum Beispiel in den Niederlanden die Mehrzahl der Vorlagen von Höchstgerichten stammt, 330 geht in Frankreich die ganz überwiegende Zahl von Vorabentscheidungsersuchen

sehen Gemeinschaften" (abgedruckt als Sonderbeilage zu N J W und EuZW 2000; siehe oben Fn.283) in ihrem Abschlussbericht, sub. ILA. 2. c). Weiter gehend ist überlegt worden, dem E u G H die Möglichkeit einzuräumen, nur dann in der Sache zu entscheiden, wenn er von dem Antwortvorschlag abweichen will; hierzu U. Everling, 60. D J T 1994, Bd.II/1, N 9 (N 14); M. Zuleeg, J Z 1994, 1 (7); kritisch H. Röster, Z R P 2000, 52 (55f.). 327 M. Zuleeg, J Z 1994, 1 (7). 3 2 8 Zum Vorlagebeschluss des B G H vom 2.5.2002 zur Vereinbarkeit einer Klausel eines Bauträgers, nach der der Erwerbspreis unabhängig vom Baufortschritt fällig wird, wenn der Bauträger eine Bürgschaft nach § 7 MaBV stellt, mit §§ 24a, 9 A G B G bereits oben, § 14 II. 3. Der B G H hat jedoch keinen ausdrücklichen Antwortvorschlag formuliert, sondern lediglich mit Gründen ausgeführt, warum der Senat derzeit dazu „neigt..., eine Unwirksamkeit der so verstandenen Klausel nach §§24a, 9 A G B G (Art.3 Richtlinie) zu verneinen..." (sub II. 2. c). 3 2 9 Zu Vorlagerecht und Vorlagepflicht gemäß Art. 234 Abs. 2 und 3 E G de lege lata siehe nur M. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EG-Vertrag, S. 94ff.; zu Reformüberlegungen siehe etwa den Bericht der Reflexionsgruppe über die Zukunft des Gerichtssystems der Europäischen Gemeinschaften (Fn.283), sub. ILA. 3 3 0 Von den insgesamt 363 Vorabentscheidungsersuchen, die in den Jahren 1961 bis 1992 gestellt wurden, gingen lediglich 153 Vorlagen auf untere Gerichte zurück. Ahnlich ist auch die Vorlagepraxis deutscher Gerichte: Von den insgesamt 800 Vorabentscheidungsersuchen gingen im selben Zeitraum etwa 1/3 - 245 Vorlagen - auf Höchstgerichte zurück; siehe die Ubersicht bei M. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EG-Vertrag, S. 179.

§ 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen Konkretisierungsdialog

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auf Untergerichte zurück. 331 Insgesamt sind in der Vergangenheit etwa 70% der Vorlagen von Instanzgerichten ausgegangen. 332 Mit Blick auf Vorlagen zur Konkretisierung der Generalklausel der KlauselRichtlinie plädiert W. Nassall - insoweit im Einklang mit der bisherigen deutschen Vorlagepraxis - für einen zurückhaltenden Gebrauch des Vorlagerechts der Instanzgerichte; im Regelfall sollte erst das letztinstanzliche Gericht vorlegen, weil erst das letztinstanzliche Gericht für das nationale Recht abschließend beurteilen könne, ob eine Klausel nach innerstaatlichem Recht als wirksam anzusehen und daher eine Vorlage erforderlich sei.333 Diese Empfehlung ließe sich auf andere Richtlinien übertragen, wo sich der Gemeinschaftsgesetzgeber für das Konzept der Mindestharmonisierung entschieden hat, beispielsweise für die Konkretisierung von Art. 3 Abs. 3 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie. 334 O b allerdings, wie W. Nassall meint, tatsächlich erst das letztinstanzliche Gericht in der Lage sei, die Wirksamkeit einer Klausel nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen, wird man bezweifeln können, zumal wenn - wie meist - hierzu gesicherte Rechtsprechung existiert. Es sprechen aber andere Gründe für ein „Hinauszögern" der Vorlage. Mit fortschreitendem Prozessstadium wächst erstens die Kenntnis der Sach- und Rechtsfragen. Dies fördert die Substantiiertheit der Vorlagen, sowohl im Hinblick auf die vom E u G H gewünschte Darstellung des nationalen Problemhintergrundes, als auch im Hinblick auf den aus strategischen Gründen beizufügenden Entscheidungsvorschlag 335 des nationalen Gerichts. Vor allem aber kommt dem innerstaatlichen Instanzenzug eine mit Blick auf die gebotene Auswahl sinnvoller Vorlagen hilfreiche Filterfunktion zu. Rechtssachen, die wegen ihrer „grundsätzlichen Bedeutung" berufungs- und revisionsfähig sind (§§511 Abs. 4 S. 1 Nr. 1, 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), versprechen sachdienliche Vorlagen i.S. der Überlegung, solche Vorlagen auszuwählen, die eine Vielzahl von Fällen betreffen und daher verallgemeinerungs- und übertragungsfähige Antworten erwarten lassen. 336 Auch mag man den Prozessparteien die lange Aussetzung des Ausgangsverfahrens zur Einholung der Vorabentscheidung - zur Zeit im

331 Im Vergleichszeitraum gingen von insgesamt 443 Vorlagen 390 auf untere Gerichte (tribunal d'instance, tribunal de grande instance) zurück; siehe M. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EG-Vertrag, S. 179; zur französischen Vorlagepraxis auch C. O. Lenz, DRiZ 1995,213 (219f.). 332 M. Dauses, Gutachten D zum 60. DJT, Bd.I, D 121 f., dort auch gegen Überlegungen, die Vorlageberechtigung auf letztinstanzliche Gerichte der Mitgliedstaaten zu beschränken. 333 W. Nassall, WM 1994,1645 (1652); weiter gehend Staudinger/P. Schlosser (13. Bearb. 1998), Einl zum A G B G Rdnr. 33: Gerichte, die nicht vorlagepflichtig sind, sollten solche Vorlagen „unterlassen". - Hält das nationale Gericht eine Klausel schon nach innerstaatlichem Recht für unwirksam, bedarf es keiner Vorlage; hierzu bereits oben in Fn.275. 334 Zu Offnungsklauseln und Mindestharmonisierung bereits oben, §14 II. 1. c) bb). 335 Hierzu vorstehend, § 14 III. 2. c). 336 Siehe oben, § 14 III. 2. a).

396

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

Durchschnitt knapp zwei Jahre 337 - eher in fortgeschrittenem Prozessstadium zumuten. 338 Gleichwohl kann es in Einzelfällen sinnvoll und im Interesse einer effektiven Steuerung des Konkretisierungsprozesses auch geboten sein, bereits auf der Ebene der Instanzgerichte über eine Vorlage zum EuGH nachzudenken. Die Zeit, die der innerstaatliche Instanzenzug in Anspruch nimmt, ist auch Zeit, die vergeben wird, um eine Konkretisierungsfrage in den europäischen Konkretisierungsprozess einzubringen. Gerade wenn - wie im Fall der Klausel-Richtlinie - der ausfüllungsbedürftige Rechtsakt deutliche Anleihen beim deutschen Recht genommen hat und insoweit auch gesicherte höchstrichterliche Rechtsprechung existiert, sollte bereits auf der Ebene der Instanzgerichte eine Vorlage in Erwägung gezogen werden, um möglichst frühzeitig zu einer gemeinschaftsrechtlichen Klärung zu kommen. Dies dient einerseits der Rechtssicherheit, weil damit auch umso früher auch geklärt ist, ob der bestehende Konkretisierungsbestand beibehalten oder modifiziert werden muss; andererseits wird eine unnötige Befassung des nationalen Instanzenzuges vermieden. Insoweit kann eine frühzeitige Vorlage auch der Prozessökonomie dienen. Allerdings zählen gerade die deutschen Instanzgerichte im europäischen Vergleich nicht zu den vorlagefreudigsten Gerichten. 339 Die Aufforderung an die Zivilrichter der Amts- und Landgerichte, neben der Sachentscheidung auch von sich aus die Frage der Sachdienlichkeit einer Vorlage an den EuGH zu bedenken, wird realistischerweise nur dann Wirkung zeitigen können, wenn sie flankiert wird durch Verbesserungen der Aus- und Fortbildung 340 sowie der Gerichtsorganisation. In diesem Sinne hat auch die von der Europäischen Kommission eingesetzte Reflexionsgruppe in ihrem Abschlussbericht über die „Zukunft des Gerichtssystems der Europäischen Gemeinschaften" 341 die Mitgliedstaaten dringend dazu aufgefordert, Richter und Rechtsanwälte besser im Gemeinschaftsrecht auszubilden sowie ein leistungsfähiges Informationssystem 337 Siehe Abschlussbericht der Reflexionsgruppe „Die Zukunft des Gerichtssystems der Europäischen Union" (oben Fn.283), sub I.A. 3.: im Jahr 1998 durchschnittlich 21,4 Monate. Im Jahr 2001 dürfte sich die Verfahrensdauer noch weiter verlängert haben; siehe den Tätigkeitsbericht des Gerichtshofs für das Jahr 2001, Grafik II (einzusehen unter www.curia.eu.int). Demgegenüber betrug die durchschnittliche Verfahrensdauer im Jahr 1975 noch 6 Monate; zu dieser Entwicklung M. Dauses, Gutachten D zum 60. DJT, Bd. I, D 80f.; kritisch auch E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 464: die Dauer der Vorlageverfahren laufe in manchen Fällen auf eine „Rechtsverweigerung" hinaus; a.A. wohl N. Colneric, RdA 1996, 82 (89), die die durchschnittliche Verfahrensdauer von zwei Jahren als „außerordentlich schnell" bewertet. 338 Anders mag man in dem wohl eher theoretischen Fall entscheiden, dass beide Prozessparteien bereits in der ersten oder zweiten Instanz eine Vorlage an den EuGH ausdrücklich anregen. 339 Siehe bereits oben in Fn. 330. 340 So auch N. Colneric, RdA 1996, 82 (89), die die große Vorlagebereitschaft schleswig-holsteinischer Arbeitsgerichte auf eine von ihr durchgeführte Schulungsveranstaltung zurückführt. 341 Abschlussbericht vom 19.1.2000, Sonderbeilage zu NJW und EuZW 2000; hierzu bereits oben Fn.283.

5 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

397

einzurichten, mit dessen Hilfe sie sich problemlos über das geltende Gemeinschaftsrecht und die Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte unterrichten können. 342

3. Gestaltung des Konkretisierungsdialogs durch die Entscheidungspraxis des E u G H So wie der EuGH auf eine kooperative Zuarbeit der nationalen Gerichte bei der Gestaltung des Konkretisierungsprozesses angewiesen ist, sind auch die nationalen Gerichte darauf angewiesen, dass der E u G H seine Entscheidungsbefugnisse nicht überschreitet und seinerseits tatsächlich in einen Dialog mit ihnen eintritt. Und genauso wie die nationalen Gerichte durch die Auswahl und Gestaltung ihrer Vorlagen den Konkretisierungsprozess steuern können, kann der E u G H durch die Gestaltung seiner Entscheidungspraxis Einfluss auf die Akzeptanz und damit die Wirksamkeit seiner Konkretisierungsjudikate nehmen. Ausdruck einer solchen Rechtskultur des Maßhaltens ist vor allem, dass sich der EuGH im Rahmen der gestellten Vorlagefrage hält und den Konkretisierungsprozess entsprechend behutsam und schrittweise vorantreibt (unten a). Daneben kann der EuGH die Akzeptanz seiner Entscheidungen durch die Abfassung seiner Vorabentscheidungsurteile (unten b) sowie durch die innerprozessuale Kommunikation mit den Vorlagegerichten (unten c) fördern. a) Maßhalten

mit der

Vorlagefrage

Gewisse äußere Grenzen sind dem E u G H durch die primärrechtlichen Vorgaben zum Vorabentscheidungsverfahren (Art. 234 Abs.l EG) gesetzt. Die dem E u G H darin zugewiesene Entscheidungskompetenz ist begrenzt durch die Vorlagefrage.343 Idealiter darf der EuGH weder über die Vorlagefrage hinausgehen, noch nationales Recht anwenden und also den Ausgangsstreit entscheiden. 344 Auch wenn abstrakt-generelle Konkretisierung und individuelle Rechtsentscheidung bei ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffen nahe aneinander heranrücken und ineinander übergehen können, sollte der EuGH im Interesse kooperativer und rücksichtsvoller Zusammenarbeit mit den vorlegenden Gerichten um die Einhaltung dieser Grenzlinie bemüht sein. 345 Je abstrakter und geneAbschlussbericht der Reflexionsgruppe (Fn.283), sub. ILA. 2. e). Statt aller B. Heß, ZZP 108 (1995), 59 (66): „Die Vorlagefragen bestimmen den Umfang des Vorabentscheidungsverfahrens." 3 4 4 Zu den Befugnissen des E u G H im Vorabentscheidungsverfahren bereits oben, § 13 I. 2. e) aa). 3 4 5 Siehe beispielsweise in der Oceano-Entscheidung (EuGH, verb. Rs. C-240/98 und C-244/ 98, Slg. 20001-2941; hierzu bereits oben, § 14 II. 2. b)) die Unterscheidung zwischen der abstrakt342 343

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Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

ralisierter die Antwort des E u G H ausfällt, umso größere Bedeutung wird sie auch für den weiteren Konkretisierungsprozess und die einheitliche Anwendung und Konkretisierung des gemeinschaftlichen Sekundärrechts haben.346

aa) Gegenstand der Vorlage Gemessen an diesen Zielen ist die bislang erste und einzige Entscheidung zur Konkretisierung der Generalklausel der Klausel-Richtlinie, die bereits mehrfach angesprochene „Oceano"-Entscheidung 347 , allerdings in verschiedener Hinsicht ein Signal in die falsche Richtung. Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, dass das vorlegende Gericht den EuGH nicht um eine Stellungnahme zur Missbräuchlichkeit der streitigen Klausel gebeten hatte.348 Die gleichwohl erfolgte Qualifikation der Klausel als missbräuchlich hat die Vorlagefrage überschritten und erfolgte also als obiter dicta?m Dies ist grundsätzlich kritisch zu generellen Beurteilung des Gerichtshofs, dass Klauseln, die als Gerichtsstand den Sitz von Gewerbetreibenden bestimmen, missbräuchlich sind, und die dem nationalen Gericht vorbehaltene Feststellung der Missbräuchlichkeit der im Ausgangsverfahren streitigen Klausel. - Vorbildlich insoweit die Veedfald-Entscheidung des EuGH, Rs. C-203/99, Slg. 2001 1-3569 Tz. 30ff., in der der EuGH die Beantwortung zweier Vorlagefragen zum Schadensbegriff der ProdukthaftungsRichtlinie zurückgewiesen hat, weil sie seine Kompetenz zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts überschritten und die Subsumtion und Anwendung beträfen; siehe hierzu auch oben, § 14 II. 2. a) bei Fn.218. 346 Vgl. auch Generalanwalt G.Jacobs, Rs. C-338/95, Slg. 19971-6497 Tz. 42 - S . I. Wiener, der dem EuGH mit diesem Argument letztlich davon abrät, die vom B F H gestellte Vorlagefrage zu beantworten, ob der Begriff „Nachthemden" i. S. der Tarifstelle 6 0 . 0 4 B I V b 2 b b d e s Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) „dahin auszulegen ist, dass er ausschließlich .andere' Unterkleidung erfasst, die aufgrund ihrer Beschaffenheit eindeutig dazu bestimmt ist, nur als Nachtkleidung getragen zu werden, oder ob er auch Erzeugnisse erfasst, die nach ihrer Aufmachung zwar nicht nur, aber im Wesentlichen zum Tragen im Bett bestimmt sind" (Tz. 2.). Dazu die Empfehlung von G. Jacobs: „Ein Urteil des Gerichtshofes, in dem die verschiedenen in der Rechtsprechung entwickelten Auslegungsregeln und -grundsätze zusammengestellt sind, wird offensichtlich größere Bedeutung haben als ein auf die spezielle Frage der Nachthemden beschränktes Urteil. Würde sich der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung künftig auf allgemeine Auslegungsfragen konzentrieren und den Zollbehörden und den nationalen Gerichten allgemeine Leitlinien geben, so würde er weiter zu einer einheitlichen Anwendung des G Z T beitragen." 347 EuGH, verb. Rs. C-240/98 und C-244/98, Slg. 2000,1-4941 - Oceano; hierzu bereits oben, §14 II. 2. b). 348 Die Vorlagefrage lautete, ob ein nationales Gericht „von Amts wegen zu prüfen [hat], ob eine Klausel des ihm zur Prüfung vorgelegten Vertrages missbräuchlich ist, wenn es über die Zulässigkeit einer Klage vor den ordentlichen Gerichten zu entscheiden hat"; siehe EuGH, verb. Rs. C-240/98 und C-244/98, Slg. 20001-4941 Tz. 19 - Oceano. Gegenstand der Vorlagefrage war also nicht die Missbräuchlichkeit der streitigen Gerichtsstandsvereinbarung, sondern die sachlich davor liegende Frage, ob sich ein Verbraucher auf die Missbräuchlichkeit der Klausel berufen oder das angerufene Gericht die Missbräuchlichkeit von Amts wegen zu berücksichtigen hat. - Indem der EuGH in der Sache zur Missbräuchlichkeit der Gerichtsstandsvereinbarung Stellung nimmt, folgt er der von Generalanwalt A. Saggio vorgeschlagenen Vorgehensweise „in zwei Schritten" (Slg. 2000 1-4941 Tz. 16). 349 W. Hakenburg, ZEuP 2001, 888 (901 f.); A. Schwänze, JZ 2001, 246 (248). Zur Rechtferti-

5 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

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bewerten. Jedes Judizieren jenseits der Vorlagefrage verstößt gegen den Geist der Kooperation und Rücksichtnahme des Vorabentscheidungsverfahrens. Dementsprechend geringer wird die Akzeptanz in den Mitgliedstaaten sein. Mehren sich solche Entscheidungen, dürfte dies langfristig der Vorlagebereitschaft der nationalen Gerichte einen empfindlichen Dämpfer versetzen. - In diesem besonderen Fall ist dem EuGH aber zugute zu halten, dass er die Chance ergriffen hat, die mit der Klausel-Richtlinie entstandene Diskussion um die Konkretisierungszuständigkeit zu beenden und seine eigene Konkretisierungskompetenz klarzustellen. Diese Klarstellung war offenbar gerade für die deutsche Diskussion richtig und wichtig; sie hat mit der nur kurze Zeit später eingebrachten Vorlage des BGH 3 5 0 zur Klausel-Richtlinie sichtbare Früchte getragen. Dass der E u G H in der „Oceano"-Entscheidung die mit der Vorlagefrage umgrenzten Entscheidungsbefugnisse überschritten hat, hat sich in diesem Fall offenbar nicht kontraproduktiv auf den Konkretisierungsdialog ausgewirkt. Gleichwohl bleibt kritisch anzumerken, dass der EuGH seine Konkretisierungskompetenz auch abstrakt hätte klarstellen können, ohne die generell beanspruchte Kompetenz direkt anzuwenden und sogleich über die Missbräuchlichkeit der streitigen Klausel zu judizieren. Jedenfalls dürfte nun insoweit kein Anlass mehr zu Klarstellungen bestehen.

bb) Stand der (1) Maßhalten

Konkretisierung durch mehrstufige

Rechtsfindung

Im Sinne einer Rechtskultur gegenseitiger Rücksichtnahme und Kooperation sollte der EuGH aber nicht nur darauf bedacht sein, die „äußeren" Grenzen der Vorlagefrage einzuhalten. Vielleicht noch bedeutsamer ist, dass er auch mit den „inneren" Grenzen der Vorlagefrage, d.h. dem dahinter stehenden Konkretisierungsanliegen und dem Stand der Konkretisierung Maß hält. Bereits auf nationaler Ebene ist Normkonkretisierung als Prozess charakterisiert worden.351 Dies gilt umso mehr für die gemeinschaftsrechtliche Dimension. Hier verbinden sich der Prozesscharakter der Konkretisierung mit dem dynamisch-evolutiven Entwicklungsanspruch des Integrationsprozesses.352 Gerade für die Konkretisierung sekundären Gemeinschaftsrechts gilt, was dem Gemeinschaftsrecht insgesamt attestiert wird: Sie ist „Recht im Werden" 353 . Das Gebot an den EuGH, bei der Formulierung von Konkretisierungsantworten mit dem Erfahgung von obiter dicta durch die Rechtsfortbildungsbefugnis des E u G H J. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den E u G H , S. 173 f. 350 Hierzu bereits oben, § 14 II. 3. 351 Zu Konkretisierung als Prozess bereits oben, § 7 1 . 352 Hierzu bereits oben § 13 bei Fn. 134. 353 Siehe nur E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 38f.; M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 605 m.w.N.

400

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

rungs- und Konkretisierungsstand Schritt zu halten, ist also auch Ausdruck der Sachgerechtigkeit der Konkretisierung.354 Sach- und zeitgerechte Konkretisierungen werden sich regelmäßig erst in einem wiederholten Wechselspiel von Frage und Antwort herausbilden können. Auch die Eigenart der im Vorabentscheidungsverfahren angelegten Aufgaben- und Rollenverteilung, die den EuGH stärker noch als ein Revisionsgericht von der Rechtsanwendung entfernt, wird es zumeist erfordern, dass nationale Gerichte und EuGH in einen mehrfachen, wiederholten Dialog eintreten. Die Forderung nach einer gewissen „Behutsamkeit" des EuGH bei der Formulierung von Konkretisierungsantworten entspringt also nicht nur dem Geist der Rücksichtnahme und Kooperation im Vorabentscheidungsverfahren, sondern ist zugleich ein Gebot der Sachgerechtigkeit der Konkretisierung, auch um die praktische Wirksamkeit seiner Konkretisierungen beobachten und ggf. bei nächster Gelegenheit gegensteuern zu können. Für die Praxis der konkretisierenden Vorabentscheidung heißt dies, dass der EuGH zur Konkretisierung ausfüllungsbedürftigen Sekundärrechts mehrstufig vorgehen sollte. Gemessen an der oben erarbeiteten Typologie von Konkretisierungsformen - Beurteilungsmaßstäbe, Beurteilungsrelationen, Qualifizierungen und Quantifizierungen 355 - wird man als Richtschnur sagen können, dass sich der EuGH zu Beginn des Konkretisierungsprozesses im Interesse der Sachgerechtigkeit, der Akzeptanz und des Geistes der Zusammenarbeit und Rücksichtnahme auf die Formulierung von Beurteilungsmaßstäben und Beurteilungsrelationen beschränken sollte.356 Dabei kann es sinnvoll sein, dass der EuGH verdeutlicht, dass der Konkretisierungsprozess durch solche ersten, tastenden Konkretisierungen aus seiner Sicht noch nicht abgeschlossen ist. Entsprechende Hinweise, etwa mit der auch sonst gebräuchlichen Formel vom „derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts"357, ermuntern die nationalen Gerichte zu weiteren Vorlagen, um den Konkretisierungsprozess in Gang zu halten und weiterzutreiben. Diese Technik der „abgestuften Rechtsfindung" 358 bietet sich gerade für das Vorabentscheidungsverfahren an.359 Vor allem zu Beginn des Konkretisierungsprozesses sollte sich der EuGH daher auf die Formulierung allgemeiner Grund354 Zum Erfahrungsstand als Kriterium sachgerechter Konkretisierungen allgemein oben, § 4 VI. 2. a) und im Zusammenhang mit Quantifizierungen oben, § 11 II. 2., III. 2. b). 355 Siehe oben, §711. l . , 2 . 356 Grundsätzlich also genauso wie der nationale Richter; vgl. oben, §7 II. 3. und zum Gebot der Sachrichtigkeit von Konkretisierungen oben, §4 VI. 2. 357 Siehe etwa EuGH, Rs. C-317/91, Slg. 1993 1^6227 Tz. 20 - Deutsche Renault; hierzu I. Klauer, Der EuGH als Zivilrichter, S. 272; I. W o l f f , Die Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Generalklauseln in privatrechtsgestaltenden Richtlinien, S.222f. 358 Begriff von J. Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im Gemeinschaftsrecht, S. 173. 359 Beispiele aus der Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung sonstigen Sekundärrechts bei J. Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im Gemeinschaftsrecht, S. 173 f.

5 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

401

sätze und Hinweise zur Konkretisierung beschränken, 360 insbesondere in Form von Leitbildern oder „Referenzmaßstäben" 361 für die geforderten Beurteilungen. (2) Zur Wirksamkeit im Lauterkeitsrecht

von Leitbildern:

Das

Verbraucherleitbild

Dass schon Leitbilder einen erheblichen Beitrag zur Rechtseinheit leisten können, hat die Kontroverse um den Beurteilungsmaßstab des Lauterkeitsrechts gezeigt. 362 Hier hat der E u G H für den Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 E G ) sowie für die Konkretisierung spezieller sekundärrechtlicher Irreführungstatbestände 363 als Maßstab für die Beurteilung der Irreführung den „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher" 364 vorgegeben. Dieses Leitbild hat sich inzwischen auch in der Rechtsprechung des B G H gegen den ursprünglich judizierten strengeren Maßstab des „flüchtigen Verbrauchers" 365 durchsetzen können, 366 und 3 6 0 Vgl. W. Hakenburg, ZEuP 1998, 888 (902) und N. Reich, RabelsZ 66 (2002), 531 (545), die allerdings grundsätzlich davon ausgehen, der E u G H sollte sich generell und nicht nur zu Beginn des Konkretisierungsprozesses auf die „Festlegung verbindlicher Grundprinzipien" bzw. entsprechender „Hinweise" beschränken. 361 Begriff von N. Reich, RabelsZ 66 (2002), 531 (545). 362 Zum Verbraucherleitbild von E u G H und B G H etwa K.-H. Fezer, wrp 1995, 671 ff.; P. Groeschke/K. Kiethe, wrp 2001, 230ff.; W. Leisner, EuZW 1991, 498ff.; R. Sack, wrp 1998, 264ff.; ders., wrp 1999, 399ff.; R. Streinz, in: FS für W. Gitter, S.977 (982ff.). 3 6 3 Siehe insbesondere die Richtlinie 84/450/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, ABl.EG 1984 Nr. L 250/17 sowie die Richtlinie 9 7 / 5 5 / E G zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, AB1.EG 1997 Nr. L 290/18. Weitere Beispiele sind die Etikettierungs-Richtlinie (Richtlinie 97/112/EWG, AB1.EG 1979 Nr. L 33/ 1), die Kosmetik-Richtlinie (Richtlinie 76/768/EWG, AB1.EG 1976 Nr. L 262/169) sowie die Richtlinie über die Etikettierung von Tabakerzeugnissen (Richtlinie 89/622/EWG, ABl.EG 1989 Nr. L 359/1). 3 6 4 E u G H , Rs. C-470/93, Slg. 1995 1-1923 Tz. 24 - Mars: verständiger Verbraucher (hierzu K. H. Fezer, wrp 1995, 671ff.; R. Streinz/S. Leible, ZIP 1995, 1236ff.); E u G H , Rs. C-210/96, Slg. 1998 1-4657 Tz. 31 - Gut Springenheide: „durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher"; genauso E u G H , Rs. C-220/98, Slg. 2000 1-117 Tz. 27 Estee Lauder; Nachweise zur älteren Rspr. bei A. Baumbach/W. Hefermehl, Wettbewerbsrecht, U W G Einl. Rdnr. 647. Ähnlich die Rspr. des schweizerischen BG; hierzu K. Klett, G R U R 2001, 549ff. 3 6 5 Wohl zuletzt in B G H , G R U R 1993, 127 (128) - Teilzahlungspreis II m. w.N. 3 6 6 Siehe etwa B G H , G R U R 1999,1125 (1127) - EG-Neuwagen II. Auf dieser Linie liegt auch das Urteil B G H , J Z 2000,1011 ( 1 0 1 2 ) - Orient-Teppichmuster, in dem der B G H erstmals auf den „durchschnittlich informierten und verständigen Durchschnittsverbraucher" abstellt, allerdings insoweit am Maßstab des „flüchtigen" Verbrauchers festhalten will, als sich die Begriffe „flüchtig" und „verständig" nicht gegenseitig ausschlössen; zustimmend A. Beater, J Z 2000,973 ff.; genauso schon R. Sack, wrp 1998,264 (267f.); ders., wrp 1999, 399 (401). Siehe nun auch das Urteil B G H , N J W - R R 2002, 1122 - Scanner Werbung, Lts. 1: „§3 U W G schützt auch den flüchtigen Verbraucher, wenn es sich um eine Werbung handelt, die der durchschnittlich informierte, auf-

402

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

zwar nicht nur für gemeinschaftsrelevante Sachverhalte, sondern auch für rein innerstaatliche Sachverhalte. 367 Gerade daran lässt sich die hohe Wirksamkeit solcher Leitbilder für die Rechtsangleichung ablesen. Diese Wirksamkeit verdanken Leitbilder einerseits ihrer großen Plastizität und Anschaulichkeit. 368 Hinzu kommt, dass sie - was gerade zu Beginn des Konkretisierungsprozesses wichtig ist - eine sinnvolle Strukturierung des Beurteilungsvorganges ermöglichen. Der E u G H kann sich zunächst auf die Erarbeitung des allgemeinen Beurteilungsmaßstabes beschränken und weitere Präzisierungen sowie die Umsetzung des Beurteilungsmaßstabes auf einzelne Fallgruppen der nationalen Rechtsprechung überlassen. Gerade im Lauterkeitsrecht hat sich inzwischen eine sinnvolle Aufgaben- und Rollenverteilung zwischen dem E u G H und den nationalen Gerichten herausgebildet. Als Beispiel sei die Entscheidung „Estée Lauder" 3 6 9 genannt. Darin hat sich der E u G H darauf beschränkt, den Beurteilungsmaßstab zu referieren und einige Gesichtspunkte zu benennen, die bei der Anwendung des Beurteilungsmaßstabes zu berücksichtigen sind. 370 Im Übrigen hat der E u G H zur Irreführungseignung der streitigen „Lifting-Creme" aber nicht selbst Stellung genommen, sondern die Beurteilung ausdrücklich den nationalen Gerichten zugewiesen. 371 (3) Kritik an der „ Océano"-Entscheidung

zur

Klausel-Richtlinie

Auch gemessen an diesen Überlegungen ist die ,,Océano"-Entscheidung 372 kritisch zu bewerten. Dem derzeitigen Konkretisierungsstand angemessener und auch im Hinblick auf die erforderliche weitere Zusammenarbeit mit den natiomerksame und verständige Verbraucher üblicherweise mit diesem Grad der Aufmerksamkeit wahrnimmt." 3 6 7 Hierfür etwa V. Emmerich, in: FS für J. Gernhuber, S. 867 (871 ff.), der einen „generellen Paradigmenwechsel" für erforderlich hält; genauso S. Leihle, DZWir 1994,177 (180); ders., Z L R 1997, 221 ff.; wohl auch W. Veelken, EWS 1993, 377 (385). 3 6 8 Siehe bereits zum Beurteilungsmaßstab des „verständigen Betrachters" oben, § 9 III. 3 6 9 E u G H , Rs. C-220/98, Slg. 20001-117 Tz. 27ff. - Estee Lauder; genauso E u G H , Rs. C-303/ 97, Slg. 1-1999 513 Tz. 36f. - Sektkellerei Kessler. 3 7 0 E u G H , Rs. C-220/98, Slg. 2000 1-117 Tz. 29 - Estee Lauder: „Bei der Anwendung dieses Kriteriums müssen mehrere Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Es ist vor allem zu prüfen, ob soziale, kulturelle oder sprachliche Eigenheiten es rechtfertigen können, dass das für eine Hautstraffungscreme verwendete Wort ,Lifting' von den deutschen Verbrauchern anders verstanden wird als von den Verbrauchern in anderen Mitgliedstaaten, oder ob schon die Angaben zur Anwendung des Produktes dafür sprechen, dass dessen Wirkungen nur vorübergehender Natur sind, und damit jede gegenteilige Schlussfolgerung entkräften, die aus dem Wort ,Lifting' gezogen werden könnte." 371 E u G H , Rs. C-220/98, Slg. 2000 I-117 Tz. 30 - Estee Lauder; anders aber noch in der sachverwandten Entscheidung E u G H , Rs. 315/92, Slg. 1994 1-317 Tz. 22f. - Clinique, wo der E u G H die Irreführungseignung selbst abschließend beurteilt hat; hierzu S. Leihle, DZWir 1994, 177 (179). 3 7 2 E u G H , verb. Rs. C-240/98 und C-244/98, Slg. 2000 1-4941 - Oceano; hierzu bereits oben, §14 II. 2. b).

§ 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

403

nalen Gerichten wünschenswert wäre es gewesen, wenn sich der E u G H in seiner ersten Entscheidung zur Konkretisierung von Art. 3 Abs. 1 der Klausel-Richtlinie auf allgemeinere Hinweise zum Verständnis des Missbräuchlichkeitsmaßstabes beschränkt hätte. Anstatt dessen hat der E u G H - überdies ohne eine darauf abzielende Vorlagefrage 3 7 3 - abschließend die Missbräuchlichkeit von Gerichtsstandsklauseln zugunsten des Gewerbetreibenden entschieden. 3 7 4 Diese Sachentscheidung lässt sich aber weder auf andere Fallkonstellationen übertragen, noch sind ihr allgemeine Konkretisierungsleitlinien entnehmbar. N a c h wie vor ist unklar, nach welchen Kriterien das Vorliegen eines „erheblichen und ungerechtfertigten" Missverhältnisses zu prüfen ist. Gerade weil es sich um die erste Entscheidung zur Konkretisierung der Generalklausel der Klausel-Richtlinie handelte, hätte der E u G H mit mehr Fingerspitzengefühl für den Stand der K o n kretisierung und die Bedürfnisse der nationalen Gerichte judizieren sollen. D u r c h allgemeinere Konkretisierungshinweise etwa in Gestalt von Beurteilungsmaßstäben, „allgemeinen Leitlinien" 3 7 5 oder Grundprinzipien 3 7 6 der Missbräuchlichkeitskontrolle hätte er den Radius seiner Entscheidung vergrößern und damit auch einen größeren Beitrag zur Rechtseinheit leisten können. 3 7 7

b) Abfassung der

Vorlageentscheidung

Auch durch die Abfassung der Vorlageentscheidung kann der E u G H die praktische Wirksamkeit seiner Judikate beeinflussen. Gerade im Konkretisierungsprozess ist der E u G H darauf angewiesen, dass die nationalen Gerichte die judizierten Konkretisierungsvorgaben ohne gemeinschaftsrechtliche Zwangsmittel weiterführen, 3 7 8 und zwar auch über das Ausgangsverfahren hinaus. 3 7 9 Die hierHierzu bereits oben, § 14 II. 2. b). E u G H , verb. Rs. C-240/98 und C-244/98, Slg. 2000 1-4941 Tz. 24 - Oceano. 3 7 5 So die im Zusammenhang mit der Konkretisierung des Gemeinsamen Zolltarifs (hierzu bereits oben Fn. 346) formulierte Empfehlung von G. Jacobs, Schlussanträge, Rs. C-338/95, Slg. 1997 1-6497 (6510f. Tz. 42) - S.I. Wiener. 3 7 6 So auch die Kritik von W. Hakenburg, ZEuP 1998, 888 (902). 3 7 7 Genauso Generalanwalt G. Jacobs, Schlussanträge, Rs. C-338/95, Slg. 1997 1-6497 (6510f. Tz. 42) - S. I. Wiener; hierzu bereits oben, Fn. 346. Zu begrüßen daher E u G H , Urt. v. 1.4.2004. Rs. C-237/02 - Freiburger Kommunalbauten. 3 7 8 In der Vergangenheit sind Vorabentscheidungsurteile von deutschen Gerichten weit gehend befolgt worden; siehe die rechtstatsächliche Untersuchung von J. Schwarze, Die Befolgung von Vorabentscheidungen des Europäischen Gerichtshofes durch deutsche Gerichte, 1988; ähnlich U. Everling, DVB1.1985,1201 (1205): Gerichte folgen dem E u G H „im allgemeinen". Nach M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 295 stellt das Vorabentscheidungsverfahren daher das „praktisch wirkungsvollste" Mittel des Gerichtshofes zur richterlichen Vervollkommnung der Gemeinschaftsrechtsordnung dar. 3 7 9 Zur Wirkung von Vorabentscheidungen über das Ausgangsverfahren hinaus bereits oben bei Fn. 198 sowie M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S.295f.: „bemerkenswerte Anzeichen einer Erosion der Lehre von der grundsätzlichen Unverbindlichkeit von Präjudizien im kontinentaleuropäischen Rechtskreis"; I. McLeod, Legal Method, S. 211 ff. 373

374

404

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

für unerlässliche Akzeptanz380 kann der E u G H nicht nur dadurch fördern, dass er sich inhaltlich um Ausgewogenheit und Rücksichtnahme bemüht, also den mit der Vorlagefrage eröffneten Rahmen respektiert und mit dem Konkretisierungsprozess Maß hält. 381 Von nicht minder großer Bedeutung für die Akzeptanz und Wirksamkeit konkretisierender Vorabentscheidungsurteile ist ihre Begründung,382 Dass EuGH-Urteile überhaupt zu begründen sind, folgt bereits aus Art. 63 EuGH-VerfO sowie Art. 33 EuGH-Satzung. Mit Recht werden aber gerade für normkonkretisierende Urteile gesteigerte Begründungsanforderungen angemahnt. 383 Zu fordern ist erstens, dass die Begründung die für die Akzeptanz der Entscheidungen unerlässliche Nachvollziehbarkeit und Plausibilität gewährleistet. 384 R. Streinz bezeichnet dies als die „hermeneutische Aufgabe" 3 8 5 des E u G H . Damit konkretisierende Urteile auch über den Anlassfall hinaus wirken können, 386 ist überdies erforderlich, dass die nationalen Gerichte Inhalt und Reichweite der judizierten Konkretisierungsregel erkennen können. Die Urteilsgründe sollten daher zweitens Anhaltspunkte für den sachlichen und ggf. auch zeitlichen Anwendungsbereich der konkretisierenden Regel enthalten. Mit zunehmendem Konkretisierungsfortschritt sollte dazu auch die Auseinandersetzung mit sachähnlichen Vorentscheidungen und ihre Abgrenzung gehören. 387 Grundsätzlich sind insoweit aber auch die Schlussanträge des Generalanwalts einzubeziehen. 388 Allerdings sollte der Gerichtshof deutlicher zu erkennen geben, ob er sich den Schlussanträgen nur im Ergebnis oder auch in der

3 8 0 Zur Akzeptanz als Gradmesser für die Sachrichtigkeit richterlicher Rechtsfortbildung J. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den E u G H , S.226ff., 232f.; weiter gehend B. Börner, in: FS für G. Kegel, S. 57 (74), der darin eine justiziable Grenze für den Umfang zulässiger Rechtsfortbildung sieht; genauso Th.M.J. Möllers, EuR 1998, 20 (30): „Fehlende Akzeptanz macht insoweit Rechtsfortbildung unzulässig"; kritisch W. Dänzer-Vanotti, in: FS für U. Everling, S. 205 (209ff.). Zum Zusammenhang von Akzeptanz und Wirkungskraft gemeinschaftsrechtlicher Judikate W. Bernhardt, Verfassungsprinzipien - Verfassungsgerichtsfunktionen - Verfassungsprozessrecht im EWG-Vertrag, S. 34ff.; U. Everling, EuR 1994, 127 (131). 381 Hierzu vorstehend, §14 III. 3. a). 3 8 2 Zum verfassungsrechtlichen Begründungserfordernis für konkretisierende Urteile bereits oben, §4 VI. 5. a) bb). 3 8 3 Speziell für konkretisierendes Richterrecht W. Dänzer-Vanotti, R I W 1992, 733 (737f.); allg. ]. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 175ff.; zur Bedeutung der Begründung für die Akzeptanz der Entscheidungen des E u G H U. Everling, EuR 1994, 127 (130ff.); Begründungsdefizite beklagt R. Streinz, EuropaR, Rdnr. 501. 3 8 4 Zum Gebot der Plausibilität der Begründung etwa W. Dänzer-Vanotti, R I W 1992, 733 (737); U. Everling, EuR 1994, 127 (131). 385 R. Streinz, EuropaR, Rdnr. 501. 3 8 6 Zur Präjudizwirkung von Vorabentscheidungsurteilen siehe nur M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 299ff. 3 8 7 Insoweit ist es zu begrüßen, dass der E u G H inzwischen dazu übergegangen ist, seine Rechtsprechung nicht mehr ohne ausdrücklichen Hinweis zu ändern oder ganz aufzugeben; siehe U. Everling, EuR 1994, 127 (138) m.w.N. 388 ]. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den E u G H , S. 177.

§ 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

405

Begründung anschließt. 389 Diese Anforderungen sollte der E u G H im Interesse der Kooperation mit dem vorlegenden Gericht umso mehr beherzigen, je höher in dem jeweiligen Rechtskreis die Erwartungen an Stil und Begründung gerichtlicher Entscheidungen sind. 390 Gerade gegenüber der deutschsprachigen Fachöffentlichkeit, die traditionell einen eher argumentativen Urteilsstil gewohnt ist, könnte der E u G H seinen Judikaten durch etwas mehr Ausführlichkeit zu größerer Akzeptanz verhelfen. Gemessen an diesen Anforderungen ist die erste zur Konkretisierung von Art. 3 Abs. 1 der Klausel-Richtlinie ergangene Entscheidung „Oceano" 3 9 1 sicherlich weniger „kryptisch" als die zu Recht kritisierte Entscheidung des E u G H zum Schadensbegriff von Art. 9 der Produkthaftungs-Richtlinie. 392 So wird aus den Erwägungsgründen deutlich, dass der E u G H - genauso wie Generalanwalt A. Saggio in seinen Schlussanträgen 393 - die Missbräuchlichkeit der streitigen Gerichtsstandsklausel durch eine Gegenüberstellung von den dem Gewerbetreibenden durch die Klausel entstehenden Vorteilen mit den dem Verbraucher daraus erwachsenden Nachteilen beurteilt. 394 Was allerdings fehlt, sind Aussagen zum Ausgewogenheitsmaßstab, 395 also die Frage, wann das festgestellte Missverhältnis „erheblich und nicht zu rechtfertigen" i.S. von Art. 3 Abs. 1 der Klausel-Richtlinie ist. Mag der E u G H auch wegen der geringen Konkretisierungserfahrung 396 bewusst darauf verzichtet haben, verallgemeinerungsfähige Aussagen zum Ausgewogenheitsmaßstab zu treffen, 397 so bleibt aber zu bemängeln, dass aus den Entscheidungsgründen nicht nachvollziehbar wird, worauf er die Bewertung der vorgelegten Klausel stützt.

3 8 9 So etwa die Kritik von S. Leible, EuZW 2001,438 (439) an der Entscheidung EuGH, Rs. C 144/99, Slg. 2001 1-3541 zur Umsetzung der Klausel-Richtlinie in den Niederlanden. 3 9 0 Zur Urteilspraxis französischer, englischer und deutscher Gerichte U. Everling, EuR 1994, 127 (132ff.); zum Urteilsstil des EuGH etwa N. Röttgen, Die Argumentation des Europäischen Gerichtshofes: Typik, Methodik, Kritik, 2001. 391 EuGH, verb. Rs. C-240/98 und C-244/98, Slg. 2000 1-4941; hierzu bereits oben, § 14 II. 2. b). 3 9 2 So W. Hakenburg, ZEuP 2002,752 (764) zur Entscheidung EuGH, Rs. C-183/00, Slg. 2002 1-3901 - María Sánchez/Medicina Asturiana SA. 3 9 3 Schlussanträge des GA A. Saggio, verb. Rs. C-240/98 und C-244/98, Slg. 2000 1-4943 Tz. 18 - Océano. 394 EuGH, verb. Rs. C-240/98 und C-244/98, Slg. 2000 1-4941 Tz. 22f. - Océano. 3 9 5 Zum Erfordernis eines Ausgewogenheitsmaßstabes bei der Konkretisierung von Abwägungsentscheidungen bereits oben, § 10 III. 2. 3 9 6 Zur Bedeutung der Konkretisierungserfahrung für die Sachrichtigkeit der Konkretisierung und zum Gebot des „Maß haltens" mit dem Konkretisierungsstand bereits oben, § 14 III. 2. a) bb). 3 9 7 Zu wünschen wäre es allerdings, dass der EuGH entsprechende Zurückhaltung auch deutlich macht, etwa durch den Zusatz, dass beim „derzeitigen Stand" der Rechtsprechungspraxis eine allgemeinere Aussage hierzu noch nicht möglich ist.

406

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

c) Innerprozessualer Dialog mit dem vorlegenden

Gericht

Schließlich kann der E u G H die Akzeptanz und Wirksamkeit seiner Konkretisierungsvorgaben auch durch die Verfahrensleitung und -gestaltung positiv beeinflussen. Hierzu gehört vor allem die reale Verwirklichung des vielbeschworenen „judiziellen Dialogs" 3 9 8 . Auch im Interesse der Prozessökonomie ist es wünschenswert, dass der E u G H in einen möglichst formlosen, innerprozessualen Dialog mit dem vorlegenden Gericht eintritt. 399 Hieran ist nicht nur zu denken, wenn die Vorlagefrage klärungsbedürftig erscheint. Darüber hinaus könnte der E u G H das Vorabentscheidungsverfahren zum fortlaufenden, direkten Informations- und Gedankenaustausch mit dem vorlegenden Gericht über den nationalen Problemhintergrund, denkbare Lösungsvorschläge und deren Folgewirkungen nutzen. 4 0 0 Dass sich gerade das Vorabentscheidungsverfahren nicht auf die Übermittlung des Vorlagebeschlusses bzw. des Vorabentscheidungsurteils beschränken sollte, sondern auf weiter gehende Kommunikation zwischen vorlegendem Gericht und E u G H angewiesen ist, bestätigt auch die neugefasste Vorschrift des Art. 104 § 5 V e r f O - E u G H , die den E u G H ausdrücklich dazu ermächtigt, das vorlegende Gericht um „Klarstellungen" zu ersuchen. 401 Hierin sieht der Gerichtshof mit Recht ein „wertvolles Mittel..., um ein korrektes Verständnis der in dem Verfahren aufgeworfenen Rechtsprobleme zu ermöglichen." 402

IV. Zusammenfassung Das zentrale Problem im Zusammenhang mit konkretisierungsbedürftigen Sekundärrechtsakten ist die sachgerechte Aufgabenverteilung zwischen den nationalen Konkretisierungsakteuren und dem E u G H , und zwar zunächst auf nationaler Ebene und dann im Verhältnis zum E u G H . Auf nationaler Ebene unproblematisch ist die Verordnungskonkretisierung, weil hier nur die Rechtsprechung als Konkretisierungsakteur in Erscheinung tritt. Als schwieriger erweist sich die Richtlinienkonkretisierung, bei der auf nationaler Ebene Gesetzgebung und Rechtsprechung als KonkretisierungsakteuSiehe die Nachweise in Fn. 255. M. Dauses, Gutachten D zum 60. DJT, Bd. I, D 134f.; U. Everling, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, S. 75f. 400 Für ein „direktes Zwiegespräch" zwischen E u G H und vorlegendem Gericht auch U. Everling, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, S. 75 f. 401 Gegenstand einer solchen „Klarstellung" dürfte nicht nur die Vorlagefrage selbst sein, sondern auch die Schilderung des nationalen Problemhintergrundes; so Ch. Kohler/A. Knapp, ZEuP 2002, 700 (725). 402 Siehe Tätigkeitsbericht des Gerichtshofs für das Jahr 2001, sub. A. 4. (einzusehen unter www.curia.eu.int). 398 399

5 14 Aufgabenverteilung

im supranationalen

Konkretisierungsdialog

407

re konkurrieren. Das Gemeinschaftsrecht verlangt grundsätzlich nur, dass die ausfüllungsbedürftige Richtlinie überhaupt gesetzesförmig umgesetzt wird, nicht aber, dass auch die Konkretisierung durch den Gesetzgeber erfolgt. Eine legislative Konkretisierung dürfte aber dann erforderlich sein, wenn eine Richtlinie darauf abzielt, Angehörigen anderer Mitgliedstaaten Ansprüche zu verleihen. Anderes gilt, wenn die konkretisierungsbedürftige Bestimmung gewählt wurde, um judikative Einzelfallgerechtigkeit zu ermöglichen. Zumeist wird es aber in der Hand der Mitgliedstaaten liegen, ob sie die Konkretisierung von Richtlinienbegriffen schon mit dem gesetzlichen Umsetzungsakt leisten oder ihrerseits der Rechtsprechung übertragen. Gegenüber den nationalen Konkretisierungsakteuren genießt der EuGH die Letztentscheidungskompetenz. Dies entspricht inzwischen dem überwiegenden Standpunkt der wissenschaftlichen Diskussion. Vor allem die KlauselRichtlinie hat im deutschen Schrifttum eine intensive Diskussion darüber ausgelöst, ob die Befugnis der Letztkonkretisierung ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe und Generalklauseln in die Kompetenz des EuGH oder der nationalen Gerichte fällt. Die gegen eine Konkretisierungskompetenz des EuGH vorgebrachten Argumente - sie widerspreche dem Wesen der Richtlinie sowie der Rechtsangleichung, sie überschreite die dem EuGH mit dem Vorabentscheidungsverfahren eingeräumten Befugnisse, verletze das Subsidiaritätsprinzip, und es fehlten die erforderlichen materiellen Maßstäbe - vermögen in ihrer Generalität nicht zu überzeugen. Vielmehr kommt es im Einzelfall auf das vom Gemeinschaftsgesetzgeber mit dem jeweiligen Rechtsakt intendierte Ausmaß der Rechtsangleichung an. Anhaltspunkte hierfür finden sich insbesondere in den Erwägungsgründen sowie in der Regelungsteleologie des Rechtsaktes. Auf dieser Linie liegen nun auch die ersten Rechtsprechungszeugnisse. Mit der „Oceano"-Entscheidung hat der EuGH klargestellt, dass er die Konkretisierungskompetenz für sich in Anspruch nimmt, und mit der MaBV-Vorlage hat der B G H zum Ausdruck gebracht, dass er die vom EuGH beanspruchte Konkretisierungsbefugnis nicht nur anerkennt, sondern überdies auch bereit ist, durch eigene Vorlagen aktiv zum gemeinschaftlichen Konkretisierungsprozess beizutragen. Für das Gelingen des Konkretisierungsprozesses kommt es aber nicht nur auf die Wahrung der kompetenziellen Aufgabenverteilung an, sondern es bedarf eines sinnvollen Konkretisierungsdialogs zwischen den nationalen Konkretisierungsakteuren und dem EuGH. Dies verlangt von beiden Seiten die Bereitschaft zu Kooperation und Rücksichtnahme. Dazu eröffnet das Vorabentscheidungsverfahren den nationalen Gerichten wichtige Chancen zur Gestaltung und Steuerung des Konkretisierungsprozesses, insbesondere durch die Auswahl und Gestaltung der Vorlagen. Umgekehrt sollte der EuGH darauf bedacht sein, den mit der Vorlagefrage eröffneten Entscheidungsrahmen zu respektieren. Ebenfalls von großer Bedeutung für die Akzeptanz und praktische Wirk-

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Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

samkeit des Konkretisierungsprozesses sind Abfassung und Begründung der Vorabentscheidungsurteile sowie die innerprozessuale Kommunikation mit dem vorlegenden Gericht.

§ 1 5 Verwirklichung gemeinschaftlicher Konkretisierungsvorgaben

Hat der E u G H im Vorabentscheidungsverfahren über die Konkretisierung eines ausfüllungsbedürftigen Richtlinien- oder Verordnungsbegriffs entschieden, stellt sich als nächstes die Frage, wie die judizierten Konkretisierungsvorgaben im nationalen Recht verwirklicht werden können.1 Die Verwirklichung gemeinschaftsrechtlicher Konkretisierungsvorgaben ist Teil der aus dem ausfüllungsbedürftigen Rechtsakt folgenden Umsetzungs- und Befolgenspflichten. Sie unterscheiden sich nach der Art des ausfüllungsbedürftigen Rechtsaktes - Verordnung oder Richtlinie - sowie nach der Art der gewählten Konkretisierungsstrategie - legislative Konkretisierung oder judikative Konkretisierung. Weit gehend unproblematisch ist die Verwirklichung gemeinschaftsrechtlicher Konkretisierungsvorgaben, wenn der konkretisierungsbedürftige Begriff in einer Verordnung enthalten ist. Entscheidet der EuGH über die Konkretisierung eines ausfüllungsbedürftigen Verordnungsbegriffs, so nimmt diese Konkretisierung an der unmittelbaren Wirkung der Verordnung (Art. 249 Abs. 2 EG) teil. Genauso wie die Verordnung aus sich heraus gilt und grundsätzlich keiner mitgliedstaatlichen Mitwirkung, Intervention oder Inkorporierung bedarf,2 entfalten auch konkretisierende Klarstellungen unmittelbare Befolgenspflichten: Sie sind von den mitgliedstaatlichen Gerichten zwingend zu beachten; eventuell entgegenstehendes nationales Recht wird durch das Gemeinschaftsrecht i.S. des Anwendungsvorranges3 verdrängt. Schwieriger ist die Rechtslage in dem häufigeren Fall, dass ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe in Richtlinien enthalten sind.4 Anders als Verordnungen bedürfen Richtlinien der mitgliedstaatlichen Umsetzung, regelmäßig durch den 1 Anders als die vorstehenden Betrachtungen zur Verteilung der Konkretisierungskompetenz (oben § 14) ist diese Frage im Schrifttum bislang nicht näher untersucht worden. Sie wird aber mit zunehmender Konkretisierungspraxis zwangsläufig größere Bedeutung gewinnen. 2 Statt aller H.P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrechts, S. 450; B. Biervert, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 249 E G V Rdnr.21; zur Zulässigkeit „hinkender Verordnungen" siehe bereits oben, § 13 I. 1. a) bb). 3 Hierzu statt aller U. Everling, DVB1.1985, 1201 ff.; H.P. Ipsen, Gemeinschaftsrecht, S.255ff., 287ff.; Th. Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, S. 548ff., 554; R. Streinz, EuropaR, Rdnrn. 179ff.; kritisch K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 73 VI: „Euphemismus". - Dies gilt grundsätzlich auch für Konflikte mit dem nationalen Grundrechtsstandard; hierzu auch noch unten, § 1 6 . 1 . 1. b) bb) (3). 4 Beispiele für Richtlinien- und Verordnungskonkretisierung oben, § 12 II. 1., 2.

410

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

nationalen Gesetzgeber. 5 Auf welche Art und Weise sich die gemeinschaftsrechtlichen Konkretisierungsvorgaben im nationalen Recht verwirklichen lassen, hängt im Wesentlichen von der sprachlichen Fassung der anzuwendenden nationalen N o r m e n 6 und der dahinter stehenden Aufgabenverteilung zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung auf nationaler Ebene ab. J e nach Art der verfolgten Konkretisierungsstrategie - judikativer Konkretisierung oder legislativer Konkretisierung 7 - enthalten gemeinschaftliche Konkretisierungsvorgaben unterschiedliche Aufträge an die nationale Gesetzgebung und Rechtsprechung.

I. Judikative Konkretisierung Die bisherige Erfahrung im Umgang mit ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffen aus gemeinschaftlichen Sekundärrechtsakten zeigt, dass sich die nationalen Gesetzgeber zumeist dafür entscheiden, die ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffe durch richtlinienkongruente Begriffe in nationales Recht umzusetzen und die Konkretisierungsaufgabe damit der Judikative zu übertragen. 8 Dieses Vorgehen liegt vor allem dann nahe, wenn entsprechende ausfüllungsbedürftige B e griffe schon vorher existierten, wie beispielsweise beim Kontrollmaßstab von Art. 3 Abs. 1 der Klausel-Richtlinie, dem § 9 A G B G a.F. als Regelungsvorbild diente. 9 Die Beibehaltung der bereits existierenden ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffe verspricht eine unauffällige Umsetzung der Richtlinienanforderungen und lässt das gewohnte Erscheinungsbild des nationalen Rechts weit gehend unangetastet. 10 Dasselbe gilt, wenn der Gesetzgeber den ausfüllungsbedürftigen Richtlinienbegriff bei der Umsetzung lediglich sprachlich adaptiert, wie beispielsweise bei der Umsetzung des Ausschlusses der Vertragsauflösung bei „geringfügiger" Vertragswidrigkeit i.S. von Art. 3 Abs. 6 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie 1 1 durch den an das alte Recht ( § 4 5 9 Abs. 1 S.2 B G B a.F.) angeZum Erfordernis eines legislativen Umsetzungsaktes oben, §14 I. 1. a). So F. Rüffler, Ö J Z 1997, 121 (128). 7 Zu dieser Unterscheidung bereits oben, § 12 II. sowie § 14 I. 1. 8 Siehe auch schon oben, § 12 II. 9 Hierzu bereits oben, §14 bei Fn.312. 10 Allerdings ergeben sich aus der Umsetzungspflichtigen Richtlinie selbst - siehe etwa Art. 10 Abs. 2 der Klausel-Richtlinie - oder sonst aus Art. 10 Abs. 1 E G Zitier- und Hinweispflichten. Die Mitgliedstaaten müssen die Umsetzung der Richtlinie nicht nur in rechtlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht sicherstellen; dazu wird - gerade mit Blick auf die vielfach erforderliche richtlinienkonforme Auslegung - mit Recht für erforderlich gehalten, dass der Rechtsanwender überhaupt erkennen kann, dass eine nationale Vorschrift nach Vorstellung des Gesetzgebers der Richtlinienumsetzung dienen soll; so etwa S. Heß, Die Umsetzung von EG-Richtlinien im Privatrecht, S.44f.; siehe auch H.D. Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung von E G Recht, S.62f. 11 Richtlinie 1999/44/EG zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl.EG 1999 Nr. L 171/12. 5 6

§ 15 Verwirklichung gemeinschaftlicher Konkretisierungsvorgaben

411

lehnten Begriff der „unerheblichen" Pflichtverletzung ( § 3 2 3 A b s . 5 S . 2 B G B n.F.). 1 2 W i r d der E u G H zur Konkretisierung eines v o m nationalen G e s e t z g e b e r in das nationale R e c h t ü b e r n o m m e n e n oder adaptierten ausfüllungsbedürftigen B e griffs angerufen, ist zu überlegen, wie die Konkretisierungsentscheidung auf die nationale R e c h t s o r d n u n g einwirkt. Entscheidet sich der G e s e t z g e b e r für die Strategie judikativer Konkretisierung, geht es in erster Linie u m die Verpflichtung der Rechtsprechung zur Verwirklichung der gemeinschaftsrechtlichen Konkretisierungsvorgaben, d.h. um das G e b o t richtlinienkonformer K o n k r e t i sierung (unten 1.). Verpflichtungen des Gesetzgebers k ö n n e n sich ergeben, w e n n sich die gewählte U m s e t z u n g als unzulänglich oder unzulässig erweist (unten 2.).

1. V e r w i r k l i c h u n g d u r c h die R e c h t s p r e c h u n g :

richtlinienkonforme

Konkretisierung Entscheidungen des E u G H über die Konkretisierung eines ausfüllungsbedürftigen Richtlinienbegriffs, den der nationale Gesetzgeber durch einen gleichermaßen ausfüllungsbedürftigen, richtlinienkongruenten Begriff in das nationale R e c h t umgesetzt hat, sind verbindliche Konkretisierungsvorgaben für die nationalen Gerichte. 1 3 Soweit der Gemeinschaftsgesetzgeber den Mitgliedstaaten durch die ausfüllungsbedürftige Richtlinie keine Umsetzungsspielräume einräumen wollte, 1 4 hat der E u G H die K o m p e t e n z , den Richtlinieninhalt und damit die U m s e t z u n g s a n f o r d e r u n g e n durch Konkretisierungsentscheidungen abschließend zu determinieren. 1 5 I m R a h m e n seiner K o m p e t e n z zur autoritativen Letztkonkretisierung ist der E u G H befugt, den Richtlinieninhalt abschließend festzustellen. D u r c h solche Konkretisierungsentscheidungen werden die nationalen Umsetzungspflichten verdeutlicht. Hieraus folgt für die nationale R e c h t sprechung die Pflicht zur Verwirklichung des Richtlinieninhalts dergestalt, wie sie der E u G H im R a h m e n seiner K o n k r e t i s i e r u n g s k o m p e t e n z präzisiert hat. Diese Befolgenspflicht ist Teil der aus der Richtlinie folgenden U m s e t z u n g s pflicht nach Art. 2 4 9 A b s . 3 E G , die sich an alle staatlichen O r g a n e richtet: D i e Verpflichtung zur Richtlinienumsetzung wäre unvollständig, w e n n sie nicht auch die R e c h t s p r e c h u n g einbezöge, die die G e s e t z e erst „mit ihrem vollem I n halt füllt" und praktisch wirksam macht. 1 6 D i e Verpflichtungswirkung der

12 Zur Konkretisierung von § 323 Abs. 5 S. 2 B G B n.F. in Anlehnung an § 459 Abs. 1 S. 2 B G B a.F. etwa Jauernig/M. Vollkommer, §323 Rdnr. 20. 13 Siehe nur M. Nettesheim, AöR 119 (1994), 261 (281). 14 Zur Rechtsangleichungsintention der Richtlinie oben, § 14 II. 1. c). 15 Hierzu bereits oben, § 14 II., III. 16 Siehe nur C.-W. Canaris, in: FS für F. Bydlinski, S.47 (56); H.D. Jarass, EuR 1991, 211 (219f.); F. Rüffler, Ö ] Z 1997, 121 (123).

412

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

Richtlinie vermittelt daher nicht nur den Geboten richtlinienkonformer Auslegung und Rechtsfortbildung ihre dogmatische Grundlage, 17 sondern gilt genauso für die Beachtenspflicht von Konkretisierungsentscheidungen, also das Ge-

bot richtlinienkonformer a) Bestimmtheit

Konkretisierung™.

und Einschlägigkeit

der

Konkretisierungsvorgabe

Das Gebot richtlinienkonformer Konkretisierung setzt voraus, dass eine eindeutige, verpflichtende Konkretisierungsvorgabe existiert. Dieser Voraussetzung entspricht es, dass die richtlinienkonforme Auslegung genauso wie die unmittelbare Anwendbarkeit einer Richtlinie 19 an die Bedingung geknüpft werden, dass die Richtlinie „hinreichend bestimmt" ist.20 Ohne Existenz einer substantiierbaren Verpflichtung, so etwa F. Rüffler, bestehe keine Vorgabe, der im Wege der Auslegung zur Geltung verholfen werden könne. 21 Unter dieser Voraussetzung müsste das Gebot richtlinienkonformer Konkretisierung allerdings weit gehend leer laufen, weil es sich ja gerade auf ausfüllungsbedürftige, 17 Hierzu grundlegend EuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Tz. 26, 28 - von Colson und Kamann; Rs. 79/83, Slg. 1984,1921 - Harz; bestätigt u.a. in EuGH, Rs. 80/86, Slg. 1987,3969 Tz. 12 - Kolpinguis Nijmewegen; Rs. C-106/89, Slg. 19901-4135 Tz. 8 -Marleasing; siehe aus dem uferlosen Schrifttum zur richtlinienkonformen Auslegung nur W. Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S.247ff., 256ff.; C.-W. Canaris, in: FS für F. Bydlinski, S. 47 (55ff.); S. Grundmann, ZEuP 1996, 399 (401); M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.279f.; F. Rüffler, Ö J Z 1997, 121 (123); M. Ruffert, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 249 E G V Rdnr. 109; für eine Begründung der Befolgungspflicht aus Art. 10 E G (Art.5 Abs.2 EWGV) aber M. Nettesheim, AöR 119 (1994), 261 (268f.). 18 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-240/98 und Rs. C-244/98, Slg. 2000 1-4941 Tz. 30: Verpflichtung der Rechtsprechung zu richtlinienkonformer Auslegung, „um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Art. 189 Absatz 3 EG-Vertrag (jetzt Art. 249 EG) nachzukommen"; siehe auch R. Streinz, EuropaR, Rdnr. 393a: „Richtlinienkonforme Auslegung von Generalklauseln". 19 Zur hinreichenden Bestimmtheit als Voraussetzung der unmittelbaren Wirkung siehe nur A. Bleckmann, EuropaR, Rdnr. 433; Ch. Claßen, Nichtumsetzung von Gemeinschaftsrichtlinien, S. 69ff.; M. Ruffert, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-EG-Vertrag, Art. 249 Rdnr. 76; enger Th. Oppermann, EuropaR, Rdnr. 556: unmittelbare Wirkung nur bei „perfekten" Richtlinien, bei denen sich die Umsetzung in einem „Abschreiben" des Regelungsinhalts erschöpfen müsste; zur unmittelbaren Anwendbarkeit auch noch unten, § 15 I. 2. a). 20 So für die richtlinienkonforme Auslegung C.D. Classen, EuZW 1993, 83 (86): „Soweit das Gemeinschaftsrecht dem nationalen Recht... Spielraum gewährt, scheidet... eine richtlinienkonforme Interpretation aus"; genauso F. Rüffler, Ö J Z 1997,121 (125); A. Scherzberg, Jura 1993,225 (232); weiter gehend für richtlinienkonforme Auslegung auch bei unbestimmten Richtlinien C.W. Canaris, in: FS für F. Bydlinski, S. 47 (77f.): Vorrangwirkung der richtlinienkonformen Auslegung hinsichtlich des von der Richtlinie gelassenen „Rahmens" und ihrer „Grenzen"; gegen eine Beschränkung auf „hinreichend bestimmte" Richtlinien auch H.D. Jarass, EuR 1991, 211 (221); ders., Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S.91; W. Kahl, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 10 E G V Rdnr. 40; E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.450. 21 F. Rüffler, Ö J Z 1997, 121 (125).

5 15 Verwirklichung

gemeinschaftlicher

Konkretisierungsvorgaben

413

d.h. unbestimmte Richtlinien bezieht. Tatsächlich vermitteln ausfüllungsbedürftige Richtlinien aus sich heraus nur in Randbereichen zwingende Konkretisierungsvorgaben, vergleichbar den für das nationale Recht erläuterten, durch Auslegung ermittelbaren „äußeren" Delegationsgrenzen. 2 2 In diese Richtung geht die Feststellung von C.-W. Canaris, dass eine richtlinienkonforme „Auslegung" bei ausfüllungsbedürftigen Richtlinien nur insoweit möglich und brauchbar ist, als es um den mit der Richtlinie vorgegebenen „Rahmen" geht. 2 3 Innerhalb dieses Rahmens kann eine ausfüllungsbedürftige Richtlinie aus sich heraus jedoch keine Konkretisierungsvorgaben vermitteln, die der Rechtsprechung als G e b o t richtlinienkonformer Konkretisierung vorgehalten werden könnten. Auch wenn das G e b o t richtlinienkonformer Konkretisierung nicht an die Voraussetzung hinreichend bestimmter Richtlinienvorgaben geknüpft ist, setzt es die Existenz zwingender Konkretisierungsvorgaben voraus. Diese resultieren hier allerdings nicht aus der Richtlinie selbst, sondern werden erst auf judikativer Ebene geleistet, nämlich im Wege autoritativer Präzisierung des Richtlinieninhaltes durch den E u G H in Wahrnehmung seiner Befugnis zur Letztkonkretisierung. 2 4 M e h r noch als die richtlinienkonforme Auslegung dient die richtlinienkonforme Konkretisierung daher der Verwirklichung einschlägiger E u G H - R e c h t s p r e c h u n g zur Präzisierung und Ausformung des Sekundärrechts. Hat der E u G H in einem Vorabentscheidungsverfahren zur Konkretisierung eines ausfüllungsbedürftigen Richtlinienbegriffs Stellung genommen - in der „Oceano"-Entscheidung beispielsweise zur Missbräuchlichkeit einer Gerichtsstandsklausel gemessen an Art. 3 Abs. 1 Klausel-Richtlinie 2 5 - , ist diese Konkretisierungsvorgabe nicht nur im Ausgangsverfahren von dem vorlegenden G e richt im Rahmen der unmittelbaren Urteilswirkungen zugrunde zu legen, sondern auch von anderen Gerichten zu verwirklichen, wenn sie sachlich einschlägig ist. 2 6 Für die letztinstanzlich entscheidenden Gerichte ergibt sich dies mittelbar auch aus Art. 234 Abs. 3 E G , weil sie sonst zur Vorlage verpflichtet wären. 2 7 Hierzu bereits oben, §4 III. 2. C.-W. Canaris, in: FS für F. Bydlinski, S.47 (77f.); ähnlich E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 450: Maßgeblichkeit von Richtlinienzielen für die teleologische Auslegung. 2 4 Zur Konkretisierungskompetenz des E u G H bereits oben, § 14 II. 25 Hierzu bereits oben, § 14 II. 2. b). 2 6 Die Pflicht zur richtlinienkonformen Konkretisierung steht unter dem Vorbehalt, dass die früher judizierte Konkretisierungsvorgabe des E u G H auch den streitigen Sachverhalt erfasst; hierzu M. Nettesheim, A ö R 119 (1994), 261 (281). Der E u G H kann die praktische Wirksamkeit seiner Konkretisierungsvorgaben daher dadurch erhöhen, dass er ihre Reichweite erläutert; hierzu bereits oben, § 14 III. 3. a). Die Einschlägigkeit des herangezogenen Konkretisierungspräjudizes ist Ausdruck des Gebots sachrichtiger Konkretisierung; hierzu aus verfassungsrechtlicher Perspektive für das deutsche Recht oben, § 4 VI. 2.; insbesondere zur Einschlägigkeit von Quantifizierungen oben, § 11 III. 2. b), c) bb). 22 23

27

K. Langenhucher,

Jb.J.ZivRWiss. 1997, S.65 (76).

414

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

Im Übrigen ist die im Umsetzungsauftrag aus Art. 249 Abs. 3 E G wurzelnde Pflicht zu richtlinienkonformer Konkretisierung eine weitere Säule der bereits mehrfach konstatierten faktischen Präjudizwirkung 2 8 der Rechtsprechung des EuGH.

b) Vereinbarkeit mit dem nationalen Recht Genauso wie das G e b o t richtlinienkonformer Auslegung steht auch das G e b o t richtlinienkonformer Konkretisierung unter dem Vorbehalt, dass sich die K o n kretisierungsvorgabe im Einklang mit dem nationalen Recht verwirklichen lässt.

aa) Vorbemerkung zur richtlinienkonformen

Auslegung

Für die richtlinienkonforme Auslegung war der E u G H von Anfang an um die Wahrung der innerstaatlichen Kompetenzverteilung zwischen Rechtsprechung und Gesetzgebung bemüht. In der viel zitierten Passage aus der Entscheidung „von Colson und Kamann" 2 9 trägt er dem nationalen Gericht lediglich auf, „das zur Durchführung der Richtlinie erlassene Gesetz unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen der Richtlinie auszulegen und anzuwenden." 3 0 Voraussetzung ist daher, dass das nationale Recht den Gerichten einen Entscheidungsspielraum eröffnet. 3 1 Jedenfalls ihrem Anspruch nach vermittelt die richtlinienkonforme Auslegung keinen Titel dafür, dass die innerstaatliche Gewaltenordnung unterlaufen wird, sondern sie soll nur dann wirksam werden, wenn das nationale Recht richtlinienkonformes Judizieren im Einklang mit dem geschriebenen Recht und den Anforderungen der nationalen Methodenlehre 32 ermöglicht. Kann ein Gericht Richtlinienkonformität nur dadurch erzie28 M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 299ff.; gegen eine rechtliche Präjudizienbindung der nationalen Gerichte an Entscheidungen des E u G H K. Langenbucher,}b.].'Z\\^SfI\ss. 1997, in: FS für W. Zöllner, S. 1139 (1152): „mittelbare S.65 (76) m.w.N.; ähnlich C. W. Hergenröder, Präjudizienbindung" über die Zuständigkeitsordnung in Art. 234 Abs. 3 EG; zur faktischen Präjudizwirkung bereits oben, § 14 III. 3. a); zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen der Präjudizienachtung im nationalen Recht oben, §4 VI. 3. 29 E u G H , Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Tz. 26 - von Colson und Kamann. 30 Siehe genauso E u G H , Rs. 79/83, Slg. 1984, 1921 (1942) - Harz. 31 Hierzu etwa C.-W. Canaris, in: FS für F. Bydlinski, S.47 (56ff.); M. Nettesheim, AöR 119 (1994), 261 (275). 32 Richtlinienkonforme Auslegung kann daher nur innerhalb der Auslegungsregeln des nationalen Rechts verlangt werden. Dies entspricht der überwiegenden These von der richtlinienkonformen Auslegung als Vorzugsregel; hierzu W. Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S.266ff.; C.-W. Canaris, in: FS für F. Bydlinski, S.47 (56, 96ff.); W. Dänzer-Vanotti, D B 1994, 1052ff.; U. Ehricke, RabelsZ 59 (1995), 598 (613ff.); U. DiFabio, N J W 1990, 947 (953); M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 343f.; M. Gellermann, Be-

§ Ii

Verwirklichung

gemeinschaftlicher

Konkretisierungsvorgaben

415

l e n , d a s s es s e i n e n a c h n a t i o n a l e m R e c h t e i n g e r ä u m t e n B e f u g n i s s e ü b e r s c h r e i t e t , steht v i e l m e h r fest, dass das materielle R e c h t d e n A n f o r d e r u n g e n der R i c h t l i n i e nicht genügt und der Gesetzgeber seiner Umsetzungspflicht nicht n a c h g e k o m m e n ist. R i c h t i g e r w e i s e ist d e r G e r i c h t s h o f an e n t s p r e c h e n d e F e s t s t e l l u n g e n d e r n a t i o n a l e n G e r i c h t e g e b u n d e n , 3 3 w o b e i allerdings ein „ H i n - u n d - H e r - W a n d e r n des B l i c k e s " 3 4 z w i s c h e n n a t i o n a l e m R e c h t u n d Richtlinie w ü n s c h e n s w e r t erscheint.35 D i e s u n t e r s t r e i c h t abermals das E r f o r d e r n i s eines tatsächlichen D i a logs z w i s c h e n den nationalen G e r i c h t e n u n d d e m E u G H . 3 6

bb) Grenzen richtlinienkonformer

Konkretisierung

D i e nationale F u n k t i o n e n o r d n u n g setzt auch d e m G e b o t richtlinienkonformer K o n k r e t i s i e r u n g d i e e n t s c h e i d e n d e n G r e n z e n : S i e ist n u r d o r t m ö g l i c h , w o d e m n a t i o n a l e n R i c h t e r ein e n t s p r e c h e n d e r E n t s c h e i d u n g s s p i e l r a u m e i n g e r ä u m t ist, s o d a s s die K o n k r e t i s i e r u n g s v o r g a b e „ u n t e r d e m D a c h " d e s n a t i o n a l e n R e c h t s v e r w i r k l i c h t w e r d e n k a n n ( u n t e n [ 1 ] ) . W e i t e r e G r e n z e n k ö n n e n s i c h aus d e n a l l g e m e i n e n innerstaatlichen A n f o r d e r u n g e n an die richterliche R e g e l b i l d u n g erg e b e n , i n s b e s o n d e r e aus d e n G r u n d s ä t z e n d e r R e c h t s s i c h e r h e i t u n d F o l g e r i c h -

einflussung des bundesdeutschen Rechts durch Richtlinien der E G , S. 197ff.; H.D. Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 93ff.; M. Nettesheim, A 5 R 119 (1994), 216 (266); F. Rüffler, Ö J Z 1997, 121 (126); E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 451 ff.; in diesem Sinne deutet A Staudinger, D B 2000, 2058 (2059f.) auch die „Océano"-Entscheidung (siehe E u G H , verb. Rs. C-240/98 und C-244/98, Slg. 2000 1-4041 Tz. 30, 32). Weiter gehend für einen Vorrang richtlinienkonformer Auslegung, wenn sich ein gesetzgeberischer Wille zur Richtlinienumsetzung nachweisen lässt, S. Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, Rdnrn. 160ff.; ders., J Z 1996,274 (282); ders., ZEuP 1996, 399 (412ff.); kritisch dazu C.-W. Canaris, in: FS für F. Bydlinski, S. 47 (98,100); zur Zulässigkeit richtlinienkonformer Rechtsfortbildung noch unten, § 15 I. 2. a) bb). 33 Dies gilt insbesondere für die Feststellung nationaler Gerichte, dass Richtlinienkonformität nicht mit den nationalen Auslegungsmethoden hergestellt werden könne. Diese Feststellung hat der E u G H gerade in jüngeren Entscheidungen respektiert; siehe besonders deutlich E u G H , Rs. C-334/92, Slg. 1993 1-6911 Tz. 22 - Wagner Miret; hierzu F. Rüffler, Ö J Z 1997, 121 (126); G. C. Rodríguez Iglesias/K. Riechenberg, in: FS für U. Everling, Bd. II, S. 1213 (1222ff.); E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.451; M. Zöckler, Jb.J.ZivRWiss. 1992, S. 141 (157). Siehe auch die Entscheidungen E u G H , Rs. C-91/92, Slg. 1994 1-3325 Tz. 26f. - Faccini Dori; Rs. C - l 92/94, Slg. 1996 1-1281 Tz. 22 - El Corte Inglés. Damit dürfte eine „Trendwende" gegenüber den Entscheidungen „von Colson und Kamann" sowie „Harz" (hierzu S. Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, Rz. 159) eingetreten sein. Eine weiter gehende Bereitschaft zur Strapazierung der nationalen Auslegungsmöglichkeiten scheint das britische House of Lords zu haben; hierzu S. Vogenauer, ZEuP 1997, 158 (168ff.). 34 In Anlehnung an das plastische Bild von K. Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 14f.; hierzu bereits oben, §2 I. 3. b). 35 So für die Suche nach den erforderlichen Beurteilungsspielräumen C.-W. Canaris, in: FS für F. Bydlinski, S.47 (97); siehe auch H. Roth, J Z 1999, 529 (536 Fn.99). 3 6 So nachdrücklich für die richtlinienkonforme Auslegung M. Schwab, Z G R 2000, 446 (464ff.).

416

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

tigkeit judikativer Regelbildung (unten [2]) sowie aus der Grundrechtsbindung (unten [3]).

(1) Materielle

Delegationsgrenzen

Hat sich der innerstaatliche Gesetzgeber für das Konzept judikativer Konkretisierung entschieden und die Konkretisierungsaufgabe seinerseits durch richtlinienkongruente Begriffe im nationalen Umsetzungsgesetz an die Rechtsprechung weiterdelegiert, so wird sich die gemeinschaftliche Konkretisierungsvorgabe in aller Regel unproblematisch im Rahmen der nationalen Funktionenordnung verwirklichen lassen. Mit der Übernahme der ausfüllungsbedürftigen Richtlinienbegriffe in nationales Recht hat der nationale Gesetzgeber der Rechtsprechung die zur Übernahme der gemeinschaftlichen Vorgaben erforderlichen Freiräume eröffnet. Ihre Verwirklichung durch die Rechtsprechung entspricht daher gerade der vom Gesetzgeber vorgezeichneten Aufgabenverteilung. 37 Dass das G e b o t gemeinschaftsrechtlicher Konkretisierung bei der U m setzung durch richtlinienkongruente Begriffe an die Grenzen des der Rechtsprechung vom nationalen Gesetzgeber erteilten Delegationsauftrages stößt, dürfte daher ein weit gehend akademisches Problem darstellen. Die Grenzen des Delegationsauftrages wären aber erreicht, wenn der E u G H eine Konkretisierungsvorgabe judizierte, die sich aus der Perspektive des deutschen Methodenverständnisses unter keinem denkbaren Aspekt mit dem Wortsinn des in das nationale Recht übernommenen Richtlinienbegriffes vereinen ließe und daher den Delegationsauftrag überschritte. 3 8 Allerdings ist gerade bei normativ-ausfüllungsbedürftigen Begriffen nur selten ein fester Wortsinn auszumachen. 3 9 Auch sprachliche Adaption rührt zumeist nicht an den Inhalt des ausfüllungsbedürftigen Begriffs: Wenn der deutsche Gesetzgeber in Anknüpfung an die Regelungstradition des § 4 5 9 Abs. 1 S.2 B G B a.F. in § 3 2 3 Abs. 5 S. 2 B G B n.F. eine „unerhebliche" Pflichtverletzung anstatt einer „geringfügigen" Vertragswidrigkeit (Art. 3 Abs. 6 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie 4 0 ) voraussetzt, so bedeutet dies keine inhaltliche Veränderung des Delegationsauftrages. 41 Auch bei sprachlicher Adaption dürften gemeinschaftsrechtliche K o n -

37 Genauso F. Rüffler, Ö J Z 1997,121 (128): .„Flexible' Normen, solche, die mit unbestimmten Rechtsbegriffen operieren ..., sind praktisch immer einer richtlinienkonformen Auslegung [besser: Konkretisierung, Anm. d. Verf.] zugänglich." 38 Zur Bindung der Rechtsprechung an den Delegationsauftrag oben, § 4 V.; zur Verwirklichung der Gesetzesbindung der Normkonkretisierung durch Auslegung oben, § 5 III. 2. 39 Vgl. oben, § 5 III. 2. a). 40 Richtlinie 1999/44/EG zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl.EG 1999 Nr. L 171/12. 41 In dem bloßen Austausch solcher Gewichtungsbegriffe liegt daher auch keine eigenständige Konkretisierung; siehe bereits oben im Zusammenhang mit Scheinkonkretisierungen, § 8 II. Für Fortgeltung alter Konkretisierungen etwa Jauernig/M. Vollkommer, §323 Rdnr. 20.

§ Ii

Verwirklichung

gemeinschaftlicher

Konkretisierungsvorgaben

417

kretisierungsvorgaben daher k a u m zu realen Unvereinbarkeiten mit dem nach nationaler M e t h o d i k zu entfaltenden Wortsinn führen. H i n z u k o m m e n müsste ü b e r d i e s d e r e i n d e u t i g e W i l l e des G e s e t z g e b e r s , 4 2 d a s s s i c h d a s K o n k r e t i s i e rungsmandat der R e c h t s p r e c h u n g gerade nicht auf eine b e s t i m m t e , v o m E u G H nun vorgegebene Konkretisierung erstrecken solle.43 W e n n s o w o h l der W o r t s i n n als a u c h d e r b e w u s s t e W i l l e des G e s e t z g e b e r s e i n e e n t s p r e c h e n d e K o n k r e tisierung hindern, geht die G e s e t z e s b i n d u n g des innerstaatlichen R i c h t e r s der g e m e i n s c h a f t s r e c h t l i c h e n V e r p f l i c h t u n g des M i t g l i e d s t a a t e s v o r . 4 4

Allerdings

w ä r e in e i n e m s o l c h e n F a l l n o c h z u ü b e r l e g e n , w a r u m d i e s e E i n s c h r ä n k u n g d e s K o n k r e t i s i e r u n g s m a n d a t s n i c h t G e s e t z g e w o r d e n ist b z w . w a r u m d e r G e s e t z geber die K o n k r e t i s i e r u n g s a u f g a b e - gerade w e n n v o n v o r n h e r e i n V o r b e h a l t e g e g e n d i e e u r o p ä i s c h e K o n k r e t i s i e r u n g s e n t w i c k l u n g b e s t a n d e n - n i c h t v ö l l i g an sich g e z o g e n hat.45 S o l l t e es g l e i c h w o h l d a z u k o m m e n , d a s s d e r v o m n a t i o n a l e n G e s e t z g e b e r e r teilte D e l e g a t i o n s a u f t r a g der R e c h t s p r e c h u n g b e w u s s t nicht erlaubt, eine gemeinschaftliche

Konkretisierungsvorgabe

im Einklang mit dem

nationalen

R e c h t zu v e r w i r k l i c h e n , bliebe i m m e r n o c h die M ö g l i c h k e i t , das g e w ü n s c h t e E r g e b n i s ü b e r das T o r der allgemeinen zivilrechtlichen G e n e r a l k l a u s e l n ( § § 138,

42 Contra legem-Judizieren beginnt jedenfalls dort, wo die Rechtsfindung zugleich „mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde"; so B A G , N J W 1990, 65 (66); C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 119; D. Looschelders/W. Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, S. 258 jeweils m.w.N. Nur auf die „Regelungsabsicht" bzw. die „Zwecksetzung" des Gesetzgebers abstellend / . Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, S. 132, 148ff. - In Osterreich folgt die Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens aus § 6 A G B G ; hierzu allgemein F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 566ff. Speziell mit Blick auf die Grenzen richtlinienkonformer Auslegung C.-W. Canaris, in: FS für F. Bydlinski, S. 47 (91 ff.); H.D.Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 95; /. Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts, S. 51 f.; F. Rüffler, Ö J Z 1997,121 (127f.); weiter gehend aber C. W. Hergenröder, in: FS für W. Zöllner, S. 1139 (1149f.): Auch bei eindeutiger Richtlinienwidrigkeit des einfachen Rechts bestehe eine Pflicht zur richtlinienkonformen Fortbildung des Rechts, weil durch die Richtlinienwidrigkeit eine planwidrige Lücke entstanden sei. Zu Grundsatz und Grenzen richtlinienkonformer Rechtsfortbildung noch unten, § 15 I. 2. a) bb). 43 Anders U. Everling, Z G R 1992, 376 (381): „Die Entstehungsgeschichte und der Wille des Gesetzgebers können nicht maßgeblich sein, wenn das nationale Recht der Umsetzung dient, denn diese bildet dann die Grundlage der nationalen Regelung und gibt ihr die sachliche Rechtfertigung." 4 4 Ebenso W. Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 269; M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 399f. 45 In der Praxis wird vielmehr vermutet, „dass der deutsche Gesetzgeber nicht hinter den Anforderungen einschlägiger EG-Richtlinien zurückbleiben wollte"; so B G H , N J W 1993, 1594 (1595); B G H Z 63, 261 (264f.); B G H , N J W 1996, 930 (932). Ist der Gesetzgeber zur Umsetzung tätig geworden, kann allerdings zumeist - mangels entgegenstehender Anhaltspunkte - vermutet werden, dass er auch eine richtlinienkonforme Umsetzung erstrebte; vgl. auch W. Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S.269f.

418

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

242 BGB) zu verwirklichen. 46 Allerdings darf die nationale Funktionenordnung auch über den Umweg der Generalklauseln nicht durchbrochen werden: Generalklauseln sind keine „Wunderwaffe" 47 , um dem Gebot richtlinienkonformer Konkretisierung in jedem Falle zum Durchbruch zu verhelfen. Vielmehr dürften sie nur dann zu Einfallstoren für gemeinschaftsrechtliche Konkretisierungsvorgaben avancieren, wenn sich aus dem nationalen Recht keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die speziellen, zur Richtlinienumsetzung erlassenen oder beibehaltenen Regelungen als abschließende Normierung intendiert waren. 48 Möglich ist der Umweg über die Generalklauseln daher nur dann, wenn das Gesetz trotz eines entsprechenden Umsetzungswillens 49 die Verwirklichung der Konkretisierungsvorgabe (noch) nicht ermöglicht. 50

(2) Verfassungsrechtliche

Konkretisierungsanforderungen

Friktionen zwischen dem Gebot richtlinienkonformer Konkretisierung und dem nationalen Recht können sich auch aus den sonstigen verfassungsrechtlichen Anforderungen 51 an die richterliche Regelbildung ergeben. Ansatzpunkte sind die Unverträglichkeiten, die daraus resultieren, dass sich die „neue" Konkretisierungsvorgabe - auch wenn sie den Wortsinn und den Umsetzungswillen des Gesetzgebers hinter sich hat - in ein gewachsenes System privatrechtlicher Konkretisierungspraxis einfügen muss. Daraus können Konflikte mit solchen Verfassungsgeboten resultieren, die die Kontinuität und die systematische Folgerichtigkeit richterlicher Regelbildung garantieren, also die Gebote der Rechtssicherheit 52 und der Gleichgerechtigkeit 53 . 4 6 Zur Zulässigkeit eines solchen Rückgriffs auf „allgemeine Vorschriften" zur Verwirklichung der Richtlinienvorgaben e t w a A. Bach, J Z 1990,1108 (1112); M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 399 in Analogie zu Art. 36 E G B G B (S.314ff.); siehe auch P.-Ch. Müller-Graff, D R i Z 1996, 305 (313); K. Tonner, J Z 1996, 533 (538f.); kritisch C.-W. Canaris, in: FS f ü r F. B y d l i n s k i , S.47 (62ff.). 47 C.-W. Canaris, in: FS für F. Bydlinski, S . 4 7 (71). 4 8 Ahnlich C.-W. Canaris, in: FS für F. Bydlinski, S. 47 (71): Generalklauseln dürfen nur in den Grenzen ihres A n w e n d u n g s b e r e i c h s herangezogen w e r d e n und nicht zu einer gesetzeswidrigen A u s w e i t u n g der geschriebenen Tatbestände führen. 49 Verweigert der N o r m g e b e r ausdrücklich die gebotene U m s e t z u n g , ist die Rechtsprechung an der Herstellung von Richtlinienkonformität gehindert; der Konflikt ist auf politischer Ebene zu lösen. Siehe auch W. Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 269; M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 399f.; im Ü b r i g e n zu den A n f o r derungen an den Gesetzgeber noch unten, § 16 I. 2., II. 50 So das von C.-W. Canaris, in: FS für F. B y d l i n s k i , S.47 (71) gewählte Beispiel zur U m s e t zung der Klausel-Richtlinie in der Zwischenzeit vom Ablauf der Umsetzungsfrist bis z u m Inkrafttreten von § 2 4 a A B G B ; hierzu schon die Empfehlung von H. Heinrichs, N J W 1995, 153 (156f.). 51 H i e r z u oben, § 4 VI. 2.-6. 52 Zum Gebot der Rechtssicherheit oben, § 4 VI. 3. 53 Zum Gebot der Gleichgerechtigkeit oben, § 4 VI. 4. a); z u m Gebot systematischer Folgerichtigkeit oben, § 4 VI. 4. b).

5 Ii Verwirklichung

gemeinschaftlicher

Konkretisierungsvorgaben

419

Konflikte mit den verfassungsrechtlichen 54 Anforderungen an Rechtssicherheit sind denkbar, wenn das nationale Recht zur Richtlinienumsetzung beibehalten wurde, nun aber vom EuGH eine Konkretisierung vorgegeben wird, die von der bislang judizierten Konkretisierungspraxis abweicht. Hier gerät das Gebot richtlinienkonformer Konkretisierung in Widerstreit mit Vertrauensschutzerwägungen 55 . Als ultima ratio besteht immer die Möglichkeit, dass der Gesetzgeber den präjudiziell geschaffenen Vertrauensschutztatbestand durch eine gesetzliche Regelung aufhebt. Im Übrigen ist sorgfältig zu überlegen, ob das Vertrauen auf Fortbestand einer nationalen Judikaturpraxis auch dann schutzwürdig ist, wenn sich die Rechtsprechung dadurch in Widerstreit zu Vorgaben des EuGH setzen würde. Im Regelfall dürfte die mit der Abkehr vom Präjudizienbestand verbundene Einbuße an Rechtssicherheit kompensiert sein durch den Gewinn an „Wertungsharmonie", hier bezogen auf die Vereinbarkeit mit den gemeinschaftsrechtlich vorgegeben Maßstäben. 56 Ähnlich dürften sich etwaige Konflikte mit dem Gebot systematischer Folgerichtigkeit 57 lösen lassen.

(3) Insbesondere

grundrechtliche

Konkretisierungsanforderungen

Diffiziler ist die Rechtslage für materielle Verfassungsvorgaben, d.h. vor allem für das Verhältnis zwischen den Grundrechten des Grundgesetzes und dem gemeinschaftlichen Grundrechtsschutz. Auch wenn sich die Gemeinschaft zusehends als Verfassungs- und Wertegemeinschaft 58 konstituiert 59 , bleibt doch denkbar, dass eine vom EuGH judizierte Konkretisierungsvorgabe aus nationa54 Eine andere Frage betrifft die Beachtlichkeit der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts, namentlich den Grundsatz der Rechtsicherheit, das Rückwirkungsverbot sowie die Gemeinschaftsgrundrechte; vgl. EuGH, Rs. 80/86, Slg. 1987, 3969 Tz. 13 - Kolpinghuis Nijmwegen; Rs. C-481/99, NJW 2002,281 Tz. 52 - Heininger. Dies ist insoweit weniger problematisch, als die Geltung dieser Grundsätze sowohl für den konkretisierenden EuGH als auch für den die Konkretisierung verwirklichenden nationalen Richter außer Streit steht; hierzu für die richtlinienkonforme Auslegung C.D. Classen, EuZW 1993, 83 (87); F. R ü f f l e r , ÖJZ 1997, 121 (128ff.); zu diesem Unterschied M. Nettesheim, AöR 119 (1994), 261 (275). 55 Hierzu oben, §4 VI. 3. b) bb). 56 Vgl. zu diesem Argument als Begründung der Abweichungsbefugnis oben, §4 VI. 3. b) cc). Siehe auch K. Tonner, JZ 1996, 533 (540): „Ausstrahlungswirkung" europäischer Wertungen über die ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffe des nationalen Zivilrechts. 57 Hierzu oben, §4 VI. 4. b). 58 Zur Bedeutung der Grundrechtecharta für den europäischen Verfassungsprozess sowie zu Richtung und Inhalten einer europäischen Verfassungsentwicklung etwa A. v. Bogdandy, JZ 2001, 157ff.; U. Di Fabio, JZ 2000, 737ff.; A. Iber, ZEuS 2002, 483ff.; /. Pernice, DVB1.2000, 847ff.;]. Schwarze, JZ 1998, 1077 (1083ff.); ders., NJW 2002, 993ff.; P. Szczekalla, DVB1.2001, 345ff.; A. Weber, NJW 2000, 847ff. sowie insbesondere die Beiträge von Ch. Möllers undJ. Rahling, in: A. v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 1 ff., 583ff. 59 Zum „Konstitutionalisierungsprozess" der Gemeinschaft B. Beutler, in: B. Beutler/R. Bieber/J. Pipkorn/J. Streil (Hrsg.), Die Europäische Union, Rdnrn. 640,1299ff.; Ch. Möllers, in: A. v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. lff.

420

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

ler Sicht in Konflikt gerät mit den deutschen Grundrechtsbindungen konkretisierender Regelbildung 60 . Nach wie vor sind grundgesetzlicher und gemeinschaftlicher Grundrechtsschutz 61 nicht völlig deckungsgleich. 62 Auch wenn sich die materiellen Unterschiede immer mehr verwischen, verbleiben doch einige grundsätzliche, funktionale Unterschiede: Der in der Gemeinschaft garantierte Grundrechtsschutz zielt auf den Gemeinschaftsgesetzgeber, 63 während der grundgesetzliche Grundrechtsschutz seine besondere Wirksamkeit dem Institut der Verfassungsbeschwerde und damit seiner individualrechtlichen Ausgestaltung verdankt. Die unterschiedliche Ausrichtung von grundgesetzlichem und gemeinschaftlichem Grundrechtsschutz äußert sich auch darin, dass der E u G H von Anfang an die funktionell-rechtlichen Grenzen seiner Jurisdiktionsgewalt betont hat, was zu einer - im Vergleich zur deutschen Rechtsprechung - erheblichen Zurücknahme der grundrechtlichen Kontrolldichte geführt hat. 64 Auch ist die Grundrechtsfunktion der Schutzpflicht, auf die es im privatrechtlichen Verhältnis ja vorrangig ankommt, als Grenze für das Handeln der Gemeinschaftsorgane noch weit gehend konturenlos. 65 Dieser Befund wird durch die Schutzverstärkungsklausel von Art. 53 der Grundrechtecharta bestätigt. Danach genießen Grundrechtsverbürgungen in völkerrechtlichen Verträgen und in den Verfassungen der Mitgliedstaaten VorHierzu oben, §4 VI. 6. b). Hierzu statt Vieler nur B. Beutler, in: B. Beutler/R. Bieber/J. Pipkorn/J. Streil (Hrsg.), Die Europäische Union, Rdnrn. 638ff.; E. Chuiolik-Lanfermann, Grundrechtsschutz in der Europäischen Union, 1994;/. Kokott, A ö R 121 (1996), 599ff.; D. Kugelmann, Grundrechte in Europa, 1997;/. Kühling, in: A. v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 583ff.;/. Limbach, Grundrechtsschutz in der Europäischen Union, 2001; Th. Oppermann, EuropaR, Rdnrn. 489ff.; H.-W. Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1993; R. Streinz, EuropaR, Rdnrn. 355ff.; /. Wetter, Die Grundrechtscharta des Europäischen Gerichtshofes, 1998, jeweils m.w.N. 62 Vgl. auch BVerfGE 102, 147 (164) - Bananenmarkt-Beschluss: Ein „deckungsgleicher Schutz in den einzelnen Grundrechtsbereichen des Grundgesetzes durch das europäische Gemeinschaftsrecht und die darauf fußende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs" sei aus Sicht der „Solange II"-Rechtsprechung auch nicht gefordert. 63 Gegen individualrechtliche Wirkungen der Grundrechtecharta durch entsprechende Rechtsschutzmöglichkeiten M. Schröder, J Z 2002, 849 (853f.); de constitutione ferenda für eine Ausdehnung des gemeinschaftsrechtlichen Individualrechtsschutzes auch auf der Ebene der Grundrechte im Interesse größerer Konvergenz nachdrücklich Ch. Calliess, N J W 2002, 3577 (3580ff.). 64 Ch. Calliess, EuZW 2001, 261 (262); näher zur Kontrolldichte des E u G H A. v. Bogdandy, J Z 2001, 157 (163ff.) m.w.N. 65 Die wenigen Entscheidungen des E u G H , die sich der Kategorie der Schutzpflicht zuordnen lassen, beziehen sich durchweg auf mitgliedstaatliche Maßnahmen; siehe Th. Kingreen, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 6 E U V Rdnrn. 47a, 48; zu den Ansatzpunkten für gemeinschaftliche Schutzpflichten P. Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 459ff.; ähnlich die Feststellung von L. Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S.212ff.: „grundsätzliche Aufgeschlossenheit" der europäischen Rechtsprechung in Bezug auf die Schutzpflichten. 60 61

§ Ii

Verwirklichung

gemeinschaftlicher

Konkretisierungsvorgaben

421

rang für den Fall, dass sie weiter reichenden Schutz gewähren.66 Auch die Urheber der Grundrechtecharta waren sich daher gewisser nach wie vor bestehender Unterschiede im Grundrechtsschutz bewusst. Bleibt der von der Grundrechtecharta verbürgte Grundrechtsschutz hinter dem nationalen Grundrechtsschutz zurück, soll sich der Unionsbürger auf die höheren Anforderungen des nationalen Rechts berufen können. Für den hier interessierenden Zusammenhang folgt daraus, dass die nationalen Grundrechtsanforderungen dem Gebot richtlinienkonformer Konkretisierung eine Grenze setzen. Der nationale Richter darf einer gemeinschaftlichen Konkretisierungsvorgabe insoweit die Gefolgschaft versagen, als sie mit nationalen Grundrechtsgeboten nicht vereinbar ist. Allerdings gilt die Schutzverstärkungsklausel nur für die Grundrechte der Grundrechtecharta und ist daher ihrerseits (noch) nicht verbindlich.67 Auch wenn die Grundrechtecharta inhaltlich den derzeitigen Kernbestand des vom EuGH richterrechtlich entwickelten Grundrechtsbestandes widerspiegelt, kann daraus nicht unbesehen die Geltung der Schutzverstärkungsklausel gefolgert werden. Sie stellt vielmehr ein Novum dar, das für das Verhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Verfassungsrecht völlig andere Akzente setzt als der bislang kompromisslos judizierte Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts68 und die Zurückstufung der Grundrechtsverantwortung des BVerfG auf ein „Wächteramt".69 Nachdem das BVerfG die Eingriffsschwelle deutscher Grundrechtsverantwortung abermals abgesenkt hat auf den „unabdingbaren Grundrechtsstandard"70, wird der gemeinschaftsrechtliche Grundrechtsstandard die Grundrechte des Grundgesetzes - zumal im prinzipiell weniger grundrechtssensiblen Privatrecht - weit gehend überlagern.71 Ch. Calliess, E u Z W 2 0 0 1 , 261 (267); Ch. Grabenwarter, DVB1.2001, 1 (10f.). Die Grundrechtecharta wurde auf dem Gipfel von Nizza feierlich proklamiert, ist aber nicht Gegenstand der Verträge geworden und daher bislang unverbindlich; hierzu nur Ch. Calliess, EuZW 2001, 261 (266ff.). In der Rechtsprechung des E u G H wird sie daher bis auf weiteres den Rang einer selbstständigen Rechtserkenntnisquelle einnehmen; hierzu Ch. Grabenwarter, DVB1.2001,1 (11 f.); teilweise abweichend Th. Kingreen, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), E U - / EG-Vertrag, Art. 6 E U V Rdnrn. 35a, 40a, 40b. Kritisch zu der Überlegung, die Charta durch Verweisung in Art. 6 Abs. 2 E U V verbindlich zu machen, M. Schröder, J Z 2002, 849 (852f.). 6 8 Siehe nur die Darstellungen von Th. Kingreen, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), E U - / EG-Vertrag, Art. 6 E U V Rdnrn. 86ff.; B. Rickert, Grundrechtsgeltung bei der Umsetzung europäischer Richtlinien in innerstaatliches Recht, S. 114 ff. 6 9 Siehe die grundlegenden Entscheidungen BVerfGE 37, 271 (279f.) - Solange I; 73, 339 (375f.)-Solange II; 89,155 (174f.)-Maastricht; 102,147 (164)-Bananenmarkt-Beschluss. Ähnlich Th. Kingreen, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 6 E U V Rdnr. 88: „Rolle eines Reservisten"; siehe im Übrigen zur Rechtsprechung des BVerfG die Darstellung von B. Rickert, Grundrechtsgeltung bei der Umsetzung europäischer Richtlinien in innerstaatliches Recht, S. 116ff. 70 BVerfGE 89,155 (174f.)-Maastricht; 102,147(163f.)-Bananenmarkt-Beschluss; zu dieser Eingriffsschwelle U. Kischel, Der Staat 39 (2000), 523ff.; kritisch mit Blick auf Art. 23 Abs. 1 S. 1 G G M. Schröder, DVB1.1994, 316 (323); H.-D. Horn, DVB1.1995, 89 (91). 71 Weiter gehend R. Streinz, EuropaR, Rdnr. 202: Der Bananenmarkt-Beschluss mache die 66

67

422

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

De lege lata ist der nationale Richter daher im Sinne des vom BVerfG akzeptierten Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts, an dem auch judikative Konkretisierungsvorgaben des E u G H teilhaben, an die gemeinschaftliche Grundrechtsaussage gebunden: Vermag der EuGH keinen Konflikt mit den gemeinschaftlichen Grundrechten zu sehen, kann der nationale Richter hiervon prinzipiell nicht abweichen. Grundsätzlich anders würde sich die Rechtslage aber darstellen, wenn mit der Grundrechtecharta auch die Schutzverstärkungsklausel (Art. 53 Grundrechtecharta) Primärrecht würde. Dann wäre der nationale Richter berechtigt, insoweit von nationalen Konkretisierungsvorgaben abzuweichen, als dies zur Verwirklichung höherer nationaler Grundrechtsvorgaben geboten wäre.

2. Verwirklichung durch den Gesetzgeber Auch wenn sich der Gesetzgeber auf eine Umsetzung durch richtlinienkongruente ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe beschränkt und der Rechtsprechung weit reichende Konkretisierungsspielräume eröffnet, kann der Gesetzgeber zum „Nachfassen" verpflichtet sein, weil sich die gewählte Umsetzung als untauglich erweist. Gründe für die Untauglichkeit können erstens in der gemeinschaftsrechtlichen Unzulänglichkeit der der Rechtsprechung eingeräumten Entscheidungsspielräume liegen, also wenn sich herausstellt, dass die Rechtsprechung die gebotene richtlinienkonforme Konkretisierung nicht unter dem Dach des einfachen Rechts verwirklichen kann (unten a). Zweitens kann sich die Unzulässigkeit der Delegation herausstellen, also dass der Gesetzgeber die Konkretisierung hätte selbst leisten müssen (unten b). a) Unzulänglichkeit

des einfachen

Rechts

Übernimmt der Gesetzgeber die ausfüllungsbedürftigen Richtlinienbegriffe in nationales Recht, wird die Rechtsprechung in aller Regel in der Lage sein, lege artis zustande gekommene Konkretisierungsentscheidungen des E u G H unter dem Dach des nationalen Rechts zu verwirklichen, und zwar auch dann, wenn der nationale Gesetzgeber die ausfüllungsbedürftigen Richtlinienbegriffe sprachlich adaptiert hat.72 Sollte es gleichwohl einmal dazu kommen, dass der E u G H eine Konkretisierungsvorgabe judiziert, die sich nach nationalem Methodenverständnis unter keinem denkbaren Aspekt mit dem Wortsinn des naAktivierung des Prüfungsvorbehalts von „so hohen Hürden abhängig, dass er praktisch wohl bedeutungslos sein dürfte"; ähnlich die Prognose von Th. Kingreen, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 6 E U V Rdnr. 89: Nach dem Bananenmarkt-Beschluss seien Konflikte „weniger denn je wahrscheinlich". 7 2 Siehe bereits vorstehend, § 15 I. 1. b) aa).

5 15 Verwirklichung

gemeinschaftlicher

Konkretisierungsvorgaben

423

tionalen Rechts vereinen ließe, kann dies ein Nachfassen des Gesetzgebers erforderlich machen. Beruht die Richtlinienwidrigkeit auf Fehlvorstellungen des Gesetzgebers über die Reichweite des ausfüllungsbedürftigen Richtlinienbegriffs, so trifft den Gesetzgeber auch die Primärverantwortung für die Richtlinienkonformität des einfachen Rechts. Nur in engen Grenzen kann die Rechtsprechung über die Umsetzungsdefizite hinweghelfen. Denkbar wäre, dass sie die Richtlinie selbst unmittelbar anwendet (unten aa) oder dass sie das einfache Recht richtlinienkonform fortbildet (unten bb).

aa) Unmittelbare

horizontale

Anwendung

der

Richtlinie?

Eine erste Möglichkeit wäre, dass die nationalen Gerichte die vom E u G H vorgegebene Konkretisierung nicht im Rahmen des nationalen Rechts zu verwirklichen suchen, sondern sich unmittelbar auf die Richtlinie stützen, sie also „unmittelbar anwenden". Zwar ist inzwischen unbestritten, dass auch Richtlinien unmittelbare Wirkung zukommen kann. 73 Doch beschränkt der E u G H diese unmittelbare Wirkung erstens auf das vertikale Verhältnis zwischen Bürger und Staat, 74 und zweitens verlangt er, dass die Richtlinie inhaltlich unbedingt und

73 St. Rspr., siehe nur EuGH, Slg. 1982,53 (70) - Becker; Slg. 1986,723 (748 Tz. 48) - Marshall; Slg. 1987, 3969 Tz. 9ff. - Kolpinghuis Nijmwegen. Für einen Rechtsprechungsüberblick siehe Ch. Claßen, Nichtumsetzung von Gemeinschaftsrichtlinien, S. 63 ff., 67ff.; aus dem Schrifttum siehe nur A Bach, J Z 1990,1108ff.; C.D. Classen, EuWZ 1993, 83 (84ff.); H.D.Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 71 ff.; ders./S. Beljin, J Z 2003, 768ff.; M. Ruffert, in: Ch. Calliess/M. Ruffert, EU-/EG-Vertrag, Art. 249 E G V Rdnrn. 69ff.; A Scherzberg, ¡UTA 1993, 225ff. jeweils m.w.N. 74 Gegen eine „horizontale" unmittelbare Wirkung von Richtlinien EuGH, Rs. 152/84, Slg. 1986, 723 Tz. 48 - Marshall; Rs. 80/86, Slg. 1987, 3969 Tz. 9 - Kolpinghuis Nijmwegen; Rs. C188/90, Slg. 1-1990,3313 (3348) - Foster; Rs. C-106/89, Slg. 1990,1-4135 Tz. 6 - Marleasing; Slg. 1994 1-3325 Tz. 20,22 - Faccini Dori; Rs. C-192/94, Slg. 1996 1-1281 Tz. 15f. - El Corte Inglés; Rs. C-168/95, Slg. 1996 1-4705 Tz. 37 - Luciano Arcaro; Rs. C-456/98, Slg. 2000 1-6007 Tz. 43ff. - Centrosteel sowie Ch. Claßen, Nichtumsetzung von Gemeinschaftsrechtslinien, S. 90ff.; U. Ehricke, RabelsZ 59 (1995), 598 (618ff.) mit ausführlicher Darstellung des Streitstandes; R. Herher, EuZW 1991,401 ff.; M. Herdegen, EuropaR, Rdnr. 185; H.D.Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 79ff.; A. Scherzberg, Jura 1993, 225 (228); zweifelnd A. Bach, J Z 1990,1108 (1115): Beschränkung der unmittelbaren Wirkung auf das vertikale Verhältnis führe zu „problematischen Diskriminierungen". Weiter gehend für unmittelbare Drittwirkung auch im Privatrechtsverhältnis Generalanwalt C O. Lenz, Slg. 1994 1-3325 Tz. 43 ff. - Faccini Dori; F. Emmen, EWS 1992, 56ff.; G. Nicolaysen, Europarecht I, S.337f.; I. Klauer, Europäisierung des Privatrechts, S. 54ff.; G. Ress, D Ö V 1994,489 (493ff.); E. Steindorff, EGVertrag und Privatrecht, S. 446ff.: „Mittelbar unmittelbare Wirkung" über die Grundfreiheiten. Keine Kehrtwende liegt in den Entscheidungen zur Nichtanwendbarkeit nicht notifizierter technischer Vorschriften (EuGH, Rs. C-194/94, Slg. 1996 1-2201 Tz. 54 - CIA Security; Rs. C-443/ 98, Slg. 20001-7535 Tz. 45ff. - Unilever); so M. Ruffert, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/ EG-Vertrag, Art. 249 E G V Rdnr. 78a: „scheinbare Ausnahme"; differenzierend J. Gundel, EuZW 2001, 143 (146ff.).

424

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

h i n r e i c h e n d genau ist.75 B e i d e A s p e k t e stehen einer u n m i t t e l b a r e n A n w e n d u n g ausfüllungsbedürftiger Richtlinien im Privatrechtsverhältnis entgegen.76

bb) Richtlinienkonforme

Rechtsfortbildung?

Z u ü b e r l e g e n ist aber, o b d i e n a t i o n a l e n G e r i c h t e d a s d u r c h e i n e K o n k r e t i s i e r u n g s v o r g a b e des E u G H o f f e n b a r g e w o r d e n e R e g e l u n g s d e f i z i t d e s n a t i o n a l e n R e c h t s d u r c h gesetzeskorrigierende

beheben können, um

Rechtsfortbildung77

auf diesem Wege ihrer Pflicht zur Verwirklichung der Konkretisierungsvorgabe gerecht zu w e r d e n . Reichhaltiges A n s c h a u u n g s m a t e r i a l bietet die lange schichte

der Umsetzung

der

Gleichbehandlungs-Richtlinie

Ge-

76/207/EWG78

d u r c h § 6 1 1 a B G B . 7 9 A l s entscheidendes A r g u m e n t für die Zulässigkeit gesetzeskorrigierender

Rechtsfortbildung

ließe

sich

der

grundsätzliche

Umset-

z u n g s w i l l e des n a t i o n a l e n G e s e t z g e b e r s a n f ü h r e n . H a t d e r G e s e t z g e b e r n a c h weislich eine r i c h t l i n i e n k o n f o r m e U m s e t z u n g angestrebt, verliere der W o r t l a u t a n G e w i c h t als G r e n z e f ü r d i e Z u l ä s s i g k e i t r i c h t e r l i c h e r R e c h t s f o r t b i l d u n g . 8 0

75 E u G H , Rs. 8/81, Slg. 1982, 53 Tz. 25 - Becker; Rs. 80/86, Slg. 1987, 3969 Tz. 7 - Kolpinghuis Nijmwegen; Rs. C-188/89, Slg. 1990 1-3313 Tz. 16 - F o s t e r ; Rs. C-194/94, Slg. 1996 1-2201 Tz. 42,44 - C I A Security; hierzu A Bleckmann, EuropaR, Rdnr. 433; B. Biervert, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 249 Rdnr. 29: Richtlinien müssen „self-executing" sein; Ch. Claßen, Nichtumsetzung von Gemeinschaftsrichtlinien, S. 68ff.; H.D. Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 74ff.; M. Ruffert, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.) EU-/EG-Kommentar, Art. 249 Rdnrn. 75ff.; A Scherzberg, Jura 1993, 225 (226). 76 Zweifeln ließe sich allenfalls am Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit. Nach M. Ruffert, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 249 Rdnr. 76 sollen unbestimmte Rechtsbegriffe allein einer unmittelbaren Wirkung nicht entgegen stehen. Hiergegen bereits oben, §15 I. 1. a); restriktiver auch A Scherzberg, Jura 1993, 225 (226): Unmittelbar anwendbar seien nur solche Richtlinienbestimmungen, die „erkennen lassen, ob und welche Rechtsstellung sie dem einzelnen gewähren wollen". 77 Zu Grundsatz und Grenzen gesetzeskorrigierender richtlinienkonformer Rechtsfortbildung C.-W. Canaris, in: FS für F. Bydlinski, S.47 (81 ff., 96ff.); M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.405ff.; S. Grundmann, ZEuP 1996, 399 (419ff.); ders., J Z 1996,274 (282); C. W. Hergenröder, in: FS für W. Zöllner, S. 1139 (1149ff.); H. D. Jarass/ S. Beljin, JZ 2003,768 (774f.); Th. Möllers, EuR 1998,20 (44ff.); M. Nettesheim, A ö R 119 (1994), 261 (282 ff.). 78 Richtlinie 76/207/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, AB1.EG 1976 Nr. L 39/40. 79 Hierzu E u G H , Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 - von Colson und Kamann; Rs. 79/83, Slg. 1984, 1921 - Harz; Rs. C-180/95, Slg. 19971-2195 - Draehmpaehl sowie die Entscheidungen zur richtlinienkonformen Auslegung von B A G E 61, 209 und B A G E 219. Ausführlich zu den Wechselwirkungen zwischen der EuGH-Rechtsprechung und den verschiedenen Etappen des § 611 a B G B N. Colneric, RdA 1996, 82ff.; M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 405ff.; M. Gebauer, Europäisierung des Privatrechts, S. 182ff.; C. W. Hergenröder, in: FS für W. Zöllner, S. 1139ff.; E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.372ff. 80 S. Grundmann, ZEuP 1996, 399 (420); M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.416.

5 Ii

Verwirklichung

gemeinschaftlicher

Konkretisierungsvorgaben

425

Vielmehr dokumentiere der Gesetzgeber mit der - wenn auch unzureichenden Umsetzung grundsätzlich seinen Willen, die Richtlinie in das nationale Recht zu integrieren. Weise das Gesetz gleichwohl ein richtlinienwidriges Defizit auf, sei die Rechtsprechung dazu befugt, diese planwidrige Lücke richtlinienkonform zu schließen. 8 1 N u r wenn sich der Gesetzgeber in „offenen Konflikt" zu seinen Umsetzungspflichten setzen wollte, sei der Rechtsprechung eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung verwehrt. 8 2 Im Interesse der Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts mag ein besonderes Bedürfnis bestehen, der Rechtsprechung weit reichende Befugnisse zur Rechtsfortbildung jenseits des Gesetzeswortlauts zuzuerkennen. 8 3 Vieles spricht aber gerade im Zusammenhang mit konkretisierungsbedürftigen Richtlinien dafür, gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung nur in sehr engen G r e n zen zuzulassen. Wenn tatsächlich einmal der Fall eintreten sollte, dass der G e setzgeber, obwohl er sich grundsätzlich für das Konzept judikativer Umsetzung entschieden hat, der Rechtsprechung einen im Hinblick auf eine später vom E u G H judizierte Konkretisierungsvorgabe zu engen Rahmen gezogen hat, so dürfen die vom Gesetzgeber bewusst gezogenen Konkretisierungsgrenzen nicht übergangen werden. In der verfassungsrechtlichen Gewaltenordnung genießt der Gesetzgeber die Gesetzgebungs- und damit die Konkretisierungsprärogative. 8 4 In diesem Sinne hat der E u G H von Anfang an betont, dass die nationalen Gerichte nur im Rahmen der ihnen nach nationalem Recht zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse zur Herstellung von Richtlinienkonformität verpflichtet sind. 85 Auch wenn sich die verfassungsrechtlichen Grenzlinien zwi-

81 C.-W. Canaris, in: FS für F. Bydlinski, S.47 (85ff.); M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.416f.; ähnlich Th. Möllers, EuR 1998, 20 (44f.): Auch wenn eine Richtlinie nur unzureichend umgesetzt werde, finde sich die „Wertentscheidung der Richtlinie" in der umgesetzten Norm. Eine entsprechende Rechtsfortbildung zur Herstellung von Richtlinienkonformität entspreche daher den Wertungen des Gesetzes. Für richtlinienkonforme Rechtsfortbildung jenseits des Wortlauts auch U. Ehricke, RabelsZ 59 (1995), 598 (636ff.): Das Gemeinschaftsrecht führe zu einem „Funktionswandel" des einfachen Rechts und modifziere deren ratio legis. 82 S. Grundmann, ZEuP 1996, 399 (419ff.); siehe auch M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.431: „unüberwindliches Rechtsfortbildungsverbot", wenn der Gesetzgeber eindeutig eine Umsetzung abgelehnt hat. 83 Erwogen wird sogar eine entsprechende Pflicht der Rechtsprechung zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung; siehe P.-Ch. Müller-Graff, in: N. Horn/J.F. Baur/K. Stern (Hrsg.), 40 in: FS für W. Zöllner, Jahre Römische Verträge, S. 107 (130); einschränkend C. W. Hergenröder, S. 1139 (1149ff.). 84 Hierzu bereits oben, § 14 I. 2. sowie § 4 III. 85 Siehe nur E u G H , Rs. 14/83, Slg. 1984,1891 Tz. 2 6 - v o n Colsonund Kamann: „im Rahmen ihrer Zuständigkeiten"; hierzu M. Nettesheim, AöR 119 (1994), 261 (287ff.); F. Müller/R. Christensen, Juristische Methodik Bd. II: Europarecht, S. 351 ff.; siehe auch H. D. Jarass/S. Beljin, J Z 2003, 768 (775f.); kritisch daher zu dem Heininger-Urteil des B G H vom 9.4.2002 M. Franzen, J Z 2003,321 (324f.) - eine eindeutige und richtlinienkonforme Rechtslage hat erst der Gesetzgeber durch die Neufassung des §312a B G B geschaffen.

426

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

sehen zulässiger und unzulässiger Rechtsfortbildung nicht immer eindeutig angeben lassen, sprechen gewichtige Gründe dafür, gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung bei gemeinschaftsrechtlich induzierter Rechtsfortbildung tendenziell nur in engen Grenzen zuzulassen. Entscheidend ist, dass die Argumente, die in erster Linie für die Zulässigkeit gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung streiten - das Praktikabilitäts- und das Rechtsschutzargument - gerade bei der Richtlinienumsetzung nicht überzeugen: Erstens weil richterliche Rechtsfortbildung keinen Umsetzungsersatz darstellt und eine gesetzliche Regelung daher nicht entbehrlich machen kann 86 und zweitens, weil dem Individualschutzbedürfnis schon durch den gemeinschaftsrechtlichen Schadensersatzanspruch bei mangelhafter Richtlinienumsetzung 87 entsprochen werden kann. 88 Vor diesem Hintergrund mag gesetzesübersteigende richtlinienkonforme Rechtsfortbildung zur Verwirklichung gemeinschaftlicher Konkretisierungsvorgaben allenfalls dort ihre Berechtigung haben, wo der Gesetzgeber zwar den Willen zu einer richtlinienentsprechenden Umsetzung hatte und das Konkretisierungsmandat vollständig an die nationale Rechtsprechung weitergeben wollte, dabei allerdings eine sprachliche Adaption 89 vorgenommen hat, die sich im

86 EuGH, Rs. C-144/99, Slg. 2001 1-3541 Tz. 21 - Kommission/Niederlande; U. Everling, Z G R 1992, 376 (383, 388); M. Ruffert, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art.249 E G V Rdnr. 112; E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.433;/. Wölk, Die Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft, S. 84; siehe auch bereits oben, § 14 1.1. a). 87 Grundlegend EuGH, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991 1-5357 Tz. 33ff., 39ff. - Francovich u.a.; für Richtlinien, die nur horizontale Wirkung zwischen den Bürgern entfalten EuGH, Rs. C-91/92, Slg. 19941-3325 Tz. 27-Faccini Dori; fortgesetzt in EuGH, Rs. C-192/94, Slg. 1996 1-1281 Tz. 22 - El Corte Inglés; dazu A. Bleckmann, EuropaR, Rdnrn. 1039ff.; Ch. Claßen, Nichtumsetzung von Gemeinschaftsrichtlinien, S. 99ff., 232ff.; H. D. Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 113ff.; für einen Staatshaftungsanspruch zur Kompensation der negativen Wirkungen einer unmittelbaren horizontalen Anwendung von Richtlinien I. Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts, S.54ff.: „umgekehrter Francovich". Im Zusammenhang mit ausfüllungsbedürftigen Rechtsakten stellt sich allerdings das Problem, dass eine mitgliedstaatliche Haftung bislang an die Voraussetzung geknüpft wurde, dass der Mitgliedstaat seine Umsetzungspflichten „offensichtlich und erheblich" verkannt hat. Aus diesem Grund wurde etwa eine Staatshaftung für die Richtlinienwidrigkeit von §355 H G B a.F. abgelehnt; siehe L G Berlin, EuZW 2001, 511 (512). Dies könnte dazu führen, dass es bei ausfüllungsbedürftigen Richtlinien niemals zu einer Haftung für mangelhafte Umsetzung kommt. Denkbar wäre aber auch, einen hinreichend qualifizierten Umsetzungsverstoß schon darin zu sehen, dass ein Mitgliedstaat einen ausfüllungsbedürftigen Sekundärrechtsakt auf legislativer Ebene konkretisiert und damit bewusst das Risiko eingeht, sich in Widerspruch zu späteren Konkretisierungsentscheidungen des EuGH zu setzen. Dies spräche langfristig gegen das Umsetzungskonzept legislativer Konkretisierung. 88 Restriktiv auch M. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S.423ff., 444: „Insgesamt ist ... der Spielraum des Rechtsanwenders für richtlinienkonforme Rechtsfortbildung als gering einzuschätzen." 8 9 Hierzu bereits oben, §12 II. 1. bei Fn.27 sowie §16 I. 1. b) bb) (1).

5 15 Verwirklichung

gemeinschaftlicher

Konkretisierungsvorgaben

427

Nachhinein als zu eng erweist. Immer zu beachten sind aber bevorstehende gesetzliche Änderungen.90 b) Unzulässigkeit

der

Delegation

Eine Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers kann sich auch daraus ergeben, dass sich die mit der Entscheidung für eine judikative Konkretisierung verfolgte Strategie, die Konkretisierung der Rechtsprechung zu überlassen, aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen als unzulässig erweist: Wenn also die Konkretisierung durch den Gesetzgeber selbst hätte erfolgen müssen und das Umsetzungsgesetz nicht auf die Übernahme des ausfüllungsbedürftigen Begriffs hätte beschränkt werden dürfen. Ein solches Gebot gesetzesförmlicher Konkretisierung kann sich sowohl aus der Richtlinie selbst ergeben als auch aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit.91 Im Übrigen kann sich die Entscheidung für das Konzept judikativer Konkretisierung auch im Nachhinein schrittweise als unzureichend erweisen. Dies ist der Fall, wenn im Verlauf des Konkretisierungsprozesses weitere gesetzliche Klarstellungen und Korrekturen erforderlich werden, um der Umsetzungspflicht zu genügen, etwa wenn sich die Rechtsprechung beharrlich weigern sollte, gemeinschaftsrechtliche Konkretisierungsvorgaben weiter zu führen.92 Solche nachwirkenden Umsetzungspflichten gründen sich auf Art. 249 Abs. 3 EG i.V. mit Art. 10 Abs. 1 S. 1 EG. Hieraus folgt die Verantwortung des Gesetzgebers für die materielle Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts.93 Sollte die nationale Rechtsprechung den ihr mit dem einfachen Recht eröffneten Konkretisierungsspielraum nicht zur Verwirklichung gemeinschaftsrechtlicher Konkretisierungsvorgaben nutzen, wäre der Gesetzgeber ggf. verpflichtet, dem vom EuGH präzisierten Richtliniengehalt durch entsprechende gesetzliche Klarstellungen der Rechtsprechung zwingend vorzugeben, wenn nur auf diesem Wege dem Gemeinschaftsrecht zur vollen Wirksamkeit (effet utile) verholfen werden könnte. In beiden Fallkonstellationen, also sowohl bei der von vornherein unzulässigen Delegation der Konkretisierungsaufgabe an die Rechtsprechung als auch dann, wenn sich die Delegation im Nachhinein als ungenügend erweist, kann das Umsetzungsdefizit nur vom Gesetzgeber behoben werden. Die bereits angesprochenen Instrumente, mit denen die Rechtsprechung Umsetzungsdefizite überbrücken kann - die unmittelbare Wirkung von Richtlinien und die in engen 9 0 Zu den „Vorwirkungen" künftigen Rechts als Grenze richterlicher Rechtsgestaltungsbefugnis C. W. Hergenröder, in: FS für W. Zöllner, S. 1139 (1156ff.). 91 Zum Gebot sachgeeigneter Umsetzung bereits oben, § 14 I. 1. b). 92 Siehe zu den verfassungsrechtlichen „Rückholpflichten" oben, §4 V. 2. b). 93 Zur Unterscheidung zwischen formeller, d.h. textueller und materieller, d.h. tatsächlicher Umsetzung etwa W. Kahl, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 10 E G V Rdnr. 22a.

428

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

Grenzen anzuerkennende Befugnis zu richtlinienkonformer Rechtsfortbildung 9 4 - helfen hier nicht weiter: Besteht das Umsetzungsdefizit gerade in der Unzulässigkeit der Delegation, so kann die Rechtsprechung diesen Mangel nicht heilen; besteht das Umsetzungsdefizit in der mangelnden Bereitschaft der Rechtsprechung zur Befolgung der Konkretisierungsvorgaben, will sie ihn nicht heilen.

II. Legislative Konkretisierung Hat sich der nationale Gesetzgeber dafür entschieden, den ausfüllungsbedürftigen Richtlinienbegriff bereits auf legislativer Ebene 9 5 zu konkretisieren, kann sich das Problem ergeben, dass vom E u G H judizierte Konkretisierungsvorgaben von der gesetzlichen Konkretisierung abweichen. Dies hat in der Regel entsprechende Anpassungspflichten des nationalen Gesetzgebers zur Folge (unten 1.). I m Interesse der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts ist weiter gehend zu überlegen, o b sich die gemeinschaftlichen Konkretisierungsvorgaben auch ohne Gesetzesänderung durch die Rechtsprechung verwirklichen lassen (unten 2.).

1. Weiter gehende Verpflichtungen des Gesetzgebers Hat der E u G H verbindlich über die Konkretisierung eines ausfüllungsbedürftigen Richtlinienbegriffs entschieden und weicht diese Konkretisierungsvorgabe von der zur Richtlinienumsetzung erlassenen nationalen Regelung ab, ist der Gesetzgeber im Regelfall zur Abänderung verpflichtet. Indem der E u G H von seiner Befugnis zur Letztkonkretisierung 9 6 Gebrauch macht, bestimmt er den Richtlinieninhalt abschließend. Darin liegt zugleich eine verbindliche Determinierung der mitgliedstaatlichen Umsetzungspflichten. Erweist sich die vom nationalen Gesetzgeber im Umsetzungsakt getroffene Konkretisierung als unvereinbar mit einer späteren Konkretisierungsentscheidung des E u G H , so kann sich aus Art. 249 Abs. 3 E G i. V. mit Art. 10 E G die Pflicht zu einer entsprechenden Anpassung ergeben. 9 7 Allerdings wird nicht jede Abweichung zwischen gemeinschaftlicher K o n kretisierungsvorgabe und nationaler Konkretisierungsregelung auch eine pflichtenwidrige Unvereinbarkeit bedeuten. N e b e n Abweichungen, die sich alHierzu vorstehend, § 1 6 I. 2. a) aa) und bb). Zur legislativen Konkretisierung bereits oben, § 12 II. 1.; zur gemeinschaftsrechtlichen Gebotenheit legislativer Konkretisierung oben, § 14 I. 1. b) aa). 9 6 Zur grundsätzlichen Konkretisierungskompetenz des E u G H oben, § 14 II. 9 7 Zu nachwirkenden Umsetzungspflichten auch schon vorstehend, § 15 I. 2. 94 95

¡13

Verwirklichung

gemeinschaftlicher

Konkretisierungsvorgaben

429

lein im sprachlichen Bereich bewegen und lediglich der besseren Einpassung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben dienen (sprachliche Adaption), sind solche Abweichungen zulässig, mit denen der Gesetzgeber von seinen Konkretisierungsfreiräumen Gebrauch macht. Ob der Gemeinschaftsgesetzgeber den Mitgliedstaaten solche Freiräume einräumen wollte, bestimmt sich nach dem Ausmaß der mit dem jeweiligen Rechtsakt intendierten Rechtsangleichung.98 Abweichungen von judizierten Konkretisierungsvorgaben des EuGH sind also insbesondere dort zulässig, wo der Gemeinschaftsgesetzgeber den Mitgliedstaaten mit Offnungsklauseln die Möglichkeit strengerer oder günstigerer Regelungen eingeräumt hat. Solche Offnungsklauseln bewirken, dass sich der Umsetzungsanspruch der Richtlinie auf Mindeststandards beschränkt." Hier können die Mitgliedstaaten daher durchaus abweichende Konkretisierungsvorgaben fixieren, ohne dass sie dadurch ihre Umsetzungspflichten verletzen würden und zur Nachbesserung oder Änderung ihrer legislativen Konkretisierung verpflichtet wären. 2. Rolle der Rechtsprechung Entschließt sich der Gesetzgeber dazu, die ausfüllungsbedürftigen Richtlinienbegriffe selbst zu konkretisieren, richtet sich das Augenmerk für die Verwirklichung gemeinschaftlicher Konkretisierungsvorgaben in erster Linie auf den Gesetzgeber und nicht auf die Rechtsprechung. Wegen ihrer Verpflichtung auf das einfache Gesetz (Art. 20 Abs. 2 GG) beschränkt sich die Rolle der Rechtsprechung bei legislativer Konkretisierung zunächst darauf, die Konkretisierungen des Gesetzgebers nachzuvollziehen.100 Stehen diese im Einklang mit gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, so garantiert die Gesetzesbindung zugleich die Gemeinschaftskonformität der judikativen Konkretisierungspraxis. Umgekehrt führt die Gesetzesbindung der Rechtsprechung aber auch dazu, dass sich Fehlkonkretisierungen des einfachen Gesetzgebers in der Rechtsprechung weiterschreiben. Problematisch ist nur dieser zweite Fall, also die gesetzliche Fehlkonkretisierung. Hier ist zu überlegen, inwieweit die Rechtsprechung mit Blick auf das Gemeinschaftsrecht dazu berechtigt oder sogar dazu verpflichtet ist, die Konkretisierung des nationalen Gesetzgebers zu überwinden, um den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben gerecht zu werden. Diese Frage könnte sich beispielsweise stellen, wenn der EuGH entscheiden sollte, dass als „angemessene Zeit" i.S. von Art. 3 Abs. 3 der Produkthaftungs-Richtlinie, innerhalb der ein Lieferant dem Geschädigten den Hersteller des Produkts benennen muss, um nicht selbst 98 99 100

Hierzu oben, § 1 4 II. 1. c). Zur Wirkungsweise von Offnungsklauseln bereits oben, § 14 II. 1. c) bb). Zur Gesetzesbindung der Konkretisierung bereits oben, § 4 VI. 6. a).

430

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

als Hersteller zu gelten und in Anspruch genommen zu werden, nicht ein Monat zu gelten hat - wie es der deutsche Gesetzgeber in § 4 Abs. 3 S. 1 ProdHaftG entschieden hat 101 - , sondern lediglich zwei Wochen. Allerdings wird die Rechtsprechung in einem solchen Fall kaum über die mit einer gesetzlichen Fehlkonkretisierung offenbar werdenden Umsetzungsdefizite hinweghelfen können. 102 Je bestimmter die vom nationalen Gesetzgeber gewählte Konkretisierung, umso geringer die Möglichkeiten einer judikativen Korrektur. Als Richtschnur gilt abermals der vom E u G H aufgestellte Grundsatz, dass die mitgliedstaatliche Rechtsprechung nur im Rahmen ihrer nach nationalem Recht eingeräumten Zuständigkeiten und Befugnisse zur Verwirklichung der Richtlinien- bzw. Konkretisierungsgebote verpflichtet ist. 103 Inhalt und Ausmaß dieser Zuständigkeiten werden in erster Linie durch den nationalen Gesetzgeber und das einfache Recht bestimmt. Lässt das einfache Recht der Rechtsprechung keinerlei Spielraum, enden auch ihre Möglichkeiten, mit den herkömmlichen Mitteln judikativer Rechtsverwirklichung - durch Auslegung und Konkretisierung - Richtlinienkonformität herbeizuführen. Gesetzeskorrigierender Rechtsfortbildung steht überdies der eindeutige Konkretisierungswille des Gesetzgebers entgegen. 104 Dieses Ergebnis kann-jedenfalls für privatrechtsangleichende Richtlinien im horizontalen Bürger-Bürger-Verhältnis auch nicht durch unmittelbare Anwendung der Richtlinie unterlaufen werden. 105 In diesen Fällen unüberwindlicher legislativer Fehlkonkretisierungen bleibt den nationalen Gerichten nur die Möglichkeit, das Verfahren auszusetzen und ein Votum des E u G H zur gebotenen Konkretisierung der Richtlinie und damit inzident zur Unvereinbarkeit der nationalen Konkretisierung einzuholen, um dadurch Druck auf den nationalen Gesetzgeber zu einer Gesetzesänderung auszuüben.

Zu diesem Beispiel legislativer Konkretisierung bereits oben, § 12 II. 1. Siehe hierzu auch schon oben, § 16 I. 2. a). 1 0 3 E u G H , Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 T z . 26 - von Colson und Kamann; hierzu auch schon oben, § 1 6 1. 1. b) aa) im Zusammenhang mit der richtlinienkonformen Auslegung sowie oben, § 16 I. 2. a) bb) im Zusammenhang mit gesetzesübersteigender richtlinienkonformer Konkretisierung. 1 0 4 Die Grenzen zulässiger gesetzeskorrigierender Rechtsfortbildung sind hier also noch enger zu ziehen als in dem bereits erläuterten Fall, dass sich der Gesetzgeber grundsätzlich für eine Weitergabe der Konkretisierungsaufgabe an die Rechtsprechung (judikative Konkretisierung) entschieden hat; hierzu oben, § 1 6 I. 2. a) bb). 1 0 5 Zur Unzulässigkeit unmittelbarer Anwendung der Richtlinie unter Privaten bereits oben, § 1 6 1. 2. a) aa). 101

102

§ 15 Verwirklichung

gemeinschaftlicher

Konkretisierungsvorgaben

431

III. Zusammenfassung Die Verwirklichung gemeinschaftsrechtlicher Konkretisierungsvorgaben ist Teil der aus dem ausfüllungsbedürftigen Rechtsakt folgenden Umsetzungs- und Befolgenspflichten. Sie unterscheiden sich nach der Art des ausfüllungsbedürftigen Rechtsaktes und nach der Art der gewählten Konkretisierungsstrategie. Sind konkretisierungsbedürftige Begriff in einer Verordnung enthalten, nehmen konkretisierende Klarstellungen an der unmittelbaren Wirkung der Verordnung teil und sind von den mitgliedstaatlichen Gerichten zwingend zu beachten. Bei der Richtlinienkonkretisierung ist zu unterscheiden nach der vom Gesetzgeber gewählten Umsetzungsstrategie. Hat der Gesetzgeber den ausfüllungsbedürftigen Richtlinienbegriff übernommen und die Konkretisierungsaufgabe der Rechtsprechung zu judikativer Konkretisierung weiter übertragen, ist die Rechtsprechung im Rahmen der ihr gesetzlich eröffneten Konkretisierungsspielräume zu richtlinienkonformer Konkretisierung verpflichtet. Soweit die gesetzliche Regelung nicht als abschließende Umsetzung intendiert war, sind hierzu auch die allgemeinen zivilrechtlichen Generalklauseln heranzuziehen. Denkbar sind allerdings Konflikte mit den Verfassungsgeboten beständiger und folgerichtiger Regelbildung sowie den nationalen Grundrechtsanforderungen. Etwaige Einbußen an Präjudiziensicherheit und -konsequenz werden aber regelmäßig durch den Gewinn an Wertungsharmonie kompensiert sein. Genauso führt der vom BVerfG akzeptierte Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts dazu, dass sich der gemeinschaftliche Grundrechtsschutz gegen etwaige Divergenzen zum Grundrechtsschutz des Grundgesetzes durchsetzt. Sollte es gleichwohl dazu kommen, dass der EuGH eine Konkretisierungsvorgabe judiziert, die sich nach nationalen Methoden und Maßstäben nicht im Einklang mit geltendem Recht weiterführen lässt, ist der Gesetzgeber zum „Nachfassen" verpflichtet. Das Umsetzungsdefizit kann die Rechtsprechung regelmäßig nicht überbrücken: Eine unmittelbare horizontale Anwendung der Richtlinie scheidet aus, und gesetzeskorrigierende Rechtsfortbildung zur Richtlinienumsetzung sollte nur in sehr engen Grenzen anerkannt werden, weil sie eine gesetzliche Regelung nicht entbehrlich macht und das Individualschutzbedürfnis schon durch den gemeinschaftsrechtlichen Schadensersatzanspruch erfüllt wird. Schließlich kann sich eine Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers auch daraus ergeben, dass die Delegation der Konkretisierungsaufgabe auf die Rechtsprechung von Anfang an unzulässig war oder sich schrittweise als unzulässig oder untauglich erweist, etwa wenn sich die Rechtsprechung beharrlich weigern sollte, gemeinschaftsrechtliche Konkretisierungsvorgaben weiter zu führen. Auch in diesen Fällen kann das Umsetzungsdefizit nur vom Gesetzgeber behoben werden. Hat sich der nationale Gesetzgeber dafür entschieden, den ausfüllungsbedürftigen Richtlinienbegriff selbst zu konkretisieren ( l e g i s l a t i v e Konkretisie-

432

Normkonkretisierung

im europäischen

Privatrecht

rung), konzentrieren sich die Verwirklichungspflichten von vornherein auf den Gesetzgeber. Weicht eine vom E u G H judizierte Konkretisierungsvorgabe von der zur Richtlinienumsetzung erlassenen nationalen Regelung ab, ist der Gesetzgeber zur Abänderung verpflichtet, es sei denn die Abweichung hindert eine der judizierten Vorgabe entsprechende Konkretisierung nicht oder sie ist Ausdruck eines den Mitgliedstaaten durch die Richtlinie insbesondere mit Offnungsklauseln belassenen Konkretisierungsfreiraumes. Die Rolle der Rechtsprechung beschränkt sich in diesen Fällen zunächst darauf, die Konkretisierungen des Gesetzgebers nachzuvollziehen. Ihre Gesetzesbindung verpflichtet die Rechtsprechung grundsätzlich dazu, auch gesetzliche Fehlkonkretisierungen weiterzuführen; gesetzeskorrigierender Rechtsfortbildung steht der eindeutige Konkretisierungswille des Gesetzgebers entgegen. In einem solchen Fall bliebe den nationalen Gerichten nur die Möglichkeit, über den Umweg der Vorabentscheidung Druck auf den nationalen Gesetzgeber auszuüben.

Vierter Teil

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

§ 1 6 Thesen Die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung lassen sich in folgenden Thesen zusammenfassen: 1. Der Begriff der Konkretisierung übt nach wie vor große Anziehungskraft auf die Rechtswissenschaft aus. Darin spiegelt sich die Hinwendung der Rechtswissenschaften zu den Sozialwissenschaften wider. Die Methodenlehre versteht und ordnet sie Normkonkretisierung heute überwiegend als Normausfüllung der Rechtsanwendung bei unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln zu. Diese Problemzuweisung wird auch dieser Untersuchung zugrunde gelegt.1 2. Zu den Aufgaben einer Theorie der Normkonkretisierung2 gehören erstens eine Untersuchung der Normbegriffe als Gegenstand der Normkonkretisierung, zweitens die Darstellung der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen und Anforderungen an die normkonkretisierende Rechtsprechung. Drittens ist zu untersuchen, mit welchen Mitteln und Methoden die schöpferische Aufgabe der Normkonkretisierung bewältigt werden kann. Viertens ist anhand der Konkretisierungspraxis eine Typologie der Normkonkretisierung mit spezifischen Sachrichtigkeitsbedingungen zu erarbeiten. Schließlich ist die europäische Dimension der Fragestellung zu untersuchen, also die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit ausfüllungsbedürftiger Rechtsetzung, die Aufgabenverteilung im supranationalen Konkretisierungsdialog und die Verwirklichung europäischer Konkretisierungsvorgaben durch die nationalen Konkretisierungsakteure. 3. Gegenstand der Normkonkretisierung sind ausfüllungsbedürftige Gesetzesbegriffe. Ausfüllungsbedürftige Unbestimmtheit findet sich vor allem in normativen Gesetzesbegriffen. Sie nehmen gesetzessystematische Schlüsselpositionen ein und bergen das eigentliche Steuerungspotential unserer Privatrechtsordnung. Hierzu zählen auch Generalklauseln, die inzwischen im Wesentlichen Flexibilitäts- und Delegationsfunktionen erfüllen und sich daher lediglich graduell in ihrer Ausfüllungsbedürftigkeit von der allgemeinen Gruppe normativ-unbestimmter Rechtsbegriffe unterscheiden.3 4. a) Aus verfassungsrechtlicher Perspektive ist richterliche Normkonkretisierung Ausdruck delegierter Rechtsetzung.4 Soweit eine Rechtsetzungsaufga1 2 3 4

§2 1., II. §2 III. §3 1., II. §4 II.-IV.

436

Zusammenfassung

der wesentlichen

Ergebnisse

be dem Gesetzgeber nicht absolut vorbehalten ist, ist eine Delegation dann zulässig, wenn die Rechtsetzungsaufgabe sachgerechter von der Rechtsprechung bewältigt werden kann. Solche Delegationsgründe liegen in der besonderen Beteiligtenbezogenheit, Zeitbezogenheit und Persönlichkeitsgeprägtheit des Privatrechts.5 b) Aus der Angewiesenheit der Rechtsprechung auf einen Delegationsakt folgt ihre Bindung an Bestand und Umfang des Delegationsauftrages.6 Weitere verfassungsrechtliche Anforderungen resultieren aus dem Kompensationsgedanken: Wo die Rechtsprechung materiell Rechtsetzungsaufgaben wahrnimmt, wächst sie in entsprechende verfassungsrechtliche Anforderungen an das Verfahren, den Inhalt und die Wirkung legislativer Rechtsetzung hinein.7 Richterliche Regelbildung muss daher den Geboten der Sachrichtigkeit, der Rechtssicherheit, der Gleichgerechtigkeit und Folgerichtigkeit, der Normenklarheit sowie der Gesetzes- und Grundrechtsbindung genügen.8 5. Richterliche Normkonkretisierung ist gebundene Rechtsbildung. Eine Methode der richterlichen Normkonkretisierung hat zwei Aufgaben: einerseits die Gesetzes- und Verfassungsbindung der Normkonkretisierung sicherzustellen, andererseits zu einer rationalen Rechtsgewinnung anzuleiten. Ihre Quellen sind sowohl im interpretatorischen als auch im legislatorischen Verfahren zu suchen.9 a) Die mit dem Delegationsauftrag und der allgemeinen Gesetzesbindung gezogenen äußeren Grenzen der Normkonkretisierung sind im Wege der Auslegung zu bestimmen: Die grammatische Auslegung kann die allgemeine Richtung der Regelbildung verdeutlichen. Weitere Anhaltspunkte liefern die Textgeschichte und der historische Delegationszweck. Am bedeutsamsten ist die systematisch-teleologische Auslegung; sie zeigt die normkontextuellen und normstrukturellen Bindungen der Normkonkretisierung auf und leistet die Abstimmung mit sachähnlichen Vorgaben.10 b) Innerhalb dieser Grenzen verlangt das Gebot der Methodengerechtigkeit der Normkonkretisierung, dass richterliche Rechtsbildung auf rationaler Argumentation und Begründung beruht.11 Wichtige Gesichtspunkte sind die Argumentformen der Auslegung, das Denkmuster der Abwägung sowie Folgenerwägungen. Zumeist handelt es sich um überschneidende und konvergente Argumente.

5

§4 IV. 3. §4 V. 7 §4 VI. 1. 8 §4 VI. 2.-6. 9 §5 1. 10 §5 111. 11 §5 IV. 1.

6

§16 Thesen

437

c) Die Argumente der Auslegung haben generell den Vorzug, dass sie sich nah am Gesetz bewegen und damit rechtsinterne Kohärenz verbürgen. 1 2 Die regelbildende Funktion der Abwägung und die Natur des Privatrechtskonflikts als Konflikt gleichgeordneter Individualinteressen prädestinieren die Abwägung für die konkretisierende Regelbildung im Privatrecht. Abwägungsspezifische Präferenzbegründungen leistet der Gedanke praktischer Konkordanz. 1 3 Effizienzbezogene Folgenüberlegungen und ökonomische Kosten-Nutzen-Erwägungen bieten sich dort an, w o wirtschaftliche Folgen-Betrachtungen mit entsprechenden Delegationsbegriffen in den Plan des Gesetzes aufgenommen worden sind, sowie zur Regelbildung bei wirtschaftlichen Sachverhalten, für die keine spezifischen Wertvorgaben bestehen. 14 6. Innerhalb der aufgezeigten verfassungsrechtlichen und methodischen Vorgaben verbleibt der Rechtsprechung ein Konkretisierungsspielraum, der durch die Rationalitätsanforderungen an die Konkretisierung regelmäßig nicht aufgezehrt wird. 15 Dabei lassen sich die verfassungsrechtlichen und methodischen Vorgaben der Normkonkretisierung in Gebote der Ableitungsrationalität und G e b o t e der Anleitungsrationalität unterteilen, deren Anforderungen allerdings vielfach konfligieren. 1 6 Beispielsweise favorisieren Ableitungs- und A n leitungsrationalität regelmäßig unterschiedliche Konkretisierungsstufen. In diesen Fällen sind die widerstreitenden Verfassungs- und Rationalitätserwartungen an die richterliche Normkonkretisierung in praktische Konkordanz zu bringen. 1 7 7. In der Konkretisierungspraxis erweist sich Normkonkretisierung als ein Prozess, der sich sowohl von oben, d.h. von der Delegationsnorm, als auch von unten, d.h. von der Entscheidung des Einzelfalles, an die Regelbildung herantastet. 18 Im Sinne einer Konkretisierungstypologie lassen sich auf einer ersten Konkretisierungsstufe Beurteilungsmaßstäbe und Beurteilungsrelationen sowie auf einer zweiten Konkretisierungsstufe Qualifizierungen und Quantifizierungen unterscheiden. 1 9 8. Auf einer Vorstufe des Konkretisierungsprozesses stehen Scheinkonkretisierungen, die den gesetzlichen Wertungsauftrag lediglich umformulieren und keine inhaltliche Weiterbestimmung enthalten. Häufig münden Scheinkonkretisierungen aber mit wachsendem Erfahrungsschatz in materielle Entscheidungsregeln. 20 12 13 14 15 16 17 18 19 20

§5 IV. 3. a). §5 IV. 3. b). §5IV.3.c). §6 I. §6 II. 1. §6 11.2. §7 1. §7 11. §8.

438

Zusammenfassung

9. Beurteilungsmaßstäbe

der wesentlichen Ergebnisse

und Beurteilungsrelationen

verkörpern allgemeine

Beurteilungsdirektiven, indem sie Betrachtungs- und Empfindungsperspektiven vorgeben. 2 1 F ü r das Privatrecht typische Beurteilungsmaßstäbe sind die wirtschaftliche und die o b j e k t i v e Beurteilung v o n Sachen und Sachverhalten. B e i der B e w e r t u n g sinnlich w a h r n e h m b a r e r Einflüsse auf M e n s c h e n rekurriert die R e c h t s p r e c h u n g vielfach auf das G e b o t verständiger Beurteilung, das eine Abwägung verlangt und damit eine Beurteilungsrelation darstellt. 10. Qualifizierungen

sind richterliche Konkretisierungsregeln, die anhand

bestimmter Eigenschaften (Qualitäten) materielle Bewertungsfaktoren und B e wertungsgrenzen für die N o r m a u s f ü l l u n g formulieren. 2 2 Anders als Beurteilungsmaßstäbe werden Qualifizierungen zumeist normindividuell abgeleitet. Besondere Bedeutung haben Qualifizierungen bei der Konkretisierung v o n A b wägungsentscheidungen. H i e r fungieren sie zur B e n e n n u n g der A b w ä g u n g s faktoren sowie des Ausgewogenheitsmaßstabes. 2 3 11. a) Quantifizierungen

sind Konkretisierungen, die Bewertungsgrenzen

anhand von Zahlwerten (Quantitäten) ausweisen. 2 4 D e r Konkretisierungsauftrag vermittelt sowohl der F o r m u l i e r u n g eigener, judikativer Quantifizierungen als auch der R e z e p t i o n externer Quantifizierungen die nötige Legitimation. G e gen die Sachrichtigkeit von Quantifizierungen sprechen ein bewusster Q u a n t i fizierungsverzicht des Gesetzgebers, mangelnde

Konkretisierungserfahrung

der R e c h t s p r e c h u n g sowie eine unvollständige U m s e t z u n g des Bewertungsauftrages. 2 5 b) In der Praxis v o n großer Bedeutung ist die Rezeption

externer Q u a n t i f i -

zierungen. 2 6 Allgemeine Sachrichtigkeitsbedingungen sind die Sachverständigkeit und Neutralität des N o r m g e b e r s sowie die Einschlägigkeit, Aktualität und A k z e p t a n z des rezipierten Wertes. E i n e n Sonderfall stellt die R e z e p t i o n externer judikativer Quantifizierungen nach A r t der Unterhaltstabellen dar. 27 H i e r bei handelt es sich um informelle Justizakte ohne förmliche Verbindlichkeit, die im Wege der R e z e p t i o n in die Rechtsentscheidung eingespeist werden k ö n n e n . D e r dabei einfließende Erfahrungsschatz der Rechtsprechung, ihre institutionell und verfahrensmäßig gesicherte O b j e k t i v i t ä t und Neutralität sowie die regelmäßige Aktualisierung der R e g e l w e r k e vermitteln ihnen die erforderliche Sachrichtigkeit. 12. a) In der nationalen P r o b l e m d i m e n s i o n haben sich die wesentlichen F r a gen der N o r m k o n k r e t i s i e r u n g als Kompetenzfragen

21 22 23 24 25 26 27

§9 1. §10 1. §10 111. §11 I. §11 II. §11 III. §11 III. 2. e).

erwiesen. D a h i n t e r steht

516 Thesen

439

das Bedürfnis nach optimaler Funktionenzuweisung. Idealiter bezeichnet Normkonkretisierung funktionsadäquate arbeitsteilige, mehrphasige Rechtsetzung. Auf europäischer Ebene vervielfältigen sich die mit dem Phänomen der Normkonkretisierung verbundenen Kompetenzfragen: Zu der horizontalen Kompetenzabgrenzung auf gemeinschaftlicher Ebene tritt die vertikale Kompetenzabgrenzung zu den mitgliedstaatlichen Rechtsetzungsakteuren und dort abermals die horizontale Kompetenzabgrenzung zwischen den nationalen Akteuren/0 b) Akteure europäischer Normkonkretisierung sind der mitgliedstaatliche Gesetzgeber, die mitgliedstaatliche Rechtsprechung und der EuGH. Bei der Richtlinienkonkretisierung kann der nationale Gesetzgeber den ausfüllungsbedürftigen Begriff entweder selbst im Umsetzungsakt konkretisieren (legislative Konkretisierung) oder ihn übernehmen und die Konkretisierungsaufgabe an die Rechtsprechung delegieren (judikative Konkretisierung). Weniger Spielraum lässt die Verordnungskonkretisierung. Hier entfallen die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber als Konkretisierungsakteure, und die Rechtsprechung ist alleiniger Konkretisierungsakteur auf nationaler Ebene.29 13. a) Auch im Gemeinschaftsrecht ist konkretisierungsbedürftige Rechtsetzung weithin zulässig. Das Prinzip begrenzter Einzelzuständigkeit und die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit favorisieren sogar eine geringere Regelungsdichte gemeinschaftlicher Rechtsakte.30 Ansatzpunkte für Bestimmtheitsanforderungen ergeben sich allein aus der Organkompetenz.31 Das Gemeinschaftsrecht verhält sich grundsätzlich ablehnend gegenüber Aufgabendelegationen, und auch die Organisationsgewalt rechtfertigt nicht die Verlagerung von Rechtsetzungsaufgaben auf die Judikative. b) Die Ausfüllung unbestimmter Begriffe zählt aber zu den vertraglichen Aufgaben des EuGH, und zwar im Zusammenhang mit seiner Kompetenz zur Vorabentscheidung und als Ausdruck seiner Rechtsfortbildungsbefugnis. Grenzen sind durch die politische Gesetzgebungsfunktion sowie das Bestimmtheitsgebot gezogen. Die Eigengesetzlichkeiten des europäischen Privatrechts rechtfertigen aber in großem Ausmaß die Verwendung ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe, und zwar insbesondere wegen der Zeitbezogenheit des Privatrechts, der geringeren Belastungsintensität privatrechtsangleichender Richtlinien und der gemeinsamen privatrechtlichen Rechtstradition der Mitgliedstaaten.32

28

29 30 31 32

§12 1.

§12 II. §13 I. 1. §13 1.2. §13 II.

440

Zusammenfassung

der wesentlichen

Ergebnisse

14. Das zentrale Thema gemeinschaftsrechtlicher Normkonkretisierung ist die sachgerechte Aufgabenverteilung zwischen den nationalen Konkretisierungsakteuren und dem EuGH. a) Bei der Richtlinienkonkretisierung stellt sich zunächst die Frage nach der Aufgabenverteilung auf nationaler Ebene. 33 Regelmäßig haben es die Mitgliedstaaten in der Hand, ob sie die Konkretisierung schon mit dem gesetzlichen Umsetzungsakt (legislative Konkretisierung) leisten oder der Rechtsprechung zur judikativen Konkretisierung übertragen wollen. Legislative Konkretisierung ist dann erforderlich, wenn eine Richtlinie darauf abzielt, Angehörigen anderer Mitgliedstaaten Ansprüche zu verleihen. Hingegen ist eine Weiterdelegation der Konkretisierungsaufgabe an die mitgliedstaatliche Rechtsprechung geboten, wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber judikative Einzelfallgerechtigkeit ermöglichen wollte. b) Gegenüber den nationalen Konkretisierungsakteuren genießt der EuGH grundsätzlich die Letztentscheidungskompetenz,34 Es kommt im Einzelfall auf das vom Gemeinschaftsgesetzgeber intendierte Ausmaß der Rechtsangleichung an. Anhaltspunkte hierfür liefern die Erwägungsgründe sowie die Regelungsteleologie des Rechtsaktes. c) Entscheidend für das Gelingen des Konkretisierungsprozesses ist nicht nur die Respektierung der kompetenziellen Aufgabenverteilung. Es bedarf vielmehr eines sinnvollen Konkretisierungsdialogs zwischen den nationalen Konkretisierungsakteuren und dem EuGH. 3 5 Dies verlangt von beiden Seiten die Bereitschaft zu Kooperation und Rücksichtnahme. Dazu eröffnet das Vorabentscheidungsverfahren den nationalen Gerichten wichtige Chancen zur Gestaltung des Konkretisierungsprozesses, insbesondere durch die Auswahl und Gestaltung der Vorlagen. Umgekehrt sollte der EuGH darauf bedacht sein, den mit der Vorlagefrage eröffneten Entscheidungsrahmen zu respektieren. Ebenfalls von großer Bedeutung für die Akzeptanz und die praktische Wirksamkeit des Konkretisierungsprozesses sind Abfassung und Begründung der Vorabentscheidungsurteile sowie die innerprozessuale Kommunikation mit dem vorlegenden Gericht. 15. Die Verwirklichung gemeinschaftlicher Konkretisierungsvorgaben ist Teil der aus dem konkretisierungsbedürftigen Rechtsakt folgenden Umsetzungs- und Befolgenspflichten. Sind konkretisierungsbedürftige Begriffe in einer Verordnung enthalten, nehmen Konkretisierungen an der unmittelbaren Wirkung der Verordnung teil und sind von den mitgliedstaatlichen Gerichten per se zu befolgen. Bei der Richtlinienkonkretisierung ist zu unterscheiden nach

33 34 35

§14 I. §14 II. §14 III.

§16 Thesen

441

der vom Gesetzgeber gewählten Umsetzungsstrategie (judikativer oder legislativer Konkretisierung). a) Hat der Gesetzgeber den ausfüllungsbedürftigen Richtlinienbegriff in das Umsetzungsgesetz übernommen, sind die gemeinschaftlichen Konkretisierungsvorgaben durch die Rechtsprechung im Rahmen richtlinienkonformer Konkretisierung zu verwirklichen.36 Regelmäßig sind dazu auch die allgemeinen zivilrechtlichen Generalklauseln heranzuziehen. Etwaige Friktionen mit dem bisherigen Bestand an Präjudiziensicherheit und -konsequenz sind im Interesse supranationaler Wertungsharmonie grundsätzlich hinzunehmen. Sollte sich eine Konkretisierungsvorgabe gleichwohl nicht unter dem Dach des geltenden Rechts verwirklichen lassen oder sich schon die Weiterdelegation der Konkretisierungsaufgabe an die Rechtsprechung als unzulässig erweisen, ist der Gesetzgeber zum „Nachfassen" verpflichtet.37 Die Rechtsprechung kann solche Umsetzungsdefizite regelmäßig nicht überbrücken. b) Im Falle legislativer Konkretisierung konzentrieren sich die Verwirklichungspflichten auf den Gesetzgeber.38 Weicht eine Konkretisierungsvorgabe von der zur Richtlinienumsetzung erlassenen nationalen Regelung ab, ist der Gesetzgeber zur Abänderung verpflichtet, es sei denn, dass die Abweichung eine der judizierten Vorgabe entsprechende Konkretisierung durch die Rechtsprechung nicht hindert, oder dass sie Ausdruck eines den Mitgliedstaaten belassenen Konkretisierungsfreiraumes ist. Die Aufgabe der Rechtsprechung beschränkt sich grundsätzlich auf die Verwirklichung der legislativen Konkretisierung des nationalen Gesetzgebers. Ihre Gesetzesbindung verpflichtet sie regelmäßig auch dazu, legislative Fehlkonkretisierungen weiterzuführen: Gesetzeskorrigierender Rechtsfortbildung steht der eindeutige Konkretisierungswille des Gesetzgebers entgegen. In einem solchen Fall bliebe den nationalen Gerichten nur die Möglichkeit, über den EuGH Mahnungen an den nationalen Gesetzgeber zu erwirken.

36 37 38

§15 I. 1. §15 1.2. §15 II.

Literaturverzeichnis

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Sachregister A B G B 35,54 Abstammung, Recht auf Kenntnis 121 Abwägung 146ff. - Abwägungsbegriffe 210 - Abwägungsfaktoren 151,209ff. - Ausgewogenheitsmaßstäbe 151, 221 ff., 225 ff. - Begründungsmodell 150ff. - Bezugspunkte 210ff. - Kritik 148ff. - Rationalitätsbedingungen 150ff. - Umstände des Einzelfalles 211 ff. j4c^«is-Gruppe 362f. Acte cijiV-Doktrin 331 f. Affektationsinteressen 104,249 A G B G 81 f., 391 Allgemeinverbindlicherklärung 279f., siehe auch Tarifnormen Analogieschluss 127f., siehe auch Lückenfüllung Analyse siehe ökonomische Analyse Angemessenheit - Klauseln 45 f. - Maklerlohn 215ff. - Vertragsstrafe 229ff. Arbeitskampfrecht 66 ArbeitsvermittlerVO 259ff. Architekten, Kostenschätzung 244 Argumentationslast 93 siehe auch Präjudizien Argumentationstheorie 144 ff. siehe auch Normkonkretisierung Arzthaftung 201 ff. Aufklärungspflicht, ärztliche 201 ff. Auskunftspflicht über biologischen Vater 118 Auslegung 130ff. - autonome 373 ff. - grammatische 134f. - historische 135f. - richtlinienkonforme 414f. - systematisch-teleologische 136ff.

Begriffe - der Privatrechtsnorm 37ff. - deskriptive 27ff., 37ff. - Erfahrungs- 27 - normative 27ff., 39ff., 181ff., 205ff. - richtlinienkongruente 416 - Vagheit 27 - Wert- 27 - wertausfüllungsbedürftige 28f., siehe auch normative Begriffe Begründbarkeit siehe Normkonkretisierung Begründung - normindividuelle 214ff. - teleologische 206ff., 214ff. Berufsverbände, Richtlinien 90, siehe auch private Normen Bestandteil, wesentlicher 190ff. Bestimmtheitsgebot 70ff. - gemeinschaftliches 317ff., 336ff. Beurteilung - objektive 192ff. - verständige 170, 196ff. - wirtschaftliche 170, 190ff. Beurteilungsmaßstäbe 88f., 163, 169f., 188ff. Beurteilungsrelationen 169f. Beweis, siehe auch Tatfrage - Sachverständigenbeweis 87 - Tatsachen 87 Billigkeitsklauseln 43 f., 105 siehe auch Generalklauseln Biotechnologie-Richtlinie 341, 351 Blankettnorm 34f., 37ff. Bonne foi 337 Bürgschaften 114,119 Bürgschaftsentscheidung des BVerfG 69 C.I.L.F.I.T.-Entscheidung Code Civil 35 Common law 95 f.

des EuGH 383ff.

Delegation - Definition 53 - Entwicklung des Delegationsgedankens 49ff.

486

Sachregister

-

Grenzen 60ff., 334ff. Rechtsetzungsbefugnisse 49 Unzulässigkeit 60ff., 427ff. verdeckte 79f., 325, siehe auch normative Begriffe Deliktsrecht 68 Denkmalschutz 249 D I N - N o r m e n 253, 270ff., 292, siehe auch private Normen, Rezeption Doppelverwertungsverbot 295 ff. Düsseldorfer Tabelle 282 ff. e-commerce-Richtlinie 367 Effet utile 345ff. Effizienz siehe auch ökonomische Analyse - Gebot 153 ff. - Kaldor/Hicks-Kriterium 154 - Learned Hand-Kriterium 156 - Pareto-Effizienz 154 Ehe 78, 176f. eheliche Lebensverhältnisse 176f. Eheverträge, Inhaltskontrolle 114, 117, 119 Einzelzuständigkeit, begrenzte 317ff. Elektroschock-Urteil des B G H 201 elterliche Sorge 67, 77 Eltern-Kind-Verhältnis 78, 121 Enteignungsentschädigung 193 Equity 337 Erbverträge, Wirksamkeit 117 Erwerbstätigenbonus 284, 296f. Estee Länder-Entscheidung des E u G H 402 EuGH - Aufgabe der Konkretisierung 328ff. - Estee Lander-Entscheidung 402 - Gondrand Freres-Entscheidung 339 - Konkretisierungskompetenz 353 ff. - Oceano-Entscheidung 377ff., 402f. - Merotti-Entscheidungen 327 - Präjudizwirkung der Rspr. 414 - Reflexionsgruppe Zukunft des Gerichtssystems der E G 392f., 396 - Vorabentscheidung 356ff., siehe auch Vorabentscheidung - VeeJ/aW-Entscheidung 376 - VerfO 383, 392 - Von Colson und KamannEntscheidung 414 Europäische Gemeinschaft - Aufgabenverteilung bei der Konkretisierung 353ff. - begrenzte Einzelzuständigkeit 317ff. - Integrationsprozess 339, 399 - Komitologie-Beschluss 326

- Kompetenzordnung 3 X 6ff. - Konkretisierungsakteure 310ff. - Normkonkretisierung 309ff., siehe auch E u G H und Normkonkretisierung - Organisationsgewalt 326ff. - Organkompetenz 322ff. - Rechtsetzung siehe Richtlinien und Verordnungen - Subsidiaritätsprinzip 11, 319, 352, 359ff. - Verbandskompetenz 316ff. - Verhältnismäßigkeitsprinzip 319 - Wesentlichkeitstheorie 334f., 352f. Europäisches Patentübereinkommen (EPU) 341 Europäische Umweltagentur 326 Evolutionsfähigkeit des Rechts 101 EWIV 314 Fallgruppen 348 Fallnormen 16 ff. Fallvergleich 268 Fernabsatz-Richtlinie 311, 313, 367 flüchtiger Verbraucher 401 Folgerichtigkeit 113, 138f. - als Gebot der Rechtsgleichheit 105 ff. - von Rezeptionsentscheidungen 300ff. - systematische 105 ff. Frösche-Entscheidung des B G H 198 f., siehe auch Nachbarrecht Gemeinschaft siehe Europäische Gemeinschaft gemeinschaftliche Normkonkretisierung siehe europäische Normkonkretisierung sowie Normkonkretisierung Generalklauseln 29ff., 37ff., 50f., 69f. 114, 166f., 131,147, 311, 356, 417f., siehe auch Treu und Glauben - Normfunktionen 30ff. Geschäftsgrundlage, Wegfall der 82 Gesetz - Bindung 132ff. - Lücke 126ff., siehe auch Lückenfüllung - Materialien 109 - Publizität 110 - Rückwirkung 98 - Unbestimmtheit 125ff., siehe auch unbestimmte Rechtsbegriffe, normative Begriffe - Verkündung 110 - V o r b e h a l t 63, 67f., 119 - Vorrang 63 Gesetzgeber, siehe auch Privatrecht sowie Privatrechtsgesetzgeber

Sachregister - gemeinschaftsrechtliche Vorgaben 422 ff. - historischer 135f., 242f. - Pflicht zum Nachfassen 427ff. - Rechtsetzungsprärogative 56ff., 113 - Zuweisungsaufgabe 56ff. Gesetzgebung - „richtige" 106 - Kernbereich 61 ff., siehe auch Wesentlichkeitstheorie - Öffentlichkeit 85 - Umsetzungspflichten 311 ff., 422ff., 428ff., siehe auch gemeinschaftsrechtliche Normkonkretisierung, Richtlinien - Verfahren 85 - Vorbehalte 70ff. - Zeitwirkung 75 Gestaltungsrecht 44f. Gewaltenteilung 72ff., siehe auch institutionelles Gleichgewicht Gewaltentrennung 60ff. Gewaltmonopol 57 Gewichtungsbegriffe 181 ff., 205ff. Gleichbehandlungs-Richtlinie 424f. Gleichgerechtigkeit 103 f. Gleichheit - Gleichgerechtigkeit 103 f. - Rechtsanwendung 102 - Rechtsetzung 102 Gondrand /reres-Entscheidung des E u G H 339 Grenzwerte 272, siehe auch Immissionswerte Grundrechte - Ausstrahlungswirkung 114ff. - Bindung des Privatrechtsgesetzgebers 114ff. - Drittwirkung 67ff., 114ff., 149 - dynamischer Schutz 76 - effektiver Schutz 83 - Einrichtungsgarantien 67 - Entfaltung durch N o r m konkretisierung 113 ff. - gemeinschaftrechtliche 419ff. - Grundrechtecharta 420ff. - Kollision 118 - Schutzpflichten 67ff., 83 f., 116ff., siehe auch Untermaßverbot Handelsvertreter-Richtlinie 311, 349 Härteklauseln 43 f., siehe auch Generalklauseln Haushaltsführung, Arbeitszeitbedarf 266 Haustürwiderrufs-Richtlinie 374

487

Hermeneutik 16f. Hersteller 37 Immissionsbewertung 299f., 251 ff. Immissionswerte 2 5 I f f . Inhaltskontrolle - Bürgschaften 114, 119 - Eheverträge 114, 117, 119 - E r b Verträge 117 Insolvenz-Verordnung ( E u l n s V O ) 315 institutionelle Delegationsgrenzen 334ff. institutionelles Gleichgewicht 322 ff. Integration, dynamisch-evolutiv 339, 399 Interessenjurisprudenz 149 Juris 111 Justizgewährungsaufgabe 55 Kalkar-Entscheidung des BVerfG 76 Kasuistik 77 Kinder, Dienstverhinderung 103, 220f., 261 ff. Kindeswohl 77, 90, 154 Klausel-Richtlinie 311, 342, 350f., 353, 363, 370f., 374, 380, 391f., 398, 404, 410, 413 Kodifikationen, Altern der 100 Kollisionsrecht 315 Komitologie-Beschluss 326 Kompensationsgedanke 84ff., 102, 107 Kompetenz siehe Europäische Gemeinschaft sowie Gesetzgebung Konkretisierung siehe Normkonkretisierung - hermeneutische Theorie 16ff. - I d e e lf., 7f., 9ff. - Rationalität 162 ff. - Spielraum 161 ff. - Tatsachen 86 ff. Kostenvoranschlag 185 Kraftfahrzeuge, Integritätszuschlag 99, 103, 241, 247f. Kraftfahrzeuge, Nutzungswerttabellen 265 f. Landò-Kommission 362f. Lebensgemeinschaft - eheliche 78 - gleichgeschlechtliche 66 Lebensverhältnisse, eheliche 176f. Lohnfortzahlung 278f. Lückenfüllung 125ff., siehe auch Analogieschluss, teleologische Reduktion Lató-Urteil des BVerfG 131

488 Maklerlohn 178 - Angemessenheit 215ff., 231 Marken-Richtlinie 375 Aierom-Entscheidungen des E u G H Mietspiegel 111, 251, 255 f.

Sachregister - Folgenorientierung 152 ff.

327

nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis 82,

120 Nachbarrecht, privates 38, 80, 82, 100, 117, 120, 1 5 6 , 1 7 4 , 176f., 192ff., 198ff., 251ff., siehe auch verständiger Durchschnittsmensch, Immissionswerte, T A Lärm Nachfassen, Pflicht zum 90f. Nationalsozialismus 8ff., siehe auch konkretes Ordnungsdenken N a t u r der Sache 142 Niederlande 394 non liquet 96 normative Begriffe 27ff., 39ff., 181ff., 205ff. - Gewichtungsbegriffe 181 ff., 205 ff. - gleichbedeutende 180ff. normative Ermächtigungslehre 58 N o r m e n siehe auch N o r m g e b e r - Berufs- und Standesregeln 274ff. - dispositive 75 - Klarheit 1 0 / f f . - Tarifnormen 278ff. - technische 269ff. - Vereine und Verbände 54, 264 - Verständlichkeit 107 - Zugänglichkeit l l O f f . N o r m g e b e r siehe auch N o r m e n - externe 89f., 258 - private 57, siehe auch technische N o r m e n Normkonkretisierung -

als Normausfüllung 20ff. als Normerzeugung 16ff. als Normverwirklichung 14ff. Argumentationsaufgabe 139ff. Aufgabe des E u G H 328ff. Aufgabenverteilung auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene 353ff. Auslegung 130ff. Begründbarkeit 139ff. Beurteilungsmaßstäbe 88f., 163, 169f., 188ff. Beurteilungsrelationen 169f. durch Abwägung 146ff., siehe auch Abwägung effizienzorientierte 153ff., 190f.

- Erfahrung 244 ff. - evolutionärer Charakter 168 f. - Fallgruppenbildung 168

- Gegenstand 25 ff. - gemeinschaftsrechtliche K o m p e t e n z frage 309ff. - gemeinschaftsrechtliche 309ff., 344ff., 353 ff. - geschlossene 176ff. - gesetzeskorrigierende 113 - Grundrechtsbindung 113ff., 419ff. - im supranationalen Dialog 3 80ff. - judikative gemeinschaftsrechtliche 349ff., 41 Off. - Konkretisierungsverweigerung 83 - Kooperation 388 ff. - legislative gemeinschaftsrechtliche 348 f., 428 ff. - Lückenfüllung 125 ff. - Methoden 124ff. - Methodenpluralismus 124f. - offene 176ff. -

ökonomische Folgen 87 praktische K o n k o r d a n z 163 f. Prozess 167ff., 339, 381 Qualifizierungen 88, 170f., 205ff. Quantifizierungen 89, 105, 163, 170f., 240ff., siehe auch Quantifizierungen Rationalität 162ff. Rechtsfolgenebene 172 ff. Rezeption 256ff. richtlinienkonforme 411 ff., siehe auch Richtlinie Sachnähe 107f. Scheinkonkretisierungen 180ff. Spielraum 161 ff., 329 Stand des Gemeinschaftsrechts 399ff. Stufen 163, 171 ff. Tatbestandsebene 172ff. Topik 141 ff. Typisierung 168

- Typologie 167ff., siehe auch Qualifizierungen, Quantifizierungen, Beurteilungsmaßstäbe - Zeitgerechtigkeit 192 - Zeitpunkt 105 Normsetzung, judikative 84ff. Notarverein 275 Notstand ( § 2 2 8 B G B ) 172ff., 225f. Nürnberger Tabelle 299 O b i t e r dictum 98, 289, 398 objektive Beurteilung 192ff., siehe auch Beurteilungsmaßstäbe Objektivität 89f.

489

Sachregister Oce^no-Entscheidung des E u G H

377ff.,

385, 398f., 402, 405f., 413 öffentliches Recht, siehe auch Grundrechte

- Wesentlichkeitsvorbehalt 63 ff. Produkthaftungs-Richtlinie 312, 366f., 375, 405, 4 2 9 f .

- Bestimmtheitserwartungen 73 f. - Präventionsfunktion 74 - Verhältnismäßigkeit 222 ff. - Zumutbarkeit 232ff. Öffnungsklauseln 327f., 4 2 9 ökonomische Analyse 153 ff., siehe auch

- Schadensbegriff 376f. Prozessökonomie 396 Publizität 1 0 7 , 1 1 0

Effizienz - Legalität 155 f. Österreich 35, 54 Ordnungsdenken, konkretes 8 ff. O r d r e public 337, 341 Organisationsgewalt, gemeinschaftliche

- als gegriffene G r ö ß e n 241 - als Regelfallkonkretisierung 295 f. - bewusster Verzicht 242ff., siehe auch historischer Gesetzgeber - externe 250ff., 282ff. - Immissionswerte 2 5 I f f . - judikative 2 4 I f f . - private 264ff., siehe auch Rezeption

326ff. Ortsüblichkeit

195

Parlamentsvorbehalt 64ff., 69, siehe auch Wesentlichkeitstheorie Pauschalreise-Richtlinie 3 7 0 Pfändungsfreigrenzen 106, 138f., 302 positive Forderungsverletzung 82 Präjudizien - Abweichungsbefugnis 99ff. - als Rechtserkenntnisquelle 92f. - Arten 97ff. - faktische Bedeutung 92 - präsumtive Verbindlichkeit 93 - Präjudizienbindung 92ff. praktische K o n k o r d a n z 118, 141, 149, 163f. Preußisches A L R 35f. Privatautonomie 74 f. private N o r m g e b e r 57 private N o r m u n g 2 7 0 Private Quantifizierungen 264ff. Privater Normgeber, Sachverständigkeit 272 Privatrecht - Begriffe der Privatrechtsnorm 35ff. - Begriffstraditionen 341 ff. - Belastungsintensität 340ff. - Beteiligtenbezogenheit 73 ff. - Evolutionsfähigkeit 101 - Grundrechtsrelevanz 66ff. - Persönlichkeitsgeprägtheit 78 f. - Reparationsfunktion 74 - Zeitbezogenheit 75ff., 338ff. Privatrechtsgesetzgeber - Begriffe 35ff. - D D R 243 - Funktionsvorbehalt 60ff. - Grundrechtsbindung 114ff. - Rückholrecht 80ff.

Qualifizierungen 88, 170f., 205ff. Quantifizierungen 89, 105, 163, 1 7 0 f . , 2 4 0 f f .

RasenmäherlärmVO 252 Rationalität s. Normkonkretisierung

Reasonableness

357

Rechtsangleichung 356 Rechtsdenken, kontinentales 92 Rechtsetzung siehe Gesetzgebung, Privatrechtsgesetzgeber - Delegierbarkeit 60ff., 324ff. - Delegation 283 - delegierte 49f. - Funktionswandel 100 - Gleichheit 102 - judikative 56ff. - Prärogative 56ff. Rechtsfolgenabschätzung 85 Rechtsfortbildung - E u G H ( A r t . 2 2 0 E G ) 332ff. - geglückte 8 I f f . - richterliche 126ff. - richtlinienkonforme 424ff. Rechtsgleichheit 102ff., siehe auch Gleichgerechtigkeit Rechtskraft 91 Rechtslücke 129f. Rechtsprechung siehe auch N o r m k o n k r e t i sierung sowie judikative Rechtsetzung - Befugnis zur Rechtsetzung 54 ff., siehe auch Delegation - Ankündigung von Änderungen 99 - Beteiligtenbezogenheit 73, 85 - Rechtsfortbildung 126ff., 323ff., 424ff. - Richterrecht 54ff., 60ff. - Wirklichkeitsbezogenheit 88 - Zeitwirkung 75 Rechtssicherheit 9 I f f .

490

Sachregister

- beteiligtenbezogene 91 - gemeinschaftsrechtliche 336f. Rechtstatsachen 85 Rechtstatsachenforschung 22 Rechtsvergleichung 141 Rechtswissenschaft - als Realwissenschaft 152 - als Sozialwissenschaft lOff. - Rechtsvergleichung 141 - Rechtsdogmatik 141 Regelbetrag-VO 80 Reisemangel, Erheblichkeit 241 Rezeption 105, l l l f . , 251 ff. - autonome 256ff. - gesetzlich eröffnete 251 ff. - privater Quantifizierungen 264 ff. Rheinische Tabelle 275ff. richterliche Rechtsfortbildung 55f. Richterrecht, siehe auch Rechtsfortbildung sowie Rechtsprechung - Vergesetzlichung 81 - Zulässigkeit 60 Richtlinie - Biotechnologie-Richtlinie 341,351 - e-commerce-Richtlinie 367 - Fernabsatz-Richtlinie 311,313,367 - Gleichbehandlungs-Richtlinie 424f. - Handelsvertreter-Richtlinie 311,349 - Haustürwiderrufs-Richtlinie 374 - Klausel-Richtlinie 311, 342, 350f., 353, 363, 370f., 374, 380, 391 f., 398, 404, 410, 413 - Konkretisierung 353 ff. - Marken-Richtlinie 375 - Offnungsklauseln 372f. - Pauschalreise-Richtlinie 370 - perfektionierte 319 - Produkthaftungs-Richtlinie 312, 366f., 375, 405, 429f. - Rechtsangleichungsintention 364ff. - Rechtsnatur 355f. - Regelungsstrategie 369ff. - richtlinienkonforme Auslegung 346, 414f. - richtlinienkonforme Konkretisierung 411 ff. - richtlinienkonforme Rechtsfortbildung 424ff. - Umsetzung 345ff., 411ff. - Umsetzungspflichten, nachwirkende 427 - Unbestimmtheit 316ff., 319, 336ff. - unmittelbare Wirkung 423ff. - Verbraucherkredit-Richtlinie 311 f., 370, 374

- Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie 312,342, 367,395,410,416 Rückholpflicht 83 f. Rückholrecht 81 ff. Rückwirkung 98, siehe auch Vertrauensschutz SachRÄndG 251 f. Sachrichtigkeit 86ff. Sachverstand, externer 89f., siehe auch Rezeption Sachverständigenbeweis 87 Scheinkonkretisierungen 212 Schmerzensgeld 62, 121, 158, 171f. - Tabellen 266ff. Schuldrechtsreform 2, 40f., 42, 59, 82, 147, 209,312 Schulrecht 78 Schutzgesetz 38 Schutzpflicht, siehe Grundrechte - richterliche Schutzgewähr 117ff. Schwacke-Liste 265 f. Schweiz 54 Societas Europeae (SE) 314 Sora^a-Entscheidung des BVerfG 62, 99f. Sorge, elterliche 67, 77 Souveränität, mitgliedstaatliche 317ff. Sozialhilfesätze 138, 300ff. SportanlagenlärmschutzVO 251 f., 254 Stand der Technik 88, 90, 134, siehe auch Technikklauseln Standesregeln 274ff. Stufenbau der Rechtsordnung 14f., 56 Subjektbezogenheit siehe Zumutbarkeit Subsidiarität - des Vertragsrechts 74f. - Subsidiaritätsprinzip 11, 319, 352, 359ff. Tabellen - Düsseldorfer 282ff. - Mietspiegel 111, 251, 255f. - Nürnberger 299 - Nutzungswerttabellen für Kraftfahrzeuge 265 f. - Rheinische 275ff. - Schmerzensgeld 266ff. - Unterhalt 98, 112,282ff. - Vergütung für Testamentsvollstrecker 274ff. TA Lärm 251,253f. Tabakwerbeverbotsbeschluss des EuGH 318 Tarifnormen 278ff. - Allgemeinverbindlicherklärung 279f. - Zugänglichkeit 112

Sachregister Tatfrage 186f. Tatsachen - Konkretisierungstatsachen 86ff. - Rechtstatsachen 85 Technikklauseln 32, 269, siehe auch Stand der Technik Technikrecht 7, siehe auch technische Normen, Technikklauseln technische Normen 269ff., siehe auch DINNormen sowie VDI-Richtlinien technisch-wissenschaftlicher Fortschritt 76, 102 teleologische Begründung 206ff., 214ff. teleologische Reduktion 128f., siehe auch Lückenfüllung Testamentsvollstrecker, Vergütung 172, 274 ff. Topik 12, 141ff., 169 Treu und Glauben 31, 38, 81f., 227, 311, 313, 342, 378, siehe auch Generalklauseln - Verbot übermäßiger Rechtsausübung 227 Ubermaßverbot siehe Verhältnismäßigkeit, öffentliches Recht Umstände des Einzelfalles 185f., 211 ff. unbestimmte Rechtsbegriffe 25ff., 37ff. Unterhalt - angemessener 136, 173 - Bemessung 97, 101, 171f. - Erwerbstätigenbonus 284, 296f. - nachehelicher 283 f. - Selbstbehalt 283, 285, 298ff. - Tabellen 98, 112,282ff. Rechtsqualität 286ff. - - Rezeption 293ff. Untermaß verbot 115f., 117 Vagheit 33, siehe auch normative Begriffe VDI-Richtlinien 253, 270ff., siehe auch private Normgeber sowie Rezeption Vee^M-Entscheidung des EuGH 376 Verbandskompetenz 316ff. Verbraucher 37 - flüchtiger 401 Verbraucherkredit-Richtlinie 311f., 370, 374 Verbraucherleitbild 401 f., siehe auch Beurteilungsmaßstäbe Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie 312, 342, 367,395,410,416 VerfO-EuGH 406

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verhältnismäßig 49f. Verhältnismäßigkeit - Gemeinschaftsrecht 319 - öffentliches Recht 222 ff. - Verhältnismäßigkeitsklauseln 183ff., 21 Off. Verkehrserwartungen 77 VerkehrslärmschutzVO 251 Verkehrssitte 31,37,88,90,134 Verordnungsermächtigung 64 verständige Beurteilung 196ff. verständige Würdigung 170 verständiger Durchschnittsmensch 97, 198 ff. verständiger Durchschnittsverbraucher 400f. verständiger Patient 201 ff. Vertrag von Amsterdam 312 Vertragsrecht 74f. Vertragsstrafe 175 ff. - Angemessenheit 229ff. Vertrauensschutz 91, 97ff., 419 Von Colson und /^i»m